Heinrich-Bullinger-Briefwechseledition, Universität Zürich © Heinrich Bullinger-Stiftung Arpa Bibliothek Textbreite Schriftgröße

[1243]

Bullinger an
Oswald Myconius
[Zürich],
13. März 1539

Autograph: Zürich StA, E II 342, 91 (Siegelspur) Ungedruckt

Diethelm Keller schuldet noch einen Teil seiner Strafe wegen Beleidigung Bucers; Myconius soll den Basler Rat um Fürsprache für ihn ersuchen. In Pilsen haben sich Fürsten und Bischöfe [des Nürnberger Bundes]versammelt, und König Ferdinand wird vielleicht ebenfalls zu ihnen stoßen; vielleicht reist er aber eher [zum Schmalkaldischen Bundestag] nach Frankfurt, da die dort anwesenden Kurfürsten mit ihm selbst statt mit seinen Gesandten verhandeln wollen. Die evangelischen Seestädte rüsten sich; Nürnberg steht im Verdacht, Gesandtschaften bei beiden Parteien zu haben.

Gratiam et vitae innocentiam a domino.

Nosti, colende mi Myconi, Diethelmum Cellarium 1 a senatu propter schedas quasdam ineptas contra Bucerum affixas 2 calendis maii anno 1538 muictatum esse a clarissimo senatu nostro in corpore et pecuniis. Nam 50 Iib[ ras sive 25 g[uld]en solvit; cogitur iam solvere adhuc 15 gulden aut carere stipendio suo. Hic te oratum vellem, a clarissimo senatu Basileiensi impetrares litteras, quibus pro misero et stulto adolescente intercederent 3 . Litteras vero mihi mittas cupio etc.

De Pilsensi in Bohemia conventu 4 non ignoras, opinor, celebrem esse vel principum praesentia; esse enim illic aiunt Ludevicum Baioariae ducem 5 , Heinrychum Brunsvicensem 6 , deinde episcopos aliquot opulentos, quorum

1 Diethelm Keller.
2 Vgl. HBBW VIII, S. 131, Anm. 3.
3 Myconius legte Bullingers Bitte Bürgermeister Jakob Meyer vor; s. unten Nr. 1252, 22-24.
4 Auf den 8. Februar war eine Tagung des Nürnberger Bundes nach Pilsen einberufen worden; der Abschied vom 12. Februar ist gedruckt in: F. B. von Bucholtz, Geschichte der Regierung Ferdinand des Ersten, [Bd. IX:] Urkunden-Band, Wien 1838, S. 371-374 (vgl. NBD III 426f, Anm. 1).
5 Ludwig X., Herzog von Bayern, 1495-1545, war durch das Primogeniturgesetz eigentlich von der Regierung ausgeschlossen, hatte aber 1514 die Regentschaft über die Rentämter Landshut und Straubing erlangt. Wie sein älterer Bruder Wilhelm IV. stellte er sich seit 1522
entschieden gegen die Reformation. 1538 wurde er Hauptmann der südlichen Provinz des Nürnberger Bundes. — Lit.: Joachim Lauchs, Bayern und die deutschen Protestanten 1534-1546. Deutsche Fürstenpolitik zwischen Konfession und Libertät, Neustadt a. d. Aisch 1978. — Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns 56; Johannes Laschinger, in: NDB XV 366f.
6 Heinrich IX. d. J., Herzog von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel, 1489-1568, ein leidenschaftlicher Gegner der Reformation und treuer Parteigänger des Kaisers, war ab 1538 gemeinsam mit Herzog Ludwig von Bayern Hauptmann des Nürnberger Bundes. Das Eingreifen der Protestanten in seine Konflikte mit Goslar und Braunschweig führte 1542 zu seiner Vertreibung und 1545 zu seiner


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coryphaeus cardinalis Salisburgensis 7 homo callidus et ad artes texendas , natus. Ferunt et Ferdinandum illo venturum, nisi verosimilius est Franckfordiam ire malle 8 ; iIIo enim evocatum aiunt a tribus electoribus Saxone 9 , Palatino 10 et Brandenburgensi 11 Missum enim a Ferdinando Bernhartum 12 cardinalem Tridentinum, deinde et Lundensem 13 quendam, qui titulum gent episcopi Constantiensis, noluerunt audire adiecta insuper conditione, ut, nisi ipse veniat, neminem eius nomine sint audituri. Urbes translacustres 14 , quae sunt ab evangelio, armis, tormentis, comeatu se parant. De Nerobergensibus suspicantur quidam, quod legationem suam apud utrasque habeant partes 15 . Dominus faciat, quod conducat gloriae nominis sui et incolumitati ecclesiae.

Vale una cum Grynaeo, homine dilectissimo.

13. martii anno 1539.

H. Bullingerus tuus.

[Adresse auf der Rückseite:] Domino Osvaldo Myconio, fratri charissimo

Gefangennahme durch Philipp von Hessen. Obwohl er 1547 wieder in den Besitz seiner Territorien kam, konnte er deren Reformation nur noch verzögern, nicht mehr verhindern. — Lit.: Franz Petri, Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig-Wolfenbüttel, in: ARG LXXII, 1981, 122-158; Heinrich Schmidt, in: NDB VIII 351f; Walter Ziegler, in: LThK 3 IV 1373.
7 An der Pilsener Tagung nahmen keine Bischöfe teil, auch nicht der Salzburger Kardinalerzbischof Matthäus Lang. Salzburg wurde durch den Bundesrat Eustachius von der Anu vertreten; s. Bucholtz, aaO, S. 371.
8 Es handelt sich um bloße Gerüchte; die persönliche Teilnahme König Ferdinands an den erwähnten Tagungen stand nicht zur Debatte.
9 Johann Friedrich I., Kurfürst von Sachsen.
10 Ludwig V. der Friedfertige, 1478-1544, seit 1508 Kurfürst von der Pfalz, hielt sich zwar in religiösen Fragen weitgehend zurück, engagierte sich aber immer wieder für Kompromißlösungen zur Überwindung der Kirchenspaltung, so auch zusammen mit Joachim von Brandenburg als Vermittler in den Frankfurter Verhandlungen. — Lit.: Albrecht Luttenberger, in: NDB XV 412f.
11 Joachim II., Kurfürst von Brandenburg.
12 Gemeint ist Kardinal Bernhard von Cies, 1485-1539, Bischof von Trient und Kanzler König Ferdinands (s. Ilse Guenther, in: Contemporaries II 313-315). Die Nachricht ist allerdings falsch; als königliche Kommissare nahmen Melchior von Lamberg und Jakob Frankfurter an den Verhandlungen teil (s. NBD III 444f, Anm. 3).
13 Johann von Weeze (Weza, Lund, Lundensis), geb. um 1490, gest. 1548, stammte wahrscheinlich von Zevenaar im Gelderland. Nominell war er seit 1522 Erzbischof von Lund und seit 1530 Bischof von Roskilde, doch konnte er seine Ansprüche dort nicht durchsetzen. Der gebildete, erasmianisch geprägte Reformkatholik wirkte mit großem Geschick als kaiserlicher Orator und setzte sich zum Mißfallen der Kurie für die Religionsgespräche mit den Protestanten ein. Seit 1538 war er Bischof von Konstanz, doch nahm er die Diözese erst 1540 in Besitz. — Lit.: Helvetia Sacra I/2 392-398 (mit weiterer Lit.).
14 Gemeint sind wohl die "Seestädte"(Hansestädte); vgl. Vadian BW VI 562 und VII 92.
15 Auslöser dieser Verdächtigungen waren wohl die Verhandlungen, die der kaiserliche Vizekanzler Matthias Held mit Nürnberg geführt hatte; vgl. PC II 482f.