Inhalt |
Es sind hier du überlieferten oder die sonst
gebräuchlichen Titel der Gedichte beigefügt |
Einleitung | 1 |
Heldendichtung | 10 |
1. Das Wölundlied (Volundarkvida) | 17 |
2. Das Lied von der Hunnenschlacht | 24 |
3. Das Alte Sigurdlied (Brot af Sigurdarkvidu, Bruchstück
eines Sigurdliedes) | 33 |
4. Das Alte Atlilied (Atlakvida) | 39 |
5. Das Alte Hamdirlied (Hamdismäl en fornu) | 53 |
6. Das jüngere Sigurdlied (Sigurdarkvida en skamma,
Das kurze Sigurdlied) | 58 |
7. Das grönländische Atlilied (Atlamál en grœnlenzku) | 70 |
8. Gudruns Gottesurteil (Gudrünarkvida III) | 86 |
9. Gudruns Gattenklage (Gudrúnarkvida l) | 89 |
10 . Gudruns Lebenslauf (Gudrúnarkvida II) | 93 |
11. Gudruns Sterbelied (Gudrünarhvot, Aufeizung der
Gudrun) | 100 |
12. Brynhildens Helfahrt (Helreid Brynhildar) | 104 |
13. Oddruns Klage (Oddrunargrátr) | 107 |
14. Das Lied vom Drachenhort | 113 |
15. Die Vogelweissagung (Reginsmál und
Fáfnismál)(Reginsmal | 125
. |
16 Sigurds Vaterrache | 127 |
17. Die Erweckung der Walküre (Sigrdifumál) | 131 |
18. Gripirs Weissagung (Grípisspá) | 134 |
19. Die ältere Dichtung von Helgi dem Hundingstöter
(Helgakvida Hundingsbana II) | 142 |
20. Das jüngere Lied von Helgi dem Hundingstöter (Helgakvida
Hundingsbana l) | 153 |
21. Die Dichtung von Helgi Hjörwardssobn (Helgakvida
Hjorvardssonar) | 161 |
22. Das Mühlenlied (Grottasongr) | 173 |
23. Das Bjarkilied (Bjarkamál en fornu) | 178 |
24. Starkads Rückblick (Vikarsbálkr, Der Abschnitt von
Wikar) | 186 |
25. Der Kampf auf Samsey | 191 |
26. Hjalmars Sterbelied | 194 |
27. Das Herwörned | 196 |
28. Das Innsteinlied | 101 |
29. Das Hroktied | 206 |
30. Hildibrands Sterbelied | 211 |
31. Die Fridthjofstropben | 213 |
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Thule-Bd.01-000.2 Edda Heldendichtung. |
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Edda
Erster Band Heldendichtung Übertragen
von Felix Genzmer /Mit Einleitungen
und Anmerkungen von Andreas Heusler
Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1912
Thule-Bd.01-001 Edda Heldendichtung. |
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Einleitung
Bei dem Worte Edda denkt man an Urgermanisches, Heidnisches
an ein graues Altertum. Und doch sind die Eddalieder
erst im dreizehnten Jahrhundert eingesammelt worden auf
dem christlichen Island; manches davon ist nicht viel älter als
die genannte Zeit, während sich anderes bis ins neunte Jahrhundert
zurückverliert. Hält man aber deutsche Dichtung des Hochmittelalters dagegen,
so sieht man den großen Abstand ! Das Rittertum ist für die
Edda, auch ihre jüngsten Schößlinge, kaum vorhanden, und
von dem Geiste der Kirche ist wenig genug zu verspüren. Insofern
ist diese Dichtung altgermanisch. Die Sprache der Edda ist die des alten Island und Norwegen;
manches vom Inhalte ist nur aus den isländischen
verhältnissen zu verstehen; als Hintergrund schwebt unsern
Dichtern meist eine nordische Küste vor und das neblige Felsengebirg.
Allein, neben dem Arktischen steht so vieles, was
nur den Laut zu wechseln brauchte, um englische und deutsche
Sitte auszusprechen; die beliebtesten Helden sind Franken und
Goten; die verse gehorchen verwandten Gesetzen wie die
ältesten der Deutschen und Angelsachsen. Insofern ist die
Edda gemeingermanisch. Die Seele der Eddalieder erscheint, wenn wir die südgermanische
Epik daneben stellen, hart und rauh, wild wie Naturgewalten
. Die Leidenschaften brechen ungestüm hervor aus
den Göttern wie den Menschen. Haß und liebende Begier,
Trotz, Heldenstolz und Klage offenbaren sich ohne alle höfische
Dämpfung. Es ist eine ungebrochene und unbeherrschte
Innenwelt, so recht geschaffen zur Großtat und zur Tragik. Wenn in dem deutschen Hildebrandsliede und der englischen
Beowulfdichtung ein milderer Geist waltet, mehr Herzenswärme
und beschauliche Lebensfreundlichkeit, so liegt das
einmal an dem Unterschiede der Volksnaturen und der Umwelt
. In den Nordländern ist die germanische Reckenart auf
die Spitze getrieben; unter diesem Himmel, im Umgang mit
eisiger See und kahler Wildnis steigerte sich die der Volksfamilie
e
Thule-Bd.01-002 Edda Heldendichtung. |
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angeborene Kampfnatur. Nicht minder aber fällt in
die Wage der Abstand der Zeiten, der innern Entwicklungsstufen:
die Edda ist innerlich älter als jene südgermanischen
Reste; die schon der romanisch-christliche Geist fühlbar durchzieht.
Wir müßten der Edda, um sie an Gleichaltrigem zu
messen, deutsche Gedichte aus der Zeit Chlodwigs und Alboins
gegenüberstellen können. Was man eddische Dichtung nennt, das umschließt sehr
verschiedene Arten und Unterarten. Den breitesten Raum nehmen ein die erzählenden Gedichte:
Fabeln aus dem Phantasiereiche der Helden- oder der Göttersage.
Daneben gibt es die Scheltszenen, die sich wie Ausschnitte
aus temperamentvoller Bühnendichtung ausnehmen.
Andere Werke sind mehr lehrhaft und gelehrt: eine Menge
von Namen und anderem Gedächtnisstoff ist zu einem Memorialgedicht
zusammengefügt. Lehrhaft, aber im Dienste
des praktischen Lebens, ist endlich die Spruchdichtung mit
ihrer Sittenweisheit, Ratekunst und Zauberkunde. In dieser letzten Gruppe stehn die innerlich altertümlichsten,
volksmäßigsten Denkmäler. Im übrigen enthält die Edda
nicht primitive, kindliche Kunstgebilde, wie sie Naturvölkern
oder niederen, arbeitenden volksschichten eigen sind. Es lebt
ein künstlerischer Ehrgeiz in diesen Dichtungen, den man
aristokratisch nennen muß. Er betrachtet das Leben von oben.
Er stellt kühne seelische Probleme. Er versucht sich an immer
wieder neuen dichterischen Aufgaben: welche Mannigfaltigkeit
in der Anlage dieser Lieder, wie wenig bequeme Schablone
und Formelkram, verglichen etwa mit den bändefüllenden
Balladen des Spätmittelalters oder den Minneliedern
der Ritterzeit! Fast jede einzelne Dichtung hat ihr persönliches
Profil; selten käme man in versuchung, zwei oder mehr
Lieder aus einer Werkstatt herzuleiten, Der Eddaleser muß die Erinnerung fernhalten an Homer mit
seinen breit und ruhig strömenden Hexametern oder etwa an
die serbischen Heldenlieder mit ihrem gefällig plaudernden
Geplätscher. Die Edda hat in der Form — das Wort im
Thule-Bd.01-003 Edda Heldendichtung. |
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weitern Sinne genommen — etwas Ungefüges, Unausgeglichenes,
etwas Gewaltsames. Am wenigsten die Spruchpoesie:
ihre feingemeißelten Strophen bringen den verstandesklaren
Inhalt restlos heraus. In der erzählenden Gruppe
hat man oft den Eindruck, daß den wahrhaft großen Dichtergedanken
die sprachliche Kunst nicht gewachsen ist. Barbarischformlos
—dieses Wort drängt sich dem Leser manchmal auf
die Lippen, wenn die Übertragung ihre Pflicht tut; denn auch
der Urtext hat nur selten das Gleichmaß, das man im höchsten
Sinne Stil nennen dürfte. Bald tastet er nach kühnen
Übertreibungen und häuft volltönende Worte; im nächsten
Augenblick sinkt er zurück zu wortkarger Rede, als hätte man
Prosa zu versen ausgereckt. Das Register dieser Dichter ist nicht arm. Sie verfügen über
eine glühende Rhetorik in den Reden ihrer Helden und Heldinnen;
über scharfgeschliffenen Hohn und gutmütigen Spott;
ihre Sprache kann feierlich klingen wie eine Weihinschrift,
sie hat Neigung zu einer dunklen, ahnungsvollen Lyrik und
auf der anderen Seite zu spruchhafter, kantiger Widerrede;
einzelne Flecke von grell sinnlicher Empfindung — für Auge
und Ohr —flimmern aus dem Berichte hervor. Was fehlt,
ist die Ruhe der Seele und der gebildete Blick, ist das beherrschte
, klar anschauliche Entfalten der vorgänge — das
eigentliche Erzählen. Der eddische Erzähler ist ein Gefühlsmensch,
so erfüllt von der Heldengröße und dem außeralltäglichen
Schicksal seiner Gestalten, daß er die Buntheit und
Schönheit der Außenwelt wenig Auge hat. Es drängt ihn
hin aufs Seelenkündende; daher streift er immer an die
Grenzen epischer Kunst. Seine dionysische Seele bleibt selten
in dem Gleichgewicht, daß eine Tonart festgehalten würde. Der Eindruck des Unharmonischen verstärkt sich in mehreren
Liedern dadurch, daß Strophen älterer und jüngerer Dichter
durcheinandergehn. Das Lied ist nicht, wie es aus seines
Schöpfers Munde kam, durch die Jahrhunderte bewahrt
worden: in der langen mündlichen Fortpflanzung wurden
manche Teile aus neuem Formgefühle um- und zugedichtet,
ohne daß sie kurzweg entbehrlich für den Zusammenhang
Thule-Bd.01-004 Edda Heldendichtung. |
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entfernt werden könnten. Gewiß ,auch ist oft an der Dunkelheit
der Übergänge der verlust von Strophen schuld, wenngleich
der vielberufene "springende Stil den Gedichten von
Anfang an eignete, dieser Stil, der um einzelne Klippen herumbrandet
die Zwischenräume überfliegt, und der an das
wissende verstehen der Hörer so hohe Ansprüche stellt. Neben der Eddadichtung pflegten Norweger und Isländer
eine andere Kunstart, die skaldische. Sie ist die dem
Privatleben und der Geschichte sugewandte, die Gelegenheitspoesie:
das Zeitgedicht, das Preislied auf den vornehmen Gönner
und der Stegreisspruch des Augenblicks, das sind ihre vornehmsten
Arien. Die Mehrzahl der Skaldenverse bewegt sich
in anspruchsvollen, kunstreichen Formen: Stilfiguren wuchern
hier und metrische Künste, die an wenig Stellen der Erde
ihresgleichen finden. Man fühlt sich kaum mehr in der germanischen
Familie, die von jeher die Form über dem Inhalt
mißachtete! Neben dieser meistersingerischen Wortkunst wirkt die Edda,
im ganzen genommen, schlicht und treuherzig. Nicht allzuoft
schneit eine wunderlich bizarre Gleichnisumschreibung herein,
eine sogenannte Kenning; wie etwa "der Füße Zweige" für
Zehen; "Lindwurmlager" für Gold (weil der Drache der
Heldensage den Goldhort hütet) und weiter "Göttin des Lindwurmlagers"
für die (goldgeschmückte) Frau. Die Wortstellung
ist freier als in der Prosa, meidet aber die verzerrungen
der Skaldensprache. Und die v erse sind zwar keine
regellosen Wildlinge, lassen aber doch ein gehöriges Maß von
Bewegungsfreiheit. Ihre unerläßliche Klammer und Zierde ist der Stabreim, woneben
der Silbenreim nur gelegentlich benützt wird. In dem
"epischen Maße heftet der Stabreim je zwei verse zu einem
Paare zusammen, einer Langzeile: | ein dari Geschick
den helden traf;
bersten soll, Bruder,
der blinkendweiße Schild. |
Thule-Bd.01-005 Edda Heldendichtung. |
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Das "dialogische" oder "spruchhafte" Maß stellt hinter jede
Langzeile einen unpaarigen, nur in sich stabenden Vers: | Wundertier heiß ich,
gewandert bin ich,
ein mutterloser mann.
Das gleißende Sold
und der glutröte Schatz —
es bringt der hort dich zur bel. | ***Die Reimstäbe werden nicht etwa beliebig gehäuft, sondern
das Gesetz ist: in den ungeraden Versen ein oder zwei Stäbe,
in den geraden einer. Daß dieser sogenannte Hauptstab den
ersten Takt seines Verses treffe, ist eine Regel, die in der Edda
ziemlich oft überschritten wird und die für unser Formgefühl
eine unnötige Fessel bedeutet. Der idealen Forderung, daß
immer die stärksten Satzteile die Stäbe führen, hat sich
auch der vorliegende Tert nur genähert: man läßt ungern
den Inhalt und die Wortstellung die Kosten tragen Das
worauf es zu allermeist ankommt, der Tonfall, hängt davon
nicht ab. Dem Tonfall der Eddaverse können wir nicht mit unsrer
Jamben- und Daktylengewöhnung beikommen. Es ist eine
zackige; unstete Linie, schon mehr mit dem höheren Knittelverse
verwandt, aber straffer zusammengefaßt; wuchtiger:
jeder vers nur zwei Gipfel, zwei Takte. In diesen Rahmen
legen sich die Silben hinein in wechselnder verteilung, so daß
bald eine nachdrucksvolle Dehnung hervorsticht, bald eine
eilige Silbenfolge: | dem Leb-losen
liegst du im Arm.
die Hälfte will ich haben
von Heidreks Erbe.
Gift schnob ich,
als auf dem Gold ich lag,
dem funkelnden Vatererbe. | ***Diese zeitlichen Kontraste, zusammen mit den scharf zu markierenden
Reimstäben, sind die Diener der Sprachlogik und
Thule-Bd.01-006 Edda Heldendichtung. |
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geben dem altgermanischen vers seinen ausdrucksvoll herrischen,
leidenschaftlichen Gang. Doch zügeln die meisten eddischen
Gedichte die Länge der Auftakte und Senkungen; es nähert
sich im epischen Metrum fester Silbenzahl (vier Silben auf
den vers). Dadurch verschiebt sich oft die Wirkung nach der
Seite des Getragenen, klar Gebauten, je nach dem Inhalt
auch ins Lyrisch-sangbare hinein. Diese Verdeutschung ist die erste, die den metrischen Stil ernsthaft
nachzubilden sucht. Sie ringt mit der Silbenkargheit des
Urtextes. Ein paar Silben mehr, das macht gar oft den vers
verständlicher, eingängiger — aber es zieht etwas ab von
seiner Wucht und rhythmischen Rechtwinkligkeit! Man spreche diese verse, um ihren Tonfall und durch ihn
den Inhalt zu erleben ! Aber man spreche sie nicht als hüpfende
Zweitakter, wie: | Tage der Wonne,
kommt ihr so bald:
Schenkt mir die Sonne;
Hügel und Wald : | ***Man nehme sie gleichsam aufs doppelte Maß; wuchtige Vierviertelstakte
. Insbesondere Formen wie: | hätte fünf Söhne
zu Siegestaten,
kampfgierige,
der König gezeugt.
doch wir wollen
die Welt verlassen,
Sigurd und ich :
versank, Riesin! | ***solche verse, die einer Silbe den ganzen ersten Takt geben,
dürfen ja nicht mit moderner Zungenfertigkeit verwischt werden
. Ohne ein gewisses Pathos, eine ausladende Nachdrücklicher
, die sich Zeit nimmt und jedes Wort wichtig nimmt,
wird man den Eddavers nie sich lebendig machen. Träge man diese übersetzten Zeilen mit dem rechten Gefühle
vor, so ist man dem versbau des Originals ganz nah gekommen:
Thule-Bd.01-007 Edda Heldendichtung. |
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diese altgermanischen Rhythmen können wir immer
noch nachempfinden und in unserm lebenden Deutsch nachformen.
Sie schmiegen sich ohne Zwang der Sprache an; man
muß nicht, wie so oft bei unsern Jamben und Hexametern,
künstlich vermitteln zwischen der natürlichen Betonung und
den Ansprüchen des versmaßes. Man lege den Nachdruck
auf die Silben, denen er gebührt, so geschieht zugleich dem
Verse sein Recht. ***Die vorliegende deutsche Edda bestrebt sich, verskunst, Stil
und Wortsinn der Urtexte mit höchster Treue nachzubilden.
Daß gewisse Härten und Dunkelheiten des Originals, wenn
man einmal übertragen will, gemildert werden müssen, liegt
im Wesen der Sache. Aber darüber hinaus besteht für den
Eddaübersetzer die gefährliche Lockung, seiner Vorlage nachzuhelfen
und sie, wo sie flach oder gedunsen oder sonstwie befremdlich
wirkt, zu einer gefälligeren Mittelhohe herumzubringen.
Die verschönerung der alten Edda, mindestens für
einen heutigen Geschmack, — diese Klippe hat der gegenwärtige
Übersetzer nach besten Kräften zu meiden gesucht.
Das Echte ist nicht immer das dichterisch Höhere; aber man
darf ihm zutrauen, daß es durch sich überzeugend wirke.
Zwischen dem künstlerischen Ziel und dem philologischen
braucht hier kein Widerstreit zu bestehn. Nach anderer Seite jedoch ist diese Edda der Überlieferung
mit viel mehr Freiheit begegnet als die früheren verdeutscher. Zunächst einmal in der Anordnung der Gedichte. Etwa
zwei Drittel der Eddapoesie sind überliefert in einer altisländischen
Sammlung, einem umfänglichen Liederbuche.
Die von diesem Sammler gewählte Ordnung, die einem
wohlbedachten, aber durchaus stofflichen, unkünstlerischen
Plane folgt, haben die meisten Herausgeber und Übersetzer
beibehalten, nur daß sie ein halbes Dutzend weiterer Gedichte
herbeizögen und an passenden Stellen in das Liederbuch einschalteten.
Das vorliegende Werk hat die alte Reihenfolge
grundsätzlich aufgegeben zugunsten einer Gruppierung, worin
Thule-Bd.01-008 Edda Heldendichtung. |
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die dichterische Eigenart der Denkmäler klarer hervortritt.
Daß gegen den sonstigen Brauch die Heldenlieder hier den
Götterliedern vorangehn, hat nicht nur den vorteil, daß der
deutsche Leser mit dem vertrauteren den Anfang macht: es
rechtfertigt sich auch daraus, daß das epische Lied zuerst ab
Heldenlied seine Wanderung durch die Germanenwelt unternommen
nat. Zugleich ist in diesem Buche der Rahmen der "Eddadichtung"
viel weiter gespannt, als dies in Ausgaben und Übersetzungen
zu geschehen pflegt: sechzehn Nummern sind mit aufgenommen,
weil sie nach ihrer literarischen Art berechtigte
Glieder der Eddafamilie sind. 1 Man gewinnt dadurch ein
volleres Bild von den Sagenstoffen, über die sich die eddische
Kunst erstreckte, und von den Gattungen, die zumal in dem
jüngeren isländischen Zeitraum gepflegt wurden. Eine zweite Freiheit betrifft die Behandlung der Gedichte,
Bruchstücke und versreihen, die in unsern Handschriften als
ungegliederte; durcheinandergeschobene Massen erscheinen.
Hier war die Aufgabe, die dichterischen Einheiten herauszuheben
und das zu Unrecht verbundene zu trennen. Drittens hat sich unsere Edda erlaubt, an dem Texte der einzelnen
Gedichte ein gewisses Maß von "höherer Kritik" zu
üben: störende Zutaten zu entfernen, Lücken zu füllen, verschobenes
umzustellen. Namentlich auch die Prosaabschnitte
forderten zu einer schärferen Sichtung heraus. Ihre überlieferte
Form, die erst von den Aufzeichnern herrührt, ist oft
unbeholfen und schädigt die Wirkungen des Gedichtes. Man
muß hier dem Dichter gegen den Schreiber zu Hilfe kommen. Sobald eine Zudichtung des Übersetzers mehr als einen
Kurzvers umfaßt; wird sie durch runde Klammern bezeichnet.
Die vorbemerkungen und die Noten unter der Seite tun
ein übriges, um auf Eingriffe ,des Übersetzers hinzuweisen
oder Störungen in dem beibehaltenen Texte anzudeuten.
Thule-Bd.01-009 Edda Heldendichtung. |
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Bei diesem ganzen verfahren schwebte das Ziel vor: die Eddagedichte
als Kunstwerke dem kunstliebenden deutschen Leser
in die Hand zu legen; sie tunlichst zu befreien von den kunstwidrigen
Zufälligkeiten, womit die mehr stoff- als formbegirigen
Schreiber sie bedrängten. Als Leser wünschen wir
uns den Poefiefreund, der in der Edda anderes sucht als eine
lehrreiche Antiquitätenkammer. Dem gleichen Ziele streben Einleitungen und Noten nach.
Sie wollen nicht eigentlich lehrhaft sein, sie sehen es weder
auf mythologische noch heldensagliche noch kulturgeschichtliche
Einzelheiten ab. Sie möchten dem Leser den Weg bahnen
zu einem künstlerischen Nachempfinden dieser Verse; zu
einer Würdigung dessen, was diese poetische Welt im ganzen
kennzeichnet und was ihren einzelnen Schöpfungen das Gepräge
und den Wert verleiht.
Thule-Bd.01-010 Edda Heldendichtung. |
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Heldendichtung
Viele Völker der Erde haben in ihrer kriegerischen Jünglingszeit
eine Dichtung hervorgebracht, die den edelgeborenen
Mann der Waffe und die ihm begehrenswerten
Güter verherrlicht: eine Heldenpoesie. Und meist geht den
großen Buchdichtungen —Ilias, Schachnameh, Nibelungenot
— das kurze Heldenlied voraus, das in freiem vortrage an
den Höfen der Fürsten ertönt, vor den Bänken der zechenden
Gefolgsmannen, deren Sinnen und Trachten es dichterisch
vergoldet. Die Germanen erlebten diese ihre Heldenjugend in der völkerwanderung
Damals schufen die Goten, trunken von den
ersten Siegen über Ostrom, die Kunst des stabreimenden
Heldenliedes und damit die älteste germanische Heldensage.
Ihr Beispiel weckte Nachfolge. Bald finden wir bei Franken,
Friesen, Engländern den Hofsänger; der zur Harfe ein Heldenschicksal
singt. Auch bei den Nordländern bürgerten sich diese
Lieder ein und riefen gleichartige mit heimischem Inhalt hervor.
Aber seltsam, der Norden, der heute an klangschönen
Volksweisen reich ist, entkleidete diese Lieder des Saitenspiels
und Gesanges. Den harfenden Sänger haben wir uns aus
der nordischen Königshalle wegzudenken. Auch die gesprochene
Heldendichtung hat sich — in Norwegen — nicht lange an
den Fürstenhöfen gehalten: als jene formenkünstliche Skaldenart
zur Hofmode wurde, da trat unser Heldenlied hinaus zu
den Seien stolzen Großbauern. Diese verpflanzten es nach
Island, und hier dauerte es und trieb neue Schößlinge, als
es im Mutterlande schon abgewelkt war. Eine Fürstendichtung, gepflegt im Bauernhause! Der Gegensatz
ist nicht so groß, wie man glauben könnte. von diesen freistaatlichen
Bauern führte mancher seinen Stammbaum auf
Jarle und Kleinkönige zurück; allen war die Waffe vertraut,
kriegerische Tat die Würze ihres Lebens und ein paar Jahre
Dienst in der Leibtruppe eines Herrschers ihr schönstes Jugenderlebnis
. Es waren bäuerliche Helden, die für die Leidenschaften
eines Völkerwanderungsfürsten wohl verständnis
Thule-Bd.01-011 Edda Heldendichtung. |
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besäßen. Daß die Haltung da und dort, in den jüngeren Lied
ern, etwas ins Kleine und Kümmerliche fällt, kann man
dennoch bemerken. Jene aus Deutschland und England einziehenden Lieder hatten
die südlichen Heldenstoffe mitgebracht: die Sagen von Sigfrid
und den Burgunden, von Wieland, Ermenrich und von der
großen Hunnenschlacht. Diese Stoffe behielten beiden Isländern
die Ehrenplätze. Aber auch dänische und schwedische Sagen
standen in Gunst, nur daß uns da vieles bloß in jüngerer
Prosaform gerettet ist. Der eigene, norwegische Volksstamm
steuerte nur ein paar Ausläufer zu diesen Dichtungshelden
bei, und Island selbst beschied sich, das Andenken der fremden
Vorzeitkönige dichtend zu erhalten. Ohne die Isländer
und ihre Edda hätten wir in der Tat nur eine trübe vorsten
lung vom altgermanischen Heldenliede: Ist doch von dem,
was die Goten sangen, kein vers bewahrt, aus England aber
und Deutschland nur je ein stabreimendes Bruchstück und
dann die innerlich jüngeren Buchepen. ***Die fünf Gedichte, die bei uns die Reihe eröffnen, veranschaulichen
das Heldenlied in seiner altererbten Form,
wie es auch bei den südlichen Germanen herrschte. Es sind "Ereignislieder":
sie bringen die Handlung unmittelbar vor unser
Auge, wir wechseln die Szene, hören die Helden sprechen,
sehen sie kämpfen und fallen. Und zwar verteilt sich die Darstellung
auf Erzählung aus Dichters Munde und die Reden
der Handelnden; sie ist "doppelseitig". Diese fünf Lieder wurden
wohl, mehr oder minder aus deutschen vorgängern
übertragen. In Gedichten ähnlicher Art haben auch bei uns
zu Lande die Heldensagen Jahrhunderte lang gelebt, ehe sie
zu großen Epen wie Waltharius, Nibelungenot und Kudrun
ausgebaut wurden. Dieser alte Stil ist knapp und spröde. Seine Helden haben
zwar ihre ausladende Beredsamkeit, aber beschaulich sprechen
sie nicht: ihre Worte schieben die Handlung vorwärts; die
Geschichte wickelt sich, ohne ruhend zu verweilen, mit einer
gewissen Äußerlichkeit ab. In vierzig, fünfzig Strophen er
Thule-Bd.01-012 Edda Heldendichtung. |
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zählt ein Heldenlied die nämliche Sage, die ein Epos, mit
seiner Darstellungsart, leicht auf den zwanzigfachen Umfang
anschwellt. Es gibt einen jüngern Stil, der sich mutmaßlich auf Island
in der nachheidnischen Zeit, im 11. Jahrhundert, ausgebildet
hat. Er ist innerlicher, gefühlvoller, auch grüblerischer. Man
will eindringen in das Seelenleben der Helden und Heldinnen
und sich ihre ungeheuern Taten begreiflich machen. Denn man
steht diesen Wesen nicht mehr so gefolgsmannschaftlich nahe-
man bewundert sie immer noch, aber mit einem Gefühl von
Schauder. So wird dem Dichter die Rede, der klarste Ausdruck
des Innenlebens, wichtiger als das äußere Geschehen.
Monologe, Ansprachen und Zwiesprachen ohne dramatische
Bewegung kommen auf, Rückblicke werden ein beliebtes
Mittel, die Entschlüsse zu erläutern und zu rechtfertigen, die
man einst keiner Erläuterung und Rechtfertigung bedürftig
fand. Wo man bei dem alten Grundriß des Ereignisliedes blieb,
da entstanden nun Gedichte wie Nr. 6 und 7, die ihren vermehrten
Umfang wesentlich den ruhenden Reden verdanken
und die dort von Brynhild, hier von Gudrun und Atli Bildnisse
schaffen, ganz anders ausgeführt und schattiert als bei
den frühern Dichtern. Meist aber ging man einen Schritt weiter. Es kam dem Dichter
überhaupt nicht mehr darauf an, die altbekannte Sage
naiv zu erzählen: er wollte die vorgänge in den Reden
seiner Heldinnen spiegeln. Dies ergab die Situations- oder
Rückblickslieder, die heroischen Elegien, Nr. 9-13 (Nr. Z
bildet eine für sich stehende Spielart). Man konnte hier so weit
gehen, die Erzählverse ganz zu verbannen (Nr. 11, 12). An
den alten Sagenfakta haben diese jüngern Dichter wenig gerüttelt.
Aber im Zudichten neuer Situationen, Gestalten und
Handlungen nahmen sie sich viel mehr Freiheit als die vorgänger. Diese Heldendichtung der isländischen Nachblüte hat ihr verdienst
in lyrischen und seelenmalenden Erfindungen. Etwas
wie das Selbstgespräch der rachesinnenden Brynhild im Jüngern
Thule-Bd.01-013 Edda Heldendichtung. |
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Sigurd lied Str. 6 f. oder wie der letzte Wunsch Gudruns
in ihrem Sterbelied Str. 21 stellt sich zu den Gipfeln altgermanischen
Dichtens. Mag die Weichheit und Redseligkeit
der Personen zuweilen einen Mißklang geben mit der altüberlieferten
Heroentat, mag der Dichter da und dort sein
übervolles Gemüt in barocker verzerrung entladen (Jüngeres
Sigurdlied Str. 8 3, Gudruns Gattenklage Str. 27 ): diese reicheren
und gebrochenen Linien der Menschenschilderung waren
doch ein Hinausschreiten über die rechtwinkligen, holzarigehauenen
Profile des Heldenalters. Älter, vorisländisch, aber den Deutschen und Angelsachsen
unbekannt, ist die Kunstform des "einseitigen Ereignisliedes."
Trafen wir vorhin den Hang zur Lyrik, so dringt hier eine
dramatische Neigung über das landläufige Erzählen hinaus.
Der Dichter führt zwar auch eine Sage in ihrem unmittel
baren verlaufe vor, aber er legt sie sich so zurecht, daß er mit
lauter Redeversen auskommt: eine Reihe von Gesprächsszenen,
dramatischen Bildern. Was sich nicht einfangen läßt
in das Netz des Dialoges, wird in kursen, trockenen Prosa-
zwischensätzen erledigt; man hat sie mit "Bühnenanweisungen"
verglichen. Diese Gattung bleibt bei den Isländern
beliebt und hat die ältere Schwester, die doppelseitige, überdauert.
Es trifft sich so, daß innerhalb des Nibelungenkreises
gerade nur ein zusammenhängender Ausschnitt, die Sagen
von Jung Sigurd, in dieser einseitigen Darstellungsform vorliegen
(Nr. 14, 16, , 17). Noch eine weitere Stilform taucht in diesen Jung Sigurd
Sagen auf (Nr. ): eine Gruppe von "Losen Strophen".
Die Isländer hatten den Brauch entwickelt, ihre Prosageschichten,
die Sagas, auszuschmücken mit einzelnen Redestrophen,
die auch einmal zu kleinen Redeszenen auswachsen,
ohne doch die Anlage eines selbständigen Gedichtes zu erreichen
. Eine solche Lose Strophen-Gruppe hat der Eddasammler
in unserem Falle aufgenommen. Endlich führt Nr. 18, Gripirs Weissagung, aus der frei
künstlerischen Unterhaltungspoesie hinüber in die halbgelehrte
Memorialdichtung. Die dramatische Form des Zwiegesprächs
Thule-Bd.01-014 Edda Heldendichtung. |
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ist hier nur vorwand für eine sauber geordnete Belehrung
über Sigurds ganzen Lebenslauf, ohne erhebliche neue Motive,
ein Auszug aus vorhandenen Liedern. Ähnliche Lehrdialoge
werden uns unter den Götterliedern begegnen. Die Formen, die wir hier an den deutschen Sagenstoffen
überblickt haben, kehren wieder in den Dichtungen mit skandinavischer
Sagenwurzel, Nr. 19- —31. Die Urgattung,
das doppelseitige epische Lied, erscheint nur noch zweimal,
irr. C, 20; denn das Mühlenlied, Nr. 22, nähert sich
schon dem Situationsgedicht. Ausgezeichnete vertreter hat
das einseitige Ereignislied in Nr. 19 D, 23 u. a. Zu jenen
Frauenelegien (Nr. 9 —33) treten hier männliche Gegenstückegeringeren
geringeren Schwergewichtes, die Rückblicks- und Sterbelieder
von Helden, Nr. 23, 26, 29, 30. Schließlich zeigen die
Fridthjofsstrophen, Nr. 31, eine späte reizvolle Blüte am Aste
der Losen Strophen. von all diesen Kunstformen dürfen wir nur die erste, ursprüngliche
als gemeingermanisch ansehen. Alles übrige ist
nordische oder isländische Neuerwerbung. So rührig diese
Dichter ihre Kunst vermannigfachten: die eine Form, die man
seit Homer unwillkürlich als das Staatsgewand der Heldensage
ansieht, das große Epos, haben sie nicht verwirklicht.
Das hat seine guten Gründe, unter anderm den, daß ein Epos
nur in der Schreibezeit, unter dem Einfluß der südlichen
Muster denkbar war. Diese Muster aber haben den alten Isländer
nie tiefer ergriffen; und Dichtkunst hinterm Tintenfaß
zu betreiben, ging ihm nicht ein. So verharrte er bei seiner
formenreichen freimündlichen Kunst. ***Schauen wir auf die Heldendichtung zurück, so steht sie vor
uns nicht als chronikenhafte Buchung völkergeschichtlicher
Begebnisse, auch nicht als Lobgesänge auf Eroberungen
und Siege. Das rein menschliche, unpolitische Schicksal sieht
allen Anteil auf sich, und diese Schicksale sind fast immer dunkel,
auf Untergang gestimmt. Die tapfersten und schönsten erliegen
frühem Tode. Und was vor allem den tragischen Klang
vertieft: die Bande der Sippe und Freundschaft werden
Thule-Bd.01-015 Edda Heldendichtung. |
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zerrissen durch die übermächtigen Leidenschaften und durch
ein unerbittlich waltendes Geschick. Der triumphierende Ton,
der trotz allem hindurchdringt, gilt der Kriegerehre, die sich
in Selbstbehauptung und Rache bewährt und hochgemut sterben
lehrt, wenn der Nornenspruch es verhängt. Das Alte
Atlilied, Str. 22 —29, 45 und das Alte Hamdirlied Str. 29
sind rechte Zeugen dieser heidnischen Heldengesinnung; welch
andere Schlußakkorde als in unsrer deutschen Nibelungenot
mit ihrem weinerlichen Gemeinplatz: " wie Freude immer zuletzt
Leid ergibt"!
Thule-Bd.01-017 Edda Heldendichtung. |
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1. Das Wölundlied
Eines der ältesten Lieder, zugleich wohl das tönereichste. Gleich
der Eingang von ungewöhnlicher phantasieanregender Kraft;
neben den heißen, wilden Reden, darunter Wölunds mächtiger
Monolog Str. 18, die weicheren Klänge müder verzagtheit
Str. 34, 44; dazu eine zartgestimmte Lyrik wie in Str. 3, d,
auch in Str. 10, 11, hier verbunden mit dem in der Edda einzigartigen
Genrebilde. Seltsam ist der Aufbau: das Lied
schickt der Hauptsage vom Meisterschmiede Wieland —seiner
Gefangenschaft, Rache und kunstreichen Flucht — eine Art
Melusinengeschichte voraus; aber diese, ungreifbar, wie
Traum, bricht mitteninne ab, und der Ring der Geliebten,
der in die zweite Sage hinüberreicht, ist mehr ein ahnungsvoller
seelischer Zug als ein erzählerisch klares Gelenk. Das Lied trägt empfindliche Narben und Risse; sogar die
äußere Hauptidee, die Schaffung des zauberhaften Fluggewandes,
ist bis zur Unkenntlichkeit verblaßt. Die ergänzenden
Zudichtungen vermessen sich nicht, das einst Vorhandene wieder
ins Leben zu rufen.
***1
| Von Süden flogen Mädchen
Durch Myrkwid, den Wald,
Die Schwanenjungfraun,
Schlacht zu wecken;
Zu säumen am Seestrand,
Saßen sie nieder,
Des Südens Kinder,
Spannen köstliches Linnen. |
|
***2
| Eine von ihnen
Den Egil herzte,
Die schöne Maid,
An schneeiger Brust;
Die andre, schwanenweiß
Im Schwanengefieder,
(Umschlang Slagfider
Mit schimmernden Armen;) |
|
1
Thule-Bd.01-018 Edda Heldendichtung. |
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Doch die dritte,
Deren Schwester,
Umwand Wölunds
Weißen Hals.
***3
| So saßen sie
Sieben Winter;
Aber den achten
Immer in Sehnsucht;
Aber im neunten
Die Not sie schied:
Die Mädchen begehrten,
Durch Myrkwid zu fliehn,
Die Schwanenjungfaun,
Schlacht zu wecken. |
***4
| vom Waidwerk kam
Der wetterkundige
Wölund gewandert
Langen Weg,
Slagfider und Egil,
Den Saal sahn sie leer,
Gingen aus und ein
Und schauten sich um. |
***5
| Ostwärts Egil
Nach Ölrun schweifte;
Südlich suchte
Slagfider die Schwanmaid.
Doch Wölund einsam
Im Wolfstal saß,
Schlug Rotgold fest
Um funkelnd Gestein. |
|
***6
| Er rundete alle
Die Ringe wohl
(Und reihte am Bast
Die Reife auf);
So harrt er seines
Sonnigen Weibes,
Der lichten Herwör,
Daß heim sie käme. |
***7
| Das hörte Nidud,
Der Njarenkönig,
Daß Wölund einsam
Im Wolfstal saß. |
***8
| Nächtlich ritten Mannen
Genagelt die Brünnen,
Ihre Schilde blinkten
Im Schein des Mondes.
Sie stiegen aus den Sätteln
Am Saalgiebel,
Gingen hinein
Durch den ganzen Saal. |
***9
| Sie sahen die Ringe,
Gereiht am Bast,
Die der Schmied besaß,
Die siebenhundert.
Sie streiften sie ab,
Sie streiften sie auf;
Einer allein
Blieb abgestreift. |
|
Thule-Bd.01-019 Edda Heldendichtung. |
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|
***10
| vom Waidwerk kam
Der wetterkundige
Wölund gewandert
Langen Weg.
Bärenfleisch ging er
Zu braten im Feuer;
Bald flammte Reisig,
Föhrengeäst,
Winddürres Waldholz,
Vor Wölund auf. |
***11
| Auf dem Bärenfell ruht er,
Die Ringe er zählte,
Der Albenfürst:
Einer fehlte.
Er glaubte, ihn habe
Hlödwers Tochter
Die junge Herwör,
Sie sei heimgekehrt. |
***12
| Lange saß er
Und sank in Schlaf.
Doch er erwachte,
Der Wonne beraubt:
Er fühlte die Arme
In engenden Banden
Und seine Füße
von Fesseln umspannt. |
|
***13 Wölund:
| "Wer sind die Fürsten,
Die in Fesseln mich warfen
Und mich banden
Mit Bastseilen?" |
***14
| Da rief Nidud,
Der Njarenkönig:
"Wo fandest du, Wölund,
Im Wolfstale,
Albenherrscher; Unser Gold?
Gold gabs dort nicht
Auf Granis Wege:
Fern ist dies Land
Den Felsen des Rheins." |
***15 Wölund:
| "Ich meine, wir bargen
Bessre Kleinode,
Als wir alle heil
Daheim noch weitem:
Hladgud und Herwör
Entstammten Hlödwer;
Bekannt war Ölrun,
Kiars Tochter. |
***16
| Draußen die kluge
Königin stand
Und ging hinein |
|
Thule-Bd.01-020 Edda Heldendichtung. |
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|
|
Durch den ganzen Saal;
Sie stand auf der Diele,
Dämpfte die Stimme:
"Nicht geheuer ist er,
Der vom Holze kommt!
***17
| Seine Augen gleichen
Dem gleißenden Wurm;
Die Zähne fletscht er,
Zeigt man sein Schwert,
Erblickt er den Ring
An Bödwilds Arm.
Der Sehnen Kraft
An den Knien durchschneidet!
Er fitze hinfort
In Säwarstad!" |
***18 Wölund:
| "An Niduds Seite
Seh ich mein Schwert;
Das ich geschmiedet,
So scharf ich konnte,
Und ich gehämmert,
Bis hart michs dünkte:
Nun bleibt mir fern
Die funkelnde Waffe,
Nicht wird sie Wölund
Zur Werkstatt gebracht;
Und Bödwild trägt —
Buße erleb ich nicht — |
| | Meiner Gattin
Goldne Ringe!" |
***19
| Stets saß er, nicht schlief er,
Und schwang den Hammer:
Listige Werke
Schuf Wölund dem König. |
***20
| Es trollten die Knaben,
Des Königs Söhne,
Die Schätze zu sehn,
Nach Säwarstad. |
***21
| Sie gingen zur Truhe,
Begehrten die Schlüssel:
Entschieden war ihr Schicksal,
Als hinein sie schauten.
Die Knaben sahen
Der Kleinode Menge,
Reiche Geschmeide
Und rotes Gold. |
***22 wölund :
| "Kommt einsam her!
Kommt andern Tags!
Das ganze Gold
Gebe ich euch.
Nicht sagts dem Gesinde
Noch im Saal den Mägden, |
|
***hat draußen den Ankömmling betrachtet und gibt nun in der Halle den verhängnisvollen
Befehl. 17 3-6 spiegeln einen Teil des Geschehenen wider,
wie auch Str. 18. 17 10 Mit Säwarstad ist nach 43 4 ein Holm, eine kleine
Insel nah beim Lande, gemeint. 18 neuer Szenenwechsel: der gelähmte
Schmied sitzt in der Werkstatt auf Säwarstad. 19 Das schlaflose Arbeiten,
also heimlich bei Nacht, kann nur dem Flughemde gelten. Darauf zielt auch
der doppelsinnige Ausdruck in Zeile 3, 4,
Thule-Bd.01-021 Edda Heldendichtung. |
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|
|
Keinem Menschen,
Daß zu ihr geht!"
***23
| Der Bruder rief
Bald den andern,
Der Knabe den Knaben:
"Komm zu den Ringen!" |
***24
| Sie gingen zur Truhe,
Begehrten die Schlüssel:
Entschieden war ihr Schicksal,
Als hinein sie schauten.
Die Köpfe hieb er
Den Knaben ab,
Die Füße warf er
In des Feuerherds Grube. |
***25
| Doch unter den Haaren
Die Hirnschalen
Faßte er in Silber
Und sandte sie Nidud.
Doch aus den Augen
Edle Steine
Gab er der klugen
Gattin Niduds.
Doch aus der beiden
Brüder Zähnen
Schlug er Brustschmuck
Und sandte ihn Bödwild. |
|
***26
| Ihres Ringes
Rühmte sich Bödwild;
(Der Kleinode bestes
Brach ihr entzwei.
Weinend brachte sie
Wölund die Stücke:)
"Nur dir, Wölund,
Wag ichs zu sagen." |
***27 Wölund:
| "Ich bessere so
Den Bruch im Golde,
Daß deinem Vater
Es feiner scheint
Und deiner Mutter
Nicht minder gut
Und dir von gleichem
Glanz wie zuvor!" |
***28
| Er brachte ihr Bier,
Der es besser wußte;
Da sank sie bald
Auf dem Sitz in Schlaf. |
***Wölund:
| "Nun hab ich gerochen
An den ränkefohen
All mein Unheil —
Nur eines nicht!" |
|
***22 Um diesen ersten Besuch der Knaben kann das Gesinde wissen; Wölund
könnte also noch nicht ungestraft zur Rache schreiten. 28 5-8 Noch ungerochen
nennt Wölund die Kränkung, daß mit seines Weibes Ring die
Königstochter prunken durfte: vgl Str. 17 5 18 11 Die Schlachtung der
Knaben vergilt die zerschnittenen Sehnen, die Schändung der Bödwild
jenen innern Schmerz, und unser Dichter behandelt das zweite als die
Steigerung.
Thule-Bd.01-022 Edda Heldendichtung. |
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|
|
***29
| (Bezwungen war Bödwild
von des Bieres Kraft
Wölund zu wehren
Wußte sie nicht.) |
***30
| "Wahrlich!" —sprach Wölund—
"Nicht gewinn ich die Sehnen,
Die mir Niduds Schergen
Durchschnitten haben;
(Doch bessres Kunstwerk
Als des Königs Schmuck;
Niduds Ringe,
Schlug nächtlich mein Hammer!)" |
***31
| Lachend Wölund
In die Luft sich hob,
Weinend Bödwild
vom Werder ging,
In Furcht ob dem Buhlen
Und des Vaters Grimm. |
***32
| Draußen die kluge
Königin stand
Und ging hinein
Durch den ganzen Saal —
Zu säumen am Zaune
Saß er nieder —:
Die Königin:
"Wachst du, Nidud,
Njarenkönig?" |
|
***33 Nidud.
| "Immer wach ich,
Der Wonne beraubt:
Nicht kommt mir Schlaf
Seit der Kinder Tode.
Kalt ist mein Haupt;
Kalt war dein Rat!
Das wünsch ich nun,
Mit Wölund zu reden. |
***34
| Antwort mir, Wölund,
Albenherrscher:
Wo blieben meine
Blühenden Söhne?" |
***35 Wölund:
| "Erst sollst du alle
Eide schwören
Bei Schildes Rand
Und Rosses Bug,
Bei Schwertes Schärfe
Und Schiffes Bord,
Daß Wölunds Weibe
Kein Weh geschieht,
Daß du meine Buhle
Nicht morden läßt,
Ob ein Weib ich habe,
Das wohl ihr kennt,
Ob ein Kind ich habe
Im Königssaal. |
***36
| Zur Werkstatt geh,
Die du Wölund erbaut, |
|
Thule-Bd.01-023 Edda Heldendichtung. |
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|
|
Da findest du die Rümpfe,
Gerötet von Blut:
Die Köpfe hieb ich
den Knaben ab,
Die Füße warf ich
In des Feuerherds Grube
***37
| Doch unter den Haaren
Die Hirnschalen
Faßte ich in Silber
Und sandte sie Nidud;
Doch aus den Augen
Edle Steine
Gab ich der klugen
Gattin Niduds. |
***38
| Doch aus der beiden
Brüder Zähnen
Schlug ich Brustschmuck
Und sandte ihn Bödwild.
Mit Kindes Bürde
Jetzt Bödwild geht;
Euer beider
Einzge Tochter." |
***39 Nidud:
| "Kein Wort weiß ich,
Das mir weber täte,
Für das ich schlimmere
Schmach dir wünschte!
Kein Recke ist so hoch,
Dich vom Roß zu treffen, |
| | Niemand so stark,
Dich nieder zu schießen,
Da du dich hebst
Zu des Himmels Wolken." |
***40
| Lachend Wölund
In die Luft sich hob;
Doch unfroh Nidud
Ihm nachschaute. |
***41
| (Da sprach Nidud,
Der Njarenkönig:)
"Aufsteh, Thakrad,
Trefflichster Knecht!
Entbiet Bödwild,
Der brauenlichten
Daß die festlich geschmückte
Zum Vater komme." |
***42 Nidud:
| "Ists wahr, Bödwild,
Was Wölund sagte:
Du saßest mit ihm
Zusammen im Holm?" |
***43 Bödwild:
| "Wahr ists, Nidud,
Was Wölund sagte:
Ich saß mit ihm
Zusammen im Holm.
Wölund zu wehren
Wußte ich nimmer;
Wölund zu wehren
Wußte ich nicht!" |
|
Thule-Bd.01-024 Edda Heldendichtung. |
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|
2. Das Lied von der Hunnenschlacht
In diesem merkwürdigen Torso lebt eine alte westgotische
Sagendichtung nach, die sonst nur noch bei den Engländern
schwache Spuren hinterlassen hat. Ihr geschichtlicher Kern ist
die große Völkerschlacht vom Jahre 451, worin das Hunnenheer
den vereinigten Mächten Galliens erlag. So frei die Dichtung
mit diesem Stoffe geschaltet hat, bewahrt blieb doch ein
Bild von Volkskrieg und Massenkampf, wie in keiner zweiten
unsrer Heldensagen; man verspürt hier mehr wie sonst einen
Hauch aus der Völkerwanderungszeit. Die Überlieferung hat dem Liede eigentümlich mitgespielt.
Der Leser wird sogleich bemerken, daß Strophen sehr ungleichen
Geistes durcheinandergehen. Auf der einen Seite, ganz besonders
in Str. 2, 9 —14 eine stolz strömende Rhetorik, wortreich,
aber auch gesättigt mit Anschauung, und dabei von einer
gewissen volkstümlichen, unverkünstelzten Frische. Wie lebensvoll
faßt das Gespräch der Brüder die begehrten Besitztümer
der Heldenzeit zusammen! An dem andern Ende stehen Strophen wie 3, d, 7, 26 ff. mit
ihrem mehr prosaischen und dünn ausgewalzten Inhalt. Diese
sind offenbar die jüngern. Wir haben hier ein Hauptbeispiel
dafür, daß verschiedene Dichter aus sehr verschiedenen Zeiten
zu einem Liede beigetragen haben (vgl. o. S. 3). Und damit war die Leidensgeschichte des Textes noch nicht zu
Ende. Isländische Erzähler des 12. 13. Jahrhunderts haben
das Lied in eine größere Prosageschichte, eine Saga, hereingestellt
und dabei schrittweise einen Teil der Verse in Prosa
aufgelöst. Vielleicht ein Drittel des einstigen Bestandes hat
so seine gebundene Form eingebüßt. Zuweilen klingt die Prosa
noch so liedartig, daß der Übersetzer eine andeutende Rückdichtung
wagen konnte; sie ist in Klammern gedruckt. An
andern Stellen mußten knappe Prosasätze die Lücken füllen.
Man halte sich immer gegenwärtig, daß nur noch eine Reibe
loser Trümmer von der südgermanischen Dichtung der Wanderungsjahre
zeugt. Zum unmittelbaren Verständnis nehme man diese voraussetzung
. Heidrek, der erschlagene Gotenkönig, hat außer dem
vollbürtigen Sohne Angantyr einen Bastard hinterlassen, Hlöd,
den Sprößling der hunnischen Königstochter, bei seinem
Thule-Bd.01-025 Edda Heldendichtung. |
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|
Muttervater Humli im Hunnenlande aufgewachsen ist. (Dieser
Humli ist also an die Stelle des geschichtlichen Attila, des Besiegten
in der Völkerschlacht, getreten.)
***1
| (Erschlagen war Heidrek
Bei den Harwadabergen;
Da nahm Anganng
Das Erbe des Vaters,
Burgen und Brünnen
Und die breiten Lande,
Recken und Rosse
Und der Ringe Menge.) |
***2
| Hlöd war erwachsen
Im Hunnenlande
Mit Schild und Schwert
Und schimmernder Brünne,
Mit ringgeschmücktem Helme
Und harter Klinge,
Mit wohlgesähmtem Hengste
In heiligem Walde. |
***3
| Hlöd ritt westwärts,
Heidreks Sprößling;
Er kam zum Hofe
Des Herrschers der Goten
Nach Arheim hin,
Sein Erbe zu fordern:
Dort trank Angantyr
Das Erbmahl Heidreks. |
***4
| Vor hohem Saal
Sah einen Mann er;
Zum späten Gast
Sprach der also: |
| | ("Wer kommt geritten
Mit reisiger Schar?
Was begehrst du, Gast,
Am Gotenhofe?" |
***5 Hlöd:
| "Hlöd kam hierher.
Heidreks Sprößling,
Bei den Hunnen hört ich
von des Herrschers Tode.)
Geh in die hohe
Halle hinein;
Ruf Anganng;
Daß er Antwort gebe!" |
***6 Der Mann:
| "Hlöd ist gekommen,
Heidreks Sprößling,
Der Bruder dein,
Der Degen kühn.
Auf Hengstes Rücken
Ragt hoch der Jüngling:
Er kam, mit dir,
König, zu sprechen." |
***7
| Lärm ward in der Halle,
Es erhoben sich die Mannen
(Mit ihrem König,
Die kampfesfrohen.)
Jeder wollte hören,
Was Hlöd sagte
Und was Angantyr
Zur Antwort gäbe. |
|
Thule-Bd.01-026 Edda Heldendichtung. |
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|
|
***8 Angantyr.
| ("Heil, Bruder Hlöd!
In die Halle tritt ein!
Dem Vater zur Minne
Trink Met mit uns,
Ihm zur Ehre
Und uns zum Ruhm!
Gerüstet ist das Erbmahl
Mit aller Pracht.") |
***9 Hlöd:
| Die Hälfte will ich haben
von Heidreks Erbe,
Von Pfriem und Pfeil
Und jedem Pfennig,
von Kuh und Kalb
Und knirschender Mühle,
Von Dirne und Dienstknecht
Und deren Kinde. |
***10
| Den mächtigen Wald,
Den sie Myrkwid heißen,
Das heilige Grabmahl,
Das an der Heerstraße liegt,
Den strahlenden Stein
Am Gestade des Danp,
Die Hälfte der Heerburgen,
Die Heidrek besaß,
Land und Leute
Und lichte Ringe." |
|
***11 Angantyr:
| "Bersten soll, Bruder,
Der blinkendweiße Schild,
Kalte Klingen
Sich kreuzen sollen,
Eh das Terwingenland
Ich teilen lasse
Und dir, Humlung,
Die Hälfte gebe. |
***12
| Geben will ich dir
Goldene Ringe,
An Geld und Gut,
Was all dein Begehr:
Zwölfhundert Recken,
Zwölfhundert Rosse,
Zwölfhundert Knappen,
Die den Kampfschild tragen. |
***13
| Jedem Recken geb ich
Reiche Geschenke,
Andre, edlere,
Als er irgend begehrt;
Eine Maid geb ich
Jedem Manne zu eigen,
Jeder Maid häng ich
Um den Hals ein Kleinod. |
|
Thule-Bd.01-027 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***14
| Will dich im Sitzen
Mit Silber bedecken,
Will dich im Gehen
Mit Gold überschütten,
(Daß schimmernder Hort
Den Scheitel dir decke)
Und Ringe rollen
Rings um dich her." |
|
***15 Gizur der Alte:
| "Das sollte behagen
Dem Sohn der Magd,
Einem Kind der Magd,
Ob als König auch erzogen!
Da der Unechte
Auf der Asche saß,
Als der Edeling
Das Erbe nahm," |
|
Hlöd ergrimmte ob dieser Rede und ritt alsbald mit seinen
Mannen davon. Er erzählte seinem Muttervater Humli, daß
man ihm die Hälfte des Erbes verweigert und ihn einen
Mägdesohn genannt habe. Humli wurde sehr zornig. Danach
sprach er:
***16
| "Laß den Winter uns warten
Und in Wonnen leben,
Plaudern und trinken
Trefflichen Met,
Die Hunnen lehren
Heerwaffen führen,
Die ins Feld wir tapfer
Tragen sollen. |
|
***17
| Ein Heer will ich,
Hlöd, dir rüsten
Und eisig Kämpfer
Zur Kriegsfahrt entbieten:
Bis zum zwölfjährigen Streiter
Und zweijährigen Rosse,
So soll der Hunnen
Heer sich sammeln." |
|
Sie rüsteten denn ein Heer, so groß, daß das Hunnenland leer
wurde von waffenfähigen Männern, und ritten damit durch
den Wald Myrkwid, der Hunnenland und Gotenland scheidet.
In der Burg vor dem Walde gebot Herwör, die Schwester
Angantyrs und Hlöds, über eine starke Schar; mit ihrem
Ziehvater Ormar sollte sie die Grenze hüten.
Thule-Bd.01-028 Edda Heldendichtung. |
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|
|
***18
| (Spähend stand Herwör,
Heidreks Tochter
Auf dem Turm am Tore,
Als der Tag aufstieg.
Da sah sie am Walde
Die Sonne verdunkelnd
Staubwolken steigen
Stampfender Rosse. |
***19
| Da sah sies blitzen
Wie Brünnen von Golde,
Lichte Helme
Und helle Schilde;
Da sah sie das Heer
Der Hunnen ziehn,
Rosse und Reiter
In rascher Fahrt. |
|
***20 Herwör:
| "Mit Wehr und Waffen
Wahret euch gut!
Schwertkampf barret
Schlachtenfroher Goten.
Du Ormar reit
Mit Rüstung und Schild,
Die Hunnen zu entbieten
Zu harter Schlacht") |
***21 Ormar
| "Wohl will ich reiten
Mit Rüstung und Schild,
Des Hunnenkönigs
Heer zu treffen.
sum südlichen Burgtor
Entbiet ich sie
Zu hartem Kampf
Mit dem Heer der Goten." |
|
Ormar ritt aus der Burg an die Hunnenschar heran und forderte
sie mit lautem Ruf zur Feldschlacht heraus. Als er zurückkehrte,
war Herwör gerüstet mit ihrem ganzen Heer. Sie
sogen den Hunnen entgegen, und es erhob sich eine gewaltige
Schlacht. Da die Hunnen in der Übermacht waren, lichteten
sich die Reihen der Herwör, und zuletzt fiel sie selbst samt einer
großen Schar um sie her. Als Ormar sie fallen sah, da floh er
und mit ihm die Überlebenden. Er ritt Tag und Nacht was
er konnte, bis er zu König Angantyr nach Arheim kam. Da
sprach er:
***22
| "Von Süden komm ich,
Kunde zu bringen:
Verbrannt ist Myrkwid,
Die mächtige Heide,
(Gebrochen die hohe
Burg der Südmark,)
Überströmt das Gotenland
Von der Streiter Blute. |
|
***23
| Hingesunken
Ist Heidreks Maid,
Von Wunden geschwächt,
Die Schwester dein,
Schneller sum Kampf
Als zu kosen mit Buhlen
Und zur Halle zu eilen
Zum Hochzeitsfeste." |
|
Thule-Bd.01-029 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***24
| (Still saß Angantyr
Bei Ormars Worten;
Seine Hand preßte
Heftig den Bart.
Lange schwieg er;
Leise sprach er:
"Nicht brüderlich tat Hlöd,
Du hehre Schwester!) |
***25
| Gar manche waren wir,
Als Met wir tranken;
Klein ist mein Gefolge,
Wo viele nottun. |
***26
| Keinen seh ich
Im Saale hier,
Ob ich auch bitte
Und Ringe biete,
Der reiten will
Mit Rüstung und Schild,
Des Hunnenkönigs
Heer zu treffen." |
***27 Gizur
| "Keinen Pfennig
Empfangen will ich,
Noch Schillinge
Aus schimmerndem Gold :
Doch will ich reiten
Mit Rüstung und Schild,
Zum Hunnenvolke
Den Heerstab tragen." |
|
***28
| (Gute Waffen
Tat Gizur an,
Rasch wie ein Jüngling
Aufs Roß er sprang.
So sprach Gizur
Zum Gotenkönig:)
"Wohin soll ich die Hunnen
sum Heerkampf laden?" |
***29 Angantyr:
| "Entbiet sie zur Dylgja
Auf die Dunheide,
Jene Walstatt
Bei den Jassarbergen,
Wo oft die Goten
Gerkampf erhoben
Und stolz erstritten
Strahlenden Sieg!" |
***30
| (Aus ritt Gizur,
Der greise Recke
Durch Heide und Hag,
Die Hunnen zu treffen.
Heran ritt er
Auf Rufes Weite,
Der Hunnen Heer
Rief hell er an:) |
***31
| "Ich embter euch zur Dylgja
Auf die Dunheide
Jene Wahlstatt
Bei den Jassarbergen, |
|
Thule-Bd.01-030 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
(Wo oft die Goten
Gerkampf erhoben
Und stolz erstritten
Strahlenden Sieg.)
***32
| Fliehn wird euer Volk,
Fallen euer König,
Sinken eure Fahne,
Feind ist euch Odin!
Er schrecke eure Scharen
Übers Schlachtfeld hin! |
| | Wie mein Wort es will,
Weise er den Speer!" |
***33 Hlöd
| "Greifet Gizur,
Den Grytingenkrieger,
Angantyrs Mann,
Der aus Arheim kam!"
Humli
("Nicht ziemt es den Vielen,
Zu umzingeln den Einen;
Heilig ist der Herold,
Der dahinzieht allein!") |
|
Da spannten die Bogenschützen der Hunnen ihre gefürchteten
Bogen. ***34 | (Dies rief Gizur,
Der Grytingenkrieger:
"Hunnischen Hornbogen
Halten wir Stand!") |
Er spornte sein Roß, ritt zum König Angantyr zurück und
meldete, daß die Botschaft an die Hunnen bestellt sei. Angantyr
fragte nach der Stärke des Hunnenheeres. Da sprach Gisur: ***35 | "Sechs Völkerschaften
Beim Feinde stehn,
In jedem Volke
Fünf Tausende;
Jedoch im Tausend
Dreizehn Hundert,
In jedem Hundert
Die Helden vierfach." |
Thule-Bd.01-031 Edda Heldendichtung. |
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|
|
Angantyr zog mit seiner ganzen Macht auf die Dunheide und
stieß hier zusammen mit dem doppelt so starken Hunnenheer.
Sie schlugen sich acht Tage von früh bis spät, und niemand
konnte die Toten zählen. Tag und Nacht strömte neue Mannschaft
zu Angantyr aus allen Himmelsgegenden, so daß er am
Ende nicht weniger hatte als am Anfang. Am letzten Tage wurde die Schlacht am heißesten: die Hunnen
wußten, daß es Sieg oder Tod galt, die Goten aber kämpften
für Freiheit und Vaterland. Am Abend kam das Hunnenheer
ins Wanken; da schritt Angantyr vor aus seinem geschlossenen
Kriegerhaufen in die feindliche Reihe hinein und hieb mit seinem
Schwerte nieder, was ihm in den Weg kam, Männer und
Rosse. Hlöd trat ihm entgegen, und es kämpfte Bruder mit
Bruder, bis der Bastard fiel. Auch König Humli fand den Tod.
Jetzt flohen die Hunnen. ***36 | (Da drängten grimmig
Die Goten nach
Und hieben nieder
Der Hunnen Reihen.
Es standen die Flüsse
Und stürzten aus den Ufern;
In den Tälern türmten sich
Tote Mannen.) |
Angantyr ging, die Walstatt zu beschauen. Er fand den Leichnam
seines Bruders Hlöd. Da sprach er: ***37 | "Ich bot dir, Bruder,
Bruchfreie Ringe,
An Geld und Gut
Was all dein Begehr:
Erlangt hast du nun
Alg Lohn des Kampfes |
Thule-Bd.01-032 Edda Heldendichtung. |
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|
Nicht Land noch Leute,
Noch lichte Ringe. ***38 | Ein Fluch traf uns, Bruder;
Dein Blut hab ich vergossen!
Nie wird das ausgelöscht —
Unheil schuf die Norne." |
Thule-Bd.01-033 Edda Heldendichtung. |
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|
3. Das Alte Sigurdlied
Mit diesem Liede betreten wir den Kreis der berühmten
Nibelungensage. Zu dem alten Bestande der deutschen, fänkischen
Sigfridsdichtung gehörte der tragische Stoff, den man
nach seiner Heldin die Brynhild sage nennen kann. Sie füllt
die erste Hälfte des deutschen Nibelungenliedes. Wie sie Jahrhunderte
früher, unter dem Zeichen des Heidentums und der
kurzen Liedform, aussah, davon gibt unser Bruchstück einen
Begriff. Diese seelisch keimereiche Sage hat die isländischen Dichter
angezogen wie keine andere; davon zeugen Nr. 6, 9—13.
Unter diesem jüngeren Wachstum ragt unser Altes Sigurdlied
auf als das schlanke und spröde Gebilde, das noch in
den Tatsachen aufgeht, noch nicht zur gefühlvollen Beredsamkeit
erblüht ist. Auch neben den beiden vorangehenden
und nachfolgenden Ereignisliedern nehmen sich unsere Strophen
enthaltsam, schlicht aus, ein wenig arm und eckig im
Ausdruck, ohne das Überströmende und den grellen Farbenreichtum.
Die logischen Übergänge zwischen den Auftritten
sind hier noch mehr wie sonst verschwiegen. Die besondere
Eingebung unsres Dichters darf man wohl erblicken in der
Art, wie er Sigurds Ermordung gleichsam hinter der Szene
läßt: es ist, als ob wir die Tat im fernen Hintergrunde
schattenhaft erspähten; und dann in jenem nächtlichen Stimmungsbilde
(Str. 14. 15), das mit wenigen Strichen Gunnars
Angst vor den Folgen seines Frevels in bewegte Anschauung
umsetzt. Die beklagenswerte Lücke der eddischen Hauptbandschrift hat
mehr als die erste Hälfte unsres Liedes verschlungen. Eine
prosaische Umschrift des verlorenen Teiles bietet die altisländische
Wölsungasaga; hier sind auch die beiden ersten Strophen
gerettet. Aber die Saga hat den Inhalt unseres Gedichtes
mit dem eines anderen, jüngeren so verwoben, daß man ihr
die fehlende Hälfte des Alten Liedes nicht einfach nacherzählen
kann. Wir begnügen uns daher mit einer trockenen Inhaltsangabe
für die verlorenen Stücke. Sigurd, der ruhmreiche Drachentöter, hat Schwurbruderschaft
geschlossen mit den königlichen Brüdern Gunnar und
Thule-Bd.01-034 Edda Heldendichtung. |
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Högni, den Söhnen Gjukts, und hat ihre Schwester Gudrun
sum Weibe bekommen. In Glück und Ehren lebt er am Hofe
seiner Schwäger. Da beschließt Gunnar, um Brynhild zu
werben, die männerspröde Jungfrau, die geschworen hat, sich
nur dem Besieger ihrer Waberlohe zu ergeben. Sigurd verspricht
ihm seine Hilfe und zieht mit vor Brynhildens flammenumloderte
Burg. Umsonst versucht Gunnar den Ritt durch
das zauberische Feuer; auch Grani, den Hengst Sigurds,
bringt Gunnar, der schwächere Held, nicht vom Flecke. Da
tauscht Sigurd mit Gunnar die Gestalt und rettet; sein
Schwert Gram an der Seite, auf Granis Rücken gegen den
Flammenwall am
***1
| Der Brand raste,
Der Boden wankte,
Hohe Lohe
Zum Himmel stieg;
Keiner wagte
von des Königs Recken
Hindurch zu reiten,
Drüber zu setzen. |
|
***2
| Sigurd Grani
Mit Gram spornte;
Die Rüstung blinkte,
Die Regin schlug:
Das Feuer erlosch
Dem Fürstensohn;
Die Lohe wich
Dem Wagefohen. |
|
Sigurd tritt bei Brynhild ein und nennt sich Gunnar, Gjukis
Sohn. Getreu ihrem Schwure, willigt sie in die Ehe mit ihm
ein und teilt drei Nächte das Lager mit ihm: er legt sein
blankes Schwert zwischen sich und des Schwurbruders Weib.
Dann reitet er zu den Gefährten zurück und tauscht abermals
mit Gunnar die Gestalt. Mit Brynhild ziehen sie an
den Königshof und feiern Gunnars Hochzeit. Den Ring, den
Sigurd der Jungfrau von der Hand gezogen hatte, gibt er
seinem Weibe. Über Jahr und Tag, beim Baden im Flusse, zanken die
Schwägerinnen Gudrun und Brynhild über den Vorrang
ihrer Männer. Gudrun enthüllt der Gegnerin, daß Sigurd
es war, der ihre Lohe durchritt und ihr Lager teilte, und
überführt sie mit dem Ringe. Brynhild erbleicht und redet
Thule-Bd.01-035 Edda Heldendichtung. |
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an dem Abend kein Wort. Als Gunnar sie nach ihrem Leide
fragt, sagt sie ihm, jetzt wisse sie alles; Sigurd aber habe sie
und ihn betrogen, als er ihr Lager teilte; sie wolle nicht zwei
Männer haben in einer Halle; "Sigurd muß sterben oder du
oder ich." Gunnar beschließt, den Schwager und Schwurbruder
zu verderben. Als er seinem Bruder Högni davon
redet, spricht dieser:
***3
| "Wofür ist Sigurd
Dir Sühne schuldig,
Daß du den Tod
Des tapfern willst?" |
***4 Gunnar:
| "Der Held schwur mir
Heilige Eide,
Heilige Eide,
Und hielt keinen;
Aller Eide
Ewiger Hort
Sollte er sein
Und sann auf Trug!" |
***5 Högni:
| "Brynhild hat dir
Zu böser Tat
Haß entzündet,
Harm zu wecken;
Gudrun gönnt sie
Den Gatten nicht,
Nicht will sie dir
Als Weib gehören." |
|
***6
| Sie schnitten den Wurm,
Sie schmorten den Wolf,
Sie gaben vom Wolf
Guttorm zu essen,
Eh sie vermochten,
Meintatlüstern,
An den klugen Helden
Hand zu legen. |
***7
| Erschlagen war Sigurd
Südlich vom Rhein;
vom Baume rief
Der Rabe laut:
"An euch wird Ati
Eisen röten,
Der Meineid muß
Die Mörder fällen!" |
***8
| Draußen stand Gudrun,
Gjukis Tochter, |
|
Thule-Bd.01-036 Edda Heldendichtung. |
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|
|
Und also war
Ihr erstes Wort
"Wo habt ihr Sigurd,
Den Heldenfürsten,
Da Gjukis Erben
Als erste reiten?"
***9
| Einzig Högni
Antwort da gab:
"Nieder hieben
Den Helden wir;
Der Hengst neigt das Haupt
Auf des Herrn Leiche." |
***10
| Da lachte Brynhild
Zum letzten Male —
Das Haus hallte —
Aus Herensgrund:
"Lange waltet
Der Lande und Degen,
Da ihr den Fürsten
Fallen ließet!" |
***11
| Da sprach Gudrun,
Gjukis Tochter:
"Furchtbar sprichst du,
Frevelworte;
Geistern verfalle
Gunnar, der Mörder!
Rache werde
Ruchloser Tat!" |
|
***12
| Da sprach Brynhild,
Budlis Tochter:
"Wohl nun waltet
Der Waffen und Lande!
Sigurds Eigen
War alles bald,
Ließt ihr länger
Am Leben ihn. |
***13
| Schande wär es,
Schaltete er
Über Gjukis Gut
Und der Goten Schar,
Hätte fünf Söhne
Zu Siegestaten,
Kampfgierige,
Der König gezeugt!" |
***14
| Finstre Nacht wars,
Viel war getrunken,
Frohe Reden
Geführt waren;
Alle schliefen
Auf ihrem Lager —
Einzig Gunnar
von allen wachte. |
***15
| Er regte den Fuß,
Er redete viel,
Denken mußte
Der Degen immer, |
|
Thule-Bd.01-037 Edda Heldendichtung. |
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|
|
Was Rabe und Aar
Gerufen hatten
Hoch vom Baume,
Als heim sie ritten.
***16
| Wach ward Brynhild,
Budlis Tochter,
Die Fürstenmaid,
Früh vor Tage:
"Reizt oder wehrt —
Weh ist geschen —
Leid zu sagen
Oder so es zu lassen!" |
***17
| Alle schwiegen
Bei ihren Worten,
Wenge verstanden
Solch weibisches Tun,
Als weinend sie
Das Werk erzählte;
Zu dem sie lachend
Die Degen verlockt. |
***18 Brynhild:
| "Schrecken schaut ich
Im Schlaf, Gunnar:
Kalt war der Saal,
Klamm mein Lager; |
| | Du, Fürst, rittest,
Des Frohsinns bar,
Die Fessel am Fuß,
Ins Feindesheer. |
***19
| So wird vernichtet
Der Niblunge
Mächtiger Stamm:
Meineid schwurt ihr! |
***20
| Gunnar, so ganz
Vergaßest du,
Daß Blut in die Spur
Ihr beide träuftet!
Übel hast du
Ihm alles gelohnt,
Der Gunnar als ersten
Doch gelten ließ. |
***21
| Als kühn der Recke
Geritten kam,
Um mich u werben,
Da ward es kund,
Wie heilig den Eid
Der Heervernichter
Gehalten hatte
Dem jungen Herrscher. |
|
Thule-Bd.01-038 Edda Heldendichtung. |
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|
***22 | Der Glänzende legte
Den goldgezierten
Zweig der Wunden
Zwischen uns beide;
Im Feuer geschärft
Die Schneiden waren,
Bunt war mit Gift
Das Blatt geäst." |
Thule-Bd.01-039 Edda Heldendichtung. |
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4. Das Alte Atlilied
Was das Alte Sigurdlied für die Brynhild sage, das bedeutet
das Alte Atlilied für die Sage vom Untergang der
Gjukunge (die Burgundensage) es ist die ursprünglichste Darstellung
dieses Stoffes, der in jüngerer Gestalt und breit epenmäßiger
Ausführung den Schlußteil des Nibelungenliedes
bildet. Unser Gedicht ist nicht unversehrt und einheitlich durch die
Jahrhunderte gegangen. Es hat manche dunkle und halbdunkle
Stelle, und in seiner Form wirkt es buntscheckig. Eine
Erzählweise, die man barock nennen kann, mit entlegenen
Wendungen, mit gehäuftem Ausdruck, der die silbenreichen
Verse zu sprengen droht, wechselt mit flüssigeren Strophen
von leichterem Satzbau, auch mit wunderlich skaldisch gedrechselten
Zeilen. Der Eindruck im ganzen ist der eines lauttönenden
Pathos, das auch über lebhafte sinnliche Bilder
verfügt. Eine rechte Kunstdichtung, in der man selten den
schlichteren Klängen der drei vorigen Lieder begegnet; sie
scheint jeden Gedanken neu zu prägen, fällt bisweilen ins Gesuchte,
nirgends in die abgegriffene Formel. Eine geradezu
wilde heroische Begeisterung durchzieht dieses Heldenlied. Der
Dichter fühlt noch gans mit seinen Gestalten, seine Bewunderung
bricht in persönlichen Zwischen- und Schlußsätzen durch. Ein
Höhepunkt der ganzen altgermanischen Dichtung ist die Trutzrede
des gefesselten Gunnar (Str. 22—29). vergleicht man
sie mit ihrem Doppelgänger im Nibelungenlied, den letzten
Strophen Hagens, so fühlt man das derb Heidnische und das
hymnisch Erregte bei dem älteren, stabreimenden Künstler. ***1 | Atli sandte Botschaft
Aus zu Gunnar,
Einen klugen Reiter,
Knefröd geheißen.
Er kam zu Gjukis Hof
Und zu Gunnars Halle,
Den herdnahen Bänken
Und dem Bier, dem süßen. |
Thule-Bd.01-040 Edda Heldendichtung. |
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|
|
***2 | Dort tranken die Getreuen —
Doch vom Truge schwieg er —
Wein in der Halle,
Hunnenzorn fürchtend.
Knefröd rief da
Mit kalter Stimme;
Der Mann aus dem Südland,
Er saß auf der Hochbank: | ***3 | "Atli gebot mir,
Daß aus ich ritte
Auf kauendem Pferde
Durch den pfadlosen Myrkwid,
Euch beide zu bitten,
Daß zur Bank ihr kämet
Mit ringgeschmückten Helmen,
Zu hausen bei Atli. | ***4 | Er schenkt euch Schilde
Und geschabte Lanzen,
Goldgeschmückte Helme
Und der Hunnen Menge,
Silbernes Sattelzeug,
Südländische Röcke,
Geschärfte Speerspitzen,
Schäumende Rosse. | ***5 | Die weite Gnitaheide
Will er euch geben, |
Thule-Bd.01-041 Edda Heldendichtung. |
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|
|
Klirrende Gere
Und goldene Steven,
Strahlende Kleinode,
Die Gestade des Danp,
Den mächtigen Wald,
Den sie Myrkwid heißen." ***6 | Das Haupt wandte Gunnar,
Und zu Högni sprach er:
"Was sagt uns der Bruder,
Da wir solches hören?
Nicht wüßte ich Gold
Auf der Gnitaheide,
Daß wir andres nicht hätten,
Ebensovieles. | ***7 | Scheunen hab ich sieben,
Mit Schwertern gefüllt,
Ein Griff von Golde
Glänzt an jedem;
Herrliche Bogen,
Brünnen von Golde,
Mein einer ist besser
Als die aller Hunnen;
Mein Kampfroß ist das beste,
Meine Klinge die schärfste,
Mein Helm und Schild die hellsten
Aus der Halle des Kjar." | ***8 Högni | "Was riet uns wohl die Frau,
Da den Ring sie sandte,
Mit Wolfshaar umwunden ?
Warnung, mein ich, bot sie! |
Thule-Bd.01-042 Edda Heldendichtung. |
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|
|
| Ein Haar des Heidewolfs
Haftete am Goldring:
Wölfisch wird der Weg uns
Zur Wohnung Atlis." | ***9 | Es schwiegen die Schwäger
Und die Schwertmagen alle,
Die Berater und Vertrauten
Und die Reichen des Landes.
Wie dem König gebührt;
Gebot da Gunnar,
Herrlich in der Halle,
voll hohen Mutes: | ***10 | "Erhebe dich, Fjörnir!
In die Halle laß bringen
Der Krieger Goldschalen
Durch der Knechte Hände! | ***11 | Genießen sollen Wölfe
Des Niblungenerbes,
Grimme Grauröcke,
Wenn Gunnar ausbleibt;
Braunzottige Bären
Sollen beißen mit den Hauern,
Wenn der König nicht kommt,
Der Krieger Meute!" | ***12 | Den Landherrn geleiteten
Untadlige Leute,
Beweinend den Heerkühnen,
vom Hof der Niblunge.
So sagte da der jüngere
Sohn des Högni:
"Wo Beherztheit euch hinführt,
Fahret heil und klug!" |
Thule-Bd.01-043 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***13 | Ausschreitend ließen sie
Laufen übers Bergland
Die kauenden Pferde
Durch den pfadlosen Myrkwid.
Es bebte die Hunnenmark,
Wo die Hartgemuten zogen;
Sie spornten die Renner
Über sprießende Felder. | ***14 | Das Hunnenland sahn sie
Und die hohen Zinnen,
Budlis Krieger stehn
Auf der Burg, der hohen,
Den Saal der Südvölker,
Mit Sitzen erfüllt,
Mit verbundenen Reihen
Blinkender Schilde. | ***15 | Mit seinen Getreuen
Trank da Atli
Wein in der Halle.
Wächter saßen draußen,
Gunnar zu begegnen,
Wenn zur Gastung er käme
Mit klirrendem Gere,
Zu wecken Kampf dem Fürsten. |
16 | Die Schwester sah sie,
Als in den Saal sie traten,
Ihre beiden Brüder —
Von Bier war sie nüchtern —:
"Verraten bist du, Gunnar!
Du Reicher, was vermagst du |
Thule-Bd.01-044 Edda Heldendichtung. |
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|
Wider hunnische Hinterlist?
Aus der Halle geh eilend! ***17 | Besser tätst du, Bruder,
In der Brünne zu reiten,
Als mit ringgeschmückten Helmen
Zu hausen bei Atli
Dann säßest du im Sattel
Sonnenhelle Tage,
Ließest notfahle Leichen
Die Nornen beweinen
Und hunnische Heermaide
Harm erdulden
Und schicktest Atli
In den Schlangenbof.
Der Schlangenhof ist nun
Beschieden dir selbst!" | ***18 Gunnar: | "Versäumt ists, Schwester;
Zu sammeln die Niblunge;
Zu weit ists, die Helden
Zur Heerfahrt zu entbieten
von des Rheines Rotgebirg,
Die Recken ohne Tadel!" | ***19 | Sie griffen Gunnar;
Begannen zu knebeln
Den Burgundenpreund
Und banden ihn fest. |
Thule-Bd.01-045 Edda Heldendichtung. |
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|
***20 | Sieben erschlug
Mit dem Schwerte Högni,
In heiße Flamme
Flog der achte.
So besteht ein Held
Im Streit die Feinde,
Wie Högni bestand
Der Hunnen Überzahl. | ***21 | (Gefesselt ward Högni
Mit harten Banden;
Es gingen die Hunnen,
Mit Gunnar zu reden;)
Sie Sagten den Kühnen,
Ob er kaufen wolle,
Der Goten Herr,
Mit dem Gold sein Leben. | ***22 Gunnar: | "Högnis Herz soll
In der Hand mir liegen,
Blutig geschnitten
Aus der Brust dem Helden
Mit schlimmbeißendem Sachsschwert,
Dem Sohne des Volkskönigs." |
Thule-Bd.01-046 Edda Heldendichtung. |
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***23 | Sie schnitten dem Hjalli
Das Herz aus der Brust;
Blutig auf der Schüssel
Brachten sie es Gunnar. | ***24 | So rief da Gunnar,
Der Goten König:
"Hier hab ich das Herz
Hjallis des feigen,
Ungleich dem Herzen
Högnis des kühnen
Gar heftig bebt es
Hier auf der Schüssel;
Es bebte zwiefach,
Da in der Brust es lag." | ***25 | Da lachte Högni,
Als sum Herzen sie schnitten
Dem kühnen Kampfbaum;
Zu klagen vergaß er.
Blutig auf der Schüssel
Brachten sie es Gunnar. | ***26 | Jetzt rief Gunnar,
Der Gernibelung:
"Hier hab ich das Herz
Högnis des kühnen,
Ungleich dem Herzen
Hjallis des feigen:
Gar schwach bebt es
Auf der Schüssel hier;
Es bebte minder,
Da in der Brust es lag. |
Thule-Bd.01-047 Edda Heldendichtung. |
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***27 | So wenig wird, Atli,
Ein Auge dich sehen,
Wie du selber, König,
Die Kleinode schaust! | ***28 | Einzig bei mir
Ist all verhohlen
Der Hort der Niblunge:
Nicht lebt mehr Högni!
Immer war mir Zweifel,
Da wir zwei lebten:
Aus ist er nun,
Da ich einzig lebe. | ***29 | Nun hüte der Rhein
Der Recken Zwisthort,
Der schnelle, den göttlichen
Schatz der Niblunge!
Im wogenden Wasser
Das Welschgold leuchte,
Doch nimmer an den Händen
Der Hunnensöhne!" | ***30 Atli: | "Der Gefangne ist gebunden:
Bringt nun den Wagen!"
Der Zaumzerrer
Zog den Schatzwart,
Den Herrn der Schlacht,
Hin zum Tod. | ***31 | Atli, der reiche,
Ritt auf Glaum, |
Thule-Bd.01-048 Edda Heldendichtung. |
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|
Der Sieggötter Sproß,
Von Speeren umringt.
Da sprach Gudrun,
Gjukis Tochter,
In die Halle tretend —
Den Tränen sie wehrte —: ***32 | "So geh dirs, Atli,
Wie dem Gunnar du
Die Eide gehalten,
Die einst du schwurst
Bei der südlichen Sonne
Und Siegvaters Felsen,
Bei dem Roß des Ruhbetts
Und dem Ringe Ulls!" | ***33 | Den lebenden Herrscher
Warf in den Hof,
Wo Schlangen krochen,
Der Krieger Schar.
Aber Gunnar,
Der edle König,
Mit der Hand die Harfe
Hochgemut schlug;
Die Saiten klangen.
So soll ein kühner
Ringvergeuder
Den Reichtum hüten. | ***34 | Atli wandte
Wieder heimwärts |
Thule-Bd.01-049 Edda Heldendichtung. |
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|
Das stampfende Roß
zurück vom Morde.
Gedröhn war im Hofe,
Gedränge der Pferde;
Waffenklang der Männer,
Da vom Wald sie kamen. ***35 | Hinaus trat Gudrun
Mit goldenem Becher,
Atli entgegen,
Vergeltung ihm zu bringen:
"Empfange, Fürst,
Fröhlich in der Halle,
Die zur Hel hingingen,
Die Haustiere Gudruns!" | ***36 | Es tönten die weinschweren
Trinkschalen Atlis,
Als in der Halle die Hunnen
Unterhaltung pflogen;
Die langbärtigen Krieger
Kamen herein,
Die vom Morde Gunnars
Aus Myrkheim nahten. | ***37 | Da trat in die Halle,
Ihnen Trank zu bringen,
Die hellwangige Frau
Aus dem Fürstenstamme;
Dem fahlen Fürsten
Gab die furchtbare den Imbiß,
Gehorchend der Pflicht,
Und hohnvoll sprach sie: |
Thule-Bd.01-050 Edda Heldendichtung. |
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|
***38 | "Hüter der Schwerter,
Du hast deiner Söhne
Blutige Herzen
Mit Honig verzehrt!
Du Mutiger magst
Menschliche Leichen
Hungrig verzehren
Und auf den Hochsitz entsenden. | ***39 | Nimmer kommen
Zu den Knieen dir
Erp und Eitil,
Die immer frohen;
Auf dem Sitz im Saal
Siehst du nimmer
Die Goldspender
Gere schäften." | ***40 | Getöse ward im Saal,
Toben der Mannen,
Weinen unter Gewanden,
Wehklagen der Hunnen.
Das Weib allein
Beweinte nimmer
Ihre bärenkühnen Brüder
Und blühenden Kinder,
Die jungen, arglosen,
Die sie von Atli gewann. | ***41 | Gold verschenkte
Die schwanenweiße, Rote Ringe
Reichte sie den Mannen; |
Thule-Bd.01-051 Edda Heldendichtung. |
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|
Das Schicksal ließ sie wachsen
Und die Schätze wandern,
Die Königin schonte
Der Schatzkammer nicht. ***42 | Sorglos hatte Atli
Sinnlos getrunken;
Nicht hatte er Waffen,
Nicht wehrte er Gudrun.
Besser war das Spiel,
Wenn beide sich oft
Innig umarmten
vor den Edlingen! | ***43 | Blut gab mit dem Schwerte
Dem Bett sie zu trinken
Mit helgieriger Hand;
Die Hunde löste sie,
Trieb sie vors Tor;
Die Trunkenen weckte sie
Mit heißem Brande:
So rächte sie die Brüder. | ***44 | Dem Feuer gab sie alle,
Die innen waren,
Den Bau der Budlunge;
Die Balken stürzten,
Die Schatzkammern rauchten,
Die Schildmaide innen
Sanken entseelt
In sengende Lohe. |
Thule-Bd.01-052 Edda Heldendichtung. |
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|
***45 | Die Mär bat ein Ende;
Keine Maid tut je
In der Brünne ihr gleich,
Die Brüder zu rächen:
Drei Königen
Verkündete sie
Todesschicksal,
Eh die tapfre starb. |
Thule-Bd.01-053 Edda Heldendichtung. |
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|
5. Das Alte Hamdirlied
Diese uralte gotische Sage haben die nordischen Dichter an
den Nibelungenkreis angeschlossen, indem sie die beiden jugendlichen
Helden und ihre Schwester zu Kindern der Gudrun
machten. Gudrun, die vielgeprüfte, vom Leide unerweichte
Fürstin, beherrscht den ersten Teil. Die Reden, die sie mit den
Söhnen tauscht, beschwören die blutigen Bilder aus der Sigurd-
und Atlisage herauf. Noch einmal schürzt sich ein furchtbares
Schicksal; an der Rachepflicht verbluten sich die letzten Sprößlinge
des Heldenweibes. In herber Leidenschaftlichkeit hat dieses Heldenlied kaum
seinesgleichen. Die Stimmung ist noch düsterer, schicksalhaft
unerbittlicher als in dem Alten Atliliede. An dessen schwerfaltigen
Ausdruck fühlt man sich oft erinnert, doch ist der
Schritt schneller, zwischen den Reden bleibt nur Zeit zu lose
hingeworfenen Impressionen. Auch die Uneinheitlichkeit im
Satz- und Versbau trifft man hier wieder. Der Zahn der Zeit
hat unser Denkmal noch tiefer zerfurcht: Der beherrschende
Zug von der Unverletzlichkeit der Brünnen tritt erst in Str. 26
zutage. Die Strecke von Str. 10 bis 16 gleicht, so wie sie in
der Handschrift daliegt, einem Trümmerfelde; aber mit Hilfe
der verwandten Berichte konnte der Versuch gemacht werden,
dieses im Aufbau des ganzen so wichtige Glied verständlich
und genießbar herauszubringen. Die Untat, die unsern Liedinhalt in Bewegung setzt, hat der
Dichter als bekannte Vorgeschichte nur andeutend gestreift.
Die junge Gattin des Gotenkönigs Jörmunrek; Schwanhild,
ist der Buhlschaft mit ihrem Stiefsohn bezichtigt worden.
Da läßt der König seinen Sohn an den Galgen knüpfen,
Schwanhild von den Hufen der Rosse zertreten. Die gebornen
Rächer Schwanbildens sind ihre Halbbrüder, Gudruns Söhne
aus der Ehe mit Jonaker.
***1
| (Das erfuhr ich im Volke
Als die früheste Kunde —)
Kein Ding war eher:
Es ist doppelt so alt —, |
|
Wie Gudrun reizte,
Rache zu gewinnen,
Wider Jörmunrek
Ihre jungen Söhne. |
Thule-Bd.01-054 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
2
***Gudrun:
| "Eure Schwester
War Schwanhild geheißen,
Die Jörmunreks
Rosse zerstampften,
Helle und dunkle,
Auf der Heerstraße,
Graue, gang schnelle
Gotische Hengste. |
***3
| Bin einsam worden,
Wie die Espe im Wald,
Der Brüder beraubt,
Wie die Birke der Zweige,
Bar der Freude,
Wie ein Baum des Laubes,
Den der Waldfeind streifte
An warmem Tage. |
***4
| Ihr seid nun die letzten
Der Sippe mein,
verkümmerte Sprossen
Nach der Könige Tode:
(Wenig gleicht ihr
Gunnar dem kühnen;
Rascher war Högni
Zum Rachewerke.") |
***5
| Das sagte Hamdir,
Der hochgemute:
Nicht rühmetest so hoch du
Högnis Taten,
Als Sigurd vom Schlummer
Die Gesippen weckten: |
|
Du saßest am Lager;
Es lachten die Mörder.
***6
| Deine Bettlinnen,
Die bläulichweißen,
Troffen vom Tau
Der Todeswunde;
Da starb Sigurd,
Du saßest beim Toten,
Vergassest der Freude —
Das war Gunnars Werk! |
***7
| Atli wolltest du treffen,
Mit Erps Morde
Und Eitis Tötung;
Doch ärger traf es dich!
Andern zum Unheil,
Nicht zum eignen Verderben,
Soll man verwenden
Das wundenscharfe Schwert." |
***8
| Das sagte Sörli,
Er war kluges Sinnes:
"Nicht mag ich in Worten
Mit der Mutter streiten;
Eines doch blieb euch
Noch ungesprochen:
Was begehrst du, Gudrun,
Das nicht Gram bringt? |
***9
| Die Brüder beweine
Und die blühenden Söhne:
Beklage die Gesippen,
Die du zum Kampf gereizt! |
|
3 7 Der Waldfeind ist der Sturmwind. 4 Die Ergänzungen hier und in
Str. 10,12 lehnen sich an Gudruns Sterbelied an, unten Nr 11.
Thule-Bd.01-055 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Uns wirst du, Gudrun,
Nun auch beweinen:
Tod ist uns bestimmt;
Wir sterben in der Ferne."
***10
| (Das sagte Hamdir,
Der hochgemute,
Der kühne in der Halle,
Heftiges Sinnes:
"Das Heergewand hole
Der Hunnenfürsten!
Gereizt hast du uns
Zum Rachewerke." |
***11
| Die Brust mit der Brünne
Die Brüder deckten,)
Sie schnallten die Schwerter fest,
Schüttelten die Loden,
Die Edeln schlüpften
In die schmucken Gewande. |
***12
| Sie schritten vom Hofe,
Schnaubend vor Zorn;
(Doch lachend ging
Gudrun zum Söller.)
Sie fanden am Tore
Den vielschlauen,
(Den jüngsten Bruder,
Den braungelockten.) |
|
***13
| Die ruhmfrohe rief;
Ob den Recken stehend,
Zu diesem Sohne
Sagte die schlanke:
("Rüste auch du dich
Zum Ritt mit ihnen!)
Sie verheißen mehr,
Als sie halten können:
Sollen zwei Männer
Zehnhundert Goten
Binden oder töten
In der Burg, der hohen?" |
***14
| (Das sagte Hamdir,
Der hochgemute:)
"Was nützt uns Brüdern
Der braune Knirps?" |
***15
| Der Stiefbruder sprach:
"Stützen will ich,
Wie der Fuß den Fuß,
Fest euch beide." |
***Hamdir:
| "Was soll der Fuß
Dem Fuße helfen,
Die festgewachsene
Faust der andern?" |
|
12
Thule-Bd.01-056 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***10
(Sie legten den Rossen
Das Reitzeug auf;
Bald saßen im Sattel
Die Söhne Gudruns.)
Über feuchtes Gebirg
Führten die Jünglinge
Die hunnischen Rosse,
Zu rächen den Mord.
***17
| Da sagte Erp
Mit einem Male,
Tänzeln ließ
Der tapfre sein Roß:
"Nicht ziemt mirs, Zagen
Den Weg zu zeigen." —
Der Brüder kühnsten
Den Bastard man nannte. |
***18
| Aus den Scheiden rissen sie
Scharfe Klingen,
Harte Schwerter,
Hel zur Freude;
Um ein Drittel schwächten
Die Degen die Kraft:
Der junge Bruder
Zu Boden sank. |
***10
| Frei lag der Pfad,
Sie fanden den Unheilsweg,
Den windkalten Wolfsbaum
Im Westen der Burg:
Am Galgen schwebte
Der Schwester Stiefsohn;
Der Leichnam schwankte —
Nicht schön war der Ort. |
|
***20
| Tosen war im Saale;
Trunkfrob die Männer,
Niemand vernahm
Das Nahen der Rosse,
Bis das Horn erscholl
Des beherzten Spähers. |
***21
| Es jagten die Wächter
Jörmunrek zu melden,
Sie hätten Helden
In Helmen gesehn:
"Wahrt euch! Wehrt euch!
Gewaltige kommen;
Mächtigen Männern
Habt die Maid ihr zerstampft!" |
***22
| Da lachte der Gotenfürst;
Griff in den Bart,
Faßte die Kanne;
Kühn war er vom Weine,
Schaute auf den Schild,
Schüttelte das Braunhaar,
Schwenkte in der Hand
Die Schale von Golde. |
***23 Jörmunrek
| "Glücklich däucht ich mich,
Könnt ich begrüßen
Hamdir und Sörli
In der Halle mein!
Binden wollt ich beide
Mit Bogensehnen,
Gudruns Heldensöhne,
An den Galgen sie knüpfen." |
|
Thule-Bd.01-057 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***24
| Getöse war im Saal,
Die Trinkschalen fielen,
(Streitruf der Mannen-Es
stürzten die Bänke.
Blut mit dem Biere
Auf dem Boden sich mischte;)
Die Helden wateten
Im Herzblut der Goten. |
***25
| Das sagte Hamdir,
Der hochgemute:
"Du begehrtest, Jörmunrek,
Gudruns Söhne
In deiner Burg
Beide zu sehen:
Sieh deine Füße,
Sieh deine Hände,
Herrscher, geworfen
Ins heiße Feuer!" |
***26
| Grimmig schrie auf
Der göttliche Sproß,
Als brüllte ein Bär,
Der brünnenbewehrte:
"Greift zu Steinen,
Wenn Gere nicht beißen,
Nicht Erz noch Eisen,
Die Erben Jonakers." |
***27 Sörli:
| "Daß du den Mund ihm nicht
schlosses; |
|
Bringt uns schlimmes, Bruder;
Oft kommt Unheilsrat
Aus altem Munde.
Kühn bist du, Hamdir,
Doch Klugheit fehlt dir;
viel fehlt dem Manne,
Der Vorsicht nicht kennt."
***28 Hamdir
| "Ab wäre das Haupt,
Wenn Erp noch lebte,
Der streitkühne Bruder,
Den wir beide erschlugen,
Der ruhmreiche Recke —
Uns reizten Nornen —
Der friedheilige Held —
verführten uns zum Morde. |
***29
| Wir stritten tapfer:
Wir stehen auf Leichen,
Erzmüden Goten.
Wie Aare im Gezweig;
Heldenruhm bleibt uns.
Ob auch heute wir sterben:
Niemand sieht den Abend,
Wenn die Norne sprach." |
***30
| Da sank Sörli
Am Saalgiebel,
Und Hamdir fiel
An des Hauses Rückwand. |
|
Thule-Bd.01-058 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
6. Das Jüngere Sigurdlied
Aus der Stimmung einer neuen Zeit heraus hat unser Dichter
die Brynhildsage gestaltet. Die Szenenfolge ist ziemlich dieselbe
wie im Alten Liede (Nr. 3), wenn man abzieht, daß dort der
Mord im Walde, hier im Bette geschieht: zwei altüberlieferte
Formen von Sigurds Tode. Aber wie anders ist die Füllung
dieses Rahmens! Wir deuten einige der Unterschiede an. Brynhild ist zur unbedingten
Hauptgestalt gemacht, und sie ist ein anderes Wesen
als früher: das unbefriedigt liebende und eifersüchtige Weib.
Den Dichter fesselt nur ihre Rache; die ganze erste Hälfte der
Sage hat er in vier andeutende Strophen zusammengedrängt.
Rüstiges Erzählen und schlagende Zwiegespräche liegen ihm
nicht: er ist der Mann der beschaulichen Reden, seien es sinnende
Monologe, seien es lehrhaft gedehnte Ansprachen; die beiden
Brynhildreden von neun und neunzehn zusammenhängenden
Gesätzen (Str. 33ff., 52ff.) waren für ein Ereignisgedicht etwas
neues. Die stoffreiche Weissagung der Todwunden können wir nur
als Verirrung des jüngern isländischen Geschmacks empfinden.
So unmittelbar aber wie wenige Stellen der Edda ergreifen
uns die beiden naturlautigen Selbstgespräche der Heldin (Str.
6 f., 9), und in den versen vom gemeinsamen Flammentod hebt
sich der Schluß des Liedes noch einmal zu überraschender
Höhe. Als Seelenkünder, als Entdecker weiblicher Leidenschaft steht
dieser Dichter neben den besten der altgermanischen Überlieferung.
In manchem versagt seine Begabung; auch die sprachliche
Kunst in unserm Liede ist so ungleich, es finden sich neben
Kühngetroffenem und Wohlgerundetem so leere, gequälte, so
rührend unbeholfene Zeilen, daß man an die schwächsten Nachzügler
der Edda erinnert wird und kaum über die Annahme
hinwegkommt, des Dichters Schöpfung — mag sie selbst schon
aus ungleichen Liedern geborgt haben —sei durch die Hände
ungeschickt flickender Sagenfreunde gegangen.
***1
| Zu Gjuki zog
vor Zeiten Sigurd, |
| Der kühne Wölsung,
Nach Kampfestaten. |
***1 Zielt im besondern auf den Drachenkampf.
Thule-Bd.01-059 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
| Mit zwein der Brüder
Den Bund er schloß,
Eide tauschten
Die eberkühnen. |
***2
| Die Maid bekam er
Und Kleinode viel,
Die junge Gudrun,
Gjukis Tochter;
Sie tranken und scherzten
Die Tage zusammen,
Der junge Sigurd
Und die Söhne Gjukis. |
***3
| Bis auf sie brachen,
Brynhild zu frein;
Mit ihnen zusammen
Auch Sigurd ritt,
Der junge Wölsung,
Der Wege kundig —
Ibm gehörte die Holde,
Wenn er sie haben sollte! |
***4
| Die lichte Klinge
Legte der Held, |
|
Das blanke Schwert,
In beider Mitte.
Nicht küßte er
Die Königin,
Nicht hielt sie im Arm
Der Hunnenfürst:
Die blutjunge Maid
Barg er für Gunnar
***5
| Keines Makels
War die Maid sich bewußt;
Ihr Leben war frei
von allem Fehl,
Was Schande wäre
Oder scheinen könnte:
Dazwischen fuhr
Ein feindlich Geschick. |
***6
| Einsam saß sie
Abends draußen,
Begann mit sich
So zu reden:
"Halten will ich
Den jungen Helden, |
|
Thule-Bd.01-060 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Sigurd, im Arm,
Sonst muß ich sterben!
***7
| Geredet hab ich —
Bereuen werd ichs:
Sein Weib ist Gudrun,
Doch ich Gunnars
Finstre Nornen
Schufen lange Not." |
***8
| Oftmals geht sie,
von Gram erfüllt-
Von Eis und Firn,
Allabendlich,
Ging mit dem Gatten
Gudrun zu Bett,
Hüllte der Degen
Die Decke um sie. |
***9 Brynhild :
| ("Nun darf Sigmunds Sohn
In seligem Spiel,)
Der hunnische Held,
Herzen die Frau:
Freudlos geh ich,
Gattenlos!
Zu stillen begehr ich
Den grimmen Haß." |
***10
| So reizte sie sich
Zur Rache auf:
"Ganz entbehren,
Gunnar; wirst du |
|
Meine Lande
Und mich selber;
Glück genieß ich
Nie beim König.
***11
| Will heimfahren,
Woher ich kam,
Zu nahen Verwandten
Wieder ziehen, —
Dort sitz ich traurig,
Verträume das Leben —
Wenn du Sigurd
Nicht sinken läßt
Und aller Herrscher
Höchster wirst. |
***12
| Es fahre der Sohn
Dem Vater nach:
Wer Wolfsbrut nährt
Hat wenig Dank.
Hat je ein Recke
Den Rachedurst
Leichter versöhnt,
Wenn ein Sohn lebte:" |
***13
| Gramvoll neigte
Gunnar das Haupt,
Versank in Sinnen,
Saß bis sum Abend.
Er wußte das
Wahrlich nicht, |
|
Thule-Bd.01-061 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Welchen Weg
Er wählen sollte,
Welchen Weg
Er wählen müsste:
Sigurds sah er
Sich beraubt
Und wußte, daß schwer
Des Wölfungs Verlust.
***14
| Er sann um beides
Dieselbe Zeit:
Sitte war es
Sonst doch nicht,
Daß Frauen entsagten
Der Fürstenwürde. |
***15 Gunnar:
| "Brynhild ward mir
Wert vor allen,
Budlis Tochter,
Das beste Weib.
Lieber laß ich
Das Leben mein,
Als zu entraten
Des Reichtums der Frau. |
***16
| Er rief Högni
Um Rat herbei,
Ihn hatte er
Als engsten Freund:
"Sollen ums Gold
Wir Sigurd verraten:
Gut ists, zu erringen
Des Rheines Erz |
|
Und in Behagen
Des Horts zu walten."
***17
| Eins drauf Högni
Zur Antwort gab:
"Dies zu begehn,
Dünkt mich nicht recht-mit
dem Schwert zu brechen
Geschwornen Eid,
Geleisteten Eid,
Gelobten Frieden. |
***18
| Uns gleich kenn ich
Keinen an Glück,
Führen das Volk
Wir vier vereint,
Lebt der Heerfürst,
Der Hunnenrecke,
Und stiften wir
Ein starkes Geschlecht. |
***19
| Ich weiß gar wohl,
Welchen Weg es kommt:
Zu viel fordert
Die Fürstin von uns." |
***20 Gunnar
| "Wir müssen Guttorm
sum Mord reizen,
Den jüngern Bruder,
Den jähzornigen:
Ihn umschließt nicht
Geschworner Eid |
|
Thule-Bd.01-062 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Geleisteter Eid,
Gelobter Friede."
***21
| Der rasch entschlossne
War schnell gereizt.
Es stand Sigurd
Der Stahl im Herzen. |
***22
| Zur Rache erhob sich
Der Held im Saal
Und warf das Schwert
Dem schnellen nach:
Aus des Fürsten Faust
Flog gewaltig
Auf Guttorm Grams
Gleißender Stahl. |
***23
| Nach zwei Seiten
Sank der Mörder:
Hände und Haupt
Sanken hin nach vorn;
Zurück fielen
Die Füße im Saal. |
***24
| Entschlummert lag
Auf dem Lager Gudrun,
Sorgenlos,
In Sigurds Arm. |
|
Doch sie erwachte
Der Wonne beraubt:
Im Blut von Freyrs
Freunde sie schwamm.
***25
| Zusammen schlug sie
So sehr die Hände,
Daß der starke Held
Sich hob im Bett:
"Nicht weine, Gudrun,
So gramerfüllt,
Blutjunge Maid:
Deine Brüder leben. |
***26
| Mein Erbe ist
Noch allzujung,
Nicht kann er fliehn
Vom Feindeshof
Gefaßt haben
Die Fürsten jetzt
Schnellen Entschluß
Zu Schaden und Leid. |
***27
| Nie zieht, magst sieben
Söhne du haben,
Ein Neffe wie er
Mit ihnen zum Ding.
Gar wohl weiß ich,
Welchen Weg es kommt:
Alles Böse
Ist Brynhilds Werk |
|
Thule-Bd.01-063 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***28
| Mich liebte die Maid
Mehr als alle;
Doch gegen Gunnar
Verging ich mich nie:
Ich hielt dem Schwager
Geschworne Eide;
Nie wollt ich Brynhilds
Buhle heißen." |
***29
| Der Sinn schwand der Frau,
Dem Fürsten das Leben;
Zusammen schlug sie
So sehr die Hände,
Daß die Becher
Auf dem Bord klangen
Und hell die Gänse
Im Hof schrien. |
***30
| Da lachte Brynhild,
Budlis Tochter,
Ein einzig Mal
Aus allem Herzen,
Als sie her vom Bett
Hören konnte
Den gellenden Schrei
von Gjukis Tochter. |
***31
| Dies sprach Gunnar,
Der Degen Fürst:
"Nicht lachst du drum,
Leidstifterin,
Hell in der Halle,
Weil Heil du erfährst! |
|
Warum verlorst du
Die lichte Farbe,
Unheilvolle?
Dein Ende ist nah!
***32
| Recht geschah dir,
Ruchloses Weib,
Erschlugen wir Atli
Vor Augen dir,
Sähest den Bruder
Du blutig gefällt,
Könntest du stillen
Strömende Wunden." |
***33 Brynhild:
| "Dich tadelt keiner:
Gekämpft hast du gut!
Nicht fürchtet Atli
Die Feindschaft dein.
Länger wird er
Leben als ihr
Und mehr Stärke
Stets bewähren |
***34
| Sagen will ich, Gunnar —
Du selbst weißt es wohl —,
Wie ihr zuerst
Arges beschloßt.
Einst lebte ich frei,
Ledig der Not,
An Erbgut reich,
Auf Atlis Bank. |
***35
| Nicht mochte ich
Einem Mann gehören. |
|
Thule-Bd.01-064 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Eh Gjukis Söhne
vor den Saal ritten,
Drei Fürsten zu Roß,
Volkskönige —
Unterblieben wäre
Besser die Fahrt
***36
| Unter vier Augen
Mir Atli sagte,
Er gebe mir
Kein Gut heraus,
Nicht Gold noch Lande,
Blieb ich gattenlos,
Kein einzig Stück
von aller Habe,
Dem Land, das er mir,
Der Maid, verliehen,
Dem Gold, das er mir,
Der Maid, gegeben. |
***37
| Da lag in der Schwebe
Lange mein Mut,
Ob ich kämpfen sollte
Und Krieger fällen,
Kühn in der Brünne;
Um des Bruders willen. |
| | Geworden wäre
Das weltbekannt,
Manchem Krieger
Zu Kummer und Leid. |
***38
| Unser Vergleich
Begründet ward:
Die roten Ringe,
Die reichen Schätze
Des Sigmundsohnes
Im Sinn mir lagen;
Eines andern Gold
Begehrte ich nicht. |
***39
| Dem Landesherrscher
Gelobt ich mich,
Der reich an Gold
Auf Grani saß.
Nicht war er euch
In den Augen gleich
Noch irgendwie
von Ansehen,
Fühlt ihr euch auch
Als Volkskönige. |
***40
| Ihn nur liebt ich,
Andere nicht; |
|
Thule-Bd.01-065 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Nicht schwankte das Herz
Der Halsbandgöttin.
All dies wird Atli
Einst erkennen,
Muß er meinen
Mordgang hören.
***41
| Leichten Sinnes
Soll eine Maid
Nimmer folgen
Fremdem Gatten.
(Doch will ich mit Sigurd
Zusammen sterben;)
Das soll für mein Leid
Die Sühne werden. |
***42
| Gunnar erhob sich,
Der Helden Fürst,
Um ihren Hals
Die Hände er legte.
Nach einander
Nahten alle,
Sie zu besänftigen,
Freundlichen Sinns |
***43
| Sie stieß die Helden
vom Hals sich weg.
Nicht ließ sie sich wehren
Die weite Fahrt. |
***44
| Er rief Högni
Um Rat herbei
"Die Mannen sollen
In den Saal kommen, |
| | Deine und meine, —
Es drängt die Not —
Ob man verhindre
Der Hrrscherin Tod,
Bis ihr die Zeit
Den Zorn lindre.
Da müssen wir
Ein Mittel finden." |
***45
| Eins drauf Högni
Zur Antwort gab:
"Keiner wehre
Ihr die weite Fahrt,
Nie werde von dort
Sie wiedergeboren!
vor der Mutter Knie
Kam sie zum Fluch;
Zum Unglück hat sie
Immer gelebt,
Manchem Manne
Zum Mißgeschick." |
***46
| Verdrossen wandt er
Sich weg vom Gespräch,
Als die goldgeschmückte
Gaben verteilte.
Über all ihr
Eigen sie sah,
Entseelte Mägde
Und Saalffrauen. |
***47
| Die Goldbrünne tat
Die gramvolle an, |
|
Thule-Bd.01-066 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Eh sie mit Schwertes
Schneide sich traf.
Zurück aufs Kissen
Die Königin sank;
Auf neuen Entschluß
Die Schwertwunde sann.
***48 Brynhild.
| "Herein komme,
Wer Kleinode liebt,
Wer begehrt, von mir
Gold zu nehmen!
Jeder geb ich
Glänzenden Schmuck
Teppich und Linnen
Lichte Kleider." |
***49
| Alle schwiegen
Bei ihren Worten;
Alle zugleich
Antwort gaben:
"Tot sind genug;
Wir trachten zu leben:
Dienerinnen
Nicht drängts nach Ruhm." |
***50
| Nach leichtem Sinnen
Die linnengeschmückte,
Jung an Jahren,
Zu jenen sprach:
"Ich will, daß niemand
Genötigt und ungern |
| | Mir zu Liebe
vom Leben scheide. |
***51
| Doch werden brennen
Auf euerm Gebein
Keine Schätze,
Scheidet ihr, einst,
Mir zu folgen,
Noch Menjas Gut. |
***52
| Ses dich, Gunnar!
Ich sage dir:
Am Lebensziel
Ist die lichte Frau.
Nicht ist euer Schiff
Schon im Hafen,
Hab ich verloren
Das Leben auch. |
***53
| Eh ihr es glaubt,
Ist Gudrun versöhnt;
Die kluge denkt
Beim Dänenkönig
In Trauer oft
Des toten Gatten. |
***54
| Eine Maid wird geboren,
Die Mutter erzieht sie;
Heller wird sie
Als heitrer Tag,
Schwanhild, sein,
Als ein Sonnenstrahl. |
|
Thule-Bd.01-067 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***55
| Gudrun gibst du
Gutem Recken,
Dem Herrn der Waffen,
Dem Herrsch 'r des volks;
Nicht wird Gudrun
Glücklich vermählt:
Atli wird sie
Zu eigen nehmen
Budlis Sohn,
Der Bruder mein. |
***56
| Stets gemahnt mich,
Wie mir geschah,
Als ihr mich traurig
Betrogen hattet:
Der Wonne beraubt
War ich für immer;
(Doch grauser wird,
Gunnar, dein Los.) |
***57
| Oddrun wirst du
Zur Ehe wünschen;
Atli aber
Schlägt sie dir ab.
Heimlich gesellt
Zusammen ihr euch:
Oddrun minut dich,
Wie ich gesollt,
Hätte das Schicksal
Uns Heil beschieden. |
***58
| Unheil wird dir
Atli schaffen, |
|
In den engen Wurmhof
Dich werfen lassen.
***59
| Nur wenig später
Wirds geschehen,
Daß Atu das Leben
verlieren muß,
Seine Schätze
Und der Söhne Leben:
Mit scharfem Schwert
Erschlagen wird ihn
Gudrun im Bett;
Grimmen Sinnes. |
***60
| Edler täte
Eure Schwester,
Folgte sie ihrem
Ersten Gemahl,
Wenn man ihr gäbe
Guten Ratschlag
Und Mut sie hätte
Dem meinen gleich. |
***61
| Langsam sprech ich —
Vom Leben wird
Durch unsre Schuld
Nicht scheiden die Maid:
Heben werden
Sie hohe Wogen
Zu Jonakers
Erblanden hin. |
***62
| Aufzieht sie Söhne,
Erbeshüter, |
|
Thule-Bd.01-068 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
In ihrer Obhut,
Die Erben Jonakers.
Sie sendet Schwanbild
Sigurds Tochter;
Ihre Maid,
Ins andre Land.
***63
| Böses bringen
Ihr Bikkis Ränke;
Zum Unheil der Jungfrau
Lebt Jörmunrek.
vergangen ist Sigurds
Ganzes Geschlecht;
Gudruns Gram
Wird größer dann. |
***64
| Einen Wunsch
Will ich dir sagen,
Das soll im Leben
Der letzte sein:
Eine breite Burg
Erbau im Feld,
Daß sie uns alle
Aufnehmen kann,
Die mit Sigurd
Zusammen starben. |
***65
| Mit Decken und Schilden
Schmücke die Burg,
Feinem Welschtuch
Und vielen Knechten:
(Lege hinauf
Die lichte Frau !) |
|
Sigurd brenne
Zur Seite mir!
***66
| Auf Sigurds andrer
Seite brenne
Der Mägde Schar,
Geschmückt mit Gold,
Zwei zu Häupten,
Zwei zu Füßen,
Zwei Habichte
Und zwei Hunde —
So ist alles verteilt
Nach Ebenmaß. |
***67
| Noch einmal liege
In unsrer Mitte
Das scharfe Eisen,
Wie einst es lag,
Als wir beide
Ein Bett bestiegen
Und man uns gab
Den Gattennamen. |
***68
| Nicht auf die Ferse
Fällt ihm das Tor,
Das ringgeschmückte,
Der reichen Halle;
Wenn diese Schar
Dem Degen folgt:
Nicht ärmlich wird
Unsre Ausfahrt sein. |
|
Thule-Bd.01-069 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***69 | Denn ihm folgen
Fünf Mägde
Und acht Diener
Aus edelm Stamm,
Meine Gefährten
Aus Vaters Gut,
Die Budli einst
Brynhild gab. | ***70 | Manches sagt ich;
Mehr noch wollt ich,
Ließe zur Rede
Raum das Geschick:
Die Stimme weicht,
Die Wunden schwellen;
Wahres sprach ich,
Nun will ich enden." |
Thule-Bd.01-070 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
7. Das grönländische Atlilied
Hier haben wir den jüngern Doppelgänger zum Alten Atliliede
(Nr. 4). Auch dieser Dichter, wie der des Jüngern Sigurdliedes,
strebt nach seelischer Vertiefung. Sein Atli und seine
Gudrun sind die zusammengesetztesten Menschenbilder in der
nordischen Heldendichtung, diejenigen, die am meisten über den
Typus oder die Rolle hinauswachsen zum Charakter. Die
merkwürdigen Zwiesprachen der beiden verbitterten Gatten
fallen in die zweite Hälfte des Gedichtes: was in dem ältern
Liede in zwölf Strophen vorüberrauscht — die Rache der
Königin —, wälzt sich hier auf dreifachem Raume, in zähflüssiger
Beschaulichkeit dem Ende zu. Auch der erste Teil, der an Handlung reichere, ist mächtig angeschwellt,
und zwar durch Einführung neuer Nebenpersonen,
Ausmalung einzelner Momente, auch Erfindung ruhender
Auftritte: es sind die Kunstmittel, die anderwärts vom Liede
zum Buchepos geführt haben, und unser Gedicht, das umfänglichste
der ganzen Edda, darf in der Tat ein Anlauf zum
Epos heißen, wenn es auch sicher den Seien Vortrag verfaßt
wurde. Daß das Werk in dem äußersten Winkel germanischer Erde;
in Grönland, entstanden ist, lehrt außer der alten Überschrift
der Eisbär in Str. 17. Es ist nicht der einzige Zug, den unser
Dichter aus seinem heimischen Lebenskreise das ferne Reich
der Helden versetzt hat. Er hat, wie kein zweiter seiner Kunstgenossen
die Vorzeitskönige verbauert, wenn auch nicht bewußt
noch folgerichtig. Er hat Neigung zum Niedrigen, Unadligen,
auch zum Genrehaften und wieder zum Krassen:
ein eigenartiger Realismus, den wir aus der isländischen
Saga gut kennen, der sich aber nur hier in die Heroendichtung
vorgewagt hat. Die strahlende Heldenwelt erscheint wie eingetaucht
in einen trüben, cholerischen Nebel. Dazu diese absonderliche
, klumpfüßige Sprache, der fast mit jedem Verse
der Atem ausgeht! Oft ist sie bare Prosa, dann wieder verfängt
sie sich in gesuchten Wendungen: den kühnen Schritt
des Heldensängers gewinnen diese vielsilbigen, unsanglichen
Zeilen kaum je. Und doch fühlt man dem Dichter an, daß eigene Eingebungen
ihn bedrängten und daß er nicht nach der Schablone stammelt.
Thule-Bd.01-071 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Das Werk des Grönländers ist, in Tugenden und Schwächen,
nur sich selbst gleicher Absenker der germanischen Heldenpoesie
poesie; wir möchten es neben seinen warm- und blaubütigeren
Nachbaren nicht miseri.
***1
| von Feindschaft erfuhr ich,
Wie vormals zusammen
Kriegsmänner kamen;
Es war keinem heilsam.
vollendet war der Anschlag,
Zum Unheil den Hunnen
Und den Erben Gjukis,
Die man arglistig täuschte. |
***2
| Reckenlos reifte:
Sie ritten den Todesweg;
Übles tat Atli
Der doch Einsicht hatte:
Schlimmes schuf er sich,
Er zerschlug seine Stützen;
Botschaft schickte er,
Die Schwäger zu laden. |
***3
| Begabt war Gudrun,
vergaß nicht der vorsicht-Nicht
blieb ihr verborgen,
Was sie böses planten. |
|
In Not war die weise:
Sie wollt ihnen helfen.
Man segelte seewärts;
Sie selbst mußte bleiben.
***4
| Einschnitt sie Runen;
Die änderte Wingi,
Ehe er sie abgab:
Ein Unheilschmied war er.
Auszogen also
Atlis Gesandte
Hin zum Limafjord,
Wo die Herrscher wohnten |
***5
| Bier ward geboten;
Es brannten die Feuer:
Nicht ahnte man übles,
Als sie angekommen.
Sie nahmen die Gaben,
Die der glänzende sandte,
An die Säule sie zu hängen;
Nicht sahn sie die Tücke. |
|
Thule-Bd.01-072 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***6
| Es kam Kostbera —
Klugheit besaß sie,
Sie war Högnis Gattin —
Und begrüßte die beiden.
Auch die Gattin Gunnars
Glaumwör, war freundlich ;
Gewandt war die weise,
Sie bewirtete die Gäste |
***7
| Sie luden auch Högni,
Daß leichter man käme
Fest stand die Falschheit,
Wenn Vorsicht sie übten.
Da verhieß es Gunnar,
Wenn Högni wolle;
Högni fügte sich
Des Herrschers Worten. |
***8
| Met brachten Mädchen
Das Mahl war reichlich,
Viel Hörner kreisten,
Bis kräftig gezecht war;
Das Lager rüsteten,
Wie es recht war, die Gatten. |
***9
| Klug war Kostbera:
Sie war kund der Runen
Die Lautzeichen las sie
Beim lichten Feuer.
Aber ihr zögerte
Die Zunge am Gaumen:
Sie waren verworren
Nicht wußte sie die Deutung. |
|
***10
| Bald ging mit Bera
Ins Bett nun Högni.
Böses träumte sie;
Nicht barg es die kluge:
Die Frau sprach zum Fürsten,
Als sie frei war vom Schlafe: |
***11
| "von hinnen willst du, Högni;
Hör auf die Warnung!
Nicht rätst du Runen;
Reit ein andermal!
Ich las die Runen,
Die geritzt deine Schwester:
Nimmer hat die Edle
Euch eingeladen. |
***12
| Eins scheint mir seltsam —
Ich seh nicht die Lösung —:
Was die weise wollte,
Da verworren sie ritzte;
Das aber dünkt mich
Als ob drunter stünde
Euer beider verderben,
Wenn bald ihr kämet:
Einen Stab vergaß sie,
Oder andre zerstörtens." |
***13 Högni
| "Alle sind argwöhnisch;
Meine Art ist es nimmer.
Nicht prag ich nach Falschheit,
Muß ich Feindschaft nicht rächen
Mit glutrotem Golde
Begabt uns Atli; |
|
Thule-Bd.01-073 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***17 Högni: | "Ausbricht Unwetter -
Arg wird es wüten:
von Eisbären träumtest du;
Dann wird Oststurm kommen." | ***18 Kostbera: | "Einen Aar sah ich fliegen
Durch die offene Halle;
Er bespritzte mit Blut uns:
Böses wird kommen.
Nach dem Schrei schien er
Mir der Schutzgeist Atlis." | ***19 Högni. | "Schnellkommt die Schlachtzeit;
Drum schautest Blut du:
Ochsen bedeutets,
Wenn von Aaren man träumte.
Ohne Arg ist Atli
Was immer du träumest." —
Sie ließen es ruhen;
Man redete nicht länger. |
Furcht ist mir ferne,
Mag Gefahr auch drohen."
***14 Kostbera
| "Übel wird die Ausfahrt,
Wenn zu Atli ihr ziehet:
Empfang nach Freundesart
Findet ihr nimmer.
Das träumte ich, Högni —
Nicht hehlen will ichs —:
Widrigen Weg geht ihr,
Wenn die Warnung nicht
täuschte. |
***15
| Dein Bettuch sah ich, Högni,
Brennen im Feuer;
Aus meinem Hause
Brach hohe Flamme."
Högni:
"Linnenzeug liegt hier,
Das ihr leicht verschmerzet;
Bald wird es brennen,
Da du Bettücher schautest." |
***16 Kostbera ';
| "Einen Bären sah ich kommen:
Er zerbrach die Pfeiler,
Die Pranken schwang er,
Uns packte Entsetzen.
Gar manchen sein Maul faßte,
Machtlos waren wir;
Ein Gewühl ward da,
Wahrlich kein kleines." |
|
***20
| Die Edeln erwachten;
Ähnlich war die Zwiesprach:
Gram faßte Glaumwör;
Nicht gut war ihr Schlummer:
(Ihr däuchte; es deuteten
Auf verderben die Träume;)
Der König und die kluge
Erklärten sie verschieden. |
|
Thule-Bd.01-074 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***21 Glaumwör
| "Einen Galgen sah ich stehen;
Du gingest zum Tode.
Schlangen Saßen dich;
Du schienst mir noch lebend.
Die Welt schien zu wanken —
Weißt du die Deutung : |
***22
| Eine Klinge sah ich blutig
Aus dem Kleid dir gezogen —
Traurig ists, dem Trauten
Solchen Traum zu sagen.
vom Ger sah ich, Gunnar,
Dich ganz durchstoßen;
Um uns her heulten
Hungrig die Wölfe." |
***23 Gunnar:
| "Rüden werden rennen,
Rüstig sie bellen:
Oft kündet Speerwurf
Kläffen der Meute." |
***24 Glaumwör
| "Einen Gießbach sah ich gehen
Durch die ganze Halle:
Erbittert brauste er;
Die Bänke stürzte er.
Euch beiden Brüdern
Brach er die Füße;
Nichts schonte der schäumende:
Das muß schlimmes bedeuten. |
|
***25
| Frauen sah ich, tote,
Im Finstern kommen,
Ärmlich angetan,
Dich abzuholen;
Zur Bank entboten sie
Dich bald zu kommen:
Dein Folgegeist, fürcht ich,
Ist dir fremd geworden." |
***26 Gunnar:
| "Zu spät zum Gespräch ists:
Versprochen ist alles;
Die Fahrt ist befohlen:
Wir fliehn nicht dem Tode.
So kann es wohl kommen,
Daß kurz unser Leben. |
***27
| Es graute der Morgen;
Sie machten sich fertig:
Aufstanden alle;
Abrieten manche.
Fünf bei der Fahrt waren —
Zweimal so viele
Waren im Gesinde-Erwogen
war es übel —: |
***28
| Snäwar und Solar,
Die Söhne Högnis
Auszog noch einer,
Orkning hieß man ihn: |
|
Thule-Bd.01-075 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Der schimmernde Schildbaum
War der Schwager Högnis.
Es folgten die Frauen,
Bis der Fjord sie trennte;
Nicht hörten die Helden,
Als die holden sie warnten.
***29
| Glaumwör begann da,
Gunnars Gemahlin;
Sie redete zu Wingi,
Wie es recht sie däuchte:
"Nicht weiß ich, ob die
Bewirtung
Nach Wunsch ihr lohnet -
Ruchlos ist die Gastung,
Wenn verrat ihr planet." |
***30
| Da verschwor sich Wingi,
Er schonte sich wenig:
"Es gehöre den Riesen,
Wer verrat schmiedet!
Es verfalle dem Galgen,
Wer auf Friedensbruch sinnt! |
***31
| Bera drauf sagte,
Ihr Sinn war friedlich :
"Gesund nun segelt,
Sieg gewinnet!
Was ich wünsche, werde;
Dawider nichts spreche!" |
|
***32
| Högni erwiderte,
Er war hold den Seinen:
"Klagt nicht, ihr klugen,
Was auch kommen möge!
Oft sagt man Segen;
Umsonst ist es häufig:
Den meisten hilft wenig
Welcher Wunsch sie geleitet." |
***33
| Sie schauten aufeinander,
Bis sie scheiden mußten.
Das Geschick, meinich, waltete;
Ihre Wege trennten sich. |
***34
| Sie ruderten rüstig;
Es rissen die Planken.
In die Riemen legten sich
Rückwärts die grimmem
Die Bänder barsten;
Es brachen die Pflöcke.
" Nicht befestigt ward das
Fahrzeug,
Als sie fortzogen. |
***35
| Eine Zeitlang später —
Zum Ziel muß ich kommen —
Erblickten die Burg sie,
Die Budli hatte. |
|
Thule-Bd.01-076 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
| Hell klang das Gitter,
Als Högni anschlug.
Das Wort sprach da Wingi —
Weiser war Schweigen —: |
***36
| "Fern bleibt der Feste!
Gefahr bringt der Eintritt:
Bald sollt ihr brennen;
Das Beit wird euch fällen
Freundlich lud ich euch;
Falschheit war dahinter.
Hier könnt ihr harren,
Bis erhöht ist der Galgen." |
***37
| Dieses rief Högni —
Nicht dachte er an Schonung-
Nicht wich der wackre-wo
sich Mut bewährte —
"Spar dein Vorhaben,
Furcht uns zu wecken!
Kein Wort sprich weiter,
Sonst gewinnst du schlimmes!" |
***38
| Sie hieben auf Wingi
Zur Hel sie ihn sandten.
Sie schwangen die Arie,
Bis er ausgeröchelt. |
***39
| Es scharten sich die Hunnen,
Schlüpften in die Brünnen.
Der Zaun war dazwischen,
So zogen sie näher. |
|
***40
| Scheltworte schleuderten
Die schnell ergrimmten:
"Längst wars beschlossen,
Euer Leben zu rauben." |
***41
| (Hell rief da Högni —
Er höhnte die Feinde —:)
"Das schaut man wenig,
Daß entschlossen ihr waret:
Ihr seid schlecht gerüstet;
Erschlagen liegt einer,
Zur Hel hingesandt,
Der zu euch gehörte." |
***42
| Wutentbrannt waren sie,
Als das Wort sie hörten
Sie regten die Finger,
Sie faßten die Sehnen,
Die Schilde schützten sie,
Sie schossen heftig. |
***43
| Nach innen kam Botschaft,
Was sie außen taten,
Die kühnen, vorm Königssaal
Ein Knecht erzählte es.
Ergrimmt ward da Gudrun,
Als das grause sie hörte;
Die halsbandgezierte:
Hinwarf sie alles,
Auf den Boden das Silber;
Es brachen die Ringe. |
|
Thule-Bd.01-077 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***44
| Sie eilte nach außen,
Stieß auf die Türen —
Furcht war ihr ferne —
Die Fremden begrüßte sie.
Sie lief zu den Niblungen
Zum letzten Wiedersehn.
Ihr Gruß war ehrlich,
Andres noch sagte sie: |
***45
| "Retten wollt ich euch,
Zurück euch halten,
Das Geschick war mächtiger:
Ihr mußtet kommen."
Besonnen versuchte sie,
Ob versöhnung möglich:
Ablehnten alle,
Nicht einer ihr folgte. |
***46
| Da sah die Herrscherin,
Daß man hari sie bedrängte:
Auf Heldentat dachte sie,
Warf hin den Mantel
Das Schwert entblößte sie,
Sie schützte die Bruder.
Nicht sanft war das Streiten,
Wo die starke eingriff. |
***47
| Zwei Fechter ließ die Fürsten
Auf die Flur sinken
Sie hieb ihren Schwager,
von hinnen trug man ihn;
Einen schlug sie nieder;
Daß er nimmer aufstand,
Zur Hel sie ihn hinsandte;
Ihre Hand war sicher. |
|
***48
| Einen Strauß sie stritten,
Der stets gepriesen wird;
Nichts gab es, was gliche
Der Gjukunge Taten:
Es heißt, daß die Niblunge,
Da die Herrscher lebten,
Einen Schwertkampf schufen,
Brünnen durchschlugen,
Helme zerhieben,
So wie Helden es ziemte. |
***49
| Sie kämpften den Morgen,
Bis der Mittag heraufkam;
Dann war aus das Fechten,
Die Flur schwamm im Blute.
Es sanken achtzehn —
Dann siegten die Hunnen —
Auch die Söhne Veras
Und der Bruder der Fürstin |
***50
| Der rasche zur Rede griff —
Es regte sein Zorn sich: —
"Übel ist der Anblick;
Ihr seid die schuldigen!
Es traten der Degen
Euch dreißig entgegen;
Lücken schluget ihr:
Es leben nur elf noch. |
***51
| Fünf Brüder wir waren
Als wir Budli verloren:
Bei Hel weilt die Hälfte,
Zerhaun liegen zweie.
Schwäger hab ich, hohe,
Das hehle ich nimmer, |
|
Thule-Bd.01-078 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Eine Frau zum Fluche,
Deß freu ich mich selten.
***52
| Wonne fand ich wenig,
Seit das Weib hierherkam;
Übles hat angetan
Mir immer ihre Sippe:
Den Reichtum entrissen,
Geraubt die Verwandten
Ihr erschlugt mir die Schwester
Am schwersten trug ich das." |
***53 Gudrun:
| "Sprichst du also, Atli,
Der zuerst so gehandelt,
Da du mir die Mutter
Gemordet um Ringe
In der Höhle verschmachtete
Ihrer Schwester Tochter.
Lächerlich dünkt michs,
Wenn dein Leid du klagst;
Den Göttern dankt ich,
Ginge dirs übel." |
***54 Atli:
| "Euch Jarlen gebiet ich,
Den Jammer zu mehren
Dem verwegnen Weibe;
Gewahren muß ichs. |
|
Ans Werk gebt wacker!
Weinen soll Gudrun,
Ihr Glück soll vergehen,
Das begehr ich zu schauen.
***55
| Legt Hand an Högni!
Den Helden sollt ihr schlachten;
Schneidet das Herz aus!
Geht hurtig zur Arbeit!
Gunnar; den grimmen,
An den Galgen hänget!
vollendet es eisig,
Ladet ein die Schlangen!" |
***56 Högni:
| "Tu, was dich gelüstet!
Lachend erwart ichs;
Du wirst fest mich finden:
Schon vieles ertrug ich.
Wir stritten standhaft,
Als wir stark waren,
Gewalt gewannst du nun,
Da Wunden uns schwächten." |
***57
| Das sagte Beiti,
Des Budlungs Truchseß:
"Legt Hand an Hjalli;
Doch Högni schonet! |
|
Thule-Bd.01-079 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Den Halbnarren tötet!
Er taugt zu nichts anderm:
Zu lange schon lebt er,
Nie liebte er Arbeit."
***58
| Bleich ward der Topfhüter;
Nicht blieb er am Platze:
Auf Angst verstand er äch,
In die Ecken kroch er:
Er ärmster müsse nun
Ihre Untat büßen,
von den Schweinen weg sterben
An diesem Schmerzenstage,
von der fetten Fleischkost,
Die zuvor er hatte. |
***59
| Hervor sie ihn zerrten,
Sie zückten das Messer;
Auf schrie der elende,
Eh das Eisen er spürte:
Zeit wollt erfinden,
Die Flur zu düngen,
Das schmutzigste schaffen,
Wenn er Schonung fände; |
|
Glücklich sei Hjalli,
Behielte erdas Leben.
***60
| Da erhob Högni —
So handeln wenige —
Für den Feigling Fürbitte,
Daß davon er käme:
"Dies Spiel zu beginnen,
Gilt mir ein kleines;
Brauchen wir länger
Solch Gebrüll zu hören " |
***61
| Sie ergriffen den glänzenden:
Es gab keinen Ausweg
Für die tapfern Recken,
Die Tat zu verzögern.
Högni lachte,
Es hörten die Mannen:
Schmerz konnte standhaft
Der starke ertragen. |
***62
| Die Harfe nahm Gunnar,
Er griff mit den Fußzweigen; |
|
Thule-Bd.01-080 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Die Weiber weinten:
So wußt er spielen,
Es klagten die Krieger,
Die den Klang hörten;
Es barsten die Balken.
Der Frau gab er Botschaft,
***63
| Früh wars am Vormittag,
Die Fürsten starben.
Bis zuletzt ließen sie
Leben ihre Tugend. |
***64
| Stolz war nun Atli:
Er stand über beiden
Gram schuf er Gudrun:
Er begann zu schelten:
"Morgen ists, Gudrun,
Du missest die teuren.
Schuld bist du selber,
Daß es so gekommen." |
***65 Gudrun:
| "Froh bist du, König,
Du kündest Totschlag;
Reue wirst du zeigen,
Wenn du recht es erkanntest.
Das nimmst du als Nachlaß
Nennen will ichs dir
Nicht enteilst du dem Unheil,
Eh auch ich gestorben." |
***66 Atu:
| "Um solches sorg ich nicht;
Ich seh einen Ausweg —
- |
|
Schicklicher scheint der mir,
Oft verschmähen wir gutes —:
Mägde sollen dich trösten,
Treffliche Kleinode,
Schneeweißes Silber,
Wie du selbst es wünschest."
***67 Gudrun:
| "Der Wahn ist eitel:
Ich weigre es immer.
Um kleinere Kränkung schon
Hab ich Kampf begonnen.
Für grimmig galt ich;
Grausamer werd ich noch.
Alles könnt ich leiden,
Lebte noch Högni. |
***68
| Man erzog uns zusammen
In demselben Hause:
Heiter spielten wir,
Im Hain erwuchsen wir;
Es gab uns Grimhild
Gold und Kleinode:
Nimmer nehm ich Buße
Für des Bruders Totschlag. |
***69
| Die Macht der Männer
Mindert Frauenglück:
Umsinkt die Esche,
wenn die Äste dorren
Es wankt der Waldbaum,
Wenn die Wurzeln man
durchhieb. |
|
Thule-Bd.01-081 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Allein magst du, Atli,
Hier alles beherrschen."
***70
| Gar arglos war Atli:
Der Edling traute ihr;
Fest stand die Falschheit,
Wenn Vorsicht er übte.
Verschlagen war Gudrun,
Zwei Schilde führte sie:
Sie stellte sich fröhlich,
Freundliches sprach sie. |
***71
| Das Erbmahl rüstete
Die Edle den Brüdern.
Dasselbe besorgte
Den seinen auch Atli
Sie ließen es ruhen;
Bereitet war das Gastmahl:
Laut war das Lärmen,
Als das Gelage anhub. |
***72
| Großes sann Gudrun,
Sie vergalt es dem Budlung;
Sie begehrte, am Gatten
Sich grimmig zu rächen
Sie lockte die Kinder;
Legte auf die Bank sie.
Die wilden erschraken,
Doch weinten sie nimmer.
Sie schmiegten in den Schoß sich,
Fragten, was geschehe. |
***73 Gudrun;
| "Fragt lieber nicht danach!
Das Leben nehm ich euch; |
| | Meine Absicht wars immer,
Euch vom Alter zu heilen."
Die Knaben:
"Hinschlachten kannst du uns,
Dich hindert niemand;
Der Zorn wird nicht zögern,
Wenn zum Ziel du es führest." |
***74
| Das Leben raubte
Die rasche den Brüdern -
Sie hieb die Hälse durch,
Sie handelte ruchlos.
Der Fürst drauf fragte,
Ob sie fortgelaufen,
Die Söhne, beim spielen;
Denn er sah sie nirgends. |
***75 Gudrun:
| "Dem König zu künden,
Kam ich herüber;
Nicht will dich täuschen
Die Tochter Grimhilds.
Das erfreut dich wenig,
Erfährst du alles.
Gar schlimmes schufst du:
Du erschlugst meine Brüder. |
***76
| Sehr selten schlief ich,
Seit sie gefallen.
Hartes verhieß ich dir:
Heute denke dran!
vom Morgen sprachst du,
Das gemahnt mich immer:
Anbrach der Abend,
Da die Antwort du hörest. |
|
Thule-Bd.01-082 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***77
| verloren hast du
Deine lieben Söhnen
Den Nachkommen tatest du,
Was du nimmer durftest:
Du schwenktest die Schädel
Als Schalen beim Trunke;
So braut ich das Bier dir:
Ihr Blut war darinnen. |
***78
| Der Brüder Herzen
Briet ich am Spieße,
Ich kam mit der Kost zu dir,
Kalbfleisch nannte ichs-Du
genossest alles,
Und nichts blieb übrig,
Gebrauchtest die Backzähne;
Zerbissest es gierig. |
***79
| Das vernimm von den Nachkommen
!
Niemand hörte schlimmres.
Meines Werkes walt ich-Nicht
will ich mich rühmen." |
***80 Atli:
| "Grimm bist du, Gudrun,
Da so grauses du tatest,
Das Blut deiner Kinder
Ins Bier mir mischtest.
Du hast sie vernichtet,
Was du nimmer durftest;
Einzig nur Unheil
Du mir übrig lässest." |
|
***81 Gudrun:
| Schöner schiene mirs.
Erschlug ich dich selber:
Not trifft nimmermehr
Genug solchen Fürsten.
voll Wahnsinns warst du:
Nicht wissen die Menschen
von gleichen Greueln
Auf der ganzen Erde.
Überboten hast du nun,
Was bisher wir wußten:
Das ärgste übtest du;
Dein Erbmahl begingst du. |
***82 Atli:
| "Auf den Scheitern verbrenne,
Zerschlagen von Steinen!
Dann hast du das Ende,
Das du immer wolltest."
Gudrun.
"Morgen magst du das
Melden dir selber;
Edler will ich fahren
Zum andern Lichte." |
***83
| Sie saßen zusammen,
Sie sannen auf arges,
Sie tauschten Feindeswort;
Doch prob war keiner. —
Haß nährte Hniflung:
Er heischte Vergeltung;
Gudrun sagte er,
Er sei grimm dem Atli |
|
Thule-Bd.01-083 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***84
| vor Augen trat der Edeln
Der Ausgang Högnis:
Ruhmvoll nannte sies,
Wenn er Rache gewönne.
Da erschlugen sie Atli —
Nicht schwankten sie lange, —
Gudrun selber
Und der Sohn Högnis. |
***85
| Der rasche zur Rede griff,
Er entriß sich dem Schlafe,
Nicht brauchte er Verbandzeug,
Spürte bald das Ende:
"Saget mir ehrlich,
Wer hat Atli erschlagen:
Schlimm ist mir mitgespielt,
Nun scheid ich vom Leben." |
***86 Gudrun:
| Nicht will dich täuschen
Die Tochter Grimhilds:
Ich ließ es geschehen,
Daß dein Leben endet,
Und Högnis Erbe,
Daß dich hinstreckt die Wunde."
Atu:
"Du schüttelt zum Morde,
Ob schändlich die Tat war;
Treulos ists, zu täuschen
Das vertrauen des Freundes. |
|
***87
| Aus zog ich eisig,
, Edle, zu werben,
Die herrische Witwe,
hochgepriesene.
Wohl wirs gewahrten:
Kein Wahn war die Kunde
Her zogst du heimwärts,
Die Heerschar folgte uns. |
***88
| Alles war stattlich
In unserem Lebm:
Viel Ehren boten
Uns edle Männer
Groß war die Rinderschar,
Reich war der Unterhalt;
Unser Gut war glänzend,
Wir begabten viele. |
***89
| Mahlschatz zahlte ich,
Eine Menge Kleinode,
Sieben Dienerinnen
Und dreißig Knechte;
Alles war ehrenvoll,
Nicht ärmlich das Silber. |
***90
| So galt dir das ganze,
Als ob garnichts es wäre;
Da lagen die Lande,
Hinterlassen von Budli.
Du untergrubst es:
Garnichts bekamen wir. |
|
Thule-Bd.01-084 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Meine Mutter triebst du
Zu Tränen oftmals,
Nie fand ich uns fürder
Friedlichen Sinnes."
***91 Gudrun:
| "Das lügst du, Atli,
Doch acht ich es wenig.
Sanft war ich selten -
Doch sehr überhobst du dich:
Früh wuchs euch Bruderzwist;
Bitter strittet ihr;
Zur Hel ging die Hälfte
Aus deinem Hause;
Nieder sank alles,
Was dir nützen sollte. |
***92
| Wir drei Geschwister
Dünkten uns trotzig;
Wir fuhren zur Ferne,
Wir folgten Sigurd.
Wir strebten seewärts,
Steuerten die Schiffe;
Das Schicksal lenkte uns:
Wir gelangten ins Ostland. |
|
***93
| Wir erschlugen den König,
Erkämpften die Lande;
Die Hersen beugten sich:
Sie hegten Besorgnis.
Wir bessten vom Waldgang
Wem wir Frieden wünschten;
Die machten wir mächtig,
Die mittellos waren. |
***94
| Tot war der Herrscher;
Trüb ward mein Schicksal:
Weh schufs der jungen,
Witwe zu heißen.
Arger war das Übel,
Zu Atli zu kommen:
Bisher war ein Held mein;
Herb der Verlust war. |
***95
| Kamst heim du vom Dinge,
So hörten wir niemals,
Daß du Klage begannest
Und die Gegner beugtest:
Du wolltest nur weichen,
Nie Widerstand leisten, |
|
Thule-Bd.01-085 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Alles annehmen,
Was andre dir taten."
***96 Atli:
| Das lügst du, Gudrun!
Das Los wirst du wenig
Bessern uns beiden;
Böses litten wir.
Nun vergiß nicht der Güte:
Gudrun, uns beiden
Tu, was uns ehret,
Trägt man hinaus mich!" |
***97 Gudrun:
| "Will ein Seeschiff kaufen,
Einen Sarg, einen bunten,
Das Linnen wächsen,
Deine Leiche zu schützen,
Alles bedenken,
Als ob innig wir uns liebten." |
|
***98
| Zur Leiche ward Atli;
Leid wuchs den Sippen.
Was die hehre verheißen,
Das hielt sie alles.
Wandern nun wollte
Die weise zum Tode:
Ihr Ende fand Aufschub;
Zu andrer Zeit starb sie. |
***99
| Selig heißt immer,
Wem Erben erwachsen
Von gleicher Heldenkraft,
Wie sie Gjuki zeugte:
Lange soll leben
In den Landen allen,
Wo das Volk es erfahren,
Ihr furchtloses Trutzwort. |
|
Thule-Bd.01-086 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
8. Gudruns Gottesurteil
Zweierlei ist an dem kleinen Gedichte merkwürdig. Einmal
läßt es unter den überlieferten Sagenpersonen eine gans neue
Handlung spielen: wie sich die des Ehebruchs bezichtigte Fürstin
durch ein Gottesurteil reinigt. Sodann treffen wir hier
zwei Gestalten der oberdeutschen Heldensage, die sonst der
Edda völlig fremd geblieben sind: Thjodrek, d. i. Dietrich von
Bern, und Herkja, d. i. Helche, Etzels erste Gemahlin. Diese
stellt unser Dichter als Atlis Kebse neben Gudrun und gibt
ihr die Rolle der Verleumderin. An der heimischen Sagenform
hält er in dem Hauptpunkte fest: Atli ist der Verderber seiner
Schwäger. Um nun seine Fabel überhaupt unterzubringen,
muß der Dichter aus der rachedurstigen Gudrun eine wehmütig
klagende, halb versöhnte machen. Dietrichs Stellung
hat er sich wohl so zurechtgelegt, daß er von Atli gezwungen
gegen die Gjukunge kämpfte und daher in feundlicher Beziehung
zu Gudrun bleiben kann. Wieviel ihm von der oberdeutschen
Sage klar geworden war, wieviel er unwissentlich
änderte, steht dahin. Der Anlage nach gehört das Gedicht noch zu der alten Gattung
der Ereignislieder; aber inhaltlich stellt es einen Seitenschößling
dar, einen Versuch mit neuem Lehngut, der auf die eddische
Nibelungendichtung weiter keinen Einfluß gewann.
***1 Gudrun:
| "Was ist dir, Atli,
Erbe Budlis?
Drückt Leid dein Herz?
Du lachst niemals,
Wohl dünkte das
Die Degen besser,
Sähest du mich
Und sprächest Männer." |
***2 Atli:
| Mich grämt. Gudrun,
Giukis Tochter, |
|
Was in der Halle
Mir Herkja sagte,
Daß dich und Thjodrek
Ein Tuch deckte
Und liebend ihr
Unterm Linnen schlieft."
***3 Gudrun:
| "Will um alles
Dir Eide leisten
Beim geweihten
Weißen Steine,
Daß nichts ich tat
Mit Thjodmars Sohn, |
|
3
Thule-Bd.01-087 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
was Mann und Maid
Meiden sollen.
***4
| Umhalst hab ich
Den Heerführer,
Den edeln Fürsten,
Kein einzigmal;
Anders waren
Unsre Reden,
Als traurig wir zwei
Zwiesprach pflogen. |
***5
| Mit dreißig Tapfern
Kam Thjodrek her;
von ihnen allen
Nicht einer lebt.
Du nahmst mir die Brüder,
Die Brünnenträger;
Du nahmst mir alle
Nahen Verwandten. |
***6
| Nicht kommt Gunnar,
Nicht grüß ich Högni,
Nicht treff ich mehr
Die trauten Brüder.
Mit dem Schwert rächte
Den Schimpf Högni;
Nun muß ich mich selbst
vom Makel befrein. |
|
***7
| Sende zu Saxi,
Dem Südlandsfürsten!
Er weiß zu weihn
Den wallenden Kessel. —
Siebenhundert
In den Saal schritten,
Eh des Königs Weib
In den Kessel griff. |
***8
| Sie griff zu Grund
Mit glänzender Hand
Und hielt empor
Die hellen Steine.
Gudrun:
"Schuldlos ward ich
Durch geweihten Spruch;
Nun seht, Krieger,
Wie der Kessel wallt!" |
***9
| Das Herz im Leibe
Lachte Atli
Als heil ersah
Die Hände Gudruns.
Atli:
"Nun trete Herkja
Hin zum Kessel,
Die solchen Gram
Gudrun schuf!" |
|
Thule-Bd.01-088 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***10 | So klägliches sah
Keiner zuvor,
Wie Herkja da
Die Hand verbrühte.
Sie führten sie
Zum fauligen Moor. —
So hat den Gram
Gudrun gerächt. |
Thule-Bd.01-089 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
9. Gudruns Gattenklage
Mit diesem Gedichte kommen wir zu fünf Situationsliedern
(sieh o. S. 12). Unser Poet erzählt keine Sage. Er nimmt sich
aus der Brynhildsage eine kurze Zeitspanne: zwischen Sigurds
Ermordung und Brynhildens großer Schlußszene. In diesen
Zwischenraum legt er ein heroisches Idyll: Gudrun im Kreise
ihrer Frauen; ohne Ortswechsel, ohne episches Geschehen. Auch
die Nebenpersonen sind frei erfunden. Ein seelisches Problem: wie wurde die vom Schmerz versteinerte
Witwe (Nr. 10 Str. 10) zu der leidenschaftlich jammernden
(Nr. 6 Str. 29)? hat unser elegischer Dichter mit innigem
Einleben durchgeführt. Durch die wiederholten Verse in Str.
2,5 11 erreicht er eine musikalische Wirkung, und in Str. 13ff.
findet er einen wundervollen Umschwung. Daß er nach dem
aufgetauten Klagestrom der Heldin (Str. 18-22) noch die
Feindin Brynhild zu Worte kommen läßt und damit aus dem
sanften Moll seines Liedes herausfällt, muß man dem anklage-
und verteidigungsfroben Geschmack dieser Spätblüte zugute
halten.
***1
| Einst begehrte
Gudrun zu sterben:
Bei Sigurd saß sie
Sorgenvoll;
Sie schluchzte nicht,
Schlug nicht die Hände,
Sie weinte nicht
Wie Weiber sonst. |
***2
| Kluge Jarle
Kamen zu ihr,
Die ihr das Leid
Lindern wollten;
Keine Tränen
Kannte Gudrun:
Ihr war so weh,
Sie wollte zerspringen. |
|
***3
| Edle Frauen
Der Fürsten kamen,
Goldgeschmückte, Zu Gudrun hin;
Ihren Kummer
Klagten alle,
Den jammervollsten,
Den sie je erlebt. |
***4
| Da sprach Gjaflaug,
Gjukis Schwester:
"Auf Erden bin ich
Die elendeste:
Ich mußte fünf
Männer verlieren
Und acht Brüder:
Noch immer leb ich." |
|
Thule-Bd.01-090 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***5
| Keine Tränen
Kannte Gudrun:
Sie war so zergrämt
Um des Gatten Tod,
So kummerschwer
Ob des Königs Leiche. |
***6
| Da sprach Herborg,
Die Hunnenfürstin:
"Ich hab noch berbern
Harm zu sagen
Sieben Söhne
Im Südlande,
Mein Mann als achter,
Mussten fallen. |
***7
| Vater und Mutter,
vier Brüder
Waren im Wasser
Des Windes Raub
Wider den Bord
Die Brandung schlug. |
***8
| Selbst besorgte ich,
Selbst schmückte ich,
Selbst begrub ich
Die Gesippen mein.
Alles erlitt ich
In einem Sommer;
Mir konnte keiner
Den Kummer lindern. |
***9
| vom Feind ergriffen,
Gefangen im Krieg,
Sollt ich im selben
Sommer werden. |
|
Schmücken mußt ich,
Die Schuh ihr binden,
Des Edlings Frau
Alle Tage.
***10
| Sie schalt mich oft
Aus Eifersucht
Und ließ mich harte
Hiebe spüren.
Besseren Herrn
Hatt ich niemals,
Doch nie so böse
Gebieterin." |
***11
| Keine Tränen
Kannte Gudrun:
Sie war so zergrämt
Um des Gatten Tod,
So kummerschwer
Ob des Königs Leiche. |
***12
| Da sprach Gullrönd,
Gjukis Tochter:
"Schlecht doch kannst du,
Kluge Pflegerin,
Zartem Weibe
Zuspruch sagen." |
***13
| Enthüllen hieß sie
Des Helden Leiche;
vom Degen zog sie
Die Decke fort
und schob das Kissen
Vors Knie ihr hin:
"Schau den König!
Küsse den Mund, |
|
Thule-Bd.01-091 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Als umhalstest du
Heil den Fürsten!"
***14
| Auf sah Gudrun
Mit einemmal,
Sah des Recken Haar
Veronnen von Blut,
Erloschen des Königs
Lichte Augen,
Des Mutes Burg
Durchbohrt vom Schwert. |
***15
| Die Königin glitt
Aufs Kissen nieder
Hinsank das Haar,
Heiß ward die Wange;
Ein Regenschauer
Rann ihr aufs Knie. |
***16
| Da weinte Gudrun,
Gjukis Tochter.
Ihre Klagen
Klangen durchs Haus,
Und hell schrieen
Im Hof die Gänse,
Schmucke Vögel,
Die die Frau hatte. |
***17
| Da sprach Gullrönd,
Gjukts Tochter:
"Eure Liebe
Acht ich die größte
Aller Menschen
Die auf Erden sind
Glück gab es,
Gudrun, dich, |
|
Fern und nah
Nur bei Sigurd."
***18
| (Da sprach Gudrun,
Gjukis Tochter:)
"So war Sigurd
Vor den Söhnen Gjukis,
Wie Gertauch steht,
Der im Grase wächst,
Wie ein lichter Stein,
Der am Stirnband glänzt. |
***19
| Des Herrschers Recken
Hielten mich
Höher noch
Als Herjans Mädchen;
Nun bin ich gebeugt,
Den Blättern gleich
Der Trauerweide,
Um den Tod des Königs. |
***20
| Auf der Bank entbehr ich,
Im Bette mein,
Den trauten Freund:
Das taten die Brüder;
Es taten die Bruder
Trauer mir an,
Ihrer Schwester
Schlimmes Wehn |
***21
| So leer von Leuten
Das Land euch werde,
Wie ihr geachtet
Die Eidschwure!
Nicht sollst du, Gunnar,
Des Goldes walten: |
|
Thule-Bd.01-092 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Es wird zur Hel
Der Hort dich bringen,
Da du dem Schwager
Schworest den Eid.
***22
| Größre Freude
Erfüllte den Hof,
Als seinen Hengst
Sigurd schirrte
Und auf sie brachen,
Brynhild zu frein,
Zu übelm Ausgang,
Die Unselige." |
***23
| Da sprach Brynhild,
Budlis Tochter:
"Mann und Kinder
Misse das Weib,
Das Gudrun Tränen
Gegeben hat
Und heute morgen
Den Mund ihr löste!" |
***24
| Da sprach Gullrönd,
Gjukis Tochter:
"Schweig, verhaßte,
Mit deinem Geschwätz!
Ein Fluch warst du
Den Fürsten stets; |
|
Ein Unheil nennt
Dich alles Volk."
***25
| Da sprach Brynhild,
Budlis Tochter:
"Alles Unheil
Atli uns schuf:
(Er gab mich Gunnar,
Gjukis Sohne,
Der vor unsern Saal
Mit Sigurd ritt.) |
***26
| Diesen Besuch
Sollt ich büßen;
Der Anblick schuf mir
Ewiges Leid,
Als in der Halle
Des Hunnenvolkes
Des Wurmbetts Feuer
Am Fürsten wir sahn." |
***27
| Sie stand am Pfeiler,
Stemmte die Glieder;
Es brannte Brynhild,
Budlis Tochter,
Glut im Auge,
Und Gift schnob sie,
Als sie Sigurds Wunde
Sehen mußte. |
|
Thule-Bd.01-093 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
10. Gudruns Lebenslauf
von den fünf Frauenelegien führt nur diese den Rückblick ohne
Nebenfiguren und einleitende Szenen durch. Aber die Phantasie
des Dichters kam der Monologform nicht entgegen: erläßt die
Leute so reden, wie es nur bei direkter Vergegenwärtigung
möglich wäre; den Ton der halblyrischen Selbstschau, den die
Anfangsstrophen gut treffen, hält er nicht fest. Es ist eine stoffreiche
Biographie, nicht ohne ergreifende Bilder (Str. 5, 10 ff.)
und eine melancholische Stimmungsgewalt, aber auch mit
modernen Künsteleien und ohne ein beherrschendes Motiv. Die neue Erfindung liegt wesentlich in dem großen Mittelstück;
Str. 14-34. Diese Umstimmung der verdüsterten Witwe, die
Brücke schlagend von der Brynhild- zu der Atlisage, war
früher kein Gegenstand der Dichtung, und es scheint fast, als
habe das deutsche Epos, die Vorstufe des Nibelungenliedes,
herübergewirkt. Doch ist unser Isländer der nordischen Sagenform
treu geblieben und sieht in Gudrun die Rächerin der
Brüder, nicht des Gatten. Da der Schluß fehlt, bleibt unklar, in welchem Zeitpunkte
ihres Lebens Gudrun diesen Rückblick anstellt. Doch wird der
Untergang der Brüder von Str. 36 ff. wohl schon vorausgesetzt,
nicht erst prophetisch erschaut.
***1
| War schön als Maid,
Die Mutter erzog mich,
Die lichte, daheim,
War hold den Brüdern
Bis Gjuki mich
Mit Gold beschenkte,
Mit Gold beschenkte
Und Sigurd gab. |
***2
| So stand Sigurd
vor den Söhnen Gjukis, |
| | Wie grüner Lauch,
Der im Grase wächst,
Wie der hohe Hirsch
Vor hurtigem Wild,
Wie glutrotes Gold
Vor grauem Silber. |
***3
| Doch Gunnar und Högni
Gönnten mir nicht,
Daß mein Gemahl
Der mächtigste war; |
|
Thule-Bd.01-094 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Nicht konnten sie ruhn
Noch Recht sprechen,
Bis sie dem lichten
Das Leben geraubt.
***4
| Heim lief der Hengst,
Der Hufschlag scholl,
Sigurd aber
Selber kam nicht:
Von Schweiß bedeckt,
Dampften die Rosse
Unter den Mördern,
Die mühgewohnten. |
***5
| Weinend ging ich
Mit Grani reden,
Feucht von Tränen
Fragte ich ihn;
Da neigte Grani
Ins Gras sein Haupt:
Der Hengst wußte,
Sein Herr war tot. |
***6
| Lange zagt ich,
Lange zaudert ich,
Eh ich den Fürsten
Fragte nach ihm:
Der neigte das Haupt;
Högni allein
Sagte Sigurds
Sehrenden Tod. |
|
***7 Högni;
| "Jenseits des Flusses
Gefällt liegt da,
Wölfen zum Mahl,
Der Mörder Guttorms.
Suche Sigurd
Im Südlande:
Da kannst du Raben
Rufen hören,
Aare schreien,
Der Atzung froh,
Wölfe heulen
Um deinen. Herrn." |
***8 Gudrun:
| "Wie kannst du, Högni,
Mir solchen Harm
Zu sagen wagen,
Der wonnelosen?
Hacken sollen
Sein Herz die Raben,
Schlimmer Frevler,
Im fernen Land!" |
***9
| Eins nur Högni
Zur Antwort gab,
Trüben Sinnes,
Tiefbekümmert:
"Dann wird größer,
Gudrun, dein Leid,
Zerhacken mir
Mein Herz die Raben." |
|
Thule-Bd.01-095 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***10
| Einsam zog ich
vom Zwiegespräch
Zum Wald, zu suchen
Der Wölfe Beute;
Ich schluchzte nicht,
Schlug nicht die Hände,
Ich weinte nicht,
Wie Weiber sonst. |
***11
| Schwarz und lichtlos
Schien mir die Nacht
Als wund ich saß
Bei Sigurds Leiche:
(Raben riefen
Rings um mich her;
Wölfe heulten
Im Waldesdunkel. |
***12
| So saß ich dort,
Bis die Sonne kam;)
Eines schien mir
Das allerbeste,
Ließe ich selbst
Das Leben fahren,
Ließ ich mich brennen
Wie Birkenholz. |
***13
| Talwärts sog ich
Fünf Tage lang,
Bis zu Halfs hoher
Halle ich kam;
Ich saß mit Thora,
Der Tochter Hakons, |
|
Dort drei Jahre
In Dänemark.
***14
| Sie stickte in Gold,
Meinen Gram zu lindern,
Südlandsäle,
Segler der Dänen;
Wir wirkten ins Tuch
Taten der Krieger,
Ins kunstreiche Werk
Des Königs Helden. |
***15
| Wir flochten hinein,
Wie Fürsten kämpften,
Sigar und Siggeir,
Südlich auf Fünen,
Das Schiff Sigmunds
In See stechend
Mit schmuckem Goldbug,
Geschnitztem Steven. |
***16
| Da hörte Grimhild,
Die Gotenfürstin,
Wohin ich geeilt,
Harmvollen Sinns.
Heftig stieß sie
Das Sticktuch fort,
Holte die Söhne,
Heischte Antwort,
=b Ob mir für Sigurds
Und des Sohnes Tod
Die Brüder Buße
Bieten wollten. |
|
Thule-Bd.01-096 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***17
| Gold zu geben,
War Gunnar bereit
Und Högni auch,
Den Harm zu sühnen.
Sie fragte weiter,
Wer fahren wolle,
Wagen rüsten,
Rosse satteln. |
***18
| Herein kamen
Königen gleich,
Des Langbarts Recken
In roten Pelzen,
Kappenhelmen,
Kur en Brünnen,
Schwertumgürtet,
Schwarzbraunen Haars. |
***19
| Alle kamen
Mit Kleinoden,
Mit Kleinoden
Und klugem Trostwort:
Für alles Weh
Wollten sie mir
Buße bieten;
Ich blieb aber fest. |
***20
| Da trug mir Grimhild
Den Trank herbei,
Kühl und herbe,
Den Harm zu löschen; |
|
Vereint war in ibm
Der Erde Kraft,
Eiskalte See
Und Eberblut.
***21
| Allerhand Stäbe
Standen im Horn,
Rote, geritzt,
Nicht riet ich sie:
Der Heidefisch,
Des Haddingenlands Reife Ähre,
Das Innre der Tiere. |
***22
| Viel Böses war
Im Bier gemischt,
Gebrannte Eckern
Und Baumwurzeln,
Des Herdes Asche,
Eingeweide;
Des Schweines Leber;
Da schwand mein Grimm. |
***23
| Da vergaß ich
Gunnars und Högnis
Traurige Tat,
vom Trank bezwungen.
Vors Knie kamen
Drei Könige mir;
Dann suchte Grimhild
Selber mich auf. |
|
Thule-Bd.01-097 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***24 Grimhild:
| "Ich geb dir, Gudrun,
Gold zu eigen,
Glänzendes Gut
Aus Gjukis Erbe,
Rote Ringe,
Das Reich Hlödwers,
Teppiche, Decken
Des toten Fürsten. |
***25
| Hunnenmädchen,
Die auf Hölzchen weben,
Was du begehrst,
In Gold sticken;
Zu eigen nimm
Das Erbe Budlis,
Mit Gold geschmückt,
Als Gattin Atlis!" |
***26 Gudrun:
| Keinem Manne
Mag ich folgen,
Nimmer Brünhilds
Bruder haben;
Nicht gebührt mir,
Budlis Sohne
Frohen Sinnes
Söhne zu schenken." |
***27 Grimhild:
| "Haß zu hegen,
Höre nun aufl
Am schlimmen Schicksal
Sind Schuld auch wir.
So wird dein Los,
Als lebten beide, |
| | Sigurd und Sigmund,
Wenn du Söhne gewinnst." |
***28 Gudrun.
| "Nicht kann ich, Grimhild,
Glück genießen,
Noch dem schlachtstolzen
Schwüre leisten,
Seit Wolf und Rabe
In wilder Gier
Sigurds Herzblut
Zusammen tranken." |
***29 Grimhild.
| "Den Herrscher fand ich
Hoher Geburt,
Der erste ist er
In allen Dingen.
wähle Atli
Doch weigerst du dich,
Bleib unvermählt,
Bis dein Ende kommt!" |
***30 Gudrun
| "Nicht denke dran,
Dieses Geschlecht,
Das unheilvolle,
Mir aufzudrängen!
Gunnar bringt er
Graufes verderben;
Högni reißt er
Das Herz aus der Brust." |
***31
| Weinend Grimhild
Das Wort vernahm,
Das ihren Söhnen
Unheil verhieß. |
|
Thule-Bd.01-098 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***Grimhild:
| "Ich geb dir Lande
Und Leute viel;
Nimm es, Tochter,
Genieß es lange!" |
***32 Gudrun:
| "Erkiesen muß ich
Den König denn;
Doch nehm ich ihn nur
Genötigt von euch.
Nimmer bringt Glück
Der Gatte mir,
Noch Högnis Tod
Heil den Kindern. |
***33
| (Selber muß ich
Die Söhne töten,
Zur Bruderbuße
Böses wirken;)
Nicht laß ich ab,
Bis der lebensstärke;
Des Schwertspiels Schürer,
Erschlagen liegt." |
***34
| Im Sattel sah man
Sitzen die Männer,
Welsche Weiber
Im Wagen fahren.
Ich ritt eine Woche
Durch rauhes Land |
|
Die andre Woche
Wir Wogen schlugen,
Wir zogen die dritte
Durch dürre Steppe.
***35
| Die Hüter schlossen
Der hohen Burg
Riegel da auf;
Wir ritten hinein. |
***36
| Mich weckte Atli;
Ich aber war
Voll bösen Grolls
Ob der Brüder Tod. |
***37 Atli
| "Aufweckten mich
Eben die Nornen
Mit dunkelm Traumbild;
Deutung such ich:
Ich sah dich, Gudrun,
Gjukts Tochter,
Mich tödlich treffen
Mit tückischem Schwert." |
***38 Gudrun:
| "Feuer bedeutet
Das funkelnde Schwert
Und Frauenzorn
Freude und Lust: |
|
Thule-Bd.01-099 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Brennen werd
Ein böses Geschwür,
Heg ich auch Haß,
Dich heilen und pflegen."
***39 Atli:
| "Ich schaut im Hof
Schößlinge liegen —
Weiter wollt ich
Sie wachsen lassen —
Dem Boden entrissen,
Gerötet mit Blut,
Die Bäumchen zur Bank
Mir gebracht zum Mahl. |
***40
| Habichte sah ich
Meiner Hand entfliegen,
Ohne Atzung,
sum Unglückshaus;
Ihre Herzen meint ich
Mit Honig zu kauen,
Gefüllt mit Blut.
Finstern Mutes |
|
***41
| Hündlein sah ich
Meiner Hand entrissen,
Sie heulten kläglich,
Kummererfüllt; Sie schienen mir
Geschlachtet zu sein,
Genötigt mußt ich
Genießen ihr Fleisch." |
***42 Gudrun:
| "Männer werden
Von Meerfang reden
Und Klippfischen
Den Kopf abschneiden;
Nach wenig Nächten
Werden sie sterben,
Kurz vor Tage,
Zur Kost den Mannen." |
***43
| Ich lag sodann —
Nicht dacht ich an Schlaf —
Trotzig im Bett;
Tun will ich so,
. . . . . . . . . |
|
Thule-Bd.01-100 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
11. Gudruns Sterbelied
Ein lehrreiches Beispiel, wie die jüngere Dichtung mit der
älteren schalten durfte ! Unser Elegiker hat aus dem Alten Hamdirliede,
o. Nr. 5, die ganze Eingangsszene mit leichten
Änderungen herübergenommen. So weckt er die Stimmung
und gewinnt den großen Augenblick, wo Gudrun, von ihren
letzten, todgeweihten Kindern verlassen, einsam auf der Szene
zurückbleibt. Hier setzt seine eigene Dichtung ein, der Rückblick
der lebensmüden Heldin. Es ist ein wirkliches Selbstgespräch,
sehr unepisch; die Tatsachen steigen in der Erinnerung auf,
ganz in Gefühl, in Klage getaucht. Dazu ein leiser Ton von
Selbstrechtfertigung: das Schicksal wollte es so mit mir! Der Dichter gebietet über eine heiße, leidenschaftliche Lyrik,
und einen Abschluß hat er gefunden, der ihm den höchsten
Rang unter den eddischen Elegiendichtern verschafft: Gudrun
ruft den ersten Gatten, den einzig geliebten, aus dem Totenreich
herauf; an seiner Seite will diesmal sie, wie einst die
Fremde, Brynhild, in den Flammen aufgehn! — Die beiden
ausklingenden Strophen bringen den Weltschmerz dieses
jüngeren Zeitalters zu überraschend unmittelbarem Ausdruck
***1
| Den Wortstreit weiß ich
Den wehvollsten,
Böse Reden
Aus bitterm Leid,
Als hartgemut
Zur Heerfahrt reizte
Mit grimmen Worten
Gudrun die Söhne, |
***2 Gudrun:
| "Was sitzt ihr träge,
Verträumt die Zeit,
Wie freut euch noch
Frohes Gespräch?
Zertreten ließ
Die traute Schwester, |
|
Jung an Jahren,
Euch Jörmunrek.
***3
| Gunnars Geschlecht
Gleicht ihr wenig;
Nicht seid ihr beherzt,
Wie Högni war:
Nicht ruhtet ihr,
Bis gerächt sie wäre
Wenn meiner Brüder
Mut ihr hättet. |
***4
| Dies sagte Hamdir,
Der hochgemute: |
|
Thule-Bd.01-101 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
"Nicht rühmtest so hoch du
Högnis Taten,
Als die Gesippen
Sigurd weckten;
Deine Bettlinnen,
Die bläulichweißen,
Färbte Reckenblut,
Rötete Wundentau.
***5
| Dir brachte Böses
Die Bruderrache:
Zu schlimmem Schmerz
Erschlugst du die Söhne;
Wir könnten alle
vereint rächen
Die junge Schwester
An Jörmunrek. |
***6
| Das Heergewand holt
Der Hunnenfürsten!
Gereizt hast du uns
Zum Rachewerk." |
***7
| Lachend ging
Gudrun zur Kammer,
Nahm aus den Kisten
Die Königshelme,
Lange Brünnen,
Brachte sie ihnen -
Auf Rosses Rücken
Die Recken stiegen. |
***8
| Dies sagte Hamdir,
Der hochgemute: |
|
"So kehrt später
Der Speergott, gefällt
Im Gotenvolk,
Zu Gudrun heim,
Daß unser aller
Erbmahl du trinkst,
Deiner Söhne
Und Sigurds Tochter."
***9
| Es ging Gudrun,
Gjukis Tochter,
Traurig weinend,
Am Tor zu sitzen,
Und zu erzählen,
Zährenbenetzt, Trübe Mär
von mancherlei Harm. |
***10 Gudrun:
| "Drei Heime sah ich,
Drei Herde sah ich;
Drei Herrschern ward ich
Ins Haus geführt.
Sigurd war mir
Wert vor allen,
Deß Blut vergossen
Die Brüder mein. |
***11
| Schlimmeren Schmerz
Schaut ich nimmer,
(Nicht konnten die Brüder
Mir böser tun;)
Dennoch schien mir
Schwerer mein Los,
Als die Edeln mich
Atli gaben. |
|
Thule-Bd.01-102 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***12
| (Im Hofe spielten
Des Herrschers Söhne;)
Die raschen Knaben
Rief ich heimlich:
So lange blieb mir
Buße versagt,
Bis ich Atlis Erben
Abhieb das Haupt. |
***13
| Ich ging zum Strand,
Gram den Nornen,
Fliehen wollt ich
Ihren Fehdehaß;
Nicht sank ich, mich hoben
Hohe Wogen;
Ich stieg ans Land:
Leben mußt ich. |
***14
| Ins Bett kam ich —
Bessres wünscht ich —
Zum drittenmal
Mächtigem König,
Zog Kinder auf;
Erbesbüter,
Jonakers Söhne
Und die junge Schwanhild. |
***15
| Um Schwanhild saß
Schar der Mägde:
Sie liebt ich zumeist
von meinen Kindern
Allen schien sie
In unsrer Halle, |
|
Als sei sie ein lichter
Sonnenstrahl.
***16
| Ich schenkt ihr Gold,
Schmucke Kleider,
Eh ich sie gab
Ins Gotenvolk;
Aller Schmerzen
Schärfster war der
Um meiner Schwanhild
Schimmerndes Haar,
In den Straßenstaub
von Hufen gestampft. |
***17
| Der brennendste doch,
Als im Bett sie mir
Sigurd erschlugen,
Des Sieges beraubt;
Der bitterste doch,
Als dem Bruder mein
Lichte Schlangen
Ans Leben krochen. |
***18
| Der herbste doch,
Als zum Herzen sie
Dem lebenden König,
Dem kühnen, schnitten. —
Bittres schaut ich;
(Böses schaut ich:
Enden will ich
Nun all mein Leid.) |
***19
| Schirre, Sigurd,
Das schwarze Roß, |
|
Thule-Bd.01-103 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Den hurtigen Hengst,
Lenk ihn her zu mir!
Nicht sitzt bei mir
Sohn noch Tochter,
Die Gudrun Goldschmuck
Geben könnten.
***20
| Entsinn dich, Sigurd,
Was du sagtest,
Als auf dem Bett
Wir beide saßen!
Du wolltest, kühner,
Kommen zu mir,
von Hel zur Erde,
Und ich zu dir. |
***21
| Schichtet, Edle,
Eichenscheite!
Unterm Herrscher laßt sie
Hoch sich türmen ': |
|
Die leidvolle Brust
Brenne Feuer
Es schmelze im Herzen
Schwere Sorge"
***22
| Am Tor tönte
Trauerklage
Zur freudlosen Zeit
Der Zwergennot;
Des Morgens früh
Mehrt die Sorgen
Aller Kummer
Um Erdenleid. |
***23
| Auen Männern
Mindre den Harm,
Allen Weibern
Wende das Leid
Das Klagelied,
Das erklungen ist,
(Wie Gjukis Tochter
Den Gram geendet.) |
|
Thule-Bd.01-104 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
12. Brynhildens Helfahrt
Das kurze Lied stellt deutlicher als seine verwandten das
Rechtfertigungsproblem: was hätte die Heldin — in diesem
Falle Brynhild —auf die Anklage gegen ihr Leben zu antworten
: Als Anklägerin gegen die Tote wählt der Dichter ein
außermenschliches Weib, ein Gespenst in der Felshöhle am
Rande der Unterwelt. Die Jugendgeschichte Brynhildens ist
ausgestattet mit den Zügen jener andern Heldin, der von Sigurd
entzauberten Odinsdienertn, dazu mit eigner Erfindung
nach fremden Mustern (Str. 8). Die dramatische Einführung des Rückblicks bat der Dichter
mit lauter Redeversen bewältigt. In Str. 13 findet er zarte,
innige Klänge, und die Schlußstrophe läßt er, nach einem
weltschmerzlichen Seufzer, sieghaft austönen. Als Brynhild auf dem Holzstoß verbrannt war, fuhr sie im
Wagen den Weg nach Hel. Der Weg führte sie vorbei an
einer felsbewohnenden Riesin.
***1 Die Riesin:
| Nimmer darfst du
Dreist betreten
Die stein gestützten
Stätten mein
Solltest lieber
Leinwand weben,
Statt frech zu folgen
Fremdem Gatten! |
***2
| Was wanderst du
Vom Wallande,
Heilloses Haupt,
Zur Halle mein: |
|
Du wischtest, Weib,
Willst dus hören,
Oft von den Händen
Dir Heldenblut.
***3 Brynhild:
| Nicht wirf mir vor,
Du Felsenweib,
Daß einst ich war
Auf Wikingsfahrt!
Die bessre bleib ich
von uns beiden,
Wo unsre Abkunft
Auf Erden man kennt. |
|
Thule-Bd.01-105 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***4 Die Riesin;
| Du bist, Brynhild,
Budlis Tochter,
Zum ärgsten Unheil
Auf Erden geboren:
Zu Grunde gingen
Gjukis Söhne;
Du hast gestürst
Ihr starkes Haus. |
***5 Brynhild:
| Will berichten
Rasch vom Wagen,
Unwissend Weib,
Willst dus hören,
Wie minnearm
Und meineidig
Die Fürsten mich
Gemacht haben. |
***6
| (Als Kind erwuchs ich
Im Königssaal
In Heimirs Hut;
Hold war mir jeder.)
Hild im Helme
Hießen mich alle,
Die mich gekannt,
In den Kampftälern. |
***7
| (Den Heerschild hoben
Zwei Herrscher einst, |
|
Der Heergott verhieß
Helm-Gunnar Sieg;)
Der andre war Agnar,
Audas Bruder,
Dem keiner zu Hilfe
Kommen wollte.
***8
| Der kühne Fürst
Nahm die Flughemden
Unter der Eiche
Uns acht Schwestern;
Zwölf Winter war ich,
Willst dus hören,
Als dem jungen Edling
Ich Eide schwor. |
***9
| Da ließ ich den Greis
Im Gotenvolke,
Helm-Gunnar, bald
Zur Hel ziehen,
Gab Agnar Sieg,
Audas Bruder
Ingrimmig ward
Mir Odin drum. |
***10
| Er schloß im Schlachthain
Mit Schilden mich ein —
Rand stieß an Sand —
Roten und weißen; |
|
Thule-Bd.01-106 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Es durfte vom Schlaf
Nur der mich wecken,
Dem Furcht immer
Fremd geblieben.
***11
| Den Holzverbeerer
Ließ hoch er lodern
Um meinen Saal
vom Süden ber;
Nur der durfte
Hindurch reiten,
Der mit sich führte
Fafnirs Goldschatz. |
***12
| Auf Grani ritt
Der Goldspender
Dorthin, wo Heimir
Im Hochsitz saß;
Einzig er war
Der allerhehrste,
Der dänische Wiking,
In der Degen Schar. |
***13
| Ein Bett barg uns
Beide traulich, |
|
Als ob er mein Bruder
Geboren wäre:
Unser keiner
In acht Nächten
Konnt um den andern
Den Arm legen.
***14
| Doch schalt mich Gudrun,
Gjukis Tochter,
Daß in Sigurds Arm
Ich einst geschlafen;
Da ward mir gewiß,
Was Weh mir schuf:
Der böse Trug
Der Brautwerbung. |
***15
| Männer und Frauen
Müssen lange
Zu Last und Leid
Im Leben weilen;
Doch wir wollen
Welt verlassen,
Sigurd und ich —
Versink; Riesin |
|
Thule-Bd.01-107 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
13. Oddruns Klage
Der Eingangsvers darf uns nicht täuschen: diese Rahmen-
geschichte mit der Königstochter in Kindsnöten ist Erfindung
des Dichters, und sie mahnt auch mehr an ritterliche Balladen
als an nordisches Heidentum ! Aber auch der Rückblick selbst,
Str. 13ff., stellt in den alten Sagenstoff eine neue Hauptperson,
die Oddrun, und ihr Erlebnis ist ein richtiger Liebesroman:
die verwandtschaft duldet nicht die vereinigung der
Liebenden. Dem entspricht die weiche Stimmung, die fast
bürgerlich modernen Gedanken in Sir. 9, 11, 21 f., die Anerkennung
der Allgewalt der Liebe in Str. 22, 32. Daneben
ragen die Motive aus der heroischen Sage auf, feierlich, in
strenger Größe. Sprache und vers erreichen seltener als in
den vorangehenden Stücken die alte stählerne Spannung.
Man könnte sich denken, daß eine in der Heldendichtung bewanderte
Frau dieses Lied von den zwei leidenden Freundinnen
geschaffen hätte.
***1
| In alten Mären
Hört ich melden,
Wie ein Mädchen kam
Nach Mornaland
Auf der ganzen Erde
Gab es niemand,
Der Heidreks Tochter
Helfen konnte. |
***2
| Oddrun hörte;
Anis Schwester,
Schwere Krankheit
Quäle die Maid; |
|
Sie zog aus dem Stall
Den Zaumträger
Und legte dem Rappen
Das Reitzeug auf.
***3
| Sie ließ ihn laufen
Ebnen Landweg,
Bis zu der hohen
Halle sie kam;
Sie zog den Sattel
vom zitternden Roß,
Und also war
Ihr erstes Wort: |
|
Thule-Bd.01-108 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***4
| "Was vernahmt ihr
Neues auf Erden:
Was habt ihr gehört
In Hunaland:"
Die Dienerin.
Borgny liegt hier;
von Leid gequält,
Deine Freundin,
Denk auf Hilfe!" |
***5 Oddrun.
| "Wer hat der lichten
Leiden gebracht:
Wie kam Borghild
Zu böser Krankheit?'
Die Dienerin:
"Wilmund heißt er,
Der Helden Freund;
Mit warmer Decke
Umwand er die Maid." |
***6
| Sie sprachen, dünkt mich,
Dies und nicht mehr;
vor Borgnys Knie
Kam sie hit
Kräftig sang sie,
Kundig sang sie
Mächtigen Zauber
Der Maid Heidreks. |
***7
| Knabe und Mädchen
Kamen zur Welt;
Holde Kinder
Des Högnttöters; |
|
Nun konnte reden
Das kranke Weib,
Zu allererst
Also sie sprach:
***8
| "Helfen sollen
Dir holde Wesen,
Frigg und Freyja
Und viele Götter,
Wie du die Not
Nahmest von mir
(Und, mir zu helfen,
Hierher eiltest.") |
***9 Oddrun
| "Nicht eilte ich her,
Zu helfen dir,
Weil du das wert
Gewesen bist;
Ich verhieß und hielt
Bisher mein Wort-Dass
ich jeder Beistand
Bieten wolle." |
***10 Borgny
| Wirr bist du, Oddrun,
Und wahnbetört,
Da du der Freundin
Feindliches sagst;
Geleitet hab ich
Im Leben dich,
Als ob wir Brüdern
Geboren wären. |
***11 Oddrun.
| "Ich weiß, wie arg
Den Abend du sprachst, |
|
4
Thule-Bd.01-109 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Als ich Gunnar bot
Gastlichen Trank:
Nimmer werde
Nachmals, sprachst du,
Eine Maid so tun,
Außer mir allein."
***12
| Da setzte sich
Die sorgenmüde,
Leid zu klagen,
Kummerbeschwert. |
***13 Oddrun:
| "Als Kind erwuchs ich
Im Königssaal
In der Helden Hut,
Hold war mir jeder,
Froh der Jugend
Und des Vatergutes,
Nur fünf Winter,
Bis mein Vater starb. |
***14
| Als letzte Rede
Redete dies
Der edle Herrscher,
Eh er heimging: |
|
Man solle, begabt
Mit rotem Golde,
Mich südwärts senden
Dem Sohne Gjukis.
***15
| Doch Brynhild hieß er
Den Helm nehmen,
Wunschmaid wollt er
Sie werden lassen;
Kein edler Weib
Wachse, sprach er,
Auf Erden auf;
Bliebe Unheil |
***16
| Brynhild Borten
Im Burggemach wob,
Sie hatte Land
Und Leute zu eigen.
Es hallte Erde
Und Himmelswölbung,
Als Fafnirs Töter
Die Feste sah. |
***17
| Kampf ward gekämpft
Mit welscher Klinge, |
|
Thule-Bd.01-110 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Erbrochen die Burg,
Die Brynhild besaß ;
Kurz nur währt es -
Es kam zu bald —,
Bis allen Trug
Sie aufgedeckt.
***18
| Des gewann
Wilde Rache;
Wir alle spürten
Es allzusehr;
Durch alle Lande
Läuft die Kunde,
Wie sie sich selbst
Um Sigurd erstach. |
***19
| Doch ich begann,
Gunnar zu lieben,
Den Brecher der Ringe;
Wie Brynhild sollte.
Sie boten sogleich
Goldne Ringe,
Reiche Buße,
Dem Bruder mein. |
***20
| Für mich bot der Fürst
Und Granis Last,
Begehrte sie Ätti;
Doch mein Bruder
Wollte Brautgeld |
|
Nimmer nehmen
vom Nachfahr Gjukis
***21
| Wir mochten nicht mehr
Die Minne bezwingen,
Bis ich das Haupt
Des Herrschers umfing
Manches raunte
Meine Sippe,
Daß man uns beide
Bei bösem ertappt. |
***22
| Doch Atli erklärte;
Ich könne nie
Einen Fehltritt tun,
Noch Frevel begehn;
Solches aber
Soll vom andern
Kein Mensch leugnen,
wo Minne waltet. |
***23
| Seine Boten
Sandte Atli
Nach mir zu forschen,
Durch finstern Wald;
Sie kamen, da sie
Nicht kommen sollten,
Als eine Decke
Uns umhüllte. |
|
Thule-Bd.01-111 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***24
| Rote Ringe
Den Recken wir boten,
Wenn sie Atli
Alles verschwiegen;
Hastig aber
Eilten sie heim,
Sagten eifrig
Atli die Mär. |
***25
| Gudrun aber
Ward ganz verhohlen.
Was sie zumeist
Wissen mußte. |
***26
| Goldner Hufe
Hall ertönte,
In den Hof ritten
Högni und Gunnar. —
Sie schnitten Högni
Das Herz aus dem Leib
Und schickten Gunnar
Zum Schlangenhof. |
***27
| Die Harfe schlug
Der hohe König,
(Mit der Füße Zweigen
Faßt er die Saiten.) |
|
Der Herrscher hoffte,
Der hochgeborne,
Zu Hilfe mich
Hinzurufen,
***28
| Gefahren war ich
Fort zu Geirmund,
Den einen Tag,
Trank zu mischen;
Hin nach Hlesey
Hörte ich da
Die Saiten singen
Von sehrender Not, |
***29
| Den Mägden befahl ich,
Die Fahrt zu rüsten,
Retten wollt ich
Des Recken Leben
Schwimmen ließ ich
Das Schiff übern Sund
Bis Anis Höfe |
***30
| Gekrochen kam
Hervor des Königs
Schlimme Mutter:
Modern soll siel |
|
Thule-Bd.01-112 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
In Gunnars Herz
Grub sie sich ein;
Nicht konnt ich retten
Des Königs Leben. ***31 | Oft wunderts mich,
Wie ich, Göttin
Des Lindwurmlagers,
Noch leben kann:
Zu minnen meint ich
Mehr als mich selbst
Den schlachtschnellen
Schwertgebieter. | ***32 | Du saßest lauschend,
Ich sagte dir
Alles Unglück;
Ihres und meins.
Seiner Liebe
Lebt ein jeder —
Zu Ende ist nun
Oddruns Klage." |
Thule-Bd.01-113 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
14. Das Lied vom Drachenhort
Jung Sigurds größte Heldentat war sein Drachenkampf. Die
nordische Dichtung hat dies in einen reicheren Zusammenhang
gebracht, indem sie den albischen Schmied, den Erzieher des
jungen Helden, als Bruder des Drachen angliederte und dem
von Sigurd erbeuteten Horte eine Vorgeschichte gab. Dieser
Hort, einst von den Göttern als Lösegeld an ein Riesengeschlecht
gezahlt, dann zwischen Vater und Söhnen umstritten,
endlich von dem Ungetüm mißgünstig bebrütet, gibt der
folgenden langen Strophenreihe ihre innere Einheit, wozu
sich eine verwandtschaft im Ausdruck gesellt. Nach Schauplatz,
Zeit und Handlung fällt freilich die Reihe so sehr in
zwei Stücke, daß man fragen kann, ob nicht mit Str. 9 eine
geschlossene, wohlerhaltene Komposition beginnt "die Tötung
Fafnirs und Regins" ; das vorangehende wäre dann wohl
als Lose Strophen zu fassen, die für eine Saga von Sigurd
gedichtet wurden. Ergänzender Prosa bedarf dieser Teil jedenfalls
in höherem Maße als andere erzählende Gedichte der
rein dialogischen Form. In dieser eigenartigen Kunstform ließ sich der Drachenkampf
selbst nicht wohl vorführen: die Phantasie des Dichters ergeht
sich in einem langen Scheltgespräch, das dem Kampfe
folgt; es stellt in Sigurd den idealen Heldenjüngling oder
eher den heroischen Naturburschen hin und läßt dazu das beherrschende
Motiv von dem verderblichen Schatze kräftig anklingen,
z. T. in lehrhaftem, tentenziösem Tone, wie er auch
in Str. 7f. und stärker wieder in den beiden Schlußszenen,
Str. 2d ff., 35 ff., vernehmlich wird. In dieser Darstellung
wirkt die berühmteste der germanischen Drachensagen nicht als
glorreiches Abenteuer; sie ist durchzogen von einem düstern,
grimmigen Fatalismus, wie auch der Fluch des Sippenmordes
doppelt vertreten ist. Die Verse — es ist das dialogische Metrum
—haben eine ungewöhnliche Wucht, einen fast rasselnden
Gang. Man wird die Dichtung gewiß noch der heidnischen
Zeit zuteilen dürfen. Die drei Götter, Odin, Hönir und Loki, kamen einst auf der
Wanderung an einen Wasserfall; darin jagte Otr, der Sohn
des Riesen Hreidmar, in einer Fischotter Gestalt. Er hatte einen
Thule-Bd.01-114 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Lachs gegriffen, saß auf der Uferböschung und verzehrte ihn
blinzelnd, denn er konnte es nicht ansehen, wie es weniger
wurde. Loki warf ihn mit einem Stein zu Tode, dann zogen
sie ihm den Balg ab. Am Abend suchten sie Herberge auf bei
dem Riesen Hreidmar und wiesen ihren Fang vor. Da rief
Hreidmar seinen beiden andern Söhnen, Fafnir und Regin:
sie nahmen die drei Götter fest und legten ihnen als Lösegeld
auf den Otterbalg mit rotem Golde zu füllen und zu hüllen.
Da schickte Odin den Loki ins Schwaralbenreich, das Gold
zu beschaffen. Loki kam zu den Stromschnellen, worin der
Zwerg Andwari in Gestalt eines Hechtes hauste; er sing den
Hecht und sprach zu ihm. ***1 | Wer ist der Fisch,
Der durch die Fluten schießt
Und sich vor Schaden nicht schützt:
Aus Hels Haft
Dein Haupt nun löse;
Gib mir Feuer der Flut! | ***2 Andwari | Andwari heiß ich,
Oïn hieß mein Vater
viel Schnellen durchschwamm ich schon:
Arge Norne
In der Urzeit mir schuf,
Daß im Wasser ich weilen muß. |
Andwari mußte dem Loki all sein Gold aus der Felshöhle
herausgeben, auch den zauberischen Ring Andwaranaut
aber er sprach einen Fluch aus, daß dieses Gold jedem, der es
besitze, den Tod bringen solle.
Thule-Bd.01-115 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Loki kam zu Hreidmar; sie füllten den Otterbalg mit dem
Golde und stellten ihn auf die Füße; dann hüllten sie ihn mit
Gold, aber Hreidmar sah noch ein Schnauzhaar hervorstehn:
das mußte Odin mit dem Ringe Andwaranaut zudecken. Da
sprach Loki zu Hreidmar: ***3 | Das Gold ist gezahlt,
Großes Lösegeld
Erhieltst du für mein Haupt.
Kein Segen
Deinen Söhnen erwächst:
Es bringt euch allen Unheil! | ***4 Hreidmar: | Gaben gabst du,
Nicht Gaben der Freundschaft,
Nicht gabst du ohne Arg!
Euer Leben
Hättet ihr lassen müssen,
Wußt ich früher den Fluch. | ***5 Loki | Verderblicher wird —
Ich denk es zu wissen —
Verwandtenhaß um ein Weib;
Ungeboren
Noch acht ich die Fürsten,
Denen zum Streit sie bestimmt. | ***6 Hreidmar: | Den roten Hort
Zu behalten denk ich, |
Thule-Bd.01-116 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
So lange mein Leben währt.
Deine Drohung
Dünkt mich ein Nichts.
von hinnen hebt euch heim! Die Götter zogen davon. Fafnir und Regin aber forderten von
ihrem Vater ihren Anteil an dem Wergeld für Otr, ihren Bruder;
er verweigerte es ihnen. Da erstach Fafnir mit dem Schwerte
seinen Vater Hreidmar im Schlafe. Hreidmar rief seinen Töchtern: ***7 | Lyngheid und Lofnheid,
Mein Leben ist aus!
viel heischt die Freveltat.
Lyngheid:
Am Bruder wird schwerlich
Sich die Schwester rächen,
Wenn auch ihr Vater fiel. |
Als Hreidmar tot war, nahm Fafnir alles Gold an sich. Regin
wollte seinen Teil vom Vatererbe haben, aber Fafnir verweigerte
es ihm. Da suchte Regin Rat bei seiner Schwester Lyngheid.
Sie sagte: ***8 | Bitten mußt du
Den Bruder freundlich
Um Erbteil und Edelmut:
Nicht scheint mirs rätlich,
Daß mit dem Schwerte du
Den Hort von ihm heischst. |
Fafnir zog nun auf die Gnitaheide und wandelte sich in die Gestalt
eines Drachen und legte sich auf den Goldhort. Viele Jahre später kam der Knabe Sigurd zu Regin und
wuchs bei ihm auf, er wurde der stärkste und beherzteste allen
Thule-Bd.01-117 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Menschen. Regin war ein kunstreicher Schmied und fertigte
ihm ein Schwert, das hieß Gram; es war so scharf, daß, als
er es in den Rhein hielt und eine Wollflocke dagegen treiben
ließ, die Schneide die Flocke zerteilte. Darauf reizte Regin den
Sigurd, wenn er kein Feigling sei, den Drachen Fafnir zu erschlagen
und den Hort zu gewinnen. Er zog mit ihm auf die
Gnitaheide; dort grub Sigurd eine Grube unter der Fährte
des Drachen und setzte sich hinein. Aber als Fafnir zur Tränke
kroch und über die Grube kam, stieß ihm Sigurd das Schwert
ins Herz. Fafnir schüttelte sich und schlug mit Kopf und
Schwanz um sich. Sigurd sprang aus der Grube hervor, da
sah einer den andern. ***9 Fafnir | Gesell, Gesell!
Wem bist, Gesell, du entstammt,
Welcher Sippe Sohn :
Der in Fafnir du färbtest
Dein funkelndes Schwert,
Das zum Heft mir im Herzen steht. | ***10 Sigurd: | Wundertier heiß ich;
Gewandert bin ich,
Ein mutterloser Mann.
Keinen Vater hab ich,
Wie das Volk der Menschen,
Ging immer einsam. | ***11 Fafnir: | Hast du keinen Vater,
Wie das Volk der Menschen, |
Thule-Bd.01-118 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Welcher Zauber erzeugte dich:
(Lügner beiß ich dich,
Wenn in meiner letzten Stunde
Du deinen Namen nennst.) ***12 Sigurd: | Allbekannt wird
Meine Abkunft dir sein,
Und nicht anders auch ich:
Sigurd heiß ich,
Sigmund hieß mein Vater
Deß Waffe dich überwand. | ***13 Fafnir: | Wer riet dir die Tat:
Was reizte dich,
Zu trachten nach meinem Tod :
Helläugiger Gesell,
Ein Held war dein Vater,
Früh gewannst du Wagemut | ***14 Sigurd | Mich reizte mein Mut,
Meine Rechte mir half
Und mein scharfes Schwert.
Keiner noch
Ward kühn als Greis,
Der vordem feige war. | ***15 Fafnir | Wärst du erwachsen
An der verwandten Brust,
Säh man im Kampf dich wohl kühn;
Doch ein Knecht bist du
Und kriegsgefangen,
Stets in Angst find Unsere, | ***16 Sigurd: | Du schmähst mich, Fafnir,
Weil fern ich weile |
Thule-Bd.01-119 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Meinem Vatererbe
Kein Knecht bin ich,
Ob auch kriegsgefangen,
Daß ich frei bin, fühltest du ***17 Fafnir: | Feindlichen Sinn
Findst du in allem,
Doch Wahrheit nur weis ich dir!
Das gleißende Gold
Und der glutröte Schatz —
Es bringt der Hort dich zur Hel. | ***18 Sigurd: | Bis zum einen Tage
Können alle Männer
Raten ihres Reichtums;
Denn einmal
Müssen aue Menschen
Zur Hel von hinnen fahren. | ***19 Fafnir | Mein Schreckenshelm
Scheuchte die Menschen,
Da den Hort ich hütete;
Der allerstärkste
Glaubt ich einzig zu sein,
Nicht fand ich Männer gleich mir. | ***20 Sigurd. | Der Schreckenshelm
Schützt wohl keinen,
Treffen tapfre sich;
Dann findet sichs,
Wenn man vielen begegnet,
Daß keiner der kühnste ist. |
Thule-Bd.01-120 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***21 Fafnir | Gift schnob ich,
Als auf dem Gold ich lag,
Dem funkelnden vatererbe;
(Niemand noch
Mir zu nahen wagte,
Kein Schwert mich schrecken konnte). | ***22 Sigurd. | Gleißender Wurm,
Du hast Grausen geweckt
Und Heldenmut gehegt;
Desto mehr Grimm
Den Männern erwächst,
Die gewinnen diese Wehr. | ***23 Fafner: | Ich rate dir, Sigurd,
Den Rat nimm an
Und reit heim von hinnen:
Das gleißende Gold
Und der glutröte Schatz —
Es bringt der Hort dich zur Hel. | ***24 Sigurd: | Du rietst den Rat,
Doch ich reite dorthin,
Wo der Hort auf der Heide liegt;
Du aber lieg
Im lesten Kampfe,
Bis Hel du gehörst! | ***25 Fafnir: | Regin verriet mich;
verrät auch dich:
Er will unser beider Blut.
Lassen muß
Sein Leben nun Fafnir;
Ein stärkrer in dir erstand. |
Thule-Bd.01-121 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Regin war vor dem Kampfe abseits gegangen; er kam jetzt zurück
und sagte: ***26 | Heil dir, Sigurd!
Du hast Sieg erstritten
Und Fafnir gefällt.
Von allen Männern,
Die auf Erden schreiten,
Bist der kühnste Kämpe du. | ***27 Sigurd: | Ungewiß ist,
Kommen alle zusammen,
Wer der kühnste Kämpe ist:
Kühn ist mancher,
Der die Klinge noch nie
Gerötet in Reckenbrust. | ***28 Regin: | Heitern Herzens
Und der Heldentat froh,
Wischst du Gram im Gras.
Meinen Bruder
Hast du blutig gefällt;
Doch hab ich teil an der Tat. | ***29 Sigurd: | Ferne schlichst du,
Als in Fafnir ich rötete
Mein scharfes Schwert;
Wider seine Macht
Setzt ich meine Kraft,
Als du im Kraut dich verkrochst. | ***30 Regin. | Liegen ließest
Du lange auf der Heide
Den bejahrten Jöten,
Wenn der Schmied dir nicht half:
Ich schweißte selber
Dir dein scharfes Schwert. |
Thule-Bd.01-122 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***31 Sigurd: | Mut ist mehr wert
Als die Macht des Schwertes,
Treffen tapfre sich:
Kühnen Mann
Sah den Kampf ich gewinnen
Mit stumpfer Stahlklinge. | ***32 Regin | (Gibst du mir nichts
von dem Gold auf der Heide
Für dein scharfes Schwert,
So fordr ich Wergeld
Für den Fall des Bruders:
Aus der Beute zahl Buße mir!) | ***33 Sigurd | Du rietest mir,
Daß ich reiten sollte,
Übers Hochgebirg her,
Gut und Blut
Hätte der gleißende Wurm,
Warfst du mir Feigheit nicht vor. |
Da schnitt Regin dem Fafnir das Herz aus und trank dann das
Blut aus der Wunde. ***34 Regin: | Sitz nun, Sigurd —
Ich such mir ein Lager —
Das Herz Fafnirs ans Feuer halt!
Der Muskel mir
Munden soll
Nach dem Trunk vom Totenblut. |
Regin ging weg, aber Sigurd nahm Safnirs Herz und briet
es an einem Zweige. Der Saft schäumte aus dem Herzen, und
Sigurd faßte mit dem Finger an, um zu versuchen, ob es gar
sei. Er verbrannte sich den Finger und steckte ihn in den
Thule-Bd.01-123 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Mund: als aber das Blut von Safnirs Herzen auf seine Zunge
kam, da verstand er die Vogelsprache. Er hörte im Gebüsch
Meisen zwitschern. Die erste sagte:
***35
| Da sitzt Sigurd,
Besudelt mit Blut;
Er brät am Feuer
Des Fafnir Herz;
Ratklug wäre
Der Ringbrecher,
Ass er den lichten
Lebensmuskel. |
|
***36 Die zweite.
| Da liegt Regin,
Berät mit sich;
Den, der ihm traut,
Betrügen will er;
Finster sinnt er
Falschen Anschlag:
Den Bruder rächen
Will der Ränkeschmied |
|
***37 Die dritte: | Einen Kopf kürzer
Lasse erden kundigen Alten
Zur Hel von hinnen fahren!
Alles Gold
Ist sein Eigen dann,
So viel unter Fafnir lag. |
***38 Die vierte.
| Weise wär er,
Wollt er nützen,
Den ihr Schwestern gebt,
Den guten Rat:
Den Raben letzter,
Rasch entschlossen; |
|
Dort liegt der Wolf,
Wo die Lauscher man sieht
***39 Die fünfte:
| Nicht ist so klug
Der Kampfesbaum,
Wie den Heerleiter
Bisher ich wähnte, |
|
Thule-Bd.01-124 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Läßt einen Bruder
Er unversehrt,
Wo er den andern
Eben erschlug. ***40 Die sechste: | Unklug ist er,
Wenn er immer noch schont
Den gefährlichen Feind —
Da dort Regin liegt,
Der ihn verraten hat —
Wenn er vor dem Schuft sich nicht schützt! | ***41 Die siebente: | Einen Kopf kürzer
Lasse er den kalten Riesen
Der Ringe beraubt sein!
Dann wird er des Hartes,
Den der Wurm gehütet,
Einziger Erbe sein. |
Als Sigurd diese Stimmen vernahm, da sagte er zu sich selbst: ***42 | Kein Geschick ist so stark,
Daß so schnell das Leben
Mir Regin rauben sollte:
Beide Brüder
Gar bald nun sollen
Zur Hel von hinnen fahren! |
Er schlug Regin den Kopf ab. Dann ass er Fafnirs Herz auf
und trank der beiden Brüder Blut. Er ritt zu der Höhle des
Drachen und belud sein Roß mit dem gewaltigen Goldhorte.
Thule-Bd.01-125 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
15. Die Vogelweissagung
Diese fünf Strophen, die im Liederbuch dem Gedichte vom
Drachenhort folgen, greifen über dessen epischen Rahmen aufs
entschiedenste hinaus und sind am besten zu verstehen als eine
Gruppe von Losen Strophen, eine Saga von Sigurd als
Schmuck gedichtet (vgl. Einleitung S. 13). Sie leiten hinüber
von der Drachensage zu der Brynhild sage. Brynhild
wird hier, wie in Nr. 12, der von Sigurd erlösten Odinswalküre
gleichgesetzt, sie übernimmt deren Vorgeschichte und malerisches
Kostüm. Als Sigurd den Drachen Fafnir und seinen Bruder Regin erschlagen
hatte, hörte er die Meisen im Gebüsch diese Worte reden:
***1
| Die roten Ringe
Raff zusammen!
Furcht zu hegen,
Ziemt Fürsten nicht.
Eine Maid weiß ich,
Die magst du gewinnen,
Die allerschönste,
Geschmückt mit Gold. |
***2
| Zu Gjuki gehn
Grüne Pfade;
Zur Höhe das Schicksal
Den Helden weist!
Eine Tochter hat
Der treffliche Fürst,
Die kannst du, König,
Kaufen um Malschatz. |
|
***3
| Hoch steht ein Saal
Auf Hindarfjall;
Ganz gürtet ihn
Glut von außen.
Ihn haben kluge
Künstler erbaut
Aus flammend lichtem
Flutenglanze, |
***4
| Es schläft auf dem Berg
Die Schlachtjungfrau: Um sie lodert
Der Linde Feind,
Odin stach sie:
Andre fällte
Die Armbandgöttin,
Als er gebot, |
|
Thule-Bd.01-126 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***5 | Die Maid im Helme
Kannst, Held, du sehn,
Die von der Walstatt
Auf Wingskornir ritt
Sigrdrifs Schlaf,
Schildungensproß, Niemand je löst
Wider Nornenspruch.
5 |
Thule-Bd.01-127 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
16. Sigurds Vaterrache
Der Eddasammler stellt diese Stropbenreihe mitten in das Lied
vom Drachenhort hinein: Versmaß wie Inhalt heischen gebieterisch
die Trennung. Die Hortgeschichte und die Vaterrache
sind zwei Themen ganz für sich. Unser Dichter steht auf dem Boden der jüngeren, nordischen
Sagenform: Sigurd ist nicht mehr der in Niedrigkeit Aufwachsende,
dem Schmiede Frohnende; er wird als junger Prinz
dem Regin zur Erziehung gegeben und erhält von seinem königlichen
Stiefgroßvater eine Flotte für die vaterrache. Daß
Sigurd seinen erschlagenen Vater nicht ungerochen läßt, war
eine naheliegende Folgerung; aber die deutsche Sage scheint
dies von ihrem Sigfrid noch nicht erzählt zu haben. Die acht oder dreizehn Gesäse, die in Str. 4 f. die schönsten
Meeressturmverse der altnordischen Dichtung enthalten, sind
nur ein Bruchstück; es dürfte ein längerer Eingangsteil fehlen,
der vielleicht bis auf den Vater, Sigmund, zurückgriff und erzählte,
wie der sterbende Fürst auf der Walstatt die Trümmer
seines Odinsschwertes dem Weibe übergibt, damit dereinst der
Sohn, Sigurd, die Waffe aus dem väterlichen Stahle führe. König Sigmund hatte sich mit Hjördis, der Tochter von König
Eylimi, vermählt. Einst fielen Lyngwi, Hundings Sohn, und
seine Brüder in das Land ein; Sigmund und sein Schwäher
stellten sich ihnen Nr Schlacht und fanden beide den Tod. Die Witwe, die ein Kind unter dem Herzen trug, wurde aufgenommen
auf dem Schiffe des Heerführers Alf, der war der
Sohn König Hjalpreks von Dänemark. Er führte sie an den
väterlichen Hof, und nachdem sie dem Sigurd das Leben geschenkt
hatte, nahm er sie zum Weibe. Sigurd gab man in Pflege bei dem kunstfertigen Schmiede
Regin. Dieser sprach:
***1
| Nun kam hierher
Der kühnentschlossne,
Der Sohn Sigmunds
Zu unsern Sälen; |
|
Mut hat er mehr
Als ein alter Mann;
Vom gierigen Wolf
Erwart ich Beute. |
Thule-Bd.01-128 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***2
| Warten will ich
Den walstattfrohen
Yngwis Erbe
Zu uns nun kam; |
|
Der hehrste wird er
Unterm Himmel sein,
Des Schicksals Gespinnst
Umspannt die Lande. |
Regin schmiedete seinem Pflegling ein Schwert aus den Trümmern
der Sigmundswaffe. Sigurd erprobte es; es war so
scharf, daß es den Amboß Regins mitten durchspaltete. Jetzt stachelte der Schmied den jungen Helden an, den Drachen
Fafnir aufzusuchen und sich seinen Hort zu erkämpfen. Aber
Sigurd sprach: ***3 | Höhnisch lachen
Hundings Söhne,
Die Eylimi
Das Ende brachten,
Wenn Sigmunds Sohne
Der Sinn noch mehr
Nach roten Ringen
Als nach Rache steht. |
König Hjalprek bemannte dem Sigurd Kriegsschiffe zur Vaterrache.
Auf der Fahrt kamen sie in einen großen Sturm; als
sie an einem Vorgebirge vorübersteuerten, sahen sie einen Mann
auf dem Felsen stehn. Der rief sie an:
***4
| Auf Räwils Rossen
Wer reitet dort
Durch hohe Wogen,
Heulende See: |
|
Die Dünungsrosse
Bedeckt der Schaum
Dem Wind erliegen
Die Wogenrenner. |
Thule-Bd.01-129 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***5 Sigurd:
| Sigurd ist hier
Auf Seebäumen;
Es treibt uns Sturm
Zum Tode schier:
Steile Brandung
Den Bug überschäumt,
Der Fluthengst fällt —
Wer ist der Frager: |
|
***6 Der Mann:
| Hnikar rufi mich
Was Raben speist;
Junger Wölsung,
Und zur Walstatt zog;
Den Mann vom Felsen
Magst du nennen
Feng oder Fjölnir —
Fahrt begehr ich. |
|
Sie legten an und der Alte stieg aufs Schiff. Da stillte sich
der Sturm. Odin gab Sigurd seine Ratschläge: ***7 | Keiner der Krieger
Kämpfe entgegen
Dem späten Schein
Der Schwester des Mondes!
Den Sieg gewinnt,
Wer sehen kann,
Rasch im Schwertspiel,
Und die Reihn ordnen. |
Es kam zu einer großen Schlacht zwischen Sigurd und den
Hundingssöhnen; Lyngwi und seine drei Brüder fielen. Da
sprach Regin:
***8
| Geritzt ist blutig
Auf den Rücken der Aar
Dem Mörder Sigmunds
Mit sehrendem Schwert. |
|
Kein König war
Kühner als er,
Der das Feld gerötet
Und Raben geletzt! |
Thule-Bd.01-130 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Hnikars Ratschläge ***1 Sigurd | Künde mir, Hnikar,
Kennst du die vorzeichen
Der Asen und Erdbewohner:
Welche Zeichen sind gut,
sieht man zum Kampf,
Für des Schwertes Schwung: | ***2 Hnikar | viele sind gut,
Wenn das Volk sie kennte,
Für des Schwertes Schwung:
Trefflich Geleit
Ein tiefschwarzer Rabe
Für den Degen mich dünkt | ***3 | Das ist ein andres,
Wenn aus du ziehst
Und gerüstet zur Reise bist,
Siehst du zwei
Am Zaune stehen,
Recken voll Ruhmbegier. | ***4 | Das weiß ich als drittes,
Wenn den Wolf du hörst
Heulen im Gehölz:
Heil gewinnst du
Von Helmträgern,
Wenn er voran dir eilt. | ***5 | Gefahr droht,
Wenn dein Fuß strauchelt,
Da zum Kampfe du kommst:
Böse Disen
Stehn zu beiden Seiten
Und wollen versehrt dich sehn. |
Thule-Bd.01-131 Edda Heldendichtung. |
Flip
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17. Die Erweckung der Walküre
Zu Jung Sigurds Taten gehörte die Entzauberung der schlafenden
Odinsdienerin: das Dornröschenmärchen, ins Heroische
verpflanzt. Die Sage vertrug sich nicht recht mit der Brynhilddichtung
, und so sind von unserm gewiß alten, aus der Heidenzeit
stammenden Liede nur wenige Trümmer im Gedächtnis
geblieben. Den Verlauf der Geschichte überblicken wir nicht;
das Liederbuch führte bis zu den Verlobungseiden des Paares.
Sogar der Name der Heldin ist zweifelhaft; der Eddasammler
nennt sie Sigrdrifa, aber das war wohl eigentlich nur eine
Bezeichnung für "Walküre" (sieh Nr. 15 zu Str. 5). Die bewahrten Verse im dialogischen Maße geben den höchsten
Begriff von der lyrischen Gewalt dieses Dichters; Str. 3 und 4
sind einzigartige Überbleibsel germanischer Hymnenpoesie. Die zwei Strophen epischen Maßes, die der Sammler dazu
gestellt hat (z und 5), haben wir an ihrem Orte gelassen; die
fremdartigen Runen- und Sittenlehren aber versetzen wir
unter ihre verwandten in Band 2. Sigurd aan einst über das Hochland, das den Namen hat
Berg der Hindin. Da sah er ein großes Licht, als ob ein Feuer
brenne, und der Schein davon ging bis zum Himmel. Aber
als er hinzu kam, war es ein Schildzaun, und ein Banner
ragte draus empor. Sigurd schritt durch den Schildzaun, da
sah er einen Menschen daliegen und schlafen in voller Rüstung.
Er nahm ihm zuerst den Helm vom Kopfe; da sah er, daß es
ein Weib war. Die Brünne saß fest, wie angewachsen; da
schnitt erste auf mit dem Schwerte Gram, von der Kopföffnung
abwärts und dann beide Ärmel entlang. Darauf
nahm er ihr die Brunne ab; sie aber erwachte, setzte sich auf,
und als sie Sigurd sah, sprach sie:
Thule-Bd.01-132 Edda Heldendichtung. |
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***1
| Wer schnitt die Brünne
Wie brach mein Schlaf:
Die bleiche Not,
Wer nahm sie mir:
Sigurd.
Der Sohn Sigmunds:
Sigurds Klinge
Löste die Zweige
Des Leichenvogels. |
***2 Brynhild:
| Lange schlief ich,
Lange schlummert ich,
Lang ist des Lebens Leid
Odin schuf, |
|
Daß den Schlummerbann
Zu lösen mir nicht gelang.
***3
| Heil dir, Tag!
Heil euch, Tagsöhne
Heil, Nacht und Nachtkind!
Mit holden Augen
Schaut her auf uns
Und gebt uns Sitzenden Sieg! |
***4
| Heil euch, Asen!
Heil euch, Asinnen!
Heil dir, fuchtschwere Flur!
Rat und Rede
Gebt uns ruhmreichen beiden
Und heilkräftige Händel |
|
Sigurd setzte sich nieder und Sagte sie nach ihrem Namen. Sie
sagte, sie heiße Sigrdrifa und sei Walküre. Sie erzählte, zwei
Könige hätten einander bekriegt; der eine hieß Helm-Gunnar,
ein großer Kriegsmann, hoch bei Jahren; ihm hatte Odin den
Sieg versprochen; der andere war der junge Agnar; ihm half
Sigrdrifa und fällte den Helm-Gunnar in der Schlacht. Zur
Strafe dafür stach Odin sie mit dem Schlafdorn und sagte, sie
dürfe künftig nie mehr in der Schlacht Sieg erkämpfen. Er
sprach den Bann aus, daß nur der ihren Zauberschlaf solle lösen
können, der nichts von Furcht wisse.
Thule-Bd.01-133 Edda Heldendichtung. |
Flip
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Sigrdrifa nahm darauf ein Horn und reichte Sigurd Men
Weisheitstrank:
***5
| Bier bring ich dir,
Brünneneich baum,
Gemischt mit Stärke
Und stolzem Ruhm,
Voll von Sprüchen
Und Freudenrunen,
Gutem Zauber
Und Glücksstäben. |
***6
| Nicht lange seh ich
Dein Leben währen,
Da furchtbare Fehde naht, |
|
***7
| Riese nun,
Du kannst es jetzt,
Schimmernder Schildbaum!
Wort oder Schweigen
Wähle du selbst;
Bestimmt ist alles Unheil! |
|
***8 Sigurd: | Will nicht weichen,
Winkt mir auch Tod;
Kein Zager ward ich gezeugt:
Folgen will ich
Deinem Freundesrat,
So lange mein Leben währt | ***Sigurd sprach: . .das schwöre ich, daß ich dich zum Weibe
haben will; du bist nach meinem Herzen. Sie antwortete: dich
will ich am liebsten haben, und könnt ich unter allen Männern
wählen! Und dies bekräftigten sie mit Eiden.
Thule-Bd.01-134 Edda Heldendichtung. |
Flip
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18. Gripirs Weissagung
Den passenden Abschluß der ganzen Sigurddichtung mache
dieser Spätling: ein vollständiger Überblick über Sigurds
Lebenslauf von einem isländischen Epigonen der Schreibezeit,
nach 1200, aus fünf einzelnen, unabhängigen Sigurdliedern
herausgesponnen. Dieser letzte der Sigurddichter hat
zum erstenmal die sämtlichen Sigurdsagen im Rahmen eines
Liedes behandelt. Die Form der lehrhaften Wechselrede legten
ihm die katalogischen Götterlieder nahe; die Einkleidung mit
dem zukunftskundigen Oheim entsprang eigner Phantasie. von der berben Kraft der alten Ereignislieder, auch von der
innigen Lyrik der Frauenelegien ist ein großer Schritt zu der
spießbürgerlichen Nüchternheit und der verbrauchten Sprache
unseres Poeten. Und doch täte man ihm Unrecht, wenn man
nur den exzerpierenden Verseschmied in ihm fände. Er hat sich
in die sittlichen Kämpfe dieses Heroenlebens mit Eifer versenkt;
die eigentümliche Wärme für den berühmten Helden,
die das Gedicht durchzieht, fließt aus der Bewunderung des
Ritters ohne Tadel, der nur da seiner wo
das Schicksal oder der Trug der Menschen ihn zwang. Man
fühlt, daß dieses Zeitalter keine Heldensage mehr geboren hätte,
aber daß es mit der Erbschaft früherer Tage sich noch lebhaft
auseinandersetzte. Der junge Sigurd ritt einst allein über Land und kam zur
Halle eines 'Fürsten. vor dem Tore redete er einen Mann an,
der nannte sich Geitir. Sigurd fragte ihn:
***1
| "Wer gebietet
In dieser Burg:
Wie heißen die Mannen
Den Herrn des Landes?"
Geitir:
"Den Herrn der Helden
Heißt man Gripir,
Der festes Land
Und Volk beherrscht." |
|
***2 Sigurd:
| "Ist der weise Herrscht
Daheim im Land?
Ist mich zu empfangen
Der Fürst bereit:
Auskunft ist not
Dem Unbekannten,
Schnell begehr ich,
Gripir zu sehn." |
|
Thule-Bd.01-135 Edda Heldendichtung. |
Flip
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***3 Geitir:
| "Der frohe Fürst
Wird Geitir fragen,
Wer der Recke ist,
Der Rat begehrt."
Sigurd:
Bin Sigmunds Sohn
Sigurd heiß ich,
Doch Hjördis ist
Des Helden Mutter." |
***4
| Da ging Geitir,
Gripir zu sagen:
"Ein Mann ist außen,
Ein unbekannter;
Des Helden Gestalt
Gar stattlich ist,
Er fordert, Fürst,
Empfang bei dir." |
***5
| Aus der Halle trat
Der Herr der Krieger
Und bot dem Helden
Heil und Willkomm:
"Tritt ein, Sigurd,
Eher war besser!
Du, Geitir; gib
Auf Grani acht!" |
***6
| Froh plauderten
Viel sie beide,
Da die ratklugen
Recken sich sahn.
Sigurd:
"Melde, vermagst dus,
Mutterbruder,
Wie mein Leben
Verlaufen wird!" |
|
***7 Gripir:
| "Unterm Himmel
Wirst du der hehrste,
Ob allen Herrschern
Hochgeboren,
Ein Goldvergeuder,
Geizend mit Flucht,
Edel zu schaun,
Gescheit in Worten." |
***8 Sigurd:
| "Sag, weiser Fürst, —
Ich wüßte gern mehr —
Sigurd genau,
Wenn dus sehen kannst:
Was begegnet mir
Gutes zuerst,
Wenn ich dein Land
Verlassen habe? |
***9 Gripir:
| "Zuerst wirst du, Fürst,
Den Vater rächen
Und Eylimi,
Das Unheil sühnen;
Du wirst Hundings
Harte Söhne;
Die schnellen, fällen,
Die Schlacht gewinnen. |
***10 Sigurd:
| Sag mir, Oheim,
Edler König,
Ohne Umschweif,
Da wir offen reden:
Schaust du Sigurds
Schnelle Taten
Hoch sich heben
Zum Himmelsdach:" |
|
Thule-Bd.01-136 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***11 Gripir:
| "Allein erschlägst du
Den schillernden Wurm
Der gierig liegt
Auf der Gnitaheide
Gar bald bringst du
Beiden den Tod,
Regin und Fafnir —
Ich rede Wahrheit." |
***12 Sigurd:
| "Reich ist die Beute,
Erring ich nun,
So wie du sagst,
Den Sieg über beide.
Weiter schaue!
Wissen laß mich,
Wie dann mein Leben
Verlaufen wird!" |
***13 Gripir
| "Finden wirst du
Fafnirs Lager,
Heben sollst du
Den Hort, den reichen,
Granis Rücken
Mit Gold beladen
Zu Gjuki kommst du,
Kampfstolzer Held." |
***14 Sigurd:
| "Weiter sollst du
In weiser Rede,
Deuter der Zukunft,
Dem Degen sagen: — |
| | Als Gjukis Gast
Geh ich von hinnen —
Wie dann mein Leben
Verlaufen wird." |
***15 Gripir
| "Auf dem Hochland schläft
Die Herrschertochter,
Hell im Harnisch,
Seit Helgis Tod;
Mit scharfem Schwert
Schneiden wirst du,
Mit Fafuirs Töter
Trennen die Brünne." |
***16 Sigurd:
| "Die Rüstung brach,
Es redet die Maid,
Erweckt hab ich
Das Weib vom Schlaf;
Was wird die Frau
Dem Fürsten sagen,
Das für den Degen
Gutes bedeutet?" |
***17 Gripir.
| "Sie wird den Recken
Runen lehren,
Die alle Männer
Zu Eigen wünschen,
In aller Menschen
Mundart zu reden,
Und gute Heilkunst;
Sei glücklich, Fürst" |
|
Thule-Bd.01-137 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
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***18 Sigurd:
| "Beendet ists,
Einsicht erlangt,
Gerüstet bin ich
Zum Ritt von dort;
Weiter schaue!
Wissen laß mich,
Wie dann mein Leben
Verlaufen wird!" |
***19 Gripir:
| "Hin zu Heimirs
Hofe reitst du
Und weilst als Gast
Gern beim König;
Zu Ende ist
All mein Wissen,
Begehr nicht weiter
Gripir zu fragen!" |
***20 Sigurd:
| "Lust weckt mir nicht
Dein letztes Wort,
Da du vorwärts, Fürst
Noch ferner siehst:
Schlimmes Unheil
Schaust du für mich,
Weil du, Oheim,
Dies eine hehlst." |
***21 Gripir:
| "Von Anfang an
vor Augen lag mir
Licht dein Leben;
Verlang nicht mehr! |
|
Nicht bin ich mit Recht
Ratklug genannt
Und Weissager:
Mein Wissen ist aus."
***22 Sigurd
| "Keinen König
Kenn ich auf Erden,
Der Künftiges weiter
Erkennt als du;
Verbirg mir nichts,
Obs böse sei,
Ob schlimmer Tat
Auch schuld ich bin!" |
***23 Gripir
| "Kein Tadel wird
Dich treffen auf Erden,
Das kann ich, König,
Verkünden dir;
So lange Menschen
Leben, wird hoch,
Nährer des Schwertsturms,
Dein Name stehn." |
***24 Sigurd:
| "Schlecht gefällt mirs,
Scheiden will nun
Sigurd vom König,
Da so es steht;
Zeige den Weg —
Die Zukunft steht fest —
Mir, wenn du magst;
Mutterbruder!" |
|
Thule-Bd.01-138 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
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***25 Gripir:
| "So will ich, Sigurd,
Sagen genau,
Da der Recke mich
Zu reden zwingt —
Wohl nun wisse,
Daß wahr ich spreche! —
Ein Tag ist dir
Zum Tod gesetzt." |
***26 Sigurd:
| "Nicht reizen will ich
Den reichen König,
Nur guten Rat
Von Gripir haben;
Wissen will ich,
Mags erwünscht nicht sein
Was klar du siehst
Als Sigurds Geschick." |
***27 Gripir:
| "Bei Heimir weilt
Eine herrliche Maid,
Brynhild heißen
Die Helden sie,
Budlis Tochter
Der treffliche Fürst,
Heimir, erzieht
Die Heldenmaid." |
***28 Sigurd;
| "Was gehts mich an,
Daß die edle Maid,
Herrlich zu schauen,
Bei Heimir erwächst: |
|
Ganz begehr ichs,
Gripir, zu wissen:
Erkennen kannst du
Das künftige all."
***29 Gripir:
| "Der Freude beraubt
Den Recken sie,
Die Maid bei Heimir,
Herrlich zu schaun:
Nicht kannst du ruhn
Noch Recht sprechen,
Meidest Menschen,
Ist die Maid dir fern." |
***30 Sigurd:
| Was besänftigt
Sigurds Kummer?
Sag mirs, Gripir,
Wenn dus sehen kannst!
Werd ich die Maid
Um Mahlschatz kaufen,
Sie, die herrliche
Herrschertochter." |
***31 Gripir
| "Ihr werdet alle
Eide leisten,
Feste Schwüre,
Doch schlecht sie halten:
Du bist Gjukis
Gast eine Nacht;
Vergißt der klugen
Königstochter." |
|
Thule-Bd.01-139 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***32 Sigurd:
| "Was heißt das, Gripir:
Gib mir Antwort!
Siehst du untreu
Des Edlings Sinn:
Werd ich der Maid
Mein Wort brechen,
Die ich begehrte
Aus ganzem Herzen?" |
***33 Gripir:
| "Fremdem Truge,
Fürst, erliegst du,
Entgelten mußt du
Grimhilds Ränke:
Sie bietet dir
Die blonde Maid,
Ihre Tochter,
Betrügt den Fürsten." |
***34 Sigurd:
| "Gunnars Verwandter
Werd ich heißen,
Gudrun werd ich
Zur Gattin nehmen;
Glücklich hieß ich
Des Helden Ehe,
Trübte ihm nicht
Der Treubruch den Sinn." |
***35 Gripir
| "Grimhild wird dich
Ganz betrügen:
Sie bittet dich,
Um Brynhild zu werben
Zugunsten Gunnars,
Des Gotenfürsten;
Du gelobst die Fahrt
Der Fürstenmutter." |
|
***36 Sigurd:
| "Unglück naht mir.
Ich abn es wohl;
Alle Besinnung
Sigurd verliert,
Ziehe ich aus,
Die edle Maid
Für Gunnar zu Seien,
Die ganz ich liebte." |
***37 Gripir :
| "Ihr werdet alle
Eide leisten,
Gunnar und Högni,
Du, Held, als dritter;
Ihr wechselt dann
Auf dem Weg die Gestalt,
Gunnar und du —
Gripir lügt nicht." |
***38 Sigurd:
| "Wie geht das zu?
Sag, Gripir, warum
Wechseln wir zwei
Auf dem Weg die Gestalt?
Falschheit wird da
Folgen noch mehr,
Gefährlicher Art;
Fahr fort, Gripir!" |
***39 Gripir:
| "Du stehst in Gunnars
Gestalt und Gebärde,
Hast deine Stimme
Und deinen Verstand;
Du verlobst dir
Die lichte Maid,
Die kühngesinme,
Kennst keine Vorsicht." |
|
Thule-Bd.01-140 Edda Heldendichtung. |
Flip
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|
***40 Sigurd :
| "Das scheint mir schlimm:
Schlecht wird heißen
Sigurd im Volk
Ob solcher Tat:
Nicht freut es mich,
Der Fürstenmaid
Trug zu wirken,
Die die trefflichste ist." |
***41 Gripir:
| "Zugleich wird beider
Brautmahl getrunken,
Sigurds und Gunnars,
In Gjukis Saal;
Die Gestalt wechselt
Ihr wieder daheim,
Jeder jedoch
Die Gedanken behält." |
***42 Sigurd:
| "Gewinnt Gunnar
Ein gutes Weib,
Der edle König?
Künd es, Gripir!
Doch schlief die hehre,
Des Herrschers Braut,
Drei Nächte bei mir;
Das nimmt mich Wunder." |
***43 Gripir:
| "Du ruhst bei ihr;
Edler Schlachtheld,
Als ob die Maid
Deine Mutter sei;
So lange Menschen
Leben, wird stehn,
Herrscher des Volks,
Hoch dein Name." |
|
***44 Sigurd:
| "Wird die Magschal
Uns Männern später
Segen bringen?
Sag mirs, Gripir!
Wird sich Gunnar
Glück erringen
Durch solche Tat
Und ich selber mir?" |
***45 Gripir:
| "Du denkst des Schwurs,
Schweigen wirst du,
Du lebst mit Gudrun
In guter Ehe;
Doch Brynhild meint
Sich bös vermählt,
Das Weib sinnt Ränke
Zur Rache sich." |
***46 Sigurd:
| "Was wird Brynhild
Als Buße nehmen,
Daß voll Falschheit
Die Frau wir trogen?
Die Edle hat
Eide von mir,
Lauter gebrochne;
Entbehrt der Freude." |
***47 Gripir:
| "Sie wird zu Gunnar
Gehn und sagen,
Du habest nicht wohl
Bewährt den Eid,
Wo Gjukis Erbe;
Der edle König,
Festen Sinnes
Auf Sigurd baute." |
|
Thule-Bd.01-141 Edda Heldendichtung. |
Flip
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***48 Sigurd:
| "Was heißt das, Gripir?
Gib mir Antwort!
Wird solche Rede
Mit Recht mich treffen?
Verleumdet mich
Die erlauchte Frau
Und sich nicht minder?
Sag mirs, Gripir!" |
***49 Gripir:
| "Es wird aus Groll
In Gram und Leid
Dir übles antun
Die edle Frau;
Keine Schande
Schufest du ihr,
Täuschtet ihr auch
Durch Trug die Fürstin." |
***50 Sigurd:
| "Wird der weise Gunnar
Guttorm und Högni
Der Aufreizung
Der Edeln folgen?
Werden Gjukis Erben
Eisen röten
An ihrem Gesippen?
Sag mirs, Gripir!" |
|
***51 Gripir:
| "Gram ergreift dann
Gudruns Seele,
Wenn ihre Brüder
Dein Blut vergießen:
Das weise Weib
Wird Wonne nie
Wieder spüren —
Das waltet Grimhild." |
***52 Sigurd:
| Scheiden wir froh!
Das Schicksal siegt.
Den Wunsch hast du, Gripir,
Mir wohl erfüllt.
Gern würdest du
Gutes allein
Mir verkünden,
Könntest du das." |
***53 Gripir:
| "Das tröste dich,
Tapferer Herrscher:
Dies Schicksal wird
Dir beschieden sein:
Kein edlerer Fürst
Auf die Erde kommt,
Untern Sonnensitz,
Als, Sigurd, du!" |
|
Thule-Bd.01-142 Edda Heldendichtung. |
Flip
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19. Die ältere Dichtung von Helgi dem
Hundingstöter
Bisher hatten wir Sagenstoffe mit südgermanischer Wurzel:
alle folgenden sind nordischem Boden entkeimt. Helgi, nach einer Jugendtat zubenannt der Hundingstöter;
war wohl von Hause aus ein Däne. Unsere Dichter haben ihn
zu einem Wölsung, einem Sohne Sigmunds, gemacht, aber sie
gingen nicht so weit, ihn in die überlieferten Sagen von Sigmund
und Sigurd einzumischen. Eine Sage aus Helgis Jugend, die Fehde mit Hunding, kennen
wir nur bruchstückhaft. Die vier Strophen unter A machen
einen altertümlichen, kräftigen Eindruck, sie mögen wohl Reste
eines in sich geschlossenen Liedes sein. Der Eddasammler wußte
den Strophen nur wenig zur Erklärung und Aufrundung
beizufügen; auch das jüngere Helgilied, Nr. 20, gibt uns nur
farblose Anspielungen in Str. 10-14 Alles weitere gehört zu Helgis Hauptsage, seiner Brautwerbung
und Tod; man kann sie die Sigrunsage nennen. An diesem
Thema hat sich, ähnlich wie an dem Brynhildstoffe, eine Mehrzahl
von Dichtern versucht. Die Wechselrede unter B atmet kecke Wikingstimmung. Vielleicht
darf man in ihr eine Lose Strophen-Gruppe aus einer
Helgisaga erblicken. Die Bruchstücke unter L heben sich ab durch ihre erzählenden
Verse. Dieses doppelseitige Gedicht führt bei dem Sammler
den Namen des "Alten Wölsungenliedes", und es mag in der
Tat die älteste unsrer Darstellungen der Sigrunsage sein. Die
bewahrten verse haben einen raschen Gang, eine ungesuchte,
mitunter bis zur Nüchternheit schlichte Art. Das Lied dürfte
bis zum Tode des Helden geführt haben. Über den Tod führt hinaus die vierte dieser Dichtungen,
"Helgis Wiederkehr". Mit ihr hat die Helgipoesie einen Gipfel
altgermanischer Kunst erstiegen. Ein Anfangsteil ist wohl verloren
gegangen; wieviel er umspannte; ahnen wir nicht. Das
Erhaltene zeigt die Fabel, die wir aus Bürgers Lenore und
dem Märchen vom Totenhemdchen kennen, in dem Faltenwurf
der heroischen Sage. Unser Dichter hat einen Siegesgesang
der Liebe daraus gemacht. Das Glück der wiedervereinten
Gatten übertönt die Klage des Toten, den die Tränen der
Thule-Bd.01-143 Edda Heldendichtung. |
Flip
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Witwe in seinem Grabe peinigen. Der Kühnheit, die die
Liebesnacht im Grabhügel ersonnen hat, ist die Sprache gewachsen
. Sie steigert sich zu fast hymnischer Glut; sie findet
auch in den vorangehenden Szenen — den hinreißenden
Ausdruck für die Leidenschaften des Hasses, der Sehnsucht,
des ungestümen Jubels. Dazu gebietet sie über eine sinnliche
Bildkraft, die bei den Germanen selten ihresgleichen hat.
Unter den eddischen Dichtern ist dieser der Meister der Gleichnisse:
bei Str. 34 und 3Z darf man sich an Homerische Bilder
erinnern. Man trifft bei den verfassern der Gudrunelegien die
matteren Spuren dieses Vorgängers (Nr. 9 Str. 18, Nr. 10
Str. 2). A. Aus der Fehde mit Hunding König Sigmund hatte die Borghild zur Frau. Ihr Sohn hieß
Helgi. Er wuchs auf bei dem Pflegevater Hagal, zusammen
mit dessen Sohne Hamat. König Sigmund lebte in Fehde mit König Hunding. Einmal
zog der junge Helgi unerkannt, unter Hamals Namen, an
Hundings Hof auf Kundschaft; dort war er zusammen mit
Häming, dem Sohne des Königs. Auf dem Rückwege traf
Helgi einen Hirten Hundings und sagte zu ihm: ***1 | Melde Häming,
Daß Helgi gedenkt,
Wen in der Rüstung
Die Recken fällten!
Ein grauer Wolf
Weilte bei euch,
Wo König Hunding
Hamat wähnte. |
Thule-Bd.01-144 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Hunding hatte einen Ratgeber, der hieß Blind der Bösewicht;
dem gab er Leute mit und schickte ihn zu Hagal, nach Helgi
zu suchen. Aber Helgi konnte sich nicht anders retten, als daß
er Mägdekleider anlegte und sich an die Mühle stellte. Als
Blind der Bösewicht in die Wahlkammer kam, sagte er:
***2
| Hell find die Augen
von Hagals Magd!
Keines Bauern Maid
An der Mühle steht:
Das Gestell stürzt,
Die Steine bersten. |
***3
| Ein hart Geschick
Den Helden traf:
Ein Mächtiger muß
Gerste mahlen!
In dieser Rechten |
|
Ruhte besser
Des Schwertes Griff
Als das Schwengelholz.
***4 Hagal:
| Daß der Kasten kracht;
Dünkt klärlich mich:
Eines Königs Maid
Die Mühle dreht;
Hoch ob Wolken
Ihr Weg einst ging,
Zur Walstatt ritt sie;
Wikingen gleich. |
|
So entkam Helgi den Verfolgern. Später fällte er König Hunding
und hieß seither Helgi der Hundingstöter. B. Helgi in Brunawagar Ein König namens Högni hatte eine Tochter, die hieß Sigrun
und war Walküre. Als Helgi den König Hunding in der Schlacht gefällt hatte,
lag er mit seiner Flotte in der Bucht Brunawagar; sie hatten
nach Wikingerweise eine Viehherde geschlagen und aßen ungekocht.
Da kam Sigrun zu den Schiffen geritten und sprach:
***5
| Wer steuert zum steilen
Strand die Flotte?
Wo habt ihr, Helden,
Das Heimatland? |
|
Was bleibt ihr harrend
Zu Brunawagar:
Wohin führt euch
Euere Fahrt? |
Thule-Bd.01-145 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***6 Helgi:
| Hamal steuert
Zum Strand die Flotte;
Unsre Heimat
Auf Hlesey liegt;
Wir harren der Brise
Zu Brunawagar;
Ostwärts führt uns
Unsere Fahrt. |
***7 Sigrun:
| Wo hast du, Held,
Heerkampf geweckt
Und Hilds Vögeln
Fraß gespendet?
Wie ward die Brünne
Mit Blut bespritzt?
Was eßt gerüstet
Ihr rohes Fleisch? |
***8 Helgi
| Bären band ich
Zu Bragalund;
Die Speerspitzen
Speisten Aare.
Nun weißt du, Maid,
Was die Wehr gefärbt;
Drum ward an Bord
Der Braten knapp. |
***9 Sigrun:
| Du kündest Kampf:
König Hunding
Sank vor Helgi
Hin zur Erde; |
| | Es raste die Schlacht
Ihr rächtet Verwandte;
Es strömte Blut
Über Stahlschneiden. |
***10 Helgi:
| Woher weißt du,
Daß wir es sind,
Du weise Maid,
Die Verwandte rächten?
Kühn sind viele
Fürstensohne
Und ähnlich auch
Unserm Geschlecht. |
***11 Sigrun:
| Nicht fern war ich,
Volksgebieter, Gestern frühe
Des Fürsten Tode.
Doch Sigmunds Sohn
Seh ich listig,
Da er Kriegskunde
In Kampfrunen sagt. |
***12
| Ich sah dich schon
Auf Seeschiffen,
Als du an blutgem
Borde weiltest.
Nun will sich hehlen
Der Held vor mir;
Doch Högnis Maid
Kennt Helgi wohl. |
|
7
Thule-Bd.01-146 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
C. Das alte Wölsungenlied Ein König namens Granmar hatte zwei Söhne, Hödbrodd
und Gudmund. Dem Hödbrodd verlobte König Högni seine
Tochter Sigrun. Als sie es erfuhr, ritt sie davon und suchte
Helgi auf.
***13
| Den frohen Fürsten
Fand da Sigrun,
Sie hielt Helgis
Hand in der ihren;
Sie küßte und grüßte
Den König im Helm:
Liebe zum Weib
Erwachte ihm da. |
***14
| Nicht hehlte ihr Herz
Högnis Tochter:
Sie sagte, Helgi
Müsse hold ihr sein ;
Eh sie Sigmunds Sohn
Noch gesehn habe,
Habe sie ihn schon
Einzig geliebt. |
|
***15 Sigrun:
| "Hödbrodd ward ich
vorm Heer verlobt;
Doch andern Helden
Mein Herz wünschte.
Nun fürcht ich, Fürst,
Des vaters Zorn:
Seinem Wunsche ich
Zuwider tat." |
***16 Helgi:
| "Nicht kümmre dich
Des Königs Zorn,
Noch feindlicher Sinn
Der Sippe dein !
Mit mir sollst du,
Maid, nun leben;
Deine Sippe, Edle;
Sorgt mich wenig." |
|
Helgi sammelte eine große Flotte und fuhr gegen die Granmarssöhne.
Hödbrodd und Gudmund saßen spähend auf einem
Felsen am Hafen; Gudrun rief die Ankömmlinge an:
***17
| "Wer ist der Fürst,
Der die Flotte lenkt
Und golden am Steven
Die Streitflagge führt? |
|
Nicht Frieden birgt
Der Bug der Schiffe:
Walröte weht
Um die Wikinge." |
Thule-Bd.01-147 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***18 Sinfjötli:
| "Hier kann Hödbrodd
Helgi finden,
Den Feind der Flucht,
In der Flotte Mittel
Er hat das Eigen
Eurer Sippe,
Der Fjörsungen Erbe,
Alles erkämpft." |
***19 Gudmund:
| "Zuvor werden
Am Wolfssteine
Schwertesschneiden
Den Schiedsspruch tun!
Nun gilts, Hödbrodd,
Grimmig zu rächen,
Daß das kürzre Los
Wir lange zogen!" |
***20 Sinfjötli:
| "Du kannst, Gudmund,
Geißen hüten;
In Klamm und Klüften
Klettre umher! |
|
Halt in der Hand
Den Haselstock!
Das scheint mir sanfter
Als des Schwertes Spruch
***21 Helgi
| "Du, Sinfiötli,
Solltest lieber
Zum Kampf eilen,
Dem Aar zur Lust,
Als Zankworte
Zwecklos wechseln,
Ob auch heißer Haß
Die Helden entzweit |
***22
| Nicht gelten gut mir
Granmars Söhne;
Doch falscher Vorwurf
Ziemt Fürsten nicht:
Sie ließen merken
Zu Moïnsheim,
Daß Klingen zu kreuzen
Kühn sie wagen." |
|
Zu den Granmarssöhnen stieß Högni, der Vater der Sigrun,
mit seinen Söhnen Bragi und Dag. Die Heere schlugen sich in
einer großen Schlacht, Darin fielen alle Fürsten auf Hödbrodds
Seite, nur Dag, Högnis Sohn, wurde begnadigt und schwur
Helgi Treueide. Sigrun kam auf die Walstatt und fand den Hödbrodd im
Sterben; da sprach sie:
Thule-Bd.01-148 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***23
| "Nicht soll dir Sigrun
von Sewaberg,
König Hödbrodd,
Am Herzen ruhn!
Das Leben entweicht —
Zu den Leichen schleicht
Der Riesin Grauroß —
Granmars Söhnen." |
***24 Helgi
| Nicht Glück nur ward dir,
Germaid, zuteil;
Not auch brachte
Der Nornen Walten: |
|
Am Wolfssteine
Wurden gefällt
Bragi und Högni:
Ihr Blut vergoß ich.
***25
| Es liegen am Boden,
Des Lebens beraubt,
Die meisten Degen
Deines Geschlechts.
Du konntests nicht wenden:
Dir ward beschieden,
Streit zu stiften
Unter starken Helden." |
|
D, Helgis Wiederkehr Helgi vermählte sich mit Sigrun, und sie gebar ihm Söhne.
Aber ihr Bruder Dag sann auf Rache für den Vater Er opferte
dem Odin, und Odin lieh ihm seinen Speer. Damit durchbohrte
Dag den Helgi im Fesselwalde. Dann ritt Dag zu Sigrun
und sagte:
***26
| Böse Botschaft
Bring ich dir zagend,
Gezwungen schuf ich
Der Schwester Weh:
Es fiel heute
Im Fesselhag
Der Edeling,
Der der Erste der Welt |
|
***27 Sigrun:
| Dich sollen alle
Eide schlagen,
Die du Helgi
Einst heilig schwurst
Bei des Leiptstromes
Lichten Fluten
Und bei dem feuchten
Felsen der Unn! |
|
Thule-Bd.01-149 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***28
| Nicht schwimme das Schiff;
Das schwimmt unter dir,
Ob steifer Sturm
In den Segeln steht!
Nicht renne das Roß,
Das rennt unter dir,
Folgt auch der Feind
Auf den Fersen nach!
Nicht schneide das Schwert,
Geschwungen von dir,
Es sause denn
Dir selbst ums Haupt! |
***29
| Das hieß ich Rache
Für Helgis Mord,
Wärst du ein Wolf
Im Walde draußen,
Fern der Freude,
Fern dem Reichtum,
Berstend vom Aas
Der Atzung dein: |
***30 Dag:
| Wirr bist du, Schwester,
Und wahnbetört,
Daß deinem Bruder
Du böses wünschst!
Alles Unheil
Ist Odins Werk
Der zwischen Schwäger
Schuldrunen warf. |
***31
| Dir gibt dein Bruder
Goldne Ringe,
Wandils Weihtum
Und Wigdals Flur; |
|
Die halbe Heimat
Den Harm dir sühne,
Du kleinodgeschmückte,
Und den Knaben dein!
***32 Sigrun:
| Nicht sitz ich selig
Zu Sewaberg,
Nicht früh noch spät
Freut mich das Leben,
Flammt nicht im Licht
Des Fürsten Schar,
Trägt nicht den König
Sein Kampfroß heim,
Das goldgezäumte,
Ich grüßte ihn froh. |
***33
| So setzte Helgi
In helle Furcht
Seine Feinde all
Samt ihren Freunden,
Wie vor dem Wolf
Wild zerstieben
Die Geißen vom Berg
In grausem Schreck. |
***34
| So ragte Helgi
Aus der Helden Schar
Wie der edle Stamm
Der Esche im Dorn,
Wie der mächtge Hirsch
Im Morgentau
Über alles Wild
Das Geweih erhebt,
Daß auf gen Himmel
Die Enden glänzen. |
|
Thule-Bd.01-150 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Eines Abends ging die Magd der Sigrun an Helgis Grabhügel
vorbei und sah, wie Helgi mit vielen andern auf den
Hügel zuritt. Sie sprach:
***35
| Ists Blendwerk nur,
Was ich erblicke?
Ists Götterdämmrung? —
Begrabne reiten,
Ihr spornt die Rosse
Mit spitzen Eisen —
Oder ist den Helden
Heimkehr gewährt: |
|
***36 Helgi
| Nicht Blendwerk ists,
Was du erblickst,
Noch Weltende,
Gewahrst du uns auch,
Wie wir spornen die Rosse
Mit spitzen Eisen;
Auch Heimkehr ist
Den Helden versagt. |
|
Die Magd ging nach Hause und sagte:
***37
| Hinaus geh, Sigrun
Von Sewaberg,
Willst du finden
Den Volkslenker!
Heim kam Helgi, |
|
Der Hügel ist offen;
Das Speermal blutet
Es bat der König,
Du sollest trocknen
Der Wunde Tropfen |
Da ging Sigrun zu Helgi in den Hügel und sprach:
***38
| Nun bin ich froh,
Da ich dich gefunden,
Wie Odins Falken,
Nach Atzung gierig,
Wenn sie Wal wittern
Warme Beute,
Oder taubenetzt
Das Tagrot schaun. |
***39
|
Den toten König,
Eh du die blutge
Brünne abwirfst.
Mit Reif ist, Helgi,
Dein Haar bedeckt,
Beträuft ist die Brust
vom Tau der Schlacht;
Klamm sind die Hände
Von Högnis Eidam:
Wie soll ich, Herrscher,
Dir heilen das Leid? |
Thule-Bd.01-151 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***40 Helgi
| Du schufst, Sigrun
Von Sewaberg.
Daß Helgi so
vom Harmtau feucht:
Du goldige weinst
Grimme Zähren, |
|
Schöne Südmaid,
Vorm Schlafengehn:
Die fallen blutig
Auf des Fürsten Brust,
Kalt und nagend,
von Kummer schwer. |
Sigrun bot ihm ein Trinkhorn dar; da sprach Helgi:
***41
| Trefflichen Trank
Trinken wir noch,
Ob Leben und Land
Verloren sind!
Keiner singe
Uns Klagelieder,
Sieht er die Brust
Auch durchbohrt vom Speer!
Nun ist die Maid
Mir, dem Toten,
Die Herrschertochter;
Im Hügel gesellt.
42 Sigrun:
Ein Lager hab ich dir,
Helgi, bereitet,
Frei von Kummer, |
|
Du Königssproß:
Im Arm will ich,
Edler, dir ruhn,
Wie ich im Leben
Weilte bei dir.
***43 Helgi:
| Nun will ich nichts
Unmöglich nennen,
Nicht jetzt noch je,
Du junge Fürstin:
Dem leblosen
Liegst du im Arm,
Du hehre, im Hügel,
Högnis Tochter,
Und lebst dennoch,
Du lichte Maid! |
|
Als der Morgen graute, erhob sich Helgi und sagte:
***44
| Reiten muß ich
Rötlichen Pfad,
Das fahle Roß
Die Flugbahn lenken, |
|
Muß westlich sein
von Windhelms Brücke,
Eh der Hahn im Saal
Das Siegvolk weckt. |
Am Abend darauf ließ Sigrun die Magd Wache halten am
Hügel. Nach Sonnenuntergang kam sie selbst heraus und
sagte:
Thule-Bd.01-152 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***45 | Gekommen wäre,
Wollt er kommen,
Nun Sigmunds Sohn
Aus Odins Saale.
Hoffnung auf Helgis
Heimkehr dunkelt:
Schon sitzen Aare
Im Eschengezweig,
Es treibt das Volk
Dem Traumland zu. | ***46 Die magd : | Nicht sei so verwegen,
Allein zu wandern,
Herrschertochter,
Zum Heim der Toten!
Mächtiger sind
Um Mitternacht
Der Toten Geister
Als im Tageslicht. | ***Sigrun lebte nicht mehr lange vor Schmerz und Leid.
Thule-Bd.01-153 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
20. Das jüngere Lied von Helgi dem
Hundingstöter
Dieser Dichter fängt gegen den sonstigen Brauch ganz biographisch,
bei der Geburt an, streift die Jugendfehde mit Hunding
und erzählt dann in aller Ausführlichkeit die Sigrunsage —
aber ohne den düsteren Schluß: er entläßt uns, nachdem er
seinen Helden auf die Höhe des Sieges geführt hat. Das ganze
Lied schon ist auf Erfolg und Glanz gestimmt; wir fühlen uns
auf der Grenze zwischen heroischer Sage und einem Preislied
auf den lebenden Fürsten. Wikingleben erfüllt des Dichters
Phantasie; keiner seiner Genossen verweilt so bei dem äußern
Aufwande des Seekrieges. Er liebt pompöse Auftritte; seiner
flüssigen Beredsamkeit hält freilich die Kraft des Gestaltens
nicht die Wage: man nehme den Seesturm Str. 27 ff. oder gar
die Schlacht Str. 53ff. Die Übertragung sucht der Sprache,
auch wo sie bizarr oder dünn wird, nachzukommen.
***1
| Urzeit war es,
Aare schrieen,
Von Himmelsbergen
Sank heilges Naß:
Da hatte Helgi,
Den hochgemuten,
Borghild geboren
In Bralunds Schloß. |
***2
| Nacht wars im Hof,
Nornen kamen,
Sie schufen das Schicksal
Dem Schatzspender:
Der Herrscher hehrster
Solle er heißen,
Der ruhmreichste
Recke werden. |
|
***3
| Sie schnürten mächtig
Schicksalsfäden
Dem Burgenbrecher
In Bralunds Schloß;
Goldnes Gespinnst
Spannten sie aus,
Festend es mitten
Im Mondessaal. |
***4
| Sie bargen die Enden
In Ost und West,
Des Fürsten Land
Lag dazwischen;
Nach Norden warf
Neris Tochter
Eins der Bänder
Unzerreißbar. |
|
Thule-Bd.01-154 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***5
| Eines schuf Angst
Dem Ylfingensproß
Und auch der Frau,
Die Freude gebar:
Der Rabe rief
Zum Raben voll Gier —
Er saß im Wipfel —:
"Ich weiß etwas! |
***6
| Im Harnisch steht
Der heut Geborne,
Der Königserbe;
Nun kam der Tag!
Es flammt sein Blick
Nach Fürstenart,
Freund ist er Wölfen:
Froh laß uns sein!" |
***7
| Den Kriegern schien er
Gar königlich,
Sie sagten, es gebe
Gute Jahre;
Der König ließ
Den Kampfessturm,
Dem Sohn zu reichen
Den reinen Lauch. |
|
***8
| Zum Namen Helgi
Hringstad er gab,
Sonnberg, Schneeberg
Und Sigarsfeld,
Hringheim, Hatun
Und Himmelsau,
Einen zieren Blutzweig
Dem Bruder Sinfjötlis. |
***9
| Herrlich wuchs er
In Hut der Freunde,
Der junge Ulmbaum,
Im Ehrenglanz;
Er vergalt und gab
Gold den Mannen,
Nicht kargte der König
Mit Kampfeslohn. |
***10
| Nicht ließ er den Feind
Auf Fehde warten,
Als fünfzehn Winter
Der Fürst zählte:
Zu Tode traf er
Den tapfern Hunding,
Der Land und Leute
Lang beherrschte. |
|
Thule-Bd.01-155 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***11
| Dann begehrten
Gold und Ringe
Hundings Söhne
von Sigmunds Erben;
Denn sie hatten
An Helgi zu rächen
Des vaters Fall
Und viele Beute. |
***12
| Keine Buße
Bot der Edling,
Kein Sühnegeld,
Der Sippe Hundings;
Er hieß sie harren
Auf harten Sturm
Grauer Gere
Und den Grimm Odins. |
***13
| Zum Schwertdinge
Schifften Helden,
Die sich geladen
Zu den Logabergen:
Frodis Friede
Den Feinden zerschliß;
Odins Meute
Eilte zur Beute. |
***14
| Der Edling saß
Am Aarsteine,
Der Alf und Eyjolf
Beendet das Leben, |
|
Hjörward und Haward,
Hundings Söhnen,
Des Gerschwingers
Ganzem Geschlecht.
***15
| Da brach ein Licht
Aus den Logabergen,
Und aus dem Licht
Lobten Blitze;
(Da sah der Fürst
Frauen reiten,)
Hoch in Helmen,
Auf Himmelsauen;
Die Brünnen waren
Mit Blut besprengt,
Die Speerspitzen
Sprühten Strahlen. |
***16
| Frühe fragte
Im Forst der Wölfe
Solches der Sieger
Des Südens Mädchen,
Ob mit den Helden
Heim sie zur Nacht
Reiten wollten;
Es rauschten die Lanzen |
***17
| Sigrun sagte
vom Sattel drauf —
Der Schildlärm schwieg —
Dem Schatzspender: |
|
Thule-Bd.01-156 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
"Andres, mein ich,
Unser wartet,
Als mit Borghilds Sohn
Bier zu trinken.
***18
| Högnis Tochter
Hat ihr Vater
Verlobt Granmars
Grimmem Sohne;
Doch hab ich, Helgi,
Hödbrodd genannt
So königgleich
Wie ein Katzensohn. |
***19
| Nach wenig Nächten
Doch naht der Fürst,
(Heimzuholen
Högnis Tochter,)
Wenn du den König
Zum Kampf nicht lädst
Oder die Maid
Dem mächtigen raubst." |
***20 Helgi:
| "Nicht wecke Angst dir
Isungs Töter!
Schlachtlärm zuvor
Erschallen soll:
(Hödbrodds Stärke
Wird Helgi erproben;)
So lang ich lebe,
Erlangt er dich nicht." |
***21
| Boten sandte
Der Gebieter aus
Über Meer und Mark,
Mannen zu laden, |
|
Flutenglanzes
Fülle zu bieten
Den alten Kriegern
Und ihren Söhnen.
***22 Helgi:
| "Gebietet, rasch
An Bord zu gehn,
Auf Brandeys Rhede
Bereit zu sein!" —
Dort blieb der König,
Bis gekommen waren
Die Heerscharen
Aus Hedinsey. |
***23
| Alsbald stießen
Von Stavnes ab
Schwarze Schiffe,
Geschmückt mit Gold.
Helgi fragte
Hjörleif also:
"Hast du gezählt
Die zaglose Schar?" |
***24
| Der junge Edling
Zur Antwort gab:
"Nicht leicht zählt man
Die langbäuptigen
Schiffe außen
Im Örwasund,
Die die Krieger tragen
Aus Trönueyr. |
***25
| Der Mannen Zahl
Ist zwölftausend;
Jedoch der Degen
Doppelt so viel |
|
Thule-Bd.01-157 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Harren in Hatun:
Nun heißt es kämpfen!"
***26
| Die Bordzelte
Brachen sie ab,
So daß des Herrschers
Heer erwachte;
Am Mast hißten
Hoch die Leinwand
Die Wikinge
Im Warinsfjord. |
***27
| Da war Ruderschall
Und Schwerterhall,
Schild schlug an Schild,
Die Schiffer ruderten;
Unter den Edeln
Enteilte rasch
Des Königs Flotte
Dem Küstenrand. |
***28
| So erscholl es,
Schlugen zusammen
Die langen Kiele
Und Kolgas Schwester,
Als brächen Felsen
Und Brandung entzwei |
***29
| Höher hißte
Helgi die Segel, |
|
Den Wogen wichen
Die Wikinge nicht,
Als ingrimmig
Ägirs Tochter
Die Segelrosse
Versenken wollte.
***30
| Aber es schützte
Die Schlachtmaid Sigrun
Die Edeln von oben
Und ihre Schiffe;
Rüstig entrangen
Sich Rans Händen
Die Gischtrenner
Zu Gnipalund. |
***31
| So konnten abends
Zu Unawagar
Die Schiffe schwimmen
Die schöngezierten.
Die Feinde sahen
Die Flotte kommen,
Besorgten Sinns,
Vom Swarinshügel. |
***32
| Der edle Gudmund
Begann zu Sagen:
"Wer ist der Fürst,
Der die Flotte lenkt
Und streitbares Volk
Zum Strande führt:" |
|
Thule-Bd.01-158 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***33
| Sinfjötli rief —
Zur Raa stieg auf
Ein roter Schild
Der Rand war golden —,
Er war ein Recke,
Der reden konnte,
Und wohlgewandt
Im Wortstreite: |
***34
| "Sag heut Abend,
Wenn du Säue tränkst
Und Futter holst
Für Hündinnen,
Daß die Ylfinge
Von Osten kamen,
Gierig nach Kampf,
Vor Gnipalund! |
***35
| Hier kann Hödbrodd
Helgi treffen,
Den Feind der Flucht,
In der Flotte Mitte,
Ihn der oftmals
Aare speiste,
Wenn du an der Mühle
Mägde küßtest." |
***36 Gudmund:
| "Zuvor will ich
Am Wolfssteine
Raben dein Fleisch
Zum Fraß geben,
Eh ich Futter hole
Für Hündinnen
Und Eber tränke;
Mit Unholden zank!" |
|
***37 Helgi
| "Du, Sinfjötli,
Solltest lieber
Zum Kampf eilen,
Aaren zur Lust,
Als Zankworte
Zwecklos wechseln,
Ob auch heißer Haß
Die Helden entzweit. |
***38
| Nicht gelten gut mir
Granmars Söhne;
Doch falscher Vorwurf
Ziemt Fürsten nicht:
Sie ließen merken
Zu Moïnsheim,
Daß Klingen zu kreuzen
Kühn sie wagen." |
***30
| Rüstig die Rosse
Sie rennen ließen,
Swipud und Sweggjud,
Nach Solheim zu
Durch tauige Täler,
Tiefe Schluchten;
Des Nebels Bett
Bebte vom Ritt. |
***40
| Helmbedeckt stand
Hödbrodd draußen,
(Der Held im Harnisch
Am Hoftore;)
Er sah den Ritt
Der Sippengenossen. |
|
Thule-Bd.01-159 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Hödbrodd :
"Was schauen besorgt
Die Schlachthelden?"
***41 Gudmund:
| "Schnelle Kiele
Kamen zum Strand,
Gaffelhirsche
Mit glatten Rudern,
Langen Raaen,
Gereihten Schilden,
Des Königs Kriegsheer,
Kühne Ylfinge;
Fünfzehn Scharen
Schreiten ans Land,
Doch sind in Sogn
Noch siebentausend. |
***42
| Zu Gnipalund
Gingen vor Anker
Schwarze Drachen,
Geschmückt mit Gold;
Ihres Heeres
Hauptmacht ist dort;
Nicht schiebt nun Helgi
Das Schwertding auf." |
***43 Hödbrodd:
| "Laßt rennen die Rosse
Nach Reginthing,
Melnir und Mylnir
Zum Myrkwid hin!
Laßt keinen Recken
Zurück bleiben,
Der die Schlachtlohe
Noch schwingen kann ! |
|
***44
| Entbietet Högni
Und Hrings Söhne,
Atli und Yngwi,
Alf, den Greisen,
Die schnell entschlossen
Zum Schwertkampf sind!
Wackrer Empfang
Der Wölsunge harrt." |
***45
Ein Sturm brach los:
Es stießen zusammen
Fahle Waffen
Am Wolfssteine
Stets war Helgi,
Der Hundingstöter,
vorn im Heere,
Wo Helden fochten.
***46
| Vom Himmel kamen
Behelmte Mädchen —
Der Schwertlärm schwoll —
Und schützten den König;
Sigrun sprach da —
Speere flogen,
Der Riesin Roß
Fraß Rabenspeise —: |
***47
| "Heil dir, Helgi!
Beherrsche das Volk,
Nachfahr Yngwis,
Genieß das Leben!
Erschlagen hast du,
Schlachtfroher Held, |
|
Thule-Bd.01-160 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Den Fürsten, der grimme
Gegner gefällt. ***48 | Nun hast du, Edling,
Alles gewonnen,
Helle Ringe
Und die hehre Maid;
Froh sollst du, Held,
Herrschaft und Sieg,
Alles genießen,
Aus ist der Kampf!" |
Thule-Bd.01-161 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
21. Die Dichtung von Helgi Hjörwardssohn
Den Namen und die walkürische Geliebte hat diese jüngere
Dichtungsgestalt mit der vorigen gemein; im übrigen sind es
anz andere Schicksale. Mannigfache Klänge werden angeschlagen. Das Stück A,
eine Brautwerbung mit folgender Großvaterrache (!), erinnert
durch sein buntes Vielerlei, seinen märchenhaften Ton, insbesondere
den beratenden Vogel, an altdeutsche Spielmannsromane.
Die Strophen sind hier nicht Reste eines zusammenhängenden
Liedes, sondern als Zierstücke einer Saga entstanden.
Der Eddasammler, dem es nur auf die Verse ankam, hat
von dieser Saga leider nur einen unzulänglichen Auszug gegeben. In B haben wir eine urkräftige Scheltzene zwischen menschlichen
Helden und einem Trollenweib; eine unheroische, wohl
auch dem heimischen Märchen entstammende Gattung, die die
Isländer bis zum Erlöschen der Eddakunst gepflegt haben.
Mit C setzt eine neue Handlung ein. Es scheint auf einen
tragischen Bruderzwist loszusteuern, aber mit einer leichten
Wendung gleitet es hinüber zu einer wehmütigen Sterbe-
und Abschiedsszene. Man glaubt hier eine Ritterballade in
stabenden versen vor sich zu haben. Es fehlte nur noch, daß
Swawa nach ihrer letzten Rede gebrochenen Herzens auf den
Geliebten niedersänke und der Dichter über zwei, wenn nicht
gar drei Leichen den vorhang fallen ließe! Aber eben dieser
männlichere Geist zeigt den älteren Stil an; wir sind noch
diesseits der Schwelle des Spätmittelalters. Diese ganze Dichtung von Helgi Hjörwardssohn erscheint wie
ein Versuch, neue, beliebte Kunstarten mit den wohlausgebildeten,
alternden Formen der Eddadichtung zu behandeln.
Die Strophen von C nähern sich schon der flachen Auswalzung
der Worte über die Zeilen, wie wir sie in Nr. 18 und 28 ff.
antreten. A. Siglind und Jung Helgi Ein König namens Hjörward hatte drei Frauen, die hießen
Alfhid, Säreid und Sinrjod. Er hatte ein Gelübde abgelegt,
die Schönste; von der er höre, müsse sein Weib werden.
Thule-Bd.01-162 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Eines Tages stand des Königs Gefolgsmann Atli mit anderen
Kriegern unter einem Baume und sie redeten davon, schönere
Frauen als die ihres Herrn gebe es nicht. Da hörte Atli einen
Vogel auf dem Baume zwitschern, der sagte:
***1
| Sahst du Siglind,
Swafnirs Tochter,
Der Mädchen schönste
In Munarheim?
Ob glänzend auch
Im Glasirhaine
Hjörwards Frauen
Den Helden scheinen. |
***2 Atli:
| Willst du mit Atli,
Jdmunds Sohne,
Weiser Vogel,
Weiter sprechen ?
Der Vogel.
Will der Edling
Mir Opfer spenden?
Darf frei ich wählen
Im Fürstenhof? |
|
***3 Atli:
| Nicht wähle Hjörward,
Noch des Herrschers Söhne,
Noch des Schazspenders
Schöne Frauen,
Nicht die Frauen
In des Fürsten Hof!
Handeln wir ehrlich,
Nach Art von Freunden! |
***4 Der vogel :
| Einen Hof will ich
Und Heiligtümer,
Goldgehörnte Kühe
Aus des Königs Gut,
Wenn Siglind ihm
Im Arme schläft
Und ungezwungen
Dem Edling folgt. |
|
Atli erzählte dies dem Könige. Der sandte ihn zu König Swafnir
ins Swawaland, um Siglind zu werben. Swafnir hatte einen Ratgeber namens Franmar, der riet seinem
Herrn, daß er seine Tochter verweigere. Nachdem Atli
einen Winter lang an Swafnirs Hofe gelebt hatte, zog er heim.
König Hjörward fragte ihn, was er bringe. Da sagte Atli:
1
Thule-Bd.01-163 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***5 | Arbeit ward uns,
Doch wenig Lohn:
Die Rosse erlahmten
Im rauhen Gebirg,
Durch Sämorns Wasser
Wir waten mußten;
Versagt ward uns
Swafnirs Tochter,
Die herrlich geschmückte,
Die wir holen sollten. |
| Da befahl der König, ein zweitesmal auszuziehen, und diesmal
zog er selber mit. Vom Gebirge aus sahen sie im Swawaland
brennende Höfe und große Staubwolken von Reiterscharen:
Ein König namens Hrodmar hatte um Siglind gefeit,
er war abgewiesen worden und war nun mit Raub und
Brand in das Reich eingefallen und hatte König Swafnir erschlagen.
Der Ratgeber Franmar hatte die Königstochter Siglind
zusammen mit seiner eigenen Tochter Alof geflüchtet und
sie in einem Hause geborgen. |
Nicht fern davon schlug König Hjörward mit seinen Mannen
das Nachtlager auf. Atli hielt die Wacht; er kam zu dem Hause
und sah auf dem Dache einen großen Vogel sitzen. Er schoß
den vogel zu Tode; in dem Hause fand er Siglind, die Königstochter;
und Alof. Franmar war es gewesen, der in Adlers
Gestalt die Jungfrauen gehütet hatte. Atli führte sie beide
zu König Hjörward. Dann zogen sie mit ihnen heim, der König
vermählte sich mit Siglind, aber Atli mit Alof. Hjörward und Siglind bekamen einen Sohn, der wurde groß
und schön, aber er war stumm, so daß kein Name an ihm haftete.
Einst saß er auf einem Hügel, da sah er neun Walküren reiten;
eine darunter war die ansehnlichste, die redete ihn an:
Thule-Bd.01-164 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***6
| Nie wirst du, Helgi,
Hoher Kampfbaum,
Der Ringe walten
Noch der Rödulsflur —
Früh ruft der Aar —
Wenn du immer schweigst,
Hegst du, Herrscher,
Auch Heldenmut! |
***7 Helgi
| Was nehm ich noch
Zum Namen Helgi,
Den du mir schenkst,
Schimmernde Maid ?
Wohl nun wäge
Die Worte all!
Nicht denk ich an Dank,
Wirst du nicht mein. |
|
***8 Die Walküre :
| Schwerter sah ich
Zu Sigarsholm,
Vier nur fehlen
Zur Fünfzigzahl;
Doch eines ist
Das allerbeste,
Ein Helmverheerer,
Umhüllt mit Gold. |
***9
| Am Knauf ist ein Ring
In der Klinge Mut,
Die Schneide schafft
Schrecken dem Träger;
Auf dem Blatte ruht
Ein blutiger Wurm,
Eine Natter ringelt
Am Rücken sich |
|
Die Walküre hieß Swawa und war die Tochter König Eylimis.
Helgi gewann das Schwert von Sigarsholm und war
von der Zeit an ein tapferer Kriegsmann, und Swawa schirmte
ihn in seinen Schlachten. Für die Tötung Swafnirs, des Vaters der Siglind, war noch
keine Rache genommen. Einst sprach Helgi seinem Vater:
***10
| Nicht hegst du, Hjörward,
Heilsamen Rat,
König der Krieger,
So kühn du bist:
Flammen fraßen
Der Fürsten Höfe,
Die keine Unbill
Dir angetan. |
|
***11
| Doch Hrodmar darf
Des Hortes walten,
Der unsern Ahnen
Einst gehörte;
Sorglos meint er
Sicher zu leben,
Glaubt alle tot
Des Erbes Herrn. |
|
Thule-Bd.01-165 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
König Hjörward verschaffte Helgi ein Heer. Mit diesem zogen
Helgi und Atli gegen Hrodmar und brachten ihn zu Falle. B. Die Scheltreden mit Hrimgerd Helgi vollbrachte viele Kriegstaten mit dem Schwerte, wozu
Swawa ihm verholfen hatte. Atli begleitete ihn auf seinen
Fahrten. Einst fuhren sie mit der Flotte in den Hatafjord; dort in den
Felsen hauste der Riese Hatt. Helgi zog gegen ihn und erschlug
ihm In der nächsten Nacht hatte Atli die Wache auf Helgis Schiff.
Da kam Hrimgerd, die Tochter des Riesen Hari, ans Ufer; sie
hatte die Gestalt einer Stute; sie rief Atli an: ***12 | Wer sind die Helden
Im Hatafjord:
Schilde die Schiffe gürten.
Waghalsig scheint ihr,
Wenig fürchtet ihr;
Tut kund, wie der König heißt! | ***13 Atli | Helgi heißt er;
Nicht hast du die Macht,
Übles ihm anzutun.
Eisensteven
Schirmen des Edlings Flotte;
Nicht bringen uns Trollweiber Tod. | ***14 Hrimgerd: | Wie heißest du,
Held verwegen?
Wie rufen die Recken dich?
Dir traut der Fürst,
Übertrug er die Wacht
Am strahlenden Steven dir.
12 |
Thule-Bd.01-166 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***15 Atli: | Atli heiß ich,
Unheilvoll werd ich dir,
Verhaßt ist mir Hexenbrut.
Auf feuchtem Steven
Hab ich viel gewacht
Und vernichtet Nachtgespenster. | ***10 | Wie heißest du,
Die hungrig nach Leichen ?
Wer zeugte dich, Zauberin ?
Acht Meilen
Unter der Erde liege!
Dir im Busen wachse ein Baum! | ***17 Hrimgerd : | Hrimgerd beiß ich,
Hati hieß mein Vater,
Er war der Riesen rüstigster;
Viele Frauen
Hat er vom Feld geraubt,
Bis er vor Helgi hinsank. | ***18 Atli: | Du warst, Hexe,
Vor des Herrschers Schiffen
Und lagst vorn im Fjord;
Des Königs Recken
Wolltest du Ran geben,
Doch traf dich die Lanze in den Leib. | ***19 Hrimgerd: | Betört bist du, Atli,
Im Traume sprichst du;
vor den Blick du die Brauen senkst: |
Thule-Bd.01-167 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Meine Mutter
Lag vor des mächtigen Schiffen,
Ich zog zu Hel die Hlödwardsöhne. ***20 | Wiehern würdst du, Atli,
Wärst du nicht verschnitten,
Da du den Schweif mich schwingen siehst;
Hinten scheint, Atli,
Das Herz dir zu sitzen,
Schreist du auch hell wie ein Hengst. | ***21 Atli: | Den Hengst sollst du spüren,
Wenn du, Hexe, es wagst
Und zum Strand ich gestiegen bin:
Zerschmettert wirst du,
Bin entschlossen ich erst;
Zerschlagen wird dir dein Schweif. | ***22 Hrimgerd: | Zum Strand komm, Atli,
Wenn der Stärke du traust,
Und triff mich im Warinswiek!
Die Rippen richten
Will ich, Recke, dir,
Wenn du in die Krallen mir kommst. | ***23 Atli | Nicht kann ich kommen,
Eh die Krieger wachen
Und die Nachtwacht übernehmen:
Kein Wunder wärs,
Wenn aus den Wellen am Schiff
Sich höbe ein Hexenweib. | ***24 Hrimgerd:
Wache, Helgi!
Gib Hrimgerd Buße,
Thule-Bd.01-168 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Der du den Vater gefällt!
Eine Nacht
Laß beim Edling mich schlafen:
Das soll ihr Sühnegeld sein. ***25 Helgi | Lodin magst du lieben —
Leidig bist du Menschen —
Den Thursen, der auf Tholley wohnt!
Der schlaue Riese;
Der schlimmste des Bergvolks,
Ist für dich als Gatte gut. | ***26 Hrimgerd : | Die begehrst du, Helgi,
Die gestern nacht
Den Fjord hier durchforscht hat.
Die goldreiche Maid
Hat mir die Macht geraubt,
Sie schützte die Schiffe euch:
Ihr Werk ists,
Daß ich Gewalt nicht habe,
Zu ermorden die Mannschaft. | ***27 Helgi: | Hör mich, Hrimgerd!
Soll ich den Harm dir büßen,
Tu dem König kund:
Wars ein einzig Weib,
Die den Edling schirmte,
Oder ritten andre mit ihr? | ***28 Hrimgerd: | Dreimal neun Mädchen,
Jedoch vor allen
Ritt eine schimmernde Schildmaid
Die Rosse sprengten,
Es rann von den Mähnen
Tau in Talestiefen. |
Thule-Bd.01-169 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***29 Atli: | Ostwärts schau, Hrimgerd!
Ausgetilgt hat dich
Helgi mit Helstäben.
Sicher sind nun
Auf See die Schiffe,
Und nicht minder die Mannschaft auch. | ***30 Helgi | Tag ists nun, Hrimgerd!
Betört hat dich
Atli sum Unheil dir.
Verhöhnt wirst du
Als Hafenzeichen,
Da du als Steinbild stehst. |
C. Helgis Tod Helgi und Swawa schwuren sich Treueide und liebten sich über
die Maßen. Hedin, Hjörwards älterer Sohn, lebte am Hofe seines Vaters
in Norwegen. Einmal, am Vorabend des Julfestes, als er allein
von der Jagd im Walde heimging, traf er auf ein Riesenweib. ***31 | Auf dem Wolfe fuhr
In finstrer Nacht
Eine Frau, die ihm
Gefolgschaft bot;
Sie wußte wohl,
Es würde fallen
Der Sohn Siglinds
Auf dem Sigarsfeld. |
Thule-Bd.01-170 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Hedin schlug ihre Gefolgschaft aus; da sagte sie: dafür sollst
du büßen beim Weihebecher ! —Den selben Abend führte man
den Opfereber in die Halle, die Männer legten ihm ihre Hand
auf und leisteten ihre Gelübde zum Weihebecher. Hedin tat
das Gelübde, Swawa, Eylimis Tochter, zu gewinnen, die
Geliebte seines Bruders Helgi. Am nächsten Morgen faßte
ihn die Reue, und er machte sich auf und zog wilde Pfade südwärts
über Land, bis er seinen Bruder Helgi fand. Helgi redete
ihn an:
***32
| "Heil dir, Hedin!
Hast du gebracht
Neue Kunde
Aus Norwegen?
Was hat dich, Held,
Aus der Heimat gescheucht?
Einsam eilst du,
Uns aufzusuchen." |
***33 Hedin
| "Schuldig bin ich
Schlimmerer Tat:
Erkoren hab ich
Die Königstochter,
Helgis Gattin,
Beim heiligen Becher." |
***34 Helgi:
| "Lass den Vorwurf!
Erfüllen wird sich |
|
Bald uns beiden
Dein Becherschwur:
Mich hat ein Fürst
Ins Feld entboten.
Zur dritten Nacht
Muß dort ich sein;
Nicht heg ich Hoffnung,
Heimzukehren:
Da wird sichs wohl
Zum guten wenden."
***35 Hedin:
| "Du sagtest, Helgi,
Hedin wäre
Dir großer Gaben
Und Güter wert:
Rätlicher ists
Zu röten das Schwert,
Als deinen Feinden
Frieden zu geben." |
|
***Alf, der Sohn Hrodmars, war es gewesen, der Helgi zur Schlacht
nach Sigarsfeld gefordert hatte. Dort wurde hart gekämpft,
und Helgi blieb mit der Todeswunde auf der Walstatt.
Thule-Bd.01-171 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***36 36 | Es sandte Helgi
Sigar, zu reiten
Zu Eylimis
Einzger Tochter.
Helgi:
"Rasch zur Reise
Rüste sie sich,
Wenn lebend den Fürsten
Sie finden will." | ***Sigar kam zu Swawa und sagte:
***37
| "Helgi hat mich
Hierher gesandt;
Selber soll ich,
Swawa, dir melden:
Dich will der Edling
Noch einmal sehn,
Eh Siglinds Sohn
Die Seele aufgibt." |
***38 Swawa
| "Was traf Helgi,
Hjörwards Erben?
Heftiger Harm
Mein Herz erfaßt. |
|
Schnitt ihn ein Schwert,
Schlugen ihn Wunden,
Den Recken soll
Rache treffen."
***39 Sigar:
| "Es fiel heut morgen
Am Frekastein
Der Fürst; der der erste
Auf Erden war;
Sieg und Ehre
Hat Alf gewonnen,
Verdient auch dies
Der Degen nicht." |
|
***Als Swawa auf die Walstatt kam, sprach Helgi:
***40
| "Heil dir, Swawa!
Beherrsche den Schmerz!
Du wirst mich auf Erden
Nicht wiedersehn:
Du siehst dem Gebieter
Bluten die Wunden;
Es kam dem Herzen
Die Klinge zu nah. |
|
***41
| Mein Wille ist —
Nicht weine, Swawa ! —
Willst du meine
Worte hören:
Bereite Hedin
Das Ruhelager,
Dein Herz gehöre
Dem jungen Herrscher!" |
|
Thule-Bd.01-172 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***42 Swawa : | "Das gelobt ich mir
zu Munarheim
Als Kleinode
Der König mir gab,
Nicht wollt ich fürder,
Fiele der Herrscher,
Anderm Edling
Im Arme ruhn." | ***43 Hedin: | "Küsse mich, Swawa!
Ich kehre nimmer
Nach Rogheim zurück
Und den Rödulsbergen,
Eh für Siglinds Sohn
Ich Sühne gewann,
Der der erste Fürst
Auf Erden war." |
Thule-Bd.01-173 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
22. Das Mühlenlied
Im dänischen Heldenalter ragt das Königshaus der Schildunge
(Skjöldungar) hervor. Die älteste greifbare Gestalt ist
Frodi, zubenannt der Friedensfodi, denn unter ihm herrschte
eine Zeit des Friedens und des Reichtums. Das kam daher,
erklärte die Dichtung, daß Frodi in den Besitz wunderbarer
Mühlsteine gekommen war; diese Wünschelmühle, Grotti genannt,
mahlte alles, was ihr der Mahlende befahl. Aber
Menschen waren zu schwach, den Stein zu drehen; da stellte
Frodi zwei kriegsgefangene Riesinnen an die Mühle; sie mahlten
das Gold und den Frieden der Frodizeit. Aber dann bäumte
sich ihre Riesenart auf gegen die Frohn des menschlichen Königs,
und sie geboten der Wünschelmühle, ein Feindesheer heraufzuführen;
das machte dem König, seiner Burg und seiner
Mühle ein Ende in den Flammen. So erklärte man das Aufhören
der goldenen Zeit. Unser Dichter hat den Hergang so zusammengedrängt, daß er
sich fast völlig in dem Gesange der mahlenden Mägde darstellt:
zuerst der kurze Segensgesang, Str. 4, 5, dann, in Str. 7 bis
zu Ende, der nächtliche Hauptauftritt: die Frauen künden von
ihrer Herkunft, ihren Taten und gehn über zum rächenden
Verwünschungsgesang. So gewann das Ganze eine beinah musikalische, sangbare Art.
von Str. 17 ab erregt sich die Stimmung, und in den Reden
spiegelt sich das äußere Geschehen; auch der Wechsel der Singenden
ist wirkungsvoll verwendet, um die Bewegung zu steigern.
Zu den ältesten Gedichten gehört das Mühlenlied nicht: es ist
ein hervorragendes Beispiel für die Kunst der mittleren Zeit,
einen Sagenstoff zu einer Szene zu verdichten und mit lyrisch
durchtränkten Reden bewältigen.
***1
| Nun sind gekommen,
Kund der Zukunft,
Fenja und Mensa
Zum Fürstenhaus;
Als Mägde müssen
Die starken Mädchen |
|
Frodi dienen,
Dem Fridleifsohn.
***2
| Zum Mahlkasten
Mußten sie gehn,
Den grauen Grotti |
|
Thule-Bd.01-174 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
In Gang zu setzen ;
Zu Ruh und Rast
Rief er sie nicht:
Hören wollt er
Den Hall der Arbeit.
***3
| Sie ließen lärmen
Die lauthallende;
(Bis aller andern
Arbeit ruhte.)
"Still nun stehe
Stein und Mühle!"
Doch mehr mahlen
Die Mädchen er hieß.. |
***4
| "Wir mahlen Macht,
Wir mahlen Heil,
Wir mahlen Gut
Auf der Gücksmühle
Sitz im Reichtum,
Ruh auf Daunen,
Erwach zur Wonne,
So mahlten wir wohl! |
***5
| Kränken soll hier
Keiner den andern,
Böses wirken,
Blut vergießen;
Das scharfe Schwert
Schwinge keiner, |
|
Ob gebunden er fände
Des Bruders Mörder!"
***6
| (Matt ward der Arm,
Die Mühle stand;)
Da sprach sofort
Frodi also:
"Nicht länger schlaft,
Als der Kuckuck schweigt,
Nicht länger, als ich
Ein Liedlein spreche!" |
***7
| Sie sangen und schwangen
Den schweren Stein,
Bis die andern Mägde
Alle schliefen.
(Es schlief der König
Und der Kämpen Schar;)
Da sprach Menja,
An der Mühle stehend: |
***8
| "Dir fehlte; Frodi,
Freund der Krieger,
Kluge Vorsicht
Beim Kauf der Mägde;
Du wähltest wohl
Nach Wuchs und Kraft,
Achtetest aber
Der Abkunft nicht. |
|
6
Thule-Bd.01-175 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***9
| Stark war Hrungnir,
Stark sein Vater,
Doch übertraf
Thjazi beide;
Jdi und Ornir
Sind unsre Väter,
Geboren sind wir
Aus Bergriesenstamm. |
***10
| Nicht kam Grotti
Aus grauem Fels,
Nicht stieg der starke
Stein aus der Erde,
Nicht mahlte hier
Die Maid der Riesen,
Ahntest du etwas
von unserm Geschlecht. |
***11
| Wir wuchsen spielend
Neun Winter lang
Unter der Erde
Gewaltig auf;
Wir Mädchen standen
Bei mächtigem Werk:
Halden und Hügel
Hoben wir fort. |
***12
| Wir wälzten Felsen
Zum Wall der Riesen,
Weithin bebte
Der Boden davon; |
|
Dann warfen wir
Wuchtge Blöcke,
Mächtig Gestein,
Ins Menschenland.
***13
| Dann schritten wir
Im Schwedenlande
Kund der Zukunft,
Ins Kriegervolk,
Schnitten Brünnen,
Brachen Schilde,
Gingen entgegen
Der Graupanzerschar. |
***14
| Wir stürzten Fürsten,
Wir stützten andre,
Guttorm, dem guten,
Glück wir brachten;
Nicht ruhte der Kampf,
Bis Knui fiel. |
***15
So gings uns Mädchen
Gar manches Jahr;
Man kannte uns
Aus Kämpfen wohl.
Mit scharfen Schwertern
Schlugen wir da
Blut aus Wunden,
Die Waffen rötend.
***16
Nun sind wir gekommen
Zum Königshaus,
|
Thule-Bd.01-176 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Ins Mißgeschick,
Zum Mägdedienst;
Kalt ist der Körper,
Klamm die Füße;
Des Friedens Fördrer
Für Frodi wir drehn
***17
| Die Hand soll rasten,
Ruhen der Stein:
Ich mahlte mein Teil;
Die Müh muß enden"
Fenja:
"Noch will ich der Rechten
Ruh nicht gönnen,
Bis Frodis Neide
Genug wir mahlten! |
***18
| Hände sollen halten
Harte Spitzen,
Blutge Waffen!
Wache, Frodi!
Wache, Frodi,
Willst du hören
Unseren Sang
Und alte Sagen! |
***19
| Ein Feuer flammt auf
Im Osten der Burg:
Kampfruf erwacht,
Bekannt ist das Zeichen! |
|
Der Feinde Schar
Zieht schnell heran;
Bald ist verbrannt
Die Burg des Fürsten.
***20
| Hleidras Hochsitz
Hältst du nimmer,
Nicht rote Ringe
Noch des Reichtums Mühle
Fester nun, Maid
Fasse das Holz!
Nicht wärmt uns hier
Der Walstatt Blut." |
***21 Beide:
| "Mächtiger mahlt
Die Maid meines Vaters,
Weil vieler Tapfern
Tod sie erschaut:
Vom Gebälk bersten
Die breiten Stützen,
Mit Erz gefestet —
Mahlen wir fort! |
***22
| Mahlen wir fort!
Den Frodi rächt
Halfdans Enkel,
Der Yrsa Sohn;
Heißen wird er
Der Herrscherin
Sohn und Bruder —
Wir beide wissens!" |
|
Thule-Bd.01-177 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***23 | Die Mädchen mahlten
Mit mächtiger Kraft,
Die Jungfrauen
Im Jötenzorne;
Die Stangen brachen,
Die Balken stürzten,
Der starke Stein
In Stücke sprang. | ***24 | Da rief die Maid
Aus Riesenstamm:
"Wir mahlten, Frodi,
Zur Freude für uns;
Am längsten die Maid
An der Mühle stand." |
Thule-Bd.01-178 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
23. Das Bjarkitied
Die Saga von Olaf dem Heiligen, dem Norwegerkönig, erzählt:
Am Morgen vor seiner letzten Schlacht forderte König
Olaf seinen getreuen Skalden, den Isländer Thormod, auf:
sag uns ein Lied ber! Da setzte sich Thormod auf und trug
mit lauter Stimme vor, so daß mans im ganzen Heere hörte.
Es war das " alte Bjarkilied". Die Krieger dankten ihm
sein Lied und fanden, es sei eine gute Kampfmahnung
Gefolgsmannen. Das war im Sommer 1030. Es war ein Gedicht aus der
dänischen Heldensage und gewiß auch dänischen Ursprungs.
Leider ist es in seinem Wortlaute nicht auf uns gekommen:
in nordischer Sprache sind nur drei Strophen gerettet, dazu
eine junge, sehr freie Umschrift in Prosa. Aber der dänische
Historiker Saxo kommt uns zu Hilfe: er hat das Lied noch
gekannt und hat es in 30O formgerechte lateinische Hexameter
umgedichtet. Man kann den versuch wagen, aus dieser prunkvollen verkleidung,
die von Pluto, vom Elysium und vom Phlegethon
redet, die echte, heimische Gestalt herauszuschälen. Die wenigen
Reste des Urtextes sowie die Menge der andern eddischen
Heldenlieder müssen die Wahl der Motive und den sprachlichen
Ausdruck leiten. Der dänische Forscher Aret Olrik hat
diese Wiederherstellung des Denkmals unternommen; eine
Verdeutschung seines Terres durch Ranisch findet der Leser in
Olriks Buche: Nordisches Geistesleben in heidnischer und
frühchristlicher Zeit, S. 181 —1900. Die vorliegende Umdichtung
greift neuerdings auf die Quellen zurück und trifft für
Inhalt und Sprache wie für die Reihenfolge der Strophen
vielfach eine andere Entscheidung. Das Königshaus der Skjöldunge erlebte seinen Gipfel und
sein Ende in Hrolf Kraki. Durch kühne Fahrten gewann er
Ruhm über alle Nordlande, noch mehr durch seine Freigebigkeit
und hochgemute Fürstenart, die ihm von weither die
tapfersten Gefolgsmannen verband, Sein Heldentod ist der Inhalt unsres Liedes. Obgleich Hrolf
selber nicht zu Worte kommt, sammeln sich die Strahlen in
ihm: Hjalti und Bjarki, die zwei zu Wortführern erkorenen
Hofkrieger, verkünden die Größe des geliebten und
Thule-Bd.01-179 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
zeigen uns, wie das Gefolge freudig für ihn in den Tod
geht. Kme zweite Dichtung des germanischen Altertums verherrlicht
so beredt das heilige Verhältnis zwischen dem Gefolgsführer
und seinen Mannen. Aber es sind keine beschaulichen
Reden: während der 34 Strophen wickelt sich die äußere
Handlung ab, Angriff, Kampf und Untergang der Dänen,
und durch die Reden vermittelt sich uns dieser Hergang, so
daß es daneben nur der kurzen "Bühnenanweisungen" in
Prosa bedarf. Zugleich aber weiß der Dichter durch Rückblicke
seiner Helden das Vorausliegende zu beleuchten und die Gestalt
des Königs vielseitiger herauszubringen. Die Form des
reinen Redeliedes hat hier zu einer wundervoll gedrungenen
Szenenfolge geführt, worin epische, lyrische und dramatische
Kräfte ungeschieden wirksam sind. Das lied erzählt eine
Sage und ist zugleich ein Kriegs gesang, eine gute Kampfmahnung
für Gefolgsmannen. ***Skuld, die Schwester König Hrolfs, hat ihren Gatten Hjörward
, einen Lehnsfürsten in Schonen, angestachelt, sich selbst
auf den Dänenthron zu setzen. Hjörward erbittet von seinem
Schwager drei Jahre Aufschub für das Entrichten der Ab-
gabe in dieser Zeit wirbt er Mannschaft bei Gauten und
Schweden zum Zuge gegen Hrolf. In einer Julnacht landen
sie vor der dänischen Königsburg unter dem vorgeben,
brächten jetzt die Steuer. Als die Hofmannen nach der Zecherei
in schwerem Schlafe liegen, rüsten Skuld und Hjörward den
Angriff. Hjalti nur, der von einem Gange heimkehrt, sieht
das feindliche Heer anrücken; er tritt unter das Tor der
Halle und rufi:
***1
| Tag stieg empor,
Es tönt der Hahnenschrei
Mühsal müssen
Die Mannen gewinnen. |
|
Wachet nun, wachet,
Wackre Freunde,
Adils des edeln
All ihr Gesellen! |
Thule-Bd.01-180 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***2
| Har, du Hartgemuter,
Hrolf, du Streitkühner,
Tapfre Gefährten,
Die Flucht nicht kennen
Ich weck euch nicht zum Weine
Noch zum Weiberkosen,
Ich weck euch zu Hildes
Hartem Spiele! |
***3
| Greift zu den Schwertern!
Den Schild nehmt zur Hand!
Kalten Klingen
Schreitet kühn entgegen!
Es ruht in eurer Rechten
Nun Ruhm und Schande:
Tod bringt der Tag uns
Oder Treubruchs Rache. |
***4 Biarki, halb erwacht, glaubt, es
seien Gäste zum Gehöft gekommen:
| Sieh auf nun, Knecht
Kehr die Asche weg!
Zu flackernder Flamme
Entfache die Glut!
von Knorren und Kienholz
Knistre die Lohe:
Warmer Händedruck
Ziemt werten Gästen.
(Er sinkt wieder in Schlaf.) |
***5 Hjalti:
| In Hjörwards Halle
Häuften die Gauten |
|
Kein gleißendes Gold
In vergangnen Wintern;
Nicht sandte Skuld
Zur Skjöldungenburg Rote Ringe
Noch reiche Geschmeide.
***6
| Zur Schildburg schart euch
Um den Schatzspender!
Glänzende Gaben
Gilt es zu lohnen:
Silberne Ringe
Und Saxschwerter,
Breite Brünnen
Und blinkende Helme. |
***7
| Nicht lässig laßt uns
Die Gelübde halten,
Die froh wir geschworen
Auf den Fürstenbecher
Bei Freyr und Njörd
Und dem furchtbaren Asen
Den Ringspender nimmer
In Not zu verlassen. |
***8
| Seht vorn im Heere
Dort Hjörward schreiten,
Den Fürsten im Goldhelm
Freudig zur Schlacht!
Viel Kämpen folgen ihm,
Kalt sind ihre Blicke,
Mit lichten Kampfhelmen,
Klirrenden Geren. |
|
Thule-Bd.01-181 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***9 | Sann Skuld den Verrat?
Reisten dich Nornen ?
Wer hetzte dich, Hjörward,
Zu heillosem Frevel?
Treulos betrogst du
Den trefflichsten Fürsten,
Das Reich ihm neidend,
Der Nordlande hehrsten. |
In dem nun beginnenden Kampfe werden
die Dänen von der Übermacht hart bedrängt.
***10 Hjalti:
| Zerhauen sind die Brünnen,
Zerbrochen sind die Schwerter,
Vom Kampfbeil zerklafft
Ward des Königs Schild;
Manch furchtloser Fechter
Sank fallend zur Erde,
Die Klinge fährt krachend
Durch der Krieger Häupter. |
***11
| Wo bleibst du, Bjarki?
Binden dich Schlafrunen?
Zu lange schon fehlt uns
Der Fechter bester:
Entblößt ist das Burgtor
von Brünnenbewehrten;
Hart stürmt auf Hrolf
Das Heer der Feinde. |
|
***12
| Auf Bödwar Bjarki,
Du bärenstarker,
Frisch ins Gefecht,
Eh dich Feuer umschließt!
Brand scheucht Bären:
Die Burg mag entstammen;
Die Hochsitzsäulen
Fasse heiße Lohe! |
***13
| Hinsank nun Hrolf,
Der hochgemute,
Frodis Enkel,
Mit fröhlichem Lächeln.
Nun leerten die Mannen
Den letzten Becher:
Keiner soll leben
Nach des Königs Tode! |
|
Thule-Bd.01-182 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***14
| So stürmte Hrolf
In der Streiter Schar,
Wie tosender Wildbach
Zu Tale braust;
So eilte allen
Der Edling voran
Wie der hohe Hirsch
vor hurtigem Wild. |
***15
| Ordnet den Keil,
Wie der König es wies,
Wie Hrolf es lehrte
Der Hrörik erschlug;
Arm war Hrörik
An edeln Freunden,
Reich nur an Ringen
Und rotem Golde. |
***16
| Vor dem Burgtor bot
Der Berger der Ringe
Klingenden Schatz
Dem König der Dänen;
Doch Feindes Geschenk
verschmähte der Fürst,
Gebrochen ward die Burg
Und die Beute gewonnen. |
***17
| Glutrotes Gold
Gab er den Kriegern,
Den Hort, den Hrörik
Gehäuft in der Burg; |
|
So gab er ihn hin,
Wie Gold er einst säte,
Der frohgemute Fürst,
Auf die Fyrisheide,
***18
| Folget, Gefährten,
Dem Fürsten in den Tod!
Kein Wort der Zagheit
Der Zunge entfliehe!
So lange Leute
Lande bebauen,
Überdauert den Tod
Der Taten Ruhm. |
***19
| Der Kämpen bester
Wardst, Bjarki, du genannt;
Doch in Rauch und Flammen
Dein Ruhm nun zergeht:
Verschlossen liegt noch
Das Schlafgemach;
Zum drittenmal, Bjarki,
Entbiet ich dich zur Schlacht! |
***20 Bjarki:
| Was höhnst du mich, Hjalti?
Hart klingt dein Weckruf.
Hab je ich gefürchtet
Feuer oder Schwert?
Schon schirmt mich die Brünne;
Schon band ich das Schwert um;
Bald kannst du erkennen
Ob Ob Kampf ich scheue. |
|
Thule-Bd.01-183 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***21
| Arm war ich einst,
Auf dem Eiland erwuchs ich
Zwölf Höfe hat mir
Der Herrscher geschenkt,
Er gab mir die Schwester,
Die goldringfohe:
Der eine Tag
Muß nun alles lohnen.
(Er stürmt in den Kampf.) |
***22
| Schon hieb ich Hjort,
Den Helden, nieder,
Er sank vor Snirtir,
Dem Sachs, dem scharfen,
Der den Namen Bödwar
Und Beute mir gewann,
Als ich Agnar fällte,
Den Jngjaldsohn. |
***23
| Sein Hieb traf mein Haupt,
Doch Höking zerschellte,
Nicht biß die Blutschlange
Den blinkenden Helm.
Mit schärferer Klinge
Durchschlug ich ihm die Seite;
Die Rippen durchbrach
Das blutgierige Eisen. |
***24
| Zur Erde sank er,
Auf den Arm er sich stützte,
Den Todesstreich lachend
Der tapfre empfing.
Nicht schlechter war der Edle,
Den ich eben erschlug |
|
Durch gebuckelten Schild
Und schuppige Brünne.
***25
| Wo sind nun der Gauten
Gerfrohe Führer ?
Auf blutiger Walstatt
Wägt man die Kräfte
Fürsten sinken,
Sippen erlöschen,
Odin holt sich
Die edelsten heim. |
***26
| Nun häufte ich mir hoch
Den Hügel aus Leichen,
Einzig noch steh ich
Im Sturme der Hild.
Wo blieb nun Hjalti,
Der herrisch mich schmähte,
Als ob zwölf Leben
Zu verlieren er hätte? |
***27 Hjalti:
| Fest steht Hjalti noch,
Nicht fern von dir,
Glaube dem Auge,
Wenn dem Ohr du nicht traust!
Harte Arbeit
Unsre Hände verrichten;
Klein ist die Folgschar,
Wo doch nottun. |
***28
| Zerhauen ward mir
Bis zum Handgriff der Schild,
Hiebe treffen uns
Wie Hagelkörner; |
|
Thule-Bd.01-184 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Heut Abend sind wir
Odins Gäste.
Sühnst du endlich
Dein Säumen, Bjarki:
***29 Bjarki
| Schiltst du mich noch
Mit scharfem Vorwurf?
Nicht Tadel trifft mich,
Wenn träger ich kämpfe:
Der Schweden Schwert
Traf schwer meine Brust,
Das der Walstatt Gewand
Wie Wasser durchschnitt. |
|
Segne dein Auge
Mit dem sieghaften Zeichen
Willst du erschauen
Den Schlachtenlenker,
Auf hohem Rosse,
Mit hellem Schilde!
***32 Bjarki
| Könnte ich ihn treffen,
Den treulosen Unhold,
Schimpf und Schande
Die Schlacht ibm brächte;
Faßte meine Faust
Den falschen Ränkeschmied,
Ich zerkrallte den Kriegsgott
Wie die Katze die Maus. |
***33
| Der Aar fliegt näher,
Nach Atzung gieng;
Es folgt ihm der Rabe,
Froh der Leichen.
Beider Beute
Müssen bald wir werden,
Dem tapfersten Fürsten
Im Tode gesellt. |
|
***30 | Erhebe, Hrut,
Die hellockige Stirn,
Tritt aus der Burg
In den tosenden Streit!
Sahst du Odin,
Den alten Krieger?
Das gewahrte ich wohl,
Daß er wider uns ist. | ***31 Hrut: | Senke den Blick!
Sieh durch den Arm mir ! |
Thule-Bd.01-185 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***34 | Hrolf zu Häupten
Hinsank Bjark;
Du, Hjalti, liege
Zu des Herrschers Füssen!
Deß wird gewahr,
Wer die Wal durchspäht,
Wie dem reichen König
Die Ringe wir lohnten. |
Thule-Bd.01-186 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
24. Starkads Rückblick
Die Kunstform der rückblickenden Erzählung, des Ich-Berichtes
(o. Nr. 9-13), wandten die Isländer im 12. Jahrhundert
auch auf männliche Helden an, und vor anderen war
es Starkad, der große Dänenkämpe; der dazu lockte. Denn
sein Leben war reich an Taten und Leiden, und ibm hatte
Odin, sein Schutzherr, die Dichtkunst verliehen. Eine dieser Starkadelegien ist in nordischen versen bewahrt.
Der Held spricht sie am schwedischen Königshofe, wo er, der
reuige Flüchtling, Aufnahme gefunden hat und nun unter
den jungen Höflingen sitzt. Er schaut zurück auf seine in
Niedrigkeit verbrachten Knabenjahre, auf das ruhmreiche
Kriegerleben unter König Wikar und auf die eigne Neidingstat;
die dieser Sahen Jugend ein Ende machte. Am besten gelingen dem Dichter die realistischen Stellen, wie
Str. 4-6, 14-16, 23-25. An Starkad versuchten die
Heldendichter zuerst die charaktervolle Häßlichkeit zu zeichnen:
die älteren Heroen waren immer leuchtend, herrlich u. dgl. Da und dort begnügt sich das Gedicht mit leisen Andeutungen
und wird mehr beschaulich als erzählend. Die ausführliche
Prosasaga, die ihm zur Seite ging, unterrichtete über die Zusammenhänge
im einzelnen. Das für das unmittelbare Verständnis
Nötige bringen wir unter dem Texte.
***1
| Ein Kind war ich,
Als das Kriegsvolk starb
Flammentod
Mit dem Vater mein,
Den Schatzspender
Schwäger trogen,
Fjöri und Fyri,
Frekis Erben; |
|
***2
| Als Herthjof
Den Harald trog,
Die Treue brach
Dem bessern Manne,
Dem Egdenkönig
Das Ende brachte,
Des Fürsten Söhne
In Fesseln warf. |
|
Thule-Bd.01-187 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***3
| Drei Winter alt
Ward ich geführt
Von Hroßharsgrani
Nach Hördaland;
Zu Ask begann ich
Aufzuwachsen,
Neun Sommer sah ich
Die Gesippen nicht. |
***4
| Kraft gewann ich:
Es wuchs der Arm,
Die langen Glieder,
Das grimme Haupt;
Der Herdputzer
Beim Holze saß,
Nach nichts fragend,
Auf der niedern Bank |
***5
| Bis Wikar kam
vom Wachtfeuer,
Herthjofs Geisel
In die Halle trat;
Er erspähte mich,
Er sprach zu mir, |
|
Daß auf ich stand
Und Antwort gab.
***6
| Der Held maß mich
Mit Hand und Spanne,
Beide Arme
Abwärts zur Hand,
(Brust und Schultern,
Das braune Haupt,)
Haarbewachsen
Bis zum Hals hinab. |
***7
| Da sammelten sich
Sörkwir und Grettir
Und Hildigrim
Um Haralds Erben,
Erp und Ulf,
An und Skuma,
Hroï und Hrotti,
Die Herbrandsöhne; |
***8
| Styr und Steinthor
von Stad im Norden;
Da war auch der greise
Gunnolf Blässe. |
|
Thule-Bd.01-188 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Wir waren dreizehn
Degen gesellt;
Kühnre Fechter
Findst du schwerlich.
***9
| So kamen wir
Zum Königshof
Stießen ans Gitter,
Stürzten Pfosten,
Brachen Riegel,
Es blitzten Schwerter
Wo siebzig Mann
Zusammen standen. |
***10
| Im Streitlärm
Stürmten wir vor,
Kampffrohe
Königsmannen; Man konnte Ulf
Und Erp da sehn,
Brünnenlos hieb ich
Mit beiden Händen. |
***11
| Ein Wagnis wars,
Wikar zu folgen,
Der immer als erster
Im Angriff stand;
Wir hieben durch Helm
Und Halsberge,
Schnitten Brünnen
Und brachen Schilde. |
|
***12
| Gewachsen war
Wikar der Ruhm
Doch heimgezahlt
Herthjof die Rache,
Wund die Feinde,
Gefallen mancher,
Nicht fern stand ich
Dem Fall des Königs. |
***13
| Nicht warest du
In Wikars Schar
Östlich zu Wän
In alten Tagen,
Als wir den Strauß
Stritten mit Sisar,
Maßlos mächtge
Männertaten. |
***14
| Das Schwert schlug mir
Schlimme Wunde
Das schneidenscharfe,
Durch Schildes Rand,
Den Helm vom Haupt,
Zerhaun der Schädel
Der Kieferknochen
Zerklafft auf die Zähne. |
***15
| Mir hieb von oben
Auf einer Seite
Der Held die Weiche
Gewaltig durch; |
|
9
Thule-Bd.01-189 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Die andre durchstieß
Sein starker Speer,
Daß kalt die Lanze
In den Leib sich grub.
***10
| Doch ich hieb
Dem Helden da
Mit scharfer Klinge
Quer durch den Leib;
Erbittert ließ ich
Beißen das Schwert,
Und meine Stärke
Bestand die Probe. |
***17
| Wikar gab mir
Welsches Erz,
Den roten Ring
An der Rechten mein,
Er gilt drei Mark;
Ich gab ihm Thruma.
Dem Fürsten folgt ich
Fünfzehn Sommer. |
***18
| Dem Fürsten folgt ich,
Der Führer bestem,
Meiner Fahrten
Froheste Zeit, |
|
Eh wir eilten —
Unholde lenkten —
Zu letzter Heimfahrt
Nach Hördaland.
***10
| Da traf mich,
Daß Thor mir schuf
Den Namen Neiding,
Not ohne Maß:
Schmachvoll sollt ich
Schande ernten,
(Die Treue brechen
Dem besten Herrn). |
***20
| Den Herrscher mußt ich
An hohem Baum,
Geirthjofs Töter,
Den Göttern weihn:
Den Helden traf
Ins Herz mein Speer;
Das war meines Lebens
Leidigste Tat. |
***21
| Irrwege
Eilte ich fort,
Finstern Sinns,
Dem Volk verhaßt |
|
Thule-Bd.01-190 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Ringen fern
Und Ruhmliedern,
Herrenlos,
Im Herzen Gram.
***22
| Nun schweifte ich
Zum Schwedenvolk
Nach Upsala,
Dem Ynglingensitz
Hier lassen weilen,
So lang er mag,
Den stummen Sänger
Des Fürsten Söhne. |
***23
| Ich kam zum Kreis
Der Knappen hier,
Lichtbrauiger
Loser Spötter;
Es höhnen hier
Und haben Spott |
|
Mit dem alten Recken
Geringre Krieger.
***24
| Man meint an mir
Ein Mal zu sehn
Riesischer Art:
Acht der Hände,
Da die Hände
Dem Hergrimstöter
Thor einst nahm
Auf Nordlandsklippen |
***25
| Jeder lacht,
Laß ich mich sehn,
Wilden Blick,
Die Wolfsschnauze,
Graues Haar,
Hängende Schultern,
Rauhe Haut;
Den Hals voll Narben. |
|
Thule-Bd.01-191 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
25. Der Kampf auf Samsey
Die drei folgenden Stücke bilden einen kleinen Zyklus, den
man nach dem gefeierten Schwerte die Tyrfingsagen genannt
hat. Der Ursprung des Stoffes ist in Schweden zu suchen; von
der einst reichen Sagenwelt dieses Landes ist nur dieser Teil in
eddischen versen auf uns gekommen. Die Gedichte, wie sie uns
vorliegen, gehören dem jüngern isländischen Zeitraume an und
sind angewiesen auf den ausfüllenden Bericht einer Saga.
Doch mögen die fünf Strophen vom Samseykampfe Überbleibsel
eines geschlossenen epischen Liedes sein. Sie haben eine
unlyische, verhältnismäßig altertümliche Haltung. Das Sterbelied Hjalmars, das sich inhaltlich unmittelbar anschließt
, fällt in die Gattung der rückschauenden Elegien, hat
also seine verwandten in Nr. 24, 29, 3O und weiterhin in
Nr. 9—13. Sein erzählender Inhalt ist von wehmütiger Lyrik
durchtränkt; die frohen Bilder des Einst spiegeln sich in dem
Auge des Sterbenden, der Stolz auf seinen Heldentod und der
Ausblick auf die Trauer der Geliebten werden ihm zum schmerzlichen
Trost. Es webt etwas von dem gebändigten, entsagenden
Geiste der Ritterballaden in diesem eddischen Spätling. Die ergänzenden Sagapartien folgen hier in gekürzter Gestalt. Zu Upsala in Schweden herrschte König Yngvi; erbaue eine
Tochter namens Ingibjörg. Im Gefolge des Königs stand ein
junger Krieger, der hieß Hjalmar der heldenmütige Im südlichen Schweden, in Bolm, wohnten die zwölf Arngrimssöhne
, Angantyr und seine Brüder; die waren berühmte Kämpen
und Berserker. Einst beim Julgelage tat Angantyr das Gelübde, die Königstochter
Ingibjörg zum Weibe zu gewinnen oder aber das Leben
zu lassen. Er sog mit seinen Brüdern nach Upsala, trat in des
Königs Halle und brachte seine Werbung vor. Alles schwieg;
nur Hjalmar der heldenmütige sprang über den Tisch und
sprach: "Denke daran, König, wie oft ich dir zu Ehren mein
Leben gewagt habe! Ich bin es würdiger, deine Tochter heimzuführen
, als diese verhaßten Berserker."
Thule-Bd.01-192 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Der König besann sich und hätte sich gern aus dieser Notlage
gezogen; endlich sagte er, seine Tochter solle selbst wählen. Sie
aber wählte Hjalmar. Da sprach Angantyr:"Ich sehe, du liebst
ihn. Du aber, Hjalmar, wenn du keine Memme hifi; stelle dich
mir zum Holmgang diesen Mittsommer auf Samsey!" Hjalmar
sagte zu. Zur verabredeten Zeit fuhr Hjalmar mit seinem Waffenbruder
Odd und zwei bemannten Schiffen nach Samsey. Hier ließ er
die Schiffe in der Bucht Munarwag zurück und ging mit Odd
auf die Insel hinauf, um zu sehen, ob die Arugrimssöhne schon
daseien. Als sie weg waren, kamen die Zwölfe in die Bucht
gefahren; sie fielen im Berserkerzorne über die zwei Schiffe her
und hieben die Bemannung nieder. Bald danach kamen Hjalmar und Odd von der Insel herab.
Da sagte Odd:
***1
| Männer schreiten
von Munarwag,
Gierig nach Streit,
In grauen Wämsen;
Begonnen haben
Die Grimmen Kampf:
Unsre Schiffe liegen
Leer am Strande. |
***2 Hjalmar:
| Kämpen kommen
von Kriegsschiffen,
Zwölf an der Zahl,
Die zuchtlosen; |
|
Wir sind heut Abend
Odins Gäste.
Zwei Ziehbrüder,
Doch die zwölf leben.
***3 Odd:
| Weichen wir nicht
Den Waffenbäumen,
Scheint überstark
Auch ihre Schar!
Sie sind heut Abend
Odins Gäste,
Zwölf Berserker,
Doch wir zwei leben! |
|
Als die Arngrimssöbne mit den zwei Helden zusammentrafen
sprach Angantyr:
Thule-Bd.01-193 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***4
| Kühne Kämpen
Kamet ihr her,
Beherzte Helden,
Auf Holzschiffen:
Gefallen sind
Die Gefährten euch,
(Eure Schiffe liegen
Leer am Strande.) |
|
***5 Odd:
| Wilde Kämpen
Kamet ihr her,
Zwölf an der Zahl,
Ihr zuchtlosen;
Einzeln schreitet
Zu scharfem Kampf;
Mann wider Mann,
Wenn der Mut euch taugt! |
|
Odd erbot sich, den Angantyr zu bestehen, denn der führte das
Schwert Tyrfing, das von Zwergen geschmiedete, das durch
Eisen und Stein drang, und er war der gefährlichste Gegner
unter den Zwölfen. Aber Hjalmar sagte: "Ich bin der Häuptling
in diesem Holmgang!" und duldete es nicht anders, als
daß erselbst mit Anganng kämpfe; die anderen elfe sollten der
Reihe nach gegen Odd antreten. So geschah es, und Odd streckte einen nach dem andern zu
Boden. Angantyr aber schlug sich lange und erbittert mit
Hjalmar, bis er tödlich getroffen niedersank.
Thule-Bd.01-194 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
26. Hjalmars Sterbelied
Als Hjalmar den Angantyr zu Falle gebracht hatte, setzte er
sich nieder; sechzehn Wunden am Leibe, und lehnte den Rücken
gegen einen Erdhaufen. Da trat sein Waffenbruder Odd auf ihn zu und Sagte:
***1
| Was hast du, Hjalmar?
Hin ist die Farbe,
Tiefe Wunden
Trafen dich schwer;
Dein Helm ist zerhauen,
Dein Harnisch klafft:
Das Leben wirst du
Lassen müssen. |
***2 Hjalmar
| Zerhauen die Brünne;
Es brennen die Wunden,
Schwindel faßt mich
Schwarz vor der Augen:
Angantyrs Schwert
Schnitt zum Herzen,
Scharfer Blutzweig,
Geschmiedet in Gift. |
***3
| Nimmer hören
Daheim die Frauen,
Daß vor Schwerthieben
Schutz ich gesucht;
Nicht sagen soll
Zu Sigtunir
Das kluge Mädchen,
Daß Kampf ich floh. |
|
***4
| Ich fuhr von frohen
Frauenliedern,
Minne im Sinn,
Mit Soti aus;
Zu Schiff schied ich
In schneller Fahrt
Zum letztenmal
Von lieben Freunden. |
***5
| Geleit gab mir
Die lichte Maid
Auf Agnafits
Äußersten Strand.
Zur Wahrheit wird
Ihr Wort nun bald,
Nie käm ich heim
Zum Königshofe. |
***6
| Von Jngibjörg,
Der jungen, schied ich,
Schnell entschlossen,
Am Schicksalstag:
Trauer im Herzen
Tragen wird sie,
Daß wir uns nimmer
Wiedersehen. |
|
Thule-Bd.01-195 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***7
| Fünf Höfe hatt ich
Im Heimatlande,
Fern doch fuhr ich,
Friedlosen Sinns:
Lebens ledig
Liegen muß ich,
vom Schwert versehrt,
Auf Samsey nun. |
***8
| Bring zum Zeichen —
Ich bitte dich —
Helm und Brünne
Zum Hof des Königs!
Das Herz wird stocken
Der Herschertochter,
Sieht sie zerhauen
Des Harnischs Brust. |
***9
| Zieh den roten
King von der Hand mir;
Bring ihn der jungen
Ingibjörg.
Harm im Herzen
Wird ihr haften,
Daß wir uns nimmer
Wiedersehen. |
|
***10
| Sitzen seh ich
Zu Sigtunir
Der Frauen Volk,
Das die Fahrt mir abriet;
Froh leert künftig
Im Königssaal
Das Horn mit den Helden
Hjalmar nicht mehr. |
***11
| Beim König trinkt
Der Kreis der Jarle
Frohgemut Al
Zu Upsala;
Met ermattet
Der Männer viele:
Mich quält auf dem Eiland
Des Eisens Spur. |
***12
| Es streicht südlich
vom Stamm der Rabe,
Eilend folgt ihm
Der Adler nach;
Letzte Beute
Biet ich dem Aar,
Trinken mag er
Von meinem Blut. |
|
Thule-Bd.01-196 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
27. Das Herwörlied
Eine einzelne Nachtszene, aus dem Lebenslauf der Heldin
herausgegriffen und durch lauter Redeverse versinnlicht. Der
äußere Hergang ist einfach, und die Erfindungskraft des Dichters
hat das lange Gespräch über eine gewisse Monotonie nicht
hinauszuheben vermocht. Aber die Situation im großen prägt
sich mit zwingender Stimmungsgewalt ein. Dazu gelingt es
den Reden, die schaurige Umwelt vor Augen zu bringen, wie
auch die fortschreitende Handlung zu spiegeln. Es fehlt ihnen
nicht an dramatischem Puls; sie lassen die Erregung anschwellen
und von Str. 22 an üch beruhigen. Um in die Schrecken der Gespensternacht einzuführen und den
Wagemut der Heldin zu beleuchten, hat der Dichter die kurze
Vorszene mit dem Hirten beigegeben. Man denke sie sich weg,
und das ganze verlöre viel von seiner bildweckenden Kraft. Angantyr und seine Brüder hatte der überlebende Odd mit
allen ihren Waffen in einem Grabhügel auf der Insel Samsey
beigesetzt. Angantyr hinterließ als einziges Kind eine Tochter namens
Herwör; die wurde groß und stark und gewöhnte sich früh an
Schild und Schwert. Es litt sie nicht am Hofe ihres Mutter-vaters:
als Mann gekleidet und bewaffnet, zog sie zu einer
Wikingschar und nannte sich Herward, und bald wählten die
Krieger sie zu ihrem Anführer. Einst kamen sie vor Samsey, da wollte Herwör ans Land: in
den Grabhügeln auf der Insel, sagte sie, sei reiche Beute zu
machen. Aber keiner wollte mit ihr; es sei dort nicht geheuer,
die Toten gingen um. Da ruderte sie allein im Boote nach der
Insel; es war zur Zeit des Sonnenuntergangs. Sie traf einen Hirten, der redete sie an:
***1 1
| Wer kam einsam
Aufs Eiland her?
Von hinnen heb dich
Zur Herberge |
|
***2 Herwör:
| Nicht flieh ich von hinnen
Zur Herberge;
Bin unbekannt
Auf dem Eilande. |
|
Thule-Bd.01-197 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Eh du enteilst,
Antworte rasch,
Wo hier Hjörwards
Hügel liegen!
***3 Der Hirte:
| Frag nach anderm!
Unklug bist du,
Wikingsgesell:
Dein Weg bringt Not.
Fliehn wir eilend,
Was die Füße können!
Nicht geheuer
Ists hier für Menschen. |
***4 Herwör:
| Ringe biet ich,
Den Rat zu lohnen;
Schwer zu schrecken
Der Schlachtfreund ist;
Keiner könnte
Durch Kleinode, |
|
Rote Ringe,
Zurück mich halten.
***5 Der Hirte:
| Wahnwitzig ist,
Wer weiter geht,
Wer einsam naht
Nachtgespenstern; Flammen hüpfen,
Die Hügel sind offen,
Es brennt das Feld —
Fliehn wir eilend! |
***6 Herwör:
| Mag Feld und Flur
In Flammen stehn,
Ihr Geschnaube
Schreckt mich wenig;
Tote Recken
So rasch mich nicht
Weichen machen:
Ich will sie sprechen. |
|
Der Hirte lief davon, Herwör aber ging auf die Hügelfeuer zu
und schritt furchtlos durch die Flammen, bis sie vor das Grab
der Arngrimssöhne kam. Da rief sie:
***7
| Wache, Angantyr!
Es weckt dich Herwör,
Deiner Tofa
Einzige Tochter.
Aus dem Hügel gib
Das harte Schwert,
Das Zwerge schlugen
Dem Swafrlami! |
|
***8
| Herward, Hjörward,
Hrani, Angantyr!
Unter Waldwurzeln
Weck ich euch alle,
Mit Helm und Harnisch
Und hartem Schwert,
Mit Rüstung und Ringschild
Und rotem Ger. |
|
Thule-Bd.01-198 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***9
| Seid wohl alle,
Arngrims Söhne,
Falsche Männer,
Moder worden,
Will Antwort keiner
Von Eyfuras Söhnen
Der Maid geben
In Munarwag! |
***10
| So fühlt im Innern
Euch alle zernagt,
Als ruhtet ihr
Im Emsenhügel;
Oder gebt das Schwert,
Das Dwalin schlug —
Toten taugt nicht
Treffliche Wehr! |
***11 Angantyr:
| Herwör, Tochter,
Wie tönt dein Ruf!
Schrecklich Geschick
Schaffst du dir selbst:
Wirr bist du worden
Und wahnbetört,
Wildes sinnend:
Du weckst Tote. |
***12
| Mich barg nicht Vater
Noch Freund im Grab; |
|
(Nicht gab man Toten
Den Tyrfing mit:)
Beute blieb er
Der beiden Steger;
Ihn hat noch heute
Der Helden einer.
***13 Herwör:
| Eins sag ehrlich:
Odin lasse dich
Heil im Hügel,
Hehlst du ihn nicht!
Betrügen willst
Um den Tyrfing du
Deine Erbin,
Dein einzig Kind. |
***14 Angantyr:
| Das Heltor sank,
Die Hügel sind offen;
Ringsum in Flammen
Das Eiland steht.
Schlimm ists, außen
Sich umzuschaun;
Flieh schnell, wenn du kannst,
Zu den Schiffen dein! |
***15 Herwör:
| Nimmer nährt ihr
Nächtlichen Brand,
Deß Flammen mich
Fliehen machten; |
|
Thule-Bd.01-199 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Scharfe Waffe,
Wird sie nur mein.
Feuers Flammen
Fürchte ich nicht;
Zusammen sinken sie,
Seh ich sie an. ***20 Angantyr:
Nicht wanken wird
Der Wille der Maid,
Sieht sie auch Tote
Am Tore stehn.
***10 Angantyr:
| Nicht nenn ich, Maid,
Dich Menschen gleich:
Zu Grabhügeln
Gehst du nächtlich
Mit zierem Ger
Und gotischem Schwert,
Mit Helm und Brünne,
Vor der Halle Tor. |
***17 Herwör:
| Bisher meint ich
Menschlich zu sein,
Eh eure Säle
Ich aufgesucht.
Aus dem Hügel gib
Den Hasser der Brünnen,
Der Helme Feind,
Hjalmars Mörder! |
***18 Angantyr:
| Unter den Schultern
Das Schwert mir liegt, |
Heißes Feuer
Umhüllt es ganz;
Kein Weib weiß ich
Auf der weiten Erde,
Das diese Waffe
Wagte zu fassen.
***19 Herwör:
| Ich will sie fassen
Und fest sie halten, |
| | Ich sag dir, Herwör —
Höre mich wohl,
Du Königskind! —
Was kommen muß:
Der Tyrfing, Tochter,
Vertilgen soll —
Glaub meinem Wort! —
Dein ganz Geschlecht. |
***21 Herwör :
| So treffe Unheil
Die Toten alle:
Mit Gespenstern mögt ihr
Modernd liegen!
Angantyr, gib
Aus Grabes Tiefe
Der Zwerge Werk:
Nicht ziemt dir Trug! |
***22 Angantyr:
| Toll bist du, Tochter,
So tapfer du bist:
Offnen Auges
Eilst du ins Feuer!
Geben will ich
Aus dem Grab das Schwert,
Du junge Maid,
Nicht mag ichs weigern. |
|
Thule-Bd.01-200 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***23 Herwör:
| Wohl nun tust du,
Du Wikingssproß,
Gibst mir das Schwert
Aus dem Grabhügel;
Herrlicher Gut
Held, gewinn ich,
Als nähm ich zu eigen
Norwegen ganz. |
***24 Angantyr:
| Wenig weißt du —
Wahnsinn sprichst du,
Verblendet Weib! —
Was du wünschen sollst:
Der Tyrfing, Tochter,
Vertilgen soll —
Glaub meinem Wort! —
Dein ganz Geschlecht. |
***25 Herwör :
| Will nun wieder
Zum Wogenrosse;
Froh ist das Herz
Der Fürstenmaid:
Wenig härmt mich,
O Heldensproß,
Ob meine Erben
Sich einst entzwein. |
***26 Angantyr:
| Dein soll es sein,
Besitz es lange!
Halt verhohlen
Hjalmars Mörder! |
|
Scheu die Schneiden,
Geschärft in Gift!
Der Tyrfing schlägt
Todeswunden.
***27
| Einen Sohn gewinnst du
Der soll einmal
Den Tyrfing tragen
Und traun der Kraft;
Heidrek wird ihn
Heißen das Volk,
Der stärkste erwächst er
Unterm Sternenzelt. |
***28
| Fahr wohl, Tochter!
Ich wollte dir geben
Zwölf Krieger Kraft —
Kannst du mir traun —,
Mut und Stärke,
Das stolze Gut,
Das einst zu eigen
Arngrims Söhnen. |
***29 Herwör :
| Ruhet alle —
Es reißt mich fort —
Heil im Hügel!
Von hinnen eil ich.
Zu weilen wähnt ich
Am Weltenrande,
Als mich umflammte
Des Feuers Glut. |
|
Thule-Bd.01-201 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
28. Das Innsteinlied
Helden norwegischer Abkunft sind in der Eddadichtung spärlich
vertreten, und meist haben sie, wie Fridthjof, die Art von
abenteuernden Wikingen. Auch unser Half aus dem Hardangerland
verlebt eine achtzehnjährige Wikingjugend, von der
die Saga einiges erzählt. Unsere Versdichtung aber handelt
von Verrat unter verwandten und von Heldentod, wie dergleichen
von einem der alten Heroen gesungen werden könnte. Als vorbild in vielen Einzelheiten und in der Anlage des
Hauptteiles verrät sich das Bjarkilied, o. Nr. 23. Freilich steht
der Isländer des 12., 13. Jahrhunderts hinter dem Dänen
des . gar weit zurück an epischer Einbildungskraft und
heroischem Feuer. Während Half Seekönig war, führte sein Stiefvater Asmund
die Herrschaft in Hardanger. Als Half mit seinen Recken heimkehrte
, zog ihm Asmund an den Hafen entgegen, schwur ihm
Treueide und lud ihn mit der Hälfte seiner Mannen zu sich
zum Gelage. Am andern Morgen machte sich Half fertig und befahl, daß
die halbe Mannschaft bei den Schiffen zurückbleibe. Da ergriff
Innstein das Wort, der tapferste der Kämpen:
***1
| Wir alle wollen
Landeinwärts ziehn,
Die besten Streiter,
Vom Bord der Schiffe,
Den Flammen weihn
Des Fürsten Schar
Und alle töten
Von Asmunds Heer. |
***2 Half:
| Mit meinem halben
Heere will ich
Friedlich steigen
vom Strand hinauf. |
|
Rote Ringe,
So reich wir wünschen,
Hat König Asmund
Uns geboten.
***3 Innstein :
| Wenig ahnst du
Asmunds Pläne:
Falschheit verbirgt
Der Fürst in der Brust:
Nimmer, König, —
Kann ich dir raten —
Schenk Vertrauen
Dem Schwager dein ! |
|
Thule-Bd.01-202 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***4 Half:
| Mit manchem Eid
Hat Asmund uns
Frieden gelobt;
Das Volk weiß es;
Untreue übt
Kein edler Fürst,
Noch überfällt er
Im Frieden uns. |
***5 Innstein
| Ingrimmig ist
Dir Odin worden,
Wenn du Asmund
Allzusehr traust;
Alle wird er
Uns verderben,
Schützest du dich
Vor Schaden nicht. |
***6 Half:
| Immer mußt du
Ängstlich reden;
Nicht wird der Fürst
Den Frieden brechen.
Er gibt uns Gold,
Glänzenden Schmuck
Und Silberringe
Aus seinen Schätzen. |
***7 Innstein:
| Half, ich träumte, —
Höre darauf! —
Feuer faßte
Unsre Gefährten;
Schlimme Gefahr
Schien zu drohen. |
|
Wie dünkt dich, Degen,
Zu deuten der Traum?
***8 Half:
| Goldroten Helm
Geb ich jedem
Der mutgen Krieger,
Der mit mir kommt;
Das ist zu sehn,
Als sengte Lohe
Des Hauptes Haar
Dem Heer des Fürsten |
***9 Innstein :
| Noch eins träumt ich
sum Andern Male:
Auf meinen Schultern
Schwelte Feuer;
Zweifel ist mir,
Ob das Zeichen gut!
Wie dünkt dich, Degen,
Zu deuten der Traum? |
***10 Half:
| An der Brust blinken
Brünnen von Gold
Den Kriegerreiben
In des Königs Schar;
Um die Schultern scheint
Schimmernder Glanz
Des Fürsten Freunden
Wie Feuers Glut. |
***11 Innstein:
| Dieses träumt ich
Zum dritten Male:
Tief in die See
Versänken wir; |
|
Thule-Bd.01-203 Edda Heldendichtung. |
Flip
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Ein mächtig Schicksal
Muß uns treffen!
Wie dünkt dich, Degen
Zu deuten der Trauma?
***z 2 Half:
| Genug ist nun
Narrheit geschwatzt; |
|
Nimmer soll mir
Solches geschehn.
Hör endlich auf,
vor meinem Ohr
Unglücksträume Aufzusagen! |
Da wandte sich König Half dem Lande zu. Innstein aber rief
***13
| Hört mich im Heer,
Hrok ihr beide!
Utstein als dritter,
Hör auch mein Wort!
Steigen wir alle
Vom Strand hinauf,
Folgen wir nicht
Des Fürsten Wunsch! |
***14 Utstein:
| Allein lenken
Laß des Königs
Ehrgeiz im Heer
Unsere Fahrt; |
|
Wie er es will,
Wagen wir, Bruder,
Unser Leben
Mit dem Edeling.
***15 Innstein:
| Der Fürst folgte
Auf unsern Fahrten
Gar manches Mal
Meinem Rate;
Nun mag nicht mehr
Auf meine Worte
Der Herrscher hören,
Seit bier wir weilen. |
|
Ursinn blieb mit der Hälfte der Schar bei den Schiffen, und
König Half zog mit der andern Hälfte hinauf zum Hofe König
Asmunds; dort war viel Volk versammelt. Beim Gelage war
alles reichlich, und der Trank war so stark, daß die Halfsrecken
fest einschliefen. König Asmund und sein Gefolge legten Feuer
an die Halle. Da erwachte Innstein und sprach:
***16
| Es qualmt um die Krieger
Im Königssaal;
Mir scheint, es träuft
Von den Schwertern Wachs |
|
Nun gilt es, Gold,
Glänzenden Schmuck
Und Helme zu spenden
Den Halfsrecken! |
Thule-Bd.01-204 Edda Heldendichtung. |
Flip
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***17
| Mein Herz begehrt,
Daß Half wache;
Kein kleiner Brand
Bricht um uns aus
Jetzt, Schatzspender,
Dem Schwager dein
Vergilt die Gaben,
Dem grimmgesinnten! |
***18
| Der Halle Giebel
Glücklich durchbrecht!
Zusammen finken
Die Säulen schon.
Ewig denkt man,
Bis die Erde sinkt,
Der Heerfahrt Halfs
sum Herzoge. |
|
***19
| Rasch nun eilet,
Rüstge Knaben,
Mit euerm Fürsten
Aus Feuers Glut!
Einmal endet
Aller Leben
Nicht scheut den Tod
Der Schatzspender. |
***20
| Geht wacker vor
Und weichet nicht!
Schwertkampf harret
Der Halfsrecken.
Blutge Wunden
Gewinnen soll,
Eh der Schlachtlärm schweigt,
Die Schar der Feinde. |
|
Sie sprengten die Giebelwand und brachen aus dem Feuer aus
Da rief Innstein: ***21 | Alle sah ich
Einem folgen
Mit gleicher Kühnheit,
Dem Königssohne.
Auf Wiedersehn,
Ihr Wandrer, drüben!
So leicht ist der Tod,
Wie das Leben war. |
Sie kämpften tapfer mit der Übermacht, bis König Half gefallen
war und all die Seinen; nur Innstein stand noch aufrecht;
er sprach:
***22
| Mit seinem Herrn
Ist Hrok gefallen, |
| | Der kühne, zu Füßen
Dem Volkskönig; |
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Thule-Bd.01-205 Edda Heldendichtung. |
Flip
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Übel muß ich
Odin danken,
Der Sieg versagte
Solchem Fürsten. ***23 | Ich diente ihm
Achtzehn Sommer,
Dem kühnen Herrscher,
Die Klinge rötend:
Will keinem andern
Kampffreudigen Fürsten folgen
Noch fürder leben. | ***24 | Hier muß Innstein
Zur Erde sinken,
Treu zu Häupten
Dem Heerkönig.
Das soll im Volk
Sage künden,
Daß lachend Half
Aus dem Leben schied |
Thule-Bd.01-206 Edda Heldendichtung. |
Flip
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29. Das Hroklied
Ein Rückblicksgedicht, am nächsten mit Nr. 24 zu vergleichen.
Nur verfügt unser Autor über keine ordentlichen Erzählmotive
, so daß er seine Zuflucht nimmt hier zu allgemeiner Beschaulichkeit,
dort zu trockener Namenhäufung. Am meisten
Eigenart haben Str. 7-10, die Satzungen, die sich diese ritterlichen
Seeräuber selber auflegten. Die Sprache bezeichnet so
ziemlich den Endpunkt der ausgewalzten Flachheit, die Mühe
hat, die Zeilen bis zu Ende mit Silben zu versorgen. Der Inhalt spinnt Nr. 28 weiter. Hrok der schwarze ist einer
der Halfsrecken, die schwerverwundet von der Walstatt entkommen
sind. Auf Rache sinnend, weilt er in der Fremde. Sein
Rückblick gilt dem teuren Gefolgsherrn Half, zumal dem Wikingtreiben
unter seiner Führung, und ergänzt so das Lied von
Halfs Tode. ***Als Hrok; Hamunds Sohn, unerkannt und ungeehrt bei König
Haki lebte, bewarb sich um dessen Tochter Brynhild ein König
namens Swein. Er wurde abgewiesen und drohte mit feindlichem
Überfall. Da versprach König Haki seine Tochter dem
Wifil, Sohne des Jarls Hedin, wenn er das Land vor Swein
schütze. Eines Tages, als die Frauen des Hofes in die Haselnüsse gegangen
waren, sah die Königstochter Brynhild einen stattlichen
Mann an einen Baum gelehnt stehn; es war Hrok der
schwarze; sie hörte ihn dieses Lied sprechen:
***1
| Sagen will nun
Der Sohn Hamunds,
von wem wir Brüder
Beide stammen:
Mein Vater war
Um vieles edler,
Der beherzte Held,
Als euer Haki. |
|
***2
| Keiner wollte
Wifil gleichen,
Auch nicht die Hüter
Von Hamunds vieh;
Dort schaut ich keinen
Schwnnehirten Unbeherzter
Als Hedins Erben. |
|
Thule-Bd.01-207 Edda Heldendichtung. |
Flip
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|
***3
| Weit schöner war
Mein Schicksal einst,
Als wir mit Half,
Dem hehren, zogen;
Wir folgten alle
Einem Ziele,
In allen Reichen
Raubten wir da. |
***4
| Kühne Streiter
Stießen zu uns,
Wo der mächtige Fürst
Den Mut erprobte;
In grauen Helmen
Griffen wir an,
Rasche Recken,
Der Reiche neun. |
***5
| Half sah ich hauen
Mit beiden Händen,
Des Schildes Schutz
Verschmähte der Fürst;
Ob fern man fahre,
Findet man niemand
Härter an Herz
Und Heldenmut |
***6
| Manche schmähen,
Die es schlecht wisen,
Halfs Tapferkeit
Sei Tollheit nur;
Nicht kennt den Herrn
von Halogaland, |
|
Wer seine Taten
Für Tobsucht hielt.
***7
| Es durfte den Tod
Kein Degen scheuen,
Noch irgend sprechen
Ein ängstlich Wort;
Keiner sollte
Dem König folgen,
Der sein Gesetz
Nicht sorglich hielt. |
***8
| Nicht klagen durften
Die Königsmannen,
Wenn schwerer Schlag
In der Schlacht sie traf,
Noch blutige Wunden
verbinden lassen,
Eh ganz ein Tag
Vergangen war. |
***9
| Der Fürst verbot,
Gefangne zu kränken,
Zur Schmach fremde
Frauen zu swingen;
Man mußte Mädchen
Um Mahlschatz kaufen,
Mit funkelndem Gold,
Nach des Vaters Rat. |
***10
| So viele Fechter
Trug keine Flotte,
Daß wir dem Feind
Entflohen wären, |
|
Thule-Bd.01-208 Edda Heldendichtung. |
Flip
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|
Ob unsre Schar
Viel schwächer war,
Daß ihrer elf
Auf einen kamen.
***11
| Wir hatten immer
Die Oberhand,
Wo der Schlachtlenker
Schilde zerhieb;
Nur einen weiß ich
Ebenso kühn:
König Sigurd
Im Saale Gjukis. |
***12
| viele Fechter
Trug unsre Flotte,
Die kühn und beherzt
Dem Herrscher folgten:
Bork und Brynjolf;
Bölwerk und Haki,
Egil und Erling,
Aslaks Söhne. |
***13
| Da waren mir
Wert vor allen
Hrok, mein Bruder,
Und Half, der König,
Star der starke,
Die beiden Stein,
Gierig nach Taten,
Die Gunnlödsöhne; |
***14
| Hring und Halfdan,
Helden beide,
Die Dänenführer,
Dag der weise, |
|
Stari und Steingrim,
Stuft und Gauti;
Kühnre Fechter
Findst du nirgends;
***15
| Wal und Hauk,
Auf Wikingsfahrt
Beide beherzt,
Des Herrschers Freunde:
Nicht einer ist
Ebenbürtig
Den Halfsrecken
In Hakis Reich. |
***16
| von diesen Degen
Dünkt ich keinem
Unwert zu sein
Der Ahnen mein;
Den schärfsten Helden
Hieß man mich dort,
Wo jeder sich wert
Erwies des andern. |
***17
| Das Banner trug Wemund,
Der wackere Streiter
Björn und Bersi
Dem Gebieter vor;
Trefflich scharte
Zur Schlacht das Heer,
So lang er lebte,
Der Landesherr. |
***18
| Nicht lang genug
Genoß sein Leben
Mit tapfern Taten
Der treffliche Held: |
|
Thule-Bd.01-209 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Er zog auf Heerfahrt
Zwölfjährig aus;
Mit dreißig Jahren
Der Degen fiel.
***19
| Nun genieß ich
Der Nächte viel
Wenig Schlummer,
Wache lange,
Seit mein Bruder
Brennen mußte
Lebend im Feuer
Mit des Fürsten Heer. |
***2o
| Der trübste Tag
Traf uns damals,
Dessen Menschen
Gedenken können;
Glück zu finden
Glaubten wir nie,
Die treuen Freunden
Nicht folgen konnten. |
***21
| Lindern würd es
Das Leid mir ganz,
Könnt ich rächen
Den Verrat an Half,
Könnt ich Asmund,
Des Edlings Mörder,
Die Brust durchbohren
Mit blinkendem Schwert |
***22
| Rache heisch ich
Für Half den kühnen. |
|
Weil sie den Fürsten
Im Frieden trogen
Des Königs Mord,
Der Mannen Tod,
Arges Unheil,
War Asmunds Werk
***23
| Dann wird es kund
Und erkennbar sein,
Kommen mit Swein
Im Kampf wir zusammen,
Wer auf der Walstatt
Sich wackrer zeigt,
Hakis Degen
Oder Hamunds Sohn. |
***24
| Das Sünd ich drum
Der klugen Maid,
Daß ich werben
Wollte um Brynhild,
Wenn ich wüste,
Ob gewillt sie sei,
Hrok zu minnen,
Hamunds Erben. |
***25
| Gewinnen wollt ich
Wackre Mannen,
Schnelle Kämpen,
Könnt ichs mit ihr;
Ich fand auf Erden
Nicht eine Maid
So hochbegabt
Wie Hakis Tochter. |
|
Thule-Bd.01-210 Edda Heldendichtung. |
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***26 | Es sieht mich hier
In Hakis Reich
Jeder Bube
Als Bastard an;
Wetter oben
Alle sitzen
Vom Hallenvolk
Als Halfs Recken. |
Thule-Bd.01-211 Edda Heldendichtung. |
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30. Hildibrands Sterbelied
Das Beachtenswerte an dem kurzen Rückblick ist Str. 4, der
Zug aus der deutschen Hildebrandsage: diese Klage des vaters
um den wider Willen erschlagenen Sohn stellt uns offenbar
den Schluß vor Augen, der dem altdeutschen Hildebrandliede
entrissen worden ist. Im übrigen hat dieser nordische Hildibrand mit dem deutschen
fast nur den Namen gemein; sein Verhängnis ist ein anderes,
es gipfelt in einem tragischen Bruderkampfe. Hildibrand und Asmund sind Söhne einer Mutter. Als 'Ungehörige
feindlicher Heere treffen sie zum ersten Male zusammen,
und Hildibrand, der wilde Haudegen, muß sich zum Zweikampfe
mit dem andern stellen, obwohl erden Bruder in ihm erkennt.
Beide führen sie wunderbare Schwerter, aber des ältern Klinge
zerschellt; tödlich getroffen, enthüllt er dem Sieger ihre Verwandtschaft.
. Einen isländischen Erzähler des 12. Jahrhunderts hai Hjalmars
Sterbelied (Nr. 26) angeregt, die Abschiedsworte des
Helden zu einigen wehmütigen Strophen aus ugestalten.
***1
| Dem Schicksalsschluß
Gar schwer entgeht,
Wer geboren ist
Zum Brudermörder:
Dich gebar Drot
In Dänemark,
Dieselbe Mutter
Mich in Schweden. |
***2
| Zwei der Schwerter
Geschmiedet waren,
Budlis Klingen;
Nun brach die eine |
|
Geschickte Zwerge
Schufen beide,
Wie vorher und nachher
Niemand es kann.
***3
| Zu Häupten steht mir
Zerhauen der Schild,
(Geziert mit Bildern
Und blinkendem Schmuck;)
Achtzig sind dort
Abgebildet,
Alle Fechter,
Die ich gefällt. |
|
Thule-Bd.01-212 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***4 | Dort liegt mir zu Häupten
Der liebe Sohn
Der einzige Erbe,
Der mein Eigen ward;
(Ich liebte ihn
Von allem Herzen,)
Wider Willen
Ward ich sein Mörder. | ***5 | Eine Bitte,
Bruder, hab ich,
Einen Wunsch nur;
Gewähr ihn mir!
Mit deinem Mantel
Bedecke mich,
Wie selten dem Toten
Der Sieger tut! | ***6 | (Leid nur bleibt uns,
Verlässt uns das Glück;
Doch niemand wendet
Der Norne Spruch.)
Lebens ledig
Lieg ich nun bald,
von wundgieriger
Waffe gefällt. |
Thule-Bd.01-213 Edda Heldendichtung. |
Flip
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31. Die Fridthjofstrophen
Die Erzählung von Fridthjof, ein echter Liebesroman, ist eine
Frucht des Hochmittelalters, und damals war es, auch auf Island,
, vorbei mit der alten Kunstform des erzählenden stabreimenden
Liedes. Dessen Erbe war die Saga; aber sie ließ noch
der gebundenen Rede Raum: man liebte es, gehobene Aussprüche
der Gestalten da und dort in Verse zu fassen. Die Fridthjofgeschichte
ist an solchen"Losen Strophen" besonders reich.
verschiedene Erzähler mögen sich um diesen Schmuck bemüht
haben: auch die hier folgenden, im schlichteren Eddastil gehaltenen
Gesätze sind ungleichen Wertes; neben dem rednerischen
Glanzstück Str. 21 stehen obenan die Meeresstrophen 2-8,
die aus Schiffernöten, Liebes sehnsucht und Trollenschreckbildern
ein überzeugendes Ganze weben. ***Fridthjof hat die Königstochter Ingibjörg, während ihre zwei
Brüder im Kriege waren, täglich besucht und Treueide mit ihr
getauscht. Eines Morgens, wie er nach ihrem Gehöft hinüberschaut
, erkennt er auf dem Dache das verabredete Zeichen, das
ihm die Rückkehr der Könige meldet. Er spricht: ***1 | Meinen Mannen
Will ichs melden:
Die Minnefahrten
Müssen enden;
Nicht schreiten mehr
Zum Schiff die Krieger,
Denn das Linnen
Liegt auf der Bleiche. | ***Die beiden Könige schicken Fridthjof nach den Orkaden, damit
er die Steuer für sie eintreibe. Mit siebzehn Begleitern besingt
er das gute Schiff Ellidi. Auf hoher See überfällt sie ein
gewaltiger Sturm: zwei Zauberinnen, von Ingibjörgs Brüdern
geworben, haben das Unwetter erregt. Während die
Wogen über Bord fegen, sprechen Fridthjof und sein Freund
Björn ihre Strophen.
Thule-Bd.01-214 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
***2 Fridthjof.
| Zu Framnes wars
Früher anders:
Ich ruderte oft
Zu Ingibjörg;
Im kalten Seesturm
Segle ich jetzt,
Frisch eilt vorwärts
Der Flutenrenner. |
***3
| Das Meer bricht herein;
Der Maid bringt Kummer
Bald mein Schlummer
Im Schwanenhügel —
Wasser nahm über
Nun Ellidi —,
Wo das Linnen
Lag auf der Bleiche. |
***4 Björn:
| Eine traute Maid
Zum Trunk uns entbeut,
Die lichte im Saal
Lädt uns zum Mahl;
Salzige Lauge
Läuft mir ins Auge,
Vom Anblick der schönen
Die Augen mir tränen. |
***5 Fridthjof:
| Auf gepolsterter Bank
Im Baldershag
Sang ich vieles
Der Fürstenmaid. |
|
Bald ruh ich bei Ran
Auf rauhem Bett,
Ein andrer aber
Bei Ingibjörg.
***6
| Fortriß mir vier
Gefährten das Meer,
Liebe Freunde,
Die leben sollten;
Doch Ran bietet
Den raschen Knaben,
Die sittenlose,
Sitz und Lager. |
***7
| Zauberinnen seh ich
Zwei auf der Flut,
Helgi hat sie
Hierher gesandt;
Mitten entzwei
Muß ihnen schneiden
Den Leib Ellidi,
Solang sie noch schwimmt! |
***8
| Heil, Ellidi!
Eile durchs Meer,
Die Zähne zerbrich
Den Zauberinnen!
Kinn und Kiefer
Zerkrachen sollen,
Beide Beine,
Den bösen Heren! |
|
Thule-Bd.01-215 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Endlich legte sich der Sturm, sie ruderten der Küste zu und
schaffen sich ans Land. Fridthjof sprach:
***9
| Acht Freunde trug ich
Zur Feuerstatt,
Schiffer, geschwächt
vom Schneegestöber;
Zum Sande kam
Mein Segel nun;
Des Meeres Macht
Nicht mild sich wies! |
|
***10
| Tapfre dürfen
Tod nicht scheuen;
Seid alle froh,
Gefährten mein!
Trügt nicht der Traum,
So trifft es ein:
Mein Eigen wird
Noch Ingibjörg. |
|
In der Nähe lag das Gehöft des Orkadenjarls. Er saß beim
Gelage, und wie es bei ihm Brauch war, mußte einer der
Mannen, Hallward, draußen vor der Dachluke Ausschau halten,
während eine Magd ihm das gefüllte Trinkhorn hinausreichte.
Hallward sprach:
***11
| Nicht ist der Giebel
Gut als Trinkplatz
Dem Westlandswiking
Wie der weite Saal!
Doch beherzter sind,
Die den Hengst der Wogen
Schöpfen, die Schiffer,
Im Schneegestöber. |
|
***12
| Sechs seh ich schöpfen
Und sieben rudern,
Schiffer, geschwächt
vom Schneegestöber;
Ein Streitkühner
Am Steven sitzt,
Fridihjof, der kräftig
Vorwärts rudert. |
|
Er warf das Trinkhorn durch die Luke hinein und rief der
Magd zu: ***13 | Heb vom Boden
Das Horn nun auf,
Leichtschreitende! Geleert hab ichs.
Männer seh ich,
Seesturmmatte,
Dem Hafen nahn,
Die Hilfe brauchen. |
Thule-Bd.01-216 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Da befahl der Jarl, die Männer gut aufzunehmen, wenn es
Fridthjof sei, der Sohn seines Freundes Thorstein. Einer der
Mannen aber ein trotziger Wiking, wollte erproben, ob Fridthjof
sein Gelübde halte und niemand um Frieden bitte; er ging
selbzehnzt auf die Fremden zu und forderte Fridthjof heraus.
Der erwiderte: ***14 | Nicht sollt ihr uns
Überwinden, Unbeherzte
Eilandsmannen!
Ehe ich euch
Angeh um Frieden,
Fecht ich einer
Mit allen zehn. |
Aber der Jarl ließ ihnen Willkomm bieten und begrüßte sie
ehrenvoll in der Halle. Björn, nach ihrer Fahrt befragt, sprach
die Verse: ***15 | Wir schöpften —doch über kam
Eiskalte See —
Eisig an Bord,
Achtzehn Tage;
Ein Heldenstück wars
Beherzter Mannen,
Als wir fuhren
Auf Fridthjofs Schiff. |
Als Fridtbjof nach der Heimat zurückkam, fand er seinen Hof
verbrannt; das war das Werk der beiden Könige. Er sprach: ***16 | Früher tranken
Zu Framnes wir,
Kühne Männer,
Mit meinem Vater: |
Thule-Bd.01-217 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
verheert seh ich jetzt
Den Hof vom Feuer;
Ahnden muß ichs
An den Edlingen! Dann ruderte er mit seinen Mannen zum Königsgehöft hinüber
Er sprach zu ihnen ***17 | Allein steig ich
Vom Strand hinauf,
Brauch kein Geleit
Zum Königssaale;
Werfet Feuer
In der Fürsten Hof,
Kehr ich abends
Zu euch nicht heim! |
Fridthjof trat vor die beiden Könige, hob den Beutel mit Silber
in die Höhe und schlug ihn dem Helgi an die Nase, daß ihm
zwei Zähne herausflögen : ***18 | Da hast du den Schoß,
Heldenkönig,
Vorn in den Zähnen;
Zufrieden sei nun!
Silber des Beutels
Boden bedeckt,
Das wir, Björn und ich,
Beide holten. |
Damit eilte er hinaus zum Schiff, und sie stießen ab. König
Helgi wollte ihm einen Pfeil nachschießen; er spannte den Bogen
so heftig, daß der zersprang. Da warf sich Fridthjof in die
Ruder und sprach : ***10 | Ich küßte die junge
Königstochter, Betis Tochter,
Im Baldershag. |
Thule-Bd.01-218 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
So mögen die Ruder
In meiner Hand
Beide brechen
Wie der Bogen Helgis. So entkamen sie der Verfolgung. Die Königstochter Ingibjörg war an Hring, den greisen Schwedenkönig,
vermählt worden. Fridthjof aber legte sich aufs Wikingleben,
bis er dessen müde war und sich von dem Freunde
Björn trennte mit den Worten: ***20 | Nicht mein Eigen
Wird Ingibjörg,
Betis Tochter,
Im Baldershag;
Doch hin geh ich,
Hring zu treffen,
Wie auch der Fürst
Den Fremdling aufnimmt. |
In schlechter Kleidung, als alter Salzbrenner, betrat Fridthjof
die Königshalle. Hring saß neben Ingibjörg. Er bemerkte den
Fremden, rief ihn vor sich und Sagte ihn nach seinem Namen.
Fridthjof antwortete: ***21 | Da hieß ich Frieddieb,
Als ich fuhr mit Wikingen,
Doch Heerdieb,
Als ich Harm den Frauen schuf, |
Thule-Bd.01-219 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
|
Speerdieb,
Als ich Spieße schleuderte,
Kampfdieb,
Als ich Kriegsscharen angriff,
Holmdieb,
Als ich heerte auf Eilanden,
Heldieb,
Als ich Kinder hinstreckte,
Waldieb,
Als ich das Wehrvolk führte.
Dann gesellte ich mich
Zu Salzbrennern,
Hilfsbedürftig,
Bis her ich kam. Nachdem Fridthjof ein Jahr lang bei Hring gelebt hat, will er
zu seinen Kriegsgefährten zurück. Er tritt vor das Königspaar,
reicht der Jngibjörg seinen kostbaren Ring, und auf des
Königs Bitte, er möge zum Schutze des Reiches dableiben,
antwortet er: ***22 | Lebe, König,
Lange und heil,
Edelster Fürst
Unter Ymirs Schädel!
Bewache wohl
Weib und Lande!
Ewig meid ich
Nun Ingibjörg. | ***23 Hring: | Fahr von hinnen,
Fridthjof, nicht so,
Trefflichster Held,
Trüben Sinnes! |
Thule-Bd.01-220 Edda Heldendichtung. |
Flip
|
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Deine Gaben
Vergelten will ich,
Reicher als du,
Recke, es ahnst. ***24 | Ich geb dir die Frau,
Fridthjof, du kühner;
Alle Habe
Nimm hin mit ihr!
Fridthjof:
Deine Gaben
Begehr ich nicht eher,
Als bis du, König,
An Krankheit starbst. |
|
|