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Autograph: Zürich StA, E II 357, 234-237 (Siegelspur) Zusammenfassende Ubersetzung: Blarer BW II 635f, Nr. 1452
[J] Es geht um den folgenden Fall: Eine Frau [Elsbeth Huber], die sich sechs oder sieben
Jahre ais Ehefrau eines Mannes [Jakob Kundigmann]verhielt, dies öffentlich bekundete und
nie über ihn klagte, verließ plötzlich das eheliche Dach und nahm dabei alles mit, was sie
konnte. Als sie sich vor der Obrigkeit rechtfertigen musste, sagte sie, dass ihr Mann impotent
und sie noch Jungfrau sei und deswegen die Scheidung beantrage. Eine Untersuchung der
Frau durch die Hebammen brachte allerdings zutage, dass sie keine Jungfrau mehr war.
Daraufhin wurde sie eingesperrt und befragt. Sie gestand, dass ihr während ihrer Ehe ein
anderer Mann [..] (dessen Namen sie anführte) die Jungfräulichkeit genommen habe. Sie
bestand aber darauf dass ihr Gatte impotent sei und im Unterschied zum anderen keinen
Geschlechtsverkehr mit ihr haben konnte. Der Ehemann stritt dies ab und verlangte die Scheidung,
zumal die Gattin Ehebruch begangen hatte. -[2]Es stellt sich nun die Frage, ob das
Vergehen der Frau im Falle der Impotenz ihres Mannes als Ehebruch oder nur als sexuelles
Delikt bewertet werden soll. Ist es ein Ehebruch, müsste sie von Gesetzes wegen ihre Mitgift
dem Mann überlassen, nicht aber, wenn ihr Vergehen als Hurerei bewertet wird. Manche Räte
sind der Auffassung, dass, wenn der Mann impotent ist, es kein Ehebruch sei; andere wiederum
sind der Meinung, dass es sich uni. eine rechtmäßige Ehe handle, da die Frau über viele
Jahre hinweg geschwiegen und die Mannesschwäche ihres Gatten geduldet, nie geklagt und
auch nicht die Scheidung beantragt hat. Grundlage einer Ehe sei ja nicht die Potenz. Deswegen
sei diese in Bezug auf eine Ehescheidung irrelevant, außer wenn die Gattin damit nicht
mehr zurechtkäme. Zwischen Joseph und Maria wie auch unter vielen anderen Eheleuten
bestand doch eine rechtmäßige Ehe! -[3]Angenommen, ein impotenter Mann würde seine
Mannesschwäche bekennen und nur deswegen eine Scheidung beantragen, seine Frau aber
darauf erwidern, sie wolle weiterhin mit ihm leben, da dessen Impotenz sie gar nicht störe,
würde man doch in solch einem Fall den Gatten dazu anhalten, bei seiner Frau zu bleiben!
Würde er es nicht wollen, würde man ihn auf die Verbindlichkeit seines Eheversprechens
hinweisen und ihn zwingen, bei der Frau zu bleiben. Das beweist doch, dass auch im Falle
einer Impotenz die Ehe rechtsgültig ist! -[4]Dies trifft auch hier zu. Da sich die Frau sechs
Jahre mit der Impotenz des Mannes abgefunden hat, ist das Zusammenleben der beiden als
eine rechtmäßige Ehe und ihre Hurerei als Ehebruch einzustufen. Die Impotenz des Mannes
entschuldigt keineswegs ihr Verhalten. Denn wäre sie zum Schluss gekommen, dass sie diese
nicht mehr aushalten könne, hätte sie einen legalen Weg einschlagen müssen, um sich scheiden
lassen zu dürfen. -[5]Man würde doch keinem gestatten, von sich aus eine andere Partnerschaft
einzugehen, ohne zuvor das Urteil der Obrigkeit eingeholt zu haben; desgleichen würde
man keinem Ehepartner erlauben, mit einem anderen zu schlafen, ohne dabei von Ehebruch zu
sprechen! -[6]Würde man so etwas dulden, entstünden schlimme Präzedenzfälle: Die Frauen
mit impotenten Ehemännern dürften nach Belieben huren, und, falls ihre Beziehung auffliegen
wurde, die Schuld ihren Ehemännern zuschieben, um nicht wegen Ehebruchs bestraft zu werden
und so keine Nachteile aus dem Reichsrecht oder aus anderen Gesetzen hinnehmen zu
müssen. -[7]Soeben erfährt Blarer, dass der Stadtbote [...]sich bereits mit dem an Bullinger
adressierten Ratsschreiben [Nr. 2938]auf den Weg gemacht hat, da Blarers Bruder Thomas
annahm, dieser sei schon bei Blarer gewesen! Es ist wichtig, dass Bullinger sich die Sache gut
überlegt. Blarer möchte zwar nicht sein Urteil beeinflussen oder ihn gar dazu zwingen, anders
darüber zu urteilen, als er es für richtig hält. Allerdings würde ein abweichendes Urteil
Bullingers sowohl Blarer ais auch dessen Amtskollegen schwerfallen, weil dadurch ihre Autorität
geschwächt und dies wiederum schlimme Folgen haben würde. -[8] Die KonstanzerBriefe_Vol_20-279 arpa
Ratsherren haben bei anderen Rechtsgelehrten ebenfalls Rat eingeholt. Doch soll Bullinger in
seiner Antwort [Nr. 2941]sich nicht anmerken lassen, dass er davon weiß und einen Brief von
Blarer erhalten hat. Da die Frau zunächst log und erst danach ihre Unzucht mit dem anderen
Mann gestand, uni die Potenz ihres Gatten nicht zugeben zu müssen, kann man ihr keinen
Glauben mehr schenken. Der Mann sollte auch nicht gezwungen werden, sich medizinisch
untersuchen zu lassen oder seine Potenz mit einem Schwur zu bezeugen, auch wenn das Gesetz
dies vorsieht und es im päpstlichen [kanonischen] Recht vorgeschrieben wird und noch gebräuchlich
ist. Blarer und seine Kollegen empfinden nämlich, die Beschauung des Mannes als
anstandswidrig und unchristlich. -[9]Es kam in dieser Angelegenheit zur Uneinigkeit, weil
die Mitgift der Frau auf dem Spiel steht: Wird die Unzucht der Frau nicht als Ehebruch,
sondern lediglich ais Hurerei bewertet, darf sie ihr Vermögen behalten. Deshalb verlangen
einige die medizinische Untersuchung des Mannes, obwohl er im Gefängnis und trotz Androhung
von Folter weiterhin seine Potenz beteuert hat. Blarer und seine Kollegen sind der
Auffassung, dass die Unzucht der Frau in jedem Fall als Ehebruch zu werten ist, auch wenn
die Impotenz des Mannes bewiesen würde. Schließlich hat sie jahrelang mit ihrem Gatten
zusammengelebt und keine Scheidung beantragt. -[10] Der Fall wurde Bullinger schriftlich
[mit Nr. 2938]dargelegt. Dieser soll bei seiner Antwort vorsichtig und nicht voreilig sein. Er
kann ja den Boten des Konstanzer Rats ohne Antwort abfertigen und vorgeben, dass er gerade
viel zu tun hat, es sei denn, die zu gebende Antwort sei ihm genauso klar wie Blarer und
bedürfe keines langen Nachdenkens und vieler Ausführungen. -[11] In großer Eile. Blarers
Bote [...]will abreisen. -[12][P.S.:]Die Konstanzer Räte haben die Meinung der Konstanzer
Pfarrer eingeholt, doch clic meisten Räte (mit Ausnahme von Blarers Bruder Thomas und
deren Cousin Konrad Zwick) stimmen dieser nicht zu. Deshalb wenden sie sich nun an Bullinger,
in der Hoffnung, ein, anderes Urteil von ihm zu erhalten.
Der casus: Am weyb 1 hat sechs oder siben jar by irem mann 3 gewont. Ist
für sein ewyb gehalten worden, mitt ime zu kirchen und strausß 4 gangen.
Hat sich ouch nie nichts 5 seinen halb geklagt, etc. Nachmals 6 ist sy aigens
gwalts vom mann gelouffen. Hat dem mann entwendt, was sy hinweg hat
bringen mögen. Alls sy aber erfordert 7 worden durch die oberkait, hat sy
fürgewendt, sy seye darum vom mann geloffen, dann 8 er seye kam mann nie
gewesen: sy seye ouch nochmals 9 ain junckfraw! Darum begere sy der schydung.
Es ist nachmals dahin gerathen, das man sy geschowet 10 durch hebbammen
und sy kam junckfrauwen, sonder ain verrückte 11 funden hat. Daruff
sy gefencklich angenommen und gefragt worden, etc. Hat sy bekendt, es
hab ir ain anderer die magtthumb 13 genommen a die zeyt, alls sy by dem
man gewoneta . Ir mann aber seye kam man, dann er hab litt dermassen mitt
ir gehandelt wie der ander, den sy ouch genent hat. Der mann aber ist des
alles ab 14 mitt anzögung 15 , sy thu im gwalt unnd unrecht, etc., und begert der
schidung von ir, diewyl sy selb bekennt iren ehbruch, etc.Briefe_Vol_20-280 arpa
So ist nun die frag, ob diß hurerey des weybs ain ehbruch geacht sölle werden im fail, das es war were virum esse impotentem, oder ob es nun 16 ain simplex scortatio 17 seye ze achten. Dann ists für ain ehbruch ze achten, so wirt sy dem mann ir güt und hab 18 verfallen 19 sein laut miner herren ordnung, welchs aber nitt were, wa 20 es nun ain simplex scortatio, wie sy es nennen, sin solle. ||235 Da wellen nun ettlich, es seye nie kam eh gewesen im fall, so der man impotens were, etc. Darum seye es kam adulterium. Die andern wellen, es solle billich 21 für ain eh gehalten werden, diewyl das wyb sovyl jar geschwygen und die impotentiam geduldet, nie klagt noch schidung begert hab. Dann die eh seye nitt gründt super potentia vin. Darum mög sy ouch von deren wegen nitt geschaiden werden, dann allain im fall, wa das weyb die nitt zu güt halten 22 will. Es seye ain eh zwischen Joseph und Maria und vyl anderen gewesen.
Item, wann 23 der impotens vir selbs keme und bekandte sin impotentiam, begerte der schidung vom wyb, dann er were impotens und desshalb were es kam ehe, etc., das weyb aber sagte: ich beger, das er by mir seye; er hat mir ehlich truw, und was der anhangt, verhaissen; sein impotentia irrt mich nichts; frag dem nitt nach; so achtend dise 25 , man wurde den man darzu halten, das er by dem wyb belybe. Und könde man es doch nitt, dann in crafft der eh, die er ir versprochen hat. Wann es aber kam eh were propter solam impotentiam vin, die ouch das wyb dulden will, so köndte man ain sölichen mann nitt zum wyb zwyngen, wann er von ir begerte 26 , diewyl es kam eh were.
Allso ouch hie, diewyl das wyb sechs 27 jar consentiert hat in istam impotentiam vin, ist billich ir beywonung 28 für ain eh gehalten 29 , und so sy gehuret hat, ist billich ir hurerey für am ehbruch gerechnet, und entschuldiget sy die impotentia vin nitt. Dann wollt sy yetz ir gemüt enderen und die impotentiam vin nitt mehr zu güt halten, hat sy amen ordenlichen 30 weg zur schidung gehapt: Den sollt sy gangen sein!
Man gestattet doch kainem, das er aigens gwalt usß sölicher ursach der impotentia ain andern gemachel nemme, on vorgende erkantnusß 31 der oberkait, gschweygen das ains hurerey triben in sölichem fall und im nitt für ain ehbruch gerechnet werden sollte.
Es wurden ouch böse recht 32 daruß wachsen und böse exempel, das söliche wyber, die impotentes viros hetten, so lang inen gefiele, in sölicher eh
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weren, hureten allso anhe 33 haimlich, alls lang sy möchten, hettend ire menner allain zu iren deckmenteln, und wann es dann gleych etwan 34 ussbrech und offenbar wurde, so wissen sy, das sy nitt alls ehbrecheren gestraufft werden kondten und desshalb nach kaiserlichen rechten und andern ordnungen kam nachtail an dem güt lyden dörfften, etc.
||236 Ach lieber brüder, ich erfar, das der bott 35 hinweg ist mitt schreiben an euch 36 raths halber, und hat min lieber brüder 37 gewent 38 , er seye vor by mir gewesen! Secht, lieber herr und brüder, und gebt güten beschaid, dann mir etwas daran gelegen. Ich beger ewer iudicium nitt zu corrumpieren oder das ir von mynen wegen anderst dann 39 recht raten sollten. Daneben wellt ich ungern, das meyn und der anderen fratrum authoritas sollt by ainem rath verklainert werden in fellen, da man sy 40 erhalten mag. Dann es kompt darnach vyl übels darusß, das man unß darfür hellt, unser iudicium stymme nitt mitt den andern; das aber darnach groß unrat gebirt 41 .
Unsere herren haben an anderen orten by juristen ouch rath gepflegen 42 und funden. b Davon lasst euch nitt mercken in ewerm schriben, das ir sölichs wisst, wie ir ouch nitt derglichen thain 43 sollend, alls ob ich euch etwas davon geschriben hab. b Diewyl das weyb falsch erfunden worden und das sy kam jungfrouw ist, wie sy erstlich fürgeben, und darnach eh 44 ir unrainikait mitt ainem andern bekennt hat, damitt sy potentiam irs mans nitt bekennen müsse, derhalb seye ir nitt ze glouben. Und sölle man ouch den mann weder schouwen 45 noch den aid geben 46 , wie sölichs in den rechten versechen und ausstruckt 47 seye in dem und derglichen fellen, wiewol 48 wir das schowen des mans für ain ungegründt 49 ding achten und das es wider christeliche zucht und erbarkait seye, onangesechen 50 das es im papsts recht 51 ussgetruckt und noch by den bepstischen bruchig 52 seye.
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Aber der gantz butz 53 , darum man sich parteyet, stecket darinn, das ettlich das weyb gern by irem güt erhalten wehten und die sach gern dahein deuten, das diß ir unrainikait nitt ain ehbruch, sonder nun ain simplex scortation sin sollte, damitt sy der ehbrecheren strauff nitt dulden und das güt müsste faren lassen. Darum trungend sy, man soll den mann schowen, etc., der doch ouch in der gefencknusß und mitt tröwung 54 des henckers bstanden ist 55 , er seye ain mann; so doch ich und wir all darfür hallten, das, wann sich glich die impotentia fende, danecht 56 diß des weybs hurery ain ehbruch geacht solle werden, diewyl sy sovyl jar dem man beygewont und der schidung kainswegs begert hab. ||
237 Der casus in terminis, 57 wie sy sagend, ist euch 58 geschriben und wurt hienach 59 ouch verzaichnet 60 . Bitt euch um gottes willen, sind wol bedacht und müsst nitt ylen. Kondt wol den botten 61 miner herren abfertigen und geschefft fürwenden, dann 62 euch geschefft seyen fürgeffallen; es seye dann bey euch ouch so darum 63 alls by unnß: so darff 54 es litt vyl difficultet 65 , und hapts bald verantwurt 66 mitt wenigi worten. 67
In grosser yl zu amer ur nachmittag, 3. iulii 1547. Darff den botten 68 nitt summen 69 .
[Ohne Unterschrift.] |
Mine herren habend unsers, der kirchendiener, raths ouch gepflegen 70 , aber dem mehrtail wylls nitt gnug sin 71 , quamquam frater 72 et consobrinus 73 et
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optimi quique nobiscum consentiunt. Ideo tuam quoque sententiam exposcunt sperantes te variaturum.
[Adresse darunter:] An maister Heinrich Bullinger, meinen für[ge]liepten c herrn und br[uder] zu Zurich.