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Inhalt
Pilatus 7
Ahasver, der ewige Jude 16
Beatus, der Schweizer Apostel 26
Von dem frommen und starken Ritter St. Martin 32
Mauritius 34
Ursus und Victor 38
Die heilige Verena 42
Felix und Regula 51
Der Tote zeugt 53
St. Gallus 59
Der leuchtende Hirsch 69
Die rächenden Raben 71
St. Jodern Glocke 77
Die Weise des Hirten 79
Der ewige Wanderer in der heiligen Nacht 8i
Des Königs Traum 83
St. Nikolaus von Tschamut 85
1 Gottsname 87
Die Glutblumen 90
Die klingende Tanne 94


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ARNOLD BUCHLI Schweizer Legenden

GUTE SCHRIFTEN ZÜRICH 1967



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Der Kopf des Umschlages stammt aus einer Illustration zur Offenbarung des Johannes (Niederländisches Blockbuch, ungef. 1470, Königliche Bibliothek, Kopenhagen)
Arnold Büchlis «Schweizer Legenden» sind im Jahre 1943 mit
Buchschmuck von A. M. Bächtiger im Verlag Sauerländer, Aarau,
erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche
Erlaubnis des Abdrucks.
Druck: Sauerländer AG, Aarau


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Den «Schweizer Legenden» — erschienen im Kriegsjahr 1943 — hat Arnold Büchli ein schlichtes Gleichnis beigefügt. In seiner Lenzburger Mundart erzählt er, wie sich ein müder Wanderer gegen Abend seinem letzten Ziel nähert. Nicht weit vom Tor zögert er aber und steht still. «Er leit d Hand a d Stirne ond wört ernst, so engschtlech und truurig. Was hät er? 1 weis, was er hät: sy Renzeli am Rogge, das macht em Chommer; 's isch allerhand drenn, wo nöd dinne sy sött ...»

Diese Bürde des verlorenen Sohnes scheint die Heiligen der vorliegenden Sammlung nicht zu drücken. Es sind feurige Bekenner, Märtyrer und strahlende Glaubenshelden, vom Volk in liebevoller Überlieferung zu Leitbildern gemacht, zu Helfern erhöht, den Schwachen zuliebe an die Kirchen und Kapellenwände gemalt. Die Versuchungen des Antonius sind den meisten von ihnen fremd, und der paulinischen Warnung: «Wer da steht, sehe zu, daß er nicht falle!» bedürfen sie kaum. Selbst im Tode wandeln sie, Felix und Regula, Ursus und Victor, aufrecht zu ihren Begräbnisstätten. Gleich dem Pariser Heiligen Dionysius tragen sie die abgeschlagenen Häupter in den Händen, und Fridolin ruft sogar einen längst Verstorbenen aus der Gruft, vor Gericht für ihn auszusagen.

Diesen flammenden Zeugen aus der Zeit der Christenverfolgung stehen Widersacher gegenüber, finstere Heiden, verstockte Ungläubige und böse Quälgeister. Unter ihnen sind Männer, die für ihr Vergehen büssen müssen, selbst über den Tod hinaus: Pilatus, Ahasver und der trotzige Hirte von Bethlehem gehören zu ihnen, «Zeugen wider Willen» nennt sie der Verfasser.

Die «Schweizer Legenden», denen diese Auswahl entnommen ist, bilden das Kern- und Herzstück im Werk des großen Sagensammlers Arnold Büchli. Ihre Gestaltung war ihm ein ganz besonderes Anliegen. Legenden wissenschaftlich zu durchleuchten, sie nach ihrem geschichtlichen Kern zu durchsuchen oder gar psychologisch zu deuten, das lag ihm stets fern. Er fühlte zu gut, wie damit das Wesentliche verloren ginge. Er sah seine Berufung darin, die alten Berichte behutsam-ehrfürchtig



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mitsamt den Zeichen ungebrochenen Glaubens wiederzugeben. Nach seinen Worten sollen sie erklingen als «Stimme aus der Ewigkeit, die auch im einfachen Gemüt das himmlische Heimweh. die stärkste Kraft der Menschenseele, weckt.»

Neben zahlreichen andern Quellen diente ihm als Grundlage für die Legenden hauptsächlich die Sammlung des im Jahre 1638 in der Kartause Ittingen verstorbenen Paters Heinrich Murer. Verschiedene Stücke hat er jedoch unmittelbar dem Volk abgelauscht, so etwa die von ihm besonders geschätzten Weihnachtsgeschichten aus der Mesolcina. Bei all dieser Arbeit kam ihm seine Ausbildung als Philologe und Theologe trefflich zustatten. Als Erbe der Reformation. wie er sich einmal nennt, ist er stets bemüht, «über das Trennende der Bekenntnisse hinwegzusehen» und für die gemeinsame Würdigung der Heiligen einzustehen.

Dr. Arnold Büchli ist dieses Jahr zweiundachtzig geworden und hat eben den fast tausend Seiten umfassenden zweiten Band der Mythologischen Landeskunde von Graubünden herausgegeben. Wir hoffen mit allen, die von der großen Bedeutung dieser Sammlung überzeugt sind, daß es dem Autor vergönnt sein werde, auch den schon längst vorbereiteten dritten Band zu vollenden.

Die Guten Schriften Zürich freuen sich, mit der vorliegenden Auswahl auf die Gesamtausgabe der «Schweizer Legenden» hinzuweisen. Legenden sind - das Wort sagt es - zum Lesen und Beherzigen da, einem ungläubigen und von der Technik oft verblendeten Zeitgeist zum Trotz!

Hermann Anliker



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PILATUS

In der Zeit unlang vor Jesu Christi Tode ward dem Kaiser Tiberius in Rom Kunde, daß zu Jerusalem ein sehr weiser Arzt wäre, der könnte die Leute heilen von all ihrem Siechtum. Es hatte aber der Kaiser selber ein gar lästiges, unsauberes Gebresten, nämlich den Aussatz. Darum sprach er zu seinem liebsten und vertrautesten Diener, Albanus mit Namen: «Albanus, nun fahre übers Meer nach Jerusalem zu Pilatus, grüße ihn von mir und sage ihm, daß er mir den weisen Arzt sende, der die Leute gesund macht und von ihrem Siechtum befreit!»

Albanus gehorchte, bereitete sich zu der Reise, fuhr gen Jerusalem zu Pilatus und sagte ihm, was sein Herr, der Kaiser, ihm entboten. Da Pilatus den Befehl vernahm, erschrak er, konnte ihm über die Sache nichts antworten und ward voll Unmuts, denn er wußte wohl, daß er an Jesus Christus übel gehandelt. Er bat Albanus, daß er ihm XXXI Tage Zeit gebe, sich zu erkunden. Inzwischen wolle er mit den weisen Juden Rats pflegen, wie er dem Kaiser Bescheid tun könnte. Albanus tat als ein getreuer Bote und gewährte Pilatus die Frist. Während dieser Zeit aber forschte er, wer jener weise Arzt wäre und ob ihm jemand zu sagen vermöchte, wo er sich aufhalte. Aber es wollte niemand von ihm gehört haben. Denn die Fürsten der Juden hatten bei Strafe an Leib und Gut verboten, davon zu sprechen, wie es Jesus ergangen. Albanus jedoch suchte überall in der Stadt zu erfahren, wo denn der gute Arzt zu finden sein möchte.

Und zuletzt kam er in das Haus einer frommen Frau, Veronika mit Namen. Die fragte er auch, was für ein Mann das wäre, von dem die Rede ginge, daß er ein gar weiser Arzt und aller Bresthaften und Beladenen Helfer sei. Da seufzte Veronika gar sehr und sprach: «Ach, der, nach dem Ihr da fragt, war mir gut vertraut. Oft hielt er Einkehr in meinem Hause, und ich hatte vielen Trost von ihm. Aber Pilatus und die Juden haben ihn, meinen Herrn und Heiland, verurteilt und getötet. Sie hingen ihn zwischen zwei Mördern an ein Kreuz, und an dem Kreuze



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starb er. Und als man ihn begraben, da erstand er am dritten Tage wieder von den Toten und wandelte mit seinen Jüngern bis an den vierzigsten Tag nach seiner Urständ. Dann fuhr er auf zum Himmel, und es war unser eine große Schar beisammen, die seine Auffahrt sahen. »

Albanus erschrak sehr, ward gar traurig und sprach: «Mich hat Pilatus gebeten, ihm Zeit zu lassen, XXXI Tage. Dann wolle er ihn meinem Herrn, dem Kaiser, senden, ihm zu helfen und ihn zu heilen von seinem großen Gebresten. Wie mag das denn geschehen, da er doch gestorben und zum Himmel gefahren ist?» Ihm antwortete die heilige Frau Veronika: «Pilatus weiß wohl, daß er übel an ihm gehandelt. Er fürchtet nur des Kaisers Zorn. Denn er darf Euch keine Antwort geben, noch können ihm die weisen Juden raten. Sie werden ihm nur helfen, eine Unwahrheit über die Sache zu ersinnen. Darum hat er um so lange Frist gebeten und aus keinem andern Grunde.»

Albanus erwiderte: «So sehe ich denn, daß ich wieder heimfahren muß ohne allen Trost, den ich doch meinem Herrn, dem Kaiser, bringen sollte, und daß ich keine Hoffnung haben kann, den Arzt zu finden. Ich fürchte, daß mein Herr, der Kaiser, von seinem Gebresten nimmermehr genesen wird.» Doch die Frau Veronika entgegnete: «Dessen sollt Ihr gewiß sein: Wer seine Zuversicht gänzlich auf meinen Herrn Jesus Christus setzt und ihn anruft von ganzem Herzen, dem wird er sich nimmermehr versagen, sondern dem gibt er, was sein Herz begehrt. Denn er hat gesprochen mit seinem göttlichen Munde: ,Wer da heischt, dem gibt man, und wer da anklopft, dem wird aufgetan.'»

Da sagte Albanus: «Nun wird mir wohl zumute, ob ich schon meines gnädigen Herrn Botschaft nicht ausführen kann zu seinem Nutz und Frommen.» Die Frau Veronika fuhr fort: «Mein Herr und Meister hat das Wort der Wahrheit verkündet überall. Da ging ich hin und hörte mit Fleiß und Ernst auf seine Rede und merkte an seinen Worten wohl, daß ich eines Tages seines Trostes und seiner Gegenwart entbehren müßte, dieweil die Juden ihn töten würden, wie denn auch geschehen ist. Und da ich besorgte, ich möchte ihn nicht lange mehr haben, so



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dachte ich: ,Laß dir sein Antlitz malen auf ein Tuch zum Trost und zur Andacht! Wenn du es dann ansiehst, so wirst du seiner gedenken immerdar.' Und als ich mich auf den Weg begeben, dem Maler das Tuch zu bringen, begegnete mir Christus, unser Herr, und fragte mich, wohin ich wollte. Und ich sagte ihm, zu wem ich zu gehen gedächte und wonach ich Verlangen hätte.

Da nahm mir Christus Jesus, unser Herr, das Schweißtuch sänftiglich aus der Hand, drückte es an sein heiliges Antlitz und reichte es mir wieder. Und da war auf dem Tuch ein Abbild. seinem Angesicht gleich an Farbe und allem. Und also blieb mir dasselbe, als ob es Jesu, unseres Herrn, wirkliches göttliches Antlitz wäre, und es ward genannt nach meinem Namen ,der Veronika Schweißtuch'.

Und ich sage Euch: Fürwahr, sähe Euer Herr, der Kaiser, das Antlitz auf dem Tuche an mit rechter Andacht und starkem Glauben, ich weiß, er würde genesen von seinem schweren Gebresten.» «Liebe Frau», fragte darauf Albanus, «ist Euch das Tuch nicht feil? Ich gebe Euch dafür so viel Silber und Gold, daß Ihr dessen im Überfluß habt, so lange Ihr lebt.» Doch die Frau Veronika antwortete: «Nein, lieber Herr, es ist mir nicht feil, nicht um Silber und Gold und nicht um Edelgestein. Ich zeige es nur aus Liebe und zu heiliger Andacht.» Da sprach Albanus: «Was soll ich denn tun, und was soll ich meinem Herrn, dem Kaiser, melden?» «Gefiele es Euch,» sagte Frau Veronika, «so wollte ich mit Euch gen Rom fahren, den Kaiser es anschauen lassen, wenn er dazu Glauben hätte.» Da ward Albanus gar froh und dankte ihr ihres guten Willens über die Maßen.

Und sie bereiteten sich, auf ein Schiff zu gehen, und fuhren über das wilde Meer gen Rom und nahmen das Tuch mit sich achtsam und mit Würde, wie es dem Heiligtum gebührte. Und Albanus begab sich in den kaiserlichen Palast, und da Tiberius vernahm, daß sein vertrauter Diener zurückgekommen, da freute er sich von ganzem Herzen, denn er dachte, jener habe den weisen Arzt mit sich gebracht. Als Albanus vor den Kaiser trat, hub er an: «Gnädiger Herr und Kaiser, ich bin in Jerusalem



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gewesen, wie Ihr mir geboten. Den weisen Arzt aber, nach dem Ihr mich gesendet, fand ich nicht. Den haben Pilatus, Euer Richter, und die Juden gefangen und gemartert und mit Schächern und Mördern an das Kreuz gehangen unschuldiger und schmählicher Weise. Sein Name aber ist gewesen Jesus der Nazarener.»

Da das der Kaiser hörte, sprach er: «Nun habe ich keine Hoffnung, daß ich je genese.» Doch Albanus erwiderte ihm: «Gnädiger Herr und Kaiser, ich habe aber mit mir gebracht eine fromme, ehrwürdige Frau. Die war des Arztes Dienerin, und er ließ ihr ein Wahrzeichen, das Bildnis seines Antlitzes, einem Schweißtuch aufgedrückt. Und wenn Ihr das Tuch anschaut und an die Kraft des Arztes Jesus glaubt andächtiglich, so werdet Ihr genesen von Eurem Gebresten und von Stund an frisch und gesund sein. »

Da ward der Kaiser wieder froh und hieß alsogleich senden nach dem ehrwürdigen Heiligtum und nach der Frau Veronika. Und den reichen Bürgern der Stadt Rom ließ er gebieten: wer köstlichen Samt und Seide habe, der solle sie auf dem Boden ausbreiten, wo die Frau des Weges komme, ihrem Heiligtum zu Lob und Ehren. Und er gebot auch, daß Frauen und Männer ihm in Menge entgegen gingen. Und die Römer taten so mit Begierde und machten sich auf, die Väter Senatoren und die Priester voran mit großem Gepränge und in köstlichen Gewändern, und unter ihnen schritt der Kaiser selbst einher in tiefer Andacht.

Und als er das Heiligtum von ferne erblickte, da fiel er nieder auf die Knie in Demut und Ernst. Und da Veronika ihm das Tuch mit dem Antlitz Jesu darreichte, nahm er es in die Hand und hielt es vor seine Augen im Angesicht aller Welt. Da genas der Kaiser von seinem Gebresten und ward von Stund an frisch und gesund und schön an seinem ganzen Leibe. Das Tuch aber trug man mit Ehrfurcht in des Kaisers Palast, und viele Menschen, die andächtig vor das Heiligtum traten, wurden geheilt von ihrem Siechtum. Und man erwies auch der Frau Veronika große Ehre.



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Darnach aber befahl der Kaiser, daß Pilatus zu Jerusalem in Fesseln gelegt und nach Rom geführt werde. Und er bedachte sich, welchen Tod er ihm antun wollte. Aber als Pilatus vor ihn kam und der Kaiser ihn ansah, da konnte er kein hartes Wort wider ihn reden. Sowie er jedoch gegangen, da ward er über den Landpfleger ergrimmt und gebot, ihn abermals hereinzuführen. Allein kaum stand dieser wieder vor ihm, da vermochte Tiberius ihn nicht hart anzulassen, wie er gewollt. Da sagte die heilige Frau Veronika zum Kaiser: «So du ihn bestrafen willst, so heiße ihn den Rock ausziehen, den er anhat! Denn derselbige war Jesu Christi, meines lieben Herrn, Rock, und solange er den auf sich trägt, kann ihm keiner ein Leid antun.»

Sogleich befahl der Kaiser, ihm Jesu ungenähten Rock, den er unter seinem Gewande verborgen trug, auszuziehen, und jetzt hatte Tiberius Gewalt, ihm gram zu sein, und er sprach zornig zu ihm: «Du verabscheuungswürdiger Bösewicht, nun will ich den schmählichen, ungerechten Tod Jesu, meines Arztes, an dir rächen. » Und der Kaiser war so ergrimmt auf ihn, daß er nicht wußte, welches harten Todes er ihn sterben lassen sollte.

Zu der Zeit kam auch Vespasianus nach Rom geritten und begehrte vom Kaiser, daß er ihm verstatte, Jerusalem zu zerstören samt allem, was darinnen war an Menschen und Gut, insonders die ganze Judenheit. Das erlaubte ihm der Kaiser, denn er war allen Juden feind um des Todes Jesu Christi willen. Weil aber der Christen damals zu wenige waren, konnte Vespasianus zu derselben Zeit sich noch nicht vor Jerusalem legen, und es stand an wohl vierzig Jahr. Doch als diese um und der Christen gar viele geworden waren, da zog des Vespasianus Sohn Titus mit großem Kriegsvolk vor Jerusalem, belagerte die Stadt auf die hohen Osterfesttage und bedrängte sie also hart, daß darinnen vor übergroßer Not an Speise und allem Frauen ihre eigenen Kinder verzehrten und in den Gassen und Straßen viele niederfielen und Hungers starben. Und endlich kam es dazu, daß die Stadt Jerusalem eingenommen ward und Titus Vespasianus je dreißig Juden um einen Pfennig gab, gleich wie sie



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Christus Jesus um XXX Pfennig gegeben und den Kriegsknechten der Römer überantwortet hatten. Und Titus Vespasianus schleifte die Stadt samt ihren Mauern. Dabei ward Joseph von Arimathia aufgefunden unter der Erde, eingemauert in einem Gewölbe, wo er viele Jahre ohne alle leibliche Speise gelebt mit der Hilfe des allmächtigen Gottes. Der erzählte dem Feldherrn Titus Vespasianus, wie alles zugegangen war, und erst, nachdem alle diese Dinge geschehen und Jerusalem dem Erdboden gleich gemacht war, starb er.

Als nun der Kaiser den Landpfleger Pilatus gefangen gesetzt, beriet er sich mit Vespasianus und andern Fürsten, auf welche Weise er den Missetäter sollte hinrichten lassen. Denn er wollte ihm einen bösen Tod antun. Und sie urteilten alle, er hätte das schändlichste Ende verdient, das man sich nur denken könnte. Da Pilatus das erfuhr, stieß er sich selber ein Messer durch die Kehle. Der Kaiser aber sprach: «Sicherlich, er hätte keinen schändlicheren Tod erleiden können!»

Darauf entließ er die Frau Veronika mit großen Ehren, und sie kehrte in ihre Heimat zurück. Dem Kaiser aber verblieben durch ihre Güte das Tuch mit dem Bildnis Jesu und sein ungenähter Rock.

Den unreinen Leichnam des Verruchten aber befahl er in den Tiber zu schleifen, das ist ein großes Wasser und fließt durch Rom. Doch da kamen die bösen Geister daher, ergriffen den toten Pilatus und fuhren mit ihm durch die Lüfte und danach wieder in den Fluß, und so verunreinigten sie mit ihm Luft, Erdreich und Wasser. Die Wolken zogen sich zusammen, die Elemente gerieten in Aufruhr. Es blitzte und donnerte gar heftig, und ein starker Hagel fiel, daß die Leute in große Sorge und Angst gerieten.

Da wurden die Römer Rats, Pilatus wieder aus dem Tiber zu ziehen, und sie schickten ihn nach Vienna in des Augustus Kolonie und befahlen, ihn in ein Wasser zu werfen, das der Rotten' genannt wird. Allein, wie man ihn hineinstieß, verfuhren die



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bösen Geister mit ihm gleich, wie sie zu Rom getan. Sie erregten Stürme, und es fing an zu regnen und zu hageln, denn auch der Rotten wollte des Pilatus Leichnam in seinen Fluten nicht behalten. Das konnten die Leute zu Vienna nicht dulden, und sie holten ihn aus dem Fluß und schickten ihn nach Losen 2 . Daselbst sollte man ihn begraben. Allein sowie dies geschehen, schnoben die bösen Geister heran, wühlten den Totenhügel auf, und es erhob sich ein schreckliches Ungewitter. Denn auch das Erdreich wollte den Verächter des Herrn nicht bergen. Und die von Losen waren insgleichen nicht gewillt, um seinetwillen solches Ungemach zu ertragen, und sie schafften ihn weit fort auf ein hohes Gebirge, wohl vierzig Stunden von ihrer Stadt entfernt. Das liegt in der Eidgenossenschaft bei zwei Meilen von Luzern, und die Landleute und Umsassen von nah und fern nannten es Fräkmünt.

Unter dem Felsgipfel dieses Berges ist die Wild Alp und darin ein Seewili, ein gar unreiner Pfuhl. Da hinein ward der Leichnam geworfen in aller Teufel Namen. Die trieben mit Pilatus ihr bös Unwesen, und es war daselbst gar ungeheuer. Das hatte der Bösewicht verschuldet, und darum hielt der Rat zu Luzern jene Gegend wohl in Hut. Denn ging jemand hinauf Wunders halber oder aus Mutwillen und warf etwas in den See, einen Stein, Erde oder ein Stück Holz, so entstand sogleich ein schweres Unwetter mit Donner und Hagel, wie oft geschehen. Von Zeit zu Zeit aber verließ Pilatus das Seelein, in das er geworfen und gebannt war zu ewigem Leid, und durchstürmte als grauenhaftes Gespenst die Alp, erschreckte die Hirten, vertrieb sie von den Weiden, zersprengte die Herden und stürzte das beste Vieh in die Abgründe. Oftmals auch stieg er hinauf auf das Güpfl, eine Bergspitze, die gegen das Entlebuch hin vorspringt. Dort thronte er auf der Felsenkanzel und hatte die Macht, ein Gewitter mit entsetzlichen Wolkenbrüchen zu erregen. Augenblicklich schwollen im Tale die Bäche an, überschwemmten Äcker und Matten, daß ganze Häuser, Speicher 

2 Lausanne



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und Scheunen mit allem Hab und Gut und selbst Menschen weggespült wurden.

Man erzählt, daß noch ein anderes Gespenst droben auf dem Fräkmünt oder, wie er auch genannt wurde, dem «brochen Birg» gehaust habe, nämlich der König Herodes. Und am furchtbarsten sei es zugegangen, wenn die beiden im Sturme mit einander gekämpft hätten. Dann jagte ein Wetter das andere, und die Bauern unten in den Dörfern besegneten sich in Angst und Grauen.

Der unselige Geist auf dem Fräkmünt trieb sein verderbliches Wesen immer ärger. Aber kein anderes Land hätte des Pilatus Leichnam mehr aufgenommen, und deshalb waren die Bewohner jener Gegend sehr froh, als einst ein fahrender Schüler, der in der schwarzen Schule zu Salamanca studiert hatte und zu den Rosenkreuzlern gehörte, nach Luzern kam und sich anerbot, den Geist zu beschwören. Der Rat verhieß, ihm eine große Summe Geldes einzuhändigen, wenn es ihm gelinge, den Älplern auf dem brochen Birg Ruhe und Sicherheit zu verschaffen. Der Student versprach, sein Möglichstes zu tun.

Er machte sich sogleich an die Verfolgung des Geistes, den er droben auf dem Güpfl antraf, wo der Unhold wie von einer Warte herab die Gegend durchspähte. Der Schüler begann seine Beschwörung. Funken zuckten ihm aus Haaren und Fingerspitzen, während er die Kraftsätze seiner schwarzen Kunst gegen Pilatus hinüber wetterte. Es war ein heißes Stück Arbeit. Sogar der Felsblock unter seinen Füßen begann sich vom Berge zu lösen und schwankend zu werden. Und er ist es geblieben bis zum heutigen Tag; er heißt darum auch der Gnepfstein.

Aber noch war Pilatus keinen Zoll breit gewichen. Der Rosenkreuzier sah sich gezwungen, seine Zuflucht zu noch stärkeren Formeln zu nehmen. Er suchte sich einen festeren Standort und sprang morgenwärts auf das Widderfeld, eine Felszacke, die dem Güpfl gegenüber liegt. Jetzt biß er die Zähne aufeinander, daß es knirschte, und holte seine mächtigsten Sprüche hervor. Was es da gegolten, das kann man ahnen, wenn man sieht, wie auf der Stelle, wo der fahrende Schüler gestanden hat, die Ra



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sendecke auf einem großen Viereck für ewige Zeiten versengt ist und der nackte Fels zu Tage tritt, während ringsher das schönste Gras wächst. Da setzte sich noch lange nachher kein Tau an und wurde nie ein Tier gesehen.

In wildem Wirbel umkreiste der Geist den Schüler, der seinen Zaubermantel von den Schultern gerissen hatte und ihn zum Schutze vor den blitzenden Blicken des Gespenstes rundum wirbelte.

Endlich nach hitzigem Kampfe mußte Pilatus weichen und barg sich vor den Bannschwüren des Studenten winselnd hinter einem Felsblock. Er fing an mit ihm zu verhandeln und gab ihm so weit nach, daß er sich zu dem Versprechen herbeiließ, fürderhin in seinem See auf der Alp sich ruhig zu verhalten. Dort sollte ihn aber niemand geflissentlich stören dürfen. Nur einmal im Jahr sollte ihm gestattet sein, aus der Tiefe zu steigen und auf der Oberwelt, inmitten des Sees, zu wellen. Auch stellte Pilatus das Beding, daß er auf einem Pferde, wie es sich für einen römischen Ritter gezieme, nach dem See hinunter in seine Wohnstatt zurückkehren könne. Der Schüler willigte in diese Forderung ein. Er schüttelte noch einmal seinen dunklen Magistermantel, und plötzlich stand ein kohischwarzer Hengst da. Der Fahrende hatte einen bösen Geist gezwungen, in Pferdegestalt Pilatus zu dienen. Dieser schwang sich auf den Rücken des Höllenrappen und spornte ihn im Zorn über seine Niederlage zu solch wilden Sprüngen an, daß die Eindrücke der glühenden Hinterhufe im Uferfelsen heute noch zu sehen sind.

Pilatus hielt den Vertrag. Alljährlich am Karfreitag, da er Jesus zum Kreuzestode verurteilt, entstieg er den Wassertiefen. Zu der Stunde, da in der Kirche die Passion gesungen wird, tauchte der Teufel aus der Flut und führte den zitternden Pilatus an einer eisernen Kette zu dem Richterstuhle, der sich mitten auf dem See erhob. Angetan mit dem blutroten Gewande seines Amtes, darauf Haar und Bart eisgrau herabhingen, setzte sich der einstige Landpfleger von Judäa auf den eifenbeinernen Sessel und wusch seine Hände in einem Becken



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blutigen Wassers, das ihm der Böse hielt. Wer ihn alsdann erblickte, mußte noch im nämlichen Jahre sterben.

Dieses Schauspiel wiederholte sich Karfreitag um Karfreitag, bis ihn der Teufel einmal ergriff und in Stücke riß. Auf dem Fräkmüntberge, den alle Welt jetzt unter dem Namen des Pilatusgeistes kennt, ist er seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen worden. Aber drunten in den Freibergen zeigt das Volk noch heute mitten in den Stromschnellen des Doubs das mächtige versteinerte Haupt des Pilatus, das der Satan dorthin geworfen, damit es von den wütenden Wellen gewaschen werde bis ans Ende der Welt.


AHASVER, DER EWIGE JUDE

Zu einer Zeit erschien zu Gaiserwald und Andwil am Tannenberg' ein steinalter Mann in ärmlichen Kleidern, der bettelte Almosen. Dabei legte er eine auffallende Unruhe an den Tag, die ihn auch beim Essen und Trinken nicht verließ. Man sah ihn dann weitergehen gegen Niederbüren, wo er ebenfalls von Tür zu Tür zog zu heischen bis am Abend, worauf er den Bergen zuschritt. Die Leute schauten ihm nach und staunten über seine riesenhafte Größe, die ihnen unheimlich vorkam. Die untergehende Sonne warf seinen Schatten ins Tal; der wuchs und wuchs und sei zuletzt wohl eine halbe Wegstunde lang gewesen.

Danach sah ein Bauer von Vilters, als er auf einem Maisacker oberhalb Ragaz arbeitete, den greisen Bettler, wie er wilde Beeren pflückte, dabei aber beständig um den Strauch herumging, ohne auch nur einen Augenblick stille zu stehen. Sein schlohweißer Bart reichte ihm bis auf den Gürtel. und über den Rücken hinunter hing das ebenso weiße Haar, doch ordentlich. Das graue, abgetragene Gewand war zwar vielfach geflickt, aber ganz. Ein Fremder soll ihm ein Silberstück angeboten haben. Allein er schlug die Gabe aus. Geld habe er, soviel 

1 Nordwestlich von St. Gallen



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er brauche, aber nie genug zu trinken für seinen ewigen Durst, sagte er und ging mit raschen Schritten weiter.

Öfter hat man den unrastigen Bettelmann auch in den Graubündner Bergen angetroffen. An einem Tage, da es in Strömen regnete, kam er einst nach Sahen an den Platz und suchte Zuflucht in einem Hause. Die Frau war gerade am Käsen. Sie stellte ihm einen Sitz vor das Herdfeuer, damit er seine tropfnassen Kleider wärmen könne, und bot ihm gastfreundlich Molken an. Der Fremde griff gierig nach der Labe, ohne die Stabelle eines Blickes zu würdigen. Weil die Käsmilch aber siedend heiß war, goß er sie in eine zweite Gebse, mit zitternden Händen und fieberhaft rasch, aber so kräftig, daß der Molkenstrahl hochauf bis ans Dach des Hauses spritzte, von wo er jedoch in das Gefäß zurückfiel, ohne daß ein Tropfen verschüttet wurde, trotzdem der Alte dabei ruhelos in der Küche umherlief.

Noch da und dort ist er gesehen worden in den rätischen Bergen, immer und überall unstet, nirgends rastend. Nicht einmal in den Schenken, wo er etwa einkehrte, saß er einen Augenblick am Tisch.

Auch in Sapün unter dem Strelapaß auf Schanfigger Seite sei er gewesen und habe in einem Hause, das man noch zeigt, «für über Nacht» gefragt. Wenn er nur in der Stube bleiben könne, habe er gesagt, er brauche kein Bett. Trotzdem sie den Mann nicht kannten, nahmen ihn die guten Bauersleute bei sich auf, dem Grundsatz ihres Urehni getreu, der seiner Hausmutter einzuprägen pflegte, sie solle am Abend keine fremden Leute fortschicken. Sie wisse auch nicht, wohin ihre Kinder einmal kämen. Sie hörten dann nur, wie der Mann in der Stube den Tisch von der Wand wegrückte, offenbar damit er um diesen herum freien Weg hatte. Viel könne er nicht geschlafen haben, erzählte man noch; wenigstens habe der Stubenboden die ganze Nacht geknarrt.

Später kam der seltsame Gast nach Obersaxen, wo er auf dem Hof Platta unterhalb von St. Martin über Nacht blieb. Dort machte er's wie auf Sapün. Er ließ das für ihn gerüstete Lager unberührt und wanderte unaufhörlich um den Schiefertisch her-



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um, auch als er am Morgen die ihm gereichte Mehisuppe auslöffelte.

Dann zog er über die Furka in das Rhonetal hinunter. An einem Abend spät zeigte sich ein merkwürdiger weißhaariger Wanderer in Getwin, einem kleinen Dörfchen gegenüber von Turtman. Bei einer alten Frau bat er um Herberge für die Nacht. Er müsse aber eine eigene Stube haben, erklärte er, da mit ihm zusammen niemand schlafen könne. Als sie erstaunt nach dem Grunde fragte, erzählte er ihr, er dürfe auch in der Nacht nicht ruhen, denn er sei der, den man den ewigen Juden nenne. Seines Handwerks sei er ein Schuster gewesen. Er heiße aber eigentlich Ahasver und sei vom Stamme Nephthali, aus Jerusalem gebürtig, allwo er gelebt bis zum Tode Christi.

Den habe er damals mit den andern Juden für einen Aufrührer gehalten, welcher stracks aus dem Wege geräumt werden müsse. Wie aber Pilatus endlich das Urteil gesprochen, sei er eilends heimgegangen und habe seinem Hausgesinde alles vermeidet, damit es Christus selber sähe und auch wüßte, was er für einer wäre, wenn sie ihn an seinem Hause vorüberführten. Dann habe er selbst sein kleines Kind auf die Arme genommen und mit ihm vor seiner Werkstatt gestanden, Christus von Angesicht zu sehen. Da dieser nun unter dem schweren Kreuze dahergekommen, habe er vor seinem, des Schusters, Hause ein wenig stillgestanden und sich an die Mauer gelehnt, zu ruhen. Aber er, Ahasver, habe aus Eifer und Zorn und auch um Ruhmes bei den andern Juden willen Christus getrieben fortzueilen und gesagt: Er solle sich hinweg begeben, wohin er gehöre. Drauf habe ihn Jesus angesehen und zu ihm die Worte gesprochen: «Ich will allhier stehen und ruhen. Du aber sollst gehen, bis daß ich wiederkomme am jüngsten Tag!»

Und alsbald habe er sein Kind niedergesetzt und nicht länger vor seinem Hause weilen können, sondern Christus immer nachfolgen müssen und also gesehen, wie er elendiglich gemartert, gekreuzigt und getötet worden. Nachdem das geschehen, habe es ihm unmöglich gedeucht, von Golgatha wiederum in die Stadt zu gehen, und er sei nachher nicht mehr nach



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Jerusalem zurückgekehrt, habe auch sein Weib und Kind niemals wiedergesehen, sondern sogleich weiter laufend fremde Länder, eins nach dem andern, durchzogen.

Und da er nach vielen Jahren wieder gen Jerusalem sich begeben wollte, habe er alles zerstört und jämmerlich geschleift gefunden, also daß kein Stein auf dem andern gewesen und er nichts mehr zu erkennen vermocht habe von dem, was zuvor alida Köstliches vorhanden gewesen.

Was nun Gott mit ihm vorhabe, daß er ihn in diesem elenden Leben so lange herumwandern lasse, wisse er nicht. Er könne sich aber nichts anderes denken, als daß Gott der Herr ihn vielleicht bis an den Jüngsten Tag zum lebendigen Zeugen wider die Juden haben wolle, durch den alle Ungläubigen und Gottlosen an das Sterben Christi erinnert und zur Buße bekehrt werden sollten.

Er erzählte auch, er sei schon einmal durch das Wallis und in das Dorf gekommen. Aber damals habe es nicht Getwin, sondern Gutwein geheißen und inmitten herrlicher Weinberge gelegen. «Und wenn ich das dritte Mal hier vorbeikomme», fügte Ahasver hinzu, «wird es Euerm Dorf ergangen sein wie einst meiner Vaterstadt Jerusalem. Ja, man wird mir nicht einmal mehr den Ort zeigen können, wo Getwin gestanden.»

Und so ergeht es immer, wo der ewige oder, wie ihn die Walliser nennen, der laufende Jude hinkommt.



***
Zwischu dum Rosaberg und dum Matterhoru ist a mächtige Gletscher, dem seit mu der Augsttalgletscher oder der Theodulpaß. Da sy vor alte Zittu a schöni Stadt gstannu, und zu der sy ouch der laufund Jud cho. Wil abar di dasigu Lit nu bchennt Beint, was er fer eine ist, so hät nu kei Mensch ubernachtu welle. Wegu discher Umbarmherzigkeit hei der laufund Jud d Stadt samt de Menschu verfluocht und gseit: «Jez isch' no a Stadt. Wenn i aber nomal chumu, so waxt hie Gras, stähnd da Bäum und liggunt da großi Steina und wurd mu keine Hüscher, Gasse, Mure und Turna meh gseh. Und wen i ds drittmal chumu, so wurd mu keis Chrut, kei Tannubäum, kei Hitta, kei


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Mura no Gassa meh antreffu, sondru nummu Schnee und Isch old 2 Gletscher. Und das soll da so lang liggu blibu, so lang ich ohni Ruow und Rast muoß um di ganz Welt wandru.

Und so ist alls haarchlei yngitroffu, wie der laufund Jud einst prophizijod hät. A Gletscher va dry Stundu Breiti deckt jez dischi Gegund, wa sie 3 a Stadt gstandu sy. D Lawinu donnru, d Gletscherspaltu chrachu, und d Wintergugsa tobu und wietu, suschter isch totestill. Di Gemschini sind d'einzigu lebundu Wesu, wa mu da jez no antrifft.



***
Wieviele Täler des Schweizerlandes hat Ahasver auf seiner ewigen Wanderung durchpilgert, wie manche Berghöhe erstiegen! Dreimal soll er schon am Fuße des Matterhorns vorbeigekommen sein und alle sieben Spitzen der Dent du Midi überschritten haben, der «irrende Jude», wie die Welschschweizer und die Misoxer ihn nennen.

Am Ufer der Moesa, bei Mela 4 , grub einst ein Bauer im Flußgeschiebe nach. Der Schweiß rann ihm von der Stirne, so emsig schaffte er. Da kam ein Mann von sonderbarem Aussehen und Gehaben dem Strom entlang gegangen. Er trug Sandalen an den Füßen, und seine schneeweißen Haare reichten ihm fast bis auf die Knöchel. Er schien sehr müde zu sein, hielt aber trotzdem kaum einen Augenblick inne, als er den Bauer ansprach. «Vor langer Zeit», sagte er zu ihm, «habe ich hier einen andern ebenso eifrig graben sehen wie nun dich. Nur verbarg er etwas im Boden, während du herausgräbst. Doch fahre unverdrossen fort! Du wirst belohnt werden.»

Der Bauer war erstaunt über diese Rede, setzte indessen seine Arbeit voll Vertrauen fort und fand zuletzt eine eiserne Kiste voll Geld und Kostbarkeiten. Die hatte sein Ahne an derselben Stelle vergraben.

Jener geheimnisvolle Alte aber war der «irrende Jude» gewesen, der gerade zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges die 

2 oder
 
3 ehemals
 
4 Im Misox, dem Tal der Moesa (Mesoleina, südlich des San Bernardino)



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Mesolcina durchzog und dabei beobachtete, wie ein Mann, der Vorfahre des Bauers, eine metallene Schatztruhe an der Moesa ins Ufergeröll eingrub. Der Mesolciner an der Mela will bemerkt haben, daß der Alte ein blutrotes Kreuz auf der Stirne trug. Das ist ein Erinnerungsmal. Denn als der Herr Jesus unter der Last des Kreuzes verschmachtend vor das Haus des Schusters kam, zeigte er bittend auf den dastehenden Wasserkrug. Doch der Jude wies ihn von der Schwelle. Da berührte Jesus ihn mit einem Finger an der Stirne, um dieser das Zeichen seines Leidens für immer einzuprägen.

Man hat ihn auch dem Bett der Moesa entlang irren sehen, als ob er Wasser schöpfen wollte, seinen unstillbaren Durst zu löschen. Dieser ist die Strafe für seine Hartherzigkeit, mit der er dem ermatteten Herrn Jesus damals den erbetenen Trunk Wassers versagte.

Von Zeit zu Zeit ergreift ihn furchtbare Verzweiflung über sein Los, das ihn zu unaufhörlichem Wallen verdammt. Man erzählt, er sei einmal ins Meer gesprungen, habe darin aber nicht den Tod gefunden. Denn er konnte nicht ertrinken. Dann sei er auf den feuerspeienden Berg, den Vesuv, gestiegen und habe sich in die glühenden Lavamassen des Kraters gestürzt. Doch das Feuer des Berginnnern habe ihn nicht behalten, sondern mit seinen Flammensäulen wieder ausgeworfen. Am ganzen Leibe voller Brandmale blieb er am Fuße des Vesuvberges liegen, um sich stöhnend vor Qual gleich wieder zu erheben und weiterzuziehen.

In fünfzig Jahren kommt er um die ganze Erde herum, und nach jedem hundertsten Lebensjahr fällt er in eine schwere Krankheit, aus der er sich jedesmal erhebt. Für seine Zehrung hat er immer ein Geldstück in der Tasche. Gibt er dieses aus, so ist gleich wieder ein anderes an seiner Stelle. Er verbraucht stets dieses Stück, nie mehr. Gewährt man ihm etwa bei Regenwetter oder Schneegestöber ein Obdach, so sieht er sich in der Stube, in welcher er während der Nacht herumgehen will, vorher die Bilder an den Wänden genau an. Denn einen Jesus oder gar ein Kruzifix kann er nicht vor Augen haben, die muß man



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herunternehmen. Und in aller Frühe treibt es ihn wieder fort aus dem Hause und aus der Gegend. Denn in der weiten Welt will kein Fußbreit Boden dulden, daß er stehen bleibt, kein Plätzchen ihm Schlummerstätte sein.

Gar vieles hat er gesehen seit Jesu Todesstunde. Er ist mitten durch die jungen, eroberungsfrohen Völker gegangen und hoch droben in den Gebirgstälern auf ihre verscheuchten Reste gestoßen. Er hat mächtige Staaten ihre Grenzsteine in stolzer Runde pflanzen und diese wieder umgestürzt gesehen, und er wird der letzte Mensch sein, der über die Erde geht.

Aber wohin auch sein Weg ihn führt, überall muß er der Verkünder schlimmer Zeiten sein. Im aargauischen Fricktal, wo er schon öfter im gleichen Wirtshaus eingesprochen, hat er erzählt: Als er zum erstenmal an den Rheinwinkel gekommen sei, wo jetzt Basel steht, habe er einen schwarzen Tannenwald, das zweitemal nur ein breites Dorngestrüpp, das drittemal aber eine vom Erdbeben zerrissene große Stadt vorgefunden. Wenn er zum letzten Male dieses Weges fahre, werde man hier stundenweit gehen müssen, um Reiser zu einem Besen zusammenzusuchen.

Eben so oft sei er durch das Tal der Waldemme gewandert. Zuerst erblickte er an den Hängen der Schrattenfluh Weinberge, nachher eine Alp. Aber als er dann wiederum ins Entlebuch kam, war der Schratten fast nur noch kahler Fels.

So ist es überall geschehen, wo der ewige Jude seinen Fuß hingesetzt. Auch im Bernerland hat man ihn an verschiedenen Orten gesehen, in Niderstocken und in Leißigen, wo er um die Weihnachtszeit im Heidenhaus herbergte, im Gsteigtal bei Saanen, in dem zu jener Zeit ein See sich ausgebreitet haben soll. An dessen Ufern sei es so milde gewesen, daß dort die Rebe gedieh. Heutzutage reifen in Gsteig nicht einmal mehr Äpfel.

Als er damals von Thun aufwärtsstieg, war der Berg Langeneck stark bevölkert. Auf der Sonnenseite wuchsen die schönsten Weinstöcke, und schattenseits lag eine Stadt, zu deren Füßen die Kirche von Blumenstein angelegt worden war. Jeden



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zweiten Sonntag mußte ein Prediger von der Stadt hinunter an den See im Gürbetal, um den Leuten daselbst das Evangelium zu verkünden. Der Segen Gottes ruhte sichtbar auf der Gegend und ihren Bewohnern. Aber auf seiner zweiten Wanderung durch die schöne Landschaft traf er es anders und verwünschte sie um der Sittenlosigkeit der Leute willen, so daß sie verödete und zur Bergwilde wurde.

Im Diemtigtal 5 fand er zuerst einen Gletscher, dann nach langer Zeit einen See, an dessen Ufern kleine Leutchen in Hütten und Felsenhöhlen wohnten. Bei seiner nächsten Wiederkehr war das Tal eine einzige blumige Au. Da blühten sogar Myrthen und Lorbeer, und an den Bäumen hingen Früchte, die sonst nur im Süden zu finden sind.

Jahrhunderte waren vergangen, als er zum viertenmal Diemtigen durchirrte. Jetzt traf er dort eine grüne Alpenlandschaft mit Wiesen und Gehöften an sonnigen Berghängen. Als er im Begriffe stand, die «Wehre» hinauf auf den Menigengrat zu steigen, fragte er einen Mann namens Schlunegger nach dem Weg. Diesem fiel auf, daß der fremdländisch sprechende und seltsam gekleidete Wanderer keinen Augenblick stillstehen konnte, sondern bei der Unterhaltung immer hin und her schrittelte. Von dem Fremden vernahm Schlunegger, daß das Tal einst wieder zur vergletscherten Einöde werde. Erst viel später erfuhr der Diemtiger, als er andern von seiner Begegnung erzählte, daß er den ewigen Juden gesehen habe. Und er verstand nun, warum ihm dieser hatte weissagen können, daß er einmal wiederkommen und dann über das Eis talauf ziehen werde.

In Bern hat man auf der obrigkeitlichen Bibliothek zu einer Zeit einen alten, aus ledernen Riemen gar geschickt geflochtenen Schuh gezeigt, ein handwerkliches Meisterstück. Den soll Ahasver auf der Grimsel verloren haben. Denn dort durfte er zum erstenmal eine Weile rasten.

Wie er nämlich zum erstenmal nach seiner Verfluchung die Alpen überschritt, stieg er aus dem Wallis die Grimsel hinan. 

5 Seitental der Simme



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Rhone und Aare waren damals vom Eise befreit bis hinauf zu ihren Quellen im Schoß der Berge, und wie jetzt am fröhlichen Rhein lebte ein munteres Menschengeschlecht an ihren Ufern. An den sonnigen Abhängen schafften emsig die Rebleute. Darüber grünten Eichen- und Buchenwälder, und unterhalb lagen stattliche Dörfer in Obstbäumen versteckt. Wo der unglückselige Wanderer anpochte, lud man ihn gastfrei ein, sich zu erquicken an dem edeln Wein, den die Halden reiften. Aus den hellen Wohnungen, den frischen Gesichtern der Kinder, aus den Mienen der Erwachsenen lachte behagliche Lebensfreude. Allein der Unselige durfte hier nicht verweilen.

Nachdem er manches Jahr verwandert, fand er sich wieder den Schneegipfeln der Alpen gegenüber. Er dachte des frohgemuten Volkes, das ihn vorzeiten so freundlich empfangen, des schönen, belebten Tales, das er durchzogen. Er wollte sich noch einmal laben an dessen Anblick. Doch eine düstere Ahnung beklemmte seine Brust, als er die Meienwand emporschritt. Grauer Nebel verhüllte die Gegend. Droben angelangt, sah er ihn zerflattern vor einem Windstoß, der aus dem Haslital hervorbrach. Er glaubte, sich verirrt zu haben. Dunkle Tannenforste bedeckten die steilen Flanken des Gebirges. Laut knarrten die hohen Stämme im Sturm. Rabenschwärme flogen aus ihren Wipfeln krächzend über dem Wanderer dahin, aufgescheuchte Eulen wimmerten im düstern Geäst. Ahasver suchte, lange vergebens, menschliche Wohnungen. Endlich fand er ein paar armselige Hütten. Die Kohlenbrenner, welche sie bewohnten, ein gutmütiger, aber ernster und schweigsamer Volksschlag, teilten mit ihm, was sie hatten, schwarzes Brot und Bier, aus den Sprossen junger Tannen gebraut.

Abermals nach vielen Jahren bestieg er das ihm so wohlbekannte Gebirge. Der Pfad, den er früher gegangen, war verschüttet. Kein Rabengekrächze schallte ihm jetzt entgegen. Über kahle Felsen strauchelte sein Fuß, der kaum irgendwo einen spärlichen Grashalm niedertrat. Todesschweigen herrschte ringsher, nur manchmal pfiff aus dem Trümmergestein in durchdringendem Tone ein Murmeltier. Und an den Berghalden, wo



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früher Reben gegrünt und Eichen gerauscht, an denselben Halden, die später Tannen getragen hatten, hingen nun mächtige Eismassen herab, und Gletscher füllten auch die wilden Schluchten. Nackte Felsnadeln ragten einzig da und dort aus dem Weiß der Schneeflächen, von eisigen Winden umpfiffen. Von Menschen sah Ahasver keine Spur. Er war das einzige Wesen ihres Geschlechts in dieser Gegend, auf der ein ähnlicher Fluch zu lasten schien wie auf ihm.

Da ließ er sich auf einen Stein nieder, lehnte die gramgefurchte Stirn an einen Granitblock im Tale, wo ringsum Felswände ihn einschlossen, und weinte. Zum erstenmal auf seiner qualvollen Wanderung war ihm hier vergönnt, eine kurze Spanne zu ruhen.

Und als er sich aufmachte, um in das Haslital hinabzusteigen, zu bewohnten Gefilden, hatten seine Tränen einen kleinen See gebildet. Dessen Wasser aber sind trotz der vielen Rinnsale, die aus den Gletschern rings ihnen zueilen, warm wie die ersten Tränen Ahasvers.

Betritt er einst den Ort wieder, wo er zuerst unter schattiger Rebenlaube, das zweite Mal unter dichten Laubwaldkronen, zuletzt aber zwischen Firn- und Schneefeldern geschritten, dann wird ein einziger Gletscher sein, was jetzt vom Brienzersee bis ins Wallis hinauf noch grüne Alp ist. Und auf ewigem Eis muß er von dort aus die Stätte suchen, wo allein er findet, was ihm sonst überall auf Erden versagt ist: Ruhe für seinen müdegehetzten Leib.



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Jetzt hat man den ewigen Juden bei uns lange nicht mehr gesehen. Doch er wird wiederkehren, zum letzten Mal, so sagen alte Leute, deren Ahnen es von ihm selber gehört haben. Sein Erscheinen aber wird Schrecken verbreiten. Denn es verkündet, daß der Jüngste Tag anbricht.


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BEATUS, DER SCHWEIZER APOSTEL

Beatus, in seiner heidnischen Jugend zuvor Suetonius geheißen, war aus England gebürtig, von edeln Eltern erzogen und mit zeitlichen Gütern wohl versehen, auch schön von Gestalt, ein ansehnlicher Jüngling. Was seine reichen Blutsfreunde, Nachbarn und Weltweise auch dawider sprachen und rieten, er wollte sich dennoch von den abgöttischen und öffentlichen Feinden der Christenheit absondern, der armen Apostel Predigt hören und das aufgehende Licht des Evangeliums in seinem Herzen leuchten lassen. Darum machte er sich auf und kam zu dem berühmten Apostel Barnaba, welcher nicht allein zu Antiochia und Cypern, sondern auch in Italia, vornehmlich zu Rom und Mailand, nachmals zu Chur in Raetia das Evangelium verkündigte. Von ihm ward er in christlicher Lehre unterwiesen und getauft auf den holden Namen Beatus, welcher heißt «der Selige».

Er mochte sich aber nicht damit begnügen, daß er an Christus unsern Erlöser glaubte und auf ihn getauft war, sondern er wollte nach Ablegung des alten Menschen mit seinen Werken und Worten ein neugeboren Geschöpf Gottes werden. In dieser Meinung legte er allen Schmuck der prächtigen, kostbaren Kleider ab und zog ein bären Hemd an seinen Leib allein zur Notdurft. Geld und Gold achtete er wie nichts. All das Seinige teilte er unter die Armen und sorgte nicht mehr für den Morgen. Damit er aber in der Erkenntnis Christi zunehme, begab er sich zu dem heiligen Apostel Petrus gen Antiochia, wo derselbe sieben Jahr im bischöflichen Stuhl gesessen. Nachdem er darauf Evodius zum Bischof eingesetzt, ist St. Petrus im zweiten Jahr des Kaisers Claudius nach Rom gekommen und hat allda bei fünfundzwanzig Jahren der Kirche Regiment versehen. Mit ihm war Beatus als sein Jünger und Gefährte nach der Römer Hauptstadt gezogen und wurde dort von ihm zum Priester geweiht. Dem ersten römischen Bischof hat es also gefallen, viele



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Arbeiter in die weite Welt zu senden. Nun wurde zu Rom, wo sich allerlei ausländische Völker zu versammeln pflegten, zur selben Zeit viel von Helvetia geredet, so man jetzt das Schweizerland heißt, wegen vieler Kriege und großer Schlachten, welche die Bewohner kurz zuvor mit Julius Cäsar gehabt. Man sagte, daß sie unter allen gallischen Völkern den Preis hätten in mannlichen Taten und Kräften, wider die Feinde zu streiten. Ist darum kein Wunder, daß in der Römer Hauptstadt von den Helvetiern viel ist gehört worden und auch vor St. Petrus gekommen, worauf er sich dann entschlossen, einen von seinen Jüngern abzufertigen, der diesen wunderlichen Leuten die christliche Gnade verkünden und beweisen sollte.

Aber zu so wichtigem Werk Gottes war es eines nicht geringen, wohlerfahrenen Hauptmanns vonnöten, welcher mit rauhen Menschen, wie gemeiniglich die heidnischen Kriegsleut sind, wohl umgehen konnte. Dazu ist unser Beatus von dem Apostel Petrus als der Tauglichste erkannt worden, in Helvetien nicht allein die einfachen Bürger und Landleute, sondern auch die wilden Kriegsgesellen den Glauben Christi zu lehren, und zu solchem Zwecke gab der Bischof dem heiligen Beatus Achates zum Gefährten mit.

Nachdem der Jünger die Meinung seines Vorstehers vernommen, zog er gerne hin, verrichtete die schwere Reise über das unwegsame Gebirge an den schweizerischen Grenzen, kam als eine rufende Stimme in der Wüste und lehrte öffentlich des Landes Einwohner. Diese verwunderten sich auch nicht wenig über die neue, unerhörte Predigt des ausländischen Pilgrims, den sie zuvor nie gesehen und der so unverzagt daherkam, auch ohne Unterschied der Personen den Armen so eifrig als den Reichen dienend weder Gunst, Geld, Gaben noch Gut, sondern Gottes Ehre allein suchte und das Heil der Seelen förderte. Daneben merkten sie wohl auf dessen Einfachheit, Demut und unsträflichen Wandel und daß er sich vor keiner Bedrohung, Widerwärtigkeit und Verfolgung entsetzte.

Es hat sich aber unser schweizerischer Apostel Beatus meistenteils im Aargau aufgehalten. Das begriff dazumal in sich



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Lucern, Unterwalden, Solothurn, Windisch, Baden und andere umliegende Orte mehr. Es läßt sich annehmen, er habe dieses Land sonderlich ausgewählt, weil es volkreich war und deswegen eine große geistliche Ernte verhieß. Auch war ihm gar wohl bekannt, daß seine Bewohner arbeitsam, treu und gegen Fremde freundlich sind.

Und Beatus war also mächtig an Worten und Taten, daß viele der Heiden ihre Abgötter Mars und Hercules, auch des Lands Kriegshändel weniger achteten als vordem, in sich gingen, Christus Jesus als ihren Seligmacher erkannten und sich willig zur heiligen Taufe bequemten. Nicht wenig trug zu ihrer Bekehrung das unsträfliche und erbauliche Leben unseres Beatus bei. Denn ob er schon bei ihnen in großes Ansehen gekommen, wich er doch von seiner freiwilligen Armut nicht ab und nahm sich des Zeitlichen wenig an. In seinem härenen Kleide legte er sich auch schlafen und sättigte sich mit Brot und Wasser. Daneben ist höchlich zu verwundern, daß er, mit sich selber so streng, für seinen Jünger Achat aber sehr besorgt war. Diesem durfte an der Nahrung nichts abgehen. Ihm pflegte er auch aus christlicher Demut zu dienen und ihm sogar die Schuhe auszuziehen. Neben dem Predigtamte arbeitete er mit seinen Händen, indem er Fischreusen und Körblein von Weiden und Binsen focht. Denn es war seine löbliche Gewohnheit, damit nicht allein sich selber und seinen Jünger, sondern auch Pilger, Dürftige und Hausarme zu ernähren nach seinem geringen Vermögen.

Wie nun Beatus sein ihm bestimmtes Land Helvetia hin und her durchwandelte, ging er in dessen obern Grenzen auch durch das hohe Gebirg, das im ganzen Jahr selten ohne Schnee war. Es wird diese Gegend das untere Seetal genannt. Obwohl damals wenige Einwohner dort waren, wollte der heilige schweizerische Apostel sie doch heimsuchen. Die schlichten Landleute empfingen ihn freundlich, hörten seine heilsame Lehre gar gerne und verehrten ihn als einen Gesandten von Gott. In der Umgebung des Fleckens Underseen, zu Latein Interlacus genannt, hat Beatus viele zu Christus bekehrt.



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Allda aber kam ihn das Bedenken an, ob es nicht gut und ratsam, das Predigen einzustellen und dieses etlichen andern anzubefehlen, damit er von allen Menschen abgesondert Gott allein an einem ruhigen Orte dienen könnte. Zu solchem eingezogenen Leben war sein Herz lange Zeit begierig gewesen. Während er das Volk unterwies, fragte er sonderlich bei den Schiffern, wo in dieser Gegend eine einsame Stätte zu finden, weit entfernt von den Leuten. Da erzählten sie ihm von einer großen Einöde, an dem andern See des Tales gelegen. Dort befinde sich eine gähe Fluh mit einem hoch in die Lüfte steigenden Kopf. Aber es liege in einem langen Riß des Felsens ein grausamer, großer Drache verborgen, der den Landleuten viel Angst und Schrecken bereite wegen täglichen Schadens, so er ihnen täte.

Auf daß er dahin gelangen möchte, verfügte er sich zu einem Schiffsmann, begehrte von ihm unten an jenen Berg geführt zu werden. Der Ferge forderte nach altem Brauch den Lohn. Aber Beatus konnte wegen äußerster Armut den weder geben noch versprechen. Denn er hatte nichts anderes als ein schlechtes Kleid, das er trug, und ein Meßbuch. Dieses wollte er dem Fergen darreichen, welcher sich jedoch alsbald des Heiligen erbarmte, wollte auch nichts von ihm nehmen, sondern fuhr ihn ohne Lohn an das andere Ufer. Als sie vom Lande abgestoßen, erkannte er bald, wen er da führte. Denn der See, der meist gar ungestüm ist und große Wellen wirft, zeigte sich damalen ruhig und glatt. Darum sprachen die Schiffsleute unter einander: «Wahrhaftig, dieser muß ein rechter Diener Gottes sein, da auch die Wasser und des Winds Gewalt ihm sich fügen. Auf dem See haben wir solche Stille nie erfahren. » Also gelangte der heilige Mann mit seinem getreuen Diener Achat an das jenseitige Gestade, guter Hoffnung, er werde seine ersehnte letzte Wohnstätte finden.

Er mußte aber einen sehr hohen Berg, der vor ihm lag, hinansteigen, hatte auch niemand, der ihm den Weg wies. Endlich kam er zu einer seltsamen, großen Höhle, dahin von den Menschen niemand gehen durfte, weil sich allda ein greulicher und



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gar erschrecklicher Bewohner aufhielt, nämlich ein ungeheurer Drache. Als Beatus desselben ansichtig ward, entsetzte er sich anfänglich aus menschlicher Blödigkeit vor ihm nicht wenig. Doch stärkte er sich mit göttlichem Beistand alsobald und redete seinem Jünger zu, keinen Schrecken vor dem Ungeheuer zu haben. Sie verbannten darum alle Schwäche und Furcht aus ihrem Herzen, achteten der Gefahr nicht, was Übles ihnen auch zustoßen möchte, und gingen der Höhle zu.

Der Drache aber will seinen alten Sitz nicht verlassen, versucht alles, ehe er sich von dannen treiben läßt, gibt feurigen Atem von sich, stellt sich grimmig gegen sie auf die Hinterbeine, speit sein tödlich Gift auf sie hernieder. Das war freilich kein Kinderspiel, sondern ein schwerer und ernsthafter Kampf, bei welchem es um Leib und Leben ging. Da halfen aber dem Untier nicht seine großen, scharfen Zähne, krummen, starken Klauen, sein langer und mächtiger Schwanz und seine giftgeblähte Zunge. Steif und fest widerstand ihm mit starkem Glauben der kühne Ritter Christi, Beatus, sprechend: «Du Drache dräust mir in deinem Grimme. Ich aber widersetze mich dir im Namen des Herrn. Auf seinen Beistand verlasse ich mich, dich von dieser Höhle zu verjagen, auf daß sie hinfort mir als Christi Diener eine sichere Wohnstatt sei.»

Darauf machte Beatus wider den Lindwurm das Zeichen des heiligen Kreuzes mit solchem Nachdruck, daß er alsobald sich von der Erde erhob und mit gräßlichem Geschrei die jähe Felswand entlang durch die Lüfte von dannen fuhr. In seinem greulichen Zorn schlug er mit seinem zackigen Rückgrat und Schweif also stark gegen die Fluh, daß des Drachen Bild daran zurückgeblieben zu ewigem Angedenken. Darnach hat man ihn nicht wieder erblickt. Er ist in eine andere, weit abgelegene Einöde geflohen, wo er weder Menschen noch Tieren mehr schädlich sein konnte.

So kostete es den heiligen Beatus viel Mühe, das Untier zu vertreiben und seine Höhle unter der grausam hohen Fluh ohne Schaden für sich zu räumen und zu seiner eigenen Wohnung zu machen.



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In seinem abgesonderten Leben, das er hinfort in dieser Kluft geführt, übte er sich in tiefer Demut und Andacht. Schlechte Kräuter und unschmackhafte Wurzeln waren seine Speise. Das liebe, trockne Brot hielt er für eine sondere, lustvolle Nahrung. Sein Nachtlager war der harte Felsen, den er gar oft mit heißen Tränen benetzt in seinem eifrigen Gebet nicht nur für sich selbst und seinen Jünger Achates, sondern auch für die neubekehrten Christen in der Umgebung. Sie alle befahl er in väterlicher Sorge Gottes Schutz und Schirm.

Dermaßen erlangte Beatus mit Strenge des Lebens und bußfertigen Werken seines Alters 90 Jahr. Da er wahrnahm, daß seine Pilgerfahrt ihrem Ende nahe, dankte er Gott, der ihn aus dem Heidentum so wunderbarlich berufen zu einem Jünger des Apostels Petrus und seine Mühe und Arbeit in diesem Schweizerland so gnädig gefördert. Und er begehrte von Achat, daß derselbe etliche von der Nachbarschaft versammle und zu ihm in die Höhle bringe. Und als sie gekommen, nahm er von ihnen Abschied und ermahnte sie, beharrlich beim angetretenen christlichen Glauben zu bleiben.

Nachdem die frommen Leute geschieden, wurde Achat von Herzen betrübt, daß er sich des Weinens nicht enthalten konnte. Denn es fiel ihm schwer, zu denken, daß er hinfort den Freund und Vater, den er von Rom her begleitet und von dem er so viele Jahre Gutes gelernt und empfangen, nicht mehr haben sollte. Ihn zu trösten, nahm ihn der heilige Greis in seine Arme, küßte ihn und sprach: «Mein Achat, was grämst du dich, weil ich jetzt von Gott zum seligen Leben berufen werde? Lasse es geschehen und bekümmere dich nicht über meinen Tod! Du wirst mir auf diesem Wege in kurzem folgen. Soviel meinen elenden Leib belangt, bestatte ihn, wenn meine Seele von ihm abgeschieden, neben dieser Höhle! Sie aber sei dir und keinem andern als Wohnstatt übergeben!»

Darauf entschlief St. Beatus sänftiglich am 9. Mai des hundert und zwölften Jahres nach der gnadenreichen Geburt Christi, an welchem Tag nach dieser Zeit alljährlich des Beatus Fest gehalten wird.



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VON DEM FROMMEN UND STARKEN RITTER ST. MARTIN

Der heilige Martin machte einst, ehe er Bischof von Tours geworden, eine Pilgerfahrt nach Rom, der heiligen Stadt. Dabei ritt er auch durch das Tal der Schüß auf Bielna zu. Unterwegs verkündigte er den heidnischen Talbewohnern das Evangelium.

Eines Tages hatte er am Eingang der Taubenlochschlucht gerade über dem einsamen Dörflein Friedliswart eine Menge Volks um sich versammelt und sprach zu ihm von dem neuen Glauben an den gekreuzigten Heiland aller Welt. Und in seinem Bekehrereifer griff er mit der Hand an den hohen Felsen und stieß den ausgestreckten Zeigefinger zweimal tief hinein, als ob er weiches Wachs wäre, um den Ungläubigen ein Wunder zu zeigen. Noch heute erblickt der Wanderer, der die Straße längs der Schüß durch das felsige Tal zieht, dort die zwei Öffnungen im Gestein.

Danach ritt der Heilige der Aare und der Lütschine entlang hinauf ins Grindelwaldtal. Dort klagte ihm das Volk eine große Not. Damals hingen nämlich der Mettenberg und der Eiger fast zusammen, und hinter ihnen lag, wo jetzt das Eismeer ist, ein großer See. Wenn die enge Scharte seines Ausflusses sich mit Eismassen schloß, wuchs er ungeheuer an. Dann brach er durch und überschwemmte den Bauern das Gelände.

Der heilige Martin, ein riesenhafter Mann, erbarmte sich der Leute und schaffte Hilfe. Um das Tal oben weiter zu machen, stemmte er sich mit dem Rücken gegen den Mettenberg und stieß mit seinem Stock aus aller Kraft den Eiger zurück, so gewaltig, daß die Spitze des Steckens die Felswand durchbohrte. Aber er setzte noch einmal an, und es gelang ihm, die Spalte zu erweitern, durch welche nun der See ablief.

Noch immer aber sieht man das Martinsloch, wo des Heiligen Stecken durch den Eigergrat gestoßen, und den «Martinsdruck», die Stelle, wo der Gottesmann sich mit dem Rücken



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anlehnte, als er jenes Riesenstück vollbrachte. Zweimal des Jahres, im Wintermonat und im Jänner, scheint durch das Martinsloch im Eiger die Sonne auf Grindelwald hinunter zur Erinnerung an die hilfreiche Tat des Heiligen.

Darauf setzte er seine Reise fort und gelangte ins Rhonetal, von wo aus er auch das Val de Bagnes besuchte, um daselbst zu predigen. Eines Abends spät ritt er gegen Lourthier. Es war im Winter und Stein und Bein gefroren. Der Schnee knirschte unter den Hufen des Pferdes, und St. Martin zog sich den Mantel dichter um den Panzerkragen. Schon sank die Nacht hernieder, als vor den ersten Häusern des Dorfes ein Bettler auf den Reiter zukam und ihm eine Gabe heischend die Hand entgegenstreckte. Er zitterte vor Kälte in seinem löcherigen Rocke.

Der heilige Martin hielt mitleidig sein Pferd an. Aber er wußte, daß seine Börse leer war, und da er dem frierenden Armen nichts anderes zu geben hatte, riß er seinen weiten Reitermantel herunter, schnitt ihn mit dem Schwert in zwei Teile und legte den größern davon dem Bettler um die Schultern. Und nachdem er ihm noch ein tröstendes Wort zugerufen, ritt er, die kleinere Mantelhälfte sich über die Achsel werfend, weiter.

Es wird zwar behauptet, der Bettler sei niemand anders als der Böse gewesen, der den Heiligen habe versuchen wollen, da er wohl wußte, daß dieser selber arm war. Doch auch des Herrgotts Widersacher mußte des frommen Ritters Martinus Barmherzigkeit an seinem eigenen Leibe erfahren und für ihn zeugen.

Auf seiner Rückreise von Rom kam St. Martin wieder durch unser Land. Aber im Sarganser Rheintal verfehlte er den Weg und gelangte auf die Spitze des Ringelberges. Von da blickte er in die schauerliche Tiefe der Taminaschlucht. Und furchtlos gab er seinem Rosse die Sporen und setzte in kühnem Sprunge hinunter, wohl fünftausend Klafter tief, ohne daß Roß oder Reiter Schaden genommen hätten.

Auf der «Höhe» am Wege nach Kalfeisen kam das Pferd zu Boden. Und an jener Stelle sieht man auf einer Steinpiatte heute noch die Eindrücke, welche seine Hufe bei dem harten Aufspringen hinterlassen.



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Um dieser Wundertat willen genießt St. Martin in jener Gegend bis zum heutigen Tage hohe Verehrung. Ihm ist darum auch die Kapelle zu Kalfeisen geweiht, in der man ihm ein Standbild aufgestellt hat. Das zeigt den Heiligen zu Roß in rotem Mantel. Von diesem schneiden sich die Bauern während der Alpzeit gerne ein Endchen ab, da er seine Heilkraft gegen allerlei Gebresten und Seuchen gar oft bewiesen hat.


MAURITIUS

Ägypten, das alte und vielgelobte Land, hatte vorzeiten Theben zur Hauptstadt. Die war gewaltiglich befestigt und mit hundert Toren versehen. Darin wurde St. Mauritius geboren, der von Jugend auf eine besondre Neigung zum Kriegshandwerk bekundet und sich als ein rechter Held erzeigt hat.

Zu jenen Zeiten erhob sich in Ägypten eine gefährliche Empörung, daraus nicht geringer Jammer und Elend in Städten und Flecken entstanden. Theben aber hielt sich zum römischen Reich. Darum erwählten die beiden Kaiser Diocietianus und Maximianus den Ritter Mauritius zum Obersten über alle Thebäer, auf daß er mit seiner Legion den Aufruhr abstelle und den Frieden erhalte.

Als das ganze Ägyptenland durch den treuen Obersten Mauritius wieder zur Ruhe gekommen, hat er bei seiner Legion, die meistenteils im christlichen Glauben geboren, so viel vermocht, daß sie aus Eifer eine Wallfahrt nach dem heiligen Land unternahm, die Stätten zu besuchen, wo Christus Jesus, unser Erlöser, die Marter erlitten und unser Heil mit seinem Blut erwirkt. Zu Jerusalem hat sie der Bischof Zambda angetroffen und sonderlich wohl empfangen, und die, welche noch nicht Christen gewesen, wurden von ihm im Evangelium unterwiesen und getauft. Damit war die ganze thebäische Legion zum christlichen Glauben bekehrt, und die Märe davon kam bald



Schweizer Legenden-035. Flip

nach Theben in die Stadt und erscholl im ganzen Ägyptenland. Nun entstand in Gallien eine Empörung wider die römische Obrigkeit, und Diocietianus rief die bäische Legion aus Ägypten ab unter dem Schein, daß man ihrer höchlich bedürfe, während doch beide Kaiser des Vorhabens waren, alle gottseligen Christen, die wegen ihres unsträflichen Wandels einen guten Namen erlangt hatten, außerhalb ihres Vaterlandes zu vertilgen.

Nach Zurüstung dessen, was auf solcher weiten Reise vonnöten, zog die Legion der mächtigen Meerstadt Alexandria zu, sich daselbst auf die verordneten Schiffe zu begeben. Da sie zu Rom eingerückt, gab Kaiser Diocietianus Mauritius den Befehl, Maximianus, dem andern Kaiser, stracks nach Gallien zu folgen. Mauritius aber eilte mit seiner Legion über den Pofluß und den Jupiterberg 1 ins Unterwallis und traf den Kaiser mit seiner ganzen Kriegsmacht zu Octodurum 2 rastend. Dieser beschloß, sobald man durch die Clus zu Agaunum 3 hindurchgekommen, den Feind anzugreifen. Zuvor aber wollte er seine Abgötter mit einem stattlichen Opfer versöhnen und befahl seinem ganzen Heer, auf dem neu errichteten Altar öffentlich zu schwören, daß alle wider die Aufrührer in Gallien und gleichfalls wider die Christgläubigen als der römischen Götter tödliche Feinde streiten wollten.

Über diesen strengen Befehl entsetzten sich nicht allein die bäische Legion, sondern auch andere Christen mehr, die unter verschiedenen Fähnlein und Hauptleuten den römischen Kaisern dienten. Denn solche abgöttischen Opfer waren ihnen zuvor niemalen zugemutet worden. Und weil Secundus am kaiserlichen Hof wohl verdient und in großem Ansehen war, trat er im Namen der ganzen Legion vor Maximianus mit der Bitte, daß er ihnen und allen Christen solche Opfer erlassen möchte. Der Kaiser aber ergrimmte und gebot, Secundus ge-1 

1 der Große St. Bernhard
 
2 Martinach
 
3 keltische Ortschaft



Schweizer Legenden-036. Flip

fangen zu nehmen und dem Vogt Agrestius in der Stadt Vintimilium zu überantworten zur Hinrichtung.

Mauritius hielt es auf den Rat seiner vornehmsten Befehlshaber für das beste, das Lager vor Octodur abzubrechen und nach dem Städtlein Agaunum zu rücken, um so mit Glimpf den unchristlichen Geboten des Maximianus auszuweichen. Der Kaiser aber schickte ihnen ohne Verzug etliche Trabanten nach, sie in das Lager zurückzurufen. Denen antwortete Mauritius sanftmütig, daß sie nach Agaunum gezogen, damit sie als wahre Christen nicht ihr Gewissen beschwerten mit dem Götteropfer. Im übrigen wolle die Legion zum Kaiser halten und das römische Reich beschirmen, auch, wenn es geschehen müßte, ihr Leben dafür einsetzen.

Über diese tapfre und christliche Antwort ward Maximianus zornig, und er befahl ohne alle Barmherzigkeit, je den zehnten Mann, wie sie in ihrer Rüstung standen, nach römischer Gewohnheit mit Ruten zu schlagen und zu enthaupten, damit jeder sehe, wie ernstlich man forthin mit solchen Ungehorsamen verfahren werde. Und wie blutdürstige Wölfe eilten die dazu bestellten Soldaten, des Raubs begierig, sogleich nach Agaun, das Blutbad anzurichten.

Nach dieser tyrannischen Tat traten die Abgesandten des Kaisers wieder vor Mauritius und seine Legion, sie zu ermahnen, daß sie jetzt mit ihnen nach Octodur zurückkehren, das allgemeine Opfer verrichten und sich mit dem Kaiser versöhnen sollten. Allein die ganze Schar der Thebäer gab wiederum die Antwort, sie wolle sich zu Schutz und Schirm des römischen Reiches gebrauchen lassen, aber seinen Göttern könne sie nicht dienen. Die kaiserlichen Botschafter zeigten Maximian an, daß keine Hoffnung bestehe, die bäische Legion von ihrem Glauben abzubringen, ja, daß sie eher den Tod erleiden würden als sich zu dem Opfer zwingen zu lassen.

Da ihm dies vorgetragen wurde, wollte Maximian voller Hoffart und Grimm, als wäre seiner Majestät eine Schmach widerfahren, unverzüglich die ganze Legion töten lassen. In Anbetracht der Stärke seiner Feinde jedoch mäßigte er seinen



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Zorn und gebot, wiederum je den zehnten Mann, wie es die Ordnung gäbe, hinzurichten in der Hoffnung, daß endlich der übrige Haufe sich dem kaiserlichen Willen beugen werde. Allein jetzt trat der Fähnrich Exuperius mit seiner Fahne vor seine Mitsoldaten und ermahnte sie mit kräftigen Worten zur Standhaftigkeit im Glauben und zur Geduld, die Märtyrerkrone zu erlangen. Darauf beschlossen die Thebäer abermals einhellig, man sollte dem Kaiser das Opfer nicht bewilligen.

Solche Rede der thebäischen Legion ward ihm alsbald angezeigt und hinzugefügt, alle Mühe sei verloren. Denn obschon ihr Haufe nunmehr zweimal sei gemindert worden, so wollten doch die übrigen vom christlichen Glauben nicht abstehen, worauf Maximian tief ergrimmt sprach: «Wie dürfen nur meine Kriegsknechte meine Anordnung des Opfers so oftmals verachten? Darum eilt in Haufen auf die Thebäer los! Haut, stecht und zerhackt diese Widerspenstigen! Laßt sie durch eure Wut erfahren, wie groß die kaiserliche Macht Maximiani und die Würde der Götter des römischen Reiches! Überdies soll jedem meiner Soldaten, der einen Thebäer umbringen wird, zufallen, was dem Erschlagenen gehört hat!»

Darauf zog ein ganzes Heer gegen die Thebäer und umringte sie mit wildem Geschrei und Getümmel. damit keiner entweichen könne. Da lösten diese freiwillig ihre Ehrengürtel, legten die Waffen von sich, und also wurden ihrer alle, Junge und Alte, erschlagen. Und am grausamsten gingen die römischen Söldner mit den Häuptern der Legion um, mit Mauritius, dem Obersten, Exuperius, dem Fähnrich, und Candidus, dem Kriegsrat, die sie schändeten, stießen und schlugen, ehe denn sie diese töteten. Die frommen Thebäer aber befahlen ihre Seelen Gott dem Allmächtigen und hatten des Hauens und Würgens kein acht, und es ward das ganze Erdreich ringsum bedeckt mit den Leibern der Märtyrer, und ihr Blut floß in den Rhodan. Das geschah den 22. Herbstmonat im Jahre des Herrn 297.

Den Platz Agaunum, wo der Maurizische Haufe für den christlichen Glauben gestorben, suchten hernach von überall



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her fromme Männer auf, die Märtyrer zu verehren. Das Schwert des heiligen Mauritius ward von ihnen aufgehoben und später von den römischen Kaisern deutscher Nation für würdig erachtet, zum Reichsschwert erhoben zu werden, das die Herrscher mit den übrigen Reichskleinodien lange Zeit auf der Kyburg verwahrten.

Noch später geschahen zu Agaunum auf dem Feld am Rhodan, wo das Blutbad stattgefunden, allerlei Zeichen. Als der Bischof Martinus von Rom durch das Walliser Land zog, begab er sich, von den dortigen Klausnern unerkannt und mißachtet, an den Ort der Marterung, nahm ein Messer, ein Büschel Gras aus dem geweihten Boden zu stechen, und wie er dieses aufhob, floß Blut daraus.

Endlich Anno 513 erbaute der fromme Burgunderkönig Sigismund daselbst ein Gotteshaus samt einem Kloster zu Ehren des Mauritius und seiner thebäischen Legion. Und dies ist die erste fromme Stiftung solcher Art im Schweizerland gewesen.


URSUS UND VICTOR

Nun ist aber zu wissen, daß aus besonderer Schickung Gottes zuvor, ehe der Kaiser seinen blutigen Spruch über die Maurizische Legion fällte, etliche Befehlshaber mit ihren Soldaten aufgebrochen und weggezogen, die darauf den christlichen Glauben in verschiedenen Ländern bekannt und gepflanzt und zuletzt auch die Märtyrerkrone erlangt haben. Aus ihrer Zahl sind Ursus und Victor mit 66 Gesellen gen Solothurn gekommen, Felix und Regula gen Zürich und Verena nach Zurzach.

Zu Solothurn, der alten, weitberühmten Stadt in der Eidgenossenschaft, predigte St. Ursus mit den Seinen treulich den wahren christlichen Glauben, und es wurden diese frommen Männer den Solothurnern lieb und wert. Das konnten aber die, so aller Christen Todfeinde waren, die beiden Kaiser Diodetianus und Maximianus, nicht leiden, und sie befahlen dem



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Hauptmann Hirtacus, welcher etliche Tage im kaiserlichen Lager sich aufhielt, nachdem sie ihn zu einem Landpfleger in Solothurn eingesetzt, er solle sich bald dorthin verfügen und sonderlich gute Achtung geben auf die flüchtigen thebäischen Kriegsleute, die sich in jener Stadt verborgen aufhielten. Die sollte er gefangen nehmen, den römischen Göttern zu opfern zwingen und, so sie solches nicht tun wollten, ihnen ohne Gnade das Leben nehmen.

Hirtacus wartete nicht lange, ließ die Thebäer ohne Verzug ergreifen, ihre Hände auf den Rücken binden und sie alle als Übeltäter ins Gefängnis führen, da er hoffte, dadurch beim Kaiser in große Gunst zu kommen. Danach befahl der Landpfleger, Ursus und Victor vor ihn zu bringen und redete mit ihnen nach seiner listigen Art anfangs freundlich, sie von ihrem Glauben abzubringen, ihnen bedeutend, es sollte der andern Thebäer Tod ihnen eine Warnung sein und eine Mahnung, Mercur, der damals zu Solothurn ein Schirmgott des ungläubigen Volkes war, zu opfern und sich beim Kaiser wiederum einzustellen. Aber Hirtacus richtete mit seinen glatten Worten nichts aus, sondern erhielt von St. Ursus die Antwort: sie wären einmal getaufte Christen und wollten auch Christen bleiben und als solche sterben.

Darüber entsetzte sich der Landpfleger und befahl in heftigem Zorn, die Gefangenen mit Ketten zu fesseln, und sie wurden geschlagen und hart verwundet. Sodann ließ Hirtacus auf dem Hermesbühl einen großen Haufen Holz zusammentragen und anzünden und die Thebäer dahin schleppen, damit sie in die Flammen geworfen würden, wenn sie den Göttern nicht opfern wollten. Aber da schickte Gott vom Himmel ein gewaltiges Ungewitter. Der Regen löschte das Feuer, und der Sturm riß die Scheiter auseinander, daß die Henkersknechte erschreckt zurückwichen und von dem zuschauenden Volk viele sich zu dem Glauben der Verfolgten bekannten.

Nur der Landpfleger blieb unbewegt und gebot, die standhaften Thebäer hinaus auf die Brücke zu führen, die über die Aar gebaut war, und sie alle daselbst zu enthaupten. Denn weil



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er sie mit Feuer nicht hatte verderben können, gedachte er sie jetzt nicht allein mit dem Schwert, sondern auch mit dem Wasser auszutilgen, um sie der letzten Ehre zu berauben.

Nachdem sie aber auf diese Weise umgebracht und in den Aarfluß geworfen waren, wollte der Allmächtige durch St. Ursus und seinen Gesellen ein wunderbares Zeichen geben. Alsbald nämlich richteten sich der Märtyrer Leiber in dem stark fließenden Wasser auf und wandelten, zu geordnetem Zuge geschart, an das Ufer. Und da sie einen kleinen Weg gegangen, standen sie an einer Stelle, die man noch zeigt, still und sanken, ihre Häupter in den Händen tragend, auf die Knie, als wollten sie anzeigen, daß sie allda zu ruhen begehrten.

Die von den Solothurnern, welche dem christlichen Glauben ergeben waren, begruben sie außerhalb der Stadt in dem wilden Gestäude, da, wo jetzt St. Peters Kirchlein sich erhebt, welchen Ort sich die Gerichteten selber auserwählt. Dies alles ist geschehen, als man zählte 302 Jahr nach Christi, unseres lieben Herrn, Geburt.

Es müssen aber diese Thebäer große, starke Männer gewesen sein, wie man an ihren Gebeinen sehen kann, die heutigen Tages in der Kathedrale der Sarkophag des Hochaltars birgt. Denn folgends, um das Jahr 8oo ungefähr, erweckte Gott seinen Geist in der frommen Königin Bertrada, welche gerne zu Solothurn Hof hielt, ehe sie Pipins, des Königs von Frankreich, Gemahlin ward, und sie ließ St. Ursus zu Lob und Preis in seiner Stadt ein Münster errichten. Dahin wurden hernach seine und seines Mitstreiters Gebeine gebracht.

Ihnen erwiesen die Bürger von Solothurn allzeit hohe Verehrung und setzten zum Zeichen dessen St. Ursus in ihr Siegel ein. Dafür haben die gottseligen Märtyrer die Stadt in Kriegsnot auch in ihren Schutz und Schirm genommen, wie denn im 1318. Jahr nach Christi Geburt geschehen ist, da Herzog Leopold von Österreich sie zehn Wochen lang gar hart belagerte. Die Ursache war, daß die von Solothurn Ludwig von Bayern anhingen und wider Friedrich von Österreich waren, der mit Gewalt König sein wollte.



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Die Stadt einzuschließen, ließ der Herzog eine Brücke über die Aar schlagen, und als der Fluß durch ein Unwetter groß und ungestüm geworden, wollte er den Steg mit Kriegsleuten belasten und verwahren. Aber das Wasser riß die Brücke hinweg, und viele der Knechte ertranken oder wurden fortgeschwemmt. Da fuhren die von Solothurn hinaus, sie zu retten. Und die sie zu länden vermochten, schickten sie dem Herzog zurück. Der aber zog seine Hand nicht ab von der Stadt.

Nun hatte er in seinem Gefolge einen gottesfürchtigen und gelehrten Mann, welcher sein Kanzler und ihm gar lieb war. Derselbige ging in der Nacht vielmal allein bis an den Stadtgraben, zu erkunden, wie die von Solothurn Wache hielten. Und immer erblickte er dann auf den Ringmauern eine große Zahl wohlausgerüsteter Krieger, deren Harnische gar hell glänzten. Und einer unter ihnen, der war größer und gewaltiger als alle andern und hatte vorn auf der Brust ein Kreuz, das strahlte wie die Sonne.

Und eines Morgens begab sich der Kanzler zu dem Herzog, ihm zu melden, was er gesehen. «Allergnädigster Herr», sagte er, «wenn Euer Gnaden mit dem ganzen römischen Reich hundert Jahr vor dieser Stadt läge, Ihr vermöchtet sie doch nicht einzunehmen. Denn ich meine, es seien keine lebendigen Menschen, die auf den Mauern die Scharwacht tun. Ihre Waffen und Harnische glitzern und funkeln wie die Sterne. Es will mir vorkommen, und es kann auch nicht anders sein, als daß Gott ein Aufsehen auf die stolze Stadt hat und die heiligen Märtyrer, so alida ruhen, als Wacht auf die Mauern gesandt, sie zu bewahren, was Euer Gnaden auch daraus ersehen können, daß die Aar mit ihrem reißenden Wasser wider Euer fürstliche Gnaden krieget und viel Eurer Leute ertränkt.»

Als der Herzog das vernommen, geriet er in Zorn und argwöhnte, sein Schreiber habe Verräterei getrieben und sich mit den Bürgern in der Stadt verständigt. Und er ließ ihn ins Gefängnis werfen und in Eisen schlagen. Wie er in den Kerker trat, den Kanzler zu verhören, sagte dieser zu ihm: «Allergnädigster Fürst, ich will meine Unschuld mit Gottes Hilfe beweisen.



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Euer Gnaden wolle diese Nacht mit Euerm Adel und der Leibhut mit mir kommen bis an der Stadt Graben. Dann will ich Euer Gnaden alles, was ich angegeben, zeigen. So Ihr nicht selber seht, was ich gemeldet, dann laßt mich nach Euerm Gefallen hinrichten!»

Als die Nacht angebrochen, da ist der Herzog mit seinen Edelleuten samt seinem Schreiber, der in Ketten mitgeführt ward, bis an den Stadtgraben gegangen, die Ringmauern zu besichtigen. Und daselbst fand er alles so, wie der Kanzler ihm gesagt. Und er bekam davon einen großen Schrecken, ließ seinen Schreiber sogleich der Fesseln entledigen und kehrte in das Lager zurück.

Da es Tag geworden, schickte er auf den Rat seiner Fürsten einen Herold in die Stadt, der hat um einen Frieden geworben. Und nachdem er letztlich die Forderung derer von Solothurn bewilligt, ist er selbdreißig in die Stadt bis vor St. Ursen geritten, hat sein Gebet zu Gott getan und sein Banner Sankt Ursen geopfert. Danach ritt er wiederum in sein Lager, hob es auf und zog mit aller seiner Macht zurück in sein Land.

Der Einzug des Herzogs geschah auf den heiligen Karfreitag, und dessen zu ewigem Gedächtnis trugen an diesem Tag zwei Priester das österreichische Banner unter andächtigem Gesang in dem Münster herum, St. Ursus und seinen Thebäern zu danken für seinen mächtiglichen Beistand in Kriegsnot.


DIE HEILIGE VERENA

Die heilige Jungfrau Verena, eine nahe Blutsverwandte des Ritters Mauritius, gleich ihm adeligen Herkommens und von Jugend auf gottselige Christin, hatte Vaterland, Freunde und Reichtum verlassen und fuhr mit der thebäischen Legion von Ägypten über das Meer nach Rom aus Andacht, die heilige Stadt zu besuchen. Als jedoch der Schar die beschwerliche Reise über das Alpengebirge befohlen ward, blieb sie in Italien zurück und zog den Stätten der Märtyrer zu, bis sie endlich gen Mailand kam.



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Weil in dieser Stadt damals auf Befehl des Wüterichs Diocietianus viele Christen in harten Banden lagen, wurde Verena auch zu der Marter entflammt, besuchte die Gefängnisse der Glaubensstreiter Christi, diente ihnen, versah sie täglich mit Nahrung und sprach ihnen zu, standhaft zu bleiben.

Da sie zu Mailand vernommen, wie die Legion der Thebäer samt ihrem Obersten Mauritius um Christi willen hingerichtet worden, entschloß sie sich, die Walstatt aufzusuchen mit großem Verlangen, die Krone der Blutzeugen jenes Orts auch zu gewinnen. Deshalb wanderte sie über die Gebirge gen Martinach, wo Mauritius mit seiner Ritterschaft gemartert worden. Aber die Ungläubigen hinderten sie alldort, Gott zu dienen, und darum zog sie weiter und kam an den Aarfluß nahe bei Solothurn.

In dieser Gegend wählte sie sich selbst eine Höhle als Wohnung aus, die noch heutigestags zu sehen ist und mit großer Andacht besucht wird. Zu ihrem Unterhalt arbeitete sie täglich, und eine alte, fromme Frau, die nicht weit von ihrer Klause wohnte, verkaufte, was Verena angefertigt, und brachte ihr aus dem Erlös die notwendige Speise, damit die heilige Jungfrau niemand überlästig sein mußte.

Weil aber dem bösen Geist ihre Übung christlicher Tugenden und Werke zuwider war, stiftete er den Landpfleger Hirtacus zu Solothurn an, sie wegen ihres Glaubens gefangen zu setzen, um sie wie andere Christen endlich töten zu lassen. Währenddessen trug es sich zu, daß Hirtacus von einem gefährlichen Fieber ergriffen wurde. Weder Arzt noch Arznei konnten ihm helfen. Da gedachte er, bei der gefangenen Jungfrau Hilfe zu suchen, von der er gehört hatte, daß sie viele Sieche, Blinde und Lahme gesund gemacht. Die Milde dachte an keine Rache und fing alsbald voll Barmherzigkeit an, Gott für ihren Feind zu bitten, worauf die tödliche Krankheit und Schwäche den Landpfleger verließen.

Danach wurde sie freigesprochen, und nun versammelte sie um sich viele Töchter, die ihr sehr zugetan und, da fast die ganze Gegend noch den heidnischen Göttern ergeben, begierig waren, von ihr Unterricht im christlichen Glauben zu erhalten.



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Einst begab es sich, daß eine große Hungersnot eintrat und alle Leute in der Umgebung Mangel litten. Auch ihre geistlichen Schwestern klagten der Heiligen ihre Not. Nur sie blieb getrost und machte ihnen Hoffnung, Gott werde sie nicht verlassen. Und siehe, als sie nach inbrünstigem Gebet vor die Tür ihrer Klause trat, standen dort viele Säcke Mehls, von dem sie samt ihren Jungfrauen lange Zeit zu leben hatte und das nie zur Neige ging, sie mochten von ihrem Vorrat zehren, soviel sie wollten. Sie teilte davon unter die Bedürftigen aus und buk selber Kräpflein für die Kinder. Diese kamen scharenweise in die Schlucht gelaufen, bei der heiligen Jungfrau ihren Hunger zu stillen und dabei mit andächtiger Freude zuzuhören, wenn sie ihnen vom Leben des Heilandes erzählte und sie Gebete und Lieder, aber auch das Spinnen mit dem Wirtel lehrte.

Der leidige böse Feind aber sah ihr Werk voll Neid und Ingrimm an. Und als St. Verena einst vor ihrer Höhle kniete und für alle jene betete, welche, vom Pfade der Wahrheit abgewichen, der Macht des Versuchers anheimzufallen drohten, lauschte der Böse heimlich. Voll Zornes stieg er auf den nahen Bühel, brach von der Felswand der Schlucht ein großes Stück los und hob es mit gewaltigen Armen empor, um es auf die Betende zu schleudern. In diesem Augenblick jedoch schaute die Jungfrau in die Höhe, die Hände noch im Flehen verschränkt, und blickte dem Fürsten der Hölle unerschrocken ins Gesicht. Darob ward er verwirrt und fuhr etliche Schritte zurück. Das Felsstück entfiel seinen Krallen und traf statt Verenas Haupt seine eigenen Füße. Heulend entfloh er. Der Stein blieb an der Stelle liegen, wo er zu Boden gestürzt, und ist noch zu sehen an der Straße, auf der man zur Höhle der heiligen Verena geht, und als Wahrzeichen trägt er die Griffe der Teufelsklauen. Er ist gar groß und ungefüge und daher unschwer zu verstehen, daß der Höllenfürst von jenem Tage an hinkend geblieben.

Die Heilige dankte Gott für ihre Rettung. Doch nun war ihres Verweilens in der Schlucht nicht mehr. Sie machte sich auf und ging hinunter bis an den Aarfluß. Daselbst lag ein Stein, der hatte vorzeiten den Römern als Schwelle zum Eingang einer



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Feste gedient und war ins Wasser gesunken. Und nachdem die Jungfrau Gott um Hilfe angerufen, hob sieden Stein mit gar geringer Mühe empor und fuhr auf ihm die wilde Aare hinunter an Dörfern und Städten vorbei bis dahin, wo sie in den Rhein fällt.

Und wo sie vorbeikam, da fingen die Kirchenglocken von selber zu läuten an. Die Bürger des alten Städtleins Klingnau stiegen in den Turm hinauf, und da sie die heilige Verena, von deren Wundertaten sie viel vernommen, auf ihrer Steinschwelle daherfahren sahen, pfiogen sie Rats, mit welchen Ehren sie die Heilige empfangen möchten. Allein diese war bereits auf einer Insel bei dem Dorfe Koblenz ans Land gestiegen der Meinung, sich dort ihre Wohnung zu erküren. Doch betrübt erkannte sie, daß das Eiland von eklen Sumpftieren und Schlangen voll war. Abermals wandte sie sich an Gottes Allmacht. Wenn es sein Wille wäre, daß sie hier Wohnung nehme, möchte er gebieten, daß das schädliche Geziefer von dannen weiche. Sie machte das Zeichen des Kreuzes wider das Gewürm, das in Massen sogleich die Flucht ergriff und sich ins Wasser verkroch, um sich nie mehr sehen zu lassen. Wo aber die Heilige den Fuß aufgesetzt, als sie die Hand zum Himmel erhob, entsprang im grasigen Grund eine herrlich klare Quelle. Sie ward bald entdeckt; die Leute erkannten deren Wunderkraft und nannten sie das St. Verenenbrünnlein. Sie bringt Bresthaften Heilung und verleiht den ehrbaren Mägdlein Holdseligkeit.

Die Einwohner des Dorfes Koblenz faßten eine besondere Neigung zu der heiligen Jungfrau und überließen ihr ein Häuslein, das zur Beherbergung armer Christen war erbaut worden. Daselbst blieb Verena ziemlich lange Zeit. Den Stein aber, auf dem sie die Aar heruntergefahren, bewahrte das Volk als ein Heiligtum auf, und er wurde neben der Kirchentüre eingemauert. Daselbst ist er noch heute zu sehen, und darüber liest man die Worte:

Auf diesem Stein hier auf der Aaren
Die heilig Verena ist gefahren
Ohne Ruder, Schiff und Schalten,
Wie solches erzählt die frommen Alten.


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Man schreibt ihm wunderbare Kraft zu. Als einst eine Feuersbrunst das Dorf einäscherte, blieb das Kirchengewölbe mit dem Stein von den Flammen unberührt.

Als Verenas Ruf wegen ihrer Heiligkeit weit umher erscholl und der Zulauf leidender Leute mit ihren Anliegen zu ihrem Häuslein sich mehrte, beschloß sie, von dannen zu ziehen. Denn der hoffärtige Geist menschlichen Ruhmes pflegt sich gar gerne einzumischen und viele gute Werke zunichte zu machen.

Indem sie ihren Fuß von Koblenz weiter setzte, erreichte sie von ungefähr den alten Flecken Zurzach. Sie wurde berichtet, daß dort Christen seien und ihr Gottesdienst ungehindert geübt werde. Sie fand ebenda auch eine Kirche, zu Ehren der Muttergottes erbaut, und ging andächtiglich hinein. Und sie dachte, nachdem sie aus so weit entfernten Landen dahin gekommen, all das Ihre und die Ihrigen aufgegeben und also allein und verlassen durch unbekannte Gegenden gezogen, wäre es nun an der Zeit, einen Ort zu erwählen, wo sie ihrer Pilgerschaft ein Ende setzen könnte.

Als sie ihr stilles Gebet geendet, trat ein Priester in die Kirche, um seine Messe zu halten. Er fragte sie, woher sie komme und aus welcher Ursache sie in diesem Lande weile, da er sie gleich als eine Fremde erkannte. Sie gab ihm zur Antwort: «Ich bin eine Blutsverwandte Mauritius', des Obersten der thebäischen Legion, und mit dieser über Meer gezogen, die heiligen Orte in Italien zu besuchen und die Marterkrone zu erlangen. Weil es aber dem lieben Gott anders gefallen, so bitte ich demütiglich, Ihr wollet mir gestatten, allhier ihm zu dienen bis zum Abschied meiner Seele.» Darauf entgegnete der Priester: «Ist dies Euer Wille, Jesus Christus, unserm Herrn, und seiner Mutter Maria Euer Leben zu weihen, so verbleibet bei mir! Ich will Euch genugsam Unterhalt zukommen lassen.» Und er vertraute ihr sein Hauswesen an, es zu verwalten.

Nahe beim Rhein war eine alte, zerstörte Stadt, welche vorzeiten die Römer erbaut. Diese hatte man den armen Leuten und den Siechen zur Behausung angewiesen. Verena, die aller-



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wegen mit den Bedürftigen Erbarmen gehabt und ihnen nach Kräften geholfen, ging alle Tage dahin zu den Bresthaften und Armen, wusch von ihnen den Unrat ab, säuberte ihre Häupter, verband ihre Geschwüre und brachte ihnen zu essen und zu trinken nach ihrer Notdurft mit großer Freundlichkeit des Herzens.

Einst lag im Siechenhaus auch ein Kriegsgesell, beinahe noch ein Knabe an Jahren. Den pflegte St. Verena gar gut mit Kamm und Lauge und Wein aus ihrem Kruge. Er war dieser leiblichen Tröstung sehr froh, dankte ihr zu tausend Malen, indem er sich die feuchtgewordenen Augen wischte, der rauhe Söldner, und reichte ihr zum Andenken eine Wurzel, die er aus seinem Ranzen hervorgesucht. «Nehmt diese und tut sie in die Erde!» sagte er zu ihr. «Sie wird eine Blume treiben, Euch und allen zur Augenweide. Ich habe sie im Valtellin, wo ich im Felde gestanden und gestritten, ausgegraben.» Verena tat nach seinen Worten und setzte die Wurzel in des Pfarrers Garten. Aber sie mochte den ganzen Sommer und Herbst über nur Stengel und Blätter treiben, bis endlich zur Weihnachtszeit unter Eis und Schnee hervor eine wunderschöne Blume auf brach, die hatte die zartesten weißen Blättlein mit feinen, rötlichen Rändern. Diese trug die liebreiche Jungfrau ins Siechenhaus, die nothaften Leute damit zu erfreuen. Und sie schenkte von den Wurzeln den Frauen zu Zurzach, und seither blüht die Blume, Christrose geheißen, um die Zeit der Geburt des Herrn landauf und ab in den Gärten, wo man ihrer wartet.

Aber der Erzfeind aller Menschen, welchem Demut und Barmherzigkeit ein Dorn im Auge sind, gab einem boshaften Menschen ein, die heilige Verena bei ihrem Herrn zu verunglimpfen. Er verleumdete sie, daß sie seinen Haushalt untreulich verwalte. Er habe gesehen, wie sie alle Tage zu den Siechen hinaus sich begebe, zu den Bettlern und Dürftigen, ihnen Brot und Wein aus seinem Hause zu bringen. Der Priester wollte ihm nicht Gehör schenken, wurde aber zuletzt von dem falschen Knecht genötigt, selber an der Straße, wo sie vorüber mußte, einen Augenschein zu nehmen.



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So begab es sich, daß St. Verena den beiden in die Hände lief, nach ihrer Gewohnheit Kamm und Weinkrüglein mit sich führend. Sie ward von dem Priester angesprochen, wohin sie gehe und was sie mit sich trage. Sie antwortete sittiglich, sie besuche die armen Leute und wolle ihnen dienen und sie pflegen. Deswegen habe sie in dem Geschirrlein Lauge mitgenommen. Ihr Herr begehrte zu sehen, ob dem auch also sei und ob nicht vielleicht Wein sich darin befinde. Als er aber den Krug abgedeckt, sah er oben auf der Flüssigkeit Kohlen herumschwimmen und darunter eine graue Lauge. Der Priester erschrak sehr und merkte, daß er von dem neidischen Knecht betrogen worden, stellte ihr den Krug mit zitternden Händen wieder zu und bat sie um Verzeihung, welche die heilige Verena willig gewährte. Da er heimgekommen, fand er in Kästen und Trägen sowie im Keller reichlichen Vorrat, ja Überfluß an allem. Der arge Knecht aber erblindete und ward mit fallendem Weh bestraft zeit seines Lebens. Und auch alle seines Geschlechtes suchte Gott heim mit Bresten und Plagen an ihrem Leib, bis es ganz abgegangen.

Weil aber der Gottlosen kein Ende, kam ein anderer Schalk, ein Verwandter des bösen Knechts, der trug einen besondern Widerwillen gegen Verena und suchte Gelegenheit, sie bei dem Priester in Verdacht zu bringen.

Auf eine Zeit zu Anfang der Fasten, da der Priester allen Schmuck von sich tat, darunter auch einen goldenen Ring mit einem Edelstein, gab er ihr alles zu verwahren. Jener Bösewicht aber entwendete heimlich den Ring und warf ihn in den Rhein. Als der Priester hierauf nach dem Kleinod fragte, fand die Jungfrau es nicht mehr. Sie tat nichts denn weinen und seufzen und bat Gott Tag und Nacht, er möchte den Ring wieder zum Vorschein kommen lassen.

Darnach begab es sich, daß die Fischer eines Tages auf den Rhein hinausfuhren. Da fingen sie außer andern Fischen einen großen Salm. Den teilten sie nicht unter sich, sondern verehrten ihn dem Priester. Dieser ließ ihn durch die Fischer selbst vor seinen Augen in Stücke schneiden, und da fanden sie im



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Magen des Saims den verlorenen Ring. Der Priester erkannte ihn als den seinigen und zeigte ihn St. Verena, welche sich höchlich freute, daß ihre Unschuld an den Tag gekommen.

Da nun die Jungfrau so das ungetreue Wesen der schnöden Welt wahrnahm, begehrte sie sich gänzlich abzusondern und bat den Priester demütig, ihr eine Klause bauen zu lassen, darin sie die übrige Zeit ihres Lebens unserm Herrn Christus und seiner gelobten Mutter allein dienen könnte. Denn unsere Stärke liegt im Stillschweigen und in der Hoffnung auf Gott, so dachte sie. Der Priester wollte erstlich ihrer Bitte nicht stattgeben. Als sie aber in ihrem Vorhaben beständig blieb, ließ er ihr nicht weit von Unserer lieben Frauen Kirche eine Zelle errichten, da, wo jetzt die Stiftskirche steht. Darauf geleitete er mit allen Geistlichen der Nachbarschaft und vielem Volk die Heilige hinein.

Daselbst lebte sie noch elf Jahre, täglich heimgesucht von Bresthaften, Besessenen, Blinden und Lahmen, Krüppeln und Gehörlosen. Und sie wischte manche Zähre von kummerbleichen Wangen, und alle erlangten durch ihre Fürbitte die gewünschte Genesung.

Nachdem sie 15 Jahre zu Zurzach sich aufgehalten, hat der Allmächtige ihrer Mühe ein Ziel gesetzt. Als ihr Sterbestündlein nahe war, erschien ihr Maria, die allerheiligste Mutter Gottes, mit einem schimmernden Chore zierlicher Englein und sprach zu ihr: «0 du standhafte und dem Herrn getreue Jungfrau Verena, mache dich auf und komme mit uns!» Darauf verschied die Gute, und ihre ganze Zelle ward erfüllt mit himmlischem Glanz und gar lieblichem Duft wie von lauter Rosen.

Wegen der vielen Wundertaten, die bei ihrer letzten Ruhestätte geschehen, ist darüber eine gar herrliche, große Kirche errichtet worden. In deren Krypte wird Verenas Grabmal heute noch gezeigt und viel besucht. Da liegt sie, in Stein gehauen, Krug und Kamm in den Händen. Ein kunstvoll gearbeitetes Gitter umschließt sie. Hundert und hundert Weihekerzen sind daran entzündet worden, und das duftende Wachs ist von ihnen



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niedergeträuft wie einst die Zähren aus den Augen der Betrübten auf der guten Verena Hand.

***
Noch über Ihren Tod hinaus bewährte die Heilige ihre menschenfreundliche Wunderkraft. Einst kehrte eine Schnitterin vom Garbenbinden heim und fuhr über den Rhein nach Zurzach zurück, als ihr Weidling in der Strömung umschlug. Da erschien der armen Magd die Jungfrau Verena und rettete sie vor dem Ertrinken, indem sie ihr mit der einen Hand den Mund verschloß und sie mit der andern ans Gestade führte.

Ihr erzenes Krüglein war lange verloren gewesen, bis es Hirtenknaben am Rheinufer wieder gefunden. Es ward reich verziert, mit einem vergoldeten Deckel versehen und als kostbares Andenken beim Stiftsschatz verwahrt. Seitdem hat das Wasser, das man mit ihm aus dem Verenabrünnlein schöpfte, die alte Heilkraft oft bewiesen. Als einmal eine Witwe vom vielen Weinen über den Tod ihres Gatten erblindete, gab es ihr das verlorene Augenlicht wieder.

So blieb die Erinnerung an die heilige Verena weit in der Umgebung, im Surb- wie im Aaretal, Jahrhunderte hindurch lebendig. Sie ist auch die Patronin der Fischer und Schiffsleute und sorgt noch immer dafür, daß die Müller nicht allein an sich denken dürfen. Wenn sie das Wasser, das die Wiesen der kleinen Bauern tränken soll, ihren Rädern zuleiten, so führt Verena ein Gewitter herauf. Die Bäche schwellen an und zerreißen den habsüchtigen Müllern die Wuhre.

Darum steht sie auch als Wetterheilige etterheilige in hohen Ehren. Ihr Namenstag, der Erste des Herbstmonats, wird zu Zurzach feierlich begangen. Da strömt alles Volk in die alte Stiftskirche, an der Verenagruft eine Andacht zu verrichten. Und die Alten halten frühmorgens schon Ausschau, ob vielleicht ein linder Regen zu erwarten sei. Denn sie sehen es gerne, wenn die Heilige, die durch das Wasser so mancherlei Wunder wirkte, an ihrem Feste von dem erfrischenden Segen des Himmels auch etwas über die Fluren ausgießt.



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FELIX UND REGULA

In einer Hütte am Gestade der Limmat lebte in grauer Vorzeit ein Geschwisterpaar, dessen Namen in Zürich Jahrhunderte lang heilig gehalten wurden und noch jetzt jedem sinnigen Gemüte teuer sind, Felix und Regula. Ihre Wiege stand in Ägyptenland, und von frühester Jugend an hatte ihnen das Licht des Evangeliums geleuchtet, welches zwischen den geschwisterlichen Seelen ein Band knüpfte, das weder Not noch Tod zu zerreißen vermochten.

Vereint flohen sie aus ihrer palmenüberrauschten Heimat, als auf das Gebot des Kaisers Diocietianus die Christenheit grausam verfolgt wurde. Vereint zogen sie mit der thebäischen Legion über das Meer nach Rom und von dannen bis ins Wallis. Darauf begaben sie sich ins Land Glarus. Über die Senke am Tödi zwischen den Muttenbergen und den Felsabstürzen zum Limmernboden sollen sie gekommen sein und sich zuerst in der Gegend von Linthal aufgehalten haben. Noch zeigt man dort die Felix- und Regulaquelle. Nicht weit von dem Hauptflecken ließen sie sich sodann in einer Höhle am Berg nieder, wo eine alte Inschrift im Felsen von ihnen Zeugnis gibt. Daselbst führten sie ein stilles Dasein und verkündeten den Bauern und Jägern der Umgebung das Evangelium. Ein Stein aus der Grotte des Burghügels zu Glarus wird in einer kleinen Kapelle aufbewahrt, weil auf ihm Felix den Eindruck seiner Hand hinterlassen.

Nachdem sie aber das Volk größtenteils zum wahren Glauben bekehrt, wollten sie nicht müßig sitzen und wanderten deshalb nach dem Limmatfluß und dem Zürichsee entlang abwärts. Durch Gottes Schickung beschlossen sie, an diesem Orte Wohnung zu nehmen und erbauten sich ein schlechtes Hüttlein an der Stätte nahe der Limmat, wo jetzt die Wasserkirche steht.

Auf der Höhe, die man noch den Hof nennt, erhob sich die Feste Turicum. Dort wohnte ein römischer Landpfleger mit Namen Decius. Diesem kam von Kaiser Maximianus ein Befehl zu, fleißig achtzuhaben, daß der christliche Glaube nicht



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fortgepflanzt würde, welchen die Thebaner Felix und Regula in dem bevölkerten Turicum allbereits ausgesät hatten. Des Decius Schergen nahmen die Geschwister gefangen und führten sie vor den Richter. Der Landpfleger sagte zu ihnen: «Ich weiß, daß ihr Christen seid und aus der thebäischen Schar kommt, die euch wegen Verachtung der unsterblichen Götter des römischen Reiches mit Pein und Todesstrafe vorangegangen ist. Deshalb begehre ich von euch zu wissen, wie ihr euch verhalten wollt.» Darauf antwortete St. Felix: «Wir bekennen Christen zu sein und hoffen mit denen, die du genannt hast, durch Gottes Barmherzigkeit die himmlischen Freuden zu teilen.» Und weder durch Martern noch durch gute Worte ließen sie sich vom christlichen Glauben abwendig machen und dazu bewegen, den römischen Göttern Mars, Jupiter und Mercur zu opfern.

Da nun Decius merkte, daß er bei ihnen nichts ausrichten könne, saß er zu Gericht und sprach das Urteil, daß sie als Verschmäher der Götter mit dem Schwert sollten vom Leben zum Tode gerichtet werden. Und auf dem Platz, wo sie vordem ihre Hütte gehabt, boten sie williglich ihr Haupt dem Scharfrichter dar und erlangten dadurch die Siegerkrone ewigen Lebens und die gläubige Verehrung der Nachwelt.

Gott der Allmächtige aber wollte ihnen durch ein Wunderzeichen seine Gnade erweisen. Mit Entsetzen sah das zuschauende Volk, mit Wonne die kleine Schar ihrer heimlichen Anhänger, wie die Geschwister vereint gleichwie im Leben sich erhoben, die abgeschlagenen Häupter von der Erde aufnahmen und diese in den Händen tragend den nahen Bühl erstiegen. Trotzig ließ der Landpfleger ihre Leichname unbestattet. Allein zur Nachtzeit erzeigten ihnen die frommen Christen, die sie bekehrt hatten, heimlich die letzte Ehre. Und sowohl über ihrem Grabe wie über der Stätte, wo sie müde die Häupter niedergelegt, erstanden später berühmte Gotteshäuser ihres Glaubens, das Großmünster und die Wasserkirche.

Im Munde des Volkes geht die fromme Sage, es habe, als das Schwert die Geschwister traf, ein Blitz aus hellem Himmel den



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Stundenweiser an der Zeittafel des benachbarten römischen Tempels heruntergeschlagen, und auch das Großmünster müsse aus diesem Grunde der Tafel entbehren. Denn so oft man es auch versucht, eine solche anzubringen, immer sei der Zeiger vom Blitz herabgeworfen worden.


DER TOTE ZEUGT

Der heilige Mann Fridolin, denen von Glarus und Säckingen als ihr erster Apostel wohlbekannt, war, wie sein Name anzeigt, sehr beflissen, den Frieden als das beste Kleinod der Christen allenthalben zu befördern und Zwiespalt hinzunehmen. Über sein Herkommen wird gemeldet, sein Vater, Conranus mit Namen, sei König in Schottland gewesen und er, Fridolin, um das Jahr Christi 465 geboren. Desto mehr ist er zu loben, daß er das Geistliche vor das Weltliche gesetzt und von Jugend auf sich aller Leichtfertigkeit und bösen Gesellschaft entschiagen hat.

Er nahm also das priesterliche Amt an und begann mit Ernst und Eifer, in seinem eigenen Vaterland das Wort Gottes zu verkündigen. Doch als ein wahrer Nachfolger Christi und seiner Apostel entschloß er sich, die zeitlichen Güter, so er hatte, an Witwen und Waisen auszuteilen und in freiwilliger Armut davon zu gehen. Als aber in dem Land kundbar geworden, daß Fridolin wegziehen wollte, begleitete ihn eine große Menge Volk mit Trauern und Weinen. Da nahm er von ihnen Urlaub, gab ihnen den Segen und trat in das Schiff.

Nach viel ausgestandener Seenot kam er an das Gestade Frankreichs und zog von einer Stadt zur andern in großer Armut. Etliche Jahre verblieb er zu Poitiers und wartete des Predigtamtes. Darnach gab ihm Gott ein, er solle aus Frankreich ziehen und sich in die Lande am Rhein begeben, um den Völkern dorten den christlichen Glauben zu verkündigen. Es reiste aber der heilige Fridolin nach Deutschland und stieg



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auf den Wasichenberg' im Elsaß. Folgends kam er in die namhafte Stadt Straßburg und richtete daselbst ein neues Stift und drei Kirchen auf. Von dannen zog er nach Burgund und weiter zu den Graubündnern. damit er den Bischof von Chur heimsuchen könnte. Er verblieb aber in der Stadt Chur so lange, bis er das neue Stift samt Kirche jenseits des Wassers Plessur auf einem erhöhten Boden aufgeführt, wo heutigen Tages noch Anzeichen eines Gotteshauses gefunden und «zu St. Hilan» genannt werden.

Als St. Fridolin noch zu Chur war, fragte er fleißig, ob sie ihm nicht von einer Insel zu sagen wüßten, die im Rhein gelegen und noch wüst und unbebaut wäre. Darauf ist ihm eine solche gezeigt und der Weg dahin gewiesen worden. Im Jahre Christi 516 kam er nicht ohne große Mühe der langen Reise nach Säkkingen. Nach seiner Ankunft aber verwunderten sich die umwohnenden Völker sehr, daß er als fremder Mann ohne Gefährten diese öde Insel ohne ihre Erlaubnis besiedelte. Sie meinten, er wäre ein Ausspäher und Viehräuber. Deswegen stießen und schlugen sie ihn unbarmherzig und beleidigten den unschuldigen Mann Gottes, und letztlich jagten sie ihn mit Gewalt und nicht ohne Gefahr seines Lebens von der Insel.

Da zog er gen Paris an des Königs von Frankreich Hof und erzählte Chlodwig die Beschwernisse und Unbilden, so er zu Säckingen von den Einwohnern erlitten hatte. Der fromme König ließ sich die Sache angelegen sein und verlieh Fridolin alle Rechte und Gewalt, die Insel unwidersprechlich zu besitzen, gab ihm auch einen besondern Schirmbrief und einen Geleitsmann. Die Bauern aber, die den heiligen Mann gehörtermaßen übel gehalten hatten, wollte der König nach Gebühr bestrafen. Aber St. Fridolin bat ihn, er sollte den gefaßten Zorn fallen lassen und sie verschonen, dieweil sie aus Unwissenheit solche Schuld begangen.

Nun trachtete er mit allem Fleiß, an welchem Ort der Insel er ein Kloster aufrichten sollte. Als er durch sein getreues Gebet 

1 Vogesen, Wasgenwald



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zu Gott Frieden und Ruhe vor seinen Feinden und Mißgönnern erlangt hatte, richtete er das Stift auf, St. Hilarius zu Ehren. Also nahm das Kloster seinen Anfang, da man zählte von Christi Geburt an das 521. Jahr. Die Liebe war in dem heiligen Mann tief eingewurzelt. Wenn zu Zeiten die Knaben nach ihrer Art in seinem Garten auf die Bäume steigen wollten, das Obst abzubrechen, kam er oft dazu und half ihnen nach Möglichkeit die Bäume hinauf und hinab zu klimmen, damit sie keinen Schaden davontrügen. Ja, aus großer Demut bot er ihnen dazu seine eigenen Achseln und seinen Rücken. Geschah es aber, daß er einen seiner Jünger von ungefähr dazu kommen sah, so ermahnte er die Knaben väterlich: «Liebe Kinder, steigt herab und macht euch davon, eh einer kommt, euch vertreibt und bestraft!» Also groß war die Liebe dieses Mannes gegen die Jugend, daß er ihnen die Freude gerne gönnte, damit sie zum Guten umso williger und fleißiger wurden.

Glarus, ein Hauptflecken und Ort der Eidgenossenschaft, war zu den Zeiten des heiligen Fridolin von zwei gewaltigen Brüdern und Landesherren, etliche sagen, Grafen, regiert. Dieselben hießen Ursus und Landolf, waren mit großen Reichtümern begabt und hatten im ganzen Land ein großes Ansehen. In diese Gegend zog Fridolin, predigte das Evangelium treulich, bekehrte viele, unter andern auch die beiden Brüder Ursus und Landolf. Denn zu derselben Zeit waren wenig getaufte Christen um Zürich und Glarus zu finden.

Ursus aber faßte eine besondere Liebe zu St. Fridolin wegen seines untadeligen Lebens. Als er nun vermerkt, daß der heilige Mann sich gar emsig der Aufrichtung des Stifts zu Säckingen annahm, hat ihm diese Arbeit so wohl gefallen, daß er aus freiwilligem Herzen dem Gotteshaus Säckingen all sein Gut schenkte, dazu auch den Teil, welchen er von seinem Bruder Landolf ererben sollte. Und damit solche Schenkung ihre ewige Kraft hätte, ließ Ursus Brief und Siegel aufrichten und alles in gebührender Weise vor Gericht bestätigen mit Vorwissen und Gutheißen seines Bruders Landolf. Nun forderte Gott den frommen Herrn Ursus aus diesem Jammertal zu den ewigen Freuden.



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Aber Landolf, sein Bruder, wiewohl ein Christ, so war er doch vom Geiz verblendet, vergaß seiner Versprechung und machte dem heiligen Fridolin viel zu schaffen. Er forderte ihn vor das weltliche Gericht, setzte sich wider das aufgerichtete Testament und begehrte den Teil der hinterlassenen Güter, die Ursus dem Gotteshaus Säckingen mündlich und schriftlich vermacht hatte.

Also mußte der geduldige Fridolin abermals das Kreuz tragen, mit dem Zeitlichen bemüht zu sein und vor den weltlichen Regenten im Rat angesprochen und befragt zu werden. Aber was er vorbrachte und mit Briefen bestätigte, konnte ihm das Recht nicht verschaffen. Er sollte mit Zeugen beweisen, daß Ursus die Erbschaft dem Kloster geschenkt habe. Mit diesem Ausspruch war der Mann Gottes zufrieden in der Hoffnung, der wahre Richter werde ihm aus der Not helfen und die angefochtene Wahrheit an den Tag bringen. Er begehrte aber von dem Richter, daß er ihm Zeit und Ort angebe zu dem künftigen Urteil und Rechtstag, da beide Teile sollten zusammenkommen, und das geschah.

Darauf zog der heilige Fridolin gen Glarus, wo er eine Kirche erbaut hatte, darin Ursus etliche Monate lang begraben lag. Dasselbige Grab ließ er sich öffnen. Da stund nun der heilige Fridolin und rief unerschrocken dem verstorbenen Landesherrn Ursus zu: «Stehe auf in dem großen Namen Gottes, komme hervor und sei mein Zeuge, daß du mir dein Gut geschenkt hast!» Wunderbarlich ist es zu sagen, noch viel wunderbarlicher aber war es anzusehen, wie der hohläugige Kopf und die starren Gebeine aus dem Grab hervorkamen und sich aufrichteten. Den Toten nahm Fridolin an seine rechte Hand und führte ihn den ganzen Weg von Glarus bis zu dem Dorfe Rankweil. Denn allda befand sich das königliche Landgericht an dem bestimmten Tag und Ort. Auch der Landesherr Landolf mit seinen Gönnern, welche die Gerechtigkeit zu unterdrücken begehrten, war zugegen.

Als nun beide Parteien gegenwärtig waren, wendet sich der tote Ursus zu seinem Bruder und spricht mit heller Stimme:



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«Mein Bruder Landolf, warum hast du mich nicht in meiner Ruhe gelassen und hast meine Seele berauben wollen der Gnade, welche ich jetzt empfange darum, weil ich mein Gut an das Kloster Säckingen gegeben habe?» Über diese Rede war Landolf sehr erschrocken und in seinem Gemüt verändert, und er gab ihm zur Antwort: «Lieber Bruder, jetzt stelle ich dir gern deinen Teil zu und will den meinen zu größerer Ehre Gottes auch dargeben. Ich schenke hiemit dies Land Glarus dem Gotteshaus Säckingen.» Und Landolf bat den heiligen Fridolin, er wolle ihm verzeihen, was er wider ihn gehandelt und Gott den Allmächtigen bitten, daß er auch ihn zu Gnaden aufnehme. Also hat Ursus sein Amt, des heiligen Fridolin Zeuge zu sein, verrichtet. Nachdem das geschehen, nahm derselbe den Toten wie vorher bei der Hand und führte ihn zurück gen Glarus. Dort legte sich Ursus wieder in sein Grab.

Es lebte darnach Sankt Fridolin noch sechzehn Jahr. Und er wirkte in dieser Zeit mit seiner Liebe zum Frieden noch an manchen Orten Gutes, so auch im Solothurner Land.

Da hatten auf dem Stürmenkopf die heidnischen Bewohner der Gegend um Bärswil und Grindel einen Tempel gebaut, wie eine Burg so groß und so fest, darin den Göttern der Waldberge Opfer darzubringen. Sie ward aber «die Höllenburg» geheißen. Denn kaum hatte man drinnen die Götzenbilder aufgestellt, als der Satan mit seinem Gefolge von bösen Geistern aus der ganzen Umgebung von dem stolzen Bau Besitz ergriff. Da pflegte er sie um sich zu versammeln und in den Nächten die hohen Mauern in einem Zuge taumelnden Übermutes unter greulichem Pfeifen, Johlen und Winseln zu umjagen, daß den Heiden im Tale selber davor bange wurde.

Die Greuel dieses Götzendienstes schrien zum Himmel, und darum sandte Gott den heiligen Michael hinab, das Gezüchte zu vertreiben. Und der Erzengel scheuchte mit seinem Flammenschwerte die Geister der Hölle. Den Bösen aber ergriff er mit starker Faust und warf ihn zu Boden, daß unter ihm der Felsen sich spaltete und den Teufel verschlang. Darauf stob die Rotte seiner verruchten Anbeter auseinander.



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Und St. Michael wies allen Winden die Höllenburg auf der felsigen Höhe als Zufluchtsort an, und von Stund ab umbrausten Unwetter den Stürmenkopf. Wenn im Sommer die Sonne weit umher im Tale die Ernte reifte, dann türmten sich um die zerfallenen Burgmauern Wolken auf, brauten Gewitter und schlugen die fruchtbaren Fluren mit schwerem Hagel, Mühe und Arbeit des Landmanns vernichtend. Und zuletzt wurden die Bewohner der jedes Jahr wiederkehrenden Sorgen müde und beschlossen, die Gegend zu verlassen, um nicht Hungers sterben zu müssen. Sie rafften ihre Habe zusammen und bereiteten sich, Männer, Weiber und Kinder, auszuziehen.

Da kam durch göttliche Schickung St. Fridolin des Weges geschritten. Der sprach zu den Bekümmerten: «Lieben Leute, mit nichten tut ihr gut daran, von hinnen zu gehen, wo eure Ahnen gelebt und gestorben. Gottes Zorn wird euch folgen ins fremde Land, wohin ihr auch wandert, so ihr nicht ihn allein ehrt, dem alle Macht Himmels und der Erden gegeben. Wendet euch ab von dem heidnischen Götzenwesen, und baut Gott dem Herrn ein Heiligtum da droben auf dem Berge! Dann wird er seine Hand halten darüber und den Fluch, der auf dem Lande lag, in Segen und Wohlfahrt wandeln.»

Da wurden die Bewohner des Tales gar froh, dankten ihm seines Zuspruchs und ließen sich von dem heiligen Fridolin taufen. Und sie taten das Gelübde, ein Kirchlein zu errichten auf der Felsenhöhe. Das geschah. Bald erstand auf «Kirchstätt» am Stürmenkopf eine Kapelle, und seit der Zeit wich die Verwünschung von dem Berge. Die Felder an seinem Fuße waren gesegnet, und in den Heimstätten, die sich um sie erhoben, wohnte ein glückliches Volk.

Noch sieht man auf der Höhe zerfallenes Gemäuer der Höllenburg und den Spalt im Felsen, darin der Böse auf St. Michaels Gebot versank.

Der heilige Fridolin aber kam zu hohem Alter und verschied seliglich zu Säckingen, als man zählte nach Christi Geburt 540.



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ST. GALLUS

In Hibernien, dem stillen, grünen Eiland im Ozean, lebte ferne von dem Kampfgetriebe der Völker des Festlandes ein friedlicher Keltenstamm. Bei ihm fanden römische Lehrer des christlichen Glaubens Zuflucht und stifteten zahlreiche Klöster. Deren Insassen aber trieb es, den Pilgerstab zu ergreifen, um drüben die Gaue der Franken und der rauhen Alemannen zu durchziehen und dort das Evangelium zu verkünden.

Zu Bangor in dem Kloster wurde Gallus, der in Schottland um das Jahr Christi Jesu 550 geboren, von seinen hochedeln Eltern in blühender Jugend dem berühmten geistlichen Vater Columban anbefohlen und wohl erzogen. Wegen seines hohen Verstandes von einer geistlichen Weihe zur andern erhöht, ward er wider seinen Willen zum Priester eingesegnet.

Nun begehrte aber Columban der Evangelisten Leben fortzusetzen. Er sprach mit seinen Brüdern im Kloster, daß ihrer 13 sich verbanden, ihr Vaterland zu verlassen und andern den christlichen Glauben zu verkünden und ihn auszubreiten. Und als sie von ihrem Abt die Erlaubnis erlangt, ist Columban als der Vater mit dem frommen Gallus und noch elf Mönchen im Jahr des Herrn 586 von Hibernien oder Irland nach England und von dannen nach Frankreich geschifft.

In der Wildnis des Wasgenwaldes fanden sie einen Ort, vor alters mit Mauern umringt, die nun aber verfallen waren. Er wurde Luxovium genannt und war reich an warmen Wassern. Allda bauten sie eine Kapelle und ein Hüttlein, in welchem sie wohnen konnten. Und es schlugen sich sowohl Burgunder als Franken zu ihnen, an ihrer Seite ein geistliches Leben zu führen und in den Orden aufgenommen zu werden.

Weil aber die christlichen Männer aus Irland gesinnt waren, den Samen des göttlichen Wortes in der Völker Herzen weiter zu pflanzen, zogen sie von dannen, besuchten viele Orte und Gegenden und kamen endlich nach Alemannien an den Limmatfluß. An dem zogen sie hinauf bis an den Züricher See, und als sie dem Gestade entlang gingen, gelangten sie zu einer Ort-



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schaft, Tuggon geheißen. Die schien ihnen gelegen, allda zu wohnen. Aber die Einwohner dieser Gegend waren grausam und gottlos und opferten den Göttern. Die heiligen Männer unterwiesen sie, an den wahren Gott zu glauben. Als jedoch Gallus, des Columban Jünger, aus inbrünstigem Eifer ihren Tempel anzündete, beschloß das ergrimmte Volk, Gallus zu töten, Columban aber zu geißeln und aus dem Lande zu treiben. Da verließen die Mönche die Gegend mit ihren widerspenstigen Bewohnern.

Von dannen kamen sie gen Arbon am Bodensee, das ehedem ein Sitz der Römer. und trafen dort einen christlichen Priester namens Willimar. Er beherbergte sie, und als Columban ihn fragte, ob er nicht einen Ort wüßte, der zu einer klösterlichen Wohnung dienlich wäre, nannte er ihm einen Platz in der Nähe, wo ein altes, zerfallenes Gebäude sich befinde. Und er gab ihnen auch ein Schifflein und Ruder, und sie fuhren dorthin, Bregenz zu. Nachdem sie ausgestiegen, fanden sie eine Kapelle. Die war entweiht, und dafür hatten die Bewohner der Umgegend drei vergoldete erzene Bilder an der Wand befestigt, welche sie als die alten Götter und Beschirmer dieses Ortes anzubeten pflegten.

Columban forderte Gallus auf, er solle dem Volke zusprechen und ihm seinen Irrtum zu verstehen geben. Denn dieser konnte als der einzige von ihnen auch Deutsch. Und als sich an einem Festtag bei der Kapelle Männer und Frauen in großer Zahl versammelten, auch um die Fremdlinge zu sehen, von deren Ankunft sie gehört hatten, begann Gallus zu ihnen zu reden. Er ermahnte sie, den wahren Gott zu verehren, und vor aller Augen ergriff er die Erzbilder, zerbrach sie in Stücke und warf sie in den See. Darauf bekehrten sich etliche von der Abgötterei zum christlichen Glauben, andere aber liefen Gallus wegen der Zertrümmerung der Götterbilder schmähend voll Wut hinweg. Columban weihte die Kapelle wiederum und hielt darin Gottesdienst.

An diesem Orte blieben die heiligen Männer drei Jahre. Denn der Boden daselbst bot viel Raum und war gar fruchtbar. Etliche von Columbans Gefährten bauten Zellen auf, andere rüsteten



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den Garten zu und pflanzten darin. Gallus aber strickte Netze und fing damit so viel, daß die Brüder an Fischen keinen Mangel hatten.

In einer Nacht warf er seine Garne aus. Da hörte er, wie ein Waldgeist vom nahen Berge herab einem andern, der sich im See aufhielt, zurief und, als dieser ihm vom Ufer aus Antwort gab, klagte: «Mache dich auf, mir beizustehen! Fremdlinge sind gekommen, welche mich aus meinem Tempel vertrieben und meine Bilder zerschlagen haben. Auf, hilf mir, meine Schmach zu rächen und die Widersacher aus dem Lande zu verjagen!» Ihm erwiderte der Seegeist: «Auch ich erdulde Arges. Sieh, einer von ihnen dringt in die Tiefe hinunter und verstört mir mein Getier, und ich vermag seine Netze nicht zu zerreißen und ihm weder mit List noch mit Gewalt Schaden zuzufügen. Denn er ruft seinen Beschützer ohne Unterlaß an.»

Da Gallus das vernommen, befahl er sich Gott noch eifriger und beschwor die bösen Geister, von dannen zu weichen. Darauf fuhr er an das Ufer und erzählte Columban, was er gehört. Dieser ging in die Kirche und rief durch das gewohnte Zeichen die Brüder zusammen. Aber ehe sie zu singen anhoben, vernahmen sie ein greuliches Heulen und Brüllen der Geister von der Bergeshöhe, wohin sie sich zurückgezogen. Die Mönche aber begannen noch emsiger zu beten und Gott um seinen Schutz anzurufen.

Nicht lange danach verklagten etliche der Einwohner, um für die Zerstörung der Bilder Rache zu nehmen, die Mönche bei dem Herzog Gunzo, Jagd und Fischfang werde von ihnen verderbt. Entrüstet gab dieser den Befehl, sie des Landes zu verweisen. Den Brüdern wurden ihre Kühe weggetrieben und zwei der Ihrigen, welche diese suchten, von den Viehräubern erschlagen. Zu allem Unglück erreichte sie das Gebot des Herzogs, die Gegend zu verlassen. Als Columban seine Brüder darüber sehr bekümmert sah, sprach er ihnen väterlich zu und tröstete sie, er sei voller Hoffnung, Gott werde ihnen Agilulph der Langobarden König, geneigt machen, ihnen eine friedsame Wohnstätte zu weisen.



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Als sie allbereits zur Reise gerüstet waren, wurde Gallus von einem gefährlichen Fieber befallen. Columban erlaubte ihm, zurückzubleiben und für sich allein zu leben. Gallus legte seine Netze und Hausgeräte in einen Kahn und fuhr mit zwei Brüdern, welche ihm sein Abt zum Trost gelassen, über den See nach Arbon zum Priester Willimar. Dieser empfing ihn gar freundlich, überließ ihm ein kleines Haus zunächst der Kirche und legte seinen Gefährten Magnoald und Theodor ans Herz, daß sie ihn sorgsam pflegten.

Unter ihrer Wartung genas Gallus. Aber sobald er wieder zu Kräften gekommen, fragte er Hildebald, Willimars Diakon, der auf dem Fisch- und Habichtsfang alle Winkel des Waldes ausgekundschaftet, nach einem abgeschiedenen Orte. Denn er hatte großes Verlangen, fürder in der Einsamkeit zu wohnen. Da versetzte der Diakon: «Diese Wildnis hier, mein Vater, hat viele ungestüme Wasser, enge Täler, die sich hin und her winden, und ist von rauhen Bergen umschlossen. Darin hausen neben Hirschen und anderem Wild auch Bären, Eber und reißende Wölfe. Ich fürchte, die möchten dich anfallen, wenn ich dich dahin geleite.» Doch Gallus entgegnete: «Ist Gott mit uns, wer kann wider uns sein?»

Und des folgenden Morgens machten sie sich in der Frühe auf, den wilden Forst zu durchstreifen. Schon war die neunte Stunde des Tages verflossen, da sprach der Diakon: «Vater, es ist Essenszeit. Laß uns rasten und mit Brot und Wasser uns etwas erquicken, damit wir wieder leichter fürbaß wandern mögen!» Gallus aber antwortete: «Tue nach deiner Notdurft! Mir soll nichts in den Mund kommen, bis Gott mir den Ort meiner künftigen Wohnung gewiesen hat. » Also setzten sie ihren Weg fort und gelangten an ein Wasser, die Steinach genannt. Diesem entlang aufwärts gehend erreichten sie einen Felsen, über den das Flüßlein mit großer Gewalt und lautem Tosen herunterstürzte. Dort war eine Höhle, die ihnen Unterkunft für die Nacht bot, und in dem Gießen, den der Bach bildete, wimmelte es von Fischen. Hildebald fing einige, schlug Feuer und briet sie, und daneben legte er Brot bereit. Indessen



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hatte Gallus sich etwas abseits begeben zu stillem Abendgebet. Als er niederknien wollte, blieb er mit dem Fuß im Dorngesträuch hängen und fiel zur Erde. Sein Gefährte bemerkte es und wollte ihn aufheben. Er aber wehrte ihm mit den Worten des Psalmisten: «Laß mich! Denn dies ist mir ein Zeichen. Hier ist meine Ruhestatt, hier gefällt mir's wohl.» Darauf machte er aus Haselruten ein Kreuz und steckte es in die Erde, und nachdem sie ein Gebet gesprochen und ihr Mahl eingenommen, legten sie sich für eine kleine Weile zur Ruhe.

Bald jedoch erhob sich Gallus wieder, um vor dem aufgerichteten Kreuz Gott abermals um seinen Beistand zu bitten zu dem Vorhaben, diese Waldgegend bewohnbar zu machen. Da kam ein Bär den Berg herunter getrottet und las fleißig die Überreste des Mahles zusammen, sonderlich die Brotstücklein, die den beiden beim Essen entfallen waren. Wie ihn Gallus erblickte, rief er ihm furchtlos zu: «Du ungeschlacht Getier, im Namen unseres Herrn Jesu Christi gebiete ich dir: Nimm Holz und wirf es ins Feuer!» Der Bär gehorchte, lief hinweg und kehrte mit einem mächtigen Baumstrunk im Maule zurück, den ließ er auf die Glut fallen. Zum Lohne reichte ihm der heilige Mann aus seiner Weidtasche ein ganzes Brot, das der Bär, auf seinen Hinterbeinen emporgerichtet, verzehrte. Dann aber sprach Gallus zu ihm: «Nun weiche aus diesem Tal und halte dich droben in den Bergen und Tobeln auf, wo du weder Menschen noch Vieh Schaden zufügen kannst! Das sei dir zum andern Male im Namen unseres Herrn Jesu Christi geboten.» Und der Bär lief von dannen und verschwand im Walde. Des Gallus Gefährte aber, der das alles nicht ohne Furcht und Bangen mitangesehen, warf sich ihm zu Füßen und sprach: «Jetzt bin ich gewiß, daß der Herr mit dir ist, da dir auch die wilden Tiere untertan sind.»



***
Zum Angedenken an diese wunderbare Begebenheit führen Bistum und Stadt St. Gallen noch heute einen aufrecht stehenden Bären im Wappen.

Des andern Morgens begab sich Hildebald auf des Gallus Geheiß mit seinem Netz nach dem Gießen. Denn sie gedachten,



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Willimar ein paar Fische nach Arbon zu bringen. Allein sowie der Diakon sein Garn auswarf, sieh, da tauchten zwei Waldgeister in Gestalt von Wasserfrauen aus der Flut, ganz bloß, als wollten sie baden! «Warum hast du jenen fremden Mann hieher geführt, welcher uns alle nun aus der Wildnis verbannen wird? Denn seine Macht ist groß.»

Zitternd eilte Hildebrand zu Gallus zurück und bat ihn, die Geister zu verscheuchen. Als der Heilige zum Strudel kam, hatten sich die Wasserfrauen den Fluß hinauf ins Bergtobel zurückgezogen, aus dem ihr Zetern und Geschrei herunterschallte. Er trat an den Gumpen und rief ihnen zu: «Ich gebiete euch durch die Gewalt der hochheiligen Dreifaltigkeit, verlaßt diesen Ort und flieht ins unwirtliche Gebirg!» Darauf warfen sie ihre Netze aus, und da sie die gefangenen Fische ans Ufer zogen, hörten sie droben von der Schlucht her ein lautes Gejammer, das tönte, als ob zwei Weiber ihre Toten beweinten. Sie verstanden nur die Worte: «Ach, was tun wir hier? Wohin sollen wir uns wenden? Dieser Fremdling vertreibt uns aus Fluß und Forst.» Und noch zweimal ließen sich die beiden klagenden Stimmen vernehmen. Ja, auch später, als Hildebald einst dem Habichtsfang nachging, riefen die Waldfrauen ihn unsichtbar aus dem Dickicht an und fragten, ob der mächtige fremde Mann noch in der Wildnis sei. «Wohl», gab er ihnen zur Antwort, so laut er vermochte, «er ist noch allhier und wird hier wellen immerdar! » Da hörte er tief im Walde ein Schelten und Winseln, das sich allgemach in der Ferne verlor.

Da nun die beiden Wanderer das Tal durchforschten, fanden sie in der Nähe einen schönen Wiesenpian, auf der einen Seite vom Walde, auf der andern durch das Gebirge geschützt. Dieser Ort gefiel Gallus überaus gut, und er entschloß sich, hier eine Klause zu bauen. Und nachdem er Hildebald nach Arbon hatte heimgehen lassen, verharrte er noch drei Tage bei dem Kreuz, das er aufgerichtet, im Gebet und Fasten, um die Wildnis als künftige Stätte der Andacht zu weihen.

Als die Gottesmänner nach des heiligen Gallus Rückkehr wiederum miteinander beim Mittagsmahle saßen, sagte der



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Diakon Hildebald scherzend zu Willimar: «Wenn jetzt ein Bär da wäre, so würde ihm Gallus ein Brot reichen.» Auf die Frage des Priesters, was diese Worte orte zu bedeuten hätten, erzählte ihm Hildebald, was sich im Walde an der Steinach zugetragen.

Gleich Columban hatte Gallus zwölf Brüder zu sich genommen und im Dienste Gottes unterrichtet. Mit ihnen begann er nunmehr in seiner Wildnis zwischen der Steinach und dem Irabach eine Kirche und Zellen für die Brüder zu errichten.

Einmal, da sie sich nach der Mette zur Ruhe begeben, geschah es, daß der heilige Gallus frühmorgens seinen Diakon Magnoald aufforderte, ihm den Altar zuzurüsten, denn er habe in der Nacht gewisse Kunde bekommen, daß Columban aus diesem Leben ins himmlische Paradies aufgefahren sei, und für seiner Seele Ruhe möchte er die Totenmesse lesen. Man gab mit dem Geläute das Zeichen, und die Brüder kamen zum Gottesdienst. Dann erteilte der heilige Gallus seinem Diakon den Auftrag, unverzüglich nach Italia zu reisen, um in der Bobienser Kloster zu erfahren, wie es bei Columbans Tode zugegangen. Er solle sich achtsam Tag und Stunde merken, da jener verschieden. Nachdem Magnoald erst gezagt, er sei des Weges nicht kundig, ermunterte ihn Gallus, sich getrost dahin aufzumachen, und gab ihm seinen Segen auf die Reise. Und der Diakon gelangte glücklich nach Columbans Kloster. Da vernahm er, daß alles sich so verhielt, wie es dem heiligen Gallus war geoffenbart worden, und die Brüder sandten ihm Columbans Stab als ihm wohlbekanntes Pfand. Da er ihn empfing und dazu den Brief, den die Bruderschaft Magnoald mitgegeben, weinte er bitterlich.

Zu jener Zeit begehrten ihn die Mönche von Luxovien zum Abte, aber er ließ sich nicht bewegen, das Tal der Steinach zu verlassen, gleichwie er vordem dem Herzog Gunzo es abgeschlagen, ein Hirt über das ganze Volk des Bistums Konstanz zu werden. Auf seinen Wunsch aber wurde darauf Johannes, sein Diakon, der in Churrätien geboren, zum Bischof erwählt. Da nun Gallus schon hochbetagt, kommt eines Tages Willimar



Schweizer Legenden-066. Flip

der Priester zu ihm in die Zelle mit der Klage, warum er dem Volke zu Arbon den Trost seines Zuspruchs so lange entzogen. Und willig machte sich der heilige Mann noch einmal dahin auf, von wo er einst ausgezogen, um eine Stätte seines Wirkens zu finden. Zu Arbon der Stadt erbaute er die Gemeinde, die zu des Erzengels Michael Fest zusammengekommen, mit einer gar kräftigen und liebreichen Predigt über die Vergänglichkeit des Irdischen, daß ihm alle mit höchster Andacht zuhörten.

Noch steht zu Arbon neben der Pfarrkirche die alte Galluskapelle. Zur Seite ihres Portals ist in einer Nische der Mauer eine unbehauene Steinplatte zu sehen. Sie hat zwei Vertiefungen von der Größe eines Fußpaares, und das Volk erzählt, daß der heilige Gallus auf dieser Schwelle gestanden, als er zum letzten Male Gottes Wort verkündete. Dabei soll er also gewaltiglich geredet haben, daß die Fliese unter seinen Füßen sich erweichte und die Eindrücke seiner Sohlen darin zurückblieben. «Der Gallusstein» wird darum die Platte bis auf den heutigen Tag genannt.

Doch danach schied er selbst, der greise Gottesstreiter. Zwei Tage noch hielt er sich zu Arbon bei Willimar auf. Am dritten aber ergriff ihn ein Fieber, an dem er zwei Wochen darniederlag, worauf er den i6. Weinmonats Anno 645 im 95. Jahr seines Lebens zu den ewigen Freuden eingegangen.

Sowie Johannes, der Bischof von Konstanz, vernommen, daß der heilige Gallus zu Arbon von einer Krankheit befallen worden sei, fuhr er über den See dorthin, um den geliebten Lehrer zu besuchen, hörte aber an der Schifflände ein lautes Jammern von Trauernden. Da sprang er ins Wasser und ans Land, Willimars Behausung zu. Allein er fand des Gallus Leichnam schon im Sarge zugenagelt. Schmerzerfüllt ließ er sich diesen öffnen und warf sich weinend über den Toten. Nachdem er lange bitterlich geklagt, daß er seinen geistlichen Vater und Tröster verloren, zu dem er Zuflucht hatte nehmen dürfen in seines schweren Amtes Sorgen, begab sich der Bischof mit den Geistlichen in die Kirche zum Totenamt.



Schweizer Legenden-067. Flip

Aber als man den Sarg auf die Tragen setzen wollte, um ihn in der Gruft zu bestatten, vermochte man ihn mit aller Kraft nicht zu heben. Bischof Johannes erkannte daran, daß der heilige Gallus seine Ruhestätte nicht zu Arbon haben wolle; und er gab Befehl, zwei ungezähmte Pferde einzuschirren und vor einen Wagen zu spannen. Gallus werde diesen dann selbsten leiten, wohin es ihm gefalle. Und jetzt ließ sich der Sarg auf den Wagen laden, und Johannes sprach: «Nehmt den Rossen die Zäume ab, damit sie frei gehen, wohin Gott und der heilige Gallus sie führen werden!» Sie schritten geraden Wegs nach seiner Zelle, und das Leichengeleite folgte ihnen Psalmen singend mit brennenden Leuchtern in den Händen.

Als die Brüder des Klosters hinabeilten gen Arbon, den Leichnam abzuholen, folgten sie dem vielgewundenen Pfad, der über Rotmonten und weiterhin durch eine hohle Gasse bis an den See führte. Von Arbon her aber kam ihnen ein anderer Leichenzug entgegen bis nach Howenbühl und Gommiswil. An der Stelle, wo er dann auf das Trauergeleite der Ordensbrüder des heiligen Gallus traf, ward ein Kreuz errichtet zum Angedenken, und es steht noch, wiewohl oftmals erneuert. Es ist das Kreuz zu Hofen.

Bei des heiligen Gallus Zelle angekommen, trugen seine Jünger die Bahre in die Kirche. Darauf bereiteten sie zwischen Altar und Wand die Gruft und legten den Sarg hinein. Zu Häupten seines Grabes hängten sie die lederne Tasche auf, die der Heilige zeit seines Lebens unter dem härenen Hemde am Halse getragen. Darin hatten sie einen schweren Kieselstein und eine blutige eiserne Kette gefunden. Sein Leib trug davon tiefe Wunden, so hatte er ihn kasteit. An der Gruft stellte man auch zwei Kerzen auf, die waren zu Arbon angezündet und hinter der Totenlade her getragen worden und brannten 30 Tage lang, ohne sich zu verzehren.

So geschahen an des heiligen Mannes Grabe allerlei Wunderzeichen. Neidisch auf diese wollte einst Victor, der Churrätier Graf, das Kloster, dem die Mönche ihres geistlichen Vaters Namen gegeben, mit Kriegsmacht überfallen. Allein sein Anschlag



Schweizer Legenden-068. Flip

ward ruchbar, und man stellte heimlich Wachen von Klosterleuten und Bauern auf. In einer Nacht, da man des Grafen Herannahen befürchtete, sahen die Hüter eine große Helle vom Himmel herabkommen, welche den Kirchenbau wie mit hundert und hundert Lichtern umgab. Die Wächter zogen ab, da sie erkannten, daß Gott selbst der Beschützer seines geliebten Dieners Gallus war. Und als Graf Victor nun auf das Kloster zuritt, um den Leichnam zu rauben, da stürzte er vom Pferd und brach eine Hüfte, also daß er mit großen Schmerzen nach Hause getragen werden mußte.

Noch Jahrhunderte später erzählte das Volk von Wundertaten des Gottesmannes Gallus. Einmal sei er durch den Arboner Forst gewandert. Von weitem Gange ermüdet, beugte er sich nieder auf den Waldboden, um sich mit einem Trunk aus der kühlen Quelle zu erquicken, die dort aus der Erde hervorsprudelte. Gott für die Labe dankend segnete er den Born und wünschte, daß er stetsfort so reichlich fließen und Menschen wie Tiere in gleicher Weise letzen möge. Von der Zeit an hieß er der Gallusbrunnen. Noch heute lagert sich der dürstende Bauersmann auf dem Felde von Mörschwil gerne auf dem grünen Rasen, der ihn umgibt, um aus dem köstlichen Quell zu schöpfen und sich zu erfrischen. Aber auch die Fuhrleute halten dort gerne an, denn das Wasser ist den Pferden besonders zuträglich. Ja, man will wissen, daß von der Burg Grimmenstein ein unterirdischer Gang zum Gallusbrunnen führe, da die Ritter an ihm ihre Rosse zu tränken pflegten.

St. Gallus, dem auch Macht gegeben war über die reißenden Tiere der Wildnis, haben die Hirten in alten Zeiten, da auf unsern Bergen allenthalben Bären, Wölfe, Luchse und Lämmergeier hausten, um Beistand beim Hüten angerufen, und bis auf den heutigen Tag heben auf den Alpen des Sarganserlandes die Sennen ihren Abendsegen an mit den Worten:

«Ave Maria!
Bhüet's Gott unser lieba Herr Jesus Christ
Lyb, Hab und Guot und alles, was do ummen ist!
Bhüet's Gott und der lieb heilig Sant Gall
Mit sina lieba Gottsheiligen all!»


Schweizer Legenden-069. Flip


DER LEUCHTENDE HIRSCH

Hildegard und Bertha, die Töchter König Ludwigs des Deutschen, fanden kein Gefallen an dem geräuschvollen Hoflager mit seinem Gepränge und seinem Ränkespiel. Sie sehnten sich nach friedlicher Stille, um ganz ihrem Hange zu gottseliger Beschaulichkeit folgen zu können. Auf den Rat ihres Vaters erkoren sie Zürich als Wohnsitz, den Ort, wo die thebäischen Blutzeugen Felix und Regula hohe Verehrung genossen. Schon ihrem Ahnherrn Karl dem Großen war die schön gelegene Stadt am heiteren See ein Lieblingsaufenthalt gewesen, und sie fühlten sich durch gar manche Erinnerung an ihn und seine Tochter Theodrada hingezogen zu dem königlichen Hof am Limmatufer. Doch bald wurde das geschäftige Tun und Treiben in der Stadt, das bunte Hin und Her der Händler und Landfahrer auf Markt und Gassen ihrem frommen Sinne unbehaglich, und sie sehnten sich hinweg in die Einsamkeit. Nun besaß König Ludwig nicht weit ob Zürich ein alt, herrlich Bergschloß, Baldern genannt. Gern weilte er dort inmitten seines Forstes Albis. Da hinauf zogen jetzt die beiden Schwestern, froh, in dieser waldigen Abgeschiedenheit ungestört Gott dienen zu dürfen Tag und Nacht.

Und er ließ sie seine Gnade merken und sandte ihnen, wenn sie schon in der Morgenfrühe die Burg verließen, einen stolzen Hirsch entgegen. Der trug auf seinem vielzackigen Geweih zwei brennende Lichter und ging ihnen allerwegen voran bis in die Au zwischen dem See und der Sihl. Daselbst stand eine Kapelle der Stätte gegenüber, wo das heilige Geschwisterpaar Felix und Regula den Märtyrertod erlitten. Und nachdem die Königstöchter dort ihr Gebet verrichtet, kehrten sie zurück, und der Hirsch begleitete sie wieder bis vor das Tor der Burg, worauf er verschwand. Jeden Morgen erschien das edle Tier und harrte vor der Zugbrücke, bis die Schwestern herauskamen, um ihnen dann zu leuchten auf dem einsamen Gang hinunter zu ihrer Andacht im Angesicht des von ihrem Ahnherrn so reich begabten und begünstigten Stiftes zur Propstei.



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Das währte einige Zeit. Da ward ihrem Vater kundgetan, wie die Schwestern des Nachts allein miteinander aus dem Schlosse gingen, und niemand wüßte, wohin, noch was sie täten. Nun traute der König den Töchtern wohl und hielt sie für fromm, weshalb er ihnen auch die Sache nicht vorstellte. Aber er hatte selbst acht darauf, und als sie einstmals wieder an jenen Ort gingen, um zu beten, folgte er ihnen nach und sah all ihr Tun und Lassen, tat jedoch ihnen gegenüber nicht dergleichen. Denn er erkannte, daß Gott den beiden mit dem frommen Tier ein großes Zeichen seiner Gnade gegeben.

Er dachte darüber nach, wie er ihnen seine Meinung bedeuten sollte, und einmal rief er die Töchter zu sich und sagte zu ihnen: «Liebe Kinder, ihr seid nunmehr zu mannbaren Jahren gekommen. Es werben Könige und Herren um euch. Darum möchte ich euern Willen wissen, damit ich jenen antworten kann.» Da entgegneten sie ihm: «Wir sind willens, Gott zu dienen und nicht der Welt zu leben. Deshalb bitten wir, du wollest uns dazu behülflich sein. Wir begehren nicht mehr als unseres Leibes Nahrung.» Sie sagten ihm auch, das Wunder des leuchtenden Hirsches habe ihnen den Willen Gottes geoffenbart, daß an der Stelle, wo sie ihr Morgengebet zu halten pflegten, ein Kloster gebaut werden sollte.

Willig bot König Ludwig die Hand zu diesem Gott wohlgefälligen Werke, und so wurde die Fraumünsterabtei errichtet, der Hildegard als erste Äbtissin vorstand. Zur dankbaren Erinnerung an das göttliche Zeichen des Hirsches aber ward sein Bild, in Stein gehauen, über den Torbogen des Hauptportals gesetzt.

Nach dem frühzeitigen Tode Hildegards folgte ihr Bertha in der gleichen Würde, und mit königlicher Freigebigkeit fuhr ihr Vater Ludwig fort, das neue Gotteshaus mit Vergabungen und Rechten zu bedenken.



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DIE RÄCHENDEN RABEN

Es lebte zu der Zeit Karis, des großen Kaisers, ein wohlgeborener Graf mit Namen Berthold von Sulgen an der Donau, reicher an Tugenden und Gottesfurcht als an vergänglichen Glücksgütern. Dieser hatte unter andern Kindern einen Sohn, Meginrad geheißen, der war geboren im 805. Jahr nach der heilbringenden Geburt Christi. Als der Knabe fünf Jahre alt geworden, führte ihn sein Vater auf die Insel Reichenau in das Kloster, dessen Abt Hatto ein naher Blutsverwandter des Grafen war. Und Meginrad befliß sich, in der heiligen Schrift zu lesen, und die übrige Zeit legte er in der Abschreibung des alten und neuen Testamentes und anderer guter und nützlicher Bücher an, wie die Merkbücher der Reichenau klärlich bezeugen.

Zu denselben Zeiten war am Züricher See oberhalb Jona ein Klösterlein, Oberbollingen genannt. Dessen Mönche begehrten von dem Abt zu Reichenau. daß er ihnen einen Lehrmeister schicken sollte. Da ward im Kloster keiner gefunden, der zu diesem Amt tauglicher gewesen wäre als Meginrad. Er verwaltete es mit allem Fleiß; allein obwohl er mit vielen großen Geschäften beauftragt wurde, dachte er doch, wie er Gott in einer Einöde dienen und alldort sein Leben beschließen könnte.

Nun ward er von dem Landvolk berichtet, daß jenseits des Sees ein hoher Berg wäre, der Etzel, und dahinter eine große Wildnis, der Finstere Wald genannt. Meginrad begehrte diese Gegend selbsten zu erkunden, nahm einen jungen Mönch mit, und sie fuhren in einem Schifflein über den See. Darnach führte ein Knabe sie auf den Etzel. Als er aber gemerkt, daß in dem Finstern Wald viele wilde Tiere waren, ging er jenes Mal nicht weiter, sondern nachdem er den Platz seiner künftigen Wohnung beschaut, stieg er den Berg wiederum hinab.

Nun hatte er keine Ruhe. Sein Sinn stand täglich nach der Einöde, und zuletzt verließ er mit seines Abts Erlaubnis die Schule und das Kloster, fuhr über den See und ging allein auf den Etzel, im Jahr nach Christi Geburt 852. Dort machte er sich selber ein Hüttlein, darin er sich aufhielt und Gott mit Fasten



Schweizer Legenden-072. Flip

und Beten diente. Eine fromme, reiche Witfrau zu Altendorf aber versah ihn wöchentlich einmal mit Speise und sonstiger Notdurft und ließ ihm auch eine Kapelle errichten. Da er nun sieben Jahr auf dem Etzel gewohnt und von seinem heiligen Leben allenthalben herumgesagt ward, kam täglich viel Volk zu ihm, seine geistliche Ermahnung anzuhören.

Den großen Zulauf aber mochte er auf die Länge nicht erdulden. Deswegen gedachte er seine Wohnung tiefer in der Einöde aufzurichten. Nun begab es sich auf eine Zeit, daß etliche Mönche von Oberbollingen ihn als ihren geliebten geistlichen Vater und Lehrer besuchten. Mit denen ging er in den Wald zu einem dort vorbeifließenden fischreichen Wasser, die Sihl genannt. Und indes die Gefährten sich mit dem Fischen belustigten, ging der heilige Mann in Betrachtung der Wildnis allein spazieren. Da fand er einen ebenen Waldboden und einen schönen Brunnen, jetzt Unserer lieben Frau Brunnen genannt. Diese Stätte gefiel Meinrad zu einer Wohnung gar wohl.

Nun lebte damals zu Zürich in dem Kloster, zum Fraumünster geheißen, eine andächtige Äbtissin, Hildegard, König Ludwigs des Frommen Tochter, die den heiligen Meginrad auf dem Etzel oft besuchte. Derselben offenbarte er, wie er willens wäre, sich weiter fort in den Wald zu begeben. Als die Äbtissin solches hörte, erbot sie sich zu aller ihr möglichen Hilfe. Darauf verließ Meginrad die Wohnung auf dem Etzel und zog in den Finstern Wald, der an das Land Schwyz stößt und ringsum von Bergen umgeben ist. Da die Äbtissin Hildegard vernommen, daß der heilige Mann seine Wohnung verändert hätte, schickte sie unverzüglich Werkleute in den Finstern Wald, ihm eine Zelle und daneben ein kleines Gotteshaus nach seinem Begehren zu bauen. Auch seine Nahrung bekam er von ihr und frommen Pilgern. Doch er gebrauchte wenig davon, das übrige teilte er den Armen aus.

Es hatte sich Meginrad aber von Jugend auf die Muttergottes als seine fürnehmste Patronin auserkoren. Deswegen weihte er der hochgelobten Jungfrau den Ort und die Kapelle. Und dies ist der kleine Anfang des fürstlichen Gotteshauses Einsiedeln.



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Als sich nun Meginrad, späterhin Meinrad geheißen, im Finstern Wald seßhaft gemacht und auf eine Zeit seinem Gebet oblag, umgab ihn plötzlich eine Menge höllischer Geister, sodaß er die Helle des Tages nicht mehr sehen konnte. Diese setzten ihm stark zu und machten ihn mit großem Schrecken müde und matt. Er fiel nieder zur Erde und befahl sich Gott. Da sah er vom Aufgang der Sonne her das Licht wieder leuchten, darin ihm ein Engel erschien. Derselbe drang mitten durch die höllischen Scharen mit großer Kraft und gebot ihnen, von dannen zu weichen und den heiligen Mann nicht mehr zu schrecken, worauf die Teufel mit lautem Geschrei und Getöse sich auf die Flucht begaben.

Einstmals kam ein Konventherr aus dem Gotteshaus Reichenau, ihn heimzusuchen. Wie es nun Abend geworden, führte St. Meinrad den Gast in ein besonderes, aus Holz aufgerichtetes Häuslein, daselbst zu schlafen. Und da er eine kleine Zeit gerastet, stand er wiederum auf und ging nach seiner Gewohnheit zum Gebet in die Kapelle. Der Konventherr aber verbrachte die Nacht auch mit Wachen und Beten, hörte den heiligen Mann hineintreten in das Gotteshaus und ging ihm nach bis zu der Türe. Daselbst blieb er stehen und sah, wie ein schöner Knabe, bei sieben Jahren alt, in strahlender weißer Kleidung vom Altar herabstieg und mit St. Meinrad die Psalmen betete, einen Vers um den andern. Darnach sprach das Kind mit dem Heiligen, so daß der fremde Bruder es zwar wohl hören, aber nicht verstehen konnte. Darauf kam der Knabe auch zu ihm und ermahnte ihn liebreich, verbot ihm aber, andern zu offenbaren, was er geredet. Dieses Gesicht hat der Bruder seinem Abt angezeigt, aber niemand sagen wollen, was das Kind mit ihm gesprochen.

Als nun St. Meinrad 25 Jahr im Finstern Wald gewesen, kamen zwei lasterhafte Gesellen, der eine mit Namen Richard, von Nördlingen gebürtig, der andere ein geborener Churwaldner namens Peter, zu Rapperschwil an der Schifflände zusammen. Weil sie von des heiligen Mannes Leben und Wandel viel vernommen, beredeten sie sich, daß er verborgenes Gut in den



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Händen habe. Darum fragten die beiden verruchten Menschen fleißig nach dem Weg zu des Einsiedlers Zelle unter dem Schein. ihn heimsuchen und alldort ihre Andacht verrichten zu wollen. Sie fuhren vor Tag von Rapperschwil über den See gen Hurden. Von dannen eilten sie über den Etzel, zogen lange durch den Finstern Wald hin und her von der rechten Straße abirrend und kamen endlich spät noch zu der Zelle des heiligen Mannes.

St. Meinrad aber hatte bei sich zwei junge Raben aufgezogen, die er täglich speiste. Als diese der beiden Gesellen ansichtig wurden, flogen sie in die Höhe, als wären sie von einem Raubvogel aufgejagt worden, mit solchem Geschrei, daß der ganze Wald davon widerhallte. Darüber entsetzten sich die Räuber, da sie ihre böse Absicht durch die Raben erkannt sahen.

Als am andern Morgen St. Meinrad vor dem Altar stand, Messe zu halten, ward ihm offenbar, daß er desselben Tages den Tod erleiden und die Märtyrerkrone erlangen sollte. Nach vollendeter Andacht legte er sich in Kreuzes Weise auf den Stufen nieder und bat Gott um Stärke und ein seliges Ende.

Indessen kamen die Mörder und klopften an die Tür. Da St. Meinrad sein angefangen Gebet zu Ende geführt, ging er starkmütig hinaus zu den beiden und grüßte sie, freundlich sprechend: «Warum habt ihr nicht geeilt, die Messe zu hören, daß ich Gott den Allmächtigen für euch hätte anrufen können? Gehet aber noch hinein und betet!» Die zwei traten hinein unter dem Schein zu beten, kamen aber bald wieder heraus und folgten dem Mann Gottes in sein Kämmerlein. Er gab ihnen seine Röcke, auch Brot und Wein und sprach: «Das nehmt von meiner Hand! Sonsten aber könnt ihr selber nehmen, was euch tauglich ist! Eins aber begehre ich von euch: Wenn ihr mich getötet habt - und ich weiß, daß ihr deswegen hier seid - so zündet die zwei Kerzen an, die ihr da seht! Eine setzt zu meinen Häupten und die andere zu meinen Füßen! Denn dazu habe ich sie gemacht.»

Diese sanften Worte vermochten bei den beiden Mordbuben aber nichts anderes, als daß sie den heiligen Mann ergriffen und



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mit ihren Knütteln auf das Haupt schlugen, daß er zur Erde fiel. Und als er nach grausamen Martern den Todesstreich empfangen, legten sie den Leichnam auf die Lagerstätte, beraubten ihn seiner Kleider und bedeckten ihn mit einem Tuch. Sodann nahmen sie die zwei Kerzen und stellten die eine dem Toten zu Häupten. Die andere aber trugen sie in die Kapelle, sie bei der Ampel, die allzeit zu brennen pflegte, anzuzünden. Da sie jedoch in das Kämmerlein zurückkehrten, fanden sie die erste Kerze durch göttliche Kraft brennend. Darüber erschraken die Bösewichte so heftig, daß sie von dem Altar der Kapelle nichts rauben durften. Sie nahmen allein die Kleider und eine härene Decke und eilten hinaus.

Die beiden Raben aber, die St. Meinrad selbst zu speisen gepflegt, flogen den beiden laut kreischend nach und hackten mit den Schnäbeln nach ihren Köpfen. Weil die Mörder so die Strafe Gottes augenscheinlich vor sich sahen, liefen sie aus dem Wald eilends Wollerau zu, damit ihre Untat und das unheimliche Rabengekrächz weniger in acht genommen würden.

Es wohnte aber zu Wollerau ein Zimmermann, welcher dem heiligen Mann vor Jahren das Häuslein und die Kapelle im Finstern Wald errichtet. Ihm hatte St. Meinrad ein Kind aus der Taufe gehoben. Da dieser die Raben mit solchem Geschrei um der beiden Landstreicher Häupter flattern sah, sagte er zu seinem Bruder: «Das sind ohne Zweifel meines Gevatters, des heiligen Einsiedlers, Vögel. Dem werden die zwei Männer, wie ich argwöhne, etwas Widerwärtiges zugefügt haben. Darum gehe du ihnen nach, so will ich in aller Eile mich zur Zelle begeben!»

Als nun der Zimmermann in den Finstern Wald gekommen, fand er den heiligen Meinrad ermordet auf seinem Bette liegen und beide Kerzen brennend ihm zu Häupten und Füßen stehen. Erschrocken über die schändliche Tat, küßte er des Einsiedlers Leib, verrichtete bei ihm ein Gebet und lief gen Wollerau zurück, den Seinigen den Mord zu melden, schickte auch seine Hausfrau mit andern ehrbaren Leuten in den Wald, daß sie den Leichnam behüteten. Er aber eilte den Mördern nach und fragte alle, die ihm begegneten, ob sie nicht zwei Männer gesehen,



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denen zwei Raben mit unablässigem Geschrei nachsetzten. Da wurde er nach Zürich gewiesen.

Nachdem er Tag und Nacht gelaufen, fand er endlich seinen Bruder und die beiden Mörder in dem Wirtshaus an der Schifflände auf dem «Dorf», und die Raben waren auch da, schossen durch die Fenster herein mit grausigem Gekrächze, stießen den Zweien die Becher um und fuhren ihnen ins Gesicht, um ihnen die Augen auszuhacken. Denn der allwissende Gott wollte den schmachvollen Tod seines Dieners Meinrad offenbaren. Der Zimmermann zeigte seinem Bruder heimlich den Tod des heiligen Meinrad an, den die beiden Männer ermordet haben müßten, da die treuen Raben sie so gewaltiglich verfolgten.

Sie gingen sogleich und verklagten die Übeltäter bei der Obrigkeit. Diese wurden gefangen genommen, bekannten die Untat und erzählten, wie alles zugegangen.

Also ward von dem Reichsvogt und den Richtern geurteilt, daß man die beiden Mörder zur Richtstätte hinausschleifen, nach kaiserlichem Recht radbrechen und mit den Rädern zu Asche verbrennen, diese aber in das fließende Wasser werfen solle. Die Raben sind auch nicht von der Richtstatt gewichen, als bis die beiden getötet worden.

Zu Zürich wird jenes Wirtshaus an der Schifflände noch jetzt zum Raben genannt, und ebenso führt das Kloster Einsiedeln bis auf den heutigen Tag die Rächer des heiligen Meinrad in seinem Wappen.

Als St. Meinrads Tod dem Abt der Reichenau kundgetan worden, sendete er nach dem Leichnam, damit er im Kloster begraben werden könnte. Die Brüder kamen in den Finstern Wald, luden den heiligen Leib auf ihre Schultern und trugen ihn hinweg. Auf dem Etzel ruhten sie da, wo die Kapelle steht, eine Weile. Doch als sie den Toten wieder aufnehmen wollten, vermochten sie ihn mit aller Kraft nicht mehr zu heben und von der Stelle zu bringen. Da schnitten sie das Herz aus seinem Leibe und bestatteten es in der Kapelle.

Und da das geschehen und des heiligen Meinrad Herz an der Stätte begraben war, wo er seinen Einsiedlerstand angefangen



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und sieben Jahre gewohnt hatte im Angesicht des Finstern Waldes, ließ sich der Tote von dannen tragen, und die Brüder brachten ihn glücklich in das Gotteshaus Reichenau. Daselbst ward er neben dem Münster mit großem Kirchengepränge ehrenvoll beigesetzt.


ST. JODERN GLOCKE

Zu den Zeiten Kaiser Karis des Großen lebte in Burgund ein Priester mit Namen Theodulus. Der ward wegen seines tugendsamen Lebens und seiner Geschicklichkeit von männiglich geliebt und hoch geachtet. Und als um das Jahr unseres Heilands und Erlösers 790 der selige Althaus, Bischof im Wallis, entschlief, wurde durch gemeinsame Wahl der Walliser mit Kaiser Karis Bewilligung der Priester Theodulus zu seinem Nachfolger erwählt. Aber je höher dieser in Würden erhoben ward, desto mehr nahm er zu in der Andacht und wohltätigem Trachten.

In einer Nacht wurde dem Bischof Joder' offenbar, daß der heilige Vater in Rom des Augenblicks in Gefahr schwebe und gewarnt werden müsse. Unschlüssig, wie er das ausführen könnte, öffnete der heilige Theodul das Fenster und sah vor dem Schlosse Valeria drei Teufel munter miteinander tanzen. St. Joder rief sie an und fragte sie, wer von ihnen der flinkste sei. Da antwortete der erste, er sei so geschwind wie der Wind. Der zweite sagte, er laufe wie die Kugel aus dem Rohr. «Das sind nur faule Bäuche gegen mich», lachte der dritte, «ich fliege durch die Welt wie ein Weibergedanke. » Diesem als dem Schnellsten machte der Heilige den Vorschlag, er wolle sein werden, wenn er imstande sei, ihn unverzüglich nach Rom und wieder nach Sitten zurück zu bringen, noch bevor am Morgen die Hähne krähten. Der Teufel nahm das Anerbieten mit Freu-1 

1 Walliser Namensform für Theodul



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den an und stellte einen schwarzen Hahn als Wächter auf die Stadtmauer. Aber auch St. Joder brachte einen Hahn, und zwar einen weißen, und hieß ihn auf den Dachgiebel des Schlosses fliegen, nachdem er ihm wohl eingeschärft, er dürfe sich in der Frühe nicht etwa verschlafen.

Die Reise ward angetreten. Der Teufel spannte seine Fledermausflügel aus, und im Nu war der heilige Theodul in Rom. Er warnte den Papst noch zur rechten Zeit und erhielt von ihm aus Dankbarkeit eine Glocke zum Geschenk. Der Satan mußte nun auch noch diese mit aufladen und nach Sitten heimtragen.

Die Turmuhren hatten noch nicht die zweite Stunde des Morgens angezeigt, als der behende Teufel mit seiner Doppellast glücklich zu unterst auf der Planta ankam. Das ward der weiße Hahn auf dem Schloßdach auch sogleich inne und fing schleunigst aus vollem Halse zu krähen an. Jetzt erwachte auch der schwarze Gockel auf der Stadtmauer und schrie ebenfalls. so laut er konnte.

Da ergrimmte der Teufel sehr, daß er die Wette verloren, und warf die Glocke mit solcher Gewalt zu Boden, daß sie neun Ellen tief hineinsank. Der heilige Theodul aber rief: «Dona, Dona, lit!» Und die Glocke fing in der Erde drin zu läuten an, immer lauter, bis sie läutend wieder zum Vorschein kam.

Der Teufel mußte sie ihm lassen. Sie wurde in den Turm gehängt, als «St. Jodern Glocke» gar berühmt und tat gegen Ungewitter Wunder, wie es denn von ihr in einem alten Liede heißt:

«Wan man die glock anziechen tut
und gat nach irem willen,
daß man si lut mit reinem mut,
das wetter tut sich stillen:
gar grusamlich sicht mans in lufften schyben, 2
die glock tut es vertriben
mit irem ton so rych,
uff erd ist nit jr gelych.» 
2 hageln


Schweizer Legenden-079. Flip


DIE WEISE DES HIRTEN

Ein junger Hirt war gekommen mit all den andern, die das wunderbare Kind schauen wollten, dessen Geburt die Engel des Himmels Bergen und Tälern verkündet hatten.

Da drängten sie sich am frühen Morgen vor der Grotte und suchten einen Blick hinein zu tun nach dem Kindlein in der Krippe. Und alle trugen sie eine Gabe in den Händen nach ihrem Vermögen, ihrer Hantierung und dem glücklichen Gedanken des Gebers. Und einer nach dem andern trat hinein, um sein Angebinde den heiligen Eltern zu überreichen.

Der schmächtige Bursche aus Galiläas Bergen aber blieb in einem Winkel neben dem Eingang stehen und hielt seinen Kopf mit den dunkeln, krausen Locken gesenkt. Er scheute sich, näher zu der Krippe heran zu gehen. Doch die Muttergottes hatte ihn bemerkt, kam mit einer gütig einladenden Gebärde auf ihn zu und munterte ihn auf, zur Krippe zu treten. «Ich kann dem Kinde keine Gabe reichen, aber ich möchte ihm ein Lied auf meiner Hirtenpfeife blasen», sagte er verschämt. «Tu das, mein Sohn! Du wirst es damit erfreuen», ermutigte ihn die junge Mutter.

Doch da erschien eben eine gar vornehme Schar von Besuchern im Eingang. Die drei Könige aus dem Lande gen Morgen waren angekommen mit ihrem stolzen Gefolge von Leibwächtern und Dienern in prächtigen Gewändern. Herrlich schimmerten die elfenbeingeschnitzten Kästchen und Büchsen, in denen die Kämmerer ihrer Herren Gaben trugen: Gold, Weihrauch und Myrrhen.

Eingeschüchtert wich der Hirt zurück in den Winkel und drückte seine einfache Rohrpfeife an die Brust. Doch Maria suchte ihn mit den Augen, indessen die drei Könige und ihr Geleite die Knie beugten vor der Krippe, anzubeten den Neugeborenen, über dessen Haupt die Magier den Wunderstern hatten aufglänzen sehen. Und sie kam abermals auf den Felsenwinkel zugeschritten, wo der Bursche stand, faßte ihn bei der Hand und nickte ihm liebreich lächelnd zu. «Komm zur Krippe



Schweizer Legenden-080. Flip

und schenke dem Kinde ein Lied deiner Hirtenpfeife, guter Knabe!» forderte sie ihn noch einmal auf. Und sie führte ihn, den scheuen, barfüßigen Sohn der galiläischen Berge in seinem Schaffell, durch das prunkvolle Geleite der drei Könige bis zur Krippe. Dort blieb er stehen und setzte zaghaft die Pfeife an den Mund. Aber wie er den Blick in ehrfürchtigem Staunen auf das heilige Kind richtete und dieses ihm aufmerkend zulächelte, da faßte er Mut und spielte mit Kraft und Andacht sein allerschönstes Lied, das er sich ausgeprobt auf einsamer Berghöhe unter seinen Schafen. Und siehe, in der weiten Grotte herrschte Stille, daß der Ton der Pfeife hell erklang am felsigen Gewölbe! Und alle lauschten, Könige und Bauern, Wanderer und Jäger und auch die Frauen und Kinder, die eben noch so eifrig gewundert und geplaudert von dem göttlichen Kinde und von den fremden Fürsten und ihren köstlichen Gaben. Es horchten Esel und Öchslein im Hintergrunde der Grotte und die Schafe, die hinter ihren Hirten hergelaufen waren. Die Tauben und die Schwalben, die in den Felsennischen ihre Nester hatten, hörten auf zu gurren und zu zwitschern. Ja, selbst der Bach, der sonst so eilig und geschwätzig draußen am Eingang vorüberschoß, stand eine Weile still, um das träumerische Lied des Schäfers nicht mit seinem Rauschen zu stören. Und alle die Menschen drinnen und draußen vor der Grotte lauschten mit feuchten Augen und stimmten in ihren Herzen mit ein in den Ton der frommen Ehrfurcht und in den Dank aller Sterblichen an Gott den Vater, der ihnen den Erlöser gesandt. Und als das Lied ausklang in süßes Hauchen, ging es wie ein tausendstimmiges Schluchzen durch den Raum, als schauten in diesem Augenblick alle Mütter der Welt kniend auf das himmlische Kind, seinen jungen Schlummer und seinen Erdenweg zu segnen.

Auch der Schäfer war auf die Knie gesunken. Der Blick des Knäbleins in der Krippe ließ ihn die Menge ringsum vergessen. Ihm war, als sei er allein auf der Welt vor der heiligen Mutter und ihrem Kinde. Sein Herz wollte ihm in der Brust zergehen vor einem unnennbaren Glück, als der neugeborene Gottessohn seine Händchen ihm entgegenhob, wie um ihm zu danken.



Schweizer Legenden-081. Flip

Und da er sein Lied geendet und seine Schalmei an die Brust drückte, während ihm die Tränen der Freude über die sonngebräunten Wangen rollten, trat die heilige Mutter auf ihn zu, legte ihre weiche Hand ihm auf das Haupt und sagte leise, zu ihm niedergebeugt: «Sei gelobt für dein Lied, Knabe! Du hast an diesem Morgen die allerschönste Gabe dargebracht dem Sohne Gottes, da du deines guten Herzens Stimme tönen ließest.» Und laut vor allem Volk fügte sie hinzu: «Gesegnet sei dein Stand und Amt in der ganzen Welt für immer, Schäfer! Mein Sohn, er wird Besseres nicht zu wirken vermögen als dir es gleichzutun und ein guter Hirte zu werden allen Menschenherzen.»

Und als der junge Schäfer schüchtern wieder und linkisch wie zuvor dem Ausgang zuschritt, da neigten sich die purpurbekleideten Könige vor ihm, und bewundernd schauten alle, die stolzen Kämmerer und die Bauern, die Frauen und Kinder auf ihn und gaben ihm Raum, wie er durch die Menge davonging, wieder zu hüten und zu hirten seine Herden auf den Bergen Galiläas.


DER EWIGE WANDERER IN DER HEILIGEN NACHT

In jener Nacht, da Jesus geboren ward, hatten einige Hirten ihre Hürden unweit von Bethlehem aufgestellt und hüteten die Herden. Schon waren sie fast alle eingeschlafen. Da kam um Mitternacht der Engel in blendender Helle herniedergefahren, sie aus dem Schlummer zu wecken mit dem Rufe: «Heute ist der Erlöser geboren zu Bethlehem, in der Stadt Davids. Daselbst werdet ihr ein Kindlein finden, in Windeln gehüllt, liegend in einer Krippe.» Und alsbald umflügelte ihn eine strahlende Schar des himmlischen Heeres, und ihr Gesang erfüllte die Höhen: «Ehre sei Gott in den Himmeln und Friede auf Erden allen Menschen, die eines guten Willens sind.»



Schweizer Legenden-082. Flip

Voll Staunen und Freuden machten die Hirten sich auf und eilten hinab gen Bethlehem, während über ihren Häuptern ein Stern von nie gesehenem Glanze die blaue Nacht durchblitzte. Sie vergaßen auch nicht, eine Gabe mitzutragen, das göttliche Kindlein damit zu beschenken: der eine ein Lamm, ein Käslein der andere, und wer gar nichts darzubringen hatte, trug ein frommes, aufrichtig frohes Herz dem Erlöser entgegen. Und so waren sie die Ersten, die Hirten, die vor der Krippe knieten, darin das Heil der Welten lag.

Nur einer von ihnen fehlte. Er hatte sich nicht aufwecken lassen, von dem Verkündeten nichts zu hören und nichts sehen wollen. So blieb die Trägheit Herrin über ihn, daß er dem Schlafe nicht zu widerstehen vermochte.

Als er sich endlich die Augen wachrieb, war es schon lichter Tag. Verwundert sah er sich allein. In der Ferne wallten Menschen in langem Zuge über das Feld. Neugierig trat er zu ihnen, sie zu fragen: «Wohin wandert ihr denn so eilig?» Doch da er die Antwort vernahm: «Nach Bethlehem gehen wir alle, alle, den Erlöser zu sehen!» zuckte er mit spöttischem Lächeln die Achseln. Wie jeden Morgen trieb er darauf die Schafe aus den Hürden und führte sie zur Weide auf der entgegengesetzten Seite des Tales.

Am Abend, da die andern Hirten zurückkehrten, schalt er sie, daß sie ihre Herden im Stiche gelassen hätten, und kehrte ihnen grollend den Rücken. So trieb er's zwei Tage. Am dritten aber erfaßte auch ihn das Verlangen, das Kindlein zu schauen, und er ging hinab nach Bethlehem. Doch sieh, die Grotte war leer! Im Stroh der Krippe gewahrte er noch einen zierlichen Eindruck - die Stelle, wo das heilige Knäblein gelegen.

Er war zu spät gekommen. Voll Schmerz und Sehnsucht zugleich ergriff er seinen Dudelsack und ließ ihn erklingen. Die Freude der andern und seine eigene Wehmut mischten sich in den herben Weisen. In diesem Augenblick erschien ein Bote des Himmels, umhüllt von rosigen Wolken, breitete die leuchtenden Hände aus, über dem Hirten einen großen Bogen, das Zeichen der Unendlichkeit, beschreibend - die Ankündigung



Schweizer Legenden-083. Flip

ewiger Buße, und verschwand. Seither erschallt jedes Jahr inmitten der Heiligen Nacht das traurig-süße Getön eines Dudelsackes durch die Lüfte, den Menschen auf Erden die Geburt des Erlösers zu verkünden.

Kaum sind in der Christmette die Lieder und Orgelstimmen zu Lob und Preis des Gottessohnes verklungen, so schrillen geheimnisvolle Klänge durch die mitternächtliche Stille. Dann wandert ein gebeugter Greis draußen durchs Dunkel, das Haupt überschattet von einer mächtigen Hutkrempe, welche tief hinunterhängt auf den ungeheuren schwarzen Mantel. Der streift den Boden, da der Uralte dahinschreitet auf den Straßen der Welt, durch Dorf und Stadt, über Berg und Tal, durch Ebenen fort, ruhelos, um seine ewig unsühnbare Schuld zu büßen. Dabei hängt ihm auf der Brust der Dudelsack, dessen Pfeifen sich heben und senken gleich riesigen Schneckenhörnern. Gar bleich ist das Gesicht des alten Hirten, und traurig blicken seine Augen aus dem schneeweißen Bartgenist, während er seine eintönigen Pfeifen nach allen vier Himmelsrichtungen klagen läßt. Denn nirgendwo darf er innehalten auf seiner Wanderschaft, nie erfreut er sich menschlicher Gesellschaft. Allein muß er den Gottessohn suchen gehen bis zum jüngsten Tag.


DES KÖNIGS TRAUM

Zu Jerusalem war der erste christliche König, Balduin von Flandern, vom Aussatze befallen worden. Als keine Arznei und kein frommes Werk mehr zu helfen vermochten, stiftete er dem heiligen Lazarus einen Orden.

Da träumte ihm einst, er befinde sich allein in dem neuerbauten Gotteshause, den Herrn der Heerscharen um seine endliche Genesung anzuflehen. Plötzlich stand der Heilige mit einem grünen Kreuze in der Hand vor ihm und winkte, er möchte ihm folgen. Darauf führte er ihn über einen hohen Berg in ein rauhes Land und darin zu einem kleinen Frauenkloster, dessen Insassen



Schweizer Legenden-084. Flip

ihn gar freundlich empfingen. Sie begleiteten ihn in ihre Kirche und baten Gott die ganze Nacht, daß er das Leiden von dem Könige nehme. Während des Gebetes wurde ihm Linderung seiner Schmerzen. Er sah, wie seine Haut sich erneuerte, und da er erwachte, setzte er festes Vertrauen in seine Heilung.

Voll Begierde, das Land und das Klösterlein kennen zu lernen, wo man im Traume für ihn Genesung erbeten hatte, befahl er, alle Pilger zu Jerusalem danach auszufragen. Unter diesen war auch ein Urner, ein Edelmann aus dem Geschlechte derer von Beroldingen. Als dieser vernahm, daß der König nach einem Lande mit schrecklich hohen Gebirgen, die selbst im Sommer mit Schnee bedeckt seien, forsche, ließ er sich zu ihm führen.

Balduin beschrieb ihm die Reise, die er in seinem Traume gemacht, nannte den schmalen Pfad, der den Felsen entlang und über eine Brücke führe, unter welcher die Wasser zu Staub zerschmettert gen Himmel steigen und gewaltige Steinblöcke den Weg zu versperren drohen. Da brach der Beroldinger in einen Freudenruf aus: «Herr, ich zweifle nicht, das ist der St. Gotthardsberg, dort ist mein Vaterland!» Und wie der König weiter das schmale Tal schilderte, welches zwischen den mächtigen Felsenhöhen liege und die Dörfer beschrieb, durch die er gekommen sei, da rief der Ritter immer freudiger: «Herr, das ist das Urnerland, meine Heimat!» Und als Balduin fortfuhr zu erzählen, wie ihn der Weg zu einer Burg und darauf zu einem Kloster geführt habe, das an einem See zwischen hohen Gebirgen gelegen, da war des Kreuzfahrers Erstaunen und Jubel noch größer, und er fragte mit Eifer: «Herr, das ist Attinghusen, das ist Seedorf, dort bin ich zu Hause! Habt Ihr denn nicht auch etliche geistliche Frauen gesehen? » Ihm antwortete der König: «Mich empfing eine stattliche Frau mit bräunlicher Hautfarbe, großen, schwarzen Augen und einer gebogenen Nase. Neben ihr schritt eine junge Nonne von seltener Schönheit. Aber deren linke Hand verunzierte ein rotes Mal.» Bei diesen Worten des Königs stürzten dem Ritter Tränen aus den Augen. «0 Herr», sagte er, «das ist meine Tochter Hedwig, und die stattliche Frau



Schweizer Legenden-085. Flip

ist die Äbtissin, eine geborene von Rhäzüns. Zweifelt nicht mehr, das ist Seedorf in meinem lieben Heimatland!» Da fielen der König und alle seine Begleiter auf die Knie und dankten Gott, denn nun waren sie gewiß, daß der Ort gefunden sei, wo Balduin Heilung werde.

Ohne Verzug brach er auf und kam in Begleitung des Ritters von Beroldingen nach langer Meerfahrt und Reise über das wilde Gebirge nach dem Lande Uri. In Seedorf empfing ihn der ganze Konvent des Klosters, so wie er es im Traume gesehen hatte. Und nachdem die Frauen die Nacht hindurch für ihn gebetet und Psalmen gesungen, fing seine verdorbene Haut zu heilen an, und er genas in kurzer Zeit.

Er bat die Nonnen, sie möchten doch die Regel des heiligen Lazarus annehmen, und gründete ein Haus und ein großes Spital für die Ritter des Ordens. Darauf verließ er das Kloster, um sich von Kaiser Heinrich die Freiheiten und Rechte für seine neue Stiftung bestätigen zu lassen.

Auf dem Wege dahin kam er unweit von Zürich an den Ort, wo später das Klösterlein Gfenn stand. Dort hielt sein Pferd an und wollte nicht weiter, weder mit Lieb, noch mit Gewalt. Das nahm der König für ein Zeichen, daß er auch hier ein Kloster gründen solle. Darum schickte er nach Seedorf, damit zwei Frauen kämen, den Bau zu überwachen. Als er vom kaiserlichen Hoflager zurückkehrte, um wieder nach Jerusalem zu fahren, war dieser schon im Gange, und mit Freuden vernahm er, daß ihn die Edeln in der Umgebung mit reichen Spenden förderten.


ST. NIKOLAUS VON TSCHAMUT

Wenig unterhalb des letzten Hauses von Tschamut lehnt sich hart an der Talstraße nach Selva eine alte Kapelle gegen den Felshang. Jetzt hat man sie hübsch hergerichtet einem Gelübde zufolge, das ein junger Mann getan, als er droben auf Meighels in eine Gletscherspalte stürzte. Da unten zwischen den Eiswänden



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gelobte er, das zerfallene Kirchlein wieder zu Ehren bringen zu lassen, wenn er aus der furchtbaren Gefahr errettet würde. Und er wurde gerettet und die Kapelle zu St. Nikolaus erneuert.

Dabei ist leider eine uralte hölzerne Bildtafel verloren gegangen. Darauf war ein Begebnis festgehalten, das die Erinnerung des Volkes bewahrt.

Einmal gegen den Frühling hin waren zwei alte Leutchen von Selva, Mann und Frau, damit beschäftigt, auf einem Handschlitten Dünger zu führen auf ihre Wiese in Val Martin hinter den Hügeln von Crestas. Der Boden war noch gefroren, der Wieshang aber sehr abschüssig, und mit einmal sausten sie auf ihrem Schlitten, den sie nicht mehr zu lenken vermochten, abwärts, die Lehne hinunter gegen den Rhein. Schon sahen sie dem tödlichen Absturz entgegen, als das Gefährt plötzlich auf dem Felsen, der sich dort über dem tief unten dahinschäumenden Fluß erhebt, stehen blieb, wie von einer starken Hand aufgehalten. Und zugleich erblickten die beiden zitternden Alten oben auf dem Hügel den heiligen Nikolaus, der seine Rechte mit dem Stabe über sie ausstreckte.

Sie blieben unverletzt, die guten, alten Leutchen. Nicht einen Kratzen, nicht die geringste Schürfung trugen sie davon. Die Frau hatte in der höchsten Not ein Stoßgebet um Hilfe an den Schutzpatron der Kapelle von Tschamut gerichtet.

Das Ereignis war auf eine einfache Holztafel ohne Rahmen gemalt und diese in der Kapelle aufgehängt worden zum Gedächtnis der wunderbaren Errettung vom sicheren Tode. Die neue Zeit jedoch hat die rührende, ungelenke Sprache der altertümlichen Malerei nicht mehr verstanden und sie beseitigt.

Wie manches Mal im Laufe der Jahrhunderte das Dörflein Selva zwischen seinen Bergen von der Lawine heimgesucht worden ist, wer wüßte das zu sagen? Darum ging man im Winter nicht gerne auf der Straße von Rueras aufwärts, wenn es nicht sein mußte.

Einmal war aber ein Bauer von Tschamut doch genötigt, zur Winterzeit sich hinunter nach Selva zu begeben, wo er mehrere



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Tage zu tun hatte. Die Seinen waren indessen in großer Angst um ihn, da er länger ausblieb, als sie erwartet hatten. Denn man fürchtete die Lawine.

Jetzt machte er sich eines Morgens auf den Weg. Er schlug aber den steileren Fußpfad ein, der unter den Hügeln von Crestas entlang führt; der war weniger lawinengefährlich als die Landstraße über Carmiola. Glücklich kam er bis zur Kapelle unterhalb Tschamut und ging hinein, um ein Dankgebet zu sprechen dafür, daß er auf seinem Heimweg wohlbehalten so weit gelangt war.

Als er wieder aufstehen wollte, wurde es plötzlich ganz finster in dem Kirchlein. Der Mann weiß sogleich, was das bedeutet: Nun ist die Lawine gekommen! Und er ist nicht verschüttet worden, weil er in die Kapelle getreten, deren Mauern ihm Schutz geboten. Wäre er vorbeigegangen, so hätte ihn die Lawine zugedeckt.

Wie viel inniger wird er jetzt St. Nikolaus gedankt haben!


1 GOTTSNAME

Es isch emol en arme Holzer gsi. Er isch no jung gsi, aber scho ghürotet und het es härzigs Büebli gha, und das und sy Frau sy ihm s Liebsten uf dr Wält gsi. Wenn er numen a se dänkt het, isch's ihm bi syr Armuet scho viel wöhler worde. Aber, was het au so ne Holzer sälbmol verdienet! Nit s Salz i d Suppe. Dr Schmalhans und dr Hättimeh sy eister bi ihm a dr Chost gsi, und das het em gar grüsli weh to, bsunders wäge sym Chind. Däm hätt er alls Guets möge zueha und rächt viel: aber wo neh und nit stähle?

Einisch, wo-n-er wider so ghocket isch und Plän gmacht het, chiopfet ihm ufs Mol Einen ufe Rügge; er isch ganz erchlüpft drob. Grad vorhär het er dänkt gha: Früecher het's albe no Härdmänndli ge, wo brave Lüüte ghulfe hei. Er het nüt anders gmeint, weder so eis heig ihn gmüpft. Aber nei, das isch en



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andere gsi: Läng und mager wie ne Schmalen im Heuet und isch au so voryne glampet i sym schwarze Chleid und het grad de Zilinderhuet abzoge, aß sys Hooggenasegsicht vüre cho isch, und seit ganz fründtli: «Nüt für unguet, gället? Dihr syd arm, Ma. 1 gsehn ech's a. Ig aber ha nume zviel Gäld. Do!» Er längt i Sack und bringt e ganzi Hampfele Näpi vüre und schüttlet sie im Holzer i Filzhuet. Dä, wo-n-er dä BrägelGuld gseht, meint nüt anders, weder er traumi. «Herjesis nei! Was dänket ihr au! Das darf i nit neh. 1 Gottsname, so viel Gäld für nüt und wider nüt.»

«Henu», macht dr Frörnd, «wenn's fit vergabe wotsch, so chönne mr jo öppis zäme handle.» Aber euse Ma schüttlet dr Chopf: was wött är z'handle ha, wo-n-er sälber nüt het! Do seit dr Frörnd: «Wüsset ihr was: Verchaufet mir das, wo dihr deheimen im Chunstegge heit!» Do mueß dr Holzer graduse lache. «Guet, dä Handel gfallt mr», seit er, «es sy doch nume Hudlen oder düri Öpfeischnitz dört.» «Mir glych», lachet dr ander au und wirft no ne Hampfele Näpi us. «Aber abgmacht! 1 drü J ohre chummen i's cho reiche.» «So will dr's uf d Syte tue», seit der Holzer.

«Adie!» het dr Frörnd no gseit und isch d Tannen uf ghülpet.

Dr Holzer isch abghocket, dr Filzhuet zwüsche de Beinen und het afo Guld zelle, 's het ihn dunkt, er chönn nie fertig wärde drmit. Und e Freud het er gha, er hätt grad möge tanze. 's erst, was er dänkt, isch: «Jetz will i nes Heimetli chaufe, und dr Bueb mueß mr e Buur ge.»

Norne Will isch ihm wider i Sinn cho, wie das von gange syg. E chlei kurlig isch's ihm doch vorcho, aß Ein für soviel Gäld e sättige dumme Handel machi. 's het ihn afo ploge: Was hesch ächt verchauft? Und nit lang, so isch's ihm scho, dä Handel chönn nUt guets syundsälb Frörnd kei rächte Händler. Yschcholt lauft's ihm dr Rüggen uf. Er packt zäme und springt dr Bärg ab, hei, chunnt i d Stube - und dört hocket sys Büebli im Chunsteggen und gfätterlet.

Em Holzer isch vor Schreck dr Huet us de Hände gfalle, aß s Guld übere ganz Bode wäg gchrügelet isch. Er sälber isch gstande wie ne Stei und totebleich. «1 Gottsname, was isch?»



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rüeft d Frau und het grad afo briegge. Aber s Büebli isch ab dr Chunst gumpet, a Boden abe, mitem Guld go reiflen und het die größti Freud gha. «Chumm mit mir i d Chuchi use, Frau!» het er drno gseit. Ihren isch's totenangst gsi. Ändtli het er's use brocht: «1 ha euse Bueb verchauft!» und vrzellt alls, wie's gangen isch. «Das isch dr Bös gsi! Jesis Maria! was hesch du gmacht! Was müeße mr jetz mache?» Keis het chönne rötige, 's ander tröste, und i däm Hüüsli isch 's so still gsi, as hätte sie nes Totnigs dinn.

***
Aber einisch i dr Nacht, wo di jungi Muetter wider zum Herrgott und aline Heilige hättet gha het, sie sölle doch hälfe, ihres Chind nit im Böse lo, chunnt's ren ufsmol i Chopf, sie wöll 's alls «i Gottsname» lehre, wie ihn Nane sie glehrt gha het. Das tüe's de sicher vorem Böse bsägne. Und so hei sie 's au gmacht, und das Büebli het das gly glehrt gha. «Gottsnamen ufstoh», het's gseit oder : «1 Gottsname wei mr afo.» Syg 's näume hi oder heig's öppis agfange, eister het's zerst: «1 Gottsname» gseit.

So sy die drü Johr vrby. 's Büebli isch gsund und zwäg gsi wie gwachsigs Holz und het scho gar aschicklig chönne handlangere. Sie hei das Büebli eister bi ne gha, d Muetter i dr Chuchi oder dr Vatter im Bärg, aß ömel jo eis vo ne drby syg, wenn der Bös jetz sött cho. Dr Vatter het eister gseit: «1 ha ne vrhandlet; mir chunnt er ihn au cho neh; lueget de, öb's nit so isch!»

Und er het rächt gha. Einisch eme Morge, sie hei grad welle afo holze, chunnt dr Frörnd d Tannen uf, tupfglichlig wie s erstmol. Do seit dr Vatter gleitig: «Lue, Büebli, das isch en jetz! Heb nume kei Angst, er cha dr nüt tue! Lue do, was dr mache!» Drno het er es Tannli gno und het's g'astet bis a die zwöi letzten Ästli ufe; 's isch jetz grad wie nes Chrütz gsi. «Nimm jetz das», seit dr Holzer gschwind zum Büebli. «Träg's eister schön i de Händen und lo's nit falle! Und wenn er seit: ,Wirf's furt!' tue's nit! Säg: ,Nei, i träge das i Gottsname'. Und lauf nume dys Wägs, lueg ne gar nit a! Dr Liebgott füehrt di scho as rächten Ort.»

Das het er ihm no alls chönne säge; aber drno isch dr Bös scho nähern Chind gstanden und het ihm dütet. Es het sys Chrüz ganz fest i de Hände treit und isch härzhaft gange. «Adie



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Vatter! rüeft's no. Dä het nume no ghört, wie dr Bös brummlet: «Wirf's wäg!» Drno isch's ihm schwarz vor den Auge worde.

Lang isch er am Bode näbem Ryswällehufe gläge, bis ne dr chalt Bärgluft gweckt het. Im Augeblick isch ihm alls wider i Sinn cho; aber sys Büebli isch niene meh gsi.

Wie nes agschoßnigs Wild isch er uf und drvo gsprungen und hei is Huus - und nimm a: dört isch sys Büebli wider im Chunsteggeli ghocket, ganz ergelsteret, s Chrüz no eister i de Händen, und het briegget, as hätt me's z'früeh usem Schlof gnoh. Es isch hei cho, 's het sälber nit gwüßt wie.

Ufern Chunstbänkli aber isch d'Muetter gchneulet und s luter Wasser isch 're über d'Backen abe gloffe. Der Vatter isch ganz süferli zuene düßelet und het sie i d Arme gno: «Briegget nümm; mr sy jo alli binander, Gott Lob und Dank!»


DIE GLUTBLUMEN

Seitab von der Landstraße, an die sich das neue Lostailo gestellt hat, steigen die letzten, noch übrig gebliebenen Häuser des ursprünglichen Dorfes am Hang empor. Über ihnen erhebt sich die Kirche zu St.Georg auf dem Platze eines einst berühmten heidnischen Tempels. Grauschwarz vor Alter und Rauch sind die Mauern der niedrigen Häuschen und dennoch von ehrwürdigem Aussehen mit den römischen Rundbogen ihrer Eingänge, mit ihren steil gewundenen Steintreppen und lauschigen Winkeln.

Von jenen fernen Zeiten, da die alte Ortschaft in ihrer Blüte war, erzählen die Legenden des Tales nichts Gutes. Die Bewohner, obschon wohlhabend, waren gewissenlos und von schlechten Sitten, fast alle auch den Göttern zugetan, denen droben im Tempel geopfert wurde. Die wenigen, die ihr Herz dem



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Glauben an Jesus den Gekreuzigten geöffnet hatten, vermochten gegen die Überzahl der andern nicht aufzukommen.

Der Schlimmste von ihnen war zugleich der Reichste und Angesehenste im Ort, in dessen Hand der Statthalter der römischen Provinz die höchste Gewalt gelegt hatte. Diese übte er nach Lust und Laune aus, und seiner Willkür waren keine Schranken gesetzt.

Als die Schönheit einer sittsamen, aber armen Jungfrau seine Liebe erweckte, wähnte er, sie sollte sich glücklich schätzen, als seine Gattin in sein Haus einziehen zu dürfen, das gleich einer Burg alle Dächer des Dorfes überragte. Allein das Mädchen wies ihn ab. Sie fühlte aus seinem hochfahrenden Gebaren die Falschheit und den bösen Sinn heraus und verachtete sein prahlerisches Reden. Zudem war sie Christin und verabscheute die blutigen Opfer, die er den römischen Gottheiten darbringen ließ.

Seine Schmeicheleien wurden zu Drohungen. Doch sie blieb fest, trotzdem die Ihrigen ihr zuredeten, dem Mächtigen sich zu beugen. Zuletzt aber, als er ihre Standhaftigkeit unerschütterlich erfand, schlug seine Liebe in Haß um, und der Heimtückische sann nur noch darauf, wie er seine Rachsucht an der Jungfrau stillen könnte. Er stellte sie vor Gericht, und weil er selber auch der Richter war, fiel das Verfahren kurz aus. Er verurteilte sie als Dienerin eines staatsfeindlichen Gottes zum Feuertode und befahl unverzüglich, auf einer Wiese außerhalb des Dorfes einen Scheiterhaufen zu errichten.

Und die Unglückliche ward darauf festgebunden und erlitt einen qualvollen Tod, indes die herzlose Bevölkerung, aufgestachelt von dem verruchten Statthalter und den Heidenpriestern, hohnlachend zuschaute. Doch der Himmel tat durch ein Wunderzeichen allen kommenden Geschlechtern die Unschuld der Jungfrau kund. Kaum hatten nämlich die Flammen ihren reinen Leib verzehrt, sieh, da sproßte zwischen der noch rauchenden Asche im Runde der Feuerstätte ein dichtes Gebüsch blutroter Blumen empor, die weit umher einen wundersüßen Duft verbreiteten! Und wo ein Funke über die Aschenstelle



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hinausgesprüht war und einen Tropfen des schuldlosen Blutes hinausgetragen hatte auf die Wiese, da leuchtete im selben hellen Rot ein Blütenbüschel.

Und bis auf den heutigen Tag blüht dieses Blumenwunder in jener Wiese der Centena, der Landsgemeinde, auf, so oft die sommerlichen Tage wiederkehren, da der Scheiterhaufen errichtet ward und jene fromme, makellose Seele sich aus den Flammen gen Himmel erhob.

Und wehe, wenn die Sense des Schnitters, den Bannkreis ihres blutfarbenen, duftenden Rots mißachtend, die Blumen trifft! Unweigerlich zürnt dann der Himmel, verhüllt sich mit Gewölk, und der Regen verdirbt dem Bauer die Heuernte.

Doch jenen ruchlosen Wüterich und die ganze Rotte seiner Anhänger ereilte die Strafe eines höheren Richters. In der Nacht, die auf den Rachetaumel der Hinrichtung folgte, brachen vom Berg Groven die Gipfelfelsen nieder auf das Dorf und begruben es samt seinen gottlosen Bewohnern unter einem Sturze von ungeheuren Granitblöcken. Auf die Wiese aber, wo die Jungfrau ihr Leben gelassen, fiel nicht ein einziger Stein.

Nur wenige Häuser blieben von der Verschüttung verschont. Eines, das älteste und graueste, steht heute noch, seltsamerweise ganz zu oberst im Dorfe unweit von Rugn, wie man den felsübersäten Irrgarten des Bergsturzes nennt, den Moos, Büsche und Bäume im Laufe der Jahrhunderte freundlich übergrünt haben. Und nahe dem Häuslein ragt in der Wiese ein gewaltiger Stein über die schmale First des Daches empor.

Dort wohnte zu den Zeiten des ersten Dorfes eine Witwe mit ihrer erwachsenen Tochter, arme, aber rechtschaffene Leute, die insgeheim auch dem Evangelium anhingen. Nun geschah es an jenem Abend des göttlichen Strafgerichtes, als die beiden am Kaminfeuer saßen, daß plötzlich ein Blitz die rußige Küche erhellte. Und in golden funkelndem Scheine stand eine hehre Gestalt gleich der eines Erzengels vor ihnen. Er ermahnte sie, diese Nacht nicht über die Schwelle des Hauses zu treten und weder Fenster noch Türe zu öffnen, was auch geschehen möge. Und sowie er dies gesprochen, war er verschwunden.



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Nicht lange, so erhob sich ein furchtbarer Sturm, der die Mauern des Hüttleins umbrauste und das Dach wegzureißen drohte, und gleichzeitig war droben vom Berge ein entsetzliches Tosen und Donnern zu vernehmen. In großer Angst faltete die zitternde Mutter die Hände und flehte den Himmel um Beistand an. Die Tochter aber vermochte ihrer Neugier nicht zu gebieten und schaute aus dem Fenster, um zu erkunden, was draußen geschehe. Da sah sie, wie der Erzengel blitzumflammt eben mit starkem Arm einen ungeschlachten Stein aufhielt, der vom Bergkamm heruntergestürzt war und mit dumpfem Gepolter auf ihr Haus zurollte, während links und rechts sich andere Felsstücke donnernd gegen das Dorf hinunter wälzten.

Doch nur ein Wimperzucken lang war der Vorwitzigen das zu sehen verstattet. Im nächsten Augenblick taumelte sie mit einem Schmerzensschrei auf die Mutter zu. Sie war plötzlich erblindet.

Als am andern Morgen die Sonne aufging, wurde offenbar, welche furchtbare Zerstörung der Bergsturz in der Nacht angerichtet hatte. Weit umher lagen die mächtigen Steine zwischen den zertrümmerten Häusern und Ställen wirr durcheinander.

Dasjenige der frommen Witwe oben im Dorfe war stehen geblieben und dicht vor ihm auch der Felsblock, welcher es zermalmt haben würde, wenn der Erzengel ihn nicht zurückgehalten hätte. Noch ist der Eindruck seiner Hand in dem Gneis zu erblicken, so gewaltig war ihr Stoß gewesen.

Die beiden Bewohnerinnen waren gerettet. Die Tochter aber hatte der Engel bestraft für den leichten Sinn, mit dem sie, unerschüttert von dem Schrecken des Ungewitters, die empfangene Warnung mißachtet und mitangesehen hatte, was sterbliche Augen nicht sehen sollten. Und auf dem verschonten Häuslein lastete, so erzählt das Volk, der Fluch auch fürderhin, indem einer seiner Bewohner stets mit Blindheit geschlagen ist.

Die frühesten, verachteten und verfolgten Zeugen des Evangeliums waren doch die Verkünder einer neuen Zeit und Gesittung gewesen. Denn droben am Berghang, wo der heidnische



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Tempel gethront, erstand die erste christliche Kirche im Tal, die lange die einzige der Mesolcina blieb.


DIE KLINGENDE TANNE

Im obern Gorns, da, wo die Bäche aus den Gletschern zu beiden Seiten des Tals in die Rhone rauschen, ragt eine hohe, weiße Kirche über sonnengeschwärzten Häusern. Das ist das stattliche Bauerndorf Reckingen. Der Ruf der Glocken unter dem geschweiften Turmhelm dringt weit über die Schindeldächer hinauf zu den steilen Roggenäckern und Alpweiden am Hohbach.

Aber noch eifriger als ihrem Läuten horchten einstens die Menschen auf ein wunderbares Klingen, das vom Walde herunter tönte, so oft das Ave vom Kirchturm erscholl. Niemand wußte, woher es rührte. Auch die sonst so findigen Hirtenbuben kamen nie hinter das Geheimnis. Viele Jahre vernahm man die lieblichen rätselhaften Weisen, und jeden Abend pflegten die Bewohner auf die Dorfgassen hinaus zu treten oder zur Winterzeit wenigstens die Butzlischeiben aufzustoßen, wenn sie vom Walde herunter hallten.

Nur einer im Dorfe achtete nicht darauf, weil er halb taub war und das herrliche Tönen nicht zu seinem Ohre drang. Dafür waren seine Hände begnadet, denn er wußte das Schnitzmesser zu führen wie kein zweiter die Rhone auf- und abwärts.

Einmal trug es sich zu, daß er beim Suchen nach geeignetem Werkholz im Hohbachwalde auf eine mächtige Tanne von gar ebenmäßigem Wuchse stieß. Die beschloß er zu fällen, denn er hatte vor, ein Muttergottesbild für die Dorfkirche zu schnitzen, und dazu brauchte er einen besonders schönen Stamm. Der Baum wurde umgeschlagen und zu Tal geschafft, und dann machte sich der geschickte Mann ans Werk. Noch nie war ihm eine Arbeit so leicht vonstatten gegangen. Ein glühender Eifer beseelte ihn, und der wegen seiner Schwerhörigkeit einsame Schnitzer legte die ganze Inbrunst eines gläubigen Herzens in



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das Bildnis, daß es in Haltung und Antlitz himmlische Hoheit und natürliche Anmut gar wundersam vereinte. Und als es nach Wochen vollendet in der Werkstatt stand, rühmten es alle. Das ganze Dorf kam, es anzuschauen, denn ein so schönes Schnitzbild hatte noch keiner gesehen.

An einem Muttergottestage wurde es in der Kirche aufgestellt. Gespannt schauten aller Augen hin, als es auf seinen Platz am Hochaltar gehoben ward; man hätte das Rieseln in der Sanduhr an der Kanzel hören können. In diesem Augenblick bewegte dasMarienbild leise die Lippen, öffnete sie, und jetzt schwebte ein wundersamer Gesang durch das Gotteshaus, der nämliche, den man früher immer vom Hohbachwalde herunter vernommen hatte, der aber unerklärlicherweise seit Wochen verstummt war. Nun wußte man es, das war die Bergtanne gewesen, die jedesmal das Aveläuten mit ihrem holden Echo begrüßt hatte.

Andächtig lauschte die ergriffene Gemeinde. In seinem Stuhl am Wandgetäfer aber weinte und schluchzte einer laut. Es war der Schnitzer, dem plötzlich die Ohren geöffnet wurden für die himmlische Weise, die ihm heute durch die Gnade der Muttergottes zum erstenmal zu Herzen dringen durfte, nachdem er sein Meisterwerk so eifervoll geschaffen.

Es war auch sein letztes Werk. Meißel und Hammer, die ihm bei der Vollendung gedient, rührte er hinfort nimmermehr an.