INHALT
Der St. Galler Spielmann . 7
Der heilige Gallus 12
Die Klausnerin Wiborada 19
Salve Regina 23
Die erste Messe 26
Die Kienberger Kette 29
Die Weissagung vom Breitfeld 32
Verschwundene Siedlungen 34
Der Sturz der Ramswag 36
Das goldene Kegelspiel 42
Der unglaubliche Schuß 45
Der böse Geist auf St. Annaschloß 48
Das Gespenst von Abtwil 50
Abtwiler Waldgeister 52
Die Sage vom Drachenloch 55
Die Sage von der Holz-Nann 57
Von Hexen und Hexengeschichten 60
Das nächtliche Fest 64
Das Zwergenwunder 67
Die gefährlichen Hunde 70
Von den feurigen Geistern 73
Von den Selbstmördern 77
Die Poltergeister 82
Der Mötteli von Rappenstein 86
Der Teufel im Kübel 89
Der Hasenholzgeiger 92


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St. Galler Sagen

Sagen aus der Stadt St. Gallen und ihrer Umgebung


Neu erzählt von

DINO LARESE

Friedrich Reinhardt Verlag, Basel



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Umschlaggestaltung: Fred Müller

Printed in Switzerland

Druck und Einband: Friedrich Reinhardt AG, Basel

1967 by Friedrich Reinhardt Verlag, BaseI



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DER ST. GALLER SPIELMANN

Vom berühmten Arzt Paracelsus berichtete man allerlei Wunderbares, was er an Heilungen vollbrachte; aber die merkwürdigste Geschichte ist doch in St. Gallen geschehen, die ihn weitherum in den Ruf eines großen Zauberers brachte.

Es war ein fröhlicher Spielmann, Steucheler geheißen, der diese Geschichte allen erzählte. Ob man sie ihm glauben wolle oder nicht, sagte er; er habe wirklich selber alles am eigenen Leibe erlebt, sagte er; denn er habe den Theophrastus vielmals gesehen, wenn er nach St. Gallen zu seinem Freunde Schobinger kam; er habe ihn gut gekannt, sagte er, und immer etwas mit ihm geplaudert, wenn er ihm in einer Gasse begegnete.

Das erzählenswerte Ereignis aber geschah an jenem Tag, da die Gesandten der hochwohilöblichen Orte an ihrer Tagsatzung in Baden sich zu einem Bankett im Herrengarten versammelt hatten; denn zufälligerweise schlenderte zu dieser Stunde der Steucheler, wie immer gutgelaunt, durch die Gassen der Stadt und kam zum Multertor, wo er Paracelsus



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im Kreise vornehmer St. Galler Herren im Gespräch beisammen traf. Wahrscheinlich sprach man, wie es unter Männern Brauch ist, von den politischen Fragen der Zeit und natürlich von der Tagsatzung, und unser Steucheler, neugierig und ungeniert wie immer, mischte sich keck ins Gespräch und sagte: «Heute sollte man in Baden sein, wo die Herren Gesandten bei gutem Essen und Trinken sind, da wollte ich ihnen wohl etwas aufspielen und mir ein rechtes Trinkgeld verdienen. »

«Das sollte doch möglich sein», lächelte Paracelsus.

Der Steucheler riß die Augen auf: «Möglich? Baden ist zwanzig Stunden weit weg. »

Paracelsus zwinkerte mit den gescheiten Augen und lächelte: «Steucheler, geh jetzt heim, zieh das Sonntagsgewand an und komm mit der Flöte schnellstens zurück, ein Pferd wird dann hier sein, das dich so schnell nach Baden bringen wird, daß du den Herren noch zeitig genug aufspielen kannst. »

Sollte er den Worten des Paracelsus Glauben schenken? War es nur ein Spaß? Gut, dann wollte er kein Spielverderber sein, und mit übermütigen Sprüngen eilte er heim.

Nach kurzer Zeit erschien er wieder, sonntäglich aufgeputzt, mit unternehmungslustigem Gesicht, er hatte sich noch drei Federn



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auf den Hut gesteckt: «So, Herr Doktor, da bin ich, aber wo ist Ihr berühmtes Pferd? »

«Dort vor dem Tor steht es gesattelt und gezäumt, sitz auf», sprach Paracelsus, «aber halt dich fest, und, vor allem, sprich kein einziges Wort und stoß auch nie einen Schrei aus, sonst könntest du dir den Hals brechen. Und nun gute Reise, Steucheler. »

Natürlich begab sich der Steucheler voller Spannung vor das Tor, und dort erblickte er wirklich im Schatten das angekündigte Pferd; es war ein prächtiger Schimmel.

Der Steucheler, nicht faul, voller Unternehmungslust, band das Pferd los, setzte sich in den Sattel, und fast hätte er das Wort des großen Arztes vergessen und vor Schrecken einen Schrei ausgestoßen; denn das Pferd trabte nicht, wie er angenommen hatte, auf der Straße fort, sondern erhob sich wie ein Vogel in die Lüfte und sauste wie ein Wolkenschiff über die Stadt weg, so daß er in der Eile ihre Türme kaum noch erkennen konnte. Der Steucheler hielt sich krampfhaft am Hals des Pferdes fest, aber dann wagte er doch langsam und vorsichtig in die Tiefe zu schauen. Er sah Wälder, Auen, Flüsse und Seen und manchmal eine städtische Siedlung, und mit der Zeit schien ihm der Flug gar gut zu gefallen. Am liebsten hätte er sogar einen Jauchzer hinausgestoßen,



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aber im letzten Augenblick dachte er an die Mahnung des Paracelsus, schwieg und jauchzte mit den Augen und dem Herzen. Er war fast enttäuscht, als sich das Pferd plötzlich in die Tiefe gleiten ließ und ihm die Häuser einer kleinen Stadt entgegenkamen - der Flug hatte kaum zwanzig Minuten gedauert -, da landete das Pferd an der Schloßhalde zu Baden. Der Steucheler stieg vom Pferd, wischte sich den kleinen Angstschweiß von der Stirne und blickte jetzt doch etwas bedenklich auf das seltsame Pferd, das etwas mit den Vorderfüßen scharrte und dann wie vom Erdboden verschwunden war. Kopfschüttelnd, als hätte er in des Teufels Küche gesehen, begab er sich in den Herrengarten, wo die Gäste versammelt waren, trat auf die Bühne unter die Musikanten und spielte nun so vergnügt und selig, als stände er in St. Gallen auf dem Multerplatz, daß sich alle an seinem Spiel ergötzten. Plötzlich erblickte ihn der St. Galler Standesherr, rieb sich verwundert die Augen, trat zur Bühne und rief hinauf: «Steucheler, Steucheler, bist du's oder bist du's nicht? Welcher Teufel hat dich hergetragen? »

«O ja, Junker, ich bin es wohl», sagte der Steucheler, «und ich bin auch auf dem leibhaftigen Teufel geritten, so wahr mir Gott helfe. »



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Er setzte sich mit dem Gesandten an den Tisch und erzählte ihm sein seltsames Abenteuer. «

So einen Schimmel reite ich meiner Lebtage nicht mehr», sagte er, «wenn es auch schön war, die Welt von oben zu besehen. »

Nicht nur vom Gesandten bekam er klingende Münze, wenn auch manche an seiner Geschichte zweifelten; denn keiner hatte es ja gesehen, wie er hergeflogen war; aber wenn der Theophrastus dahinterstand, mußte doch etwas an der Sache sein; denn der Mann konnte doch, bei Gott, einiges mehr als andere Leute, was in vielen Belangen ja auch stimmte; aber die Geschichte vom Steucheler ging doch in den Sagenschatz von St. Gallen als kleine fröhliche Weise ein, die bis in den heutigen Tag freundlich herüberklingt.



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DER HEILIGE GALLUS

Die Legenden um den heiligen Gallus geben der Landschaft von St. Gallen einen hellen Klang. Wir haben gehört, wie er in den Thurgau gekommen war und dort am See, wie die Sage berichtet, den schweren Kampf mit dem Bären bestand. Eine schwere Krankheit verhinderte es, daß er mit seinen Brüdern weiterwandern konnte; er blieb in unserm Land, und als er von der Krankheit genesen war, sagte er eines Morgens zum Diakon Hiltibold, der das Land genau kannte: «Ich möchte in dieser Gegend ein Bethaus und eine Wohnung für mich bauen, wo ich in der Einsamkeit Gott dienen kann. Kannst du mir einen Ort zeigen, der sich dazu eignet? » Der Diakon schüttelte einige Male den Kopf, als wäre ihm eine schwierige Aufgabe aufgetragen worden, und er sagte dann in der Sprache der alten Legende: «Mein Vater, rauh und voll starker Gewässer ist diese Wildnis. Hohe Berge und enge Täler hat sie in Menge und mancherlei Getier, sehr viele Bären, Wölfe und Wildschweine. Ich fürchte, sie möchten über dich herfallen, wenn ich dich dorthin geleite. » Gallus aber antwortete:



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«Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? » Als der Diakon merkte, daß Gallus entschlossen war in die Wildnis zu gehen, sagte er: «Wir wollen morgen in die Wälder gehen, vielleicht finden wir die taugliche Stelle. » Der Heilige betete und nahm keine Nahrung zu sich. In der Morgenfrühe, als die Nebel noch den See einhüllten, machten sich die beiden Gefährten auf den Weg und wanderten stundenlang durch die dichten, dunklen Wälder, die noch von keines Menschen Fuß betreten worden waren. Im Laufe des Vormittags fragte der Diakon, ob sie nichts aus den mitgebrachten Vorräten essen wollten; aber der Heilige sagte, bevor er nicht den Platz für seine Wohnung gefunden habe, wolle er nichts zu sich nehmen. Sie schritten weiter, bald hörten sie das Rauschen eines Wassers; als sie näher kamen, es dunkelte schon langsam, erblickten sie das Flüßchen Steinach, das über die Felsen in eine Mulde hinunterstürzte; es war das Mühletobel; im Wasser aber erspähten sie viele Fische. Da beschlossen sie, die Nacht an dieser Stelle zu verbringen. Mit einem Netz fing der Diakon einige Fische, er suchte Holz und richtete ein Feuer, um die Fische zu braten. Währenddem ging der Heilige in die Stille, abseits, um zu beten. Dabei strauchelte er über die Wurzeln eines Dornbusches und fiel zu


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Boden. Der Diakon sprang herbei und wollte ihm behilflich sein, aber der Heilige sprach in der Sprache des Psalmisten: «Hier soll für immer meine Ruhestatt sein, hier will ich bleiben, das ist der auserwählte Ort. » Er kniete nieder und betete lange. Dann brach er einige Haselruten, focht aus ihnen ein Kreuz, das er in die Erde steckte. An dieses schlichte Kreuz hängte er eine Kapsel, in der er einige Reliquien aufbewahrt hatte. Auch der Diakon kniete jetzt nieder, und die beiden Männer beteten inbrünstig. Der heilige Gallus aber flehte, so heißt es in der Legende: «Herr Jesu Christ, der du durch das Siegeszeichen des Kreuzes dem Menschengeschlecht Heil und Hilfe gebracht hast, gib, daß diese Gegend zu deinem Lob und Preis bewohnbar sei. » Dann setzten sich die Männer ans Feuer und verzehrten ihr Fischgericht.

In dieser Nacht geschah aber das große Wunder, an das das Wappen der Stadt St. Gallen jeden erinnert. Die Männer legten sich zur Ruhe nieder. Der Heilige aber fand keinen Schlaf, er kniete vor seinem Kreuz und betete. Der Diakon setzte sich ans Feuer, stocherte in den Gluten oder legte wieder etwas Holz hinein. Da erschrak er plötzlich furchtbar. Es knackte im Unterholz, als wälzte sich ein Ungetüm heran. Und aus dem Dunkel brach ein



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Bär hervor, der sich ans Feuer begab, herumschnüffelte und dann die Reste der Mahlzeit verschlang. Der Diakon konnte sich vor Angst kaum mehr bewegen, aber dann sah er mit Staunen, wie Gallus aufstand, unerschrocken vor den Bären trat und zu ihm sagte: «Im Namen Christi, nimm Holz und wirf es ins Feuer. » Und es war kaum zu glauben, der Bär drehte sich um, verschwand im Wald und erschien nach kurzer Zeit wieder, auf den Hinterbeinen gehend, und trug einen schweren Holzklotz herbei, den er behutsam ins Feuer legte. Der Heilige hielt ihm ein Stück Brot hin, das der Bär, wie es in der Legende steht, behaglich brummend verzehrte. Dann zeigte der Heilige mit der Hand das Mühletobel hinauf und befahl: «Und nun weiche aus diesem Tal. In der Wildnis der Berge magst du leben, in diesem Tal darfst du keinem Menschen und keinem Tier mehr etwas antun. » Der Bär, als verstände er die Sprache des Heiligen, stutzte einige Augenblicke, dann kehrte er sich um und trabte das Mühletobel hinauf und kam nicht wieder. Der Diakon, von diesem Wunder angerührt, stand auf und kniete vor den Heiligen und rief mit erregter Stimme: «Jetzt weiß ich, daß der Herr mit dir ist; denn die wilden Bären gehorchen dir!» Der Heilige nahm ihn an der Hand und sagte schlicht:


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«Ich will nicht, daß du vor mir kniest, sage auch keinem Menschen etwas von dem, was du gesehen hast. »

Am andern Morgen wurde der Diakon von einem neuen Wunder ergriffen. Er ging an den Wasserstrudel, um mit seinem Netze wieder einige Fische zu fangen. Da tauchten plötzlich aus dem Gestrüpp zwei verwegene Frauengestalten hervor; es waren niemand anders als die Geister des Mühletobels; sie warfen Steine gegen den Diakon, schmähten ihn und riefen: «Warum hast du diesen Menschen hierhergeführt? » Dabei höhnten sie, schrien Unflätiges, daß der Diakon zutiefst erschrak und zitternd zum Heiligen sprang und ihm alles mit zagen Worten berichtete. Der Heilige sprach ein langes Gebet, dann schritt er entschlossen zum Wasserstrudel, vom ängstlichen Diakon gefolgt. Dort rief er laut, das Rauschen des Wassers mit seiner mächtigen Stimme übertönend: «Gespenster, im Namen des dreieinigen Gottes befehle ich euch, diesen Ort für alle Zeiten zu verlassen. » Da hob ein Klagen und Heulen an, wie es der Diakon noch nie so schrecklich vernommen hatte, aber es verklang langsam im Dunkel des Waldes. Einige Zeit später, als der Diakon allein im Walde umherstreifte, rief eine Stimme vom Berg herab: «Ist Gallus noch da? » Der Diakon konnte niemanden erkennen,



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da rief er mutig und laut in die Wildnis hinein: «Ja, er ist da und bleibt da. » Er hörte jetzt ein Knurren und Winseln, aber dann verstummte der Lärm, nur die Wasser rauschten in die Stille hinein.

Eine andere Legende berichtet von den gesegneten Wassern, die aus den Brunnen fließen, in deren Nähe der Heilige gerastet hatte. Er kam auf seiner Wanderung durch den Arboner Forst zu einer Quelle in der Nähe von Mörschwil, wo er sich am Wasser erlabte. Auch an der Straße von St. Margrethen nach Rheineck rauscht ein Brunnen, aus dem der Heilige getrunken hatte. Namentlich die Fuhrleute tränkten ihre Pferde an diesen Brunnen, weil das Wasser den Tieren besonders bekömmlich war. Zum Gedächtnis an den Heiligen nannte man sie Gallenbrunnen. Da und dort steht noch ein Kreuz oder ein Bildstock im Land, das an den großen Heiligen erinnert. Als die Brüder vom Hinschied des Heiligen in Arbon vernommen hatten, eilten sie zum See hinunter, um seinen Leichnam ins Steinachtal heimzuholen. Dabei begegnete ihnen ein Leichenzug. An dieser Stelle wurde ein Kreuz errichtet, es ist das Kreuz zu Hofen. Menschen siedelten sich hier an und nannten sich «von Hofen ». Das Geschlecht ist ausgestorben, aber die Gedenkstätte beim Weiler Kappel zeugt



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über alle Zeiten hinaus vom großen Heiligen, der wie ein ewiges Licht durch das Dunkel der Sagen leuchtet.


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DIE KLAUSNERIN WIBORADA

Die Geschichte vom Spielmann Steucheler ist wie das Lied der Lebensfreude und des Unternehmertums in der Stadt St. Gallen; in den Legenden von der heiligen Märtyrin Wiborada widerspiegelt sich gleichsam das geistige und humane Wesen der Stadt. Die Schutzheilige St. Gallens, die Wohltäterin ihrer Heimat, nennt sie Johannes Duft. Sie stammte, so wird vermutet, aus dem thurgauischen Geschlechte von Altenklingen. Bischof Salomon brachte sie nach St. Gallen. Auf der Höhe von St. Georgen neben der Kirche des heiligen Georg wurde für die Heilige ein kleines Haus erbaut, aber sie suchte es selten auf, Tag und Nacht weilte sie betend und wachend in der Kirche. Ihr Körper zerfiel, aber ihr Geist leuchtete durch das Dunkel der Zeit. Um Gott und seiner Liebe näher zu sein, um dem Irdischen noch mehr entsagen zu können, ließ sie sich vier Jahre später in eine Klause einschließen, die an der nordöstlichen Ecke der von Salomon erbauten St. Magnus-Kirche sich befand. Die Klause hatte keine Türe, nur durch ein Fensterchen konnte die Klausnerin mit der Außenwelt



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verkehren. Sie kleidete sich in ein aus Tierhaaren geflochtenes, rauhes Gewand, statt einem Gürtel trug sie eine eiserne Bußkette auf dem Leibe. Sie diente nun Gott durch Entsagung, Verzicht und letzte Hingabe. Ihr erleuchteter Geist spendete Trost und Rat für das ganze Land, und ihr Name «Wiborada », «Wiber-Rat », bekam eine besondere Bedeutung. Mit ihrem Opfertod gab sie ein herrliches Beispiel christlicher Frömmigkeit, sie rettete damit nicht nur die Menschen, sondern auch das Kloster und seine einzigartigen Bücherschätze vor den hereinbrechenden Ungarn. Der St. Galler Mönch Hartmann berichtet, daß sie den Einbruch der Ungarn und ihren Märtyrertod vorausgeahnt habe. Sie sah in ihrem Traumgesicht die wilden Horden, die ungefähr ein Jahr später wirklich bis nach St. Gallen vorstießen und auf ihrem Wege alles verwüsteten, brandschatzten, wo nur ein Haus stand, viele Menschen erschlugen und Angst und Schrecken verbreiteten. Als am Bodensee die Feuer schon von weitem ihr Nahen ankündigten, baute Abt Engilbert in der Nähe des Klosters eine kleine Festung, in die sich die Mönche zurückzogen. Man wollte auch die Klausnerin in diese Zufluchtstätte führen, aber sie weigerte sich; als der Abt sie unter Tränen bat, sich zu retten vor den herannahenden


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Heiden, sagte sie: «Warum, ehrwürdiger Vater, bereitest du mir solche Traurigkeit? Warum willst du die letzte kleine Spanne meiner Drangsal vor der Erfüllung hindern? Wenn der Herr mein Helfer ist, so kann mein fester Entschluß nicht wanken, ich werde diese kleine Klause, die mir Gottes Güte gegeben hat, lebendigen Leibes nicht verlassen. » Sie gab ihm noch manchen guten Rat, alsdann blieb sie allein in ihrer Klause. Es dauerte nicht lange, da sprengten die Ungarn heran. Ein rasender Kerl legte Feuer, sie wollten die Klause verbrennen, aber Gottes Wille erstickte den Brand. Als die Ungarn keinen Zugang zur Klause finden konnten, stiegen sie aufs Dach, rissen es auf und drangen in die heilige Stätte. Wiborada kniete vor ihrem kleinen Altar; die heidnischen Kerle zerrten ihr die Kleider vom Leibe, hie ben mit ihren Beilen auf sie ein und ließen die halbtote Jungfrau liegen. Hartmann erzählt: Das Blut floß in Strömen und überflutete ihr Bußgewand. Sogar die Mauer ihrer Zelle wurde mit Blutspritzern übergossen und blieb so während langer Zeit allen Besuchern ein Zeugnis für das Martyrium der heiligen Jungfrau. Auf keine Art, selbst nicht durch unvermischten Kalk, den man häufig darüber tünchte, konnte das Blut getilgt oder verdeckt werden.


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Als die Ungarn abgezogen waren und die Mönche zurückkehrten, fanden sie die tote Märtyrin. Sie verrichteten ihre Totengebete und legten die Klausnerin in das Grab zu Sankt Mangen. Viele Wunder geschahen an dieser Stätte, und Hartmann erzählt, daß eines Nachts eine treue Dienerin an ihr Grab gehen wollte, um zu beten. Da sah sie im Innern ein strahlend helles Licht, das alles taghell erleuchtete. Die Dienerin wagte nicht weiterzugehen, kniete nieder und betete inbrünstig und lobte den Herrn.

Papst Clemens II. aber, so berichtet Johannes Duft, reihte sie in das Verzeichnis der Heiligen ein, sie war die erste Heilige in den deutschen Landen.



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SALVE REGINA

Die Burg Wilberg bei Wil ist schon längst verschwunden, nicht einmal ein Stein zeigt den Ort, wo sie gestanden war, und auch die Erinnerung an die Bewohner der Burg wäre aus dem Gedächtnis ausgelöscht, wenn nicht C. G. J. Sailer diese stille schöne Legende in seiner Chronik aufgezeichnet hätte.

Als Ritter Hans von Wilberg, ein furchtloser Kämpfer, sich bereitmachte, um in der Schlacht von Näfels mitzustreiten, bat ihn seine einzige Tochter Gutta, von bangen Ahnungen erfüllt, mit bewegten Worten, diesmal auf den Kampf zu verzichten und zu Hause zu bleiben. Aber der Ritter hätte sich einen Feigling gescholten, wenn er dem Weinen einer Frau nachgegeben hätte. Er nahm Abschied und zog guten Mutes ins Glarnerland, seine Tochter in Unruhe, Sorge und Angst um den geliebten Vater zurücklassend. Jeden Abend nun, wenn die Glocke in der Kirche von Wil geläutet wurde, betete Gutta zur Himmelskönigin und erflehte Schutz und glückliche Heimkehr für ihren Vater.

Eines Abends geschah das Denkwürdige,



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daß die Glocke von selber zu läuten begann. Der Küster blickte verwundert und auch angstvoll zum Glockenturm hinauf; oben im Schloß aber sprang plötzlich das Tor auf, der Ritter sprengte wie eine Erscheinung hinein, totenbleich und mit einer klaffenden Wunde; er sagte kein Wort, hielt nur die Hand segnend über das Haupt der Tochter und verschwand dann wieder wie ein böser Traum. Da wußte Gutta, daß ihre Ahnung sie nicht betrogen hatte und ihr unglücklicher Vater in der Schlacht gefallen war.

Sie ging in ihrem Leide hin und vermachte ihr ganzes Besitztum der Kirche Wil. Als einzige Bedingung verlangte sie, daß jeden Abend um sechs Uhr die Glocke geläutet und ein Salve Regina zum Gedächtnis an ihren Vater gesungen werde. Das wurde auch durch viele Jahre treulich gehalten. Der Küster läutete jeweils die Glocken so lange, bis die schwergeprüfte Tochter die Kirche betrat. Dann schwieg das Geläute, und das Salve Regina wurde mit Inbrunst gesungen. Eines Abends aber läutete der Küster vergebens lange über die gewohnte Zeit hinaus, das Schloßfräulein erschien nicht in der Kirche. Es war zur gleichen Stunde gestorben, und die Salveglocke war, wie es in der Legende heißt, zu seinem Sterbeglöcklein geworden. Die Legende aber



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von der frommen Gutta klingt wie ein seliger Glockenton zeitlos aus den vergilbten Blättern des Wiler Chronisten.


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DIE ERSTE MESSE

Vor vielen Jahren konnte man noch in der Peterskirche zu Wil den Grabstein über der Gruft des Ritters Ulrich Muntprat sehen; bei der Erweiterung der Kirche wurde der Gedenkstein aber weggeräumt, und so ist nur noch in der Sage das seltsame Geschehnis lebendig, das ums Jahr 1466 die Menschen zutiefst erregte und beschäftigte. Ritter Ulrich war nämlich mit Kunigunde, der Schenkin von Landegg, verlobt gewesen, ließ sie aber mit ihrem unehelichen Sohn treulos sitzen. In ihrer Herzensnot und Verlassenheit stiftete sie in Wil eine Kaplanei, die ihr Sohn, der sich dem geistlichen Stande weihte, als erster Priester versah.

Es kam nun der hohe Tag heran, da er in der Peterskirche seine erste Messe lesen sollte. Viel Volk war gekommen, Erwartung und gläubige Hingabe auf den Gesichtern; zuvorderst in der Kirche saß seine Mutter, die mit Freude und Stolz den feierlichen Handlungen ihres Sohnes folgte, aber in diesen Augenblicken wohl auch an die vielen Leidensstunden dachte, da sie als verlassene Braut Unehre und Schande erlitten hatte. Der Sohn aber wandte sich mit inniger



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Bitte an Gott, er möge ihm doch in dieser Stunde diesen einzigen Wunsch erfüllen und seiner Mutter jene Frauenehre wiedergeben, die sie schuldlos verloren hatte.

Da erschütterte ein Beben die Kirche, und die Menschen sahen mit Entsetzen und ungläubigem Staunen, wie der Grabstein über der Gruft des Ritters Ulrich Muntprat wie von unsichtbarer Hand weggeschoben wurde; aus der Gruft aber stieg der Ritter, trat vor seine einstige Braut und reichte ihr die Hand. Es war, als ginge ein Zittern durch alle Herzen, als die beiden Menschen vor den jungen Priester hinknieten, der den Ehebund seiner Eltern mit strahlenden Augen segnete. Leise läuteten die Glocken, als hätte ein Engel daran gerührt. Ritter Muntprat führte seine Frau an ihren Platz zurück, neigte das Haupt, und es war, als schritte er nun leichter, wie von einer schweren Last befreit, zurück zu seiner Gruft.

Als die Messe zu Ende ging, saß die Braut tot in ihrem Stuhl, das späte Glück war zuviel für ihr Herz gewesen, aber über dem leidgezeichneten Gesicht lag ein überirdischer Glanz.

Man trug die tote Frau in die offengebliebene Gruft ihres Mannes Ulrich Muntprat, dann legte sich der Stein wie von selbst wieder, so erzählt die Sage, über die Gruft, die Leute aber gingen bewegt nach Hause und



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sprachen vom Wunder in der Peterskirche und von der Güte Gottes und priesen seine Allmacht und seine Herrlichkeit.


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DIE KIENBERGER KETTE

Als Hauptmann Kienberger nach jahrelanger Abwesenheit in seine Vaterstadt Wil zurückkehrte, erwartete ihn eine begeisterte Bürgerschaft; denn der gute Ruf, den er sich im Kriege gegen die Türken erworben hatte, und die Gerüchte über die Auszeichnungen der Stadt Venedig, in deren Dienst er gestanden hatte, waren seiner Heimkehr vorausgeeilt und hatten den Rat veranlaßt, ihm einen ehrenden Empfang zu bereiten. Namentlich von der goldenen Kette, die ihm die Stadt Venedig geschenkt hatte, wurden Wunderdinge erzählt. Es gab ein strahlendes Festmahl, alle führenden Wiler Bürger, die Verwandten und Bekannten, waren zusammengekommen, und aus mancher Reihe klang der Stolz der Vaterstadt. Hauptmann Kienberger erzählte den staunenden Gästen von seinen Erlebnissen und Abenteuern im Orient und ließ die goldene Kette herumreichen; jeder betastete sie ehrfürchtig, wog sie in der Hand und bestaunte ihren Glanz, ihre Verzierungen und die Reinheit des Goldes.

War es der Wein, der die Zungen löste, man wußte es nicht - denn plötzlich rief der ältere



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Bruder von Hauptmann Kienberger, diese Kette werde er einmal erben, das sei eine gewisse Sache, da gebe es nichts daran zu deuteln, und weiß der Himmel, was er noch alles sagte, um seinen Erbanspruch zu bekräftigen. Aber da sprang der jüngere Bruder des Kienbergers auf und wehrte sich: «Nein, nein, nach altem Recht bekommte ich Schild und Speer», also alle militärischen Ehrenzeichen, und darum gehöre ihm auch die goldene Kette. Und die Brüder standen sich vor den empörten Gästen zornbebend, mit gierigen Augen und rotglühenden Wangen gegenüber.

Hauptmann Kienberger schüttelte einige Male wie enttäuscht den Kopf, als könnte er solche menschliche Schwäche und Bösartigkeit nicht verstehen, dann nahm er die goldene Kette in die Hand und sagte leise, aber deutlich und bestimmt, daß alle es genau hörten: «Keiner von meinen Brüdern wird diese Kette erhalten. Auch ich verzichte in diesem Augenblick auf ihren Besitz; ich weihe sie Gott, in dessen Dienst ich sie mit meinem Schwerte erworben habe. Das ist mein letztes Wort. »

Er setzte sich; alle schwiegen, die beiden streitenden Brüder senkten die Köpfe, beschämt, reuevoll; aber da war nichts mehr zu ändern. Am andern Tag brachte Hauptmann Kienberger die Kette selber zur Kirche. Sie



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schmückte später die goldene Monstranz, und wenn sie im Kerzenlicht aufleuchtete, erinnerten sich die Wiler ihres berühmten Hauptmannes und waren in diesen Augenblicken, so nehmen wir es doch an, in besonderem Maße stolz auf ihren großen Bürger.


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DIE WEISSAGUNG VOM BREITFELD

Manche Sage erzählt kaum ein Geschehnis, aber sie ist von dunklen Weissagungen erfüllt. Und das Wörtchen «wenn» wird dann oft von den Wissenden mit bedeutungsvoller Miene gesagt. So fand in ganz früherer Zeit einmal auf dem Breitfelde eine große Schlacht statt. Keiner weiß mehr, wer da gekämpft hatte, so geht es oft mit den Kriegen. Aber wie nun das Gerücht meldete, wurden von unbekannter Hand nach der Schlacht einige eiserne Stangen und ein grünes Bäumchen in der Erde vergraben. Das Bäumchen trieb immer wieder seine Schößlinge heraus, aber sie wurden jeweils abgehauen. Und nun spricht die Weissagung, wenn es einem solchen Schößling gelinge, ungehindert zu wachsen, und wenn er so groß geworden sei, daß ein Offizier aufrecht unter ihm stehen könne, und wenn zu gleicher Zeit die eisernen Stangen durch die Pflugschar ans Tageslicht gebracht würden, dann erfülle sich das irdische Schicksal der Menschen, zumindest der hiesigen Menschen. Denn dann werde wieder eine furchtbare Schlacht geschlagen werden, und dabei werde so viel Blut fließen,



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daß der Müller in der Kräzern-Mühle seinen Weizen mit Blut statt mit Wasser mahlen werde. Und während der Schlacht werde sich ein in früherer Zeit entstandener Riß in der Mauer der Bildkapelle von selber schließen. Zugleich falle das über der Sitter hängende Häuschen beim Drachenloch in St. Josephen in die Fluten hinunter. Diese Geschehnisse seien ein blutiges Zeichen für den Untergang der Welt, der Antichrist werde kommen, und aus den Blumen fließe Blut. Dieses alles geschieht aber nur dann, so kündet die Weissagung, wenn der Offizier in dem Augenblick unter dem Bäumchen steht, wenn die Pflugschar die Eisenstangen ausgräbt. Und dabei könnte es doch sein, daß der Riß in der Bildkapelle vorher geflickt würde, und daß das Häuschen über der Sitter schon längst verschwunden ist. So geht es oft mit den Weissagungen aus der alten Zeit, man muß zu lange auf die Erfüllung warten, zum guten Glück.


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VERSCHWUNDENE SIEDLUNGEN

Auch in unserer Gegend wird von verschwundenen Dörfern und Städten berichtet, die man nicht einmal in der Geschichte mehr kennt und deren trauriges Schicksal nur in den Sagen weiterlebt. So wurde das alte Dorf Abtwil in einer wilden Sturmnacht durch eine riesige Erdmasse, die sich oben am Hange löste, in die Tiefe heruntergerissen und unter dem Schutt und Geröll vergraben. Man findet jetzt noch Wurzeln und Baumstämme in der Erde, die aus der damaligen Zeit stammen müssen, man fand auch an jener Stelle, wo die Gemeindestraße bei der Handlung von Fritz Kohler vorbeiführt, Mauerreste, aber niemand war da, der etwas Genaueres wußte; alte Abtwiler sagen nur, daß man bei genauerem Hinhorchen oft ein Glöcklein aus der Erde himmeln höre, aber niemand will es natürlich wahrhaben, daß die Häuser damals wegen einer Untat zur Strafe versanken. Das darf man aber bei jener versunkenen Stadt im Hudelmoos bei Muolen ungestraft tun, denn niemand ist mehr da, der das Gegenteil behaupten könnte. Wo jetzt das weite stille Moor mit seinen Birken, dem flüsternden



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Riedgras und dem sommerlichen Froschgequake in der Einsamkeit liegt, stand einst eine schöne Stadt; die Menschen aber in dieser Stadt lebten ein sündiges Dasein, scherten sich nicht um das Gute, und viel Schlimmes wurde ihnen nachgesagt. In einer fürchterlichen Sturmnacht versank die Stadt mit Häusern, Türmen und Menschen unauffindbar im Boden. Das war die gerechte Strafe für begangene Untaten, berichtet die Sage. Als Buben strichen wir durchs Moor, suchten die Rohrkolben und legten auch das Ohr auf die braune Torferde und lauschten gespannt, weil uns die alten Leute in Hagenwil erzählt hatten, man höre zuweilen die Glocken der versunkenen Stadt aus der Tiefe heraufdringen. Und am Abend kehrten wir ins Dorf zurück und berichteten den andern, ob sie's glauben wollten oder nicht, wir hätten die Glocken ganz deutlich gehört.


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DER STURZ DER RAMSWAG

Auf schroffen, steilen Felsen, fast senkrecht über der Sitter, steht die Ruine Ramswag. Ich kann mich noch gut an meine Bubentage erinnern, da wir im alten Gemäuer der Ruine herumkletterten, hoch in den Turm hinaufstiegen und zum glitzernden Fluß herunterblickten, über die nächsten Tannen und Wälder weg, über blaue Waldberge, versteckte Kirchlein bis zum Schneegebirge hin. Ich weiß noch von jenen Tagen, da wir vergeblich nach dem sagenhaften unterirdischen Gange suchten, später dann auf einem freien Platze des verschütteten Burghofes ums Feuer saßen, die ersten Kartoffeln brieten und mit den Bauernbuben plauderten, die von den Wiesen kamen, wo sie ihre Kühe ruhig eine Weile ohne Aufsicht lassen konnten. Wir rauchten heimlicherweise die «Nielen », dieses bissige Kraut, das sich an den Bäumen emporrankte, und kamen uns dann wie richtige Männer vor. Einmal aber kam ein Bauernbub und brachte eine seltsame Sage vor, die er uns mit geheimnisvollen Gebärden erzählte, wobei er fest beteuerte, daß sie wahr sei. Man könne darüber in alten Büchern lesen.



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Vor vielen Jahren war die Ramswag eine stolze, prächtige Burg, die das ganze Tal beherrschte. Die Herren der Ramswag aber waren gefürchtet, denn sie quälten die Bauern des Landes, trieben sie zu Fronarbeiten an, saugten Gut und Geld aus ihnen heraus und sperrten die Widerspenstigen in die tiefen, dunklen Burgverliese. Besonders einer dieser Ritter kannte kein Maß und keine Grenzen. Seine Frau war schon in jungen Jahren gestorben, und er besaß nur eine Tochter. Mit seinen Knechten und Jägern zog er zur Jagdzeit tagtäglich in die nahen Wälder zur Jagd. Es machte ihm dabei nichts aus, den Bauern quer über die Felder zu reiten und ihnen die Saat zu zerstampfen. Grimmig blickte er drein mit seinen Augen. Wenn ein Kind dem Ritter begegnete, verzog es sich scheu und zitternd ins nächste Gebüsch. Seine Tochter lebte auf ähnliche Art, und für seine Knechte war es ein besonderes Vergnügen, die Bauern zu foppen und zu quälen.

Mit goldenen Kugeln und goldenen Kegeln spielten sie jeweils im Schloßhof und höhnten über die Armut der Bauern. In ihren ärmlichen Hütten kamen die Talleute oft in nächtlicher Stunde zusammen und klagten einander ihre Not. Sie grollten, ballten im Versteckten ihre Fäuste und drohten den Schloßleuten Vergeltung.



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Nun geschah es, daß sich die Tochter des Ramswagritters mit einem Ritter vom Bodensee vermählen sollte. Es war gerade Erntezeit. Aber da wurde keine Rücksicht auf die Bauern und ihre drängende Arbeit genommen. Sie mußten Hacke und Sichel liegenlassen und zur Burg hinaufsteigen, wo sie alle Räume zur Hochzeit richten sollten. Sie mußten mit den Jägern in die Wälder ziehen und das erlegte Wild zur Burg tragen. In dieser Zeit stürmte ein Unwetter übers Land und zerstörte die Frucht auf den Feldern, die die Bauern sonst längst in Sicherheit gebracht hätten. Ohnmächtig mußten sie zusehen, wie die strenge Arbeit langer Frühlings- und Sommermonate in kurzer Zeit zunichte wurde. Da murrten sie vor sich hin, ihre flammenden Augen verrieten Ungutes, die versteckte Wut brach aus ihren Herzen wie ein Feuer hervor und trieb sie zur Tat. Das Unheil zog sich über der Burg zusammen. Es war am Hochzeitstag. Die Ritter und Knechte verließen die Burg unter den fröhlichen Klängen ihrer Jagdhörner, begleitet von bellenden Hunden. Sie veranstalteten zur Feier des Tages eine Jagd. Sie jagten den Burgweg hinunter in die Wälder hinein. In der Nähe der Burg aber, versteckt hinter Gebüschen und Felsen, lauerten die aufgebrachten Bauern. Sie hielten Axte und Grabwerkzeuge in ihren Händen. Sie


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lauschten, bis die Rufe der Jäger verhallten und die Hörner ferner und ferner erklangen. Dann schlichen sie hervor aus ihren Verstecken und sammelten sich am Fuße der Burg. Dort schlugen sie hastig die herausragenden Gebüsche weg, wühlten im Gestein, gruben und brachen Felsstücke hinaus, die in die Sitter hinunterpolterten. Sie arbeiteten in Erregung, schweigend, nur manchmal lachte einer grimmig auf: «Heute nacht, das gibt ein lustiges Fest! » Der Abend dämmerte herein, und die Schatten stiegen aus dem Sittertal, als die Bauern die Arbeit beendet hatten.

Die Bauern hatten ein großes Stück Felsen weggehauen und die Burg teilweise unterhöhlt. Sie versteckten sich in den Büschen und warteten auf ihre Stunde.

Ziemlich spät kehrten die Ritter und ihr Gesinde mit reicher Beute heim. Sie johlten und waren guter Dinge und freuten sich auf das abendliche Fest.

Bald flackerten die Lichter in der Burg auf, Bratendürfte zogen herüber.

Im großen Rittersaal, unter dem gerade der Felsen fehlte, den die Bauern herausgeschlagen hatten und der nun fast frei hinaushing, wurde getafelt. Es ging hoch her und zu, mancher Jauchzer stieg empor, es wurde gelacht und den guten Dingen auf dem weiten Tisch fleißig



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zugesprochen. Dann begann der Tanz. Fahrende Spielleute spielten auf. Keiner aber hörte das heimliche Knacken unter seinen Füßen; keiner fühlte, wie sich der Saal langsam senkte. Die Bauern konnten es vor Aufregung fast nicht mehr aushalten. Jeden Augenblick mußte es geschehen und ihnen die Freiheit bringen.

Schrie ein Uhu im Wald? Wie die Sitter aus der Tiefe herausrauschte! Da -auf einmal barst der Boden des Saales - brach krachend auseinander, und mit verzweifeltem Geschrei stürzten die Burgleute in die Tiefe hinunter. Ein Dröhnen und Krachen; Steine und Mauern polterten nach. Die Sitter schäumte auf. Dann wurde es still, unheimlich still. Nur die Sitter rauschte friedlich wie immer, und ein Wind erhob sich in den dunklen, schwarzen Bäumen.

Die Bauern stürzten aus ihren Verstecken hervor, erbrachen sich den Eingang in die Burg, überwältigten die vom Schrecken wie gelähmten Knechte und Mägde und zertrümmerten die Burg. Bald lohte eine Flamme hell über den Wald. Drunten im Tal traten die Mütter vor die Hütten und dankten für die Errettung aus der Knechtschaft. Das war der Sturz der Ramswag.

In schweren, schaurigen Sturmnächten geistern die toten Burgherren um die Ruinen herum.



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Sie holen das goldene Kegelspiel hervor, und dann hört man bis weit unten im Tal das Kollern der Kugeln, das Fallen der Kegel und das trostlose Ächzen und Weinen der Burggeister.

So erzählte der Bauernbub damals vor vielen Jahren, als wir im Schloßhof ums Feuer saßen. Wir lauschten mit angehaltenem Atem, und als wir heimwanderten, schien es uns, die Ruine schaue uns nach wie ein uralter, grauer, strenger Mann.



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DAS GOLDENE KEGELSPIEL

Sinnbild des Reichtums bildete in den Sagen oft das goldene Kegeispiel. Mancher hörte davon und versuchte den verborgenen Schatz zu holen; aber von keinem hat man vernommen, daß er ihn gefunden hätte. Denn eine solche Schatzsuche war immer ein gefährliches Abenteuer. Man weiß, daß in einer Höhle in der Nähe der Martinsbrücke ein goldenes Kegelspiel verborgen ist. In früheren Zeiten stiegen manche in die Höhle, aber keiner kam mehr heraus. Als eine Frau nachts über die Brücke schritt, schlich ihr eine schwarze Katze nach; manche sagten auch, ein schwarzer Mann habe sie bis zum Bildstock bei Eggersriet verfolgt. Was für eine Bewandtnis es mit diesem Kegelspiel hat, weiß man nicht, dafür ist man über das goldene Kegelspiel von der Burg Ätschberg genauer im Bild.

Bei munterm Becherklang wurde hier mit den goldenen Kegeln gespielt, die Bauern hörten bis in ihre Häuser hinein das helle Klingen und schüttelten leise die Köpfe. Der letzte Burgherr hatte seine besondere Freude an diesem Spiel, und wenn Gäste kamen, nahm er es



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hervor und ergötzte sich daran. Seine einzige, schöne Tochter schenkte den Wein ein, und die Feste auf der Burg Ätschberg leuchteten lange in der Erinnerung der Gäste, die dabeigewesen waren. Öfter erschien auch ein junger Mann in der Burg, dem neben der schönen Tochter vor allem der Reichtum der Burg in die Augen stach. Er machte verliebte Augen, und als er um die Tochter warb, glaubte man seinen Beteuerungen, und es gab eine freundliche Hochzeit. Aber bald mußte der alte Vater erkennen, wie unglücklich seine Tochter verheiratet war; in seinem Unmut und in seinem Schmerz versorgte er das goldene Kegelspiel in einer schwarzen Truhe, und von der Burg herunter hörte man von nun an kein frohes Lachen und kein helles Klingen mehr. Als der Ritter sein Ende nahen fühlte, nahm er das Spiel und verbarg es in einem unterirdischen, fast unzugänglichen und nur ihm bekannten Gewölbe. Dort verfluchte er das Spiel, das kein Glück, sondern nur ein trauriges Los für seine Tochter gebracht hatte; er verfluchte es, damit es kein Mensch mehr finden konnte.

Viele Jahre später versuchten verwegene Schatzgräber in di... zerfallene Burg einzudringen, um das sagenhafte Spiel zu finden. Sie stießen dabei auf einen eisernen Deckel, den sie mit großer Mühe heben konnten. Sie blickten



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in eine finstere Höhle. Da holten sie eine Leiter mit fünfundzwanzig Sprossen und ließen sie in die Tiefe hinunter. Aber sie kamen auf keinen Grund; da überwältigte sie die Angst, sie legten den Deckel wieder über die Höhle, und da sie keinem Menschen etwas davon sagten, wußte bald niemand mehr von dem Geheimnis auf der Burg Ätschberg.


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DER UNGLAUBLICHE SCHUSS

Aus der alten Zeit hat Gustav Schwab eine seltsame Sage aufgezeichnet, die von einem gefährlichen Ritter auf der Burg Steinach berichtet, der durch ein unglaubliches Ereignis sein Leben lassen mußte. Er war einer jener gefürchteten Ritter, die mit den Menschen umsprangen, wie sie wollten. Der Ritter von Steinach war ein Ausbund an Schlechtigkeit und Grausamkeit, ein Bösewicht, wie er im Buche steht, der seine Leute erbarmungslos peinigte. Seine Maßlosigkeit erreichte den Höhepunkt, als er mit den Herren auf Schloß Wartensee in eine bittere Fehde geriet. Da schonte er niemanden mehr, er zerstörte die Höfe und Dörfer seines Widersachers, erschlug die Menschen, wo er sie traf; und kein Ende dieses grausamen Schicksals zeichnete sich ab, denn dem Ritter von Steinach war nicht beizukommen. Er verschanzte sich auf seiner unzugänglichen Burg, zog die Fallbrücke hoch, verriegelte das schwere Tor und ließ abgerichtete Bluthunde den Mauern entlang streifen, die jeden Zudringling zerfleischten. Jeder gelegten Falle wich er geschickt aus, und es war ein großes Fürchten



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und Wehklagen in dieser Zeit im Land am See.

Der Ritter von Wartensee zerbrach sich den Kopf mit Gedanken, wie er seinen Feind erledigen konnte. Da spielte ihm der Zufall jenes Mittel zu, das zu diesem einmaligen Ereignis in der Sagenwelt führen sollte. Er gewann das Vertrauen einer Magd, die auf der Burg Steinach diente. Wer weiß, was sie unter ihrem grausamen Herrn erleiden mußte, und sie hoffte wohl auf eine Erlösung aus diesen Banden des Schreckens.

Der Herr von Steinach hatte die Gewohnheit, in jenem Raum seiner Burg zu essen, der von Wartensee aus gut gesehen werden konnte. Das Mädchen sollte nun das Fenster offen halten und mit einem weißen Tuch winken, wenn der Ritter am Tische saß.

Dies geschah nun an einem hellen Mittag. Das weiße Tuch flatterte im Wind, und das Unglaubliche trat ein. Es muß ein sagenhafter Meisterschütze gewesen sein, der das Ziel aus so großer Entfernung so genau traf, denn der Pfeil schwirrte durchs offene Fenster, und zwar mit einer solchen Gewalt, daß er den Bösewicht durchbohrte und an der gegenüberliegenden Wand steckenblieb.

Das war das Ende des letzten Ritters von Steinach. Sein Blut aber, so erzählt die Sage, konnte man, solange die Burg stand, mit aller



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Mühe nicht mehr vom Tisch und vom Fußboden wegwaschen - wie ein dunkles Mahnmal zeugte es von Grausamkeit und Willkür.


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DER BÖSE GEIST AUF ST. ANNASCHLOSS

Wie eine alte Sage zu erzählen weiß, hatte auch das St. Annaschloß am Rorschacherberg seinen bösen Geist, der Unruhe und Angst verbreitete und nächtlicherweile, wenn er lautlos durch die Gänge glitt, manchen fast zu Tode erschreckte. Sogar in der Nachbarschaft des Schlosses war ein gefährliches Leben; denn da hausten die Kröten, die tagsüber wohl still und verborgen im Laube hockten, nachts aber als Unholdinnen herumstrichen, ja man sagte von ihnen, sie besäßen die Macht, wilde Wetter über die Gegend hereinbrechen zu lassen.

Der böse Schloßgeist aber war niemand anders als der ehemalige grausame Vogt, der nach einem schaurig geführten Leben keine Ruhe im Grabe fand. Man erzählte dunkle Taten von ihm, die so schrecklich waren, daß man sie gar nicht aufzeichnen mochte, und so lebten sie nur als Greuelmärchen im Gemunkel der Leute weiter. So wird berichtet, daß er einmal zwei Menschen im tiefen, feuchten Verliese gefangensetzte und sie ohne Nahrung einem grausamen Hungertode preisgab. Während der eine starb, konnte der andere Gefangene



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sein Leben länger fristen, weil eine mitleidige Dienerin heimlich des Nachts in sein Verlies schlich und ihm zu essen gab. Der mißtrauische Vogt aber lauerte ihr auf, erwischte sie und sperrte sie wutentbrannt in das gleiche Gefängnis, wo die beiden elendiglich verhungerten. Als nun der Vogt das Zeitliche segnete, fand er die Ruhe nicht und irrte zur Strafe als böser Geist durch das Schloß. Und es wäre wohl immer so geblieben, wenn man nicht die kleine, der heiligen Anna geweihte Kapelle gebaut hätte, die auch dem Schlosse den Namen gab. Der gute Geist der Heiligen war die stärkere Macht, die Ruhe kehrte im Schlosse ein, sie verbannte auch die Kröten und schützte die Fluren vor Unwetter und Not. Die jungen Mädchen aber, die vor einer Heirat standen oder sich sehnlichst einen Mann wünschten, wallfahrteten gerne zur Heiligen ins Schloß und erbaten ihre Fürbitte; denn die Heilige hatte die Gnade, glückliche Ehen zu stiften. Es wird gesagt, daß die Mädchen dabei ein besonderes Sprüchlein in ihr Gebet einschlossen, und die Heilige habe dabei für die, die das sehen konnten, schelmisch gelächelt; es hieß:
Heiligi St. Anna,
Gib aline Meith Manne,
Mir aber zerschte,
J plangere am merschte.


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DAS GESPENST VON ABTWIL

Es gab noch ein Gespenst in Abtwil, sagte mir Walter Beeler, aber das haben die Menschen selber herbeigerufen. In jener Zeit kamen einige Geheimnistuer im Hause zum «Spital» bei nächtlicher Stunde zusammen, wo sie die Geister herbeiriefen. Sie setzten sich beim flackernden Schein einer Kerze um einen dreibeinigen, nagellosen Tisch, legten die Hände flach darauf, murmelten ihre Zaubersprüche, und wenn sie zu spüren glaubten, ein Geist befinde sich in ihrer Mitte, fragten sie leise, ob er gekommen sei. Dann hob sich der Tisch, man hörte ein Klopfen. Auf diese Weise gab der Geist seine Anwesenheit bekannt. Nun fragte man ihn, ob er zu den guten Geistern gehöre, und wenn eine bejahende Antwort kam, stellten sie dem Geist in einemfort Fragen, die er mit Klopfen beantwortete. Die närrischen Leute trieben dieses Spiel so heftig, daß der Geist kaum mehr nachkam mit seinen Antworten, die er sogar auf Papier niederschrieb. Er ließ die Zettel auf den Tisch herunterflattern, wo sie die Leute neugierig lasen. Ja er gab sogar seinen Namen und seinen ehemaligen



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Wohnort bekannt, aber diese Nachrichten sind verschollen.

Nun geschah das Unheimliche, daß der Geist auch zu ungerufener Zeit erschien, als grauer Schatten am Ofen herumgaukelte und die Leute so erschreckte, daß sie jetzt nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten. Aber wer die Geister ruft - sagt ein altes Wort, und wenn nicht der Pfarrer gewesen wäre, der das Gespenst mit heiligen Worten weggebannt hätte, wäre es heute noch in Abtwil, und was das bedeuten würde, kann man sich heute fast nicht mehr ausdenken.



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ABTWILER WALDGEISTER

In den Wäldern von Abtwil raunen vielleicht immer noch die Stimmen der alten Waldgeister; denn nirgends steht geschrieben, daß sie erlöst worden wären. Es könnte also sein, daß einem Wanderer im Farnenwalde das alte verhunzelte Weiblein begegnete, das als «Farne-Fräuli» in die Sagen eingegangen ist. Es hinkte damals gebückt an einem Stecken, trug eine kleine Büschel Holz unterm Arm, und unter dem schwarzen Kopftuch drängten einige graue Haare hervor. Wenn es einen Menschen antraf, grüßte es nicht und erwiderte auch nicht den freundlichen Gruß, es senkte den Kopf, blickte aber von unten her mit seinen verschlagenen Augen in das Gesicht des Wanderers, und wenn er mit seinen Augen dem hexischen Blick begegnete, war es um ihn geschehen; denn er fand dann oft stundenlang keinen Ausweg mehr aus dem Wald, irrte hilflos umher, und wenn er in eine Lichtung trat, merkte er mit Schrecken, daß er von seinem Wege abgekommen war.

Ein anderer seltsamer Geist war das «Schnat- Manndli », das sich im Walde zwischen Tonisberg,



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Schwobsrüti und Schnat herumtrieb; wie es aussah, konnte keiner sagen; denn niemand hatte es je gesehen. Nur ein junger Bursche am östlichen Berg vor dem Tobel erzählte später einmal, wie weh und verloren seine Stimme geklungen hatte. Der junge Mann ging fast jeden Abend zu seiner Liebsten, die auf einem Hofe bei Engelburg lebte. Dabei führte ihn sein Weg durch den besagten Wald. Einmal war er über die gewöhnliche Zeit hinaus bei seiner Liebsten geblieben; es war stockdunkle Nacht, als er durch den Wald heimkehrte. Zum Glück kannte er seinen Weg; denn es war so finster im Wald, daß man nichts erkennen konnte. Manchmal rauschten die Bäume ganz fremd, und den jungen Burschen kam ein Fürchten an, und er beeilte sich sehr. Plötzlich fuhr er erschrocken zusammen; denn ganz in seiner Nähe hörte er jemand recht deutlich niesen. In alter Gewohnheit sagte der junge Mann den landesüblichen Spruch: «Helf dr Gott. » Aber niemand dankte aus dem Dunkel heraus. Der Bursche, dem es doch etwas unheimlich wurde, beschleunigte seinen Schritt; da ertönte zum zweitenmal ein ziemlich starkes Niesen. Der Bursche sagte wieder: «Helf dr Gott», aber auch diesmal kam kein Dankeswort zurück. Komisch, dachte der Bursche, und als er zum drittenmal das Niesen hörte,


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vergaß er seine Höflichkeit und rief: «Helf dr e Roß. » Kaum hatte er diesen Spruch getan, blieb er vor Schrecken stehen; denn nun begann eine Stimme aus dem Waldesdunkel zu jammern und zu weinen: «O hättest du doch noch einmal das Wort gesagt, das du schon zweimal ausgesprochen hast, dann wäre ich erlöst gewesen. Nun muß ich weiter ruhelos durch den Wald irren, bis aus dem Samen dieses Tannzapfens », dabei fiel dem jungen Mann wirklich ein Tannzapfen vor die Füße, «eine Tanne gewachsen ist; und erst das Kind, das in der Wiege liegt, das aus dem Holz dieser Tanne gemacht wird, kann mich erlösen, o weh!» Und mit traurigen Seufzern verklang die Stimme des Schnat-Manndli. Da niemand mehr seine Stimme hörte, könnte es doch, wenn es auch im Widerspruch zum Anfang dieser Geschichte steht, erlöst worden sein; und vielleicht ist es der sagenkundige Schreinermeister Walter Beeler selber, der die Wiege aus dem Holz der Tanne gemacht hat; er ist nämlich der Einzige, der um das Geheimnis des Schnat-Manndli weiß.


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DIE SAGE VOM DRACHENLOCH

Es gab einmal auch in unserer Gegend einen grausigen, feuerspeienden Lindwurm, wie er uns sonst nur in den alten Sagen und Märchen aus andern Landschaften begegnet. Er hatte seine riesige Höhle unter einem überhängenden Felsen bei der Sitter, wo er ständig auf der Lauer lag, und niemand war mehr seines Lebens sicher, und Angst und Schrecken verbreiteten sich im Land. Eine unheimliche Bedrohung war er aber für die Bewohner der wasserumrauschten Burg Spissegg. Die Burg besaß einen einzigen Ausgang, das war das Tor gegenüber dem Drachenloch. Niemand getraute sich unter Tag aus der Burg, denn der Drache stürzte sich wie ein Unwetter auf den armseligen Menschen. So konnte man nur nachts hinaus, und auf Schleichwegen mußte man die Nahrung in die Burg bringen. Der Ritter von Spissegg, als mutiger und entschlossener Mann bekannt, hatte lange, lange mit sich gerungen, eines Tages gab er seinen Entschluß bekannt, den Drachen zu töten. Alle erschraken, wenn sie dem Ritter auch die nötige Kraft zutrauten; aber durch keine Einwendungen



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ließ er sich von seinem Vorsatz abbringen. Eines bestimmten Tages zog er seine Rüstung an, nahm Schild und Schwert und ritt mit seinem Pferd zum Tor hinaus, begleitet von den Wünschen und Gebeten der Zurückbleibenden. Niemand weiß etwas von diesem Kampf, der furchtbar gewesen sein muß; aber der Ritter kehrte als bestaunter und bejubelter Drachentöter heim, Burg und Land waren befreit. Das Loch aber, wo der Drache gehaust hatte, und die Mulde, wo er erschlagen worden war, tragen bis zum heutigen Tag zur Erinnerung an diese denkwürdige Geschichte den Namen «Drachenloch». Bis in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts hing am Fels beim Drachenloch eine Sandsteintafel, auf welcher der Kampf des Ritters mit dem Drachen dargestellt war. Niemand weiß mehr, wer die verschwundene Tafel angebracht hatte, auch kein Bild ist von ihr erhalten; alte Leute allein haben sie im Gedächtnis behalten.


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DIE SAGE VON DER HOLZ-NANN

In früherer Zeit gab es oft alte, verschrumpfelte Weiblein, die, etwas närrisch im Kopf, abseits und fast verstoßen, ein armseliges, einsiedlerisches Leben in einer Hütte führten, im Walde verstohlen umherstrichen und etwas Holz und Feldfrüchte suchten; sie wurden von allen gefürchtet als böse Hexen, und alles Unglück und Ungemach im Stall und Haus wurde ihrem bösen Blick und ihren teuflischen Gedanken zugeschrieben. Man mied sie, wo man konnte, und warnte namentlich die Kinder vor ihnen, denn wenn eins verhext wurde, hatte es oft ein Leben lang an seinem Unglück zu tragen.

Ein solches gefürchtetes Weiblein war die Holz-Nann in Riesershaus bei Muolen, das den Wald bei Winkensteig unsicher machte mit seinem hexischen Wesen und von dem man sagte, daß es den Menschen schon manchen Unfug zugefügt habe. So sei es vorgekommen, daß die Kinder den Heimweg nicht mehr fanden und bis in die Nacht hinein im Walde umherirrten, oder daß ein Mann wie gelähmt plötzlich bei einem Baum stillestehen mußte und



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stundenlang wie gebannt am Platze blieb, oder die Muolener jammerten über das Unglück im Stall, das von dem bösen Blick der Holz-Nann verursacht wurde, so erzählten die Leute, und alle machten einen weiten Bogen um das Weiblein, wenn es, gebückt unter der schweren Last des gesammelten Holzes auf seinem Rücken, daherhumpelte.

Da geschah es, daß im Wirtshaus zu Riesershaus eines Abends Musik verführerisch zum Tanze aufspielte. Die Holz-Nann in ihrer einsamen Hütte hörte die Musik, sie lauschte mit zitterndem Kopfe, weiß der Himmel, was da in ihrer armen Seele vorging, sie erhob sich plötzlich und nahm einen Faden und hängte sich auf, es war ein Faden, so erzählte es G. Kägi, die Hexen können sich sogar, wie die Sagen berichten, an einem hauchdünnen Spinnenfaden aufhängen. Als man sie fand, war sie schon lange kalt und tot, man gab ihr aber kein christliches Begräbnis im Friedhof zu Muolen, sondern brachte sie in den Wald von Winkensteig, wo man sie unter moosiger Erde begrub, als wäre sie ein einsames, unglückliches Waldtier.

Einige Zeit später begab es sich, daß ein Zimmermann, wohl in etwas angeheiterter Stimmung, durch den Wald nach Muolen heimkehren wollte. Im losen Übermut rief er



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durch die nachtdunklen rauschenden Bäume: «Holz-Nann, komm, hole mich. » —«Dummer Aberglaube », lachte er, als nichts geschah und er ungeschoren nach Hause kam. Aber da bemerkte er, daß die schwarze Richtschnurrolle, die er in der Hosentasche trug, aufgerollt war und lose aus dem Sack heraushing. Er schüttelte etwas verwundert den Kopf und ging ihr dann zur Tür hinaus nach, um sie wieder aufzurollen. Eine merkwürdige Sache, die Schnur lag auf dem Weg, den er gekommen war, und führte wie eine Spur in den Wald hinein. An jener Stelle aber, wo er der Holz-Nann gerufen hatte, fand er den Anfang der Schnur, hier mußte sie ihm aus der Tasche gefallen sein. War vielleicht an diesem Ort ein Schatz vergraben? Man weiß nie, es gibt immer wieder Dinge, die unsereiner nicht kennt, und Fingerzeige, die man in acht nehmen muß, sagte sich der Zimmermann und war jetzt sehr aufgeregt. Er brach sich einen dicken Stecken und begann gierig zu graben. Wer beschreibt aber sein Entsetzen, als er nach kurzer Zeit die tote Holz- Nann in der Erde fand. Er wurde bleich und fiel, wie vom Schlag getroffen, tot zusammen. Die Holz-Nann hatte ihn doch noch geholt.


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VON HEXEN UND HEXEN- GESCHICHTEN

Auch in der Gegend von St. Gallen gab es einst Hexen und wurden Hexengeschichten erzählt. Man verfuhr oft gar grausam mit ihnen, in St. Gallen wurde eine Hexe verbrannt und ihre Asche in fließendes Wasser geschüttet. Im Haslenholze saß oft ein solches armseliges Weib am Wegrand und wartete auf die Vorübergehenden, um sie zu necken und auszulachen. Wenn Frauen vorüberkamen, sprang sie wie ein Hündlein um sie herum und begleitete sie bis zum «Bösgatter», einem Riegel im Haslenholz, wo sie dann kreischend und lärmend verschwand. In der Nähe, im Heldtobel bei Waldkirch, konnte man oft eine junge Wäscherin erblicken, die mit einer wahren Besessenheit ihre Wäsche im Bache wusch. Viele haben sie in ihrem weißen Gewande gesehen.

Schlimmer war aber die Geschichte mit dem Hexenmeister in St. Margrethen. Es war zur Zeit der Heuernte. Da erschien in einem Bauernhaus ein junger Bettler und bat um ein Mittagessen. Der Bauer aber schickte ihn fort; denn jetzt mitten im Heuet habe niemand Zeit, ein Essen zu kochen. Der junge Bettler grinste



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vor sich hin und sagte dann höhnend: «Wie ihr wollt! Aber ihr bringt heute kein Heu herein! » Der Bauer blickte ihm verdutzt nach, zuckte die Schultern und begab sich wieder aufs Feld, um das Heu einzubringen. Aber seltsam, es war, als fege ein Wind über die Wiesen, und was man auf die Gabel nahm, wurde von unsichtbaren Händen weggewischt, keinen Halm brachte er auf seinen Wagen, während rings auf den Feldern die Nachbarn volle Heufuder heimführen. Erst am andern Tage konnte der Bauer sein Heu einbringen. Es wird erzählt, daß der junge Bettler wohlbekannt war und noch an andern Orten schlimme Missetaten verübte; als das Maß voll war, wurde er vor das Gericht gebracht, und da kam es an den Tag, daß er unwürdig kommuniziert hatte und deshalb ein Hexenmeister war. A. Sprenger, der diese Sage erzählte, hat uns einen ganzen Plan überliefert, wie man den Hexen beikommen kann, und so sei dieses Kuriosum aus vergangener Zeit doch ein kleines Nachdenken wert. Will man verhindern, daß die Hexen ins Haus kommen, so stelle man einen Besen aufrecht vor die Türe. Wenn aber die Hexe bereits im Hause ist? Dann stellt man den Besen trotzdem hin, die Hexe muß dann sofort rückwärts zur Türe hinaus. Nützt dieses Mittel nicht, so nimmt man Schwarzmeisterwurzeln,


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schneidet sie, stopft damit die Pfeife und raucht. Diesen Geschmack halten die Hexen nicht aus, sie werden sehr wild dabei, aber man kann sie damit doch vertreiben. Wenn man von den Hexen redet, so ist dies eine sehr gefährliche Angelegenheit; denn die Hexen hören jedes Wort. Den schwatzhaften Frauen, die aber gerne von den andern Hexen reden, sei empfohlen, dieses Sprüchlein zu sagen, dann hört keine Hexe ihre Worte. Das Sprüchlein lautet: «Der Tag ist heilig, die Mutter Gottes ist heiliger, der Herrgott ist noch heiliger und die Hexe ist die verdammteste. »

Oft sind die Hexen am Tag unbescholtene, tüchtige Hausfrauen, niemand weiß um ihr verwerfliches nächtliches Tun. Wenn sie nun nachts zum Hexentanz gehen, bleibt ihr Leib zurück. Da kann sich der geplagte Ehemann auf leichte Art von seiner Frau befreien. Er lege die scheinbar schlafende Frau auf das Gesicht, dann kann der Geist nicht mehr in den Leib hinein, und der Mann ist frei.

Wie will man aber die Hexe erkennen? Oh, es gibt einige untrügliche Zeichen, am deutlichsten aber offenbaren die Augen das Wesen einer Hexe. Wenn man ihr scharf in die Augen blickt und in ihrem Glitzern ein Geißböcklein erkennt, dann weiß man, daß man in die Augen einer echten Hexe geschaut hat.



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Es wäre nicht so schlimm mit den Hexen, wenn sie nur nicht immer Schaden anrichteten. Die Hexe muß eine bestimmte Hexenarbeit verrichten, zumindest muß sie im Tag einen durchschnittlichen Schaden von sieben Rappen verursachen. Ist der angerichtete Schaden im Werte größer, dann hat die Hexe längere Zeit Ruhe. Mit Vorliebe verüben sie ihre Untaten in den Ställen der Bauern. Aus der Gemeinde Eggersriet berichtet A. Sprenger von einem solchen Fall. Eines Abends kam ein Bauer in seinen Stall und bemerkte mit Entsetzen, daß die Viehketten ganz ineinander verstrickt waren. Das war eine Hexenarbeit, diese schlingen die Ketten so unauslöslich ineinander, daß die Kühe erwürgt werden. Den Pferden machen sie aus den Schwänzen die sogenannten Schrätteliszöpfe. Der Bauer holte ein Beil, rief die drei höchsten Namen an und schlug nun auf die Ketten los. Aber sie hielten fest zusammen. In diesem Augenblick erschien die Hexe vor dem Haus. Sie bat um einen halben Liter Erdöl. Als ihr die Bäuerin antwortete, klirrten im Stall die Ketten auseinander. So geht es mit den Hexen, es ist darum gut, wenn man etwas von ihrem Wesen weiß.



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DAS NÄCHTLICHE FEST

Es war einmal in der Johannisnacht, da die Farnkräuter im geheimen blühen, als ein Leinwandherr von Zuzwil frohgemut von St. Gallen heimritt, wo er auf dem Markte gute Geschäfte getätigt hatte. Als er in die Nähe des Weilers Laupen kam, fiel ihm beim Wäldchen eine merkwürdige Helligkeit auf. Das schien ihm verwunderlich zu sein; denn es leuchtete kein Mond, und die Sterne schimmerten dünn und fern im nachtblauen Himmel. Er ritt vorsichtig näher, man konnte nie wissen; da sah er mit Verwunderung eine große Ansammlung von vergnügten Frauen und Männern, die an reichbesetzten Tischen saßen und mit Genuß von guten Dingen aßen und einander fröhlich zutranken. Er schüttelte zuerst den Kopf, erinnerte er sich doch nicht, daß in Zuzwil ein nächtliches Sommerfest angesagt war. Die Neugierde trieb ihn aber näher heran. Da sah er auch verflixt hübsche kecke Mädchen sitzen, die er sich höchstens in den Träumen vorzustellen gewagt hätte. Sie hatten ihn erspäht und winkten ihm einladend zu; er ließ sich nicht zweimal bitten, hatte er doch einen rechten



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Hunger, und auch ein Glas Wein war nicht zu verachten. Und wirklich, da war allerhand, was ihn lockte, duftender Braten, zartes Gemüse, farbige Süßigkeiten.

Es fiel ihm aber sofort auf, daß jedes Stücklein Brot fehlte. Dies schien ihm doch etwas seltsam; denn ohne Brot schmeckte die Suppe oder der Käse gar nicht. Er erinnerte sich, daß er noch ein Brötchen in der Tasche trug, das zog er hervor.

Er stieg vom Pferde und trat an den ersten Tisch, wo er mit lauten Rufen begrüßt wurde. Er wollte den Gästen eine Freude machen und legte das Brötchen auf den Tisch.

Das war wie ein Donnerschlag. Ein entsetzliches Kreischen und Schreien stieg aus vielen Kehlen, das Licht löschte aus, und die tafelnden Frauen und Männer verschwanden wie ein Spuk in der Dunkelheit. Der Leinwandherr rieb sich die Augen, als wäre er aus einem komischen Traum erwacht, aber da standen keine Tische mehr, kein Laut war zu hören, nur zu seinen Füßen erblickte er sein Brötchen, das er kopfschüttelnd, verwirrt aufhob. Und als er sich umschaute, erblickte er die Schatten von dunklen Bäumen, zu seinen Füßen gurgelte Wasser, und es roch nach Sumpf und Moor. Da fuhr es ihm plötzlich durch den Sinn, daß er auf dem berüchtigten Platz stehen



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mußte, wo, wie der Volksmund erzählte, die Hexen jeweils ihre Zusammenkünfte hielten. Da machte er tieferschrocken das Kreuzeszeichen, sprach ein stilles Gebet, setzte sich auf sein Pferd und ritt mit einer Schnelligkeit heim, als wäre der Teufel hinter ihm her. Die Sterne schimmerten fern und zeitlos in der lauen Nacht.


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DAS ZWERGENWUNDER

Was die Thurgauer vor vielen hundert Jahren mit den Zwergen erlebten, war nicht eine einmalige Geschichte; das gleiche Glück widerfuhr den St. Gallern in der Gemeinde Waldkirch. Zwischen Schuoppis und Vögelisberg stand einst ein Schloß, das durch unterirdische Gänge mit der Burg Ramswag verbunden war. In diesen Gängen hausten die Zwerge und hüteten ihre Gold- und Silberschätze. Die Bauern von Schuoppis hatten in dieser Nachbarschaft eine selige Zeit; denn die Zwerge brachten ihnen auf silbernen Tellern den feinsten Kuchen für die Neunuhr- und Vieruhrpause, auch das Besteck glänzte in reinem Silber. Sie sagten nie ein Wörtlein, waren etwa so groß wie fünfjährige Kinder, und wenn sie die leeren Teller wieder holten, freuten sie sich auch wie die Kinder. Einmal geschah aber ein böses Unrecht: die Bauern, verblendet vom Silberglanz, nahmen die Teller, Löffel und Gabeln nach Hause, um sie für schweres Geld an die Händler zu verkaufen. Diesen bösen Diebstahl nahmen sich die Zwerge sehr zu Herzen; sie ließen sich nie mehr sehen, und die Bauern konnten lange



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vergebens ihre Zungen schnalzen in der Erinnerung an die guten Kuchen.

Einzig im Buchholz tauchten die Zwerge manchmal auf, wenn sie ihre Schätze in die Sonne legten, daß das Glitzern und Glänzen weitherum zu sehen war. Wer näher hinsah und meinte, er entdecke Gold und Silber, sah dann mit Enttäuschung, daß nur buntfarbige, blendende Glas- und Porzellanscherben dalagen. Aber wie täuschte man sich dabei! Wer um das Geheimnis wußte, wurde ein reicher Mann.

Einmal kamen zwei Männer vorbei, als sie es so hell in der Sonne glitzern sahen, daß sie nähertraten und mit Staunen eine Menge Geldes erblickten. Da rief ihnen eine unsichtbare Stimme zu: «Ihr dürft soviel Geld mitnehmen, wie ihr tragen könnt, aber sprecht dabei kein Wort und helft einander nicht!» Das ließen sich die Männer nicht zweimal sagen. Sie füllten in aller Eile zwei Säcke und mühten sich dann, die schweren Lasten auf den Rücken zu nehmen. Während der eine mit seinem Sack wegschritt, brachte der andere Mann seinen Sack nicht auf den Rücken; er winkte dem Weggehenden: «Komm, hilf mir!» Als sie nach Hause kamen und die Geldstücke zählen wollten, fanden sie lauter wertlose Scherben. Wie schimpften sie aufeinander los, und jeder



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gab dem andern die Schuld, weil sie das Wort nicht gehalten hatten.

Es kam noch öfters vor, sogar bis in die neueste Zeit, daß Menschen die glitzernden Scherben entdeckten. Weil sie aber das Geheimnis nicht kannten, gingen sie achtlos an den vermeintlichen Glasstücken vorbei. Wenn sie dann zufällig im Dorf von ihrer Entdeckung erzählten, sagten die Leute mit Entrüstung: «Ihr Dummköpfe, ihr habt das Glück eures Lebens verscherzt. Das sind nur äußerlich Glasscherben, tragt sie heim, dann habt ihr Geld in Hülle und Fülle! » In großer Aufregung kehrten die Menschen an die Fundstelle zurück, aber sie fanden nichts mehr als höchstens einen schmutzigen grünen Bierflaschenscherben. So geht es mit den Wundern. Nur wer an sie glaubt, wird des rechten Glückes teilhaftig.



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DIE GEFÄHRLICHEN HUNDE

In der alten Zeit kam es oft vor, daß gespenstische Hunde ihr Unwesen trieben und den nächtlichen Heimkehrern manche Pein verursachten. Franz Egger weiß von seiner Kindheit her, daß in der Nähe des Weilers Egg im Dorfe Eggersriet ein solcher gefürchteter Hund hauste und die Gegend unsicher machte. Ein Fußweg führte durchs Kleeb, wo einst ein schöner Buchenwald stand. Am Tag konnte man diesen Weg ungehindert begehen, aber in der Nacht getraute sich kein Kind hinaus, denn der Kleebhund lauerte im Dunkel. Er war von unnatürlicher, riesengroßer Gestalt. Wenn nun ein Mensch des Weges kam, stürzte sich der Hund hervor, sprang auf den Rücken des entsetzten Menschen, hackte seine Klauen so tief hinein, daß man für lange Zeit die Wunden sehen konnte, die dann auch die Ungläubigen überzeugten. Mit seiner letzten Kraft eilte der arme Mensch, den Hund auf seinem Rücken, den Weg hinunter bis zum ersten Haus, wo das Untier in der Nacht verschwand. Als man später den Wald niederlegte, sah man den Hund nie wieder.



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Ein unheimlicher Hund geisterte auch beim alten Bildstock, in der Nähe der Sebastianskapelle in der Gemeinde Thal herum. Der alte Fuhrmann am Bach erzählte immer wieder von der Begegnung mit dem Untier, das plötzlich hinter dem Bildstock hervorspringt, die Pferde scheu macht und sie nicht weiterziehen läßt. Da mag der Fuhrmann noch so lange mit seiner Peitsche knallen, bis zum ersten Frührot bleibt der Hund zähnefletschend stehen.

Ein schlimmerer Kerl aber war der Töberhund, der die nächtlichen Heimkehrer von der Weinburg bis zur Töberbrücke stöhnend und knurrend begleitete, und mit seinen feurigen Augen eine panische Angst verbreitete. Ein Bauer aus Thal erzählte mit Schaudern sein entsetzliches Erlebnis. Bei Verwandten am Buchberg hatte er über die gewöhnliche Zeit hinaus gefestet und dem Buchberger etwas mehr als üblicherweise zugesprochen. Als er sich in der Dunkelheit auf den Heimweg machte, so erzählte er, bemerkte er plötzlich den Hund, der ihn anstarrte, als ob er auf ihn gewartet hätte. Er drängte sich dicht an den Bauern heran, der furchtbar keuchte und sich kaum getraute vorwärtszuschreiten. Er drückte sich an die Mauer der Weinburg vor Angst - sagte er dann und zeigte seine Hände, und die Zuhörer sahen die wundgekratzten Hände und glaubten ihm alles.



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Als er zum Bache kam, wollte er dem Hund entrinnen; er ließ sich ins Bachbett hinunter und kroch auf allen vieren vorwärts wie ein Tier. Aber diese Flucht nützte nicht viel, der Hund lief am Ufer des Baches knurrend entlang, und erst als der arme Mann bei der Töberbrücke anlangte, verschwand der Gespensterhund. Vom Hund weiß heute kaum einer mehr etwas, aber den guten Buchberger Wein kennen viele.


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VON DEN FEURIGEN GEISTERN

Es gehörte zu den schlimmsten Missetaten, wenn einer heimlich Marksteine versetzte, um seinen Besitz zu vergrößern. Ewige Strafen warteten auf diesen Missetäter, und er mußte als brennender Geist am Ort seiner Untat umherirren.

Da lebte in Grub ein gar angesehener Mann, dem man vertrauensvoll verschiedene Ämter übergab. So verwaltete er als Vogt das Vermögen einer alten Witwe. Wenn er nun am Tag im Dorf den Biedermann spielte, war er in der Nacht der abgefeimteste Bösewicht. Er fällte heimlicherweise Holz in den Wäldern der Witwe, das er auf eigene Rechnung verkaufte, und versetzte zugleich die Marksteine, damit er auch hier einen unehrenhaften Gewinn einstecken konnte. Wie wenn man den Besitz ins Grab mitnehmen könnte !Als er gestorben war, kam alles ans Tageslicht. So einer war er, wer hätte das gedacht! Und es dauerte nicht lange, so munkelte man im Dorf, daß er in den Wäldern der Witwe umherirre, und die Fronfastenkinder, die ja, wie man weiß, mehr hören und sehen als gewöhnliche Kinder, hörten ihn Holz



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sägen, und wenn einer nachts durch den Wald ging, konnte er nicht weiter, bis ihn das Geläut der Glocken erlöste.

Furchtbar aber ist es, wenn man einem solchen Gast unverhofft begegnet! Das mußte ein junger Bursche erfahren, der einmal nachts durch den verzauberten Wald ging. Aus den Bäumen trat ihm ein Mann in einem langen weißen Gewand, mit einem bunten Gürtel, entgegen. Der seltsame Mann trug eine Säge in der Hand. Er starrte dem jungen Burschen ins Gesicht, und dann breitete er die Arme aus. Da schrie der Junge vor Entsetzen auf. Seit dieser Zeit, so wird erzählt, war es mit dem Frohsinn des jungen Mannes vorbei. Oft erschien ein Vogel und setzte sich ihm auf die Schulter. Wenn er den Vogel packen wollte, flatterte er weg, die Vögel aber in den Bäumen begannen wie närrisch zu pfeifen und zu schreien. Es dauerte nicht lange, da starb der arme Bursche.

Eine ähnliche Begebenheit erzählt man sich in Zuzwil. Dort irrte auch ein brennender Geist umher. Manchmal kam er bis zum äußersten Haus des Dorfes, aber er wagte sich nie weiter als bis zur Dachtraufe, denn, wie man weiß, diese Geister vertragen das Wasser nicht. Die Zuzwiler, guten Herzens, wollten dem Geiste helfen und ihn erlösen. Eine gar fromme Frau ging deshalb zum Pfarrer und holte sich seinen



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Rat. Er nickte einige Male und dann sagte er: «Laß für den Geist drei Messen lesen, dann wird er zu dir kommen und dir für die Erlösung danken. Aber ich warne dich, gib ihm ja nicht die Hand dabei. »

Nach einigen Tagen klopfte es an der Wohnung der frommen Frau; ein fremder Mann stand draußen. Als sie erschien, streckte er ihr dankend die Hände entgegen und murmelte: «Komm bald nach! » Die Frau, sich sofort an die Worte des Pfarrers erinnernd, streckte ihm nicht die Hand, sondern die Kunkel des Spinnrades entgegen, denn sie war gerade mit Spinnen beschäftigt gewesen. Der Geist ergriff die Kunkel und verschwand so schnell, daß man meinte, er habe sich in der Luft aufgelöst. Die fromme Frau aber betrachtete die Kunkel und sah mit kaltem Entsetzen, daß das Werg ganz versengt war. Auch sie mußte diese Begegnung mit einem frühen Tode bezahlen.

Es hat etwas an sich mit der Dachtraufe; auch in Abtwil geisterte ein feuriger Mann herum, sie nannten ihn den «Nößler ». In der Altjahrnacht achteten die Bauern am Berg sehr darauf, daß der «Nößler» nicht bis zur Dachtraufe ihres Hofes kam, denn er brachte Unglück und Unfrieden. Um ihn wegzujagen, machten sie mit Glocken und andern Geräten einen riesigen Lärm, sie verkleideten sich auch



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als Kläuse, um den Geist zu erschrecken. Solche Lärmmacher, «Römpel», gehen heute noch am Silvestermorgen durch die Straßen von Straubenzell, um den bösen Geist fernzuhalten.

Nach einer alten Sage lebte auf der Burg Rappenstein ein unmenschlicher, grausamer Ritter, der manche Missetat verübte. Zur Strafe wurde er nach seinem Tode in einen Felsen der Goldachschlucht verbannt. Immer am Silvester jagt er auf feurigem Pferd durch die Gegend, Unheil bringend und Unheil verkündend. Die «Römpel» aber mit ihren Glocken behüten Haus und Hof, und wenn die verschlafenen Leute neugierig zu den morgengrauen Fenster hinausblicken, tönt ihnen ein froher, zukunftsfreudiger Neujahrswunsch entgegen.



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VON DEN SELBSTMÖRDERN

Liegt nicht eine leise Melancholie über dieser Landschaft, in deren Sagenwelt die verlorenen Selbstmörder gespenstisch auftauchen? Tierarzt Keller erzählte von einem armen Mann, dem «Hafnerli », der sich in einer Scheune im Schachen erhängte. Und Selbstmörder, das ist eine bekannte Weissagung, finden ihre Ruhe nicht, bis sie nach der Erfüllung schwerer Bedingungen erlöst werden. Mancher beteuerte mit sehr wissenden Augen, er habe den Hafnerli-Geist in jener Scheune gesehen; aber zum Glück war es ein gutmütiger Geist, der den Bauern im Stalle half, das Futter richtete, das Vieh besorgte, bis er im Dunkel der Sagen entschwand.

Schlimmer war es aber mit dem Geist im Bannholzwalde in Oberbüren. Ein Schneiderlein, das spät abends von der Stör durch den Wald heimkehrte, wurde von diesem Geist stundenlang durch Dornen und Gestrüpp herumgetrieben, bis er erst nach Mitternacht mit zerrissenen Kleidern nach Hause kam. Das war niemand anders gewesen als der «Hans-Ma», der sich hier das Leben genommen hatte.



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Tierarzt Keller erzählte noch von einem andern Fall, der sich in seiner Kindheit abgespielt hatte. An der alten Brücke im Erlenholz hatte sich auch ein unglückseliger Mensch das Leben genommen. Er erschien nun in dunkler Nacht als schwarzer Pudel, eilte über die Straße oder setzte sich mitten auf die Brücke. Da getraute sich keiner hinüberzugehen, denn unweigerlich wäre die Brücke in die Sitter hinuntergestürzt.

Einmal, so erzählte nun Tierarzt Keller, wollte er mit seinem Vater in später Nacht über die Brücke gehen. Es war eine helle Nacht, da man die Dinge etwas genauer erkennen konnte, und das war ein Glück, sonst wäre er niemals über die Brücke gekommen. Denn in diesem Augenblick kam ihnen ein Mann in einer hastigen Aufregung entgegen, er verwarf die Arme und flüsterte heiser: «Der Pudel sitzt auf der Brücke, kehrt sofort um. » Der Vater mit seinen guten Augen hatte in der hellen Nacht den Hund bereits gesehen und auch sofort erkannt. «Komm, Bläß», rief er, und es war wirklich der treue Appenzellerhund eines ihnen bekannten Viehhändlers, der ihnen schweifwedelnd entgegenkam und so die Brücke freigab.

Wenn diese Geschichten nur immer einen so freundlichen Ausgang nehmen würden!



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In Abtwil aber, und Walter Beeler erzählte mir diese Geschichte selber in seiner traulichen, niedern, blumengeschmückten Holzstube, geschah eine schaurige Untat, die jahrelang ein Haus in ein dunkles Geheimnis einschloß. Vater und Sohn lebten im ständigen Hader, gönnten sich nicht nur kein gutes Wort, sondern schadeten einander, wo sie nur konnten. In einer unseligen Stunde gerieten sie im Streit aneinander, und der kräftigere Sohn warf seinen Vater die Treppe hinunter. Der alte Vater blieb schwerverletzt liegen und starb nach kurzer Zeit. Das böse Gewissen trieb nun den Sohn ruhelos umher, und als er in seinem Unfrieden keinen Ausweg mehr fand, erhängte er sich am Fenster in seines Vaters Kammer. Selbstmörder werden nicht im Friedhof begraben, und um ihrem toten Mann dieses ehrlose Schicksal zu ersparen, legte ihn die Frau ins Bett und sagte dann mit heuchlerischer Stimme zum Totengräber: «Hat er nicht einen schönen Tod gefunden? Wie schön und selig liegt er da. » Der Totengräber aber brummte deutlich: «Zu schön liegt er da. »

Der Selbstmörder aber fand keine Ruhe im Grab. Er kehrte als Geist in sein Vaterhaus zurück und erschreckte die Nachkommen mit Gepolter und Geseufze und ließ sie oft lange keinen Schlaf finden. Wenn ein Besuch ins Haus



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kam, trieb er es besonders fürchterlich. Wehe aber, wenn der Besucher über die Mitternacht hinaus im Hause blieb! Wenn der letzte Stundenschlag verklang, begann ein schauriges Ächzen, daß den Leuten kalte Schauer den Rücken hinunterfuhren, dann hörte man ein wildes Poltern, treppauf, treppab - «er muß den toten Vater hinauftragen », flüsterten die tieferschrockenen Leute; und das Heulen und Lärmen hörte erst auf, wenn der schlotternde Besuch das Gespensterhaus verlassen hatte.

Aber wenn er glaubte, dem Unheil entronnen zu sein und eilends seinem Heim zustrebte, konnte es geschehen, daß er eine zweite fürchterliche Begegnung erlebte; ein schwarzer Hund und eine schwarze Katze mit steilerhobenen Schwänzen strichen an ihm vorbei, die Köpfe dicht beisammen, als müßten sie einander eine schlimme Geschichte erzählen. Das waren aber niemand anders als der Selbstmörder und seine Frau, die auch ihre Strafe erleiden mußte, weil sie für ihren Mann ein Grab im Friedhof erheuchelt hatte.

Seltsamerweise kehrte der Frieden in einer wilden Sturmnacht in das Haus zurück, als ein Blitz in das Dach fuhr, alles taghell erleuchtete, aber zum großen Glück keinen Brand verursachte. Von dieser Stunde an war der Fluch vom Hause genommen.



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Andere Menschen wohnen heute in dem alten kleinen Haus mit dem freundlichen Sommergärtlein, und keiner wüßte mehr um sein dunkles Geheimnis, wenn Schreinermeister Walter Beeler es mir nicht anvertraut hätte.



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DIE POLTERGEISTER

Es gibt auch heute noch Menschen, und ich kenne einige dieser Art, die ganz bestimmt behaupten, in ihren alten Häusern sei es nicht ganz geheuer; man werde oft von heftigem Gepolter, schmerzlichem Geseufze oder noch Schlimmerem aufgeweckt, und mit allen Mitteln der Technik gelinge es nicht, die Poltergeister zu entdecken oder sie gar zu verbannen. Wie heftig mußten da die Menschen früherer Zeiten erschrecken, wenn die Poltergeister oder auch «Schrättlige », wie sie diese Geister nannten, ihr unerklärliches Wesen in den Dielen und Kammern trieben. In der Gegend von Goldach, so erzählte ein Mann, der es selber erlebt hatte, kam des Nachts ein solcher Schrättlig in das Haus und quälte die Leute, daß sie keinen Schlaf finden konnten. Einmal faßten sie sich ein Herz und verrammelten Tür und Tor, damit der böse Geist keinen Ausweg mehr finden konnte. Als sie am andern Tag Nachschau hielten, fanden sie auf dem Boden der Stube einen Strohhalm, der so merkwürdig aussah, daß sie sich nicht getrauten ihn aufzuheben. Sie holten Hämmer und Äxte und



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schlugen erbarmungslos auf den Haim ein, bis man ihn fast nicht mehr erkennen konnte. Da stellte sich heraus, daß eine Frau im obern Stock in dem Augenblick schwer krank wurde. Da nickten die Leute vielsagend die Köpfe und munkelten allerhand.

In Trübbach stand auch ein solch verrufenes Haus, das man das «schwarze Haus» nannte. Niemand wollte darin wohnen, denn nachts war jeweils ein solcher Lärm in den Kammern, als ob jemand Baumstrünke herumschmetterte. Später, als man das Haus abbrach und eine Wirtschaft an seiner Stelle erbaute, kehrte die Ruhe ein, und es waren jetzt andere Poltergeister, die oft die dörfliche Ruhe störten.

A. Sprenger berichtet von einigen ähnlichen Fällen in der Gemeinde Eggersriet. Als nämlich der alte Kirchenbauer im Sterben lag, hoben seine Verwandten, die Krämersleute, verwundert die Köpfe; denn ganz deutlich vernahmen sie im obern Stock den bekannten schwerfälligen Schritt und das Geklapper der Holzschuhe, als ginge der Kirchenbauer leibhaftig in der Stube herum.

In einem andern Hause geisterte es namentlich in der Advents- und Fronfastenzeit. Da war nicht nur ein wildes Gepolter, sondern der Bauer erblickte den Geist im Stall, wenn er die Tiere fütterte, er glotzte ihn stumm und zugleich



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vielsagend an aus merkwürdig toten Augen. In seiner Not ging der Bauer zum Pfarrer, der den Geist auf seine Art bannte. Er ließ aus Stein einen Totenkopf hauen, den er im Haus auf die Kommode stellte. Von diesem Augenblick an verstummten alle Geräusche, und der Geist ließ sich nie mehr blicken.

Auch der Dachdecker des Dorfes hatte ein ähnliches Erlebnis. Er wohnte im Hause des Schuhmachers im obern Stock. Einmal kam der Dachdecker zu später Stunde nach Hause. Um die schlafenden Leute nicht zu stören, zog er die Schuhe aus und stieg in Strümpfen die knarrende Treppe hinauf. Aber seine Vorsicht nützte nicht viel; denn plötzlich ging in seiner Kammer ein wilder Lärm los, der alle Leute weckte. Der Schuhmacher schnüffelte: «Er wird wieder zu viel getrunken haben », nahm die Kerze und ging hinauf, um den Dachdecker zur Ruhe zu mahnen. Als er die Türe öffnete, stand der Dachdecker käsebleich und zitternd vor ihm und stammelte nur: «Gott sei Dank, Schuhmacher, daß du kommst. Da war ein Schrättlig, da auf meiner Brust saß er, und wenn du nicht gekommen wärst, hätte er mich getötet. »

Daß nicht alle Geister so bösartig waren, belehrt uns das Beispiel von Zuckenriet. Im dortigen



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Schloß rumorte auch noch der Geist eines längst verstorbenen Ritters von Zuckenriet in den Räumen herum. Ein Kapuziner brachte es fertig, ihn auf ein einziges Zimmer festzubannen. Freilich machte er hier seinen eigenen Lärm, bis man dazu kam, ihn zu beruhigen, indem jede Nacht eine Kerze in dem Zimmer brannte. Da verstummte er nicht nur, sondern er zeigte sich von seiner besten Seite. Jeden Morgen, wenn die Knechte sich zum Tagwerk erhoben, fanden sie die Pferde bereits gefüttert, die Wagen herausgezogen und bespannt, so daß sie ohne Mühe zur Feldarbeit abfahren konnten. Und die Geschichte muß wohl wahr sein; denn C. G. J. Sauer hat sie in seiner Chronik aufgezeichnet.


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DER MÖTTELI VON RAPPENSTEIN

Nicht nur im Thurgau sprach man vom sagenhaften Reichtum der Mötteli; auch im St. Gallischen war das Wort «Reich wie der Mötteli» ein Zauberklang; aber es mischte sich auch der schlimme Ruf hinein «Schlecht wie der Mötteli », denn rücksichtslos suchten sie ihr Gut zu mehren. Es ist nicht von ungefähr, daß sie als böse Geister durch die heimischen Sagen wandeln. Sie hatten das Schloß Rappenstein gekauft, das später Möttelischloß genannt wurde. Um seine Mauern geht die Sage, daß unfaßbar große goldene Schätze aus dem Besitz der Mötteli an unbekannten Orten vergraben liegen, und es wäre ein leichtes sie zu finden und dabei ein reicher Mann zu werden, aber noch keiner habe die Bedingungen erfüllt. Einem jungen Mann aus der Gegend wäre es beinahe gelungen. Aber mit einigem Zittern erzählte er, daß er sich nie mehr in jene Gegend wage, und er sage es keinem einzigen, wo die berüchtigte Stelle liege; denn er wolle ihn nicht in die tödliche Gefahr bringen, der er knapp entronnen sei. War es wirklich so schlimm? An jener Stelle, wo der Möttelischatz



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vergraben liegt, klopfte er um die mitternächtige Stunde an die dicke Mauer; es war ihm nicht ganz geheuer dabei. Da bellte gar schrecklich ein böser Hund, und man hörte das Rasseln von schweren Eisenketten. Unerschrocken klopfte der Bursche wieder an die harte Mauer. Wie von Geisterhand öffnete sie sich, und zum Entzücken des Schatzgräbers traten zwei junge, überaus schöne Mädchen in weißen Gewändern heraus. Sie trugen zudem zierliche rote Schuhe. Aber das Schreckliche war, daß sie an den Ketten angebunden waren, verzweifelt weinten und dem Burschen händeringend ihr Leid klagten und um seine Hilfe für ihre Erlösung flehten. Dabei war die Bedingung unendlich leicht zu erfüllen, man mußte die beiden Mädchen küssen, dann war der Schatz errungen, und man war so reich wie einst der Mötteli. Ach ja, sagte der junge Mann und seufzte schwer, das Küssen wäre leicht gewesen, und wie gern hätte ich es getan; aber da stand neben den beiden Mädchen der riesige schwarze Hund mit den glühenden Augen und fletschte wild die Zähne. Wenn es nur um das Küssen gegangen wäre, so hätten die Mädchen schon längst ihre Ketten wegwerfen können! Aber er getraute sich nicht; denn man wußte nicht, ob im Hund nicht der leibhaftige Teufel saß und einem mehr als nur


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ein Stück Hosenboden weggerissen hätte; der junge Mann kehrte um und eilte wie vor der Sünde davon. Lange noch hörte er das Wehklagen der Mädchen, das Bellen des Hundes und das Rasseln der Ketten; und das Mitleid mit den armen Mädchen bewegte sein Herz, aber wenn es um eine Auseinandersetzung mit den Geistern oder gar mit dem Teufel geht, so schaut doch jeder auf seine eigene Seligkeit. Der Schatz der Mötteli aber liegt immer noch an unbekannter Stelle in jener Gegend vergraben, und die armen Jungfrauen warten seit Hunderten von Jahren sehnlichst auf ihre Erlösung.


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DER TEUFEL IM KÜBEL

Was der Teufel eigentlich alles mit sich geschehen läßt! Es ist gut, daß viele Menschen nicht wissen, wie dumm der Leibhaftige ist, sonst würden sie sich gar nicht mehr zusammennehmen. Da kam er einmal zu jener Zeit ins Dörfchen Grub, wo er sich einige schwarze Seelen ergattern wollte. Die Leute merkten aber bald, was für ein Gast ihre Stuben unsicher machte, und sie wollten ihn natürlich gerne wieder vom Halse haben. Man kann aber einen Teufel nicht einfach wegschicken wie einen gewöhnlichen ungebetenen Gast, dazu braucht es einiges mehr, was ein gewöhnlicher Sterblicher natürlich oft nicht weiß. Da meldeten sie die Sage dem protestantischen Pfarrer. Der kam voll Eifer her, und als er dem Teufel in einer Stube entgegentrat, rief er mit hocherhobenem Finger: «Ich komme und beschwöre dich!» Der Teufel aber meckerte wie ein alter Geißbock, grinste übers ganze Gesicht, zeigte unverschämt seinen Hintern und höhnte: «Ich komme und verzehre dich! » Da fuhr der Schrecken dem Pfarrer in die Hosen, begreiflicherweise, und er verzog sich in seine



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Studierstube. Nun baten die Leute den katholischen Pfarrer, sie vom Teufel zu befreien. Der war nun ein älterer Herr, der einiges mehr wußte, aber alle Beschwörungen, die er anwandte, fruchteten nichts; der Teufel lachte den Pfarrer aus und schlich weiter auf heimlichen Pfaden durch das Dorf und lauerte auf die Sünde. Als er um eine Hausecke bei der Wirtschaft kam, erschrak der Teufel doch ein wenig, als er wieder dem Pfarrer begegnete, der diesmal einen kleinen Kübel in der Hand trug. Da schwante dem Teufel etwas Böses, er wollte nun mit einem Satz aus dem gefährlich gewordenen Grub wegspringen, aber dazu war es zu spät. Der Pfarrer öffnete den kleinen Kübel, sprach einen nur ihm bekannten lateinischen Spruch, und dann sagte er die Worte, die die Gruber auch verstanden: «Ins Töbeli im Chöbeli. » Und der Teufel war gezwungen, ob er wollte oder nicht, er mußte in den Kübel hinein. Der Pfarrer schloß den Deckel und trug den Kübel in das nahegelegene einsame Sacktobel. Die Gruber atmeten befreit auf; der Teufel aber blieb lange Zeit gefangen in dem Kübel im Tobel, und es war eine sehr friedliche und duldsame Zeit in der Gegend. Ein Mann, der von allem nichts wußte, fand einmal den Kübel, dachte, den könnte er gut gebrauchen, und trug ihn weg. Aber bei jedem


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Schritt wurde der Kübel schwerer und schwerer, so daß ihn der Bauer am Orte lassen mußte. Wer den Teufel aber hinausließ, weiß niemand; man weiß nur, daß es ihm gelang, seinem engen Gefängnis zu entkommen. Es wird vermutet, daß eine gierige Katze so lange am Deckel herumnagte, bis er sich löste, weil sie einen Leckerbissen im Kübel erwartete; einige Gruber haben die Katze in später Nacht gesehen, sie leuchtete seltsam wie ein Irrlicht, verschwand aber bald aus der Gegend. Der Teufel aber hatte genug; er zeigte sich nie mehr in Grub.


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DER HASENHOLZGEIGER

Keiner hatte ihn je gesehen, aber alle hatten ihn schon gehört. In den heiligen Zeiten, an Weihnachten und an den Fronfastentagen, lauschten die Leute von Zuzwil und Linggenwil seinem himmlischen Spiel, weil es dann am schönsten aus dem Hasenholz herausklang, wo der unsichtbare Spielmann, wie die Sage erzählt, seine Geige so volltönend spielte, als wäre er der «fürnehmste» Geiger der Welt. Wer aber seinem zauberischen Spiel verfiel und sich in das Wäldchen verlocken ließ, dem wurde jene bittere Enttäuschung zuteil, die wir als Knaben erlebten, wenn wir dem lockenden Kuckucksruf in den Frühlingswald folgten und dabei hofften, den scheuen unsichtbaren Sänger zu entdecken. Man lief in die Irre und fand oft den Heimweg kaum mehr aus dem unbekannten Wald.

Einmal versuchte nun ein nächtlicher Heimkehrer aus Linggenwil den Geiger mit leisen Schritten zu überlisten. Es war zur Weihnachtszeit, der Schnee lag ziemlich tief. Aber der arme Mann irrte in der Dunkelheit nur im Wald und im benachbarten Ried herum, und



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erst als in der Morgenfrühe das Angelusläuten von Linggenwil herüberdrang, fand er den Ausweg aus dem Zauberkreis und kam todmüde nach Hause. Als er sich ein wenig ausgeruht hatte, plagte ihn doch die Neugierde, und er wollte den nächtlichen Spuk bei Tage enträtseln. Vorsichtigerweise nahm er aber einen Gefährten mit ins Hasenhoiz. Da sah er mit Staunen im Schnee seine Fußspuren, die einen großen Kreis beschrieben, den er in der Nacht unzählige Male gegangen sein mußte; es war ein Kreis wie einer jener von Pilzen im Sommerwald bestandenen, sagenhaften Hexenringen, der ihn gefangengehalten hatte. Im Dorfe Linggenwil sprach man noch lange von diesem sichtbaren Beweis von der Existenz des Hasenholzgeigers, denn ein Zeuge bestätigte die Aussagen des armen Nachtschwärmers.

Oft, wenn er später in einer heiligen Nacht dem Geigenspiel aus dem Hasenholz lauschte, mußte er sein unruhiges Herz fest im Zaume halten; denn der zauberische Ruf war so lockend wie das Lied der Liebe.