Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2036]

Ambrosius Blarer an
Bullinger
Konstanz,
19. November 1544

Autograph: Zürich StA, E II 357, 107 (Siegelspur) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 320, Nr. 1143

Beiliegend erhält Bullinger einen Brief aus dem hervorgeht, wie die Dinge um den Sohn [Felix Lavater] des [Zürcher] Seckelmeisters [Hans Rudolf Lavater] stehen; der Augsburger Ratsherr [Hans Zangmeister], dem Blarer diese Angelegenheit anvertraute, ist ein besonders guter Mensch. Es schmerzt Blarer, dass sich der Neffe [Josua Bullinger], Sohn von Bullingers Bruder [Johannes Reinhart], nach St. Gallen verlocken lassen hat; hätte Blarer früher davon erfahren, hätte er zumindest dieses unsinnige Vorhaben verzögert. Hardenberg schrieb aus Straßburg, dass er Bullinger die [,,Epitome"] von Johannes a Lasco geschickt habe; Blarer möchte diese auch gern lesen. Wagt nicht, seinen nach [Grießenberg] zurückkehrenden Schwager [Heinrich von Ulm], [dem er diesen Brief anvertraut], länger aufzuhalten. In Ulm soll am 24. November der Städtetag zusammenkommen. Der Württemberger [Herzog Ulrich] hat Esslinger Bürger gefangen genommen und gefoltert. Bucer bedauert den schlimmen Zustand der Kirchen sehr; wäre doch dieser so leicht zu behandeln, wie es leicht fällt, die Diagnose zu stellen. Gewisse Leute - doch nicht Bucer oder jemand, den Bullinger kennen würde! -fänden es gut, wenn sich alle zur Verdammung der Zürcher Kirche verschwören würden. Grüße; demnächst mehr.

Salve, mi venerande Bullingere.

Accipis hic epistolam, 1 unde intelliges, quo loco sit causa filii quaestoris vestri 2 . Senator 3 et vir valde bonus est Augustae, cui id negocii curandum a dederam.

Nepos 4 tuus ex fratre 5 alium artis magistrum 6 Sangalli amplexus non iam hic agit nobiscum. Male me habuit, quod passus est pellici sese Sangallum; quod si in tempore rescissem, certe, si nihil aliud, remoras tamen conatibus istis malesanis iniecissem.

a Vor curandum unleserlich gemachtes ded[eram].
1 Nicht ermittelt.
2 Der Seckelmeister Hans Rudolf Lavater, dessen Sohn Felix Lavater sich schwer verletzt hatte; s. oben Nr. 2018, 12-23.
3 Hans Zangmeister, dem Blarer den Verletzten
anvertraute; s. oben Nr. 2027 mit Anm. 21.
4 Josua Bullinger, der eine Kürschnerlehre in Konstanz begonnen hatte; s. oben Nr. 1986, 11-15; zuletzt 2007, 50-52.
5 Johannes [Reinhart]Bullinger.
6 Unbekannt.


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Hardenbergius Argentorato ad me scripsit 7 se ad te misisse Institutionem ecclesiae Frisiae orientalis 8 , cuius author sit d. Ioannes a Lasco; eam rogo, mi frater, ut mihi quoque, ubi integrum erit, 9 legendam mittas.

Abiturientem sororium 10 meum, qui domum festinat, remorari non audeo.

Ulme conventus erit urbium 24. novembris. 11

Wirtembergen[sis]12 Esselingiacen[ses] cives aliquot in vincula coniecit, deinde etiam aliis nonnullis nescio quam vim infert. 13

7 Hardenbergs Brief vom [10.] November 1544, Blarer BW II 318f, Nr. 1142.
8 A Lascos "Epitome doctrinae ecclesiarum Phrisiae orientalis". Ende August 1544 sandte der Autor diese Schrift zunächst Bucer nach Straßburg und bat ihn, sie nach seiner Lektüre nach Zürich weiterzuvermitteln, wo er sogar auf deren Drucklegung hoffte; s. oben Nr. 1933, Anm. 17; 1956 mit Anm. 9f; 1964.
9 Meint Blarer: Wenn sie fertiggedruckt ist?
10 Heinrich von Ulm, der in Grießenberg (Kt. Thurgau), auf der Strecke zwischen Konstanz und Zürich, zu Hause war; s. HBBW IV 188f, Anm. 14.
11 Zuerst hätte der Städtetag auf Empfehlung der Stadt Ulm in Esslingen stattfinden sollen, wurde dann aber auf Vorschlag Nürnbergs hin wegen des Konflikts zwischen dem Herzogtum Württemberg und Esslingen (s. unten Anm. 13) nach Ulm verlegt. Der Ulmer Rat lud die Städte seines Ausschreibungsbezirks für den 24. November nach Ulm ein, musste aber wieder absagen. Daraufhin setzte der Frankfurter Rat einen Städtetag für den 1. Dezember in Worms an, was von Nürnberg abgelehnt wurde, das einen Städtetag für den 23. Dezember in Ulm empfahl. Dies wurde von Ulm akzeptiert, jedoch wegen der entlegenen Kommunen mit der Terminverschiebung auf den 6. Januar 1545. Während Nürnberg und Ulm die fränkischen und schwäbischen Städte erneut einluden, beschwerte sich der Rat von Speyer am 8. Dezember 1544 in Frankfurt über das bisherige Ausschreibungsverfahren und über Ulm als Versammlungsort (s. Georg Schmidt, Der Städtetag in der Reichsverfassung. Eine Untersuchung zur korporativen Politik der Freien und Reichsstädte
in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Stuttgart 1984. -Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte 113. Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 5, S. 32f). Schließlich sollte der Städtetag ab dem 6. Januar 1545 in Worms stattfinden (s. RTA XVI/1 84). Aus Blarers Brief an Bullinger vom 1. Januar 1545 (Blarer BW II 339, Nr. 1156) geht hervor, dass Konstanz von Ulm erst gegen Ende Dezember 1544 über die Verlegung des Versammlungsortes benachrichtigt wurde.
12 Herzog Ulrich von Württemberg.
13 Zur ersten Gefangennahme (Z. 12) ist nichts bekannt. - In den zu Esslingen gehörenden Siedlungen im Hainbachtal wurden auf Herzog Ulrichs Anweisung am 2. November 1544 drei Jäger (s. unten Nr. 2048 mit Anm. 9), "Georg Strauß, Martin Leins und Georg Lauser, als Wilderer fortgeschleppt, [später] in Urach gefoltert und ihnen die Augen ausgestochen"; vgl. Karl Pfaff, Geschichte der Reichsstadt Eßlingen, Eßlingen am Neckar 1840, S. 390; unten Nr. 2048, 16f. Hintergrund waren die jahrelangen Konflikte zwischen Herzog Ulrich und Esslingen, die aufgrund vertragswidriger Besteuerungen der Esslinger Güter durch Württemberg ausgebrochen waren; vgl. Karl Pfaff, aaO, S. 378-393. Zum Hainbachtal vgl. Joachim J. Halbekann, Esslingen. Vielfalt der Alten Ordnung, in: Der Landkreis Esslingen, hg. vom Landesarchiv Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Esslingen, Bd. 1, Ostfildern 2009, S. 471-475 (wir danken Herrn Dr. Joachim J. Halbekann, Leiter des Stadtarchivs Esslingen, für freundliche Auskunft).


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Bucerus valde apud me deplorat 14 ecclesiarum nostri saeculi miserandum valde statum, ut vere profecto est; atque utinam tam mederi esset facile quam istuc agnoscere!

Quidam scribunt 15 ad multos consultum videri, ut omnes ad ecclesiae Tigurinae condemnationem conspirent etc. Sed, ita me deus Arnet, ne quid suspiceris, nihil tale vel a Bucero vel quoquam alio tibi de facie foto ad me scriptum etc.

Sed valebis iam cum tuis omnibus, quibus me commendo. Salutant te nostri omnes. Propediem plura.

Constan[tiae], 19. novembris 1544.

Tuus Ambr. Blaurerus.

[Adresse auf der Rückseite:] Clarissimo viro d. Heinricho Bullingero, Tiguricen[sis] ecclesiae episcopo, fratri venerando atque charissimo.