Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2030]

Ambrosius Blarer an
Bullinger
Konstanz,
7. November 1544

Autograph: Zürich StA, E II 357a, 642f (Siegel) Teildruck und zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 317f, Nr. 1141

Hätte ohne Bullingers Erklärung dessen Schweigen [oder Zurückhaltung?] nicht verstanden; der Herr möge wirken, was ihm gut scheint und das unschuldige Blut rächen; die Überlegungen Bullingers sind keineswegs nichtig; auch [in Konstanz]geht das Gerücht der Niederlage der [Eidgenossen]gegen [König Heinrich VIII.]herum; vieles bleibt ungewiss, sei es in Bezug auf den Frieden zwischen [Karl V.] und [Franz I.] oder auf das Schicksal der [eidgenössischen] Söldner in der Schlacht zwischen [Franz I.] und [Heinrich VIII.]. Luthers Büchlein [,,Kurtz bekentnis"] hat der [in Konstanz] als Pfarrer wirkende Johannes Jung in Ulm gesehen, und zwar bei einem Wittenberger [...]; Jung, der es nicht gründlich lesen konnte, kann aber schon bezeugen, dass es voller Verwünschungen steckt; Zwingli wird verdammt; die "Schwärmer" werden mit den "Stenckfeldianern" (so nennt Luther die Anhänger Schwenckfelds) gleich behandelt; Blarer wird das Buch schicken, sobald er es erhält. Gut, dass Bullinger Cochläus nur kurz geantwortet hat, denn dieser ist nicht einmal dessen wert. Mit seinem letzten Brief an Bullinger sandte Blarer den Brief Vadians zurück. Bullinger möge ihm das Kölner [,,Einfaltigs Bedencken"] zurückschicken, zumal Bullingers [genaue] Lektüre nicht notwendig ist, da Pellikan das Werk bereits gelesen hat; neulich schrieb Albert Hardenberg, dass die Kölner [Reformation] ganz vom künftigen Reichstag abhänge - ach, diese elenden Verzögerer! Philipp M[elanchthon] schrieb neulich an [Martin Frecht], wie sehr ihn der neu

8 Pasquillorum tomi duo. Quorum primo versibus ac rhythmis, altera soluta oratione conscripta quam plurima continentur ..., Eleutheropoli [Basel, Johannes Oporinus,] 1544 (VD 16 C 6433). Es handelt sich um eine Sammlung von Texten deutscher und italienischer Humanisten, u.a. von (bzw. über) Ulrich von Hutten, von Joachim Camerarius d.A., Conrad Celtis, Angelo Poliziano, Baptista Mantuanus,
den Erasmus zugeschriebenen Dialog "Julius Exclusus"sowie auch Auszüge aus den "Epistolae obscurum virorum". Der Feder von Curione entstammen u.a. der "Pasquillus Theologaster"und der "Pasquillus extaticus et Marphorius". Herausgeber könnte Johannes Oporin gewesen sein. -Siehe ferner unten Nr. 2038 mit Anm. 2 bis 4.


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entfianunte Abendmahlsstreit belaste. Blarer hofft, über [Hans Rudolf] Lavaters Sohn [Felix] bald einen guten Bericht aus Augsburg zu erhalten. Man sagt, dass [Karl V.] mit [Franz I.] Großes vorhabe; dass Bullinger [Heinrich VIII.]mit Jehu vergleicht, hat Blarer gut gefallen; das mag wohl zutreffen, wenn dieser so fortfährt. Grüße an die Familie und an [Diethelm] Röist; Grüße, besonders von [Thomas Blarer] und K[onrad] Z[wick]. Ein Soldat berichtet glaubhaft, dass [Heinrich VIII.]nicht viel ausrichten konnte; nachdem er erfuhr, wie stark die gegen ihn ziehenden Kräfte Frankreichs waren, hat er in Boulogne und [Montreuil] Besatzungen hinterlassen und sich nach England zurückgezogen; die Franzosen haben die Vorstadt von Boulogne angegriffen, 800 Mann darin erschlagen und diese belagert. Die von [Schwäbisch] Gmünd haben den Edelmann [Hans Christoph von Absberg]gefangen genommen, und zwar auf württembergischen Boden, so dass [Ulrich von Württemberg] dessen Freilassung fordert; doch hat unterdessen der Kaiser [Karl V.]befohlen, den Gefangenen festzuhalten bis zur Zufriedenstellung der Nürnberger, da der Gefangene deren Feind ist; er soll nämlich an der Gefangennahme des [Hieronymus]Baumgärtner [durch Albrecht von Rosenberg]beteiligt gewesen sein; daraufhin fing [Ulrich] acht Gmünder und erklärte, diese so behandeln zu wollen, wie sie den Edelmann behandeln würden; die Seite Rosenbergs hat wiederum [Christoph] Gräter von Biberach gefangen und fordert 6'000 Gulden.

S. in solida a salute nostra Christo. Ego vero, mi venerande atque charissime frater, tam muccosis sum naribus, 1 ut nunquam intellecturus fuerim hanc tuam aposiopesim 2 , nisi huius abs te nunc dilucidius admonitus 3 . Ego dominum precabor, ut, quod bonum est in oculis suis, faciat. Ulciscetur quidem innoxium hunc sanguinem, ubi sibi visum erit. Cogitationes tuas et somnia, de quibus scribis, non facile vana esse crediderim; 4 certe apud nos non alia etiamnum feruntur quam caesos vestros ab Anglo 5 , interim tamen omnia dubia, ut omnes valde miremur adeo nihil certi cuiquam constare nec de conditionibus pacis 6 inter caesarem 7 et Gallum 8 nec de vestris militibus et commisso inter Gallum et Anglum proelio. Ubi primum certa accepero, non committam, ut ipse ignores.

Lutheri libellum 9 Ulmae vidit Ioannes Iungius 10 noster, qui hic quoque verbi minister est, idque apud Wittenbergensem quendam 11 , qui legendi eius copiam facere noluerit propter celerem abitum; legit tamen unam forte atque alteram paginam, quas execrationibus refertissimas esse affirmat. Zvinglium, quantusquantus est, diris devovet etc. Schwermeros 12 et Stenckfeldianos

a Der Brief beginnt schon auf dem linken Rand mit den Worten S. in solida.
1 Adagia, 2, 8, 59 (ASD II/4 186, Nr. 1759).
2 griech. greek das Schweigen oder die Zurückhaltung.
3 Ein entsprechender Brief Bullingers ist nicht erhalten.
4 Wohl Bullingers Überlegungen zum eidgenössischen Söldnerdienst, den auch Gast kurz zuvor in einem Brief an Bullinger - und wie hier in Zusammenhang mit den letzten großen Verlusten - angesprochen hatte; s. oben Nr. 2029, 11-19.
5 König Heinrich VIII.; s. zuletzt oben Nr. 2027, 7-9.
6 Siehe zuletzt oben Nr. 2027 mit Anm. 11.
7 Karl V.
8 König Franz I.
9 Luthers "Kurtz bekentnis"; s. oben Nr. 1971, Anm. 20.
10 Johannes Jung.
11 Unbekannt. -Zu dem in Ulm vorhandenen Exemplar vgl. oben Nr. 2026, 17f.
12 Herabsetzende Bezeichnung für diejenigen, die die Gegenwart des Leibes Christi in den Elementen des Abendmahls bestreiten und auch "Sakramentierer" genannt


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13 , sic enim illum vocat Schwenckfeldum, eodem loco habet. Tu nihil dubita de mea fide; mittam quamprimum exemplar, ubi nactus ero. 14

Quod Cochleo paucis respondisti 15 , bene habet; neque enim istis dignus est impudentissimus nebulo. 16

Postremas ad te literas 17 dedi, cum quibus Vadiani epistolam, 18 quam miseras, remisi.

Coloniensem reformationem, 19 ubi satis usus fueris, remitte; 20 videris non magnum operae precium facturus, si legas, praesertim cum legerit Pellicanus. Scripsit nudius tertius 21 d. Albertus Hardenbergius Frisius noster Coloniensem rem totam ad futura comicia 22 suspendisse. Proh miseros comperendinatores 23 !

Philippus M[elanchthon] non pridem ad amicum quendam 24 ita scripsit (sed ista tibi; scis, quam periclitetur bonus Phil[ippus]) b : "Si tantum lachrymarurn profunderem, quantum vehit aquae vester Danubius, tamen dolor meus non exhauriretur, quem mihi affert instauratio belli greek greek nec de mearum rerum mutatione valde angor; doleo turbari ecclesias, non sanari; nam controversia his rixis non explicatur nec dirimitur. Multa mecum cogito, de quibus fortasse brevi colloquemur"etc. 25

De Lavateri filio 26 spero me brevi accepturum aliquid Augusta; quod ubi fiet, tibi quoque prima occasione significavero. 27

Caesarem existimant magna moliri cum Gallo. Valde arridet, quod ex Anglo Jehu facis, 28 quem esse etiam sciemus, ubi, quemadmodum caepit, feliciter perrexerit. 29

b Die hier in Klammern gesetzten Worte entsprechen einer Randbemerkung Blarers. werden; Luther rechnete u.a. den eidgenössischen Protestantismus dazu.
13 Verbailhornender Name für die Anhänger Schwenckfelds.
14 Vgl. aber unten Nr. 2044, 27-35.
15 Gemeint ist Bullingers "Brevis greek s. oben Nr. 2010, Anm. 22; vgl. unten Nr. 2040, 23f.
16 Vgl. dazu schon eine frühere Äußerung Blarers oben Nr. 2016, 13-16, und zuletzt ein ähnliches unabhängiges Urteil oben Nr. 2029, 5-8.
17 Blarers Brief an Bullinger vom 31. Oktober 1544, oben Nr. 2027 (bes. Anm. 11).
18 Dieser Brief Vadians an Bullinger ist nicht erhalten. Bullinger hatte ihn zusammen mit seinem Brief vom 22. Oktober 1544 (oben Nr. 2018, 4f) an Blarer geschickt.
19 Das "Einfaltigs bedencken"; s. oben Nr. 1838, Anm. 15.
20 Vgl. oben Nr. 2027, 26-28.
21 Dieser am 5. November 1544 in Konstanz eingetroffene Brief Hardenbergs wurde am 29. Oktober 1544 verfasst; s. Blarer BW II 312-314, Nr. 1138, bes. S. 313, Z. 7.
22 Der geplante Reichstag in Worms.
23 Verzögerer(Hoven 112 s.v.).
24 Martin Frecht in Ulm; vgl. oben Nr. 2026, 8-13.
25 Dieser Brief Melanchthons ist nicht erhalten; s. oben Nr. 2026, Anm. 4.
26 Felix Lavater, der Sohn Hans Rudolfs.
27 Vgl. unten Nr. 2036, 2-4.
28 In Bullingers nicht erhaltenem Brief; s. oben Anm. 3.
29 Der israelitische König Jehu hatte durch einen Putsch seinen Vorgänger Joram, Sohn Ahabs (und daraufhin das ganze Hause Ahabs und alle Priester Baals), wie auch Ahasja, König von Juda (auf Besuch bei Joram), umgebracht, ohne sich jedoch dem Dienste Jahwes zuzuwenden; s. 2Kön


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Bene vale, mi venerande et suavissime Bullingere, nosque, ut facis, 643 || servatori Christo sedulo commenda. Saluta fratres et amicos omnes cum tota tua domo et d. Röstio 30 . Salutant te omnes nostri, praecipue germanus frater 31 et C[onradus] Z[wickius].

Constantiae, 7. novembris 1544.

Tuus A. Bl. frater[?]c

Yetzund kompt ain waidlicher 32 kriegsmann 33 heruß, dem wir gantz glauben geben dorffen. Sagt, das der Engellender 34 gar nichts ussgericht, nachdem er den Frantzosen 35 alls starck gesechen; sonder hab Bolonga 36 besetzt und noch ain statt 37 , die er ouch gewunnen, 38 und seye widerum uber das mehr. Der Frantzos ist wol in die vorstatt Bolonga gefallen, hat darinn etwa 800 erschlagen und die vorstatt eingenomen; hat die noch inn, aber sunst weyter nichts ussrichten mögen. 39

So wisst, das die von Gmynd 40 ain edelman 41 gefangen habend uff herzog von Wirtempergs 42 boden; da hat inn der hertzog zu empotten, sy sollend inn ledig 43 lassen und stellen uff seinen boden, da sy inn gefangen haben. Dazwyschen aber hat der kaiser 44 denen von Gmynd uffs hochst gebotten, sy

c Unsichere Lesung.
9f. Ende 1544 erscheint Heinrich VIII. als ein Gegner der durch den Frieden von Crépy neuen "Verbündeten", Kaisers Karl V. und Franz' I. Ferner gewann seit Heinrichs Ehe (Juli 1543) mit der dem Protestantismus zugeneigten Catherine Parr der protestantische Einfluß am englischen Hof mehr Gewicht. Der Moment schien dem englischen und in Deutschland wohnenden protestantischen Diplomaten Christopher Mont geeignet, um mit Hilfe Martin Bucers Philipp von Hessen für ein Bündnis zwischen dem Schmalkaldischen Bund und England zu gewinnen, das aber 1545 nicht zustande kommen sollte; s. Rory McEntegart, Henry VIII, the League of Schmalkalden and the English Reformation, Woodbridge 2002, S. 203-205.
30 Diethelm Röist.
31 Thomas Blarer.
32 tüchtiger.
33 Unbekannt.
34 König Heinrich VIII.
35 König Franz I.
36 Boulogne-sur-Mer (Dép. Pas-de-Calais).
37 Damit könnte Montreuil (Dép. Pas-de-Calais)
gemeint sein, was jedoch nicht zutrifft. Als Heinrich VIII. nach dem Frieden von Crépy erfuhr, dass die französischen Truppen des Dauphins Heinrich nun gegen ihn zogen, gab er die Belagerung von Montreuil auf, hinterließ in Boulogne eine englische Garnison von 4'000 Mann und zog sich Ende September nach England zurück; s. Cardauns 351; Rozet/Lembey 503. 738.
38 Am 14. September 1544; s. oben Nr. 2014, Anm. 8.
39 Noch vor dem 14. Oktober 1544 hatten Gaskogner den unteren Teil von Boulogne kurz belagern können; doch die Engländer reagierten mit solch einer Wucht, dass damals jegliche Hoffnung auf eine baldige Rückeroberung (noch vor Einbrechen des Winters) von Boulogne durch die Franzosen zerschlagen wurde; s. Rozet/Lembey 505. 739f.
40 Die Reichsstadt Schwäbisch Gmünd.
41 Hans Christoph von Absberg; s. PC III 538, Anm. 2.
42 Herzog Ulrich von Württemberg.
43 frei.
44 Karl V.


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sollen den edelman d hanthaben 45 byß uff der von Nürenberg (deren find 46 er 47 gewesen; dann er Rosenbergisch ist 48 ) vernügen 49 ; dann er soll ain hoptman gewesen sein von e denen, die den Bomgarter 50 von Nüremberg gefangen haben. 51 Nun aber ist der hertzog gar erzurnt uber die von Gmynd; hat inen yetz acht burger gefangen 52 und empeut inen 53 , wie sy dem edelman thüen, allso welle er iren burgern ouch thain. Allso ist allenthalb angst und not. Die Rosenbergischen haind gar ain frommen burger, ainen Gräter 54 von Bibara[ch]f ouch gefangen; 55 wellend sechs tausend guldin von im haben etc.

[Adresse darunter:] Praestantissimo viro d. Heinricho Bullingero, amico et fratri praeter caeteros observando longeque omnium charissimo. Zürich.

d In der Vorlage ist das e zwischen d und l über der Zeile nachgetragen.
e In der Vorlage und.
f Textverlust durch Papierverlust am linken Rande.
45 festhalten.
46 Feind.
47 Hans Christoph von Absberg.
48 Zu verstehen: da er der Rosenberg-Partei (s. unten Anm. 51) angehört.
49 byß uff der ... von Nürenberg vernügen: bis zur Zufriedenstellung der Nürnberger.
50 Hieronymus Baumgärtner.
51 Zum Streit Nürnbergs mit Albrecht von Rosenberg, der am 31. Mai 1544 den Nürnberger Gesandten Hieronymus Baumgärtner überfallen und gefangen genommen hatte, s. oben Nr. 1937 mit Anm. 9.
52 In anderen Quellen ist von neun Gefangenen die Rede. Diese Gmünder wurden in Schorndorf gefangen genommen; s. PC III 538, Anm. 2; Emil Wagner, Die Reichsstadt Schwäbisch Gmünd in den Jahren 1531-45, in: Württembergische Vierteljahreshefte für Landesgeschichte 7, 1884, S. 7-17, bes. 16f.
53 empeut inen: tut ihnen kund.
54 Christoph Grater; s. unten Anm. 55.
55 Biberach meldete am 23. September 1544 an Ulm, dass Albrecht von Rosenberg den Sohn des alten Bürgermeisters Christoph Gräter gefangen genommen habe; s. Stefan Mühlhofer, Die Politik der fränkischen Reichsstände auf den Reichstagen von 1521 bis 1555, Husum 2006. -Historische Studien 487, S. 157; RTA JR XVI/1 81. 85.