[1705]
Autograph a : St. Gallen Kantonsbibliothek (Vadiana), Ms 34 (VBS V), 160f (Siegelspur)
Froschauer wird ihm die bisher gedruckten Teile der [,,Biblia sacrosancta"]zusenden; Bullinger
lässt Vadian vertraulich wissen, welche Teile Leo [Jud], welche Bibliander übersetzt
hat, und hat Froschauer von der Anwesenheit des Boten [Alexius?] Knoblauch Mitteilung
gemacht. Vadian hat die Niederlage [gegen die Türken] in Ungarn schon früher vorausgesagt,
und Bullinger fühlt sich in die Zeit Jeremias versetzt; noch schlimmer lauten die Nachrichten,
die Zunftmeister Hans Wegmann aus Nürnberg mitgebracht hat. Das Urteil des Reichskammergerichts
[betreffend die Rekusation?] ist offenkundiges Unrecht; die Geduld [der Protestanten]
verwundert Bullinger. Sieht in [König Ferdinand und Kaiser Karl V.] -angesichts der
Schäden, die Deutschland und das Reich erleiden - eher eine "Pest des Vaterlandes" als
"Väter des Vaterlandes". Sendet den Katalog[?], der auch im Rat verlesen wurde, zurück. Wie
schon Zwingli befürchtet hat, ist in der Eidgenossenschaft durch das blutige Geschäft der
Pensionenherren die Freiheit und die Seele käuflich geworden; niemand steht dagegen auf
doch Gottes Gericht naht. Die Vögte von Locarno, Lugano und Mendrisio sehen sich durch
[den Statthalter von Mailand]Markgraf [Alfonso d'Avalos] von Vasto bedroht und haben um
Munition gebeten; Zürich hat den Brief nach Luzern [an die katholischen Orte] geschickt,
denn sie sind es, die fremde Fürsten provozieren; Bullinger glaubt nicht, dass die Eidgenossenschaft
einem Angriff standhalten könnten. Wenn Papst [Paul III.]klug ist, wird er sich am
Konzil die Vollmacht zur Verfolgung seiner Gegner geben lassen; aus Italien wird berichtet,
Kardinal [Gasparo] Contarini sei vergiftet worden; vielleicht wird [Jacopo] Sadoleto an
seiner Stelle das Konzil eröffnen. Zu Vadians Frage nach den italienischen [Flüchtlingen]: Im
August kam der Kapuziner Hieronymus nach Zürich, der in Neapel Bullingers Schriften gelesen
hatte, und disputierte während seines fast einmonatigen Aufenthalts mit ihm über den
Glauben; da ihm die Churer keine Stelle verschaffen konnten, kehrte er [nach Italien]zurück.
Darauf traf der gelehrte Celio Secondo [Curione]ein, der sich nach ebendiesem Hieronymus
erkundigte und sich ebenfalls als Vertriebener zu erkennen gab; ihn empfahl Bullinger den
Bernern, die ihn an die Schule in Lausanne beriefen - zuvor hatte er in Pavia, Venedig,
Mailand und Lucca gelehrt. Inzwischen traf Bernardino [Ochino] aus Siena ein, eine beeindruckende
Persönlichkeit, der mit Unterstützung von Ascanio Colonna geflohen war und während
seines zweitägigen Aufenthalts berichtete, wie er vom Papst als Prediger nach Genua,
Florenz und Genua entsandt, dann wegen seiner [evangelischen] Predigt nach Rom zitiert
worden war; aufgrund von Warnungen floh er von Florenz aus und lebt jetzt in Genf von wo
er seine Predigten gedruckt in Italien verbreiten will -Bullinger übersendet einen Band mit
zehn Predigten [GBG 236], die sich Vadian von Kaufleuten übersetzen lassen kann. Nach
einem Monat kehrte Celio [Curione] zurück, der seine Familie aus Italien holen wollte und
sich von Bullinger eine Empfehlung an die [Herzogin] von Ferrara [Renata von Frankreich]
mitgeben ließ; Bullinger rief die Fürstin zur Unterstützung der Verfolgten auf und schenkte ihr
seinen Matthäuskommentar. Kurz darauf kam Peter Martyr [Vermigli], vorher Abt in Neapel
und Prior in Lucca, begleitet von Paulus [Lacisius], einem Kenner der alten Sprachen; Bullinger
legt ein Schreiben Vermiglis aus Basel [Nr. 1674] zur Ansicht bei; dieser lehrt nun in
Straßburg. Bucer ist auf Einladung des [Erz-]Bischofs von Köln [Hermann von Wied] am 20.
November [richtig: 2. Dezember] [aus Straßburg]abgereist und wird vielleicht Osnabrück,
Paderborn und andere Städte reformieren. Celio [Curione] kam mit Frau und Kindern ausBriefe_Vol_12_279 arpa
Italien zurück, berichtete Erschreckendes über die Verfolgungen und brachte einen Brief der
Fürstin von Ferrara mit [Nr. 1683]. Ein Diener Colonnas, den Bullinger nach Genf weiterwies,
überbrachte Ochino Geld und bat bei der Rückkehr um ein Schreiben Bullingers
[Gedruckt: Vadian BW VI 181-186, Nr. 1271; Teildruck b : CO XI 478-482, Nr. 441.]