Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1658]

Gervasius Schuler an
Bullinger
Memmingen,
8. September 1542

Autograph: Zürich StA, E II 358, 135 (Siegelspur) Ungedruckt

Empfiehlt einen Glaubensflüchtling, der in Orléans evangelisch gepredigt hat und deshalb im Gefängnis war, wie aus einem Brief der Nürnberger Pfarrer hervorgeht; auch Musculus und Frecht haben seinetwegen geschrieben; Bullinger soll versuchen, ihm eine Stelle auf bernischem Gebiet zu vermitteln. Schulers Frau und Kinder sind mit Ausnahme seines Sohnes Gervasius gesund. Der Feldzug gegen die Türken kommt nicht voran, was nicht verwundert; Gott will, dass wir zuerst Buße tun. Der französische [König Franz I.] hat Luxemburg verwüstet; den Eidgenossen wird vorgeworfen, [durch Reislauf] den Krieg zu nähren, was aber wohl von Zürich, Bern und Basel nicht gesagt werden kann. [Landgraf Philipp von] Hessen hat zusammen mit Kurfürst [Johann Friedrich] von Sachsen und Herzog [Ernst] von Lüneburg Herzog Heinrich von Braunschweig innerhalb von 10 Tagen besiegt - Schuler legt ein Verzeichnis der eroberten Burgen und Städte bei -; ob die [schmalkaldischen] Truppen nach der Friedenszusage von Kaiser Karl und [König]Ferdinand entlassen werden, ist noch offen. Das Ergebnis des Städtetags in Ulm ist noch nicht bekannt; die Stände im Reich sind zerstritten, die Städte -außer Überlingen - haben Ferdinand [am Nürnberger Reichstag] die neue Steuer verweigert, und die Fürsten haben den Städten das Sessionsrecht geraubt. Erkundigung nach und Gruß an Leo Jud. Gruß von [Balthasar] Funk.

Gratiam et pacem a domino, dilecte in domino frater.

Venit ad me presentium lator 1 , natione Gallus, oriundus ab regia urbe Orlientz Gallie, ubi per biennium Christum praedicando tandem ab urbe post carceres dei munere relegatus est, ut testantur litere 2 Nurbergensium fratrum. Scripsit quoque de ea re ad me Musculus Augustanus et Frechtus, Ulmensis ecclesiae minister. 3 Hunc ergo ut exulem et peregrinantem propter Christum in domino suscipe et, ut in Bernatium ditione provideri possit, pro tua pietate iuva, charissime Bullingere, ne post diuturnos a carceres tantopere peregrinari cogatur.

Ceterum de rebus meis omnia salva scias. Uxor 4 et liberi 5 valent omnes exempto filio maiore natu Gervasio, qui, dum hec scribo, valde egrotat, sic tamen, ut illum auxiliante deo per manum medici convaliturum sperem.

De bello contra Turcas nichil habeo, quod scribam. Noster exercitus mirum in modum iacet, silet ac torpet, 6 neque id mirum est; durum est enim,

a Vor diuturnos gestrichenes long.
1 Unbekannt.
2 Nicht erhalten.
3 Auch die Briefe von Wolfgang Musculus und Martin Frecht sind verloren.
4 [...], geb. Lübegger.
5 Gemäß seinem Brief an Bullinger vom 26. Januar 1543 (Zürich StA, E II 358, 142)
hatte Schuler zu diesem Zeitpunkt drei Söhne und zwei Töchter (wahrscheinlich Gervasius, Friedrich, Paul, Rahel und Anna; vgl. Culmann, Schuler 76; HBBW X, S. 32, Anm. 9f).
6 Zum Vormarsch des von Kurfürst Joachim II. geführten Heeres in Ungarn vgl. oben Nr. 1654, Anm. 5.


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inmo[!] inpossibile, iram dei in nos multis modis commeritam nostris conatibus avertere, antequam de peccatis nostris penituerimus, quibus dei in nos furorem concitavimus. Ego vereor nos plane nichil effecturos.

Gallus 7 vero pseudochristianus 8 interea totam fere Litzelburgicam Inferioris Germanie ditionem bello et igne occupavit et devastavit. 9 Quid futurum sit Germanie nostrae, dominus novit. Helvetii vestri apud omnes pios et bonos viros pessime audiunt ut hii, qui tantis turbis bellorum non postremum fomentum prestant. De Tigurinis et Bernatibus simul et Basiliensibus forte non licet tam dira ominari.

Ceterum b princeps Cattorum c 10 una cum electore Saxonie 11 et duce Lunenburgensi 12 spatio decem dierum ducem Heinricum Brunzwicensem foeliciter expugnavit. 13 Arcium d urbiumque numerum habes hic in ordine descriptum. 14 Adhuc collecto milite expectat a papistis pacem nostris perpetuam; ab imperatore e Karolo et Ferdinando inpetravit, 15 a reliquis nondum. An dimissurus sit militem nacta pace iam ab imperatore et Ferdinando, nescitur; lubricum est illis fidere, apud quos dolo plena sunt omnia f .

Comitia protestantium iam Ulme celebrantur; 16 quid actum sit, nondum scio. In summa: Es ist kein stand im reych mitt dem anderen ains; die fursten, prelaten, der adel und die stett ist keyner dem anderen truw g . Der kunig 17 hatt von stetten ein andere Steuer begert; die ist imme aber aynhaylig

b In der Vorlage Caterum (korrigiert aus Catorum?).
c Cattorum am Rande nachgetragen.
d In der Vorlage Artium.
e -re über der Zeile nachgetragen.
f Nach omnia gestrichenes plura, quam [?].
g Vielleicht als trüw zu lesen.
7 König Franz I. von Frankreich.
8 Schuler spielt auf den Titel "rex christianissimus" an; vgl. HBBW XI, S. 137, Anm. 10.
9 Vgl. oben Nr. 1649, 12-22; 1657, 22f mit Anm. 12.
10 Landgraf Philipp von Hessen.
11 Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen.
12 Herzog Ernst III. von Braunschweig-Lüneburg-Celle war am Krieg gegen Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel nicht direkt beteiligt, unterstützte aber die schmalkaldischen Truppen (vgl. PA II 1497).
13 Der Feldzug, der am 19. Juli begonnen hatte, endete am 12. August mit der Kapitulation
der Hauptfestung Wolfenbüttel (vgl. Blume, Goslar 107f). Herzog Heinrich war bereits vor Ende Juli außer Landes geflohen (vgl. MBW 3019).
14 Ein gedrucktes Verzeichnis der eingenommenen Burgen und Städte erschien unter dem Titel "Namen der stett und schlösser des landts Braunschweig [...I" (o. ä.) in verschiedenen Ausgaben (VD 16 N 57-60; abgedruckt in: Friedrich Hortleder, Der Römischen Keyser- und Königlichen Maiesteten [...] Handlungen und Außschreiben [...] von den Ursachen des teutschen Kriegs [...], Bd. 2, Frankfurt a. M. 1617, S. 804f); vgl. Vadian BW VI 157.
15 König Ferdinand und die kaiserlichen Kommissare hatten am 24. August am Reichstag in Nürnberg eine Friedenszusicherung gegeben; s. PC III 307; Mentz II 329.
16 Zum oberländischen Städtetag vom 4. September in Ulm vgl. PC III 291.
17 König Ferdinand.


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18 von allen stetten abgeschlagen, 19 außgenomen die von Überlingen. 20 Es dut 21 im reych yederman, was er wyll, omnia vi gerentur preter phas et aequum. Urbes inperiales sua sessione in comitiis inperialibus privatae sunt opera et iniqua principum industria. 22 Mercatorum inpostura fere regem et Germanie proceres omnes deglutivit; ad triarios relegata sunt omnia. 23 Oremus dominum sedulo, ut tantis calamitatibus aut statim finis inponatur aut omnia in domini gloriam cedant.

De domino Leone Iude, vetere amico et fratre, nichildum audio; 24 cuius felicitatem corporis et anime avidissime audire cupio. Saluta illum nomine meo et omnem foelicitatem illi nomine meo inprecare, simul et h toti familie.

Funckius 25 consul iubet te plurimum per me salutari.

Vale, optime frater, una cum costa 26 tua fidelissima et liberis 27 .

Date Meminge, 8. septembris 1542.

Gervasius tuus.

[Adresse auf der Rückseite:] Ornatissimo viro domino Hainricho Bullingero, Tigurinae ecclesie antistiti fidelissimo, fratri in Christo plurimum observando. i

h Vor simul et gestrichenes una cum.
i Darunter von späterer Hand N°. 5 sowie 42.
18 einhellig.
19 Die Städte stellten sich entschieden gegen die von König Ferdinand geforderte neue Türkensteuer; vgl. Heidrich, Karl V. 94f. 100. 102.
20 Zur Isolierung Überlingens vgl. Wilfried Enderle, Konfessionsbildung und Ratsregiment in der katholischen Reichsstadt Überlingen (1500-1618) im Kontext der Reformationsgeschichte der oberschwäbischen Reichsstädte, Stuttgart 1990. - Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, Bd. 118, S. 182-189.
21 tut.
22 Bereits zu Beginn des Reichstags war der alte Sessionsstreit zwischen Fürsten und Städten erneut ausgebrochen, der auch den
weiteren Verlauf der Verhandlungen prägte; vgl. Heidrich, Karl V. 91f. 94-96. 99-105. Zum umstrittenen Stimmrecht der Städte s. Rosemarie Aulinger, Das Bild des Reichstages im 16. Jahrhundert. Beiträge zu einer typologischen Analyse schriftlicher und bildlicher Quellen, Göttingen 1980. -Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 18, S. 108f.
23 Im Sinne von: die Lage ist äußerst ernst; vgl. Adagia, 1, 1, 23 (LB II 34f).
24 Leo Jud war am 19. Juni gestorben; vgl. oben Nr. 1638.
25 Balthasar Funk.
26 Bullingers Ehefrau (vgl. Gen 2, 21f) Anna, geb. Adlischwyer.
27 Von Bullingers Kindern lebten zu diesem Zeitpunkt Anna (geb. 1530), Margaretha (1531), Elisabeth (1532), Heinrich (1534), Hans Rudolf (1536) und Christoph (1537); vgl. Pestalozzi 314.