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Abschrift von Johann Rudolf Stumpf: Zürich StA, E II 351, 19v.—21v.
Da [Johannes]Stumpf in seiner Chronik nicht nur eine Aufzählung von Ereignissen beabsichtigt,
sondern auch darauf bedacht ist, den Ursachen jener Ereignisse, den Bräuchen der
Völker, ja sogar dem Ursprung der Wörter und ihren Gebrauch nachzugehen, hat Vadian sich
entschlossen, seiner Darstellung der Bischöfe und Abte [von St. Gallen] eine Abhandlung
[,,Von dem Mönchsstand"] voranzustellen, die über den Ursprung und die Entwicklung des
Mönchstums im [Mittelalter] berichtet. Dies kann nur der Frömmigkeit dienen. Denn wenn
man nicht den Eindruck erwecken will, man billige alles, was sich in den letzten fünf Jahrhunderten
zugetragen hat, oder man erachte all die dargestellten kleinen [Mönchs]herren als
heilig, dann darf man nicht nur bloße Fakten aneinanderreihen, sondern muss diese auch
erklären und ihre Entwicklung und Bedeutung darlegen. Die Dummheit [der Mönche]aber hat
Vadian in dieser einleitenden Abhandlung nur mit größter Vorsicht enthüllt, so dass er sich
dafür sogar den Beifall der besseren Mönche erhofft, zumal er sich stets auf unbestrittene
Quellen bezog (darunter auch auf die Kirchenväter) und die jeweiligen Stellen in den Marginalien
anführte, um niemandem Anlass zur Kritik zu geben. — Vadian ist der Meinung, dass
aus all diesen Gründen seine Abhandlung in [Stumpfs] Werk aufzunehmen wäre. Alle würden
nämlich feststellen können, welche Änderungen die Gier und die Frechheit dieser [Mönche] in
der Kirche verursacht haben. Sogar die Mönche, die Liebhaber von Chroniken sind, könnten
beim Lesen von Stumpfs Chronik zu einem frömmeren Leben angespornt werden, wenn sie
dabei auch [Vadians]eingeflochtene Abhandlung über das Mönchstum (die sie sonst separat
nicht lesen würden) zu lesen bekämen. a Wo etwas zu berichten war, das für sie zu barsch
sein könnte, wurden die Begebenheiten mit gemäßigten Worten dargestellt und dabei auch
Zitate anderer Autoren, wie z.B. von Bernhard [von Clairvaux], Hieronymus und Augustin
angeführt, was wohl niemand bemängeln wird. Dürfte man in einer Chronik keinen Wider-Briefe_Vol_15_564 arpa
spruch erheben oder Polemisches nicht anführen, könnte man den Lauf der Ereignisse nicht
mehr aufzeichnen, und die Geschichts[schreibung]würde an Glaubwürdigkeit verlieren; dabei
sind aber milde Aussagen kategorischen vorzuziehen. Angesichts dieser Überlegungen hat
Vadian in seiner Abhandlung den Mönchsstand selbst nicht in Frage gestellt. Stattdessen
spricht er von Reformation, was ihm keiner vorhalten kann, weil auch die Mönche und die
Pfaffen deren Notwendigkeit anerkennen. Weder die Messe noch die Bilder, die Eucharistie
oder die Verehrung der Heiligen hat Vadian angesprochen, zumal er keinen Grund dazu hatte.
Die aufgeklärten Leser werden das Gemeinte schon verstehen, doch ist es nicht die Aufgabe
des Geschichts[schreibers], in umstrittenen Fragen die eigene Meinung anderen auf schroffe
Weise aufzuzwingen. Auch die Kantone [der Innerschweiz]hat Vadian stets ehrenvoll erwähnt,
und wo er etwas an Mönchen und Nonnen auszusetzen hatte, hat er sich auf Bruder Niklaus
[von Flüe]berufen, der sich an die strengste und älteste Eremitenregel hielt. —Vadian hat über
den heiligen Gallus und den nicht immer beispielhaften Klosterstaat zwar vorsichtig, aber stets
getreulich berichtet, wie es sich für einen Verehrer der historischen Wahrheit ziemt. Das
ebenso getreu verfasste biographische Verzeichnis aller Abte [,,Die kleine Chronik der Äbte"]
wird Bullinger demnächst erhalten, sobald die Schrift abgeschrieben ist. Vadian, der erst nach
Beginn seiner eigenen Arbeit Stumpfs Darstellung dieser Abte mit Dankbarkeit erhielte musste
einiges in seiner Darstellung ändern, um Wiederholungen zu vermeiden. —Bullinger soll, wie
schon im Falle anderer Schriften, Vadians Abhandlung [,,Von dem Mönchsstand"], die er trotz
hoher Arbeitsbelastung während des vergangenen Sommers verfasst hat, an Stumpf übermitteln.
Wenn Bullinger und Stumpf sie einer Publikation für wert befinden, soll sie unter Stumpfs
Namen erscheinen, da es besser wäre, wenn Stumpfs Chronik nur unter einem Namen herauskäme.
Falls aber Vadians Abhandlung Anstoß erregt, soll man in der Vorrede der Chronik den
Namen Vadians als Verfasser derselben anführen. 3 Am Ende der Vorrede sollte der Leser
ohnehin darauf vorbereitet werden, dass er einiges zu lesen bekommen wird, das der Wahrheit
zuliebe geschrieben werden musste. Doch Stumpf wird dies wohl wissen. — Vadian unterstellt
sich völlig dem Urteil Bullingers und Stumpfs. Würde die Veröffentlichung dieser Abhandlung
aufgeschoben, soll die Handschrift wieder zurückgeschickt werden. [Johannes] Kessler, der
sie genau gelesen hat, meint aber, es gäbe in deutscher Sprache nichts dergleichen; dabei wird
er aber wohl kaum unparteiisch sein ...
—Die Abhandlung, die Vadian schnell und in ausgedehnter
Schrift verfasst hat, umfasst zwei "Bücher papier"[50 Bogen, d.h. 100 BL], 4 was aber
bei einer sorgfältigeren Abschrift nur [50 BI.]entsprechen würde. Ferner weiß Vadian nicht,
ob die Zürcher [Buch]zensoren eine Publikation über St. Galler Abte zulassen würden, zumal
Zürich Schirmvogt des St. Galler Kloster ist. In Glaubensangelegenheiten jedoch werden die
Zürcher dem Kloster kaum verbunden sein, zumal Abt Kaspar [von Breitenlandenberg; 1442-
1457] in dem von ihm mit den vier [eidgenössischen] Orten [Zürich, Luzern, Schwyz und
Glarus]freiwillig abgeschlossenen Landrechts[vertrag von 1451]Religionsangelegenheiten
nicht regelte und die [Zürcher Zensoren] wohl nichts gegen eine zuverlässige und doch vorsichtige
Darstellung der Ereignisse einzuwenden haben werden, besonders wenn diese der
Sache der [Protestanten] dient.
[Gedruckt: Vadian BW VI 445-449, Nr. 1414; Vadian DHS II LXI-LXIII.]