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Walter Keller
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© Edition Olms AG, Zürich Mit freundlicher Genehmigung des Verlages M.S. Metz, Zürich Printed in Germany Herstellung: Strauss & Cramer GmbH, D-6945 Hirschberg 2 Umschlagentwurf: Paul König, D-3200 Hildesheim ISBN 3-283-00088-3 |
ZUM GELEIT
Mit diesem Buch erscheint eine Auswahl von Sagen und Märchen aus dem Tessin, die ich im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre unter dem Volke gesammelt und nach der Erzählung in ihrem heimischen Dialekt ins Deutsche übertragen habe.
Sagen und Märchen sind die Widerspiegelung der Phantasie- und Traumwelt einfacher Menschen, der Fischer am See. der Bauern im Tal, der Hirten und Aelpler auf den Bergen. Sie sind recht eigentlich die Literatur der kleinen Leute, die poesievollen Phantasiegebilde der Volksseele. Sie leben in der Stille der Dörfer, am Seeufer und auf den Alpweiden und gehen neben den Erzählungen der Kunstliteratur wie schlichte Bauernkinder einher. Sie sind das ungeschriebene, aber deshalb nicht weniger wertvolle Erzählgut, aus dem die hohe Dichtkunst nicht selten Stoff und Anregung empfängt. Sie sind anonym, gleich den alten Volksliedern, deren Verfasser und Komponist auch niemand kennt, denn das ganze Volk ist ihr Schöpfer. Sie werden vor dem Hause oder am flackernden Kaminfeuer im kleinen Kreise vorgebracht; die Mutter erzählt sie den Kindern, die Großmutter den Enkeln. So werden sie erzählend weitergegeben von Geschlecht zu Geschlecht und stellen ein ursprüngliches Volksgut dar, das uralte Vorstellungen bewahrt hat.
Während die Sagen mehr an bestimmte Oertlichkeiten
gebunden sind und etwa von einer Schloßruine, einer alten Kapelle, einer Höhle oder einer Alpweide berichten, sind die Märchen beweglicher und freier und erzählen eher von allerlei Menschenschicksal.Auf meiner Suche nach alten Volksliedern des Tessins gelangte ich einst an eine Bäuerin in Losone, die man mir als Kennerin alter Liederschätze empfohlen hatte. Sie erklärte mir aber, daß sie zu alt sei, um Lieder zu singen, dafür wolle sie mir aber einige Sagen erzählen. Und als wir abends am Kaminfeuer saßen und gebratene Kastanien aßen, erzählte sie mir die Legende vom «Lago d'Elio» und die Sage von den «Hundert Feldern».
Auf einer anderen Studienwanderung lernte ich Frau Luigia Carloni-Groppi in Rovio kennen, die eine Menge alter Märchen und Sagen wußte und mir ihre handschriftlichen Aufzeichnungen zur Verfügung stellte.
Weiteren Stoff für meine Sammlung, die damit angeregt war, fand ich in der Pieve Capriasca und im Val Colla, wobei mir die Herren Silvio Savi und Prof. Plinio Savi wertvolle Dienste leisteten. Auch von Herrn Giulio Genetelli in Preonzo und Frau Alberti-Mattei in Osogna, ferner aus dem Blenio-Tal, aus der Leventina und sogar aus dem abgelegenen Bedretto-Tal konnte ich manche alte Sage und manches Volksmärchen erhalten.
Einige der Märchen finden sich in ähnlicher Form auch bei andern Völkern oder klingen an bekannte Motive an. Ich habe sie aber gleichwohl in meine Sammlung aufgenommen, da sie in ihrer tessinischen Fassung doch ein bestimmtes Lokalkolorit besitzen. Ferner hat der Tessin naturgemäß manche Märchen mit Italien gemeinsam. Da ist dann viel vom blauen
Meer und von abenteuerlichen Reisen die Rede. Andere dagegen haben deutlich die Tessiner Berglandschaft als Hintergrund. Sie erzählen vom Leben auf den Alpweiden, vom Käsebereiten in der Sennhütte, vom mühsamen Holzhacken in den Kastanienwäldern, vom Heuen an schroffen Felshängen, von der Oelmühle zuhinterst im Tal, vom Fischen am blaugrünen See. vom Hinabwandern mit der Gerla zum Markt, von den Spinnstubeten beim knisternden Kaminfeuer, aber auch vom Auswandern in ferne Länder und von der Heimkehr mit einem kleinen Sparbatzen. Auffallend viele Märchen fabulieren von einem unverhofft gefundenen Glück. Da wird etwa erzählt, wie ein armer braver Bauernbursche durch Klugheit und Tüchtigkeit viel Geld findet oder sogar eine Königstochter zur Frau gewinnt. Diese Sehnsucht nach einem sorgloseren Dasein ist begreiflich bei einem Volk, das hart arbeiten muß, um dem kärglichen Boden das zum Leben Nötige abzuringen. So entschädigt es sich für die Mühsal des Lebens wenigstens in seiner Phantasie, indem es von leicht errungenem Glücke träumt. Alle diese Sagen und Märchen spiegeln mehr oder weniger treu die Seelenregungen dieses schlichten, wackeren Bergvolkes wider, das zwar mit beiden Füßen tapfer auf dem Boden der Wirklichkeit steht, einer gemütvollen und phantasiereichen Fabulierlust aber ein weites Spielfeld gewährt.Zum Schluß möchte ich meinem lieben Freund. Herrn Dr. Karl Bronner in Basel, meinen warmen Dank aussprechen für so manchen feinsinnigen Ratschlag und wertvollen Hinweis.
Dr. Walter Keller (Basel).
DIE SAGE VOM LAGO D'ELIO
«Angiolina, erzählt mir eine hübsche Geschichte!», sagte ein Mädchen von acht oder neun Jahren zu einer alten Bäuerin, welche in einer Ecke des altertümlichen und geräumigen Kamines saft wo ein Feuer von drei oder vier Kastanienscheitern brannte, die rauchten und ringsherum warm gaben, und aus deren Glut bisweilen hohe Flammen emporloderten und fröhlich knisternde Funken sprühten.
Angiolina war wirklich ein altes Mütterchen. Aus ihrem abgebleichten und bunten Nastuch, das sie mit zwei Zipfeln um den Kopf gebunden hatte und das hinten am Hals bis mitten auf den Rücken herunterhing, guckten weiße Haare hervor.
Also setzte sich Angiolina behaglich in ihrem Winkel am warmen Kaminfeuer zurecht, wickelte ihren
Rock und die Schürze mit einer kreisenden Bewegung um die Knie und Füße, damit sie nicht Feuer fingen, wärmte darnach die Hände an der lodernden Flamme und versteckte sie wieder in die Schürze. Darauf begann sie folgendermaßen zu erzählen:Vor Zeiten war einmal ein hübsches Dörfchen dort drüben auf halber Höhe des Gebirges. Es lag wie versteckt in seinem Schoß. Man sieht seine Stelle noch heute und braucht nur dort hinunterzugehen auf den Platz. wo unsere Kirche von Losone steht, von dort aus kann man's sehen.
Die Leute dieses Dorfes waren hartherzig und so böse, daß sogar der liebe Gott ihrer überdrüssig und darob so sehr erzürnt war, daß er beschloß, sie zu strafen.
Die Madonna jedoch, voller Mitleid, beschwichtigte ihn und erhielt von ihrem göttlichen Sohne die Erlaubnis, noch einen einzigen Tag mit der Ausführung seines Vorhabens zu warten, denn sie wollte noch versuchen, ob es ihr möglich wäre, einige der Bewohner zu bekehren, um die Strafe aufzuschieben oder gar abzuwenden.
So sah man denn an einem stockdunklen Abend eine alte Bettlerin durch jenes Dörflein gehen, die ganz zerfetzte Kleider trug und vor den Türen um eine milde Gabe bettelte. Vergeblich klopfte sie an alle Türen, umsonst flehte sie mit sanfter und rührender Stimme, daß man sie einlasse und ihr ein Almosen spende. Niemand kam und öffnete ihr. Keiner gab ihr etwas. Die Türen und die Herzen der Bewohner von Elio blieben gleich fest verschlossen.
Als nun das arme Mütterlein überall die Runde im Dorf gemacht hatte, blieb es ein wenig stehen, um sich
umzuschauen. und Tränen voll Schmerz rannen ihm aus den Augen und fielen zur Erde. Dann wandte es sich nach der Straße, die aus dem Dorf wegführte. Da kam es zu einer armseligen Hütte, an der es aber dennoch anklopfte.Die Tür ging sogleich auf, und auf der Schwelle trat ihm eine Frau entgegen, die war ganz mager und abgezehrt vor Entbehrung und Elend. Und dann waren noch vier Kinder da, erschöpft und traurig wie ihre Mutter.
Als diese die alte Bettlerin sah, wie sie so spät noch umherging, um eine Unterstützung zu betteln, fühlte sie großes Mitleid und hieß sie sofort mit liebreichen Worten hereintreten, führte sie an das kleine Kaminfeuer und bat sie, in der am meisten geschützten Ecke Platz zu nehmen. Dann fachte sie das Feuer wieder an, damit sie ihre erfrorenen Glieder wärmen könne und bot ihr einige Kartoffeln an, die sie in der Asche gebraten hatte, den einzigen Ueberrest ihres dürftigen Nachtmahls.
Die alte Bettlerin aß davon einige, dankte der Mutter und den Kindern, die schüchtern um sie herumstanden, mit einem solch liebevollen Blick und einem so sonnigen Lächeln, daß sich ihr Herz mit einer seligen Freude füllte, wie sie es bis zu diesem Tage noch nie verspürt hatten.
Ein Weilchen später, nachdem sie völlig erholt schien, stand sie auf, nahm Abschied von der Familie, wandte sich aber unter der Haustür nochmals zurück und sprach:
«Eure Gastfreundschaft hat euch gerettet, und ihr werdet die Belohnung empfangen. Behaltet morgen die Schulter dieser Haustür wohl im Auge - und damit
zeigte sie auf die Stelle, indem sie mit ihrem Stöcklein darauf schlug. Sobald ihr die ersten Tropfen Wasser hier herabfließen seht, so nehmet eure wenige Habe und flüchtet miteinander aus dieser Gegend, denn Gott der Herr hat sie verflucht.»Kaum hatte sie das gesagt, so verschwand sie, wobei sie einen lieblichen Wohlgeruch und einen hellen Lichtschimmer zurückließ. der nach und nach in der Ferne erlosch.
Als jene Nacht vorüber war, und der Tag anbrach, redeten die Kinder mit der Mutter immer noch von dem, was am Abend vorgefallen war. Zitternd erwarteten sie die Nacht und harrten auf das Wunder, das da geschehen werde, indem Wasser herabkommen sollte vom lebenden Felsen.
Sobald der Abend dämmerte, wo, wie man bei uns im Tessin sagt, die Nase anfängt, einen Schatten zu werfen, wandten die Knaben kein Auge mehr von der Haustür und schauten unverwandt auf die bezeichnete Stelle.
Die Mutter dagegen, immer noch unentschlossen, ob sie das Häuschen verlassen sollte oder nicht - denn es war ihr einziges Gut und ihr alleiniger Zufluchtsort - raffte für alle Fälle die wenigen Habseligkeiten zusammen, die ihr wert schienen, gerettet zu werden.
Und richtig, auf einmal schrien die Kinder wie mit einer Stimme:
Mutter, Mutter, schau, schau, das Wasser, das Wasser, schnell fort!»
Auf dieses Rufen hin rannte die Mutter herbei, und noch bleicher geworden, als sie sonst schon war, sah sie wirklich einige Wassertropfen aus dem Stein herauskommen,
der aber kein Loch zeigte und keinen Riß. Die Tropfen kamen immer schneller und mit immer größerer Geschwindigkeit, als wollten sie zur Flucht anspornen.Zitternd vor Angst stellte sie sich vor den ältesten der Knaben. Der nahm den Kleinsten auf den Rücken. Dann nahm sie die zwei übrigen Kinder an die Hand und lud einen mächtigen Sack auf die Schultern mit all dem, was sie von ihrer Habe retten wollte. Hierauf eilten sie fort auf die Straße, die zum Dorf hinausführte und erreichten nach langem Wandern die Höhe eines Bergrückens, der sich langsam herabsenkte. Schließlich gelangten sie in ein geräumiges Tälchen und zuletzt in eine verlassene Blockhütte, in die sie hineingingen.
Dort zündeten sie ein Feuer an, um sich zu erwärmen und etwas sehen zu können. Im hintersten Winkel war ein Haufen Stroh. Auf diesen legten sich die Kinder hin und schliefen ein, ermüdet vom weiten Weg und von der Angst, die sie ausgestanden hatten.
Auch die Frau legte sich nieder und dankte Gott im Gebet, daß er sie aus der Gefahr gerettet. Dann versuchte sie zu schlafen; allein der Schlaf wollte nicht kommen, und sie verbrachte eine lange und kummervolle Nacht.
Endlich, endlich schimmerte die Morgenröte durch die Lücken der Hütte und meldete mit ihrem fahlen Licht der armen Frau, daß der Tag nicht mehr ferne sei. Und weil es ihr keine Ruhe mehr ließ, stand sie, um ihre Kinder nicht zu wecken, ganz leise auf, ging behutsamen Schrittes zur Hütte hinaus und lief an eine Stelle, von wo sie ihr Dörflein noch hätte erblicken können.
«Um Gottes Willen!» rief die Frau und sank auf die Knie, denn es war ihr, als fiele sie in Ohnmacht und als müßte sie sterben, so elend wurde ihr beim Anblick dessen, was sie vor Augen hatte. Von dem schönen Dorfe Elio war nichts mehr zu sehen. An seiner Stelle bildete eine weite und gleichförmige Wasserfläche einen See. Totenstille herrschte ringsumher. Weder ein Haus noch ein Stall war noch zu sehen, weder die Glocke einer Kuh noch einer Ziege oder eines Schäfleins unterbrach wie sonst die Grabesruhe. Alles, alles war verschwunden, Leute und Vieh, ohne die geringste Spur übrig zu lassen.
Noch heute wird erzählt, daß man zu Zeiten, wo der See von Gewittern plötzlich aufgewühlt wird und die Wellen sich mit Wut aufbäumen, aus der Tiefe die Glocken einer Kirche läuten höre. Diese sind nämlich geweiht und erinnern die Lebenden an das begangene Unrecht derer, die da begraben wurden, und an die Strafe, die Gott der Herr ihnen geschickt hat.
Man berichtet auch, wenn der See ruhig daliege wie ein Spiegel, daß man durch das Wasser ganz unten in der Tiefe, Häuser, Dächer und Gäßlein sehen könne als Ueberreste des versunkenen Dorfes. Aber das erregt Schauder, und nur ganz wenige haben gewagt, so weit hinunterzublicken und jene geheimnisvollen Tiefen zu erforschen.
Dort, wo die Madonna jene heiligen Tränen geweint, sank die Erde nicht hinunter; es bildete sich ein Inselchen, so groß, daß ein Mensch darauf stehen konnte. Veilchen und Maiglöckchen erblühten dort immer. Mit der Zeit aber kamen neugierige Leute dorthin und wollten die Insel besuchen.
Und weil sie dadurch entweiht wurde, versank eines
Tages auch dies Eiland in den See und verschwand in der Tiefe.Das war das Schicksal des Dorfes Elio.
Hier endigte Angiolinas Erzählung zum großen Bedauern der kleinen Zuhörerin, die noch gerne, wer weiß wie lange, bei ihr gesessen hätte, um andere Geschichten zu vernehmen.
DIE SCHWALBEN UND DER RABE
DES KLOSTERS BIGORIO
Es war im Jahre der Gnade 1535. Die guten Bewohner des gegenwärtigen Kirchensprengels von Capriasca hatten endlich den Entschluß gefaßt, ein großes Kapuzinerkloster zu bauen. Wie es aber oft geschieht in solch wichtigen Angelegenheiten, entstanden Meinungsverschiedenheiten über die Lage, wo das Kloster hinkommen sollte. Endlich entschied eine schwache Mehrheit des Volkes. das Kloster müsse in die Nähe des Dorfes Lugaggia gebaut werden. Einige meinten, in dessen unmittelbare Nähe, andere dagegen genau an die Stelle, wo heute der kleine Palast der Familie Quadri steht, welche dem Land zwei tüchtige Architekten geschenkt hat, die dem Kirchsprengel von Pieve Capriasca zu Ehre und Ruhm gereichen.
Es war im Monat Juli, und man hatte schon mit den Grundmauern des Klosters begonnen, als zwei sehr merkwürdige Dinge geschahen, aus denen das brave Landvolk deutlich den Willen Gottes erkennen konnte.
Eines Tages nämlich flog eine Schar Schwalben herbei und setzte sich auf den Rand der weiten Grube, worin der gelöschte Kalk sich befand. Jeder Vogel nahm ein Stückchen Kalk in seinen Schnabel und flog davon in der Richtung gegen den Monte Bigorio bei Tesserete. Diese Arbeit der freundlichen Schwalben dauerte unaufhörlich einen ganzen Tag und noch den folgenden dazu. Nun wollten aber einige Dorfbewohner
über die Sache ins klare kommen, und sie verfolgten die Flugrichtung der Vögel. Welch Wunder war da zu sehen! Auf einem anmutigen Hügel, etwa eine Viertelstunde oberhalb des hübschen Dorfes Bigorio, entdeckten sie, wie von Meisterhand gebaut, eine kleine Säule aus Kalk, etwa einen Meter hoch und ungefähr einen Fuß im Durchmesser. Diese wunderbare Arbeit war von den Schwalben ausgeführt worden. Das Ereignis machte großen Eindruck. Das Landvolk glaubte darin eine Offenbarung Gottes zu sehen, und die Meinungsverschiedenheit entbrannte mehr als zuvor. Immerhin wurden die Bauarbeiten in Lugaggia fortgesetzt.Bald darauf kam ein neues Ereignis hinzu. Es war um die Mittagsstunde des 26. Juli, am Tage der Sankt Anna. Die Maurer hatten die rauhe und mühsame Arbeit eingestellt. Einige waren zum Mittagessen nach Hause zu ihrer Familie zurückgekehrt. Andere verzehrten ihr Mahl an Ort und Stelle. Plötzlich sahen sie aus der höhe wie im Steilflug einen großen Raben herabfliegen. Der setzte sich auf einen Kittel, aus dessen Tasche ein Papier ein wenig herausguckte. Schnell faßte er die Rolle mit seinem starken Schnabel und flog damit schleunigst davon. Es war der Bauplan, den der Architekt ausgearbeitet hatte für den Bau des Klosters. Man konnte beobachten, daß der Rabe die gleiche Richtung nahm wie die Schwalben, nämlich zur Ortschaft Bigorio hinauf.
Dieser unerhörte Vorfall, dessen Kunde sich unter der Bevölkerung rasch verbreitete, machte einen sehr starken Eindruck. Da der Bauplan fehlte, mußten die Arbeiten unterbrochen werden.
Am 29. Juli begaben sich zwei Bäuerinnen aus Bigorio
auf einen Hügel nicht weit oberhalb des Dorfes, um Gras zu mähen. Da fand die eine von ihnen einen großen Bogen Papier, auf welchem Zeichnungen angebracht waren. Sie zeigte die Rolle ihrer Nachbarin, und weder die eine noch die andere begriff, was das bedeuten sollte. Um die Mittagsstunde kehrten sie heim und brachten das Papier dem Bürgermeister. Dieser erkannte, daß es sich um nichts anderes als den Bauplan für das Kapuzinerkloster handelte. Er beeilte sich, ihn dem Bauleiter sofort zu übergeben. Die Tatsache, daß der Plan in einem Wald auf dem Gebiet von Bigorio wieder gefunden wurde, und zwar genau auf dem gleichen Hügel, wo eine Woche vorher die Schwalben die Säule errichtet hatten, verbreitete sich wie der Blitz unter der Bevölkerung. Es war eine zweite Offenbarung. Alle erkannten darin ein Zeichen Gottes und der Madonna, der die Schwalben geweiht und heilig sind.Jetzt waren alle darüber einig, daß man das Kloster nicht mehr im Dorf Lugaggia, sondern auf dem schönen Hügel oberhalb Bigorio bauen sollte. Und so geschah es. Und noch heute schaut das großartige Kloster der Kapuziner von Bigorio von dort oben herab auf den ganzen Bezirk von Capriasca wie ein liebevoller Vater, der seine Kinder überwacht.
DIE HUNDERT FELDER
Jenseits des Langensees, gerade gegenüber von Ronco, bei einem anmutigen Bergdörflein, befinden sich die hundert Felder, so genannt, weil in dem Vertrag, der mit dem Teufel abgeschlossen wurde, es genau hundert sein mußten. Sie wurden zurechtgemacht in einer einzigen Nacht, und zwar vom Satan selbst in eigener Person. Ich will euch erzählen wie:
Es lebte einmal ein wackerer Mann, welcher Sigrist oder Kirchendiener seines Dörfleins war, einem Dörflein, das graziös und niedlich wie ein hübsches Mädchen sich im See spiegelte, so oft der Wind nicht etwa neidisch dessen Oberfläche trübte.
Dieser Mesner besaß wie die andern Dorfbewohner eine kleine Wiese und ein Stälichen gerade dort, wo sich jetzt die hundert Felder befinden. Er war so schön, dieser Ort. Groß und geräumig dehnte er sich auf einer Fläche aus, die gerade so lang als breit war, an einer Stelle aber sanft anstieg. Leider aber war dieser Boden so überwuchert von Wald und dichtem Gestrüpp, daß weder Mensch noch Vieh ihn betreten wollte. Dafür aber bot er allen möglichen Tieren eine weitläufige Sicherheit und geheimnisvolle Unterkunft, wie Füchsen und Dachsen, Hasen, Haselmäusen, hübschen Eichhörnchen, trägen Schlangen und den grünschillernden Eidechsen, abgesehen von den zahlreichen Waldvögeln, die dort ihre Nester bauten und im Frühling zwitscherten, daß einem Hören und Sehen verging.
Diese Tiere lebten in diesem Waldrevier wie in einer kleinen Republik oder einem Paradies.Nun war aber jener Mesner ein Mann von weitem Blick. der sich bei ihm besonders dadurch entwickelt hatte, weil er so viele Zeit auf dem Glockenturm verbrachte. Er trug in seinem Herzen einen sehnlichen Wunsch. der freilich außerordentlich und beinahe unausführbar schien. Er hätte so gerne jenes ganze, unfruchtbare Gelände in einen schönen und ergiebigen Ackerboden umgestaltet, um dort etwas Währschaftes ansäen zu können.
Wie oftmals war er auf einen Hügel gestiegen, von wo aus man die ganze Gegend überschauen konnte, und sagte bei sich selbst: Welche Pracht, wenn man dieses weite Gebiet urbar machen könnte. Dann hätte unser Dorf Weizen genug, so daß man keine noch so arge Mißernte befürchten mußte. Ja, man könnte sogar den Nachbardörfern noch abgeben, wodurch unsere Hilfsquellen vermehrt würden. Und so würden Wohlstand und ein bescheidener Ueberfluß bei uns einkehren.»
Und immer wieder machte sein Geist solch kühne Gedankenflüge. Freilich erhob ihn sein Amt als Glöckner ohnehin etwas über seine Landsleute. Dieser Beruf war nämlich nach seiner Ansicht nicht bloß ein Handwerk, sondern eine Kunst, eine Mission.
«Sicherlich», sprach er zu sich selbst, «bin ich es, der das ganze Volk im Dorf herbeiruft und versammelt. Ich taufe sie, ich verheirate sie, und ich beklage sie, wenn sie sterben, nachdem ich mich mit ihnen gefreut habe bei allen glücklichen Ereignissen ihres Lebens. Ich bin's, der sie zusammenruft bei drohender Gefahr. Ich erinnere sie mit dem Glockenzeichen daran, wenn's
Zeit ist, sich nach gehabter Mühe wieder zu stärken. Ich wecke sie am Morgen aus ihrem Schlaf und lade sie am Abend nach langer mühseliger Arbeit wieder zur Ruhe. Gibt es ein Fest, dem lieben Gott, der heiligen Jungfrau oder einem wundertätigen Heiligen zu Ehren, so bin i c h es, der sie mit dem lauten Klang meiner Glocken daran erinnert, und alle machen sich sonntäglich gekleidet auf den Weg, wohin ich sie rufe. Kurzum, ich bin doch sozusagen der Herr des Dorfes.»Bei dieser Meinung seiner Ueberlegenheit war es wohl begreiflich, daß ihm noch andere Gedanken in den Kopf stiegen, unter denen der größte, der hartnäckigste und schließlich der einzige, der am wenigsten ausgeführt werden konnte, eben derjenige war, jenes weit ausgedehnte Gebiet des waldigen Berghangs in fruchtbares Land umzuwandeln.
Nun sagt man ja seit altersher, daß der Teufel immer die schönsten Seelen anzulocken suchte. Und deshalb stieß er bei seinen häufigen Beutezügen eines Tages auf den Sakristan, gerade in dem Augenblick, wo dieser ganz in seinen Lieblingsgedanken versunken war, wie man den Wald urbar machen könnte. Der Böse bewirkte, daß der Mesner aus lauter Verlangen nach Erfüllung seines Wunsches sich gegen seinen Willen dazu hinreißen ließ, die Worte zu murmeln: «Ich würde meine Seele dem Teufel verschreiben, wenn dieser meinen Traum, meinen einzigen Wunsch erfüllen könnte.»
Jetzt war der günstige Augenblick gekommen, wo Beelzebub sein Opfer fangen konnte. Er erschien plötzlich vor dem Sakristan und sprach: Topp, ich nehme den Pakt an. Du verschreibst mir deine Seele und
sollst als Entgelt dafür die hundert Felder fix und fertig zum Anpflanzen und Ansäen bekommen.»Da könnt ihr euch vorstellen, wie verblüfft der arme Mesner bei dieser Erscheinung und bei diesen Worten war! Aber nun konnte man den Vertrag, wenngleich er ohne Stempelpapier und ohne Vermittlung irgendeines erfahrenen Notars gemacht war, nicht mehr ändern; denn man weiß ja längst, daß sich mit dem Teufel nicht spaßen läßt. Deshalb blieb nichts anderes übrig, als die Punkte genauer festzulegen, und die beiden kamen zu folgender Abmachung: Der Satan mußte in einer einzigen Nacht das ganze Gebiet von Wald und Gestrüppe säubern. Dann mußte er es pflügen und in hundert Felder einteilen, die durch besondere, tiefe Gräben voneinander abgetrennt waren. Diese Arbeit sollte getan werden zwischen den beiden Ave-Maria- oder Engelsgeläuten, die der Küster zur gewohnten Zeit zu läuten pflegte, nämlich das eine abends um sechs Uhr, das andere morgens um sechs Uhr. Nach dem letzten Schlag am Morgen mußte der Sakristan sein irdisches Bündelchen zusammenpacken und dem Beelzebub Folge leisten in den tiefen Abgrund der Hölle, wie so viele andere Sterbliche, deren unbändiger Ehrgeiz sie ins Verderben geführt.
Mittlerweile wurde es dunkel, und der Küster stieg beinahe im Sturmschritt die Straße hinunter, die ihn zum Dorfe und zu seiner Pflicht als Glöckner führte. Als er in die Kirche trat, bekreuzte er sich mit zitternder Hand, denn er kam sich bereits als verlorener Mann vor. Ein kalter Schweiß rann ihm von der Stirn herab und durchfurchte sie ihm ganz. Dann beugte er seine Knie vor dem Altar, verehrte zum letzenmal seinen Herrn, trat in den Glockenturm, ergriff die
Seile und läutete das Ave-Maria, aber diesmal so stürmisch. daß alle Bewohner des Dorfes zum Kirchturm emporschauten und einer den andern fragte: Was hat wohl der Sakristan, daß er so kräftig läutet, wie wenn morgen Festtag wäre? Wahrscheinlich hat er ein Gläslein mehr getrunken als gewöhnlich.»Jetzt machte sich der Teufel auf der Stelle an das harte Werk. Er koppelte zwei Höllenpferde zusammen und spannte sie vor seinen glühenden Pflug, welcher ihm jedes Gestrüpp, jeden noch so alten und gewaltig hohen Baum niederlegte und auf die Seite warf. Und als der Wald umgehauen war, wühlte er mit seinem Pflug die Erde auf und machte die Felder zum Anpflügen fertig. Auf diese Weise pflügte das Gespann vorwärts und zurück, unaufhörlich.
Die Rosse schnoben Feuer aus ihren Nüstern und dem Maul. Funken sprühten aus ihren Augen, Blitze aus ihren Füßen und aus dem Pflug. Sie fügten Furche an Furche. Felder an Felder und zerstörten so den alten Freistaat, das Paradies der Tiere, das seit Jahrhunderten, beinahe seit einer Ewigkeit auf jenem Berghang bestanden hatte, so daß die Waldtiere erschreckt von dannen flohen.
Und der Küster, was machte der unterdessen? Er hatte sich auf dem Glockengebälk des Kirchturms niedergekauert und verbrachte dort seine letzte Nacht als Sakristan. Er schaute zu, wie der höllische Pflug nach jeder gezogenen Furche umkehrte, was er von seiner Höhe aus ganz genau zählen konnte, denn wenn eine Furche fertig war, konnte er selber wohl beobachten, wie der Teufel mit seinen Pferden und dem Pflug umkehrte, um eine weitere Furche zu beginnen.
Der Aermste sagte mittlerweile zu sich selbst: Jetzt
fehlen nur noch fünfzig, jetzt noch neunundvierzig... Wer weiß, ob er damit fertig wird, bevor ich zur Frühmesse das Ave-Maria läute.» Es war seine einzige Hoffnung, daß er nicht fertig werde. Aber freilich, der Teufel verspürte weder Müdigkeit noch Angst. Der Pakt war regelrecht gemacht, und morgen wollte er den Mesner auf die Schultern nehmen und mit ihm zur Hölle, diesmal mit einer prachtvollen Beute, man denke sich, einen Kirchendiener, einen Sakristan!Jetzt sind es schon neunzig.. jetzt einundneunzig.. jetzt fünfundneunzig Felder. Nun fehlen bloß noch fünf. Jesus und Maria, kommt mir zu Hilfe!» rief der Glöckner von Zeit zu Zeit mit erstickter Stimme. Noch vier, noch drei, noch zwei, noch ein Feld fehlt. Bim. bam; bim, bam; bim, bam, läuteten jetzt die Glocken, so stark sie nur konnten. Kaum hatte nämlich der Glöckner gemerkt, daß nur noch ein einziges fehlte, so erwachte er wie aus einem Traum, erinnerte sich, daß er ja im Kirchturm, im Glockenturm oben war, daß er ja die Glocken ganz nahe hatte und es keine große Sünde sei, dem Satan das Wort nicht ganz zu halten. So packte er denn das Seil der nächsten Glocke, das ihm gerade in die Hände kam, und wie von einem guten Geist geleitet, fing er an zu läuten, so stark er nur konnte, halb aus Verzweiflung zunächst und aus Hoffnung nachher. Das war ein Ave-Maria der Erlösung, der Befreiung, mit so viel Feuereifer geläutet, daß der ganze Kirchturm mitsamt der Kirche erzitterte.
Auf das hin mußte der Teufel seine Arbeit sofort unterbrechen. Er war überlistet worden gerade in dem Augenblick, wo er sein Ziel schon fast erreicht zu haben glaubte und wo er den Lohn für seine teuflische
Arbeit empfangen durfte. In jener Furche, die an den Rand eines Tälchens grenzte, versank er geradewegs bis in die Hölle und ließ einen schwarzen Abgrund hinter sich, aus dem lange Feuerzungen emporloderten und ein solcher Gestank von Schwefel und verbranntem Pech heraufstieg, daß viele Jahre später sich kein Mensch mehr an jenen unheilvollen Ort getraute.Die hundert Felder sind noch zu sehen, und noch erzählt man dort diese Sage, wie sie mir von alten Leuten des Dorfes berichtet wurde.
Der Sakristan hatte seine Seele gerettet und war dem Teufel entronnen. Aber zur Strafe für seinen Ehrgeiz wurde sein Name vergessen.
WOHER DER MONTE GRIDONE
SEINEN NAMEN HAT
Der Gridone ist ein Gebirge am Langensee, das bei Ronco und Brissago emporsteigt und in das Tal von Cannobio hinunterschaut. Bei Losone ist einer seiner wichtigsten Ausläufer. Sein Name Gridone rührt von folgender Sage her:
Zwischen den Dörfern Losone und Golino. die beide zu Füßen dieses Berges liegen, herrschte seit alter Zeit her Streit, wem von beiden der Wald, genannt Terrasca, gehören solle, und wo die Grenze beider Gemeinden sich befinde. Schließlich kam man nach langem Streiten überein, jedes Dorf sollte den ältesten und angesehensten Mann auswählen. Diese beiden sollten einander entgegengehen und da, wo sie sich träfen, sollte für immer die Grenze sein.
Nun suchte es aber der älteste Mann von Losone ganz schlau anzustellen. Er ging heimlich auf den Kirchhof, nahm eine Handvoll Erde und streute sie in seine Schuhe. Dann zog er diese an und machte sich auf den Weg, um den Berg herum gegen Golino, gefolgt von einer Schar Leute aus seinem Dorf, die ihn begleiteten. Bei jedem Schritt rief er aus: «Die Erde, auf der ich gehe, gehört zu Losone.» Und so gelangte er schließlich bis ans andere Ende des strittigen Waldes Terrasca, wie die einen behaupteten, bis an den Bergbach Riale, indem er seinem Gegner ein Stück Land raubte, das eigentlich zu Golino gehörte. Sie begegneten
sich am Ende des Waldes, und das Männchen von Losone sagte: «Bis hierhier geht unser Land.» Der andere wollte es nicht glauben. Da nahm der Losonese die Erde aus seinen Schuhen und sagte: «Siehst du jetzt, daß ich auf meinem Boden hin?» Der andere mußte es wohl oder übel glauben, aber gerecht war die Sache nicht.Als später das alte Männchen aus Losone starb, wollten weder Gott der Herr noch der Teufel seine Seele annehmen, so daß diese in jenen Wald Terrasca zurückkehrte und dort als böser Geist umging, welcher durch sein klägliches Rufen, das man dort hörte, den Leuten Angst und Schrecken einjagte. Die Leute wollten mit der Zeit nicht mehr durch jenen Wald gehen, selbst die Hirten und auch die Kühe und Ziegen sprangen in großen Sätzen davon, wenn sie die unheimlichen Klagetöne im Wald vernahmen. Sogar die Bewohner von Pedemonte jenseits des Flusses hörten von Zeit zu Zeit ein Schreien. Schließlich ließ man den Pfarrer kommen, der die arme Seele beschwor und den Wald segnete, worauf sich der Geist auf die schroffen Felsen und die höchsten Zacken des Gridone zurückzog, von woher man jetzt noch von Zeit zu Zeit ein Rufen vernimmt. Dieses Schreien hört man in der Tat sehr wohl in Cavigliano, das gegenüber dem Gridone liegt, und besonders deutlich dann, wenn der Wind von Süden her weht.
Von diesem Schreien (gridare) hat der Berg Gridone seinen Namen erhalten.
DER DRACHE VON BRENO
Seit einiger Zeit hatten die Aiphirten von Breno im Malcantone etwas ganz Außergewöhnliches bemerkt. Wenn sie nämlich am Morgen früh die Kühe melken wollten, so fanden sie sie mit schlaffem Euter, mit zu Berge stehenden Haaren und mit Entsetzen erfüllten Augen. Da fingen sie an, die Ställe zu bewachen, entdeckten aber lange nichts, obwohl auch jetzt die Tiere jeweilen schon gemolken waren. Eines Tages endlich konnte einer der Hirten einem entsetzlichen Schauspiel beiwohnen. Um Mitternacht hörte er plötzlich ein Rascheln und sah ein scheußliches Tier heranschleichen. Es war eine Art Schlange, etwa sechs Fuß lang, mit Augen wie Feuer, mit offenem Rachen, gespaltener Zunge und einem mächtigen roten Kamm auf dem Kopf. Der arme Hirt fühlte, wie sich ihm vor Schrecken die Haare emporrichteten, und er zitterte vor Angst wie Espenlaub. Am andern Morgen wußten jetzt die Hirten, wer da nächtlicherweile kam, ihre Kühe zu melken, und sie berieten, wie sie den Unhold aus der Welt schaffen könnten.
Aber jenes Ungeheuer schien der bare Teufel in eigener Person zu sein und fuhr ganz unbekümmert weiter, die Kühe zu melken, ohne sich dabei im geringsten stören zu lassen.
Da hielten die Aiphirten Rat, und es wurde beschlossen, ein Gelubde zur Madonna zu tun, daß sie ihnen helfen möchte, sie von dem Ungeheuer zu befreien.
Sie wollten dafür jedes Jahr zu Fuß eine Wallfahrt unternehmen nach der Kirche auf dem Monte Sacro oberhalb Varese. Und das taten sie.Und so zog eine lange Prozession von Leuten aus Breno und dem Malcantone talabwärts den weiten schlechten Weg bis an den Luganersee und dann über jene Berge bei Ponte Tresa und Porto Ceresio nach Varese. Müde und halb tot vor Erschöpfung, mit geschwollenen und blutenden Füßen, aber voll Glauben und Hoffnung, langten sie auf dem Wallfahrtsberg an. Die Madonna zeigte sich ihnen gnädig, denn als sie zurückkehrten, gelang es ihnen, das Untier mit langen Lanzen, die sie ihm in den Rachen stießen, zu töten. Seine Höhle war an einem Abgrund nahe bei einem Bergbach gewesen. Sie ließen den Drachen einbalsamieren und brachten ihn nach dem heiligen Berg von Varese, wo er in der Kirche in einer Nische ausgestellt wurde.
Im Lauf der Jahre starben die Aiphirten. Ihre Söhne wurden auch alt und gingen aus dieser Welt. Aber auch die Söhne dieser Männer vergaßen den Drachen und das getane Gelübde nie und zogen jedes Jahr zum Sacro Monte nach Varese.
Einmal aber ereignete sich etwas sehr Seltsames auf einer solchen Pilgerfahrt. Die Prozession war schon ganz in die Nähe ihres Ziels gelangt und bewegte sich langsam auf der Landstraße von Bisuschio nach Varese. Lena, das schönste Mädchen von Breno, war am Ende des Pilgerzuges, denn die Füße taten ihr weh. Da hörte sie plötzlich ein Rossegetrampel. Schnell wie der Blitz jagt ein schwarzes Pferd vorüber, das auf einem Sattel einen noch schwärzeren Reiter trägt. Dieser berührt Lenas Arm, welche hierauf dem Unbekannten
mit Widerwillen nachfolgt, verdeckt von einer Staubwolke, so daß die Pilger, ganz außer sich vor Staunen, schon im nächsten Augenblick nichts mehr sehen konnten. Umsonst riefen sie sie zurück. Vergeblich war alles Suchen. Niemand hat jemals weder Reiter noch Mädchen wiedergesehen. Wer war jener seltsame Unbekannte?» fragten sich die Leute. Vielleicht der Drache oder der Teufel, als Ritter verkleidet?Nach jenem traurigen Vorfall getrauten sie sich nicht mehr nach Varese zu wallfahrten und begnügten sich damit, wie die einen sagten, zur Kapelle von San Mattia nach Vernate zu gehen, oder wie die andern behaupteten, zur Madonna von Caslano bei der Brücke der Magliasina, wohin sie nur einen Tag zu pilgern hatten statt deren zwei bis nach Varese.
DER ALPHIRT CELESTE DI FONTANABELLA
Celeste di Fontanahella war ein ausgezeichneter Alphirt von sechzehn Jahren, ein sehr munterer Jüngling, kräftig und schön. Sein Gesicht war ganz braunschwarz vor lauter Sonne und Alpenluft. Er trug Kleider aus bescheidenem Barchentstoff. Aber seine Augen strahlten vor Lebensfreude, und er fühlte oft das Verlangen, die Freude und Lust, die ihn beseelte, mit irgendeinem Lied aus den Alpen zum Ausdruck zu bringen.
Auf der Alp oben stieß er, kaum daß es Tag wurde, in sein Horn, das einen voll- und tiefklingenden Ton von sich gab. Das war seine Tagwacht oder sein Tagelied. Sobald er die Kühe gemolken hatte, versammelte er sie alle in der Umfriedigung vor der Sennhütte und führte sie dann hinaus auf die herrlichen Weiden, wobei die Glocken klingelten, daß es schien, als wäre es ein Gruß an die prächtige Morgenröte, die man am Himmel aufsteigen sah. Die Kühe wandelten schwer und vorsichtig empor durch die steilen Fußwege am Rand der vielen Abgründe. Oben angelangt, zerstreuten sie sich, um das zarte Gras und die feinen Alpenkräuter zu fressen. Und kam es vor, daß eine sich zu weit entfernte, so rief Celeste sie beim Namen. Dann blieb sie stehen und kehrte wieder zur Herde zurück.
Während die Kühe weideten, streckte sich Celeste, dessen Augen vor Zufriedenheit glänzten, auf den Rücken aus, legte seine Hände unter den Nacken, ließ
sich am grasigen Abhang von der warmen wohligen Sonne bescheinen und sagte bei sich selbst:«Weidet ihr nur, meine schönen Kühe, weidet das blühende und wohlriechende Gras und die feinen Kräuter. Ich passe schon auf. Weidet nur, bis ihr genug habt, so gebt ihr mir kräftige und reichliche Milch. Der Besitzer der Alp wird daraus große, schöne gelbe und glänzende Ballen Butter gewinnen und dazu Käse, wie Wagenräder so groß, und ich bekomme meine gewohnte Schüssel voll süßen und frischen Rahm.»
Und von Zeit zu Zeit hob Celeste seinen Kopf höher und beobachtete seine Herde, ob sie noch alle beisammen seien, die schwarzen, die blonden und die gefleckten Tiere. Und die Sonne war seine Uhr. An ihrem Stand konnte er ablesen, welche Zeit es war.
Wenn dann der Schatten der Berge auf den höheren Weideplätzen sich verlängerte, rief der Hirt die Kühe zurück, gab jeder eine Handvoll Salz, streichelte sie und führte sie dann den gleichen Weg wieder in die Alphütte hinunter. Bei dieser immer gleichmäßig sorgfältigen Pflege wurden die Tiere kugelrund und schritten mit bedächtiger Gangart einher. Sie traten in den großen Stall der Sennhütte hinein, und jede ging an ihren Platz, ohne daß man jemals eine zweimal rufen mußte.
So schien es, als ob auf dieser glücklichen Alp von Fontanabella alles so weiter gehen sollte, Jahr für Jahr. Und dies um so mehr, weil Celeste als Hirt keinen großen Lohn beanspruchte. Er begnügte sich mit seiner Milch und etwas Brot. und überdies bekam er jede Nacht eine Schüssel Rahm, die er dann jeweils auf einem Balken in einer Ecke des Stalles für sich beiseite stellte. Spät abends, wenn die Kühe schon alle
schliefen oder ihr Gras wiederkäuten, erhob er sich von seinem Strohlager, sprang mit einem Satz auf den Balken hinauf, setzte sich rittlings darauf und trank mit gierigen Zügen den süßen, frischen Rahm, der ihm wie Sammet im Gaumen vorkam. Und bei jedem Schluck schnalzte er mit der Zunge.Aber an einem schönen Sommertage, gerade ungefähr anfangs Juni, wechselte die Sennhütte ihren Besitzer. Der neue Eigentümer erwies sich sehr bald als ein Geizhals. «Oh, oh», meinte er spöttisch, «eine ganze Schüssel voll Rahm jeden Abend für den Aiphirten Celeste? Ja, warum nicht gerade ein ganzes Rad fetten Käse oder einen Ballen Butter von fünf Kilo Gewicht! Was zum Teufel, mein Hirt, ich glaubte, du würdest dich von Gras und guter Alpenluft ernähren? Eine Schüssel feinen Rahm jeden Abend, das ist nicht übel. Ja. warte nur, du sollst bedient werden!»
So rief Filippo, der neue Besitzer der Alphütte mit Hohn, als er zum erstenmal zur Alp hinaufkam und ihm die Sache erzählt wurde.
Sobald die Nacht hereinbrach, nahm er die Schüssel, tat etwas Mist hinein, füllte sie dann mit Rahm und stellte sie an den gewohnten Platz. «Ich wette meinen Kopf, daß der dumme Hirt es nicht einmal merkt», sagte er und lachte dabei hinter seinem langen rötlichen Schnurrbart. Darauf warf er sich auf seinen Strohsack, und einige Minuten nachher schlief er zufrieden ein. Er wäre aber viel weniger glücklich eingeschlummert, wenn er den armen Celeste gesehen hätte, wie dieser rittlings auf dem Balken saß und ahnungslos nach seiner Schüssel griff. Welch grausame Enttäuschung. Celeste fing an zu fließen und dann zu schimpfen wie ein Türke. Nicht einmal mehr eine
Schüssel Rahm war also seine ganze Tagesarbeit wert!Indessen schlief Filippo immer noch ruhig weiter. Aber Schlag Mitternacht wurde er plötzlich aufgeweckt von einem gräßlichen Lärm. Die großen Milchkessel. die man aufs Feuer stellte, stießen zusammen. Die Kuhschellen und Ziegenglöcklein, die an der Decke hingen, läuteten und himmelten. Es war eine sonderbare Musik. Die Butterfasser, die Eimer, die Kubel und Zuber, die hölzernen Näpfe, die Löffel, die großen Rührkellen, sie alle tanzten miteinander einen höllischen Reigen mitten in der Küche. Und: Filippo soll es büßen, Filippo muß es büßen!» donnerte eine Stimme aus dem kurzen Rauchfang des Kamins. Und hierauf verfiel alles wieder in große Stille.
Mit Grausen hatte der Alpbesitzer Filippo dies alles mitangehört. Nach einer Weile schlief er zwar wieder ein. Er hatte jedoch einen schrecklichen Traum, und er fühlte sich gequält von Alpdrücken.
Am Morgen stand Filippo frühzeitig auf. Wie seltsam! In der Küche war alles in Ordnung. Der große Milchkessel leuchtete mit seinem mächtigen Gesicht wie ein Vollmond. Der Käse, den man am Abend vorher zubereitet hatte, tropfte auf seinem Gitternetz von Leinwand. Draußen kündigte sich der schönste Tag an. «Ich habe einen abscheulichen Traum gehabt», sagte Filippo zu sich selbst. Dann ging er zum Bächlein, das vor der Sennhütte vorüberfloß und sein ewiges, immer gleiches Liedlein murmelte. Dort wusch er sich im klaren Bergwasser Gesicht und Hände. Dann begann er mit dem Melken der Kühe. Die Milch floß reichlich in die sauber geputzten Holzkübel hinab und überlief beinahe mit ihrem lauwarmen Schaum.
Sobald die Kuhe gemolken waren, gingen sie fort,
wie alle Morgen, und stiegen auf die gewohnten Alpwiesen hinauf, aber - ob sie wiederkehrten, das war eine andere Frage.Als der Abend von den Bergen herabstieg und die Stunde schon vorüber war, wo die Kühe gemolken sein sollten, spähte Filippo am Horizont und spitzte die Ohren. Aber wie groß war sein Erstaunen, als er von der heimeligen Musik der Kuhglocken keinen Ton mehr vernahm. Er stieß Flüche aus, daß sie den Mond, der eben am schwarzen Berggrat emporstieg, hätten bleich machen können. Dann begab er sich auf die Suche nach der Herde; aber er forschte vergebens. Nicht eine Spur von den sechsunddreiflig Kühen war mehr zu sehen.
Filippo lief dahin und dorthin, bergauf und in großen Sätzen die Halden hinunter wie ein Toller. er rief alle seine Tiere beim Namen und heulte wie ein vom Teufel Besessener. So gelangte er auch an den äußersten Rand eines Abgrundes, der den Namen «Calderone» oder «Großer schwarzer Kessel» trägt.
Dort ganz unten in der Tiefe bewegte sich ein unansehnlicher Haufe, von dem ein klägliches Stöhnen emporstieg. Das also war alles, was von der stattlichen Herde noch übrig war. Von einer unerklärlichen Panik ergriffen, waren die Kühe in wirrem Durcheinander dort hinuntergestürzt worden.
Auch Celeste, der treffliche Hirt, ward in den Alphütten von Fontanabella nicht mehr gesehen. Keine Viehherde getraute sich mehr in der Nähe des «Schwarzen Kessels» zu weiden, und fortan wurden diese Alphöhen das Reich gefährlicher Adler und der wilden Gemsen.
DER WIEDERKEHRENDE TOTE
In Biasca war ein Mann vom Dach eines Hauses gestürzt und wurde in verzweifeltem Zustand von mitleidigen Leuten nach Hause getragen. Dort starb er nach furchtbarem Todeskampf, ohne daß er weder mit seiner Frau Magdalena noch mit seinen Kindern ein Wort mehr sprechen konnte.
Er war bei vielen Unternehmungen beteiligt gewesen. Nach seinem Tode erschienen bei der Witfrau viele Gläubiger. Sie bezahlte alle. Aber sie war wenig auf dem Laufenden über die Schulden und Guthaben ihres verstorbenen Mannes, und sie wußte auch nicht. wieviel die Summen ausmachten, die sie zu zahlen hatte, weil sie nicht alle die nötigen Abrechnungen und Papiere besaß. Deshalb geriet sie in Verwirrung und Aufregung. In ihrem Gebet flehte sie Tag und Nacht zum lieben Gott, daß er ihren Mann noch einmal in diese Welt zurückkehren lasse, und wäre es auch nur für wenige Stunden oder die Zeit, die dringend nötig war, um sie über die zahlreichen und wichtigen Angelegenheiten der Familie und des Geschäftes in Kenntnis zu setzen.
Und diesen ihren sehnlichen Wunsch teilte sie auch dem Herrn Pfarrer im Dorf mit, welcher zu ihr sagte: «Bedenket wohl, Magdalena, daß die Toten höchst selten in diese Welt zurückkehren; denn sie müssen, um diese weite Reise zu unternehmen, schreckliche Qualen erdulden. Und ferner drängt es mich, euch dar-
auf aufmerksam zu machen, daß ihr nicht den Mut hättet, mit eurem Mann zu sprechen, auch wenn er auf die Erde zurückkehren dürfte.» Wieso», erwiderte die Witwe, sollte ich mich nicht getrauen, mit meinem Mann zu sprechen? An Mut fehlt es mir keineswegs. Ich fürchte mich nicht im geringsten.»Und sie wiederholte ihren Wunsch im Gebet immer wieder.
Eines Nachts befand sich Frau Magdalena bereits im Bett, als sie hörte, wie jemand die Haustüre öffnete. Dann vernahm sie den Schritt einer Person, welche die Treppe heraufstieg, und sie erkannte deutlich die wohlbekannte Gangart ihres seligen Mannes. In diesem Augenblick war all ihr Mut verschwunden. Sie versteckte sich unter ihre Bettücher und getraute sich kaum mehr zu atmen.
Jetzt hörte sie, wie der Mann die Schlafzimmertür öffnete, wie er eintrat, sich ihrem Bett näherte und dort unbeweglich stehen blieb, in der Erwartung, daß sie mit ihm rede. Aber sie brachte kein Wort hervor, dermaßen hatte die Furcht sie gepackt. Eine Weile nachher hörte sie ihn im Zimmer umhergehen, und es schien, als ob er warte, bis sie spreche. Magdalenen aber preßte sich das Herz zusammen, und sie hielt auch so gut als möglich ihren Atem zurück. Der Verstorbene blieb noch eine Zeitlang im Zimmer, bald auf- und niedergehend, bald vor ihrem Bette stille stehend.
Endlich aber, des Wartens müde, öffnete er die Zimmertür, schloß sie mit Lärm hinter sich zu, eilte polternd die Treppe hinunter und dann zum Haus hinaus, wobei er die Haustür mit einer solchen Wucht ins Schloß warf, daß das ganze Haus erzitterte.
Am andern Morgen begab sich die Witfrau, noch
ganz hebend vor Aufregung, zum Pfarrer und erzählte ihm alles, was diese Nacht geschehen war. Der Geistliche tadelte sie heftig und sprach: «Hab ich es Euch nicht gesagt, daß Ihr den Mut nicht hättet, mit dem Toten zu reden. Ihr könnt Euch die furchtbaren Qualen gar nicht vorstellen, die der arme Mann erdulden mußte, um wieder bis in sein Haus zu kommen. Und nun hat er Euren Wunsch gleichwohl nicht erfüllen können. »Magdalena wußte nicht, was sie darauf antworten sollte. Doch begriff sie jetzt, daß sie an ihrem seligen Mann ein großes Unrecht begangen hatte, der ihr zuliebe zurückgekehrt war und dessen Grabesruhe sie gestört hatte.
Sie bereute es tief, aber es war zu spät.
DIE SAGE VOM SASSO ROMANIN
Im Westen des Dorfes Preonzo in der Riviera erhebt sich jäh und steil abschüssig in wilder Schönheit das Gebirge. Etwa zweihundert Meter vom letzten Haus des Dorfes Preonzo entfernt liegt auf einer einsamen hübschen Wiese, die sich ein wenig talabwäris neigt, noch heute sichtbar ein ungeheurer Felsklotz, der ein erstaunliches Gewicht haben mag. Und er ruht nicht einmal völlig auf dem Boden, sondern scheint von einem Augenblick zum andern mit Donnergetöse und schwindelerregender Schnelligkeit auf das friedliche Dörflein zu rollen, wo er die Häuser zerschmettern und Tod und Verzweiflung mit sich bringen würde.
Die Sage erzählt, daß jener kolossale Block von niemand anderem als vom Teufel dahin getragen worden sei. Es heißt, die Bewohner von Preonzo seien vor vielen, vielen Jahren über alle Maßen verdorben gewesen, vielleicht noch mehr als in grauer Vorzeit die Städte Sodom und Gomorrha, die vom Feuer des Himmels zerstört wurden. Der Teufel, welcher sehr froh war und sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollte, hier einmal ein großes Netz voll verlorener Seelen zu fangen, dachte darüber nach, wie er das gottlose Dorf gänzlich vernichten könnte.
In einer stockfinstern Nacht lud er auf seine riesenhaften Schultern einen mächtigen Felsblock aus Granit und machte sich damit mühsam auf den Weg. Er war schon oberhalb des ruchlosen Dorfes angekommen
und wollte eben den Stein in die Tiefe schleudern, als ihm plötzlich ganz in strahlendem Licht das süße Bild der Madonna erschien.«Was willst du tun, Satan?» fragte sie ihn mit freundlicher Stimme. «Ruhe dich doch einen Augenblick aus. Du bist gewiß sehr müde.» Und während sie so sprach, legte die Himmelskönigin ihre schneeweiße reine Hand auf den Felsblock und brachte ihn zum Stehen. Der Satan versuchte, den ungeheuren Block in die Tiefe zu rollen; aber es gelang ihm auf keine Weise, ihn vom Fleck zu bringen. «Verflucht», schrie er und verschwand mit gewaltigem Lärm, ganz eingehüllt in schwarzen, dichten Rauch und Qualm, aus dem rote Flammen hoch in die Luft emporzüngelten.
So blieb also durch Gottes Gnade der Block hier stehen. Auf einer Seitenwand des Steines bemerkt man noch heute den Abdruck der liebreichen Hand der Madonna, aber auch des gewaltigen Rückens des mächtigen Satans und sogar der Falten des Kleides, das der Böse trug.
Als die Einwohner von Preonzo am andern Morgen den ungeheuren Granitblock sahen, der gerade oberhalb des Dorfes drohend stand. überkam sie ein Schrecken. In diesem neuen Schwert des Damokles erkannten sie eine gerechte Warnung Gottes. Mit der Zeit wurden sie aus gottlosen und sündhaften Menschen gottesfürchtige Leute, welche auch ihre Kinder in der Ehrfurcht vor dem Herrn erzogen.
VOM MANN. DER DIE GRENZSTEINE VERSETZTE
Ein Bauer, so erzählt die Sage, war einst Besitzer vieler Wiesen, Felder und Waldbestände. Aber je mehr er hatte, desto mehr wollte er. Er machte sich keine Gewissensbisse, die Grenzsteine seiner Ländereien auf Kosten seiner Nachbarn zu versetzen, um hier ein Stück Wiese, dort einen Streifen Feld zu gewinnen und wieder anderswo seinen Wald zu vergrößern. Die Bauern der angrenzenden Wiesen beklagten sich bitter darüber, und jener Ehrlose stand mit allen im Streit, behielt aber dennoch immer recht.
Eines Tages aber wurde unser Bauer krank und starb nach wenigen Stunden. Was nützte ihm jetzt all sein Besitz, er konnte ihn ja nicht mitnehmen! Niemand im Dorf vergoß wegen ihm eine einzige Träne.
Am nächsten Tag, nachdem man ihn auf dem Friedhof beerdigt hatte, fand man seinen Leichnam außerhalb des Grabes. Später irrte er als Geist in den Bergen umher, wo ihn der Pfarrer des Dorfes beschwören wollte. Umsonst. Er erschien immer wieder und besonders dann, wenn ein Gewitter sich in den Bergen entlädt, hören ihn die Dorfbewohner. wie er mit einer eisernen Keule auf die Grenzsteine klopft, sie zerschlägt oder sie auch den Abhang hinunterkollern läßt, zur nicht geringen Gefahr der Alphirten, Viehherden und auch der Häuser im Tal drunten.
DIE SAGE VOM ORIGLIO-SEE
Es war an einem sehr kalten Wintertag im Monat Dezember. Der Himmel färbte sich ganz bleischwarz. Es fing an zu schneien und schon dunkel zu werden.
Ein Bauer aus dem hübschen Flecken Agno am Luganersee war mit seinen zwölf prächtigen Kühen aus der Ebene des Vedeggioflusses von seinem Dorf fortgegangen, um sich nach Ponte Capriasca zu begeben, das zwei Stunden davon entfernt war, wo er eine große Menge Heu, das er im Monat Mai gekauft hatte, seinem Vieh zu fressen gehen wollte.
Der Schnee fiel dichter und immer dichter. Unaufhörlich tanzten die Flocken hernieder. In kurzer Zeit waren Weg und Steg von einer beträchtlichen Schneedecke eingehüllt.
Die zwölf Kühe trabten mühsam des Weges. Sie waren müde vom weiten Weg und kamen nur langsam
und träge vorwärts. Ihre Schnauzen waren etwas geschwollen und berührten beinahe den Boden. Aus ihren Nasenlöchern dampfte der Atem, und die Ohren hingen lahm herunter.Als der Bauer auf die Höhe von Origlio gekommen war, wollte er den Weg abkürzen. Es lag noch eine weite Ebene vor ihm. Er zog also vorwärts und trieb seine Herde ungeduldig vor sich her. Eine Weile später glitt er mit dem Fuß plötzlich aus und fiel in den Schnee. Als er wieder aufstand, merkte er erst, daß er sich mitsamt seiner Herde auf dem Eise befand. Ein Schrecken überfiel ihn, und ein Schauer durchrieselte ihn kalt.
«Ich Unglücklicher», rief er aus, «wegen diesem Schneewetter habe ich den Weg verfehlt. Ich bin hier gewiß auf dem Origlio-See.» Und damit warf er sich voller Angst auf seine Knie, hielt beide Arme zum Himmel empor und betete: «O heiligste Königin des Himmels, hilf mir, daß ich samt meiner Herde glücklich über den See ans Ufer komme. Dann soll meine schönste Kuh dein eigen sein.»
Und in der Tat gelangte er mit seinen Tieren wohlbehalten ans andere Ufer, und es verlief alles gut. Eine Stunde später kam er dann trotz des hohen Schnees mit seiner Herde glücklich nach dem Dorfe Capriasca, seinem Bestimmungsort.
Er hielt auch sein Gelübde, verkaufte seine schönste Kuh und ließ mit dem Gelde, das er daraus löste, eine kleine, reizende Kapelle errichten und sie durch einen ausgezeichneten Künstler mit einem Freskogemälde schmücken. Diese Kapelle kann man noch heute nicht weit vom Ufer des kleinen, aber sehr idyllischen Onglio-Sees erblicken.
DIE VERWÜNSCHTE ALP
Es war eine wundervolle Alp in der Nähe von Gorduno, unweit von Bellinzona, ungefähr auf einer Höhe von fünfzehnhundert Meter. Diese Alp bestand aus einigen Blockhütten und Ställen. Ringsum breitete sich ein prächtiger, großer Weideplatz aus, durchzogen von kleinen Wiesentälchen mit weißschäumenden Wasserfällen, die von den Felsen herabstürzten und immerzu die gleiche Melodie sangen.
Die Alp war im Besitz des Patriziats von Gorduno und von drei Männern gepachtet worden, die aus dem gleichen Dorfe stammten, und die während der Monate Juni, Juli und August und teilweise auch im September dort oben wohnten, wo sie ihre Kühe, Schafe. Ziegen und Schweine hüteten.
Jene drei Aiphirten waren von großer Gestalt und hatten ein kräftiges Aussehen. Ihre Gesichter waren gebräunt von der Sonne und der frischen Luft, und ihre Bärte waren ungepflegt. Sie trugen grobe Kleider aus Barchentstoff und lute mit ganz breitem Rand. Auch waren sie unglaublich rohe Gesellen, und man sagte, sie seien sehr geizig.
Von Zeit zu Zeit verirrten sich etwa auch einige Fremde dort hinauf, die wegen der herrlichen Alpenluft oder aus Freude am Wandern oder aus Verlangen nach kräftiger Alpenmilch in diese einsamen Höhen stiegen, wo sie wohlschmeckenden Rahm, süße Butter oder feinen Molkenkäse zu erhalten hofften.
Keiner jedoch kam zum zweiten Male hinauf, so übel wurden sie von den Hirten empfangen, so frech wurden sie geprellt und in ihren Erwartungen getäuscht.An einem sehr heißen Tag im Juli näherte sich jener Alp etwas nach der Mittagsstunde ein noch junger Mann, der sehr armselig gekleidet war. Wer ihn aber genauer betrachtet hätte, der hätte gesehen, wie sein Gesicht von engelgleicher Schönheit strahlte.
Der Wanderer war todmüde, durchnäßt vom Schweiß und konnte kaum mehr gehen. Die Sonne aber brannte mit erbarmungsloser Glut herab. Die Ziegen, Kühe und Schafe lagen faul und schläfrig im Schatten der alten Buchen. Sie kauten in Ruhe ihr Gras und hatten die Augen halb geschlossen. Sie machten im Halbschlaf zuweilen eine Bewegung, namentlich die Ziegen, und brachten durch ihr Schütteln die Glocken in heimeliger Weise zum Klingeln. Die Schweine wühlten in dem fetten Boden des Hofes oder wälzten sich im Schmutz umher.
Durstig trat der fremde Wanderer in die Sennhütte, wo die drei Aiphirten um den Tisch herumsaflen und sich ausruhten. «Gebt mir aus Barmherzigkeit ein Tröpflein Milch», sagte er. «Ich sterbe beinahe vor Durst!»
Einer von den dreien schlug ihm rundweg die Bitte ab und sagte: Wenn du Durst hast, so schau, hier draußen gibt es ganz frisches Wasser vom Bach. Da kannst du trinken, soviel du Lust hast.»
Darauf erhob sich der zweite Hirt, stieg in den Keller hinab, wo man den Käse, die Milch und die Butter aufbewahrte, und kehrte bald wieder mit einem Schüsselchen dunkler Brühe zurück. Es sah gerade
aus, wie wenn man Kuhmist in die Milch gemengt hätte.Der Wanderer wies dieses schmutzige Getränk zurück und ging voller Entrüstung zur Hütte hinaus. Da sprang der dritte Hirte schnell in den Keller hinab, füllte eine Schale mit Milch und fügte einige Löffel Rahm hinzu. Darauf eilte er vor die Tür und rief den armen Fremdling mit freundlichen Worten zurück. Der kehrte um und trank die Milch mit gierigen Zügen. Dann dankte er dem guten Hirten vielmal und sprach hierauf:
Nimm sogleich deine Habseligkeiten, deine Kühe, Ziegen und Schafe zusammen und mache dich bereit, diese Alp sofort zu verlassen. Binnen kurzer Zeit wird nämlich der Zorn Gottes sich schrecklich über dieser Stätte entladen. Folge meinem Rat und gehorche!» Bei diesen Worten glänzte das engelgleiche Angesicht des fremden Pilgers wie von einem überirdischen bezaubernden Licht.
Der wackere Hirt sammelte auf der Stelle sein Vieh und machte sich unverzüglich auf den Weg, die Alp zu verlassen. Als er etwa fünfhundert Meter weit entfernt war, wandte er sich wieder um und schaute rückwärts. Da sah er mit Schrecken, wie die beiden Sennhütten, die Ställe, die Kühe, Ziegen und Schafe verschwunden waren. Er allein mit seiner Herde war vom Unheil verschont geblieben.
An ihrer Stelle erblickte er mächtige Felsblöcke, die sich von der Bergeshöhe losgelöst hatten und mit furchtbarer Wucht heruntergestürzt waren, wobei sie alles mit sich rissen und zerschmetterten.
Der arme Wandersmann jedoch, der so müde, durstig und in Schweiß gebadet um eine Erfrischung gebeten
hatte, war niemand anders gewesen als der liebe Gott, der wieder einmal, wie so oft schon, auf unsere Erde herabgestiegen war, um das Herz der Menschen zu prüfen. Noch heutigen Tags wird die Alp von den Leuten der Umgegend die Alpe maledetta» oder die verwünschte Alp» genannt.
DER WEINBERG DES RITTERS ALFIERI
In Losone wohnte vor alter Zeit ein Lehensherr namens Ritter Paolo Alfieri, der in San Lorenzo seinen Sitz hatte, wo noch heute ein Hof mit mehreren altertümlichen Häusern gezeigt wird. Außerdem besaß er noch neben der Kirche von San Giorgio einen Weingarten mit Häusern und einer Mauer rings um den Besitz. Ueber dem Eingangstor bemerkt man ein Wappen mit einem Adler, und im Hof sind turmartige Häuser mit eisernen Gittern an den Fenstern. Dieses Landgut trägt noch heute den Namen «La vigna d'Alfieri.» Von diesem Lehensherrn erzählt die Sage folgendes tragische Ereignis:
Ein alter Bauer, dessen verstorbene Tochter eines der Opfer des reichen Lehensherrn Alfieri geworden war, hatte die grausame Beleidigung und Schmach nicht vergessen. Eines Tages, als am Himmel ein Gewitter drohte, war dieser Bauer auf dem Felde, raffte sein Heu zusammen und beeilte sich, es auf seinen Wagen zu laden, um es nach Hause zu führen, ehe der Sturm losbräche. In diesem Augenblick kam Alfieri auf das Feld geritten und gab ihm den Befehl, auf der Stelle Sand in seinen Weinberg zu führen. Der gute Mann gab ihm zur Antwort, er wolle seinem Befehl sogleich nachkommen, sobald er sein Heu in den Stall gebracht habe. Da rief der Ritter mit Stolz und Uebermut: «Ich will, daß du zuerst den Sand in meinen Weinberg schaffst!»
Jetzt tat der Alte, der ein rüstiger und unerschrockener Mann war, dergleichen, wie wenn er seinem Befehl gehorchen wolle. Er nahm die Heugabel zur Hand, als ob er sein Heu vom Wagen wieder abladen wollte. Plötzlich aber wandte er sich gegen den Lehensherrn, stieß ihm die Heugabel in die Kehle, so daß dieser vom Pferd tot zu Boden stürzte.
Mittlerweile war der Himmel noch schwärzer geworden, die Blitze erhellten das traurige Schauspiel, der Donner rollte schauerlich, und dann folgte ein furchtbarer Platzregen, indessen ein kalter Wind von den Bergen her wehte und den Leichnam beinahe zum Erstarren brachte.
Die unerhörte Schmach war jetzt gerächt. Entsetzt über die in einem Augenblick des Jähzorns begangene Mordtat, floh der arme Bauersmann in das Gebirge und irrte dort einsam umher, wobei die Leute aus dem Volk ihn aus Mitleid versteckt hielten und ihn lange Zeit beschützten in einem Haus, das den Namen trägt La novella». Das Land aber war von dem bösen Ritter befreit.
WIE DIE KAPELLE DELLE FRACCIE
BEI CONTRA ENTSTAND
Von der berühmten Kapelle, welche in reizvoller Lage oberhalb Tenero unweit von Locarno sich befindet, wird folgende Sage erzählt:
Ein armer Tessiner aus Contra oder Lavertezzo im Verzascatal war nach Rom ausgewandert, hatte sich dort durch Fleiß und Sparsamkeit ein schönes Stück Geld verdient und wollte nun wieder in sein stilles Heimatdorf zurückkehren. Und wohlverstanden, solche Auswanderer machten damals den ganzen weiten Weg von Rom bis zum Heimatdorf zu Fuß.
Als er etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, wurde er von Räubern überfallen und ausgeplündert und mußte froh sein, mit dem Leben davonzukommen. Seine sauer verdienten Ersparnisse, die Frucht vieler Jahre mühsamer Arbeit, waren verloren, und es blieb dem armen Manne nichts anderes übrig, als wieder nach Rom zurückzukehren und von neuem sein Glück zu versuchen. Also wandte er wieder seine Schritte zurück gegen Rom. Und wie er so in Gedanken versunken die Straße weiterzieht, bemerkt er unterwegs zwei Männer, welche in einem Loch, das sie bei einer Mauer gegraben hatten, einige Dinge verstecken. Also wartet er behutsam hinter einem Baum, bis jene zwei Unbekannten sich entfernt haben und nähert sich dann ganz vorsichtig, um nachzusehen, was sie dort verborgen hätten. Und wie groß ist sein Erstaunen! Er findet
in dem Loch unter der Mauer nicht nur alles Geld wieder, das die Räuber ihm gestohlen hatten, sondern noch viel anderes dazu, so daß er mit einemmal reich geworden ist und sogleich den Beschluß faßt, so schnell als möglich heimzukehren.Auf seiner Wanderung kamen ihm aber oft Bedenken, ob er eigentlich jenes ganze Geld für sich behalten dürfe. Und um sein Gewissen zu beruhigen, geht er zu einem Pfarrer, um sich bei ihm Rat zu holen. Dieser erklärt ihm, daß er angesichts der Lebensgefahr, welche er ausgestanden habe, sehr wohl das gefundene Geld behalten dürfe. Immerhin aber würde er ihm empfehlen, der ersten Kirche, welche er auf seiner Weiterreise antreffe, eine schöne Spende als Dankesopfer zu machen.
Zufrieden und glücklich über diesen Bescheid zog er weiter, seiner geliebten Heimat zu. So oft er aber von weitem einen Kirchturm erblickte, so schloß er halb seine Augen, um die Kirche nicht sehen zu müssen.
Auf diese Weise gelangte er über den Langensee bis nach Locarno und weiter zur Brücke von Tenero, von wo er die Landstraße verließ und in den schmalen Fußweg einbog, der zu seinem Heimatdorfe Contra führte. Und kaum war er an dem Ort, der «Fraccie» genannt wurde, angekommen, so beschloß er, dort eine Kapelle errichten zu lassen, die diesen Namen bekam, und zwar an der Stelle, wo sich vor alter Zeit schon ein Kirchlein befunden hatte zu Ehren der Maria, die als Wunder wirkend daselbst verehrt wurde.
Auf diese Weise konnte er durch den Bau einer Kapelle in der Heimat seinem Dank für das gefundene Glück Ausdruck verleihen.
DAS URTEIL DES LANDVOGTS
Es war im Monat April des Jahres eintausendfünfhundertundfünfzig. Da war ein Bauer namens Pietro aus Faido, einem Dorf des oberen Livinentales, im Begriffe, einige Bäumchen, die auf der rechten Seite des Tessinflusses standen, zu fällen, und weil er dem Ufer zu nahe kam, fiel er plötzlich in den Fluß. Das hatte ein Bauer mit Namen Lorenzo aus demselben Dorfe beobachtet, als er mit seiner Egge über das Feld fuhr. Er eilte mit einem eisernen Rechen herbei und bemühte sich so lange, bis es ihm gelang, den Ertrinkenden ans Ufer zu ziehen, wobei der Gerettete allerdings durch den Rechen eine böse Schramme im Gesicht bekam, die ihn völlig entstellte.
Der verunglückte Pietro wurde von seinem Retter Lorenzo liebreich und mit aller Sorgfalt in sein Haus gebracht, wo er einige Tage krank war und sich pflegen lassen mußte.
Während aber Pietro im Bette lag, dachte er bei sich: «Mein Landsmann hat mir das Leben gerettet. Das ist vollkommen wahr. Aber er hat mir mit seinem dummen Rechen eine Schramme im Gesicht beigebracht. die ich jetzt mein Lebtag werde haben müssen. Uebrigens hat er viel Geld, das sagen alle im Dorf. Was würde es ihm also ausmachen, mir eine Entschädigung zu zahlen? Aber... was würden die Leute im Dorf von mir sagen, wenn ich mit einer solchen Forderung käme? Man würde mit dem Finger auf mich
zeigen als auf den schwärzesten aller Undankbaren. Und sie hätten nicht unrecht. Um aber zu erlangen, was ich wünsche, müßte man eine gesetzliche Handhabe besitzen... Aha, jetzt hab' ich es gefunden, das Gesetzbuch räumt eine Entschädigung ein für eine Schramme!»Kaum konnte Pietro das Bett verlassen, so begab er sich mit dem noch verbundenen Gesicht zu dem Landvogt und verklagte seinen Landsmann wegen des zugefügten Schadens. Der Landvogt erkundigte sich genau bis in alle Einzelheiten über den ganzen Hergang und sagte dann zu Pietro: «Ich werde den Mann herbeirufen lassen, der dich verwundet hat, und es soll dir Gerechtigkeit widerfahren.»
Immerhin machte die sonderbare Anklage auf den Landvogt einen merkwürdigen Eindruck.
Pietro und Lorenzo wurden also vor Gericht gerufen und erschienen vor dem Landvogt. Dieser wandte sich an Pietro und sprach zu ihm: Du bist also unglücklicherweise in den Tessin gefallen. Du hättest dich vielleicht allein retten können. In diesem Falle hätte dein Landsmann ein unnützes Werk vollbracht, wenn er dich aus dem Wasser zog, und dann hätte er dir die Schramme im Gesicht nicht beigebracht. — Es hätte aber auch so herauskommen können: Wenn dein Nachbar dir nicht zu Hilfe geeilt wäre, so wärest du, unfähig, die Kraft der Wellen zu überwinden, dabei umgekommen. Nun, welcher von den beiden Fällen hätte passieren können? Das kann jetzt niemand sagen. Darum, ihr Häscher - und damit wandte er sich an seine Sbirren -, nehmt diesen Mann da. führt ihn auf die Brücke und werft ihn in den Tessin. Wenn jetzt du, Pietro, ohne irgend welche Hilfe dich retten
kannst, so ist es immer noch frühzeitig genug, das Urteil zu sprechen, wer recht hat. Ertrinkst du aber, so bekommst du das, was du verdient hast!»Als Pietro diesen schrecklichen Urteilsspruch vernahm, wurde er ganz bleich. Dann kniete er vor dem gestrengen Richter nieder und bat um Gnade. Der Landvogt aber fuhr fort: «Für dieses Mal will ich dich nicht auf die Probe setzen. Doch verurteile ich dich, diesem deinem Retter innerhalb acht Tagen zehn Taler zu bezahlen. Falls es dir scheint, dein Leben sei nicht diese Summe wert, so werden wir dich gleichwohl in den Tessin werfen lassen.» — Demütig erklärte sich Pietro mit diesem Urteil einverstanden. Und während er voller Scham und Schande nach Hause zurückkehrte, sagte er zu sich unter Seufzern: «Es geschieht mir eigentlich recht. Das ist der Lohn für meine Undankbarkeit.»
DAS WUNDER MIT DEN KASTANIEN
Es war einst eine arme, arme Frau. Ihr Mann lag schon seit vielen Tagen krank im Bett und konnte nichts verdienen, so daß die unglückliche Frau an jenem Mittag nichts, aber auch gar nichts hatte, um den Hunger ihrer vielen Kinder zu stillen, die weinend um Brot flehten.
Um sie zu beruhigen, sagte sie zu ihnen: «Seid still, liebe Kinder. Ich will euch einen schönen Kessel voll Kastanien kochen.» Weil aber die arme Frau keine Kastanien hatte, tat sie heimlich mit bekümmertem Herzen viele Steinchen in den Kochtopf. Bald darauf fing das Wasser an zu kochen und zu sprudeln, daß es eine Freude war, und die Kinder machten große Augen vor Neugier und Erwartung.
«Sind sie gekocht, Mutter, die Kastanien?» fragte der Kleinste.
«Bald, bald. Habt nur Geduld, meine Buben.»
In diesem Augenblick klopfte jemand an die Haustür. Die Frau ging hin und öffnete, und es stand ein blonder Bettler vor ihr, der mit einem Blick wie dem eines Engels zu ihr sprach:
«Gebt mir etwas zu essen, gute Frau, ich sterbe beinahe vor Hunger; habt Erbarmen mit mir!»
«Oh, Ihr armer Mann! Von Herzen gerne würde ich Euch etwas geben. Aber ich habe selber nichts, gar nichts. Stellt Euch vor, um meine hungrigen Kinder zum Schweigen zu bringen, mußte ich eine List er-
sinnen, sie zu täuschen. Ich versprach ihnen, Kastanien zu Mittag zu kochen, während ich doch keine mehr im Hause habe, und so mußte ich an ihrer Stelle lauter Kieselsteine in den Kessel tun.»«Es macht nichts, gute Frau, es hat nichts zu sagen», erwiderte der blonde Bettler. «Ich sehe, daß Ihr ein gutes Herz habt und mir gerne zu essen gäbet, und ich danke und segne Euch.» Und damit zog er weiter.
Nicht lange nachher hob die Mutter den Deckel vom Kochkessel, und wie groß war ihr Erstaunen, als sie ihn voll größer, weichgekochter Kastanien fand! Dann suchte sie etwas im Küchenschrank und entdeckte dort viele schöne, weiße Brotlaibe, ganz frisch gebacken und dazu noch ein Stück Fleisch. Jetzt hoben Mutter und Kinder ihre Blicke gen Himmel und dankten dem lieben Gott für dieses holde Wunder.
Die Sage erzählt, daß jener blonde Bettler mit dem Blick wie der eines Engels niemand anders als der liebe Gott gewesen sei, der von Zeit zu Zeit auf unsere Erde herabsteigt, um das Herz der Menschen auf die Probe zu stellen und den Guten und Bedürftigen Hilfe zu bringen.
DIE SAGE VOM LAGO DI MUZZANO
An den Gestaden des hübschen Muzzano-Sees bei Lugano lebte vor Zeiten eine ganz arme Witwe, die rastlos arbeitete, um für sich und ihr dreijähriges Büblein das Brot zu verdienen.
Eines Tages zogen viele Zigeuner, die von einem Jahrmarkt zurückkehrten, an ihrem Häuschen vorüber und schlugen in der Nähe ihr Lager auf. Da liefen die Bewohner des Dorfes herbei, um das Leben und Treiben wie auch die Spiele dieser Leute zu beobachten und dem Tanz der dressierten Bären zuzuschauen. Nach einiger Zeit wanderte dann die Truppe weiter. Als die arme Frau am Abend von ihrer mühsamen Arbeit heimkehrte, fand sie ihr Söhnlein nicht mehr. Die Zigeuner hatten es heimlich geraubt. Die Aermste wanderte über die Berge und Täler des Tessins und suchte überall nach ihrem Liebling. Auch sah man sie oft traurig am Ufer des Muzzano-Sees stehen und ins Wasser spähen, als wollte sie die Wellen fragen, ob sie nicht etwa ihr liebes Kind verschlungen hätten. Als jedoch all ihr Suchen und Forschen vergeblich war, fügte sie sich zuletzt in ihr hartes Schicksal und fuhr fort, ihr Tagewerk wieder aufzunehmen, das aus lauter Entbehrungen, Mühen und Schmerz bestand.
Unterdessen zog die große Zigeunerfamilie weiter durch alle möglichen Gegenden Europas, und «Fior di Lago» oder «Blume des Sees», wie sie das Kind nannten, das sie der Witwe geraubt hatten, wuchs mit der
Zeit zu einem schönen und starken, intelligenten Jüngling heran.Da er ein geschickter Armbrustschütze war, gelang es ihm mehrmals, seine Zigeunertruppe vor wilden Tieren zu retten. Einstmals, als sie in die Wälder des Karpathengebirges gelangt waren, hatte er sogar das Glück, dem König der Zigeuner das Leben retten zu können. Dieser ernannte ihn zum Zeichen seines Dankes zum Verwalter seines Stammes und anerbot ihm seine einzige Tochter zur Frau.
Am Vorabend des Hochzeitstages enthüllte ihm eine alte Zigeunerin, welcher er damals zur Pflege anvertraut worden war, als man ihn geraubt hatte, seine Herkunft. Sie erzählte ihm vieles von seinem Heimatdorf, an dessen Namen sie sich aber nicht mehr erinnern konnte. Doch hatte sie die einfache Schönheit des Sees, der sich mit seinem ruhigen blauen Wasserspiegel zu Füllen des Dorfes ausdehnte, tief im Gedächtnis behalten und konnte nicht genug den Reiz dieser Landschaft rühmen.
Der junge Mann, der bisher geglaubt hatte, er sei inmitten des Zigeunervolkes geboren, fühlte wohl, daß er nie recht glücklich sein werde, wenn es ihm nicht gelänge, die Spur seiner lieben Mutter aufzufinden und für sie zu sorgen. Er verlangte also und erhielt vom Zigeunerkönig die Erlaubnis, die Truppe für einige Zeit verlassen zu dürfen.
Wie aber hätte er seine Mutter wieder erkennen können? «Suche nach einem See», sagte die alte Zigeunerin, «auf dessen Oberfläche weiße schöne Blumen schwimmen. An diesen Blumen wirst du dann die Heimat deiner Mutter wieder erkennen.»
«Fior di Lago» nahm also Abschied vom Zigeunerkönig
und wanderte durch weite, weite Länder, bis er zuletzt in jene Gegend bei Lugano kam, die ihm die alte Zigeunerin geschildert hatte. In jedem Dorf erzählte er daselbst seine Geschichte, in der Hoffnung, seine Mutter unter den Zuhörern wieder zu finden.Es geschah, daß sogar mehrere Frauen sich als seine Mutter ausgaben, weil sich das Gerücht verbreitet hatte, das geraubte Kind sei inzwischen ein reicher Herr und der Verlobte der mutmaßlichen Königin der Zigeuner geworden. Aber «Fior di Lago» wies diese Frauen ab und schickte sie wieder fort. Eines Tages gelangte er an das Ufer eines kleinen Sees und traf dort eine alte Frau, welche auf ihrem Gesicht die Spuren eines unsäglichen Leides trug. Weinend lief sie ihm mit offenen Armen entgegen und rief: «Mein Sohn, mein liebes Kind!»
Der junge Mann schenkte ihr aber keinen Glauben. Darauf brach die arme Frau vor Enttäuschung in verzweifelte Seufzer und Tränen aus und setzte sich ans Ufer des Sees. Und o Wunder! Da verwandelten sich die Tränen, die in den See fielen, in prachtvolle weiße Seerosen, die auf dem Wasser schwammen. Jetzt erinnerte sich «Fior di Lago» der Worte jener Zigeunerin: «An jenen Blumen wirst du deine Mutter wieder erkennen.»
Gerührt umarmte er die teure Mutter und war glücklich, sie wieder gefunden zu haben und die letzten Jahre ihres Lebens für sie sorgen zu können.
Noch heute sieht man am Ufer des reizenden Muzzano-Sees wundervolle Seerosen im Wasser schwimmen. Dies sind die Tränen einer Mutter.
WIE DAS SCHNEEGLÖCKLEIN ENTSTAND
Nun schneit es schon den ganzen Tag. Der Himmel ist dunkel, und die arme kleine Maria ist müde wie noch nie. Es ist schon so lange her, daß sie ihre Mutter sucht, ihr liebes gutes Mütterlein. Aber der Wind flüstert dem Kinde mit traurigem Tone zu, als wollte er sagen: «Arme Kleine, dein Mütterchen ist gestorben, es ist tot. Suche es doch, liebes Kind, nicht in der Ferne, sondern auf dem kürzesten Wege. Schau, dort auf dem Friedhof ruht es und schläft.»
Und der Schnee fällt langsam und unaufhörlich in dichten Flocken. Welche Stille ringsumher im Tal. In Weiß liegt alles eingehüllt. Die kleine Maria trippelte mit ihren kalten Vii flehen mühsam durch den hohen. weichen Schnee.
Wie stechend kalt es ist! Aber auch im Hause der Tante Beatrice war es kalt und unfreundlich. Und dann taten der Kleinen die groben und knochigen Hände des Onkels Antonio weh, wenn er ihr Schläge gab auf den Kopf. Und Olga war oft so böse mit ihr, zog sie immer am Zopf und sagte: «Du Häßliche! Du bist ein garstiges Ding, Maria! O wie häßlich, wie faul und nichtsnutzig du bist, und issest bei uns das Gnadenbrot!»
Was ist auch der lieben Mutter in den Sinn gekommen, zu sterben? Ihrem guten Mütterlein, das sie nie schlug, sondern sie liebkoste und sie beim Zubettegehen küßte, das ihre Hände in den seinigen wärmte,
wenn sie kalt hatte, und das ihr alle Tage heiße Polenta gab mit köstlicher Milch. Aus diesem Grunde also wollte Maria nach Hause zurückkehren, zu ihrer treubesorgten Mutter, die sie gewiß suchte. Und wie sonderbar, sie weinte, als sie auf dem Totenbett ihr Kind zum letzten Male sah.Maria wußte den Weg nach Hause. Es war weit, weit. Aber dort wartete ja das Mütterchen, und ferner ein lustiges Feuer und die dampfende Suppe auf dem Tisch mit der Milch und den großen feinen Bohnen!
Der Wind heulte unheimlich wie eine Eule durch die kahlen Baume. Der Schnee fiel immer höher, der Himmel wurde noch dunkler, und das Heimatdorf war noch immer nicht zu sehen. O Mütter, gute liebreiche Mütter, wie könnt ihr nur sterben! Ohne euch sind die armen Kinder so verlassen in der Welt! Wie lang erscheint ihr jetzt die schneebedeckte Straße, und die Kleine ist so müde und friert. Schau, nun wird es Nacht.
Schon zeigte sich am Himmel ein großer Stern, der aussah wie das liebevolle Auge einer Mutter. Maria konnte nicht mehr weiter. Sie setzte sich auf den Schnee unter zwei alte, hohe Tannen und schloß die Augen, die so viel geweint hatten, wobei sie mit ihrem dünnen Stimmchen lispelte: «Die Mutter wird sicher kommen, sie kommt mir entgegen, mich zu holen.) Dann schlief sie ein.
Nach einer Weile fühlte Maria, wie ihre Hand, die sie auf den Schnee stützte, von zwei warmen, weichen Händen gefaßt wurde, und sie rief: «O Mutter!» Aber nein, es war nicht das gute Mütterlein. Es war ein wunderschöner Engel mit blauen Augen und goldenen Flügeln.
Komm, Maria, die Mutter erwartet dich!», sprach die Engelsgestalt. Und indem sie das Kind immer an der Hand hielt, führte sie es weit, weit hinauf gegen den großen Stern, der immer heller strahlte wie das Auge einer Mutter, die ihr hilfloses Kind liebevoll betrachtet.
Maria war jetzt versorgt. Am Orte aber, wo die Hand der Kleinen im Schnee geruht hatte und vom Engel berührt worden war, schmolz der Schnee, und es erblühte eine bleiche und schöne Blume. Sie wurde das Schneeglöcklein oder die Marienblume genannt. Maria aber hatte droben im Himmel ihr Mütterlein wieder gefunden und war glücklich, während der Schnee immer dichter auf die kalte Erde fiel.
Die Bergbewohner versichern, daß bei den Tannen, halbwegs auf der Straße von Prato nach Dalpe, jedes Jahr ein Schneeglöckchen hervorwächst, das größer und schöner ist als alle andern, offenbar der Maria zu Ehren.
EINE WACKERE TESSINERIN
Auf der rechten Seite des Langensees, ganz nahe an der Grenze gegen Italien, liegt in einer stillen Bucht, im Rücken von hohen Bergen geschützt, der liebliche Ort Brissago. Er erfreute sich schon seit alten Zeiten ungestörter Unabhängigkeit. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts hatten die Franzosen Oberitalien besetzt, und der Papst Julius II. suchte sie mit Hilfe der Spanier, der Venezianer, Deutschen und der Eidgenossen zu vertreiben. Ueberall sah man Kriegsheere, welche die Dörfer verwüsteten. Auch in Brissago war man vor einem Ueberfall nicht sicher. Um diese Zeit geschah folgendes:
Eines Tages legte eine Barke, die von Cannobio herkam, und von einem Mann mit aller Kraft gerudert wurde, in Brissago an. Der Barkenführer stieg ans Land und erzählte den Leuten am Ufer. daß dort hinten eine Anzahl Ruderschiffe mit französischen Soldaten gegen Brissago gefahren käme. Es sind die gleichen, welche das Dorf Viggiona in Brand gesteckt und den Ort Cannero ausgeplündert haben, wobei sie verschiedene Personen ums Leben brachten. Wer sich in Sicherheit bringen will, hat keinen Augenblick zu verlieren. Sie sind schon dort, nicht mehr weit entfernt, und ohne die verzweifelte Anstrengung meiner beiden Arme wäret ihr von den Franzosen überrascht worden.»
Sogleich läuft diese Nachricht durch das Dorf, und
die Leute eilen herbei. Die bevorstehende Gefahr, der Schrecken und die warnenden Worte des Barkenführers erhöhen die Unsicherheit und verbreiten jene Verwirrung, die sich in solchen Fällen der Menge bemächtigt.In dieser Not trat Margherita Borrani, eine wackere Frau aus Brissago, mit fester Geistesgegenwart hervor, riet allen Leuten. sich versteckt zu halten und besorgt zu sein, daß keine menschliche Seele sich blicken lasse. Und ihr Rat bewirkte, daß in einem Augenblick alle Bewohner in den Häusern verschwanden und im Dörflein völlige Stille herrschte wie in einer Wüste.
Gleich darauf kam die kleine Flotte gegen Brissago herangerudert, und der Anführer gab das Zeichen, auszuschiffen. Jetzt schritt Margherita Borrani gegen das Ufer, und der französische Anführer fragte sie von der Spitze des Schiffes aus: «Meine Frau, was ist das für eine Ortschaft hier?»
«Mein Herr», antwortete Margherita Borrani, ohne im geringsten irgend welche Verlegenheit zu zeigen, «es ist das armseligste aller Gebiete, die zu Frankreich gehören.»
«Was?» erwiderte der Anführer. «Ist das ein Land, das mit Frankreich befreundet ist?»
«Es ist, wie ich Euch sagte, der ergebenste Freund von Frankreich, wenn seine Armut es diese Nation nicht als unwürdig erscheinen läßt, und diese Armut wird Euch wohl schon aus dem Namen des Ortes bekannt sein.»
«Welches ist denn der Name dieses Nestes?»
«Sein Name ist Brix-ago, was gerade dieses bedeutet, wie Ihr wohl verstehen werdet.»
«Ich verstehe keinen Deut. Gib mir sogleich die Erklärung.»
«Leider ist die Erklärung leicht und kurz. ,Brix' bedeutet in der Sprache dieser Bewohner am See soviel wie Splitter, d. h. nichts, will heißen, dieses Dorf ist so armselig, daß nicht einmal eine Fliege sich hier sättigen könnte. Und ,ago' ist das feine Ding, das man zum Nähen braucht. Dieser zweite Name wurde beigefügt, um die Winzigkeit der Ortschaft anzudeuten, denn man kann sie vergleichen mit einer Nadelspitze. Sie ist so mager wie eine Nadel, und ihre ganze Habe könnte auf der Spitze einer Nadel Platz finden.»
«So sind also die Bewohner dieses Ortes Geister, oder Teufel oder Antichristen, die von der bloßen Luft leben? Was machen denn diese Taugenichtse, sich den Bauch zu füllen?
«Auch die Ratten verlassen diese Häuser, wo sie nichts zu beißen finden und wo beständige Hungersnot herrscht. Infolge der natürlichen Armut dieser Gegend zogen die Einwohner einer nach dem andern fort und suchten sich andere Wohnsitze in verschiedenen Gegenden Italiens und der weiten Welt. Und die wenigen, welche noch blieben, leben von ihrem Beruf.»
«Und was treiben denn diese Bettler und Galgenstricke?»
«Seht Ihr dort oben jene Felsen und jene Schluchten?» sagte Margherita, indem sie auf die Berge hinter Brissago deutete. «Dort hinauf klettert man, um das Gras von den Felshängen zu holen, weil das Vieh nicht hingelangen kann, um zu weiden. Und sicherlich kehren nicht alle, die dort hinaufkraxeln, mit gesunden Gliedern wieder zurück, denn ein Fehltritt, ein Steinchen, das unter ihrem Fuß ins Rollen kommt, genügt,
um sie zerschmettert in den Abgrund zu stürzen. Glücklich darum der, welcher mit heuer Haut wieder heimkommt und das bißchen Gras, das er gesammelt hat, hinunterbringt. Dort läßt er es trocknen, und als Bunde! auf dem Rücken trägt er es zum Verkauf. Dies ist das Handwerk der Leute aus Brix-ago.»«Bei Gott. ein erbärmliches Handwerk!» brummte der Anführer nicht ohne einen Ausdruck des Mitleids. «Wenn alle Franzosen ein solches hätten, da wären wir schön dran. Und weiter vorn», fuhr er fort, «was sind das für Dörfer?»
«Dort, kaum hat man diese Bucht hinter sich», sagte die aufgeweckte Brissagerin kaltblütig, «ist das Gebiet der Eidgenossen.»
Jetzt gab der Franzose, ohne weiter zu forschen, den Schiffern ein Zeichen. sie sollten umkehren.
Das ganze Dorf schaute mit ängstlicher Ungeduld aus dem Versteck zu, wie die Schiffe sich von Brissago entfernten, und kaum waren die letzten Barken hinter einem Felsen des Ufers verschwunden, so liefen alle Bewohner herbei und versammelten sich um Margherita, die, so genau es ging, ihnen das ganze Gespräch wiederholte.
Ein jeder bewunderte die feine List Margheritas und stimmte dem Giorgio Bazzi bei, welcher bemerkte: «Brissago verdankt es der Margherita Borrani, wenn es diesmal vor der Plünderung und wer weiß vor welch anderm Unheil bewahrt blieb.»
Während das ganze Volk frohlockend das eben Vorgefallene besprach, kam ein Bote, der von Ascona abgesandt war, um zu melden, daß eine Abteilung bewaffneter Eidgenossen vom obern Seende her gegen Brissago ziehe.
Margherita bat um die Erlaubnis, ihnen vor das Dorf entgegenzugehen und empfahl ihren Leuten, sie sollten sich wieder in den Häusern verstecken und ruhig verhalten. Dann machte sie sich raschen Schrittes auf den Weg, und einige Bürger folgten ihr aus der Ferne nach. Und nicht lange darauf traf sie auf die Schweizer. Eine kleine Schar marschierte dem Heer voraus. Als diese der Brissagerin begegneten, hielten sie an und fragten:
«Woher kommst du. Frau?»
«Von jenem Dorf, das ihr dort seht, meine Herren.»
«Wer regiert dort und wem gehört dieses Dorf?»
«Es gehört den Schweizern.»
«Gehört dein Dorf also nicht zur heiligen Liga des Papstes?»
«Doch, ich hab es euch gesagt, mein Dorf gehört der heiligen Liga der Eidgenossen.»
«Ah, ah!» sagte hierauf einer der Kriegsleute, der offenbar einer der Anführer war. «So halten also deine Landsleute die Schweizer für Heilige! Aber den Heiligen errichtet man doch Altäre! Habt ihr solche aufgestellt?»
«Oh!» entgegnete die Frau mit Heiterkeit, «sie würden freilich verdienen, daß man ihnen Altäre baute, sie, die auf dem Rütli, bei Morgarten, Laupen, Sempach, Näfels, Grandson und Giornico solchen Mut zeigten und solchen Opfersinn für die Erhaltung ihrer Freiheit. Die heilige eidgenössische Liga ist ein Stern, der inmitten von Europa glänzt, inmitten der Unordnung und Tyrannei, welche alles verwüstet und verdunkelt. Und nicht nur in jenem armseligen Dörflein, sondern in ganz Europa haben die Eidgenossen einen Altar in jedem edlen Herzen.»
Diese Worte der Frau tönten jenen Kriegsleuten wie süße Musik in den Ohren, so daß sie einander mit Erstaunen und Befriedigung anschauten. Dann fragte der, welcher der Anführer zu sein schien, weiter:
«Was ist das für ein Dorf, Frau, wo du wohnst?»
«Es ist ein Dörflein», entgegnete Margherita, die im Innersten beglückt war, daß sich ihr Gelegenheit bot, den Fremden jede Lust zu nehmen, Brissago zu besuchen, «es ist ein Dorf, wo nur wenige Fischer wohnen, welche nur darum dort bleiben, weil jedem Vogel sein Nest lieb ist. Aber kein Fremder würde dort wohnen mögen. Alle fliehen wie vom Entsetzen getrieben.»
«Und warum denn?» fragte der Schweizer mit wachsender Neugier.
«Weil sich niemand gerne dem Hunger ausliefert. Es ist ein kleiner Winkel zwischen den Klippen des Ufers, ohne Land und ohne Erzeugnisse. Deshalb nennt man jene Gruppe elender Hütten in der ganzen Umgegend nur Brix-ago, denn ,brix' bedeutet hierzulande soviel, als was einer Ameise genügen kann, und ,ago' ist die Spitze einer Nadel. So nennt es das ganze Volk, da man seine Kleinheit und sein Elend nicht besser ausdrücken kann, als indem man es mit dem Bissen einer Ameise und der Spitze einer Nadel vergleicht.»
Diese Rede strömte aus Margheritas Mund mit solcher Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit, die jeden Zweifel ausschloß.
Jene Eidgenossen hatten einen so günstigen Eindruck bekommen von Brissagos Anhänglichkeit zu ihrer Partei, daß sie sich die Mühe ersparen konnten, nach Brissago vorzudringen, um es zu erobern. Und diese Lust verging ihnen um so mehr, wenn sie an
die Armut und Hungersnot der dortigen Bewohner dachten, zumal doch die Soldaten lieber dorthin gehen, wo sie reichlich zu essen finden und wo große Weinfässer stehen.Sobald sie also den Stand der Dinge vernommen hatten, beratschlagten sie eine Weile untereinander in ihrer Sprache, kehrten dem Dorf hierauf ohne weiteres den Rücken und zogen sich mit ihren Truppen wieder in der Richtung gegen Ascona zurück, von woher sie gekommen waren.
Nun ist es nicht leicht, den Jubel zu beschreiben, der an jenem Abend in Brissago herrschte, und das Fest, das man der Retterin des Dorfes bereitete. Die Mütter führten ihre Kinder herbei und küßten ihr die Kleider.
In der Tat wurde Brissago nachher nicht mehr belästigt noch bedroht und fuhr fort, sich mit seinen eigenen Leuten selber zu regieren, glücklich in seiner Einfachheit und zufrieden, von den großen Herren der Welt vergessen zu sein.
DIE SAGE VOM SCHLOSS STABIO
Vor Zeiten wohnte in Stabio in einem wunderschönen Schloß ein strenger und gottesfürchtiger Herr. Er hatte viel gekämpft für den Glauben und die heilige Sache. Aber er hatte auch mit seinen Nachbarn Krieg geführt aus nichtssagenden Gründen. Er führte ein Leben reich an Abenteuern, denn er war von hitziger und gewalttätiger Natur. In einem seiner Wutanfälle mußte er wohl etwas sehr Schweres und Schmerzliches begangen haben; denn als er von seinen Kriegszügen zurückkehrte, schloß er sich in sein Haus ein und wollte niemand mehr sehen, noch mit andern in Gesellschaft bleiben, wie er früher zu tun gewohnt war, wenn er an allen möglichen Festlichkeiten und Turnieren teilnahm.
Stundenlang blieb er jetzt in seinem Haus. Manchmal hörte man ihn schluchzen wie ein Kind, oder man sah ihn, wie er flehend die Hände zum Himmel emporhob. — Eines Tages aber reiste er ganz plötzlich weg und kehrte erst nach einigen Monaten zurück, aber diesmal nicht mehr allein, sondern in Gesellschaft einiger Freunde und Frauen.
Von diesem Tag an herrschte im Schloß nicht mehr jene Melancholie, noch das einsame Leben wie früher, sondern fortwährend sah man dort Gelage und Schmausereien, Lustbarkeiten und Feste, wobei sich die Gäste auf alle mögliche Weise des Lebens zu freuen suchten. Im ganzen Dorf sprach man von dieser Aenderung
der Dinge im Schloß, und wenn die Leute dort vorübergingen, machten sie sich das Zeichen des heiligen Kreuzes, weil sie behaupteten, es sei bezaubert und verhext.So vergingen einige Monate. Eines Sonntags wurde im Dorf eine große Feierlichkeit abgehalten. Während die ganze Bevölkerung in der Kirche war, um dem Gottesdienst beizuwohnen, wurde im Schloß ein Gelage gehalten. Und als die Schmauserei zu Ende war, begannen die Leute im Saal zu tanzen und in großer Ausgelassenheit zu scherzen. Aber gerade in diesem Augenblick, als unten in der Dorfkirche der Priester das heilige Sakrament in die Höhe hielt und über alle versammelten Gläubigen den Segen aussprach, versank das Schloß, wo die ausgelassene Festlichkeit gehalten wurde, plötzlich in die Tiefe, und es bildete sich ein See. Die Bewohner und Gäste des Schlosses kamen alle ums Lehen, und von dem Schloß selbst blieben nur einige Mauerreste übrig. So hielt der Herr Gericht über diese Stätte, und auf diese Weise entstand damals der kleine See von Peschiera bei Stabio.
DIE GLOCKE VON SCRUENGO UND QUINTO
Von einer Glocke der Parrochialkirche von Quinto im oberen Livinental wird folgendes erzählt:
Eine dieser Glocken wurde der Kirche von den Damen von Scruengo geschenkt. Scruengo ist heutzutage eine Gruppe von Ställen in der Nähe von Piotta, unter denen man einige Trümmer früherer Bauten bemerken kann, nicht weit von dem Wasserfall des Ritomsees.
Vor Zeiten stand dort ein Dorf. Dies ist durch Urkunden belegt. Dann aber erzählt die Sage, die immer reich und poetisch ist, von einem Schloß, von einem Turm, der als Gefängnis diente, und von einer Kirche, deren Glocken einen ganz besonders schönen Klang hatten. Dorf, Turm und Kirche sind heute gänzlich
zerfallen. War es ein Bergsturz, eine Lawine oder eine Ueberschwemmung? All das ist in diesem Hochtal möglich, aber nichts ist sicher überliefert.Drei gute Frauen von Scruengo sammelten in einer armseligen Hütte die Ueberreste des ehemaligen Dorfes. Sie lebten unter den Ruinen und suchten den noch am Leben gebliebenen Bewohnern mit allerhand Wohltaten und fürsorglichen Werken zu helfen.
Eine der Glocken der Kirche von Scruengo wurde aus den Trümmern wieder gefunden. Die drei mildtätigen Frauen schickten die Glocke nach der Glokkengießerei von Sesto Calende am Südende des Lago Maggiore, damit sie dort auf ihre Kosten von neuem gegossen und geweiht wurde. Dort unten also wurde die Glocke umgegossen. Die Männer der Glockengießerei sagten zu denen, die sie auf einen Wagen luden und an den See schafften: «Bevor ihr sie auf eine Barke umladet, laßt sie aufs neue segnen.»
Am Hafenpiatz angelangt, sprachen die Wagenführer zu den Rudersleuten: «Bevor ihr vom Ufer wegfährt, laßt die Glocke weihen.» Dieser Befehl ging von einem zum andern, ohne daß er jedoch ausgeführt wurde. Schließlich war die Glocke schon auf dem Schiff. Dieses fuhr zuerst auf ruhigen Wellen seeaufwärts gegen Luino und Locarno. Da plötzlich begann sich das Wasser zu erregen, am Himmel erschienen immer größere und dunklere Wolken. Endlich brach ein furchtbarer Sturm los und erfüllte alle mit Entsetzen. Steuermann, Ruderer und Reisende gerieten in Verzweiflung. Unter den Mitfahrenden war auch ein Priester, der sie zu beruhigen suchte und ihnen empfahl, zu beten. Er selber half mit kräftigen Armen mitzurudern. Da schrie einer im Schiff: «Ich bin an allein
Unglück schuld, ich habe versprochen, die Glocke aufs neue zu weihen und habe es unterlassen!» Darauf segnete der Priester die Glocke. Nicht lange nachher ließ der Wind nach, der Sturm legte sich und die Wasser beruhigten sich. So brachten sie die Glocke glücklich ans andere Ende des Sees bei Magadino, von wo aus sie das Tessintal aufwärts mit unsäglicher Mühe bis Quinto geführt wurde.Die Bürger von Quinto zeigten sich dankbar für die gestiftete Glocke. Sie gaben mit ihrem Glockengeläute das Zeichen zur sonntäglichen Messe erst dann, wenn sie die drei Damen von Scruengo in der Nähe der Brücke von Morenchia am Tessin auftauchen sahen.
DIE TANZWIESE
Ein junger Mann liebte ein Mädchen von wunderbarer Schönheit. Das wohnte in einem benachbarten Dorf des Capriasca-Tales und lebte allein. Beide waren sich von Herzen zugetan. Eines Abends sagte das Mädchen zum Jüngling: «Morgen abend, Freitag, brauchst du mich nicht zu besuchen. Ich werde nicht zu Hause sein, weil ich zu einer Tante gehen muß, die krank geworden ist.» Der junge Mann gehorchte. Aber als sie am folgenden Freitag ihm wieder verbot, zu kommen, schöpfte er Verdacht, wurde eifersüchtig und wollte über die Sache ins klare kommen. Er begab sich also gleichwohl zu seiner Geliebten, guckte heimlich durch das Küchenfenster und sah Dinge, die ihn in großes Erstaunen setzten. Das Mädchen sali am Herd und kämmte sich mit aller Sorgfalt ihre blonden, prächtigen Haare. Dann verschwand es und kehrte bald darauf wieder zurück mit ihren schönsten Kleidern angetan. Hierauf nahm sie vom Schrank über dem Tisch ein kleines, rotes Schächtelchen, das eine grüne Salbe enthielt, mit welcher sie sich die Stirne, die Hände und die Fülle einrieb. Darauf legte sie das Schächtelchen auf den Herd und verschwand durch den schwarzen Rauchfang des Kamins.
Jetzt drückte der Jüngling mit Gewalt die Türe ein, trat in die Küche, nahm die geheimnisvolle Schachtel und salbte sich mit der grünen Salbe ebenfalls Stirne, Hände und Fülle. Da plötzlich fühlte er sich, wie von
zauberhafter Macht, durch den Rauchfang emporgehoben und wurde zum Schornstein hinaus davongetragen. Und weit fort ging es. Schließlich gelangte er zu einer großen ebenen Waldwiese, die von unzähligen Lampen erhellt wurde. Dort tanzten viele schöne Mädchen und Jünglinge, fein gekleidet, ganz närrisch und wie außer sich zum Klang einer lieblichen Musik.Mitten auf der Wiese saß ein Herr in eleganter schwarzer Kleidung, mit Zylinder und ebenfalls schwarzen Handschuhen, mit Füßen wie die eines Pferdes und mit zwei Hörnchen auf der Stirn; ein Mann, dessen Blick einen bannte und bezauberte. Er lächelte und lächelte unaufhörlich. Es war gewiß der Teufel.
Der Jüngling tanzte mit verschiedenen Mädchen und auch mit seiner Geliebten, die sehr verwundert war, ihn an diesem Ort zu treffen. So tanzten sie bis zum Morgen.
Da hörte man vom Kirchturm des nahen Dorfes das Ave Maria des anbrechenden Tages läuten. Mit einem Schlag hörten Musik und Tanz auf, und alles verschwand in der größten Finsternis. Als es dann später Tag wurde, befand sich der Jüngling auf einer Waldwiese rings von Dornbüschen umgeben. Nur mit großer Anstrengung konnte er sich durch die Dornen einen Ausweg bahnen und kehrte zerkratzt und übel zugerichtet nach Hause.
Von diesem Tag an wollte er von seiner Schönen, die mit Geistern verkehrte, nichts mehr wissen und kehrte nie mehr zu ihr zurück.
DIE ALPWEIDE VON FIEUT
OBERHALB AIROLO
Jene Alpwiese war reich an kräftigem Gras und Alpenkräutern, und die Kühe gingen gerne dort zu weiden. Das Gras, das dort wuchs, war so ausgiebig und wohlriechend. Wenn die Tiere dieses fraßen, mußte man sie dreimal am Tag melken, und der weite Milchkessel, in dem man den Käse bereitete, wurde von guter Milch voll bis an den Rand.
Anstatt nun über diese Gottesgabe erfreut und zufrieden zu sein, murrten die Hirten und der Senn, denn es gab ihnen zu viel Arbeit, und sie hatten keine Ruhe.
Sie wurden aber für ihre Unzufriedenheit bestraft. An Stelle der herrlichen, wohlriechenden Alpenkräuter ließ Gott der Herr stachelige Pflanzen wachsen und Disteln mit Blättern in Form einer harten Zunge. Die Tiere fanden deshalb weniger gute Kräuter und gaben infolgedessen nur noch wenig Milch, so daß man sie kaum noch zweimal melken konnte.
DIE LEGENDE VON DER
MADONNA DELLA FONTANA
Am Nordostabhang des Monte Verita, in den Edelkastanienwäldern oberhalb Losone versteckt und von dem Fischerdorf Ascona etwa zwanzig Minuten entfernt, steht die alte Wallfahrtskirche Madonna della Fontana. Alljährlich am fünfzehnten August wird die Stille um diese einsame Waldkirche gestört, und vom frühen Morgen bis in die Nacht hinein herrscht hier ein farbenbuntes, frohbewegtes Leben und Treiben. Nicht allein von Ascona und Losone, von Golino und Intragna, von Solduno und Pedemonte, sondern aus allen locarnesischen Tälern, von den Uferdörfern des Lago Maggiore, und selbst von Italien her strömen an diesem Tag die Gläubigen hier zusammen. Es ist eine altüberlieferte Sitte, einmal im Jahr das heilkräftige Wasser der Madonna della Fontana zu trinken und hier seine Andacht zu verrichten. Und das ärmste Weiblein im hintersten Weiler des Centovalli läßt sich die Beschwerden und Mühen dieser Wallfahrt nicht sauer werden.
Die Kirche erhielt ihren Namen von einer Quelle, die in einer Grotte unter der Freitreppe entspringt und deren selten klares und frisches Wasser auch in den trockensten Jahren nie versiegt. Wie so manche andere Kirche und Kapelle im Tessin hat die Madonna della Fontana ihre eigene Geschichte, und an ihre Stiftung knüpft sich folgende volkstümliche Legende:
Im Jahre 1428 herrschte eine Hitze und Trockenheit auf der Südseite der Alpen, daß alles Grün verdorrte und alle Flüsse und Quellen versiegten. In diesem Jahre weidete ein kleines stummes Mädchen aus Ascona in der Nähe der heutigen Wallfahrtskirche, wo damals schon eine der Madonna geweihte Votivkapelle stand, ihre bescheidene Lämmerherde. Aber die armen Tiere fanden kaum einen dürren Haim für ihren Hunger, geschweige denn einen Tropfen Wasser, den brennenden Durst zu löschen, und eines nach dem andern legte sich hin, dem Verderben nahe. Da kniete in seiner Herzensnot das stumme Mädchen vor der Kapelle nieder und reckte die Hände flehend zur Himmelsmutter empor.
Nun geschah ein erstes Wunder: die Kleine konnte plötzlich reden: innig bat sie um Rettung für ihre Lämmer. Die Madonna erhörte sie und wirkte ein zweites Wunder, indem auf einmal eine klare Quelle von der Kapelle emporsprudelte.
Die Quelle wurde bald weit und breit berühmt und für alle möglichen Leiden heilkräftig befunden, so daß die Gläubigen von Ascona beschlossen, dort ein würdiges Gotteshaus zu bauen, welches 1670 vollendet wurde.
Die Madonna della Fontana ist bis auf den heutigen Tag nicht in Vergessenheit geraten; neben der Madonna del Sasso ist es die besuchteste Wallfahrtskirche des Tessins, und in Jahren langandauernder Trockenheit werden dort große Bittprozessionen von nah und fern veranstaltet.
EINE ANDERE LEGENDE
DER MADONNA DELLA FONTANA
In Ascona lebte vor langen Jahren einmal eine sehr arme Familie mit vielen Kindern. Zu dem großen Unglück der Not kam auch noch der Tod und holte die Mutter aus ihrer Mitte, so daß das Elend größer und größer wurde. Da nahm sich der arme Mann bald wieder eine Frau, aber das war eine gehässige, lieblose Stiefmutter für die Kinder.
Das älteste Mädchen, etwa vierzehnjährig, mußte täglich die Schafe hinaustreiben, gegen Losone zu. Jeden Tag bekam es eine Menge Wolle zum Spinnen mit hinaus und wehe, wenn am Abend nicht alles verarbeitet war! Da erhielt es Schläge statt Brot und wurde mit Schimpfen und bösen Worten aufs Strohlager gejagt.
Es kam aber ein heißer Sommer übers Land. Die Bächlein trockneten ganz aus. Es gab nur spärliches Futter für die Schafe, und die Fliegen plagten sie so sehr, daß das Kind den ganzen Tag einzelnen Tieren nachlaufen mußte, weil sie sich verirrten. Am Abend trieb es die ermatteten Tiere heim, hatte nicht spinnen können und bekam nichts als Prügel. Am folgenden Tag ging es ebenso. Die Luft zitterte zwischen den Baumstämmen, die Tiere liefen wild in alle Richtungen; einige lagen erschöpft und wie tot auf dem trockenen Boden.
In dieser Verzweiflung kniete das arme Kind nie-
der und flehte zur heiligen Madonna: «Povera me, meine Schafe müssen sterben, wenn sie kein Wasser bekommen, und ich kann vor lauter Herumlaufen die Wolle nicht spinnen!» Und dann weinte und schluchzte es laut. Auf einmal sprang neben ihr ein Brünnlein aus dem Boden. Es war frisches, klares Wasser. Die Schafe kamen herbeigesprungen und labten sich, wurden wieder lebhaft und ließen sich wie früher in geordneter Herde am Abend heimtreiben.Das Mädchen kam mit verklärten Augen nach Hause, denn auch die Wolle war wunderfein gesponnen worden, während es verzweifelt und hilfesuchend gebetet hatte.
Das ganze Dorf lief hinaus, das Wunder zu sehen, denn an jenem Ort war zuvor nie eine Quelle gewesen. So baute man eine Kapelle zu Ehren der heiligen Maria, die das arme Kind erhört und beschützt hatte. Alljährlich wird da ein Fest gefeiert mit Prozession und Messe, bei dem kühlen Quellwasser, welches noch heute für wundertätig gilt.
WIE DAS TAL DES «POVERO MI»
ZU SEINEM NAMEN KAM
In Losone oder genauer gesagt San Giorgio lebte einmal ein Bauer. der von Gott. von der Kirche und ihren Geboten nichts wissen wollte. Wegen seinem Reden und Tun hatten sie ihm den Uebernamen «Povero mi» (Ich Armer) gegeben. Nun war es einst Himmelfahrtsfest, ums Jahr 1811 oder 1812. Man feierte diesen Tag mit großem Pomp. Alle Bewohner des Dorfes waren zur Kirche gegangen. Einzig dieser Bauer zog es vor, Kastanienblätter zu sammeln als Streueunterlage für seine Kühe. Dies tat er in der Umgebung der Schlucht «Bola di Mot».
Als gegen die Mittagsstunde die Messe zu Ende war, kehrten alle fröhlich und guter Dinge nach Hause zurück. Die Leute. die als Nachbarn neben dem Haus des eigensinnigen «Povero Mi» wohnten, waren etwas erstaunt, als sie ihn nicht wieder erscheinen sahen; sie gaben jedoch nicht weiter darauf acht. Es wurde Abend, und als sie merkten, daß er auch jetzt nicht wiederkehrte, wurden sie beunruhigt, und der Fall wurde sofort den Gemeindebehörden mitgeteilt. Diese machten sich mit einer Schar Freiwilliger auf die Suche. Man nahm Seile und alle nötigen Rettungsgerätschaften mit. Aber alle Bemühungen waren vergeblich. Man fand nicht einmal eine Spur von dem Verschollenen.
Einige Tage später begaben sich einige Bauersleute
in den Wald, um Kastanienblätter und Gras für die Tiere zu sammeln. Sie erzählten, daß sie in der Umgebung der Schlucht «Bola di Mob eine Stimme gehört hätten, welche rief: «O povero mi, o povero mi!» Und das Echo wiederholte diese Worte alle Tage, so daß sich schließlich niemand mehr in jenes Tal getraute, weil man sagte, daß eine verlorene Seele dort umherirre, da sie bei Lebzeiten die Gesetze Gottes übertreten habe.Der Pfarrer des Dorfes wollte diesem unheimlichen Spuk ein Ende bereiten. Er veranstaltete eine Prozession, begab sich an den betreffenden Ort, wo er mit besonderen Riten in Gegenwart aller Dorfbewohner den Ort segnete. In jenem feierlichen Augenblicke vernahm man eine so tieftraurige Stimme, daß alle das Gefühl hatten, es gefriere ihnen das Blut in den Adern. Diese Stimme rief dreimal: «O povero mi!» Dann hörte man nichts mehr.
Meine Großmutter, welche diese Geschichte mehrmals erzählen hörte, als sie noch ein Kind war, erinnerte sich nicht mehr an den Namen des Unglücklichen. Von ihr habe ich sie öfters erzählen hören, und diesen Sommer, während ich meine Kühe in der Nähe dieses Tales hütete, habe ich die Geschichte aufgeschrieben.
EINE ANDERE SAGE DES «POVERO MI»
In Losone war einst ein armer Mann. Er wohnte im Kirchsprengel von San Giorgio. Der hatte am Pfingsttag gar kein Futter mehr für seine Ziegen. Er ging also in ein Tal oberhalb des Dorfes, um grünes Laub für seine Tiere zu sammeln. Dabei kletterte er auf einen Baum und wollte die Blätter abreißen und sie in seine Gerla tun. Aber o weh! Auf einmal glitt er aus und stürzte mit dem Ruf: «Povero mi!» (Ach, ich Armer) vom Baum herab und blieb tot liegen.
Seither hört man hei Losone alle Jahre am Pfingsttag die Worte rufen: «Ach ich Armer!» Und davon hat jenes Tal oberhalb der Kirche von San Giorgio seinen Namen bekommen.
DIE DREI KAPELLEN BEI VARENZO
An der Hauptstraße zwischen Rodi-Fiesso und Ambri-Piotta, nicht weit von Varenzo, standen früher drei Kapellen. Sie waren in alter Zeit gebaut worden, um daselbst Schutz zu erflehen gegen die gefährlichen Lawinen, die jedes Jahr von den Felswänden herabstürzten und Verderben anrichteten. Alle Vorübergehenden hielten an den «Tre Cappelle» inne und bewunderten vor allein in der mittleren Kapelle das aus Holz geschnitzte Bild des Gekreuzigten.
Vor etwa hundert Jahren geschah folgendes: Einige Frauen aus Varenzo knieten vor dieser mittleren Kapelle nieder und beteten. Da kam ein Reiter zu Pferd vorüber, der über den Gotthard wollte und fragte spöttisch: Was macht ihr hier und weshalb betet ihr?» Die Frauen gaben ihm zur Antwort, sie hätten Vertrauen zu Gott und dem Gekreuzigten und beteten für ihre besonderen Anliegen. Da zog der Reiter seinen Degen und rief hohnlachend: «Ich habe keine Angst vor eurem Christus!» Und mit diesen Worten versetzte er dem Kruzifix einen wuchtigen Hieb und schlug ihm die große Zehe am rechten Fuße ab, worauf er seinen Weg fortsetzte. Aber er war noch nicht weit über Piotta hinausgeritten, als er beim Ponte Sordo vom Schlag getroffen plötzlich zu Boden stürzte und starb.
Von den drei Kapellen ist heute nur noch die mittlere erhalten, nämlich die mit dem Christusbild.
DAS WEISSE PFERD VON GIORNICO
Einst wohnte in Giornico ein Mann. Der hatte ein schneeweißes Pferd. Es ging von ihm die Sage, er sei ein Hexenmeister, und häufig sahen ihn die Bewohner aus seinem Dorf wegreiten auf seinem von ihm unzertrennlichen Schimmel.
Zur damaligen Zeit hätten die Bauern von Giornico gar gerne eine Alp gehabt und beauftragten den Mann mit dem weißen Pferd. ihnen eine solche zu verschaffen. Dieser versprach es, und eines Nachts streifte er zu Pferd über all die Alpweiden des Livinentals und fand dabei, daß die Alp Cristallina im Bedretto-Tal die schönste von allen sei. Er suchte sie für seine Landsleute zu erwerben. Die Alp gehörte jedoch der Gemeinde von Bedretto.
Die Bürger von Bedretto zeigten sich geneigt, den Bauern von Giornico ihre Alp abzutreten unter der Bedingung, daß diese ihnen auf den St. Martinstag einen «stei», d. h. ein Maß von fünfundzwanzig Litern, voller Geldstücke gäben. Dabei waren aber die Bedrettesen der Meinung, daß die Geldstücke aus Gold bestünden. Sie wurden jedoch arg getäuscht und erhielten als Zahlung bloß solche aus Kupfer und Messing.
Der Betrüger starb aber bald nach dieser schlechten Tat. Gott der Herr verurteilte ihn dazu, daß er mit seinem weißen Pferd fortwährend das Valle Torta durchstreifen mußte. Das war ein Teil der Alp Cristallina.
Viele Jahre lang erschreckte er mit seinem weißen Pferd die Hirten der Umgegend. Er rief Lawinen hervor, versetzte Kühe und Geißen in Schrecken und bewirkte, daß sie in großen Sprüngen davonjagten oder auch in ihrer Verwirrung über eine Felswand stürzten. Auch raubte er manchmal die Käselaibe aus den Alphütten. Vor lauter Angst getrauten sich die Sennen und Hirten nicht einmal mehr nachts aus ihren Blockhütten, denn sie fürchteten, wenn der weiße Reiter sie sähe, würden sie vor Schrecken vom Schlag getroffen.Schließlich wurde es ihnen zu arg. Sie ließen den Pfarrer von Bedretto kommen, der die Alp segnen mußte. Von da an wurde das weiße Pferd mit seinem gespenstischen Reiter nicht mehr gesehen, und die Hirten hatten fortan Ruhe.
DIE ALP CRISTALLINA IM BEDRETTO-TAL
Es sind nun schon viele Jahre her, da wurde die ganze Bevölkerung des Bedretto-Tales im Frühling krank. Aus diesem Grunde konnten sie nicht wie sonst im Mai auf die Alpweiden (Maiensäße) ziehen. Die Leute von Giornico nützten diese Gelegenheit aus und trieben dafür ihre Kühe auf die Alp Cristallina, die zum Dorf Villa Bedretto gehörte. Für diesmal ließen es die Bedrettesen geschehen; sie wollten aber dafür im nächsten Frühjahr ihre Eigentumsrechte geltend machen, weil dieser Weideplatz ihnen gehörte. Sie kamen also mit dem Sindaco (Bürgermeister) von Giornico überein, sich mit ihm gemeinsam auf der Alp Cristallina einzufinden. Dort beteuerte der Sindaco immer wieder mit einem Schwur: Die Erde. wo ich jetzt meine Füße hinsetze, ist mein», und er drohte ihnen, wenn sie nicht damit einverstanden seien, so werde er die Polizei rufen.
Da ließen die Leute von Bedretto zu ihrem großen Leidwesen das Spiel als vom Bürgermeister von Giornico für gewonnen gelten. Wißt ihr aber, was die Sage erzählt? Der Bürgermeister von Giornico habe ein wenig Erde aus seinem Garten in seine Schuhe gestreut, sei damit auf die Alp gestiegen und habe einen falschen Eid geschworen. Auf diese Weise sei die Alp Cristallina bis auf den heutigen Tag Eigentum von Giornico geblieben.
DIE HEIDEN VON OLIVONE
Am Abhang des schönen Gebirges Toira, das sich nordöstlich von Olivone erhebt, ist eine Höhle im Felsen, «La Cetta» genannt. Das war eine Art Katakombe mit unterirdischen Gängen. Sie war von Heiden bewohnt, einer Sippe, die man im Volksmund als «Croix» bezeichnete. Sie waren als Hexenmeister und Zauberer gefürchtet.
Eines Tages geschah es, daß einer dieser Höhlenbewohner erkrankte und einer seiner Gefährten sich nach Sommascona begeben mußte, dem höchst gelegenen Weiler der Gemeinde Olivone. Dort sollte er eine Frau herbeirufen, damit sie den Kranken heile. Die Frau getraute sich nicht, die Bitte abzulehnen, denn sie wußte, daß die Heiden rachsüchtige Leute waren, die einem leichthin einen bösen Streich spielen konnten. Sie folgte also dem «Croix», der sie zu der sonderbaren Felswohnung emporführte. Dort hielt sie sich als Krankenpflegerin einige Tage auf, bis der seltsame Patient sich wieder besser fühlte. Danach wollte sie sich verabschieden. Die Heiden suchten sich ihr aber erkenntlich zu zeigen und schenkten ihr Kohlen, die sie jedoch aus Angst nicht zurückweisen mochte. Sie füllte sich damit die Zipfel ihrer Schürze.
Als sie dann nicht mehr weit von ihrem Dorf Sommascona entfernt war, warf sie die Kohlen, mit denen sie nichts anzufangen wußte, weg. Daheim angelangt, suchte sie in ihrer Handtasche den Hausschlüssel und
zog gleichzeitig damit ein Stücklein Kohle hervor, das aus Versehen in diese Tasche gefallen war und das sich in gediegenes, glänzendes Gold verwandelt hatte. Ganz entzückt über diesen Fund, kehrte sie schleunigst an den Ort zurück, wo sie die Kohlen weggeworfen hatte, fand sie jedoch nicht mehr. Einer der Heiden war ihr nämlich aus der Ferne nachgefolgt, um zu beobachten, was sie mit ihrem Geschenk anfange, und als er bemerkte, wie sie die Kohlen wegwarf, brachte er sie in seine Felsenwohnung zurück.So mußte sie wieder nach Hause zurückkehren und sich mit dem kleinen Stück zufrieden geben, das ihr gegen ihren Willen geblieben war, und das aber gleichwohl eine schöne Belohnung darstellte.
DIE WALLFAHRT DER HIRTEN
ZUM KLOSTER MADONNA DEL SASSO
Auf der Alp Giove, westlich von Brione im Verzascatal, hatten einige Hirten alle Kreuze verbrannt, die auf jenen Höhen standen, denn sie wollten von der Religion nichts mehr wissen. Da schickte ihnen Gott der Herr eine Menge Schlangen, die sogar in der Cascina (Blockhütte), im Stall und im kleinen Milchkeller der Alp zum Vorschein kamen. Des öftern wurden Hirten und Vieh von ihnen gebissen und starben. Deshalb dachten die Sennen, die auf jener Alp und in deren Nähe wohnten, es wäre das beste, nach dem Kloster Madonna de! Sasso oberhalb Locarno zu gehen, um dort die guten Mönche um ihren Rat zu fragen.
Sie machten sich also nach Art einer Prozession auf den weiten Weg, gelangten nach Locarno und stiegen zur Wallfahrtskirche empor. Dort fragten sie den Klosterbruder, der ihnen die Tür öffnete, wie sie die Schlangen vertreiben könnten. «Ich bin nicht fromm genug, um sie beschwören zu können», gab dieser zur Antwort, «doch lebt hier ein anderer Bruder, ein heiliger Mann, der mit euch kommen wird. Ihr werdet ein großes Feuer im Hof vor den Ställen eurer Alp anzünden, der Bruder wird die Alp segnen, und dann werden sich die Schlangen um das Feuer sammeln. Dabei beachtet folgendes: Wenn die erste Schlange, die sich ins Feuer wirft, die größte ist, könnt ihr beruhigt sein.
Sollte es aber die kleinste sein, dann müßt ihr euch auf ein Unglück gefaßt machen. So geht nun! Gott sei euch gnädig und beschütze euch auf eurem Heimweg!»Dann rief er den frommen Mönch herbei, und sie zogen mit diesem vom Kloster fort. Sie wanderten nach Gordola, bogen dort in das Verzascatal ein und kamen nach Brione. Der Aufstieg zur Alp von Madone di Giove war mühsam. Ganz erschöpft vom weiten Weg langten sie auf der Höhe an. Sie mußten sich zuerst erfrischen. Dann segnete der Ordensgeistliche das Innere der Alphütte. Unterdessen schichteten sie draußen einen großen Scheiterhaufen auf und entfachten ein gewaltiges Feuer. Jetzt kamen die Schlangen zu zweien oder in Gruppen von allen Seiten der steilen Abhänge herangekrochen. Es war aber die kleinste von allen, die sich zuerst in die Flammen stürzte, und die Aelpler gerieten darüber in große Besorgnis.
Inzwischen aber fuhr der Klosterbruder fort, alle Teile der Alp zu segnen und um Gnade zu beten. Darauf warfen sich die gefürchteten Tiere alle in die lodernde Feuersglut. Nun aber geschah das Schreckliche: Eine ganz große Schlange, wohl die längste von allen, wollte sich nicht ins Feuer werfen, sondern stürzte sich auf den segnenden Mönch und ringelte sich um seine Hüfte. Bei diesem Anblick eilte ein Senn in die Blockhütte, nahm das geweihte Walholz und machte mit demselben ein großes Kreuzeszeichen. Jetzt wurde die Schlange vom Schrecken ergriffen, warf sich in die Flammen und verbrannte.
Nicht weit von der Alphütte fließt ein tosender Bergbach vorbei. Da sagte der Mönch: «Um zu vergessen, was ihr gesehen habt, geht dort hinunter und wascht eure Stirnen!» Sie taten dies, wuschen sich und dank-
ten Gott aus tiefstem Herzen für die Erlösung. Dann standen sie auf und schauten um sich; aber der Klosterbruder war nicht mehr zu sehen.Noch heute sieht man auf dem Kamm des Berges, der sich über dem Alpseelein von Giove erhebt, die granitene Form des Mönchs sich vom Blau des Himmels abheben. Man kann die Kaputze, den Bart und den Strick um die Lenden wohl unterscheiden. Deshalb heißt jener höchste Punkt des Berges unter dem Volk die «Cuna de! Frate», was soviel heißt wie die Bergspitze des Mönchs».
DIE ZWERGE VON CATTO
Die alten Leute von Catto oberhalb Quinto erzählen. daß die Höhlen des Felsens von Catto vor Zeiten von Zwergen bewohnt waren.
Eine Hausfrau hatte den Lein zum Wässern in den Brunnentrog getan und fand abends nicht mehr Zeit, hinzugehen und ihn wieder herauszunehmen. Darum stand sie am andern Morgen frühzeitig auf und wandte sich dem Dorfbrunnen zu. Doch wie erstaunt war sie, als sie sah, wie ihre Leinstengel auf der Wiese zum Trocknen ausgebreitet lagen.
Ein anderes Mal hatte ein Bauer einige große Ster Holz in Burnet vom Wald herab auf eine Wiese gebracht. Es machte ihm Kummer. wenn er dachte, wie viele Male er zum Waldrand hinaufsteigen und von dort ins Dorf Catto hinabgehen mußte, bis er all das viele Brennholz nach seinem Haus geschafft hatte. Eines Morgens stand er auf und fand sein Holz schön aufgeschichtet unter dem Bogengang seines Hauses. Es waren die Zwerglein gewesen, die über Nacht diese große Arbeit besorgt hatten.
Wenn dann in den verschiedenen Familien von Catto eine jede ihr eigenes Brot zu backen sich anschickte, so kamen die Zwerge und baten um ein frisches und knusperiges Brotlaibchen.
Einer, der den freundlichen Zwergen diese bescheidene Belohnung nicht gönnen mochte, ersann eine List. Er nahm die große Steinplatte, auf die sich die Zwerge
zu setzen gewöhnt hatten, erhitzte den Stein in dem heißen Backofen und legte ihn wieder an die gewohnte Stelle. Als gleich darauf die Zwerglein wieder kamen und sich darauf setzten und um warmes Brot baten, verbrannte sich einer davon so jämmerlich die Kleider und die Haut, daß sie alle fortgingen, indem sie die undankbaren Bewohner von Catto verwünschten und nie mehr wiederkehrten. ihnen zu helfen.Dasselbe erzählt man von den Zwergen von Deggio, die in den Felshöhlen nahe bei der alten Straße wohnten, welche von Deggio nach Quinto an der Kapelle vorüberführt.
DER GROSSE MAI - IL MAGGIO GRANDE
Es lebten einmal in einem Dorfe Mann und Frau. Da sagte der Mann eines Tages: «Ich will in die Fremde ziehen, um als Maurer zu arbeiten und ein Stück Geld zu verdienen. Wenn unterdessen der große Mai kommt, so mußt du jenen Sack Korn mahlen lassen, der oben im Kornspeicher liegt.» Und nach diesen Worten zog der Mann fort.
Die Frau erwartete jeden Tag den großen Mai, aber er kam nie. Eines Tages sah sie einen großen Mann mit einem Eselchen durch das Dorf ziehen. Da fragte sie ihn: «Seid Ihr der große Mai?»
Ja freilich.»
«Wäret Ihr nicht so gut und würdet mir den Sack Korn mahlen?»
«Jawohl, gerne, zeigt mir den Sack!»
«Ihr braucht nur hier auf den Kornspeicher zu steigen; dort werdet Ihr den Sack finden.»
Der Fremde stieg also die Treppe hinauf zum Speicher, öffnete die Tür, blieb dort ein Weilchen und kehrte dann ganz zufrieden, aber ohne Sack wieder herab, indem er sagte: «Ich will morgen wieder kommen und den Sack holen.» Und damit ging er schnell zu seinem Eselchen und trieb das Tier zur Eile an.
Am anderen Morgen stellte sich die Frau auf die Gasse, um den Fremden zu erwarten. Aber er kam nicht. Statt dessen jedoch kehrte ihr Mann heim und fragte sie sogleich:
«Hast du das Korn mahlen lassen?»
«Nein, noch nicht. Denke dir, der große Mai ist erst gestern gekommen und hat mir versichert, er werde heute wiederkehren. Ich habe ihn jedoch bis jetzt noch nicht gesehen.»
«Und hast du ihm den Weizen gezeigt?»
«Jawohl, ich habe ihm gesagt, er solle selbst hinaufgehen und ihn ansehen.»
«Aber, ums Himmelswillen, hast du denn nicht gewußt, daß hinter jenem Kornsack unser Geld versteckt lag?»
Um Gotteswillen, das habe ich nicht gewußt!»
«Nun gut», sagte der Mann, «jetzt haben wir die Bescherung. Ich gehe noch einmal fort und will schauen, ob ich auf dieser Welt noch eine Frau finde, die so unwissend und dumm ist wie du. Wenn ich eine finde, so ist alles gut. Aber wehe dir, wenn ich keine finde, die so töricht ist wie du!»
Und damit zog er wieder fort und kam auf seiner Wanderschaft auf ein Feld, wo er einige Frauen beten
sah. Darauf machte er mit der Hand allerlei Zeichen und gebärdete sich wie ein Verrückter. Da eilten die Frauen herbei, nahmen ihn bei den Beinen fest und fragten ihn: «Was sucht Ihr hier?»«Ich suche die Tür, die mich wieder ins Paradies führt; denn ich bin soeben von dort heruntergefallen. Laßt mich in Ruhe!»
«Ist's möglich? Ja, seid Ihr wirklich im Paradies gewesen? Habt Ihr dort nicht vielleicht meinen Mann angetroffen, den liehen Cecco?» fragte ihn eine Witwe.
«Ja freilich habe ich ihn gesehen. Der arme Cecco geht immer umher, um Almosen zu betteln.»
«Dann wartet doch hier ein Weilchen. Ich will schnell heimkehren, ihm einen Beute! Geld durch Euch zu bringen. »
Und damit eilten die zwei Frauen hurtig fort nach Hause, und kehrten nach einiger Zeit mit einem ganzen Sacke voll Geld wieder zurück. Sie gaben ihm den Sack. Er nahm ihn und machte sich schleunigst damit nach Hause, wo er zu seiner Frau sagte: «Ein Glück nur für dich, daß ich eine noch dümmere Frau gefunden habe.»
Darauf zeigte er ihr das viele Geld, und sie konnten nun zusammen glücklich leben, ohne so viel arbeiten zu müssen.
DER ARME SCHUHFLICKER
Giovannino war ein armer, armer Schuhflicker im Tessin. Er lebte allein und hatte keine Familie. Ahle, Zwirn und Hammer waren seine Werkzeuge. Aber trotz seiner Armut sang er vom frühen Morgen bis zum Abend, und es war eine Freude. ihn zu hören. Er sang die alten Wiegenlieder, die sein seliges Mütterlein ihm einst an der Wiege gesungen hatte, um ihn einzuschläfern. Dann wieder waren es Liebeslieder oder Soldatenlieder aus der Kriegszeit. Dabei brachte Giovannino seine Triller und Triolen mit so leichter und unermüdlicher Kunst hervor, daß ein Singvogel nichts im Vergleich zu ihm war. Seine Fröhlichkeit war geradezu sprichwörtlich geworden. Ja, er litt nicht einmal darunter, allein zu sein.
In seine bescheidene Werkstatt kamen besonders an Regentagen oder wenn Schnee fiel, allerhand Leute, um ihm Gesellschaft zu leisten. Es waren die jungen Burschen und die Männer aus dem Dorf, ja es kam sogar der Herr Sindaco, der Bürgermeister, ein sehr gebildeter Mann, der ihn über die mannigfachsten Dinge belehren konnte.
Giovannino hatte auch immer viel Arbeit. Doch gab es selten neue Schuhe anzufertigen. Meistens waren es alte, die er zu flicken hatte. Die Kunden bezahlten seine Arbeit zum größten Teile mit Naturgaben statt mit Geld. Sie brachten ihm Luganeser Würste, Eier, Speck und Schinken oder Brot.
«Sind meine Schuhe gemacht?» fragte eines schönen Sommertages ein Ziegenhirt, der ihm ein Paar grobe Bergschuhe zum Sohlen gebracht hatte. «Seht, guter Giovannino, da habe ich Euch als Entgelt einen prächtigen Ziegenkäse hergebracht, der schön reif ist und zart, sag ich Euch, und saftig, daß Ihr eine Freude daran haben sollt.» Dem Schuhmacher lief schon beim Anblick das Wasser im Mund zusammen. Der Hirt hatte ihm den Käse auf ein großes Weinrebenblatt hingelegt, und das hübsche Alpkäschen verbreitete in der Werkstatt einen köstlichen Wohlgeruch. Bald aber hatten die zudringlichen und naschhaften Fliegen, die überall herumsurrten, den Käse gerochen und setzten sich in großer Zahl darauf, um mit ihren kleinen Rüsseln an dieser Gottesgabe zu saugen. Als Giovannino bemerkte, wie der Käse ganz voller Fliegen war, nahm er in einem günstigen Augenblick den Schuh, an dem er gerade arbeitete, und schlug damit darauf. Dann zählte er die Fliegen, die er getötet hatte, eine nach der andern. Es waren im ganzen dreihundert. Das war sein erstes und furchtbares Abenteuer. Jetzt wurde er stolz und hochmütig und meinte, was wunder für ein Held er sei. Er verließ sein Schustertischchen, die Ahle, den Zwirn, den Hammer, das Pech und die rostigen Nägel und begab sich zum Bürgermeister des Dorfes. Der mußte ihm auf eine schön gehobelte hölzerne Tafel mit großen Buchstaben diese erschreckenden Worte hinschreiben:
Johann der Starke bin ich genannt. Dreihunderte mit einem Schlag Schickte ich zum Tod hinab. Diese Tafel ließ er sich am Rücken befestigen und machte sich damit auf den Weg, die Welt zu durchziehen. |
Er wanderte und wanderte, kam durch einsame und dunkle Wälder, durch tiefe Täler, über abschüssige Berge und endlose Ebenen. Kein Hindernis war imstande, ihn zu entmutigen oder aufzuhalten. Warer nicht Giovannino der Starke? Hatte er nicht Dreihundert aus dem Leben zum Tode hinüberbefördert? Und dies mit einem Schlag! Gewiß, er war ein Held und mußte sein Glück versuchen.
Und von seinem Schicksal geführt, gelangte er endlich zu einer Stadt. Dort fand er alle Wände der Häuser mit schwarzen Tüchern behängt zum Zeichen der Trauer. Die Bewohner waren still und betrübt, und überall hörte man Verwünschungen, Seufzer und Wehklagen. Giovannino fragte nach dem Grund dieser Trauer und bekam zur Antwort, in der Umgebung der Stadt hanse ein ungeheurer Drache mit vierzig Beinen, sieben Köpfen und mit einem Kamm auf dem Kopf wie ein Hahn. Seine Augen glühten wie Feuer, und Flügel habe er wie eine Fledermaus, und dazu einen Schwanz wie eine Schlange. Dieses Ungetüm suche sich beinahe jeden Tag einen jungen Menschen als Beute aus, den es verschlinge. Und gerade an dem Tag, wo der Schuster ankam, traf es das Los, daß die Königstochter, die Prinzessin Aurora, am folgenden Morgen dem scheußlichen Drachen zum Opfer gebracht werden sollte. Da sie das schönste Mädchen war, das wie kein anderes allüberall nur Taten der Barmherzigkeit und Liebe an seinem Volke verübte, weinten alle Leute am Hofe und in der Stadt.
Aber was vermag mir ein Drache mit sieben Köpfen und vierzig Beinen anzutun?» sprach Giovannino mit großer Verächtlichkeit. «Ich habe Dreihundert mit einem Schlag getötet!»
Also begab er sich zum Schloß und stellte sich dem König vor. Er verneigte sich dreimal vor ihm, wie er es vor dem Bürgermeister seines Dorfes zu tun gewohnt war und sprach alsdann zu ihm: «Königliche Hoheit, ich habe vernommen, daß in der Umgebung der Stadt ein scheußlicher Drache hause mit vierzig Beinen, sieben Köpfen und mit Zacken wie ein Hahn darauf, und mit schrecklichen Augen wie Feuer, und daß er fast jeden Tag einen Menschen verzehre. Und gerade morgen soll Eure Tochter Aurora ihm zum Opfer gebracht werden. Nun aber lest, was hier auf meiner Tafel geschrieben.» Und damit kehrte er ihm den Rücken.
Johann der Starke bin ich genannt. Dreihunderte mit einem Schlag Schickte ich zum Tod hinab. |
«Wenn du mich also reich belohnen willst, so werde ich den Drachen töten und deine Tochter retten.»
«Ich habe wenig Vertrauen und Hoffnung, daß dir dieses Wagestück gelingen werde», entgegnete der König. «Viele andere haben es vor dir schon versucht, wurden aber von dem Ungetüm verschlungen. Immerhin, du kannst es ja probieren. Gelingt es dir, meine Tochter zu retten, so sollst du sie zur Frau bekommen, und nach meinem Tode kannst du mein Nachfolger werden auf dem Throne.»
«Majestät», antwortete Giovannino, «ich bin meiner Sache ganz gewiß, daß ich den Drachen töten werde. Gebt mir nur vierzig Reiter, die mit Armbrust und Pfeilen bewaffnet sind und im Treffen große Geschicklichkeit haben. Dann sieben Ritter, die mit Lanzen und scharf geschliffenen Schwertern ausgerüstet sind. Für mich brauche ich nur ein junges Schäfchen.»
Der König gewährte ihm, was er verlangte. Schon in aller Morgenfrühe, als kaum der Tag graute, machte sich Giovannino an der Spitze von siebenundvierzig bis an die Zähne bewaffneten Reitern auf den Weg, während er selbst ein ganz junges Schäfchen in den Armen hielt. Sie ritten gegen die Behausung des Drachen, fanden ihn aber nicht in seiner Höhle, sondern auf einer schönen Wiese. wo er mit seinen sieben schrecklichen Mäulern seinen unersättlichen Hunger zu stillen suchte. Sogar die aufgehende Sonne wurde bleich vor Schrecken, als sie dies scheußliche Ungetüm erblickte. Giovannino der Starke hatte keinerlei Angst. Er stellte seine siebenundvierzig Reiter zum Kampfe auf und warf dann auf ein verabredetes Zeichen das unschuldige Lämmchen einem der sieben Rachen ins offene Maul. Dann vernahm man nur ein kurzes Zermalmen von Knochen, und (las Ungeheuer schloß einen Augenblick seine vierzehn feuerroten Augen vor Wonne, denn das zarte Hammelfleisch schmeckte ihm besonders gut. Darauf hörte man ein Schwirren. Es waren die vierzig Pfeile, welche alle gleichzeitig abgeschossen wurden und wovon jeder ein Bein des Drachen traf. Zugleich richteten sich die sieben Lanzen gegen die Köpfe des Ungetüms, und jeder Stoß durchbohrte einen. Tödlich getroffen, stieß das Tier einen so lauten Schrei aus, daß die Häuser der Stadt erzitterten, und den Leuten vor Schrecken beinahe das Blut in den Adern gefror. Dann krümmte und wand es sich gräßlich, spie Rauch und Flammen aus den sieben Rachen und blieb schließlich unbeweglich und tot liegen.
Jetzt erhoben Giovannino und die siebenundvierzig Reiter ein großes Jubelgeschrei, das man bis in die
Häuser der Stadt hinüber hörte. Hierauf wurde auf Befehl Giovanninos das Ungeheuer in hundertundein Stücke zerteilt. Dann zog der tapfere Anführer mit seinen wackeren Kämpfern in einem langen Triumphzug in die Stadt zurück. Die schwarzen Tücher an den Mauern waren verschwunden, und statt dessen flatterten im Sonnenschein vor den Fenstern und auf den Dächern der Häuser Freudenfahnen, und auf den Gesichtern aller Leute konnte man eine große Befriedigung sehen.Die Hofkapelle des Königs ging Giovannino dem Starken und seinen tapferen Rittern zum Empfang entgegen. Er war der Held des Tages und empfing Ehren und Reichtümer. Auf der Stelle wurde er zum Prinzen ernannt und zum Bräutigam der wunderschönen Prinzessin Aurora ausgerufen. Die Hochzeit wurde mit großer Festlichkeit und außergewöhnlicher Pracht gefeiert. Aber die Prinzessin schien doch nicht zufrieden. Der König, der ihre Traurigkeit bemerkte, fragte sie: «Aurora, bist du nicht glücklich? Was ist die Ursache deiner Betrübnis? Oeffne deinem Vater das Herz!» — Vater, ich bin nicht glücklich mit meinem Mann. Wenn du wüßtest, was für einen Geruch, wie den eines Maultierfells, er an sich hat. Man kann nicht in seiner Nähe bleiben.»
Meine Tochter, befiehl auf der Stelle den Dienern, daß sie ihm ein warmes und wohlriechendes Bad bereiten.»
Also bekam Giovannino, der ehemalige Schuster, ein warmes und wohlriechendes Bad. Und so noch mehrere Tage nacheinander. Der üble Geruch verlor sich fast ganz. Aber auch dennoch konnte die Prinzessin ihre frühere Fröhlichkeit nicht wiederfinden. «Was
hast du denn», fragte der König eines Tages, «bist du noch immer nicht glücklich?» — «Lieber Vater, wenn du wüßtest, was für Schläge mein Gemahl im Traum auf meinem Rücken führt. Er scheint von Beruf ein Schuster zu sein, der einen Hammer in den Händen führt und fleißig Leder klopft. Und dann singt er, singt er immer. Ich kann dabei kein Auge schließen.»«Meine Tochter», beruhigte sie der König mit väterlicher Milde. «Habe Geduld, lerne ihn ertragen und bedenke immer, daß er es war, der dir auf wunderbare Weise das Leben gerettet hat.»
«Ach Vater, lieber Vater, es ist besser zu sterben, als mit einem Mann zu leben, der von so verschiedener Natur ist.»
Giovannino der Starke merkte bald, daß er nicht geliebt, sondern nur geduldet wurde. Das Leben eines Prinzen war nicht gemacht für ihn. Eines schönen Tages nahm er Abschied von seiner Frau, steckte das Geld, das er fur die Befreiung der Königstochter erhalten hatte, zu sich und kehrte froh und glücklich wieder in sein bescheidenes Dorf zurück. Dort setzte er sich wieder an seinen Schustertisch und klopfte mit seinem Hammer wie früher das Leder. Er trällerte und sang voll Herzenslust seine Lieder aus der Jugendzeit, seine Liebeslieder und die aus dem Kriegsleben. Und in seine kleine Bude kehrten wie früher die jungen Leute, die Männer aus dem Dorf und der Bürgermeister ein, die leisteten ihm frohe Gesellschaft. Und wenn er seine geräuschvollen Abenteuer mit dem Drachen erzählte, so pflegte er gewöhnlich am Schluß das Sprüchlein beizufügen:
Wer sein Brot verdient mit eigener Hand, Ist zufriedener als mancher Fürst im Land. |
CENERENTOLA
Es war einmal ein armes Mädchen von fast überirdischer Schönheit. Doch hatte es das große Unglück, seine gute Mutter zu verlieren. Der Vater führte nach einiger Zeit eine neue Frau ins Haus, die jung und sehr schön war. Aber diese Stiefmutter mochte das Mädchen nicht leiden, ja sie beneidete es wegen seiner außergewöhnlichen Schönheit.
Da starb der Vater. und das Mädchen blieb mit seiner Stiefmutter und einem Diener allein zurück. Jetzt begann für das Mädchen ein Höllenleben. Die böse Stiefmutter gab ihm Schläge und warf ihm die gröbsten Schimpfwörter an den Kopf. Ja, sie faßte sogar den schrecklichen Plan, es aus der Welt zu schaffen. Sie rief deshalb ihren treuen Diener herbei und sagte zu ihm: «Francesco, nimm das Mädchen und führe es weit fort an einen Ort, von wo es den Heimweg nicht mehr finden kann, und laß es dort. Ich kann dieses widerwärtige Geschöpf nicht länger ertragen. Gehe es, wie es wolle, ich muß es auf irgendeine Weise loswerden.»
Das Mädchen, das gerade in diesem Augenblick nahe an der Türe des Schlafzimmers ihrer Stiefmutter vorüberging, hörte dieses Gespräch. Voller Angst lief es aus dem Hause, begab sich zu seiner Patin, der einzigen Person, die ihm ein wenig gut war, und erzählte ihr, was es gehört hatte. Die Patin erwiderte: dich kann dich nicht hei mir behalten. Geh wieder nach
Hause, nimm ein Säcklein, fülle es mit Kleie und säe einen feinen Strich den Weg entlang.» Getreulich befolgte das Mädchen diesen Rat. Als der Diener es mutterseelenallein im Walde verließ und sich davonmachte, brauchte es nur den Spuren der Kleie nachzugehen und konnte so den Heimweg wieder finden.Sobald die Stiefmutter das Kind wiederkehren sah, geriet sie in höchste Wut. Sie rief sogleich ihren Diener und befahl ihm, das Mädchen an einen noch weiter entfernten Ort fortzuführen, wo die wilden Tiere es sogleich fressen würden. Das Mädchen aber hörte wiederum alles und ging nochmals zu seiner Patin, um sich mit ihr zu beraten. Die gab ihr einen großen Knäuel starken Faden und sagte ihr: «Sobald du in den Wald kommst, binde den Anfang des Fadens geschwind und fest an einen Baum und laß ihn auf dem Wege sich abrollen. Der Faden wird lang genug sein, denn der ganze Knäuel enthält viele tausend Meter. Und wenn man dich dann allein läßt, so brauchst du nur den Faden wieder aufzuwickeln. Dann wird es dir ein leichtes sein, wieder heimzukehren.» Das Mädchen befolgte genau den Rat der guten Patin.
Der Diener führte es diesmal weit, weit fort, und zwar auf einem ganz anderen Weg als das erste Mal. Dann ließ er es ganz allein in der Waldeinsamkeit, ohne nur ein Wort mit ihm zu sprechen. Aber das Mädchen brauchte nur dem Faden nachzulaufen und ihn aufzuwickeln und kam so abermals nach Hause. Da geriet die Stiefmutter neuerdings in Zorn. Sie fluchte und schalt das arme Kind und erteilte dem Knecht abermals den Befehl, es noch viel, viel weiter in die Wildnis zu führen.
Auch diesmal lief es wieder zur Patin, und diese gab
ihm den Rat, sie solle einen kleinen Sack Salz mitnehmen und es überall streuen, wo sie durchkämen. Das Mädchen tat, wie ihm geheißen; aber die Schafe, die im Walde weideten, fraßen das Salz. Da gab sich das arme Mädchen für unrettbar verloren und hub an zu weinen wie ein kleines Kind. Dann aber kam ihm plötzlich eine Eingebung, und es sagte laut vor sich hin: «Meine gute Patin hat mir einmal erzählt, daß die Wälder der bevorzugte Aufenthalt der wohltätigen Feen seien, welche dem verirrten Wanderer zu Hilfe kämen. O freundliche Bewohnerinnen dieses Waldesgrüns, erhört meine inbrünstige Bitte. Kommt mir zu Hilfe und laßt mich nicht allein in dieser Wildnis!»Nicht lange darauf erschien ein altes, runzliges Mütterchen, ganz mager und gebückt. Das überreichte ihr ein Rütchen und sagte zu ihr: «Mit dieser Rute wirst du alles bekommen, was du wünschest.» — Und ehe das Mädchen der alten Frau danken konnte, war sie zwischen den Bäumen verschwunden.
Jetzt begann das arme Geschöpf neuerdings umherzuirren, um den Weg aus dem riesigen Walde zu finden. Wenn es nun Hunger verspürte, so brauchte es nur mit dem Rütchen auf den Boden zu schlagen, so erschienen die feinsten Eßwaren verschiedener Art, und es konnte sich satt essen.
Aber bald war die Kleine der Einsamkeit überdrüssig und wünschte sehnlichst, wieder einmal einen Menschen zu sehen, mit dem sie einige Worte reden konnte, um ihr Leben weniger traurig zu verbringen.
Eines Tages gelangte sie zu einem prächtigen Königspalast, der auf einem anmutigen Hügel lag. Sie trat ein und bot ihre Dienste an. Die Königin, eine
sehr schöne und artige Frau, bezaubert von der seltenen Schönheit des Mädchens, nahm es auf. Es wurde zu den Dienern der königlichen Küche geschickt und hatte besonders in den Vorratskammern zu tun. Es mußte auch Holz herbeiholen, die Asche sammeln und forttragen, weshalb man ihm den Namen Cenerentola oder Aschenbrödel gab.Am Hofe hatte man schon seit einiger Zeit den Plan gefaßt, den jungen König, der ein sehr freundlicher Mann von fünfundzwanzig Jahren war, zu verheiraten. Deshalb hatte man öffentlich drei großartige Hoffeste mit Ball angekündigt, zu welchem die schönsten Mädchen des Reiches eingeladen waren. Unter ihnen sollte der Prinz seine künftige Gemahlin auswählen.
Es kam der erste Tag der ersehnten Festlichkeiten. Schon hatte sich der König sein Galakleid angezogen. Er setzte sich ans Kamin in der Küche und sagte, indessen er sich am Feuer wärmte: «Cenerentola, gib mir die Feuerzange.» Und das Mädchen sprach: «Prinz, darf ich nicht auch an den Ball kommen?» — «Man sollte dir die Feuerzange um den Kopf schlagen», gab er unwirsch zur Antwort. und tat, wie wenn er sie schlagen wollte. Er ließ es aber dann bleiben und begab sich zum Fest. Cenerentola tat, wie wenn sie zu Bette ginge. Kaum war sie jedoch allein in ihrem Schlafkämmerlein, so schlug sie mit ihrer Rute auf den Boden und wünschte sich ein Ballkleid. Und auf der Stelle lag auf dem Tisch ein wunderbares Kleid aus himmelblauer Seide, reich geschmückt mit kostbaren Perlen, eine schöner als die andere. Sie zog das Kleid an, stieg die Treppen hinunter und ging aus dem Palast. Draußen fand sie eine prachtvolle Karosse, von zwei schneeweißen Pferden gezogen. Sie stieg hinein
und ließ sich zu dem Saale führen, wo der große Hofball abgehalten werden sollte. Und als sie eintrat, erweckte sie die Bewunderung aller Gäste. Sie war ohne Zweifel die schönste. Der Prinz tanzte mit ihr und fragte sie, wer sie sei. Und Cenerentola gab zur Antwort:«Bin weder schläfrig noch wache ich, Fast traf die Feuerzange mich.' |
Unter den Tänzerinnen erblickte Cenerentola auch zu ihrem großen Erstaunen ihre verwünschte Stiefmutter, die in Seide und Samt gekleidet war. Schon war der Ball beinahe zu Ende, als das junge Mädchen verschwand, ohne daß es irgend jemand beachtet hätte. Es stieg wieder in die feine Kutsche und fuhr zum Schloß zurück.
Als der Prinz vom Ball heimkehrte, legte er sich zur Ruhe. Er konnte aber nicht schlafen, denn es schwebte ihm immer die geheimnisvolle Erscheinung der Tänzerin vor Augen. Er dachte auch an die Worte, die sie gesprochen hatte, und deren Sinn er nicht verstehen konnte.
Am Abend des folgenden Tages begab sich der König, ehe er wieder zum Hofball ging, abermals in die Küche, um sich am Kaminfeuer zu wärmen.
«Cenerentola», sagte er, «gib mir die Feuerschaufel.»
«Erlaubt mir doch, Hoheit, daß ich auch an den Hofball komme.»
«Lieber schlage ich dir die Schaufel an den Kopf», sagte er grob und tat, wie wenn er sie schlagen wollte. Dann ging er weg. Aber kaum war er fort, so zog sich Cenerentola heimlich in ihr Kämmerlein zurück und schlug mit ihrem Rütchen auf den Boden. Und siehe, da lag ein herrliches Kleid aus meergrüner Seide für
sie bereit. Sie zog es an, ging aus dem Schloßhof, stieg in die Kutsche und begab sich zum Hofball.Als Cenerentola in den prächtigen Spiegelsaal trat, erweckte sie allgemeine Bewunderung. Der Prinz tanzte fast nur mit ihr, versicherte, er wolle sie zu seiner Braut machen und fragte sie nach ihrem Namen. Und sie gab ihm zur Antwort:
(Mit einer Schaufel drohte man mir, Als Königin des Festes bin ich hier. |
Auch heute erblickte das Mädchen wiederum ihre grausame Stiefmutter, welche immer und immer wieder zu ihr hinüberschaute und sie mit neidischen Augen betrachtete. Der Prinz aber erinnerte sich jetzt der Worte, die er in seinem Schloß zum Küchenmädchen Cenerentola gesprochen hatte, und er paßte genau auf, daß ihm die bezaubernd schöne Tänzerin nicht neuerdings entfliehe. Aber während er einige freundliche Worte mit einem jungen Baron plauderte, verschwand das Mädchen, stieg in die goldene Kutsche und kehrte ins Schloß zurück. Dort wechselte Cenerentola in ihrem Kämmerchen sogleich die Kleider und ging wieder unauffällig in die Küche, wo sie ihre geringen Arbeiten verrichtete.
Am dritten und letzten Ballabend wiederholte sich das nämliche. Der Prinz aber fühlte darüber solchen Schmerz, daß er krank wurde.
Eines Tages begab sich die Königin-Mutter in die Küche und beauftragte dort Cenerentola, sie solle eine gute Suppe zubereiten und sie dem Kranken bringen. Als die Suppe bereit war, ging Cenerentola schnell in ihre Kammer, berührte sich mit ihrer Zaubergerte, und gleich darauf war sie mit einem wundervollen Seiden
kleid in heller Silberfarbe strahlend wie der Mond gekleidet. Dieses war geschmückt mit kostbaren Diamanten. in diesem feinen Kleid trat sie vor den Kranken und überreichte ihm die Suppe. Der Prinz, von ihrer beinahe überirdischen Schönheit getroffen, setzte sich im Bett auf und rief außer sich vor Freude: «Du wunderschöne Fee, sag mir, wer bist du?»«Bevor ich dir darüber Antwort gebe, will ich von dir das ausdrückliche Versprechen, daß du mich zur Frau nehmest». erwiderte Cenerentola.
«Ich schwöre es dir beim Haupte meiner Mutter, der Königin!»
«Nun gut, o Prinz, so wisse, daß ich deine Cenerentola, das Aschenputtelchen bin, jene, die du eines Abends mit der Feuerzange und nachher mit der Schaufel schlagen wolltest.»
«Du bist es, Cenerentola? Dann bitte ich dich tausendmal um Verzeihung für das Unrecht, das ich dir angetan habe. Du sollst Königin werden.»
Die unbeschreibliche Freude, die der Prinz jetzt hatte, war die Ursache, daß er bald wieder genas. Nun wurden augenblicklich die Vorbereitungen getroffen. Zum prächtigen Festmahl wurden auch alle Schönheiten des Königreiches eingeladen, die früher am Hofball anwesend waren.
Die Braut, noch ganz gerührt, erzählte dem Prinzen alles, was sie durch ihre herzlose Stiefmutter hatte leiden müssen, die über ihre Schönheit so neidisch gewesen war. Schon war das glänzende Hochzeitsmahl beinahe zu Ende, und die Fröhlichkeit hatte ihren Höhepunkt erreicht, als der junge Fürst sich erhob. Indem er sich an seine ersten Minister wandte, legte er ihnen mit laut hörbarer Stimme, so daß man es im
ganzen Festsaal vernehmen konnte, die folgende Frage vor: «Sagt mir, welches Urteil würdet ihr aussprechen gegen eine Mutter, die dreimal nacheinander durch ihren eigenen Diener ihre Tochter in einen unermeßlich großen Wald führen ließ, um sie loszuwerden, damit sie dort von den Wölfen gefressen würde, nur aus dem einzigen Grund, weil das Mädchen schöner war als sie?»Da erhob sich unter den Gästen ein Gemurmel des Schauderns und Entsetzens.
«Ich, königliche Hoheit», antwortete ehrerbietig ein Minister, «ich würde eine solche Frau erwürgen.»
«Nein», rief die Braut, erschreckt darüber. «tötet sie nicht! Schickt sie lieber in die königliche Küche, wo sie meine Stelle als Aschenbrödel einnehmen soll.» Und so geschah es. Die böse Stiefmutter mußte den Festsaal mit Schimpf und Schande verlassen.
Die glückliche Braut aber lebte hernach mit ihrem geliebten Mann viele, viele Jahre bis ins hohe Alter. Gott schenkte ihnen drei schöne Knaben und zwei reizende Mädchen und zeigte ihnen damit, daß er die Tugend belohnt und die Schlechtigkeit bestraft.
Breit ist das Blatt, schmal ist der Weg, Erzählt ihr nun eure Geschichten. Wie ich die meine tat berichten. |
DER GEHEIMNISVOLLE WALD
Ein junger Mann, der arm wie eine Kirchenmaus war, nahm ein junges Mädchen zur Frau, das noch ärmer war als er. Gott der Herr schenkte ihnen mit der Zeit elf Kinder. Mann und Frau arbeiteten unermüdlich; aber dennoch waren die Ausgaben immer größer als die Einnahmen, und sie konnten es nicht vermeiden, in Schulden zu geraten. Da wollte sich der Mann, koste es was es wolle, aus diesem Elend befreien. Er entschloß sich, in die Welt hinauszugehen, um sein Glück zu suchen. Er wanderte und wanderte, bis er in einen unermeßlichen Wald kam, welcher von unzähligen Fußwegen durchkreuzt wurde, die nach allen möglichen Richtungen führten. Da blieb er stehen und dachte darüber nach, welchen Weg er nehmen sollte, als plötzlich ein vornehm gekleideter Herr vor ihm stand. Das war der Teufel.
Der sprach mit leutseliger Stimme zu ihm: «Was hast du, Wandersmann, daß du so traurig bist?» Da erzählte ihm der arme Mann sein ganzes Elend. «Ich will dich reich machen», versetzte der unbekannte Herr, «aber nur unter einer Bedingung: Nach einem Jahr und einem Tag mußt du dich nämlich wieder in diesem Wald einfinden und mir dann sagen, wieviel Fußwege — man nennt sie die Wege von Babilonia - in diesem Wald zu finden sind. Bist du damit einverstanden? Willst du diese Bedingungen annehmen?» — Ja freilich bin ich einverstanden», erwiderte der arme Mann.
Hierauf zog der Fremde aus seiner roten Weste einen großen Beute! voller Golddukaten und gab sie ihm.Gänzlich außer sich vor Freude kehrte der Mann wieder nach Hause zurück, zeigte seiner Frau das viele Gold, und auch sie war überaus glücklich. Jetzt waren sie mit einem Male reiche Leute geworden. Sie bezahlten alle ihre Schulden unauffällig, kauften ihren elf Söhnen neue Kleider und verschönerten ihr Haus, kurzum, sie genossen ihren Reichtum und wurden von den Nachbarn nicht wenig beneidet.
Inzwischen ging die Zeit vorüber. Es fehlten nur noch vierzehn Tage, bis die Frist des Vertrages, den er mit dem fremden Mann im Wald geschlossen hatte, abgelaufen war. Nun anvertraute der Mann das Geheimnis seiner Frau. Alle beide zerbrachen sich den Kopf und plagten ihr Gehirn, um die Zahl der Fußwege zu erraten. Aber das war eher eine Arbeit für einen Herkules.
Die Frau war scharfsinnig und sagte eines Tages zu ihrem Mann: «Führe mich in den Wald, wo du jenem reichen Herrn begegnet bist, denn ich habe einen Plan. Ich werde es schon herausbringen, wieviele Fußwege in diesem Walde sind.» Also zeigte der Mann seiner Frau den Weg in den geheimnisvollen Wald und die Stelle, wo ihm der Fremde begegnet war.
Drei Tage, bevor das Jahr und ein Tag vorüber waren, bestrich die Frau ihren ganzen Körper mit Honig. Dann trennte sie ein Kissen auf, zerstreute die Flaumfedern auf ihrem Bett und legte sich in diesen Flaum. Die Federn blieben an ihrem Körper und auch im Gesicht hängen, und nur die Augen blieben frei. Jetzt sah sie aus wie ein ganz abenteuerlicher Vogel.
Sobald es dunkel wurde, begab sich die Frau in den
großen Wald an die Stelle, wo der Fremde durchkommen mußte, stellte sich auf den Baumstrunk einer Buche und wartete daselbst. Fünf Minuten später erschien der Unbekannte. Da fing die Frau an wie ein Vogel zu flattern und stieß ein seltsames Geschrei aus. Der Herr, d. h. der Teufel, betrachtete den sonderbaren Vogel mißtrauisch, bekam Angst und rief aus: «Seit Hunderten von Jahren, wo ich durch diesen Wald streife und alle diese Fußwege gehe - man nennt sie diejenigen von Babilonia, und es sind deren 366 an der Zahl - habe ich niemals ein derartiges Geschöpf hier gesehen!» Und als er das gesprochen hatte, machte er sich davon.Jetzt kehrte die gute Frau freudestrahlend nach Hause und sagte zu ihrem Mann: «Ich weiß jetzt, wieviel Fußwege es im Walde sind!»
«Wirklich, wieviel denn?»
«Ja, es sind 366», fügte sie hinzu und erzählte, wie es ihr ergangen war.
Am Abend jenes Tages, an dem die Frist vorüber war, begab sich der Bauer an die verabredete Stelle. Der Teufel war schon da und erwartete ihn, gewiß, sein Spiel gewonnen zu haben. Kaum sah er den Bauersmann kommen, so fragte er ihn: «Nun gut, wieviel Fußwege von Bahilonia gibt es hier im Wald?»
«Ich habe lange darüber nachstudiert», erwiderte der andere, «und soundsovielmal gerechnet. Endlich habe ich herausgefunden, daß es 366 sein müssen, nämlich gerade so viele als Tage im Schaltjahr.»
Wie das der vornehme Herr, der aber niemand als der Satan war, vernahm, ließ er vor Zorn ein entsetzliches Geschrei los und verschwand, in Rauch und Flammen eingehüllt.
Jetzt wußte der Bauer, mit wem er es zu tun gehabt hatte. Er kehrte voller Schrecken nach Hause zurück und erzählte der Frau seine Erlebnisse. Sie fürchteten, das Geld, das sie zum Teil schon gebraucht hatten, würde wieder zurückgefordert; aber es kam niemand, der es von ihnen wieder verlangte.
Von da an lebten der Mann und die Frau glücklich inmitten ihrer zahlreichen Familie.
DAS EIMERCHEN
Es war einmal eine Mutter. Die hatte zwei Töchter, eine herzensgüte und eine schlechte. Und was merkwürdig war, die Mutter liebte viel mehr das ungezogene Mädchen. Eines Tages sagte sie zu der Bösen: Nimm dieses Eimerchen und geh zum Ziehbrunnen, um Wasser zu holen.» Die Unfolgsame wollte aber nicht gehen. Da kam die gute Tochter herbeigesprungen, trat vor die Mutter und sagte: «So will ich gehen, liebe Mutter.,
Aber als sie an die Zisterne kam und am Seil zog und das Rad sich umdrehte, brach das Seil entzwei und fiel samt dem Eimer in den Brunnen. «O weh, ich Arme!», rief das Mädchen aus, «wenn ich ohne Eimerchen nach Hause komme, wer weiß, was mir die Mutter antun wird!» Mutig und unerschrocken stieg sie daher in den Ziehbrunnen hinab, wobei sie sich mit den Händen und Füßen half. Zum Glück war er nicht allzu tief. Noch ehe sie jedoch zum Wasserspiegel hinab gelangte, bemerkte sie an der Mauer eine kleine Tür. Sie klopfte an und fragte: «Habt ihr den Fisch und das Fischlein, das Seil und das Eimerchen nicht gefunden?» Da kam ein heiliger Waldbruder hervor und antwortete: «Nein, mein Töchterlein.»
Darauf ging sie vorwärts, fand eine andere kleine Tür, klopfte an und fragte wieder: «Habt ihr den Fisch und das Fischlein, das Seil und das Eimerchen nicht gefunden?»
Aber es wohnte der Teufel dort, und als er sah, daß er es mit einem guten Mädchen zu tun hatte, schrie er ihm wütend zu: «Nein!»
Das Mädchen ging also weiter, fand eine dritte Tür, klopfte und fragte wiederum: «Habt ihr den Fisch und das Fischlein, das Seil und das Eimerchen nicht gefunden?» Es wohnte aber dort die Himmelskönigin Maria. Die sprach zu ihr mit sanfter Stimme: «Ja, mein liebes Mädchen, aber höre. Wärest du nicht so gut und würdest dableiben, während ich eine Weile fortgehe? Ich habe dir hier mein Söhnchen, dem könntest du Brot und Milch gehen. Dann könntest du wischen und alle Hausgeschäfte besorgen. Wenn ich zurückkomme, so werde ich dir das Seil und das Eimerchen geben.» Und damit ging die Madonna fort. Das gute Mädchen blieb also da, gab dem Büblein Brot und Milch und fing dann an zu wischen. Aber anstatt Staub und Schmutz fand es Perlen und andere Kostbarkeiten von großem Wert. Es legte diese Kleinodien beiseite, um sie ihrer Herrin zu übergeben, wenn sie zurückgekehrt sei. Nicht lange darnach kam diese wirklich und fragte: «Hast du alles besorgt, was ich dir aufgetragen habe?»
«Ja, gnädige Frau, aber schaut einmal die schönen Dinge an, die ich fand, als ich den Boden wischte!»
«Nun gut, die darfst du für dich behalten, mein liebes Kind. Und jetzt sage mir: Möchtest du lieber ein Kleid aus Baumwollstoff oder aus Seide?»
«Ob, gnädige Frau, die Bauernmädchen tragen keine seidenen Kleider. Gebt mir lieber eines aus Baumwolle.»
Die Madonna gab dem Kind ein Kleid aus prächtiger Seide. Dann fragte sie weiter: «Möchtest du lieber einen Fingerhut aus Messing oder einen aus Silber?»
«Die Bauernmädchen verwenden keine silbernen Fingerhüte», sagte es bescheiden, «gebt mir lieber einen aus Messing.»
Nein», versetzte die holde Frau, «du sollst einen silbernen haben. Und dann schau, nimm hier, dieses ist dein Eimer und das Seil. Und wenn du am Ende dieses Ganges ankommst, so blicke in die Höhe!»
Als das Mädchen ans Ende des unterirdischen Ganges gelangte, schaute es in die Höhe, und da fiel ihm ein wunderlieblicher Stern gerade mitten auf die Stirn. Darauf kehrte es nach Hause zurück.
Die Mutter lief ihrer Tochter voller Zorn entgegen und schalt sie heftig, daß sie so lange weggeblieben sei. Sie wollte sie schon schlagen, als sie den prächtigen Stern auf des Mädchens Stirn erblickte, der einen zauberhaften Glanz ausstrahlte.
«Wo bist du denn gewesen die ganze Zeit? Und wer hat dir jenes Ding auf die Stirne gesetzt?» fragte die Mutter.
«Ich weiß nicht, was ich auf der Stirn habe», antwortete das Mädchen. Die neidische Mutter wollte den Stern wegwaschen, aber je mehr sie ihn wusch, desto herrlicher strahlte der Stern. Darauf erzählte das Mädchen ganz genau, was ihr begegnet wer.
Jetzt wollte die böse Schwester auch zum Brunnen gehen. Sie lief zur Zisterne und tat, was ihre gute Schwester gemacht hatte. Dann ließ sie den Eimer und das Seil mit Absicht in den Brunnen fallen. Hernach stieg sie hinab und klopfte an die Tür des Heiligen mit den Worten: «Habt ihr den Fisch und das Fischlein, das Seil und das Eimerchen nicht gefunden?»
Nein, mein schönes Töchterlein», war die Antwort. Darauf ging sie zur nächsten Tür und klopfte wieder:
«Habt ihr den Fisch und das Fischlein, das Seil und das Eimerchen nicht gefunden?»«O nein, ich habe nichts gefunden», antwortete der Teufel. «aber komm herein zu mir, mein hübsches Mädchen. komm hieher!»
«Nein, nein, ich will vorwärtsgehen.»
Endlich kam es zur Tür der Madonna und fragte: «Habt ihr den Fisch und das Fischlein, das Seil und den Eimer nicht gefunden?» —«Ja freilich», erwiderte die glorreiche Mutter. «Aber höre, ich muß jetzt fortgehen. Du bleibst da und gibst meinem Kindchen Brot und Milch zu trinken. Und dann kannst du den Boden wischen. Wenn ich zurückkomme, will ich dir das Seil und das Eimerchen wiedergeben.» Und damit ließ sie das Mädchen allein. Die böse Tochter aber aß und trank, statt dem Kindchen Brot und Milch zu geben, alles selber auf. «O wie fein ist das gewesen!» rief sie aus. Dann machte sie sich ans Wischen, fand aber nur Staub und Unrat. «Ach, ich Arme», sagte sie, «meine Schwester hat so viele schöne und wertvolle Dinge gefunden.» Nach einer Weile kam die Madonna zurück. «Hast du alles getan, was ich dir aufgetragen habe?» «Ja.» «Und nun, möchtest du lieber einen Fingerhut aus Messing oder aus Silber?» «O, ich will jenen aus Silber.» Da gab ihm die Madonna einen aus Messing. «Möchtest du lieber ein Kleid aus Baumwolle oder aus Seide?» «Gebt mir lieber das von Seide.» Aber die Frau gab ihr das baumwollene Kleid. «Da nimm, hier ist dein Eimerchen und das Seil. Und wenn du hinauskommst von hier, so schau in die Höhe!»
Am Ende des Ganges schaute das Mädchen in die Höhe. Aber siehe, da fiel ihr anstatt eines schönen
Sterns Kuhmist auf die Stirn und verschmierte ihr das ganze Gesicht.Wütend kehrte die Böse nach Hause zurück und weinte. Dort fing sie sofort mit der Schwester Streit an, weil jene einen wundervollen Stern hatte, während sie mit jenem Unrat im Gesicht herumlaufen mußte. Die Mutter wollte ihr sogleich das Gesicht waschen; aber es nutzte gerade so viel, wie wenn man schwarze Wolle weiß waschen wollte. Der Flecken verschwand nie mehr. «Nun begreife ich», sagte die Mutter, die Madonna tat dies, weil sie mir zeigen wollte, daß ich die böse Tochter lieber habe und jene gute vernachlässige.
DER MÜLLER UND SEIN GRAUTIERCHEN
Eines Tages saßen in der Gegend von Astano zwei Bettler hinter einer Weißdornhecke, welche sich einer Landstraße entlangzog. Sie waren müde, denn sie hatten einen weiten Weg zurückgelegt, gebückt unter der Last von zwei Säcken Nüssen, die sie tags vorher als Almosen gesammelt hatten.
Da kam ein alter Mann des Weges. Der führte an einem Seil ein hübsches Eselchen, das er am Morgen auf dem Markt der benachbarten Ortschaft gekauft hatte, und das er, weil er ein Müller war, für seine Mühle brauchte.
Die beiden Bettler spähten neugierig durch die Hecke, erblickten den Alten mit seinem Lasttier und ersannen augenblicklich eine List. Der eine, namens Leo, sagte zum andern: «Schau, wie jener Alte immer im gleichen rhythmischen Schritt des Weges geht, ohne sich jemals umzusehen. Wäre es nicht möglich, ihm das Tier zu stipitzen?» — «Gewiß», erwiderte der andere. — «Die Sache macht übrigens keinerlei Schwierigkeiten», fuhr der erste fort, «du bindest einfach den Esel los und fuhrst ihn hieher. Ich nehme unterdessen den Platz des Tieres ein, und wenn es der Bauer merkt, so will ich mich schon zu rechtfertigen suchen.» —-Der andere war damit einverstanden, und im Augenblick war der Streich ausgeführt.
Das hübsche Grautier wurde also mit aller Sorgfalt losgebunden, und Leo, der dessen Stelle einnehmen
mußte, trottete hinter dem Bauern drein. Nach einer halben Stunden fühlte dieser sich müde und fing an, seinen Schritt zu verlangsamen. Jetzt kehrte sich der Müller, welcher meinte, er führe sein Grautier hinter sich her, um und wollte es mit seiner Rute zu schnellerem Gehen antreiben. Da sah er zu seiner großen Verwunderung, daß er einen Bettler statt des gekauften Eselchens nach sich zog. «Was zum Teufel ist denn das?» rief er erstaunt, «ein wahres Wunder!»«Ganz richtig, jawohl, ein Wunder», erwiderte Leo lächelnd. «Höret, lieber Alter, ich will euch jetzt alles erzählen, wie das zuging.»
Sie setzten sich auf ein Mäuerlein, das die Wiese einsäumte, und der Bettler begann folgendermaßen: «Vor einigen Monaten ist mir etwas Arges passiert. Ich beging eine schwere Sunde, und zur Strafe dafür verwandelte mich Gott in diese Tiergestalt. Aber gerade heute ist meine Buße beendigt, und in diesem Augenblick wurde ich wieder zu einem Menschen verwandelt.» — «Möge mich Gott vor einer derartigen Strafe bewahren!» sprach der Müller. «Ich habe nie gewußt, daß es auf Erden solche Strafen gibt. In diesem Fall aber entschuldigt mich, lieber Freund, wegen der Rutenstreiche, die ich euch auf dem Markt gegeben habe, als ich euch dort kaufte und ihr nicht hinter mir hergehen wolltet.» — «Oh, das tut nichts, das hat nichts zu sagen», erwiderte der Bettler, «all das ist meine Strafe, und ich bin selber schuld daran.»
Und damit trennten sich die beiden Männer, und der Müller machte sich in Gedanken versunken und zornig nach Hause, weil nun die schöne Geldsumme, die er für das Tier bezahlt hatte, verloren war. Der Bettler hingegen kehrte voller Freude zu seinem Gefährten
zurück, der dort auf ihn wartete, wo sie die beiden Nußsäcke hatten stehen lassen. Sie luden also die Sacke auf des Esels Rücken und wanderten auf einer kleinen Landstraße weiter, die zu einem Dorfe führte.Unterwegs begegneten sie einem Bauersmann, blieben stehen und knüpften mit ihm ein Gespräch an. Schließlich kamen sie auch auf das Tier zu sprechen und anerboten es ihm zum Kauf, und zwar zu einem so bescheidenen Preis, daß der andere in diesem Handel ein gutes Geschäft wahrnahm und ihnen den Esel abkaufte, obwohl er keinen brauchte. Er kehrte mit diesem nach Hause zurück und begab sich dann früh am Morgen auf den ersten Jahrmarkt, der in der Nähe abgehalten wurde und verkaufte ihn einem Händler, wobei er ein hübsches Stück Geld verdiente.
Unterdessen hatten auch die beiden Bettler den Erlös ihres Handels miteinander geteilt, und sie nahmen sich vor, wenn sich wieder einmal eine solche Gelegenheit biete, sie nicht entgehen zu lassen.
Etwa vierzehn Tage später begab sich der alte Minller, der für seine Mühle notwendig ein Lasttier brauchte, wieder auf den Markt der gleichen Ortschaft und sah dort ein Tier, das dem ersten, welches er dort unlängst gekauft hatte, auffallend ähnlich war.
Er wunderte sich, wie es möglich sei, daß zwei Tiere sich so gleichen könnten, näherte sich dem Esel, prüfte ihn genau von allen Seiten und erkannte, daß es derselbe war, den er vor kurzem dort erstanden hatte. Er schlug ihm mit der Hand liebevoll auf den Rücken und flüsterte ihm ins Ohr: «Ei, ei, hast du schon wieder eine so große Sünde begangen, daß du hier bist? Warum tust du das so oft?» — Das Grautierchen, das nicht gewohnt war, daß man ihm ins Ohr flüsterte, weil es
das kitzelte, schüttelte den Kopf. Aber der Müller sagte: Du brauchst den Kopf gar nicht zu schütteln und nicht nein zu sagen. Es ist wirklich so. Aber schau, mein Lieber, wer dich kennt, der kauft dich nicht. Ein zweites Mal laß ich mich nicht wieder erwischen !»
DIE WUNDERBARE BARKE
Es war einst eine Bauernfamilie, Vater, Mutter und zwei Knaben. Sie wohnten auf einem Bauernhof. draußen auf dem Lande, und ihr Häuschen lag mitten in einem weitläufigen Landgut, das sie selbst bebauten. Nach und nach wuchsen die beiden Kinder zu kräftigen Burschen heran und arbeiteten emsig mit, um ihr Brot zu verdienen.
Nun geschah es, daß der König jenes Landes in allen Städten und sogar an allen Straßenecken der Dörfer folgenden Aufruf bekannt machen ließ: «Wer imstande ist, binnen einem Jahre eine Barke herzustellen, die übers Meer und übers Land fährt, soll meine Tochter zur Frau bekommen, er sei arm oder reich.,
Sobald man dies vernommen hatte, machten sich viele Leute daran, ein solches Schiff herzustellen. Eines wurde schöner als das andere; aber keinem gelang es, eine Barke auf dem Land und im Wasser zum Fahren zu bringen. Nach einigen Tagen war diese Neuigkeit auch zu Ohren unserer beiden Jünglinge gedrungen.
Da beschloß der ältere, in den Wald zu gehen und einen Baum umzuhauen, um daraus ein solches Boot zu zimmern. Also machte er sich am folgenden Tag in aller Frühe auf nach dem Wald. Er war aber kaum einige Meilen weit gegangen, so begegnete ihm ein alter Mann, der ihn fragte: «Wo gehst du hin? Wenn du mir die Wahrheit sagst, so kann ich dir behilflich sein; denn ich verstehe mich auf die Zauberkunst.»
«Das brauchst du nicht zu wissen, das geht dich doch nichts an. Wenn es dich aber so wundert, so wisse, daß ich in den Wald gehe, um mir Walhölzer zum Teigrollen zu machen.»
«Und Walhölzer sollst du haben bei jedem Beilschlag, den du dem Baume geben wirst!»
Nachdenklich über diese Worte setzte der Jüngling seinen Weg fort und gelangte ins Innere des Waldes, wo die Bäume ganz dicht nebeneinander standen. Aber stellt euch vor, wie es ihm zu Mute war, als bei jedem Hieb, den er einem der Waldriesen gab, Walhölzer herauskamen und ihm ins Gesicht schlugen!
Zornig nahm er die Axt und kehrte wieder nach Hause zurück, wo er seine Erlebnisse erzählte. Da sprach der jüngere der beiden Brüder namens Valentino: »Jetzt will ich hingehen, um die Barke zu bauen.» Am folgenden Tag nahm er ein scharf geschliffenes
Beil und wanderte von daheim fort, dem Walde zu. Noch war er nicht manche Wegstunde gegangen, da kam der gleiche Alte auf ihn zu und richtete an ihn dieselbe Frage wie an seinen Bruder.Der Junge erzählte ihm offen und freimütig, was er vorhabe, und der alte Mann fügte bei: Wenn du zum Wald gekommen bist, wirst du gleich am Anfang einen gewaltigen Baum erblicken. Den mußt du fällen, und du wirst sehen, daß es dir nicht viel Mühe kosten wird, eine Barke zu zimmern, die über Land und Wasser fahren kann.»
Valentino war herzlich froh darüber, dankte dem freundlichen Mann und lenkte seine Schritte dem Walde zu. Kaum war er an dessen Rand angelangt, so bemerkte er auch sogleich den Baum, den er umhauen sollte. Mit großem Eifer machte er sich ans Werk, und stellt euch vor, wie wunderbar es ihm dabei erging: Bei jedem Hieb, den er dem Baum versetzte, kam ein Stück der Barke heraus, die er zu bauen geplant hatte. Und als der gewaltige Baum am Boden lag, war auch die Barke bald zusammengefügt und zur Abreise bereit. Er legte die Axt in die Barke, stieg hinein und sprach:
Barke. liebe Barke mein, Trag mich zu den Eltern heim! |
Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so setzte sich das Schiff in Bewegung, und ehe er sich's recht versah, war er von seinem Bauernhaus angekommen. Dort stieg er aus, ging in seine Kammer, zog die schönsten Kleider an, die er hatte, nahm Abschied von seinen Eltern, trat wieder in sein Fahrzeug und sprach zu ihm:
Barke, liebe Barke mein, Führ mich zum Königshof hinein! |
Denkt euch, wie die Leute am Wege staunten, als sie das sonderbare Schiff auf dem Erdboden mit großer Schnelligkeit dahingleiten sahen. Und alle meinten: «Nun wird die Königstochter diesen Jüngling heiraten.» Da die Barke so rasch dahinglitt, mußte man sich nicht wundern, daß Valentino in kurzer Zei beim Königspalast anlangte.
Alle Leute, die um den Königshof standen, fingen an zu rufen, so laut sie konnten: «Schaut, schaut, da kommt jemand mit einer Barke auf dem trockenen Boden gefahren!» Der König hörte diesen Tumult, stieg vom Thron herab und begab sich in den Schloßhof, wo ihn Valentino erwartete. Dann richtete er an ihn die Frage: «Bist du es, der dieses Schiff gezimmert hat, daß es über Land und Meer fahren kann?» —«Jawohl, Majestät», antwortete der junge Mann. Der König wollte es nicht recht glauben und fragte: «Könnte man zur Probe eine Rundfahrt durch diesen Schloßhof unternehmen?» «Ja freilich, gnädiger Herr», versicherte der Jüngling freudig und dienstbereit. Jetzt ließ der König auch die Prinzessin herbeirufen, und als alle eingestiegen waren, sprach Valentino folgende Worte:
Barke. schöne Barke, komm, Fahr uns in diesem Hof herum! |
Und das Schiff setzte sich in Bewegung und fuhr in raschem Lauf dahin. Alle Leute klatschten Beifall, und der Jubel wollte kein Ende nehmen. Als sie mit der Rundfahrt fertig waren, fragte der König den Jüngling nach seinem Namen und nach seinem Beruf. Der junge Mann gab auf alle Fragen mit viel Anmut und
Geschicklichkeit Auskunft, und der König hatte bereits eine große Zuneigung zu ihm gefaßt. Als er jedoch hörte, daß er ein Bauernknabe sei, sagte er zu dem Pagen, der gerade zur Seite stand: «Soll ich wirklich meine Tochter einem Bauern zur Frau geben?» Da erinnerte sich der Edelknabe all dessen, was der König hatte bekannt machen lassen und gab folgendes zur Antwort: «Ihr habt erklärt, daß ihr nicht darauf schaut, wer euch die Barke herstelle, er möge arm oder reich sein. Jetzt seid ihr auf den Dornen.»Der König ersann alle möglichen Ausreden und sprach dann zum Jüngling: «Die Tochter kann ich euch nicht geben; doch wenn es euch recht ist, sollt ihr dafür Wertsachen und Geld in Hülle und Fülle bekommen. Was meint ihr dazu?» Valentino erwiderte: «Ein Ehrenmann muß sein Wort halten, er sei arm oder reich, und wenn es gar das Versprechen eines Königs ist, der ein so weites Reich regiert wie ihr. Also überlegt es euch diese Nacht. Unterdessen will ich mit meiner Barke nach Hause fahren und morgen bin ich wieder hier, sobald die Sonne aufgeht.»
Damit grüßte er die Leute am Hof, trat in sein Schiff und fuhr wie der Blitz davon und heim vor das Elternhaus. Dort erzählte er den Seinigen, wie es ihm ergangen war. Die wußten vor Verwunderung nichts zu sagen; der Jüngling aber fügte bei: «Jetzt will ich zum Wald gehen und den Zauberer suchen, der mir geholfen hat, das Schiff zu bauen. Ich will ihm alles erzählen und dann hören, was er mir für Ratschläge gibt.» Die Eltern rieten ihm, sich zu beeilen. Kaum hatte er sich etwas gestärkt, so stieg er wieder in sein Schiff, und fort ging's in raschem Lauf dem Walde zu. Er war noch keine halbe Meile gefahren, als die Barke
plötzlich stille hielt. Vor ihm stand der Zauberer und fragte ihn: Was begehrst du von mir?» Valentino erzählte ihm den Vorfall, worauf der Alte ihm folgenden Ratschlag gab: Wenn der König dir sagt, er wolle dir die Tochter nicht zu Frau gehen, so mußt du ihm nur diese Worte zu bedenken geben, die ihm Angst einjagen werden:Gebt mir nur, was ihr wollt; Doch bald ihr es bereuen sollt. Aber ich werde dir deine Wünsche nicht erfüllen, wenn du das nicht tust, was ich dir empfohlen habe.» |
Der Jüngling dankte dem guten Alten und machte sich auf den Weg nach dem Königshof; denn schon stieg die Morgenröte am Himmel empor. Als er zum Schloß kam, stand der König im Garten und war im Gespräch begriffen mit seiner Tochter. Kaum hatte er den Ankömmling bemerkt, so ging er ihm entgegen und sagte zu ihm: «Komm hinauf in den großen Saal, dort können wir in aller Bequemlichkeit miteinander sprechen.» Und Valentino folgte ihnen die Treppen empor. Im großen Festsaal standen vier Rechtsanwälte. Die schauten den Jüngling scheel von der Seite an, als hätten sie sagen wollen: «Du wirst die Prinzessin gewiß nicht heiraten.»
Der König setzte sich neben Valentino und hub an: Mein lieber junger Mann, ich kann euch meine Tochter nicht zur Frau geben; aber ich will euch Geld geben, soviel ihr wollt. Seid ihr damit zufrieden oder nicht?» Der Jüngling antwortete, wie ihn sein Beschützer geheißen:
Gebt mir nur, was ihr wollt, Doch bald ihr es bereuen sollt, |
Der also Beschenkte ging sogleich in ein benachbartes Dorf, um Maurer zu holen, welche alle Gebäulichkeiten rings um den Bauernhof neu instand setzen mußten, damit er die vielen Vorräte versorgen könnte. Nach vierzehn Tagen war diese Arbeit fertig und die Geschenke gut aufbewahrt.
Eines Tages befanden sich die beiden Brüder auf einer Wiese ihres Landgutes und waren im Begriff, das Gras zu mühen, als sie sahen, wie ein langer Zug von Höflingen sich näherte und geradewegs auf ihren Bauernhof zuging. Dem Jüngling kam sogleich der Gedanke, es musse dem König ein Unglück zugestoßen sein. Er fuhr jedoch mit seiner Arbeit fort, ohne sich weiter darum zu kümmern. Unterdessen war der festliche Zug an der Mauer angelangt, die das Landgut umgab. Sie öffneten die Tür und traten ein. Sogleich erkannten sie den jungen Mann, gingen auf ihn zu und redeten ihn also an: «Valentino, schöner Jüngling, kommt auf die Königsburg, um unsere Prinzessin
zu heilen, die in Todesgefahr schwebt.» Er achtete jedoch nicht auf ihre Worte und fuhr weiter mit Mähen. Die Edelknaben aber redeten ihn immer wieder an, bis er endlich den Kopf hob und sie anhörte. Dann sprach er: «So, jetzt kommt ihr also, mich zu holen. Aber es ist schon zu spät. Ich habe es ja gesagt, daß der König früher oder später mich suchen werde.» Die Pagen boten ihm viele Geschenke an, Valentino blieb jedoch unbeweglich und ließ sich nicht überreden. Dann hieß er sie wieder fortgehen und sagte: «Kommt morgen wieder, dann will ich euch eine bestimmtere Antwort geben.» Da zogen die Edelknaben wieder fort zum Schloß und waren mißvergnügt, eine solche Botschaft überbringen zu müssen.Unterdessen ging Valentino in den Stall, spannte ein schönes Pferd vor seine Kutsche und fuhr hinaus in den Wald, um dem guten Zauberer all seine Erlebnisse zu erzählen. Er hatte kaum ein Stück Weges zurückgelegt, als der Magier schon vor ihm stand und ihn fragte: «Was willst du von mir?» Da berichtete er dem Zauberer alles und dieser sprach zu ihm: «Geh nur zum Schloß und heile die Prinzessin. Aber vorher laß den König schwören, daß er dir seine Tochter zur Frau gebe; wenn nicht, so müsse sie Lot für Lot ganz langsam sterben.»
Der Jüngling dankte seinem Wohltäter aufs neue und kehrte noch am selben Abend nach Hause zurück. Am andern Morgen stand er wieder auf der Wiese, um zu mähen, als er plötzlich den Zug der Höflinge wieder herannahen sah, aber diesmal in solcher Eile, daß er dachte: Die Königstochter ist gewiß in den letzten Zügen. Er ging geschwind ins Haus, zog sich festtäglich an und schritt dem Zuge entgegen, der schon an
der Gittertür angelangt war und auf ihn wartete.Sobald die Edelknaben ihn sahen, warfen sie sich vor ihm auf die Knie; er aber sprach alsobald: «Stehet auf, ich will mit euch kommen!» Sie ließen die Kutschen umkehren, hießen ihn in die schönste Karosse einsteigen, und fort ging es im Galopp zum Königsschloß. Als sie dort anlangten, sahen sie alle Personen niedergeschlagen und traurig umherstehen und hörten, wie sie sagten, daß die Prinzessin hoffnungslos verloren sei. Da sprach Valentino zu ihnen: «In kurzer Zeit werdet ihr fröhlicher sein!» Wenige Minuten nachher stand er schon am Fuß des Bettes, worin die Prinzessin auf weiche Kissen gebettet in Schmerzen lag. Auch standen viele Personen im Schlafgemach, welche weinten und Gebete sprachen. Unter ihnen war auch der König, der sich vor großem Kummer verzehrte. «Die Prinzessin wird auf der Stelle geheilt sein; aber nur unter der Bedingung, daß sie meine Gemahlin werde», sprach der Jüngling. Der König gelobte durch einen Schwur, sobald er sie geheilt habe, solle er sie zur Frau erhalten.
Jetzt trat Valentino zu der Kranken hin, berührte mit einem Finger ihre Hand, und kaum war dies geschehen, so zuckte sie zusammen, fühlte sich gesund und richtete sich im Bette auf. Sie erkannte sogleich ihren Retter und sprach zu ihm: «In vierzehn Tagen sind wir Mann und Frau, dann werden wir glücklich sein.» Der König war damit einverstanden und gab Befehl, daß das neue Brautpaar und die Verlobung in aller Pracht gefeiert werde, wozu der Jüngling auch seine Eltern und Verwandten und wen er sonst noch wolle, einladen sollte. So nahmen denn an der Verlobungsfeier unzählige Leute teil.
Bald danach hielten sie Hochzeit, und ihr könnt euch vorstellen, welcher Glanz dabei entfaltet wurde. Um die Mittagszeit begann die festliche Hochzeitstafel, wozu alle Vornehmen des Landes eingeladen waren. Hernach lebten die beiden Neuvermählten in großem Glück bis an ihr Ende.
So gewann der arme Bauernsohn die reiche Königstochter.
DIE DREI HÜHNCHEN
Es waren einmal drei Hühnchen. Die Mutter hieß die Weiße, ihre Kinder (las Graue und das Schwarze. Die waren noch junge Hennen. Eine Tages sagte die Mutter zur Grauen: «Geh in den Wald und sammle mir ein wenig Sirene, damit wir uns hineinlegen können, wenn es anfängt kalt zu werden!»
Die Graue gehorchte. Sie machte sich auf in den Wald und, kaum hatte sie die Wiese mit den vielen Blumen hinter sich und war ein Stück weit im Walde drin, da begegnete ihr ein Papiermüller. Der sprach zu ihr: «Kehr sofort zurück, denn nicht weit von hier ist ein böser gefräßiger Wolf, der würde dich sicher zerreißen.» Und das Hühnchen bat: «Ach, so mach mir doch ums Himmelswillen ein Häuschen aus Papier und Karton, damit ich mich, sobald ich den Wolf kommen sehe, darin verstecken kann. Alsdann bin ich gerettet.»
Der Papiermüller baute ihr willfährig ein Hüttchen aus Karton und Papier. Eben war die Graue im Begriffe, ein paar dürre Blätter, die sie gesammelt hatte, auf ein Häuflein zu bringen, als sie ein grimmiges Gesicht zwischen den Baumstämmen hervorlauern sah, mit offenem Rachen, worin Zähne waren, Gott, was für furchtbare Zähne! Flugs versteckte sich das graue Hühnchen in seinem Häuschen aus Karton und Papier; aber der Wolf stürzte mit zwei Pfotenschlägen jene schwachen Mauern zu Boden, packte das arme Hühnchen
beim Schopf und verschlang es in einem Bissen.Unterdessen warteten die Mutter und die Schwester voller Sorge auf die Rückkehr; aber es dauerte immer länger, und das graue Hühnchen kam nicht wieder: «Nun gut», sagte die Schwarze, «jetzt will ich in den Wald gehen und schauen, was meinem Schwesterlein zugestoßen ist.» Also machte sie sich auf den Weg, spazierte an vielen Wiesenblumen vorüber und kam in den Wald. Dort begegnete sie einem Mann, das war ein Schreiner. Der sprach zu ihr: «Kehr zurück, aber schnell! Nicht weit von hier ist nämlich ein böser Wolf, und du gäbest wahrhaftig einen guten Leckerbissen für ihn.» — «Ach», sprach das Hühnchen, «mach mir doch schnell eine Hütte aus Holz, damit ich mich in der Not darin verstecken kann! Ich habe meine Schwester hier im Wald verloren und ich mag nicht von hier fortgehen, bis ich sie wiedergefunden habe.»
Der Schreiner zeigte sich gefällig und baute ihr ein starkes Hüttchen aus Holz. Unterdessen pickte und scharrte die Henne ein wenig auf dein Moosboden des Waldes. Da fand sie zu ihrem großen Schmerz eine Feder von ihrer Schwester; aber im selben Augenblicke sah sie in der Ferne zwei feurige Augen aufleuchten und darunter einen gräßlichen Rachen, ganz mit Schaum bedeckt. Zitternd vor Angst flüchtete sie in ihre Hütte; der Wolf aber schlug mit seinen Pfoten, dem Maul und dem Schwanz auf das Häuslein los, bis er es umgeworfen hatte, und so wurde auch die unglückliche Schwarze seine Beute, die er mit einem Bissen verschlang.
Inzwischen wurde die Mutter zu Hause immer mehr um ihre Kinder besorgt und sie dachte: «Was ist wohl aus meinen Kindern geworden? Sind sie etwa beide
umgekommen? Oh, wie konnte ich so töricht sein und sie ganz allein in den Wald hinaus schicken, wo so viele Gefahren auf sie lauern! Ich hätte sie doch begleiten sollen. Es wäre besser gewesen, wenn ich mit ihnen zugrunde gegangen wäre, als jetzt so allein in Angst und Kummer zu leben.»Also machte sie sich auf die Suche nach ihren Kindern, und wie sie in das Waldesgrün eintrat, begegnete sie einem Mann. Das war ein Schmied. Der sprach zu ihr: «Um Gottes willen, kehr sofort um; denn hier im Walde haust ein grimmiger Wolf, der streift überall umher und will alles verzehren.» — «Ach, so mach mir doch schnell ein Hüttchen aus Eisen, worin ich mich verbergen kann. Ich habe in diesem Walde meine beiden Kinder verloren und gehe nicht fort, bis ich sie wieder gefunden habe.»
Der Schmied tat ihr den Gefallen und baute ihr ein Häuslein von Eisen. Mittlerweile spazierte die Henne auf dem Grasteppich des Waldes umher und siehe, da lagen richtig auf dem Moos einige graue und schwarze Federn von ihren lieben Kindern. Bald darauf sah sie zu ihrem Entsetzen in der Ferne ein dunkles braunes Tier auftauchen, mit funkelnden Augen, grimmigem Blick und zwei hoch aufgerichteten Ohren. Beinahe vom Schlag getroffen flüchtete sie in die eiserne Hütte. Der Wolf kam herangesprungen und versuchte, das Häuslein niederzureißen, aber wahrhaftig, diesmal war es haltbar gebaut und mit vorstehenden Nägeln und Eisenspitzen versehen. Er versuchte es mit dem Maul, mit dem Rücken und mit den Pfoten; jedoch vergeblich. Statt die Henne zu erreichen, zerkratzte er sich den ganzen Leib und blutete aus vielen Wunden. Voller Ingrimm nahm er einen Sprung
gegen die eiserne Hütte, erhielt aber dabei eine tiefe Wunde von einem Nagel und ließ nun vom Angriff ab. Halb tot legte er sich etwas abseits auf den Waldboden an die Sonne und spähte dort, ob die Henne aus dem Haus herauskäme, damit er sie packen könnte. Trotz seinen Schmerzen überfiel ihn jedoch der Schlaf, so daß er bald schnarchend dalag. Als die Henne das bemerkte, rannte sie auf ihn los, pickte ihm mit dem Schnabel den Leib auf und zerstückelte ihm mit scharfen Hieben das Herz. bis der Wolf tot war. Alsdann fand sie in seinem Bauch noch ihre beiden Kinder lebendig. Da war die Freude des Wiedersehens groß. Sie kehrten alle drei froh nach Hause zurück und dachten ihr Lebtag daran, nicht mehr so unvorsichtig zu sein. Aber ehe sie in ihren Hühnerstall zurückkehrten, sagten sie noch dem guten Schmied, der sie gerettet hatte, schönen Dank.
DIE SCHÖNE INFINITA
MIT DEN GOLDENEN ZÖPFEN
Es waren einst ein König und eine Königin, die hatten drei Söhne. Davon hieß der älteste Joseph. Er kehrte nach vielen Jahren Studiums von der hohen Schule zurück, und alle Leute der Gegend waren in festlicher Stimmung, um ihn feierlich zu empfangen.
Durch die Schar der Leute am Hof drängte sich auch ein altes Weib, welches ein Säcklein voll Brot auf den Schultern trug, das sie unter der königlichen Tafel zusammengelesen hatte. Weil sie aber so klein war, daß man sie kaum bemerkte, wurde sie im Gedränge von der Menge des Volkes unabsichtlich umgestoßen. Dabei rollte das Säcklein auf den Boden. öffnete sich und die Brotbröcklein fielen auf das Pflaster. Die Alte machte in ihrer Entrüstung eine so komische Grimasse, daß Prinz Joseph, der dies bemerkt hatte, das Lachen nicht unterdrücken konnte. Die arme Frau, dadurch doppelt gekränkt, wandte sich an den Spötter und warf ihm voller Zorn die Verwünschung ins Gesicht: «Du sollst nicht eher Ruhe haben, bis du die schöne Infinita mit den goldenen Zöpfen gefunden hast!»
Der Königssohn und die andern Leute hörten es; aber sie schenkten diesen Worten keine Beachtung. Bald darauf waren die Festlichkeiten zu Ende. Doch Joseph war von diesem Augenblick an nie mehr recht zufrieden. Schließlich sagte er zum König: «O Vater, gib mir
das schnellste Pferd, denn ich muß mich aufmachen, um die schöne Infinita zu suchen.» Der Vater wollte davon nichts wissen. Weil jedoch der Sohn nicht aufhörte, ihn zu bestürmen, mußte er ihn schließlich ziehen lassen. Also ging er fort und ritt mitten durch Wälder, über Gebirge und verlassene Gegenden, ohne irgendeinen Aufenthalt. Endlich sah er eines Nachts in der Ferne etwas Helles schimmern. Bald darauf konnte er ein Haus erblicken, und noch vor Mitternacht langte er dort an. Er klopfte an die Tür, und ein alter Mann mit weißem Bart trat heraus, der ihn mit freundlichem Antlitz willkommen hieß. Er ließ ihn an seiner Seite Platz nehmen, stellte ihm ein Nachtessen auf und sprach: «Diese Nacht schläfst du in meiner Hütte und ruhst dich aus: denn wie ich sehe, bist du recht müde.» «Ich danke euch, recht gerne will ich dableiben», antwortete Joseph, «aber ich bin hieher gekommen, um euch zu fragen, oh ihr vielleicht wißt, wo die schöne Infinita wohnt?» Der Einsiedler erwiderte: «Ich bin schon alt, habe jedoch nie von ihr erzählen hören. Doch habe ich einen Bruder, der älter ist als ich. Er wohnt jenseits der sieben Berge, weit entfernt von hier. Der könnte es vielleicht wissen.»Am folgenden Morgen machte sich Joseph in der angegebenen Richtung auf den Weg. Auf der Wanderschaft stieß er auf ein altes Weib, das ihn wieder erkannte. Es war jene, die gegen ihn damals die Verwünschung ausgesprochen hatte. Sie ritt auf einem prächtigen, feurigen Pferd und hielt ein Schwert an der Seite. «Gib mir dein Roß und deinen Degen», sprach sie zu ihm, «so will ich dir die meinen geben. Sobald du mit diesem Schwert hier eine Person berührst, wird sie sogleich tot zur Erde fallen. Berührst
du sie zum zweiten Male, so wird sie wieder lebendig auferstehen. Und hier, dies Pferd rennt so schnell wie der Wind.»Der Königssohn willigte in den Tausch ein, und die Alte verschwand. Der Jüngling gab dem Pferd einen Hieb mit der Peitsche, und es jagte davon wie der Blitz. So ritt er von dannen über die sieben Gebirge und erreichte die Hütte des zweiten Einsiedlers. Dort hielt er an und klopfte an die Tür. Der gute Alte nahm ihn gastfreundlich auf und lud ihn ein, Platz zu nehmen; aber der Königssohn fragte: «Könnt ihr mir nicht bitte sagen, wo die schöne Infinita wohnt?» «Ich bin alt, sehr alt», gab der Eremit zur Antwort, «gleichwohl hörte ich noch nie von ihr reden. Doch habe ich einen älteren Bruder, der sieben Gebirge weiter weg, dort drüben wohnt. Es ist wohl möglich, daß er es weiß.»
Prinz Joseph dankte ihm, stieg sogleich wieder zu Pferd und galoppierte wie der Wind davon. In kurzer Zeit gelangte er zum dritten Waldbruder und klopfte an die Tür. Sogleich schaute ein alter Mann heraus. Er hatte einen ehrwürdigen langen Bart, der weiß wie Milch war und ihm bis an die Knie reichte. «Was wollt ihr, schöner Jüngling?» fragte er ihn. Und er antwortete: «Ich bin gekommen, euch zu fragen, ob ihr wißt, wo die schöne Infinita wohnt.» Und der Eremit gab zur Antwort: «Ich bin alt, uralt, aber noch nie habe ich von ihr reden hören. Doch habe ich einen Sohn, der ,Wind' heißt und immerfort umherstreift. Der hat sie vielleicht irgendwo gesehen.» Joseph setzte sich hin, um Wind zu erwarten. Und siehe da. auf einmal kam er herbei. Der Prinz fragte ihn nach der schönen Infinita, und Wind entgegnete: «Morgen gehe
ich gerade zu ihr, um ihr die Wäsche zu trocknen. Merkt wohl, ich stehe frühzeitig auf, ich rufe dreimal und reise, auch wenn, ihr es nicht hört, von hier fort.»Joseph schlief wenig, und am Morgen in aller Frühe folgte er dem Wind. Sie erreichten bald das Haus der schönen Infinita. Der Prinz lief rings ums Haus herum, sah aber weder Türen noch Fenster. Da und dort standen Marmorstatuen im Grün des Gartens. Eine davon berührte er ohne es zu merken. Da sah er, wie ein schöner Jüngling daraus hervorkam, der ebenfalls ein Königssohn gewesen war. Von ihm erfuhr er, daß alle jene Marmorbilder nichts anderes als hübsche Jünglinge waren, die hierhergekommen, um die schöne Infinita zu sehen, die aber von der Zauberin in lauter Steinfiguren verwandelt worden waren. Dann erweckte er auch die andern Jünglinge. Diese zeigten ihm eine Oeffnung in der Mauer und erklärten ihm, daß dies die Türe sei; doch schärften sie ihm ein, nicht hineinzugehen; denn hinter der Türe ständen zwei Riesen, die niemand eintreten ließen. Er aber hörte nicht auf ihre Warnung und wollte hinein. Wie er die beiden Riesen sah, berührte er sie mit seinem Schwert und sie fielen tot zu Boden.
Schließlich fand er die schöne Infinita, welche in der Tat von bezauberndem Liebreiz war. Sie fragte ihn: Aber, wie hast du es angestellt, bis hieher zu kommen? Seit zwanzig Jahren bist du der erste, der hineingelangt. Und jetzt, was soll ich mit dir anfangen? Wo soll ich dich verstecken? Weißt du denn nicht, daß die Zauberin, wenn sie kommt und dich erblickt, dich mit einem einzigen Bissen zum Nachtessen verschlingt?» Und wirklich nahte sich das Ungeheuer, und die schöne Infinita versteckte sogleich unsern Ankömmling.
Aber die Hexe merkte, daß jemand eingedrungen war. Sie rümpfte die Nase und brummte: «Ich spüre den Geruch eines Christenmenschen. So höre wohl, was ich dir sage: Wenn du imstande bist, den Tisch zu decken, derart, daß der Tisch den Fußboden nicht berührt, das Tischtuch den Tisch nicht berührt. und daß auch die Becher das Tischtuch nicht berühren und dennoch nichts dazwischen ist, so will ich jenen Jüngling verschonen, den du dort versteckt hast; bist du dazu aber nicht imstande, so esse ich ihn lebendig und schön, wie er ist, auf.» Und mit diesen Worten ging sie fort.Jetzt rief die schöne Infinita den Prinzen Joseph aus seinem Versteck hervor und sprach zu ihm: «Weißt du, was wir tun müssen? Wir wollen entfliehen und folgende drei Dinge mit uns nehmen: Einen Stein, eine Blume und ein Wasserfläschlein. Dann machen wir uns damit aus dem Staube.» Und so taten sie auch. Als die Zauberin zurückkam und niemanden mehr fand, geriet sie in den größten Zorn, fluchte und befahl ihren Dienern, sich augenblicklich auf den Weg zu machen, um die Flüchtlinge einzuholen.
Unterdessen eilten Joseph und die schöne Infinita in schnellstem Lauf davon wie der Wind. Als sie glaubten, weit genug entfernt zu sein, hielten sie an, um ein wenig auszuruhen. Bald aber bemerkten sie, daß sie von zwei Dienern verfolgt wurden. Da sprach das schöne Mädchen: «Laß uns diesen Stein dorthin werfen. Dann verwandle ich mich zu einer Kirche und einem Kirchturm, und du wirst der Sakristan.» «Recht so, ich bin einverstanden», erwiderte der Königssohn.
Sie schleuderten also den Stein auf den Weg, worauf augenblicklich eine Kirche mit dem Glockenturm
sich erhob, und der Prinz stellte sich als Küster an den Eingang, wie wenn er jemand erwartete. Die Diener kamen herangelaufen und fragten ihn: «Sagt uns bitte, guter Mann, ob ihr einen Jüngling und ein Fräulein habt vorübergehen sehen?» — «Ich habe gesagt», erwiderte der Meßmer, «daß ich bereits das erste Zeichen geläutet habe und jetzt gehe ich, zum zweiten Mal zur Messe zu läuten. Möchtet ihr vielleicht die Messe hören?» — «So mach doch, daß du fortkommst, du und deine Messe!» antworteten die Diener und kehrten wieder nach Hause zurück.Die Zauberin, welche über diesen Mißerfolg vor Zorn außer sich geriet, schickte zwei andere Diener aus. Joseph und die schöne Infinita, die sich wieder zurückverwandelt hatte, waren inzwischen weiter geflüchtet und liefen lange Zeit. Kaum hatten sie sich jedoch hingesetzt, um ein wenig auszuruhen, so erblickten sie die beiden Diener, welche ihnen nachsetzten. Da sprach das Mädchen: «Laß uns diese Blume an den Boden werfen. Ich werde zum Garten verwandelt und du wirst der Gärtner sein.» Und so geschah es. Als die Diener anlangten, fragten sie den Gärtner, der neben dem Gatter stand: «Habt ihr vielleicht einen Jüngling und ein Mädchen hier vorübergehen sehen?» Da erwiderte der Gärtner: «Bald werden der Salat und der Knoblauch groß sein. Heute säe ich noch Petersilie an.»
Und die beiden andern entgegneten: «Ach, scher dich doch zum Kuckuck, samt deinen Krautstengeln!», und damit kehrten sie unverrichteter Dinge nach Hause zurück. «Ihr seid doch rechte Einfaltspinsel!» sagte die Zauberin zu ihnen. «Habt ihr denn nicht bemerkt, daß sie der Garten und Joseph der Gärtner war?»
Und nun machte sie sich selber auf, um die Flüchtlinge zu erwischen. Joseph und die schöne Infinita liefen immer noch, als sie plötzlich merkten, daß sie von der Hexe in eigener Person verfolgt wurden. In aller Eile warfen sie das Wasserfläschchen zu Boden, und sogleich bildete sich ein See mit einem Aal darin; aber dieser glitt der Hexe aus den Händen und sie konnte ihn nicht fassen. Schließlich gab sie die Sache auf und sprach: «Ich will dich laufen lassen, aber erinnere dich wohl daran, sobald dein Joseph nach Hause gelangt und sich bei der Rückkehr von irgend jemand küssen läßt, wird er dich für immer vergessen.» Und damit ging sie fort.
Die beiden jungen Leute machten sich wieder auf den Weg. Sie gelangten zu einer Stadt, die nicht weit von Josephs väterlichem Schloß entfernt war. Da brachte der Prinz die schöne Infinita in eine Herberge, wo sie warten sollte, bis er wieder käme. Dann kehrte er an den Königshof zurück, um alles seinen Eltern zu erzählen. Hernach wollte er die schöne Frau in einer Karosse festlich abholen.
Daheim angekommen, hatte er Mühe, sich wieder zu erkennen zu geben. Er warnte alle seine Leute, ihn ja nicht zu küssen, und dann begab er sich in sein Schlafgemach, um sich von der großen Reise auszuruhen. Während er schlief, näherte sich einer seiner Brüder, der nichts von allem wußte, dem Bette und küßte den Schläfer aus Freude, ihn wieder zu sehen. In diesem Augenblick vergaß Joseph alles, und auch die schöne Infinita war seinem Gedächtnis gänzlich entschwunden.
Infolgedessen wartete die Braut vergeblich auf seine Rückkehr. Als sie sah, daß er nicht wiederkehrte, fing
sie eine Kaffeewirtschaft an und ließ sich die «schöne Kaffeewirtin» nennen. Joseph kam zufällig auch dorthin, kehrte ein und konnte das schöne Mädchen nicht genug bewundern. Auch sie fand Gefallen an ihm; aber als sie abends allein im Zimmer waren, befahl sie ihm: «Schließ doch jene Fensterläden!» Er gehorchte, aber während er den einen Fensterladen schloß, öffnete sich der andere wieder. Und so mußte er die ganze Nacht damit verbringen, die Fensterläden zu schließen, ohne sich zur Ruhe legen zu können. Enttäuscht kehrte er nach Hause zurück, sagte aber niemandem etwas von seinem Erlebnis.Am folgenden Tag wollte sein Bruder auch hingehen, um die schöne Kaffeewirtin zu besuchen. Auch er wurde von ihrer einzigartigen Schönheit bezaubert und bestürmte sie um ihre Liebe. Sie zeigte sich ihm scheinbar entgegenkommend, fügte jedoch hinzu: «Du wirst zwei Kerzen in das Schlafzimmer bringen und sobald ich im Bette bin, wirst du sie auslöschen!» Am Abend trug er wirklich zwei Leuchter mit Kerzen in die Schlafstube; aber während er die eine auslöschte, zündete sich die andere wieder von selbst an. So ging es die ganze Nacht hindurch, und er konnte nicht schlafen.
Am nächsten Morgen kehrte er nach Hause zurück, ohne jemandem etwas von dem Vorgefallenen zu sagen. Am folgenden Tag wollte auch der jüngste Bruder hingehen, um die schöne Kaffeewirtin aufzusuchen. Auch er verliebte sich in sie und schenkte ihr in seiner Freude prächtige Schmucksachen. Am Abend begab er sich zu ihrem Schlafgemach; aber während er den einen seiner Stiefel auszog, hatte er den andern schon wieder am Fuß. Und so mußte er immerfort seine Stiefel ausziehen, bis der Morgen da war. Aer
geruch kehrte er nach Hause zurück und erzählte alles seinen Brüdern. Diese schauten sich verwundert an, und dann berichteten sie einander, was jedem von ihnen begegnet war.Mittlerweile hatte der König für seinen ältesten Sohn eine Braut gesucht, denn es war die Zeit gekommen, ihn zu verheiraten. Es kam der Tag, wo die Verlobung stattfinden sollte. Bei dieser Gelegenheit wurde ein Festmahl veranstaltet, und auch die schöne Kaffeewirtin wurde dazu eingeladen. Sie wohnte der Festlichkeit bei, und als alle Gäste ihr Glas erhoben, um auf das künftige Glück des Brautpaares anzustoßen, wandte sich die schöne Infinita an Joseph und sprach zu ihm:
«Erinnerst du dich nicht mehr an das Zauberschloß, wohin du gekommen bist, mich abzuholen? Denkst du nicht mehr daran, wie du damals den Sakristan. den Gärtner und den See erstehen ließest? Erinnerst du dich nicht an all das, was ich um deinetwillen erlitten und erduldet habe? Und wie steht es mit den Versprechungen, die du mir gemacht hast?» Joseph schaute das Mädchen genauer an und erkannte plötzlich an ihren langen goldenen Zöpfen seine geliebte Infinita. Tief gerührt umarmte er sie mit Tränen in den Augen und sprach zu ihr: »Du allein bist meine auserwählte Braut!»
Die andere, welche der Vater für ihn bestimmt hatte, mußte sich zurückziehen. Und nun, wo sich die beiden glücklich wieder gefunden hatten, feierten sie erst recht den Tag ihrer Verlobung.
DER DUMME HAT GLUCK
Es war einmal ein dummer Bursche. Der war arm und hatte weder Vater noch Mutter mehr. Aus Mitleid nahm ihn ein Onkel auf in sein Haus und schickte ihn auf die Weide, die Ziegen zu hüten. Weil der Onkel selber aber schon alt war und den Dummkopf nicht gern allein auf der Welt zurücklassen wollte, dachte er, ihm eine Frau zu geben. Also sagte er eines Tages zu ihm: «Wenn du schöne Mädchen siehst, so wirf ein Auge auf sie.» Am folgenden Tage ging der Einfältige wieder auf die Berge, um seine Ziegen zu hüten. Da sah er ein bildschönes Mädchen. Schnell riß er grausamerweise einer Ziege ein Auge aus und warf es dem Mädchen zu. Als sein Onkel am Abend sah. daß eine Ziege nur noch ein Auge hatte, fragte er ihn: «Aber was hast du mir da angestellt, mein Neffe!» — «Ei, ich habe das Auge einem bildschönen Mädchen angeworfen, wie ihr mir befohlen habt.»
«O du abscheulicher Kerl!» versetzte sein Onkel. «Auf der Stelle gehst du mir aus meinem Hause!» Der Bursche hielt es für besser, sich schleunigst aus dem Staub zu machen, sonst hätte ihn sein Onkel in der Wut noch totgeprügelt. Er nahm das Fell eines Ziegenbocks mitsamt den Hörnern auf seine Schultern und lief davon, ohne nur die Haustür zu schließen. «So zieh doch auch die Haustür hinter dir!», schrie ihm der Onkel nach. Der Dummkopf verstand das wiederum wörtlich, lud wahrhaftig die Haustür auf seinen Rücken
und lief davon. So wanderte er vorwärts über Berge und Täler, und schließlich geriet er weit von den Dörfern weg in große Wälder und wußte nicht, wo er am Abend seine müden Glieder zum Schlafen hinlegen sollte.Da fiel ihm ein, er könnte zur Sicherheit auf einem Baum oben übernachten. Er kletterte also durch die Aeste empor und zog seine Habseligkeiten samt dem Ziegenfell und der Haustür auf den Baum hinauf. Als er sich's endlich bequem gemacht hatte, sah er, wie drei Männer durch den Wald kamen und sich gerade unten am Stamm seines Baumes lagerten. Sie hatten eine Kiste bei sich und eine Pfanne, suchten Aeste und Reisig zusammen und zündeten miteinander ein Feuer an. Dann hingen sie die Pfanne über dem Feuer auf und taten Reis hinein. Aber es fehlte ihnen an Wasser oder Fleischbrühe, um Sauce herzustellen. Vor großer Angst konnte sich der Dummkopf jetzt nicht mehr halten und ließ gerade in diesem Augenblick seine Kürbisflasche, darin er das Trinkwasser aufbewahrte, fallen. Ei, seht doch, wie der Himmel für uns gesorgt hat!», sprachen unten die Männer. die niemand anders als drei Räuber waren. Sie mischten also ihren Reis und freuten sich schon aufs Essen.
Eine Weile später konnte der Dummkopf auch die große Haustüre nicht mehr halten. Sie entschlüpfte seinen Händen und fiel mit großem Krach und Gepolter durch die Baumäste auf den Boden hinunter. «O schaut, da kommt ja auch noch ein Tisch herunter! Jetzt kann es uns an nichts mehr fehlen.,
Nicht lange darnach entfiel dem Dummkopf auch das Fell des Ziegenbockes mit den Hörnern daran. Diesmal gerieten die Männer in Entsetzen und schrien:
Der Teufel ist da, fort, fort, der Teufel kommt!» Sie ließen die Kiste samt der Reispfanne im Stich und flohen wie der Wind so schnell von dannen. Da stieg der Dummkopf vom Baum herunter und wollte die Kiste auf die Schulter laden. Aber er konnte sie nicht heben. Gleich schaute er nach, was darin sei und fand sie voller Geld.Sobald die Nacht vorüber war und der Tag graute, machte er sich auf den Weg zu seinem Onkel zurück. An der Landstraße traf er einen Wegmacher an und sprach zu ihm: Nehmt euren Schubkarren und führt mich samt dieser Kiste nach Hause, so will ich euch einen Silbertaler geben.» — «Oho», erwiderte der Wegmacher, «wo willst du nur einen Silbertaler hernehmen, du Windbeutel, der du ein noch viel ärmerer Teufel bist als ich?» Aber der Dumme legte ihm augenblicklich einen prächtigen Silbertaler hin, worauf der Wegmacher ihn samt der Kiste auf den Karren lud und heimbrachte. Als er dort anlangte, nahm ihn sein Onkel aus Mitleid wieder auf. «Was schleppst du mir da mit nach Hause?» fragte der Onkel, als er die Truhe sah. Und der Neffe erwiderte: «Ach, Onkel, schimpf mich nicht wieder, schau einmal, was da drin ist.» Begierig öffnete der alte Mann die Kiste und war ganz sprachlos und wie versteinert, als er das viele Geld sah. Er verschaffte seinem Neffen eine brave Frau, dann hielten sie zusammen ein köstliches Mahl und waren froh und glücklich.
FUCHS UND WOLF IN DER ALPHÜTTE
Die Sonne war untergegangen, und die Dunkelheit brach über das Tal herein. Da ging der Wolf aus seiner Klause, um eine Beute zu erhaschen. Unterwegs begegnete er einem Fuchs, der mit der gleichen Absicht ebenfalls in Feld und Wald herumstreifte. Da sprach der Wolf zu ihm:
«Weißt du was? Komm, wir gehen in jene Milchhütte dort, wo eine ganze Reihe Milchkannen steht. Da könnten wir uns einmal ordentlich das Ränzlein füllen!»
Der Fuchs, der vor Hunger kaum mehr warten konnte, ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie entdeckten richtig ein Loch in der Mauer. Meister Reineke, als der schlauere, ging voraus, der Wolf, als der dümmere, hinten drein. Und wirklich gelang es ihnen, hineinzukriechen. Sie fanden da herrlich frische Milch und fingen an zu trinken. Der Fuchs kehrte jedoch von Zeit zu Zeit wieder zum Loch zurück, um zu probieren, ob er noch hindurchschlüpfen könne, während der Wolf als ein richtiger Vielfraß und Einfaltspinsel trank und trank, ohne an etwas zu denken.
Und so geschah es denn, daß der Fuchs mit knapper Not noch aus der Hütte schlüpfen konnte, während der Wolf, weil er sich den Bauch zu stark gefüllt hatte, trotz aller Anstrengungen nicht mehr herauskam. Also mußte er die Nacht über in der Hütte bleiben.
Wie nun der Bauer am andern Morgen seine Milch in die Hütte bringen und die Kannen füllen wollte, gewahrte er den Wolf. Da nahm er einen Stock und prügelte ohne Erbarmen auf ihn los. Die Schläge fielen nicht anders als wie ein Donner- und Hagelwetter auf seinen Pelz, bis der arme Wolf schließlich mehr tot als lebendig entwischte.
Mittlerweile hatte der Fuchs am Waldrand einen prächtigen Baum voll Kornelkirschen entdeckt; viele davon lagen reif am Boden. Er wälzte sich in diesen herum, so daß sein Pelz ganz rot wurde. Als nun der Wolf winselnd und wehklagend vorüber schlich, rief der Fuchs ihn zu sich und sagte: «Ei, Gevatter Wolf, schau doch, wie sie mich übel zugerichtet haben. Siehst du, wie mir das Blut überall herausläuft? Ach Gott. so trag mich doch nur ein kleines Stück weit nach meinem Hause.» Jetzt überkam den leichtgläubigen Wolf das Mitleid, und so erbärmlich auch sein Fell von den Stockschlägen zerzaust war, nahm er den Fuchs dennoch auf seine Schultern und trug ihn heimwärts. Da sang der Fuchs das Liedchen:
Hop, hop, hop, nur immer langsam voran, Denn der Kranke trägt den gesunden Mann! |
«Was singst du da?» fragte der Wolf. «Ach, das ist ein uraltes Lied, das mich meine Eltern - Gott hab sie selig! — vor Zeiten einmal gelehrt haben.» Und so trug denn der Wolf seinen Begleiter bis in die Burg, aber fortan schlich er sich nie mehr in die Milchhütte.
Der Wolf war wirklich ein großer Dummkopf und ein Nimmersatt zu gleicher Zeit. Nach kurzem hatte er das neulich erlebte Abenteuer schon wieder vergessen. Eines Tages ging er abermals umher, um Beute
zu suchen. Wieder traf er unterwegs mit seinem Gevatter, dem Fuchs, zusammen, und sie gingen ein schönes Stück miteinander. Diesmal führte sie der Weg an einem Heustall vorüber, wie sie da und dort allein auf den Alpweiden stehen, und wo man zur Not das Vieh und das Heu unterbringt. Dort, draußen vor dem Stall, sahen sie zwei Haufen Hirse. Der Wolf bemächtigte sich sogleich des größern, der Fuchs dagegen nahm das kleinere Bündel. Jeder trug seine Beute mit nach Hause und machte sich ans Werk, die seltene Gottesgabe, die sie gefunden hatten, zu kochen.Meister Wolf wollte sich daraus eine Suppe bereiten; aber als sie anfing zu sieden, sprudelte sie über den Kochkessel und löschte das Feuer aus. Nun wollte er ein wenig davon versuchen; er fand jedoch trotz seines grimmigen Hungers die Suppe nicht gut und konnte sie nicht schlucken. Er hatte nämlich, um seinen Heißhunger zu stillen, das größere Bündel genommen, das aber nur aus Hälsen und Schalen bestand, während er das kleinere Häufchen seinem Gefährten überlassen hatte. Dieses aber enthielt schöne Hirsekörner.
Niedergeschlagen wie ein Ziegelstein begab er sich zum Hause seines Kameraden und sah, wie der Fuchs eben im Begriffe war, einen herrlichen Hirsebrei zu essen. Und er fragte den Fuchs: «Ei, sag doch, wie hast du es angestellt, ein so gutes Hirsegericht zuzubereiten? Meine Suppe ist mir übergekocht, und ich habe mir nur die ganze Zunge verbrannt.»
«Ich? Weißt du, wie ich's gemacht habe?» gab der Schlaumeier zur Antwort. «Ich bin hingegangen, habe meinen Schwanz in den Kochtopf gehängt und damit umgerührt.»
Der Wolf schenkte ihm Glauben und kehrte wieder nach Hause zurück. Dort fing er abermals an, seine Suppe zu kochen und tauchte nun seinen Schwanz hinein. Aber, au weh, bald hub er an zu schreien, denn sein Schwanz verlor alle Haare. Das Füchslein war ihm heimlich nachgeschlichen, guckte hinter der Türe dem Wolf zu, wie er sich den Schwanz verbrannte und lachte im stillen vor Schadenfreude.
EINE SONDERBARE WETTE
Antonio, Peter und Jakob teilten zusammen ihr väterliches Erbe. Jeder bekam fünftausend Franken. Da sprach Antonio: «Jetzt will ich in die Welt hinausziehen und sehen, wie ich mein Geld verdoppeln kann.» Und damit ging er fort.
Unterwegs traf er einen Bauern an und erzählte ihm seine Absicht. Der Bauer dachte einen Augenblick darüber nach und sprach hierauf: «Höre, mir kommt ein guter Gedanke in den Sinn: Du setzest fünftausend Franken, und ich setze ebenfalls fünftausend Franken auf die Wette. So haben wir zusammen zehntausend Franken. Der erste, der von uns beiden in Wut gerät, verliert seinen Teil und muß dem andern fünftausend Franken geben. Bleibe also hier in meinem Hause, um zu arbeiten. Geh hinab und hacke mir jenes Feld dort unten um; aber bevor es Nacht ist, mußt du mit deiner Arbeit fertig sein.»
Antonio nahm die Wette an. Er ging aufs Feld hinunter und begann aus allen Leibeskräften zu hacken, zu spaten und zu graben, so eifrig, wie er es noch nie in seinem Leben getan hatte. Aber die Nacht brach herein, bevor er fertig werden konnte. Todmüde wie ein armes Grautier hub er an zu fluchen: «Geh doch du selber hinunter und grabe deinen Acker um, du trauriger Kerl von einem Taugenichts! Ich bin doch keine Maschine, ich, ich habe bloß zwei Arme.» Kurzum, er war richtig in Wut geraten und hatte infolgedessen
seine Wette verloren. Darauf kehrte er arm wie ein Bettler und tief niedergeschlagen nach Hause zurück, wo er seinen beiden Brüdern erzählte, wie es ihm ergangen war. Da sagte der eine, namens Peter: «So will ich zu jenem Wucherer hingehen und mir dein Geld zurückgeben lassen. Ich will ihm schon seine Schlechtigkeit heimzahlen.» Und damit ging er fort. Er fand auch wirklich die Wohnung jenes Bauern; aber von seinen schönen Worten überredet, ging er mit ihm die gleiche Wette ein. «Geh dort hin auf jene Wiese», sprach der Bauer zu ihm, «und mähe mir das Gras ab; aber ehe es Nacht wird, mußt du damit fertig sein.» Peter ging auf die Wiese. Er mähte und mähte; aber die Nacht brach herein und er hatte das viele Gras noch nicht einmal zur Hälfte geschnitten. Da geriet er darob in Wut. «Was glaubst du denn, du Lazaroni von einem Bauern, daß ich und mein Bruder zwei Lasttiere und dumme Ochsen seien? Wir haben doch auch Fleisch und Knochen wie du!»Weil er sich aber in Wut hatte bringen lassen, verlor er seine fünftausend Franken ebenfalls, so daß er weinend nach Hause zurückkehrte und seinen Brüdern die Sache erzählte. Da sprach Jakob, der dritte Bruder: «Ihr seid wirklich zwei Dummköpfe! Jetzt will ich zu jenem Bauern gehen und mir alles Geld, wie auch das eurige, wieder zurückgeben lassen.» Und damit ging er fort. Bald fand er den Bauern und ging mit ihm dieselbe Wette ein. Jener befahl ihm: «Geh in meinen Weinberg, beschneide die Reben und binde sie an. Nachher lies die dürren Schosse zusammen und bring sie alle in den Holzschopf hinein; aber dies muß getan sein, bevor es Nacht wird.»
Jakob stieg in den Weinberg hinauf, schnitt statt der
Schosse die ganzen Weinstöcke ab, verbrannte die Zweige und sammelte die Asche zusammen. Der Bauer aber ließ sich dadurch nicht aus der Fassung bringen.Am folgenden Tag schickte er ihn auf die Weide, um die Schweine zu hüten und sagte ihm, er solle ja keines fortlaufen lassen. Jakob hielt die Tiere bei den Schwänzen fest; aber plötzlich rissen die Schweine aus und ließen ihm die Schwänze in den Händen.
Noch immer ließ der Bauer keinerlei Zorn darüber merken. Jetzt legte sich Jakob aufs Ohr, ein Schläfchen zu tun. Er hatte dabei nur die Augen geschlossen, die Ohren hielt er jedoch offen. Da hörte er, wie der Bauer zu seiner Frau sagte: «Morgen schicke ich ihn auf den Kirchturm, die Glocken zu läuten. Du machst, daß du vor ihm droben bist, aber ganz weiß gekleidet wie ein Gespenst, um ihn zu erschrecken. Sobald er kommt, mußt du mit Geisterstimme rufen: «Sieben.» Die Frau war damit einverstanden.
Jakob stieg also am andern Tag auf den Kirchturm, die Glocken zu läuten. Er nahm jedoch eine Heugabel mit. Die Frau war richtig auch da, ganz in weiße Tücher gehüllt, und als sie ihn erscheinen sah, rief sie mit geisterhafter Stimme: «Sieben.» Jakob aber versetzte: «Acht.»
Da ergriff er das Gespenst und trug es auf der Heugabel zum Bauer hinunter, der noch im Bette war. Nun gerieten die Frau und der Bauer in Wut und begannen zu fluchen und zu schreien wie Lumpensammer. Jetzt war der Bauer auf das Eis gegangen und hatte die Wette verloren. So mußte er alles Geld; das er auf hinterlistige Weise gewonnen hatte, dem schlauen Jakob und seinen Brüdern zurückgeben.
DIE NICHTSTUERIN
Ein altes Mütterlein hatte eine schöne Tochter. Weil aber die Mutter mit ihren müden Gliedern nicht mehr am Spinnrocken sitzen und den Faden drehen konnte, hieß sie ihre Tochter es tun. Diese aber war zu ihrem großen Kummer zu faul und zu träge zur Arbeit, und sie brachte sie nicht dazu, einen Faden anzurühren. Eines Tages sollte das Mädchen wieder am Spinnrad sitzen, tat es aber nicht. Da geriet die Mutter in die größte Wut, nahm einen Stock, prügelte ihre Tochter und jagte sie zum Hause hinaus, indem sie noch ein Stück weiter hinter ihr drein lief und schrie: «Ich will sie nicht mehr in meinem Hause, ich will sie nicht mehr!»
Eben in diesem Augenblick kam ein junger Mann des Weges gegangen, sah diesen Auftritt, hatte Mitleid mit dem Mädchen und sagte zu der alten Frau: «Was macht ihr mit diesem armen Geschöpf? Schämt ihr euch nicht, sie so zu behandeln?» Die Alte erwiderte darauf schlagfertig, aber mit lügnerischen Worten: «Ach, sie hat einen argen Setzkopf, sie will nichts als den ganzen Tag am Spinnrocken sitzen, und jetzt hab ich keinen Hanf mehr. Darum will ich sie nicht mehr, sie soll selber schauen, wer ihr den Hanf und Flachs geben will!» — «Und aus diesem Grunde schlagt ihr sie auf solche Art? Wo habt ihr denn euren Verstand? Geht mir dieses Mädchen zur Frau, alsdann soll sie von mir Hanf bekommen, soviel sie nur will.»
Die Mutter, froh darüber, diese Faulenzerin auf solche Weise loszuwerden, willigte sogleich ein. Nach kurzer Zeit führte der junge Mann das Mädchen zum Altar, und sie hielten Hochzeit. Dann brachte er die junge Frau in sein Haus, und als die Festlichkeiten vorüber waren, kaufte er ihr eine große Menge Hanf, damit sie nach Herzenslust das Spinnrad drehen konnte. Darob geriet die Frau ordentlich in Verlegenheit und Betrübnis, denn sie konnte und wollte nicht spinnen. Was sollte sie mit dem vielen Hanf nur anfangen?Nach einiger Zeit sagte der Jungvermählte zu seiner Frau: «Morgen geh ich fort in die Welt hinaus, um zu verdienen, und bis ich in einem Jahre und einem Tag wieder komme, muß dieser Hanf zu lauter Faden gesponnen sein.» — «Ja freilich», gab die Frau zur Antwort, «ganz recht, sei nur unbesorgt, bis übers Jahr will ich dir alles getreulich verarbeiten.» Also nahm der Mann Abschied und zog in die Welt hinaus.
Sechs Monate vergingen seit seiner Abreise und die junge Frau hatte noch kein einziges Mal den Spinnrocken in die Hand genommen. Bald waren auch sieben, acht, neun, zehn Monate verflossen, ohne daß die Faule nur eine einzige Spindel voll Faden gedreht hatte. Immer mehr plagte sie jetzt das Gewissen, je näher der Tag heranrückte, wo ihr Mann zurückkehren sollte; immer mehr geriet sie in Aufregung und Bekümmernis. Und wenn sie auch jetzt hätte spinnen wollen, so hätte ihr tatsächlich die Zeit gefehlt, noch rechtzeitig mit der großen Arbeit fertig zu werden und ihr Versprechen zu halten.
Eines Morgens kam ein Brief, worin ihr mitgeteilt wurde, daß ihr Mann in den nächsten Tagen heimkehren werde. Jetzt geriet sie in Bestürzung und zermarterte
ihr Gehirn, wie sie es anstellen sollte, eine Ausrede oder ein Märchen zu erfinden, um ihrem Mann etwas vorzutäuschen. Eines Abends hörte sie auf der Gasse draußen eine Stimme schreien. Es war nicht die gewohnte des Lumpensammlers, sondern eine rauhe, derbe Stimme, welche rief:Houa, houa, houa, Der Spinnermann ist da! Habt ihr den Krampf, Bringt mir den Hanf, Kommt schnell herbei, Sonst ist das Glück vorbei. Holla, holla, holla, Der Spinnermann ist da! Die Faule schaute zum Fenster hinaus und rief den Mann in die Küche herauf. Der schmutzige Fremdling stieg sogleich die Treppe hinauf. Sie zeigte ihm die große Menge Hanf und sagte: «Da, dieser Haufen sollte gesponnen werden, aber ich muß ihn bis Samstag abend fix und fertig haben.» — «Ei, ich kann euch den Faden noch vor dem Samstag fertig gesponnen bringen», erwiderte der Unbekannte. — «Und was verlangt ihr für diese Arbeit?» fragte sie weiter. «Ich will gar nichts dafür. Ihr müßt mir nur, wenn ich den Faden zurückbringe, drei Namen nennen, und wenn unter diesen drei Namen nicht der meinige ist, so trage ich euch samt dem Faden von dannen.» |
Nach diesen Worten nahm der Spinner die fünf Säcke Hanf nacheinander auf den Rücken, lud sie auf einen Karren und ging fort. Jetzt war die junge Frau in noch größerer Verlegenheit als zuvor, und es reute sie, daß sie einen solchen Ausweg gesucht hatte. Wie konnte sie denn nur den Namen jenes fremden
Mannes erraten, den sie noch nie vorher gesehen hatte? Und wohin drohte er, sie wegzuführen, wenn sie seinen Namen nicht wisse? Und was würde dann wohl ihr Mann dazu sagen, wenn er sie nach seiner Rückkehr aus der Fremde nirgends fände? Ach Gott, warum hatte sie ihrer Mutter nicht besser gefolgt und (las Spinnen nicht eifriger gelernt!Am Abend nachher war kein Oel mehr im Hause. Sie nahm also einen Sack voll Baumnüsse und brachte sie in die Oelmühle, wo die Nüsse ausgepreßt wurden, um daraus das Oel zu gewinnen. Diese Oelpresse lag zuhinterst im Tal an einem Wildbach und wurde vom Wasser getrieben.
Als sie hinkam, war es bereits dunkle Nacht geworden. Da sah sie von ferne eine große Helligkeit. Es war ein stark loderndes Feuer, welches ringsum eine große Hitze verbreitete. Vor dem Feuer stand ein Mann, der sang und tanzte, und rings um die Flammen saß eine Schar Frauen, die spannen. Der Mann sang bei seinem Tanz die Worte:
Houa, holla, houa. Der Spinnermann ist da! Daß Beelzebub ich werd genannt, Ist jener Frau noch unbekannt, Und morgen bring ich sie hierher; Nach Hause kehrt sie nimmermehr! |
Sowie die Faule das hörte, atmete sie auf und war froh darüber. «Jetzt weiß ich doch, wie er heißt, und bin zufrieden, daß ich mich nicht mehr zu fürchten brauche.»
Am folgenden Samstag kehrte der geheimnisvolle Spinner wirklich wie versprochen zurück und hatte
wahrhaftig all den vielen Hanf schon gesponnen. Er klopfte an die Tür und sagte: »Also, gute Frau, wißt ihr jetzt meinen Namen?» Und dabei freute er sich bereits im stillen, daß er die Wette gewinne.Und sie antwortete: «Heißt ihr nicht Pietro?»
«Nein -jetzt ist eine Antwort vorbei.»
«Oder Paolo?»
«O nein -jetzt sind's zwei Antworten.,
«Dann heißt ihr gewiß Beelzebub!»
Als der Teufel diese Worte hörte, knirschte er vor Wut mit den Zähnen, warf die Fadenbündel zornig mitten in die Küche und machte sich mit lautem Gebrüll von dannen, um vermutlich wieder das Feuer zu schüren zuhinterst im Talgrunde.
Zwei Tage später sollte ihr Gemahl heimkommen. Da ging die Frau noch geschwind auf die Wiese, sammelte leere Schneckenhäuser und band sich dieselben auf den Rücken. Wie nun der Mann heimkehrte und seine Frau umarmte, hörte er, wie es krack, krack, krack machte, so daß er sie verwundert fragte: «Aber, was kracht denn so an deinem Rücken, daß es scheint, als hättest du alle Knochen zerbrochen?» Und schlau gab sie zur Antwort: «Das zu viele Spinnen, mein lieber Mann, ist daran schuld, das hat mir die Knochen zerbrochen, ach Gott, das zu viele Spinnen!» «Du liebe Frau», erwiderte der Gatte, mein Gott, wenn das so ist, nein, nein, ums Himmelswillen, dann darfst du mir nicht mehr spinnen. Ich will lieber eine ganze Frau und dabei zerrissene Leintücher, als gute Leintücher und eine Frau mit zerbrochenen Gliedern!»
Und wirklich brauchte sie von diesem Tage an nicht mehr ans Spinnrad zu sitzen, und sie lebten hernach glücklich bis an ihr Ende.
RÄTSELHAFTE ANTWORTEN
Es war einst eine ganz arme Familie, die in einem Häuschen zur Miete wohnte. Der St. Martinstag im November, an dem sie den Hauszins hätten zahlen sollen, war bereits vorüber; aber sie hatten noch kein Geld.
Eines Tages war Tarock, ein etwas einfältiger Bursche von achtzehn Jahren, allein zu Hause geblieben und hatte sich auf der Ofenbank am Kaminfeuer ausgestreckt. Da hörte er plötzlich an die Haustür klopfen, und der Besitzer des Hauses trat herein.
«So, so, Tarock, was machst du Schönes?» fragte er den Jüngling.
«Mooh! Ich liege hier und schaue zu, wer hinaufsteigt und wer hinuntergeht.»
«Und dein Vater, wo ist er hingegangen?»
«Mein Vater ist gegangen, ein Loch zu machen, um ein anderes damit zu verstopfen.»
«Und deine Mutter?»
«Meine Mutter ist gegangen, das Brot der letzten Woche zu backen.»
«Und dein Bruder?»
«Mein Bruder ist auf die Jagd gegangen. Diejenigen, die er tötet, läßt er gehen, und diejenigen, die er nicht tötet, die bringt er mit nach Hause.»
«Und deine Schwester?»
«Meine Schwester ist in ihrem Schlafzimmer und weint über die schönen Stunden und das Glück des vergangenen Jahres.»
Verwundert über diese Reden schüttelte der Hausherr den Kopf, denn er konnte nicht verstehen, was diese rätselhaften Antworten zu bedeuten hätten.
Am folgenden Tag kam er wieder und sprach zu Tarock: «Höre, wenn du imstande bist, mir alles zu erklären, was du mir gestern gesagt hast, so schenk ich euch den Hauszins. Du sagtest mir, du hättest zugeschaut, wer hinaufsteige und wer hinuntergehe.»
«Oh. das ist doch sonnenklar: ich schaute den Bohnen zu, wie sie beim Kochen im Kessel auf und niederstiegen.»
«Und dein Vater - sagtest du mir - sei ausgegangen, ein Loch zu machen, um ein anderes damit zu verstopfen.»
«Ja freilich, er ist herumgegangen im Dorf, um Geld zu entleihen, damit er euch den Hauszins zahlen kann.»
«Aber was soll das bedeuten, daß deine Mutter gegangen ist, das Brot von der letzten Woche zu backen?»
«Die letzte Woche hat sie bei unsern Nachbarn Brot entleihen müssen, und jetzt ist sie gegangen, Brot zu backen, um es den Leuten wieder zurückzugeben.»
«Aber wie ist es denn möglich, daß dein Bruder auf die Jagd gegangen ist und diejenigen, die er tötete, laufen ließ, während er jene, die er nicht erlegte, mit nach Hause brachte?»
«Ei, warum soll das nicht möglich sein? Er war in den Wald gegangen, und weil es ihn überall stach, zog er sein Hemd ab, das ganz voll Flöhe war und machte sich auf die Jagd, das Ungeziefer zu vernichten. Diejenigen, die er tötete, ließ er gehen, und die andern, die er nicht erwischte, die brachte er mit nach Hause. Das ist doch ganz klar.»
«Das ist freilich nicht übel, Tarock. Aber sag mir noch, was ist mit deiner Schwester, daß sie in der Kammer droben die schönen Stunden und das Glück des vergangenen Jahres beweint?»
«Letztes Jahr hatte sie einen Verlobten, der brachte ihr allerlei Geschenke und Schmucksachen. Aber jetzt hat sie leider all ihr Glück verloren.»
«Ei, ei, das hast du brav gemacht, mein lieber Junge», sprach der Hausherr. «Du hast mir wirklich alles prächtig erklärt. Darum will ich nun mein Versprechen auch halten. Für dieses Jahr ist also der Haus-Zins bereits bezahlt. Geh schnell, hole deinen Vater zurück und bring ihm diesen Empfangsschein für den Mietzins.»
Und damit ging der Hausherr fort, und Tarock war froh, daß er durch seine klugen Antworten für seine Eltern den Zins hatte verdienen können.
DER SELTSAME GEVATTER
Ein Vater hatte viele Kinder. Da bekam er noch ein Söhnlein. Deshalb ging er aus, um einen Gevatter zu suchen. Er lief dahin und dorthin. Endlich fand er einen Mann, der ihm versprach, seinem Kind Taufpate zu sein. Und richtig schenkte ihm dieser viel Geld und fügte hinzu, wenn er keines mehr habe, solle er nur an einen bestimmten Ort kommen. Dort wolle er ihm geben, und er werde auch zu dem Fest der Taufe sich einstellen.
Als aber der Vater kein Geld mehr hatte und an jenen bestimmten Ort ging, um abermals seinen Sack mit Silbertalern zu füllen, da kam der Pate nicht, und alles Warten war vergeblich. Also machte er sich auf die Suche, lief und lief und fand eine Menge Leute, die vor einem verdorrten Baum standen und weinten. Er fragte sie: «Warum weint ihr?» Und die Leute gaben ihm zur Antwort: «Dieser Baum brachte goldene Aepfel und Blätter hervor, und jetzt ist er verdorrt. Wenn du uns nicht sagen kannst, warum er abgestorben ist, so lassen wir dich nicht weiterziehen.» Und er erwiderte: «Ich will es euch auf dem Rückweg sagen.» Und damit ging er weiter.
Er wanderte über Berg und Tal und begegnete wiederum einer Schar Leute. die weinend um eine versiegte Quelle standen. Er fragte abermals: Warum weint ihr?» Und sie entgegneten: Weil dieser Brunnen, der sonst für die ganze Stadt Oel lieferte, versiegt
ist. Und wenn du uns nicht sagst, wieso die Quelle versiegt ist, lassen wir dich nicht durch.» Und er versetzte: «Ich will es euch sagen, wenn ich wieder zurückkomme. »Dann zog er weiter und gelangte an einen Fluß. Am Ufer war ein Gondelführer, der brachte ihn auf die andere Seite hinüber. Und als sie auf dem Wasser fuhren, sagte der Schiffsmann zu ihm: «Ich bin immer hier und kann nie aus der Barke heraus. Wenn ihr mir nicht sagen könnt, warum, so werde ich euch immer im Schiff behalten und ihr müßt mir Gesellschaft leisten.» Unser Wanderer versprach, es ihm zu sagen, wenn er zurückkomme.
Und damit zog er von dannen, reiste und reiste und fand endlich im Walde eine Höhle. Dort, dachte er, könnte er ausruhen. Eine alte Frau saß darin und rief ihm zu: «Flieh fort von hier, schnell, schnell, denn wenn dich mein Mann hier findet, wird er dich fressen!» Der Bauer aber bat sie, doch über Nacht dableiben zu dürfen, und dann erzählte er ihr, was ihm auf seiner Reise begegnet war. Die Alte meinte, ihr Mann, der Teufel, wisse vielleicht eine Erklärung, und sie versteckte den Fremdling in einem großen Korb, der hinter der Türe stand.
Bald darauf kam richtig der Teufel nach Hause und setzte sich zum Abendessen. Da sprach seine Frau zu ihm: «Denk dir, heute nacht habe ich einen sonderbaren Traum gehabt. Ich sah viele Leute, die an einem versiegten Oelbrunnen standen und weinten. Dann sah ich anderswo wieder viele Menschen um einen dürren Baum herumstehen und jammern; denn der Baum hatte früher goldene Aepfel und Blätter getragen. Und hierauf sah ich einen Gondelführer, der klagte, weil er
nie aus seinem Schiff herauskomme. Wärest du nicht so gut, mir diesen merkwürdigen Traum zu deuten?» Und darnach fing sie an zu singen:Du in dem Korbe, gib wohl acht Und sei auf jedes Wort bedacht. «Was singst du da?» fragte der Teufel. «Ach, das ist ein uraltes Lied, das mich meine arme Mutter gelehrt hat. Aber nun erkläre mir meine Träume!» Der Teufel gab folgendes zur Antwort: »Der Brunnen sprudelt kein Oel mehr hervor, weil die Quelle in der Tiefe mit einem Totenkopf verstopft ist. Der Baum gibt keine goldenen Aepfel und Blätter mehr, weil eine Schlange darunter ist und die Wurzeln abfrißt. Der Fährmann muß, wenn er entrinnen will, warten, bis jemand in die Barke steigt. Dem muß er die Ruder geben, er selbst aber muß ins Wasser springen und ans Ufer schwimmen, dann ist er erlöst.» Und nachdem der Teufel so gesprochen hatte, schlief er ein. Jetzt stieg der Bauersmann aus dem Korbe. dankte der Frau und lief von dannen, so schnell er konnte. Er kehrte zum Flußufer zurück und erzählte dem Schiffsmann alles. Der dankte ihm und ruderte ihn ans andere Ufer. Dann kam er zum Brunnen, ließ den Totenkopf ausgraben und das Oel fing wieder an hervorzuquellen. Zum Dank dafür gaben ihm die Leute ein Viertel Scheffel voll Silberstücke. Hernach gelangte er zum Baum und ließ die Schlange töten. Alsbald wuchsen an den Zweigen wieder goldene Aepfel und Blätter. Da schenkten ihm die Leute zwei Viertel Scheffel voll Goldstücke. |
Jetzt kehrte er froh nach Hause zurück mit seinem Sack voll glänzender Marengo-Taler. Dann ging er zu
seinem Bruder und bat ihn, er möge ihm das kleine Maßgefäß leihen, um etwas zu messen. Der Bruder war ein durchtriebener Schalk und strich ein wenig Pech auf den Boden des Gefäßes. Und als der andere ihm das Maß zurückgab, sah er, daß ein Goldstück daran klebte. Da fragte er ihn, wo er dies herhabe. «Das habe ich im Hause des Teufels erhalten», versicherte der andere schlau.Nun hatte der Bruder keine Ruhe mehr. Er wollte auch hingehen und solchen Reichtum gewinnen. Voller Geldgier machte er sich auf den Weg und gelangte an den Fluß. Und wie der Fährmann vom Ufer abgestoßen war, drückte er ihm die Ruder in die Hand und entrann.
So blieb der arme Kerl nun dort. Und konnte auch bis heut' nicht fort. |
VOM MÄDCHEN.
DAS SICH NICHT KÄMMEN LASSEN WOLLTE
Katharine war ein Mädchen, das sich nie gern den Kopf vom Ungeziefer reinigen lassen wollte. Deshalb sprach seine Mutter zu ihm: Gib acht, die Läuse werden miteinander eine Kette bilden, womit sie dich in einen Abgrund ziehen, und dann kommt der Zauberer und wird dich davontragen.»
Aber das Kind wollte nicht auf der Mutter Worte hören. Eines Morgens, als es noch im Bett lag, und niemand sonst zu Hause war, hörte es eine Stimme rufen: «Katharine, ich bin schon auf der ersten Treppenstufe.» Da schrie das Mädchen: «Mutter, Mutter, komm herauf, komm herauf!» Die Stimme aber rief wieder: «Jetzt bin ich auf dem zweiten, jetzt auf dem
dritten Tritt.» Und schließlich hörte es die Worte: «Katharine, ich bin hier am Fuße des Bettes, Katharine, ich bin hier mit meinem Sack.»Wer mochte das nur sein, der so rief? Das war der Zauberer. Er nahm das Mädchen. steckte es in den Sack, lud ihn auf seine Schultern und rannte davon wie der Wind.
Als die Mutter zurückkehrte und ihr Kind nicht fand, fing sie an zu schreien: «Katharine, Katharine!» Aber sie konnte rufen, so laut sie wollte, das Mädchen gab keine Antwort. Sie suchte es im ganzen Hause, fand es aber nicht, weder weiß noch schwarz noch in roten Stücken. Sie ließ vor Verzweiflung alles stehen, lief hinaus aufs Feld und in den Wald, über Berge und Täler.
Unterwegs begegnete sie einem Holzhauer und fragte ihn: «Habt ihr nicht jemand hier vorübergehen sehen?» Und der Holzhauer erwiderte: «Jawohl, einen häßlichen Mann habe ich gesehen mit einem Sack auf dem Rücken und daraus hörte ich ein Kind laut weinen.» Da raufte sich die Mutter die Haare und rief: «Ach, ich arme Frau, mein Kind, mein Kind!» und fort rannte sie, daß man vor Schnelligkeit nicht einmal mehr ihre Füße sah.
Sie fand noch andere Leute am Wege und richtete an alle die gleiche Frage. Einige versicherten, sie hätten den Mann gesehen; andere dagegen erklärten, sie hätten niemand bemerkt. Endlich, endlich holte die trostlose Mutter den gräßlichen Mann ein. Sie sprang ihm auf den Rücken und klammerte sich mit beiden Händen an ihm fest. «Du abscheulicher Kerl! Auf der Stelle legst du den Sack nieder und lässest mein Kind heraus!»
Jetzt erkannte das kleine Mädchen die Stimme seiner Mutter und rief aus dem Sack: «O Mutter, Mutter, komm zu Hilfe und nimm mich aus dem Sack. Ich will sie mir von jetzt an immer fangen lassen, weißt du, die Läuse!» Nach vielen Bitten ließ der Zauberer endlich das Mädchen heraus, sprach jedoch zu ihm: «Denk wohl daran, ich rate dir gut, daß du von jetzt an deiner Mutter immer schön gehorchst!»
DAS HEMD DES ZUFRIEDENEN MENSCHEN
Vor Zeiten war einmal ein König, der hatte ein Töchterlein. Das wurde schwer krank, und niemand wußte, was ihm fehlte. Deshalb ließ er die besten Aerzte von nah und fern herbeirufen. Der eine riet ihm dieses, der andere jenes Mittel, um die Kranke zu heilen; aber keiner konnte ihr helfen.
Eines Tages langte ein Mann ganz erschöpft bei Hofe an, der von weit, weit herkam und von dem die Sage ging, daß er in seiner Heilkunst einzigartig sei. Der trat an das Lager der Kranken, schaute ihr in die Augensterne und sprach hierauf zum König: «Sire, um eure Tochter zu heilen, braucht es nur ein einziges Ding, ein sehr einfaches Mittel, nämlich das Hemd eines zufriedenen und völlig glücklichen Menschen.»
Sogleich ließ der König alle seine Diener herbeirufen und sagte zu ihnen: «Da hat jeder ein Säcklein Geld, geht überall herum in den Städten und Dörfern des Landes und sucht mir einen zufriedenen Menschen. Und wenn ihr einen gefunden habt, so laßt euch sein Hemd geben und bezahlt dafür jeden Preis. Und wer es mir bringt, bekommt von mir noch eine besondere Belohnung.»
Die Diener machten sich alsobald auf die Reise, und die einen gingen in dieser, die andern in jener Richtung. Zuerst begaben sie sich in die unweit vom Schloß gelegene Stadt. Dort trafen sie auf der Straße einen Herrn an, der war prächtig gekleidet wie ein Graf.
«Seid ihr zufrieden und glücklich?» fragten sie ihn. «Ich, zufrieden? Ich bin eben im Begriff, meine kranke Frau im Spital zu besuchen.» Hierauf traten sie in einen prächtigen Palast ein und fragten den Herrn des Hauses: «Ihr müßt gewiß glücklich sein, da ihr ein so schönes Haus besitzt.» Aber der reiche Mann gab zur Antwort: «Wie kann ich zufrieden sein, wenn ich heute morgen meine einzige Tochter zu Grabe geleitet habe?» Jetzt führte sie der Weg durch einen öffentlichen Garten, und ihr Blick fiel auf einen Herrn, der, seine Zeitung lesend, spazieren ging. Gleich traten sie auf ihn zu und fragten ihn höflich: «Ihr seid gewiß ein glücklicher Mann, mein gnädiger Herr?» Der Gefragte erwiderte: «Seit drei Jahren bin ich krank. Wie ist es möglich, daß ich da zufrieden sein kann?»
Hierauf bogen sie in eine kleine Gasse ein und hörten einen Schuhmacher, der in seiner Werkstatt sang. Sie blieben vor seiner Bude stehen und redeten ihn an: «Euch geht's gewiß nicht schlecht, guter Mann, daß ihr so fröhlich singen mögt.» Und er: «Oh, ich singe nur, um meinen Kummer zu vergessen. Ich habe vierzehn Mäuler, die essen wollen, und nur diese beiden Arme zum Arbeiten. Ich kann nicht einmal meinen Hunger stillen. Nein, singen muß ich bisweilen, um alles zu vergessen, aber nicht, weil ich glücklich bin.»
Enttäuscht zogen sie weiter und traten in ein einfaches Bürgerhaus ein. Eine Frau mit kummervollem Antlitz öffnete ihnen. Auf ihre Frage gab die Frau zur Antwort: «Wie kann ich froh und glücklich sein? Schon seit ein paar Stunden warte ich auf meinen Mann, der gewiß wieder betrunken heimkehrt und alsdann schimpft und tobt. Ich muß Gott danken, wenn er mich nicht wieder schlägt.»
Anderswo trafen sie ein hübsches Brautpaar an, von dem sie gaubten, es wäre vor Glück im Himmel. Aber die beiden entgegneten traurig: «Ach Gott! man hat uns aus dem väterlichen Hause verjagt, und jetzt irren wir umher, um ein Obdach zu suchen.»
Und so richteten sie noch an viele Leute dieselbe Frage; nicht einer aber war mit seinem Schicksal zufrieden, ein jeder hatte irgendeinen Kummer im Herzen.
Da verließen sie die Stadt und gingen aufs Land. Dort klopften sie an ein schönes Häuschen, das ganz in den Bäumen und Blumen versteckt lag und ein wahres Paradies zu sein schien. «Was, zufrieden? Die Hölle habe ich im Herzen», klagte der Hausherr, bei dem sie sich erkundigten. «Meine Frau ist ein wahrer Teufel, ein Unmensch. Und heute morgen ist sie mir davongelaufen.»
Da machten sie sich von dannen und trafen bei einem Bauernhöfe einen Mann, der ganz friedlich aus einer Schüssel seinen Hirsebrei all. «Laßt euch die gute Suppe schmecken, glücklicher Mann», redeten sie ihn an. «Oho, ich glücklich? Schaut einmal da! Seht ihr meinen Jungen?» Und richtig gewahrten sie in einem Winkel seinen Sohn, der wie ein Kälbchen am Boden lag, betrunken und verschmiert war und laut schnarchte wie ein Schwein.
Da hielten sie es für besser, das ebene Land zu verlassen und auf die Berge zu steigen. Unterwegs wollten sie in einer Alphütte Einkehr halten, aber da saß auf der Schwelle ein bleiches, abgemagertes Männlein und stützte sich auf seine Krücken. «Hier brauchen wir nicht noch lange nach dem Glucke zu fragen», sagten sie zu einander und stiegen weiter ins Gebirge hinauf.
Ganz oben, mit der Aussicht auf einen herrlich weiten Horizont und die blauen Tessinerseen, hörten sie einen Hirten singen, der weidete seine Schafe und Ziegen und trällerte froh wie eine Amsel. Die Hofleute stiegen zu ihm hinauf und sprachen ihn an: «Ei, junger Mann, wie glücklich müßt ihr sein in dieser köstlichen Alpenluft! Euch wird nichts fehlen?» «Mir fehlt wahrhaft nichts als die Sonne. wenn sie nicht scheint. Ich bin wirklich froh und glücklich.»«Gut so», sagten die Boten des Königs. «Wollt ihr uns nicht euer Hemd überlassen? Wir werden es euch mit Goldstücken aufwägen.»
«Potztausend, wie schade! Es tut mir leid, daß ich euch nicht damit dienen kann.» Und mit diesen Worten öffnete er sein Wams und zeigte ihnen, daß er nur Hosen und Kittel, aber kein Hemd besaß.
Also kehrten die Boten wieder an den Königshof zurück, und die Prinzessin konnte nicht geheilt werden.
DER VERZAUBERTE KRUG
Lucio war ein Berghirt von etwa fünfundzwanzig Jahren, immer fröhlicher Dinge und bescheiden. Er lebte mit seiner Mutter in einem kleinen Bauernhaus am Abhang des Gebirges. Jeden Morgen führte er seine «Blonde», eine prächtige Kuh, und etwa ein Dutzend Ziegen und Schafe auf die Weide.
Eines Tages fand er halb im Gras versteckt eine altrömische Amphora oder einen Weinkrug. Er nahm ihn in seine rauhen Hände, schaute ihn von allen. Seiten genau an, reinigte ihn von der Erde und sprach dann zu sich selber: «Was soll ich mit diesem Ding anfangen? Wenn es wenigstens ein Kochtopf wäre, so könnte ihn meine Mutter brauchen, um mir am Abend eine gute Reissuppe mit großen weißen Bohnen zu kochen.» Mit diesen Worten warf er den Weinkrug verächtlich weg. «Wäre er wenigstens voll guten Weines gewesen!» rief er aus und gab dem Krug noch einen letzten Blick. Der lag unbeschädigt im Gras und - welch ein Wunder! — aus der Oeffnung des Gefäßes ergoß sich eine rote Flüssigkeit, die das Gras und den Boden benetzte. Lucio lief hin, um genauer zu sehen. Es war Wein. Er nahm aufs neue den Krug, führte ihn an seine Lippen und versuchte. Es war wirklich Wein, und zwar von der besten Sorte. Gierig trank er davon in großen Zügen. In seinem Leben hatte er noch nie so ausgezeichneten Wein getrunken. «Wie konnte ich so dumm sein!» brummte er vor sich
hin, «der Krug war ja voll Wein, und ich habe es nicht einmal bemerkt.»Als die Sonne untergegangen war, kehrte er mit der Herde zu seiner Hütte zurück und brachte der Mutter den Krug mit dem Wein, soviel davon noch übriggeblieben war. Dann erzählte er ihr den Vorfall. Die Alte kostete erstaunt den guten Wein und füllte dann die Feldflasche ihres Sohnes Lucio, damit er auch etwas zu trinken habe am nächsten Tag, wenn er auf den Bergen oben wieder das Vieh hüte. Hierauf stellte sie den Krug, der noch gut bis zu einem Drittel mit dem süßen Trank gefüllt war, auf den Tisch und brachte dann als Abendessen eine gute Suppe und einen ganz zarten Salat herbei.
«Mutter!» rief plötzlich Lucio ihr zu, «habt ihr kein Oel in den Salat getan?» — «Freilich, mein Lieber, aber es war fast keines mehr da.»
«Ja», seufzte der Sohn, «dies Jahr hat das verflixte Hagelwetter uns alle Nüsse von den Bäumen geschlagen. Kein Wunder, wenn jetzt das Nußöl spärlich ist und sehr teuer. Statt einen Krug voll Wein hätte ich wohl besser getan, einen solchen mit Oel gefüllt zu finden.» Dann allen Mutter und Sohn fröhlich miteinander zu Nacht. Hernach hielt die Frau den Weinkrug an den Mund. um einen Schluck zu trinken. Aber es hätte wenig gefehlt, so hätte sie ihn auf den Küchenboden fallen lassen vor Bestürzung, denn der Krug enthielt keinen Wein mehr, sondern war statt dessen mit feinstem Oel gefüllt. «Aber, das ist doch unmöglich», rief sie aus, «der Krug ist ja verhext!»
Lucio wollte sich auch vergewissern. Er goß das Oel in einen andern Krug und sprach hierauf:
Krüglein, liebes Krüglein mein, Füll dich wiederum mit Weint Und augenblicklich ging der Zauberspruch in Erfüllung. |
Jetzt waren Mutter und Sohn glücklich. Sie hatten nun 0el und Wein so viel sie wünschten. Aber Lucio wollte, als er wieder einmal mit seiner Kuh, den Ziegen und Schafen am Abend heimkehrte, ein anderes Wunder probieren. Er trat auf den Krug zu und sprach zu ihm:
Krüglein, liebes Krüglein mein, Füll dich jetzt mit Goldstücklein! |
Und wahrhaftig, das Außerordentliche geschah. Lucio und seine Mutter standen mit weit aufgesperrten Augen da und betrachteten die glänzenden Geldstücke. Lucio leerte den Krug auf den Tisch aus. Hei, wie das klingelte! Und wie viele, viele Goldstücke lagen da! Er füllte damit einen kleinen Sack, der bisher als Salzsack für das Vieh auf der Weide gedient hatte. Darauf stiegen Mutter und Sohn in den Keller hinunter, wo es von gutgelagertem Käse roch und vergruben den Schatz tief in der Erde. Aber sie begruben mitsamt dem Geld auch ihre Fröhlichkeit. In jener Nacht floh der Schlaf aus der sonst ruhigen Hütte, und an seiner Stelle kamen Sorge, Verdacht und Angst zur Tür herein. Mutter und Sohn konnten nicht schlafen, sondern schauten ängstlich umher und spitzten die Ohren. Wenn der Wind draußen pfiff, oder wenn eine Katze über die großen Steine auf dem Dach hüpfte, so glaubten sie, es kämen Diebe, um ihnen den Schatz fortzutragen.
Schon stand die Sonne hoch am Himmel, die Kuh
brüllte, die Geiflen meckerten, und die Schafe blökten kläglich im Stall drüben; aber Lucio mochte nicht aufstehen. Wozu auch? Konnte die Mutter so ganz allein tagsüber im Hause bleiben und das Gold bewachen? Er hatte keine Ruhe mehr. Was sollte er tun? Seufzend schaute die Mutter ihren Sohn an. Sie begriff und erfaßte jetzt ganz, welch großes Unglück mit jenem unerwarteten Geld in die Hütte eingezogen war. Sie stand auf, stieg mäuschenstill in den Keller hinunter, grub das Geld wieder aus, tat es in den Krug und sprach:Krüglein, liebes Krüglein mein, Füll dich wiederum mit Wein! Da verschwand das Gold, und der Krug war bis zum Rand voll süßen Weines. Wieder füllte sie wie jeden Morgen die Feldflasche ihres Sohnes, schnitt einen Laib Roggenbrot in zwei Teile, legte einen hübschen Ziegenkäse dazu und wickelte es in ein Papier ein. Dann ging sie in die Kammer hinüber und sprach liebreich zu ihrem Sohn: «Steh auf, lieber Lucio, steh auf! Es ist schon spät; die Blonde, die Ziegen und die Schafe sollten schon längst auf der Weide sein. Geh mit ihnen zufrieden und glücklich wie früher!» Und das Gold und der Krug?» fragte der Sohn. «Es war nur ein Traum», beruhigte ihn die Mutter. Jetzt begriff er alles. Er küßte seine Mutter zum Abschied und ging in den Stall. Der Tag war selten schön und der Himmel tief blau. Die Blonde, die Schafe und die Geiflen waren froh, die zarten und blühenden Kräuter zu fressen. Und Lucio war es wieder wohl im Herzen. Er fing an, ein frohes Lied zu singen, da er erkannt hatte, daß Gold und Reichtum allein ihn nicht glücklich machen konnten. |
DIE GESCHICHTE
DES DREIZEHNTEN SOHNES
Es war einst ein Vater, der besaß dreizehn Söhne. Er war arm und hatte daher die größte Mühe, sie alle zu ernähren. Den jüngsten, namens Tredicino, hätte er sogar nicht ungern verlieren mögen. Deshalb rief er ihn zu sich und sprach zu ihm: «Tredicino, wärest du imstande, zum Zauberer zu gehen und ihm die Reliquien zu rauben, womit man Sturm und Unwetter zum Aufhören bringen kann?» Tredicino gab zur Antwort: «Ja freilich kann ich das.»
Er nahm einen Sack. füllte ihn mit Steinen und machte sich auf den Weg zu dem Hause des Magiers. Endlich langte er bei dunkler Nacht dort an. Der Zauberer und seine Frau waren schon zu Bett gegangen. Da stieg Tredicino auf das Dach und fing an, Steine darüber hinunterrollen zu lassen. Es war stockfinster, ein Gewitter zog heran und es donnerte. Da meinte die Zauberin, es hagle und stellte eiligst die Reliquien vor das Haus, um das Unwetter zum Stillschweigen zu bringen. Jetzt kletterte Tredicino vom Dach herunter, nahm schnell die Reliquien und trug sie fort nach Hause.
Der Vater glaubte schon, sein Sohn sei umgekommen. Als er ihn aber mit den Reliquien zurückkehren sah, war er ziemlich mißvergnügt und konnte sich damit nicht zufrieden geben. Er rief ihn zu sich und sagte: «Tredicino, bist du imstande, dem Magier die
Bettdecke zu stehlen, obgleich, wie du weißt, daß Glöcklein daran hängen?» Tredicino dachte ein wenig nach und sagte dann: Vater, gib mir einen Sack voll Baumwolle, damit ich die Glöcklein der Decke einwickeln kann.» Der Vater verschaffte ihm die gewünschte Baumwolle. Dann nahm der Sohn den Sack auf den Rücken und ging fort.Es war schon dunkle Nacht, als er beim Hause des Magiers anlangte. Dieser schlief bei offenem Fenster. Tredicino kletterte leise aufs Fenstergesimse, trat in das Schlafzimmer, versteckte sich unter dem Bett und fing an, ein Glöcklein nach dem andern mit Baumwolle einzuwickeln. Dann begann er plötzlich an der Decke zu zupfen. Der Magier meinte, es seine Frau und rief ihr zu: «Heda, laß doch meine Decke in Ruhe!» Und sie: «Ich rühre sie ja gar nicht an!» Tredicino wartete ein Weilchen. Dann fing er wieder an zu zerren. Zornig schoß jetzt der Zauberer in die Höhe und wollte seine Frau schlagen; aber sie lag schnarchend neben ihm. Nach einer Weile begann Tredicino noch stärker zu zupfen. Da sprach der Magier zu seiner Frau: «So nimm doch die Decke ganz, wenn du sie willst», und ließ sie los. Die Decke fiel auf den Boden. Flink hob Tredicino sie auf, schlich damit, so still er konnte, zum Fenster hinaus und brachte sie seinem Vater nach Hause.
Als dieser sah, wie sein Sohn wirklich mit der Bettdecke des Zauberers dahergelaufen kam, blieb er zunächst vor Erstaunen wie versteinert und wußte nicht was sagen. Eine Weile später fragte er ihn: «Tredicino, bist du wohl auch imstande, dem Zauberer den Papagei zu stehlen?» «O ja, das wird mir nicht schwer fallen», versetzte der Sohn bereitwillig. Er ließ sich ein
Säcklein voll Bonbons und verzuckerter Früchte geben und machte sich damit auf nach der Wohnung des Zauberers. Dort trat er in die Schlafkammer, hielt dem Papagei die Zuckersachen hin und streckte dann die Hand aus, um ihn zu fassen. Der Vogel aber schrie sogleich: »Mein Herr und Meister, Tredicino will mich nehmen!» Schnell versteckte sich der Knabe hinter dem Vorhang. Der Magier kam sogleich dahergelaufen, sah aber niemand im Zimmer und glaubte, der Papagei halte ihn wie schon öfters zum Narren. Eine Weile darauf nahm Tredicino den Papagei und brachte ihn nach Hause.«Ach, du Tausendskerl von einem Dieb!», sprach der Vater zu ihm, als er ihn wieder daherkommen sah, «ist es möglich, daß der Zauberer dich gar nicht behalten will?» Er nahm den Papagei in Empfang und fügte dann hinzu: «Jetzt mußt du hingehen und mir den Zauberer selbst samt seiner Frau herbringen!»
Tredicino dachte ein wenig darüber nach, wie er dies anstellen könnte. Dann verschaffte er sich eine Perücke und einen falschen Bart, verkleidete sich bis zur Unkenntlichkeit, ließ einen großen Sarg machen, trug diesen auf seinen Schultern unter das Fenster des Magiers und fing daselbst an zu rufen: «Wer will diesen Totenschrein kaufen?» Die Zauberin lehnte sich zum Fenster hinaus, um nachzuschauen, und sagte dann zu ihrem Mann: «Wir könnten doch den Sarg kaufen, dann ist er, im Falle wir sterben, schon fix und fertig bereit.» Der Zauberer rief Tredicino zu sich und sprach zu ihm: «Ich würde diesen Sarg wohl kaufen, nur möchte ich ihn vorher noch probieren, ob er groß genug ist für mich.» «Oh, er dürfte gerade passen in der Größe», gab Tredicino zur Antwort. Da legte
sich der Zauberer seiner ganzen Länge nach hinein, und der Sarg paßte ausgezeichnet in der Größe. Darauf stieg die Zauberin ebenfalls hinein, und auch sie hatte neben ihrem Manne ganz bequem Platz.Nun wollte Tredicino probieren, ob der Deckel immer noch passe, und sobald er ihn richtig hingelegt hatte, setzte er sich oben drauf, nagelte den Totenschrein zu, und die beiden Ungeheuer waren schön in die Falle gegangen. Hernach lud er den Sarg auf seinen Rücken und brachte ihn zum König, welcher demjenigen eine große Belohnung versprochen hatte, der ihm die Bösewichter tot oder lebendig überbrachte.
Der König schenkte ihm auch in der Tat einen Sack Gold, und Tredecino brachte den Reichtum seinem Vater nach Hause. Jetzt umarmte ihn dieser voller Freude und sah wohl ein, daß Tredicino, obwohl der jüngste und kleinste, soviel wert war wie alle andern zwölf Söhne zusammen und noch einen Soldo dazu.
VON HANS UND DEM HINKENDEN TEUFEL
Als Hans zwanzig Jahre alt wurde, packte er seine Siebensachen in ein Bündel, nahm einen Sack voll Brot und einen zweiten voll Zwiebeln und zog in die Welt hinaus. Unterwegs aber bekam er Hunger, setzte sich an den Wegrand und all ein Stück Brot und vier Zwiebeln. Da kamen zwei alte Männer herzugewandert, und einer von ihnen sprach zu ihm: «Mein Sohn, würdest du uns ein wenig von deinem Essen geben?» — «Jawohl, sogleich, kommt nur herbei und nehmt mit dem wenigen vorlieb, was da ist.» Also setzten sie sich hin und aßen miteinander. Die beiden Alten waren aber niemand anders als Sankt Paulus und der liebe Gott. Nachdem sie mit Essen fertig waren, nahmen sie Abschied und wanderten ein Stück weit auf der Straße dahin. Da sprach der liebe Gott zu Sankt Paulus: «Geh zu dem wackern Jüngling zurück und sage ihm, daß ich der liebe Gott sei, und ihm zum Dank für seine Herzensgüte und Mildtätigkeit zwei Wünsche erfüllen wolle: aber ich rate ihm, vor allem solche zu äußern, die ihm helfen können, seine Seele zu retten.»
Sankt Paulus begab sich sogleich zum Jüngling und richtete die Botschaft aus. Hans dachte ein wenig darüber nach, was er sich wünschen solle und sagte dann: «Ich wünsche mir, daß alles, was ich will, in meinen Sack hineingehen muß und nicht wieder heraus kann, bis ich es sage.»
»Gut so! Und wie lautet der zweite Wunsch?»
Hans dachte wiederum darüber nach und erwiderte hierauf: «Ich habe daheim einen Feigenbaum in meinem Garten nahe beim Haus, und ich wünschte, daß alle, die hinaufsteigen, um heimlich davon zu pflücken, solange droben bleiben müssen, bis ich ihnen ein Zeichen gebe, wieder herunter zu steigen.»
«Aber warum bittest du nicht um die Gnade, geradenwegs ins Paradies eingehen zu dürfen?» fragte Paulus. «Das will ich mir ganz allein verdienen, ohne jemand darum zu bitten.» «Nun also, wenn es dir so gefällt, tu, was du willst!»
Sie sagten sich Lebewohl, und ein jeder zog auf seiner Straße weiter. Hans wanderte und wanderte viele Tage. Da kam er in eine Stadt, wo er viele Leute auf dem Marktplatz sah, die geschäftig und aufgeregt eine wichtige Sache besprachen. Er fragte, was da los sei, und sie gaben ihm zur Antwort: es hause ein Teufel mit zwei kleinen Teufelchen in jenem Rathaus, und wenn jemand am Morgen in den Palast gehe, so sei er, bevor die Sonne untergehe, tot, und die Leute kämen in Prozession, um ihn mit dem Kruzifix abzuholen und ihn auf den Friedhof zu bringen.
Hans meinte: «Nun gut, so will ich hineingehen.»
«Nein, Gott bewahre», rieten ihm die Leute ab, «geht nicht hinein, sonst seid ihr bis morgen nicht mehr am Leben!» Aber Hans ließ sich nicht abhalten und begab sich zum Rathaus. Unterwegs verschaffte er sich in einem Laden ein wenig Brot, Reis und Wein, sowie ein Kartenspiel, und dann trat er mit seinem Sack auf den Schultern in den Palast hinein. Es war bereits Abend. Um Mitternacht sollte der hinkende Teufel erscheinen. Um halb zwölf hängte Hans die
Bratpfanne an die Kette über das Kaminfeuer und fing an. seinen Risotto zuzubereiten. Schon war er mit dem Reisgericht beinahe fertig, als er eine fürchterliche Stimme vom Kamin herab erschallen hörte, welche rief: «Ich werf hinab, ich werf hinab!» «So wirf doch herab, was du willst», gab Hans zur Antwort, «nur rühr mir meine Pfanne nicht an!» Und siehe, da warf der Teufel ein Teufelchen durchs Kamin hinab, dann noch eines, und endlich kam er selbst herabgesaust. Dann blieben alle drei Teufel verwundert und gekränkt stehen und keiner redete ein Wort. Hans richtete seinen Risotto an und setzte sich hin, um zu essen. «Nun», sprach er zu den drei Teufeln, «was steht ihr dort? Wollt ihr ein wenig mithalten? So kommt herbei und esset auch davon!» Aber sie blieben stumm. Als er seine Schüssel ausgegessen hatte, rief er ihnen zu: «Wohlan, herbei, setzt euch zu mir, wir wollen ein Kartenspiel miteinander machen, aber unter einer Bedingung: wer gewinnt, muß im Palast bleiben und wer verliert, muß hinausgehen und darf nie wieder in dieses Haus hinein.» Sie machten also ein Spiel; Hans gewann die Partie; aber der Teufel wollte das Haus nicht verlassen. Da rief Hans: «Im Namen Gottes müßt ihr alle in meinen Sack!» Und da blieb dem Teufel samt seinen zwei Gesellen nichts anderes übrig, als in den Sack zu kriechen. Flugs band ihn Hans zu, gab dem Sack einen Fußtritt und schob ihn so vor sich hin zum Rathaus hinaus. Da schrie der Teufel: «Laß mich los, laß mich los, Hans, mach doch den Sack auf!» Aber er: «Stirb, du Unhold!» Die Stimme erscholl jedoch neuerdings aus dem Sack: «So laß mich doch los, um des Teufels willen!» Hans erwiderte: «Wenn du mir zeigen willst, wo der Schatz begraben liegt, und du mir ein mit deinem eigenen Blut geschriebenes Schriftstück gibst, daß du nie mehr in diesen Palast zurückkehrst, dann will ich dich befreien.» Der Teufel war jedoch damit nicht einverstanden. Als Hans die Treppe hinuntergehen wollte, sah er von unten herauf eine Prozession von Leuten emporsteigen. Sie trugen eine Totenbahre und waren gekommen, um ihn zu Grabe zu geleiten. Da schrie er ihnen entgegen: (Aber was bringt ihr da? Seid ihr verrückt geworden, ihr da?» Die Leute ließen vor Entsetzen Kruzifix und Totenbahre fallen und rannten Hals über Kopf davon. Hans dachte bei sich: «Aber was sind das für merkwürdige Menschen? Die wollen mich begraben bei lebendigem Leib!»Dann ging er zu einem Schmied und bestellte bei ihm einen so dicken Eisenpfahl, daß es zwanzig Männer brauchte, um ihn zu tragen. Noch ehe es Abend wurde, kamen die zwanzig Männer mit dem Eisenpfahl und fingen an, auf den Sack loszuschlagen. Die Teufelchen waren nach wenigen Schlägen tot, aber der alte Teufel hatte eine zähe Haut. Er schrie in einem fort, man solle ihn laufen lassen. Aber Hans entgegnete: (Wohlan, so zeig mir vorerst, wo der Schatz verborgen liegt», worauf der Teufel erwiderte: So öffne den Sack, nimm eine Hacke und folge mir.» jetzt machte Hans den Sack auf und ließ den Unhold heraus. Dieser führte ihn in der Nähe zu einem Baum und sprach zu ihm: (Da grab die Erde auf, an dieser Stelle hier!» Aber Hans erwiderte: «Grab du nur selbst.» Da mußte der Teufel den Rücken krümmen und graben. Und wirklich stieß er auf etwas Hartes und zog einen Siedkessel voller Goldstücke heraus. Dann gab er ihm einen Schein, mit dem eigenen Blut
geschrieben, worin er versprach, nie mehr in jenen Palast zurückzukehren. Hierauf verschwand er. Hans brachte den gefundenen Goldschatz ins Rathaus, übergab ihn der Behörde, ließ sich reichlich bezahlen und kehrte nach seinem Vaterhaus in die Heimat zurück.Dort nahm er eine Frau und erhielt später ein Söhnlein. Bei der Taufe wollte er den gerechtesten Mann, den es auf der Welt gebe, zum Paten nehmen. Und er machte sich auf die Reise, um ihn zu suchen. Wieder begegnete er auf seiner Wanderung jenen zwei alten Männern, die ihn fragten: «Wo gehst du hin?» Und er: «Ich gehe aus, den gerechtesten Mann der Welt zu suchen, um ihn für die Taufe meines Söhnchens zum Gevatter zu bitten.» Da fragte Sankt Paulus: «Und wäre ich dir nicht gut genug dazu?» — «O nein!» — «Und ich?» fragte der liebe Gott. «Nicht einmal du!» — «Ei warum denn?» «Damals, als du die Welt erschaffen hast, hast du Reiche und Arme, Gesunde und Kranke durcheinander gemengt. Statt dessen sollten doch alle Menschen gleich sein. Also nicht einmal du, mein Herr und Gott, bist gerecht gewesen. Und du, Paulus, nimmst seine Partei an und hältst zu ihm.»
Und mit diesen Worten trennten sich die Wanderer und zogen jeder seine Straße. Eine Strecke weiter begegnete Hans einem Skelett, das eine Sichel in der Hand trug. Wer mochte das sein? Es war der Tod, der ihn fragte: «Wohin gehst du?» — «Ich bin auf der Suche nach dem gerechtesten Manne auf dieser Welt, damit ich ihn zum Paten meines Sohnes mache.» Und der Tod entgegnete: «Bin ich dir nicht gut genug? Schau doch, wie gerecht ich bin. Ich trete zu jeder Stunde in alle Häuser ein. Ich erlöse alle gleichermaßen von jedem Uebel, und ich schaue niemandem ins
Gesicht, er sei reich oder arm.» — «Du hast recht», versetzte Hans, «du bist der einzig Gerechte in dieser Welt.» Und sogleich nahm er sein Anerbieten an. Die Taufe wurde gefeiert, und der Tod amtete als Gevatter. Nach sieben Jahren jedoch starb das Kind, und die Mutter folgte ihm bald darauf im Tode nach.Hans selber war mit den Jahren auch alt geworden, und eines schönen Tages kam der Tod und wollte auch ihn mitnehmen. «Ach, Gevatter», sagte er zu ihm, «du hast mir einen schlechten Dienst erwiesen. Du hast mir mein Kind und meine Frau weggenommen, und nun bin ich ganz allein übrig geblieben!» — «Ich hab es dir ja gesagt», beruhigte ihn der Tod, «daß ich niemanden verschone.» — «Nun gut, so schau doch. Jetzt habe ich soeben eine Menge Birnbäume, Feigen- und Kastanienbäume angepflanzt, und ich möchte diese so gerne groß werden sehen und ihre Früchte dereinst genießen. Laß mich noch hundert Jahre leben!»
»Du verlangst wirklich etwas Ungerechtes von mir, der ich gerecht bin! Aber um dir ein Geschenk zu machen, darfst du noch hundert Jahre hier auf der Erde bleiben.»
«Gut so», erwiderte Hans vergnügt. Hundert Jahre später klopfte der Tod wiederum an seine Tür. Hans gab zur Antwort: «Wohlan denn, höre, was ich dir für einen Vorschlag mache. Bevor ich mit dir komme, wollen wir einmal Karten spielen. Gewinne ich, so mußt du mich noch weitere hundert Jahre leben lassen. Verliere ich, so ist's um mich geschehen.» Der Tod war einverstanden, und sie fingen an zu spielen. Hans gewann, und der Tod mußte unverrichteter Dinge abziehen.
Hundert Jahre darnach stand der Tod neuerdings an
der Tür. «Kommst du jetzt oder nicht?» fragte er Hans. «Nun gut, schau doch, während ich in die Kammer gehe, um die Zoccoli abzuziehen und die Schuhe anzulegen, steigst du auf jenen Feigenbaum dort und issest dich satt nach Herzenslust.»Der Tod stieg hinauf und aß, bis er genug hatte. Aber als er satt war, konnte er nicht mehr hinunter und rief Hans um Hilfe. Dieser kam herbei und erklärte: «Ich will dir herabhelfen, aber nur unter der Bedingung, daß du mich noch weitere hundert Jahre leben lässest.» — «So leb doch so lange du willst, doch paß wohl auf, am Ende bist du es, der kommen wird, mich zu rufen, ich solle dich holen.» Also stieg der Tod vom Baum und machte sich davon. Schließlich aber wurde Hans des Lebens müde, und die Leute sagten oftmals: «Stirbt denn dieser Alte nie?» Seine Feigenbäume und Birnbäume waren in dieser langen Zeit groß geworden. Sie hatten längst Früchte getragen, und einige waren bereits zu Brennholz zersägt worden. Da rief Hans den Tod herbei. Dieser kam sogleich, nahm ihn bei der Hand, und so gingen sie zusammen in die andere Welt.
Hans dachte, es wäre das beste, zuerst in die Hölle hinabzusteigen. Auf der Türschwelle fand er aber den hinkenden Teufel, der, sobald er ihn sah, ausrief: «Fort da mit diesem abscheulichen Kerl, der uns das ganze Haus zu unterst und zu oberst kehrt. Weg von hier mit euch, der ihr uns alle Teufelchen umbringt!» Und er jagte ihn von der Hölle fort.
Jetzt stieg Hans empor zum Paradies: «Tock, tock!» «Wer ist da?» fragte Sankt Petrus. «Ich bin es, der Hans. Ich wollte meinem Freund Paulus einige Worte sagen; bitte, tu mir den Gefallen und rufe ihn herbei!»
Sankt Petrus fing an zu rufen: «Paulus, Paulus!» Und während er so rief und in die Ferne schaute, warf Hans seinen Sack zur Pforte des Paradieses hinein und sagte: «Auf Befehl Gottes springe ich in meinen Sack hinein.» Und damit schlüpfte er flink ins Paradies und versteckte sich im Sack.
Als Sankt Paulus herbeikam und ihn darin entdeckte, sagte er: «Wir können ihn nicht von hier vertreiben, Petrus, denn jener Sack dort ist sein eigen.» Und so blieb Hans fortan im Paradies.
DER DIENER IST KLUGER ALS SEIN HERR
Vor Zeiten lebte ein Abt, der aß, trank, schlief und ging immer mit hocherhobenem Kopf, ohne an etwas zu denken, spazieren. Ein König, der ihn kannte, sagte zu sich selbst: «Ich will diesem Mann einen Kummer bereiten, denn er scheint keinerlei Sorgen und Verdruß zu haben.» Also rief er ihn zu sich und sprach: «Herr Abt, ihr müßt mir folgende drei Dinge erraten:
Zum ersten: Wie viele Meilen ist es von der Erde bis hinauf zum Himmel?
Zum zweiten: Wie viele Armeslängen tief ist das Meer?
Zum dritten: Was denke ich in diesem Augenblick?
Wenn ihr mir innert zwei Tagen keine Antwort darauf bringen könnt, so ist's um euch geschehen.»
Da kehrte der Abt voller Betrübnis nach Hause zurück. Er mochte nicht mehr essen, nicht trinken, nicht schlafen, nicht mehr spazieren gehen und ließ seinen Kopf hängen. Er mußte nur noch nachsinnen und denken. Sein Diener fragte ihn, was er habe, und er erzählte ihm alles, was der König zu ihm gesprochen hatte. «Nun gut», meinte der Diener, «ist das alles? Warum quält ihr euch deswegen so? Es ist doch das leichteste, was man sich denken kann. Gebt mir, gnädiger Herr, eure Kleider und laßt mich nur machen. Ich will für euch hingehen.» Und wirklich verkleidete sich der Diener als Abt, verschaffte sich zwei große Knäuel. den einen aus Schnur, den andern aus Zwirn und begab sich damit zum König. Sobald dieser ihn
sah, fragte er ihn, ob er seine Antworten bereit habe. «Ja freilich, gnädiger Herr», erwiderte der Diener. Er zeigte ihm den Knäuel Schnur und fügte bei: «Diese Schnur ist gerade so lang wie die Entfernung von der Erde zum Himmel hinauf. Wenn Euer Gnaden es nicht glauben, so belieben Sie es selbst nachzumessen.»Dann packte er den andern Knäuel aus und sprach: «So lang als dieser Zwirn ist die Tiefe des Meeres, und mit diesem Ende kann man gerade noch den Meeresgrund berühren. Will Eure Herrlichkeit es nicht glauben, so lasset es selbst nachmessen.»
Ja freilich», entgegnete der König, «jetzt aber kommt der Augenblick, wo ich dich besonders prüfen will. So sag mir doch, was denke ich in diesem Augenblick?» — «Ihr denket, ich sei der Abt, mit dem ihr zu reden glaubt; aber das ist ein Irrtum. Ich bin nur sein Diener.» Da wurde der König zornig. Er ließ einen Kapaunbraten, der für die königliche Tafel schön fertig zubereitet war, herbeitragen und sagte zum Diener: «Wie du jetzt mit diesem Hahnenbraten verfährst, so will ich an dir handeln. Schneidest du ihm ein Bein ab, so hau ich dir eins ab, schneidest du aber den Kopf ab, so mach ich es mit dir ebenso.» Da schaute der Diener dem Hahn auf den Kopf, nahm ein Messerlein und hieb ihm sorgfältig den Hahnenkamm ab. Dann wickelte er ihn in ein Papier und steckte ihn in die Tasche. Hierauf wandte er sich zum König und sprach:
Den Kamm, Herr König, schneidet Ihr mir nicht ab. Ich bin nur ein Diener, eine Kron' ich nicht hab. |
So half der Diener seinem Abt aus der Verlegenheit und ging wieder zurück zu seinem Herrn.
DIE FEDER DES VOGELS GREIF
Ein König war schon seit Jahren krank. Kein Arzt wußte ein Mittel zu finden, um ihn zu heilen. Da hörte er von einem weisen Manne, der als Einsiedler in einem Walde wohne und für jegliche Krankheit ein Heilmittel wisse. Der Eremit wurde gerufen. Er kam an den Hof, untersuchte den König und erklärte, um ihn wieder gesund zu machen, brauche man die Feder des Vogels Greif. Diese müsse man im Zauberwald suchen.
Nun hatte der König drei Söhne, und er versprach demjenigen die Nachfolge in der Regierung, der ihm die Feder des Vogels Greif bringen könne.
Alle drei machten sich auf den Weg, um dieses Wunderding zu erlangen. Sie kamen in eine Stadt, wo die zwei ältern Brüder sich für einige Zeit ausruhen und bei allerlei Spiel und Tanz sich belustigen wollten, indessen der jüngste ohne Rast weiterzog. Ihm war es gar nicht darum zu tun, der Nachfolger auf dem Königsthron zu werden. Er hatte kein anderes Bestreben, als dem Vater so schnell wie möglich Heilung zu bringen.
Wo er am Wege ein armes oder leidendes Wesen fand, tat er ihm Gutes, gab ihm von seinem Essen oder verband ihm seine Wunde. Schließlich gelangte er nach langer, mühseliger Reise in die Nähe des Zauberwaldes und sah dort viele Leute versammelt. Er fragte einen Hirten, was es hier neues gäbe, und dieser antwortete:
«Wißt ihr es nicht, daß heute der Vogel Greif in diesen Wald geflogen kommt? Er hat Federn in allen Farben des Regenbogens. Und denkt euch, er kommt nur alle hundert Jahre. Von seinen Federn gibt er aber bloß eine her, und die schenkt er nur einer Person, die er sich selber aus der Menge aussucht. Jene Feder besitzt die Zauberkraft, jegliches Ungemach zu heilen.»Der Königssohn dankte dem Hirten für die Auskunft und schloß sich der Schar der Leute an. welche durch den Wald zogen und sich auf einer Waldwiese versammelten. Bald darauf kam auch richtig ein großer Vogel mit Schwingen, mächtig wie ein Adler, dahergeflogen, dessen Gefieder in allen Farben wunderbar glänzte. Der Vogel kreiste eine Zeitlang über der Menge und flog zuletzt auf die Schultern des Jünglings, öffnete seinen Schnabel und sang die Worte:
Ich bin der Vogel Greif genannt, Nach dem der König dich gesandt, Nimm hier die Feder aus meinem Flügel, Die Heilung bringt in Not und Uebel! |
Der Königssohn nahm die Feder in Empfang, worauf sich der Vogel wieder in die Lüfte schwang und den Blicken aller Zuschauer entschwand.
Hierauf kehrte der Jüngling mit seiner Zauberfeder so schnell als möglich nach Hause zurück, um seinem Vater rasch Heilung zu bringen. Sein Weg führte jedoch über weite Gebirge und durch tiefe Täler. Als er schon bald wieder zu Hause war, traf er unterwegs seine beiden Brüder an, die darüber ärgerlich waren, die Feder nicht gefunden zu haben. Voller Freude zeigte er ihnen sein Kleinod. Da wurden sie neidisch
und eifersüchtig auf ihn und beratschlagten heimlich, wie sie ihn umbringen und ihn seiner Feder berauben könnten.Auf ihrer Rückkehr mußten sie durch einen dunkeln. einsamen Pinienwald, Scivola genannt. Plötzlich gaben sich die beiden ältern ein Zeichen, fielen über ihren jüngsten Bruder her, durchbohrten ihn mit ihrem Degen und brachten ihn ums Leben. Darauf nahmen sie ihm die Zauberfeder weg, legten seinen Leichnam auf den Waldboden, deckten ihn mit Laub zu und ergriffen die Flucht.
Zu Hause angelangt, heilten sie ihren Vater mit der Feder des Vogels Greif. Kaum aber war der König wieder hergestellt, so fragte er: «Wo bleibt nur mein jüngster Sohn, euer Bruder, der mich so von ganzem Herzen lieb hatte?» Und sie entgegneten: «Wir wissen es nicht. Er wollte allein des Weges ziehen; wir haben ihn sechs Tage und sechs Nächte gesucht und nirgends gefunden. Vielleicht ist er beim Durchwaten eines Flusses ertrunken, oder er hat sich verirrt. Dann wird er sicher bald wieder zurückkommen.»
Eines Tages aber geschah es, daß ein kleiner Hirtenknabe, welcher die Schafe und Ziegen hütete, in jenen Wald von Scivola geriet, wo der Königssohn umgekommen war. Er sah einen Haufen Laub und dazwischen versteckt bemerkte er einen Zweig. Er schnitt davon eine Rute ab, schälte die Rinde weg und machte sich eine Hirtenpfeife daraus. Dann hub er an zu pfeifen, und es ertönte folgendes Lied:
Mein Freund, mein Freund, ein Leid mir geschah; Es war im Walde von Scivola. Ein Bösewicht mich dort erschlug, Weil ich die Greifenfeder trug. |
Also begab sich der Hirtenknabe zum Königspalast. Der König hörte das Lied und fragte erstaunt: «Aber sag doch, bist du es, oder ist es die Pfeife, welche so singt?» Und der Knabe entgegnete: «Es ist meine Hirtenpfeife. Ich habe sie selber geschnitzt aus einem Zweig, den ich im Wald gefunden. Wenn es Euch unglaublich scheint, mein Herr und König, so versucht es selbst, darauf zu spielen.» Der König nahm die Hirtenflöte und hub an zu pfeifen. Und siehe, diesmal ertönte folgendes Liedchen:
Mein Vater, mein Vater, ein Leid mir geschah; Es war im Walde von Scivola. Ein Bösewicht mich dort erschlug, Weil ich die Greifenfeder trug. Darauf rief der König seinen ältesten Sohn herbei und hieß ihn spielen. Jetzt ließ die Flöte folgendes hören: |
Mein Bruder, mein Bruder, ein Leid mir geschah; Es war im Walde von Scivola. Du warst es selbst, der mich erschlug, Weil ich die Greifenfeder trug. |
Als der älteste Sohn diese Worte hörte, sank er vor Schrecken wie tot zu Boden. Bald darnach kam auch der zweite Sohn. Auch er mußte spielen und bekam die gleichen Worte zu hören. Da wurde er grün im Angesicht vor Reue und Scham. Jetzt erkannte der Vater das Verbrechen, das sie an seinem jüngsten Sohn
begangen hatten. Im ersten Zorn hätte er seine beiden treulosen Söhne beinahe zum Tode verurteilt. Doch ließ er Gnade walten und sprach: «Vor kurzem ist auf meinem Landgut Saliceto der Pächter gestorben. Es ist das unfruchtbarste Gut unter meinen Besitzungen. Zieht sofort eure schönen Gewänder aus, legt Bauernkleider an, nehmt eine Hacke und geht auf dieses Landgut, um die Kühe und Schafe zu hüten, das Gras zu mähen, die Erde umzuhacken und sie mit dem Schweiß eures Angesichts zu netzen!»Also mußten die beiden Brüder ihr väterliches Schloß verlassen und schwere Arbeit verrichten, um ihre Schuld zu sühnen. Mit der Zeit wurde es ihnen klar, daß kein Verbrechen sich auf die Dauer verbergen läßt, sondern daß es früher oder später ans Tageslicht kommt und gesühnt werden muß.
DER OELKRUG
UND DIE SCHWATZHAFTE FRAU
Battista war aus dem Tessin in ferne Länder ausgewandert und hatte dabei viel Geld verdient, aber als er zurückgekehrt war, lebte er in Sorge darüber, wo er es verbergen sollte, denn er hatte ein wahres Plappermaul zur Frau, die kein Geheimnis für sich behalten konnte.
(Wenn meine Frau das viele Geld sieht», dachte er bei sich, dann geht sie hin und erzählt es überall. Hernach kommen die Diebe und stehlen mir meine Habe.» Darauf kam ihm in den Sinn, seine Goldvogel in einem Oelkrug zu verstecken und dann unten im Obstgarten zu vergraben. Also ging er in die Küche, schaute sich daselbst um und suchte den Oelkrug.
(Was willst du mit diesem Oelkrug machen?» fragte die Frau.
Schweig doch!», gab er zur Antwort, füllte ihn heimlich mit Goldstücken und deckte ihn wieder zu. Aber seine Frau fragte:
(Ei, was ist da in dem Oelkrug drin?»
Schweig doch!»
(Warum ist er so schwer?»
«Schweig doch!»
(Warum tönt er so merkwürdig?»
(Ach, schweig doch!»
Darauf ging er in den Garten, grub ein Loch, stellte den Topf hinein und deckte ihn wieder mit Erde zu. Die Frau jedoch fing wieder an:
«Warum hast du ihn vergraben?»
«Ach, schweig doch und laß mich in Ruhe!»
Darauf ging sie hin und erzählte einer ihrer Gevatterinnen, wie ihr Battista einen Oelkrug voll «Schweig doch» vergraben und ihn in einem Loch namens «Schweig doch» versteckt habe.
Die Gevatterin begegnete einer andern und erzählte das Geheimnis weiter, und diese hinwieder überbrachte die Neuigkeit einer dritten, so daß die Sache bald überall im Dorf herum besprochen wurde. Es waren aber auch einige Spitzbuben in der Gegend, die merkten bald, was für ein Ding hinter diesen Worten stecken könnte. Sie gingen hin, suchten nach und sahen auch richtig, daß an einer Stelle die Erde frisch umgegraben war. Sie gruben nach und entdeckten wirklich den Oelkrug mit den blanken Goldstücken darin. Eiligst nahmen sie das Gold heraus und ließen den leeren Oelkrug in der offenen Grube liegen.
Als die Hausfrau in den Garten kam und die Bescherung sah, lief sie sogleich zu ihrem Mann und sagte zu ihm: «Weißt du schon, daß die Mäuse all das ,Schweig doch' gefressen haben, das du in dem Oelkrug versteckt hattest?» Zu spät erst erkannte jetzt der Mann, daß er durch das dumme Plappermaul seiner Frau sein ganzes, mühsam verdientes Vermögen verloren hatte.
JOHANNES OHNE FURCHT
In einem Dorfe war ein Haus zu vermieten. Mehr als hundert Personen hatten schon darin gewohnt. Sie konnten es aber nur einen Tag, einen Abend und eine Nacht darin aushalten, und am nächsten Morgen gaben sie dem Besitzer wieder die Hausschlüssel zurück, weil sie um keinen Preis mehr dort bleiben wollten. Solange es heller Tag war, ging alles ganz gut. Sobald es jedoch an der Dorfkirche Ave Maria geläutet hatte und es dunkel wurde, geschah ein seltsamer Geisterspuk nach dem andern, und besonders in den oberen Stockwerken hörte man ein unheimliches und unerträgliches Gepolter. Dies dauerte die ganze Nacht bis zum Ave Maria-Läuten am andern Morgen.
Einstmals wollte ein Schuhmacher jenes Haus zur Miete nehmen. Der Besitzer betrachtete es jedoch als seine Pflicht. ihn ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, daß alle, die bisher darin gewohnt hatten, nur einen Tag und eine Nacht dort bleiben konnten, wegen der höchst sonderbaren Dinge, die im Hause vor sich gingen. Der Schuhmacher aber hatte keinerlei Angst und erklärte feierlich, er heiße «Johannes ohne Furcht».
Nachdem sie miteinander über den Mietpreis des Hauses einig geworden waren, brachte der Schuhmacher seine paar armseligen Möbelstücke und all die Werkzeuge, die er zu seinem bescheidenen Beruf brauchte, in das Haus und wohnte dort ganz allein. Den Tag über arbeitete er emsig an seinem Schuster-
tischlein und sang fröhlich dazu, ohne im geringsten auf irgendeine Art gestört zu werden. Als es dann dunkel wurde, hängte er den kleinen Kochtopf an die Kette über das Kaminfeuer und fachte ein lustig knisterndes Feuer an, um sich eine gute Reissuppe mit Kohl und Bohnen zuzubereiten. Hernach setzte er sich wieder an seine schlichte Arbeit.Jetzt begann es draußen auf dem Kirchturm im Dorf Ave Maria zu läuten. Es war Feierabend. Da auf einmal hörte er in den oberen Stockwerken des Hauses einen Höllenspektakel, und durch den Rauchfang des Kamins ertönten die Worte: «Ich werfe, ich werfe!» Der Schuster hatte durchaus keine Angst, so daß er sich dem heiligen Crispinus, dem Beschützer und Patron der ehrbaren Schuhmacher hätte empfehlen müssen, sondern als wirklicher Johannes ohne Furcht rief er mit starker, fester Stimme: «Laß mich in Ruhe! Doch wenn du Lust hast, wirf immerzu, nur wirf mir nichts in meine Suppe!» Und dann hämmerte er fröhlich weiter, und während er das harte Leder klopfte, sang er unbekümmert seine Lieder.
Da auf einmal fiel mit großem Gepolter das Skelett eines menschlichen Armes auf den Herd herunter. Aber der Schuster, als wäre nichts geschehen, schmiß mit seinen Händen, die vom Pech und der Stiefeiwichse ganz schwarz waren, die Gebeine ins Feuer unter den Kochtopf und fuhr ganz ruhig weiter zu klopfen und zu singen.
«Ich werfe, ich werfe!», donnerte von neuem die schauerliche Grabesstimme vom schwarzen Rauchfang des Kamines herab. «Wirf, was du willst», erwiderte Johannes ohne Furcht, «nur gib mir acht, daß du mir meine Suppe nicht verdirbst!»
Jetzt fiel aus der Höhe das Gerippe des andern Armes herunter, dann die langen Knochen der Beine, ferner der Rumpf und zuletzt ein schneeweißer Totenschädel mit zwei schrecklichen leeren Augenhöhlen und einer regelmäßigen Reihe von Zähnen. Dabei grinste der offene Mund ihn umheimlich an.
Johannes ohne Furcht warf ohne viel Federlesens alle diese Totengebeine unter den Kochtopf, der laut hörbar sprudelte. Dann setzte er sich wieder frohgemut an sein Tischlein und klopfte und sang weiter.
Mit einemmal hörte Johannes auf der Holztreppe im Gang draußen einen ganz leichten Schritt, etwa wie wenn eine Henne herunterhüpfte, und die Kammertür sprang knirschend sperrangelweit auf. Johann ohne Furcht erhob unerschrocken seine Augen und sah sich vor einem Mann von riesiger Gestalt, tadellos in Weiß gekleidet, mit einer großen weißen Mütze auf dem Kopf und einem Paar weißen Schuhen an den Füßen.
Die zwei Männer musterten sich gegenseitig mit den Augen von unten bis oben. Was willst du?» sprach Johann leichten Tones. «Zünde eine Kerze an und folge mir», befahl die weiße Gestalt mit gebieterischer Stimme, (nimm auch jenen großen Schlüssel dort an der Wand!»
(Nimm ihn selbst», erwiderte Johannes.
(Folge mir!»
Johannes ohne Furcht schritt hinter dem Gespenst her und gelangte an die Kellertür.
(Mach auf!»
Oeffne du selber!»
Sie traten ein. Eine feuchte, kalte Luft schlug Johannes entgegen.
«Nimm dort jenen Pickel und grabe hier an dieser Stelle!»
«Grab du nur selber!»
Die weiße Gestalt fing an zu graben und zu graben. Als sie etwa einen Meter tief gegraben hatte, stieß der Pickel auf etwas Hartes, das wie Eisen tönte. Man hatte eine eiserne Kiste entdeckt.
«Komm, nimm sie heraus!»
«Wenn du sie hingebracht hast, hol sie auch selbst heraus», gab Johannes zur Antwort.
Jetzt bückte sich die Geistererscheinung und hob die Kiste ohne Mühe heraus.
«Mach sie auf!»
«Hast du sie zugeschlossen, so mach sie selber wieder auf!»
Das Gespenst öffnete die Kiste mit Leichtigkeit. Ei der Tausend! Sie war dick vollgepfropft mit prächtig schimmernden Goldstücken.
«Nimm diese Goldmünzen und zähle sie!»
«Nimm sie nur selber und zähle du!»
Die unheimliche Gestalt hob mit großer Geduld und in verhältnismäßig kurzer Zeit die schönen Goldstücke heraus und machte daraus fünf Häuflein oder besser gesagt fünf gleiche Teile. Dann kehrte sie sich gegen Johann ohne Furcht und sprach zu ihm: «Von diesen Teilen gehört einer dir, ein anderer soll dazu dienen, Messen für mich lesen zu lassen zum Heil meiner Seele; der dritte soll meinem Sohn sein als Eigentümer dieses Hauses, und die übrigen zwei Teile sollen meinen Mündelkindern übergeben werden.» Da sprach Johannes ohne Furcht zu der Gestalt: Wer bist du denn? Und wozu alle diese Befehle?» «Ich war der Besitzer dieses Hauses und starb vor nunmehr
dreizehn Jahren. Ich wurde in das Fegefeuer verwiesen, weil ich während meines Lebens, als ich Vormund zweier Pflegekinder war, ihnen ihr Erbe raubte und es für mich behielt. Das ist eines meiner Geheimnisse, das ich nur einzig dir anvertraue, denn alle andern Bewohner dieses Hauses flohen vor Entsetzen, als sie mich sahen, und ich konnte ihnen keine geheimen Dinge mitteilen. Meine Seele muß im Fegefeuer bleiben, bis ich alles zurückgegeben, was ich andern gestohlen habe. Morgen früh übergibst du den rechtmäßigen Eigentümern das Geld, so wie ich es dir erklärt habe.» Und nachdem er das gesagt hatte, war das Schreckbild verschwunden.Darauf stieg Johannes aus dem Keller wieder in die Küche hinauf und aß dort in aller Ruhe seine Suppe, die mittlerweile eingekocht, aber immer noch lauwarm war. Dann trank er zwei Gläser guten Weines zu seiner Stärkung, legte sich hierauf zu Bette und schlief so friedlich wie zwei Frankenstücke. Am andern Tag saß er schon wieder in der Morgenfrühe an der Arbeit und hub an, aus allen Leibeskräften zu singen. Da kam der Herr des Hauses zu ihm und fragte ihn lächelnd: «Nun, Johann, wie ist es dir ergangen diese Nacht?» — «Sehr gut», gab Johann ohne Furcht zur Antwort. Und er fing an, ihm von Anfang bis zu Ende alles zu erzählen, was sich zugetragen hatte.
Darauf verteilte er mit peinlicher Genauigkeit das Gold, so wie es ihm der Geist, der ihm erschienen war, befohlen hatte. Dann stellte er sein Schustertischlein samt den Messern, den Ahlen und dem Hammer beiseite und lebte fortan wie ein reicher Herr. Doch vergaß er deswegen keineswegs seine Fröhlichkeit und seinen Gesang.
Seit dieser Zeit läßt sich in jenem Hause auch keinerlei Lärm noch Geisterspuk mehr vernehmen, und die neuen Bewohner wohnen daselbst unbehelligt und in Frieden.
DIE MOHRENKÖNIGIN VOM GRUNEN LAND
Ein König hatte einen Sohn. Dieser ging eines Tages weit in die Ferne auf die Jagd. Unterwegs bekam er großen Durst. Da sah er in der Nähe ein Häuschen stehen, ging hinein und bat um einen Trunk. Ein Mann, der dort hauste, brachte ihm ein Schüsselchen voll Milch und erzählte ihm, er habe soeben ein Söhnlein bekommen und fragte, ob er ihm Taufpate sein wolle. Der Prinz erklärte sich damit einverstanden, fand sich richtig bei der Taufe ein und nannte das Knäblein Valoroso oder auf deutsch: Der Wackere, der Tüchtige. Dann nahm er ein Stück Papier und schrieb darauf: «Valoroso, sobald du vierzehn Jahre alt bist, darfst du zu mir auf mein Schloß kommen», und darunter setzte er seinen Namen und Wohnort.
Die Eltern des Kindes fanden beim Wischen der Stube diesen Zettel und bewahrten ihn auf. Als dann der Knabe vierzehn Jahre alt war, schickten sie ihn zu dem Prinzen, der unterdessen König geworden war. Aber der schüchterne Bauernbube schämte sich, vor den Fürsten zu treten und gab den Zettel einem andern Jungen. Der stellte sich dem König vor, und der Landesherr machte ihn, in der Meinung, es sei sein Taufkind, zum obersten Mundschenk an der königlichen Tafel.
Jetzt sah sich der arme Valoroso betrogen, ging zum Schloßpförtner und bat ihn um irgendeine Arbeit. Der fragte ihn, ob er bereit sei, die Pferdeställe zu reini
gen, und der Knabe erklärte sich damit zufrieden. Sobald aber der oberste Diener bei Tafel den neuen Stallknecht bemerkte, dachte er darüber nach, wie er ihn zugrunde richten könnte. Er ging zum König und sagte ihm, daß der junge Stallknecht geschickt genug sei, den goldenen Vogel zu fangen. Da ließ der König den jungen Stallknecht zu sich kommen und sprach zu ihm: «Wenn du mir nicht in vierzehn Tagen den goldenen Vogel gefangen hast, so ist es um dich und dein Leben geschehen!»Ganz erschrocken ging Valoroso in den Schloßgarten und fing an zu weinen. Da erschien eine alte Frau und fragte ihn, warum er wehklage. Er erzählte ihr, was der König von ihm verlange, und er wisse doch nicht, wo er den goldenen Vogel suchen müsse. Darauf entgegnete ihm die Alte: «Geh zum König, laß dir einen goldenen Käfig geben und einen langen Faden aus Gold. Dann befestige den Käfig an einem Baum im Schloßgarten und halte das eine Ende des goldenen Fadens fest. Der Vogel wird in den Käfig fliegen. Dann ziehst du flugs den Faden und machst das Türlein zu.» Und so geschah es. Der Vogel flog wirklich in den Käfig, Valoroso zog schnell am Faden, und der Vogel war gefangen. Hierauf holte er den Käfig vom Baum herunter und überbrachte das seltene Tier dem König.
Sobald der oberste Mundschenk sah, daß ihm sein Plan mißlungen war, verging er beinahe vor Aerger und Zorn, begab sich wieder zum König und berichtete ihm, der Stallknecht sei imstande, die Mohrenkönigin aus dem grünen Land herbeizubringen.
Da sprach der König zum Stallknecht: «Wenn du mir in einem Jahr und einem Tag die Mohrenkönigin
vom grünen Land nicht herbringst, so laß ich dir den Kopf abschneiden!»Wieder kehrte Valoroso ganz verzweifelt in den Garten zurück und weinte bitterlich. Da erschien abermals jene alte Frau und fragte ihn, warum er weine. Er klagte: «Ach Gott, der König will, daß ich ihm die Mohrenkönigin aus dem grünen Land bringen solle, und ich weiß nicht einmal, wo sie sich aufhält.» Da sprach die alte Frau: «Geh zum König, verlange von ihm eine Barke von vierzig Maß in der Länge und vierzig Maß in der Breite. Dazu vierzig Musikanten, vierzig junge Mädchen, vierzig Backöfen voll Brotlaibe und vierzig Ochsen. Töte die Ochsen und behalte von ihnen nur das Fleisch und die Eingeweide; zerreibe die Brotlaibe zu lauter Krümchen, bring das alles auf dein Schiff und sprich: ,Barke, fahre fort über Länder und Meere!', und die Barke wird dich ungehindert aller Fluten und Berge zur Mohrenkönigin führen.»
Valororso tat, wie ihm geheißen und fuhr dann mit dem Schiff hinaus aufs Meer. Kaum war er auf offener See, so streckten drei Riesen ihre Häupter über das Wasser empor und verlangten zu essen. Valoroso warf ihnen alles Ochsenfleisch hin, und sie sättigten sich daran. Dann sprach der oberste der Riesen: «Zum Dank für deine Güte schenke ich dir dieses Schächtelein. Sobald du uns nötig hast, blase hinein, und wir sind sofort zur Stelle.» Und nachdem er so gesprochen hatte, tauchten sie wieder in die Wasserflut. Valoroso fuhr ein großes Stück weiter auf dem Meer. Da bemerkte er, daß seine Barke ganz voller Ameisen war, die etwas zu essen suchten, und er warf ihnen die Eingeweide der Ochsen zur Nahrung hin. Darauf überreichte
ihm die Königin der Ameisen ein Zauberstäbchen und sprach zu ihm: «Wenn du uns nötig hast, so blase hinein, und wir werden dir zu Hilfe eilen.»Darnach setzte Valoroso seine Reise über das Meer fort. Auf einer einsamen Insel sah er eine große Schar Vögel sitzen, die von ihm ebenfalls zu essen begehrten. Jetzt warf er ihnen die vielen Brosamen hin. Als sie alle Krümchen verzehrt hatten, riß sich ein Adler eine seiner Federn aus und gab sie ihm mit den Worten: «Wenn du uns nötig hast, so reibe diese Feder, dann kommen wir sofort zu Hilfe.»
Daraufhin segelte er weiter über die schäumenden Wogen des Meeres und langte endlich am Palast der Mohrenkönigin an. Diese erkannte ihn und sprach: (Du mußt mir zuvor drei Dienstleistungen vollbringen. Wenn du es geschickt anstellst, werde ich mit dir ziehen. Komm gleich mit mir!» Er folgte ihr und wurde in eine Kammer geführt, die ganz mit Reis-, Hirse- und Maiskörnern angefüllt war, und zwar lagen alle Sorten durcheinander. Die Königin sprach zu ihm: «Bevor der nächste Tag anbricht, mußt du mir als erste Arbeit alles in drei Haufen ordnen, den ersten von Reis, den zweiten von Hirse und den dritten von Mais.»
Valoroso machte sich mit großem Eifer ans Aussuchen. Schließlich ging ihm aber die Geduld aus, denn die Arbeit wollte ihm keineswegs in so kurzer Zeit gelingen. Da kam ihm das Zauberstäbchen in den Sinn. Er blies hinein, und sogleich erschienen Tausende von Ameisen, welche all die vielen Körner in kurzer Zeit in drei Haufen zusammentrugen.
«So ist's recht», sagte die Königin zu ihm, «jetzt mußt du mir das Feld der ,Sieben Stangen' umackern
und urbar machen, siehst du, jenes Feld, das vor meinem Hause liegt.»Valoroso schreckte auch vor dieser riesigen Arbeit nicht zurück; aber es war ein hartes Stück, besonders weil das Feld in einem Tag umgegraben werden sollte. Er blies in seine Zauberschachtel. Im Nu erschienen die drei Riesen, jeder mit einer großen Hacke, und im Handumdrehen hatten sie das ganze Feld umgegraben.
«So ist's recht», sprach wiederum die Königin, «jetzt fehlt dir bloß noch eine Arbeit. Du mußt hingehen und mir die Quelle mit dem Wasser des Lebens und jene mit dem Wasser des Todes suchen. Dann füllst du damit diese zwei Flaschen und bringst sie mir, noch ehe morgen die Sonne aufgeht.»
Valoroso stieg auf einen Berg; aber er fand nichts. Da begann er die Feder zu reiben, und sogleich kam eine ganze Schar Vögel dahergeflogen. Die fragten ihn, was er wolle. Auch die Amsel gesellte sich zu ihnen und erzählte, sie sei im Walde gewesen und habe aus zwei Quellen getrunken. Das Wasser der einen lasse die Lebendigen sterben, und mit dem Wasser der andern könne man die Toten wieder auferwecken.
Da erzählte Valoroso, er sei gerade im Begriffe, die beiden Quellen zu suchen. Sie, die Amsel, möge doch so gut sein, ihm den Weg dorthin zu zeigen. Die Amsel erfüllte seinen Wunsch, flog vor ihm her und führte ihn an die Quelle. Dort füllte er die beiden Flaschen und brachte sie der Königin zurück.
Diese hielt nun ihr Versprechen. Sie reisten miteinander fort übers Meer und langten am Königspalast an. Drei Tage lang wurden bei Hofe Feste gefeiert, und alle waren zufrieden, nur nicht der oberste der Diener bei der königlichen Tafel, der vor Neid nicht
wußte, was er anfangen sollte. Er lauerte seinem Nebenbuhler Valoroso heimlich auf, überfiel ihn und ermordete ihn mit einem Dolch. Als der König diese Untat sah, weinte er heiße Tränen und sprach:Du armes Kind. Du verdientest ein besseres Los. Statt dessen fandest du den Tod. |
Die Mohrenkönigin aber ging hin, schnitt den Leichnam in Stücke und goß ein wenig von dem Wasser des Lebens darüber. Da erwachte Valoroso aus seinem Todesschlaf und war so hübsch, wie kein Jüngling je vorher gewesen war. Als der betrügerische Mundschenk dieses Wunder sah, wünschte er, auch so schön und jung zu werden wie dieser. Die Mohrenkönigin willfahrte ihm, nahm ein Messer, schnitt ihn in Stücke, aber statt das Wasser des Lebens goß sie aus Versehen vom Wasser des Todes über ihn. Nun wachte der Mundschenk nicht mehr auf zum Leben, sondern war und blieb tot.
Alsdann heiratete die Königin den schönen Valoroso. So wurde dieser jetzt König und lebte in großem Glück bis an sein Ende.
WER GUTES TUT. FINDET GUTES
Ein Kaufmann und ein Müller waren Freunde. Der Kaufherr behauptete, daß man heutzutage sagen müsse, wer Gutes tue, finde Schlechtes, und wer Schlechtes tue, finde Gutes; denn er habe immer Gutes getan und dafür jeweilen schlechten Lohn geerntet. Der Müller jedoch war gegenteiliger Meinung. Darauf gingen sie zusammen eine Wette ein, setzten eine Summe zum Pfand und verabredeten, dem ersten Wanderer, den sie auf der Landstraße unterwegs antreffen würden, die Frage zu stellen, wer von beiden recht habe: ob derjenige, welcher behaupte, daß Gutes tun Gutes bringe, oder derjenige, welcher der Meinung sei, daß Gutes tun Böses bringe. Erhalte der Müller recht, so
habe dieser die Wette gewonnen; würde aber der Wanderer dem Kaufmann beipflichten, so bekomme dieser die Summe.Die erste Person, die sie antrafen, war eine Bauersfrau. Sie legten ihr die Streitfrage vor und fügten hinzu: (Welches ist von beiden Ansichten die richtigere?» Und sie gab zur Antwort: (Auf dieser Welt trifft es leider oft zu, daß wer Gutes tut, schlechten Dank dafür erntet.»
Jetzt hatte der arme Müller die Wette verloren und mußte dem Kaufmann die Summe geben. Dessen ungeachtet fuhr er fort, bei seiner Meinung zu beharren und ging immer wieder neue Wetten ein, bis er seine ganze Habe verloren hatte. «Aber jetzt bist du doch überzeugt, daß du im Unrecht bist», sagte eines Tages der Kaufmann zu ihm. «Nein», erwiderte der Müller, «ich bin sogar bereit, meine beiden Augen als Pfand einzusetzen und lasse mich nicht davon abbringen, daß wer Gutes tut, auch Gutes findet.»
Und dennoch verlor er auch diesmal wieder seine Wette. Der Kaufmann ließ ihm das Augenlicht nehmen. und der arme Müller war nun blind.
Eines Abends befand er sich auf einer einsamen Straße. Sehen konnte er nun nichts mehr, und er dachte daran, es sei für ihn wohl das beste, sich ins Unglück zu schicken und die Nacht irgendwo in einem Winkel zu verbringen. Er tastete um sich und hörte nach einer Weile das Rauschen eines Wassers unter einer Brücke. Und zu gleicher Zeit vernahm er ein Flüstern von menschlichen Stimmen, die zueinander sprachen: (In dieser Stadt, in der und der Straße, in dem und dem Hause, wohnt ein reicher Herr, der ein Kästchen voll Gold besitzt, und in dessen Mitte ist ein Fläschlein, welches
ein Heilmittel enthält für die Blinden. Es genügt, damit die Augen zu benetzen, um wieder sehen zu können. Morgen gehe ich in dieses Haus und stehle alles.»Kaum hatte der Blinde dieses Gespräch mit angehört, so machte er sich auf den Weg und suchte einen Kaminfeger, dem er das ganze Geheimnis erzählte. Dieser sprach zu ihm: «Laß nur mich machen.» Er begab sich zu jenem reichen Herrn und bat ihn um Arbeit. Der erlaubte ihm, ins Kamin hinaufzusteigen, um es vom Rufi zu reinigen. Kaum war er jedoch in jenem Zimmer, so suchte er das Kästchen mit der Flasche und steckte es samt dem Rufi in seinen Sack. Hierauf schlich er sich aus dem Hause, ohne nur seinen Lohn in Empfang genommen zu haben. Er fand den Blinden, der auf ihn wartete, bestrich ihm mit dem Arzneimittel die Augen und heilte ihn.
Darauf teilten sie das Geld miteinander.
Hernach suchte der Müller den Kaufmann auf, und dieser fragte: «Du scheinst mir mein alter Freund, der Müller zu sein; aber du bist es doch nicht, da du das Augenlicht besitzest.» Und damit lud er ihn ein, Platz zu nehmen. Der Müller erzählte ihm seine Erlebnisse. Da sprach der Kaufmann: «Ich will auch hingehen und in jenem Winkel bei der Brücke schlafen.»
Er begab sich in der Tat zu der Brücke, und als bereits Mitternacht vorüber war, hörte er ein Flüstern. Es waren wieder jene selben Diebe, die zueinander sagten: «Wir haben uns doch letzte Nacht hier versammelt, wir haben dies und jenes besprochen; wir sind bei dem Reichen aufs Dach gestiegen und haben uns durch das Kamin hinuntergleiten lassen in jenes Zimmer und haben nichts gefunden. Also ist dies ein Zeichen, daß jemand hier in der Nähe ist und unser
Gespräch belauscht hat.» Und damit machten sie sich rings um die Brücke auf die Suche und entdeckten den Kaufmann, der alles mit angehört hatte. Sie ergriffen ihn, raubten ihn aus bis auf die Kleider und das Hemd, banden ihn mit Stricken auf halbe Höhe eines Baumstammes fest, schlugen ihn auf erbärmliche Weise und überließen ihn halbtot seinem Schicksal.Am andern Morgen kamen einige Wanderer über die Brücke, sahen ihn, hatten Mitleid mit ihm, banden ihn los vom Baum und brachten ihn in das Spital, wo er noch einige Tage lebte. Als das der Müller hörte, machte er dem Kranken einen Besuch und sagte zu ihm: Siehst du nun, daß ich doch recht hatte? Schau jetzt, was du dabei gewonnen hast? Es ist doch wahr: Wer Gutes tut, findet Gutes; wer aber Schlechtes tut, dem wird mit Schlechtem vergolten.»
Auf diese Weise wurde der Müller für sein Vertrauen belohnt.
DER RIESE MIT DER EISENSTANGE
Ein Vater begleitete einst seinen Sohn in die Stadt, um ihn das Schmiedehandwerk erlernen zu lassen. Er führte ihn zu einer Werkstatt, wurde mit dem Meister einig und ließ ihn bei ihm in der Lehre. Der Sohn stellte sich an den Amboß; aber jedesmal, wenn er mit dem Hammer aufs Eisen schlug, hieb er es mit seiner Riesenkraft in Stücke. Der Meister hatte eine Zeitlang Geduld mit ihm. Schließlich aber wurde es ihm zu arg, und er hieß ihn fortgehen. Ehe der Jüngling wegging, wollte er sich einen Wanderstab aus Eisen schmieden. Er nahm also einen Arm voll Eisenstücke, warf sie ins Feuer und ließ sie glühend werden. Dann zog er sie aus dem Ofen und formte daraus einen gewaltigen Stock. mit dem er sich aus dem Staube machte. Auf der Landstraße traf er einen Mann, welcher mächtige Baumstämme mit einer großen Holzkeule mitten entzweischlug.
«Du mußt ordentlich stark sein, daß du mit jener Keule so hantieren kannst», sprach er zu ihm. «Da, versuch einmal meinen Wanderstab zu tragen!»
Der mit der Holzkeule versuchte, den Stock vom Boden aufzuheben; aber er vermochte es nicht. Komm mit mir in die Welt hinaus!», sagte der mit der Eisenstange, und der Kamerad folgte ihm. Also zogen sie selbander von dannen und gelangten ans Ufer des Meeres. Dort sahen sie einen, der warf schwere Mühlsteine weit in die Wellen hinaus, als wären es Kieselsteine.
«Was machst du da?» riefen sie ihn an. «Du mußt ziemlich viel Kraft besitzen, um Steine von solchem Gewicht in die Luft hinaus zu werfen. Da, probier einmal, ob du meinen Spazierstock aufzuheben vermagst.» Der mit dem Mühlstein versuchte es; allein er konnte ihn nicht vom Boden aufheben. «Komm du mit uns!» sprachen die zwei Wanderer zu ihm. Der war zufrieden, zog mit ihnen, und alle drei machten sich auf den Weg nach der Stadt. In einer Weinschenke mit einem hübschen Reblaubendach hielten sie Einkehr und vernahmen dort, daß in den umliegenden Bergen ein Palast sei, der einem Zauberer gehöre, und daß alle Leute, die jemals in dieses Schloß hineingerieten, nie mehr von dort zurückgekehrt seien. Da bekamen sie Lust, in die Nähe dieser Burg auf die Jagd zu gehen und den geheimnisvollen Palast zu betreten. Sie gingen also hin und traten in das Schloß, aber es war niemand zu sehen. Da beschloß der mit der Holzkeule, allein dort zu bleiben, um seine auf der Jagd erbeuteten Rebhühner und andere Vögel zu rösten, während die andern nach dem Wirtshaus zurückkehrten.Wie er nun so am Herdfeuer in der Küche stand und seine Jagdbeute rösten ließ, hörte er ein Getrampel und dann eine Stimme, welche ihn anschrie: «Wer hat dir erlaubt, hier in mein Haus zu kommen und die Vögel zu braten?» Darauf versetzte der mit der Holzkeule dem Zauberer einen so wuchtigen Hieb mit seiner Keule, daß jener vom Kopf bis zu den Füßen erzitterte und schleunigst das Weite suchte.
Als die beiden Kameraden zurückkehrten, fanden sie die erbeuteten Vögel ein wenig angebrannt. «Was hast du gemacht?» fragten sie ihn, «warum hast du sie anbrennen
lassen?» «Ach, ich habe Bauchschmerzen bekommen», gab er zur Antwort.Am folgenden Tage blieb der mit dem Mühlstein im Schloß, und es erging ihm gleich wie dem andern Gefährten. Seine Kameraden kamen zurück und fanden die Vögel wiederum angebrannt. Er gab jedoch zur Ausrede vor: «Ich habe Bauchweh gehabt.» Am dritten Tag blieb der mit der Eisenstange in dem Zauberschloß. Sobald der Magier sich blicken ließ, schmetterte er ihm mit einer so hünenhaften Kraft einen Schlag auf den Rücken, daß sich ihm beinahe das Gesicht nach dem Nacken drehte. Dieses Mal wurde der Zauberer vom Schrecken erfaßt und, weil er für sein Leben fürchtete, sprach er zu ihm: «Bring mich nicht um, denn ich will dir alles sagen.» Und damit hieß er ihn mit hinaus in den Garten kommen, zeigte ihm einen Ziehbrunnen und erzählte ihm folgendes: «Da unten in der Tiefe dieser Zisterne wohnen drei Prinzessinnen. Derjenige, welcher auch nur eine einzige von ihnen befreien und retten kann, wird deren Gemahl werden.»
Als Eisenstab dieses Geheimnis vernahm, brachte er den Zauberer um, der es ihm anvertraut hatte. Darnach wartete er, bis seine beiden Gefährten zurückkamen, stieg in einen Korb, der an einem viele Ellen langen Seil befestigt war, und ließ sich in die Tiefe hinunter. Als er endlich unten ankam, fand er dort eine der drei Königstöchter, befreite sie von den Eisenketten und hieß sie in den Korb steigen. Sie schenkte ihm zum Andenken einen Apfel aus reinem Silber. Die Gefährten zogen den Korb empor, hoben die Prinzessin heraus und ließen dann den Korb wieder in die Tiefe gleiten.
Inzwischen suchte Eisenstange in dem geheimnisvollen Gange weiter, fand die zweite Prinzessin und erlöste auch sie. Diese überreichte ihm einen goldenen Apfel als Geschenk. Die Gefährten zogen sie aus dem Ziehbrunnen heraus und ließen dann abermals das Seil in die Tiefe hinab.
Eisenstange forschte mittlerweise weiter und fand auch die dritte Königstochter. Die war schöner als alle andern, und er befreite auch sie. Sie schenkte ihm einen Apfel aus Diamanten. Wieder zogen die Gefährten sie herauf und brachten sie in Sicherheit. Als aber die beiden Spitzbuben die drei Prinzessinnen aus dem tiefen Kerker erlöst hatten, sagten sie zueinander: «Komm, wir wollen ihn drunten lassen und nicht heraufziehen, dann können wir beide allein den großen Gewinn untereinander teilen!» Das taten sie auch.
Darauf geleiteten sie die drei Prinzessinnen zum Königshof. Der König war glücklich, seine vom Zauberer entführten Töchter wieder zu sehen und versprach jedem der beiden Retter eine zur Frau, aber erst nach einem Jahr und einem Tag sollte die Hochzeit stattfinden. Holzkeule sollte die älteste erhalten, Mühlstein die zweite, die jüngste aber sollte unverheiratet bleiben.
Da sprach die älteste zu ihrem Bräutigam: «Willst du mich zur Frau haben, so mußt du mir einen silbernen Apfel schenken, wie der war, den ich unten im Ziehbrunnen besaß.» Und er gab zur Antwort: «So wollen wir zum Goldschmied gehen und einen solchen machen lassen.» Aber der Goldschmied brachte es nie zustande, ihr einen so schönen Apfel herzustellen, wie sie ihn wünschte.
Die zweite Königstochter sprach zu Mühlstein:
«Willst du, daß ich dich heirate, so mußt du mir einen goldenen Apfel geben, wie ich einen drunten in der Zisterne besaß.» Und er antwortete: «Ei, so gehen wir zum Goldschmied, der soll dir einen machen.» Der aber brachte ebenfalls nie einen solchen Apfel fertig, wie sie ihn haben wollte.Sobald der arme Eisenstab sah, daß der Korb nicht mehr heruntergelassen wurde, um ihn zu retten, begriff er, daß man ihn betrogen hatte. Mit seiner Eisenstange, seiner Riesenkraft und Geduld gelang es ihm jedoch, sich einen unterirdischen Gang zu graben, bis er schließlich nach vieler Mühe ans Tageslicht gelangte. Hierauf machte er sich auf den Weg zum Königsschloß und zeigte dort den Prinzessinnen die drei Aepfel, die er jeweilen zum Geschenk erhalten hatte. Da erkannten sie in ihm ihren wahren Retter und berichteten es sofort ihrem Vater, damit er Gerechtigkeit walten lasse. Der König ließ die beiden Betrüger zur Strafe hinrichten und gab die schönste und jüngste der drei Prinzessinnen dem Erretter Eisenstange zur Gemahlin. Sie feierten ein herrliches Hochzeitsfest und luden dazu alle Leute der ganzen Gegend ein. So hatte der arme Jüngling, der das Schmiedehandwerk erlernen wollte, sein Glück gefunden.
DER UNGERATENE SOHN
UND DIE DREI GESCHENKE
Eine Frau hatte einen so ungeratenen Sohn, daß sie darob in Verzweiflung geriet. Er verübte ihr die ärgsten Streiche, und sie wußte vor Kummer und Gram nicht mehr, auf welche Art sie ihn auf den rechten Weg bringen könnte. Eines Tages geriet sie seinetwegen dermaßen außer sich, daß sie den Satan zu Hilfe rief und zu ihm sagte: «Schaff mir diesen Sohn aus meinen Augen, denn ich will und mag ihn nicht mehr sehen!» Der Teufel ließ sich das nicht zweimal sagen. Er nahm den Wildfang auf die Hörner und trug ihn in die Hölle. Dort befahl er ihm, ein Paar Schuhe aus Eisen aufzutrennen und nebenbei den ganzen Tag das Feuer mit Stroh zu unterhalten, bis er wieder zurückkäme. Stelle er sich gut an bei dieser Arbeit, so würde er ihm später einen Lohn dafür geben, und die Erlaubnis, wieder zu seiner Mutter heimzukehren.
In der Hölle unten erblickte der Bube auch seine Großmutter. Die erkannte ihn gleich und sagte zu ihm: «Höre, was ich dir sage: Heute abend wird dein Meister mit zwei Eselchen zurückkehren. Eines davon ist für dich bestimmt. Wähle das schwarze mit einem Büschel am Schwanz. Das läßt Goldzechinen fallen.» Und so geschah es wirklich. Der Teufel war mit der Arbeit des Schlingels zufrieden und schenkte ihm den Goldesel. Ueberglücklich stieg der Knabe auf das Tier, um sogleich nach Hause zurückzureiten.
Als er außerhalb der Hölle ankam, fand er in der Nähe des Tores eine Wirtschaft und trat ein, denn er verspürte großen Hunger. Er führte sein Reittier in den Stall und wollte sehen, ob es Gold gebe. Also stellte er sich hinten an den Schwanz und sagte: «Eselchen, wirf Goldstücke herab!» Und richtig fielen einige Goldzechinen auf den Boden. Oh, welch ein leicht errungenes Glück! Der Knabe fühlte sich wie im Schlaraffenland.
Es hatte jedoch der Wirt im verstohlenen hinter der Stalltür gelauscht und durch ein Löchlein den Vorfall beobachtet. Voller Freude setzte sich der Jüngling ans Abendessen und ging nachher schlafen; denn er war totmüde von der Arbeit. die er im Hause des Teufels hatte besorgen müssen. Während er schlief, tauschten der Wirt und seine Frau den Goldesel gegen einen andern um. Am Morgen stand der Junge auf, bezahlte seine Rechnung, und ohne den Betrug zu merken, führte er sein Tier aus dem Stall und ritt davon.
Als seine Mutter ihn zurückkehren sah, sprach sie verwundert zu ihm: «Bist du schon wieder da. du Schlingel? Ist es möglich, daß sogar der Teufel .dich nicht will?» Aber der Sohn versetzte: «Schimpf nicht mit mir, denn ich habe dir das Glück ins Haus geführt.» Er hielt sich am Schwanz des Esels und sprach zu dem Tier: «Eselein, Eselein, gib Goldstücke her!» Aber so sehr sich der Esel auch streckte, es fielen keine Goldstücke zu Boden.
Da ergrimmte er vor Zorn, jagte das Tier in den Stall und kehrte in die Hölle zurück, um zu erfahren, wie diese Veränderung vor sich gegangen sei. Er fand dort wieder den Teufel. Der sprach zu ihm: «Ganz recht, ich hab es wohl gewußt, daß du zurückkehren
würdest. Jetzt geh nur ans Kaminfeuer und sorge dafür, daß das Wasser in jenem großen Kessel den ganzen Tag ununterbrochen siedet. Stellst du es recht an, so will ich dir, wenn ich wieder komme, ein schönes Geschenk bringen.» Und damit ging der Teufel fort.Da sprach die Großmutter wieder zu dem Jüngling: «Der Teufel wird zwei Tischtücher mitbringen. Eines ist aus Leinen. das andere aus Baumwolle. Du mußt das letztere wählen, und dieses wird dir alle Speisen verschaffen, die du gerne möchtest.» Und die Großmutter hatte recht, denn so geschah es auch. Der Jüngling bekam ein Tischtuch zum Geschenk und, als er zu seiner Mutter heimwanderte, kehrte er abermals in jener Wirtschaft ein und verlangte eine Kammer zum Uebernachten. Dort breitete er sein Tischtuch aus und sprach: «Tischtuch, trag auf!» Und auf der Stelle war der Tisch mit Speisen jeder Art bedeckt. Die Wirtin hatte aber vor der Tür durch das Schlüsselloch der Sache zugeschaut, und während der Jüngling schlief, tauschte sie das Zaubertüchlein gegen ein gewöhnliches aus. Am andern Morgen kehrte der Jüngling voller Freude zu seiner Mutter zurück.
«Ei, du Spitzbub», sagte sie zu ihm, «hat dich dein Meister von neuem fortgejagt?» Und der Sohn erwiderte: «Schweig stille, liebe Mutter, denn von heut an werden wir immer genug zu essen haben und nicht Hungers sterben müssen.» Und mit diesen Worten breitete er das Tuch vor ihr aus und sagte: «Tischtuch, Tischtuch, deck dich!» Aber so oft er auch rief, es kamen keine Speisen.
Arm und verlassen wie ein Ziegelstein kehrte er in die Hölle zurück, wo er aus einem Klumpen Silber tausend Taler schmieden mußte. Auch erzählte er alles
seiner Großmutter. Diese sprach zu ihm: «Heute abend wird dir der Teufel zwei Stöcke bringen. Du wählst den größeren von beiden, und der wird auf deinen Befehl hin drauflos schlagen ohne Erbarmen.»Und so geschah es. Der Teufel gab ihm einen Stock- und damit ging der Jüngling aus der Hölle, kehrte wieder in jener Wirtschaft ein und sagte zum Wirt: «Führ mir jetzt auf der Stelle mein Eselchen vor!» — «Ja, was für einen Esel soll ich dir vorführen, du Dummkopf du?» Da langte der Junge seinen Stock hervor und sagte: «Stock, lieber Stock, schlage drauf!» Und der Stock fing an, von rechts und links auf den Wirt loszuschlagen, bis dieser ihm endlich sein Eselchen zurückgab. Jetzt erst hörte der Stock auf zu tanzen.
Hernach rief der Jüngling die Wirtin herbei und sagte zu ihr: «Gib mir sogleich mein Tischtuch zurück!» — «Was für ein Tischtuch, was für ein Tischtuch soll das sein?» Und wieder sprach er: «Stock, lieber Stock, schlag drauf!» Und der Stock fing an mit trockenen und klingenden Schlägen auf ihrem Rücken herumzutanzen, bis die Frau, von den Schlägen ganz ermattet, ihm das Tischtuch herausgab. Jetzt nahm der Jüngling seinen Goldesel, das Tischtuch und den Stock und kehrte damit nach Hause zurück. Er zeigte die Geschenke seiner Mutter. Das Eselchen gab echte Goldstücke her, das Tischtuch bedeckte sich mit Speisen, und der Stock hieb kräftig drein, wenn es nötig war.
Ganz außer sich vor Erstaunen, wußte die arme Frau nicht, wie ihr geschah und sprach: «Es ist wirklich wahr, daß der Teufel seinen Leuten hilft.» Von jetzt an hatten beide genug zu leben bis an ihr Ende.
EIN UNHEIMLICHER BRÄUTIGAM
Filomena war eine brave Schneiderin. Sie hatte einen Liebsten, namens Giovanni, einen hübschen jungen Mann, der ein reicher Herr zu sein schien. Alle acht Tage kam er zu ihr auf Besuch und brachte ihr immer irgendein Geschenk. Er hatte sie sogar schon manchmal eingeladen, ihn aufzusuchen; aber sie hatte immer einen Vorwand gefunden, um sich der Einladung zu entziehen. Endlich, als er mit Bitten nicht aufhörte, sagte sie einmal zu ihm: «Nun gut, also nächsten Sonntag will ich kommen, um zu sehen, wo du wohnst.» Sie zog schöne Kleider an und machte sich auf den Weg. Aber sie war innerlich nicht recht zufrieden, denn sie dachte bei sich selbst: «Wer wird es wohl sein? Was für einen Beruf mag er wohl haben?»
Auf ihrem Weg kam sie an einer hübschen kleinen Kapelle vorüber und trat ein, um zu beten. Sie verneigte sich vor dem Marienbild und sprach also: «Liebe Himmelskönigin, sage du mir, ob ich vorwärtsgehen oder nach Hause zurückkehren soll.» Und die Madonna sprach: «Kehre zurück!» Also wanderte sie wieder nach Hause. Und weil sie so bald wieder heimkam, fragte die Mutter: «Ei. wie kommt es, daß du schon wieder da bist?» Und Filomena gab zur Antwort: «Ich hatte keine rechte Lust, hinzugehen.»
Am folgenden Tag kam richtig der junge Mann zu ihr und machte ihr Vorwürfe: «Aber du hast mich schön zum Narren gehalten! Den ganzen Tag habe ich
auf dich gewartet, und du bist nicht gekommen.» Sie gab zur Entschuldigung vor: «Ach, ich habe stark Kopfweh gehabt; ich will dafür nächsten Sonntag kommen.» »Und wie versprochen, machte sie sich am folgenden Sonntag wieder auf den Weg. Bei der kleinen Kapelle trat sie auch diesmal ein, um ein Gebet zu sprechen, und es war ihr, als ob die Madonna zu ihr sage: «Geh hin!»
Sie setzte also ihren Weg fort, bis sie am Hause des Giovanni anlangte. Dies aber war zu ihrem Erstaunen ein schöner Palast. Sie klopfte an und trat ein. Niemand gab ihr jedoch Antwort. Alle Türen waren geöffnet, aber nicht einmal eine Katze ließ sich blicken. Filomena spazierte umher, ging da und dort hin und trat schließlich in einen Saal, wo sie an den Wänden Pistolen und Degen hängen sah. Jetzt überkam sie ein Entsetzen, und an allen Gliedern fühlte sie die Gänsehaut. Da auf einmal hörte sie Schritte im Gang draußen. Schnell versteckte sie sich unter einem Tisch. der mit einem großen Tuch überdeckt war, das bis an den Boden reichte. Dort unten konnte sie aus ihrem Versteck beobachten, wie ihr Liebhaber Giovanni mit einem wunderschönen Mädchen in den Saal trat. Nun getraute sich Filomena vor Angst kaum zu atmen, um ja nicht bemerkt zu werden. Dann sah sie, wie der Unmensch das Mädchen auf einen Block legte und ihr zuerst das Haupt, dann die Finger, die Hände, die Arme und die Beine abhieb. Dabei fiel ein Finger mit dem Ring daran unter den Tisch. Filomena nahm den Ring zu sich und steckte ihn in ihre Tasche. Dann wartete sie voller Schrecken einen günstigen Augenblick ab, wo sie sich aus dem Haus flüchten konnte, kehrte heil und wohl-
behalten zu ihrer Mutter zurück und erzählte ihr alles. was sie gesehen hatte.Eine Woche darauf kam Giovanni wieder zu ihr auf Besuch und sagte: «Nun also, Filomena, nächsten Samstag findet unsere Hochzeit statt. Ich mag aber niemand einladen. Und du?» Anstatt ihre Verwandten einzuladen, benachrichtigte sie die Stadtwache, welche ihre unerschrockensten Männer hinschickte, als Gäste verkleidet. Schon war man im Begriff, sich an die Hochzeitstafel zu setzen, als Filomena zu ihrem Bräutigam sagte: «Denk dir doch, was ich diese Nacht geträumt habe. Mir hat geträumt, Giovanni, ich sei in dein Haus gekommen, und es war niemand da. Nur in einem Saal habe ich viele Waffen an den Wänden gesehen. Dann habe ich mich unter einem Tisch versteckt und sah, wie du mit einem schönen Mädchen hereinkamst und sie umgebracht hast. Dabei ist ein Finger mit dein Ring daran unter den Tisch gefallen, und ich habe ihn aufgehoben. Schau, hier ist er.»
In diesem Augenblick fielen die eingeladenen Gäste über den Wüterich her, banden ihn fest wie ein Bündel Stroh und warfen ihn in den Kerker. Auf diese Weise befreiten sie die Welt von einem entsetzlichen Scheusal.
DIE GESCHICHTE EINES ZAUBERERS
Ein Vater hatte zwei Söhne. Eines Tages sagte er zum ältern, der Giovannino hieß, er solle in die Stadt gehen, Käschen zu kaufen, damit man sie zur Polenta essen könne. Der Knabe machte sich also auf den Weg. Aber auf der Straße blieb er bald da, bald dort stehen und vertrödelte die Zeit. Bald wurde es Nacht, und er verirrte sich im Walde. Da sah er in der Ferne etwas Helles schimmern. Er ging darauf zu. Es war aber das Haus eines Zauberers. Er klopfte an die Tür. Da schaute die Frau des Magiers zum Fenster hinaus und sprach zu ihm: «Nun, wenn du hier bleiben willst, so verstecke dich in dem Backofen, sonst, wenn der Zauberer heimkommt, ißt er dich auf in einem Bissen. Giovannino war zufrieden, im Backofen übernachten zu können. Nicht lange darnach kam der Zauberer heim. Er ging herum und schnüffelte mit seiner Nase, wobei er sprach:
Musi, musi, pumpelusi, Hier riecht's nach Menschenfleisch. Dann schritt er auf den Backofen zu und zog den Buben heraus. Der arme Knabe fiel in seinem furchtbaren Schrecken dem bösen Manne vor die Füße nieder und bat, ihn nicht zu fressen. Und dieser antwortete: «Wenn du das tun willst, was ich dir sage, so will ich dich am Leben lassen. Du mußt mir den Ziehbrunnen ausfegen, den wir seit hundert Jahren und einem Tag nicht mehr geputzt haben.» |
(Gerne will ich es tun», antwortete Giovannino. Also ließ er sich in den tiefen Ziehbrunnen hinabgleiten und fing an, Boden und Wände zu fegen. Der Zauberer hatte jedoch einigen Männern befohlen, Steine und Erde hinunterzuschaufeln, um ihn damit zu erdrücken.
Sie glaubten schon längst, der Kleine sei tot, und der Zauberer dachte bereits daran, ihn herauszuholen und aus ihm ein Essen zu bereiten, als er bemerkte, wie Giovannino den Kopf zur Zisterne hinausstreckte. Und während der Knabe ganz hinauskletterte, sagte er: (Was ist dir in den Sinn gekommen, die Hühner hinunterzulassen, damit sie dort scharren konnten?»
(Gut», sagte der Zauberer, morgen wollen wir in den Wald hinaufgehen, um einen Baumstamm zu spalten. Du mußt mir alle großen Keile hintragen.»
(Wie viele sind's?»
Hundertundeiner.»
Giovannino aber trug nur neunundneunzig Keile mit sich.
Als sie im Wald oben angelangt waren, machten sie sich an die Arbeit, den gewaltigen Baumstamm zu spalten, aber es fehlten gerade noch die zwei Keile, die Giovannino absichtlich zu Hause vergessen hatte. Da brummte der Zauberer: (Warum hast du sie nicht mitgebracht?» Der Knabe antwortete: «Eure Frau hat mich geheißen, zwei davon daheim zu lassen», worauf der Zauberer sagte: (So spring schnell hinunter und laß sie dir geben!»
Giovannino rannte hinab zur Zauberin und sprach zu ihr: (Der Zauberer hat befohlen, ihr sollt mir alles Geld geben, das ihr im Hause habt!» Die Frau aber wollte es nicht recht glauben; sie stellte sich ans Fenster, hielt beide Hände an den Mund wie ein Sprach-
rohr, damit man sie weithin höre, und rief in den Wald hinauf: «Soll ich ihm wirklich alles geben?» Und der Magier schrie zurück: «Alles, ich hab es dir ja gesagt!»Darauf gab die Zauberin ihm alles Geld mit, und der Schelm machte sich damit davon. Da begegnete er einem Schäfer mit seiner Herde, bei welchem er ein Lamm kaufte und zu ihm sagte: «Nun will ich mir den Bauch öffnen und meine Eingeweide mit denen des Schäfleins tauschen. Dann kann ich schneller laufen und der Zauberer erwischt mich nicht mehr.» Das sagte er aber nur, um den Magier zu täuschen. Inzwischen wartete der Zauberer immer noch auf seine Rückkehr. Als er merkte, daß der Knabe sich nicht mehr blicken ließ, eilte er ihm nach und traf unterwegs auf den Hirten, der ihm alles erzählte.
Sogleich kaufte der Zauberer ihm auch ein Schaf ab, tötete es, schnitt ihm den Bauch auf und nahm die Eingeweide heraus. Dann wollte er das gleiche an sich tun, starb aber dabei. So kehrte der listige Giovannino zwar ohne Käslein, aber mit einem Sack Geld nach Hause zurück und hatte die Welt von dem Zauberer befreit.
DER ARME WEBER UND SEIN GLUCK
Antonio Löla war ein Weber. Niemand im Dorf verstand wie er so prächtige und starke Leinwand zu weben. Unglücklicherweise aber konnte Tonio weder lesen noch schreiben noch rechnen, hatte keinerlei Bildung und keinen Begriff vom Wert des Geldes. Ging er mit einer kleinen oder großen Summe von daheim fort, so konnte man sicher sein, daß er mit leeren Händen wieder zurückkehrte. Entweder bezahlte er den vielen Freunden, die sich um ihn drängten, ihr Essen und Trinken, oder er kaufte ganz gedankenlos eine Menge unnützer Dinge für sich und seine Frau. Es war wirklich zum Verzweifeln, wie er mit saurer Mühe sein Geld verdienen mußte und es so nutzlos wieder ausgab.
Das war jedoch nicht das einzige Uebel. Wenn er nämlich Einkäufe machte, so zahlte er, was ihm der Händler gerade dafür verlangte, ohne es zu merken, wenn es das doppelte, dreifache oder zehnfache des Wertes war. Natürlich machten sich die Händler, wenn sie Betrüger oder Spitzbuben waren, dies zunutzen und prellten ihn, wo sie nur konnten. Aber auch beim Verkauf seiner schönen Leinwand zeigte sich Antonio nicht weniger einfältig und nahm gleich das erste Angebot an, das ihm die Leute dafür machten.
Sein Weib Teresina, eine verständige Frau, war natürlich untröstlich über die leichtsinnige Art, wie ihr Mann das Geld verschleuderte. Deshalb wollte sie nun
allein das Ein- und Verkaufen und alle Geldsachen besorgen.Eines schönen Tages aber beschloß Antonio Löla, so eifrig seine Frau sich ihm auch widersetzte, an den Wochenmarkt zu gehen, der in der nächsten Stadt abgehalten wurde und wohin man zwei Stunden Weges zu wandern hatte. Er band vier Ballen der schönsten Leinwand zusammen, legte sie in seine weite Gerla (Tragkorb), lud sie auf den Rücken und machte sich auf den Weg in die Stadt. Kaum hatte er dort seine Ware vor sich ausgebreitet, so konnte er sie für fünfundzwanzig Marengo -Goldstücke oder fünfhundert Franken verkaufen.
Ohne sich weiter in der Stadt aufzuhalten, verließ er den Markt und wandte seine Schritte wieder nach Hause zurück. Unterwegs begegnete ihm in einem Kastanienwald ein Müller. der ein hübsches Eselein vor sich hertrieb, welches unserm Weber gar gut gefiel, denn er hatte sich schon lange ein solches Tier gewünscht, um den weiten Weg nicht mehr zu Fuß machen zu müssen.
Mein lieber Freund», sprach Tonio Löla zu dem Müller, ihr führt wohl dieses Tier zum Markt in die Stadt? Wollt ihr mir den Esel für fünfundzwanzig Marenghi verkaufen?» — «Ja freilich», entgegnete der Müller und war froh, ein solches Anerbieten zu bekommen. Er nahm das Geld, übergab ihm den Esel und zog weiter. Der Weber aber hatte kaum das Tier ein Stück weit am Halfter geführt, so blieb es bocksteif stehen, spreizte alle vier Beine von sich und war auf keine Art mehr vorwärtszubringen. Dabei schnellte es seine langen Ohren bald vor-, bald rückwärts, daß es klatschte, ließ ein klägliches Geschrei erschallen, daß
man es weithin hören konnte und begann wie ein Tobsüchtiger mit allen Vieren auszuschlagen, weshalb Tonio sich nicht mehr zu helfen wußte.Gleich darauf kam ein Metzger des Weges. Tonio Löla redete ihn an und sprach: «Ich möchte gern dieses Tier verkaufen, es ist so störrisch und eigensinnig, daß man eine Mauer damit einrennen könnte. Wieviel würdet ihr mir dafür geben?» — «Fünfzehn Franken, mehr ist es nicht wert. Schaut doch, wie mager es ist, man kann ihm alle Rippen zählen! Ein Salami ist nichts dagegen», gab der Metzger zur Antwort und machte ein paar verschmitzte Augen.
Antonio nahm die fünfzehn Franken in Empfang und war froh, den widerspenstigen Esel wieder los zu sein.
Bald darauf kam ein Gemüsehändler des Weges und wollte mit seinem Wägelchen in die Stadt auf den Markt. Er hatte prächtige Kartoffeln, und da kam unserm Weber in den Sinn, seiner Frau damit eine Freude zu machen. Er kaufte ihm für die fünfzehn Franken einen großen Sack voll ab und trug die schwere Last seelenvergnügt heimwärts. Aber der Sack fing ihn jämmerlich an zu drücken, und Tonio konnte ihn kaum mehr tragen. Zum Glück begegnete ihm ein Fischhändler, der ihn fragte: «Ei, was habt ihr da Schweres zu schleppen? Möchtet ihr mir nicht einige Fische abkaufen?» Antonio wurde mit dem Mann bald handelseinig und tauschte seinen schweren Sack Kartoffeln gegen einen schönen persischen Fisch.
Und so kam er endlich mit Gottes Hilfe nach Hause. Als die Frau sah, daß der ganze Erlös für die schönen Ballen Leinwand ein einziger schäbiger Fisch war, geriet sie in höchste Wut, und es war ein Wunder, daß
sie nicht einen knorrigen Stock von der Wand nahm und den Rücken ihres Mannes damit liebkoste. Noch ganz kochend vor Zorn nahm sie den Fisch mit in die Küche und wollte sich daraus wenigstens ein bescheidenes Mittagessen bereiten.Da fand sie zu ihrem Erstaunen in seinem Magen eine wundervolle Perle von unschätzbarem Wert. Wer vermag jetzt ihre Freude zu beschreiben? Ohne ihrem Manne etwas zu sagen, lief sie damit sofort zu einem Goldschmied in die Stadt. welcher ihr die Perle für die Summe von zwölfhundert Marengo-Stücken abkaufte. Jetzt hatte sie so viel, daß sie und ihr Mann bei einiger Sparsamkeit ihr Leben lang ungesorgt sein konnten.
Glückstrahlend kehrte sie mit dem vielen Geld nach Hause zurück, suchte ihren lieben, wackeren Antonio auf und erzählte ihm, was für einen seltenen Fund sie gemacht habe. Auch gab sie ihm jetzt alle Koseworte, schmeichelte und küßte ihn so liebevoll, bis sich Antonio von ihren Umarmungen befreite und entrüstet ausrief: Da siehst du, liebe Teresina, da haben wir's jetzt klar, was für feine Geschäfte ich zu machen verstehe! Und dabei sagtest du immer, ich verstünde mich keinen Pfifferling auf den Wert des Geldes!»
So hatten der Weber und seine Frau dennoch ein unverhofftes Glück gefunden.
DER KAMPF MIT DEM RIESEN
Vor Zeiten war einmal ein König, der hatte eine wunderschöne Tochter. namens Bianca. In seinem Reiche hauste jedoch ein Riese, welcher großes Unheil anrichtete. Jedes Jahr mußte ihm ein Mensch geopfert werden. Der König ließ das Los ziehen unter allen Personen seines Landes, und dieses Jahr traf es sogar seine eigene Tochter. Man kann sich seinen großen Schmerz vorstellen. Er konnte jedoch die Sache nicht ändern, weil er durchaus gerecht sein und das Vertrauen seines Volkes nicht verlieren wollte. Es kam der Tag, an dem Bianca sich zur Behausung des Riesen begeben mußte. Alle Leute waren in die Hauptstadt geströmt und bildeten eine lange Prozession, an deren Spitze die Königstochter schritt, begleitet von ihren weinenden Eltern.
Auf einmal kam ein fremder Ritter mit drei großen Hunden durch die Straße. Der fragte einen Bewohner der Stadt. was diese Prozession zu bedeuten habe, und als er den Sachverhalt erfahren hatte, folgte er dem Trauerzug. Dieser bewegte sich langsam durch die Stadttore hinaus nach dem Wald, wo das mächtige Schloß des Magiers stand. Es hatte starke Gitterstäbe an den Fenstern, und das Tor war ebenfalls aus schwerem Eisen geschmiedet. Kaum waren die Leute in der Nähe dieser Burg angelangt, so nahmen die Eltern und die übrigen Begleiter Abschied von der Prinzessin, und alle Leute flüchteten eiligst in die sichern Stadtmauern
zurück. Nur der fremde Ritter mit den drei Hunden zog unerschrocken weiter, bis er bei der Königstochter anlangte, welche ihn fragte: «Warum kehrst du nicht zurück? Weißt du nicht, daß der Riese dich mit einem Male verschlingen wird?» Der andere aber erwiderte: «Ich heiße der ,Ritter mit dem eisernen Arm'. Habe keine Angst, diese drei Hunde hier werden auf meinen Befehl den Riesen in einem Augenblick zerreißen!» Er hatte diese Worte kaum gesprochen, so fing die Erde an zu zittern. Man hörte ein lautes, wildes Gebrüll. Das große Tor des Schlosses öffnete sich knarrend in seinen verrosteten Angeln, und der schreckliche Magier trat hervor. Er sah aus wie ein gewaltiger Gorilla, mit einem Kopf fast wie ein Löwe und vielen langen, spitzigen Zähnen im Maul. Kaum hatte er die Prinzessin und den Ritter mit den drei Hunden erblickt, so blieb er zunächst verdutzt und etwas erstaunt stehen. Jetzt befahl der Ritter dem ersten seiner Hunde, Sbranaferro oder «Eisenfresser» genannt: «Da, pack und zerreiß den Riesen!» Im Nu fiel der Hund über den Magier her, und es begann ein furchtbarer Kampf. Der Hund packte ihn und biß ihn, aber es war ein hartes Stück, den Wüterich zu besiegen, der sich mit größter Verzweiflung wehrte. Nun rief der Ritter auch noch die andern zwei Hunde, «Spring wie der Wind» und «Ueberklettre die Berge»,, herbei, und ließ sie am Kampf teilnehmen. Der Unhold teilte mit seinem Schwert wuchtige Hiebe aus, er wurde jetzt aber nicht mehr Meister, und in wenigen Augenblicken lag er tot am Boden.Als die Königstochter, die bleich und stumm vor Entsetzen dem Schauspiel zugeschaut hatte, das sah, trat sie auf ihren Retter zu, dankte ihm von Herzen
für die Befreiung und bat ihn, ins väterliche Schloß zu kommen, wo der König sie ihm zum Dank zur Gemahlin geben und sie die Verlobung feiern würden. Der Ritter aber gab zur Antwort, in einem Jahr, einem Monat und einem Tag werde er kommen, und dann solle die Hochzeit gehalten werden. Nun nahm er das Schwert, hieb dem Riesen das Haupt ab, schnitt ihm die Zunge heraus, legte sie in ein Tuch und zog mit seinen drei Hunden von dannen.Die Königstochter machte sich auf den Heimweg in die Stadt. Und wie sie so eiligen Schrittes aus dem Wald gegen die Stadtmauern lief, begegnete ihr unterwegs der Köhler. Der war erstaunt, sie noch am Leben zu finden, weil er glaubte, der Riese habe sie schon längst verschlungen, und er fragte sie, wie sich die Sache zugetragen habe. Darauf erzählte sie ihm alles. Sobald der Köhler vernommen hatte, daß der Ritter Eisenarm fortgegangen war, sprach er neiderfüllt zur Prinzessin: «Ich verlange, daß du deinem Vater sagest, ich sei dein Retter gewesen. Tust du es nicht, so sind deine Tage gezählt!» Erschreckt von dieser Drohung, versprach Bianca, wider ihren Willen, das Wort zu halten. Und damit kamen sie in die Stadt. Der König anerbot dem falschen Retter seine Tochter zur Frau. Dieser nahm das Anerbieten mit Freuden an. Bianca aber sprach, sie wünsche, daß die Hochzeit erst stattfinde nach einem Jahr, einem Monat und einem Tag, denn sie hoffte, daß ihr wirklicher Retter kommen werde, sie zu erlösen.
Schon waren ein Jahr und ein Monat verflossen, und das Hochzeitsfest sollte am folgenden Tag stattfinden. Der König hatte alle Leute seines Hofes, die Herzöge, Grafen, Fürsten und viele Edle eingeladen, und die
Gäste hatten sich mit dem Brautpaar zur Tafel gesetzt. Bianca saß herrlich gekleidet neben ihrem Bräutigam, dein Köhler. Aber sie war still und traurig und dachte an ihren wahren Retter. den Ritter mit dem eisenstarken Arm.Dieser hatte mittlerweile alles erfahren. Er war auch in die Stadt gekommen und befahl demjenigen seiner Hunde, der wie der Wind springen konnte: «Geh hinauf ins Königsschloß, trage der Königin den Teller fort und bring ihn hieher!» Der Hund war im Augenblick im großen Festsaal, faßte den silbernen Teller der Königin und trug ihn vor aller Augen davon.
Sobald der König das sah, sprach er zu seinen Dienern: «Lauft schnell dem Hund nach und fangt ihn ein!» Aber Bianca entgegnete: «Nein, Vater, laß ihn in Ruhe, er hat mir das Leben gerettet!» Bei diesen Worten wurde der Köhler bleich vor Angst und fing an zu zittern. «Wie kommt dies», erwiderte der König, «ist dein Bräutigam nicht dein Retter gewesen?» Die schöne Braut jedoch schien nicht darauf zu hören, und das Gespräch geriet wieder auf andere Dinge.
Es dauerte nicht lange, so kam ein zweiter Hund zum Saal herein, der «Bergeersteiger», machte sich unbeachtet in die Nähe der Prinzessin. nahm ihr in einem unbemerkten Augenblick den silbernen Teller weg und sprang damit zum Saal hinaus. Wieder befahl der König, man solle dem Hund nachspringen, aber Bianca erwiderte: «O nein, Väterchen. laß ihn doch laufen, denn er hat mir das Leben gerettet!» Diesmal jedoch bestand der König auf seiner Frage, wieso das komme. Der Köhler zitterte wie Espenlaub, das der Wind schüttelt. Schon wollte Bianca den wahren Sach
verhält erzählen, als die Saaltüre sich weit öffnete und der Ritter mit dem eisenstarken Arm, von seinen drei Hunden begleitet, hereintrat. Sobald die Königstochter ihn erblickte, brach sie in lauten Jubel aus und rief: Jetzt kommt mein wirklicher Retter!» Der König ließ sich dieses Rätsel erklären, und als er alles erfahren hatte, sprach er zum Köhler: «Nun ihr da, wißt ihr nichts zu eurer Verteidigung vorzubringen?» Der falsche Bräutigam faßte Mut und erwiderte ganz kaltblütig: «Das sind alles lauter Lügengespinste, was eure Tochter erzählt.» Darauf trat der Ritter auf ihn zu und sprach gelassen: «So zeiget mir das Haupt des Riesen, den ihr besiegt zu haben vorgebt!» Der Köhler begab sich hinaus und brachte es herbei. «Ganz recht, hier ist es, aber man schaue nach, ob es auch eine Zunge hat!» Nun kam die Wahrheit ans Tageslicht; es zeigte sich, daß dem Riesen die Zunge fehlte. Der Ritter brachte sie herbei und erzählte, wie er mit seinen drei Hunden den Unhold besiegt habe. Da fragte der König die erstaunten Hofleute, was für eine Strafe der Köhler verdiene. «Nichts anderes als den Tod!», riefen alle Anwesenden wie mit einer Stimme. Darauf wurde der falsche Bräutigam hinausgeführt und bekam für seine Lügnerei die verdiente Strafe.Wie glücklich war nun die Braut, ihren wahren Retter neben sich zu sehen! Jetzt erst wurde die Hochzeit mit Freuden gefeiert, und die beiden lebten lange Jahre in Glück und Frieden.
So findet, wer Gutes tut, das Gute; wer aber Schlechtes tut, bekommt seinen Lohn.
DIE BÖSE STIEFMUTTER
Es war einst eine Stiefmutter, die hatte zwei Töchter. Davon war die eine schön und gut, die andere aber häßlich und schlecht. Die schöne und gute hieß Truda, war aber nicht ihr eigenes Kind; die andere dagegen, namens Fiorina, die häßliche, galt bei der Mutter alles und war ihr Liebling.
Eines Tages sagte die Stiefmutter zu Truda: Geh heute mit den Kühen hinauf auf die Weide, und während sie grasen, mußt du mir diese Seide spinnen.) Das Mädchen gehorchte. Während es mit den Kühen fortzog, sagte es jedoch zu sich selbst: (Wie soll ich es anfangen, so viel Seide zu spinnen?»
Am Mittag erschien ein altes Mütterchen. Das war eine Fee und fragte sie, ob sie ihr das Haar kämmen wolle. Und Trude gab zur Antwort: (Ich würde dich gerne kämmen, aber ich darf nicht aufhören zu arbeiten, schau, ich muß all diese Seide noch fertigspinnen.»
Die Fee antwortete: «Winde die Seide auf die Hörner der Kuh, sie wird es dir spinnen!» Also kämmte das schöne Mädchen die Fee und fand auf ihrem Kopf Gold und Diamanten, welche es von ihr als Geschenk erhielt. Dann sprach die Fee: (Sobald du mit dem Kämmen in der Mitte des Scheitels bist, so kehre dich nach rückwärts.» Trude tat wie geheißen, wandte sich zurück und da fiel ihr ein goldener Stern mitten auf die Stirne. Die Fee aber war plötzlich verschwunden, und die Kuh spann ihr die ganze Seide fertig.
Die Stiefmutter hatte schon einen Stock bereitgelegt, um das Mädchen zu schlagen, denn sie glaubte, es hätte die Arbeit nicht fertiggebracht. Jetzt sah sie zu ihrem Erstaunen, daß alle Seide bereits gesponnen war. Noch mehr verwunderte sie sich über den schönen Stern, den das Mädchen auf der Stirne trug, und das Gold und die Diamanten. die es nach Hause brachte. Dann erzählte Truda alles, wie sie zu diesen Kostbarkeiten gekommen war.
Jetzt schickte die Stiefmutter ihre eigene Tochter, die häßliche Fiorina, auf die Weide, damit sie ebenfalls die Kühe hüte, und diese ihr die Seide spinnen sollten. Kaum war Fiorina auf dem Anger angelangt, so band sie die Seide den Kühen auf die Hörner. Die Tiere aber zerstampften die Seide und streuten sie überall umher, statt sie zu spinnen. Gegen Mittag erschien ein alter häßlicher Mann. Das war der Teufel. Der sagte zu dem Mädchen, sie solle ihn kämmen. Sie tat es, aber statt Gold und Edelsteine fand sie bloß Skorpione und Läuse auf seinem Kopf. «Sobald du mit Kämmen in der Mitte des Scheitels bist, so muß du dich nach rückwärts kehren», sprach der Alte. Sie tat, wie ihr geheißen, aber statt eines goldenen Sternes fiel ihr ein Kuhfladen auf die Stirn.
Voller Entrüstung kehrte die häßliche Tochter ohne die Seide nach Hause zurück. Als die Mutter sie in solchem Zustand heimkommen sah, machte sie sich schnell ans Werk, das Mädchen zu waschen. Aber sie konnte ihr Gesicht auf keine Weise sauber bringen.
Einige Tage später schickte die Stiefmutter die schöne Truda an den Ziehbrunnen, um mit einem Eimer aus Blech Wasser zu schöpfen. Als sie jedoch den Eimer aus der Zisterne heraufziehen wollte, fiel er ihr wieder
ins Wasser hinunter. Da stieg sie selbst hinab in die Tiefe, um ihn zu holen. Sie begegnete dort unten zwei Kätzlein und sagte freundlich zu ihnen:Kätzlein, hübsche Kätzchen mein, Wo ist, wo liegt mein Eimerlein? |
Und sie gaben zur Antwort: «Steig noch ein wenig tiefer hinunter, dann wirst du den Eimer finden.» Also stieg sie noch weiter hinab und fand da wieder zwei Kätzchen, denen sie die gleiche Frage stellte. Und sie gaben zur Antwort:
Wir haben gefunden dein Eimerlein, Sieh her, es ist aus Gold gar fein. |
Mit diesen Worten übergaben sie ihr einen schönen Eimer aus reinem Gold. Ganz zufrieden stieg Truda aus dem Brunnen heraus, kehrte sogleich nach Hause zurück und berichtete ihrer Stiefmutter alles. Diese schickte sogleich ihre eigene Tochter auch hinaus an den Brunnen, um Wasser zu schöpfen. Fiorina gehorchte. Sie ließ absichtlich den goldenen Eimer in die Tiefe fallen und stieg dann selbst hinab, um ihn zu holen. Die Kätzchen schickten sie aber immer weiter hinunter, immer tiefer hinab in den Brunnen. Schließlich fielen sie über das Mädchen her, zerkratzten es im Gesicht und am Hals, nahmen ihm den goldenen Eimer weg und gaben ihm denjenigen aus Blech zurück.
Als die Stiefmutter ihr eigenes Kind in solch erbärmlichern Zustand zurückkommen sah, überhäufte sie die schöne Truda mit Schimpf- und Schmähworten. Dann schloß sie diese in ein Kämmerchen ein mit der Absicht, sie dort Hungers sterben zu lassen.
Bevor aber die schöne Truda hineinging, steckte sie
heimlich einen Apfel, den ihr die Kätzchen geschenkt hatten, in den Grund des Gartens. Aus diesem wuchs in wenigen Tagen ein Apfelbaum voll prächtiger Früchte, dessen Aeste bis an das Fenster ihres Kämmerleins reichten. Und wenn sie Hunger hatte, pflückte sie die Aepfel und aß davon.Um diese Zeit ging der Königssohn am Hause vorüber. Er sah die schönen Aepfel mitten im Winter und wünschte einen davon zu haben. Aber niemand konnte auf den Baum steigen. Da sprach die Stiefmutter zum Baum:
Bäumchen. Bäumchen. Neige dich! |
Doch der Apfelbaum neigte sich nicht. Dann rief sie ihre Tochter Fiorina herbei. Auch diese wiederholte den Spruch, allein es war vergebliche Mühe. Der Apfelbaum neigte sich nicht. Jetzt rief sie die schöne Truda ans Fenster, und kaum hatte das Mädchen die Worte ausgesprochen, so neigte sich der Baum gegen ihr Fenster. Sie pflückte einen Apfel und überreichte ihn dem Königssohn. Dieser nahm das Geschenk an, gewann das wunderschöne Mädchen lieb und sprach: «In einer Woche komme ich in meiner Kutsche, um dich heimzuführen.»
Und als die acht Tage vorüber waren, kam die königliche Karosse in der Tat vor das bescheidene Häuschen der Stiefmutter gefahren. Diese hätte gar zu gerne den Prinzen hintergangen und ihm statt der schönen die häßliche Tochter zur Frau gegeben. Aber der Königssohn merkte ihre Absicht. Truda trat ans Fenster und ließ sich an dem Apfelbaum hinuntergleiten. Der Fürst fing sie auf in seine Arme und trug sie glückstrahlend in seine Karosse.
Dann fuhr er mit ihr in sein Schloß. während die böse Stiefmutter vor Gift und Neid beinahe verging, und die häßliche Fiorina umsonst über ihr Unglück jammerte.
DER GROSSE LAIB BROT
Eines Tages verspürten die Jünger des Herrn großen Hunger. Sie gingen in ein Haus, um für fünf Soldi einen Laib zu kaufen. Die Bäckersfrau hieß sie einen Augenblick warten, weil das Brot noch im Backofen sei. Als sie den Laib aus dem Ofen nehmen wollte, war er wie durch ein Wunder so groß geworden, daß sie ihn nicht mehr zur Ofentür herausziehen konnte und ihn deshalb in Stücke zerschneiden mußte. Jetzt wollte ihn die Frau nicht mehr für fünf Soldi geben, weil er zu groß sei. Die Jünger gingen deshalb aus der Backstube. um anderswo Brot zu kaufen. Am nächsten Ort wiederholte sich derselbe Vorfall. Hierauf traten sie in eine dritte Backstube, und die Bäckerin sagte zu ihnen: Nehmt nur das Brot und laßt es euch schmecken, da habt ihr einen Laib, wie ich keinen größern finden kann, auch wenn man ihn besonders hergestellt hätte.»
Die Jünger nahmen den Laib und verzehrten ihn, denn sie hatten einen tüchtigen Hunger. Als sie satt waren, sprachen sie zu ihrem Meister: «Was gebt ihr dieser guten Frau zum Dank dafür, daß sie uns einen so großen Laib Brot für so wenig Geld überließ?» Und der Meister gab tiefsinnig zur Antwort: «Ihr gutes Herz soll sie behalten. Es wird ihr helfen, alle Trübsal und Widerwärtigkeiten dieser Welt zu überwinden. Als Lohn aber wird man ihr unterdessen in jener andern, höhern Welt einen schönen Platz bereiten.»
WIE EIN FISCHER SEIN KIND VERKAUFTE
Gianni trieb, wie schon sein verstorbener Vater, das Handwerk eines Fischers. Freilich hatte er beim Fischfang nie viel Glück gehabt, denn es waren nur wenige Fische, die er jeden Tag fing. Und doch hatte er eine sehr zahlreiche Familie. Fünfzehn Kinder nebst seiner Frau saßen hungrig am Tisch und verlangten nach Brot.
Wie schon oft, so saß er auch an einem schönen Maimorgen, um vier Uhr in aller Frühe, am Seeufer und warf sein braves Netz aus. Aber so oft er es auch zurückzog, so fand er nicht einmal den Schwanz eines Fisches darin. Die Turmuhr hatte bereits acht Uhr geschlagen, und die andern Fischer kehrten schon heimwärts, zufrieden mit ihrem guten Fang. Der unglückliche Gianni aber ließ sich's nicht verdrießen und fischte geduldig weiter. Allein, es wollte auch jetzt kein Fisch in sein Netz gehen.
Schon war er in seiner Verzweiflung im Begriff, seine Sachen zusammenzupacken und heimzukehren, als vor ihm ein alter, aber vornehm gekleideter Mann erschien und ihn liebevoll anredete: (Guter Mann, wie geht es mit dem Fischfang heute morgen?» —(Schlecht, sehr schlecht, mein Herr! Schon seit vier Uhr sitz ich hier und habe nichts, aber auch gar nichts gefangen, und meine große Familie hat nichts zu essen.»
«Nun gut, lieber Freund», sagte der Unbekannte, (SO will ich euer Glück machen. Aber unter einer Bedingung.
Ihr müßt mir euer nächstes Söhnlein, das ihr bekommt, verkaufen, wenn es vierzehn Jahre alt geworden ist. Wollt ihr das annehmen?»Der Fischer überlegte bei sich im stillen, daß er und seine Frau bald fünfzig Jahre alt seien und doch keine Kinder mehr zu erwarten hätten. Deshalb gab er zur Antwort: «Ich bin damit einverstanden.» — «Gut so, dann setzt eure Unterschrift hieher», sprach der Unbekannte und reichte ihm ein beschriebenes Papier. Der Fischer unterschrieb den Vertrag. «Da, nehmt, hier habt ihr dreihundert Franken», fügte der Alte hinzu. «Und jetzt werft euer Netz noch einmal aus.» Der Fischer gehorchte.
Jetzt zieht es zurück!»
Und, o welch Wunder! Der Fischer zog viele schöne Fische ans Ufer. Er fragte voll Erstaunen: «Aber wer seid ihr, mein Herr? Wohl gar ein Zauberer?» — «Also», versetzte der Unbekannte, «es bleibt abgemacht. Heute ist Anfang Mai. Nach fünfzehn Jahren am fünften Mai um acht Uhr morgens seid ihr hier an der gleichen Stelle mit eurem Sohn!» Und kaum hatte er dies gesagt, war er verschwunden. Glückstrahlend kehrte der Fischer mit dem vielen Geld und den Fischen nach Hause zurück. Von diesem Tag an fing er immer Fische und konnte seine große Familie gut durchbringen.
Ein Jahr später schenkte ihnen Gott aber ein schönes Kind. Die Mutter wußte von dem Pakt, den ihr Mann mit dem geheimnisvollen Alten abgeschlossen hatte. Sie grämte sich darüber, wenn sie ihr Kindchen anschaute und rief aus: «Wenn heut über vierzehn Jahren das Kind noch am Leben ist, so wollen wir sicher diesen unsern Schatz nicht hergeben, nicht wahr,
mein lieber Mann!» Dem Söhnlein gaben sie bei der Taufe den Namen Fortunino, der Glückliche. Es wurde rasch größer und war kräftig und schön. Mit sechs Jahren besuchte der Knabe die Dorfschule und wurde bald der Liebling des Lehrers. Er machte gute Fortschritte und war der Tüchtigste in der Schule. Aber so oft der Vater seinen Sohn anschaute, kamen ihm die Tränen, und er konnte nicht anders als weinen. Der Knabe erzählte dies seinem Lehrer und dieser sprach: «Fortunino, du mußt, koste es was es wolle, von deinem Vater in Erfahrung bringen, warum er weint, so oft er dich ansieht. Du bist nun dreizehn Jahre alt, bist groß und stark, fast mehr als es deinem Alter entspricht.»Eines Tages waren Fortunino und sein Vater allein in der Küche. Und wieder fing der Vater, wie gewohnt, zu weinen an, und er weinte wie eine abgeschnittene Rebe.
«Warum weinst du jedesmal, wenn du mich siehst, Vater?» fragte das Kind mit liebevollen Worten. «Was für ein Geheimnis verbirgst du vor mir?»
«Ach, ich weine, ich weine... so... so... Ich weiß es selber nicht recht... ich . . .»
«So sag es mir doch, Väterchen, sag es mir, ich bin doch jetzt dreizehn Jahre alt.» Da beschloß der Vater, es ihm zu sagen und sprach: «So wisse, mein liebes Kind, daß ich dich verkauft habe. Es geht nicht mehr ganz ein Jahr, am fünften Mai, so muß ich dich ans Ufer des Sees führen. Dort wird sich um acht Uhr morgens, ein reicher alter Herr einfinden. Dann wirst du mich verlassen und mit ihm gehen müssen. Ich habe ein Schriftstück unterzeichnet. Verzeihe mir. Es war das Elend dran schuld, das mich trieb, dich zu verkaufen, noch ehe du auf der Welt warst. Verzeihe mir,
verzeihe mir!» Und damit brach der unglückliche Vater in lautes Jammern aus.Fortunino blieb wie versteinert. Er brachte kein Wort heraus, kein Vorwurf kam über seine Lippen.
Am folgenden Tag erzählte er den unerhörten Vorfall seinem Lehrer.
«Die Sache ist sehr ernst, um nicht zu sagen geheimnisvoll», meinte der Lehrer. «Doch... warte... mir kommt ein Gedanke. Ich habe einen Bruder, der ist Pfarrer im Dorfe P Vielleicht kann er dir aus dieser Verlegenheit helfen. Morgen gehst du zu ihm. Hier hast du Geld für die Reise. Mut braucht's hier freilich .
Schon am Abend des nächsten Tages kehrte Fortunino wieder von seiner Reise zurück.
«Und nun», rief ihm der Lehrer entgegen, «sag schnell, was bringst du mir für Neuigkeiten?»
«Euer trefflicher Bruder sendet euch viele herzliche Grüße. Was den Vertrag anbetrifft, den mein Vater und jener geheimnisvolle Alte abgeschlossen haben, so weil er nicht, was er dazu sagen soll. Er glaubt, es sei der Teufel. Da sollte man vor allem wissen, wo er zu Hause ist.»
«Das werden wir bald erfahren, Fortunino. Morgen in aller Frühe begibst du dich auf das Gebirge im Osten des Dorfes. Dort droben wohnen zwei Brüder von mir als Einsiedler. Der eine oder der andere wird dir aus dieser Notlage helfen.»
Also stieg Fortunino am andern Tag hinauf ins Gebirge. Er wanderte und wanderte den ganzen Tag. Endlich gelangte er gegen Sonnenuntergang zur ersten Klause. Er klopfte an, und es öffnete ihm ein alter Einsiedler, der einen langen weißen Bart trug.
«Komm herein, schönes Kind. Was führt dich in so später Stunde zu mir?»
Der Junge erzählte, was für einen Vertrag sein Vater mit einem geheimnisvollen Alten, der sicher niemand anders als der Teufel sei, abgeschlossen habe, und fragte den Waldbruder, ob er nicht wisse, in welchem Hause der Unhold wohne.
«Morgen wollen wir darüber nachdenken. Unterdessen nimm und iß dieses Stück Brot und trink von diesem Wasser, denn du wirst Hunger und Durst haben. Nachher legst du dich auf jenen Strohsack nieder und schläfst bis morgen.»
Am andern Morgen versammelte der Eremit mit einem Pfiff seine tausend Tauben und befahl ihnen, durch die Welt zu fliegen, um das Haus des Teufels ausfindig zu machen. Aber nach drei Tagen kehrten die beflügelten Bewohner der Lüfte wieder zurück, ohne etwas gefunden zu haben.
«Höre, mein Kind!», sprach der Büßer. «Zwei Stunden Weges von hier wohnt einer meiner Brüder, ein Zauberer, ein Magier, wie es keinen mächtigeren geben kann. Mach dich auf zu ihm, ich bin gewiß, daß er dich von dem Vertrag erretten kann, den dein Vater mit dem Satan geschlossen hat.»
Fortunino dankte und ging fort. Er wanderte und wanderte und klopfte schließlich an die Türe des Zauberers aller Zauberer. Als die Tür aufging, stand die Zauberin auf der Schwelle. «O du armer Knabe», rief sie aus, «weißt du denn nicht, daß der schreckliche Zauberer alle aufißt, die ihm unter die Augen kommen? Weißt du nicht, daß, wer hier zu dieser Tür hineingeht, weder lebend noch tot wieder herauskommt?» Sie hatte jedoch so großes Mitleid mit
dem bildschönen Knaben. daß sie ihn eintreten ließ, ihm zu essen gab und ihn dann mit mütterlicher Fürsorge zu Bette brachte.Nach einer Weile kehrte der Zauberer mit großem Gepolter heim.
«Ich rieche Menschenfleisch!», rief er aus.
«Du bist wohl närrisch», erwiderte die Zauberin, «iß jetzt zu Nacht und schweig!»
«Nein, ich bin kein Narr. Willst du den Menschen holen oder soll ich gehen?»
Da eilte die Zauberin zum schlafenden Kind. weckte es, führte den Knaben, der keinerlei Angst hatte, vor den Zauberer und bat ihn solange und inständig, das hübsche Kind zu schonen, bis der böse Mann einwilligte. Ja, er streichelte sogar den Jungen. Fortunino erzählte ihm unerschrocken von dem Pakt zwischen seinem Vater und dem Teufel und bat ihn treuherzig, er möge ihn doch davon befreien.
«Ich will es tun», sagte er. Darauf befahl er seiner Frau, ein tüchtiges Feuer anzufachen und näherte sich hierauf mit dem Knaben dem großen Kamin. Er hatte ein altes Buch bei sich, dessen Pergamentdeckel über und über mit Flecken bedeckt war. Ferner schwang er in der Hand eine Rute aus Eisen, die er im Feuer zum Glühen brachte. Hierauf öffnete er sein Zauberbuch und rief mit donnernder Stimme einen Teufel herbei. Gleich darauf sauste einer durch den Kamin herab. Der war noch ganz jung.
«Bist du es», sprach der Magier zu ihm, «bist du es, Unglücklicher, der diesen Knaben von einem Fischer gekauft hat, noch ehe der Kleine zur Welt kam?«
«Nein!»
«Dann fort mit dir!» Und damit gab er ihm mit der glühenden Rute einen entsetzlichen Streich.
Drauf rief er mit schauerlicher Stimme einen andern Teufel. Jetzt erschien einer, der war alt, sehr alt, verkrüppelt und hatte einen Buckel.
«Bist du es. der von einem Fischer diesen Knaben gekauft hat, noch ehe er geboren war?»
«Ja freilich», grinste der abscheuliche Satan.
«Aha, du bist's also, du Verwünschter. Da nimm!» Und der Zauberer fiel über ihn her und versetzte ihm so viele Rutenschläge, bis er halbtot zu Boden fiel.
«Wo ist das Schriftstück, auf dem der Vertrag unterschrieben wurde? Wenn du es mir nicht auf der Stelle gibst, so schlage ich dich tot.»
Jetzt zog der Teufel das Schriftstück hervor, und der Zauberer verbrannte es vor seinen Augen im Kaminfeuer. Darauf kehrte der Satan mit zerschlagenen Gliedern in die Hölle zurück.
Der Zauberer aber, der trotz seiner Grausamkeit doch ein gutes Herz hatte, schenkte dem Knaben Fortunino ein Säcklein voll Goldstücke und ließ ihn dann heimkehren.
Endlich kam der fünfte Mai. Der Fischer saß am Seeufer am selben Ort, wie vor fünfzehn Jahren und fischte, und Fortunino stand dabei; aber es erschien niemand, der ihm das Kind verlangte, und so kehrten sie glücklich zur Mutter heim.
MERKWÜRDIGE ERLEBNISSE EINES
KÖNIGSSOHNES
In einem Land, weit weit weg von hier, lebte einst ein König, der hatte zwei Söhne. Der ältere hieß Luigino und war vierundzwanzig, der jüngere hieß Giovanni oder Hans und war achtzehn Jahre alt. Weil sie aber daheim nicht im Frieden auskamen. beschlossen sie, sich vom Vater Geld geben zu lassen und dann in die Welt hinauszuziehen. Und so geschah es auch.
Eines Morgens nahmen sie Reisegeld und allerhand Wertsachen mit sich und machten sich zusammen auf den Weg. Und als die Sonne unterging, kamen sie an eine Stelle, wo die Straße sich in zwei Richtungen teilte. Da sprach Hans zu seinem älteren Bruder: Weißt du, was wir jetzt machen wollen? Du gehst diesen Fußweg zur Linken und ich diesen Weg zur Rechten, denn wenn wir miteinander wandern, so bringen wir es zu nichts. Aber du mußt mir versprechen, daß wir uns in zwei Jahren hier wieder treffen. Und dann wollen wir schauen, wer von uns beiden es bis dann zu größerem Reichtum gebracht hat.»
Nach zwei Jahren trat Luigino, weil er furchtsamer und weniger unternehmungslustig als sein jüngerer Bruder war, wieder den Heimweg an und kehrte arm zu seinem Elternhaus zurück. Hans dagegen, als der schlauere und mutigere von beiden, begann seine Laufbahn mit viel Glück.
Er war ein leidenschaftlicher Jäger und bemerkte
eines Tages auf der Jagd eine Schar wilder Tauben, die fröhlich bald da, bald dorthin flogen. Schon zielte er mit seinem Gewehr auf sie, sah jedoch nicht, daß hinter seinem Rücken ein Mann stand, der ihn daran hinderte, den Schuß gegen die hübschen Tiere abzufeuern. Der Fremde versicherte ihm, er besitze so viel Geschick, daß er imstande sei, die Tauben schön und lebendig herabfallen zu lassen. Und wirklich, er brauchte nur die Hand langsam emporzuhalten und wieder sinken zu lassen, so lagen die Tauben lebend zu Hansens Füßen. Voller Verwunderung fragte er jenen Mann, wie er denn heiße. «Magnet ist mein Name». antwortete der andere.Da anerbot er ihm einen Franken als Lohn und den Lebensunterhalt, wenn er mit ihm ziehen wolle. Der Fremde nahm den Vorschlag an, und sie setzten selbander ihren Weg fort, brauchten auch nicht in Sorgen zu sein, denn alle Tage machten sie reichliche Jagdbeute.
Eines Tages gerieten sie beim Verfolgen der Tiere immer weiter in einen dichten Wald; denn sie fanden dort eine Menge Wild. Da sahen sie einen Mann, der trug eine Mütze, auf deren Schirm ein Pistolenlauf befestigt war, und so oft er sich umdrehte, ging ein Schuß los. Als Hans bemerkte, wie er in kurzer Zeit viel Wild erlegte, ging er auf ihn zu und fragte ihn: «Aber sag doch, wie heißest du?»
«Kanonier oder Meister Bumm, wie mich die Leute oft nennen», erwiderte der andere. Und Hans fuhr fort: «Willst du mit mir kommen? Ich gebe dir einen Franken im Tag und zu essen.» Der andere war es zufrieden, und sie zogen zu dritt ihres Weges weiter. Hatten sie Hunger und wollten Wildbret essen, so brachte
Magnet das Tier mit einer bloßen Handbewegung zum Stehen, und Meister Bumm tötete es.Einmal erblickten sie nicht weit weg von ihnen eine Gruppe armseliger Häuser. Sie gingen darauf zu, um sich ein wenig auszuruhen und etwas zu essen. Da bemerkten sie jedoch, daß alle Bewohner des Ortes ihre Habseligkeiten flüchteten. Jetzt erst entdeckten sie zu ihrem Erstaunen einen Mann, der im Begriffe stand, den Berg oberhalb des Dörfchens festzuhalten. Sie schritten auf ihn zu, und Hans fragte ihn: «Ja, was machst du da eigentlich?» «Da, den Berg muß ich aufhalten, denn er will herunterkollern», gab der andere zur Antwort.
«Ach, ja wahrhaftig, aber sag doch, wie heißest du?» — «Eisenschulter», entgegnete der andere. «Willst du mit mir kommen», sprach Hans zu ihm, «so gebe ich dir einen Franken im Tag, sowie zu essen und zu trinken.» Ihr könnt euch vorstellen, wie jener froh über dieses Anerbieten war, denn er hatte vor Armut nur noch Fetzen am Leibe.
Als sie wieder eine Meile gewandert waren, begegneten sie einem, der lief und lief, so schnell wie der Wind und hielt einen Eilbrief in den Händen. Hans rief ihm schon von weitem zu: «Halt da, was machst du? Wohin denn so eilig, und wie heißest denn du?» — «Ich will einen Eilbrief besorgen und heiße: Corri-Corri, Lauflauf.» — «Nun gut, mein lieber Corri-Corri, willst du mit mir kommen? Ich gebe dir einen Franken im Tag und zu essen.» Der Eilbote machte nicht viel Worte, ließ sich dies nicht zweimal sagen und schloß sich ihnen an.
Bald darauf kamen sie an die Tore der Stadt Roccapiana. Und als sie durch die Straßen dieses Burgflekkens
zogen, sahen sie an einem Hause einen Maueranschlag, auf welchem in großen Buchstaben zu lesen war: «Die Tochter des Königs Roccachiusa mit Namen Fulmine oder Blitz fordert einen jeden heraus, mit ihr um die Wette zu rennen. Wer sie im Schnellaufen übertrifft, soll sie zur Frau erhalten: wer aber verliert, muß sein Leben lassen.»«Das wäre etwas für unsereinen», dachte Hans bei sich im stillen. «Ja wohl, ja freilich, ich werde die Königstochter zur Frau gewinnen!» Er wurde mit seinem Kameraden Lauflauf einig, stellte sich ohne lange Umstände dem König vor und schloß mit diesem einen Vertrag, der lautete: «Mein lieber Corri-Corri rennt für mich um die Wette. Verliert er. so muß ich sterben; bleibt er Sieger, so heirate ich die Prinzessin.»
Der König erklärte sich damit einverstanden. Tags darauf wurde das große Wettrennen veranstaltet. Fräulein Fulmine lief davon wie der Wind. und unser Corri-Corri war im Begriff zu verlieren. Hei, wie viel Leute waren herbeigeströmt, um dem Schauspiel beizuwohnen!
Sobald Hans bemerkte, daß sein Schnelläufer zurückblieb, dachte er flugs daran, seinen Gefährten Magnet zu bitten, er solle die Prinzessin zum Stillstehen bringen. Da hob Magnet seine Hand in die Höhe und ließ sie langsam wieder sinken. Jetzt sah man ganz deutlich, wie die Königstochter immer mehr zurückblieb. Bald holte der Schnelläufer sie wieder ein und blieb Sieger. Nun war Hans sicher, daß er die Prinzessin zur Frau erhalten würde.
Wie glücklich war er darüber! Und er eilte sogleich ins Königsschloß, um die frohe Botschaft zu verkünden. Der König erzählte seiner Tochter, welchen Vertrag
sie zusammen abgeschlossen hatten und daß sie darum Hans als Sieger heiraten müsse. Sie aber erklärte, sie wolle nicht ihn, sondern den Schnelläufer zum Manne nehmen; der sei es ja gewesen, der sie besiegt habe.Jetzt wandte sich der König zu Hans mit den Worten: «Ich gebe dir so viel Gold, als ein Mann zu tragen vermag; aber meine Tochter bekommst du nicht!» Und damit führte er ihn in verschiedene Zimmer, die ganz voll Goldstücke waren. Dann ging er weg. Hierauf rief Hans seinen Freund Eisenschulter herbei, und dieser trug alles Gold in einemmal von dannen. Sie luden es auf ein Segelschiff und stießen vom Ufer, ohne daß sie dem König für die genossene Gastfreundschaft Dank gesagt hatten. Der König aber bemerkte ihre Flucht und ließ ihnen nachjagen.
Hans und seine Gefährten waren jedoch schon weit draußen auf dem Wasser. Der Kanonier fing an, seine Pistole abzufeuern und gab so viel Schüsse ab, daß er in kurzer Zeit alle Leute, die dem Schiff nachsetzten, umbrachte.
Jetzt erst beschloß die Königstochter, Hans doch zu heiraten, denn er hatte ja den ganzen Goldschatz ihres Vaters mit fortgeführt, und sie hatte nichts mehr. Nun könnt ihr euch vorstellen, welch eine Freude das für den Königssohn war, daß es ihm nach so viel Hindernissen gleichwohl gelang, die Prinzessin zu heiraten. Und er verschaffte damit auch seinem Bruder Luigino ein großes Glück.
Sie hielten ein Festmahl mit großer Pracht; Doch mir haben sie keinen Bissen gebracht. |
DER FLÜCHTLING IM BACKTROG
Es war einst ein Soldat. Der hatte zwei Jahre lang als Freiwilliger gedient, und als die Zeit um war, wollte er wieder nach Hause zurückkehren. Unterwegs überraschte ihn ein starkes Gewitter, und er suchte Obdach in einer Hütte. Mittlerweile fuhr es fort zu donnern und in Strömen zu regnen, und der arme Soldat stand und wartete mißvergnügt, ob das Wetter endlich besser würde. Und wie er so trübselig in das Sturmwetter hinausblickte, kam etwas kleines Schwarzes auf ihn zugelaufen. Als er genauer zuschaute, sah er. daß es ein Rabe war. Er nahm ihn freundlich auf den Finger und sprach zu ihm: «Du sollst mir auf der Reise Gesellschaft leisten.»
Endlich graute der Tag, der Himmel heiterte sich auf, und der Soldat konnte sich mit seinem Raben auf den Weg machen. Er wanderte und wanderte den ganzen langen Tag. Die Nacht brach herein, und immer noch bemerkte er weit und breit kein Haus. Nachdenklich und ermüdet setzte er sich auf ein Mäuerlein an der Straße, um ein wenig auszuruhen. Und indem er um sich schaute, wahrhaftig, da sah er weit weit weg, ganz in der Ferne, ein Lichtlein brennen. Also raffte er sich auf, um noch dorthin zu gelangen, und als er endlich totmüde da ankam, war es ein Bauernhaus. Er klopfte an die Tür. Eine Frau öffnete und fragte ihn nach seinem Begehr. «Könnte ich nicht hier über Nacht bleiben, um etwas auszuruhen?
Meine Beine können mich vor Müdigkeit nicht mehr tragen.» «So kommt herein!» sprach die Frau, ließ ihn in die Stube treten und Platz nehmen. Dann fragte er, ob sie nicht noch etwas weniges zu essen habe. Die Frau entgegnete, sie hätte nichts bereit im Augenblick; aber wenn er etwas Geduld haben wolle, werde sie ihm ein gutes Nachtessen zubereiten. Unterdessen wies sie ihm sein Nachtlager an. Es war ein Strohsack auf dem Dachboden. Dieser Boden war so beschaffen, daß seine Bretter jeweilen eine Handbreit auseinanderstanden, so daß man durch die Lücken von oben hinabsehen konnte, was drunten vor sich ging. Der Soldat konnte vor Müdigkeit noch nicht einschlafen und war froh, daß er sich wenigstens ausstrecken durfte. Jene Bauersleute besaßen viele Kühe, und der Mann war auf den Markt gegangen, um zwei oder drei Stück Vieh zu verkaufen.Gegen Mitternacht vernahm unser Gast ein leises Klopfen an der Haustür. Die Frau rief «Herein!». Da kam ein Mann mit einem Tragkorb auf dem Rücken und packte eine ganze Menge Eßwaren aus. Der Soldat schaute aufmerksam durch die Bretterlücke hinab, was nun geschehen werde. Der Mann und die Frau fingen an gierig zu essen, so daß man sah, daß sie es eilig hatten. Nach einer Weile hörte man ein neues Klopfen an der Türe. Nun wußte die Frau, daß das ihr Mann war. Aber bevor sie öffnete, versteckte sie den Fremdling im Backtrog, worin sich der Teig befand, um das Brot zu backen. Die Eßwaren verbarg sie blitzschnell hinter dem Küchenkasten und im Backofen. Sobald sie alles hübsch versorgt hatte, nahm sie zum Schein ein Paar Socken, an denen sie strickte, in die Hand und ging an die Tür, um aufzumachen. «Du
hättest mich noch ein wenig länger warten lassen können», sagte der Bauer zornig. Dann trat er in die Stube und verlangte zu trinken. «Ich habe nichts da», erwiderte die Frau, «wenn du ein wenig Wasser mit Zucker darin willst, so will ich dir's wärmen.» Aber der Bauer lehnte dies mißmutig ab. Darauf verlangte er etwas zu essen. Die Frau versetzte jedoch wiederum: «Ich habe nichts da, geh jetzt zu Bette, morgen früh will ich dir ein gutes Essen richten.» Der Bauer hatte keine Lust, ohne Essen noch Trinken zu Bette zu gehen. Da sagte die Frau, um das Gespräch auf etwas anderes zu lenken: «Weißt du auch schon, mein Antonio - so hieß nämlich der Bauer - daß ein Soldat in unser Haus gekommen ist, weil er nirgends mehr ein Obdach finden konnte?» Da meinte der Bauer, sie solle ihn rufen, denn er hätte Lust, mit ihm zu plaudern, weil er ja auch zwei Söhne im Felde hatte. Die Frau wollte nicht. denn so würde die Sache sich noch in die Länge gezogen haben, sie hätte ihr reichliches Mahl nicht weiter essen und den Mann aus seinem Versteck nicht fortlassen können. Antonio jedoch bestand so eifrig darauf, den Soldat zu rufen, bis sie schließlich gehorchte, um nicht Streit zu bekommen.Jetzt stieg der Soldat mitsamt seinem kleinen Reisegefährten, dem Raben, herunter. Die beiden Männer fingen an, miteinander zu plaudern, und der Bauer freute sich, daß sein Gast hier noch ein Nachtlager gefunden hatte. Als er dann auch den Raben bemerkte, fragte er ihn, was er mit jenem Vogel anfangen wolle. Der junge Mann gab zur Antwort: «Schaut, dieser Rabe da ist ein berühmter Zaubervogel. Möchtet ihr gerne eine Probe davon sehen? So zum Beispiel, hättet ihr etwa gerne ein gutes Süppchen, das mit der Brühe
eines feinen Kapaunbratens zubereitet ist?» —«Ja freilich, das wäre ganz nach meinem Sinn», gab der Bauer zur Antwort. Jetzt gab Johannes - so hieß nämlich der Soldat - dem Vogel einen ganz leichten Schlag auf den Rücken, worauf dieser schrie: «Qua, qua!», oder zu deutsch: «Her damit, her damit!» Dann sprach der Soldat zur Bauersfrau: «Schaut einmal nach im Backofen auf der linken Seite; dort findet ihr eine ganze Schüssel voll guter Suppe.» Die Frau getraute sich nicht, zu zögern, aus Angst, entdeckt zu werden. Sie brachte also die Suppe auf den Tisch. Nun beginnen die beiden Männer aus Herzenslust zu essen. Als sie dann mit der Suppe fertig waren, sagte Johannes: «Möchtet ihr jetzt noch gerne einen Kapaunbraten haben?» — «Das könnt ihr euch denken!», erwiderte der Bauer erstaunt. Wieder gab der Soldat seinem Raben einen leichten Schlag auf den Rücken, und dieser schrie: «Qua, qua, her damit!» —«Schaut, liebe Frau», meinte der Soldat zur Wirtin gewandt, «dort hinter dem Küchenschrank werdet ihr ein feines Hühnchen finden.» Und richtig brachte sie den gewünschten Kapaunbraten auf den Tisch. Und so fuhr der Soldat fort, bis sie alles gegessen hatten.Sobald sie damit fertig waren, sagte Johannes: «Nun, lieber Herr Wirt, möchtet ihr jetzt auch noch den Teufel sehen?» — «Potz Donner und Blitz, ja freilich, den möcht ich noch gerne sehen», erklärte der Bauer lachend. «Nun gut, ihr stellt euch also dort an der Türe auf mit einem Stock in der Hand. Ich gebe dem Raben wiederum einen Schlag, und wenn ich auf drei gezählt habe, so wird der Teufel aus diesem Backtrog herausfahren!»
Jetzt wußte sich die Bauersfrau vor Angst kaum
mehr zu helfen, und gerne hätte sie die Sache verhindert; aber sie fürchtete, das Geheimnis könnte an den Tag kommen. Der Soldat stellte sich an den Backtrog, zählte: «Eins, zwei, drei», hob den Deckel in die Höhe und der Fremdling, der sich darin versteckt hatte, stieg heraus, ganz überzogen mit frischem Teig und mit Mehl. Der Bauer, der an der Türe stand, gab dem vermeintlichen Teufel eine tüchtige Ladung Prügel mit auf den Weg, die hageldicht auf ihn niedersausten. Der mit Mehl übertünchte und unkenntlich gemachte Flüchtling gelangte derart aus dem Hause und war froh, noch so glimpflich davongekommen zu sein. «Lieber Prügel bekommen als entdeckt und gar umgebracht zu werden», mochte er bei sich denken.Die Bäuerin hatte gezittert wie Espenlaub. Als dieser Auftritt vorüber und der Teufel entronnen war, wollte der Bauer Antonio, daß ihm der Soldat um jeden Preis den Raben gebe. Johannes aber tat dergleichen, als wollte er ihn nicht verkaufen. Schließlich anerbot ihm der Bauer einige Stück Vieh, worauf sich der Soldat mit dem Tausch einverstanden erklärte. Noch am selben Abend wurde der Handel abgeschlossen; Johannes ließ ihm den Raben und zog mit den dafür gewonnenen Kühen seiner Heimat zu.
Am folgenden Morgen sagte die Bauersfrau: «Jetzt haben wir nichts mehr zu essen!» — «Ei, mach dir doch keinerlei Sorgen», entgegnete der Bauer, «wir haben ja unsern Raben, diesen wertvollen Zaubervogel, der wird uns viel Glück bringen. Und er fing an, den Vogel zu streicheln und ihn sorgsam auf den Rücken zu schlagen, damit er «qua, qua» machen solle. Aber es erschien trotzdem kein Essen auf dem Tisch. Antonio aber gab nicht nach und fing immer wieder an, dem Vogel auf den Rücken zu tätscheln. Es war alles umsonst, bis schließlich der arme Rabe unter den zu vielen Liebkosungen starb.
Inzwischen aber war Johannes mit seinen Kühen glücklich heimgekehrt, und der Bauer Antonio hatte das Nachsehen.
DIE DREI GOLDENEN ÄPFEL
Ein Königssohn hatte sich vorgenommen, die Fee der drei goldenen Aepfel heimzuführen. Er bat seinen Vater um die Erlaubnis dazu und machte sich auf den Weg, sie zu suchen. Auf seiner Wanderschaft traf er eine alte Frau an und fragte sie, wo die Fee mit den drei goldenen Aepfeln sich aufhalte. Sie gab zur Antwort: «Das weiß ich nicht, mir ist nur so viel bekannt. daß man, um sie zu finden, einen Sack voll Hirse, einen Sack voll Brot, einen starken Baumast. einen Besen und ein Seil braucht.»
Der Prinz verschaffte sich alle diese Dinge und machte sich auf die Reise. Unterwegs flogen einige Adler auf ihn herab, die wollten ihn zerreißen. Er warf ihnen den Sack voll Hirsekörner hin und zog weiter. Dann kamen ihm Hunde entgegen, die zeigten ihm hungrig die Zähne. Er warf ihnen Brotstücke hin und zog seine Straße vorwärts. Alsdann begegnete er einigen Männern, welche mit ihren Schultern schwere Steine emporzuheben suchten. Er schenkte ihnen den Baumstamm, zeigte ihnen, wie sie ihn als Hebebaum benützen könnten und zog weiter. Hierauf traf er einen Bäcker, der den Backofen mit seinen Händen wischte. Er gab ihm den Besen und wanderte weiter. Dann fand er eine Frau, die den Wassereimer mit der bloßen Hand aus seinem Ziehbrunnen zog. Ihr schenkte er das Seil und zeigte ihr, wie sie es bequemer haben könnte.
Endlich gelangte er an ein Haus und trat ein. Es war jedoch niemand zu sehen. In einer Kammer lagen drei Aepfel aus reinem Gold. Er nahm sie weg und machte sich eiligst davon. Das hatte jedoch eine alte Frau bemerkt, und lief ihm nach wie der Wind, um ihn zu fassen. Auf seiner Flucht war er bereits zum Ziehbrunnen gekommen, wo die Frau den Wassereimer mit dem Seil herauszog. Die Hexe schrie ihr schon von weitem entgegen: «Halt ihn fest!» Aber die Frau antwortete: «Nein, nein, dieser hat mir das Seil geschenkt.» Dann kam er zum Bäcker gelaufen und die Alte rief wieder: «Halt ihn fest!» Der Bäcker aber erwiderte: Nein, denn er hat mir den Besen gegeben.» Und so konnte er sich vor den Steinhauern, vor den Hunden und den Adlern retten, bis er an einen Ort gelangte, wo er vor allen Gefahren sicher war.
Müde geworden, setzte er sich unter einen Baum und öffnete einen der goldenen Aepfel. Es kam ein sehr schönes Mädchen heraus und sagte zu ihm: «Gib mir zu trinken!» Und der Königssohn antwortete: «Ach wie schade, ich habe kein Wasser», worauf sie sprach: Nun gut, dann muß ich sterben.» Und damit verschwand sie.
Hernach gelangte er an ein Waldbächlein. Er setzte sich nieder und öffnete den zweiten Goldapfel. Aber während er dies tat, versiegte der Bach und kein Wasser war mehr zu finden. Wieder stieg ein bildschönes Mädchen aus dem Apfel hervor und wünschte zu trinken. Zu seinem Schmerz konnte er auch ihr kein Wasser reichen, und sie verschwand.
Schließlich kam er zu einem stark sprudelnden Brunnen. Dort setzte er sich wieder nieder und öffnete den letzten Apfel. Und siehe, diesmal kam ein Mädchen
heraus, das wunderlieblich und weit schöner war als die zwei andern. Auch es begehrte zu trinken. Er reichte ihm einen Becher voll frischen, herrlichen Wassers, und sie trank. Dann sprach der Fürst ganz glücklich zu ihr: «Bleib hier. Ich will schnell zu meinem Palast zurückkehren, der nicht weit von hier entfernt ist und eine schöne Kutsche, Pferde und Dienerschaft herbeiholen. Dann werde ich dich in aller Pracht in mein Haus führen.»Sie blieb am Brunnen sitzen und der Prinz eilte glückstrahlend nach Hause. Während er jedoch weggegangen war, kam eine alte Hexe an den Brunnen, Wasser zu schöpfen. Sie war neidisch auf das schöne Mädchen und wollte es kämmen. Und während sie ihre wundervollen langen Haare kämmte, steckte sie ihr eine große, verzauberte Nadel ins Haar. Da wurde das reizende Mädchen zu einer Taube verwandelt und flog fort.
Die Alte aber setzte sich an ihrer Stelle an den Brunnen und wartete auf den Königssohn. Dieser kam bald darauf mit einer goldenen Kutsche, mit Pferden und Dienerschaft zurück, und als er sah, wie häßlich sie war, fragte er sie, woher das komme. Und sie erwiderte: «Weil ich großen Hunger habe.»
Da führte sie der Prinz in seiner prächtigen Karosse nach Hause und befahl, daß man ihr sogleich ein glänzendes Mittagessen bereitete. Die Taube aber war ihnen nachgeflogen, und während der Koch den Braten schmoren ließ, sang die Taube:
Koch, schöner Koch. Schlaf fröhlich ein. So wird dein Braten Angebrannt sein! |
Darauf versank der Koch in tiefen Schlaf und der Braten brannte an. Und so geschah es zweimal nacheinander. Unterdessen verging die häßliche Alte beinahe vor Hunger und Wut. Das dritte Mal endlich gelang es dem Koch, den Braten richtig zuzubereiten; aber die Taube flog immer über den Speisen her, so daß niemand recht essen noch sie fangen konnte.
Da streckte der Prinz seine Hand aus, und die Taube flog herbei. Er nahm das Tierchen vorsichtig auf seine Hand, liebkoste es und bemerkte dabei eine lange Nadel in ihrem Gefieder. Er zog sie ihr sachte heraus, und alsbald verwandelte sich die Taube wieder in das wunderschöne Mädchen, das er am Brunnen hatte warten lassen.
Als die abscheuliche Hexe sah, daß ihr Betrug nunmehr entdeckt war und ihr Spiel ein böses Ende nehmen könnte, machte sie sich heimlich aus dem Festsaal und kam nicht wieder. So gewann der Königssohn das schöne Mädchen mit den drei goldenen Aepfeln und lebte mit ihr in großem Glück.
DER STARKE MÜLLERBURSCHE
Es lebte einst eine kleine Familie, die sich kümmerlich durchs Leben schlug, obwohl es nur drei Personen waren, nämlich Vater, Mutter und ein Sohn von etwa fünfundzwanzig Jahren. Dieser junge Mann war stark wie ein Riese, aber nicht weniger groß waren die Auslagen, die die Eltern seinetwegen hatten, denn er all viel und die Eltern brachten in ihrer Armut das Geld nicht mehr auf, um seinen gewaltigen Hunger zu stillen. Deshalb beschlossen sie eines Tages, ihn in die Welt hinauszuschicken, damit er eine Stelle suche und sein Brot selbst verdiene. Der Sohn war sogleich damit einverstanden und nahm Abschied.
Er wanderte den ganzen Tag, und nachdem er einen weiten Weg zurückgelegt hatte, gelangte er endlich in ein Dörflein. Am ersten Hause - es war eine Mühle —klopfte er an. Der Müller schaute zum Fenster hinaus und fragte ihn nach seinem Begehr. Er antwortete: «Ich suche Arbeit.» Der Müller hieß ihn hereinkommen. Dann fragte er ihn, was für einen Lohn er verlange im Monat, und der Ankömmling erwiderte: «Sechs Napoleon-Goldstücke und dem Hund einen Tritt.» Der Müller nahm diese Bedingungen an und schickte ihn sogleich an die Arbeit.
Zuerst befahl er ihm, auf den Berg in den Kastanienwald zu gehen und Laub zu sammeln als Streue für die Kühe im Stall. Er zeigte ihm den Weg, und der Knecht stieg in den Wald hinauf. Weil er aber sehr
stark war, nahm er statt einen Tragkorb gleich deren vier mit, indem er an jeder Schulter und Hand je einen trug. Und derart kam er in kurzer Zeit mit Laub beladen wieder zurück und füllte dem Müller in einem einzigen Tag den Stall mit Laub, weshalb dieser mit dem Burschen sehr zufrieden war.Sobald die Arbeit fertig war, schickte er ihn mit einem Wagen und zwei Ochsen davor in den nahe gelegenen Wald, um Holz zu holen. Der Bursche belud den Wagen so hoch mit Holzklötzen, daß die Ochsen ihn nicht vom Fleck bringen konnten. Da packte er mit seiner Riesenkraft kurzerhand die beiden Ochsen, lud sie auf den Wagen zu dem Holz, spannte sich selbst davor und brachte derart die Holzfuhre hinab ins Tal zu der Mühle.
Ein anderes Mal war der Müller damit beschäftigt, den schweren Mühlstein wieder instand zu setzen, während gerade weiter unten am Berghang in der Nähe des Stalles der Bursche die Kühe hütete. Auf einmal ließ der Müller den Mühlstein fahren und fing an aus allen Leibeskräften zu schreien: «He, he, Knecht, duck dich, grad jetzt ist mir der Mühlstein aus den Händen entwischt!» Und wirklich kollerte der schwere Stein in großen Sprüngen den Berghang hinunter und hätte die Kühe sicher erschlagen. Aber der Bursche sprang nicht etwa davon, sondern streckte bloß die Hand aus und brachte den gewaltigen Mühlstein sofort zum Stehen. Dann sprach er zum Müller: «Du hast ja bloß einen Kieselstein fallen lassen, nicht einen Mühlstein!» Und damit lud er ihn auf die Schulter und trug ihn wieder an seinen Ort zurück. Und es war doch ein Steinblock von Mannshohe, ihr könnt euch denken, wie schwer er war!
Mittlerweile nahte der Augenblick, wo ihm der Lohn ausbezahlt werden sollte. Dem Meister aber wurde angst und bange, wenn er daran dachte, wie stark sein Geselle war und wie übel es dem armen Hund erginge, wenn der Riese ihm einen Tritt gäbe. Er würde ihn in kleine Stücke zerschlagen. Darum nahm er sich vor, seinen Gesellen loszuwerden und ihn im dichten Walde sich verirren zu lassen.
Er gab ihm eine Axt und ging mit ihm hinauf in den Wald. um Bäume zu fällen. Er dachte, es würden alsdann die wilden Tiere kommen und ihn zerreißen. Kaum waren sie in den Wald gekommen, so tat er, als wolle er ihm die Baumstämme anzeichnen, die er zu fällen habe. Während nun der Knecht ganz mit seiner Arbeit beschäftigt war und an nichts anderes dachte, entfernte sich der Müller nach und nach immer weiter und kehrte wieder nach Hause zurück, ohne daß der Geselle es bemerkt hatte.
Auf einmal hörte der Riese ein Rauschen im Gebüsch, das immer näherkam. Es waren zwei große Wölfe, die auf ihn losstürzten, um ihn zu fressen. Er aber riß ohne langes Besinnen zwei Bäume aus dem Waldboden und hieb so grimmig damit auf die wilden Tiere los, daß sie bald tot am Boden lagen. Auf diese Weise rettete er sich das Leben. Sobald es Abend wurde, machte er sich auf den Heimweg zur Mühle hinab. Kaum war er dort angekommen, so erzählte er dem Meister, was ihm im Wald oben begegnet war. Der Müller war höchst erstaunt, denn er hatte schon geglaubt, die wilden Tiere hätten ihn umgebracht.
Also setzten sie sich hin zum Abendessen. und der Knecht sprach, es sei jetzt die Zeit und Stunde gekommen, wo er wieder weiterziehe. Darum möge er ihm
den Lohn auszahlen. Der Meister gab ihm die sechs Goldstücke, und dann machte der Bursche sich daran, dem Hund den Tritt zu geben. Und er schleuderte das Tier so hoch in die Luft, daß es sieben Tage brauchte, bis es wieder auf der Erde ankam. Und nach dieser Zeit langte der Hund heil und gesund wie vorher wieder am Boden an. Der Müller aber war froh, den ungestümen Gesellen endlich los zu sein.
SANKT PETER UND DER MOHR PIPETTA
Zu der Zeit, wo der liebe Gott bisweilen auf unsere armselige Erde herabstieg, lebte ein sehr frommer und demütiger Mann in stiller Zurückgezogenheit fast wie ein Waldbruder. Weil er eine dunkle Hautfarbe hatte und leidenschaftlich gerne sein Pfeifchen rauchte, bekam er den Zunamen der «Mohr mit dem Pfeifchen». Er lebte in tiefster Armut, denn er hatte beinahe all seine Habe den Armen und Notleidenden gegeben. Das hatte der liebe Gott wohl bemerkt, und er wollte eine so edle Handlungsweise nicht ohne Belohnung lassen. Er schickte daher seinen Lieblingsjünger Petrus zu ihm hin, um ihm mitzuteilen, daß er drei Wünsche tun dürfe.
Petrus begab sich also in die bescheidene Hütte des Mohren und sprach: «Der liebe Gott hat deine guten Werke gesehen und ist zufrieden mit dir. Er will dir darum drei Wünsche gewähren. Du glücklicher unter den Sterblichen, wenn du diese schöne Gelegenheit benützest, das Richtige zu wählen!»
Pipetta dachte ein Weilchen darüber nach und erwiderte alsdann: «Ich will dir sagen, was ich mir wünsche: Zum ersten, daß meine Pfeife immer mit dem besten Tabak gefüllt sei. Zum zweiten, daß alles, was ich will, in meinen Sack hineinwandre und nicht eher wieder heraus kann, als ich es befehle. Zum dritten: daß alles, was in meinen Hut hineingeht, mir gehören soll und es mir niemand mehr wegnehmen kann.»
Als Petrus diese drei Wünsche vernahm, war er verwundert und gleichzeitig betrübt darüber. «Wie kannst du nur so etwas wünschen? Warum erbittest du nicht vom lieben Gott die höchste Gnade, die es für einen Christen geben kann, nämlich, daß deine Seele gerettet werde und du in den Himmel kommest?»
Der Mohr entgegnete: «Ei, da laß nur mich machen! Diese Gunst, in den Himmel zu kommen, die will ich mir nicht als besondere Gabe schenken lassen, sondern ich will sie mir durch einen recht christlichen Lebenswandel selbst verdienen.» Also ging Petrus wieder fort, überbrachte die Botschaft seinem Herrn, und dieser erfüllte dem Mann die drei Wünsche.
Von diesem Tag an war Pipetta glücklich. Er hörte nie auf zu rauchen. Sein Genueserpfeifchen war immer mit Tabak gestopft, und zwar vom besten, so daß er sogar nachts im Bett sich von seiner Pfeife kaum trennen konnte.
Ferner trug er fortan immer einen großen, leeren Sack auf den Schultern. Eines Abends, als er im Walde war, begegnete er zwei Teufelchen, welche umherirrten und im Begriffe waren, arme Seelen zu fangen. Da sprach Pipetta: «Ich will, daß diese zwei Unholde auf der Stelle in meinen Sack schlüpfen!» Und die beiden Landstreicher mußten, ob sie wollten oder nicht, augenblicklich in den Sack kriechen und sich darin, ganz eng aneinander gepreßt, zuschnüren lassen. Dann schnitt sich Pipetta mit seinem Messer einen dicken und knorrigen Stock aus Eichenholz zurecht und fing an, mit dem Knüppel unbarmherzig auf den Sack loszuschlagen. Die beiden Teufel heulten vor Schmerzen, aber es half ihnen nichts. Das Hagelwetter tobte weiter auf sie herab. Endlich schrien sie: «Laß uns heraus,
und wir wollen sofort wieder in unsere Wohnungen zurückkehren !»«Versprecht ihr mir, euch nie mehr auf dieser Welt unter den Leuten blicken zu lassen?» Wir versprechen es dir, nie mehr zu kommen.» «Unter dieser Bedingung also macht, daß ihr fortkommt!» Und damit löste er den Sack auf, der da und dort große Blutflecken zeigte, und er sah, wie die beiden Bösewichter, von Flammen und Rauch umhüllt, verschwanden.
So setzte Pipetta seine irdische Pilgerfahrt fort, und als er beinahe achtzig Jahre alt war, kam auch für ihn das letzte Stündlein. Er mußte sterben und seine letzte Reise antreten in die andere Welt. Als er im Jenseits war, ging er geradewegs zu Petrus, weil er sicher glaubte, ins Paradies hineinzukommen. Aber Petrus empfing ihn am Himmelstor, erkannte ihn gleich wieder und erinnerte ihn daran, wie er ihn seinerzeit vergeblich ermahnt hatte, doch ja sich von Gott zuerst die Gnade zu erbitten, in den Himmel zu kommen. Darum sollten nun für ihn die Pforten zur ewigen Glückseligkeit für immer verschlossen bleiben. Auf diesen Bescheid hin stieg Pipetta hinab in die Hölle und klopfte daselbst ans Tor. Der Zufall wollte, daß ihm gerade eines der beiden Teufelchen öffnete, die er vor Zeiten im Sack verprügelt hatte. Aber kaum hatte es ihn erkannt, so stieß es ihn zurück: «Mach daß du sogleich fortkommst von hier», schrie es ihn an, «hier hast du nichts zu suchen in meinem Haus!» Wie nun Pipetta sich auch aus der Hölle verjagt sah, stieg er wieder empor, kehrte zur Himmelspforte zurück und bat den Türhüter Petrus inständig, er möge ihn doch wenigstens einen Blick in den Himmel tun lassen. Da öffnete Petrus mitleidig das schwere und gediegene
Himmelstor ein klein wenig. Flink wie der Blitz warf Pipetta seinen Hut in den Himmel hinein. Da sagte er: «Jetzt laß mich nur noch schnell hinein, um meinen Hut zu holen!» Da öffnete Petrus die Tür ganz, Pipetta hüpfte flugs hinein und stellte sich mit beiden Füßen auf seinen Hut. «Jetzt bin ich auf meinem Grund und Boden. und niemand kann mich von hier vertreiben!» sagte er triumphierend und vor Glück erstrahlend, daß er sich endlich ein sicheres Plätzchen im Himmel errungen hatte.Die Legende erzählt noch, daß Petrus sich bald mit Pipetta versöhnte und Frieden mit ihm schloß. Und der Mohr mußte ihm fortan helfen, die Türe zu hüten.
So kam's, daß Petrus und Pipetta, der Mohr, Noch heute bewachen das Himmelstor. |
DER SCHLAUE SCHNEIDER UND DER BÄR
Es lebte einst eine junge und schöne Prinzessin; aber sie mußte so lange in ihrem Schloß als Gefangene bleiben, bis irgendeiner von den Bewohnern ihres Landes ein Rätsel lösen konnte, das ihr Diener ihm vorsprach. War dies geschehen, so mußte der Freier als zweite Prüfung eine Nacht im Stalle eines furchtbaren Bären zubringen, der alles fraß, was ihm unter die Augen kam. Wenn es dem einen oder andern auch gelang, das Rätsel zu lösen, so konnte er doch dem schrecklichen Rachen des Bären nicht entgehen, und so waren alle, die das Abenteuer gewagt hatten, dabei umgekommen.
Nun waren im Land drei Schneider. Die sprachen lachend zu einander: «Was meint ihr, wollen wir nicht unser Glück versuchen und König werden?» — Ja, freilich, das könnten wir probieren», sprach der jüngste von den dreien, der häßlich von Gestalt und einfältig war, und er rieb sich vor Glück die Hände. Schweig doch, du Blödsinniger», sagten die andern. «Was würdest du anfangen mit dem bißchen Verstand, den du im Kopfe hast!»
Also gingen sie unerschrocken zum Königsschloß und wurden vor die schöne Prinzessin geführt, die ein Lächeln nicht unterdrücken konnte, als sie die drei Schneider erblickte. Viele Ritter von edler Herkunft hatten ihr Glück versucht, und es war ihnen nicht gelungen, die Prinzessin zu gewinnen. Was wollten da diese drei
Ungestalten noch erhoffen? «Man lese das Rätsel vor!», sprach die Königstochter zu ihrem Schildknappen. Der Diener willfahrte und hub also an: «Wer von euch, ihr Verwogenen, kann erraten, was für zwei besondere Haare die Prinzessin auf ihrem Haupte hat?» — «Ich sage», nahm jetzt der Mutigste von den drei Schneidern das Wort, «ich sage, eines dieser Haare ist rot und das andere schwarz.» — «Und ich behaupte», begann hierauf der zweite, «eines dieser Haare ist gelb und das andere weiß.» — «Nein», entgegnete der Schildknappe, und die Prinzessin lächelte. «Und ich versichere und garantiere, eines jener goldglänzenden Haare ist von Silber und das andere von Gold», platzte der jüngste der drei Brüder, der dumme, heraus. Jetzt wurde die Königstochter bleich und erhob sich von ihrem Sitz. «Es bleibt noch die Probe mit dem Bären zu machen», sagte sie rasch, als hätte sie Angst vor jenem Mann, der sich schon eines gewissen Anrechts auf sie rühmen konnte. «Also vorwärts an die Probe mit dem Bär!», sprach er unerschrocken. «Zum Zeitvertreib habe ich mir meine Geige und zwei Nüsse mitgebracht.» Als die andern das hörten, schauten sie einander verwundert an und sagten: «Oho, weder die Nüsse noch die Violine werden dich vor den Zähnen des gräßlichen Raubtieres retten können.» Also wurde er in den Bärenzwinger eingeschlossen. Dann sprachen die Brüder zueinander: «Morgen wird er uns nicht mehr plagen, dieser Taugenichts.» Und die Prinzessin und der Diener riefen ihm zu: «Auf Wiedersehen, morgen, lieber Prophet!» — «Auf gutes Glück, gnädige Herrschaften!», schrie der Schneider von innen.Und dann fing er an, die Nüsse aufzuknacken. Der Bär tappte neugierig um ihn herum, denn er hatte im
Augenblick noch keinen großen Appetit und wollte lieber noch ein wenig warten. Aber das große Tier konnte nicht verstehen, was jener häßliche Mann für ein Spiel mit seinen Zähnen ausführte, und es fragte ihn:«Was machts du da, Mann?»
«Ich esse Nüsse, willst du auch ein paar?»
«Sind sie gut?»
«Ausgezeichnet, mein Lieber, willst du versuchen?»
«Warum nicht, gib her!»
Der schlaue Schneider aber bot ihm eine Handvoll Steine, die der Bär mit aller Gewalt aufknacken wollte. Bei dieser harten Arbeit zerbrachen aber die Zähne in Stücke. «Ei der Tausend, wie ist es möglich, daß ein Bär nicht einmal diese Nüsse aufbringt», rief der Schneider verwundert aus, «und dabei haben deine Kiefer doch eine solche Kraft!» Aber während er dies sprach, schaute er ganz glücklich auf die Zahnstücke, die dem Bär aus dem Maule fielen. «Jetzt kannst du mich nicht mehr mit deinen Zähnen zerreißen, verwünschter Bär, ich habe dir die Zähne hübsch zugerichtet», dachte er bei sich im stillen.
Nach und nach aber wurde der Bär zornig, als er sah, daß er die Steine nicht aufknacken konnte, die er für Nüsse hielt, und er ließ ein unheimliches Brummen hören. Daraufhin griff der Schneider zu seiner Violine und fing an, eine stille und einschmeichelnde Melodie zu spielen. Da wurde der Bär still, hörte eine hübsche Weile zu und fragte dann den Schneider:
«Was hast du da in den Händen, Mann?»
«Eine Geige, mein lieber Freund Bär.»
«Und wie bringst du es fertig, so schöne Musik da herauszuholen?»
«Schau, das macht man so!»
Und der Bär schaute zu.
«Aber weißt du, ich möchte auch gern so schön spielen können.»
«Das glaub ich gern. Und es ist ein gar hübscher Zeitvertreib.»
«Ist es schwer?»
«O nein, mir wenigstens ist es nicht schwer gefallen. — Möchtest du tanzen, mein lieber Freund Bär?»
«O ja, aber du mußt kräftig spielen, ich bitte dich.»
Jetzt neigte sich der Schneider gegen den Bären, und der suchte, auf beiden Hinterfüßen aufrechtstehend, mit zierlichen Schritten, den Rhythmus der Musik zu begleiten. Und er tanzte und tanzte, bis er vor Müdigkeit nicht mehr konnte.»
«Höre, Mann, ich bin müde; zeige mir jetzt, wie ich spielen soll.»
«Ja, gleich auf der Stelle, mein Freund Bär. Nur, siehst du, ohne weiteres wird es dir nicht gelingen. Oh, warum brummst du, du mußt nicht zornig werden, es hat weiter nichts auf sich. Weißt du, ich muß doch meinen Schülern die Wahrheit sagen.»
«Aber wieso sollte ich's denn nicht können», meinte der Bär, «ist's dir gelungen, der du noch ein häßlicheres Geschöpf bist als ich, dann werde ich diese Kunst auch lernen.»
«Mit jenen langen Krallen aber kannst du nicht spielen, ich versichere dich, schau meine Fingernägel an, die müssen doch kurz sein, die Nägel.»
«Also, schneid mir sie ab, du Dummkopf!»
«Ganz recht, wenn es dir lieb ist, gerne. Bleib dort und warte, ich will gleich meine Schere holen, hier, in meinem Kittel ist sie, den ich dort an der Tür aufgehängt
habe. Aber du mußt dich nicht umdrehen, denn ich muß dir zuerst die Nägel an den Hinterpfoten schneiden, sonst kann ich's nicht machen, du bist gar so groß, mein lieber Freund Bär!»Der Bär schmunzelte, denn das Kompliment gefiel ihm; kein Mensch hatte ihm jemals so viel freundliche Worte gegeben. Er stellte sich also so hin, wie es ihm sein Geigenlehrer befohlen hatte und wartete. Als der Schneider weit genug vom Bär entfernt war, streckte er sich auf dem Boden aus und legte sich schlafen, wobei er beständig murmelte: «Ich komme gleich, beweg dich nicht, jetzt komme ich, ich bin da», bis auch das böse Tier eingeschlafen war. So ging die Nacht vorüber. Als der Tag anbrach, stand der Schildknappe frühzeitig auf, ließ den Stall öffnen, wo alles still war, und glaubte bestimmt, nur noch einige Knochen als Ueberreste des armen Schneiders zu finden.
Wie groß war jedoch seine Ueberraschung, als er ihn ruhig eingeschlafen fand, und auf der andern Seite den Bären, der ihm den Rücken zukehrte und ebenfalls schlief.
Als die Königstochter erfuhr, daß der Schneider den Sieg davongetragen habe, fing sie an zu weinen, denn der Gedanke war ihr schrecklich, daß sie nun jenen häßlichen Jüngling heiraten müsse. Andererseits aber tröstete es sie, wenn sie dachte, daß sie jetzt endlich aus ihrer Gefangenschaft befreit war. Als der Schneider ihr vorgeführt wurde, schön hergerichtet und herausgeputzt, in prächtigen Kleidern, mit Federn auf dem Hut und mit Tressen geschmückt, stellte es sich heraus, daß nur die abgetragenen Kleider ihn so entstellt hatten, und sie fand ihn gar nicht mehr häßlich. Und dabei wußte sie, daß er gescheit und schlau war.
Sie konnte also hoffen, daß er die Staatsgeschäfte mit Geschick leiten würde und das Reich dabei aufblühe. Und so hieß sie ihn willkommen und küßte ihn von Herzen.Die beiden Bruder des Schneiders knieten vor ihm nieder und baten ihn um Verzeihung und Hilfe, was er ihnen auch gewährte, obwohl er wußte, daß sie ihn nie recht gern gehabt hatten, und erst jetzt, wo er die Königskrone erlangt hatte, sein gutes Herz schätzen lernten. Der Bär wurde in einen mächtigen Zwinger gebracht, der doppelt so groß war wie der frühere. Jeden Tag gab man ihm zwei Portionen echte Nüsse, und ein Mann mußte ihm täglich zwei Stunden auf der Geige vorspielen.
Die Prinzessin war nun voller Freude. Ihr Gemahl war gut, freigebig, wagemutig, gescheit und gar nicht unansehnlich, und sie empfand vor allem das Glück der Freiheit. Sie lebten zusammen in Freude viele. viele Jahre und ließen auch ihre Untertanen an ihrem Glück teilnehmen.
DAS ADLERMÄDCHEN
An einem warmen Julitag stieg eine Witfrau, ich weiß nicht aus welchem Dorf, auf den Berg hinauf, um zu heuen. Sie trug in ihrem großen Korb, den sie auf den Rücken gebunden hatte, auch ihr zweijähriges Kind. Das war ein herziges und wunderliebliches Mädchen. Während die Mutter emsig mit Heuen beschäftigt war, hüpfte das Kind bald da, bald dorthin, um Alpenblümlein zu pflücken. Auf einmal kam ein mächtiger Adler, gleich einem fallenden Stern, auf das Kind herabgeflogen, packte die Kleine mit seinen scharfen Krallen und trug sie davon in sein Nest.
Denkt euch den Schrecken, die Verzweiflung und das Weinen der unglücklichen Mutter! Aber wie sonderbar, das Kind hatte keine Angst vor dem schrecklichen Raubvogel. Es schmiegte sich zufrieden an seinen Hals, lachte und spielte mit seinen Federn. Der Adler, besiegt von den unschuldigen und anmutigen Liebkosungen der Kleinen, faßte Zuneigung zu ihr und beschloß, sie als Tochter an Kindesstatt anzunehmen. Er brachte ihr Früchte und wilden Honig zu essen und zeigte ihr, wie man aufi den abschüssigen Felsen der Berge herumklettern und sich festklammern müsse.
Eines schönen Tages begann der Adler für sein Pflegekind in die Dörfer tief unten im Tal oder in die Ebene hinunterzufliegen, um allerhand Wäsche und Kleidchen der Bauernmädchen zu rauben, die zum Trocknen an der Sonne hingen. Dann, als das Kind immer größer
wurde, wollte er, daß es Kleider aus Sammet und Seide anzöge. Deshalb flog er in die Schlösser und Paläste der Königin und der Prinzessinnen, raubte dort die wundervollen Kleider und trug sie von dannen auf die unzugänglichen Höhen seiner Felshöhle. Eine Königin, der eine Menge Kleider und Schmucksachen auf diese Weise weggekommen waren, bat schließlich ihren Sohn, jenen schrecklichen Raubvogel zu erjagen.Der Prinz wollte zuerst seiner Mutter nicht gehorchen. Dann aber fragte er sich, neugierig geworden, wieso wohl ein Vogel dazukomme, Kleider und Juwelen zu stehlen und beschloß darum, der Sache auf den Grund zu gehen. Monate und Monate lang streifte er auf dem Gebirge umher, ohne den Raubvogel zu finden. Schon hatte er wieder den Entschluß gefaßt, sein kühnes Unternehmen aufzugeben, als er plötzlich an einem schönen Tag im Mai eine süße Mädchenstimme hörte, die oberhalb seines Standortes sang. Sogleich kletterte er am Felsen empor und fand die junge Sängerin ganz vergnüglich im großen Nest des Adlers sitzen. Wie überirdisch schön war sie! Sogleich ging der Jüngling auf sie zu. Sie wurden bald gute Freunde und erzählten einander ihre Erlebnisse. Das Mädchen berichtete dem Prinzen die wunderbare Geschichte ihres Lebens in dieser Bergeinsamkeit. Dieser wollte, daß sie nunmehr in sein schönes Schloß komme und seine Gemahlin werde. Das hübsche Mädchen war damit einverstanden. Sie stiegen zusammen ins Tal und gelangten endlich zur Königsburg. Dort stellte der Prinz seine Begleiterin dem Vater vor und sie erzählten ihm, auf welch sonderbare Art sie sich gefunden hatten. Der König hieß das wunderschöne Mädchen mit einem
Kuß willkommen, nannte sie Aquila oder Adler, gab seine Einwilligung zur Verlobung und traf alle möglichen Vorbereitungen für eine glanzvolle Hochzeit.Die alte Königinmutter jedoch wollte durchaus nichts davon wissen, daß ihr Sohn eine solch abenteuerliche Vermählung eingehe und jenes wildfremde Mädchen zur Frau nehme. Sie befahl daher im geheimen zwei Dienern, die Braut in den Fluß zu werfen. Und diese gehorchten. Aber der Adler hatte das verzweifelte Schreien des armen Mädchens gehört, das im Begriff war, im Wasser zu ertrinken. Schnell wie der Blitz flog er herbei und brachte die Ertrinkende ans Ufer. Darauf kehrte Aquila in das Schloß zurück. Am folgenden Tag heiratete der schöne Prinz seine liebe Braut.
Um die grausame Königin zu bestrafen, zog sich der König von der Regierung zurück und überließ den Thron seinem Sohne, damit seine liebe Schwiegertochter Aquila Königin werde.
DAS ZWERGLEIN
In einem Dorf lebte einmal eine ganz arme Familie. Das jüngste Kind war klein wie ein Zwerg und hieß deshalb Nanino. Und weil er so ein winziges Bürschchen war, dachte er, in die Ferne zu ziehen, sich aller Welt zu zeigen und dadurch sein Brot zu verdienen. Also nahm er eines Tages Abschied vom Elternhaus und zog von dannen.
Als Nanino sich mitten in einem Wald befand, kam er zu einer Straße, die voll Wassertümpel war. Unser Zwerglein gab nicht acht und fiel in eine Wasserlache am Wegrand. Das Wasser ging ihm bis an den Hals hinauf, und weil er am Ertrinken war, fing er an, um Hilfe zu rufen.
Da kamen drei Räuber des Weges, die umherzogen, etwas zu stehlen. Sie hörten die Hilferufe und schauten um sich, konnten aber niemanden bemerken. Verwundert spähten sie, woher die Stimme gekommen sei. Nanino rief abermals. Jetzt erst erblickten sie den kleinen Knirps im Wassertümpel und zogen ihn heraus. Dann sprachen sie zueinander: «Der könnte uns gute Dienste leisten.» Darum fragten sie ihn, ob er mit ihnen ziehen wolle und er antwortete, er sei bereit dazu.
Die drei Diebe kamen überein, sie wollten bei einbrechender Dunkelheit der Mühle am Waldrand einen Besuch abstatten, um die dort aufgestapelten Maissücke zu rauben und daraus Polenta zu kochen. Sie sprachen deshalb zu Nanino: «Du mußt durch das
Schlüsselloch kriechen und die Säcke mit türkischem Korn füllen. Und wenn du mit der Arbeit fertig bist, so lehne dich zum Fenster hinaus und gib uns ein Zeichen, daß wir kommen, sie zu holen.»Also wanderten sie weiter durch den Wald, bis sie unten im Tal zur Mühle kamen. Flink schlüpfte der Zwerg durch das große Schlüsselloch, öffnete dann die Tur zum Maisboden und ging hinein. So klein er auch war, arbeitete er doch ausgiebig wie ein Erwachsener, und in kurzer Zeit waren die Säcke gefüllt. Sobald sie bereitstanden, lehnte sich Nanino zum Fenster hinaus und rief:
«Die Säcke sind voll!» Als der Müller, der im gleichen Häuschen wohnte, diese Schreie hörte, sprang er aus dem Bett und fürchtete, es seien Räuber in seiner Mühle. Sowie der Zwerg merkte, daß der Müller herbeikam, versteckte er sich in einem Sack voll Mais und rief aus seinem Versteck heraus:
«Zu Hilfe, sie wollen mich umbringen!»
Kaum hatte der Besitzer jene geheimnisvollen Worte vernommen, so geriet er in Angst und eilte davon, um Waffen zu holen. Mittlerweile kroch Nanino aus dem Sack und sprang zum Fenster hinaus.
Die drei Räuber, die auf ihn warteten, schalten ihn aus, daß er sie mit seinen dummen Reden beinahe verraten hatte. Und er war doch ein so lieber, einfältiger Knirps. Hernach wollten sie es noch einmal mit ihm versuchen und sagten ihm, er müsse in der nächsten Nacht auf den Estrichhoden eines Bauernhauses steigen, wo viele Nüsse aufbewahrt wurden, um sie an der Sonne und Luft zu trocknen. Dort solle er einige Säcke mit Nüssen füllen, aber beileibe keinen Lärm machen.
Der Zwerg schlüpfte durch ein Loch in der Haustür,
(las für die Katze zum Ein- und Ausgehen bestimmt war, stieg die Treppen hinauf und gelangte endlich auf den Dachboden, wo große Haufen Nüsse lagen. Da fing der kleine Grashüpfer an zu schreien:«Soll ich die mit oder ohne Löcher nehmen?»
Die Rauher draußen zischelten, er solle doch ums Himmeswillen stille sein, sonst käme der Hausherr herbeigelaufen. In der Tat hatte der Bauer die Schreie des Kleinen gehört. Er nahm ein Oellämpchen und stieg auf den Estrich. Flugs verbarg sich der Zwerg in einer hohlen Nuß und fing an aus Leibeskräften zu rufen:
«Zu Hilfe, der Hausherr will mich umbringen!»
Der Bauer fing an, die Nüsse zu untersuchen, und der Zwerg schrie immer lauter um Hilfe. Als der Hausherr die Stimme hörte, aber niemand sah, geriet er in Schrecken und lief davon. Nanino kroch aus der Nuß heraus und kehrte unbemerkt wieder zu seinen Kameraden zurück. Die standen noch immer in ihrem Versteck vor dem Haus und warteten auf ihn. Sie wollten ihn verjagen, und drohten, ihn umzubringen, wenn er sie noch einmal mit seinem Hilferufen verrate.
Am folgenden Abend wollten sie in den Ziegenstall einer Witwe eindringen und die Geißen fortführen. Als Nanino hineingeschlüpft war und die vielen Ziegen sah, fing er laut an zu rufen:
«Soll ich die weißen oder die schwarzen nehmen?»
Die Gefährten bedeuteten ihm, er solle doch stille sein; aber umsonst, er schrie immerzu. Da erwachte die Bauersfrau, nahm ein Licht und ging in den Stall. Unser Zwerg aber verkroch sich in ein Loch in der Mauer. Als die Bäuerin sich vergewissert hatte, daß noch alle ihre Ziegen da waren und keine fehlte, stellte
sie den Kerzenstock in eine Nische in der Wand, gerade da, wo sich Nanino versteckt hatte. Jetzt fing der kleine Dummkopf an zu rufen:«Ich bin da! Ich bin tot!»
Nun bekam es die Bäuerin mit der Angst zu tun, sie stürzte zum Stall hinaus, und so konnte sich der Zwerg ins Freie retten.
Die Gefährten wollten jetzt aber nichts mehr von ihm wissen und jagten ihn fort. Nanino lief davon, so schnell ihn seine kleinen Beine zu tragen vermochten. Als er auf die Landstraße gelangte, sah er einen vornehmen Herrn zu Pferd und fragte ihn, ob er ihn als Diener annehmen wolle. Der Reiter schaute ihn verwundert an und meinte: «Das wird euer Ernst nicht sein, denn ihr seid ja viel zu klein, und wenn ihr dem Pferd zu fressen geht, so könnte es euch aus Versehen einmal verschlucken.» Unser Zwerg aber entgegnete, da sei nichts zu befürchten, denn er sei seiner Sache sicher und im Umgang mit den Pferden vertraut. Daraufhin nahm ihn jener Herr zum Diener an. Eines Tages aber, als der Herr von einem Spazierritt heimkehrte und das Pferd großen Hunger hatte, brachte Nanino ihm zu fressen, und dabei geschah es, daß ihn das Tier mitsamt dem Heu verschluckte, ohne es im geringsten zu merken. Dem Zwerglein aber gefiel es nicht in der dunklen Kammer des Magens, wo es stockfinster war und keine Fenster hatte. Flink kroch es wieder oben zum Hals hinauf, wobei das Roß ein starkes Kitzeln empfand, so daß es gewaltig niesen mußte. Nanino wurde zu den Nasenlöchern hinausgeschleudert und fiel im weiten Bogen zur Erde. Weil er aber behend war, geriet er ins Heu und Gras und tat sich nicht weh.
Von da an hatte er nun seine Abenteuerfahrten durch die Welt satt bekommen und kehrte gerne wieder zu Vater und Mutter heim, denen er das kleine Silberstück, das er bei dem reichen Herrn als Lohn erhalten hatte, überbrachte.
DAS SONNENSCHLOSS
Es war einmal ein Bauersmann, der mitten in einem großen Walde wohnte. Vor seinem Haus dehnte sich eine Wiese mit vielen Blumen aus, auf der das schönste Gras wuchs, das man nur irgend finden konnte. Diese Wiese schien ihm das wertvollste Besitztum, das er hatte. Wie groß war daher sein Erstaunen, als er am Morgen eines strahlenden Sommertages gewahren mußte, wie das feine Gras von Menschen zerstampft worden war. «Wer mag das wohl gewesen sein?» fragte sich der Bauer. Am folgenden Tag stand er wieder in aller Frühe vor seiner Haustür, und abermals lag das Gras geknickt und zertreten am Boden. Dies konnte nur über Nacht geschehen sein. Voller Kummer und Zorn nahm er sich vor, herauszubringen, wer ihm den Schaden zugefügt habe. Er befahl deshalb seinem ältesten Sohn, nachtsüber zu wachen und zu spähen, wer da im Gras herumlaufe. Der Sohn setzte sich also hinter ein Gesträuch am Waldrand; aber gegen Mitternacht fühlte er sich so müde, daß er in tiefen Schlaf verfiel. Er schlief wie eine Haselmaus und erwachte erst, als die Sonne schon die höchsten Gipfel der Tessiner Berge vergoldete. Er rieb sich die Augen und sah, daß die Wiese wieder zerstampft war, wie das erste Mal. Beschämt und ärgerlich kehrte er ins Haus zurück und konnte dem Vater keinen Aufschluß geben.
In der folgenden Nacht übertrug der Bauer seinem zweitältesten Sohn die Bewachung der Wiese. Dieser
versicherte, er werde gewiß herausbringen, wer der Uebeltäter sei. Dann sagte er seinen Eltern gute Nacht und versteckte sich in einem Gebüsch. Er nickte aber auch bald ein und schlummerte wie ein Siebenschläfer, so daß er am Morgen ohne Erfolg heimkehrte.Als das der jüngste Sohn, Vittorino, hörte, anerbot er sich, in der dritten Nacht zu wachen. «Das ist verlorene Liebesmühe», entgegnete ihm der Vater, «du bist noch zu jung, um eine ganze Nacht im Freien draußen Wache zu stehen. Und übrigens wirst du auch schwerlich mehr Glück haben als deine Brüder.» Aber der Jüngling bat so lange, bis der Vater es ihm erlaubte, und als es dunkel war, schlüpfte er zur Tür hinaus auf die Waldwiese. Dort wachte er die lange Nacht; es ereignete sich jedoch nichts. Schon fing er an, ungeduldig zu werden, blieb aber gleichwohl auf seinem Posten. Endlich stieg die Morgenröte über die Berge, und er sah im unbestimmten Dämmerlicht drei schneeweiße Tauben herabfliegen. Dann bemerkte er, wie sie nach einer kurzen Ruhepause ihr Federkleid ins Gras legten und sich alsdann in drei schöne Mädchen verwandelten, die auf der Waldwiese einen wunderlieblichen Tanz begannen, so duftig und zart, wie Elfen, deren Fülle und Flügel kaum den Blumenteppich berührten.
Eines der Mädchen war von so außergewöhnlicher Schönheit, daß Vittorino ihrem Liebreiz nicht widerstehen konnte und sich in sie verliebte. Nachdem er eine hübsche Weile ganz still dem zierlichen Reigen zugeschaut hatte, lief er hin, nahm ihnen heimlich (las feine Federkleid weg und versteckte sich hinter einer Hecke wilder Rosen. Schon war indessen die Sonne
höhergestiegen und vergoldete mit ihren Strahlen die Baumwipfel des Waldrandes. Sie gab damit den hübschen Mädchen zu erkennen, daß es Zeit sei, den Tanz abzubrechen. Darauf liefen sie auseinander, ihre Mäntel zu holen, fanden sie aber nicht. Sie suchten hier. sie suchten dort und entdeckten schließlich den Jüngling im Rosengebüsch. Gleich vermuteten sie - und mit Recht - daß er sie ihnen weggenommen habe. Sie näherten sich ihm auf die artigste Weise und baten ihn freundlich, ihnen das Federkleid wieder zu geben. «Ich will es euch bringen», erwiderte der Jüngling, «aber nur unter zwei Bedingungen. Vor allem müßt ihr mir als erstes sagen, wer ihr seid und woher ihr kommt.» — «So höre», nahm jetzt die Schönste von ihnen das Wort, «ich bin die einzige Tochter eines mächtigen Königs, und dies hier sind meine Kammerzofen und Ehrenfräulein. Wir kommen vom Sonnenschloß, das noch nie ein Mensch betreten hat und wohin niemand gelangen kann.» — «Meine zweite Bedingung», fuhr jetzt der Jüngling fort, «ist, daß mir die Königstochter ihre Liebe schenke und ewige Treue gelobe, und daß sie selbst den Tag unserer Hochzeit bestimme. »Als die drei Mädchen sahen, wie die Sonne immer höher stieg und es heller Tag wurde, sahen sie sich genötigt, auch dieser zweiten Bitte zu willfahren. Darauf schwuren sich die beiden Verlobten ewige Liebe, bestimmten den Tag ihrer Hochzeit und versprachen sich gegenseitig, einander nicht zu verlassen. Nun gab ihnen Vittorino ihr Federkleid zurück, die Jungfrauen verwandelten sich wieder in Tauben und flogen über die Waldwiese davon.
Kaum war Vittorino ins Haus zurückgekehrt, so be
stürmten ihn der Vater und die Brüder mit Fragen. Er sprach jedoch wenig und gab vor, er sei in tiefen Schlaf versunken und habe nichts beobachtet. Jetzt lachten ihn die Brüder aus, daß er es habe besser machen wollen als sie beide, die doch älter seien als er.Endlich kam der langersehnte Tag, wo die Hochzeit stattfinden sollte. Vittorino ging zum Vater und bat ihn, ein großes Festmahl zu veranstalten und alle Verwandten und Freunde dazu einzuladen. Und so geschah es. Es wurden die feinsten Speisen und die besten Weine aufgetragen, und als bei fröhlichem Gläserklang die Festlichkeit begann, hörte man plötzlich den Lärm einer Kutsche, die in den Hof einfuhr, gezogen von vier prächtigen Pferden. Daraus hervor stieg die schöne Königstochter, in ein wundervolles Brautkleid gehüllt und begleitet von ihren beiden Hofdamen. Als nun die Gäste die Wahrheit jener zauberhaften Nacht erfuhren, beglückwünschten sie den Jüngling zu seiner trefflichen Wahl und konnten die schöne Braut nicht genug bewundern. So wurde die Hochzeit mit vieler Freude gefeiert. Bevor aber die Morgendämmerung über die Waldwiese emporstieg, erklärte die Braut, sie müsse abreisen und wieder in ihr Schloß zurückkehren, wo sie von Orco, einem Ungeheuer, überwacht würde, das von ihrer heimlichen Vermählung nichts erfahren dürfe, sonst würde es sie umbringen, gleich wo sie sich aufhalte. Der junge Bräutigam mochte sie — so leid es ihm tat - nicht am Fortgehen hindern; er spornte sie vielmehr zur Eile an, damit ihr kein Unheil widerfahre. Mit Tränen in den Augen nahmen sie Abschied. Als sie sich zum letztenmal umarmten, überreichte ihm die Braut einen kostbaren Ring zum
Andenken. Dann bestieg sie mit ihren Ehrendamen die vergoldete Karosse, und fort rollte der Wagen wie der Wind so schnell.Seit jenem Tag hatte Vittorino, der Neuvermählte, keine Ruhe mehr. Er wünschte nichts anderes, als in das Sonnenschloß zu gelangen. Daher trat er eines Tages vor seinen Vater mit der Bitte, fortgehen zu dürfen. Dieser wollte ihm nicht vor dem Glück sein und gab ihm seinen Segen. Also machte sich der junge Mann auf den Weg und fragte überall, wohin er kam, wo sich das Sonnenschloß befände; aber niemand konnte ihm die Richtung weisen.
Er gelangte in einen Wald und hörte dort zwei mächtige Stimmen erschallen, deren Echo an den Bergwänden und in den Schluchten der Wildbäche widerhallte. Vorsichtig schritt er weiter und erblickte zwei Riesen, die miteinander zankten. Er faße sich Mut. trat herzu und fragte sie höflich: «Ei, warum streitet ihr miteinander?» Da antwortete einer von ihnen: «Unser Vater ist vor kurzem gestorben und da teilten ich und mein Bruder die Habe. Es bleibt uns jetzt nur noch ein Paar Schuhe, ein Mantel und ein Degen zu verteilen. Und nun möchte jeder von uns diese Dinge für sich behalten.» — «Nun denn», erwiderte Vittorino, «wenn ihr euch nicht einigen könnt, so will ich euch einen Vorschlag machen. Und wenn ihr meinem Rate folgt, so versichere ich euch, daß ihr nachher euren Frieden habt und einander wieder wie gute Brüder liebt.» Als die beiden Riesen den Vorschlag vernahmen, baten sie ihn, er solle sich deutlicher ausdrücken. «Nun also, meine Freunde, ich bin ein armer Pilger und muß weit wandern, durch Königreiche ziehen, über hohe Berge steigen und viele Gefahren bestehen.
Wenn ihr mir euren Mantel, eure Schuhe und euren Degen gebt, so werden sie mir treffliche Dienste leisten, und ihr braucht euch darüber nicht mehr zu streiten.»Den beiden Riesen gefiel dieser Vorschlag, und sie übergaben ihm die drei gewünschten Dinge zum Geschenk. «Nun mußt du aber noch wissen, junger Mann, bevor du weiterziehst, welche Vorzüge die drei Geschenke besitzen. Wenn du diese Schuhe anziehst. so wirst du bei jedem Schritt hundert Meilen weit kommen. Dieser Mantel da wird dich bei deinen Feinden unsichtbar machen. Berührst du ferner jemand mit der Spitze dieses Schwertes, so wird er tot niedersinken; berührst du hingegen einem Toten die Stirne mit dein Griff des Degens, so wird er vom Tode wieder auferstehen.»
Vittorino zog alsbald die Meilenstiefel an, umhüllte sich mit dem Mantel, gßrtete das Schwert um, dankte den Riesen und nahm Abschied. Er war voller Glück und wanderte durch unbekannte Länder und Städte, über Ebenen, Flüsse und Gebirge.
Eines Abends gelangte er in einen dichten Wald. Ermüdet von der Reise, wollte er sich niederlegen. Da sah er zwischen den Bäumen in der Ferne ein Licht. Also nahm er seine letzten Kräfte zusammen, wanderte dem Licht entgegen und gelangte vor eine armselige Hütte. Ein uraltes Mütterchen saß auf der Türschwelle. Vittorino nahm höflich den Hut ab, grüßte die Frau mit freundlichen Worten und bat sie, ihm über Nacht Herberge zu gehen, denn er könne nicht weiter. Sie hieß ihn eintreten, und ehe er sich zur Ruhe legte, fragte er sie, ob sie wisse, wo das Sonnenschloß zu finden sei. «Morgen früh«, antwortete die alte Frau, «will ich meine Untergebenen zusammenrufen und sie
fragen, wo diese Burg sich befindet. Und nun, gute Nacht, hübscher Jüngling!»Sobald die Sonne über den Bergen aufstieg, rief die Alte alle Tiere des Waldes herbei, denn das waren ihre Untergebenen. Bald darauf versammelten sich vor ihrer Hütte Bären, Wölfe, Tiger, Löwen, Panther und alle möglichen Tiere und lagerten sich friedlich zu Füßen ihrer Herrin. Die Alte fragte, wo sich das Sonnenschloß befinde. Die Tiere hielten Rat, aber keines wußte Auskunft zu geben. Wie du siehst», sprach die Alte, «ist es mir unmöglich, dir den Weg zu zeigen. Doch habe ich eine Schwester. die hunderttausend Meilen von hier wohnt. Sie regiert über die Fische und ist die Königin der Bewohner von Flüssen, Seen und Meeren. Es ist leicht möglich, daß sie etwas davon weiß.»
Vittorino war zwar enttäuscht über diesen Bescheid; doch ließ er sich nicht entmutigen, dankte ihr und wanderte weiter. Endlich gelangte er am Abend ans Meeresufer. Dort sah er am Strand eine baufällige Hütte, und auf der Türschwelle fand er eine Frau. die vom hohen Alter noch mehr gebückt war als die erste. Er grüßte sie ehrfurchtsvoll, erzählte ihr den Grund seiner Reise und bat sie, über Nacht dableiben zu dürfen, was sie auch gewährte.
Als der Morgen anbrach, setzte sie sich an die Wellen des Meeres und rief ihre tausend und abertausend Untertanen herbei, welche sie fragte, wo sich die Sonnenburg befinde. Da kamen die Bewohner des Meeres herbeigeschwommen, die Walfische und Delphine, die Salinen und Hechte und viele andere und hielten Rat. Nach langem Fragen kamen sie überein, daß noch keiner von einem Schloß dieses Namens gehört habe.
Der Alten tat es leid, dem jungen Mann nicht besseren Bescheid geben zu können, doch fügte sie bei: Viele Meilen weit entfernt von hier wohnt meine älteste Schwester. Sie ist die Königin über alle Vögel und kann dir vielleicht eine bessere Auskunft geben. Wenn sie es dann nicht weiß, so wird alles weitere Fragen nutzlos sein. Leb wohl!»Vittorino sagte ihr schönen Dank und wanderte viele hundert Meilen weit. Dann verbrachte er die Nacht in einer dunklen Grotte des Gebirges und sah von dort aus am andern Morgen, wie auf der Höhe eines nahen Bergrückens eine zerfallene Hütte sich erhob. Nahe dabei stand eine alte Frau. die sich an der Sonne wärmte. Er stieg zu ihr hinauf, grüßte sie freundlich und küßte ihre runzlige Hand. Wer weiß, wie viele Menschenalter sie schon in jener Bergeinsamkeit verbracht hatte!
(Wer bist du?» fragte die über hundert Jahre alte Frau mit langsamer und feierlicher Stimme. (Wisse, daß ich hier auf diesen Bergen noch nie das Angesicht eines Menschen gesehen habe. Du bist der erste. Sei also willkommen und sage mir, was dich hierherführt.» — «Seit langer Zeit», gab Vittorino zur Antwort, (wandere ich durch Länder und Städte und suche das schöne Sonnenschloß, wo noch niemand hingelangt sein soll.» — (Da kannst du dich trösten, mein Lieber, ich weiß dir auch nicht Bescheid, welcher Weg dorthin führt. Aber die Vögel, über die ich regiere, werden dir sicher den Weg zeigen können.» Und damit rief sie mit einer Hirtenpfeife alle Vögel herbei. Da kamen Adler. Geier, Falken, Störche, Tauben und blaugrüne Papageien herbeigeflogen und lagerten sich zu Füßen ihrer Herrscherin. «Ich habe euch hergerufen»,
sprach sie, «um zu erfahren, oh einer von euch den Weg zum Sonnenschloß kennt.» Die Vögel hielten Rat. erklärten aber nach vielem Zwitschern, daß ihnen jenes Schloß unbekannt sei. «Aber seid ihr denn alle hier?» fragte sie mit ungeduldiger Stimme, «wo ist denn der Phönix?» Nach langem Warten, siehe da, kam aus weiter Ferne noch ein Vogel herbeigeflogen und senkte sich mühsam zur Erde, so sehr war er erschöpft von seiner Reise. Es war richtig der Phönix. Die Greisin fragte ihn mit strenger Miene, warum er so lange habe auf sich warten lassen. «Seid nicht böse, liebe Herrin», erwiderte der Vogel, «und entschuldigt mich, ich konnte nicht schneller hier sein, denn, stellt euch vor, ich komme geradewegs vom Sonnenschloß.»«Nun gut», erwiderte die Königin, «so mußt du jetzt gleich zur Strafe nochmals dorthin zurückfliegen und diesem Junker hier den Weg zeigen!» Der Phönix war nicht gerade erfreut über diesen Befehl; aber es blieb ihm nichts anderes übrig als zu gehorchen.
Vittorino nahm mit vielen Dankesworten Abschied von der alten Frau, setzte sich auf den Rücken des großen Vogels, und dieser schwang sich in die Lüfte. Sie flogen durch die Wolken empor und sahen bald unter sich die Berge, Täler und Meere verschwinden. Nachdem sie lange durch den Himmelsraum geflogen waren, gelangten sie endlich zum Sonnenschloß. Der Vogel setzte seinen Reiter sorgfältig auf die Stufen des prächtigen Palastes, und Vittorino dankte ihm tausendmal.
Schon war die Nacht hereingebrochen, als er an die Pforte klopfte. Da erschien eine der beiden Kammerzofen, die auf der Waldwiese getanzt hatten und, er-
schreckt vom Anblick des Jünglings, flüchtete sie wieder ins Haus zurück. Hierauf klopfte er aufs neue, und diesmal öffnete die andere. Ueberrascht von der Ankunft des jungen Mannes, eilte diese zu ihrer Herrin zurück, ihr die Neuigkeit zu überbringen. Es dauerte nicht lange, so erschien seine holde Braut, begleitet von ihren zwei Ehrendamen. Vittorino überreichte seiner Geliebten den Ring als Erkennungszeichen. Darauf ließ sie sofort das Portal der Königsburg aufmachen, eilte ihrem Bräutigam entgegen, umarmte und küßte ihn mit inniger Freude und ließ ihn eintreten. Vittorino erzählte ihr die ganze Nacht, was für unzählige Hindernisse und Abenteuer er auf seiner Suche nach der Sonnenburg erlebt hatte.Nun aber hatte die schöne Braut immer Angst vor dem Orco. der ihren Vater und ihre Brüder heimlich umgebracht hatte, um sie zur Frau zu bekommen, und der sie darum Tag und Nacht bewachte. Am andern Morgen kam er wirklich zum Schloß gegangen, schien etwas bemerkt zu haben und sprach:
Nur sachte und immer langsam voran, Daß ich den Junker fassen kann! Darauf wollte er in den großen Saal der Burg hinaufsteigen, um der Königstochter seine Ratschläge zu erteilen. Vittorin aber hatte ihn kommen sehen. Flugs hüllte er sich in seinen Mantel, stellte sich an die Saaltüre, und in dem Augenblicke, wo der Orco über die Schwelle trat, versetzte ihm der Junker mit seinem Zauberschwert einen Hieb, daß der Unhold tot zu Boden sank. Jetzt war das Brautpaar von seinem größten Feind befreit. Die beiden umarmten und beglückwünschten sich, und der junge Mann empfing alle |
Die schöne Prinzessin aber fühlte sich noch nicht ganz glücklich. Sie mußte immer an ihren lieben Vater und ihre Bruder denken, welche sich an ihrem Glück nun so gerne mitgefreut hätten, vor kurzem aber das Opfer des schändlichen Orco geworden warden. Der Bräutigam ließ sich von ihr die Gruft zeigen, wo man die lieben Toten kürzlich bestattet hatte. Dort hob Vittorino den Deckel des Sarges ab, berührte mit dem Griff seines Schwertes die Verstorbenen, und plötzlich erwachten diese wieder zu neuem Leben. Darauf wurde der tapfere Ritter zum König gekrönt und nochmals Hochzeitsfest gehalten. Vittorino liebte über alles seine schöne junge Frau. Er regierte mit Weisheit und Milde und vergaß auch seine Eltern und Brüder nicht, denen er viel Geld schenkte. So verbrachte er im Sonnenschloß mit seiner holden Frau ein langes und glückliches Leben.
DIE RACHE DES MALERS
Es war einmal ein Kunstmaler, der hatte gerade keine Arbeit und wollte sich in einem Kapuzinerkloster vorstellen, um einen Auftrag zu erbitten. Aber der Torhüter des Klosters empfing ihn mit Anmaßung und schickte ihn mit unfreundlichen Worten wieder fort, indem er sagte: «Wir haben keine Arbeit für die Vagabunden 1»
Der Mann fühlte sich gedemütigt und faßte den Entschluß, den Mönchen einen Streich zu spielen. In der Nacht nahm er einen Pinsel und schrieb über den Portaleingang des Klosters mit großen Buchstaben:
«Wir leben ohne Sorgen!»
Am andern Morgen ritt der König am Kloster vorüber, hielt sein Pferd an und las die Inschrift, die auf dem weißen Grund der Mauer sich gar deutlich abhob. Er war davon überrascht und entrüstet über diese stolzen Worte. Dann kehrte er in sein Schloß zurück, mit dem Vorsatz. die Bruder zu strafen. Er ließ deshalb den Abt des Klosters zu sich rufen. Dieser erschien und beteuerte vor dem König seine Unschuld, indem er erklärte, daß kein einziger der Mönche der Urheber dieser Aufschrift gewesen sei. Der König schenkte ihm jedoch keinen Glauben und gab ihm zur Strafe folgende drei Rätsel auf, die er binnen dreier Tage lösen müsse, ansonst das Kloster aufgehoben würde:
1. Wieviel wiegt der Mond?
2. Welche Entfernung ist es von der Erde bis zum dritten Himmel?
3. Was denke ich im Augenblick?
Niedergeschlagen und bekümmert kehrte der Abt ins Kloster zurück. Dort schloß er sich in seine Zelle ein und bat Gott, er möge ihn erleuchten und ihm helfen, die drei Aufgaben zu lösen. Seine Betrübnis erweckte im ganzen Kloster Verwunderung, und auf wiederholtes Fragen der andern Brüder gab er zur Antwort, sie sollten zu Gott um Gnade bitten, denn es drohe ihrem Kloster eine große Gefahr. Zuletzt kam der Bruder Koch in die Zelle des Abtes gelaufen und bestürmte ihn mit der Bitte, er solle ihm die Ursache seiner großen Traurigkeit anvertrauen. Der Abt erzählte ihm den Vorfall, und der Koch, der ihm lächelnd zugehört hatte, sagte schließlich: «Ist das Euer ganzer Kummer? Laßt mich doch die Sache in die Hand nehmen. Morgen gehe ich mit Eurer Erlaubnis zum König und stelle mich mit den drei Antworten vor.»
Der Abt war damit zufrieden, und der Koch nahm andern Tags den Kochlöffel unter den Arm und meldete sich im königlichen Schloß. Als er vor den König geführt wurde, sprach er: «Hier bin ich, um auf die drei Fragen Antwort zu geben, die Eure Majestät uns aufgegeben hat!»
Der König erwiderte: «Nun gut, so laßt eure Antwort auf meine erste Frage hören: Wie schwer ist der Mond?»
«Der Mond wiegt ein Pfund, denn er zerfällt in vier Viertel, und vier Viertel bilden ein Pfund.»
«Gut geantwortet!» entgegnete der König. «Nun wollen wir aber hören, was ihr auf die zweite Frage für eine Antwort gehen könnt.»
Der Mönch zog aus der weiten Tasche seiner Kutte drei mächtige Knäuel Faden hervor und sagte: «Das, Majestät, ist die Entfernung von der Erde bis zum dritten Himmel. Und solltet Ihr davon nicht überzeugt sein, so will ich hier den Anfang des Fadens halten und Ihr geht voraus bis hinauf vor die Himmelstür, um den Abstand nachzumessen.»
Da schaute der König den Mann im verstohlenen an und sagte: «Sehr gut! Und nun erratet mir, was ich in diesem Augenblick denke!»
«Ihr, mein Herr und Gebieter, denkt, ich sei der Abt des Klosters. Ich bin aber nur der Bruder Koch. Und hier, mein verehrter König, ist die Kelle, mit welcher ich die Suppe umrühre!»
Der König war verblüfft über die scharfsinnigen Antworten, und das Kloster war gerettet.
Für die Klosterbrüder war es aber gleichwohl eine heilsame Lehre, und wer fürderhin an ihre Pforte klopfte, wurde immer freundlich empfangen und mit Wohltaten entlassen.
WIE DIE KIRCHE
DER MADONNA DI SEMENTINA ENTSTAND
Wer über die imposante Brücke geht, welche die Dörfer Monte Carasso und Sementina, unweit Bellinzona, verbindet, hält unwillkürlich inne, denn sein Auge wird von einem seltenen Anblick festgehalten. Längs des Tales erheben sich die berühmten Mauern einer alten Befestigung, die dem Tal und der ganzen Gegend ein historisches Gepräge geben. Aber noch altertümlicher wirkt die schöne Kirche, die unten im Flußbett des Bergbaches in einem Seitental steht. Warum sie gerade dort errichtet wurde, bildet für den Wanderer eine zweite Ueberraschung.
Als ich mit Verwunderung in die tief eingerissene Schlucht hinabblickte, kam gerade ein altes Mütterchen aus Sementina des Weges. Sie erriet sogleich meine Gedanken und erzählte mir folgendes:
Sehen Sie, die Kirche dort unten ist der heiligen Madonna aus Dankbarkeit geweiht. Das kam so: Vor alter Zeit wohnte im Tal eine ganz arme Witfrau mit zwei kleinen Kindern. Sie ging oft ans Ufer des Bergbachs hinunter, um herabgeschwemmte Hölzer aufzufangen und sich damit ein warmes Stübchen zu bereiten. Sie suchte also dieses Holz längs des Flußbettes, ohne an die großen Gefahren zu denken, denen sie sich aussetzte. Eines Tages hatte es stark geregnet; aber der Bach war noch nicht angeschwollen. Die Frau nahm also das eine Kind auf den Arm, das andere
an die Hand und begab sich gerade an den Punkt, wo heute die Kirche steht. Einige gutherzige Leute aus dem gleichen Dorf warnten sie noch, sie solle sich heute nicht in die Schlucht hinabwagen. Sie aber gab zur Antwort, sie habe soeben zur hi. Maria gebetet, sie möge sie und ihre Kinder beschützen. Als sie an jener Stelle anlangte, vernahm sie plötzlich ein ungewöhnliches Getöse. Sie erriet bald, was es war und hatte keine Zeit, lange zu überlegen. Denn plötzlich kam eine gewaltige Flut Wassers daher, das eine Menge Steine und Holz mit sich führte. Augenscheinlich war sie mit ihren zwei Kindern nun verloren. Da erhob sie ihre Augen voll Vertrauen zu Gott und empfahl sich seinem Schutz. Und was geschah? Als das Wildwasser schon ganz nahe bei ihr war, trennte es sich plötzlich in zwei Arme, so daß die Fluten links und rechts an ihr vorüberrauschten und sie wie auf einer Insel stand. Noch immer betete sie, die Kinder an sich drückend, und blieb unversehrt. Als dann die Wasserflut vorüber war, dankte sie der göttlichen Vorsehung, welche sie auf so wunderbare Weise gerettet hatte. Und nun geschah ein zweites Wunder. Gerade vor ihr auf einem Felsklotz erblickte sie eine Lichtgestalt, die Himmelskönigin, mit reichen Gewändern angetan. Bei diesem Anblick warf sich die Giolì — dies war ihr Name - auf die Knie und verharrte mit ihren Kleinen im Gebet, bis die glänzende Erscheinung wieder verschwand.Dann stieg sie aus der Schlucht empor und kehrte in ihr Dorf zurück, wo sie ihren Nachbarn ihr Erlebnis erzählte. Diese eilten sogleich an den Ort, um sich von dem Geschehnis zu überzeugen. Danach beschlossen sie, eine Kapelle zu errichten. Und zwar sollte
diese nicht etwa auf der Insel, sondern oben am Berghang gebaut werden, um vor dem Hochwasser für immer sicher zu sein. Die Bauleute schafften auch alsbald das Material dazu herbei. Wie groß aber war ihr Erstaunen, als dieses über Nacht an den Fluß hinunter, eben an die Stelle gebracht worden war, wo das göttliche Bild dem armen Mütterchen erschienen war. So beschlossen sie denn, die Kapelle hier unten zu errichten. Und später, als die Leute einen Baufonds geäufnet hatten, wurde an ihrer Stelle eine schöne Wallfahrtskirche erstellt.Es kam aber wiederholt vor, daß gewaltige Wasser die Kirche bedrohten. Ja einmal brachte der Bach so viel Geschiebe daher, daß die Steine ins Innere der Kirche drangen und sogar ein gewaltiger Felsklotz herabgeschwemmt wurde, den die Bauern vor dem Hauptportal wegräumen mußten. Bei alledem blieben aber trotz der ständigen Gefahr Altar und Marienbild unbeschädigt.
Als dann aber im Jahre 1914 so viele Steine vom Wildbach herabgebracht wurden, daß sie den Vorhof der Kirche bis zu dem Mäuerchen füllten, beschloß der Pfarrer, eine starke Stützmauer gegen die Wasser anlegen zu lassen. Auch bei dieser letzten Gefahr war die Kirche unversehrt geblieben.
So lautet die Legende von der Wallfahrtskirche von Sementina, wie sie mir von der alten Bäuerin erzählt wurde.
QUELLEN-NACHWEIS
Die Sagen und Märchen stammen von nachstehenden Gewährsleuten und aus folgenden Orten: Seite
11: Signora Scalabrini-Lorenzetti, Losone, 1917/21; ebenso Selene Semenzato, Bellinzona, 1925.
18: Don Rocchi, parroco, Ponte Capriasca, 1924; ebenso Silvio Salvi, Campestro, 1926.
21: Signora Scalabrini-Lorenzetti, Losone, 1917/19.
28: Maestra Regolati, Losone, 1922. Derselbe Eid wird auch von der Alp Bregoldone (Dominio Clerici, Claro, 1930) und der Alp Cristallina erzählt (siehe Seite 90).
30: Maria Grandi (geb. 1846), Breno, 1929; ergänzt durch Elda Rezzonico, Castagnola, 1929.
33: Silvio Savi, aus Preonzo, 1928.
38: Silvio Savi, aus Biasca, 1926.
41: Giulio Genetelli, Preonzo, 1927.
43: Silvio Savi, Campestro, 1926.
44: Silvio Savi, Campestro, 1926; ergänzt durch Maestro Giocondo Perucchi, Origlio, 1928.
46: Giulio Genetelli, Preonzo, 1928.
50: Giuseppe Battistini, Losone, 1928; ähnlich auch Signora Scalabrini-Lorenzetti, Losone, 1920.
52: Aus: Giorgio Simona, Note di arte antica del canton Ticino, Locarno, 1893.
54: Silvio Savi, Campestro, 1926; vergl. Giuseppe Curti, Racconti ticinesi, Bellinzona, 1866.
57: Silvio Savi, Campestro, 1928.
59: Prof. Adele Fontana, Pedrinate und Brissago, 1930.
62: Silvio Savi, Campestro, 1926.
65: Angelo Branca und Prof. Angelo Morandi, Brissago, 1929; vergl. Giuseppe Curti, Racconti ticinesi, Bellinzona. 1866.
72: Bruno Festoni, Stabio, 1924.
74: AIina Borioli, Ambrí, 1938/40.
77: Silvio Savi, Campestro, 1928.
79: AIma Borioli, Ambri, 1938.
80: Joh. Vincenz Venner, Rivista ticinese, Locarno, 1923.
82: Hilde Jung, Rivista ticinese, 1918/19.
84: Olimpio Fornera, Losone, 1924; ebenso Carmen Fornera, Losone, 1928.
86: Casimiro Bianda, Losone, 1930.
87: Don Albino Danzi, parroco, Quinto, 1938/40.
88: Ines Pattani, Giornico, 1923.
90: Maestra Silvia Forni, Villa-Bedretto, 1938.
91: Arcadio Polti, Olivone, 1930.
93: Amelia de Christophoris, Brione-Verzasca, 1929; ähnlich auch Silvio Savi, Campestro, 1930.
96: Gina Giannini, Deggio, 1930.
98: Riccardo Galli, Rovio, 1924.
101: Silvio Savi, Campestro, 1926.
108: Silvio Savi, Campestio, 1926.
116: Silvio Savi, Campestro, 1928.
121: Silvio Savi, Campestro, 1927.
126: Maestro Temistocle Notari und Maestra Maria Notari, Curio (Malcantone), 1929.
130: Silvio Savi, Campestro, 1927.
140: Luigia Carloni-Groppi, Rovio (handschriftliche Sammlung im Tessiner Dialekt), 1911; ähnlich auch Silvio Savi, Campestro, 1926.
144: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911.
153: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911.
156: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911, und Silvio Savi, Campestro, 1926; ebenso ein alter Casaro, Piotta, 1940.
160: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911.
163: Luigio Carloni-Groppi, Rovio, 1911, und Silvio Savi, Campestro, 1926.
168: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911.
171: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911.
175: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911.
178: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911; ähnlich Silvio Savi, Campestro, 1926.
182: Silvio Savi, Campestro, 1926.
186: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911.
190: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911; ebenso Silvio Savi, Campestro, 1930.
198: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911; ebenso Silvio Savi, Campestro, 1929.
200: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911.
205: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911.
207: Silvio Savi, Campestro, 1926; ebenso Francesco Orlandi, Neggio, 1928.
214: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911.
220: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911.
224: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911.
229: Silvio Savi, Campestro, 1927.
233: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911.
236: Luigia Carloni-Gropni, Rovio, 1911.
239: Silvio Savi, Campestro, 1929.
243: Maestra Alberti-Mattei, Osogna, 1923.
248: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911.
253: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911.
254: Silvio Savi, Campestro, 1927.
261: Maestra Alberti-Mattei, Osogna, 1925.
266: Olga Maria Mambretti, Osogna, 1925.
272: Luigia Carloni-Groppi, Rovio, 1911; ähnlich auch Felicita Pellandi, Osogna, 1923.
276: Osogna, 1923.
280: Silvio Savi, Campestro, 1926.
284: Silvio Savi, Campestro, 1925.
290: Silvio Savi, Campestro, 1926.
293: Maestra Alberti-Mattei, Osogna, 1923.
298: Silvio Savi, Campestro, 1926.
309: Carlo Cattaneo, Massagno, 1924.
312: Giulio Genetelli, Preonzo, 1940.