Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2252]

Oswald Myconius an
Bullinger
Basel,
24. September 1545

Autographa: Zürich StA, E II 336, 217 (neu: 235)(Siegelspur) Ungedruckt

Myconius dankt für [Bullingers Markuskommentar]. [Im nicht erhaltenen Begleitschreiben] klagte Bullinger, Myconius habe ihm trotz zweimaliger Bitte nicht seinen Kommentar zu Markus [von 1538]zugesandt. Nicht einmal im Traum hätte Myconius so etwas getan. Pellikans Bitte um ein Exemplar hat Myconius ja entsprochen. Vielleicht aber erreichte ihn Bullingers Anfrage erst, als kein Exemplar mehr übrig war, denn Myconius könnte sich dem dankbaren Bullinger gegenüber nicht als undankbar erwiesen haben. Undankbarkeit hat er stets gehasst, weshalb er sich auch neulich über [Rudolf] Gwalther beschwerte. Papst [Paul III.] hat in einem Schreiben den Kölner Erzbischof [Hermann von Wied] binnen 60 Tagen nach Rom zitiert. Auch Kaiser [Karl V]zeigt sich hart gegen seinen Vertrauten und verfügte, dass dieser sich innerhalb von 30 Tagen bei ihm einzufinden habe. [Karl V] hat in einem [,,Schutz- und Schirmbrieff"] die Kölner, den gesamten Klerus und die Universität in seinen kaiserlichen Schutz gegen den Erzbischof genommen. Dieser verzichtet auf Ruhm und behauptet sich [weiter] gegen den Papst. Myconius hätte Abschriften dieser Schriften geschickt, wenn es solche gäbe und wenn er nicht der Meinung wäre, dass Bullinger diese Dokumente aus Frankfurt erhalten würde. Bullingers Mitteilung über den Mailänder Vikar [Giulio della Rovere] konnte Myconius nicht für sich behalten; er berichtete dem Bürgermeister [Theodor Brand] und dessen Bruder Bernhard davon, die Myconius baten, die Abschrift [von Bullingers Nachricht] nach Straßburg zu schicken, damit diese von dort zu Landgraf Philipp von Hessen gelange. Sogar ein Bote [...] wurde damit beauftragt. Glückwünsche für Heinrich Buchter! Wie Bullinger freut sich auch Myconius über die Eintracht der Brüder in [Zürich]. Der

6 Thomas Blarer.
7 Konrad Zwick.
8 Wohl oben Nr. 2249.
9 Johannes von Ulm.
a Mit Unterstreichungen.


Briefe_Vol_15_548arpa

[Student] und Überbringer Kaspar Schneeberger wünscht, [von den Zürchern]sorgfältig geprüft zu werden, da sein Großvater [Hans]ihm Ignoranz vorwarf und ihn damit sehr verletzte. Markus [Bertschi] und Myconius raten, mit Schneeberger umsichtig umzugehen, denn wenn man ihm gut zuspricht, hat man mit einem gutmütigen Menschen zu tun. Bullinger soll mitteilen, wie die [Zürcher] auf den in Myconius' letzten Brief [Nr. 2243] vorgetragenen Vorschlag Schwenckfelds reagieren werden. [Schwenckfeld]frönt allzusehr dem Müßiggang. Hätte er ein öffentliches Amt inne, würde er sich mehr an die Einfalt der [Heiligen]Schrift halten. Grüße an Theodor [Bibliander] und Pellikan. Markus [Bertschi]grüßt zurück

S. Iterum gratificatus es mihi munere longe praecellentissimo 1 , quamobrem dominus sit merces tua. Hic 2 autem me accusas, quod bis petenti 3 Marcum meum 4 non miserim. Coram domino loquor, si per somnium id obvenisset, non negassem. Dominus Pellicanus poposcit; cui et obtemperavi. 5 Cur tibi non magis fuissem obsequutus, si petisses? Sponte meam salivam obtrudere puduisset. "Sed petii", inquis; at tum forsitan, cum nullus restaret. Nam novi me non esse ingratum erga eos, qui beneficentia me, qualiter tu hactenus, onerant. Ingratitudinem semper odi. Quamobrem et Gvalterum nuper accusavi apud te 6 de hoc vitio erga me, quamvis hic non conquerar, quod scriptis suis me non donet aut de me non bene loquatur aut aliud quidpiam tale faciat vel non faciat, sed quod egit aliquando (cuius difficulter possum oblivisci); ex quo animus eius erga benevolentem haud integre sanus visus est. Idque probavit deinceps semel atque iterum, ut dubitare iam amplius non valeam. Sed abeant haec

Papa 7 scripsit 8 contra archiepiscopum Coloniensem 9 gravissime. Citat eum Romam intra dies 60 a 27. iunii. 10 Cesar" aeque crudeliter contra eundem, quamvis nepotem, 12 agit Mandat, ut intra dies 30 coram se, ubiubi

1 Gewiss Bullingers Markuskommentar; s. oben Nr. 2235, Anm. 37.
2 In einem nicht erhaltenen Brief Bullingers an Myconius, auf den dieser sich mehrmals bezieht; s. unten Z. 26. 33.
3 In nicht erhaltenen Briefen Bullingers aus dem Jahr 1538.
4 Myconius, In evangelium Marci ... expositio, Basel, Thomas Platter d.A., März 1538 (VD 16 G 830).
5 Konrad Pelikan an Myconius, 28. Juli 1538 (Abschrift: Zürich ZB, Ms S 45,32), mit der Bitte um Zusendung von Myconius' Markuskommentar.
6 Am 4. September; s. oben Nr. 2234, 18f und Anm. 10.
7 Paul III.
8 Paul III., Citatio cum inhibitione inserta s[anctissimi] d[omini] n[ostri], domini Pauli divina providentia papae tertii, contra reverendissimum dominum archiepiscopum Coloniensem, Köln, Jaspar von
Gennep, 1545 (VD 16 K 430; VD 16 ZV 8869; Schlüter, Streitschriften 259, Nr. 135). Es handelt sich dabei um die Zitierung Hermann von Wieds und seiner Anhänger durch den Papst vom 18. Juli 1545. — Siehe oben Nr. 2238; 2239, 24-27 und Anm. 23.
9 Hermann von Wied.
10 Das hier angegebene Datum ist wohl verwechselt mit dem Datum der am 27. Juni erfolgten Zitation durch den Kaiser; s. unten Anm. 13.
11 Karl V.
12 Auch im "Transsumpt" (Schutzbrief) des Kaisers (s. unten Anm. 14) wird Hermann von Wied "Neve [=Neffe]"genannt. Darunter ist "Vertrauter", "guter Bekannter" zu verstehen; s. SI I 1133 s.v. "Vetter". — Hermann von Wied hatte Karl V. am 23. Oktober 1520 in Aachen zum Kaiser gekrönt; s. Brandi 1106.


Briefe_Vol_15_549arpa

sit, compareat aut coram suis commissariis. 13 Scriptum 14 dedit ad Colonienses, totum clerum et ad academiam, et promittit defensionem suam ut imperatoris contra archiepiscopum de religione, de iuribus deque toto statu ipsorum. Atque hic 15 si omnia recte vidi, renunciat deo gloriam omnem et papae se vendicat 16 haec misissem, si essent descripta aut si non essem persuasus a Franckfordia 17 te habiturum omnia; nam impressa sunt, 18 quamvis mea sint calamo descripta. Inde placet, quod scribis, a cesare te nihil expectare quam ignem et ferrum 19

Que scripsisti de vicario cesaris Mediolanensi 20 continere non valui. Dixi consuli 2 et domino Bernhardo 22 fratri eius; quamobrem rogarunt, descripta

13 Karl V., Citatio cum inhibitione inserta contra archiepiscopum ... et suos complices, Köln, Jaspar von Gennep, 1545 (VD 16 D 900; Schlüter, Streitschriften 252, Nr. 127). Diese Zitation wurde am 27. Juni 1545 in Worms ausgestellt. — Siehe auch oben Nr. 2238; 2239, 19-23 und Anm. 19.
14 Der kaiserliche Schutzbrief für die Kölner Katholiken datiert ebenfalls vom 27. Juni 1545: Transsumpt Römischer Kay. May., unsers aller gnedigsten Herrn Schütz- und Schirmbrieff zu handthabung unser alter wahrer Christlicher und Catholischer Religion dem hohen Thumbstifft sambt algemeiner Clereseien des gantzen Ertzstiffts und der löblichen Universiteten der Stadt Cöllen [Köln, Jaspar von Gennep, 1545] (VD 16 D 1127f; ZV 20033; Schlüter, Streitschriften 256-258, Nr. 132f).
15 Gemeint ist der Erzbischof.
16 papae se vendicat: behauptet sich gegenüber dem Papst; s. Niermeyer, sv. vindicare.
17 Zum Termin der Frankfurter Herbstmesse s. oben Nr. 2095, Anm. 26. — Froschauer befand sich nämlich auf der Buchmesse (s. oben Nr. 2242, 12) und war noch nicht zurück (s. unten Nr. 2253, 19f).
18 Zu den Druckangaben s. oben Anm. 13f.
19 ignem et ferrum: Vgl. Adagia, 4, 10, 13 (ASD 11/8 232, Nr. 3913).
20 Giulio della Rovere (Giulio da Milano; lulius Mediolanensis; Iulius von Mailand), geb. um 1504 in Mailand, gest. 1581 in Tirano (Veltlin). Ab 1520/1522 Augustiner-Eremit. Studium in Padua. Im Augustinerkloster Bologna machte er Bekanntschaft u.a. mit Ortensio Lando. In Pavia schloss er Freundschaft mit dem Augustiner
Agostino Mainardi, der ihn stark prägte. Ab 1538 predigte della Rovere in verschiedenen oberitalienischen Städten. 1541 wirkte er als Prediger in Triest; im selben Jahr in Venedig, wo im Zusammenhang mit einer Hausdurchsuchung bei Celio Secondo Curione gegen ihn prozessiert wurde. Er wurde im April 1541 wegen angeblicher Ketzereien verhaftet und schwor am 15. Januar 1542 ab. Bernardino Ochino setzte sich erfolglos für ihn ein. Im Februar 1543 konnte della Rovere fliehen. Es ist nicht bekannt, wo er sich nach seiner Flucht aufhielt. Ab 1546 ist er im Freistaat der Drei Bünde und dessen Untertanenlanden nachgewiesen, zuerst in Vicosoprano (Bergell). Von 1547 bis 1578 wirkte er als Prediger der Gemeinde Poschiavo, danach in Sondrio und Tirano. — Della Rovere korrespondierte mit Bullinger; aus den Jahren 1552 und 1555 sind zwei Briefe von ihm und ein Brief an ihn überliefert. — Lit.: Karl Benrath, Bernardino Ochino von Siena. Ein Beitrag zur Geschichte der Reformation, Braunschweig 21892, S. 92f. 112; BBKL XIX 559-564; Ugo Rozzo, Incontri di Giulio da Milano: Ortensio Lan-do in: Bollettino della Società di studi valdesi 140, 1976, 77-108; Mark Taplin, The Italian Reformers and the Zurich Church, c. 1540-1620, Aldershot 2003, passim. Weitere Lit. in: Tedeschi/Lattis 314.
21 Theodor Brand, seit 1544 Bürgermeister von Basel.
22 Über den nur namentlich bekannten Bernhard Brand, Bruder von Theodor, s. Wappenbuch der Stadt Basel, hg. v. Wilhelm Richard Stacheln, Basel [1917-1930], 2. Teil, 4. Folge, Nr. 5.


Briefe_Vol_15_550arpa

23 mitterem ad Argentinenses, 24 ut inde perferrentur ad Hessum 25 Et tanta haec res visa est, ut proprio nuncio 26 dimiserint Argentinam. Haec in sinum tibi.

Domino Heinricho Buchtero gratulaberis nomine meo diligenter. 27 Novi virum bonum, cordatum, animosum; dominus det, ut negocium ipsius constanter perficiat! De concordia fratrum ecclesiæ istius gaudes, et quidem merito; nam expertus sum gravius malum vel publice vel privatim incidere non posse quam fratrum discordiam, imo novi, quid ferat vel opinio dissensionis inter fratres apud subiectos. Dominus Iesus b istud malum ex ecclesiis spiritu suo tollat, rogemus.

Gaspar Schnebergius 28 qui has reddit, per me rogitat, ut mox, ubi domum venit, examine diligenti pervestigetis, quid sciat literarum, quid nesciat. Avus 29 enim eius, cum ipso expostulans, ignorantiam obiecit, atque idipsum fert tam impatienter, ut ita me scribere rogareque jusserit. Cognosci vult a vobis, talis sit necne. Quodsi rudis et literarum invenietur ignarus, ad malum ferendum se offert; sin is invenietur, qui tempus, quo hic fuit, bene collocarit, cupit tractari, prout dignus est. Sperat interim de se tam egregie, ut laudem expectet a vobis non vulgarem. Age! Talis est ingenio, ut, si bene tractes, ac magis laudes, quam vituperes, plane sit tolerabilis, imo bonus et iucundus. Si contemnas, divexes, illudes, plane reddatur stupidus. Velim igitur eum tractari, prout est ingenium, ne fiat inutilis. Communiter haec dominus Marcus 3 ° et ego.

De consilio Schwencfeldico, quo de ultimis 31 ad te scripsi, fac sciam, quid sit in animo. Vir is in nimio vivit ocio, quamobrem et ociosis cogitationibus se vendicat. Si in officio esset publico, reprimeretur seriis, ut scripturae diligeret simplicitatem magis.

b Iesus in Versahen.
23 Wohl eine Abschrift von Bullingers nicht erhaltenem Brief.
24 An Bucer, der in seinem Schreiben an Myconius vom 18. Oktober 1545 (Zürich ZB, Ms F 80, 164) mitteilte, dass die Angelegenheit (deren Inhalt im Brief nicht angegeben wird) mit straßburgischen Ratsherren diskutiert, jedoch nicht weiter verfolgt wurde. —Zum möglichen Gegenstand dieser Nachricht s. EA IV/Id 546f q (Truppenbewegungen im Norden Italiens), und Voigt 331 (Befestigungsarbeiten in Mailand).
25 Landgraf Philipp von Hessen. —Eine entsprechende Nachricht an den Landgrafen ist nicht bekannt.
26 Nicht ermittelt.
27 Buchter wurde Nachfolger Meganders; s. oben Nr. 2226, Anm. 12.
28 Kaspar Schneeberger. Er studierte seit 1542 in Basel und wohnte bei Myconius; S. HBBW XIV 105,Anm.6; 108, Anm. 1. Myconius hatte ihn bereits am 16. Januar 1545 an Bullinger empfohlen; s. oben Nr. 2068, 1-8. Doch scheint Schneeberger daraufhin wieder bei Myconius in Basel gewesen zu sein, wie aus der vorliegenden Bitte von Myconius zu schließen ist. — Bullinger nahm Schneeberger auf und versicherte, ihn freundschaftlich zu behandeln; s. unten Nr. 2262, 20-22.
29 Wohl Hans Schneeberger, gest. 1558; s. Carl Keller-Escher, Promptuarium genealogicum, Bd. 6 (Zürich ZB, Ms Z 116), S. 1023; Z V 406, Anm. 12.
30 Markus Bertschi.
31 Zu ergänzen: literis. — Damit ist oben Nr. 2243 gemeint.


Briefe_Vol_15_551arpa

Vale in Christo cum Theodoro 32 et Pellicano.

Basileae, 24. septembris anno 1545.

Marcus te resalutat diligenter.

Os. Myconius

tuus.

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heinricho Bullingero, viro doctissimo, Tigurinorum episcopo dignissimo, domino ac fratri venerando suo.