Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2388]

Bullinger an
Johannes Haller
Zürich,
22. März 1546

Abschrift von Johann Heinrich Hottinger a : Zürich ZB, Ms F 46, 590 Ungedruckt

Bullinger hat nichts zu berichten, weil er erst vor wenigen Tagen ausführlich an Haller schrieb [Nr. 2377] und auf Hallers Antwort wartet. Haller soll die Wahrheit Christi weiter verkündigen. Angeblich sind Herzog [August] von Sachsen und [Franz von Braunschweig]-Lüneburg nach Augsburg gekommen. Kaiser [Karl V.] soll auf dem Weg nach Regensburg sein. Haller möge berichten, ob das stimmt. Wer ist dieser falsche Friedrich? Solche Betrüger hat es schon früher gegeben. So hat zur Zeit des Grafen Rudolf von Habsburg ein falscher Friedrich [Tile Kolup] vielen Leuten etwas vorgemacht, doch Rudolf ließ ihn unweit von Köln, in [Wetzlar], verbrennen; ein glorreiches Ende für diesen Friedrich! Friedrich der Erste, Barbarossa, liegt in Tyrus begraben. Friedrich der Zweite in Sizilien. Friedrich der Dritte, der Vater Maximilians [I.], in Österreich. Es gibt keine [biblische]Prophezeiung, die einen Friedrich als Messias verkündigt! Wenn Deutschland doch nur das Wort des Herrn aus Joh 5 [43] annähme! Christus allein ist unser König, Priester, Prophet und unser Frieden. Die Friedriche mögen alle zugrunde gehen! Christus sagte das Kommen falscher Propheten voraus. Der Herr möge Haller mit Frau [Elsbeth, geb. Kambli] und Tochter [Agnes] bewahren.

Gratiam et vitae innocentiam a domino. Non habeo quicquam, dilecte Hallere, quod superioribus diebus abunde scripserim 2 ad quas responsionem expecto. Tu sis fortis in Christo domino, cuius veritatem si syncere praedicaveris, non desereris vel ab ipso domino vel a causa. Ora sedulo dominum, ut tibi augeat spiritus sui dona, ut, quicquid ecclesiae salutare est, intelligas, consulas, agas.

Fama est Saxoniae ducem 3 et Luneburgensem 4 Augustam venisse, 5 caesarem 6 item petiisse Ratisbonam. 7 Quid verum sit, ignoro; cupio autem scire. Mundus non cessat artibus et machinationibus suis clanculo et aperta vi impugnare veritatem. 8 Sed vivit, qui vicit mundum. 9 Huius verbum manet in aeternum. 10

Quis autem ille Pseudo-Fridericus? 11 Anne impostor est submissus, ut multorum animos frangat et terreat? Non caret eius factum exemplo. Nam a

Mit Randbemerkung und Unterstreichungen von Hottinger.
1 Absender, Adressat und Datum ergeben sich aus der Überschrift; s. unten Anm. b.
2 Nr. 2377 vom 12. März.
3 Herzog August von Sachsen.
4 Herzog Franz von Braunschweig-Lüneburg-Gifhorn.
5 Siehe dazu Nr. 2379, Anm. 29.
6 Karl V.
7 Der Kaiser traf im April 1546 in Regensburg ein; s. Nr. 2331, Anm. 3.
8 Vgl. Joh 7, 7.
9 Joh 16, 33. —Damit ist Christus gemeint.
10 1Petr 1, 25.
11 Zu dem am 14. Februar 1546 auf dem Kyffhäuser (Thüringen) aufgetauchten, verwirrten Schneider aus Langensalza, der sich als der soeben auferstandene Kaiser Friedrich I. ausgab, s. den ausführlichen Bericht bei Johannes Voigt, Über Pasquille, Spottlieder und Schmähschriften aus der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, in: Historisches


Briefe_Vol_16-248arpa

tempore Rodolphi regis 12 , qui fuerat Habspurgi comes, quidam Pseudo-Friderychus 13 aureos montes pollicebatur 14 muitisque imposuit. At Rodolphus obsedit illum non procul a Colonia, in Witzlar 15 (si bene teneo nomen), ac captum igni frixit. Hic erat finis illius gloriosi regis Friderici. Primus, Barbarossa, in Tyro sepultus iacet. 16 Secundus in Sicilia. 17 Tertius, Maximiliani 18 pater, in Austria. 19 Nullam habemus promissionem de ullo Friderico Messia. Utinam Germania bene illud domini expendat: "Ego veni in nomine patris mei, nec recepistis; alius venit in nomine suo et illum recepistis", Ioh. 5 [43]! Christus est rex et sacerdos 20 et propheta 21 noster. Pereant et recedant procul Friderici omnes! Christus est pax nostra. 22 Is dixit pseudo-prophetas venturos in mundum. 23

Dominus Iesus servet te cum uxore 24 et filia 25 .

[Ohne Adresse.]b 26

b Datum, Unterschrift und Adresse wurden von Hottinger durch einen Vermerk am Briefanfang ersetzt: Idem eidem. Tiguro Augustam. 22. martii 1546. Dabei ist Idem eidem als Henricus Bullingerus Iohanni Hallero zu verstehen, wie dies aus S. 589 der angeführten Handschrift hervorgeht.
Taschenbuch, hg. v. Friedrich von Raumer, Jg. 9, Leipzig 1838, S. 489—495. In ganz Deutschland erregte die Begebenheit außerordentliches Aufsehen. Lorenz Colditz aus Eisleben schrieb an Andreas Osiander unter dem 18. Februar 1546 einen Bericht; von dort gelangte die Nachricht an Hieronymus Schürstab, der sie an Herzog Albrecht von Preußen weitergab; s. Voigt, aaO, S. 493—495, Anm. 1. — Zu Luthers Reaktion s. WA XLVIII 697, Nr. 7144. 12 Graf Rudolf von Habsburg.
13 Tile Kolup (eigentlich: Dietrich Holzschuh). Er war ein Hochstapler, der sich 1284 in Köln und 1285 in Wetzlar für den 1250 verstorbenen Kaiser Friedrich II. ausgab. König Rudolf von Habsburg ließ Kolup am 7. Juli 1285 als Ketzer in Wetzlar verbrennen; s. ADB XV 792 s.v. "Holzschuh, Dietrich"; XVI 497 s.v. "Kolup, Tile"; Victor Meyer, Tile Kolup, der falsche Friedrich, und die Wiederkunft eines ächten Friedrich, Kaisers der Deutschen, Wetzlar 1868.
14 Vgl. Adagia 1, 9, 15 (ASD II/2 338, Nr. 815).
15 Wetzlar.
16 Die Gebeine von Kaiser Friedrich I. Barbarossa, gest. 1190 im Fluss Saleph nahe Seleukia (heute Silifke, Türkei), waren (laut LMA IV 931) in Tyrus (Libanon) bestattet worden, seine Eingeweide jedoch in Tarsus (Türkei) und das "Fleisch" im Dom von Antiochia (heute Antakya, Türkei).
17 Kaiser Friedrich II., gest. 1250. Grablege im Dom von Palermo; s. LMA IV 933.
18 Kaiser Maximilian I. von Habsburg, gest. 1519.
19 Kaiser Friedrich III.. gest. 1493. Grablege in der Domkirche St. Stephan zu Wien; s. LM4 IV 939.
20 Vgl. Hebr 7, 1 bis 8, 1.
21 Vgl. Apg 3, 22.
22 Vgl. Eph 2, 14.
23 Mt 24, 11. 23f; Mk 13, 22.
24 Elsbeth, geb. Kambli.
25 Agnes.
26 Dieser Brief wurde zusammen mit Nr. 2387 von dem Zürcher Markus (Marx) [...] nach Augsburg befördert; s. Nr. 2387, Anm. 28.