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C. M. Wieland's Werke.

Zweiter Band.

Leipzig.G J. Göschen'sche Verlagshandlung.1853.
Buchdruckerei der J. G. Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart.

Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva.

Zweiter Theil.

Inhalt

des zweiten Theils.Seite

Fünftes Buch. Erstes Capitel. Worin der Verfasser das
Vergnügen hat, von sich selbst zu reden . . . . . . . . . . . . 1
Zweites Cap. Worin sich Pedrillo sehr zu seinem Vortheile zeigt 6
Drittes Cap. Innerliche Anfechtungen des Don Sylvio . . . . . . 15
Viertes Cap. Die Weissagungen des Pedrillo fangen an in 
Erfüllung zu gehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .20
Fünftes Cap. Erscheinung der Fee. Wie gefährlich es ist, 
ein Frauenzimmer anzutreffen, welches unserer Geliebten 
gar zu ähnlich sieht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .26
Sechstes Cap. Unverhoffte Zusammenkunft . . . . . . . . . . . . 31
Siebentes Cap. Gegenseitige Gefälligkeiten . . . . . . . . . . .35
Achtes Cap. Streit zwischen der Liebe zum Bilde und der Liebe
zum Original . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .43
Neuntes Cap. Was für gefährliche Leute die Philosophen sind . . 48
Zehntes Cap. Wie kräftig die Vorsätze sind, die man gegen die
Liebe faßt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .50
Eilftes Cap. Geschichte der Jacinte . . . . . . . . . . . . . . 54
Zwölftes Cap. Jacinte setzt ihre Geschichte fort . . . . . . . .64
Dreizehntes Cap. Don Eugenio setzt die Erzählung der Jacinte fort81
SeiteVierzehntes Cap. Beschluß der Geschichte der Jacinte. Eine
Vermuthung des Don Sylvio. Vorbereitungen zu einem
Intermezzo, wobei wenige Leute lange Weile haben werden . . . . 95
Sechstes Buch. Erstes Cap. Geschichte des Prinzen Biribinker. . 106
Zweites Cap. Fortsetzung der Geschichte des Prinzen Biribinker .139
Drittes Cap. Anmerkungen über die vorstehende Geschichte . . . .204
Siebentes Buch. Erstes Cap. Merkwürdige Entdeckung.
Sonderbare Verschwiegenheit des Pedrillo . . . . . . . . . . . .219
Zweites Cap. Anfang der Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . 232
Drittes Cap. Abermalige Entdeckung . . . . . . . . . . . . . . .241
Viertes Cap. Beschluß dieser Geschichte . . . . . . . . . . . . 250
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
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Fünftes Buch

Erstes. Capitel.

Worin der Verfasser das Vergnügen hat , von sich selbst zu reden.

Wir zweifeln sehr daran, ob, seitdem es Feenmährchen in der Welt gibt, ein von Feen beschützter Liebhaber sich jemals in kläglichern Umständen befunden habe, als diejenigen waren, worin wir unsern Helden zu Ende des vorigen Buches verlassen mußten.Es ist wahr, andre Feenhelden haben auch ihre Anfechtungen. Sie müssen sich oft mit Drachen, Meerwundern und blauen Centauren herum schlagen; sie kommen in Gefahr, von Popanzen gefressen zu werden; sie werden von alten zahnlosen Feen entführt, die ihre Tugend auf die gefährlichsten Proben setzen und am Ende sie oft in Papagaien, Kater oder Grillen verwandeln. Aber, daß jemals eine so außerordentliche Person, wie der Günstling einer Königin der Salamander und der Liebhaber eines bezauberten Schmetterlings, von Grasmenschern zerkratzt und von Bauerjungen wäre abgeprügelt worden, davon wird man in der vollständigsten Sammlung aller Geschichten, die sich mit "Es war einmal" anfangen, vergebens ein Beispiel suchen.Der geneigte Leser wird hieraus die Folge ziehen (und weil er es vielleicht nicht thun möchte, so nimmt sich der Verfasser die Freiheit, es ihm hiermit zu verstehen zu geben), daß diese merkwürdige Verschiedenheit, die sich zwischen der Geschichte des Don Sylvio und andern Feenmährchen findet, ein günstiges Vorurtheil für seine historische Treue und Wahrhaftigkeit erwecken müsse. Hätten wir unsern Helden in einem Wagen von Saphir mit Paradiesvögeln bespannt reisen und alle Abend in einem bezauberten Palast absteigen lassen; hätten wir ihm das rothe Hütchen des Prinzen Kobold, den Pantoffel der Fee Mustache, den Ring des Gyges oder die Zauberruthe der königlichen Fee Trusio gegeben, um sich aus allen Nöthen heraus zu helfen: so hätte ein jedes Mädchen von zehn Jahren gemerkt, daß man ihm nur ein Mährchen erzähle. Aber, ungeachtet unsre Geschichte so seltsam und wunderbar ist, als irgend eine von denen, mit deren Anhörung sich der weise Sultan von Indien, Schach-Baham, die Zeit zu vertreiben geruhte: so wird man uns doch nicht vorwerfen können, daß wir unserm Helden jemals ein Abenteuer aufstoßen lassen, welches nicht vollkommen mit dem ordentlichen Laufe der Natur übereinstimmte, und dergleichen nicht alle Tage sich zu ereignen pflegen oder sich doch ereignen könnten; wie, zum Exempel, daß ein Frosch in Gefahr komme, von einem Storch verschlungen zu werden, oder daß einer ein Kleinod mit einem Bildniß finde, welches vermuthlich Jemand vorher verloren hat. Wir haben ihn zu Fuße reisen lassen und nicht einmal Sorge getragen, ihn vor Sümpfen und Froschgräben zu bewahren; wenn er schlief, so war es auf der harten Erde oder in einem elenden Dorfwirthshause, wo ihm die Flöhe keine Ruhe ließen. Anstatt daß rosenarmige Nymphen oder Sylphen mit goldnen Flügeln am blumigen Rande krystallner Brunnen ihm Nektar und Ambrosia hätten auftragen sollen, haben wir ihn aus dem Zwerchsacke des Pedrillo bedient; und ganz neuer Dinge haben wir ihn, nicht etwa von Riesen oder bezauberten Mohren, sondern von gemeinen Bauerjungen abbläuen lassen.Wir hoffen, dieß sind Beweise, die für sich selbst reden; und wir wünschten, daß man von vielen berühmten Geschichtschreibern mit eben so gutem Fuge sagen könnte, daß sie von der betrügerischen Neigung, ihre Gemälde und Charaktere zu verschönern oder ihren Begebenheiten einen Firniß vom Wunderbaren zu geben, so entfernt gewesen seyn möchten, als wir, die wir uns bei Bekanntmachung dieser wahrhaften und glaubwürdigen Geschichte nicht etwa (wie junge leichtsinnige Schwindelköpfe sich einbilden möchten) eine eitle Belustigung, sondern das gemeine Beste und die Beförderung der Gesundheit unsrer geliebten Leser an Leib und Gemüthe zum Endzweck vorgesetzt haben.Vielleicht werden Einige, deren Scharfsinn nicht tiefer als in die äußere Schale der Dinge einzudringen pflegt, nicht begreifen, wie die Geschichte des Don Sylvio zu einem so heilsamen Zwecke sollte dienen können. Aber diese wackern Leute könnten sich, wenn sie wollten, aus den Schriften großer Aerzte und Naturkündiger belehren, daß es ein gewisses Fieber gebe, dem die menschliche Seele vom vierzehnten Jahre ihres Alters bis zum großen Studienjahre häufig ausgesetzt ist, und welches durch keine andre Arzneimittel sicherer vertrieben werden kann, als durch solche, die das Zwerchfell erschüttern, das Blut verdünnern und die Lebensgeister aufmuntern; eben so wie der giftige Biß der Tarantel (wie die alte Sage geht) durch nichts Anderes, als durch die sympathetische Kraft gewisser Tänze, die dem Kranken vorgespielt werden, geheilt werden kann. Alles kommt also bloß darauf an, ob diese heilsamen Kräfte wirklich in unserm Buche verborgen liegen oder nicht; eine Frage, deren Beantwortung wir, mit einigem Vertrauen auf unsere gute Sache, dem dankbaren Zeugnisse verschiedener Leser, welche aus Erfahrung davon sprechen können, überlassen. Es ist wahr, Don Sylvio wird (so viel uns wenigstens bekannt ist) noch in keinem Dispensatorium unter den Recepten gegen Schwärmerei, Milzsucht und Hypochondrie angeführt. Aber davon ließen sich allenfalls Ursachen angeben, welche wir (aus schuldiger Achtung für die Verfasser dieser Urtheilssprüche über Leben und Tod) lieber mit Stillschweigen übergehen; zumal da man vielleicht eben so viel Grund haben möchte, zu fragen, warum eine Menge andrer Recepte ihren Platz darin einnehmen, als warum dem Don Sylvio keiner gegeben wird.Inzwischen wünschen wir, daß irgend eine europäische Akademie, und wenn es auch nur die zu Pau in Bearn wäre, sich belieben lassen möchte, einen Preis von fünfzig Ducaten auf die Untersuchung des mannigfaltigen physischen, moralischen und politischen Nutzens zu setzen, welchen die menschliche Gesellschaft von Schriften, die zu lachen machen, ziehen könnte; besonders auf die gründliche Erörterung der Frage: ob es sowohl dem gemeinen Besten als dem Buchhandel (welcher bekanntermaßen einen beträchtlichen Zweig des europäischen Handelswesens ausmacht) nicht weit zuträglicher wäre, wenn, anstatt der Menge schlechter und mittelmäßiger ernsthaft-moralisirender Bücher in allen Formaten, welche unter viel versprechenden Titeln die arme Welt mit den alltäglichen Beobachtungen, schiefen, zusammengerafften und unverdauten Gedanken, frostigen Declamationen und frommen Wünschen ihrer langweiligen Verfasser bedrücken, alle halbe Jahre etliche Duzend Bücher im Geschmacke des komischen Romans, des Gil Blas von Santillana, des Findlings, ja wenn es auch im Geschmack des Candide oder des Gargantua und Pantraguel wäre, auf die Messen kämen; Bücher, in denen die Wahrheit mit Lachen gesagt würde; welche der Dummheit, Schwärmerei und Schelmerei ihre betrüglichen Masken abziehen, die Menschen mit ihren Leidenschaften und Thorheiten, in ihrer wahren Gestalt, weder vergrößert noch verkleinert, abgemilderten und von ihren Handlungen diesen Firniß wegwischten, womit Stolz, Selbstbetrug oder geheime Absichten sie zu überziehen pflegen; Bücher, die mit desto besserm Erfolg unterrichten und bessern würden, da sie bloß zu belustigen schienen, und die auch alsdann, wenn sie zu nichts gut wären, als beschäftigten Leuten in Erholungsstunden den Kopf auszustäuben, müßige Leute unschädlich zu beschäftigen und überhaupt den guten Humor eines Volks zu unterhalten, immer noch tausendmal nützlicher wären, als dieses längst ausgedroschene moralische Stroh, dieser methodische Mischmasch von mißgestalteten und buntscheckigen Ideen, diese frostigen Schul-Chrien, welche hier gemeint sind, und die (mit Erlaubniß der guten Absichten, hinter welchen ihre Verfasser sich verbergen) weit mehr am Kopfe der Leser verderben, als sie an ihrem Herzen bessern können und bloß deswegen so wenig Schaden thun, weil sie ordentlicher Weise nur zum Einpacken andrer Bücher gebraucht werden.Es wäre uns, um gewisser Ursachen willen, lieb gewesen, wenn wir Gelegenheit gefunden hätten; diese Anmerkung irgendwo dem Pedrillo oder einer andern privilegirten Person von dieser Art in den Mund zu legen: denn einem Pedrillo, Launcellot Gobbo oder Gobbo Launcellot nimmt es Niemand übel, wenn er die Wahrheit sagt. Da es aber nicht füglich geschehen konnte, so haben wir uns schon entschließen müssen, sie im Vorbeigehen selbst zu sagen, und wollen deßwegen, wo und bei wem es nöthig ist, höflichst abgebetet haben.
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Zweites Capitel:

Worin sich Pedrillo sehr zu seinem Vortheile zeigt.

Pedrillo, ungeachtet er in dem unglücklichen Abenteuer mit den Grasnymphen die meisten Schläge bekommen, raffte sich, nachdem er eine gute halbe Viertelstunde ganz betäubt da gelegen hatte, dennoch zuerst wieder vom Boden auf; und der erste Gebrauch, den er von seinen wiederkehrenden Sinnen machte, war, daß er alle Nymphen, Faunen und Silvanen, Zwerge, Prinzessinnen und Schmetterlinge, nebst allen und jeden Feenmährchen, die von Erschaffung der Welt an bis auf selbigen Tag geschrieben worden und noch künftig bis an der Welt Ende geschrieben werden möchten, mit ihren Verfassern, Gönnern und Erzählern und deren sämmtlichen Angehörigen und Erben in ansteigender, absteigender und Collateral-Linie sammt und sonders zum T** wünschte. Er verfluchte die Gänse, mit deren Spulen sie geschrieben, die Lettern, womit sie gesetzt, und die Farbe, womit sie gedruckt worden, herzlich wünschend, daß die heilige Inquisition alle diejenigen zu Asche verbrennen möchte, die dergleichen vertracktes Zeug, wodurch der artigste und braveste junge Edelmann in ganz Spanien zum Narren gemacht worden, unter die Leute brächten. Denn die Schläge, die er ohne Zahl und Maß um des blauen Schmetterlings willen empfangen hatte, überzeugten ihn nun auf einmal, daß Alles, was ihm sein Herr von der Fee Radiante und der Bezauberung der vermeinten Prinzessin gesagt hätte, lauter Träume und Einbildungen seyen. Je, verflucht! schrie er, wenn hat jemals eine Fee diejenigen, die sie in ihren Schutz genommen hat, von Grasmenschern und Bauerknechten halb todt prügeln lassen? Es sollte mich nicht verdrießen, wenn es noch Popanze oder feuerspeiende Drachen gewesen wären; aber von solchem Lumpenvolk! — Sackerlot! ich will mich fressen lassen, wenn seine Rademante, die uns alle diese verfluchten Händel gemacht hat, nicht gerade so eine Fee ist, wie die dreifachen H*r*n, die mir die Augen mit ihren Nägeln ausgekratzt haben, Nymphen sind!In diesem nachdrücklichen Tone fuhr er eine gute Weile fort, bis er endlich gewahr wurde, daß sein Herr noch immer ohne Bewegung auf dem Boden ausgestreckt lag. Dieser Anblick und die Furcht, daß er gar todt seyn möchte, machten den gutherzigen Tropf auf einmal seines eignen Ungemachs vergessen; er rief ihn, er rüttelte ihn, und da er noch immer kein Lebenszeichen an ihm verspürte, so fing er eben so jämmerlich oder noch jämmerlicher zu schreien an, als der bucklige Sohn des bösen Königs, da ihn das Gänsemädchen nicht heirathen wollte.Endlich besann er sich in der Angst auf eine Flasche Maderawein, die er noch in seinem Zwerchsack hatte; und zu gutem Glück hatten die Feinde in der Hitze des Streits den Zwerchsack, welchen Pedrillo gleich anfangs von sich legte, aus der Acht gelassen. Er holte also die Flasche und goß sie, ohne sich den Wein dauern zu lassen, fast ganz über Don Sylvio's Gesicht aus. Dieses Mittel that die gewünschte Wirkung. Der junge Ritter erholte sich in Kurzem wieder: denn seine Betäubung war von einem einzigen, etwas nachdrücklichen Schlage hergekommen, den er, wiewohl ohne andern Schaden als eine ziemliche Beule, über den Kopf bekommen hatte; er öffnete die Augen und rief mit schwacher Stimme: Wo bin ich? Lebst du noch, Pedrillo?Ja, mein liebster Herr, rief Pedrillo, und Gott Lob! daß Sie, wie ich sehe, auch noch leben! denn, so wahr ich ehrlich bin, wenn Sie todt gewesen wären, wie ich schon zn fürchten anfing, ich hätte mich eher in den Fluß gestürzt, eh' ich Euer Gnaden hätte überleben wollen.Wollte Gott, sagte Don Sylvio, daß ich dein gutes Herz und deine Treue belohnen könnte! Aber, o Himmel! sage mir; wenn du es weißt, was ist aus meiner armen Prinzessin geworden?Die Prinzessin? schrie Pedrillo; fort ist sie, zum Geier ist sie, sie flog gleich anfangs davon, wie die pausbackigen Unholden mit ihren langen krummen Nägeln über uns herfielen! — Sapperment! ich wollte sie hätt' uns — Aber was haben Sie denn, Herr — ums Himmels willen, gnädiger Herr, was fehlt Ihnen? Daß es Gott erbarme! Was ist zu thun? O, die verfluchten Feen!Pedrillo jammerte so, weil sein Herr, der sich nach dem Bildniß seiner Prinzessin umgesehen, sobald er fand, daß er es nicht mehr bei sich hatte, von Schrecken und Herzleid abermals in Ohnmacht gesunken war.Er hatte große Mühe, ihn wieder zu sich selbst zu bringen, aber noch größere, der Verzweiflung Einhalt zu thun, der sich der arme junge Ritter ohne Maß überließ, sobald er wieder fähig war, die Größe seines Verlusts zu fühlen. Pedrillo, so gute Lust er gehabt hätte, über die Fee Radiante und alle Feen der ganzen Welt loszubrechen und seinem Herrn die närrische Liebe zu einem Schmetterlinge auszureden, wußte nicht mehr, was er sagen oder anfangen sollte, da er ihn so kläglich jammern hörte, ja sogar entschlossen sah, den Guadalaviar durch seinen Tod berühmt zu machen. Er warf sich ihm zu Füßen, er bat, er weinte, er fluchte über die Feen und die Feerei; aber das Erste half nichts, und das Andre machte das uebel noch ärger.Nachdem er nun alles Andre versucht hatte, so verfiel er endlich auf das einzige Mittel, wovon man sich in dergleichen Umständen noch einige Wirkung versprechen kann: er fing an, mit Don Sylvio in die Wette zu heulen und ihn, wo möglich, noch darin zu übertreffen. Er dachte: mein junger Herr wird es doch endlich müde werden, und wenn nur einmal der erste Anstoß von Tollheit vorüber ist, so wird er sich hernach schon besser berichten lassen.Wie er nun sah, daß Don Sylvio wieder stille wurde, so fing er an, obgleich wider seine eigene Ueberzeugung, alle nur ersinnliche Vorstellungen hervor zu suchen, die, wie er glaubte, ihn sollten beruhigen können. Er versicherte ihn, wenn auch, wider besseres Hoffen, das Bildniß der Prinzessin in den Händen des grünen Zwergs seyn sollte, so sey doch die Prinzessin selbst in Sicherheit: denn die habe er sammt dem Faden mit seinen eignen Augen davon fliegen sehen. Glauben Sie mir, mein lieber Herr, sagte er, die Fee Rademante will nur Ihre Geduld auf die Probe setzen; es kann in kurzer Zeit Alles ein ganz anderes Gesicht bekommen. Man muß hoffen, solange man noch Athem hat. Denken Sie, daß es andern Prinzen und Rittern auch nicht besser oder wohl noch ärger gegangen ist. Was hat nicht der blaue Vogel ausstehen müssen, bis er der garstigen Forelle los ward und seine liebe Florine, wiewohl in der Gestalt eines schmutzigen Sausödels, wieder fand! Wie sauer ist es dem guten Prinzen Höckerich gemacht worden, bis er zum Besitz der schönen Brillante gelangte, die der schwarze Zauberer in eine Heuschrecke verwandelte, ob sie gleich so gut eine Prinzessin war, als andre, die ich nicht nennen will! Euer Gnaden haben doch noch nicht in einem Keller voller Kröten und Eidechsen bis an den Hals im Wasser gestanden, wie die Brüder der Prinzessin Rosette. Sie sind doch in kein Thier verwandelt worden, wie der Prinz der glücklichen Insel, und noch nie in Gefahr gewesen, von Popanzen und Unholden gefressen zu werden, wie der Prinz Amatus. Mit einem Worte, gnädiger Herr, bedenken Sie, daß ich Ursache genug hätte, mich so arg zu beklagen als einer. Ich weiß nicht, warum es die Frau Rademante so gut mit mir meint; aber ich habe zehnmal mehr Prügel und Rippenstöße gekriegt als Euer Gnaden, nub die Prinzessin soll noch geboren werden, die mich deßwegen trösten wird. Wenn Sie etwas leiden, gnädiger Herr, so wissen Sie doch warum! Aber dem armen Pedrillo, der bei allen schlimmen Abenteuern das Meiste davon trägt, gibt Niemand ein gutes Wort darum. Sey es! Ich will mich nicht beschweren, ob mir gleich die verdammten Bengel den Rücken so weich geschlagen haben, als den Bauch; es ist nun einmal mein Schicksal: wenn Sie nur wieder zufrieden seyn wollen, so will ich mit Ener Gnaden aushalten, solange Gott will, und solang' ich noch eine Rippe habe, die ich mir in Euer Gnaden Dienst entzwei schlagen lassen kann.Diese Vorstellungen, denen das gute Herz des Pedrillo keinen geringen Nachdruck gab, und die Gewißheit, daß die Prinzessin noch lebe und in Freiheit sey, wirkten nach und nach so viel auf unsern Helden, daß er sich wieder faßte und dem Pedrillo für die Ergebenheit, die er gegen ihn zeigte, sehr verbindliche Dinge sagte; mit der Versicherung, daß er, wenn er noch glücklich genug seyn sollte, das Ziel seiner Wünsche zu erreichen, seine erste Sorge seyn lassen wolle, ihn für seine Treue unb für alles Ungemach, das er ihm zu Liebe ausgestanden, so reichlich zu belohnen, daß ihm nichts zu wünschen übrig bleiben sollte. Diese tröstlichen Versprechungen, wiewohl die dermaligen Umstände zu ihrer Erfüllung wenig Hoffnung machten, erfreuten den dankbaren Pedrillo so sehr, daß er der empfangenen Schläge auf einmal vergessen hätte, wenn sein Rücken nicht unhöflich genug gewesen wäre, ihn alle Augenblicke daran zu erinnern.Indessen raffte er doch alle seine Kräfte zusammen, um seinen niedergeschlagenen Herrn wieder aufzumuntern; und nachdem er den schattigsten Platz am Flusse ausgesucht hatte, so wurde beschlossen, sich so lange da aufzuhalten, bis sie sich völlig erholt haben würden.Don Sylvio fühlte den Schmerz, das Bildniß seiner Geliebten verloren zu haben, allzu stark, als daß er andere Schmerzen hätte fühlen können; er fing alle Augenblicke an, neue Klagen anzustimmen, und es währte ziemlich lange, bis ihn das Beispiel des Pedrillo und sein eigener Hunger vermögen konnten, den Vorrath aufzehren zu helfen, der sich noch im Zerchsacke fand. Es war unter andern noch eine Flasche Malaga vorhanden, die ihnen in so betrübten Umständen sehr zu Statten kam und in kurzer Zeit den ehrlichen Pedrillo so guten Humors machte, daß er nicht leiden konnte, seinen Herrn mit einer so trostlosen Miene dasitzen zu sehen.Herr Don Sylvio, sagte er, im Unglück muß man haben Muth. Sapperment! es ist keine Kunst, zufrieden zu seyn, wenn Ihnen Alles nach Wunsch und Willen geht. Herzhaft, gnädiger Herr! Ein feiges Herz freit keine schöne Frau. Das Glück ist kugelrund; heute mir, morgen dir; heute Regen, Hagel und Prügelsuppen, morgen Sonnenschein, Freude und Wohlleben. Es ist die Welt, pflegte meine Großmutter zu sagen, jeder Tag hat seine eigene Plage; aber es wird Alles besser, wenn man nur die Zeit erwarten kann; Zeit bringt Rosen, und man redet so lange von der Kirmesse, bis sie kommt. Es ist mir, ich sehe es schon, wie froh wir seyn werden, wenn wir einmal unsere Prinzessin wieder gefunden haben; aber nicht mehr als einen elenden Schmetterling, versteht sich, sondern in Lebensgröße, wie sie aus Mutterleibe gekommen ist; ich will sagen, als eine wirkliche Prinzessin, mit einer reichen goldnen Krone auf dem Kopf und in einem langen Talar, über und über mit Perlen und Karfunkeln besetzt, daß sie wie die helle Sonne glänzen wird. Hey sa! da wird's zugehen! da wird der Himmel voller Geigen hängen; da werden wir alle Tage Feiertag haben und essen und trinken und tanzen und springen und lachen und fröhlich seyn, daß die Carabossen und Fanferluchen vor Neid die Darmgicht kriegen möchten, wenn sie uns so fröhlich sehen. Nur gutes Muths, sag' ich! Sapperment, wenn wir die Prinzessin selbst haben, was bekümmern wir uns um ihr Bild! So dächte ich wenigstens, wenn es meine Sache wäre. Zudem so wollt' ich gleich schwören, daß der grüne Zwerg unser Kleinod so wenig gesehen hat, als die achtzigjährige Jungfer, der er die Zähne ausstochern soll. Ich hatte meine Augen weit genug offen, und ich sehe Gott Lob! noch wohl, daß eine Mistgabel kein Ohrlöffelchen ist. Die Nymphe war ein Grasmensch, gnädiger Herr, ein Kühmensch: das weiß ich so gewiß, als ob es meine leibliche Mutter wäre. Und wenn Sie's nicht glauben wollen, so ist bald ein Mittel dahinter die Sache zu kommen. Das Dorf kann nicht hundert Meilen von hier seyn, wo sie zu Hause ist. Wir wollen diesen Abend noch hingehen und von Thür zu Thür suchen, bis wir sie gefunden haben; sie muß das Kleinod wieder herausgeben, oder es müßte keine Justiz mehr im Lande seyn.Aber wenn es so wäre, sagte Don Sylvio, woher käme die wunderbare Uebereinstimmung ?wischen dieser Begebenheit und meinem gestrigen Traume?Gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, ich erinnere mich Ihres Traumes noch so wohl, als ob ich ihn selbst geträumt hätte; aber ich kann die Uebereinstimmung nicht finden, die Sie darin sehen. Wo ist denn hier die Sylphide, die Ihnen erschien? und wo ist der Rosenwagen mit zwölf rubinenen Paradiesvögeln, der Euer Gnaden in die bezauberte Insel führte? ? Das ist doch ein Hauptumstand, der hier gänzlich mangelt. Und dann sagen Sie, die Nymphe habe den blauen Schmetterling an einem goldnen Faden flattern lassen; dieß trifft wieder nicht ein. Denn der Faden, den die Grasnymphe dazu brauchte, war ein grober hanfener Faden, womit sie, denk' ich, die Löcher in ihrem Hemde hatte stopfen wollen; und sie hätte, meiner Six, wohl daran gethan, denn die bloße Haut guckte ihr allenthalben hervor. Ich will nicht ehrlich seyn, wenn sie nicht so schwarz wie Erde war; und ich habe doch mein Tage gehört, daß eine Nymphe lauter Lilien und Rosen ist. Doch sie mag gewesen seyn, was sie will, so viel weiß ich gewiß, daß wir die Schläge, die uns die groben Lümmel gaben, gewiß nicht im Traume gekriegt haben. — Basta! es ist nun vorbei, und zu geschehenen Dingen muß man das Beste reden. Auf die Gesundheit der Prinzzessin, wo sie auch seyn mag! Ich hoffe, sie wird es uns zu seiner Zeit genießen lassen, daß wir so viel um ihrentwillen ausgestanden haben.
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Drittes Capitel:

Innerliche Anfechtungen des Don Sylvio.

Don Sylvio, dem das Gewäsche des Pedrillo beschwerlich war, bediente sich des Vorwandes, daß er während der Nachmittagshitze ein paar Stunden ruhen möchte, um ihn zum Schweigen zu bringen Er stellte sich, als ob er schliefe, und Pedrillo folgte seinem Beispiele bald darauf in vollem Ernst. Aber Don Sylvio war zu unruhig, als daß er hätte schlafen können. Tausend quälende Gedanken, die wider seinen Willen in ihm aufstiegen, brachten ihn endlich so weit, daß er zum ersten Mal einiges Mißtrauen in die Wahrheit seiner Einbildungen zu sehen anfing.Wie? dachte er, wenn die Erscheinung, die ich von der Fee Radiante zu haben glaubte, ein bloßes Spiel einer erhitzten Phantasie gewesen wäre? — Je mehr er dieser Vermuthung nachsann, je wahrscheinlicher fand er sie, und die unglückliche Begebenheit mit den Grasnymphen (die er nun ziemlich geneigt war, für das zu halten, was sie wirklich waren) trieb diese Wahrscheinlichkeit in etlichen Minuten beinahe zur Gewißheit hinauf: denn es schien ihm unbegreiflich, daß ihn die Fee Radiante den Fäusten und Knitteln dieses groben Bauergesindels preisgegeben haben würde, wenn sie ihm wirklich ihren Schutz versprochen hätte.Diese Zweifel ängstigten ihn unaussprechlich. Er raffte alle seine Kräfte zusammen, sich ihrer zu erwehren; aber sie kamen immer mit verdoppelter Stärke wieder, und der Aufruhr, den sie in seinem Gehirn erregten, ward zuletzt so wild, daß der Ueberrest von Vernunft, den ihm die Feerei noch gelassen hatte, in die größte Gefahr kam, vollends darüber verloren zu gehen.In diesen betrübten Umständen war das Bild seiner geliebten Schäferin das Einzge, was in seiner von Zweifeln überschwemmten Seele noch emporragte und im allgemeinen Umsturz seiner Ideen unerschüttert blieb. Wenn auch alles Andere Einbildung ist, rief er, so weiß ich doch gewiß, o du namenlose Unbekannte! daß es keine Einbildung ist, daß ich dich liebe. Es mag nun eine Fee seyn, die dein Bild in meinen Weg gelegt hat, oder ein glückliches Ungefähr mag es dahin geworfen haben; du magst eine Prinzessin oder eine Schäferin seyn, du magst, für mich benimmt seyn oder einst von einem Glücklichern als ich geliebt werden, du, die jetzt die schönste unter den Nymphen des Himmels ist! wenn mein Verhängniß es so will, daß ich, deiner beraubt, in hoffnungsloser Liebe verschmachten soll, so ist doch keine Gewalt, die dein Bild aus meiner Seele reißen kann. Ich will dich suchen durch alle Länder und Meere des Erdkreises, von einem Pole zum andern, vom ewigen Schnee der cimmerischen Gebirge bis in die glühenden Zonen, wo kein schatten der Baum, keine kühle Quelle die brennende Hitze mildert: und wenn ich dich nicht finde, und die Erde dich, ihre schönste Zierde, schon verloren hat, was kann mich hindern, daß mein verlangender Geist, von der Gewalt seiner unsterblichen Liebe emporgezogen, nicht von Sphäre zu Sphäre irre, dich da zu suchen, wo deine Schönheit alle namenlose Schönheiten des Aethers verdunkelt, oder herab in die unterirdischen Gegenden steige und unter den Schatten dich suche. die, von deinen Augen angestrahlt, den Verlust des Tages nicht mehr beklagen, und ein süßes Vergessen aller andern Wünsche aus deinen Blicken saugen!Diese dithyrambischen Einfälle, so närrisch sie unsern weisen Lesern vorkommen mögen, hatten einen sehr heilsamen Einfluß auf unsern Helden: denn er schlummerte unvermerkt darüber ein, und dieß war in seinen dermaligen Umständen das Beste, was ihm begegnen konnte. Oder was kann der Unglückliche Besseres thun, als schlafen!Don Sylvio fand in seinem Schlummer einen gedoppelten Vortheil, das Vergessen seines Kummers und die Glückseligkeit eines angenehmen Traums, der, wenigstens solang er dauerte, alle wohlthätige Wirkungen der Wahrheit hatte. Es däuchte ihn, er sehe seine geliebte Prinzessin, aber nicht in Gestalt einer Schäferin oder eines Sommervogels, sondern in ihrer eigenen, wie eine Göttin geschmückt; sie lag auf einer rosenfarbnen Wolke, die nahe bei ibm über dem Boden schwebte, und sie besprach sich eine geraume Zeit mit ihm; sie munterte ihn auf, den Muth nicht sinken zu lassen und den Hindernissen großmüthig zu widerstehen, die ihre Feinde ihrem Glück in den Weg legten; sie versicherte ihn, daß die Zeit nicht lange mehr verziehen werde, da sie die Gestalt, worin sie ihm jetzt sich zeige, durch ihn selbst wieder erhalten würde; und sie setzte auf eine eben so zärtliche als verbindliche Art hinzu, sie wünschte noch tausendmal liebenswürdiger zu seyn, um ihn für alles Ungemach belohnen zu können, womit er ihren Besitz erkaufen müsse. Don Sylvio wollte ihr eben die zärtlichste Antwort hierauf geben, die eine so schmeichelnde Erklärung verdiente, als sie wieder verschwand.Dieser Umstand war freilich der einzige unangenehme in seinem ganzen Traum; aber das Vergnügen, sie gesehen zu haben, und der liebliche Ton ihrer Tröstungen, der noch um sein entzücktes Ohr säuselte, machte ihn für alles Schmerzhafte unempfindlich. Er vergaß aller überstandenen Trübsale, verachtete alle künftige und war jetzt nur begierig eine Reise fortzusetzen, wovon jeder Schritt ihn dem Ziele seiner Sehnsucht näher brachte. Er weckte also den Pedrillo, und nachdem er ihm voller Freuden seinen Traum erzählt hatte, befahl er ihm, sich unverzüglich reisefertig zu machen.Bei Sanct Velten, rief Pedrillo, das ist doch artig, wie unsre Träume in einander passen! Euer Gnaden haben eine Erscheinung von der Prinzessin gehabt, und ich vom Sylphenmädchen. Es kam mir vor, ich fände sie an dem nämlichen Orte, wo Sie gestern schliefen, unter den Rosen liegen; aber ihre Frau, die Fee, war nicht dabei, und jetzt reuet es mich, daß ich sie nicht nach ihrem Namen fragte; aber wir hatten so viel andere Dinge zu schwatzen, daß ich es vergaß. Sapperment! die Zeit verging, daß ich nicht wußte, wo sie hinkam; wir waren wohl drei bis vier Stunden beisammen, denn die Sonne ging unter, ohne daß wir's gewahr wurden, und doch däuchte mich's nur ein Augenblick; es war mir nicht anders, als ob ich selbst eine Sylphe wäre; wenn es mir das Leben gälte, so könnt ich Ihnen nicht beschreiben, wie mir war; aber dieß ist gewiß, daß mir in meinem Leben nie so zu Muthe gewesen ist. Sagt' ich nicht, das Gute würde uns auch einmal wieder anlachen? Diese Träume kamen gewiß nicht so von ungefähr; wer weiß, was geschehen kann! Die Frau Rademante will vielleicht auf einmal wieder einbringen, was sie bisher versäumt hat. Wir wollen sehen, sagte der Blinde. Das Blatt kann sich schnell wenden. So viel versichere ich Sie, gnädiger Herr, wenn ich einmal den grünen Zwerg unter mich kriege, wie ich hoffe und glaube, so soll er die Rippenstöße mit Wucher wieder bekommen, womit er uns heute bedient hat: darauf kann er sich verlassen!
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Viertes Capitel:

Die Weissagungen des Pedrillo fangen an in Erfüllung zu gehen.

Während daß Pedrillo seinem sprudelnden Humor auf diese Weise Luft machte, setzten sie ihren Weg durch einen Wald von Kastanienbäumen fort, welcher, je weiter sie kamen, immer mehr das Ansehen eines Parks bekam. Hier und da sahen sie große Sommerlauben, Springbrunnen, Urnen, Grotten und Ruinen, die aus Gebüschen von Rosen, Jasmin oder Geißblatt hervorragten, und nachdem sie eine kleine halbe Stunde fortgegangen waren, befanden sie sich in einer Art von Irrgarten von Rosen- und Myrtenhecken, dessen Gänge so künstlich durch einander geschlungen waren, daß sie einige Mühe hatten, sich heraus zu finden.Diese Anscheinungen ließen unsere Wanderer nicht zweifeln, dah sie sich in der Nähe eines Feenschlosses und am Anfang eines sehr merkwürdigen Abenteuers befänden.Pedrillo rief ein Mal übers andere: Sagt' ichs nicht, sagt' ichs nicht vorher, die Fee Rademante würde sich besser halten? Da sehen Sie nun einmal, gnädiger Herr, ob es wohlgethan gewesen wäre, wenn wir uns dem verfluchten Zaubergeschmeiß zu Gefallen ins Wasser gestürzt hätten, wie Sie ganz gewiß gethan hätten, wenn ich nicht gewesen wäre! Das Beste, was wir davon gehabt hätten, wär' etwan gewesen, daß uns irgend eine Sirene in Wasserschlangen oder Meerkatzen verwandelt hätte; anstatt daß wir jetzt Hoffnung haben, in einem diamantenen oder gar krystallenen Schlosse zu übernachten, auf seidenen Matratzen zu liegen und von lauter schönen Sylphiden bedient zu werden, von denen die schlechteste so viel Perlen und Edelsteine an sich hängen hat, daß man ein paar Königreiche dafür kaufen könnte.Indem er so plauderte, befanden sie sich in einem großen Spaziergange von Pomeranzenbäumen, an dessen Ende sie einen prächtigen Pavillon erblickten. Eine halb offene Flügelthür ließ sie in einen großen Saal sehen, aus welchem, weil die sinkende Sonne ihm gegenüber stand, ein Schimmer von Spiegeln, Vergoldungen und reichem Geräthe von ferne schon die Augen des Pedrillo blendete.So erfreut er uber diesen Anblick war, so fing ihn doch an ein wenig zu schauern, wenn er dachte, daß er sich an einem Orte befände, wo Alles durch Zauberei zuginge, und das Herz schlug ihm immer stärker, je näher sie dem Pavillon kamen. Don Sylvio selbst, der sonst nicht der Furchtsamste war, schien eine Weile unentschlossen, was er thun sollte: denn er hatte schon so viele Proben von der Arglist und unermüdeten Bosheit seiner Feinde, daß er nicht wußte, ob nicht etwan eine neue List unter diesen schönen Anscheinungen verborgen liege. Allein die tröstlichen Versprechungen, die ihm seine geliebte Prinzessin so kürzlich erst gegeben hatte, verbannten alle diese Besorgnisse bald wieder: und ob er gleich (außer einigen Papagaien, die auf dem vergoldeten Geländer, das den Saal umgab, herum hüpften) kein lebendiges Wesen gewahr wurde; so beschloß er doch nach einer kleinen Ueberlegung, hinein zu gehen und zu erwarten, was aus diesem Abenteuer werden möchte.Aber wie groß war sein Erstaunen, als er beim Eintritt in den Saal, dessen Schönheit und kostbare Auszierung einer Fee würdig schien, eine Menge Katzen von allen Farben erblickte, die sich nicht anders geberdeten, als ob sie die einzigen Bewohner dieses prächtigen Ortes wären! Einige lagen auf Polstern von goldnem Stoffe; andre spazierten ganz gelassen zwischen den Blumengefässen und sinesischen Pagoden, womit der Kamin ausgeziert war, herum; indem noch andre sich um ein wunderartiges schneeweißes Kätzchen geschäftig zeigten, welches, mit Perlenschnüren umwunden, in einer anmuthig nachlässigen Stellung auf einem Sopha von rosenfarbnem Damast mit Silber ausgestreckt lag.Bei einem solchen Anblick hätte sich wohl ein weiserer Mann als Don Sylvio des Palasts der weißen Katze erinnern können. Aber als die Katzen, die auf den Polstern lagen, sobald er den Fuß in den Saal setzte, ihn mit einer Symphonie nach ihrer Art bewillkommten: so war nun (nach seiner Weise zu schließen) nichts gewisser, als daß er sich in dem nämlichen Palaste befände, worin ein gewisser Prinz, dem die Geschichte keinen Namen gibt, in Gesellschaft einer sehr geistreichen, zärtlichen und tugendhaften weißen Katze; die in der Folge eine eben so schöne Prinzessin war, drei Jahre zubrachte, die ihm nur einzelne Tage däuchten.Seine Freude über einen so glücklichen Zufall war ungemein. Denn, außer der verbindlichen Aufnahme, die er sich in diesem Schlosse versprechen konnte, war ihm das gute Herz und die Großmuth der weißen Katze so wohl bekannt, daß er sich versichert hielt, sie werde ihm zu glücklicher Vollendung seines Vorhabens allen Beistand leisten, den er sich nur wünschen könne.In diesen Gedanken näherte er sich dem Sopha, wo das schöne weiße Kätzchen saß, und war im Begriff, sie mit aller der Ehrfurcht, die einer Katze von so hoher Geburt und außerordentlichen Eigenschaften gebührt, anzureden: als sich plötzlich eine Thür öffnete, aus welcher, zu großem Erstaunen des Pedrillo, die kleine Sylphide herein guckte, mit welcher er gestern im Walde Bekanntschaft gemacht hatte.Wenn eine so unvermuthete Erscheinung den Pedrillo in Bestürzung setzte, so that sie auf die Sylphide keine geringere Wirkung. Kaum wurde sie unsrer Abenteurer gewahr, als sie den Kopf mit einem Schrei zurückzog, die Thür wieder zuschlug und so eilfertig davon lief, als ob sie ein Gespenst gesehen hätte.Don Sylvio wußte nicht, was er aus dieser seltsamen Art zu erscheinen und wieder zu verschwinden machen sollte. Aber Pedrillo half ihm augenblicklich aus dem Wunder. Da haben wir's! rief er; Glück zu, gnädiger Herr, unser Traum ist erfüllt! machen Sie sich keinen Kummer, sie wird bald wieder kommen; sie lief nur, um der Fee zu sagen, daß wir da sind.Von wem redest du? fragte Don Sylvio leise, indem er ihn auf die Seite nahm.Ei, von wem sonst; als von der Sylphide, die eben zu dieser Thür herein guckte, und die, wie ich Euer Gnaden schwören kann, eben dieselbe Sylphide ist, die ich gestern unter der Rosenlaube neben Ihnen antraf, und die mir heut im Traum erschienen ist.Pedrillo, sagte Don Sylvio, es müßte mich Alles betrügen, oder wir befinden uns im Schlosse der weißen Katze, welche eine große Prinzessin und zugleich eine Fee ist; wenn die Sylphide, die du kennst, zu diesem Palast gehört; so war die Fee, die du gestern sahest, vermuthlich die weiße Katze selbst.Ich weiß nicht, was Sie mit Ihrer weißen Katze wollen, antwortete Pedrillo: Sie werden doch, zum Deixel! nicht denken, daß das Pußchen, das dort auf dem Sopha sitzt und Gesichter schneidet, die Fee ist —Rede nicht so laut, unterbrach ihn Don Sylvio, und laß dir ein für alle Mal sagen, daß man an solchen Orten, wie der, wo wir uns befinden, nicht vorsichtig und bescheiden genug seyn kann.Don Sylvio hatte die letzten Worte noch nicht ausgesprochen, als Pedrillo einen großen Schrei that und mit beiden Händen wie ein Unsinniger um sich schlug: denn einer von den Papagaien, die den Katzen in diesem Zimmer Gesellschaft leisteten, hatte, entweder weil ihm Pedrillo's Physiognomie nicht anständig war oder aus einer andern Ursache; die er (so viel wir wissen) niemals entdeckt hat, für gut befunden, ihm, indem er hinter ihm vorbeiflog, einen kleinen Backenstreich mit seinen Krallen zu versetzen, welchen Pedrillo (weil er den Urheber davon nicht sah) mit großen Betheurungen von irgend einem Kobold oder unsichtbaren Zwerg empfangen zu haben versicherte.Nimm es, sagte Don Sylvio, als den Lohn für dein unbescheidenes Geplauder an! Es wird weiter nichts als eine kleine Züchtigung gewesen seyn, die dir eine von den unsichtbaren Händen gegeben hat, von denen man in diesem Palast bedient zu werden pflegt.Potz Herrich, sagte Pedrillo, das ist eine vertraute Art die Leute zu bedienen! Wenn es eine Hand war, so muß sie sich die Nägel in sieben Jahren nicht beschnitten haben; ich versichre Euer Gnaden, daß ein Griff von einem jungen Waldteufel nicht tiefer einschneiden könnte. Sapperment! wenn man für ein jedes Wort, womit man sich hier verfehlt, einen solchen Circumflex bekommt, so muß ich mir das Maul zunähen lassen, oder die boshaften Kobolde werden mir bis morgen das ganze große und kleine Alphabet in mein Gesicht hinein gekratzt haben.In der That, sagte Don Sylvio, du würdest am besten thun, wenn du einen vollkommenen Stummen vorstelltest: denn, so wie du dich ausführst, steh' ich dir nicht dafür, daß dir nicht noch unangenehmere Dinge begegnen könnten; nichts davon zu sagen, daß du mir mit deiner ungezogenen Waschhaftigkeit und mit deinen pöbelhaften Schwüren und Ausdrücken sehr wenig Ehre machen wirst.Nun gut, gnädiger Herr, versetzte Pedrillo, ein guter Rath findet eine gute Statt. Ich will, weil Sie's für gut ansehen, so stumm seyn als ein Karpfen; ich will Ihnen einen Stummen agiren, daß Sie Jhre Lust daran sehen sollen. Aber, hum! ich höre Jemand kommen — Ha! sagt' ich's nicht? Es ist die Fee selbst. — St!
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Fünftes Capitel:

Erscheinung der Fee. Wie gefährlich es ist, ein Frauenzimmer anzutreffen, welches unsrer Geliebten gar zu ähnlich sieht.

Es ist, geneigter Leser, bereits zwei und vierzig Minuten, achtzehn Secunden, richtig an einer zu Genf fabricirten Londoner Uhr abgezählt, daß wir einem halben Duzend schönen neuen Gleichnissen nachsinnen, wodurch ein Dichter benöthigten Falls den höchsten Grad des Erstaunens und der Bestürzung abzuschildern versuchen könnte, — ohne daß wir so glücklich gewesen sind, nur ein einziges zu finden, welches nicht durch die vielen Hände, wodurch es seit den Zeiten des alten Homer bis auf diesen Tag gegangen, so abgenutzt worden wäre, daß es zu nichts mehr zu gebrauchen ist.Wir wissen uns also für dießmal nicht anders zu helfen, als durch eine gewisse rhetorische Figur, die wir einem der geschicktesten Zueignungsschriftenmacher unsrer Zeit abgesehen haben, und sagen also: Weder der Schrecken eines unvorsichtigen Knaben, der seine Hand in eine Höhle gesteckt hat und unversehens eine Schlange ergreift; noch das Entsetzen jenes Bräutigams, der des Morgens nach seiner Hochzeitnacht anstatt der schönen Schwester, die er liebte, die häßliche an seiner Seite fand; noch die Bestürzung eines Richters bei Erblickung eines silbernen Waschbeckens voll Kremnitzer Ducaten, womit ihm ein Client, der zu leben weiß, die Gerechtigkeit seiner Sache begreiflich gemacht hat — sind hinlänglich, uns nur den zehnten Theil der Bestürzung vorzubilden, in welche Don Sylvio gerieth, da er in der Fee dieses Zauberschlosses das Urbild seiner geliebten Schäferin erblickte. — Doch wir sagen zu viel: denn, da er sich seit seinem letzten Traum von neuem überredet hatte, daß sie noch ein Sommervogel sey; so war er bloß darüber bestürzt, wie es zugehe, daß eine so erstaunliche Aehnlichkeit zwischen ihr und dieser Fee seyn könne.Donna Felicia (denn wir können und wollen es nicht länger verbergen, daß wir zu Lirias sind) hatte Sorge getragen, sich unserm Helden in einem Anzuge zu zeigen, der, indem er ihre Annehmlichkeiten auf die vortheilhafte Art entwickelte, ihr zugleich ein so sonderbares Ansehen gab, daß ihr nur ein Stäbchen von Ebenholz fehlte, um eine vollkommene Lumineuse vorzustellen.Sie hatte sich eben an ihrem Nachttische befunden, um sich auf die Ankunft ihres Bruders auszuputzen, der sie auf eine unerwartete Gesellschaft vorbereitet hatte; als ihr Laura die überraschende Zeitung brachte, daß Don Sylvio, sie wisse nicht wie, im Saale sichtbar geworden sey; und der glückliche Instinct, der bei den Beherrscherinnen unsrer Herzen die Stelle der langsamen Vernunft einnimmt, hatte ihr in einem Augenblick begreiflich gemacht, daß sie nicht feenmäßig genug aussehen könne, um den Eindruck zu befördern, den sie auf ihn zu machen wünschte.Sie bewillkommte ihn mit dem edeln und anmuthsvollen Anstande, der ihr eigen war, ob sie sich gleich Gewalt anthun mußte, die Unruhe zu verbergen, die in ihrem schönen Busen kochte. Sie bezeigte sich dem Zufalle sehr verbunden, der einen jungen Ritter, dessen Ansehen keine gemeine Verdienste ankündigte, in ihr Schloß geführt hätte, und versicherte ihn, daß ihr Bruder, dessen Ankunft sie alle Augenblicke erwarte, sehr erfreut seyn würde, eine so angenehme Bekanntschaft zu machen.Hätte Don Sylvio nichts als die Bestürzung über eine unverhoffte Aehnlichkeit zu bekämpfen gehabt, so möchte es wohl nicht schwer gewesen seyn, sich in der gehörigen Fassung zu erhalten. Allein die Natur, die ihre Rechte nie verliert und am Ende doch allemal den Sieg über die Einbildungskraft davon trägt, spielte ihm in diesem kritischen Augenblick einen andern Streich, gegen den es so viel als unmöglich war sich zu vertheidigen.Der gute Sylvio hatte die Eindrücke, die das Bildniß seiner vermeinten Prinzessin auf ihn gemacht, und die Wünsche, die es in seinem Herzen erregt hatte, für Liebe gehalten: er hatte sich geirrt; es war nur eine schwache Vorempfindung, nur ein armes Schattenbild der Liebe, die ihm das Urbild selbst einflößen würde.Ihr erster Blick, der dem seinigen begegnete, schien ihre Seelen auszutauschen. Die ganze Gewalt dieser unbeschreiblichen Entzückung, womit eine sympathetische Liebe, zumal wenn es die erste ist, bei Erblickung ihres Gegenstandes eine empfindliche und zu dieser glücklichen Art von Schwärmerei aufgelegte Seele berauschen kann, durchdrang, erfüllte, überwältigte sein ganzes Wesen. Alle seine vorigen Ideen schienen ausgelöscht; neue Sinne schienen plötzlich in seinem Innersten sich zu entwickeln, um alle diese unzähligen Reizungen aufzufassen, die ihm entgegen strahlten; kurz, er war so sehr außer sich selbst, daß er die verbindliche Anrede der vermeinten Fee mit nichts Anderm als stammelnden und abgebrochenen Sylben zu beantworten vermochte.Donna Felicia würde vermuthlich mit dem zärtlichsten und wohlgesetztesten Complimente nicht halb so gut zufrieden gewesen seyn, als sie es mit der weit beredtern Verwirrung war, worin sie ihn sah. Dasjenige, was in ihrem eigenen Herzen vorging, erklärte und ergänzte ihr, was in der Anrede unsers Helden mangelhaft und unverständlich schien; aber, weil sie mehr Gewalt über sich selbst hatte, oder (um uns richtiger auszudrücken) weil sie ein Frauenzimmer war, so wußte sie nicht nur ihre eigene Unruhe zu verbergen, sondern sie hatte auch die Gefälligkeit, ihm zu einiger Fassung behüflich zu seyn, indem sie sich sogleich in den Sopha warf und, nachdem sie ihn ersucht hatte, einen Lehnstuhl neben ihr einzunehmen, von dem weißen Kätzchen, das von seinem gewohnten Platz auf ihrem Schoße Besitz genommen hatte, Anlaß nahm, uber die Gedanken zu scherzen, welche beim Eintritt in diesen Saal in ihm hätten veranlaßt werden müssen. Gestehen Sie mir, Don Sylvio, sagte sie, daß Sie bei Erblickung einer so ansehnlichen Gesellschaft von Katzen, die den Hof meines kleinen Lieblings auszumachen schien, sich kaum erwehren konnten zu glauben, daß sie in dem Palast der weißen Katze seyen!Man kann auf keine glücklichere Art betrogen werden, schönste Fee, erwiederte Don Sylvio. Möchten Sie mit eben der Scharfsichtigkeit, womit Sie meinen ersten Gedanken, der, ehe ich Sie selbst zu sehen das Glück hatte, natürlich genug war, zu entdecken wußten, in das Innerste meiner Seele schauen und darin zu lesen würdigen, was ich weder Kühnheit noch Vermögen habe auszusprechen.Donna Felicia fand für gut, anstatt auf diese ehrfurchtsvolle Liebeserklärung zu antworten, ihn mit der Lebensgeschichte und den bewundernswürdigen Tugenden der kleinen weißen Katze zu unterhalten. So geringfügig dieser Gegenstand an sich selbst war, so wichtig ward er (zumal für einen so geneigten Zuhörer als Don Sylvio) auf den schönen Lippen der Donna Felicia und durch den Reiz, den sie über Alles, was sie sagte oder that, auszugießen wußte. Don Sylvio erfuhr es nur allzu sehr. Ieder ihrer Blicke, jedes Wort, das sie sprach, jede kleine Bewegung, die sie machte, verwehrte die Entzückung, worin er ganz verloren schien. Seine Einbildungskraft, unfähig, etwas Vollkommneres zu erstreben, als was sich seinen Augen darstellte, wurde nun auf einmal ihrer vorigen Macht beraubt und diente zu nichts, als den Sieg der Empfindung vollkommen zu machen. Alle diese schönen Phantome, womit sie angefüllt gewesen war, verschwanden wie die leichten Dünste eines Frühlingsmorgens vor der aufgehenden Sonne. Er erinnerte sich seines vorigen Zustandes nur wie eines Traumes, oder (richtiger zu reden) er vergaß ihn und Alles, was er kurz vorher gedacht, geliebt, gehofft und gefürchtet hatte, solang er Donna Felicia vor sich sah, so gänzlich, als ob er den ganzen Lethe ausgetrunken hätte.Dieser Zustand mochte für ihn selbst angenehm genug seyn, aber er machte ihn nicht sehr kurzweilig für seine Gesellschafterin, und nachdem Alles, was sich von ihren Katzen nur immer sagen ließ, völlig erschöpft war, so würde die Unterhaltung ziemlich matt geworden seyn, wenn die Papagaien, welche von Zeit zu Zeit in den Saal gehüpft kamen und überaus witzig und schwatzhaft waren, sich nicht zuweilen in das Gespräch gemischt hätten.
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Sechstes Capitel:

Unverhoffte Zusammenkunft.

Donna Felicia bezeigte eben einige Unruhe über das Außenbleiben ihres Bruders, der ihr, wie sie sagte, Hoffnung gegeben hätte, eine liebenswürdige Gesellschaft mitzubringen: als sich die innere Thür des Saals öffnete, und Don Eugenio von Lirias mit der schönen Jacinte und seinem Freunde Don Gabriel herein trat und unserm Helden in dem Unbekannten, dem er das Leben oder wenigstens seine Geliebte gerettet hatte, den Bruder seiner angebeteten Fee zeigte.Die Ueberraschung war auf beiden Seiten gleich angenehm, und mit einer gleich großen Verwunderung auf Seiten des Bruders und der Schwester begleitet. Allein, da es sich jetzt nicht schickte, diese leztere Regung merken zu lassen, so begnügte sich Don Eugenio, nachdem er seiner Schwester die schöne Jacinte vorgestellt und empfohlen hatte, seine Freude darüber zu bezeigen, daß er unsern Helden (dessen unerwartete heimliche Abreise aus dem Wirthshause ihn nicht wenig befremdet hatte) so unverhofft in seinem eigenen Hause wieder finde. Sie wissen vermuthlich nicht, sagte er zu Donna Felicia, wie viel wir dem Don Sylvio schuldig sind. In Kurzem sollen Sie den ganzen Zusammenhang einer Geschichte erfahren, die Ihnen kein Geheimniß mehr seyn darf. Alles, was ich Ihnen jetzt davon melden kann, ist, daß Sie in der Person dieses liebenswürdigen Unbekannten denjenigen sehen, der durch großmüthige Wagung seines eigenen Lebens Ihnen einen Bruder erhalten hat.Sie vergrößern, erwiederte unser Held, den Werth eines Beistandes, den Ihre und Ihres Freundes Tapferkeit überflüssig machte, und wozu ich durch Gesinnungen, die Ihr erster Anblick mir einflößte, hingerissen wurde. Hätte ich damals wissen können, was dieser glückliche Augenblick mich gelehrt hat, so würde ich, wenn auch jede meiner Adern ein eigenes Leben hätte, jedes derselben mit Vergnügen aufgeopfert haben, um ein so kostbares Leben zu erhalten.Don Eugenio würde vermuthlich über dieses hyperbolische Compliment ein wenig gestutzt haben, wenn die Aufmerksamkeit. womit er die Eindrucke beobachtete, welche Jacinte auf seine Schwester machte, ihm zugelassen hätte; auf irgend etwas Anderes aufmerksam zu seyn.Donna Felicia, welche ziemlich verlegen gewesen war, wie sie ihre Neigung zu unserm Helden und den Plan, den sie seit einer halben Stunde mit der Behendigkeit, die allen Wirkungen der Liebe eigen ist, bei sich selbst entworfen hatte, ihrem Bruder verbergen oder gefällig machen könnte, war vor Vergnügen außer sich, da sie hörte, was für Verdienste Don Sylvio sich bereits um ihn erworben hatte. Dieser glückliche Umstand rechtfertigte nicht nur die Lebhaftigkeit ihrer Achtung für den Erretter eines Bruders, den sie so zärtlich liebte; sondern, da er ihr in Verbindung mit den übrigen Umständen einiges Licht über die geheime Geschichte desselben (worin Jacinte vermuthlich keine Nebenrolle zu spielen hatte) zu geben schien, so hoffte sie nun, daß sie wenig Mühe haben würde, den Beifall ihres Bruders für ihre Liebe zu erhalten, da er vermuthlich den ihrigen für die seinige nöthig haben würde. Sie verdoppelte also die Ausdrücke des Wohlgefallens und der Zuneigung, welche ihr die Liebenswürdigkeit der jungen Dame ohnehin eingeflößt haben würde, da sie, aller Zurückhaltung des Don Eugenio ungeachtet, nur allzu deutlich sah, wie heftig er sie liebte; und Don Eugenio, der alle diese Liebkosungen ganz allein auf die Rechnung der Vorzüge seiner Geliebten schrieb, war darüber so erfreut, daß er den Augenblick kaum erwarten konnte, sich seines Geheimnisses in ihren schwesterlichen Busen zu entladen.Niemals hat vielleicht in einer Gesellschaft von Personen, welche einander theils gänzlich, theils beinahe unbekannt waren, so viel Sympathie und eine solche Mannigfaltigkeit von verborgenen zärtlichen Regungen geherrschet, als in dieser. Natürlicher Weise konnten so liebenswürdige Personen, als sich hier zusammen gefunden hatten, einander nicht gleichgültig seyn; aber die geheimen, obgleich noch unentwickelten Verhältnisse, worin sie gegen einander standen, machten sie einander noch unendliche Mal interessanter; und Liebe und Natur, welche hier ingeheim ihr Spiel hatten, brachten eine Harmonie und eine Vertraulichkeit, wozu sonst eine q , Reihe von Wochen erfordert wird, in eben so vielen Minuten hervor.Don Gabriel war der Einzige, der ohne Rücksicht auf sich selbst an dem allgemeinen Vergnügen Antheil nahm. Die Ruhe seines Herzens erlaubte ihm, die Uebrigen mit der Scharfsichtigkeit eines Weisen und mit der Güte eines Menschenfreundes zu beobachten; und, obgleich ein Theil von dem, was er zu bemerken glaubte, ein Räthsel für ihn war, so sah er doch, daß in Kurzem sehr artige Geheimnisse sich entwickeln würden.Inzwischen erschienen ein paar prächtig gekleidete kleine Mohren, um die Gesellschaft mit Erfrischungen zu bedienen; und Don Gabriel, der einen natürlichen Beruf dazu zu haben glaubte, hatte die Gefälligkeit, durch die Munterkeit seines Witzes zu verhindern, daß die Unterhaltung nicht von Zeit zu Zeit in ein doppeltes wiewohl stillschweigendes Tête à Tête ausartete.Ungeachtet einer gewissen phantastischen Wendung, welche beinahe in Allem, was Don Sylvio sagte oder that, in die Augen fiel, wurde doch Don Eugenio je länger je mehr von ihm eingenommen; und bei den Verbindlichkeiten, die er gegen ihn hatte, konnte er ohnehin nicht weniger thun, als sich die Ehre seines Aufenthalts zu Lirias auf einige Zeit auszubitten, um (wie er sagte) einer Bekanntschaft, die sich auf eine so außerordentliche Art angefangen, Zeit zu lassen, zu einer Freundschaft zu reifen, deren er sich nicht unwürdig zu zeigen hoffte.Don Sylvio nahm eine so verbindliche Einladung mit größtem Vergnügen an, ohne einen Augenblick mehr Umstände zu machen, als die Prinzen in den Feenmärchen zu machen pflegen, wenn ihnen ein Nachtquartier in einem bezauberten Schlosse angeboten wird.Donna Felicia entfernte sich hierauf mit der schönen Jacinte, und Eugenio führte seinen Gast in ein prächtiges Gemach, welches er ihn als das seinige anzusehen bat, solang er Lirias mit seinem Aufenthalte beglücken würde. Er verließ ihn hierauf bis zum Abendessen und wartete mit Ungeduld bis Laura ihm die Nachricht brachte, daß seine Schwester sich in ihrem Cabinet allein befinde.
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Siebentes Capitel:

Gegenseitige Gefälligkeiten.

Es ist schon längst beobachtet worden, daß das Terenzische Tu si hic esses, aliter sentias, wenn der gehörige Gebrauch davon gemacht würde, ein fast allgemeines Mittel gegen alle die Widersprüche, Irrungen und Zwistigkeiten wäre, die aus der Verschiedenheit und dem Zusammenstoß der menschlichen Meinungen und Leidenschaften täglich zu entstehen pflegen.Für einen bloßen Zuschauer der menschlichen Thorheiten, wenn es anders einen solchen gibt, kann nichts lustiger seyn, als eine ganze wohl policirte Gesellschaft von moralischen Egoisten beisammen zu sehen, wovon immer einer dem andern seine Persönlichkeit streitig macht und nichts Geringeres fordert, als daß alle andre in allen Sachen und zu allen Zeiten gerade so empfinden, denken, urtheilen, glauben, lieben, hassen, thun und lassen sollen, wie er; oder, welches in der That eben so viel sagen will, daß sie keine für sich selbst bestehende Wesen, sondern bloße Zufälligkeiten und Bestimmungen von ihm selbst seyn sollen.Es ist wahr, unter allen diesen Egoisten ist keiner unverschämt genug, diese Forderung geradezu zu machen; aber; indem wir alle Meinungen, Urtheile oder Neigungen unserer Nebengeschöpfe für thöricht, irrig und ausschweifend erklären, sobald sie mit den unsrigen in einigem Widerspruche stehen; was thun wir im Grunde Anderes, als daß wir ihnen unter der Hand zu verstehen geben, daß sie Unrecht haben, ein Paar Augen, ein Gehirn und ein Herz für sich haben zu wollen?"Warum gefällt Ihnen das, mein Herr?"Ich kann Ihnen keine andere Ursache davon angeben, als, weil es mir gefällt."Aber ich kann doch unmöglich begreifen, was Sie denn daran sehen, das Ihnen so sehr gefällt! Ich für meinen Theil —"Gut, mein Herr, das beweist nichts, als daß mir etwas gefallen kann, das Ihnen nicht gefällt."Ich will eben nicht sagen, daß es mir schlechterdings mißfalle, aber ich kann doch auch nicht sagen, daß ich es so gar vortrefflich, so gar ungemein finden sollte, wie Sie."Gesetzt aber, es käme mir so vor?"So hätten Sie Unrecht."Und warum das, mein Herr?"Weil es nicht so ist."Und warum ist es nicht so?"Eine seltsame Frage, mit Ihrer Erlaubniß. Hab' ich denn nicht so gute Augen, wie Sie? Ist mein Geschmack nicht eben so richtig? Kann ich nicht eben so gut von dem Werth einer Sache urtheilen, wie Sie? Wenn es so vortrefflich wäre, wie Sie sich einbilden, so müßte ich's ja auch so finden?"Alles dieß kann ich mit so gutem Rechte sagen, wie Sie. Es mag nun hier das Auge, der Verstand oder die Einbildung entscheiden, warum soll ich Ihren Augen, Ihrem Verstand oder Ihrer Einbildung mehr zutrauen, als den meinigen? Das möcht' ich doch wissen!"Das kann ich Ihnen gleich sagen. Ich sehe die Sache, wie sie ist, und Sie sind durch den Affect verblendet."Gut, mein Herr, da kommen Sie mir gerade, wo ich Sie erwartete. Wenn der Affect zuweilen verblendet (und das thut er nur alsdann, wenn er raset, welches nie lange dauern kann), so ist hingegen eben so gewiß, daß er ordentlicher Weise das Gesicht schärft. Wie können Sie erwarten, daß der flüchtige, unachtsame und ungefähre Blick, den die Gleichgültigkeit auf einen Gegenstand wirft, so viel an ihm entdecken oder die Grade seines Werthes so richtig bemerken soll, als der Affect, der ihn mit der äußersten Aufmerksamkeit von allen Seiten und Gesichtspunkten betrachtet?"Aber die Einbildung, die sich unvermerkt in seine Beobachtung mischt —"Belieben Sie zu bedenken, mein Herr, daß nur ein verrückter Mensch seine Einbildungen für Empfindungen hält. Warum wollen Sie lieber auf einer Voraussetzung bestehen, wodurch Sie die Gesundheit meines Gehirns verdächtig machen, als bekennen, daß es eine Sache geben kann, die ich besser kenne, als Sie, oder die zum wenigsten mir aus guten Ursachen anders vorkommt, als Ihnen?Erhitzen Sie sich nicht, meine Herren! rief ein Dritter, der diesem Streite zwischen einem Ich und einem andern Ich oder zwischen Ich und Du zugehört hatte. Sie können noch einen halben Tag disputiren, ohne daß einer den andern bekehren würde. Und wissen Sie wohl warum? Die Ursache ist ganz natürlich: weil sie beide Recht haben. Sie urtheilen wie ein Liebhaber, und so haben Sie Recht; und Sie urtheilen wie ein Gleichgültiger, und so haben Sie auch Recht."Aber, mein Herr Schiedsrichter, die Frage ist: ob er Recht habe, ein Liebhaber von etwas zu seyn, das in der That — "Ihnen gleichgültig ist, wollen Sie sagen?"Nein, mein Herr — das den Grad der Liebe nicht verdient, den er — "Dieß ist eben die Frage, die sich nicht ausmachen läßt, mein Herr. Auf diesem Wege gerathen wir wieder in den vorigen Cirkel, und da können wir uns ewig herum drehen, ohne jemals an ein Ende zu kommen. Ihr Streit ist von einer Art, die nur durch einen gütlichen Vergleich ausgemacht werden kann. Gestehen Sie einander ein, daß Ich gar wohl berechtiget ist, nicht Du zu seyn; hernach setzen Sie sich jeder an des andern Platz; ich will verloren haben, was Sie wollen, wenn Sie nicht eben so dächten wie Er, wenn Sie Er oder in seinen Umständen wären; und so hätte der Streit ein Ende.Es ist (wie vermuthlich Aristoteles schon vor uns bemerkt haben wird) keine verdrießlichere Lage in der Welt, als diejenige, worin ein Liebhaber ist, der einer dritten Person (zumal wenn sie nur wenig empfindlich ist) von seiner Neigung Rechenschaft geben soll. Donna Felicia und ihr Bruder befanden sich beide in diesem kritischen Umstande, und bei einer andern Lage der Sachen würde vermuthlich ein jedes große Schwierigkeiten gehabt haben, den Beifall des andern zu erhalten. Ohne diesen glücklichen Zufall hätte Donna Felicia oder Don Eugenio sich, so viel sie gewollt hätten, auf Terenzens "wärst du ich — oder an meinem Platze" berufen mögen; sie würden vermuthlich nicht halb so viel damit gewonnen haben, als jetzt, da sich jedes wirklich an des andern Platze befand: so groß ist der Unterschied zwischen der Wirkung, die eine flüchtige Abstraction, oder die ein wahres Gefühl auf uns macht. Es ist wahr, wenn sie einander hätten chicaniren wollen oder von der unverschämten Art von Leuten gewesen wären, die allein das Recht haben wollen, Schellen an ihren Kappen zu tragen, so würden sie noch immer Stoff genug gefunden haben, einander Händel zu machen. Aber bei der guten Vernunft und gefälligen Gemüthsart, die sie mit einander gemein hatten, brauchte nur das Hinderniß aus dem Wege geräumt zu werden, das aus der Gleichgültigkeit des einen Theils natürlicher Weise hätte entstehen müssen. Wir wollen einmal setzen, Donna Felicia hätte die Nachsicht ihres Bruders nicht für sich selbst nöthig gehabt, wie viele Einwendungen hätte sie nicht gegen seine Liebe zu einem Mädchen ohne Namen, ohne Vermögen, welches vielleicht Ursache hatte über ihre Herkunft zu erröthen, und mit der sich seine Bekanntschaft auf dem Theater angefangen hatte, einwenden können? — Ich gestehe Ihnen Alles ein, würde Don Eugenio geantwortet haben; alle diese Einwürfe, Alles, was Sie und meine Freunde und die Welt nur immer dagegen sagen können, hat mir meine eigene Vernunft tausendmal vorgesagt; und so thöricht ich Ihnen scheinen mag, so bin ich es doch nicht so sehr, um nicht ganz deutlich einzusehen, daß Sie und meine Vernunft Recht haben. Aber was vermag das Alles gegen die Stimme meines Herzens? gegen einen unwiderstehlichen Zug, von dem ich nicht Meister bin, noch zu seyn wünschen kann? Die Hälfte aller dieser Umstände würde mehr als zulänglich seyn, eine gewöhnliche Leidenschaft zu dämpfen. Aber die Gewalt der Sympathie, liebste Schwester — man muß sie selbst erfahren haben, um zu wissen, wie unmöglich es von dem ersten Augenblick an, da man sie erfährt, ist, ihr zu widerstehen.Donna Felicia würde diesen Grund sehr geringhaltig gefunden haben, wenn sie diese Sympathie, womit Don Eugenio seine Thorheit oder Schwachheit — oder, wie es die weisen Leute, die über solche Ausschweifungen hinweg sind, nennen wollen — zu rechtfertigen vermeinte, nicht aus eigener Erfahrung gekannt hätte. Und in der That hatte es ihr kaum anders als ungereimt vorkommen können, daß eine betrügliche, ungewisse und unerklärbare Empfindung, ein ich weiß nicht was, das vielleicht nur ein Gespenst der Einbildungskraft ist, für hinlänglich gehalten werden sollte, die Stimme der Vernunft, der Klugheit und der Ehre zu überwiegen. Allein zum Vortheil ihrer beiderseitigen Leidenschaft befanden sie sich beide in dem nämlichen oder doch in einem sehr ähnlichen Falle. Was Donna Felicia für Don Sylvio empfand, erklärte ihr vollkommen, was Don Eugenio seine Sympathie für Jacinten nannte; und Don Eugenio konnte nicht so unbillig seyn, von seiner Schwester die Unterdrückung einer Neigung zu verlangen, die er selbst für unwiderstehlich erklärt hatte.Sie schenkten also einander die Einwürfe, die eines jeden eigene Vernunft, so gut als des andern seine, gegen den Entschluß ihres Herzens zu machen hatte, und richteten ihre vereinigte Aufmerksamkeit bloß darauf, wie die Hindernisse, die ihren Wünschen im Wege standen, am besten gehoben werden könnten. Die Gefälligkeit, welche Felicia in diesem Stücke für die Leidenschaft ihres Bruders zeigte, verdiente alle nur ersinnliche Erkenntlichkeit auf seiner Seite; und da in der That die überspannte Phantasie unsers Helden das Einzige war, was ihn ihrer Liebe unwürdig machen konnte, so schien Alles bloß darauf anzukommen, wie man es anzufangen hätte, um sein Gehirn wieder in seine natürlichen Falten zu legen.Die Nachrichten des Barbiers wurden hierbei zum Grunde gelegt, und Don Eugenio urtheilte, daß es nicht sehr viel Mühe kosten werde, einen jungen Menschen wieder zurecht zu bringen, dessen Thorheit bloß in einer Art von Schwärmerei bestand, die aus zufälligen Ursachen einen so seltsamen Schwung genommen hatte. Ich habe bemerkt, sagte er zu seiner Schwester, daß Sie ihm nichts weniger als gleichgültig sind. Es ist wahr, Sie haben eine Rivalin; aber, da sie nur ein Sommervogel ist und erst noch in eine eingebildete Prinzessin verwandelt werden soll, so wird sie Ihnen den Sieg nicht lange streitig machen. Lassen Sie uns anfangs so viele Nachsicht gegen seine Thorheit brauchen, als nöthig ist, um sein Vertrauen zu erwerben: die Natur und die Liebe werden das Meiste dabei thun; die Einbildung wird nach und nach der Empfindung Platz machen; und wenn diese einmal die Oberhand hat, so wird es leicht seyn, ihm Vorurtheile und irrige Begriffe zu benehmen, die keinen Fürsprecher mehr in seinem Herzen haben.Donna Felicia war sehr erfreut, ihre eigenen Hoffnungen von ihrem Bruder gerechtfertiget zu sehen, und unterließ nicht, ihm ihre Dankbarkeit dadurch zu bezeigen, daß sie so viel Gutes von seiner geliebten Jacinte sagte, als er nur immer wünschen konnte. Sie versicherte ihn sogar, daß sie in ihrer Person und Denkungsart allzu viel Edles habe, als daß das Geheimniß ihrer Geburt sich anders als zu ihrem Vortheil enthüllen könne; und Don Eugenio, dem dieser Gedanke nichts Neues war, hatte ihn jederzeit dem Vortheil seines Herzens zu günstig gefunden, um seinen Witz zu Einwürfen dagegen zu mißbrauchen.Nachdem sie sich also über die Maßregeln, die sie zu Beförderung ihrer Absichten mit Don Sylvio nehmen wollten, verglichen und für gut befunden hatten, der schönen Jacinte und dem Don Gabriel einen Theil des Geheimnisses anzuvertrauen, so schieden sie so vergnügt von einander, als sie es jemals gewesen waren, und begaben sich in den Saal, um ihren Gästen bis zum Abendessen Gesellschaft zu leisten.
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Achtes Capitel:

Streit zwischen der Liebe zum Bilde und der Liebe zum Original.

Die Pracht des Speisesaals, worin man sich versammelte, die Menge der Wachslichter, womit er erleuchtet war, die Kostbarkeit des Tischgeräthes, die Niedlichkeit der Mahlzeit, die Verschiedenheit der ausgesuchtesten Weine, Alles dieses würde unsern Helden, der in einem Feenschlosse zu seyn glaubte, auch in andern Umständen nicht in die geringste Verwunderung gesetzt haben, ob es gleich das erste Mal war, daß er eine solche Pracht außerhalb seiner Einbildung sah. Nun aber, da Donna Felicia sich seiner ganzen Aufmerksamkeit bemächtiget hatte, wäre er leicht zu bereden gewesen, in einer Strohhütte, worin er sie gesehen hätte, sich im Palast der Fee Lumineuse zu glauben.Die schöne Felicia konnte nicht die letzte Person seyn, welche bemerkte, was in seinem Herzen vorging; und weil sie sich ihres Sieges nicht genug versichern zu können glaubte, so nahm sie sich vor, alle ihre Reizungen zu vereinigen, um ihm eine schlaflose Nacht zu machen. Eine angenehme Symphonie, die sich während der Tafel hören ließ, ohne daß man sah woher (und wovon also Don Sylvio ohne Anstand den Sylphen die Ehre gab, von denen die Feenpaläste bedient zu werden pflegten), gab ihr Gelegenheit, nach Endigung der Mahlzeit ihre eigene Geschicklichkeit hören zu lassen. Jacinte glaubte sich übertroffen zu sehen und würde sich also niemals haben einfallen lassen, Felicien das unbegränzte Lob streitig zu machen, womit sie der bezauberte Sylvio überschüttete. Aber Don Eugenio war zu eifersüchtig über die Lieblingstalente seiner jungen Freundin, um seine Schwester in dem ruhigen Besitz eines so großen und ungetheilten Beifalls zu lassen. Er ließ also nicht ab, bis sie sich erbitten ließ, sich mit der schönen Felicia in einen Wettstreit einzulassen, der in einer Gesellschaft wie diese, nicht anders als das allgemeine Vergnügen befördern könnte. Die beiden Damen schienen, wider die Gewohnheit ihres Geschlechts, einander den Vorzug mit einer so ungezwungenen Gutherzigkeit beizulegen, daß man nicht wohl an ihrer Aufrichtigkeit zweifeln konnte. Don Gabriel fand, daß es dem Paris leichter gewesen seyn müsse, unter den drei Göttinnen einer den goldnen Apfel zuzusprechen, als den Ausspruch zu thun, welche unter diesen zwei liebenswürdigen Musen an Schönheit der Stimme und des Gesangs, an Behendigkeit der Finger und an Geschicklichkeit, sich aller Zauberkräfte der Harmonie nach ihrem Belieben zu bedienen, einen Vorzug vor der andern habe; und selbst die Liebhaber (so ausgemacht dieser Punkt bei jedem war) gestanden, daß, wenn es ja möglich sey, eine von beiden zu übertreffen, Felicia nur von Jacinten, und Jacinte nur von Felicien übertroffen werden könne.Unsere kleine Gesellschaft hatte so wenig lange Weile bei dieser Art von Unterhaltung, und die Damen waren so gefällig, daß die anbrechende Morgendämmerung sie endlich erinnern mußte, sich zur Ruhe zu begeben.Wir wissen nicht, ob außer Don Gabriel, der sich in einem Alter von vierzig Jahren bereits über die bewölkte und stürmische Gegend der Leidenschaften in die immer heitere Höhe einer beinahe stoischen Seelenruhe empor gearbeitet hatte, sich Jemand von den Uebrigen die guten Wünsche zu Nutzen machen konnte, die sie einander deßwegen thaten. Was wir gewiß wissen, ist, daß Don Sylvio sich noch niemals in einem Zustande befunden hatte, der dem Schlaf weniger günstig gewesen wäre. In der Entzückung, die ihn noch immer gebunden hielt, merkte er nicht einmal, daß sich, anstatt des guten ehrlichen Pedrillo, den er weder sah noch vermißte, ein paar junge Edelknaben in seinem Vorzimmer befanden, welche sich der Ehre anmaßten, ihn auszukleiden; und er war es wirklich schon, eh' er sich besann, daß er nicht ausgekleidet seyn wollte. Nachdem er nun die Knaben, die er seiner Gewohnheit nach zu Sylphen erhob, entlassen hatte, kleidete er sich wieder an, warf sich, der Morgenröthe gegenüber, in einen weichen Lehnstuhl und überließ sich noch eine geraume Zeit, mit einem Vergnügen, wovon nur Wenige sich einen Begriff machen können, dem Anschauen des reizenden Gegenstandes, der noch immer wie gegenwärtig vor seiner bezauberten Seele schwebte.Allein endlich mußte er doch aus dieser wachenden Träumerei erwachen, und nachdem er wieder zu sich selbst gekommen war, fing er an sich zu befragen, was er von Allem dem, was ihm in diesem Palast begegnet war, denken sollte. Er glaubte sich's bewußt zu seyn, daß es weder ein Traum, noch eine Erscheinung von derjenigen Art, wie er schon gehabt hatte, gewesen sey. Aber, was er aus der Beherrscherin dieses Palasts machen sollte, ob es eine Fee, eine Sterbliche, eine Göttin oder wohl gar seine Prinzessin selbst sey, wie die Aehnlichkeit, die sie mit dem verlornen Bildniß hatte, ihn zu bereden schien, darüber konnte er sich nicht mit sich selbst vergleichen. Zwar stimmte diese letzte Vermuthung so sehr mit seinen Wünschen überein, daß er sich eine gute Weile bemühte, sie wahrscheinlich zu finden; allein bei genauerer Ueberlegung fand er sie mit Schwierigkeiten umgeben, welche ihm sein Aberglaube für die Feerei unauflöslich machte. Vielleicht ist sie eine Anverwandte meiner Prinzessin, dachte er, oder in der nämlichen Constellation und unter den Einflüssen der nämlichen Aspecten geboren; oder sie hat diese Aehnlichkeit aus geheimen Ursachen nur angenommen; oder es ist wohl gar nur ein süßer Irrthum meines Herzens, welches, von irgend einem ähnlichen Zuge verführt, diejenige zu sehen glaubt, die es überall zu sehen wünscht. Nach langem Nachdenken schien ihm das Letztere das Wahrscheinlichste, weil es mit der Treue, die er seiner Geliebten zu halten entschlossen war, sich am besten zu vertragen schien. Auf diese Art bewunderte er in Donna Felicia seine Prinzessin, und er schloß sehr scharfsinnig, wie reizend, bezaubernd, überirdisch, göttlich und, wofern es möglich wäre, mehr als göttlich ihre Vollkommenheiten seyn müßten, da eine schwache Aehnlichkeit mit ihr diese Fee schon so reizend in seinen Augen machte.Um diesem Schlusse desto mehr Stärke zu geben, strengte er die äußerte Macht seiner Phantasie an, sich die vermeinte Prinzessen noch reizender, liebenswürdiger und vollkommener einzubilden als Donna Felicia. Aber, es sey nun, daß die Einbildungskraft nicht im Stande ist, etwas Vollkommneres hervor zu bringen, als die Natur, oder daß ihm die Liebe hierin einen ihrer gewöhnlichen Streiche spielte: gewiß ist, das Bild der schönen Felicia stand jedesmal an der Stelle der Prinzessin, und alles sein Bestreben, sich dieselbe unter andern Zügen vorzustellen, war vergeblich.Dieser Umstand setzte ihn in keine geringe Verlegenheit. Ohne sein eigenes Herz in Verdacht zu ziehen, fing er an, über die Bezauberung, welche Felicia an seiner Seele auszuüben schien, mißtrauisch zu werden. Er gerieth auf allerlei seltsame Einfälle, die er wechselsweise bald verwarf, bald wahrscheinlich fand; und nachdem er sich lange über die Maßregeln, die er zu nehmen hätte, bedacht hatte, däuchte ihm zuletzt das Sicherste zu seyn, sich so bald als möglich oder wenigstens, sobald als er Ursache finden würde, seinen Argwohn für gegründet zu halten, aus diesem gefährlichen Schlosse zu entfernen.
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Neuntes Capitel:

Was für gefährliche Leute die Philosophen sind.

Unter diesen einsamen Betrachtungen war es heller Tag geworden. Don Sylvio begab sich, um seinen Gedanken desto besser nachhängen zu können, in den Garten; und wir wissen nicht, wohin sie ihn endlich geführt hätten, wenn Don Gabriel, der die Morgenstunden gewöhnlicher Weise mit einem Buche daselbst zubrachte, ihn nicht in den Gängen des Irrgartens angetroffen hätte.Von ungefähr war das Buch, das Don Gabriel in der Hand hatte, aus dem Fache der Naturwissenschaft; und dieß führte sie unvermerkt in ein Gespräch, worin Don Sylvio seine kabbalistischen Begriffe und Grundsätze mir so vieler Scharfsichtigkeit und mit einer so lebhaften Beredsamkeit behauptete, daß Don Gabriel die Schönheit seines Geistes und die durchgängige Falschheit seiner Ideen gleich viel zu bewundern Ursache fand.Man mußte so sehr Philosoph seyn, als es Don Gabriel war, um die Hoffnung, über eine so tief eingewurzelte Schwärmerei endlich Meister zu werden, nicht auf einmal zu verlieren. Allein durch die Gefälligkeit, die er gegen die Vorurtheile unseres Helden bewies, hoffte er mit gutem Grunde, ihn, ohne seine Grundsätze geradezu zu bestreiten, unvermerkt so weit zu bringen, daß er selbst an der Wahrheit derselben zweifeln müßte.Unsere Leser und Leserinnen (denn ungeachtet des strengen Verbots des Herrn Rousseau werden wir ganz gewiß auch Leserinnen haben), unter denen schwerlich ein einziges nöthig hat, von zoroastrischen, plotinischen, kabbalistischen, paracelsischen und rosenkreuzerischen Irrthümern geheilt zu werden, würden uns vermuthlich für die Mittheilung einer so tiefsinnigen metaphysischen Unterredung wenig Dank wissen; zumal da sie von sechs Uhr Morgens bis um die Zeit, da die Gesellschaft sich in einem kleinen Gartensaale zum Frühstück versammelte, fortgesetzt wurde. Wir begnügen uns also, ihnen zu melden, daß Don Gabriel — mit aller nur ersinnlichen Hochachtung, die er für die Weisen, welche alle Räder der Körperwelt durch Geister treiben lassen, zu hegen vorgab — so starke Einwürfe gegen diese wundervolle Naturlehre vorbrachte, daß Don Sylvio, wo nicht völlig wankte, doch ziemlich erschüttert wurde und (so vorsichtig auch der Philosoph gewesen war, den Feen nicht zu nahe zu treten) nicht wenig besorgt zu werden anfing, was aus allen seinen Mährchen und aus seinen eigenen Abenteuern werden möchte, wenn die Grundsätze des Don Gabriel sich wahr befinden sollten.Nun half sich zwar Don Sylvio mit dem gewöhnlichen Schlusse, den die Schwärmerei zu machen pflegt, wenn sie von der gesunden Vernunft in die Enge getrieben wird: er verwies sich selbst auf seine Erfahrungen und schloß, daß Grundsätze, die seiner Erfahrung widersprächen, nothwendig falsch seyn müßten. Allein es regte sich doch, wir wissen nicht was, in seinem Kopfe, das ihn bei diesem Schlusse nicht so ruhig seyn ließ, als man es bei einer geometrischen Demonstration zu seyn pflegt; und da er ein großer Liebhaber von , . Speculationen dieser Gattung war, so willigte er mit Vergnügen ein, das angefangene Gespräch zu einer andern gelegenen Zeit im Büchersaale des Don Eugenio fortzusetzen.
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Zehntes Capitel:

Wie kräftig die Vorsätze sind, die man gegen die Liebe faßt.

Don Sylvio hatte sich unter Anderm vorgenommen, den Eindrücken männlich zu widerstehen, welche (wie er sich selbst zu bereden suchte) die Aehnlichkeit der Donna Felicia mit seiner Prinzessin auf sein herz machte. Dieser heldenmüthige Entschluß gab ihm anfangs, wie er mit Don Gabriel zur Gesellschaft kam, ein so gezwungenes und entlehntes Ansehen, als nur immer ein Mittelding von einem Knaben und Jüngling haben kann, der nur erst neulich der Schule entwischt ist und jetzt zum ersten Mal in guter Gesellschaft erscheint. Donna Felicia bemerkte es beim ersten Anblick, ohne daß sie darauf Acht zu geben schien; sie errieth die Ursache davon mit dieser außerordentlichen Scharfsinnigkeit, welche die Liebe zu geben pflegt, und hoffte nicht ohne Ursache, daß ihre Gegenwart den Streit zwischen seiner Einbildung und seinem Herzen bald entscheiden werde.Die Moralisten haben's uns schon oft gesagt und werden's noch oft genug sagen, daß es nur ein einziges bewährtes Mittel gegen die Liebe gebe, nämlich, sobald man sich angeschossen fühle, so schnell davon zu laufen, als nur immer möglich sey. Dieses Mittel ist ohne Zweifel vortrefflich; wir bedauern nur, daß es unsern moralischen Aerzten nicht auch gefallen hat, das Geheimniß zu entdecken, wie man es dem Patienten beibringen solle. Denn man will bemerkt haben, daß ein Liebhaber natürlicher Weise eben so wenig fähig sey, vor dem Gegenstande seiner Leidenschaft davon zu laufen, als er es könnte, wenn er an Händen und Füßen gebunden oder an allen Nerven gelähmt wäre; ja, man behauptet sogar, vermöge einer unendlichen Menge Erfahrungen, worauf man sich beruft, daß es in solchen Umständen nicht einmal möglich sey, zu wünschen, daß man möchte fliehen können.Es ist wahr, Don Sylvio hatte eine Art von Entschluß gefaßt, daß er, sobald es nöthig seyn sollte, fliehen wolle: allein, wie man sieht, war dieser Entschluß nur bedingt, und die Liebe blieb allezeit Richterin darüber, ob es nöthig sey zu fliehen oder nicht; und überdieß war die schöne Felicia nicht dabei, als er diesen Entschluß faßte.Die Gegenwart des geliebten Gegenstandes verbreitet eine Art von magischer Kraft oder (um uns eines eben so unverständlichen aber unsers philosophischen Jahrhunderts würdigern Ausbruchs zu bedienen) eine Art von magnetischen Ausflüssen rund um sich her; und kaum tritt der Liebhaber in diesen elektrischen Wirbel ein, so fühlt er sich von einer unwiderstehlichen Gewalt ergriffen, die ihn in einer Art von Spiral-Linie so lange um denselben herumzieht, bis er —Wir überlassen es dem Scharfsinne des geneigten Lesers, die Allegorie so weit zu treiben, als er will, oder als sie gehen kann, und bemerken nur noch, daß diese anziehende Kraft einer Geliebten — außer denen, die ihr mit den natürlichen und künstlichen Magneten gemein sind — noch die besondere Eigenschaft hat, alle Gedanken, Einbildungen, Erinnerungen oder Entschließungen, die ihre Wirkung entkräften könnten, auf einmal in der Seele des angezogenen Körpers auszuwischen.Don Sylvio wurde in wenigen Minuten ein Beispiel dieser physischen Wahrnehmung. Er hatte sich vorgenommen, Donna Felicia gar nicht anzusehen; er konnte sich aber doch nicht enthalten, sie ein wenig von der Seite anzuschielen. Bald darauf wagte er einen directen Blick; aber so schüchtern, als ob er besorgt hätte, sie möchte Basilisken in den Augen haben. Dieser Versuch lief so glücklich ab, daß er kühner wurde; und nun versuchte er es so lange, bis er gar nicht mehr daran dachte, noch daran denken konnte, die Augen wieder von ihr abzuzielen. Kurz, die besagte magnetische Kraft that ihre Schuldigkeit so gut, daß er sich dem Anschauen seiner Göttin wieder so gänzlich, so ruhig und mit solchem Entzücken überließ, als ob nie eine Radiante. ein blauer Sommervogel und eine bezauberte Prinzessin innerhalb der kleinen Welt seines Hirnschädels existirt hätte.Die schöne Felicia befand sich, in Absicht ihres Herzens, ungefähr in den nämlichen Umständen. Don Sylvio hatte zum wenigsten eine eben so starke magnetische Kraft für sie; als sie für ihn; ja, wenn wir dem großen Albertus und andern Naturforschern (des guten alten blinden Tiresias nicht zu gedenken, der, weil er wechselsweise Mann und Weib gewesen war, aus Erfahrung von der Sache sprechen konnte) wenn wir, sage ich, diesen Weisen glauben sollen, so mußte die Anziehung, die sie selbst erfuhr, um ein gutes Theil stärker seyn, ob sie gleich vermittelst einer gewissen vis inertiae , womit die Natur oder die Erziehung ihr Geschlecht zu begaben pflegt, die Wirkung derselben, nach Maßgabe der Umstände, so viel es nöthig war, zu schwächen wußte. Diese gegenseitige Anziehung beschleunigte natürlicher Weise die wundervolle Concentration, die daraus zu erfolgen pflegt; und indem beide zu gleicher Zeit anzogen und angezogen wurden, so fand sich's, daß, ehe sie es selbst gewahr wurden, ihre Seelen einander schon in allen Punkten berührten und also nicht viel leichter wieder von einander zu scheiden waren, als ein paar Thautropfen, die im Schoß einer halbgeöffneten Rose zusammengeflossen sind.In einer so sympathetischen Gesellschaft, wie diese war, konnte die Unterhaltung nicht lange bei gleichgültigen Gegenständen verweilen. Das Gespräch lenkte sich unvermerkt auf den sonderbaren Zufall, der unsern Helden und Don Eugenio mit einander bekannt gemacht hatte; und die Art und Weise, wie die liebenswürdige Jacinte in diese Begebenheit verwickelt war, erweckte, wie billig, die Neugier derjenigen, die von ihrer Geschichte noch nicht umständlich unterrichtet waren. Selbst Don Sylvio, so gleichgültig ihn seine Leidenschaft für die schöne Felicia gegen alle andere Reizungen machte, empfand wider seinen Willen eine Are von Zuneigung für sie, die er sich selbst nicht recht erklären konnte, und welche, ohne die Unruhe, das Feuer und die Begierden der Liebe zu haben, alle Zärtlichkeit derselben zu haben schien.Jacinte hatte keine Ursache, vor einer von den gegenwärtigen Personen ein Geheimniß aus ihrer Geschichte zu machen. Die Liebe des Don Eugenio zu ihr und vermuthlich auch einige andere Hauptumstände ihres Lebens waren schon bekannt, und wie groß auch die Achtung war, womit ihr Donna Felicia begegnete, so besorgte sie doch, daß man Vorurtheile gegen sie gefaßt haben könnte, welche sie desto mehr zu vernichten begierig war, da sie einen so festen Entschluß, als eine Verliebte nur immer fassen kann, gefaßt hatte, ihrem Verständnisse mit Don Eugenio ein Ende zu machen. Sie ließ sich also nicht lange nöthigen, den vereinigten Bitten ihres Liebhabers und der übrigen Gesellschaft durch eine Erzählung Genüge zu thun, auf welche Don Sylvio desto begieriger war, da er nicht zweifelte, daß die Feen keinen geringen Antheil daran haben würden.
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Eilftes Capitel:

Geschichte der Jacinte.

Wenn es richtig ist, wie ich zu glauben geneigt bin (fing die schöne Jacinte ihre Erzählung an), daß ein Frauenzimmer desto schätzbarer ist, je weniger sie von sich zu reden gibt: so bin ich unglücklich genug, daß ich in einem Alter, worin die meisten kaum anfangen, unter den Flügeln einer zärtlichen Mutter schüchtern hervorzuschleichen, eine Erzählung meiner Begebenheiten zu machen habe; und ich würde in der That untröstbar deßwegen seyn, wenn ich die Schuld davon mir selbst beizumessen hätte.Alles, was ich Ihnen von meiner Abkunft sagen kann, ist, daß ich nichts davon weiß. Ich erinnere mich zwar, wiewohl nur ganz dunkel, der Zeit, da mich eine schon bejahrte Zigeunerin, eben die, von welcher ich erzogen worden bin, in ihre Gewalt bekam: ich war noch sehr klein, und mich däucht, daß ich in einem großen Hause gelebt und etliche Frauenspersonen und einen kleinen Bruder um mich gehabt hatte, den ich sehr zärtlich liebte. Aber auch diese wenigen Erinnerungen sind so schwach und erloschen, daß ich mir nicht getraue, Sie zu versichern, daß es wirklich so gewesen sey.Die Zigeunerin, die sich für meine Großmutter ausgab, ohne daß sich mein Herz jemals überreden lassen wollte, es zu glauben, wandte allen nur möglichen Fleiß an, mich zu den Absichten, die sie mit mir hatte, zu erziehen. Ich war kaum sieben Jahr alt, da die gute Art, wie ich zu meiner kleinen Biscayertrommel tanzte, die naiven Antworten, die ich gab, und tausend kleine Gaukeleien, die ich zu machen wußte, mir allenthalben, wo wir hinkamen, die Gunst der Leute erwarben und meiner alten Pflegemutter eine Menge Realen zufliegen machten. Dieser glückliche Fortgang munterte sie auf, daß sie nichts ermangeln ließ, die Talente, welche sie in mir zu finden glaubte, zu entwickeln. In meinem zwölften Jahre spielte ich die Cither und die Theorbe, sang eine unendliche Menge von Liedern und Romanzen und prophezeite aus der Hand und aus dem Kaffeesatz so gut, als irgend eine Zigeunerin in der Welt.Die Aufmerksamkeit, die ich ungeachtet meiner anscheinenden Flatterhaftigkeit auf Alles hatte, was ich sah und hörte, ließ mich einsmals, da wir an einem Feste zu Toledo waren, bemerken, daß unter einem Haufen Zuschauer, die ich nebst etlichen andern jungen Mädchen, zum Vortheil unsrer Alten, durch Tänze und Balladen belustigen mußte, ein paar Männer von ernsthaftem Ansehen standen, die mich mit mitleidigen Augen anzusehen schienen. Wie Schade, sagte einer, daß sie eine Zigeunerin ist! Wie bald wird diese sich selbst noch unbewußte Anmuth die Beute der Verführung werden! — Glauben Sie mir, versetzte der zweite, sie hat mir eher die Miene, Andere zu verführen, als sich verführen zu lassen. — Desto mehr ist sie zu bedauern, erwiederte der erste; in ihrem Stand ist die Tugend, die in jedem andern ein Verdienst ist, ein Fehler, der sie nur desto unglücklicher machen würde. — Diese Reden, die ich, ohne daß sie es merkten, auffaßte, machten einen tiefen Eindruck auf mein Gemüth, und je weniger ich ihren Sinn verstehen konnte, desto mehr bemühte ich mich, ihn auszugrübeln.Die alte Zigeunerin, die nur darauf dachte, wie sie mich reizend machen wollte, hatte sich wenig bekümmert, mich die Tugend kennen zu lehren; und wie hätte sie es sollen, da sie selbst weder Begriff noch Gefühl davon hatte? Dem ungeachtet war ich nicht gänzlich ohne sittliche Begriffe, Ein gewisser Instinct, der sich durch meine Aufmerksamkeit auf die Handlungen unsrer kleinen Gesellschaft und auf die Bewegungen meines eigenen Herzens nach und nach entwickelte, sagte mir, daß dieses oder jenes recht oder unrecht sey, ohne daß ich eine andere Ursache hätte angeben können als meine Empfindung. Die Romanzen und Mährchen, deren ich eine große Menge auswendig wußte, waren eine andere Quelle, woraus ich mir eine Art von Sittenlehre zog, die vielleicht nicht die sicherste war; aber sie war doch immer besser, als gar keine. Dieser Instinct, dieser verworrene Begriff von sittlicher Schönheit und die obigen Reden der beiden Toledaner, die mir immer wieder einfielen, flößten mir endlich einen lebhaften Abscheu vor meinem Stand und der Lebensart, die wir führten, ein, so unschuldig sie immer in gewissem Sinne genannt werden konnte. Ich muß unglücklich seyn, sagte ich zu mir selber, weil man mich bedauernswürdig findet; und bin ich es nicht, da ich für einen elenden Gewinnst mich allenthalben zur Schau aussetzen, mich von jedem unverschämten Auge begaffen lassen und Leuten, die ich nicht kenne, zum Spielzeuge dienen muß? Dieser Gedanke machte mich nach und nach in meinen eigenen Augen so verächtlich, daß ich den Geschmack an den kleinen Ergötzlichkeiten, aus denen bisher mein Leben zusammen gewebt gewesen war, gänzlich verlor.Ich war eben in dieser Gemüthsverfassung, als uns einst die Alte in ein schönes Schloß führte, wo sie durch die Talente ihrer vorgeblichen Töchter (denn sie hatte unser fünf der sechs, von denen die älteste kaum vierzehn Jahre alt war) einige Ducaten zu erhaschen hoffte. Die Dame des Schlosses war eine Wittwe von dreißig Jahren, die ihr vornehmstes Geschäft daraus machte, eine sehr artige Tochter zu erziehen, welche ungefähr in meinem Alter war. Diese Dame schien von meiner Unschuld und von dem stillen Kummer, der in meinen Augen schmachtete, gerührt zu werden. Sie nahm mich bei Seite, that verschiedene Fragen an mich und schien mit meinen Antworten vergnügt zu seyn. Zuletzt fragte sie mich, ob ich nicht Lust hätte, bei ihr zu bleiben? Ihr edles Ansehen und ihre leutselige Miene bezauberten mich so sehr, daß sie meine Antwort in meinem Gesichte lesen konnte, eh' ich Worte fand, ihr meine Freude darüber auszudrücken. Sie wiederholte diesen Antrag gegen die alte Zigeunerin und vergaß nichts, was sie hätte überreden können, mich aufs beste bei ihr versorgt zu glauben. Aber die Alte, welche ganz andere Absichten mit mir hatte, war unerbittlich. Endlich sagte sie, daß ich ihr zu nützlich wäre, als daß sie sich entschließen könnte, mich ohne einen beträchlichen Ersatz von sich zu lassen. Zum Unglück war die großmüthige Dame nicht reich genug, die ausschweifende Forderung der Alten zu befriedigen, und diese bemerkte es kaum, so eilte sie, was sie konnte, bis wir wieder aus dem Hause waren. Meine Thränen rührten die gütige Dame so sehr, daß sie sich beinahe entschlossen hätte, Gewalt zu brauchen; allein die Alte berief sich auf ihre mütterlichen Rechte, die ich nicht leugnen konnte, so wenig auch mein Herz sie bestätigte. Kurz, wir mußten scheiden, und die Besorgniß, daß man uns nachsetzen könnte, machte die Alte so behutsam, daß sie uns durch lauter Wälder, Umwege und abgelegene Oerter führte, bis wir endlich zu Sevilla anlangten. Ich war untröstbar. Die Alte sah sich genöthigt, meinen Schmerz austoben zu lassen, ehe sie es versuchen wollte, mir mein Schicksal in einem angenehmern Lichte vorzustellen. Ich war zu jung und zu sehr zur Fröhlichkeit geneigt, als daß die Traurigkeit, der ich mich ohne Maß überlassen hatte, von langer Dauer hätte seyn können. Unsere Ankunft zu Sevilla veränderte die Scene unsrer Lebensart. Die Alte miethete in einer von den Vorstädten ein großes Haus, räumte mir ein eigenes Zimmer ein und verdoppelte die Freundlichkeit, mir der sie mir immer begegnet war. Sie gab mir Lehrmeister, welche mich in der Musik vollkommen machen sollten, und machte mir alle Tage Geschenke von Bändern und andern Kleinigkeiten.Endlich, da sie mich eines Morgens aufgeräumter sah, als gewöhnlich, hielt sie mir, nachdem sie sich den Weg zu meinem Herzen durch Liebkosungen und Schmeicheleien eröffnet zu haben glaubte, eine lange Rede, worin sie mir sagte: die Zeit rücke nun herbei, da sie von ihren auf mich gewandten Bemühungen und Kosten die Früchte zu sehen hoffte. Sie erhob meine Reizungen und versicherte mich, daß die Glückseligkeit meines Lebens bloß von dem klugen Gebrauch abhangen werde, den ich davon zu machen lernen müßte. "Du siehst an mir, mein Töchterchen, sagte sie, daß man alle Tage älter wird; die Blüthe der Jugend ist die Zeit, die man sich zu Nutze machen muß; wenn sie einmal versäumt ist, so ist der Schaden unersetzlich. Ich kann dir keine Reichthümer hinterlassen, deine Gestalt und deine Gaben sind Alles, was du hast; aber sey unbesorgt, sie werden dich, wenn du klug bist, in einen goldenen Regen setzen. " Nach dieser viel versprechenden Vorrede fing sie einen Discurs uber die Liebe an, wobei sie den Vortheil zu haben glaubte; mich desto leichter zu überreden, je unerfahrener ich war. Sie erschöpfte , ihre Einbildungskraft, um die meinige zu erhitzen; aber ihre Schildereien machten nicht den mindesten Eindruck auf mich. Vermuthlich dachte sie, daß dieser Kaltsinn mehr meiner Unwissenheit in solchen Dingen als einer wirklichen Unempfindlichkeit zuzuschreiben sey. Sie glaubte, ein artiger junger Lehrmeister würde geschickter seyn, als sie selbst, mir die neue Kunst; wozu sie mich anführen wollte, angenehm zu machen; und es währte nicht lange, so brachte sie einen jungen Edelmann von Sevilla in mein Zimmer, der, wie er sagte, das Vergnügen haben wollte, mit mir bekannt werden. Bald darauf gab sie, ich weiß nicht was für Geschäfte, vor und ließ uns allein. Der junge Herr fing die Unterredung mit einigen Complimenten an, die er aus einem alten Ritterbuche gelernt haben mochte; auf diese folgte eine überaus feurige Liebeserklärung, und aus Besorgniß, ich möchte ihn nicht recht verstanden haben, endigte er damit, daß er sich einige kleine Freiheiten heraus nehmen wollte. Ich erschrak anfangs und stieß ihn ziemlich unhöflich zurück: aber ein Augenblick von Ueberlegung oder vielmehr der besagte Instinct, der wenigstens bei mir (denn ich getraue mir nicht, von mir auf unser ganzes Geschlecht zu schliessen) sehr oft die Stelle der Ueberlegung vertritt, zeigte mir sogleich, daß Ernst und Unwille mir hier wenig helfen würden. Ich sagte ihm also mit einer angenommenen Munterkeit: Sie sind allzu voreilig, mein Herr. Ich will nicht mit Ihnen darüber streiten, ob es wahr ist, daß Sie mich lieben: es mag wahr seyn oder nicht, so werden Sie wir eingestehen müssen, daß es nun darauf ankommt, ob ich Sie wieder lieben will, und, wenn ich auch wollte, ob ich es kann; denn das hängt nicht allemal von unserer Willkür ab. Sie verlieben sich, wie es scheint, sehr eilfertig, das ist Jhre Manier; ich bin um ein Ziemliches langsamer, das ist die meinige. Meine Gunstbezeigungen gehen mit meinem Herzen, und dieß ist nicht so leicht zu gewinnen, als Sie denken; es ergibt sich, mit Ihrer Erlaubniß, nicht auf die erste Aufforderung. Wenn Sie mich aber so sehr lieben, als Sie mich bereden wollen, so wird es Ihnen wenig kosten, so viel Gefälligkeit für mich zu haben und in Geduld abzuwarten, wozu sich mein eigensinniges Herz mit Zeit und Weile entschließen wird. Kommen Sie, mein schöner Herr, fuhr ich fort, ich will Ihnen indessen zu Linderung Ihrer Qual eine Romanze vorsingen, von der Sie gewiß gestehen sollen, daß sie die schönste ist, die Sie jemals gehört haben. Mit diesen Worten hüpfte ich, ohne ihm Zeit zur Antwort zu lassen, zu meiner Theorbe, leierte, indeß ich sie stimmte, ein Präludium und sang ihm dann eine altfränkische Ballade von mehr als hundert und fünfzig Stanzen vor, die eine so einschläfernde Melodie hatte, daß selbst die Lebhaftigkeit eines Franzosen nicht zugereicht hätte, dagegen auszuhalten. Mein junger Herr sah mich mit einer Art von dummer Verwunderung an und rief von Zeit zu Zeit gähnend: Schön! rührend! unvergleichlich! Allein endlich kriegte er's doch genug; und wie er sah, daß die Romanze kein Ende nehmen wollte, nahm er seinen Hut, zog seinen Reverenz und entfernte sich, mit der tröstenden Versicherung, daß er bald wieder kommen wollte.Sie werden denken, daß ich bei diesem Anlaß keine unfeine Anlage zur Coquetterie gezeigt habe; allein meine Absicht ist, Ihnen die Wahrheit zu erzählen, sie mag zu meinem Vortheile gereichen oder nicht.Bald darauf kam die Alte, und ich merkte aus ihren Reden, der junge Herr sey nicht ganz vergnügt hinweg gegangen. Sie war es hingegen desto mehr, da ich ihr erzählte, auf was für eine Art ich seine kleine Lebhaftigkeit gedämpft hätte. Sie lobte mich und hoffte, mit einer solchen Anlage noch Freude an mir zu erleben. "Es ist eben nicht nöthig, sagte sie mir, daß man Alle, die uns lieben, wieder liebe; im Gegentheil, es ist nichts in der Welt, wovor eine junge Person, die ihr Glück durch sich selbst machen muß, sich mehr in Acht zu nehmen hat, als eine ernsthafte Leidenschaft. Gefälligkeit, mein Töchterchen, ist Alles, was man von dir verlangt. Indessen thust du wohl, daß du auf deine gleichgültigsten Gunstbezeigungen einen hohen Preis setzest. Ein Mädchen, wie du, ist so viel werth, als sie sich gelten macht. Es ist jetzt deine Zeit, mein Kind, und man ist nicht immer vierzehn Jahr alt. " —In diesem Tone fuhr die Alte noch eine gute Weile fort."Aus Euren Reden, unterbrach ich sie endlich, muß ich schließen, Ihr meinet, ich sollte diesen jungen Menschen noch öfter sehen?" — "Warum nicht? versetzte sie, und noch zwanzig andere dazu, die dir vielleicht besser gefallen werden. Man sieht alle und weiset Niemand ab; man wählt sich einen aus und zieht indessen die übrigen auf, bis die Reihe an sie kommt."Anstatt diese Reden zu beantworten, brach ich in einen Strom von Thränen aus. Ich sagte der Alten schluchzend, daß ich keine Neigung zu einer solchen Lebensart hätte, und machte ihr bittere Vorwürfe, daß sie mich nicht bei der guten Dame gelassen, die mich hatte bei sich behalten wollen. Wenn ich Euch zur Last bin, sagte ich — "O! das sollst du nicht, unterbrach sie mich; du sollst mir und dir nützlich seyn." — Aber wie soll das zugehen? fragte ich. Wir singen und tanzen nicht mehr, weder in Häusern, noch auf Märkten, noch an Festtagen; und wenn ich Euch sagen soll, wie ich denke; so wollt' ich auch lieber sterben, als in dem Alter, worin ich bin, länger herum ziehen und wie ein kleiner Affe die Leute für Geld durch meine Sprunge belustigen. Ich würde mich zu Tode schämen, und ich sag' Euch, es ist nichts in der Welt, das ich nicht lieber — "Sey nur unbekümmert, fiel mir die Alte ein, das sollst du auch nicht. Wie du noch ein Kind warest, da war das Alles schön und gut; jetzt, da du groß bist und wie ein junges Rosenknöspchen aufzugehen anfängst, jetzt bist du zu etwas Besserm tauglich. Deine Jugend, deine Gestalt und deine Gaben werden dir so viele Liebhaber verschaffen, als du nur willst. " — Ich will aber keine Liebhaber, sag' ich Euch und will's Euch tausendmal hintereinander sagen, wenn Ihr mir's dann glauben wollt.Die Antwort, die ich hierauf erhielt, veranlaßte einen heftigen Wortwechsel zwischen uns. Die Alte verließ mich, indem sie einige Drohungen murmelte, welche mich desto mehr ängstigten, je weniger ich davon verstand; und in einer Verwirrung, worin es unmöglich war zu denken, strengte ich mich vergebens an, ein Mittel auszufinden, wie ich aus der Gewalt des bösen alten Weibes entkommen wollte.
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Zwölftes Capitel:

Jacinte setzt ihre Geschichte fort.

Meine ehemaligen Gespielen, die ich seit einiger Zeit selten zu sehen bekam, hatten sich, wie ich in der Folge merkte, gelehriger finden lassen, die Absichten der Alten zu begünstigen. Man hatte bisher Sorge getragen, Alles, was im Hause vorging, vor mir zu verhehlen; aber jetzt fand die Alte für gut, den Vorhang aufzuziehen. Die armen Dirnen, die von ihrer neuen Lebensart nur die angenehme Seite sahen, schienen ganz davon bezaubert zu seyn; sie konnten nicht Worte genug finden, mir ihre Glückseligkeit anzupreisen, und die älteste hatte es schon so weit gebracht, daß sie meine Sprödigkeit, wie sie es nannte, sehr beißend zu verspotten wußte. Ich machte eine ziemlich alberne Figur unter diesen Geschöpfen: aber meine Verwirrung nahm nicht wenig zu, wie ich nach und nach eine Anzahl junger Mannspersonen ankommen sah, die beim ersten Eintritt in ein abgelegenes Zimmer, wo wir waren, so bekannt thaten, als ob sie da zu Hause wären. Weil ihnen mein Gesicht neu war, so hatte ich gleich den ganzen Schwarm um mich her, und sie schienen es abgeredet zu haben, mich durch ausschweifende Lobsprüche in Verlegenheit zu setzen. Die Alte merkte meine Bestürzung. Sie nahm mich bei Seite und versicherte mich, daß es Leute von Stande wären, welche ihr die Ehre erwiesen, den Abend zuweilen bei ihr zuzubringen: es wären, sagte sie, sehr wohlgesittete junge Herren, deren Absicht nicht weiter als auf eine unschuldige Ergetzung gehe; ein aufgewecktes Gespräch, ein Spiel, eine Collation und ein Tanz sey Alles, was sie bei uns suchten; sie bezahlten dafür wie Prinzen; und da ihr Haus eine Kaffeeschenke sey, so könne es Niemand in der Welt übel finden, daß sie so gute Gesellschaft bei sich sehe.Ich mußte mich hiermit befriedigen lassen; und in der That führten sie sich bis zum Nachtessen so anständig auf, daß die Furcht, die ich anfangs vor ihnen gehabt hatte, allmählig meiner gewöhnlichen Munterkeit Platz machte. Ich ließ mich nicht lange bitten, ihnen so viel Romanzen zu singen, als sie nur wollten, und meine kleine Eitelkeit war nicht ganz unempfindlich gegen die Schmeicheleien, die mir vorgesagt wurden. Allein unter dem Nachtessen, und nachdem ihnen der Wein zu Kopfe gestiegen war, fingen sie an, sich für den Zwang, den sie sich bisher angethan hatten, schadlos zu halten. Die unbesonnene Lebhaftigkeit meiner ehemaligen Gespielen schien sie zu den Freiheiten aufzufordern, die sie sich herausnahmen; unvermerkt verdrängte die freche Ausgelassenheit eines Bacchanals die Stelle der anständigen Fröhlichkeit.Ich würde vergebens Worte suchen, um Ihnen eine Beschreibung von dem Zustande zu machen, worein ich durch das, was ich sah und hörte, gesetzt wurde. Mein Erröthen, meine Verwirrung zog mir Spöttereien zu, die ich nur mit Thränen zu beantworten wußte. Ein paar Gecken von dieser edeln Gesellschaft nahmen es auf sich, mich, wie sie sagten, zahm zu machen, und ihre Nymphen, die man der Sprödigkeit nicht beschuldigen konnte, munterten sie selbst dazu auf. Ich wollte entfliehen; aber ein paar andere verrannten mir die Thür: ich lief zu der Alten, warf mich zu ihren Füßen und bat sie, mich zu retten; aber sie lachte über mich. Eine solche Begegnung verwandelte meine Angst in Verzweiflung; ich sprang auf, lief wie eine Unsinnige zum Tische, bemächtigte mich eines Messers und drohte mich zu ermorden, wenn Jemand sich unterstände, mich anzurühren. — O! dieß fängt an tragisch zu werden, rief einer von unsern Gecken; hat man jemals so was gesehen? Dieß ist noch mehr als Lucretia: denn die wollte doch erst versuchen, ob es der Mühe werth wäre, sich zu erstechen. — Dieser vermeinte witzige Einfall zog eine unendliche Menge anderer nach sich, worin immer einer den andern zu übertreffen suchte, und es erhob sich ein großer Streit, wer, wie sie sagten, das Abenteuer mit dem kleinen feuerspeienden Drachen bestehen sollte, bis zuletzt einer den Vorschlag that, es durch Würfel auszumachen.Eine so niederträchtige Begegnung schmerzte mich so sehr, daß ich ganz athemlos in einen Lehnstuhl sank und alle Augenblicke dachte, das Herz würde mir zerbersten. Ich weiß nicht, was in diesem Zustande aus mir geworden wäre, wenn nicht einer aus der Gesellschaft, vor dem die übrigen eine Art von Ehrerbietung zu haben schienen, und der diesen ganzen Abend sehr aufmerksam auf mich gewesen war, sich auf einmal zu meinem Beschützer aufgeworfen hätte. Er sagte den übrigen mit einem Tone, der seine Wirkung that, daß ich keine solche Begegnung verdiene. Zu gleicher Zeit gab er der Alten einen Wink, mich wegzuführen, und sie brachte mich in ein kleines Zimmer, wo ich mich auf ein Ruhebette warf und durch einen Strom von Thränen mein Herz leichter machte.Die Alte ließ mich hier über eine Stunde allein, und sobald ich wieder zu mir selbst gekommen war, fing ich wieder an auf meine Flucht zu denken. Alles, was mir vormals unüberwindliche Hindernisse geschienen hatte, war jetzt nichts in meinen Augen; die Frage, wohin ich fliehen, oder wie ich ohne Geld, unter lauter unbekannten Leuten und so jung, als ich war, fortkommen wollte? fielen mir nun gar nicht ein. Wenn ich nur aus diesem hause wäre, dacht' ich, so möchte der Himmel für das Uebrige sorgen. Meine Ungeduld wurde so groß, daß ich keinen Augenblick länger warten wollte, mein Vorhaben, was auch daraus entstehen möchte, ins Werk zu setzen. Aber wie groß war mein Schmerz, da ich die Thür verschlossen fand! Ich lief nach den Fenstern; aber sie waren so hoch, daß ich sie nicht erreichen konnte, und zum Ueberfluß mit eisernen Gittern verwahrt. Ich schrie so laut, als ich konnte, damit man mich auf der Straße hören möchte; aber das Zimmer war weit von der Straße entfernt, und Niemand hörte mich. Ich warf mich wieder auf mein Ruhebette, raufte mir die Haare aus, schrie und winselte wie eine Unsinnige und klagte den Himmel an, daß er mich mit einem Herzen, das für meine Umstände zu edel war, die Tochter einer Zigeunerin hätte werden lassen, oder, wenn ich es nicht sey, daß er mich in Umstände hätte gerathen lassen, die mich so unerträglichen Beschimpfungen aussetzten. O, gewiß bin ich für einen so schmählichen Stand nicht geboren, dachte ich. Wenn es auch meine Gestalt und Farbe nicht zu verrathen schienen, so sagt mir's mein Herz, daß ich keine Enkelin dieser schändlichen Kupplerin bin, die mich, der Himmel weiß, durch was für Mittel, in ihre Gewalt bekommen hat. Ach! ich bin vielleicht von edeln Eltern geboren, und die zärtliche Mutter, die mich gebar, beweint vielleicht noch jetzt den Verlust einer Tochter, welche sie liebenswürdig und glücklich zu machen hoffte!Meine erregte Phantasie setzte diesen Gedanken lange fort, ob es gleich nicht das erste Mal war, daß er mir zu gleicher Zeit meinen Zustand verhaßt machte und einen großen Muth einflößte, mich durch meine Gesinnungen über ihn zu erheben. Ich bestrebte mich, so tiefe Blicke in meine Kindheit zu thun, als mir möglich war, um in den schwachen Spuren erloschener Erinnerungen eine Bekräftigung meiner Wünsche zu finden; und so eitel und ungewiß auch die Einbildungen waren, womit ich mich selbst zu betrügen suchte, so dienten sie doch, mich in dem Vorsatze zu bestärken, in was für Umstände ich auch kommen möchte, meine Ehre eben so sorgfältig in Acht zu nehmen, als ob das edelste Blut von Castilien in meinen Adern flösse.Ich war noch in diese Gedanken vertieft, als die Alte wieder kam und mir mit ungemeiner Freundlichkeit sagte, daß ich mich fertig machen sollte, ihr in eine andere Wohnung zu folgen, weil mir, dem Ansehen nach, die ihrige so übel gefalle. Sie setzte hinzu, daß ich dort, anstatt von Jemand abzuhangen, ganz allein zu befehlen haben würde; und noch viel Andres, was mir eine große Meinung von dem Glücke, das mir bevorstehe, geben sollte. Sie wollte mich bereden, ihre Absicht sey diesen Abend nur gewesen, mich auf eine Probe zu setzen; sie lobte mein Betragen und sagte, daß ich demselben die glückliche Veränderung zu danken hätte, worin ich noch in dieser Nacht mich sehen würde. Der junge Edelmann fiel mir sogleich ein , der sich meiner angenommen hatte: ich fragte die Alte; aber sie gab mir lauter unbestimmte Antworten auf meine Fragen. Meine Begierde, aus einem so schändlichen Hause zu kommen, verkleinerte die neuen Gefahren, worein ich gerathen konnte, zu sehr, als daß eine ungewisse Furcht den Abscheu vor einem Schicksale, das in diesem Hause fast unvermeidlich schien, hätte überwiegen können; und zudem, so hätte mir, da ich nun einmal in ihren Händen war, die Weigerung, mit ihr zu gehen, wenig helfen können. Ich ließ es mir also gefallen; sie putzte mich so gut aus, als es in der Eile möglich war, warf einen Schleier über mich und sich selbst und führte mich aus dem Hause.Es war um Mitternacht, und der Mond schien unter einem leichten Gewölke hervor. Nachdem wir einige kleine Gassen durchkrochen hatten, fanden wir eine Kutsche, die auf uns wartete. Wir stiegen ein, und ich war nicht wenig bestürzt, wie ich eine von meinen vormaligen Gespielen zu uns einsteigen sah, die (wir mir die Alte sagte) mein Aufwartemädchen vorstellen sollte, bis ich ein andres hätte. Indeß war es mir doch angenehm, daß sie Sorge getragen hatte, diejenige auszuwählen,, die mir immer am wenigsten mißfiel. Wir wurden eine ziemliche Zeit hin und wieder geführt, bis endlich unser Wagen vor einem kleinen Hause still hielt, das kein sonderliches Ansehen hatte. Die Thür öffnete sich, und wir wurden von einer etwas bejahrten Frau empfangen, die uns mit Lichtern entgegen kam. Sie war in schlechtes graues Zeug gekleidet, hatte eine von den größten Brillen auf der Nase und einen Rosenkranz an ihrem Gürtel, der ihr bis auf die Füße herabhing. Dieser Aufzug und ein rundes, röthliches, aus einer altmodischen Schleierhaube hervorguckendes Gesicht, mit einem Paar kleinen Augen, die sie auf eine andächtige Art im Kopf herum drehte, gab ihr so völlig das Ansehen einer Beate, daß ich anfangs in ein Kloster zu kommen meinte. Aber diese Vorstellung verlor sich bald, da sie mich in ein Gemach von vier in einander gehenden Zimmern führte, welches, wie sie sagte, meine künftige Wohnung seyn sollte.Diese Zimmer waren immer eines prächtiger als das andere; Tapeten, Spiegel, Porcellan, Gemälde, Schnitzwerk, Vergoldungen, Alles war so schön, daß ich etliche Augenblicke davon verblendet wurde. Die Alte, die mich bis hierher begleitet hatte, wartete nicht, bis ich mich aus der ersten Bestürzung, worin (die Wahrheit zu sagen) Furcht und Vergnügen zu gleichen Theilen vermischt waren, erholen konnte. Ich überlasse dich nun dir selbst, meine liebe Jacinte, sagte sie zu mir, nachdem sie mich auf die Seite genommen hatte: du bist liebenswürdig und hast dir in den Kopf gesetzt, auch tugendhaft zu seyn. Der Einfall ist gut; wenn du dich dessen zu bedienen wissen wirst; so kann dir deine Tugend hundertmal so viel werth seyn, als mir deine Jugend und Schönheit. — Mit diesen Worten verließ sie mich, ohne eine Antwort zu erwarten. Die Beate folgte ihr, nachdem sie mir mit einer tiefen Verbeugung eine gute Nacht gewünscht hatte.Sobald ich mich allein sah, fing ich an, diesem Abenteuer nachzudenken. Ich fragte die kleine Estella, die bei mir geblieben war, aus; und wiewohl sie mir nichts Anderes sagen konnte, als daß der Marquis von Villa Hermosa (eben Derjenige, der sich diesen Abend meiner angenommen hatte) bald nach meiner Entfernung sich mit der Alten wegbegeben habe, so schien es mir doch genug, mich in der Vermuthung zu bestärken, daß ich von der alten Kupplerin an diesen junges Herrn verhandelt worden sey. Ich brachte den Rest der Nacht in einer unruhigen Verwirrung hin und wieder laufender Gedanken auf einem Sopha zu. Ich stellte mir vor, wie ich mich gegen den Marquis bezeigen wollte; meine Einbildung malte mir eine Menge von Abenteuern vor, die ich in alten Romanen gelesen hatte, und meine kleine Eitelkeit fand sich durch den Gedanken geschmeichelt, daß ich vielleicht selbst die Heldin eines Romans werden könnte. Ohne Zweifel, dachte ich, liebt mich der Marquis; und wenn er mich liebt, so bin ich wenigstens gewiß, daß er mir anständig begegnen wird. Vielleicht denkt er, mich durch Geschenke, Juwelen, reiche Kleider und eine wollüstige Lebensart zu gewinnen; aber er wird es anders finden. Der bloße Gedanke; daß es einen Preis in der Welt geben sollte, um welchen Jacinte sich selbst zu verkaufen fähig wäre, empört mein ganzes Wesen. Von dieser Seite habe ich nichts zu besorgen. — Aber wie, wenn er liebenswürdig wäre? Wenn mein eigenes Herz mich unvermerkt verführte? oder wenn es wahr wäre, daß die Liebe nicht in unserer Gewalt ist? — So ist es doch in meiner Gewalt, es ihm zu verbergen und wenn er's auch zuletzt entdeckte, so werd' ich's ihm dennoch weder eingestehen, noch seinen Anträgen Gehör geben, bis ich entdeckt habe, wem ich mein Daseyn schuldig bin. O ihr, deren Blut dieses Herz belebt, rief ich, wer ihr auch seyn möget, mein Herz sagt mir, daß ihr eine Tochter zu haben verdient, die ihr einst ohne Erröthen dafür erkennen dürfet.Unter allen den Gedanken, welche diese Zeit über in meinem Kopfe herum schwärmten, war dieser ohne Zweifel der beste; er entsprang aus meinem Herzen; ich fühlte ein unbeschreibliches Vergnügen, ihm nachzuhängen, und er schien mir eine gewisse Stärke mitzutheilen, die mich über mein Alter und die Niedrigkeit meiner Umstände erhob.In einer solchen Verfassung fand mich der Marquis, da er mir bei seinem ersten Besuche seine Absichten eröffnete. Ich hatte ihn des Abends zuvor anfangs gar nicht von den Uebrigen unterschieden und hernach nur mit einem zerstreuten Blick und in einer ängstlichen Unruhe, worin ich keiner Aufmerksamkeit fähig war, angesehen. Jetzt, da ich ihn genauer betrachtete, fand ich ihn vollkommen schön aber mein Herz blieb gleichgültig und sagte mir kein Wörtchen zu seinem Vortheil. Er schien sich so viel mit seiner Figur zu wissen, daß es ihm gar nicht einfiel, man sollte ihm widerstehen können. Ich will Ihre Geduld durch keine umständliche Erzählung der Erklärungen, die er mir machte, und der Antworten, die ich ihm gab, ermüden. Die Offenherzigkeit; womit ich ihm meine Gleichgültigkeit gegen seine Reizungen zu erkennen gab, und die stolze Bescheidenheit, womit ich einen schönen Schmuck von Diamanten ausschlug, welche (wie er sehr sinnreich sagte) nur dazu dienen sollten, von dem Glanz meiner schönen Augen verdunkelt zu werden, schien ihn ganz aus seiner Fassung zu bringen. Ich sagte ihm, daß er mich durch nichts in der Welt verpflichten könne, als wenn er mich einer Dame von seinen Verwandten oder Freundinnen empfehlen wollte, um in ihre Dienste aufgenommen zu werden. Er konnte eine so niederträchtige Bitte mit dem Stolze, den er in meinen übrigen Gesinnungen fand, nicht zusammen reimen; und nachdem er sich viele vergebliche Mühe gegeben hatte, mich auf andere Gedanken zu bringen, so verließ er mich endlich, in der Hoffnung (wie er sagte), daß die Abgeneigtheit, die seine Figur das Unglück habe mir einzuflößen, nicht unüberwindlich seyn werde. Allein seine Hoffnung betrog ihn dießmal. Er fand nach etlichen andern Besuchen, daß ich wirklich keine Seele haben müsse. Ich bestand schlechterdings darauf, daß er mir meine Freiheit wieder geben sollte. — Und was willst du denn mit deiner Freiheit anfangen, kleine Närrin? sagte er. — Gnädiger Herr, antwortete ich, es ist mir unmöglich, Ihnen Hoffnungen zu machen, die mein Herz verleugnet. Ich weiß es gewiß, daß ich Sie in acht Tagen oder in acht Wochen, wenn Sie wollen eben so wenig lieben werde als jetzt; darauf können Sie sich verlassen, und dieß ist Alles, was Sie jemals von mir zu erwarten haben. — Ist dieß Alles? erwiederte der Marquis höhnisch. Du bist sehr offenherzig, Jacinte; ich kann mich wenigstens nicht beklagen, daß du mich in Ungewißheit schmachten lässest. Eine Andere an deinem Platze würde mich bereden, daß sie mich liebe, wenn es auch nicht wahr wäre. Ich weiß nicht, was eine Andere thäte, versetzte ich; aber dieß weiß ich, daß ich hier nicht an meinem Platze bin, und daß ich nicht begreife, was Sie mit mir wollen, nachdem ich Ihnen gesagt habe, daß ich Sie niemals lieben werde. — Höre, Jacinte, sagte mir der Marquis, es ist billig, daß ich deine Aufrichtigkeit erwiedere. Ich habe dich in einem Hause gefunden, wo man keine Spröden sucht, und wo du mir nicht hättest übel nehmen können, wenn ich dir eben so begegnet wäre, wie die jungen Leute, von deren ungestümem Muthwillen ich dich befreite. Ich sah aber, daß es unbillig wäre, dich mit deinen gefälligen Schwestern in eine Classe zu setzen. Du gefielst mir, deine Unschuld nahm mich ein; kurz, ich fand dich liebenswürdig und beschloß, dich unverzüglich aus einem Hause wegzubringen, wo du noch viel weniger an deinem Platze zu seyn schienest als hier. Ich handelte dich deiner Mutter ab. — Was sagen Sie, gnädiger Herr? rief ich. Sie haben mich abgehandelt? — Ja, antwortete er, und theuer genug, daß du nicht verlangen kannst, daß ich mein Geld umsonst ausgegeben haben soll. — Aber wissen Sie auch, sagte ich, daß diese Alte, die sich für meine Großmutter ausgibt, nichts weniger ist? — Und wer sind denn deine Eltern? fragte der Marquis. — Dieß ist mehr, als ich weiß, antwortete ich: vielleicht sind es rechtschaffene Leute, vielleicht auch ist es mir besser, sie nicht zu kennen; aber ich sage Ihnen, daß ich in der Ungewißheit, worin ich hierüber bin, für das Sicherste halte, mir einzubilden, daß ich vielleicht von gutem Hause sey; und so lächerlich Ihnen diese Einbildung vorkommen mag, so vermag sie doch so viel über mich, daß die glänzendsten Verheißungen und die grausamsten Schrecknisse mich nicht von dem Entschluß abbringen sollen, ein ehrliches Mädchen zu bleiben, wie ich bisher gewesen bin, so gerecht auch immer das Vorurtheil ist, das meine Umstände gegen mich erwecken. Die Alte hatte kein Recht, mich Ihnen zu verkaufen, und es ist in Ihrer Gewalt, sie zur Rückgabe eines so unerlaubten Gewinnstes zu nöthigen.Meinst du das? sagte der Marquis spottend. Ich sage dir aber, ich, daß ich keine Lust dazu habe, und daß du, mit Erlaubniß aller der schönen Einbildungen, die du dir in den Kopf gesetzt hast, mein seyn sollst, du magst wollen oder nicht. Siehst du, Jacinte, ich glaube nicht an die Tugend eines Mädchens von fünfzehn Jahren; und du wirst doch nicht unter unzähligen die erste Unerbittliche seyn, die ich gefunden haben sollte; ich versichere dich, daß bessere, als du bist, nicht halb so viel Umstände mit mir gemacht haben.Ich antwortete nur mit einem Strom von Thränen auf diese Rede, und der Marquis schien verlegen zu seyn, was er mit mir anfangen sollte. Ich warf mich zu seinen Füßen und bat ihn aufs beweglichste, daß er mich in Freiheit setzen und meinem Schicksale überlassen möchte. Meine Bitten wirkten gerade das Widerspiel. Er hob mich in einer außerordentlichen Bewegung auf, warf sich zu meinen Füßen nieder und sagte mir Alles, was die heftigste Leidenschaft eingeben kann. Ich glaube, daß etwas Ansteckendes in heftigen Leidenschaften ist, und dasjenige, was die Zuschauer bei der lebhaften und wahren Vorstellung einer Leidenschaft auf dem Schauplatz erfahren, scheint eine Bestätigung meiner Meinung zu seyn. Ich liebte den Marquis nicht; aber ich konnte mich nicht erwehren, von der Heftigkeit seiner Liebe beunruhiget zu werden. Er hatte sich meiner Hände bemächtigt und fühlte vermuthlich, daß mein Puls hurtiger schlug; er sah eine mehr als gewöhnliche Röthe auf meinen Wangen; und da die Sinne mehr Antheil an seiner Liebe hatten als das Herz, so glaubte er (wie es schien), dieß sey der Augenblick, da er mich überraschen könnte.Es würde lächerlich seyn, wenn ich Sie überreden wollte, daß ich keiner Schwachheit fähig sey. Die Tugend besteht, meiner vielleicht unrichtigen Meinung nach, unter gewissen Umständen weniger in einer völligen Unempfindlichkeit, die niemals ein Verdienst ist, als in dem Sieg einer stärkern Empfindung oder Leidenschaft über die Regungen der Natur. Dem sey, wie ihm wolle, so erfreue ich mich, Ihnen sagen zu können, daß der erste Versuch, den der Marquis machte, von meiner Verwirrung Vortheil zu ziehen, mir auf ein Mal am meine vorige Stärke wieder gab. Ich riß mich von ihm los und sagte ihm, daß ich nichts mehr von einer Liebe hören wolle, die ich in keinerlei Weise aufzumuntern Willens sey. Ich drückte mich, um ihn desto besser hiervon zu überzeugen, so stark aus, daß ihm endlich die Geduld ausging. Er gerieth in einen heftigen Zorn, beschuldigte mich, meine Sprödigkeit sey ein bloßer Kunstgriff, wodurch ich ihn zu der Thorheit zu bringen hoffte, mir seine Ehre aufzuopfern, und schwor, daß er mich, allen meinen Ahnen zu Trotz, auf einem wohlfeilern Fuß haben wollte, und wenn ich auch in gerader Linie von Jsis und Osiris abstammte. Sein Zorn und seine Drohungen schreckten mich so sehr, daß ich allen meinen Witz anstrengte, ihn durch glimpfliche Worte wieder zu besänftigen; ich bediente mich sogar einiger, die er ohne Zwang so auslegen konnte, daß sie ihn von der Zeit günstigere Gesinnungen hoffen ließen. Er schien sich nach und nach zufrieden zu geben und verließ mich endlich mit dem Versprechen, daß, wofern ich nach drei Tagen, die er mir zur Bedenkzeit gebe, auf meiner Abneigung gegen ihn beharre, er sich meiner Entfernung nicht länger widersetzen wollte. Er sagte mir dieß mit einer so ungezwungenen Art, daß ich ihm glaubte.Ich brachte also den übrigen Abend ganz ruhig zu und war nicht wenig über den Sieg vergnügt; den ich mir schmeichelte über ihn erhalten zu haben, Ich nahm meine Theorbe, sang, scherzte mit der kleinen Estella und legte mich ganz ruhig schlafen. Ich war noch nicht eingeschlafen, und ein Wachslicht brannte noch vor meinem Bette, als ich auf ein Mal die Thur meines Schlafzimmers aufgehen hörte. Ich würde sehr erschrocken seyn, wenn ich ein Gespenst vor mir gesehen hätte; aber ich erschrak noch weit mehr, da ich sah, daß es der Marquis war. Er hatte etwas so Wildes in seinen Blicken und Geberden, daß ich vor Angst zitterte, als ich ihn auf mich zugehen sah. Ich wollte geschwind aus dem Bette springen, denn ich kleidete mich niemals völlig aus; aber er hielt mich zurück und schwor, daß ich mich ergeben müßte, es möchte auch kosten, was es wolle. Ich erhob ein entsetzliches Geschrei und wehrte mich, ob er sich gleich bemühte, mir den Mund zu verstopfen, mit einer solchen Wuth, daß er sich genöthiget sah, einen Augenblick Athem zu schöpfen. Ich fing von Neuem an zu schreien, und machte es laut genug, daß Estella, die in dem vierten Zimmer von dem meinigen schlief, davon erwachte und in einem Anzuge, der von ihrem Schrecken zeugte, mir zu Hülfe eilte. Ihr Anblick verdoppelte meinen Muth, so schwach auch der Beistand war, den ich von ihr erwarten konnte; ich stieß den Marquis mit einer solchen Stärke zurück, daß er über die kleine Estella hinwegtaumelte und mit ihr zu Boden fiel.Dieser an sich selbst geringe Umstand schlug zu meinem Glück aus. Ich muß die Folgen, die er hatte, Ihrer eigenen Vermuthung überlassen. Genug, der Marquis, indem er höflich genug war, das arme Mädchen aufzuheben, fand sie in diesem Augenblicke so liebenswürdig, daß er plötzlich den Entschluß faßte, sie zum Werkzeug seiner Rache an meiner Undankbarkeit zu machen. Er entdeckte ihr sein Vorhaben; sie floh in ihr Zimmer; er verfolgte sie; und diese unverhoffte Veränderung der Scene gab mir Gelegenheit, mich aus dem Hause wegzuschleichen, ohne von der alten Beate, die mich in den Handen des Marquis glaubte, wahrgenommen zu werden.Während wir die schöne Jacinte hier ein wenig Athem schöpfen lassen wollen, erinnern wir uns, daß ein gewisser Kunstrichter, der dieses Werkchen vor einigen Jahren mit seiner Beurtheilung zu beehren würdigte, die Begebenheiten dieser Jacinte sehr wenig interessant und den Ton ihrer Erzählung so elend gefunden hat, daß seiner Meinung nach die Lebensläufe in der Insel Felsenburg selbst besser erzählt werden. Wir besorgen sehr, der flüchtige und halb geschlossene Blick, womit unsere Leser über diese Erzählung gähnend hingeglitscht sind, werde das strenge Urtheil des Kunstrichters schon zu gut bestätiget haben, als daß es rathsam seyn könnte; etwas zur Vertheidigung oder Entschuldigung der jungen Dame sagen zu wollen. Wir schließen von der langen Weile, welche wir selbst, da wir dieses Buch nach sieben Jahren wieder zu durchlesen uns entschließen mußten, bei dieser Erzählung der Jacinte erfahren haben, auf das, was Andern begegnen wird; und wir hätten, wenn es thunlich gewesen wäre, sehr gewünscht, den Begebenheiten der jungen Abenteurerin mehr Wunderbares und ihrer Erzählung mehr Lebhaftigkeit und Geist mittheilen zu können. Da dieß aber aus mehr als einer Ursache, niht anging; so hoffen wir wenigstens dadurch einigen Dank verdient zu haben, daß wir den geneigten Leser mit der umständlichen Nachricht dessen, was ihr nach ihrer Flucht aus dem Hause des Marquis bis zu ihrer Bekanntschaft mit Don Eugenio begegnete, verschonen und uns begütigen, ihm dafür in etlichen Zeilen zu sagen, was sie selbst auf eben so viel Seiten sagt. Nämlich: das gute Mädchen erinnerte sich, sobald sie auf freiem Felde war, der Dame von Calatrava. Sie wanderte dahin; aber sie fand ihre Gönnerin nicht mehr. Ohne Freunde, ohne Geld, ohne irgend einen anständigen Ausweg, mußte sie endlich für das größte Glück halten, daß der Zufall sie unverhofft eine Gesellschaft von Schauspielern — in dieser Gesellschaft einen wahren Phönix, eine geistvolle und tugendhafte Schauspielerin — in dieser Schauspielerin eine sehr eifrige Freundin — durch diese Freundin in sich selbst ein Talent für die Schaubühne — kraft dieses Talents (und ihrer schönen Augen) allenthalben, wo sie hinkamen, den vollkommensten Beifall — und endlich in dem edeln Don Eugenio von Lirias einen Freund oder, wenn man will, einen platonischen Liebhaber finden ließ, dem ihre Reizungen weniger Leidenschaft, als ihre Tugend Ehrerbietung einflößte.Alles dieß war viel Glück; aber die schöne Jacinte verdiente auch glücklich zu seyn. Die weltberühmte Pamela selbst hätte sich in ihrer Lage nicht untadelhafter, nicht edelmüthiger aufführen können, als sie. Insonderheit kann nichts erbaulicher seyn, als die Freundschaft, welche zwischen ihr und Don Eugenio Statt findet und sich auf eine Achtung gründet, welche sie vorher für Niemand empfunden hat und für keinen Andern jemals zu empfinden hofft. Die Welt, sagte sie, welche immer urtheilt, ohne zu kennen oder sich die Mühe der Untersuchung zu geben, hat mir künstliche Absichten beigemessen, deren die Aufrichtigkeit meiner Seele nie fähig gewesen ist. Allein ich habe mich damit beruhiget, daß Don Eugenio mich besser kennt; und die Ausführung eines schon lange festgesetzten Entschlusses wird, wie ich hoffe, in Kurzem die Achtung, deren er mich nicht unwürdig gefunden hat, auch mit den strengsten unter unsern Tadlern aussöhnen.
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Dreizehntes Capitel:

Don Eugenio setzt die Erzählung der Jacinte fort.

Die liebenswürdige Jacinte schien, indem sie die letzten Worte sagte, so gerührt zu werden, daß sie, wie sehr sie sich auch bemühte, es zu verbergen, ein wenig inne halten mußte. Erlauben Sie, schöne Jacinte, sagte Don Eugenio, ohne daß er ihre Beunruhigung zu merken schien, daß ich Ihre Erzählung fortsetze, da Sie nun auf denjenigen Theil Ihrer Geschichte gekommen sind, wo sie mit der meinigen verwickelt zu seyn anfängt.Es ist beinahe ein Jahr, fuhr er fort, daß ich mit Don Gabriel nach Grenada reiste, um daselbst einige häusliche Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Ich besuchte einsmals die Komödie und sah Jacinten; sie gefiel mir und rührte mich. Das Erste war eine natürliche Folge der Annehmlichkeiten ihrer Person; denn wem gefiel sie nicht? Das Andere schien mir eine eben so natürliche Wirkung der Rolle zu seyn, die sie damals spielte. Der allgemeine Beifall, in dessen Besitz sie war, und der ihre eigene Person mit denen, welche sie annehmen mußte, zu vermengen schien, blendete mich nicht; ich bemerkte, daß sie nur eine mittelmäßige Schauspielerin war. Es ist wahr, in einigen Stellen, wo sie sehr edle Gesinnungen oder wahre und ungekünstelte Gefühle der Natur zu sagen hatte, wurde sie unverbesserlich; aber der Dichter hatte dafür gesorgt, daß sie nur selten Anlaß bekam, es zu seyn; und in allen übrigen glaubte ich zu bemerken, daß sie sich zwingen müsse, Gesinnungen oder Gemüthsbewegungen anzunehmen, die nicht ihre eigenen waren.Diese Beobachtung war ihr sehr vortheilhaft bei mir, und ich glaubte in der That, daß sie mir denselben ganzen Abend nie besser gefiel, als wenn sie, als Schauspielerin betrachtet, am wenigsten hätte gefallen sollen. Ich ging aus der Komödie und war betroffen, wie ich fand, daß mir das Bild dieses jungen Mädchens überall folgte. Der rührende Klang ihrer Stimme tönte noch immer in meinen Ohren, und alle Zerstreuungen der Gesellschaft, wo ich den Abend zubrachte, waren nicht zulänglich, diesen Eindrücken das Mindeste von ihrer Lebhaftigkeit zu benehmen. Ich gab eine Zeit lang keine Acht darauf und bemühte mich endlich, diese Vorstellungen zu zerstreuen; aber sie kamen immer wieder, und ich hatte ein paar Tage nöthig, bis sie andern Platz machten, mit denen ich damals beschäftigt war.Nach einigen Tagen kam ich wieder in die Komödie und erwartete vergeblich, daß Jacinte auftreten würde. Sie wurde dießmal durch eine Andere ersetzt, die das Talent, sich in alle mögliche Gestalten zu verwandeln (welches eigentlich den guten Schauspieler macht), in einem weit höhern Grade besaß. Aber sie mißfiel mir, ohne daß ich einen andern Grund hätte angeben können, als weil sie nicht Jacinte war. Niemals hatte ich so ungeduldig auf den legten Aufzug gewartet. Ich erkundigte mich bei einem meiner Freunde nach Jacinten und erfuhr von ihm den Charakter der Arsenia, die für ihre Tante gehalten wurde, und die eingezogene Lebensart, die sie führten. Diese Nachrichten vermehrten meine Neugier; ich suchte ihre Bekanntschaft und fand, daß mir mein Freund nicht zu viel Gutes von Arsenien gesagt hatte. Man ist so wenig gewohnt, Tugend, Grundsätze und eble Gesinnungen bei Schauspielerinnen zu suchen, daß man sich, wenn man sie bei ihnen findet, nicht erwehren kann, diesen Charakter eben so sehr für ein Werk ihrer Kunst zu halten, als die übrigen, die ihnen von den Dichtern zu spielen auferlegt werden. Ich beobachtete Arsenien eine geraume Zeit mit allem Mißtrauen, welches ihr Stand nothwendig zu machen schien; und sie gewann so viel dabei, als vielleicht Manche, die ein großes Geräusch mit ihrer Tugend macht, dabei verlieren würde. Urtheilen Sie selbst, ob ich weniger Aufmerksamkeit auf Jacinten gehabt haben werde. Ihre Jugend schien sie zwar von allem Verdacht loszusprechen, als ob Verstellung und Kunst einen Antheil an der Unschuld haben könnte, die aus ihrem ganzen Wesen zu athmen schien; es war unmöglich, sie mit einem mißtrauischen Auge anzusehen: aber das Vergnügen, welches ich darin fand, mich immer mehr in der Vorstellung bestärkt zu sehen, die ich beim ersten Anblicke von ihr gefaßt hatte, machte, daß sie mit einer Scharfsichtigkeit, der nichts entging, beobachtet wurde. Eben diese Aufrichtigkeit und Einfalt des Herzens, welche sie aller der kleinen Kunstgriffe unfähig machte, wodurch die Schönen, aus Eitelkeit oder andern Absichten, unsern Herzen nachzustellen pflegen, ließ sie auch nicht bemerken, daß sie beobachtet werde. Sie dachte eben so wenig daran, sich zu verbergen, als sich zu zeigen. Sie gefiel, ohne gefallen zu wollen; und die Anmuth, die ihre kleinsten Bewegungen anzüglich machte, war eben so natürlich und ungeschminkt, als ihre Gesichtsfarbe. Ihre Handlungen hatten nie mehr als eine Absicht und nie eine andere, als die sie natürlich Weise haben sollten. Sie schien nicht zu wissen, daß man die Augen — wie beseelt auch die ihrigen von Natur waren — zu etwas Anderm, als zum Sehen gebrauchen könne; sie lachte niemals, um ihre schönen Zähne zu zeigen, und ließ oft in einer einzigen Stunde zwanzig Gelegenheiten entgehen, wo eine Andere sich das Vergnügen gemacht hätte, die Anwesenden von der Schönheit eines wohlgestalteten Armes oder von der Artigkeit eines kleinen Fußes zu überweisen. Ihre Gegenwart macht es überflüssig, ein Gemälde fortzuführen, womit ich ohnehin nie zufrieden seyn würde.Die Unschuld hat eine unendliche Menge Annehmlichkeiten, die eben so wenig beschrieben, als von der Kunst nachgeahmt werden können, und deren Eindruck desto gefährlicher ist, da er so sanft und schuldlos zu seyn scheint, als sie selbst. Mein Herz war schon völlig von ihr eingenommen, ehe ich daran dachte, wie weit mich die Gesinnungen führen könnten, die sie mir ohne ihr Zuthun einflößte. Unvermerkt ward ich es gewohnt, sie alle Tage zu sehen; unvermerkt verlor alles Andere, was mir sonst angenehm gewesen war, seinen Reiz für mich; ihre bloße Gegenwart setzte mich in Entzücken, und ohne sie machte mir Alles lange Weile. Ich entzog mich nach und nach allen Gesellschaften, Lustbarkeiten und Zerstreuungen, um des einzigen Vergnügens ungestört zu genießen, dessen jetzt mein Herz fähig war. Jeder Augenblick, um welchen irgend ein Zufall mich nöthigte, sie später als gewöhnlich zu sehen, dehnte sich in eine tödtliche Länge aus; und ein ganzer Abend, den ich in ihrer und Arseniens Gesellschaft zubrachte (denn allein sah ich sie niemals), schien mir ein Augenblick, wenn er vorüber war.Die Vorwürfe meiner Freunde nöthigten mich endlich, ihnen von einer Neigung Rechenschaft zu geben, die alle andere in meinem Herzen ausgelöscht zu haben schien; und die kleinen Streitigkeiten, die wir darüber mit einander bekamen, entdeckten mir, daß diese Neigung — anstatt (wie man für recht und billig hielt) ein bloßer Zeitvertreib und flüchtige Geschmack zu seyn — eine Leidenschaft war, die das Glück oder Unglück meines Lebens entscheiden würde. Ich will Ihnen durch keine umständliche Beschreibung Alles dessen, was, von dieser Entdeckung an, in meinem Herzen vorging, beschwerlich fallen. Diejenigen, welche glauben, daß man die Liebe mit Erfolg bekämpfen könne, reden von einer Liebe, die nur in sehr uneigentlichem Verstande so genannt zu werden pflegt. Diese auflodernden Flammen, die bloß durch die Schönheit oder ein beiderseitiges Bedürfniß entzündet und durch die Begierden unterhalten werden; diese willkürlichen Verbindungen, an denen das Herz keinen Antheil hat, die man aus Eitelkeit, langer Weile, Vorwitz, Grillenhaftigkeit, Gewohnheit oder Bequemlichkeit eingeht und wieder aufhebt, wie und wann man will, und die man, so wenig sie auch mit der wahren Liebe gemein haben, bloß darum Liebe nennt, um ihnen einen ehrlichen Namen zu geben — diese mögen wohl ohne große Mühe bekämpft und besiegt werden. Aber über eine wahre Liebe, die sich auf ein zartes Verständniß der Herzen gründet und mit gegenseitiger Hochachtung verbunden ist, wurde noch nie ein Sieg erhalten, und die Schwierigkeiten, die ihr in den Weg gelegt werden, dienen zu nichts, als den ihrigen zu befördern. Ich machte mir selbst alle nur ersinnliche Einwürfe; ich fühlte ihre ganze Stärke; ich wußte nur gar zu wohl, daß man die Vorurtheile, die meiner Liebe das Urtheil sprachen, nicht ungestraft verachten könne. Aber was vermochten alle diese Betrachtungen gegen eine Neigung, die für mein Herz die Quelle einer innerlichen Glückseligkeit war, der ich alle Augenblicke bereit war alles andere Glück aufzuopfern! Ein Opfer, wofür derjenige, der wahrhaftig liebt, durch einen einzigen Blick, eine einzige Thräne der Zärtlichkeit sich reichlich entschädiget glaubt. Doch ich weiß eben so wohl, daß ich in dieser kleinen Gesellschaft von Freunden keine Entschuldigung vonnöthen habe, als daß diejenigen, die das Unglück haben, dieser Art von Gesinnungen selbst unfähig zu seyn, keine Entschuldigung gelten lassen.Ich entschloß mich also mit aller nur möglichen Unerschrockenheit, in den Augen dieser letztern ein Thor zu seyn, und richtete jetzt alle meine Bemühungen allein dahin, mich einer Gegenliebe zu versichern, von welcher die Glückseligkeit meines Lebens abhangen sollte. Mein Umgang mit Jacinten dauerte bereits etliche Monate, und meine Absichten waren bei mir selbst festgesetzt, ohne daß sie Ursache hatte, mich als einen Liebhaber anzusehen. Mein Betragen war so zurückhaltend, und die Zärtlichkeit, die ich für sie zeigte, derjenigen so ähnlich, die ein Bruder für eine Schwester haben kann, daß Arsenia endlich einen kleinen Argwohn über meine Absichten bekam. Sie errieth zwar, daß ich das Vergnügen haben wollte, einer gewissen Sympathie, die zwischen unsern Herzen zu walten schien, Zeit zu lassen, sich in dem ihrigen allmählich von selbst zu entwickeln; aber sie zweifelte zuweilen, ob der Gebrauch, den ich einst davon machen würde, so unschuldig seyn möchte, als sie es aus Liebe zu ihrer jungen Freundin wünschte; Sie hatte zwar Ursache, sich zu meiner Denkungsart und zu meinen Grundsätzen das Beste zu versehen; aber auf der andern Seite setzten die Vorurtheile der Welt oder vielleicht die Betrachtung meines eigenen Glücks eine so weite Kluft zwischen uns, daß sie mir nicht Muth oder Liebe genug zutrauen konnte, sie zu überspringen. Sie wußte, daß die Welt weit geneigter seyn würde, mir eine Verbindung, wobei nur Jacinte aufgeopfert würde, zu gut zu halten, als eine solche, wodurch (nach den Maximen des großen Haufens) meine eigene Ehre verdunkelt würde; und was meine Denkungsart betraf, so kannte sie die Menschen zu gut, als daß sie die Grundsätze eines jungen Mannes für eine hinlängliche Gewähr gegen seine Leidenschaften hätte halten sollen. Diese Betrachtungen, die sie mir in der Folge selbst gestand, schienen ihr zwar nicht dringend genug, die unschuldige Neigung, die durch fast unmerkliche Grade in dem Herzen ihrer jungen Freundin sich entwickelte, durch voreilige Besorgnisse zurück zu schrecken; aber sie verdoppelten ihre Aufmerksamkeit auf mich und bewogen sie, mir (wiewohl auf eine sehr feine Art) Gelegenheit zu machen, meine Gesinnungen deutlicher zu verrathen.Unter einer Menge von jungen Leuten, die sich zu erklärten Verehrern der liebenswürdigen Jacinte aufgeworfen hatten und sich ihres vermeinten Rechts bedienten, sie hinter der Scene mit ihrem Unsinne zu ermüden, waren verschiedene, die ihre Absichten gern weiter getrieben hätten, wenn sie, solang ich ihnen (ihrer Meinung nach) im Wege stand, sich einigen Erfolg davon hätten versprechen können. So unangenehm es mir war, daß ich Jacinten nicht von diesem ganzen beschwerlichen Schwarme befreien konnte, so wenig hatte ich Ursache zu besorgen, daß irgend einer von ihnen ihrem Herzen gefährlich werden könnte. Es ist, dachte ich, eine natürliche Unbequemlichkeit, der die Rose ausgesetzt ist, daß sie allerlei Ungeziefer um sich her sumsen lassen muß; und die Ehrfurcht, worin Jacinte diese Insecten zu erhalten weiß, ist ihrem Charakter mehr rühmlich als nachtheilig. Allein Don Fernand von Zamora, der um diese Zeit nach Grenada kam und beim ersten Male, da er sie auf dem Theater sah, eine heftige Leidenschaft nach seiner Art für sie faßte, ließ mich nicht lange in dieser stolzen Ruhe. Ein Rival, der die Schönheit eines Narcissus mit der frechen Ausgelassenheit eines Satyrs verband, — der gewohnt war, seinen Leidenschaften den Zügel zu verhängen und die unermeßlichen Reichthümer, über die ihn der Tod seiner Eltern zum Herrn gemacht hatte, bloß zu Befriedigung seiner Begierden zu verschwenden, — ein solcher Rival, so wenig ich auch für Jacintens Herz von ihm besorgte, war doch in verschiedenen andern Rücksichten nicht als gleichgültig anzusehen. Er machte seine erste Liebeserklärung mit Geschenken, die vielleicht manche spröde und stolze Tugend in Versuchung hätten führen können. Jacinte schickte sie zurück, ohne zu glauben, daß sie ihrer Unschuld oder meiner Liebe ein beträchtliches Opfer gebracht habe; allein sie konnte sich doch mit guter Art nicht erwehren, Besuche von ihm anzunehmen und an den ausschweifenden prächtigen Lustbarkeiten, die er ihr und seiner Eitelkeit zu Ehren anstellte, mit Arsenien und andern von ihren theatralischen Freundinnen Antheil zu nehmen. So schwer es meinem Herzen wurde, so beschloß ich doch, sie in dieser Gefahr, wenn es eine war, gänzlich dem ihrigen zu überlassen.Don Fernand, dem ganz Grenada sagen konnte, daß ich sie niemals anders als in Arseniens oder anderer Gesellschaft sah, konnte sich um so weniger bereden, daß ich sein Nebenbuhler sey, da er durch die genaueste Beobachtung nichts in meinem Betragen entdeckte, das mich dessen hätte verdächtig machen können; und wenn er auch einigen Verdacht gehabt hätte, so würde ihn dieß nur desto eifriger gemacht haben, seine Anfälle auf ihr Herz zu verdoppeln. Allein weder seine Schönheit, noch sein schimmernder Aufzug noch seine Feste, noch die ungeheure Menge von Oden und Elegien — in denen er über die kieselsteinerne Härte ihres Herzens klagte oder sich wunderte, wie der warme Schnee ihres schönen Busens so kalt seyn könne — waren vermögend, aus diesem kleinen Felsenherzen ein einziges armes Fünkchen von Mitleiden heraus zu schlagen, wie kläglich auch die ganze reimende Zunft von Grenada auf seine Unkosten darum winseln mußte; und Don Fernand fand endlich für gut, sein Herz, seine Geschenke und seine Elegien einer andern Schauspielerin anzubieten, welche, die Sprödigkeit (wie sie es nannte) ausgenommen, in allen andern Stücken mit Jacinten in die Wette eiferte.So sehr ich nun Ursache hatte, mit dem Ausgange dieses Abenteuers zufrieden zu seyn, so ungeduldig hatten mich die Unbequemlichkeiten des theatralischen Lebens, denen ich Jacinten bei dieser Gelegenheit ausgesezt sehen mußte, gemacht, sie davon zu befreien. Ich glaubte nunmehr ihres Charakters und Herzens so gewiß zu seyn, daß ich eine längere Beobachtung für überflüssig hielt; und ich ging wirklich damit um, mich Arsenien zu entdecken und die Mittel zur Ausführung meines Entwurfs mit ihr abzureden; als eine aufzehrende Krankheit, deren schneller Anwachs gar bald wenig Hoffnung zu ihrer Genesung übrig ließ, diese edle Frau veranlaßte, mir zuvor zu kommen. Sie bat sich eine Unterredung mit mir aus, wovon, nach einer kurzen Erzählung ihrer eigenen Schicksale, Jacinte der einzige Gegenstand war. — "Ich liebe sie, sagte sie, als ob sie mein eigenes Kind wäre, und die Umstände, worin ich sie verlassen muß, sind das Einzige, was mir die Verlängerung eines Lebens angenehm gemacht hätte, das mir durch eine lange Kette von Unglücksfällen und einen Gram, den nur mein Tod enden kann, schon lange zu einer beschwerlichen Bürde geworden ist. Meine Liebe zu ihr ist desto unparteiischer, da sie sich allein auf die Eigenschaften ihres Herzens gründet. Wie würdig ist sie eines bessern Schicksals, und wie wenig Hoffnung darf ich mir machen, daß ihr Glück jemals mit ihrem Werth übereinstimmen werde! In ihren Umständen kann sie keine Lebensart erwählen, die nicht ihre eigenen Gefahren hat. Jugend und Unschuld, von so vielen Annehmlichkeiten begleitet, sind ohne die Vortheile der Geburt oder des Glückes gefährliche Gaben für unser Geschlecht. Eben diese Unschuld, eben diese Reizungen, die an einer jungen Person von Stande oder an einer reichen Erbin eine ehrerbietige Liebe oder doch wenigstens rechtmäßige Absichten einflößen wurden, machen ein Mädchen, das dem Glücke nichts zu danken hat, zu einem bloßen Gegenstande von Begierden, die auf ihr Verderben zielen; und eben derjenige, der sich nicht schämt, zu ihren Füßen hingeworfen sie in der Sprache der Schwärmerei und Anbetung für die Göttin seines Herzens zu erklären, würde sich durch den bloßen Verdacht, daß er ehrliche Absichten auf sie haben könnte, für beleidigt halten. Urtheilen Sie nun selbst, Don Eugenio, ob ich über Jacintens Schicksal ruhig seyn kann. Sie ist für die Umstände nicht gemacht, wozu ihr Unglück sie verurtheilt hat; sie ist liebenswürdig und, wie ich glaube, durch ihre Unschuld und sanfte Gemüthsart nur desto fähiger, gerührt zu werden. Ich besorge nichts für sie von allen diesen schimmernden Gecken, die um sie herum flattern und gleich unfähig sind, Liebe zu empfinden und einzuflößen. Aber wenn sie einen Mann findet, der mit den Eigenschaften eines edeln Gemüths, mit tugendhaften Gesinnungen und einer ehrerbietigen Zärtlichkeit sich ihre Hochachtung erwirbt; der seine Begierden unter uneigennützigen Empfindungen zu verbergen und die Liebe unter dem Namen und in Gestalt der Freundschaft heimlich in ihr Herz einzuführen weiß; der Geduld genug hat, den Zeitpunkt abzuwarten, da sie durch das Vertrauen, das sie ihm schuldig zu seyn glaubt, durch die Unschuld ihrer eigenen Empfindungen, durch den zauberischen Reiz der Sympathie und gewisser geheimer Triebe, die sie in der unerfahrnen Einfalt ihres Herzens mit den zärtlichen Regungen desselben vermengt, entwaffnet, unbesorgt und ganz in Liebe aufgelöst, als ein williges Opfer seinen Begierden überliefert wird — ach, Don Eugenio! — wie sehr besorge ich, daß sie diesen Mann schon gesehen hat! — Vergeben Sie mir, mein edler Freund! Die Umstände, worin Sie mich sehen, berechtigen mich, freimüthig zu seyn: eine Person, die in Kurzem von den Menschen nichts mehr zu fürchten noch zu hoffen hat, sieht durch alle die Blendwerke durch, die unsere Urtheile zu bethören, zu verfälschen oder zurückzuhalten pflegen, solange wir noch selbst in die menschlichen Angelegenheiten verwickelt sind. Sie werden nicht daran zweifeln, daß ich schon lange weiß, daß Sie Jacinten lieben, und Sie müssen es so gut wissen als ich, daß Sie Ihre Absichten auf das zärtlichste und beste aller Herzen nur gar zu gut erreicht haben. Ich schätze Sie hoch, Don Eugenio, und noch vor wenig Tagen würde ich es für beleidigend gehalten haben, Ihnen das geringste Mißtrauen sehen zu lassen; aber was wollen Sie, daß ich jetzt, da Jacintens Sicherheit meine einzige Sorge ist, von Ihrer Neigung denken soll?"Hier fuhr die rechtschaffene Arsenia fort, mir ihre Besorgnisse zu entdecken, und endigte ihre Rede endlich damit, daß sie mich mit vielen Thränen beschwor, der Unschuld ihrer jungen Freundin zu schonen. Sie sah mich so lebhaft gerührt, daß sie unmöglich in die Wahrheit der Erklärungen, die ich ihr hierauf gab, einen Zweifel setzen konnte. Ich entdeckte ihr umständlich, was von dem ersten Augenblick an, da ich Jacinten gesehen hatte, in meinem Herzen vorgegangen war; wie sehr jederzeit das Verlangen, sie glücklich zu sehen, die Begierde, mich selbst durch sie glücklich zu machen, überwogen habe; und wie fest ich nunmehr entschlossen sey, alle andere Betrachtungen, so wichtig sie immer an sich selbst seyn möchten, unserer gemeinschaftlichen Glückseligkeit aufzuopfern. Ich bat sie, Jacinten hierauf vorzubereiten und alsdann zu gestatten, daß ich in ihrer Gegenwart mich gegen sie erklären dürfte. Beides geschah, und die liebenswürdige Jacinte machte sich kein Bedenken, mich sehen zu lassen, wie gerührt sie davon war. — Diese Zeichen des vollkommenen Vertrauens, das ich in Ihre Rechtschaffenheit setze, sagte sie, indem sie mich mit thränenden Augen ansah, diese Thränen, die ich mich nicht bemühe vor Ihnen zu verbergen, bin ich Ihren allzu großmüthigen Gesinnungen schuldig. Aber dieß ist auch Alles, was die unglückliche Jacinte thun kann, Ihnen ihre Dankbarkeit zu zeigen. — Sie entdeckte mir hierauf mit einer Offenherzigkeit, die sie noch tausendmal liebenswürdiger in meinen Augen machte, die ganze Geschichte ihres Lebens.Urtheilen Sie jetzt selbst Don Eugenio, fuhr sie fort, wie sie damit zu Ende war, ob ich nicht die unwürdigste Creatur wäre, wenn ich das Uebermaß Ihrer Gütigkeit für mich mißbrauchen wollte, solang ich nicht eine völlige Gewißheit dessen habe, was vermuthlich eine bloße Eingebung meiner Eitelkeit ist, wenn ich mir schmeichle, daß ich vielleicht weniger Ursache habe, über meinen Ursprung zu erröthen, als die Zigeunerin, die mich erzogen hat, mich bereden wollte. — Arsenia vereinigte sich vergebens mit mir, sie zu überzeugen, daß ihre Bedenklichkeit zu weit getrieben sey; sie blieb unbeweglich bei ihrem Entschlusse, wenn sie Arsenien verlieren sollte, sich in ein Kloster zu begeben; und Alles, was ich endlich von ihr erhalten konnte, war, daß sie mir die Wahl des Ortes überließ und feierlich versprach, sich ohne meine Einstimmung durch keine Gelübde binden zu wollen. Ich schrieb sogleich an einen Freund zu Sevilla, um Nachrichten von der alten Zigeunerin einzuziehen, und vernahm, daß die Aufmerksamkeit, die der Corregidor auf ihr Haus zu wenden angefangen, sie vor Kurzem genöthigt habe, sich durch eine schleunige Flucht in Sicherheit zu bringen. So verdrießlich mir dieser Umstand war, so gab ich doch die Hoffnung nicht auf, durch die Maßregeln, die ich deßwegen nahm, die Alte noch endlich auszutreiben: eine Hoffnung, welche jetzt eben so wichtig für mich war, als ob ich gewiß gewesen wäre, daß die Nachricht von Jacintens Herkunft die ich dadurch zu erhalten hoffte, meiner Liebe günstig seyn müßte. Inzwischen nöthigten mich die Angelegenheiten meiner Schwester, von Grenada nach Valencia zurückzukehren und meine Geliebte bei einer Freundin zurückzulassen, von der sie sich durch nichts als den Tod trennen lassen wollte, und deren täglich abnehmendes Leben mir wenig Hoffnung übrig ließ, sie jemals wieder zu sehen.
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Vierzehntes Capitel:

Beschluß der Geschichte der Jacinte. Eine Vermuthung des Don Sylvio. Vorbereitungen zu einem Intermezzo, wobei wenige Leute lange Weile haben werden.

So interessant vermuthlich die Liebesgeschichte des Don Eugenio und der schönen Jacinte ihnen selbst und vielleicht auch ihren unmittelbaren Zuhörern gewesen seyn mag, so wenig können wir unsern Lesern übel nehmen, wenn sie das Ende davon zu sehen wunschen. Es ist in der That für ehrliche Leute, die bei kaltem Blute sind, kein langweiligeres Geschöpf in der Welt, als ein Liebhaber, der die Geschichte seines Herzens erzählt. Wir wollen uns also begnügen, ihnen zu sagen, daß Jacinte das Wort wieder nahm und ihre eigenen Begebenheiten von dem Tod ihrer Freundin an bis zu dem Augenblick fortsetzte, da Don Eugenio und Don Gabriel, von unserm Helden unterstüzt, sie den räuberischen Händen des Don Fernand von Zamora entrissen. Sie ergänzte, was ihr selbst bisher in diesen Begebenheiten unbegreiflich gewesen war, aus dem Geständnisse, welches die getreue Teresilla sich genöthiget gesehen hatte ihrer Gebieterin von ihrem geheimen Briefwechsel mit Don Fernand und von allen den kleinen Verräthereien zu machen, die sie seit geraumer Zeit gespielt hatte. Denn unglücklicher Weise für diese würdige Kammerjungfer hatte sich ein Briefchen des Don Fernand, welches sie, anstatt es zu verbrennen, in ihrem Unterröckchen wohl verwahrt zu haben glaubte, man weiß nicht wie, in Pedrillo's Kammer aus ihrem Schubsacke verloren, und (wie sich Alles zusammen schicken muß, wenn eine Schelmerei zur Entdeckung reif ist) so war es dem Don Eugenio in die Hände gefallen, da er, an dem nämlichen Morgen, als unser Held das Wirthshaus so plötzlich verließ, von ungefähr in diese Kammer trat.Sie erzählte also: wie Don Fernand von Zamora, anstatt seine Absichten (wie er Miene gemacht hatte) aufzugeben, Mittel gefunden, ihre Anwärterin auf seine Seite zu bringen; was für Entwürfe er mit Teresillen gemacht, um auf ihrer Reise nach Valencia sich ihrer Person zu bemächtigen; auf welche Art er dieses Vorhaben ins Werk gerichtet; wie sehr er sich bemüht, sie zu besänftigen und durch eine ehrerbietige Zurückhaltung ihr eine bessere Meinung von seinen Absichten beizubringen; und wie endlich der glückliche Umstand, daß Don Eugenio, anstatt zu Valencia zu seyn (wie sie selbst geglaubt hatte) , zu Lirias gewesen und, durch einen noch glücklichern Zufall auf einem Spazierritte zwischen Jntella und Lirias auf sie gestoßen, ihre Befreiung veranlagt habe.Die schöne Jacinte vergaß bei dieser Gelegenheit nicht, unserm Helden von Neuem für die Großmuth zu danken, womit er sich für sie und Don Eugenio gewagt hatte, und Don Sylvio erwiederte diese Höflichkeit im Tone der Galanterie der Ritter vom Gral und von der runden Tafel. Er bezeigte sich ihr sehr verbunden, daß sie ihm erlaubt hatte, einen Zuhörer ihrer Geschichte abzugeben, und versicherte sie, daß man sie nur zu sehen und zu hören brauche, um überzeugt zu seyn, daß ihre Abkunft, ungeachtet des geheimnißvollen Dunkels, womit sie noch bedeckt sey, eben so erhaben und glänzend seyn müsse, als ihre persönlichen Verdienste. Indessen konnte er doch nicht umhin, seine Verwunderung darüber zu bezeigen, daß in einer Geschichte, die ihm außerordentlich genug dazu schien, die Feen nicht das Geringste zu thun gehabt haben sollten; und er fragte sie ganz ernsthaft: woher es komme, daß sie über diesen Punkt ein so genaues Stillschweigen beobachtet habe, da es doch ganz und gar nicht begreiflich sey, daß Feen und Zauberer an den Begebenheiten einer so vollkommnen jungen Dame keinen Antheil gehabt haben sollten? Die ernsthafte Miene, womit er diese Frage that, machte, daß die beiden Damen, ungeachtet ihres Vorsatzes, alle mögliche Achtung für seine Schwärmerei zu zeigen, sich des Lachens nicht enthalten konnten. Wollten Sie denn, sagte Jacinte, daß ich ein Feenmährchen aus meiner Geschichte gemacht haben sollte? Warum ließen Sie mir nichts davon merken? Wenn ich geglaubt hätte, sie Ihnen dadurch angenehm zu machen, so wär' es mir ein Leichtes gewesen, die alte Zigeunerin in eine Carabosse, die gute Dame zu Calatrava in eine Lumineuse und den Don Fernand von Zamora, wo nicht zu einem schelmischen Zwerge, doch wenigstens zu einem Sylphen oder Salamander zu machen.Vergeben Sie mir, sagte Donna Felicia, meines Erachtens würde Ihre Erzählung sehr dabei gewonnen haben. Denken Sie einmal, wie frostig es klingen würde, wenn ein 7 Dichter sich begnügen wollte zu sagen: Daphnis oder Coridon setzten sich in den Schatten und schöpften frische Luft; oder, er löschte seinen Durst aus einer Quelle? Aber, sobald er sagt: Freiwillige Blumen drangen auf Florens Befehl hervor, dem schönen Seladon zum weichen Polster zu dienen, gaukelnde Zephyrn fächelten ihm mit ihren Rosenflügeln Kühlung und ambrosische Gerüche zu, und eine Nymphe, reizend wie die junge Hebe, bot ihm freundlich lächelnd krystallenes Wasser in einer Perlenmuschel dar — dann glauben wir erst, daß der Dichter seine Schuldigkeit gethan und die Natur geschildert habe, wie er soll.Vermuthlich, sagte Don Gabriel (welcher merkte, daß unser Held ein wenig betroffen war und nicht wußte, wie er die Scherze der beiden Damen aufnehmen sollte), ist die Absicht der schönen Jacinte gewesen, uns nur einen summarischen Begriff von ihren Abenteuern mitzutheilen. Die Feen können dem ungeachtet, wie ich nicht zweifeln will, die geheimen Triebfedern aller ihrer wundervollen Zufälle gewesen seyn; und wenn ich bedenke —Vergeben Sie mir, Don Gabriel, fiel Jacinte ein, ich schwöre Ihnen im ganzen Ernste, daß die Feen, soviel mir bekannt ist, nicht die geringste Mühe mit mir gehabt haben. Sie werden mich doch nicht bereden wollen, hoffe ich, daß alle diese chimärischen Wesen, die in den Mährchen so viel zu thun haben, jemals außer den Mährchen existirt haben?Ist es möglich, rief Don Sylvio, daß Sie hieran zweifeln können? — Sehen Sie denn nicht, daß man allen historischen Glauben aufgeben müßte —Erhitzen Sie sich nicht, mein lieber Don Sylvio, fiel ihm Don Gabriel lächelnd ins Wort: Sie sehen ja, daß Jacinte nur gescherzt hat; und wenn es auch ihr Ernst gewesen wäre, so wollen wir sie bald auf andere Gedanke bringen. Sie kennt vielleicht nur das Mährchen vom blauen Bart oder vom rothen Mützchen und von der guten kleinen Maus: sie würde ganz anders reden, wenn sie, zum Exempel, die Geschichte des Prinzen Biribinker hören würde, die eine unzweifelhafte Glaubwürdigkeit vor sich hat, da sie aus dem sechsten Buche der unglaublichen Geschichten des berühmten Paläphatus genommen ist.Ich gestehe Ihnen, sagte Don Sylvio, daß mir dieser Prinz, dessen Sie erwähnen, gänzlich unbekannt ist, und daß ich sehr begierig wäre, seine Geschichte zu wissen.Sie würden es noch viel mehr seyn, fuhr Don Gabriel fort, wenn Sie sich zum voraus vorstellen könnten, wie außerordentlich und interessant seine Begebenheiten sind. Ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich Sie versichere, daß sie Alles übertreffen, was man jemals in den Geschichten der Feen gesehen hat.Sie machen mich selbst begierig, sagte Don Eugenio: die unglaublichen Geschichten eines Schriftstellers, der dem Homer den Vorzug des Alterthums streitig macht, sind in der That eine Gewähr, die Niemand sich einfallen lassen wird, für unsicher zu halten; und wenn schon das sechste Buch davon für die Welt längst verloren gegangen ist, so folgt doch nicht daraus, daß Don Gabriel, dessen Stärke in der geheimen Philosophie uns bekannt ist, nicht mehr davon sollte wissen können, als Andere.Ich bin Ihrer Meinung, sagte Donna Felicia: ich wollte wetten wenn dieses sechste Buch auch nie geschrieben worden wäre, so würde die tiefe Wissenschaft des Don Gabriel mehr als zulänglich seyn, uns die Geschichte des Prinzen Biribinker von Wort zu Wort eben so zu erzählen, wie er sie in diesem sechsten Buche gefunden hätte, wenn es geschrieben worden wäre.Es beliebt Ihnen zu scherzen, Donna Felicia, versetzte Don Gabriel ganz ernsthaft. Ich gestehe, daß die Geschichte des Prinzen Biribinker bisher noch unbekannt gewesen ist; aber das benimmt ihrer Wahrheit nichts; und Don Sylvio soll, mit Euer Gnaden Erlaubniß, Richter darüber seyn, ob etwas darin ist, das die Glaubwürdigkeit des Geschichtschreibers verdächtig machen könnte.Wir wollen sehen, erwiederte Donna Felicia; denn ich hoffe doch, Sie werden uns Uebrigen erlauben, Zuhörer abzugeben, wenn wir uns gleich nicht anmaßen dürfen, Richter zn seyn.Da sich nun Jedermann begierig zeigte, eine Geschichte zu wissen, von welcher schon der bloße Name Biribinker sehr viel Merkwürdiges zu versprechen schien, so wurde die Abrede genommen, daß man sich Abends nach der Sieste in dem Myrtenwäldchen versammeln wollte, um sie anzuhören; und weil die Sonne anfing beschwerlich zu werden, so begab sich die Gesellschaft durch einen bedeckten grunen Gang in das Wohnhaus zurück.Unser Held hatte, während Jacinte ihre Geschichte erzählte, einen Einfall bekommen, den er dem Don Eugenio entdeckte, sobald sie sich allein sahen. —Was würden Sie dazu sagen, Don Eugenio, fing er an, wenn Jacinte meine Schwester wäre? — Ihre Schwester? versetzte Don Eugenio. Haben Sie denn eine Schwester verloren? — Ich hatte eine, antwortete Don Sylvio, die sich in ihrem dritten Jahre verlor, ohne daß man erfahren konnte, was aus ihr geworden sey. — Himmel! rief Don Eugenio, wie glücklich wär' ich, wenn Ihre Muthmaßung sich wahr befände! Und in der That, nun wundert mich's erst, wie gewisse Gesichtszüge, welche Jacinte mit Ihnen gemein hat, mich nicht selbst auf diesen Gedanken gebracht haben. Aber erinnern Sie sich keiner Umstände? Wissen Sie keine Merkmale, die unsere Vermuthung zur Gewissheit leiten könnten?Wenn der Instinct nicht betrüglich wäre, antwortete Don Sylvio, so würde ich geneigt seyn, die Anmuthung, die ich beim ersten Anblick für sie empfand, für die Stimme des Blutes zu halten. Aber ich besorge, Don Eugenio, daß ich mir mit einer unzeitigen Hoffnung geschmeichelt habe. — Und warum? fragte Don Eugenio ungeduldig. — Ich finde einen Umland in Jacintens Geschichte, antwortete jener, der mich in Verlegenheit setzt. Ich bitte Sie, erklären Sie sich, rief Don Eugenio; ich bin auf der Folter, solange Sie mich im Zweifel schweben lassen.Jacinte ist von einer Zigeunerin erzogen und, wie sie vermuthet, ihren wirklichen Aeltern entwendet worden, fuhr Don Sylvio fort; die Zeit und das Alter kommen überein; meine Schwester hatte ungefähr drei Jahre, wie sie unsichtbar wurde, und sie würde jetzt Jacintens Alter haben. Die Verschiedenheit der Namen (denn meine Schwester hieß Seraphine) thut nichts zur Sache, man konnte ihren Namen ändern; aber der Umstand mit der Zigeunerin verderbt Alles. Man vermuthete zwar in meinem Hause, daß meine Schwester von einer Zigeunerin gestohlen worden sey, aber ohne genugsamen Grund; denn ich habe eine Menge der wichtigsten Ursachen, die mich überzeugen, daß es eine Fee gewesen ist.Hier war Don Eugenio im Begriff, die Geduld zu verlieren, und er hatte alle nur ersinnliche Mühe, seine ersten Bewegungen zurück zu halten. Wenn Sie keine andere Bedenklichkeit haben, sagte er endlich, nachdem er sich wieder gefaßt hatte, so haben wir nicht nöthig, uns hierüber zu beunruhigen. Was hindert uns zu glauben, daß die Zigeunerin, welche Jacinten raubte, und die Fee, die Ihre Schwester unsichtbar gemacht hat, eine und ebendieselbe Person war? Wir wollen uns nicht bei dem Namen aufhalten. Glauben Sie mir, alle ihre Carabossen, Fanferluchen, Concombres und Magotinen sind nicht mehr noch weniger Feen gewesen, als diese Zigeunerin; und wer weiß, ob sich nicht am Ende zeigen wird, daß die Feerei an Jacintens Geschichte mehr Antheil hatte, als sie sich selbst einbildet?Don Sylvio fand diesen Gedanken sehr gut, und beide strengten nunmehr allen ihren Witz an, sich in einer Einbildung zu bestärken, die ihren Neigungen schmeichelte. Unser Held zweifelte nicht, daß sich das Geheimniß in Kurzem, und ehe man sich dessen versehen würde, durch die plötzliche Erscheinung der Fee von selbst aufklären werde; und Don Eugenio machte von Neuem Anstalten, die Zigeunerin, von welcher er über die Genealogie seiner geliebten Jacinte mehr Licht erwartete, als von allen Feen der ganzen Welt, herbei zu schaffen, sie möchte sich auch verkrochen haben, wohin sie wollte.Während dieser Unterredung hatte sich Donna Felicia in ihr Cabinet begeben, wo sie, indessen Laura mit Jacintens Aufputz beschäftiget war, das Vergnügen hatte, ihren Gedanken ungestört Gehör zu geben. Ohne Zweifel hatte sie Ursache genug, mit den Vortheilen zufrieden zu seyn, die sie bereits über unsern Helden erhalten hatte. Aber die Liebe ist, wie man weiß, so furchtsam, daß sie sich oft am weitesten von ihrem Glück entfernt zu seyn glaubt, wenn sie ihm am nächsten ist. Donna Felicia befand sich dießmal in diesem Fall, und die übertriebene Vorstellung, die sie sich von der Schwierigkeit machte, den blauen Schmetterling aus dem Herzen ihres Ueberwinders zu verdrängen, beredete sie, daß es unumgänglich nothwendig sey, ihn mit stärkern Waffen zu bekämpfen, als bisher. Insonderheit hielt sie es für sehr nachtheilig, wenn sie ihm Zeit lassen würde, sich in Gegenverfassung zu setzen. Ihrer Meinung nach konnte sein Herz nicht anders als mit Sturm erobert werden, und eine jede Minute, worin es nicht von ihren Blicken beschlossen wurde, schien ihr die Lücken wieder zu ergänzen, die sie darin gemacht haben könnten. Unter diesen Betrachtungen fiel ihr ein, ihn zu ihrer Toilette rufen zu lassen; und nachdem sie diesen Gedanken in weniger als einer Viertelstunde wohl zwanzigmal gebilliget und wieder verworfen hatte, so behielt er doch zuletzt die Oberhand, und Laura bekam einen Wink, ihm (wiewohl nur in ihrem eigenen Namen) zu verstehen zu geben, daß ihre Dame sichtbar sey.Wir hätten hier einen schönen Anlaß, unsere Geschicklichkeit sowohl in Gemälden, die eine gewisse Zartheit des Pinsels erfordern, als in Zergliederung der Empfindungen und Entwicklung der geheimsten Triebfedern des menschlichen Herzens zu zeigen, wenn wir uns in eine Beschreibung Alles dessen einlassen wollten, was bei diesem Besuche, wobei Jacinte und Laura gegenwärtig waren, vorgegangen. Allein, da unsere Eitelkeit durch die Proben, die wir unsern Lesern bereits davon gegeben zu haben glauben, schon hinlänglich befriediget ist: so werden sie erlauben, daß wir, ohne unsere Bequemlichkeit immer ihrem Vergnügen aufzuopfern, uns für dießmal begnügen, ihnen zu sagen: daß die schöne Felicia ihre Absichten vollkommen erreicht habe, oder (wenn dieser Ausdruck zu unbestimmt scheinen möchte) daß alle die phantastischen Entzückungen, worin die Feen und die Liebe zu einem chimärischen Gegenstand unsern Helden von Zeit zu Zeit gesetzt hatten, sich zu denjenigen, die er bei dieser Gelegenheit erfuhr, gerade so verhielten, wie ein Schmetterling zu einer reizenden Wittwe von achtzehn Jahren.Wenn Donna Felicia bei ihrer Toilette Anlaß gehabt hatte, unserm Helden ihre materielle Schönheit in dem mannigfaltigsten und vortheilhaftesten Lichte zu zeigen, so unterließ sie nicht, über der Tafel seine Bezauberung durch die intellectuellen Reizungen ihres Geistes (die unter dem Flor der sichtbaren Schönheit so verführerisch sind) auf den höchsten Grad zu treiben. Die Nachmittagshitze war dieses Mal so erträglich, daß man über dem Vergnügen eines aufgeweckten Umgangs die gewöhnliche Sieste vergaß; und Don Sylvio, der lauter Auge, Ohr und Seele für seine Göttin war, würde sogar das Mährchen vergessen haben, womit Don Gabriel die Gesellschaft zu beschenken versprochen hatte, wenn er, bei einem Spaziergange, den man des Abends in dem Myrtenwäldchen machte, nicht von Jacinten daran erinnert worden wäre. Weil die Absicht dabei war, eine Probe zu machen, wie weit das Vorurtheil und die Einbildung bei unserm Helden gehe, so hatte Don Gabriel die Uebrigen schon vorbereitet, von seinem Mährchen den höchsten Grad des Abenteuerlichen und Widersinnigen zu erwarten. Allein dieß machte sie nur desto begieriger zu sehen, wie er sich aus der Sache ziehen würde.Jacinte hatte also kaum des Prinzen Biribinker erwähnt, so vereinigte sich die ganze Gesellschaft, ihm anzuliegen, daß er ihre Ungeduld nach der versprochenen Geschichte befriedigen möchte. Don Sylvio selbst erwachte, sobald er hörte, daß von einem Feenmährchen die Rede war, aus der süßen Träumerei, in welche ihn die schöne Donna Felicia seit einer geraumen Weile gesetzt hatte. So groß ist die Macht der Gewohnheit! und so wenig kann der vollkommenste Gegenstand von unserer Aufmerksamkeit Meister bleiben, sobald sich uns ein anderer, wie klein und eitel er immer vergleichungsweise seyn mag, darstellt, der einmal im Besitz ist, eine gewisse Gewalt über unsere Einbildung oder unsere Sinne auszuüben!Nachdem sie also in einer mit Jasmin bewachsenen Sommerlaube Platz genommen, fing Don Gabriel, nach einer kurzen Vorrede zum Lobe des glaubwürdigen Geschichtschreibers Paläphatus, diejenige Erzählung an, womit wir den geneigten Leser in dem folgenden Buche zu unterhalten gedenken.

Sechstes Buch.

Erstes Capitel:

Geschichte des Prinzen Biribinker.

In einem Lande, dessen weder Strabo noch Martiniere Erwähnung thut, lebte einst ein König, der den Geschichtschreibern so wenig zu verdienen gab, daß sie aus Rachbegierde mit einander einig wurden, ihm sogar die Ehre, da gewesen zu seyn, bei der Nachwelt streitig zu machen. Allein alle ihre boshaften Bemühungen haben nicht verhindern können. daß sich nicht einige glaubwürdige Urkunden erhalten hätten, in welchen man Alles findet, was sich ungefähr von ihm sagen ließ.Diesen Urkunden zufolge war er eine gute Art von einem Könige, machte des Tages seine vier Mahlzeiten, hatte einen guten Schlaf und liebte Ruhe und Frieden so sehr, daß es bei hoher Strafe verboten war, die bloßen Namen Degen, Flinte, Kanone und dergleichen in seiner Gegenwart zu nennen. Das Merkwürdigste an seiner Person war ein Wanst von einer so majestätischen Peripherie, daß ihm die größten Monarchen seiner Zeit hierin den Vorzug lassen mußten. Ob ihm der Beiname des Großen, den er bei seinen Lebzeiten geführt haben soll, um dieses nämlichen Wanstes oder einer andern geheimen Ursache willen gegeben worden, davon läßt sich nichts Gewisses sagen: so viel aber ist ausgemacht, daß in dem ganzen Umfange seines Reichs Niemand war, den dieser Beiname einen einzigen Tropfen Bluts gekostet hätte; und dieß ist mehr, als man von Alexander dem Großen, Constantin dem Großen, Karl dem Großen, Otto dem Großen, Ludwig dem Großen und zwanzig Anderen, welche auf Unkosten des menschlichen Geschlechtes groß gewesen sind, sagen kann. Wie es darum zu thun gewesen war, daß Seine Majestät aus Liebe zu Dero Völkern und zu Erhaltung der Thronfolge in Dero Familie sich vermählen sollte, so hatte die Akademie der Wissenschaften nicht wenig zu thun, ein genau bestimmtes Modell anzugeben, welchem eine Prinzessin gleich seyn mußte, um sich möglicher Weise versprechen zu können, daß sie die Hoffnung der Nation zu erfüllen fähig seyn würde. Nach einer langen Reihe von akademischen Sitzungen wurde endlich das verlangte Modell, und durch eine große Menge von Gesandtschaften, die an alle Höfe von Asien geschickt wurden, zuletzt auch die Prinzessin ausfindig gemacht, die mit demselben übereinstimmte. Die Freude über ihre Ankunft war außerordentlich, und das Beilager wurde mit so großer Pracht vollzogen, daß wenigstens fünfzigtausend Paare von den königlichen Unterthanen sich entschließen mußten, unverheirathet zu bleiben, um Seiner Majestät die Unkosten der Hochzeit bestreiten zu helfen. Der Präsident der Akademie, der, ungeachtet er der schlechteste Geometer seiner Zeit war, sich alle Ehre der obgedachten Erfindung beizulegen gewußt hatte, glaubte mit gutem Grunde, daß nunmehr sein ganzes Ansehen von der Fruchtbarkeit der Königin abhange; und weil er in der Experimentalphysik ungleich stärker war, als in der Geometrie, so fand er, man weiß nicht, was für ein Mittel, die Berechnungen der Akademie wahr zu machen. Kurz, die Königin gebar zu gehöriger Zeit den schönsten Prinzen, der jemals gesehen worden ist, und der König hatte eine so große Freude darüber, daß er den Präsidenten auf der Stelle zu seinem ersten Wessir ernannte.Sobald der Prinz geboren war, versammelte man zwanzigtausend junge Mädchen von ungemeiner Schönheit, die man zum voraus aus allen Enden des Reichs zusammenberufen hatte, um eine Säugamme für ihn auszuwählen. Der erste Leibarzt hatte nicht nur verordnet, daß die Wahl auf die Schönste fallen sollte, sondern er hatte sich auch, kraft seines Amtes, ausbedungen, die Wahl in eigner Person vorzunehmen, wiewohl er, seines blöden Gesichts wegen, eine Brille dazu vonnöthen hatte. Dieser Brille ungeachtet hatte der Herr Leibarzt, der ein Kenner war, viele Noth, aus zwanzigtausend Schönen die Schönste auszusuchen; und der Tag neigte sich bereits zum Ende, ehe er es so weit gebracht hatte, die Candidatinnen von zwanzigtausend auf vierundzwanzig zu bringen. Allein, da doch endlich eine Wahl getroffen werden mußte, so war er eben im Begriff, unter den vierundzwanzig einer großen Brunette den Vorzug zu geben, weil sie unter allen den kleinsten Mund und den schönsten Busen hatte —Eigenschaften, die, wie er versicherte, Galenus und Avicenna schlechterdings von einer guten Amme fordern: als man unvermuthet eine gewaltig große dicke Biene nebst einer schwarzen Ziege ankommen sah, welche vor die Königin gelassen zu werden begehrten.Frau Königin, sprach die Biene, ich höre, Sie suchen eine Amme für Ihren schönen Prinzen. Wenn Sie das Vertrauen zu mir haben wollten, mir vor diesen zweibeiniges Creaturen den Vorzug zu geben, so sollte es Sie nicht reuen. Ich will den Prinzen mit lauter Honig von Pomeranzenblüthen säugen, und Sie sollen Ihre Lust daran sehen, wie groß und fett er dabei werden soll. Sein Athem soll so lieblich riechen wie Jasmin, sein Speichel soll süßer seyn als Canariensect, und seine Windeln —Gestrenge Frau Königin, fiel ihr die Ziege ins Wort, nehme Sie sich vor dieser Biene in Acht, ich will's Ihr als eine gute Freundin gerathen haben. Wahr ist's, wenn Ihr viel daran gelegen ist, daß ihr junges Herrchen süß werde, so taugt sie dazu besser, als irgend eine Andere; aber es lauert eine Schlange unter den Blumen. Sie wird ihn mit einem Stachel begaben, der ihm viel Unglück zuziehen wird. Ich bin nur eine schlechte Ziege; aber bei meinem Bart! meine Milch wird dem Prinzchen weit besser zuschlagen, als ihr Honig; und wenn er schon weder Nektar noch Ambrosia machen wird, so versprech' ich Ihr dagegen, daß er der tapferste, klügste und glücklichste unter allen Prinzen seyn soll, die jemals Ziegenmilch getrunken haben.Jedermann verwunderte sich, da man die Ziege und die dicke Biene so reden hörte. Allein die Königin merkte gleich, daß es Feen seyn müßten, und das machte sie eine ziemliche Weile unschlüssig, was sie thun sollte. Endlich erklärte sie sich für die Biene; denn, weil sie ein wenig geizig war, so dachte sie: Wenn die Biene Wort hält, so wird der Prinz allenthalben so viel Süssigkeiten von sich geben, daß man das Confect für die Tafel wird ersparen können.Die Ziege schien es sehr übel zu nehmen, daß sie abgewiesen wurde, sie meckerte dreimal etwas Unverständliches in ihren Bart hinein, und siehe, da erschien ein prächtig lackierter und vergoldeter Wagen, von acht Phönixen gezogen; die schwarze Ziege verschwand in dem nämlichen Augenblick, und an ihrer Statt sahe man ein kleines altes Weibchen in dem Wagen sitzen, die mit vielen Drohungen gegen die Königin und den jungen Prinzen durch die Luft davon fuhr.Der Leibarzt war über eine so seltsame Wahl nicht wenig mißvergnügt und wollte eben der Brunette mit dem schönen Busen den Antrag machen, ob sie nicht Lust hätte, die Stelle einer Hausmeisterin bei ihm einzunehmen; aber, da ihm, zum Unglück, ein Herr vom Hofe zuvorgekommen war, so mußte er sich gefallen lassen, mit einer von den übrigen neunzehn tausend neun hundert und sechs und siebzig fürlieb zu nehmen; denn die vier und zwanzig waren alle schon bestellt.Inzwischen machten die Drohungen der schwarzen Ziege dem Könige so bange, daß er noch an dem nämlichen Abend seinen Staatsrath versammelte, um sich zu berathen, was bei so gefährlichen Umständen zu thun seyn möchte. Denn, weil er gewohnt war, sich jede Nacht mit Mährchen einschläfern zu lassen, so wußte er wohl, daß die Feen nicht für die lange Weile zu drohen pflegen. Nachdem nun die weisen Männer alle bei einander waren, und ein jeder seine Meinung gesagt hatte, so fand sich's, daß sechs und dreißig Räthe in großen vierecken Perrücken nicht weniger als sechs und dreißig Vorschläge gethan hatten, wovon jeder wenigstens mit sechs und dreißig Schwierigkeiten behaftet war. Man stritt in mehr als sechs und dreißig Sessionen mit vieler Lebhaftigkeit, und der Prinz wurde vermuthlich mannbar geworden seyn, bevor man eines Schlusses hätte einig werden können; wenn nicht der erste Hofnarr Seiner Majestät den Einfall gehabt hätte, daß man eine Gesandtschaft an den großen Zauberer Caramussal schicken sollte, der auf der Spitze des Berges Atlas wohnte und von allen Orten her wie ein Oralel um Rath gefragt wurde. Weil nun der Hofnarr das Herz des Königs hatte und in der That für den besten Kopf des ganzen Hofes gehalten wurde, so fiel ihm Jedermann bei, und in wenig Tagen wurde eine Gesandtschaft abgeschickt, welche (die Tagegelder zu ersparen) mit so großer Geschwindigkeit reiste, daß sie in drei Monaten auf der Spitze des Berges Atlas anlangte, wiewohl er beinahe zwei hundert Meilen von der Hauptstadt entfernt war.Sie wurden sogleich vor den großen Caramussal gelassen, der, in einem prächtigen Saal auf einem Throne von Ebenholz sitzend, den ganzen Tag genug zu thun hatte, auf alle die wunderlichen Fragen Antwort zu geben, die aus allen Theilen der Welt an ihn gebracht wurden. Der erste Abgesandte, nachdem er sich den Bart gestrichen und dreimal geräuspert hatte, öffnete eben einen ziemlich großen Mund, um eine schöne Anrede herzusagen, die ihm sein Secretair aufgesetzt hatte, als ihn Caramussal unterbrach. — "Herr Abgesandter, sagte er, ich schenke Ihnen Ihre Rede; Sie können sie vielleicht bei einer andern Gelegenheit besser nützen; denn ich habe selbst den ganzen Tag so viel zu reden, daß mir keine Zeit zum Hören übrig bleibt; und zudem weiß ich schon voraus, was Sie bei mir anzubringen haben. Sagen Sie dem König, Ihrem Herrn, er habe sich an der Fee Caprosine eine mächtige Feindin gemacht; indessen sey es doch nicht unmöglich, den Zufällen, welche sie dem Prinzen angedroht hat, auszuweichen, wenn man die gehörige Vorsicht gebrauche, daß er vor seinem achtzehnten Jahre kein Milchmädchen zu sehen bekomme. Weil es aber, aller Vorsicht ungeachtet, eine sehr schwere, wo nicht unmögliche Sache ist, seinem Schicksale zu entgehen, so sey mein Rath, daß man, um auf alle Fälle gefaßt zu seyn, dem Prinzen den Namen Biribinker gebe, dessen geheime Kräfte allein mächtig genug sind, ihn aus allen den Abenteuern, die ihm zustoßen könnten, glücklich heraus zu führen." — Mit diesem Bescheid entließ Caramussal die Gesandtschaft, welche nach Verfluß abermaliger drei Monate unter allgemeinem Zujauchzen des Volks wieder in der Hauptstadt ihres Landes anlangte.Der König fand die Antwort des großen Caramussal so ungereimt, daß er nicht wußte, ob er darüber lachen oder ungehalten werden sollte. Bei meinem Bauch! rief er (denn das war sein Schwur), ich glaube, der große Caramussal treibt seinen gnädigen Spaß mit uns. — Biribinker! was für ein verwünschter Name das ist! Hat man auch jemals gehört, daß ein Königssohn Biribinker geheißen hätte? Ich möchte doch wissen, was für eine geheime Kraft in diesem vertrackten Namen stecken soll! Und, die Wahrheit zu sagen, das Verbot, ihm vor seinem achtzehnten Jahre kein Milchmädchen sehen zu lassen, ist nicht um ein Haar gescheidter. Warum denn gerade kein Milchmädchen? Seit wann sind die Milchmädchen gefährlicher, als andere Mädchen? Wenn er noch gesagt hätte, keine Tänzerin oder kein Kammerfräulein von der Königin, das wollt' ich noch gelten lassen; denn (unter uns) ich wollte nicht gut dafür seyn, daß ich nicht selbst gelegentlich eine kleine Anfechtung dieser Art bekommen könnte. Indessen, weil es der große Caramussal nun einmal so haben will, so mag denn der Prinz meinethalben Biribinker heißen! Er wird wenigstens der Erste dieses Namens seyn, und das gibt einem doch immer ein gewisses Ansehen in der Geschichte; und was die Milchmädchen betrifft, so will ich schon Anstalt machen, daß auf fünfzig Meilen um meine Residenz weder Kuh noch Ziege, Melkkübel noch Milchmädchen zu finden seyn soll.Der König, dessen geringste Sorge zu seyn pflegte, die Folgen seiner Entschließung vorher zu überlegen, war eben im Begriff, ein Edict deßhalb ergehen zu lassen, als ihm sein Parlament durch eine zahlreiche Deputation vorstellen ließ, daß es sehr hart, um nicht gar tyrannisch zu sagen, herauskommen würde, wenn Seiner Majestät getreue Unterthanen gezwungen werden sollten, ihren Kaffee künftig ohne Milchrahm zu trinken. Und weil die vorläufige Nachricht von diesem Edict wirklich schon ein großes Murren unter s dem Volk erregte: so mußten sich Seine Majestät endlich entschließen, nach dem Beispiele so vieler anderer .würge in den Feengeschichten, Dero Kronprinzen unter der Aufsicht seiner Amme, der Biene, von sich zu entfernen und es der Klugheit der letztern zu überlassen, wie sie ihn vor den Nachstellungen der Fee Caprosine und vor den Milchmädchen sicher stellen wollte.Die Biene brachte den kleinen Prinzen in einen Wald, der wenigstens zweihundert Meilen im Umfang hatte und so unbewohnt war, daß man in seinem ganzen Bezirke nicht einen Maulwurf gefunden hätte. Sie baute durch ihre Kunst einen unermeßlichen Bienenkorb von rothem Marmor und legte um denselben einen Park von Pomeranzenbäumen an, der sich über fünf und zwanzig Meilen in die Lange und Breite erstreckte. Ein Schwarm von fünfmal hundert tausend Bienen, deren Königin sie war, beschäftigte sich, für den Prinzen und den Harem der Königin Honig zu machen; und damit man seinetwegen vollkommen sicher seyn könnte, so wurden rings um den Wald alle fünfhundert Schritte Wespennester angelegt, welche Befehl hatten, die Gränzen aufs schärfte zu bewachen.Indessen wuchs der Prinz heran und übertraf durch seine Schönheit und wunderbare Eigenschaften Alles, was jemals gesehen worden ist. Er spukte lauter Rosensyrup, er pißte lauter Pomeranzenblüthwasser, und seine Windeln enthielten die köstlichsten Sachen von der Welt. Sobald er zu reden anfing, lallte er Epigrammen, und sein Witz wurde nach und nach so stachlig, daß ihm keine Biene mehr gewachsen war, obgleich die dümmste im ganzen Korbe zum wenigstens so viel Witz hatte als ein Mitglied der deutschen Gesellschaft zu ***.Allein kaum hatte er sein siebzehntes Jahr erreicht, so regte sich ein gewisser Instinct bei ihm, der ihm sagte, daß er nicht dazu gemacht sey, sein Leben in einem Bienenkorbe zuzubringen. Die Fee Melisotte (so nannte sich seine Amme) wandte zwar Alles an, ihren Zögling aufzumuntern und zu zerstreuen: sie verschrieb ihm eine Anzahl sehr geschickter Katzen, die ihm alle Abend ein französisches Concert oder eine Oper von Lulli vormiauen mußten; er hatte ein Hündchen, das auf dem Seile tanzte, und ein Duzend Papagaien und Elstern, die nichts zu thun hatten, als ihm Mährchen zu erzählen, und ihn mit ihren Einfällen zu unterhalten. Allein das wollte Alles nicht helfen; Biribinker sann Tag und Nacht auf nichts Anderes, als wie er aus seiner Gefangenschaft entwischen möchte. Die größte Schwierigkeit setzten ihm die verwünschten Wespen entgegen, die den Wald bewachten und in der That Thierchen waren, die einem Hercules hätten bang machen können. Denn sie waren so groß wie junge Elephanten, und ihr Stachel hatte die Figur und beinahe auch die Größe der Morgensterne, deren sich die alten Schweizer zu Behauptung ihrer Freiheit bedienten. Da er sich nun einsmals voller Verzweiflung über seine Gefangenschaft unter einen Baum geworfen hatte, näherte sich ihm eine Art von Hummel, welche, wie alle übrige männliche Bewohner des Bienenstocks, die Größe eines halb gewachsenen Bären hatte."Prinz Biribinker," sagte die Hummel, "wenn Sie lange Weile haben, so versichere ich Sie, daß es mir noch schlimmer geht. Die Fee Melisotte, unsere Königin, hat mir seit etlichen Wochen die Ehre angethan, mich zu ihrem ersten Liebling zu erkiesen; aber ich gestehe Ihnen, daß ich der Last meines Amtes nicht gewachsen bin. Wenn Sie wollten, Prinz, so wäre es Ihnen ein Leichtes, Sich selbst und mir die Freiheit zu verschaffen." — Was ist denn zu thun? fragte der Prinz. — "Ich bin nicht allezeit eine Hummel gewesen, antwortete der mißvergnügte Liebling, und Sie allein sind im Stande, mir meine erste Gestalt wieder zu geben. Setzen Sie sich auf meinen Rücken. Es ist Abend; die Königin ist in ihrer Zelle in Geschäften begriffen; ich will mit Ihnen davon fliegen; aber Sie müssen mir versprechen, daß Sie thun wollen, was ich von Ihnen verlange."Der Prinz versprach es, setzte sich ohne Bedenken auf, und die Hummel flog so schnell mit ihm davon, daß sie in sieben Minuten aus dem Walde waren. — "Nunmehr," sprach die Hummel, "sind Sie in Sicherheit. Die Macht des alten Zauberers Padmanaba, der mich in diese Umstände gebracht hat, erlaubt mir nicht weiter mit Ihnen zu gehen; aber hören Sie, was ich Ihnen sagen werde! Wenn Sie auf diesem Wege linker Hand fortgehen, so werden Sie endlich auf eine große Ebene kommen, wo Sie eine Heerde himmelblauer Ziegen sehen werden, die um eine kleine Hütte herum weiden. Nehmen Sie sich ja in Acht, daß Sie nicht in die Hütte hinein gehen, oder Sie sind verloren! Halten Sie sich immer linker Hand und gehen fort, bis Sie endlich zu einem verfallenen Palast kommen, dessen noch übrige Pracht Ihnen beweisen wird, was er ehemals gewesen ist. Sie werden durch etliche Höfe an eine große Treppe von weißem Marmor gelangen, welche Sie in einen langen Gang führen wird, wo Sie zu beiden Seiten eine Menge prächtiger und hell erleuchteter Zimmer finden werden. Gehen Sie ja in keines derselben hinein, sonst schließt es sich augenblicklich von selbst wieder zu, und keine menschliche Gewalt kann Sie wieder heraus bringen. Sie werden aber eines davon verschlossen finden, und dieses wird sich öffnen, sobald sie den Namen Biribinker aussprechen. In diesem Zimmer bringen Sie die Nacht zu. Das ist Alles, was ich von Ihnen verlange. Glückliche Reise, gnädiger Herr! und wenn Sie sich bei meinem Rathe wohl befinden, so vergessen Sie nicht, daß ein Dienst des andern werth ist. "Mit diesen Worten flog die Hummel davon und ließ den Prinzen in keinem mittelmäßigen Erstaunen über Alles, was sie ihm gesagt hatte. Voller Ungeduld nach den wundervollen Begebenheiten, die ihm bevorstanden, ging er die ganze Nacht durch; denn es war Mondschein und mitten im Sommer. Des Morgens erblickte er die Wiese, die Hütte und die himmelblauen Ziegen. Er erinnerte sich des Verbots gar wohl, das die Hummel ihm so nachdrücklich eingeschärft hatte; allein er fühlte beim Anblick der Ziegen und der Hütte eine Art von Anziehung, der nicht zu widerstehen war. Er ging also in die Hütte hinein, fand aber Niemand darin, als ein junges Milchmädchen in einem schneeweißen Leibchen und Unterrocke. Sie war eben im Begriff, etliche Ziegen zu melken, die an einer diamantenen Krippe angebunden standen. Der Melkkübel, den sie in ihrer schönen Hand hielt, war aus einem einzigen Rubin gemacht, und statt des Strohes war der Stall mit lauter Jasmin- und Pomeranzenblüthen bestreut. Alles das war bewundernswürdig genug; allein der Prinz bemerkte es kaum, so sehr hatte ihn die Schönheit des Milchmädchens geblendet. In der That, Venus in dem Augenblicke, da sie von den Zephyrn ans Gestade von Paphos getragen wurde, oder die junge Hebe, wenn sie halb aufgeschürzt den Göttern Nektar einschenkt, waren weder schöner noch reizender als dieses Mädchen. Ihre Wangen beschämten die frischesten Rosen, und die Perlenschnuren, womit ihre Arme und die kleinen netten Füßchen umwunden waren, schienen bloß da zu seyn, um die blendende Weiße derselben zu erhöhen. Nichts konnte zierlicher und reizender seyn, als ihre Gesichtszüge und ihr Lächeln; über ihr ganzes Wesen war ein Ausdruck von Zärtlichkeit und Unschuld verbreitet, und ihre kleinsten Bewegungen hatten den namenlosen Reiz, dem die Herzen beim ersten Anblick entgegen fliegen. Diese bezaubernde Person schien auf eine eben so angenehme Art über den Prinzen Biribinker betroffen, als er über sie; halb unschlüssig, ob sie bleiben oder fliehen wollte, blieb sie stehen und betrachtete ihn mit einem verschämten Blicke, worin Schüchternheit und Vergnügen sich zu mischen schienen. Ja, ja, rief sie endlich aus, indem sich der Prinz zu ihren Füßen warf, er ist es, er ist es! —Wie? rief der entzückte Prinz, der aus diesen Worten schloß, das sie ihn schon kenne, und daß er ihr nicht gleichgültig sey; ist der allzu glückliche Biribinker —Götter! schrie das Milchmädchen, indem sie bestürzt zurückbebte, was für einen verhaßten Namen hör' ich! Wie sehr haben meine Augen und mein voreiliges Herz mich betrogen! Fliehe, fliehe, unglückliche Galaktine! — Mit diesen Worten floh sie wirklich so schnell aus der Hütte, als ob sie der Wind davon führte.Der bestürzte Prinz, der den Abscheu nicht begreifen konnte, in welchen sich die anfängliche Freundlichkeit des schönen Milchmädchens so plötzlich bei Hörung seines Namens verwandelte, lief ihr nach, so schnell als er konnte; allein sie flog, daß ihre Fußsohlen kaum die Spitzen des Grases berührten. Umsonst beflügelten die Schönheiten, die ihr stotterndes Gewand jeden Augenblick entdeckte, die Begierden und die Füße des nacheilenden Prinzen; er verlor sie in einem dichten Gebüsche, wo er den ganzen Tag hin und wieder lief und jedem Rascheln oder Flüstern, das er hörte, nachging, ohne daß er die mindeste Spur von ihr finden konnte.Indessen war die Sonne untergegangen, und er befand sich unvermerkt an der Pforte eines alten halb eingefallenen Schlosses. Allenthalben ragten Mauerstücke von Marmor und umgestürzte Säulen von den kostbarsten Edelsteinen aus dem Gesträuch hervor, und er stieß sich alle Augenblicke an Trümmern, wovon der schlechteste eine Insel auf dem festen Lande werth war. Er merkte hieraus, daß er bei dem Palaste sey, wovon ihm sein guter Freund Hummel gesprochen hatte, und hoffte (wie die Verliebten hoffnungsvolle Leute zu seyn pflegen), sein holdseliges Milchmädchen hier vielleicht wieder zu finden. Er arbeitete sich durch drei Vorhöfe durch und kam endlich an die Treppe von weißem Marmor. Zu beiden Seiten stand auf jeder Stufe, deren wenigstens sechzig waren, ein großer geflügelter Löwe, welcher bei jedem Athemzuge so viel Feuer aus seinen Nasenlöchern schnaubte, daß es heller als bei Tage davon wurde; aber es versengte ihm auch nicht ein Haar, und die Löwen sahen ihn nicht so bald, so spannten sie ihre Flügel aus und flogen mit großem Gebrülle davon.Prinz Biribinker ging hinauf und kam in eine lange Galerie, wo er die offnen Zimmer fand, vor welchen ihn die Hummel gewarnt hatte. Jedes derselben führte in zwei oder drei andere, und die Pracht, womit sie eingerichtet und ausgeschmückt waren, übertraf Alles, was sich seine Einbildungskraft vorstellen konnte, ungeachtet ihm die Feerei nichts Neues war. Allein dießmal nahm er sich wohl in Acht, seiner Neugier den Zügel zu lassen, und ging so lange fort, bis er an eine verschlossene Thür von Ebenholz kam, in welcher ein goldener Schlüssel steckte. Er versuchte lange vergeblich ihn umzudrehen; aber, sobald er den Namen Biribinker ausgesprochen hatte, sprang die Thür von selbst auf, und er befand sich in einem großen Saale, dessen Wände ganz mit krystallenen Spiegeln überzogen waren. Er wurde von einem diamantenen Kronleuchter erhellt, an welchem in mehr als fünf hundert Lampen lauter Zimmtöl brannte. In der Mitte stand ein kleiner Tisch von Elfenbein mit smaragdenen Füßen, für zwei Personen gedeckt, und zur Seite zwei Schenktische von Lasurstein, die mit goldenen Tellern, Bechern, Trinkschalen und anderm Tischgeräthe versehen waren. Nachdem er Alles, was sich in diesem Saale seinen Augen darbot, eine gute Weile mit Erstaunen betrachtet hatte, erblickte er eine Thür, durch die er in verschiedene andre Zimmer kam, wovon immer eines das andere an Pracht der Auszierung überglänzte. Er besah Alles Stück für Stück und wußte nicht, was er davon denken sollte. Die Zugänge zu diesem Palast hatten ihm ein zerstörtes Schloß angekündiget; das Inwendige schien keinen Zweifel übrig zu lassen daß es bewohnt sey; und doch sah und hörte er keine lebendige Seele. Er durchging alle diese Zimmer noch einmal, er suchte überall und entdeckte endlich in dem letzten noch eine kleine Tapetenthür. Er öffnete sie und befand sich in einem Cabinet, worin die Feerei sich selbst übertroffen hatte. Ein angenehmes Gemisch von Licht und Schatten erheiterte es, ohne daß man die Quelle dieser zauberischen Dämmerung entdecken konnte. Die Wände von polirtem schwarzem Granit stellten, wie eben so viele Spiegel, verschiedene Scenen von der Geschichte des Adonis und der Venus mit einer Lebhaftigkeit vor, die der Natur gleich kam, ohne daß man errathen konnte, durch was für eine Kunst diese lebenden Bilder sich dem Stein einverleibet hatten. Liebliche Gerüche, wie von Frühlingswinden aus frisch aufblühenden Blumenstücken herbeigeweht, erfüllten das ganze Gemach, ohne daß man sah, woher sie kamen; und eine stille Harmonie, wie von einem Concerte, das aus tiefer Ferne gehört wird, umschlich eben so unsichtbar das bezauberte Ohr und schmelzte das herz in zärtliche Sehnsucht. Ein weichliches Ruhebett, von welchem ein marmorner Liebesgott, der zu athmen schien, den wallenden Vorhang halb hinwegzog, war das einzige Geräth in diesem anmuthsvollen Ort und erweckte in dem Herzen unsers Prinzen ein geheimes Verlangen nach etwas, wovon er nur dunkle Begriffe hatte, ob ihm gleich die Tapeten, die er sehr aufmerksam und nicht onne eine süße Unruhe betrachtete, einiges Licht zu geben anfingen. In diesen Augenblicken stellte sich ihm das Bild des schönen Milchmädchens mit einer neuen Lebhaftigkeit dar; und nachdem er eine Menge vergeblicher Klagen über ihren Verlust angestimmt hatte, fing er von Neuem an zu suchen, bis er müde wurde. Weil er nun dießmal nicht glücklicher war als vorher, so begab er sich wieder in das Cabinet mit dem Ruhebette, zog seine Kleider aus und war im Begriff, sich niederzulegen; als eines der unvermeidlichsten Bedürfnisse der menschlichen Natur ihn nöthigte, sich unter dem Bette umzusehen. Er fand wirklich ein zierliches Gefäß von Krystall, an welchem noch Merkmale zu sehen waren, daß es vor Zeiten zu einem solchen Gebrauch gedient hatte. Der Prinz fing an es mit Pomeranzenblüthwasser zu begießen, als er, o Wunder! das krystallene Gefäß verschwinden und an dessen Statt — eine junge Nymphe vor sich stehen sah, die so schön war, daß er in einem wundervollen Gemisch von Schrecken und Freude auf etliche Angenblicke das Bewußtseyn seiner selbst verlor. Die Nymphe lachte ihn freundlich an, und ehe er sich noch aus seiner Bestürzung erholen konnte, sagte sie zu ihm: "Willkommen, Prinz Biribinker! —Lassen Sie sich's nicht verdrießen, einer jungen Fee einen Dienst gethan zu haben, die ein barbarischer Eifersüchtiger über zwei Jahrhunderte lang zu einem Werkzeuge der niedrigsten Bedürfnisse gemißbraucht hat. Reden Sie aufrichtig, Prinz! finden Sie nicht, daß mich die Natur zu einem edlern Gebrauche bestimmt hat?"Diese unerwartete Frage brachte den sittsamen Biribinker ein wenig aus der Fassung. Es fehlte ihm, wie wir wissen, nicht an Witz; er hatte dessen vielmehr unendlich viel: aber, weil er zum wenigsten eben so viel Unbesonnenheit hatte, so begegnete ihm nicht selten, daß er gerade in dem Augenblicke, wo eine widrige Antwort das einzige Mittel, sich zu helfen, gewesen wäre, etwas höchst Albernes sagte, So ging es ihm dießmal, da er sich in dem Falle sah, der Fee auf eine Frage, die ihm in ihrer beider Lage gar zu naiv vorkam, auf der Stelle etwas Verbindliches zu antworten. Es ist ein Glück für Sie, schönste Nymphe, antwortete er ihr, daß ich die Absicht nicht haben konnte, Ihnen den seltsamen Dienst zu leisten, den ich Ihnen unwissender Weise geleistet habe; denn ich versichere Sie, daß ich sonst allzuwohl gewußt hätte, was der Wohlstand —O, machen Sie nicht so viel Complimente, erwiederte die Fee; in den Umständen, worin sich unsere Bekanntschaft anfängt, sind sie sehr überflüssig. Ich habe Ihnen nichts Geringeres als mich selbst zu danken; und da wir nicht länger als diese Nacht beisammen bleiben werden, so müßte ich mir Vorwürfe machen, wenn ich Ihnen Anlaß gäbe, die Zeit mit Complimenten zu verderben. Ich weiß, daß Sie der Ruhe bedürftig sind; Sie sind schon ausgekleidet, legen Sie sich immer zu Bette. Es ist zwar das einzige, das in diesen Gemächern ist, aber es steht ein Canapee im großen Saal, auf dem ich die Nacht ganz bequem werde zubringen können.Madame, versetzte der Prinz, ohne daß er selbst recht wußte, was er sagte, ich würde in diesem Augenblicke — der Glücklichste unter allen Sterblichen seyn — wenn ich nicht — der Unglücklichste wäre. Ich muß Ihnen gestehen, ich finde — was ich nicht gesucht habe — indem ich suchte, was ich verloren hatte; und wenn nicht der Schmerz — Sie gefunden zu haben, die Freude meines Verlusts — Nein, die Freude, wollt' ich sagen, Sie gefunden zu haben ——Ie nun, wahrhaftig, fiel ihm die Fee ins Wort, ich glaube, Sie reden im Fieber? Was wollen Sie mit allem dem Galimathias sagen? Kommen Sie, Prinz Biribinker, gestehen Sie mir in guter Prosa, daß Sie in ein Milchmädchen verliebt sind? —Sie rathen so glücklich, sagte der Prinz, daß ich Ihnen gestehen muß —O, daraus haben Sie sich gar kein Bedenken zu machen, fuhr die Fee fort; und in ein Milchmädchen, das Sie diesen Morgen in einer schlechten Hütte angetroffen haben, in einem Stalle, wie man sagen möchte?Aber, ich bitte Sie, woher ——"Und die auf einer Streu von Pomeranzenblüthen im Begriff war, eine himmelblaue Ziege in einen Kübel von Rubin zu melken, nicht wahr?"Wahrhaftig! rief der Prinz, für eine Person, die vor einer Viertelstunde (nehmen Sie mir's nicht ungnädig) noch — ich will nicht sagen was war, wissen Sie erstaunlich viel —"Und das Mädchen lief davon, sobald sie den Namen Biribinker hörte?"Aber, ich bitte Sie, Madame, woher können Sie das Alles wissen, da Sie doch, wie Sie sagen, schon zweihundert Jahre in dem sonderbaren Stande gewesen sind, worin ich die Ehre gehabt habe Sie so unverhofft kennen zu lernen?Nicht so unverhofft auf meiner Seite, als Sie sich einbilden, antwortete die Fee. Aber heißen Sie Ihre Neugierde noch einen Augenblick ruhen! Sie sind abgemattet und haben den ganzen Tag nichts gegessen; kommen Sie mit mir in den Saal, es ist schon für uns beide gedeckt, und ich hoffe, Ihre Treue gegen Ihr schönes Milchmädchen werde Ihnen doch erlauben, mir wenigstens bei Tische Gesellschaft zu leisten. Biribinker merkte den geheimen Verweis sehr wohl, der in diesen Worten lag; er that aber nicht so und begnügte sich, mit einer tiefen Verbeugung ihr in den Speisesaal zu folgen.Sobald sie hineingekommen waren, ging die schöne Krystalline (so hieß die Fee) zum Kamin und bemächtigte sich eines kleinen Stabes von Ebenholz, an dessen beiden Enden ein diamantener Talisman befestiget war. Nun hab' ich nichts weiter zu besorgen, sagte sie. Sehen Sie sich, Prinz Biribinker. Ich bin nun Meisterin von diesem Palast und von vierzigtausend elementarischen Geistern, die der große Zauberer, der ihn vor fünfhundert Jahren erbaute, zum Dienste desselben bestimmt hat.Mit diesen Worten schlug sie dreimal an den Tisch, und in drei Augenblicken sah Biribinker, daß er sich mit den niedlichsten Speisen besetzte, und die Flaschen auf dem Schenktische sich von selbst mit Wein anfüllten.Ich weiß, sagte die Fee zum Prinzen, Sie essen nichts als Honig; kosten Sie einmal von diesem hier, und sagen Sie mir Ihre Meinung von ihm! — Der Prinz aß davon und schwor, daß es nichts Geringers als das Ambrosia der Götter seyn könne. — Er wird, sagte sie, aus den reinstem Düften der unverwelklichen Blumen bereitet, die in den Gärten der Sylphen blühen. Und was sagen Sie zu diesem Weine? fuhr sie fort, indem sie ihm eine volle Trinkschale darbot. — Ich schwöre Ihnen, rief der entzückte Prinz, daß die schöne Ariadne dem jungen Bacchus keinen bessern eingeschenkt hat. — Er wird, versetzte sie, aus den Trauben gepreßt, die in den Gärten der Sylphen wachsen, und dem Gebrauche desselben haben diese schönen Geister die unsterbliche Jugend zu danken, die in ihren Adern wallt.Die Fee sagte nichts davon, daß dieser Nektar noch eine andere Eigenschaft hatte, die der Prinz bald genug zu erfahren anfing. Je mehr er davon trank, je reizender fand er seine schöne Gesellschafterin. Beim ersten Zuge bemerkte er, daß sie sehr schönes blondes Haar hatte; beim andern wurde er von der Zierlichkeit ihrer Arme gerührt; beim dritten entdeckte er ein Grübchen in ihrem linken Backen; und beim vierten entzückten ihn andere Reizungen, die unter dem Nebel eines dünnen Flors seinen Augen nachstellten. Ein so zauberischer Gegenstand und eine Trinkschale, die sich immer wieder von selbst anfüllte, waren mehr, als nöthig war, um seine Sinne in ein süßes Vergessen aller Milchmädchen der ganzen Welt einzuwiegen. Was sollen wir sagen? Biribinker war zu höflich, eine so schöne Fee auf dem Canapee schlafen zu lassen, und die schöne Fee zu dankbar, ihm in einem Hause, wo vierzigtausend Geister spukten, ihre Gesellschaft abzuschlagen. Kurz, die Höflichkeit wurde auf der einen und die Dankbarkeit auf der andern Seite so weit getrieben als möglich, und Biribinker schien die günstige Meinung, welche Krystalline beim ersten Anblick von ihm gefaßt hatte, so gut zu rechtfertigen, daß sie sich, mit Hülfe einer eben so guten Meinung von sich selbst, Hoffnung machen konnte, alle ihre Leiden durch ihn geendiget zu sehen.Die Fee erwachte, wie die Geschichte sagt, zuerst und konnte den Uebelstand nicht ertragen, einen so außerordentlichen Prinzen an ihrer Seite schlafen zu sehen. Prinz Biribinker, sagte sie, nachdem sie ihn endlich aufgerüttelt hatte, ich habe Ihnen keine gemeine Verbindlichkeiten. Sie haben mich von der unanständigsten Bezauberung, die jemals eine Person meines Standes erlitten hat, befreit; Sie haben mich an einem Eifersüchtigen gerochen; nun ist nur noch Eins übrig, und Sie können sich auf die unbegränzte Dankbarkeit der Fee Krystalline Rechnung machen.Und was ist denn noch übrig? fragte der Prinz, indem er sich die Augen rieb.So hören Sie denn, antwortete die Fee. Dieser Palast gehörte, wie ich Ihnen schon gesagt habe, einem Zauberer, dem seine Wissenschaft eine fast unumschränkte Macht über alle Elemente gab. Allein seine Macht über die Herzen war desto eingeschränkter. Zum Unglück war er, trotz dem schneeweißen Barte, der ihm bis an den Gürtel herabhing, eine der zärtlichsten Seelen, die jemals gewesen sind. Er verliebte sich in mich; und wiewohl er die Gabe nicht hatte, sich wieder lieben zu machen, so besaß er doch Macht genug, um gefürchtet zu werden. Bewundern Sie die Wunderlichkeit des Schicksals, mein Prinz! Ich versagte ihm mein Herz, welches zu gewinnen er sich alle nur ersinnliche Mühe gab, und überließ ihm meine Person, die ihm zu nichts nütze war. Vor langer Weile wurde er endlich eifersüchtig, aber so eifersüchtig, daß es nicht auszustehen war. Er hatte die schönsten Sylphen zu seiner Bedienung, und doch ärgerte er sich über die unschuldigsten Freiheiten, die wir uns mit einander nahmen. Er brauchte einen nur in meinem Zimmer oder auf meinem Canapee anzutreffen, so war ich schon gewiß, daß ich ihn nicht wieder zu sehen bekommen würde. Ich verlangte, er sollte sich auf meine Tugend verlassen; aber auch diese schien dem Ungläubigen keine hinlängliche Bürgschaft gegen ein Schicksal, das er so wohl zu verdienen sich bewußt war. Kurz, er schaffte alle Sylphen ab und nahm zu unserer Bedienung lauter Gnomen an: kleine mißgeschaffene Zwerge, bei deren bloßem Anblick ich vor Ekel hätte ohnmächtig werden mögen. Allein, wie die Gewohnheit endlich Alles erträglich macht, so versöhnte sie mich auch nach und nach mit diesen Gnomen und machte, daß ich zuletzt possirlich fand, was mir anfangs abscheulich vorgekommen war. Es fand sich keiner unter allen, der nicht etwas Uebermäßiges in seiner Bildung gehabt hätte. Der eine hatte einen Höcker wie ein Kameel, der andere eine Nase, die ihm bis über den Mund herabhing, der dritte Ohren wie eine Horneule, und ein Maul, das ihm den Kopf in zwei Halbkugeln spaltete, der vierte einen ungeheuren Wanst; kurz, eine sinesische Einbildungskraft kann nichts Abenteuerlicheres erfinden, als die Gesichter und Gestalten dieser Zwerge. Allein der alte Padmanaba hatte nicht bemerkt, daß sich unter seinen Anfwärtern einer befand, der in einem gewissen Sinne gefährlicher seyn konnte, als der schönste aller Sylphen. Nicht als ob er weniger häßlich gewesen wäre, als die übrigen; aber durch ein seltsames Spiel der Natur war bei ihm ein Verdienst, was bei andern zu nichts diente, als die Augen zu beleidigen. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen, Prinz Biribinker?Sehr mittelmäßig, versetzte der Prinz; aber erzählen Sie nur weiter, vielleicht werden Sie in der Folge deutlicher werden.Es währte nicht lange, fuhr die schöne Krystalline fort, so hatte Grigri (so nannte sich der Gnom) Ursache zu glauben, daß er mir weniger mißfalle als seine Gesellen. Was wollen Sie? Man geräth auf allerlei Einfälle. wenn man lange Weile hat. —Grigri besaß eine außerordentliche Gabe, mißvergnügten Damen die Zeit zu vertreiben — mit einem Wort, er wußte meine müßigen Stunden (und ich hatte deren in der That sehr viele) auf eine so angenehme Art auszufüllen, daß man nicht zufriedener seyn kann, als ich war. Padmanaba bemerkte endlich die ungewohnte Fröhlichkeit die aus meinem Gesicht und aus meinem ganzen Wesen hervorschimmerte. Er zweifelte nicht, daß sie eine andere Ursache haben müßte, als das Vergnügen, das er mir selbst machte; aber er konnte nicht gleich errathen, was es für eine seyn möchte. Zu meinem Unglück war er ein großer Meister in derjenigen Art von Schlußreden, die man Kettenschlüsse nennt; und ein solcher Kettenschluß führte ihn endlich auf eine Vermuthung, die ihm das ganze Geheimniß aufzuschließen schien. Er beschloß, uns zu beobachten, und nahm seine Zeit so wohl, daß er uns in eben diesem Cabinet überraschte. Hätten Sie geglaubt, mein Prinz, daß man ein so schlimmes Herz haben könnte, als der alte Zauberer bei dieser Gelegenheit zeigte? Anstatt (wie es sich für einen Mann wie er geziemte) sich leise wieder wegzuschleichen, erzürnte er sich ohne Maß darüber, daß ich ein Mittel gefunden hatte, mir die Zeit ohne ihn zu vertreiben. Er hätte sich immer erzürnen mögen, daß er nicht Grigri war; aber was konnte unbilliger seyn, als mich deßwegen zu strafen?In der That, sagte Biribinker, nichts unbilliger! denn ich bin gewiß, wenn er nur in einem einzigen Stücke Grigri gewesen wäre, so hätten Sie ihm, ungeachtet seines langen weißen Bartes, den Vorzug vor einem kleinen häßlichen Zwerge gegeben.Für einen so witzigen Kopf, als ein Zögling der Fee Melisotte billig seyn sollte, geben Sie (erwiederte Krystalline) so viele Blößen, daß man alle Augenblicke in Streit mit Ihnen gerathen könnte. Was Sie zum Beispiel da sagten — Doch wir haben keine Zeit, um Worte zu streiten. Hören Sie also, wie es weiter ging. Padmanaba schüttelte die ganze Wuth über uns aus, in welche ihn vermuthlich die Betrachtung, wie wenig er Grigri war, gesetzt hatte. Ich schäme mich, Ihnen die Complimente zu wiederholen, die er mir bei dieser Gelegenheit machte. Kurz, er verwandelte mich — Sie wissen wohl worein, und den armen Grigri in eine Hummel.In eine Hummel? rief Biribinker —Ia, und mit der Bedingung, fuhr Krystalline fort, daß ich meine Gestalt nicht eher wieder bekommen sollte, bis ich einem Prinzen Namens Biribinker —Verzeihen Sie meiner Schamhaftigkeit, daß ich den Umstand nicht nenne, worin ich zuerst das Vergnügen hatte, Sie kennen zu lernen; und, in der That, so sehr zu Ihrem Vortheile —Sie erweisen mir allzuviel Ehre, fiel ihr Biribinker in die Rede: wenn ich gewußt hatte, daß Ihr Herz für einen so würdigen Gegenstand eingenommen wäre —Ich bitte Sie, sagte die Fee, gewöhnen Sie sich doch die unzeitigen Complimente ab; Sie können nicht glauben, wie gezwungen und wunderlich sie Ihnen lassen. Ich sage Ihnen, daß ich die beste Meinung von Ihrer Bescheidenheit habe; und ich denke, ich gebe Ihnen eine sehr starke Probe davon, da ich mich so nahe bei Ihnen sicher glaube. Ich erinnere mich zwar nicht allzu wohl, wie es zugegangen ist, daß wir so vertraulich mit einander geworden sind; denn ich gestehe, daß ich aus Vergnügen über unsere so lange gewünschte Zusammenkunft ein paar Gläser mehr getrunken habe, als ich sonst zu trinken pflege; aber ich hoffe doch, Sie werden sich in den Schranken —In der That, schöne Krystalline, fiel ihr der Prinz ins Wort, ich finde Ihr Gedächtniß so außerordentlich, als die Tugend, worauf Sie wollten daß der alte Padmanaba sich verlassen sollte. Aber sagen Sie mir doch, wenn Sie es nicht auch vergessen haben, was wurde denn aus der Hummel?Sie erinnern mich eben recht daran, antwortete die Fee; der arme Grigri! ich hatte ihn wirklich vergessen — Es thut mir Leid, aber der grausame Padmanaba hat seine Befreiung auf eine so ungereimte Bedingung gesetzt, daß ich nicht weiß, wie ich sie Ihnen werde entdecken können.Und was kann denn das für eine Bedingung seyn? fragte Biribinker.Ich begreife nicht, antwortete Krystalline, was Sie dem alten Zauberer gethan haben können, daß er Sie in diese Händel eingemischt hat; denn das ist gewiß, daß damals, da alle diese Verwandlungen vorgingen, Ihre Elternmutter nach nicht geboren war. Mit einem Wort, Grigri soll seine vorige Gestalt nicht eher wieder bekommen, bis Sie — nein, Prinz Biribinker! die Delicatesse meiner Empfindungen erlaubt mir nicht, es Ihnen zu sagen, und ich begreife noch weniger, wie ich fähig seyn würde, mich dazu zu verstehen; denn Sie werden, denke ich, an der Röthe, womit der bloße Gedanke daran mein Gesicht überzieht, schon errathen haben, was es ist.Ich will selbst gleich zu einer dreifachen Hummel werden, rief Biribinker, wenn ich errathe, was Sie haben wollen; ich bitte Sie, machen Sie nicht so viel Umschweife; es ist schon heller Tag, und ich kann mich nicht aufhalten —Wie? sagte die Fee, wird Ihnen die Zeit so lang bei mir? Bin ich nicht fähig, Ihnen ein Milchmädchen nur für etliche Stunden aus dem Sinne zn bringen? Sie sollten sich wenigstens aus Eigennutz um meine Gunst bewerben; denn ich kann mehr zu Ihrem Glücke beitragen, als Sie sich einbilden.So sagen Sie mir denn geschwinde, was ich zu thun habe, erwiederte Biribinker.Welche Ungeduld! rief die Fee. Wissen Sie also, daß der arme Grigri nicht eher wieder Grigri werden soll, bis der Prinz Biribinker — Nun! so rathen Sie doch! — Aber das versichere ich Ihnen, wenn es nicht um die Wiederherstellung eines alten guten Freundes zu thun wäre, ich könnte mich nimmermehr dazu verstehen, das Opfer der Rache zu werden, welche Padmanaba durch Ihren Beistand an dem armen Grigri nehmen will.Er will doch nicht, daß ich Ihnen das Leben nehmen soll? sagte der Prinz.Ich muß gesehen, antwortete Krystalline, daß Sie heute mit einem außerordentlich harten Kopfe aufgewacht sind! Glauben Sie denn nicht, daß es etwas gibt, wogegen sogar der Tod der Geliebten in den Augen eines recht begeisterten Liebhabers das kleinere Uebel wäre?Ha, ha! Nun glaub' ich Euer Gnaden zu verstehen, sagte Biribinker ganz kaltsinnig. In der That, Ihre Schamhaftigkeit hätte nicht nöthig gehabt, sich so viel Bedenken zu machen, die Sache gerade heraus zu sagen. Aber erlauben Sie mir, Ihrem Gedächtniß ein wenig nachzuhelfen und Sie zu erinnern —Ich glaube, Sie haben Zerstreuungen, unterbrach ihn die Fee. — Indessen müssen Sie wissen, daß Padmanaba sehr streng über dem Recht der Wiedervergeltung hält, und daß Grigri nicht eher zu seiner ersten Gestalt gelangen kann, bis Sie ihm alle die Beleidigungen wiedergeben, welche der Zauberer von ihm empfangen zu haben glaubt.O Madame! rief der Prinz, indem er aus dem Ruhebette sprang, ich bin des Herrn Padmanaba gehorsamer Diener: aber, wenn es nur auf diesen kleinen Umstand ankommt, so werden Sie unter den zehntausend Gnomen, die Ihnen zu Diensten stehen, einen neuen Grigri suchen müssen, um den alten Gecken an seinem wunderthätigen Nebenbuhler zu rächen; denn daran wird Ihnen vermuthlich mehr gelegen seyn, als daß Ihr kleiner Zwerg seine vorige Schönheit wieder bekomme. Was mich betrifft, so denke ich, Sie könnten zufrieden seyn, daß ich Ihnen die Ihrige wieder gegeben habe. Ich sage das nicht, als ob ich mich durch die Gütigkeit, die Sie für mich gehabt haben, nicht überflüssig für einen Dienst belohnt hielte, der mir so wenig gekostet hat. Ich wollte Sie nur erinnern, daß die Hauptsache doch immer in dem Umstande liegt, daß Sie, anstatt ein krystallener Nachttopf zu seyn, wieder die Fee Krystalline sind, und daß die Gewalt, die Ihnen der Zauberstab des alten Padmanaba gibt, Sie gar leicht wegen des Verlustes eines einzigen Verehrers sollte trösten können.Ich hoffe doch nicht, versetzte Krystalline, daß Sie meine Sorge für den armen Grigri irgend einer eigennützigen Absicht beimessen? Sie müßten in der That weder die Feinheit meiner Empfindungen, noch die Pflichten der Freundschaft kennen, wenn Sie nicht begreifen könnten, daß man sich für einen Freund beeifern kann, ohne einen andern Bewegungsgrund zu haben, als das Beste dieses Freundes; und ich müßte Sie bedauern —Madam, erwiederte Biribinker, der sich indessen angekleidet hatte, ich bin von der Feinheit Ihrer Empfindungen so überzeugt, als Sie es nur verlangen können; aber Sie sehen, wie bequem dieser Morgen zu Fortsetzung meiner Reise ist. Seyn Sie so gütig, Sie, deren Herz einer so uneigennützigen Freundschaft fähig ist, und entdecken mir, auf welchem Weg ich meine geliebte Galaktine wieder finden kann: so will ich gegen alle Welt behaupten, daß Sie die großmüthigste, die uneigennützigste und, wenn Sie wollen. auch die sprödeste unter allen Feen des Erdkreises sind.Sie sollen befriediget werden, antwortete Krystalline: gehen Sie und suchen ihr Milchmädchen, weil es doch ihr Schicksal so haben will! Ich hätte vielleicht Ursache, mit Ihrer Aufführung nicht allzusehr zufrieden zu seyn; aber ich sehe wohl, daß man es mit Ihnen nicht so genau nehmen muß. Gehen Sie, Prinz; Sie werden im Hof ein Maulthier antreffen, welches so lange mit Ihnen davon trotten wird, bis Sie Ihre Galaktine gefunden haben; und wofern Ihnen wider Vermuthen etwas Unangenehmes zustoßen sollte, so werden Sie in dieser Erbsenschote ein unfehlbares Mittel dagegen finden.Wie froh bin ich, unterbrach Don Eugenio die Erzählung seines Freundes, daß Sie Ihren Biribinker endlich aus dem verwünschten Schlosse herausführen! Ich gestehe Ihnen, daß ich diese Krystalline nicht einen Augenblick länger aushalten könnte. Was für eine abgeschmackte Creatur! —Sagen Sie nur, sie ist eine Fee, versetzte Don Gabriel, das ist Alles gesagt.Sie wollen vermuthlich, sagte Don Sylvio mit großem Ernste, hiermit nicht zu verstehen geben, als ob es keine hochachtungswürdige Feen gebe? denn es ist unleugbar, daß es solche gibt. Indessen ist gewiß, daß vielleicht die meisten irgend etwas Seltsames und Ungereimtes an sich haben, wodurch sie sich von den Sterblichen unterscheiden wollen; wenn anders der Fehler nicht an uns liegt, daß wir sie nach Regeln beurtheilen, denen sie, als Wesen von einer andern Classe, nicht unterworfen sind.Aber ihr Gewäsche, sagte Don Eugenio, die Delicatesse ihrer Empfindungen, ihre Tugend! — Was sagen Sie dazu?Ich halte es für eine so kitzliche Sache, von Feen zu urtheilen, daß ich lieber nichts davon sagen will, antwortete Don Sylvio; und zwar bei dieser Gelegenheit um so mehr, als in der That die Geschichte des Prinzen Biribinker in allen Betrachtungen die außerordentlichste Feengeschichte ist, die ich jemals gehört habe.Was den Charakter der Fee Krystalline betrifft, sagte Don Gabriel, so gibt ihn der Geschichtschreiber für nichts besser, als er ist; und ich glaube, daß man ihn tadelhaft finden könnte, ohne der Ehrfurcht gegen die Fee zu nahe zu treten. Im Uebrigen werden Sie doch gestehen, Don Eugenio, daß dem Prinzen Biribinker das Gewäsche. welches Sie so abgeschmackt finden, nicht halb so langweilig vorkommen mußte, als es Ihnen in meinem Munde vorkam. Man hört eine schöne Person allemal gern, wenn man sie sieht, und wenn sie eine wohlklingende Stimme hat; sie überzeugt und rührt, ohne daß man darauf Acht gibt, was sie sagt, und sie würde gemeiniglich nicht viel dabei gewinnen, wenn man darauf Acht gäbe.Wenn Sie unserem Geschlechte keine schönere Complimente zu machen haben, sagte Donna Felicia, so thäten Sie besser, Ihre Erzählung fortzusetzen, so langweilig sie immer seyn mag.Don Gabriel versprach sein Möglichstes zu thun, um sie kurzweiliger zu machen, und fuhr also fort: Der Prinz Biribinker steckte die Erbsenschote zu sich, bedankte sich gegen die Fee für alle ihre Gütigkeiten und stieg in den Hof herab. Sehen Sie hier, sagte Krystalline, die ihn begleitete, sehen Sie hier ein Maultier, das vielleicht wenige seines Gleichen hat. Es stammt in gerader Linie von dem berühmten trojanischen Pferd und der Eselin des Silenus ab. Von der väterlichen Seite hat es die Eigenschaft, daß es von Holz ist und weder Futter, noch Streu, noch Striegel nöthig hat; und von der mütterlichen, daß es eines überaus sanften Trab geht und so geduldig ist, wie ein Schaf. Steigen Sie auf und lassen es gehen, wohin es will; es wird Sie zu ihrem geliebten Milchmädchen bringen; und wenn Sie nicht so glücklich seyn werden, als Sie wünschen, so wird nur die Schuld an Ihnen selber liegen.Der Prinz besah dieses außerordentliche Thier von allen Seiten und hatte alle die Wunderdinge, die ihm in diesem Schlosse begegnet waren, vonnöthen, um ihm so viel Gutes zuzutrauen, als ihm die Fee nachgerühmt hatte. Während er aufstieg, wollte ihm Krystalline noch eine Probe geben, daß sie nicht zu viel von ihrer Macht gesagt hätte. Sie schlug mit ihrem Stab dreimal in die Luft, und siehe! auf einmal erschienen alle zehntausend Sylphen, welche ihr der Stab des Padmanaba unterthänig machte; der Hof, die Treppe, die Galerie und sogar die Dächer und die Luft wimmelten von geflügelten Jünglingen, wovon der geringste den vaticanischen Apollo an Schönheit übertraf. — Bei allen Feen, rief Biribinker, von diesem Anblicke außer sich selbst gesetzt, was für einen glänzenden Hof Sie haben! Lassen Sie den kleinen Grigri immer eine Hummel bleiben, Madame, und halten Sie sich an diese hier! Es müßte unglücklich seyn, wenn unter allen diesen Liebesgöttern keiner fähig seyn sollte, Ihnen einen Gnomen zu ersetzen, der, Ihrem eigenen Geständnisse nach, keinen andern Vorzug vor seinen mitgeschaffen Gesellen hatte, als daß er auf eine kurzweilige Art ungestaltet war. — Sie sehen wenigstens, versetzte Krystalline, daß es mir nicht an Gesellschaft fehlt, die mich wegen Ihrer Unbeständigkeit trösten kann, wenn es mir jemals einfallen sollte, getröstet seyn zu wollen.Mit diesen Worten wünschte sie ihm eine glückliche Reise, und Biribinker trabte auf seinem hölzernen Maulthiere davon, indem er Allem demjenigen nachdachte, was ihm in diesem wundervollen Schlosse begegnet war.

Zweites Capitel:

Fortsetzung der Geschichte des Prinzen Biribinker.

Ich will Ihnen, fuhr Don Gabriel in seiner Erzählung fort, die mannigfaltigen Betrachtungen erlassen, welche Biribinker unterwegs mit sich selbst anstellte, um Ihnen zu sagen, daß er gegen Mittag, da die Hitze unerträglich zu werden anfing, an dem Eingang eines Waldes abstieg, wo er sich an den Rand eines kleinen Baches setzte, der von Bäumen und Gebüschen umschattet war. Nicht lange, so erblickte er eine Schäferin, die eine kleine Heerde rosenfarbner Ziegen vor sich her trieb, um sie an dem Bache zu tränken, wo Biribinker im Schatten lag.Denken Sie, Don Sylvio, wie groß sein Entzücken seyn mußte, als er in dieser jungen Hirtin sein geliebtes Milchmädchen erkannte! Sie kam ihm noch zehnmal schöner vor, als da er sie das erste Mal gesehen hatte; aber, was ihn am meisten erfreute, war, daß sie, anstatt vor ihm zu fliehen, immer näher herbei kam und sich endlich nicht weit von ihm ins Gras setzte. Der Prinz unterstand sich nicht, sie anzureden; aber er sah sie mit so durchdringend feurigen Blicken an, daß die Steine im Bache beinahe davon in Glas verwandelt worden wären. Die schöne Schäferin, welche sehr kalter Natur seyn mußte, um von so kräftigen Blicken nicht geröstet zu werden, flocht indessen ganz gelassen einen Blumenkranz und unterließ nicht, von Zeit zu Zeit einen Seitenblick auf ihn zu werfen, worin er nichts weniger als Unwillen zu entdecken vermeinte. Dieß machte ihn so kühn, daß er näher zu ihr rückte, ohne daß sie es wahrnahm; denn sie spielte eben mit einer kleinen Ziege, die statt der Haare lauter Silberfäden hatte und mit Blumenkränzen und rosenfarbnen Bändern aufs artigste geziert war. Seine Augen sagten ihr aus diesem neuen Standpunkte nicht weniger Schönes als zuvor; und die ihrigen antworteten von Zeit zu Zeit so höflich, daß er sich endlich nicht länger halten konnte, sich zu ihren Füßen zu werfen und ihr (nach seiner Gewohnheit) in sehr poetischen Redensarten zu wiederholen, was er vorher in einer weit verständlichern und überzeugendern Sprache gesagt hatte. Nachdem seine zärtliche Elegie zu Ende war, antwortete ihm die schöne Schäferin mit einem Blicke, welcher kaltsinniger anfing als aufhörte: Ich weiß nicht, ob ich Sie recht verstanden habe; wollten Sie mir alle diese Weile her nicht sagen, daß Sie mich liebten? — Himmel, daß ich Sie liebe! rief der entzückte Biribinker, sagen Sie, daß ich Sie anbete, daß ich meine schmachtende Seele zu Ihren Füßen aushauche. — Sehen Sie, antwortete die Schäferin, ich bin nur ein ganz einfältiges Mädchen, ich verlange nicht, daß Sie mich anbeten sollen, und Sie sollen auch Ihre Seele nicht aushauchen, denn ich denke nicht daß Sie deren zu viel haben: ich würde zufrieden seyn, wenn Sie mich nur liebten. Aber ich gestehe Ihnen, daß ich schwerer zu überzeugen bin, als die Fee, mit der Sie die vergangene Nacht zugebracht haben. — Götter! rief der bestürzte Prinz, was höre ich? Wie ist es möglich? — Wer kann Ihnen? — Woher wissen Sie? — Ich weiß nicht, was ich sage — O! unglückseliger Biribinker!Die schöne Schäferin that einen großen Schrei, eh' er diesen fatalen Namen noch ganz ausgesprochen hatte. Ja wohl, unglückseliger Biribinker, rief sie aus, indem sie sich mit großer Hastigkeit vom Boden aufraffte: müssen Sie mein Ohr schon wieder mit diesem schändlichen Namen beleidigen? Sie zwingen mich, Sie zu hassen und zu fliehen, da ich —Hier wurde die erzürnte Galaktine plötzlich von einem Anblick unterbrochen, der dem Prinzen und ihr selbst auf einmal alle andere Gedanken benahm. Sie sahen einen Riesen auf sie zukommen, der anstatt eines Kranzes ein paar junge Eichbäume um den Kopf gebunden hatte und sich unterm Gehen die Zähne mit einem Zaunpfahl aus stocherte. Er ging gerade auf die Schäferin zu und donnerte sie mit einer so entsetzlichen Stimme an, daß mehr als zweihundert Dohlen, die ihre Nester in seinem krausen Barte hatten, mit großem Gekrächz herausgeflogen kamen. Was hast du hier, rief er, mit diesem kleinen Zwerge, Püppchen? Folge mir augenblicklich, oder ich hacke dich zu kleinen Pastetchen: und du, sagte er zum Prinzen, indem er ihn in einen großen Sack steckte, herein in meinen Sack! — Nach diesem sehr lakonischen Gruße schnürte er den Sack zu, nahm die Schäferin auf den Arm und trabte davon.Biribinker glaubte in den leeren Raum gestürzt worden zu seyn; denn er fiel und fiel immer fort, ohne daß es ein Ende nehmen wollte. Endlich kam er doch auf den Boden, stieß aber den Kopf so stark an einen Weberknopf an, daß er etliche Minuten ganz betäubt da lag und die Hirnschale gebrochen zu haben glaubte. Nach und nach erholte er sich wieder, und nun besann er sich auf die Erbsenschote, die ihm Krystalline gegeben hatte; er brach sie auf, fand aber nichts als ein kleines Messer von Diamant mit einem Hefte von einer Greifenklaue, kaum so groß, daß man es mit drei Fingern fassen konnte. Ist das Alles, dachte er, was die Fee Krystalline für mich thut? Was will sie, daß ich wie diesem Spielzeuge machen soll? Es ist kaum groß genug, daß ich mir die Kehle damit abschneiden könnte, und vielleicht ist dieß auch ihre Meinung. Aber man muß doch alles Andere vorher versuchen, ehe man sich die Kehle abschneidet. Ich kann mit diesem Messerchen ein Loch in den Sack bohren, ob es gleich Mühe kosten wird, und wenn ich schon einen Sprung wagen muß, so will ich doch lieber Alles wagen, als Gefahr laufen, daß dieser verfluchte Popanz kleine Bratwürste für seine Popänzchen aus mir macht.In dieser großmüthigen Entschließung arbeitete der Prinz Biribinker oder vielmehr das kleine Messer, worauf ein Talisman eingegraben war, so nachdrücklich, daß er in kurzer Zeit eine ziemliche Oeffnung in den Sack machte, ungeachtet die Fäden des Gewebes so dick waren, wie Ankerseile. Er bemerkte, daß die Reise durch einen Wald ging, und dachte seine Zeit so in Acht zu nehmen, daß er, indem er sich aus dem Sack herausstürzte, an dem Wipfel eines hohen Baumes sich halten könnte. Diesen Anschlag setzte er ungesäumt ins Werk, ohne daß es der Riese gewahr wurde; allein der Ast, an dem er sich halten wollte, brach mit ihm, und der gute Biribinker fiel in ein ziemlich tiefes marmornes Brunnenbecken voll Wassers, welches zu allem Glück unter ihm lag. Denn, was er für einen Wald angesehen hatte, war in der That ein sehr schöner Park, der zu einem nicht weit davon gelegenen Schlosse gehörte. Er dachte, indem er untertauchte, zum wenigsten in das kaspische Meer gefallen zu seyn, oder, besser zusagen, er dachte gar nichts, so betäubt von Schrecken lag er da, und vermuthlich würde er in seinem Leben das Trockne nicht wieder gesehen haben, wenn nicht eine Nymphe, die sich eben in diesem Brunnen badete, zu seiner Rettung herbeigeschwommen wäre. Die Gefahr, worin sie einen so schönen jungen Menschen sah, machte sie vergessen, in was für einem Zustande sie selbst war; und in der That hätte er leicht ertrinken können, ehe sie ihre Kleider angezogen hätte. Kurz, Biribinker fühlte, da er zu sich selbst kam, daß sein Gesicht an dem schönsten Busen lag, der jemals die Stelle eines Kissens vertreten hatte; und als er Augen aufthat, sah er sich am Rand eines großen Brunnen in den Armen einer Nymphe, die ihm, in dem ungekünstelten Aufzuge, worin er sie sah, beim ersten Anblick so viel und noch mehr Leben wieder gab, als er nöthig hatte.Dieses Abenteuer setzte ihn in ein so angenehmes Erstaunen, daß er kein Wort hervorbringen konnte. Allein die Nymphe merkte kaum, daß er wieder lebte, so riß sie sich von ihm los und sprang ins Wasser. Biribinker, der sich einbildete, daß sie ihm entfliehen wolle, erhob ein so klägliches Geschrei, als ein kleines Mädchen nur immer erheben kann, wenn man ihm eine neu geschenkte Puppe wieder nehmen will. Die schöne Nymphe war sehr weit von einem so grausamen Vorhaben entfernt; denn in wenigen Augenblicken sah er sie schon wieder mit einem Rücken, der die Lilien an Glanz übertraf, aus dem Wasser hervorragen. Sie hob den Kopf ein wenig empor; aber kaum erblickte sie den Prinzen, so tauchte sie wieder unter und plätscherte unter dem Wasser fort, bis sie an die andere Seite des Brunnens kam, wo ihre Kleider lagen. Allein, da sie sah, daß ihr der Prinz folgte, erhob sie sich mit halbem Leib, aber ganz in ihre langen gelben Haare eingehüllt, die in dichten wallenden Locken bis zu ihren Füßen herabflossen und seinen lüsternen Augen den Anblick von Schönheiten entzogen, welche fähig waren, einen Tithon zu verjüngen und einen Tizian zur Verzweiflung zu treiben.Sie sind sehr unbescheiden, Prius Biribinker, sagte sie, daß Sie sich in Augenblicken aufdringen, da man allein seyn will.Vergeben Sie mir, schönste Nymphe, antwortete der Prinz, wenn mir Ihre Bedenklichkeiten ein wenig unzeitig vorkommen; nach dem Dienste, den Sie mir so großmüthig geleistet haben, dächte ich —Man sehe doch, rief die Nymphe aus, was für einen Uebermuth diese Mannsleute haben! Man untersteht sich nicht, ihnen die mindeste kleine Höflichkeit zu erzeigen, ohne daß sie ihre Glossen darüber machen; ein bloßes Werk der Großmuth und des Mitleidens ist in ihren Augen schon eine Aufmunterung, wodurch sie sich berechtigt halten, sich Freiheiten mit uns heraus zu nehmen. Wie? weil ich gütig genug gewesen bin, Ihnen das Leben zu retten, so glauben Sie vielleich —Sie sind sehr grausam, unterbrach sie der Prinz, daß Sie einem unbescheidenen Uebermuthe beimessen, was eine nothwendige Wirkung der Zauberei Ihrer Reizungen ist. Wenn Sie mir das Leben wieder nehmen wollen, das Sie mir retteten (denn wer kann Sie gesehen haben und die Beraubung eines so entzückenden Anblicks ertragen?), so tödten Sie mich wenigstens auf eine großmüthige Art; machen Sie ein Denkmal Ihrer Alles bezwingenden Schönheit aus mir und lassen mich hier in Ihrem Anschauen zum Marmorbilde erstarren!Sie haben, wie ich höre, eine hübsche Belesenheit in den Poeten, versetzte die Nymphe: wo nahmen Sie doch diese Anspielung her? — War nicht einmal eine gewisse Medusa — Sie haben Ihren Ovidius gelesen, dieß ist gewiß, und man muß gestehen, daß Sie Ihrem Schulmeister Ehre machen!Grausame! rief Biribinker mit Ungeduld, was für ein Belieben finden Sie daran, die Sprache meines Herzens, welches keinen Ausdruck für seine Gefühle stark genug findet, mit den Figuren eines schülerhaften Witzes zu verwechseln? —Sie nehmen Ihre Zeit sehr übel, wenn Sie disputiren wollen, fiel ihm die Nymphe ein: sehen Sie denn nicht, wie viel Vortheile ich in dem Element, worin ich bin, über Sie habe? Aber ich bitte Sie, gehen Sie hinter diese Myrtenhecken, und erlauben Sie mir, daß ich mich ankleide, wenn Sie so gut seyn wollen. — "Würde es aber nicht großmüthiger von Ihnen seyn, wenn Sie mir erlaubten, daß ich Sie ankleiden hälfe?" —Glauben Sie das? erwiederte die Nymphe: ich danke Ihnen für Ihre Dienstfertigkeit; aber ich möchte Ihnen nicht gern Mühe machen, und Sie sehen auch, daß ich Leute genug habe, die dieser Arbeit besser gewohnt sind als Sie. 10Mie diesen Worten blies sie in ein kleines Ammonshorn, das ihr an einer Schnur der größten und feinsten Perlen am Halse hing, und in einem Augenblick erfüllte sich der ganze Brunnen mit jungen Nymphen, die plätschernd aus dem Wasser herauf fuhren und einen Kreis um ihre Gebieterin machten. Biribinker konnte sich jetzt noch weniger entschließen, auf die Seite zu gehen, als zuvor; aber die Nymphen erblickten ihn kaum, so spritzten sie ihm eine solche Menge Wassers ins Gesicht, daß er, aus Furcht, ein anderer Aktäon zu werden, so eilfertig davon lief, als ob er schon Hirschläufte hätte. Er fühlte sich alle Augenblicke an die Stirne; da er aber weder Geweih noch Sprossen merkte, schlich er sich wieder zurück, um hinter den Myrtenhecken der Ankleidung seiner schönen Nymphe zuzusehen. Allein er kam schon zu spät; die Nymphen waren wieder verschwunden, und indem er hinter der Hecke hervor gehen wollte, fehlte es nicht viel, daß er mit dem Kopf an die Stirne seiner Erretterin angeschlagen hätte, die im Begriff war ihn auszusuchen. Er staunte ungemein, da er sie sah. Wie? Madame, rief er aus, nennen Sie das angekleidet seyn?Warum nicht? antwortete die Nymphe: sehen Sie denn nicht, daß ich in einen siebenfachen Schleier von Leinewand eingewickelt bin? — Das gesteh' ich, sagte der Prinz: wenn dieß Leinewand ist, so möchte ich wohl die sehen, die Sie gesponnen und gewebt haben! denn das feinste Spinnegewebe ist Segeltuch gegen dieses. Ich hätte geschworen, daß es Luft wäre. — Es ist die feinste Art von gewebtem Wasser, versetzte sie, von einer Ari trocknem Wasser, welches von Polypen gesponnen und von unsern Mädchen gewebt wird; es ist die gewöhnliche Kleidung, die wir Ondinen zu tragen pflegen. Was für eine andere wollen Sie daß wir haben sollen, da wir uns weder vor Frost noch Hitze zu verwahren brauchen? —Der himmel verhüte, sagte Biribinker, daß ich Ihnen eine andere wünschte; aber mich däucht, wenn Sie es nicht ungnädig nehmen wollen, Sie hätten vorhin nicht nöthig gehabt, so viel Umstände zu machen, wie Sie aus dem Bade steigen wollten. — Hören Sie, mein Herr, sagte die Ondine mit einem kleinen spöttischen Nasenrümpfen, das ihr sehr gut ließ, wenn ich Ihnen rathen dürfte, so gewöhnten Sie sich das Moralisiren ab; denn es ist gerade das, worauf Sie sich am wenigsten verstehen. Wissen Sie denn nicht, daß der Gebrauch über das, was man anständig nennt, entscheidet? Man sieht wohl, daß Sie die Welt nie anders als in einem Bienenkorbe gesehen haben, und Sie würden sehr wohl thun, wenn Sie, nach dem Rath des weisen Avicenna, über nichts urtheilten, was Sie zum ersten Male sehen. ... Aber lassen Sie uns von etwas Anderm reden! Sie haben noch nicht zu Mittage gegessen, nicht wahr? und so verliebt Sie immer (mit gewissen Ausnahmen) in Ihr Milchmädchen seyn mögen, so weiß ich doch wohl, daß Sie nicht gewohnt sind von Seufzern zu leben.Nach diesen Worten blies sie wieder in ihr kleines Ammoshorn, und augenblicklich stiegen drei Ondinen aus dem Brunnen hervor. Die erste brachte einen kleinen Tisch von Bernstein, der von drei aus einem einzigen Amethyst geschnittenen Grazien empor gehalten wurde; die andere breitete eine Matte von den feinsten gespaltenen Binsen darüber aus, und die dritte trug ein Körbchen auf dem Kopfe, woraus sie etliche verhexte Muscheln auf den Tisch stellte. Man sagt mir, Sie essen nichts als Honig, sprach die Ondine zu Biribinkern; Sie sollen einen kosten, der nicht der schlimmste ist, ob er gleich aus lauter Seegewächsen gezogen wird. — Der Prinz versuchte ihn und fand ihn so köstlich, daß er beinahe die Schale mit verschluckt hätte. Wie sie abgespeist hatten, erschienen zwei andere Nixen mit einem kleinen Schenktische von Saphir, der mit einer Menge Trinkschalen besetzt war. Sie waren alle aus gediegenem Wasser geschnitzt; hart wie Diamant, durchsichtig wie Krystall und dem Ansehen nach mit lauter Brunnenwasser angefüllt. Aber, wie Biribinker davon kostete, fand sich's, daß die besten persischen Weine Wasser dagegen waren. Gestehen Sie, sagte die Ondine, daß Sie hier nicht schlimmer sind, als bei der Fee Krystalline, bei der Sie die vergangene Nacht zugebracht haben?Sie sind allzubescheiden, schönste Ondine, antwortete der Prinz, daß Sie sich mit einer Fee vergleichen, die in allen Stücken so weit unter Ihnen ist.Wieder übel geschlossen! erwiederte sie: ich sagte das nicht aus Bescheidenheit, sondern nur, um zu hören, was Sie mir darauf antworten würden.Aber ich bitte Sie, meine Göttin, sagte der Prinz, wie geht es zu, daß Sie so gute Nachrichten von mir haben? Sobald Sie mich sehen, nennen Sie mich bei meinem Namen. — Sie sehen daraus, antwortete die Ondine, daß ich eine so gute Kennerin bin, als die Fee Krystalline. — "Sie wissen, daß ich in einem Bienenkorb erzogen worden bin" — Das riecht man Ihnen auf zwanzig Schritte weit an — "Daß ich ein Milchmädchen liebe" — O ja! — wie man noch nie geliebt hat, und daß Sie noch verliebter sind, seitdem sie eine Schäferin geworden ist; und wer weiß, wie weit Sie Ihr Glück getrieben hätten, wenn nicht der Riese Karakuliamborix dazwischen gekommen wäre! Aber haben Sie keinen Kummer; Sie sollen sie wieder sehen und so glücklich seyn, als man im Besitz eines Milchmädchens nur immer seyn kann.O! rief Biribinker (bei dem die Getränke der Ondine mächtig zu wirken anfingen), kann man etwas Andres zu sehen oder zu besitzen wünschen, nachdem man Sie gesehen hat, göttliche Ondine? Ich erinnere mich nicht mehr, daß ich vorher Augen hatte, und der Augenblick, da ich Sie zum ersten Male sah, ist der Anfang meines Daseyns. Ich kenne und wünsche mir keine andere Glückseligkeit, als zu Ihren Füßen von dem Feuer verzehrt zu werden, das Ihr erster Blick in meiner Brust entzündet hat.Prinz Biribinker, antwortete die Ondine, Sie haben einen schlimmen Lehrmeister in der Redekunst gehabt. Ich hätte gedacht, die Fee Krystalline sollte Ihnen die lächerliche Meinung benommen haben, daß man uns Unsinn vorsagen müsse, um uns die Heftigkeit seiner Leidenschaft zu beweisen. Ich wette, was Sie wollen, es ist nicht wahr, daß Sie zu meinen Füßen verzehrt zu werden wünschen: glauben Sie mir, ich weiß besser, was Sie wünschen, und Sie würden mehr dabei gewinnen, wenn Sie natürlich mit mir reden wollten. Die schwülstige Sprache, die Sie sich angewöhnt haben, ist vielleicht gut, Milchmädchen zu rühren; aber lassen Sie sich ein für alle Mal sagen, daß man uns nicht nach einerlei Methode behandeln muß. Ein Frauenzimmer, das den Averroes so lange studirt hat, wie ich, wird durch keine poetische Blümchen gewonnen; man muß uns überzeugen können, wenn man uns rühren will, und die Macht der Wahrheit ist das Einzige, was uns nöthigen kann, uns zu ergeben.Biribinker war es zu sehr gewohnt, von den Damen, denen er in die Hände fiel, gehofmeistert zu werden, als daß er sich durch einen Verweis hätte kleinmütig machen lassen sollen, der ihm die Mittel zeigte, wodurch man bei den Schülerinnen des Averroes glücklich werden kann; und in der That fühlte er, daß es ihm weit weniger Mühe kosten werde, sie durch die Energie der Wahrheit, als durch spitzfindige und schwülstige Liebeserklärungen zu überwältigen. Die Reizungen der Ondinen übertreffen, nach dem vollgültigen Zeugnisse des Grafen von Gabalis, Alles, was den Besitz der schönsten unter den Töchtern der Menschen begehrenswürdig macht. Kurz, Biribinker wurde nach und nach so natürlich und überzeugend, als sie es nur verlangen konnte; und ob sie gleich eine genaue Beobachterin dessen war, was man Gradationen nennt, so wußte sie doch die Zeit so gut einzutheilen, daß es eben Nacht wurde, wie der Prinz die Ueberzeugung bis zu derjenigen Evidenz trieb, die keinen Zweifel übrig läßt. Die Geschichte sagt weiter nichts von dem, was zwischen ihnen vorgegangen, als daß sich Biribinker des Morgens, da er erwachte, zu seinem nicht geringen Erstaunen auf eben dem Ruhebette, in eben dem Zimmer, in eben dem Palast und in eben dem Zustande befunden habe, worin er des Morgens zuvor gewesen war.Die schöne Ondine, welche, man weiß nicht warum, sich nicht sehr weit von ihm befand, merkte kaum, daß er erwacht war, als sie ihn — mit einer Anmuth, die ihn vor etlichen Stunden eben so sehr entzückt hatte, als sie ihn jetzt gleichgültig ließ, also anredete: Das Schicksal, mein lieber Biribinker, hat Sie dazu ausersehen, sich unglückliche Feen verbindlich zu machen. Da ich das Vergnügen habe, eine davon zu seyn, so ist es billig, daß ich Ihnen berichte, wer ich bin, und wie viel ich Ihnen zu danken habe. Wissen Sie also daß ich eine von denjenigen Feen bin, die man Ondinen nennt, weil sie das Element des Wassers bewohnen, aus dessen subtilsten Atomen ihr Wesen zusammengesetzt ist. Man nannte mich Mirabella, und der Stand einer Fee mit dem Rang, den mir meine Geburt unter den Ondinen gab, hätte mich glücklich machen können, wenn irgend etwas fähig wäre, uns gegen die Einflüsse eines feindseligen Gestirns zu schützen. Das meinige verurtheilte mich, von einem alten Zauberer geliebt zu werden, dem seine tiefe Wissenschaft eine unbegränzte Gewalt über die elementarischen Geister gab. Allein bei Allem dem war er der unangenehmste Mensch von der Welt, und ohne die Freundschaft eines Salamanders, der ein Günstling des alten Padmanaba war —Wie? rief der Prinz, Padmanaba, sagen Sie? der Mann mit dem schneeweißen, ellenlangen Barte, der arme von langer Weile geplagte Mädchen in Nachtgeschirre und kurzweilige Gnomen in Hummeln verwandelt?Eben dieser, versetzte Mirabella, war es, der sich Rechte über mich anmaßte, ohne zu den Pflichten, die von diesen Rechten unzertrennlich sind, die mindeste Tauglichkeit zu haben. Eine meiner Vorgängerinnen, die er in den Armen eines häßlichen Gnomen überraschte, hatte ihn so mißtrauisch gemacht, daß er auf seinen eigenen Schatten eifersüchtig war. Er hatte alle Gnomen abgeschafft und dafür lauter Salamander angenommen, deren feurige Natur, wie er dachte, geschickter war, Schrecken als Liebe einzuflößen. Sie erinnern sich ohne Zweifel aus Ihrem Ovidius an die schöne Semele, die in der Umarmung eines Salamanders zu Asche wurde. Aber der gute Alte vergaß mit aller seiner Vorsichtigkeit, daß die wässerige Natur der Ondinen sie vor einer solchen Gefahr vollkommen sichert und das gedämpfte Feuer der Salamander zu einer sanften Hitze mäßiget, die der Liebe nicht wenig günstig ist. Padmanaba verließ sich so völlig auf seinen Günstling, daß er uns alle Freiheit ließ, die wir nur wünschen konnten. Sie bilden sich vielleicht ein, Prinz Biribinker, daß wir uns diese Gelegenheit nach der Weise materieller Liebhaber zu Nutze gemacht hätten; aber Sie irren sich. Flox, so hieß mein Freund, der Salamander, war zu gleicher Zeit der zärtlichste und der geistigste Liebhaber von der Welt. Er merkte gleich, daß mein Herz nur durch den Kopf gewonnen werden könne, und trieb seine Gefälligkeit gegen meine Delicatesse so weit, daß er gar nicht einmal zu bemerken schien, daß ich (wie Sie sehen) eine ziemlich feine Haut, eine nicht ganz gleichgültige Figur und ein Paar niedliche kleine Füßchen hatte, mit denen ich im Nothfall so fertig zu reden wußte, als Andere mit den Augen. Mit einem Worte, er ging mit mir um, als ob ich lauter Geist gewesen wäre. Anstatt wie andere Liebhaber mit mir zu tändeln, analysirte er mir die geheinmisvollen Schriften des Averroes. Wir sprachen ganze Tage lang von unsern Empfindungen; und ob es gleich im Grunde immer eben dieselbigen waren, so wußten wir ihnen doch so vielerlei Wendungen zu geben, daß wir immer etwas Neues zu sagen schienen, wenn wir in der That immer einerlei sagten. Sie sehen, mein Prinz, daß nichts unschuldiger seyn konnte, als unsere Freundschaft oder, wenn Sie es so nennen wollen, unsere Liebe. Und doch konnte uns weder die Lauterkeit unserer Absichten, noch die Vorsicht einer jungen Gnomide (die in meinen Diensten und in der That ein dummes kleines Ding war) vor den boshaften Beobachtungen so vieler Augen, welche der Neid auf uns offen hielt, sicher stellen. Verschiedene Salamander, von den Vorzügen beleidigt, die ich meinem Freund vor ihnen gab, unterstanden sich, über unsern Umgang gewisse Glossen zu machen, die sich (ihrem Vorgeben nach) auf gewisse Vertraulichkeiten gründeten, die sie zwischen uns wahrgenommen haben wollten. Der eine bemerkte, daß ich außerordentlich munter sey, und daß ein gewisses Feuer in meinen Augen blitze, welches lange Zeit darin erloschen gewesen war, Ein anderer konnte nicht begreifen, daß meine Leidenschaft für die Philosophie groß genug seyn könne, um mir sogar in meinem Schlafzimmer Unterricht darin geben zu lassen. Ein dritter wollte eine gewisse Sympathie unserer Knie unb Ellenbogen, und ein vierter ich weiß nicht was für ein geheimes Verständniß zwischen unsern Füßen entdeckt haben. Sie sehen, mein Prinz, daß, wenn auch in einer von den Zerstreuungen, denen metaphysische Seelen am häufigsten unterworfen sind, etwas dergleichen vorgegangen wäre, man doch die Bosheit und materielle Denkungsart unserer Feinde haben mußte, um solche Kleinigkeiten zum Nachtheil einer Tugend auszudeuten, die sich jederzeit durch die strengsten Grundsätze und die schärfste Sittenkritik in einem unbestrittenen Ansehen erhalten hatte.Inzwischen wurde das Gemurmel unserer Mißgünstigsten so laut, daß es endlich auch vor den alten Padmanaba kam, der nur allzu geneigt war, dergleichen Eingebungen ein aufmerksames Ohr zu leihen. Er wurde desto stärker dadurch aufgebracht, je größer die Meinung gewesen war, die er von meiner Tugend oder wenigstens von der Kälte meines Blutes gefaßt hatte. Man machte einen Anschlag, uns zu überraschen, und es gelang endlich unsern Feinden, uns in einer von den obgedachten Zerstreuungen anzutreffen, die zum Unglück so stark war, daß sie das Aergste, was unsere Feinde davon denken konnten, zu rechtfertigen schien. Die donnernde Stimme des furchtbaren Padmanaba weckte mich aus einer von diesen ekstatischen Abwesenheiten des Geistes, denen sogar der weise Sokrates unterworfen gewesen seyn soll.Stellen Sie sich vor, ob es mir angenehm seyn konnte, mich von so vielen Augen beleuchtet zu sehen. Indeß verließ mich doch die Gegenwart des Geistes nicht ganz; ich hat meinen alten Gemahl, mich nicht eher zu verurtheilen, bis er meine Rechtfertigung gehört hätte, und war im Begriff, ihm aus dem siebenten Kapitel der Metaphysik des Averroes zu beweisen, wie betrüglich das Zeugniß der Sinne sey, als er mich mit diesen Worten unterbrach: Ich habe dich zu sehr geliebt, Undankbare, als daß ich fähig wäre, die Rache an dir zu nehmen, die meine beleidigte Ehre fordert. Deine Strafe soll nichts Andres als eine Probe der Tugend seyn, an welche du noch Ansprüche zu machen verwegen genug bist. Ich verbanne dich (fuhr er fort, indem er mich mit seinem Stabe berührte) in die Bezirke des Parks, der dieses Schloß umgibt: behalte deine Gestalt und die Vorrechte deines Feenstandes; aber verliere beides und verwandle dich in das häßlichste Krokodil, so oft du mit Jemand, wer er auch sey, in eine Zerstreuung fällst, wie diejenige, worin ich dich hier gefunden habe. Wie sehr bedaure ich, daß es nicht in meiner Gewalt ist, diese Bezauberung unauflöslich zu machen! Aber die Zukunft wird, wie ich besorge, einen Prinzen hervorbringen, dessen wunderbares Gestirn aller meiner Macht Trotz bietet. Alles, was ich thun kann, ist, die Auflösung meiner Bezauberungen an die talismanische Kraft eines so seltsamen Namens zu binden, daß er vielleicht in vielen Jahrtausenden in keiner Sprache des Erdbodens wird gehört werden.Nachdem Padmanaba diese geheimnisvollen Worte gesprochen hatte, wurde ich durch eine unsichtbare Gewalt in den Brunnen versetzt, wo Sie mich zuerst gesehen haben; und bald darauf erfuhr ich, daß der Alte aus Verdruß über meine vermeinte Untreue das Schloß verlassen habe, ohne daß man wisse, was aus ihm oder meinem geliebten Salamander geworden sey. Ich war untröstbar über den Verlust des letztern und machte meinen Nymphen etliche Tage lang so abscheuliche Gesichter, daß einige davon in Zuckungen fielen, und andere vor Angst auf der Stelle niederkamen. Allein, wie kein heftiger Schmerz langwierig seyn kann, so währte auch der meinige nur so lange, bis ich mich erinnerte, daß mir Padmanaba doch ein Mittel gelassen hatte, die Ehre meiner Tugend zu retten. Was soll ich Ihnen sagen, Prinz Biribinker? Mehr als zwanzig tausend Prinzen und Ritter haben seit mehr als einem Jahrhundert das Abenteuer vergeblich unternommen, das Sie allein fähig waren zu Stande zu bringen. Von was für Klagen, was für Verwünschungen erschallte nicht dieser Wald, wenn diese Unglücklichen statt einer reizenden Fee plötzlich ein ungeheures Krokodil — Der Abscheu, den eine so demüthigende Erinnerung mir verursacht, läßt mich nicht weiter reden! Es ist wahr, diese häßliche Verwandlung hörte sogleich wieder auf; aber jeder neue Versuch, den sie machen wollten, die Bezauberung aufzulösen, hatte jedes Mal den nämlichen Erfolg. Dieser Brunnen, welcher ehemals die gewöhnliche Größe hatte, ist allein durch ihre Thränen so groß und tief geworden, daß er (wie Sie gesehen haben) einem kleinen See ähnlich sieht; und Viele, welche sich aus Verzweiflung hinein stürzten, würden einen feuchten Tod darin gefunden haben, wenn meine Nymphen sie nicht aufgefangen und wieder mit dem Leben ausgesöhnt hätten. Sie allein, glücklicher Biribinker, waren mächtig genug, eine Bezauberung zu vernichten, die mich in die traurige Nothwendigkeit setzte, so viele Tausende zu Zeugen meines Unglücks zu machen.In die Nothwendigkeit, sagen Sie? versetzte der Prinz: verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen gestehe, daß dieß ein Punkt ist, wovon ich mir keine rechte Vorstellung machen kann. Wozu hatten Sie alle diese Zeugen nöthig? Mich däucht, die Ehre Ihrer Tugend (wie Sie es nennen) wäre am besten gerechtfertigt worden, wenn Sie sich nie in den Fall gesetzt hätten, ein Krokodil zu werden.So schließen Sie und Jhres Gleichen, erwiederte Mirabella in einem dogmatischen Tone, der unsern Prinzen in Erstaunen setzte. Sagen Sie mir einmal, was für Ehre kann eine erzwungene Tugend machen? Welches Frauenzimmer ist nicht fähig, ihren Begierden Gewalt anzuthun, wenn sie zu gleicher Zeit die Unmöglichkeit, sie zu befriedigen, und eine schimpfliche Strafe vor Augen sieht? Aber der Liebe zur Tugend die Furcht der Schande, ja in gewissem Sinne die Tugend selbst aufzuopfern, dieß ist ein Grad von moralischem Heldenmuth, dessen nur die edelsten Seelen fähig sind.Erklären Sie mir doch das deutlicher, sagte Biribinker: ich bin sonst eben nicht der Dümmste, aber ich will gehangen seyn, wenn ich ein Wort von Allem. was Sie da sagten, verstanden habe.Unsere Tugend, erwiederte die Ondine, ist nur alsdann ein Verdienst, wenn es in unserer Willkür steht, ob wir sie behalten oder verlieren wollen. Lucretia würde nie als ein Muster der Keuschheit aufgestellt worden seyn, wenn sie den jungen Tarquinius in die Unmöglichkeit gesetzt hätte, einen Versuch auf ihre Ehre zu machen. Eine alltägliche Tugend würde ihr Schlafzimmer verriegelt haben; die erhabene Lucretia ließ es offen. Sie that noch mehr, sie ergab sich sogar, um Gelegenheit zu bekommen, durch das große Opfer, das sie der beleidigten Tugend brachte, der Welt zu zeigen, daß der kleinste Flecken, der ihren Glanz verdunkelt, mit Blut ausgelöscht zu werden verdient.Sie sehen aus diesem Beispiel, mein Prinz, wie weit die geläuterte transcendentale Denkart großer Seelen über die gemeinen Begriffe des moralischen Pöbels erhaben ist. Um eine Bezauberung aufzulösen, die meiner Tugend ihren größten Werth, die Freiwilligkeit und das Vergnügen der besiegten Schwierigkeit, raubte, mußte ich mich so oft in den Fall setzen, sie zu beleidigen, bis ich denjenigen gefunden hatte, der mich von jener Strafe befreien konnte, wovon die bloße Vorstellung meiner edeln Denkungsart unerträglich war. Nun verstehen Sie mich doch, hoffe ich?Unvergleichlich, rief Biribinker; Sie erklären sich immer dunkler! Aber das muß ich gestehen, daß Sie — wenn Sie es nicht übel nehmen wollen — die allersonderbarste Precieuse sind, die man vielleicht jemals in der Welt gesehen hat.Was sagen Sie? versetzte die schöne Ondine sehr lebhaft: wie? eine Precieuse? —Ich? eine Precieuse, sagen Sie? Wahrhaftig, Sie kennen mich sehr schlecht, oder Sie müssen in ihrem Leben keine Precieuse gesehen haben. Was finden Sie Geziertes oder Gekünsteltes an meiner Person, an meinen Manieren, an meiner Kleidung, an meiner Art mich auszudrücken? Was ist Gezwungenes — Mit einem Worte, wollen Sie, daß ich Ihnen eine unwidersprechliche Probe gebe, daß ich keine Precieuse bin?Biribinker erschrak über diesen unverhofften Antrag so sehr, daß er drei Schritte zurückfuhr. O Madame, erwiederte er, ich glaube Alles, was Sie wollen! Ich brauche keine Probe, und ich sehe auch nicht, wie Ihre Tugend — Meine Tugend? rief die Fee; eben meine Tugend fordert von mir, Sie zu überzeugen, daß ich keine Precieuse bin. —Wenn Sie keine Precieuse sind, antwortete Biribinker, so schwör' ich Ihnen, daß ich kein Salamander bin, und daß meine Natur —Fi, sagte die Ondine, schämen Sie sich nicht, vor einem Frauenzimmer so unanständig zu reden? — Was bilden Sie sich ein? Wer fordert denn etwas von Ihrer Natur? oder was geht mich Ihre Natur an? Lassen Sie sich sagen, daß Sie ein Mensch ohne Delicatesse sind, der weder die Ohren noch die Wangen einer Dame zu schonen weiß. Wissen Sie denn nicht, daß es ein Verbrechen ist, ein Frauenzimmer um einer Kleinigkeit willen erröthen zu machen? Unsere Tugend —Madame, fiel ihr Biribinker in die Rede, ich bitte Sie, nennen Sie mir dieses Wort niche mehr! Wenn Sie nur wüßten, wie es Ihren schönen Mund verzerrt! Und erlauben Sie mir, Ihnen mit aller Delicatesse, deren ich fähig bin, zu sagen, daß ich zufrieden bin, ein Abenteuer zu Stande gebracht zu haben, woran zwanzig tausend tapfere Helden zu kurz gefallen sind. Was noch mehr zu thun seyn mag, überlasse ich den Salamandern, Sylphen, Gnomen, Faunen und Tritonen, welche nunmehr ein offenes Feld haben, eine so derbe Tugend wie die Ihrige bei Athem zu erhalten. Alles, warum ich Sie bitte, ist — Ihr Schutz und meine Entlassung.Was Ihre Entlassung betrifft, antwortete die schöne Mirabella, die können Sie sich selbst geben, denn Sie wissen, daß ich Sie nicht gerufen habe. Wenn Sie aber meinen Schutz verlangen, so kann ich Ihnen nicht bergen, daß Ihr Glück von Ihrer eigenen Aufführung abhängt. Wenn Sie so fortfahren, so wird der Schutz aller Feen der ganzen Welt an Ihnen verloren seyn. Hat man jemals einen Liebhaber gesehen, wie Sie sind? Sie ziehen den ganzen Tag in der Welt herum, Ihre Geliebte zu suchen, und bringen die ganze Nacht in den Armen einer Andern zu. Den folgenden Morgen geht Ihre Liebe wieder an, und den Abend darauf Ihre Untreue. Was wollen Sie daß aus einer solchen Aufführung endlich werden soll? Ihre Schäferin müßte außerordentlich geduldig seyn, wenn sie sich diese neue Art zu lieben gefallen lassen wollte. — Wahrhaftig! rief der Prinz, es steht Ihnen recht wohl an, mir Vorwürfe von dieser Art zu machen! Ich mag nicht reden — Aber glauben Sie mir, Ihr Moralisiren fängt mir an beschwerlich zu werden, so eine große Meisterin Sie immer darin seyn mögen. Sagen Sie mir lieber, wie ich meine geliebte Galaktine aus den Händen des verfluchten Riesen befreien kann, der sie gestern davon führte.Bekümmern Sie sich nicht um den Riesen, sagte die Fee: ein Nebenbuhler, der sich die Zähne mit einem Zaunpfahl ausstochert, ist nicht halb so fürchterlich, als Sie sich einbilden; und ich kenne einen gewissen Gnomen, der Ihnen, so klein er ist, mehr Eintrag thun könnte, als Karakuliamborix, wenn er auch noch etliche hundert Ellen länger wäre, als er ist. Kurz, sorgen Sie für nichts, als wie Sie Ihre Schäferin wieder besänftigen wollen; das Uebrige wird sich von selbst geben: und sollten Sie ja in Umstände kommen, wo Sie meiner Hülfe benöthiget wären, so zerbrechen Sie nur dieses Pfauenei, das ich Ihnen gebe; es wird Ihnen, auf mein Wort, keine geringere Dienste thun, als die Erbsenschote der Fee Krystalline.Kaum hatte Mirabella das letzte Wort ausgesprochen, so verschwand Sie mit dem Cabinet und dem Palast, und Biribinker befand sich, ohne zu wissen, wie es zuging, an dem nämlichen Orte, wo ihn der Riese Karakuliamborix bei seiner Schäferin überfallen hatte. Man kann nicht erstaunter seyn, als er es über die seltsamen Dinge war, die ihm seit seiner Flucht aus dem großen Bienenkorbe begegnet waren. Er rieb sich die Augen, knipp sich in die Arme, zog sich der der Nase und hätte gern gefragt, ob er oder ein Anderer der Prinz Biribinker sey, wenn er Jemand hätte fragen können. Je mehr er nachdachte, desto wahrscheinlicher kam es ihm vor, daß Alles nur ein Traum gewesen sey; und er fing schon an sich in dieser Meinung zu bestärken, als er eine Jägerin aus dem Gebüsch hervorkommen sah, die an Gestalt und Anstand nichts Geringeres als Diana selbst zu seyn schien. Ihr grünes Gewand, mit goldenen Bienen durchwirkt, war bis an die Knie aufgeschürzt und unter ihrem Busen ihm einem Gürtel von Diamanten gebunden; ein Theil ihrer schönen Haare war mit einer Perlenschnur in einen Knoten geknüpft, der Rest flatterte in kleinen Locken um ihre weißen Schultern. In der Hand trug sie einen Jagdspiess, und ein goldner Köcher hing auf ihrem Rücken. Dießmal, dachte Biribinker, weiß ich es doch gewiß, daß ich nicht träume; und indem er das dachte, kam ihm die Jägerin so nahe, daß er seine geliebte Galaktine in ihr erkannte. Noch niemals war sie ihm so bezaubernd vorgekommen, als in diesem Aufzuge, der ihr das Ansehen einer Göttin gab. Auf einmal waren die Krystallinen und Mirabellen, die ihn vor Kurzem so sehr bezaubert hatten, gänzlich aus seiner Erinnerung ausgelöscht, und indem er sich zu den Füßen seiner Geliebten warf, bezeigte er sein Vergnügen, sie wiedergefunden zu haben, in so lebhaften Ausdrücken, daß es der getreueste unter allen Liebhabern nicht besser hätte machen können.Allein die schöne Galaktine wußte mehr von seinen Begebenheiten, als er sich einbildete. Wie? sagte sie, indem sie ihr anmuthiges Gesicht mit einem Unwillen, der ihm nur neue Reizungen gab, von ihm wegwandte; unterstehst du dich noch vor meine Augen zu kommen, nachdem du dich durch wiederholte Beleidigungen der Gnade verlustig gemacht hast, die ich dir schon einmal wiederfahren ließ ?Göttliche Galaktine, antwortete ihr Biribinker auf seinen Knieen, zürnen Sie nicht mit mir! wenden Sie Jhre Augen nicht so von mir ab, wenn Sie nicht wollen, daß ich auf der Stelle zn Ihren Füßen sterben soll !Weg mit diesem Unsinn, sagte die schöne Jägerin, den du gewohnt bist an eine Jede zu verschwenden, die dir in den Weg kommt! Du hast mich nie geliebt, Wankelmüthiger. Wer Alle liebt, liebt Keine.Niemals, rief Biribinker mit thränenden Augen, niemals hab' ich eine Andere geliebt als Sie; und das ist so wahr, daß ich darauf schwören wollte, daß Alles nur ein Traum war, was mir in einem gewissen Schlosse begegnet ist. Wenigstens versichere ich Sie, daß die Zerstreuungen, die Sie mir so übel auslegen, ein bloßes Spiel der Sinne waren, woran mein Herz nicht den geringsten Antheil hatte.Eine feine Distinction, erwiederte die Jägerin. Zerstreuungen nennen Sie das? Ich sage Ihnen, daß ich keinen Liebhaber verlange, der solchen Zerstreuungen unterworfen ist. Ich habe die Philosophie des Averroes nie studirt, und ich bin eine so materielle Creatur, daß ich nicht begreifen kann, wie das Herz meines Liebhabers unschuldig seyn kann, wenn mir seine Sinne untreu sind.Vergeben Sie mir nur noch dieses einzige Mal, sagte Biribinker schluchzend. — Ich, Ihnen vergeben? unterbrach ihn die schöne Galaktine; und warum sollt' ich Ihnen vergeben? Sehen Sie mich an; ist man vielleicht mit einem Gesichte, wie das meinige, zum Vergeben genöthigt? Oder meinen Sie, daß ich, um Liebhaber zu haben (wenn ich ihrer haben will), so geduldig seyn müsse, als Sie mich gerne finden möchten? Glauben Sie mir, es liegt nur an mir, unter zwanzig Andern zu wählen, die den Werth eines Herzens, das Sie so muthwillig von sich werfen, besser zu schätzen wissen.Diese Worte, ob sie gleich mit einem Blicke begleitet waren, der ihre Strenge zum wenigsten um die Hälfte milderte, brachten den armen Biribinker vollends zur Verzweiflung. Was hör' ich, rief er, Grausame? So wollen Sie denn meinen Tod? Können meine Thränen Sie nicht erweichen? — Nein, bei allen Göttern! eh' ich zugeben werde, daß ein Anderer als Biribinker —O verhaßtestes unter allen Ungeheuern, rief die ergrimmte Galaktine, lässest du mich noch einmal diesen abscheulichen Namen hören, der mir schon zmeimal die Seele durchbohrt hat? Flieh' auf ewig aus meinen Augen oder erwarte das Aergste von dem immerwährenden Hasse, den ich dir und deinem unglückseligen Namen geschworen habe!Biribinker zitterte an allen Nerven, wie er seine Schöne auf einmal in eine so heftige Wuth ausbrechen sah; er versuchte im Uebermaß seines Schmerzes den Namen Biribinker und denjenigen, der ihm denselben gegeben hatte; und er würde vielleicht (denn für gewiß will ich es eben nicht sagen) mit dem Kopfe wider die nächste Eiche angerannt seyn, wenn er nicht in eben dem Augenblicke sechs wilde Männer erblickt hätte, die in vollem Lauf aus dem Wald hervorstürmten und vor seinen Augen sich der schönen Jägerin bemächtigten. Diese Wilden hatten eine mehr als menschliche Statur; um das Haupt und die Lenden waren sie mit Eichenzweigen bekränzt, auf der linken Schulter trugen sie eine stählerne Keule, und Biribinker fand sie in diesem Aufzuge so fürchterlich, daß er, seiner angebornen Tapferkeit ungeachtet, allen Muth verlor, seine Geliebte aus ihren Händen zu retten. In dieser dringenden Noth erinnerte er sich an das Pfauenei, das ihm die Fee Mirabella gegeben hatte; er zerbrach es mit bebender Hand und erstaunte, wie man denken kann, so sehr als jemals, da er eine unendliche Menge von kleinen Nymphen, Tritonen und Delphinen herauswimmeln sah, die sich augenblicklich in Lebensgröße ausdehnten und aus ihren Wasserkrügen und Nasenlöchern eine so ungeheure Menge Wassers ausgossen, daß in weniger als einer Minute ein See um ihn her entstand, der den ganzen Horizont erfüllte. Er selbst befand sich auf dem Rücken eines Delphins, der so sanft mit ihm davon schwamm, daß er keine Bewegung spürte, und die Nymphen und Tritonen bemühten sich, um ihn her plätschernd, ihm durch Musik aus ihren Hörnern und allerlei muthwillige Spiele eine Lust zu machen. Aber Biribinker sah nur nach dem Orte, wo er seine geliebte Galaktine den Wilden hatte überlassen müssen, und da er, soweit sein schärfster Blick reichte, um und um nichts als Wasser sah, betrübte er sich so herzlich, daß er sich etlichemal in die See stürzen wollte. Er würde es auch gewiß gethan haben, wenn er nicht besorgt hätte, einer von den Nymphen, die um seinen Delphin schwammen, in die Arme zu fallen, welches ihn (wie er sehr weislich dafür hielt) leicht in eine Versuchung hätte setzen können, worin die ewige Treue, die er seiner Schönen nunmehr angelobt hatte, in Gefahr gekommen wäre. Er trieb dießmal die Vorsicht so weit, daß er sich ein seidenes Schnupftuch um die Augen band, aus Furcht, von den Schönheiten zu sehr gerührt zu werden, die durch tausend verführerische Bewegungen seinen Augen nachstellten.Auf diese Weise war er ohne den geringsten widrigen Zufall schon ein paar Stunden fortgeschwommen, als er es endlich wagte, das Schnupftuch ein wenig wegzuschieben, um zu sehen, wo er wäre. Er fand zu seiner großen Beruhigung, daß die Nymphen verschwunden waren; hingegen gewahrte er in der Ferne etwas, das wie der Rücken eines großen Gebirges über die Wellen hervorragte; er merkte auch, daß die See außerordentlich ungestüm wurde, und bald darauf erhob sich ein so entsetzlicher Sturmwind mit so gewaltigen Regengüssen, daß es nicht anders war, als ob ein ganzer Ocean aus der Luft herabstürzte.Der Urheber dieses Unwesens war ein Wallfisch, aber ein Wallfisch, dergleichen man nicht alle Tage sieht; denn diejenigen, die man an den grönländischen Küsten zu fangen pflegt, waren in Vergleichung mit ihm nicht viel größer, als die winzigen Thierchen, die man durch Vergrößerungsgläser bei vielen Tausenden in einem Tropfen Wasser herumschwimmen zu sehen glaubt. So oft er schnaubte, welches gemeiniglich alle Stunden einmal geschah, so entstand ein kleiner Sturmwind, und die Wasserströme, die er aus seinen Nasenlöchern ausspritzte, verursachten Platzregen und Wolkenbrüche auf fünfzig Meilen in die Runde. Die Bewegung des Meers war so heftig, daß Biribinker sich nicht länger auf seinem Delphin erhalten konnte, sondern sich den Wellen überlassen mußte, die ihn wie einen Ball herumschleuderten, bis er zuletzt von der Luft, die der Wallfisch einathmete, wie von einem Wirbelwind ergriffen und durch eines von den Nasenlöchern des Ungeheuers hinabgezogen wurde. Er fiel etliche Minuten lang in einem fort, ohne daß er in der Betäubung wußte, wie ihm geschah; endlich aber merkte er, daß er in ein großes Gewässer fiel, womit eine Höhle im Bauche des Wallfisches angefüllt war. Es war ein kleiner See, der etwa fünf bis sechs deutsche Meilen im Umkreis hatte; und vermuthlich würde Biribinker das Ende aller seiner Abenteuer darin gefunden haben, wenn er nicht zu gutem Glück sich so nah am Ufer einer Insel oder Halbinsel gesehen hätte, daß er kaum zweihundert Schritte zn schwimmen hatte, um auf dem Trocknen zu seyn.Die Noth, die Erfinderin aller Künste, lehrte ihn dießmal schwimmen, ob es gleich das erste Mal in seinem Leben war. Er kam glücklich ans Ufer; und nachdem er sich auf einem Felsen, der zwar wie andere Felsen von Stein, aber so weich wie ein Polster war, zurecht gesetzt hatte, erquickte er sich, während seine Kleider an der Sonne trockneten, an den lieblichen Gerüchen, die ihm ein kühler Landwind aus einem Walde von Zimmtstauden entgegen wehte. Weil er aber begierig war, das Land in Augenschein zu nehmen und sich zu erkundigen, ob und von wem es bewohnt sey, so stieg er, sobald er sich in etwas erholt hatte, von seinem Felsen herab und strich eine halbe Stunde lang im Walde herum, bis er endlich in einen großen Lustgarten kam, worin alle mögliche Bäume, Stauden, Gewächse, Blumen und Kräuter des ganzen Erdbodens in der anmuthigeren Unordnung durch einander geworfen waren. Die Kunst war in der Anlegung desselben so versteckt, daß Alles ein bloßes Spiel der Natur zu seyn schien. Hier und da sah er Nymphen von blendender Schönheit unter Gebüschen oder in Grotten liegen und kleine Bäche aus ihren Urnen gießen, die den Garten durchschlängelten, an vielen Orten in allerlei Figuren in die Höhe spielten, an andern Wasserfälle machten oder in marmorne Becken sich sammelten. Diese Brunnen wimmelten von allen Arten von Fischen, welche, wider die Gewohnheit der Geschöpfe von ihrer Gattung, so lieblich sangen, daß Biribinker ganz davon bezaubert wurde. Insonderheit bewunderte er einen gewissen Karpfen, der die schönste Discantstimme von der Welt hatte und einen Triller schlug, der einem Caffarello Ehre gemacht hätte. Der Prinz hörte ihm eine geraume Weile mit größtem Vergnügen zu: da ihn aber alle diese Wunderdinge nur desto begieriger machten, zu erfahren, wem diese bezauberte Insel gehöre, und ob er sich wirklich, wie er glaubte, in der unterirdischen Welt befinde, so that er deßwegen verschiedene Fragen an die besagten Fische; denn er dachte, weil sie so schön sängen, so würden sie vermuthlich auch reden können. Allein die Fische sangen immer fort, ohne ihm zu antworten oder Acht darauf zu geben, was er sagte.Er gab es also endlich auf und ging immer weiter fort, bis er in einen großen Gemüsegarten kam, der mit allen Arten von Salat, Wurzeln, Schoten- und Rankengewächsen besetzt war, welche dem Ansehen nach ohne Pflege, wiewohl so schön, als nur möglich ist, in regellosem Ueberflusse hervor wuchsen. Indem er sich nun, so gut er konnte, einen Weg durch diese Wildnis machte, stieß er von ungefähr mit dem rechten Fuß an einen großen Kürbis, der so ziemlich dem Wanst eines sinesischen Mandarins gleich sah, und den er unter seinen breiten Blättern nicht gleich wahrgenommen hatte.Herr Biribinker, rief ihm der Kürbis zu, ein ander Mal seyen Sie so gut und schauen ein wenig unter Ihre Füße, eh Sie einem ehrlichen Kürbis auf den Nabel treten.Ich bitte sehr um Vergebung, Herr Kürbis, sagte Biribinker; es geschah in der That nicht aus Vorsatz, und ich würde mich gewiß besser vorgesehen haben, wenn ich hätte vermuthen können, daß die Kürbisse in dieser Insel so wichtige Personen sind, als ich nun sehe. Indeß bin ich erfreut, daß mir dieser kleine Zufall das Vergnügen verschafft hat, mit Ihnen Bekanntschaft zu machen; denn ich hoffe, Sie werden mir die Gefälligkeit nicht versagen, mich zu belehren, wo ich bin, und was ich von Allem, was ich hier sehe und höre, denken soll.Prinz Biribinker, antwortete der Kürbis, Ihre Gegenwart ist mir allzu angenehm, als daß ich mir nicht das größte Vergnügen daraus machen sollte, Ihnen alle die kleinen Dienste zu leisten, die von mir abhangen. Sie befinden sich im Bauch eines Wallfisches, und diese Insel —Im Bauch eines Wallfisches, rief Biribinker. indem er ihn unterbrach — das übertrifft noch Alles, was mir bisher begegnet ist! Nun schwör' ich Ihnen, Herr Kürbis, daß ich mich in meinem Leben über nichts mehr wundern will. Wahrhaftig! wenn es im Bauch eines Wallfisches Lust und Wasser, Inseln und Lustgärten, ja, wie ich merke, Sonne, Mond und Sterne gibt; wenn die Felsen darin so weich wie Polster sind, die Fische singen, und die Kürbisse reden —Was diesen Punkt betrifft, unterbrach ihn der Kürbis gleichfalls, so belieben Sie sich sagen zu lassen, daß ich hierin einen Vorzug vor allen andern Kürbissen, Gurken und Melonen in diesem Garten habe; Sie hätten hundert andere mit Füßen treten können, ohne nur einen Ton von ihnen heraus zu bringen.Ich bitte Sie nochmals um Vergebung, erwiederte der Prinz.Das haben Sie gar nicht nöthig, sagte der Kürbis; ich versichere Sie, es wäre mir leid, wenn es mir nicht begegnet wäre; ich warte hier schon lange auf Ihre Ankunft, und die Zeit wurde mir endlich so lang, daß ich schon zu verzweifeln anfing, diese glückliche Begebenheit jemals zu erleben. Glauben Sie mir, für einen, der nicht dazu geboren ist, ist es eine verdrießliche Sache, hundert Jahre lang ein Kürbis zu seyn, zumal wenn man den Umgang liebt und guter Gesellschaft gewohnt ist. Aber die Zeit ist nun gekommen, da Sie mich an dem verfluchten Padmanaba rächen werden.Was sagen Sie mir von Padmanaba? rief Biribinker: meinen Sie den Zauberer, der die schöne Krystalline in einen Nachttopf verwandelte und die noch schönere Mirabella verurtheilte, ein Krokodil zu werden, so oft sie ihre Tugend auf die Probe setzen wollte?Diese Frage, erwiederte der Kürbis, versichert mich, daß ich mich nicht betrogen habe, da ich Sie für den Prinzen Biribinker hielt: ich sehe daraus, daß die Hälfte der Bezauberungen des alten Gecken schon vernichtet sind, und daß der Augenblick meiner Befreiung da ist.Haben Sie sich also auch über ihn zu beklagen? fragte Biribinker.Nehmen Sie mir nicht übel, antwortete der Kürbis, wenn mich diese Frage zu lachen macht; und in der That lachte er so laut, daß er wegen seines kurzen Athems, der eine Folge seines gewaltigen Wanstes war, eine gute Weile keuchen und husten mußte, bis er wieder reden konnte. Merken Sie denn nicht, fuhr er fort, daß ich etwas Bessers seyn muß, als ich aussehe? Hat Ihnen die schöne Mirabella nicht von einem gewissen Salamander gesagt, der das Glück hatte, in gewissen Umständen von dem alten Padmanaba überrascht zu werden?Ia wohl, sagte Biribinker: sie sprach mir von einem gewissen geistigen Liebhaber, der ihre Seele mit den Geheinmissen der Philosophie des Averroes unterhielt, damit sie die kleinen Experimente nicht beobachten möchte, die er indessen —Sachte, sachte, rief der Kürbis; ich sehe, daß Sie mehr von mir wissen, als Sie allenfalls vonnöthen gehabt hätten: ich bin dieser Salamander, dieser Flox, der (wie ich sagte, und wie Sie schon wußten) so glücklich war, die schöne Mirabella wegen der frostigen Nächte zu entschädigen, die sie mit dem alten Zauberer zuzubringen genöthiget war. Die vorerwähnte Scene, wobei er die Thorheit hatte einen ungebetenen Zuschauer abzugeben, setzte ihn in eine Art von Verzweiflung, ohne ihn von der Liebeskrankheit zu heilen, womit er lächerlicher Weise behaftet war. Sein Palast, ja ein jeder anderer Aufenthalt, den er, in welchem Element er gewollt hätte, wählen konnte, wurde ihm verhaßt; er traute weder Sterblichen noch Unsterblichen mehr; Gnomen und Sylphen, Tritonen und Salamander waren ihm alle gleich verdächtig; und er hielt sich nirgends sicher als in einer gänzlichen und unzugangbaren Einsamkeit. Nach vielen andern dern Projecten, die er eben so bald verwarf, als er sie machte, fiel ihm endlich ein, sich in den Bauch dieses Wallfisches zurück zu ziehen, wo ihn, dacht' er, gewiß Niemand suchen würde. Er ließ sich durch eine Anzahl Salamander einen Palast darin erbauen, und damit sie ihn nicht verrathen könnten, so verwandelte er sie, nebst mir, in eben so viele Kürbisse, mit der Bedingung, es so lange zu bleiben, bis der Prinz Biribinker uns unsere erste Gestalt wieder geben würde. Ich war der einzige von allen, dem er den Gebrauch der Vernunft und der Sprache ließ, wovon die erste (wie er glaubte) mir zu nichts nützen könnte, als mich durch die Erinnerungen meiner verlornen Glückseligkeit zu peinigen, und die andere zu nichts, als zu manchem eiteln Ach! und O! oder Gesprächen, worin ich die Mühe haben mußte mir die Antworten selbst zu geben. Allein in diesem Stücke betrog sich der weise Mann ein wenig. Denn, so ungünstig auch immer die Figur und Organisation eines Kürbisses zu Beobachtungen seyn mag, so geschickt ist sie hingegen zu transcendentalen Betrachtungen; und mit Allem dem entdeckt man doch in hundert Iahren nach und nach Eines oder das Andere, was entweder unsere schon gefaßten Hypothesen bestätiget oder uns auf die Spur einer neuen bringt. Kurz, ich bin der kleinen Angelegenheiten des Herrn Padmanaba so unkundig nicht, als er vielleicht denkt, und ich hoffe Ihnen Anleitung zu geben, wodurch Sie in den Stand gesetzt werden sollen, alle seine Vorsicht zu vereiteln.Ich würde Ihnen sehr dafür verbunden seyn, erwiederte der Prinz. Ich weiß nicht, was für einen sonderbaren Beruf ich in mir spüre, dem alten Padmanaba Streiche zu spielen: vermuthlich ist es der Einfluß meines Gestirns, der mich dazu hinreißt; denn ich wirkte nicht, daß er mich jemals in seinem Leben persönlich beleidiget haben sollte.Ist es nicht Beleidigung genug, sagte der Kürbis, daß er Ursache ist, daß Ihnen der große Caramussal, der auf der Spitze des Berges Atlas wohnt, den Namen Biribinker gegeben hat? einen Namen, der Ihnen bei Ihrem geliebten Milchmädchen schon zweimal so fatal gewesen ist?So ist also der alte Padmanaba Schuld daran, daß ich Biribinker heiße? fragte der Prinz voller Verwunderung. Erklären Sie mir doch ein wenig, wie diese Dinge zusammen hängen; denn ich gestehe Ihnen, daß ich mir den Kopf schon oft vergeblich zerbrochen habe, um hinter das Geheimniß meines Namens zu kommen, welchem ich, wie es scheint, alle meine seltsamen Begebenheiten zu danken habe. Insonderheit möchte ich doch wissen, wie es zugeht, daß Iedermann, wo ich hinkomme, bis auf die Kürbisse, mich gleich bei meinem Namen nennt und von allen Umständen meiner Geschichte so gut benachrichtiget ist, als ob sie mir an der Stirne geschrieben ständen.Es ist mir noch nicht erlaubt, antwortete der Kürbis, Ihre Neugier über diesen Punkt zu befriedigen; genug, daß es nur von Ihnen abhängt, sich vielleicht noch diesen Abend ins Klare zu setzen. Die größte Schwierigkeit ist nun einmal überstanden; Padmanaba dachte wohl nicht, daß Sie ihn im Bauche seines Wallfisches finden würden.Ich bekenne Ihnen aufrichtig, unterbrach ihn Biribinker, daß ich noch weniger daran dachte; und Sie werden gestehen müssen, daß er wenigstens Alles gethan hat, was möglich war, um seinem Schicksale zu entgehen. —Aber Sie erwähnten eines Palasts, den sich Ihr Alter von Salamandern in dieser Insel habe bauen lassen: ich denke, wir sind hier in den Gärten, die dazu gehören; warum sehe ich denn nirgends einen Palast?Die Ursache ist ganz natürlich, antwortete der Kürbis: Sie würden ihn unfehlbar sehen, wenn er nicht unsichtbar wäre.Unsichtbar? rief Biribinker: so wird er doch nicht auch unfühlbar seyn, hoffe ich?Das nicht, antwortete Flox: aber, da er aus gediegenen Flammen erbaut ist —Sie sagen mir von einem seltsamen Palast, unterbrach ihn Biribinker abermals; wenn er aus Flammen erbaut ist, wie kann er denn unsichtbar seyn?Darin besteht eben das Wunderbare von der Sache, antwortete der Kürbis: es mag nun möglich oder unmöglich seyn, so ist es nicht anders. Sie können den Palast nicht sehen, wenigstens in dem Stande, worin Sie jetzt sind; aber gehen Sie nur ungefähr zweihundert Schritte gerade fort, so wird die Hitze, die Sie empfinden werden, Sie bald genug überzeugen, daß ich Ihnen die Wahrheit sage.Die außerordentlichen Dinge, welche Biribinker bereits im Bauche des Wallfisches gesehen hatte (und was kann man auch im Bauch eines Wallfisches Anderes erwarten, als außerordentliche Dinge?), hätten ihn billig geneigt machen sollen, Alles glaubwürdig zu finden, was man ihm sagte; demungeachtet war er dießmal so eigensinnig, daß er nur sich selbst glauben wollte. Er ging also auf den unsichtbaren Palast zu; aber kaum war er hundert Schritte fortgegangen, so spürte er bereits einen merklichen Grad von Hitze, die ihm, mit einem gewissen unsichtbaren Glanze, wovon ihm die Augen übergingen, entgegen kam. Die Wärme und der Glanz nahmen immer zu, je weiter er fortging, bis beide in Kurzem so durchdringend wurden, daß es nicht länger auszustehen war. Er ging also wieder zurück und suchte seinen Freund, den Kürbis, der ihm, sobald er ihn wieder kommen hörte, entgegen rief: Nun, Prinz Biribinker, werden Sie künftig glauben, wenn ich Ihnen etwas sage? Wenigstens begreifen Sie doch, hoffe ich, daß nichts natürlicher seyn kann, als daß ein Palast von gediegenen Flammen vor Hitze unzugangbar und vor lauter Glanz und Schimmer unsichtbar ist.Ich begreife es in der That viel besser, antwortete Biribinker, als wie ich hineinkommen werde; denn das sag' ich Ihnen, ich spüre eine unwiderstehliche Begierde in mir, in diesen Palast hineinzugehen; und wenn es mir auch das Leben kosten sollte, so kann ich —So viel soll es Ihnen nicht kosten, fiel ihm der Kürbis in die Rede. Wenn Sie sich gefallen lassen wollen, zu thun, was ich Ihnen sage, so wird Ihnen der Palast sichtbar werden, und Sie werden eben so sicher hinein gehen können, als ob es eine Strohhütte wäre. Sie brauchen nur ein ganz leichtes Mittel dazu, das Ihnen nicht mehr kosten wird als einen einzigen Sprung.Halten Sie mich nicht lange mit Räthseln auf, Herr Kürbis, sagte Biribinker: was ist zu thun? Es mag nun etwas Leichtes oder Schweres seyn, so sehen Sie mich bereit Alles zu wagen, um in ein Schloß zu kommen, worin mir, wenn mich meine Ahnung nicht betrügt, das angenehmste unter allen meinen Abenteuern bevorsteht.Ungefähr sechzig Schritte hinter jenen Granatbäumen, versetzte der Kürbis, werden Sie in einem kleinen Labyrinthe von Jasmin und Rosenhecken einen Brunnen finden, der sich von einem andern Brunnen durch nichts unterscheidet, als daß er statt Wassers mit Feuer angefüllt ist. Gehen Sie, Prinz, baden Sie sich in diesem Brunnen, und in einer Viertelstunde ungefähr kommen Sie wieder und sagen mir, wie Ihnen das Bad zugeschlagen hat.Sonst nichts als dieß? sagte Biribinker mit einer Miene, die mehr verdrießlich als höhnisch war: ich glaube Sie sind nicht klug, Herr Kürbis! — Ich soll mich in einem feurigen Brunnen baden und hernach wieder kommen und Ihnen sagen, wie mir das Bad bekommen ist? Hat man auch jemals so was Tolles gehört!Ereifern Sie sich nur nicht so, versetzte der Kürbis; es steht ja bei Ihnen, ob Sie in den unsichtbaren Palast kommen wollen oder nicht; und wenn Sie sich nicht so entschlossen erklärt hätten, wie Sie gethan haben, so wäre mir's in der That nie eingefallen, Ihnen einen solchen Antrag zu machen.Kürbis, mein guter Freund, erwiederte Biribinker, ich merke, daß Sie sich ein wenig lustig mit mir machen wollen, aber ich muß Ihnen sagen, daß ich jetzt nicht in der Laune bin, Spaß zu verstehen. Ich verlange nicht als eine abgeschiedene Seele in den Palast zu kommen.Das sollen Sie auch nicht, sagte der Kürbis. Das feurige Bad, das ich Ihnen vorschlage, ist nicht so gefährlich, als Sie sich's einbilden: Padmanaba selbst bediene sich desselben alle drei Tage; sonst würde er eben so wenig in einem Palast von gediegenem Feuer wohnen können, als Sie. Denn, ob er gleich (außer dem großen Caramussal, der auf der Spitze des Berges Atlas wohnt) der größte Zauberer in der ganzen Welt ist, so ist er doch von eben so irdischer Natur und Abkunft, als Sie. Ia, er würde ohne den Gebrauch dieses Brunnens, der eines der größten Geheimnisse seiner Kunst ist, nicht einmal der kleinen Glückseligkeit fähig seyn, die er jetzt bei der schönen Salamandrin, die er in seinem Palast eingeschlossen hält, genießt oder doch zu genießen glaubt; wenn anders der Gebrauch, den ein Tithon von seiner Aurora zu machen fähig ist, ein Genuß genannt zu werden verdient.Er hat also eine schöne Salamandrin bei sich? fragte Biribinker.Warum nicht? antwortete der Kürbis: meinen Sie, daß man sich umsonst und um nichts in den Bauch eines Wallfisches verschließt?Ist sie sehr schön? fuhr Biribinker fort.Sie müssen wohl nie eine Salamandrin gesehen haben, erwiederte der Kürbis, weil Sie das fragen können. Wissen Sie denn nicht, daß die schönste Sterbliche gegen die geringste von unsern Schönen nicht besser als wie ein Affenweibchen aussehen würde? Es ist wahr, ich kenne eine Ondine, die vielleicht der schönsten Salamandrin den Vorzug streitig machen könnte; allein es ist unter allen Ondinen nur eine Mirabella —O, was das betrifft, unterbrach ihn Biribinker, wenn die Salamandrin des alten Padmanaba nicht schöner als Mirabella ist, so hätten Sie nicht nöthig gehabt, die sterblichen Schönen so weit unter sie herunter zu setzen. Ich gestehe, daß sie reizend ist; aber ich kenne ein gewisses Milchmädchen —In welches Sie so verliebt sind (fiel ihm der Kürbis höhnisch in die Rede), daß Sie der schönen Mirabella beim ersten Anblick schworen, sie nie gesehen zu haben. Die Wirkung zeugt am besten von der Ursache, und wenn man Ihre Leidenschaft nach diesem Grundsatze beurtheilen wollte —O wahrhaftig! rief Biribinker ungeduldig, ich bin, glaube ich, nur hierher gekommen, um einen Kürbis vernünfteln zu hören. Sagen Sie mir lieber, wie ich in den unsichtbaren Palast kommen kann; denn ich sterbe vor Ungeduld, wenn es nicht geschieht. Ist denn kein andres Mittel, als das verwünschte feurige Bad, worin Sie mich gern zu einer Carbonade gemacht sehen möchten?Sie sind wunderlich, mit Erlaubniß, antwortete der Kürbis; ich sagte Ihnen ja schon, daß mir selbst Alles daran gelegen ist, daß Sie in den unsichtbaren Palast kommen, wo, allen Umwanden nach, eines der außerordentlichsten Abenteuer auf Sie wartet. Meinen Sie denn, daß ich zu meinem Spaß ein Kürbis bin, und daß ich mich nicht je eher je lieber von diesem verfluchten unbequemen Wanste befreit sehen möchte, der sich so übel für einen so speculativen Geist schickt, als ich bin? Ich sage Ihnen noch einmal, Sie haben kein anderes Mittel, in den Palast zu kommen, ohne von der Glut desselben verzehrt zu werden, als das feurige Bad, welches ich Ihnen vorschlug. Ehe Sie vor Ungeduld sterben, wie Sie sagen, könnten Sie es ja ein paar Minuten versuchen; kommen Sie auch darin um (wofür ich Ihnen doch gut stehe) , so ist es nur eine Todesart für die andere, und das kommt zuletzt auf Eines hinaus.Gut, sagte Biribinker, wir wollen sehen, was zu thun seyn wird! Vielleicht sollt' ich nicht so viel Zutrauen in Sie setzen, als ich thue; allein der Zug meines Schicksals ist stärker, als meine Vernunft: ich will gehen, und wenn Sie binnen einer Viertelstunde nichts von mir hören, so ergeben Sie sich nur geduldig darein, ein Kürbis zu bleiben, bis Padmanaba von sich selbst entweder verliebt oder eifersüchtig zu seyn aufhört.Mit diesen Worten machte er dem Kürbis sein Compliment und ging auf den Labyrinth zu, wo der feurige Brunnen seyn sollte. Er fand ein großes rundes Becken, mit breiten Steinen von Diamant ausgemauert und mit einem Feuer angefüllt, welches, ohne von irgend einer sichtbaren Materie genährt zu werden, in schlängelnden Blitzen emporloderte und unschädlich die dichten Büsche von Rosen leckte, die rings umher über den Brunnen sich wölbten. Unzählige Farben spielten mit der anmuthigsten Abwechslung in diesen wundervollen Flammen, und statt des Rauchs ergoß sich ein lauer unsichtbarer Dampf von den lieblichsten Gerüchen umher.Biribinker betrachtete dieses Wunder eine geraume Zeit mit einer Unschlüssigkeit, die einem Feenhelden wenig Ehre macht; und er würde vielleicht noch immer am Rande des Brunnens stehen, wenn ihn nicht, da er sich's am wenigsten versah, eine unsichtbare Gewalt mitten in die Flammen geworfen hätte. Er erschrak so sehr, daß er vor Angst nicht schreien konnte: aber, da er spürte, daß ihm dieses Feuer kein Haar versengte und, anstatt ihm nur den geringsten Schmerz zu verursachen, sein ganzes Wesen mit einer wollüstigen Wärme durchdrang, so faßte er sich bald wieder, und in Kurzem gefiel es ihm so wohl darin, daß er in den feurigen Wellen herumplätscherte, wie ein Fisch in frischem Wasser. Vielleicht würde er weit länger als die vorgeschriebene Zeit in einem so angenehmen Bade zugebracht haben, wenn ihn nicht die immer zunehmende Hitze zuletzt herausgetrieben hätte. Er sprang also wieder heraus; aber wie sehr erstaunte er, da er sich nicht nur so leicht und unkörperlich fühlte, daß er wie ein Zephyr über dem Boden hinschwebte, sondern auf einmal einen Palast erblickte, dessen Glanz und Schönheit Alles übertraf, was ein menschliches Auge jemals gesehen hat!Er stand eine gute Weile wie außer sich selbst, und sein erster Gedanke, da er wieder denken konnte, war an die Schöne, die ein so herrlicher Palast in sich schließen müsse; denn, da Diamanten und Rubinen ihm nur Gassensteine gegen die Materialien däuchten, woraus dieses Schloß erbaut war, so zweifelte er nicht, daß die schöne Salamandrin sich gegen die Schönen die er bisher gekannt hatte, zum wenigsten eben so verhalten würde, wie dieser Palast gegen die gewöhnlichen Feenschlösser, die man prächtig genug gebaut zu haben glaubt, wenn man die Mauern von Diamanten oder Smaragden aufführt, das Dach mit Rubinen deckt, den Fußboden mit Perlen einlegt, und was dergleichen mehr ist, welches doch Alles in Vergleichung mit diesem feurigen Palast nichts Besseres als eine elende Hütte vorgestellt hätte.Unter diesen Gedanken näherte er sich demselben unvermerkt und war schon durch den ersten Hof, dessen glänzende Pforte sich von selbst vor ihm aufthat, hineingegangen, als ihm einfiel, daß ihm der Kürbis ausdrücklich gesagt hatte; er sollte nach dem Bad im feurigen Brunnen wieder zu ihm kommen. Vermuthlich, dachte er, hat er mir Nachrichten zu geben, ohne die es gefährlich seyn könnte, sich in ein solches Schloß zu wagen; und da ich mich bisher bei seinen Anweisungen so wohl befunden habe, so wurde es weder klug noch dankbar seyn, wenn ich mir einbilden wollte, daß ich seiner nicht mehr vonnöthen hätte. Man sehe doch, wie seltsam es kommen kann! Wer hätte jemals gedacht, daß ein Kürbis der Rathgeber eines Prinzen seyn würde!Biribinker schlich sich also, nicht ohne Furcht, entdeckt zu werden, zu seinem Kürbis zurück. — Ha! rief ihm dieser auf zwanzig Schritte entgegen, ich sehe, daß Ihnen das Bad unvergleichlich wohl zugeschlagen hat! Sie sind ja zum Bezaubern! Ich schwöre Ihnen bei der Tugend meiner geliebten Mirabella, daß keine Salamandrin ist, die Ihnen, so wie Sie jetzt aussehen, nur eine Minute widerstehen könnte. Aber was wird aus Ihrer Treue gegen das Milchmädchen werden?Herr Kürbis, sagte Biribinker, lassen Sie sich mit aller der Achtung, die ich Ihnen übrigens schuldig bin, sagen, daß Sie besser gethan hätten, mich in den Umständen, worein mich Ihr Bad gesetzt hat, mit dergleichen unzeitigen Erinnerungen zu verschonen.Ich bitte um Verzeihung, antwortete der Kürbis; ich wollte nur so viel sagen —Gut, gut, unterbrach ihn der Prinz, ich weiß wohl, was Sie sagen wollen, und ich antworte Ihnen darauf: daß ich, ohne ihre Warnungen, die ein beleidigendes Mißtrauen in meine Standhaftigkeit setzen, durch die bloße Erinnerung an mein himmlisches Milchmädchen gegen die vereinigten Reizungen aller Ihrer feurigen Schönen so sicher zu seyn glaube, als ich es mitten unter den häßlichsten Gnomiden seyn könnte.Es wird sich zeigen, sagte der Kürbis, ob Sie diese edeln Gesinnungen zu behaupten wissen werden. Ich habe eine so gute Meinung von Ihnen, als man nach Allem, was in einem gewissen Schlosse vorgegangen ist, nur immer haben kann; aber bei Allem dem kann ich doch nicht leugnen, daß ich Ihre Treue in keiner kleinen Gefahr sehe, wenn Sie in den Palast hinein gehen. Es steht noch bei Ihnen, ob Sie es wagen wollen oder nicht; bedenken Sie sich wohl, oder —Mein lieber Herr Kürbis, unterbrach ihn Biribinker, ich sehe, daß Sie eine eben so verzweifelte Wuth zum Raisonniren haben, als die tugendhafte und precieuse Mirabella, Ihre Geliebte. Warum haben Sie denn verlangt, daß ich in dem feurigen Brunnen baden sollte, wenn ich nicht in den Palast hinein gehen darf? Noch einmal, mein Freund, sorgen Sie nicht für meine Treue und sagen Sie mir lieber, wie ich mich zu verhalten habe, wenn ich in den Palast komme?Sie haben hierzu wenig Unterricht nöthig, antwortete der Kürbis, denn Sie werden nirgends Widerstand finden; alle Thüren werden sich Ihnen von selbst eröffnen; und wenn Sie ja etwas zu besorgen haben, so muß es nur (wie ich schon gesagt, und wie Sie sich so ungern sagen lassen) von Ihrem eigenen Herzen seyn."Aber was für eine Miene, denken Sie, daß mir der alte Padmanaba machen werde?"So viel ich an der Bewegung der Gestirne merke, erwiederte der Kürbis, so ist es bereits um Mitternacht, um welche Zeit der Alte in tiefem Schlafe zu liegen pflegt. Allein, gesetzt auch, daß er aufwachen sollte, so haben Sie von seinem Zorne nichts zu besorgen; alle seine Macht vermag nichts gegen die Zauberkraft Ihres Namens, und, nach den Vortheilen, die Sie bisher über ihn erhalten haben, zu urtheilen, können Sie allerdings hoffen, auch dießmal nicht weniger glücklich zu seyn.Es mag gehen, wie es will, versetzte Biribinker, so bin ich entschlossen, das Abenteuer mit dem unsichtbaren Schlosse zu bestehen; denn es ließe sich doch sonst keine vernünftige Ursache angeben, warum ich in des Wallfisches Bauch gekommen seyn sollte. Gute Nacht, Herr Kürbis. bis wir uns wieder sehen!Viel Glücks, tapferer und liebenswürdiger Biribinker, rief ihm der wortreiche Kürbis nach; fahre wohl, du Blume und Zierde aller Feenritter! und möge das Abenteuer, dem du so muthig entgegen gehst, einen Ausgang gewinnen, dergleichen noch kein Mährchen gehabt hat, seitdem es Feen und Ammen in der Welt gibt! Gehe, weiser Königssohn, wohin dich dein Schicksal zieht! Aber hüte dich, die Warnungen eines Kürbisses zu verachten, der dein guter Freund ist und vielleicht tiefere Blicke in die Zukunft thut, als irgend ein Kalendermacher in der Christenheit!Der Kürbis merkte nicht, indem er diese schöne Abschiedsrede hielt, daß der Prinz schon durch den ersten Schloßhof gegangen war, ehe er noch zu reden aufgehört hatte. Biribinker war jetzt ganz und gar von dem Abenteuer eingenommen, das er vor sich hatte, und seine Einbildungskraft, die in dem feurigen Bad einen außerordentlichen Schwung erhalten hatte, stellte ihm die schöne Salamandrin, die er bald zu sehen hoffte, mit so unwiderstehlichen Reizungen vor, daß er sich des Wunsches nicht enthalten konnte, seinem Milchmädchen nur dieses einzige Mal noch ungetreu seyn zu können. Unter diesen Gedanken kam er durch den zweiten Hof in ein Vorhaus, aus welchem ihm ein großes Getümmel entgegen schallte. Er lauschte ein wenig und vernahm, daß es eine Menge von krächzenden Weiberstimmen war, die in einem heftigen Wortwechsel begriffen schienen. So neugierig, als er von Kindheit auf gewesen war, konnte er sich nicht enthalten, zu sehen, wem diese anmuthigen Stimmen zugehörten. Er öffnete die Thür eines großen und prächtigen Saals und entsetzte sich nicht wenig, da er ihn mit fünfzig oder sechzig der allerhäßlichsten kleinen Zwerginnen angefüllt sah, die nur immer die burleske Einbildung eines Callot oder Hogarth zu ersinnen fähig wäre.Der arme Biribinker glaubte beim ersten Anblick, daß er zu einem Hexensabbat gekommen sey, und würde unfehlbar vor Abscheu in Ohnmacht gefallen seyn, wenn er nicht zu gleicher Zeit vor Lachen über so possirliche Figuren hätte bersten mögen. Diese schönen Nymphen, die in der That nichts Geringeres als junge Gnomiden waren, von denen die jüngste kaum achtzig Jahre haben mochte, wurden seiner kaum gewahr, so eilten sie alle, so schnell als es ihre krummen Beine zuließen, auf ihn zu. Sie kommen eben recht, Prinz Biribinker, rief ihm eine von den häßlichsten entgegen, einen Streit zu entscheiden, worüber wir einander beinahe in die Haare gekommen wären. — Sie zanken sich doch nicht, hoffe ich, welche unter Ihnen die Schönste sey? sagte Biribinker. — Und warum nicht? erwiederte die Gnomide: Sie haben es ersten Streichs errathen. Aber denken Sie nur, mein schöner Prinz, nachdem ich es bereits schon dahin gebracht hatte, daß mir alle übrige den Vorzug eingestehen, so unterfängt sich dieses Fratzengesicht, diese kleine Pagode hier, mir den goldnen Apfel noch streitig zu machen. — O! mein angenehmster junger Prinz, schrie die Angeklagte, indem sie ihn in die Waden knipp, welches vermuthlich ihrer Absicht nach eine Liebkosung seyn sollte, ich darf es kühnlich auf Ihr Urtheil ankommen lassen! Sehen Sie uns beide nur recht an, betrachten sie uns Stück für Stück und thun sie dann den Ausspruch nach Ihrem Gewissen — wofern ich mir zu viel schmeicheln würde, wenn ich sagte, nach Ihrem Herzen.Begreifen Sie, Prinz Biribinker, sagte die erste, wie man die Unverschämtheit so weit treiben kann? Fürs Erste, so ist sie kaum um die Breite eines Daumens kleiner als ich, und Sie werden gestehen, daß dieß keinen Unterschied macht. Was ihren Höcker betrifft, so hoffe ich, der meinige darf sich noch immer neben dem ihren sehen lassen; und meine Füße sind, wie Sie sehen, immer so breit und wohl um zwei starke Zoll länger, als die ihrigen. Ich weiß wohl, daß sie sich sehr viel auf den Umfang und die Schwärze ihres Busens zu gut thut: aber Sie werden doch bekennen müssen, fuhr sie fort, indem sie ihr Halstuch abnahm, daß der meinige, wo nicht völlig so ansehnlich, doch ungleich schlapper und schwärzer ist, als der ihrige.Mag er doch! rief die andere, einen so kleinen Vorzug kann ich dir leicht eingestehen, da ich in allen andern Stücken den Vortheil über dich habe. Sie lachen, mein lieber Prinz Biribinker; und es kann in der That nichts lächerlicher seyn, als die Eitelkeit dieser Meerkatze. Ich schäme mich, daß ich genöthigt seyn soll, mich selbst zu loben; aber sehen Sie einmal, um wie viel meine Beine die ihrigen an Krümme und Dicke übertreffen! Müßte man nicht blind seyn, um zu leugnen, daß meine Augen viel kleiner und matter, und meine Backen um die Hälfte aufgedunsener sind, als die ihrigen, und daß meine Unterlippe viel weiter herunterhängt? Nichts von der ungleich größern Länge meiner Ohren zu gedenken, und daß ich wenigstens fünf oder sechs Warzen mehr im Gesichte habe, als sie, und daß die Haare an den meinigen länger sind. — Wir wollen auf einen Augenblick das Alles bei Seite setzen, um nur von der Nase zu sprechen. Es ist wahr, die ihrige ist eine von den größten, die man sehen mag, und man könnte in Versuchung gerathen, sie eine der schönsten zu nennen, wenn man die meinige nicht gesehen hat. Aber ich denke doch, sie haben keinen Maßstab vonnöthen, um zu finden, daß die meinige wenigstens einer halben Spanne lang weiter über den Mund herab hängt, als die ihrige. Die Bescheidenheit erlaubt mir nicht, setzte sie mit einem zärtlichen Blick hinzu, von andern Schönheiten zu reden, die nur einem glücklichen Liebhaber sichtbar werden dürfen; aber Sie können versichert seyn, daß ich in diesem Stücke nicht weniger Ursache habe, mich der Freigebigkeit der Natur zu berühmen, und ich hoffe —Mademoiselle, rief Biribinker, sobald er vor Lachen reden konnte: ich unterstehe mich nicht, mich für einen Kenner auszugeben; aber in der That, es kann Ihrer Freundin nicht Ernst seyn, wenn sie sich, was die Schönheit betrifft, mit Ihnen in einen Wettstreit einlassen will; der Vorzug, den Sie in diesem Stücke haben, ist augenscheinlich, und es ist unmöglich, daß der gute Geschmack der Herren Gnomen Ihnen hierüber nicht vollkommene Gerechtigkeit widerfahren lassen sollte.Die erste Gnomide schien durch diese Entscheidung nicht wenig beleidiget zu seyn; allein Biribinker, der vor Ungeduld brannte, die schöne Salamandrin zu sehen, bekümmerte sich wenig um Alles, was sie zwischen ihren langen Zähnen murmelte, und zog sich eilfertig wieder zurück, nachdem er der ganzen liebreizenden Gesellschaft eine gute Nacht gewünscht hatte. Statt der Antwort schickten sie ihm ein lautes Gelächter nach, um dessen Bedeutung er sich wenig bekümmerte, da er jetzt den Palast vor sich stehen sah, dessen unbegreifliche Schönheit seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Nachdem er ihn eine geraume Weile voller Bewunderung betrachtet hatte, sah er, daß die beiden Flügel der Pforte sich aufthaten. Er konnte dies nicht anders als für ein Zeichen ansehen, daß seine Unternehmung mit dem glücklichsten Ausgange bekrönt werden würde. Er ging also mit hoffnungsvollem Muth hinein und befand sich, nachdem er eine Treppe hinaufgestiegen war, in einem großen Vorsaal, aus welchem er in eine Reihe von Zimmern kam, von deren Schimmer er, ungeachtet der Veränderung, die das Feuerbad in seiner Natur hervorgebracht hatte, fast verblendet wurde.Allein, so mannigfaltig und außerordentlich alle die schönen Dinge waren, die von allen Seiten seinen Augen entgegenstrahlten, so vergaß er doch alles Andere über den Bildnissen einer unvergleichlich schönen jungen Salamandrin, womit alle diese Zimmer behangen waren. Er zweifelte nicht, daß es die Geliebte des alten Padmanaba seyn werde; und diese Copien, worin sie in allen nur ersinnlichen Stellungen, Anzügen und Gesichtspunkten, bald wachend, bald schlafend, bald als Diana, bald als Venus, Hebe, Flora oder eine andere Göttin, vorgestellt war, gaben ihm eine solche Idee von dem Urbilde, daß er bei der bloßen Erwartung seiner bevorstehenden Glückseligkeit vor Entzücken und Wonne hätte zerfließen mögen. Insbesondere konnte er nicht satt werden, eine große Tafel anzuschauen, worin sie in einem Bade von Flammen saß, von Liebesgöttern bedient, die durch das Anschauen ihrer überirdischen Schönheit außer sich selbst gesetzt schienen. Biribinker wußte nicht, ob er die Schönheit des Gegenstandes oder die Kunst der Malerei am meisten bewundern sollte, und mußte sich selbst gestehen, daß Correggio und Tizian gegen die Salamandrischen Maler nur Sudler seyen. Der Eindruck, den dieses Gemälde auf ihn machte, war so lebhaft, daß er mit äußerster Ungeduld diejenige zu sehen wünschte, die in einem leblosen Nachbilde schon so unwiderstehliche Begierden einflößte. Er durchsuchte also eine Menge von Zimmern, ohne daß er Iemand fand; er durchsuchte den ganzen Palast von oben bis unten und wiederholte es zwei- oder dreimal; aber da war keine Seele zu hören noch zu sehen.Sein Erstaunen und seine Ungeduld waren nun aufs äußerste gestiegen, als er einer halb geöffneten Thür gewahr wurde, die in den außerordentlichsten Lustgarten führte, der ihm jemals vorgekommen war. Alle Bäume, Gewächse und Blumen, Hecken, Lauben und Springbrunnen in diesem Garten waren von lauter Feuer; jedes brannte in seiner natürlichen Farbe, mit einem eben so anmuthigen als durchdringenden Glanz, und die Wirkung, die das Ganze machte, übertraf in der That Alles, was sich die Einbildungskraft Prächtiges vorstellen kann. .Biribinker warf nur einen flüchtigen Blick auf dieses majestätische Schauspiel; denn er wurde am Ende des Gartens einen Pavillon gewahr, in welchem er seine schöne Salamandrin zu finden hoffte. Er flog dahin, und die Thür öffnete sich abermal von selbst, um ihn durch einen großen Saal in ein Cabinet einzulassen, wo er Niemand sah als einen Greis von majestätischem Ansehen, mit einem langen schneeweißen Barte, der auf einem Ruhebett in tiefem Schlafe zu liegen schien. Er zweifelte nicht, daß es der alte Padmanaba sey; und ob er gleich versichert war, daß er keine Gewaltthätigkeit von ihm zu besorgen hätte, so konnte er sich doch nicht erwehren, ein wenig zu zittern, da er sich mit den Absichten, die er hatte, so nahe bei diesem Zauberer und an einem Orte sah, wo Alles demselben zu Gebote stand. Doch der Gedanke, daß ihn das Schicksal nun einmal dazu ausersehen habe, die Bezauberung dieses Alten zu zerstören, und das Verlangen, die schöne Salamandrin zu sehen, gaben ihm in wenig Augenblicken seinen ganzen Muth wieder.Er war im Begriff, sich dem Ruhebette zu nähern, um sich eines Säbels zu bemächtigen, der neben dem Alten auf einem Kissen lag, als er merkte, daß er mit dem Fuß an etwas stieß, ob er gleich nicht sah, was es seyn könnte. Er stutzte, und da er die Hände zu Hülfe nahm, so fühlte er den artigsten kleinen Fuß, der je gewesen ist, auf einem Polster ausgestreckt. Eine so unverhoffte Entdeckung machte ihn neugierig, das Bein kennen zu lernen, dem ein so artiger Fuß zugehörte; denn Biribinker schloß in diesem Falle, wie Durandus à. s. Porciano selbst geschlossen haben würde, nämlich, daß, wo man einen Fuß finde, man nach dem ordentlichen Laufe der Natur berechtiget sey ein Bein zu erwarten. Er setzte also seine Beobachtungen fort und entdeckte endlich von Schönheit zu Schönheit in der unsichtbaren Figur, die er vor sich hatte, ein junges Frauenzimmer, das in einen tiefen Schlaf versenkt zu seyn schien und (nach dem Zeugnisse des einzigen Sinnes, der ihm ihr Daseyn verrathen hatte, zu urtheilen) von einer so vollkommenen Schönheit war, daß sie nichts Geringeres als entweder die Göttin der Liebe oder die schöne Salamandrin selbst seyn konnte. In dem nämlichen Augenblicke, da er diese Entdeckung machte, ließ sich eine muntere Symphonie von allen möglichen Instrumenten hören, ohne daß man weder Instrumente noch Musikanten sah.Biribinker erschrak und bebte von der schönen Unsichtbaren zurück; denn sein erster Gedanke war, daß dieses Getöse den schlafenden Zauberer aufwecken würde; aber er entsetzte sich noch weit mehr, da er sah, daß Padmanaba verschwunden war.Dieser Zauberer war alt genug, um klug zu seyn. Er wußte schon lange, wie gefährlich ihm Biribinker einst seyn würde, und die Furcht vor einem Prinzen, der dazu geboren war, seine Bezauberungen aufzulösen, war der stärkste Beweggrund gewesen, warum er seine Residenz in des Wallfisches Bauch aufgeschlagen hatte. Allein auch in dieser Freistatt hielt er sich und seine schöne Salamandrin, die nun der einzige Gegenstand seiner Sorgen war, nicht für sicher genug; und da ihm eine geheime Ahnung vorher sagte, daß ihn Biribinker bis in des Wallfisches Bauch verfolgen würde, so glaubte er nicht genug Vorsicht gebrauchen zu können, um das Unglück zu verhüten, womit ihn die Erscheinung eines so furchtbaren Gegners bedrohte. In dieser Absicht hatte er seine Geliebte mit einem geheimnißvollen Talisman bewaffnet, der die gedoppelte Eigenschaft hatte, sie allen andern Augen als den seinigen unsichtbar zu machen und, sobald er berührt wurde, eine zauberische Musik hervorzubringen. Käme auch Biribinker (dachte der alte Padmanaba), aller Schwierigkeiten ungeachtet, in den Bauch des Wallfisches, ja selbst in den unsichtbaren Palast, so würde ihm doch die schöne Salamandrin unsichtbar seyn, und entdeckte er sie auch, trotz ihrer Unsichtbarkeit, so würde doch, sobald er den Talisman berührte, das musikalische Getöse sein Daseyn verrathen und den mißbeliebigen Folgen dieser Entdeckung zuvorkommen. Diese Vorsicht war desto nöthiger, da der gute Alte seit mehreren Jahren mit einer Art von Schlafsucht behaftet war, die ihn nöthigte, alle Tage wenigstens sechzehn Stunden von vier und zwanzig zu verschlafen. Das geringe Zutrauen, das ihm seine vorige Liebste zu ihrem ganzen Geschlecht übrig gelassen hatte, bewog ihn, die schöne Salamandrin während der ganzen Zeit seines Schlummers in einen bezauberten Schlaf zu versenken, aus welchem Niemand als er sie erwecken konnte. Der einzige Biribinker würde unter gewissen Umständen und Bedingungen die nämliche Macht gehabt haben, und Padmanaba (so wollt' es das Schicksal!) würde in eben demselben Augenblicke die seinige (wenigstens über die schöne Salamandrin) gänzlich verloren haben: und da Alles dieses, während der Alte schlief, gar leicht hätte geschehen können; so hatte er den Talisman, der ihn erwecken sollte, so weislich angebracht, daß Biribinker (insofern man ihm auch nur eine mittelmäßige Neugierde zutrauen konnte) ihn nothwendig finden mußte.Hier konnte Don Sylvio sich nicht enthalten, Don Gabriel in seiner Erzählung zu unterbrechen, indem er ihn ersuchte, sich über den Umstand mit dem Talisman etwas deutlicher zu erklären. Ich finde Sie, wider Ihre Gewohnheit, eine Weile her etwas dunkel (setzte er hinzu), und ich gestehe Ihnen, daß ich von Allem. was Sie bei Gelegenheit der Erwachung des alten Padmanaba sagten, kaum die Hälfte versanden habe. — Die ganze Gesellschaft, selbst die schöne Jacinte nicht ausgenommen, lächelte über diese Anmerkung, und Don Gabriel wußte sich nicht anders zu helfen, als daß die Dunkelheit, worüber Don Sylvio sich beklagte, in der Sache selbst liege und daß überhaupt keine Feengeschichten gefunden würden, welche durchaus so deutlich und begreiflich wären, als es zu wünschen sey. Weil nun Don Sylvio sich mit dieser Entschuldigung zu begnügen schien, so fuhr Don Gabriel in seiner Erzählung also fort:Kaum hatte Biribinker — in dem nämlichen Augenblicke, da er entdeckte, daß der schöne Fuß (der zu diesem Abenteuer Anlaß gegeben) einem eben so schönen jungen Frauenzimmer zugehöre — den fatalen Talisman berührt, so fing (wie schon gemeldet worden) der Talisman zu musiciren an, und Padmanaba erwachte. Er warf, wie leicht zu erachten ist, keine sehr freundliche Blicke auf unsern Prinzen; allein, da er mit Gewalt nichts gegen ihn vermochte, so blieb ihm nichts übrig, als sich auf der Stelle unsichtbar zu machen und mit aller nur möglichen Eilfertigkeit auf die Verhinderung des Vorhabens bedacht zu seyn, welches er, ohne in einem übertriebenen Grad argwöhnisch zu seyn, bei Biribinkern voraus setzen konnte.Inzwischen hatte sich dieser Prinz, dem es bei Gelegenheit nicht an Muth fehlte, wieder aus der ersten Bestürzung erholt, worein ihn das unsichtbare Concert und die Verschwindung des Padmanaba gesetzt hatten. So gefährlich es ihm schien, in einem solchen Orte gar zu neugierig zu seyn, so wollte er doch wissen, was aus dem alten Zauberer geworden sey. Er suchte ihn also im Garten sowohl, als in allen Zimmern und Winkeln des Schlosses, nachdem er die Vorsicht gebraucht hatte, sich vorher mit dem Säbel zu bewaffnen, welchen Padmanaba zurück gelassen, und auf dessen beiden Seiten er so viel talismanische Figuren eingegraben fand, daß er sich mit diesem Gewehr vor dem Zauberer Merlin selbst nicht gefürchtet hätte. Da er aber weder den Alten noch Jemand Anderes finden konnte, so zweifelte er nun nicht länger, daß Padmanaba entflohen sey und ihm seinen Palast und seine Schöne zur Beute überlassen habe.In diesen Gedanken kehrte er triumphirend zurück, legte seinen Säbel neben das Ruhebette und sich selbst zu den Füßen der liebenswürdigen Unsichtbaren, die er zu seiner unbeschreiblichen Freude noch immer schlafend fand, ungeachtet die Musik des berührten Talismans mit der angenehmsten Abwechslung von Allegro und Andante immer fortdauerte. Man weiß nicht, ob es den zauberischen Einflüssen eines von diesen Andante's (welches in der That nicht zärtlicher hätte seyn können, wenn es von Jomelli selbst gewesen wäre) oder einem Zweifel, der (wie es zu gehen pflegt) bei ihm entstand, ob er auch dem Zeugniß eines einzigen Sinnes glauben dürfte, und ob nicht diese unvergleichliche Schöne, die er auf dem Sopha gefunden zu haben glaubte, ein bloßes Blendwerk seyn möchte, dergleichen in bezauberten Palästen nicht ungewöhnlich sind — man weiß nicht, sagte ich, ob es der einen oder der andern von diesen Ursachen zuzuschreiben war, daß Biribinker durch neue Beobachtungen sich der Wahrheit einer so außerordentlichen Erscheinung zu versichern anfing. In Kurzem fügte er auch noch Versuche hinzu; und Beides sowohl, als die heftigsten Symptome einer Leidenschaft, die in Kurzem bis zum höchsten Grade der Schwärmerei und des Taumels stieg, ließen ihm endlich keinen Zweifel mehr, daß er wirklich die schöne Salamandrin in seinen Armen habe, deren sichtbare Gestalt ihn in den Zimmern des Palasts so sehr entzückt hatte. Dieser Gedanke und das bezaubernde Colorit, womit sein Gedächtniß die Unvollkommenheit des fünften Sinnes ergänzte, dessen er sich allein bedienen konnte, setzte ihn zu sehr außer sich selbst, als daß er sich in diesen Augenblicken seines geliebten Milchmädchens, seiner Entschließungen und der Warnungen des Kürbisses hätte erinnern können. Kurz, er wurde immer kühner, und die zunehmende Dunkelheit des Zimmers, die er für eine Aufmunterung seiner Unternehmungen hielt, mit der Musik des Talismans, welche immer zärtlicher wurde, war in der That nicht geschickt, seine Entzückung auf einen mäßigern Grad herab zu stimmen.Es findet sich hier eine abermalige kleine Lücke im Original dieser merkwürdigen Geschichte, deren Ausfüllung wir den Bentleyen und Burmannen unserer Zeit überlassen, ohne uns mit Vermuthungen über den Inhalt derselben aufzuhalten. Biribinker, fährt die Geschichte fort, erwachte eben aus einer Betäubung, — welche den Anhängern des Fohi in Indien so angenehm zu seyn scheint, daß sie in eine immerwährende Dauer derselbigen den höchsten Grad der Glückseligkeit setzen — als er gewahr wurde, daß die schöne Unsichtbare seine Liebkosungen mit ungemeiner Lebhaftigkeit erwiederte. Er schloß hieraus, daß sie erwacht seyn müsse, und unterließ nicht, ihr in der schwülstigen Sprache, die er sich im Bienenstock der Fee Melisotte angewöhnt hatte, alle die zärtlichen Sachen zu sagen, welche Krystalline und Mirabella in ähnlichen Umständen von ihm gehört hatten. Die Unsichtbare beantwortete diese Erklärungen, Lobsprüche, Ausrufungen und Betheurungen mit Seufzern, Verkleinerung ihrer Reizungen und Zweifeln an seiner Beständigkeit, die ein weniger entzückter Liebhaber als Biribinker unzeitig und im Mund einer so liebenswürdigen Person unnatürlich hätte finden können. Aber er begnügte sich, ihre Zweifel dadurch zu zerstreuen, daß er die Beweise seiner Zärtlichkeit verdoppelte. Sie gab ihm alle Aufmerksamkeit, die er nur immer wünschen konnte, ohne desto besser überzeugt zu seyn. — Haben Sie nicht, sagte sie ihm, Mirabellen und Krystallinen eben so geliebt wie mich? Haben Sie nicht einer jeden von ihnen eben so viel Zärtliches vorgesagt, eben so viel Betheurungen gemacht, eben so viele Beweise gegeben, ohne daß weder die eine noch die andere, wie reizend sie Ihnen auch in der ersten Betäubung Ihrer Sinne vorkamen, fähig war, über das Milchmädchen, das Sie sich in den Kopf gesetzt haben, nur einen einzigen Tag lang die Oberhand zu behalten? Ach, Biribinker! das Schicksal meiner Vorgängerinnen sagt mir nur allzudeutlich, was das meinige seyn wird und wie können Sie verlangen, daß ich bei der traurigen Gewißheit, Sie in wenigen Stunden wieder zu verlieren, gleichgültig bleiben soll? — Biribinker antwortete ihr hierauf mit den lebhaftesten und feierlichsten Versicherungen einer ewigen und eben so unbegränzten Liebe, als es ihre Reizungen seyen. Er behauptete, daß sie sich selbst beleidige, indem sie sich mit den beiden Feen vergleiche, welche nie liebenswürdig genug gewesen seyen, ihm etwas mehr als einen flüchtigen Geschmack beizubringen; und er schwor ihr bei allen Liebesgöttern, daß von dem Augenblick an da er so glücklich gewesen sey, ihr Bild im großen Saale zu erblicken, sein Milchmädchen selbst nicht mehr Gewalt über sein Herz behalten habe, als ein jedes andere Milchmädchen in der Welt. — Diese Versicherungen beruhigten die schöne Unsichtbare nur schwach, bud Biribinker sah sich genöthigt, alle seine Figuren zu erschöpfen, um die Hartnäckigkeit ihres Unglaubens zu überwinden. O! rief er, schönste Unsichtbare, warum kann ich nicht den ganzen Erdkreis und alle vier Elemente mit ihren Bewohnern auf einmal zu Zeugen der unveränderlichen Treue machen, die ich Ihnen schwöre!Wir alle sind Zeugen, rief eine Menge von weiblichen und männlichen Stimmen, die ihm von Personen, die um ihn herum standen, in die Ohren schallten.Biribinker, der wohl nicht vermuthet hatte, daß man ihn so schnell beim Worte nehmen würde, fuhr mit einiger Bestürzung auf, um zu sehen, woher diese Stimmen kämen; aber, o Himmel! welche Zunge könnte beredt genug seyn, sein Entsetzen über den Anblick auszudrücken, welchen die plötzliche Erleuchtung des Zimmers seinen weit offenen Augen darstellte? Er sah — o Wunder! o Abenteuer! o schreckenvoller Anblick! — er sah sich in eben dem Cabinet, welches schon zweimal ein Zeuge seiner treulosen Unbeständigkeit gewesen war; anstatt der schönen Salamandrin fand er sich in die Arme der mißgeschaffnen Gnomide verwickelt, welcher er vor etlichen Stunden den Preis zuerkannt hatte; und (was seine Beschämung und seinen Schmerz hätte tödtlich machen mögen) er sah sich um und um von allen denjenigen umgeben, die er sich am wenigsten zu Zuschauern wünschen konnte; und sie waren grausam genug, in eben dem Augenblicke, da er sich mit grauenvollem Schaudern aus den Bratzen der ekelhaften Zwergin losreißen wollte, in ein so lautes Gelächter auszubrechen, daß der ganze Palast davon widerhallte. Zur Rechten des Ruhebettes sah er (o! wie gern hätte er sich in diesem Augenblicke blind und unsichtbar zu seyn gewünscht!) die Fee Krystalline, welche den kleinen Grigri an der Hand hatte; zur Linken die schöne Mirabella mit ihrem geliebten Flox, der in der That als Salamander eine bessere Miene hatte, als in der Gestalt eines dicken Kürbisses. Aber, was die Qual des unglücklichen Biribinker auf den äußersten Grad vermehrte, war der Anblick der Fee Caprosine mit dem lieblichen Milchmädchen und des alten Padmanaba mit der schönen Salamandrin an der Hand, welche beiderseits auf einer goldfarbigen Wolke, von kleinen Sylphen getragen, mit höhnischem Lächeln auf ihn hinunter sahen.Glück zu! Prinz Biribinker, sagte die Fee Krystalline: in der That, nun vergeb' ich Ihnen, daß Sie so ungeduldig von mir wegeilten; wer einer solchen Eroberung zueilt, kann sich nicht genug beschleunigen.Sie erinnern sich noch wohl, Prinz Biribinker, nahm jetzt Grigri das Wort, daß ich eben keine Ursache habe, mich Ihnen verpflichtet zu glauben; denn, wenn es an Ihnen gelegen hätte, so möchte ich wohl ewig eine Hummel geblieben seyn: aber es wäre zu grausam, Ihrer in den Umständen, worin Sie sind, noch zu spotten. Sehen Sie selbige als eine Strafe an, die Sie in mehr als einer Betrachtung wohl verdient haben.Wenn auch die Schöne, bei der wir Sie auf eine so unvermuthete Art überraschen, Ihrer nicht von allen Seiten so würdig wäre, fuhr Mirabella mit einer boshaften Miene fort, so haben Sie wenigstens den Vortheil, daß sie keine Precieuse ist.Was mich betrifft, setzte der gewesene Kürbis hinzu, so könnte ich zwar bedauern, daß ich meine wieder erlangte Gestalt und den Besitz der schönen Mirabella Ihrem Unglück zu danken habe: allein, nachdem ich, als Kürbis, großmüthig genug gewesen war, Sie vor den Folgen einer neuen Untreue zu warnen, so werden Sie mir es nicht verdenken können, wenn ich mich, als Salamander, erfreue, daß Sie meine Warnungen verachtet haben.Siehe, unglücklicher aber mit Recht bestrafter Biribinker, meckerte jetzt die Fee Caprosine, wie schlecht dich Caramussal gegen meinen Zorn geschützt hat. Siehe hier die liebenswürdige Prinzessin Galaktine, die du als Milchmädchen liebtest, und deren Besitz ein allzugünstiges Schicksal, alles meines Hasses ungeachtet, dir zugedacht hatte, wenn du durch eine dreimal wiederholte Untreue dich ihrer nicht selbst unwürdig gemacht hättest!Wenn Mitleiden dir helfen könnte, armer Prinz, sagte das schöne Milchmädchen, so würdest du, so wenig du es auch von mir verdient haben magst, weniger unglücklich seyn! Denn ich sehe wohl, daß deine Strafe härter ist, als dein Verbrechen, und daß die Feen und Zauberer wenigstens eben so viel Schuld an deinem Unfall haben, als du selbst.Bei diesen Worten schaute der allzu unglückliche Biribinker auf, heftete einen Blick voll unbeschreiblicher Empfindungen auf sein geliebtes Milchmädchen und sank mit einem Seufzer, worin er seine Seele auszuhauchen schien, wieder zurück, ohne das Vermögen zu haben, nur ein Wort hervorzubringen.Lerne, rief ihm der alte Padmanaba von der andern Seite zu, lerne, bewundernswürdiger Biribinker, seltnes Muster der Weisheit und Beständigkeit, daß der alte Padmanaba nicht alt genug ist, deine Verwegenheit unbestraft zu lassen: und möge deine Geschichte, in immerwährender Zeitfolge von einer Amme der andern überliefert, der späten Nachwelt zum Beispiel dienen, wie gefährlich es ist, den großen Caramussal um sein Schicksal zu befragen und vor seinem achtzehnten Jahre ein Milchmädchen zu sehen!Kaum hatte Padmanaba den Mund wieder zugemacht, so hörte man auf einmal ein fürchterliches Donnern, mit Sturmwind und Blitzen begleitet, wodurch der ganze Palast, wie in einem Erdbeben erschüttert, und die ganze Gesellschaft, den einzigen verzweiflungsvollen Biribinker ausgenommen, in Furcht und Schrecken gesetzt wurde! Denn selbst der alte Padmanaba merkte, daß dieses Ungewitter von einer Macht herkomme, die der seinigen überlegen war.Auf einmal flog die Decke des Zimmers und das ganze Dach des Palastes hinweg, und man sah unter Donnern und Blitzen den großen Caramussal, auf einem Hippogryphen sitzend, herab steigen und zwischen der Fee Caprosine und dem alten Padmanaba seinen Platz auf einer Wolke nehmen. Der Prinz Biribinker ist genug gestraft, rief Caramussal mit majestätischer Stimme; das Schicksal ist befriediget, und ich nehme ihn in meinen Schutz. Verschwinde, nichtswürdiger Wechselbalg, fuhr er fort, indem er die Gnomide mit seinem Stabe berührte; und Sie, Prinz Biribinker, wählen Sie unter diesen vier Schönen, welche Sie wollen, die Salamandrin, die Sylphide, die Ondine oder die Sterbliche: diejenige, welche Ihr Herz wählen wird, soll Ihre Gemahlin seyn und Sie von der Unbeständigkeit heilen, die bisher, wie man gestehen muß, Ihr Fehler gewesen ist.Padmanaba würde, vor Verdruß über eine so unerwartete Entwicklung, gern mit den Zähnen geknirscht haben, wenn er Zähne gehabt hätte. Was die Schönen betrifft, so hatten sie alle die Augen mit Erwartung auf den Prinzen geheftet; und besonders sah man der jungen Salamandrin, die noch kein Wort gesprochen hatte, ganz deutlich an, daß sie lieber gesehen hätte, wenn der alte Padmanaba, anstatt die Gnomide an ihren Platz zu schieben, ihr erlaubt hätte, ihre eigene Stelle selbst zu vertreten.Aber Biribinker, der in diesem Augenblick von dem tiefsten Grade der Scham und der Verzweiflung auf die höchste Stufe der Glückseligkeit versetzt wurde, bedachte sich nicht, welche er wählen wollte. Obgleich die elementarischen Damen sein Milchmädchen an Schönheit weit hinter sich zurück ließen, so konnten doch alle ihre Reizungen in der Gegenwart seiner geliebten Galaktine nicht mehr als einen flüchtigen Blick von ihm erhalten. Er warf sich vor ihr nieder und bat mit Ausdrücken einer so aufrichtigen Reue und einer so wahren Liebe um die Vergebung seiner Schuld, daß sie nicht so unbarmherzig seyn konnte, ihm nicht wenigstens die Hoffnung, daß sie sich noch erbitten lassen werde, zu erlauben.Caramussal, dem er sich gleichfalls zu Füßen warf, hob ihn auf, nahm ihn bei der Hand und führte ihn der Prinzessin Galaktine zu. — Empfangen Sie hier, liebenswürdige Prinzessin, den Prinzen Cacamiello von meiner Hand! denn dieses ist nunmehr sein Name, da die Absichten, warum ich ihm den andern geben ließ, erfüllt sind. Biribinker und Milchmädchen sind nicht mehr! und nachdem beide dem Eigensinn ihres Gestirns genug gethan und der Feerei ihre Gebühr bezahlt haben, so bleibt mir nichts übrig, als den Prinzen Cacamiello seinen königlichen Eltern zurück zu geben und durch ein ewiges Band mit der Prinzessin Galaktine zu vereinigen. Ihr, schöne Feen, fuhr er fort, indem er sich zu Krystallinen und Mirabellen wandte, habt, wie ich hoffe, Ursache mit mir vergnügt zu seyn, da ihr durch meine Veranstaltung eure Gewalt und eure Liebhaber wieder erhalten habt. Weil es aber unbillig wäre, daß ich allein leer ausginge, so entlade ich hier den alten Padmanaba aller seiner Sorgen, indem ich die schöne Salamandrin, die bei ihm nichts zu thun hat, als unsichtbar zu seyn und zu schlafen, zur Belohnung meiner Mühe für mich selbst behalte.Mit diesen Worten schlug der große Caramussal mit seinem Stabe dreimal in die Luft, und auf einmal befand er sich mit dem Prinzen und der Prinzessin im Cabinet des Königs mit dem großen Wanste, der nicht wenig erfreut war, seinen Sohn und Erben so groß und schön, mit einer so hübschen Prinzessin und mit einem so schönen Namen wieder zu sehen. Bald darauf wurde das Beilager mit großer Feierlichkeit und Pracht vollzogen; das neue Ehepaar liebte sich, solange als es konnte, und zeugete Söhne und Töchter; und nachdem endlich König Wanst in die neunzehnte Welt abgereist war, regierte König Cacamiello so weislich an seiner Statt, daß die Unterthanen keinen Unterschied spürten. Er machte seinen Freund Flox, zur Belohnung der guten Dienste, die er ihm als Kürbis geleistet hatte, zu seinem ersten Wessir; und die schöne Mirabella nebst der Fee Krystalline unterliefen niemals bei Hofe zu erscheinen, so oft die Königin in die Wochen kam. Sie brachten jedesmal den kleinen Grigri mit, welcher, ungeachtet seiner Häßlichkeit, bei den meisten Hofdamen einen Beifall erhielt, der ihren Liebhabern nicht ganz gleichgültig war. Das muß man gestehen, sagten sie alle aus einem Munde, daß Grigri mit aller seiner Häßlichkeit der kurzweiligste Gesellschafter von der Welt ist!Und hier endet sich die eben so lehrreiche als wahrhafte Geschichte des Prinzen Biribinker (setzte Don Gabriel lächelnd hinzu), mit welcher ich meinen Zweck vollkommen erreicht habe, wenn sie Ihnen keine lange Weile gemacht und die schöne Jacinte von ihrem Vorurtheile gegen die Feerei zurückgebracht haben kann. —————

Drittes Capitel:

Anmerkungen über die vorstehende Geschichte.

Wofern das Ihre Absicht gewesen ist, Don Gabriel, sagte Jacinte, so bedaure ich, daß Sie solche so wenig erreicht haben, als nur möglich ist. Wenn ich Ihnen die Wahrheit sagen soll, so halte ich es für unmöglich, das Abenteuerliche und Ungereimte weiter zu treiben; und Don Sylvio müßte gar zu gläubig seyn, wenn er nicht schon lange gesehen hätte, daß Ihre Absicht ist, die Feen um allen ihren Credit bei ihm zu bringen.Sie urtheilen sehr streng, versetzte Don Eugenio: es ist wahr, daß die Natur in dieser ganzen Geschichte vom Anfang bis zum Ende auf den Kopf gestellt ist; daß die Charakter eben so abgeschmackt, als die Begebenheiten unglaublich sind, und daß, wenn man die einen und die andern nach den Gesetzen der Vernunft, der Wahrscheinlichkeit und der Sittlichkeit beurtheilen wollte, nichts Widersinnigeres erdacht werden kann. Allein das wäre nicht billiger, als wenn man das Klima von Siberien nach dem Klima von Valencia oder die Höflichkeit der Sineser nach der unsrigen beurtheilen wollte. Das Land der Feerei liegt außerhalb der Gränzen der Natur und wird nach seinen eigenen Gesetzen oder, richtiger zu sagen (wie gewisse Republiken, die ich nicht nennen will), nach gar keinen Gesetzen regiert. Man kann ein Feenmährchen nur nach andern Feenmährchen beurtheilen, und aus diesem Gesichtspunkte finde ich den Biribinker nicht nur so wahrscheinlich und lehrreich, sondern in allen Betrachtungen interessanter (die vier Facardins vielleicht allein ausgenommen), als irgend ein anderes Mährchen in der Welt.Ich möchte doch wissen, was Sie Lehrreiches in diesem Mährchen finden, fragte Jacinte.Moralisten von Profession, erwiederte Don Eugenio, Leute, die im Stande sind, ein ganzes System von Sittenlehre aus einer Elegie des Tibullus auszuziehen, würden ohne Zweifel geschickter seyn als ich, diese Frage zu beantworten. Aber, damit ich meinen Satz nicht gänzlich unerwiesen lasse, wird nicht in dieser Geschichte die Ausschweifung und das Laster durchgängig bestraft? Wird nicht die Unschuld in der Person des Milchmädchens am Ende belohnt? Und ist nicht das Ganze eine überzeugende Betätigung der moralischen Maxime: daß der Vorwitz über unser künftiges Schicksal, in der Absicht, uns demselben zu entziehen, thöricht und gefährlich sey? Hätte der König mit dem majestätischen Wanste den großen Caramussal unbefragt gelassen, so würde man nie gewußt haben, daß es dem Prinzen gefährlich sey, vor seinem achtzehnten Jahre ein Milchmädchen zu sehen, und so würde er auch den Namen Biribinker nie bekommen haben. Er würde, wie andere Prinzen, am Hofe seines Vaters aufgewachsen seyn; und wenn es Zeit gewesen wäre, ihn zu vermählen, so wurde man durch Gesandte um die Prinzessin Galaktine haben werben lassen, und Alles wäre den natürlichen Gang gegangen. Der Vorwitz des Königs und das fatale Orakel des großen Caramussal war ganz allein an allem Unheil Schuld. Die Mittel, wodurch man ihn vor dem Milchmädchen verwahren wollte, dienten zu nichts, als sie desto geschwinder zusammen zu bringen; und der Name Biribinker, der ihm freilich aus allen seinen Abenteuern heraushalf, würde das nicht nöthig gehabt haben, weil der Prinz nie in diese Abenteuer verwickelt worden wäre, wenn er nicht Biribinker geheißen hätte.Sie haben hierin vollkommen Recht, sagte Donna Felicia: aber eben darin besteht das Lustige von der ganzen Komödie; oder vielmehr, wenn man diesen einzigen Umstand wegthäte, so würde die ganze Geschichte des Prinzen Biribinker, anstatt eines der possirlichsten Feenmährchen, eine Alltagshistorie seyn, die aufs höchste gut genug gewesen wäre, einen Artikel in den Zeitungen oder Kalendern seiner Zeit auszufüllen. Und das wäre doch wohl Schade gewesen! Kurz, ungereimt oder nicht, ich nehme den Prinzen Biribinker in meinen Schutz, und wenn ich die Ehre hätte, Hut und Degen zu tragen, so wollte ich gegen Alle und Jede behaupten, daß die Liebe des Prinzen Biribinker, die Tugend der Dame Krystalline, die Delicatesse der schönen Mirabella mit ihrer Kleidung von trocknem Wasser und ihren Zerstreuungen, der Riese Karakuliamborix, der sich die Zähne mit einem Zaunpfahle ausstochert, das mit Nymphen und Tritonen gefüllte Pfauenei, der Wallfisch, die Seen, Inseln und bezauberten Schlösser, die er im Leibe hat, der Palast von gediegenem Feuer und der redende Kürbis, der sich auf den Lauf der Sterne versteht, mit allen andern wundervollen und unerwarteten Dingen, wovon es in diesem Mährchen wimmelt, Alles hübsch unter einander gemischt, das allerdrolligste Zeug ausmachen, das ich in meinem Leben gehört habe.Sie haben den Karpfen vergessen, der so schöne Opernarien singt, sagte Jacinte, das Hündchen, das auf dem Seile tanzt, und die feurigen Blicke, womit Biribinker die Steine am Bache, wo sein Mädchen saß, in Glas verwandelte.Erlauben Sie mir noch hinzuzusetzen, sagte Don Gabriel, daß man schwerlich ein Mährchen finden wird, wo die kostbarsten Materialien so sehr verschwendet wären. Ich bin gewiß, daß man in keiner Raritätenkammer von Europa einen Melkkübel von Rubin antreffen wird; und ich kenne keine bezauberte Gärten, worin sogar die Brunnen mit diamantenen Quaderstücken gepflastert wären.Don Sylvio hatte bisher so ausgesehen, als ob er dem, was gesprochen wurde, sehr aufmerksam zuhöre. Als aber alle ihre Meinung gesagt hatten, und er merkte, daß man nun auf seine Entscheidung warte, so sagte er ganz ernsthaft: Ich muß gestehen, daß ich gewünscht hätte, der Prinz Biribinker wäre entweder seinem Milchmädchen (die in der That eine sehr liebenswürdige Person ist) getreuer gewesen, oder er möchte für seine Ausschweifungen schärfer gestraft worden seyn; aber (diesen einzigen Umstand und den Charakter sowohl als die Aufführung einiger anderen Personen, die Niemand billigen wird, ausgenommen) sehe ich nicht, was in der ganzen Geschichte dieses Prinzen Ungereimtes, geschweige denn Unnatürliches und Unmögliches seyn sollte.Wie, Don Sylvio? sagte Jacinte: Sie finden alle diese Wunderdinge, den Riesen, der sich den Zahn mit einem Zaunpfahl ausstochert, den Wallfisch, der auf fünfzig Meilen in die Runde Wolkenbrüche aus seinen Nasenlöchern spritzt; die weichen Felsen, die singenden Fische und die redenden Kürbisse natürlich und möglich?Ohne Zweifel, schöne Jacinte; gab Don Sylvio zur Antwort; wenn wir anders nicht den unendlich kleinen Theil der Natur, den wir vor Augen haben, oder das, was wir alle Tage sich zutragen sehen, zum Maßstabe dessen, was der Natur möglich ist, machen wollen. Es ist wahr, Karakuliamborix ist in Vergleichung mit einem gewöhnlichen Menschen ein Ungeheuer; aber er wird selbst zum Pygmäen, wenn wir ihn mit den Einwohnern des Saturnus vergleichen, die nach dem Bericht eines großen Sternkundigen mit Meilenstäben ausgemessen werden müssen. Warum sollte es nicht einen Wallfisch geben können, welcher groß genug wäre, um Seen und Inseln in sich zu halten, da es kleine Wasserthiere gibt, gegen welche ein grönländischer Wallfisch zum wenigsten so groß ist, als jener gegen diese?Was den Wallfisch betrifft, unterbrach ihn Don Gabriel, so kann seine Möglichkeit keine Frage seyn, weil es allen Umständen nach der nämliche ist, von welchem Lucian in seinen wahrhaften Geschichten eine umständliche Beschreibung macht, und worin er selbst ein großes Land entdeckt hat, welches damals von fünf oder sechs verschiedenen Nationen bewohnt war, die immer gegen einander zu Felde lagen und vermuthlich, als Padmanaba sich einen Palast in dem Bauche dieses Wallfisches bauen ließ, einander schon aufgerieben hatten. Das Einzige, was die Sache unglaublich machen könnte, ist der Umstand, daß Biribinker Sonne, Mond und Sterne darin gesehen haben soll.Ich glaube nicht, sagte Don Sylvio, daß das so viel sagen will, als ob eine wirkliche Sonne und wirkliche Sterne ihren Lauf in des Wallfisches Bauch gehalten hätten, sondern nur, daß es dem Prinzen so däuchte, welches Padmanaba durch seine Kunst leicht zuwege bringen konnte. Diese Sonne und diese Sterne konnten zum Beispiel eben so viele Salamander seyn, welche Padmanaba nöthigte, in gewissen angewiesenen Entfernungen und Kreisen zu leuchten und ihren Lauf zu halten; und ich vermuthe aus allen Umständen, daß es wirklich so gewesen ist.Ich möchte wohl wissen, sagte Jacinte, was Don Sylvio unmöglich heißt? Denn, so wie er die Gränzen der Möglichkeit ausdehnt; sollte, däucht mich, Alles möglich seyn, was man sich in der Schwärmerei eines hitzigen Fiebers einbilden kann. Wenn es gediegenes Feuer und trockenes Wasser gibt, warum sollte es nicht auch bleiernes Gold und einen viereckigen Cirkel geben können?Vergeben Sie mir, Jacinte, versetzte Don Sylvio, das schließt nicht so gut, wie Sie zu glauben scheinen. Die Ründe gehört zum Wesen des Cirkels, und es ist also an sich selbst unmöglich, sich einen viereckigen Cirkel einzubilden, Aber woher läßt sich erweisen, daß die Flüssigkeit eine wesentliche Eigenschaft des Wassers und des Feuers sey? Sehen wir nicht im Winter Eis, welches nichts Anderes als festes oder gediegenes Wasser ist? Warum sollte die Macht oder die Kunst der elementarischen Geister nicht auch trocknes Wasser oder festes Feuer hervorbringen können? Mich däucht (fuhr er fort) , die wahre Ouelle der irrigen Urtheile die man über Alles, was man wunderbare Begebenheiten nennt, zu fällen pflegt, entpringe aus der falschen Einbildung, als ob Alles unmöglich sey, was sich nicht aus körperlichen und in die Sinne fallenden Ursachen erklären läßt; gleich als ob die Kräfte der Geister, von welchen die körperlichen Dinge bloß todte und grobe Werkzeuge sind, nicht nothwendiger Weise die mechanischen und geborgten Kräfte eben dieser Werkzeuge unendlich übersteigen müßten. In dieser Betrachtung glaube ich allerdings, daß unzählige Dinge möglich sind, die wir aus keinem bessern Grunde für unmöglich halten, als weil sie unserer Unwissenheit unbegreiflich vorkommen; worin wir ungefähr eben so weise sind, als ein Wilder, der die bezaubernde Modulation, die ein Meister aus einer Querflöte hervorbringt, für unmöglich halten wollte, weil er selbst aus seinem Schilfrohr nur heisere und einförmige Töne erzwingen kann. Ich finde also in der Geschichte des Prinzen Biribinker nichts Unmögliches, und (die Glaubwürdigkeit des Geschichtschreibers vorausgesezt) sehe ich nicht, warum sie nicht von einem Ende zum andern eben so gut wahr seyn und eben so viel Glauben verdienen sollte, als irgend eine andere Geschichte.Jetzt haben Sie den rechten Punkt berührt, sagte Don Gabriel; auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen kommt Alles an. Denn, ob wir gleich allen den Wunderdingen, womit die Geschichtschreiber und die Dichter die Welt angefüllt haben, oder doch dem größten Theil davon eine bedingte Möglichkeit einräumen können: so sind sie doch darum nichts desto weniger bloße Chimären, solange nicht bis zur Ueberzeugung der Vernunft erwiesen werden kann, daß sie wirklich existiren oder existirt haben. Und da gestehe ich Ihnen, daß es sehr schlecht um die historische Wahrheit der Feen- und Geistergeschichten steht, wenn sie keine bessere Gewähr ihrer Wahrheit aufzuweisen haben als Biribinkern.Warum dieß? fragte Don Sylvio.Weil diese ganze Geschichte von meiner eigenen Erfindung ist, antwortete Don Gabriel. .Von Ihrer Erfindung? rief jener etwas betroffen aus. O Don Gabriel, dieß hätte ich Ihnen nicht zugetraut! Sie nannten uns ja einen Geschichtschreiber, woraus sie hergenommen seyn sollte?Vergeben Sie mir, Don Sylvio, erwiederte der Andere, es ist nicht anders, als wie ich sage. Ich wollte einen Versuch machen, wie weit Ihre Vorurtheile für die Feerei gehen könnten; ich strengte (nehmen Sie mir's nicht übel auf) allen Aberwitz, dessen ich fähig bin, an, um eine so widersinnige und ungereimte Wundergeschichte zu erdenken, als man nur jemals gehört haben möchte, und so entstand der Prinz Biribinker. Aber ich gestehe Ihnen freilich, daß es mir nicht möglich war, etwas Ungereimtes zu ersinnen, das nicht in allen Feenmährchen seines Gleichen hat, und ich hätte voraus sehen sollen, daß diese Analogie Sie verführen würde. Glauben Sie mir, Don Sylvio, die Urheber der Feenmährchen und der meisten Wundergeschichten haben so wenig im Sinne, klugen Leuten etwas weiß zu machen, als ich es haben konnte. Ihre Absicht ist die Einbildungskraft zu belustigen; und ich gestehe Ihnen, daß ich selbst ein größerer Liebhaber von Mährchen, als von metaphysischen Systemen bin. Ich kenne unter den Alten und Neuern Leute von großen Fähigkeiten und selbst Leute von Ansehen, die sich in müßigen Stunden damit abgegeben haben, Mährchen zu schreiben, und viele größere Männer, als ich bin, und die einen ernsthaftern Character behaupteten, als ich jemals zu behaupten verlange, welche diese Spielwerke allen andern Werken des Witzes vorzogen. — Wer liebt nicht, zum Beispiele, den Orlando des Ariost, der doch in der That nichts Anderes als ein Gewebe von Feenmährchen ist? Ich könnte noch vieles zu Gunsten derselben sagen, wenn es jetzt darum zu thun wäre, ihnen eine Lobrede zu halten. Aber bei dem Allen bleiben Mährchen doch immer — Mährchen, und so viel Vergnügen uns unter den Händen eines Dichters, der damit umzugehen weiß, die Salamander und Sylphiden, die Feen und Kabbalisten machen können, so bleiben sie nichts desto weniger chimärische Wesen, für deren Wirklichkeit man nicht einen einzigen bessern Grund hat, als ich für meinen Biribinker anzuführen im Stande wäre.Sie scheinen nicht zu bedenken, sagte Don Sylvio, daß Sie die Feen und elementarischen Geister, nebst der Kabbala oder geheimen Philosophie, die den Weisen die Macht gibt, sich diese Geister unterwürfig zu machen, — nicht leugnen können, ohne den Grund aller historischen Wahrheit umzustoßen. Denn wie durchgängig und übereinstimmend ist nicht das Zeugniß der ganzen Geschichte zu ihrem Vortheile?Sie haben vermuthlich die Nachrichten von dem Grafen von Gabalis gelesen, erwiederte Don Gabriel, worin dieses Argument auf den höchsten Grad der Stärke getrieben ist, die es haben kann. Aber Alles was man damit beweisen kann, ist weder mehr noch minder, als daß die Geschichte mit Fabeln und Unwahrheiten untermischt ist; ein großes Uebel, welches dem schwachen Verstand oder dem bösen Willen oder wenigstens der Eitelkeit der Geschichtschreiber zu Schulden liegt und in meinen Augen die wahre Quelle so vieler schädlichen Irrthümer ist, womit wir die verschiedenen Gesellschaften der Menschen behaftet sehen. Glauben Sie, zum Beispiele, daß Biribinker nur um den vierten Theil eines Grans glaubwürdiger wäre, wenn er von Wort zu Wort von dem Geschichtschreiber Paläphatus erzählt würde? Woher könnten wir wissen, ob ein Autor, der vor dreitausend Iahren gelebt hat, und dessen Geschichte und Charakter uns gänzlich unbekannt sind, den Willen gehabt habe, uns die Wahrheit zu sagen? Und gesetzt, er hatte ihn, konnte er nicht selbst leichtgläubig seyn? Konnte er nicht aus unlautern Quellen geschöpft haben? Konnte er nicht durch vorgefaßte Meinungen oder falsche Nachrichten hintergangen worden seyn? Und gesetzt, dieß Alles fände nicht bei ihm Statt: kann nicht in einer Zeitfolge von zwei und dreitausend Iahren seine Geschichte unter den Händen der Abschreiber verändert, verfälscht und mit untergeschobenen Zusätzen vermehrt worden seyn? Solange wir nicht im Stande sind, von jedem besondern Abenteuer des Biribinker und, so zu reden, von Zeile zu Zeile zu beweisen, daß keiner von allen diesen möglichen Fällen dabei Platz finde, so würde Livius selbst kein hinlänglicher Gewährsmann für die Wahrheit dieser anmaßlichen Geschichte seyn. Ich gestehe Ihnen, das Zeugniß eines Xenophon oder Tacitus oder gar eines solchen Zweiflers, wie Sextus Empirikus, würde dem Daseyn der Elementargeister und eines jeden andern Dinges, das nicht innerhalb des bekannten Cirkels der allgemeinen Erfahrung liegt, sehr zu Statten kommen; allein, zum Unglück für das Wunderbare, können sie sich keiner so vollgültigen Zeugen rühmen. Aber auch zugegeben, daß sich unter der unendlichen Menge von Wunderdingen dieser Art, die seit dem Anbeginn der Welt bei allen Völkern des Erdbodens erzählt und geglaubt worden sind, einige wenige fänden, die ein unverwerfliches Ansehen für sich hätten: so würde dieses weder die übrigen glaubwürdiger machen, noch den allgemeinen Grundsatz entkräften können: "daß Alles und Jedes, was keine Uebereinstimmung mit dem ordentlichen Laufe der Natur, insofern sie unter unsern Sinnen liegt, oder mit demjenigen hat, was der größte Theil des menschlichen Geschlechts alle Tage erfährt, eben deßwegen die allerstärkste und gewisser Maßen eine unendliche Präsumtion der Unwahrheit wider sich hat" — ein Grundsatz, den das allgemeine Gefühl des menschlichen Geschlechts rechtfertiget, ob er gleich der ganzen Feerei mit allen ihren Zubehören auf einmal das Leben abspricht.Die Damen hatten sich zurückgezogen, sobald sie sahen, daß die Unterredung einen scientifischen Schwung nehmen würde. Don Sylvio ergab sich nicht so leicht, als sein Gegner erwartet haben mochte. Er bediente sich aller Vortheile. die ihm die scheinbare Verwandtschaft dieser Materie mit andern, wo Don Gabriel, nach Husarenart, nur fliehend fechten konnte, zu geben schien. Allein, nachdem er sich durch die überwiegende Geschicklichkeit seines Gegners aus allen seinen Schlupfwinkeln herausgetrieben sah, so blieb ihm endlich nichts übrig, als sich gleichfalls auf die Erfahrung zu berufen, durch welche ihn jener zu überweisen gedacht hatte. Doch er fand bald, daß er wenig gewinnen würde, einen Philosophen, wie Don Gabriel, mit seinen eigenen Waffen anzugreifen; man bewies ihm, daß besondere und außerordentliche Erfahrungen, sobald sie der Analogie der allgemeinen Erfahrung widersprechen, allezeit verdächtig sind; und daß zu einer Evidenz, der sich die Vernunft ergeben müßte, ein so scharfer Beweis erfordert würde, daß unter zehntausend solchen außerordentlichen Erfahrungen kaum eine zu finden sey, die bei genauer Untersuchung nur so viel Wahrscheinlichkeit übrig behalte, als zu einer starken Präsumtion erfordert werde. Er nahm zu Erläuterung seiner Lehrsätze die Visionen der Schwester Maria von Agreda zum Beispiel und vertiefte sich unbemerkt in Speculationen, die der Uebersetzer für die meisten Leser dieses Buchs zu tiefsinnig gehalten und um so lieber weggelassen hat, als aus dem Vorberichte, der dem spanischen Manuscript vorangesetzt ist, erhellet, daß der ehrwürdige Dominicanermönch, dem selbiges zur Censur gegeben worden, von diesem Discurse den unschuldigen Anlaß genommen, den Druck des ganzen Werkes zu untersagen.Dem sey, wie ihm wolle, so fand Don Eugenio selbst für gut, die Fortsetzung dieser allzu metaphysischen Untersuchungen zu hemmen. Ich glaube kaum, sagte er, daß es zum Beweis, wie leicht uns in diesem Stütze unsere vorgefaßten Meinungen oder eine allzu wirksame Phantasie hintergehen können, etwas Andres braucht, als sich auf unsers jungen Freundes eigene Erfahrung zu berufen. Ich wette, was man will, Don Sylvio, Sie glaubten beim Eintritt in diese Gärten und beim Anblick dieses Pavillons in einen Feensitz gekommen zu seyn; und doch ist nichts gewisser, als daß Sie in eben diesem Lirias sind, welches mein Großvater Gil-Blas von Santillana der dankbaren Großmuth des Don Alfonso von Leyva zu danken hatte, und welches seitdem theils von ihm selbst, theils von meinem Vater Don Felix von Lirias erweitert und verschönert worden ist Sie scheinen noch so wenig von der wirklichen Welt gesehen zu haben, daß die Aehnlichkeiten, die Sie zwischen den Gärten und Gebäuden zu Lirias mit denen, womit Ihre Einbildungskraft in den Mährchen bekannt wurde, gefunden haben, Sie leicht verführen konnten, dasjenige, was von ganz alltäglichen Menschenhänden gemacht ist, für ein Werk der Geister und der Feerei zu halten. Gestehen Sie, Don Sylvio, daß Sie bei Erblickung meiner Schwester keinen Augenblick anstanden, sie für eine Fee zu halten; und doch kann Ihnen mein Pfarrer mit dem Taufregister beweisen, daß sie eine Sterbliche ist und von guten alten Christen abstammt, die niemals der Magie verdächtig gewesen sind; eine Enkelin der liebenswürdigen Dorothea von Jutella, welche bestimmt war, meinem Großvater den Verlust seiner geliebten Antonia zu ersetzen, und mit welcher sie in der That eine so große Aehnlichkeit hat, daß man das Bildniß der einen für der andern ihres hält.Dieses einzige Argument ad hominem wirkte mehr als alle subtile Schlußreden des Don Gabriel. Don Sylvio hatte außer einem Compliment, welches er bei diesem Anlasse den Reizungen der Donna Felicia machte, so wenig Gründliches darauf zu antworten, daß er allmählich still wurde und, wie es schien, in Gedanken verfiel, die seinen Kopf merklich verdüsterten. Zu gutem Glück war es eben Zeit, in ein Schauspiel zu gehen, welches Don Eugenio durch eine herumwandernde kleine Schauspielergesellschaft veranstaltet hatte. Diese angenehme Zerstreuung und die Gegenwart der Donna Felicia stellten nach und nach die gute Laune unsers Helden wieder her. Die aufmunternde Freundlichkeit oder sollen wir die Zärtlichkeit sagen, die in Feliciens ganzem Betragen gegen ihn herrschte, machte ihn gar bald lebhaft, gesprächig und begierig zu gefallen; und der Ton der scherzenden Fröhlichkeit, in welchen sie über dem Nachtessen die ganze Gesellschaft stimmte, wirkte zuletzt so mächtig auf ihn, daß er unvermerkt die Rolle vergaß, die er zu spielen übernommen hatte und sich über den Prinzen Biribinker und seine Feen so lustig machte, als ob er nie Feen geglaubt und keinen Sommervogel geliebt hätte.
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Siebentes Buch.

Elftes Capitel:

Merkwürdige Entdeckung, Sonderbare Verschwiegenheit des Pedrillo.

Der spanische Autor fängt dieses Buch mit einer Art von Entschuldigung an, die er an diejenigen von seinen Lesern richtet, welche (wie er sagt) einen kleinen Unwillen darüber bezeigt haben, daß seit dem Augenblick, da Donna Felicia und Don Sylvio sich in dem Pavillon zu Lirias so unverhofft zusammen gefunden, der gute Pedrillo bisher so gänzlich bei Seite gesetzt worden, daß man ihn auch nicht ein einziges Mal habe auftreten lassen, um die Gesellschaft und den geneigten Leser mit seinen Einfällen zu belustigen.Wir halten es (sagt unser Autor) für keinen kleinen Fehler eines Schauspiels, wenn der Dichter, der es übernommen hat, die Charakter, Leidenschaften, Tugenden oder Thorheiten seiner Personen durch das Labyrinth verwickelter Zufälle zu dem vorgesetzten Ziele fortzuführen, anstatt seine ganze Aufmerksamkeit mit ihnen allein zu beschäftigen, sich alle Augenblicke an die Zuschauer erinnert, für die er arbeitet, ja wohl gar durch ein ad spectatores, welches er bald dieser bald jener handelnden Person in den Mund legt, der schlechten Anlegung seines Plans oder einer hinkenden Entwickelung nachzuhelfen genöthigt ist. Unsers Bedünkens hat es mit einer Geschichte wie diese die nämliche Bewandtniß. Wäre Pedrillo, wie die lustigen Personen in Komödien, nur da, die Seiten der Leser zu erschüttern; dann könnte man uns billig einen Vorwurf machen, daß wir vielleicht mehr als eine Gelegenheit entgehen lassen, wo wir seine Bestimmung zum Zeitvertreibe seiner Gönner hätten erfüllen können. Allein Pedrillo hat (wie man längst bemerkt haben sollte) eine weit wichtigere Rolle zu spielen: und wenn auch bei seiner Ernährung in diese Geschichte unsere Absicht mit auf die Belustigung des Lesers gegangen ist; so ist doch gewiß, daß dieß nur ein Nebenzweck war, der, wie man weiß, dem Hauptzweck allemal Platz machen muß, wenn nicht Raum genug für beide da ist. Pedrillo kommt also oder geht, plaudert oder schweigt, ist geschäftig oder müßig oder gar unsichtbar, jenachdem es die Natur seines Dienstes oder sein Verhältniß gegen seinen Herrn mit sich bringt. Da er ihn auf seiner wundervollen Wanderschaft begleitete, hatte er das Recht zu plaudern, wie und was er wollte, solange Don Sylvio keine bessere Gesellschaft hatte; hingegen tritt er ab und zieht sich in die Bedientenstube oder in das Zimmer der schönen Laura zurück; sobald sein Herr bessere Gesellschaft hat. Es ist wahr, man könnte uns das Beispiel des Sancho Pansa anführen, welcher in dem Schlosse des Herzogs, wo sein Herr (trotz seinen Feinden, den Zauberern und Mohren) so wohl aufgenommen wurde, allezeit mit von der Gesellschaft war, allenthalben freien Zufritt und sogar die Ehre hatte, die Frau Herzogin mehr als einmal unter vier Augen zu sprechen. Allein man muß sich erinnern, daß es dort darum zu thun war, mit der feierlichen Narrheit des Ritters und der schalkhaften Dummheit des Stallmeisters sich lustig zu machen; da hingegen in dem Schlosse zu Lirias Alles angewandt wird, unsern Helden von der Bezauberung seines Gehirns je eher je lieber zu befreien, ohne daß man sich das Mindeste darum bekümmert, ob unsere werthen Leser, die ihn vielleicht lieber närrisch sehen würden, dabei verlieren oder nicht.Damit man uns indessen den Vorwurf nicht machen könne, als ob wir den guten Pedrillo, sobald wir seiner nicht mehr nöthig gehabt, undankbarer Weise weggeworfen hätten, so haben wir einen Theil dieses Capitels dazu bestimmt, seinen besagten Gönnern eine kurze Nachricht zu geben, wie er seit seiner Ankunft in Lirias seine Zeit zugebracht.Man erinnert sich vermuthlich noch, daß die angenehme Laura schon damals, da sie ihm in Gestalt einer Sylphide zum ersten Mal erschien, sein Herz mit sich hinweg nahm, ohne daß er selbst begreifen konnte, wie es zuging. Man muß gestehen, für einen Liebhaber, der sich in der ersten Wärme einer angehenden Leidenschaft befindet, war die Zerstreuung ziemlich stark, wozu ihn noch an dem nämlichen Abend die Dame Teresilla verleitete. Allein in diesem Stücke war Pedrillo ein zweiter Biribinker. Wenn er gleich seiner ersten Liebe nur gerade so oft untreu ward, als er Anlaß dazu hatte, so schien es doch, als ob jede neue Untreue seine Neigung nur desto stärker anfache; und er brauchte die wahre Beherrscherin seines Herzens nur wieder zu sehen, um auf einmal zu vergessen, daß ihm eine andere hatte gefallen können. Bei so bewandten Umständen wird sich Niemand wundern, daß es wenig Mühe kostete, ihn einen oder zwei Tage von seinem Herrn entfernt zu halten. Laura, welche hierzu den ausdrücklichen Befehl ihrer Gebieterin hatte, fand die Vollziehung desselben desto leichter, da Pedrillo von dem Vergnügen, sie zu sehen und mit ihr zu schäckern (wie er es nannte), so berauscht war, daß er vielleicht in einer noch längern Zeit nicht an Don Sylvio gedacht hätte, wenn die Sylphide nicht selbst die erste gewesen wäre, ihn daran zu erinnern.Die zärtliche Neigung, welche Pedrillo so glücklich gewesen war dieser jungen Nymphe einzuflößen, bewog sie, den Gelegenheiten nicht auszuweichen, wo sie mit ihm allein seyn konnte, ohne Aufsehen zu machen oder vermißt zu werden; und so geschah es, daß sie an dem andern Tage seit seiner Ankunft, zu eben der Zeit, da die Herrschaft in einem Saale des Garten-Pavillons sich mit Gesprächen unterhielt, und der größte Theil des Hauses des nachmittäglichen Schlummers pflegte, beide, ohne sich bestellt zu haben und also von ungefähr oder durch eine Wirkung der magnetischen Kräfte, deren wir an einem andern Orte Erwähnung gethan haben, in einer dicht verwachsenen Laube des Labyrinths zusammen kamen. Die beiderseitige Absicht war, die Sieste hier zu machen; da sie aber einander eben so unverhofft antrafen, als Dido und der trojanische Held in der berühmten Höhle, so war nichts natürlicher, als daß sie, anstatt zu schlafen, sich zusammen setzten und mit einander schwatzten. Die Hitze wirkt nicht auf alle Leute gleich; und wenn schon die Naturkündiger beweisen, daß ein großer Grad derselben die Lebensgeister zerstreue und die Fibern anspanne, so war doch Pedrillo noch nie in einer Verfassung gewesen, die ihn zu einem gefährlichern Liebhaber hätte machen können als damals. Laura ward es bald gewahr; und da sie, wider die Gewohnheit der spanischen Kammermädchen, weder galant war noch die Spröde machte, so sah sie sich endlich genöthiget, ihm zu verstehen zu geben, daß ein Liebhaber sie durch nichts als durch seine Bescheidenheit von der Wahrheit seiner Liebe überzeugen könne. Die Furcht, sie erzürnt zu haben, that bei dem guten Pedrillo, was nach dem System der Naturkündiger die Hitze hätte thun sollen; er ward auf einmal so schüchtern und demüthig, als der demüthigste von den Verehrern der Königin der Krystallinseln im Ah! quel Conte! und versprach ihr, wenn sie ihn nur nicht gar aus ihrer Gegenwart verbannen wollte, so zahm und unschuldig zu seyn als ein Lamm. Unter dieser Bedingung willigte die schöne Laura ein, ihn bei sich zu behalten, und damit sie seine Aufmerksamkeit auf ihre Reizungen ein wenig zerstreuen möchte, vermochte sie ihn nach und nach durch Frag' und Antwort zu einer umständlichen Erzählung Alles dessen, was ihm von der Geschichte seines jungen Herrn bekannt war. Sie erfuhr also den Umstand mit dem Bildniß der bezauberten Prinzessin und ersah aus der Beschreibung desselben, daß es eben dasjenige Halsgeschmeide war, welches ihre Dame vor etlichen Tagen auf einer Spazierreise nach ihrem kleinen Arkadien verloren hatte. Sie entdeckte dieses dem Pedrillo, und, auf die fernere Nachricht, auf was für eine Weise Don Sylvio desselben beraubt worden war, machte sie sich in Gesellschaft ihres neuen Freundes unverzüglich auf, es wieder herbei zu schaffen. Sie zweifelten nicht, daß es sich in den Händen einer von den Bauerdirnen befinden würde, die auf den Schloßgütern arbeiteten; und ihre Vermuthung traf richtig ein. Das Kleinod wurde gegen ein Geschenk von etlichen Maravedi's ausgeliefert und noch an dem nämlichen Abend der Donna Felicia eingehändiget, welche über die Nachrichten und Erläuterungen, die ihr Laura aus Pedrillo's Munde darüber gab, noch mehr Vergnügen empfand, als über das Geschmeide selbst, ob es gleich von Werthe war. Sie glaubte nunmehr den Talisman in Händen zu haben, durch welchen die Entzauberung ihres geliebten Don Sylvio vollends zu Stande gebracht werden könnte, und setzte sich vor, den Gebrauch, den sie davon machen wollte, nicht länger als bis auf den folgenden Morgen zu verschieben.Inzwischen wurde dem Pedrillo durch seine gebietende Dame Laura aufs nachdrücklichste eingeschärft, seinem Herrn nichts von diesem Geheinmisse zu sagen; und Pedrillo konnte es folglich kaum erwarten, bis er eine Gelegenheit erschleichen würde, die alte Beobachtung zu rechtfertigen: daß kein gewisseres Mittel ist, die Leute zu etwas anzuspornen, als wenn man's ihnen verbeut. Diese Gelegenheit zeigte sich gleich des folgenden Tages. Der Herr und der Diener waren beide verliebt und schliefen folglich beide sehr wenig. Pedrillo wurde gewahr, daß Don Sylvio mit anbrechendem Morgen in den Alleen des Gartens tiefsinnig hin und wieder ging; und weil Laura, die sonst genau auf ihn Acht gab, damals vermuthlich noch in angenehmen Morgenträumen lag, so schlich er sich ganz leise aus dem Zimmerchen, das man ihm unter dem Dreh eingeräumt hatte, herab und suchte seinen Herrn auf.Don Sylvio hatte einen guten Theil der Nacht mit Betrachtungen zugebracht, welche den Feen nicht sehr günstig waren. Die Wahrheit zu sagen, seit dem kleinen Betruge, den ihm Don Gabriel nut dem Mährchen vom Prinzen Biribinker spielte, hatte sein Glande an diese Damen und ihre Geschichtschreiber keine geringe Erschütterung erlitten. Die Geschichte des Herrn Biribinker kam ihm jetzt selbst so abgeschmackt vor, daß er nicht begreifen konnte, wie er den Betrug nicht augenblicklich gemerkt habe. Er fand endlich, die wahre Ursache davon könne schwerlich eine andere seyn, als die Aehnlichkeit dieses Mährchens mit allen andern und das Vorurtheil, daß er einmal für die Wahrheit der letztern gefaßt hatte. Er konnte sich selbst nicht länger verbergen, daß, wenn auch die Ungereimtheiten im Biribinker um etwas weiter getrieben wären als in andern Mährchen, dennoch die Aehnlichkeit noch groß genug sey, um ihm (zumal in Betrachtung Alles dessen, was Don Gabriel und Don Eugenio dagegen eingewandt hatten) alle Mährchen ohne Ausnahme verdächtig zu machen. Unter dergleichen Betrachtungen war er endlich eingeschlafen, und nach einem Schlummer von drei Stunden, in welchem er an einem fort von Donna , Felicia geträumt hatte, war er wieder aufgestanden, um bei einem einsamen Spaziergang in der Kühle des Morgens seine Betrachtungen über eine für ihn so wichtige Sache mit desto besserm Erfolge fortsetzen zu können.Es währte eine grausame Zeit, bis ihn Pedrillo fand; denn er hatte sich, indessen daß sich dieser ankleidete und herunter stieg, in den Alleen des Labyrinths vertieft, welches wegen seiner Größe und der Mannigfaltigkeit der Gänge, Sommerlauben, kleinen Lustwäldchen, Cascaden, griechischen Tempel, Pagoden, Bildsäulen und hundert Dingen, die geschickt waren, ihm ein romantisches Ansehen zu geben, den angenehmsten Ort von der Welt ausmachte. Unser Held — der nicht länger zweifeln konnte, daß Alles dieses, so sehr es einer bezauberten Gegend gleich sah, ein Werk der Kunst sey, die, von einer dichterischen Einbildungskraft geleitet, aus der geschickten Verbindung der verschiedenen Schönheiten der Natur und der nachahmenden Künste ein so angenehmes Ganzes hervor zu bringen gewußt habe — kam beim ersten Eintritt in diesen anmuthsvollen Hain auf den Gedanken: daß die Phantasie vielleicht die einzige und wahre Mutter des Wunderbaren sey, welches er bisher, aus Unerfahrenheit, für einen Theil der Natur selbst gehalten. Er hatte diesem Gedanken schon eine ziemliche Weile mit dem Vergnügen, womit lebhafte Geister eine neue Entdeckung zu verfolgen pflegen, nachgehangen, als er auf einmal den Pedrillo ansichtig wurde, der hinter einem Gebüsche von wildem Lorbeer, das sich um die Ruinen eines kleinen Tempels herum zog, mit großer Freude auf ihn zugelaufen kam. — Je, guten Morgen, Herr Don Sylvio, schrie ihm dieser entgegen, sobald er ihn erblickte, leben Sie auch noch? Sapperment! gnädiger Herr, man kriegt Sie ja den ganzen Tag nicht einen Augenblick zu sehen! Wenn ich nicht von der Jungfer Laura gehört hätte, daß Sie noch da wären, ich hätte, verzeih mir's Gott, denken mögen, die Feen hätten Euer Gnaden durch die Luft davon geführt. — Ich habe weit mehr Ursache, mich über dich zu beschweren, versetzte Don Sylvio lachend: du mußt sehr von deiner Sylphide bezaubert seyn, weil ich dich seit dem Augenblick. da du bei Ankunft der Donna Felicia aus dem Saale weggingst, nicht wieder zu sehen bekommen habe. — Gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, ich glaube, Sie irren sich nicht um die Hälfte, wenn Sie denken, daß ich bezaubert bin: man sagt, die Bezauberten essen und trinken nichts, ohne daß sie um ein Quentchen magerer werden, als sie gewesen sind; ich will gleich gehangen seyn (aber verstehen Sie mich recht, nur an meines Mädchens Hals, meine ich), wenn ich seit vorgestern so viel gegessen habe, als eine Fliege auf ihren Flügeln wegtragen könnte. Sehen Sie, wenn wir bei Tische sitzen, so sitze ich allemal der Jungfer Laura gegenüber, und da gaffe ich sie halt eines Gaffens an, und da gibt es alle Augenblicke etwas Anderes, und da sehe ich ihr zu, wie ihr das Essen so wohl ansteht, und gucke ihr in ihr kleines Maul; denn sie hat ein Maul voll Zähne, daß es eine Lust ist, so weiß und gleich gesetzt wie eine Schnur Perlen, und —was ich sagte, da neckt sie mich alle Augenblicke oder winkt mir oder tritt mich mit dem Fuß oder macht etwas an ihrem Halstuche zurechte; und mit all dem Spaße vergäß' ich, meiner Six, Essen und Trinken, wenn sie wir nicht zuweilen selbst einen Bissen ins Maul steckte. Und doch bin ich, wie Euer Gnaden sieht, so frisch und stark, als ob ich mit dem Bel zu Babel in die Wette fräße. Das macht die gute Gesellschaft! Beim Velten! Man sieht Euer Gnaden auch keinen Mangel an: Sie selen so frisch und rotbackig, wie ein Bräutigam; und doch wollt' ich wetten, daß Euer Gnaden heute Nacht nicht viel geschlafen hat.Das macht, wie du sagst, die gute Gesellschaft, erwiederte Don Sylvio: aber wie gefällt es dir denn in diesem Schlosse, Pedrillo? Wollen wir uns nicht bald wieder auf den Weg machen?Auf den Weg machen? rief Pedrillo, indem er einen Sprung zurück that und seinem Herrn mit einer schelmischen Miene ins Gesicht sah; beim Element! wir wollen erst recht ankommen, ehe wir wieder ans Weggehen denken. Wir haben nicht so sehr zu eilen, gnädiger Herr! man trifft nicht hinter allen Zäunen ein Quartier an wie dieses; und hernach, wenn mir's Euer Gnaden nicht übel nehmen will, die Feen mögen sagen, was sie wollen, so denk' ich halt, es ist doch immer besser unter Christenmenschen zu leben, als unter solchem Zaubervolk, unter Kobolden und Geistern, wo man nie gewiß weiß, wen man vor sich hat. Die Dame Laura gefiel mir gleich das erste Mal, ob ich sie schon für ein Sylphenmädchen ansah, ich kann Ihnen nicht sagen wie wohl; aber, seitdem ich weiß, daß sie eine gute Christin ist und Fleisch und Blut hat, wie andere ehrliche Leute, und daß sie weder Sylphin noch Gnomin, sondern Jungfer Laura, der gnädigen Frau Donna Felicia von Cardena ihr Kammermädchen ist, seitdem ist sie mir noch tausendmal lieber. Mit einem Wort, Herr Don Sylvio, ich hoffe, daß es Euer Gnaden nicht Ernst war, dieses Schloß schon wieder zu verlassen, wo es uns so wohl geht, daß wir es nicht besser wünschen könnten. Wenn es schon weder von Sapphir noch Diamantsteinen gebaut ist, so ist es doch (wie mir Laura versichert hat) eines von den schönsten in der ganzen Gegend, und mir däucht, ich wollte mir mein Leben lang kein schöners wünschen, wenn ich an Euer Gnaden Platze wäre. Ich weiß schon, was ich weiß, ob ich schon nicht dergleichen thue; aber man findet manchmal mehr, als man sucht, und ein Feldhuhn läßt sich wohl gegen einen Fasan vertauschen. Ich will nichts gesagt haben, aber denken Sie an mich, gnädiger Herr, ob wir nicht zwei oder drei Hochzeiten erleben, ehe wir aus diesem Schlosse kommen; ich bitte Euer Gnaden Sich seiner Zeit daran zu erinnern, daß ich's vorher gesagt habe.Ich möchte doch wohl wissen, sagte Don Sylvio, was das für Geheimnisse sind, die dich, wie es scheint, so stark drücken, daß du es kaum erwarten kannst, bis du dich ihrer erlediget hast?Wenn mich Euer Gnaden für einen solchen Schwätzer ansehen, erwiederte Pedrillo, so hätte ich gute Lust, daß ich meinen Kopf auch aufsetzte und Ihnen fein hübsch nichts sagte. Sie könnten sich leicht einbilden, als ob ich nichts bei mir behalten könnte; und hernach hab' ich noch meine besondern Ursachen; und ich denke, Jungfer Laura hatte die ihrigen auch, da sie mir so scharf verbot, daß ich Ihnen nichts davon sagen sollte, daß die Prinzessin —Sapperment! Schier wäre mir's entwischt! aber ich ertappte mich selbst noch zu rechter Zeit. — Nur noch eine kleine Geduld, gnädiger Herr! Die Birnen fallen von sich selbst, wenn sie reif sind; es werden, eh' es lange währen wird, seltsame Dinge an den Tag kommen. — Aber das muß ich gestehen, gnädiger Herr, daß Sie in einem glückseligen Zeichen geboren sind! Sapperment! es leben die Feen und die bezauberten Schmetterlinge! Denn das ist nun einmal richtig, wenn wir nicht Narren gewesen wären und den blauen Schmetterling gesucht hätten —Mehr sag' ich nicht! Genug, daß ich weiß, was ich weiß, und daß Ener Gnaden sehen, daß ich schweigen kann. Gelt? wenn ich ein solcher Plauderer wäre, wie Sie immer sagen, so hätt' ich es sauber bei mir behalten können, daß wir das Bild zusammt der Prinzessin gefunden haben?Was sagst du? unterbrach ihn Don Sylvio; du hast das Bildniß meiner Prinzessin gefunden? Wo ist es, wo ist es?Ich bitte Euer Gnaden um Vergebung, antwortete Pedrillo mit der größten Gleichmüthigkeit von der Welt; ich habe kein Bildniß, und ich sagte auch nicht, daß ich das Bildniß Ihrer Prinzessin gefunden habe, und ich würde auch lügen, wenn ich das sagte —Was plauderst du denn von einem Bild und von einer Prinzessin, die man gefunden habe? sagte Don Sylvio.Sie haben mich nicht recht verstanden, gnädiger Herr, erwiederte Pedrillo; das sagt' ich gewiß nicht! denn das ist eben das Geheimniß, sehen Sie; und weil ich nun einmal versprochen habe, daß ich nichts verrathen wollte, so soll es auch nicht aus meinem Munde kommen, und wenn Sie mir goldene Berge versprächen. Ich bitte Sie, gnädiger Herr, fragen Sie mich nicht; der Teufel ist ein Schelm. es könnte einem unversehens ein Wort entwischen — Kurz und gut, Herr Don Sylvio, ich sage so viel, wenn wir gewußt hätten, was ich jetzt weiß, so hätte uns die Fee Rademante die Mühe, dem blauen Schmetterlinge durch Dick und Dünn nachzulaufen, und eine gute Tracht Schläge, die wir um seinetwillen bekommen haben, ersparen und uns fein sauber zu Hause lassen können. — Aber bin ich nicht ein Narr? Dann hätten wir unsere Prinzessin nicht gefunden — das ist auch wahr; und man mag sagen, was man will, wenn sie gleich nur eine — Sachte! da war mir's beim Element! schon wieder auf der Zunge —Was denn, du abgeschmackter Dummkopf? rief Don Sylvio ungeduldig. Entweder schweige gar oder rede, daß man begreifen kann, was du willst.Sey ich ein Esel, Herr Don Sylvio, wenn ich selbst etwas davon begreife. Wenn man die Sache auf der einen Seite ansieht, so meinte man, die Fee habe Sie nur zum Besten gehabt; und doch ist es auf der andern Seite richtig, daß sie ihr Wort gehalten hat: das Bildniß ist da, das hat seine Richtigkeit, und die Prinzessin ist auch da, ob sie gleich eigentlich zu reden, weder ein blauer Schmetterling, noch, was man sagen möchte, eine Prinzessin ist. Der Henker mag dieß verworrene Zeug aus einander lesen! Denn etwas muß man doch seyn, und wenn das Bildniß — Ich weiß selbst nicht, was ich sagen wollte, der Kopf wird mir ganz warm davon, wenn ich unsern Begebenheiten nachsinne. Daß Feerei darin ist, das lass' ich mir nicht ausreden! denn man kann es, meiner Six, mit Händen greifen, daß sich das Alles nicht von ungefähr so wunderlich zusammenfügen konnte. — Aber wenn ich recht sehe, so kommt dort die Prinzessin — Donna Felicia wollt' ich sagen! Sapperment! sie kommt eben recht; wenn sie nur eine Minute später gekommen wäre, so hätt' ich, glaub' ich selbst, mit all dem Plaudern zuletzt das ganze Geheimniß ausgeplaudert.Mit diesen Worten entfernte er sich von Don Sylvio, welcher, sobald er seine Schöne, erblickte, auf einmal der Neugierde vergaß, die der geheimnißvolle Pedrillo in ihm erregt hatte, und mit schnellen Schritten einen andern Gang einschlug, wo er ihr zu begegnen hoffte.
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Zweites Capitel:

Anfang der Entwicklung,Wenn Verliebte einander ausweichen, so geschieht es gemeiniglich, um eifriger gesucht und eher gefunden zu werden. Donna Felicia hatte, sobald sie unsern Helden erblickte, einen entgegengesetzten Weg genommen, aber doch nicht, ohne sich nicht als einmal umzusehen, und sobald sie sah, daß er sie suchte, lenkte sie unvermerkt in einen Gang ein, wo er sie finden mußte. Beide schienen sich zu wandern, einander so früh im Garten anzutreffen; aber Donna Felicia war nicht so aufrichtig, die wahre Ursache davon zu gestehen, als Don Sylvio. Sie schützte die Annehmlichkeit des Morgens vor, da hingegen dieser ganz offenherzig bekannte, daß er sich um keiner andern Ursache willen so früh in den Garten begeben habe, als seinen Gedanken desto freier nachzuhängen. Ein viel bedeutender Blick, den er bei diesen Worten auf sie heftete, und ein übel verhehlter Seufzer ergänzten und bestimmten, was darin undeutlich war; aber Donna Felicia, die es nichts desto besser verstand oder doch nicht so thun wollte, lenkte die Unterredung auf die Feen, indem sie ihn fragte, ob ihm die Geschichte des gestrigen Abends nicht im Traume vorgekommen sey? Ich für meine Person gestehe Ihnen, sagte sie, daß ich die ganze Nacht durch in des Wallfisches Bauche herumgewandert bin; und wenn Sie neugierig sind, mehr davon zu wissen, so kann ich Ihnen vielleicht Nachrichten geben, die Ihnen nicht gleichgültig seyn werden.Don Sylvio antwortete ihr hierauf mit dem ganzen Ernst eines Liebhabers von siebzehn Jahren, daß, da er, seitdem er sie zum ersten Male gesehen, wachend nichts Anderes sehe, als sie, seine Seele sich im Traume noch weniger mit einem andern Gegenstande beschäftigen könne. Er gestand auch, daß das, was in ihm vorgehe, seitdem er sie kenne, ihn beinahe gänzlich überzeuge, daß es keine andere Bezauberung gebe, als die Liebe. O! warum kann ich keine Worte finden, rief er, Ihnen eine Beschreibung davon zu machen! Sie haben mir ein neues Wesen gegeben. Ihre Gegenwart verbreitet einen Glanz um mich her, der die ganze Natur in meinen Augen schöner und rührender macht; ich glaube in einer andern Welt zu seyn; Alles, was ich sehe, scheint mir einen Wiederschein Ihrer Reizungen entgegen zu werfen die leblosesten Dinge scheinen beseelt und athmen den Geist der Liebe aus; selbst abwesend bleibt eine Spur an jedem Orte, wo ich Sie gesehen habe, zurück, und ich glaube es zu fühlen, daß Sie auch unsichtbar noch immer gegenwärtig sind.Don, Sylvio, unterbrach ihn Felicia mit einem zärtlichen Blicke, der sich unter einem scherzhaften Lächeln zu verbergen suchte; nöthigen Sie mich nicht Ihnen zu sagen, daß Sie in den Poeten wenigstens so belesen sind, als der Prinz —O, nennen Sie ihn nicht, Donna Felicia! rief Don Sylvio — den diese Worte, so wenig sie böse gemeint waren, so sehr bewegten, daß ihm die Thränen in die Augen traten — beleidigen Sie die Aufrichtigkeit meiner Seele nicht durch eine Vergleichung, die ich so wenig verdiene! Ich sage Ihnen nichts, als was ich erfahre, und ich wünschte, es Ihnen in einer Sprache sagen zu können, die nicht so weit unter der Wahrheit meiner Empfindungen wäre. Was ich empfinde seitdem ich Sie sehe, ist unendlich weit von den Schwärmereien einer erhitzten Phantasie unterschieden. Ihr erster Anblick hat das ganze Feuer meiner Einbildungskraft ausgelöscht; ich erinnere mich meines vorhergehenden Lebens nur wie eines eiteln Traumes; von dem glücklichen Augenblicke, da ich Sie zum ersten Male sah, fängt sich mein wahres Daseyn an, und, o, möchte es — Hier hielt der allzu schüchterne Jüngling inne und ließ einen Blick, der bis in die Seele der schönen Felicia drang, vollenden, was er nicht kühn genug gewesen war auszusprechen.Vielleicht könnt' ich, erwiederte Donna Felicia, Sie mit gutem Grunde beschuldigen, daß Sie nicht so ganz aufrichtig gegen mich sind, als Sie mich bereden wollen; aber ich will Ihnen keinen Vorwurf machen, und ich bin auch nicht dazu berechtiget. Sie haben mir die Ehre angethan, Don Sylvio, mich für eine Fee zu halten; erlauben Sie mir, Ihnen eine Probe zu geben, daß ich Ihrer Radiante wenigstens in einem Stücke gleiche: sehen Sie hier das Bildniß Ihrer Geliebten, das Sie verloren haben; mir Vergnügen stell' ich es seinem rechtmäßigen Eigenthümer wieder zu. Mit diesen Worten gab sie ihm die Perlenschnur mit dem Bildniß und ergetzte sich nicht wenig an der Bestürzung, in welche sie ihn durch ein so unerwartetes Geschenk setzte. Er nahm es mit zitternder Hand, er sah es an, dann betrachtete er Donna Felicia, sah das Bildniß wieder an und rief endlich aus: Woher auch dieses Bildniß sey, oder wen es vorstelle, so sagt mir mein Auge, daß es das Ihrige ist, und mein Herz, daß es alle die Gewalt, die es über mich hatte, allein von dieser wunderbaren Aehnlichkeit mit Ihnen entpfangen hat. Ich erhielt es nicht aus den Händen einer Fee, wie Sie sagten; ich fand es in dem Walde, der an den Park von Rosalva gränzt. Dieser Umstand, und daß es, nachdem es mir geraubt worden, wieder in Ihre Hände gekommen ist, scheint ein Geheimniß zu verbergen. Erklären Sie mir es, schönste Felicia: es ist ganz gewiß Ihr eigenes Bildniß; sobald ich es sah, bemeisterte es sich meiner ganzen Seele; ich fühlte es an der unaussprechlichen Liebe, die es wie einflöste, daß es diejenige vorstellte, die mich allein glücklich machen kann; mein Herz erkannte den Gegenwand aller seiner Wünsche darin. Aber, o, wie unendlich lebhafter war diese Empfindung, da ich das Urbild erblickte! — Nehmen Sie sich in Acht, sagte Donna Felicia lächelnd; Ihr Herz könnte Ihnen einen kleinen Streich gespielt haben: ich versichere Sie, daß dieses Bildniß, ungeachtet der Aehnlichkeit, die Sie zu sehen glauben, nicht das meinige ist.Sie waren unter diesen Gesprächen immer fortgegangen und befanden sich, indem Felicia dieß sagte, bei dem Pavillon. Sie bemerkte die Verlegenheit, in welche ihre Versicherung den guten Don Sylvio setzte, ob er gleich immerfort behauptete, daß er in diesem Bildniß, es möchte nun auch vorstellen sollen, wen es wollte, Niemand als sie selbst geliebt habe. Er schrieb es der Wirkung einer geheimen Vorempfindung zu, ob er gleich gestand, daß ihm die Umstände, worin er es bekommen habe, noch immer ein Räthsel seyen.Donna Felicia konnte nicht so grausam seyn, ihn länger in einer Verwirrung zu lassen, die zu nichts hätte dienen können, als ihre Eitelkeit zu vergnügen. Sie führte ihn also durch den Saal des Pavillons in ein Cabinet; bei dessen Oeffnung ihm sogleich zwei große Bildnisse in Lebensgröße in die Augen fielen, welche neben einander hingen und einander so vollkommen ähnlich waren, daß man sie durch nichts Anderes unterscheiden konnte, als eine kleine Verschiedenheit des Colorits, die nur dem schärfsten Kenner merklich seyn konnte. Eines von diesen Bildnissen ist das meinige, sagte sie; rathen Sie, Don Sylvio, welches von beiden. — Beide sind's, rief Don Sylvio, denn es däucht mich augenscheinlich, daß dieses hier eine Copie von jenen ist. — Sie irren sich, Don Sylvio, erwiederte Felicia; dieses hier, welches Sie für das meinige ansehen, ist wenigstens sechzig Jahre älter. Es stellt meine Großmutter Donna Dorothea von Jutella vor, wie sie in einem Alter von sechzehn Jahren aussah. Hier, fuhr sie fort, indem sie ihm ein kleines Miniaturgemälde wies, das unter dem großen Portrait hing, sehen Sie ein anderes, das ungefähr um die nämliche Zeit von ihr gemacht wurde; es ist dem größern vollkommen ähnlich, und nach diesem wurde das kleine Bildniß gemalt, das die Gelegenheit zu einer so seltsamen Intrigue gegeben hat. Die außerordentliche Aehnlichkeit, die mein Vater zwischen mir und Donna Dorothea fand, bewog ihn, mich, da ich sechzehn Jahr alt war, in der nämlichen Kleidung und Stellung abmalen zu lassen; und Jedermann sagte, daß mein Bild mir eben so vollkommen gleiche als meiner Großmutter. Mein Großvater, der seine Gemahlin außerordentlich liebte, ließ das kleine Gemälde machen, das in Ihre Hände gekommen ist, und pflegte es, nach der Mode seiner Zeit, an einer goldnen Kette zu tragen. Er hinterließ es meiner Mutter, und da es von dieser auf mich kam, so hing ich es an diese Perlenschnur und trug es so lange als ein Halsgeschmeide, bis ich es vor etlichen Tagen in dem namlichen Walde verlor, wo Sie es bald darauf gefunden haben müssen. Dieß ist die Entwicklung des ganzen Knotens, und nun (setzte sie lächelnd hinzu) überlasse ich Ihnen, da die Großmutter und die Enkelin gleich viel Recht an Ihre Neigung hat, für welche von beiden Sie sich erklären wollen.Don Sylvio war vor Freude über eine so glückliche Entwicklung außer sich. Er warf sich zu ihren Füßen und sagte ihr, in der rührenden Unordnung, welche die wahre Beredsamkeit der Liebe ist, Sachen, die unsern werthen Lesern eben so thöricht vorkommen würden, als sie der selbst gerührten Donna Felicia angenehm waren. In der Verfassung, worin ihr eigenes Herz war, hört man einem Liebhaber, wie Don Sylvio, so gern zu, daß es eine ziemliche Weile währte, bis sie sich besann, daß sie seiner Entzückung ein wenig Einhalt thun müßte. Sie bat ihn also aufzustehen und ihr in den Saal zu folgen, wo sie ihre Unterredung bequemer fortsetzen könnten.Don Sylvio erzählte ihr jetzt sein ganzes Feenmährchen, die Geschichte des Sommervogels und die Erscheinung der Fee Radiante; und er gestand desto williger, daß seine mit Feenwundern angefüllte Einbildungskraft einen großen Antheil an diesem vermeinten Gesichte gehabt habe, da ihm Donna Felicia sehr gern erlaubte, die andere Hälfte auf die Rechnung einer geheimen Divination oder Vorwissenschaft seiner Seele zu schreiben, der es ahnete, daß er in Kurzem das Urbild dieses geliebten Schattenbildes finden würde. Wenn die Feen auch nur Geschöpfe unserer Einbildungskraft sind, sagte er, so werde ich sie doch immer als meine größten Wohlthäterinnen ansehen, da ich ohne sie noch immer in der Einsamkeit von Rosalva schmachtete und vielleicht auf ewig der Glückseligkeit entbehrt hätte, diejenige zu finden, die mein verlangendes Herz, seitdem es sich selbst fühlt, zu suchen schien,Er fuhr nunmehr fort, mit der völligen Begeisterung eines wahrhaft eingenommenen Liebhabers der aufmerksamen Felicia seine Empfindungen abzuschildern; und diese junge Dame fand sich unvermerkt so sehr davon gerührt, daß sie, ihres anfangs gefaßten Vorsatzes uneingedenk, sich nicht enthalten konnte, ihm zu erzählen: wie sie ihn in der Rosenlaube schlafend gefunden und von diesem Augenblick an sich nicht habe erwehren können, an diesem Unbekannten einen Antheil zu nehmen, der ihr die Gesinnungen, die ihr Bildniß und sie selbst ihm eingeflößt, desto angenehmer mache. Dieses Geständnis setzte unsern Helden in eine Entzückung, welche er eine geraume Zeit durch nichts Anderes ausdrücken konnte, als daß er sich zu ihren Füßen warf und ihre schönen Hände, eine nach der andern, mit Küssen überdeckte, in welchen er seine Seele hätte aushauchen mögen. Für eine zärtliche Schöne von Feliciens Alter ist vielleicht nichts gefährlicher, als der Anblick der Glückseligkeit, womit ihre ersten Gunstbezeugungen ihren Liebhaber berauschen; und man muß gestehen, die Gefahr ist nichts desto kleiner, wenn dieser Liebhaber so jung, so schön und so feurig ist, als es Don Sylvio war.Aus dieser Betrachtung, hoffen wir, werde man es der liebenswürdigen Felicia zu gut halten, daß sie vielleicht zu viel Nachsicht mit ihrem ekstatischen Anbeter trug. In dieser süßen Trunkenheit der Seele, da sie, ganz in Liebe und Wonne aufgelöst, die lebhaftesten Ausdrücke ihrer Empfindung noch zu schwach findet, kann man ohne Unbilligkeit nicht fordern, daß sie geschickt seyn soll, sich völlig in dem Gleichgewichte zu erhalten, welches uns die Weisheit der Moralisten vorschreibt. Diese erhabenen Leute fordern freilich mit Recht, daß man nicht zu viel thun solle; aber die Frage ist, was in dem Falle, wovon wir reden, zu viel sey? — und durch was für, bisher noch unbekannte, Mittel möglich sey, Weisheit und Liebe in so genauen Parallellinien fortlaufen zu machen, daß sich diese niemals von jener entfernen könne?Für ein paar junge Leute, wie Don Sylvio und die schöne Felicia in der vorbemeldeten Verfassung ihres Herzens waren, ist die Zeit keine Folge von Augenblicken, sondern ein einziger unbeweglicher Augenblick, welcher ganze Jahre unbemerkt verschlingen würde, wenn sie nicht von äußerlichen Ursachen oder der Erschöpfung ihrer eigenen Lebensgeister aus einer so zauberischen Entzückung aufgeweckt würden. Sie befanden sich noch so wenig in dem letztern Falle, daß sie sehr erstaunt waren, von der Dame Laura zu vernehmen, daß es schon Zeit zum Frühstücken sey. Dieser Anzeige zufolge wurde beliebt, daß sich Don Sylvio auf eine kleine Weile beurlauben sollte; und so wenig hatte ihn das Anschauen seiner geliebten Felicia in vier ganzen Stunden sättigen können, daß es ihm fast unmöglich schien, sich nur auf etliche Augenblicke davon loszureißen.Eine Weile darauf fand sich die ganze kleine Gesellschaft beim Theetische der Donna Felicia zusammen. Don Eugenio und Don Gabriel bewunderten die sichtbare Verwandlung nicht wenig, die mit unserm Helden vorgegangen war. Der erste hatte sich schon mit einer ganzen Rüstung von Gründen gewaffnet, um die Feen aus ihren Verschanzungen in seinem Gehirn herauszutreiben; allein er fand zu nicht geringer Beschämung seiner Philosophie gar bald, daß alle Arbeit schon verrichtet war, und mußte sich selbst gestehen, daß ein Paar schöne Augen in etlichen Minuten stärker überzeugen und schneller bekehren, als die Akademie, das Lyceum und die Stoa mit vereinigten Kräften kaum in eben so viel Jahren zu thun vermöchten.
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Drittes Capitel:

Abermalige Entdeckungen.

Die Gesellschafl hatte sich nach genommenem Frühstück in den Büchersaal begeben, wo Don Gabriel sich eben beschäftigte, seinem jungen Freund und den Damen verschiedene physische Exrperimente vorzuzeigen, als man eine Art von Kutsche über den Schloßhof rollen hörte, welche die Aufmerksamkeit der Schüler unsers Philosophen unterbrach. Man denke, wie angenehm die Bestürzung des Don Sylvio war, da er nach einer kleinen Weile seine geliebte Tante Donna Mencia aus dem Wagen steigen sah.Damit einem künftigen Kunstrichter, welcher sich vielleicht die rühmliche Mühe geben wird, dieses unser Werk gegen den tadelsüchtigen Zahn des Zoilus und seiner Brüder — nämlich aller und jeder, welche sich, zu empfindlicher Kränkung unserer gerechten väterlichen Liebe zu diesem Kinde unsers Witzes, unterfangen mögen, die Mängel und Gebrechen desselben boshafter Weise aufzudecken — zu schieben, — damit, sagen wir, diesem gelehrten und vortrefflichen Manne (dem wir hiermit für seine großmüthige Bemühung zum voraus öffentlichen Dank erstatten) wenigstens die Arbeit erspart werde (denn er wird ohnedieß genug zu thun finden), uns gegen den Vorwurf zu vertheidigen, als ob wir, wider alle Wahrscheinlichkeit, die weise und ehrwürdige Donna Mencia wie einen Deum ex machina in einer mit zwei ausgemergelten Dorfkleppern bespannten Kalesche nach Lirias geschleppt hätten, ohne eine bessere Ursache davon anzugeben, als weil wir ihrer daselbst vonnöthen haben: so sehen wir uns genöthigt, dem geneigten Leser, ehe wir weiter gehen, zu sagen, daß diese unerwartete Erscheinung in der That nicht auf unsern Antrieb, sondern auf Veranlassung des berühmten Barbiers bewerkstelligt worden, der in dieser Geschichte schon mehr als einmal aufgetreten ist. Dieser hatte bei einem abermaligen Besuche, den er Tages zuvor seinem Patienten zu Lirias machte, die Ankunft des Don Sylvio und durch die Waschhaftigkeit des verschwiegenen Pedrillo verschiedene kleine Umstände erfahren, die ihn auf die Vermuthung brachten, daß ein Geheimniß hinter der Sache stecke. Mit diesen Neuigkeiten war Meister Blas spornstreichs nach Rosalva gerannt, wo man bereits Anstalt machte, unsern Helden in allen benachbarten Orten aufsuchen zu lassen. Donna Mencia war dadurch in keine mittelmäßige Unruhe gesetzt worden: denn, da die Verbindung ihres Neffen mit der schönen Mergelina eine Clausel war, ohne welche die ihrige mit dem Herrn Rodrigo Sanchez von sich selbst zerfiel, so konnte sie unmöglich gleichgültig bleiben, als ihr Meister Blas mit einer geheimnisvollen Miene in die Ohren zischelte, daß, soviel er aus allen Umständen abnehmen könne, Don Sylvio nicht umsonst zu Lirias seyn müsse. Kurz, sie hatte die Sache wichtig genug gefunden, ihn in eigener Person zu reclamiren; und wenn man noch die tiefe Verachtung dazu nimmt, die ihr das graue Alterthum ihres eigenen Hauses gegen den neuen Adel einflößte, so wird man sich vorstellen können, daß die Miene, die sie beim Eintritt in das Schloß zu Lirias machte, keine von den angenehmsten war. Allein, wie sie vollends eine für ihren Neffen so gefährliche Gesellschaft sah, als Donna Felicia und Jacinte nach ihren bekannten Grundsätzen waren, so stieg ihr Unmuth auf einen Grad, der ihrem Gesichte (welches ohnehin geschickter war, die Strenge der Tugend als ihre Schönheit auszudrücken) ein so furienmäßiges Ansehen gab, daß ihr zu ihrer hagern Gestalt nur noch etliche Schlangen um den Kopf und eine Fackel in der Hand fehlten, um eine von den grinsenden Grazien der Hölle vorzustellen. Allein, da sie, aller dieser Annehmlichkeiten ungeachtet, die Tante des Don Sylvio war, so wurde sie auf eine so ehrerbietige und verbindliche Art empfangen, daß sie sich genöthigt sah, das Fürchterliche und Drohende, womit sie ihr Angesicht bewaffnet hatte, um etliche Grade zu mildern; ja, die feine Gestalt des Don Eugenio besänftigte sie endlich so sehr, daß die beiden Damen, die sich auf den ersten Blick. den sie ihnen verlieh, gegen das andere Ende des Saals zurückgezogen hatten, wieder Muth faßten und sich allmählich dem Sopha, wo Donica Mencia auf Bitten des Don Eugenio sich niedergelassen, näherten; doch nicht ohne die Vorsicht, daß sie ihre Plätze nahe genug bei der Thür nahmen, um im Nothfall sich durch eine schleunige Flucht retten zu können. Donna Mencia eröffnete nach einer kurzen Vorrede die Ursache, warum sie da sey, und bezeigte keine kleine Verwunderung, was die Ursache seyn könne, daß sie ihren Neffen zu Lirias finde. Don Eugenio antwortete ihr, daß er dieses Vergnügen einem bloßen Zufalle schuldig sey, und erzählte hierauf, mit Auslassung einiger Nebenumstände, die Begebenheit, wobei ihm der tapfere Beistand des Don Sylvio den wichtigsten Dienst geleistet hatte. Donna Mencia bezeigte ihre Zufriedenheit darüber, daß sich ihr Neffe bei einer so schönen Gelegenheit des ritterlichen Blutes, das in seinen Adern floß, würdig bewiesen, in solchen Ausdrücken, daß Jacinte sich aufgemuntert fand, ihren Antheil zum Lob unsers Helden beizutragen.Die erhabene Mencia ließ sich jetzt zum ersten Mal herab, dieses kleine Geschöpf mit einem zerstreuten Blick anzusehen. Wir haben schon bemerkt, daß Jacinte weder die Größe, noch die Regelmäßigkeit der Züge, noch die vollkommene Feinheit der Gesichtsfarbe hatte, die zu einem gerechten Anspruch an das Prädicat der Schönheit gehören; die ungemeine Anmuth ihrer Bildung und ihrer ganzen Person war Alles, was sie beim ersten Anblies gefällig machte: und da Donna Mencia, was die Annehmlichkeit betrifft, vollkommen mit sich selbst zufrieden war und über das noch den Vorzug einer majestätischen Größe vor ihr hatte, so machte dieß Alles zusammengenommen, daß Jacinte Gnade vor ihren Augen fand. Nach und nach beehrte sie dieselbe sogar mit einer Art von Aufmerksamkeit und machte so eben die Anmerkung, daß sie noch Niemand gesehen habe, der sie so lebhaft an ihre verstorbene Schwägerin, Donna Jsidora, erinnere, wie dieses junge Frauenzimmer, als Don Sylvio (der sich nicht getraut hatte, ihr gleich unter die Augen zu kommen) mit Don Gabriel in das Zimmer trat. Das Lob, welches er kurz zuvor erhalten hatte, die gute Art, womit er sie begrüßte, und vielleicht auch die Figur seines Begleiters (die eine von denen war, womit man wenig Mühe hatte sich ein günstiges Auge von ihr zu erwerben) thaten eine so gute Wirkung, daß Don Sylvio besser empfangen wurde, als er gehofft hatte. Don Gabriel kannte den Charakter der Dame von Langem her; und da er boshaft genug war, ihr die schönsten Dinge von der Welt in der Modesprache der Zeiten Karls des Zweiten vorzusagen, so sah er sich, zu großer Belustigung der übrigen Gesellschaft, unvermerkt mit der kurzweiligen Rolle eines erklärten Verehrers und Günstlings beladen. Jedermann trug das Seinige bei, sie durch schwülstige Lobsprüche und Complimente im Geschmack des Amadis de Gaule zu unterhalten; die Herren hatten für Niemand Augen als für sie, und die jungen Damen affectirten ein so schüchternes und kindisches Wesen, daß sie aufgemuntert wurde, sich selbst um zwanzig Jahre jünger anzusehen. Sie that es auch und wurde wirklich nach und nach so munter, so gesprächig und so tändelnd, daß es — kaum auszuhalten war.Man hatte diese Komödie bereits eine gute Weile gespielt, und die nochmalige Anmerkung welche Donna Mencia über die Aehnlichkeit der Jacinte mit Donna Isidora von Rosalva machte, hatte sie in eine umständliche Erzählung ihrer eigenen jugendlichen Begebenheiten verwickelt; als man plötzlich ein großes Geschrei und Getümmel hörte, das sich die Treppe heraufzuziehen schien. Man unterschied gar bald die Stimme des Pedrillo, und einen Augenblick darauf zeigte er sich persönlich, oder vielmehr er stürmte ohne die geringste Achtung für die hohen Herrschaften in das Zimmer hinein und schrie: Freude über Freude, gnädiger Herr, Tintin ist gefunden, Tintin ist wieder da! — Meiner Six, ich kannte die verfluchte Carabosse beim ersten Anblick auf fünfzig Schritte! aber sie will ihn nicht hergeben; sie hat ihn nicht gestohlen, sagt sie, und hängt mir noch lose Reden an; — ich möchte sie vor einer so ehrbaren Gesellschaft nicht wiederholen: aber Sapperment, ich blieb ihr nichts schuldig! Wurst wider Wurst! Ich wusch ihr das Maul, wie sich's gehörte. Die alte Vettel! sie hat ihn nicht gestohlen, sagt sie; sie will ihn Niemand als Euer Gnaden selbst in die Hände geben, sagt sie; sie will für den T**, daß man sie selbst vor den gnädigen Herrn Don Eugenio lassen soll. Und da sagt' ich: Es ist Gesellschaft da, man hat keine Zeit, sich von dir in die Hände gucken zu lassen, sagt' ich, man weiß schon Alles, was man wissen soll; gib du nur den kleinen Tintin her und packe dich, oder beim Sapperment! sagt' ich, ich will dir alle die Maulschellen und Stöße und Fußtritte dreifach wieder geben, die ich vorgestern auf deine oder deiner Gevatterin, der alten Fanferlüschin, ihre Anstiftung gekriegt habe, sagt' ich. Aber es half Alles nichts; und sie würde mit Gewalt in das Zimmer hineingedrungen seyn, wenn ich sie nicht beim Flügel gekriegt und über sechs oder acht Stufen die Treppe hinuntergeschmissen hätte.Wovon ist denn die Rede, mein Freund? fragte Don Eugenio. Wer ist die alte Frau? Sagte sie denn nicht, was sie anzubringen habe? — Gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, wer sie ist, das wird sie selbst am besten sagen können: mein gnädiger Herr Don Sylvio behauptete für den Deixel, daß es die Fee Carabosse sey; aber, wenn ich die Wahrheit sagen soll, so glaube ich, daß sie, mit Respect vor Euer Gnaden zu sagen, eine Zigeunerin ist.Don Eugenio hörte kaum das letzte Wort, als er hastig von seinem Sitz auffuhr und zum Zimmer hinaus eilte. Die Zigeunerin konnte vielleicht diejenige seyn, die er suchte, und zu gutem Glück betrog er sich dießmal nicht in seiner Hoffnung.Die vermeinte Carabosse, welche unsern Helden des Morgens nach seiner Entweichung im Walde angetroffen hatte, war eben diese Zigeunerin, welche wir eine Hauptperson in der Geschichte der Jacinte haben vorstellen sehen. Der Leser erinnert sich vielleicht noch, daß der unbescheidene Vorwitz des Corregidor von Sevilla diese würdige alte Dame genöthigt hatte, sich so weit als möglich von dieser Hauptstadt zu entfernen. Zum Unglück waren ihr Name, ihre Person und ihre Verdienste in jeder andern Provinz von Spanien so rühmlich bekannt, daß sie nicht wußte, wohin sie fliehen sollte, um nicht dem nämlichen Schicksal, dem sie entgehen wollte, in die Hände zu laufen. In dieser Noth fiel ihr Jacinte ein, von der sie durch eine von ihren alten Freundinnen erfahren hatte, daß sie auf dem Theater zu Grenada im Besitz der allgemeinen Bewunderung sey. Sie machte sich so unkenntlich, als sie konnte, und kam an dem nämlichen Tage in Grenada an, da Jacinte abgereiset war. Sie erfuhr von einer Schauspielerin Alles und einen guten Theil mehr als das, was man von des Don Eugenio Neigung und Absichten für diese Schauspielerin wußte. Diese Nachricht zeigte ihr ein Mittel, sich durch den Dienst, den sie im Stande war diesem jungen Cavalier zu leisten, einen Beschüzer und eine sichere Zuflucht zu verschaffen. Sie eilte also, so sehr sie konnte, um noch vor Jacinten zu Valencia anzukommen; und sie war eben auf dieser Reise begriffen, als sie von ungefähr mit unserm Abenteurer zusammen kam. Einige Meilen über Xelva traf sie durch einen ähnlichen Zufall in dem Wirthshause, wo sie übernachtete, einen Verwalter des Don Eugenio an, der im Begriff war, von einem Gute, welches sein Herr in der Nähe von Valencia hatte, nach Lirias abzugehen. Von diesem erfuhr sie, daß sie nichts zu thun hätte, als wieder umzukehren, wenn sie seinen Herrn sprechen wollte; und da sie ihm Sachen von der äußersten Wichtigkeit zu entdecken haben wollte, so war der Verwalter so höflich, ihr seine Gesellschaft anzubieten. Sie kam also zu Lirias an, und das Schicksal wollte, daß es gerade zu einer solchen Zeit geschah, da die Anwesenheit der Donna Mencia ihre Entdeckungen gültig machen konnte.Don Eugenio kam in wenigen Augenblicken mit der Zigeunerin zurück. Hier bringe ich Ihnen, sagte er zu Donna Mencia, eine Frau, die sich dafür ausgibt, daß sie Euer Gnaden eine verlorne Nichte wieder zustellen könne. Die liebenswürdige Jacinte that vor Bestürzung einen Schrei, wie sie ihrer Pflegemutter ansichtig wurde, und diese fiel, sobald sie Donna Mencia erblickte, zu ihren Füßen und bat um Verzeihung einer großen Uebelthat, deren sie sich gegen diese Dame schuldig bekannte. Sie erzählte hierauf mit allen Umständen des Orts und der Zeit, auf was für eine Weise es ihr geglückt sey, ihre Nichte Donna Serafina als ein dreijähriges Kind wegzustehlen; daß das junge Frauenzimmer, welches sie so glücklich sey unter dem Namen Jacinte in dieser Gesellschaft wieder zu finden, eben diese Donna Serafina sey, und daß sie zu dessen vollgültigem Beweise eine kleine goldne Kette mit einem Kreuz aufbewahrt habe, welches die kleine Serafina damals am Halse getragen.Man kann sich die Gemüthsbewegungen, die eine so glückliche Entdeckung in unserer Gesellschaft erregen mußte; leichter vorstellen, als sie sich beschreiben lassen. Don Eugenio, der vor Freude außer sich war, würde der Zigeunerin gern allen Beweis ihrer Aussage geschenkt haben. Aber Donna Mencia war nicht so voreilig. Sie examinirte die Zigeunerin über die kleinsten Umstände der Entführung mit der schärfsten Genauigkeit, und als sie durch ihre Antworten völlig befriediget war, betrachtete sie auch die Halskette, die sie für eben diejenige erkannte, womit sie selbst der kleinen Serafina ein Geschenk gemacht hatte, als sie von dem alten Don Pedro ihrer Aufsicht übergeben wurde. Kurz, nach einer Untersuchung, die über eine halbe Stunde dauerte, wurde Jacinte für Donna Serafina von Rosalva erkannt, bud in dieser Qualität von ihrer Tante und von unserm Helden mit so vieler Zärtlichkeit umarmt, als jede dieser beiden Personen fähig war. Diese Entdeckung verbreitete eine außerordentliche Freude durch das ganze Haus; und Don Eugenio, welcher die seinige über die ganze Natur hätte ausgießen mögen, ertheilte sogleich Befehl, noch diesen Tag und etliche folgende durch alle nur ersinnliche Freudenbezeugungen zu Festtagen zu machen.
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Viertes Capitel:

Beschluß dieser Geschichte.

Wir haben nunmehr, geneigter Leser, die Geschichte unseres Helden bis zu einem Zeitpunkte fortgeführt, wo sie aufhört wunderbar zu seyn, oder, welches eben so viel ist, wo sie in den ordentlichen und allgemeinen Weg der menschlichen Begebenheiten einzuschlagen anfängt und also aufhört, zu den Absichten geschickt zu seyn, welche wir uns in diesem Werke vorgelebt haben. Don Sylvio, der nunmehr keine andere Feen erkennt, als seine angebetete Felicia, und keine andere Bezauberung, als die aus ihren Augen entspringt, ist auf dem Wege, glücklich, seines Glückes würdig und wenn er anders (wie wir hoffen) lange genug lebt, mit der Zeit auch sogar weise zu werden. Wir könnten ihn also in so angenehmen Umständen mit bestem Fug seiner Liebe und seinem glücklichen Gestirn überlassen, wenn wir nicht vermuthlich einige Leser oder Leserinnen hätten, die zu träge sind, sich die gänzliche Entwicklung dieser wundervollen Geschichte, so leicht sie auch zu errathen ist, ohne unser Zuthun selbst vorzustellen. Diesen melden wir also, daß noch an eben diesem Tage Don Sylvio seiner gnädigen Tante sowohl von den Verdiensten, welche sich Don Eugenio um seine wiedergefundene Schwester gemacht, und von ihrer gegenseitigen Neigung, als von dem wunderbaren Anfang und glücklichen Fortgang seiner eigenen Leidenschaft für die schöne Felicia von Cardena umständliche Nachricht gab. Es kostete wenig Mühe, die Einwilligung dieser Dame (bei welcher der Stolz über eine gewisse andere Leidenschaft ordentlicher Weise die Oberhand hatte) zu der doppelten Verbindung, die ihr von Don Eugenio und von ihrem Neffen vorgeschlagen wurde, zu erhalten. Sie erröthete nun vor sich selbst, daß hundert tausend Thaler sie fähig gemacht hatten, einen Procurator von Xelva und seine mitgeborne Nichte einer Verbindung mit ihrer Familie würdig zu achten: und da sie eine gute Rechnerin war, so fand sie, daß mit vierzig tausend Thalern jährlicher Einkünfte, welche Donna Felicia ihrem geliebten Don Sylvio zubrachte, der Glanz ihres Hauses viel besser wieder hergestellt werden könne. Diese Ueberzeugung wurde nicht wenig durch einen Artikel der Ehestiftung ihres Neffen befördert, worin ihr. solange sie lebte, eine jährliche Pension von sechs tausend Thalern angewiesen wurde; ein kleines Einkommen, mit dessen Hülfe sie im Fall der Noth den Abgang des Herrn Rodrigo Sanchez würdig ersetzen zu können hoffte.So große Ursache man auch hatte zu glauben, daß unser Held von den Wirkungen, welche die Feerei auf sein Gehirn gemacht, völlig hergestellt sey, so nöthig fand man, den leeren Raum, den die Verbannung der Feen darin gelassen, nunmehr mit den Ideen wirklicher Dinge anzufüllen. Er entschloß sich also, durch Reisen in dem vornehmsten Theile von Europa sich des Besitzes der schönen Felicia würdiger zu machen. Don Eugenio trieb die Freundschaft so weit, sich zu seinem Begleiter und Führer anzubieten; und unsre beiden Schönen waren großmüthig genug, in eine Trennung von zwei Jahren einzuwilligen, welche ihnen in einem Kloster zu Valencia, das sie indeß zu ihrem Aufenthalt erwählten, durch häufige Briefe von ihren Liebhabern versüßt wurden. Diese zwei Jahre gingen endlich vorüber, und Don Eugenio und Don Gabriel brachten ihren Freund in einer Vollkommenheit zurück, die ihn für eine jede andere Person als seine Felicia unkennbar gemacht hätte; denn sie schien nichts weniger als erkannt, da sie nun diese glücklichen Fähigkeiten entwickelt und ausgebildet sah, die ihr gleich anfangs Alles, was nur liebenswürdig heißt, von ihm versprochen hatten.Diese liebenswürdige junge Wittwe und ihre Freundin Donna Serafina, welche sich gleichfalls in dem Umgange mit Felicien und andern Personen von Verdiensten zu der vollkommenen Liebenswürdigkeit ausgebildet hatte, deren sie fähig war, willigten nun mit Vergnügen ein, ihre sehnsuchtsvollen Liebhaber glücklich zu machen; und der ehrliche Pedrillo, der von seiner Wanderschaft aus fremden Ländern eben so aufgeweckt, sinnreich und spaßhaft, aber um ein gutes Theil höflicher und artiger zurück gekommen war, erhielt zur Belohnung der Leiden, welche er um seines Herrn Willen auf der ehemaligen Wanderschaft nach dem bezauberten Schmetterling ausgestanden, und zur Vergeltung der getreuen Dienste, die er ihm auf seinen Reisen durch Europa geleistet, die schöne und kluge Laura, mit der Stelle eines Haushofmeisters, die er vermuthlich noch jetzt, da wir dieses schreiben, in der liebenswürdigsten und glücklichsten Familie von ganz Spanien bekleidet.
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Anmerkungen.

Buch 5.

Cap. 1.

S. 2. Z. 12, Prinz Kobold — Der Prinz Kobold oder le Prince Lutin ist der Held des letzten Mährchens im ersten Theile der Contes de Mad. d'Aulnoy. Sein eigentlicher Name ist Leander. Er ist der Nebenbuhler eines sehr kleinen, sehr dicken, sehr buckligen und sehr übel gezogenen Prinzen, Namens Furibond, und hat, neben tausend andern schönen Eigenschaften, die Gabe, sich unsichtbar zu machen, sobald er ein kleines rothes Hütchen mit zwei Pfauenfedern aufsetzt, womit ihn die Fee Gentille beschenkt hat. W.S. 2. Z. 13, Fee Mustache — Der Pantoffel der Fee Mustache hatte die Kraft, denjenigen, dem er an die Nase gehalten wurde, in einen tiefen Schlaf zu versenken. Die schöne und tugendhafte Neadarne machte die Probe davon an dem Genius Jonquitle, da sie sich endlich genöthigt sah, so schwer es auch ihrem Herzen fiel, sich von ihm loszureißen. S. Crebillons Ecumoire, Tom. Il p 274, W.S. 2. Z. 13. Gyges — Der Ring des Gyges hatte die nämliche talismanische Kraft, unsichbar zu machen, welche Ariost dem Ringe des Brunel und Mad. D. dem Hütchen des Prinzen Kobold zuschreibt. Cicero erzählt das Mährchen von diesem Ringe, nach dem Plato. im neunten Capitel des ersten Buches von den Pflichten. W. S.2. Z. 14. Fee Trusio — Die königliche Fee Trusio spielt ihre Person in dem Mährchen vom Orangenbaum und der Biene im zweiten Theile der Contes de Mad. d'Aulnoy WS 4. Z. 16. Dispensatorium — Gesetzliche Vorschrift für die Apotheker über die Zubereitung der Arzneien.S. 5. Z. 13. Der komische Roman von Scarron, übers. Breslau 1794. 3 Thle., Gil Blas von le Sage, übers von Mytius. Berl. 1785. 6 Thle., der Findling, Tom zones von Fielding, übers. von Bode, Leipzig 1788, Candide oder die beste Welt, von Voltaire, übers von Mytius, Berl. 1788; Gargantua und Pantagruel von Rabelais, wovon unser Fischart 1552 eine freie deutsche Umarbeitung versuchte, wovon wieder eine Umarbeitung erschien unter dem Titel: Gargantua und Pamagruel nach Rabelais und Fischart, umgearbeitet von Doctor Eckstein (Christ. Friedr. Sander) Hamb. 1785-87. 3 Thle. 8.S. 6 Z. 3. Schul-Chrien — Eine besondere Art von Abhandlungen, zu denen für den Jdeengang eine bestimmte Vorschrift festgesetzt war. Die berühmteste Art ist die aphthonianische, die aus 8 Theilen bestehen muß: 1) Satz und Lob des Autors, der ihn hat, 2) Umschreibung, 3) Beweis, 4) Gegensatz, 5) Gleichniß, 6) Beispiel, 7) Zeugniß und 8) Beschluß.S. 6. Z. 14. Lancellot Gobbo — Name eines Clowns (einer Art von Hanswurst oder Kasperle) in dem Shakspeariscben Lustspiele, die zwei edeln Veroneser. W.

Cap. 2.

S 8. Z. 12. Gänsemädchen — Was in der zu Nürnberg herausgekommenen deutschen Uebersezung des sogenannten Cabinets der Feen ein Gänsemädchen ist, ist im Original eine Dindonnière oder ein Truthühnermädchen. Sie war eigentlich die Tochter der Königin des Landes der Freude, welche das Unglück gehabt hatte, in die Gewalt des bösen Königs des Landes der Thränen zu fallen. Der böse König sperrte sie in einen Thurm, wo es ihr ohne den Beistand der guten kleinen Maus sehr übel ergangen wäre. In diesem Thurme kam die Königin mit der Prinzessin Joliette nieder, welche ihr aber durch die böse Fee Concaline entführt und, da sie sich endlich den schlimmen Begegnungen der Fee durch die Flucht entzogen hatte, von dem Sohne des bösen Königes, einem sehr garstigen jungen Herrn, zu einem Hühnermädchen bestellt wurde. Der Prinz verliebte sich nach und nach sehr heftig in sein Hühnermädchen; aber das Mädchen wollte nichts von ihm sehen noch hören. "Nun begab sich's einsmals (sagt Mad. d'Aulnoy), daß der Sohn des bösen Königs voller Unwillen gegen Jolietten sich unter einen Baum warf, wo er denn so sehr anfing zu weinen, so sehr, daß er heulte wie ein Kalb. Sein Herr Vater hörte es; er steckte den Kopf zum Fenster hinaus und fragte ihn: Was hast du da, daß du so heulest? Was für eine dumme Aufführung ist das? Der Prinz antwortete schluchzend: Ich weine, weil mich unser Hühnermädchen nicht lieben will. Wie, rief der König, sie will dich nicht lieben? Das wollen wir wohl sehen! Sie soll dich lieben, oder sie soll sterbent!" u. s. w. S. Die gute kleine Maus im zweiten Theile der Contes de Mas. de d'Aulnoy, W.

Cap. 3.

S. 16. Z. 24. Daß es keine Einbildung ist — Diese Empfindung, welche, wie wir hoffen, von Kennern des Herzens der Natur sehr gemäß befunden werden wird, ist deßwegen zu bemerken, weil sie die erste Vorbereitung zur Entwickelung, nämlich zur Entzauberung unsers Helden ist. W.

Cap. 5.

S. 27. Z. 13. Lumineuse — Name einer sehr liebenswürdigen Fee in L'heureuse peine, einem Mährchen der Mad. de Murat. Eine andere gleiches Namens ist diejenige, welche sich die Mühe gibt, die Erziehung des berühmten Prinzen Angola zu vollenden. W.S. 30, Z. 25. Lethe — Die Seelen in Elysium würden nicht vollkommen glücklich seyn, glaubten die griechischen Dichter, wenn das Andenken alles in ihrem irdischen Leben ausgestandenen Ungemachs ihre Ruhe stören könnte. Sie dichteten also, daß jede Seele, ehe sie in Elysium übergehe, aus dem Flusse Lethe ein gänzliches Vergessen ihres vorigen Zustandes trinke. Die guten Dichter dachten nicht daran, daß diese Seelen mit eben diesem Zuge auch das Vergessen ihrer selbst einsogen und folglich aufhörten, die nämlichen Personen zu seyn, welches eben so viel ist, als gar nicht mehr zu seyn. W.

Cap. 7.

S. 35. Z. 14. Tu si hic — sentias — Nichts ist uns leichter" —sagt der junge Charinus beim Terenz zu seinem Hofmeister Byrrhia, der ihn ermahnt, sich seine hoffnungslose Liebe zu der schönen Philumena aus dem Sinne zu schlagen — "Nichts ist uns leichter, als kranken Leuten einen Rath zu geben, wenn wir selbst gesund sind. An meinem Platze würdest du ganz anders denken." Andria, Act. II, Sc. I. W.

Cap. 9.

S. 49. Z. 2. 3. Zoroastrischen — rosenkreuzerischen Irrthümern — Man hat diese Stelle als einen Wink von Wieland zu betrachten, daß sein Absehen bei diesem Roman etwas weiter ging, als auf die Feenmährchen. Ironisch stellt er hier mehrere religiöse und philosophische Systeme mit den Ansichten seines Heiden in Parallele, und es ist nicht zu leugnen, daß durch diese der ganze Roman gar sehr gewinnt. — Von Zoroaster und seiner Geisterlehre ist berets in den Anmerkungen zum ersten Bande das Nöthige beigebracht. — Plotinos (geb. zu Lykopolis in Aegypten 205 n. Chr. Geb., gest. 270), ein Geist allerdings von vieler Tiefe, aber weniger Klarheit, war der Hauptbegründer der neu-platonischen Philosophie, die auch auf das Christenthum einen wesentlichen Einfluß gehabt hat. Plotinos erforderte zur Philosophie — Ekstase; nur eine Speculation, welcher durch diese Offenbarungen geworden waren, konnte nach seiner Meinung zum Ziele führen. Solchen Offenbarungen verdanken wir die weiter ausgebildete platonische Ideenlehre (vergl. Briefe von Verstorbenen, Anm. z. 4. Brf. Bd. 26), zu deren Erkenntniß man nur durch Anschauen gelangen könne. Von dem großen Problem der Philosophie über das Princip der Erkenntniß war nicht mehr die Rede, ein inneres Gefühl, mystische Anschauung, inneres Licht traten als Kriterien der Wahrheit und Gewißheit hervor. Die Anhänger Plotins, besonders Jamblichus aus Cölesyrien und Proklus aus Constantinopel, begnügten sich an diesen Offenbarungen allen noch nicht, sondern setzten noch andere hinzu, wozu ihnen das Ueberspringen der Natur die bequemste Gelegenheit darbot. Die Phantasie bemächigte sich des Gebiets der Forschung, und dadurch bildete sich eine neue Dämonenlehre, wozu die Grundzüge aus dem Orient und Platon entlehnt sind. Auch Plotinos hatte ja seinen eigenen Dämon gehabt, mittelst dessen er zukünftige Dinge vorhergesagt, Krankheiten geheilt hatte. Durch Zurückziehung von aller Sinnenwelt, hieß es, konnte er zum unmittelbaren Anschauen der Gottheit gelangen und dadurch die Herrschaft über die Dämonen erhalten. Sein Schüler Porphyrius redet daher von einer Theosophie und verstand darunter die reinste Erkenntniß der Dinge und die höchste Glückseligkeit, die aus dem unmittelbaren Anschauen Gottes entsteht, wozu man bloß durch die größte Reinigkeit und Enthaltsamkeit gelangen könne, worauf man durch Hülfe der Gottheit wunderthätig wirke. Seit Jamblichus sah man die Theosophie für den Zweck der ganzen platonischen Philosophie an, strebte nach vertrautem Umgang mit Gott und den Geistern und durch sie zu der Kunst zu weissagen unb Wunder zu thun. Auch nicht ein einziger Schüler des Jamblichus wird genannt, der nicht wenigstens ein Wunder verrichtet hätte. — — Die Kabbala der Juden hat Verwandtschaft mit diesen Systemen. Simon Ben Jochai (vergl. die 2. Anm. zu dem 2. Buch der Natur der Dinge Bd. 25), dessen Phantasie auch gern das Sinnliche überflog, um bei der Wonne einer übersinnlichen Welt anzulangen, ist der Urheber derselben, und das nach seinem Tode gesammelte Werk Sepher Sohar als die Urquelle alles Kabbalismus zu betrachten. Man theilt die Kabbala ein in die reale und symbolische. Die letzte hat es bloß mit geheimnißvollen Bedeutungen von Buchstaben zu thun; die erste ist entweder theoretisch oder praktisch. Die theoretische, eine Offenbarung des geheimen Sinnes des heiligen Buches, enthält ein System von Metaphysik, Physik und Geisterlehre; die praktische eine Anleitung, Wunder zu thun durch künstliche Anwendung der göttlichen Namen und heiligen Sprüche. (Vergl. die 5. Anm. zum 2. Buch der Natur der Dinge. Bd. 25.) — Der Arzt Philippus Aureolus Theophrastus Paracelsus Bombastus von Hohenheim (geb. 1483) brachte die neuplatonische und kabbalistische Mystik in Verbindung mit Medicin und Chemie. "Die Behauptung eines innern Lichts, sagt Tennemann, einer Emanation aus Gott, die allgemeine Harmonie aller Dinge, der Einfluß der Gestirne auf die sublunarischen Dinge, das Leben der ganzen Natur, die Lehre von den Elementen als Geistern, denen die sichtbaren Körper zur Hülle dienen, sind die allgemeinen Ideen, die er auf mannigfaltige Art, oft in unverständlichen Worten kunstlos vorträgt. Eigenthümlich aber ist ihm die gedichtete Harmonie zwischen Seele, Geist, Leib —Quecksilber, Schwefel, Salz —Wasser, Luft, Erde und sein Archäus. " Seine Schwärmerei fand nicht wenig Anhänger, und besonders pflegte und verbreitete sie die Rosenkreuzergesellschaft, welche wahrscheinlich aus einer satirischen Dichtung des Theologen Valentin Andreä entstanden ist. Der eifrigste und gelehrteste Vertheidiger derselben ist Robert Fludd" (gest. 1635).

Cap. 10.

S. 52. Z. 25. Albert der Große — Dominicaner, Bischof zu Regensburg, ein berühmter Physiker des 13. Jahrhunderts, der zugleich für einen großen Zauberer und Besitzer des Steins der Weisen galt. Von Allem *d. i. der astralische Leib des Menschen, der Vicemensch, das himmlische Vorbild des irdischen Menschen, welches geistige Princip alle Veränderungen im Körper bewirkt, weßhalb sich der Arzt mit ihm befreunden müsse, wenn er heilsame Wirkungen hervorbringen wolle. diesem aber ist hier nicht die Rede, sondern schalkhaft zielt Wieland auf gewisse Mittheilungen demelben, die (wenn auch das Buch de secretis mulierum nicht von ihm ist) doch in dem Commentar zu dem Magister sententiarum einen Eingeweihten verrathen. Seine Vertheidiger sagen, er habe dieß Alles im Beichtstuhl erfahren.S. 52. Z. 26. Tiresias, f. die Anmerkungen zu Don Sylvio von Rosalva Bd. 1. .S. 53. Z. 3. Vis inertiae — Die Kraft, wodurch ein Körper demjenigen widersteht, der den nämlichen Raum, in welchem er sich befindet, einnehmen will. W.

Cap. 11.

S. 55. Z. 25. Theorbe, ein der Laute ähnliches Instrument.

Cap. 12.

S. 79. Z. 17. uns entschließen mußten — Dieß wurde im Jahr 1772 geschrieben. W. — Das Weitere sehe man in der künftigen Fortsetzung der Kritik der Zeit über Wielands Werke.S. 80. Z. 18, Pamela — Roman von Richardson, welchem berühmten Charakterzeichner man vorwirft, daß er die Charaktere seiner Tugendheldinnen zu übermenschlich halte.

Cap. 13.

S. 88. Z. 26. Narcissus — Ein Jüngling von vorzüglicher Schönheit, der, da er seine Gestalt in einer Quelle sah, sich in sich selbst verliebte. Sein Name ist zum Sprüchwort geworden.

Cap. 14.

S. 96. Z. 27. Ritter vom Gral. — Der Graal, — welches Wort zusammengezogen ist aus Saing- real oder Sang royal — wurde die Schüssel genannt, aus welcher Christus bei Einsetzung des Abendmahls mit seinen Jüngern gespeist, und worin Joseph von Arimathia nachmals das Blut des Heilands aufgefangen haben sollte. Die Pfleger des Graals und ihre geheimnißvolle Gesellschaft waren einer der Stoffe für die romantische Poesie des Mittelalters, so wie die Ritter von der runden Talel. Die Ritter der Tafelrunde gehören in den Sagenkreis des fabelhaften britischen Königs Artus. Durch provenzalische Dichter wurden beide Sagenkreise, von denen an einem andern Orte weiter gehandelt werden soll, in einander gemischt.S. 99. Z. 11. Palàphatus — Palåphatus soll ein Athener gewesen seyn und noch vor Homer gelebt haben. Ihm oder doch einem sehr alten Verfasser gleiches Namens schrieb man das Buch πεςι απιδτων, von unglaublichen Dingen, zu, welches sich in Gale's Sammlung der Opusculorum Mythologicorum befindet. Nach der Anzeige des Suidas hat dieses Werk aus fünf Büchern bestanden, wovon sich aber nur das erste erhalten hat, Sein Zweck war eigentlich, den historischen, physischen und moralischen Sinn in den alten Fabeln und Gönnermährchen auszuspüren; und man glaubte, er sey darin so glücklich gewesen, daß es zum Sprüchwort wurde, denjenigen, welcher ungereimten und unglaublichen Dingen einen Anstrich von Wahrscheinlichkeit zu geben wußte, einen neuen Paläphatus zu nennen, sagt der gelehrte Ausleger Homers Eustathius ad Odyss. XIX. p 688. W.

Buch 6.

Cap. 1.

S. 106. Z 4 Strabo und Martiniere — Der erste der ausführlichste Erstbeschreiber des Alterthums, der zweite der Verfasser eines großen geographischen Wörterbuchs in der neuern Zeit.

Cap. 2.

S. 144. Z. 10. Tithon — Der Gemahl oder Geliebte der Aurora, die ihm die Unsterblichkeit wohl, aber nicht unsterbliche —Jugend erbeten hatte, weßhalb sich die ewig jugendliche Göttin bald an der Seite eines immer mehr verschrumpfenden Greises sah, der ihr weder zum Gemahl noch Geliebten sehr wünschenswerth schien.S. 144. Z. 10. Tizian — Berühmt wegen feiner Carnation, besonders in seinem Meisterstück, der Venus.S 146 Z. 9. Aktåon — wurde, weil er die keuscheste der Göttinnen des Olymps im Bade belauscht hatte, von ihr in einen Hirsch verwandelt und von seinen eigenen Hunden zerrissen.S. 147. Z. 2. Ondinen — "Wissen Sie also, sagte der Graf von Gabalis, daß das Meer und die Flüsse eben so wohl als die Luft von Elementargeistern bewohnt sind. Die Alten haben dieses Wasservolk Ondinen und Nymphen genannt. Das männliche Geschlecht ist nicht zahlreich unter ihnen; hingegen sind die Weiber in desto größerer Anzahl; ihre Schönheit ist ungemein, und die Töchter der Menschen kommen in keine Vergleichung mit ihnen." Villars Entret. sur les sciences secrettes, Tom. I. p. 27. edit. de 1742. W.S, 150. Z. 14. Averroes — Unter diesem Namen ist bei den Christen der berühmte saracenische Philosoph, Arzt und Ausleger des Aristoteles, Abu Walid Muhammed Ibn Ahmed Ibn Muhammed Ibn Roshd, bekannt, welcher im sechsten Jahrhundert der Hedschra unter den Arabern in Spanien und Africa blühete. W.S. 152. Z. 13. Semele —— zu Asche wurde — So wenigstens versteht der Graf von Gabalis die mythologische Erzählung von der schönen Semele, welche von den Blitzen Jupiters, ihres Liebhabers, verzehrt wurde, weil sie die Thorheit gehabt hatte, ihn beim Styr schwören zu lassen, daß er ihr einmal in der ganzen feierlichen Herrlichkeit erscheinen wolle, in welcher er seiner lieben Gemahlin Juno beizuwohnen pflegte. W.S. 154. Z. 25. Der weise Sokrates — Ein Beispiel davon erzählt Plato im Gastmahle. Sokrates, welcher unter den Eingeladenen war, blieb so lange aus, daß man endlich nach ihm schickte. Man fand ihn mitten auf der Straße in einer Art von Verzückung stehen, in welche ihn irgend eine Betrachtung, die ihm unterwegs aufgestoßen war, gesetzt, und über welcher er vergessen hatte, wo er war, und wohin er gehen wollte. W.S. 157. Z. 26. Lucretia. Die Ondine philosophirt über den Selbstmord dieser berühmten Römerin ungefähr wie de l'Jsle. "Man ist, sagt dieser, über den moralischen Werth dieses Selbstmordes lange verschiedner Meinung gewesen; was mich betrifft, so scheint mir, daß die römische Heldin, die sich ersticht, nicht um der Unenthaltsamkeit des Sextus zu entgehen, sondern um sich für die Theilnehmung an derselben zu strafen, trotz des hinreißenden Gemäldes, das Livius von ihr entwirft, keine große Bewunderung des Philosophen verdient. Ein Mann, mit einer Frau allein, ist nicht im Stande 0e zu schänden, und so hätte Lucretia lieber darauf denken sollen, sich zu vertheidigen, als sich zu tödten. Die Drehung, einen ermordeten Sklaven zu ihr ins Bett zu legen, konnte zwar ihre Schamhaftigkeit schrecken, durfte aber ihre Tugend nicht vernichten: früh oder spät hätte gewiß die Stimme der Wahrheit sich hören lassen (?), und Rom hätte zwischen der Asche einer Römerin und dem Leben eines Königssohnes gerichtet. Ja, hätte der Bösewicht auch Geschicklichkeit genug besessen, die Augen seiner Mitbürger auf immer zu blenden, hatte denn nicht Lucretia zur Schutzwehr zwischen ihm und ihr, Gott und die Unsterblichkeit?" — Die Entscheidung bleibt billig Jedem überlassen.S. 190. Z. 28. Durandus à S. Porciano —Ein berühmter Scholastiker des vierzehnten Jahrhunderts und wegen seiner ungemeinen Fertigkeit, die spitzfindigsten und räthselhaftesten Fragen, welche die Schulweisen damals (wie es in diesem Jahrzehend des achtzehnten Jahrhunderts wieder Mode geworden ist) einander auszugeben pflegten, auszulösen, Doctor resolutissimus genannt. Seine übermäßige Spitzfindigkeit schien den nüchternen Leuten seiner Zeit einen kleinen Geschmack von Heterodoxie mit sich zu führen; und daher wurde ihm diese Grabschrift gemacht:
Dorus Durandus jacet hic sub marmore duro.
An sit salvandus ego nescio nec quoque euro. W.
S. 203. Z. 21. Die neunzehnte Welt — Ist, nach dem Bericht des Wessirs Moslem in Ah quel Conte von Crebillon dem Jüngern, eine Welt, wohin sich die Genien, Zauberer (und warum nicht auch die Könige in den Feenmährchen?) zurückziehen, wenn sie müde sind, auf dieser unsrer Welt (man weiß noch nicht, die wie vielte sie ist) lange Weile gehabt zu haben. W.

Cap. 3.

S. 207. Z. 26. Die Brunnen mit diamantenen Quaderstücken gepflastert — Die Verschwendung kostbarer Materialien war, was der berühmte Schach-Barham an einem Mährchen am meisten liebte. Je ne me rappelle pas, sagt er von dem politischen und astronomischen Mährchen, welches ihm Moslem erzählt, qu'il y en ait beaucoup, où l'or et les pierreries soient aussi liberalement employés. D'un seul article six mille lustres de Diamant! Cela est d'une beauté d'une grandeur, d'une magnificence inconcevables. "Was mich betrifft (setzt seine Hoheit hinzu), sobald ich in einem Mährchen viel Edelsteine sehe, und wenn es auch nur falsche wären, so interessirt es mich unendlich; und, ernsthaft von der Sache zu reden, ich wüßte nichts Anderes, das mich bis auf einen gewissen Grad rührte. Vergiß es nicht, Wessir! Ein wenig Truthähne (weil sie, man sage, was man will, ihren Werth haben), viel Diamanten, und laß die Kunstrichter sagen, was sie wollen!" W.S. 208. Z. 24. Pygmåen — Seit Homer den Streit dieser kleinen Menschen mit den Kranichen erzählt hat, haben Dichter und —Philosophen gewetteifert, uns Nachrichten von ihnen zu geben. Einige geben ihnen nur einen Fuß Höhe, und Plinkus berichtet, daß ihre Häuser aus — Eierschalen erbaut seyen. S.208. Z. 25. Einwohner des Saturnus — S. den Kosmotheoros (Weltbeschauer) des Huygens, und Voltaire's Mikromegas, W.S. 213. Z. 14. Graf von Gabalis — Vergl. die Anm. zu Melinde Bd. 25.S. 216. Z. 23. Gil-Blas von Santillana —Bezieht sich auf den bekannten komischen Roman dieses Namens von le Sage.

Buch 7.

Cap. 1.

S 222. Z. 28. Dido und der trojanische Held — Aeneas. S. Virgils Aeneis Ges. 4. B. 165.

Cap. 2.

S. 241. Z. 6. Akademie hieß der Ort, wo Platon, Lyceum der, wo Aristoteles, Stoa (Halle) der, wo Zenon ihre Philosophie vortrugen, weßhalb die Secte Platons auch die akademische, die Zenons die stoische genannt werden.

Cap. 3.

S. 241. Z. 22. Zoilus — Einer der alexandrinischen Kritiker, welcher ungefähr 270 Jahre v. Chr. lebte, ist hauptsächlich durch seine bittern und schmähsüchtigen Kritiken über die Gedichte Homers, die ihm den Beinamen Homers-Geißel zuzogen, berüchtigt worden. Dem Fürsten der Philosophen, Platon, erging es bei ihm nicht besser. Sein Name gilt daher für jeden schmähsüchtigen, giftigen Tadler.S. 242. Z. 9. Wie einen Deum er machina — Statt aller der Zufälligkeiten, auf die im natürlichen Laufe einer Begebenheit von dem Dichter nicht gerechnet werden dürfte, und zu denen unsere mittelmäßigen Romanschreiber und Schauspieldichter doch immer ihre Zuflucht nehmen, hatten die mittelmäßigen Dichter der Alten immer eine Gottheit zur Hand, die ihnen bei der Entwickelung aus der Noth helfen mußte; sie lösten also, nur auf eine andre Weise, ebenfalls durch ein Wunder auf, wo es ihnen an Geschick mangelte, es natürlich zu bewirken. Diese Gottheit, welche für verlegne Dichter den Nothhelfer machen mußte, ist zum Sprüchwort geworden: denn, wo plötzlich und völlig unerwartet, ohne daß man möglicher Weise darauf hätte rechnen können, Jemand dem Andern zu Hülfe und Rettung erscheint, da sagt man, er sey gekommen wie deus ex machina (der Gott aus der Maschine). Dieß ist die alte Theatergottheit, welche, wenn sie erscheinen sollte, an Seilen in einer Maschine, einer Art von Gondel, herabgelassen wurde.
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