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INHALT
Vorwort 7
Die Kormorane von Ut-Röst 9
Die zwölf Wildenten 13
Die Knaben, welche den Trollen im Hedalswald begegneten 19
Der Grüne Ritter 21
Die Wichtelmännchen auf Sandflesa 25
Östlich der Sonne und westlich des Mondes 30
Das Huhn lief in den Berg hinein 38
Gefährten 43
Vogel Dam 53
Die sieben Fohlen 62
Die drei Prinzessinnen im weißen Land 68
Gullfebla 73
Drei Zitronen 77
Wie Askeladden die Silberenten vom Troll stahl 81
Mestermø 85
Die Hexenbraut 98
Askeladden macht Wettessen mit dem Troll 103
Die Jungfrau auf dem Glasberg 105
Der Sohn der Witwe 113
Askeladden und die guten Helfer 120
Die drei Schwestern der Mutter 126
Klein-Frikk mit der Fiedel 130
Die Tochter des Mannes und die Tochter der Frau 135
Peik 142
Zottelhaube 148
Der siebente Vater im Haus 153
Die Mühle, die auf dem Grunde des Meeres steht und mahlt 155
Der Tabaksjunge 159
Däumeling 163
Die drei Böckchen Brüse, die zur Sennhütte gehen sollten und sich fett fressen 165


001 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Die Kormorane von Ut-Röst


Norwegische Märchen



002 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

vacat


003 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Die Kormorane
von Ut-Röst


Norwegische Märchen


Übersetzt von
Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART



004 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Aus den Sammlungen:Norske Huldre-Eventyr og Folkesagn fortalte af P. Chr. Asbjørnsen. Christiania 1870. — Norske Folke-Eventyr fortalte af P. Chr. Asbjørnsen og jorgen Moe. Christiania 1873. — Norske Folke-Eventyr. Fortalte af P. Chr. Asbjørnsen, My Samling med Bidrag fra Jorgen Moe. Kopenhagen 1876. — Eventyrbog for Bern. Norske Folke Eventyr. P. Chr. Asbjørnsen og Jorgen Moe. Kopenhagen 1898. — P. Chr. Asbjørnsen og Jergen Moe, Samlede Eventyr. Oslo 1953. — P. Chr. Asbjørnsen og Jorgen Moe, Norske Folke- og Huldre-Eventyr. Riksmal utgave ved Ernst Sørensen. Oslo 1962/63.

1965
Alle Rechte an dieser Ausgabe vorbehalten
® 1965 J. Ch. Mellinger Verlag GmbH Stuttgart
Einbandzeichnung von Wolf Ludwig
Druck der Buchdruckerei Fr. Spieth & Co. Esslingen a. N.


007 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa


VORWORT

Die Eigenart der norwegischen Märchen ist geprägt durch eine großartige, elementargewaltige Landschaft. Stürmendes Meer, nackte Felsen, wilder Wald und stürzende Wasserfälle bilden ihren natürlichen Hintergrund. Die Stille und Weite des Landes, die langen, dunklen, schneereichen Winter und die hellen Sommernächte spielen überall mit hinein und geben ihnen Farbe und Leben.

Gesammelt wurden sie von zwei jungen Studenten, die auf alt-nordische Weise Blutsbrüderschaft schlossen und sie lebenslang hielten in getreuer, gemeinsamer Arbeit und inniger Liebe zum norwegischen Volksmärchenschatz. Der eine war Jörgen Moe (1813-1882); er studierte Theologie, wurde Lehrer und Pfarrer und zuletzt Bischof. Der andere, Christen Asbjörnsen (1812-1885), studierte Medizin und Naturwissenschaften, wurde Journalist und Verfasser populärer naturwissenschaftlicher Werke - neben seiner regen Sammler- und Herausgeber-Tätigkeit zusammen mit seinem Freunde Jörgen Moe. Asbjörnsen lebt im Volksbewußtsein als »Märchenkönig«.

Gewiß haben die norwegischen Märchen ähnliche Motive wie die deutschen. So entspricht das Märchen »Die Tochter des Mannes und die Tochter der Frau« unserem von der Goldmarie und Pechmarie und die »Drei Schwestern der Mutter« dem deutschen Märchen von den drei Spinnerinnen. Wodurch sich aber manche norwegischen Märchen von anderen Volksmärchen unterscheiden, ist in dem Einbeziehen von tiefreligiösen Motiven, wie z. B. das Heilige Abendmahl (Die sieben Fohlen) oder »stellvertretendes Leiden« (Die drei Prinzessinnen vom weißen Land), zu erkennen.

Auch ist die Welt des »Kleinen Volkes« viel mannigfaltiger durch das stärkere Hereinwirken der Naturkräfte, der Elementarwesen. Die beiden in den Lofoten erzählten Sagen »Die Kormorane von Ut-Röst« und »Die Wichtelmännchen auf Sandfiesa«berichten von einer Art Klabautermännchen, die der Binnenländer nicht so kennt. Auch die Welt der Trolle tritt ungeheuer vielgestaltig auf in den norwegischen Märchen, wie sie in den Bergen leben, im Wald oder im Wasser. Sie erzählen von riesengroßen und von zwergenhaft kleinen Trollen, von Trollweibern und Trollkindern.



008 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Das Motiv von den drei Brüdern kehrt in den Märchen aller Völker immer wieder. Wenn man aber bedenkt, daß in den norwegischen Märchen der erste der Brüder stets Per (Peter), der zweite Paul, der dritte Kienspanhans oder Askeladden heißt, so liegt die Vermutung nahe, daß damit die Epochen des petrinischen, paulinischen und des johanneischen Christentums angedeutet werden sollen. Der Name Askeladden ist von mir nicht ins Deutsche übertragen worden, weil er klanglich sehr schön und mit einem Wort nicht zu übersetzen ist. Der Name sagt, daß der Jüngste es für das wichtigste hält, in der Asche zu stochern und darüber zu wachen, daß die Glut nicht verlöscht, ebenso wie der Kienspanhans in dem Märchen von den »Drei Zitronen« einen Kienspan nach dem anderen entzündet, um dem Wohnraum das Licht zu erhalten.

Eigenartig ist ja auch der ganz andere norwegische Humor, der in manchen Märchen, so in »Peik« und »Klein-Frikk mit der Fiedel«aufleuchtet; er ist derb, saftig und knapp.

Zu der Übersetzung sei noch gesagt, daß man eine romantisch erzählende, märchenhaft beschauliche Sprache wie bei den Brüdern Grimm vermissen wird. Der Stil der norwegischen Märchen ist knapper, herber, manches wird nur skizziert, nur angedeutet, ein einziges Wort für gewisse Zustände gebraucht, das im Norwegischen treffend, aber unübersetzbar ist und im Deutschen nur in einem ganzen Satz wiedergegeben werden kann.

Im »Vogel Dam« sollte inmitten der erzählenden Prosa eine rhythmisch gebundene Sprache in der Übersetzung darauf hinweisen, daß sich das Erlebnis des jüngsten der zwölf Prinzen als dem einzig wachenden in einer höheren Bewußtseinsebene abspielt. Während die anderen schlafen, wird er in zukünftiges Geschehen eingeweiht.

Ich danke an dieser Stelle Herrn und Frau Hertzberg, Herrn Krohn-Nilsen, Herrn Ernst Sörensen und Frau Arnika Friele sowie Herrn Terje Haukland herzlich für ihre Hilfe.

Hamburg, im Juli1965 Käthe Wolf-Feurer



009 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa


Die Kormorane von Ut-Röst

Bei der Heimkehr von Nordlandfischern geschieht es nicht selten, daß sie Getreidekörner in den Fischmägen finden oder daß sich Kornstroh am Steuerruder festgehangen hat. Da heißt es dann, die sind über Ut-Röst gesegelt oder über ein anderes Huldreland, von dem die Sagen umgehen im Nordland. Diese Inseln zeigen sich nur frommen und ahnungsreichen Menschen, welche auf See in Lebensgefahr sind, und sie tauchen plötzlich dort auf, wo sonst niemand Land findet. Die Unterirdischen, welche hier wohnen, betreiben Ackerbau und Viehzucht, Fischerei und Schiffahrt wie anderes Volk auch. Aber hier scheint die Sonne über grünere Wiesen und reichere Äcker als an irgend einem anderen Ort im Nordland, und glücklich ist derjenige, welcher dorthin gelangt und diese sonnenbeschienenen Inseln zu sehen bekommt. »Er ist geborgen«, sagen die Nordländer. - Ein altes Lied im Petter-Dass-Stil enthält die vollständige Schilderung einer Insel draußen vor Traenen in Helgeland, - Sandfiesa genannt -, mit fischreichen Küsten und Wild aller Art im Überfluß. Ebenso soll sich mitten im Westfjord zuweilen ein großes, flaches Ackerland zeigen, das nur so hoch aus dem Meer auftaucht, daß die Halme gerade trocken stehen. Und draußen vor Röst, an der Südseite der Lofoten, erzählt man sich von einem ähnlichen Huldreland mit grünen Hügeln und gelben Gerstenäckern, das heißt Ut-Röst. Die Bauern von Ut-Röst haben ihre Fischerboote wie andere Nordlandbauern auch. Zuweilen kommen den Fischern oder den Männern der Küstenfahrzeuge Schiffe entgegen mit vollen Segeln, aber im selben Augenblick, wo man glaubt, sie stoßen zusammen, sind sie verschwunden.

Auf Vaerö, der Unwetterinsel, nahe bei Röst, wohnte einmal ein armer Fischer, der hieß Isak. Er besaß nichts weiter als ein Boot und ein paar Ziegen, die seine Alte mit Fischabfall am Leben erhielt und den paar Grashalmen, die man auf den Bergen ringsum sammeln konnte. Aber die ganze Hütte hatte er voll hungriger Kinder. Trotzdem war er zufrieden mit dem, wie es unser Herrgott für ihn bereitet hatte. Das einzige, worüber er sich beklagte, war, daß er nie richtig Frieden mit seinem Nachbarn haben konnte. Der war ein reicher Mann 

* Petter Dass, Fischerpfarrer und Balladendichter aus dem vorigen Jahrhundert.



010 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

und meinte, daß er alles besser haben müßte als solch ein armer Hungerleider wie Isak. Und so wünschte er Isak weg, damit er den Anlegeplatz haben könne, den Isak vor seiner Hütte hatte.

Eines Tages, als Isak ein paar Meilen weit draußen auf See war und fischte, war er bald in einen dunklen, dichten Nebel gehüllt, und es brach ein Sturm herein, so mächtig, daß er alle Fische über Bord werfen mußte, um das Boot zu erleichtern und sein Leben zu retten. Dennoch war es nicht leicht, sein Schiff über Wasser zu halten, wenn er auch noch so geschickt sein Boot zwischen den Sturzseen hindurchsteuerte, die ihn in jedem Augenblick hinuntersaugen wollten. Als er auf diese Weise fünf oder sechs Stunden gesegelt war, dachte er, nun müsse er bald an Land kommen. Aber der Sturm und die Wasserstürze und der dunkle Nebel wurden schlimmer und schlimmer. Es kam ihm so vor, als ob er zum offenen Meer hinaustriebe oder als ob der Wind sich gedreht hätte, und schließlich erkannte er, daß es so sein müsse, denn er segelte und segelte, aber Land erreichte er nicht. Da, plötzlich, hörte er einen häßlichen Schrei vorn am Bug, und er glaubte, das könne nichts anderes sein als der Draug *, der den Leichenpsalm für ihn sang. Er betete zum Herrgott für Weib und Kinder, denn nun glaubte er, daß seine letzte Stunde gekommen sei. Als er noch so saß und betete, sah er den Schimmer von irgend etwas Schwarzem, aber als er näher kam, waren es nur drei Seeraben, drei Kormorane, die auf einem Stück Treibholz saßen, und: hui - war er an ihnen vorbei.

So ging es lang und länger, und er wurde durstig und hungrig und müde und wußte nicht mehr aus und ein, und so schlief er beinahe ein mit dem Steuerruder in der Faust. Plötzlich geschah es, daß sein Boot auf einen Strand auflief und fest saß. Da gingen dem Isak vielleicht die Augen auf! Die Sonne brach durch den Nebel und leuchtete über ein herrliches Land. Die Hügel und Berge waren grün bis obenhin, Acker und Wiesen wuchsen an ihnen hinauf, er atmete den Duft von Gras und Blumen ein, so süß, wie er noch niemals einen erlebt hatte. »Gott sei Lob und Dank, nun bin ich geborgen. Das ist Ut-Röst«, sagte er zu sich selbst. Gerade vor ihm lag ein Gerstenacker mit so großen und vollen Ähren, wie er nie ihresgleichen vorher gesehen hatte. Und mitten durch den Gerstenacker ging ein schmaler Weg hinauf zu einer grünen, aus Torf und Grasbatzen gebauten Erdhütte, die am Rande des Ackers lag. Auf dem Dach der Hütte graste eine weiße Ziege mit vergoldeten Hörnern, und ihr Euter war so dick wie bei der größten Kuh. Draußen auf einem Schemel saß ein kleiner blaugekleideter Mann und 

* Seegespenst



011 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

schmauchte eine Pfeife. Er hatte einen großen, langen Bart, der ihm bü zur Brust reichte.

»Willkommen in Ut-Röst, Isak«, sagte der Alte.

»Gesegnet sei unsere Begegnung, Vater«, antwortete Isak, »kennt ihr mich denn?«

»Das kann schon sein«, sagte der Alte, »du willst wohl heute nacht hier ein Dach über dem Kopf haben?«

»Wenn das sein könnte, so wär es sehr schön«, sagte Isak.

»Das ist schlimm mit meinen Söhnen, die vertragen keinen Christenmenschengeruch«, sagte der Alte, »hast du sie getroffen?«

»Nein, ich bin niemandem begegnet als drei Kormoranen, die auf einem Stück Treibholz saßen und schrien«, sagte Isak.

»Ja, das waren ja meine Söhne«, sagte der Alte, indem er die Pfeife ausklopfte. Dann sagte er zu Isak: »Geh du so lange hinein, du wirst hungrig und durstig sein, denke ich mir.«

»Danke für das Anerbieten, Vater«, sagte Isak.

Aber als der Mann die Tür öffnete, war es darin so prächtig, daß Isak ganz überwältigt davon war. So etwas hatte er noch nie gesehen. Der Tisch war mit den herrlichsten Gerichten gedeckt: Rahmschüsseln und Lachs und Rentierbraten, Fischleberpastete mit Sirup und Käse darauf, ganze Haufen von Bergenskringel, Branntwein und Bier und Met und alles, was gut war. Isak aß und trank, was er nur konnte, und dennoch wurden die Teller niemals leer, und so viel er auch trank, war das Glas doch immer gefüllt. Der Alte aß nicht viel und sprach nicht viel. Aber als sie so saßen, hörte man plötzlich Schreien und Lärm draußen, da ging er hinaus. Nach einer Weile kam er wieder herein mit seinen drei Söhnen. Isak erschrak ein wenig, als sie zur Tür hereinkamen, aber der alte Mann hatte ihnen gründlich Bescheid gesagt, denn sie waren freundlich und gut gelaunt und sagten zu ihm, er solle nur die Tischsitten einhalten und sitzen bleiben und mit ihnen trinken, denn Isak war aufgestanden und wollte vom Tisch gehen, er sei satt, sagte er. Aber nun fügte er sich ihrem Wunsch, und so tranken sie einen Schnaps nach dem anderen, und zwischendurch nahmen sie sich eine Träne Bier und Met. Sie wurden Freunde und vertrugen sich gut und bald sagten sie zu ihm, er solle mit ihnen auf Fischfang fahren, damit er eine Kleinigkeit mit heimnehmen könne, wenn er reisen würde.

Der erste gemeinsame Fischfang begann in einem unheimlichen Sturm. Einer der Söhne saß beim Steuer, der andere saß vorn beim Halsen, der dritte war Mittelraummann, und Isak mußte mit dem großen Wasserschöpfer arbeiten, daß ihm der Schweiß nur so rann. Sie



012 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

segelten wie toll. Niemals reiften sie die Segel, und wenn das Boot mit Wasser vollgelaufen war, steuerten sie es die Wellenberge hinauf und segelten es wieder leer, sodaß aus dem Rückschott das Wasser herausstürzte wie ein Wasserfall. — Nach einer Weile legte sich das Unwetter und sie begannen zu fischen. Die See war so voller Fische, daß sie die Senksteine am Netz kaum auf den Grund bekamen vor lauter Fischbergen, die unter ihnen standen. Die Söhne von Ut-Röst zogen immerfort Fische heraus. Bei Isak bissen sie auch gut an, aber er gebrauchte sein eigenes Fischgerät, und jedesmal, wenn er einen Fisch bis zum Dollbord bekam, riß der Fisch sich los und schwamm weg, und er fing nicht einen einzigen Schwanz.

Als das Boot voller Fische war, fuhren sie heim nach Ut-Röst. Die Söhne nahmen die Fische aus und hängten sie in das Trockengestell. Aber Isak beklagte sich bei dem Alten darüber, daß es ihm so schlimm gegangen war beim Fischen, daß er so Pech gehabt hatte. Der Alte versprach ihm, das nächste Mal solle es besser werden, und er gab ihm von seinen Angelhaken. Bei der nächsten Fahrt fing Isak genau so viel wie die anderen, und als sie heimkamen, hatte er nachher drei Trockengestelle voll Fisch als seinen Anteil.

Doch bald bekam er Heimweh, und als er reisen wollte, schenkte der Alte ihm ein neues, achtruderiges Boot, voll mit Mehl und feinem Segeltuch und anderen nützlichen Dingen. Isak sagte Dank und daß es ihm eine Ehre gewesen sei. Und da sagte der Alte, daß er wiederkommen sollte, wenn die Boote ausgesetzt würden und die Schiffahrt wieder beginne. Er wolle mit einer Bootsladung nach Bergen zu einer Zusammenkunft, und da könne Isak mitkommen und seine Fische verkaufen. Ja, das wollte Isak gerne. Er fragte, welchen Kurs er halten solle, wenn er wieder nach Ut-Röst kommen wollte. »Gerade hinter den Kormoranen her, wenn sie zum Meer fliegen, so hälst du den rechten Kurs«, sagte der Alte, »und Glück auf die Reise!«

Aber als Isak vom Land abgestoßen hatte und sich umdrehte, sah er weit und breit nichts als Meer. -

Als die Zeit gekommen war, traf Isak den Alten dort beim Bootaussetzen. Solch eine Jacht hatte er niemals vorher gesehen, sie war zwei Ruf lang, sodaß der Steuermann, wenn er auf seinem Steuermannsstand im Vorsteven Ausschau hielt und dem Rudermann etwas zurufen wollte, dieser es nicht hören konnte, und deshalb saß noch ein Mann in der Mitte des Fahrzeuges, nahe beim Mast, der gab den Ruf des Steuermanns weiter zum Rudermann, und dabei mußte er noch schreien, was er nur konnte. Isaks Anteil legten sie in den vorderen Teil



013 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

der Jacht. Er nahm selbst die Fische von den Trockengestellen, aber er konnte nicht verstehen, wie das zuging, ständig kamen neue Fische auf die Gestelle, auf den Platz von den Fischen, die er fortnahm. Und als er fortfuhr, waren die Gestelle genau so voll, wie er sie vorgefunden hatte, als er ankam.

Als er nach Bergen kam, verkaufte er die Fische und erhielt so viel Geld dafür, daß er sich ein neues Boot davon kaufte mit allem, was dazu gehörte, denn der Alte riet ihm dazu. -Spät am Abend, ehe er heimreisen wollte, kam der Alte zu ihm an Bord und bat ihn, er möge die Nachfahren seines Nachbarn nicht vergessen, denn er selbst sei gestorben. Glück und Segen würde immer mit seinem Boot sein, prophezeite er Isak. »Alles ist gut und alles hält, was in die Luft ragt«, sagte er, und damit meinte er, daß jemand an Bord sei, den niemand sehen konnte, der aber den Mast mit seinem Rücken stützen würde, wenn es hart herginge.

Seit der Zeit war das Glück immer mit Isak. Er ahnte wohl, woher das kam, und er vergaß nie etwas Gutes zu hinterlassen für den, der die Winterwacht hielt, wenn er sein Boot im Herbst an Land zog. Und an jedem Weihnachtsabend war es innen erleuchtet, sodaß es weit im Umkreis des Bootes schimmerte, und man hörte Geigen und Musik und Gelächter und Stampfen. Da war Tanz im Boot...


Die zwölf Wildenten

Es war einmal eine Königin, die fuhr zur Winterszeit im Schlitten durch den frisch gefallenen Schnee.

Als sie ein gutes Stück ihres Weges zurückgelegt hatte, bekam sie Nasenbluten und sie mußte aussteigen. Als sie nun so stand, geneigt, und sich das rote Blut betrachtete, wie es in den frisch gefallenen Schnee tropfte, ging ihr durch den Sinn, daß sie zwar zwölf Söhne hatte, aber keine Tochter, und sie sagte zu sich selbst: »Hätte ich eine Tochter so weiß wie Schnee und so rot wie Blut, so würde mir an meinen zwölf Söhnen nicht mehr so viel liegen«. Das war noch nicht fertig ausgesprochen, so kam auch schon eine alte Frau zu ihr und sagte: »Eine Tochter sollst du bekommen und die soll so weiß wie Schnee und so rot wie Blut sein, und deine Söhne sollen mir gehören, doch wirst du sie bei dir behalten können, bis die Kinder getauft sind.«



014 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Als die Zeit erfüllt war, bekam die Königin eine Tochter. Sie war so weiß wie Schnee und so rot wie Blut, wie die Alte ihr versprochen hatte, und deswegen nannte sie die Tochter auch »Schneeweiß und Rosenrot«. Da war eitel Freude am Königshof und die Königin war so glücklich über ihr Töchterlein, daß man es gar nicht sagen konnte, wie glücklich sie war. Aber als ihr wieder in den Sinn kam, was ihr die Alte noch versprochen hatte, ließ sie zwölf silberne Löffel von einem Silberschmied machen, einen für jeden Prinzen, und noch einen ließ sie dazu machen, den gab sie Schneeweiß Rosenrot.

Sobald die Prinzen getauft waren, wurden sie in zwölf Wildenten verwandelt, flogen davon und wurden nirgends mehr gesehen. Sie waren verschwunden und blieben verschwunden. - Die Prinzessin wuchs auf und wurde groß und schön, aber sie war oft so seltsam traurig, und kein Mensch konnte verstehen, was ihr fehlte.

Aber eines Abends, als die Königin auch so traurig war, - denn sie hatte manch seltsame Gedanken, wenn sie an ihre Söhne dachte -, da sagte sie zu Schneeweiß Rosenrot: »Mein Kind, warum bist du so traurig, sage mir frei heraus, wenn dir irgend etwas fehlt, wenn du etwas begehrst, so sollst du es haben.«

»0, ich bin so einsam«, sagte Schneeweiß Rosenrot, »alle anderen haben Geschwister, nur ich bin so allein, darüber bin ich so betrübt.«

»Du hast auch Geschwister gehabt«, sagte die Königin, »ich hatte einst zwölf Söhne, die deine Brüder waren, aber alle die zwölf gab ich dahin, um dich zu bekommen«, und nun erzählte sie alles, was sich begeben hatte.

Als die Prinzessin das hörte, hatte sie keine Ruhe mehr zu Haus. Soviel die Königin auch bat und weinte, so half das gar nichts, sie wollte hinaus, denn sie glaubte, sie sei Schuld an allem. Und so verließ sie schließlich das Königsschloß. Sie lief und lief so weit fort in die weite Welt, daß man gar nicht glauben konnte, wie weit und wie lang so eine zarte Jungfrau gehen konnte.

Durch einen großen, dichten Wald ging sie lange Zeit, und davon wurde sie eines Tages so müde, daß sie sich auf einen Hügel setzte und einschlief. Da träumte sie, daß sie tiefer in den Wald hineinginge bis zu einem kleinen Blockhaus, und da waren ihre Brüder. In demselben Augenblick erwachte sie und gerade vor sich sah sie einen Pfad, der tiefer in den Wald hineinführte, dem folgte sie, und nach langer Zeit kam sie tatsächlich zu einem kleinen Blockhaus, genau wie sie es geträumt hatte.

Als sie in die Stube kam, war niemand darinnen, aber da standen



015 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

zwölf Betten und zwölf Stühle und zwölf silberne Löffel lagen auf dem Tisch, und von allen Dingen waren es zwölf. Da sie das entdeckte, wurde sie froh, so froh wie sie seit Jahren nicht mehr gewesen war, denn sie wußte nun, daß die Brüder hier wohnten, und ihnen gehörten die Betten, die Stühle und die Löffel. Sie legte Holz aufs Feuer, schüttelte die Betten auf, kochte Essen, versorgte alles und schmückte das Haus so gut sie konnte. Und als sie für alle gekocht hatte, speiste sie selbst, und ihren Silberlöffel ließ sie auf dem Tisch liegen, sie vergaß ihn, und dann kroch sie unter das Bett ihres jüngsten Bruders.

Kaum hatte sie sich niedergelegt, so hörte sie es sausen und brausen in den Lüften und da kamen zwölf Wildenten hereingeflogen. Aber in demselben Augenblick, als sie über die Türschwelle flogen, wurden sie zu Prinzen.

»0, wie gut und warm es hier ist«, sagten sie, »Gott segne den, der nach dem Feuer gesehen hat und so gutes Essen für uns gekocht hat.« Nun nahm jeder seinen Silberlöffel und wollte essen, aber als jeder seinen Löffel genommen hatte, blieb dennoch einer auf dem Tisch liegen, und der war genau so wie die anderen auch, daß sie ihn nicht unterscheiden konnten. - Darüber wunderten sie sich und sagten zueinander: »Das kann nur der Löffel unserer Schwester sein, und ist der Löffel hier, so kann sie selbst auch nicht weit sein.«

»Wenn das der Löffel unserer Schwester ist und wir sie hier finden, so werden wir sie töten, denn sie ist schuld an allem Schlimmen, was wir erleiden müssen«, sagte der älteste der Prinzen. Und sie lag unter dem Bett und hörte das.

»Nein«, sagte der Jüngste, »das wäre unrecht, sie zu töten, sie kann nichts dafür, daß wir Unglück leiden. Wenn jemand schuld daran ist, so wäre das unsere eigene Mutter.«

Da begannen sie nach ihr zu suchen, oben und unten, und zum Schluß suchten sie auch unter allen Betten. Und als sie zum Bett des jüngsten Bruders kamen, fanden sie die Schwester und zogen sie hervor.

Der älteste Prinz wollte sie immer noch töten, aber sie weinte und bat so schön um ihr Leben. »Ach, lieber Gott, töte mich nicht«, sagte sie, »seit vielen Jahren suche ich nach euch, und wenn ich euch erlösen könnte, würde ich gern mein Leben für euch lassen.«

»Ja, willst du uns erlösen, so sollst du dein Leben behalten. Wenn du nur willst, so kannst du uns auch erlösen.« Da antwortete die Schwester: »Sagt mir nur, wie das geschehen kann, so will ich alles tun, was ihr sagt.«

»Du mußt Wollgras sammeln«, sagten die Prinzen, »und das sollst



016 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

du karden und spinnen und Tuch daraus weben. Und wenn du das getan hast, sollst du zwölf Mützen, zwölf Hemden und zwölf Gewänder daraus zuschneiden und nähen, eins für jeden von uns, und während du das tust, darfst du weder sprechen, noch lachen, noch weinen. Kannst du das, so sind wir erlöst.«

»Aber wo werde ich das Wollgras finden zu so vielen Mützen, Hemden und Tüchern«, sagte Schneeweiß Rosenrot.

»Das werden wir dir noch zeigen«, sagten die Brüder, und sie nahmen sie mit hinaus zu einem großen, großen Sumpf, der stand voller Wollgras, das im Winde wogte und in der Sonne glänzte, sodaß es aussah, als ob Schnee weit und breit darauf gefallen sei. Niemals vorher hatte die Prinzessin so viel Wollgras gesehen. Und sie begann beizeiten gleich zu pflücken und zu sammeln, so schnell und so gut sie nur irgend konnte. Und wenn sie abends nach Hause kam, kardete sie das Wollgras und spann Garn daraus. Das ging gut und flink, sie sammelte und spann Wollgras und zwischendrein versorgte sie die Prinzen, sie kochte und machte ihre Betten. Am Abend kamen sie brausend hereingeflogen als Wildenten, in der Nacht waren sie Prinzen, aber am Morgen flogen sie wieder davon und waren den ganzen Tag lang Wildenten.

Aber eines Tages geschah es, als sie gerade im Sumpf Wollgras sammelte - und wenn ich nicht irre, war es das letzte Mal, daß sie sammeln wollte -, daß der junge König, der das Reich regierte, draußen auf der Jagd war. Er ritt am Sumpf vorbei und sah das Mädchen. Da hielt er sein Roß an und wunderte sich, wer wohl die schöne Jungfrau sein könne, die in den Sumpf ging und Wollgras sammelte. Er fragte sie auch darum, aber er bekam keine Antwort auf seine Frage. Das wunderte ihn noch mehr. Und doch gefiel sie ihm so gut, daß er sie mit sich nehmen wollte auf sein Schloß, wo er sie zu seiner Königin machen wollte. Deshalb sagte er zu seinen Dienern, sie sollten das Mädchen nehmen und hinten auf sein Roß setzen. Schneeweiß Rosenrot rang die Hände und gab Zeichen zu ihren Wollgrassäcken hin und zu den Säcken mit den fertigen Arbeiten. Der König verstand, daß sie die mithaben wollte.

Da sagte er zu den Dienern, sie sollten die Säcke auch aufladen und mitnehmen. Als sie dies getan hatten, ergab sich die Prinzessin in ihr Schicksal, denn der König war sowohl ein guter als auch ein schöner Mann, und er war so sanft und freundlich zu ihr wie ein Bruder. So ritten sie heim zum Königsschloß. Als aber seine Stiefmutter, die alte Königin, Schneeweiß Rosenrot erblickte und sah, wie schön und herr.



017 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

lich das Mädchen war, wurde sie böse und eifersüchtig auf sie, darum sagte sie zum König: »Kannst du nicht begreifen, daß diejenige welche du mitgenommen hast, die du heiraten willst, eine Hexe ist? Sie kann ja weder sprechen, noch lachen, noch weinen.«

Der König achtete nicht darauf, was sie sagte, sondern er hielt Hochzeit mit Schneeweiß Rosenrot und sie lebten glücklich und froh miteinander. Und doch vergaß sie nicht, an den Hemden für ihre Brüder zu nähen.

Kaum war ein Jahr vergangen, so bekam Schneeweiß Rosenrot einen kleinen Prinzen, und da wurde die alte Königin noch böser und eifersüchtiger auf sie. Sie hielt Ausschau bei der Nacht und schlich sich hinein zu Schneeweiß Rosenrot, während sie schlief. Sie nahm das Kind und warf es in den Schlangengraben. Danach stach sie die junge Königin in den Finger und schmierte Blut um ihren Mund. Dann ging sie zum König: »Komm nur und sieh, was das für eine ist, die du zur Königin genommen hast«, sagte sie, »nun hat sie ihr eigenes Kind aufgegessen.«

Da wurde der König sehr traurig, er war nahe daran zu weinen und er sagte: »Ja, das muß wohl wahr sein, da ich es mit meinen eigenen Augen sehe, aber sie tut es gewiß nicht öfter. Für diesmal will ich ihr das Leben lassen.«

Bevor ein Jahr vergangen war, bekam die junge Königin wieder einen Sohn, und mit dem ging es genauso wie mit dem ersten. Die Stiefmutter des Königs wurde nur noch böser und eifersüchtiger. Während die junge Königin schlief, schlich sie sich zu ihr hinein in der Nacht, nahm das Kind und warf es in den Schlangengraben. Dann stach sie die junge Königin in den Finger, schmierte Blut um ihren Mund und sagte zum König, daß sie dieses Kind auch aufgegessen hätte. Da wurde der König so betrübt, wie du es gar nicht glauben kannst und sagte: »Ja, das muß wohl wahr sein, weil ich es mit meinen eigenen Augen gesehen habe. Aber sie wird es gewiß nicht öfter tun, so will ich ihr diesmal das Leben lassen.«

Bevor ein Jahr vergangen war, gebar Schneeweiß Rosenrot eine Tochter. Auch die nahm die alte Königin und warf sie in den Schlangengraben. Während die junge Königin schlief, stach sie diese in den Finger, schmierte das Blut um ihren Mund, ging zum König und sagte: »Nun kannst du kommen und selbst sehen, ob das wahr ist, was ich immer sage, daß sie eine Hexe ist. Sie hat ihr drittes Kind auch aufgegessen. «

Da befiel den König eine so große Trauer, die man gar nicht beschreiben kann, denn nun konnte er sie nicht mehr länger schonen, sondem



018 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

er mußte befehlen, daß sie auf einem Holzstoß lebend verbrannt werden sollte. Als der Holzstoß in Brand stand und sie darauf gestellt werden sollte, machte sie durch Zeichen verständlich, daß sie zwölf Bretter rund um den Holzstoß legen sollten, und darauf tat sie die Gewänder, die Mützen und die Hemden für ihre Brüder. Aber an dem Hemd für ihren jüngsten Bruder fehlte der linke Arme!, den hatte sie nicht mehr fertig bekommen. Kaum war das getan, so hörte man es sausen und brausen in den Lüften, und vom Wald her flogen zwölf Wildenten herbei und jede der Enten nahm ihre Kleidung mit dem Schnabel auf und flog damit von dannen.

»Siehst du nun«, sagte die schlimme, alte Königin zum König, nun kannst du richtig sehen, daß sie eine Hexe ist. Eil dich nun und verbrenne sie, bevor alle Holzscheite verbrannt sind.

»Ach«, sagte der König, »Holz haben wir genug, wir können den ganzen Wald abhacken. Ich will ein wenig hier warten, denn ich möchte doch wissen, was eigentlich nun daraus wird.«

Im selben Augenblick kommen zwölf Prinzen dahergeritten, so schön und prächtig gewachsen, wie man es sich nur wünschen kann. Aber der jüngste Prinz hatte einen Entenflügel anstatt des linken Armes.

»Was geht hier vor«, sagten die Prinzen.

»Meine Königin soll verbrannt werden, denn sie ist eine Hexe und hat ihre Kinder aufgegessen«, antwortete der König.

»Sie hat ihre Kinder nicht aufgegessen«, sagten die Prinzen. »Sprich nun, Schwester, du hast uns befreit, nun befreie dich selbst.«

So erzählte Schneeweiß Rosenrot, wie alles zugegangen war. Jedesmal, wenn sie im Kindbett lag, hatte die alte Königin, die Stiefmutter des Königs, sich zu ihr hineingeschlichen zur Nacht, hatte die Kinder ihr weggenommen, sie in den Finger gestochen und ihr das Blut um den Mund gestrichen. Die Prinzen führten den König nun zum Schlangengraben. Da lagen die drei Kinder und spielten mit den Schlangen und Kröten, und reizendere Kinder hatte man nie gesehen.

Die nahm der König mit sich, trug sie zur Stiefmutter und fragte sie, welche Strafe sie demjenigen auferlegen würde, welcher das Herz hätte, eine unschuldige Königin zu verraten und drei so gesegnete Kinder. »Derjenige müßte dazu verdammt sein, zwischen zwölf ungezähmte Pferde gespannt zu werden, sodaß jeder sein Stück davon abrisse«, sagte die alte Königin.

»Du hast selbst dein Urteil gesprochen und du selbst sollst es erleiden«, sagte der König, und so wurde die alte schlimme Königin zwischen zwölf ungezähmte Pferde gespannt und in Stücke gerissen. Aber



019 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Schneeweiß Rosenrot nahm der König wieder zu sich und seine drei Kinder. Mit den zwölf Prinzen reisten sie heim zu den Eltern der Prinzen und der jungen Königin und erzählten dort, was sich begeben hatte. Da war eitel Freude und Glück im ganzen Königreich, daß die Prinzessin befreit war und daß sie ihre zwölf Brüder auch erlöst hatte.


Die Knaben, welche den Trollen im Hedalswald begegneten

In Vogo, in Gudbrandsdalen, wohnte in alten Zeiten einmal eine arme Familie, die viele Kinder hatte. Zwei halberwachsene Söhne mußten beständig in den Gehöften umherstreifen und betteln. Deshalb kannten sie alle Wege und Stege, und sie wußten auch den kürzesten Weg nach Hedalen. Eines Tages wollten sie dorthin, denn sie hatten gehört, daß in der Nähe von Meila ein Falkenfänger sich eine Hütte gebaut hatte. Bei dem wollten sie vorbeigehen und sich die Vögel ansehen und auch zuschauen, wie er sie fing. Deshalb wählten sie den Weg über Langenmyra. Aber weil es schon spät im Herbst war und die Sennhütten menschenleer und verschlossen waren, konnten sie nirgends etwas zu essen bekommen und auch kein Nachtlager, sie mußten also den Weg nach Hedalen weiter gehen. Das war aber nur ein schmaler grüner Viehpfad, und als die Dämmerung hereinbrach, verfehlten sie den Weg und fanden die Vogelfängerhütte nicht mehr. Ehe sie es sich versahen, waren sie mitten im dichtesten, dicksten Wald. Es war unmöglich weiterzugehen, und so entschlossen sie sich, im Freien zu übernachten. Sie machten sich ein Feuer und bauten sich eine Hütte aus Zweigen, denn sie hatten eine kleine Axt mit. Sie rupften Blätter und Moos und machten sich daraus ein Lager.

Eine Weile nachdem sie sich gelegt hatten, hörten sie, wie etwas zu schnauben und zu brausen begann. Die Knaben lauschten gespannt darauf, ob es ein Tier oder ein Waldtroll sein könne. Aber da schnaufte es schon stärker und sagte: »Hier riecht es nach Christenblut.« Dann hörten sie so schwere Schritte, daß die Erde davon erzitterte. Nun wußten sie, daß sich draußen ein Troll nahte.

»Gott helfe uns, was sollen wir nur tun?« sagte der jüngere Knabe zu seinem Bruder. »Ach, du mußt unter der großen Föhre stehen bleiben und bereit sein, den Sack zu nehmen, wenn du sie kommen siehst,



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und ich werde die kleine Axt nehmen«, sagte der andere. Da sahen sie die Trolle auch schon kommen. Sie waren so groß und mächtig, daß ihre Häupter die Föhrenwipfel streiften. Aber alle drei zusammen besassen nur ein Auge, welches sie wechselweise gebrauchten. Dazu hatten sie ein Loch in der Stirn, wo sie es hineinlegten und es mit den Händen steuerten. Derjenige, der voranging, der mußte das Auge haben, und die anderen gingen hinterher und hielten sich an dem ersten fest.

»Lauf, was du kannst«, sagte der ältere Knabe, »aber fliehe nicht zu weit, damit du siehst, wie es geht. Wenn sie das Auge so hoch oben haben, wird es ihnen schwer fallen, mich zu sehen, wenn ich hinter ihnen herkomme.«

Also gut, der Bruder rannte voran und die Trolle hinterher. Sogleich kam der ältere Knabe hinter ihnen her und hackte die Axt dem letzten Troll ins Fußgelenk mit solcher Wucht, daß er einen gräßlichen Schrei ausstieß und der erste Troll dadurch so erschrak, daß er stolperte und das Auge fallen ließ. Der Junge war flink und erhaschte es. Das Trollauge war so groß wie zwei Topfdeckel zusammen, und so klar war es, daß selbst in kohlschwarzer Nacht es lichter Tag wurde, wenn man hindurchschaute.

Als die Trolle merkten, daß er das Auge weggenommen und daß er den einen Troll verwundet hatte, begannen sie zu drohen mit allen Übeln, die sie zu vergeben hatten, wenn er ihnen nicht sogleich das Auge zurückgeben würde.

»Ich habe keine Angst vor Trollen und ihrem Drohen«, sagte der Knabe, »jetzt habe ich drei Augen für mich allein, und ihr habt überhaupt keins, und außerdem müssen zwei den dritten tragen.«

»Bekommen wir unser Auge nicht gleich zurück, sollst du zu Stock und Stein werden«, schrien die Trolle.

Aber der Knabe meinte, das ginge nicht so schnell, er hätte keine Angst, weder vor der Prahlerei noch vor dem Trollwerk. Würde er von ihnen nicht in Frieden gelassen, so würde er sie alle drei mit der Axt hacken, sodaß sie nur noch auf der Erde kriechen könnten wie Gewürm und Ungeziefer.

Als die Trolle das hörten, bekamen sie Angst und begannen ihm gute Worte zu geben. Sie baten ihn so schön, er solle ihnen das Auge zurückgeben, so würde er auch Gold und Silber von ihnen bekommen und alles, was er nur haben wollte.

Ja, damit war der Knabe einverstanden, aber zuerst wolle er Gold und Silber haben, sagte er, einer von ihnen solle heimgehen und so viel Gold und Silber holen, daß er damit seinen Sack und den Sack seines



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Bruders füllen könne. Und außerdem müßten sie ihm noch zwei gute Stahlbögen dazugeben, und dann könnten sie das Auge zurückhaben, aber so lange wolle er es noch behalten.

Die Trolle nahmen es übel auf und sagten, keiner könne heimgehen, wenn er nicht das Auge zum Sehen mithatte, aber schließlich erbot sich einer, das alte Trollweib zu rufen, denn sie hatten alle drei ein Weib zusammen.

Eine Weile später antwortete es von einer nördlichen Bergkuppe. Da riefen die Trolle, sie solle mit zwei Stahlbögen kommen und mit zwei Körben voll Gold und Silber. Doch als sie hörte, was sich zugetragen hatte, begann auch sie mit Trollkünsten zu drohen.

Aber die Trolle bekamen Angst und rieten ihr, sich in acht zu nehmen vor den kleinen Wespen, sie könne vor ihnen nicht sicher sein, daß sie ihr das Auge nicht auch noch wegnehmen würden.

Da warf sie die Körbe mit Gold und Silber und die Stahlbögen den Knaben hin und schlich mit den Trollen heim zu den Bergkuppen.

Und seit der Zeit hat niemand mehr etwas davon gehört, daß die Trolle im Hedalswald nach Christenblut geschnüffelt hätten.


Der Grüne Ritter

Es war einmal ein König, der war Witwer und hatte eine einzige Tochter. Es gibt ein altes Sprichwort: »Witwerleid ist wie Ellenbogenstöße, es tut weh, aber es geht bald vorüber.« Und so verheiratete er sich mit einer Königin, die zwei Töchter hatte.

Auch diese Stiefmutter war nicht besser als alle Stiefmütter, schlimm und boshaft war sie gegen die Stieftochter.

Nach einiger Zeit, als die Prinzessinnen erwachsen waren, brach ein Krieg aus, und der König mußte ausziehen, für Land und Reich zu kämpfen. Die drei Töchter durften sich etwas wünschen, was der König mit heimbringen würde, sobald er die Feinde besiegt hätte. Die Stieftöchter durften zuerst sagen, was sie sich wünschten. Ja, die erste bat um ein goldenes Spinnrädchen, so groß, daß es auf einem silbernen Achtschillingstück stehen könne. Die andere bat um ein Goldapfelbäumchen, so groß, daß es auf einem silbernen Achtschillingstück stehen könne. Das wollten sie haben. Diese Dinge waren nun weder zum Spinnen noch zum Ernten zu gebrauchen, zu gar nichts. Aber seine



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eigene Tochter, die wollte nichts anderes haben, als daß er den grünen Ritter grüßen solle.

Der König zog in den Krieg und gewann ihn, und dann kaufte er das, was er den Stieftöchtern versprochen hatte. Das, worum ihn seine eigene Tochter gebeten hatte, war vollkommen vergessen. - Weil er den Krieg gewonnen hatte, gab er ein Gastmahl. Dabei sah er auf einmal den grünen Ritter und dadurch erinnerte er sich an den Wunsch, und so richtete er ihm die Grüße seiner Tochter aus. Der Ritter dankte ihm für die Grüße und gab ihm ein Buch, das wie ein Gesangbuch aussah mit Buchdeckeln zum Zuschnallen und Verschließen. Das sollte der König mitnehmen und ihr geben. Aber aufschließen dürfe er es nicht, und auch sie dürfe es nur aufschließen, wenn sie allein wäre.

Als der König mit Krieg und Gastmählern fertig war, kam er wieder nach Hause. Kaum war er zur Tür hereingetreten, umringten ihn die Stieftöchter schon und fragten nach dem, was er ihnen mitgebracht hätte. Ja, er hatte beides mitgebracht. Aber seine eigene Tochter hielt sich zurück und fragte nicht. Und der König hatte es auch vergessen. Aber einmal, als er ausgehen wollte, trug er wieder denselben Rock, den er zu dem Gastmahl getragen hatte. Und als er in die Tasche griff, um sein Taschentuch herauszuziehen, kam ihm das Buch in die Hände. Jetzt gab er es ihr und sagte, er solle grüßen, das schicke ihr der grüne Ritter und sie solle es nur aufschließen, wenn sie allein wäre.

Am Abend, als sie allein in ihrer Schlafkammer war, schloß sie das Buch auf und da hörte sie eine Melodie, die so schön war, wie sie noch keine gehört hatte, und dann kam der grüne Ritter. Er sagte, daß dies Buch so beschaffen sei: sobald sie es aufschlösse, käme er zu ihr, wo sie auch sei, und wenn sie es wieder zuschlösse, sei er im selben Augenblick verschwunden.

Ja, am Abend, wenn sie allein und in Ruhe war, öffnete sie das Buch manchmal, und der Ritter kam stets zu ihr. Sie sahen sich sehr oft. - Aber die Stiefmutter steckte ihre Nase in alles, ihr schien es, daß da jemand drinnen bei ihr sei, und sie sagte es sofort dem König. Der wollte es aber nicht glauben, das müsse er erst selbst sehen, und sie solle es ihm zeigen. Eines Abends standen sie außen vor der Tür und lauschten, und da schien es zuerst, als ob jemand drinnen spräche. Als sie aber hineinkamen, war niemand da. »Mit wem hast du gesprochen?« fragte die Stiefmutter hart und rauh. »Es war niemand hier«, sagte die Königstochter. »Ich habe es aber ganz deutlich gehört«, beharrte die Königin. »Ich las noch in einem Gebetbuche.«»Zeige es mir«, sagte die Königin. »Ja, das ist aber doch wirklich nichts anderes als ein Gebet-



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buch und das muß sie doch lesen dürfen«, sagte der König. Doch die Stiefmutter glaubte dasselbe wie vorher. Sie bohrte ein Loch in die Wand und lauerte. Eines Abends hörte sie, daß der Ritter da war. Sie riß die Tür auf und fuhr wie ein Wind zur Stieftochter hinein. Aber diese hatte das Buch schnell geschlossen, und fort war er in aller Eile. Aber so schnell es auch ging, so hatte doch die Stiefmutter einen Hauch von ihm gesehen, und sie war gewiß, daß jemand da gewesen war.

Nun geschah es, daß der König auf eine lange Reise gehen mußte. Sofort ließ die Stiefmutter ein tiefes Loch in die Erde graben und dahinein ein Haus mauern. Aber in die Mauern ließ sie Rattenpulver legen und andere starke Gifte, damit nicht einmal eine Maus hereinkommen könne. Den Mauerermeister bezahlte sie gut und er mußte versprechen, aus dem Lande zu reisen. Aber das tat er nicht. Er blieb, wo er war. Die Königstochter wurde hinuntergeführt mit ihrer Dienstmagd, und der Gang wurde so weit zugemauert, daß nur ein kleines Loch offen blieb, um ihnen Speise durchzureichen. Hier unten saß sie nun und trauerte und die Zeit wurde ihr lang und länger. Da erinnerte sie sich, daß sie ja das Buch mit hinuntergenommen hatte. Sie nahm es zur Hand und schloß es auf. Zuerst hörte sie dieselbe schöne Melodie, welche sie immer gehört hatte, danach aber einen unglücklichen Jammerlaut, und dann erschien der grüne Ritter. »Ich werde in der nächsten Zeit sterben müssen«, sagte er, und dann erzählte er, daß die Stiefmutter starkes Gift in die Wände gemischt hätte, und er wüßte nicht, ob er lebend wieder herauskäme. Als sie das Buch wieder schließen mußte, hörte sie denselben unglücklichen jammernden Laut.

Aber die Dienstmagd, die sie bei sich hatte, besaß einen Liebsten. Der bekam Botschaft zugesendet, er solle zum Maurermeister gehen und ihn bitten, das Loch so groß zu machen, daß sie wieder hinaufkriechen könnten, die Königstochter würde ihn so gut bezahlen, daß er sein Lebtag genug haben würde. Und er tat es auch wirklich. Sie schlüpften heraus und reisten weit weg in fremde Länder, und wohin sie auch kamen, die Königstochter und die Dienerin, überall fragten sie nach dem grünen Ritter.

Nach langer Zeit kamen sie zu einem Schloß, das war ganz schwarz verkleidet. Und als sie dahinaufgehen wollten, kam ein Regenguß über sie, sodaß die Königstochter Schutz suchte unter dem überdachten Umgang der Kirche. Dort wollte sie den ärgsten Regen abwarten. Als sie dort stand, kam ein alter Mann und ein junger Mann, die auch vor dem Regen Schutz suchten. Aber die Prinzessin zog sich in den Winkel zurück, sodaß sie nicht gesehen wurde.



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»Wie kommt es, daß dies Königsschloß schwarz verhangen ist«, fragte der Junge. »Weißt du das nicht«, sagte der alte Mann, »der Prinz dort oben ist todkrank, früher nannten sie ihn den ,grünen Ritter'». Und dann erzählte er, wie das zugegangen war. Als der Junge das gehört hatte, fragte er, ob denn niemand da sei, der ihn wieder gesund machen könne. »Nein, da gibt es nur noch den einen Weg, daß die Jungfrau, welche in dem Haus unter der Erde sitzt, kommt und heilkräftige Kräuter auf den Feldern pflückt, sie in süßer Milch kocht, und ihn dreimal damit wäscht.«Und dann zählte er all die Kräuter auf, die ihn gesund machen würden. Das hörte die Prinzessin und merkte sie sich gut. Als sie nach Haus kam, ging sie gleich hinaus in Feld und Wald und sammelte die Kräuter. Auch die Dienstmagd pflückte und sammelte früh und spät all die Kräuter, die sie zum Kochen brauchten. Dann kaufte sich die Königstochter einen Doktorhut und ein Doktorgewand, ging hinauf zum König und erbot sich, den Prinzen gesund zu machen.

Nein, das könne alles nichts nützen, sagte der König, so viele hätten das schon versucht, aber es sei nur schlechter statt besser geworden. Sie gab sich nicht damit zufrieden, sondern versprach, daß es ganz sicher besser werden würde und sogar sehr bald. Also gut, sie bekam schließlich die Erlaubnis, es auszuprobieren. Sie kam herein zum grünen Ritter und wusch ihn das erste Mal. Als sie den andern Tag wieder kam, ging es ihm schon so viel besser, daß er im Bett sitzen konnte. Da wusch sie ihn das zweite Mal, und am nächsten Tag konnte er schon in der Stube umhergehen. Da wusch sie ihn das dritte Mal, und am folgenden Tage war er frisch und gesund wie ein Fisch im Wasser. Er könne hinaus auf die Jagd gehen, sagte der Doktor. Da war der König so glücklich wie ein Vogel an sonnenlichten Tagen und dankte dem Doktor. Aber der »Doktor« wollte heim. Dort warf sie Hut und Gewand von sich, schmückte sich und bereitete eine Mahlzeit.

Sie schlug das Buch auf, da ertönte dieselbe schöne, frohe Melodie wie ehedem, und mit einem Male kam der grüne Ritter. Er wunderte sich, wie sie hierhergekommen sei, und da erzählte sie, was sich alles zugetragen hatte. Als sie nun beide gegessen und getrunken hatten, nahm er sie mit hinauf zum Schloß und erzählte dem König die ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende.

Nun wurde Hochzeit gehalten und ein großes Fest gefeiert, und als sie damit fertig waren, reisten sie heim. Das war eine große Freude für ihren Vater. Aber die Stiefmutter nahm man und sperrte sie in eine Nageltonne und rollte sie den Berg hinab.



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Die Wichtelmännchen auf Sandfiesa

Weit draußen im Meer, geradeaus von Trena auf Helgeland, liegt eine Sandbank, genannt Sandfiesa. Das ist ein ausgezeichneter Fischplatz, aber schwierig zu finden, denn sie wandert von einer Stelle zur andern. Wer aber so glücklich ist und sie erreicht, kann sicher sein, einen guten Fang zu tun. Beugt er sich über den Bootsrand, so sieht er bei klarem stillem Wasser und ruhigem Wetter eine schmale Vertiefung auf dem Grund, eine Rinne wie das Kielwasser einer großen Nordlandsjacht, und eine dicke Bergkuppe daneben wie ein Boots-Schuppen.

Diese Sandbank lag nicht immer am Meeresgrund. In alten Zeiten war hier eine Insel, die einem reichen Helgelandbauern gehörte. Zum Schutz gegen Unwetter während der Sommerfischerei hatte er dort eine Fischerhütte gebaut. Sie war besser und größer als die üblichen Fischerbuden sonst. Es gibt einige, die noch heute glauben, daß Sandfiesa sich zuweilen gleich einer schönen Insel aus dem Wasser hebt. Ob dies wahr ist, kann ich nicht sagen, aber zu jenen Zeiten war es nicht geheuer auf dem öden Holm: Fischer und fahrende Leute erzählten, sie hätten Lärmen und Lachen gehört, als sie da vorüberfuhren, Spiel und Tanz und anderes Gepolter, Hämmern und Aufgesang, wie ihn die Fischer singen, wenn sie die Boote zum Überwintern an Land ziehen. Deshalb nahmen sie gerne ihren Kurs ein Stück außen herum. Aber niemand konnte erzählen, daß er je eine lebende Seele auf Sandfiesa gesehen hätte.

Der reiche Bauer, von dem ich erzählte, der hatte zwei Söhne, die hießen Hans-Nicolai und Glück-Anders. Der ältere war einer, aus dem man nicht recht klug wurde, er war ein leidiger Kerl, mit dem man nicht gleich zurecht kam, und er besaß mehr Schlauheit und Pfiffigkeit als Nordländer zu haben pflegen, und die haben selten zu wenig von dieser Gottesgabe. Der andere, Glück-Anders, war ein Tollkopf, aber immer gut gelaunt, und er sagte immer, wenn es ihm auch noch so schlecht ging, er habe das Glück auf seiner Seite. Wenn er draußen war und Adlernester plünderte und der Adler ihm das Antlitz zerschrammte, daß sein Blut nur so rann, sagte er, das mache ihm nichts aus, Hauptsache, er käme mit einem Adlerjungen heim. Kenterte er, was nicht selten passierte, und sie fanden ihn, kieloben treibend, halb tot vor Nässe



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und Kälte, so antwortete er, wenn man ihn fragte, wie es ihm ginge: »Ach, angemessen gut. Ich bin gerettet, das Glück ist mit mir.«

Als der Vater starb, waren sie erwachsen, und einige Zeit danach mußten sie alle beide nach Sandfiesa hinaus, um einige Gerätschaften zu holen, welche dort nach der Sommerfischerei zurückgeblieben waren.

Glück-Anders hatte seine Flinte mitgenommen, die ihn immer begleitete, wo er auch war. Spät im Herbst war es, zu dieser Zeit trieben sich die Fischer nicht mehr viel auf dem Wasser herum, selten ruderten noch einige weit hinaus. Hans-Nicolai sprach nicht viel auf dieser Fahrt, aber er dachte wohl dies und jenes. Sie wurden nicht eher fertig, es ging auf den Abend zu, als sie die Heimfahrt antreten sollten. »Höre, Glück-Anders, es gibt Unwetter diese Nacht«, sagte Hans-Nicolai und schaute über die See, »ich meine, es ist das beste, wir übernachten hier.« - »Schlecht Wetter wird nicht«, antwortete Glück-Anders, »denn die ,Sieben Schwestern' haben keine Nebelhauben auf, laß es gehen, wie es will.« Aber der andere klagte, er sei so müde, und schließlich einigten sie sich, die Nacht über hier zu bleiben.

Als Anders aufwachte, war er allein. Weder den Bruder noch das Boot sah er, bis er auf die höchste Stelle vom Holm hinaufstieg. Dort erblickte er das Boot, weit in der Ferne, gleich einer Möwe, die nach dem Land fliegt. Glück-Anders konnte sich das nicht erklären. Der Frühstückskasten lag noch da, auch seine Flinte und noch verschiedenes andere. Glück-Anders war keiner von denen, die eine Sache erst lange ergründen wollen. »Er kommt sicher am Abend zurück«, sagte er und stürzte sich aufs Frühstück. »Ein Taugenichts ist, wer mutlos wird, so lang er noch etwas zu essen hat.« Aber kein Bruder kam am Abend. Glück-Anders wartete Tag um Tag und Woche um Woche.

Es schien ihm, der Bruder habe ihn auf diese öde Sandbank ausgesetzt, um das Erbe ungeteilt besitzen zu können. Aber Glück-Anders verlor den Mut nicht. Er sammelte Treibholz am Strand, schoß Seevögel, sammelte Muscheln und Erzengelwurz. Er machte sich ein Floß aus Holz vom Fischtrockengestell und fischte mit Geräten, die zurückgeblieben waren. Eines Tages, als er damit auf See hinaustrieb, bemerkte er eine Vertiefung im Sand, wie die Kielspuren einer großen Nordlandsjacht, und in dem Sand konnte er deutlich die Windungen der Vertäuung erkennen von der See herauf zur Bergkuppe. So dachte er bei sich selbst, da ist keine Gefahr, ich sehe wohl, daß es wahr ist, was ich so oft gehört habe, daß die Wichtelmännlein hier ihren Bootshafen halten. Gott sei Dank für die nette Gesellschaft! Das sind gute Leute. Was habe ich immer gesagt, das Glück ist mit mir! dachte Glück-Anders.



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Vielleicht sagte er das auch nur, weil es ihm gut tat, etwas so vor sich hinzuschwatzen.

So lebte er dort weit über den Herbst hinaus. Einmal erblickte er ein Boot. Er befestigte schnell eine Flagge an einer Stange und winkte damit. Aber im selben Augenblick fiel das Segel und die Besatzung setzte sich an die Ruder und ruderte davon in Hast und Eile. Sicher dachten sie, die Wichtelmännlein hätten die Flagge gehißt und ihnen gewinkt.

Am Weihnachtsabend hörte er Geigen und Musik draußen auf dem Meer. Als er hinausging, sah er ein Leuchten, das von einer großen Nordlandsjacht ausging, welche gegen das Land zu glitt. Noch niemals vorher hatte jemand vorher eine solche Jacht gesehen. Sie hatte ein unheimlich großes Rahsegel, das aus Seide gemacht zu sein schien, und das feinste Tauwerk, das so dünn war, als sei es aus Stahldraht gemacht. Und alles, was dazugehörte, war genauso fein, so prächtig und schön, wie es sich ein Nordländer nur wünschen konnte. Das ganze Schiff war voll von kleinem blaugekleidetem Volk. Aber diejenige, die am Steuer stand, war wie eine Braut geschmückt und so stattlich wie eine Königin. Aber das konnte er erkennen, daß sie ein Mensch war, denn sie war groß an Wuchs und schöner als die Wichte!, ja Glück-Anders schien es, noch nie hatte er ein so schönes Mädchen gesehen. Das Schiff steuerte auf das Land zu, wo Glück-Anders stand. Aber, kurz entschlossen, wie er war, schlich er in die Fischerbude, riß die Flinte von der Wand und kroch in die große Wölbung hinauf ins Gebälk. Dort lag er gut versteckt, konnte aber trotzdem alles beobachten, was im Raume vor sich ging. Er sah sogleich, daß sie alle in das Haus kamen, es wurde gestopft voll, und es kamen immer noch mehr. Es begann in den Wänden zu knacken, und das Haus dehnte sich und weitete sich in allen Ecken und Kanten. Festlich ausstaffiert wurde es auch, daß es beim reichsten Handelsherrn nicht prächtiger sein konnte. Es war beinah wie auf dem Königsschloß. Tische wurden gedeckt mit den köstlichsten Gerichten, und Teller und Schüsseln und Gefäße waren aus Silber und Gold.

Als das Völkchen gegessen hatte, begann es zu tanzen. Unter dem Geräusch der Tanzenden kroch Glück-Anders durch das Rauchloch, welches auf der einen Seite des Daches angebracht war, hinaus und kletterte hinab. Er sprang zur Jacht hinunter, warf seinen Feuerstein über sie und schnitt zur Sicherheit mit dem Schnitzmesser auch noch ein Kreuz hinein. Als er wieder hinaufkam, war der Tanz noch in vollem Gange. Die Tische, Stühle und Bänke tanzten, alles was in dem Haus war, tanzte mit. Die einzige, die nicht tanzte, war die Braut.



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Sie saß nur da und schaute zu, und als der Bräutigam sie hochziehen wollte, schob sie ihn von sich. Aber nie war eine Pause. Der Spielmann verschnaufte sich nicht, aß und trank nicht, nahm sich nicht einmal Zeit, die Knöpfe seines Röckleins zu öffnen, als ihm warm wurde. Er spielte immerzu und trat den Takt, daß der Schweiß ihm nur so heruntertropfte, und daß er kaum noch die Fiedel sehen konnte vor Staub und Rauch. Da bei Glück-Anders sich auch die Füße im Takt zu bewegen begannen und er mittanzen mußte, sagte er zu sich selbst: »Nun ist es wohl das beste, wenn ich einen Knall loslasse, sonst spielt er mich von Grund und Boden weg.« Er drehte also die Flinte rum und steckte sie durch die Fensterscheibe und schoß sie ab über den Kopf der Braut weg.. . Rumms!.. . Im selben Augenblick, als der Schuß losging, stürzten die Wichtel zur Tür, der eine über den anderen. Aber als sie entdeckten, daß die Jacht gebannt war, gebärdeten sie sich wie toll und schlüpften in ein Loch des Hügels. Aber alle Goldgeräte, alles Silberzeug blieb zurück, und die Braut saß auch da. Es war, als sei sie wieder zu sich selbst gekommen. Sie erzählte Glück-Anders, sie sei verzaubert und geraubt worden, als sie noch ein kleines Kind war: einstmals, als ihre Mutter zu den Hecken des Pferchs gegangen war um zu melken, hatte sie das Kind mit sich genommen. Aber sie mußte noch etwas zu Hause holen und ließ das Kind inzwischen im Heidekraut sitzen, unter einem Wacholderbusch. Sie könne gerne Beeren essen, sagte sie, sie müsse nur vorher dreimal sagen:
»Ich esse Wacholderbeeren blau
mit Christi Kreuz darauf,
Ich esse Preißelbeeren rot
mit Jesu Leiden und Tod.«

Aber als die Mutter fort war, fand sie so viele Beeren, daß sie vergaß, das Sprüchlein dreimal zu sprechen, und so wurde sie von den Wichteln gebannt und entrückt. Sie hatte dadurch keinen anderen Makel bekommen, als daß ihr das letzte Glied des kleinen Fingers fehlte. Sonst hatte sie es gut und schön gehabt bei den Wichteln, sagte sie, und doch war es auf die Dauer nicht die rechte Gesellschaft. Es hatte immer etwas in ihr gewürgt, und schlimm war sie auch von dem Wichtelmann geplagt worden, mit dem man sie verheiraten wollte. Dieser Schatten hing über ihr, spät und früh. Als Glück-Anders hörte, wer ihre Mutter war, und woher sie kam, wußte er, daß sie zu seiner Sippschaft gehörte, und sie wurden sogleich Freunde und vertrugen sich, wie man so sagt, gut miteinander. Dann konnte Anders mit Recht sagen, daß das Glück mit ihm sei. So reisten sie nach Haus und nahmen die große Jacht mit



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sich und all das Silber und das Gold und die Kostbarkeiten, welche in dem Ruderhaus zurückgeblieben waren. So wurde Glück-Anders viel reicher als sein Bruder.

Aber Hans-Nicolai mußte immer darüber nachdenken, woher diese Reichtümer gekommen waren, und er wollte nicht minder reich sein. Er wußte, daß Trolle und Wichte! die Gewohnheit hatten, am Weihnachtsabend ihr Wesen zu treiben, und so fuhr er um diese Zeit nach Sandfiesa. Am Weihnachtsabend sah er tatsächlich Feuer und Leuchten, es war wie Meeresleuchten, das Funken sprühte. Als es näher kam, hörte er Platschen und häßliches Heulen und kalte, bebende Schreie, und er bemerkte fauligen Ebbegeruch. Voll Entsetzen lief er hinauf in das Ruderhaus, und da sah er Seegespenster gegen das Land zu kommen. Sie waren kurz und dick wie Heuhaufen, hatten Felikleidung, Seestiefel und Bootshaken und dicke Handschuh, die beinah bis auf den Boden hingen. Statt Kopf und Haar hatten sie ein Gewirr von Seetang. Als sie den Strand emporkrochen, leuchteten ihre Spuren wie flammende Rinde, und wenn sie sich schüttelten, sprühten sie Funken. Als sie herankamen, kroch Hans-Nicolai hinauf ins Gebälk, wie sein Bruder es getan hatte. Die Gespenster trugen einen großen Stein mit sich in das Haus und fingen an, ihre nassen Handschuhe zum Trocknen gegeneinander zu schlagen. Zuweilen schrien sie so schrecklich, daß dem da oben im Gebälk beinah das Blut in den Adern gefror. Inzwischen nieste einer in die Feuerstelle, um in der Asche Feuer zu entzünden, während die anderen Treibholz und Heidekraut hereinschleppten, so roh und schwer wie Blei. Der Rauch und die Hitze erstickten beinah Hans-Nicolai da oben im Gebälk, und damit er wieder frische Luft atmen konnte, versuchte er durchs Rauchloch im Dach hinauszukriechen. Aber da er grobgliedriger war als sein Bruder, blieb er darin stecken und konnte weder heraus noch hereinkommen. Nun bekam er Angst und begann zu schreien, aber die Gespenster schrien nur noch schlimmer und schlugen und taumelten drinnen und draußen. Doch als der Hahn krähte, waren sie verschwunden und Hans-Nicolai kam los. -Als er heimkam, faselte er Unsinn, und seitdem hörte man oft vom Kornboden oder Speicher, wo er war, diese dunklen, kalten Schreie, die man im Nordland den Gespenstern zuschreibt. Aber vor seinem Tode war er wieder voll bei Sinnen, und er kam in christliche Erde, wie man sagt.

Seit der Zeit hat nie wieder ein Mensch seinen Fuß auf Sandfiesa gesetzt. Es versank, und die Wichte!, so glaubt man, flohen nach Lekangholmen. Glück-Anders ging es seit dem immer gut. Keine Jacht



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machte so glückhafte Fahrten wie die seine. Aber jedesmal, wenn er nach Lekangholmen kam, wurde es still: die Wichte! brachten die Waren an Bord oder Land, aber nach einer kleinen Weile bekam er wieder günstigen Wind nach Bergen oder wieder heim. Er bekam viele Kinder, und alle waren sie frisch und gesund, aber allen fehlte das letzte Glied am linken kleinen Finger.


Östlich der Sonne und westlich des Mondes

Es war einmal ein armer Häusler, der hatte die Stube voller Kinder, aber weder genug zu essen noch genügend Kleidung für sie. Schön waren sie alle, aber am schönsten war die jüngste Tochter, ihre Schönheit war unvergleichlich.

Es war an einem Donnerstag Abend, spät im Herbst, draußen war häßliches Wetter, unheimliches Dunkel, Regen und Sturm tobten, daß es in den Wänden knackte. Sie saßen um die Feuerstelle herum und alle hatten eine Arbeit vor sich.

Da wurde plötzlich dreimal ans Fenster geklopft. Der Mann ging hinaus, um zu sehen, was los war, und als er hinaustrat stand da ein großer Eisbär.

»Guten Abend, du!«sagte der Eisbär.

»Guten Abend!«sagte der Mann.

»Willst du mir deine jüngste Tochter geben, so will ich dich so reich machen, wie du jetzt arm bist«, sagte der Bär. Der Mann meinte, das wäre herrlich, daß er so reich werden sollte, aber er glaubte doch erst mit der Tochter reden zu müssen. Er ging also ins Haus und sagte, daß da ein großer Eisbär draußen sei, welcher ihn so reich zu machen versprach, wenn er nur die jüngste Tochter haben könne. Diese aber sagte nein, sie wolle nicht. Und so ging der Mann wieder hinaus und vereinbarte mit dem Eisbären, daß er am nächsten Donnerstagabend wiederkommen und Antwort holen sollte.

Indessen gab er der Tochter nicht Rast noch Ruhe, sprach mit ihr, stellte ihr alle Reichtümer vor, die zu ihnen kommen würden, und wie gut sie es selbst haben würde, und schließlich gab sie sich darein. Sie wusch ihre ärmlichen Kleider und setzte sie instand, schmückte sich



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so gut sie konnte und machte sich reisefertig. Viel hatte sie nicht mitzunehmen.

Am nächsten Donnerstag Abend kam der Eisbär und wollte die Braut holen. Sie nahm ihr Bündel, setzte sich auf seinen Rücken und er trug sie davon.

Als sie ein gutes Stück auf dem Wege vorangekommen waren, fragte der Eisbär: »Hast du Angst?«. - Nein, die hätte sie nicht. - »Nun, so halte dich gut fest an meinem Fell, so ist auch keine Gefahr, daß du hinunterfällst«, sagte er.

Sie ritt und sie ritt, und endlich kamen sie zu einem großen Felsen. Da klopfte der Eisbär an, eine Pforte sprang auf und sie kamen in ein Schloß. Da war Licht in allen Räumen und es schimmerte von Gold und Silber. Dann kamen sie in einen großen Saal mit einem gedeckten Tisch, so prächtig, daß es kaum zu glauben war, wie prächtig. Der Eisbär gab ihr eine Silberglocke und sagte, wenn sie etwas haben wolle, so solle sie nur danach läuten, so würde sie es sogleich bekommen. Als sie nun gespeist hatte und der Abend sich neigte, wurde sie müde nach der Reise und bekam Lust, sich schlafen zu legen. Sie läutete mit der Glocke und kam in eine Kammer mit einem bereiteten Bett, so reizend, um sich gerade nur hineinzulegen, mit seidenen Daunenkissen und Vorhängen mit Goldfransen. Und alles strahlte von Gold und Silber. Aber als sie sich niedergelegt und das Licht gelöscht hatte, kam ein Mensch herein und legte sich neben sie, und das war der Eisbär, welcher sein Fell abgeworfen hatte zur Nacht. Doch niemals bekam sie ihn zu sehen, denn er kam erst, wenn sie das Licht gelöscht hatte, und bevor der Morgen graute, war er wieder fort.

Das ging eine ganze Weile gut, aber dann wurde sie still und traurig, denn sie war alle Tage so allein und verlangte heim zu den Eltern und Geschwistern. Als der Eisbär sie fragte, was ihr fehle, sagte sie, daß sie hier so einsam sei und sich sehne nach Eltern und Geschwistern und glaube niemals wieder heimkommen zu können, so sehr sie sich auch danach sehne.

»Da weiß ich wohl Rat«, sagte der Eisbär, »aber du mußt mir versprechen, daß du mit deiner Mutter nie allein reden willst, nur wenn die anderen zuhören. Denn sie wird dich bei der Hand nehmen, dich beiseite in eine Kammer führen und allein mit dir sprechen wollen. Aber das darfst du nicht tun, oder du machst uns beide unglücklich.«

Eines Sonntags kam der Eisbär und sagte, nun könnten sie zu den Eltern reisen. Gut also, sie setzte sich auf seinen Rücken und ritt lang und länger und schließlich kamen sie zu einem großen weißen Guts-



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haus, da sprangen die Geschwister draußen herum und spielten, daß es eine Lust war anzusehen. »Da wohnen deine Eltern«, sagte der Eisbär, »aber vergiß nicht, was ich dir gesagt habe, sonst bringst du Unglück über dich und mich.« - »Nein, beim Himmel, das will ich nicht vergessen«, antwortete sie, und als sie hingekommen waren, drehte der Eisbär wieder um. Da war große Freude, als sie zu den Eltern reinkam, und sie konnten ihr nicht genug danken, was sie Gutes ihnen getan hätte. Und alle fragten sie die Tochter, wie es ihr nun dort ginge, wo sie war. Es ginge ihr gut und sie hätte alles, was sie sich nur wünschen könne, sagte sie. Was sie weiter antwortete, kann ich nicht sagen, aber ich glaube nicht, daß sie ihnen alles genau mitteilte. Doch so am Nachmittag, als sie zu Mittag gespeist hatten, ging es genau so wie der Eisbär gesagt hatte. Die Mutter wollte mit ihr allein in einer Kammer sprechen, aber sie erinnerte sich, was der Eisbär gesagt hatte und wollte das auf keinen Fall, »Was wir uns zu erzählen haben, das können wir ebensogut hier sagen«, meinte sie. Aber wie das oft so geht, zum Schluß überredete sie die Mutter doch, und nun mußte sie ihr allein erzählen, was sie erlebt hatte.

Sie sagte, daß immer am Abend, wenn sie das Licht gelöscht hätte, ein Mensch sich neben sie legte, den sie nie zu sehen bekam, denn wenn der Morgen graute, sei er fort. Das mache ihr Sorgen, denn sie wolle ihn so gerne sehen. Und am Tage sei sie ganz allein, das sei so langweilig.

»Huh, das kann vielleicht ein Troll sein, mit dem du im Bett liegst«, sagte die Mutter. »Aber ich werde dir einen Rat geben, wie du ihn sehen kannst. Du wirst einen Lichtstumpf von mir bekommen, welchen du in deinem Busen versteckt mit dir nehmen kannst. Beleuchte ihn, wenn er schläft, aber gib fein acht, daß kein Talgtropfen der Kerze auf ihn fällt.« Ja, sie nahm das Licht und verbarg es in ihrem Busen. Und am Abend kam der Eisbär und holte sie.

Als sie ein Stück Weg zurückgelegt hatten, fragte der Eisbär, ob es nicht so gegangen sei, wie er vorausgesagt hatte. Ja, das könne sie nicht leugnen.

»Ja, wenn du nach deiner Mutter Rat handeln wirst, so machst du uns beide unglücklich und es ist aus zwischen uns«, sagte er. - Nein, das wolle sie nun nicht.

Als sie heimkam und sich niedergelegt hatte, ging das wie üblich: da kam ein Mensch und legte sich neben sie. Doch als es auf Mitternacht zuging und sie ihn schlafen hörte, stand sie auf, schlug Feuer, entzündete das Licht und beleuchtete ihn: da sah sie, es war der schönste Prinz,



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der ihr jemals vor Augen kam, und sie war so verliebt in ihn, daß sie glaubte, nicht mehr leben zu können, wenn sie ihm keinen Kuß geben würde, jetzt gleich, im Augenblick. Und das tat sie auch. Aber dabei fielen drei heiße Talgtropfen auf sein Hemd, und er erwachte.

»0, was hast du getan!« rief er. »Nun hast du uns beide unglücklich gemacht. Hättest du noch ein Jahr ausharren können, so wäre ich erlöst gewesen. Denn ich habe eine Stiefmutter, die mich verzaubert hat, am Tage ein Eisbär zu sein und nur in der Nacht ein Mensch. Aber nun ist alles aus zwischen uns. Nun muß ich mich von dir trennen und zu ihr gehen. Sie wohnt in einem Schloß, das liegt östlich der Sonne und westlich des Mondes. Dort wartet auch eine Prinzessin mit einer drei Ellen langen Nase, die muß ich nun heiraten.«

Sie weinte und jammerte, aber da war nichts zu machen, er mußte fort. Sie fragte, ob sie mit ihm gehen könne. Nein, niemals könne das geschehen.

»Kannst du mir den Weg sagen, so werde ich dich dort aufsuchen. Das kannst du mir doch erlauben«, flehte sie.

Ja, das könne sie, aber dahin führe kein Weg. Das Schloß läge östlich der Sonne und westlich des Mondes, und dahin würde sie niemals finden.

Am Morgen, als sie erwachte, war beides fort, Prinz und Schloß. Sie lag auf einem kleinen grünen Fleck mitten im dunklen, dichten Wald, nur dasselbe kleine Bündel mit ärmlicher Kleidung, welches sie von zu Haus mitgenommen hatte, lag bei ihr.

Als sie nun den Schlaf aus den Augen gewischt und sich müde geweint hatte, machte sie sich auf den Weg, und so ging sie viele, viele Tage, bis sie zu einem großen Felsen kam. Davor saß eine alte Frau und spielte mit einem goldenen Apfel. Das Mädchen fragte, ob sie den Weg zum Prinzen wüßte, zum Prinzen, der nun bei seiner Stiefmutter sei, in einem Schloß, welches östlich der Sonne und westlich des Mondes läge. Der Prinz solle eine Prinzessin heiraten mit einer drei Ellen langen Nase.

»Woher kennst du ihn«, fragte die alte Frau, »vielleicht sollst du ihn haben.«

Ja, so war es wohl auch.

»Ja so, du bist es also«, sagte die Alte. »Ja, ich weiß auch nicht mehr von ihm, als daß er in dem Schloß wohnt, welches östlich der Sonne und westlich des Mondes liegt, und dahin kommst du spät oder nie. Doch mein Pferd sollst du geliehen bekommen zur Nachbarin, vielleicht kann sie es dir sagen. Und wenn du hingekommen bist, so



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brauchst du nur das Pferd leicht unter das linke Ohr zu schlagen, und sogleich wird es heimwärts traben. Auch den Goldapfel kannst du mit dir nehmen.«

Sie setzte sich auf das Roß und ritt lange, lange Zeit, und so kam sie schließlich zu einem Felsen, davor eine alte Frau mit einer goldenen Haspel saß. Diese fragte sie, ob sie den Weg wüßte zu einem Schloß, welches östlich der Sonne und westlich des Mondes läge. Sie sagte genau wie die andere alte Frau, daß sie nichts anderes wüßte, als daß es östlich der Sonne und westlich des Mondes läge, "und dahin kommst du spät oder nie. Aber du sollst mein Pferd geliehen bekommen, auf dem kannst du reiten bis zu meiner Nachbarin, vielleicht kann sie es dir sagen. Und wenn du hingekommen bist, so brauchst du nur dem Pferd leicht unters linke Ohr zu schlagen und sogleich wird es heimwärts traben.« Und so gab sie dem Mädchen das goldene Haspelchen, »denn es kann sein, daß du es einmal brauchst«, sagte sie.

Das Mädchen setzte sich aufs Pferd und ritt wieder ein lang langes Stück Weges und kam zu einem großen Felsen, davor eine alte Frau saß, die an einem goldenen Spinnrade spann. Auch diese fragte sie, ob sie den Weg zum Prinzen wüßte und wo das Schloß sei, das östlich der Sonne und westlich des Mondes läge. Es ging genau wie vorher.

»Vielleicht bist du es, die den Prinzen haben soll«, sagte die Alte.

Ja, so wird es wohl sein. Aber sie wußte keinen besseren Weg als die anderen beiden auch. Östlich der Sonne und westlich des Mondes war es, das wisse sie, »und dahin kommst du spät oder nie«, sagte sie, »aber ich will dir mein Pferd leihen, so meine ich, du sollst zum Ostwind reiten und ihn fragen, vielleicht kennt er sich dort aus und kann dich hinblasen. Wenn du hingekommen bist, so brauchst du nur das Pferd unters linke Ohr zu schlagen, so geht es wieder heim.«Und so gab sie ihr das Goldspinnrad, »vielleicht wirst du es einmal brauchen«, sagte die Alte.

Sie ritt viele Tage und eine lange Zeit, bis sie zum Ostwind kam, und so fragte sie ihn, ob er ihr den Weg zum Prinzen sagen könne, welcher östlich der Sonne und westlich des Mondes wohne.

Ja, vom Prinzen hätte er erzählen hören, sagte der Ostwind, und auch von seinem Schloß, aber den Weg wisse er nicht, so weit hätte er niemals geblasen. »Aber wenn du willst, so bringe ich dich zu meinem Bruder, dem Westwind. Kann sein, er weiß es, denn er ist stärker. Du kannst dich auf meinen Rücken setzen, so werde ich dich hintragen.«

Ja, so machte sie es, und das ging ziemlich frisch weg. Als sie ankamen, gingen sie hinein, und der Ostwind sagte, er bringe eine mit und



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das sei diejenige, welche den Prinzen haben solle, in dem Schloß, welches östlich der Sonne und westlich des Mondes läge. Sie wolle gerne hören, ob der Westwind wisse, wo das Schloß läge.

»Nein, so weit habe ich nie geblasen«, sagte der Westwind, »aber wenn du willst, so begleite ich dich zum Sonnenwind, er ist viel stärker als irgend einer von uns, und er ist weit und breit umhergestreift, vielleicht kann er dir das sagen. Wenn du dich auf meinen Rücken setzest, so werde ich dich hintragen.«

Ja, so machte sie es, sie reiste zum Sonnenwind, und sie war nicht lang unterwegs, glaube ich. Als sie dort waren, fragte der Westwind, ob er dem Mädchen den Weg sagen könne, der zum Schloß führt, welches östlich der Sonne und westlich des Mondes läge. Das sei jene, die den Prinzen haben solle.

»Ja so«, sagte der Sonnenwind, »sie ist es! Ich bin wohl viel gewandert, an manche Stätte in dieser Zeit, aber soweit habe ich nie geblasen. Aber wenn du willst, so bringe ich dich zu meinem Bruder, dem Nordwind, er ist der älteste und stärkste von uns allen zusammen, und wenn er nicht weiß, wo das Schloß liegt, so brauchst du niemanden in der Welt mehr darum zu fragen. Du kannst dich auf meinen Rücken setzen, so trage ich dich hin.«

Ja, sie setzte sich auf seinen Rücken und er brauste von dannen, daß es nur so seine Art hatte. Da wurde der Weg nicht lang.

Als sie in die Gegend kamen, wo der Nordwind wohnte, war er so wild und außer sich, daß sie von eiskalten Windstößen empfangen wurden. »Was wollt ihr!« schrie er von weitem, daß ihnen das Blut in den Adern erstarrte. »Sei mal lieber nicht so streng«, sagte der Sonnenwind, »denn ich bin es ja nur, und sie ist diejenige, welche den Prinzen haben muß, der in dem Schloß wohnt östlich der Sonne und westlich des Mondes. Und nun will sie dich fragen, ob du dort warst und ob du ihr den Weg sagen kannst, denn sie will ihn gerne wieder finden.«

»Ja, ich weiß noch gut, wo das war«, sagte der Nordwind. »Ich habe ein einziges Mal Espenlaub dorthin geblasen, aber da war ich dann so müde, daß ich ein paar Tage lang nicht mehr zu blasen vermochte. Aber wenn es so ist, daß du endlich hinkommen willst und du keine Angst hast, mit mir zu gehen, werde ich dich auf meinen Rücken nehmen und versuchen, ob ich dich dahin bringen kann.«Ja, sie wolle und sie müsse dorthin, falls der Weg irgendwie möglich und wenn er auch noch so schwierig sei. Und Angst hätte sie keine.

»Gut«, sagte der Nordwind, »so mußt du hier übernachten, denn wir müssen den Tag vor uns haben, wenn wir das Ziel erreichen wollen.«



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Zeitig am anderen Morgen weckte sie der Nordwind, blies sich auf und machte sich so groß und stark, daß er zum Fürchten aussah. Und so trug er sie davon, hoch hinauf und weit weg durch die Lüfte, als ob sie zum Weltende fahren sollten. Über dem Land tobte ein Sturm, der alles niederriß, Häuser und ganze Waldstücke, und als sie über die weite See hinauskamen, erlitten die Segler hunderteweis Schiffbruch. So fuhren sie dann dahin, so lang so lang, daß niemand glauben konnte, wie lang. Und immer noch gings über See, und der Nordwind wurde müder und müder, sodaß er fast nicht mehr imstande war zu blasen. Und tiefer und tiefer sank sie nieder, daß die Wellenkämme ihre Fersen streiften. »Hast du Furcht«, sagte der Nordwind. »Nein«, sagte sie, »ich fürchte mich nicht.«Und es war auch nicht mehr weit bis zum Land. Der Nordwind hatte gerade noch so viel Kraft, daß er sie an den Strand werfen konnte, unter das Fenster vom Schloß, das östlich der Sonne und westlich des Mondes lag. Aber dann war er so müde und entkräftet, daß er sich erst ein paar Tage ausruhen mußte, um wieder zu sich zu kommen.

Am Morgen also setzte sie sich vors Fenster und spielte mit dem Goldapfel, und das erste, was sie zu sehen bekam, war die Prinzessin mit der langen Nase, welche den Prinzen heiraten sollte.

»Was willst du für den Goldapfel haben, du da draußen«, sagte sie, indem sie das Fenster einen kleinen Spalt öffnete.

»Der ist weder für Geld noch Gold zu haben«, sagte das Mädchen.

»Nun, wenn er nicht für Gold noch Geld zu haben ist, was willst du denn dafür? Du kannst haben, was du willst«, sagte die Prinzessin.

»Wenn ich hinaufkommen könnte zu dem Prinzen, der hier wohnt, und bei ihm bleiben könnte eine Nacht lang, so kannst du den Goldapfel haben«, sagte jene, die mit dem Nordwind gekommen war.

Ja, das könne sie, dafür wolle sie sorgen.

Die Prinzessin bekam den Goldapfel. Doch als das Mädchen am Abend zu dem Prinzen ins Zimmer kam, schlief er. Sie rief ihn und schüttelte ihn und dabei weinte sie und klagte, aber sie konnte ihn nicht wach bekommen, denn die andere hatte ihm einen Schlaftrunk am Abend gereicht. Am Morgen, als der Tag zu leuchten begann, kam die langnasige Prinzessin und jagte sie wieder hinaus.

Einige Tage darauf setzte sie sich vor das Schloßfenster, um mit der Goldhaspel zu haspeln, und da ging es genau so. Die Prinzessin fragte sie, was sie für die Goldhaspel haben wolle, und sie sagte, daß sie weder für Geld noch Gold feil sei. Aber wenn sie Erlaubnis bekäme, hinauf zum Prinzen zu gehen, und nachts bei ihm sein dürfe, so solle sie die



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Haspel haben. Aber als sie hinaufkam, schlief er wieder, und obgleich sie rief und schrie und ihn schüttelte, und obgleich sie herzzerbrechend weinte, schlief er doch so fest, daß er nicht aufzuwecken war. Und als der Tag graute, kam die Prinzessin mit der langen Nase und jagte sie zur Tür hinaus.

Am nächsten Tage setzte sich das Mädchen vors Schloßfenster und spann mit dem Goldrocken, und den wollte die Prinzessin mit der langen Nase auch haben. Sie öffnete das Fenster und fragte, was sie dafür haben wolle. Das Mädchen sagte wie das letzte Mal, daß er weder für Geld noch Gold feil sei, aber wenn sie hinauf zum Prinzen dürfe, so solle sie den Goldrocken haben. -Ja, das könne sie gerne.

Aber da waren einige Christenleute, die in der Kammer gefangen gehalten wurden, gerade neben dem Prinzen. Die hatten gehört, daß da ein weibliches Wesen geweint und ihn gerufen hatte, zwei Nächte lang, und das sagten sie dem Prinzen. Am Abend, als die Prinzessin mit dem Nachttrunk kam, tat er so, als ob er trinken würde, goß ihn aber hinter sich, denn er ahnte, daß es ein Schlaftrunk war.

Als jetzt das Mädchen hereinkam, war der Prinz wach, und so mußte sie erzählen, wie sie das Schloß gefunden hatte.

»Du kommst gerade recht«, sagte der Prinz, »denn morgen sollte ich Hochzeit halten. Aber ich will das Nasenungetüm gar nicht haben, und du bist die einzige, die mich retten kann. Ich werde sagen, daß ich zuerst sehen will, wozu meine Braut taugt. Ich werde sie bitten, das Hemd zu waschen mit den drei Talgflecken drin. Darauf wird sie eingehen, denn sie weiß nicht, daß du sie gemacht hast. So werde ich sagen, daß ich nur eine Braut haben möchte, welche die Flecken herauswaschen kann. Und du kannst das, ich weiß es. Aber solch ein Trollpack kann das nicht.«

Da war natürlich große Freude und Wonne bei ihm in der Nacht. Aber am Tage danach, da die Hochzeit sein sollte, sagte der Prinz: »Zuerst will ich sehen, was meine Braut taugt.« - Ja, das könne er, sagte die Stiefmutter.

»Ich habe ein feines Hemd, welches ich als Bräutigamshemd tragen will. Aber da sind drei Talgflecken drauf gekommen, die will ich herausgewaschen haben. Das habe ich gelobt, daß ich keine andere haben will, als eine, die das kann. Kann sie es nicht, so ist sie nicht wert, meine Braut zu sein.«

Das wäre gar keine Sache, meinten die und gingen darauf ein. Und die mit der langen Nase begann zu waschen aus Leibeskräften, aber je mehr sie wusch und rieb, desto größer wurden die Flecken. »Ach, du kannst nicht waschen«, sagte ihre Mutter, das alte Troll



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weib, »laß mich nur waschen.«Aber kaum hatte sie das Hemd ergriffen, so wurde es nur noch häßlicher, und je mehr sie rieb und wusch, desto größer und schwärzer wurden die Flecken. Dann sollten die anderen Trolle helfen waschen, aber je länger es dauerte, umso häßlicher und grauslicher wurde es, und schließlich sah das Hemd aus, als sei es durch den Kamin gezogen worden.

»Ach, von euch taugt niemand etwas«, sagte der Prinz, »aber da sitzt ein armes Mädchen draußen vorm Fenster, ich bin sicher, die kann besser waschen als ihr alle zusammen. Komm herein, Mädchen!«rief er.

Ja, sie kam herein.

»Kannst du das Hemd rein waschen«, sagte er.

»Ach, ich weiß es nicht«, sagte sie, »ich will es versuchen.«Kaum hatte sie das Hemd ergriffen und in Wasser getaucht, so wurde es blendend weiß wie frisch gefallener Schnee, ja noch weißer.

»Ja, dich will ich haben«, sagte der Prinz.

Da wurde das alte Trollweib so bös-wütend, daß es zerbarst. Und die Prinzessin mit der langen Nase und das andere Trollgesindel zerbarst wohl auch, denn ich habe seither nie wieder etwas von ihnen gehört.

Der Prinz und seine Braut befreiten die Christenleute, die dort gefangen waren, und sie packten so viel Gold und Silber zusammen, als sie nur tragen konnten. Und sie flohen weit weg vom Schloß, das östlich der Sonne und westlich des Mondes lag.


Das Huhn lief in den Berg hinein

Es war einmal eine alte Witwe, die wohnte mit ihren drei Töchtern weitab vom Dorfe, einsam, auf einem Bergrücken. Sie war so arm, daß sie nur ein Huhn ihr eigen nannte, aber das war ihr so teuer wie ihr Augenstern. Sie umsorgte es und sprach früh und spät mit ihm. Aber eines Tages war das Huhn verschwunden. Die Frau ging hinaus rund um das Haus, suchte und lockte, aber das Huhn war und blieb verschwunden.

»Geh hinaus und sieh, wo das Huhn geblieben ist«, sagte die Frau zu ihrer ältesten Tochter, »wiederhaben müssen wir es, und wenn wir es aus den Bergen herausholen müssen.« - Ja, da mußte die Tochter hinaus und nach ihm sehen. Sie ging dahin und dorthin, suchte und lockte. Schließlich hörte sie ganz weit weg aus einer Bergwand rufen:



039 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

»Das Huhn lief in den Berg hinein. . .«

Sogleich ging sie dorthin, um zu sehen, was das war! Aber bei der Bergwand fiel sie in eine Spalte, tief, tief hinab, in ein Gewölbe unter der Erde. Dort unten ging sie weiter durch viele Räume, wovon der eine immer prächtiger war als der andere, aber in dem innersten kam ihr ein großer, häßlicher Bergtroll entgegen.

»Willst du meine Liebste werden?«fragte er. »Nein«, sagte sie, »das will ich ganz und gar nicht. Ich will wieder hinauf und nach meinem Huhn sehen, das davongelaufen ist.« Da wurde der Troll so böse und zornig, daß er sie packte und ihr den Kopf abdrehte. Darauf warf er Kopf und Körper in den Keller.

Die Mutter saß inzwischen zu Hause, wartete und wartete, aber keine Tochter kam zurück. Sie wartete noch einige Zeit, aber als sie nichts von ihr hörte und sah, sagte sie zur mittleren Tochter, sie solle hinausgehen und nach ihrer Schwester schauen. »Gleichzeitig kannst du das Huhn rufen«, sagte sie noch.

Da ging die andere Schwester hinaus, und es ging ihr wie der ersten. Sie lief und suchte und lockte, und auf einmal hörte auch sie weit, weit weg aus einer Bergwand rufen: »Das Huhn lief in den Berg hinein. . «

Das erschien ihr sonderbar. Sie mußte dort hin und sehen, was da war. Und so fiel auch sie in die Spalte, tief, tief hinab ins Gewölbe. Da ging sie durch alle Räume. Aber im innersten kam ihr der Bergtroll entgegen, und er fragte sie, ob sie seine Liebste werden wollte. Nein, das wolle sie ganz und gar nicht, sie wolle gleich wieder hinauf nach dem Huhn suchen, welches davongelaufen war. Aber da wurde der Troll böse, packte sie, drehte ihr den Kopf ab und warf Körper und Kopf hinunter in den Keller.

Als die Frau nun zu Hause gesessen und auf die andere Tochter gewartet hatte, und die Tochter weder zu hören noch zu sehen war, sagte sie zu der Jüngsten: »Nun mache du dich auf den Weg und schaue nach deinen Schwestern. Schlimm ist, daß mein Huhn weglief, aber schlimmer wäre es, würden wir deine Schwestern nicht wiederfinden. Aber das Huhn kannst du immer locken gleichzeitig.«

Ja, da mußte nun auch die Jüngste hinausgehen. Sie ging dahin und dorthin, suchte und lockte, aber sie sah weder das Huhn noch ihre Schwestern. Mit der Zeit kam sie auch zu der Bergwand und hörte, wie es da rief:

»Das Huhn lief in den Berg hinein, das Huhn lief in den Berg hinein...«



040 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Das erschien ihr seltsam. Sie wollte dorthin und nachsehen, und so fiel auch sie in die Spalte, tief, tief hinab ins Gewölbe. Dort unten ging sie weiter durch viele Räume, der eine war immer prächtiger als der andere. Aber sie war nicht so ängstlich. Sie nahm sich Zeit, besah das eine und andere, und so bemerkte sie auch die Falltür zum Keller. Sie schaute hinein und erkannte sofort ihre Schwestern, die da lagen.

Als sie die Falltür wieder gut verschlossen hatte, kam der Bergtroll zu ihr. »Willst du meine Liebste werden?«fragte er. »Ja, das will ich gern«, sagte das Mädchen, denn sie konnte sich denken, wie es ihren Schwestern ergangen war. Als der Troll ihre Antwort vernahm, bekam sie prächtige Kleider, die feinsten, die sie sich nur wünschen konnte, und alles andere, was sie etwa haben wollte, so glücklich war der Troll, daß jemand seine Liebste werden wollte.

Aber als sie eine Zeitlang bei ihm gelebt hatte, wurde sie eines Tages noch stiller und bedrückter, als sie sonst zu sein pflegte. Da fragte der Bergtroll, was sie so bedrücke.

»0, ich bin traurig, weil ich nicht heimkomme zur Mutter«, sagte das Mädchen, »sie ist gewiß hungrig und durstig und hat niemanden mehr bei sich.«

»Es ist dir nicht erlaubt, zu ihr zu gehen«, antwortete der Troll, »aber wenn du etwas Essen in meinen Sack stopfen willst, so werde ich ihn zu ihr tragen.« - Ja, dafür dankte sie ihm und das wolle sie tun. Aber ganz unten in den Sack tat sie eine Menge Gold und Silber, legte etwas Essen obenauf und sagte zum Troll, nun sei der Sack fertig. Aber er solle nicht hineinsehen. Das versprach der Troll auch.

Als er nun mit dem Sack wegging, blickte sie ihm nach durch ein kleines Loch im Felsen. Als er ein Stück Weges gegangen war, sagte er bei sich: »Dieser Sack ist so schwer, ich will nur nachsehen, was da alles drin ist«, und wollte gerade das Sackband lösen, da rief das Mädchen: »Ich seh dich noch, ich seh dich noch!« Du hast verteufelt gute Augen, dachte der Troll, und so traute er sich nicht mehr, den Sack nachzuprüfen. - Als er nun dort angekommen war, wo die Witwe wohnte, warf er den Sack hinein ins Haus gegen die Stubentür: »Da hast du Essen von deiner Tochter. Das macht ihr gar nichts aus«, sagte er.

Während nun das Mädchen weiter im Berg blieb, fiel eines Tages ein Geißböckchen hinunter in die Felsenspalte. »Wer hat dich gerufen, du langhaariges Biest!« schrie der Troll. Er war scheußlich wild, nahm das Böckchen, drehte ihm den Kopf ab und warf es in den Keller.

»Ach nein, warum tatest du das«, jammerte das Mädchen, »mit dem hätte ich so schön hier unten spielen können.«



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»Du brauchst deshalb nicht den Kopf hängen zu lassen«, sagte der Troll, »ich kann das Geißböckchen wieder zum Leben erwecken.« Damit nahm er einen Krug, welcher an der Wand hing, setzte dem Geißböckchen den Kopf wieder auf, beschmierte ihn mit Salbe aus dem Krug, und so war es gleich wieder heil.

Haha, dachte das Mädchen, der Krug ist noch zu etwas anderem gut. Da sie nun eine lange Weile bei dem Troll gewesen war, paßte das Mädchen eine Zeit ab, als der Troll weg war, nahm die älteste der Schwestern, setzte ihr den Kopf wieder auf, beschmierte ihn mit Salbe aus dem Krug, genau so wie es der Troll bei dem Geißböckchen gemacht hatte, und sofort kam wieder Leben in die Schwester. Das Mädchen steckte die Schwester in einen Sack, legte etwas zu essen obenauf, und als der Troll wieder nach Hause kam, sagte sie zu ihm: »Mein lieber Freund, nun mußt du meiner Mutter wieder einmal etwas zu essen bringen, sie ist gewiß durstig und hungrig, die arme, und allein ist sie auch. Aber schau nicht in den Sack!«Ja, er würde mit dem Sack hingehen, und hineinschauen würde er auch nicht, sagte er. Aber als er ein Stück Weges zurückgelegt hatte, erschien ihm der Sack schwerer und schwerer zu werden, und als er noch ein Stück gegangen war, sagte er sich, nun müsse er einmal nachsehen, was in dem Sack drin ist. »Wie auch ihre Augen beschaffen sein mögen, jetzt kann sie mich nicht mehr sehen«, sagte er zu sich selbst. Aber in dem Augenblick, als er das Sackband lösen wollte, sagte diejenige, die in dem Sack saß: »Ich seh dich noch, ich seh dich noch.« »Das war der Teufel, der dir solche Augen in den Kopf gehext hat«, sagte der Troll. Er glaubte, das Mädchen aus der Berghöhle spräche so. Er wagte nun nicht mehr, den Sack nachzuprüfen, sondern trug ihn zur Mutter, so schnell er konnte. - Als er zur Haustür kam, warf er den Sack dagegen: »Da hast du zu essen von deiner Tochter. Das macht ihr gar nichts aus.«

Als das Mädchen nun wieder eine Zeitlang im Berg verbracht hatte, machte sie dasselbe mit ihrer anderen Schwester. Sie setzte ihr den Kopf auf, beschmierte ihn mit Salbe aus dem Krug und steckte sie in den Sack. Aber diesmal füllte sie ihn obendrein noch mit Gold und Silber, so viel noch Platz darin war, und zu alleroberst legte sie etwas zu essen hinein.

»Mein lieber Freund«, sagte sie zum Troll, »nun mußt du meiner Mutter wieder etwas zu essen bringen. Aber schaue nicht in den Sack hinein!«Ja, der Troll wollte sich gern darein fügen, und er versprach auch, nicht in den Sack hineinzuschauen. Aber als er ein Stück Weges gegangen war, schien ihm der Sack bös schwer zu werden. Und da er



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noch ein Stück gegangen war, fühlte er sich vollkommen erschöpft. Er mußte sich mit dem Sack niedersetzen und ein wenig verschnaufen. Und da wollte er auch das Sackband lösen und hineinschauen. Aber da rief auch schon diejenige, die in dem Sack war: »Ich seh dich noch, ich seh dich noch!« - »Der Teufel hat dir solche Augen in den Kopf gehext«, sagte der Troll. Er wagte aber nun nicht mehr nachzuprüfen und trug den Sack gleichfalls zur Mutter. Als er vor die Haustür kam, warf er den Sack dagegen: »Da hast du Speise von deiner Tochter. Das macht ihr gar nichts aus«, sagte er.

Als das Mädchen noch eine gute Weile in dem Berg hauste, wollte der Troll einmal hinausgehen. Da verstellte sich das Mädchen, sie sei so krank und elend und jammerte und klagte.

»Es hat gar keinen Zweck, daß du vor zwölf heimkommst«, sagte sie, »denn ich werde das Essen nicht früher fertig haben, ich bin zu elend und schwach.«

Als nun der Troll gegangen war, stopfte sie ihre Kleider mit Stroh aus und setzte dieses Strohmädchen in den dunklen Herdwinkel mit einem Quirl in der Hand, so daß es aussah, als ob sie selbst dort stünde. Dann beeilte sie sich, nach Hause zu kommen und nahm auch einen Jäger mit in das Haus ihrer Mutter.

Als es zwölf war, kam der Troll heim.

»Trag die Mahlzeit auf!« sagte er zu dem Strohmädchen.

Nein, sie antwortete nicht.

»Komm mit dem Essen«, sagte der Troll, »ich bin hungrig.«

Nein, sie antwortete nicht.

»Komm mit dem Essen«! schrie der Troll ein drittes Mal, »hör, was ich dir sage, oder soll ich dich wecken!«

Nein, das Mädchen stand immer noch still.

Da wurde er so wild, daß er ihr einen Fußtritt gab und die Strohhalme gegen Wände und Decke flogen. Aber als er das sah, schöpfte er Verdacht und begann nach dem Mädchen zu suchen, oben und unten, und schließlich kam er auch in den Keller hinab. Da waren beide Schwestern des Mädchens fort, und da ahnte er, wie das zugegangen war. Das wollte er ihr vergelten. Er machte sich sofort auf den Weg dorthin, wo ihre Mutter wohnte. Aber als er beim Hause angelangt war, schoß der Jäger. Da getraute der Troll sich nicht hineinzugehen, denn er glaubte, es sei der Donner. Er lief heimwärts so schnell er konnte, aber ehe er zur Felsenspalte kam, ging die Sonne auf, und da zersprang er.

Gold und Silber ist da sicher noch genug. Wenn man nur wüßte, wo die Felsspalte ist.



043 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa


Gefährten

Es war einmal ein Bauernjunge, der träumte, er würde eine Königstochter bekommen in einem fernen Lande. Sie war so weiß und rot wie Milch und Blut und so reich, daß ihr Reichtum nie zu Ende gehen konnte. Als er erwachte, erschien es ihm, als stünde sie noch licht und leibhaftig vor ihm. So lieblich und fein dünkte sie ihn, daß er nicht mehr leben wollte, ohne sie zu bekommen. Er verkaufte alles, was er besaß, und zog in die Welt hinaus, um sie zu suchen.

Er ging lange und länger als lang, und im Winter kam er in ein Land, da gingen alle Landstraßen gradaus, und keine machte einen Bogen. Als er ein viertel Jahr so gewandert war, kam er zu einer Stadt. Vor der Kirchentür lag ein großer Eisklumpen mit einer Leiche darin, und alle Kirchgänger, die da vorbeigingen, spuckten darauf. Der Bauernjunge wunderte sich darüber, und als der Pfarrer aus der Kirche kam, fragte er ihn, was das zu bedeuten hätte.

Das ist ein großer Missetäter«, sagte der Pfarrer, »er ist verdammt wegen seiner gottlosen Schuld und dort zu Spott und Hohn aufgestellt.«

»Was hat er denn verbrochen«, fragte der Junge.

»Hier im Leben war er Weinzapfer«, sagte der Pfarrer, »und er mischte Wein mit Wasser.«

Das schien dem Jungen keine so schreckliche Tat zu sein, und da er mit dem Leben bezahlt hatte, hätten sie ihn doch ruhig in christlicher Erde begraben können, daß er nach dem Tode Frieden fände.

»Nein«, sagte der Pfarrer, »das geht nicht so ohne weiteres, denn da müßte jemand ihn erst einmal aus dem Eis heraustauen, dann müßte Geld da sein, um Christenerde bei der Kirche zu kaufen, der Totengräber müßte bezahlt werden für das Grab, der Glöckner müßte bezahlt werden für das Läuten und Singen und der Pfarrer für das Erdeaufwerfen. Glaubst du, da findet sich jemand, der das alles bezahlen will für einen verdammten Sünder?«fragte er.

Ja, sagte der Junge, wenn er nur erreichen könne, daß der Sünder in die Erde käme, würde er außerdem noch Bier für den Leichenschmaus bezahlen von dem wenigen, was er hatte. Der Pfarrer wollte zuerst nicht, aber als er sah, daß der Junge wiederkam mit zwei Mann, die seine Weigerung hören sollten, antwortete er, nun könne er es ihm nicht



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mehr abschlagen. Und so wurde der Weinzapfer aus dem Eisklumpen getaut und in christliche Erde gelegt, es wurde dazu geläutet und gesungen, und der Pfarrer warf Erde auf ihn, sie tranken Bier und weinten und lachten miteinander.

Aber als der Junge auch das Bier bezahlt hatte, fand sich nicht mehr viel Geld in seiner Tasche.

Er machte sich wieder auf den Weg, aber er war noch nicht weit gegangen, da kam ein Mann hinter ihm her, der fragte ihn, ob es denn nicht langweilig sei, so allein zu gehen.

Nein, das schiene ihm nicht so zu sein, denn er hätte immer genug zu denken, sagte er. Aber er könne doch vielleicht einen Diener gebrauchen, fragte der Mann.

»Nein«, sagte der Junge, »ich werde mein eigener Diener sein müssen, ob ich will oder nicht, denn ich habe kein Geld für Kost und Lohn.«

»Einen Diener brauchst du, das weiß ich besser als du«, sagte der Mann, »und zwar brauchst du einen Diener, der mit dir durch dick und dünn geht. Und wenn du mich nicht als Diener haben willst, so nimm mich als Gefährten. Ich verspreche dir, daß ich dir nützlich sein werde, und das soll dich keinen Schilling kosten. Ich werde mich selbst verköstigen, und um meine Kleider brauchst du dich auch nicht zu kümmern.«

Ja, unter dieser Bedingung wollte er ihn gern als Gefährten haben. Seit dem Tage reisten sie zusammen, und meistens ging der Mann voran und zeigte ihm den Weg.

Als sie lange durch ferne Länder über Berge und Hügel gewandert waren, kamen sie an einen Querberg. Da klopfte der Gefährte an und bat, daß ihnen aufgetan würde. Der Berg tat sich auf, und als sie tiefer in ihn hinein gingen, kam ein Trollweib auf sie zu mit einem Stuhl. »Bitte schön, setze dich nieder, du wirst müde sein«, sagte sie.

»Sitz selbst!« sagte der Gefährte.

Da mußte sie sich niedersetzen und auf dem Stuhl sitzen bleiben, denn der Stuhl war so beschaffen, daß er denjenigen, der sich ihm näherte, nicht mehr frei gab.

Nun gingen die beiden überall im Berg umher, der Gefährte sah sich um, bis er ein Schwert entdeckte, welches über der Tür hing. Das wolle er haben, und wenn er es bekäme, so versprach er dem Trollweib, würde er sie von dem Stuhl befreien.

»Nein«, schrie sie, »um alles andere kannst du mich bitten, aber nicht um dieses, denn das ist mein Dreischwesternschwert!« Es waren drei Schwestern, denen es zusammen gehörte.



045 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

»Ja, so mußt du eben da sitzen bleiben bis zum Weltende«, sagte der Mann.

Aber als sie das hörte, sagte sie, er könne es bekommen, wenn er sie nur lösen wolle.

Da nahm er das Schwert und ging mit ihm fort und ließ sie trotzdem sitzen.

Als sie weitergewandert waren über nackte Felsen und weite Hügel, kamen sie wieder an einen Querberg, da klopfte der Gefährte an und gebot aufzuschließen. Es geschah wie das erste Mal: der Berg tat sich vor ihnen auf, und als sie ein Stück hineingegangen waren, trat ihnen ein Trollweib mit einem Stuhl entgegen und bat sie niederzusitzen, denn sie würden wohl müde sein.

»Sitz selbst!« sagte der Gefährte, und es erging ihr wie ihrer Schwester, sie konnte nicht anders, sobald sie auf dem Stuhl saß, mußte sie sitzen bleiben. Überall ging der Junge mit seinem Gefährten umher, und der Gefährte schloß alle Schränke und Truhen auf, bis er fand, wonach er suchte: das war ein Goldknäuel. Das wollte er endlich haben. Er versprach dem Trollweib, wenn sie ihm das geben würde, wolle er sie vom Stuhl befreien.

Sie schrie, er könne alles bekommen, was sie besäße, aber das wolle sie nicht hergeben, denn das sei ihr Dreischwesternknäuel. Aber als sie hörte, daß sie da sitzen bleiben müsse bis zum Jüngsten Gericht, wenn er es nicht bekäme, so sagte sie, er könne es trotzdem nehmen, wenn sie nur vom Stuhl frei käme. Der Gefährte nahm es und ließ sie sitzen, wo sie saß.

Viele Tage gingen sie nun wieder über Hügel und durch Wälder, bis sie wieder an einen Querberg kamen. Da ging es genau so wie bei den beiden anderen. Der Gefährte pochte an, der Berg tat sich auf, und innen im Berg kam ein Trollweib mit einem Stuhl und bot ihnen an, sich zu setzen, denn sie seien gewiß müde. Aber der Gefährte sagte: »Sitz selbst!«und so saß sie da. Sie waren noch nicht durch viele Räume gegangen, als sie einen alten Hut entdeckten, welcher an einem Haken hinter der Tür hing. Den wollte der Gefährte haben, aber das alte Weib wollte ihn nicht hergeben, denn das sei der Dreischwesternhut, und wenn sie den fort geben würde, so würde sie ganz unglücklich werden. Aber als sie hörte, sie müsse da sitzen bleiben bis zum Weltenende, wenn er den Hut nicht bekäme, sagte sie, er könne ihn nehmen, wenn sie nur loskäme. Als der Gefährte nun den Hut bekommen hatte, gebot er ihr, da sitzen zu bleiben, wo sie saß, genau wie ihre Schwestern.

Nach einiger Zeit kamen sie zu einem Sund. Da nahm der Gefährte



046 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

das Goldknäuel und warf es so kräftig gegen den Berg auf der anderen Seite des Sundes, daß es wieder zurücksprang, und als er es so einigemale geworfen hatte, wurde eine Brücke daraus. Da konnten sie hinüber gelangen. Und als sie auf der anderen Seite angekommen waren, bat der Mann den Jungen, das Knäuel wieder aufzuwickeln, so schnell er könne. »Denn wenn wir das nicht schnell tun, so kommen die drei Trollweiber und reißen uns in Stücke«, sagte er. Der Junge wickelte, so schnell er konnte, und als nur noch das letzte Fadenende drüben war, kamen die Trollweiber angefaucht. Sie flogen zum Wasser, daß ein Nebel ihnen voranstob, und griffen nach dem Fadenende. Aber es gelang ihnen nicht, es zu ergreifen, und so ertranken sie im Sund.

Als sie noch einige Tage weitergegangen waren, sagte der Gefährte: »Nun kommen wir bald zu dem Schloß, wo sie ist, die Königstochter, von der du geträumt hast. Und wenn wir dort sind, mußt du hinein zum König gehen und ihm erzählen, was du geträumt hast und warum du hergekommen bist.« Als sie zum Schloß kamen, tat der Junge wie ihm der Gefährte geraten hatte, und er wurde gut empfangen. Er bekam ein Zimmer für sich und eins für seinen Diener, den er bei sich hatte. Und als es Zeit zum Essen wurde, bat man ihn zu Mittag an des Königs eigenen Tisch.

Sowie er die Königstochter erblickte, erkannte er sie sofort wieder. Ja, sie war es, von der er geträumt hatte, daß er sie bekommen sollte. Er warb um sie, und sie antwortete ihm, daß sie ihn wohl liebe, und daß sie ihn gerne nehmen wolle, aber erst müsse er drei Proben bestehen. Als sie gegessen hatten, gab sie ihm eine goldene Schere und sagte ihm: »Die erste Probe besteht darin, daß du diese Schere nehmen und bewahren sollst. Morgen Mittag sollst du sie mir zurückgeben. Das ist keine schwere Probe, kannst du mir glauben«, sagte sie. »Wenn du es aber nicht kannst, so verlierst du dein Leben, das ist hier Gesetz. Du wirst gerichtet und aufs Rad geflochten, und der Kopf wird auf eine Stange gesteckt, genau so wie die Köpfe der anderen Freier, die du draußen vorm Fenster siehst.« Da hingen Männerköpfe rund um den Königshof, wie Krähen im Herbst auf den Stangen des Gitters sitzen.

Das ist keine Kunst, dachte der Junge. Aber die Königstochter war so lustig und wild und schäkerte mit ihm, daß er sich selbst und die Schere vergaß. Und während sie tobte und tollte, listete sie ihm die Schere ab, ohne daß er es merkte. Als er am Abend hinauf zur Kammer kam und erzählte, wie alles gegangen war, und er von der Schere



047 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

berichtete, die er verwahren sollte, fragte der Gefährte: »Du hast doch die Schere, die sie dir gab?« Er suchte danach in all seinen Taschen, aber da war keine Schere, und dem Jungen wurde schlimm zumute, als ihm klar wurde, daß sie weg war. »Gedulde dich nur, ich will versuchen, sie dir wieder zu beschaffen«, sagte der Gefährte und ging hinunter zum Stall. Dort stand ein großer, dicker Stallbock, welcher der Königstochter gehörte. Der konnte viel schneller durch die Luft fliegen, als auf der Erde gehen. Der Gefährte nahm das Dreischwesternschwert und schlug ihn damit zwischen die Hörner und sagte: »Wann reitet die Königstochter zu ihrem Liebsten diese Nacht?« Der Bock blökte und sagte, das dürfe er nicht verraten. Aber als er noch einen Schlag bekam, sagte er, daß die Königstochter um elf kommen wolle. Der Gefährte setzte den Dreischwesternhut auf, sodaß er unsichtbar wurde, und wartete bis sie kam. Sie bestrich den Bock mit einer Salbe, die sie in einem großen Horn hatte, und flüsterte dazu: »Durch die Lüfte, durch die Lüfte über Dachfirste und Kirchtürme, über Land und Wasser, über Berg und Tal, zu meinem Liebsten, der erwartet mich im Berg diese Nacht.« Im selben Augenblick, als der Bock davonsprang, schwang der Gefährte sich mit hintendrauf, und dahin gings wie ein Sturmwind. Sie waren noch nicht lange unterwegs, als sie an einen Querberg kamen. Da klopfte sie an, und sie wurden hineingetragen in den Berg zu dem Troll, welcher ihr Liebster war.

»Nun ist ein neuer Freier gekommen, der mich haben will, mein lieber Freund«, sagte die Königstochter. »Er ist jung und schön, aber ich will keinen anderen haben als dich«, sagte sie und schmeichelte ihm. »So stellte ich ihn auf die Probe, und hier ist die Schere, die er gut verwahren sollte. Nun gib du acht auf sie.« Dann lachten sie beide so übermütig zusammen, als ob sie den Jungen schon auf Rad und Stange hätten.

»Ja, ich will sie verwahren und ich will auf sie acht geben und ich will schlafen in den Armen meiner Braut, während die Raben des Jungen Gedärme zerhacken«, rief der Troll und legte die Schere in einen eisernen Schrein mit drei Schlössern davor. Aber im selben Augenblick, als er die Schere losließ, nahm der Gefährte sie an sich, niemand konnte ihn sehen, denn er hatte den Dreischwesternhut auf, und so verschloß der Troll den Schrein wieder für gar nichts. Den Schlüssel aber verwahrte er im Loch einer seiner Backenzähne, wo er allerhand Zauberkram drin hatte. Das solle dem Burschen schwer fallen, die zu finden, meinte er.



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Als es Mitternacht geschlagen hatte, reiste die Königstochter wieder heim. Der Gefährte setzte sich auf den Bock hinter sie, und so dauerte der Heimweg nicht lange.

Zu Mittag wurde der Junge an des Königs Tisch gebeten, aber da hatte die Königstochter so müde Gebärden, und so stolz und abweisend war sie, daß sie kaum noch hinschaute auf die Seite, wo der Jüngling saß.

Als sie gespeist hatten, setzte sie eine Feiertagsmiene auf, war seelenvergnügt und sagte: »Hast du vielleicht die Schere, die ich dir gestern zur Verwahrung gab?«

»Ja, ich habe sie, hier ist sie«, sagte der Junge, zog sie hervor und stieß sie in den Tisch, daß der Tisch nur so wackelte. Der Königstochter hätte nicht schlimmer zumute sein können, wenn er ihr die Schere ins Angesicht geschlagen hätte. Aber sie schmeichelte ihm, tat freundlich und sagte: »Wenn du so gut auf die Schere aufgepaßt hast, kann es nicht schwer für dich sein, mein Goldknäuel zu verwahren, so daß du es mir morgen Mittag wiedergeben kannst. Vermagst du es aber nicht, so wirst du das Leben verlieren. Das ist Gesetz.«

Das sei keine gefährliche Sache, meinte der Junge, nahm das Goldknäuel und steckte es in die Tasche. Aber sie begann zu spaßen und zu schäkern mit ihm, sodaß er sich selbst und das Goldknäuel vergaß, und während sie tobte und am allermeisten tollte, stahl sie ihm das Goldknäuel aus der Tasche und ließ ihn gehen.

Als er in die Kammer hinaufkam und erzählte, was sie gesprochen und getan hatten, fragte der Gefährte: »Du hast doch das Goldknäuel, das sie dir gab?«

»Ja, das habe ich«, sagte der Jüngling und griff in seine Tasche, wo er es hineingesteckt hatte. Aber nein, er hatte kein Goldknäuel mehr und es wurde ihm schlimm zumute, weil er nicht wußte, was er machen sollte.

»Habe nur Geduld«, sagte der Gefährte, »ich will versuchen, es wiederzubekommen.« Er nahm Schwert und Hut und ging zu einem Schmied und ließ zwölf Pfund Eisen auf sein Schwert schlagen.

Als er in den Stall kam, gab er dem Bock einen Schlag zwischen die Hörner, daß er taumelte, und fragte ihn: »Wann reitet die Königstochter zu ihrem Liebsten heute Nacht?«

»Glock zwölf«, blökte der Bock.

Der Gefährte setzte sich wieder den Dreischwesternhut auf und wartete auf sie, bis sie eilig mit dem Salbhorn hereinkam, den Bock schmierte und wie das erste Mal sprach:» Durch die Lüfte, durch die Lüfte, über



049 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Dachfirste und Kirchtürme, über Land und Wasser, über Berg und Tal, zu meinem Liebsten, der mich erwartet im Berg heute Nacht.« Im selben Augenblick, als der Bock davonsprang, schwang sich der Gefährte hintendrauf und fort gings wie ein Sturmwind. Sie kamen auch richtig bei dem Trollberg an, und als sie drei Schläge getan hatte, fuhren sie hinein zum Troll, der ihr Liebster war.

»Wie hast du die Goldschere verwahrt, die ich dir gestern gab, mein Freund«, sagte die Königstochter. »Der Freier hatte sie und gab sie mir zurück«, sagte sie.

Das sei reiner Unsinn, sagte der Troll, denn er hätte sie in einen Schrein verschlossen mit drei Schlössern und den Schlüssel versteckt im Loch seines Backenzahnes. Aber als er aufschloß und nachsah, war keine Schere im Schrein.

Nun erzählte die Königstochter, daß sie dem Freier ihr Goldknäuel gegeben hatte. »Hier ist es«, sagte sie, »ich nahm es ihm wieder weg, ohne daß er es merkte. Aber was sollen wir mit ihm anfangen, wenn er sich auf solche Künste versteht?«

Ja, der Troll wußte es auch nicht recht. Als er eine Weile nachgedacht hatte, meinte er, sie könnten doch ein großes Feuer machen und das Goldknäuel verbrennen, so daß es niemand wieder finden könne. Kaum hatte sie das Knäuel ins Feuer geworfen, so ergriff es der Gefährte, ohne daß ihn jemand sah, denn er hatte den Dreischwesternhut auf.

Als es auf den Morgen zu ging, reiste die Königstochter wieder heim. Der Gefährte setzte sich hinter sie auf den Bock, und fort gings, schnell und sicher.

Am nächsten Mittag, ehe der Jüngling wieder zur Königstafel ging, gab ihm der Gefährte das Knäuel. Beim Mahl war die Königstochter eher noch stolzer und abweisender als am Tag vorher. Und da sie gegessen hatten, verzog sie den Mund und sagte: »Schön ist es wohl nicht, daß ich heute das Goldknäuel wieder haben möchte, welches ich dir gestern zur Verwahrung gab.«

»Doch«, sagte der Jüngling, »das sollst du haben, hier ist es!« Damit schlug er es auf den Tisch, daß der Tisch erzitterte und der König vom Stuhl auffuhr. Die Königstochter wurde leichenblaß, aber schnell gab sie sich wieder vergnügt und sagte: »Das hast du gut gemacht. Nun ist nur noch eine kleine Prüfung übrig. Wenn du so geschickt bist und mir das verschaffen kannst, woran ich morgen Mittag denke, so sollst du mich haben«, sagte sie.

Dem Jüngling war zumute, als ob er sein Todesurteil gehört hätte,



050 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

denn woher sollte er wissen, woran sie dachte, und wie sollte er das herschaffen? Als er hinauf in seine Kammer kam, war es zunächst unmöglich, ihn zu trösten. Der Gefährte sagte ihm aber dann, er solle nur ruhig sein, er würde die Sache auch diesmal in Ordnung bringen, wie die beiden anderen Male auch. Endlich legte sich der Junge zu Bett, um zu schlafen.

Sogleich eilte der Gefährte zum Schmied und bekam auf sein Schwert vierundzwanzig Pfund Eisen, ging zum Stall und schlug den Bock zwischen die Hörner, sodaß er von einer Wand zur anderen taumelte.

»Wann soll die Prinzessin zu ihrem Liebsten kommen heute Nacht?« fragte er.

»Glock eins«, brüllte der Bock.

Als die Zeit herannahte, stand der Gefährte im Stall. Er hatte den Dreischwesternhut aufgesetzt, und als die Königstochter den Bock gesalbt und ihren Spruch gesagt hatte, trug sie der Bock davon wie der Sturmwind, und der Gefährte saß hinter ihr. Aber diesmal hatte er keine leichte Hand. Er schlug die Prinzessin bald rechts, bald links, als ob er sie gesund schlagen wollte. An der Bergwand angekommen, klopfte sie an die Tür, der Berg öffnete sich, und sie fuhren hinein zu ihrem Liebsten.

Als sie bei ihm war, jammerte und klagte sie: »Das ist ein schlimmer Ritt heute gewesen. Ich weiß nicht, ob ein solch arges Hagelwetter draußen gewesen ist oder ob irgend jemand mitgeritten ist, der mich und den Bock geschlagen hat. Mein ganzer Leib ist gelb und blau.« Und dann erzählte sie, daß ihr der Freier das Goldknäuel zurückgegeben hätte. Wie das zuging, wüßte sie sich nicht zu erklären. Und der Troll wußte es auch nicht.

»Aber weißt du nun, was ich mir ausgedacht habe«, sagte sie. Nein, das konnte der Troll nicht wissen. »Ich habe ihm gesagt, er soll mir das herschaffen, woran ich morgen Mittag denken werde. Das ist dein Kopf. Glaubst du, daß er dies fertig bringen wird, mein Freund«, sagte die Königstochter und liebkoste den Troll.

»Das glaube ich niemals«, rief der Troll und schwor darauf und brach in ein schallendes Gelächter aus wie ein junger Bursch. Und beide, der Troll und die Königstochter dachten, ehe der Freier das Haupt des Trolls herschaffen könne, würde er Rad und Stange zieren, und die Raben würden ihm die Augen aushacken.

Da es auf den Morgen zuging, mußte sie wieder heim. »Aber ich habe Angst«, sagte die Königstochter zu ihrem Liebsten. Allein getraue ich mich nicht nach Haus zu reiten, denn ich glaube, da ist jemand



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hinter mir. Begleite du mich auf dem Heimweg.« Er zog also seinen Bock hervor, denn er wollte zur Königstochter passen, salbte ihn auch zwischen den Hörnern, und als er aufgesessen war, schwang sich der Gefährte hinter ihn, und so wurde er mit durch die Lüfte davongetragen bis zum Königshof. Unterwegs aber schlug er Troll und Bock, gab ihnen Hieb auf Hieb und Schlag auf Schlag mit seinem Schwert, sodaß der Bock mehr und mehr niedersank und beinah ins Wasser gesunken wäre, das sie überflogen. Obgleich dem Troll das Wetter sehr wüst zu sein schien, folgte er doch der Prinzessin bis zum Königshof und blieb vor der Tür stehen, um ihr Lebewohl zu sagen. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, schlug der Gefährte dem Troll das Haupt ab und schlich hinauf in die Kammer zu dem Jüngling. »Hier ist das, woran die Königstochter heute Mittag denken wird«, sagte er.

Das war nun alles schön und gut, das kann man sich ja denken. Mittags wurde der Jüngling zu Tisch gebeten, und als sie gegessen hatten, war die Königstochter so vergnügt wie eine Lerche.

»Vielleicht hast du dasjenige, woran ich denke«, sagte sie.

»Aber ja, das habe ich!« sagte der Jüngling, riß das Haupt unter seinem Mantel hervor und schlug es auf den Tisch, daß der ganze Tisch mit allem, was darauf stand, zusammenbrach. Die Königstochter wurde bleich, als ob sie schon unter der Erde liege, aber sie konnte nicht leugnen, daß es dieses war, woran sie gedacht hatte. Und nun mußte sie erfüllen, was sie versprochen hatte. So tranken sie auf die Hochzeit und es war große Freude im ganzen Königreiche.

Doch der Gefährte zog den Jüngling beiseite und sagte zu ihm, er könne zwar die Augen schließen und so tun als ob er schlafe in der Brautnacht, aber wenn er sein Leben lieb hätte und auf ihn hören wolle, so dürfe er nicht einschlummern, bevor er sie von dem dunklen Bann befreit hätte, der auf ihr lag. Und den solle er ihr wegpeitschen mit Reisern von neun jungen Birkenbesen, den solle er ihr abreiben in drei Wannen mit Milch. In der ersten Wanne solle er sie abschrubben mit vorjähriger Molke, in der zweiten Wanne solle er sie abreiben mit Sauermilch, und in der dritten Wanne solle er sie abspülen mit süßer Milch. Die Ruten lägen unter dem Bett, und die Wannen hätte er in den Winkel gesetzt, es sei alles bereit. Ja, der Jüngling versprach, ihm zu gehorchen und alles so zu machen, wie er es gesagt hatte.

Am Abend, .als sie ins Brautbett kamen, tat der Jüngling so, als ob er nun schlafen wolle. Die Königstochter stützte sich auf die Ellenbogen und sah nach ihm, ob er wohl schliefe. Sie kitzelte ihn unter der



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Nase, der Jüngling schien zu schlafen, sie zupfte ihn an Haar und Bart, aber er schlief wie ein Stock, glaubte sie. So zog sie unter dem Kopfkissen ein großes Schlachtermesser hervor und wollte ihm den Kopf abhacken. Aber da fuhr der Jüngling auf, schlug ihr das Messer aus der Hand und ergriff sie bei den Haaren. Er schlug sie mit den Ruten, ja, er zerpeitschte sie an ihr, daß nicht ein Zweiglein davon heil blieb. Als dies geschehen war, warf er sie in die Molkenwanne, und da bekam er zu sehen, was sie für ein Tier war. Sie war schwarz wie ein Rabe am ganzen Körper. Aber als er sie geschruppt hatte mit Molke und sie abgerieben hatte mit Sauermilch und sie abgespült hatte mit süßer Milch, da war der schwarze Bann von ihr gewichen und sie wurde so freundlich und schön, wie sie niemals vorher gewesen war.

Am nächsten Tage sagte der Gefährte, daß sie nun abreisen müßten. Der Jüngling war reisefertig und die Königstochter auch, denn die Mitgift war seit langer Zeit schon bereit. In der Nacht holte der Gefährte all das Silber und Gold und die Kostbarkeiten, welche beim Troll im Berg waren, nach dem Königshof. Und als sie am Morgen reisen sollten, war es überall so voll im Hof, daß sie kaum vorankamen. Die Mitgift war mehr wert als des Königs Land und Reich, und sie wußten gar nicht, auf welche Weise sie es mitnehmen sollten. Aber der Gefährte wußte Rat: In der Trollhöhle waren immer noch sechs Böcke, die durch die Luft fliegen konnten. Er belud sie so tüchtig mit Gold und Silber, daß sie auf der Erde gehen mußten und sich nicht mehr in die Lüfte erheben konnten mit dieser Last. All das, was die Böcke nicht tragen konnten, mußte im Königshof bleiben.

So reisten sie lang und länger als lang, und zum Schluß waren die Böcke so müde und erschöpft, daß sie nicht mehr länger gehen konnten. Der Jüngling und die Königstochter wußten keinen Rat. Aber der Gefährte nahm die ganze Mitgift auf den Nacken, legte die Böcke obendrauf und trug alles so weit vorwärts, daß die Heimat des Jünglings nur noch eine halbe Meile weit entfernt lag. Dann sagte er: »Nun muß ich von dir scheiden, ich kann nicht länger bei dir bleiben.« Doch der Jüngling wollte sich um alles in der Welt nicht von ihm trennen. So ging der Gefährte eine halbe Meile mit, aber weiter könne er ihm nicht folgen. Und als der Jüngling ihn bat, mit ihm nach Haus zu kommen und bei ihm zu bleiben oder doch wenigstens mit heimzukommen und das Willkommensbier bei seinem Vater zu trinken, sagte der Gefährte: »Nein, das kann ich nicht.«

Der Jüngling fragte ihn, was er dafür haben wolle, daß er mit ihm gegangen sei und ihm geholfen habe.



053 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

»Willst du mir etwas geben, so muß es die Hälfte von allem sein, was du in den nächsten fünf Jahren dein eigen nennen wirst«, sagte der Gefährte. Ja, das solle er haben.

Als er fort war, ließ der Jüngling all seine Reichtümer zurück und reiste leer heim. Dort wurde das Willkommensbier getrunken, so daß man davon in sieben Königreichen sprach. Und erst als sie damit fertig waren, spannten sie die Böcke ein und die zwölf Pferde, die dem Vater gehörten, und fuhren all das Silber und Gold heim, den ganzen Winter lang.

Als fünf Jahre vergangen waren, kam der Gefährte wieder und wollte seinen Teil haben. Da hatte der Mann alles in zwei gleiche Teile geteilt.

»Aber da ist etwas, das hast du nicht geteilt«, sagte der Gefährte.

»Was ist das«, fragte der Mann, »ich dachte, ich hätte alles geteilt.«

»Du nennst ein Kind dein eigen«, sagte der Gefährte, »das mußt du auch in zwei Teile teilen.«

Ja, auch dazu war er bereit. Er zog sein Schwert: aber kaum hatte er es erhoben, um das Kind zu teilen, ergriff der Gefährte von rückwärts die Schwertspitze, sodaß er nicht zuschlagen konnte.

»Bist du nun glücklich, daß du nicht zuzuschlagen brauchtest?«fragte er.

»Ja, so glücklich war ich noch niemals«, antwortete der Mann.

»Genau so glücklich war ich, als du mich aus dem Eisklumpen erlöstest«, sagte der Gefährte. »Behalte alles, was du hast. Ich brauche nichts, denn ich bin ein schwebender Geist.«

Es war der Weinzapfer, welcher damals im Eisklumpen draußen vor der Kirchentüre stand, den alle bespuckten. Weil der Jüngling alles hergegeben hatte, um ihm den Frieden in christlicher Erde zu verschaffen, war er des Jünglings Gefährte geworden und hatte ihm geholfen. Ein Jahr lang durfte er ihm dienen. Nach fünf Jahren durfte er ihn noch einmal wiedersehen. Aber jetzt mußten sie scheiden für alle Zeiten, denn nun läutete es nach ihm mit himmlischen Glocken.


Vogel Dam

Es war einmal ein König, der hatte zwölf Töchter, die mochte er so gut leiden, daß er sie allezeit um sich haben wollte. Nur jeden



054 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Mittag, wenn der König schlief, gingen die Prinzessinnen hinaus spazieren.

Eines Tages, als der König sein Mittagsschläfchen hielt, blieben die Prinzessinnen auf einmal weg und kamen nicht wieder. Da befiel eine große Trauer das ganze Land, aber der König trauerte am meisten von allen. Er ließ Boten ausgehen in sein Land und in die Nachbarländer, ließ es verkünden in allen Kirchen, und alle Glocken ließ er für sie läuten im ganzen Land. Aber die Prinzessinnen waren fort und blieben verschwunden und niemand wußte, wo sie geblieben waren. Nun war es klar, ein Troll hatte sie geraubt und in den Berg entrückt. Man sprach überall darüber, in Stadt und Land, sogar in fremden Königreichen, und eines Tages drang die Kunde auch zu einem König in einem sehr sehr fernen Lande, der hatte zwölf Söhne. Als die von den zwölf Königstöchtern hörten, baten sie um die Erlaubnis, hinauszuziehen und sie zu suchen. Der König wollte die Fahrt nicht erlauben, er hatte Angst, seine Söhne nie wieder zu sehen, aber sie knieten vor dem König und baten ihn so lange, daß er sie schließlich doch ziehen lassen mußte. Er rüstete ein Schiff für sie aus, bestimmte Ritter Röd als Steuermann, der sich auf See gut auskannte, und so segelten sie eine lange Zeit umher, kamen in viele Länder, forschten, suchten und fragten nach den Prinzessinnen, doch niemand hatte etwas von ihnen gehört oder gesehen.

Es fehlten nur noch ein paar Tage, daß sie sieben Jahre mit ihrem Segelschiff unterwegs waren und suchten. Da brach ein fürchterlicher Sturm los, ein dunkles Ungewitter ließ sie nicht glauben, je wieder Land zu sehen. Sie brauchten alle ihre Kräfte, das Schiff aus dem Sturm zu retten und mußten alles daran setzen, daß der Schlaf sie nicht übermannte, so lange das Unwetter tobte. Aber als der dritte Tag sich neigte, legte sich der Sturm und augenblicklich trat eine Stille ein. So müde waren sie alle von dem harten Wetter und den vielen Mühen, daß sie sogleich fest schliefen. Nur der jüngste Königssohn hatte keine Ruhe und konnte nicht schlafen.

Wie er ruhlos hin und her so auf dem Deck des Schiffes wandert,
sieht er vor sich eine Insel. Und ein Hund springt ihm entgegen,
bellt und winselt zu dem Schiff hin. Und der Königssohn, der lockt ihn,
spricht und lockt, das Hündchen winselt. Schade, dachte da der
Jüngling,
wenn das Hündchen sterben würde, stammt vielleicht von einem
Schiffe,


055 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

das im Sturme ging zu Grunde. Könnt ich nur das Boot aussetzen, ganz allein, ich wollt ihm helfen. Doch die andern schliefen alle. Und er wollte sie nicht wecken. Da das Wetter war so stille, dachte er, ich wills versuchen. Besser gings, als er vermutet, und er ruderte aufs Land zu, stieg hinan, griff nach dem Hunde, doch der sprang geschwind zur Seite, und so oft er greifen wollte, führte ihn der Hund landeinwärts. Ehe er es noch gewahrte, stand er vor dem großen Schlosse. Und der Hund war schnell verwandelt in die lieblichste Prinzessin. Doch davor, in einem Stuhle saß ein Mann, so fahl und häßlich, daß der Königssohn erbleichte. Du brauchst gar nicht zu erschrecken, sagte da der Mann im Stuhle, denn ich weiß, wonach du suchest. Seid ihr doch zwölf Königssöhne und ihr sucht zwölf Königstöchter, welche eines Tags verschwanden. Ja, ich weiß, wo sie geblieben: Hier im Schloß bei meinem Hausherrn, sitzen auf zwölf goldnen Stühlen, kraulen ihm seine zwölf Köpfe. Sieben Jahr seid ihr gesegelt, müßt noch sieben Jahre segeln, ehe ihr sie könnt erlösen. Aber du kannst gern hier bleiben, kannst auch meine Tochter haben. Doch erst mußt du ihn erschlagen, denn er ist ein strenger Hausherr, und wir wohn ihm nicht mehr dienen. Nun versuch das Schwert zu schwingen, sagte drauf der Trollprinz leise. Ja, der Königssohn entdeckte an der Wand die breite Klinge, braun vom Rost und schwer vom Alter. Doch er konnt' das Schwert nicht heben. Einen Schluck nimm aus der Flasche, sagte da der Trollprinz leise. Als er dies getan, da konnte er das Schwert ein wenig rücken. Und als er den zweiten Schluck nahm, konnte er's ein wenig heben. Einen dritten Schluck, den nahm er, und nun konnte er es schwingen, war so leicht wie eine Feder. Wenn du dann an Bord gekommen, sagte drauf der Trollprinz leise, mußt das Schwert du gut verstecken, in der Koje ruht's am besten. Laß es Ritter Röd nicht sehen, er kann nie das Schwert so schwingen, doch er haßt dich, will dich töten. Wenn dann sieben Jahr vergangen, so daß noch drei Tage fehlen, wirds genau so gehn wie eben, werden große Stürme kommen und ein heftig Ungewitter. Doch wenn dieses überstanden, werden alle schlafen müssen. Nimm dein Schwert, besteig dein Boot dann,


056 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

rudre kräftig schnell zum Lande, wirst zu einem Schlosse kommen. Aller Art Getier, als Wächter, steht davor in langen Reihen - Wölfe, Bären, Löwen siehst du, doch da sollst du nicht erschrecken, denn die Tiere werden alle dir sogleich zu Füßen fallen. Wenn du dann ins Schloß gekommen, in dem prächtigsten der Säle, da wirst du ihn sitzen sehen, hat zwölf Köpfe an dem Leibe. Und zwölf Königstöchter sitzen rings um ihn auf goldnen Stühlen, jede hat ein Haupt im Schoß, muß es lausen, muß es kraulen. Doch dann ist die Zeit gekommen, faß dein Schwert und zögre nicht mehr, schlag du eines nach dem andern von den Häuptern ihm vom Leibe! Wenn er wacht und dich erblicket, schlingt er dich lebend'gen Leibes.

Der Königssohn ging mit dem Schwert an Bord, und das, was er zu wissen bekommen hatte, behielt er in seinem Herzen.

Während die anderen noch schliefen, verwahrte er das Schwert in seiner Koje. Weder Ritter Röd noch ein anderer bekam es zu sehen.

Nun kam ein frischer Wind auf und er weckte die anderen und sagte, sie sollten nicht länger mehr schlafen, da doch der Wind günstig sei. Keiner von allen ahnte auch nur, daß er sich vom Schiffe entfernt und was er inzwischen erlebt hatte.

Als nun die sieben Jahre vergangen waren bis auf drei Tage, geschah es genau so, wie der Trollprinz es ihm vorausgesagt hatte. Es kam ein Unwetter über sie mit schweren Stürmen, das währte drei Tage. Als das überstanden war und Stille eintrat, waren sie schläfrig und müd von der Arbeit und legten sich schlafen. Doch der Jüngste ruderte zum Land, die Wachtiere fielen ihm zu Füßen, und so kam er zum Schloß. Als er in den prächtigsten Saal trat, fand er den großen Troll schlafend und um ihn die zwölf Königstöchter auf zwölf goldenen Stühlen sitzend, jede von ihnen lauste und kraulte ein Trollhaupt. Der Königssohn winkte nun den Prinzessinnen leis, sie sollten fliehen. Doch sie wiesen auf den schlafenden Troll und winkten, er solle den Saal schnell verlassen. Doch er bedeutete ihnen mit flehenden Gesten, sie sollten doch fliehen, bis sie verstanden, daß er sie befreien wollte. Nun schlichen sie sachte hinweg, die eine nach der anderen, und sogleich hieb er dem Trollkönig die zwölf Häupter nacheinander ab, daß sein Blut strömte wie ein großer Bach.

Als er den Troll besiegt hatte, ruderte er zurück zum Schiff und verbarg sein Schwert wieder gut. Ihm schien, er hätte nun genug allein getan, nun sollten ihm die anderen helfen. Er weckte sie also und sagte,



057 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

sie sollten sich schämen, zu liegen und zu schlafen, während er die Prinzessinnen gefunden und vom Troll befreit hätte. Da lachten die anderen und sagten, er hätte wohl genau so gut geschlafen wie sie und nur geträumt, daß er dies alles vollbracht hätte. Wenn jemand die Prinzesinnen befreien sollte, so würde es besser einer von ihnen tun. Aber der Jüngste erzählte, wie alles zugegangen war, und als sie mit ihm ans Land kamen und der erste den Blutbach sah und das Schloß und die zwölf Trollhäupter und die zwölf Prinzessinnen, da erkannten sie, daß er die Wahrheit gesprochen hatte, und nun halfen sie, Häupter und Leib des Trolles ins Meer zu werfen. — Alle waren sie nun herzensfroh, aber niemand war glücklicher als die Prinzessinnen, die nun nicht mehr auf ihre goldenen Stühle gebannt waren, um den Troll alle Tage zu lausen.

Von all dem Gold und Silber und den kostbaren Dingen, die das Schloß barg, nahmen sie mit sich so viel das Schiff fassen konnte. Und so gingen sie alle an Bord, die Prinzen und die Prinzessinnen.

Kaum waren sie ein Stück ins offene Meer hinausgekommen, da sagten die Königstöchter betrübt: »0, vor lauter Freude haben wir unsere Goldkronen vergessen, sie liegen in einem Schrein im Schlosse, die hätten wir gar zu gerne dabei.« Doch keiner der Prinzen wollte sie holen. Da sagte der Jüngste: »Nun habe ich schon so vieles für euch gewagt, so wag ichs und hole die Goldkronen auch noch, wenn ihr die Segel so lang reifen und ein Weilchen hier warten wollt, bis ich zurückkomme.« 0 ja, das wollten sie! Kaum war der Jüngste den Augen entschwunden, sagte Ritter Röd: »Laßt uns jetzt segeln!« 0, der Schlimme wollte gern selbst die jüngste Königstochter haben und der Tüchtigste sein. Es nütze nichts, hier still zu liegen, sagte er, und er wisse genau, der Jüngste käme niemals zurück. Der König selbst habe ihm Macht gegeben, das Schiff zu steuern, wohin er wolle. Kämen sie heim, dann sollten sie sagen, er, Ritter Röd, hätte die Prinzessinnen erlöst. Und wenn einer wagen sollte, anders zu sprechen, so sollte er sofort sein Leben verlieren. Die armen Prinzessinnen trauten sich nicht mehr, etwas anderes zu tun, als das, was Ritter Röd wollte. So segelten sie und das Schiff trug sie fort.

Unterdessen ruderte der jüngste Königssohn an Land, ging hinauf ins Schloß, fand im Schrank die Goldkronen und rollte sie hinab zum Boot. Doch als er an die Stelle kam, wo er das Schiff hätte sehen müssen, war es fort. Da er es nirgends entdecken konnte, ahnte er, was vorgefallen war. Rudernd konnte er das Schiff nicht mehr erreichen, so blieb ihm nichts anderes übrig, als umzudrehen und zum Lande zurückzurudern.



058 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Er hatte Furcht, die Nacht allein im Schloß zu verbringen, doch war kein anderes Haus weit und breit zu sehen. Und so faßte er sich ein Herz, ging hinein, verschloß alle Türen und Pforten im Haus und legte sich in ein bereitetes Bett, das er in dem einen Raume fand. Hatte er schon Angst, so wuchs seine Furcht noch mehr, als es nach einer Weile zu knacken und zu brechen begann in Wänden und Dach, als sollte das ganze Schloß zerreissen. Auf einmal stürzte zu Seiten des Bettes etwas herab, wie eine Last Heu. Dann wurde es still. Aber er hörte eine Stimme, die ihn bat, nicht zu erschrecken und die ihm sagte:
»Ich bin Vogel Dam, ich helfe dir fort,
vertraue mir nur, ich halte mein Wort.«

»Gleich wenn du morgen früh erwachst, mußt du vier Tonnen Roggen für mich aus dem Vorratshaus holen, das muß ich zum Frühstück haben, sonst kann ich nichts machen«, sagte die Stimme noch.

Als er erwachte, sah er einen unheimlich großen Vogel, der hatte eine Feder im Nacken, fast so dick wie ein Tannenbalken. Der Königssohn ging nun zum Wintervorratshaus und holte vier Tonnen Roggen für Vogel Dam, und als der das gefressen hatte, bat er den Königssohn, daß er ihm den Schrank mit den Goldkronen an die eine Seite des Halses hängen solle, und als Gegengewicht ebensoviel Gold und Silber an die andere Seite, und er selbst solle sich ihm auf den Rücken setzen und sich an der Nackenfeder festhalten.

So trug er ihn davon, daß es nur so in den Lüften sauste. Und es dauerte nicht lang, da flogen sie am Schiff vorbei. Der Königssohn wollte gern an Bord und sein Schwert holen, denn er hatte Angst, jemand würde es sehen, und der Trollprinz hatte ihm doch gesagt, es dürfe niemand sehen. Aber Vogel Dam sagte, er müsse weiterfliegen: »Ritter Röd wird es nicht sehen, aber wenn du an Bord kämest, würde er dir nach dem Leben trachten, denn er will gern die jüngste Prinzessin haben. Aber du kannst ganz ruhig sein, denn sie legt ein bloßes Schwert neben sich jede Nacht.«

Schließlich kamen sie zum Trollprinzen, der ihm alles vorausgesagt hatte, und dort wurde der Königssohn so gut empfangen, daß man gar nicht beschreiben kann, wie gut. Der Trollprinz wußte gar nicht, was er ihm alles zu lieb tun sollte, weil er seinen bösen Hausherrn zur Hölle geschickt und ihn zum König gemacht hatte. - Er hätte ihm gar zu gerne seine Tochter und sein halbes Reich gegeben. Aber der Königssohn war der jüngsten der zwölf Prinzessinnen so gut, daß er keine Ruhe fand, sondern endlich hinauswollte, das eine mal über das



059 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

andere. Doch der Troll bat ihn, ruhig noch eine Weile hier zu bleiben, denn sie hätten ja doch noch sieben Jahre zu segeln, ehe sie heim kämen. Über die Prinzessin sprach er genauso wie Vogel Dam: »Um sie brauchst du dir keine Sorgen zu machen, sie legt ein bloses Schwert neben sich nachts. Und wenn du mir nicht glauben willst, so kannst du an Bord gehen, wenn sie hier vorbeisegeln, und selbst nachsehen. Und das Schwert kannst du holen, das muß ich wiederhaben.«

Als sie vorbeisegelten, hatten sie wieder ein Unwetter gehabt, und als der Königssohn an Bord kam, schliefen sie alle, und jede der Prinzessinnen lag bei ihrem Prinzen. Aber die Jüngste lag allein mit einem bloßen Schwert neben sich. Und auf dem Fußboden, vor dem Bett, lag Ritter Röd. Der Königssohn nahm sein Schwert und ruderte wieder zum Lande, ohne daß jemand gemerkt hatte, daß er an Bord gewesen war.

Der Königssohn konnte nun nicht mehr ruhig bleiben, er wollte oft von dannen, und als es nur noch drei Wochen waren, bis die sieben Jahre vergangen, sagte der gute Trollkönig: »Nun kannst du dich zur Reise rüsten, wenn du nicht bei uns bleiben willst. Ich leihe dir das Eisenboot, welches von selbst fährt, du brauchst nur zu sagen: ,Boot, fahr zu!' Im Boot liegt eine Eisenkeule, und diese sollst du anheben, wenn du das Schiff mit den Prinzessinnen vor dir erblickst. So wird eine heftige Bö entstehen, daß sie vergessen, nach dir zu schauen. Kommst du längsseits des Schiffes, so mußt du die Eisenkeule wieder anheben, da wird ein Sturm hereinbrechen, dann haben sie so viel anderes zu tun, daß sie gar keine Zeit haben, nach dir auszuschauen. Und wenn du an ihnen vorbei bist, mußt du die Eisenkeule zum dritten Mal anheben. Aber du mußt sie allezeit sorgsam wieder niederlegen, sonst entsteht ein solches Unwetter, daß die darin umkommen würden und du auch. Wenn du an Land kommst, brauchst du dich nicht weiter ums Boot zu kümmern, wende es, schiebe es hinaus aufs Wasser und sage: ,Boot, fahre heim, woher du kamst!'«

Als er fort fuhr, bekam er so viel Gold und Silber, so viele andere Pracht und Kleider und Leinenzeug, welches in der langen Zeit die Trollprinzessin für ihn genäht hatte, sodaß er viel reicher war, als einer von seinen Brüdern. Kaum hatte er sich in das Eisenboot gesetzt und gesagt: »Boot, fahr zu!« so fuhr das Boot los. Und als er das Schiff vor sich sah, hob er die Keule und gleich bekamen sie eine Fallbö, daß sie vergassen, nach ihm zu sehen. Als er längsseits des Schiffes war, hob er die Eisenkeule wieder. Da entstand solch ein Sturm und solch ein Unwetter, so daß das Meer in weißem Gischt um sie schäumte und



060 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

die Wellen über Deck schlugen, und sie genug anderes zu tun hatten, als nach ihm zu schauen. Und als er an ihnen vorbei war, hob er die Eisenkeule zum dritten Mal, da bekamen sie so reichlich zu tun, daß sie keine Zeit hatten, nachzusehen, was das für einer sei in dem Boot. Lang, lang vor dem Schiff kam er an Land. Und als er all seine Sachen ausgeladen hatte, wendete er das Boot, schob es hinaus und sagte: »Boot, fahr heim, woher du kamst«, sogleich fuhr das Boot zurück.

Er selbst verkleidete sich als Seemann, und so ging er hinauf zu einer armseligen Hütte, wo eine alte Frau wohnte. Der erzählte er, er sei ein armer Matrose gewesen auf einem großen Schiff, das untergegangen sei. Und er sei der einzige, der gerettet wurde. Er bat sie um Obdach für sich und all seine Dinge, die er geborgen hatte.

»Gott bewahre mich«, sagte die Frau, »ich kann niemanden beherbergen. Du siehst selbst, wie das hier ist. Ich habe schon für mich nichts, worauf ich liegen kann und noch viel weniger für andere.« Das sei ihm egal, sagte der Seemann, wenn er nur ein Dach über den Kopf bekäme, so wäre es ihm schon recht, wie er läge. Obdach könne sie ihm nicht verweigern, wenn er mit dem vorlieb nehmen würde, was sie zu bieten hätte.

Am Abend zog er mit seinen Sachen ein. Kaum war er damit fertig, als auch schon die Frau, welche gerne Neuigkeiten hören wollte, um sie weitersagen zu können, zu fragen begann, was er für einer sei, woher er käme, wohin er gehen würde, was das sei, das er da bei sich hätte, in wessen Auftrag er gereist sei, und ob er nichts gehört hätte von den zwölf Königstöchtern, welche seit so vielen Herrgottsjahren nun schon verschwunden seien, und noch anderes mehr, worüber sie nun Zeit genug hätten zu reden. Aber er sagte, er sei so schwach und müde, er hätte so Kopfweh von dem häßlichen Wetter, das er gehabt hätte. Bei ihm ginge noch alles durcheinander, sie müsse ihm endlich noch ein paar Tage Ruhe gönnen, bis er sich auf alles besinnen könne, was er durchgestanden hätte. Dann solle sie alles wissen, was sie wolle und noch mehr dazu. Den Tag darauf begann die Alte wieder zu fragen und zu bohren, aber der Seemann hatte noch solche Kopfschmerzen vom Unwetter, daß er keine Ordnung in seine Gedanken bringen konnte. Trotzdem ließ er ein Wort fallen, daß er schon einiges wüßte von den Königstöchtern. Sofort eilte die Alte von dannen mit dem, was sie erfahren hatte, zu all den Klatschweibern im Umkreis. Und nun kam die eine nach der anderen angerannt und fragte nach Neuigkeiten von den Königstöchtern. Ob er sie gesehen hätte, ob sie bald



061 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

kämen, ob sie unterwegs seien und mehr dergleichen. - Er klagte darüber, daß er Kopfweh hätte vom Unwetter und daß er seine Gedanken nicht ordnen könne. Aber so viel sagte er, wenn sie nicht umgekommen seien bei dem harten Wetter, so kämen sie etwa in vierzehn Tagen oder vielleicht eher.

Eine von den alten Frauen eilte damit sofort zum Königshof und sagte, daß da ein Seemann in der Hütte der alten Frau wohne, der hätte seine zwölf Töchter gesehen, und sie kämen in vierzehn Tagen oder vielleicht in acht. Als der König das hörte, sandte er Boten zu dem Seemann, damit er kommen und ihm das selbst erzählen sollte.

»Ich sehe nicht danach aus«, sagte der Matrose, »ich habe nicht die Kleider danach, um vor ihm erscheinen zu können.« Aber des Königs Sendboten sagten, daß er endlich kommen solle, der König wolle und müsse mit ihm reden, ob er nun so oder so gekleidet sei, denn bisher hätte ihm noch niemand etwas von den Prinzessinnen erzählen können.

So ging er zum Königshof, wurde vor den König geführt und der fragte ihn, ob das wahr sei, daß er etwas von den Prinzessinnen gesehen hätte.

»Ja, das habe ich«, sagte der Seemann, »aber ich kann nicht wissen, ob sie noch leben, denn als ich sie sah, war solch ein Sturm, daß wir Schiffbruch erlitten. Aber wenn sie noch am Leben sind, so kommen sie in vierzehn Tagen, oder vielleicht früher.«

Als der König das hörte, war er beinah außer sich vor Freude, und als die Zeit herannahte, von welcher der Seemann gesprochen hatte, zog der König in vollem Staat ihnen entgegen zum Strand. Da war große Freude im ganzen Land, als die Prinzessinnen wirklich kamen und die Prinzen und Ritter Röd. Aber niemand war glücklicher als der alte König, welcher nun seine Töchter wiederbekommen hatte. Elf Prinzessinnen waren auch glücklich und lustig, aber die Jüngste, welche Ritter Röd haben sollte, sie weinte und war immer traurig. Dem König schien das schlimm zu sein, und er fragte, warum sie nicht lustig und munter sei wie die anderen Prinzessinnen. Sie hätte doch keinen Grund, um so niedergeschlagen zu sein, nun sie vom Troll befreit sei und so einen Mann bekommen sollte wie Ritter Röd. Aber sie getraute sich nicht, etwas zu sagen, denn Ritter Röd hatte gedroht, er würde demjenigen das Leben nehmen, der erzählen würde, was sich alles zugetragen habe.

Doch eines Tages, als die Prinzessinnen wieder an ihrem Hochzeitsstaat nähten, kam einer in einem weiten Matrosenkittel herein mit einem Krämerkorb auf dem Rücken. Der fragte, ob die Prinzessinnen



062 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

zur Hochzeit nicht Putz von ihm kaufen wollten. Er hätte so viele seltene und kostbare Dinge aus Gold und Silber. Ja, das könne gut sein. Sie sahen die Waren an und schauten ihn an, denn es kam ihnen beides so bekannt vor.

»Derjenige, der so viel Prächtiges hat«, sagte die jüngste Prinzessin, »der hat gewiß etwas, was noch prächtiger ist, und was noch besser zu uns passen würde.«

»Das könnte schon sein«, sagte der Händler. Aber die anderen suchten sie zum Schweigen zu bringen und baten sie, daran zu denken, womit Ritter Röd gedroht hatte.

Einige Zeit danach, als die Prinzessinnen eines Tages beim Fenster saßen, kam der Königssohn wieder in der weiten Matrosenkleidung, den Krämerkorb mit den Goldkronen darin hatte er auf dem Rücken. Als er in den Saal des Königsschlosses eintrat, öffnete er den Korb für die Prinzessinnen, und als jede ihre Goldkrone wiedererkannte, rief die Jüngste:

»Mir scheint, das wäre wohl recht, wenn derjenige, der uns befreit hat, auch den Lohn bekäme, den er verdient hat. Und das ist nicht Ritter Röd, sondern der, welcher mit unseren Goldkronen kommt - er hat uns erlöst.« Da warf der Königsohn seinen Matrosenkittel von sich, und er stand viel prächtiger da, als alle die anderen. Da ließ der alte König Ritter Röd töten, und nun zog erst die rechte Freude am Königshof ein. Jeder nahm seine Braut, und so wurde Hochzeit gefeiert, daß man in zwölf Königreichen davon hörte und erzählte.


Die sieben Fohlen

Es waren einmal ganz arme Leute, die wohnten in einer elenden Hütte weit draußen im Walde, sie lebten nur so von der Hand in den Mund, und auch das nur mit Mühe und Not. Aber sie hatten drei Söhne, und der Jüngste von ihnen war Askeladden, denn er tat nichts anderes als in der Asche liegen und nach der Glut graben.

Eines Tages sagte der älteste Knabe, er wolle hinaus und dienen. Dazu bekam er gleich Erlaubnis, und so zog er hinaus in die Welt. Er wanderte den ganzen Tag lang und als es gegen Abend zu ging, kam er zu einem Königshof. Da stand der König draußen auf der Treppe und fragte ihn, wo er hinwolle.



063 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

»Ach, ich geh nur und höre, wo ich dienen könnte, Vater«, sagte der Knabe.

»Willst du bei mir dienen und meine sieben Fohlen weiden?«fragte der König. »Wenn du sie einen ganzen Tag lang hüten kannst und mir am Abend sagst, was sie essen und trinken, so sollst du die Prinzessin bekommen und das halbe Reich dazu. Kannst du es aber nicht, so schneide ich drei rote Riemen aus deinem Rücken.«Das schien dem Knaben eine leichte Arbeit zu sein, das würde er schon fertig bringen, meinte er.

Am Morgen, als der Tag graute, ließ der Stallmeister die sieben Fohlen los, sie sprangen davon und der Knabe sprang ihnen nach. Man kann sich ja denken, das ging über Berg und Tal, durch Buschwerk und Dickicht. Als der Knabe so eine gute Stunde gesprungen war, wurde er müde und als er noch ein Stück Weges zurückgelegt hatte, machte ihm das Fohlenweiden nicht mehr so viel Spaß, und so kam er zu einer Felsenkluft. Da saß ein altes Weib, das spann mit einer Handspindel. Als sie den Jungen erblickte, der den Fohlen nachsprang, daß der Schweiß ihm nur so rann, rief ihm die Alte zu:

»Komm her, komm her, mein lieber Sohn,
ich lause und ich kraul dich schon.«

Das wollte der Junge gerne. Er setzte sich in die Bergschlucht zu dem alten Weib, legte seinen Kopf in ihren Schoß, und so lauste und kraulte sie ihn den ganzen Tag während er lag und faulenzte. - Als der Abend sich neigte, wollte der Junge gehen. »Ich werde lieber direkt nach Hause schlendern«, sagte er, »denn es lohnt sich nicht, zum Königshof zu kommen.«

»Warte ein wenig bis zur Dämmerung«, sagte das alte Weib, »so kommen die Fohlen des Königs hier wieder vorbei und du kannst mit ihnen nach Haus springen, niemand weiß, daß du hier den ganzen Tag gelegen hast, anstatt die Fohlen zu hüten.«

Als sie nun kamen, gab das alte Weib dem Jungen einen Wasserkrug und ein Moosbüschel, das solle er dem König zeigen und sagen, das sei es, was die sieben Fohlen essen und trinken.

»Hast du sie den ganzen Tag treu und gut gehütet?«fragte der König, als der Junge am Abend zu ihm kam. »Ja, das habe ich«, sagte der Junge. »So kannst du mir auch sagen, was meine sieben Fohlen essen und trinken?«fragte der König.

Der Junge zeigte Wasserkrug und Moosbüschel, welche ihm das alte Weib gegeben: »Da siehst du ihr Essen und da siehst du ihr Trinken«, sagte der Junge.



064 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Aber da wußte der König genug, wie er sie gehütet hatte. Er wurde zornig und befahl, ihn sofort wegzujagen. Aber erst sollten sie ihm drei rote Riemen aus dem Rücken schneiden und Salz hineinstreuen.

Als der Junge wieder nach Hause kam, kannst du dir denken, wie ihm zu Mute war. Einmal sei er ausgezogen, um Dienste zu nehmen, sagte er, aber das würde er nie wieder tun.

Am nächsten Tag sagte der andere Sohn, daß er in die weite Welt wolle und sein Glück versuchen. Die Eltern sagten nein und baten ihn, den Rücken des Bruders zu betrachten. Aber der Junge gab sich nicht zufrieden, sein Wunsch blieb wach, und nach einiger Zeit bekam er doch die Erlaubnis. Und er machte sich auf den Weg.

Als er den ganzen Tag gegangen war, kam er auch zum Königshof. Da stand der König draußen auf der Treppe und fragte ihn, wohin er wolle, und als der Junge antwortete, daß er nur so ginge, um zu hören, wo er dienen könne, sagte der König, er könne bei ihm dienen und seine sieben Fohlen weiden. Und dann setzte der König denselben Lohn und dieselbe Strafe fest wie für seinen Bruder. Ja, der Junge willigte sofort ein, er stellte sich in den Dienst des Königs; er wolle gut auf die Fohlen acht geben und ihm sagen, was sie essen und trinken, meinte er.

Im Morgendämmern band der Stallmeister die sieben Fohlen los. Wieder ging es über Berg und Tal und der Junge sprang hinterdrein. Aber es erging ihm genau so wie seinem Bruder. Als er den Fohlen eine lange Zeit nachgesprungen war, wurde er müde und kam zu der Felskluft. Da saß das alte Weib, spann mit einer Handspindel und rief ihm zu:

»Komm her, komm her, mein lieber Sohn,
ich lause und ich kraul dich schon.«

Das schien dem Jungen gut zu sein, er ließ die Fohlen ihren Weg rennen und setzte sich in die Felskluft zu dem alten Weib. Da lag er und ließ sich den ganzen Tag kraulen.

Als die Fohlen am Abend zurückkamen, bekam er auch ein Moosbüschel und einen Wasserkrug von dem alten Weib, die solle er dem König zeigen. Der König fragte den Jungen: »Kannst du mir sagen, was meine sieben Fohlen essen und trinken?« Der Junge streckte Moosbüschel und Wasserkrug vor und sagte: »Da siehst du das Essen, da siehst du das Trinken«, da wurde der König wieder böse und befahl, ihm drei rote Riemen aus dem Rücken zu schneiden und Salz hineinzustreuen und ihn heimzujagen. Als der Junge so wieder nach Hause gekommen war, erzählte er, wie es ihm ergangen war, und sagte, einmal



065 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

sei er in die Welt hinausgegangen, um Dienste zu nehmen, aber das täte er gewiß nie mehr.

Am dritten Tage wollte Askeladden hinaus, er hätte Lust zu versuchen, die sieben Fohlen gut zu hüten, sagte er.

Die anderen lachten und verspotteten ihn, »wenn es uns so ergangen ist, wird es dir auch nicht besser gehen, du wirst es auch nicht schaffen, du hast niemals etwas anderes getan, als in der Asche gelegen und das Feuer geschürt«, sagten sie.

»Ich will mich trotzdem auf den Weg machen«, sagte Askeladden, »ich habe es mir nun einmal in den Kopf gesetzt«, und obgleich die anderen lachten und die Eltern baten, so half das alles nichts, - Askeladden machte sich auf den Weg.

Als er den ganzen Tag gegangen war und es schon dämmerte, kam er auch zum Königshof. Da stand der König auf der Treppe und fragte, wohin er wolle.

»Ich gehe und höre, wo ich dienen kann«, sagte Askeladden.

»Woher kommst du?« fragte der König, denn er wollte ihn besser vorher kennen lernen, ehe er jemanden in seine Dienste nahm. Askeladd erzählte, woher er komme und sagte, daß er der Bruder von den beiden Jungen sei, die kürzlich seine sieben Fohlen gehütet hätten. Er fragte, ob er es am nächsten Tage auch einmal probieren dürfe.

»Zum Teufel nochmal«, sagte der König - er wurde ganz böse, wenn er nur daran dachte - »bist du der Bruder von den beiden, so taugst du auch nicht viel, ich habe genug von euch.«

»Aber wenn ich nun einmal hergekommen bin, möchte ich doch die Erlaubnis haben, es zu versuchen«, sagte Askeladden.

»Nun ja, du willst also auch deinen Rücken zerschunden haben, von mir aus, gern«, sagte der König.

»Ich will schon lieber die Königstochter haben«, sagte Askeladden. Am Morgen im Dämmern band der Stallmeister die Fohlen los und fort ging es, über Berg und Tal, durch Buschwerk und Dickicht, und Askeladden immer hinterdrein.

Als er so eine gute Weile gesprungen war, kam er auch zur Felsenkluft. Da saß das alte Weib und spann mit einer Handspindel und rief Askeladden zu:

»Komm her, komm her, mein lieber Sohn,
ich lause und ich kraul dich schon.«

»Bleib mir vom Leibe«, sagte Askeladden, sprang weg und hielt sich dicht zu den Fohlen.

Als er so gut bei der Felskluft vorbeigekommen war, sagte das jüngste



066 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Fohlen: »Setze dich auf meinen Rücken, denn wir haben noch einen langen Weg vor uns.«Und das tat er auch.

So ritt er ein langes, langes Stück Weges weiter. »Siehst du etwas?« fragte das Fohlen. »Nein«, sagte Askeladden.

Da ritt er wieder ein gutes Stück vorwärts. »Siehst du nun etwas?« fragte das Fohlen, »ach nein«, sagte der Junge.

Als er wieder eine lange Zeit geritten war, fragte das Fohlen wieder: »Siehst du da nun etwas?« - »Ja, da erscheint etwas Weißes«, sagte Askeladden, »es sieht aus wie ein großer, dicker Birkenbaumstumpf.« »Ja, da müssen wir hinein«, sagte das Fohlen. Als sie zu dem Baumstumpf kamen, schob das älteste Fohlen ihn beiseite, da erschien eine Tür, wo der Baumstumpf gestanden hatte. Die Tür führte zu einer kleinen Stube, in der nichts weiter war, als ein kleiner Herd und ein paar hölzerne Stühle und Schemel. Aber hinter der Tür hing ein großes rostiges Schwert und ein kleiner Krug.

»Kannst du das Schwert schwingen?«fragte das Fohlen.

Askeladden versuchte es, aber er vermochte es nicht. So mußte er einen Schluck aus dem Krug nehmen, erst einmal, dann nochmal, dann noch einmal -jetzt konnte er das Schwert handhaben wie gar nichts. »Ja, nun mußt du das Schwert mit dir nehmen«, sagte das Fohlen. »Mit diesem mußt du an deinem Hochzeitstage uns allen sieben den Kopf abschlagen, so werden wir wieder zu Prinzen, die wir vorher waren. Denn wir sind die Brüder der Prinzessin, die du bekommen sollst, wenn du dem König sagen kannst, was wir essen und trinken. Ein häßlicher Troll hat diesen Bann auf uns geworfen. Wenn du uns allen sieben die Köpfe abgeschlagen haben wirst, mußt du darauf achten, daß du jeden Kopf an den Schwanz desjenigen Leibes legst, zu dem er gehört. Dann hat der Trollbann keine Macht mehr über uns.« Das versprach Askeladden. Und so reisten sie noch eine gute Weile. »Aber nun«, fragte das Fohlen, »siehst du nun etwas?« »Ach nein«, sagte Askeladden. Und so ritten sie wieder viele, viele Meilen, über Berge und Täler.

»Aber nun«, fragte das Fohlen, »siehst du immer noch nichts?« -»Ja«, sagte Askeladden, »ich sehe so etwas wie einen blauen Streifen, weit weit weg.« -»Ja, das ist ein Fluß«, sagte das Fohlen, »über den müssen wir hinüber.«

Über den Fluß führte eine lange goldene Brücke, und als sie ans andere Ufer kamen, ritten sie wieder lange, lange Zeit. Da fragte das Fohlen wieder, ob er nichts sehen könne. Ja, diesmal sah er etwas Schwarzes weit weit weg, gleichsam wie ein Kirchturm.

»Ja, da müssen wir hinein«, sagte das Fohlen.



067 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Als die Fohlen in den, Kirchgarten kamen, wurden sie wieder zu Menschen und sahen wie Königssöhne aus mit so prächtigen Kleidern, daß sie nur so leuchteten. Als sie in die Kirche hineingingen, empfingen sie Brot und Wein vom Priester, der vor dem Altar stand. Askeladden ging auch hinein. Und als der Priester die Hände auf die Prinzen gelegt und sie gesegnet hatte, gingen sie wieder hinaus aus der Kirche, und Askeladden auch, aber er nahm eine Weinflasche und ein Altarbrot mit sich. Sowie die Königssöhne aus dem Kirchgarten hinaustraten, wurden sie wieder zu Fohlen. Da setzte sich Askeladden wieder auf den Rücken des Jüngsten und hurtig ging es denselben Weg wieder zurück, den sie gekommen waren, nur viel, viel schneller. Zuerst ritten sie über die Brücke, dann an dem Birkenbaumstumpf und ebenso an dem alten Weib vorbei, welches in der Felsspalte saß und spann.

Das ging alles so schnell, daß Askeladden gar nicht verstehen konnte, was sie hinter ihm her rief, aber so viel hörte er heraus, daß sie schrecklich böse war.

Es war beinah dunkel, als sie am Abend zurück zum Königshof kamen, und der König selbst stand im Hof und erwartete sie.

»Hast du sie nun den ganzen Tag treu und gut gehütet?«fragte der König.

»Ich habe es getan, so gut ich es konnte«, antwortete Askeladden.

»So kannst du mir wohl sagen, was meine sieben Fohlen essen und trinken«, fragte der König.

Askeladden zog Altarbrot und Wein hervor und zeigte es dem König. »Da siehst du ihre Speise und da siehst du ihren Trank«, sagte er.

»Ja, du hast sie treu und gut gehütet«, sagte der König, »du sollst die Prinzessin haben und das halbe Reich dazu.«

Nun wurde die Hochzeit vorbereitet, und die sollte so prächtig und festlich werden, daß sie hören und staunen würden, sagte der König.

Aber als alle am Brauttisch saßen, erhob sich der Bräutigam und ging hinunter zum Stall. Er habe dort etwas vergessen, das müsse erst noch getan werden, sagte er.

Als er hinunterkam, tat er, worum ihn die Fohlen gebeten hatten. Er schlug allen sieben den Kopf ab, zuerst dem ältesten, dann den anderen, immer dem Alter nach. Dann gab er acht, daß er immer den Kopf an den Schwanz desjenigen Fohlens legte, dem er ihn abgeschlagen hatte. Nachdem er das getan, wurden sie wieder zu Prinzen.

Als er nun mit den sieben Prinzen zum Brauttisch kam, war der König so glücklich, daß er Askeladden immer wieder küßte und streichelte. Und die Braut hatte ihn noch viel lieber als vorher.



068 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

»Das halbe Reich hast du nun bekommen«, sagte der König, »und die andere Hälfte sollst du nach meinem Tode bekommen, denn meine Söhne, die schaffen sich Land und Reich selbst, nun sie wieder Prinzen geworden sind.« So kann man sich wohl denken, daß Freude und Glück bei der Hochzeit herrschten.

Ich war mit dabei, aber niemand kümmerte sich so recht um mich, ich bekam nur einen Kuchenrand mit Butter drauf, den legte ich auf den Ofen. Der Kuchen verbrannte, die Butter zerrann, und ich habe kein Krümchen davon bekommen.


Die drei Prinzessinnen im weißen Land

Es war einmal ein Fischer, der wohnte dicht beim Schloß und fischte für des Königs Tafel.

Eines Tages war er draußen, um zu fischen, aber er fing gar nichts. Er konnte tun, was er wollte, fischen und angeln, angeln und fischen, so hing doch keine einzige Gräte am Haken.

Als der Tag zu Ende ging, da tauchte ein Haupt aus dem Wasser auf und sagte: »Bekomme ich das, was deine Frau unter dem Gürtel trägt, so sollst du Fische genug fangen.« Der Mann antwortete sogleich »ja«, denn er wußte nicht, daß seine Frau ein Kind erwartete. Von da an fing er Fische, so viel er nur haben wollte.

Aber als er abends nach Hause kam und erzählte, auf welche Weise er so viele Fische gefangen hatte, begann seine Frau zu weinen und zu klagen, daß ihr Mann so leichtsinnig gehandelt hätte, denn sie trüge ein Kind unter dem Gürtel, sagte sie. Sie lief sogleich hinauf zum Schloß und erzählte ihre Not und Sorge, und als der König das hörte, versprach er, das Kind zu sich zu nehmen und zu versuchen, es vor seinem Schicksal zu bewahren. Da beruhigte sie sich, und als die Zeit um war, brachte die Frau einen Knaben zur Welt. Den nahm der König zu sich und zog ihn auf wie seinen eigenen Sohn, bis der Knabe erwachsen war.

Eines Tages bat der Sohn um die Erlaubnis, seinem Vater hinauszufolgen und mit ihm Fische zu fangen. Er hätte so ein seltsames Verlangen danach, sagte er. Der König wollte es erst nicht zulassen, aber zum Schluß bekam der Sohn doch die Erlaubnis. Er fuhr also mit dem



069 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Vater hinaus, und das ging auch den ganzen Tag gut, bis sie am Abend wieder an Land kamen. Da hatte der Sohn sein Taschentuch im Boot liegen lassen. Er sprang ins Boot zurück, um es zu holen, aber im selben Augenblick fuhr das Boot mit ihm davon, und obgleich der Sohn dagegenruderte, so half das doch nichts, er trieb hinaus, immer weiter und weiter die ganze Nacht hindurch und endlich kam er weit weit weg zu einem weißen Strande. Dort ging er an Land.

Als er dort ein Stück gegangen war, begegnete er einem alten Manne mit langem weißem Bart. »Wie heißt das hier?«fragte der Junge. »Das weiße Land«, antwortete der Mann und fragte den Jungen, woher er käme und was er hier wolle, und der Junge erzählte ihm alles. »Wenn du hier den Strand entlang gehst«, sagte der alte Mann, »so kommst du zu drei Königstöchtern, welche im Erdboden stehen, so daß nur das Haupt herausschaut. Das erste Haupt, welches der ältesten gehört, wird dich rufen und dich schön bitten, zu kommen und ihr zu helfen. Und das andere Haupt wird dasselbe tun. Aber zu keiner sollst du hingehen. Eile dich vielmehr, vorbeizukommen, als hättest du niemals etwas gehört oder gesehen. Aber zu dem dritten Haupt sollst du hingehen und alles tun, worum es dich bittet. Das wird dein Glück sein.«

Als der Jüngling zu der ersten Prinzessin kam, rief sie ihn und bat ihn so wunderbar schön, daß er zu ihr kommen solle, aber er ging vorbei, als ob er sie nie gesehen hätte. Bei der anderen ging er ebenso vorbei, aber zu der dritten Prinzessin ging er hin. »Wenn du tun willst, was ich dir sage, kannst du von uns drei Königstöchtern diejenige bekommen, die du haben willst«, sagte die Prinzessin. Ja, das wolle er gerne. - Und nun erzählte sie, daß drei Trolle sie hier alle drei in die Erde verbannt hätten. Aber vorher hätten sie in dem Schloß gewohnt, welches er dort im Walde sehen könne. »Nun sollst du in das Schloß hineingehen und dich von den Trollen peinigen lassen, eine Nacht lang für jeden von uns«, sagte sie. »Wenn du das vermagst, so wirst du uns erlösen.« - »Ja«, antwortete der Jüngling, er wolle es versuchen.

»Wenn du hineingehst«, begann die Prinzessin wieder, »so wirst du zwei Löwen an der Tür stehen sehen, aber geh nur mutig zwischen ihnen hindurch, so werden sie dir nichts tun. Geh geradeaus zu einem kleinen dunklen Raum, dort lege dich nieder. Dann wird der Troll kommen und dich schlagen. Aber danach sollst du die Flasche nehmen, die an der Wand hängt, und dich mit dem Inhalt der Flasche überall dort einreiben, wo er dich geschlagen hat, so wirst du wieder heil werden.



070 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Ergreife dann das Schwert, welches neben der Flasche hängt, und erschlage den Troll damit.«

Er tat alles, was ihm die Prinzessin geraten hatte, er ging zwischen den Löwen hindurch, als ob er sie nicht sähe, und geradeaus in das armselige Kämmerlein, wo er sich niederlegte.

Die erste Nacht kam ein Troll mit drei Köpfen und drei Ruten, er schlug den Jungen schrecklich, aber er hielt das alles standhaft aus. Dann nahm er die Flasche und salbte sich, ergriff das Schwert und erschlug den Troll.

Als er an diesem Morgen herauskam, waren die Prinzessinnen bis zum Gürtel aus dem Erdboden befreit.

Die nächste Nacht erging es ihm genauso, aber der Troll, der da kam, hatte sechs Köpfe und sechs Ruten, und er peinigte ihn schlimmer als der vorige.

Aber als er am Morgen herauskam, standen die Prinzessinnen über der Erde bis zu den Knien.

In der dritten Nacht kam ein Troll, der hatte neun Häupter und neun Ruten, der schlug und peinigte ihn so lange, daß er zum Schluß ohnmächtig wurde. Da nahm ihn der Troll und warf ihn gegen die Wand. Dabei fiel aber die Flasche auf ihn nieder und ihr Inhalt ergoß sich über ihn, und so heilte alles wieder. Da zögerte der Junge nicht lang, ergriff das Schwert und erschlug den Troll.

Als er diesen Morgen aus dem Schlosse heraustrat, standen die Prinzessinnen ganz und gar über der Erde. Da nahm er die Jüngste, machte sie zu seiner Königin und lebte lang und glücklich mit ihr.

Aber endlich bekam er Lust, heimzureisen und nach seinen Eltern zu schauen. Die Königin wollte ihn nicht ziehen lassen. Aber da er sich so danach sehnte, fortzugehen, sagte sie zu ihm: »Eins mußt du mir versprechen, daß du nur das tun wirst, worum dein Vater dich bittet, und nicht das tun wirst, worum deine Mutter dich bittet.« Das versprach er auch. Da gab sie ihm einen Ring, der hatte die Kraft, daß derjenige, welcher ihn trug, zwei Wünsche aussprechen konnte, die ihm erfüllt wurden. Er wünschte sich also heim, und die Eltern konnten sich gar nicht genug wundern, wie stattlich und prächtig er war.

Als er einige Tage daheim war, wollte die Mutter, er solle hinaufgehen zum Königsschloß, damit der König sehen könne, was für ein prächtiger Mann er geworden war. - Der Vater sagte: »Nein, das sollst du nicht tun, denn von der Stunde an werden wir keine Freude mehr an ihm haben«. Aber das half gar nichts, die Mutter bat so lange,



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bis er hinaufging. Als er zum Schloß kam, war er prächtiger in seinen Kleidern und in allem als sein Pflegevater. Das gefiel dem alten König wenig, und so sagte er: »Ja, aber nun kannst du sehen, wie schön meine Königin ist. Die deine kann ich ja nicht sehen. Ich glaube nicht, daß du eine so schöne Königin hast.« - »Ich wünsche, sie stünde hier, so würdest du sie sehen«, sagte der junge König, und sogleich stand sie da. Aber sie war traurig und sagte zu ihm: »Warum tatest du nicht, worum ich dich bat, warum hörtest du nicht auf deinen Vater. Nun muß ich sofort wieder heim und du hast deine beiden Wünsche verbraucht und vertan.« Dabei knüpfte sie in sein Haar einen Ring mit ihrem Namen darin und wünschte sich wieder heim.

Da befiel den jungen König eine große Trauer und tagaus und tagein dachte er darüber nach, wie er wohl zu seiner Königin zurückkommen könne. Ich muß allerorts fragen, wo das »weiße Land« ist, dachte er, und so zog er in die Welt hinaus.

Als er eine Zeit lang gegangen war, kam er zu einem Berg. Dort traf er einen, der Herr über alle Tiere des Waldes war. Aber die kamen nur zu ihm, wenn er in ein Horn blies, das er umhängen hatte. Der König fragte ihn also nach dem »weißen Land«.

»Das kenne ich nicht«, antwortete der Mann, »aber ich werde meine Tiere danach fragen.« So blies er in sein Horn und fragte, ob eines von ihnen wisse, wo das »weiße Land« läge; aber keins der Tiere wußte es.

Da gab der Mann ihm ein Paar Ski. »Wenn du dich darauf stellst«, sagte er, »so wirst du zu meinem Bruder kommen, der wohnt hundert Meilen von hier. Er ist Herr über alle Vögel in den Lüften; frage ihn! Wenn du angekommen bist, so drehe nur die Ski herum, sodaß die Spitze nach rückwärts zeigt, so werden sie ganz allein nach Haus finden.« Als der König dort angekommen war, drehte er die Ski herum, genauso wie es ihm der »Herr über die Tiere« gesagt hatte, und sie fuhren allein zurück.

Er fragte wieder nach dem »weißen Land«, und der Mann blies alle Vögel zusammen und fragte, ob einer von ihnen wüßte, wo das weiße Land läge. Nein, keiner wußte es. »Ja«, sagte der Mann, »so werde ich dir ein paar Ski leihen, wenn du dich darauf stellst, so kommst du zu meinem Bruder, welcher hundert Meilen von hier wohnt; er ist Herr über alle Fische des Meeres; ihn mußt du fragen. Aber vergiß nicht, die Ski umzudrehen.«

Der König dankte und stellte sich auf die Ski, und als er angekommen war beim Herrn über alle Fische, drehte er die Ski um, und sie



072 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

fuhren allein zurück. Der Mann blies alle Fische zusammen und fragte sie, aber keiner wußte etwas. Endlich kam ein steinalter Hecht, mit dem er Mühe gehabt hatte, ihn herbeizurufen. Als er ihn fragte, sagte er: »Ja, dort kenne ich mich aus, ich war dort zehn Jahre lang Koch. Morgen soll ich wieder hinkommen, denn da soll die Königin, deren König so lang ausblieb, mit einem anderen Hochzeit halten.«

»Wenn die Sache so steht, will ich dir einen Rat geben«, sagte der Mann. »Hier draußen bei einem Sumpf stehen drei Brüder - sie stehen schon hundert Jahre dort - und raufen sich um einen Hut, einen Mantel und ein paar Stiefel. Wenn einer die drei Dinge besitzt, so kann er sich unsichtbar machen und sich sofort dahinwünschen, wohin er will. Du kannst zu ihnen sagen, daß du die Dinge ausprobieren willst, um danach ein Urteil sprechen zu können, wie sie verteilt werden sollen.« Ja, der König bedankte sich, ging hin und fand die drei Brüder: »Was steht ihr hier und rauft euch immer und ewig«, sagte er zu den Brüdern. »Laßt mich die Dinge erproben, so werde ich später besser darüber entscheiden können.«Ja, das wollten sie gerne; und als er Hut, Mantel und Stiefel erhalten hatte, sagte er: »Wenn wir uns das nächste Mal treffen, so sollt ihr meine Entscheidung hören«, und damit wünschte er sich hinweg.

Während er durch die Luft sauste, flog er in der gleichen Richtung wie der Nordwind blies. »Wo willst du hin?« fragte der Nordwind. »Zum weißen Land«, sagte der König und erzählte, was sich ereignet hatte.

»Ja«, sagte der Nordwind, »du bist wohl etwas schneller unterwegs, ich muß in jeden Winkel wehen und blasen. Aber wenn du ankommst, so stell dich bei der Treppe an die Tür. Ich werde dann angesaust kommen, als ob ich das ganze Schloß hinwegblasen wolle. Wenn nun der Prinz, der deine Königin haben will, herauskommt und sehen will, was da los ist, so fasse ihn im Nacken und werfe ihn hinaus; dann will ich versuchen, ihn hinwegzublasen.«

Gut also: wie der Nordwind gesagt hatte, so machte es der König. Er stellte sich an der Treppe des Schlosses auf, und als der Nordwind sausend und brausend daherkam und an Dach und Wänden des Schlosses rüttelte, ging der Prinz hinaus, um zu sehen, was da los sei; da packte der König ihn im Nacken und warf ihn hinab, und der Nordwind ergriff ihn und trug ihn davon.

Als er ihn auf diese Weise los war, ging der König in das Schloß hinein. Zuerst erkannte die Königin ihn gar nicht, denn er war so blaß und mager geworden von langem Wandern und großer Traurigkeit.



073 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Aber als er ihr den Ring zeigte, wurde die Königin herzensfroh, und es wurde ein hochzeitliches Fest gefeiert, so fröhlich und jubelnd, daß man weit und breit von nichts anderem mehr sprach.


Gulifebla

Es war einmal eine Bauersfrau in Solheim im Hallingdal, die war so geizig, daß es fast nicht mehr zu beschreiben ist. Sie hungerte, Knechte und Vieh hungerten und ihre eigenen Kinder waren ganz gelbgrau vor Hunger, und wenn sie sich aus dem Vorratsraum etwas zu essen holen konnten oder wenn sie bei fremden Leuten etwas bekamen, so verschlangen sie es wie hungrige Wölfe, die acht Tage nichts gegessen hatten. Die Kinder mußten sich mit diesem Hunger abfinden, sie getrauten sich nicht mehr zu weinen, wenn sie es sah, sie getrauten sich nichts zu sagen, sonst bekamen sie das Birkenreis zu spüren, welches am Balken unter dem Dach steckte. Aber wenn sie konnten, liefen sie hinunter zur Häuslersfrau in Glittreplassen - sie hieß Ragnhild -, da weinten sie und klagten ihre Not, und Ragnhild teilte die Brocken, die sie hatte, unter sie und ihre eigenen kleinen Kinder. Aber oft hatte sie überhaupt nichts, sodaß sie und ihre Kinder hungern mußten. Sie hatte nur eine einzige Kuh, aber die hegte und pflegte sie so gut sie konnte. Manchmal im Winter zog sie oder der Mann mit einem Schlitten in die Berge und holte eine Last Moos für sie. Und die Kuh gedieh gut und gab so viel Milch, daß sie wieder einmal alle zusammen genug hatten.

Aber die Kühe der Mutter von Solheim, die hatten es nicht so gut. Zur Winterszeit bekamen sie nichts weiter als Tannenzweige und Pferdemist, und es war wie eine Hochzeit für sie, wenn sie einen Wisch Rentiermoos bekamen. Zurückgezahlt wurde es der Bäuerin beim Melken. Die Milch war so schlecht und dünn, daß man keinen Rahm darauf fand, und sie taugte zu nichts anderem als in den Brei gemischt zu werden, oder es wurde Bierkäse davon gekocht.

Die Rinder konnten nicht zu ihr sprechen, aber die Tiere schauten sie an, ja sie schauten die Bäuerin an mit großen, tiefsinnigen Augen, daß es ihr zu Herzen gehen mußte, wenn sie überhaupt eins hatte, und sie schleckten ihr die Hände mit ihren großen Zungen, wenn sie hinauf zum Viehstand kam.



074 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Aber im Frühling solltest du sie sehen, wenn sie herauskamen, da war nichts mehr von ihnen da als Haut und Knochen. Sie waren so gebrechlich und so abgemagert, daß die Beine sie nicht mehr tragen wollten, sie fielen hin alle Augenblicke, die frische Luft vertrugen sie gar nicht mehr, sie torkelten umeinander wie Betrunkene.

Ragnhild sagte, wie unverantwortlich es sei, so mit Mensch und Tier zu verfahren, aber die Bäuerin kümmerte sich nicht darum, denn Ragnhild war nur eine Häuslersfrau, und was sie sagte, damit brauchte sie sich nicht näher zu befassen.

Aber ein neuer Stall mußte gebaut werden, denn der alte war nahe am Zusammenfallen, so verfault war er. Er war so löchrig, daß es abwechselnd hineinregnete und die Sonne hineinschien. Sie hatte einen Zimmermann kommen lassen, der den Stall neu aufbauen sollte, und der hieß Per. Das war ein geschickter Mann, der fleißig arbeiten konnte. Und ein tüchtiger Arbeiter muß kräftige Kost haben. Aber Per bekam nur wenig und schlecht war es auch noch. Sie gab ihm nichts weiter als kleine Fische und Grütze. Per schonte die Alte nicht länger. Sie konnte kaum noch mit ihm reden, ohne daß er ihr vorhielt, wie schlimm sie sei, und er sagte es ihr immer so grob, daß sie sich kaum noch getraute mit ihm zu sprechen. Als er den Heustall einige Ellen hoch gezimmert hatte und hoch oben saß, ging die Solheimsalte eines Tages vorbei. »Du kommst voran, Per«, sagte sie. »Ach ja«, sagte er mürrisch, »ich versuche voranzukommen, aber die kleinen Fische und der schmalzlose Brei ziehen mich immer wieder herunter.« Damit meinte er, wenn er besseres Essen bekäme, ginge ihm die Arbeit auch rascher von der Hand. Eines Sonntags las und blätterte Per im Almanach. »Was prophezeit der Almanach jetzt, Per?« fragte die Alte. Sie meinte vor allem, was für eine Art Wetter zu erwarten sei. Aber Per antwortete: »Der prophezeit nichts anderes als Hering und Grütze und Grütze und Hering und Hering und Grütze.. .« Die Alte sagte nichts dazu. Per schien ihr nicht dumm zu sein, sie merkte, daß er einen bösen Mund haben konnte. Seit der Zeit knauserte sie nicht mehr ganz so schlimm mit der Kost. Das tat sie nicht etwa, weil sie einsah, daß es falsch war, sondern weil sie Angst hatte, daß Per, der durch sein Handwerk viel unter die Leute kam, schlecht über sie reden würde, weil sie so geizig war.

Als der Sommer kam und es grün und bunt von Blumen wurde und in jedem Busch die Vögel sangen, stieg die Alte von Solheim zur Sennhütte. Aber sie merkte nicht, wie gut die Blumen dufteten, sie hörte keinen Vogelgesang, denn sie selbst und die Mägde und die Hütehunde hatten genug zu tun, die verhungerten armen Tiere zusammenzuhalten.



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Daheim hatten sie alles abgenagt, die Hügel in der Koppel waren kahl gefressen, und jedesmal wenn die Tiere einen grünen Fleck sahen oder ein paar Grashalme oder frisches Laub an den Büschen, stürzten sie hin, um daran zu naschen. Die Kälbchen und Kühe rannten umher und schlugen nach hinten aus, sodaß es eine Lust war, anzusehen, wie munter sie waren. Sie konnten sich gar nicht genug freuen über die fette Bergweide.

Sie kamen spät zur Sennhütte, und als sie gerade alles versorgt hatten, kam eine Magd herein: da sei eine große fremde Ziege beim Wall, die hätte vergoldete Hörner und das Fell schimmere, als ob es aus Seide sei, sagte die Magd.

»Hat je ein Mensch solchen Unsinn gehört«, sagte die Alte und stürzte gleich hinaus, um nach der Geiß zu sehen, aber sie konnte nicht finden, daß sie vergoldete Hörner hatte, und das Fell schien ihr nicht anders zu sein als bei ihren eigenen Tieren. Aber als sie noch so stand, hörte sie einen süßen Sang weit oben in den Bergen:

»Wollen wir tauschen, du,
Gullfebla für die Kuh.«

Da wurde die Alte ganz böse, das kannst du glauben. Sie bildete sich ein, das seien Nachbarsleute, die sie ärgern und zum Narren halten wollten, weil sie so geizig war. Sie schimpfte und schrie, so eine schlechte Kuh hätte sie nicht, daß sie tauschen wolle, und wenn ihr auch ein ganzes Dutzend zottiger Ziegen geboten würden, und so jagte sie die fremde Geiß vom Wall fort, weit in das Wäldchen hinein. Da begann es zu jauchzen hoch oben in den Bergen:

»Komm heim, komm heim,
kleine Gulifebla mein,
komm heim, komm heim,
Gullfebla mein,
Gulifebla.. .«

Und dann blies es so schön auf der Lure, daß es von allen Bergen und Hügeln widertönte, bis der letzte Ton verhallte, weit weit oben in den Berggipfeln, wo der Schnee lag.

Kurz danach zog die Solheimsalte heim, und Ragnhild Glittre bekam Erlaubnis, zur Sennhütte zu gehen mit ihrer Kuh. Sie sollte dort oben bleiben und den Mädchen helfen bei der Stallarbeit. Ihr könnt euch vorstellen, daß es keine tüchtigere dafür gab als Ragnhild. Seit sie auf der Alm war, lief alles wie von selbst, und niemals bekamen sie goldenere Butter und besseren Käse, als wenn Ragnhild butterte und käste.



076 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Aber eines Abends, als sie und die Mägde melkten, da wurden die Tiere rein närrisch, sie stampften und schlugen aus, als ob die Viehbremsen hinter ihnen her seien, und sie wollten nicht wieder still stehen. Die große rote Kuh begann zu brüllen und auf einmal rannte sie gegen die Hecke und stieß einen häßlichen Laut aus. Zur gleichen Zeit blickte Ragnhild auf, ihr schien es zuerst, sie sähe etwas über den Hof fliegen, aber sie konnte nicht erkennen, was es war, das da so schnell flog. Für ihre Augen sah es wie ein Pelzdeckenfetzen aus.

Da, auf einmal war ein Band um den Hals von Ragnhilds Kuh gebunden. Sie machte es sofort ab, denn alle glaubten, daß die Huldren das Halsband gebunden hätten. Und das war es auch, was Ragnhild über den Zaun springen sah, das glaubte sie steif und fest.

Während die Mägde die Milch wegtrügen, hörte Ragnhild, wie jemand nach ihr rief. »Ragnhild«, sagte es. »Ja, hier bin ich«, antwortete Ragnhild.

»Wollen wir tauschen, du,
ein Zicklein für die Kuh,
Wollen wir tauschen, du,
Gulifebla für die Kuh«

sang es draußen von den Bergwänden. Ragnhild dachte, ich werde die Kuh doch verlieren, weil du ihr das Band um den Hals gebunden hast, deshalb ist es das Beste, ich sage ja und tausche.

»0 ja«, sagte sie, »ich will tauschen.«

Bevor die Sonne aufging, ganz früh, kam Ragnhild hinaus zum Wall. Da lag Gulifebla auf einem großen Stein, wie der klare Morgen selbst, mit vergoldeten Hörnern. Sie war so schön und fein, wie man noch keine gesehen hatte im ganzen Hallingdal. Und so groß war sie, beinah so groß wie eine kleine Kuh. Es war auch nicht abzustreiten, daß sie genau so viel Milch gab wie eine kleine Kuh.

Als Ragnhild von der Sennhütte wieder herunterkam, brachte sie die Geiß mit heim zu ihren Kindern, die freuten sich, denn sie bekamen Geißmilchbrei, und sie tanzten und sprangen. Eine noch größere Freude gab es, als Gullfebla eine kleine Geiß bekam, sogar eine Geiß mit goldenen Hörnern und einem Fell wie Seide. Sie bauten für beide ein kleines Haus, sammelten Laub und Borke, Tannenzweige und Moos, daß sie ihnen auch im Winter etwas davon geben konnten.

Am Tage war Gulifebla draußen im Wald, fand Laub und Borke, und am Abend kam sie heim, das Euter angefüllt mit der köstlichsten, fettesten Milch. Als es aber auf Weihnachten zu ging, bekam Gulifebla sogar zwei Zicklein, und da freuten sich die Kinder von Ragnhild



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Glittre noch viel mehr. Sie nahmen sie mit in die Stube, schmückten sie, so gut sie konnten, und wenn die Zicklein auf den Tisch kletterten oder auf den Kaminsims, oder wenn ein Tier mit allen vier Beinen auf dem Bettpfosten stand, da lachten sie und klaschten in die Hände vor Freude.

Schließlich bekam Gulifebla so viel Geißen, daß Ragnhild sie verkaufen konnte. Dafür kaufte sie sich eine Kuh und ein Pferd, denn es war die beste Ziegenrasse, die es jemals in Hallingdal gegeben hatte. Und die Kinder lebten lang und glücklich. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.


Drei Zitronen

Es waren einmal drei Brüder, die hatten ihre Eltern verloren, und da sie ihnen nichts hinterlassen hatten, wovon sie leben konnten, so blieb ihnen nichts anderes übrig, als in die weite Welt zu ziehen und ihr Glück zu versuchen. Die zwei ältesten rüsteten sich so gut sie konnten, aber den jüngsten, den sie Kienspanhans nannten, weil er allzeit bei der Feuerstelle saß und einen Kienspan nach dem anderen aufflammen ließ, den wollten sie nicht mit sich haben. Sie brachen heimlich vor Morgengrauen auf, aber wie das auch zugegangen sein mag, Kienspanhans war genau so zeitig am Königshof wie die anderen. Sobald sie angekommen waren, baten sie um Dienste, aber der König sagte, er hätte keine Arbeit für sie, doch wenn sie durchaus arbeiten wollten, könne er ihnen wohl welche beschaffen. Kleine Arbeiten gäbe es immer auf so einem großen Hof. Sie könnten Nägel in die Wand schlagen, und wenn sie damit fertig wären, so könnten sie dieselben wieder herausziehen. Sie könnten Holz und Wasser zum Kochen in die Küche tragen. Kienspanhans war der tüchtigste im Nägel in die Wand schlagen und wieder herausziehen, und er war auch der geschickteste im Holz- und Wassertragen. Darum wurden die Brüder neidisch auf ihn und erzählten, er hätte gesagt, er könne gut dem König die schönste Prinzessin verschaffen, die sich in zwölf Königreichen finden ließe. Denn der König hatte seine Königin verloren und war Witwer geblieben. Sowie der König das hörte, sagte er zu Kienspanhans, daß er dies nun auch tun müsse, was er gesagt habe. Wenn er es nicht fertig brächte, solle man ihn auf den Hackklotz legen und ihm den Kopf abschlagen.



078 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Kienspanhans sagte, daß er das weder gesagt noch gedacht hätte, da aber der König so streng sei, wolle er es versuchen. So bekam er eine Tasche mit Wegzehrung um den Hals gehängt und verließ den Hof.

Kaum war er in den Wald gekommen, so wurde er hungrig und wollte von dem kosten, was er vom Königshof mitbekommen hatte. Als er sich unter eine Tanne am Wege gesetzt hatte, kam eine alte hinkende Frau und fragte, was er in seiner Tasche hätte. »Speck und Fleisch«, sagte der Junge, »bist du hungrig, so iß einen Bissen mit, Mütterchen.« Sie dankte und aß und sagte, er solle nur noch ein Stück auf demselben Wege weiter gehen. . . und so hinkte sie davon in den Wald hinein.

Als Kienspanhans satt war, hing er sich die Tasche um den Hals und ging weiter. Lang war er nicht gegangen, als er eine Pfeife fand. Da schien es ihm, es wäre wohl lustig, einmal etwas darauf zu blasen unterwegs, und er brachte auch bald einige Töne heraus. Sogleich purzelten kleine Trolle hervor und fragten alle durcheinander: »Was hat mein Herr zu befehlen?« »Was hat mein Herr zu befehlen?«Kienspanhans sagte, er wisse nicht, ob er ein Herr über sie sei, aber wenn er etwas befehlen dürfe, so sollten sie ihm die schönste Prinzessin verschaffen, die man in zwölf Königreichen finden könne. Das sei eine Kleinigkeit, meinten die Trolle, sie wüßten sehr gut, wo sie zu finden sei und den Weg könnten sie ihm zeigen, er müsse sie sich nur selbst nehmen, denn sie hätten nicht die Macht, sie zu berühren.

Sie zeigten ihm also den Weg und er kam gut und schnell voran, da war niemand, der ihm einen Stein in den Weg legte, und so kam er zu einem Trollschloß, worin drei wunderschöne Prinzessinnen saßen. Aber als Kienspanhans eintrat, wurden sie ganz närrisch und liefen umeinander wie erschrockene, verschüchterte Lämmer und wurden zu drei Zitronen, die im Fenster lagen. -Kienspanhans war schlimm zumute und er war ganz unglücklich darüber, daß er keinen Rat wußte. Aber als er ein wenig darüber nachgedacht hatte, nahm er die Zitronen und steckte sie in seine Tasche. Er glaubte, es wäre gut, sie bei sich zu haben, wenn er Durst bekäme auf seiner Wanderung, denn er hatte gehört, Zitronen seien sauer.

Als er ein Stück gewandert war, wurde er so heiß und durstig, Wasser war nirgends zu finden, und er wußte nicht, was er tun sollte, um seinen Durst zu stillen. Da fielen ihm die Zitronen wieder ein. Er nahm eine heraus und biß ein Loch hinein. Aber darin saß eine Prinzessin, hob die Arme und rief: »Wasser, Wasser! Wenn ich kein Wasser bekomme, so muß ich sterben.«



079 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Ja, der Junge lief im Kreis und suchte nach Wasser, ganz außer sich, aber Wasser war nicht da und nirgends zu finden, und auf einmal - da war sie tot.

Als er ein Stück weiter gegangen war, wurde er noch heißer und noch durstiger, und da er nichts fand, womit er seinen Durst löschen konnte, nahm er die andere Zitrone und biß ein Loch hinein. Darin saß auch eine Prinzessin, die war noch niedlicher als die erste. Sie rief nach Wasser und wenn sie keines bekommen könne, müsse sie sogleich sterben. Kienspanhans suchte rings nach Wasser, unter Steinen und Moos, aber er fand es nicht, und so starb diese Prinzessin auch.

Kienspanhans schien es schlimmer und schlimmer zu werden, und so wurde es auch, denn je weiter er vorwärts kam, desto heißer wurde ihm. Die Felder waren so dürr und versengt, daß er keinen Tropfen Wasser fand und es dauerte nicht mehr lang, so war er halb tot vor Durst. Er quälte sich lange und verbot sich selbst, ein Loch in die Zitrone zu beißen, die er noch hatte, aber schließlich wußte er sich keinen anderen Rat mehr. Und als er nun ein Loch hineingebissen hatte, saß auch darin wieder eine Prinzessin. Sie war die Schönste in zwölf Königreichen und sie rief, wenn sie kein Wasser bekäme, würde sie sofort sterben.

Kienspanhans lief sogleich und wollte Wasser holen, und diesmal traf er den Müller des Königs, der zeigte ihm den Weg zum Mühlenteich. Als er nun mit ihm zum Mühlenteich kam und ihr Wasser gab, kam sie ganz aus der Zitrone heraus und war nackend. Kienspanhans warf ihr seinen Mantel über. Inzwischen versteckte sie sich in einem Baum am Ufer des Teiches, während er zum Königsschloß hinauf ging, um ihr Kleider zu besorgen und dem König zu erzählen, daß er sie gefunden hätte und wie alles zugegangen sei.

Während der Zeit kam die Köchin herunter zum Mühlenteich, um Wasser zu holen. Als sie das schöne Antlitz sah, das sich im Teich spiegelte, glaubte sie, es sei ihr eigenes und wurde so froh und begann zu trällern und zu tanzen, daß sie so schön geworden sei: »Der Teufel trage Wasser, aber nicht du, die so schön ist«, sagte sie und warf die Wasserbottiche weg. Aber bald begriff sie, daß dies schöne Antlitz im Teich der Prinzessin gehörte, die im Baum saß. Da wurde sie so zornig und sie jagte jene aus dem Baum heraus und warf sie in den Teich hinein. Sie selbst hüllte sich in den Mantel von Kienspanhans und kroch in den Baum.

Als der König kam und den häßlichen, schwarzen Küchentrampel sah, wurde er blaß und rot. Aber weil er gehört hatte, das sei die Schönste in zwölf Königreichen, da schien es ihm, er müsse es schon



080 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

glauben, daß etwas Wahres daran sei. Und er fand es auch schade für Kienspanhans, der so viel unternommen hatte, bis er sie bekam. Sie würde vielleicht mit der Zeit schöner werden, dachte er, wenn sie sich Mühe gibt und schöne Kleider bekommt, und so nahm er sie mit sich nach Hause. Es wurden Perückenmacher und Näherinnen herbeigeholt, sie wurde geschmückt und wie eine Prinzessin gekleidet, aber obgleich man sie wusch und schmückte, schwarz und häßlich war sie und blieb sie auch.

Nach einer Weile mußte die Unterköchin zum Teich hinunter um Wasser zu holen, und da bekam sie einen großen Silberfisch in ihren Wasserkübel. Sie trug ihn hinauf und zeigte ihn dem König, und dem erschien er gut und prächtig zu sein, aber die häßliche Prinzessin sagte, das sei Zauberwerk, und sie sollten ihn verbrennen, denn sie ahnte sofort, wer das war. Also wurde der Fisch verbrannt und am anderen Morgen fand man einen Silberklumpen in der Asche. Da kam der kleine Küchenjunge hinauf zum König und erzählte es ihm, und diesem erschien das seltsam. Aber die häßliche Prinzessin sagte, das sei nur Zauberwerk und befahl, ihn im Misthaufen einzugraben. Der König wollte eigentlich nicht die Erlaubnis dazu geben, aber sie ließ ihm keine Ruhe, und so sagte er schließlich, sie sollten es tun. - Aber am nächsten Tage stand da eine schöne große Linde, wo sie den Silberklumpen eingegraben hatten, und die Linde hatte Blätter, die wie Silber schimmerten. Als man das dem König erzählte, erschien es ihm sonderbar, aber die Prinzessin sagte, das sei nichts als Zauberwerk, und die Linde sollten sie sofort umhauen. Der König wollte nicht, aber die häßliche Prinzessin plagte ihn so lange, daß er zum Schluß ihr nachgeben mußte, auch diesmal. Als die Mägde hinausgingen und die Späne von der Linde sammeln wollten, um sie im Herd zu verbrennen, wurden die Späne zu purem Silber. »Es hat keinen Wert, etwas davon dem König oder der Prinzessin zu erzählen«, sagten sie sich, »denn die wird sie wieder verbrennen oder schmelzen lassen. Da ist es besser, wir verbergen sie in unserer Truhe. Das wird gut sein, sie zu haben, wenn eines Tages uns ein Mann begegnet, der eine von uns heiraten will.«Ja, sie wurden sich einig darüber. Aber als sie die Truhe ein Weilchen getragen hatten, wurde sie so unsagbar schwer. Als sie nachsahen, woher das kam, waren die Silberspäne in ein Kind verwandelt, und sie brauchten nicht lang zu warten, da wurde daraus die schönste Prinzessin, die je ein Mensch gesehen. Die Mädchen verstanden bald, daß es hier nicht mit rechten Dingen zuging. Sie besorgten ihr Kleider und gingen eilig fort, um den Knaben zu suchen, der die schönste Prinzessin



081 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

aus zwölf Königreichen holen sollte, und erzählten ihm das alles. Und als Kienspanhans zu ihr kam, sagte sie ihm, was ihr geschehen war, daß die häßliche Köchin sie in den Mühlenteich gestoßen hätte, und daß sie dann der Silberfisch gewesen sei und der Silberklumpen und die Linde und die Silberspäne - und daß sie die rechte sei.

Es war gar nicht so leicht, das dem König beizubringen, denn die häßliche schwarze Köchin war früh und spät um ihn. Aber schließlich griffen sie zu einer List. Sie meldeten ihm, es sei eine Kriegsbotschaft vom Nachbarkönig gekommen, und so lockten sie ihn aus dem Schloß. Als er aber die schönste Prinzessin erblickte, war er so verliebt in sie, daß er sogleich Hochzeit mit ihr machen wollte. Und als er zu hören bekam, wie bös die häßliche schwarze Köchin mit ihr verfahren war, befahl er, daß sie in eine Nageltonne gesperrt und den Berg hinabgerollt würde. Die Kunde aber von der prächtigsten Hochzeit ging über zwölf Königreiche.


Wie Askeladden die Silberenten vom Troll stahl

Es war einmal ein armer Mann, der hatte drei Söhne. Als er starb, wollten die zwei ältesten Söhne in die Welt hinausziehen, um ihr Glück zu versuchen, aber den Jüngsten wollten sie nicht mitnehmen. »Du da«, sagten sie, »du taugst zu nichts anderem als an der Asche zu sitzen und die Glut zu schüren.« - »Gut, so werde ich alleine gehen«, sagte Askeladden.

Die zwei zogen los und kamen zum Königshof. Dort nahmen sie Dienste an, der eine beim Stallmeister, der andere beim Gärtner. Askeladden ging auch vom Hof, aber er nahm den großen Teigknetetrog mit. Das war das einzige, was die Eltern ihnen vererbt hatten, die beiden anderen kümmerten sich nicht darum. Der Trog war schwer zu tragen, aber er wollte ihn doch nicht zurücklassen. Als er eine Weile gegangen war, kam er auch zum Königsschloß und bat um Dienste. Er bekam zur Antwort, daß sie niemanden brauchten, aber als er innig darum bat, bekam er schließlich Erlaubnis, in der Küche zu helfen und Holz und Wasser für die Köchin zu tragen. Er war fleißig und geschickt, und es dauerte nicht lange, da mochten sie ihn alle gut leiden. Aber die beiden anderen Brüder waren faul, deswegen bekamen sie oft



082 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Schläge und weniger Lohn. Da wurden sie neidisch auf Askeladden, weil sie sahen, daß es ihm besser ging.

Dem Königshof gerade gegenüber, auf der anderen Seite des großen Sees wohnte ein Troll, der sieben Silberenten besaß. Die schwammen draußen auf dem Wasser, sodaß der König vom Schloß aus sie sehen konnte. Schon oft hatte der König sich diese Silberenten gewünscht und deshalb sagten die zwei Brüder zum Stallmeister: »Wenn unser Bruder nur wollte, er könnte dem König die Silberenten leicht beschaffen, hat er gesagt.« Man kann sich denken, daß es der Stallmeister bald dem König erzählte, der ließ Askeladden zu sich rufen und sagte: »Deine Brüder erzählen, daß du mir die Silberenten herschaffen kannst, und nun sollst du es auch tun.«

»Das habe ich weder gedacht noch gesagt«, antwortete der Junge. Doch der König beharrte darauf: »Du hast es gesagt und nun sollst du es tun«.

»Ja«, antwortete der Junge, »wenn es denn nicht anders sein kann, so laß mir ein Viertel Roggen und ein Viertel Weizen geben, dann will ich es versuchen.« - Das bekam er und nahm es mit in den Teigknetetrog, den er von zu Haus mitgebracht hatte, und ruderte damit hinüber. Auf der anderen Seite angekommen, begann er am Strande auf und ab zu gehen und Futter zu streuen und zu streuen, und schließlich lockte er die Enten damit in den Trog und ruderte zurück, so schnell er konnte.

Als er in die Mitte des Sees gekommen war, kam der Troll heraus und entdeckte ihn.

»Bist du mit meinen Silberenten losgefahren«, rief er.

»Ja-a«, sagte der Junge.

»Kommst du noch öfter hierher?«fragte der Troll.

»Das kann noch geschehen«, sagte der Junge.

Als er mit den Silberenten zum König zurückkam, war er noch angesehener am Königshof, und der König sagte selbst, das hätte er gut gemacht. Aber dadurch wurden seine Brüder noch mißgünstiger und neidischer auf ihn und so dachten sie sich etwas anderes aus. Sie erzählten dem Stallmeister, daß der Bruder gesagt hätte, er könne die Bettdecke des Trolles mit einer Silberraute und einer Goldraute darin herschaffen. Die wollte der König gerne haben. Und der Stallmeister erzählte es auch diesmal gleich dem König. Und deshalb sagte der König zu Askeladden: »Deine Brüder haben erzählt, du hättest damit groß getan, daß du des Trolles Bettdecke mit Silber- und Goldrauten darin herschaffen könntest und nun sollst du es auch tun, oder du wirst das



083 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Leben verlieren.« -Askeladden antwortete, daß er dies weder gedacht noch gesagt hätte, aber das half ihm alles nichts, und so bat er um drei Tage Zeit, um mit sich zu Rate zu gehen. Als die Zeit um war, ruderte er hinüber im Knetetrog, ging hin und her und lauerte.

Endlich sah er, daß die Leute aus dem Berge die Bettdecke hinaushängten, um sie zu lüften, und als sie wieder in den Berg hineingegangen waren, ergriff Askeladden die Bettdecke und ruderte mit ihr zurück, so schnell er konnte. Als er in der Mitte des Wassers war, kam der Troll heraus und sah ihn.

»Bist du es, der meine Silberenten genommen hat?« rief der Troll.

»Ja-a«, sagte der Junge.

»Hast du nun meine Bettdecke mitgenommen mit einer Silberraute und einer Goldraute?«

»Ja-a«, sagte der Junge.

»Kommst du noch öfter hierher?«

»Das kann noch geschehen«, sagte der Junge.

Als er nun zurückkam mit der Gold- und Silberdecke, hielten alle noch mehr von ihm als vorher, und er wurde des Königs eigener Diener. Darüber wurden die Brüder noch zorniger, und um sich zu rächen, dachten sie sich etwas aus und sagten zum Stallmeister: »Nun hat unser Bruder gesagt, er könne dem König die Goldharfe bringen, die der Troll besitzt und welche so geartet ist, daß alle froh werden, wenn sie ihre Töne hören, wenn sie vordem auch noch so traurig waren.«Ja, der Stallmeister erzählte es sofort dem König wieder und der sagte zu Askeladden: »Hast du das gesagt, so sollst du es auch tun. Kannst du das, so sollst du die Prinzessin haben und das halbe Reich, kannst du es aber nicht, sollst du dein Leben verlieren.«

»Ich habe das weder gedacht noch gesagt«, antwortete der Junge, »aber es wird mir nichts helfen, ich werde es versuchen. Aber sechs Tage muß ich Zeit haben zum Überlegen.«Ja, die solle er haben. Aber als die um waren, mußte er sich auf den Weg machen. Er steckte einen Nagel, ein Birkenpflöckchen und einen Lichtstumpf in die Tasche, ruderte mit seinem Trog hinüber und ging dort draußen hin und her und rauchte. Nach einer Weile kam der Troll heraus und sah ihn.

»Bist du es, der meine sieben Silberenten genommen hat?« rief der Troll.

»Ja-a«, sagte der Junge.

»Bist du es, der auch die Bettdecke mit den Silber- und Goldrauten genommen hat?«fragte der Troll.

»Ja-a«, sagte der Junge.



084 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Da ergriff ihn der Troll und nahm ihn mit sich in den Berg. »Nun, meine Tochter«, sagte er, »da habe ich ihn mitgebracht, der meine Silberenten nahm und meine Bettdecke mit Silber- und Goldrauten. Sperre ihn nun in den Maststall, so werden wir ihn schlachten und unsere Freunde dazu einladen.« -Das wollte sie sofort. Sie setzte ihn in den Maststall und dort blieb er acht Tage und bekam das Beste zu essen und zu trinken, alles, was er sich wünschte und soviel er haben wollte.

Als die acht Tage um waren, sagte der Troll zu seiner Tochter, daß sie zu ihm hinabgehen und ihn in den kleinen Finger ritzen sollte, um zu sehen, ob er fett genug sei. Sie ging also hinunter und sagte: »Strecke deinen kleinen Finger vor.« Aber Askeladden streckte den Nagel hervor, und den ritzte sie an. »Ach nein, er ist noch hart wie Eisen«, sagte die Trolltochter, als sie zurück zu ihrem Vater kam, »wir können ihn noch nicht brauchen.«

Acht Tage danach ging es genauso, nur daß Askeladden das Birkenpflöckchen vorzeigte. »Etwas besser ist es«, sagte sie, als sie wieder zum Troll kam, »aber nun ist er hart und dick wie Holz.«

Nach acht Tagen sagte der Troll wieder, daß die Tochter hinabgehen sollte und nachsehen, ob er fett genug sei: »Strecke deinen kleinen Finger heraus«, sagte die Trolltochter, als sie zum Maststall herunter kam, aber diesmal streckte Askeladden den Lichtstumpf heraus. »Nun geht es an«, sagte sie.

»Ja so«, sagte der Troll, »nun reise ich fort und bitte zum Gastmahl. Indessen sollst du ihn schlachten, halb braten und halb kochen.«

Als der Troll abgereist war, begann die Tochter ein langes Messer zu schleifen.

»Willst du mich damit schlachten?«fragte der Junge.

»Ja du«, sagte die Trolltochter.

»Aber das ist doch nicht scharf«, sagte der Junge, »ich komme heraus und schleife es dir, daß du mir leichter das Leben nehmen kannst.«

Sie ließ ihn das Messer haben und er begann zu schleifen und zu feilen.

»Laß es mich an deinen Haarflechten erproben«, sagte der Junge, »ich glaube, es wird nun gut sein.«

Das erlaubte sie ihm. Aber indem er die Haarflechten ergriff, beugte er ihren Kopf hintenüber und schnitt ihn der Trolltochter ab. Dann kochte er die Hälfte und briet die Hälfte und setzte es auf den Tisch. Dann zog er ihre Kleider an und setzte sich ganz hinten in den Winkel.

Als der Troll nach Hause kam mit all den Gästen, bat er die Tochter



085 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

-denn er dachte, das sei sie -, daß sie auch herankommen sollte und essen.

»Nein«, antwortete der Junge, »ich mag keine Speise, ich bin so traurig und niedergeschlagen.«

»Du weißt ja Rat dafür«, sagte der Troll, »nimm die Goldharfe und spiele darauf.«

»Ja, wo ist sie denn«, sagte der Junge wieder.

»Du weißt es doch, du hast sie ja zuletzt noch gespielt. Sie hängt ja über der Tür.«

Das ließ sich der Junge nicht zweimal sagen. Er nahm sie, ging damit aus und ein und spielte sie. Aber dann schob er den Trog hinaus und ruderte damit los, daß es nur so schäumte. Nach einer Weile schien es dem Troll, daß die Tochter doch zu lang ausblieb, und er schaute nach ihr aus, was ihr wohl fehlen könne. Da sah er den Jungen im Trog weit weit draußen auf dem See.

»Bist du es, der meine Silberenten nahm?« rief der Troll.

»Ja-a«, sagte der Junge.

»Bist du es, der auch meine Bettdecke nahm mit den Silberrauten und den Goldrauten darin?«

»Ja-a«, sagte der Junge.

»Hast du nun meine Goldharfe mitgenommen?«schrie der Troll.

»Ja, die habe ich auch«, sagte der Junge.

»Habe ich dich nicht aufgegessen?«

»Nein, das war deine Tochter, die du gegessen hast«, antwortete der Junge.

Als der Troll das hörte, wurde er so zornig, daß er zersprang. Und so ruderte Askeladden zurück und nahm ganze Haufen von Gold und Silber mit sich, so viel der Trog nur irgend tragen konnte.

Wie er nun mit der Goldharfe zum Königshof kam, bekam er die Königstochter und das halbe Reich, genau wie es der König versprochen hatte. Aber gegen die Brüder war er immer gut, denn er glaubte, sie hätten immer nur sein Bestes gewollt mit dem, was sie gesagt hatten.


Mestermø

Es war einmal ein König, der hatte mehrere Söhne, ich weiß nicht mehr genau wieviele es waren, aber der jüngste von ihnen hatte zu Haus keine Ruhe, er wollte mit aller Macht in die Welt hinaus und



086 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

sich bewähren, und schließlich mußte der König ihm auch die Erlaubnis dazu geben.

Als er einige Tage gewandert war, kam er zur Behausung eines Riesen und nahm Dienste bei dem Riesen an. Am Morgen mußte der Riese hinaus seine Ziegen hüten. Als er den Hof verließ, sagte er zum Königssohn, daß er den Stall ausmisten solle; »wenn du das getan hast, brauchst du nichts mehr zu tun an diesem Tag, denn du mußt wissen, daß du zu einem gutmütigen Hausherrn gekommen bist«, sagte er. »Alles, was ich dir sage, mußt du gut befolgen, und so darfst du auch nicht die Räume betreten, die sich in dem Haus befinden, wo du diese Nacht geschlafen hast. Tust du das, so werde ich dir das Leben nehmen. «

»Das ist wirklich ein gutmütiger Hausherr«, sagte der Königssohn zu sich selbst, ging auf und ab in seiner Stube und trällerte und sang, denn er hatte ja noch viel Zeit übrig, wenn er nur den Stall ausmisten solle. Aber spaßig wäre es doch, wenn er einmal in die anderen Räume hineinschauen könnte, denn da wird sicher etwas drin sein, vor dem man Angst haben muß, wenn man keine Erlaubnis bekommt, hineinzugehen, dachte er, und also betrat er die erste Stube. Da hing ein Kessel an der Wand und kochte, aber der Königssohn erblickte kein Feuer darunter. »Wissen möchte ich, was darin ist«, dachte er und tauchte eine Haarlocke hinein; da wurden die Haare so, als ob sie alle aus Kupfer wären. »Das ist eine komische Suppe, sollte einer davon kosten, so würde er kupferfarben um den Mund herum«, sagte der Junge, und damit ging er in den nächsten Raum hinein. Da hing auch ein Kessel an der Wand und sprudelte und kochte, aber auch da war kein Feuer darunter. »Auch den werde ich prüfen«, sagte der Königssohn und tunkte eine Locke hinein, die wurde silbern. »So eine teure Suppe gibt es nicht auf meines Vaters Hof«, sagte der Königssohn, »aber es fragt sich, wie sie schmeckt«, und damit ging er in den dritten Raum. Da hing auch ein Kessel an der Wand und kochte und der Königssohn hatte das Verlangen, auch den zu prüfen; er tauchte eine Locke hinein, da war sie so hell vergoldet, daß es nur so schimmerte. »Schlimm und schlimm!« sagte der Königssohn, »aber kocht er hier Gold, so möchte ich wissen, was er dort drinnen kocht«, und damit ging er durch die Tür zu dem vierten Raum. Da war kein Kessel zu sehen, aber auf einem Stuhl saß eine, die war mindestens eine Königstochter; welchen Mannes Tochter sie auch sein mochte, noch nie, all seine Lebtage, hatte der Königssohn ihresgleichen gesehen, so schön war sie.



087 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

»Ach, in Jesu Namen, was willst du hier?« sagte die, welche auf dem Stuhle saß.

»Ich bin seit gestern hier im Dienst«, sagte der Königssohn.

»Gott bewahre dich vor der Stätte, zu der du gekommen bist, um zu dienen!« sagte sie.

»Ach, mir scheint, ich habe einen gutmütigen Hausherrn bekommen«, sagte der Königssohn, »er hat mir heute keine schwere Arbeit aufgetragen; wenn ich den Stall ausgemistet habe, ist meine Arbeit getan.«

»Ja, wie willst du es denn beginnen?« fragte sie. »Wenn du so ausmisten willst, wie es die Leute gewöhnlich tun, dann kommen dir für jede Schaufel voll, welche du hinauswirfst, zehn wieder herein. Aber ich will dich lehren, wie du es machen mußt. Du sollst die Schaufel umdrehen und mit dem Schaft ausmisten, so wird alles wie von selbst hinauswirbeln. «

Ja, da wolle er aufpassen, meinte der Königssohn, und so blieb er den ganzen Tag drin sitzen, denn sie mochten sich beide gut leiden, er und die Königstochter. Und so wurde ihm der erste Tag, den er bei dem Riesen diente, gar nicht lang, das kannst du mir glauben.

Aber als es auf den Abend zu ging, sagte sie, es wäre nun das beste, er würde erst mal den Stall ausmisten, bevor der Riese heimkäme, und als er nun im Stalle war, hatte er Lust, zu prüfen, ob das richtig war, wie sie gesagt hatte. Er machte es zunächst so, wie er es bei den Stallknechten seines Vaters gesehen hatte. Aber er mußte bald wieder damit aufhören, nachdem er es eine kleine Weile so getrieben hatte, denn er hatte kaum noch Platz zum Stehen. Dann machte er es so, wie es ihn die Königstochter gelehrt hatte, er wendete die Schaufel um und arbeitete mit dem Schaft, und so wurde augenblicklich der Stall so rein, als ob er gescheuert sei. Als er damit fertig war, ging er wieder in die Stube, die ihm der Riese erlaubt hatte, und darin ging er auf und ab und begann zu trällern und zu singen.

Da kam der Riese mit den Ziegen heim.

»Hast du den Stall ausgemistet?«fragte der Riese.

»Ja, nun ist er rein und ordentlich, Hausherr«, sagte der Königssohn.

»Da will ich nachsehen!« sagte der Riese und ging in den Stall, aber es war genauso, wie es der Königssohn gesagt hatte. »Du hast gewiß mit meinem Mestermø gesprochen, denn das hättest du niemals von dir aus so machen können«, sagte der Riese.

»Mestermø? Was ist das für ein Ding, Hausherr?« sagte der Königssohn und schaute so dumm wie ein Rindvieh drein, »da hätte ich Spaß dran, den zu sehen.«



088 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

»Ach, du wirst sie noch zeitig genug sehen«, sagte der Riese. Am anderen Morgen mußte der Riese wieder hinaus mit seinen Ziegen. Da sagte er zum Königssohn, an diesem Tage sollte er das Pferd heimholen, welches oben auf dem Gebirgsrücken ging, wenn er das getan hätte, könne er sich ausruhen den Rest des Tages; »denn du sollst wissen, daß du zu einem gutmütigen Hausherrn gekommen bist«, sagte der Riese wieder, »aber wenn du in eins dieser Zimmer gehst, von denen ich gestern sprach, so drehe ich dir den Hals um«, sagte er und ging davon mit seiner Ziegenherde.

»Ja, du bist wirklich ein gutmütiger Hausherr«, sagte der Königssohn, »aber ich will trotzdem zu Mestermø gehen und mit ihr plaudern«, und so ging er zu ihr hinein.

Sie fragte ihn gleich, was er an diesem Tage machen müsse.

»Ach, das ist keine gefährliche Arbeit, glaube ich«, sagte der Königssohn, »ich soll nur auf den Bergrücken, sein Pferd holen.«

»Ja, wie willst du das beginnen?«fragte Mestermø.

»Das ist doch weiter keine Kunst, ein Pferd heimzureiten«, sagte er, »ich habe doch früher auch schon manches gesunde Pferd geritten.«

»Ja, das ist aber gar keine so leichte Sache, dieses Pferd heimzureiten«, sagte Mestermø; »aber ich werde dich lehren, wie du es zu machen hast. Wenn du es zu sehen bekommst, werden Feuer und Flammen aus seinen Nasenlöchern sprühen; paß gut auf und nimm das Zaumzeug, welches hier an der Tür hängt und wirf es um sein Maul, so wird es so zahm werden, daß du es gerne mit einem Zwirnfaden lenken kannst.«

Ja, er würde sich daran erinnern, und dann saß er den ganzen Tag bei Mestermø, sie schwatzten und plauderten miteinander über dies und jenes, aber das erste und letzte war immer wieder, wie herrlich und prächtig das wäre, wenn sie einander bekommen könnten und wenn sie nur schon weg von dem Riesen wären; der Königssohn hatte bald Pferd und Berg vergessen, aber Mestermø erinnerte ihn daran, als der Abend nahte und sagte, nun sei es das beste, er hole das Pferd, bevor der Riese käme.

Das tat er auch, er nahm das Zaumzeug, welches im Winkel hing und schlenderte auf den Bergrücken hinauf. Es dauerte nicht lang, so traf er das Pferd, sah Feuer und rote Flammen aus den Nasenlöchern sprühen. Aber der Junge paßte den richtigen Augenblick ab: als es auf ihn zukam mit schnappendem Maul, warf er ihm den Zaum gleich ins Maul, sogleich stand das Pferd so lammfromm und geduldig, daß es gar keine große Sache mehr war, es heimzuführen. Dann ging er wieder in die Stube und begann zu trällern und zu singen.



089 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Zum Abend kam der Riese heim mit den Ziegen. »Hast du das Pferd vom Berge heimgeholt?«fragte der Riese.

»Ja, das habe ich, Hausherr; es war vergnüglich auf dem Pferd zu reiten, aber ich ritt gleich heim und brachte es in den Stall«, sagte der Königssohn.

»Das will ich mir ansehen!« sagte der Riese. Er ging hinaus zum Stall, aber da stand das Pferd, wie der Königssohn gesagt hatte. »Du hast gewiß mit meinem Mestermø gesprochen, denn das hast du niemals allein vollbracht«, sagte der Riese wieder.

»Gestern sprach der Hausherr schon von dem Mestermø und heute wieder! Je nun, Hausherr, er will mir das Ding nicht zeigen, ich weiß; dabei würde ich richtig Spaß haben, es zu sehen«, sagte der Königssohn, er gab sich wieder so dumm und unwissend.

»Ach, zeitig genug wirst du sie sehen«, sagte der Riese. Am dritten Tag am Morgen wollte der Riese hinaus in den Wald mit seinen Ziegen. »Heute sollst du zur Hölle und die Brandsteuer holen«, sagte er zum Königssohn; »wenn du das getan hast, kannst du dich den Rest des Tages ausruhen, denn du bist zu einem gutmütigen Hausherrn gekommen, mußt du wissen«, und fort ging er.

»Ja, wenn du auch ein gutmütiger Hausherr bist, so gibst du mir doch gleichwohl schlaue Arbeit zu tun«, sagte der Königssohn, »aber ich will versuchen, ob ich deine Mestermø finden kann; du sagst zwar, sie ist dein, aber vielleicht wird sie mein, wenn ich danach handeln werde«, und so ging er zu ihr.

Als Mestermø fragte, was der Riese ihm an diesem Tage befohlen hatte zu tun, erzählte er, daß er zur Hölle solle und die Brandsteuer holen.

»Wie willst du das bewältigen?« sagte Mestermø.

»Ja, es genügt, wenn du es mir sagst«, sagte der Königssohn, »denn in der Hölle bin ich noch nie vorher gewesen, aber selbst, wenn ich den Weg wüßte, so wüßte ich nicht, wieviel ich fordern sollte.«

»Ach ja, ich kann es dir wohl sagen; du gehst ins Gebirge unterhalb des Höhenrückens und nimmst die Keule, die dort liegt und schlägst damit gegen die Bergwand«, sagte Mestermø. Da wird einer herauskommen, der Funken sprüht; ihm sollst du deinen Auftrag sagen, und wenn er dich fragt, wieviel du haben willst, so sagst du: so viel ich tragen kann.«

Ja, er würde daran denken, sagte er und setzte sich den ganzen Tag zu Mestermø, auch als es auf den Abend zu ging, und er wäre gern noch länger geblieben, wenn ihn Mestermø nicht erinnert hätte, daß



090 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

er noch zur Hölle gehen müsse, um die Brandsteuer zu holen, bevor der Riese heim käme.

Er machte sich auf den Weg und tat alles genau so, wie Mestermø ihm gesagt hatte, er ging zu der Felswand, nahm die Keule und klopfte an. Da kam einer heraus, dem die Funken aus Augen und Nase flogen.

»Was willst du?« sagte er.

»Ich komme vom Riesen und soll die Brandsteuer fordern«, sagte der Königssohn.

»Wie viel willst du da haben?« sagte der andere wieder.

»Ich fordere niemals mehr, als ich zu tragen vermag«, sagte der Königssohn.

»Das ist gut, daß du keine Pferdelast haben willst«, sagte der, welcher aus der Bergwand herauskam. »Aber nun komm nur mit mir herein!«

Das tat der Königssohn, und da bekam er viel Gold und Silber zu sehen, kannst du mir glauben, das lag da drin im Berge wie Steinhaufen, und davon bekam er eine Last, so groß wie er tragen konnte, und damit ging er seiner Wege.

Als der Riese mit seinen Ziegen heim kam, am Abend, ging der Königssohn in die Stube, trällerte und sang wieder wie an den beiden anderen Tagen.

»Bist du in der Hölle gewesen, um die Brandsteuer zu holen?« sagte der Riese.

»Ja, das tat ich, Hausherr«, sagte der Königssohn.

»Wo hast du es denn?« sagte der Riese wieder.

»Der Goldsack steht dort auf dem Stuhl«, sagte der Königssohn.

»Das will ich erst sehen«, sagte der Riese, lief zum Stuhl, aber da stand der Sack, wie der Königssohn gesagt hatte, und der Sack war so voll, daß Gold und Silber herausrieselte, als der Riese das Sackband löste. »Du hast gewiß mit meinem Mestermø gesprochen«, sagte der Riese, »hast du das, so drehe ich dir den Hals um«.

»Mestermø?« sagte der Königssohn; »gestern sprach der Hausherr von Mestermø, und heut erzählt er wieder davon, und den Tag vorher auch. Ich wünschte, ich bekäme das Ding einmal zu sehen«, sagte er.

»Ja, ja, warte bis morgen, so werde ich selbst mit dir zu ihr gehen«, sagte der Riese.

»Dank dir, Hausherr!« sagte der Königssohn.

Am anderen Tage nahm der Riese ihn mit zu Mestermø.

»Nun sollst du ihn schlachten und ihn in dem großen Kessel kochen,



091 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

du weißt schon. Wenn du fertig gekocht hast, kannst du mit mir sprechen«, sagte der Riese, er legte sich in den Stuhl, um zu schlafen, und bald schnarchte er, daß es in den Bergen donnerte.

Da nahm Mestermø ein Messer und ritzte dem Jungen den kleinen Finger und tropfte drei Blutstropfen auf den hölzernen Stuhl. Dann nahm sie alle alten Lumpen und Schuhsohlen und all das Ungeziefer, was sie finden konnte, und tat alles in den Kessel; dann füllte sie eine ganze Kiste voll mit gemahlenem Gold, und einen Salzstein und eine Wasserflasche, die bei der Tür hing, und einen Goldapfel und zwei Goldhühner nahm sie auch mit sich, und damit flohen sie und der Königssohn hinweg vom Riesenhof, so schnell sie nur konnten. Als sie ein Stück unterwegs waren, kamen sie an die See; von da an segelten sie -aber von wem sie das Schiff bekamen, habe ich nie erfragen können.

Als der Riese nun eine ganze Weile geschlafen hatte, begann er sich auf dem Stuhl zu strecken: »Ist nun bald gekocht?«fragte er.

»Vor kurzem begann es zu kochen«! sagte der erste Blutstropfen auf dem Schemel.

Ja, da legte sich der Riese wieder zum Schlafen hin, und so schlief er eine lange lange Zeit. Dann drehte er sich wieder ein wenig.

»Ist es nun bald fertig gekocht?« sagte er, er war noch halb im Schlafe, wie das erstemal.

»Halbgekocht!« sagte der andere Blutstropfen, und so glaubte der Riese, es sei wieder Mestermø, er drehte sich im Stuhl und begann von neuem tief zu schlafen.

Als er wieder viele Stunden geschlafen hatte, begann er sich zu rühren und zu strecken: »Hat es immer noch nicht genug gekocht?« sagte er dann.

»Fertig gekocht!« sagte der dritte Blutstropfen.

Der Riese richtete sich auf und blinzelte mit den Augen, aber er konnte niemanden sehen, der gesprochen hatte, und so fragte er nach Mestermø und rief nach ihr. Nein, da war kein Mensch, der ihm antwortete. »Ach ja, sie ist wohl ein wenig hinausgegangen«, dachte der Riese. Er nahm einen Kochlöffel und wollte zum Kessel und kosten. Aber da war ja nichts anderes drin als Schuhleder, Lumpen und Krimskrams, und das war zusammengekocht, sodaß es aussah wie Kraut und Rüben. Als er das sah, konnte er sich denken, was vorgefallen war, und da wurde er so wahnsinnig wütend, daß er nicht wußte, auf welchem Bein er stehen sollte. Er sprang also dem Königssohn und Mestermø nach, daß es nur so sauste; es dauerte nicht lange, so stand er am Wasser, und da konnte er nicht hinüberkommen. »Ja, ja, ich



092 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

weiß schon Rat, ich brauche nur meine Flußsauger zu rufen«, sagte der Riese, und das tat er. Da kamen seine Flußsauger und legten sich nieder und tranken ein, zwei, drei Schlucke, dadurch verringerte sich das Wasser so sehr im Hafen, daß der Riese draußen im Schiff Mestermø und den Königssohn sehen konnte.

»Nun mußt du den Salzstein herauswerfen«, sprach Mestermø, und das tat der Königssohn; da wurde er zu einem Berg, so groß und hoch quer über dem Hafen, daß der Riese nicht darüberkonnte, und kein Flußsauger konnte mehr saugen.

»Ja, ja, auch dafür weiß ich Rat«, sagte der Riese; er holte seinen Bergnabenbohrer und begann den Berg zu durchbohren, sodaß die Flußsauger wieder saugen konnten. Als nun ein Loch entstand und die Flußsauger wieder saugen konnten, sagte Mestermø zum Königssohn, er solle aus der Flasche ein oder zwei Tropfen herausfallen lassen, so würde der Hafen wieder gefüllt, und bevor die Flußsauger wieder einen Schluck nehmen konnten, kamen sie an Land und waren befreit und erlöst.

Nun wollten sie heim zum Vater des Königssohnes. Aber der Königssohn wollte auf keinen Fall, daß Mestermø gehen sollte, denn das gezieme sich weder für sie noch für ihn. »Warte nur eine kleine Weile, während ich heimgehe und die sieben Pferde hole, welche in meines Vaters Stalle stehen», sagte er, »das soll nicht lang dauern, aber ich will nicht, daß meine Liebste zu Fuß in den Königshof einzieht.«

»Ach nein, tue das nicht! Denn kommst du heim zum Königshof, so wirst du mich vergessen, das weiß ich im voraus«, sagte Mestermø.

»Wieso sollte ich dich vergessen, wir haben so viel Schlimmes miteinander durchlitten und haben einander so lieb«, sagte der Königssohn; er wollte und mußte heim, den Wagen mit den sieben Pferden zu holen, und sie solle indessen warten am Strande.

Zum Schluß mußte Mestermø sich ergeben in seinen Willen. »Aber wenn du hinkommst, sollst du niemanden begrüßen, sondern geh gleich zum Stall, nimm die Pferde, spanne sie vor den Wagen und fahre so schnell du kannst. Denn sie werden alle um dich herumstehen, aber du mußt tun, als sähest du sie nicht; und zu essen darfst du auch nichts von ihnen annehmen; tust du das, so wird es zum Unglück von dir und mir sein«, sagte sie, und er versprach alles.

Als er nun zum Königshof heim kam, feierte gerade einer seiner Brüder Hochzeit, und die Braut und alle ihre Verwandten waren zum Königshof gekommen. Alle umdrängten ihn, fragten ihn dies und das und wollten ihn mit hineinziehen. Aber er tat, als sähe er sie nicht,



093 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

er ging nur schnell zum Stall, zog die Pferde heraus und begann sie einzuspannen. Da die anderen ja von nichts wußten, kamen sie wieder heraus, boten ihm zu essen und zu trinken an von all dem Guten, was sie zur Hochzeit bereitet hatten; aber der Königssohn wollte von keinem kosten, er beeilte sich nur, einzuspannen. Doch zum Schluß rollte die Schwester der Braut einen schönen Apfel über den Hof. »Wenn du gar nichts kosten willst, kannst du wenigstens dahineinbeißen, denn du wirst doch hungrig und durstig sein nach dem langen Weg«, sagte sie; und das tat er auch, er nahm den Apfel auf und biß hinein. Kaum hatte er den ersten Bissen im Munde, so vergaß er Mestermø und daß er sie herfahren wollte. »Ich glaube, ich bin verrückt, was soll ich mit Pferd und Wagen?« sagte er und führte die Pferde wieder in den Stall und ging mit ihnen hinein, und danach wurde es so, daß er die Schwester der Braut haben sollte, jene, die ihm den Apfel zugerollt hatte.

Mestermø saß indessen am Strande und wartete und wartete, aber kein Königssohn kam mehr zurück. Da lief sie davon, und als sie ein Stück Weges gegangen war, kam sie zu einem Hüttlein, welches einsam in einem Walde lag, dicht beim Königshof. Da ging sie hinein und bat, ob sie nicht hier bleiben könne. Das Hüttlein gehörte einer alten Frau, die eine böse, arge Hexe war. Zuerst wollte sie Mestermø nicht bei sich behalten, aber nach einiger Zeit durfte sie doch für Geld und gute Worte dableiben. Aber häßlich und schwarz war das Hüttlein innen wie ein Schweinestall. Mestermø sagte, sie wolle es ein wenig putzen, so daß es sauber aussehe wie bei anderen Leuten auch. Das liebte die Alte aber gar nicht, sie schrie und war bös, aber Mestermø kümmerte sich nicht darum, sie nahm ihre Goldtruhe, schüttete einen Teil des Goldes auf den Herd, sodaß über die ganze Stube das Gold sprühte und so wurde sie inwendig ganz vergoldet. Aber als das Gold zu sprühen begann, bekam die Alte solche Angst, daß sie davonsprang, als sei der Teufel selbst hinter ihr her; so kam ihr auch nicht in den Sinn, sich durch die Türe zu bücken, und so schlug sie sich den Kopf am Türrahmen ein.

Am Morgen danach kam der Lehnsmann dort vorbei. Er war ganz verwundert über das Goldhäuschen, welches durch den Wald blinkte und glitzerte, das kann man sich denken, und noch mehr verwundert war er, als er hereinkam und die schöne Jungfrau darinnen sitzen sah. Er war sogleich so verliebt in sie, daß er auf der Stelle um sie warb und sie schön und freundlich bat, doch seine Frau zu werden.

»Ja, hast du Geld mitgebracht?«fragte Mestermø.



094 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Ach nein, mitgebracht hätte er es nicht, meinte der Lehnsmann, aber Geld habe er genug zu Haus, und am Abend hatte er einen ganzen Halbtonnensack mitgebracht, den er in den Türwinkel setzte.

Ja, wenn er so brav Geld mitgebracht hätte, so wolle ihn Mestermø haben. Aber kaum, daß sie sich zur Ruhe begeben hatten, so mußte Mestermø wieder auf: »Ich habe vergessen, das Feuer zu schüren«, sagte sie.

»0, sollst du aufstehen deswegen!« sagte der Lehnsmann, »das kann ich tun«, und so sprang er auf und fort zur Feuerstelle im Nu. »So sage mir nur Bescheid, wenn du den Schürhaken hälst«, sagte Mestermø.

»Nun halte ich den Schürhaken«, sagte der Lehnsmann.

»So halte du den Schürhaken und der Schürhaken halte dich, und Rauch, Ruß und Feuer über dich, bis es taget!« sagte Mestermø.

So mußte der Lehnsmann die ganze Nacht da stehen bleiben und Feuer, Rauch und Ruß quälten ihn, und obgleich er weinte und bat, so wurde das Feuer dadurch nicht kälter und der Ruß nicht heller. Aber als es tagte und er wieder Macht bekam, den Schürhaken wegzuwerfen, blieb er keine Sekunde länger, das kann man sich denken, er sprang davon, als ob ihm der Teufel auf den Fersen sei; und alle, die er traf, glotzten und gafften hinter dem Lehnsmann her, denn er floh, als ob er verrückt wäre, und schlimmer konnte er nicht aussehen, als sei er geschunden und gegerbt worden, und alle wunderten sich, wo er gewesen sei. Aber er sagte nichts vor Scham und Schuld.

Am Tag darauf kam der Schreiber vorbei dort, wo Mestermø wohnte. Er sah, daß es glitzerte und schimmerte in dem Hüttlein im Walde und wollte auch hineinschauen, wer dort drin wohl wohne. Und als er das hübsche Jungfräulein zu sehen bekam, war er noch verliebter als der Lehnsmann und warb um sie auf der Stelle. Ja, Mestermø antwortete ihm genauso, wie sie dem Lehnsmann geantwortet hatte: wenn er Geld mitbrächte... Der Schreiber meinte, Geld hätte er nicht bei sich, aber er wollte sofort heim und welches holen; am Abend kam er mit einem großen dicken Sack voll Geld - ich meine, es war ein ganzer Tonnensack voll - und setzte ihn auf den Stuhl zu Mestermø. Ihr solle er gehören, wenn er sie heiraten dürfe, und so legten sie sich nieder. Aber diesmal hatte Mestermø vergessen, die Galerietür zu schließen, deshalb müsse sie aufstehen und sie schließen, sagte sie.

»0, sollst du das tun«, sagte der Schreiber, »nein, liege du ruhig, ich werde es tun«. Er sprang auf so leicht wie eine Erbse aus der Hülse und eilte hinaus in den Gang.



095 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

»Sage mir Bescheid, wenn du die Türklinke in der Hand hast«, sagte Mestermø.

»Nun halte ich die Tür«, schrie der Schreiber draußen im Gang.

»So halte du die Türe und die Türe halte dich, und tanze von einer Wand zur anderen, bis es taget!« sagte Mestermø.

Und so kann man sich wohl vorstellen, wie der Schreiber diese Nacht zu tanzen begann; solche langen Schritte hatte er nie vorher gemacht, bald war er voraus, bald die Tür, und das ging von dem einen Türwinkel zum anderen, sodaß der Schreiber sich beinah totgeschlagen hätte. Erst begann er zu fluchen, dann zu weinen und zu bitten; aber die Tür kümmerte sich um keins von beiden, die hielt fest bis zum Morgengrauen. Als die Tür ihn losließ, sprang der Schreiber davon, als ob er es bezahlt bekäme, er vergaß Geldsack und Werbung und war glücklich, daß die Tür nicht tanzend hinter ihm her kam. Alle, die er traf, glotzten und starrten hinter dem Schreiber her, denn er floh, als ob er verrückt wäre, und sah obendrein so schlimm aus, als ob er von einem Schafbock gestoßen worden wäre, die ganze Nacht.

Am dritten Tage kam der Schulze vorbei. So bekam er auch das Goldhüttchen draußen im Wald zu sehen. Ja, er mußte auch hinein, um zu sehen, wer dort wohnte. Als er Mestermø erblickte, war er sofort so verliebt in sie, daß er um sie warb, sowie er sie begrüßt hatte. Mestermø antwortete ihm wie den anderen beiden, wenn er Geld mitbrächte, so wolle sie ihn nehmen. Das hätte er zwar nicht bei sich, sagte der Schulze, er wolle aber sofort nach Hause und es holen, und das tat er. Als er am Abend wiederkam, hatte er einen noch größeren Geldsack bei sich als der Schreiber, diesen Geldsack stellte er auf den Stuhl. Ja, der solle da bleiben, wenn Mestermø ihn heiraten wolle.

Aber kaum hatten sie sich niedergelegt, da sagte Mestermø, daß sie vergessen habe, das Kalb hereinzuholen, sie müsse wieder aufstehen und das Kalb in den Verschlag bringen.

Nein, Kreuz nochmal, das solle sie nicht tun, das wolle der Schulze selbst tun, sagte er; und obgleich er so dick und fett war, sprang er so leicht auf wie ein junger Bursch.

»Sage mir nur Bescheid, wenn du das Kalb hältst«, sagte Mestermø, und das tat er.

»Nun halte ich das Kalb«, rief der Schulze.

»So halte du das Kalb und das Kalb halte dich, und es führe dich durch alle Welt, bis es taget!« sagte Mestermø.

Und so kann man sich wohl denken, daß der Schulze seine Füße rührte, das ging steil und flach, über Berg und tiefe Täler, und je mehr



096 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

der Schulze schrie und fluchte, desto schneller sprang das Kalb. Als es zu dämmern begann, war er beinahe zerplatzt, und dann war er so froh, daß er nicht mehr an das Kalb gebannt war, daß er seinen Geldsack und alles zusammen vergaß. Er ging langsamer als der Lehnsmann und der Schreiber, aber je langsamer er ging, desto mehr Zeit hatten die Leute, nach ihm zu glotzen und zu starren und zu staunen, so erschöpft und zerfetzt sah er nach dem Kälbertanz aus.

Tags darauf sollte die Hochzeit im Königshof stattfinden, und da sollte der älteste Bruder mit seiner Braut zur Kirche und jener Bruder, der beim Riesen gedient hatte, mit ihrer Schwester. Aber als sie in den Wagen gestiegen waren und davonfahren wollten, zerbrach der eine Deichselnagel, und sie taten an dessen Stelle ein, zwei, drei andere, aber alle zerbrachen, nichts half, welcher Art Holz sie auch dazu verwendeten. So konnten sie nicht davonfahren und sie waren außer sich alle zusammen. Aber da sagte der Lehnsmann - denn er war auch zur Hochzeit auf den Königshof eingeladen - daß draußen im Wald eine Jungfrau wohne. »Wenn sie euch nur den Schürhaken leiht, mit dem sie in ihrem Feuer rührt, so weiß ich gewiß, der hält!« sagte er. Also gut, sie sandten Botschaft zum Waldhüttchen und ließen sehr schön darum bitten, ob sie nicht den Schürhaken ausgeliehen bekommen könnten, von dem der Lehnsmann gesprochen hatte. Es wurde nicht nein dazu geantwortet, und so hatten sie einen Deichselnagel, der nicht zerbrach. Aber im Augenblick als sie fahren wollten, ging der Wagenboden in Stücke. Sie machten gut und schnell einen neuen Wagenboden, aber wie sie ihn auch nagelten und welcher Art Holz sie auch nahmen, so half das nichts, so wie sie den Boden im Wagen hatten und davonfahren wollten, so brach er wieder entzwei, und so waren sie genau so schlimm dran wie mit dem Deichselnagel. Aber da sagte der Schreiber — denn war der Lehnsmann mit dabei, so kann man sich denken, daß auch der Schreiber zur Hochzeit eingeladen war -: »Draußen im Wald wohnt eine Jungfrau, könnte man nur von ihr die Tür zum Galeriegang geliehen bekommen, so weiß ich gewiß, die würde als Wagenboden halten!« Also gut, sie sandten Botschaft zum Waldhüttlein wieder und baten so schön, ob sie nicht die vergoldete Gangtüre, von welcher der Schreiber gesprochen hätte, geliehen bekommen könnten, und sie bekamen sie auch sofort. So wollten sie also wieder fahren, aber nun vermochten die Pferde nicht mehr den Wagen zu ziehen. Sechs Pferde hatten sie vorgespannt, nun spannten sie acht davor, dann zehn, dann zwölf, aber wieviel sie auch vorspannten und der Kutscher die Peitsche brauchte, so half das doch nichts, der Wagen rührte sich nicht vom Fleck.



097 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Es war schon spät am Tage und zur Kirche mußten sie, alle waren untröstlich, alle die im Königshofe waren; aber da sagte der Schulze, da draußen in dem vergoldeten Hüttlein im Walde wohne eine Jungfrau; wenn sie nur deren Kalb geliehen bekämen! »Denn das weiß ich genau, dieses würde den Wagen ziehen, sei er auch so schwer wie ein Fels!« sagte der Schulze. Es erschien ihnen zwar eigenartig, mit einem Kalb zur Kirche zu fahren, aber sie wußten keinen anderen Rat, sie mußten wieder Botschaft senden und schön bitten, ob der König das Kalb geliehen bekommen könne, von dem der Schulze gesprochen hatte, und Mestermø antwortete wieder nicht nein und lieh es ihnen. Als sie das Kalb vorgespannt hatten, begann der Wagen sich zu rühren, das ging steil und flach, über Stock und Stein, sodaß sie kaum Luft holen konnten, manchmal rollten sie über die Felder, manchmal rollten sie durch die Luft; und als sie zur Kirche kamen, ging es rundum wie eine Garnwinde. Mit äußerster Not konnten sie anhalten und aus dem Wagen steigen und in die Kirche gehen. Und zurück ging es noch schneller, sodaß sie kaum wußten, wie sie wieder zurück zum Königshof gekommen waren.

Als sie sich zu Tisch gesetzt hatten, sagte der Königssohn -derjenige welcher beim Riesen gedient hatte - sie müßten wohl die Jungfrau aus dem Waldhüttlein zum Königshof einladen, die doch den Schürhaken, die Gangtüre und das Kalb geliehen hatte; »denn hätten wir nicht diese drei Dinge bekommen, so hätten wir nie wegfahren können«, sagte er. Ja, das sei recht und gut, meinte der König, und so sandte er fünf seiner besten Männer zu dem vergoldeten Waldhüttchen; sie sagten, daß sie fleißig vom König grüßen sollten und baten, ob sie nicht so gut sein wolle, zum Königshof zu kommen zum Mittagessen.

»Grüßt den König und sagt, wenn er sich für zu gut hält, zu mir zu gehen, so halte ich mich für zu gut, zu ihm zu gehen«, antwortete Mestermø.

So mußte der König sich selbst auf den Weg machen und Mestermø ging sogleich mit. Und der König merkte, daß sie mehr war als wonach sie aussah, er setzte sie obenan neben den jüngsten Bräutigam.

Als sie eine kleine Weile am Tisch gesessen hatten, zog Mestermø Hahn und Huhn und den Goldapfel hervor, die sie vom Riesenhof mitgenommen hatte, und setzte sie vor sich auf den Tisch; kaum hatte sie das getan, so begannen Hahn und Henne am Goldapfel zu picken und darum zu streiten.

»Nein, sieh nur, wie die zwei um den Goldapfel kämpfen!« sagte der Königssohn.



098 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

»Ja, so kämpften wir zwei auch, um herauszukommen, damals als wir im Berg waren«, sagte Mestermø.

Da erkannte der Königssohn sie wieder, und man kann sich ja vorstellen, wie glücklich er war. Die Trollhexe, die ihm den Apfel zugerollt hatte, ließ er in Stücke reißen von vierundzwanzig Pferden.

Nun wurde erst richtig Hochzeit gefeiert, und obwohl sie etwas flügellahm waren, so hielten sie doch aus, der Lehnsmann, der Schreiber und der Schulze auch.


Die Hexenbraut

Es war einmal ein Witwer, der hatte von seiner ersten Frau einen Sohn und eine Tochter. Beides waren liebe Kinder, welche sich herzlich zugetan waren. Nach einiger Zeit verheiratete sich der Witwer wieder und zwar mit einer Witwe, die eine Tochter von ihrem ersten Mann hatte. Die aber war häßlich und schlimm wie ihre Mutter. Von der Stunde an, in der die neue Frau ins Haus kam, hatten die Geschwister weder Ruhe noch Frieden mehr. Und so dachte der Knabe, es sei wohl das Beste, hinaus in die weite Welt zu ziehen und zu versuchen, sich sein Brot selbst zu verdienen.

Als er eine Weile gewandert war, kam er zum Königshof. Dort nahm er beim Stallmeister Dienste an, und weil er flink und geschickt war, sahen die Pferde, die er zu versorgen hatte, alle wohlgenährt und blank aus, daß sie nur so schimmerten.

Aber der Schwester, die zu Haus geblieben war, ging es schlecht und schlimm. Wo sie ging und stand waren Stiefmutter und Stiefschwester hinter ihr her, schalten, quälten und hetzten sie, nicht eine Stunde Ruhe gönnten sie ihr mehr. Die schwersten, niedrigsten Arbeiten mußte sie verrichten, bekam Scheltworte spät und früh und wenig zu essen obendrein.

Eines Tages, als sie zum Bach nach Wasser geschickt wurde, tauchte aus dem Wasserspiegel ein häßliches unheimliches Haupt hervor.

»Wasche du mich«, sagte das Haupt.

»Ja, gerne will ich dich waschen«, sagte das Mädchen, und sie begann das häßliche Gesicht zu schrubben und zu waschen, obgleich ihr die Arbeit grausig erschien.



099 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Als sie das gemacht hatte, tauchte ein anderes Haupt aus dem Wasserspiegel auf, das war noch häßlicher.

»Bürste du mich«, sagte das Haupt.

»Ja, gern will ich dich bürsten«, sagte das Mädchen und mühte sich mit den Haarstoppeln, das war keine lustige Arbeit, das kann man sich denken.

Als sie auch diese Arbeit vollbracht hatte, tauchte ein noch häßlicheres, unheimlicheres Haupt aus dem Wasserspiegel auf.

»Küsse du mich«, sagte das Haupt.

»Ja, ich werde dich küssen«, sagte die Tochter des Witwers und sie tat es auch, aber es war das Schlimmste, was sie jemals im Leben hatte tun müssen.

Da sprach das eine Haupt mit dem anderen und sie fragten einander, was sie mit derjenigen machen sollten, die so gut und weise war.

»Sie soll das schönste Mädchen werden, heller als der lichte Tag«, sagte das erste Haupt.

»Jedesmal, wenn sie sich bürstet, soll Gold aus ihren Haaren tropfen«, sagte das andere Haupt.

»So oft sie spricht, soll Gold aus ihrem Munde fallen«, sagte das dritte Haupt.

Als nun die Tochter des Witwers heim kam und so schön wie der lichte Morgen war, wurden Stiefmutter und Stiefschwester noch ärger. Noch schlimmer wurde es, als sie zu sprechen begann und sie sehen mußten, wie Goldstücke aus ihrem Munde fielen. Die Stiefmutter wurde so wütend und toll, daß sie das arme Mädchen in den Schweinestall jagte. Dort solle sie mit ihrer Goldpracht bleiben, aber ins Haus dürfe sie keinen Fuß mehr setzen.

Es dauerte nicht lang, so schickte die Stiefmutter ihre eigene Tochter zum Bach, um Wasser zu holen. Als sie mit ihren Kübeln da ankam, tauchte das erste Haupt aus dem Wasser auf.

»Wasche du mich«, sagte es.

»Der Schinder wasche dich«, antwortete die Tochter der Witwe. Da tauchte das zweite Haupt auf.

»Bürste du mich«, sagte das Haupt.

»Der Teufel bürste dich«, antwortete die Tochter der Witwe. Aus dem tiefsten Grunde tauchte auch noch das dritte Haupt auf.

»Küß mich, du«, sagte es.

»Der Teufel küsse dich, du Schnauzenmaul«, sagte das Mädchen.

Da sprachen die Häupter wieder und fragten einander, wie es der ergehen solle, die so schlecht und dumm gehandelt hatte. Sie beschlossen,



100 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

daß diejenige eine vier Ellen lange Nase haben solle, eine drei Ellen lange Schnauze und einen Hexenbüschel mitten auf der Stirn, und jedesmal, wenn sie spricht, soll Asche aus ihrem Munde fallen.

Als sie mit den Wasserkübeln wieder heim an die Haustür kam, rief sie nach der Mutter, die im Haus war.

»Mach auf«, rief sie.

»Offne dir selbst, meine Tochter«, sagte die Mutter.

»Ich kann die Türklinke nicht erreichen wegen meiner Nase«, sagte die Tochter. Als die Mutter herauskam und ihre Tochter erblickte, kann man sich ja denken, wie sie erschrak und wie sie schrie und klagte, aber Nase und Schnauze wurden nicht kleiner davon. -

Der Bruder der schönen Tochter, welcher am Königshof diente, hatte seine Schwester gemalt, und dieses Bild hatte er mitgenommen und jeden Morgen und jeden Abend lag er auf den Knien vor diesem Bild und betete zum Herrgott für seine Schwester, so sehr liebte er sie.

Die anderen Stallburschen hatten das gehört, und so schauten sie eines Tages durchs Schlüsselloch in seine Kammer, und da sahen sie, daß er vor einem Bilde auf den Knien lag. Überall erzählten sie nun, daß der Junge jeden Morgen und jeden Abend vor einem Götzenbilde auf den Knien läge, und schließlich gingen sie auch zum König und baten ihn, doch einmal durchs Schlüsselloch in die Kammer des Jungen hineinzuschauen, da würde er es selbst sehen können. Der König wollte es nicht glauben, aber nach einiger Zeit überredeten sie ihn doch, und er schlich sich auf den Zehen zur Tür und guckte durchs Schlüsselloch. Ja, da sah er den Burschen tatsächlich auf den Knien liegen, und das Bild hing an der Wand, und die Hände hatte er gefaltet.

»Mach auf«, rief der König. Aber der Junge hörte nicht. Da rief der König zum zweiten Mal, aber der Junge betete so innig für seine Schwester, er hörte noch immer nicht.

»Mach auf, befehle ich«, rief der König wieder, »ich bin es, der hinein will.« Da sprang der Junge zur Tür und schloß auf, aber in der Eile hatte er vergessen, das Bildnis zu verbergen. Als der König nun eintrat und das Bild erblickte, blieb er wie gebannt stehen, konnte sich nicht mehr vom Fleck rühren, so wunderschön erschien ihm das Bild.

»So ein schönes Mädchen gibt es in der ganzen Welt nicht«, sagte der König. Der Junge erzählte, das sei seine Schwester, die er gemalt hätte, und wenn sie nicht noch schöner sei als dieses Bild, so sei sie bestimmt nicht häßlicher. »Ja, wenn sie so schön ist, so will ich sie zu meiner Königin machen«, sagte der König. Er befahl dem Jungen, heim zu reisen und sie in fliegender Eile herzuholen, und er solle sich ja unterwegs nicht



101 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

aufhalten. Der Junge versprach, sich zu beeilen so schnell er könne, und so verließ er den Königshof.

Als der Bruder nach Haus kam, um seine Schwester zu holen, da wollten Stiefmutter und Stieftochter auch mit. So reisten sie alle zusammen. Die schöne Schwester hatte eine kleine Truhe mitgenommen, in der sie ihr Gold aufbewahrte, und einen Hund, der hieß Liliekaveirn. Diese zwei Dinge waren ihr ganzes Erbe von ihrer verstorbenen Mutter. Erst reisten sie ein Stück zu Lande, dann mußten sie über die See. Der Bruder setzte sich hinten ans Steuer, die Stiefmutter und die Stiefschwester saßen in der Mitte, und die schöne Schwester war mit dem Hund und mit der Truhe vorn im Schiff. So segelten sie eine gute Weile. Nach einiger Zeit kam ein Strand in Sicht.

»Wo ihr den weißen Strand seht, werden wir an Land gehen«, sagte der Bruder und zeigte hinaus über die See.

»Was sagte mein Bruder«, fragte die schöne Schwester.

»Er sagt, du sollst deine Truhe über Bord werfen«, antwortete die Stiefmutter. »Ja, wenn mein Bruder das sagt, so muß ich es wohl tun«, sagte die Schwester und warf die Goldtruhe über Bord.

Als sie eine Weile gesegelt waren, wies der Bruder wieder über See. »Dort seht ihr das Schloß, das wir erreichen sollen.«

»Was sagte mein Bruder«, fragte die schöne Schwester.

»Nun sagte er, du sollst deinen Hund in die See werfen«, antwortete die Stiefmutter.

Die Schwester weinte und war betrübt, denn Lillekaveirn war das Liebste, was sie auf der Welt hatte, aber endlich warf sie ihn doch über Bord. »Wenn mein Bruder es sagt, muß ich es wohl tun, aber Gott weiß, wie ungern ich dich hinauswerfe, Lillekaveirn«, sagte sie.

Sie segelten wieder ein gutes Stück. »Da siehst du den König kommen, um dich zu empfangen«, sagte der Bruder und zeigte zum Strand.

»Was sagte mein Bruder«, fragte seine Schwester wieder.

»Nun sagte er, du sollst dich beeilen und dich selbst hinauswerfen«, sagte die Stiefmutter. Sie jammerte und weinte, aber wenn ihr Bruder das sagte, so müßte sie es tun, und so sprang sie hinaus in die See.

Als sie nun zum Königshof kamen und der König die häßliche Braut erblickte mit vier Ellen langer Nase und drei Ellen langer Schnauze und dem Hexenbüschel auf der Stirn, war er ganz erschrocken. Doch alles war zum Hochzeitsfest bereitet, man hatte gebraut und gebacken und die Hochzeitsgäste saßen und warteten, und so mußte er sie nehmen, wie sie war. Aber wütend und zornig war er, das konnte ihm niemand verdenken, und dafür ließ er den Bruder in den Schlangengraben werfen.



102 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Am ersten Donnerstagabend danach kam eine herrliche Jungfrau in die Küche des Königsschlosses und bat das Küchenmädchen, das sich dort schlafen gelegt hatte, so herzlich darum, ihr eine Bürste zu leihen. Die bekam sie auch, und als sie damit ihr Haar bürstete, tropfte das Gold nur so hernieder. Ein kleiner Hund war mit ihr gekommen und zu dem sagte sie: »Geh hinaus, Lillekaveirn, und sieh, ob es nicht bald tagt.« Das sagte sie dreimal. Und das dritte Mal, als sie den Hund aussandte, begann das Morgengrauen. Da mußte sie fort. Aber indem sie schon ging, sprach sie noch:

»Hu, du böse Hexenbraut,
die dem König angetraut,
0, ich wein am Meeresgrund,
Bruder weint zur gleichen Stund
im Schlangengraben.

Nun komme ich noch zweimal und dann nimmermehr.«

Am Morgen erzählte das Küchenmädchen alles, was sie gesehen und gehört hatte. Und der König sagte, am nächsten Donnerstagabend wolle er selbst in der Küche wachen und sehen, ob das wahr sei. Als es dunkelte, kam er in die Küche hinunter zu dem Küchenmädchen. Aber obgleich er sich die Augen rieb und versuchte, wach zu bleiben, es half alles nicht, denn die Häßliche mit dem Hexenbüschel trällerte und sang, sodaß ihm die Augen zufielen, und als die schöne Jungfrau kam, schlief er so fest, daß er schnarchte. Genau wie beim ersten Mal bekam sie eine Bürste geliehen und bürstete damit ihr Haar, sodaß Gold nur so hernieder tropfte. Auch den Hund sandte sie dreimal aus, und ehe der Tag anbrach, ging sie, und dabei sagte sie dieselben Worte, wie das vorige Mal:

»Hu, du böse Hexenbraut,
die dem König angetraut,
0, ich wein am Meeresgrund,
Bruder weint zur gleichen Stund
im Schlangengraben.

Nun komm ich noch einmal und dann nimmermehr«, sagte sie.

Am dritten Donnerstagabend wollte der König wieder wachen. Diesmal setzte er zwei Männer neben sich, unter jeden Arm einen, die sollten ihn wachrütteln und ihn kneifen, jedesmal wenn er schlafen wollte. Und zwei Männer setzte er neben die Häßliche mit dem Hexenbüschel. Aber als es spät am Abend war, begann die Häßliche zu trällern und zu singen, sodaß sich seine Augen langsam schlossen und sein Haupt zur Seite sank.



103 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Nun kam die schöne Jungfrau, lieh sich die Bürste und begann ihr Haar zu bürsten, sodaß Gold nur so tropfte. Sie sandte auch den Hund hinaus, um nachzusehen, ob es nicht bald tage, und das tat sie dreimal. Beim dritten Mal begann es zu dämmern, und da sagte sie:

»Hu, du böse Hexenbraut,
die dem König angetraut,
0, ich wein am Meeresgrund,
Bruder weint zur gleichen Stund
im Schlangengraben.

Nun komm ich niemals mehr«, sagte sie und wollte gehen. Aber die zwei Männer, die den König unter den Armen hielten, nahmen seine Hände und drückten ihm ein Messer in die Faust, und so bekam sie einen Schnitt in den kleinen Finger und das tropfende Blut erweckte sie wieder zu den Lebenden. So war die rechte Braut erlöst und der König erwachte. Sie erzählte ihm, wie alles zugegangen war und wie die Stiefmutter und ihre Tochter ihn betrogen hätten.

Sofort wurde der Bruder aus dem Schlangengraben geholt - ihm hatten die Schlangen nicht den mindesten Schaden angetan - und die Stiefmutter und ihre häßliche Tochter wurden an seiner Statt hineingeworfen.

Niemand kann beschreiben, wie glücklich der König war, daß er die häßliche Hexenbraut los war und dafür eine Königin gewann, die so schön war wie der lichte Morgen.

Nun wurde erst die richtige Hochzeit gefeiert, und von der hörte und erzählte man sich in sieben Königreichen. Der König und seine Braut fuhren zur Kirche und Lillekaveirn saß mit im Wagen. Als die Trauung vorüber war, fuhren sie wieder heim, aber was dann geschah, weiß ich nicht.


Askeladden macht Wettessen mit dem Troll

Es war einmal ein Bauer, der hatte drei Söhne. Er selbst war arm und alt und schwach, und die Söhne wollten nichts tun. Zum Hof gehörte ein großer Wald, und der Vater wollte, daß die Jungen darin Bäume fällen sollten, und damit Schulden bezahlen.

Der Älteste sollte mit der Arbeit beginnen. Als er in den Wald hineingewandert war und damit begann, eine alte bärtige Tanne umzu



104 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

hauen, kam doch plötzlich ein großer, häßlicher Troll zu ihm und schrie: »Weil du in meinem Walde Holz schlägst, werde ich dich töten.« Als der Junge das hörte, warf er die Axt weg und lief heim so schnell er konnte. Ganz außer Atem kam er zu Haus an und erzählte, was ihm geschehen war. Doch der Vater sagte: »Du bist ein Hasenherz! Mich haben die Trolle nie erschreckt, als ich jung war.«

Am nächsten Tage sollte der andere Sohn hinaus, und da ging es natürlich genau so zu. Eben hatte er begonnen, mit seiner Axt eine große Tanne umzuhauen, kam doch der Troll auch zu ihm und sagte: »Weil du in meinem Walde Holz schlägst, werde ich dich umbringen.« Der Junge wagte kaum ihn anzusehen, da warf er auch schon die Axt weg und brauchte seine Beine so schnell er konnte, genau wie sein Bruder. Als er heimkam, wurde der Vater böse und sagte, niemals habe ihn ein Troll erschreckt, als er jung war.

Am dritten Tage wollte Askeladden hinaus. »Ja, du«, sagten die beiden älteren Brüder, »du wirst was rechtes fertig bringen, du, der noch niemals vor der Tür war!« - Askeladden antwortete nicht groß darauf. Er bat nur um eine kräftige Wegzehrung. Die Mutter hatte weder Speck noch Fleisch, so hing sie den Kessel übers Feuer und kochte ihm aus einigen Resten einen Käse zusammen. Den bekam er in seine Wandertasche und verließ den Hof.

Als er eine Weile im Wald gearbeitet hatte, kam der Troll auch zu ihm und sagte: »Weil du in meinem Wald Holz schlägst, werde ich dich umbringen«! Aber der Junge war nicht faul, er sprang weg, holte seinen Käse, zerquetschte ihn, sodaß die Molke spritzte, und schrie den Troll an: »Schweigst du nicht still, so zerquetsche ich dich, wie ich jetzt Wasser aus diesem weißen Stein herausquetsche.« - »0 nein, verschone mich«, sagte der Troll, »ich will dir auch gern Holz schlagen helfen. «

Ja, unter dieser Bedingung wolle er ihn verschonen, meinte der Junge. Und der Troll war stark und tüchtig beim Holzschlagen, sodaß sie an diesem Tag einige Klafter geschlagenes Holz aufstellen konnten. Als der Abend sich neigte, sagte der Troll: »Nun kannst du mit heim zu mir kommen, es ist näher zu mir als zu dir.«Also gut, der Junge folgte ihm, und als sie zur Behausung des Trolles kamen, wollte er Feuer im Herd machen und der Junge sollte Wasser holen für den Grützetopf. Er sah aber dort zwei Eisenbottiche stehen, die waren so groß und schwer, daß er sie nicht einmal von der Stelle hätte heben können. Da sagte er: »Es lohnt sich nicht, diese Fingerhüte mitzunehmen, ich werde gleich den ganzen Brunnen herbringen.«



105 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

»Nein, lieber Freund«, rief der Troll, »ich will nicht meinen Brunnen verlieren, mache du Feuer, ich hole selbst Wasser.«

Als der Troll mit dem Wasser zurückkam, kochten sie einen großen Topf voll Grütze.

»Das bleibt sich gleich«, sagte der Junge, »wenn du willst, machen wir Wettessen.«

»0 ja«, antwortete der Troll, denn er dachte immer, er würde die Wette gewinnen. Also gut, sie setzten sich zu Tische.

Aber der Junge band sich einen Fellsack vor den Bauch, ohne daß der Troll es merkte, und so löffelte er mehr in den Sack hinein, als daß er aß. Als der Sack voll war, nahm er ein Messer und ritzte ein Loch hinein. Der Troll sah das, sagte aber nichts.

Als sie noch eine Weile gegessen hatten, legte der Troll den Löffel weg. »Nein, nun kann ich überhaupt nicht mehr«, sagte er.

»Du sollst essen«, sagte der Junge, »ich bin noch nicht einmal halb satt. Mache es doch so wie ich und schneide dir ein Loch in den Bauch, so kannst du essen, so viel du willst.«

»Aber das tut wohl grausig weh?«fragte der Troll.

»Ach, nicht der Rede wert«, sagte der Junge.

So machte es der Troll, wie ihm der Junge geraten, und man kann sich ja denken, daß es ihn das Leben kostete.

Askeladden aber nahm alles Gold und Silber, das er in der Höhle des Trolles fand, mit nach Hause. Und damit konnte er schon einige Schulden los werden.


Die Jungfrau auf dem Glasberg

Es war einmal ein armer Mann, der hatte eine Heuwiese, die ganz oben in der Bergeinsamkeit lag. Und auf der Wiese stand ein Heuschober, der die Heuvorräte bergen sollte. Aber da war nicht viel Heu hineingekommen die letzten Jahre, denn immer in der Johannisnacht, wenn das Gras am prächtigsten und üppigsten stand, wurde diese Heuwiese vollkommen kahl gefressen, als ob eine große Viehherde darüber gegangen und sich die ganze Nacht sattgefressen hätte. Das geschah einmal und das geschah zweimal; aber dann wurde dem Mann die Sache zu bunt, und er sagte zu seinen Söhnen - er hatte drei und der dritte war Askeladden, das wissen wir ja -: »Nun muß einer von euch



106 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

in der Johannisnacht einmal im Heuschober der Bergwiese liegen, denn es wäre zu dumm, wenn das Gras wieder ratzekahl aufgefressen würde wie in den letzten Jahren. Und der dabei ertappt wird, der soll sich bloß vorsehen!«

Ja gut, der älteste wollte hinauf und die Wiese bewachen. Er wolle schon auf das Gras achtgeben, meinte er, da sei vielleicht allerlei seltsames Volk oder der Teufel selbst mit im Spiel. Als es gegen Abend zu ging, stieg er hinauf zum Heuschober und legte sich schlafen. Aber in der Nacht kam doch solches Getöse und ein solches Erdbeben, das Wände und Dach durchschüttelte. Der Junge sprang auf die Füße und lief so schnell er konnte davon, nicht einmal umzusehen traute er sich. Und das Gras wurde abgefressen, in dieser Nacht wie in den Jahren vorher.

Am nächsten Johannisabend sagte der Mann wieder, das sei zu dumm, daß man Jahr für Jahr auf das Gras der Bergwiese verzichten müsse, einer der Söhne müsse hinauf und aufpassen, und zwar gut aufpassen. Also gut, der zweitälteste wollte es versuchen. Er ging hinauf zum Heuschober und legte sich schlafen, wie es sein Bruder auch getan. Aber mitten in der Nacht kam doch ein Getöse und ein Erdbeben, schlimmer als in der letzten Johannisnacht. Als der Junge das hörte, bekam er Angst, sprang auf und lief weg, als ob er es bezahlt bekäme.

Das Jahr darauf sollte Askeladden hinauf. Aber als er sich fertig machte, lachten die anderen und verspotteten ihn. »Ja, du bist mir schon der rechte, um auf das Gras aufzupassen. Du hast ja nichts anderes gelernt, als in der Asche zu sitzen und darin herumzustochern«, sagten sie. Aber Askeladden kümmerte sich nicht um ihr Geschwätz. Da es Abend wurde, schlenderte er zur Bergwiese. Er ging in den Heuschober und legte sich. Aber als eine Weile vergangen war, begann es zu tosen und zu lärmen, ganz häßlich war das anzuhören. »Wenn es nicht schlimmer wird, härtet es mich«, dachte Askeladden. Wenig später kam wieder ein Lärm und ein Erdbeben, sodaß um den Jungen die Heuhalme schwirrten. »Wenn es nicht schlimmer wird, härtet es mich«, dachte Askeladden. Aber zuguterletzt kommt doch noch ein drittes Erdbeben und ein Getöse, daß der Junge dachte, Wände und Dach brechen zusammen. Als es aber vorbei war, trat eine wohltuende Stille ein. »Es kann wieder kommen«, dachte Askeladden. Aber nein, es kam nicht wieder, es war und blieb still. Und als er eine Weile so gelegen hatte, hörte es sich an, als ob dicht vor der Heuschobertür ein Pferd kauen würde. Er schlich sich zum Türspalt um zu sehen, was das war. Da stand ein Pferd und graste. So ein großes, prächtiges Pferd hatte



107 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Askeladden nie vorher gesehen. Sattel und Zügel lagen dabei und eine vollständige Rüstung für einen Ritter. Und all das war aus Kupfer, so blank, daß es schimmerte. »Ha, bist du es, der unser Gras auffrißt«, dachte der Junge, »das werde ich dir verbieten!« Schnell nahm er seinen Feuerstein und warf ihn über das Pferd. Da hatte es keine Macht mehr, sich vom Fleck zu rühren. Es wurde so zahm, daß der Junge mit ihm machen konnte, was er wollte. Er saß auf und ritt mit ihm davon, an einen Ort, den niemand kannte. Dort behielt er es.

Als er wieder heimkam, lachten die Brüder und fragten ihn, wie es ihm ergangen sei. »Du wirst wohl nicht die ganze Zeit im Heuschober gelegen haben, so lang du oben warst«, sagten sie.

»Ich lag im Heuschober, bis die Sonne aufging. Aber ich hörte und sah nichts, wovor man sich fürchten könnte«, sagte der Junge.

»Ja, wir wollen einmal nachsehen, ob du gut auf die Wiese acht gegeben hast«, antworteten die Brüder. Aber als sie hinaufkamen, da stand das Gras genau so lang und dicht, wie am Abend vorher.

In der nächsten Johannisnacht ging es genau so zu. Keiner von den zwei Brüdern getraute sich hinaufzugehen auf die Bergwiese, um auf das Heu acht zu geben. Nur Askeladden traute es sich zu. Und es geschah dasselbe wie in der letzten Johannisnacht. Zuerst kam ein Getöse und ein Erdbeben, und dann kam noch eins und noch eins. Aber alle drei Erdbeben waren viel stärker diesmal. Mit einem Mal wurde es wieder wohltuend still, und der Junge hörte vor der Stalltür etwas grasen. Er schlich sich zum Türspalt, so sachte wie er nur konnte - ja, da stand wieder ein Pferd nahe bei der Wand und fraß. Es war noch größer und wohlgenährter als das andere, einen Sattel trug es auf dem Rücken, und Zaumzeug war dabei und eine vollständige Rüstung für einen Ritter, alles zusammen aus blankem Silber, so herrlich, wie er noch keines gesehen hatte. »Ha, bist du es, der unser Gras in der Nacht auffrißt«, dachte der Junge, »das werde ich dir verbieten!« Er nahm seinen Feuerstein und warf ihn über des Pferdes Mähne. Sofort stand es zahm wie ein Lamm, und Askeladden ritt das Pferd an denselben Ort, wo er das andere verwahrte, und ging wieder heim.

»Heut mag es wieder schön aussehen auf der Bergwiese droben«, sagten die Brüder. - »Aber ja!« sagte Askeladden.

Sie mußten wieder hinauf: da stand das Gras genau so dicht und lang wie vorher. Aber freundlicher wurden sie nicht zu Askeladden.

Als die dritte Johannisnacht herankam, getraute sich wieder keiner von den älteren zwei Brüdern, im Bergheuschober zu liegen und auf das Gras aufzupassen, denn sie waren so bis ins tiefste Herz hinein



108 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

erschrocken in der Nacht, als sie da oben lagen, daß sie es nie vergessen konnten. Aber Askeladden getraute sich. Und so passierte dasselbe, wie in den letzten zwei Johannisnächten. Es kamen drei Erdbeben, das eine schlimmer als das andere. Während des letzten Bebens wurde der Junge von der einen Heustallwand zur anderen geworfen. Aber auf einmal wurde es wohltuend still. Als er so eine kleine Weile lag, hörte er etwas grasen draußen vor der Heuschobertür, er schlich wieder zum Türspalt vor, - draußen sah er ein Pferd stehen, noch viel größer und schöner als die beiden anderen, die er gefangen hatte. Und Sattel, Zaumzeug und Rüstung waren ganz aus Gold. »Ha, bist du es, der diesmal unser Gras auffrißt«, dachte der Junge, »das werde ich dir verbieten.« Er nahm seinen Feuerstein und warf ihn über das Tier, so stand es wie angenagelt auf der Wiese, und der Junge konnte mit ihm tun, was er wollte. Er ritt es zu dem Ort, wo er die anderen zwei bewahrte, und dann ging er wieder heim. Da verspotteten ihn die zwei Brüder wie die anderen Male. Diese Nacht hätte er gewiß gut aufgepaßt auf das Gras der Bergwiese, denn er sähe aus, als ob er noch schliefe. Aber Askeladden kümmerte sich nicht um sie, er bat sie nur, hinaufzugehen und nachzusehen. Sie taten es, und da stand das Gras auch diesmal genau so prächtig und dick.

Der König des Landes, wo Askeladdens Vater wohnte, hatte eine Tochter, die wollte niemanden haben außer demjenigen, der auf den Glasberg reiten könne. Denn da gab es einen Glasberg, blank wie Eis, dicht beim Königshofe. Zuoberst auf diesem würde die Königstochter mit drei Goldäpfeln im Schoß sitzen, und derjenige, der da hinaufreiten könne und die drei Goldäpfel hole, der solle sie bekommen und das halbe Königreich dazu. So ließ es der König auf allen Kirchhügeln im Lande verkünden und in manchen anderen Königreichen auch. Die Königstochter war so schön, daß alle, die sie einmal gesehen hatten, in sie verliebt waren, ob sie wollten oder nicht. Und so kannst du dir vorstellen, daß alle Prinzen und Ritter Lust bekamen, sie zu gewinnen und das halbe Königreich dazu. Deshalb kamen sie aus aller Welt prächtig angeritten, auf Pferden, geschmückt wie zum Tanz. Da war keiner dabei, der nicht dachte, er würde die Königstochter gewinnen.

Als der Tag gekommen war, den der König festgesetzt hatte, waren so viele Ritter und Prinzen beim Glasberg angekommen, daß es nur so wimmelte, und jeder, der nur gehen und krauchen konnte, wollte sehen, wer die Königstochter gewinnen würde. Auch die beiden Brüder von Askeladden waren mit dabei. Aber ihn wollten sie nicht mit haben, denn wenn sie einen so häßlichen Wechselbalg bei sich hätten, schwarz



109 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

wie er war, nachdem er immer in der Asche lag, würden die anderen Leute sie nur verspotten, sagten sie.

»Ja, mir ist es ebenso lieb, wenn ich ganz allein für mich gehe«, sagte Askeladden.

Als die beiden Brüder zum Glasberg kamen, begannen alle Ritter und Prinzen zu reiten, daß ihre Pferde nur so schäumten. Aber das nützte nicht viel, denn sobald sie die Hufe auf den Glasberg setzten, glitten sie ab, und es war nicht einer darunter, der einige Ellen aufwärts kam. Das war gar nicht zu verwundern, denn der Berg war glatt wie eine Glasscheibe und steil wie eine Hauswand. Aber die Königstochter und das halbe Reich wollten alle gerne haben, und so ritten und glitten sie und es wurde nicht anders. Zum Schluß waren alle Pferde so müde, daß sie nicht mehr konnten. Sie schwitzten und dampften, daß die Ritter es aufgeben mußten. Der König sagte, heut sollten sie es gut sein lassen und lieber am nächsten Tag das Reiten neu beginnen, da würde es schon besser gehen. Mit einem Male kam ein Ritter auf einem so prächtigen Pferde, keiner hatte vorher ein solch schönes Pferd gesehen. Und eine Kupferrüstung und Kupferzaumzeug hatte er, so blank, daß es nur so leuchtete. Die anderen riefen ihm zu, er könne es sich ersparen, auf den Glasberg reiten zu wollen, denn es würde ihm doch nicht gelingen. Aber auf dem Ohr hörte er nichts. Er ritt weiter auf den Glasberg zu und aufwärts, als ob es gar nicht schwer sei. Ein Drittel des Weges hatte er schon geschafft, da drehte er sein Pferd um und ritt wieder hinunter. So einen schönen Ritter hatte die Königstochter noch nie vorher gesehen. Und während er ritt, saß sie oben und dachte: »Wenn er nur heraufkäme!« Und als sie ihn sein Pferd wenden sah, warf sie ihm den einen Goldapfel zu, der rollte in seinen Schuh. Aber sobald er heruntergekommen war vom Berge, ritt er seiner Wege, und zwar so schnell, daß keiner wußte wohin.

Am Abend sollten alle Prinzen und Ritter zum König kommen, und derjenige, der so hoch auf den Glasberg hatte reiten können, solle ihm den Goldapfel zeigen, den die Königstochter nach ihm geworfen habe. Aber keiner hatte ihn, der eine nach dem anderen kam, aber keiner konnte ihn vorweisen.

Spät am Abend kamen auch die Brüder von Askeladden heim, und sie erzählten lang und breit vom Reiten auf den Glasberg. Zuerst hätte es keiner vermocht, auch nur einen Schritt hoch auf den Glasberg zu kommen. »Aber plötzlich kam einer in einer Kupferrüstung mit Kupferzaumzeug, daß es ihm nur so den Weg vorausleuchtete, so blank war es«, sagten sie. »Und das war ein Mann, der konnte reiten! Er ritt



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ein Drittel des Glasberges hinan, er hätte auch ebenso gut ganz hinaufreiten können, wenn er nur gewollt hätte. Aber er drehte um, denn es schien ihm genug für diesmal zu sein.«

»Ach, da hätte ich richtig Spaß dran gehabt, den zu sehen«, sagte Askeladden - er saß bei der Feuerstelle und stocherte in der Glut, wie er es immer tat.

»Ja du«, sagten die Brüder, »du siehst gerade so aus, als ob du dich unter so feine Herren mischen könntest, du häßliches Biest.«

Am nächsten Tage wollten die Brüder wieder mit dabei sein, und Askeladden bat sie, ob er nicht die Erlaubnis bekommen könne, mit ihnen zu gehen und dem Ritt zuzusehen, aber nein, die bekam er nicht, dazu sei er zu häßlich, sagten sie.

»Ja, dann gehe ich ebensogern allein für mich selbst«, sagte Askeladden.

Als die Brüder zum Glasberg kamen, begannen die Prinzen und Ritter wieder zu reiten. Sie trieben ihre Pferde gewaltig an, aber das half nichts, sie ritten und sie glitten wie am Tage vorher und keiner kam mehr als ein paar Ellen aufwärts. Und als sich die Pferde abgemüht hatten, bis sie nicht mehr konnten, mußten sie wieder aufhören alle zusammen.

Da dachte der König, es sei besser, mit dem Reiten aufzuhören und es den Tag danach zum letzten Mal versuchen zu lassen. Vielleicht ginge es dann besser. Aber dann dachte er anders, man solle noch ein wenig warten, ob der in der Kupferrüstung wiederkommen würde. Ihn sah man nicht wieder, aber auf einmal kam doch einer auf einem Pferd geritten, das war viel, viel prächtiger als dasjenige, was der Ritter in der Kupferrüstung gehabt hatte. Und der hatte eine Silberrüstung und Silberzaumzeug, alles war so blank, daß es nur so schimmerte und in die Weite leuchtete. Die anderen riefen ihm wieder zu, er könne es ruhig sein lassen, das Reiten auf den Glasberg zu versuchen, denn es würde ihm niemals gelingen. Aber der Ritter hörte nicht darauf. Er ritt auf den Glasberg zu und aufwärts, sogar noch weiter hinauf als der in der Kupferrüstung. Aber als er zwei Drittel hinaufgeritten war, wandte er sein Pferd um und ritt wieder hinunter. Der gefiel der Königstochter noch besser, und sie saß da und wünschte, er möchte nur hinaufkommen. Aber als sie sah, daß er umdrehte, warf sie den anderen Apfel ihm nach. Und der rollte nieder in seinen Schuh. Und indem er herunter kam vom Glasberg, ritt er auch schon davon, so schnell, daß niemand sehen konnte, wo er geblieben war.

Am Abend, als alle vor den König und die Königstochter treten



111 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

sollten, sodaß derjenige, der den Goldapfel bekommen hatte, ihn herzeigen konnte, kam der eine nach dem anderen vorbei, aber keiner hatte einen Goldapfel.

Genau so wie am vorigen Tage kamen die Brüder von Askeladden heim am späten Abend, und sie erzählten von dem, was vorgefallen war, daß alle geritten waren und keiner aufwärts kam. »Aber zu guter Letzt kommt doch da einer in einer Silberrüstung, und Silberzaumzeug und Silbersattel hatte er auch«, sagten sie, »und der konnte reiten! Zwei Drittel des Weges ritt er aufwärts, dann drehte er um. Das war ein Jüngling! Und die Königstochter warf ihm den anderen Goldapfel zu.«

»Ach, ihn zu sehen, hätte mir auch Spaß gemacht«, sagte Askeladden.

»Ach ja, er war nun wohl so blank wie die Asche, wo du drin sitzt und gräbst, du häßliches, schwarzes Biest, du«, sagten die Brüder.

Am dritten Tage ging alles genau so wie an den anderen Tagen. Askeladden wollte mitgehen und beim Reiten zusehen, und sie wollten ihn nicht dabei haben. Als sie zum Glasberg kamen, war keiner der Ritter auch nur zwei Ellen aufwärts gekommen. Alle warteten nun auf den in der Silberrüstung. Aber der war weder zu hören noch zu sehen. Doch nach einer Weile kommt doch da einer auf einem Pferd, das nicht seinesgleichen hatte, so prächtig war es. Er trug eine Goldrüstung, hatte Goldzaumzeug und einen goldenen Sattel, so blank, so blank, daß es leuchtete und weit hinaus schimmerte. Die anderen Ritter und Prinzen vergaßen ihm zuzurufen, daß es nichts nützen würde, den Ritt zu versuchen, so sehr bewunderten sie ihn, wie prächtig er war. Er ritt gradaus zum Glasberg und flog hinauf wie eine Feder im Sturmwind. Und ehe die Königstochter noch wünschen konnte, er möge hinaufkommen, war er schon oben. Kaum dort angekommen, nahm er auch schon den dritten Goldapfel aus dem Schoß der Königstochter, wendete sein Pferd, ritt wieder nieder und fort war er, aus den Augen derer verschwunden, die kein Wort dazu sagen konnten.

Als die zwei Brüder an diesem Abend heimkamen, erzählten sie lang und breit, was sich beim Reiten an diesem Tage ereignet hatte. Und zum Schluß erzählten sie auch von dem Ritter in der Goldrüstung. »Das war ein herrlicher Jüngling! Solch prächtigen Ritter findet man in der ganzen Welt nicht mehr«, sagten die Brüder.

»Ach, an ihm hätte ich zu gern meine Freude gehabt«, sagte Askeladden.

»Ja, seine Pracht würde gut zu dem Kohlenhaufen passen, in dem du liegst, du häßliches, schwarzes Biest, du!« sagten die Brüder.



112 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Am Tage danach sollten alle Ritter und Prinzen vor den König und die Prinzessin hintreten. Am Abend vorher war es wohl zu spät dafür geworden, glaube ich. Derjenige, welcher die Goldäpfel erworben hatte, sollte sie vorweisen. Aber einer nach dem anderen trat vor und keiner besaß die Goldäpfel, weder die Prinzen noch die Ritter.

»Ja, aber einer muß sie doch haben«, sagte der König, »denn wir haben ja alle gesehen, daß einer hinaufritt und den dritten Goldapfel nahm.« Und so gab der König den Befehl, daß alle, die im Lande wohnten, zum Schlosse kommen sollten, ob nicht einer dabei sei, der die Goldäpfel vorweisen könne.

Da kam nun einer nach dem anderen, aber keiner hatte einen Goldapfel. Schließlich kamen auch die zwei Brüder von Askeladden zum Schloß und der König fragte sie, ob es nicht noch jemanden in seinem Königreich gäbe.

»Ach ja, wir haben noch einen Bruder«, sagten die beiden, »aber er hat den Goldapfel bestimmt nicht genommen, er ist mehrere Tage gar nicht herausgekommen aus seinem Aschenhaufen.«

»Das ist ganz gleichgültig«, sagte der König, »sind alle anderen zum Schlosse gekommen, so kann auch er heraufkommen.« Und so schleppten sie Askeladden zum Königshof hinauf.

»Hast du den Goldapfel?« fragte der König.

»Ja, hier ist der eine, hier ist der andere und hier ist auch noch der dritte«, sagte Askeladden und zog alle drei Goldäpfel aus der Tasche heraus. Dann warf er die rußigen und zerlumpten Kleider von sich und stand in der Goldrüstung da, so schön und prächtig, daß es von ihm her nur so leuchtete.

»Ja, du sollst meine Tochter haben und das halbe Reich dazu. Du hast beides verdient«, sagte der König.

So wurde Hochzeit gemacht und Askeladden bekam die Prinzessin. Bei dieser Hochzeit wurde viel gefeiert und getrunken, kann man sich denken, denn feiern können sie alle, wenn sie auch nicht alle auf den Glasberg reiten können. Und wenn sie nicht ausgefeiert haben, so feiern sie noch heute.



113 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa


Der Sohn der Witwe

Es war einmal eine arme, arme Witwe, die hatte nur einen einzigen Sohn. Sie plagte sich damit, ihn groß zu ziehen, aber dann sagte sie zu ihm, nun könne sie nichts mehr für ihn tun, er solle hinausgehen und selbst sein Brot verdienen.

Der Junge wanderte also in die Welt hinaus, und als er das Tag für Tag getan hatte, traf er einen fremden Mann.

»Wo willst du hin?«fragte der Mann. »Ich bin in die Welt hinausgezogen und will versuchen, irgend einen Dienst zu bekommen.«

»Willst du bei mir dienen?« — »Ja ebensogut bei dir wie bei irgend einem anderen«, antwortete der Junge. »Dann sollst du es gut bei mir haben«, sagte der Mann, »du sollst mir nur Gesellschaft leisten, anderes hast du nicht zu tun.« Also blieb der Junge bei ihm, bekam gut zu essen und zu trinken, hatte wenig oder gar nichts zu tun, aber er erblickte niemals einen anderen Menschen bei dem Mann.

Eines Tages sagte der Mann zu ihm: »Ich muß acht Tage lang verreisen, in dieser Zeit wirst du allein sein, aber du darfst in keine dieser sieben Kammern eintreten. Tust du es, so nehme ich dir das Leben, wenn ich zurückkomme.«

»Nein«, sagte der Junge, »das will ich nicht.« Aber als der Mann drei oder vier Tage fort war, konnte der Junge sich nicht mehr beherrschen und ging in die erste Kammer. Er sah sich um, konnte aber nichts entdecken außer einem Loch über der Tür, und da lag eine Hagebuttenpeitsche. Deshalb brauchte er mir doch nicht so streng den Eintritt zu verbieten, dachte der Junge.

Als die acht Tage um waren, kam der Mann wieder. »Du bist doch in keiner dieser Kammern gewesen?« fragte der Mann. »Nein, das bin ich nicht«, sagte der Junge. »Das will ich erst einmal sehen«, sagte der Mann und damit ging er in den Raum, den der Knabe betreten hatte. »Ja, du warst doch darinnen«, sagte er, »und nun sollst du dein Leben verlieren.« Der Junge weinte und bat, bis ihm der Mann sein Leben schenkte; nur tüchtige Schläge bekam er. Aber als die überstanden waren, wurden sie wieder gute Freunde.

Eine Zeit danach reiste der Mann von neuem fort; diesmal wollte er vierzehn Tage wegbleiben. Aber vorher sagte er zum Knaben, daß er



114 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

seinen Fuß nicht in die Kammern setzen solle, in denen er noch nicht war. Ja, und leider ging es genau so wie das vorige Mal, nur daß der Junge acht Tage brauchte, ehe er hineinging. In dieser Kammer sah er nichts anderes, als ein Loch über der Tür mit einem Felsenstein und einem Krug Wasser dazu. Darum brauchte man doch keine Angst zu haben, dachte der Junge wieder.

Als der Mann heimkam, fragte er wieder, ob er in einer der Kammern gewesen sei. Nein, log er, er sei nicht drin gewesen. »Ja, da muß ich erst mal nachsehen«, sagte der Mann, und als er sah, daß er doch drin gewesen war, sagte er: »Jetzt schone ich dich nicht länger, nun sollst du das Leben verlieren.« Aber der Junge weinte und bat, und so kam er diesmal auch mit Prügeln davon, nur bekam er diesmal so viel, wie er nur ertragen konnte. Aber als er sich davon erholt hatte, lebte er so gut wie vorher, und der Mann war wieder gut Freund mit ihm.

Eine Weile später verreiste der Mann von neuem. Diesmal wollte er drei Wochen wegbleiben, deshalb sagte er zu dem Jungen, wenn er nun auch noch in die dritte verbotene Kammer eintrete, sei nicht daran zu denken, daß er am Leben bleiben würde. Als vierzehn Tage vergangen waren, konnte sich der Junge nicht mehr länger bezähmen. Er schlüpfte hinein, aber er sah nichts weiter außer einer Spalte im Fußboden. Als er sich darüber beugte und hineinschaute, stand da ein großer Kupferkessel, in dem es wallte und kochte da unten, aber er sah kein Feuer darunter. Ich möchte wissen, ob das warm ist, dachte der Junge, und streckte den Finger nieder. Als er ihn wieder heraufzog, war er über und über vergoldet. Der Junge wusch und schrubbte den Finger, aber die Vergoldung wollte nicht abgehen. Also band er einen Lappen darum, und als der Mann nach Hause kam und fragte, was seinem Finger fehlte, sagte der Junge, er hätte sich so schlimm geschnitten. Aber der Mann riß den Lappen ab und da sah er genug, was dem Finger fehlte. Erst wollte er den Jungen erschlagen, aber als er wieder so bat und weinte, schlug er ihn nur so sehr, daß er drei Tage zu Bett lag. Dann nahm er ein Horn von der Wand herab und schmierte den Jungen damit ein, sodaß er wieder gesund wurde.

Nach einer Weile reiste der Mann zum vierten Male fort, und diesmal wollte er nicht eher zurückkommen, bevor ein Monat um war. Zu dem Jungen sagte er, wenn er nun auch noch die vierte Kammer betreten würde, so solle er niemals denken, daß er sein Leben behalten könne. Drei Wochen lang hielt sich der Junge, aber dann konnte er sich nicht mehr beherrschen, er wollte und mußte in die Kammer, und



115 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

als er hineinschlüpfte, sah er ein großes schwarzes Pferd drin stehen, in einem Verschlag angebunden mit einem Trog voll glühender Kohlen beim Kopf und einer Krippe voll Heu beim Schwanz. Das erschien dem Jungen unrichtig; er tauschte es um und setzte die Heukrippe zum Kopf.

Da sprach das Pferd: »Weil du so herzensgut warst und du mir zu fressen gegeben hast, werde ich dich befreien können. Wenn der Troll jetzt heimkommt und dich findet, wird er dich gewiß töten. Aber nun sollst du in diejenige Kammer gehen, die genau über dieser ist, und dir eine Rüstung nehmen von denen, die dort hängen. Aber nimm nicht eine von den blanken, sondern die am meisten verrostet ist, die sollst du nehmen, und Schwert und Sattel sollst du dir auf die gleiche Weise aussuchen.«

Das machte der Bursche auch; aber es war schwer, alles zusammen zu tragen. Als er zurückkam, sagte das Pferd, daß er sich nun auskleiden solle und in den Kessel untertauchen, der in der anderen Kammer koche, dort solle er sich gut reinigen. Ich werde wahrscheinlich häßlich davon, dachte der Junge, aber er tat es trotzdem. Als er sich gereinigt hatte, wurde er schön und blühend, rot und weiß wie Milch und Blut, und auch viel stärker als zuvor.

»Bemerkst du keine Veränderung?« fragte das Pferd. »Ja«, sagte der Junge. »Versuche mich aufzuheben«, sagte das Pferd. Siehe da, das konnte er und das Schwert konnte er schwingen wie gar nichts.

»Nun lege den Sattel auf mich«, sagte das Pferd, »lege die Rüstung an, nimm die Hagedornpeitsche und den Stein und den Wasserkrug und das Salbhorn, und dann reisen wir.«

Als der Junge das Pferd bestiegen hatte, sprang es davon, sodaß er nicht wußte, auf welche Weise er so schnell vorwärts kam.

Er ritt eine Weile, da sagte das Pferd: »Mir scheint, ich höre ein Geräusch. Schau dich um, kannst du nichts sehen?«

»Viele, viele kommen hinter uns her«, sagte der Junge. »Ja, das ist der Troll«, sagte das Pferd, »nun kommt er mit seinen Scharen«.

Sie ritten noch eine Weile, bis diejenigen, die sie verfolgten, näher kamen. »Wirf nun die Hagebuttenpeitsche über deine Achsel hinter dich«, sagte das Pferd, »aber wirf sie weit und gut von mir weg.«

Das tat der Junge und sogleich wuchs dort ein großer, dichter Hagedornwald. So ritt also der Junge wieder ein langes, langes Stück, aber die Trolle mußten wieder heim, denn sie konnten sich nicht durch den dichten Dornenwald hauen.

Aber nach einer Weile sagte das Pferd wieder: »Schau zurück, siehst



116 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

du etwas?« - »Ja, ich sehe viele«, sagte der Junge, »wie eine große Schar Kirchgänger.« »Das ist der Troll, er hat eine Menge Helfer bei sich. Wirf nun den Felsenstein, aber wirf ihn gut und weit von mir.« Als der Junge das tat, was das Pferd ihm gesagt hatte, entstand ein großer, großer Felsenberg hinter ihnen. Da mußten die Trolle heim, denn sie konnten sich nicht durch den Berg schlagen. Und während die Trolle umkehrten, ritt der Junge wieder ein gutes Stück.

Aber da bat das Pferd ihn, sich umzuschauen und da sah er es wimmeln wie ein ganzes Kriegsheer, das war so blank, daß es schillerte. »Ja«, sagte das Pferd, »das ist der Troll, nun hat er all die Seinigen mit sich. Nun leere den Wasserkrug hinter dich aus, aber gib acht, daß du nicht auch etwas auf mich schüttest.« Das machte der Junge; aber trotzdem kam doch ein Tropfen auf die Lenden des Pferdes. Sogleich entstand ein großes, großes Wasser, aber durch den Tropfen, den er auf die Lenden des Pferdes verloren hatte, stand das Pferd noch mitten im Wasser. Aber es konnte schnell ans Land schwimmen, und sie waren gerettet. Als die Trolle zum Wasser kamen, legten sie sich nieder, um es leer zu trinken, und sie schlürften sich so voll bis sie platzten.

»Nun sind wir sie los«, sagte das Pferd.

Lange, lange Zeit reisten sie weiter; schließlich kamen sie zu einer grünen Waldwiese. »Lege nun deine ganze Rüstung ab und kleide dich wieder in deine alten zerrissenen Kleider«, sagte das Pferd. »Nimm mir Sattel und Zaumzeug ab und hänge alles in die große alte hohle Linde hier. Dann mache dir eine Perücke aus Tannenzweigen und geh hinauf zum Königshof, der hier gleich dicht am Walde liegt. Dort sollst du um Dienste bitten. Solltest du mich einmal brauchen, so komm nur hierher, schüttele das Zaumzeug und ich werde sogleich bei dir sein.«

Ja, der Junge machte es genau so, wie das Pferd es ihm geraten hatte. Als er sich die Tannennadelperücke aufsetzte, war er so häßlich und bleich und zerzaust anzusehen, daß niemand ihn wiedererkannte. So kam er zum Königshof und bat zuerst um Küchendienste; er mußte nun Wasser und Holz zur Küche tragen. Doch das Küchenmädchen fragte ihn: »Warum hast du eine so häßliche Perücke, nimm sie ab, ich will niemanden so häßlichen hier drin haben.« - »Das kann ich nicht«, antwortete der Junge, »ich bin nicht recht rein am Kopfe.«

»Denkst du, ich will dich hier beim Essen haben, wenn es so mit dir steht«, sagte die Köchin; »geh hinab zum Stallmeister, du paßt besser dazu, im Stall zu arbeiten.« Aber als der Stallmeister ihn bat, die Perücke abzunehmen, bekam er dieselbe Antwort, und auch er wollte ihn nicht länger haben. »Du kannst zum Forstmeister gehen, du taugst



117 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

dazu, in der Erde zu graben.« — Beim Forstmeister durfte er bleiben. Aber keiner von den anderen Dienern wollte in einem Haus mit ihm schlafen, deshalb mußte er allein unter der Treppe des Gartenhäuschens schlafen; das stand auf Pfosten und hatte eine hohe Treppe. Unter der bekam er etwas Moos als Lager, und da schlief er, so gut er konnte.

Als er eine Zeitlang auf dem Königshof gearbeitet hatte, geschah es eines Morgens, als die Sonne gerade aufging, daß der Junge seine häßliche Perücke abgenommen hatte und sich wusch; und da war er so schön, daß es eine Lust war ihn anzusehen.

Die Prinzessin oben am Fenster erblickte den schönen Waldjungen, und ihr schien es, sie hätte noch nie einen so schönen Menschen gesehen. Sie fragte den Forstmeister, warum er da draußen unter der Treppe liegen müsse. »Ach, keiner von den anderen Dienern will mit ihm zusammen liegen«, sagte der Forstmeister. »Laß ihn abends heraufkommen, er soll vor der Tür zu meiner Kammer liegen«, sagte die Prinzessin. Der Forstmeister sagte das dem Jungen. »Meinst du, ich würde das tun«, sagte der Junge, »jeder würde sagen, es bestünde ein Einvernehmen zwischen mir und der Prinzessin.« — »Ja, du hast Grund, das zu befürchten«, antwortete der Forstmeister, »wo du doch so häßlich bist.« - »Wenn du so sprichst, so werde ich es wohl tun können«, sagte der Junge.

Als er am Abend die Treppe hinaufstieg, trampelte und stampfte er so unterwegs, daß die Prinzessin ihn bitten mußte, sachte zu gehen, daß der König es nicht hören solle. Als er hinaufkam, legte er sich sogleich und begann zu schnarchen. Da sagte die Prinzessin zu ihrer Dienerin. »Schleich dich zu ihm und nimm ihm die häßliche Perücke ab«, und das tat sie auch, aber im selben Augenblick, als sie die wegzupfen wollte, hielt er ihre beiden Hände fest, und so bekam sie die nicht. Dann legte er sich und schnarchte weiter. Die Prinzessin gab der Dienerin wieder einen Wink, und diesmal konnte sie die Perücke wegzupfen; da lag der Junge, so hübsch und frisch, so rot und weiß wie ihn die Prinzessin in der Morgensonne erblickt hatte. Seitdem lag der Junge jede Nacht oben vor dem Zimmer der Prinzessin.

Es dauerte nicht lang, da merkte es der König, daß der Waldarbeiter jede Nacht bei der Kammer der Prinzessin schlief, da wurde er so bös, daß er dem Jungen beinah das Leben genommen hätte. Er tat es dann doch nicht, aber er sperrte ihn ein im Gefängnisturm, und seine eigene Tochter sperrte er in ihre Kammer ein und sie bekam keine Erlaubnis, herauszukommen, weder Tag noch Nacht. Sie weinte und bat für sich und den Jungen, aber das half alles nichts, der König wurde nur noch zorniger dadurch. 117



118 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Einige Zeit später kam Krieg über das Land, und der König mußte rüsten gegen einen anderen König, der ihm das Land nehmen wollte. Als der Junge das hörte, bat er den Gefängniswärter, für ihn zum König zu gehen und ihn um eine Rüstung zu bitten und um ein Schwert, um für ihn mit in den Krieg ziehen zu können. Alle anderen lachten, als der Gefängniswärter mit seinem Auftrag kam, und baten den König, ihn mit altem Gerümpel auszurüsten, so daß sie den Spaß hätten, so einen Armen mit in den Krieg zu nehmen. Das tat er und gab ihm einen alten ausgedienten Gaul, der hinkte auf drei Beinen, das vierte zog er nach.

So zogen sie also aus gegen den Feind, aber sie waren noch nicht lang vom Königshof fort, als der Junge mit seinem Gaul in einem Sumpf stecken blieb. Da saß er und hackte und zerrte: »Hei, willst du heraus! Hei, willst du heraus!« rief er seinem Gaul zu. Da hatten die anderen richtig ihren Spaß dran, sie lachten und verspotteten ihn, indem sie vorbeiritten. Aber kaum waren sie fort, sprang er zur Linde, legte seine Rüstung an und schüttelte den Zaum. Sofort kam das Pferd und sagte: »Tue du dein Bestes, so werde ich auch mein Bestes tun.«

Als der Junge anlangte, war die Schlacht schon im Gang und der König war in einer schlimmen Lage. Aber der Jüngling griff ein und jagte den Feind in die Flucht. Der König und seine Leute wunderten sich sehr, wer das wohl sei, der ihnen so plötzlich Hilfe brachte, aber keiner kam ihm so nahe, daß er mit ihm sprechen konnte, und als die Schlacht beendet war, da war er verschwunden. Als sie zurückritten, saß der Junge immer noch im Sumpf und hackte und nickte auf seinem dreibeinigen Gaul. Da lachten sie wieder: »Nein sieh doch, da sitzt er immer noch«, sagten sie.

Als sie den nächsten Tag wieder auszogen, saß der Junge immer noch da, sie lachten und verspotteten ihn. Aber kaum waren sie vorbeigeritten, so sprang der Junge zur Linde und alles ging wie am vorigen Tage. Alle wunderten sich, was für ein fremder Kämpfer ihnen zu Hilfe eilte, aber keiner kam ihm so nahe, daß er mit ihm hätte sprechen können, und da war keiner, der den Jungen erkannte, versteht sich. - Als sie nun am Abend wieder heimzogen und den Jungen immer noch auf dem Gaul sitzen sahen, lachten sie ihn aus, und einer schoß einen Pfeil nach ihm und traf ihn am Bein. Er schrie und gebärdete sich, daß es häßlich anzuhören war. Da warf der König ihm sein Taschentuch zu, damit er es um die Wunde knüpfen könne.

Als sie am dritten Morgen wieder auszogen, saß der Junge wieder



119 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

im Sumpf. »Hei, willst du raus, hei, willst du raus!«schrie er zum Gaul.

»Nein, nein, er wird noch so lange dort sitzen, bis er sich tot gehungert hat«, sagte das Volk des Königs, während sie vorbeiritten. Sie lachten über ihn, daß sie beinah von den Pferden fielen.

Kaum waren sie vorbei, so sprang er wieder zur Linde und kam gerade noch zur rechten Zeit zur Schlacht. An diesem Tage erschlug er den anderen König, und so war auf einmal Schluß mit dem Krieg. Als sie heimritten, bekam der König sein Taschentuch zurück, das der fremde Kämpfer ums Bein gebunden hatte, und da war es leicht, ihn zu erkennen. So nahmen sie ihn zwischen sich mit bis zum Königshof. Die Prinzessin sah ihn oben von ihrem Fenster aus und wurde so froh, wie du es dir gar nicht denken kannst. »Da kommt auch mein Liebster!« sagte sie. Er zog das Horn heraus, rieb zuerst sich selbst das Bein ein, und danach alle verwundeten Krieger, und sie wurden im Augenblick heil und gesund.

Da bekam er die Königstochter zur Ehe. Aber als er an dem Tage, als die Hochzeit stattfinden sollte, in den Stall hinunter kam zu seinem Pferd, stand es so traurig da, ließ seine Ohren hängen und wollte nicht fressen. Als der junge König -denn er war inzwischen König geworden und hatte das halbe Reich bekommen - mit ihm sprach und es fragte, was ihm fehle, sagte das Pferd: »Nun sollst du dein Schwert nehmen und mir den Kopf abschlagen!«

»Nein, das will ich nicht tun«, sagte der neue König, »aber du kannst alles haben, was du willst.« Aber das Pferd bat ihn wieder so sehr, sodaß der junge König es doch tun mußte; aber als er das Schwert erhob und zuschlagen sollte, wurde ihm so weh, daß er das Gesicht wegdrehen mußte, denn er vermochte nicht zuzuschauen, wie er schlug. Aber kaum hatte er den Kopf abgeschlagen, da stand der schönste Prinz an der Stelle, wo das Pferd gestanden hatte.

»Wo in aller Welt kommst du her?«fragte der König.

»Ich war das Pferd«, antwortete der Prinz. »Vorher war ich König in demselben Land, dessen König du erschlagen hast in der Schlacht. Er warf die Verzauberung über mich und verkaufte mich an den Troll. Seit er erschlagen ist, habe ich mein Reich zurückbekommen, und du und ich, wir sind jetzt Nachbarkönige. Aber wir wollen niemals Krieg miteinander führen.«

Und das taten sie auch nicht. Sie blieben Freunde, so lange sie lebten, und der eine König besuchte oft den anderen.



120 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa


Askeladden und die guten Helfer

Es war einmal ein König. Dieser König hatte von einem Schiff gehört, das ebenso gut auf dem Lande wie auf dem Wasser fuhr. Solch ein Schiff wollte er auch haben. Und demjenigen, der solch ein Schiff bauen konnte, versprach er die Königstochter und das halbe Königreich. Das ließ er im ganzen Land auf den Kirchhügeln verkünden. - Manche versuchten es, das kann man sich denken. Sie meinten wohl, es wäre gut, das halbe Königreich zu besitzen und obendrein die Königstochter zu gewinnen, das könnte schön werden! Aber den meisten erging es schlimm.

Nun lebten da drei Brüder in einer Waldhütte, der älteste hieß Per, der andere hieß Paul und der jüngste hieß Espen Askeladd, denn er saß stets bei der Asche und grub und schürte darin die Glut. Aber an dem Sonntag, als verkündet wurde, daß der König solch ein Schiff haben wollte, war es wie ein Zufall, daß gerade er mit in der Kirche war. Als er nach Haus kam und alles erzählte, bat Per, der älteste von den Brüdern, seine Mutter um Wegzehrung, denn er wollte hinaus und versuchen, solch ein Schiff zu bauen und die Königstochter und das halbe Reich zu gewinnen. Als er seine Wandertasche gefüllt bekommen hatte, verließ er den Hof. Unterwegs traf er einen alten Mann, der war ganz krumm und gottserbärmlich.

»Wo willst du hin?«fragte der Mann.

»Ich will in den Wald hinaus und einen Holznapf für meinen Vater machen, er möchte nicht mit uns zusammen essen«, sagte Per.

»Halznäpfe sollen es werden«, sagte der Mann.

»Was hast du in deiner Tasche?«fragte der Mann.

»Mist«, sagte Per.

»Mist soll es werden«, sagte der Mann.

Nun wanderte Per in einen Eichenwald, fällte Bäume und zimmerte, was er nur konnte, aber so viel er auch hackte und zimmerte und schnitzte, es wurde nichts anderes daraus als Eßnäpfe und immer wieder Eßnäpfe.

Als es Mittag wurde, wollte er seinen Hunger stillen und griff in seine Wandertasche, aber das war kein Essen, was er da in der Tasche fand. . . Da er nun nichts zu sich nehmen konnte und nicht recht voran-



121 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

kam mit seinem Zimmern, wurde ihm die Arbeit leid. Er hing seine Tasche um den Nacken, nahm seine Axt auf die Schulter und zog wieder heim zu seiner Mutter.

Nun wollte Paul hinaus und sein Glück versuchen, ob er wohl das Schiff bauen und die Königstochter und das halbe Reich gewinnen könnte. Er bat seine Mutter um Wegzehrung, und als er sie bekommen hatte, hängte er den Sack um seinen Nacken und ging vom Hof, hinaus in die Felder. Unterwegs traf er einen Mann, der war so krumm und gottserbärmlich.

»Wo willst du hin?«fragte der Mann.

»Ach, ich will hinaus in den Wald und Tröge machen für unsere kleinen Schweine«, sagte Paul.

»Schweinetröge sollen es werden«, sagte der Mann.

»Was hast du in deiner Tasche?«fragte der Mann.

»Mist«, sagte Paul.

»Mist soll es werden«, sagte der Mann.

So ging Paul hinaus in den Wald, fällte Bäume, hackte und zimmerte, was er nur konnte, aber so viel er auch hackte und schnitzte und formte, es wurde nichts anderes daraus, als halbfertige Tröge und Schweinetröge. Er gab sich nicht damit zufrieden, er arbeitete lange in den Nachmittag hinein, bevor er daran dachte, etwas zu essen. Da wurde er auf einmal so hungrig, daß er seinen Sack hervorsuchte, aber als er ihn öffnete, war keine Brotkrume darin. . . Da wurde Paul so zornig, daß er den Sack umstülpte und gegen einen Baumstumpf schlug. Er nahm die Axt, verließ den Wald und ging wieder heim.

Als Paul nach Hause gekommen war, wollte Askeladden sich auf den Weg machen und bat die Mutter um Wegzehrung. »Vielleicht bin ich der Kerl dazu, das Schiff zu bauen und die Königstochter und das halbe Reich zu gewinnen«, sagte er.

»Ja, das wird dir leicht fallen«, sagte die Mutter, »du siehst gerade so aus, als ob du eine Königstochter und das halbe Reich gewinnen könntest, du, der niemals etwas anderes getan hat, als in der Asche zu schüren und zu graben. Nein, du bekommst keine Wegzehrung.«

Askeladden gab sich nicht damit zufrieden. Er bat so lange, daß er schließlich doch die Erlaubnis bekam, zu wandern. Wegzehrung gäbe sie ihm nicht, das hätte sie schon gesagt. Aber er suchte sich ein paar alte Haferfladen und einen Rest abgestandenes Bier, nahm alles in seinen Sack und verließ den Hof.

Als er eine Weile gewandert war, traf er denselben alten Mann, der so krumm, jämmerlich und gottserbärmlich aussah.



122 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

»Wo willst du hin?«fragte der Mann.

»Ach, ich will zum Wald und ein Schiff bauen, das ebensogut auf dem Land, wie auf dem Wasser fährt«, sagte Askeladden, »denn der König hat verkünden lassen, daß derjenige, der ein solches Schiff bauen kann, die Königstochter und das halbe Reich bekommen soll«, sagte er.

»Was hast du in deinem Sack?«fragte der Mann.

»Ach, das ist nicht der Rede wert, es sollte eigentlich meine Wegzehrung sein«, antwortete Askeladden.

»Wenn du mir etwas davon abgibst, so werde ich dir helfen«, sagte der Mann.

»Ja gern«, sagte Askeladden, »aber es ist nichts weiter, als zwei Haferfladen und ein Rest schales Bier.«

Das mache ihm nichts aus, wenn er es nur bekäme, so würde er ihm schon helfen. Als sie zu den alten Eichen im Wald kamen, sagte der Mann zu dem Jungen: »Nun sollst du einen Span heraushacken, und den sollst du genau da wieder hineinfügen, wo er gesessen hat. Und wenn du das getan hast, kannst du dich schlafen legen.« - Ja, Askeladden tat, wie ihm geraten wurde, dann legte er sich schlafen, und im Schlaf schien es ihm, als höre er fällen und zimmern und hämmern und sägen und drechseln, aber aufwachen konnte er nicht, bevor der Mann ihn weckte: Da stand das Schiff vollkommen fertig neben der Eiche.

»Nun kannst du einsteigen und jeden, dem du begegnest, sollst du mitnehmen«, sagte der Alte. Ja, Espen Askeladd dankte für das Schiff, sagte, er würde es so machen, und segelte davon.

Als er ein Stück gesegelt war, traf er einen langen, mageren Vagabunden, der lag draußen auf einem Felsen und aß Feldsteine.

»Was bist du für ein Kerl, daß du hier liegst und Feldsteine ißt?« fragte Askeladden. Er sei so fleischhungrig, daß er niemals satt werden könne, deshalb müsse er Feldsteine essen, sagte jener, und dann bat er um die Erlaubnis, in dem Schiff mitfahren zu können.

»Ja, wenn du willst, so steige ein«, sagte Askeladden. Ja, das wollte er, und er nahm einige große Feldsteine als Wegzehrung mit.

Als sie wieder ein Stück gesegelt waren, trafen sie einen, der lag auf einem Sonnenhügel und saugte an einem Zapfen.

»Was bist du für einer«, fragte Askeladden, »und wofür soll das gut sein, daß du immer an dem Zapfen einer Tonne saugst?«

»Ach, wenn ich die Tonne nicht habe, so muß ich vorlieb nehmen mit dem Zapfen. Ich bin allezeit bierdurstig, und niemals kann ich mich



123 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

an Bier und Wein satt trinken«, sagte er, und dann bat er um die Erlaubnis, mit im Schiff fahren zu können.

»Willst du mitkommen, so steige ein«, sagte Askeladden. Ja, das wollte er, stieg dazu und nahm den Zapfen wegen seines Durstes mit.

Als sie wieder ein Stück gesegelt waren, trafen sie einen, der lag mit dem einen Ohr am Hügel und lauschte.

»Was bist du für einer und wozu soll das gut sein, daß du hier liegst und in den Hügel hineinlauschst?«fragte Askeladden.

»Ich lausche auf das Gras, denn ich habe solch feines Gehör, daß ich es wachsen höre«, sagte er und bat um die Erlaubnis, mit in dem Schiff fahren zu dürfen.

»Willst du mitkommen, so steige ein«, sagte Askeladden. Ja, das wollte er, und so stieg auch er hinein.

Als sie wieder ein Stück gesegelt waren, kamen sie zu einem, der stand da und zielte und zielte.

»Was bist du für einer und wofür soll das gut sein, daß du hier stehst und zielst?«fragte Askeladden.

»Ich sehe so scharf, daß ich bis zum Weltende schießen kann«, sagte er und dann bat er um die Erlaubnis, in dem Schiff mitfahren zu dürfen.

»Willst du mitkommen, so steige ein«, sagte Askeladden. Ja, das wollte er, und so stieg er dazu.

Als sie wieder ein Stück gesegelt waren, kamen sie zu einem, der hüpfte auf einem Bein, und an dem anderen Bein hatte er sieben Schiffspfundgewichte.

»Was bist du für einer«, fragte Askeladden, »und wofür soll das gut sein, daß du auf einem Bein herumkrauchst und hüpfst und an dem anderen sieben Schiffspfundgewichte hast?«

»Ich fliege so leicht weg«, sagte er, »wenn ich auf beiden Füßen gehen würde, käme ich zum Weltende in weniger als fünf Minuten«, und dann bat er um die Erlaubnis, im Schiff mitfahren zu dürfen.

»Willst du mitkommen, so steige dazu«, sagte Askeladden. Ja, das wollte er und er stieg aufs Schiff zu Askeladden und seinen Gefährten.

Als sie wieder ein Stück gesegelt waren, trafen sie einen, der hielt sich den Mund zu.

»Was bist du für einer«, fragte Askeladden, »und wofür soll das gut sein, daß du hier stehst und dir den Mund zuhälst?«

»Ach, ich habe sieben Sommer und fünfzehn Winter in mir«, sagte er, »so tue ich gut, mir den Mund zuzuhalten, denn wenn ich sie alle zusammen herausließe, so würde die ganze Welt auf einmal zu Grunde gehen.« Und dann bat er, mitfahren zu dürfen.



124 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

»Willst du mitkommen, so steige ein«, sagte Askeladden. Ja, er wollte mit und stieg ins Schiff zu den anderen.

Als sie eine gute Weile gesegelt waren, kamen sie zum Königshof. Askeladden ging zum König hinein und sagte, daß nun draußen das Schiff fertig auf dem Platz vor der Haustür stünde. Und nun wollte er die Königstochter haben, wie der König versprochen hatte.

Der König wollte das nicht so ohne weiteres, denn Askeladden sah sonderbar aus, er war schwarz und rußig, und der König wollte seine Tochter nicht solch einem Vagabunden geben. Er sagte ihm, daß er noch etwas warten müsse. Er könne die Königstochter nicht eher bekommen, bevor ein Vorratshaus mit dreihundert Tonnen Fleisch geleert sei. »Kannst du das bis morgen, so sollst du sie bekommen«, sagte er.

»Ich werde es versuchen«, sagte Askeladden, »aber darf ich einen meiner Kameraden mitbringen?«

»Ja, das kannst du schon, meinetwegen alle sechs«, sagte der König, denn er dachte, das sei rein unmöglich, selbst wenn er sechshundert mitbrächte.

Askeladden nahm nur denjenigen mit, welcher Feldsteine aß und immer so fleischhungrig war, und kaum hatten sie das Haus aufgeschlossen, so war auch schon alles aufgegessen, außer sechs kleinen Speckseiten, für jeden Kameraden eine.

Nun ging Askeladden zum König und sagte, das Vorratshaus sei leer, und nun würde er wohl die Königstochter bekommen.

Der König ging selbst nachschauen, aber es war leer, das stimmte. Doch Askeladden war schwarz und rußig, und dem König schien es gar schlimm, daß solch ein Vagabund seine Tochter haben sollte. Da erzählte er, daß er einen Keller voll Bier und altem Wein hätte, dreihundert Faß von jeder Sorte. Die sollten zuerst ausgetrunken sein. »Das ist ausgemacht: bist du Manns genug, das bis morgen um dieselbe Zeit auszutrinken, so sollst du sie haben«, sagte der König.

»Ich will es versuchen«, sagte Askeladden, »aber ich darf wohl einen meiner Kameraden mitbringen?« sagte er.

»Ja, das kannst du gerne«, sagte der König. Er meinte, er hätte so viel Bier und Wein, daß sie alle sieben gut versorgt sein könnten.

Askeladden nahm denjenigen mit, welcher immer so bierdurstig war, daß er an dem Zapfen saugen mußte, und der König ließ sie hinunter in den Keller.

Dort trank er Faß auf Faß leer, bis kaum noch etwas zurückblieb, nur für die anderen ließ er einen Rest übrig, so daß jeder seiner Kameraden ein paar Krüge voll trinken konnte.



125 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Am Morgen wurde der Keller aufgeschlossen und sogleich ging Askeladden zum König und sagte, er sei fertig mit Bier und Wein, und nun bekäme er wohl seine Tochter, wie er versprochen hätte.

»Ja, erst gehe ich hinunter in den Raum und sehe nach«, sagte der König, denn er glaubte es nicht. Als er in den Keller hinunterkam, war nichts mehr zu finden als leere Fässer. Aber Askeladden war schwarz und rußig, und der König war unglücklich, so einen Schwiegersohn zu bekommen. Er sagte ihm also, das sei ausgemacht: könne er Wasser für den Tee der Prinzessin beschaffen, vom Ende der Welt, in zehn Minuten, so solle er die Prinzessin und das halbe Reich bekommen. Denn dieses sei wohl rein unmöglich, glaubte er.

»Ich werde es versuchen«, sagte Askeladden. Er nahm also den beiseite, der auf einem Bein hopste und sieben Schiffspfundgewichte am anderen hatte und sagte ihm, seine Gewichte wolle er ihm abnehmen, dann müsse er seine Beine brauchen, so schnell er könne, um Wasser vom Ende der Welt zu holen für den Tee der Prinzessin, in zehn Minuten. Er bekam also einen Eimer, die Gewichte wurden ihm abgenommen, er begann zu laufen und - weg war er. Nun warteten sie und gaben acht und schauten hin und her, aber er kam nicht wieder. Schließlich waren es nur noch drei Minuten bis die Zeit um war, und der König war so vergnügt, als ob er ein Pferd geschenkt bekommen hätte.

Aber Askeladden rief nach dem, der das Gras wachsen hörte, er solle darauf lauschen, wo jener wohl geblieben sein könne. »Er ist bei dem Brunnen eingeschlafen, ich kann ihn schnarchen hören, und der Troll laust ihn«, sagte er. Da rief Askeladden nach demjenigen, welcher zum Weltenende schießen konnte und bat ihn, dem Troll eine Kugel hinzujagen. Ja, das machte er und schoß ihn mitten ins Auge. Der Troll begann zu brüllen, so daß der, welcher Teewasser holen sollte, sogleich aufwachte. Und als er zurückkam, war gerade noch eine Minute Zeit, bis die Frist verstrichen war. Askeladden ging sogleich zum König hinein und sagte, da sei das Wasser, und nun bekäme er wohl die Königstochter, da brauche man gar nicht mehr darüber zu reden. Aber dem König erschien er genau so schwarz und rußig wie vorher, und er wollte ihn nicht als Schwiegersohn haben.

Der König sagte also, er hätte dreihundert Klafter Holz, mit dem er Korn trocknen sollte im Badehaus. »Das ist abgemacht: bist du so ein Kerl, drinnen zu sitzen und die Hitze auszuhalten, so sollst du sie haben, da brauchen wir nicht mehr darüber zu reden«, sagte er.

»Ich will es versuchen«, sagte Askeladden, »aber ich darf wohl einen



126 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

meiner Kameraden mitnehmen?« - »Ja, von mir aus alle sechs«, sagte der König, denn er dachte, das sei wohl warm genug für alle. Askeladden nahm den mit sich, der die fünfzehn Winter und die sieben Sommer im Leib hatte, und ging am Abend in das Badehaus. Der König hatte stark geheizt, es brannte dort ein Feuer, daß man hätte Ofenkacheln brennen können. Heraus konnten sie nicht kommen, denn kaum waren sie drin, schloß der König Tür und Fensterläden und verriegelte alles mit einigen Hängeschlössern. Doch Askeladden sagte: »Nun mußt du sechs oder sieben Winter herauslassen, damit es bei uns gerade sommerwarm wird«, so könnten sie es gut aushalten. Aber als es auf die Nacht zu ging, wurde es kühler. Und Askeladden sagte, er müsse da mit ein paar Sommern aufwärmen, und so schliefen sie lang in den Tag hinein. Aber als sie den König draußen mit den Schlüsseln rasseln hörten, sagte Askeladden: »Nun mußt du ein paar Winter herauslassen, aber richte es so ein, daß du ihm mit dem letzten direkt ins Gesicht zielst.«

Ja, so machte er es. Und als der König die Tür der Badestube auftat und dachte, er fände sie beide ganz verbrannt vor, saßen sie da und schlotterten und zitterten vor Kälte, sodaß sie mit den Zähnen klapperten. Und der mit den fünfzehn Wintern im Leib blies dem König den letzten direkt ins Gesicht, sodaß er eine große Frostbeule davon bekam.

»Kriege ich nun die Königstochter?«fragte Askeladden.

»Ja, nimm sie und behalte sie und nimm das Reich dazu«, sagte der König, denn er traute sich nicht mehr länger, nein zu sagen.

So hielten sie Hochzeit und lebten lustig, tranken Hochzeitsbier und feuerten Trollhexenböllerschüsse ab. Inzwischen krabbelten sie umher und suchten nach einer neuen Ladung; so nahmen sie mich dafür, stopften mich hinein, gaben mir Grütze in einer Flasche und Milch in einem Korb und schossen mich hierher, damit ich erzählen könne, wie es zugegangen sei.


Die drei Schwestern der Mutter

Es war einmal ein armer Mann, der wohnte in einer Hütte weit oben in den Bergen und lebte von der Jagd. Er hatte eine einzige Tochter, die war schön und freundlich. Die Mutter war schon lang gestorben.



127 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Als das Mädchen halberwachsen war, sagte sie, daß sie nun zu den anderen Menschen gehen und lernen wolle, selbst ihr Brot zu verdienen. »Ja, meine Tochter«, sagte der Vater, »genau besehen hast du bei mir nichts anderes gelernt, als Vögel zu rupfen und zu braten. Trotzdem kannst du versuchen, dein Brot selbst zu verdienen.«

Also ging das Mädchen fort und wollte um Dienste bitten. Als sie eine Weile gegangen war, kam sie zum Königshof. Dort blieb sie, und die Königin mochte sie so gut leiden, daß die anderen Diener neidisch auf sie wurden. Sie hatten sich ausgedacht, der Königin zu sagen, daß dies Mädchen damit geprahlt hätte, sie könne ein Pfund Flachs in vierundzwanzig Stunden spinnen, denn die Königin liebte alle Art Handarbeit. »Ja, wenn du das gesagt hast, so mußt du es auch tun«, sagte die Königin, «du kannst sogar etwas länger Zeit dazu brauchen.« Das arme Mädchen traute sich nicht zu sagen, daß sie noch niemals gesponnen hätte, sondern sie bat nur um eine Kammer ganz für sich allein. Die bekam sie auch, darin standen Spinnrad und Flachs bereit. Da saß sie nun und weinte und wußte sich keinen Rat. Sie schob das Spinnrad von sich, drehte und wendete es und wußte nicht, wie sie es gebrauchen sollte, denn sie hatte vorher niemals ein Spinnrad gesehen.

Aber während sie so saß, kam auf einmal ein altes Weib zu ihr. »Was fehlt dir, mein Kind?«fragte sie.

»Ach, es nützt ja nichts, wenn ich es dir auch sage«, antwortete das Mädchen, »du kannst mir doch nicht helfen.«

»Wer weiß«, sagte die Frau, »vielleicht kann ich doch Rat schaffen.«

Das Mädchen dachte bei sich, ich kann es ihr ja gern sagen, und so erzählte sie, daß die anderen Diener das Gerücht verbreitet hätten, sie könne ein Pfund Flachs in vierundzwanzig Stunden spinnen. »0, ich Arme«, sagte sie, »ich habe noch nie ein Spinnrad gesehen und soll trotzdem in einem Tag und einer Nacht soviel spinnen.«

»Das ist doch ganz gleich, mein Kind«, sagte die Frau, »willst du mich an deinem Ehrentage als ,Schwester deiner Mutter' begrüßen, so will ich für dich spinnen, du kannst inzwischen weggehen und dich schlafen legen.« - Ja, das wollte das Mädchen gerne, und so ging sie fort und legte sich nieder.

Am Morgen, als sie aufwachte, lag aller Flachs gesponnen auf dem Tisch. Und der war so fein gesponnen, noch nie hatte sie so gleichmäßig schönes Garn gesehen. Die Königin freute sich über das schöne Garn, das sie bekommen hatte, und mochte das Mädchen nun noch lieber als vorher. Aber die anderen wurden wieder neidisch und dachten sich aus, der Königin zu erzählen, sie habe gesagt, sie könne das Garn, das



128 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

sie gesponnen habe, in vierundzwanzig Stunden verweben. Die Königin meinte wieder, wenn sie das gesagt habe, so müsse sie es auch tun, sie könne auch gern ein wenig länger brauchen. Das Mädchen getraute sich nichts zu sagen, sie bat nur um eine Kammer für sich allein, so würde sie es wohl versuchen.

Da saß sie nun wieder und weinte und klagte und wußte nicht, was sie machen sollte. Da kam wieder ein altes Weib herein und fragte:

»Was fehlt dir, mein Kind?«

Das Mädchen wollte zuerst nicht mit der Sprache heraus, aber schließlich erzählte sie, worüber sie so traurig war.

»Das ist doch ganz gleich«, antwortete die Frau. »Willst du mich an deinem Ehrentage ,Schwester deiner Mutter' nennen, so werde ich für dich weben! Du kannst inzwischen weggehen und dich schlafen legen.« Das ließ sich das Mädchen nicht zweimal sagen, sie ging weg und legte sich schlafen.

Als sie erwachte, lag der Stoffballen auf dem Tisch und war so fein und dicht gewebt, wie man nur immer weben konnte. Sie nahm das Gewebte und ging damit hinunter zur Königin, und die war sehr glücklich über das schöne Gewebe, das sie bekommen hatte, und nun mochte sie das Mädchen noch lieber als vorher. Die anderen wurden indessen noch eifersüchtiger auf sie und dachten an nichts anderes mehr, als etwas gegen sie zu finden. Schließlich erzählten sie der Königin, daß sie sich gerühmt habe, sie könne in vierundzwanzig Stunden aus dem Gewebe Hemden nähen. Ja, da ging es genau wie vorher. Das Mädchen getraute sich nicht zu sagen, daß sie nicht nähen könne. Sie kam ganz allein in eine Kammer und saß dort und weinte und klagte. Aber wieder kam ein altes Weib zu ihr und versprach, für sie alles zu nähen, wenn das Mädchen sie nur an ihrem Ehrentage »Schwester der Mutter« nennen wollte. Das versprach sie gerne, und dann tat sie, was die Frau ihr sagte, ging fort und legte sich schlafen. Am Morgen, als sie erwachte, fand sie einen Stoß Hemden, die aus dem Gewebe genäht waren. So schöne Hemden hatte sie noch nie gesehen, und die Hemden waren mit Namen bestickt und vollkommen fertig.

Als die Königin diese Arbeit sah, war sie so glücklich, daß sie immer wieder die Hände zusammenschlug. »Eine so schöne Arbeit habe ich noch nie gesehen«, sagte sie, und seitdem war ihr das Mädchen so lieb, als ob es ihr eigenes Kind wäre.

»Wenn du den Prinzen haben willst, so kannst du ihn bekommen«, sagte sie zu dem Mädchen, »denn du brauchst keine Arbeit mehr aus dem Haus zu geben, du kannst alles selbst: nähen, spinnen und weben.«



129 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Weil das Mädchen so schön war und sie dem Prinzen gefiel, wurde bald Hochzeit gehalten. Als der Prinz sich jedoch mit ihr zum Brauttisch gesetzt hatte, kam ein altes, häßliches Weib herein mit einer Nase - die war gewiß drei Ellen lang.

Die Braut stand auf, verneigte sich und sagte: »Guten Tag, Schwester meiner Mutter!«

»Ist das die Tante meiner Braut?« fragte der Prinz. Ja, das sei sie.

»So muß sie sich wohl mit an den Tisch setzen«, sagte der Prinz, aber allen, ihm selbst und den anderen, schien sie viel zu häßlich zu sein, um mit am Tisch zu sitzen.

Aber da geschah es, daß wieder ein altes, häßliches Weib hereinkam, das so dick und breit war, daß es sich mit Mühe und Not gerade noch durch die Tür quetschen konnte. Sofort stand die Braut auf und begrüßte sie: »Guten Tag, Schwester meiner Mutter!« Und der Prinz fragte wieder, ob das die Tante seiner Braut sei. Beide antworteten ja, und der Prinz sagte, wenn es so sei, so solle sie sich nur auch mit an den Tisch setzen.

Aber kaum hatte sie sich gesetzt, so kam wieder ein altes, häßliches Weib herein mit Augen, so groß wie Teller, und so rot und rinnend, daß es ganz gräßlich anzusehen war. Die Braut stand wieder auf und grüßte: »Guten Tag, Schwester meiner Mutter!« und der Prinz bat auch sie, sich mit an den Tisch zu setzen, aber er war gar nicht glücklich darüber und dachte bei sich selbst: »Gott bewahre mich vor den Tanten meiner Braut!«

Als sie eine Weile so gesessen hatten, konnte er es nicht mehr aushalten und fragte: »Warum in aller Welt hat meine Braut, die doch so schön ist, so häßliche und mißgestaltete Tanten?«

»Das will ich dir sagen«, antwortete die eine. »Ich war genauso schön wie deine Braut, als ich in ihrem Alter war. Daß ich jetzt eine so lange Nase habe, das kommt daher, daß ich immer dagesessen, genickt und gesponnen habe, da hat sich meine Nase in die Länge gezogen, wie du sie jetzt siehst.«

»Seitdem ich jung war, habe ich gesessen und den Webebalken vor- und zurückgeschlagen«, sagte die andere, »und davon bin ich hinten so dick und geschwollen geworden, wie du mich jetzt siehst«.

Und die dritte sagte: »Als ich noch ganz klein war, habe ich schon gesessen und genäht, Tag und Nacht! Davon sind meine Augen so häßlich und rot geworden, und nun kann man nichts mehr daran ändern. «

»Ja so!« sagte der Prinz, »es ist gut, daß ich das weiß. Wenn ein 1



130 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Mensch so häßlich und mißgestaltet davon wird, so soll meine Frau niemals mehr spinnen oder weben oder nähen, in ihrem ganzen Leben nie mehr!«


Klein-Frikk mit der Fiedel

Es war einmal ein armer Mann, der hatte einen einzigen Sohn. Dieser Junge war aber so schwach und kränklich, daß er nicht schwer arbeiten konnte. Er hieß Frick, und weil er so klein geblieben war, so nannten sie ihn Klein-Frikk. Zu Hause hatten sie nichts zu beißen und zu brechen, deshalb ging sein Vater zur Stadt und wollte ihn als Hütebub oder Laufburschen verdingen. Aber niemand wollte seinen Jungen haben, bis er endlich zum Lehnsmann kam. Der wollte ihn nehmen, denn er hatte kürzlich seinen Laufburschen weggejagt, und niemand wollte wieder zu ihm, denn von ihm ging die Rede, daß er ein schwarzer Rabe sei. Es ist besser irgend einen Herrn zu haben, als gar keinen, dachte der arme Mann. Und Essen und Trinken bekam Klein-Frikk beim Lehnsmann. Ober Lohn und Kleidung wurde nicht gesprochen.

Als aber der Junge drei Jahr bei ihm gedient hatte, wollte er wieder wandern, und der Lehnsmann gab ihm den Lohn auf einmal. Er solle für jedes Jahr einen Schilling haben, weniger könne es nicht sein, meinte der Lehnsmann, und so bekam er alles in allem drei Schillinge. Klein-Frikk schien es viel Geld zu sein, denn er hatte niemals so viel besessen. Aber er fragte, ob er nicht mehr bekommen könnte.

»Du hast mehr bekommen, als du eigentlich solltest«, antwortete der Lehnsmann.

»Sollte ich nicht noch etwas für Kleidung bekommen«, fragte Klein-Frikk, »denn die ich hatte als ich herkam, ist im Dienst zerschlissen, und ich habe keine neue bekommen. Nun bin ich so abgerissen, daß alles um mich in Fetzen hängt.«

»Du hast alles bekommen, was vereinbart war, und obendrauf noch drei Schilling, also bin ich dir nichts weiter schuldig«, sagte der Lehnsmann. Aber er bekam die Erlaubnis, in die Küche zu gehen und sich etwas Mundvorrat in seine Wandertasche geben zu lassen. So machte er sich denn auf den Weg zur Stadt, um sich Kleidung zu kaufen. Er war lustig und glücklich, denn er hatte niemals vorher einen Schilling



131 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

gesehen, und so geschah es, daß er nachzählte, ob er auch noch alle drei hatte.

Als er eine lange Zeit gewandert war, sogar länger als lang, kam er in ein enges Tal mit hohen Bergen an allen Seiten, so daß es ihm schien, er könne nimmer recht vorwärts kommen. Es nahm ihn wunder, was wohl auf der anderen Seite der Berge sei, und wie er wohl hinüberkommen sollte.

Hinüber mußte er, und so machte er sich auf den Weg. Er mühte sich eine Zeitlang, dann mußte er wieder ausruhen, und dabei rechnete er nach, wieviel Geld er hatte.

Als er oben auf die Höhe kam, fand er nichts weiter vor, als eine weite, moosige Bergheide. Da setzte er sich nieder und wollte sehen, ob er noch alle seine Schillinge beisammen hatte. Aber bevor er es wußte, kam ein armer Mann auf ihn zu, der war so groß und lang, daß Klein-Frikk zu schreien begann, als er sah, wie groß und lang er war.

»Hab keine Angst, du«, sagte der Bettler, »ich tue dir nichts, ich bitte dich nur in Gottes Namen um einen Schilling.«

»Bewahre mich«, sagte der Junge, »ich besitze nur drei Schillinge, damit muß ich zur Stadt und Kleidung für mich kaufen.«

»Ich bin schlimmer dran als du«, sagte der Bettler, »ich habe gar keinen Schilling und bin zerlumpter als du.«

»Ja, so sollst du ihn haben«, sagte der Junge.

Er ging eine Weile weiter, wurde wieder müde und setzte sich nieder, um auszuruhen. Als er aufblickte, war wieder ein Bettler bei ihm, aber der war noch größer und häßlicher als der erste. Als der Junge ihn richtig ansah, wie groß, häßlich und lang er war, begann er zu schreien.

»Hab keine Angst vor mir, ich tue dir nichts, ich bitte dich nur in Gottes Namen um einen Schilling«, sagte der Bettler.

»Bewahre mich«, sagte der Junge, »ich besitze nur noch zwei Schillinge, und damit muß ich in der Stadt Kleidung für mich kaufen. Hätte ich dich früher getroffen .

»Das ist schlimmer für mich als für dich«, sagte der Bettler, »ich besitze keinen Schilling und habe einen größeren Körper und schlechtere Kleidung.«

»So sollst du ihn haben«, sagte der Junge.

Er wanderte wieder eine gute Strecke, bis er müde wurde und sich setzte, um auszuruhen. Kaum hatte er sich niedergesetzt, so kam wieder ein Bettler zu ihm, aber dieser war so groß und häßlich und lang, daß der Junge aufwärts und immer aufwärts schaute bis in den höchsten



132 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Himmel hinauf, und als er sah, wie groß, wie häßlich und zerlumpt er war, begann er zu schreien.

»Habe keine Angst, mein Junge«, sagte der Mann, »ich tue dir nichts, ich bin nur ein Bettler, der dich um einen Schilling bittet in Gottes Namen.«

»Bewahre mich«, sagte Klein-Frikk, »ich habe nur noch einen Schilling, mit dem muß ich zur Stadt und Kleidung dafür kaufen. Hätte ich dich früher getroffen .«

»Ja, ich habe gar keinen Schilling, aber einen größeren Körper und schlechtere Kleidung, also steht es schlimmer um mich als um dich«, sagte der Bettler.

»So sollst du den Schilling haben«, sagte Klein-Frikk, »da ist nichts zu machen.«Jeder hatte seinen, nur er hatte keinen mehr.

»Weil du ein so gutes Herz hast und alles, was du besaßest, weggeschenkt hast«, sagte der Bettler, so kann ich dir für jeden Schilling einen Wunsch erfüllen.«Es war immer derselbe Bettler gewesen, der alle drei Schillinge empfangen, nur sich jedesmal verwandelt hatte, damit ihn der Junge nicht wiedererkennen sollte.

»Ich hatte stets solch eine große Lust darauf, eine Fiedel klingen zu hören und zu sehen, wie die Menschen glücklich und lustig beim Tanzen sind«, sagte Klein-Frikk. »Kann ich also wünschen, was ich will, so möchte ich eine Fiedel, welche die Eigenschaft hat, daß alles, was lebt, nach ihrer Weise tanzen muß.«

Die solle er bekommen. Aber das sei ein armseliger Wunsch, sagte der Bettler, »du mußt besser wünschen für die anderen Schillinge.«

»Ich hatte stets solch Verlangen, zu jagen und zu schießen«, sagte Klein-Frikk, »darf ich mir wünschen, was ich will, so möchte ich eine Flinte, mit der ich alles treffe, was ich will und sehe, und wäre es auch noch so weit weg.«

»Die sollst du bekommen. Aber das ist ein armseliger Wunsch«, sagte der Bettler, »für den letzten Schilling mußt du besser wünschen.

»Ich hatte stets das Verlangen, mit freundlichen, gutherzigen Menschen zusammen zu sein«, sagte Klein-Frikk. »Bekomme ich das, was ich wünsche, so möchte ich, daß niemand mir das erste, worum ich ihn bitte, verweigern kann.«

»Dieser Wunsch war gar nicht so dumm«, sagte der Bettler und damit ging er langsam davon und verschwand hinter den Hügeln. Der Junge legte sich schlafen, und am nächsten Tag stieg er mit seiner Fiedel und seiner Flinte aus den Bergen herab und kam in die Stadt.



133 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Zuerst ging er zum Krämer und bat um Kleidung, und auf einem Bauerhof bat er um ein Pferd, und bei einem anderen bat er um einen Schlitten, und beim nächsten bat er um einen Pelz, - niemand konnte nein zu ihm sagen. Jeder gab ihm das, worum er bat, keiner zeigte sich knauserig. Schließlich fuhr er durch die Lande als ein stattlicher, feiner Mann und hatte beides, Pferd und Schlitten.

Als er eine Weile gereist war, traf er den Lehnsmann, dem er gedient hatte. »Guten Tag, Hausherr«, sagte Klein-Frikk mit der Fiedel, hielt an und grüßte.

»Guten Tag«, sagte der Lehnsmann, »war ich dein Hausherr?«fragte er.

»Ja, kannst du dich nicht erinnern, daß ich dir drei Jahre lang diente für drei Schillinge?« sagte Klein-Frikk.

»Gott bewahre mich, du hast dich aber beeilt, voranzukommen«, sagte der Lehnsmann, »wie ist das denn zugegangen, daß du jetzt so ein feiner Kerl bist?«

»Ja, das ist nun mal so«, sagte der Kleine.

»Bist du so lustig, daß du auch eine Fiedel mit auf die Fahrt nimmst?«fragte der Lehnsmann.

»Ja, ich hatte stets im Sinn, die Menschen tanzen zu lassen«, sagte der Kleine. »Aber das feinste, was ich habe, ist die Flinte hier, denn alles, worauf ich mit ihr ziele, treffe ich, und sei es auch noch so weit weg. Siehst du die Krähe, welche ganz hinten im obersten Tannenwipfel sitzt?«fragte der Kleine. »Was wettest du, daß ich sie herunter hole.« Ja, das wollte der Lehnsmann gerne sehen. Er würde Pferd und Hof und hundert Taler dagegen wetten, daß er es nicht fertig brächte. Ja, aber er müsse alles Geld, was er bei sich habe, einsetzen. Und holen müsse er die Krähe auch, wenn sie fiele. - Doch der Lehnsmann glaubte niemals, daß Klein-Frikk sie mit seiner Flinte treffen könne.

In demselben Augenblick, in dem es knallte, fiel die Krähe auch schon herunter in ein Hagebuttengebüsch. Der Lehnsmann ging hin, suchte nach ihr im Gebüsch, hob sie auf und wollte sie Klein-Frikk geben. Sogleich begann dieser die Fiedel zu streichen, und der Lehnsmann mußte tanzen, obgleich die Dornen ihn festhielten. Und der Kleine spielte und der Lehnsmann tanzte und weinte und bat, bis seine Kleider in Fetzen von ihm abfielen und er kaum noch einen Faden auf dem Leib hatte.

»Ja, nun denke ich, bist du genau so zerlumpt, wie ich es war, als ich aus deinen Diensten schied«, sagte der Junge, »nun magst du so



134 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

davonkommen.« Aber zuerst mußte der Lehnsmann ihm noch geben, was er gewettet hatte. Als der Junge zur Stadt kam, zog er in ein Wirtshaus. Er spielte, und alle, die hereinkamen, tanzten. Er lebte lustig und gut, er brauchte sich um nichts zu sorgen, denn niemand konnte nein sagen, wenn er um etwas bat.

Aber als er im besten Spielen war, kamen Amtsdiener und brachten den Jungen in das Rathaus, denn der Lehnsmann hatte ihn verklagt: Klein-Frikk habe ihn überfallen und ausgeplündert und ihm beinah das Leben genommen. Und dafür solle er gehängt werden, da nützte kein Bitten. Aber Klein-Frikk hatte Trost für alles Ungemach, und das war seine Fiedel. Er begann darauf zu spielen, und die Wächter mußten tanzen, bis sie dalagen und nach Luft schnappten. Da wurden Soldaten zur Bewachung geschickt, aber denen ging es nicht besser als den Wächtern. Sobald Klein-Frikk die Fiedel hervorzog, mußten sie tanzen, so lange er zu spielen vermochte.

Schließlich lauerten sie ihm auf und nahmen ihn gefangen, als er schlief, in der Nacht, und als sie ihn endlich hatten, wurde er verurteilt, sogleich gehängt zu werden, und man führte ihn gleich zum Galgen hinaus. Da strömte eine Menge Volk zusammen, die alle dieses Wunder sehen wollten. Der Lehnsmann war auch dabei, und er war so seelenvergnügt, daß er sich jetzt rächen konnte für das verlorene Geld und das Geschundensein, und zusehen, wie sie ihn hängten.

Aber so schnell ging das nicht, denn Klein-Frikk war schwächlich, konnte nicht so schnell laufen, und er stellte sich noch schwächlicher als er war. Fiedel und Flinte trug er auch noch bei sich, denn es war nicht gut, sie herzugeben. Als er nun zum Galgen kam und ohne sie die Leiter erklimmen mußte, verweilte er auf jeder Sprosse. Auf der obersten setzte er sich und fragte, ob sie ihm einen einzigen Wunsch verweigern könnten, ob er wohl die Erlaubnis bekommen könne für eine einzige Sache: Er hätte solche Lust, ein Stücklein auf seiner Fiedel zu spielen, bevor sie ihn hängten. Nein, das wäre ja Sünde und Schande, ihm das zu verweigern, sagten sie. Keiner sagte nein, als er darum bat. Allein der Lehnsmann riet, daß sie ihm um Gottes Willen nicht die Erlaubnis geben sollten, auch nur eine Saite zu berühren, sonst wäre es aus mit ihnen allen. Sollten sie ihm aber doch die Erlaubnis geben, so wolle er selbst sich erst an die Birke dort festbinden lassen, welche da stand. -Klein-Frikk war nicht faul; als er die Fiedel bekam, begann er zu spielen, und alle Menschen, die da waren, begannen zu tanzen, einerlei ob sie nun zu zweit oder zu viert gingen, ob es der Richter oder der Priester war, der Schreiber oder der Schulze; der



135 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Lehnsmann oder der Henker oder Hund und Schwein. Alle tanzten und johlten und lachten durcheinander. Manche tanzten bis sie halb tot dalagen, andere tanzten bis sie im Schweiß zusammenbrachen. Toll ging es mit allen. Aber am schlimmsten erging es dem Lehnsmann, denn er war an der Birke festgebunden und tanzte und scheuerte sich große Stücke seines Rückens an dem Stamme ab.

Niemand dachte noch daran, Klein-Frikk etwas zu tun, und er ging mit seiner Fiedel und mit seiner Flinte davon, wohin er wollte. Ihm ging es zeitlebens gut, denn niemand konnte nein sagen, wenn er ihn das erste Mal um etwas bat.


Die Tochter des Mannes und die Tochter der Frau

Es waren einmal ein Mann und eine Frau, als die heirateten, brachte jeder eine Tochter mit in die Ehe. Die Tochter der Frau war faul und lässig, hatte nie Lust, etwas zu schaffen, aber die Tochter des Mannes war geschickt und willig. Und doch konnte sie es der Mutter nie recht machen, und beide, Stiefschwester und Stiefmutter, wollten sie gerne los sein.

Eines Tages saßen beide Töchter am Brunnen und sollten spinnen. Die Tochter der Frau sollte Flachs spinnen, aber die Tochter des Mannes bekam nichts anderes als Borsten zum Spinnen.

»Du machst immer alle Arbeiten so geschickt und richtig«, sagte die Tochter der Frau, »aber ich habe trotzdem keine Angst, mit dir um die Wette zu spinnen.« Also gut, sie kamen überein, daß diejenige, bei welcher der Faden zuerst risse, in den Brunnen springen müsse. Nun geschah es, daß bei der Tochter des Mannes der Faden zuerst riß, und so mußte sie in den Brunnen springen. Aber als sie auf den Grund kam, tat sie sich nichts zuleide, und weit und breit um sie herum sah sie nichts anderes als eine schöne grüne Wiese.

Sie ging ein Stück die Wiese entlang und kam zu einem Reisigzaun, da mußte sie hinüber. »Ach, tritt nicht so hart auf mich«, bat der Reisigzaun, »so werde ich dir ein andermal helfen.« Sie machte sich so leicht wie eine Feder und trat so vorsichtig darauf, daß sie ihn kaum berührte.

So ging sie ein Stück weiter. Da kam sie zu einer gefleckten Kuh,

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136 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

die einen Melkeimer an den Hörnern hängen hatte. Das war eine große schöne Kuh, ihr Euter war ganz voll und dick. »Ach sei so lieb und melke mich, du«, sagte die Kuh, »sonst sprengt die Milch mein Euter. Trink so viel du willst und leere den Rest über meine Hufe, so kann ich dir wieder einmal helfen.«

Die Tochter des Mannes tat, worum die Kuh sie bat. Sobald sie nur die Zitzen berührte, sprudelte die Milch auch schon in den Eimer. Nun trank sie sich satt und leerte den Rest über die Hufe. Den Melkeimer aber hängte sie wieder fein an die Hörner der Kuh.

Als sie wieder ein Stück auf der Wiese gewandert war, traf sie einen großen Schafbock, der hatte so dicke lange Wolle, daß er sie wie eine Schleppe hinter sich herzog, und an dem einen Horn hing eine große Schere. - »Ach schere mich, du«, sagte der Bock, »denn ich gehe hier mit der vielen Wolle umher und schwitze. Ach, das ist so warm, daß die Hitze mich quält. Nimm so viel Wolle wie du willst und schlinge den Rest um meinen Hals, so kann ich dir auch einmal helfen.«

Sie war gleich dazu bereit, und der Bock legte sich ihr selbst in den Schoß und lag ganz still. Sie aber scherte ihn so fein, daß er nicht den kleinsten Ritz ins Fell bekam. Dann nahm sie von der Wolle so viel sie wollte mit, und den Rest wickelte sie dem Bock um den Hals.

Ein wenig später kam sie zu einem Apfelbaum, der hing so voller Apfel, daß alle Aste sich zur Erde niederbeugten. »Ach sei so lieb und pflücke meine Apfel ab«, sagte er, »damit meine Zweige sich wieder recken können, denn ich will nicht mehr so gebückt stehen müssen. Und schlage die anderen Apfel zart und achtsam herunter, daß du mir die Zweige nicht verdirbst. Iß von den Äpfeln so viel du willst und lege den Rest zwischen meine Wurzeln, so werde ich dir auch einmal helfen.«

Sie pflückte alle Apfel, die sie erlangen konnte. Dann nahm sie die Stange, die am Stamm lehnte, und schlug die anderen Apfel behutsam herunter. Nun aß sie sich satt, und den Rest sammelte sie fein zwischen die Wurzeln.

Dann ging sie ein langes, langes Stück weiter und kam zu einem großen Bauernhof. Dort wohnte eine Trollhexe mit ihrer Tochter. Zu der ging sie hinein und fragte, ob sie eine Dienstmagd brauche.

»Ich kann dich nicht gebrauchen. Wir haben schon so manche Magd gehabt, aber die haben alle nichts getaugt«, sagte die Trollhexe. Aber das Mädchen bat so schön, daß die Trollhexe sie doch endlich in Dienst nahm. Nun gab sie ihr ein Sieb und befahl ihr, darin Wasser zu holen. Zwar schien es dem Mädchen unvernünftig, Wasser in einem Sieb zu holen, und doch ging sie zum Brunnen. Da hörte sie die Vöglein singen:



137 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

»Verschmier es mit Lehm
und steck es ins Stroh,
verschmier es mit Lehm
und steck es ins Stroh.«

Ja, das tat sie, und nun konnte sie das Sieb mit dem Wasser darin tragen. Aber als sie heim kam mit dem Wasser und die Trollhexe das Sieb erblickte, sagte sie: »Das stammt nicht aus deiner eigenen Brust.« Doch die Trollhexe hatte eine andere Arbeit für sie bereit. Sie sollte in den Stall gehen, ihn ausmisten und die Kühe melken. Aber als sie hineinkam, fand sie dort eine Schaufel vor, die war so groß und schwer, daß sie damit nichts machen konnte, nicht einmal anheben konnte sie die. Was sollte sie tun? Sie wußte es nicht. Da sangen die Vöglein, sie solle den Besenstiel nehmen und damit etwas Mist hinauswerfen, so würde alles übrige hinterher fliegen. Kaum hatte sie damit begonnen, so war der Stall auch schon rein. Er war ausgemistet und gescheuert zugleich. Nun wollte sie die Kühe melken, aber sie waren so unruhig, sie stampften und schlugen aus, sie konnte kaum etwas melken. Aber da sangen die Vöglein draußen:

»Ein wenig Milch
die tu hinaus,
und alle Vöglein
trinken draus.«

Ja, das tat sie. Ein kleines Schüsselchen Milch stellte sie den Vöglein hinaus, sofort standen alle Kühe still und ließen sich melken, keine trat und stampfte mehr.

Als die Trollhexe sie mit der Milch hereinkommen sah, sagte sie: »Das stammt nicht aus deiner eigenen Brust. Aber nun kannst du die schwarze Wolle nehmen und sie weiß waschen.« Das wußte das Mädchen nun ganz gewiß nicht, wie sie das fertig bringen sollte, denn sie hatte noch nie erlebt, daß jemand schwarze Wolle weiß gewaschen hätte, aber sie sagte kein Wort dazu, nahm die schwarze Wolle und ging damit hinaus zum Brunnen. Dort sangen ihr die Vöglein zu, sie solle nur die Wolle in den großen Bottich tun, der dort stand, so würde sie wohl weiß werden.

»Nein, nein«, sagte das Trollweib, als das Mädchen mit der weißen Wolle hereinkam, »ich kann dich nicht mehr hier brauchen, du bringst ja alles fertig, du wirst mich noch zu Tode ärgern. Das Beste wird sein, dir den Laufpaß zu geben.«

Damit setzte das Trollweib drei bunte Truhen vor die Tür, eine rote, eine grüne und eine blaue. Eine davon sei ihr Lohn, sie könne



138 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

wählen, welche sie wolle. Nun wußte sie wieder nicht, welchen von den kleinen Schreinen sie wählen sollte, aber da hörte sie schon wieder die Vöglein, wie sie ihr zusangen:
»Dem grünen gar nicht trauen,
den roten nur anschauen,
doch wähle du den blauen.
Wir ritzten mit den Schnäbelein
drei Kreuze in den Deckel ein.«

Sie nahm also den blauen Schrein, wie ihr die Vöglein geraten hatten. »Fluch über dich!« schrie die Trollhexe, »das soll dir noch vergolten werden.« Als die Magd sich zum Gehen wandte, warf die Trollhexe eine glühende Eisenstange nach ihr, aber sie verbarg sich ganz schnell hinter der Tür, so daß sie nicht von der Stange getroffen werden konnte, denn die Vöglein hatten ihr gesagt, was sie tun sollte. Dann lief sie davon, so schnell sie konnte. - Als sie gerade beim Apfelbaum vorbeilaufen wollte, hörte sie einen großen Lärm in der Ferne, der immer näher kam. Das war das Trollweib mit ihrer Tochter, welche ihr folgten. Das Mädchen wußte vor lauter Angst nicht, wohin. »Komm her zu mir«, sagte der Apfelbaum, »so werde ich dir helfen. Verbirg dich unter meinen Zweigen, denn wenn sie dich entdecken, so rauben sie dir den Schrein und reißen dich in Stücke.« Sie verbarg sich schnell und schon kam das Trollweib mit ihrer Tochter heran. »Hast du ein Mädchen hier vorbeigehen sehen?« fragte das Trollweib. - »0 ja«, sagte der Apfelbaum, »vor einer Stunde sprang sie hier vorbei, aber nun ist sie schon so weit weg, daß du sie nicht mehr einholst.«So wandte sich das Trollweib um und fuhr wieder heim.

Das Mädchen lief ein Stück weiter, aber als sie zum Schafbock kam, hörte sie einen großen Lärm in der Ferne, der immer näher kam. Sie wußte nicht wohin, so angst und bange wurde ihr, denn sie ahnte wohl, daß es die Trollhexe war, die sich anders besonnen hatte.

»Komm her zu mir, so werde ich dir helfen«, sagte der Bock, »verbirg dich unter meiner Wolle, so daß sie dich nicht erblickt, sonst raubt sie dir den Schrein und reißt dich in Stücke.«

Da kam sie auch schon dahergefahren, die häßliche Trollhexe, und fragte den Bock: »Hast du ein Mädchen hier vorbeigehen sehen?« »Ach ja«, sagte der Bock, »vor einer Stunde sah ich sie hier vorbeigehen, aber sie sprang so schnell, daß du sie nicht mehr einholen kannst«. So wandte sich das Trollweib und fuhr wieder heim.

Als das Mädchen nun so weit gekommen war, daß sie die Kuh sah, hörte sie einen großen Lärm in der Ferne, der immer näher kam.



139 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

»Komm her zu mir«, sagte die Kuh, »so werde ich dir helfen. Verbirg dich unter meinem Euter, sonst kommt die Trollhexe, raubt dir den Schrein und reißt dich in Stücke.« Es dauerte auch gar nicht lang, bis sie kam. »Hast du ein Mädchen hier vorbeigehen sehen«, fragte sie die Kuh. »Ja, vor einer Stunde sah ich sie hier vorbeigehen, aber sie ist nun schon weit weg, denn sie springt so schnell. Die holst du nicht mehr ein«, sagte die Kuh. Da wandte sich das Trollweib und fuhr wieder heim.

Das Mädchen wanderte nun wieder ein langes Stück, bis sie es nicht mehr weit zum Reisigzaun hatte. Da hörte sie einen großen Lärm in der Ferne, der immer näher kam. Ihr wurde angst und bange, denn sie wußte, das war das Trollweib, das sich anders besonnen hatte. »Komm her zu mir, so werde ich dir helfen«, sagte der Reisigzaun. »Krauch unter meine Zweige, so daß sie dich nicht sieht, sonst raubt sie dir den Schrein und reißt dich in Stücke.« Schnell schlüpfte sie unter die Zweige des Reisigzaunes. »Hast du ein Mädchen hier vorbeigehen sehen«, sagte die Trollhexe. »Nein, ich habe kein Mädchen gesehen«, antwortete der Reisigzaun, und er war so bös, daß es um ihn knisterte und funkte, und dann machte er sich so groß, daß gar nicht daran zu denken war, hinüber zu kommen. Da blieb der Trollhexe nichts anderes übrig, als umzudrehen und wieder heim zu fahren.

Als die Tochter des Mannes so gut heimgekommen war, wurden Stiefschwester und Stiefmutter noch neidischer auf sie als vorher. Noch schöner war sie geworden, ja, es war eine Lust, sie anzusehen. Im Hause wollten sie das schöne Mädchen nicht mehr leiden, und so jagten sie sie in den Schweinestall, dort sollte sie bleiben. Hier wusch und putzte das schöne Mädchen alles sauber und rein und wollte nun ihren Lohn betrachten, und so öffnete sie den kleinen Schrein. Da waren so viel Gold und Silber und viele kostbare Dinge darin, die hingen sich an Wand und Decke, und nun war es im Schweinestall viel feiner als in dem prächtigsten Königsschloß. Als die Stiefmutter das sah, geriet sie rein außer sich und begann zu bohren und zu fragen, wo sie denn im Dienst gewesen sei.

»Das kann man sich ja denken«, sagte die Schöne, »wenn man solch einen Lohn bekommt. Das waren solche Leute, und solch eine Frau, der ich diente, die hat nicht ihresgleichen.«

Da wollte die Tochter der Frau natürlich auch hinunter und dienen, um solch einen Goldschrein zu bekommen. Sie setzten sich also wieder an den Brunnen zum Spinnen. Aber nun sollte die Tochter der Frau Borsten spinnen und die Tochter des Mannes Flachs. Und bei welcher



140 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

der Faden zuerst risse, die müsse in den Brunnen. Es dauerte nicht lang, so riß der Faden bei der Tochter der Frau und so sprang sie in den Brunnen. Es erging ihr genau so. Sie fiel zum Grund und tat sich nichts zuleide. Sie stand auf einer schönen grünen Wiese. Als sie ein Stück gewandert war, kam sie zum Reisigzaun. »Tritt nicht so fest auf mich, so kann ich dir auch einmal helfen«, sagte der Zaun. »Ach, was kümmert mich so ein Zweighaufen«, sagte sie und trampelte schwer darüber hinweg, sodaß es knackte und krachte.

Nach einer Weile kam sie zur Kuh, die da mit prallem Euter einsam graste: »Sei so lieb und melke mich, so werde ich dir einst auch helfen«, sagte die Kuh, »trink so viel du willst, aber leere den Rest über meine Klauen.«Ja, das wollte sie machen. Sie molk die Kuh und dann trank sie soviel sie nur vermochte. Da blieb nichts übrig, was sie über die Klauen der Kuh gießen konnte. Und den Melkeimer schleuderte sie den Hügel hinab.

Als sie wieder ein Stück gewandert war, kam sie zu dem Bock, der die Wolle hinter sich herschleppte. »Ach sei so lieb und schere mich, so kann ich dir auch einmal mit etwas dienen«, sagte der Bock, »nimm von der Wolle so viel du willst, aber den Rest hänge mir um den Hals.« Sie schor den Bock, aber sie ging so unsanft mit ihm um, sie ritzte das Fell und stach Löcher hinein, und die Wolle nahm sie alle mit.

Nach einer Weile kam sie zum Apfelbaum. Der stand gebückt da und trug schwer an seinen Äpfeln. »Sei so lieb und pflücke meine Apfel, daß meine Zweige sich wieder recken können. Ich mag nicht mehr so krumm hier stehen«, sagte der Apfelbaum. »Aber verfahre sorgsam mit mir, daß du mich nicht verdirbst. Iß so viel du willst, aber den Rest häufe zwischen meine Wurzeln, so helfe ich dir auch ein anderes Mal.« Sie pflückte die Apfel, die sie gut erreichen konnte, und schlug mit der Stange die anderen herab, aber ihr war der Baum ganz gleichgültig. Sie riß und schlug ganze Zweige herab und aß und aß, bis sie nicht mehr konnte, und dann warf sie den Rest unter den Baum.

Als sie noch ein Stück gegangen war, kam sie zum Hof, wo die Trollhexe wohnte. Dort bat sie um Dienste, aber das Trollweib wollte keine Magd mehr, denn entweder taugen die Mägde nichts oder sie sind allzuflink, und sie würde um alles betrogen, was sie hätte. Doch die Tochter der Frau ließ nicht locker, sie wollte durchaus der Trollhexe dienen, und schließlich sagte diese: »Gut, ich will dich nehmen und sehen, ob du wohl zu etwas taugst.«

Das erste, was sie zu tun bekam, war, in einem Sieb Wasser zu holen. Ja, sie ging zum Brunnen und füllte Wasser in das Sieb, aber so



141 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

schnell sie es auch füllte, das Wasser rann immer wieder heraus. Da sangen die Vögel:
»Verschmier es mit Lehm
und steck es ins Stroh,
verschmier es mit Lehm
und steck es ins Stroh.«

Aber sie kümmerte sich nicht um den Vogelsang. Sie warf Lehmklumpen nach den Vögeln, so daß sie auf und davon flogen. So mußte sie mit leerem Sieb heimgehen, und Schläge bekam sie vom Trollweib auch dafür.

Nun sollte sie den Stall misten und die Kühe melken. Zwar dünkte sie sich dazu viel zu fein, aber dennoch ging sie zum Stalle. Doch als sie drinnen war, konnte sie die Schaufel nicht heben, die war so groß und schwer. Die Vögel sagten ihr dasselbe, was sie der Tochter des Mannes gesagt hatten, sie solle den Besenstiel nehmen und etwas damit hinaus werfen, so flöge das andere gleich hinterdrein. Aber sie nahm den Besen und warf ihn nach den Vögeln. Als sie nun melken wollte, waren die Kühe so unruhig und stampften und traten. Kaum hatte sie ein paar Tropfen gemolken, so schlugen sie ihr gleich den Eimer zu Boden. Die Vögel sangen:

»Ein wenig Milch
die tu hinaus,
und alle Vöglein
trinken draus.«

Aber sie stieß und schlug die Kühe, warf und schleuderte alles, was ihr in den Weg kam, gegen die Vögel und tobte und war ganz aus dem Gleichgewicht. So hatte sie weder gemistet noch gemolken, und als sie heimkam, erhielt sie von der Trollhexe Schelte und Schläge. Nun sollte sie die schwarze Wolle weiß waschen, aber damit ging es auch nicht besser.

Da wurde es der Trollhexe zu dumm, und sie setzte ihr drei kleine Schreine vor die Tür, einen roten, einen grünen und einen blauen, und sagte, sie könne sie nicht mehr brauchen, sie tauge zu nichts in der Welt. Aber als Lohn könne sie sich trotzdem den Schrein nehmen, den sie wolle. Da sangen die Vögel:

»Dem grünen gar nicht trauen,
den roten nur anschauen,
doch wähle du den blauen.
Wir ritzten mit den Schnäbelein
drei Kreuze in den Deckel ein.«


142 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Sie kümmerte sich nicht um den Vogelsang, sondern nahm den roten Schrein, der stach ihr am meisten in die Augen. Und so machte sie sich auf den Heimweg. Den konnte sie in guter Ruhe vollenden, denn niemand verfolgte sie.

Als sie heimkam, war große Freude bei der Mutter, und sie ging in die große Stube und setzte dort den Schrein nieder, denn sie glaubte nichts anderes, als daß Gold und Silber drin sei, und dachte, Wände und Decke würden bald vergoldet sein. Aber als sie den Schrein öffnete, da wimmelte es nur so von Schlangen und Kröten darin. Und als die Tochter der Frau den Mund auf tat, da war es genau so: es wälzten sich Schlangen und Kröten heraus und alles Häßliche, was man sich nur denken kann. Schließlich war es unmöglich, mit ihr im Haus zu sein. Das war ihr Lohn, den sie von der Trollhexe bekam.


Peik

Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die hatten einen Sohn und eine Tochter, die waren Zwillinge. Sie sahen sich so ähnlich, daß man sie nur durch die Kleidung voneinander unterscheiden konnte. Den Sohn nannten sie Peik. Er war zu wenig nütze, solange die Eltern lebten, denn er hatte keinen anderen Gedanken im Kopf, als die Menschen zum Narren zu halten. Er war so voller Possen und Streiche, daß er niemanden in Frieden ließ. Als die Eltern tot waren, wurde es schlimmer und schlimmer. Er wollte nichts tun, verbrauchte nur das, was die Eltern hinterlassen hatten und bekam mit allen Streit. Die Schwester schaffte und arbeitete und schaffte so viel sie nur konnte, aber es reichte nicht aus. Sie sagte ihm, wie dumm und falsch das sei, daß er gar nichts Nützliches tun wolle und fragte ihn: »Wovon sollen wir leben, wenn du alles verbraucht haben wirst?«

»Dann will ich hinaus in die Welt und die Leute für Narren halten«, sagte Peik.

»Auf dich werden sie gerade warten«, sagte die Schwester.

»Ich versuch es einmal«, sagte Peik.

Als alles verzehrt war, verließ Peik den Hof. Er ging und ging, bis er zum Königshof kam. Dort stand der König in der Galerie, und als er den Jungen erblickte, sagte er zu ihm:

»Wo willst du heute hin, Peik?«



143 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

»Ach, ich muß weiter und sehen, ob ich einen zum Narren halten kann.«

»Kannst du mich nicht narren?« sagte der König.

»Nein, das kann ich noch nicht, denn ich ließ mein Narrenstöckchen zu Haus«, sagte Peik.

»Kannst du es nicht holen«, sagte der König. »Ich hätte Lust zu sehen, ob du wirklich solch ein Narrenfant bist, wie das Volk es erzählt.«

»Ich kann nicht gehen«, sagte Peik.

»Ich will dir Pferd und Sattel leihen«, sagte der König.

»Ich kann auch nicht reiten«, sagte Peik.

»Wir werden dich hinaufheben«, sagte der König, »und oben bleiben wirst du ja wohl können.«

Ja, Peik kratzte und schabte sich am Kopf, als ob er sich seinen Schopf abreißen wollte, ließ sich dann aber hinaufheben. Da saß er oben und schlingerte hin und her, und der König lachte, daß ihm die Tränen kamen, denn solch einen Ritter zu Pferde hatte er noch nie gesehen. Aber als Peik in den Wald hinter den Hügel kam, wo der König ihn nicht länger sehen konnte, saß er wie angenagelt und ritt davon, als ob er Gaul und Halfter gestohlen hätte. Und als er zur Stadt kam, verkaufte er beides, Pferd und Sattel.

Der König ging indessen auf und ab und wartete, daß Peik zurück kommen sollte, auf seinem Pferd schlingernd und rutschend, mit dem Narrenstöckchen. Er lachte, wenn er daran dachte, wie jämmerlich er aussah, als er auf dem Pferd saß und schaukelte wie ein Heusack, der nicht wußte, nach welcher Seite er herunterfallen sollte. Aber er wartete lang und kein Peik kam. So schien es dem König schließlich, daß er um Pferd und Sattel genarrt und betrogen sei, obgleich Peik sein Narrenstöcklein nicht bei sich gehabt hatte, - und jetzt pfiff es beim König mit einem anderen Ton: er wurde böse und machte sich sofort auf den Weg, um ihm das Leben zu nehmen. Aber Peik hatte den Tag erfahren, an dem er kommen würde, und er sagte zu seiner Schwester, sie solle einen Topf aufsetzen mit ein paar Tropfen Wasser darin. Zur selben Zeit, als der König kam, riß Peik den Topf vom Feuer - und hinüber auf den Hackklotz mit ihm, und kochte Grütze auf dem Hackklotz.

Der König besah sich das und war dermaßen erstaunt darüber, daß er vergaß, warum er gekommen war.

»Was willst du für den Topf haben«, fragte er.

»Ich kann den Topf nicht entbehren«, sagte Peik.

»Warum kannst du das nicht?« sagte der König, »du sollst dafür haben, was recht und billig ist.«



144 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

»Der Topf spart mir Mühe und Geld, Holzsorgen und Hacklohn, Fahren und Fällen«, sagte Peik.

»Das ist ganz gleich, ich werde dir hundert Taler geben«, sagte der König. »Du hast mich genarrt mit Pferd, Sattel und Zaumzeug, indem du sie verkauft hast. Aber es soll dir vergeben sein, wenn ich den Topf bekomme.«

»Gut, so sollst du ihn haben«, sagte Peik.

Als der König nach Hause kam, lud er Gäste ein und bereitete ein Gastmahl vor. Aber das Essen sollte in dem neuen Topf gekocht werden. Er nahm den Topf und setzte ihn auf den Boden. Die Gäste glaubten, der König sei nicht mehr richtig vernünftig, gingen hin und her, stießen einander an und lachten über ihn. Der König ging um den Topf herum, gackerte und sagte immerzu: »Ja, ja, wart nur ein wenig, ja, ja, wart nur ein wenig, dann kocht er schnell.« Aber es kochte nichts. So dämmerte es ihm, daß Peik draußen war mit seinem Narrenstöckchen und ihn überlistet hatte. Sofort wollte er hinaus und ihn erschlagen.

Als der König kam, stand Peik draußen beim Heustall. »Will es nicht kochen?«fragte er.

»Nein, es will nicht«, sagte der König, »aber nun soll es dir vergolten werden« - und er wollte mit dem Messer auf ihn los.

»Das will ich dir gern glauben, denn du hast nicht den Hackklotz genommen.«

»Soll ich dir glauben, wo du fortfährst zu lügen«, sagte der König.

»Das ist der Hackklotz, auf den es ankommt. Ohne ihn kocht es nicht«, sagte Peik.

»Was willst du dafür haben?«fragte der König.

»Dreihundert Taler ist er gut wert, aber meinetwegen kannst du ihn für zwei haben«, sagte Peik.

So bekam der König den Hackklotz und zog mit ihm ab. Er bat Gäste zu sich und bereitete ein Gastmahl vor. Er setzte Topf und Hackklotz mitten in die Stube. Die Gäste glaubten, daß er toll und albern sei, und gingen nur hin, um sich über ihn lustig zu machen. Er gackerte um den Topf herum: »Wart ein wenig, dann kocht er, wart ein wenig, dann kocht er bald«. Aber er kochte ebensowenig auf dem Hackklotz wie auf dem bloßen Fußboden. So schien es ihm, daß auch diesmal Peik mit seinem Narrenstöckchen draußen war. Er raufte sein Haar und wollte sofort hinaus, ihn töten. Aber diesmal wollte er ihm nicht verzeihen, es gehe wie es wolle.

Doch Peik hatte sich gut vorbereitet, wie er ihn empfangen wolle.



145 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Er schlachtete einen Widder, füllte etwas Blut in eine Tierhaut und packte es seiner Schwester in den Busen, und er sagte ihr vor, was sie später sagen sollte.

»Wo ist Peik«? schrie der König. Er war so wütend, daß ihm der Schaum vorm Mund stand.

»Er ist so schwach und elend, daß er sich nicht zu rühren vermag«, sagte sie, »er sollte eben versuchen, ein Schläfchen zu machen«.

»Du mußt ihn wecken«, sagte der König.

Nein, das getraue sie sich nicht, denn er sei so hastig.

»Ja, ich bin wohl noch hastiger«, sagte der König, »und wenn du ihn nicht weckst, so werde ich. . .« sagte er und griff an die Seite, wo sein Messer war.

Nein, so würde sie ihn wecken. Aber Peik wandte sich im Bett zornig um, zog ein kleines Messer heraus und ritzte ihr die Tierhaut, sodaß die Blutspritzer nur so aus ihrem Busen drangen. Dann fiel sie nieder auf den Fußboden, als ob sie tot wäre.

»Was für ein Teufel du bist, Peik«, rief der König, »hast du doch deine Schwester erstochen, obwohl der König selbst dabeisteht und es sieht!«

»Das ist nicht so gefährlich mit der Leiche, so lang noch Odem aus meiner Nase strömt«, sagte Peik und holte ein Widderhorn hervor. Auf dem begann er zu tuten. Und als er ein Brautlied getutet hatte, setzte er das Horn bei ihr an und blies wieder Leben in sie hinein.

»Bewahre mich vor dir, Peik. Kannst du jemanden erschlagen und dann wieder Leben in ihn hineinblasen?« sagte der König.

»Ja, was soll ich denn anderes machen«, sagte Peik. »Manchmal erschlage ich einen, der mir zu nahe kommt, denn ich bin so hastig, siehst du.«

»Ja, ich bin auch so hastig«, sagte der König, »deshalb muß ich das Horn haben. Ich werde dir hundert Taler dafür geben, und dir soll verziehen sein, daß du mich mit dem Pferd genarrt hast, und daß du mich mit dem Topf und dem Hackklotz hereingelegt hast und der ganzen Geschichte.«

Peik wäre es schmerzlich, sich von dem Horn zu trennen, aber weil es der König sei, so solle er es schon nehmen. Und so bekam es der König und ritt nach Hause, so schnell er konnte. Kaum war er daheim angekommen, so wollte er es auch sogleich ausprobieren. Er begann zu streiten und zu zanken mit der Königin und seiner ältesten Tochter, aber sie stritten auch und sagten ihm Bescheid, und ehe sie noch wußten, was geschah, zog er das Messer heraus, und mit einigen Stichen



146 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

sandte er sie ins Schattenreich, und die anderen flohen aus dem Zimmer, solche Angst hatten sie.

Der König ging eine Weile hin und her und sprach, das sei nicht so gefährlich mit der Leiche, so lang noch Odem in ihm sei, und all das andere Zeug, was er aus dem Munde Peiks vernommen hatte. Dann kam er mit dem Horn und begann zu tuten und zu blasen, aber so viel er blies und tutete und sich mühte, an diesem Tage und am nächsten Tage, er konnte nicht wieder Leben hineinblasen, sie waren tot und sie blieben tot, Königin und Tochter. Er mußte die Kosten für die Bestattung und obendrein noch viel Bier für den Leichenschmaus bezahlen.

Dann wollte er wieder zu Peik und ihm das Leben nehmen.

Aber Peik hatte heimlich spioniert, er wußte, daß der König kam und sagte zu seiner Schwester: »Nun wirst du mit mir die Kleider tauschen und dann deiner Wege gehen, so kannst du alles haben und nehmen, was wir besitzen.« Also gut, sie tauschte die Kleider mit ihm, packte zusammen und verließ den Hof so schnell sie konnte. Und Peik blieb zurück, allein, in Mädchenkleidern.

»Wo ist Peik«, schrie der König. Er kam ganz bös und barsch zur Tür herein.

»Er ist seiner Wege gegangen«, sagte derjenige, der in den Kleidern seiner Schwester da saß.

»Wäre er jetzt zu Hause gewesen, so hätte ich ihn erschlagen. Es lohnt sich nicht, das Leben einer solchen Krähe zu schonen«, sagte der König.

»Er hatte heimlich spioniert und wußte, daß der König kommen und ihm das Leben nehmen wollte für all seine Narrenstreiche, die er mit ihm getrieben hatte. Aber mich ließ er hier allein zurück, ohne Nahrung, ohne Geld«, sagte Peik und benahm sich zart und fein wie ein Mädchen.

»Komm mit zum Königshof, so sollst du es gut haben. Es hat keinen Wert, hier allein zu sitzen und zu verhungern«, sagte der König.

Ja, das wolle er gerne. Und so nahm der König ihn mit sich. Er ließ ihn alles mögliche lernen und hielt ihn wie seine eigenen beiden Töchter. So hatte also der König wiederum drei Töchter, denn der Peik-Knabe nähte und säumte und lachte und spielte mit den Königstöchtern und war früh und spät mit ihnen zusammen.

Als eine Zeit vergangen war, kam ein Königssohn als Freier zu ihnen.

»Ja, ich habe drei Töchter«, sagte der König, »es steht bei dir, welche du haben willst.«

Er bekam die Erlaubnis, in die Nähstube nach oben zu gehen und mit ihnen zu plaudern und sie kennen zu lernen. Ja, am besten gefiel ihm



147 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Peik und er warf ihm ein Seidenkleid in den Schoß. Nun begann ein großes Backen und Braten zur Hochzeit und nach einer Weile kamen auch die Verwandten des Prinzen und die Verwandten des Königs. Sie begannen zu feiern und Hochzeitsbier zu trinken. Aber als es am ersten Hochzeitstag auf den Abend zuging, getraute sich Peik nicht mehr länger zu bleiben. Er verließ den Königshof und suchte das Weite, sodaß die Braut nicht mehr zu finden war. Aber das Schlimme war, den beiden Königstöchtern wurde es wund und weh und flugs kamen zwei kleine Prinzen zur Welt. So mußten die Gäste wieder heimreisen mitten im besten Spielen und Hochzeitfeiern.

Der König sorgte sich und war traurig und wunderte sich, wie das alles zusammenhing. Er bestieg sein Pferd und ritt hinaus, denn es war zu ungemütlich, zu Hause zu bleiben. Als er aber aufs Feld hinauskam, saß Peik auf einem Stein und spielte Mundharfe.

»Du sitzt hier, Peik«, sagte der König.

»Ja, gewiß sitze ich hier, wo soll ich denn sonst sitzen«, sagte Peik.

»Nun hast du mich Mal für Mal so grob genarrt«, sagte der König, »nun mußt du mit mir heimkommen, daß ich dich umbringen kann.«

»Ja, das ist schon so«, sagte Peik, »wenn es denn keinen anderen Ausweg gibt, so muß ich wohl mitkommen«.

Als sie auf dem Königshof waren, wurde eine Tonne hergerichtet, in die Peik eingesperrt werden sollte. Als alles fertig war, fuhr man ihn auf einen hohen Berg. Dort sollte er drei Tage lang liegen und darüber nachdenken, was er alles angestellt hatte. Dann sollte er in den Fjord gerollt werden.

Am dritten Tage kam ein reicher Mann vorbei, und Peik saß in der Tonne und sang:

»Zum Himmelreich und Paradies, da soll ich fahren,
Doch will ich nicht, doch will ich nicht zu Engelscharen.«

Als der Mann das hörte, fragte er, was er ihm geben müsse, um an seine Stelle zu kommen.

»Das wird wohl viel sein«, meinte Peik, »denn eine Beförderung ins Himmelreich kann man nicht alle Tage haben.«

Der Mann wollte ihm all seinen Besitz geben, und so schlug er den Boden heraus und kroch in die Tonne an Stelle von Peik.

Als der König kam, um die Tonne in den Fjord zu stoßen, sagte er: »Glück auf die Reise!« Er glaubte, das sei Peik, der da drin war. »Nun rollst du schneller zum Fjord, als in einem Rentierschlitten, und nun ist es aus mit dir und mit deinen Narrenstreichen.« Noch ehe die Tonne halbwegs den Berg hinabrollte, war kein Stab noch Stumpf



148 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

mehr heil an ihr, von dem ganz zu schweigen, der darinnen war. -Als der König heim zum Königshof kam, war Peik vor ihm da, saß auf dem Platze vor der Haustür und spielte Mundharfe.

»Sitzt du da!« sagte der König.

»Ja gewiß sitze ich da, wo soll ich denn sonst sitzen«, sagte Peik. »Kann ich wohl ein Haus hier mieten, für all meine Pferde, für all mein Vieh und für all mein Geld?«

»Wohin wälzte ich dich denn, daß du all diese Reichtümer bekamst?« fragte der König.

»Ach, du rolltest mich zum Fjord«, sagte Peik, »und als ich am Grunde angekommen war, lag alles reichlich da: Pferde und Vieh, Gold und Gut, das ging in Herden und lag in Haufen so groß wie ein Haus.«

»Was willst du haben, wenn du mich denselben Weg rollst?«fragte der König.

»Ach, das kostet nichts mehr«, sagte Peik, »du nimmst nichts von mir, so will ich auch nichts mehr von dir haben.«

Also stopfte er den König in eine Tonne und rollte ihn hinab. Als er ihm freie Fahrt die Berge hinunter gegeben hatte, reiste er heim zu den Königstöchtern. Seitdem regierte er Land und Reich, aber sein Narrenstöckchen verwahrte er, er verbarg es gut, denn man hörte nie mehr etwas von dem Peik-Knaben, sondern nur von dem König selbst.


Zottelhaube

Es waren einmal ein König und eine Königin, die kein Kind bekam, und darüber wurde die Königin so traurig, daß sie keine frohe Stunde mehr hatte. Immer wieder klagte sie, denn es war so öde und still am Königshof. »Hätten wir nur Kinder, so würde genug Leben hier sein«, sagte sie. Wohin sie auch reiste in ihrem ganzen Königreich, so fand sie doch überall eine gottgesegnete Kinderschar, selbst in den ärmsten Hütten. Schließlich nahmen König und Königin ein fremdes kleines Mädchen zu sich, die wollten sie am Königshof aufziehen, wie ihr eigenes Kind.

Eines Tages sprang das kleine Jungfräulein, welches sie zu sich genommen hatten, hinunter in den Hof vorm Schloß und spielte mit einem Goldapfel. Da wanderte ein armes Weib vorbei, die hatte auch



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ein kleines Mädchen bei sich, und es dauerte nicht lange, so waren die beiden Mädchen gute Freunde. Sie spielten zusammen und warfen sich den Goldapfel zu.

Das sah die Königin vom Fenster des Schlosses aus. Sie klopfte an die Scheibe, daß die Pflegetochter heraufkommen sollte. Sie kam auch, aber das arme Mädchen kam mit ihr. Und als sie in den Saal zur Königin traten, hielten sie sich an den Händen. Sie schalt das kleine Jungfräulein: »Das paßt sich nicht für dich, zu springen und zu spielen mit einem zerlumpten Bettelkind«, sagte sie und wollte das Mädchen fortjagen.

»Wenn die Königin wüßte, was meine Mutter kann, so würde sie mich nicht wegjagen«, sagte das arme Mädchen. Und als die Königin sie weiter ausfragte, erzählte sie, daß ihre Mutter wüßte, wie die Königin ein Kind bekommen könnte. Das wollte die Königin zuerst nicht glauben, aber das Mädchen blieb dabei, jedes Wort sei wahr, sie solle nur die Mutter kommen lassen. Die Königin schickte das arme Mädchen, um ihre Mutter herauf zu holen.

»Weißt du, was deine Tochter von dir erzählt?«fragte die Königin. Nein, das wußte das Bettelweib nicht.

»Sie sagte, du wüßtest, wie ich ein Kind bekommen könnte«, sagte die Königin.

»Es paßt sich nicht für eine Königin, darauf zu hören, was ein Bettelkind sagt«, erwiderte das alte Weib und schlich wieder hinaus. Die Königin wurde böse und wollte das arme Mädchen wieder wegjagen, aber sie blieb dabei, alles sei wahr, was sie gesagt habe.

»Die Königin soll ihr nur so lang etwas einschenken, bis sie lustig wird, so wird sie ihr schon einen Rat geben«, sagte das kleine Mädchen. Das wollte die Königin versuchen. Das Bettelweib wurde noch einmal heraufgeholt, es wurde ihr Wein und Met eingeschenkt, so viel sie wollte, und es dauerte nicht lange, so löste sich ihre Zunge. Da kam die Königin wieder mit ihrer Frage.

»Einen Rat könnte ich dir geben«, sagte das Bettelweib. »Die Königin soll am Abend, ehe sie sich zur Ruhe legt, zwei Wannen mit Wasser sich herauftragen lassen. Darin soll sie sich waschen und dann die Wannen unters Bett schieben. Wenn sie dann am Morgen hineinschaut, werden zwei Blumen darin gewachsen sein, die eine schön, die andere häßlich. Die schöne soll sie essen, die häßliche soll sie stehen lassen. Aber vergiß das letzte nicht«, sagte das Bettelweib.

Ja, die Königin tat, was ihr das Weib geraten hatte. Sie ließ Wasser herauftragen in zwei Wannen, wusch sich im Wasser und schob sie unters



150 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

Bett, und als sie am Morgen nachsah, standen zwei Blumen dort. Die eine war häßlich und garstig und hatte schwarze Blätter. Die andere war so licht und schön, wie sie bisher nie ihresgleichen gesehen hatte. Und die verspeiste sie sofort. Aber die schöne Blume schmeckte so gut, daß sie sich nicht beherrschen konnte, sie verspeiste die andere auch. »Das wird wohl nichts zu bedeuten haben«, dachte sie.

Nach einiger Zeit kam die Königin ins Kindbett. Zuerst gebar sie ein Mädchen, das hatte einen Kochlöffel in der Hand und ritt auf einem Geißbock. Häßlich und garstig war sie, und sowie sie zur Welt kam, rief sie: »Mutter!«

»Bin ich deine Mutter, so soll Gott mich trösten«, sagte die Königin. »Mach dir keine Sorgen, gleich nach mir kommt eine, die schöner ist«, sagte sie, die auf dem Bock ritt.

Wenig später bekam die Königin noch ein Mädchen, das war so schön und freundlich, niemand hatte je ein schöneres Kind gesehen. Und man kann sich denken, in das war die Königin ganz verliebt.

Die älteste nannte sie Zottelhaube, denn sie war häßlich und armselig und hatte eine Haube, die ihr in Fetzen und Zotteln ums Haupt hing. Die wollte die Königin nur ungern sehen, und die Kinderfrau versuchte, sie in ein anderes Zimmer zu sperren, aber das half nichts. Die Jüngste wollte immer bei ihr sein und niemand konnte die beiden voneinander trennen.

Als die beiden Mädchen halberwachsen waren, da tobte an einem Weihnachtsabend ein fürchterlicher Lärm und ein Getöse in der Galerie vor dem Zimmer der Königin. Zottelhaube fragte, was das sei, das so trampelte und rumpelte draußen in der Galerie. »Ach, das ist gar nicht wert, daß man danach fragt«, antwortete die Königin. Aber Zottelhaube gab sich nicht damit zufrieden. Sie wolle endlich Klarheit darüber haben. Und so erzählte die Königin, das seien die alten Trollweiber, die ihren Jultanz hätten da draußen. Zottelhaube sagte, sie wolle hinaus und sie wegjagen, und obgleich alle baten, sie solle das sein lassen, so half das doch nichts: sie wolle und müsse hinaus und die Trollweiber wegjagen. Aber sie bat die Königin, sie solle alle Türen verschlossen halten, daß ja niemand hinausschauen könne.

Also gut, sie sprang mit dem Kochlöffel hinaus, die Trollweiber zu verjagen und wegzufegen. Da gab es draußen auf der Galerie einen Krach, wie sie noch niemals einen gehört hatten. Es krachte und brach in allen Balken. Niemand weiß, wie es geschehen konnte, aber die eine Tür war nur angelehnt, und da wollte die Schwester hinauslugen und sehen, was mit Zottelhaube geschah, und sie steckte den Kopf heraus



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aus der Türspalte. Hui, da kam ein Trollweib, nahm ihren Kopf weg und stülpte ihr statt dessen einen Kalbskopf auf. Sofort neigte sich die Prinzessin zum Erdboden und muhte. Als Zottelhaube wieder hereinkam und die Schwester so sah, schimpfte sie und war böse, daß sie nicht besser auf sie acht gegeben hätten, und fragte, ob das nun vielleicht besser sei, daß die Schwester ein halbes Kalb sei.

»Aber ich werde sie erlösen«, sagte sie.

Sie erbat sich vom König ein gut ausgerüstetes Schiff, aber weder Steuermann noch Mannschaft wolle sie mithaben, sie wolle allein mit der Schwester davonsegeln. Und schließlich mußten sie ihr den Wunsch erfüllen.

Zottelhaube segelte fort und steuerte das Land an, wo die Trollweiber wohnten. Und als sie zur Landungsbrücke kamen, sagte sie zur Schwester, sie solle im Schiff bleiben und sich dort ganz still verhalten. Aber sie selbst, Zottelhaube, ritt auf dem Bock hinauf zum Trollschloß. Als sie hinaufkam, fand sie das eine Saalfenster offen, und da sah sie das Haupt der Schwester in der Fensterbank stehen. So ritt sie in vollem Galopp in die Galerie, riß das Haupt an sich und galoppierte mit ihm davon. Die Trollweiber kamen hinter ihr her und wollten ihr das Haupt wieder entreißen. Sie waren ihr so dicht auf den Fersen, daß sie sprühten und bissen, aber der Bock stieß und puffte sie mit den Hörnern, und Zottelhaube schlug und klapste sie mit dem Kochlöffel. Da mußte die Trollweiberschar es aufgeben.

Zottelhaube kam wieder hinunter zum Schiff, nahm der Schwester den Kalbskopf ab und setzte ihr das eigene Haupt wieder an die Stelle. So wurde die Schwester wieder zum Menschen wie zuvor und sie segelten weit weit weg zu einem fremden Königreiche.

Der König dieses Reiches war Witwer und hatte nur einen einzigen Sohn. Als er das fremde Schiff erblickte, sandte er Boten zum Strand nieder, um zu erfahren, woher es kam und wem es gehöre. Aber als die Leute des Königs hinabkamen, sahen sie auf dem Schiff keine lebende Seele sonst außer Zottelhaube. Sie ritt auf ihrem Bock auf Deck herum, vor und zurück, sodaß die Haarzotteln ihr ums Gesicht flogen. Die Königsleute waren ganz verstört durch diesen Anblick und fragten, ob nicht noch einige andere mit an Bord seien. »Oho, ich habe eine Schwester mit mir«, sagte Zottelhaube. Die Diener des Königs wollten sie sehen, aber Zottelhaube sagte: »Nein, die bekommt niemand zu sehen, nur der König, wenn er selbst kommt«, und ritt auf Deck herum, daß es nur so donnerte unter den Hufen des Bockes.

Als die Diener zurück zum Königshof kamen und erzählten, was sie



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gesehen und gehört hatten, machte sich der König sofort selbst auf den Weg, um die zu sehen, die auf dem Bock ritt.

Da er wirklich selbst kam, führte Zottelhaube die Schwester heraus, und sie war so schön und freundlich, daß der König sogleich ganz verliebt in sie war. Er nahm sie beide mit sich aufs Schloß und wollte die Schwester als Königin haben. Aber Zottelhaube antwortete nein. Der König könne sie nur unter einer Bedingung bekommen, wenn der Königssohn Zottelhaube heiraten wolle. Das kann man sich denken, daß der Königssohn sie nicht haben wollte, so häßlich und zottig wie sie war. Aber der König sprach so lange auf ihn ein, und alle im Königsschlosse baten ihn, daß er sich endlich drein fügte und versprach, Zottelhaube als Königin zu nehmen. Aber er war sehr traurig.

Die Hochzeit wurde vorbereitet, es wurde gebacken und gebraut, und als alles fertig war, sollten sie zur Kirche. Aber dem Prinzen schien es der schwerste Kirchweg zu sein, den er in seinem ganzen Leben gemacht hatte. Voran fuhr der König mit seiner Braut. Sie war so schön und so prächtig, daß alle Leute stehen blieben und ihr nachschauten, so lang sie konnten. Dann kam der Prinz, er ritt zur Seite von Zottelhaube, sie trabte dahin auf dem Geißbock und hielt den Kochlöffel in der Faust. Der Prinz sah leichenblaß aus, als ob er zu einem Begräbnis ritte und nicht zu seinem eigenen Brautzug. Er sprach kein einziges Wort und sah sehr traurig aus.

»Warum sprichst du nichts«, sagte Zottelhaube, als sie ein Stück geritten waren.

»Worüber soll ich sprechen«, antwortete der Königssohn.

»Du kannst ja fragen, warum ich auf diesem häßlichen Bock reite«, sagte Zottelhaube.

»Warum reitest du auf dem häßlichen Bock«, fragte der Königssohn.

»Ist das ein häßlicher Bock? Das ist das prächtigste Pferd, auf dem je eine Braut geritten ist«, antwortete Zottelhaube. Und dabei verwandelte sich der Bock in ein Pferd, und zwar in das stattlichste und schönste, das der Königssohn je gesehen hatte.

So ritten sie wieder ein Stück, aber der Prinz war bedrückt und konnte kein Wort hervorbringen. Da fragte Zottelhaube wieder, warum er nichts sage. Aber der Prinz sagte wieder, daß er nicht wüßte, wovon er sprechen solle. Zottelhaube sagte: »Du kannst ja fragen, warum ich mit dem häßlichen Kochlöffel in der Faust reite.«

»Warum reitest du mit dem häßlichen Kochlöffel in der Faust?« fragte der Königssohn.

»Ist das ein häßlicher Löffel? Das ist der feinste Silberfächer, den



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je eine Braut in der Hand gehabt hat«, sagte Zottelhaube, und damit wurde der Löffel zu einem Silberfächer, so blank wie ein Spiegel. So ritten sie wieder ein Stück, der Königssohn war traurig und sagte kein Wort.

Wenig später fragte Zottelhaube wieder, warum er nicht spräche, und diesmal sagte sie, er solle fragen, warum sie diese greuliche Zottelhaube am Kopf hätte.

»Warum hast du die häßliche, greuliche Zottelhaube am Kopfe?« fragte der Königssohn.

»Ist das eine häßliche Zottelhaube? Das ist ja die blankeste Goldkrone, die je eine Braut tragen wird«, antwortete sie und im selben Augenblick war es auch so.

Nun ritten sie wieder ein langes Stück und der Prinz war traurig und saß ohne Sprache und Stimme wie vorher. Da fragte seine Braut wieder, warum er nicht spreche, und bat ihn zu fragen, warum sie ein so graues und häßliches Gesicht hätte.

»Ja, warum hast du ein so graues und häßliches Gesicht?« fragte der Königssohn.

»Bin ich häßlich? Dir erscheint meine Schwester schön, aber ich bin ja zehnmal schöner«, sagte die Braut, und als der Königssohn zu ihr hinüber schaute, da war sie so schön, daß es ihm schien, in der ganzen Welt gäbe es keine schönere Jungfrau. Da kannst du dir wohl denken, daß dem Prinzen der Mund auftaute und er nicht länger mehr mit hängendem Kopf neben ihr her ritt.

Sie feierten Hochzeit, gut und lange, und dann reisten sie beide, der König und der Prinz, jeder mit seiner Frau zum Vater der Königstöchter. Und dort wurde noch einmal Hochzeit gefeiert, so daß es kein Ende nehmen wollte. Wenn du dich beeilst, zum Königshof zu kommen, so ist vielleicht noch ein Tropfen Hochzeitsbier für dich übrig geblieben.


Der siebente Vater im Haus

Es war einmal ein Mann, der war unterwegs auf einer Wanderung. Nach langer Zeit kam er zu einem großen und schönen Bauernhof. Es war ein so prächtiger Herrenhof, daß er beinah aussah wie ein Schloß. »Hier werde ich bleiben und mich ausruhen«, sagte er zu sich selbst, als



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er durch das Hoftor trat. Dicht dabei stand ein alter Mann mit grauem Haar und grauem Bart und hackte Holz. »Guten Abend, Vater«, sagte der Wandersmann, »könnt ihr mich wohl über Nacht behalten?« »Ich bin nicht der Vater im Hause«, sagte der Alte, »geh in die Küche hinein und sprich mit meinem Vater.«

Der Wandersmann ging in die Küche hinein. Dort traf er einen Alten mit schlohweißem Haar und Bart, der kniete vor dem Herd und blies das Feuer an. »Guten Abend, Vater«, redete der Mann ihn an, »könnt ihr mich heut Nacht wohl beherbergen?« - »Ich bin nicht der Vater im Hause«, erwiderte der Alte, »aber geh in die Stube und frage meinen Vater, der sitzt dort am Tisch!« Der Mann ging hinein und fragte den Greis, der dort am Tische saß und in einem großen Buche las. »Guten Abend, Vater, könnte ich wohl bei euch übernachten?« - »Ich bin nicht der Vater im Hause. Geh und sprich mit meinem Vater, der dort im Lehnstuhl sitzt.« - Da saß wahrhaftig ein noch kleineres Männchen, das war ganz bucklig und verschrumpelt und runzlig wie eine getrocknete Birne. Er war gerade dabei, eine Pfeife zu stopfen, aber seine Hände zitterten so, daß er sie kaum halten konnte. »Guten Abend, Vater«, sagte der Wandersmann wieder, »könnt ihr mich heute Nacht beherbergen?« - »Da mußt du meinen Vater fragen«, entgegnete das Männchen, »denn ich bin nicht der Vater im Hause. Geh hinüber zum Bett, da liegt er!« Als der Wanderer sich übers Bett beugte, lag da ein uraltes Männchen, das war ganz kahl und seine Haut schien völlig vertrocknet, und nichts schien lebend an ihm als ein paar große Augen. »Guten Abend, Vater, könnt ihr mich wohl über Nacht behalten?« - »Ich bin nicht der Vater im Hause«, hauchte der mit den großen Augen, »aber geh und sprich mit meinem Vater, der dort in der Wiege liegt!« Ja, der Mann ging hin zur Wiege, da lag ein uraltes Männchen drin, das war so zusammengeschrumpft, daß es nicht größer war als ein neugeborenes Kind. »Guten Abend, Vater!« sagte der Mann, dem allmählich bange wurde, denn an dem Kleinen war kaum ein Lebenszeichen zu bemerken. »Wollt ihr mir eine Unterkunft geben zur Nacht?« Kaum verständlich murmelte der uralte Greis: »Ich bin nicht der Herr im Hause, sprich mit meinem Vater, der hängt dort im Horn an der Wand.« Der Mann suchte an den Wänden entlang, endlich entdeckte er das Horn. Was aber darin lag, war nicht mehr als eine Hülse, die einem Menschenantlitz glich. Da bekam es der Mann mit der Angst zu tun und schrie: »Guten Abend, Vater, kann ich bei euch übernachten?« Da zirpte es in dem Horn wie eine kleine Meise: »Ja, mein Kind!« Da atmete der Mann erleichtert auf, aber der Alte im Horn wollte erst



155 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

noch wissen, woher er komme und wo er zu Hause sei. »Von Selgjord«, antwortete der Mann. »Laß mich sehen«, piepste der Mann im Horn, »ob die Männer dort noch so stark sind wie in alten Tagen. Reich mir deine Hand und laß mich fühlen, ob du noch Mark in den Knochen hast!« Der Mann streckte die Hand aus, da gab ihm der am Tisch ein Zeichen, er solle statt seiner Hand dem Alten eine Eisenstange reichen, die dort in der Ecke stand. Er tat es. Da preßte der Alte die Stange so fest zusammen, daß Wasser daraus tropfte. »Ich sehe, du hast noch Mark in den Fingern«, sagte er, »und doch ist es nichts als Schafsmilch im Vergleich zur Stärke deiner Landsleute in alten Zeiten!« Und er erzählte dem Mann, er heiße Skaane und habe einst die Kirche in Selgjord für den heiligen Olaf gebaut. Aber die leidige »Schellkuh«, so nannte er die Glocke, die dann in die Kirche kam, habe ihn vertrieben. »Aber nun setz dich«, sagte er, »iß und trink und ruh dich aus!«

Da kam ein Tisch in die Stube gefahren, der war mit den köstlichsten Gerichten gedeckt, und Met, Bier und Branntwein dabei. Und als er gegessen und getrunken hatte, kam ein Bett herein mit Renntierfellen, da war der müde Mann glücklich und schlief.

Als er am anderen Morgen vors Hoftor kam, fand er sein Pferd dort angebunden. Er stieg auf, aber als er ein Stück weit geritten war und sich umschaute, war der prächtige Hof verschwunden. Da begriff der Mann, daß er bei Trollen zu Gast gewesen war, und ritt schnell und eilte, daß er nach Hause kam.


Die Mühle, die auf dem Grunde des Meeres steht und mahlt

Es waren einmal in alten, alten Zeiten zwei Brüder. Der eine war reich, der andere war arm. Als der Weihnachtsabend kam, hatte der Arme nichts zu essen mehr im Haus, weder Speck noch Brot, und deshalb ging er zu seinem Bruder und bat ihn um ein wenig Weihnachtsessen, in Gottes Namen. Es war wohl nicht das erste Mal, daß der Bruder ihm etwas geben mußte; aber nun wurde es ihm zuviel und nun mochte er ihn nicht mehr leiden.

»Willst du das tun, worum ich dich bitte, so sollst du einen ganzen Schinken haben«, sagte er. Das versprach der Arme sofort und bedankte sich.



156 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

»Da hast du ihn. Fahre damit geradeaus in die Hölle!« sagte der Reiche und warf ihm den Schinken zu.

»Ja, was ich versprochen habe, werde ich halten«, sagte der andere, er nahm den Schinken und ging davon. Er ging und ging den ganzen Tag, und in der Dämmerung kam er an eine Stelle, die prächtig leuchtete. Du wirst sehen, hier ist sie, dachte der Mann mit dem Schinken. Draußen beim Holzplatz stand ein alter Mann mit einem langen weißen Bart und hackte Weihnachtsholz. »Guten Abend!« sagte der Mann mit dem Schinken.

»Gleichfalls guten Abend! Wo willst du hin so spät?« sagte der Mann. »Ich soll zur Hölle. Bin ich hier wohl auf dem rechten Weg?« antwortete der arme Mann.

»Ja, du bist ganz richtig gegangen, die ist hier«, sagte der andere. »Sobald du eingetreten bist, werden sie alle deinen Schinken kaufen wollen, denn Fleisch ist seltene Kost in der Hölle; aber du darfst ihn nur verkaufen, wenn du dafür die Handmühle bekommst, die hinter der Tür steht. Wenn du wieder herauskommst, werde ich dich lehren, sie anzuhalten, das wird nötig sein.«

Ja, der mit dem Schinken dankte für die guten Ratschläge und klopfte beim Teufel an. Als er hineinkam, ging es genauso, wie der alte Mann gesagt hatte. Alle großen und kleinen Teufel umringten ihn wie Ameisen oder Würmer und überboten sich für den Schinken.

»Eigentlich sollten meine Frau und ich ihn zum Weihnachtsschmaus haben, aber wenn ihr so erpicht auf ihn seid, so will ich ihn euch überlassen«, sagte der Mann, »aber wenn ich ihn verkaufe, so will ich dafür die Handmühle haben, die hinter der Tür steht.« Die wollte der Teufel ungern entbehren und feilschte und handelte, aber der Mann blieb fest und so mußte der Teufel sie hergeben.

Als der Mann wieder heraus kam, fragte er den alten Holzhacker, wie er die Mühle anhalten könne, und als er es gelernt hatte, bedankte er sich und lief so schnell er konnte heim. Aber obgleich er sich sputete, kam er doch nicht heim, bevor die Glocke zwölf schlug in der Weihnachtsnacht.

»Wo in aller Welt bist du geblieben?«fragte die Frau, »hier habe ich gesessen Stunde um Stunde und gewartet, und ich habe nichts als zwei Hölzchen, sie kreuzweise unter den Weihnachtsgrützetopf zu legen.«

»Ach, ich konnte nicht eher kommen, ich hatte noch einer Sache nachzugehen, und einen langen Weg hatte ich auch zurückzulegen. Aber nun sollst du sehen!« sagte der Mann und stellte die Mühle auf den Tisch. Zuerst bat er sie, Licht zu mahlen, dann ein Tuch und Essen und Bier



157 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

und alles, was gut war für einen Weihnachtsschmaus; alles, was er sagte, mahlte die Mühle.

Die Frau bekreuzigte sich ein über das andere Mal und wollte wissen, von wem der Mann die Mühle bekommen habe, aber das wollte er nicht sagen. »Das ist doch gleichgültig, woher ich sie habe, du siehst, die Mühle ist gut und das Mühlwasser friert nicht ein«, sagte der Mann. So mahlte er Essen und Trinken und alle guten Dinge zum Weihnachtsfest, und am dritten Tage bat er seine Freunde zu sich, da wollte er ein Gastmahl geben.

Als der reiche Bruder so viele beim Gastmahl versammelt sah, wurde er erbittert und wild, denn er konnte seinem Bruder nichts gönnen. Am Weihnachtsabend bat er mich in Gottes Namen um eine Kleinigkeit, und nun macht er ein Gelage wie ein Graf oder König, dachte er. »Aber wo zum Teufel hast du all diesen Reichtum her«, sagte er zum Bruder. »Hinter der Tür«, sagte der, welcher die Mühle besaß, er kümmerte sich nicht darum, ihm Rechenschaft zu geben.

Aber später am Abend, als er schon einen etwas schweren Kopf hatte, konnte er es nicht mehr für sich behalten, er zeigte ihm die Mühle. »Da siehst du den, der mir meine Reichtümer schafft«, sagte er, und nun ließen sie die Mühle mahlen, der eine und der andere.

Als der Bruder das sah, wollte er auf Tod und Leben die Mühle besitzen. Nach langem Hin und Her sollte er sie dann auch haben, aber dreihundert Taler sollte er dafür geben, und es solle der andere sie haben bis zur Heuernte; »denn wenn ich sie so lange gehabt habe, kann sie mir für viele Jahre etwas mahlen«, dachte der Arme. Man kann sich denken, daß sie in dieser Zeit nicht rostig werden sollte, und als die Heuernte kam, bekam sie der Bruder; aber der andere hatte sich wohl gehütet, ihn zu lehren, wie das Mahlen zu stoppen sei.

Es war abends, als der Reiche sie mit nach Hause nahm, und am Morgen bat er seine Frau, hinter den Mähern das Heu auszubreiten, er würde das zweite Frühstück selbst bereiten, sagte er.

Als es auf die Frühstückszeit zuging, setzte er die Mühle auf den Küchentisch. »Mahle Grütze und Fischlein, und zwar gut und schnell«, sagte der Mann. Und die Mühle begann Grütze und Fischlein zu mahlen, zuerst alle Schüsseln und Tröge voll und danach über den ganzen Küchen fußboden. Der Mann überlegte und quälte sich, die Mühle abzustellen, aber wie er auch an ihr drehte und fingerte, so ließ sich die Mühle doch nicht aufhalten. Beinah war der Brei so hoch, daß der Mann darin ertrank. Er riß die Stubentür auf, aber es dauerte nicht lang, so hatte die Mühle die Stube voll gemahlen. Mit Mühe und Not



158 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

erreichte der Mann die Türklinke in der Grützeüberschwemmung. Als er die Tür aufbekam, blieb er nicht mehr lang im Hause, glaube ich. Er sprang hinaus, und Grütze und Fischlein hinter ihm her, so daß es sich wie ein Wasserfall ergoß über Hof und Felder.

Da erschien es der Frau, welche das Heu ausbreitete, doch recht lang zu dauern, ehe das zweite Frühstück fertig würde. »Wenn auch der Mann uns nicht nach Hause ruft, so wollen wir doch heimgehen, er wird wohl mit dem Grützekochen nicht fertig werden, ich kann ihm dabei helfen«, sagte die Frau zu den Mähern. Sie trollten sich heimwärts, aber als sie über die Hügel kamen, trafen sie auf Grütze, Fischlein und Brot, und der Mann führte die Überschwemmung an.

»Wenn doch jeder hundert hungrige Mägen hätte! Aber paßt auf, daß ihr nicht in Frühstücksgrütze ertrinkt«, schrie er und rannte an ihnen vorbei, als ob ihm der Teufel auf den Fersen sei, bis hinunter, wo der Bruder wohnte. Er bat ihn um Gottes Barmherzigkeit, die Mühle wieder zurückzunehmen, und zwar gleich im Augenblick. »Mahlt sie noch eine Zeitlang fort, so wird der ganze Hof irrsinnig vor lauter Grütze und Fischlein«, sagte er. Aber sein Bruder wollte sie nicht eher zurücknehmen, als bis er ihm noch einmal dreihundert Taler zugezählt hatte. Und das mußte er denn auch.

Nun hatte der Arme beides, Geld und die Mühle, und so wartete er nicht mehr länger damit, sich einen Bauernhof aufzubauen, viel prächtiger als der, den sein Bruder bewohnte. Durch seine Mühle hatte er so viel Gold, daß er alles mit Goldplatten auskleiden konnte, und da der Hof an der Meeresküste lag, so leuchtete es weit über den Fjord hin. Alle, die dort vorbeisegelten, wollten den reichen Mann in dem goldenen Hof begrüßen, und alle wollten sie die eigenartige Mühle sehen, von der weit und breit erzählt wurde, es gab wohl keinen, der noch nicht von ihr gehört hatte.

Eines Tages kam ein Fischer, der die Mühle sehen wollte. Er fragte, ob sie auch Salz mahlen könne. Ja, sie könne auch Salz mahlen, sagte der Besitzer der Mühle. Als der Schiffer das hörte, wollte er mit aller Macht die Mühle haben, koste es was es wolle, denn wenn er die hätte, dachte er, würde er lange Seereisen und Salzladungen sparen. Am Anfang wollte der Mann sie nicht hergeben, aber der Schiffer bat und bat, und zum Schluß verkaufte er sie doch und bekam viele, viele tausend Taler dafür.

Als der Schiffer die Mühle auf den Rücken bekommen hatte, blieb er nicht mehr länger stehen, denn er hatte Angst, sie würde den Mann nach sich ziehen. Er hatte gar keine Zeit, zu erfragen, wie er die Mühle



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anhalten könne. Er trug sie so schnell er konnte in seine Schute, und als er ein Stück weit draußen auf See war, setzte er die Mühle in Gang. »Mahle Salz schnell und gut!« sagte der Schiffer. Ja, die Mühle mahlte Salz, daß es nur so sprühte. Als das Schiff ganz mit Salz gefüllt war, wollte der Schiffer die Mühle anhalten, aber was er auch tat und wie er sich auch bemühte um sie, die Mühle mahlte in einem fort, und der Salzhaufen wuchs höher und höher, und zum Schluß sank das Schiff auf den Meeresgrund hinab.

Da steht nun die Mühle auf dem Meeresgrund und mahlt Salz Tag für Tag, und deswegen ist das Meerwasser so salzig.


Der Tabaksjunge

Es war einmal eine arme alte Frau, welche betteln ging mit ihrem Sohn; daheim hatte sie nichts zu brechen und zu beißen. Erst ging sie in den Dörfern betteln und nun kam sie in die Stadt. Als sie eine Weile zwischen den Häusern herumgegangen war, kam sie auch zum Bürgermeister. Der war ein lieber und braver Mann, einer von den besten in der Stadt. Verheiratet war er mit der Tochter des reichsten Kaufmannes dort, und von ihr hatte er eine kleine Tochter. Mehr Kinder hatten sie nicht, und so war sie die süßeste und allerbeste, und das war nicht gut für sie. Sie freundete sich sofort mit dem armen Jungen an, als er mit seiner Mutter ins Haus kam, und als der Bürgermeister sah, daß sie so schnell gute Freunde geworden waren, nahm er den Jungen zu sich, so daß sie einen Spielkameraden hätte. Ja, sie spielten zusammen, räumten zusammen auf, lasen zusammen und gingen zusammen zur Schule und waren stets Freunde und mochten sich gut leiden.

Eines Tages stand die Bürgermeisterin beim Fenster und sah nach den Kindern, als sie zur Schule gehen sollten. Da entdeckte sie eine große Regenpfütze mitten in der Gasse; zuerst trug der Knabe die Kästchen mit dem Frühstück für die Schule hinüber, dann kam er zurück und hob das kleine Mädchen auf und trug es über das Wasser, und als er es wieder niedersetzte, gab er ihm einen Kuß.

Als die Bürgermeisterin das sah, wurde sie sehr böse. »Soll solch ein Rabenjunge unsere Tochter küssen, die wir doch die vornehmsten in der Stadt sind?« sagte sie. Der Bürgermeister versuchte sie zu beruhigen, so gut er konnte, er wüßte niemanden, der den Jungen sonst aufnehmen



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würde, und wer sollte sich um ihn kümmern, er sei doch so ein lieber und sittsamer Junge, und es würde oft ein großer Baum aus einem kleinen Keimling, sagte er. Aber nein, er würde immer das bleiben, was er ist, »wenn Armut kommt zu Ehren, weiß man nicht, was soll draus werden«, oder »der als Schilling gestanzt ist, wird niemals zum Taler, wenn er auch schimmert wie ein Goldstück«, sagte die Bürgermeisterin. Er durfte nicht bleiben, sie wollte ihn los sein. Da ihm nichts anderes übrig blieb, schickte ihn der Bürgermeister mit einem Kaufmann fort, der mit einem Schiff gekommen war, dort sollte er Schiffsjunge werden. Zu seiner Frau sagte er, den jungen hätte er verkauft gegen Tabak.

Aber bevor er reiste, brach das Bürgermeistertöchterlein ihren Ring in zwei Stücke und gab ihm die Hälfte mit, damit sie ihn erkennen könne, wenn sie sich wieder begegnen würden. - So fuhr das Schiff davon und der Junge kam in eine Stadt, weit draußen in einem fremden Land. Dorthin war ein Priester gekommen, der so gut predigte, daß alle ihn hören wollten, und am Sonntag wollte die Schiffsbesatzung auch den Prediger hören. Der Junge blieb allein zurück im Schiff. Während er sich daran machte, das Essen für alle zu bereiten, hörte er es jauchzen, weit über den Sund. Der Junge nahm das Boot und setzte über, dort stand eine alte Frau, die Hallo rief. »Ja, nun habe ich hier schon hundert Jahre gestanden und Hallo gerufen und gejauchzt, denkt Ihr, es hätte mich ein Mensch bisher gehört? Der erste, der mich hörte, warst du, und nun sollst du deinen Lohn dafür bekommen, daß du mich übergesetzt hast«, sagte sie. Der Junge mußte ihr folgen zu ihrer Schwester, die in einem Berge wohnte ganz dicht dabei, dort sollte er um das alte Tuch bitten, das auf dem Schrankbett lag. Ja, als sie nun dorthin kamen, und die alte Frau dort zu wissen bekam, daß er es war, der ihrer Schwester über den Sund geholfen hatte, sagte sie, so müsse er bekommen, was er wolle.

»Ich will nichts anderes haben als das alte Tuch, welches auf dem Schrankbett liegt«, sagte der Junge. »Das hast du nicht aus dir selbst«, sagte die Schwester.

»Nun fahre ich zum Schiff zurück und koche Sonntagsessen für die Kirchenleute«, sagte der Junge. »Eil dich nicht«, sagte die alte Frau, »das wird sich selbst kochen, während du weg bist. Komm mit mir, du sollst noch mehr Lohn bekommen. Ich habe hundert Jahre am Sund gestanden und gejuchzt und gerufen, aber niemand hat mich gehört außer dir.« Er solle mit zu der anderen Schwester kommen. Dort solle er bitten, ob er das alte Schwert bekommen könne.

Das war solch ein Schwert, das man in die Tasche stecken konnte, da



161 Ut-Röst Die Kormorane. Flip arpa

wurde es zu einem Messer, doch zog man es heraus, so wurde es zu einem langen Schwert. Hieb man mit der schwarzen Schneide zu, so fiel alles tot um, wechselte man auf die weiße, so wurde alles wieder lebendig.

Ja, als sie hinkamen und die alte Frau wissen ließ, daß er es war, der ihr über den Sund geholfen hatte, sollte er nun den Fährmannslohn erhalten, er könne haben, was er wolle. »Ach, ich will nichts anderes haben als das alte Schwert, das oben auf dem Schranksims liegt«, sagte der Junge. »Das hast du nicht aus dir selbst«, sagte die Alte.

»Komm mit mir«, sagte die andere; »ich stand an dem Sund und rief und jauchzte hundert Jahre lang, und niemand hat mich gehört und ist gekommen, nur du; du sollst mehr Lohn haben, komm mit mir zu der dritten Schwester. Dort sollst du um das alte Gesangbuch bitten, mit dem steht es so: wenn jemand krank ist und du singst einen Psalm, der zu der Krankheit paßt, so wird der Kranke wieder gesund.« Ja, als sie nun dort waren und die dritte Alte hörte, daß er ihrer Schwester geholfen hätte, über den Sund zu kommen, sollte er auch da seinen Fährlohn haben, er könne bekommen, was er wolle. »Ach, ich will nichts anderes haben als das alte Psalmenbuch der Großmutter«, sagte der Junge. »Das hast du nicht aus dir selbst«, sagte die Alte.

Als er zum Schiff zurückkam, waren die Kirchgänger noch nicht da. Da prüfte er das Tuch und breitete nur einen kleinen Zipfel aus, denn er wollte zuerst sehen, was es tauge, bevor er es auf den großen Eßtisch breiten würde; ja, da stand zu essen, prächtig und reichlich, und zu trinken gab es auch genug. Er nahm nur eine Kostprobe und das andere gab er den Hunden, soviel sie nur fressen konnten.

Als die Kirchgänger nun an Bord kamen, sagte der Schiffer: »Warum hast du den Hunden so viel zu fressen gegeben, die sind ja aufgeblasen wie die Rollwürste und faul wie die Säue.« »Ach, ich gab ihnen einen Knochen«, sagte der Junge. »Das ist gut von dir, Junge, daß du auch an die Hunde denkst«, sagte der Schiffer. Nun breitete der Junge das Tuch aus und sogleich standen die herrlichsten Speisen und Getränke darauf, so daß sie so gut lebten wie nie zuvor.

Als der Junge wieder allein mit den Hunden war, wollte er das Schwert auch ausprobieren. Er hieb zu mit der schwarzen Schneide, da fielen sie tot aufs Deck nieder, aber als er es drehte auf die weiße Schneide, lebten sie wieder und wedelten mit den Schwänzen ihrem Spielkameraden zu. Aber das Buch, das konnte er nicht ausprobieren.

Nun segelten sie wieder weiter, lange Zeit, bis sie in einen Sturm kamen, der viele Tage andauerte, sie wurden geworfen und getrieben,



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sodaß sie nicht mehr wußten, wo sie waren. Schließlich legte sich der Sturm und sie kamen zu einem Land, ganz weit draußen, das keiner kannte. Aber dort herrschte große Trauer, denn die Königstochter war todkrank. Der König kam hinab zum Schiff und fragte, ob niemand da sei, der sie wieder gesund machen könne. Nein, hier sei niemand an Bord, der das könne, sagten diejenigen, die auf Deck waren. »Sind da nicht noch mehr Menschen in dem Schiff?« sagte der König. »Ja, ein kleiner armseliger Küchenjunge«, sagten sie. »Laßt ihn auch heraufkommen«, sagte der König. Der Junge meinte, er könnte die Königstochter gesund machen. Da wurde der Schiffer so bös und wild, als er das hörte, er rannte im Kreis herum wie ein Mistkäfer im Teerfaß, er meinte, der Junge hätte sich vielleicht etwas ausgedacht, aber es wäre nicht der Wert, auf solchen Kinderkram zu hören. Aber der König sagte: »Die Weisheit kommt mit den Jahren, und das Kind ist doch nun erwachsen, wenn er gesagt hat, er könne das, dann soll er es versuchen«, da wären manche, die hätten etwas gewagt, obgleich sie früher gefehlt hätten. Er nahm ihn mit zu seiner Tochter, und der Junge sang den Psalm das erste Mal, da konnte die Königstochter die Arme heben, er sang ihn noch einmal, da konnte sie im Bett aufrecht sitzen, und als er ihn das dritte Mal gesungen hatte, da war die Königstochter gesund.

Der König war so glücklich, daß er ihm die Hälfte seines Reiches geben wollte und die Tochter dazu. Ja, Land und Reich, da könne er gern die Hälfte gebrauchen und er danke vielmals dafür, aber er hätte sich einer anderen versprochen, sagte er, sodaß er die Königstochter nicht nehmen könne. So blieb er im Lande und bekam die Hälfte des Reiches. Aber als eine Zeit vergangen war, brach Krieg aus. Der Junge mußte mit in den Kampf ziehen, und er schonte nicht die schwarze Schneide seines Schwertes, das kann man sich denken. Das Kriegsvolk der Feinde fiel wie die Fliegen und der König gewann. Aber nun gebrauchte er die weiße Schneide, da lebten sie alle zusammen wieder auf und ergaben sich dem König, der gab ihnen die Erlaubnis, das Leben zu nützen. Aber da es so viele waren, war es schlecht mit dem Essen bestellt, und der König wollte ihnen so gerne reichlich Essen und Trinken geben. So mußte der Junge sein Tuch wieder gebrauchen, und so entbehrten sie nichts, weder Essen noch Trinken.

Als er nun wieder eine Zeit beim König war, zog es ihn zur Bürgermeisterstochter. Er rüstete vier Kriegsschiffe aus und segelte damit los. Und als er zu dem Hafen der Stadt kam, wo der Bürgermeister wohnte, schoß er, und hunderte von Fensterscheiben zerbrachen in der Stadt. An Bord dieser Schiffe war es so prächtig und stattlich wie bei einem



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Könige, und er selbst hatte Gold an jedem Saum und sah sehr prächtig aus. Es dauerte nicht lang, so kam der Bürgermeister herab und fragte, ob der fremde Herr wohl so gut wäre, bei ihnen zu speisen. Ja, das wollte er. Er kam hinauf zur Bürgermeisterin, und da saß er zur Seite der Tochter und der Frau Bürgermeister. Sie saßen und plauderten und aßen und tranken und lebten gut, und der Junge lauerte auf einen günstigen Augenblick, in dem er den halben Ring in das Glas der Tochter werfen konnte. Sie verstand sofort, was gemeint war, brauchte einen Vorwand, um vom Tisch aufzustehen und setzte den halben Ring draußen zusammen mit ihrer Ringhälfte.

Die Mutter merkte, daß etwas geschehen war und schlich hinterher, so schnell sie konnte. »Weißt du, wer das ist da drinnen, Mutter?« sagte die Tochter. »Nein«, sagte die Bürgermeisterin. »Das ist der, den Vater für Tabak verkaufte«, sagte sie. In dem Augenblick wurde die Frau ohnmächtig und fiel auf den Fußboden. Da kam auch der Bürgermeister dazu, und als er hörte, wie alles zusammenhing, wurde ihm auch nicht leichter. »Bekommt keinen Schrecken«, sagte der Tabaksjunge; »ich bin nur gekommen, um das kleine Mädchen zu holen, welches ich auf dem Schulweg geküßt habe«, sagte er. Und zur Bürgermeistersgattin sagte er: »Du sollst niemals verachten armer Leute Kinder. Man kann nie wissen, was einmal aus ihnen wird, wenn Kinder mündig werden; und die Weisheit kommt mit dem Wachsen.«


Däumeling

Es war einmal eine Frau, die hatte einen einzigen Sohn, der war nicht größer als ein Daumen, deshalb nannte sie ihn auch Däumeling.

Als er volljährig wurde, sagte die Mutter zu ihm, er müsse nun hinausgehen und freien, denn es erschien ihr an der Zeit zu sein, daß er ans Heiraten denke. Als Däumeling das hörte, wurde er froh. Da machten sie den Reisewagen und das Gespann zurecht und verließen den Hof. Die Mutter nahm ihn auf den Schoß. Sie wollten zu einem Königshof reisen, wo eine Prinzessin wohnte, die genau so groß war wie er. Kaum waren sie ein Stück unterwegs, so war Däumeling plötzlich verschwunden. Sie suchte nach ihm und rief nach ihm, dann weinte sie, weil er verschwunden war und sie ihn nicht wiederfinden konnte. »Piep, piep«, sagte Däumeling. Er hatte sich in der Mähne des Pferdes verborgen. Er



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kam hervor und mußte versprechen, das nicht noch einmal zu tun.

Als sie wieder ein Stück weiterreisten, war Däumeling wieder weg. Die Mutter suchte ihn, rief nach ihm und weinte, aber er blieb verschwunden. »Piep, piep«, sagte Däumeling, und sie hörte, daß er lachte und kicherte, aber sie konnte ihn durchaus nicht wiederfinden. »Piep, piep, hier bin ich doch!« sagte Däumeling und kam aus dem Pferdeohr heraus. So mußte er versprechen, er solle sich nicht noch öfters verstecken.

Aber als sie wieder ein Stück weiterfuhren, war er wieder weg, er konnte nicht anders. Die Mutter suchte und weinte und rief nach ihm, aber weg war er und weg blieb er, und obgleich sie ihn suchte, konnte sie ihn nirgends wiederfinden. »Piep, piep, hier bin ich doch«, sagte Däumeling, aber sie konnte nicht entdecken, wo er war, denn es klang so undeutlich. Sie suchte und er sagte: »Piep, piep, hier bin ich!«und lachte und ergötzte sich, daß sie ihn nicht wiederfinden konnte. Aber da geschah es, daß das Pferd niesen mußte, und so nieste es Däumeling heraus, denn er hatte sich in dem einen Nasenloch festgesetzt. Die Mutter nahm ihn nun und tat ihn in eine Tüte. Sie wußte sich nicht mehr anders zu helfen, als ihn in dieser Art zu verwahren.

Als sie zum Königshof kamen, wurde gleich Verlobung gefeiert, denn der Prinzessin gefiel der hübsche kleine Bursch, und sie wollte auch nicht mehr lang damit warten, Hochzeit mit ihm zu feiern.

Als sie im Hochzeitsfestsaal zu Mittag speisten, saß Däumeling an der Tafel, der Prinzessin zur Seite. Doch da war es schlimm um ihn bestellt, denn als er anfangen wollte zu essen, konnte er das Essen nicht erreichen, und wenn ihm die Prinzessin nicht zum Tisch hinaufgeholfen hätte, so hätte er keinen Bissen bekommen. Nun ging das eine Weile gut, so lange sie von Tellern essen konnten. Aber als eine große Grützeschüssel hereingetragen wurde, konnte er nicht hinlangen. Aber Däumeling wußte sich zu helfen, er setzte sich auf den Rand der Schüssel. Doch da war ein Fettauge mitten in der Schüssel, das konnte er nicht erreichen, und so mußte er sich an den Rand des Fettauges setzen. Doch zu seinem Unglück geschah es, daß die Königin mit einem großen Löffel kam und einen tüchtigen Grützebrocken in das Fett tauchte, da kam sie dem Däumeling zu nahe, daß er herabplumpste und in dem Fettauge ertrank.



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Die drei Böckchen Brüse, die zur Sennhütte gehen sollten und sich fett fressen

Es waren einmal drei Böckchen, die zur Sennhütte gehen sollten, um sich fett zu fressen, und alle drei hießen sie Böckchen Brüse. Auf dem Wege war eine Brücke über einem Wasserfall, über die mußten sie hinüber. Und unter dieser Brücke wohnte ein großer, häßlicher Troll, der hatte Augen so groß wie Zinnteller und eine Nase so lang wie ein Harkenstiel.

Zuerst kam das jüngste Böckchen Brüse und wollte über die Brücke. Tripp trapp, tripp trapp, tripp trapp, tönte es in der Brücke.

»Wer ist das, der über meine Brücke trippelt?« schrie der Troll.

»Ach, ich bin das kleinste Böckchen Brüse, ich soll zur Alm gehen und mich fett fressen«, sagte das Böckchen mit einer so zarten Stimme.

»Nun komme ich und hole dich!« sagte der Troll.

»Ach nein, nimm nicht mich, denn ich bin ja noch so klein; warte ein wenig, dann kommt das mittlere Böckchen Brüse, das ist viel größer.«

»Also gut«, sagte der Troll.

Nach einer kleinen Weile kam das mittlere Böckchen Brüse und wollte über die Brücke. »Tripp trapp, tripp trapp, tripp trapp« tönte es in der Brücke.

»Wer ist das, der über meine Brücke geht?« schrie der Troll.

»Ach, ich bin das mittlere Böckchen Brüse, ich soll zur Alm gehen und mich fett fressen«, sagte das Böckchen; das hatte keine so zarte Stimme.

»Nun komme ich und hole dich!« sagte der Troll.

»Ach nein, nimm nicht mich, aber warte ein wenig, dann kommt das große Böckchen Brüse, das ist viel, viel größer.«

»Also dann gut«, sagte der Troll. So geschah es, daß nun das größte Böckchen Brüse kam.

»Tripp trapp, tripp trapp, tripp trapp«, tönte es in der Brücke; es war so schwer, daß die Brücke unter ihm knackte und krachte.

»Wer ist das, der so über meine Brücke trampelt?« schrie der Troll.

»Ich bin das größte Böckchen Brüse«, sagte das Böckchen mit einer sehr groben Stimme.

»Nun komme ich und hole dich!« schrie der Troll.



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»Ja, komm, mein Horn ist spitz wie Speer,
bald hast du keine Augen mehr,
mein Huf ist hart wie Felsenstein,
den stoß ich dir durch Mark und Bein!«

sagte das Böckchen, und es kämpfte gegen den Troll. Es stach ihm mit den Hörnern die Augen aus, zerbrach ihm die Knochen und schleuderte ihn aus der Wasserfallschlucht hinaus. Dann ging es zur Alm. Dort fraßen sich die Böckchen so dick und rund, daß sie beinah nicht mehr heim zu laufen vermochten. Und wenn sie im Winter nicht dünner geworden sind, so werden sie immer noch so dick und rund sein.

Und schnipp schnapp schmaus, hier ist das Märchen aus.



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