Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2027]

Ambrosius Blarer an
Bullinger
Konstanz,
31. Oktober 1544

Autograph: Zürich StA, E II 357, 106 (Siegelspur) Zusammenfassende Übersetzung: Blarer BW II 316f, Nr. 1140

Konnte aus Bullingers Brief vom 22. Oktober [oben Nr. 2018] nicht entnehmen, ob Bullinger seinen Brief vom 17. [18.?] erhalten hat; Blarer hatte den Brief an das Haus von Matthäus Flar geschickt; Flars Ehefrau [Adelheit von Chusen] ist die Schwester von [Regula von Chusen], der Ehefrau des Zürcher Schreibers "Rubi" oder "Rubelli"[Heinrich Rubli], damals in Konstanz auf Besuch; vielleicht ist der Brief durch die Achtlosigkeit der Mägde verlorengegangen. Viele bestätigen, dass die [Schweizer] Söldner zusammen mit vielen anderen vom englischen [König Heinrich VIII.]getötet wurden, doch weiß man [in Konstanz] nichts Genaues, obwohl dieses Gerücht von vertrauenswürdigen Menschen geschrieben worden sein soll. Was Vadian über die Friedensbedingungen zwischen dem Kaiser [Karl V.] und dem französischen [König Franz I.]schrieb, scheint glaubwürdig, doch sind noch andere Zeugnisse abzuwarten. Beglückwünscht die Zürcher zur einträchtig verlaufenen [Herbst-]Synode; wenn alle so um den Frieden bemüht wären, stünde es um die [evangelischen] Kirchen besser. Man versichert, dass Luthers Büchlein [,,Kurtz bekentnis"]erschienen ist; Blarer hat es aber noch nicht gesehen und kennt auch niemanden, der es gesehen hat; Bucer hat sich in seinem letzten Brief sehr beklagt, dass der Streit von neuem entfacht ist; der Herr möge sich der Urheber dieses Übels erbarmen! Wenn Bullinger von Vadian [den Entwurf der] Kölner Reformation erhält, soll er ihn alsbald mit seiner Meinung und der [der Zürcher] zurücksenden, denn Blarer hat gewichtige Gründe dafür, warum er dieses Buch haben möchte. Hat den Sohn [Felix] des [Zürcher] Seckelmeisters [Hans Rudolf Lavater] dem Ratsherrn Hans Zangmeister, seinem Freund, empfohlen, der sich des Knaben gut annehmen wird; Blarer empfiehlt sich dem Vater [Hans Rudolf Lavater]. Empfehlung an Bullingers Familie und an die [Zürcher] Brüder; Grüße.

S. Ex literis tuis, quas 22. octobris scripsisti 1 , haud potui coniicere, an meas 17. ad te datas acceperis. 2 Erat tum hic Tigurinus quidam civis, cuius nornen mihi excidit, sed Rubi vel Rubelli 3 , ni fallor, cognomen illi est, scriba vestrae urbis et affinis Matthaei Flauri 4 nostri; uxores 5 enim illorum sorores 6 sunt, et

1 Oben Nr. 2018.
2 Blarer meint vielleicht seinen Brief vom 18. Oktober, oben Nr. 2016; ein Brief vom 17. Oktober ist nicht erhalten.
3 Heinrich Rubli, geb. 1522, gest. 1563, Junker, Zünfter zur Meisen 1542, ab 1562 in Aarau, der am 27. Februar 1544 Regula von Chusen (Kusen; Chuosen) geheiratet hatte (vgl. Carl Keller-Escher, Promptuarium genealogicum, Zürich ZB, Ms Z II 6, S. 685); sie war nachweislich eine Schwester von Adelheit von Kusen, die mit Matthäus Flar verheiratet war (vgl. dazu unten Z. 4 mit Anm. 6). Dass Heinrich
Rubli als Schreiber wirkte, ist sonst nicht belegt. Bei Georg Sibler, Verzeichnis der Landschreiber und Notare im Kanton Zürich, Bd. 1: Allgemeine Schreiber (Typoskript. Zürich StA, Db 21), ist zwar für die Landschaft Zürich ein gewisser Hartmann Rubli von 1535 bis 1538 als Schreiber nachgewiesen, aber dieser kann hier aufgrund der von Heinrich Rubli und Matthäus Flar geheirateten Schwestern ausgeschlossen werden.
4 Matthäus (Thebus) Flar, Konstanzer Kaufmann im Tuchhandel, Oberbaumeister, Sohn des 1510 geflohenen Bürgermeisters


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ego epistolam ad Flari edes 7 miseram, ut verear famularum 5 incuria viro forte non redditas.

De militibus vestris multi constanter affirmant caesos ipsos ab a Anglo 9 cum pluribus aliis; sed certi nihil habemus, quamquam alicunde praeter rumorem huncce scriptum dicunt a fide dignis hominibus. 10 Ego in tanta hominum vanitate non facile habeo fidem quibuslibet; ubi certi quippiam a certae fidei amicis accepero, curabo, ut quam primum scias.

Quae Vadianus noster ad te de pacis conditionibus scripsit 11 inter cesarem 12 et Gallum 13 , praeter omnia alia mihi et multis verisimilia videntur; verum expectabimus alia quoque testimonia.

Tanto inter vos consensu synodum celebratam 14 maximopere vobis gratulamur; dominus boni huius author perpetuum hoc vobis b sua benignitate

a Nach ab gestrichenes Gallo.
b Nach vobis gestrichenes eff[ecit].
Sigmund Flar und Bruder von Clemens Rar; amtierte 1523/24 als Zunftmeister der Saltzschib; 1526 aus der Saltzschibzunft ausgetreten, um sich in der Rosgartzunft einzukaufen; im Frühjahr 1547 oder 1548 (vgl. Heuschen 156. 191) verließ er (wie andere Kaufleute) die vom Handel abgeschnittene Stadt Konstanz und zog nach St. Gallen. Im Juni 1549 erzielte König Ferdinand eine Aussöhnung mit den geflohenen Personen; von der Stadt Konstanz aber wurde Rar eine Verschreibung abverlangt. Vgl. auch Ambrosius Blarer an Bullinger, 14. Februar 1549 (Zürich StA, E II 441, f. 321).-Lit.: Diethelm Heuschen, Reformation, Schmalkaldischer Bund und Österreich in ihrer Bedeutung für die Finanzen der Stadt Konstanz 1499-1648, Tübingen 1969. - SKRG 36, S. 149. 151f. 156f. 191. 193; Rublack, Konstanz 110. 342; Burkhardt/Dobras/Zimmermann 15f.
5 Matthäus Flar war am 28. August 1535 einen Ehe- und Erbvertrag mit Adelheit von Kusen (Chusen; Chuosen) eingegangen (Konstanz Stadtarchiv, PU 9955; freundliche Auskunft von Herrn Michael Kuthe, Stadtarchiv Konstanz).
6 Zu den Schwestern Adelheit und Regula von Kusen (Chusen, Chuosen), Töchter von Jos von Chuosen und Anna Escher vom Luchs, s. Carl Keller-Escher, Promptuarium genealogicum, Zürich ZB, Ms Z II 2, S. 11 s.v. von Chuosen.
7 Wo das Haus sich befand, ist nicht überliefert. Flar versteuerte seinen Besitz im Steuerbezirk "Roßgart", wo er sicher auch wohnte. Als Besitz ist ein Haus an der Marktstätte ausgewiesen; dieser Platz lag teilweise in dem erwähnten Steuerbezirk (freundliche Auskunft von Herrn Michael Kuthe, Stadtarchiv Konstanz).
8 Unbekannt.
9 König Heinrich VIII. zog seine Truppen seit September weitgehend vom Kontinent ab, während sich die deutschen Protestanten als Vermittler zwischen England und Frankreich um das Schicksal Boulognes, der letzten englischen Besitzung auf dem Festland, bemühten; vgl. Robert J. Knecht, Renaissance Warrior and Patron. The Reign of Francis I, Cambridge 1994, S. 502f; Cardauns 351.
10 Andeutung auf die vielen Opfer bei der Schlacht um Boulogne Anfang Oktober 1544, als mit Hilfe eidgenössischer Söldner die Franzosen vergebens versuchten, die Stadt dem Engländer wieder abzunehmen; s. oben Nr. 2014, 10-15 mit Anm. 8.
11 Bullinger hatte den nicht erhaltenen Bericht Vadians über den Frieden von Crépy (s. oben Nr. 1992 mit Anm. 8, 2010 mit Anm. 44) am 22. Oktober übersandt; s. oben Nr. 2018, 3-6.
12 Karl V.
13 König Franz I.
14 Die Zürcher Herbstsynode; s. oben Nr. 2018 mit Anm. 9.


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effecit c , immo cum pluribus aliis commune velit esse! Utinam omnes tam studiosi essent pacis, quam volunt videri! Melius haberent res ecclesiae Christi.

L[utheri] libellum 15 prodiisse asseverunt; ego nullum adhuc exemplum vidi nec quenquam audivi, qui viderit. Bucerus in proximis literis valde quaeritur, quod rursum exoriantur velut ab integro prius non satis extinctae turbarum flammae 16 -quem 17 autem non vel ad mortem usque ista excrucient. Dominus illorum misereatur, qui mali istius authores se faciunt et tanquam pro ludo habent animarum et corporum tam praesentia pericula!

Coloniensem reformationem 18 ubi a Vadiano acceperis, age, fac lectum ad me quam primum addito iudicio tuo et tuorum remittas; nam caussae sunt non leves, quur habere cupiam.

Quaestoris vestri Lavateri 19 filium 20 optimo cuidam viro et senatori Augustano, domino Iohanni Zangmaistero 21 , singulari meo amico, diligentissime commendavi; ac certo certius scio illum officiose curaturum bonum adulescentem, ne quid forte in chirurgi officio desideret. Commendabis me patri diligenter; nam viro illi gratificari iamdudum mihi fuit promptissimus animus.

Bene vale, mi frater et anime mi in domino, cui me meosque, ut facis, scio, sanctissimis votis accurate commenda. Saluta tuam domum cum omnibus fratribus et amicis. Salutant te nostri omnes. Iterum vale.

Constantiae, ultima octobris 1544.

Tuus Ambr. Bl.

[Adresse auf der Rückseite:] Clarissimo viro d. Heinricho Bullingero, amico tamque fratri suo plusquam charissimo. Zürich.

c effecit korrigiert aus efficiat.
15 Luthers "Kurt, bekentnis": s. oben Nr. 1971. Anm. 20: unten Nr. 2037. Anm. 3.
16 Bucers Brief vom 16. Oktober 1544: s. Blarer BW II 310f, Nr. 1135.
17 Bucer.
18 Das "Einfaltigs bedencken": s. oben Nr. 1838. Anm. 15.
19 Hans Rudolf Lavater.
20 Felix Lavater: s. Bullingers Bitte oben Nr. 2018. 12-23.
21 Hans Zangmeister (III.), geb. vor 1504, gest. 1565, von 1537 bis 1548 im Augsburger Kleinen Rat (Kaufleute), 1544 als Baumeister belegt, Mitglied der Kaufleutezunft 1538 und 1545, Mehrer 1548; von 1549 bis 1557 im Großen Rat als Mehrer, 1552 Mitglied des Fürstenrats. - Lit.: Augsburger Eliten 980-982 (mit weiteren Angaben zur wirtschaftlichen Tätigkeit und zu Ämtern); Roth I 136; II 372; III 158. 400. 401; IV 117. 433.