Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2045]

Johannes Gast an
Bullinger
Basel,
5. Dezember 1544

Autograph a : Zürich StA, E II 366, 244 (Siegelspur) Ungedruckt

Luthers fanatisches Buch [,,Kurtz bekentnis"]erhielt Gast aus Wittenberg am 4. Dezember; er schickt es durch den jungen Überbringer [...] weiter an Bullinger, damit dieser darauf antworte; wie gottlos [Luther]Zwingli und Oekolampad behandelt, das Marburger [Religionsgespräch von 1529]für nichtig erachtet, und wie listig er Zwinglis Schrift [,,Christianae fidei ... expositio"] an den französischen König [Franz I.]auslegt! Bullinger, den [Luther] auch stichelt, soll darauf achten, es ihm in seiner Antwort nicht gleichzutun; Luther weigert sich, Bücher der [eidgenössischen] Kirchen zu lesen; beim Verfassen seiner Verteidigung soll also Bullinger die Braut Christi vor Augen haben; antworten aber muss man, um Luther zu verstehen zu geben, dass die [Eidgenossen] keine Tölpel sind. Solche gegen die [eidgenössisehen]

c Teilweise auf das nicht mehr vorhandene Verschlussband geschrieben. Die fehlenden Stellen wurden ergänzt.
41 Dieses Schreiben wurde nach dem Tag zu Baden vom 10. November 1544 (EA IV/1d 421f n. o. p) verfasst (s. aaO, 433 a; 435 e). Die Eidgenossen wollten von Franz I. Genaueres über ihre Stellung im Friedensvertrag von Crépy sowie auch über die "ausstehenden Sölde für die Hauptleute und Knechte, welche im Piemont gedient haben" (s. aaO, 435 e), erfahren. Die Antwort Franz' I. wurde am 4. Dezember 1544 verfasst und sollte am 14. Dezember am Tag zu Baden den Eidgenossen vorgelesen werden (s. aaO, 442 zu e).
42 Diethelm Röist starb am 3. Dezember 1544; s. HBD 32, 11-13.
43 Sara [...] übermittelte diesen Brief; s. unten Nr. 2048, 10.
a Am rechten Rand beschädigt. Textverluste sind in eckigen Klammern nach der Abschrift von Johann Jakob Simler (1716-1788) ergänzt. Offensichtlich war damals die Handschrift weniger verstümmelt als heute, denn nur an einigen heute kritischen Stellen wurden die schon damals nicht mehr zu lesenden Worte von Simler nachträglich über der Zeile verzeichnet. Wo die Konjekturen der vorliegenden Edition sich von Simlers Abschrift unterscheiden, ist dies im Apparat vermerkt.


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Kirchen gerichteten Schriften sind äußerst zu [bedauern], besonders jetzt, wo Kaiser [Karl V.] und das Reich in Worms schon über Glaubenssachen verhandeln. Luther maßt sich alles an, als ob er allein durch seine Lehre ganz Deutschland bekehren könnte - eine harte Prüfung Gottes für [die Eidgenossen]; der Herr möge sie davon befreien! Jemand [...] aus Wittenberg, der das Buch übersandte, schrieb an Gast, dass Melanchthon über Luthers Schrift sehr verärgert ist; aber wer wagt es schon, sich Luther entgegenzustellen? Grüße an Theodor (Bibliander].

S. in domino.

Fanaticus Lutheri liber 1 4. decembris e Vi[tem]berga b 2 ad me venit; quem per hunc adolescentem 3 mitto, [ut] eum legas, ac Luthero insano furenti ne dicam sata[nico]spiritu [agi]tato, 4 qui c ecclesias nostras omnes satanae tradit, respond[eas]d . Qu[i] impie taxat Zvinglium et Oecolampadium, Marpurgicum [con]ventum 5 et pactionem 6 annihilat, libellum ad regem Galliae [a] Zvinglio scriptum, sed e post mortem aeditum 7 , quam vafre interpretetur f ! Vid[e], vide, ne similis in respondendo Luthero fias; nam et t[e] taxat, sed callide. Libellos nostrarum ecclesiarum legere rec[usat]. Scribe itaque ad ecclesiam, Christi sponsam, 8 si quid scripturus [es]. Et necesse, ut scribas et apologiam propter g vestram ecclesiam, quam praec[ise] nominat, instituas, h ne putet nos omnino stipites esse.

D[olet] nostris ex corde hos insanos libellos -quum iam in fidei [ne]gotio caesar 9 et imperium Wormaciae aliquid sint acturi 10 i - s[acras] nostras ecclesias

b Simlers Lesung Viteberga ist verdächtig, da er auch Z. 23 Viteberga schreibt, wo ganz deutlich Vitemberga zu lesen ist.
c [agi]tato, qui am Rande nachgetragen anstelle von gestrichenem agito, qui. Simler liest incitato.
d respond[eas]über der Zeile nachgetragen.
e scriptum, sed über der Zeile nachgetragen.
f Vor interpretetur ein gestrichener Wortansatz.
g propter über der Zeile nachgetragen.
h Die Lesung vos wäre auch möglich.
i s[acras] von Simler ausgelassen.
1 Luthers "Kurtz bekentnis"; s. oben Nr. 1971, Anm. 20.
2 Möglicherweise der Basler Student Johann Jakob Wecker, der sich im Mai 1544 in Wittenberg immatrikulieren ließ; s. Wittenberg, Matrikel I 212a, Z. 15. -Vgl. auch unten Z. 23-26.
3 Unbekannt.
4 Vgl. oben Nr. 2010, 23-26 und Anm. 15.
5 Das Marburger Religionsgespräch von 1529.
6 Gemeint sind die Marburger Artikel.
7 Zwinglis Schrift war von Bullinger unter dem Titel "Christianae fidei a Huldrycho Zvinglio praedicatae, brevis et clara expositio" 1536 herausgegeben und von Christoph Froschauer gedruckt worden; die Vorrede datiert von Februar 1536 (Z VI/V 15. 46; Finsler 72, Nr. 100; HBBibl I 702; II 1003). - Vgl. oben Nr. 2028 mit Anm. 36; 2031, 37-40; 2037, 45-49; unten 2049.
8 Vgl. Hhld 4, 10; 5, 1; Jes 54, 5; 2Kor 11, 2; Eph 5, 25-32; Apk 21, 2. 9.
9 Karl V.
10 Auf dem Reichstag zu Worms, der am 15. Dezember 1544 eröffnet werden sollte (s. oben Nr. 1980, Anm. 22), "sollte in Fortsetzung der Regensburger Vergleichsverhandlungen von 1541 über Grundlagen für das Zusammenleben beider Konfessionen im Reich beraten werden. Zu diesem Zweck wollten Kaiser und Stände theologische Reformgutachten erarbeiten"(RTA JR XVI/1 60. 87). -Dieser Reichstag verursachte damals manche Befürchtung; s. oben Nr. 1962, 30f; unten Nr. 2046, 22f; 2049 in fine.


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sic diffamare, quasi omnino inemend[abiles] sint. O caelum, o terra! 11 Satanae figmentum est, qui absque [dubio] Lutherum occulta vi et efficatia agitat illique imponit [amen]tia k . 12 Vult sapere prae omnibus; sibi omnia arrogat, quasi [sua] doctrina solus totam Germaniam ad fidem Christi convert[erit]. Turget prae fastu quemadmodum et Corinthii, 13 licet tot do[na] non habeat, quae Corinthii habuere. 14 Verum dominus nos [ita]probare vult, nostram constantiam et longanimitatem tenta[t]l . 15 Dominus nos liberet ab omnibus malis, 16 tam a Luthero qu[am] ab aliis hostibus.

Quidam 17 ad me scripsit 18 e Vitemberga, qu[i] hunc librum misit, Melanthonem scriptum Lutheri abominari [et] vehementissime dolere, quod emissum sit. 19 Sed quis audet se opp[onere] Luthero, ni velit solum vertere 20 aut in exilium proscribi?

[Vale] in domino cum omnibus tuis. Esto robustus 21 et viriliter age. [Dominus m adsit] suo spiritu ac sapientia, 22 quibus resistere facile possis omnibus adver[sariis] ecclesiae Christi. 23 D. Theodorum 24 nomine meo salutabis. V[ale]n .

Basileae, 5. decembris 1544.

T[uus G.]

[Adresse auf der Rückseite:] D. Heynricho Bullingero.

k Simler hat keine Lösung anzubieten. Die Lesung dementia wäre auch möglich.
l Simler liest tentare.
m Simler liest Deus.
n Vale von Simler ausgelassen.
11 Terenz, Adelphoe, 789.
12 Vgl. schon oben Anm. 4.
13 1Kor 4, 19; 5, 2.
14 Vgl. 1Kor 1, 4-7.
15 Vgl. 2Kor 6, 4; Jak 1, 3f; 5, 10.
16 Mt 6, 13.
17 Siehe oben Anm. 2.
18 Ein solcher Brief ist nicht erhalten.
19 Vgl. oben Nr. 1966; 2026, 8-13; 2030, 28-34.
20 solum vertere: In der römischen Literatur metaphorisch für den erzwungenen Abschied von Rom, den Verbannte auf sich nehmen mussten; s. Peter Habermehl, Petronius, Satyrica 79-141. Ein philologisch-literarischer Kommentar, Bd. 1, Sat. 79-110, Berlin 2006, S. 43.
21 Deut 31, 7. 23; Jos 1, 6f. 9; Dan 10, 19.
22 Vgl. Apg 6. 10.
23 Lk 21. 15.
24 Bibliander.