Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2876]

Bullinger an Oswald Myconius
[Zürich],
6. April 1547

Autograph: Zürich StA, E II 342, 171 (Siegelabdruck) Zusammenfassung: Henrich, Myconius BW 956, Nr. 1071

[1] Myconius' Brief vom 4. April [Nr. 2873], den er heute erhalten hat, kann Bullinger entnehmen, was für Unruhen dieser unlautere Ehebrecher [Hans Wylle] verursacht. Myconius weiß ja, wie Bullinger über derartige Ehen urteilt und wie sehr er schon die Ehe des in Bern wirkenden Pfarrers Beat Gering missbilligt hatte. Dieser heiratete die Frau [Agathe ...], mit der er seine legitime Gattin [Sabinella, geh. Buchser] betrogen und ein Kind gezeugt hatte, was die Auflösung seiner ersten Ehe nach sich zog. Er führte die Ehebrecherin nach Basel und von dort nach Straßburg, wo man über den Sachverhalt Bescheid wusste und die neue Ehe trotz allein billigte! Die Zürcher hätten dies nie getan! Bei ihnen wird einem Ehebrecher keine Eheschließung mit der Frau gestattet, mit der es zum Ehebruch kam. Demzufolge machen sich die Basler nicht schuldig, indem sie jene Ehe nicht anerkennen. Denn König David musste sich auch den Vorwurf anhören, er habe geheiratet und zudem getötet! Sogar die höchst schändlichen Päpstler erkennen solche Ehen nicht an! -[2] Wenn es in Basel üblich ist, Menschen, die derartige Vergehen verübt haben, zu exkommunizieren, und wenn alle, die darüber zu befinden hatten, dieses Urteil fällten, kann dieses nicht sündhaft sein. In Zürich gibt es diese Praxis nicht. Solche Menschen werden je nach Vergehen vom Magistrat bestraft. Das Abendmahl bleibt ihnen aber offen. Jeder muss selbst entscheiden, ob er daran teilnimmt oder nicht. In Basel scheint man anders vorzugehen. Dabei soll man stets das Gedeihen der Kirche im

13 Vgl. schon HBBW XIX, Nr. 2x32,19-23.
14 Gemeint sind die vier Berg(bau)städte Baja de Aries (Offenburg; Aranosbánya), Baja de Cris (Altenburg; Körösbánya), Abrud (Großschlatten; Abrudbánya) und Criscior (Kreischquell; Kristyor). heute in Rumänien.
15 Erzgebirgskreis, Sachsen.
16 Jáchymov, Böhmen (Tschechien). - Zu diesen Eroberungen des Kurfürsten im März 1547 s. Voigt, Moritz 342f; Mentz III 557f, Nr. 75.
17 Zur Unterwerfung Straßburgs s. HBBW XIX 347, Anm. 16.


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Auge behalten. Zu Recht also soll man darauf achten, dass ein derartiger Frevel bestraft wird! Myconius soll nachlesen, was Augustin gegen den Brief des Parmenianus, Buch 3, Kap. 2, geschrieben hat! -[3]Markus Bertschi und alle Amtskollegen seien gegrüßt. -[4] Die erste Nachricht [über einen zweiten Sieg des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen], die Bullinger aus einem Brief Vadians mit seinem durch die beiden jungen Zürcher [Johannes Buchter und Markus Wüst]übermittelten Schreiben mitgeteilt hat, ist zweifelhaft, zumal sie anderweitig nicht bestätigt wird. -[5]Grüße an den erkrankten Johannes Gast, der bald wieder genesen möge. -[6]Gruß, auch an Francisco de Enzinas und Bernardino Ochino.

S. D. Tuas 4. aprilis datas 1 6. eiusdem accepi, vir colendissime. Intellexi, quas turbas excitavit impurus ille adulter 2 . Rogas, quid de illo coniugio sentiam et quid dicam de vestro consilio et facto. At nescire non potes, quid sentiam de huiusmodi connubio, vel ex Beati Gerungi (nunc Bernensis ecclesiae ministri) a negotio pari. 3 Displicuit ut quod maxime hominis connubium, quod contraxerat cum ea 4 , cum qua admiserat adulterium, quam impraegnarat, et propter quam uxor legittima 5 ab eius thoro legitimo avellebatur

a Dieses und das nächste Klammnerpaar ergänzt.
1 Nr. 2873.
2 Hans Wylie, gen. Bapst. Zur Angelegenheit s. Nr. 2873,1-21.
3 Beat Gering, der mit Sabinella, geb. Buchser, aus dem Berner Aargau (Aarau oder Suhr) verheiratet war, wurde im Februar 1538 wegen Ehebruchs mit seiner wohl aus der gleichen Region wie seine Frau stammenden Magd Agathe [...] aus der Zürcher Pfarrerschaft ausgeschlossen. Nachdem Sabinella die Scheidung verlangt hatte, verließ Gering Zürich, um sich in Basel dem Druckerhandwerk zuzuwenden. Auf dem Weg dahin traf er sich mit Agathe und übernachtete mit ihr in Brugg. Nachdem er im September des gleichen Jahres vergebens versucht hatte, bei Bullinger eine neue Anstellung als Pfarrer im Zürcher Gebiet zu erwirken, konnte er sich mit Bucers Hilfe kurz danach (im Oktober oder November) in Straßburg niederlassen. Seine Ehe mit Agathe wurde dort am 12. Mai 1539 anerkannt. Er versicherte dabei, dass er Agathe vor der Scheidung von seiner früheren Frau nicht die Ehe versprochen hatte (in Zürich, wo die Scheidung erlaubt war, wäre eine Ehe mit dem in den Ehebruch involvierten Partner nicht möglich gewesen). Im Herbst 1541 wurde Gering von Bucer als Pfarrer nach Bern befördert. Allerdings fiel Agathe noch vor Mitte November 1541 der Pest zum Opfer; s. HBBW 11126, Anm. 1; III 122,
Anm. 15; VIII 115, Anm. 1; 211f; 239: 264; 266; IX III, Anm. 11; XI 327; BucerDS X 477-485, Nr. 14; sowie den autographen Entwurf eines vermutlich im Mai oder Juni 1548 und allenfalls spätestens im April 1550 verfassten Briefes von Bullinger an einen Ratsherrn von Brugg oder an den dort wirkenden Pfarrer Heinrich Ragor (Zürich ZB, Ms F 154, 28r.- 29v.. Nr. 5). - Nachdem Gering am 11. Mai 1548 vom Berner Rat entlassen worden war (Hundeshagen 209), begab er sich spätestens im April 1550 erneut nach Straßburg, wo er Pfarrer an St. Thomas wurde; s. Bopp-I 183 (es bleibt ungeklärt, wo er sich bis zu dieser Anstellung aufhielt). Er ist der in den Briefen John Burchers an Bullinger vom 20. April und 8. Juni 1550 ohne Namen erwähnte neue Pfarrer (Epistolae Tigurinae 429-432; Original Letters II 662-667), der bislang nicht identifiziert wurde. Im zweiten Brief betont Burcher (wohl in Anlehnung an Bullingers nicht mehr erhaltenen Brief), dass "Bucerus in rnatrimonii causa plus quam licentiosus est" (Epistolae Tigurinae 431). In Straßburg sollte Gering bis zu seinem im März 1559 erfolgten Tod leben, auch wenn er bereits 1557 wegen seiner Feindschaft mit Johannes Marbach seine Stelle an St. Thomas aufgeben musste.
4 Agathe [...].
5 Sabinella, geb. Buchser.


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per divortium. Nam eam secum abduxit Basilaeam, inde Argentoratum. Argentoratenses huiusmodi matrimonio (quod, quale esset, non ignorabant) bene dixerunt et ratum habuerunt! 6 Nos vero nunquam ratum habuimus neque approbavimus 7 Ideoque nihil a vobis peccatum est, qui noluistis nuptias coire inter adulterum et adulteram. Praeterea lege apud nos receptum est et usurpatum, ut nulli permittatur uxor adultero, ea, inquam, cum qua vivente uxore prima patravit adulterium. Nam et David inter alia audivit: "Occidisti insuper et duxisti."8 Spurcissimib pontifices Romani dixerunt: "Ne ducat in matrimonium, quant polluit adulterio"9 c (hoc dixit, qui palam impurus est; nos evangelio credimus !) c . Sed non est, quod pluribus ostendam eas nuptias esse illicitas. Nosti enim!

Quod excommunicationem attinet, si moris est d apud vos d huiusmodi excommunicare, si omnes, quorum interest de iis censere et ferre sententiam, consenserunt et recepto more excommunicatus est, nihil video, qua in re peccaveritis. Nobis non est in usu excommunicare vel hos vel his similes. Puniuntur huiusmodi scelera et scelerosi a rnagistratu pro delicti modo. Nos deinceps coenam omnibus relinquimus liberam; neminem excludimus nisi eum, qui se ipsum excluserit. Verum in vestra ecclesia alia, opinor, ratio est. 10 Videte, fratres, ut ea, quae sunt aedificationis semper agatis! 11 Merito advigilatis, ut grande hoc scelus puniatur vel propter exemplum! Lege, oro, ea, quae Augustinus scripsit contra epistolam Parmeniani lib. 3, cap. 2.12

Vale cum Marco 13 et fratribus omnibus.

b In der Vorlage Spursissimi. -
c-c Am Rande nachgetragen. Die Klammern wurden ergänzt. -
d-d Am Rande nachgetragen.
6 6 Am 12. Mai 1539; s. oben Anm. 3. -Vermutlich aber wurden die Straßburger nur vom betroffenen Gering und dessen Partnerin über den Sachverhalt informiert.
7 Dass Bullinger hier an Gerings Fall erinnert, ist als Seitenhieb aufzufassen, zumal Myconius (im Gegensatz zu Bullinger) weiterhin mit Bucer befreundet blieb und die lutheranisch ausgerichteten Berner Pfarrer Simon Sulzer und Beat Gering in Schutz nahm.
8 Bullinger denkt hier an den Ehebruch von König David mit Batseba, der Frau von Urija; s. 2Sam 11f. Doch den von ihm aus dem Gedächtnis angeführten Text gibt es nicht: Er entspricht einer Zusammenführung von 2Sam 12, 9, mit 1Kön 21, 19 (Occidisti insuper et possedisti). Im letzten Fall handelt es sich um eine Zurückweisung des Königs Ahab durch den Propheten Elija.
9 Corpus iuris canonici, Decretales, lib. IV, tit. 7: "De eo, qui duxit in matrimonium,
quam polluit per adulterium" (CorplCan II 687f).
10 Seit Dezember 1530; s. Ernst Staehelin, Das theologische Lebenswerk Johannes Oekolampads, Leipzig 1939, 506-527; Köhler, Ehegericht I 274-308. - Bullinger wird dies wohl gewusst haben, aber Zürich hatte sich gegen diese Praxis entschieden.
11 Vgl. Röm 14, 19; 15, 2; 1Kor 14, 12. 26.
12 An dieser Stelle kommentiert Augustin Paulus' Ermahnung in 1Kor 5, 5-13, und 1Kor 6, 9-10, das Böse aus der Gemeinde zu entfernen und nach der Heiligkeit zu trachten (CSEL LI 104-124). -Bullinger benutzte den im Jahr 1528 erschienenen Band 7 der von Johannes Froben in Basel gedruckten Gesamtausgabe von Augustin (VD16 A4148), die er selbst besaß; s. HBBibl III 73f, Nr. 10. Der Bezugstext findet sich im Basler Druck auf S. 36-43.
13 Markus Bertschi.


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Communicavi per ||v pueros nostros 14 , quae acceperam a d. Vadiano. 15 Caeterum de veritate rei gestae semper dubitavi, et jam eo magis, quominus alia subsequuntur testimonia, quae primum illud confirmant. Sed fiat, quod bonum est in oculis domini. 16

Valde doleo d. Gastium, dilectum fratrem nostrum, decumbere. 17 Tu i[1]lum e fideliter salutabis. Ego orabo dominum, ut eum nobis mox restituat.

Vale iterum cum d. Dr[y]andro 18 , Bernardino 19 et omnibus bonis. 6. aprilis anno domini 1547.

Bullingerus tuus.

[Adresse darunter:] Praestantissimo viro d. Osvaldo Myconio, Basiliensis ecclesiae ministro fideli, domino et fratri suo honorando. Basel.