Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[2022]

Die Pfarrer von Neuenburg an
die evangelischen Kirchen
Neuenburg,
28. Oktober 1544

Entwurf von zwei unbekannten Händen a : Neuenburg, Bibliothèque des Pasteurs, X 9 b

Bisher wurde die Ermahnung und die förmliche Zurechtweisung unter den Brüdern [Pfarrern] mit Erfolg untereinander gehandhabt, doch hat sich unerwartet einer [Jean Chaponneau]2 gegen dieses Verfahren ausgesprochen; dass nun, trotz langer Geduld, die Angelegenheit zur Entscheidungsfindung vor die [anderen] Gemeinden gelangen muss, bedauern [die Neuenburger]; sie übersenden [eine Beschreibung]ihrer bisherigen Vorgehensweise und haben auch dem Gegner erlaubt, seine Anschauung vorzubringen (s. unten in Nr. 2023]. Die Väter und Brüder [der anderen Gemeinden] haben nun die Aufgabe, diesbezüglich ihr Urteil zu äußern, um den bisherigen Brauch zu wahren, falls dieser richtig ist; [die Pfarrer Neuenburgs] würden sich wünschen, von den Gegnern ein Beispiel zu sehen, um daraus zu lernen, statt derjenigen Dinge beraubt zu werden, deren Verlust großen Schaden anrichten würde. Die Zensur wird folgendermaßen ausgeübt: Der zu Überprüfende muss sich zurückziehen; der Dekan fragt

a Die Abschriften der zwei verwandten Fassungen auf f. 9v., die das damals übliche Vorgehen bei der Ausübung von Zensur unter den Pfarrern Neuenburgs darlegen, stammen von einer anderen Hand als die des Brieftextes auf f. 9r.
b Auf f. 9r. finden sich von zwei weiteren Hände Archivvermerke. Der erste (aus dem 16. oder 17. Jh.): "La classe contre le frere contestant la censure. Du 28 oct. 1544."Der zweite (aus dem 19. Jh.?): "Un frère, un des membres de la classe (Chaponeau) s'etant eleve contre les censures et les corrections fraternelles qu'on y addressoit aux ministres. Ceux ci demandent l'avis des ecclesiastiques voisins. Du 15[!]e 8. bre 1544.»
1 Dieser Brief wurde zusammen mit dem folgenden (unten Nr. 2023) an Bullinger gesandt.
2 Jean Chaponneau (auch: Chaponneaulx; Capunculus), Benediktiner, Theologe und Prediger, hatte an der Sorbonne studiert und war in Löwen zum Doktor der Theologie promoviert worden. Calvin hatte ihn während seines Studiums in Bourges (1529-1531) kennengelernt. Im Frühjahr 1536 oder 1537 oder aber Anfang 1538 war er nach Neuenburg (Neuchâtel) gekommen.
1544 war er bereits ein betagter Mann; er starb am 22. Oktober 1545. - Lit.: Emile Picot, Notice sur Jehan Chaponeau, Docteur de l'Eglise réformée, metteur en scène du 'Mistère des Actes des apostres' joué à Bourges en 1536, Paris 1879. -Collection de documents pour servir à l'histoire de l'ancien théâtre français (für die Zeit zwischen 1543 und 1545 vermochte Picot jedoch nicht zwischen den theologisch-christologischen und kirchlich-diziplinärischen Meinungsverschiedenheiten Chaponneaus mit Farel und Calvin zu unterscheiden); P[aul] Wernle, Calvin und Basel bis zum Tode des Myconius 1535-1552, Basel 1909, S. 49f; Farel, Biographie 411, Anm. 1. 540-550; Gabrielle Berthoud, Antoine Marcourt. Réformateur et Pamphlétaire du "Livre des Marchans" aux Placards de 1534, Genève 1973, S. 26. 30; [Gaston] Raynaud, in: Eugène und Emile Haag, La France protestante, 2. Aufl., hg. v. Henri Bordier, Bd. 3, Paris 1881, Sp. 1082-1085; Roman d'Amat, in: DBF VIII 427; Edouard Boulard, in: Dictionnaire des lettres françaises, hg. v. Georges Grente, [Bd. 2:] Le XVI e siècle, neu hg. v. Michel Simonin, Paris 2001, S. 252f. -Zur Sache s. unten Nr. 2035, 2046 und 2053.


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sodann die Nachbarn, ob ihnen ein Verstoß dieses Bruders [Pfarrers]gegen die Kirche oder den Pfarrdienst durch ihn oder dessen Familie bekannt ist; dann werden die anderen befragt, welche Ermahnung sie für angemessen halten; darauf wird der Bruder [Pfarrer]zurückgerufen und gemäß dem Beschluss der Brüder [Pfarrer]freundlich ermahnt, seinen Dienst fromm zu verrichten und zum Aufbau der Kirche beizutragen. [Variante zum vorhergehenden Absatz:] Die Ermahnung und förmliche Zurechtweisung wird folgendermaßen gehandhabt: Der zu Ermahnende muss sich zurückziehen; dann erkundigt sich der Dekan bei den Nachbarn und Verwandten, ob ihnen ein Verstoß dieses Bruders [Pfarrers] gegen die Kirche oder den Pfarrdienst durch ihn oder dessen Familie bekannt ist; dann werden die anderen befragt, welche Ermahnung sie für angemessen halten; darauf wird der Bruder (Pfarrer]zurückgerufen und kraft des Rats und Urteils aller freundlich ermahnt, seinen Dienst fromm zu verrichten und zum Aufbau der Kirche beizutragen.

[Gedruckt: Corr. des réformateurs IX 348f, Nr. 1402.]