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C. M. Wieland's Werke.

Siebenter Band.

Leipzig.G. J. Göschen'sche Verlagshandlung.1853.
Buchdruckerei der J G Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart.

Der goldne Spiegel oder die Könige von Scheschian.

Eine wahre Geschichte aus dem Scheschianischen übersetzt.

— Inspicere tanquam
la speculum jubeo —

Erster Band.

Zueignungsschrift des

sinesischen Uebersetzers an

Kaiser Tai-Tsu.

Glorwürdigster Sohn des Himmels!

Ihrer Majestät lebhaftestes Verlangen ist Ihre Völker glücklich zu sehen. Dieß ist das einzige Ziel Ihrer unermüdeten Bemühungen; es ist der große Gegenstand Ihrer Berathschlagungen, der Inhalt Ihrer Gesetze und Befehle, die Seele aller löblichen Unternehmungen, die Sie anfangen und —ausführen, und das, was Sie von allem Bösen abhält, welches Sie nach dem Beispiel andrer Großen der Welt thun könnten, und — nicht thun.Wie glücklich müßten Sie selbst seyn, bester der Könige, wenn es gleich leicht wäre, ein Volk glücklich zu wünschen, und es glücklich zu machen; wenn Sie, wie der König des Himmels, nur wollen dürften, um zu vollbringen, nur sprechen, um Ihre Gedanken in Werke verwandelt zu sehen!Aber wie unglücklich würden Sie vielleicht auch seyn wenn Sie wissen sollten, in welcher Entfernung, bei allen Ihren Bemühungen, die Ausführung hinter Ihren Wünschen zurückbleibt! Die unzählige Menge der Gehülfen von so mancherlei Classen, Ordnungen und Arten, unter welche Sie genöthiget sind Ihre Macht zu vertheilen, weil auch den unumschränktesten Monarchen die Menschheit Schranken setzt; die Nothwendigkeit, sich beinahe in allem auf die Werkzeuge Ihrer wohlthätigen Wirksamkeit verlassen zu müssen, macht Sie — erschrecken Sie nicht vor einer unangenehmen aber heilsamen Wahrheit! — macht Sie zum abhänglichsten aller Bewohner Ihres unermeßlichen Reiches. Nur zu oft steht es in der Gewalt eines Ehrgeizigen, eines Heuchlers, eines Rachgierigen, eines Unersättlichen — doch, wozu häufe ich die Namen der Leidenschaften und Laster, da ich sie alle in Einem Worte zusammenfassen kann? eines Menschen — in Ihrem geheiligten Namen gerade das Gegentheil von Ihrem Willen zu thun! An jedem Tage, in jeder Stunde, beinahe dürft' ich sagen in jedem Augenblick Ihrer Regierung, wird in dem weiten Umfang Ihrer zahlreichen Provinzen irgend eine Ungerechtigkeit ausgeübt, ein Gesetz verdreht, ein Befehl übertrieben oder ausgewichen, ein Unschuldiger unterdrückt, ein Waise beraubt, ein Verdienstloser befördert, ein Bösewicht geschützt, die Tugend abgeschreckt, das Laster aufgemuntert.Was für ein Ausdruck von Entsetzen würde mir aus den Blicken Ihrer Höflinge entgegen starren, wenn sie mich so verwegen reden hörten! Wie sollt' es möglich seyn, daß unter einem so guten Fürsten das Laster sein Haupt so kühn emporheben, und ungestraft so viel Böses thun dürfte? Die bloße Voraussetzung einer solchen Möglichkeit scheint eine Beleidigung Ihres Ruhmes, eine Beschimpfung Ihrer glorreichen Regierung zu seyn. — Vergeben Sie, gnädigster Oberherr! ungestraft, aber nicht öffentlich und triumphirend, hebt das Laster sein Haupt empor; denn das Angesicht, das es zeigt, ist nicht sein eigenes; es nimmt die Gestalt der Gerechtigkeit, der Gnade, des Eifers für Religion und Sitten, der Wohlmeinung mit dem Fürsten und dem Staate, kurz die Gestalt jeder Tugend an, von welcher es der ewige Feind und Zerstörer ist. Seine Geschicklichkeit in dieser Zauberkunst ist unerschöpflich, und kaum ist es möglich, daß die Weisheit des besten Fürsten sich gegen ihre Täuschungen hinlänglich verwahren könnte. Ew. Majestät glaubten vielleicht das Urtheil eines Uebelthäters zu unterschreiben, und unterschrieben den Sturz eines Tugendhaften, dessen Verdienste sein einziges Verbrechen waren. Sie glaubten einen ehrlichen Mann zu befördern, und beförderten einen schändlichen Gleißner. Doch dieß sind Wahrheiten, wovon Sie nur zu sehr überzeugt sind. Sie beklagen das unglückliche Loos Ihres Standes. Wem soll man glauben? Tugend und Laster, Wahrheit und Betrug haben einerlei Gesicht, reden einerlei Sprache, tragen einerlei Farbe; ja, der feine Betrüger (das schädlichste unter allen schädlichen Geschöpfen) weiß das äußerliche Ansehen gesunder Grundsätze und untadeliger Sitten gemeiniglich besser zu behaupten als der redliche Mann. Jener ist es, der die Kunst ausgelernt hat, seine Leidenschaften in die innersten Höhlen seines schwarzen Herzens zu verschließen, der am besten schmeicheln, am behendesten sich jeder Vortheile bedienen kann, die ihm die schwache Seite seines Gegenstandes zeigt. Seine Gefälligkeit, seine Selbstverläugnung, seine Tugend, seine Religion kostet ihn nichts; denn sie ist nur auf seinen Lippen, und in den äußerlichen Bewegungen, die sein Inwendiges verbergen: er hält sich reichlich für seine Verstellung entschädiget, indem er unter dieser Maske jeder bösartigen Leidenschaft genug thun, jeden niederträchtigen Anschlag ausführen, und mit einer ehernen Stirne noch Belohnung für seine Uebelthaten fordern kann. Ist es zu verwundern, o Sohn des Himmels, daß so viele sind, die alle andern Talente verabsäumen, alle rechtmäßigen und edlen Wege zu Ansehen und Glück vorbeigehen, und mit aller ihrer Fähigkeit allein dahin sich bestreben, es in der Kunst zu betrügen zur Vollkommenheit zu bringen?Aber wie? Sollte der Fürst, der die Wahrheit liebt, wiewohl auf allen Seiten mit Larven und Blendwerken umgeben, verzweifeln müssen, jemals ihr unverfälschtes Angesicht von dem geschminkten Betrug unterscheiden zu können? Das verhüte der Himmel! Wer die Wahrheit aufrichtig liebt (und was kann ohne sie liebenswürdig seyn?) wer auch alsdann sie liebt, wenn sie nicht schmeichelt, der hat nur geübte Augen vonnöthen, um ihre feineren Züge zu unterscheiden, welche selten so gut nachgemacht werden können daß die Kunst sich nicht verrathen sollte. Und um diese geübten Augen zu bekommen, —ohne welche das beste Herz uns nur desto gewisser und öfter der arglistigen Verführung in die Hände liefert, — ist kein bewährteres Mittel, als die Geschichte der Weisheit und der Thorheit, der Meinungen und der Leidenschaften, der Wahrheit und des Betrugs in den Jahrbüchern des menschlichen Geschlechts auszuforschen. In diesen getreuen Spiegeln erblicken wir Menschen, Sitten und Zeiten, entblößt von allem demjenigen, was unser Urtheil zu verfälschen pflegt, wenn wir selbst in das verwickelte Gewebe des gegenwärtigen Schauspiels eingeflochten sind. Oder, wofern auch Einfalt oder List, Leidenschaften oder Vorurtheile geschäftig gewesen sind uns zu hintergehen: so ist nichts leichter, als den falsch gefärbten Duft wegzuwischen, womit sie die wahre Farbe der Gegenstände überzogen haben.Die ächtesten Quellen der Geschichte der menschlichen Thorheiten sind die Schriften derjenigen, welche die eifrigsten Beförderer dieser Thorheiten waren. Der Mißbrauch, den sie von der Bedeutung der Wörter machen, betrügt unser Urtheil nicht: sie mögen immerhin widersinnige Dinge mit der gelassensten Ernsthaftigkeit erzählen, selbst noch so stark davon überzeugt seyn, oder überzeugt zu seyn scheinen; dieß hindert uns nicht, lächerlich zu finden was den allgemeinen Menschenverstand zum Thoren machen will. Immerhin mag ein von sich selbst betrogener Schwärmer die Natur der sittlichen Dinge verkehren wollen, und lasterhafte, unmenschliche Handlungen löblich, heroisch, göttlich nennen, rechtmäßige und unschuldige hingegen mit den verhaßtesten Namen belegen: nach Verfluß einiger Jahrhunderte kostet es keine Mühe, durch den magischen Nebel, der den Schwärmer blendete, hindurch zu sehen. Kon-Fu-Tsee könnte ihm ein Betrüger, und Lao-Kiun ein weiser Mann heißen: sein Urtheil würde die Natur der Sache, und die Eindrücke, welche sie auf eine unbefangene Seele machen muß, nicht ändern; der Charakter und die Handlungen dieser Männer würden uns belehren, was wir von ihnen zu halten hätten.Aus diesem Grunde empfehlen uns die ehrwürdigen Lehrer unsrer Nation die Geschichte der ältern Zeiten als die beste Schule der Sittenlehre und der Staatsklugheit, als die lauterste Quelle dieser erhabenen Philosophie, welche ihre Schüler weise und unabhängig macht, und indem sie das was die menschlichen Dinge scheinen von dem was sie sind, ihren eingebildeten Werth von dem wirklichen, ihr Verhältniß gegen das allgemeine Beste von ihrer Beziehung auf den besondern Eigennutz der Leidenschaften, unterscheiden lehrt, uns ein untrügliches Mittel wider Selbstbetrug und Ansteckung mit fremder Thorheit darbietet; eine Philosophie, in welcher niemand ohne Nachtheil ganz ein Fremdling seyn kann, aber welche, in vorzüglichern Verstand, die Wissenschaft der Könige ist.Ueberzeugt von dieser Wahrheit widmen Sie, bester der Könige, einen Theil der Stunden, welche die unmittelbare Ausübung Ihres verehrungswürdigen Amtes Ihnen übrig läßt, der nützlichen und ergötzenden Beschäftigung, Sich mit den Merkwürdigkeiten der vergangenen Zeit bekannt zu machen, die Veränderungen der Staaten in den Menschen, die Menschen in ihren Handlungen, die Handlungen in den Meinungen und Leidenschaften, und in dem Zusammenhang aller dieser Ursachen den Grund des Glückes und des Elendes der menschlichen Gattung zu erforschen.Irre ich nicht, so ist die Geschichte der Könige von Scheschian, welche ich zu den Füßen Ihrer Majestät hier lege, nicht ganz unwürdig, unter die ernsthaften Ergötzungen aufgenommen zu werden, bei welchen Ihr niemals unthätiger Geist von der Ermüdung höherer Geschäfte auszuruhen pflegt. Große, dem ganzen Menschengeschlecht angelegene Wahrheiten, merkwürdige Zeitpunkte, lehrreiche Beispiele, und eine getreue Abschilderung der Irrungen und Ausschweifungen des menschlichen Verstandes und Herzens, scheinen mir diese Geschichte vor vielen andern ihrer Art auszuzeichnen, und ihr den Titel zu verdienen, womit das hohe Ober-Polizei-Gerichte von Sina sie beehrt hat; eines Spiegels, worin sich die natürlichen Folgen der Weisheit und der Thorheit in einem so starken Lichte, mit so deutlichen Zügen und mit so warmen Farben darstellen, daß derjenige in einem seltenen Grade weise und gut — oder thöricht und verdorben seyn müßte, der durch den Gebrauch desselben nicht weiser und besser sollte werden können.Hingerissen von der Begierde, den Augenblick von Daseyn, den uns die Natur auf diesem Schauplatze bewilliget, wenigstens mit einem Merkmale meines guten Willens für meine Nebengeschöpfe zu bezeichnen, hab' ich mich der Arbeit unterzogen, dieses merkwürdige Stück alter Geschichte aus der Indischen Sprache in die unsrige überzutragen; und in dieses Bewußtseyn einer redlichen Gesinnung eingehüllt, überlass' ich dieses Buch und mich selbst dem Schicksale, dessen Unvermeidlichkeit mehr Tröstendes als Schreckendes für den Weisen hat; ruhig unter dem Schutz eines Königs, der die Wahrheit liebt und die Tugend ehrt, glücklich durch die Freundschaft der Besten unter meinen Zeitgenossen, und so gleichgültig, als es ein Sterblicher seyn kann, gegen
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Einleitung.

Alle Welt kennt den berühmten Sultan von Indien Schach-Riar, der, aus einer wunderlichen Eifersucht über die Negern seines Hofes, alle Nächte eine Gemahlin nahm, und alle Morgen eine erdrosseln ließ; und der so gern Mährchen erzählen hörte, daß er sich in tausend und einer Nacht kein einzigesmal einfallen ließ, die unerschöpfliche Scheherezade durch irgend eine Ausrufung, Frage oder Liebkosung zu unterbrechen, so viele Gelegenheit sie ihm auch dazu zu geben beflissen war.Ein so unüberwindliches Phlegma war nicht die Tugend oder der Fehler seines Enkels Schach Baham, der (wie jedermann weiß) durch die weisen und scharfsinnigen Anmerkungen, womit er die Erzählungen seiner Visire zu würzen pflegte, ungleich berühmter in der Geschichte geworden ist, als sein erlauchter Großvater durch sein Stillschweigen und durch seine Unthätigkeit. Schach-Riar gab seinen Höflingen Ursache, eine große Meinung von demjenigen zu fassen, was er hätte sagen können, wenn er nicht geschwiegen hätte; aber sein Enkel hinterließ den Ruhm, daß es unmöglich sey, und ewig unmöglich bleiben werde, solche Anmerkungen oder Reflexionen (wie er sie zu nennen geruhte) zu machen wie Schach-Baham.Wir haben uns alle Mühe gegeben die Ursache zu entdecken, warum die Schriftsteller, denen wir das Leben und die Thaten dieser beiden Sultanen zu danken haben, Schach-Riars Sohn, den Vater Schach-Bahams, mit keinem Worte erwähnen: aber wir sind nicht so glücklich gewesen einen andern Grund davon ausfindig zu machen, als — weil sich in der That nichts von ihm sagen ließ. Der einzige Chronikschreiber, der seiner gedenkt, läßt sich also vernehmen; "Sultan Lolo, sagt er, vegetirte einundsechzig Jahre. Er aß täglich viermal mit bewundernswürdigem Appetit, und außer diesem, und einer sehr zärtlichen Liebe zu seinen Katzen, hat man niemals einige besondere Neignng zu etwas an ihm wahrnehmen können. Die Derwischen und die Katzen sind die einzigen Geschöpfe in der Welt, welche Ursache haben, sein Andenken zu segnen. Denn er ließ, ohne jemals recht zu wissen warum, zwölfhundert und sechsunddreißig neue Derwischereien, jede zu sechzig Mann, in seinen Staaten erbauen; machte in allen größern Städten des Indostanischen Reiches Stiftungen, worin eine gewisse Anzahl Katzen verpflegt werden mußte; und sorgte für diese und jene so gut, daß man in ganz Asien keine fettern Derwischen und Katzen sieht, als die von seiner Stiftung. Er zeugte übrigens zwischen Wachen und Schlaf einen Sohn, der ihm unter dem Namen Schach-Baham in der Regierung folgte, und starb an einer Unverdaulichkeit." So weit dieser Chronikschreiber, der einzige, der von Sultan Lolo Meldung thut; und in der That, wir besorgen, was er von ihm sagt, ist noch schlimmer als gar nichts.Sein Sohn, Schach-Baham, hatte das Glück bis in sein vierzehntes Jahr von einer Amme erzogen zu werden, deren Mutter eben dieses ehrenvolle Amt bei der unnachahmlichen Scheherezade verwaltet hatte. Alle Umstände mußten sich vereinigen, diesen Prinzen zum unmäßigsten Liebhaber von Mährchen, den man je gekannt hat, zu machen. Nicht genug, daß ihm der Geschmack daran mit der ersten Nahrung eingeflößt, und der Grund seiner Erziehung mit den weltberühmten Mährchen seiner Großmutter gelegt wurde: das Schicksal sorgte auch dafür, ihm einen Hofmeister zu geben, der sich in den Kopf gesetzt hatte, daß die ganze Weisheit der Aegyptier, Chaldäer und Griechen in Mährchen eingewickelt liege.Es herrschte damals die löbliche Gewohnheit in Indien, sich einzubilden, der Sohn eines Sultans, Raja's, Ohmrah's oder irgend eines andern ehrlichen Mannes von Ansehen und Vermögen, könne von niemand als von einem Fakir erzogen werden. Wo man einen jungen Menschen von Geburt erblickte, durfte man sicher darauf rechnen, daß ihm ein Fakir an der Seite hing, der auf alle seine Schritte, Reden, Mienen und Gebärden Acht haben, und sorgfältig verhüten mußte, daß der junge Herr nicht — zu gescheidt werde. Denn es war eine durchgängig angenommene Meinung, daß einer starken Leibesbeschaffenheit, einer guten Verdauung, und der Fähigkeit sein Glück zu machen, nichts so nachtheilig sey als viel denken und viel wissen; und man muß es den Derwischen, Fakirn Santonen, Braminen, Bonzen und Talapoinen der damaligen Zeiten nachrühmen, daß sie kein Mittel unversucht ließen, die Völker um den Indus und Ganges vor einem so schädlichen Uebermaße zu bewahren. Es war einer von ihren Grundsätzen, gegen die es gefährlich war Zweifel zu erregen: "Niemand müsse klüger seyn wollen als seine Großmutter."Man wird nun begreifen, wie Schach-Baham bei solchen Umständen ungefähr der Mann werden mußte, der er war. Man hat bisher geglaubt, die einsichtsvollen Betrachtungen, die abgebrochenen und mit viel bedeutenden Mienen begleiteten — "das dacht' ich gleich" —"ich sage nichts, aber ich weiß wohl was ich weiß" — oder, "doch was kümmert das mich?" und andre dergleichen weise Sprüche, an denen er einen eben so großen Ueberfluß hat als Sancho Pansa an Spruchwörtern, — nebst seinem Widerwillen gegen das, was er Moral und Empfindung spinnen nennt, wären bloße Wirkungen seines Genie's gewesen. Aber einem jeden das Seine! Man kann sicher glauben, daß der Fakir, sein Hofmeister, keinen geringen Antheil daran hatte.Der Sohn und Erbe dieses würdigen Sultans, Schach-Dolka, glich seinem Vater an Fähigkeit und Neigung beinahe in allen Stücken, ein einziges ausgenommen. Er war nämlich ein erklärter Feind von allem, was einem Mährchen gleich sah, und setzte diesem Haß um so weniger Gränzen, da er bei Lebzeiten des Sultans seines Vaters genöthigt gewesen war, ihn aufs sorgfältigste zu verbergen. Wir wurden uns, nach dem Beispiele vieler berühmter Schriftsteller, über diese Ausartung gar sehr verwundern, wenn uns nicht däuchte, daß es ganz natürlich damit zugegangen sey. Sultan Dolka hatte in dem Zimmer der Sultanin seiner Mama (wo Schach-Baham die Abende mit Papierausschneiden, und Anhören lehrreicher Historien von beseelten Sofa's, politischen Bal's, und empfindsamen Gänschen in rosenfarbenem Domino, zuzubringen pflegte) von seiner Kindheit an so viele Mährchen zu sich nehmen müssen, daß er sich endlich einen Eckel daran gehört hatte. Dieß war das ganze Geheimniß; und uns däucht, es ist nichts darin, worüber man sich so sehr zu verwundern Ursache hätte.Vermuthlich ist aus dieser tödtlichen Abneigung vor den Erzählungen des Visirs Moslem die außerordentliche Ungnade zu erklären, welche er auf die Philosophie, und überhaupt auf alle Bücher, sie mochten auf Pergament oder Palmblätter geschrieben seyn, geworfen hatte; eine Ungnade, die so weit ging, daß er nur mit der äußersten Schwierigkeit zurückgehalten werden konnte, nicht etwa bloß die Poeten (wie Plato), sondern alle Leute, welche lesen und schreiben konnten, aus seiner Republik zu verbannen; selbst die Mathematiker und Sterngucker nicht ausgenommen, welche ihm wesen der aerometrischen und astronomischen Erfindungen des Königs Straus im Herzen zuwider waren. Man sagt von ihm, als der vorbelobte Visir die Geschichte des Krieges zwischen dem Genie Grüner als Gras und dem Könige der grünen Länder in seiner Gegenwart erzählt habe, hätte der junge Prinz, der damals kaum siebzehn Jahre alt war bei der Stelle, wo der Perrückenkopf einen der vollständigsten Siege über den König Straus erhält, sich nicht enthalten können auszurufen: das soll mir niemand weiß machen, daß jemals ein Perrückenkopf den Verstand gehabt hätte, eine Armee zu commandiren!" — Eine Anmerkung, welche (wie man denken kann) von allen Anwesenden begierig aufgefaßt wurde, und, als ein frühzeitiger Ausbruch eines seltnen Verstandes an einem noch so zarten Prinzen, mit schuldiger Bewunderung am ganzen Hofe wiederschallte.Schach-Dolka rechtfertigte die Hoffnung, welche man sich nach solchen Anzeigungen von seinen künftigen Eigenschaften machte, auf die außerordentliche Weise. Der Neid selbst mußte gestehen, daß er seinen Vorältern Ehre machte. Er war der größte Mann seiner Zeit Distelfinken abzurichten; und in der Kunst Mäuse aus Aepfelkernen zu schneiden hat die Welt bis auf den heutigen Tag seinesgleichen nicht gesehen. Durch einen unermüdeten Fleiß brachte er es in dieser schönen Kunst so hoch, daß er alle Arten von Mäusen, als Hausmäuse, Feldmäuse, Waldmäuse, Haselmäuse, Spitzmäuse, Wassermäuse und Fledermäuse, auch Ratten, Maulwürfe und Murmelthiere, mit ihren gehörigen Unterscheidungszeichen, in der äußersten Vollkommenheit verfertigte; ja, wenn man dem berühmten Schek Hamet Ben Feridun Abu Hassan glauben darf, so beobachtete er sogar die Proportionen nach dem verjüngten Maßstabe mit aller der Genauigkeit, womit Herr Daubenton in seiner Beschreibung des königlichen Naturaliencabinets zu Paris sie zu bestimmen sich die löbliche Mühe gegeben hat.Außerdem wurde Schach-Dolka für einen der besten Kuchenbäcker seiner Zeit gehalten, wenn ihm anders seine Hofleute in diesem Stücke nicht geschmeichelt haben; und man rühmt als einen Beweis seiner ungemeinen Leutseligkeit, daß er sich ein unverbrüchlichen Gesetz daraus gemacht habe, an allen hohen Festen seinen ganzen Hof mit kleinen Rahmpastetchen von seiner eigenen Erfindung und Arbeit zu bewirthen. Niemals hat man einen Sultan mit Geschäften so überhäuft gesehen, als es der arme Dolka in dem ganzen Laufe seiner Regierung war. Denn da alle Könige und Fürsten gegen Morgen und Abend so glücklich seyn wollten, einige Mäuse von seiner Arbeit in ihren Kunstcabinetten, oder einen Finken aus seiner Schule in ihrem Vorzimmer zu haben; und da Schach-Dolka theils aus Gefälligkeit, theils in Rücksicht auf das launische Ding, das man Ratio status nennt, niemand vor den Kopf stoßen wollte: so hatte er wirklich (die Stunden, die er im Divan verlieren mußte, mit eingezählt) vom Morgen bis in die Nacht so viel zu thun, daß er kaum zu Athem kommen konnte.Der Himmel weiß, ob jemals ein anderes Volk das Glück hatte, mit vier Prinzen, wie Schach-Riar, Schach-Lolo, Schach-Baham und Schach-Dolka waren, in einer unmittelbaren Folge gesegnet zu werden. O! die guten Herren! die goldnen Zeiten! — riefen ihre Omra's und Derwischen.Allein diese wackern Leute können doch auch nicht verlangen, daß es immer nach ihrem Sinne gehen solle. Schach-Gebal, ein Bruderssohn Bahams des Weisen (wie ihn seine Lobredner nannten), welcher seinem Vetter in Ermanglung eines Leibeserben folgte — denn Dolka hatte vor lauter Arbeit keine Zeit gehabt an diese Sache zu denken — dieser Schach-Gebal unterbrach eine so schöne Folge von gekrönten Guten-Männern, und regierte bald so gut, bald so schlecht, daß weder die Bösen noch die Guten mit ihm zufrieden waren.Wir wissen nicht, ob ein Charakter wie der seinige unter regierenden Herren so selten ist, als die Feinde seines Ruhms behaupten. Aber so viel können wir mit gutem Grunde sagen: daß, wenn weder der Adel noch die Priester noch die Gelehrten noch das Volk mit seiner Regierung zufrieden waren, — Gelehrte und Volk nicht immer so ganz Unrecht hatten.Um eine Art von Gleichgewicht unter diesen Ständen zu erhalten, beleidigte er wechselsweise bald diesen bald jenen, und der weise Pilpai selbst hätte ihm nicht ausreden können, daß man Beleidigungen durch Wohlthaten nicht wieder gut machen könne. In beiden pflegte er so wenig Maß zu halten, so wenig Rücksicht auf Umstände und Folgen zu nehmen, so wenig nach Grundsätzen und nach einem festen Plane zu verfahren, daß er meistens immer den Vortheil verlor, den er sich dabei vorsetzte. Man wußte so viele Beispiele anzuführen, wo er seine besten Freunde mißhandelt hatte, um die übelgesinntesten Leute mit Gnaden zu überhäufen, daß es endlich zu einer angenommenen Maxime wurde, es sey nützlicher sein Feind zu seyn als sein Freund. Jene konnten ihn ungestraft beleidigen, weil er schwach genug war sie zu fürchten, diesen übersah er auch nicht den kleinsten Fehltritt. Jene konnten eine Reihe strafwürdiger Handlungen durch eine einzige Gefälligkeit gegen seine Leidenschaften oder Einfälle wieder gut machen; diesen half es nichts ihm zwanzig Jahre lang die stärksten Proben von Treue und Ergebenheit gegeben zu haben, wenn sie am ersten Tage des ein und zwanzigsten das Unglück hatten, sich durch irgend ein nichtsbedeutendes Versehen seinen Unwillen zuzuziehen.Den Priestern soll er überhaupt nicht sehr hold gewesen seyn; wenigstens kann man nicht läugnen, daß die Derwischen, Fakirn und Kalender, welche er nur die Hummeln seines Staats zu nennen pflegte, der gewöhnlichste Gegenstand seiner bittersten Spöttereien waren. Er neckte und plagte sie bei jeder Gelegenheit; aber weil er sie für gefährliche Leute hielt, so fürchtete er sie, und weil er sie fürchtete, so fand er selten so viel Muth in sich, ihnen etwas abzuschlagen. Der ganze Vortheil, den er von diesem Betragen zog, war, daß sie sich ihm für seine Gefälligkeiten wenig verbunden achteten, weil sie gar zu wohl wußten, wie wenig sein guter Wille daran Antheil hatte. Sie rächten sich für die unschädliche Verachtung, die er ihnen zeigte, durch den Verdruß, den sie ihm in hundert bedeutenden Gelegenheiten durch ihre geheimen Ränke und Anstiftungen zu machen wußten. Sein Haß gegen sie wurde dadurch immer frisch erhalten; aber die Schlauköpfe hatten ausfindig gemacht, daß er sie fürchte: und diese Wahrnehmung wußten sie so wohl zu benutzen, daß ihnen seine wärmste Zuneigung kaum einträglicher gewesen wäre. Sie hatten die Klugheit, wenig oder keine Empfindlichkeit über die kleinen Freiheiten zu zeigen, die man sich unter seiner Regierung mit ihnen herausnehmen durfte. Man mag von uns sagen was man will, dachten sie, wenn wir nur thun dürfen was wir wollen.Schach-Gebal hatte weniger Leidenschaften als Aufwallungen. Er war ein Feind von allem, was anhaltende Aufmerksamkeit und Anstrengung des Geistes erforderte. Wenn dasjenige, was seine Hofleute die Lebhaftigkeit seines Geistes nannten, nicht allezeit Witz war, so weiß man, daß es bei einem Sultan so genau nicht genommen wird: aber er wußte doch den Witz bei andern zu schätzen; und so tödtlich er die langen Reden seines Kanzlers haßte, so hatte er doch Augenblicke, wo man ihm scherzend auch wenig schmeichelnde Wahrheiten sagen durfte. Er wollte immer von aufgeweckten Geistern umgeben seyn. Ein schimmernder Einfall hieß ihm allezeit ein guter Einfall; allein dafür fand er auch den besten Gedanken platt, der sonst nichts als Verstand hatte. Nach Grundsätzen zu denken, oder nach einem Plane zu handeln, war in seinen Augen Pedanterei und Mangel an Genie. Seine gewöhnliche Weise war, ein Geschäft anzufangen, und dann die Maßregeln von seiner Laune oder vom Zufall zu nehmen. So pflegten die witzigen Schriftsteller seiner Zeit ihre Bücher zu machen.Er hatte ein paar vortreffliche Männer in seinem Divan. Er kannte und ehrte ihre Klugheit, ihre Einsichten, ihre Redlichkeit; aber zum Unglück konnte er ihre Miene nicht leiden. Sie besaßen eine gründliche Kenntniß der Regierungskunst und des Staats; aber sie hatten wenig Geschmack; sie konnten nicht scherzen; sie waren zu nichts als zu ernsthaften Geschäften zu gebrauchen, und Schach-Gebal liebte keine ernsthaften Geschäfte, Warum hatten die ehrlichen Männer die Gabe nicht, der Weisheit ein lachendes Ansehen zu geben? — Oder konnten sie sich nur nicht entschließen, ihr zuweilen die Schellenkappe aufzusetzen? Desto schlimmer für sie und den Staat! Schach-Gebal unternahm zwar selten etwas ohne ihren Rath; aber er folgte ihm während seiner ganzen Regierung nur zweimal, und beidemal — da es zu spät war.Es war eine seiner Lieblingsgrillen, daß er durch sich selbst regieren wollte. Die Könige, welche sich durch einen Minister, einen Verschnittnen, einen Derwischen, oder eine Maitresse regieren ließen, waren der tägliche Gegenstand seiner Spöttereien. Gleichwohl versichern uns die geheimen Nachrichten dieser Zeit, daß sein erster Iman, und eine gewisse schwarzaugige Tschirkassierin, die ihm unentbehrlich war, alles was sie gewollt aus ihm gemacht hätten. Wir würden es für Verleumdungen halten, wenn wir seine Regierung nicht mit Handlungen bezeichnet sähen, wovon der Entwurf nur in der Zirbeldrüse eines Imans oder in der Phantasie einer schwarzaugigen Tschirkassierin entstehen konnte.Schach-Gebal war kein kriegerischer Fürst: aber er sah seine Leibwache gern schön geputzt, hörte seine Emirn gern von Feldzügen und Belagerungen reden, und las die Oden nicht ungern, worin ihn seine Poeten über die Cyrus und Alexander erhoben, wenn er bei Gelegenheit eine Festung ihrem Commandanten abgekauft, oder seine Truppen einen zweideutigen Sieg über Feinde, die noch feiger, oder noch schlechter angeführt waren als sie selbst, erhalten hatten. Es war eine von seinen großen Maximen: ein guter Fürst müsse Frieden halten, so lange die Ehre seiner Krone nicht schlechterdings erfordere, daß er die Waffen ergreife. Aber das half seinen Unterthanen wenig: er hatte nichtsdestoweniger immer Krieg. Denn der Mann im Monde hätte mit dem Mann im Polarstern in einen Zwist gerathen können; Schach-Gebal mit Hülfe seines Itimadulet würde Mittel gefunden haben, die Ehre seiner Krone dabei betroffen zu glauben.Niemals hat ein Fürst mehr weggeschenkt als Gebal. Aber da er sich die Mühe nicht nehmen wollte, zu untersuchen, oder nur eine Minute lang zu überlegen, wer an seine Wohlthaten das meiste Recht haben möchte; so fielen sie immer auf diejenigen, die zunächst um ihn waren, und zum Unglück konnten sie gemeiniglich nicht schlechter fallen.Ueberhaupt liebte er den Aufwand. Sein Hof war unstreitig der prächtigste in Asien. Er hatte die besten Tänzerinnen, die besten Gaukler, die beten Jagdpferde, die besten Köche, die witzigsten Hofnarren, die schönsten Pagen und Sklavinnen, die größten Trabanten und die kleinsten Zwerge, die jemals ein Sultan gehabt hat; und seine Akademie der Wisenschaften war unter allen diejenige, worin man die sinnreichsten Antrittsreden und die höflicheren Danksagungen hielt. Es gehörte ohne Zweifel zu seinen rühmlichen Eigenschaften, daß er alle schönen Künste liebte; aber es ist auch nicht zu läugnen, daß er dieser Neigung mehr nachhing als mit dem Besten seines Reiches bestehen konnte. Man will ausgerechnet haben, daß er eine von seinen schönsten Provinzen zur Einöde gemacht, uni eine gewisse Wildniß, welche allen Anstrengungen der Kunst Trotz zu bieten schien, in eine bezauberte Gegend zu verwandeln, und daß es ihm wenigstens hunderttausend Menschen gekostet habe, um seine Gärten mit Statuen zu bevölkern. Berge wurden versetzt, Flüsse abgeleitet, und unzählige Hände von nützlichern Arbeiten weggenommen, um einen !an auszuführen, wobei die Natur nicht zu Rathe gezogen worden war. Die Fremden, welche dieses Wunder der Welt anzuschauen kamen, reisten durch übelangebaute und entvölkerte Provinzen, durch Städte, deren Mauern einzufallen drohten, auf deren Gassen Gerippe von Pferden graseten, und worin die Wohnungen den Ruinen einer ehemaligen Stadt, und die Einwohner Gespenstern glichen, die in diesen verödeten Gemäuern spukten. Aber wie angenehm wurden diese Fremden auf einmal von dem Anblicke der künstlichen Schöpfungen überrascht, welche Schach-Gebal, seinem Stolz und den schönen Augen seiner Tschirkassierin zu Gefallen, wie aus nichts hatte hervorgehen heißen! Ganze Gegenden, durch welche sie gekommen waren, lagen verödet; aber hier glaubten sie, in einem entzückenden Traum, in die Zaubergärten der Peris versetzt zu seyn. Man konnte nichts Schlechteres sehen als die Landstraßen, auf denen sie oft ihr Leben hatten wagen müssen; aber wie reichlich wurde ihnen dieses Ungemach ersetzt! Die Wege zu seinem Lustschlosse waren mit kleinen bunten Steinen eingelegt.Bei allem diesem sprach Schach-Gebal gern von Oekonomie, und die beste unter allen möglichen Einrichtungen des Finanzwesens war eine Sache, worüber er seine ganze Regierung durchraffinirte, und die ihm wirklich mehr kostete, als wenn er den Stein der Weisen gesucht hätte. Eine neue Speculation war der kürzeste Weg sich bei ihm in Gnade zu setzen; auch bekam er deren binnen wenig Jahren so viele, daß sie schichtenweise in seinem Cabinet aufgethürmt lagen, wo er sich zuweilen die Zeit vertrieb, die Titel und die Vorberichte davon zu überlesen. Alle Jahre wurde ein neues System eingeführt, oder doch irgend eine nützliche Veränderung gemacht (das ist, eine Veränderung, die wenigstens einigen, welche die Hand dabei hatten, nützlich war), und die Früchte davon zeigten sich augenscheinlich. Kein Monarch in der Welt hatte mehr Einkünfte auf dem Papier und weniger Geld in der Casse. Dieß kann, unter gewissen Bedingungen, das Meisterstück einer weisen Administration seyn: aber in Schach-Gebals seiner war es wohl ein Fehler; denn der größte Theil seiner Unterthanen befand sich nicht desto besser dabei. Indessen war er nicht dazu aufgelegt, durch seine Fehler klüger zu werden; denn er betrog sich immer in den Ursachen. Der erste, der mit einem neuen Project aufzog, beredete ihn er wisse es besser als seine Vorgänger; und so nahm das Uebel immer zu, ohne daß Gebal jemals dazu gelangen konnte die Quelle davon zu entdecken.Wenn man diese Züge des Charakters und der Regierung des Sultans Gebal zusammen nimmt, so könnte man auf die Gedanken gerathen, das Glück seiner Unterthanen müsse, im Ganzen betrachtet, nur sehr mittelmäßig gewesen seyn. In der That ist dieß auch das Gelindeste, was man davon sagen kann. Allein seine Unterthanen wurden mehr als zu sehr dadurch gerochen, daß ihr Sultan bei aller seiner Herrlichkeit nicht glücklicher war als der unzufriedenste unter ihnen.Diese Erfahrung war für ihn ein Problem, worüber er oft in tiefes Nachsinnen gerieth, ohne jemals die Auflösung davon finden zu können. Auf dem Wege, wo er sie suchte, hätte er sie ewig vergebens suchen mögen. Denn der Einfall, sie in sich selbst zu suchen, war gerade der einzige, der ihm unter allen möglichen nie zu Sinne kam. Bald dacht' er, die Schuld liege an seinen Omras, bald an seinem Mundkoche, bald an seiner Favoritin; er schaffte sich andere Omras, andere Köche und eine andere Favoritin an; aber das wollte alles nicht helfen. Es fiel ihm ein, daß er einmal dieses oder jenes habe thun wollen, welches bisher unterblieben war. Gut, dacht' er, das muß es seyn! Er unternahm es, amüsirte sich damit bis es fertig war, und —fand sich betrogen. Ursache genug für einen Sultan, verdrießlich zu werden! Aber er hatte deren noch andre, die einen weisern Mann als er war aus dem Gleichgewichte hätten setzen können. Die Händel, die ihm seine Priester machten, die Intriguen seines Serails, die Zwistigkeiten seiner Minister, die Eifersucht seiner Sultaninnen, das häufige Unglück seiner Waffen, der erschöpfte Zustand seiner Finanzen, und (was noch schlimmer als dieß alles zu seyn pflegt) das Mißvergnügen seines Volkes, welches zuweilen in gefährliche Unruhen auszubrechen drohte, — alles dieß vereinigte sich, ihm ein Leben zu verbittern, welches denen, die es nur von ferne sahen, beneidenswürdig vorkam. Schach-Gebal hatte mehr schlaflose Nächte als alle Tagelöhner seines Reiches zusammen. Alle Zerstreuungen und Ergötzlichkeiten, womit man diesem Uebel zu begegnen gesucht hatte, wollten nichts mehr verfangen. Seine schönsten Sklavinnen, seine besten Sänger, seine wunderthätigsten Luftspringer, seine Witzlinge, und seine Affen selbst verloren ihre Mühe dabei.Endlich brachte eine Dame des Serails, eine erklärte Verehrerin der großen Scheherezade, die Mährchen der Tausend und Einen Nacht in Vorschlag. Aber Schach-Gebar hatte die Gabe nicht (denn wirklich ist sie ein Geschenk der Natur und keines ihrer schlechtesten), der wunderbaren Lampe des Schneiders Aladdin Geschmack abzugewinnen, oder die weißen, blauen, gelben und rothen Fische amüsant zu finden, welche sich, ohne ein Wort zu sagen, in der Pfanne braten lassen, bis sie auf einer Seite gar sind, aber, sobald man sie umkehrt, und eine wunderschöne Dame, im beblümten Atlas von Aegyptischer Fabrik gekleidet, mit großen diamantenen Ohrengehängen, mit einem Halsbande von großen Perlen und mit rubinenreichen goldnen Armbändern geschmückt, aus der Mauer hervorspringt, die Fische mit einer Myrtenruthe berührt, und die Frage an sie thut: Fische, Fische, thut ihr eure Schuldigkeit? alle zugleich die Köpfe aus der Pfanne heben, das einfältigste Zeug von der Welt antworten, und dann plötzlich zu Kohlen werden. Schach-Gebal, anstatt dergleichen Historien, wie sein glorwürdiger Aeltervater, mit gläubigem Erstaunen und innigstein Vergnügen anzuhören, wurde so ungehalten darüber, daß man mitten in der Erzählung aufhören mußte. Man versuchte es also mit den Mährchen des Vesirs Moslem, in welchen unstreitig ein großer Theil mehr Witz, und unendlichemal mehr Verstand und Weisheit, unter dem Schein der äußersten Frivolität, verborgen ist. Aber Schach-Gebal haßte die dunkeln Stellen darin, nicht weil sie dunkel, sondern weil sie nicht noch dunkler waren; denn er hatte wirklich zu viel gesunden Geschmack, um an Unrath, so fein er auch zubereitet war, Gefallen zu finden; und überhaupt däuchte ihm die mehr wollüstige als zärtliche Fee Alles oder Nichts mit ihrer Pruderie und mit ihren Experimenten, der Pedant Tacitürne mit seiner Geometrie, der König Straus mit seiner albernen Politik und mit seiner Barbierschüssel, und das ungeheure Mittelding von Galanterie und Ziererei, die Königin der kristallnen Inseln mit allem was sie sagte, that und nicht that, ganz unerträgliche Geschöpfe. Er erklärte sich, daß er keine Erzählungen wolle, wofern sie nicht, ohne darum weniger unterhaltend zu seyn, sittlich und anständig wären: auch verlangte er, daß sie wahr und aus beglaubten Urkunden gezogen seyn, und (was er für eine wesentliche Eigenschaft der Glaubwürdigkeit hielt) daß sie nichts Wunderbares enthalten sollten; denn davon war er jederzeit ein erklärter Feind gewesen. Dieses brachte die beiden Omras, deren wir vorhin als wohldenkender Männer Erwähnung gethan haben, auf den Einfall, aus den merkwürdigsten Begebenheiten eines ehmaligen benachbarten Reichs eine Art von Geschichtbuch verfertigen zu lassen, woraus man ihm, wenn er zu Bette gegangen wäre, vorlesen sollte, bis er einschliefe oder nichts mehr hören wollte. Der Einfall schien um so viel glücklicher zu seyn, als er Gelegenheiten herbeiführte, dem Sultan mit guter Art Wahrheiten beizubringen, die man, auch ohne Sultan zu seyn, sich nicht gern geradezu sagen läßt.Man dachte also unverzüglich an die Ausführung: und da man den besten Kopf von ganz Indostan (welches freilich in Vergleichung mit Europäischen Köpfen nicht viel sagt) dazu gebrauchte; so kam in kurzer Zeit dieses gegenwärtige Werk zu Stande, welches Hiang:Fu-Tsee, ein wenig bekannter Schriftsteller, in den letzten Jahren des Kaisers Tai-Tsu, unter dem Namen des goldnen Spiegels ins Sinesische, —der ehrwürdige Vater J. G. A. D. G. J. aus dem Sinesischen in sehr mittelmäßiges Latein, und der gegenwärtige Herausgeber aus einer Copie der Lateinischen Handschrift, in so gutes Deutsch, als man im Jahre 1772 zu schreiben pflegte, überzutragen würdig gefunden hat.Aus dem Vorberichte des Sinesischen Uebersetzers läßt sich schließen, daß sein Buch eigentlich nur eine Art von Auszug aus der Chronik der Könige von Scheschian ist, welche zur Ergötzung und Einschläferung des Sultans Gebal verfertiget worden war. Er verbirgt nicht, daß seine vornehmste Absicht gewesen, den Prinzen aus dem Hause des Kaisers Tai-Tsu damit zu dienen, denen es (wie er meint) unter dem Schein eines Zeitvertreibs, Begriffe und Maximen einflößen könnte, von deren Gebrauch oder Nichtgebrauch das Glück der Sinesischen Provinzen größtentheils abhangen dürfte. So alt diese Wahrheiten sind, sagt er, so scheint es doch, daß man sie nicht oft genug wiederholen könne. Sie gleichen einer herrlichen Arznei, welche aber so beschaffen ist, daß sie nur durch häufigen Gebrauch wirken kann. Alles kommt darauf an, daß man immer ein anderes Vehikel zu ersinnen wisse, damit sowohl Kranke als Gesunde (denn sie kann diesen als Präservativ, wie jenen als Arznei dienen) sie mit Vergnügen hinabschlingen mögen.Was die hier und da der Erzählung eingemischten Unterbrechungen und Episoden, besonders die Anmerkungen des Sultans Gebal betrifft, so versichert zwar Hiang-Fu-Tsee, er hätte sie von guter Hand, und wäre völlig überzeugt; daß die letztern wirklich von besagtem Sultan herrührten: allein dieß hindert nicht, daß der geneigte Leser nicht davon sollte glauben dürfen was ihm beliebt. Wenigstens scheinen sie dem Charakter Schach-Gebals ziemlich gemäß; und eben daher würde es unbillig seyn, zu verlangen, daß sie so sinnreich und unterhaltend seyn sollten, als die Reflexionen Schach-Bahams des Weisen.
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Die könige von Scheschian.

1.

Von Scheschian? rief Schach-Gebal: mir däucht, ich kenne diesen Namen. Ist es nicht das Scheschian, wo der Hiof-Theles-Tanzai König war, dessen verwünschten Schaumlöffel ihr mir neulich zu verschlingen geben wolltet, wenn ich mich nicht eben so stark dagegen gesträubt hätte, als der Großpriester Sogrenuzio?Vermuthlich, Sire, sagte die schwarzaugige Tschirkassierin, welche schon vor einiger Zeit aufgehört hatte jung zu seyn, aber aus dem Verfall ihrer Reizungen unter andern eine sehr angenehme Stimme davon gebracht hatte, und sich eine Angelegenheit daraus machte, den Sultan noch immer so gut zu amüsiren, als es die Umstände auf beiden Seiten zulassen wollten. Ohne Zweifel, Sire, sagte sie, ist es eben dieses Scheschian; denn es nöthigt uns nichts, deren zwei anzunehmen, da wir uns mit dem Einen ganz wohl behelfen können; welches, nach dem Berichte gewisser alter Erdbeschreiber, in den Zeiten seines höchsten Wohlstandes beinahe so groß gewesen seyn muß als das Reich Ihrer Majestät, und ostwärts —Die Geographie thut nichts zur Sache, fiej Schach-Gebal ein, insofern du mir nur dafür gut seyn willst, Nurmahal, daß da, wo deine Geschichte anfängt, die Zeit vorbei ist, da die Welt von Feen beherrscht wurde. Denn ich erkläre mich ein- für allemal, daß ich nichts von verunglückten Hochzeitnächten, von alten Konkombern, von Maulwürfen, die in der geziertesten Sprache von der Welt — nichts sagen, und kurz, nichts von Liebeshändeln hören will, wie der witzigen Monstasche und ihres faden Kormorans, der so schöne Epigrammen macht und so schöne Räder schlägt. Mit Einem Worte, Nurmahal, und es ist mein völliger Ernst, keine Neadarnen und keinen Schaumlöffel!Ihre Majestät können sich darauf verlassen, versetzte Nurmahal, daß die Feen nichts in dieser Geschichte zu thun haben sollen; und was die Genien betrifft, so wissen Ihre Majestät, daß man gewöhnlich sechs bis sieben Könige hinter einander zählen kann, bis man auf einen stößt, der Anspruch an diesen Namen zu machen hat.Auch keine Satyren, Madame, wenn ich bitten darf! Fangen Sie Ihre Historie ohne Umschweife an; und Ihr (sagte er zu einem jungen Mirza, der am Fuße seines Bettes zu sitzen die Ehre hatte) gebt Acht wie oft ich gähne, sobald ich dreimal gegähnt habe, so macht das Buch zu, und gute Nacht.
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Bei irgend einem Volke (so fing die schöne Nurmahal zu lesen an) die Geschichte seines ältesten Zustandes suchen, hieße von jemand verlangen, daß er sich dessen erinnere, was ihm in Mutterleibe oder im ersten Jahre seiner Kindheit begegnet ist.Die Einwohner von Scheschian machen keine Ausnahme von dieser Regel. Sie füllen, wie alle andern Völker in der Welt, den Abgrund, der zwischen ihrem Ursprung und der Epoche ihrer Geschichtskunde liegt, mit Fabeln aus; und diese Fabeln sehen einander bei allen Völkern so ähnlich, als man es von Geschöpfen vermuthen kann, die sich auf der ersten Staffel der Menschheit befinden. Derjenige unter ihnen, der zuerst die Entdeckung machte, daß eine Ananas besser schmecke als eine Gurke, war ein Gott in den Augen seiner Nachkommen.Die alten Scheschianer glaubten, daß ein großer Affe sich die Mühe genommen habe, ihren Vorältern die ersten Kenntnisse von Bequemlichkeit, Künsten und geselliger Lebensart beizubringen.Ein Affe? rief der Sultan: eure Scheschianer sind sehr demüthig, den Affen diesen Vorzug über sich einzuräumen.Diejenigen, bei denen dieser Glaube aufkam, dachten vermuthlich nicht so weit, erwiederte die schöne Nurmahal.Ohne Zweifel, sagte der Sultan: aber was ich wissen möchte, ist gerade, was für Leute das waren, bei denen ein solcher Glaube aufkommen konnte.Sire, davon sagt die Chronik nichts. Aber wenn es einer Person meines Geschlechts erlaubt seyn könnte, über einen so gelehrten Gegenstand eine Vermuthung zu wagen, so würde ich sagen, daß mir nichts begreiflicher vorkommt. Kein Glaube ist jemals so ungereimt gewesen, zu welchem nicht etwas Wahres den Grund gelegt haben sollte. Konnte nicht ein Affe die ältesten Scheschianer etwas gelehrt haben, wenn es auch nur die Kunst auf einen Baum zu klettern und Nüsse aufzuknacken gewesen wäre? Denn so leicht uns diese Künste jetzt scheinen, so ist doch viel eher zu vermuthen, daß die Menschen sie den Affen, als daß die Affen sie den Menschen abgelernt haben.Die schöne Sultanin philosophirt sehr richtig, sagte Doctor Danischmend, derjenige von den Philosophen des Hofes, den der Sultan am liebsten um sich leiden mochte, weil er in der That eine der gutherzigsten Seelen in der Welt war, und der daher die Gnade genoß, nebst dem vorerwähnten Mirza diesen Vorlesungen beizuwohnen. Es ist nicht zu vermuthen, setzte er hinzu, daß die ersten Menschen in Scheschian scharfsinniger gewesen seyn sollten als Isanagi No Mikotto, einer von den Japanischen Götterkönigen, von welchem ihre Geschichte versichert, daß er die Kunst, mit seiner Gemahlin Psanami nach der Weise der Sterblichen zu verfahren, von dem Vogel Isiatadakki abgesehen habe.Schach-Gebal schüttelte, man weiß nicht warum, den Kopf bei dieser Anmerkung; und Nurmahal, ohne den Einfall des Philosophen Danischmend eines Erröthens zu würdigen, fuhr also fort.In dem ersten Zeitpunkte, wo die Geschichte von Scheschian zuverlässig zu werden anfängt, fand sich die Nation in eine Menge kleiner Staaten zerstückelt, die von eben so vielen kleinen Fürsten regiert wurden, so gut es gehen wollte. Alle Augenblicke fiel es zweien oder dreien von diesen Potentaten ein, den vierten mit einander auszurauben; wenn sie mit ihm fertig waren, zerfielen sie über der Theilung unter sich selbst; und dann pflegte der fünfte zu kommen, und sie auf einmal zu vergleichen, indem er bis zu Austrag der Sache den Gegenstand des Streits in Verwahrung nahm.Die Befehdungen dauerten, zum großen Nachtheile der armen Scheschianer, so lange, bis etliche von den schwächsten den Vorschlag thaten: daß sich die sämmtlichen Rajas, um der allgemeinen Sicherheit willen, einem gemeinschaftlichen Oberhaupte unterwerfen sollten. Die mächtigsten ließen sich diesen Vorschlag belieben, weil jeder Hoffnung hatte, daß die Wahl auf ihn selbst fallen würde. Aber kaum war diese entschieden: so fand sich, daß man nicht das beste Mittel die Ruhe herzustellen gewählt hatte.Der neue König war des Vorzugs würdig, den ihm die Nation beigelegt hatte. Die Achtung für seine persönlichen Verdienste unterstützte eine Zeit lang seine Bemühungen, und Scheschian genoß einen Augenblick von Glückseligkeit, den er dazu anwandte, Gesetze zu entwerfen, welche der große Kon-Fu-Tsee nicht besser hätte machen können; Gesetze, denen, um vollkommen zu seyn, nichts abging, als daß sie nicht (wie man von den Bildsäulen eines gewissen alten Künstlers sagt) von selbst gingen, das ist, daß es von der Willkür der Unterthanen abhing, sie zu halten oder nicht zu halten. Freilich waren auf die Uebertretung derjenigen, von deren Beobachtung die Ruhe und der Wohlstand des Staats schlechterdings abhing, schwere Strafen gesetzt: aber der König hatte keine Gewalt sie zu vollziehen. Wenn einer von seinen Rajas zum Gehorsam gebracht werden sollte, so mußte er einem andern auftragen, den Raja dazu zu nöthigen; und auf diese Weise blieben immer die gerechtesten Urtheile unvollzogen. Denn keine Krähe hackt der andern die Augen aus, sagt der König Dagobert.Wer war dieser König Dagobert? fragte der Sultan den Philosophen Danischmend.Danischmend hatte bei allen seinen vermeintlichen oder wirklichen Vorzügen einen Fehler, der, so wenig er an sich selbst zu bedeuten hat, in gewissen Umständen genug ist, den besten Kopf zu Schanden zu machen. Niemals konnte er eine Antwort auf eine Frage finden, auf die er sich nicht versehen hatte. Dieser Fehler hätte ihm vielleicht noch übersehen werden können; aber er vergrößerte ihn insgemein durch einen andern, der in der That einem Manne von seinem Geiste nicht zu verzeihen war. Fragte ihn, zum Exempel, der Sultan etwas, das ihm unbekannt war; so stutzte er, entfärbte sich, öffnete den Mund und staunte, als ob er sich darauf besänne; man hoffte von Augenblick zu Augenblick, daß er losdrücken würde, und man konnt' es ihm daher um so viel weniger vergeben, wenn er endlich die Erwartung, worin man so lange geschwebt hatte, mit einem armseligen "das weiß ich nicht" betrog; weil er, wie man dachte, dieß eben sowohl im ersten Augenblicke hätte sagen können. Dieß war nun gerade der Fall, worin er sich itzt befand: kein Mensch in der Welt war ihm unbekannter als der König Dagobert.Ich hatte Unrecht, eine solche Frage an einen Philosophen zu thun, sagte der Sultan etwas mißvergnügt: laßt meinen Kanzler kommen.Der Kanzler war ein großer dicker Mann, welcher unter andern rühmlichen Eigenschaften gerade so viel Witz hatte, als er brauchte, um auf jede Frage eine Antwort bereit zu halten.Herr Kanzler, wer war der König Dagobert? fragte der Sultan.Sire, antwortete der Kanzler ganz ernsthaft, indem er mit der rechten Hand seinen Wanst, und mit der linken seinen Knebelbart strich, es war ein König, der vor Zeiten in einem gewissen Lande regierte, das man auf keiner Indostanischen Landkarte findet; vermuthlich weil es so klein war, daß man nicht sagen konnte, welches die Nord- und welches die Südseite davon sey.Sehr wohl, Herr Kanzler! Und was sagte der König Dagobert?Meistens nichts, versetzte der Kanzler, wenn es nicht im Schlafe geschah, welches ihm zuweilen in seinem Divan begegnete. Sein Kanzler, der, wegen seines kurzen Gesichts, nicht immer gewahr wurde, ob der König wachte oder schlummerte, nahm etlichemal das, was er im Schlafe gesagt hatte, für Befehle auf, und fertigte sie auf der Stelle aus; und, was das Sonderbarste ist, die Geschichtschreiber versichern, daß diese nämlichen Verordnungen unter allen, welche während seiner Regierung herausgekommen, die klügeren gewesen seyen.Gute Nacht, Herr Kanzler, sagte Schach-Gebal.Man muß gestehen, dachte der Kanzler im Weggehen, daß die Sultanen zuweilen wunderliche Fragen an die Leute thun.Es ist eine schöne Sache um einen sinnreichen Kanzler, fuhr der Sultan fort, nachdem sich der seinige zurückgezogen hatte. Ich weiß wohl, Nurmahal, ihr seyd ihm nie gewogen gewesen; und wenn ich günstiger für ihn denke, so geschieht es gewiß nicht weil ich ihn nicht kenne. Ich weiß, daß er, mit aller abgezirkelten Formalität seiner ganzen Person, welche ein lebendiger Inbegriff aller Gesetze, Ordonnanzen, alten Gewohnheiten und neuen Mißbräuche meines Reichs ist, im Grunde doch nur ein Intriguenmacher, ein falscher, unruhiger, unersättlicher, rachgieriger Bube, und ein heimlicher Feind aller Leute ist, von denen ihm sein Instinct sagt, daß sie mehr werth sind als er. Ueberdieß weiß ich, daß er sich von einem schelmischen kleinen Fakir regieren läßt, der ihm weiß gemacht hat, er besitze ein Geheimniß, ihn sicher über die Brücke, die nicht breiter ist als die Schärfe eines Scheermessers, hinüberzubringen. Aber wenn er noch zehnmal schlimmer wäre als er ist, so müßt' ich ihm um der Gabe willen hold seyn, die er hat, auf jede Frage, so unerwartet und unbequem sie ihm seyn mag, eine Antwort aus dem Aermel zu schütteln, die er euch mit einer so unverschämten Ernsthaftigkeit für gut gibt, daß man, gern oder nicht, damit zufrieden seyn muß. —Aber wir vergessen, dem König Dagobert und meinem Kanzler zu Gefallen, den armen König von Scheschian, und das ist nicht billig. Der gute Mann dauert mich; wiewohl es in der That seine eigene Schuld ist, wenn ihm seine Leute wie die Frösche dem König Klotz mitspielen. Wie konnt' es ihm einfallen, auf solche Bedingungen König zu seyn?Ihre Hoheit, sagte Nurmahal, werden ihm diesen Einfall vielleicht zu gute halten, wenn sie bedenken, daß die Nation einen König haben wollte, und daß es, alles überlegt, doch immer besser ist, dieser König selbst zu seyn, als es einem andern zu überlassen. Er konnte doch immer mit einiger Wahrscheinlichkeit hoffen, daß es ihm an Gelegenheit nicht fehlen würde, sein Ansehen, so eingeschränkt es anfangs war, zu befestigen und zu erweitern. Zudem war er ein Mann von mehr als gemeiner Fähigkeit, sein eigenes Fürstenthum war eines der beträchtlichsten, und an der Spitze der Partei, die ihn auf den Thron erhob, konnt' er sich schmeicheln alles zu vermögen."Und dennoch schmeichelte er sich zu viel?"Wie hätt' es anders gehen können? versetzte die Sultanin. Seine Anhänger erwarteten mehr Belohnungen als er geben konnte. Ihre Forderungen hatten keine Gränzen. Er hielt sich für berechtigt, Dienste und Unterwürfigkeit von denjenigen zu erwarten, die ihn zum Könige gemacht hatten; und eben darum, weil sie ihn zum Könige gemacht hatten, glaubten sie daß er ihnen alles schuldig sei. Eine solche Verschiedenheit der Meinungen mußte Folgen haben, die den König und das Volk gleich unglücklich machten. Da er die einmal übernommene Rolle gut spielen wollte, so mußt' er nothwendig mit seinen Rajas zerfallen, die ihn lieber eine jede andere spielen gesehen hätten als die Rolle eines Königs. Seine ganze Regierung war unruhig, schwankend und voller Verwirrung. Aber unter seinen Nachfolgern ging es noch schlimmer. Jeder neue Vortheil, den die Rajas über ihre Könige erhielten, erhöhete ihren Uebermuth, und vermehrte ihre Forderungen. Unter dem Vorwand, ihre Freiheit (ein Ding, wovon sie niemals einen bestimmten Begriff gehabt zu haben scheinen) und die Rechte der Nation (welche niemals ins Klare gesetzt worden waren) gegen willkürliche Anmaßungen sicher zu stellen, wurde das königliche Ansehen nach und nach so eingeschränkt, daß es, wie die Fabel von einer gewissen Nymphe sagt, allgemach zu einem bloßen Schatten abzehrte —— Hier gähnte der Sultan zum erstenmale —— Bis endlich selbst von diesem Schatten nichts als eine leere Stimme übrig blieb, welche gerade noch so viel Kraft hatte, nachzuhallen was ihr zugerufen wurde.Scheschian befand sich, so lange diese Periode dauerte, in einem höchst elenden Zustande. Von mehr als dreihundert kleinern und größern Bezirken, deren jeder seinen eigenen Herrn hatte, sah der größte Theil einem Lande gleich, das kürzlich von Hunger, Krieg, Pest und Wassersnoth verwüstet worden war. Die Natur hatte da nichts von der lachenden Gestalt, nichts von der reizenden Mannichfaltigkeit und dem einladenden Ansehen von Ueberfluß und Glückseligkeit, womit sie die Sinnen und das Herz in jedem Lande einnimmt, welches von einem weisen Fürsten väterlich regiert wird.Hier klärte sich die Miene des Sultans auf einmal wieder auf. Er dachte an seine Luftschlösser, an seine Zaubergärten, an die schönen Gegenden, die er darin auf allen Seiten vor sich liegen hatte, an die mosaisch eingelegten, und mit doppelten Reihen von Citronenbäumen besetzten Wege, die ihn dahin führten; und genoß etliche Augenblicke lang die Wollust der vollkommensten Zufriedenheit mit sich selbst.Das war es nicht, was die beiden Omras wollten, daß er dabei denken sollte! — Weiter, Nurmahal, sprach der vergnügte Sultan.Allenthalben wurden die Augen eines Reisenden, der nicht ohne alles Gefühl für den Zustand seiner Nebengeschöpfe war, durch traurige Bilder des Mangels und der unbarmherzigsten Unterdrückung beleidigt.Die kleinen Tyrannen, denen der König von Scheschian neunzehn von zwanzig Theilen seiner Unterthanen Preis zu geben genöthigt war, hatten in Absicht der Verwaltung ihrer Ländereien eine Denkungsart, die derjenigen von gewissen Wilden glich, von denen man sagt, daß sie, um der Frucht eines Baumes habhaft zu werden, kein bequemeres Mittel kennen, als den Baum umzufällen. Ihr erster Grundsatz schien zu seyn, den gegenwärtigen Augenblick zum Vortheil ihrer ausschweifenden Lüste auszunützen, ohne sich darum zu bekümmern, was die natürlichen Folgen davon seyn möchten. Diese Herren fanden nicht das Geringste weder in ihrem Kopfe noch in ihrem Herzen, das der armen Menschheit bei ihnen das Wort geredet hätte. In ihren Augen hatte das Volk keine Rechte, und der Fürst keine Pflichten. Sie behandelten es als einen Haufen belebter Maschinen, welche, so wie die übrigen Thiere, von der Natur hervorgetrieben worden wären, für sie zu arbeiten, und die keinen Anspruch an Ruhe, Gemächlichkeit und Vergnügen zu machen hätten. So schwer es ist, sich die Möglichkeit einer so unnatürlichen Denkungsart vorzustellen, so ist doch nichts gewisser, als daß sie es dahin gebracht hatten, sich selbst als eine Classe von höhern Wesen anzusehen, die, gleich den Göttern Epikurs, kein Blut sondern nur gleichsam ein Blut in den Adern rinnen hätten; denen die Natur zu willkürlichem Gebote stehe; denen alles erlaubt sey, und an welche niemand etwas zu fordern habe. Die Knechtschaft der Unglücklichen, die unter ihrem Joche schmachteten, ging so weit, daß sie jeden Fall, wo man ihnen durch eine besondere Ausnahme die allgemeinsten Rechte der Menschheit angedeihen ließ, als eine unverdiente Gnade ansehen mußten. Die Folgen einer so widersinnigen Verfassung stellen sich von selbst dar. Eine allgemeine Muthlosigkeit machten nach und nach alle Triebräder der Vervollkommnung stille stehen; der Genie wurde im Keim erstickt, der Fleiß abgeschreckt, und die Stelle der Leidenschaften, durch deren beseelenden Hauch die Natur den Menschen entwickelt, und zum Werkzeug ihrer großen Absichten macht, nahm fressender Gram und betäubende Verzweiflung ein. Sklaven, welche keine Hoffnung haben, anders als durch irgend einen seltnen Zufall, der unter zehntausend kaum Einen trifft, sich aus ihrem Elend empor zu winden, arbeiten nur insofern sie gezwungen werden, und können nicht gezwungen werden irgend etwas gut zu machen. Sie verlieren alles Gefühl der Würdigkeit ihrer Natur, alles Gefühl des Edeln und Schönen, alles Bewußtseyn ihrer angebornen Rechte —— Der Sultan gähnte hier zum zweitenmale —— und sinken in ihren Empfindungen und Sitten zu dem Vieh herab, mit welchem sie genöthiget sind den nämlichen Stall einzunehmen; ja, bei der Unmöglichkeit eines bessern Zustandes, verlieren sie endlich selbst den Begriff eines solchen Zustandes, und halten die Glückseligkeit für ein geheimnisvolles Vorrecht der Götter und ihrer Herren, an welches den mindesten Anspruch zu machen Gottlosigkeit und Hochverrath wäre.Dieß war die tiefe Stufe von Abwürdigung und Elend, auf welche die armen Bewohner von Scheschian herabgedrückt wurden. Eine allgemeine Verwilderung würde sie in kurzem wieder in den nämlichen Stand versetzt haben, aus welchem der große Affe, ihrem angeerbten Wahn zufolge, ihre Stammeltern gezogen hatte: in einen Stand, worin sie sich wenigstens mit der Unmöglichkeit noch tiefer zu sinken, hätten trösten können; wenn nicht eine unvermuthete Staatsveränderung —Hier machte der Mirza die schöne Nurmahal bemerken, daß der Sultan unter den letzten Perioden dieser Vorlesung eingeschlafen war.
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2.

Der Sultan hatte in vielen Wochen nicht so gut geschlafen als auf die erste Vorlesung, womit er von der Sultanin Nurmahal in der letzten Nacht unterhalten worden war: und hätte der Page, der ihn zum Morgengebet zu wecken pflegte, seine Zeit nicht so übel genommen, ihn mitten in einem Traume von dem König Dagobert, dessen Ausgang zu sehen er begierig war, zu unterbrechen; so würde Seine Hoheit den ganzen Tag über bei der besten Laune von der Welt gewesen seyn.Die schöne Nurmahal ermangelte also nicht, sich in der folgenden Nacht zur gewöhnlichen Zeit wieder einzufinden, um die zweite Probe mit ihrem Opiat zu machen, welches zum ersten Male so wohl angeschlagen, und dabei den Vorzug hatte, das unschädlichste unter allen zu seyn, die man hätte gebrauchen können.Wir merken hier ein- für allemal an, daß diese Dame, welche vermuthlich die Geschichte von Scheschian schon in ihrem eigenen Cabinette gelesen hatte, und, wie man uns versichert, eine Frau von Geist, Belesenheit und Einsicht war, sich im Lesen nicht so genau an den Text gebunden hielt, um nicht zuweilen die Erzählung abzukürzen, oder mit ihren eigenen Reflexionen zu bereichern, oder sonst irgend eine Veränderung im Schwung oder Ton derselben vorzunehmen, je nachdem ihr die gegenwärtige Verfassung und Laune des Sultans den Wink dazu gab. Man erwarte also, daß sie bald in ihrer eigenen Person sprechen, bald ihren Autor reden lassen wird, ohne daß wir nöthig finden, jedesmal besondere Anzeige zu thun, wer die redende Person sey; ein Umstand, woran dem Leser wenig gelegen ist, und den wir seiner eigenen Scharfsinnigkeit ruhig überlassen können.Ihre Hoheit, fing sie an, erinnern sich des Zustandes, worin wir die Scheschianer gestern verlassen haben. Er war so verzweifelt, daß sie nur von einer Staatsveränderung einige Erleichterung ihres Elends erwarten konnten. Die Gelegenheit dazu konnte nicht lange ausbleiben. Ogul, der Kan einer benachbarten Tatarischen Völkerschaft, ersah sich des Augenblicks, da einige Fürsten aus wenig erheblichen Ursachen den damaligen König vom Throne gestoßen hatten, und über die Erwählung eines neuen sich unter sich selbst und mit den übrigen so wenig vergleichen konnten, daß endlich beinahe so viel Könige, als Scheschian Provinzen hatte, aufgeworfen wurden. Da keiner von diesen Nebenbuhlern den andern neben sich dulden wollte, so erfuhr dieses unglückliche Reich alle Drangsale und Gräuel der Anarchie und Tyrannie zu gleicher Zeit: die eine Hälfte der Nation wurde aufgerieben, und die andere dahin gebracht, einen jeden, der sie, auf welche Art es auch seyn möchte, von ihren Unterdrückern befreien wollte, für ihren Schutzgott anzusehen. Viele, welche alles hoffen konnten, weil sie nichts mehr zu verlieren hatten, schlugen sich auf die Seite des Eroberers. Die minder mächtigen Rajas und Großen des Reichs folgten ihrem Beispiel, und die übrigen wurden um so leichter überwältiget, da ihre Uneinigkeit sie verhinderte, mit Nachdruck gegen den gemeinschaftlichen Feind zu arbeiten. Ogul-Kan wurde also in kurzer Zeit ruhiger Besitzer des Scheschianischen Reiches. Das Volk, welches in mehr als Einer Betrachtung bei dieser Staatsveränderung gewann, dachte nicht daran, und konnte nicht daran denken, seinem Befreier Bedingungen vorzuschreiben. Die ehmaligen Großen, welche daran dachten, waren nicht mehr die Leute, die sich eine solche Freiheit mit ihrem Ueberwinder hätten herausnehmen dürfen, und mußten sich gefallen lassen, selbst das Wenige, was ihnen von ihrer verlornen Größe gelassen wurde, als eine Gnade aus seinen Händen zu empfangen. Die Verfassung des neuen Reichs von Scheschian war also diejenige einer unumschränkten Monarchie; das ist, das Reich hatte gar keine Verfassung, sondern alles hing von der Willkür des Eroberers ab, oder von dem Grade von Weisheit oder Thorheit, Güte oder Verkehrtheit, Billigkeit oder Unbilligkeit, wozu ihn Temperament, Umstände, Laune und Zufall von Tag zu Tage bestimmen mochten.Zum Glücke für die Ueberwundnen war der König Ogul, wie die meisten Tatarischen Eroberer, eine ganz gute Art von Fürsten —Wenn es geschehen könnte ohne Sie zu unterbrechen, Madame, sagte Schach-Gebal, so mochte ich wohl wissen, was Sie mit Ihrer ganz guten Art von Fürsten sagen wollen?Sire, erwiederte die schöne Nurmahal, ich gestehe, daß nichts Unbestimmteres ist als dieser Ausdruck. Das, was man gewöhnlich eine ganze gute Art von Fürsten zu nennen pflegt, dürfte wohl öfters eine sehr schlimme Art von Fürsten seyn, aber so war es nicht in gegenwärtigem Falle. Ogul-Kan hatte zwar einige beträchtliche Untugenden. Er war so eifersüchtig auf seine willkürliche Gewalt, daß man gar leicht das Unglück haben konnte ihn zu beleidigen; beleidigt war er rachgierig, und in seiner Rache grausam. Außerdem hatte er die schlimme Gewohnheit, alle schönen Frauen als sein Eigenthum anzusehen; und, wenn er den Wein weniger geliebt hätte, würde ihm sogar der berühmte Sultan Salomon in diesem Stücke haben weichen müssen. Aber diese Fehler —Es sind sehr wesentliche Fehler, sagte Schach-Gebal —Ohne Zweifel, Sire, versetzte Nurmahal: aber wenige Völker und Zeiten sind so glücklich, mit einem Fürsten beseligt zu werden, an welchem selbst seine Fehler liebenswürdig sind; wenn man anders Fehler nennen kann, was allein in dem Uebermaß gewisser Vollkommenheiten seine Quelle hat —Kleine Schmeichlerin! sagte Schach-Gebal, indem er sie sanft auf einen ihrer Arme klopfte, dessen schöne Form ihre weiten zurückgeschlagenen Aermel sehen ließen; ein kleiner Umstand, der die beste Vorlesung am Bette seiner Hoheit hätte unnütz machen können, wenn Zeit und Gewohnheit unsern Sultan nicht zu einem der vollkommensten Stoiker über diesen Punkt gemacht hätten.Diese Fehler also (fuhr Nurmahal fort) wurden durch einige sehr wichtige Tugenden vergütet. Ogul-Kan ließ sich die Geschäfte der Regierung sehr angelegen seyn; er brachte den Ackerbau in Ausnahme, stellte die zerstörten Städte wieder her, legte neue an, lockte aus benachbarten Staaten die Künste in die seinigen, suchte Talente und Verdienste auf, um sie zu belohnen und Gebrauch von ihnen zu machen, ehrte die Tugend, und konnte es zu gewissen Zeiten wohl leiden, wenn man ihm die Wahrheit sagte.Diese letzte Eigenschaft versöhnt mich wieder mit euerm Ogul, sagte der Sultan lächelnd. Wenn er den Wein weniger geliebt hätte, so möchte er einen Platz unter den großen Männern seiner Zeit verdient haben.Ogul-Kan besaß bei allen diesen guten Eigenschaften noch eine, die unter den gehörigen Einschränkungen einem Fürsten viel Ehre macht, wofern er unglücklich genug ist, ihrer vonnöthen zu haben. Es begegnete ihm in den Aufwallungen seiner Leidenschaften ziemlich oft, ungerecht und grausam zu seyn: aber sobald das Uebel geschehen war, kam er wieder zu sich selbst, und dann pflegte er sein Haupt nicht eher sanft zu legen, bis er demjenigen, der dadurch gelitten, alle nur mögliche Erstattung gethan hatte.Zum Exempel, wie pflegten es wohl Seine Majestät Ogul-Kan zu halten, wenn Sie einem etwa ohne Ursache den Kopf hatten abschlagen lassen? — fragte Danischmend. Besaßen Sie vielleicht das Geheimniß der magischen Mundkügelchen, womit der Prinz Telamir seinem Bruder und der schönen Dely ihre Köpfe wieder aufsetzte. als er sie ihnen aus einem Irrthum der Eifersucht abgeschlagen hatte?Wie begierig der Doctor nach diesem Anlaß schnappt, seine Belesenheit in den Geistermährchen zu zeigen! flüsterte der junge Mirza dem Sultan zu.Danischmend, sagte der Sultan, hat den kleinen Fehler, die Freiheit unverschämt zu seyn, die ihm als einem Philosophen zusteht, zuweilen zu mißbrauchen. Man muß es mit diesen Herren so genau nicht nehmen. Aber meinen Freund Ogul soll er ungehudelt lassen, wenn anders ein Philosoph eines guten Rathes fähig ist.Mit Einem Worte fuhr Nurmahal fort, Ogul war bei allen seinen Fehlern ein so ruhmwürdiger Fürst, daß selbst die damaligen Bonzen in Scheschian in die Wette eiferten, Gutes von ihm zu sagen. "Nichts mangelte ihm, um der beste unter den Königen zu seyn, sagten sie, als daß er, aller Hoffnung ungeachtet, die wir uns von ihm zu machen Ursache hatten, aus der weir gegangen ist, ohne jemals dem großen Affen ein Opfer gebracht zu haben."Wissen Sie auch, meine schöne Sultanin, sagte Schach-Gebal, daß es nicht mehr bedarf, als was Sie uns eben zu melden belieben, um Ihren Ogul auf die unwiederbringlichste Weise mit mir zu veruneinigten? Beim Barte des Propheten! der König, von welchem seine Bonzen in die Wette Gutes reden, muß — ich mag nicht sagen was er seyn muß. Gehen Sie, gehen Sie, Nurmahal, nichts mehr von Ihrem Ogul! Er muß eine schwache, einfältige, leichtgläubige, hasenherzige Seele gewesen seyn; das ist so klar wie der Tag. Seine Bonzen haben ihn gelobt! Welche Demonstration im Euklides beweist schärfer?Wenn es der Philosophie jemals erlaubt seyn könnte, sagte Danischmend mit affectirtem Stottern; dem Könige der Könige, meinem Herrn —Nun, Doctor, unterbrach ihn der Sultan, lass' hören, was du uns im Namen deiner gebietenden Dame zu sagen hast. Ich bin auf eine Impertinenz gefaßt. Nur heraus, aber nicht gestottert, Herr Danischmend; oder ich klingle —Der beste Sultan bleibt doch immer Sultan, wie man sieht. Diese Drohung, mit einer gewissen Miene begleitet, welche wenigstens besorgen ließ, daß er fähig seyn könnte Ernst daraus zu machen, war nicht sehr geschickt, dem armen Danischmend Muth zu geben. Allein zu seinem Glück kannte er den Sultan seinen Herrn. Ohne sich also schrecken zu lassen, sagte er: die Philosophie, Sire, ist eine Unverschämte, wie Ihre Hoheit zu sagen geruhet haben; denn sie bedenkt sich keinen Augenblick, den Königen selbst Unrecht zu geben, wenn die Könige Unrecht haben. Aber in gegenwärtigem Fall ist meine demüthige Meinung, Ihre Hoheit und die Philosophie könnten wohl beide Recht haben. Das Lob der Bonzen, welches in Ihren Augen der größte Tadel ist, den sich Ogul zuziehen konnte, war es unstreitig, wenn es von Herzen ging. Aber dieß ist gerade die Frage; oder vielmehr, es ist keine Frage: denn wie konnte es von Herzen gehen, da sie alles Gute, was sie von ihm sagten, mit einem einzigen Aber wieder zurücknahmen? Was halfen dem guten König Ogul alle seine Tugenden? Ging er nicht aus der Welt, ohne dem großen Affen geopfert zu haben? Ihre Hoheit kennen diese Herren zu gut, um den ganzen Nachdruck eines solchen Vorwurfs nicht zu übersehen.Du gestehst also doch ein, erwiederte der Sultan, daß sie ihn bis zum Himmel erhoben haben würden, wenn er sich hätte entschließen können, den großen Affen zu opfern?Mit Ihrer Hoheit Erlaubniß, sagte Danischmend, das gesteh' ich nicht ein. In diesem Falle würden sie leicht einen andern Vorwand gefunden haben, ihr heuchlerisches Lob zu entkräften. Ihre Hoheit wissen, daß es nur ein einziges Mittel gibt, den aufrichtigen Beifall der Bonzen zu erlangen; und Ogul (mit aller Ehrerbietung, die ich ihm schuldig bin, sey es gesagt) scheint mir derjenige nicht zu seyn, den jemals der Ehrgeiz geplagt hätte, eine so theure Waare zu kaufen.Wie, wenn ich meinen Iman kommen ließe, die Frage zu entscheiden? sagte der Sultan.Sein Ausspruch läßt sich errathen, ohne daß man darum mehr von der Kabbala zu verstehen nöthig hat als andre, versetzte Danischmend. Er würde wider die Bonzen sprechen. Wie sollten Bonzen bei einem Iman Recht haben können?Ich denke, Danischmend hat sich ganz erträglich aus der Sache gezogen, sagte Schach-Gebal.Ihre Hoheit beweisen durch Ihre Abneigung vor den Bonzen, daß Sie ein guter Muselmann sind, sprach die schöne Nurmahal. Aber der Geschichte getreu zu bleiben, muß ich sagen, daß die Bonzen, wenn sie Gutes von Ogul-Kan sprachen hinlängliche Ursache dazu hatten. Es ist wahr, dieser Prinz betrog eine vielleicht ausschweifende Hoffnung, die sie auf etwas gegründet hatten, was vernünftigerweise keine Grundlage zu einer solchen Hoffnung seyn konnte, "weil es bloß die Frucht weiser Grundsätze der Regierung war." Aber die Achtung, die er, diesen Grundsätzen zufolge, ihrem Orden bewies; der Schutz, den sie von ihm genossen; und die behutsame Art. womit er in allen Sachen zu verfahren pflegte, die den unvernünftigen aber nun einmal eingeführten Dienst des großen Affen betrafen; — berechtigten ihn allerdings, wo nicht zur Erkenntlichkeit, doch wenigstens zu einigem Grade von Billigkeit auf Seite der Bonzen. Und gesetzt auch, man wollte ihnen diese Tugenden nicht gern ohne Beweis zugestehen: so ist doch zu vermuthen, daß sie Klugheit genug hatten, aus Furcht zu thun, was gewöhnliche Menschen aus einem edlern Beweggrunde gethan hätten.Unter dieser Rede der schönen Nurmahal entfuhr dem Sultan ein Ton, der ein Mittelding zwischen Seufzen und Gähnen war. Der Emir gab der Dame das abgeredete Zeichen, und sie war im Begriff abzubrechen, als Schach-Gebal, der gerade bei guter Laune war, durch einen Wink zu erkennen gab, daß er ihrer Erzählung noch nicht überdrüssig sey.Ogul-Kan, fuhr sie fort, hatte etliche Nachfolger, welche über die Schaubühne gingen, und wieder verschwanden, ohne irgend etwas so Gutes oder so Böses gethan zu haben, daß es die Aufmerksamkeit der Nachwelt zu verdienen schien. Man nannte sie deßwegen in den Jahrbüchern von Scheschian die namenlosen Könige; denn die Nation bekam so wenig Gelegenheit ihre Namen zu hören, daß die wenigsten sagen konnten, wie der regierende Sultan heiße. Wenn dieser Umstand der Nachwelt einen nur sehr mittelmäßigen Begriff von den Verdiensten dieser Prinzen gibt: so muß man doch gestehen, daß ihre Zeitgenossen sich vielleicht nicht desto schlimmer dabei befanden. Das Stillschweigen der Geschichte scheint wenigstens so viel zu beweisen, daß Scheschian unter ihrer unberühmten Regierung nicht unglücklich war; und nicht unglücklich seyn, ist wenigstens ein sehr leidlicher Zustand —Nur kann er nicht lange dauern, sagte Danischmend: denn dieser leidliche Zustand scheint mir bei einem ganzen Volke eben das zu seyn, was bei einem einzelnen Menschen der Mittelstand zwischen Krankheit und Gesundheit ist; eines von beiden muß darauf erfolgen: entweder man wird wieder gesund, oder man schmachtet sich zu Tode.Vielleicht würde dieß der Fall der Scheschianer gewesen seyn, fuhr Nurmahal fort, wenn der letzte von diesen namenlosen Königen nicht das Glück gehabt hätte, eine Geliebte zu besitzen, durch welche seine Regierung eine der merkwürdigsten und glänzendsten in der Geschichte dieses Reiches geworden ist.Vortrefflich! rief Schach-Gebal mit einer Grimasse: ich liebe die Könige, welche die Erwähnung, so die Geschichte von ihnen thut, ihren Maitressen zu danken haben!Ich muß nicht vergessen, Sire, sagte die schöne Nurmahal, daß die Scheschianer in diesem Stück eine Gewohnheit haben, worin sie, so viel ich weiß, von allen übrigen Völkern des Erdbodens abgehen; eine Gewohnheit, welche die Zahl der namenlosen Könige bei allen Nationen beträchtlich vermehren würde, wenn sie allenthalben eingeführt wäre. Nichts, was unter der Regierung eines Königs geschah, wurde dem Könige zugeschrieben, wofern er es nicht selbst gethan hatte. Vortreffliche Gesetze und Anstalten konnten gemacht, Schlachten gewonnen, Provinzen erobert, oder (was wenigstens eben so gut ist) erhalten und verbessert werden; ohne daß der Ruhm des Königs den kleinsten Zuwachs dadurch erhielt. Alles was geschah, Gutes oder Böses, wurde demjenigen zugeschrieben, der es gethan hatte; und der König, der nichts gethan hatte, war und blieb ein namenloser König, gesetzt auch, daß zu seiner Zeit die größten Dinge in seinem Reiche geschehen wären.Nichts kann billiger seyn, sagte der Sultan. Jedem das Seine! Einem Fürsten das Gute zuschreiben, das seine Minister thun (ich nehme den Fall aus, wo sie bloß die Werkzeuge, oder so zu sagen die Gliedmaßen sind, durch welche er, als die Seele des ganzen Staatskörpers, wirket), wäre eben so viel, als ihm ein Verdienst aus der Fruchtbarkeit seiner Länder zu machen, weil er die Sonne scheinen und Regen fallen läßt.Nurmahal, Danischmend und der junge Mirza ertheilten dieser Anmerkung ihren Beifall in vollem Maße, und mit aller der Bewunderung, welche sie um so mehr verdiente, da sie wirklich uneigennütziger war, als Schach-Gebal selbst sich vielleicht schmeicheln mochte.Der gute König von Scheschian, fuhr Nurmahal in ihrer Erzählung fort, der zu dieser in dem Munde eines großen Monarchen so preiswürdigen Anmerkung Gelegenheit gegeben hat, was auch sein Name gewesen seyn mag, verdient wenigstens das Lob eines guten Geschmacks in der Wahl seiner Günstlinge; denn die schöne Lili, seine Favoritin, war aus allem, was eine Person unsers Geschlecht liebenswürdig machen kann, zusammengesetzt. Und sollten ihr auch die Dichter, Maler, Bildhauer und Schaumünzenmacher ihrer Zeit geschmeichelt haben, so ist doch nicht zu läugnen, daß die Nation Ursache hatte, ihr Andenken zu segnen. Niemals ist eine größere Gönnerin der Künste gewesen, als die schöne Lili. Sie führte den Seidenbau in Scheschian ein, und zog eine Menge Persischer, Sinesischer und Indischer Künstler herbei, welche durch ihren Vorschub alle Arten von Manufacturen zu Stande brachten. Die Scheschianer lernten unter ihrer Regierung — dieß ist der eigene Ausdruck der Geschichtschreiber — Bequemlichkeiten und Wollüste kennen, von welchen die meisten noch keinen Begriff gehabt hatten. Man glaubte ihr den Genuß eines neuen und unendlichemal angenehmern Daseyns zu danken zu haben. Sie brachte die Schätze in einen belebenden Umlauf, die in den Schatzkammern der vorigen Könige, wie die Leichen der Pharaonen in ihren Pyramiden, auf eine unnützlich prahlerhafte Weise begraben lagen. Ihr Beispiel reizte die Großen und Begüterten zur Nachahmung. Die Hauptstadt bildete sich nach dem Hofe, und die Städte der Provinzen nach der Hauptstadt. Erfindsamkeit und Fleiß bestrebten sich in die Wette, den ganzen Staat in eine so lebhafte als heilsame Thätigkeit zu setzen; denn Erfindsamkeit und Fleiß war der gerade Weg zu Ueberfluß und Gemächlichkeit, und wer wünscht nicht so angenehm zu leben als möglich? Die wohlthätige Lili machte die Einwohner von Scheschian auch mit den Reizungen der Musik und der Schauspiele bekannt; und so nachtheilig in der Folge als diese Geschenke ihrem Wohlstande wurden, so unläugbar ist es, daß sie Anfangs eine sehr gute Wirkung thaten. So wie sich das Gefühl der Scheschianer verfeinerte, so verschönerten sich auch zusehends ihre Sitten. Man wurde geselliger, sanfter, geschmeidiger, man vertrug sich besser, man lernte sich mit einander freuen, und fühlte sich selbst desto glücklicher, je größer die Menge der Glücklichen war, die man um sich sah, und so weiter; — denn es würde sehr unnöthig seyn, Ihrer Hoheit alle die guten Wirkungen des Geschmacks und der Künste vorzuzählen, von welchen Sie selbst ein so großer Kenner und Beförderer sind. Freilich gab es hier und da milzsüchtige, zur Freude untüchtig gewordne Leute, die ein klägliches Geschrei über diese Neuerungen erhoben. Welche Gräuel! riefen sie, indem sie ihre übel gekämmten Köpfe mit Unglück weissagender Miene schüttelten. Was werden die Früchte davon seyn? Diese Liebe zu Gemächlichkeiten und Ergötzungen, dieser verfeinerte Geschmack, dieser herrschende Hang zur Sinnlichkeit, wird die Nation zu Grunde richten. Ueppige Feiertage werden den Gewinn der arbeitsamen Tage, üppiger Aufwand den Ueberfluß der sparsamen Mäßigkeit verzehren:: die Wollust wird den Müßiggang, der Müßiggang die ganze verderbliche Brut der Laster herbeiziehen. Die Reichen werden unersättlich werden, und bei aller Verfeinerung ihrer Empfindungen sich kein Bedenken machen, von dem Eigenthume der Armen, so viel sie nur können, in ihren Strudel hineinzuziehen. Die Armen werden eben so wenig gewissenhaft seyn, alles, so ungerecht und schändlich es immer seyn mag, zu thun und zu leiden, wenn es nur ein Mittel abgeben kann, sich in den beneideten Zustand der Reichen zu schwingen. Ungeheuer von Lastern, unnatürliche Ausschweifungen, Verrätherei, Giftmischerei und Vatermord werden durch ihre Gewöhnlichkeit endlich das Abscheuliche verlieren, das sie für die unverdorbene Menschheit haben; und nicht eher, als bis die Nation unwiederbringlich verloren ist, wird man gewahr werden, daß die schöne Lili die zauberische und geliebte Urheberin unsers Verderbens war.Einige alte Leute, die im Laufe von sechzig oder siebzig Jahren weislich genug gelebt hatten, um im Aller noch nicht allem Antheil an den Freuden des Lebens entsagen zu müssen, sahen die Sache aus einem andern Gesichtspunkt an. — Unsere milzsüchtigen und nervenlosen Brüder haben nicht ganz Unrecht, sagten sie: Ergötzungen und Wollüste können, als die Würze des Lebens, durch übermäßigen Gebrauch nicht anders als schädlich seyn. Die Natur hat sie zur Belohnung der Arbeit, nicht zur Beschäftigung des Müßiggangs bestimmt. Gleichwohl ist unläugbar, daß nicht die schone Lili, sondern die Natur selbst, die Zaubrerin ist, die uns diesen göttlichen Nektar darreicht, den sie mit eignen Händen für uns zubereitet hat, und wovon etliche Tropfen genug sind, uns aller Mühseligkeiten des Lebens vergessen zu machen. Oder ist es nicht die Natur, die den Menschen von einem Grade der Entwicklung zum andern fortführt, und, indem sie durch die Bedürfnisse seine Einbildungskraft und durch die Einbildungskraft seine Leidenschaften spielen macht, diese vermehrte Geselligkeit, dieses verfeinerte Gefühl, diese Erhöhung seiner empfindenden und thätigen Kräfte hervorbringt, wodurch der Kreis seiner Vergnügungen erweitert, und seine Fähigkeit, des Daseyns froh zu werden, mit seinen Begierden zugleich vermehrt wird? Laßt uns also der Natur folgen; einer Führerin, die uns unmöglich irre führen kann. Nicht sie, —unsre Ungeduld, unsre Gierigkeit im Genießen, unsre Unachtsamkeit auf ihre Warnungen, ist es, was uns auf Abwege verleitet. Jede höhere Stufe, welche der Mensch betritt, erfordert eine andere Lebensordnung; und eben darum, weil der große Haufe der Sterblichen als unmündig anzusehen ist, und sich nicht selbst zu regieren weiß, muß er dieses Amt einer gesetzgebenden Macht überlassen, welche immer das Ganze übersehen, und ihren Untergebenen, mit jeder merklichen Veränderung ihrer Umstände, auch die darnach abgemessenen Verhaltungsregeln vorschreiben soll. Es lebe die schöne Lili! Sie hat sich ein Recht an unsre Dankbarkeit erworben, denn sie hat uns Gutes gethan. Aber wenn sie sich nun auch gefallen lassen wollte, uns eine so vollkommne Polizei zu geben, als wir bedürfen, wenn uns ihre Geschenke nicht verderblich werden sollen: dann verdiente sie, wenigstens so gut als der große Affe, daß wir ihr Pagoden erbaueten!"Die schöne Lilie hüpfte auf dem blumichten Wege fort, auf den eine wollüstige Einbildungskraft sie geleitet hatte, ohne sich um die Drohungen der einen, noch um die Warnungen der andern zu bekümmern. Sie genoß des Vergnügens, der Gegenstand der Liebe und Anbetung einer ganzen Nation zu seyn. Umflattert von Freuden und Liebesgöttern, goß sie überall, so weit ihre Blicke reichten, süßes Vergessen aller Sorgen, Entzücken und Wonne aus. Hierin schien sie ihre eigene vollkommenste Befriedigung zu finden. Aber ihre Wohlthätigkeit erstreckte sich nur auf den gegenwärtigen Augenblick. Ihre Sinnesart theilte sich unvermerkt der ganzen Nation mit, welches um so leichter geschehen mußte, da keine andre dem Menschen natürlicher ist. Man genoß des Lebens, und niemand dachte an die Zukunft.Ich liebe diese Lili, rief der Sultan in einem Anstoß von Lebhaftigkeit, den man seit langer Zeit nicht an ihm bemerkt hatte. Ich muß bekannter mit ihr werden. Gute Nacht, Mirza und Danischmend! Nurmahal soll da bleiben, und mir das Bildniß der schönen Lili machen.
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3.

Unstreitig war Vernunft in der Schutzrede, welche die alten Knaben dem Vergnügen und der schönen Liii hielten, — sagte der Sultan, als sich seine gewöhnliche Gesellschaft des folgenden Abends in seinem Schlafzimmer versammelt hatte. Aber ich gestehe, daß ich nicht recht begreife, was sie mit ihrer Lebensordnung sagen wollen, oder was für eine Polizei das seyn soll, wodurch allen den Uebeln vorgebeuget werden konnte, womit uns die schwarzgelben Sittenlehrer so fürchterlich bedräut haben. Die Sache liegt mir am Herzen. Ich denke, ich habe alles Mögliche gethan, um meine Völker glücklich zu machen; aber es sollte mir leid thun, wenn ich ihnen, wider meine gute Absicht, ein gefährliches Geschenk gemacht hätte.(Diesen Kummer könnten sich Ihre Majestät ersparen, dachte Danischmend —so leise als möglich.)Herr Danischmend — fuhr Schach.Gebal fort — man ist kein Philosoph um nichts! Wie wär' es, wenn deine Weisheit uns diese Sache ins Klare zu setzen belieben wollte?Sire, antwortete Danischmend, meine Weisheit ist zu Ihrer Majestät Befehlen. Aber zuförderst bitte ich demüthig um Erlaubniß, eine kleine Geschichte erzählen zu dürfen.Schach-Gebal nickte ein sultanisches Ja, und der Philosoph fing also an:"Zu den Zeiten des Kalifen Harun Al Raschid — —"Ei, Herr Doctor, unterbrach ihn der Sultan, das fängt verdächtig an! Sobald man diesen Kalifen nennen hört, kann man sich nur gleich auf Genien und Verwandlungen gefaßt halten, oder auf platte Historien von kleinen Bucklichten, schwatzhaften Barbieren, und liederlichen Königssöhnchen, welche, um eine lange Reihe begangener Thorheiten mit einem würdigen Ende zu krönen, sich die Augenbrauen abscheren und Kalender werden.Ich gestehe Ihrer Hoheit mit meinen Augenbrauen dafür, sagte Danischmend, daß weder Bucklichte noch Kalenderin meiner Erzählung vorkommen, und daß alles so natürlich darin zugehen soll, als man es nur wünschen kann."Zu den Zeiten des besagten Kalifen also begab sich, daß ein reicher Emir aus Yemen auf seiner Rückreise von Damask das Unglück hatte, in den Gebirgen des felsigen Arabiens von Räubern überfallen zu werden, welche die Unhöflichkeit hatten, sein Gefolge niederzusäbeln, und, nachdem sie die schönen Frauen, die er zum Staate mit sich führte, nebst allen Kostbarkeiten, die er bei sich hatte, zu Handen genommen, sich so schnell, als sie gekommen waren, wieder ins Gebirge zurückzogen. Glücklicher Weise für den Emir war er gleich zu Anfang des Gefechtes in Ohnmacht gefallen, ein Umstand, der so viel wirkte, daß die Räuber sich begnügten, ihm seine schönen Kleider auszuziehen, und ihn, ohne sich zu bekümmern ob er wirklich todt sey, unter den Erschlagenen liegen zu lassen."Herr Danischmend, sagte der Sultan, nicht so umständlich! Zur Sache, wenn ich bitten darf. Der Ton, worin du angefangen hast, ist vollkommen der Ton meiner lieben Aeltermutter, welche bekanntermaßen ihre eigenen Ursachen hatte, warum sie ihre Mährchen in eine so unbarmherzige Lange zog."Um also Ihre Majestät nicht mit Nebenumständen aufzuhalten, fuhr Danischmend fort, so kam der gute Emir wieder zu sich selbst, und stellte sehr unangenehme Betrachtungen an, da er sich in einem wilden unbekannten Gebirge auf einmal ohne Zelten, ohne Geräthe, ohne seine Weiber und Verschnittene, ohne Küche, und sogar ohne Kleider befand; er der von dem ersten Augenblicke seines Lebens, dessen er sich erinnern konnte, an allen ersinnlichen Gemächlichkeiten niemals einigen Mangel gelitten hatte. Da es zu besserem Verständniß dieser Geschichte wesentlich ist, daß Ihre Majestät sich eine lebhafte Vorstellung von diesem Zustande des Emirs machen, so muß ich mir die Freiheit nehmen, Sie zu bitten, sich an seinen Platz zu setzen, und zu denken, wie Ihnen in einer so verzweifelten Lage zu Muthe wäre?Herr Danischmend, sagte der Sultan ganz trocken, ich habe gute Lust, mir diese Mühe zu ersparen, und mir dafür von dir erzählen zu lassen, wie einem Erzähler zu Muthe sey, dem ich für die Bemühung, mich gähnen zu machen, dreihundert Prügel auf die Fußsohlen geben lasse.Dieser Anstoß von sultanischer Laune däuchte der schönen Nurmahal so unbillig, daß sie den Sultan bat, den armen Doctor nicht durch Drohungen zu schrecken, welche fähig wären, den besten Erzähler in der Welt aus der Fassung zu bringen. Aber Danischmend kannte die Weise seines Herrn. Alles, warum ich Ihre Majestät bitte, sagte er, ist, die Gnade zu haben, und mir die versprochenen dreihundert Prügel nicht eher geben zu lassen, bis ich mit meiner Geschichte fertig seyn werde; denn, in der That, sie ist so übel nicht, als man sich nach ihrem Anfange vorstellen sollte.Gut, sagte der Sultan lachend, so erzähle denn nach deiner eigenen Weise: ich verspreche dir, daß ich dich nicht wieder unterbrechen will.Danischmend stand auf, warf sich vor dem Sultan zur Erde, küßte den Saum seiner Bettdecke, um seine Dankbarkeit für dieses gnädige Versprechen zu bezeugen, und fuhr hierauf in seiner Erzählung also fort:"Von allen diesen Betrachtungen des Emirs (welche zu verworren und unangenehm waren, als daß es rathsam seyn könnte, sie Ihrer Majestät vorzulegen) war das Ende, daß er sich entschließen mußte, eine Sache zu thun, die ihm aus Mangel der Gewohnheit sehr hart ankam, nämlich seine Beine in Bewegung zu setzen, und zu versuchen, ob er irgend einen Weg aus dieser Wildniß finden möchte. Die Sonne neigte sich schon stark, als er endlich mit unbeschreiblicher Mühe einen Ort erreichte, wo das Gebirge sich öffnete, und ihm die Aussicht in ein Thal zu genießen gab, welches seine Einbildung selbst sich nicht reizender hätte schaffen können. Der Anblick einiger wohl gebauten Wohnungen, die zwischen den Bäumen aus dem schönsten Grün hervorstachen, ermunterte ihn seine letzten Kräfte zusammen zu raffen, um diese Wohnungen wo möglich noch vor Untergang der Sonne zu erreichen. In der That war der ganze Weg, den er schon zurückgelegt und den er noch vor sich hatte, nicht um zehn Schritte mehr, als was ein junger Landmann alle Tage Morgens und Abends ohne Murren unternimmt, um seinem Mädchen einen Kuß zu geben; aber für die schlaffen Sehnen und marklosen Knochen des Emirs war dieß eine ungeheure Arbeit. Er mußte sich so oft niedersetzen, um wieder zu Athem zu kommen, daß es finstre Nacht wurde, eh' er die Pforte der nächsten Wohnung erreichte, die einer Art von ländlichem Palast ähnlich sah, aber nur von Holze gebaut war. Ein angenehmes Getöse, aus Gesang, Saitenspiel und andern Zeichen der Fröhlichkeit vermischt, welches ihm schon von ferne aus diesen Wohnungen entgegen kam, vermehrte die Verwundrung, worin er war, alles dieß mitten in dem ödesten Gebirge zu finden. Da er keine andre Belesenheit als in Geistermährchen hatte, so war sein erster Gedanke, ob nicht alles, was er sah und hörte, ein Werk der Zauberei sey. So furchtsam ihn dieser Gedanke machte, so überwog doch endlich das Gefühl seiner Noth. Er klopfte an, und bat einen Hausgenossen, welcher herauskam um zu sehen was es gäbe, mit einer so wunderlichen Mischung von Stolz und Demuth um die Nachtherberge, daß man ihn vermuthlich abgewiesen hätte, wenn die Gastfreiheit ein weniger heiliges Gesetz bei den Bewohnern dieser Gegend gewesen wäre. Der Emir wurde mit freundlicher Miene in einen kleinen Saal geführt, wo man ihn ersuchte, sich auf einen unscheinbaren aber sehr weich gepolsterten Sofa niederzulassen. In wenigen Augenblicken erschienen zwei schöne Jünglinge, um ihn in ein Bad zu führen, wo er mit ihrer Beihülfe gewaschen, beräuchert, und mit einem netten Anzuge von dem feinsten baumwollenen Zeuge bekleidet wurde. Damit ihm die Weile nicht zu lang würde, trat ein niedliches Mädchen, so schön als er jemals in seinem Hause gehabt hatte, mit seiner Theorbe in der Hand herein, setzte sich ihm gegenüber, und sang ein Lied, aus dessen Inhalt er so viel abnehmen konnte, daß man über die Ankunft eines so angenehmen Gastes sehr erfreut sey. Er wußte immer weniger, was er von der Sache denken sollte; aber die Gestalt und die Stimme der jungen Dirne, die er eher für eine Perise, oder gar für eine von den Huris des Paradieses zu halten versucht war, ließen ihm keine Zeit zu sich selbst zu kommen. Beides, nebst der freundlichen Aufnahme, die ihm widerfuhr, wirkte so stark auf seine Sinne, daß er unvermerkt aller Ursachen zur Traurigkeit und alles erlittenen Ungemachs vergaß, und, durch eine sanfte Gewalt fortgezogen, sich den Eindrücken überließ, die man auf ihn machen wollte."Wenn dieß die weiseste Entschließung war, die er in seinen Umständen nehmen konnte, so muß man auch gestehen, daß er sich sehr wohl dabei befand. Kaum war er angekleidet, so erschien derjenige wieder, der ihn zuerst aufgenommen hatte, und winkte ihm, ohne ein Wort zu sprechen, ihm zu folgen. Der Emir kam in einen großen mit Wachslichtern stark erleuchteten Saal, aus welchem ihm, so wie die Thür sich aufthat, der angenehmste Wohlgeruch von frischen Nelken und Pomeranzenblüthen entgegen wehte. Viele niedrige Tafeln, um welche rings herum ein wohl gepolsterter Sofa sich zog, standen mit feinem schneeweißen Leinen gedeckt, welches mit einem breiten Saume von zierlichem Stickwerk eingefaßt war. Die Mitte des Saals wimmelte von jüngern und ältern Personen beiderlei Geschlechtes, die ihn mit einem offnen gutherzigen Gesicht empfingen, und ihn insgesammt durch die edle Schönheit ihrer Gestalt und Bildung, und durch einen über ihr ganzes Wesen ausgegossenen Ausdruck von Güte und Fröhlichkeit in die angenehmste Ueberraschung setzten. In einer Ecke stand ein schöner Brunnen, wo eine Nymphe, an einem mit Jasmin bewachsenen Felsenstücke auf Moos liegend, aus ihrer Urne krystallhelles Wasser in ein Becken von schwarzem Marmor goß. Der ganze Saal war mit großen Blumenkränzen behangen, die von etlichen jungen Mädchen von Zeit zu Zeit mit frischem Wasser angespritzt wurden. Alles dieß zusammen genommen machte einen sehr angenehmen Anblick; aber es war nicht das Schönste, was sich seinen Augen in diesem bezauberten Orte darstellte. Ein ehrwürdiger Greis, mit silberweißen Haaren, lag, in der Stellung einer gesunden und vergnüglichen Ruhe nach der Arbeit, auf dem obersten Platze des Sofa; ein Greis, wie der gute Emir weder jemals einen gesehen, noch für möglich gehalten hatte, daß es einen solchen geben könnte. Munterkeit des Geistes glänzte aus seinen noch lebhaften Augen; achtzig Jahre eines glücklichen Lebens hatten nur schwache Furchen auf seiner heiter ausgebreiteten Stirne gezogen; und die Farbe der Gesundheit blühte gleich einer späten herbstlichen Rose noch auf seinen freundlichen Wangen. Dieß ist unser Vater, sagten einige junge Personen, die den Emir umgaben, indem sie ihn an der Hand zum Sitze des Alten hinführten."Der Alte stand nicht auf, machte auch keine Bewegung, als ob er aufstehen wollte; aber er reichte ihm die Hand, drückte des Emirs seine mit einer Kraft, welche diesen in Erstaunen setzte, und hieß ihn sehr leutselig in seinem Hause willkommen seyn. Aber gleichwohl (sagt mein Autor) sey in dem ersten Blicke, den der Greis auf den Emir geworfen habe, unter dem leutseligen Ausdruck der gastfreien Menschenfreundlichkeit etwas gemischt gewesen, welches den Fremden betroffen gemacht habe, ohne daß er sich selbst habe erklären können wie ihm sey. Der Alte hieß ihn Platz an seiner Seite nehmen —"Ich habe versprochen, dich nicht zu unterbrechen, Doctor, sagte der Sultan: aber ich möchte doch wissen, was in dem Blicke des Alten gemischt seyn konnte, daß es eine solche Wirkung auf den Emir machte?"Gnädigster Herr, versetzte Danischmend, ich muß Ihrer Majestät bekennen, daß ich diese Geschichte aus einem neuern Griechischen Dichter genommen habe, der vermuthlich, nach der Weise seiner Zunftgenossen, etwas von dem Seinigen zur Wahrheit hinzu thut, um seine Gemälde interessanter zu machen. Es war ein freundlicher Blick, sagt er, aber mit einem kleinen Zusatze von etwas, das weder Verachtung noch Mitleiden, sondern eine sanfte Mischung von beiden war. Es war, fährt er fort, der Blick, mit welchem ein Freund der Kunst die gestümmelte Bildsäule eines Praxiteles ansieht, mit etwas von dem zürnenden Verdruß untermischt, womit dieser Liebhaber den Gothen ansehen würde, der sie gestümmelt hätte."Das Bild ist sein, und gibt viel zu denken, sagte Nurmahal. Weiter, Danischmend, sagte der Sultan."Inzwischen wurde das Abendessen aufgetragen, wobei der Emir eine neue Erfahrung machte, die ihm, der so wenig gewohnt war über irgend etwas zu denken, die unbegreiflichste Sache von der Welt zu seyn däuchte. Allein, eh' ich mich hierüber erklären kann, seh' ich mich genöthigt, eine kleine Abschweifung über den Charakter dieses Emirs zu machen, der eine Hauptfigur in meiner Erzählung vorstellt, wiewohl es in der That nur die Rolle eines Zuschauers ist. Er war von seiner Jugend an dasjenige gewesen, was man einen ausgemachten Wollüstling nennt; ein Mensch, der keinen andern Zweck seines Daseyns kannte, als zu essen, zu trinken, sich mit seinen Weibern zu ergötzen, und von so mühsamen Arbeiten sich durch eine Ruhe, welche ungefähr die Hälfte von Tag und Nacht wegnahm, zu erholen, um zu der nämlichen Beschäftigung wieder aufzuwachen. Mit dieser groben Sinnlichkeit verband er einen gewissen Stolz, der sehr geschickt war, die nachtheiligen Wirkungen derselben zu beschleunigen. Er setzte ihn darein, die schönsten Frauen, die besten Weine und die gelehrtesten Köche von ganz Asien zu besitzen: aber auch daran genügte ihm noch nicht; er beeiferte sich auch, der größte Esser, der größte Trinker und der größte Held in einer andern Art von Leibesübung zu seyn, worin er mit Verdruß den Sperling und den Maulwurf für seine Meister erkennen mußte. Wenn ein Mann das Unglück hat, bei dieser verkehrten Art von Ehrgeiz alle Mittel zu Befriedigung desselben zu besitzen, so wird man ihn bald genug dahin gebracht sehen, zu Kanthariden und Betel, und andern solchen Zwangsmitteln, seine Zuflucht zu nehmen. Aber die Natur ermangelt nie, sich für die Beleidigungen, die man ihr zufügt, zu rächen, und pflegt desto grausamer in ihrer Rache zu seyn, je weniger Vorwand ihre Wohlthätigkeit uns zu Rechtfertigung unsrer Ausschweifungen gelassen hat. Der Emir befand sich also, mit dem reinsten Arabischen Blute und der stärksten Leibesbeschaffenheit, in seinem dreißigsten Jahre zu dem elenden Zustande heruntergebracht, der ein Mittelland zwischen Leben und Sterben ist; gepeinigt durch Erinnerungen, welche sein Vergnügen hätten erhöhen sollen, und verdammt zu ohnmächtigen Versuchen, den Zorn der Natur durch die Geheimnisse der Kunst zu versöhnen, denen er die Verlängerung seines Daseyns zu danken hatte. Die gelehrten Köche, auf die er so stolz war, hatten das Ihrige getreulich beigetragen, zu gleicher Zeit seine Gesundheit zu zerstören, und die Werkzeuge seiner Empfindung abzunützen. So wie die Schwierigkeit seinen stumpfen Geschmack zu reizen zunahm, hatte sich ihr verderblicher Eifer verdoppelt, sie durch die Macht ihrer Kunst zu besiegen. Aber ihre Erfindungen hatten selten einen bessern Erfolg, als ihn den erkünstelten Kitzel etlicher Augenblicke mit langen Schmerzen bezahlen zu lassen."Unser Emir erstaunte, an der Tafel seines besagten Wirthes die Eßlust wieder zu finden, die er Jahre lang vergebens gesucht hatte. Zwei gleich ungewohnte Dinge, eine Nüchternheit von vier und zwanzig Stunden, und die starke Bewegung, die er sich hatte geben müssen, trugen ohne Zweifel das meiste dazu bei, daß er an der Tafel der Günstlinge des Propheten im Paradiese zu sitzen glaubte. Nicht als hätte die Menge und Kostbarkeit der Speisen, oder eine sehr künstliche Zubereitung das geringste dazu beigetragen; denn es war kein größerer Ueberfluß da, als die Befriedigung des Bedürfnisses, und die Sorge, dem Geschmack einige Wahl zu lassen, erforderte; und an der Zubereitung hatte die Kunst nicht mehr Antheil, als sie haben muß, um einen unverdorbenen Geschmack ohne Nachtheil der Gesundheit zu vergnügen. Es ist wahr, gewisse feine Kunstgriffe waren dabei beobachtet, die entweder ihrer Einfalt wegen den gelehrten Köchen des Emirs unbekannt geblieben waren, oder vielleicht eine Aufmerksamkeit erforderten, wozu sich diese wichtigen Leute die Mühe nicht nehmen mochten; indessen war es doch hauptsächlich bloß die natürliche Güte der Speisen, und eine Zurichtung, an welcher Avicenna selbst nichts auszusetzen gefunden hätte, was diese Mahlzeit von den prächtigen und theuren Giftmischereien fürstlicher Tafeln unterschied. Hingegen mußte sich der Emir gestehen, daß der Wein, der vielleicht so alt war als der Wirth, und die Früchte, womit die Mahlzeit beschlossen wurde, so vortrefflich waren, als die Natur beides nur unter dem glücklichsten Himmelsstriche hervorzubringen vermag."Ist alles dieß Zauberei? fragte sich der Emir alle Augenblicke; und was für ein alter Mann ist dieß, der bei seinem schneeweißen Bart eine so frische Farbe hat, und dem Essen und Trinken so wohl schmeckt, als ob er erst itzt zu leben anfange? — Er hatte alle Mühe von der Welt seine Verwunderung zurückzuhalten; aber die angenehmen Gespräche, wozu außer ihm selbst alle das Ihrige beitrugen, nebst der ungezwungenen und einnehmenden Art, womit man ihm begegnete, machten es unmöglich, die Gedanken, die in seinem Gehirne herumtrieben, in einige Ordnung zu bringen."Koste diese Ananas, sagte der Alte zu ihm, indem er ihm die vollkommenste Frucht dieser Art anbot, die er jemals gesehen hatte. Der Emir kostete sie, und fand nicht Worte genug, ihren feinen Geschmack und Wohlgeruch zu erheben. Ich habe sie selbst mit eigener Hand gezogen, jagte der Alte. Seitdem ich zu alt bin, meine Söhne und Enkel zu den Feldarbeiten zu begleiten, beschäftige ich mich mit der Gärtnerei. Sie verschafft mir den Grad von Bewegung und Arbeit, den ich nöthig habe, um so gesund zu bleiben als du mich siehest; und die frische Luft, mit den reinsten Düften der Blumen und Blüthen bebalsamt, trägt vermuthlich auch das Ihrige dazu bei. Der Emir hatte nichts hierauf zu antworten: aber das Paar große Augen, die er an seinen Wirth machte, hätt' ich sehen mögen! Der Alte pflegte gewöhnlich frisches Wasser, und nach der Mahlzeit drei kleine Gläser Wein zu trinken: das erste, sagte er lächelnd, hilft meinem alten Magen verdauen, das andere ermuntert meine Lebensgeister, und das dritte schläfert sie wieder ein. Der Emir (welcher kein Wasser trinken konnte, und wenn es aus der Quelle der Jugend gewesen wäre) machte dem Weine seines Writhes Ehre. Er ließ sich so oft von einem Glase zum andern verleiten, bis er das Vermögen verlor, zu unterscheiden ob er fühle oder sich nur einbilde, daß er so munter sey als der Alte selbst."Nach der Tafel schlich sich der Mann mit den silbernen Locken unbemerkt hinweg: und eine Weile darauf sagte einer von seinen Söhnen: es ist eine Gewohnheit in unserm Hause, alle Abende vor Schlafengehen eine halbe Stunde in dem Schlafzimmer unsers Vaters zuzubringen. Ein Gast wird bei uns nie als ein Fremder gehalten; willst du uns begleiten? — Der Emir ließ es sich gefallen, und, um artig zu seyn, bat er sich die Ehre aus, der ältesten unter den Frauen des Hauses seinen schwachen Arm zu leihen."Ein Zimmer öffnete sich, welches dem Tempel des wollüstigen Schlafs ähnlich sah. Verschiedene Blumentöpfe von zierlichen Formen düfteten die lieblichsten Gerüche aus, und einige Wachslichter, von grünen und rosenfarbnen Schirmen verborgen, machten eine Art von Dämmerung, welche die Augen zum sanften Entschlummern einlud. Gemalte Tapeten, von der Hand eines Meisters, stellten Griechische Bilder des Schlafes vor: hier den schönen Endymion, vom Silberglanz der zärtlich auf ihn herabschauenden Luna beleuchtet; dort, von einem einsamen Rosengebüsche verborgen, die Göttin der Liebe, um deren sanft glühende Wangen und Lippen ein entzückender Traum zu schweben schien; oder Amorn auf dem Schooß einer Grazie schlummernd. Der Alte lag bereits auf seinem Ruhebette, und drei angenehme Frauenzimmer schienen beschäftigt, seinen Schlummer zu befördern. Eine, welche dem schönsten Herbsttage glich, den man sehen kann, saß zu seinen Häupten, und fächelte ihm mit einem Strauß von Rosen und Myrten Kühlung zu; die andern beiden saßen weiter unten zu beiden Seiten des Ruhebettes, diese mit einer Laute, jene mit einem andern Instrumente, welches bloß die Singstimme zu begleiten diente. Beide spielten und sangen, mit sanft gedämpftem Tone, bald wechselsweise, bald zusammen, Lieder, aus denen Zufriedenheit und ruhiges Vergnügen athmete; und die Lippen und Stimmen der Sängerinnen waren solcher Lieder würdig. Das Erstaunen des Emirs stieg auf den höchsten Grad. Unvermerkt entschlummerte der glückliche Alte am Busen der herbstlichen Schöne, und die übrige Gesellschaft, nachdem sie eine von seinen sanft herabgesenkten Händen geküßt hatten, schlich sich in ehrerbietiger Stille davon."Was für Leute das sind! hörte der Emir nicht auf sich selbst zu sagen."Beim Eintritt in das Schlafzimmer, welches ihm selbst angewiesen wurde, fand er die beiden Knaben wieder, die ihn im Bade bedient hatten. Ihr Anblick erinnerte ihn an die schöne Dirne, die ihn auf eine so reizende Art willkommen gesungen hatte, und er konnte nicht mit sich selbst einig werden, ob er sich über ihre Abwesenheit betrüben oder erfreuen sollte. Er wurde ausgekleidet, und auf eine so weiche, so elastische, so wollüstige Ottomane gebracht, als jemals von einem Emir gedrückt worden seyn mag. Aber kaum hatten sich die Knaben weggeschlichen, so trat die schöne Sängerin mit ihrer Theorbe im Arm herein, einen Kranz von Rosenzweigen um ihre losgebundenen Haare, die bis zur Erde herabflossen, und einen Strauß von Rosen vor einem Busen, dessen Weiße die Augen des Emirs blendete. Mit stillschweigendem Lächeln neigte sie sich tief vor ihm, nahm von einem Armsessel neben seinem Ruhebette Besitz, stimmte ihre Theorbe, und sang ihm mit der angenehmsten Stimme von der Welt so zauberische Lieder vor, daß der gute Emir, von ihrer Gestalt, von ihrer Stimme und von dem achtzigjährigen Wein seines Alten berauscht, alles vergaß, was ihn billig hätte erinnern sollen weise zu seyn. Die schöne Sängerin hatte vermuthlich keinen Auftrag, in einem Hause, worin alles glücklich war, einen Unglücklichen zu machen. Aber ach! —"Ein Blick des Sultans, der vielleicht eine ganz andere Bedeutung hatte als Danischmend sich einbildete, machte ihn stutzen. "Sire," fuhr er nach einer kleinen Pause fort, um nicht in den Fehler des Visirs Moslem zu fallen, begnüge ich mich zu sagen, daß der Emir Ursache fand, sich von allen Zaubrern und Feen der Welt verfolgt zu glauben. Beruhige dich, sagte die schöne Sklavin mit einem Lächeln, in welches mehr Mitleiden als Verachtung oder Unwillen gewischt war: ich will dir ein Adagio vorspielen, auf welches du so gut schlafen sollst, als der glücklichste aller Schäfer. Aber ihr Adagio that das versprochene Wunder nicht. Der Emir konnte nicht aufhören, sich selbst zu betrügen, bis endlich die Sklavin, welche seinen Eigensinn wirklich unbillig fand, für besser hielt, sich zurückzuziehen, indem sie ihm so wohl zu schlafen wünschte als er könnte."Danischmend, ich bin mit deiner Erzählung zufrieden, sagte der Sultan: morgen wollen wir die Fortsetzung davon hören, und mein Schatzmeister soll Befehl erhalten, dir dreihundert Bahamd'or auszuzahlen. Der Philosoph und der junge Mirza zogen sich hierauf zurück, und die Pforte des geheiligten Schlafgemaches wurde hinter ihnen zugeschlossen.
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4.

Den folgenden Abend setzte Danischmend auf Befehl des Sultans seine Erzählung also fort:"Die Geschichte des Emirs und der schönen Sklavin blieb nicht lange geheim, und dieser Prinz hatte die Ehre, der erste Mann von seiner Art zu seyn, den man jemals in diesen Gegenden gesehen hatte. Die Einwohner des Hauses, männliche und weibliche, konnten gar nicht von ihrem Erstaunen über ihn zurückkommen. Sie hatten gar keinen Begriff davon, wie man das seyn könne, was er war. Das arme Geschöpf! riefen sie alle mit einem Ton des Mitleidens, welcher nicht sehr geschickt gewesen wäre sein Leid zu ergötzen. Wirklich war der unglückliche Mann in seinem ganzen Leben nie so übel mit sich selbst zufrieden gewesen, als in dieser nämlichen Nacht. Die Vergleichung, die er zwischen sich selbst, einem Greise von zwei und dreißig, und diesem silberlockigen Jüngling von achtzig anstellte — begleitet von den Vorstellungen, welche ihm die schöne Sklavin zurückgelaufen hatte, war mehr als genugsam ihn zur Verzweiflung zu bringen. Er biß die Lippen zusammen, schlug sich vor den Kopf, und verfluchte in der Bitterkeit seines Herzens seinen Harem, seinen Leibarzt, seine Köche, und die jungen Thoren, die ihn durch Beispiel und Grundsätze aufgemuntert hatten, sein Leben so eilfertig zu verschwenden. Erschöpft von ohnmächtiger Wuth, und betäubt von einem Schwall quälender Gedanken, die ihm das Gefühl seines Daseyns zur Marter machten, schlummerte er endlich ein; und da er nach einigen Stunden wieder erwachte, fehlte wenig, daß er nicht alles, was ihm seit seinem letzten Schlafe begegnet war, für einen bloßen Traum gehalten hätte. Wenigstens wandte er alle seine Kräfte an, die Erinnerung an den unangenehmsten Theil seiner Begegnisse zu unterdrücken; und in der Hoffnung, daß neue Eindrücke ihm dazu am beförderlichsten seyn würden, öffnete er ein Fenster, aus welchem er die Gärten vor sich liegen sah, die sich von der Morgenseite um das Haus herum zogen. Eine reine mit tausend erquickenden Düften erfrischte Luft zerstreute die düstern Wolken, die noch um sein Gehirn hingen; er fühlte sich gestärkt; dieses Gefühl fachte wieder einen Funken von Hoffnung in seinem Busen an, und mit der Hoffnung kehrt die Liebe zum Leben zurück. Indem er diese Gärten betrachtete, und, seinem verwöhnten Geschmack am Prächtigen und Erkünstelten zu Trotz, sich nicht erwehren konnte, sie bei aller ihrer nützlichen Einfalt und anscheinenden Wildheit schön zu finden, ward er den Alten gewahr, der, halb von Gesträuchen bedeckt, sich mit kleinen Gärtnerarbeiten beschäftigte, welche der Emir nie gewürdiget hatte, sich einen Begriff davon zu erwerben. Die Begierde, alles Befremdende und Wunderbare, das er in diesem Hause gesehen, sich erklären zu lassen, bewog ihn, in die Gärten herab zu steigen, um sich mit dem Alten in ein Gespräch einzulassen. Nachdem er ihm für seine leutselige Aufnahme gedankt hatte, fing er an, ihm seine Verwunderung darüber zu bezeugen, daß ein Greis von seinen Jahren noch so gerade, so geschäftig, so lebhaft und so fähig seyn könne, an den Vergnügungen des Lebens Antheil zu nehmen. Wenn deine silbernen Haare und dein eisgrauer Bart nicht von einem hohen Alter zeugten, setzte er hinzu, so müßte man dich für einen Mann von vierzig halten. Ich bitte dich, erkläre mir dieses Räthsel. Was für ein Geheimniß besitzest du, welches solche Wunder wirken kann?"Ich kann dir mein Geheimniß mit drei Worten sagen, erwiederte der Alte lächelnd: Arbeit, Vergnügen und Ruhe, jedes in kleinem Maße, zu gleichen Theilen vermischt, und nach dem Winke der Natur abgewechselt, wirken dieses Wunder, wie du es zu nennen beliebst, auf die begreiflichste Weise von der Welt. Eine nicht unangenehme Mattigkeit ist der Wink, den uns die Natur gibt, unsre Arbeit mit Ergötzungen zu unterbrechen; und ein ähnlicher Wink erinnert uns, von beiden auszuruhen. Die Arbeit unterhält den Geschmack an den Vergnügungen der Natur, und das Vermögen sie zu genießen; und nur derjenige, für den ihre reinen untadelhaften Wollüste allen Reiz verloren haben, ist unglücklich genug, bei erkünstelten eine Befriedigung zu suchen, welche sie ihm nie gewähren werden. Lerne an mir, werther Fremdling, wie glücklich der Gehorsam gegen die Natur macht. Sie belohnt uns dafür mit dem Genuß ihrer besten Gaben. Mein ganzes Leben ist eine lange selten unterbrochene Kette von angenehmen Augenblicken gewesen; denn die Arbeit selbst, eine unsern Kräften angemessene und von keinen verbitternden Umständen begleitete Arbeit, ist mit einer Art von sanfter Wollust verbunden, deren wohlthätige Einflüsse sich über unser ganzes Wesen verbreiten. Aber um durch die Natur glücklich zu seyn, muß man die größte ihrer Wohlthaten, die das Werkzeug aller übrigen ist, die Empfindung, unverdorben erhalten haben; und zum richtigen Empfinden ist richtig Denken eine unentbehrliche Bedingniß."Der Alte sah seinem Gast an der Miene an, daß er ihn nur mittelmäßig verstand. Ich werde dir vielleicht verständlicher seyn, fuhr er fort, wenn ich dir die Geschichte unsrer !einen Colonie erzähle; denn in jeder andern Wohnung, wohin der Zufall dich in diesen Thälern hätte führen können, würdest du alles ungefähr eben so gefunden haben wie bei mir. Der Emir bezeugte, daß er ihm sehr gern zuhören wollte. Er hatte ein so ermüdetes Ansehen, daß ihm der mitleidige Alte den Vorschlag that, sich auf einen Sofa in einem mit Citronenbäumen umpflanzten Gartensaale niederzulassen; wiewohl ihm selbst ein Spaziergang unter den Bäumen angenehmer gewesen wäre."Der Emir nahm dieß Anerbieten willig an, und während eine schöne junge Sklavin sie mit dem besten Kaffee von Moka bediente, fing der muntre Greis seine Erzählung also an:"Eine alte Ueberlieferung sagt uns, daß unsre Vorfahren von Griechischer Abkunft gewesen, und durch einen Zufall, an dessen Umständen dir nichts gelegen seyn kann, vor einigen Jahrhunderten in diese Gebirge geworfen worden. Sie pflanzten sich in diesen angenehmen Thälern an, welche die Natur dazu bestimmt zu haben scheint, eine kleine Anzahl von Glücklichen vor der Mißgunst und den ansteckenden Sitten der übrigen Sterblichen zu verbergen. Hier lebten sie, in zufriedener Einschränkung in den engen Kreis der Bedürfnisse der Natur, dem Anschein nach so armselig, daß selbst die benachbarten Beduinen sich um ihr Daseyn wenig zu bekümmern schienen. Die Zeit löschte nach und nach den größten Theil der Merkmale ihres Ursprungs aus; ihre Sprache verlor sich in die Arabische; ihre Religion artete in einige abergläubische Gebräuche aus, von welchen sie selbst keinen Grund anzugeben wußten; und von den Künsten, die der Griechischen Nation einen unverlierbaren Rang über alle übrigen gegeben haben, blieb ihnen nur die Liebe zur Musik, und ein gewisser angeborner Hang zum Schönen und zu geselligen Vergnügungen, welcher die Grundlage abgab, worauf der weise Gesetzgeber ihrer Nachkommen einen kleinen Staat von glückseligen Menschen aufzuführen wußte. Begierig, die Schönheit der Formen unter sich zu verewigen, machten sie sich zu einem Gesetze, nur die schönsten unter den Töchtern des benachbarten Yemen unter sich aufzunehmen; und dieser Gewohnheit (welche unser Gesetzgeber würdig gefunden hat, ihr die Heiligkeit einer unverletzlichen Pflicht zu geben) ist es ohne Zweifel beizumessen, daß du in allen unsern Thälern keine Person weder von unserm noch vom andern Geschlechte finden wirst, welche nicht jenseits der Gebirge für eine seltene Schönheit gelten sollte."Zu den Zeiten meines Großvaters kam der vortreffliche Mann, dem wir unsre dermalige Verfassung zu danken haben, der zweite und eigentliche Stifter unsrer Nation, durch eine Kette von Zufällen in diese Gegend. Wir wissen nichts, weder von seiner Abkunft, noch von den Begebenheiten seines Lebens vor dem Zeitpunkte, da er zu uns kam. Er schien damals ein Mann von fünfzig Jahren zu seyn; er war lang, von majestätischer Gestalt, und von so einnehmendem Bezeigen, daß er in kurzer Zeit alle Herzen gewann. Er hatte so viel Geld mit sich gebracht, daß es einem jeden in die Augen fallen mußte, er habe keine andre Ursache unter uns zu leben, als weil es ihm bei uns gefiel. Das Sanfte und Gefällige seiner Sitten, die ungekünstelte Weisheit seiner Gespräche, die Kenntnisse, die er von tausend nützlichen und angenehmen Dingen hatte, verbunden mit einer Beredsamkeit, die auf eine unwiderstehliche Art sich in die Seelen einstahl, gaben ihm nach und nach ein unbegränzteres Ansehen unter uns, als ein Monarch über seine angebornen Unterthanen zu haben pflegt. Er fand unsre kleine Nation fähig, glücklich zu seyn; und Menschen, sagte er zu sich selbst, welche etliche Jahrhunderte sich an dem Unentbehrlichen begnügen lassen konnten, verdienen es zu seyn, ich will sie glücklich machen. Er verbarg sein Vorhaben eine geraume Zeit, weil er weislich glaubte, daß er die ersten Eindrücke durch sein Beispiel machen müsse. Er pflanzte sich unter uns an, lebte in seinem Hause so, wie du uns hast leben gesehen, machte unsre Leute mit Bequemlichkeiten und Vergnügungen bekannt, die ihre Begierden reizen mußten, und kaum ward er gewahr, daß er diesen Zweck erhalten habe, so legte er die Hand an seinen großen Entwurf. Ein Freund, der ihn begleitet hatte und von allen schönen Künsten in einem hohen Grade der Vollkommenheit Meister war, half ihm die Ausführung beschleunigen. Viele von unsern Jünglingen, nachdem sie die nöthige Vorbereitung von ihnen erhalten hatten, arbeiteten unter ihrer Aufsicht mit unbeschreiblicher Begeisterung. Wilde Gegenden wurden angebaut; künstliche Wiesen und Gärten voll fruchttragender Bäume blühten in Gegenden hervor, die mit Disteln und Heidekraut bedeckt gewesen waren; und Felsen wurden mit neugepflanzten Weinreben beschattet. Mitten auf einer kleinen Anhöhe, die das schönste unsrer Thaler beherrscht, stieg ein runder auf allen Seiten offner Tempel empor, in dessen Mitte nichts als eine Estrade, um drei Stufen höher als der Fußboden, und auf diesen drei Bilder von weißem Marmor zu sehen waren; Bilder, die man ohne Liebe und sanftes Entzücken nicht ansehen konnte. Ein Hain von Myrten zog sich in einiger Entfernung um den kleinen Tempel und bedeckte die ganze Anhöhe. Dieses letzte Werk war allen unsern Leuten ein Räthsel, und Psammis (so nannte sich der wunderbare Fremdling) verzog so lange, ihnen die Auflösung davon zu geben, bis er merkte, daß alle die zärtliche Ehrerbietung, die sie für ihn empfanden, nicht länger vermögend war, ihre Ungeduld zurückzuhalten."Endlich führte er am Morgen eines schönen Tages, welcher seitdem der heiligste unsrer festlichen Tage ist, eine Anzahl der Unsrigen, die er als die geschicktesten zu seinem Vorhaben ausgewählt hatte, auf die Anhöhe, setzte sich mit ihnen unter die Myrten und gab ihnen zu erkennen: "Daß er in keiner andern Absicht zu ihnen gekommen sey, als sie und ihre Nachkommen glücklich zu machen; daß er keine andre Belohnung dafür erwarte, als das Vergnügen, seine Absicht erreicht zu haben: und daß er keine andre Bedingung von ihnen fordere, als ein feierliches Gelübde, die Gesetze unverbrüchlich zu halten, die er ihnen geben würde." Es würde zu weitläufig seyn, fuhr der Alte fort, dir zu erzählen, was er sagte um seine Zuhörer zu überzeugen, und was er that um sein angefangenes Werk auszuführen, und ihm alle die Festigkeit zu geben, welche ein auf die Natur gegründeter Entwurf durch weise Vorsicht erhalten kann. Eine Probe seiner Sittenlehre, die den ersten Theil seiner Gesetzgebung ausmacht, wird hinlänglich seyn, dir davon einigen Begriff zu geben."Jeder von uns empfängt beim Antritt seines vierzehnten Jahres, an dem Tage, da er in dem Tempel der Huldgöttinnen das Gelübde thun muß, der Natur gemäß zu leben, einige Täfelchen aus Ebenholz, auf welchen diese Sittenlehre mit goldnen Buchstaben geschrieben ist. Wir tragen sie immer bei uns, und sehen sie als ein Heiligthum und gleichsam als den Talisman an, an welchen unsre Glückseligkeit gebunden ist. Wer sich unterfinge andre Grundsätze einführen zu wollen, würde als ein Vergifter unsrer Sitten und als ein Zerstörer unsers Wohlstandes auf ewig aus unsern Gränzen verbannt werden. Höre, wenn es dir gefällt, was ich dir davon vorlesen will."
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"Das Wesen der Wesen (so spricht Psammis im Eingange seiner Gesetze), welches, unsichtbar unsern Augen und unbegreiflich unserm Verstande, uns sein Daseyn nur durch Wohlthaten zu empfinden gibt, bedarf unser nicht, und fordert keine andre Erkenntlichkeit von uns, als daß wir uns glücklich machen lassen."Die Natur, die zu unsrer allgemeinen Mutter und Pflegerin von ihm bestellt ist, flößet uns mit den ersten Empfindungen auch die Triebe ein, von deren Mäßigung und Uebereinstimmung unsre Glückseligkeit abhängt. Ihre Stimme ist es, die durch den Mund ihres Psammis mit euch redet, seine Gesetze sind keine andern als die ihrigen."Sie will, daß ihr eures Daseyns froh werdet. Freude ist der letzte Wunsch aller empfindenden Wesen: sie ist dem Menschen, was Luft und Sonnenschein den Pflanzen ist. Durch süßes Lächeln kündigt sie die erste Entwicklung der Menschheit im Säugling an, und ihr Abschied ist der Vorbote der Auflösung unsers Wesens. Liebe und gegenseitiges Wohlwollen sind ihre reichsten und lautersten Quellen: Unschuld des Herzens und der Sitten das sanfte Ufer, in welchem sie dahin fließen."Diese wohlthätigen Ausflüsse der Gottheit sind es, was ihr unter den Bildern vorgestellt sehet, denen euer gemeinschaftlicher Tempel heilig ist. Betrachtet sie als Sinnbilder der Liebe, der Unschuld und der Freude. So oft der Frühling wieder kommt, so oft Ernte und Herbst angehen und geendigt sind, und an jedem andern festlichen Tage versammelt euch in dem Myrtenhaine, betreuer den Tempel mit Rosen, und kränzet diese holden Bilder mit frischen Blumen; erneuert vor ihnen das unverletzliche Gelübde, der Natur getreu zu bleiben; umarmet einander unter diesen Gelübden, und die Jugend beschließe das Fest, unter den frohen Augen der Alten, mit Tänzen und Gesang. Die junge Schäferin, wenn ihr Herz aus dem langen Traume der Kindheit zu erwachen beginnt, schleiche sich einsam in den Myrtenhain, und opfre der Liebe die ersten Seufzer, die ihren sanften Busen heben; die junge Mutter, mit dem lächelnden Säugling im Arme, wandle oft hierher, ihn zu den Füßen der holden Göttinnen in süßen Schlummer zu singen."Höret mich, ihr Kinder der Natur! — denn diesen und keinen andern Namen soll euer Volk künftig führen."Die Natur hat alle eure Sinne, hat jedes Fäserchen des wundervollen Gewebes eures Wesens, hat euer Gehirn und euer Herz zu Werkzeugen des Vergnügens gemacht. Konnte sie euch vernehmlicher sagen, wozu sie euch geschaffen hat?"Wär' es möglich gewesen, euch des Vergnügens fähig zu machen, ohne daß ihr auch des Schmerzes fähig seyn mußtet, so — würde es geschehen seyn. Aber so viel möglich war, hat sie dem Schmerz den Zugang zu euch verschlossen. So lang' ihr ihren Gesetzen folget, wird er eure Wonne selten unterbrechen; noch mehr, er wird euer Gefühl für jedes Vergnügen schärfen, und dadurch zu einer Wohlthat werden; er wird in euerm Leben seyn, was der Schatten in einer schönen sonnigen Landschaft, was die Dissonanz in einer Symphonie, was das Salz an euern Speisen ist."Alles Gute löset sich in Vergnügen auf, alles Böse in Schmerz. Aber der höchste Schmerz ist das Gefühl, sich selbst unglücklich gemacht zu haben —(hier holte der Emir einen tiefen Seufzer) — und die höchste Lust, das heitre Zurücksehen in ein wohl gebrauchtes, von keiner Reue bedecktes Leben."Niemals möge unter euch, ihr Kinder der Natur, das Ungeheuer geboren werden, das eine Freude darin findet, andre leiden zu sehen, oder unfähig ist, sich ihrer Freude zu erfreuen! Nein, ein so unnatürliches Mißgeschöpf kann nicht zum Vorschein kommen, wo Unschuld und Liebe sich vereinigen, den Geist der Wonne über alles was athmet auszugießen. Freuet euch, meine Kinder, eures Daseyns, eurer Menschheit; genießet, so viel möglich, jeden Augenblick eures Lebens: aber vergesset nie, daß ohne Mäßigung auch die natürlichsten Begierden zu Quellen des Schmerzens, durch Uebermaß die reinste Wollust zu einem Gifte wird, das den Keim eures künftigen Vergnügens zernaget. Mäßigung und freiwillige Enthaltung ist das sicherste Berwahrungsmittel gegen Ueberdruß und Erschlaffung. Mäßigung ist Weisheit, und nur dem Weisen ist es gegönnt, den Becher der reinen Wollust, den die Natur jedem Sterblichen voll einschenkt, bis auf den letzten Tropfen auszuschlürfen. Der Weise versagt sich zuweilen ein gegenwärtiges Vergnügen, nicht weil er ein Feind der Freude ist, oder aus alberner Furcht vor irgend einem gehässigen Dämon, der darüber zürnte, wenn sich die Menschen freuen; sondern, um durch seine Enthaltung sich auf die Zukunft zu einem desto vollkommnern Genusse des Vergnügens auszusparen."Höret mich, ihr Kinder der Natur! Höret ihr unveränderliches Gesetz! Ohne Arbeit ist keine Gesundheit der Seele noch des Leibes, ohne diese keine Glückseligkeit möglich. Die Natur will, daß ihr die Mittel zur Erhaltung und Versüßung eures Daseyns als Früchte einer mäßigen Arbeit aus ihrem Schooße ziehen sollet. Nichts als eine nach dem Grade eurer Kräfte angenommene Arbeit wird euch die nothwendige Bedingung alles Vergnügens, die Gesundheit, erhalten."Ein kranker oder kränkelnder Mensch ist in jeder Betrachtung ein unglückliches Geschöpf. Alle Kräfte seines Wesens leiden dadurch; ihr natürliches Verhältniß und Gleichgewicht wird gestört, ihre Lebhaftigkeit geschwächt, ihre Richtung verändert. Seine Sinne stellen ihm verfälschte Abdrücke der Gegenstände dar; das Licht seines Geistes wird trübe; und sein Urtheil von dem Werthe der Dinge verhält sich zum Urtheil eines Gesunden, wie Sonnenschein zum düstern Schein der sterbenden Lampe in einer Todtengruft."Von dem Augenblick an, — und o! möchte dann, wann er kommt, die Sonne auf ewig für euch verlöschen! —von dem Augenblick an, da Unmäßigkeit oder erkünstelte Wollüste die Samen schleichender und schmerzvoller Krankheiten in euern Adern verbreitet haben werden, verlieren die Gesetze des Psammis ihre Kraft euch glücklich zu machen. Dann werfet sie in die Flammen, ihr Unglückseligen! denn die Göttinnen der Freude werden sich in Furien für euch verwandeln. Dann kehret eilends in eine Welt zurück, wo ihr ungestraft euer Daseyn verwünschen könnet, und wenigstens den armseligen Trost genießet, überall Mitgenossen euers Elends zu sehen."Suchet niemals, meine Kinder, einen höhern Grad von Kenntniß, als ich euch mitgetheilt habe. Ihr wißt genug, wenn ihr gelernt habt, glücklich zu seyn."Gewöhnet euer Auge an die Schönheit der Natur; und aus ihren mannichfaltig schönen Formen, ihren reichen Zusammensetzungen, ihrer reizenden Farbengebung füllet eure Phantasie mit Ideen des Schönen an. Bemühet euch, allen Werken eurer Hände und eures Geistes den Stempel der Natur, Einfalt und ungezwungene Zierlichkeit, einzudrücken. Alles, was euch in euern Wohnungen umgibt, stelle euch ihre Schönheiten vor, und erinnere euch, daß ihr ihre Kinder seyd!"Alle andern Werke der Natur scheinen nur spielende Versuche und Vorübungen, wodurch sie sich zur Bildung ihres Meisterstücks, des Menschen, vorbereitet. In ihm allein scheint sie alles, was sie diesseits des Himmels vermag, vereiniget, an ihm allein mit Wärme und verliebt in ihr eigenes Werk gearbeitet zu haben. Aber sie hat es in unserer Gewalt gelassen, es zu vollenden, oder zu verderben. "Warum that sie das?" Ich weiß nichts davon; aber nach dem, was sie gethan hat, müssen wir das bestimmen, was wir zu thun haben. Jede harmonische Bewegung unsers Körpers, jede sanfte Empfindung der Freude, der Liebe, der zärtlichen Sympathie verschönert uns; jede allzu heftige oder unordentliche Bewegung, jede ungestüme Leidenschaft, jede neidische und übelthätige Gesinnung verzerrt unsre Gesichtszüge, vergiftet unsern Blick, würdiget die schöne menschliche Gestalt zur sichtbaren Aehnlichkeit mit irgend einer Ari von Vieh herab. So lange Güte des Herzens und Fröhlichkeit die Seele eurer Bewegungen bleiben, werdet ihr die schönsten unter den Menschenkindern seyn.Das Ohr ist, nach dem Auge, der vollkommenste unsrer Sinne. Gewöhnet es an kunstlose, aber seelenvolle Melodien, aus welchen schöne Gefühle athmen, die das Herz in sanfte Bebungen setzen, oder die einschlummernde Seele in süße Träume wiegen. Freude, Liebe und Unschuld stimmen den Menschen in Harmonie mit sich selbst, mit allen guten Menschen, mit der ganzen Natur. So lange euch diese beseelen, wird jede eurer Bewegungen, der gewöhnliche Ton eurer Stimme, eure Sprache selbst wird Musik seyn."Psammis hat euch neue Quellen angenehmer Empfindungen mitgetheilt: durch ihn genießet ihr, von der täglichen Arbeit ermüdet, einer wollüstigen Ruhe; durch ihn ergötzen liebliche Früchte, in diesen fremden Boden verpflanzet, euern Gaumen; durch ihn begeistert euch der Wein zu höherer Fröhlichkeit, zu offenherzigem Geschwätze und geistreichem Scherz, ohne welche dem geselligen Gastmahle seine beste Würze fehlt. In der Liebe, die ihr nur unter der niedrigen Gestalt des Bedürfnisses kanntet, hat er euch die Seele des Lebens, die Quelle der schönsten Begeisterung und der reinsten Wollust des Herzens bekannt gemacht. O meine Kinder! welche Lust, welches angenehme Gefühl sollt' ich euch versagen? Keines, gewiß keines, das euch die Natur zugedacht hat! Ungleich den schwülstigen Afterweisen, welche den Menschen zerstören wollen, um — eitles lächerliches Bestreben! — einen Gott aus seinen Trümmern hervorzuziehen! Ich empfehle euch die Mäßigung; aber aus keinem andern Grunde, als weil sie unentbehrlich ist, euch vor Schmerzen zu bewahren, und immer zur Freude aufgelegt zu erhalten. Nicht aus Nachsicht gegen die Schwachheit der Natur erlaub' ich — nein, aus Gehorsam gegen ihre Gesetze befehl' ich euch, eure Sinne zu ergötzen. Ich habe den betrüglichen Unterschied zwischen Nützlich und Angenehm aufgehoben: ihr wisset, daß nichts den Namen eines Vergnügens verdient, was mit dem Schmerz eines andern oder mit später Reue bezahlt wird; und daß das Nützliche nur nützlich ist, weil es uns vor Unlust bewahrt, oder eine Quelle von Vergnügen ist. Ich habe den thörichten Gegensatz der verschiedenen Arten der Lust vernichtet, und eine ewige Eintracht zwischen ihnen hergestellt, indem ich euch den natürlichen Antheil gelehrt habe, den das Herz an jeder sinnlichen Lust, und die Sinne an jedem Vergnügen des Herzens nehmen. Ich habe eure Freuden vermehrt, verfeinert, veredelt — Was kann ich noch mehr thun?"Noch eines, und das wichtigste von allem. Lernet, meine Kinder, die leichte Kunst, eure Glückseligkeit ins Unendliche zu vermehren; das einzige Geheimniß, sie so nah als möglich der Wonne der Götter, und wenn es erlaubt wäre so kühn zu denken, der Wonne des Urhebers der Natur selbst zu nähern!"Erstrecket euer Wohlwollen auf die ganze Natur; liebet alles, was ihr allgemeinstes Geschenk, das Daseyn, mit euch theilet!"Liebet einen jeden, in welchem ihr die ehrwürdigen Kennzeichen der Menschheit erblicket, sollten es auch nur ihre Ruinen seyn."Freuet euch mit jedem, der sich freuet; wischet die Thränen der Reue von den Wangen der bestraften Thorheit, und küsset aus den Augen der Unschuld die Thränen des Mitleidens mit sich selbst."Vervielfachet euer Wesen, indem ihr euch gewöhnet, in jedem Menschen das Bild euerer eigenen Natur, und in jedem guten Menschen ein andres Selbst zu lieben."Schmecket, so oft ihr könnet, das reine göttliche Vergnügen, andere glücklicher zu machen; — und du, Unglückseliger, dem von diesem bloßen Gedanken das Herz nicht zu wallen anfängt, fliehe, fliehe auf ewig aus den Wohnungen der Kinder der Natur!"Schach-Gebal war über der Sittenlehre des weisen Psammis unvermerkt so gut eingeschlafen, daß die schöne Nurmahal für rathsam hielt, die Fortsezung der Geschichte des Emirs auf die künftige Nacht auszusetzen.
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5.

Die Sittenlehre deines — wie heißt er? ist eine vortreffliche Sittenlehre, sagte der Sultan zu Danischmenden: ich habe gut auf sie geschlafen! Aber itzt würdest du mir, weil ich noch keine Lust zu schlafen habe, einen Gefallen thun, wenn du deine Erzählung ohne weitere Sittenlehre zu Ende bringen wolltest.Danischmend antwortete wie es einem demüthigen Sklaven zusteht, und setzte seine Erzählung also fort:"Dieses," sagte der Alte, indem er seine Täfelchen wieder zusammenlegte, "sind die Grundsätze, nach welchen wir leben. Wir ziehen sie, so zu sagen, mit der Milch unsrer Mütter ein, und durch Beispiele und Gewohnheit müßten sie uns zur andern Natur werden, wenn sie auch an sich selbst der Natur nicht so ganz gemäß wären, als sie es sind. Kannst du dich nun noch länger verwundern, daß ich in einem Alter von achtzig Jahren fähig bin, meinen Antheil an den Vergnügungen des Lebens zu nehmen? daß mein Herz und meine Sinne noch jedem sanften Gefühl offen stehen, meine Augen noch immer gern auf schönen Formen verweilen; und daß, wenn auch die Natur meinem Alter Freuden versagt, die ich weder verachte noch vermisse, ich zufrieden bin, diejenigen zu genießen, welche sie mir gelassen hat; kurz, daß der letzte Theil meines Lebens dem Abend einer schönen Nacht ähnlich ist, und ich wenigstens in diesem Stücke dem Weisen gleiche, der (um den Ausdruck unsers Gesetzgebers zu wiederholen) den Becher der reinen Wollust bis auf den letzten Tropfen ausschlürft; und, ich schwöre bei diesem alles beleuchtenden Auge der Natur, unsrer allgemeinen Mutter, daß ich mit dem letzten Athemzuge, wenn ich anders noch die Kraft dazu habe, den letzten Tropfen davon auf meinen Nagel sammeln und hinunter schlürfen will!"Der alte Mann sagte dieß mit einem so angenehm auflodernden Feuer, daß der Emir darüber lächeln mußte; aber es war zu viel Neid und Unmuth unter dieses Lächeln gemischt, als daß sein Gesicht in den Augen einer Tochter der Natur viel dabei gewonnen hätte."Den übrigen Theil unsrer Gesetzgebung, fuhr der Alte fort, welcher unsre Polizei betrifft, werde ich dir am besten durch eine Beschreibung unsrer Lebensart und unsrer Sitten begreiflich machen. Unsre kleine Nation, welche ungefähr aus fünfhundert Familien besteht, lebt in einer vollkommenen Gleichheit; indem wir keines andern unterschiedes bedürfen, als den die Natur selbst, die das Mannichfaltige liebt, unter den Menschen macht. Die Liebe zu unsrer Verfassung, und die Ehrerbietung gegen die Alten, welche wir als die Bewahrer derselben ansehen, ist hinlänglich, Ordnung und Ruhe, die Früchte übereinstimmender Grundsätze und Neigungen, unter uns zu erhalten. Wir betrachten uns alle als eine einzige Familie, und die kleinen Mißhelligkeiten, die unter uns entstehen können, sind den Zänkereien der Verliebten oder einem vorübergehenden Zwiste zärtlicher Geschwister ähnlich. Unsre Festtage sind die einzigen Gerichtstage, die wir kennen; unser ganzes Volk versammelt sich dann vor dem Tempel der Huldgöttinnen, und unter ihren Augen werden von unsern Aeltesten alle Händel beigelegt, und alle gemeinschaftlichen Abredungen genommen."Wir nähren und bekleiden uns von unsern eigenen Producten, und das Wenige, was uns abgeht, tauschen wir von den benachbarten Beduinen gegen unsern Ueberfluß ein. Unsrer Jugend überlassen wir die Sorge für die Heerden. Vom zwölften bis zum zwanzigsten Jahre sind alle unsre Knaben Hirten, alle unsre Mädchen Schäferinnen: denn der weise Psammis urtheilte, daß dieses die natürlichste Beschäftigung für das Alter der Begeisterung und der empfindsamen Liebe sey. Der Ackerbau beschäftigt die Männer vom zwanzigsten bis zum sechzigsten Jahre; und die Gärtnerei ist den Alten überlassen, welche darin von den Jünglingen der mühsameren Arbeiten überhoben werden. Der Seidenbau, die Verarbeitung der Baumwolle und Seide, die Wartung der Blumen, und die ganze innere Haushaltung gehört unsern Frauen und Töchtern zu. Jede Familie lebt so lange beisammen, als die gemeinschaftliche Wohnung sie fassen und das väterliche Gut sie ernähren kann. Geht dieses nicht mehr an, so wird eine junge Colonie errichtet, die sich in einem benachbarten Thale anpflanzt. Denn die Araber (deren Schutz wir mit einem mäßigen Tribut erkaufen, und welche die Natur in uns um so mehr zu ehren scheinen, als es ihnen wenig nützen würde, uns auszurotten) haben uns einen größern Umfang von Land überlassen, als wir in etlichen Jahrhunderten bevölkern werden. Unser Gesetzgeber urtheilte mit gutem Grunde, daß es zu Erhaltung unsrer Verfassung nöthig sey, immer ein kleines Volk zu bleiben. Er verordnete deßwegen, von Zeit zu Zeit eine Prüfung mit unsern Jünglingen vorzunehmen, und diejenigen, an denen sich ungewöhnliche Fähigkeiten, ein unruhiger Geist, eine Anlage zu Ruhmbegierde, oder auch nur ein bloßes Verlangen, die Welt zu sehen, äußern würde, von uns zu thun, und jenseits der Gebirge in irgend eine Hauptstadt von Aegypten, Syrien, Yemen oder Persien zu schicken, wo sie leicht Gelegenheit finden würden, ihre Talente zu entwickeln und ihr Glück zu machen, wie man bei diesen Völkern zu reden pflegt. Wir verlieren auf diese Weise alle zehn Jahre eine beträchtliche Anzahl von jungen Leuten; aber oft begegnet es auch, daß sie, wenigstens im Alter, wieder kommen, um das Ende ihres Lebens in der einzigen Freistätte, welche die schöne Natur vielleicht auf dem ganzen Erdboden hat, zu beschließen; und wenn sie eine sehr scharfe Art von Quarantäne ausgehalten haben, und wir versichert sind, daß die Gesundheit unsrer Seelen und Leiber nichts von ihnen zu besorgen hat, werden sie mit Vergnügen aufgenommen. Verschiedene von ihnen haben beträchtliche Reichthümer mit sich gebracht, welche an einem unserm ganzen Volke bekannten und offen stehenden Orte zu gemeinen Bedürfnissen auf künftige Fälle aufbehalten werden, ohne daß jemand daran denken sollte, sich etwas von demjenigen zueignen zu wollen, was allen angehört. Unsre Kinder werden vom dritten bis zum achten Jahre größtentheils sich selbst, das ist der Erziehung der Natur überlassen. Vom achten bis zum zwölften empfangen sie so viel Unterricht, als sie vonnöthen haben, um als Mitglieder unsrer Gesellschaft glücklich zu seyn. Wenn sie richtig genug empfinden und denken, um unsre Verfassung für die beste aller möglichen zu halten, so sind sie gelehrt genug. Jeder höhere Grad von Verfeinerung würde ihnen unnütze seyn. Mit Antritt des vierzehnten Jahres empfängt jeder angehende Jüngling die Gesetze des weisen Psammis; er gelobet vor den Bildern der Huldgöttinnen, ihnen getreu zu seyn; und dieses Gelübde wiederholt er im zwanzigsten, da er mit dem Mädchen, welches er in seinem Hirtenstande geliebt hat, vermählt wird. Denn die Liebe allein stiftet unsre Heirathen. Im dreißigsten Jahr ist ein jeder verbunden, zu seiner ersten Frau die zweite, und im vierzigsten die dritte zu nehmen, wofern er nicht hinlängliche Ursachen dagegen anführen kann, wovon wir kein Beispiel haben. Diese Vorsicht war vonnöthen, weil die natürliche Proportion in der Anzahl der Jünglinge und Mädchen durch Verschickung eines Theils der ersten beträchtlich vermindert wird. Wir haben Sklaven und Sklavinnen; aber mehr zum Vergnügen, als um einen andern Nutzen von ihnen zu ziehen. Wir erkaufen sie in ihrer ersten Jugend von den Beduinen; eine untadelige Schönheit ist alles, worauf wir dabei sehen. Wir erziehen sie wie unsre eigenen Kinder; sie genießen des Lebens so gut als wir selbst; ihre Kinder sind frei, und sie selbst sind es von dem Augenblicke an, da sie uns verlassen wollen. Sie sind in nichts als in ihrer Kleidung von uns unterschieden, welche zierlicher ist als die unsrige; und das einzige Vorrecht, welches wir uns über sie herausnehmen, ist, daß sie uns bedienen, wenn wir ruhen, und daß ihre vornehmste Beschäftigung ist, uns Vergnügen zu machen."Alle unsre Vergnügungen sind natürlich und ungekünstelt; und alle unsre Gemächlichkeiten tragen das Kennzeichen der Einfalt und Mäßigung. Wir genießen die Seligkeit eines ewigen Friedens, und einer Freiheit, die vielleicht für uns allein ein Gut ist, weil wir ihren Mißbrauch nicht kennen. Wir genießen die Wollust, welche die Natur mit der Befriedigung der Bedürfnisse des Lebens, mit der Liebe, der Ruhe nach der Arbeit, und mit allen geselligen Trieben verbunden hat, vermuthlich in einem höhern Grade als die übrigen Sterblichen; wir werden unsers Daseyns vollkommener und länger froh; wir kennen die wenigsten von der unendlichen Menge ihrer Plagen, und auch diese kaum dem Namen nach. Dafür lassen wir ihnen gern ihre wirklichen oder eingebildeten Vorzüge, ihre Pracht, ihre Schwelgerei, ihre langweiligen Zeitvertreibe, ihre Geschäftigkeit einander beschwerlich zu seyn, ihre Unzufriedenheit, ihre Laster und ihre Krankheiten. Sollten wir sie um Künste beneiden, durch deren gränzenlose Verfeinerung sie ihr Gefühl so lange verzärteln, bis sie nichts mehr fühlen? oder um Wissenschaften, ohne welche wir uns wohl genug befinden, um den heimlichen Neid des Gelehrtesten unter ihnen zu erregen, wenn er uns kennen sollte? Wir sind so weit entfernt von einem solchen Neide, daß jeder Versuch, den einer von uns machen wollte, etwas an unsrer Verfassung zu bessern, oder uns mit neuen Künsten und Bedürfnissen zu bereichern, mit einer ewigen Verbannung bestrafen würde. Ich selbst, setzte der Alte hinzu, habe einige Jahre meines Lebens zugebracht, einen großen Theil des Erdbodens zu durchwandern. Ich habe gesehen, beobachtet, verglichen. Als ich dessen müde war, mit welchem Entzücken dankte ich dem Himmel, daß ich einen kleinen Winkel des Erdbodens wußte, wo es möglich war, ungeplagt glücklich zu seyn! Mit welcher Sehnsucht flog ich zu den Wohnungen des Friedens und der Unschuld zurück! — Es ist wahr, unser Volk ist, in Vergleichung aller andern, ein Völkchen von ausgemachten Wollüstigen; aber desto besser für uns! Sind wir zu tadeln, daß wir uns nicht aus allen Kräften der Natur entgegen setzen, die uns glücklich machen will?Hier endigte der Alte seine Rede. Weil die Sonne schon hoch gestiegen war, führte er seinen Gast in eine bedeckte Halle, welcher hohe dicht in einander verflochtene Castanienbäume Schatten gaben. Kaum hatten sie hier auf einem Sofa, der ringsherum lief, Platz genommen, so sah sich der Alte von einer Menge schöner Enkel umgeben, die, wie schwärmende Bienen, um ihn her wimmelten, ihn zu grüßen und an seinen Liebkosungen Antheil zu haben. Die kleinsten wurden von liebenswürdigen Müttern herbeigetragen, unter denen keine war, die in ihrem einfachen und reizendnachlässigen Putz, die weiten Aermel von ihren schneeweißen Armen zurückgeschlagen, und ihren holdseligen Knaben an den leicht bedeckten Busen gelehnt, nicht das schönste Bild einer Liebesgöttin dargestellt hätte. Der Emir vergaß über diesem rührenden Anblick eine Menge Fragen, die ihm unter der Erzählung seines Wirthes aufgestoßen waren; und dieser überließ sich gänzlich dem Vergnügen, sich an den Kindern seiner Kinder zu ergötzen. Der Contrast des hohen Alters mit der Kindheit, durch die sichtbare Verjüngerung des einen, und die liebkosende Zärtlichkeit der andern, und durch eine Menge kleiner Schattirungen, die sich besser empfinden als beschreiben lassen, gemildert; das gesunde und fröhliche Aussehen dieses Greises, die Aufheiterung seiner ehrwürdigen Stirne, das stille Entzücken, das sich beim Anblick so vieler glücklichen Geschöpfe, in denen er sich selbst vervielfacht sah, über alle seine Züge ausgoß; die liebreiche Gefälligkeit, mit welcher er ihre beunruhigende Lebhaftigkeit ertrug, oder womit er die kleinsten auf den Armen der schönen Mütter mit seinen weißen Haaren spielen ließ; — alles zusammen machte ein lebendiges Gemälde, dessen Anblick die Güte der Moral des weisen Psammis besser bewies, als die scharfsinnigsten Vernunftgründe hätten thun können. Der Emir selbst, so sehr die ungestüme Herrschaft einer groben Sinnlichkeit die sanftern und edlern Gefühle der Natur in ihm erdrückt hatte, fühlte bei diesem Anblick sein verhärtetes Herz weicher werden, und ein flüchtiger Schimmer von Vergnügen fuhr über sein Gesicht hin; ein Vergnügen, gleich dem himmlischen Lichtstrahl, der, plötzlich in den nachtvollen Abgrund einfallend, den verdammten Seelen einen flüchtigen Blick in die ewigen Wohnungen der Liebe und der Wonne gestatten würde, um die Qual ihrer Verzweiflung vollkommen zu machen."Die Urkunde, aus welcher ich diese Erzählung gezogen habe, fuhr Danischmend fort, steht hier still; ohne uns von dem Aufenthalte des Emirs bei diesen Glücklichen weitere Nachrichten zu geben. Einige Scholiasten sagen, daß er in voller Wuth über die trostlose Vergleichung ihres Zustandes mit dem seinigen sich von einer Felsenspitze herabgestürzt habe. Aber ein andrer, dessen Zeugniß ungleich mehr Gewicht hat, versichert, daß er unmittelbar nach seinem Abschiede von den Kindern der Natur in den Orden der Derwischen getreten sey, und sich in der Folge, unter dem Namen Schek Kuban, den Ruhm eines der größten Sittenlehrer in Yemen erworben habe. Er unterschied sich, sagt man, besonders durch die Lebhaftigkeit der Abschilderungen, die er von den unseligen Folgen einer zügellosen Sinnlichkeit zu machen pflegte. Man bewunderte die Stärke und Wahrheit seiner Gemälde, und niemand, oder nur sehr wenige, welche die Gaben haben, zu errathen was für ein Gesicht hinter jeder Maske steckt, begriffen, warum er so gut malen konnte. Er hätte nützlich seyn können, wenn er es dabei hätte bewenden lassen. Aber Mißgunst und Verzweiflung erlaubten ihm nicht, in so bescheidenen Schranken zu bleiben. Er warf sich zum erklärten Feinde aller Freuden und Vergnügungen des Lebens auf. Ohne den natürlichen und weisen Gebrauch derselben von dem sich selbst strafenden Mißbrauche zu unterscheiden, schilderte er die Wollust und die Freude als verderbliche Sirenen ab, die den armen Wanderer durch die Süßigkeit ihrer Stimme herbeilocken, um ihm das Mark aus den Beinen zu saugen, das Fleisch von den Knochen zu nagen, und, wenn sie nichts mehr an ihm finden, den Rest den Maden zur Speise hinzuwerfen. Er beschrieb die Liebe zum Vergnügen als eine unersättliche Leidenschaft. Hoffen, daß man sie werde in Schranken halten können, sagte er, das wäre eben so weise, als wenn einer eine Hyäne auf seinem Schooß erziehen wollte, in Hoffnung, sie zahm und gutartig zu machen. Unter diesem Vorwande befahl er, alle sinnlichen Neigungen auszurotten. Sogar die Vergnügungen der Einbildungskraft hießen ihm gefährliche Fallstricke, und die verfeinerte Wollust des Herzens und der Sinne ein künstlich zubereitetes Gift, dessen Verfertiger mit ewigen Flammen bestraft zu werden verdienten. Diese unbesonnene Sittenlehre, die Frucht seiner verdorbenen Säfte, seines ausgetrockneten Gehirns, und des immerwährenden Grams, in welchem seine düstre Seele wohnte, predigte er so lange, bemühte sich so sehr, sie durch tausend sophistische Schlüsse sich selbst wahr zu machen, bis er es endlich so weit brachte, sich völlig davon überzeugt zu glauben. Itzt bildete er sich ein, daß es lauter Menschenliebe sey, was ihn anfeure, alle Leute zu eben so unglückseligen Geschöpfen machen zu wollen, als er selbst war; und nachdem seine Krankheit ihre höchste Stufe erreicht hatte, endigte er damit, die Zerrüttung seiner Empfindungswerkzeuge und Begriffe dem höchsten Wesen selbst beizulegen, und den Schöpfer des Guten, dessen durch das Unermeßliche ausgebreitete Kraft Leben und Wonne ist, als einen grämischen Dämon abzuschildern, den die Freude seiner Geschöpfe beleidigt, und dessen Zorn nur Enthaltung von allem Vergnügen, nur Seufzer, Thränen und freiwillige Martern besänftigen können.Es ließen sich noch viele merkwürdige Dinge von den Folgen dieser menschenfeindlichen Sittenlehre sagen, und von dem sinnreichen Gebrauche, welchen die Derwischen, Fakirn, Talapoinen, Bonzen und Lamas in allen Theilen von Asien und Indien davon zu machen gewußt haben. Aber ich würde doch am Ende nur Dinge sagen, die dem Sultan meinem Herrn und der ganzen Welt längst bekannt sind (wiewohl, ohne daß die Welt sich dadurch besser zu befinden scheint), und es gibt eine Zeit anzufangen und eine Zeit aufzuhören, sagt der weise Zoroaster.Schach-Gebal war (wir wissen nicht warum) mit der Erzählung des Philosophen Danischmend, besonders mit dem Ende derselben, so wohl zufrieden, daß er sogleich Befehl gab, ihm fünfhundert Bahamd'or aus seinem Schatze auszuzahlen. Sobald, setzte er hinzu, die Stelle eines Oberaufsehers über die Derwischen und Bonzen ledig wird, soll sie kein andrer haben als Danischmend!Nicht von Ungefähr, sondern weil der Sultan von Nurmahal voraus berichtet worden war, daß die Derwischen beim Schlusse der Erzählung des Doctors übel wegkommen würden, hatte der oberste Iman des Hofes Befehl erhalten, sich diese Nacht beim Schlafengehen des Sultans einzufinden. Seine Majestät ergötzten sich nicht wenig an dem Verdrusse, welchen der Iman, wie Sie glaubten, über die Verwandlung des Emirs in einen Derwischen empfinden würde. Aber vermuthlich eben darum, weil der Iman, ohne daß er darum schlauer als andre war, merken mußte, warum er die Ehre hätte da zu seyn, beobachtete er sich selbst so genau, daß ihm nicht das geringste Zeichen von Verdruß entwischte. Indessen konnt er sich doch nicht erwehren die Anmerkung zu machen: "wofern es auch (woran er doch billig zweifle) ein solches Völkchen in der Welt gäbe, wie diese so genannten Kinder der Natur, so glaube er doch, daß man besser thun würde, die Nachrichten davon entweder gänzlich zu unterdrücken, oder wenigstens nicht unter das Volk kommen zu lassen."Und aus was für Ursachen, wenn man Euer Ehrwürden bitten darf? fragte der Sultan.Ich erstrecke diese meine Meinung, versetzte der Iman, auf alle diese Schilderungen von, ich weiß nicht was für, idealischen Menschen, die man unter dem angeblichen Scepter der Natur ein sorgenfreies, aus lauter Wollust und angenehmen Empfindungen zusammengewebtes Leben zubringen läßt. Je unschuldiger und liebenswürdiger man ihre Sitten vorstellt, desto schädlicher ist der Eindruck, den solche Erdichtungen auf den größten Haufen machen werden. Aufrichtig zu reden (fuhr er in einem sanft schleichenden Tone fort, der ausdrücklich für seine wohlmeinende Miene gemacht war), ich kann nicht absehen, was für einen Nutzen man davon erwartet; oder wie man sich selbst verbergen kann, daß sie zu nichts anderm dienen können, als einen Geist der Weichlichkeit in der Welt auszugießen, der die Bürger des Staats von allen mühsamen Anstrengungen und beschwerlichen Unternehmungen abschreckt, und (indem er das Verlangen allgemein macht, auch so glücklich zu seyn als diese angeblichen Günstlinge der Natur, deren wollüstige Moral man uns für Weisheit gibt) zuwege zu bringen, daß sich endlich niemand mehr willig finden wird, das Feld zu bauen, harte Handarbeiten zu verrichten, und sein Leben zur See oder gegen die Feinde des Staats zu wagen. Ueberhaupt erfordert die Vervollkommnung eines jeden Zweiges des politischen Wohlstandes Leute, die keine Arbeit scheuen, und die mit hartnäckig anhaltendem Fleiße, dessen keine weichliche Seele fähig ist, sich in die Wette beeifern, es in einer gewissen Art von nützlichen Beschäftigungen zur Vollkommenheit zu bringen. Ist es wohl jemals zu erwarten, daß ein wollüstiger Kaufmann reich, ein wollüstiger Künstler geschickt, oder ein wollüstiger Gelehrter groß werden könne? Wird diese Anmerkung nicht wenigstens ganz gewiß von den meisten gelten? Oder sollen wir etwan glauben, ein wollüstiger Richter werde sein Amt desto pünktlicher und gewissenhafter verwalten, oder ein weichlicher Feldherr aus dem Schooße der Ueppigkeit desto tapferer hervorgehen, die Beschwerlichkeiten eines Feldzuges desto besser ausdauern, und die Feinde des Sultans unsers Herrn desto schneller und gewisser zu seinen Füßen legen? — Sie sehen, Herr Danischmend, daß ich mich der Waffen begeben kann, welche mir mein eigner Stand gegen Sie an die Hand geben könnte.Während daß der Iman diese schöne Rede hielt, sang der Sultan im Tone der langen Weile und mit halb geschlossnen Augen, la Faridondäne la Faridondon, Dondäne Dondon Dondäne, Dondäne Dondäne Dondon — denn er wußte sich etwas damit, stark in Gassenhauern zu seyn. Nun, Doctor, rief er, da der Iman fertig war, laß hören, was du diesen Gründen entgegenzusetzen hast.Ich werde, versetzte Danischmend, mit Ihrer Majestät Erlaubniß weiter nichts thun, als kürzlich zeigen, daß die Gründe des Imans erstens zu viel, zweitens zu wenig, und drittens gar nichts beweisen. Zu viel; denn alle seine Vorwürfe treffen die Natur selbst eben so stark, als die Schilderungen oder Erdichtungen, die ihm so gefährlich scheinen. Die Grundsätze des weisen Psammis, die allgemeinen Wahrnehmungen und Erfahrungen, auf welche seine Sittenlehre gebaut ist, sind keine Erdichtungen. Wenn der Zustand, worein seine Gesetzgebung die Einwohner der glücklichen Thäler setzte, unter allen der Menschheit am angemessensten, wenn er derjenige ist, worin sie am wenigsten leidet, am wenigsten Böses thut, die Wohlthaten der Natur am wenigsten mißbraucht, und am Ende ihres Laufes sich am wenigsten gereuen läßt, gelebt zu haben, — wer kann dafür, oder wer hat ein Recht, etwas dawider einzuwenden? Sind die angenehmen Empfindungen, die uns die Natur von allen Seiten anbietet, etwa bloße Schaugerichte? Sind es bloße Versuchungen, die uns in einer verdienstlichen Enthaltung üben sollen? Wenn dieß ihre Absicht gewesen ist, so muß man gestehen, daß die Natur wunderliche Grillen hat. Kann man uns übel nehmen, wenn wir geneigter sind, diejenigen, welche sie zur Thörin machen wollen, für grillenhafte Leute anzusehen? Oder was wollen wir sagen, wenn wir diese sonderbaren Sterblichen, die das Vergnügen in ganzem Ernste für einen Fallstrick ihrer Tugend halten, zu Schlachtopfern ihrer peinvollen Bemühung — die Hälfte ihres Wesens zu zerstören — werden sehen? Werden sie mit ihrer verdorbenen Galle, mit ihrer Schwermuth, mit ihrer ängstlichen Furcht alle Augenblicke einen Mißtritt zu thun, kurz mit allen den Gespenster, womit eine verwundete Einbildungskraft sich umgeben sieht, geschickter seyn, ihre eigene Vollkommenheit und das Beste der Gesellschaft zu befördern? Euer Ehrwürden, welche sich in der Lage befinden, ein Tafelgenosse des Sultans von Indien zu seyn, über die innerlichen Angelegenheiten von fünf oder sechs der schönsten Damen in Dely die Aufsicht zu führen, und alle Monate hundert Bahamd'or in Ihren Beutel fallen zu lassen, welche zu erschwingen hundert arme Landleute sich zu Gerippen arbeiten und hungern müssen, — stellen sich vielleicht den Zustand eines armen Schelms, der von Brodkrumen und Cisternenwasser lebt, und, damit die Schönheit seine Sinne nicht verführen könne, sich die Augen an der Sonne ausgebrannt hat, nicht ganz so unbehaglich vor, als ich schwören wollte, daß er seyn muß. —Bravo, Danischmend! sagte der Sultan, mit halber Stimme, und einem aufmunternden Winke, der dem Iman nicht entging.Ich sage also (fuhr der Doctor fort), wenn die Absicht der Natur nicht gewesen ist, uns durch schöne und ergötzende Gegenstände in Fallen zu locken: so beweisen die Gründe des Iman zu viel. Denn die reizendsten Schilderungen können unmöglich auch nur die Hälfte der Wirkung hervorbringen, welche die besagten Gegenstände selbst thun. Hatte hingegen die Natur wohlgemeinte Absichten, welche nur durch Leichtsinn, falschen Geschmack oder verderbte Grundsätze von den meisten vereitelt werden: so ist es löblich und nützlich, sie durch solche Schilderungen, wie diejenigen, die dem Iman zu mißfallen das Unglück haben, auf den Pfad der Natur zurückzuführen, und zu einem weisen Genuß ihrer Wohlthaten einzuladen.Zweitens beweisen seine Gründe zu wenig. Denn wenn auch die ganze Welt mit Gemälden von glücklichen Inseln und glücklichen Menschen angefüllt würde, so sind zehn an Eines zu setzen, daß die Leidenschaften, welche zu allen Zeiten die Beweger der sittlichen Welt waren, ihr Spiel nichtsdestoweniger fortspielen werden. Die Begierde nach einem glücklichen Leben wird, in jedem Staate, der auf die Ungleichheit gegründet ist, die Begierde nach Reichthum, und der Reichthum die Begierde nach Ansehen, Größe und willkürlicher Gewalt hervorbringen. Diese Leidenschaften werden, je nachdem die Grundverfassung, oder die zufällige Beschaffenheit der Staatsverwaltung, sie mehr oder weniger begünstiget, eine Menge Talente ausbrüten; und das Verlangen nach dem angenehmsten Genusse des Lebens, von welchem der Iman eine allgemeine Unthätigkeit besorgt, wird gerade das Gegentheil wirken: es wird uns emsige Leute, Erfinder, Verbesserer, Virtuosen und Helden geben, so viel und vielleicht mehr, als wir vonnöthen haben. Die idealischen Schilderungen der Wollüste der Sinne, der Einbildungskraft und des Herzens werden also, vermöge der Natur der Sache, den großen Zweck mächtig befördern helfen, der Sr. Ehrwürden so sehr am Herzen liegt. Man wird sich, wie ich gar nicht zweifle, so lange man sich an solchen Gemälden ergötzt, in diese glücklichen Inseln, Schäferwelten, oder wie man sie nennen will, hineinwünschen, wo das angenehmste Leben so wenig kostet; aber man wird des Wünschens bald überdrüssig seyn; und — ohne zu hoffen, daß man unversehens einen schönen Muschelwagen mit sechs geflügelten Einhörnern vor seiner Thüre finden werde, um den Wünscher in die idealischen Welten überzuführen —wird man sich gefallen lassen, diejenigen Mittel um glücklich zu leben anzuwenden, die in unsrer Gewalt sind, und in die Verfassung der Welt eingreifen, worin wir uns befinden. Die Schlüsse des Imans beweisen also zu viel und zu wenig, und folglich —gar nichts, welches das dritte war, was ich zeigen wollte. Doch, wir wollen den schlimmsten Fall setzen, der sich als eine Folge der Dichtungen oder Schilderungen, wovon die Rede ist, denken läßt: gesetzt, daß sie die Wirkung hätten, alle Völker, die zwischen dem Ganges und Indus wohnen, zum Entschluß zu bringen, ihrer bisherigen Lebensart zu entsagen — (wiewohl viel eher zu besorgen ist, daß mein Emir-Derwisch ganz Indostan zu seiner fanatischen Sittenlehre, als daß Psammis nur die kleinste Provinz davon zu der seinigen bekehren werde) — aber setzen wir immer den Fall; wie groß meinen Euer Ehrwürden, daß der Schade seyn würde? Psammis hätte alsdann zu Stande gebracht, woran die Weisen aller Völker seit einigen tausend Jahren mit sehr mittelmäßigem Erfolge gearbeitet haben; oder suchen diese Herren etwas andres, als die Menschen glücklicher zu machen?In der That, sagte der Sultan lachend, ich und der Iman mit seinen Brüdern würden bei einer solchen Verwandlung am meisten zu verlieren haben.Die Gefahr scheint größer als sie ist, sagte Nurmahal: sechzig Millionen Menschen, wenn gleich ihr Gesetzgeber der Engel Jesrad selber wäre, würden nicht zehn Jahre ohne Sultan und ohne Iman aushalten können.Das hoffen wir auch, sagte der Sultan. Indessen bleibt es bei dem, was ich dir versprochen habe, Danischmend. Hier, Iman, sehen Euer Ehrwürden den ernannten Nachfolger des Oberaufsehers über die Derwischen.Die Wahl macht der Weisheit Ihrer Majestät Ehre, versetzte der Iman mit einer Miene, welche ziemlich deutlich das Gegentheil sagte.Es kommt einem Sklaven nicht zu, einen andern Wunsch zu hegen, als den Willen seines Herrn, sagte Danischmend; aber wenn ich Ihre Majestät um irgend ein andres Dienstchen, wie schlecht es auch wäre, bitten dürfte —Kein Wort mehr, fiel ihm Schach-Gebal ein: Danischmend ist der Mann, und gute Nacht!
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6.

Des folgenden Abends erinnerte der junge Mirza, daß Danischmend noch die Anwendung seiner Erzählung schuldig sey.Ihr erinnert mich zu rechter Zeit, Mirza, sprach der Sultan. Er sollte über etwas seine Meinung sagen, und statt dessen erzählt' er uns ein Mährchen, oder eine Historie, die so gut als ein Mährchen ist. Was war es, Danischmend?Sire, die Rede war von einer gewissen Polizei, welche vonnöthen gewesen wäre, damit der Luxus, den die Sultanin Lili in Scheschian einführte, keinen sonderlichen Schaden thun könnte. Ich bat mir die Erlaubniß aus, die Geschichte des Emirs erzählen zu dürfen —"Gut; und ich merke ungefähr, was du damit wolltest. Du schildert uns ein kleines Völkchen von vier- oder fünfhundert Familien, die (Dank der Sittenlehre des weisen Psammis, die mich so gut einschläferte!) sich gute Tage machen, gut essen und trinken, sich von schönen Mädchen in den Schlaf singen lassen, und bei allem dem die unschuldigsten und glücklichsten Leute von der Welt sind. Das alles war recht schön zu hören: aber deine Meinung ist doch nicht, daß die Gesetzgebung des weisen Psammis für eine Nation, die aus vielen Millionen Familien besteht, brauchbar seyn könnte?"Ich danke Ihrer Majestät demüthigst für die Gerechtigkeit, die Sie meiner Vernunft angedeihen lassen, erwiederte Danischmend. Die Geschichte des Emirs und der Kinder der Natur sollte in der That nur so viel darthun: daß es ganz verschiedene Sachen seyen, ein kleines von der übrigen Welt abgeschnittenes Volk und eine große Nation, welche in Verbindung mit zwanzig andern lebt, glücklich zu machen. Zwar ist die Glückseligkeit bei dieser sowohl als bei jenem das Resultat eines der Natur gemäßen Lebens. Aber eben darum muß der Unterschied in der Hauptsumme des Guten und Bösen verhältnißweise desto größer seyn, je weiter ein Volk von der Natur entfernt, und je weniger ihm möglich ist, sich mit den bloßen Naturgesetzen zu behelfen. Weder Psammis noch Confucius, noch alle zwölf Imans, die ächten Nachfolger unsers Propheten selbst, hätten eine Gesetzgebung erfinden können, wodurch alle Angehörigen eines großen Staats so frei, ruhig, unschuldig und angenehm leben könnten, als die sogenannten Kinder der Natur. Die Ursachen fallen in die Augen. Dieser Zusammenfluß von besondern Umständen, welche zu den nothwendigen Bedingungen des Wohlstandes der letztern gehören, läßt sich bei keinem großen Volke denken. Bei diesem sind Freiheit und allgemeine Sicherheit unverträgliche Dinge; und die Gleichheit bringt unzählige Collisionen und Zwistigkeiten hervor, welche durch das Recht der Stärke entschieden werden; der Stärkere unterwirft sich den Schwächern, der Schlaue den Einfältigen, und so hört die Gleichheit auf. Ebenso unmöglich ist es, daß ein großes Volk die Vortheile der Künste, die das Leben verschönern und angenehmer machen, genießen könnte, ohne auch die Uebel zu erfahren, welche den Mißbrauch derselben begleiten. Ein sehr kleines Volk kann durch Gesinnungen und Sitten in den Schranken der Mäßigung und des Mittelstandes erhalten werden, woran seine Glückseligkeit gebunden ist. Aber ein großes Volk hat Leidenschaften vonnöthen, um in die starke und anhaltende Bewegung gesetzt zu werden, welche zu seinem politischen Leben erfordert wird. Alles, was der weiseste Gesetzgeber dabei thun kann, ist, den Schaden zu verhüten, welchen das Uebermaß oder der unordentliche Lauf dieser Leidenschaften dem ganzen Staate zuziehen könnte. Einzelne Glieder mögen immer das Opfer ihrer eigenen Thorheit werden; das ist ihre Sache. Der Gesetzgeber kann es nicht verhindern; denn dieß müßte durch Mittel geschehen, wodurch größere Uebel veranlaßt würden, um kleinere zu verhüten. Aus diesen Betrachtungen halte ich eine Polizei, durch welche der Luxus einer großen Nation ganz unschädlich werden sollte, für eine eben so große Chimäre, als das Project des Philosophen Fanfaraschin, welcher vor ungefähr hundert Jahren zwanzig Quartbände schrieb, um Anweisung zu geben, wie man alle Menschenkinder auf dem festen Land und auf den Inseln des Meeres zu Weisen und Virtuosen bilden könne; — ein Project, wovon die Idee schimmernd, die Unternehmung rühmlich, aber die Ausführung — unmöglich war, und, gegen die Absicht des guten Fanfaraschin, einige schlimme Folgen hatte, an die er nicht gedacht zu haben schien, und die desto schädlicher waren, weil eine lange Zeit niemand merkte, woher das Uebel kam.Zum Exempel? sagte Schach-Gebal.Unter andern diese, daß unter fünfhundert jungen Leuten, die nach seiner Methode gebildet wurden, sich zum wenigsten hundertundfünfzig fromme, discrete, schleichende, gleißnerische Schurken bildeten, welche ausgelernte Meister in der Kunst waren, ihre Leidenschaften zu verbergen, ihre schlimmen Neigungen in schöne Masken zu verstummen, die Unverständigen durch eine lauter Tugend und Religion tönende Phraseologie zu täuschen, mit Einem Worte, unter dem Schein der pünktlichsten Moralität mehr Gutes zu verhindern und mehr Böses auszuüben, als sie hätten thun können, wenn man sie ihrem Naturell und den Umständen überlassen hätte. — Ferner, daß aus den besagten fünfhundert ungefähr dreihundert herauskamen, welche, wie abgerichtete Hunde und Affen, alle Künste machten, die man sie gelehrt hatte, auf den Wink gingen, alles wieder von sich geben konnten, was ihnen eingegossen worden war, über nichts ihre eigene Empfindung zu Rathe zogen, an nichts zweifelten was man ihnen für wahr gegeben hatte, kurz, in allen Stücken die Affen des weisen Fanfaraschin vorstellten; welches (ich getraue mir es zu behaupten) gerade wider die Absicht der Natur war. Denn diese will, daß ein jeder Mensch seine eigene Person spiele! Es war an Einem Fanfaraschin genug; und dreihundert Personen, welche das gewesen wären, wozu ihre natürliche Anlage sie bestimmte, wären, so schlecht sie auch immer hätten seyn mögen, doch noch immer besser gewesen als dreihundert Fanfaraschin, zumal da unter diesen dreihundert wenigstens zwei hundertundneunzig mißlungene Fanfaraschin waren. Ferner — —Ich habe genug, fiel ihm der Sultan ein: wann lebte dieser Fanfaraschin?Zu den Zeiten Schach-Dolka's, Ihrer Majestät Urahnherrns, glorreichsten Andenkens — —La Faridondäne La Faridondon. —brummte der Sultan: aber wir kommen aus dem Zusammenhang, Danischmend; was war es, was du sagen wolltest, wenn dir der weise Fanfaraschin nicht zur Unzeit in die Zähne gekommen wäre?"Daß, wenn gleich nicht gänzlich zu verhindern sey, daß der Luxus einem großen Volke nichts Böses thun sollte, die Geschichte des Emirs und der Kinder der Natur uns dennoch ein paar Grundmaximen an die Hand geben könnte, durch deren Beobachtung die schöne Lili wenigstens den größten Theil des Uebels, welches ihr die Unglück weissagenden Alten angekrähet hatten, zu verhüten fähig gewesen wäre. Hätte diese liebenswürdige Dame meine Wenigkeit zu Rathe ziehen können, so würde ich mir die Freiheit genommen haben, ihr diese Antwort zu geben:"Bei Auflösung aller Fragen, von welcher Art sie seyn mögen, däucht mir die natürlichste und einfältigste Methode gerade die beste. Diese Maxime gilt vornehmlich, wenn von politischen Aufgaben die Rede ist, wo ganz unfehlbar die verwickelten und weitläufigen Auflösungen noch unbrauchbarer sind als bei allen andern. Die Frage ist: "was sollen wir thun, damit die äußerste Verfeinerung der Künste, des Geschmacks, der Leidenschaften, der Sitten und der Lebensart, mit Einem Worte, der Luxus, einer großen Nation so wenig als möglich schade?" — Die Natur, Madame, zeigt uns gegen jedes Uebel, dem sie uns unterwürfig gemacht hat, auch ein zulängliches Mittel. Sollte es in diesem Fall anders seyn? Ich denke, nein. Wenn wir den größten und nützlichsten, folglich den wichtigsten Theil der Nation vor der Ansteckung bewahren können, so haben wir sehr viel, und in der That alles gethan, was man von einer weisen Regierung fordern kann. Zu gutem Glücke ist nichts Leichteres. Der größte Theil der Nation von Scheschian ist derjenige, der zum Ackerbau und zur Landwirthschaft bestimmt ist. Die Natur selbst, in deren Schooß erlebt, erleichtert uns die Mühe unendlich; wir haben beinahe nichts zu thun, als ihr nicht vorsetzlich entgegenzuarbeiten. Lassen Sie diese guten Leute ihres Daseyns froh werden. Geben Sie nicht zu, daß sich alle übrigen Stände unter unzähligen Vorwänden vereinigen, sie auszurauben und zu unterdrücken, daß das unerträgliche Geschlecht der Pächter und Einzieher der königlichen Einkünfte, daß Beamte, Richter, Procuratoren, und Sachwalter, Edelleute, Bonzen und Bettler, so unbescheiden und unbarmherzig an ihnen saugen, bis ihnen nur die Haut auf den Knochen übrig bleibt. Lassen Sie dieser unentbehrlichsten und unschuldigsten Classe von Menschen so viel von den Früchten ihrer Arbeit, daß sie mit frohem Muth arbeiten, daß sie Zeit zur Ruhe, Zeit zu ihren ländlichen Festen und Ergötzungen übrig haben. Wenn allzu großer Ueberfluß auch diesem Stande, wie allen übrigen, schädlich ist, so lassen Sie uns nicht vergessen, daß zu wenige oder ungesunde Nahrung, daß Mangel an aller Gemächlichkeit, daß Nacktheit, Kummer und Elend ihm ungleich verderblicher sind. Stimmen wir immer die Glückseligkeit unsers Landvolkes um etliche Grade tiefer herab als die Glückseligkeit der Kinder der Natur war; aber lassen wir ihnen so viel, daß es ihnen, ohne alles natürliche Gefühl verloren zu haben, möglich sey mit ihrem Zustande zufrieden zu seyn. Unter uns gesagt, schöne Lili, das sind wir ihnen schuldig, in einem unendlichemal verbindlichern Grade schuldig, als wir es sind unsre Spielschulden zu bezahlen. Aber wenn dieß auch nicht wäre, so sind wir es dem Staate, dem ganzen Scheschian schuldig. Denn es gibt kein anderes Mittel (ich fordre alle Ihre Staatskünstler, Goldmacher und Projectmacher heraus, mir ein andres zu nennen), den allgemeinen Wohlstand eines großen Reiches auf einen festen Grund zu setzen, als dieses. Wenn das Landvolk Ursache hat zufrieden zu seyn, so verlassen Sie sich wegen des Uebrigen auf die Zauberei der Natur. Sie hat für unverdorbene Sinne Reizungen, deren Macht unsern ausgearteten unbegreiflich ist. Der Landmann zieht die angenehmen Gefühle, womit sie seine Arbeiten theils verwebet, theils belohnet, darum mit nicht desto weniger Wollust in sich hinein, weil er ihnen keinen Namen geben, oder sie nicht so zierlich beschreiben kann, wie unsre Dichter, die sie vielleicht nur durch die Anstrengung ihrer Einbildungskraft kennen. Welche Behaglichkeit gießt, indem er an die Arbeit geht, ein schöner Morgen, und die aufgehende Sonne über alle seine Glieder aus! Wie erquickt ihn ein frischer, mit den Düften abgemähter Kräuter und Feldblumen durchwürzter Wind! Wie angenehm ist ihm der Schatten eines Baumes in der glühenden Mittagshitze! Wo ist der Reiche, der die theuersten Weine mit der Hälfte der Wollust in sich schlürfe, wie der lechzende Schnitter seinen Krug mit steuerlicher Milch? Versuchen Sie es einmal, schöne Lili, führen Sie diesen gesunden, kernhaften, wohlgebildeten jungen Bauer, diesen ächten Sohn der Natur, mitten an den Hof; zeigen Sie ihm alle Ihre Herrlichkeiten, Ihre Pracht, Ihre Feste, Ihre Schauspiele; aber verbergen Sie ihm auch den ewigen Zwang, den Ueberdruß, die lange Weile, die Gefahren dieser blendenden Maskerade nicht; — wie bange wird ihm ums Herz seyn, bis er wieder in seiner Hütte ist! und mit welcher Ungeduld wird er von Ergötzlichkeiten, die ihm beschwerlicher seyn werden als die mühseligste Arbeit, zu seinen Schnitterfesten, zu seiner Weinlese und zu seinen Reihentänzen zurückfliegen! Wie selig wird er in Vergleichung mit dem unsrigen seinen Zustand preisen! Sie sehen, schöne Lili, wie wenig das Glück der zwei besten Drittheile von Scheschians Einwohnern dem Sultan unserm Herrn kosten wird. Ich verlange nichts für sie, als Sicherheit bei ihrem Eigenthum, und Schutz vor Unterdrückung, die Natur hat alles Uebrige auf sich genommen. — "Gut, sagen Sie, was werden wir damit gegen die Folgen des Luxus gewinnen?" — Sehr viel. Es ist schon viel, wenn wir vier Millionen von sechsen vor der Ansteckung verwahrt haben. Aber dieß ist noch nicht alles. Die Vortheile davon werden sich auf mehr als Eine Weise auch über den angesteckten Theil verbreiten. Von Zeit zu Zeit werden unsre Großen, werden die reichen und üppigen Bewohner der Hauptstädte, von Ueberdruß, langer Weile, und von der Nothwendigkeit, eine abgenutzte Gesundheit auszubessern, aufs Land geführt werden; unvermerkt werden sie Geschmack an den einfältigen, aber mit der menschlichen Natur so fein zusammengestimmten Freuden des Landlebens gewinnen; unvermerkt werden sie eine Menge von Vorurtheilen und die dicke Haut der Fühllosigkeit, die sich gleichsam um ihr Herz gezogen hatte, abstreifen; sie werden sich mit neuen Bildern und nützlichen Wahrnehmungen bereichert sehen, richtiger empfinden, und besseres Blut machen: und so klein auch der Antheil an diesen Vortheilen seyn mag, den die meisten mit sich nehmen, so werden sie doch immer besser in die Stadt zurückkommen, als sie abgegangen sind. Noch mehr. Die Natur ist fruchtbar. Das Landvolk, sobald es nach seiner Weise glücklich ist, vermehrt sich ins Unendliche. Das Land wird eine unerschöpfliche Quelle, woraus die Städte (und bei Gelegenheit vielleicht auch der Adel) mit gesundem frischem Blute wieder angeschwellt werden, welches den Staat in immerwährender Jugend und Stärke erhält. Aus den jungen Schwärmen, welche diese Bienenstöcke ausstoßen, werden sich die übrigen Stände ergänzen, und so werden die Verheerungen, die der Luxus anrichtet, beinahe unmerklich bleiben. Dieß, schöne Lili, würd' ich sagen, ist mein erstes Hausmittel. Das andre — —Ich mag den Herrn Danischmend ganz gern phantasiren hören, sagte Schach-Gebal, aber bei allem dem, wenn er sich, was den zweiten und alle folgenden Punkte betrifft, so kurz als möglich aus der Sache ziehen wollte, so würde mir ein Gefallen geschehen.Sire, versetzte Danischmend, was ich noch zu sagen hatte, betrifft bloß die moralischen Giftmischer. Ich finde deren zwei Gattungen in der Welt. Zur einen rechne ich die üppigen Sittenlehrer, deren Seele bloß in ihrem Blute ist, die den wesentlichen Vorzug des Menschen vor dem Thiere mißkennen, und das höchste Gut gefunden zu haben glaubten, wenn sie den Maulwürfen und Meerschweinchen keinen Vorzug eingestehen müßten; zur andern diese gravitätischen Zwitter von Schwärmerei und Heuchelei, welche, unter dem Vorwande, die menschliche Natur von ihren Schwachheiten zu befreien, ihre Grundzüge auskratzen, und ihre einfältig schöne Form am einen Orte stümmeln am andern recken und aufblasen, um eine Mißgeburt aus ihr zu machen, für die man keinen Namen finden kann. Beide sind als Störer der geheiligten Gesetze der Natur, und als Verderber des schönsten unter allen ihren Werken anzusehen: und wenn ihre verderblichen Bemühungen sich mit den natürlichen Folgen und Einflüssen des Luxus bei einem Volke vereinigen, wie und wem sollt' es möglich seyn, dieses Volk zwischen so gefährlichen Klippen unbeschädigt durchzuführen? —Welche von besagten beiden Arten von Vergiftern die schädlichste sey, ist eine Aufgabe, die vielleicht nicht unwürdig wäre, von der Akademie Ihrer Majestät entschieden zu werden. Aber, wenn wahr ist, was man bemerkt haben will, daß sich jene gemeiniglich in diese verwandeln, so könnte man auf den Gedanken kommen, die Denkungsart der letztern aus einem höhern Grade von Verderbniß der Natur zu erklären. Doch, wie dem auch sey, die Frage ist, wie wir diesen schädlichen Geschöpfen ihr Gift benehmen wollen? Ich vermuthe, daß jene in einem wohl policirten Arbeitshause, bei mäßiger Kost und einem Spinnrade richtiger philosophiren lernen sollten. Aber was die zweite Gattung betrifft — es sey nun, daß sie es, wie der Derwisch Kuban, so weit gebracht haben, ihre fieberischen Träume für Wahrheit zu halten, oder daß sie nur gewissen Aerzten gleichen, welche die Leute krank machen, um sich ihre Heilung als ein Verdienst anrechnen zu können, — so weiß ich der schönen Lili keinen andern Rath zu geben, als diese wackern Leute nach ihren eigenen Grundsätzen zu behandeln. Wir sind aus der Welt ausgegangen, sagen sie: gut, man nehme sie beim Worte: Man messe zu einer jeden Derwischerei und Bonzerei so viel Land, als sie zu ihrem Unterhalte vonnöthen haben, ziehe eine hohe Mauer rings umher, und — um der Welt alle Gelegenheit abzuschneiden sie in dem edlen Werke ihrer Entkörperung zu stören — maure man alles sogleich und eben zu, daß niemand, wer einmal darin ist, wieder heraus könne: so ist allem Bösen vorgebogen, und jedermann kann zufrieden seyn.Weißt du wohl, Danischmend, sagte der Sultan, daß ich gute Lust habe, deinen Vorschlag, wenigstens was die Bonzen betrifft, ins Werk zu setzen? Es ist wie du sagst; niemand kann was dagegen einzuwenden haben. Ich selbst und meine Unterthanen gewinnen etliche Millionen Taels dabei, die man besser anwenden könnte; und die Bonzen hätten vollkommene Muße, Pagoden zu werden, wie und wann sie wollten.Es war glücklich für die Bonzen, oder vielmehr für den Sultan selbst, daß dergleichen Einfälle bei ihm keine Folgen hatten; denn er würde vermuthlich in der Ausführung einige Schwierigkeiten gefunden haben.
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7.

Um die gewöhnliche Zeit fuhr die Sultanin Nurmahal in ihrer Erzählung der Geschichte von Scheschian also fort:Da die schöne Lili nicht so glücklich war, den weisen Danischmend zum Rathgeber zu haben, so erfolgte nach und nach, was die Mißvergnügten und Milzsüchtigen von den Folgen ihrer schimmernden Regierung geweissagt hatten; und die Gegner des Luxus hatten nun den Triumph, sich in ihren schallreichen Declamationen auf die Erfahrung berufen zu können. Indessen wurde doch das Uebel erst unter der folgenden Regierung sichtbar, welche überhaupt eine der merkwürdigsten ist, die wir aus den Jahrbüchern von Scheschian kennen lernen, weil sie ein erstaunliches Beispiel abgibt, wie viel Böses unter einem gutherzigen Fürsten geschehen kann.Azor, ein Sohn der schönen Lili, bestieg nach dem Tode seines namenlosen Vaters den Thron unter den glücklichsten Vorbedeutungen. Er war der schönste junge Prinz seiner Zeiten, einnehmend in seinem Bezeigen, sanft von Gemüthsart, geneigt, Vergnügen zu machen, und sich denjenigen völlig zu überlassen, welche die Werkzeuge des seinigen waren. Das Volk, gewohnt von allem nach dem Eindrucke, der auf seine Sinne gemacht wird, zu urtheilen, erwartete von der Regierung eines so guten Prinzen goldene Zeiten, und hatte Unrecht; es betete ihn zum voraus deßwegen an, und hatte Unrecht; es hassete und verachtete ihn zwanzig Jahre hernach eben so unmäßig, als es ihn geliebt hatte, und hatte sehr Unrecht.Sie erregen meine Neugier, sagte der Sultan: lassen Sie hören, warum die Scheschianer immer Unrecht hatten; Unrecht, wenn sie ihren König liebten, und Unrecht, wenn sie ihn haßten; aber vergessen Sie nicht, daß ich kein Liebhaber von Wortspielen bin.Die Neugier Ihrer Majestät soll befriediget werden, versetzte Nurmahal, wenn ich anders meine Geschichte lebhaft genug werde erzählen können, um Ihre Aufmerksamkeit zu unterhalten.Ich danke für das Compliment, das Sie der Gründlichkeit meines Geistes machen, sagte der Sultan: aber zur Sache!Der junge Azor war wie die meisten Menschen (Prinzen oder nicht) mit einer Anlage geboren, aus welcher, unter den bildenden Händen eines Weisen, ein vortrefflicher Privatmann, und vielleicht sogar ein guter König, hätte hervorkommen mögen. Freilich war er keiner von diesen mächtigen und seltnen Geistern, die sich selbst bilden; die mitten unter einer rohen oder verderbten Nation, in einem unglücklichen Zeitalter, ohne einen andern Anführer oder Gehülfen als ihren eigenen Genius, die Wege der Unsterblichkeit gehen, durch die natürliche Erhabenheit und Scharfsicht ihres Geistes den ganzen Umkreis der menschlichen Angelegenheiten übersehen; und, kurz, die großen Grundregeln einer weisen Regierung in ihrem eigenen Verstande, so wie in ihrem Herzen das Urbild jeder königlichen Tugend finden.Allergnädigster Herr, sagte Danischmend, ich bitte um Vergebung; aber es ist mir unmöglich, die schöne Nurmahal nicht zu unterbrechen. Der Verfasser, aus dem sie diese prächtige Periode entlehnt hat, glaubte vermuthlich etwas sehr Schönes gesagt zu haben; aber es ist bloßer Schall. Es gibt keine so wundervollen Menschen, als er uns bereden will; und Prinzen sind, bei allen ihren Vortheilen vor uns andern, im Grunde doch, wie man sagen möchte, nur eine Art von — Menschen. Um der menschlichen Natur und dem guten Sultan Azor das gebührende Recht angedeihen zu lassen, wollen wir lieber ohne alle Wörterpracht heraus sagen: "Er befand sich nicht in den glücklichen Umständen, welche sich vereinigen müssen, um aus einem jungen Prinzen von der besten Anlage einen vortrefflichen Fürsten zu bilden." So war es in der That; und ich bin erbötig, im Nothfall gegen die ganze Akademie von Dely zu behaupten: "daß von Erschaffung der Welt an (welches schon lange seyn mag) kein einziger großer Mann gelebt hat, der sich ohne Anführer, ohne Beispiel und ohne Gehülfen bloß durch die Stärke seines eigenen Genius gebildet hätte."Ich danke dem Philosophen Danischmend im Namen aller Sultanen, meiner guten Brüder, für eine so tröstliche Anmerkung, sagte der Sultan lächelnd. Allen den Schmeichlern, die mir tausendmal das Gegentheil gesagt haben, zu Trotz, glaube ich, daß er Recht hat; und wenn ich nicht besorgte, mir einige schale Complimente zuzuziehen, so wollt' ich noch hinzusetzen, daß ich sehr daran zweifle, ob jemals einer von uns nur bald so gut gewesen ist, als er unter günstigern Umständen hätte seyn können.Es schwebte dem naseweisen Danischmend auf der Zunge, zu sagen: oder nur halb so gut, als er unter den Umständen seyn konnte, worin er sich wirklich befand. Aber zu seinem Glücke besann er sich noch, "daß die Wahrheit, die man einem Großen sagt, niemals beleidigen soll," und daß es wirklich sehr ede! an dem Sultan war, aus eigener Bewegung so viel einzugestehen, als er schon eingestanden hatte. Er begnügte sich also, der schönen Nurmahal die preiswürdige Demuth seines Herrn rühmen zu helfen, und die Sultanin setzte die Erzählung also fort:Die Erziehung des Prinzen Azor war mehr vernachlässiget worden, als man es von den Einsichten der schönen Lili, seiner Mutter, hätte erwarten sollen. Diese Dame hatte in der Wahl desjenigen, dem sie den vornehmsten Theil seiner Bildung anvertraute, einen kleinen Trugschluß gemacht, der für ihren Sohn, und für die Völker, deren Schicksal einst von seiner Art zu denken abhangen sollte, von großen Folgen war. Sie glaubte, ein Mann, der die Gabe hatte, ihr besser als irgend ein anderer die Zeit zu vertreiben, und der überdieß die niedlichsten kleinen Verse machte, müsse nothwendig auch die Gabe haben, einen König zu bilden. Der Prinz bekam also einen schönen Geist zum Hofmeister, der nichts vergaß, um seinen Witz zu schärfen und seinen Geschmack zu verfeinern. Azor lernte die Schönheiten der Dichter empfinden, Schönen aus Tragödien declamiren, den gemeinsten Dingen sinnreiche Wendungen geben, und zwanzig andre solche Künste, welche zur Auszierung gehören, und ihren Werth haben, wenn sie der Schmuck wesentlicher Vollkommenheiten sind. Der Prinz stellte sich auf die edelste und angenehmste Art in einer Gesellschaft dar, er sagte witzige und verbindliche Sachen, er kleidete sich mit dem besten Geschmack, und urtheilte besser als jemand von allem, was in dem Gebiete des Schönen liegt. Er blies die Flöte, malte ganz artig, und tanzte zum Bezaubern. Seine Feinde (denn bei aller seiner Liebenswürdigkeit fehlte es ihm nicht an Feinden) sagten ihm sogar nach, daß er in der Schwärmerei seiner ersten Leidenschaft für eine Dame des Hofes —Verse gemacht habe; Verse, welche ihm die Ungelegenheit zugezogen hätten, von den Poeten seiner Zeit einhellig zu ihrem Schutzgott gewählt, und im Eingange ihrer Gedichte oder in schallreichen Zueignungsschriften mit hungriger Beredsamkeit um seinen mächtigen Beistand und — eine Mittagsmahlzeit angerufen zu werden.Eh' ich weiter fortgehe, Sire, muß ich eines Umstandes erwähnen, der in verschiedene Theile der Geschichte von Scheschian einigen Einfluß hat, und einen Zweig der Sitten betrifft, worin die Bewohner dieses Landes von den meisten Völkern in Asien unterschieden sind. Das weibliche Geschlecht genoß bei ihnen von alten Zeiten her aller der Freiheit, in deren Besitz es bei den abendländischen Völkern ist; und unter der Sultanin Lili, welche sich eine Angelegenheit daraus gemacht hatte, die schönsten und vollkommensten Personen ihres Geschlechtes aus dem ganzen Scheschian um sich der zu versammeln, war der Hof, aus einer finstern Werkstätte der öffentlichen Geschäfte ein Schauplatz der angenehmsten Bezauberungen der Liebe und des Vergnügens geworden.Der junge Prinz konnte nicht fehlen, sich in dieser Schule gar bald zu demjenigen auszubilden, was die Damen seines Hofes einen liebenswürdigen Mann nannten. Sie beeiferten sich in die Wette, das Werk seiner Erziehung zur Vollkommenheit zu bringen; und es ist zu vermuthen, daß ihre Absagten dabei nicht so ganz uneigennützig waren , als sie sich das Ansehen gaben. Azor befand sich eben in der Verlegenheit. sein Herz unter so vielen reizvollen Gegenständen eine Wahl treffen zu lassen, als ihm der Tod des Königs, seines Vaters, eine Krone aufsetzte, von deren Werth er ziemlich romantische Begriffe haben mußte, weil sie (wie er zu einer jungen Schönen seines Hofes zu sagen beliebte) nur insofern einigen Preis in seinen Augen habe, als er sie, zugleich mit seinem Herzen, zu den Füßen dieser kleinen Zaubrerin legen könne. Man kann aus dieser Probe sicher schließen, wie gut er in den Pflichten, die mit dieser Krone verbunden waren, müsse unterrichtet gewesen seyn.In der That waren diese Pflichten für Personen, welche einen so angenehmen Gebrauch von ihrem Leben zu machen wußten, als man es an dem Hofe zu Scheschian gewohnt war, allzu beschwerlich, als daß nicht ein jedes, das man damit beladen wollte, geeilet haben sollte, sich einer so mühsamen Bürde so bald nur immer möglich wieder auf die Schultern einer andern Person zu entledigen. Der junge König überließ den größten Theil davon seiner Mutter; seine Mutter ihrem Günstlinge; der Günstling seinem ersten Secretär; der erste Secretär seiner Maitresse; die Maitresse einem Bonzen, welcher, unter dem Vorwand an ihrer Seele zu arbeiten, Gelegenheit fand, sich sehr tief in die Angelegenheiten der Welt zu mischen, und endlich eine große Rolle zu spielen, ohne einen andern Beruf dazu zu haben, als einen lächerlichen Ehrgeiz und die Neigung zum Ränkeschmieden, die damals ein unterscheidendes Merkmal der Personen seines Standes in Scheschian war. Natürlicher Weise konnte diese Einrichtung der Sachen von keiner langen Dauer seyn. Das System änderte sich, so wie die geheimen und unermüdeten Bewegungen der Regiersucht und des Eigennutzes eine Verwechselung der Personen veranlaßte. Es begegnete also, zum Beispiel, daß die besagten Pflichten zwischen der Königin-Mutter und einer Maitresse des Königs getheilt wurden; die Maitresse übertrug alsdann ihren Antheil an ihre erste Kammerfrau; diese an ihren Liebhaber; der Liebhaber an seinen vertrautesten Diener, und so fort; und was man von allen diesen Veränderungen am gewissesten sagen konnte, war, daß der Staat gemeiniglich mehr dabei verlor als gewann.Ich bin zwar bereits über zwanzig Jahre Sultan, sagte hier Schach-Gebal lächelnd: aber ich möchte doch bei dieser Gelegenheit gerne von dir hören, Danischmend, was ihr andern weisen Leute unter den Pflichten eines Königs versteht.Sire, versetzte Danischmend, ich habe dazu nichts anders vonnöthen, als alles das Rühmliche, was Ihre Majestät gethan haben, in allgemeine Sätze zu verwandeln — —Keine Complimente, ein für allemal! sagte der Sultan. Eure Gedanken von der Sache, mit Vorbehalt meiner Freiheit davon zu denken was mir belieben wird!Sire, versetzte der Philosoph, die Pflichten eines Königs, sagt man, sind:"Einem jeden sein Recht widerfahren zu lassen, und alle Ungerechtigkeiten, die er nicht verhindern kann, zu bestrafen;Die tauglichsten Personen zu den öffentlichen Ehrenstellen und Aemtern zu befördern;"Die Verdienste zu belohnen;"Die Staatseinkünfte weislich anzuwenden;"Und seinen Völkern sowohl innerliche Ruhe als Sicherheit vor auswärtigen Feinden zu verschaffen."Insofern alle diese Pflichten wirklich erfüllt werden (setzt man hinzu), kann es dem Staate gleichgültig seyn, ob sie der König durch sich selbst oder durch andere ausübet; genug, daß er der erste Beweger aller Triebfedern desselben ist. Indessen hat es doch zu allen Zeiten Fürsten gegeben, welche durch ihr Beispiel diese Pflichten um ein Namhaftes erschwert haben. Sie glaubten, ihrem Amte nicht anders genug thun zu können, als indem sie, mit Hülfe der Weisesten und Besten ihres Volkes, selbst an dem allgemeinen Wohlstande arbeiteten. Sie strebten hierin nach Erreichung eines gewissen Ideals, welches sie sich in ihrem Geiste entworfen hatten, und glaubten nicht eher glücklich zu seyn, bis sie sich selbst mit einem hohen Grade von Gewißheit sagen könnten: "Nun ist unter allen den Myriaden oder Millionen, deren Glück mir anvertraut ist, kein einziger, der durch meine Schuld, durch irgend eine meiner Leidenschaften, oder nur durch meine Nachlässigkeit unglücklich wäre." Sie begriffen unter dem Umfang ihrer Pflichten — eine auf die Grundregeln der Natur und die Bedürfnisse und Umstände ihres Staats gebaute Gesezgebung; eine väterliche unmittelbare Fürsorge für die Pflanzschulen des Staats; eine zur möglichsten Vollkommenheit gebrachte Polizei; eine gerechte Schätzung und thätige Beförderung der Wissenschaften und der Künste, welche die Sitten und das Leben verschönern. Sie ließen sich nicht daran genügen, gleich den alten Königen Persiens, Augen und Ohren zu bestellen, die in ihrem Namen sehen und hören sollten: sie hielten es für ihre Schuldigkeit, mit ihren eigenen Augen zu sehen, und damit sie recht sehen könnten, von allem, was ihrem Urtheil unterworfen wurde, sich die nöthigen Kenntnisse zu erwerben; einen jeden selbst anzuhören; jeden Entwurf einer Verbesserung oder nützlichen Unternehmung selbst zu prüfen; die Ausführung durch ihre eigene Gegenwart zu beleben; alles Gute, das sie thun konnten, wirklich zu thun; alles Böse, das sie verhindern konnten, wirklich zu verhindern; kurz, sie begriffen so viele und mühsame Arbeiten unter dem, was sie ihre Pflicht nannten, daß nur eine heroische Tugend vermögend seyn kann, einen Sterblichen zu Annehmung einer Krone, unter solchen Bedingungen, zu bewegen, wenn es anders in seiner Willkür steht, sie anzunehmen oder auszuschlagen.Vergiß nicht, Danischmend, sagte der Sultan, nachdem er zweimal hintereinander gegähnt hatte, mir morgen bei meinem Aufstehen ein Verzeichniß der sämmtlichen Morgen- und Abendländischen Könige vorzulegen, auf welche du in dieser Beschreibung gezielt hast.Das Gedächtniß Ihrer Majestät wird durch die Zahl nicht überladen werden, versetzte Danischmend.Das dacht' ich wohl, sprach der Sultan: aber desto besser! ich liebe eine ausgesuchte Gesellschaft. — Um Vergebung, Nurmahal, Sie sollen heute nicht wieder unterbrochen werden.Sire, fuhr die Dame fort, es ist bei dieser Bewandtniß leicht zu erachten, wie gut die Pflichten des königlichen Amtes unter der Regierung des liebenswürdigen Azors versehen wurden. Er selbst konnte keine Kenntniß davon haben. Er wußte zwar in der äußersten Vollkommenheit, was zur Anordnung eines prächtigen Festes gehörte, welches er einer Geliebten geben wollte: aber wie hätte er wissen können, was zu Anordnung eines großen Staates, zu Besorgung seiner Bedürfnisse, zu Befestigung seiner Sicherheit, zur Bewirkung seines allgemeinen Wohlstandes erfordert wird? Die Natur bildet (ordentlicher Weise wenigstens) keine Fürsten; dieß ist ein Werk der Kunst, und ohne Zweifel ihr höchstes und vollkommenstes Werk; aber man hatte sich begnügt, den guten Azor zu einem liebenswürdigen Edelmanne zu bilden. Da er also genöthiget war, seine wichtigsten Geschäfte andern zu übertragen, und da es unmöglich ist, ohne die Kenntnisse, welche ihm mangelten, eine gute Wahl zu treffen; wie konnte sich Azor, jung und unerfahren wie er war, anders helfen, als sie denjenigen zu überlassen, von denen er am günstigsten dachte, weil sie die meiste Gewalt über sein Herz hatten? Zum Unglück befanden sich diese in den nämlichen Umständen, wie er selbst. Sie behielten also nur den leichtesten und angenehmsten Theil davon, die Ausübung einer willkürlichen Gewalt, für sich selbst, und überließen das übrige wieder an andere; und so geschah es sehr oft, daß die wichtigsten Angelegenheiten das Schicksal hatten, nach dem Gutachten eines unwissenden Bonzen, oder eines Kammerdieners, oder einer jungen grillenhaften Schönen, oder (welches mehr als Einmal geschehen seyn soll) durch den Einfall eines — Hofnarren, entschieden zu werden.Die Folgen dieser Staatsverwaltung waren so betrübt, als man sich vorstellen kann. Die wichtigsten Stellen wurden nach und nach mit untauglichen Personen besetzt; die Gerechtigkeit ward anfangs heimlich verhandelt, und zuletzt öffentlich feil geboten; unter ihrem Namen triumphirte die Chicane; die öffentlichen Einkünfte wurden verschwendet, und die Forderungen unersättlicher Günstlinge unter die Rubrik der Staatsbedürfnisse gebracht. Alle die höhern und mühseligern Pflichten der Regierung, deren Ausübung mit keinem unmittelbaren Privatvortheil verknüpft war, wurden vernachlässigt. Das Laster, welches sich den Schutz der Großen zu verschaffen wußte, blieb unbestraft; ja es wurde nicht selten unter dem Titel des Verdienstes und durch Belohnung aufgemuntert. In der That wird man wenig Regierungen finden, wo die Verdienste so häufig und so übermäßig belohnt worden wären als in dieser. Aber man wunderte sich eine lange Zeit, wie es zugehe, daß sich diese Verdienste immer nur bei den Angehörigen oder Freunden der Günstlinge fanden; man wunderte sich noch mehr, wie es zugehe, daß die Nation durch lauter Leute von Verdiensten zu Grunde gerichtet werde; und nur eine kleine Anzahl von speculativen Leuten begriff, daß in allem diesem gar nichts sey, worüber man sich zu wundern habe.Da der Sultan hier zum drittenmale gähnte, so wurde die Vorlesung durch einen geschickten Uebergang zu einem angenehmern Gegenstande abgebrochen, wovon es dem Sinesischen Autor nicht beliebt hat uns Nachricht zu ertheilen.

8.

Inzwischen lebte der junge König Azor einige Jahre so glücklich, als Jugend, blühende Gesundheit und unumschränkte Macht einen Sterblichen machen können, der seine Glückseligkeit in einer immerwährenden Berauschung der Seele, in den ausgesuchtesten Wollüsten der Sinne, der Einbildung und des Herzens findet. Azor liebte das Vergnügen über alles; aber sein edles und gefühlvolles Herz liebte auch es auszubreiten, und wenn er sich selbst glücklich fühlte, so wollte er, so weit als sein Gesichtskreis sich erstreckte, lauter Glückliche um sich sehen.Drei oder vier Jahre gingen auf diese Weise in einer ununterbrochenen Kette von Festen und Ergötzungen vorüber, in welchen Witz und Kunst alle ihre Kräfte zusammen setzten, die kleine Anzahl angenehmer Rührungen, deren die sparsame Natur den Menschen fähig gemacht hat, ins Unendliche zu verändern, zu vervielfältigen, zu vermischen, zu erhöhen, und durch tausend geschickt verborgene Handgriffe diese angenehmen Täuschungen hervorzubringen, die den Ueberdruß betrügen, und die Seele in einem Wirbel von Freuden so schnell herumdrehen, daß ihr nicht so viel Macht über sich selbst bleibt, Betrachtungen über das, was in ihr vorgeht, und über den Werth der Gegenstände, in deren angenehmer Gewalt sie ist, anzustellen. Man glaubt, neue Sinne zum Gefühl des Vergnügens zu bekommen, mit jedem Tage zu einem neuen wollüstigern Daseyn hervor zu gehen; und man wird nicht eher gewahr, daß man sich unter einer Art von Bezauberung und außerhalb des angewiesenen Kreises der natürlichen Wirksamkeit befindet, bis Erschöpfung der Lebensgeister, Erschlaffung der Sinne, oder noch empfindlichere Folgen einer wollüstigen Unmäßigkeit, die Seele aus ihrem süßen Taumel wecken, um sie dem Gefühl einer unerträglichen Leerheit und einer Reihe unangenehmer Betrachtungen zu überliefern, welche auf den Weg der Weisheit führen könnten, wenn die Gewohnheit uns nicht bald wieder mit mechanischer Gewalt zu eben diesen Gegenständen und Vergnügungen zurückzöge, deren betrügliche Beschaffenheit wir vergebens erfahren haben, weil sie sich nur unter einer neuen Gestalt zeigen dürfen, damit wir uns aufs neue von ihnen betrügen lassen.Madame, sagte der Sultan, pflegt man das, was Sie uns eben itzt mit dem melodiösesten Accent von der Welt vorgelesen haben, nicht eine Tirade zu nennen? Was es auch für einen Namen haben mag, so erkläre ich hiermit, daß ich nur ein sehr mittelmäßiger Liebhaber davon bin. Ich bin zwar der Moral nie so gram gewesen, als mein werther Oheim Schach-Baham, glorreichen Gedächtnisses: aber gleichwohl werden Sie mich verbinden, wenn Sie künftig alle Declamationen dieser Art, denen Ihr Autor aus einem Naturfehler ziemlich häufig unterworfen zu seyn scheint, ohne die mindeste Furcht, daß ich etwas dabei verlieren möchte, überhüpfen werden. Ich kann nichts in diesem Geschmacke lesen oder hören, ohne daß ich stracks meinen Iman mit seinen aufgezogenen Augenbrauen und blasenden Backen vor mir stehen sehe. Es ist unangenehm, daß unsre Schriftsteller noch immer den rechten Ton so gern verfehlen, und uns aufgedunsene Perioden, worin irgend ein alltäglicher Gedanke in einem Gothischen Putz von schallenden Worten und rednerischen Figuren strotzt, für Philosophie verkaufen wollen.Nurmahal, nachdem sie vor diesem schlimmen Geschmacke sich sorgfältig zu hüten versprochen hatte, setzte ihre Erzählung also fort:Es war ein Unglück für Scheschian, daß die reizende Xerika, auf welche die erste Neigung des jungen Königs fiel, von derjenigen Art von Seelen war, welche die Natur ausdrücklich für die Liebe und für sie allein gebildet zu haben scheint. Das Herz Azors, wär' er auch ein bloßer Schäfer gewesen, war das einzige, was einen Werth in ihren Augen hatte; sie war lauter Empfindung, aber nur für ihn; ihn glücklich zu machen war ihr einziger Wunsch, ihr einziger Stolz, ihr einziger Gedanke. Auch war er's, so lange die Bezauberung der ersten Liebe dauern kann, in einem so hohen Grade, daß, wenn er in irgend einer einsamen Laube zu ihren Füßen lag, und mit dem Kopf auf ihren Schooß zurückgelehnt seine gierigen Blicke in ihren in Liebe schwimmenden Augen weiden ließ, der gute König seiner Krone und aller Kronen des Erdbodens, mit allen davon abhängenden Rechten und Pflichten, so gänzlich vergaß, als ob diese Laube die ganze Welt, und Xerika nebst ihm selbst die einzigen Bewohner derselben gewesen wären. Die Geschäfte der Regierung, und dasjenige, was man die Austheilung der Gnaden nannte, befanden sich also in den Händen eines Günstlings der Sultanin Lili, durch welchen sie wieder stufenweise in so viele andere Hände gespielt wurden, daß (wenn man den geheimen Nachrichten von dieser Regierung glauben darf) sogar Komödianten und Tänzerinnen zu gewissen Zeiten wichtige Personen auf dem Staatstheater von Scheschian vorgestellt haben sollen.Um Vergebung, daß ich Sie schon wieder unterbrechen muß, sagte der Sultan: was war das, was man an diesem so wohleingerichteten Hof die Austheilung der Gnaden nannte?Sire, antwortete Nurmahal, es war schon unter den vorigen Regierungen unvermerkt zur Gewohnheit geworden, alle Arten von Aemtern und Bedienungen, mit welchen Ansehen, Gewalt und Einkünfte verbunden waren, nach Gunst und Gefallen auszutheilen. Man pflegte daher die Besetzung einer solchen Stelle eine Gnade zu nennen. Nach und nach erweiterte sich die Bedeutung des Wortes, und es kam zuletzt so weit, daß aller Begriff von Verdienst dadurch verdrängt, und sogar ein Künzler oder Kaufmann, welcher für gelieferte Arbeit oder Waaren eine Forderung zu machen hatte, seine Bezahlung, nach tausend mühseligen Weitläuftigkeiten und Verzögerungen, durch geheime Ränke und mit Aufopferung eines beträchtlichen Theils der Forderung, als eine Gnade nachzusuchen genöthiget wurde. Es gab zwar schon damals Leute, welche behaupteten: "Ein König von Scheschian habe so viel zu thun, einem jeden das Seine zu geben, daß ihm wenig oder keine Gnaden zu ertheilen übrig blieben; jede Ehrenstelle oder Bedienung erfordere gewisse Talente und Tugenden, und müsse also mit demjenigen besetzt werden, welcher die größten Proben gegeben habe, daß er diese Talente und diese Tugenden besitze; ja, der König sey nicht einmal berechtiget, die Pensionen, welche aus dem öffentlichen Schatze bewilliget würden, als Gnaden anzusehen, weil der öffentliche Schatz zu Bestreitung derjenigen Ausgaben geheiliget seyn müsse, welche die Ausübung des königlichen Amtes nothwendig macht; kurz, der König habe keine Gnaden auszutheilen als aus seinem eigenen Beutel; und alles Gute, was er als König thue, fließe aus einer eben so verbindlichen Schuldigkeit ab, als diejenige sey, vermöge welcher die Unterthanen ihm Ehrfurcht und Gehorsam zu beweisen, und nach Verhältniß ihres Vermögens ihren Antheil zu den Einkünften der Krone beizutragen schuldig seyen." —Allein diejenigen, welche dergleichen Sätze vorbrachten, hätten eben so wohl gethan sie für sich selbst zu behalten; denn sie wurden nicht gehört, und der Hof erhielt sich im Besitze, alles, was er that, so sehr aus Gnade zu thun, daß, wie gesagt, das Wort Verdienst in seiner eigentlichen Bedeutung zu den verhaßten Wörtern herabsank, welche aus der Sprache der besten Gesellschaft verbannt waren; und daß es niemals anders gebraucht wurde, als, um diejenigen Eigenschaften oder Verhältnisse zu bezeichnen, wodurch man das Glück hatte, den Personen, welche Gnaden austheilen konnten, angenehm zu seyn. In den ersten Jahren der Regierung des Königs Azor hingen die meisten Gnaden von der Amme der Königin Lili, von der Persischen Tänzerin, welche den Vertrauten des obersten Visirs gefesselt hatte, und von einem gewissen Bonzen ab, der mit großem Eifer arbeitete, diese Tänzerin von der Religion der Feueranbeter, in welcher sie geboren war, zu der seinigen zu bekehren. Es gab also während dieser Zeit ordentlicher Weise nur dreierlei Arten von Verdiensten, oder Wegen Gnaden zu erhalten: das Verdienst sie bezahlen zu können, eine vielversprechende Figur (denn die Tänzerin war sehr uneigennützig), und das Verdienst der Dummheit.Azor, dessen Hof in dieser Zeit den Glanz der prächtigsten in Asien auslöschte, welcher jährlich dreihundert und fünfundsechzig Feste gab, und im Besitz der liebenswürdigen Xerika der glücklichste unter allen Unsterblichen zu seyn glaubte — (denn wie hätte er auf einer so hohen Stufe von Glückseligkeit nicht vergessen sollen, daß ihn seine Mutter sterblich geboren?) — Azor wußte nichts davon, daß seine Provinzen mit raubgierigen Statthaltern besetzt, seine Gerichtsstellen an unwissende und leichtsinnige Gecken verhandelt, und die Verwaltung der Kroneinkünfte, mittelst gewisser geheimer Verträge an Leute überlassen wurde, die das Arcanum besaßen, an jeder Million, welche sie für den König einzogen, den zehnten Theil für sich selbst zu gewinnen; eine Kunst, die in der Folge zu einer solchen Vollkommenheit getrieben worden ist, daß die ersten Meister kaum den Namen von Anfängern verdienten. Der gutherzige Azor glaubte, daß seine Völker glücklich wären, weil er es selbst war, weil er sie glücklich zu sehen wünschte, und weil er gewohnt war, alle seine Wünsche erfüllt zu sehen. Ueberdieß hatte er so wenig Begriffe von den Erfordernissen der Regierungskunst, daß man nicht ohne Grund vermuthet, er habe sich mit eben der Zuversicht darauf verlassen, daß der Staat ohne sein Zuthun aufs beste besorgt werden würde, mit welcher er sich darauf verlassen konnte, daß die Sonne alle Tage auf- und untergehen, die Jahrszeiten wie gewöhnlich auf einander folgen, und in allen dreien Reichen der Natur alles geschehen würde was sich gebührt, ohne daß Seine Hoheit sich im mindesten darum zu bekümmern hatte.Der Ueberfluß, welchen Fleiß und Handelschaft noch immer über den größten Theil des Reichs verbreiteten, nebst den immerwährenden Lustbarkeiten, die bei Hofe und in den Hauptstädten herrschten, machten die Folgen einer so übel besorgten Staatsverwaltung eine Zeit lang im Ganzen unmerklich. Wie leicht werden zehentausend unterdrückte Bürger unter einer großen, geschäftigen, muthvollen und von Entwürfen einer schimmernden Glückseligkeit schwellenden Nation übersehen! Und wie sollte das stumme Seufzen, oder selbst das laute Geschrei dieser zerstreuten Unglücklichen, vor dem noch lautern Getümmel der allgemeinen Emsigkeit und Fröhlichkeit gehört worden seyn, oder sich den Weg zum Ohre des mitleidigen Azors haben öffnen können?Aber eine Veränderung des Systems, worin damals die Staaten des östlichen und mitternächtlichen Theils von Asien verbunden waren, eine Veränderung, wobei der Hof von Scheschian unmöglich gleichgültig bleiben konnte, gab dem jungen Könige Gelegenheit wahrzunehmen, daß seine Geschäfte sehr übel besorgt wurden. Man hatte die Zeit und das Geld, die auf die Zurüstungen zu einem unvermeidlichen Kriege verwendet werden sollten, mit Lustbarkeiten und unnützen Unterhandlungen zugebracht, und die Feinde waren im Begriff in die Gränzen des Reiches einzudringen, als man erst gewahr wurde, daß es sich nicht einmal im Vertheidigungsstande befand. Zum Unglück war auch die königliche Casse so erschöpft, daß Azor sich genöthiget fand, seine Zuflucht zu den Cassen seiner Finanzaufseher und Oberpachter zu nehmen, in welchen eine Fülle herrschte, die mit der Leerheit der königlichen vermuthlich einerlei Ursache hatte. Das Murren der Nation, welche zu Bestreitung der Kriegsunkosten mit gedoppelten Auflagen belegt wurde, und gleichwohl ihre Beschützung in so schwachen Händen sah, nahm täglich zu; die Feinde bemächtigten sich einer Provinz nach der andern; und der König wußte noch immer nichts von dem eigentlichen Zustande der Sachen, als Alabanda (eine Dame des Hofes, die schon seit geraumer Zeit an einem Entwurf arbeitete, die zärtliche und unthätige Xerika zu verdrängen) sich eines günstigen Augenblicks bemächtigte, und zum erstenmale Eindruck auf das Herz Azors machte, indem sie sich das Ansehen gab, von einem lebhaften Eifer für seine Ruhe und für die Glorie seiner Regierung beseelt zu seyn. Diese Frau vereinigte alle die Reizungen in ihrer Person, welche das Herz eines Prinzen wie Azor zu fesseln fähig waren; eine blendende und untadelhafte Schönheit mit der Blüthe der Jugend, und den angenehmsten Witz mit tausend liebreizenden Grazien. Sie war unwiderstehlich, wenn sie sich vorgesetzt hatte es zu seyn; und Azor konnte von dem ersten Augenblick an, da die Gleichgültigkeit, worin Xerika seine Sinne zu lassen anfing, ihm erlaubte ihre Nebenbuhlerin mit Aufmerksamkeit anzusehen, sich nicht genug wundern, wie er so lange von einem so vollkommnen Gegenstande habe ungerührt bleiben können. Die zärtliche Xerika hatte in dem Könige nur Azorn geliebt; Alabanda liebte in Azorn nur den König. Zwanzig andre taugten eben so gut oder besser ihre wollüstige Sinnesart zu vergnügen: aber ihre Eitelkeit konnte nur durch eine unumschränkte Gewalt über das ganze Scheschian befriediget werden; und der Plan, den sie zu diesem Ende machte, bewies ihre Klugheit Sie entdeckte Azorn, wie übel der Staat unter der Regentschaft seiner Mutter verwaltet werden sey, und überredete ihn, die Zügel der Regierung künftig selbst zu führen. Der Staatsrath und die obersten Kronbedienungen wurden also mit Creaturen der schönen Alabanda besetzt: und da nichts Unbeständigeres seyn konnte als die Gunst dieser Dame, so veränderte sich der Divan unter ihrer Regierung so oft als ihr Kopfputz oder als die Farben ihres Anzugs, durch deren täglichen Wechsel sie bewies, daß ihre Schönheit in jedem Lichte sich selbst gleich bleibe, und über alles triumphire, was neben ihr glänzen wolle.Der König wunderte sich sehr, da er eine Bürde, die er sich so schwer vorgestellt hatte, so leicht fand. Es kostete ihm nur einen Wink, oder höchstens ein bloßes Ja zu allem was ihm die schöne Alabanda in eigener Person oder durch ihre Werkzeuge vorschlug. Nichts konnte bequemer seyn; aber Scheschian befand sich auch um nichts besser bei einer Regierung, die dem Könige so leicht gemacht wurde.Gleich zu Anfang des vorerwähnten Krieges hatte sich der Günstling der Sultanin Mutter, in dessen Händen damals die höchste Gewalt lag, genöthiget gesehen, die Anführung der Kriegsheere einem erfahrnen Feldherrn zu übergeben, der zu alt war, um bei dem neuen Hofe in Ansehen zu stehen. Seine Figur, seine Manieren, sein Ton, seine Art sich zu kleiden, und sein Charakter hatten schon lange aufgehört nach der Mode zu seyn; aber seine Talente, seine Liebe zum Vaterlande und seine Erfahrung waren Eigenschaften, deren Werth allgemein anerkannt zu werden pflegt, sobald die Zeit kommt, wo man ihrer vonnöthen hat. Die dringende Gefahr entschuldigte den Minister, daß er von einem Grundgesetze des Hofes abgehen, und einen so wichtigen Posten einem Manne auftragen mußte, der aus einer andern Welt war, und nichts als —persönliche Verdienste hatte.Die guten Anstalten, welche der alte Feldherr machte, und die beträchtlichen Vortheile, die er in kurzer Zeit über die Feinde erhielt, ließen einen glücklichen Fortgang des Feldzuges hoffen. Aber kaum hatte sich Alabanda des Königs und der Regierung bemächtiget, so wurde der alte Mann, unter dem Vorwande, daß er nicht Feuer genug habe, zurückberufen, und ein sehr artiger junger Herr an seine Stelle geschickt, welcher unstreitig der beste Tänzer am ganzen Hofe war. Er hatte sich durch dieses Talent, und durch die Gabe kleine satyrische Verschen über die Damen zu verfertigen, denen die stolze Alabanda nicht erlauben wollte liebenswürdig zu seyn, bei der Favoritin in Achtung gesetzt; und weil seine Finanzen sich damals in der niedrigsten Ebbe befanden, so hatte er sich den Posten eines Oberfeldherrn, als ein Mittel wieder zu Casse zu kommen, von ihr ausgebeten. Die Feinde gewannen mehr dabei, als wenn sie drei Siege über den alten General erhalten hätten. Der Unwille des Adels, der Armee und des Volkes tiber die unleidlichen Fehler, die dieser eben so unwissende als eigensinnige und raubgierige Heerführer beging, stieg endlich zu einem so hohen Grade, daß sich Alabanda genöthigt sah, den Tänzer zurückzuberufen; welcher, nachdem er einige Millionen gewonnen, und dem Reiche für zehnmal so viel Schaden zugezogen, so hoffärtig und mit solchem Geräusche nach Hofe zurückkam, als ob er die herrlichsten Thaten verrichtet hätte. Auch empfing er die Krone von Pfauenschwänzen, ein Ehrenzeichen, welches die Großen des Reichs von den niedrigern Classen des Adels unterschied, aus der eigenen Hand seines Königs, und tanzte bei dem ersten großen Ball, der bei Gelegenheit eines von seinem Nachfolger erhaltenen Sieges dem Hofe gegeben wurde, mit so außerordentlichem Beifalle, daß es nur auf ihn ankam, so viel Herzen zu erobern als er wollte oder behaupten konnte.Die Vortheile, die der neue Feldherr über den Feind erhielt, versprachen einen glänzenden Ausgang der Sachen. Aber die Ehre des schönen Tänzers, der durch die Krone von Pfauenschwänzen, und die Beute, die er den Scheschianern abgenommen hatte, eine wichtige Person im Reiche geworden war, machte es nothwendig, einem so gefährlichen Nachfolger in Zeiten Einhalt zu thun. Weil der König itzt durch sich selbst regierte, so fand man, es schicke sich schlechterdings nicht, daß der Feldherr irgend einen Schritt von Wichtigkeit ohne ausdrücklichen Befehl vom Hofe sollte unternehmen dürfen. Er erhielt also, auf seine Anfrage, den Befehl zu einem Treffen gerade zu der Zeit, da die Gelegenheit es mit Vortheil zu liefern vorüber war; er mußte sich ostwärts ziehen, wenn die gegenwärtige Lage ihn westwärts rief, oder einen Posten verlassen, da die Umstände unumgänglich erforderten ihn zu besetzen. Außer diesem wußte man ihm so viele andre Hindernisse in den Weg zu legen, daß dei Heldenmuth eines Alexanders darüber hätte ermüden mögen. Bald fehlte es ihm an Truppen, bald an Geld, bald an Proviant, bald an Kriegsvorrath, bald an allem. Gleichwohl überwand er alle diese Schwierigkeiten durch die Hülfsmittel, die er in seinem Genie und in seiner Ruhmbegierde fand, und er war im Begriffe, durch einen entscheidenden Streich den Krieg auf die rühmlichste Weise zu Ende zu bringen, als er die Nachricht erhielt —daß der Friede bereits geschlossen sey.Wenn die Bedingungen dieses Friedens dem König Azor wenig Ehre brachten, so mußte man doch gestehen, daß sie seinen Ministern desto vortheilhafter waren; denn jede Bedingung wurde ihnen mit hunderttausend Unzen Silbers bezahlt. Scheschian verlor zwar dadurch eine seiner besten Provinzen; aber die schöne Alabanda gewann einen diamantnen Gürtel, der eine kleine Provinz werth war. Azor hatte den Vortheil, mit der Geographie seines Reichs so wenig bekannt zu seyn, daß er nichts verloren zu haben glaubte. Man versicherte ihn, die Provinz, die er abtrat, koste mehr zu erhalten als sie werth sey; und alle Hofbonzen und Hofpoeten wurden dazu gedungen, die uneigennützige Großmuth des Königs und sein väterliches Mitleiden mit seinem Volke in die Wette zu preisen, und zu einer Heldentugend zu erheben, welche die Thaten der größten Eroberer verfinstre.Nach diesen Proben von eurem guten König Azor zu urtheilen, sprach der Sultan, ist das gelindeste, was man von ihm sagen kann, daß er zu einem sehr schwachen Herzen einen noch schwächern Kopf gehabt haben müsse. Ich meines Orts gestehe, daß ein Fürst, der seinen Namen zu den Uebelthaten seiner Lieblinge herleiht, ein verächtliches Geschöpf in meinen Augen ist; und ich sehe gar nicht, warum man ihm die Ehre erweisen soll, ihn gut zu nennen, wenn seine Völker bei aller seiner Güte sich nicht besser befinden, als sie thun würden, wenn er ein Tyrann wäre.Sire, erwiederte die schöne Nurmahal, erlauben Sie mir zu sagen, daß Sie ein wenig zu strenge mit dem guten König Azor verfahren. Er war wirklich einer der liebenswürdigsten Prinzen seiner Zeit. Es mangelte ihm weder an Geist noch an Geschmack, und man hat eine Menge kleiner Anekdoten von ihm, welche das edelste und gütigste Herz beweisen. Eine unglückliche Erziehung —Um Vergebung, Madame, fiel ihr der Sultan in die Rede: ich wollte nicht gern, daß man den Fürsten diese Entschuldigung gelten ließe. Die Erziehung der Personen, die zum Throne geboren werden, ist selten so gut als es zu wünschen wäre; und nach Ihrem Grundsatze hätten immer fünf und neunzig von hundert meinesgleichen ein Privilegium, so übel zu regieren, als es ihren Weibern, ihren Bedienten und dem Zufall belieben möchte. Soll ich euch sagen, wie ich selbst erzogen worden bin? Beim Barte des Propheten! wenn jemals ein Sultan berechtigt war keinen Menschenverstand zu haben, so bin ich's. Weil wir hier unter uns sind, so will ich mir doch das Vergnügen machen, euch ein Kapitel oder zwei aus der Geschichte meiner Jugend zu erzählen.Mein Oheim Schach-Baham — Friede sey mit seinem Staube! —vertraute meine Erziehung einem seiner Verschnittenen an, unter dessen Aufsicht ein gewisser Fakir, der löblichen Gewohnheit zufolge, mich so gelehrt machen sollte, als Schach-Baham glaubte, daß der Sohn des jüngern Bruders eines regierenden Sultans zu seyn nöthig habe. Ich erinnere mich noch so lebhaft als ob es erst heute geschehen wäre, wie vergnügt der gute Oheim Baham war, als ich es in der Mathemathik und Physik so weit gebracht hatte, den Mechanismus der bewundernswürdigen Erfindung seines Freundes, des Königs Straus, den fliegenden Drachen, mit Hülfe einer Menge fürchterlicher Kunstwörter, von denen er nichts verband, erklären zu können. Er beschenkte mich in der Freude seines Herzens mit einer zierlich ausgeschnittenen papiernen Gans in rosenfarbem Domino, von seiner eignen Arbeit, außer einem großen Korb voll Zuckerwerk, den ich. sobald es möglich war zu entwischen, zu den Füßen meiner kleinen Maitreffe, einer jungen Sklavin der Sultanin, meiner Tante, niederlegte. Im übrigen war die Theorie des papiernen Drachen der höchste Gipfel, den ich damals in der Erkenntniß der Natur- und Kunstlehre erstieg; denn der Fakir Salamalek, mein verdienstvoller Lehrer, war aufrichtig genug, zu gestehen, die Erforschung der Natur sey keine Sache für einen Mann wie er. Aber dafür wußte er sich desto mehr mit meiner Stärke in der Geschichte. Ich zählte alle morgenländischen Könige von Schjan-Ben-Schjan, der einige tausend Jahre vor Sultan Adam, dem ersten Menschen, regierte, bis auf den glorwürdigen Schach-Baham, meinen Oheim, an den Fingern her; ich nannte die Namen aller Frauen und Beischläferinnen des Propheten Salomo, und wußte eine Menge schöner Historien von Königen, die in allem, was sie unternahmen, überaus glücklich gewesen waren, weil sie schöne Moskeen gebaut, und schöne Stiftungen zum Unterhalt frommer Derwischen, welche Tag und Nacht nichts zu thun hatten als den Koran zu lesen, gestiftet hatten. Nach diesem Theile meiner Gelehrsamkeit könnt ihr euch vorstellen, was für eine Moral und Staatswissenschaft das war, was mir der ehrliche Salamalek unter diesem Titel beizubringen suchte. Die arme Seele! Das muß ich ihm nachrühmen: er ließ sich's so angelegen seyn, daß ihm oft der Schweiß in großen Tropfen auf der Stirne hing. Denn die Geister aller Einwohner von Indostan bis ins tausendste Glied würden als Anklager gegen mich aufstehen, sagte er, wenn ich diesen wichtigsten Theil der Erziehung eines Prinzen, der dem Throne so nahe ist, vernachlässigte. Seine Absicht war gut, wie ihr sehet; und wenn seine Begriffe nicht eben so gut waren, lag die Schuld an ihm? Warum hatte Schach-Baham einen Fakir bestellt, seinen Bruderssohn Moral und Politik zu lehren? —Nach Salamaleks Meinung war der größte und beste aller Sultanen derjenige, der seine fünf Gebete und seine gesetzmäßigen Waschungen mit der pünktlichsten Genauigkeit verrichtete, sich alle Tage seines Lebens vom Wein enthielt, die meisten Derwischereien stiftete, und wenigstens den zehnten Theil seiner Einkünfte unter die Armen austheilte. Er hatte keinen andern Begriff von der Wohlthätigkeit eines Fürsten; und wenn man ihn über diesen Artikel predigen hörte, so hatte ein König nichts zu thun, als seine arbeitsamen Unterthanen zu Bettlern zu machen, um den müßigen gute Tage zu verschaffen; eine Methode, die er vermuthlich deßwegen so vortrefflich fand, weil auf diese Weise Bettelei und Reichthum unaufhörlich circuliren, und es einem Fürsten nie an Mitteln und Gelegenheit zur Wohlthätigkeit fehlen kann, ohne daß es ihm die kleinste Mühe kostet. Diesen feinen Begriffen zufolge war mein Fakir ein erklärter Feind des Luxus, und behauptete in vollkommnern Ernste: daß es einem Staat unendliche Mal besser wäre, wenn die Hälfte der Nation ihre Tage, auf Unkosten der andern, mit Müßiggehen zubrächte, als mit den verderblichen Künsten, welche die Ueppigkeit beförderten. Die ganze Politik des ehrlichen Mannes war von diesem Schlage. Der gerechteste und gottgefälligste Krieg, sagte er, ist ein Krieg, den man unternimmt, die Feinde des Propheten zu vertilgen, und das Islamische Gesetz aus Erden auszubreiten; und er nannte mir verschiedene Prinzen, welche sichtbarlich gestraft worden wären, weil sie Juden, Christen, Gebern und Banianen in ihre Staaten aufgenommen, und einem jeden Freiheit gelassen hätten, das höchste Wesen nach seiner eigenen Ueberzeugung zu verehren. Die Philosophie und die schönen Künste verachtete er als eitles Spielwerk und profane Erfindungen der alten Heiden; und er schalt mit vielem Eifer auf die Ueppigkeit der Abassiden, durch deren sträfliche Neugier und verkehrten Geschmack diese Gräuel sich unter die Rechtgläubigen eingeschlichen hätten. Wer den Koran und die Auslegungen der zwölf Imans wohl inne hat, pflegte er zu sagen, der allein ist ein wahrer Weiser! Alle diese Theorien der Sittenlehre und Staatswissenschaft, welche man auf die Natur zu gründen vorgibt, sind Blendwerke der bösen Geister, und verdammt sey derjenige (rief er mit glühenden Wangen und feurigen Augen), der die Seelen der Muselmannen mit diesem Gift ansteckt! Er pflegte oft mit Entzücken von Amru Ben Alas, dem Feldherrn des Kalifen Omar, zu sprechen, der die berühmte Büchersammlung zu Alexandria zum Einheizen in die öffentlichen Bäder hatte vertheilen lassen, weil, wie er meinte, alle diese Bücher zu nichts Besserm taugten, falls nichts darin enthalten wäre als was man im Koran kürzer und besser gegeben fände, und des Feuers schuldig wären, wofern sie etwas andres enthielten als der Koran. Das waren goldne Zeiten! rief er mit einer andächtigen Verzerrung seines plumpen Gesichts. Das waren die Zeiten, wo die Angelegenheiten des Islamismus blühten! wo die Ungläubigen unter ihre Füße getreten wurden, und das Gesetz des Propheten sich mit einer wunderthätigen Schnelligkeit über den Erdboden ausbreitete! — Urtheilet aus diesen Proben, fuhr der Sultan fort, ob mein Fakir seine Schuldigkeit besser hätte thun können, wenn ihm mein Oheim Baham aufgetragen hätte, mich zu einem Fakir zu bilden! Glücklicherweise für mich (und für Indostan, denke ich) war unter den Sklaven, die mir zur Bedienung gegeben waren, ein junger Cyprier, der Genie und Erziehung hatte, und die Begriffe und Maximen meines Fakirs, die ihm äußerst ungereimt vorkamen, auf eine so feine Art zu verspotten wußte, daß es ihm sehr wenig Mühe kostete, die Spuren auszulöschen, die sie vielleicht in meinem Gemüthe hätten lassen können. Da er überdieß die Geschicklichkeit und den guten Willen hatte, mir in meinen kleinen Liebesnöthen Dienste zu thun, so bemächtigte er sich meines Vertrauens in einem so hohen Grade, daß ich ihn wie die Hälfte meiner Seele liebte. Wir spielten dem alten Verschnittenen und dem weisen Fakir tausend Streiche, auf deren Erfindung und Ausführung wir uns nicht wenig einbildeten. Gleichwohl konnten wir es nicht so fein machen, daß wir nicht dann und wann über der That ertappt und mit großer Feierlichkeit bei dem Sultan verklagt worden wären. Aber Schach--Baham, wiewohl er den Eifer meiner Vorgesetzten lobte, konnte doch selten dahin gebracht werden, unsern jugendlichen Muthwillen züchtigen zu lassen. Er lachte gemeiniglich so herzlich über die Erzählung, die ihm der Fakir in einem kläglichen Ton und mit tragischen Gebärden davon machte, daß er sich die Seiten mit beiden Händen halten mußte; und am Ende mußte sich der ehrliche Fakir mit seinem gewöhnlichen Sprüchworte, Jugend hat nicht Tugend, zufrieden stellen lassen. Ich erinnere mich noch ganz wohl, pflegte er mit einer schlauen Miene hinzuzusetzen, daß ich es in Gebals Alter nicht besser machte. Ich war immer ein loser Vogel; der Fakir, mein Hofmeister, Gott tröste seine Seele! hatte seine liebe Noth mit mir, und die Kammerjungfern der Sultanin, meiner Mutter, konnten nicht genug auf ihrer Hut seyn. Gebal ist ein aufgeweckter Kopf; er wird wohl klug werden, wenn er ausgetobt hat, —und was dergleichen Sprüche mehr waren, an welchem der gute Oheim niemals Mangel hatte. — Was dünkt Ihnen nun von meiner Erziehung, Madame? Finden Sie nicht, daß ich unter den Händen eines alten mürrischen Negers, eines Fakirs, der mir so gute Grundsätze beibrachte, eines leichtfertigen jungen Cypriers, etlicher muthwilliger Kammermädchen. und eines Oheims wie Sultan Baham, vortrefflich vorbereitet werden mußte, dem Thron von Indien Ehre zu machen?Sire, sagte Nurmahal lächelnd, wenn es mir erlaubt ist, meine Meinung so frei zu sagen, so glaube ich, daß gerade diese Umstände sich vortrefflich zusammenschickten, einen Genie, wie der Ihrige war, zu entwickeln. Wenn es wahr ist, daß lebhafte junge Leute gemeiniglich einen unwiderstehlichen Trieb in sich finden, immer das Widerspiel von dem, was ihre Hofmeister sagen, zu thun, wie konnte man Ihnen einen schicklichern Hofmeister wünschen, als den Fakir Salamalek? Die artigen Kammermädchen der Sultanin waren schlechterdings unentbehrlich, die Federn Ihrer Einbildungskraft spielen zu machen, und eine sehr nachtheilige Stagnation Ihres Herzens, die bei einer so pedantischen Erziehung zu besorgen war, zu verhüten. Der junge Cyprier mag wohl vielleicht der strengen Sittenlehre Ihres Fakirs das Gegengewicht zuweilen mehr als nöthig war gehalten haben; aber wenn er Ihnen auch zu nichts gedient hätte, als den Unterricht dieses albernen Mentors unschädlich zu machen, so war das schon sehr viel. Allein ich bin gewiß, daß er Ihnen einen noch wichtigern Dienst erwies. Seine Spötteleien über die Grundsätze des Fakirs kamen Ihrer eigenen Vernunft zu Hülfe, und befestigten Sie auf die natürlichste Weise von der Welt in den entgegengesetzten; und es kann nicht fehlen, man hat ein Großes gewonnen, um klug zu werden, wenn man über die Thorheit lachen gelernt hat. Ueberdieß mußte das Beispiel Schach-Bahams und seiner drei Vorgänger — —O, was dieß betrifft, Madame, fiel ihr der Sultan lachend ins Wort, da haben Sie Recht! Drei oder vier solche Vorgänger sind eine unvergleichliche Schule für einen Nachfolger, der sie in ihrem gehörigen Lichte zu betrachten weiß. — Aber genug für heute von Königen und Staatsangelegenheiten; ich bin lange nicht so aufgelegt gewesen zu vergessen, daß ich die Ehre habe Sultan zu seyn. Schicken Sie mir etliche von ihren Odalisken, Nurmahal; ich will versuchen, ob ich mich nicht eben so gut in den Schlaf singen lassen kann, als der alte Weißbart, von dem uns Danischmend letzthin so wunderreiche Dinge vorleyerte.
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9.

Die kleine Ergötzlichkeit, welche sich Schach-Gebal mit den Odalisken seiner Favoritin zu machen geruht hatte, leistete mehr als er davon erwartete. Anstatt ihn einzuschläfern, gelang es einer von diesen jungen Nymphen, seine schlafsüchtige Einbildungskraft zu erwecken, und ihm eine Art von einem Mittelding zwischen Leidenschaft und Geschmack einzuflößen, wovon Anfang, Mittel und Ende, nach der Berechnung des Philosophen Danischmend, drei Tage, einundzwanzig Stunden und sechszehn Minuten dauerte.Wenn die kürzesten Narrheiten die besten sind, so muß man zur Ehre dieses Sultans sagen, daß er in diesem Stücke nicht unwürdig war, ein Muster aller Herren seines Standes, welche nicht selbst Muster sind, zu seyn. Doch, um seiner Weisheit nicht zu viel zu schmeicheln, — die Wahrheit von der Sache war, daß die kleine Sängerin weder genug Geist, noch der Sultan Begierden genug hatte, seinem Geschmack für sie eine längere Dauer zu geben. Er fand sich also nach wenigen Tagen geneigt, die Versammlungen seiner kleinen Akademie, welche durch diese Abwechselung von Zeitvertreib unterbrochen worden war, wieder zu erneuern; und die Erzählung der Geschichte des Königs Azor wurde, auf seinen Befehl, von der gefälligen Nurmahal folgendermaßen fortgesetzt.Wenn der Sultan Azor eine Handlung von ächter königlicher Großmuth zu thun glaubte, indem er seinen Feinden gerade in dem Augenblicke wo sich das Glück für seine Waffen zu entscheiden anfing, nicht nur Friede, sondern noch eine von seinen besten Provinzen dazu schenkte: so kann man doch nicht in Abrede seyn, daß die Begierde, seiner geliebten Alabanda (einer Eroberung, die ihn für den Verlust von zwanzig Provinzen schadlos gehalten hätte) desto ungestörter zu genießen, die wahre wiewohl geheime Triebfeder seiner Großmuth war. Wenigstens bewies der Gebrauch, den man von einem so theuer erkauften Frieden machte, daß die Vortheile seines Volkes schwerlich dabei in Betrachtung gezogen worden waren. Denn man dachte weder daran, das Reich auf künftige Fälle in bessere Verfassung zu setzen, noch die Provinzen wieder herzustellen, die durch den König entvölkert und verwüstet worden waren. Azor theilte die Geschäfte der Regierung unter einige Geschöpfe der schönen Alabanda, welche ihn beredeten, daß er selbst regiere, indem er von dieser Zaubrerin und ihren Mitschuldigen unumschränkt regiert wurde. Prächtige Feste und immer abwechselnde Lustbarkeiten, über deren Erfindung sich alle witzigen Köpfe von Scheschian elendiglich erschöpften, verschlangen unermeßliche Summen, wovon der zehnte Theil hinlänglich gewesen wäre, die zerstörten Städte wieder aufzubauen, und jedes traurige Denkmal der Verwüstung in den Gegenden, welche der Schauplatz des Krieges gewesen waren, auszulöschen. Zehntausend in die äußerste Noth heruntergebrachte Familien hatten durch die Unkosten einer einzigen Geburtsfeier wieder glücklich gemacht, und in eine dem gemeinen Wesen nützliche Thätigkeit gesetzt werden können: aber weil sich niemand fand, der dem Sultan einen solchen Vorschlag gethan hätte, — weil die schöne Alabanda weit über die Schwachheit erhaben war, irgend einen neuen Triumph ihrer gränzenlosen Eitelkeit dem Mitleiden oder der Wollust Gutes zu thun aufzuopfern — wie hätte Azor, bei aller seiner natürlichen Gutherzigkeit, auf einen solchen Gedanken verfallen sollen? — Er, der keinen Begriff von dem innern Zustande seines Reiches, keine Fertigkeit über irgend etwas als über die unmittelbaren Gegenstände seines Vergnügens zu denken, und am allerwenigsten den mindesten anschauenden Begriff von dem Elend hatte, welchem abzuhelfen sein großer Beruf war! Er hätte in einer unkennbaren Verkleidung, allein, oder nur von einem oder zwei rechtschaffenen Männern begleitet, sich von den prächtigen Straßen, die zu seinen Lustschlössern führten, entfernen, und in die entlegeneren Theile seines Reichs, in die Hütten der Landleute oder unter die Trümmer kleiner Städte, deren blühender Stand in muthloses Elend verwandelt war, sich hineinwagen müssen, um die Unglücklichen kennen zu lernen, die nach seiner Hülfe seufzeten. Wie unendlich viel Gutes würde eine einzige solche Reise seinen Völkern gethan haben! Aber — —Mirza, sagte Schach-Gebal in einem plötzlichen Anstoß von empfindsamer Laune zu seinem Günstlinge, vergiß nicht, dich morgen früh mit Pferden für mich, dich selbst und Danischmenden an der westlichen Pforte des Gartens bereit zu halten. Wir müssen eine solche Lustreise mit einander machen. Aber mit euerm Leben sollt ihr mir alle drei für das Geheimniß stehen! Weiter, Nurmabal!Sire, der gute Sultan Azor ließ sich nichts von einer solchen Luftreise träumen, wie diejenige, wozu Ihre Majestät sich mit einem so rühmlichen Feuer entschlossen haben. Wenn er reisete, so geschah es in Begleitung seines ganzen Hofstaats, und mit einem Pomp, der das Bild eines triumphirenden Heerzuges eines Weltbezwingers darstellte. Der Aufwand einer einzigen solchen Reise verzehrte die jährlichen Einkünfte einer ganzen Provinz: und da eine verderbliche alte Gewohnheit die Landleute nöthigte, die Kamele, Pferde, und Wagen unentgeltlich herzugeben, welche das Gepäcke des Königs und seines Gefolgs fortzuschaffen erfordert wurden, so that dieser einzige Umstand den Gegenden, durch welche der Zug ging, einen beinahe eben so empfindlichen Schaden als ein feindlicher Ueberfall. Im übrigen vergaßen die immer wachsamen Günstlinge des Sultans und seiner Gebieterin nicht, dafür zu sorgen, daß die königlichen Augen nirgends durch den Anblick des Mangels, der Nacktheit und des Elends beleidigt werden möchten. Die Mirzas, durch deren Gebiete die Reise ging, stellten, um sich dem Hofe gefällig zu machen, lange zuvor Zurüstungen an, ihren Oberherrn auf eine glänzende Art zu empfangen, oder ihn im Vorübergehen mit dem Anblick ländlicher Feste und Scenen von Fröhlichkeit zu ergötzen, welche dem guten Fürsten die betrügliche Freude machten, die geringsten seiner Unterthanen für glücklich zu halten.Bald fange ich an Mitleiden mit euerm Azor zu haben, sagte Schach-Gebal. Ein König muß ein Gott seyn, oder er muß betrogen werden, wenn alle seine Leute die Abrede mit einander genommen haben, ihn zu betrügen.Bei allem diesem, fuhr Nurmahal fort, hatte Scheschian, im Ganzen berachtet, mehr als jemals das Ansehen eines in seiner vollen Blüthe stehenden Reiches. Die Natur hatte seine meisten Provinzen mit ihren reichsten Gaben überschüttet. Fleiß und Handlung belebten die größern Städte, und die Künste stiegen zum Gipfel der Vollkommenheit hinan. Alabanda trat nicht bloß in die Fußstapfen der schönen Lili; sie war zu stolz eine bloße Nachahmerin zu seyn, sie wollte die Ehre haben zu erschaffen.Da sie gewohnt war den Sultan auf die Jagd zu begleiten, so geschah es einsmals, daß sie sich mit ihm in eine von diesen wilden Gegenden verirrte, welche die Natur so gänzlich verwahrloset hat, daß nichts als der magische Stab einer Fee mächtig genug scheint, sie zur Schönheit umzubilden. Welch eine Gegend, rief Alabanda mit einer Art von Entzücken aus, um einen Gedanken darin auszuführen, der die Regierung meines Sultans auf ewig glänzend und unnachahmlich machen würde! Welch eine Gegend, um sie zu einem Sitze der Liebesgötter, zu einem Inbegriff aller Bezauberungen der Sinne und der Einbildung umzuschaffen! — Azor sah die Zaubrerin Alabanda mit Erstaunen an: aber er war selbst zu sehr ein Freund des Wunderbaren; und wenn er es auch weniger gewesen wäre, so liebte er die schöne Alabanda viel zu zärtlich, um ihre angenehmen Gedanken durch Einwürfe zu unterbrechen. Er überließ ihr also die Ausführung eines Einfalls, der an Ausschweifung vielleicht niemals seinesgleichen gehabt hat. In wenigen Tagen war sie mit ihrem Entwurfe fertig, und itzt wurden Millionen Hände aufgeboten ihn auszuführen. Seit den Zeiten der stolzen Könige von Ninive und Memphis hatte man kein ähnliches Werk unternehmen gesehen. Doch was waren die Aegyptischen Pyramiden, oder die Mauern des alten Babylon gegen die Schöpfungen der Göttin Alabanda? Gebirge wurden geebnet; unersteigliche Felsen hier gesprengt, dort zu Palästen, kleinen Tempeln, Grotten und reizenden Einsiedeleien, oder zu großen stufenweise sich erhebenden Terrassen ausgehauen, und in Gärten, Alleen, Blumenstücke und Lustwäldchen verwandelt. Entlegene Flüsse wurden in diese aus dem Nichts hervorgehende Zauberwelt geleitet, und durch erstaunliche Wasserkünste gezwungen, die Gärten und Haine, welche Alabanda in die Luft gepflanzt hatte, mit springenden Brunnen und Wasserfällen, unter tausendfachen Gestalten und Verwandlungen, zu beleben. Mitten unter allen diesen mannichfaltigen Schöpfungen erhob sich ein wahrer Feenpalast; Marmor, Jaspis und Porphyr waren die geringsten Materien, woraus er zusammengesetzt war, und alle Manufacturer von Indien, Sina und Japan wurden zu seiner Ausschmückung erschöpft. Die Gärten, die ihn umgaben, prangten mit den schönsten Gewächsen des ganzen Erdbodens, welche mit so guter Ordnung ausgetheilt waren, daß man mit jeder höhern Terrasse, die man bestieg, sich in ein anderes Klima versetzt glaubte. Die schönsten und seltensten Vögel aller Welttheile bewohnten diesen wundervollen Ort, den sie mit ihren mannichfaltigen Stimmen und mit natürlichen oder gelernten Gesängen belebten. Und in der Mitte einer unzähligen Menge kleiner Lustwälder, über welche dieses Zauberschloß herrschte, beherbergte ein künstlicher Ocean alle Arten von Wassergeschöpfen; ein großer See, dessen über Marmor rollende Wellen man oft mit einer Flotte von kleinen vergoldeten Schiffen bedeckt sah, welche an Zierlichkeit und schimmernder Ausschmückung dasjenige zurückließen, worin Kleopatra den Herrn der einen Hälfte der Welt zum ersten male bezauberte. Die Beschreibung, welche Alabanda von den Wundern dieses nach ihrem Namen genannten Ortes verfertigen ließ, machte etliche große Bände aus, und die billigste Berechnung alles dessen, was diese Wunder gekostet hatten, überstieg zweimal die jährlichen Einkünfte des ganzen Scheschianischen Reiches, welches in der That eine ungeheure Summe war. Unzählige Fremde wurden durch die Neugier herbeigezogen, sie zu sehen; aber der Vortheil, den das Land von ihnen zog, war nur ein geringer Ersatz des vielfältigen Schadens, den es durch die Ausschweifungen der schönen Alabanda erlitten hatte. Eine unendliche Menge von Landleuten waren dem Feldbau entrissen worden, um als Tagelöhner an der Beschleunigung eines Werkes zu arbeiten, welches ihr ungeduldiger Stolz unter ihren Blicken wachsen sehen wollte. Einige Provinzen befanden sich dadurch in Unordnung und Mangel versetzt; der Preis der Lebensmittel stieg übermäßig; der öffentliche Schatz war erschöpft, die Einnahme des folgenden Jahres beträchtlich vermindert, und das Reich mit einer ungeheuren Schuld beladen, wovon der größte Theil fremde Länder bereicherte; weil der eckle Geschmack der launenhaften Alabanda nichts Einheimisches schön genug fand, ungeachtet alle Künste in Scheschian blüheten.Zum Unglück für die Nation war diese Favoritin kaum mit Ausführung eines solchen Werkes fertig, als ihre unerschöpfliche Einbildungskraft schon über der Idee eines andern brütete, welches durch die gränzenlose Gefälligkeit ihres Liebhabers eben so schnell und mit eben so wenig Rücksicht auf die Umstände des Staats zur Wirklichkeit gebracht wurde. Schon im zweiten Sommer, den sie mit dem Könige zu Alabanda zubrachte, bemerkte sie, daß die Gebäude zu weitläufig, die Gärten zu verworren und überladen, und mit Einem Worte das Ganze eine Art von Carricatur sey, wo die Natur von der Kunst verschlungen werde, und das ermüdete Auge in einer unübersehbaren Mannichfaltigkeit sich verliere. Dieser weisen Beobachtung zufolge wurde in einer der anmuthigsten Gegenden des ganzen Reichs ein andrer Lustsitz angelegt, in dessen kleinerem Umfange die schöne Alabanda, mit Hülfe einiger poetischen Köpfe des Hofes, bemüht war, die Natur, über alle mühsamen Bestrebungen der Kunst triumphiren zu lassen. Die Natur zeigte sich da mit allen ihren eigenthümlichen Reizungen, in dem leichten Gewand einer Nymphe, oder in der reizenden Unordnung einer Schönen, die von ihrem Liebhaber überrascht zu werden hofft. Man konnte sich wirklich keinen angenehmern Ort träumen lassen; aber es kostete so viel, der schönen Natur diesen Sieg über ihre Nebenbuhlerin zu verschaffen, daß man sich genöthigt sah einen Vorwand zu ersinnen, um die Unterthanen mit einer neuen Steuer zu belegen. Auf solche Weise wurde Scheschian nach und nach mit den herrlichsten Denkmälern der üppigen Erfindamkeit dieser Favoritin angefüllt. Die Unternehmer dieser Werke und einige Künstler, welche weniger wegen ihres vorzüglichen Talents als durch Empfehlungen und Hofränke angestellt wurden, fanden unstreitig ihre Rechnung dabei. Etliche Poeten, die um den zehnten Theil der Einkünfte eines Hofküchenschreibers gedungen waren, über alles, was der Hof that oder gethan haben wollte, Oden zu machen, posaunten und leyerten von Wundern und goldenen Zeiten. Aber die Provinzen sanken zusehends in einen kläglichen Stand von Entkräftung und Verfall herab, und die Nation hatte sehr große Hoffnung, in kurzem einem Virtuosen zu gleichen, der, durch einen kleinen Verstoß gegen die Rechenkunst, in einem sehr zierlichen neu gebauten Palast, mitten unter einer herrlichen Sammlung von Gemälden, Statuen und Alterthümern — verhungert.Nurmahal hielt bei diesem Absatz ein wenig ein, weil sie gewahr wurde, daß der Sultan in Gedanken vertieft schien: als dieser sich auf einmal mit einer auffahrenden Bewegung an Danischmenden wandte. Glaubst du nicht, Danischmend, fragte ihn Schach-Gebal, daß die Sultanen, meine Mitbrüder, sehr vieles, was sie thun, unterlagen würden, wenn sie einen Freund hätten, der ehrlich genug wäre, ihnen die Wahrheit zu sagen?Vielleicht, antwortete Danischmend mit einem kaum merklichen Achselzucken. — Vielleicht auch nicht, — murmelte er hinten nach.Und warum nicht? fragte der Sultan.Sire, sagte der Philosoph, wollen Ihre Majestät schlechterdings, daß ich Ihnen die Wahrheit sagen soll?Das bedurfte, nach der Anmerkung die ich eben machte, keiner Frage, sprach der Sultan."So sage ich, daß wenigstens Drei gegen Eins zu wetten ist, daß die meisten Sultane weder mehr noch weniger thun würden als ihnen beliebt, wenn sie gleich den Confucius oder Zoroaster selbst zum Freunde hätten. Denn, —gesetzt, zum Exempel, der König Azor hätte einen solchen Freund gehabt, so wäre es allezeit darauf angekommen, ob dieser den rechten Augenblick zu seiner Vorstellung gewählt hätte. Denn der geringste Umstand, ein kleiner Nebel, es sey nun in der Luft oder im Gehirne Seiner Hoheit, oder eine kleine Blähung in dem Magen Seiner Hoheit, ein kurzer Wortstreit, den Sie kurz zuvor mit Ihrer Maitresse gehabt, ein Traum oder sonst eine Kleinigkeit, die Ihren Schlummer beunruhigte, die schlimme Laune Ihres Affen, oder die Unpäßlichkeit eines Ihrer großen Hunde, — ein einziger von tausend Umständen von dieser Wichtigkeit wäre hinlänglich gewesen, die Wirkung der besten Vorstellung zu vernichten. Doch, gesetzt der Freund hätte den günstigen Augenblick ergriffen: wie leicht konnte es ihm, bei aller Redlichkeit seiner Absicht, in dem entscheidenden Moment an der Geschicklichkeit, oder an dem Glücke fehlen, seiner Vorstellung die rechte Wendung zu geben! Wie leicht hätte ein einziges Wort, das ihm entschlüpft wäre, alles wieder verderben können, was zwanzig glückliche Vorstellungen gut gemacht hatten! Und dennoch, setzen wir abermal, es sey ihm gelungen den verlangten Eindruck auf seinen Herrn zu machen: wie bald wär' es geschehen gewesen, daß dieser Eindruck. eine Viertelstunde darauf, durch eine Gegenvorstellung eines andern wohlmeinenden Dieners, — oder durch einen einzigen Blick, im Nothfalle durch ein einziges kleines erkünsteltes Thränchen einer geliebten Alabanda, wieder ausgelöscht worden wäre! — Ich stelle mir z. B. vor, die schöne Alabanda träte gerade zur nämlichen Zeit in das Cabinet ihres Sultans, da der vorbesagte Freund es verlassen hätte; der Freund, dem wir Muth und Eifer genug leihen wollen, gegen irgend eine neue kostbare Grille, wovon die Phantasie der schönen Favoritin kürzlich entbunden worden, im Namen des gemeinen Besten Vorstellungen zu thun.Ich komme (sagt sie mit einem Ausdruck von Vergnügen, der über ihr ganzes Gesicht einen glänzenden Reiz verbreitet), ich komme Ihrer Majestät einige Zeichnungen vorzulegen, und zu vernehmen, welche davon Ihren Beifall hat, um zum Modell des neuen Amphitheaters, wovon wir neulich sprachen, genommen zu werden."Lassen Sie sehen, Madame, sagt der Sultan mit einem Frost, den er ihr und sich selbst gern verbergen möchte."Sie sind wirklich alle schön; aber wie finden Sie diese? Ich gestehe, daß ich sie vorziehen würde, wenn ich zu wählen hätte. Man kann nichts Größeres, nichts Prächtigeres denken. Die Ausführung würde der Zeiten Ihrer Majestät würdig seyn, welche durch so viele unnachahmliche Werke ein Wunder des spätesten Weltalters bleiben werden."Aber, meine liebste Sultanin —(Hier heftete Alabanda einen aufmerksamen Blick, vermischt mit einem kleinen Zusatz von Erstaunen, auf den Sultan).Ich habe Mühe —"Was fehlt Ihnen, mein liebster Sultan? Sie sehen nicht völlig so aufgeheitert aus als Sie mich diesen Morgen verließen."Ich kann es nicht von mir erhalten, Ihnen meine Ungeneigtheit zu etwas, das Ihnen Vergnügen macht, zu erkennen zu geben; und doch —"Ich verstehe Sie nicht, Sire: erklären Sie sich. Kann ich unglücklich genug seyn etwas zu wünschen, das Ihnen unangenehm ist?"Ungütige Alabanda: : würde ich wohl einen Augenblick anstehen, die ganze Welt zu Ihren Füßen zu legen, wenn ich Herr davon wäre?"Vergeben Sie meiner Zärtlichkeit den Anfang eines schüchternen Zweifels," ruft die Dame mit einer liebkosenden Stimme, und mit einem von diesen Zauberblicken, deren Wirkung ein Liebhaber in allen Atomen seines Wesens fühlt, — indem sie ihre schönen Hände sanft auf seine Schultern drückt.Der Sultan — wir wollen ihn, mit Ihrer Majestät Erlaubniß, so tapfer seyn lassen als nur immer möglich ist — machte eine Bewegung, als ob er sich ihren Liebkosungen, aus einem Gefühl sie nicht zu verdienen, entziehen wolle, sieht sie unschlüssig an, und arbeitet mit einiger Verlegenheit endlich ein zweites Aber heraus —"Aber, meine Schönste, wie viel meinen Sie wird die Ausführung dieses Entwurfs kosten?"Eine Kleinigkeit, Sire; zwei oder höchstens drei Millionen Unzen Silbers."Man versichert mich, daß die Ausführung des geringsten Plans ungleich höher zu stehen kommen würde; und ich gestehe Ihnen, daß verschiedene dringende Bedürfnisse meiner Provinzen — —"Dringende Bedürfnisse? — ruft die Dame in einem traurigen und erstaunten Tone. Ist's möglich, daß jemand so übelgesinnt seyn kann, die Ruhe meines geliebten Sultans mit so ungetreuen Berichten zu vergiften? Alle Provinzen Ihres großen Reichs sind glücklich, und haben keinen andern Wunsch als ewig von dem besten der Könige beherrschet zu bleiben. Und gesetzt der Staat hätte außerordentliche Bedürfnisse; können Sie zweifeln, daß Ihre Schatzkammer nicht reich genug sey, sie zu bestreiten, ohne daß man vonnöthen habe, an einer kleinen Summe zu sparen, die zum Vergnügen Ihrer Majestät und zur Verschönerung der Hauptstadt Ihres Reichs angewendet werden soll?"Aber, — liebste Alabanda, wie viel Tausend könnte ich mit dieser Kleinigkeit, wenn Sie ja etliche Millionen eine Kleinigkeit nennen wollen, glücklich machen?"Vergeben Sie mir, liebster Sultan — aber ich kann mich kaum von meinem Erstaunen erholen. Es gibt, wie ich sehe, Leute, die sich kein Bedenken machen Ihre Gütigkeit zu mißbrauchen. Wer kann Ihnen gesagt haben, daß ein König Millionen verschenken müsse, um müßige Bettler oder bettelhafte Müßiggänger glücklich zu machen? Doch ich merke wohl was unter der Decke liegt: nicht die Unkosten, nur die Verwendung derselben ist gewissen Leuten anstößig. Es mag seyn! Wir wollen das Amphitheater fahren lassen. Ein schönes Stift für ein paar hundert blaue Bonzen — —"Wir wollen gar nicht bauen, Alabanda!"Ich bin sehr unglücklich heute nichts sagen zu können, das den Beifall Ihrer Majestät zu erhalten würdig wäre."Wie reizbar Sie sind, Alabanda!"Nicht reizbar, aber gerührt, da mir auf einmal ein trauriges Licht aufgeht. Ach! Azor, wozu diese Verstellung? wozu diese Umschweife? Warum entdecken Sie mir nicht lieber auf einmal mein ganzes Unglück?"Sie setzen mich in Erstaunen, Alabanda: wo nehmen Sie diese Einfälle her, meine Schönste?"Wie kalt! Wär' es Ihnen möglich so wenig bei der Angst, die Sie in meinen Augen lesen, zu empfinden, wenn meine Besorgnisse nicht allzuwohl gegründet waren? Ach Azor! —" (Hier läßt sie sich in eine trostlose Lage auf den Sofa fallen) "Ach! ich bin das elendeste unter allen Geschöpfen! Ich habe Ihr Herz verloren. Eine andre glücklichere —" Hier verliert sie ihre Stimme, Thränen rollen aus ihren schmachtenden Augen, ihr schöner Busen athmet schwer und pocht mit verdoppelten Schlägen. Der bestürzte, gerührte, allzuschwache Azor vergißt auf einmal alle Vorstellungen und Berechnungen seines Freundes; er sieht nichts als seine Alabanda in Thränen. Er eili mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. Welche Vorstellungen, welche Berechnungen sollten gegen diese Blicke, diese Thränen, diesen Busen aushalten können? Er wirft sich zu ihren Füßen, sagt und thut alles, was ein schwärmender Liebhaber sagen und thun kann, um eine zweifelnde Geliebte zu beruhigen. Nun sind nicht nur sechs, sechshundert Millionen sind itzt eine Kleinigkeit in seinen Augen — Kurz, die angenehmste Aussöhnung erfolgt (nach keiner längern Weigerung, als die Dame nöthig glaubt um den Werth davon zu erhöhen) auf diesen kleinen Sturm: Alabanda befestiget sich in dem Herzen des zärtlichen Sultans; das Amphitheater wird gebaut, und der arme Freund (nach einer eben so langen Weigerung auf Seiten seines königlichen Freundes) wie billig aufgeopfert, um die Thränen zu rächen, welche durch seine Schuld die schönsten Augen der Welt trübe gemacht haben."Was sagen Sie zu diesem neuen Talent unsers Freundes Danischmend? fragte Schach-Gebal die schöne Nurmahal mit einem angenommenen Erstaunen. —In der That, erwiederte sie, er hat keine unfeine Gabe, Komödien aus dem Stegreife zu spielen; und wenn mir erlaubt wäre einen Vorschlag zu thun, so wär' es, ihn anstatt zum Oberaufseher über die Derwischen, zum Oberaufseher über die Schauspiele in Dely zu machen.Es kann beides sehr wohl mit einander gehen, erwiederte der Sultan: man muß die Talente des Mannes nicht unbenützt lassen; er mag es sich selbst beimessen, wenn man viel von ihm fordert. Aber im ganzen Ernste, Danischmend, die Erzählung von den Ausschweifungen, wozu die Prinzessin Alabanda euern armen Azor verleitete, hat mich auf einen Gedanken gebracht, der, wie ich hoffe, den Beifall deiner Philosophie erhalten wird. Mir fiel ein, daß ich meinen Unterthanen ein beträchtliches Geschenk machen könnte, wenn ich drei oder vier meiner entbehrlichsten Lustschlösser niederreißen, und die ungeheuern Gärten, Lustwälder und Jagdbezirke, die dazu gehören, zum Anbauen unter sie austheilen ließe.Sire, sagte Danischmend mit lachenden Augen (denn er hatte, bei aller seiner Philosophie zu viel Lebensart, um dem Trieb zum Lachen, der ihn anwandelte, freien Lauf zu lassen), der bloße Gedanke, würde dem Herzen Ihrer Majestät unendlich viel Ehre machen, wenn er auch unausgeführt bliebe; welches —Nein, nein, fiel ihm der Sultan ins Wort, das soll er nicht! Er soll ausgeführt werden; ; denn was nützt ein Gedanke, der eine bloße Speculation bleibt? Ich bekümmere mich wenig darum, ob er mir viel oder wenig Ehre macht: aber ich liebe meine Unterthanen; ich stelle mir die Freude vor, die ich einigen tausend Haushaltungen dadurch machen könnte, und, ich bekenne euch meine Schwachheit aufrichtig, ich kann dieser Vorstellung nicht widerstehen.Liebenswürdige Schwachheit, rief die schöne Nurmahal, indem sie eine von den Händen Seiner Majestät an ihre Tippen drückte.Die Frage ist nur, fuhr der Sultan fort, welche von den vielen, aus denen ich wählen kann, aufgeopfert werden sollen? In der That ist keines, das nicht seine eigenen Schönheiten hat. — Doch, das werden wir heute nicht ausmachen. Gute Nacht, meine Kinder! —Danischmend, die erste Komödie, die in meiner Gegenwart aufgeführt wird, soll von deiner Erfindung seyn!Der junge Mirza, welcher den Auftrag hatte, sich morgen mit Anbruch des Tages bereit zu halten, um den Sultan auf seiner geheimen Reise zu begleiten, brachte diese Nacht bei einer kleinen Maitresse zu, die er in einem sehr artigen kleinen Hause in einer von den Vorstädten von Dely unterhielt. Hier wurde ihm die Zeit so kurz, daß er erst einzuschlafen anfing, als er wieder hätte erwachen sollen. Kurz, er vergaß den Auftrag des Sultans so gänzlich, als ob niemals die Rede davon gewesen wäre; und es war glücklich für ihn, daß sich der Sultan eben so wenig daran erinnerte. In der That pflegte Se. Hoheit so viele Einfälle dieser Art zu haben, daß es lächerlich gewesen wäre, Ernst daraus machen zu wollen. Gleichwohl würde der letzte Einfall, mit dem er einschlief, Folgen gehabt haben, wenn Schach-Gebal mit sich selbst und mit seinen geheimen Rathgebern hätte einig werden können, auf welche von seinen Lustschlössern das Verdammungsurtheil fallen sollte. Man sprach so lange von der Sache, bis man endlich nichts mehr zu sagen hatte, und da hörte man auf davon zu sprechen. Alles blieb wie zuvor; Schach-Gebal hatte nichtsdestoweniger das Vergnügen, seinem Herzen mit der großmüthigen Freigebigkeit Ehre zu machen, die er in Gedanken ausgeübt hatte.
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10.

Die erfindsame Phantasie und die verschwenderische Gemüthsart der schönen Alabanda (fuhr Narmahal fort) würde allein schon hinlänglich gewesen seyn, die Einkünfte des Scheschianischen Reiches, so hoch sie sich auch beliefen, zu erschöpfen. Aber die obersten Staatsbedienten, die Finanzaufseher und das ganze zahlreiche Geschlecht der Günstlinge (denn jeder Günstling hat wieder die seinigen) verschlangen zur nämlichen Zeit so beträchtliche Summen, daß selbst die Verdoppelung der ehmaligen Abgaben (welche von den Zeiten des Krieges her, gegen das königliche Wort, noch immer fortdauerte) zu Bestreitung eines so ungeheuern Aufwandes unzulänglich war. Man sah sich also gezwungen, unter allerlei Vorwand alle Jahre neue Auflagen zu machen. Und da die Regierung um nichts weniger besorgt war, als den arbeitsamen und nützlichen, das ist, den armen Theil der Nation, der dadurch am meisten gedrückt wurde, durch die nöthige Aufmunterung und Unterstützung in den Stand zu setzen, so viel von seinem Erwerbe abzugeben: so mußten die Folgen einer so unweisen Staatswirthschaft in wenigen Jahren merklich genug seyn, um jeden, der nur einigermaßen das Ganze zu übersehen fähig war, mit schwermüthigen Ahnungen von dem nahen Untergange des Staates zu erfüllen.Was diejenigen, denen das gemeine Wohl zu Herzen ging, am empfindlichsten beleidigte, war die Gleichgültigkeit des Hofes bei solchen Zufällen, wodurch ganze Provinzen in den kläglichsten Nothstand gesetzt wurden. In einigen richtete, zum Exempel, das Austreten gewisser Flüsse von Zeit zu Zeit die schrecklichsten Verwüstungen an. In andern hatte der Mißwachs, aus Mangel gehöriger Vorsorge und Polizei, Hunger und Seuchen veranlaßt, wodurch ganze Gegenden zum Grabe ihrer elenden Bewohner wurden. Die Hälfte der Unkosten, welche man während dieser öffentlichen Noth auf die gewöhnlichen und auf außerordentliche Hoflustbarbeiten verwendete, wäre hinlänglich gewesen, allem diesem Elende zuvorzukommen; einem Elende, dessen bloßen Anblick die verzärtelten Sinne und die wollüstige Einbildungskraft des Sultans und seiner Gebieterin nicht eine Minute lang zu ertragen fähig gewesen wären. Aber weder Azor noch Alabanda wußten, daß diese hunderttausend Unzen Silbers, die an einem einzigen Feste in muthwilliger Ueppigkeit verschwendet wurden, den Werth des Brodes ausmachten, welches an eben diesem Tage zweimalhunderttausend Familien hätte sättigen sollen, wenn es nicht mit einer unmenschlichen Hartherzigkeit diesen von Arbeit, Kummer und Dürftigkeit entkräfteten Menschen, und ihren vor Hunger weinenden Kindern, aus dem Munde gerissen worden wäre, um von demjenigen, der sich ihren allgemeinen Vater nennen ließ, in Sardanapalischen Gastmählern verzehrt, und unter die Genossen und Werkzeuge seiner tyrannischen Ausschweifungen vertheilt zu werden.Dieß ist ein so abscheulicher Gedanke, rief Schach-Gebal, daß ich lieber heute noch in die Kutte eines Derwischen kriechen, oder, wie ein gewisser König, sieben Jahre lang ein Ochse seyn und Gras fressen, als länger Sultan bleiben wollte, wenn ich Ursache hätte zu glauben, daß ich mich in diesem Falle befinden könnte.Nach einer so nachdrucksvollen Erklärung würde es nicht nur sehr unhöflich, sondern wirklich grausam gewesen seyn, dem guten Sultan zu entdecken, daß er sich schon oft in diesem Falle befunden habe. Man versicherte ihn also einhellig des Gegentheiles, mit dem gebührenden Dank für diese abermalige Probe seiner Menschlichkeit, und Nurmahal fuhr fort.Der gute König Azor war weit entfernt, den elenden Zustand seiner Provinzen auch nur von ferne zu argwohnen. Seine Visire hatten die sorgfältigsten Maßregeln genommen, daß die Klagen des Volkes nicht zu seinen Ohren dringen konnten. Er sah sich von lauter glücklichen oder glücklich scheinenden Leuten umgeben. Seine Hauptstadt stellte einen Inbegriff der Pracht und der Reichthümer der ganzen Welt, die umliegenden Gegenden ein Land der Bezauberung, und selbst die Hütten des Landvolkes das Bild des Ueberflusses und der Freude dar. Ströme von Gold und Silber flossen aus allen Provinzen seines Reiches der Hauptstadt zu; aber, anstatt in tausend schlängelnden Bächen wieder zurückzukehren, und durch einen regelmäßigen Umlauf alle Gliedmaßen des großen Staatskörpers in lebhafter Munterkeit zu erhalten, verloren sie sich dort in einer unzähligen Menge kleiner durcheinander laufender Canäle, oder stürzten sich in bodenlose Schlünde, oder verdünsteten in die Luft. Der größte Theil von dem, was ehmals der Reichthum der Nation gewesen war, circulirte itzt unter einer kleinen Anzahl, bei welcher es so schnell im Kreise herumgetrieben wurde, so oft und auf so mannichfaltige Art seine Form ändern mußte, daß die Masse selbst durch eine unmerkliche Abnahme sich zuletzt auf eine sehr merkliche Weise vermindert befand. Aber lange zuvor, ehe man sich entschließen konnte es gewahr zu werden, fiel der schlechte Zustand des Reiches einem jeden in die Augen, welcher Gelegenheit hatte es von einem Ende zum andern zu durchreisen. Die Größe des Elends der Provinzen verhielt sich wie ihre Entfernung von der Hauptstadt. Hunger und Nacktheit nahm mit jeder Tagreise zu; mit jedem neuen Morgen zeigte sich das Land schlechter angebaut, weniger bevölkert, weniger gesittet, und mehr mit Zeichen des Mangels und der Unterdrückung angefüllt; bis man endlich nichts als ungeheure Wüsten vor sich sah, von welchen der Sultan keinen andern Vortheil bezog, als die Hoffnung, einen auswärtigen Feind durch ihren bloßen Anblick abzuschrecken, oder ihn wenigstens unfehlbar durch Hunger aufzureiben, eh' es ihm möglich wäre ins Innere des Reiches einzudringen.Um das Unglück von Scheschian vollständig zu machen, spielten die abgöttischen Priester dieses Landes zu Azors Zeiten eine Art von tragikomischem Possenspiele, welches einen äußerst nachtheiligen Einfluß auf den Geist, die Sitten und die äußerlichen Umstände der Nation hatte.Bei diesen Worten wachte die Aufmerksamkeit des Sultans, welcher beinahe eingeschlummert war, auf einmal auf; er stützte sich auf den linken Arm, und sah der schönen Nurmahal mit allen Zeichen der ungeduldigen Erwartung ins Gesicht.Ihre Hoheit werden sich nicht betrogen finden, sagte die Dame, wenn Sie Begebenheiten erwarten, welche auch dann noch überraschen, wenn man sich auf das Außerordentlichste gefaßt gemacht hat.Ich erwarte nichts andres, sagte der Sultan: und eben deßwegen bin ich so begierig mehr davon zu wissen, daß ich voraussetze, eure Erzählung wird mich dießmal um den Schlaf bringen, den sie mir befördern sollte. Ich habe die blauen Bonzen nicht überhört, deren die Dame Alabanda in ihrer Unterredung mit dem guten Manne Azor erwähnte. Ich wollte Danischmenden nicht aus dem Zusammenhange bringen; aber itzt, da ihr selbst auf diesen Gegenstand kommt, hoffe ich genauer mit den blauen Bonzen bekannt zu werden.Das einzige, warum ich Ihre Hoheit vorher bitten muß, versetzte Nurmahal, ist, daß es mir erlaubt werde, mein Amt bei dieser Erzählung an Danischmenden zu überlassen, welchen die Stärke, die er in diesem Theile der alten Geschichte besitzt, fähig macht, Ihre Neubegierde auf die vollkommenste Weise zu befriedigen.Von Herzen gern, sagte der Sultan: und, was noch mehr ist, er soll die Erlaubniß haben, so umständlich zu seyn als es ihm beliebt; denn ich erwarte Begebenheiten, wovon auch die kleinsten Züge einem denkenden Kopfe nicht gleichgültig sind.Danischmend hatte keine Ursachen anzuführen, welche hinlänglich gewesen wären, die Ablehnung dieses Auftrages zu rechtfertigen. Er unterzog sich also demselben mit guter Art, und, nach einer kleinen Pause, fing er seine Erzählung folgendermaßen an.Wiewohl, nach meinem Begriffe, die schlechteste Regierungsform und die schlechteste Religion immer besser ist als gar keine: so gestehe ich doch so willig als irgend jemand, daß eine Nation, wie groß auch ihre Vortheile in andern Stücken seyn möchten, unmöglich zu einem gewissen Grade von Vollkommenheit sich erheben könne, wenn sie das Unglück hat, einer ungereimten Verfassung oder unvernünftigen Religion unterworfen zu seyn. Das letzte war der Fall, worin sich die Einwohner von Scheschian seit undenklichen Zeiten befanden. Die Verblendung dieses Volkes über eine Sache von solcher Wichtigkeit würde allen Glauben übersteigen, wenn uns die Geschichte der Welt, in ältern und neuern Zeiten, nicht so viele abgöttische Völker bekannt machte, welche sich eben so handgreiflich haben hintergehen lassen als die Scheschianer. Die alten Aegyptier stellen uns hierin ein Beispiel dar, welches alle andern überflüssig macht. Das Erstaunen bindet uns die Zunge, und die Gedanken stehen still, wenn wir hören, daß ein so weises Volk fähig war, Affen, Katzen, Kälbern, Krokodilen und Meerzwiebeln, mit allen Verzückungen einer fanatischen Ehrfurcht, als göttlichen Wesen, oder wenigstens als sichtbaren Bildern göttlicher Wesen, zu begegnen. Ich weiß nicht, ob etwas demüthigender für die Menschheit seyn kann, als die Gewißheit, worin wir sind, daß nichts so Unsinniges und Lächerliches erträumt werden kann, welches nicht zu irgend einer Zeit oder auf irgend einem Theile des Erdenrundes von einer beträchtlichen Anzahl von Menschen für wahr, ernsthaft und ehrwürdig wäre angesehen worden. Das Schlimmste ist, daß wir selbst, bei aller Verachtung, womit wir fremde Thorheiten anzusehen gewohnt sind, große Ursache haben zu glauben, daß wir an ihrem Platze nicht weiser gewesen seyn würden. Erziehung, Beispiel, Gewohnheit und Nationalstolz würden sich bei uns so gut als bei jenen vereiniget haben, unsre Vernunft zu fesseln, und dasjenige, was wir itzt, mit so gutem Grunde, Unsinn nennen, zum Gegenstand unsrer wärmsten Verehrung zu erheben. Gleich den Aegyptiern würden wir das Unvermögen, uns irgend einen gesunden Begriff davon zu machen, ein heiliges Dunkel genannt haben, in welches sterblichen Augen nicht erlaubt sey einzudringen. Kurz, in den Zeiten der alten Beherrscher des Nils, zu Memphis oder Pelusium geboren, würden wir gern oder ungern Katzen, Krokodile und Meerzwiebeln angebetet haben so gut als jene; und dieß zu eben der Zeit, da uns nichts so widersinnig gedäucht hätte, als einen Mohren, in demuthsvoller Stellung und mit allen Zeichen eines andächtigen Vertrauens in seinen Gesichtsmuskeln, einen Elephantenzahn oder das Horn eines Ziegenbocks in seiner Noth anrufen zu sehen.Dieser kleine Eingang, Sire, hat mir nöthig geschienen, unser Urtheil über den Aberglauben der Scheschianer zu mildern, und, in Betrachtung der Schwachheiten der menschlichen Natur, uns zu einer Nachsicht zu vermögen, ohne welche wenige Erdebewohner ihren Anspruch auf den Titel vernünftiger Wesen behaupten könnten.Herr Danischmend, sagte der Sultan, was geschehen ist, ist geschehen: wir wollen es dabei bewenden lassen; wiewohl ihr euch, alles wohl überlegt, diese Dissertation hättet ersparen können. Denn am Ende haben wir doch nichts weiter daraus gelernt, als daß alle Köpfe unter dem Monde zu Zeiten ein wenig mondsüchtig sind, und daß keine Krähe der andern die Augen aushacken soll, wie König Dagobert sagte. Also nichts mehr hiervon, und zur Sache!Diesem Befehl zufolge fuhr der Doctor also fort — —
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Der Herausgeber an die Leser.

Lücken, geneigte Leser, sind in allen Arten der menschlichen Kenntnisse, besonders in Geschichtserzählungen, eine allzu gewöhnliche Sache, als daß es euch befremden sollte, hier in der Erzählung des sogenannten Philosophen Danischmend eine Lücke, und zwar, wie wir nicht bergen, eine beträchtliche Lücke zu finden.Diese Lücke ist nicht etwan von der Art derjenigen, welche von den Gelehrten Hiatus Manuscriptis genannt zu werden pflegen. Die Handschrift, aus welcher wir die Geschichte von Scheschian gezogen haben, liegt vollständig vor uns, und es kam bloß auf uns an, ob wir sie so vollständig, als der Lateinische Uebersetzer sie geliefert, mittheilen wollten oder nicht.Vielleicht betrügen wir die Neugierde vieler Leser gerade da, wo sie am wenigsten geneigt sind, es uns zu vergeben. Und wirklich hätten wir kein Bedenken tragen sollen, die Geschichte der Religion des alten Scheschians, und der Veränderungen, welche sich unter einigen Königen mit ihr zugetragen, der Welt ohne Lücken vorzulegen, wenn uns das Beispiel des Lateinischen Uebersezers, und die Gründe, womit er sein Verfahren beschönigt hat, hinlänglich geschienen hätten, die Nachfolge desselben zu rechtfertigen.Er behauptete nämlich: "Die weisesten Manner wären von jeher der Meinung gewesen, daß es einer von den wichtigsten Diensten, welche man der wahren Religion leisten könne, sey, wenn man dem Aberglauben und der Tartüfferei (ihren schädlichsten Feinden, weil sie die Maske ihrer Freunde tragen) diese Maske abziehe, und sie in ihrer natürlichen Ungestalt darstelle. Bloß aus diesem Grunde hätten gelehrte und ehrwürdige Schriftsteller aus den ältern Zeiten des Christenthums, ein Lactantius, ein Arnobius, ein Augustinus u, a., sich eine ernstliche Angelegenheit daraus gemacht, die Ausschweifungen und Betrügereien der heidnischen Priesterschaft (sogar nicht ohne Gefahr durch Bekanntmachung der ärgerlichsten Gräuel schwachen Gemüthern anstößig zu werden) an das helleste Licht hervor zu ziehen. Sie hätten diese Gefahr als ein kleines, zufälliges und ungewisses Uebel angesehen welches gegen den großen Nutzen, den sie der Gottseligkeit und der Tugend von jener Entlarvung der religiösen Betrügerei versprochen, in keine Betrachtung komme. Es ist wahr setzt er hinzu), Leser, welche mehr Witz als Unterscheidungskraft besitzen, könnten Aehnlichkeiten, und boshafte Leute Anspielungen zu finden glauben, wo keine sind; aber wenn uns diese Besorgniß aufhalten sollte, welche Geschichte würde man schreiben dürfen? Eine jede wohlgeschriebene Geschichte kann, in einem gewissen Sinne, als eine Satyre betrachtet werden; und ich fordere den weisesten und unschuldigsten unter allen Sterblichen heraus, uns ein aufrichtiges Gemälde der Gesetze, Sitten, Meinungen und Gebräuche, von welchem Lande in der Welt er will, und sollte es Cappadocia, Pontus oder Mysia seyn, zu liefern, welches nicht voller Anspielungen zu seyn scheinen sollte."Diese und andre Gründe des Lateinischen Uebersetzers hätten uns vielleicht zu einer andern Zeit überzeugen, und bewegen können seinem Beispiele zu folgen. Aber in den Tagen, worin wir leben, kann die Behutsamkeit in Dingen dieser Art kaum zu weit getrieben werden. Der kleinste Anlaß, den wir wissentlich dem Leichtsinn und Muthwillen unsrer Zeiten gegeben hätten, durch die schalkhaften Wendungen, die auch der mittelmäßigste Witz in seiner Gewalt hat, unsrer Erzählung einen unächten Sinn anzudichten, würde in unsern Augen alle guten Eindrücke überwiegen, welche wir uns, ohne übertriebene Erwartungen zu hegen, von dieser Geschichte der Könige in Scheschian versprechen. Nichts ist in unsern Tagen überflüssiger als Feldzüge gegen Aberglauben und Tartüfferei. Es sind Zeiten gewesen (kein Vernünftiger wird es läugnen), wo man sich durch Kämpfe mit diesen Feinden der Religion und der bürgerlichen Gesellschaft Verdienste machen konnte. Aber sie sind nicht mehr. Andre, in ihren Folgen ungleich mehr verderbliche Ausschweifungen, Geringschätzung der Religion und Ruchlosigkeit, gewinnen unvermerkt immer mehr Grund; die ehrwürdige Grundfeste der Ordnung und der Ruhe der menschlichen Gesellschaft wird untergraben, und unter dem Vorwande, einem Uebel, welches größtentheils eingebildet ist, zu steuern, arbeitet der zügellose Witz, in den Mantel der Philosophie eingehüllt, der menschlichen Natur ihre beste Stütze, und der Tugend ihre wirksamste Triebfeder zu entziehen. In einem solchen Zeitpunkte können diejenigen, welche es mit der Menschheit wohl meinen, nicht zu vorsichtig seyn; und bloß aus dieser Betrachtung haben wir geglaubt, der Welt einen größern Dienst durch die Unterdrückung der besondern Umstände der Religionsgeschichte von Scheschian als durch die Mittheilung derselben zu erweisen.Damit aber gleichwohl der Zusammenhang des Ganzen nichts dadurch verliere, haben wir für nöthig gehalten, dem Leser einen Auszug aus der Erzählung des Philosophen Danischmend mitzutheilen, welcher ihn in den Stand setzen möge, von dem schlechten Zustande der alten Scheschianischen Verfassung über diesen Punkt, von den Verdiensten, welche sich der Sultan Ogul um sie erworben, und von dem Zwiespalt, der das Reich zu Azors Zeiten erschütterte, sich wenigstens einen allgemeinen Begriff zu machen.
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Nach dem Beispiele der Aegyptier, und andrer abgöttischen Völker, verehrten die Scheschianer einen Affen als den besondern Schutzgott ihrer Nation; und, wie alle Asiatischen Länder, wimmelte Scheschian von Bonzen, deren hauptsächlichste Beschäftigung war, das verblendete Volk in der gröbsten Verfinsterung des natürlichen Lichtes und in einem ihnen allein nützlichen Aberglauben zu unterhalten. Unter den verschiedenen Gattungen derselben, welche Danischmend schildert, begnügen wir uns, nur zweier zu erwähnen, deren Institut uns Europäern unglaublich scheinen müßte, wenn wir nicht aus der Sammlung der sogenannten Lettres édifiantes, und aus der Compilation des P. Du Halde benachrichtiget wären, daß sie wenigstens von der einen Gattung noch heutiges Tages eine zahlreiche Nachkommenschaft in der Tartarei und in Sina erhalten hat. Die ersten, sagt Danischmend, nannten sich Ya-faou, oder Nachahmer des Affen, und unterschieden sich von den übrigen Bonzen durch eine scheinbare Strenge, ein unreinliches Aussehen, eine große Fertigkeit sich in Begeisterung zu setzen, und eine Ungewißheit, welche nahe an die thierische gränzte. Wenn man den Feinden dieser Ya-faou glauben dürfte, so war kein Laster, welches sie unter dem Mantel von Sackleinwand, womit sie ihre Blöße deckten, nicht ungestraft ausgeübt haben sollten. Man beschuldigte sie der Betrügerei, der Ränkesucht, der Unmäßigkeit und einer ungezähmten Lüsternheit nach dem Eigenthume der Scheschianer; Untugenden, welche sie, wie man sagte, unter einer Maske von Einfalt, Redlichkeit und Verachtung der irdischen Dinge künstlich zu verbergen wußten. Sie nähren, sagte man, unter dem Scheine der tiefsten Demuth den unausstehlichsten Stolz; sie sind rachgierig und grausam bei dem Ansehen einer unüberwindlichen Sanftmuth, und allgemeine Feinde der Menschen mit der Miene der Unschuld und Gutherzigkeit. Diese Beschuldigungen sind zu hart (fährt Danischmend fort), als daß es billig wäre ihnen einen unbedingten Glauben beizumessen. Aber dieß ist unläugbar, daß die Unnüzlichkeit der Ya-faou der geringste Vorwurf war, der ihnen gemacht werden konnte. Sie hatten allem, was man Vernunft, Wissenschaft, Witz, Geschmack und Verfeinerung nennt, einen unversöhnlichen Krieg angekündigt; und ihren unermüdeten Bemühungen war es vornehmlich zuzuschreiben, daß Scheschian in so vielen Jahrhunderten nicht die mindeste Bestrebung zeigte, sich aus dem Wust einer die Menschheit entehrenden Barbarei empor zu arbeiten. In Betrachtung der nachtheiligen Folgen einer solchen Thätigkeit, hätte man Ursache gehabt, sich ihnen noch verbunden zu achten, wenn sie sich hätten begnügen wollen, ganz und gar müßig zu seyn. Gleichwohl war auch in diesem Falle die Last sie zu füttern keine Kleinigkeit. Denn man rechnete zu Sultan Azors Zeiten über zwölfmalhunderttausend Ya-faou, und sie waren überhaupt Leute von vortrefflichem Appetit. —— Es ist etwas Unbegreifliches, daß diese Nachahmer des Affen zu gleicher Zeit der Gegenstand der lebhaftesten Ehrfurcht und der öffentlichsten Verachtung waren. Man trug sich mit einer unendlichen Menge lächerlicher Erzählungen in Prose und Versen, worin man sich mit ihren Sitten und selbst mit ihrem Stande die größten Freiheiten nahm; man sprach und schrieb und sang auf öffentlicher Straße von ihnen als von dem verworfensten Auskehricht des menschlichen Geschlechtes; man beschuldigte sie ungescheut aller Uebelthaten, wozu ihre herumschweifende Lebensart ihnen selbst Gelegenheit und ihren Feinden Vorwand gab. Kurz, derjenige würde lächerlich geworden seyn, der in guter Gesellschaft ihren Namen mit dem geringsten Zeichen von Achtung ausgesprochen hätte; und alles dieß zu eben der Zeit, da noch eine Menge von Leuten den Staub für heilig ansahen, in welchen ein Ya-faou seine Füße gesetzt hatte; da das gemeine Volk sich mit sklavischer Folgsamkeit in allen seinen Geschäften von ihnen regieren ließ, und viele nichts Angelegeneres hatten, als dafür zu sorgen, daß alles was von ihrem Vermögen nicht schon bei ihren Lebzeiten von diesen würdigen Leuten aufgegessen worden war, ihnen wenigstens nach ihrem Tode nicht entgehen möchte.Ich kann nicht umhin (fährt Danischmend fort) noch einer Gattung von privilegirten Müßiggängern zu erwähnen, deren Institut, so seltsam es auch beim ersten Anblicke scheint, aus einem gewissen Gesichtspunkt betrachtet, etwas Gemeinnütziges hatte, wodurch es sich über die übrigen Gattungen der Ya-faou erhob. Man nannte sie scherzweise die Fruchtbringenden; allein sie selbst legten sich, wegen der Unabhängigkeit, von welcher sie Profession machten, den stolzen Namen Kamfalu, Könige der Meinungen, bei. Ungeachtet ein altes Vorurtheil ihnen einen Theil der Vorrechte und des Ansehens der Ya-faou beilegte, so scheinen sie doch mehr eine Secte von Freigeistern als wirkliche Bonzen gewesen zu seyn, und in ihren Grundsätzen sowohl als in ihrer Lebensart vieles mit den Cynikern der alten Griechen, mit den Anhängern des Lao-Kiun in Sina und mit unsern Kalendern gemein gehabt zu haben. Sie lebten zwar auch auf Unkosten des Volkes wie die Ya-faou; aber sie bezahlten gleichsam dafür mit einer Menge kleiner Talente, wodurch sie sich angenehm und beinahe unentbehrlich zu machen wußten. Sie belustigten die Großen mit ihrem Witze, und sich selbst mit der Leichtgläubigkeit des Volkes. Die Freiheit, die ihnen ihr Orden gab über alles zu spotten, und ein unerschöpflicher Vorrath von muthwilligen Erzählungen und Anekdoten, verschaffte ihnen Zutritt in der schönen Welt; und so groß ist die Macht eines eingewurzelten Vorurtheils, daß der Morgenbesuch eines Kamfalu bei einer schönen Frau als eine Sache die nichts zu bedeuten habe, angesehen wurde. Aber die Kamfalu kannten den Werth ihrer Vorrechte zu gut, um sich allein auf die vornehme Welt einzuschränken: und wenn sie sich bei der Dame beliebt machten, indem sie ihrem Schooßhunde liebkoseten und über ihre Nebenbuhlerin lasterten, so schmeichelten sie sich bei der jungen Bäurin durch ein sympathetisches Mittel, sich der Treue ihres Mannes zu versichern, ein, oder indem sie ihr aus der Hand weissagten, daß sie fünf- oder sechsmal Wittwe zu werden Hoffnung habe. Sie waren im Besitz von einer Menge bewährter Hausmittel gegen alle Zufälle, welche Menschen und Vieh zustoßen können; sie schlichteten die kleinen Streitigkeiten zwischen Eheleuten, Verwandten und Nachbarn; und es gab wenig Heirathen unter dem Volke, die nicht ein Kamfalu gestiftet hatte. Eine von den Regeln ihres Ordens, die keine Ausnahme zuließ, war, kein Mitglied in denselben aufzunehmen, welches sich nicht durch eine fechtermäßige Gestalt und eine blühende Gesundheit zu dieser Ehre legitimiren konnte. Aber was ihnen am meisten Ansehen und Vortheile verschaffte, war der Ruf, ein besonderes Geheimniß wider die Unfruchtbarkeit zu besitzen. Man versichert, daß in den Zeiten, da die aufs höchste gestiegenen Ausschweifungen ihre schädlichen Folgen zum Nachtheil der Bevölkerung am stärksten geäußert, die edelsten Geschlechter von Scheschian die Erhaltung ihres Stammes lediglich dem geheimen Mittel der Kamfalu zu danken gehabt hätten. Ein Verdienst, wodurch sie, nach dem Urtheile der Staatskundigen, sich ein so starkes Recht an die öffentliche Dankbarkeit erwarben, daß selbst der große Sultan Tifan, da er alle Arten von herumschweifenden Bonzen gänzlich aufhob, die einzigen Fruchtbringenden, als Leute die dem Staate wichtige Dienste geleistet hätten, bei ihrem alten Vorrecht erhielt, auf Kosten ihrer freiwilligen Wohlthäter müßig zu gehen.Ich finde, sagte Schach-Gebal, diese Achtung des Sultan Tifan für die Verdienste der Fruchtbringenden um so lobenswürdiger, da ich versichert bin, daß die Erben, womit der Adel von Scheschian durch ihre Vermittelung versehen wurde, stärkere Sennen und frischeres Blut in die Familien brachten, und also tüchtig wurden, die Stammväter einer markigern Nachkommenschaft zu werden. Indessen sollte mich's wundern, wenn die Ya-faou nicht aus dem nämlichen Grund einiges Recht an die Nachsicht des Königs Tifan gehabt hätten.Sire, versetzte Danischmend, das herbe und abschreckende Aussehen, welches diese letztern sich gaben, scheint ihnen größtentheils die Gelegenheit, sich um die höhern Classen des Staats verdient zu machen, abgeschnitten zu haben. Vermuthlich fehlte es ihnen an gutem Willen nicht; aber da sie aus der feinen Welt gänzlich ausgeschlossen waren, sahen sie sich genöthiget, ihn bei den geringern Classen gelten zu machen, wo ihr Beistand, wenigstens in Rücksicht auf den Staat, gänzlich in Verlust ging, folglich nichts Verdienstliches haben konnte.Nachdem Danischmend von den verschiedenen Gattungen und Arten der Scheschianischen Bonzen, von ihren Grundsätzen, von ihrem Götzendienste, von ihrer vorgegebenen Zauberkunst, von dem Orakel der großen Pagoden und besonders von den Mitteln, wodurch sie sich eine beinahe unumschränkte Gewalt über die Köpfe und über die Beutel der Scheschianer zu erwerben gewußt, umständliche Nachricht gegeben; läßt er sich in eine weitläuftige und für jeden andern als den Sultan Gebal tödtlich langweilige Erzählung gewisser Streitigkeiten ein, welche um sehr unerheblicher Dinge willen unter diesen Bonzen entstanden seyn, und durch die unvorsichtige Theilnehmung des Hofes an denselben Gelegenheit gegeben haben sollen, daß die Nation sich in verschiedene Parteien zerspaltet, aus deren heftigem Zusammenstoß endlich einer der wüthendsten Bürgerkriege, wovon man jemals ein Beispiel gesehen, entstanden sey. Der gänzliche Untergang des Staats würde unvermeidlich gewesen seyn, wenn nicht glücklicherweise für dieses bethörte Volk Ogul-Kan dazwischen gekommen, und durch seine Eroberung die tobenden Bonzen genöthiget hätte, ihrer Privathändel zu vergessen, um auf ihre gemeinschaftliche Erhaltung bedacht zu seyn.Gut (ruft hier Schach-Gebal aus), hier erwartete ich meinen guten Bruder Ogul-Kan. Ich bin sehr begierig zu hören, was er zu den Streitigkeiten der Scheschianischen Bonzenschaft gesagt haben mag. Denn bei aller Achtung, die ich für seine übrigen Verdienste hege, wird er mir nicht übel nehmen, wenn ich mir ihn als einen sehr mittelmäßigen Metaphysiker vorstelle.Sire (versetzte Danischmend), der bloße Menschenverstand, von welchem er sich in dieser Sache leiten ließ, führte ihn sicherer, als die subtile Dialektik vielleicht hätte thun können. Die Tatarische Horde, deren Anführer er war, hatte von ihren Vorältern eine sehr einfältige Religion geerbt. Sie kannten weder Tempel noch Priester. Sie verehrten einen unsichtbaren Herrn des Himmels, von welchem sie glaubten, daß er die guten Menschen liebe und die bösen — nicht hasse, sondern besser mache. Sie hielten es für unrecht ein Bild von ihm machen zu wollen. Denn (sagten sie in ihrer Einfalt) wenn man auch den großen Berg Kantel selbst zu seinem Bilde aushauen wollte, so würde dieß dennoch nur eine kindische Vorstellung von der Größe eines Monarchen geben, der die Sonne in der einen Hand und den Mond in der andern hält. Diesem Begriffe zufolge begnügten sie sich, in jedem Hause eine schwarze Tafel an der Wand hängen zu haben, worauf mit goldnen Buchstaben geschrieben stand: Ehre sey dem Herrn des Himmels! Vor dieser Tafel pflegten sie täglich etwas Räuchwerk anzuzünden; sie baten dabei den Herrn des Himmels, daß er sie an Leib und Seele gesund erhalten möchte; und hierin bestand ihr ganzer Gottesdienst. Es war also nicht wohl anders möglich, als daß sie die Religion von Scheschian zugleich mit Verachtung und mit Abscheu ansehen mußten; und Ogul-Kan konnte mit allem seinem Ansehen nicht verhindern, daß nicht in der ersten Hitze eine große Anzahl von Pagoden zerstört worden wäre. Dieser Prinz scheint zwar selbst kein Freund des Aberglaubens gewesen zu seyn; aber er war ein zu vernünftiger Mann, um zu fordern, daß seine neuen Unterthanen auf einmal eben so vernünftig seyn sollten wie er. Er wußte, daß die Gewalt eines Monarchen sich nicht über Gewissen und Einbildung erstreckt; er wußte auch, wie gefährlich es ist, eine noch unbefestigte Regierung mit Unternehmungen gegen die eingeführte Religion anzufangen. Er bezeigte sich also sehr billig, ja sogar günstig gegen die Priesterschaft von Scheschian; erklärte sich öffentlich, daß er sie bei ihren Gerechtsamen und Vortheilen schützen und nichts gegen ihre Religion unternehme wolle; und hielt, was er versprochen hatte.Kaum fingen die Bonzen wieder an, der Ruhe zu genießen, welche sie der Regierung dieses weisen und guten Königs zu danken hatten, so erinnerten sie sich auch ihrer ehmaligen Streitigkeiten wieder; und auf einmal wurde wieder von allen Seiten zum Treffen geblasen. Aber hier hörte die Gefälligkeit des Sultans Ogul auf. Er ließ ein Edict ausgehen, worin einem jeden erlaubt wurde, seine Meinung über die Gegenstände des Streites mit Bescheidenheit bekannt zu machen; aber er verbot zugleich alle Bitterkeit, und alle Anzüglichkeit im Disputiren; und um seinem Verbote den gehörigen Nachdruck zu geben, setzte er die Strafe von zweihundert Streichen auf die Fußsohlen darauf, wenn sich jemand, wer er auch wäre, gelüsten ließe, einen andern seiner Meinungen wegen zu schimpfen oder zu verdammen. "Meinungen über Dinge, welche ihren Besitzer zu keinem schlimmern Manne machen, sind weder Staatssachen noch Verbrechen." sagte er: "ich werde mich niemals damit abgeben,. sie zu untersuchen, und noch weniger mich bereden lassen, sie zu bestrafen. Gedanken und Träume sollen in meinem Reiche frei seyn; und man soll keinem Menschen verwehren, seinen Traum zu erzählen, oder seine Meinung zu sagen, wenn er jemand findet, der ihm zuhören will. Das einzige Mittel, Grillen und Meinungen unschädlich zu machen, ist, wenn man ihnen Luft läßt. Laßt die Bonzen in Scheschian, so lange sie wollen, untersuchen, ob ihr großer Affe ein Genus oder ein Orang-Outang gewesen, ob er zu Wasser oder zu Lande in Scheschian angekommen, oder ob er aus dem Schweif eines Kometen herabgefallen sey; so lange die Untersuchung eine Privatsache bleibt, und der Streit mit Bescheidenheit geführt wird, kann die Ruhe des gemeinen Wesens nichts davon zu besorgen haben. Aber Ogul-Kan dürfte sich nur verleiten lassen, aus solchen Streitfragen eine Staatsangelegenheit zu machen, wenn in wenig Jahren das ganze Reich in Feuer stehen sollte."So dachte der weise Ogul (fährt Danischmend fort), und verdient Ehrensäulen dafür, daß er so dachte. Aber diese Politik war nicht nach dem Geschmacke der Bonzen. Sie ließen es darauf ankommen, ob er den Uebertretern des Gesetzes sein Versprechen halten würde. Ogul hielt sein Versprechen pünktlich. Ein Ya-faou, der die Meinungen eines gewissen Tulpan, welche vor der Eroberung viele Bewegungen verursacht hatten, öffentlich mit größter Heftigkeit bestritt, und die Anhänger derselben für unwürdig erklärte von Sonne und Mond beschienen zu werden, empfing auf dem größten Marktplatze der Stadt Scheschian die ganze Summe der zweihundert Prügel auf die Fußsohlen, ohne daß Einer daran fehlte; und da sein Geschrei und seine Aufhetzungen einen Aufruhr unter dem Pöbel verursachten, ließ Ogul-Kan die Schuldigen, an der Zahl zweitausend, von seiner Tatarischen Leibwache umringen, und den fünfzigsten Mann von ihnen, ohne Ansehen der Person, an die kahl gemachten Aeste eines hohen Eichbaums aufhängen, der im äußersten Vorhofe der großen Pagode stand. Diese Justizpflege war ein wenig Tatarisch, aber sie brachte ein großes Gut hervor; denn sie machte die Bonzen verträglich. Das Volk schrie über Tyrannei; Sultan Ogul kehrte sich nicht daran; und in kurzem erkannte die Nation mit Dankbarkeit, daß er sie durch eine wohl angebrachte Strenge von einem großen Uebel befreiet hatte.Von der Zeit an, da die Bonzen in ihren Streitschriften nicht mehr schimpfen, und durch geheime oder öffentliche Beschuldigungen ihren Gegnern keinen Schaden mehr zufügen durften, verloren sie auch die Leidenschaft zum Grübeln und Streiten, wovon sie seit geraumer Zeit besessen gewesen waren. Sie fingen an gewahr zu werden, daß sie sich dadurch bei Vernünftigen nur lächerlich machten, und glaubten weiser zu handeln, wenn sie ihren Witz anwendeten, die Religion von Scheschian mit dem gesunden Menschenverstande ihrer neuen Gebieter auszusöhnen. Diesem löblichen Vorsatze zufolge geschah es, daß sie, indem sie sich bemühten, ihre Grundsätze in das vortheilhafteste Licht zu stellen, unvermerkt auf einen ziemlich einförmigen Lehrbegriff geriethen, der den Tatarn immer einleuchtender wurde: und da die Kamfalu zu gleicher Zeit mit gutem Erfolg an der Bekehrung der Tatarischen Schönen arbeiteten, so fand sich nach wenigen Jahren, daß die Eroberer (den König und einige seiner Vertrauten ausgenommen) die Religion des Landes angenommen hatten, ohne daß man recht sagen konnte, wie es zugegangen war. Aber es fand sich auch zugleich, daß die Wallfahrten nach der großen Pagode merklich abnahmen. Es entstand aus der Vermischung des Scheschianischen Aberglaubens init dem groben Tatarischen Menschenverstand eine Art von Mittelding, welches zwar keine neue Religion vorstellte, aber doch unvermerkt in dem Nationalgeiste, in den Vorurtheilen, Gewohnheiten und Sitten von Scheschian eine Veränderung hervorbrachte, welche mit einigem Grund ein Schritt zur Verbesserung genannt werden konnte. Was vermuthlich das meiste dazu beitrug, war die Freiheit, sich auf die Wissenschaften und schönen Künste zu legen, welche Ogul-Kan allen seinen Unterthanen ertheilte. Denn vormals war dieß, wie bei den Aegyptiern, ein ausschließendes Vorrecht der Priesterschaft gewesen. In einem Zeitlaufe von vierzig bis fünfzig Jahren wurden die graubärtigen Bonzen gewahr, daß sie sich in einer neuen Welt befanden, welche nicht mehr so leicht zu behandeln war als die alte. Die Mährchen, womit sie sonst die Fragen der Neugierigen gestillt hatten, wurden nicht mehr so befriedigend gefunden als ehmals. Die Untersuchungen über den Grund dessen, was die Menschen wahr nennen, über die Natur, den Zweck und die wesentlichen Rechte der politischen Gesellschaft, und über andre Dinge von dieser Wichtigkeit, welche immer häufiger angestellt wurden, hatten die Folge, daß vieles, was man für wahr gehalten hatte, falsch befunden wurde. Und wenn man Gegenständen, die vor einer aufgeklärten Vernunft keine Gnade finden konnten, noch immer einen Rest von Ehrerbietung bewies, so war sie derjenigen gleich, womit man ein altes Gemälde aus den Kinderjahren der Kunst anzusehen pflegt: man schätzt es nicht weil es gut, sondern weil es alt ist.Es war von den Bonzen nicht zu erwarten, daß sie eine so wichtige Veränderung mit Gleichgültigkeit ansehen sollten. Auch thaten sie ihr Möglichstes, dem sichtbaren Schaden zu wehren, den die Ausbreitung der Vernunft und der Menschlichkeit ihnen selbst und ihren Pagoden zufügte. Aber da sie merkten, daß die letzten Anstrengungen ihrer Kunst nur den Triumph ihrer Gegnerin zu zieren dienten: so schmiegten sie sich endlich unter ihr Schicksal, und betrugen sich ungefähr so, wie eine handelnde Nation, welche sich genöthiget sieht, gewisse Zweige von Gewerbe, wiewohl mit augenscheinlichem Verluste, bloß deßwegen fortzuführen, um nicht die Handlung selbst zu verlieren, und der Hoffnung entsagen zu müssen, durch irgend eine günstige Wendung der Umstände sich vielleicht dereinst ihres Schadens wieder zu erholen.Indessen war eine von den heilsamen Folgen dieser Revolution in dem Nationalgeiste von Scheschian, daß die Bonzen selbst sich angelegen seyn ließen, an persönlichen Verdiensten wieder zu gewinnen, was sie auf einer andern Seite verloren hatten. Danischmend führt hiervon viel besonders an, unterläßt aber gleichwohl nicht, die Anmerkung zu machen: sie hätten bei allem dem nicht recht verbergen können, daß es ihnen lieber gewesen wäre, der Nothwendigkeit, so viele Verdienste zu haben, überhoben zu seyn. Sie belauerten, sagt er, mit der scharfsichtigsten Aufmerksamkeit jede Gelegenheit und jedes Mittel, ihren großen Zweck mit wenigern Unkosten zu befördern; und glücklicher Weise für sie spielte der leichtsinnige Muthwille, womit einige die Freiheit der damaligen Zeiten zu mißbrauchen anfingen, ihnen Waren in die Hände, welche sie unter dem scheinbarsten Vorwande, gegen ihre unversöhnlichen Feinde, Witz und Vernunft, gebrauchen konnten.Danischmend beginnt seine Erzählung von diesem Aufstand der Bonzen gegen die Usurpation einer tyrannischen Philosophie mit einer allgemeinen Betrachtung, welche nicht so viel benützt wird, als sie es zu verdienen scheint. Dasjenige, sagt er, was in allen sittlichen Dingen die Gränzen des Schönen und des Häßlichen, des Guten und des Bösen, des Rechts und des Unrechts bestimmt, ist eine allzu feine Linie, als daß sie nicht alle Augenblicke von der Unwissenheit und dem Leichtsinn übersehen, oder von den Leidenschaften übersprungen werden sollte. Daher eine Quelle von Uebeln, welche man nicht verstopfen darf, auch wenn man es könnte, — der häufige Mißbrauch von Dingen, wovon der rechte Gebrauch der menschlichen Gesellschaft nützlich ist, und welchem abzuhelfen man bisher noch keine andern Mittel erfunden hat, als solche, die dem Dienst gleichen, den der gutherzige Bär in der Fabel seinem Freunde, dem Eremiten erweis't, da er, um eine Fliege von der Nase seines schlafenden Freundes zu verjagen, einen Stein ergreift, und auf einen Wurf die Fliege und den Eremiten tödtet.Die Scheschianer geben uns hiervon ein merkwürdiges Beispiel. Sie waren unvermerkt klüger geworden als ihre Vorfahren. Ihre Begriffe von der wahren Beschaffenheit der Dinge, von ihrem Verhältniß gegen die Menschen, und von dem sehr wesentlichen Unterschiede zwischen den Gegenständen und den Vorstellungen, die man sich davon macht, klärten sich je länger je mehr auf. Die Vortheile dieser glücklichen Veränderung verbreiteten sich über das ganze Reich, wiewohl sie nur von scharfsichtigen Beobachtern bemerkt wurden. Aber die Nachtheile, die damit verbunden waren, wahrzunehmen, dazu reichte das Gesicht des blödesten Kopfes hin. So lange die Nation dumm war, konnte sie nicht mißbrauchen —was sie nicht hatte. Damals war die Quelle alles Uebels, daß sie ihre Vernunft gar nicht zu gebrauchen wußte. Itzt, da die Scheschianer, wie junge Vögel, die Schwingen ihres Geistes zu versuchen anfingen, begegnete es oft, daß sie zu hoch fliegen wollten und fielen, oder daß sie sich unvorsichtig in Oerter wagten, wo sie sich in verborgenen Schlingen verwickelten. Kurz, diejenigen, die entweder mehr Witz hatten als andre, oder doch dafür angesehen seyn wollten mehr zu haben, fühlten nicht sobald die Freiheit, in welche Ogul-Kan ihre Vernunft gesetzt hatte, als sie schon anfingen sie häufig zu mißbrauchen. Es war wohl bei den wenigsten so böse gemeint als es ihnen ausgelegt wurde. Wie leicht war es, in der hüpfenden Freude, die einem Menschen natürlich ist, der nach einer langen Gefangenschaft wieder freie Luft athmet und sich seiner Füße wieder nach eigenem Gefallen bedienen darf, wie leicht war es da, die vorerwähnte Linie zu überhüpfen, und vor lauter Freude —nicht mehr dumm zu seyn, ein wenig närrisch zu werden! Man hatte den Aberglauben als ein großes Uebel kennen gelernt; man bildete sich ein, sich nicht weit genug davon verlaufen zu können, und verlief sich also in den entgegengesetzten Abweg. Indessen war dieß allerdings kein geringes Uebel, und verdiente die Aufmerksamkeit der Vorsteher des Staats um so mehr, da es von den höheren Classen unvermerkt auch zu den niedrigern überging.Hier fiel der Sultan Danischmenden in die Rede. Du berührst, sagte er ihm, einen Punkt, über den ich schon lange gewünscht habe, etwas Gewisses bei mir selbst festsetzen zu können. Es ist, wie du wohl bemerkt hast, nicht rathsam die Quelle von solchen Uebels zu verstopfen, die aus dem Mißbrauch einer Sache entstehen, wovon der Gebrauch gut ist. Und gleichwohl ist das Uebel, von dem du sprichst, von einer so gefährlichen Art, daß man schlechterdings genöthigt ist seinem Fortgange zu steuern. Ich möchte wohl hören, was du mir in diesem Falle zu thun rathen wolltest."Sire (antwortete Danischmend), die Frage, worüber ich meine Meinung sagen soll, hätte vorlängst besser als zwanzig andre verdient von unsrer Akademie zu einer Preisfrage gemacht zu werden. Ich unterstehe mich nicht zu sagen, daß ich die Auflösung davon gefunden habe, und mir däucht, diejenigen, welche sie so leicht finden, möchten sich wohl nie die Mühe genommen haben, ihre Tiefe zu erforschen. Doch vielleicht ist sie eine von den Fragen, deren Auflösung gar nicht einmal möglich ist, oder, welche sich wenigstens nicht anders als durch einen kühnen Schnitt auflösen lassen. Der Fall dünkt mich dieser zu seyn: wir befinden uns zwischen zwei Uebeln, wovon wir schlechterdings genöthigt sind eines zu wählen; es fragt sich also, welches wir wählen sollen?"Hier, däucht mich, kann zuversichtlich als ein unstreitiger Grundsatz angenommen werden, daß in einem solchen Falle, wenn das eine Uebel einen unendlichen und unheilbaren Schaden thut, das andere hingegen unter gewissen Bedingungen ins Unendliche vermindert werden kann, nothwendig das letztere gewählt werden müsse."Dieß vorausgesetzt kommen hier zwei Uebel in Betrachtung: der Schade, der aus dem Mißbrauch der Vernunft und des Witzes, wenn ihnen völlige Freiheit gelassen wird, entspringen kann und wird; und derjenige, der daher entstehen muß, wenn diese Freiheit durch irgend eine Art von Zwangsmitteln eingeschränkt wird. Nun sage ich: den Gebrauch der Vernunft und des Witzes in einem Staat einschränken, ist eben so viel, als Unwissenheit und Dummheit mit allen ihren Wirkungen und Folgen in dem besagten Staate verewigen, falls sich die Nation noch in einem barbarischen Zustande befindet; oder, wenn sie sich bereits zu einem gewissen Grade der Erleuchtung emporgehoben hat, sie in Gefahr setzen, von Stufe zu Stufe wieder in diese Barbarei zurückzusinken, die den Menschen zu den übrigen Thieren herabwürdiget, ja gewissermaßen unter sie erniedriget. Denn, wie soll diese Gränzlinie, in welche man Vernunft und Witz einschränken will, gezogen werden? Wer soll sie bestimmen? Was für Regeln sollen dazu festgesetzt werden? Wer soll Richter seyn, ob diese Regeln in jedem vorkommenden Falle beobachtet oder überschritten werden? Wodurch will man verhindern, daß der Richter nicht seine eigene Denkungsart, seine Vorurtheile, seinen persönlichen Geschmack, vielleicht auch seine Leidenschaften und besondern Absichten, zur Richtschnur oder zum Beweggrunde seiner Urtheile mache? Wird die Vernunft und der Witz der Nation nicht dadurch von dem Grade der Erkenntniß oder Unwissenheit, der Redlichkeit oder Unlauterkeit des Richters, oder von der ungereimten Voraussetzung, daß ihn seine Weisheit und Rechtschaffenheit nie verlassen werde, abhängig gemacht? Wenn wir denken dürfen, warum sollten wir nicht über Alles denken dürfen? Und ist denken nicht etwas andres als nachsprechen? Kann man denken ohne zu untersuchen? oder untersuchen ohne zu zweifeln? Und wenn sich dieses Recht zu zweifeln bis man untersucht hat, und zu untersuchen eh' man irgend ein Urtheil faßt, nicht auf alle Gegenstände erstreckt; wenn man annehmen wollte, daß es solche gebe, welche man nicht untersuchen dürfe, weil schädliche Folgen daher entspringen könnten: würde die Nation nicht immer in Gefahr schweben, daß es ihren Obern einmal einfallen könnte, die Untersuchung alles dessen für schädlich zu erklären, was sie bloß ihres eigenen Vortheils wegen nicht untersucht haben wollten? Die Jahrbücher des menschlichen Geschlechts belehren uns, daß unsre Obern zuweilen Tyrannen gewesen sind, oder wenigstens schwach genug, sich von irrigen Meinungen und von Leidenschaften, eigenen oder fremden, beherrschen zu lassen. Auf welchem seichten Grunde würde demnach die öffentliche Glückseligkeit stehen, wenn es von der Willkür etlicher weniger Sterblichen abhinge, die großen Triebfedern des allgemeinen Besten der Menschheit, Vernunft und Tugend, nach ihren besondern Begriffen und Absichten einzuschränken?"Was ich von der Vernunft gesagt habe, gilt in seiner Art auch von dem Witze, dessen wichtigster Gebrauch ist, alles, was in den Meinungen, Leidenschaften und Handlungen der Menschen mit der gesunden Vernunft und dem allgemeinen Gefühl des Wahren und Schönen einen Mißlaut macht, das ist, alles, was ungereimt ist, als belachenswürdig darzustellen. Jede Einschränkung dieses Gebrauchs ist ein Freiheitsbrief für die Thorheit, und ein stillschweigendes Geständniß, daß es ehrwürdige Narrheiten gebe. Unvermerkt würden sich noch andre Thorheiten hinter diese verstecken; denn ihre Familie ist zahlreich, und manche sehen einander so ähnlich, daß es sehr leicht ist eine für die andere anzusehen. Was anders würde also aus der Einschränkung der Vernunft und des Witzes erfolgen, als daß, unter dem bleiernen Scepter der Dummheit, Aberglaube und Schwärmerei, Tyrannei über Seelen und Leiber, Verfinsterung der Vernunft, Verderbniß des Herzens, Ungeschliffenheit der Sitten, und zuletzt allgemeine Barbarei und Wildheit die Oberhand gewinnen würden?"Und dieß würde nicht etwa bloß eine zufällige Folge, es würde die nothwendige und unvermeidliche Wirkung davon seyn, wenn man den freien Lauf der Vernunft und des Witzes hemmen, und es in die Gewalt einzelner Personen geben wollte, den Zügel, womit man sie gefesselt hätte, nach ihrem Gutbefinden anzuziehen oder nachzulassen."Nun lassen Sie uns auf der andern Seite sehen, ob der Schaden, welchen man von dieser Freiheit zu besorgen hat, so beträchtlich ist, daß er gegen den Schaden ihrer Unterdrückung in Betrachtung kommen kann; und ob er nicht vielmehr unter gewissen Bedingungen sich nach und nach ins Unendliche vermindern muß?"Es ist wahr, die Freiheit der Vernunft, des Witzes, der Einbildungskraft, und dessen was man Laune nennt, kann und wird zuweilen mißbraucht werden, um Weisheit und Tugend selbst in ein falsches Licht zu stellen, und vielleicht die ehrwürdigsten Gegenstände, um unwesentlicher Gebrechen willen, lächerlich zu machen. Man hat überdies einige Beispiele, daß etwas ungereimt Scheinendes bei anwachsender Einsicht wahr befunden worden, und also aufgehört hat ungereimt zu seyn. Es ist also möglich, daß die Freiheit, welche dem Muthwillen des Witzes gelassen würde, den Fortgang der Wahrheit selbst aufhalten könnte. Aber alle diese Uebel, so groß man sie auch immer sich einbilden mag, sind zufällig und selten; der Nachtheil, den sie der menschlichen Gesellschaft bringen können, wird durch tausend entgegenwirkende Ursachen theils verhütet, theils unmerklich gemacht, und, was das wichtigste ist, er muß, vermöge der Natur der Sache, immer abnehmen, Der Krieg zwischen Vernunft und Witz, und ihren ewigen Feinden Unverstand und Dummheit, ist ein Uebel wie alle andern Kriege. Er bringt zwar zufälligerweise allerlei schädliche Ausbrüche hervor, und es sind immer viele, die auf diese oder jene Weise darunter leiden: aber er ist ein nothwendiges Uebel, welches durch seine Folgen das größte Gut befördert. Jede neue Eroberung, die von jenen über diese gemacht wird, schwächt den Feind, befestigt die rechtmäßige Oberherrschaft, und beschleuniget den Anbruch jener glückseligen Zeiten, deren Unmöglichkeit noch niemand bewiesen hat, und welche (wenn es auch unwahrscheinlich wäre, daß sie jemals kommen würden) dennoch das große Ziel aller Freunde der Menschheit seyn müssen: der Zeiten, wo Polizei, Religion und Sitten, Vernunft, Witz und Geschmack einträchtig zusammen wirken werden, die menschliche Gattung glücklich zu machen."Danischmend, mein Freund (sagte der Sultan, als der Doctor mit seiner Rede fertig war), alles, was du uns hier gesagt hast, mag sehr gut seyn, wenn von einem Staat in Utopien die Rede ist, den du mit idealischen Menschen nach Belieben besetzen und regieren kannst, wie es dir gefällt. Aber die Rede ist, mit Erlaubniß deiner Philosophie, nicht von dem, was der menschlichen Gesellschaft überhaupt, sondern von dem, was diesem oder jenem besondern Staate gut ist; und da wirst du vermuthlich zugeben, daß sich kein wirklicher Staat, mit Menschen von Fleiss und Blut besetzt, denken lasse, dessen Bewohner die Vortheile, die sie darin genießen, nicht mit Aufopferung eines Theiles ihrer natürlichen Rechte erkaufen müßten. Du hast uns sehr schon bewiesen, daß es zum Besten der menschlichen Gesellschaft gereiche, wenn der Vernunft und dem Witze, folglich — weil du keinen Richter erkennen willst, der in jedem besondern Falle entscheide, was Vernunft und Witz sey — auch der Unvernunft und dem Aberwitze volle Freiheit gelassen werde: aber alle deine Gründe sollen mich nicht hindern, dem ersten, der sich die Freiheit nehmen wollte, meine Völker durch seine Schriften zum Mißvergnügen und zur Empörung zu reizen, die Ohren abschneiden zu lassen; oder den ersten Philosophen, der sich gelüsten lassen wird, das Gesetz unsers Propheten für ein Werk des Betrugs zu erklären, mit fünfhundert Streichen auf die Fußsohlen zu belohnen. Darauf kannst du dich verlassen. Ich bin der Mann, mein Wort so genau zu halten als Ogul-Kan.Sire, erwiederte Danischmend ganz ruhig, meine Meinung ging nur wider solche Anordnungen, die es von der Einsicht und Willkür einzelner Personen abhängig machen, wie klug oder wie dumm eine Nation seyn soll. Indessen, und bis die Akademie oder irgend ein anderer Adept Mittel, dem Mißbrauche der Freiheit zu wehren, welche der Freiheit selbst unnachtheilig sind, ausfindig gemacht haben wird, möchte wohl schwerlich zu verhindern seyn, daß das Wort Mißbrauch nicht immer zweideutig bleiben sollte; und also wird (mit Ausnahme weniger besonderer und seltener Fälle, worüber dem Landesherrn zu erkennen obliegt) doch immer das sicherte seyn, lieber einige Ausschweifungen zu übersehen, als uns durch eine gar zu strenge Regelmäßigkeit in Gefahr zu setzen, des edelsten Vorrechts der Menschheit verlustiget zu werden.Wenn mir erlaubt ist (fuhr Danischmend fort), die Anwendung der vorgelegten Frage auf die Priester von Scheschian zu machen, so däucht mich, daß nur ein mißverstandenes Interesse diese Bonzen verleiten konnte, die Freiheit, welche Ogul-Kan seinen Unterthanen zugestanden hatte, so gefährlich zu finden. Der Staat und die Religion von Scheschian konnten nicht anders als bei dieser Freiheit gewinnen. Ja die Bonzen selbst würden dabei gewonnen haben. Sie würden anfänglich aus Nothwendigkeit, hernach aus Gewohnheit, zuletzt vielleicht aus Neigung und Wahl, sich immer weiter von allem demjenigen entfernt haben, was sie einem gerechten Tadel unterwürfig gemacht hatte. Frei von dem Vorwurf einer unbändigen Begierde zu herrschen und die Güter ihrer Mitbürger an sich zu ziehen, geziert mit jeder Tugend ihres Standes, würde die Hochachtung ihres persönlichen Werthes sich mit der Würde ihres Amtes vereiniget haben, sie durch die allgemeine Zuneigung besser als durch Strafgebote vor unbilligen Mißhandlungen sicher zu stellen. Denn ich unterstehe mich zu behaupten, daß es kein Volk auf Erden gibt, welches nicht geneigt seyn sollte, einen weisen und tugendhaften Mann eben dadurch, daß er ein Priester ist, doppelt ehrwürdig zu finden. Allein die Bonzen von Scheschian hatten das Unglück, diese Betrachtung nicht zu machen. Die Verbesserung oder Abstellung alles dessen, was dem gesunden Menschenverstand an ihren Begriffen, Maximen und Sitten anstößig seyn mußte, war unstreitig der geradeste Weg, sich dem öffentlichen Tadel zu entziehen; aber es war auch der beschwerlichste. Lieber wollten sie durch tausend schleichende Wendungen und niedrige Kunstgriffe diejenigen zu unterdrücken suchen, von deren Fähigkeiten und Einsichten sie sich, auch ohne besondere Ursache, aus einer Art von Instinct, fürchteten; und die Sicherheit der Scheschianischen Religion diente ihnen bloß zum Vorwande, ihre Rachsucht an einem jeden auszulassen, der gegen ihre offenbarsten Ungereimtheiten und gröbsten Mißbräuche etwas einzuwenden hatte. Sie ließen keine Gelegenheit entschlüpfen, in Gesellschaften, oder unter vier Augen, sonderlich bei Personen von Stand und Ansehen, zu verstehen zu geben, daß solche Leute in billigem Verdachte ständen, weder an den großen Affen noch an den allgemeinen Schutzgeist (wie sie das höchste Wesen nannten) zu glauben. Gestanden sie auch einigen derselben Talente zu, so bedauerten sie doch zugleich in einem seufzenden Tone, daß diese Talente nicht besser angewendet würden, und beklagten die Gefahr der Nation, wenn solchen Leuten gestattet würde, ihr süßes Gift in unbehutsame Seelen fallen zu lassen. Durch dergleichen Künste gelang es ihnen bei allen, welche sich mit angeerbten Begriffen behalfen, das ist, bei dem größten Theile der Nation, sich im Besitz eines gewissen Einflusses zu erhalten, der vielleicht nur desto tiefere Wurzeln schlug, weil sie ihn der sanften Gewalt einschmeichelnder Ueberredungen, und tausend seinen Ränken, womit sie die Gemüther zu umspinnen wußten, zu danken hatten. Sie genossen unter einigen schwachen Regierungen das Vergnügen, von Zeit zu Zeit kleine Verfolgungen gegen Witz und Vernunft zu erregen: und es ist sehr wahrscheinlich, daß die Barbarei, welche unter Ogul-Kan in die Schlupflöcher der Ya-faou hatte flüchten müssen, mit schnellen Schritten zurückgekommen wäre, sich des Hofes und der Paläste der Großen und Reichen wieder zu bemächtigen, wenn die Regierung der schönen Lili nicht zu gutem Glücke der Nation einen andern Schwung gegeben hatte.Man muß gestehen, jagte Schach-Gebal, die Bonzen von Scheschian haben keine sonderliche Ursache, sich Danischmenden für das Denkmal, das er ihnen stiftet, verbunden zu halten.Sire, erwiederte der Doctor, wenigstens werden mir Ihre Hoheit glauben, daß ich keine Bewegursachen haben kann, sie anders abzuschildern als sie waren. Die Wahrheiten, die ich sage, können niemand Schaden thun; aber sie können, wofern Ihre Hoheit erlauben, die Geschichte von Scheschian bekannt zu machen, noch den spätesten Zeitaltern als ein Spiegel nützlich werden. Ich halte diese Art von Spiegeln für eine sehr gute Erfindung; denn am Ende ist doch einem jeden daran gelegen, zu wissen wie er aussieht; und so achtsam man auch auf sich selbst ist, so gibt es doch immer einige Flecken wegzuwischen, oder einige kleine Unordnungen an seiner Person zu verbessern. Wer sich keiner größern Gebrechen bewußt ist, darf getrost hineinsehen; und wer hineinguckt, und über den Spiegel, oder über die Fabrik, worin er gegossen worden, schilt, von dem getraue ich mir zu behaupten, daß es ihm sehr an —Klugheit fehlen müsse.Wenn du die Einwilligung meines Imans erhalten kannst, versetzte der Sultan, so sollst du nicht zu klagen haben, daß ich deiner Spiegelfabrik hinderlich sey. Ich bin immer ein Beförderer der Fabriken gewesen.Nach der gewöhnlichen Unterbrechung fährt Danischmend, auf Befehl des Sultans, fort, sich den Weg zu den Handeln zu bahnen, welche unter dem Sultan Azor zwischen den Bonzen in Scheschian ausbrachen, und das Unglück des Reichs vollständig machten."Die Gestalt, sagt er, welche der Nationalgeist von Scheschian unter der Regierung der Königin Lili annahm, war dem System und den Absichten der Bonzen nicht sehr vortheilhaft. Der Aberglaube, auf den ihr vormaliges Ansehen gegründet war, setzt eine gewisse Verfinsterung der Seele als eine nothwendige Bedingung voraus, und nimmt also in der nämlichen Gradation ab, in welcher die Aufklärung eines Volkes zunimmt. Witz, Geschmack, Geselligkeit, Verfeinerung der Empfindung und der Sitten, sind seine natürlichen Feinde; ihre gegenseitige Antipathie ist unversöhnlich; und entweder gelingt es ihm sie zu unterdrücken, oder sie unterdrücken ihn. Die Bonzen von Scheschian sahen sich dem letztern Falle so nah, daß sie endlich, wie es scheint, an der Erhaltung ihres vormaligen Systems zu verzweifeln anfingen. Ein jeder war nun bloß darauf bedacht, anstatt für die gemeine Sache, für sich selbst zu arbeiten, und von seinen eigenen Talenten, körperlichen oder geistigen, so viel Vortheil zu ziehen, als er Gelegenheit dazu hatte."In dieser Lage befanden sich die Sachen, als im zehnten Jahre der Regierung Azors ein Ya-faou, der sich durch seine Bemühungen um die Scheschianischen Alterthümer hervorgethan, mit einer Entdeckung auftrat, welche, so wenig sie auch beim ersten Anblick zu bedeuten schien, durch ihre Folgen das ganze Reich in Verwirrung setzte. Er hatte nämlich gefunden, oder glaubte gefunden zu haben, daß der Name des großen Affen aus den ältesten Denkmälern der Nation niemals Tsai-Faou (wie er seit einigen Jahrhunderten geschrieben und ausgesprochen wurde), sondern allezeit Tsao-Faou geschrieben war. Da nun Tsai in der Scheschianischen Sprache allezeit feuerfarben, Tsao hingegen, vermöge eines mit großer Gelehrsamkeit von ihm geführten Beweises, von jeder blau bedeutet hatte: so ergab sich der Schluß von selbst, daß der Name des blauen Affen eigentlich der wahre, uralte und charakteristische Name der Schutzgottheit ihres Landes sey."Gorgorix (so nannte sich der Ya-faou), welcher, nach Art aller Alterthumsforscher, eine ungemessene Freude über diesen Fund hatte, der ihm Gelegenheit gab, Dissertationen zu schreiben, worin er seinen in vielen Jahren mühsam gesammelten Vorrath ron Collectaneen, Lesarten, Verbesserungen, Ergänzungen, Muthmaßungen, Zeitrechnungen, etymologischen Untersuchungen, und dergleichen, anbringen konnte, —glaubte sich nicht genug beschleunigen zu können, der Welt eine so wichtige Entdeckung mitzutheilen. Wirklich hatten ihn die Untersuchungen, die er bei dieser Gelegenheit anstellen mußte, auf die Spur so vieler andrer antiquarischer und grammatischer Entdeckungen gebracht, und eine jede derselben hatte ihm zu so vielen gelehrten und äußerst interessanten Digressionen Anlaß gegeben, daß, ungeachtet des Titels seines Buchs, dasjenige, was darin den blauen und feuerfarbnen Affen betraf, kaum den zwanzigsten Theil davon ausmachte. Seine Absicht scheint anfangs nichts weniger gewesen zu seyn, als Neuerungen in der Religion seines Landes anzuspinnen; und vielleicht würde die Sache ohne Folgen geblieben seyn, wenn seine Schüler und Freunde weniger eifrig gewesen wären, die Entdeckung des großen Gorgorix (wie sie ihn nannten) in allen Zeitungen und Journalen von Scheschian als Dinge von der verdienstlichsten Wichtigkeit anzupreisen. Durch die unbescheidenen Bemühungen dieser Leute geschah es denn, daß sein Buch endlich die öffentliche Aufmerksamkeit rege machte. Verschiedene Bonzen, welche den Ruhm des großen Gorgorix mit schelen Augen ansahen, traten mit kritischen Beleuchtungen seines Buches hervor, worin es ihnen nicht sowohl darum zu thun war, zu ergründen, ob Gorgorix Recht oder Unrecht habe, als der Welt zu zeigen, daß sie zum wenigsten einen eben so großen Vorrath von Collectaneen besäßen, und noch scharfsinnigere und gelehrtere Ergänzungen, Verbesserungen, Muthmaßungen, Zeitrechnungen und Wortableitungen zu machen wüßten als Gorgorix. Bald gesellten sich auch einige Ya-faou zu ihnen, welche die Entdeckung dieses Antiquars aus einem ganz andern Gesichtspunkt ansahen, und über die Gottlosigkeit und Gefährlichkeit dieser Neuerung ein mächtiges Geschrei erhoben. Da es weder diesen noch jenen an Freunden mangelte, die aus mancherlei Ursachen und Absichten öffentlich ihre Partei ergriffen, so wurde der Streit immer hitziger und allgemeiner. Die Liebe zum Neuen zog den größten Theil der jungen Bonzen und Ya-faou auf die Seite des blauen Affen, und Gorgorix sah sich in kurzem an der Spitze eines ansehnlichen Theils der Nation."Nun bekam er Muth, dasjenige, was er anfangs in einem bescheidenen und problematischen Tone vorgebracht hatte, mit dem herrischen Anstand eines gelehrten Dictators vorzutragen, und allen, welche die Bündigkeit seines Beweises nicht so einleuchtend fanden als er selbst, mit einer Verachtung zu begegnen, die seinen Gegnern unerträglich war. Man muß entweder ein Dummkopf seyn, sagte er, wenn man die Wahrheit meiner Entdeckungen nicht einsehen kann, oder sehr boshaft, wenn man sie nicht sehen will. Diese unter den Gelehrten zu Scheschian sehr gewöhnliche Art zu disputiren, hatte auch hier ihre gewöhnliche Wirkung. Die Gemüther der Streitenden wurden immer mehr erbittert; die Streitfragen selbst vermehrten sich täglich durch die Wuth einander nichts einzugestehen; und eine Menge von Leuten erklärte sich mit der größten Hitze für die eine oder die andere Partei, ohne untersucht zu haben, wer Recht habe, oder zu einer solchen Untersuchung geschickt zu seyn."Unvermerkt verwandelte sich diese Fehde aus einem Wortkrieg in einen weit aussehenden Religionsstreit, und jede Partei wandte alles an, sich zu vergrößern: als Kalaf, ein junger Bonze, welcher Mittel gefunden hatte sich bei Hofe in einiges Ansehen zu setzen, das bisher noch zweifelhafte Uebergewicht durch seinen Beitritt auf die Seite des Gorgorix zog. Nicht, als ob er sich im geringsten für die Sache selbst interessirt hätte; denn er hatte sich nie die Mühe genommen, das Buch dieses Ya-faou zu lesen; und niemand in der Welt bekümmerte sich weniger als er, ob der große Affe blau, grün oder pomeranzengelb sey. Aber Kalaf war ehrgeizig; er hatte ein Auge auf die Würde eines Oberbonzen der Hauptstadt Scheschian, welche in kurzem ledig werden mußte, und der blaue Affe konnte ihm zu einem Vorhaben beförderlich seyn, wozu er sich in dem ordentlichen Laufe der Dinge wenig Hoffnung zu machen hatte. Sein gutes Glück hatte ihn zu dem Amte erhoben, eine Persische Tänzerin, deren rühmliche Fesseln der Vertraute des ersten Günstlings der Sultanin Lili trug, von der Religion der Gebern, worin sie erzogen war, zu der Scheschianischen, für welche ihr Liebhaber sich ungemein beeiferte, zu bekehren. Da die Tänzerin große Ansprüche an Witz machte, so war dieß eben kein leichter Auftrag. Allein Kalaf war ein liebenswürdiger Mann, wenigstens in den Augen einer Tänzerin; er fand Mittel sich vor allen Dingen ihres Herzens zu bemeistern, nicht zweifelnd, wenn er einmal dieses gewonnen hätte, würde sich ihr Kopf nicht lange gegen seine Gründe halten können. Er wußte ihrer Eitelkeit so gut zu schonen, und die Augenblicke, welche seiner Unternehmung am günstigsten waren, so geschickt zu wählen, daß die Tänzerin endlich gestehen mußte, daß er sie überzeugt habe: aber sie erklärte sich zu gleicher Zeit, wenn sie ja genöthigt würde, sich den großen Mithras unter dem Bilde eines Affen vorzustellen, so sollte es doch schlechterdings kein andrer als ein blauer seyn; denn blau war ihre Lieblingsfarbe. Kalaf, zu klug, durch eine unzeitige Unbiegsamkeit in einem Punkte, woran ihm so wenig gelegen war, sich der Frucht so vieler mühsamen Nachtwachen zu berauben, und scharfsinnig genug, um beim ersten Blicke zu sehen, was man aus einer Sache machen kann, versicherte sie, daß er selbst immer geneigt gewesen sey, sich für den blauen Affen zu erklären, und daß er itzt um so eifriger für ihn arbeiten würde, da er das günstige Vorurtheil seiner schönen Neubekehrten für nichts Geringeres als die Wirkung eines übernatürlichen Einflusses halten könne. Von dieser Stunde an hatte Gorgorix keinen stärkern Verfechter als den Bonzen Kalaf. Der Vertraute des Günstlings, welcher es unmöglich fand, seiner Tänzerin etwas abzuschlagen, war der erste unter den Hofleuten, der für die neue Meinung gewonnen wurde. Der Vertraute gewann den Günstling, der Günstling die Sultanin, die Sultanin den König ihren Sohn, und das Beispiel des Königs den ganzen Hof."Die erste große Folge dieses glücklichen Fortgangs war, daß Kalaf bald darauf zur erledigten Würde eines Oberbonzen der Stadt Scheschian befördert wurde."Huktus, ein Bonze von edler Geburt und großem Ansehen, hatte sich zu dieser Würde die meiste Hoffnung gemacht, und alles angewandt sie zu erlangen. Unter andern Umständen wurde Kalaf kein furchtbarer Nebenbuhler für ihn gewesen seyn; aber Kalaf hatte sich einen Augenblick zu nutze gemacht, da die Persische Tänzerin alles vermochte. Es ist wahr, es kostete ihm Mühe, sie zu einer kleinen Gefälligkeit gegen den Günstling der Königin zu überreden; und die ärgerliche Chronik sagte sogar, daß er in seinem eigenen Hause Gelegenheit dazu gemacht habe. Ein Beweggrund dieser Art konnte wohl dem Günstling hinreichend scheinen, Kalaffen, der keine andern als die Verdienste eines geschmeidigen Höflings aufzuweisen hatte, vor dem Bonzen Huktus, für den die Wünsche des ganzen Volkes sprachen, den Vorzug zu geben; nur war er nicht hinlänglich, diesen Vorzug vor den Augen der Nation zu rechtfertigen. Huktus verbarg seinen Unmuth unter dem Scheine der vollkommensten Gleichgültigkeit; aber sein Herz kochte Rache. Die Streitigkeiten über Tsai und Tsao, an welchen er bisher aus Klugheit wenig Antheil genommen hatte, schienen ihm Gelegenheit darzubieten, diese Rache unter einem scheinbaren Vorwand auszuüben. Kalaf hatte sich an die Spitze der Partei der Blauen gestellt: Huktus bedachte sich also nicht lange, sich öffentlich für die Feuerfarbnen zu erklären. Der größte Theil der ältern Bonzen und Ya-faou war auf seiner Seite; und da sich bald darauf auch diejenigen unter den Großen von Scheschian, die mit der Regierung der Sultanin Lili nicht zufrieden waren, zu ihnen schlugen, so machten sie eine Gegenpartei aus, deren Absichten, Maßregeln und Bewegungen ernsthaft genug wurden, um den Staat mit gefährlichen Unruhen zu bedräuen.Hier läßt sich Danischmend in eine umständliche Entwicklung der verschiedenen Vortheile, Nebenabsichten und Leidenschaften ein, welche die eigentlichen Triebräder der öffentlichen Handlungen beider Parteien waren, und, wenn anders seine Erzählung zuverläßig ist, einen Beweis abgeben könnten, daß die Kunst, das Interesse der Religion und des Staats zum Deckmantel unedler Leidenschaften und eigennütziger Forderungen zu machen, nicht unter diejenigen gehöre, an deren Erfindung oder Vervollkommnung die Neuern einen gerechten Anspruch zu machen hätten."Bisher (so fährt er fort) hatte sich der geringere Theil der Scheschianischen Nation in die Händel der Blauen und Feuerfarbnen (wie man die Parteien zu nennen anfing) wenig eingemischet, oder es waren doch nur wenige in ihren angeerbten Begriffen von dem großen Affen irre gemacht worden. Die meisten begnügten sich, über die Neuerungen des Gorgorix und seiner Freunde den Kopf zu schütteln, und zu beklagen, daß eine so ausgemachte Sache, als der Name und die Farbe ihrer Schutzgotthert wäre, vorwitzigen Untersuchungen ausgestellt werden sollte. Aber Kalaf, dessen ungezähmter Ehrgeiz einen vollständigen Triumph verlangte, ruhete nicht, bis er auch den größern Theil des gemeinen Volkes von der Blauheit des großen Affen überzeugte. Was ihm die erwünschteste Gelegenheit dazu gab, war eine prächtige Pagode von blauem Porcellan mit goldnen Verzierungen, welche auf Veranstaltung der Sultanin Lili dem Tsao-Faou zu Ehren aufgeführt wurde. Der Eifer dieser Dame, der Nachwelt ein so schönes Denkmal ihrer Liebe für die Künste zu hinterlassen, verwandelte sich unvermerkt in einen Eifer für die Sache des blauen Affen selbst. Das Volk, unter dessen Augen dieser schöne Tempel emporstieg, wurde von den Anhängern Kalafs in räthselhaften Ausdrücken vorbereitet, außerordentliche Dinge zu erwarten. Die Blauen ließen in ihrem Gesicht und Ton eine große Zuversichtlichkeit sehen, ohne sich über die Ursache derselben zu erklären; und Huktus mit seinem Anhang zitterte ohne zu wissen wovor."Endlich kam der Tag, welchem beide Parteien, jene mit ungeduldigem Verlangen, diese mit unruhiger Erwartung eines gegen sie geschmiedeten Anschlags, entgegen sahen; der Tag, da die blaue Pagode eingeweiht werden sollte. Sobald die Sonne aufgegangen war, führte Kalaf das versammelte Volk in einen nahe bei der Hauptstadt gelegenen Wald, der seit undenklichen Zeiten dem großen Affen heilig gewesen war. Mitten in diesem Walde war ein großer runder Platz, und in der Mitte des Platzes eine Art von Thron aufgerichtet, welchen Kalaf bestieg, um diese berühmte Anrede an das Volk zu halten, von welcher die Geschichtsschreiber seiner Partei versichern, daß sie niemals ihresgleichen gehabt habe. Kalaf sagte so erhabene und unbegreifliche Dinge; es strahlte eine so ungewöhnliche Begeisterung aus seinem ganzen Wesen; der majestätische Ton seiner Stimme, die Ueberzeugung, womit er sprach, die Figuren, wovon er Gebrauch machte, der Strom seiner Worte rissen die Zuhörer mit solcher Gewalt dahin, daß man ihm Beifall geben mußte, ohne das geringste von allem, was er gesprochen, begriffen zu haben. Die vornehmste Absicht seiner Rede war, das Volk in Erstaunen und in ein zitterndes Erwarten irgend einer wundervollen Entwicklung zu setzen. Niemals hatte ein Redner die Zauberkraft des Galimathias besser studirt als Kalaf. Die Wirkung davon starrte ihm aus jedem Aug' entgegen; und um sie auf den höchsten Grad zu treiben, endigte er seine Rede mit einer feierlichen Apostrophe an den großen Affen, den er beschwor, sein Volk aus der Ungewißheit zu reißen, und durch irgend ein sichtbares Wunder zu zeigen, unter welcher Farbe ihm ihre Verehrung am angenehmsten sey."Kaum hatte Kalaf die letzten Worte ausgesprochen, so sah man auf einmal den Baum, an dessen Stamm der Thron des Oberbonzen befestigt war, in Flammen eingehüllt; und unter Blitz und Donner stieg vor den bestürzten Augen eines unzähligen Volkes ein großer blauer Affe herab, und setzte sich mit einer so majestätischen Miene auf dem Throne zurechte, daß die Hoffnung Kalafs selbst durch die Geschicklichkeit seines Zöglings übertroffen wurde."Dieser Streich war, wie man leicht denken kann, entscheidend. Der hartnäckigste Anhänger des feuerfarbnen Affen sah sich gezwungen, dem Zeugniß seiner Sinne gewonnen zu geben. Sogar die Freidenker, welche bei diesem Schauspiele zugegen waren, wurden von dem allgemeinen Schwall mit fortgerissen, und die wenigen, die ihrer Vernunft noch mächtig genug blieben, um durch ein so grobes Blendwerk hindurchzusehen, waren aus kluger Furcht die eifrigsten, der Gottheit des blauen Affen zuzujauchzen. Er wurde mit einem alle Einbildung übersteigenden Triumph in seinen neuen Tempel eingeführt; und der König Azor selbst, der sich aus bloßer Gefälligkeit gegen die Launen seiner Mutter für die Meinung des Blauen erklärt hatte, konnte sich nicht erwehren, die Sultanin an der Spitze des ganzen Hofes zu begleiten, und das erste feierliche Opfer mit seiner Gegenwart zu zieren."So schrecklich die Nachricht von dieser Begebenheit dem Bonzen Huktus und seinen Freunden war, so zeigte er doch in diesem entscheidenden Augenblicke, daß es ihm nicht an der wichtigsten Eigenschaft mangle, die zum Haupt einer Partei erfordert wird. Außer vielen andern wohl ausgesonnenen Maßregeln, in deren Erzählung wir Danischmenden nicht folgen können, ließ er sich vornehmlich angelegen seyn, den Eindruck, welchen Kalaf mit seinem blauen Affen auf den unaufgeklärten Theil der Nation gemacht hatte, von Grund aus zu vernichten. Seine Anhänger beschuldigten diesen Oberbonzen öffentlich der Zauberei, und eines geheimen Verständnisses mit den bösen Geistern. Dieß war in der That ein Einfall, der seinem Erfinder Huktus Ehre macht. Hätten die Feuerfarbnen sich begnügt, dem Volke begreiflich zu machen, daß Kalaf ein Betrüger sey, so würden sie ihm wenig dadurch geschadet haben: denn wie schwach ist die Wirkung der Vernunft gegen Schwärmerei und Aberglauben! Aber dreist versichern, daß er die bösen Geister mit in seine Verschwörung gegen den Tsai-Faou gezogen habe, dieß hieß ihm wirklich einen gefährlichen Streich beibringen. Eine solche Anklage hat Wahrscheinlichkeit in den Augen des gemeinen Volkes: sie zog seine Neigung zum Wunderbaren auf Huktus Seite; sie gab Gelegenheit zu einer unendlichen Menge unglaublicher Erzählungen, welche man, mitten unter der Versicherung, daß sie unglaublich wären, begierig ausbreitete, mit selbst erfundenen Umständen glaublicher zu machen beflissen war, und zuletzt wirklich glaubte. Kurz, Huktus erhielt dadurch seine Absicht so vollkommen, daß der Pöbel in den meisten Provinzen des Reichs entschlossen war, es eher auf das Aeußerste ankommen zu lassen, als dem Glauben seiner Voreltern und dem feuerfarbnen Affen untreu zu werden.Vermuthlich (fährt Danischmend fort) hätte Kalaf am weisesten gehandelt, wenn er diese Beschuldigungen mit kalter Verachtung angesehen, und durch eine zwar standhafte, aber ruhige und langsame Fortführung seines Plans, die Hindernisse, die er in den Vorurtheilen der halben Nation fand, zu besiegen gesucht hätte. Aber sein Hochmuth und seine Hitze vertrugen sich mit keinen so gelinden Maßnehmungen. Stolz auf seine Gewalt über den Geist der Sultanin Lili, welche damals noch das Steuerruder führte, und verwegen gemacht durch den schwärmerischen Eifer eines zahlreichen Anhangs, glaubte er stark genug zu seyn, die Widerspänstigen durch Zwangsmittel zu unterwerfen. Eine königliche Verordnung, wovon er der Urheber war, erklärte alle diejenigen für Aufrührer, welche sich weigern würden, dem blauen Affen zu huldigen. Die Bildnisse des Tsai-Faou wurden aus allen Pagoden weggeschafft, und mit andern von blauem Porcellan ersetzt, wovon in den Vorhöfen der blauen Pagode eine schöne Fabrik zum Vortheil derselben angelegt war. Alle Pagoden wurden mit Bonzen von Kalafs Anhang besetzt, und diejenigen abgedankt, welche lieber ihren Einkünften als dem feuerfarbnen Affen entsagen wollten. Diese Gewaltthätigkeiten hatten den Erfolg, den ein weiserer Mann als Kalaf ihm vorhergesagt hatte, ohne Glauben zu finden. Tausend persönliche Beleidigungen, wodurch die Feuerfarbnen täglich zur Rache gereizt wurden; der Uebermuth, womit die Blauen, als die siegreiche Partei, mit ihren feuerfarbnen Mitbürgern verfuhren, und die öffentliche Verfolgung, welche zuletzt über die letztern verhängt wurde, erschöpften endlich ihre Geduld. Ganze Provinzen ergriffen die Waffen, und kündigten Azorn den Gehorsam auf, wofern er seinen Unterthanen nicht zum wenigsten die Wahl lassen würde, ob sie blau oder feuerfarben seyn wollten."Zum Glück für das Reich Scheschian erfolgte um eben diese Zeit eine Veränderung bei Hofe, wodurch Lili von der Staatsverwaltung entfernt, und die schöne Alabanda, eine heimliche Gönnerin der Feuerfarbnen, die Vertraute oder vielmehr die unumschränkte Beherrscherin des Sultans Azor wurde. Dieser günstige Umstand machte den Feuerfarbnen Luft, und verhütete den gänzlichen Ausbruch eines allgemeinen Bürgerkrieges. Alabanda hatte zwar große Lust, ihren Freunden eine vollständige Rache an den Blauen zu verschaffen; aber Kalafs Anhang war zu groß, und der Ausgang eines Bürgerkrieges zu ungewiß, als daß ein solcher Anschlag bei den Häuptern der Feuerfarbnen selbst Eingang gefunden hätte. Man begnügte sich also, auf beiden Seiten einen Vertrag zu Stande zu bringen, wodurch die Sachen in eine Art von Gleichgewicht gesetzt wurden. Indessen zeigte sich in der Folge, daß der Alterthumsforscher Gorgorix der Nation durch seine Entdeckung eine Wunde geschlagen hatte, welche zwar zugeschlossen, aber nicht von Grund aus geheilt werden konnte. Das immerwährende Gezänke der Bonzen; der Abscheu, welcher natürlicherweise beide Parteien gegen einander erfüllen mußte, wenn sie dem Gegenstand ihrer Verehrung von der andern Partei mit Verachtung begegnen sahen; die Beeifrung sogar in den gleichgültigsten Dingen sich von einander zu unterscheiden: alles vereinigte sich, die Blauen und Feuerfarbnen mit einem unauslöschlichen Hasse gegen einander zu entzünden; mit einem Hasse, der nicht nur das zarte Gewebe der feinern Bande der Natur zerriß, sondern stark genug war, um von Zeit zu Zeit selbst die gröbern Fesseln der bürgerlichen Verhältnisse zu zerbrechen. Er glich einem schleichenden Gifte, welches die ganze Masse des politischen Körpers ansteckte, und alle andern Gebrechen und Zufälle desselben bösartiger machte, als sie an sich selbst gewesen wären. Bei jeder Veranlassung brach das gährende Uebel bald in diesem bald in jenem Theile des Reiches aus: und da der Hof weder mächtig genug war, eine von den Parteien gänzlich zu unterdrücken, noch weise genug, ein genaues Gleichgewicht zwischen ihnen zu erhalten, so drückte und verfolgte immer eine die andre wechselsweise, je nachdem sie in einer Provinz oder bei Hofe selbst die Oberhand hatte; und das Unglück der Nation wurde durch diese neue Classe von Beschwerden, wie chimärisch auch die erste Quelle derselben war, so vollkommen gemacht, daß die Scheschianer sich endlich zum zweitenmale in der unseligen Lage befanden, das Ende ihres Elendes nur von einer gewaltsamen Staatsveränderung zu erwarten."Unter den Anmerkungen, womit der Sultan Gebal diese Erzählung etlichemal unterbrach, hat uns nur Eine wichtig genug geschienen, bemerkt zu werden. Er zweifelt nämlich, wie es möglich gewesen, daß eine Nation, die man uns (wenigstens von den Zeiten des Sultans Ogul an) in einem Zustande von Aufklärung und Verfeinerung vorstellt, dumm genug habe seyn können, sich zum Opfer eines so albernen antiquarischen Streites machen zu lassen?Die Auflösung, welche Danischmend von diesem Problem gibt, verdient wenigstens gehört zu werden. Es ist wirklich eine klägliche Sache, spricht er, Geschöpfe unsrer Gattung ihres besten Vorzugs vor den übrigen Thieren auf eine so demüthigende Art beraubt zu sehen. Und gleichwohl habe ich bisher von den Scheschianern nichts gesagt, was nicht, unter gewissen Voraussetzungen, so glaublich wäre als irgend eine andre natürliche Begebenheit. Diese Voraussetzungen sind zum Exempel —"daß kein gewöhnlicheres Phänomen in der Welt ist, als Leute mit Vernunft rasen zu sehen; oder auch, zu sehen, daß sie bei tausend Gelegenheiten vernünftig, und in einer einzigen Sache unsinnig sind; — daß man zu allen Zeiten und auf allen Theilen dieses Erdenrundes sehr alberne Meinungen und sehr unsinnige Gebräuche im Schwange gesehen hat; —daß der Aberglaube, wenn er in Zeiten der Unwissenheit und der rohen Einfalt sich des Gehirns eines Volkes bemächtiget, und etliche Jahrhunderte Zeit gehabt hat, sich festzusetzen, durch eine stufenweise zunehmende Aufheiterung zwar geschwächt, aber schwerlich anders als nach Verfluß eines langen Zeitraums, und durch eine ununterbrochene Fortdauer der Ursachen, welche seinen Untergang befördern, so gänzlich vernichtet werden kann, daß die Ueberbleibsel davon nicht zuweilen in Gährung gerathen, und wunderliche, auch wohl bösartige Zufälle veranlassen sollten." Ueberdieß, fährt er fort, würde mir nichts leichter seyn, als einen jeden Theil meiner Erzählung durch historische Beispiele dessen, was unter den abgöttischen Völkern des Erdbodens, und zum Theil unter den Moslemim selbst, vorgegangen ist, zu erläutern. Ich sehe nicht, warum die Scheschianer wegen ihrer Verehrung eines feuerfarbnen Affen mehr Vorwürfe verdienen sollten, als die weisen Aegyptier wegen der Anbetung des Stiers Apis, und so vieler andrer Thiere, worunter auch Affen und Meerkatzen waren; und der Streit über die Frage, ob der große Affe blau oder feuerfarben sey, scheint mir jenen wohl werth zu seyn, den die Stadt Oryrynchus mit der Stadt Kynopolis, ihrer Nachbarin, über die Gottheit des Anubis und ich weiß nicht was für eines Meerfisches mit spitziger Schnauze, aus dem Geschlechte der Rochen, geführt haben soll, wenn wir einem der weisesten Männer des alten Gräciens glauben dürfen. Dieser Fisch, welcher der Schutzgott der Oryrynchiten war, wurde von den Kynopoliten als ein bloßer Fisch behandelt, und also ohne Bedenken gegessen. Die Einwohner von Oryrynchtus, die dieß natürlicher Weise sehr übel nahmen, glaubten ihren Gott nicht besser rächen zu können, als indem sie an den Hunden, welche zu Kynopolis heilig waren und auf gemeiner Stadt Unkosten unterhalten wurden, das Wiedervergeltungsrecht ausübten. Es entstand darüber ein so blutiger Krieg zwischen diesen beiden Aegyptischen Städten, daß die Römer sich endlich genöthigt sahen, die Wüthenden mit Gewalt aus einander zu reißen. Im übrigen läßt sich vermuthen, daß der denkende Theil der Nation, das ist (nach der billigsten Berechnung) unter tausend Einer, den ganzen Streit eben so ungereimt gefunden haben werde als wir. Hingegen ist nicht weniger zu glauben, daß die meisten von diesem tausendsteln Theile sich darum nicht weniger für einen von beiden Affen interessirten. Es ist mit einem alten Aberglauben eben so wie mit andern alten und unvernünftigen Gewohnheiten beschaffen. Man sieht die Thorheit davon ein, man lacht darüber; man beweist sich selbst mit vielen Gründen, daß es Mißbräuche sind: aber gleichwohl beobachtet man sie nicht allein um der alten Gewohnheit willen; sondern man rechnet es noch demjenigen als ein Verbrechen an, der sich die Freiheit nehmen wollte, davon abzugehen. Privatvortheile und Leidenschaften können wohl gar die Ursache seyn, daß wir solche Mißbräuche, bei der völligsten Ueberzeugung, daß es Mißbräuche sind, mit Eifer und Hitze verfechten. Man unterscheidet in solchen Fällen Theorie und Ausübung. Man behauptet einen nützlichen Mißbrauch, und lacht bei sich selbst der Thoren, welche betrogen zu werden verdienen, weil sie betrogen werden wollen.Wir schließen diesen Auszug mit den eigenen Worten des weisen Danischmend, und mit einer Betrachtung, die wir von Herzen unterschreiben. "Die Ränke und Kunstgriffe, spricht er, welche von beiden Parteien angewandt wurden, einander zu schwächen und zu unterdrücken — einander wechselsweise das Vertrauen des Königs und das Ruder des Staates aus den Händen zu winden — oder sich dem Hofe furchtbar zu machen, und allen seinen Unternehmungen, unter dem Vorwande des gemeinen Besten, unübersteigliche Hindernisse in den Weg zu legen; — die Künste, welche gebraucht wurden, tausend streitende Privatvortheile mit dem Interesse der Parteien in einen wirklichen oder doch anscheinenden Zusammenhang zu bringen; — der schändliche Mißbrauch, den man zu Beförderung aller dieser Absichten mit den ehrwürdigen Namen der Religion, des königlichen Ansehens und des allgemeinen Besten trieb; — die unzähligen Auftritte von Ungerechtigkeit, Betrug, Verrätherei, Undankbarkeit, Raubsucht, Giftmischerei u. s. w., welche unter diesen ehrwürdiges Masken gespielt wurden: alles dieß würde überflüssigen Stoff zu einem ungeheuren Geschichtbuche geben, welches zu lesen nur die größten Verbrecher verdammt zu werden verdienen könnten. Unglücklicherweise ist die Geschichte der policirten Völker, wenn man ihre Kriege (einen andern Schauplatz von Abscheulichkeiten) abrechnet, beinahe nichts anders als dieß. Für einen Menschen, der an den Schicksalen seiner Gattung wahren Antheil nimmt, ist es Pein, bei diesen ekelhaften und grauenvollen Gemälden zu verweilen. Das Herz des Menschenfreundes schauert vor ihnen zurück. Aengstlich sieht er sich nach Scenen von Unschuld und Ruhe, nach den Hütten der Weisen und Tugendhaften, nach Menschen, die dieses Namens würdig sind, um; und wenn er in den Jahrbüchern des menschlichen Geschlechtes nicht findet, was ihn befriedigen kann, flüchtet er lieber in erdichtete Welten, zu schönen Ideen, welche, so wenig auch ihr Urbild unter dem Monde zu suchen seyn mag, immer Wirklichkeit genug für sein Herz haben, weil sie ihn (wenigstens so lange, bis er durch Bedürfnisse oder unangenehme Gefühle in diese Welt zurückgezogen wird) in einen angenehmen Traum von Glückseligkeit versetzen, — oder, richtiger zu reden, weil sie ihn mit dem innigsten Gefühle durchdringen, daß nur die Augenblicke, worin wir weise und gut sind, nur die Augenblicke, die wir der Ausübung einer edlen Handlung, oder der Betrachtung der Natur und der Erforschung ihres großen Plans, ihrer weisen Gesetze und ihrer wohlthätigen Absichten, — oder der Freundschaft und Liebe, und dem weisen Genusse der schuldlosen Freuden des Lebens widmen, —daß nur diese Augenblicke gezählt zu werden verdienen, wenn die Frage ist, wie lange wir gelebt haben."Der Sinesische Herausgeber dieser wahrhaften Geschichte sagt uns, daß der Sultan über dem letzten Theil der Rede des weisen Danischmend eingeschlafen, und dieser also genöthiget worden sey, mit weiterem Moralisiren einzuhalten; ein Umstand, der uns, wie er vermuthet, verschiedene schöne Betrachtungen entzogen hat, welche der Indostanische Philosoph über diesen Theil der Geschichte von Scheschian noch gemacht haben könnte.Des folgenden Abends befahl ihm der Sultan, über den Rest der Regierung des unglücklichen Azors so schnell als nur immer möglich seyn würde hinwegzuglitschen. Es gibt (sprach er) gewisse Leute, die gar zu dumm sind, wie sogar mein guter Oheim Schach-Baham irgendwo angemerkt hat, und gewiß ist dieser Azor einer aus dieser Classe. Man kann nicht bald genug mit ihm fertig seyn.
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11.

Danischmend setzte also die Geschichte der Regierung Azors folgendermaßen fort:Die kläglichste unter allen den Schwachheiten, welche den Ruhm des guten Königs Azor verdunkeln, war seinem Alter aufbehalten; eine Schwachheit, welche desto verführerischer ist, weil sie einer Tugend ähnlich sieht; desto schädlicher, weil sie Böses aus guter Absicht thut, und desto schwerer zu vermeiden, da selbst der weiseste aller Morgenländischen Könige nicht weise genug war, sich ihrer zu erwehren.Dieß nennt man, denke ich, ein Räthsel, sagte Schach-Gebal. Ich bilde mir eben nicht ein, in der Kunst Räthsel aufzulösen dem Sultan, dessen du eben erwähntes, gleich zu kommen: aber dießmal wollt' ich doch rathen, daß die Schwachheit des großen Azors, die du uns noch aufbehalten hast, entweder Bigotterie ist, oder doch etwas, das ihr sehr ähnlich sieht. Hab' ich es getroffen, Doctor?Zum Erstaunen, erwiederte Danischmend, indem er in seinen Ton und in seine Gesichtsmuskeln alle die Bewunderung brachte, die er der Scharfsinnigkeit seines gebietenden Herrn schuldig war. Es waren nun zwanzig Jahre, fuhr er fort, seitdem die schöne Alabanda eine unbegränzte Gewalt über das Herz, über den hof und über die Schatzkammer des Sultans von Scheschian usurpirte. Gewohnheit und Sättigung hatten ihre Bezauberung endlich aufgelöst; und Alabanda sah die Zeit kommen, wo sie sich in der traurigen Nothwendigkeit befand, zuzugeben, entweder daß Azor aufgehört habe empfindlich, oder daß sie selbst aufgehört habe reizend zu seyn.Als ob nicht beides zugleich hätte Platz haben können, sagt die schöne Nurmahal.Wenigstens, versetzte der Doctor, war es natürlicher an ihr, das erste zu glauben.Und an Azorn das andre, sagte der Sultan mit einem spitzfindigen Lächeln.Wie dem auch seyn mochte, fuhr Danischmend fort, die gute Dame beging den Fehler, einen Zufall, den man nach Verfluß von zwanzig Jahren einen von den natürlichsten in der Welt nennen kann, für eine unerträgliche Beleidigung anzusehen. So unbillig dieß scheinen mag, so unbesonnen war es, den guten Sultan, welcher wirklich ganz unschuldig an der Sache war, so oft er lange Weile hatte (und dieß war sehr oft), mit Vorwürfen von Untreue und Undankbarkeit, und mit allen tragikomischen Wirkungen der Eifersucht und bösen Laune zu verfolgen. Denn was konnte sie anders von einem solchen Betragen erwarten, als — gerade das, was wirklich erfolgte? nämlich, daß er die alte Abgöttin seiner Seele, die er seit geraumer Zeit kaum noch liebenswürdig fand, in kurzem unerträglich finden mußte. Von diesem Augenblick an hatte die Regierung der schönen Alabanda ihr Ziel erreicht. Azor suchte nun im Wechsel eine Glückseligkeit, an welche sein Herz gewöhnt war: er zerstreute sich dadurch eine Zeit lang; aber die Befriedigung fand er nicht, die ein reizbares Herz von den Sinnen, oder von den launischen Einfällen einer herumflatternden Phantasie vergebens erwartet. Er wurde also dieser Wanderungen des Herzens um so viel eher überdrüssig, da ihn Lili und Alabanda angewöhnt hatten, von weiblichen Köpfen, aber von den feinsten und witzigsten weiblichen Köpfen, regiert zu werden.Die Freiheit, worin die gefälligen Schönen seines Hofes ihn wider seinen und ihren Willen ließen, machte ihm sein Daseyn zur beschwerlicheren Last. Mehr als Einmal versuchte er's, die schöne Alabanda wieder so reizend und zauberisch zu finden, als sie es gewesen war: aber der unglückliche Erfolg seiner Bemühungen überzeugte ihn zuletzt, daß sie wirklich aufgehört haben müsse, es zu seyn; und wozu konnt' es ihm helfen, das Unmögliche bewerkstelligen zu wollen?In dieser Verfassung befand sich Azor, als es der Persischen Tänzerin, deren bereits in dieser Geschichte Erwähnung geschehen ist, gelang, ihn die Erfahrung machen zu lassen, daß er den ganzen Cirkel der Thorheiten, zu welchen ihn die Schwäche seines Herzens fähig machte, noch nicht durchlaufen habe. Diese Creatur hatte durch ihre Reizungen und durch die Freigebigkeit ihrer Verehrer Mittel gefunden, die Flecken ihres vormaligen Standes auszulöschen, und nach und nach sich bis zum Rang einer Vertrauten der Sultanin Alabanda emporzuschwingen. In dieser Stellung fand Gulnaze (so hieß die verwandelte Tänzerin) häufige Gelegenheiten, die Reizungen ihres Witzes und ihrer äußerst angenehmen Unterhaltung vor den Augen des Sultans auszulegen; Reizungen des Geistes, welche mächtig genug waren, in ihrer Gesellschaft vergessen zu machen, daß ihre ersten Liebhaber bereits ehrwürdige Graubärte vorstellten. Nicht als ob sie nicht noch immer liebenswürdig gewesen wäre; aber, nachdem sie sich einmal unter der Maske der Freundschaft in Azors Herz hineingestohlen, würde sie es auch mit der Hälfte ihrer noch übrigen Annehmlichkeiten in den Augen eines so reizbaren Potentaten gewesen seyn. Kurz, Azor, der ohne sie die lange Weile, die ihm Alabanda und alle andern Schönen seines Hofes verursachten, unausstehlich gefunden haben würde, machte auf einmal die Entdeckung, daß er nicht ohne Guönaze leben könne. Unvermerkt hatte sie sich aller Zugänge seines Herzens bemächtiget: und eben so unmerklich wurde sie aus einer Vertrauten die unumschränkteste Beherrscherin seiner Neigungen. Keine ihrer Vorgängerinnen hatte so viel Gewalt über ihn gehabt:: aber keine hatte ihn auch so wenig fühlen lassen, daß er Fesseln trug. Alabanda hatte ihn durch die Zauberkraft ihrer Reizungen beherrscht: Gulnaze regierte ihn durch die volkommene Kenntniß der schwachen Seite seines Kopfes und seines Herzens. Was Wunder, daß ihre Herrschaft vollständig und dauerhaft war!Wohl angemerkt, Danischmend! flüsterte Nurmahal lächelnd.Finden Sie das? sagte der Sultan, indem er ihr auf die Schulter klopfte.Der Eifer, den Gulnaze vor mehr als zwanzig Jahren, da ihr Einfluß nur noch mittelbar war, für die Sache des blauen Affen gezeigt hatte, verdoppelte sich itzt, da das königliche Ansehen in ihren Händen lag. Die Blauen faßten neuen Muth und glaubten zu den ausschweifendsten Hoffnungen berechtiget zu seyn. Was die Neigung der Favoritin zu der neuen Secte am stärksten unterhielt, war der schlaue Einfall, den ein Ya-faou von den Freunden des Oberbonzen Kalafs gehabt hatte, eine Art von religiösen Festen zu erfinden, wobei die Sinne zum Behuf einer fanatischen Andacht auf die angenehmste Weise unterhalten wurden. Die Einführung derselben war der letzte tödtliche Streich, welchen Kalaf den Feuerfarbnen beibrachte, deren Andachtsübungen mehr Finstres und Schreiendes als Angenehmes oder Herzrührendes hatten. Die Anzahl der Blauen vermehrte sich nun täglich; Azor selbst fand immer mehr Geschmack an den Andachten seiner Geliebten, und es währte nicht lange, so fielen alle andren Arten von Ergötzungen. Man lud einander auf eine Partie in der blauen Pagode ein, wie vormals zu einer Lustreise aufs Land oder zu einem Maskenball. Unvermerkt wurde ein gewisser Schnitt von Devotion ein unterscheidendes Merkmal der Hofleute, und jedermann, wer an Erziehung und Lebensart Anspruch machte, bestrebte sich sie zu copiren, so gut er konnte. Wäre dieß die schlimmste Wirkung des Einflusses der schönen und devoten Gulnaze gewesen, so hätte man Ursache gehabt von Glück zu sagen, die Erheiterung des Scheschianischen Aberglaubens möchte den Uebergang zu einer gründlichen Verbesserung vielmehr befördert als gehindert haben. Aber die Lebhaftigkeit ihrer Leidenschaften erlaubte ihr nicht der Zeit zu überlassen, was sie durch Zwangsmittel in einem Augenblicke zu bewerkstelligen hoffte. Nicht zufrieden, die Feuerfarbnen so weit heruntergebracht zu haben, daß sie sich glücklich genug schätzten, wenn sie nur geduldet wurden, that sie dem Tsao-Faou ein feierliches Gelübde, nicht eher zu ruhen, bis sie Scheschian von allen Anhängern seines Nebenbuhlers gereiniget haben würde. Ein königlicher Befehl diente zum Vorwand, alle, welche sich weigerten, dem blauen Affen zu opfern, als ungehorsame, und bei dem geringsten Widerstand als Aufrührer, mit einer Härte zu bestrafen, welche endlich den Blauen selbst anstößig wurde. Grausamkeiten, wovor der Menschlichkeit grauet, und wovon zu wünschen wäre, daß sie ohne Beispiele seyn möchten, wurden, ohne Azors Wissen, in seinem Namen ausgeübt, und sind das Einzige, was die letzten Jahre seiner Regierung der Vergessenheit entzogen hat; bis er endlich, beladen mit dem allgemeinen Hasse seines Volkes, zu spät für seinen Ruhm vom Schauplatz abtrat. Ein denkwürdiges Beispiel, daß ein Fürst mit allen Eigenschaften eines liebenswürdigen Privatmannes, mit wenig Lastern und vielen Tugenden, durch den bloßen Mangel fürstlicher Eigenschaften so viel Böses stiften kann, als der gräulichste Tyrann. Azor war weder ehrgeizig, noch begierig nach dem Eigenthum seiner Unterthanen, weder launisch, noch hartherzig, noch grausam. Weit entfernt zu verlangen, daß seine unüberlegtesten Einfälle für Gesetze und Göttersprüche gelten sollten, oder, wie viele seines Standes, sich einzubilden, daß Scheschian bloß um seinetwillen aus dem Chaos hervorgegangen sey, und seine Unterthanen für eben so viele Sklaven anzusehen, deren Glück oder Unglück, Seyn oder Nichtseyn, nur insofern, als es sich auf seinen Vortheil beziehe, in Betrachtung komme, — war er der leutseligste, der mitleidigste und wohlthätigste Fürst seiner Zeit. Unwissenheit in den Pflichten seines Standes, Unwissenheit in der Kunst zu regieren, wollüstige Trägheit, und allzu großes Vertrauen zu seinen Günstlingen, die er als seine Wohlthäter ansah, weil sie ihm die Last der Regierung abnahmen, Fehler der Erziehung, Schwachheiten des Herzens und des Temperaments, nicht Laster waren es, die ihm die Liebe seiner Völker und die Hochachtung der Nachwelt entzogen haben. Seine größten Fehler waren, daß er mit eignen Augen bloß durch fremde sah; daß seine Ohren nur angenehme Dinge hören wollten; daß er nur sprach, was man ihm auf die Zunge legte, und wenn er auch, entweder durch die natürliche Schärfe seines Geistes, oder durch die Bemühungen irgend eines ehrlichen Narren, der seinen Kopf wagte ihm die Augen zu öffnen, zuweilen eine gute Entschließung faßte —zu viel Mißtrauen gegen seine eigenen Einsichten und zu viel Gefälligkeit für seine Günstlinge hatte, um seiner Entschließung treu zu bleiben. Indessen muß man gestehen, daß auch das Schicksal nicht ohne alle Schuld an den Fehlern seiner Regierung war. Die Gebrechen und Untugenden Azors würden wenig geschadet haben, wenn es lauter weise und tugendhafte Personen um ihn her versammelt hätte. Er würde solche Leute, wenn sie übrigens eben so witzig und unterhaltend gewesen wären als seine Günstlinge, eben so werth gehalten haben, sich ihnen eben so gänzlich überlassen haben, und Scheschian würde glücklich gewesen seyn. Aber freilich zeigt uns die Geschichte des ganzen Erdkreises kein einziges Beispiel, daß ein schwacher und unthätiger Fürst durch einen Schlag mit einer Zauberruthe, bei seinem Erwachen auf einmal von lauter Walsinghams und Sullys umgeben gewesen wäre, und wir sind wohl nicht berechtigt, ein solches Wunder vom Schicksal zu erwarten.
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Anmerkungen.

Zueignungsschrift. Seite XIII. Z. 10. Con-Fu-Tse — bekannter unter dem Namen Confuzius, geboren in der Chinesischen Provinz Chan tong 551 v. Ch. und gest. 478, wird nicht mit Unrecht als der Chinesische Sokrates gerühmt. Sein Zeitgenosse war Lao-Kium oder Lao-Kung, der Stifter der Secte Tao. Er lehrte: froh zu leben und glücklich zu werden, sey die Hauptangelegenheit des Menschen, und die Benutzung des gegenwärtigen Augenblicks, ohne auf Vergangenheit und Zukunft zu sehen, das Geschäft des Lebens. Da aber Uebel unvermeidlich wären, auch Krankheit und Tod der Menschen Loos zu seyn schiene, so bot er ihnen den Trank des unsterblichen Lebens an. Dieß war nicht etwa eine Philosophie, sondern ein Elixir, welches er aus Mischungen aller drei Naturreiche bereitete. Er fügte hinzu: wer diesen Trank genossen, der habe auch das Vermögen, sich hin zu versetzen, wohin er wolle. — Der Mann war also ein Charlatan.Einleitung. S. 1. Die ganze Einleitung setzt Kenntniß der Personale der Tausend und Einen Nacht und der Feenmährchen des jüngern Crebillon voraus, an welche der Dichter stillschweigend seine Erwählung anschließt, ohne in Geist, Ton und Zweck Aehnlichkeit mit ihnen zu haben.S. 1. Z. 1. Schach Riar — ist der bekannte Held in Tausend und Einer Nacht, welcher an jedem Morgen die gestern genommene Gemahlin, aus Besorgniß einer möglichen Untreue, erdrosseln ließ. Die schöne und kluge Scheherezade, Tochter seines Großveziers, bot sich ihm selbst zur Gemahlin an, und hielt nicht nur, durch ihr Talent Mährchen zu erzählen, ihre Hinrichtung tausend Morgen lang auf, sondern bewirkte auch, daß der blutdürstige Schach Riar ihr am tausend und ersten Morgen erklärte, sie solle leben, und der Freude genießen, die Erretterin ihres Geschlechts zu seyn.Niemand wird wohl die nachfolgende Genealogie für eine wirkliche halten; denn wenn er auch Schach Riar in dem Sassaniden Scheheriar wieder finden wollte, so würde er sich doch vergebens bemühen, die übrigen zu entdecken. Diese Schachs oder Sultane verdanken ihre Verwandtschaft nur den Mährchen, und Schach-Lolo der Sohn Schach Riars, und Vater Schach Bahams, dankt Wielanden hauptsächlich sein Daseyn. Wenigstens ist die Erzählung, welche wir unter diesem Namen von Wieland besitzen, aus Tausend und Einer Nacht entlehnt, wo der Sultan, von dem die Erzählung handelt, keinen Namen hat. Alle übrigen Lolos, z. B. in Tausend und Einem Tag, haben mit diesem nichts gemein. Schach Baham aber, so wie das Reich Scheschian selbst und andere Personen, deren gleich im Anfange dieser Geschichte gedacht wird, sind von der Erfindung des jüngern Crebillon, dessen Sofa durch die Einführung und Charakterzeichnung des Schach Baham auch denen ein Interesse eingeflößt hat, die das Werk selbst, halb aus moralischen, halb aus ästhetischen Gründen, verurtheilten.Da Schach Baham bei Wieland eine bekannte Person, die sie doch den wenigsten Lesern ist, öfters vorkommt, so hielt der Herausgeber diese Anmerkung für so nöthiger, weil er Bd. 12. in der Anmerkung zu Stanze 79, Ges. 2. des Idris das Unglück gehabt hat, Schach Baham mit Schach Riar zu verwechseln, welchen Irrthum er hiemit angezeigt und verbessert haben will. Er glaubt damit das Beste gethan zu haben, was zu seiner Entschuldigung dienen kann.S. 2. Z. 25. Stiftungen Schach Lolo's — Ein gewisser Persischer Autor geräth bei Erwähnung dieser Stiftungen Schach Lolo's in eine seltsame Aufwallung. Kann man, ruft er aus, sich selbst im heißesten Fieber einfallen lassen, solche Stiftungen zu machen? Es gehört doch wohl zum Wesen einer Stiftung, daß sie dem Staate nützlich sey? Sultan Lolo's Stiftungen mußten gerade die entgegengesetzte Wirkung thun. Hätte er seine Derwischen und seine Katzen ihrem Schicksal überlassen, so ist Hundert an Eins zu setzen, jene hätten arbeiten müssen, und diese Ratten gefangen, und so hätten beide dem Staat Dienste gethan. Welch ein Einfall, sie fett zu machen, da sie müßig gingen! Gleichwohl was die Katzen betrifft, möcht' es noch hingehen; ihr Fett ist doch zu etwas nütze. Aber Derwischenfett! Was soll man mit Derwischenfett anfangen?
Schek Seif al Horam,
Geschichte der Thorheit 364. Theil, S. 538.
S. 6. Z. 13. Schach Dolka — brachte es durch unermüdeten Fleiß u. s. w. — Wir können nicht umhin, die Anmerkung zu machen, daß die Neigung sich zu beschäftigen und ein anhaltender Fleiß unter die seltensten und schätzbarsten schätzbarsten Tugenden gehören, die ein großer Herr besitzen kann. Nur um dieser willen verdient, unsers Erachtens, Schach Dolka einen Platz unter den besten Fürsten, die jemals den Thron gezieret haben. Was hätte er erst verdient, wenn er diesen unverdrossenen Fleiß auf die Ausübung seiner königlichen Pflichten zu verwenden hätte geruhen wollen? — Seiner königlichen Pflichten? — Gegen wen? Wo hätte Schach Dolka hernehmen sollen, daß ein König Pflichten habe? Anm. des Lat. Uebers.S. 8. Z. 9. Pilpai — s. Bd. 3.S. 13. Z. 15. Peris — s. die Abhandlung über romantische Poesie Bd. 12.
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Statt der übrigen Anmerkungen zu dieser Einleitung will ich hier eine Erklärung der häufig vorkommenden orientalischen Namen in alphabetischer Ordnung geben, wodurch jede weitere Nachweisung erspart wird.Braminen heißen die Priester in Indien, nach Brama, dem ältesten der Götter in der Indischen Dreieinigkeit. Man unterscheidet in ihrem Leben vier verschiedene Stände (Brahmakari, Grahasta, Vanaprasta und Bhikschu.) Der erste Stand ist der des Schülers, wo er in dem Hause eines älteren Braminen, unter anderen, in Erfüllung der heiligen Gebräuche geübt wird, und so lange bleibt, bis er die Vedas (heiligen Bücher) vollständig erlernt hat. Nun tritt er in den Hausvaterstand, worin er sich täglich beschäftigt mit Lesen der Schrift, Feierung der fünf großen Sakramente und mehreren Opfern. Er kann von Almosen oder Ackerbau leben, und, wenn sein Sohn erwachsen ist, in den dritten Stand übertreten, den des Einsiedlers, der in einem Wald oder einsamen Ort nur sein Feuer- und Opfergeräth mitnimmt. Haar und Nägel läßt er wachsen, lebt nur von grünen Kräutern, Wurzeln und Früchten, soll sich eine vollkommene Herrschaft über seine Sinnen erwerben, und seine Gedanken immer auf das höchste Wesen richten. In den vierten Stand, den des Sanyassi, nimmt er nur seinen Wassertopf und seinen Stab mit in seine Abgeschiedenheit, läßt jedes irdische Verlangen, ja die Sprache selbst zurück. Er hat keine Wohnung, in den höchsten Geist vertieft, ohne Gesellschafter als seine eigne Seele, die sich lediglich beschäftigt mit den Wanderungen der menschlichen Seelen, ihrem Hinabsturz in die Finsterniß, und dem untheilbaren Wesen des höchsten Geistes. Durch Verachtung des Lebens und gänzliche Gleichgültigkeit gegen die Schmerzen, behaupten sie, komme man hier schon in den Zustand der Wonne.Derwisch heißt im Persischen und Türkischen ein Armer, wie im Arabischen Fakir. Man bezeichnet mit diesem Namen muselmännische und Indische Mönche verschiedener Art, die sich von einander durch Kleider von verschiedener Form und Farbe unterscheiden. Der Persische Dichter Saadi, der selbst ein Derwisch war, sagt, das Aeußere eines Derwisch bestehe in einem zerrissenen Rock und übel gekämmten Haaren, sein Inneres aber in einem lebhaften, aufmerksamen Geist und Ertödtung der Begierden des Fleisches. Daß es viele darin nicht sonderlich weit gebraut haben müssen, um daß es ihnen kein rechter Ernst darum ist, ersieht man aus Saadi selbst. Man kann sie, sowohl nach dem Geist ihrer Stiftung als ihrer Entartung, mit den Cynikern vergleichen, und hat ihnen auch zehn Eigenschaften von dem Hunde zugeschrieben.Divan, höchster Staatsrath an orienialischen Höfen. Andere Bedeutungen, welche dieß Wort noch hat, kommen hier nicht vor.Fakir, in mehreren Ländern, besonders in den ehemaligen Staaten des Gross-Moguls, eben das, was anderwärts Derwisch.Huris, die Mädchen in Muhameds Paradies, aus dem reinsten Moschus erschaffen, von glänzender Gestalt und ewigblühender Jugend. Jeder Rechtgläubige erhält deren 77, die Evangelisten, Khalifen und Heiligen eine weit größere Anzahl. Ein Augenblick des Vergnügens dehnt sich zu einem Zeitraum von tausend Jahren aus, und die Genußfähigkeit wird hundertfältig vermehrt.Iman (Imam), im Allgemeinen die Person, die dem Gottesdienst in jeder Moschee vorsteht, vorzugsweise das geistliche und weltliche Oberhaupt der Muslimin. Ueber das Recht zu dieser Oberstelle ist unter den Moslemin nicht weniger gestritten worden als über die Ansprüche des Papstes unter den Christen. Sultans und Khalifen haben sich dieser Oberstelle bemächtigt. Die Perser behaupten die Rechtmäßigkeit dieser Oberstelle nach der Abfolge von Ali, und in diesem Sinne wird von zwölf Imams gesprochen, deren Abfolge von Ali gewiß ist.Itimadulet. Allgemeiner Name der ersten Minister der Indostanischen Könige der Zeiten, wovon hier die Rede ist.Kalender, eine Art von Derwischen in der Türkei und Persien, die aber in noch schlechterem Ansehen stehen. Besonders wegen Völlerei, Ausschweifung und betrüglicher Habsucht stehen sie in bösem Rufe.Lamas heißen die Tibetanischen Priester, deren Oberhaupt der Dalai-Lama, die geistliche und weltliche Macht in sich vereinigt. Sein Reich ist ein Kirchenstaat, und er unserm Papste zu vergleichen. Er stirbt nicht, denn die Gottheit wechselt nur mit den Körpern derselben.Mandarinen pflegt man in Europa die Staatsdiener des Chinesischen Reiches zu nennen, die bei den Eingebornen Quoan heißen. Es gibt deren zwei Arten, Civil- und Kriegs-Staatsdiener, deren jede wieder in verschiedene Classen eingetheilt sind.Mirza (zusammengezogen aus Emir Sadeh) ist der Titel für hohe Hofchargen bei den Tatarn.Mollah heißen in der Türkei die Oberrichter in Paschaliks (Provinzen) oder Sandschaks (Kreisen). Unter ihnen stehen die Kadis (Stadt-Ort-Richter.Odalisken (Odas), heißen die Frauen des Sultans im Serail.Omra, die Großen am Hofe des Moguls.Pagoden, s. Bd. 3.Rajah (Radschah), Titel der Fürsten in Indien, die von den alten Königen vor Eroberung der Mongoln abstammen. Nach jener Eroberung wurden sie meist Vasallen des Gross-Moguls; seit dessen Reich zerfiel, sind viele wieder freie Fürsten, andere aber Vasallen der engländisch-ostindischen Compagnie.Santon, Einsiedler unter den Türken und Mauren; meist Blöd- oder gar Wahnsinnige, die entweder ganz nackt einhergehen, oder mit Federn und Lumpen phantastisch behängt sind. Sie führen ein unstetes Leben und kommen nicht selten in Städte, wo sie, besonders von Weibern, als Heilige verehrt werden. Auch sie scheinen das Geheimniß gegen Unfruchtbarkeit zu haben, und von demselben um so mehr Gebrauch zu machen, da nicht bloß die Frauen, sondern auch die Männer sich dazu Glück wünschen.Talapoinen, Priester, hauptsächlich in den benachbarten Ländern Indiens, Siam, Laos und Pegu. Einige leben in Wäldern, andere in Städten als eine Art von Mönchen. Sie leben von Almosen, aber nicht kärglich, da man sie für Zauberer hält. Die Lehre des Fo scheint sich bei ihnen am reinsten erhalten zu haben, und eben diese macht sie zu Verwandten der Bonzen.

1.

S. 20. Z. 1. Scheschian; Tanzai; Schaumlöffel; Sogrenuzio u. a. — s. die Anmerkung zur Einleitung. Außer dem erwähnten Sofa, muß man sich hiebei noch an zwei andere Werke des jüngeren Crebillon erinnern, nämlich an dessen Tanzai et Naedarne und den Ecumoire (Schaumlöffel), Werke, welche die Franzosen selbst ouvrages plus que libres nennen. Die Fee Moustache (gegen Marivaux gerichtet) gehört demselben Schriftsteller an. Wie Wieland über alle diese Schriften urtheilt, besagt die Einleitung. Wenn dort von dunkeln Stellen darin die Rede ist, so bezieht sich dieß wohl darauf, daß Crebillon wegen Tanzai und Neadarne in die Bastille gesetzt ward, weil man die Originale der geschilderten Personen in Paris finden und erkennen wollte.S. 20. Z. 18. So groß als das Reich Ihrer Majestät — Die Wahrheit ist, daß es weit größer war; aber die schöne Tschirnkassierin hatte zu viel Lebensart, um dem Sultan eine solche Unhöflichkeit zu sagen. Beinahe so groß ist alles, was man in dergleichen Fällen wagen darf.Anm. des Sines. Uebersetzers.S. 22, Z. 12. Die alten Scheschianer glaubten, daß ein großer Affe u. s. w. — Man könnte aus diesem Umstand auf einige Verwandtschaft der Scheschianer mit den Tibetanern schließen, denn diese letzten behaupten, daß ihr Gott Cenresi mit der Göttin Kadroma in Gestalt wilder Affen unsre Urväter erzeugt hätte.S. 23. Z. 13. Isanagi No Mikotto — war der siebente der sieben himmlischen Geister, die in der Urzeit Japan nach einander beherrschten. Seine Gemahlin war Jsanami No Mikotto. Bis auf diese hatten bloß geistige Wesen existirt; sie aber wurden von dem Beispiel des Vogels Intadaki oder Sekire, Steinschlager, zuerst zu einer nicht geistigen Vereinigung gereizt und auf diese Weise die Erzeuger unsers Geschlechtes. S. Kämpfer Beschreibung les Japan. Reiches Th. 1. Cap. 7. §. 112.S. 25. Z. 2. Der König Dagobert — Die schone Nurmahal oder ihre Chronik irrt sich in der Person. Wenn sie sich die Mühe hätte geben wollen, den ehrlichen Gregor von Tours selbst nachzuschlagen, so würde sie im sechsten Buche (wir erinnern uns nicht in welchem Kapitel) gefunden haben, daß es der König Chilperich war; wiewohl man gestehen muß, daß ihr, und dem Sultan Gebal, und dem ganzen Indien, Dagobert und Chilperich völlig gleich viel seyn konnten. Anm. des Lat. Uebers.S. 27. Z. 10. Die Brücke, die nicht breiter als ein Scheermesser ist — Schon in der Religion Zoroasters ist die Rede von einer schmalen Brücke (Tschinavad), welche in das Paradies leite: an ihr stehen die Engel des Gerichts, die einen jeden prüfen und seine Thaten wägen. Auch die Juden reden von solch einer Brücke, die nicht breiter als ein Faden sey; Muhamed aber schilderte sie (al Siràt) seiner als ein Haar, schärfer als die Schneide eines Schwertes und zu jeder Seite mit Dornen und Stacheln besetzt. Ueber sie geht ein jeder nach dem großen Tage des Gerichts, der Fromme mit wunderbarer Schnelligkeit gleich dem Blitz oder Winde.S. 27. Z. 21. Wie die Frösche dem König Klotz — S. Phädrus Fabeln Bd. 1. Fab. 2.S. 31. Z. 4 — 10. Eine allgemeine Muthlosigkeit — — nahm — Verzweiflung ein — Hier, sagt der Sinesische Uebersezer, habe ich eine Anmerkung des indischen Herausgebers dieses Werkes gefunden, die ich mich nicht entschließen kann auszulassen, ungeachtet meine Leser keinen unmittelbaren Gebrauch davon machen können. Ich wünschte, sind die Worte des Indiers, daß alle unsre Großen und Edeln dieser Periode (von den Worten Eine allgemeine u. s. w. bis zu Verzweiflung ein) die Ehre anthun möchten, sich derselben zu Prüfung der Fakiren, denen sie ihre Sohne anvertrauen wollen, zu bedienen. Sie haben dazu weiter nichts nöthig, als dem Fakir die Periode vorzulegen, und sich eine Erklärung derselben, die Entwicklung der darin enthaltnen Begriffe und Sätze von ihm auszubitten. Allenfalls könnten sie, um ihrer Sache desto gewisser zu seyn, einen Philosophen von unverdächtigen Einsichten mit zu dieser Prüfung ziehen. Versteht der Fakir die Periode: nun, so sey es denn! Versteht er sie nicht oder räsonnirt er darüber wie ein Truthahn: so können sich Ew. Excellenzen, Gnaden, Hoch- und Wohlgeboren u. s. w. darauf verlassen, daß er ein vortreffliches Subject ist, wenn Ihre Absicht dahin geht, daß Ihr Sohn nicht zu gescheidt werden solle.

2.

S. 36. Z. 14. Wenn er den Wein weniger geliebt hätte — Es bedarf kaum der Anmerkung, daß Schach-Gebal der nüchternste Sultan seines Jahrhunderts und ein tödtlicher Feind der Trunkenheit an andern war. Seine Feinde haben nicht unterlassen, auch von dieser Tugend, welche sie ihm nicht absprechen konnten, wenigstens den Werth zu verringern, indem sie ihr alles raubten, was sie hätte verdienstlich machen können. Aber wir finden nicht nöthig, die Wirkung ihrer Bosheit durch Anführung ihrer unartigen Vermuthungen fortzupflanzen. Der arme Schach-Gebal besaß nicht so viel Tugenden, daß es billig seyn könnte, ihm auch die wenigen, die er besaß, zweifelhaft machen zu wollen. Anm. des Sines. Uebers.S. 38. Z. 23. Das Lob der Bonzen — von Herzen ging — Gewissen sinnreichen Köpfen zum Besten müssen wir hier eine dreifache Anmerkung machen: nämlich erstens, daß die Worte Bonze, Fakir und Derwisch, so oft sie in dieser Geschichte vorkommen, allezeit in der engsten Bedeutung genommen werden, und weiter nichts bedeuten, als Bonzen, Fakirn und Derwischen, zweitens, daß Danischmend hier nicht von allem Verdacht einer schmeichlerischen Gefälligkeit gegen die unbillige Denkungsart eines Herrn freigesprochen werden könne; und drittens, daß die angebliche Demonstration des Sultans sich augenscheinlich auf einen Trugschluss gründet, und also die Bonzen, (welche wir übrigens vertheidigen zu wollen weit entfernt sind) keineswegs treffen könne. Anm. des Lat. Uebers.Gleichwohl konnte, alles wohl erwogen, dem Sultan nicht zugemuthet werden, anders zu schließen. Er schloß so: meine Bonzen reden übel von mir, und ich mache mir eine Ehre aus ihrem Tadel; also ist ihr Lob unrühmlich: denn wär' es rühmlich, so wäre mir's Schande, es nicht zu verdienen. Nun ist dieß aber ein Gedanke, den ich nicht leiden kann; er ist also falsch; und was von mir gilt, das gilt auch von Ogul Kan: denn erweise ich ihm nicht die äußerste Ehre die nur möglich ist, wenn ich ihn für meinesgleichen gelten lasse? — Diese Art zu schließen läßt sich freilich weder durch die Logik des Aristoteles noch der Herren von Port-Royal rechtfertigen. Aber seit die Welt in ihren Angeln geht, hat die Eigenliebe nie bessere Schlüsse gemacht. Anm. des Deutschen Uebers.

3.

S. 52. Z. 16. Perise — Peri, s. oben.

4.

S. 66. Z. 8. Beduinen (Bedewi)— heißen die Araber der Wüste, die nicht in Städten, sondern in Zelten wie in einem Lager leben, das sie leicht abbrechen können. Ihre Wohnplätze verändern sich daher öfters. Sie leben von Viehzucht, zuweilen auch von Plünderung der Reisenden.S. 68. Z. 13. Estrade — erhöhter Platz, Auftritt.S. 68. Z. 14. Drei Bilder von weißem Marmor. Wer erräth nicht, daß von den Grazien die Rede ist?S. 72. Z. 21. Der Weise versagt sich zuweilen ein gegenwärtiges Vergnügen — Diese Periode sagt beinahe mit den nämlichen Worten, was Xenophon seinen Cyrus im 1. Buch der Chropädie (p. m. 52) sagen läßt. Vielleicht hat Psammis diese Stelle wirklich im Sinne gehabt. Wenigstens ist dieß nicht die einzige, aus welcher sich erweisen ließe, daß seine Moral ächte Sokratische Moral ist.

5.

S. 89. Z. 16. Mit Fleiße, dessen keine weichliche Seele fähig ist. — Wiewohl nicht zu läugnen ist, daß der Iman hier einige Wahrheiten oder Halbwahrheiten vorbringt, so können wir doch nicht nnangemerkt lassen, daß dieser letzte Satz ganz falsch ist. Solon, Pisistratus, Alcibiades, Demetrius Poliorcetes, Julius Cäsar, Antonius und zehntausend andere Beispiele haben zu allen Zeiten das Gegentheil bewiesen. Aber freilich mochte dieser Iman, wie viele seinesgleichen, nicht sonderlich in der Geschichte bewandert seyn. Anm. des Lat. Uebers.S. 91. Z. 17. Dely, Delhi, Deheli, Delli, — Provinz in Indien mit der Hauptstadt gleiches Namens, welche die Residenz des Groß-Moguls war.

6.

S. 105. Z. 6. Sie in dem edlen Werke der Entkörperung zu stören — Es ist aus den Reisebeschreibungen und Missionsnachrichten bekannt, daß das Institut der Derwischen sowohl als der Bonzen und Talapoinen sich aus eine aftermystische, schwärmerische Moral gründet, deren Thorheit in den Berichten unserer Missionarien häufig gerüget wird. Die strengern unter den Bonzen haben bei ihren Andachtsübungen und Kasteiungen nichts Geringer's im Sinne als Pagoden, d. i. Götter nach ihrem Tode zu werden: Anm. des Latein. Uebers.

7.

S. 114. Z. 21. Das Gedächtniß —— nicht überladen werden — Wofern Danischmend sich hier nicht überzählt hat, so ist wenigstens zu vermuthen, daß die meisten Fürsten alsdann, wenn der Tod im Begriff ist die Gleichheit zwischen ihnen und dem geringsten ihrer Unterthanen wieder herzustellen, so denken wie Ludwig VI. von Frankreich, da er sterbend zu seinem jungen Thronfolger sagte: vergiß niemals, mein Sohn, daß die königliche Autorität nur ein öffentliches Amt ist, wovon du nach deinem Tode (Gott und der Nachwelt) eine genaue Rechnung abzulegen hast. Anm. des Lat. Uebers.S. 115. Z. 17. Weil sie die meiste Gewalt über sein Herz hatten — Das Vertrauen eines Fürsten zu einem Minister, für welchen er keine besondere persöniliche Zuneigung hat, macht ordentlicher Weise (denn es gibt auch hier Ausnahmen) sowohl dem Fürsten als dem Minister Ehre. Es beweiset bei diesem vorzügliche Verdienste, bei jenem die Fähigkeit, sie zu schätzen, und die königliche Tugend, seine Privatneigungen dem Nutzen des Staates nachzusetzen. Anm. des Sinesischen Uebers.

8.

S. 119. Z. 19. Seine gierigen Blicke — — Augen weiden — Dieses Bild erinnert uns an eines der vollkommensten Gemälde des Tasso, auf welches man diese Stelle für eine Anspielung halten würde, wenn Nurmahal nicht etliche Jahrhunderte früher gelebt hätte als der wälsche Dichter.
Ecco tra fronde e fronde il guardo avanti
Penetra e vede, o pargli di vedere:
Vede pur certo il vago e la diletta,
Ch' egli è in grembo a la donna, essa a l'erbetta:
Ella dinanzi al petto hà il vel diviso
E'I crin sparge incomposto al vento estivo
Langue per vezzo, e'l suo inflammato viso
Fan biancheggiando i bei sudor più vivi.
Qual raggio. in onda, le scintilla un riso
Ne gil umidi occhi tremulo e lascivo,
Sovra lui pende ed ei nel grembo molle
Le posa il capo e'l volto attolle.
E i famelici aguardi avidameute
In lei pascendo si cosuma e strugge, etc.
Goffredo. C. XVI, 17. 18. 19.
Und durch das Laub der dunkeln Schattengänge
Dringt jetzt der Blick, sieht oder glaubt zu sehn,
Sieht wirklich dort der Liebenden Gekose,
Er ruht in ihrem Schooß, sie ruht im Moose.
Der laue West theilt ihres Busens Schleier
Und wühlt im Haar, das um den Nacken schwebt,
Sie schmachtet sanft und ihrer Wangen Feuer
Bleicht holder Schweiß, der ihr Gesicht belebt;
Indeß ein Lächeln, wie im klaren Weiher
Des Mondes Strahl, im feuchten Auge bebt.
Sie beugt sich über ihn, der seine Augen
Voll Glut erhebt, die Schönheit einzusaugen.
Und lechzend, selbst im Rausche der Genüsse,
Schmilzt er dahin in süßen Phantasien.
Uebers. von Gries.
S. 132. Z. 21. Die Ueppigkeit der Abassiden — Vermuthlich sind die Kalifen Harun Al Rasschid, und sein Sohn Almamon hier gemeint, unter welchen, wie bekannt ist, die Griechischen Wissenschaften und Künste in das Saracenische Reich verpflanzt wurden.
Anm. des Lat. Uebers.

9.

S. 139. Z. 18. Verderbliche alte Gewohnheit — Die meisten alten Gewohnheiten sind verderblich, bloß weil sie alte Gewohnheiten sind. Sie mochten zu ihrer Zeit, unter gewissen Umständen, gut oder doch zu rechtfertigen seyn; aber diese Umstände haben aufgehört, und die Gewohnheit, welche dennoch fortdauert, wird schädlich. Daher ist überhaupt nichts so albern als das gewöhnliche Geschrei der Dummköpfe über Neuerungen.
Anm. eines Ungenannten.
S. 142. Z. 16. Worin Kleopatra — — bezauberte — Antonius war durch die gewonnene Schlacht bei Philippi Herr des Orients geworden, und in Cilicien sollten ihm Asiens Könige huldigen. Da erschien auch die Königin von Aegypten, Kleopatra. Am Fuße des Cydnus angelangt bestieg sie ein Schiff, dessen Hintertheil von Goldblech blitzte, womit es belegt war; die Segel waren von Purpur, die Ruder von Silber. Auf dem Verdeck war ein Zelt von Goldstoff aufgeschlagen, und darunter ruhte Kleopatra im Costume der Venus, zu deren Seiten Grazien, Nereiden und Liebesgötter spielten. Statt der Trompeten erschollen zärtliche Melodien von Flöten, in den Pausen von dem abgemessenen Taktschlag der Ruder unterbrochen. Um alle Sinnen zugleich zu ergötzen, wurde in einer Menge kostbarer Gefäße das süßeste Räucherwerk angezündet. Dem Antonius kostete dieser Anblick nicht weniger als die Herrschaft der Welt, seinen Ruhm und sein Leben.

10.

S. 154. Z. 12. Allem diesem Elende zuvorkommen — Dieses Zuvorkommen ist ein Wort von wichtiger Bedeutung, welches wir den Großen zu gelegentlichem Nachdenken bestens empfehlen. Wenn sie (sagt unser göttlicher Confucius solchen Uebeln, die sich durch menschliche Klugheit nicht vorhersehen lassen, mit Hülfe entgegen eilen, sobald sie von dem Daseyn derselben benachrichtiget sind: so ist dieß in solchen Fällen alles, was man von ihnen fordern kann. Aber es gibt eine Menge unglücklicher Zufälle, welche sich errathen lassen, und Uebel, welche man mit Gewißheit vorhersagen kann, weil sie die nothwendigen Folgen unsrer eigenen Begehungen oder Unterlassungen sind. Diesen erst alsdann abzuhelfen suchen, wenn sie den größten Theil ihrer schädlichen Wirkungen schon gethan haben, ist das Betragen einer unweisen Obrigkeit. Es ist die Schuldigkeit unsrer Obern, sollen Uebeln zuvorzukommen; und eben darin liegt eine von den wesentlichsten Ursachen, warum man Obrigkeiten vonnöthen hat."
Anm. des Sines. Uebers.
S. 158. Z. 18. Die alten Aegyptier stellen uns hierin ein Beispiel dar — Der Indische Verfasser spricht hier der herrschenden Meinung gemäß, nach welcher man sich ich weiß nicht welchen seltsamen Begriff von der Weißheit der Aegyptier macht, weil dieses Volk (wenn man das Sinesischen ausnimmt*) das erste war, welches Gesetze, Religion und Sitten hatte. In dieser Voraussetzung hat man freilich Ursache, sich zu wundern, wie eine so weise Nation so unweise habe seyn können. Aber würde es nicht einer natürlichen Art zu schließen gemäß seyn, wenn wir sagten: ein Volk, welches fähig war, Kälber, Affen und Krokodile anzubeten, u. s. w. war kein weises, sondern ein sehr albernes Volk. Freilich hörte dann die Gelegenheit sich zu wundern auf; und viele Leute finden ein so großes Behagen daran, wenn sie den Mund aufreißen und sich wundern können.
Anm. des Sines. Uebers.
Die größten Kenner der Aegyptischen Alterthümer wissen, im Grunde, bei aller ihrer Belesenheit und Scharfsinnigkeit nicht viel mehr davon als andere. Ihre Hypothesen sind daher auch eben der Hinfälligkeit unterworfen, welche von jeher das Schicksal der wissenschaftlichen Hypothesen gewesen ist. Vor wenig Jahren bewies man uns, daß die Sinesen von den Aegyptiern abstammen: nun hat uns Herr von P. bewiesen, "daß weder diese von jenen noch jene von diesen abstammen;" und so gewinnen wir doch viel dabei, zu wissen, daß wir nichts von der Sache wissen; und dieß ist, nach dem Urtheil des weisen Sokrates, immer viel gewonnen.S. 159. Z. 12. Ein heiliges Dunkel — einzudringen — Danischmend scheint hier die berühmte Inschrift vor Augen gehabt zu haben, welche zu Sais im Tempel der Isis gelesen wurde: "Ich bin alles was ist, was war und was seyn wird; und meinen Schleier hat 
*) Hier betrügt vielleicht den ehrlichen Hiang Fu-Tse sein Patriotismus ein wenig. Die Sineser haben (wie uns ein großer Kenner der Aegyptischen Alterthümer bewiesen hat) eben sowohl wie die Griechen ihre Polizei und Wissenschaften Aegyptischen Colonien oder auf Abenteuer ausgehenden Wanderern dieser Nation zu danken gehabt. Anm. des Lat. Uebers.
noch kein Sterblicher aufgedeckt," In diesem Falle hat er Unrecht gehabt, nicht zu empfinden, daß uns diese Inschrift von der unermesslichen Größe und der majestätischen Unbegreiflichkeit der Natur das erhabenste Bild gibt, das jemals in der Seele eines Sterblichen entwarfen worden ist.S. 159. Z. 20. Einen Elephantenzahn oder das Horn eines Ziegenbocks anrufen zu hören — Von der Wahrheit des seltsamen Aberglaubens, den die Mohren mit ihren Fetischen oder Schutzgöttern treiben, kann sich, wer daran zweifeln sollte, aus der Allgemeinen Geschichte der Reisen, und aus der gelehrten Abhandlung von de Brosses du culte des Dieux fetiches (übersetzt von Pistorius) überzeugen. Uebrigens können wir diese Reflexionen des Philosophen Danischmend nicht ohne eine Anmerkung lassen. Der Satz, daß keine Nation an dem Platz und in den Umständen welches andern Volks man will viel klüger als dieses andere Volk seyn würde, scheint seine unzweifelhafte Richtigkeit zu haben: und wenn man keinen andern Gebrauch davon macht, als den unbescheidenen Stolz einiger Völker auf Vorzüge, welche nichts weniger als das Werk ihrer eignen Weisheit sind, dadurch zu demüthigen, und sie empfinden zu machen, wie sehr eine gegenseitige Duldung, auch aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, in der natürlichen Billigkeit gegründet sey; so scheint er unter die Wahrheiten zu gehören, an welche es nützlich ist die Menschen zuweilen zu erinnern. Allein es ist in unsern Tagen gewöhnlich worden, von eben diesem Satze mittelst gewisser Wendungen einen sehr schlimmen Gebrauch zu machen. Man hat daraus folgern wollen, die verschiedenen Völker hätten keine andern als subjective Gründe, ihres verschiednen Glaubens, und alle Religionen könnten daher als gleichgültig angesehen werden, oder es schicke sich für keinen weisen Mann, sich für irgend eine Religion mehr zu interessiren, als in so weit es die Gesetze seines Landes und seine übrige Convenienz erforderten. Diese verderblichen Grundsätze, welche beinahe zu allen Zeiten die Religion eines großen Theils der Weltleute ausgemacht haben, sind indessen nichts weniger als nothwendige Folgen aus der Reflexion des weisen Danischmend. Eine Religion aus allen kann nichtsdestoweniger, aus innerlichen sowohl als äußerlichen überzeugenden Beweisgründen, die wahre seyn, oder, unbetrugliche Kennzeichen eines göttlichen Ursprungs haben: und da wir Christen mit dem größten Grade der Gewißheit behaupten können, daß unsre Religion wirklich die einzige sey, welche mit allen diesen Kennzeichen versehen ist, so sind wir nicht nur wohl berechtiget, sondern schlechterdings verbunden, alle übrigen, in so weit sie der unsrigen entgegenstehen, für irrig und verwerflich zu erklären. Die Betrachtung, daß wir z. B. in den Umständen der alten Aegyptier oder unsrer eigenen abgöttischen Vorfahren eben so abgöttisch und abergläubisch als sie gewesen seyn würden, kann und soll also, vernünftiger Weise, zu nichts anderm dienen, als einestheils uns Mitleiden mit den Gebrechen der Menschheit und Nachsicht gegen die Irrenden und Verführten einzuflössen; anderntheils uns zu Gemüthe zu führen, daß wir es nicht den Vorzügen unsers Verstandes, sondern bloß der göttlichen Güte beizumessen haben, daß wir so glücklich sind, eine reinere Erkenntniß des höchsten Wesens und (wie der H. Paul sagt) einen vernünftigen Gottesdienst vor so vielen andern Völkern des Erdkreises zu besitzen. Anm. des Latein. Uebers.S. 170. Z. 11. Einfältige Religion der Tataren — Siehe den Auszug aus des Marko Polo Reisen in der Allgem. Hist. der Reisen Th. VII. S. 472. Auch die Religion der Mantscheouischen Tatarn kommt in der Hauptsache mit dieser überein. S. Du Halde Beschreib. des Sines. Reichs, Tb. IV. S. 37. W.S. 172. Z. 7. Gedanken und Träume sollen in meinem Reiche frei seyn — Wenn man von einem rohen Tatarischen Heerführer, wie Ogul-Kan war, Belesenheit vermuthen könnte, so sollte man glauben, daß hier eine Anspielung auf den Tyrannen Dionysius von Syrakus wäre, der den Marsyas, einen seiner Staatsbedienten, hinrichten ließ, weil diesem Marsyas geträumt hatte, er habe dem Tyrannen die Kehle abgeschnitten. S. Plutarch im Leben Dions, Tom. V. p. 167. edit Londin, de 1724. Plutarch gibt zum Grunde dieses strengen Verfahrens an: Dionysius habe geglaubt, Marsyas würde schwerlich so gefährlich geträumt haben, wenn er nicht wachend mit dergleichen Gedanken umgegangen wäre; und Montesquieu findet diesen Grund (wenn der unbündige Schluß, auf den er sich stützt, auch richtig wäre) nicht hinlänglich, das Verfahren des Dionysius zu entschuldigen. Esprit des Lois Tom. I, L. XII. ch. XI. Der Gedanke, sagt er, müßte, um strafbarer zu werden, mit irgend einer Handlung verbunden gewesen seyn. Aber dieß war eben die Sache. Woher kannte Dionys wissen, was Marsyas träumte? Marsyas hatte seinen Traum erzählt; und dies schien, entweder einen bösen Willen gegen den Fürsten, oder doch einen Grad von Unvorsichtigkeit vorauszusetzen, den ein so argwöhnischer und furchtsamer Fürst, wie Dionysius war, strafwürdig finden mußte. Es war ihm daran gelegen, den Syrakusern zu zeigen, daß man sich auch sogar im Traume nicht ungestraft an seiner Person vergreifen könne. W.S. 176. Z. 11-13. Waffen — welche sie gegen Witz und Vernunft gebrauchen konnten — Die Geschichte der außerordentlichen Bemühungen, welche Jamblichus, Plotinus, Porphyrius und ihre Anhänger in einer Art von Verzweiflung fruchtlos angewandt, dem unterliegenden Heidenthum gegen die siegreiche Uebermacht der christlichen Religion zu Hülfe zu kommen, ist das vollständigste Beispiel, das uns die Historie an die Hand gibt, um den Charakter und das Betragen der Bonzen von Scheschian in einem gewissermaßen ähnlichen Falle zu erläutern. Was ließen diese von dem seltsamsten Eifer glühenden Schwärmer unversucht, um wenigstens die letzten Augenblicke des sterbenden Aberglaubens zu verlängern? Orakel, Wunder, wiederkommende Seelen, alles, was außerordentlich war wurde ausgeboten; Pythagoras und Apollonius wurden zu göttlichen Männern und Theurgen erhoben, um sie mit einigem Schein dem großen Stifter der wahren Religion entgegen zu setzen. Das ganze Heidenthum wurde umgeschmolzen, die ungereimtesten Fabeln zu allegorischen Hüllen der erhabensten Wahrheiten gemacht, und das Werk des Betrugs und des Aberglaubens in eine Theosophie verwandelt, deren Entdeckungen und Versprechungen einen blendenden Glanz von sich warfen, und unbehutsame Gemüther durch den Schein eines göttlichen Ursprungs tauschten. Man belegte die christlichen Weisen, welche allen diesen Blendwerken Vernunft entgegensetzten, mit dem verhaßten Namen der Freigeister und Atheisten; kurz, man wagte in der Verzweiflung Alles. Aber vergebens traten Aberglauben, Schwärmerei und Philosophie in ein unnatürliches Bündniß; die Wahrheit siegte, und eben dieser Sieg bewies, daß sie Wahrheit war. Anm. des Lat. Uebers.S. 182. Z. 15-18. Beispiele, daß etwas Ungereimtes aufgehört hat ungereimt zu seyn — Ein sehr nachdrückliches Beispiel hiervon ist der Satz, daß es Antipoden oder Gegenfüßler gebe, welcher dem Bischof zu Salzburg Virgilius (wofern es nicht ein andrer Virgilius war, wie aus einigen Umständen sich vermuthen läßt) so schlimme Händel machte. Diese Lehre war so unerhört und dem damaligen gemeinen Menschenverstande so anstößig, daß selbst die weisesten Männer sich nicht darein finden konnten. "Man legte es ihm so aus (sagt Aventinus in seinen Bayerischen Jahrbüchern), als ob er eine andre Welt, andre (das ist vermuthlich nicht von Adam und Eva entsprungne) Menschen, eine andere Sonne und einen andern Mond behaupte. Bonifacius widerlegt diese Sätze als gottlos und der christlichen Philosophie entgegenlaufend bestraft Virgilen deßwegen öffentlich und absonderlich, verlangt von ihm, daß er diese albernen Kindereien (Naenias) widerrufe, und die einfältige und lautere Weisheit des Christenthums nicht länger mit dergleichen unsinnigen Träumen beflecke." Der damalige Papst Zacharias, vor welchen diese Sache, ihrer vermeintlichen Wichtigkeit wegen, gebracht wurde, sah sie nicht mit gelindern Augen an als Bonifacius. Er nennt die Lehre von andern Menschen unter der Erde eine verkehrte Lehre, welche Virgilius gegen Gott und seine Seele ausgesprochen habe: und muthet in sehr ernstlichen Evocatoriis dem Herzog Utilo zu (der, wie es scheint, den guten Virgil in seinen Schutz genommen hatte), den gefährlichen Mann nach Rom zu senden, damit er aufs schärfste examinirt, und, wenn er seines Irrthums überwiesen worden wäre, nach den kanonischen Gesetzen gestraft werden könne. Baron. ad annum 748. Uns dünkt nicht, daß man hinlängliche Ursache habe, den ehrwürdigen Bischöfen, welche diese Antipodensache mit so vieler Strenge behandelt haben, deßwegen so häßliche Vorwürfe zu machen, als viele gethan haben. Man hat nicht einmal vonnöthen, zu ihrer Entschuldigung die Wendung zu gebrauchen, deren sich der berühmte Augsburgische Patricier, Marx Welser, in seiner Bayerischen Geschichte bedient, nämlich zu sagen: daß diejenigen, welche den Virgilius behaupten gehört, die Erde sey rund und auch auf der andern Halbkugel bewohnt u. s. w., seine Meinung unrecht verstanden, und sie also dem heil. Bonifacius fälschlich hinterbracht hätten. Es ist genug, daß in den damaligen Zeiten das allgemeine Vorurtheil, selbst der Gelehrten, in dem Begriffe von Antipoden etwas höchst Ungereimtes fand. Lange zuvor hatte Kosmas der Indienfahrer, ein Aegyptischer Mönch, in seiner christlichen Topographie (welche uns Montfaucon im zweiten Theile seiner Sammlung Griechischer Kirchenscribenten geliefert hat) versichert, daß die Erde platt sey, und das himmlische Gewölbe an ihren äußersten Enden aufstehe. Dieß war zu einer Zeit, wo das Studium der Natur als eitel und profan gänzlich vernachlässiget wurde, die allgemeine Meinung; und ein Satz, wie der, den Virgilius behauptet haben soll, mußte nothwendig frommen Ohren anstößig seyn. Anm. des Lat. Ueb.S. 184. Z. 19. Mißbrauch — (der Freiheit) — Gegen irgend einen Zweig der Freiheit von dem Mißbrauche, der davon gemacht werden kann, argumetiren, ist eben so viel als gegen die Freiheit überhaupt schließen; denn Alles kann gemißbraucht werden, sagt der weise Verfasser der Lettera from a Persian in England, p. 158, W.S. 196. Z. 23. Unter Blitz und Donner stieg — — ein großer blauer Affe herab — Wir wollen nicht hoffen, daß sich jemand unter unsern Lesern in dem Falle befinden könne, in welchem der ehrliche Klaus Zettel in Shakspeare's Mid-Summer-Nights-Dream die Damen zu Athen zu setzen besorgt, wenn er, in dem Schauspiele von Pyramus und Thisbe (welches er und seine Gesellen an dem Hochzeitsfeste des Theseus aufführen wollen), als Löwe auf den Schauplatz kommen, und seine furchtbare Stimme hören lassen würde. Ich werde, spricht er, nicht ermangeln Ihnen zu sagen: erschrecken Sie nicht, meine schönen Damen; ich bin kein wirklicher Löwe, wie Sie etwan denken möchten, sondern wirklich und bei meiner Ehre Klaus Zettel, der Weber, und ein Mann, der sich das größte Gewissen daraus machen würde, das Herz einer schönen Dame zu betrüben. Aus eben dieser Gemüthszärtlichkeit erklären wir aiso, auf allen Fall: daß dieß Wetter womit uns Kalaf erschrecken will, bloß gemachtes Wetter war. W.S. 203. Z. 9. Krieg der Kynopoliten und Oxyrinchiten — Plutarch in seiner Abhandlung von Isis und Osiris. Juvenal macht uns von einem ähnlichen Religionskriege zwischen den Ombiten und Tentyriten, welcher daher entstand Quod numina vieimorum
Odit uterque locus, cum solos credat habendos
Esse Deos, quos ipse colit ——
in seiner fünfzehnten Satyre ein schreckliches Gemälde. Die eine dieser Stätte überfiel die andere zur Zeit eines großen Festes, wo man sich eines feindlichen Ueberfalls am wenigsten versah. Die Partie war sehr ungleich, sagt der Dichter; die guten Ombiten waren wohl bezecht, rosenbekränzt, von Salben triefend und vom Tanzen müde; ihre Feinde hingegen desto erbitterter, weil sie nüchtern waren (hinc jejunum odium). Der Anfang der Feindseligkeiten wurde mit Worten gemacht; von den Worten kam es bald zu den Fäusten; auf beiden Seiten blieben wenig Nasen unbeschädigt u. s. w. "Aber dieß (fährt der Dichter fort), däucht den Unsinnigen nur ein Spiel; sie wollen nicht nur Blut, sie wollen Leichen sehen. Man wirft also eine Zeit lang mit Steinen auf einander; endlich ziehen die Tentyriten ihre Schwerter. Die Ombiten fliehen in zitternder Verwirrung; die Furcht beflügelt ihre Flucht; nur Einer hat das Unglück den erbosten Feinden in die Hände zu fallen; dieser Unglückselige wird sofort in Stücke zerrissen und mit Haut und Haar bis auf die Knochen aufgegessen. Sie nehmen sich nicht einmal die Zeit ihn zu kochen, sie fressen ihn mit hungriger Gierigkeit roh hinein; und wer glücklich genug ist, ein Stückchen von diesem abscheulichen Fraß zu erwischen, glaubt niemals was Wohlschmeckender's gekostet zu haben."—— Ob übrigens dieser Religionskrieg der Ombiten und Tentyriten von jenem zwischen den Kynopoliten und Oxyrinchiten (Oxyrrhinchiten) verschieden gewesen, oder ob nicht Juvenal vielmehr den letztern unter dem Namen der erstern, weil sie besser in den Vers passen, geschildert habe, wie Salmasius aus sehr gelehrten Gründen vermuthet (in Solin. T, I. p. 317-21), ist eine Aufgabe, die wir primo occupanti überlassen, wofern sie anders ihren Meister nicht schon gefunden hat.
Anm. d. Lat. Uebers.
S. 205. Z. 2. Wenn der Menschenfreund in den Jahrbüchern des menschlichen Geschlechts nichts findet, was ihn befriedigen kann — Wiewohl unstreitig etwas Wahres an diesem Gedanken des Philosophen Danischmend ist, so bleibt darum auf der andern Seite nicht weniger wahr, daß die Geschichte, mit beobachtenden Augen durchforscht, und mit philosophischem Blick aus erhabenen Standpunkten übersehen, eine Quelle sehr nützlicher Kenntnisse für den Bürger, für den Staatsmann, und selbst für den bloßen Weltbeschauer ist. Ein gelassener und aufgeklärter Geist sieht durch das verworrene Gewebe der menschlichen Thorheiten hindurch, und entdeckt in dem Zusammenhang und in der stufenweisen Entwicklung der großen Weltbegebenheiten den festen Plan einer alles leitenden höhern Weißheit; er ergötzt, ermuntert und bessert sich bei dem Anblicke des immerwährenden Kampfes der Tugend mit dem Laster, der Vernunft mit den Leidenschaften, der Wahrheit mit dem Irrthum und Betrug, der Wissenschaften mit der Unwissenheit, des Geschmacks mit der Barbarei, und erkennt mit Anbetung die verborgene Hand des großen Urhebers der Natur, der aus diesem ewigen Streit in den Theilen, Ordnung und Harmonie im Ganzen hervorzubringen weiß. Die Geschichte des menschlichen Verstandes, die Geschichte der Tugend, die Geschichte der Religion, der Gesezgebung, der Künste, der Handelschaft, des Geschmacks, des Luxus u. s. f. sind eben so viele fruchtbare Gegenden der allgemeinen Geschichte, deren besserer Anbau die herrlichsten Vortheile für die speculativen und praktischen Wissenschaften verspricht. Weit entfernt also die Geschichtskunde gering zu achten, wünschten wir vielmehr, es allen Studirenden, und überhaupt allen welche weiser und besser zu werden wünschen, einleuchtend machen zu können, daß die Geschichte, mit wahrer Sokratischer Philosophie verbunden, das höchste und wichtigste Studium eines Menschen ist, der mehr als eine thierische Maschine seyn will; und wir haben diese Anmerkung bloß darum beigefügt, um so viel an uns ist zu verhindern, daß niemand einen unbescheidenen und übertriebenen Hang zu Romanen und Feenmährchen mit dieser Stelle des weisen Danischmend zu rechtfertigen vermeine. So gewiß indessen der hohe Werth der Geschichtskunde ist, so ist doch nicht zu läugnen, daß die gerümpfte Nase, womit gewisse Geschichtsforscher auf alles, was die Form der Erdichtung hat, herabsehen, Unbilligkeit und lächerliche Pedanterei ist. Den wenigen, denen ihr Beruf, zu erforschen was geschehen ist, keine Erholungsstunden übrig läßt, ist es wohl zu gönnen, wenn sie abgehärtet genug sind, die Abscheulichkeiten der Byzantinischen Historie oder der Regierung einer Maria von England mit eben dem kalten Blute zu lesen, womit ein Zeitrechner untersucht, in welchem Jahre der Welt der König Misphragmuthosis zu Diospolis regiert habe. Aber ihr Beispiel oder ihr Geschmack macht keine Regel; und empfindsame Seelen werden — beim Anblick alles des Bösen, was auf diesem Sonnenstaube, den wir bewohnen, Geschöpfe von einerlei Gattung gethan haben, um einander ein Leben von etlichen Augenblicken zu rauben oder zu verbittern — sich nur allzu oft genöthigt fühlen, mit dem weisen Danischmend in die möglichen Welten der Dichter zu fliehen; und sie können deßwegen hinlänglich gerechtfertiget werden, auch ohne daß man den Platonischen Grundsatz, welchen Bakon von Verulam zum Vortheil der Dichtkunst geltend macht, dazu vonnöthen hat, vermöge dessen das, was wir hier nur als ein Erholungsmittel geben, sogar zu einer sehr wesentlichen Beschäftigung wird.

11.

S. 213. Z. 7. 8. Walsingham und Sully — Wenn, wie man vermuthen muß, hier Sir Franz Walsingham, Minister unter der Regierung der Königin Elisabeth, gemeint ist, so steht er wohl nicht mit vollem Rechte neben Sully. Er war ein weiser Staatsmann, aber ein ränkevoller Mensch, der es auch nicht scheute dafür gehalten zu werden. Mit welchem Rechte beide Staatsmänner in den Mund von Danischmend kommen, bleibt des Lesers Entscheidung überlassen.
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