Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2257]

Joachim Vadian an
Bullinger
St. Gallen,
30. September 1545

Abschrift von Johann Rudolf Stumpf: Zürich StA, E II 351, 19v.—21v.

Da [Johannes]Stumpf in seiner Chronik nicht nur eine Aufzählung von Ereignissen beabsichtigt, sondern auch darauf bedacht ist, den Ursachen jener Ereignisse, den Bräuchen der Völker, ja sogar dem Ursprung der Wörter und ihren Gebrauch nachzugehen, hat Vadian sich entschlossen, seiner Darstellung der Bischöfe und Abte [von St. Gallen] eine Abhandlung [,,Von dem Mönchsstand"] voranzustellen, die über den Ursprung und die Entwicklung des Mönchstums im [Mittelalter] berichtet. Dies kann nur der Frömmigkeit dienen. Denn wenn man nicht den Eindruck erwecken will, man billige alles, was sich in den letzten fünf Jahrhunderten zugetragen hat, oder man erachte all die dargestellten kleinen [Mönchs]herren als heilig, dann darf man nicht nur bloße Fakten aneinanderreihen, sondern muss diese auch erklären und ihre Entwicklung und Bedeutung darlegen. Die Dummheit [der Mönche]aber hat Vadian in dieser einleitenden Abhandlung nur mit größter Vorsicht enthüllt, so dass er sich dafür sogar den Beifall der besseren Mönche erhofft, zumal er sich stets auf unbestrittene Quellen bezog (darunter auch auf die Kirchenväter) und die jeweiligen Stellen in den Marginalien anführte, um niemandem Anlass zur Kritik zu geben. Vadian ist der Meinung, dass aus all diesen Gründen seine Abhandlung in [Stumpfs] Werk aufzunehmen wäre. Alle würden nämlich feststellen können, welche Änderungen die Gier und die Frechheit dieser [Mönche] in der Kirche verursacht haben. Sogar die Mönche, die Liebhaber von Chroniken sind, könnten beim Lesen von Stumpfs Chronik zu einem frömmeren Leben angespornt werden, wenn sie dabei auch [Vadians]eingeflochtene Abhandlung über das Mönchstum (die sie sonst separat nicht lesen würden) zu lesen bekämen. a Wo etwas zu berichten war, das für sie zu barsch sein könnte, wurden die Begebenheiten mit gemäßigten Worten dargestellt und dabei auch Zitate anderer Autoren, wie z.B. von Bernhard [von Clairvaux], Hieronymus und Augustin angeführt, was wohl niemand bemängeln wird. Dürfte man in einer Chronik keinen Wider-

22 Mit Buchstaben (im Gegensatz zum gesprochenen Wort). Gemeint ist eine handschriftliche Liste mit den Namen der Zürcher; vgl. schon oben Nr. 2122,4-6.
23 Dieser Brief wurde durch Blarer mit dessen Schreiben vom 7. Oktober 1545 übermittelt; s. unten Nr. 2263, 43-48.
a Hier von späterer Hand folgende Randbemerkung: Illud in Bullingeri Chronico obsecutum est. Unter Chronico" sind Bullingers Reformations- und Tigurinerchronik zu verstehen.
1 Zur spärlichen Aufnahme von Vadians Abhandlung in Stumpfs Chronik s. Vadian DHS II LXXXII.


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spruch erheben oder Polemisches nicht anführen, könnte man den Lauf der Ereignisse nicht mehr aufzeichnen, und die Geschichts[schreibung]würde an Glaubwürdigkeit verlieren; dabei sind aber milde Aussagen kategorischen vorzuziehen. Angesichts dieser Überlegungen hat Vadian in seiner Abhandlung den Mönchsstand selbst nicht in Frage gestellt. Stattdessen spricht er von Reformation, was ihm keiner vorhalten kann, weil auch die Mönche und die Pfaffen deren Notwendigkeit anerkennen. Weder die Messe noch die Bilder, die Eucharistie oder die Verehrung der Heiligen hat Vadian angesprochen, zumal er keinen Grund dazu hatte. Die aufgeklärten Leser werden das Gemeinte schon verstehen, doch ist es nicht die Aufgabe des Geschichts[schreibers], in umstrittenen Fragen die eigene Meinung anderen auf schroffe Weise aufzuzwingen. Auch die Kantone [der Innerschweiz]hat Vadian stets ehrenvoll erwähnt, und wo er etwas an Mönchen und Nonnen auszusetzen hatte, hat er sich auf Bruder Niklaus [von Flüe]berufen, der sich an die strengste und älteste Eremitenregel hielt. Vadian hat über den heiligen Gallus und den nicht immer beispielhaften Klosterstaat zwar vorsichtig, aber stets getreulich berichtet, wie es sich für einen Verehrer der historischen Wahrheit ziemt. Das ebenso getreu verfasste biographische Verzeichnis aller Abte [,,Die kleine Chronik der Äbte"] wird Bullinger demnächst erhalten, sobald die Schrift abgeschrieben ist. Vadian, der erst nach Beginn seiner eigenen Arbeit Stumpfs Darstellung dieser Abte mit Dankbarkeit erhielte musste einiges in seiner Darstellung ändern, um Wiederholungen zu vermeiden. Bullinger soll, wie schon im Falle anderer Schriften, Vadians Abhandlung [,,Von dem Mönchsstand"], die er trotz hoher Arbeitsbelastung während des vergangenen Sommers verfasst hat, an Stumpf übermitteln. Wenn Bullinger und Stumpf sie einer Publikation für wert befinden, soll sie unter Stumpfs Namen erscheinen, da es besser wäre, wenn Stumpfs Chronik nur unter einem Namen herauskäme. Falls aber Vadians Abhandlung Anstoß erregt, soll man in der Vorrede der Chronik den Namen Vadians als Verfasser derselben anführen. 3 Am Ende der Vorrede sollte der Leser ohnehin darauf vorbereitet werden, dass er einiges zu lesen bekommen wird, das der Wahrheit zuliebe geschrieben werden musste. Doch Stumpf wird dies wohl wissen. Vadian unterstellt sich völlig dem Urteil Bullingers und Stumpfs. Würde die Veröffentlichung dieser Abhandlung aufgeschoben, soll die Handschrift wieder zurückgeschickt werden. [Johannes] Kessler, der sie genau gelesen hat, meint aber, es gäbe in deutscher Sprache nichts dergleichen; dabei wird er aber wohl kaum unparteiisch sein ... —Die Abhandlung, die Vadian schnell und in ausgedehnter Schrift verfasst hat, umfasst zwei "Bücher papier"[50 Bogen, d.h. 100 BL], 4 was aber bei einer sorgfältigeren Abschrift nur [50 BI.]entsprechen würde. Ferner weiß Vadian nicht, ob die Zürcher [Buch]zensoren eine Publikation über St. Galler Abte zulassen würden, zumal Zürich Schirmvogt des St. Galler Kloster ist. In Glaubensangelegenheiten jedoch werden die Zürcher dem Kloster kaum verbunden sein, zumal Abt Kaspar [von Breitenlandenberg; 1442- 1457] in dem von ihm mit den vier [eidgenössischen] Orten [Zürich, Luzern, Schwyz und Glarus]freiwillig abgeschlossenen Landrechts[vertrag von 1451]Religionsangelegenheiten nicht regelte und die [Zürcher Zensoren] wohl nichts gegen eine zuverlässige und doch vorsichtige Darstellung der Ereignisse einzuwenden haben werden, besonders wenn diese der Sache der [Protestanten] dient.

[Gedruckt: Vadian BW VI 445-449, Nr. 1414; Vadian DHS II LXI-LXIII.]

2 Heute in St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 28.5.1, veröffentlicht in Vadian DHS II XXXIX-XLIX.
3 Dazu kam es nicht. Erst in der zweiten Ausgabe von 1586 wird Vadians Name im Vorwort erwähnt.
4 Vielleicht handelt es sich dabei um die Seiten 48 bis 138 der heute in St. Gallen,
Kantonsbibliothek (Vadiana), erhaltenen Handschrift Ms 45. Die Seiten tragen den Titel "Vom stand und wesen der stifften und clöstern" und weisen Anmerkungen von der Hand Johannes Kesslers auf. Wir danken Herrn Rudolf Gamper, Vadiana, für Auskunft.