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Schweizerisches Sagenbuch.


Nach müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.



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Schnellpressendruck von Chr. Krüsi in Basel.


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Dem

Schweizerischen Volke

gewidmet.



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Vorwort

Eine Sammlung der Sagen des schweizerischen Volkes in ursprünglicher Reinheit, wie sie seine Phantasie gebar und mündliche Ueberlieferung fortpflanzte, oder ältere und neuere vaterländische Literatur in ihrem Archive aubewahrte, ward schon längst in engeren und weiteren Kreisen sowohl im Inlande als im Auslande als literarisches Bedürfniß bezeichnet. Schon hörte man Stimmen des Vorwurfs, welche die Ursache ihres verzögerten Erscheinens in einer gänzlichen Vernachläßigung oder wohl gar in der Verachtung dieses Zweiges wissenschaftlicher Forschung sahen; ja, man glaubte sogar sie auf das Gebiet der Unmöglichkeit verweisen zu dürfen, meinend, das in seiner politschen Freiheit positiv und materiell gewordene Volk der Schweizer habe den duftigen Hauch der Sage von seiner Geschichte längst abgereist, und das Geschehene nur,



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dessen Frucht jene Freiheit, habe sein Gedächtniß der Aufbewahrung für werth erachtet. Beides, jenen ungerechten Vorwurf wie diese Behauptung völlig Unkundiger, Lügen strafen, vereint mit eigenem inneren Triebe, mahnte mich, in Erwartung eines Berufenern, eine solche Arbeit in die Hand zu nehmen, deren Mängel und etwaige Irrthümer die ihr zu Grunde liegende gute Absicht entschuldigen möge. Eine nähere Begründung ihrer Auffassung und Haltung verschiebe ich aus bei einem Sammelwerke nahe liegenden Gründen auf den Augenblick ihrer Vollendung. Für jetzt möge sie sich selbst zu rechfertigen und zu empfehlen suchen.

Basel, im August 1854. '

C. Kohlrusch.



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Kanton Bern. 1. Sintram und Baltram, die Drachentödter.


Jac. Man. Oestreichische Historien.


Kirchen, mund. subterr. L. VIII. p. 94.


Cysat, Beschreibung des Vierwaldstätter See's. S. 175.


Scheuchzer, Beschreib. der Naturgeschichte des Schweizerlandes. Bd. 1. S. 227.


Conr. Justingers berner Chronik, herausg. von Wyß und Stierlin 1819. S. 8.

Ohnweit der Stadt Bern liegt die Stadt Burgdorf. Ihre Gründer waren die Brüder Sintram und Balsam, zwei mächtige und tapfere Herzöge von Lentzburg.

Da kam es, daß auf dem neben der Stadt Burgdorf liegenden Berg ein ungeheurer Drache einst sein Lager aufgeschlagen hatte, und ringsum in der Gegend unter Leuten und Vich einen merklichen Schaden anrichtete. Als nun einmal beide Brüder auf der Jagd die Klüfte der Berge durchstreiften, kamen sie auch an die Höhle, in der das Ungethüm hauste. Kaum hatte dieses die Ritter wahrgenommen, als es sich auch sofort mit wilder Hast auf sie stürzte und Balsam , den jüngeren der Brüder, bei lebendigem Leibe verschlang. Sintram setzte aber dem Ungeheuer gar heftig mit Schwert und Lan zu, so daß es ihm gelang, dasselbe zu tödten, worauf er ihm den Bauch aufschlitzte, in welchem sich sein Bruder noch lebend vorfand.



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An dem Orte wo die beiden Brüder das wunderbare Abenteuer bestanden, erbauten sie ihm um Gedächtniß eine Kapelle, die sie der heiligen Margaretha weihten. In dieser Kapelle, die sich noch heutigen Tages vorfindet, kann man die Abbildung *) jenes merkwürdigen Ereignisses sehen.

Als Zeitalter dieser Sage geben die meisten Schriftsteller das Jahr 712 an. Conrad Justinger erwähnt sie mit kurzen Worten wie folgt: "Die Veste zu Burgdorf ist eine gar alte Stifte und vor viel Jaren gebuwen von zweyen Gebrüdern; hieß einer Sintram, der andere Baltram, und warent Herzogen von Lentzburg, die in dem großen Loche, so bei der Veste oben in dem Felsen ist, einen großen Wurm und Tracken zu Tode erflugen." Nach Wagner hielten sich in diesem Loche zwei Drachen auf. Siehe seine Historia nat. Helv. curiosa p. 246,Der Glaube an die Existenz der Drachen oder Lindwürmer, der den Voreltern fast aller Völker gemein war, verpflanzte sich aus dem heidnischen Alterthum auf das Mittelalter, und findet sich noch heute hier und da vor. Gewöhnlich malt sie der Volksglaube als ungeheure große Schlangen mit Schuppenpanzern, Krokodilsrachen, mächtigen Fledermausflügeln und Löwen- oder Vogelklauen. Fällt dieser Schmuck der Einbildungskraft, so bleibt uns das Bild einer gewöhnlichen Schlange oder eines Krokodils übrig. Die bedeutende Größe, in der man diese Thiere noch heute im Innern von Amerika und Afrika antrifft (Schlangen von 50 Fuß und Krokodile von 26 Fuß sind nichts Seltenes), hat wohl den Glauben an diese phantastischen Wesen zuerst veranlaßt. In der erwähnten natürlichen Form und Gestalt mögen früherhin Drachen auch in den schweizerischen Bergen existirt haben, so daß man der Sintram- und Baltramsage gleich allen andern Sagen dieser Gattung, an denen die Mythologie der Alpen sehr reich ist, eine naturhistorische Basis unterlegen kann, wenn man in ihnen mehr sehen will, als eine Allegorie, zur Ehre der Helden erdacht, die sie gewöhnlich verherrlichen. Ein näheres Eingehen auf den Drachenglauben anderer Völker mag der Analogie wegen hier am Platze sein.Die merkwürdigsten mythologischen Drachengebilde finden wir bei den Griechen des Alterthums. Wer kennt nicht den lernäischen Drachen, welcher von Herkules getödtet ward. Er hatte mehrere Köpfe, von denen 
*) Im vorigen Jahrhundert war sie noch in der Schloßkapelle zu Burgdorf zu sehen; im Laufe der Zeit verwittert wurde sie endlich übertüncht.


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der eine unsterblich war. Sobald Herkules diesen Kopf abschlug, wuchsen dafür sofort zwei andere wieder, so daß seine Tödtung erst gelang, als Jolaus, der Gefährte des Hercules, so lange mit Feuerbränden die blutende Wunde berührt hatte, bis keiner mehr aus ihr herauswuchs; den unsterblichen Kopf bedeckte Herkules mit einem Stein. Ein anderer, ebenfalls von Hercules getödteter Drache war der hesperische mit hundert Köpfen. Er schlief nie, weßhalb er zum Wächter der Hesperiden-Gärten bestellt war. Ein dritter war der von der Medea (eine berühmte Zauberin, Tochter des Stetes und der Hecate, Schwester der Circe) getödtete colchische Drache, welchen der gräuliche Typhon (ein Ungeheuer der Urzeit, bald als verderblicher Sturmwind, bald als vulcanischer, Flammen speiender Erdriese aufgefaßt) mit der schönen Echidna zeugte, welche bis zum Unterleibe die reizendste Jungfrau war, von da aber in einem Schlangenleib endigte. Ihn erhielt Äetes, der König von Griechenland, vom Mars zum Geschenk, damit er das goldene Vlies bewache, das nach seiner Tödtung dem Jason als gewünschte Siegesbeute zufiel. Ein vierter Drache, der aus der griechischen Mythologie der Erwähnung werth ist, war noch Python, der deucalionische Drache, der aus dem Schlamme der deucalionischen Fluth erwuchs. Er bewachte das Orakel der Themis am castalischen Ouell am Parnassus-Gebirge und wurde von Apollo getödtet. Zu seinem Gedächtniß, da er göttlichen Ursprungs war, stiftete dieser Gott die pythischen Spiele. — Das Wächteramt, mit dem die griechische Mythologie ihre Drachengebilde bekleidet, finden wir in der mythologischen Vorstellung fast aller Völker des heidnischen Alterthums wieder. Wo wir hinblicken, sind sie scheuslich gestaltete Ungeheuer, mit welchen kühne Helden abenteuerliche Kämpfe bestehen, deren Siegespreis die von ihnen gehüteten Schätze sind. Daß man sie aber bei den alten Griechen und Römern, doch dann mehr in natürlicherer Schlangengestalt, auch für heilbringende Thiere hielt, lesen wir bei Aelianus, de animalibus L. IL c. II, Festus l,. IV., Macrobius Saturn. L. l. c. XX. und Andern. Als solche waren sie Apollo und Aesculap geweiht- Auch bei den alten Preußen und Lithauern galten die Schlangen als heilige Thiere. Ihrem Gott Potrimpos (die zweite Person in der nordischen Trias : Perkunos, Potrimpos und Pikollos) ernährten diese Volksstämme in einer irdenen Urne eine große Schlange, welche mit Milch gefüttert wurde und immer unter Aehren verborgen war, während den Wenden ihr Zirnitra (vollst. Czerni tracica : schwarzer Drache) höher als alle Götter galt. Ihrer Standarte eingefügt, bereitete er Untergang ihren Feinden. Aehnlich sind in der Merlinsage zwei Drachen als Palladium Brittaniens angeführt, die es, in den tiefsten Tiefen der Erde eingekerkert, gegen die Invasion fremder Eroberer schützten. An dem Tage aber, wo sie aus ihrem Kerker befreit, sollte das Palladium seine Kraft verlieren, eine Prophezeiung,


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die, als auf Vortigers Geheiß ihnen ihr unterirdisches Gefängniß geöffnet wurde, mit dem Einfall der Sachsen in Brittannien in Erfüllung ging. So erzählt auch Colin de Plancy von dem großen goldenen Drachen, welcher zur Zeit, als Konstantinopel noch christlich war, den Dom der Georgskirche schmückte: eine alte Ueberlieferung melde, daß jede Stadt, über welche dieser Talismann seine Flügel ausbreite, gedeihen und niemals durch den Feind genommen werde. Dies habe sich, nachdem im Jahr 1292 jener goldene Drache einer Reparatur wegen von dem Dome herunter genommen worden sei, mit der im Jahr 1204 erfolgten Eroberung durch Balduin von Flandern vollständig bestätigt, und später von den Flamändern mit sich geführt, habe derselbe, erst nach Biervliet und dann nach Brügge gebracht, die gleiche talismanische Kraft ausgeübt. Aus der Edda sei noch Fâfnir erwähnt. Er lag in der Gnitaheide auf Gold, das daher Fâfnis boeli (des Fafnir Lager) hieß. Er spie Feuer und Gift, war aber mehr von Schlangennatur, da er nur zu kriechen, nicht zu fliegen vermochte.Der Drachenglaube des Mittelalters weicht von der mythologischen Vorstellung, die sich das heidnische Alterthum von diesen Wesen machte, nur wenig ab. Sie blieben wie früher die Hüter von Schätzen in gleich schrecklicher Gestalt, ein Aberglaube, der heutigen Tages noch nicht gänzlich ausgerottet So erzählt sich nach Stöber (Sagen des Elsasses S. 3) das Volk in den Bergen dieses Landstrichs noch immer von Schätze hütenden Drachen. "Im Dorfe Riedheim bei Buchsweiler trägt ein fliegender Drache Getreide und andere Früchte von einem Speicher zum andern. In der benachbarten Freigrafschaft, Franche-comté, haust die vouivre, , ein Drache mit einem einzigen, aus einem Karfunkel (escarboucle) gebildeten Auge; sie legt dasselbe manchmal ab, und wer es dann erhaschen kann, ohne das es die vouivre bemerkt, dem fallen große Reichthümer zu. Meistens aber finden die Unternehmer des kecken Versuches einen elenden Tod." — Im Mittelalter findet man sie auch oftmals als Wächter von Brunnen. Dieß, so wie die verschiedenen Sagen von den heilsamen Kräften der Drachensteine, von denen bei der luzerner Drachenstein-sage die Rede sein wird, sprechen dafür, daß man sie auch in diesem Zeitalter für heilbringende Thiere hielt. Was aber den schweizerischen Sagenkreis speciell betrifft, so finden sie sich in diesem als Hüter von Reichthümern und Schätzen nur selten vor. Dieses Amt ist hier größtentheils gespenstischen und fabelhaften Wesen anderer Art übertragen, deren Bekanntschaft wir späterhin machen werden.Zum Schluß möchte ich noch der Verehrung gedenken, welche die Chinesen den Drachen bezeigen. Die Kleider des Kaisers von China und seiner hohen Beamten sind mit Stickereien bedeckt, die solche Thiere vorstellen. Ebenso sind die chinesischen Schiffe mit aus Holz geschnittenen Drachen verziert, was jedoch nur auf ausdrückliche Erlaubniß des Kaisers


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geschehen darf; dagegen finden wir in alten rabbinischen Schriften, daß den Juden verboten war, die Gestalt von Drachen bildlich darzustellen. Wahrscheinlich wegen der im alten Testament veränderten Bedeutung des Wortes, das hier mehr symbolisch den Inbegriff aller Abscheulichkeit, wohl gar den Teufel selbst bezeichnet. Von welcher Art der Drache gewesen, von dem der Prophet Daniel erzählt, ist schwer zu enträthseln.


2. Die Riefen zu Iseltwald.


I. R. Wyß, Reise in das berner Oberland, Abth. i. S. 357.

Bei Iseltwald am Brienzer See wohnten einst drei Riesen, welche eine ungeheure Stärke besaßen. Einst als der deutsche Kaiser, unter dem zu dieser Zeit jenes Land stand, den Völkern des Oberlandes geboten hatte, auf einem Kriegszuge zu seinem Heere zu stoßen, schickten ihm die Oberländer statt des verlangten Heereshaufen nur eene drei Riesen. Anfänglich war der Kaiser hierüber sehr erzürnt. Als jedoch die Riesen ihm betheuert hatten, daß ein einziger von ihnen mehr werth sei, als das zahlreichste Volk, legte sich sein Zorn und er nahm sie in seinem Heere auf.

Alsbald gingen die Riesen in den Wald und rissen drei große, dicke Buchenstämme aus der Erde. Diese nahmen sie als Keulen und stellten sich mit ihnen in die Vorderreihen der Kämpfer, wo sie den heranstürmenden Feind so darniederschlugen, daß die Schlacht durch sie ganz allein gewonnen wurde.

Da sprach der Kaiser: Wählet Euch zum Lohne, was Ihr möget!" — Sie aber verlangten nichts, als einen Adler auf ihr Panner, wenn sie dereinst hundert Mann stark in das Feld rücken würden, und die Erlaubniß, aus den Pflanzstätten bei Boningen, auf Reichsboden, drei Rüben auszug



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ichen und eine mit der Hand und zwei im Gürtel davon tragen zu dürfen — was ihnen der Kaiser auch gewährte.

***
Die Schweizersage kennt ganze Riesengeschlechter. So soll das Kalfeuserthal von einem solchen bewohnt gewesen sein (I. v. Müller Geschichte der Eidgenossen, Bd. l. K. 15. Anm. 7). Noch am Schlusse des vorigen Jahrhunderts wurden bei der Kapelle dieses Thales Knochenreste von unverhältnissmäßig großen Menschen gefunden. So fand man auch bei Langon, nahe bei St. Romain, im Jahre 1613 menschliche Gebeine von übermäßiger Größe. Jak. Tissot und Riks. Habigot gaben sie für die Ueberreste des Teutobech aus, von dem sie erzählen , er sei fünfundzwanzig Ellen groß gewesen. Daß dieser Heerführer der Tiguriner, Amberer, Cimbern und Teutonen, welcher im Jahr 105 vor Christi Geburt von C. Marius erschlagen worden sein soll, die Kriegszeichm überragte, lesen wir bei L. Flor. L. III. c, 'gas in D. Orosi lust. L. V. c. 16. Aventinus, in seiner lust. Bojar. L. IV. p. 208, berichtet von einem Thurgauer, der ein ganzes Heer gegolten habe und deßwegen Einheer genannt worden sei; die Feinde habe er wie Heu niedergemähet und sie dann gleich Vögeln an seinem Spieß davongetragen. Auch Rudolf Tschudi von Glarus kennt einen ähnlichen Helden, Namens Hermann Hermann, der gleiche Heldenthaten verrichtete. Endlich findet man am Rathhaus zu Luzern die Abbildung eines Riesen mit folgender Inschrift:
In der Stadt Luzern da unden
Bei dem Dorf Beyden hat man funden
Schröcklich große Menschen Gebein
Vnder einer Eych auf einem Rein
Die Obrigkeit derselben Statt
Glehrten Leuten zugschicket hat
Welche nach der Proportion
Geometrisch das Wäß han gnom
Hiemit erscheint unfällbar gewiß,
Wann aufrecht g 'standen dieser Riß
Sey er gsin mit der Länge gleich
Vierzehn mahlen disen Streich:
Beschah im 1577 Jahr
Gott weiß wie lang Er vor da war:
Was man g'funden noch bhalten werden
Was vbrig verbleibt der Erden.


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Auch das medizinische Zeugniß eines Arztes aus Basel, Namens Felix Slater, welches die Echtheit dieser Gebeine bestätigt, findet sich daselbst *)Alle diese Angaben aber und der Umstand, daß die in verschiedenen schweizerischen Ortsnamen sich wiederfindenden Wörter Ent und H une, synonym riesenmäßig starke Menschen bedeutend, den keltischen Ureinwohnern Helvetiens wegen ihrer gewaltigen Größe und Stärke beigelegte germanische Benennungen waren, berechtigen zu der Alnnahme, daß obige Sage mehr eine auf historischer Basis ruhende Ueberlieferung, als reine Mythe ist; daher auch die in ihr und in dieser Anmerkung namentlich angeführten Niesen mehr als riesenmäßige Menschen, denn als der Phantasie entsprungene mythologische Riesengebilde zu betrachten sind. Das Verlangen der drei Riesen von Iseltwald aber: ,drei Ruhen auf Reichsboden ec. ec." dürfte in einem zu Matten sich befindenden Glasgemälde, das einen Bären vorstellt, der ein paar Rüben in seinem Gürtel trägt, seine Erklämng finden, indem es nicht unwahrscheinlich ist, daß dasselbe, im Laufe der Zeit mit unserer Sage in Zusammenhang gebracht, Veranlassung zu diesem merkwürdigen Zusatz gab.


3. Bosses Grab.


Der Kanton Bern deutschen Theils. Antiguarisch-topographisch beschrieben von A. Jahn. Zürich und Bern. S. 411.

Im Grauholz, unweit der Landstraße nach Bern, stehen auf bemoostem Waldgrunde zwei altersgraue Granitpfeiler, zwischen welchen sich ein von Schatzgräbern durchwühlter Hügel erhebt. Dieser Hügel ist das Grabmal eines mächtigen Riesen, der vor langen Zeiten hier im Walde gehaust haben 

*) Abbildungen von Riesen und boxen Gebeinen als Denkzeichen in Kirchen, Rathhäusern und andern öffentlichen Gebäuden aufzuhängen, war übrigens in alten Zeiten eine gewöhnliche Sitte. In Fischart's Gargantua, cap. III, heißt es: "sagt man von Risen und Haunen (Hünen), zeigt jhr Gebein in den Kirchen, unter den Rothheusern, jhr Nimrotische Spieß, Stalin Stangen, Goliatische Weberbävm ec. ec.



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soll und der dem Landvolk noch heutigen Tages unter dem Namen Vom bekannt ist, daher auch jener Hügel Bottis Grab heißt.

Von dem Riesen Botti erzählt man, er sei 20 Fuß lang und von so ungeheurer Stärke gewesen, daß es für ihn zur leichtesten Aufgabe gehört habe, die größte Tanne sammt der Wurzel aus der Erde zu reißen. Einen Händedruck von ihm auszuhalten, sei einem gewöhnlichen Menschenbund unmöglich gewesen, daher ihm auch die Bauern, zu welchen er häufig auf das Feld zu kommen pflegte, statt der Hand stets die Pflugsterze gereicht hätten; in der Psfugsterze wären aber ein jedes Mal die Merkmale seines gewaltigen Händedrucks zurüickgeblieben . Nicht minder groß und stark, als Botti selbst, war aber auch seine Schwester, die ihm, als er starb, dieses Grabmal setzte und in ihrem Fürtuch mehrere Stunden weit die Steine dazu herbeitrug.

Daß die Stätte, an die sich die Sage von dem Riesen Botti bindet, in der That ein Grabhügel aus ältester Zeit ist, scheint unzweifelhaft zu sein. Jahn gibt den römisch-helvetischen Zeitraum an und sieht wohl nicht mit Unrecht in diesem Hügel das Grabmal irgend einer bedeutenden Person aus jenem Zeitalter, deren Name, wenn auch entstellt, sich in dem Namen Botti erhielt. Diese Annahme verpflanzt die Entstehung und Entwickelung obiger Sage auf historischen Grund und gilt also auch hier, was in der vorhergehenden Erläuterung hinsichtlich der Riesen zu Iseltwald und andern Riesen gesagt wurde. Bestimmt mythische Riesengebilde finden sich im schweizerischen Sagenkreis überhaupt wenig vor; weit mehr beschäftigt die Phantasie unsrer Bergvölker die Idee vom Kleinen, die sich in der Vorstellung von den Erdmännchen verkörpert — eine Bestätigung der Worte Bonnstettens: "Die Idee von Größe bleibt immer klein neben den Alpen und die Fabel von den Giganten wäre nie in der Schweiz erfunden worden."


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4. Von den Erdmännchen oder Toggeli.


Mündliche Mittheilungen. J. R. Wyß, Reise in das Berner Oberland. Derselbe. Idyllen, Volkssagen, Legenden und Erzählungen aus der Schweiz.


I.

Es gab eine Zeit, in der gute und freundliche Wesen dem Menschen wohlwollend und hülfreich zur Seite standen, Mühe und Arbeit ihm erleichterten und ihm in Allem, was ihn und sein Haus betaf, gütig sorgende Theilnahme zeigten. Diese guten freundlichen Wesen waren die Erdmännchen oder Bergmännchen. Auch in der Schweiz waren sie daheim und es ist noch nicht zu lange her, daß Berge und Thäler dieses schönen Landes mit ganzen Schaaren von ihnen bevölkert waren. Ja, im berner Oberlande, wo das Hasli- und Gadmenthal ihr Lieblingsaufenthalt war, sind noch in diesem Augenblick alte Leute vorhanden, die sich ihrer und der Zeit, in welcher der Verkehr mit ihnen zu den Alltäglichkeiten des Lebens gehörte, noch ganz gut erinnern können und davon manche wunderbare Geschichte zu erzählen wissen.

Alle aber, die sie zu sehen bekamen, schildern die Toggeli oder guten entlein, so nannte man sie in jenen Gegenden, als kleine kaum zwei Fuß hohe Wesen, deren Körper, in ein weites grünes Mäntelchen gehüllt —woher man sie auch wohl hier und da grüne Männlein nannte — von ziemlich ebenmäßiger Form zu sein schien, zu der nur der etwas allzugroße und allzudicke Kopf, auf welchem sie ein spitziges rothes Käppchen trugen, in offenbarem Mißverhältnisse stand.

Zur Zeit, als diese sonderbaren Geschöpfe mit den Menschen noch auf gutem Fuße standen und sie ein gegenseitiger inniger Verkehr noch in der Nähe ihrer Wohnungen hielt,



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hausten sie unter großen Steinblöcken, welche im Wald oder auf dem Felde lagen, in verlassenen Berghütten, hauptsächlich aber in jenen Felsenhöhlen, welche nach ihnen die Namen Toggelikilchen und Zwerglistuben *) führen und noch heute in das Bereich ihres Dominium gehören: denn noch immer gibt sich in ihnen das wunderbare Treiben ihrer ehemaligen Bewohner kund. Fantastisch mit glau enden Krystallen, welche die Erdmännchen selbst verfertigen, und seltsam geformten Tropfsteinen ausgeschmückt, sägt sich in jenen Höhlen ;u jeder Zeit eine auffallende Ordnung und Reinlichkeit, welche nur auf diese geheimnißvolle Art ihre Erklärung findet. Blätter und Staub, durch den Wind hereingeweht, Steine, von den Wänden herabgefallen, werden von unsichtbaren Geisterhänden sofort aus ihnen entfernt und vor ihren Eingang in zierlicher Ordnung aufgehäuft. Böswillige Verunreinigung oder Beschädigung derselben aber wird von dem Frevler auf der, That bestraft. Entweder steigen übelriechende Dünste, auf, die ihn ;u ersticken drohen, oder die gleichen menschlichem Auge unsichtbaren Geisterhände lassen 
*) Solche unter dem Namen Toggelikilchen oder Toggelikirchen bekannte Höhlen sind zu finden: auf der Wallalp, welche an dem gegen die freiburgern wild ansteigenden Wallopberg liegt am Männigstande, am Männiggrat in der Nähe des Niederhorns und am Niederhorn selbst. Zwerglistube heißt eine Abtheilung des Mondwilchloches, das eine dem Pfarrhaus in Habkern gegenüber im Sarder gelegene Höhle ist. Das Unterloch nahe beim Hochgant soll ebenfalls Aufenthaltsort der Erdmännchen gewesen sein, so auch das sogenannte Heidenloch im Hirsboden im Adelbodenthal und das in den Gastlosen im Thal von Abländschen. Hier finden sich Spuren menschlicher Bearbeitung vor; vielleicht daß in uralter Zeit diese Höhlen heidnischen Flüchtlingen Asyl gewährten. Endlich sei hier noch der sogenannte Toggeligraben bei Zweisimmen und der im westlichen Theile des Längwaldes zwischen Wett und Brügg gelegene und unter dem Namen der Heidenstein bekannte große Steinblock erwähnt, unter dem man, als er umgestoßen wurde, Aschenspuren vorfand, die den in der Erläuterung ausgesprochenen Schluß, daß Lokalitäten, an die sich superstitiöse Vorstellungen binden, oftmals als ehemalige Kult- und Opferstätten betrachtet werden müssen, nicht wenig an Wahrscheinlichkeit gewinnen lassen.


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einen Hagel von Schlägen auf ihn herabregnen, oder er kann, wenn von alle dem nichts geschieht, sicher sein, daß ihm beim Heimgehen ein Stein oder ein Baumstamm in den Weg gele legt ist, der vorher nicht da war und der so gewiß der Himmel über und die Erde unter ihm ist, ihn in unsanfte Berührung mit letzterer bringt;

Wie schon erwähnt, war in früherer Zeit das Hasli- und Gadmenthal der Lieblingsaufenthalt der Toggeli im berner Oberlande. Dort kamen sie oftmals in ganzen Schaaren von den glühen herabgezogen; am häufigsten geschah dies jedoch zur Erntezeit, in welcher sie dann, auf einem Stein gelagert oder nach Art der Vögel auf den Zweigen der Bäume, im Schatten des Laubes sitzend, den Arbeitern auf dem Felde zuschauten. Das Schaffen rüstiger Hände war ihre größte Freude und erweckte ihre Theilnahme, so daß wohl der fleißige Arbeiter dann und wann, wenn er während der Mittagshitze irgend ein schattiges Plätzchen gesucht hatte, um sich durch kurzen Schlaf zu neuer Anstrengung zu stärken, bei seinem Erwachen, außer erquickender Speise und kühlem Trank, den größten Theil seiner Arbeit vollendet oder wohl gar am andern Morgen, wenn er wieder auf das Feld herauskam, die ganze Wiese gemäht und das Kom in Garben aufgeschichtet, zur Heimfahrt ber&vorfand. Dem, welchem sie wohl wollten, leisteten sie solchen Dienst wohl auch, wenn böse Wetter im Anzug waren, was ihnen auf viele Tage vorher bekannt war. So fand einstmals ein Bauer, als er eines Morgens nach seinen Feldern sah, die ganze Frucht abgemalet, obgleich dieselbe erst kümmerlich reif war. Natürlich glaubte er, nur aus Bosheit habe man ihm sein Korn so zur Unzeit geschnitten und brachte es schimpfend und fluchend in die Scheuer. Bald aber ward er andern Sinnes: denn siehe! nach einigen Tagen kam ein fürchterliches Hagelwetter über das Land und verwüstete rings die



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Felder seiner Nachbarn, daß kein Hälmchen darauf ganz blieb. Jetzt erst erkannte er, daß, was er für Bosheit gehalten, ein großer Freundschaftsdienst gewesen war; gleichzeitg ward ihm aber auch klar, daß er denselben Niemand Anderen, als den Toggeli zu verdanken habe. Ja, zur Zeit als diese guten und freundlichen Wesen noch in der Nähe der Menschen wohnten, kamen sie sogar bis in die Häuser derselben, um sich auch hier im gleichen Maße wie auf dem Felde hülfreich und dienstbar zu zeigen. Hier ging ihre Dienstfertigkeit oftmals in vollständige Knechtsdienste über, für welche sie weiter nichts, als ein wenig Milch verlangten, die man ihnen entweder auf die Thürschwelle oder an irgend einen andern Ort des Hauses hinsetzen mußte. Sie hielten das Geschirr rein, putzten die Pferde, besorgten im Winter wochenlang das Vieh, wenn es in seinen Ställen verschneit war und Niemand hinzukonnte, In futterarmen Jahren übernahmen sie wohl auch die Ernährung einzelner magerer Kühe und Ziegen, oder wohl gar die Abwartung und Pflegung des sämmtlichen Viehstandes für die ganze Winterszeit. Bei solchen Gelegenheiten führten sie die Thiere mit sich hinweg nach ihren mit Futter reichlich versehenen Speichern tief in den Bergen drin. An diese letztere Dienstleistung knüpften sie jedoch gewöhnlich gewisse Bedingungen, die der Besitzer des Viehes streng zu halten hatte, sollte demselben kein Schaden widerfahren. So hatten die Toggeli einstmals einem Sennen alle seine magern Kühe den ganzen Winter hindurch unter dem Versprechen abgenommen, keine derselben, wenn sie im Frühjahr wiederkehren würden, bei ihrem Namen zu nennen. Als aber die Zeit der Alpauffahrt herangerückt war und die guten Leutlein mit den Thieren der Fluh nachgefahren kamen, konnte der Senn, als er sie alle glänzender und fetter denn je erblickte, die Freude seines Herzens nicht anhalten und brach in den Ruf aus: "Hoho die Gäbel ist ämel alle


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z 'weg!" Dies kam ihm jedoch theuer zu stehen; kaum war der Ruf verhallt, so lag auch die bei ihrem Namen genannte Kuh, von den Felsen herabgestürzt, zerschmettert zu seinen Füßen. Wie aber das an dem Vorwitz seines Herrn unschuldige Vieh von den Toggeli mit eigenen Händen in den Abgrund gestoßen werden konnte, so zeigten sich dieselben doch auch wieder als seine sorgsamsten Hüter, wenn es auf gefährlichen Stellen an abschüssig steiler Alptrift graste: denn da, wo an derartigen Weidplätzen die Toggeli in der Nähe waren, hörte man noch nie, daß eine Kuh oder eine Gais je verunglückt sei. Oftmals leiteten sie auch diese Thiere, wenn sie sich verirrt hatten, zu den Heerden oder der Wohnung ihres Herrn zurück. Dies geschah aber gewöhnlich bei Nacht. Sie waren auch geschickte Aerzte und ihre Tränklein, aus duftigen Alpenkräutern bereitet, waren Menschen und Vieh heilsam. Gegen arme Kinder aber, welche von ihren Eltern zur Winterszeit in den Wald zum Holzsammeln geschickt worden waren, zeigten sie sich besonders gütig und mitleidig. Bald legten sie ihnen das schönste Reisig auf die Fußwege hin, daß sie es sonder Mühe finden und bei Zeiten wieder daheim sein konnten, bald schenkten sie ihnen kleinen wohlschmeckenden Käse, die sich, ass man sie nicht ganz auf, nie aufzehrten, oder kleine immer in die Hände des ursprünglichen Besitzers urückkehrende Geldstücke. Endlich halfen sie wohl auch dann und wann während den langen Winterabenden fleißigen Mägden bei der Flachsbereitung. War die Arbeit schäckernd und scherzend vollbracht und sie wollten heim, so nahmen sie einen Knäuel Hanf zwischen ihre Beinchen und ritten auf ihm zum Ergötzen der Anwesenden durch das Fenster fröhlich von dannen.

Dies Alles ist leider vorbei, seitdem menschliche Reugierde und Bosheit die Erdmännchen aus den Thälern und der niedern Bergregion in ihre alte Heimath tief im Innern



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der Schneeberge, welche sie aus Liebe zu den Menschen verlassen hatten, zurückgetrieben haben. Wie das gekommen, wird auf mancherlei Art erzähl; So hatten einstmals boshafte Buben den Baumast,. von welchem herab sie den Arbeitern zuzuschauen pflegten, bis auf eine; dünne Stelle durchsägt, so daß er brach, als sie sich arglos auf ihn niederließen und sie alle zu Boden fielen. Erzürnt riefen sie da aus : "O wie ist der Himmel so hoch und die Untreue so große Heute hieher und nimmermehr!" und niemals von diesem Augenblicke an sah man sie an jenem Orte wieder. Wieder ein ander Mal hatte man den Stein, der ihr gewöhnlicher Lagerplatz war, hinterlistiger Weise glühend gemacht , eine Bosheit, die dieselbe Folge: nach sich zog, und wieder zu einer andern Zeit hatten Neugierige in einem Garten , dessen Pflege sie gutmütigerweise übernommen hatten, Asche gestreut, um sehen, was sie eigentlich für Füße hätten, da sie dieselben mit ihren lang herabschleppenden Mäntelchen immer sorgfältig bedeckt hielten. Als sich nun Gänsefüßchen in der Asche abgedrückt zeigten und die Dorfbewohner ihrer ob dieser Mißform spotteten, flohen sie mit dem zürnenden Rufe : "o böse, böse Welt!" auch diesen Ort. Ueberall aber wo sie schieden, zogen sie weniger im Zorn, als voll Betrübniss über die Bosheit und Treulosigkeit ber Menschen klagend von dannen. Ja, diese Trennung fiel ihrem, Herzen sogar schwer, sehr schwer; daher wichen sie auch nur Schritt für Schritt zurück und erst als die letzten Wohnungen zu Gassen am Schreckhorn verödet waren, fügten sich, die Toggeli in ihr Schicksal und suchten ihre eigentliche Heimath im Innern der höchsten Eisberge wieder auf. Große weite Hallen, auf kystallenen Säulen ruhend und mit: Gold und Edelsteinen geschmückt, so daß kein menschliches Auge den Glanz vertragen kann, sind dort ihre Wohnungen. Unter Festlichkeiten aller Art, Tänzen und Schmausereien


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verbringen sie hier die Winterszeit. Sobald aber die warme Zeit kömmt, beginnen sie ein neues thätigeres Leben. Gleich dem Sennen, der am Tage der Alpauffahrt mit seinen Kühen und Geißen aus dem Thale hinauf zur grünen, sonnigen Trift zieht, kommen sie dann von ihren Winterpalästen herab in die Vorberge, ganze Heerden von Gemsen vor sich hertreibend, welche ihr Eigenthum sind und unter ihrem ganz besondern Schutze stehen. Aber nur von Mariä Verkündigung an bis zum Allerheiligentag halten sie sich in den Vorbergen auf. Während dieser Zeit beschädigen sie sich fast ohne Unterschied nach Sennenart, nur daß sie statt Kühe und Ziegen, Gemsen hüten und aus der Milch dieser Thiere, welche sich ohne Scheu von ihnen melken lassen, eben jene wohlschmeckenden Käse bereiten, denen die schon erwähnte wunderbare Eigenschaft eigen ist, daß sie sich nie aufzehren, sobald man ein Stückchen von ihnen übrig läßt. Menschlichen Augen zeigen sie sich indeß nur noch höchst selten, obgleich sie auch jetzt noch da, wo Sommer Sinn und Einfachheit der Sitte noch daheim, die gleichen treuen Beschützer der Menschen und des Viehes wie früher sind. Tod und Vernichtung drohen sie nur dem ,: der räuberisch seine Hand nach ihrem Sese, den Gemsen, auszustrecken wagt. Wehe daher dem Gemsenjäger, der ihnen in den Weg kommt. Selbst gegen diesen können sie sich jedoch noch gütig und barmherzig erweisen, trieb ihn nicht unüberwindbare Jagd- und Mordlust , sondern die drückende Noth daheim auf die Spur ihrer Lieblinge. Einem solchen versprach einstmals eines dieser freundlichen Wesen unter der Bedingung *), nie wieder auf gleichem Wege sich betreten ;u lassen, während der Jagdzeit 
*) Einer andern Erzählung nach hatte der Jäger einen jener nie aufzuzehrenden Käse erhalten. Der Käse ging auf irgend eine Art verloren und von neuem von Hunger und Armuth auf die Jagd getrieben ereilte den Jäger dasselbe Schicksal wie hier.


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eine bestimmte Anzahl Gemsen zu liefern. Redlich hielt der Berggeist sein Versprechen. Immer am Morgen des siebenten Tages der Woche fand der Jäger ein feistes Gratthier an dem Thürpfosten seiner Wohnung aufgehängt vor. Bereits war aber bei ihm die Jagdlust zur brennenden Leidenschaft geworden *). Vergebens kämpfte er gegen sie an, ihr erliegend griff er wieder nach seinem Stutzer und begab sich von neuem auf die gefahrvolle Bahn. Niemals wurde er wieder erblickt. Der zürnende Geist hatte ihn ergriffen und in den tiefften der Gletscherabgründe, ihn für ewig begrabend , gestürzt.

So erzählt man im berner Oberlande von den Erdmännchen oder Toggeli.

Die Bergmännchen, Erdmännchen, Härdmänndli oder Toggeli sind, wie wir sehen; in den schweizerschen Bergen eben so daheim, wie in Deutschland, England, Schottland, Norwegen und andern Ländern. Abkömmlinge der Zwerge der nordischen Mythologie, von denen uns die Edda dreierlei Arten tennen lehrt: erstens solche, die aus Erde gemacht, in Erde wohnen, dann solche, die aus Steinen gemacht, in Steinen wohnen , endlich solche, die aus einem andern Sande, von Swains Haugi kommen und deren Reiseziel Orwanga auf Jornwall war, sind sie das in der Volksvorstellung aller der genannten Länder erhaltene heidnischmythische Zwergbild der Jetztzeit, ein Aberglaube, der in manchen Gegenden , so am Harze von den Bergleuten, sogar für ächt christlich gehalten wird. In engster Verwandtschaft stehen die Bergmännchen den Elfen oder Elben, von welchen ebenfalls dreierlei Arten genannt werden: die svartâlfar, Schwarzelbe, die dökâlfar, Dunkelelbe und die liosâlfhr, 
*) Wie die Gemsenjagd mit ihren wunderbaren Reizen zu einer nicht zu besiegenden Leidenschaft werden kann, davon führt Tschudi in seinem "Thierleben der Alpenwelt" mehrere Beispiele an. So läßt er einen Führer Saussure's sich äußern: "Ich bin seit kurzem sehr glücklich verheirathet. Mein Großvater und mein Vater sind auf der Gemsenjagd umgekommen. Aber wollten Sie mein Glück machen unter der Bedingung, daß ich der Jagd entsagen sollte, so könnte ich nicht annehmen. Zwei Jahre nach dieser Aeußerung zerschellte der starke und gewandte Jäger in einen Abgrund.


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Lichtelbe. Diese Trilogie scheint sich jedoch frühzeitig verloren zu haben und in den Dualismus der Dunkelelbe und der Lichtelbe übergegangen zu sein; denn der im I, 1241 verstorbene Snorre Sturleson sagt: "Das Volk der Lichtelben, leuchtender als die Sonne, wohnt in Alfheim, das der Dunkelelbe, schwärzer als Pech, unten in der Erde." Die swartâlfar, Schwarzelbe, nennt er nicht, scheint sie aber mit der Dunkelelbe im Zwerge, dvergar, in Eins vereinigt zu haben, da er als Wohnort dieser Wesen Svartâlfaheim angibt. Das nordische dvergar finden wir übrigens in Dvirgi, Twirgi, Zwirgi wieder, das in der schweizerischen Volkssprache einen Sammelplatz der Erdmännchen, der Zwerge, bedeutet und von dem im berner Oberlande mehrere anzutreffen sind, so auf der hohen Thalwand, auf der der Weg nach Rosenlaui und Scheideck führt und auf der Sustenstraße. Wie aber in dvergar die Dunkelelbe mit der Schwarzelbe in Eins zusammenfällt, so vereinigen sich wiederum in unsern Erdmännchen einzelne Eigenschaften der Schwarz- und der Lichtelbe. Mit den bösen, den Menschen feindlich gesinnten Schwarzelben haben sie die Häßlichkeit und Unform der äußern Gestalt gemein, während ihre Gutmüthigkeit und Dienstfertigkeit sie den freundlichen und gütigen Wesen der Lichtelben nähern, welche, gleich ihnen schalkhaft, wohl hier und da zu neckischen Streichen aufgelegt sind, Böses aber nur dann ernstlich zufügen, wenn dies als Strafe für vorher erlittene Unbill geschieht. Noch manche im Verlaufe dieser Sammlung hervortretende Spezialität wird übrigens die enge Verwandtschaft des Glaubens an Erdmännchen mit dem Elfenglauben, der sich in ursprünglicher Reinheit im schottischen Hochlande und in Irland bis auf den heutigen Tag erhalten hat, des Weitern bestätigen. Jedenfalls ist die hier und da ausgesprochene Vermuthung falsch, welche in den Erdmännchen eine Art troglodytischer Bergbewohner sehen wollte, die von später eingewanderten Völkerstämmen verdrängt, sich in Berghöhlen geflüchtet hatte und den neuen Ansiedlern allmälig hülfreich näher trat. Sie waren von allem Anfang an halbgöttliche Wesen, denen in ältester Zeit in der ganzen Schweiz , sowohl im Berg- als im Flachlande, ein bestimmter Cultus geweiht war. Oben in den Bergen wurden sie in Höhlen, unten in den Thälern dei großen in Wäldern gelegenen Felsenstücken, sogenannten erratischen Steinblöcken, verehrt. Ist nun aber antiquarisch erwiesen, daß an ehemaligen Cult- und Opferstätten Reste heidnischen Glaubens sich am längsten zu erhalten pflegen, so scheint es nicht zu gewagt, wenn man alle jene Lokalitäten, die die superstitiöse Vorstellung späterer Tage mit Bergmännchen oder Toggeli bevölkerte, was zum Theil heute noch geschieht, als in heidnischer Zeit der Verehrung dieser übernatürlichen Wesen geweihte Orte bezeichnet, während ihr allmäliges Zurückweichen von denselben, , durch die Treulosigkeit der Menschen herbeigeführt, ein der späte


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ren christlichen Anschauungsweise entsprungenes Bild ist, dessen Sinn, endlicher Sieg des Christenthums über das Heidenthum, nicht verkannt werden kann. Daß endlich die Vorstellungen, welche man sich von den Erdmännchen in den verschiedenen Ländern machte, besondere von einander abweichende Eigenthümlichkeiten haben, beruht auf der Natur jener Länder und den Sitten und Gebräuchen ihrer Bewohner.So hat auch die Phantasie des Hirtenvolkes der Alpen sich von ihnen ein eigenes den Gewohnheiten des Landes entsprechendes Bild entworfen , welches der Volksvorstellung in Schweden und Norwegen am meisten ähnelt; denn wie in der Schweiz, tragen sie in diesen Ländern viel zum Gedeihen des Viehes bei und stehen den Menschen mehr auf dem Felde, als bei häuslicher Arbeit helfend zur Seite. Auch ihre Belohnung, wohl das ihnen in früherer Zeit dargebrachte Opfer, ist dieselbe, ein Schüsselchen mit Milch, das man an einen bestimmten Ort hinsetzt, um sie an das Haus zu fesseln. Auf den Faröern heißen sie Niägrujsar und man stellt sie sich als glückbringende Dämonen mit rothen Lappen auf dem Kopfe vor. Auf Seeland erscheinen sie in der gewöhnlichen Tracht der Landleute und in England nennt man sie Robin good fellow, was dem norwegischen und dänischen Nisse god Dreng (Niklaus der gute Knecht) und dem schweizerischen gute Leutlein sehr nahe kommt. In Deutschland kennt man sie noch unter den Namen Heinzchen, Kurtchen, Knechtchen, Wichtelmännchen . Ueberall aber knüpft sich eine den Menschen wohlwollende Bedeutung an diese Namen. Nur die Bergmännchen der Bergleute, die in der Schweiz aus Mangel an Bergwerken nur selten oder gar nicht vorkommen, sind voller Bosheit und Tücken; doch kennen auch diese derartige Wesen guter Art, die einzelnen Menschen besonders gewogen sind und ihren Lieblingen Goldadern zeigen oder im Stillen die Arbeit fördern.In obiger Sage findet sich das Charakteristischste der Erdmännchensage, wie sie im berner Oberlande von Mund zu Munde geht, zusammengefaßt . Wohl gibt es noch eine Masse Erzählungen von ihnen; alle wiederholen jedoch meistens mit dichterischen Zusätzen und nouvellenartiger Ausschmückung den gleichen Stoff. Mit ihnen diese Bogen zu füllen, ist nicht meine Aufgabe: es mögen daher hier nur noch einige Sagen folgen, welche besondere den Erdmännchen beigelegte und noch nicht angeführte Eigenthümlichkeiten enthalten, und die sich nur an gewisse Oertichkeiten jenes Landstrichs binden.


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II.

Unfern vom Thuner See, hinter dem Rebgut Ralligen, liegt die sogenannte Einöde. Hier stand die vor langen Zeiten durch einen Bergsturz verschüttete Stadt Roll. Glücklicher Weise konnten sich die Einwohner dieser Stadt noch zur rechten Zeit vor Eintritt des Unglückes aus ihren Häusern in das Freie flüchten. Dies hatten sie niemand Anderem, als den Erdmännchen zu verdanken, welche ihnen warnend von dem Gipfel der Ralligstöcke aus, unter denen eben die Stadt Roll begraben liegt, folgende Worte zuriefen:

Stadt Roll, zieh ' us mit deinem Volch!
Die spiti Fluh ist g'spalte,
Schlegel und Wege *) si kalte; **)
Zieh ' uo, dem Stampach zu !
Diese Sage wird mit einigen wenigen abweichenden Nebenumständen von mehrern Oertlichkeiten des berner Oberlandes erzählt. So von Aellgäu am Hochgant und von dem Dorfe Schillingsdorf. Daß ein Bergsturz bei Ralligen stattgefunden hat, beweist das in der Einöde wild umherliegende Steingeröll, und so mag derselbe auch den ersten Anlaß zur Entstehung obiger Sage gegeben haben. Ebenso scheinen Geräthschaften, , die an jener Stelle aufgefunden worden, die Annahme zu bestätigen, daß einst menschliche Wohnungen hier gestanden haben, welche durch ein solches Ereigniß ihren Untergang fanden. Die ehemalige Existenz einer Stadt Roll ist jedoch stark zu bezweifeln. Von dem Untergange dieser Stadt kursirt übrigens noch eine andere Sage, welche denselben dem Zorn des heiligen Beatus zuschreibt. Von ihren bösen und ungastfreundlichen Bewohnern einst zurückgewiesen, habe derselbe jenes Unglück über sie heraufbeschworen, und nur ein Haus, in welchem er Aufnahme gefunden, sei von dem allgemeinen Verhängniß verschont geblieben . So soll auf ganz ähnliche Art aus Dankbarkeit für geübte Gastfreundschaft von einem Erdmännchen ein einziges Häuschen des untergehe 
*) Ein spitzer Keil.
 
**) Sind verwahrt.


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gangenen Schillingsdorf errettet worden sein. Die Stelle, wo jenes Häuschen, das jetzt durch ein neues ersetzt ist, gestanden haben soll, wird heute noch gezeigt.


III.

Wenn der in dem wilden und engen Thale Habkern fließende Waldstrom, der Lombach genannt, sich mit Wasser anzufüllen und überzuströmen droht, kommt jedes Mal vor dem Anlauf der Gewässer ein kleines Männchen in seinem Bette dahergeschritten und schlägt rechts und links mit einem langen Stocke an das Ufer, als Zeichen, wo dasselbe vom Schwalle fortgerissen werden wird.

Die in den zwei vorhergehenden Sagen den Erdmännchen beigelegte Gabe, annahendes Unheil zu verkünden, erhebt diese Wesen auf die Stufe halbgöttlichen Geschlechts und bestätigt ihre elbische Natur mehr. als alles Andere, was seither hierfür angeführt wurde. Um sie aber derselben noch näher zu bringen, weiß die schweizerische Sage außerdem noch von ihren elfenartigen Tänzen zu erzählen, welche sie im Frühlingsmondenscheine aufführen und die immer auf ein fruchtbares und gesegnetes Jahr deuten, während ihr trauriges Einherschleichen im Gebüsch eine magere Ernte anzeigt, ihr Seufzen und Jammern aber Vernichtung der Saaten durch Ungewitter, Sturm oder Ueberschwemmung droht.


IV.

Die geschicktesten Krystallgräber waren die Väter Kapuziner Einstmals hatten sie am Eigen bei dem Rothstock durch magische Künste ein Krystallgewölbe entdeckt, das viele, viele Klaftern tief im Berge drin war. Sofort begannen sie nach ber Richtung hin, wo das Krystallgewölbe lag, einen Stollen zu graben. Kaum aber in seine Nähe gelangt, erhob sich ein Rumoren und Poltern in dem Berg, das sich Keiner



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zu erklären wußte. Als aber das Gewölbe zu Tag lag, ward es ihnen klar. Kein einziger Krystall fand sich in ihm vor. Die Erdmännchen hatten sie alle weggeräumt und sich mit ihnen tiefer in den Berg hineingeflüchtet. Daher jener Höllenlärm enstanden war.

Erdmännchen als eifersüchtige Hüter von Schätzen und Metalladern kommen in der schweizerischen Sage selten vor. Dies ist mehr in Gegenden daheim, wo das Bergmannswesen einen höhern Aufschwung, als in diesem Lande hat. Unter den deutschen Gebirgsgegenden ist der Harz am reichsten an solchen Erdmännchensagen.


V.

Zu einer Frau, welche in dem Ruf einer erfahrnen Kindsmutter stand, kamen einstmals wei Erdmännchen, welche sie dringend baten, doch mit ihnen zu kommen, es läge daheim eins ihrer Weibchen in Kindsnöthen. Die Frau wollte Anfangs nicht vor großer Furcht, endlich gab sie aber doch ihren dringenden Bitten nach und ging mit. Ihr den Weg zeigend, eilten die Erdmännchen rasch voraus, und bald kamen sie an eine Felsenhöhle, welche sich in vielen Gängen nach allen Seiten hin unter dem Berg ausdehnte. Am Ende eines dieser Gänge war ein kleines, aber prachtvoll ausgeschmückten Gemach, in welchem die Kindsbetterin auf einem kostbaren Bette lag. Als nun die Frau den nöthigen Beistand geleistet hatte und das Kind, ein allerliebstes , kaum wei Daumen hohes Zwerglein, geboren war, führten sie die gleichen Erdmännchen, welche sie von daheim abgerufen hatten, wieder aus der Höhle heraus. Bevor sie aber in das Freie traten, füllten sie der Frau als Lohn für ihre Mühe noch die Schürze voll mit Kohlen, welche am Eingange



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der Höhle in einem großen Haufen beisammen lagen. Mochte die Frau nun denken, es sei Lohn genug für sie, so mit heiler Haut davon gekommen zu sein, oder schien ihr die Gabe doch etwas zu gering für ihre Mühe, genug und gut, sie ließ auf dem Heimwege den größten Theil der Kohlen zu Boden fallen; ja, sie hätte sogar alle weggeworfen, wenn sie nicht Furcht vor den Erdmännchen gehabt hätte, welche ihr noch aus der Höhle nachriefen: je mehr Du zerstreust, je mehr Du bereust! Endlich kam sie nach Hause und warf ärgerlich den Rest der Kohlen auf den Heerd; aber siehe, da waren sie eitel Gold. Schnell eilte die Frau zurück, um das Fallengelassene wieder aufzusuchen, da war aber keine Spur mehr davon vorhanden. Alles war verschwunden .Diese Sage lehrt urs die Erdmännchen von einer neuen, ber frrühern gänzlich entgegengesetzten Seite kennen. Während sie nämlich sonst nur als Dienste leistende Wesen geschildert werden, nehmen sie hier die Hülfe der Menschen in Anspruch; die Sage läßt jedoch diesen Zug nur bei drei bestimmt ausgesprochenen Fällen an ihnen wahrnehmen. Erstlich bei dem oben angeführten Fall, bei den Zwergweibchen in Kindsnöthen; zweitens bei Streitigkeiten und Theilungen von Schätzen, wobei sie verständige Männer zu Rathe ziehen, und drittens bei ihren Hochzeiten, zu deren Abhalten sie gern Säle in den Wohnungen der Menschen leihen. Im schweizerischen Sagenkreis fand ich jedoch nur den erstern Fall vor.


VI.

In der (Gutbrünnenfluh bei Gutbrunnen ist eine Höhle, das sogenannte Pfaffenloch. Der Eingang zu dieser Höhle ist sehr eng, ihr Inneres aber sehr geräumig. neun Abtheilungen läuft sie unter dem Lengenberg bis nach Rueggisberg hin. Ehedem hausten hier Erdmännchen ganz absonderlicher



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Art. Bekanntlich war die Kost dieser merkwürdigen Wesen sehr einfach und bestand aus Milch, Honig, Früchten, Weißbrod und andern leichten Speisen; die Erdmännchen im Pfaffenloch aber führten außer derartigen Vorräthen noch eine große, feiste Kuh in ihrem Haushalt, aus deren Hüften sie sich täglich so viel Fleisch ausschnitten, als zu einem Braten für sie alle hinreichend war. Da aber die Zahl der im Pfaffenloch wohnenden Erdmännchen nicht unbedeutend war, kann sich ein Jeder leicht denken, daß diese Braten nicht zu den kleinsten gehört haben mögen. Das Merkwürdigste war jedoch dabei, daß über Nacht der Kuh das ausgeschnittene Fleisch stets wieder nachwuchs, was, da das Thier nicht den geringsten Schaden dadurch erlitt, den Erdmännchen in ihrer Wirthschaft sehr zu statten tani.Für die hier den Erdmännchen beigelegte Eigenschaft des Fleischessens, welche ich sonst nirgends in der Schweiz in der Vorstellung von diesen Wesen gefunden habe, ist es schwer die richtige Erklärung zu finden. Jedenfalls wiederstreitet das Fleischessen dem ethischen Charakter. Die einzige erläuternde Annahme ist vielleicht, daß im Pfaffenloche in heidnischer Zeit ein mit Thieropfern verbundener Cultus getrieben wurde, von welchem sich das Fleischessen als eine Reminiscenz an die Thieropfer in unsere Erdmännchensage eingeschlichen hat.Eine andere Sage weist übrigens jene Höhle auch dem heiligen Odilo au Wohnstätte an, welcher geraume Seit vor der Erbauung Berns, um das Kloster Rüggisberg einzuweihen, hierher berufen worden war. Auch Gregor VII. soll nach Valerius Anshelm vor seiner Besteigung des geistlichen Stuhls hier gelebt haben. Daher wohl der Name Pfaffenloch.


VII.

Die Erdmännchen sind nicht alle einer Art. Es gibt auch böse, welche mehr Unheil, als Gutes stiften. Solche wohnten ehedem in der Furrenfluh bei Guttannen an der



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Grimselstraße. Sie stahlen Kinder, stellten schönen Mädchen nach und schlossen sie in ihre Höhlen ein, daß sie nimmer zu den Ihrigen zurückkonnten. Einmal bekam dies aber einem Erdmännchen schlecht. Auf der Verfolgung eines Mädchens aus Guttannen begriffen, wurde dasselbe von dem herbeieilenden Liebhaber derb gezüchtigt, und als es jammernd um Schonung schrie, mit dem dort einheimischen Sprüchworte: Selbthan, Selbhan, spöttisch abgefertigt. Von jener Zeit an blieb diesem Erdmännchen der Spottname Prin; Selbhan. Vermuthlich waren aber die Erdmännchen in jener Gegend von Anfang an nicht so bös, sie müssen es erst später geworden sein; denn heute noch erzählt man, daß sie, wie anderswo, früher auch dort, die Ernährung von Kühen übernahmen, welche sie im Frühling wohl genährt und mit Kränzen geschmückt unter Absingung von gereimten Versen den Eigenthümern zurückbrachten. Ein solcher Reim ist dort heutigen Tages noch jedem Kinde bekannt. Er heißt;
Guter Hans von Weißenfluh,
Nimm da wieder deine Kuh
Und ihr fettes Kalb dazu !
Befremdend ist der Zug von räuberischen und unzüchtigen Gelüsten, der durch obige Sage geht. Während überall sonst im berner Oberland, ja in der ganzen Schweiz, der Volksglaube die Erdmännchen als gute und fromme Wesen malt, die sich den Menschen nur gereizt feindlich zeigen, mischt sich in der Umgebung von Guttannen ein von Haus aus böses Element in ihren Charakter. Vielleicht ist hierbei an eine Verwandtschaft mit den Dusii der Gallier oder mit den Faunen der Römer zu denken, vielleicht hat sich aber auch Etwas von den in der Schweiz vorkommenden Kretins, deren thierische Neigungen nicht selten in Angriffe auf das andere Geschlecht ausarten, hier in den Mythus von den Erdmännchen eingeschlichen.Die Dusii der Gallier waren dämonische Wesen, ähnlich dem Incubus und dem Alp; hocksfüßig, haarig, geschwänzt, mit spitzigen Ohren und Hörnern, dies ist die bekannte Darstellung der Faunen, welche,


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Kinder des Faunus und der Fauna, sich bald mit den Panen oder Panisken der Griechen vermengten, nachdem die Mythologie dieses Volkes in Rom sich eingebürgert hatte. Eine diesen römischen und griechischen Wald- und Feldgottheiten ähnliche Vorstellung findet sich übrigens auch in der altjüdischen Mythe. So heißt es im Prophet Jesaias 13. 21: und Feldteufel werden da hüpfen" und 34, 14: "ein Feldteufel wird dem andern begegnen". Das hebräische Wort Sagnir aber, für das Luther eben Feldteufel gebraucht, bezeichnet Wesen, behaart, geschwänzt und bocksartig, gleich den Faunen oder Panisken. Die LXX übersetzen grec, die Vulgata Pilosi, welches letztere Wort sich übrigens auch als Benennung für Hausgeister vorfindet. So bei Burkhard von Worms und bei dem Mönch von St. Gallen (Grimm, deutsche Mythologie S. 272). Ersterer spricht von einem abergläubischen Brauch, nach welchem den Hausgeistern, die er satyri vel pilosi nennt, in Keller und Scheune Spielsachen , Schuhe, Bogen und Pfeile hingelegt wurden ; letzterer erzählt in seinem Leben Karls des Großen (Pertz II. 741) von einem Pilosus, der das Laus eines Schmieds besuchte und, sich Nachts mit Hammer und Ambos belustigte, also hier ein launiger Hausgeist, ähnelnd unseren Toggeli zur Zeit ihres innigen Verkehrs mit den Menschen.


5. Vom Hauri.


E. Vogt, im Gebirg und auf den Gletschern. S. 159.


i.

Ein guter Geist ist das Hauri, in seinem Wirken ähnlich dem Toggeli, aber mächtiger. Die schönsten Alpen sind sein Wohnsitz. Sein Lieblingsaufenthalt ist aber die Steinbergalp am südöstlichen Abhange des Hochgant, wo eine Stelle seinen Namen führt. ES liebt die Menschen und schützt sie vor dem wilden Treiben der bösen Geister der Gebirge. Wenn diese sich im Frühjahr mit dem schmelzenden Schnee zurückziehen, streift es über die Triften und Halden mit lauen Fittich dahin und lockt die Erstlingsblumen aus dem starren



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Boden und bereitet dem Hirten eine fröhliche Ankunft auf der Alp und Futter für seine Heerde. Und wenn dann die Glocken der Kühe läuten und die Schellen der Ziegen ersingen, dann hüpft es seinen Lieblingen entgegen, und kitzelt wohl zuweilen die Thiere, daß sie in muthwilligen Sätzen, aber ohne Schaden ;u nehmen, den Berg hinaufspringen. Es erleichtert dem Hirten die Last der schweren Lebensmittel und Geräthschaften, unter deren Bürde er keucht, und breitet einen leichten Duft über das Gebirge, daß ihn der ungewohnte Glanz der Strahlen nicht blende. Dann geht es wieder den Thieren voran und zeigt ihnen die besten Weideplätze , wo Brändli wächst und Alpengarbe und warnt sie vor schädlichen Kräutern. Es will aber seine Wohlthaten im Stillen thun und wird böse, wenn man von ihm spricht, selbst wenn man es lobt, und wer solches mißachtet, von dem zieht es seine Hand ab, dessen Kühe fressen schlechte Kräuter, geben wenig Milch und werden mager ; dessen Ziegen klettern an unzugängliche Orte, wo sie nicht vor noch rückwärts können, und der ungehorsame Hirte muß Tag und Nacht in den Bergen umherstreichen, sie zu suchen und auf halsbrechendem Wege sie herabtragen in wegsamere Gegenden. Deshalb spricht der Oberländer nicht gern vom Hauri, denn er ist seines Schutzes benöthigt. Im Winter hört des Hauri Sorge für das Vieh auf den Alpen auf. Dann wacht es über den verderblichen Anschlägen der Geister des Gebirges, welche die Menschen bedrohen, und warnt diese, da es nicht mächtig genug ist, sie selbstthätig gegen die vereinte Macht der Kobolde zu schützen. Drum hört man, wenn die Kobolde eine Lawine zusammengescharrt haben, um sie auf die Wohnungen hinabzuschleudern, eine klagende Stimme in den Lüften, welche die Bedrohten warnt. Oft ruft die Stimme den Namen, oft ist es nur ein eigenthümlicher wimmernder Laut, der in den Lüften stöhnt und von der Stelle


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her sich vernehmen läßt, von welcher die Gefahr droht. Und wenn er sie auch noch nie gehört hat, so erkennt der Bedrohte doch gleich, daß es keine menschliche Stimme ist, die ihn ruft, kein menschlicher Klageton, fonda ein Laut, der nicht seines Gleichen angehört. Zaudert er dennoch sich zu retten, so warnt das Hauri zum zweiten Male. Zum dritten Male aber ist es nicht mehr der vorherige Laut, Erd und Himmel scheinen dann Wehe schreien, ein heulendes Gewimmer bricht aus allen Schlünden, aus allen Thälern des Gebirgs hervor, die ganze Luft ächzt in ängstlicher Klage, wie ein Gewitterschein fleucht das Hauri über die bedrohte Stelle — und ihm unmittelbar folgt das Graus der Zerstörung, ganze Berge von Schnee wälzen sich dumpf donnernd von den Höhen herab und hohnlachend stürzen sich, auf losgerissenen Felstrümmern reitend, die sie zu wilden Sätzen anspornen, die Geister des Gebirges auf die Stätte der Verwüstung.


IL

Als vor einigen Jahren eine Lawine das Grimselspital verschüttete, da hörte der Knecht, der einsam den Winter über das Haus hütet, das Hauri. Klagend rief es vom Juchliberge her; — die Hunde sprangen unruhig auf, öffneten sich selbst die Thüren und flüchteten hinaus in das Freie. Der Knecht im Glauben, ein Wanderer rufe um Hülfe, eilte ebenfalls vor die Thüre. Draußen schien hell und freundlich die Sonne, um den Juchliberg aber schwebte es in der Luft, er konnte nicht recht deutlich sehen, was. Kein Wanderer zeigte sich in der Nähe noch Ferne. Er rief die Hunde, die ziellos umherschweiften und kehrte mit ihnen in die Stube zu seiner Arbeit. Da erschallte der Ton zum zweiten Male. Abermals suchte erden vermeintlichen Wanderer, der seine Hülfe angerufen, abermals vergebens; am Juchliberge



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aber flimmerte ein röthlicher Schein. Er kehrte wieder in das Haus. Erst als der Himmel über ihn mit schrecklichem Getöse zusammenzubrechen schien, erst dann erkannte er, aber zu spät, wer ihm gerufen. Wie Strohhalmen waren die Sparren des Daches geknickt und unermeßliche Erdlasten vor die Thüre gewälzt, so daß jeder Ausgang gesperrt schien. die Festigkeit der Mauern hatte das Haus vor gänzlicher Zerstörung, ihn vor augenblicklichem Tode gewahrt. Allein im Fliehen hatte das Hauri den Deckel des Kamins aufgeklappt und ihm so einen Rettungsweg eröffne. Er kletterte durch den Schornstein an das Tageslicht, als die Kobolde ihn begraben glaubend, ihren Triumph auf dem Aargletscher feierten, zog die Hunde nach und brachte die Mahr in das Thal. Erkennt jetzt die Stimme des Hauri, aber er erzählt die Geschichte nicht gern, denn er möchte seine Gunst, die sich so offenbar gezeigt nicht verscherzen.Unstreitig gehört das Hauri zu denjenigen Sagenstoffen, deren Bildungsmotive sich auf gewisse Naturerscheinungen gründen und deren Personificirung nach heidnischer Anschauungsweise einfachen Gemüthern heute noch mehr Reiz gewährt, als die nackte und kalte Darlegung ihrer wirklichen Ursachen. Das Blumen und Blüthen hervorlockende und Menschen und Thiere neu mit Kräften belebende Hauri ist die personificirte warme Jahreszeit, der Sommer, welcher den Winter bekämpft, und in dieser Beziehung finden sich zwischen ihm und gewissen heidnischen Gottheiten, welchen eine gleiche Aufgabe gestellt war, mancherlei verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte. So repräsentirte die nordische Gottheit Thor ebenfalls den Sommer, der mit seinem Hammer (Donnerkeil) die Frostriesen besiegte, und der durch alle Zeit schöpferisch waltende Odin die zwölf Monate des Jahres, nach denen er je nach ihrer verschiedenen Aeußerungsweise auch zwölf verschiedene Namen führte. Als Sieger über die Dämone der Finsterniß, die er im Frühjahr bekämpfte, nannte man ihn Herian (Heerführer Aehnlich aber dem Verhältniß, in welchem Odin zu den Dämonen der Finsterniß steht, ist die Stellung, welche dem Hauri gegenüber den bösen Geistern des Gebirges angewiesen ist, deren Herrschaft im Winter beginnt und gegen deren Treiben es den Menschen schützend


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und warnend zur Seite steht, womit die Verwandtschaft zwischen diesen zwei Wesen bestätigt wäre.


6. Mon den bösen Geistern des Gebirgs.


Vogt, im Gebirg und auf den Gletschern, S. 167. Mündliche Mittheilung.

Wie es unter den Geistern des Gebirges gute, den Menschen freundlich gesinnte Wesen gibt, so trifft man unter ihnen aber auch auf solche, die ein Schrecken dem Aelpler, nichts als Tod und Verderben drohen. Sie führen keinen besondern Namen. Man nennt sie nur die Bösen. Wenn die Alpen unter der Last des Winterschnees begraben liegen, Menschen und Vieh in das Thal herabgezogen sind und in den zugeschneiten Hütten die Männer beim flackernden Kienspan Holzwaaren schnitzen, und die Weiber an der altmodischen Spindel zupfen, beginnt ihre Herrschaft. Dann steigen sie aus ihren Sommerpalästen, den unzugänglichen Höhen des Finsteraarhorns, der Jungfrau und ihren Nachbarn, tiefer herab in die niederen Gegenden, sammeln sich in den Schlünden und Tobeln der Felsen, scherzen mit der Wuth der Elemente, heulen grausame Zaubergesänge, zu welchen der Sturm aufspielt, und ergötzen sich mit lustigen Spielen und knabenhaftem Zeitvertreib. Oft stellen sie sich auf die vereisten Firsten und fordern höhnend einander heraus, necken sich in lächerlichen Entgegnungen und werfen einander Schneelasten: zu, ungeheure Lawinen, wie Knabenschneebälle, und hat ein Wurf den Gegner gesoffen,, daß er kopfüber von der Felskante stürzt, vergraben unter dem himmelanwirbelnden Schneegestöber und den losgerissenen Felstrümmern, dann jauchzt föhlich der ganze Chor der Zuschauer und klatscht in die Hände,



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daß es wiederhallt an den Thalwindungen wie Kanonendonner und Gewittersturm. Da sie aber hassen Alles was Leben hat, üben sie auch gern und häufig die Jagd. Mit lautem Halloh jagen sie dann pfeifend, klappernd und rasselnd hinter den scheuen Gemsen drein, über Höhen und Tiefen, Schlünde und Felsspitzen in wüthender Eile die geängstigten Thiere Seib end, und wenn sie sich lange genug an der windschnellen Flucht des Gewildes belustigt haben, so schleudern sie es zerschmettert hinab von den hohen Felskanten in die grausen Tiefen der Gletscherschlünde. Ihr größter Haß trifft aber die Menschen, Wehe daher dem Wanderer, der zu solcher Zeit sich in ihr Bereich wagt. Ihm droht der sichere Tod. Sie locken ihn durch schönes Wetter und hellen Sonnenschein, dann aber, wenn sie ihn von allen Seiten umgarnt, spiegeln sie ihm falsche Bilder in den Lüsten vor, führen ihn irre durch bekannte Gestalten der Berggipfel, die sie aus Nebel weben, oder um ihn mit dichten Wolken, fallen ihn an von allen Seiten mit wildem Schneegestöber und Hass ivetta und wenn sie sich sattsam geweidet an der Verzweiflung des Verirrten und seiner Todesangst, so lassen sie ihn verschmachten in den wüsten Tobeln, die sonst nie ein Sterblicher betritt, oder stürzen ihn in einen Abgrund, in dem man oft erst nach Jahren seine zerscheren Gebeine findet. Vor allen aber unter den Menschen hassen die bösen Geister der Gebirge den Bergmann und den Gräber nach Krystallen, welche das Innere ihres Besitzthums, die Berge, nach edlen Metallen durchwühlen und ihre Wohnungen, die Krystall höhlen, ihres schönsten Schmuckes, der Stralen *) berauben . Diese lassen sie bald in enge Spalten geklemmt, bald in Schachten und Höhlen, deren Eingang sie verschütten, unter den gräßlichsten Qualen einem langsamen Tod entgegen 
Krystalle.


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schmachten. Oft aber vereinigen sie sich auch zu gemeinschaftlichen Angriffen gegen die Menschen im Thale, indem sie ungeheuere Schneelasten, Felstrümmer und Eisberge auf ihre Wohnungen wälzen, Alles was lebt unter dem Schutte der Lawine begrabend. Der Mensch drängt jedoch diese bösen Geister son Jahr zu Jahr mehr zurück in das unwirthbare Gebirge, faßt Fuß in ihrem Reich, bezieht die Triften der mit feinem Vich und wirtschaftet da oben, als wären Sasa die Herren des Gebirges; darum zürnen die Geister unversöhnlich.Dasselbe, was in der vorhergehenden Erläuterung hinsichtlich der Entwickelung der Sage vom Hauri aufgestellt wurde, gilt auch von den bösen Geistern des Gebirges. Wie dort die Phantasie der Alpenbewohner die erwärmenden und belebenden Einflüsse der Natur im Frühjahr und im Sommer einem wohlthätig wirkenden Wesen, zuschrieb, müssen die zur Winterzeit in ihr Dasein oft mit vernichtender Kraft eingreifenden Naturereignisse Aeuserungen der Macht böser, den Menschen feindlich gesinnter Dämonen sein — kurz, wie das Hauri die mildere Jahreszeit des Sommers repräsentirt, können wir in den bösen Geistern des Gebirges den personificirten Winter sehen. Aehnlich wie Tag und Nacht standen sich in allen mythischen Vorstellungen von jeher Sommer und Winter feindlich gegenüber. Sommer und Tag erfüllten die Menschen mit Freude, Winter und Nacht mit Angst und Schreien. Die Edda stellt Sommer und Winter als Riesen dar. "Sumar (Sommer) war der Sohn des Svâsudhr, welcher Name von svâs (carus, proprius, domesticus) herstammt: er ist ein seliger, freundlicher Mann, nach dem alles Frohe und Liebliche heißt (svâslegt, blîtt). Der Vater des Betr (Winters hingegen führt den Namen Vindlôni oder Vindsvatr (der windbringende, windkühle) und dessen Vater hieß Vâsadhr, der feuchte, nasse: ein grimmiges, kaltbrüstiges Geschlecht." (I. Grimm, Mythologie der Deutschen . S, 436.)


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7. Geister von einem Kapuziner verbannt.


Mündliche Mittheilung.

Hinter Gsteig im Saaner Lande ist eine wüste, mit zahllosen Felsblöcken wild besäte Stelle, in den großen Steinen benannt; Ehemals hausten hier böse Geister. Lange Sehen sie ihr Unwesen, da kam endlich ein Kapuziner in jene Gegend, ber zu Salamanca das Geisterbannen gelernt hatte. Flehentlich gingen diesen die Bewohner von Gsteig an, daß er sie von der gefährlichen und unheimlichen Nachbarschaft befreie. Nach langem Zögern willigte der fremde Kapuziner in das Wagestück und begab sich nach der Stätte, von welcher er die Geister auf ewig verbannen sollte. Von einem Kalkfelsen herab begann er, seine Bannfirmeln, heilige Worte unb heilige Zeichen, den Geistern entgegen zu schleudern. Ihrer Macht aber waren sie nicht träftig genug; wild stürmten sie gegen den Felsen an, auf welchem der Beschwörer stand, und suchten mit aller Kraft ihm denselben unter den Füßen hinwegzureißen. Kaum daß der fromme Vater diesem Kampf Stand halten konnte; aber immer fester trat sein Fuß auf, tief in den Felsen sich bohrend, der unter ihm schon zu wanken begann — da noch eine Beschwörungsformel, die kräftigste von allen, und siehe, die Geister wichen für ewig. Der Fußeindruck des Paters aber ist heute noch auf jenem Felsen zu sehen.

In ältester Zeit gehörte das Bannen der Geister und die Ausübung anderer magischer Künste zu dem priesterlichen Amte der Druiden und Druidinnen. Nach dem Siege des Christenthums verpflanzte es sich auf die Geistlichkeit dieser Lehre, welche, wie es scheint, selbst hier und da an die Kraft ihrer Bannformeln zu glauben schien: denn daß Sixtus V.


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im I, 1586 eine Bulle gegen die Magier und Astrologen erließ, geschah nicht, um die Geister aus den Banden des Aberglaubens zu befreien, sondern nur aus Furcht vor den magischen Wissenschaften. In späterer Zeit wurde das Geisterbannen auch von Hirten und dem Schinder ausgeübt.


8. Die Herren von Rothenthal.


Mündliche Mittheilung.

An der Südwestseite der Jungfrau, hoch über ihrem Fuße, liegt ein furchtbar vergletschertes Thal, das Rothenthal oder Roththal. Ehemals war hier eine der fruchtbarsten Alpen, die Blümlisalp *), und vor noch nicht zu langer Zeit führte von hier aus ein Paß, wenn auch nicht ohne Gefahr, nach dem jenseits gelegenen Wallis. Glücklich wäre das Loos der Bewohner dieses Theiles des Landes gewesen, hätte nicht zu jener Zeit die Willkürherrschaft grausamer Herren auf ihnen gelastet. Keiner war seines Eigenthums sicher und selbst die Frauen und Jungfrauen des Thales entgingen nicht den Verfolgungen dieser Wüthriche. Ihr gottloses Treiben konnte jedoch nicht ungestraft bleiben. Der Zorn des Himmels erwachte und als einstmals einer von ihnen, der böseste von allen, unter denen das Land seither geschmachtet hatte, mit seinem wilden Gelüste ein junges Hirtenmädchen verfolgte, kam plötzlich im jähen Sprunge ein großer schwarzer Bock, welcher noch niemals vorher auf der Alp erblickt worden war, der fliehenden Jungfrau zu Hülfe und stürzte den Verfolger mit Saftigem Stoße von der steilen Felsenwand hinab in den Abgrund. Gleichzeitg aber erzitterten ringsum die 

*) Die bekannte Sage von der Bluemlisalp wird bei der Sage von der Claridenalp erwähnt werden, von der sie nur eine Wiederholung ist.



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Firnen der Eisberge und unter herabrollenden Felsstücken und Eismassen verwandelte sich das einst so blühende und fruchtbare Thal in die traurige Gletschereinöde, die es heute ist und die von jenem Augenblick an, nur selten von den Menschen betteten, der Aufenthaltsort aller jener Bösewichter ward, welche, einst hier herrschend, ihre Macht zur Unterdrückung ihrer Nächsten und zur Befriedigung ihrer verabscheuungswürdigen Leidenschaften mißbrauchten. ewiger Buße verdammt, ziehen sie jetzt, ihr Schicksal in dumpfen eigenthümlichen Tönen beklagend, von hier aus oftmals durch das Land. So oft aber diese Töne gehört werden, kann man sicher sein, daß trübes regnerisches Wetter im Anzug ist und im Volke heißt es dann: die grauen Thalherren kommen was eben so viel bedeutet, als es wird schlecht Wetter werden,Das Rothenthal ward selten besucht. Im Jahr 1829 betrat es Professor Hugi von Solothurn zum ersten Male, welchem wir auch die erste Kunde von ihm verdanken. Das wilde und grausenhafte Gepräge, welches die Natur diesem Thale aufgedrückt hat, rechtfertigt seinen Ruf als Aufenthaltsort der auf ewig verdammten Seelen der einstigen Herrscher jener Gegend, und so stimmt, wie gewöhnlich, auch hier die Sage mit der Oertlichkeit, an die sie sich bindet, überein. So wies man im berner Oberlande den guten und freundlich gesinnten Toggeli lichte Waldstellen, glänzende Krystallhöhlen und prachtvolle Säle im Innern der Berge als Wohnungen an; für die höfen Thalherren aber konnte die Phantasie keinen passendern Ort der Verbannung finden, als jene Gletschereinöde des Rothenthals, von wo aus dieselben, ihr Schicksal beklagend, durch das Land ziehen ein Zusatz, der sich auf eine gewisse tönende Lufterscheinung gründet, welche selbst in den niedern Gegenden der Schweiz vorkommt und unstreitig zu den sogenannten Stimmen aus der Höhe zu zählen ist, denen wir unsere Aufmerksamkeit auf den nächsten Seiten in der Erläuterung zur Sage vom Wütisheer schenken werden.


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9. Das Wütisheer.


Mündliche Mittheilung.

Vom Rothenthal zwischen Hasli und Grindelwald über die Scheideck hinweg hört man ost das Brausen des wüthenden Heeres oder das Wütisheer, wie man es hier nennt. Am ärgsten treibt es jedoch seinen Spuck um die heilige Weihnachtszeit. Mächtige Riesen, Ureinwohner des Landes, Wesfriesen genannt, führen den nächtlichen Zug an, dann kommen Zwerge von scheuslicher Gestalt, reitend auf allem möglichen Ungethier und die Geister aller jener Fluchbeladenen, denen die Sage das Rothenthal und den Roththalgletscher als Aufenthaltsort anweist. Wenn aber der heulende Sturm das Nahen dieser wilden Jagd verkündet, müssen oben auf der Scheideck, da wo der Weg nach Gassen und dem Faulhorn führt, diesem Geisterspuck die Thore des Melkhauses geöffnet sein. Wehe dem Hause, wenn dies nicht geschieht.

Sagen von nächtlichen Geisterzügen, welche sich zu gewissen Zeiten des Jahres mit furchtbarem Getöse in der Luft hören lassen, sind nicht nur in der Schweiz, sondern unter allen Himmelsstrichen daheim. Ueberall aber, wo man sie antrifft, verdanken sie ihre erste Entstehung den tönenden Luftschwingungen, die größern Veränderungen der Temperatur vorherzugehen pflegen; daher es auch in der Sage vom Wütisheere heißt, daß es am tollsten zur Weihnachtszeit sein Wesen treibe, zu welchem Zeitpunkt heftige nächtliche Stürme den Anfang des Winters zu verkünden pflegen. Was nun die Sage vom wüthenden Heere oder Wütisheere, wie es im berner Oberlande genannt wird, an sich selbst betrifft, so ist dieselbe uralt und hängt mit der höchsten Gottheit unsrer heidnischen Voreltern, dem Wodan, in engem Zusammenhange, wie denn auch seine Benennung, wüthendes Heer, süddeutsch: Muotes-Heer, ursprünglich nichts anderes als Muotane-Heer bedeutet. Unter andern Aeußerungen seiner Alles durchdringenden Kraft dachten sich nämlich


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unsere Vorfahren den Allvater Odin, Othan, Wuotan oder Wodan auch als Lenker der Schlachten und als Führer der im Kampfe gefallenen Helden bei ihren himmlischen Jagdvergnügungen in Walhalla, die sie über ihren Häuptern im Geräusch der Lüfte vernahmen. Zu Schonen wird noch heutigen Tages ein eigenthümliches, wahrscheinlich von Seevögeln herrührendes Getöse, das sich an den Abenden des Dezembers hören läßt, Odens jagt genannt. Von dem siegenden Christenthum wurde jedoch später die sinnige Mythe, in welche das Heidenthum die Naturerscheinung des heulenden Sturmwindes eingekleidet hatte, verdunkelt, indem es auch hier, wie überall, wo die Reste des alten Glaubens nicht gänzlich verdrängt werden konnten, dieselben durch häßlich entstellende Zusätze oder Veränderungen in eine andere Grausen erregende Fassung zu bringen suchte. So verwandelte es den allmächtigen Himmelsgott Odin oder Wodan in den Teufel und die von ihm angeführten Geister der selig dahin geschiedenen Helden in die Seelen ewig Verdammter, die als wüthendes Heer, jene Gottheit in ihrer neuen Gestalt an der Spitze, abergläubische Gemüther in diesem Augenblick noch mit Angst und Schrecken erfüllen. Daß aber der Teufel in obiger Sage sein Amt als Anführer des wüthenden Heeres den riesenmäßigen Ureinwohnern des Landes abtritt (die Vorstellung, daß Riesen seine Anführer sind, ist in der Schweiz überhaupt die allgemeinere), liegt in dem engen Anschluß, der nach christlich mythischer Anschauungsweise zwischen der Vorstellung vom Teufel und der von den Riesen stattfindet, ein Punkt, auf welchen später zurückzukommen ist.Eine interessante Zusammenstellung von tönenden Lufterscheinungen , die dem wüthenden Heere analoge Mythen in's Dasein riefen, bringt F. Nork nach einer von dem Universitätskanzler Autenrieth in Tübingen herausgegebenen Sammlung von Zeugnissen glaubwürdiger Reisender über die sogenannten "Stimmen aus der Höhe". So erzählt der Engländer Davy, daß er im April auf Ceylon zu Anfang der dortigen Regenzeit im flachen, waldigen Theil der Insel den "Dämonenvogel " der Eingebornen gehört habe, der noch Niemand zu Gesichte gekommen sei. Sein Geschrei drückt den größten Jammer aus, daher er den Einwohnern als Todesbote gilt.Der Holländer Hafner hörte, gleichfalls auf Ceylon, als er das gebirgige Hochland der Insel zu Ende der Regenzeit durchwanderte, um Mitternacht ein fernes Hundegekläffe, das aus den gegenüberliegenden Bergen hervorzubrechen schien. Dies Geräusch wurde bald laut und lauter, bald glaubte er lachende, bald schwatzende Menschenstimmen zu vernehmen. Alle diese Töne kamen und schwanden in einigen Minuten wechselsweise wieder in die Nähe und in die Ferne, bald dünkten sie ihm aus der Höhe herabzuschweben, bald tief aus der Erde herauf zu wimmern.


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Plötzlich trat Todtenstille ein, bis eben so plötzlich wieder Stimmen durch die Luft schallten, die das Echo der benachbarten Berge beantwortete . Hierauf ertönte dicht hinter der Klippe, unter welcher er Schutz gesucht, ein so gellender Schrei in seine Ohren, als Sollte sein Trommelfell zerreißen. Außer sich stürzte er unter seinem Felsenobdach hervor. Da war es, als ob hundert durcheinander kreischende Töne, so falsch, so fremd, so unerhört ihm in Nacken schwirrten, daß er eilig, die Finger in den Ohren, in die Grotte zurücksprang. In Jaffanapatnam hörte er später, daß ähnliche Stimmen im Gebirge und an den Ufern des Mawelingangastroms nichts Seltenes wären und nach dem dortigen Volksglauben von dorthin gebannten Geistern hervorgebracht würden. Ein Mecklenburger, Namens Wolf, der zwanzig Jahre auf Ceylon zubrachte und im Jahre 1784 seine Reisebeschreibung herausgab, sowie der Engländer Knox, der im Jahr 1681 ein Werk über diese Insel veröffentlichte, wollen diese fürchterlichen Stimmen gleichfalls gehört haben. Ersterer sagt von ihr: sie laufe so geschwind von einem Orte zum andern, daß weder der Wind, noch ein Vogel solche Geschwindigkeit haben könne. In wenigen Sekunden höre man sie fast eine Viertelstunde weit. Aehnlich läßt sich auch der letztere Reisende aus, nur fügt er noch hinzu: es glaube auch die ganze dortige Welt, der Teufel sei es, der bei Nacht diesen grausenerregenden Schrei ausstoße. Töne wie von Waffengeräusch oder auch wie von verschiedenartigen musikalischen Instrumenten wurden von mehrern Reisenden in der Wüste Kobi bemerkt, welche das schneebedeckte, gebirgige Tibet von den mildern Gegenden Asiens abgrenzt, und Morier, der zu Anfang dieses Jahrhunderts Persien bereiste, gedenkt einer hochgelegenen Salzwüste in der Nähe der Stadt Khom, in der Reisende durch das Geschrei eines Gespenstes, von den Einwohnern Ghul benannt, verlockt und zerrissen würden. Russische Nachrichten über Chiew wissen von einer in einem salzigen Sumpfe zwischen dem kaspischen Meere und dem Aralsee liegenden Insel zu erzählen, die in Folge von Hundegebell und verschiedenen andern Thierstimmen, welche sich dort des Nachts hören lassen, als der Aufenthaltsort böser Geister von den Reisenden gemieden wird. Im westlichen Asien sind diese tönenden Lufterscheinungen oder Stimmen aus der Höhe nicht weniger bekannt. Bei den Rabbinen tritt die Bath Kol (die Stimme aus der Höhe) an die Stelle der frühern direkten Offenbarung und einer solchen schrieb Paulus seine Bekehrung zu. Endlich wußten die Mönche des auf dem Berge Sinai gelegenen Klosters dem Reisenden Burkhardt, der ihn im Jahre 1816 bestieg, viel von einem donnernden Lärm zu erzählen, der sich zu etlichen Malen von seinem Gipfel herab habe vernehmen lassen. Wohl möglich, daß dieser Schall in der mosaischen Zeit


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als Sprache des sich seinem Volke offenbarenden Gottes galt. Aehnliche donnernde Töne hörte Pater Gilii im Jahr 1782 an den Ufern des Orinoko in Südamerika und die Holländer an der Südspitze von Afrika, am Vorgebirge der guten Hoffnung, nannten einen Berg den Teufelsberg , wegen des Getöses, das man dort vernimmt.Wie wir sehen, sind alle diese merkwürdigen Naturerscheinungen in ihren Grundzügen dieselben, nur daß die hie und da vernommenen Töne je nach der Beschaffenheit des Landes eine mehr oder minder grausenerregende Wirkung hervorbringen, von der sich die Phantasie beim Entwerfen ihrer mythischen Vorstellungen gewöhnlich auch leiten ließ. Sagen von Wütisheer knüpfen sich im Kanton Bern noch an verschiedene Lokalitäten, so unter anderen an dem Büttenberg und an dem Hühnliwald, links an der Straße nach Thun, wo, antiquarischen Angaben nach, in heidnischer Zeit eine Opferstätte gewesen sein soll. Analog dem Wütisheere sind die nächsten zwei Sagen, welche, da sie die fast gleiche auf Naturerscheinungen basirte Erklärung finden, ohne weitere Erläuterung hier folgen mögen.


10. Verunglückte Gemsjäger jagen nach ihrem tube.


Mündliche Mittheilung.


I. R. Wyß, Reise in das berner Oberland.

Oben am Schreckhorn, so wie in andern Alpengegenden lassen sich zwischen den Gletschern oft Töne hören, die dem Knall einer gezogenen Büchse gleichen. Dies rührt von den Geistern der Gemsjäger her, welche als Strafe für ihre nicht zu überwindende Leidenschaft zum Jagen von den Berggeistern in die Tiefe gestürzt, nun verdammt sind, derselben auch noch nach ihrem Tode nachzugehen.



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11. Der unsichtbare Säumer.


Alpenrosen, Jahrgang 1827. S. 310.

Im berner Amte Oberhasli, zwischen Meynngen und Guttannen erhebt sich ein jäher steiler Fels, der Zuben. Auf dem schauerlichen Pfade, ber neben Abgründen, in welchen die wild schäumende Aar ungeheure Felsbrocken bespühlt, zu seiner Höhe führt, ist es nicht geheuer. Oftmals hört man hier Peitschenknall und Töne von Glocken, als ob Säumer mit ihren Mauleseln an dieser traurigen Stätte vorüberzogen. Dies ist die unsichtbare Karavane eines Säumers aus Piemont , dessen Hohn und Spott, als er einst auf seinen Zügen nach Guttannen kam, die ehemals dort wohnenden Berggeister vertrieb ; und der nun von dem Könige derselben verdammt wurde zur Strafe, jährlich einmal hier durch zu ziehen, an dem Tage, an welchem er sich jener Schandthat erfrechte. Jedem aber, dem diese unsichtbare Säumerei begegnet, ist es gerathen, auf die Seite zu treten, um die gespenstischen Reisenden betend vorüber lassen.


12. Die Musterung auf Seefeld.


Jahn, der Kanton Bern deutschen Theils ez. S. 316.

Auf der Alp Seefeld, zu hinderst dem Beatenberg, hoch über dem Habkern- und Justithal hört man bisweilen stundenweit ein unterirdisches donnerndes Geräusch. Auf dieser Alp stand in früherer Zeit eine große Stadt, die hier mit Einwohnern und Allem untergegangen ist. Jenes Geräusch



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aber, von den Bewohnern der dortigen Gegend die Musterung auf Seefeld genannt, rührt von den Wagen her, die noch heutigen Tages in ihren Straßen herumfahren.Daß auf der Alp Seefeld eine Stadt gestanden, wie unsere Sage angibt, ist mehr als zweifelhaft; annehmbarer erscheint dagegen die von Jahn ausgesprochene Vermuthung, daß jene Stelle in keltisch-helvetischer Zeit von einer Art troglodytischer Bergbevölkerung bewohnt gewesen sei. Was endlich jenes donnernde Geräusch betrifft, so ist hinlänglich erwiesen, daß es von dem jeweiligen Anschwellen des Beatenbachs in der Beatenhöhle herrührt, welche sich unter der Alp Seefeld hinzieht und die einer andern Sage zufolge nach Tyrol oder dem Schwarzwalde ausmünden soll.Aehnliches, wie von der Alp Seefeld, wird auch vom Aellgäu, einem im Thale Habkern vom Hochgant, dem Riedergrat, dem Augstmatthorn und der Bohlegg begrenzten Thalkessel, erzählt. Auch hier soll vor Zeiten eine große Stadt gestanden haben, für welche Angabe man in einem dort befindlichen, von Menschenhänden aufgeworfenen Erdwall, in dem Jahn jedoch ebenfalls nur Spuren einer keltisch-hetvetischen Ansiediung sieht, die Bestätigung finden will. Dieselbe Sage vom Wagenfahren geht auch hier — ein Zug, der sich übrigens sehr häufig an alterthümliche Lokalitäten bindet.


13.

Kühe verschwinden auf den Ruf einer Stimme von best Alpen unb kehren nach drei Sagen wieder zurück.


Joh. Scheuchzer, Naturansichten des Schweizerlandes, sammt seiner Reise über die schweizerischen Gebürge. Pag. 251. Zürich 1746.

Wenn die Sennen auf den Alpen sind, geschieht es Zeiten, daß in der Nacht eine Stimme gehört wird, gleich der eines Sennen, wenn er die Kühe ruft, welcher Stimme dann die Kühe, unter Anführung der Meisterkuh, alsobald nachgehen. Ruft nun der Hirt sie mit seiner wahren Stimme



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nicht wieder zurück, so kommen sie fort, daß man sie nicht finden kann. Drei Tage hernach finden sie sich aber auf ihren gewöhnlichen Weidplätzen auf den Alpen, mit angefüllten Eutern, wieder ein. Oft auch, und namentlich bei Nacht, wenn Sturm, Regen und Hagelwetter eingetreten ist, befällt sie eine solche Unruhe, daß sie wie toll über Stock und Stein davon fliehen und kein Rufen der Sennen sie mehr zurückbringt. Dies ereignet sich jedoch bisweilen auch am Tage, obwohl sich kein äußerer Grund davon entdecken läßt. Dann aber hält ihren Lauf selbst der tiefste Abgrund nicht auf, in blinder Hast stürzen sie darauf zu, ein Sprung und zerschmettert liegen sie in der Tiefe. Einstmals soll sich ein kühner Hirtenknabe, als solche Wuth über seine Heerde kam, an den Schweif der hintersten seiner Kühe angehängt haben und mit derselben verschwunden sein. Nach drei Tagen kehrte er jedoch mit ihr wieder auf die Alp zurück. Niemals hat er aber sagen wollen, wo er gewesen und was er während seiner Abwesenheit Alles gesehen und erlebt.Eine getreue und lebhafte Schilderung jener Scene voller Angst und Schrecken, welche, unter dem Namen das Rücken der Kühe bekannt, je zu Zeiten ganze Alpwirthschaften in Bewegung und Verwirrung setzt, findet sich in Tschudis Thierleben der Alpenwelt, S. 528. Als treffendes Naturbild, entworfen von kundiger Meisterhand, das gleichzeitig die Bildungsmotive unsrer Sage auf den ersten Blick verräth, erlaube ich mir, es derselben anzureihen. Es heißt;"So vertraut die Sennen mit ihrem Vieh sind und so gerne eine Kuh dem Namen, mit dem sie gerufen wird, folgt, so gibt es doch auch fast in jedem Sommer Stunden der vollen Anarchie, in der alle Ordnung in der Heerde reißt und der Senn sie fast nicht mehr zu halten weiß. Wir meinen die Stunden der nächtlichen Hochgewitter, die den Alpbewohnern wahre Notha und Schreckensstunden sind. Noch liegt die Heerde in der Nähe der Hütte und die Hirten ruhen, von des Tages Hitze und Last ermüdet, im ersten Schlafe. Da leuchtet's fern am Horizonte und das nahe Schneefeld steht Minuten lang wie von glühender Lava übergossen . Schwärzer hangen die schweren, breitgeballten Wolken über den


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Gipfeln und von Westen her beginnt eine tolle Jagd gelblichen Gewölkes mit leicht zuckenden Strahlen. In der fernen Tiefe ruht das schwarze Land in Todesstille. Die Kühe wachen auf und werden unruhig; warme Windstöße fegen zwischen den Felsenköpfen her und rauschen sachte in den Alpenrosengebüschen und niedrigen Bergföhren. Die Wasser der Gletscher werden lebendig, in der Ferne beginnt es dumpf zu rollen, die obern Lüfte kämpfen, zuckt immer lebhafter und feuriger über den höchsten Alpengipfeln. Die Kühe stehen auf und sammeln sich, die dumpfbrüllende Heerkuh gibt das Zeichen zum Aufbruch und bald ist die Heerde dicht um die Hütte geschaart. Noch liegt über dem Plateau drückende Schwüle; einzelne schwere Tropfen fallen schräg auf das Hüttendach, unter dem noch die Sennen ruhig fortschnarchen. Da flammt aus der nächsten lichten Wolke wie eine feurige Schlange der schwefelgelbe Blitz in den Felsen her wie Gift beißt's in die Augen — ein heller Kanonenschlag schmettert nach, die Wolken flammen ringsum auf, die Donnerschläge überstürzen sich, der Himmel dröhnt, die Hütte wankt, die Firne beben; in hellen Strichen rauscht der dichte Hagel auf die Weide nieder. Hoch auf brüllen die getroffenen Thiere; mit aufgeworfenen Schwänzen und dicht geschlossenen Augen rennen sie zitternd nach der Richtung des Sturmwinds auseinander. Jetzt springen die halbnackten Sennen. die Milcheimer über die Köpfe gestürzt, unter die zerstäubende Schaar, johlend, fluchend, lockend und die heilige Mutter anrufend. Aber das tolle Vieh hört und sieht nichts mehr. In schauerlichen Tönen halb stöhnend, halb brüllend, rennt es blind, mit vorgestrecktem Kopfe, den Schwanz in den Lüften, gerade aus. Die Sennen wissen sich nicht zu helfen, bald schwarze Nacht, bald blendendes Feuer; der Hagel klappert auf dem Eimer und zwickt die nackten Arme und Beine mit scharfen Hieben, während alle Elemente im greulichen Aufruhre sind.Endlich ist ein Theil der Heerde gesammelt; die Winde haben die gefährlichen Wolken über die Wetterscheide hinausgetrieben; dem Hagel folgt ein dichter Regen, die Kühe stehen bis an's Knie in Koth, Hagelsteine und Wasser um die Hütte her, und von Fels zu Fels hallen die vereinzelten Schläge des fernern Donners nach — aber eine oder zwei der schönsten Kühe liegen zuckend und halb zerschmettert im Abgrund. Kommt das Hochgewitter nicht so unerwartet, so beeifern sich die Sennen, das Vieh sorgfältig zu sammeln. Es bietet einen eigenen Anblick, wenn es sich, wie sie es nennen, "erstellt". Mit starren Augen und hängendem Kopfe stehen die heftig zitternden Thiere im Haufen. Ueberall gehen die Hirten umher, reden freundlich zu, loben und schmeicheln, und da mag es noch so heftig blitzen und krachen, der Hagel noch so stark auf die Heerde hereinwettern, - keine Kuh weicht mehr vom Fleck. Es ist, als ob diese armen, gutmüthigen Thiere sich sicher vor allem Unglück


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wüßten, wenn sie nur des Sennen Stimme hören! Ein andrer Fall von Anarchie unter den Heerden, von Tschudi ebenfalls angeführt, der jedoch weniger bekannt und auch schwerer zu erklären ist, kömmt vor, wenn man die Unvorsichtigkeit begeht, das halbverdaute Futter und den Inhalt der Gedärme einer todt gefallenen oder sonst geschlachteten Kuh auf den Boden fallen zu lassen. Sicher kommen dann sämmtliche Kühe, sogar die, welche in der größten Ferne weiden, wie toll nach jener Stelle des Bodens herbeigelaufen und es beginnt ein allgemeiner Hörnerkampf, der nicht selten mit dem Tode eines dieser Thiere endet. Selbst wenn der Inhalt jener Eingeweide weggekehrt oder fußtief im Boden vergraben worden, so wird doch jede Kuh der Heerde diese Stelle nur mit der größten Unruhe betreten." "Das, schließt Tschudi, sind Thatsachen, die sich mit der größten Regelmäßigkeit wiederholen, aber natürlich in der Regel mit aller Sorgfalt vermieden werden." Sollen wir uns wundern, wenn der einfache Alpbewohner in allen diesen Naturfühlen, deren Tiefe oftmals selbst der Gelehrteste unter den Gelehrten nicht ganz ergründen kann, das geheimnißvolle Walten einer überirdischen Macht erblickt, von der er, seinen Träumen hingegeben, sich die seltsamsten Bilder der Phantafie entwirft ? Gewißlich nicht!


14. Die Rochelmore.


Jahn, der Kanton Bern deutschen Theils S. 328.

Auf den Alpen des berner Oberlandes tobt und lärmt ein gespenstisches Mutterschwein, die Rochelmore. fürchterlichem Geräusch und deutlichem Grunzen zieht sie durch die Lüfte, setzt die Schweine, welche in ihren Lagern bei den Sennhütten ruhig beisammen liegen, in Angst und Verwirrung , fährt wohl selbst den Leuten durch die Beine und feindet sie sonst noch auf mancherlei Art an.

Daß dem plötzlichen Unruhigwerden der Schweine, dieser prosaischen Beigabe der Alpenwirthschaft, wie sie Tschudi nennt, ähnliche äußere Natureinflüssen zu Grunde liegen, wie dem Rücken der Kühe, bedarf nach dem bei dieser Gelegenheit bereits Gesagten wohl keiner weiteren


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Erläuterung; daß aber diese Natureinflüsse sich in der Phantasie unsrer Alpbewohner zu einem gespenstischen Mutterschweine gestalteten, dürfte ein Rest der Vorstellungsweise heidnischer Zeit sein, in der das Schwein vielfach als Glaubenssymbol galt. So nannten sich zur Zeit, als das Christenthum die britischen Inseln überflutete und den Druidismus von denselben zu verdrängen begann, die Vorsteher dieser Lehre von ihrer Naturgöttin Ceridwen, die sie sich unter andern Gestalten auch als weiße Sau (Sen-Wen) dachten, Schweine, während die geringeren Mitglieder des Druidenordens den Namen Ferkel führten. Ferner war es nichts Seltenes, daß den Gottheiten Schweine als Opfer dargebracht wurden, so dem Odin und dem Frei oder Freir. Odin zur Zeit der Sonnenwende, im Monat Juni, weil dieser Gott, als er auf seiner Reise durch den Thierkreis sich ermüdet in einer Höhle zur Ruhe begeben hatte, von einem Eber getödtet wurde *); dem Frei oder Freir, der wie Odin in Dänemark und Thor in Norwegen und Island, die höchste Gottheit in Schweden war, dagegen um Mitte Winters **). Ist es aber nun einmal angenommener Grundsatz, daß die Basis aller superstitiösen Vorstellungen der Jetztzeit heidnische Götterlehre ist, so scheint 
*) Bei den Syrern heißt ber Juni der Schweinsmonat (Chansiran), weil in dieser Zeit ihr Adonis oder Thammus von dem in einen Eber verwandelten Mars getödtet wurde. Ebenso starb der Osiris der Aegypter durch den ähnlich gestalteten Typhon und der das Lichtprinzip vertretende Somonakodom der Siamesen durch einen Riesen, von dem sich dieses Volk dasselbe Bild entworfen hatte. Alles dies sind Vorstellungen, die der von Odin's Tode vollständig ähnlich sind. Merkwürdiger Weise findet sich dieselbe auch in der deutschen Sage wieder, in welcher sie sich historisirt an einen braunschweigischen Oberjägermeister, Namens Hans von Hackelberg, bindet, der, von dem Zahn eines todten Ebers verwundet, seinen Tod fand; der Umstand jedoch, daß in Westfalen und Niedersachsen der wilde Jäger auch Hackelberg, Hackelblock und Hackelbärend heißt, läßt hier ein mythisches Wesen nicht verkennen, das sich der alten Gottheit Odin oder Wodan um so mehr nähert, als, wie schon nachgewiesen, das wüthende heer oder der wilde Jäger mit derselben in engem Zusammenhange steht und selbst das Wort Hacketbärend oder Hackelberend nur eine etwas veränderte Form des alts. Hackolberand ist, das, nichts anderes als Mantelträger bedeutend, unverkennbar ein Beiname jener Gottheit war (I. Grimm, deutsche Mythologie, S. 519), da dieselbe stets mit einem breitgekrempten Hute und in einen großen dunkeln Mantel gehüllt erscheint. Jener stellte die Wolken, dieser das Himmelsgewölbe dar.
 
**) Nart in seiner Mythologie der Volkssagen deutet die Symbolik dieser Opfer wie folgt: "Der Eber, das lichtfeindliche, nur feuchte, schlammige Orte aufsuchende Thier, das in der Sommerwende den schlafenden Odin getödtet hatte


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es auch nicht allzugewagt, wenn man die Ursache, warum jene Naturerscheinung , welche die Schweine auf den Alpen in Angst und Verwirrung versetzt, sich zu einem gespenstischen Thiere dieser Gattung gestaltete, auf die Rolle zurückführt, welche im Glauben unsrer Voreltern diesen Vierfüßlern zugetheilt war.


15. Von den Stollenwürmern.


König's Sasse. S. 127. J. R Wyß, Reise in das berner Oberland. Abth. u. S. 423.


i.

Von Unterseen an bis einerseits auf die Grimsel und anderseits bis gegen Gadmen hin in einer Strecke von zehn bis zwölf Stunden und nur in dieser Gegend des Kantons Bern, nicht aber im Simmental, nicht im Frutigen- ober Saanenlande, auch nicht in ganz Wallis, noch jenseits der südlichen Alpenkette in Italien oder im Kanton Tessin, lassen sich zuweilen nach schwüler Hitze oder wenn sich das Wetter ändern will Schlangen mit kurzen stollenartigen Füßen sehen, welche von den dortigen Bewohnern eben dieser Füße wegen Stollenwürmer genannt werden. Die solche Thiere sahen, geben die Zahl dieser Füße von zwei bis sechs an; dann stimmen jedoch alle überein, daß sie dicke katzenartige Köpfe haben. Da, wo aber diese Thiere daheim sind, hat man noch nie etwas von Drachen oder Lindwürmern gehört; ebenso soll ein großer Unterschied zwischen den jungen und alten 

muß in ber Winterwende es mit dem eigenen Blute bezahlen und weil es durch den herbeigeführten Tod des Odin's die Vegetation (Odin wie Freir sind die Spender der animalischen und vegetabilen Fruchtbarkeit) zerstörte, so muß es nun alljährlich in dem Zeitpunkt, wo die Tageslänge wieder zunimmt, als Sühnopfer für ein fruchtbares Jahr dem Freir — denn das ist nur der schwedische Name Odin — geschlachtet werden.



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Stollenwürmern sein. Noch Anfangs dises Jahrhunderts, im I. 1811, wurde ein solches Thier von dem Schulmeister Heinrich im Dorf im Guttannenthale erblickt. Dieses Thier soll wohl eine Klafter lang gewesen fein und die Dicke eines Mannsschenkels gehabt haben. Auch ein gewisser Hans Kehrli sah ebendort auf dem Allmentli oder der Sonnen halb ein Stollenwurm, welcher zehn Junge im Leibe hatte, von denen das eine ganz weiß gewesen sein soll, und noch einen andern Stollenwurm in dessen Leibe sich ebenfalls eine Masse Junge vorfanden, will ein Landmann im Boden an der Grimselstraße als Knabe mit noch einigen Gesellen todt geschlagen haben. Daß diese Thiere sehr gefährlich sind und Menschen und Thiere schädigen, wird vielfach erzählt, vorzüglich aber stellen sie den Erdmännchen nach, welche sie ganz besonders hassen follen. Wenn sie Jemand anfallen, so stürzen sie sich, hochaufgebäumt, die pfeilförmig zugespitzte Zunge weit aus dem giftigen Rachen hervorstreckend, auf ihren Feind und suchen ihn nach Schlangenart mit ihrem langen Schweif zu umschlingen und zu erdrücken, Nach Anderen gibt es auch Stollenwürmer, welche den Kühen die Milch aussaugen. Diese sind jedoch minder gefährlich; auch kann man sich gegen sie schützen, wenn man einen weißen Hahn auf der Alp hält. Daß es aber weiße und schwarze Stollenwürmer gibt, ist sicher. Die ersten, welche sich auch noch gan; besonders durch ein Krönlein auf dem Haupte auszeichnen, sind jedoch seltener, als die schwarzen, welche schr gemein sind und häufig vorkommen.


II.

Einer, der sehr verwegen war und auch etwas Zauberei verstand, zog eines Tages, um seine Kunst zu zeigen, einen Kreis um sich und bannte darauf mit Pfeifen das Gewürm in solcher Menge herbei, daß es ringe um den Kreis hin



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wimmelte. Doch pfiff er trotzig fort, bis ein paar Würmer aus der Ferne auf ihrem Rücken einen ganz besonders dicken und abscheulichen dahergebracht und alsobald ihn über, den Kreis hinein gegen den Zauberer warfen, der laut ausrief: ich bin verloren ! und im Augenblick von dem Ungeheuer zerrissen ward.


III.

Ein armes Hirtenmädchen fand einst auf der Heubühne ihrer Hütte einen Kanten Stollenwurm. Trotz seiner häßlichen Gestalt trat sie hinzu und reichte ihm mitleidig eine Schaale mit Milch. Gierig leckte er mit seiner heißen, vertrockneten Zunge den kühlenden Trank, der ihn zusehends erquickte. Als er fertig war, verwandelte er das goldene Krönlein auf seinem Haupte in die Schlangenkönigin und gab sie dem Hirtenmädchen zum Dank für seine Rettung. An die Schlangenkönigin aber waren besondere wohlthätige Kräfte gebunden.

Für die Existenz der Stollenwürmer, natürlich frei von dem rein mythischen Schmuck obiger Sagen, sprechen sich jetzt noch rechtschaffene, ja selbst glaubwürdige Leute aus, welche solche Thiere gesehen haben wollen. Trotzdem ist man berechtigt, ihr Dasein zu bezweifeln und sie auf das Gebiet der Sage zu verweisen. Selbst die Thatsache, daß ein Bauer im I, 1828 ein solches Thier in einem vertrockneten Sumpfe fand und bei Seite legte, um es dem Professor Hugi nach Solothurn zu bringen, kann dies nicht verhindern. Denn, aufgefressen von Krähen, kam nur das Skelett des Thieres nach jener Stadt wo man nicht klug aus ihm wurde. Später kam es nach Heidelberg, aber auch von dorther erfuhr man nichts Näheres (S. Tschudi, Thierleben der Alpenwelt S. 153). Furcht und Aberglauben, so, wie der den meisten Menschen angeborne Widerwillen vor allen Reptilen, welcher eine nähere Betrachtung und Untersuchung derselben nicht zuläßt, mögen auch hier das Ihrige dazu beigetragen haben, daß aus irgend einer Schlange, welchen Thieren von jeher auf dem Gebiete der Mythe eine wichtige Rolle zuertheilt war, das Phantasiebild obiger Sage entstand.


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Der Teufel übernachtet im Thurm zu Wyl.


Mündliche Mittheilung. I. R. Wyß und Andere.

Im Thurm zu Wyl muß jeden Abend ein Bett in einem abgelegenen Zimmer zurecht gemacht stehen. Man sieht Niemand gehen, Niemand kommen und doch ist am andern Morgen das Bett jedes Mal erlegen, unter dem Kopfkissen finden sich aber einige Batzen Schlafgeld vor. Ist die Zubereitung des Bettes vergessen worden, dann erhebt sich in und um dem Schlosse ein solcher Lärm, daß man wohl merket, daß Niemand als der Teufel selbst der unsichtbare Schlafgast war.

Obige Sage führt uns eine Hauptperson des christlichen Mythus, den Teufel, vor. Bei der Rolle, die dieses Wesen in dem Volksglauben spielt, scheint es nicht unangemessen, wenn wir demselben unsere Aufmerksamkeit in etwas ausgedehnterem Maße schenken. Den Forschungen Grimm's folgend, finden wir, daß die Vorstellung von einem Vertreter des bösen Prinzips gegenüber einer gütigen Gottheit, also ein das höchste Wesen in Gegensätze spaltender Dualismus, der heidnischen Anschauungsweise unangemessen erscheinen mußte, obschon der dualistische Gegensatz bei dem Gestalten- und Farbenreichthum der sinnlichen Mythologien unserer Voreltern, jedoch ohne in das Ganze einzugreifen, nicht völlig zu schweigen brauchte. Des Weitem sagt Grimm: "Der jüdische Monotheismus gewährte dem Satan blos die Nebenrolle eines Versuchers, Lästerers, wie sie das Buch Hiob deutlich zeigt, und der griechische Ausdruck grec den die LXX und das N. T., abwechselnd mit grec oder grec brauchen, bestätigt. Seit dem Exil waren aber die Juden mit der Idee des Dualismus bekannter, und zur Zeit des N. T. hatte sich die ganze Dämonologie vielfach äusgebildet; Beelzebub wird als der oberste aller bösen Geister genannt, den das A. M bloß als ein heidnisches Idol kennt; hier also schon gehen Götzen über in den Begriff der Dämonen oder Teufel." "Dadurch, fährt Grimm dann weiter fort, daß hierzu noch die Vorstellung von Luzifer, einem abgefallenen Lichtgeist kam, der sich wider Gott vermaß, und mit feinen Anhängern in die Finsterniß verwiesen wurde, erhielt das System eines teuflischen Reichs,


16.



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im feindlichen Gegensatz zu den himmlischen, immer mehr Halt; böse Geister sind zwar der schwächere Theil und unterliegen den guten, allein sie werben um gottlose Menschen und suchen ihr Heer damit zu verstärken. Bündnisse werden mit Teufeln geschlossen und er unterstützt seine Verbündete schon in ihrem irdischen Leben. Aber selbst die Bekehrung der Heiden wirkte mit, die herrschende Vorstellung von dem Einfluß des Teufels zu erweitern und zu vervielfältigen. Die verlassenen heidnischen Götter waren zwar für besiegt und ohnmächtig, nicht aber geradezu für machtlos erklärt worden: ihre ehemals gütige, wohlthätige Gewalt hatte sich in eine böse, teuflische verkehrt — eine Verwandlung, die bei den an und für sich schon übelthätigen und finstern Gottheiten und Geistern des Heidenthums leicht vor sich ging, bei den guten aber seine Schwierigkeit hatte und in der Volksmeinung größern Widerstand fand. Alle diese Einwirkungen haben die Volksansicht von dem Wesen und der Natur des Teufels, wie sic im n. P. bis auf unsere Tage bestand, hervorgebracht. Rer Teufel ist jüdisch, christlich, heidnisch, abgöttisch, eibisch, riesenhaft, gespenstig, alles zusammen. Durch seinen Zusatz mußte eben, indem die heidnische Vielgötterei erlosch, das Christenthum eine deutliche Hinneigung zum Dualismus empfangen, den später die Philosophie in ein allgemeineres Prinzip vom Guten und Bösen aufzulösen trachtete."Jetzt auf die verschiedenen Benennungen übergehend, welche dem Teufel beigelegt werden, bezeichnet er zuerst das Wort Teufel selbst als undeutsch, als das beibehaltene griechische grec, das sich über ganz Europa verbreitete. Im Italienischen finden wir es in diavolo wieder, im Spanischen in diablo, im Französischen in diable, im Altfranzösischen in deable, im Polnischen in djabel, im Böhmischen in dabel, im Russischen in dïavol, im Serbischen in djavo ec. ec. Die übrigen Benennungen klassifizirt er je nachdem ihnen der Charakter, die Gestalt oder der Aufenthalt des Teufels zu Grunde liegt. "Nach seinem innern Prinzip heißt der Teufel der böse, feindliche, unholde als Gegensatz des gütigen, freundlichen und milden Gottes, in Bezug aber auf seine äußere Gestalt gegenüber der leuchtenden, weiß en und reinen Gottheit der Schwarze, welcher Farbe er es hauptsächlich verdankt, daß ihm die Gestalt gewisser Thiere beigelegt wurde. Diese Thiergestalt war jedoch häufig nicht vollendet, sondern nur angedeutet; in allen übrigen Gliedern wie ein Mensch geformt, verräth ihn das Bocksohr, das Horn, der Schwanz oder Pferdefuß. Schon die heidnischen Götter und geisterhaften Wesen konnten einzelne Theile des-Leibes nach Thieren bilden. Der slavische Triglaw, der höchste unsichtbare Gott der Serben, Wenden, Polen, zum Theil auch der Rugen, Pommern, Preußen und Lithauer, hatte drei Ziegenhäupter und in der indischen Mythologie ist die Mischung


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menschlicher mit thierischer Form überaus häufig; in der griechischen oder deutschen selten und kaum leise angedeutet. Die Vorstellung des Teufels in Bocksgestalt steigt sicher in ein hohes Alterthum hinauf; wie hätte sie in dem Hexenwesen so fest gewurzelt? Alle Hexen dachten sich ihren Meister als schwarzen Bock, dem sie bei feierlichen Zusammenkünften Ehre erwiesen. In Schwüren und Verwünschungen des 15ten und 16ten Jahrhunderts parodirt dieser Bock den wahren Gott: "Daß ihn der pock schend !" ist eine häufige Formel bei Hans Sachs und im 13ten Jahrhundert findet sich bei Martina 156 d, 184b helleboc deutlich für Teufel. Als weitere thierische Gestaltungen des Teufels führt Grimm ferner noch an seine Gestaltung als Wolf und als Hund. "In der erstern Gestaltung tritt er schon bei den Kirchenvätern auf, welche sich ihn seelenraubend dachten; die Namen Höllenwolf, Höllenhund sind vielfach begründet. In letzterer Gestalt bewacht er Schätze. Auch als Rabe zeigt er sich, eine Vorstellung, die nicht bloß die Schwärze, List und Behendigkeit dieses Vogels, sondern auch sein alter Zusammenhang mit Odin, welchem zwei Raben als stete Begleiter beigegeben waren, befestigt . ältesten und verbreitetsten war jedoch seine Erscheinung als Schlange, Wurm und Drache. Die verführende Schlange im Paradies galt für den Teufel selbst und die Benennungen antiquus anguis, anguifer hostis, letifer anguis, serpens, mit welchen ihn alte Schriften belegen, finden ihren Grund in der Apocal. 20, 2 und in den Deutungen, welche die Kirchenväter dem Leviathan gaben. Im biblischen Sinne wird er daher von den alten Dichtern slange, hellewurm, helledracke genannt, wodurch sich aber auch im Volksglauben die Vorstellung von feuerspeienden, giftigen Würmern, schatzhütenden Drachen und wunderbaren Schlangen ausbildete. Endlich finden wir den Teufel noch in Fliegengestalt, , als Fliegengott in den LXX, womit hier Baalsebub, des akkaronischen Götzen Name, grec grec übertragen ist, und in Folge Zusammenhangs heidnischer und jüdischer Vorstellungen mit zwei Geräthschaften, dem Hammer und dem Riegel verglichen, während er die Benennungen hellewarte, hellehirte, hellewirt seinem Aufenthalte in der Hölle zu verdanken hat, aus der er die heidnische Göttin verdrängte." Von den Provinzialismen, welche Grimm anführt und die oftmals kaum zu erklären sind, sei hier nur das schweizerische Kuhni, Kueni erwähnt, das vielleicht der kühne, verwegene bedeutet, vielleicht aber auch das verstellte Konrad ist.


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17. Die Teufelsbürde.


Mündliche Mittheilung.

Unweit Bern am Gurten, nahe bei Wabern, lag vor noch nicht zu langer Zeit ein Granitfelsen im Thale, die Teufelsbürde genannt. Derselbe soll vom Teufel, als er einstmals wüthend gegen die Bewohner dieser Gegend war, von dem Gebirge niedergeschmettert worden sein, um das dort liegende Dorf zu zertrümmern. Gottes Hand lenkte aber den Wurf so, daß der Stein an die Stelle fiel, wo er gelegen und wo er jenem Dorfe mehr zum Nutzen, als zum Schaden war.

Sagen wie obige, welche Steine, deren vereinzelte Lage in Thälern oder Ebenen wunderbar erscheint, bald von Riesen, bald von dem Teufel dahingeworfen sein lassen, sind sehr häufig. So heißt es in einer pommerschen Sage: "Bei dem Dorfe Wusterhusen, unweit von Greifswalde, liegt ein großer Stein, mit diesem wollte ein Huhne (Riese) den Kirchthurm des genannten Dorfes einwerfen. Die fünf Finger des Riesen sind noch im Steine zu sehen" (Temne, pommer'sche Sagen No, 1761, Offenbar ist der Mythus dieser Sage älter und erst später entwickelte sich nach einer jener wunderbaren und echten Volksüberlieferungen eigenen Fluctuationen die in unserer Sage ausgeprägte Anschauungsweise, welche den Teufel an die Stelle der Riesen setzt.


18. Des Teufels Karrmeg.I. R. Wyß, Reise in das berner Oberland.

Auf einem Berg unweit des Thunersee's aufwärts nach Därligen findet man eine seltsame querhinanlaufende Felsenschicht mit zwei tiefen Einschnitten gleich Radgleisen.



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Diese Radgleisen rühren von der Kutsche her, in welcher der Teufel die Pfaffen und Nonnen von Interlaken, seine guten Freunde und Freundinnen, auf die Spitze des Berges oder auf die Suleck zu seinen Tänzen und Festen fuhr; daher auch diese Felsenschicht des Teufels Fahr- oder Karrweg genannt wird.Wie es mit der Sittlichkeit des katholischen Klerus zu gewissen Zeiten stand, ist bekannt, daher es nicht Wunder nehmen darf, wenn das Volk Pfaffen und Nonnen als Genossen des Teufels bezeichnet und sie an seinen Tänzen und Festlichkeiten Theil nehmen läßt.Die Suleck, der Blocksberg des berner Oberlandes, ist eine 7480 Fuß hohe Bergspitze rechts am Eingange in das Lauterbrunnenthal. Wegen ihrer prächtigen Aussicht gehört sie zu den berühmtesten Standpunkten in der Schweiz.


19. Der Teufel streuer mit dem heiligen Michael um König Rudolfs von Strättlingen Seele.


Chronik von Einigen.

König Rudolf von Strättlingen hatte einmal einen merkwürdigen Traum. Dieser Traum bewog ihn, im Umkreis von Frutigen abwärts bis Thierachern zwölf Kirchen zu bauen und zu Amsoltingen ein Kloster zu stiften. Als aber darauf König Rudolf im Glauben, nun genug gethan zu haben, stolz und übermüthig ward, bestel ihn eine schwere Krankheit und er starb. Da erhob sich zwischen dem Teufel und den Erzengeln Gabriel, Michael und Raphael um seine Seele ein harter Kampf. Endlich sollte eine Waage das Schicksal derselben entscheiden. Dies geschah aber so; in die eine Schaale wurden König Rudolf's: gute Werke gelegt, in



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die andere die bösen. Da aber nun die letztere zu sinken drohte, drückte der heilige Michael die mit den guten Werken plötzlich mit der Hand nieder. Als solches der Teufel sah, hängte er sich schnell mit seinen Krallen unten an die andere Schaale an, in der König Rudolfs böse Werke lagen. Da aber dreuete ihm der heilige Michael mit seinem Schwerte *), also daß der Teufel die Schaale hald wieder los ließ und, da nun die mit den guten Werken fürgezogen, König Rudolf's Seele der Hölle entrissen war.Der Kampf zwischen Engel und Teufel ist ein Grundzug ältester christlicher Tradition. In der Bibel schon, in der Epistel St. Juds, V. 9, streitet der Erzengel Michael mit dem Teufel um die Seele Mosis. Odin oder Freyja oder deren Boten, die Walkyrien, welche im nordischen Heidenthum die abgeschiedenen Seelen empfingen, wurden nach Einführung der christlichen Lehre, da sich unsere neubekehrten Vorfahren von ihren alten Göttern nicht so schnell trennen konnten, in ein der neuen Religion mehr angemessenes Gewand gekleidet und von nun an ward das Amt der Empfangnahme der Seelen der Dahingeschiedenen Engeln und Teufeln anvertraut. Die der Gottlosen empfing der Teufel, die der Frommen Engel, unter welchen der Erzengel Michael in dem Himmel der Christen, gleich Odin in Walhalla, die Hauptrolle spiele. Ganz auf ähnliche Art, wie schon der Teufel an die Stelle Odin's trat (S. die Erläuterung zum Wütisheer S. 38), ist also hier diese Gottheit durch den Erzengel Michael ersetzt. 
*) In der Kirche zu Lauterbrunnen findet man auf einer Fensterscheibe diese Scene dargestellt und zu Thun steht neben dem Wappen der Strättlinger auf einem alten, steinernen Monumente in einer Mauerwand des Waisenhauses der Erzengel Michael mit einer Waage in der Hand, an deren einer Schaale ein Teufel sich unten angeklammert hat.


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20. Der Teufel raubt Bernhardt von Strättlingen feinen Mantel.


Chronik von Einigen.

Einstmals kam der Teufel dürftig als Pilgrim gekleidet auf das Schloß Strättlingen. Da es sehr kalt war, erbarmte sich Herr Wernhardt seiner und sandte ihm seinen Mantel, um sich zu decken. Am andern Morgen aber war der Pilgrim mit dem Mantel verschwunden. Darauf geschah es, daß sich Herr Wernhardt auf eine Wallfahrt begab nach dem Berge Garganum, allwo im Jahre 320 der Erzengel Michael erschienen war. Bevor der Ritter aber die Reise antrat, brach er seinen Ehering in zwei Hälften; die eine gab er seiner Frau Susanna, die andere aber behielt er selbst und sagte: wenn du diese Hälfte wieder siehst, wird es dir ein Zeichen sein, daß ich noch am Leben bin. Fünf Jahre sollst du meiner Rückkehr warten, bin ich nach dieser Zeit nicht zurück, so bist du frei,

Auf dem Berge Garganum angekommen, begab sich Herr Wernhardt in die Kirche des heiligen Michael, dessen Schutz er sich, seine Frau und sein ganzes Haus empfahl. Der heilige Michael erhörte ihn; auch ward ihm dort ein Stück von seinem Mantel wieder. Darauf, als der Ritter seine Heimfahrt angetreten hatte, gerieth er in Gefangenschaft und saß vier Jahre in einem Kerker zu Lamparten *). Hier erschien ihm eines Abends plötzlich ein Unbekannter, der ihm den Rest des gestohlenen Mantels überbrachte und sich als der Teufel zu erkennen gab. Der sagte ihm: er sei jener Pilgrim gewesen, komme aber jetzt auf Befehl des heiligen 

*) Lombardie.



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Michael, ihn nach seiner Heimath zurückzubringen; hierzu sei hohe Zeit, da seine Frau Susanna, die ihn für todt halte, sich wieder verehelichen und diese Nacht noch Hochzeit halten werde. Hierauf hob der Teufel den Ritter sanft vom Boden und brachte ihn in wenigen Augenblicken nach seinem Schlosse Strättlingen, unbeschädigt und ungefährdet. Zu seinen Leuten aber, die ihn nicht erkannten, sagte Herr Wernhardt, er sei ein fremder Spielmann und Abenteurer, und da man ihn zur Tafel lud, an der so eben das Hochzeitmahl abgehalten wurde, warf der Ritter in den Becher, aus welchem seine Frau zu trinken pflegte, den halben Ring, den er für sich behalten und seither gar Senlich bewahrt hatte, und entfernte sich ohne daß er bemerkt wurde. Als aber seine Frau den Becher ergriff, nahm sie den halben Ring wahr, näherte die zwei Hälften und rief: "Mein Mann ist nicht weit von diesem Orte!" Gleichzeitg erkannte sie ihn in der Ecke des Saales, in welche er sich zurückgezogen hatte, worauf er mit Freuden sein Weib, Schloß und Herrschaft wieder erlangte.Ein Beweis, daß die Vorstellung vom Teufel dieses Wesen der Macht der Engel und guten Geister unterwirft, liefert obige Sage, in der der Teufel, dem Befehle des heiligen Michael gehorchend, Wernhardt von Strättlingen, welchem er sich anfänglich feindlich genaht hatte, nicht nur den geraubten Mantel zurückbringt, sondern ihn sogar nach seiner Heimath versetzen muß. Die Schnelligkeit, mit der dies geschieht, ist eine dem Teufel gewöhnlich beigelegte Eigenschaft, welche ihm, gleich den Riesen, von Donar, der den Sturmwind vertretenden heidnischen Gottheit, überkommen ist.


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21. Der Teufel notirt Seelen.


Unter Benutzung verschiedener Mittheilungen.

Zu Aesch pflegte St. Beatus zu predigen. Als er sich einst etwas verspätet hatte, war sein Gefährte, der heilige Achatus, an seine Stelle getreten Die Kirche war schon über und über mit frommen Zuhörern angefüllt, als St. Beatus erschien. Da es aber eben ein sehr warmer Tag und Achatus auch kein besonderer Redner war, mußte er zu seinem großen Leidwesen sehen, wie einer nach dem andern von der Gemeinde in süßen Schlaf verfiel. Desto eisiger und andächtiger lauschte St. Beatus den Worten seines Schülers; da nahm er plötzlich den Teufel unter der Kanzel wahr: ein Bein über das andere geschlagen und eine Krähenfeder in der Hand saß er da und schrieb in aller Eile auf ein großes Bocksfell die Namen der ihm verfallenen Schläfer. St. Beatus war darüber in Verzweiflung, gern hätte er die Schläfer geweckt, aber er durfte, ohne eine Todsünde zu begehen, die Predigt nicht unterbrechen. Der Teufel schrieb indeß fleißig fort und schon war seine höllische Schreibtafel angefüllt, ohne daß sämmtliche Namen der Schlafenden verzeichnet waren. Da kam der Teufel, der die Gelegenheit, so viel Seelen als möglich zu erhaschen, nicht unbenützt vorüber gehen lassen wollte, der Gedanke, die Bockshaut noch etwas in die Länge und Breite auszudehnen, indem er das eine Ende mit den Zähnen und, sich gegen den Taufstein stemmend, das andere Ende mit den Klauen faßte. In dieser wahrhaft teuflischen Absicht strengte er sich aber so heftig an, daß plötzlich das Bocksfell risi und sein Kopf mit aller Gewalt an den Fuß der Kanzel schlug. Dies gewährte aber einen so komischen Anblick, daß St. Beatus laut auflachen mußte, darob die ganze Gemeinde wenige Augenblicke



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noch vor dem Amen erwachte und dem Teufels die Beute, die er schon sicher in der Hölle untergebracht wähnte, verloren ging. Natürlich war dies dem Teufel sehr unangenehm. Zornig und sich schämend fuhr er von dannen und stürzte sich in den Thunersee, dessen Wellen hoch aufbrausend über ihm zusammenschlag Der heilige Beatus aber ging für die Sünde, die er dadurch begangen, daß sein schadenfrohes Lachen die Predigt unterbrochen, nicht leer aus. Als er an den See kam, über welchen er auf seinem Mantel nach seiner Wohnung, der Beatenhöhle, überzusetzen pflegte, hatte dieser die ihm von Gott verliehene Kraft, den Heiligen zu Sagen, für immer verloren.Daß der Teufel der sicher gewähnten Beute wieder verloren geht, ist nichts Seltenes. Bald geschieht dies in Folge eigener Dummheit oder Ungeschicklichkeit, bald durch Ueberlistung, bald durch Dazwischentreten einer höheren Macht. In der ersten Beziehung, als daer oder ungeschickter Teufel, nähert er sich den Riesen, den Repräsentanten der rohen Naturkräfte, die in ihrer Plumpheit dem listigeren und gewandteren Menschengeschlecht unterliegen. Die Verwandtschaft zwischen dem Riesen und dem Teufel wird sich überhaupt im Verlaufe dieser Sammlung noch mannigfaltig bestätigen.


22. Der Teufel unb die höfen Brüder.


Mittheilung aus Bern,

Zu Merligen wohnten einst wei ungerathene Brüder. Diese riefen, als sie einmal zusammen in bösem Streite lagen, ein jeder den Teufel an, daß er Felder und Fluren des andern auf ewig unfruchtbar machen möge. Der Teufel erhörte das Verlangen beider und träufelte eines Nachts Gift



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auf den Boden, welchen die Brüder verfluchet hatten. Die Stelle, wo dieses Gift hinfiel, sieht man noch heute. Dort gedeiht kein Gras, keine Blume, kein Strauch, kein Weinstock Alles ist versengt wie vom Sonnenbrand, prangt auch das sasse Grün rings in der Gegend und Busch und Baum in üppiger Blüthenpracht.Auch hier wie in der vorhergehenden Sage findet sich die zwischen Riesen und Teufel angedeutete verwandtschaftliche Beziehung, welchen ersteren, wie hier dem Teufel, feindliche, Unfruchtbarkeit bewirkende Naturkräfte zugeschrieben wurden. Eine in den Weinreben bei Merligen herrschende Krankheit, das. Verderben genannt, mag der Entstehung obiger Sage nicht ferne stehen.


23. Der Grüne auf der Petersinsel.


Jahn, der Kanton Bern deutschen Theils ec. ec. S. 82.

In dem Eichwald auf der Petersinsel im Bielersee, zu der sich von Liegerz aus im Seebett ein Kieselsteindamm, der Heidenweg, hinzieht, erblickt man oftmals einen Herrn, vom Kopfe bis zum Fuße grün gekleidet, zwischen den Bäumen und Büschen hin und hergehen. Dieser Herr, der unter dem Namen der "Grüne" bekannt ist und auch schon in Mörigen auf Besuch, war, ist niemand Anderes, als der Teufel selbst, Seinem Erscheinen folgt immer eine sehr stürmische Nacht, in welcher dann der Grüne und dessen Genossen auf der Insel ihre Bachanalien feiern.

Daß auf der Petersinsel in vorchristlicher Zeit eine heidnische Kultstätte war, setzen die dort ausgegrabenen Alterthümer außer Zweifel. Einige Alterthumsforscher denken an den celtischen Kultus des Belenus,


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andere an einen Neptunskult. Jahn glaubt, auf der in obiger Sage enthaltenen superstitiösen Vorstellung fußend, einen heidnischen Naturdienst, vielleicht einen celtischen Eichenkult, vermischt mit römisch-celtischem Pansdienst annehmen zu dürfen. Er sagt nicht mit Unrecht: "Und ist nicht der Grüne die Waldgottheit des Pans, der im ländlichen Heidenthume am längsten verehrt, weil er mit dem alten Naturdienst und Waldkult am innigsten zusammenhing, endlich die Rolle des Teufels, des Repräsentanten des Paganismus, übernehmen mußte ?" Auch in andern Gegenden erscheint der Teufel in Grün gekleidet. So bei den Hexentänzen auf dem Blocksberge, wo er bei den Opferfesten auf grünem Sessel sitzt; auch die Hexen erscheinen dort in Grün, ebenso der Trauende, der dem Teufel die jüngste derselben bei feiner Hochzeit antraut.


24. Der Teufel bestraft uebermuth.


Mittheilung aus Bern.

Ein trauriges Ende nahm ein verwegener Bursche aus dem Entlibuch. Derselbe hatte einst die Kreuzfluh am Hochgant erstiegen. Uebermüthig kohte er auf dem äußersten schmalen Rande der Gefahr, als plötzlich der Teufel in Gestalt eines schwarzen Ziegenbocks neben ihm erschien und ihn hinab in die Tiefe stürzte. Als Warnungszeichen für solchen tollkühnen Uebermuth sieht man noch das Kreuz, welches sich bildete, als der Fallende im Todesschrecken: Potz Krüz! ausrief,

Schon in der Sage No. 8 tritt ein schwarzer Bock als rächende Nemesis auf. Ueber die Bocksgestalt des Teufels siehe die Erläuterung zu No. 16.


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25. Die Versucher in der Schloßfluh bei Twann.


Mündliche Mittheilung. Jahn, der Kanton Bern deutschen Theils ec. S. 78.

Zu einem Mädchen aus Twann trat, als es einst unfern der Schloßfluh am Bielersee auf einer Wiese heuete, ein Fremdling, schön und prächtig angethan, von dem sich die sonst tugendhafte und sittsame Jungfrau so mächtig angezogen fühlte, daß sie einwilligte den Herrn in der folgenden Nacht zu einer bestimmten Stunde an einem gewissen Orte zu treffen. Als sie sich nun auch wirklich, wie verabredet, an jenem Orte einfand, ergriff sie der Unbekannte an der Hand und führte sie die steile Schloßfluh hinauf, ohne daß ihr das Steigen im mindesten beschwerlich fiel. Oben angekommen bemerkte sie im Mondenschein eine große Oeffnung in dem Felsen, welche sie früherhin noch nie wahrgenommen hatte. In diese trat der Fremdling mit ihr ein und nach einigen Schritten befanden sie sich in einem großen, weiten Saale, der hell erleuchtet war und wo um eine schwär; verhängte Tafel viele bleiche und düstere Männer saßen. Einer derselben winkte der Jungfrau näher zu treten und befahl ihr, ihren Namen in ein großes Buch einzujagen, das aufgeschlagen auf dem Tische lag. Obschon das Mädchen nicht lesen konnte, was in dem Buche stand, so merkte es doch, daß es nichts Christliches sei. Es weigerte sich daher standhaft und betheuerte beim Blute Christi, es werde nie thun, was man verlange. Kaum hatte sie diese Betheurung ausgesprochen, so war Alles wie im Hui verschwunden und sie fand sich ihrer Kleider beraubt, nackt und allein auf der Schloßfluh.

Pracht und Schönheit gehören zu den Verführungskünsten des Teufels. Unter dem Einschreiben in das Buch kann man das Abschwören der Lehre


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Christi verstehen, dessen Name allein hinreicht, die Feinde derselben aus dem Felde zuschlagen. Vor Christus und dem Zeichen des Kreuzes müssen sich alle bösen Geister beugen, bedeutet nichts Anderes als die überwältigende Wahrheit der christlichen Lehre, die das Heidenthum, dem die bösen Geister angehören, besiegte. Daß sich das ihren Versuchern entrissene Mädchen nackt und allein auf der Schloßsfuh findet, deutet an, wie verlassen und elend schon der ist, der sich, wenn auch nur mit halbem Schritt, von dem Wege der Tugend und Wahrheit entfernte.


26. Das Goldsonnen auf der Schloßfluh bei Twann.


Jahn, der Kanton Bern deutschen Theils . . S. 77.

Am Bielersee ragt in der Nähe von Twann eine Felstlippe empor, welche die Schloßsluh benannt ist und eine Burgruine Sägt, für welche man keinen Namen weiß. Wer ein Fronfastentind, sieht dort zwischen den Ruinen an einer abschüssigen Stelle im lichten Sonnenschein oftmals ein weißes Tuch ausgebreitet, auf dem große runde Goldstücke zerstreut umher liegen. Schon Manchen hat ihr glänzender Schein verlockt, die steile Berghalde hinanzusteigen, gewiß aber war jedes Mal, kam man erhitzt und ermüdet an jener Stelle an, das Gold sammt dem Tuche verschwunden.

Die Sage vom Goldsonnen oder von verlockender Ausstellung von Schätzen, welche, wenn man sich nähert, verschwinden, bindet sich sehr häufig an alterthümliche Lokalitäten und wird gewöhnlich als das Werk des Teufels bezeichnet, der da zu bauten pflegt. Solche Stellen im Kanton Bern sind noch der Unghüren Hubel links an der alten Straße zwischen der Heiteren und der Süri bei Laupen und das Schloß zu Jegistorf. Ersterer ist ein römisch-celtischer Grabhügel, dessen Authentizität ausgegrabene Gerippe, römisch-celtisches Töpferwerk und metallene Alterthümer hinreichend bestätigt haben ' letzteres ist ein vormals herrschaftliches Schloß einige Stunden von Bern an der Straße nach Solothurn


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gelegen. Der Teufel, der dort seelenverlockend bald als Hase, bald als Fuchs herumstreicht, zeigt sich auch hier, wie auf der Petersinsel (s. No. 23), grüngekleidet; seltsamerweise führt er hier neben dem Namen der "Grüne" noch den Namen Lucifer von Beaumont. Offenbar verdankt die Sage vom Goldsonnen einerseits dem öfteren Auffinden von alterthümlichen Geldstücken an solchen Stätten, welche die Vorstellung von dort vergrabenen Schätzen erweckten, ihre Entstehung, andererseits mag derselben ein dunkles Gefühl von Abscheu zu Grunde liegen, das sich vor Lokalitäten, an welche sich heidnische Erinnerungen knüpfen, im Volke zu erhalten pflegt. Von Gerenstein, einer von den Bernern nach dem Siege im Jammerthale zerstörten Burg an der alten Straße von Bern nach Burgdorf, geht ebenfalls die Sage vom Goldsonnen.


27. Kind auf der Schloßfluh bei Twann.


Mündliche Mittheilung.


Jahn ,-Kanton Bern deutschen Theun ec. ec. S. 78.

Vor noch nicht gar zu langer Zeit wurde ein Kind aus dem Orte Twann vermißt. Die Eltern des Kindes machten sich mit allen ihren Verwandten und Bekannten auf den Weg, um es wieder aufzusuchen, aber lange, lange konnte man es nicht finden. Endlich nach mehrern Tagen kam es der Mutter in den Sinn, auch die steile Schloßsluh zu ersteigen und siehe! wie sie in das Innere der Burgruine trat, kam ihr das vermißte Kind fröhlich, als ob gar nichts geschehen wäre, entgegengehüpft. Als nun die erfreute Mutter es in die Arme schloß und Sagte, ob es sich denn gar nicht nach Haus gesehnt und die lange Zeit über keinen Hunger gespürt habe, antwortete es : "Ach nein! ein schöner unbekannter Herr sei immer bei ihm gewesen, der gar lieb und freundlich gethan, die schönsten Spiele mit ihm gespielt und ihm das beste Essen der Welt, Früchte und Backwerk, wie es noch nie gesehen, gereicht habe."



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28. Von den Hexen und ihren Tanzplätzen.


Nach verschiedenen Mittheilungen.

An gewissen Stellen auf den Alpen ist oftmals das Gras in regelmäßigen Kreisen, die bald von größerem, bald von kleinerem Umfange sind, nicht selten ein bis anderthalb Fuß breit wie versengt und niedergetreten. Das, so geht die Sage, rührt von den Hexen her, welche hier ihre nächtlichen Reigen aufzuführen pflegen. Eine solche Stelle ist der sogenannte Hexentanz oder Simeler auf dem Rinderfeld bei Grindelwald. In der Mitte dieser Plätze erhebt sich gewöhnlich ein kleiner Erdhügel oder Stein, worauf das Licht steht, in dessen Schein die Strudeln oder Strüdeln, so nennt man die Hegen an den meisten Orten des berner Oberlandes, ihre Festlichkeiten begehen und sich der Genossenschaft des Teufels erfreuen. Auch am Hexensee, der nordöstlich am Faulhorn in einem kleinen Thale liegt und der nach ihnen seinen Namen führt, kommt der Teufel mit seinen Freunden und Freundinnen zusammen und vergnügt sich daselbst nach Herzenslust.

Von den Hexen oder Strüdeln erzähl man sich viel Böses. Sie sind es, die es dem Vieh anthun, daß es keine Milch gibt und abmagert, die Felder, Wiesen, Gärten und Alpen verhexen, daß sie unfruchtbar bleiben und in deren Macht es steht, daß die Menschen, alte und junge, in schwere Krankheit verfallen. Von ihnen und den bösen Geistern des Gebirges stammen auch jene ungesunden Winde her, die das Hinsterben der Kühe verursachen und die auch den Menschen tödtlich werden können. Die Hexen sind aber nicht an jedem Tage gleich mächtig. Am gefährlichsten sind sie an den sogenannten Unglückstagen, an welchen böse Kalanderzeichen



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herrschen, so z. B. am Mittwoch, weil, wie der berner Oberländer sagt, der Mittwoch eigentlich kein Tag ist, sondern nur die Mitte der Woche. Gegen die Hexen hat man jedoch ein sicheres Schutzmittel, aber nur ein einziges. ES ist dies das Nünhemmlere auch Allermannsharnisch genannt. Dies braucht man nur bei sich zu tragen oder über die Thüren der Häuser, Ställe und Sennhütten aufzuhängen und keine Hexe kann einem Etwas anhaben.Eine Erläuterung der Hexen und des Hexenwesens sei auf eine spätere Gelegenheit verspart. In Bezug auf die sogenannten Simeler oder Hexentanzplätze sei hier nur noch bemerkt, daß in der Annahme, welche an solchen Stellen die Bewohner der Umgebung in früherer Zeit zu ihren sonntäglichen Tänzen, durch welche jene kreisförmige Niedertretung des Grases entstanden sein mag, zusammengekommen sein läßt, wohl die natürlichste Erklärung liegt. In Schottland, wo solche Kreise sehr häufig vorkommen, heißen sie Fairy- und Elves-Circles, eine Benennung, die in der Vorstellung von den nächtlichen Hexentänzen ein Ueberbleibsel des celtischen Glaubens an Elfen erblicken läßt, der sich, wie schon Seite 19 erwähnt, noch heute in alt-celtischen Ländern vorfindet.

Das Nünhemmlere, eine mit neun Häuten umschlossene Zwiebel einer Lauchart, von welchen es seinen Namen hat, ist das Allium Victorialis L. und kommt auf den untern Alpen vor. Von dem Glauben an Schutzmittel gegen das Einwirken böser Geister ebenfalls später.


29. Die Segen im Foferenwalde.

Nicht weit vom Dorfe Tschugg am südlichen Abhange des Julimont liegt ein Wald, der Foferenwald. In diesem Walde ist es nicht geheuer und ereignen sich darin gar wunderbare Dinge. Geht man durch ihn hindurch, so fällt es einem oft bleischwer auf die Glieder, daß man weder vor- noch rückwärts schreiten kann und die Füße minutenlang



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an eine Stelle gefesselt sind. Ist dann die Angst auf das Höchste gestiegen, erschallt plötzlich ein Gelächter, das durch alle Tonarten höhnisch von Baum zu Baum wiederhallt . Dies soll von den Hexen herrühren, die in den vielen Eichen, welche dort herumstehen, wohnen und auf diese und noch andere Art ihr schadenfrohes und boshaftes Wesen kund geben.

Oftmals hört man auch, wie von diesem Walde ein wilder Lärm das Thal herab tönt und sich dann durch die Lüfte nach dem Julimont hinauf, nach der Nordseite hinzieht, wo der sogenannte Heidenstein liegt. Rüdengebell und Peitschenknall, das man ganz deutlich aus dem sonst verworrenen Geräusch heraus vernehmen kann, lassen außer Zweifel, daß dies die wüthende Jagd ist. Auch liegen dort viele Heiden begraben, welche an diesem Geisterspuck auch mit schuld sein mögen.

Hegen als Bewohnerinnen von Eichen ist eine im Volksglauben selten vorkommende Vorstellung und erinnert nicht weniger an die Dryaden der Griechen, als an den unter den Celten einheimischen Glauben an geisterbewohnte Bäume. Auch hier bestätigt sich die schon früher ausgesprochene Behauptung, daß sich an Oertlichkeiten, bedeutsam durch ihren Ruf als frühere Opferstätten, abergläubische Vorstellungen am längsten zu erhalten pflegen. Daß aber an der nördlichen Seite des Julimont, nach welcher hin obiger Sage nach das wilde Heer seinen geisterhaften Spuck am tollsten treibt, eine solche Opferstätte war, ist durch die dort herumliegenden erratischen Steinblöcke hinlänglich begründet, welche man als Menhirs oder heilige Steinsäulen betrachten kann, und offenbar war der in ihrer Mitte sich befindliche sogenannte Heidenstein der Altar dieses nach Jahn aus druidifch-celtischer Zeit stammenden Opferplatzes.Im Uebrigen vergl. die Erläuterung zum "Wütisheer" S. 37 —40.


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30. Mühlen Seiler.


Von C. Walti mitgetheilt.

Mühle-Seiler war ein Geisterbanner aus dem Amte Signau, wo er zu Mühleseilen wohnte, von welchem Orte er auch wahrscheinlich seinen Namen hat. Große und kleine Ungeheuer mußten seiner Gewalt unterliegen. Die meisten Gespenster, welche hie und da den Bauern in ihren Ställen, in der Küche, in dem Keller hinter den Weinfässern und sonst wo spukten, nahm er hinweg und verbannte sie in das Rothenthal.

Des Nachts ging er oft mit den ihm untergebenen Geistern auf der Straße spazieren, wobei er immer den Hut unter dem Arm trug, und die ihm begegneten-erzählen, haß er dann zu ihnen gesagt habe: "Seid doch so gut und geht ein wenig auf die Seite, es kommen da Herren t" — Dann habe es gemacht, als ob eine große Menge Pferde durch die Straße hintabelte.

Viele versichern auch, ihn mit seinen Herren steilen, glänzenden Felsen nach wandeln gesehn zu haben. Hin und meder exercirte er auch mit ihnen und man vernahm dann ein Donnern und Tosen bis weit in die Ferne hin; dann sagten die Leute: "Die Roththalherren exerciren, es gibt ander Wetter."

An das Seitenthal von Röthenbach, in welchem der in obiger Sage erwähnte, Weiler Wühlefeilen liegt, von dem unserer Geisterbanner und Zauberer seinen Namen haben soll, knüpft sich noch eine andere Sage, nach der ehemals auf der Waldhexe von Würzbrunnen eine Stadt stand, die mit einem Götzentempel und von einem Opferhain umgeben war. Bei einem feindlichen Ueberfall sei diese Stadt niedergebrannt worden , von welchem Unfall das später erbaute Würzbrunnen, d. i. bis


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auf die Wurzel niedergebrannt, seinen Namen erhalten habe. Auch der Röthenbach, der von dem vielen vergossenen Blut ganz roth gefärbt worden sei, verdanke diesem Ueberfall seine jetzige Benennung; eine andere Version, welche dies einem näher liegenden Ereigniß, einer im Jahr 1383 zwischen den Grafen von Thierstein und Kyburg und den Bauern gelieferten Schlacht, in welcher die erstern den Kürzern zogen, zuschreibt, ist jedoch unstreitig historisch richtiger. Heute noch ist der alte Reim bekannt:
Diewil daß Blut loff durch den Sand
War er der Röthenbach genannt.
Im Uebrigen vergl. "Die Herren von Rothenthal" S. 35.


31. Der feurige unhold auf Thorberg.

Ein alter Mäusefänger aus Littau erinnerte sich aus seiner Jugendzeit noch gar wohl, in dem jetzt wiederhergestellten Schloß Thorberg oft ein gräulich Gespenst erblickt zu haben.

Einst habe er es auch am Vorabend des Allerseelentages gesehen, als er spät bei Nacht von Burgdorf nach Hause gegangen fei. Da habe er es sich genau betachtet. ES sei von riesigem Körper und kohlschwarz gewesen, ob es aber einen Schwanz gehabt, könne er nicht genau sagen. Sein Kopf, mit einem feurigen Helm bedeckt, habe helle lichte Flammen gesprüht, so daß man hätte meinen müssen, alle Tannen würden sich davon entzünden, und mit einem ebenfalls feurigen Schwert in der Hand habe es wie im Kampf nach allen Seiten hingeschlagen.

Ein andermal wieder habe er es gesehen, wie es von dem Schloß über alle Bäume und die Buge hinweg spaziert sei, und erst vor zwanzig Jahren sei es von einem halbheiligen Pater in den Tobel unter das Schloß gebannt. Dort höre man aber sein Gebrülle und Jammern oft noch



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ganz deutlich und des Nachts sehe man bei schlechter Witterung kleine Lichtlein, die wie in Prozession das alte Gemäuer hinaufwallten.Ueber die Macht der Bannformeln, der Beschwörungen, fo wie der Verzauberungen und Verfluchungen, von welchen sich hier in No. 32 bis 37 noch einige Beispiele an obige Sage, deren Duelle ich leider nicht mehr anzugeben weiß, anreihen, in der später folgenden Erläuterung zum Hexen- und Zauberwesen.


32. Die Burggeister auf Mannenberg *).


Mitgetheilt von C. Burgener, schweiz. Merkur Jahrg. 1835. heft 7. S. 54.

In den Ruinen ber beiden im Jahr 1350 durch die Berner, Thuner und Frutiger auf ihrem Streifzug ins obere Simmental, nebst Laubegg, niedergebrannten Burgen Mannenberg, liegen große Schätze verborgen, welche durch die Burggeister so lange gehütet werden, bis jemand zu guter Stunde kommt und ein Unterpfand liefert, das aber Niemand kennt, so daß ungeachtet mancher Versuche der Schatz nicht gehoben werden konnte, den doch die in großer Pein schmachtenden Geister der Burgherren gern abgeben möchten.

Ein alter wohlberichteter Schulmeister kam eines Abends, in der Mitternachtstunde, in Begleit eines Geisterbeschwörers zur untern Burg Mannenberg. Der Wundermann begann zweimal vergebens seine Beschwörung, erst beim dritten vernahm man aus der Tiefe des Burgverließes eine dumpftönende Stimme. 

*) Zwei Burgtrümmer auf einem Hügel, eine Viertelsende von Zweisimmen am rechten Ufer des Simmenflusses.



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"Wie heißest du?" war die Frage des Beschwörers."

"Hans von Schlenggwyl, edeln Stammes gus Oestreich""

"Hast du Geld, so du hütest?"

"Ja, aber nicht für dich !""

"Wem gehört denn dieses Geld ?"

""Dem Haus Oestreich.""

"Was ist für ein Unterpfand oder Lösemittel ? Ist es eine Katze, ein Bock ec.?"

""Du weißt nun, was nöthig ist, lass' mich in Ruh!""

Damit nicht zufrieden, fing der Beschwörer seine Arbeit aufl Neue an, indem er auf der Mauer des Burgverließes auf der Seite des Felsens gegen der in tiefem Grunde fließenden Simme neben dem Schulmeister stand.

Aber statt Antwort erdröhnte die Burg, und mit Gerassel und fürchterlichem Geheul stieg aus der Tiefe des Verließes ein schrecklich gestaltetes Ungethüm und packte den Beschwörer und schleuderte ihn weit über die Felswand hinaus in dai schauerlichen Abgrund — sein weißer Leinwandkitel bezeichnete als ein langer Stich durch die Luft seine Abfahrt. Er valor sich in der Tiefe — niemand hat nachher etwas von ihm weder gehört noch gesehen.

Der Schulmeister fand seinem Heil angemessen, auf einer andern Seite die Flucht zu ergreifen, und nachher an keine fena Versuche zur Schatzhebung zu denken, so lockend auch manchmal noch der Geistergesang auf Mannenberg durch die Lüfte fuselte, wie ihn die Landleute der Umgebung oft vernommen Sahen wollen.



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33. Der rauscheude Baum.


Mündliche Mittheilung.

In einem Thale des berner Oberlandes steht ein hohn, alter Baum, dessen Gipfel in schönen Mondennächten, wem rings kein Lüftchen geht, zu tönen und zu rauschen beginnt, als ob ein heftiger Sturm durch seine Zweige hindurchzöge. Hier hat ein eifersüchtiger Aelpler einen vom Kiltgang zurückkehrenden glücklicheren Nebenbuhler im Zorn erstochen. Das Mädchen des Getödteten aber soll über diese Missethat Sisa geworden sein und den Baum, unter welchem sie verübt wurde, verfluchet haben, daß er jedes Mal, wenn eine ude Mondennacht ist, in welcher die Bursche zu ihren Mädchen zu gehen pflegen und ringsum dee Gipfel der übrigen Banne schweigen, er allein rauschen und sausen soll als Warnung für eifersrichtige Liebhaber, sich nicht gleichen Verbrechen hinreißen zu lassen.


34. Der Freiherr von Brandis.


Mitgetheilt nach J. Gotthelf.

In dem Chore der Kirche ;u Lützelflüh lieg 'ein Freiherr von Brandis begraben. Von ihm geht die sage, jedes Mal, wenn die Flühluft über die Berge weht der Schnee zu schmelzen droht, sei er verdammt, diese Stitte der Ruhe zu verlassen. In voller Rüstung, die eiserne Streitaxt in der knöchernen Hand, sieht man ihn dann in dem Bette der Emme rastlos auf und abschreiten und d, wo er lockere



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Pfähle in den Schwellen steht, schlägt er sie mit kräftigen Hieben wieder fest oder ersetzt sie durch neue, wenn es noth thut. Dumpf und schauerlich tönen da die Schläge seiner Streitaxt durch die Nacht, den Anwohnern aber sind sie ein warnendes Zeichen, ihr Eigenthum vor den anschwellenden Gewässern der Emme bet Zeiten zu wahren, Dieses Wächteramt aber, zu welchem den Freiherrn von Brandis der Fluch eines armen Müllers verdammte, den er zur Zeit, als ihm die mächtig angewachsene Emme die Mühle hinwegriß, abhielt, den Seinen rettend Hülfe zu bringen, muß derselbe so lange ausüben, bis die Emme, zahm geworden, keine Schwellen mehr braucht.


35. Vom Gauliweiblein, Eugstlenfräulein und Geißmaidlein.


I. R. Wyß, Reise in das berner Oberland. il. Abtheil. S. 715.

Ein Schweizer aus dem berner Oberlande war einst vor einer ziemlichen Zeit auf Reisen in der Fremde und eines Abends kehrte er in einer abgelegenen Hütte ein, wo ihn ein alter Mann mit Gastfreundschaft empfing. Nach mancherlei Gesprächen gab der Greis sich dem Wanderer als einen Oberhasler zu erkennen, den der Kummer von der Heimath in das Ausland getrieben. Ihm waren drei schöne Töchter verfluchet worden ; und bis auf diesen Tag sind alle drei, von der Bezauberung noch unerlöst, auf hohen Haslerbergen, wo sie oft mit Spuck sich zeigen, Zuerst im Gauligletscher haust das Gauliweiblem, und erscheint, von einem Hündchen begleitet, oft den Sennen in dem hintern Urbachthal. Zum zweiten irrt das Engstlenfräulein an der Engstlenalp



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zu hinterst in dem Gentelthal und von den Hirten gar viel Mal erblickt. Zum dritten weilt das Geißmaidlein auf den Höhen des schönen Hasliberges, und hat wohl öfters schon einsame Knaben angelockt zum Buhlen. Doch, als es noch vor Kurzem mit einem hübschen still gearteten Jungen auf den Heuboden einer Scheune steigen wollte, ließ es ein paar Geißfüße sehen, und der bang erschrockene Jüngling schlich seitab von dannen, weil bei diesem Anblick ihm nicht mehr geheuer war. — Wie dieser dreifache Zauber zu lösen sei, weiß wohl der Alte nur, der in der Fremde wohnt; doch hat er Niemanden noch es mitgetheilt, und Niemand weiß, wo er zu finden, Niemand ob er noch am Leben sei.Einer anderen Sage nach soll der hier erwähnte Gauligletscher früher eine fruchtbare Alp gewesen sein, welche die Berggeister, von den Bewohnern des Urbachthales beleidigt, zerstört hätten; das hierher gebannte Gauliweiblein aber sei die Tochter eines reichen Sennen gewesen, welche für ihren Uebermuth diese Strafe erleide.


36. Der Hirt auf der Sulsalp.


Mitgetheilt von N.

Auf der Sulsalp fand einst ein Hirt einen goldenen Schlüssel und zu gleicher Zeit erblickte er in einer gegenüberliegenden Felswand eine große schwarze Thüre, welche er vorher noch nie daselbst wahrgenommen hatte. Muthig ging der Bursche darauf los, denkend, daß der gefundene Schlüssel wohl zu jener Thüre gehören möge. Dies war auch richtig der Fall und als die Thüre geöffnet war, sah er eine große, weite, reich mit Gold und Edelsteinen ausgeschmückte Halle



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vor sich, in der sonst noch viele Kostbarkeiten rings auf langen Tischen ausgebreitet lagen. In der Mitte der Halle stand aber eine schöne weißgekleidete Jungfrau. Diese kat auf ihn zu und bot ihm drei Gaben an, indem sie sagte: sie sei verzaubert und harre schon mehr denn hundert Jahre auf ihre Erlösung; welche Gabe er wähle, darauf käme es an, ob sie von dem Zauber befreit werde, oder auf nochmals hundert Jahre verdammt sei. Die Gaben aber waren: ein Topf mit Gold , eine goldene Kuhschelle und die Jungfrau selbst. Da erinnerte sich plötzlich der Hirt an seine Geliebte daheim und wählte die Kuhschelle. Zornig fuhr die Jungfrau auf und zugleich erhob sich ein furchtbares Donnern und Krachen, und wie von unsichtbarer Hand ergriffen riß es den Hirten aus der Halle heraus, wo er betäubt auf den Rasen niedersank. Als er wieder zu sich kam, hätte er gerne Alles für einen Traum gehalten, die Kuhschelle, welche neben ihm lag, über engte ihn jedoch von dem Gegentheil. Da ergriff ihn bittere Reue, daß er nicht die richtige Wahl gesoffen und nun schuld sei, daß die schöne Jungfrau auf noch weitere hundert Jahre in dem Zauber schmachte. Ohne Ruhe und Frieden durchirrte er von da an die Welt. Da kam er auch einstmals an eine Hütte, in der drei steinalte Männlein wohnten, und als erdem ältesten derselben, welcher der Großvater des jüngsten war, seine Geschichte erzählte, rief ihm dieser zu: Wohl dir, daß ich Gastfreundschaft halte; heute magst du noch rasten, aber morgen eile von dannen. Jene ?Jungfrau war meine Tochter, du konntest sie erlösen und hast sie vielleicht nun auf ewig unglücklich gemacht.


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37. Der verwandelte Sattler Franz.


Von Aly mitgetheilt. Wanderer in der Schweiz.

Im Kanton Bern, nicht weit von der Hauptstadt, wohnte ein Sattler, der schlimme Franz oder auch wohl der Sattler-Fran ; genannt. Seine Schlauheit bestand im Betrügen, und darin hatte eres wirklich zu einer seltenen Meisterschaft gebracht. Wer mit ihm zu thun hatte, war, wie die Leute sagten, schon im Sacke oder er steckte ihn hinein bis über die Ohren.

Am meisten trieb der Franz sein böses Spiel mittels Gewerbes und Handels. Sein Fabrikat war sehr gut verziert und in allen Farben, aber von der schlechtesten Art; das Lederzeug hielt kaum vom Morgen bis zum Abend. Das gusen-die Leute ,-welche einmal bei ihm gekauft hatten, sehr wohl, allein die meisten waren gezwungen, wieder zu ihm zurückzukehren, weil sie ihm schuldeten. Wäre den Betheiligten blos ein einfacher Schaden daraus erwachsen, so hätten sie diesen geduldig hinnehmen können; denn Lebenserfahrungen wollen auch bezahlt sein, allein es gab Unglück verschiedener Art und war bedeutendes. Zugvieh wurde verwundet, sogar getödtet, weil an steilen Abhängen das Geschirr zerriß.

Alles das war aber noch nichts und ließ sich verschmerzen; aber da kam eines Tages des Bischofs Hofkaplan aus dem Wallis über den Grimsel geritten; Sattel und Zeug seines Maulthiers hatte er ebenfalls beim Sattler-Franz gekauft. Er gelangte glücklich und wohlbehalten bis an die glatte oder sogenannte helle (schlüpsrige) Platte, da strauchelte sein Thier ein wenig, jedoch ohne zu fallen. Im nämlichen Augenblick zerrissen aber der Sattelgurt und die Steigbügelriemen; ; der arme geistliche Herr stürzte in die Tiefe, brach Arme, Hals und Bein, und sein Tod folgte so schnell auf



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den Fall, daß er nur noch Zeit hatte, seine Seele Gott empfehlen und den schlimmen Franz zu verwünschen.

Dieser lachte, als am zweiten Tage darauf die Mage Mähre nach Bern kam und sagte: "der hochwürdige Herr sei ein schlechter Reiter gewesen; er büße nur die eigene Schuld, er hätte an der gefährlichen Stelle absteigen sollen," — und dergleichen jämmerliches Zeug mehr. — Aber schon umkreiste ihn das Strafgericht! Am dritten Tage, Abends, als er aus der Schenke nach Hause ging, wehte ein furchtbarer Sturmwind. Es war ein Brausen und Zischen, ein Heulen und Brüllen, daß man hätte meinen sollen, die Hölle habe alle Furien losgelassen. Dem Fran; wurde es unheimlich zu Muthe; er blickte ängstlich umher und er mochte wohl eine leise Ahnung von dem, was ihm bevorstand; haben, Denn kaum war er vor feinem Hause angelangt, so fiel ihm, während er nach dem Dache hinaufblickte, ein Ziegelstück auf den Kopf, welches ihn so stark verwundete, daß er um die Mitternachtsstunde starb.

Seit jener Zeit spuckt er als Fuchs im Lande herum und hat seine Freude daran, die Landleute auf den entlegenen Höfen necken, ihnen, besonders im Winter, das Pferdegeschirr oder sonstiges Lederzeug aus den Stallungen fortzuschleppen und in den Höhlen und Schluchten der Hochwälder verbergen,

Man sagt, der Unglückliche könne nur durch einen ganz ehrlichen Sattler erlöst werden; warum dies bisher nicht geschehen, weiß man nicht.

Das in der Sage häufig vorkommende Herunterfallen von Ziegelsteinen vom Dache, wodurch Verfluchte und der Hölle Verfallene getödtet werden, stellt sich der Volksglaube als vom Teufel selbst herrührend vor. Dies erlaubt in dieser Vorstellung nichts


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Anderes zu sehen, als eine modernere Version der steineschleudernden Riesen und Teufel, von denen in der Erläuterung zu No. 17 die Rede war.


38. Der schwarze Mann.


Von C. Walti mitgetheilt.

Auf einer Alp im Oberhasli wurden vor Zeiten den Sennen Kühe getödtet und zwar immer diejenigen, welche am reichlichsten Milch gaben und die schönsten waren.

Mancher Aelpler, der nicht ab der Alp ziehen wollte, in der Meinung, es werde besser kommen, oder er könne endlich dem Wesen in's Spiel gucken, kam fast um all sein Vich. Endlich am es so weit, daß gar niemand mehr die furchtbare Alp bewohnen konnte.

Von nun an sah man öfters eine Kuh, die im saftigen Gras weidete und eine Stimme erscholl: Wer diese Kuh in einer Stunde fertig melkt und eine Nacht in der Hütte bleibt, der erlöst die Alp.

Manch wackerer Jüngling ging hinauf und unternahm das Wagstück, aber nie kam einer von derselben zurück.

Endlich ging ein herzhafter Aelpler ab einem andern Berg hinauf. Er traf die Kuh im Stall der Sennhütte an und unternahm sein Werk. Ganze Melchtern voll Milch entzog er ihrem Euter; aber als ihm sein Unternehmen gelingen wollte, kam mit fürchterlichem Gepolter ein schwarzer Mann zu ihm in den Stall, der auf mancherlei Art ihn in seiner Arbeit stören wollte. Der Hirt aber achtete sich des unsaubern Gesellen wenig und gab ihm auf seine Reden und Fragen keine Antwort; darum ist es ihm auch geglückt, daß er in einer Stunde fertig wurde mit dem Melken.



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Ueberall ist ihm der schwarze Mann nachgefolgt und hat immer Gleiches gethan, was er. Ging der Senn in's Milchgaden , die Milch in die Gepsen zu schütten, marschirte er demselben nach und machte die gleichen Bewegungen des Senns; ging er in den Keller, in die Küche oder in den Futtergang, that der Schwarze desgleichen.

Selber in's Bett folgte der ungebetene Gast und legte sich mit seinen eiskalten Gliedern neben den Hirten; aber um Mitternacht stand er auf, ging in die Küche und grub mit einem Bickel ein Loch in die Erde. "Komm, hilf jetzt!" rief er dem unerschrockenen Senn zu; "komm, hilf da!" Der Hirt zeigte aber nicht große Lust, in mitternächtlicher Stunde einem solchen Schlafkameraden zu helfen und blieb auf seinem Strohsäcke liegen. Bald erschien der Schwarze noch einmal unter der Gadenthür, hielt ihm ängstlich an, er solle doch kommen und ihm helfen. "Ich rufe dir," sagte er nun noch einmal, "und wenn du das dritte Mal nicht mitkömmst, siehe dann, wie es dir ergeht." Wirklich folgte er ihm auf das dritte Rufen hinab in die Küche. Da war ein großer Kessel abgedeckt, welcher angefüllt war mit Silber und Gold. Denselben zogen sie nun mit seinem Inhalt auf die Oberfläche des Bodens heraus und der alte Freund der Mitternacht sonderte das Geld in drei Haufen. "Siehe," sagte er, "du hast dich brav gehalten, die Alp ist erlöst, dieser Haufe da ist darum deine Belohnung; der da, der mittlere, gehört dem Herrn an, dessen Eigenthum die Alp ist, und jener dort denjenigen, welche auf diesem Berge verarmet sind." Nachdem er das gesagt, verschwand er, und nie mehr nahm man etwas von ihm wahr,



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39. Aue Jungfern, verdammt im Roththalgletscher.


Mündliche Mittheilung.

Wenige Mädchen sterben im berner Oberlande als alte Jungfrauen, Bald findet eine jede ihren Uli oder Heiri, mit dem sie als zärtliche und sorgsame Hausbau und liebevolle Mutter die Freuden und Leiden dieses Lebens theilt. Dies kommt aber daher, weil erstens die berner Mädchen sonst alle lieba Herzens sind und zweitens, weil sie wohl auch ein wenig die Strafe fürchten, welche solche, die als alte Jungfern sterben, nach ihrem Tode erwarten haben; denn alle, deren Herz im Leben kalt gegen das Gefühl der Liebe blieb oder die gar, die Ehe verwerfend, in unsittlicher Leidenschaft entbrannt sind verdammt, ihre-Schuld-in dem Schnee und Eis des Roththalgletschers für ewig zu büßen.


40. Nonnen als Schneeaugen.Mündliche Mittheilung.

Auf den Schreckhörnern bemerkt man oft weiße, glänzende Schneeflecken. Dies sind die Seelen leichfertiger Nonnen ans dem ehemaligen Kloster Interlaken, die ob ihres unzüchtigen Lebenswandels verdammt sind, als leuchtende Schneeaugen die Mädchen im Thale vom Wege des Lasters zurückzuschrecken, daß ihr Her; frei bleibe von den schwarzen Flecken der Sünde, rein und glänzend wie der frisch gefallene Schnee.



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Ueber das Schicksal der Verstorbenen nach ihrem Tode, über die Orte seligen Glückes oder der Verdammniß, wohin die Seele, unmittelbar nach ihrer Trennung vom Leibe, je nachdem sie hier gelebt hat, versetzt wird, und die Bildungsmotive dieser Anschauungsweise bei einer spätern Gelegenheit, bei welcher der Aberglaube der zwei vorhergehenden Sagen, so wie alle übrigen Fälle dieser Art Besprechung finden werden.


41. Diebolt von Strättlingen im Höllenmoos.


Chronik von Einigen.

Gütig, fomm und gerecht waren die Herren von Strättlingen; nur wenige machten eine unrühmliche Ausnahme. Unter diesen befand sich Diebolt, der Nachfolger Burckhardts von Strättlingen, der seiner Wahrheitsliebe wegen allgemein gepriesen war. Geiz und Habsucht waren die größten Laster jenes Fürsten. Durch sie verleitet vergriff er sich sogar an den Gütern der Kirche. Darob in Bann gethan und später aus demselben erlöst, ward er, als er dennoch sich zur Rückgabe des geraubten Guts nicht bequemen wollte, vom Teufel besessen. Bei seinem Tode aber sahen die, welche sein Sterbelager umstanden, nicht nur die Seele des Dahingeschiedenen, wie sie seinen Körper verließ, sondern sie hörten auch deutlich und vernehmlich die Stimme des St. Michael, der den bösen Geistern den Befehl ertheilte, dieselbe von dannen in ein Moos zu Sagen, das unfern am Thunersee gelegen ist, wo sie von da an "viel und oft syg gehört worden, daher das Moos noch auf den heutigen Tag das Höllmoos genannt wird".

Schon in der Erläuterung zu No. 19 wurde das Verhältniß des heiligen Michael zu den dahingeschiedenen Seelen erwähnt. Auch hier übt


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er sein Amt als Todtenrichter aus und überliefert die Seele Diebolt s von Strättlingen den bösen Geistern.


42. Wie die Grindelwalder in den Bess der Scheil deckalp kamen oder bestrafter Meineid.


I. R. Wyß, Reise in das berner Oberland. IL Abtheil. S. 640.

Die Hasler und Grindelwalder lebten einst über den Besitz eines Landstrichs im Streit. Unrechtlicherweise wußten die letztern sich aber durch eine List in Besitz desselben zu setzen. einer von ihnen mußte seine Schuhe mit Erde von ihrem eigenthümlichen Boden füllen und so ausgerastet, auf dem streitigen Lande stehend, den Eid leisten: "er stehe auf grindelwaldisehem Boden, er würde sonst nicht den Milchschöpfen auf dem Kopfe haben, wenn er nicht daheim wäret

Dieser hinterlistige Eid aber läßt dem, der ihn geleistet, keine Ruhe im Grabe und oft will man ihn verkehrt auf einem Rosse sitzend unter Wehklagen bis an das Zwirgi hinab gegen Meyringen zu herumreiten gesehen haben. Ein Hasler soll sogar noch bei Mannsdenken mit ihm handgemein geworden sein.

Eine ganz ähnliche Sage, wie obige, erzählt man sich am züricher See, die sich an das sogenannte "heilige Stüdli bindet, einen hölzernen Kreuzstamm in der Nähe seines Ufers auf einem Hügel, an dessen Fuß der Wampisbach vorüberfließt. Zwei Brüder brachten hier eine arme Wittwe um ihr Eigenthum, indem sie den Schwur ablegten: "Dasselbe gehöre ihnen an, so wahr ihr Richter und Schöpfer über ihnen sei!" Beide hatten ihre Kämme, die man in der alten züricher Volkssprache vom Zurichten, Ordnen der Haare, Richter nannte, und ihren Suppenschöpfer in ihren Mützen verborgen. Ein Blitzstrahl aus blauem Himmel traf aber die Meineidigen, der sie bei lebendigem Leibe verbrannte und noch heute irren ihre Geister auf jenem Hügel ruhelos umher.


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43. Freiherr von Weißenburg gebt mit der Lecktasche um.


Alpenrosen 1815. S. 282.

Freiherr von Weißenburg, welcher auf Anstiften seiner Frau durch einen östreichischen Ritter auf der Jagd erstochen wurde, hatte in seinem Vermächtniß hundert weiße Kühe und eine große Allment für vierzehnhundert Kühe den Armen vermacht . Da nun Habsucht und Reichthum gewöhnlich Hand in Hand gehen, wollten die Reichen in Folge dieses Vermächtnisses auch alle arm sein und in der That brachten sie es wirklich auch dahin, daß ihnen der größte Theil von dem Erbe, den Armen aber nur wenig zufiel,

Seit dieser Zeit geht ein Geist bei Nacht und oft auch bei Tag auf jener Allment herum, der dem Vich aus einer Lecktasche zu lecken gibt. Lecket das Vich der Reichen, so wird es mager und stirbt; lecket aber das Vich der Armen, so wird dasselbe fett, gedeiht und jede Krankheit bleibt ihm fern. Dieser Geist ist der alte Freiherr von Weißenburg, der die durch Verletzung seines letzten Willens begangene Ungerechtigkeit auf diese Art in eigener Person ausgleicht und bestraft.


44. Der unnatürliche Sohn.


Nach dem Wanderer in der Schweiz.

In einem der Seitenthäler des berner Oberlandes lebte ein alter, frommer Mann, der von Gott mit Geld und Gut, aber auch mit vielen Kindern gesegnet war. Er hatte acht



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Töchter und einen Sohn. Dieser einzige Sohn aber war es, der ihm statt Freude zu bringen, nichts als Kummer und Sorgen machte. Mit wilden Gesellen schweifte er Tag und Nacht umher und achtete weder der Ermahnungen des Vaters noch der Thränen der Schwestern. Da sagte der Vater eines Tages zu seinen Töchtern: "Da aus euerm Bruder, den ich als meinen Erben einsetzen wollte und der, wenn ich einst todt, für euch sorgen sollte, ein Verschwender geworden ist, der meine ganze Hinterlassenschaft verprassen würde, muß ich auf andere Art für euch sorgen. Ich habe daher unter den Söhnen unserer Nachbarn mir Eidame erwählt , und ich will euch eine Aussteuer geben, damit ihr nicht leer aus dem Hause zieht. Bereitet euch auf morgen; morgen soll euer aller Hochzeitstag sein."

Als sie nun am andern Tage mit ihren Erwählten am Hochzeitsahle faßen, sprang plötzlich die-Thüre auf und-der Bruder, der seit Tagen nicht mehr daheim gewesen, trat ein und rief: Was verprasst ihr da mein Erbe?" und lästerte die Anwesenden. Seinem Vater aber schrie er zu: Du hast mich um mein Erbe betrogen, ich bin dein Sohn nicht mehr, hast du mich verstoßen, kann ich dich auch verstoßen!" und stieß mit diesen Worten den Alten zurück, daß dieser ohnmächtig zu Boden stürzte. Der unnatürliche Sohn aber entfloh zur Thüre hinaus. Da um die Mitternachtsstunde, als der tods getroffene Alte auf seinem Bette lag, ertönte plötzlich durch das Alpenthal ein schrecklicher Donner. Eine Lawine war vom nahen Gletscherberge gefallen. Da richtete sich der sterbende Greis nochmals von seinem Lager auf und sprach: Gott hat meinen Sohn gerichtet, sei er seiner Seele gnädig!"worauf er zurücksank und erblich. Der unnatürliche Sohn aber irrt von jener Stunde an, ein zu ewiger Buße verdammter Geist, auf den Gletschern jenes Thales umher.



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45. Ahasver.


C. Vogt, im Gebirg und auf den Gletschern. S. 42. Alpenrosen. L

Als Ahasver auf seiner ewigen Wanderung zum Erstenmale die Alpen überschritt, und zwar kurze Zeit nach seiner Verfluchung, wählte er die Grimsel zum Uebergangspunkte. Entfesselt bis zu ihren Duellen, welche aus dem Schooße der Berge hervorbrachen, rauschten Rhone und Aar, und wie jetzt an dem fröhlichen Rheinstrome, lebte ein munteres Geschlecht an ihren Ufern. Die sonnigen Berge waren umkränzt von Reben, Eichen und Buchen wiegten ihre grünen Häupter in den lauen Winden einer warmen Luft, und Schaaren von Singvögeln belebten die dichten Waldungen. Hinter Obstbäumen versteckt, ragten stattliche Dörfer in Mitten des fuchtbaren Geländes. Wo der Wanderer anpochte, trat man ihm entgegen und lud ihn gastfreundlich ein, sich zu erquicken an dem edlen Weine, den die Halden in überschwenglicher Menge lieferten. Aus den hellen Wohnungen, den frischen Gesichtern der Kinder, wie der Alten, glänzte das Wohlbehagen. Aber nicht weilen durfte der Unglückliche in dem Lande des Glückes; sein irrer Fuß trug ihn weiter nach dem Norden.

Mancher Jahreswechsel war über des nimmer Ruhenden Haupte dahin gerauscht, und er fand sich wieder in der Nähe der Alpen. Er gedachte des glücklichen Volkes, das er damals getroffen, der gewinnenden Herzlichkeit, womit er empfangen und erquickt worden war, des schönen Landes, das er damals durchstreifte. Er beschloß, sein Herz noch einmal an dem Anblicke zu laben. Aber düstere Ahnungen beklemmten seine Brust, als er die Maienwand hinanschritt. Dicker



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Nebel verbarg ihm das umliegende Land. Droben angelangt sah er ihn zerstieben von einem gewaltigen Windstoße, der aus dem Haslithale hervorbrach. Er glaubte verirrt zu sein. Dunkle Fichtenwälder bedeckten die steilen Flanken des Gebirges, die hohen Stämme knarrten unter der Wucht des Sturmes, der ihre Wipfel schüttelte, und heisere Raben und lichtscheue Eulen begleiteten mit mißtönendem Krächzen und wimmerndem Klageton das Geheul des Windes in den finstern Klüften. Ersuchte, lange vergebens, menschliche Wohnungen; endlich fand er ein paar Hütten, dann wieder etliche. Die Köhler, welche sie bewohnten, ein gutmüthiger, aber ernster und schweigsamer Stamm, theilten mit ihm was sie hatten, schwarzes Brod und Bier, aus den jungen Sprossen der Tannen gebraut.

Abermals, nach vielen Jahren, betrat der ewige Jude das bekannte Gebirg. Der Pfad, den er Küher gewandelt. war verschüttet, Kein Vogelgesang, kein Rabengekächz schallte ihm entgegen. Ueber kahle, nackte Felsen strauchelte sein Fuß, hier und da nur grünte ein spärlicher Grashalm. Todesschweigen herrschte, nur manchmal pfiff in durchdringendem Tone das scheue Murmelthier, Und an den Bergeshalden , wo früher Reben gegrünt und Eichen das lockige Haupt gewiegt hatten, an denselben Halden, die später Fichten getragen, da hingen jetzt mächtige Eismassen herab, und die wilden Schluchten waren erfüllt von gigantischen Gletschern, Aus dem Schnee aber ragten zerriss ene Felsnadeln in finsterer Majestät, welche sich gen Himmel zu schwingen schienen, und den eisigen Winden trotzten, welche um ihre Gipfel schnoben. Vom Menschen sah Ahasver keine Spur, und er, der Verfluchte, war das einzige Wesen dieses Geschlechtes in der Gegend, die mit ihm unter ähnlichem Fluche zu seufzen schien. Und Ahasver setzte sich auf einen Stein in der Tiefe des Thales, wo ringsumher die Felswände ihn einschlossen,



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und weinte, und seine Thränen schwollen an, und als er erleichterten Herzens den Rücken wandte, um in das Haslethal hinabzusteigen zu bewohnten Gefilden, hatten die Thränen einen kleinen See gebildet, Dessen Wasser sind, kotz der vielen Zuflüsse aus den Gletschern umher, warm, wie die ersten Thränen Ahasver's.


II

Eine andere Sage erzählt: Dort, wo sich wild und schauerlich im Aargmscher in tiefer Eiskluft zwischen dem Lauteraarhorn und den Wetterhörnern jene düstere Felsenhöhle öffnet, die, eine Zufluchtsstätte der Gemsenjäger, unter dem Namen die Jägerhütte bekannt ist, war der Ruheplatz Ahasver's, kam er auf seiner ewigen Wanderung nach der Schweiz, dem einzigen Lande auf Erden, wo der im Zorn noch gnädige Gott seinem irrenden Fuß eine kurze Rast gegönnt hatte. Dort, so berichtet die Sage, habe er, nachdem er bei seinem ersten Kommen an jener Stelle unter schattiger Rebenlaube, das zweite Mal aber in dichtem Waldgebüsch geruhet und endlich beim dritten Mal seinen Ruheplatz von starrem Eis umgeben und nichts als Schnee- und Eisfelder angetroffen habe, kündend prophezeit: er werde zum vierten Male wieder kommen; dann aber werde ein einziger Gletscher sein was vom brienzer See weg bis nach Wallis hinauf jetzt noch fuchtbares Thalgelände, grüne Matte und grasreiche Alp ist und auf ewigem Eis werde er von da aus wallfahrten und die Stätte aufsuchen müssen, wo allein er findet, was ihm sonst überall auf Erden versagt ist —Ruhe für seinen müdgehetzten Leib.

Erhaben und sinnig ist der Mythus vorstehender Sage. Er hat eine doppelte Basis, eine naturhistorische und eine christlich religiöse. Daß die schweizerischen Berge der Schauplatz gewaltiger Naturveränderungen


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waren, berichtet schon Strabo L. IV. p. 136. Sah er auch nicht den Weinstock durch Tannen und Fichtengebüsch und dieses durch das Eis der Gletscher verdrängt, so weiß er doch von Gewässern zu erzählen, welche auf den auf mitternächtlicher Seite der Alpen sich niedersenkenden Bergen getobet haben, wovon sich heute noch deutliche Spuren vorfinden. So auf der Spitze des Rühli im Lande Saanen (Joh. v. Müller, Geschichten der schweizerischen Eidgenossenschaft L. L c. 1. Anmerkung 10" S. 3), ja, Wagner in seiner Historia naturalis Helvetiœ und Justi in seiner Geschichte des Erdkörpers gedenken eines Schiffes, welches, mit vierzig versteinerten Menschenkörpern, Ankern, versteinertem Holzgeräth, siebenundzwanzig eisernen Sturmhauben und ebensoviel Helleparten angefüllt, in einem Bergwerkstollen des berner Oberlandes hundert Ellen tief unter der Erde gefunden worden sein soll. Gibt aber die Geschichte selbst zu, daß sich im Laufe der Zeit Seen in Thäler verwandeln konnten, so ist es nicht zu verwundern, wenn die Sage der allmächtig schaffenden Natur, und dies wohl nicht mit Unrecht, Kräfte zuschrieb, die Verwandlungen noch anderer Art hervorbrachten; daß sie aber als deren Zeugen den ewigen Juden auftreten läßt, ist eine höchst glückliche Wendung, die dem Ganzen nicht nur eine poetische sondern auch zugleich eine christlich-religiöse Deutung verleiht, indem das Elend des von Christus zum Nichtsterbenkönnen Verfluchten, der ärgsten Pein, die je menschliche Vorstellung ersann, sich gegenüber diesen großartigen Verwandlungen um so gräßlicher und furchtbarer abzeichnet. Was nun den Mythus vom ewigen Juden selbst betrifft, so geht man wohl am sichersten, wenn man der Ansicht Norks (S. sein Kloster B. XII. S. 428), folgt, die in ihm das ganze jüdische Volk repräsentirt findet, "das sich mit einem Gottesmorde besteckte, daher ein Scheinleben fortzuschleppen verurtheilt ist, gestrichen aus der Liste der Völker, dennoch nicht unterging, sondern als Zeugniß seines maßlosen Frevels bis zum jüngsten Tage in der Welt herumziehen muß." Dies erkennt Nork darum als richtig an, "weil gerade die Zeit, in welcher die Judenverfolgungen die Lieblingsleidenschaft des christlichen Welttheils geworden waren, nämlich das vielgepriesene Mittelalter, zugleich auch die Entstehungsperiode der Sage vom wandernden Schuster aus Jerusalem ist," wofür er den Beweis in dem Umstand erblickt, daß dieselbe erst im dreizehnten Jahrhundert auftauchte, aus welchem er folgenden Brief des im Jahr 1259 verstorbenen englischen Chronisten Mathias Paris als ältestes Zeugniß anführt:"Einst kam ein armenischer Bischof nach England, den man nach jenem Joseph fragte, über den viele Reden gehen unter dem Volke, wie er, als unser Herr litt, zugegen war und mit ihm sprach, und bis auf den heutigen Tag noch lebe, zum Beweise der Wahrheit der christlichen Lehre, ob er ihn jemals gesehen oder von ihm gehört, und er erzählte von


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ihm, was er wußte, Eines nach dem Andern. Ein Ritter aus Antiochien oder aus des Erzbischofs Familie, der seinen Dollmetscher machte, und sonst auch einem Diener des Herrn Abtes Heinrich Spigurnol bekannt war, sprach, als er die Reden Jenes übersetzte, in französischer Sprache: Mein Herr kennt den Mann recht wohl, und kurz vorher, ehe er seine Reise in das Abendland antrat, speiste derselbe Joseph von Arimathia an dem Tisch meines Herrn, des Erzbischofs, und der hatte ihn sehr oft schon gesehen und reden hören. Als man ihn aber weiter fragte, was denn zwischen unserm Herrn Jesus Christus und genanntem Joseph sich begeben , erwiderte er: zur Zeit des Leidens des Herrn, als er gefangen von den Juden vor den Landpfleger Pilatus in seinen Palast geführt wurde, auf daß er von ihm gerichtet würde, und als ihn die Juden beharrlich verklagten, sprach Pilatus, obwohl er keinen Grund, ihn zu tödten, an ihm gefunden, also zu ihnen: "Nehmt ihn hin und richtet ihn nach euern Gesetzen!" Als aber das Geschrei der Juden immer stärker wurde, da schenkte ihnen Pilatus auf ihr Bitten den Barrabas, Jesum aber überlieferte er ihnen, daß sie ihn kreuzigten. Wie nun die Juden Christum aus dem Pallaste schleppten und er an die Pforte gekommen war, da schlug ihm Cartaphilus, der Pförtner des Pallastes und des Pontius Pilatus, wie der Heiland durch das Thor ging, verächtlich mit der Faust in den Nacken und sprach spottend: "Geh hin, Jesus, immer gehe schneller, was zögerst Du?" Jesus aber sah sich mit strengem Blicke um und sprach zu ihm: "Ich gehe, Du aber sollst warten, bis ich wieder komme." Wenn man aber nach den Evangelisten reden wollte: "Der Sohn des Menschen geht, wie geschrieben steht, Du aber wirst meine Ankunft (zum Gericht) erwarten." Und so wartet, nach des Herrn Wort, noch bis heute jener Cartaphilus, der zur Zeit des Leidens unseres Herrn ungefähr 30 Jahre alt war, und allemal, wenn er wieder hundert Jahre verlebt hat, wird er von unheilbarer Schwäche ergriffen und fällt in eine Ohnmacht, dann aber wird er wieder gesund, lebt wieder auf, und kommt wieder in das Alter, in dem er stand, als der Herr litt, so daß er mit dem Psalmisten (103, 5.) sagen kann: "Meine Jugend verjüngt sich wie der Adler."" Von diesem Cartaphilus erzählt der englische Chronist dann weiter: er habe sich später als der heilige katholische Glauben sich immer mehr ausbreitete, von dem Ananias taufen lassen und den Namen Joseph angenommen, unter welchem er in den beiden Armenien und anderen Gegenden des Morgenlandes unter den Bischöfen und andern Prälaten als ein Mann von heiligen Sitten und heiliger Rede gelebt habe. Von dem Berichte des Mathias Paris geht Nork zu einer andern Erzählung über, welche Chrysostomus Dudulaeus überliefert und nach der der ewige Jude sich im Jahr 1547 in Hamburg und in Danzig, im Jahr 1575 in Madrid, im I, 1599 in Wien und 1601 in Lübeck, Reval, Krakau


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und Moskau gezeigt haben soll, also geraume Zeit nachdem die erste Kunde von ihm nach Europa drang. Nach Chrysostomus Dudulaeus theilte der ewige Jude einem gewissen Paulus von Eitzen ("der heiligen Schrift Doktor und Bischof zu Schlesewik"),mit eigenem Munde über sich und sein Schicksal Folgendes mit:"Er fey ein geborner Jude und von Jerusalem bürtig, mit Nahmen heiße er Ahasverus, seines Handwerks wer er ein Schuchmacher, daselbst auch bei der Creuzigung Christi und seinem Tode damals persönlich vorhanden gewesen, ond also von der Zeit hero lebendig blieben, viel Länder und Städte durchgereiset, wie er dann zur Bestetigung dessen viel und mancherlei Kundschaften umstende." Auf Doktor Paulus von Eitzens ferneres Befragen aber habe er folgende nähere Auskunft gegeben: "er sey zur Zeit der Creuzigung Christi zu Jerusalem wohnhaftig gewesen, den Herren Christum, welchen er damals mit den Jüden vor einen Ketzer gehalten, auch anders nicht gegleubet noch gewußt, er sey ein Verführer deß Volkes gewesen, mit Leiblichen Augen in der Person gesehen, daher habe er sein bestes, sampt andern verwenden helffen, damit dieser Aufrührer, vor den sie ihn zu der Zeit gehalten, möchte vertilget, und stracks hinweg gereumet werden. Wie aber die Sentenz endlich vom Pilato gesprochen, haben sie ihn-alsbaldt für seinem Hause fürüber führen müssen . Da sey er eilends heimgegangen, und habe er seinem Haußgesinde die sachen vermeldet, damit sie Christum Augenscheinlich sehen, und was er für einer were, auch verstehen möchten.""Wie solches geschehen habe er selbst sein kleines Kind auf die Armen genommen, mit ihm für seine Thür gestanden, den Herrn Christum zu sehen. In deme nun Christus unter dem schweren Kreuze daher gefüret, hat er an seinem deß Schusters Hause zu ruhen sich angelehnet, und sey daselbst ein wenig stille gestanden, wie aber der Schuster aus Eiffer und Zorn, und umb Ruhms willen, bey andern Jüden, den Herren Christum fortzueilen abgetrieben, und gesprochen: Er soll sich weg verfügen, dahin er gehörte, so habe ihn Christus drauf stracks angesehen, und zu ihm mit diesen Worten angesprochen: Ich will allhie stehen und ruhen, aber du solt gehen bis an den Jüngsten Tag.""Hierauff habe er alßbald sein Kind niedergesetzt, und gar nicht länger daselbst bleiben können, sondern Christo immer nachgefolget, und also gesehen, wie er elendiglich gecreutziget, gemartert und getödtet worden. Nach Vollendung desselben hat es ihme stracks unmöglich zu sein gedäucht, wiederumb in die Stadt Jerusalem zu gehen, were hernacher nicht mehr darin gekommen, auch sein Weib und Kind niemals wieder gesehen, besondern also bald frembde Lender eins nach dem andern, wie ein betrübter Pilgram durchgezogen. Und da er einmal nach etlichen viel Jahren, wieder gegen Jerusalem wollen ziehen, habe er alles zerstöret ond jemmerlich


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zerschleiffet gefunden, also das er nichts daselbst gesehen, das kein Stein auf dem andern gewesen sey, und er nichts habe wissen zu erkennen, was zuvor allda war köstliches vorhanden gewesen. Was nun Gott mit ihm vorhabe, daß er in diesem elenden Leben so herumb gewandert, ond so elendiglichen ihn anschawen lasset, könne er nicht anders gedenken, Gott wolle an ihm vielleicht biß an den Jüngsten Tag wider die Jüden einen Lebendigen Zeugen haben, dadurch die Ungläubigen und Gottlosen des Sterbens Christi erinnert, und zur Buße bekeret werden sollen, Seines theils möchte er zwar wohl leiden, das ihn Gott in den Himmel aus diesem schnöden Jammerthal abforderte." Im weiteren Verlaufe der Erzählung des Chrysostomus Duduhaeus heißt es dann noch von diesem wandernden Schuster, daß er von allen Begebenheiten und Ereignissen zur Zeit Christi sattsam Bericht gegeben habe, so daß er als eine völlig glaubwürdige Person erschienen sei. Auch habe er sehr still und eingezogen gelebt, wenn er zu Gaste geladen, mäßig gegessen und getrunken, von Geschenken aber "nicht viel ober zween schilling genommen, damon er doch alßbald wiederumb den Armen außgetheilet habe, mit Anzeigung, er bedürfe keines Geldes, Gott werde ihn wohl versorgen, denn er habe seine Sünde berevet, ond was er unwissend gethan, Gott abgeben."Nach andern von Nork aufgefundenen Notizen soll sich der ewige Jude noch in Paris im Jahr 1604 gezeigt haben; dann wieder zu Stade bei Hamburg in der Kirche im Jahr 1633; in Brüssel im I, 1640 in Leipzig, wo er als alter Bettler erschienen und reichlich Almosen angenommen , im Jahr 1642; in München vor dem Isarthore im Jahr 1721, von wo aus, da man ihn nicht eingelassen, er sich nach Heidthausen begeben und nach ächter Wanderjudenmanier Geschäftchen mit "Geschmust und Perlen" gemacht; in Naumburg (hier fehlt die Zeitangabe) habe er in der Kirche während der Predigt weder stehen noch sitzen können, dort habe er auch erzählt, keine Speise, kein Trank komme über seine Lippen und doch sei er ohne Ruhe und ohne Schlaf so viele Jahre hindurch erhalten worden; auch auf Jütland in Dänemark und in Schweden sei er erblickt worden, ebenso soll er in Böhmen und zu Anfang des 18, Jahrhunderts in England gewesen sein, wo sein Auftreten an den später so berüchtigten Grafen von St. Germain erinnert und er sich allen frühern Angaben entgegen für einen Offizier des hohen Rathes von Jerusalem ausgab, der, als Christus den Pallast des Pilatus verlassen, demselben einen Stoß versetzt und gesagt habe: Packe dich, warum weilst du noch hier? Jesus aber habe ihm geantwortet: ich gehe, du aber sollst bis zu meiner Wiederkehr wandern. Auf vorstehende Erzählungen läßt Nork eine seiner Personifikationstheorie widersprechende Ansicht folgen, die Graße's, der dem Mythus vom ewigen Juden einen geschichtlichen Ursprung zu unterbreiten sucht, wobei er freilich selbst sagt, daß er diese Behauptung


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nicht für diejenigen aufstellt, welche die heiligsten Wunder Christi und die Zuverläßigkeit der Apostel in Zweifel ziehen. Daß keiner der Evangelisten jenes Ereignisses erwähnt, ist für Graße von keiner besondern Erheblichkeit, da dieselben bei den vielen wunderbaren Begebenheiten, die sich bei Christi Kreuzigung und Auferstehung und vorher bei seiner Verurtheilung zutrugen, leicht eines im Vergleich mit diesem nur unbedeutenden Umstandes Erwähnung zu thun vergessen konnten, indem ja der Evangelist Johannes XXI. V. 25 selbst sage: "es sind auch viele andere Dinge, die Jesus gethan hat, welche, so sie sollten eins nach dem andern geschrieben werden, achte ich, die Welt würde die Bücher nicht begreifen, die zu beschreiben wären", und es wieder an einer andern Stelle desselben Apostels XX., V. 30 heiße: "auch viele andre Zeichen that Jesus vor feinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buche". Auffallend, fährt Graße dann fort, sei es allerdings, daß keiner der älteren Geschichtschreiber der christlichen Legende etwas von jenem Ereigniß berichtet, diesem könnte man jedoch das rastlose Umherstreifen des ewigen Juden, die Kämpfe, welche kurz nach Christi Kreuzigung zwischen den Partheien in Palästina und dann mit den Römern begannen, entgegenstellen, welche Umstände leicht eine Mittheilung dieser Begebenheit an solche Personen, welche sie niederschreiben und so der Nachwelt überliefern konnten, verhindern mochten, und dann könnte man ja auch annehmen, daß diese Legende noch irgendwo in einer verloren gegangenen oder auch nur in dem Staube einer alten Bibliothtk vergrabenen kirchengeschichtlichen Handschrift aufbewahrt und nur noch nicht aufgefunden worden sei; jene aber, welche in den zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten aufgetretenen ewigen Juden verschmitzte Betrüger, wie dies bei den vielen Pseudomessten der Fall gewesen sei, sehen wollen, welche die ganze Begebenheit ersonnen oder doch wenigstens die Sage zu ihrem Nutzen ausgebeutet hätten, glaubt Graße hauptsächlich durch den Umstand abfertigen zu können , daß der im 16. Jahrhundert durch Europa wandernde Jude durchaus kein Geld genommen und alle Unterstützung zurückgewiesen habe und nur an drei Orten scheine das Gegentheil der Fall gewesen zu sein, nämlich zu Naumburg, zu Leipzig und in England, allein hier gerade könnte ein Betrüger den Namen des ewigen Juden gemißbraucht und mit der Erzählung seiner Schicksale die Herzen frommer Gläubiger gerührt und so seinen Beutel gefüllt haben. In der Verschiedenheit, welche in der Aufführung des Namens und des eigentlichen Verbrechens des ewigen Juden bei den Berichterstattern jenes Ereignisses auffällig ist, steht Graße ebenfalls keinen Beweis für die völlige Erdichtung der Sache selbst, da ja die ganze Sage auf Tradition beruhe und im Laufe der Zeit und durch das öftere Wiedererzählen solche Veränderungen leicht hätten entstehen können. meisten verdächtig erscheint Gräße der Umstand, daß


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Christus bei diesem Menschen eine Ausnahme von seiner unendlichen Langmuth gemacht haben soll, da er ja, als er an's Kreuz geschlagen, für seine Peiniger gebetet habe: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!" Hierüber hilft er sich jedoch mit dem allerdings etwas zweifelhaft gefaßten Schluß hinweg: "es wäre denn, daß Christus durch die schreckliche diesem Sünder auferlegte Buße, gleich wie nachher durch die Zerstörung von Jerusalem und die merkwürdige Zerstreuung der jüdischen Nation durch alle Länder und Völker, der Nachwelt ein Zeugniß von seinem göttlichen Berufe und seiner Wunderkraft habe geben wollen." Aus all' dem ergibt sich aber, daß Graße die Sage vom ewigen Juden mehr im Interesse des Glaubens an die Wunderkraft Christi, als im Interesse historischer Wahrheit vertheidigt. Alles, was er anführt, sind Möglichkeitsgründe , die zur Feststellung der letztern nicht das Geringste beitragen können, und durch welche Nork's oben angeführte Meinung auch nicht einen Augenblick wankend gemacht werden kann.Als zu obiger Sage gehörend, muß schließlich hier noch eines alten, aus ledernen Riemen geflochtenen Schuh's erwähnt werden, der in einer Plunderkammer unter der Bibliothek in Bern liegt und von dem es heißt: eben bei jener Wanderung über die Grimsel habe ihn Ahasver von seinem Fuß verloren.


46. Frau Ube die Gute.


Alpenrosen. Jahrgang 1823. S. 213.

In jener uralten Zeit, in der noch in den Thälern des berner Oberlandes die Sitte herrschte, daß sich die Jungfrauen von allen Jünglingen streng zurückzogen, kam zu jedem sich folgenden Menschengeschlechte aus dem wildesten Hochgebirg eine steinalte, graue, von den Jahren gebeugte Frau, die Frau ude die Gute hieß, und von dem Augenblick an, daß Menschen jenes Gelände bewohnten, daselbst gehaust hatte, wenn auch Niemand das Obdach kannte, wo sich die Alte während der Zeit ihres Fernseins aufhielt. Frau Ude die Gute sah scharf und war an seltenen Künsten reich, ob sie schon lebenssatt, Saftlos und mehr todt als lebendig zu



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sein das Aussehen hatte. Geschäftig trippelte sie von Hütte zu Hütte, lud alles Hausvolk an die Thür, griff den Mädchen an's Kinn, sah sie mit blinzelnden Luchsaugen an, und endigte jedesmal mit dem Reimen :
Du, du, du, ja du !
Dießmal wieder Ruh l —
Hätt' ich keine funden mehr,
Litt ich siebenmal so schwer.

Dann nahm sie lachend das Mädchen bei der Hand, zu dem sie den Spruch gesagt, und trippelte weiter, und allemal ohne zu Sagen, ohne mißzugehen, ohne zu zaudern, geradehin nach dem Hause des Reichsten und Besten und Schönsten der Jungesellen im Thal, und dem legte sie die Hand des Mädchens in die Rechte, sah ihn nickend an, und hinterließ im Herzen des Junggesellen eine Liebe voll Innbrunst zu dem Mädchen, das sie dergestalt ihm vorgeführt hatte. Und allemal war eine glückliche Ehe zwischen den Beiden; das gesammte Thalvolk jubelte, Jedermann lud sich zur Hochzeit ein, und niemals hat irgend ein Vater, irgend eine Mutter die Wahl der Frau Ude für Sohn oder Tochter abgelehnt: denn jedesmal war das Mädchen als die Reinste unter den Reinen im ganzen Thalgelände erfunden, der Jüngling als der Beste von den Besten.

In der Frau Ude, der Guten, der Ehestifterin unserer Sage, ist die nordische Gottheit der Frigg oder Freia nicht zu verkennen, die als Göttin der Liebe auch Stifterin der Ehen war, wie das mit ihrem Namen zusammenhängende deutsche Zeitwort "Freien" ergibt. Das deutlichste Erkennungszeichen liegt jedoch in dem Namen Frau Ude, die Gute, selbst. Frigg oder Freia war nämlich Odins Gattin, als solche hieß sie auch Frau Gode, Frau Guode, Frau Gaue; in letzterer Form findet sie sich noch in einem Reim vor, dessen Absingen, da sie nicht allein die die thierische Fruchtbarkeit befördernde Gottheit, sondern auch die den Schoos der Erde befruchtende Erdgöttin war, noch heutigen Tages


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in einigen Gegenden Niederdeutschlands bei der Erntearbeit Gebrauch ist. Dieser Reim heißt:
Frau Gaue, haltet ju Fauer,
Düt Jar up den Wagen,
Dat ander Jar up der Kare.
Identisch mit der Freia aber ist die ägyptische Gottheit der Isis und Holda oder Holla, die ursprünglich freundliche, milde und gnädige Göttin der alten Deutschen, welche letztere, ähnlich der Frau Ude, sich in Mittel- und Niederdeutschland in der Frau Holle, in den obern deutschen Gegenden aber, sowie in Oesterreich, Baiern, Schwaben, Elsaß und in der Schweiz in der Frau Berchta oder Bertha erhalten hat, auf welche letztere zurückzukommen ist.Gode war in Deutschland der Name für Odin; daher der Godensberg bei Bonn und der noch im Jahr 1159 urkundlich angeführte Wuodenesberg in Hessen, in der Nähe der von Bonifacius umgestürzten heiligen Eiche, welcher, die zwischen der Frau Ude und der Frau Gode stattfindende Verwandtschaft bestätigend, später Udenesberg, Gudensberg benannt wurde. Daß aber die schöne, mit herrlichen Reizen ausgestattete Freia in unserer Sage zu einem alten, von der Last der Jahre gebückten Mütterchen zusammenschrumpfte, ist ein Schicksal, das sie mit der Holda theilt, welche oftmals auch als häßliche, großzahnige und langnasige Alte gedacht wird.


47. Das Martisloch.


Jahn, der Kanton Bern deutschen Theils S. 329.

An der hohen Felswand des nähern Eigers befindet sich eine große Oeffnung. Diese Oeffnung Sägt den Namen Heiterloch, wird aber auch wohl das Martisloch genannt.

Dieses Loch hat der heilige Martin, als er einst nach Grindelwald kam und das Thal erweitern wollte, mit seinem Stocke oder seinem Fuße durch den Felsen gestoßen, indem er sich dabei mit dem Rücken an den gegenüberliegenden Mettenberg anlehnte, in welchem heute noch eine etwas



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breite Aushöhlung, der sogenannte Martinsdruck, die Stelle bezeichnet, gegen welche der Heilige sich anstemmte, als er jenen gigantischen vollbrachte.Trotz ihres christlich-legendenartigen Gewandes ist in obiger Sage, die sich ganz gegen den ethischen Charakter der Legende lediglich auf eine Naturmerkwürdigkeit bezieht, der Kern eines heidnischen naturphilosophischen Mythus nicht zu verkennen. Jahn motivirt dies wie folgt: "wie man so häufig an die Stelle der Gottheiten Heilige treten ließ, mußte der heilige Martin hier den Platz des Sonnengotts Mithras einnehmen, dessen Verehrung sich von Persien über Italien, Gallien und das ganze römische Germanien verbreitet hatte und welchem als felsgebornem und felsdurchbrechendem Gotte das seltsame Phänomen unserer Sage im römisch-celtischen Paganismus zugeschrieben worden war, eine Uebertragung , die sich um so leichter machte, als nach dem altkatholischen, in den Schweizerbergen noch nicht vergessenen Kalender der Martinstag, bei uns der 11. November, so ziemlich auf den 25. November fällt. Auf diesen Tag findet wenigstens das herbstliche Erscheinen der Sonne durch das Heiterloch statt und danach wurde dasselbe dem Tagesheiligen überhaupt als sein Werk zugeschrieben, um den heidnischen Glauben so gut es anging zu verdrängen. Diese merkwürdige Spur römisch-celtischen Mithrasdiensts in den schweizer Bergen darf keineswegs befremden. Wie aufgefundene Monumente beweisen, ist derselbe selbst auf den Höhen der tyroler Alpen einheimisch geworden, und wenn die Celten, wie es bekannt ist, den Belenus, ihren Sonnengott, vorzugsweise auf Berghohen verehrten, so mußte der Mithrascult, sei es, daß er bei den Celten unter der Form des Belenusdienstes schon einheimisch war, oder, von den Römern zu ihnen gekommen, sich mit demselben amalgamirte, im Gebirgsland um so eher in Schwang kommen, da man hier im Aufsteigen der Sonne hinter den beeisten Höhen den unbezwungenen Lichtgott täglich neu aus dem Felsen geboren werden sah, ja, in einzelnen Fällen, wie hier, im Durchbrechen von Felswänden, mit besonderer Machtfülle vor Augen gerückt fand!" Das flammende Erscheinen der Sonne durch das Heiterenloch findet, außer an dem bereits genannten Novembertag, noch an dem 17. und 18. Januar statt.Ein anderes Martisloch findet sich am Schindlenberg in der Nähe des Orts Elms im Kanton Glarus. Hier erscheint die Sonne im Herbst am Michaeltstag, im Frühjahr am 3. März.


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48. Von dem Mai-Bunder - und Hungerbrunnen.


Cysat, Beschreibung des Vierwaldstetter See's. S. 247.

Auf den Bergen der Schweiz gibt es Brunnen, welche im Mai, sobald das Vieh auf die Weide gessen wird, zu fließen anfangen; werden sie aber von demselben verlassen, versiegt auch ihre Quelle wieder. Von ihnen erzählen die Hirten, daß sie von Bergmännchen oder den Toggeli gehütet werden, welche auf diese Art für das durstige Vieh in den heißen Sommertagen sorgen. Solche Brunnen kommen sehr häufig vor. Einer der bekanntesten ist der auf der Engstlen-Alp im Amte Oberhasli. Dieser fließt nicht nur vom Frühjahr an bis zum Herbst, sondern auch nur des Tages regelmäßig zwei Mal, des Morgens früh um acht und des Nachmittags um vier Uhr, zu welcher Zeit man das Vieh zur Tränke zu führen pflegt. Von ihm heißt es unter Anderm auch noch, daß sobald man absichtlich etwas Unreines in sein Wasser wirft, dasselbe oftmals mehrere Tage lang ausbleibt, während der Unrath, welchen die Thiere selbst hineinfallen lassen, seinen Lauf nicht im Geringsten stört. Außer den Mai- oder Wunderbrunnen gibt es aber auch noch eine andre Art Brunnen. Dies sind die sogenannten Hungerbrunnen, und hievon gibt es wiederum zwei Arten: die einen fangen an zu fließen, sobald eine Hungersnoth im Anzuge ist, während die andern austoben und sich nicht eher wieder mit Wasser zu füllen beginnen, als bis der Nothstand zu Ende gehen will.

Das Intermittiren der Duellen, das zu dem Aberglauben obiger Sage Anlaß gegeben hat, ist eine völlig naturgemäße Erscheinung, die durch folgende zwei Ursachen Erklärung findet: entweder ist sie durch die


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zur Zeit der Schneeschmelze überfüllten Wasseradern im Innern der Berge bewirkt, deren gewöhnlicher Abzug nicht mehr ausreicht, so daß sich dieselben neue Abflußgänge suchen müssen, oder es ist Wasser, das sich aus den auf den Alpen gelegenen Seen, wenn sie einen höhern Wasserstand als gewöhnlich haben, von dort sich befindlichen Löchern aufgesogen, durch innere Gebirgsgänge nach den tiefer gelegenen Gegenden ergießt. Der Aberglaube aber selbst ist sehr alt und hat sich auf uns aus dem Heidenthume verpflanzt, in welchem dem Wasser, dem reinen, bald quellenden, bald versiegenden Elemente, nicht nur weissagende Kraft zugeschrieben, sondern auch ein besonderer Kultus gewidmet war, der besonders an der Stelle geübt wurde, wo es aus dem Schooße der Erde entsprang *). Eine Menge abergläubischer Gebräuche, heutigen Tages noch bei uns geübt, sind ein Zeugniß dieses heidnischen Kultus, dessen baldige Vermischung mit christlichen Elementen sich deutlich und unverkennbar aus ihnen ergibt. So wurde unter Beziehung auf Christus und das Kreuz, Wasser, das in der heiligen Weihnacht, so lang die Glocke zwölf schlägt, gesammelt ward und dem man besondere heilsame Kräfte zuschrieb, Heilwag genannt, ein Wort, welches sich, außer bei Anderen, auch bei Anshelm in seiner berner Chronik 1. 308 vorfindet. Ganz ähnliche Kräfte hatte auch am ersten Ostertag, jedoch nicht um Mitternacht, sondern früh Morgens vor Sonnenaufgang geschöpftes Wasser. Wasser aber, Sonntags vor Sonnenaufgang an drei fließenden Brunnen in ein Glas gesammelt, vor dem dann eine Kerze angezündet ward (Grimm, Mythologie der Deutschen. S. 329), war Zauberwasser zu unchristlicher Weissagung **) diensam. Daß aber der Aberglaube obiger Sage nicht 
*) Der Rhein wurde von dem Celten als Gottheit verehrt. An seiner Quelle wurde ihm geopfert. Er galt auch als Orakel gebend. Die Treue der Gattin zu erproben legte der Mann das neugeborne Kind auf seinen Schild. Verschlang es die Fluth, so war das Kind ein Bastard; von den Wellen getragen, war es ein Zeugniß seiner Vaterschaft. Dasselbe thaten auch die Germanen. Auch die Römer bewiesen dem Rhein, während ihres Aufenthaltes in Helvetien, göttliche Ehre, wie dies aufgefundene Inschriften bestätigen.
 
) Das Verfahren hierbei findet sich in Doktor Hartlieb's Buch aller verboten Kunst, Ungelaubens und der Zauberei. Geschrieben 1455 an Johann Markgraf von Brandenburg: wann der Maister in dieser Kunst (Ydromancia) will erfragen Diebstahl, Schätz graben, oder sunst was er dann haimliches wissen will, so gat er am Suntag vor der Sunnen Uffgang zu drein fließenden Prunnen und schöpft us jeglichem am wenig in am lauter puliertz Glas und tregt es haim in amen schönen Gemach, da prennt er dann Kerzen vor und legt dem Wasser Ere an sam Gott selber. Darnach nimbt er ain rain Kind, und setzt das uf ainen schönen Stul für das Wasser. Wann nun das rain Kind


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nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland, England, Frankreich und andern Ländern daheim ist, zeigt, daß der Wasserkult ein allgemein verbreiteter war. Von den Duellen und Brunnen anderer Länder, an welche sich jene Orakelkraft, annahende Theurung oder das Ende derselben zu verkünden, bindet, sei hier der unter dem Namen die "theure Zeit" bekannte Brunnen an der Chaussee von Eutin nach Qedlmburg erwähnt; das "Theuerbrünnlein" bei Schweinefurth; der "Hungerborn " bei Hüselrieth im Hennebergischen; die Hungerquelle hinter dem Schloßgarten in Baden; die Hungerquelle in Halle auf dem Markte beim rothen Thurme; der Hun gerbrunnen im Elsaß zwischen Ingersheim und Katzenthal und der Hungry pit bei Billington in England ec. Von den Hungerbrunnen in der Schweiz sei noch der Hungerbrunnen bei Wangen unweit Zürich und der Seltenbach bei Eglisau angeführt, von welchem die Sage geht, ihr Wasser ergieße sich bei anbrechender theurer Zeit, trockne aber bei anhaltender Witterung aus. Von dem letztern wird als eine mit der Sage übereinstimmende Thatsache erzählt, daß er vor den Hungerjahren 1690 und 1791 vier Jahr hinter einander geflossen sei, und ersteren will ein Pfarrer des Dorfes Wangen von dem Antritte seines Amtes im Jahr 1686 bis zu dem Jahr 1705, wie dieser an Scheuchzer berichtet, seiner genauen Beobachtung unterworfen haben, deren Resultat ebenfalls mit der Volkssage so ziemlich übereinstimmend gewesen sei. Die weissagende Kraft des Wassers findet übrigens noch vielfach Bestätigung. So unter Anderm in folgender Sage.da sitzt, so stat der Zaubermaister hinder im und spricht in etliche unerkannte Wort, und haißt das rain Kind die Wort nachsprechen. Was die Wort bedeuten , kan noch kain Maister ussgelegen, dann das der Mensch mit sölichem verporgen Worten sich selb Gott benimbt und sich dem bösen Tewfel gibt. Wenn nun der Maister den Knaben also vor im hat, so haißt er in sehen, was er sech, und Sagt dann nach dem Schatz, Diebstal oder sunst wornach er will. Die Ainfalt des Kindes macht das es spricht, es sech dieß oder das, darin vermist sich ban ber bös Tewfel und laßt erscheinen oft das Unwar für das War. (I. Grimm, Deutsche Mythologie. Anhang S. LX.)


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49. Das Todtenbächlein am Kirchhof zu St. Stephan.


M. Lutz, Vollständige Beschreibung des Schweizerlandes oder geographischstatistisches Handlexikon. T. III. S. 290 und Andere.

Bei dem Kirchhof zu St. Stephan fließt ein kleiner Bach, dessen Wasser sich oftmals ganz unerwartet und ohne vorhergegangenen Regen Stunden- ja oft Tagelang vollkommen trübt und mit einer weißen Materie zu laufen beginnt was dann, der dort herrschenden Sage nach, jedes Mal das Vorzeichen eines Todesfall in der dortigen Kirchengemeinde ist.

St. Stephan ist ein kleines Pfarrdorf, eine halbe Stunde oberhalb Zweisimmen, im Obersimmenthal. In früherer Zeit war es ein stark besuchter Wallfahrtsort. Seine Kirche ist die ältste im ganzen Simmenthale, wie dies wenigstens aus der auf einer Glocke des Kirchthurms sich befindenden Jahreszahl zu schließen ist, von welcher sich jedoch nicht mit Genauigkeit bestimmen läßt, ob es die Zahlen 1023 oder 1030 sind. Am Eingange der Kirche ist in der Mauer eine Nische angebracht, hinter deren Gitter man vor Zeiten ein Todtengeripp sah. Dieses Gerippe sollte dem heiligen Stephan angehört haben, nach welchem das Kirchspiel seinen Namen empfing. Auch sah man noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in dieser Kirche über den Sitzen der Weiber eine Fahne, von der es hieß, sie sei in einem Gefecht bei der Lenker-Alp den Wallisern von den Siebenthalern abgenommen und an diese Stelle ob der bei dieser Gelegenheit von den Weibern bewiesenen Tapferkeit aufgehängt worden.Eine andere Merkwürdigkeit jener Gegend ist das sogenannte "steinig Haus" in der Bäurde Niederen, das sich von dem letzten Besitzer der Burgen Mannenberg, der sich nach deren Zerstörung nach St. Stephan flüchtete, erbaut worden sein soll. Eine andere Sage läßt jedoch den ursprünglichen Bau dieses Hauses als älter erscheinen und seine heidnisch-alterthümliche Bedeutsamkeit nicht verkennen. Nach dieser Sage hat nämlich an der Stelle, wo jenes Haus steht, erst die Kapelle des heiligen Stephan erbaut werden sollen. Eine unsichtbare Hand aber habe


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immer was am Tage aufgebaut wurde des Nachts wieder zerstört; worauf man, von zwei von dem Joche freigelassenen Stieren geleitet, den Bau der Kirche des heiligen Stephan begonnen und ohne Störung ausgeführt habe, da wo sie in diesem Augenblick noch zu finden ist. Wahrscheinlich daß auf dem Platz, wo jetzt das "steinig Haus" die Aufmerksamkeit der Reisenden auf sich zieht, eine ehemals heidnischem Kult geweihte Opferstätte war, und die Annahme, daß an solcher, als unheilig, das Begehen christlichen Gottesdienstes nicht statthaft sei, Veranlassung zur Entstehung dieser in den verschiedenartigsten Versionen sich sehr häufig wiederholenden Sage gab. So soll der Platz für den Bau der Kirche im Ischboden in Grindelwald ganz auf gleiche Art durch das Stillstehen von Ochsen angegeben worden sein. Aehnliches erzählt man auch von der Kirche zu Blumenstein und von der dem heiligen Michael geweihten Kirche zu Einigen, nur daß bei der letzteren der heilige Michael, die Hülfe der stillestehenden Ochsen verschmähend, die ihm zu weihende Stätte selbst anzeigte, nachdem, wie es in der Chronik von Einigen heißt: "was Sy aber eines Tags am Fundament grabten, die Nacht wiederumb verworfen und geäbnet ward."


50. Gemsballen machen kugelfest.


Johann Scheuchzer, Naturgeschichten des Schweizerlandes, sammt seiner Reise über die schweizerischen Gebürge. Zürich, 1746.

Von den Gemsen erzählen die Bergjäger, daß diese Thiere an den Tagen von besonderer Festigkeit und Ausdauer, wenn sie des Morgens nüchtern und vor Sonnenaufgang von derjenigen Gemswurz gesessen haben, welche blaue Blumen tragen. Kugelfest oder wenigstens nicht zu tödten seien sie aber dann, wenn sich in ihrem Magen die sogenannten Gemsballen befinden: daher diese Kugeln sorgfältig gesucht und von abergläubischen Soldaten gckauft und getragen werden.

Zu Anfang des 18. Jahrhunderts standen die Gemsballen, wahrscheinlich krankhafte Absonderungen unverdauter, vegetabilischer Stoffe,


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in dem Ruf, eine Menge heilsamer Kräfte zu besitzen, welchen sogar Gelehrte ihre Aufmerksamkeit schenkten. So schrieb ein gewisser Georg, Hieronimus Velschius, ein Augsburger Dr. med., eine Dissertatio de Aegagropolis, mit welchem Namen er die Gemsballen belegte. Von Andern wurden sie auch Bezoar Germanicum genannt, der Aehnlichkeit wegen, die ihre Wirkung mit der des Bezoarsteins haben sollte. Scheuchzer behauptet, daß die Gemsballen nicht in allen Gemsen sich vorfinden. So soll bei den Gemsen in dem Thal Maroz in dem Bündner-Lande, welche sich auf der mittäglichen Seite der Berge aufhalten, fast niemals eine aufgefunden worden sein, während bei denen auf der mitternächtlichen Seite dies durchgängig der Fall ist. Von der Gemswurz sagt noch Scheuchzer, da es keine andere Art als die gelbe gibt, so wird wahrscheinlich unter der blaublumigen eine aster alpinus Flore caeruleo, das sogenannte blaue Berg -Sternkraut, gemeint sein, deren es verschiedene Arten gibt.Um sich kugelfest zu machen, eine Kunst, die der Volkssage nach im I. 1611 von dem Henker zu Passau erfunden wurde und durch welche derselbe tausend feige Memmen zu muthigen Kriegern umgeschaffen haben soll, bediente man sich noch, außer der Gemsballen, der sogenannten Waffensalbe, der Wurzel Doranicum, des Nothhemdes *) und anderer Dinge mehr. Doch auch schon früher kannte man Aehnliches. Constantin M. ließ die Nägel, mit denen Christus an das Kreuz geheftet worden war, in seinen Helm und den Zaum seines Pferdes einschmieden, um die Gefahren des Krieges von sich abzuwenden. Das Gleiche sollte das Zeichen des Kreuzes bewirken, das zur Zeit der Kreuzzüge den Theilnehmern an diesen Unternehmungen aufgeheftet wurde. Aus dem griechischen Alterthum ist uns Achilles bekannt, welchen die Fluthen des Styz bis auf die eine Ferse unverwundbar gemacht hatten, an der ihn Thetis, seine Mutter , beim Eintauchen in diesen Fluß gehalten haben soll. Ovid erzählt in seinen Metamorphosen uhr. XII. Tab. 0 von Cygnus, dem Sohne Neptuns, welchen kein Pfeil verwunden konnte und Keyßler in seinen Antiq. select. Septentr. et Celt. p. 309 führt aus der Edda den nordischen Helden Baldr an, dem durch die Gunst der Göttin Frigg weder eiserne noch hölzerne Waffen Schaden zufügten. Nach letzterem schrieben die nordischen Völker auch dem Wasser die Kraft zu, unverwundbar zu machen. Sie sagten, ein junger Knabe, mit Wasser besprengt, stirbt nicht den Tod durch Waffen. Im deutschen Mythus endlich finden wir Siegfried, dessen Unverwundbarkeit das Blut des von ihm getödteten Drachen bewirkte. 
) Das Nothhemd ist auch unter dem Namen "Sieghemd und "Georgenhemd (St. Georg war der Schutzheilige der Soldaten) bekannt.


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51. Die Zahl drei gibt Wunderkraft.


Alpenrosen, Jahrgang 1822. S. 64.

Am Stalden bei Fluelen steht, gleich einem Gespenst aus alter Zeit, ein Markstein, der hier die drei Aemter Summiswald, Trachselwald und Brandis von einander schied. Die Zahl drei gibt ihm eine wunderbare Kraft. Ein Stückchen davon im Sacke getragen, kurirt das Zahnweh.

Das Binden geheimer Kräfte an Zahlen, ist ein von den Kabbalisten uns überkommener Aberglaube. Die kabbalistische Deutung der Zahlen war: mächtiger als die geraden, wirken die ungeraden Zahlen, alle niedern Wurzelzahlen beherrscht die höhere Einheit. Die Zwei ist die Zahl der Unvollkommenheit und des Gegensatzes, während die Drei, in der das Unvollkommene sich wieder mit der Einheit verbindet, den Begriff des Vollkommenen, der Gottheit, in sich schließt, daher die heilige Dreifaltigkeit sich schon in den verschiedensten heidnischen Religionslehren vorfindet. In der Zahl Vier liegt der Weltuntergang, der Tod, die Verwesung, die Trauer, die Sünde, die Buße verborgen. Der jüngste Tag erfolgt nach dem vierten Weltalter; der vierte Tag nach dem Tode ist der Tag der Verwesung, wie uns die Auferstehung des Lazarus lehrt; vier Tage im Jahre wurde Jephta's Tochter betrauert; vierzig Tage hielt der sündfluthliche Regen an, vierzig Tage büßte Ezechiel die Sünden seines Volkes, vierzig Jahre lang lastete auf den Israeliten die Herrschaft der Philister rc. ec. Dies war der ominöse Sinn der Vier, ihm gegenüber galt die Fünf als Heilszeichen, weil sie, so erklärten die Alten, allen Gegensatz aufhebend, die gerade Zwei und die ungerade e Drei wieder zu Einem vereinigt: daher sie bei den Römern als Vermählungszahl galt. An die Zahl Sechs aber bindet sich der Begriff der Lust und der Sünde, daher am Sechsten Tage das Weib und Satan erschaffen ward, sechs die Zahl der Venus und die dreifache Sechs die Zahl des Antichrist's ist, während die Sieben endlich als Vereinigung der Drei und Vier in noch höherm Grade, als die Drei als Zahl der Vollkommenheit galt, daher nach dem mosaischen Gesetz bei Staatsbündnissen von Wichtigkeit statt der gewöhnlichen drei Zeugen sieben Zeugen verlangt waren und im Hebräischen, wie im Sanskrit,


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Schwören wörtlich übersetzt: Besiebnen heißt. Die acht ist nur die verdoppelte Vier, wie die Neun nur die verdrefachte Dreizahl ist. (S. Nork, das Kloster. B. XII. S. 759.)


52. Ein Stern am Himmel sage den Tud eines Fürsten an.


C. Justinger, Berner Chronik. S. 247.

In dem Jahre 1402 sah man an dem Himmel einen großen Stern mit einem feurigen Schweif, so man einen Komet nannte. Von diesem sagten die Weisen: er bedeute eines großen Fürsten Tod. Bald darauf starb auch Herr Galiani, Herr zu Mailand. Nach seinem Tod verging der Stern.

An den Einfluß der Gestirne auf die Schicksale der Menschen und die Wahrsagungen der Astrologie glaubten die aufgeklärtesten Köpfe des Alterthums und des Mittelalters. Aristoteles erklärte die Himmelszeichen als die untrüglichsten Offenbarer der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft . Dasselbe sprachen später auch Reuchlin und Melanchthon aus. In seiner Lobrede de dignitate astrologiae sagt letzterer: "Da Gott diese Zeichen dem Himmel eingedrückt hat, um den Reichen und Staaten die ihnen bevorstehenden Veränderungen anzukündigen, so ist es gottlos, das Gemüth von ihrer Beobachtung abzuwenden", und fragt dann: "was sind Eklipsen, Conjunctionen der Planeten, ungewöhnliche Erscheinungen am Himmel und auf der Erde anders, als Offenbarungen über bevorstehende Unglücksfälle ?" Ein Zeugniß, daß dieser Glaube im Mittelalter ein allgemein verbreiteter war, sind uns die Chronikbücher jener Zeit, welche kein größeres, in das Schicksal der Staaten und der Völker eingreifendes Unglück ohne solche Vorzeichen vorübergehen lassen, ein Volksglaube, der seine Macht selbst auf unsere Zeitgenossen noch nicht gänzlich verloren hat.


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53. Das Stäudlein von Oestreich.


Joh. v. Müller, Geschichte schweizerischer Eidgenossenschaft.

Das Amt Unterseen, das sich rechts am Thunersee bis gegen die Nase hin erstreckt, soll in früherer Zeit unter östreichischer Herrschaft gestanden haben. Ein in den genannten Felsen eingehauenes Kreuz und ein daselbst eingepflanzter Weidenschoß aber habe damals als Grenzbezeichnung gedient. Von diesem Weidenschoß, der noch nach Jahrhunderten unter dem Namen das Stäudlein von Oestreich bekannt war, geht die Sage, nie welkend, aber auch nie wachsend, sei er heute noch gleich groß als wie am ersten Tage seiner Einpflanzung.

Johannes von Müller läßt diese Sage aus den Zeiten stammen, wo bis dorthin Herrenland, weiterhin unmittelbar freie Reichsländer waren. Hans Rudolph Näbmann oder Rebmann in seinem "Gastmahl und Gespräch zweier Bergen, nämlich des Niesens und Stockhorns. Bern 1606" ergießt seine poetische Ader bei der Beschreibung des wunderbaren Weidenschoß in folgenden Versen:
Im Berg hinauf sieht man noch fern
Das kleine Wydlein von Oesterreich,
Auf einer Fluh erhebt es sich,
Bei der kalten Kindbetterin mehr,
Beim Bannholz und St. Batten Bach.


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54. Die wunderbare Kirche.


Mittheilung aus Bern.

Hoch oben in den Eisfeldern des berner Oberlandes ist mitten in einem Gletscher ein wunderbares Eisgewölbe, das vollkommen dem Innern einer Kirche gleicht. Krystallene Säulen Sagen die Kuppel des gewaltigen Domes, dem kein Bauwerk auf Erden gleichkommt. Diese Eiskirche, in der selbst der Altar und Heiligenbilder als Schmuck der Wände nicht fehlen, soll in früherer Zeit ein stark besuchter Wallfahrtort gewesen sein, wo Kranke Genesung fanden. Ob aber diese Kirche noch vorhanden, weiß man nicht, da von der Stelle, wo sie der Sage nach steht, seit Menschengedenken ohne Unterlaß ein eisiger Wand herwehet, der die Glieder mit Todeskälte durchschneidet, daß sie erstarren und ein weiteres Vordringen nach ihr unmöglich ist.

Die im Gebirge vorkommenden Wind- und Wetterlöcher, welche nicht selten von den Sennen als Milchkeller benützt werden und aus denen im Sommer fortwährend ein kalter Wind weht, dessen Kälte mit der atmosphärischen Luft zunimmt, sowie die in der That wunderbaren Eisgrotten, welche man schon weit unter der Schneelinie antrifft, sind wohl die natürlichsten Bildungsmotive obiger Sage. Eine solche Eisgrotte ist das Schafloch am Thunersee, 5604 Schuh über dem Meer, und die Eishöhle von St. Georges, welche 2562 Fuß über dem Genfersee auf einem Absatze des vordersten Jurazuges liegt. Jene kalten Luftströmungen erklärt Saussure dahin, daß das Bergwasser, welches jene Wind- und Wetterlöcher bildenden Felsenspalten umgibt und langsam durchsickernd in dieselben eindringt, mit dem sie durchströmenden Luftzug in Berührung kommt und diesem seine Wärme entzieht.


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55. Der Schatz im Berge.


Mündliche Mittheilung. I. R. Wyß.

In einem Berge am Gerzensee liegen viele reiche Schätze verborgen. Alle diese Schätze sind auf einem großen vierrädrigen Wagen geladen, dessen Rasseln und Knarren man zu gewissen Zeiten ganz deutlich vernehmen kann. Wer aber den Schatz sich zu eigen machen will, muß am Ostertag um Mitternacht sich an jenem Berge mit Roß und Rind einfinden: denn zu dieser Zeit rückt die Deichsel des Wagens aus der Wand des Hügels heraus, und wer, ehe eine Stunde um, die Thiere anspannen und den Wagen nur eine kleine Stecke herausbringen kann, dem gehört er von diesem Augenblick sammt allen Schätzen darauf an; mrd aber dabei auch nur ein einziges Wort gesprochen, so fährt der Wagen prasselnd in den Berg wieder zurück und dem unvorsichtigen Schwätzer droht sonst noch viel Unheil und Schaden.

Die Aussicht, so mit einem Schlag großen Reichthum zu erlangen, hatte, trotz der damit verbundenen Gefahr, einst einen Bauer verlockt, das Wagniß zu unternehmen. Dazu hatte er sich zu seinen wei Rossen, die er schon besaß, noch zwei andere, junge, feurige Thiere, sowie vier kräftige Rinder angeschafft und sich mit neuem, starkem und festem Riemenzeug , Ketten und Seilen versorgt. So ausgerüstet, begab er sich in der Gesellschaft eines Geisterbanners in der nächsten Osternacht nach dem Hügel, wo der Wagen mit dem Schatz der Sage nach liegen sollte. Dort angelangt, konnte er kaum das Herannahen der Mitternacht erwarten. Da endlich schlug es zwölf. Ein Krachen, das vom Abhange des Hügels ausging, folgte dem letzten Glockenschlag, und eine Deichsel, drei Spannen dick, an der Spitze wie Schwefelfeuer



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leuchtend, sauste mit Pfeilesschnelle, zwischen dem Bauer und dem Geisterbanner durch, aus der Erde heraus. Obschon erschrocken, sprangen die Männer doch hastig auf sie zu. Schnell waren die Thiere angespannt und von kräftigen Peitschenhieben angespornt zogen sie dampfend an. Ihrer vereinten Kraft konnte die Last nicht widerstehen, sie setzte sich in Bewegung. Ruck und noch ein Ruck, die Erde klaffte immer mehr und mehr, schon sah man die Vorderräder des Wagens, schon den goldenen Glanz der auf ihm aufgeschichteten Reichthümer, schon rückten die Hinterräder nach, in deren Speichen die Schatzgräber jetzt helfend eingriffen — da rief der Bauer, den Bann des Stillschweigens brechend, tiumphirend aus: hoho, jetzt haben wir ihn hald! Dies aber kaum gesagt, so erfolgte ein Donnerkach, von unsichtbaren Geisterhänden erfaßt, ward der vorlaute Schwätzer weit hinweggeschleudert, daß er sinnlos zu Boden siel, der Wagen aber fuhr unter schrecklichem Gerassel sammt dem Geisterbanner, Roß und Rindern im Nu in den Hügel zurück , der sich hinter ihm augenblicklich wieder schloß. Erst am andern Morgen erwachte der Bauer aus seiner Ohnmacht. Der Verlust der Thiere, wohl auch die ausgestandene Angst und der Schrecken hatten ihn jedoch so arg mitgenommen, daß er später irrsinnig ward und als Selbstmörder sein Leben endete.Sagen wie die obige finden sich fast bei allen germanischen, celtischen und slavischen Volksstämmen vor. Aehnlich der Sage vom Goldsonnen (S. No. 26, S. 63) binden sie sich gewöhnlich an alte Lokalitäten, in denen ehemalige Opferstätten oder einstige Begräbnißstellen unserer heidnischen Vorfahren, welche den Todten ihre Schätze mit in das Grab zu geben pflegten, zu erkennen dem Alterthumsforscher nicht schwer fällt. Hier scheinen wir es mit einer Opferstätte zu thun zu haben: denn der mit Schätzen beladene Wagen erinnert zu lebhaft an die Opferwagen, als daß man hier auf das letztere fallen könnte. Eben so häufig aber als die in


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obiger Sage enthaltene Thatsache ist, ebenso übereinstimmend sind gewöhnlich fast alle sie begleitenden Nebenumstände. Immer, wenige Ausnahmen nicht gerechnet, bei denen sich der Schatz wie beim Goldsonnen auch am Tage zeigt, sind es gewisse Nächte (Osternacht, Johannis-, Allerseelen und Christnacht), in welchen der Schatz sich der Oberfläche der Erde nähert und es dem Sterblichen vergönnt ist, sich seiner zu bemächtigen. Daß hierbei tiefes Stillschweigen Bedingung ist, mag ebenfalls ein vom Opfergebrauch im Volksglauben erhaltener Ueberrest sein, während das von den Hütern des Schatzes oftmals begehrte Unterpfand oder Lösemittel (Siehe No. 32, S. 71), welches in einem schwarzen Bock, in einer Katze ec. ec. zu bestehen pflegt, das Opfer selbst ist.


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Kanton Freiburg.


1 Catillon la Toascha, die Buckelkäthe.


Mündliche Mittheilungen. Franz Kuenltn, Alpenrosen, Jahrgang 1824.


S. 61, 79. Schweizerischer Merkur. Franz Kuenlin Jahrgang 1835.


S. 50. Die Schweiz in ihren Ritterburgen. Bd. II. S. 289.


L

Am südöftlichen Abhangs des Gibloux, eine Verlängerung des Joratgebirges, liegen, rechts an der Straße von Freiburg nach Bulle, die Dorfschaften Vuisterneus-eu-Dgo, Villarslod und Rueyeres-St-Laurent. Im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts wurden diese Gemeinden während neun Jahren anhaltend durch Hagelwetter dermaßen heimgesucht, und verwüstet, daß die dasigen Bewohner dem größten Jammer und Elend wegen Mangel an Nahrungsmitteln preisgegeben waren. Wurzeln und wilde Pflaumen, welsch Bolosché genannt, waren ihre kärgliche und schlechte Nahrung.

Lange wußte man nicht, welches die Ursache dieser erschrecklichen Ungewitter war; endlich endeckte man sie durch einen Zufall. Senn oder Bergmann von Villarslod gewahrte hin und wieder beim Brunnen neben dem Staffel ein buckeliges Weib, welches mit einer Weidenruthe und unter dem Gemurmel von unverständlichen Worten das Wasser im Troge peitschte, und sich dann eiligst in das nahe Gehölz flüchtete. Kurze Zeit nachher erhob sich vom Gipfel des Gebirges herab



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ein gräuliches Gewitter, mit Hagel und Schlossen begleitet, und verloren war in kurzer Zeit die saure Mühe des Landmanns; zerknickt und völlig vernichtet lagen alle Kornfelder des ganzen Geländes. Enen solchen Frevel konnte nur eine böse Hexe verrichtet haben, das war handgreiflich. Man veranstaltete sogleich eine Prozession zu dem verhängnißvollen Brunnen, um ihn zu entzaubern; allein es half nichts, und erst als man im Jahr 1731 die Hexe Catillon zu Corbiéres auf einem Scheiterhaufen verbrannte, konnte man zu Vuisternens, Villarslod und Rueyres wieder Frucht erndten und Brod backen, um den schreienden Hunger zu stillen.


II.

Diese Hexe, welche eigentlich Catherine Repond hieß, die man aber auch, wenn man sie aufbringen wollte, Catillon la Toascha, die Buckelkäthe, nannte, hatte, wie sie auf der Folter selbst gestand, mit dem Fürsten der Finsterniß ein Bündniß geschlossen, das ihr drei Thaler gekostet. Für dieses Geld hatte sie außer Anderm eine Salbe erhalten, womit sie sich die Fersen schmierte, um auf einem Besen durch die Luft zum Hexentanz fliegen zu können. Ihre nächtlichen Zusammenkünfte mit dem Bösen, durch dessen Umarmung sie beehrt und gar hoch erfreut wurde, hielt sie auf dem Molèson. Dort brütete sie auch Pläne zum Verderbniß der Menschen. So hatte sie einst den gräßlichen Entschluß gefaßt, die Dörfer La Tour, Epagey und Pringle durch Wasser zu verheeren, und Broc in einen Aschenhaufen zu verwandten. Am Tage, den sie zur Ausführung ihres höllischen Vorhabens bestimmt hatte, ritt sie mit einem Besen von Villars-volard aus durch die Luft auf den Kulm des Moléson Kaum war sie dort angelangt, so erhob sich ein fürchterliches Gewitter mit Donner und Blitz, und es fiel ein solcher Regenstrom, wie wenn sich die Schleusen des Himmels geöffnet hätten. Auch taten allens



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halben die Bergbäche aus und droheten, die nahen Weiler und Dörfer wegzureißen, besonders der Erbivuebach, der am Fuße des Berges entspringt, und der schon zu Pringy zwei Häuser zerstört hatte. Zugleich brach in Broc in mehreren Wohnungen Feuer aus. Aber zur glücklichen Stunde noch zog man in der Schloßkappelle des heiligen Johann zu Greyers die wundersame Glocke *), und in kurzer Zeit war alle Gefahr verschwunden. Noch jetzt indessen findet man Spuren von der drohenden Verwüstung, und unter andern auf der Alp Mongeron einen ungeheuern großen Felsblock, den Catillon durch den Erbivuetobel herabgerollt hatte, vermuthlich um das Bett des Gießbachs zu verrammeln, wodurch die Ueberschwemmung vermehrt worden wäre. An diesem Felsblock werden noch heutzutage Spuren von Händen, Pferdehufen, Stollen (Absätzen) von Weiberschuhen und dergleichen bemerkt

Oftmals will man auch die Catillon bald als grunzendes Schwein, bald als schnellfüssigen Hasen, den kein Jäger treffen konnte, über Felder und Wiesen laufen gesehen haben, und noch kurz vor ihrem Tode, als sie im Kerker saß, sollen die Frau Landvögten von Greyers und noch andere Frauen, die bei ihrem Gefängniß vorübergingen, von ihrem 

*) Von der wundersamen Glocke des heiligen Johann von Greyers, erzählt Kuenlin: "Einst riß ein Sturmwind alle Dächer der Häuser zu Greyers hinweg , und ihre Trümmer wurden hin und her verstreut, leicht wie Federn. Dabei ging auch der Schwengel jener Glocke mit verloren und erst sechs Monate hernach fand man ihn wieder im Bouleyres-Forste. Da machte sich die Bürgerschaft zu Greyers, um dies in Zukunft zu vermeiden, anheischig, das Glockenseil auf ewig in gutem Stand zu erhalten, wofern man bet Gewittern und heftigen Winden auch fleißig läute. Die Kapelle des heiligen Johann wurde schon vom Papste Innocenz XIII., durch eine Bulle vom 8. März 1485 mit Ablässen ausgestattet, und in einer Schachtel auf dem Altare wird ein Kreuz von Krystall mit vielen Reliquien aufbewahrt, als ein Geschenk, das ein Graf von Greyers aus einem Kreuzzuge nach Palästina heimgebracht haben soll."



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bloßen Anblick dergestalt behext worden sein, daß sie heftige Flüsse bekamen.


IIL

Einer andern Sage nach hatte Catillon drei hübsche Töchter, die an jedem Wochenmärkte zu Boll oder Freiburg einen großen Korb voll Eier feilboten. Den Schönen fehlte es an Freiern nicht. Bei einem Abendsitze fand einer der Kiltgänger einen Krug in einem Winkel. Unbemerkt untersuchte er seinen Inhalt, den er aber nicht erforschen konnte. Jedoch gewahrte er bald, wie Jedes der lieblichen Mädchen verstohlener Weise den Krug hervornahm, und von dem darin befindlichen Fette begierig ein Stückchen um das andere hinunterschluckte. Als man trank, sang und süße Küßchen stahl, die um so wonniglicher mundeten, ging abermals jener Kilter, ohne daß man es gewahrte, zu dem Kruge, und ass die angenehm riechende Fetttgkeit auf. Bei der Heimkehr spürte er Bauchgrimmen, und nach einer kurzen Weile legte er einen ganzen Kratten voll der schönsten Mer.

Die passendste Gelegenheit zur Beleuchtung des Hexenwesens bietet uns Catillon la Toascha, der fast keine einzige Eigenschaft mangelt, mit welcher der Volksglaube die Hexen auszuschmücken pflegt. Als Einleitung hierzu ist jedoch vor Allem nöthig, den heidnischen Begriff der Zauberei und das Zaubern in das rechte Licht zu stellen, aus dem das Christenthum seine spätere Vorstellung von der Hexe entwickelte. Auch hier wollen wir I. Grimm sprechen lassen. Er sagt: "Zaubern heißt höhere, geheime Kräfte schädlich wirken lassen. Auf die gütigen, vermöge ihrer Natur wunderthuenden Götter geht dieser Begriff nicht; erst den gesunkenen, verachteten hat man Zauberei zugeschrieben. Mittelwesen zwischen Göttern und Menschen, alte, kluge, vielkundige Riesen, böse Riesinnen, listige Elben und Zwerge zaubern; nur scheint ihre Fertigkeit mehr angeboren, stillstehend, keine errungene Kunst. Eigentlicher Zauberkünstler ist der emporstrebende Mensch: dem heilbringenden Gebrauch seiner Kräfte zur Seite hat sich ein verkehrter und verderblicher entwickelt. Unmittelbar aus den heiligsten, das gesammte Wissen des Heidenthums


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in sich begreifenden Geschäften, Gottesdienst und Dichtkunst, muß zugleich aller Zauberei Ursprung geleitet werden. Opfern und Singen tritt über in die Vorstellung von Zaubern; Priester und Dichter, Vertraute der Götter und göttlicher Eingebung, grenzen an Weissager und Zauberer." Uebungen finsterer Zauberei fanden daher schon im Alterthum statt; neben dem Göttercult geübt, galten sie jedoch nicht als Gegensatz, sondern als Ausnahmen von demselben. Zauberhafte Verrichtungen aber schrieb die älteste Vorstellungsweise Frauen zu. Den Grund hiervon findet Grimm in allen äußern und innern Verhältnissen jener Zeit. "Frauen war das Auslesen und Kochen kräftiger Heilmittel angewiesen, wie die Bereitung der Speise ihnen oblag. Salbe fertigen, Linnen weben, Wunden verbinden, mochte ihre weiche Hand am besten; die Kunst, Buchstaben zu schreiben und zu lesen, wird in ältester Zeit haupsächlich Frauen beigelegt. Den unruhigen Lebenslauf der Männer füllte Krieg, Jagd, Ackerbau und Handwerk; Weibern verliehen Erfahrung und behagliche Muße alle Befähigung zu heimlicher Zauberei. Das Einbildungsvermögen der Frauen ist wärmer und empfänglicher, von jeher wurde in ihnen eine innere, heilige Kraft der Weissagung verehrt. Frauen waren Priesterinnen und Wahrsagerinnen; germanische und nordische Ueberlieferung hat uns ihre Namen erhalten ." Grimm nennt es einen bedeutsamen Zug des celtischen und germanischen Heidenthums, daß zu dem Amte des Weissagens Frauen und nicht Männer ausersehen waren, dem gegenüber die jüdische und christliche Ansicht die Propheten weissagen, Engel und Heilige die Befehle Gottes verkünden und ausrichten läßt, während die griechischen Götter sich männlicher und weiblicher Boten bedienen. Als Grund dieser Bevorzugung des weiblichen Geschlechts im celtischen und germanischen Heidenthum führt Nork das reizbarere Nervensystem desselben an, welches das Divinationsvermögen der Seele erhöht, aus welcher Ursache auch die Zahl der Hellsehenden im schwächern Geschlecht zu aller Zeit überwiegend war. "Das Gefühlsleben", schließt Nork, "macht für solche Zustände empfänglicher, als das Verstandesleben, daher der Mann, schon in seiner Thätigkeit mehr der Reflexion zugewandt, minder mit der Gabe des Schauens bedacht ist, als das phantastische Weib." Weil aber, fährt er dann weiter fort, das Mondlicht den Somnambulismus und das innere Schauen begünstigt, so erklärt sich auch, warum im Druidenthum, wo der Mondkultus überwiegender als der Sonnendienst war, die Druiden sich den Druidinnen unterordneten, auch vom Gotte Hu (dem männlichen Prinzip) weniger zu berichten wußten, als von der Thätigkeit der Göttin Ceridwen (dem Prinzip der Lebenserneuerung).Gehen wir zu der christlichen Vorstellung von der Hexe über, so finden wir, daß alle jene Eigenschaften, welche obige Sage der Catillon la Toascha zuschreibt, als Stürme zu erregen, die Schleußen des Hun


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mels zu öffnen, Donner und Blitz zu beschwören *) und sich in jedes beliebige Thier zu verwandeln, Kräfte waren, mit welchen man, wie Pomponius Mela berichtet, schon die Priesterinnen der druidischen Lehre belegte , so daß ein offenbarer Zusammenhang zwischen Druidenthum und Hexenwesen nicht zu verkennen ist. Die Vorstellung von zaubernden Weibern verdankt also ihre Entstehung nicht erst dem Christenthume, sondern war ein bereits vorhandener, von ihm nur vielfach veränderter und verschärfter Begriff, da dasselbe alle Eigenthümlichkeiten, Einrichtungen und Gebräuche der heidnischen Lehre in seinem Interesse als Trug und sündhaftes Blendwerk verdammen mußte. Um kurz zu sein, an die Stelle der heidnischen Gottheit trat die christliche Vorstellung vom Teufel und ihre Priesterinnen wandelten sich in das Zerrbild der Hege um, das sich aus dem Mittelalter auf unsere Zeit verpflanzte und dessen Kenntniß uns hauptsächlich durch die Hexenprozesse des 15" 16., 17, und 18. Jahrhunderts überliefert ward. Eine nähere Entwickelungsgeschichte des Hexenthums bringt Mone (Anz. für Kunde des Mittelalters 1839), welche hier mit einigen Zusätzen im Auszug folgen möge:Man nahm sieben Stufen des Hexenthums an. Der erste Schritt war die Verführung, der zweite die Begattung mit dem Teufel, der dritte die Verläugnung der christlichen Religion, der vierte die Ehe mit dem Teufel, der fünfte der Hexentanz, der sechste das Schadenstiften an Menschen und Vieh, der siebente, daß die Hege ihre Laster niemals beichten durfte, das Abendmahl nur scheinbar empfing, die Hostie in's Wasser oder an schmutzige Orte warf. Der Unterschied zwischen dem zweiten und vierten Schritt bestand darin, daß bei der Begattung mit dem Teufel die Verführte scheinbares Geld als Buhlerlohn empfing, der Teufel aber noch kein Recht auf ihre Seele hatte, aber nach der Gottesverleugnung konnte schon zur Ehe, d. h. zum vollständigen Besitz ihrer Seele geschritten werden, ein Hexenmeister wurde von ihrem 
*) Justingers berner Chronik erzählt von einem Weibe, mit gleicher Kraft begabt, S. 205: "Und als Olten gestanden war in des Herrn von Nidow Handen und aber nach sinem Tode kam in die Hände der herrschaft von Kyburg, die es in dem Kriege von Burgdorf inhattent; da zugent die von Bern umb Mitten Summer gen Olten und flotzen die Bruck hiweg, und wolltent furrer das Schloß stürmen und sie schädigen. Nu war Graf Berchtold von Kyburg darinne, dem kam für, daß eine Frowe ze Olten wäre, die konnte etwas, damit dem Sloß und den Lüten geholfen möchte werden. Und als er sie heimlich befand und ihr verhieß, nit ze thun noch ze melden. Da stund sie bi ihm ander Zinnen und sprach heimlich etlich Wort. Ze Stund kam ein Wolken über den Berg harm und macht den größten Regen und Weiter, das in dem Land 1e gesehen ward; also daß die von Bern von Stund an hinweg zugent. Damit war Olten genesen."


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teuflischen Buhlen mit ihr copulirt, und zwar im Namen des Bösen getraut , der Buhle gab sich einen Namen und seiner Braut ein Zeichen in die Haut, hierauf folgte die Hochzeit. Die Sege hing nun ganz vom Teufel ab, sie mußte deshalb zu den gemeinsamen Tänzen kommen, die hauptsächlich in Hexentänzen bestanden, sie fuhr auf zauberhafte Weise an den Versammlungsort, half daselbst an der Hexenküche u. s. w. Mit dem Decoct (Hexenpulver) tödtete sie Vieh und Menschen. Wen sie in des Teufels Namen angriff, dessen angegriffenes Glied verdorrte, eiterte, führte Tod herbei. Läßt man auch alle Zauberei als unerweisliche Thatsache dahingestellt, so bleiben doch Unzucht, Giftmischerei und Gotteslästerung übrig, die auch aus menschlichen Ursachen entstanden sein können. Stellen wir aber vorerst die einzelnen Umstände jeder Stufe des Hexenwesens zusammen, um aus diesen Angaben auf Ursprung und Zusammenhang dieser Erscheinung zu kommen.1) Die Verführung geschah meist durch den Teufel, Weibern erschien er in Gestalt eines Buhlen (vergl. No. 25, Seite 62), Männern als Buhlerin. Die meisten Hexen sind durch Ehebruch dem Teufel verfallen, der sie in Gestalt ihrer Liebhaber täuschte. Der Teufel war meist grün gekleidet (vergl. No. 23, S. 60). Die von ihren Müttern verführten Töchter ritten mit ihnen auf einem Zauberstecken zur Hexenversammlung. Das Alter der Verführung waren zwischen 12 bis 16 Jahren, doch findet sich ein Fall vor, wo schon ein dreijähriges Kind von der Mutter zur Hexerei angeleitet ward.2) Vor der ersten Begattung blieb der Teufel der Verführten jedes Mal unbekannt, selten gab er sich gleich darauf zu erkennen. Seine Gestalt veränderte er nie. Die Zusammenkünfte mit ihm geschahen Nachts, zu Hause, in Höfen, auf Wegen, im freien Feld. Von einigen wurde er während des Wertes erkannt, theils an den Gaisfüßen, theils, daß seine Umarmung immer kalt war. Die Vermischung mit ihm war nie fruchtbar.3) Gab sich der Böse zu erkennen, so flößte er Furcht ein, indem er den Gefallenen erklärte, daß sie nun für immer in seiner Gewalt, seinen Willen thun müßten. Er verlangte von Jedem Verläugnung Gottes und der Heiligen, Weigernde drohte er sogleich umzubringen.4) Die Vermählung geschah einige Tage hernach, der Ort der Hochzeit war der Rappenwasen unter einer Linde, die Trauung geschah durch einen andern bösen Feind, welcher die Verführte und den Buhlen copulirte. Der Trauende war grün (schon einmal bei No. 23, S. 61 bemerkt) oder schwarz, selten grau gekleidet, auch stets mit einem langen Federbusch geziert. Dem Leibe wurde das Hexenzeichen eingedrückt, gewöhnlich auf den rechten Arm, oder in die linke Seite, auf die linke Schulter oder auf den linken Fuß. Gebrauch war ein Voressen bei der


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Hochzeit, welches wie faules Holz schmeckte; das Fleisch scheinbar gut, war nachher Pferdemist. Wenn Brod dabei war, durfte es nur Sonntags gebacken sein, die Gesellschaft bestand aus Hegen, die Männer waren Geiger, Pfeifer.5) Die Fahrt zu den Hexentänzen geschah auf einem kleinen Stabe, den die Hexe von ihrem Buhlen erhielt, oder auf einer Gabel, einer Katze oder einer Gais, alle diese Dinge mußten aber zuvor mit der Hexensalbe geschmiert sein, welche aus verstorbener ungetaufter Kinder Fleisch, die man auf Kirchhöfen ausgrub, mit noch andern Stoffen vermischt , gesotten ward. Wurde die Hexe von ihrem Buhlen abgeholt, so saß er vorne auf dem Stab, oder er zeigte sich als Bock, den sie bestieg, oder er fuhr sie in einem Wagen mit Rossen zu dem Tanze (vergl. No, 18, S. 53). Auf dem Tanzplatz war gewöhnlich eine große Anzahl Hexen, meistens lauter Nachbarinnen, oftmals längst verstorbene Frauen, die vornehmern verlarvt, versammelt, eine jede hatte aber ihren Buhlteufel, Diener des obersten Teufels, bei sich, während der oberste Teufel selbst still und ernsthaft in Bocksgestalt mit Menschenangesicht auf einem hohen Stuhl, steinernen Tisch oder sonst einer Erhöhung in der Mitte des Kreises saß und dem durch Küssen und Knieen Ehrfurcht bewiesen wurde. Die Zauberin, welche dem obersten Teufel besonders wohl gefiel , ward dabei zur Hexenkönigin ernannt. Ein unheimliches Feuer von schwarzen Fackeln, welche an einem Lichte entzündet wurden, das der große Bock zwischen den Hörnern trug, beleuchtete das Mahl. Nach der Mahlzeit begann der Tanz, welcher zwei bis drei Stunden dauerte und zu welchem drei bis fünf Spielleute, deren Geigen und Pfeifen, Pferdehäupter, Knüttel und Katzenschwänze waren, aufspielten. Der Tanz selbst geschah mit zugedrehtem Rücken, so daß man sich nicht in das Gesicht sehen konnte, am andern Morgen aber sah man im Gras kreisförmige Spuren, wie von Kühen und Bocksfüßen eingetreten (vergl. No. 28, S. 65). Wer diesen Kreis überschritt , mußte hohe Strafen leiden . Oft zwei, drei Stunden weit zu ihren Tänzen, welche jährlich drei Mal: zu Pfingsten, vierzehn Tage nach Johannis und im Advent oder in der Weihnacht abgehalten wurden, kommend, fuhren sie im Sommer um zehn, Winters um neun Uhr zur Versammlung; bei jeder derselben wurde die Nacht für die nächste Zusammenkunft bestimmt und was für Hexenwerke dabei getrieben werden sollten. War der Reigen vorbei, schlug man sich mit Schwingen und Mangelhölzern und zuletzt brannte sich der große Bock zu Asche, die unter alle Hexen ausgetheilt ward, und mit der sie Schaden stiften konnten. Junge, unerfahrene Hexen wurden noch nicht sogleich zu dem Mahle oder Tanze hinzugelassen, sondern mußten beiseits mit weißen Stöcken Kröten hüten. Die Heimreise vom Tanzplatz erfolgte wie die Hinreise, ohne daß die Ehe


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männer der verheiratheten Hexen, welche einen ins Bett gelegten Stock für die schlafende Frau gehalten hatten, von der Abwesenheit derselben etwas gewahr wurden. Während die Jungen buhlten, kochten die Alten in einem Hafen Regen, Reif, Wind, Hagel, Nebel ec. ec., auch Raupen, Erdflöhe und Feldmäuse wurden gemacht. Schlugen sie mit ihren Besen Bäche, sprühten sie Wasser in die Luft, schütteten sie Kiesel aus oder stäubten sie Sand gegen Sonnenuntergang auf, so verursachten sie Gewitter, Sturm und Hagel (s. obige Sage). Löschte, beim Wetterkochen gas Feuer zufällig aus, so hatte es keinen Fortgang, aber auch das Glockenläuten (s. obige Sage) brach seine Kraft.6) Die Beschädigung durch einzelne Hexen und Hexenmänner betraf Thiere und Menschen, auch der Letztern Eigenthum. Wilde Thiere wurden nie beschädigt, weil ihre Verletzung den Menschen keinen Schaden zufügte. Kühe verstanden sie, ohne ihnen nahe zu kommen, den Euter leer zu melken: entweder steckten sie ein Messer in eine Eichensäule, hingen einen Strick daran und ließen die Milch daraus fließen, oder sie schlugen eine Axt in die Thürsäule und melkten sie aus dem Axthelm ; dies thaten sie auch aus einem aufgehangenen Handtuch. Gute Milch verwandelten sie in blaue oder blutige; ihr Lobspruch, wenn sie ein fremdes Haus betraten, brachte der Milch Gefahr; sollte eben Milch gestoßen werden , so gerieth die Butter nicht. Ebenso stand es in ihrer Macht, Milch und Honig aus dem Hause ihrer Nachbarn in das ihrige zu ziehen. Vieh, das sie mit ihrem Zauberstecken berührten, oder mit ihrer Hand, wenn letzteres in des Teufels Namen geschah, starb in wenigen Tagen; auch ritten sie die Thiere todt oder vergifteten sie mit dem Hexenpulver und andern Kräutern. Bisweilen erfolgte aber auch nur Lähmung und Krankheit, unter Anrufung des Teufels aber beschrieen, starb es sicher. Auf ähnliche Art erfolgten die Vergiftungen der Menschen, ja sogar ihre eigenen Kinder, Männer und Geschwister verschonten sie nicht. Kinder tödteten sie durch Anblasen, oder durch zauberischen ?Angriff. Hebammen, die Hexen waren, tödteten die Neugebornen oder tauften sie im Namen des Teufels.7) Die Zauberei zu berichten war den Hexen vom Teufel streng verboten . Um Osterzeit gab er ihnen manchmal die Hostie, sie schmeckte wie faules Holz. Den Teufel in Gestalt eines Besens zu verehren und anzubeten, war die erste Vorschrift, auch mußten ihm die Hegen ihre in menschlicher Ehe erzeugten Töchter versprechen und in seinem Dienste auferziehen . Ihre Versammlungen fanden immer auf den Spitzen von Bergen statt oder an einem Kreuzwege, doch kamen sie auch noch unter Lindenau, Eich- und Birnbäumen, am Eichwasen, auf der Wiese und unter dem Galgenbaum zusammen. Bei ihren Tänzen hatte die Rolle der Vortänzerin in Deutschland die heidnische Diana, in England die Herodias,


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in Frankreich eine Abundia, in Italien eine Ridodese; kamen sie am Kreuzweg zusammen, so war ihr Name Tregenda von Trivium. Vor Gericht durfte man sie nicht die Erde berühren lassen, da sie sich sonst plötzlich verwandelten, gelang es ihnen beim Anfang der Verhandlung, dem Richter in die Augen zu blicken, so wurde er vom Mitleid gerührt und begnadigte sie. In ihre Augen kam nie eine Thräne; ins Wasser geworfen, schwammen sie oben auf, worin die bekannte Hexenprobe bestandBis zu Anfang des 18. Jahrhunderts hielt man Hexerei für Thatsache, seitdem machte sich die Meinung geltend, daß das ganze Hexenwesen bloß auf der Einbildung und dem erzwungenen Bekenntniß der als Hexen Angeklagten beruhet habe. Diese Ansicht findet Grimm schon in dem einzigen charakteristischen Zug als richtig begründet, daß alle Hexen, ihrer Kunst und der Macht des Teufels ungeachtet, immer in Elend und tiefer Armuth angetroffen wurden; kein einziges Beispiel unter ihnen ist aufzufinden, daß sich eine für den Verlust himmlischer Seligkeit durch den Genuß irdischer Freuden zu entschädigen gesucht habe, wie dies bei Männern, die sich dem Teufel verschrieben, der Fall war. "Wirklich," sagt er, "war an dem ganzen Hexenwesen nichts, als daß die Kunde heilender und giftiger Mittel mit ihm verbunden war und die Träume der Hexen durch den Gebrauch von Tränken und Salben erregt wurden." Schon im neunten Jahrhundert verbot ein Canon der Synode von Paris gewisse Getränke, durch welche der Satan böse Lüste erwecke und die Gemüther verwirre. Aehnlich mochte es sich mit den Salben verhalten haben. Görres in seiner christlichen Mystik erzählt von einem Weibe, der ein Geistlicher den Wahn, sie unternehme des Nachts mit noch andern Genossinnen Hexenfahrten, habe ausreden wollen; dieselbe habe sich in seiner und noch Anderer Anwesenheit in eine Brodmulde gesetzt und sich unter allerhand Beschwörungen eingesalbt. Hierauf sei sie eingeschlafen. Im Schlafe aber habe sie die heftigsten Bewegungen gemacht, Visionen von der Venus und damit Zusammenhängenden in solcher Stärke gehabt, daß sie mit gedämpfter Stimme in eine Art von Jubel gefallen sei. Hierauf sei sie endlich aus der Mulde gestürzt und als sie erwachte, habe sie auf die Frage des Geistlichen: Wie nun, bist du etwa mit dem wilden Heere wirklich ausgezogen, da du nach dem Zeugniß aller hier Anwesenden doch nicht aus deiner Mulde weggekommen ? ihren Irrthum endlich eingesehen.Mone findet, indem er von den Thatsachen ausgeht und Wirklichkeit und Einbildung im Hexenwesen unterscheidet, drei Seiten desselben auf, eine teuflische, antichristliche und menschliche Seite. Die Ansicht, daß die Hexerei überhaupt nicht existirt habe, erkennt er nicht an. Er sagt: "man lasse den Handlungen der Hexen, sowie sie


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berichtet werden, ihre geschichtliche Wahrheit, und nehme ihnen nur die Meinung, daß sie durch Wunder bewirkt wurden." Die Fahrten zu den Tänzen erklärt er durch das Wort fahren selbst, das ursprünglich gehen, reisen bedeutet. Als geschichtlich wahr sei anzunehmen, daß die Hexen mit dem Zauberstabe und gewissen Hausthieren zu ihren Versammlungen gegangen oder gereist seien. Mit der veränderten Bedeutung des Wortes fahren hätten sich auch die damit verknüpften Vorstellungen verändert. Sei aber bei den Hexenprozessen der Teufel auch nicht in dogmatischer Beziehung zu erweisen, so könnte seine moralische oder physische Existenz in dem Hexenwesen doch nicht bezweifelt werden, in welchem es Gesellschaften gab, deren Zweck Vernichtung des Christenthums war. Hiermit gelange man zu der antichristlichen Eigenschaft des Hexenwesens, welche ihm vielleicht nicht wesentlich zukomme: "denn," schließt Mone, "war die Hexerei älter, als die Kenntniß des Christenthums, so muß man alles Antichristliche vom Hexenwesen sondern, um der Natur der eigentlichen Hexerei näher zu kommen." "Die feindliche Richtung," fährt er dann fort, "habe sich darin gezeigt, daß die Hexen das Christenthum verleugnen oder abschwören mußten. Bei dieser offenen Feindschaft habe das Hexenthum, das Christenthum parodirend , christliche Handlungen und Gebräuche nachgeahmt, um sie zu verdrehen, woraus zu schließen sei, daß die Hexerei mehr in einem Cultus, als in einer Lehre bestanden habe. Scheine es aber nun dem Wesen der Hexerei eigen gewesen zu sein, daß sie ihre Gebräuche an die Stelle der christlichen einzudrängen suchte, und wenn sie denselben Charakter bereits vor dem Christenthum hatte, so sei anzunehmen, daß sie gegen die heidnische Volksreligion in frühern Jahrhunderten ebenfalls in feindseligem Verhältniß gestanden habe. Vom menschlichen Standpunkt aus bezeichnet Mone das Hexenwesen hingegen:1) Als eine geheime Gesellschaft, deren Vorstand und Mittelpunkt der Teufel (als historische Person) war und die sich2) Durch Verheimlichung und Aufnahme fortpflanzte. Die Verheimlichung wurde befördert durch den nächtlichen Dienst, durch die Vermummung derjenigen, die sich — wie die Protokolle aussagen — scheuten, erkannt zu werden, durch das strenge Gebot des Schweigens während dem Hexendienst, durch das noch strengere der Verschwiegenheit der Hexen gegen die Beichte abhörenden Geistlichen; die Sitte, daß die Hexenmänner bei der Hochzeit sich einen willkürlichen Namen gaben, trug ebenfalls zur Unkenntlichkeit und Verschwiegenheit bei. Da die Hexen auch Zaubermittel hatten, um ihre nächtliche Abwesenheit selbst den Ehemännern zu verbergen, so verräth sich auch hier die Absicht, sich als geheime Gesellschaft zu erhalten. Um diese durch neue Mitglieder fortzupflanzen, war den Eingeweihten befohlen, andere Menschen zur Hexerei zu ver


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führen. Am häufigsten warb man unter dem weiblichen Geschlecht, das durch Sinnestäuschung leicht bethört werden konnte, durch Aberglauben und Kindererziehung auch geeigneter war, stets neue Mitglieder der Hexerei zuzuführen, Tänze und Wollust lockten das weibliche Geschlecht nicht weniger an. Zum Behuf der Hexerei mit neugebornen Kindern scheint man Hebammen gern aufgenommen zu haben.3) Zweck der Gesellschaft war zuvörderst Unzucht, dann Giftmischerei und Beschädigung. Erstere war, was man auch aus den Tänzen abnimmt, Hauptzweck, daher Aufnahme in die Gesellschaft durch Unzucht, daher auch die Anzahl der in der Gesellschaft aufgenommenen weiblichen Personen viel größer war, als die der männlichen.4) Die Hexerei war ein blutiger Dienst, denn das Aufnahmszeichen war blutrünstig, auch tritt er in den Verwundungen von Menschen und Vieh, im Morden neugeborner Kinder hervor.5) Die Gesellschaft feierte ihre Dienste nur bei Nacht, meist auf Bergen, deren Namen mythisch lauten; die Tänze wurden außerhalb der Ortschaften gefeiert.6) Die Zeit der Hexenversammlungen richtete sich nach den Jahreszeiten wegen des Wetterkochens.7) Einige Hausthiere wurden im Hexenwefen ausgezeichnet; zu beachten ist, daß die ganze Thiergestalt des Teufels vom Bock, die Füße aber von der Gais benannt worden. Sonst bilden auch Pferde, Kälber, Schweine, Katzen die Begleitung der Hexen.8) Die grüne Farbe war im Hexenwesen beliebt, der Teufel, meist grün gekleidet, heißt in den Sagen Grünrock, bei den Opferfesten sitzt er auf grünen Sesseln, bei den Tänzen grüne Masten, bei der Trauung ein grünes Meßgewand . . Von der Haselstaude wurden Zauberstabe geschnitten.Hienach, schließt Mone, war das Hexenwesen eine vollständig organisirte Gesellschaft, und zwar eine religiöse, weil der Teufel an ihrer Spitze; solche Gesellschaften haben gewöhnlich eine längere Dauer als andere, die auf weltliche Werke gerichtet sind; das Hexenwesen, wie es in den Prozessen des 17. Jahrhunderts erscheint, ist daher nicht als Anfangs-, sondern als Ausgangspunkt zu betrachten, seinem Ursprung daher rückwärts nachzuspüren, soweit geschichtliche Zeugnisse sich vorfinden.Die Beschaffenheit des deutschen Hexenwesens vor Einführung der Hexenprozesse, die im Jahr 1485 durch eine Bulle Innocenz VIII. angeordnet wurden, läßt sich nicht vollständig angeben, jedoch kann man beweisen, daß die Gesellschaft der Hexen auch im 10. und 11. Jahrhundert am Mittelrhein schon nach denselben Grundsätzen eingerichtet war, wie man sie gegen Ende des Mittelalters vorfand. Aus einer


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Stelle *) der Dekretensammlung des Bischof Burkhardt von Worms, der 1024 starb, geht deutlich hervor, daß man damals schon das Hexenwesen , das er mit dem Namen Holda belegt, als eine Gesellschaft kannte, in welcher man, einmal aufgenommen, in Verbindung mit dem Teufel trat. Die Duelle, aus der er schöpft, sind die Canones des Reginus, dessen Todesjahr das Jahr 909 ist. Nach diesem Schriftsteller **) bestand schon im 9. Jahrhundert das Hexenwesen unter den Franken. Noch ältere Zeugnisse findet man in der Lex salica ***) des 5. Jahrhunderts, die für die Existenz des Hexenwesens unter den Franken vor der Bekehrung dieses Volkes zum Christenthum den deutlichsten Beweis liefern, ebenso als wie dafür, daß ihm die nationale heidnische Religion der Franken nicht günstig war. Ferner erweist sich aus dem erwähnten Gesetz, daß es besonders für freigeborne Männer und Weiber sehr schimpflich war, sich mit Hexerei abzugeben. Aehnlich gaben sich bei den Longobarden nur gemeine Weiber mit der Hexerei ab, für die Vornehmern war sie ein großes Verbrechen (Roth. leg. 197, 198); die heidnischen Sachsen verbrannten die Hexen und Hexemnänner, weil sie Menschenfleisch aßen (Capitul. de part. Saxon. c. 6) und bei den Allemannen wurden die Hexen wegen der von ihnen geübten Giftmischereien verfolgt (Addid. ad leg. Alein. o. 22),Der Grund, warum nur Unfreie sich mit der Hexerei beschäftigten, schreibt Mone mit Recht der höhern Sittlichkeit der Freien, eine Folge 
*) L. 19. c. 5: Credidisti ut aliqua femina sit, quae hec facere possit, quod quaedam a Diabolo deceptae se affirmant necessario et ex praecepto facere debere, i. e. cum daemonum turba in similitudinem mulierum transfermata, quam vulgaris stultitia Holdam vocat, certis noctibus equitare debere super quasdam bestias, et in eorum se consortio annumeratum esse.
 
**) Lib. Il. c. 5. can. 45 bei Schannat et Harzheim conc. Germ. II: Et si aliqua est, quae se dicat cum daemonum turba in similitudine muherum transfermata certis noctibus equitare super quasdam bestias et in earum consortio adnumeratum esse, haec talis emnimodis ex parocchia ejiciatur.
 
***) In ber Lex Sahen heist es Ti: 67 §. 1: Si quis alterum cheruiborgum, h. e. strioportium clamaverit, aut illum, qui ineum (aeneus, eherner Keffel) dicitur pertasse, ubi strias cocinant, et eum cenvincere non peterit etc. — Tit. 67 §. 3: Si stria hiomInem cemederit et convicta fuerit etc. unb Tit. 67 §. 2: Si quis mulierem ingenuam striam clamaverit aut meretricem etc. Der fränksche Name für Hexenmänner war Hereburgi ober Chervioburg, hier mit strioportium übersetzt, also mufi Here aber Chervi auf fränkisch Hexe gebeißen haben.


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der ihnen zukommenden Ehre zu, die auch den Stolz der Absonderung von der ersteren bewirkte. Da nun das Hexenwesen den altdeutschen höhern Ständen fremd war, schließt er dann weiter, ist anzunehmen, daß es entweder die Unfreien schon besaßen, ehe sie unter die deutsche Herrschaft kamen, oder daß es erst später unter ihnen einriß, in welchen beiden Fällen es als etwas Fremdartiges erscheinen muß. Gibt aber das deutsche Alterthum über seine Entstehung und ursprüngliche Beschaffenheit keinen genügenden Aufschluß, so ist die Forschung zur Erkenntniß des Ursprungs und inneren Wesens der Hegen nur auf die Sprache verwiesen. Nach dieser Seite entwickelt Mone seine Ansicht wie folgt: Schon Barth (Altt. Rel. II. 143) hat Hexe von Hekate hergeleitet, derselben Meinung waren auch die älteren Glossatoren Sommer und Junius. Hekate war Nachtschwärmerin grec Ap. liii. 3, 860, 4, 829), große Zauberin, von ihr werden die Gespenster grec grec genannt Schol, Ap. Rh. 3, 860), Zaubersprüche und Beschwörungen (Hecateia carmina Ov. Met. 6, 139), besonders Zaubertranke (Hecateides, pollentes borda Ov. Met. l. c. und 7, 196) gehören ihr an (deren Verzeichniß bei Barth l. c. IL 137), dadurch wurde sie Giftmischerin (Diod. 4, 45), Sie ist mit Eichenlaub und Schlangen (greek) bekränzt (Ap. Rh. 3, 1213), zu ihren Salben gehörte das Gift, das aus des Prometheus eiternden Wunden träufelte. Die Kreuzwege (Trivia) und die Hunde waren ihr heilig, sie hatte einen Hundskopf, der Hand war ihr Bild (Eustath. ad Il. Y., 73), an dessen Stelle ist die Katze nun das Hexenthier geworden. Daß hier keine zufällige Aehnlichkeit, sondern innerer Zusammenhang, folgt aus der Wesentlichkeit der Eigenschaften und wird sich bald noch mehr herausstellen. Der deutsche Hexenglauben enthält jedoch noch mehrere Züge, die bei Hekate nicht vorkommen. Das Hexenwesen muß daher andere Beispiele in sich aufgenommen haben, es ist also keine einfache, sondern eine zusammengesetzte geschichtliche Thatsache. Daß wir den rechten Weg eingeschlagen, beweist der Umstand, daß auch zum zweiten Theile des Hexenwesens Hekate den Uebergang bildet. Sie war die Mutter der Medea und Circe (Schol. Ap. Rh. 3, 242. Ov. Met. 7, 74. Diod. 4, 45), mit Phorkis, dem Gorgonenvater, hat sie die Skylla erzeugt (Ap. Rh. 3, 241, 738, 811. Val. FI. Arg. 6, 495. Eurist. Med. 395), Auch Medea fährt (auf einem Wagen von Schlangen gezogen zogen) durch die Luft, tödtet ihre beiden Kinder, auf ihr Anstiften tödten die Töchter des Pelias ihren Vater und kochen ihn in einem Kessel, weil sie gesehen, daß Medea einen alten Widder in einem Kessel zu einem Lamme kochte, Medea konnte die Winde und die Luft verzaubern, dadurch, daß sie ihren Zauber in die Lüfte streute.Von der Verbreitung der Hexerei im Norden sagen die Griechen nichts, wohl aber, daß sie in Medien herrschte. Durch die Medeasage


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wird jedoch das Hexenwesen noch nicht vollständig aufgehellt. Es waren in demselben noch andere Bestandtheile enthalten. Diese sind dem bach ischen Kult entnommen, dessen Ausbreitung vom Dnieper bis nach Bretagne und die Mündung ver Loire, und nordwärts über die Alpen die Zeugnisse der Alten bestätigen. Dieser gab dem Hexenwesen seinen Abschluß, seine eigene Verfassung. Dionysius heißt der Nächtliche (grec) und Schwarzfuß grec), Gaisfuß (grec), hatte Schlangengestalt und regierte mit Demeter die Unterwelt als grec, er war bärtig und gehörnt, in Bocksgestalt ließ ihn Jupiter nach Nysa bringen, er heißt auch der Bock (grec), dieses Thier opferte man an seinem Feste. Sein Gefolge bestand aus ziegenfüßigen, geschwänzten , gehörnten Satyren, zuweilen hatten diese auch Pferdefüße. Auch die Vorstellung, daß der Teufel bald als Mann, bald als Weib die Menschen verführe, ist dem Wesen des Dionysius nicht fremd, denn dieser war nach Umständen Mann und Weib (daher es nicht nur Bachanten, sondern auch Bachantinnen gab). Des Teufels grüne Farbe gehört auch dem Dionysius an, ihm sind Wintergrün, Immergrün und Epheu heilig. Mit ihnen wurde er bekränzt, sie wurden ihm als Opfer dargebracht. Das bachische Gefolge, meist aus Weibern bestehend, erinnert an die Ueberzahl der Weiber in den Herenversammlungen, auch die Spielleute fehlen hier nicht. Orgien hier wie dort. Aehnlich den Hexentänzen wurde der Bachusdienst meist auf Bergen ausgeübt. Die nächtliche Feier, die Ausschließung der Fremden ist beiden Orgien gemein, es gab drei hohe Jahresfeste des Dionysius und drei vornehmste Hexentänze im Jahr. Der Tanz bei beiden Orgien bestand in einem Ringe oder Kreise; bei den bachischen Tänzen Räucherungen und Wohlgerüche, und von den Hexen heißt es, sie hätten allezeit in einem Nebel getanzt. Die Hexen waren maskirt, die Bachanten als Satyren, Silenen verkleidet, bei den bachischen Orgien zügellose Wollust, wilde Lust und Raserei, Gleiches bei den Hexentänzen.Die Hexenküche weist auf den ältesten Gebrauch der Dionysien hin, wo ein Mensch geopfert, in Stücken geschnitten und von allen Eingeweihten verzehrt wurde, zur Erinnerung, daß Dionysius als Zagreus von den Titanen zerrissen, im Kessel gekocht und gegessen wurde. In späterer Zeit war es ein Thieropfer, das ebenfalls zerstückelt und roh gegessen wurde, daher das Fest das Rohessen grec) genannt. Die Wichtigkeit des Kessels dabei bezeugt, daß in den Sabazien, jenen phrygischen Dionysien, der Kesselträger (grec) ein Ehrenamt war. Der Kesselträger beim Hexenwesen, die Hexenküche, die Menschenfleischesser fallen von selbst in den Vergleich der Dionysien. Der bachische Novize mußte bei Todesstrafe Verschwiegenheit geloben, der Hexe war untersagt, die Hexerei zu beichten. Die niedern Prüfungen für die bachi


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schen Mysterien dauerten zehn Tage, und die Hexen wurden erst acht bis vierzehn Tage nach ihrem ersten Fall eingeführt. Die erste Einweihung durch Unzucht ist dem Hexenwesen eigen, seine Verdrehung christlicher Gebräuche mag erst nach Einführung des Christenthums hinzugekommen sein, und wahrscheinlich gingen dadurch die früheren Aufnahmsgebräuche verloren. Die Sitte, den Hexenbuhlen einen Namen zu geben, erinnert an die Taufe der Novizen vor ihrem Eintritt in die Mysterien. Dionysius hatte in den Mysterien andere Namen, als im Volksglauben, aus ähnlichen Gründen konnte man auch die Benennung des Teufels bei den Hexentänzen verändern. Die Art der Aufnahme weicht von einander ab, da die vielen Jahrhunderte, die zwischen den Bachanalien und den Hegen- tänzen liegen, Manches verändern mußten. Daß das Hexenwesen aber nicht eine Hinterlassenschaft der Römer ist, beweist die Seltenheit bachischer Denkmäler in Deutschland *), wo man gewiß früher mit den Dionysien , als mit den Römern bekannt war. Dasselbe verpflanzte sich dahin, während sie noch am nördlichen Ufer des schwarzen Meeres wohnten, durch thrakische und pontische Vermittlung. Diesen Beweisführungen Mone's fügt Nork hinzu, daß es zur Nachweisung der Abkunft des Hexenwesens des griechischen Mediums nicht einmal bedarf, indem er an die asiatische Abkunft, Sprache und Culturverwandtschaft der Germanen mit den Indern erinnert, deren Dionysius Dewanischi ist, wie Schiwa als Erfinder des Palmenweins in Indien heißt.Dem Dewanischi wird auf dem Berg Meru — obgleich er auch Todbringer , mit Todtenschädeln geschmückt, Todtenrichter war — ein unzüchtiger Cult gefeiert. Seine Gattin, die Todtengöttin Kali, mit vier mächtigen Hauern, weit aus dem Munde vorstehenden Zähnen dargestellt und das böse Prinzip vertretend, ist eine Unheil bringende Zauberin und hat rothe, entzündete Augen, welche bekanntlich auch das Kennzeichen der, Hexen sind. Indien ist heute noch das Land der Zaubereien des Hexenwesens, als des Wettermachens, der Besprechungen ec., wie überhaupt, die gemeinschaftliche Abstammung aus Indien bestätigend, alle bei uns ehemals gang 
*) Auch in der Schweiz finden sich Spuren seiner Verehrung selten vor. Cully, unweit Lausanne, war ihm ein Altar errichtet, von welchem Ort er den Namen Cocliensis führte. Eine im Jahr 1744 zu St. Preux, unweit Morsee, aufgefundene Inschrift lautet:
 
Libero Sutro Cocliensi P. Severus Lucanus v. 8. L. M.


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baren Vorstellungen vom Zauber- und Hexenwesen in diesem Augenblick noch dort angetroffen werden.Zum Schluß dieser Erläuterung, deren Länge der von ihr behandelte, einen Hauptbestandtheil des christlichen Aberglaubens bildende Gegenstand, entschuldigt, noch Einiges über die Macht der bösen und guten Wünsche, des Segens und des Fluches, und über die hierzu in verwandtschaftlicher Beziehung stehenden Besprechungen, Beschwörungen, Bannformeln und der dagegen anzuwendenden Schutzmittel.Schon in der Bibel erkennt die christliche Anschauungsweise die Macht des Segens und des Fluches an. Das 26. Kap. des 3. und das 28. Kap. des d. Buch Mosis handeln vom "gedräuten Fluch und verheißenen Segen " und bei Sirach 3, 11 heißt es: "denn des Vaters Segen bauet den Kindern Häuser, aber der Mutter Fluch reißet sie nieder." Der Segen wie der Fluch sind die Aeußerung eines inneren glühenden Willens. Professor Lasaulx, der dem "Fluch bei den Griechen und Römern" eine besondere Abhandlung gewidmet hat, erklärt dies folgendermaßen: "Was in die Seele eindringen soll, muß aus der Seele kommen. Es löst sich in solchen Worten, welche die Liebe oder der Haß eingab, etwas ab, und dringt wie ein Pfeil des Wollens in die Seele dessen, zu dem sie gesprochen worden. Je nachdem nun der Wille des Sprechenden ein guter oder ein böser ist, sind es auch die in der Glut des Willens geborne Worte; es ist mit ihnen, je nachdem sie aus einem guten oder bösen Willensgrund kommen, der Same zu einer guten oder bösen geistigen Geburt verbunden; sie erzählen nicht, sie schaffen und zerstören." Wohl nirgends war der Glaube an die Macht des Segens und des Fluches ausgebildeter als bei den Juden. Bei den ersteren bezeichnete Beten und Fluchen ein Wort, grec, daher grec Gebet und Fluch, und grec, die Fluchstätte. Solche Fluchstätten hatten die Griechen sowohl, au die Israeliten. So bei Gergettus in Attika und bei Sichem in Samaria, wo der Berg Hobal dazu auserlesen war. Selbst das freigeistige Rom glaubte an die Macht der Flüche. Ihnen verfielen Meineidige , Kinder, die sich an ihren Eltern versündigten, Landesverräther, Ausführer von Landesprodukten, Uebertreter der Gesetze, wer Verirrte nicht auf den rechten Weg zurückführte, Betrüger des Volkes, gewissenlose Patrone, die ihre Clienten betrogen, wer die Grenzen seines Nachbars überpflügte ec. Daß der Fluch oder Segen Sterbender nie unerfüllt bleibt, ist ein unter dem Volk allgemein verbreiteter Glaube, dem sich selbst die stärksten Geister unserer Zeit nicht entziehen können. Heute noch ist in Irland ein Volksglauben zu Haus, nach welchem eine jede Verfluchung auf irgend etwas niederfallen muß; sieben Jahre lang schwebt der Fluch in der Luft und stürzt sich auf den, gegen welchen er gethan, sobald diesen sein Schutzengel verlassen hat, entweder in der Form einer


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Krankheit, einer Versuchung, oder irgend eines andern Unglücks herab. Mit dem Begriff Fluchen hängen die Begriffe beschreien und verwünschen im Zusammenhang. Beschreien und verwünschen stiften wie das Verfluchen Unglück und Schaden, bei den erstem erfolgt jedoch diese Wirkung bisweilen unabsichtlich, während beim letztern die böse Absicht immer zu Grunde liegt, Die magische Kraft, so durch Worte zu nützen oder zu schaden, basirten die Alten auf dem Prinzip, daß die Welt ein einziges Ganze sei, in welchem sich alles Sichtbare und Unsichtbare entweder sympathetisch anzöge oder durch eine gewisse, natürliche Antipathie wechselseitig abstoße; abstoßende Kräfte aber, welche gegen den Einfluß böser Geister Schutz verliehen oder dieselben bändigten und dem Willen des Menschen fügsam machten, wurden, außer Pflanzen, Kräutern, gewissen Thieren, Metallen, Steinen, Muscheln ec., besonders geheimnißvollen Worten, Bannformeln, Charakteren, Amuletten ec. zugeschrieben. Auf dieser Ansicht beruht der Glaube an alle Zauberei und sämmtliche Zaubermittel, welche in dem das enge Band zwischen Zauberei, Heilkunst und Poesie bestätigenden Spruch: "Krut, Steine unde Wort hant an Kreften grozen Hort" zusammengedrängt sind. Durch Zaubergesang — liest man bei Grimm, Mythologie der Deutschen. S. 627 — wurden die mannigfaltigsten Wirkungen erreicht. Menschen getödtet und erweckt, Stürme aufgerufen (carminibus in nimbos solvere coelum. Saxo gramm. 17) und besänftigt, Krankheiten verursacht und gehoben, Berge geöffnet oder geschlossen; Bande gesprengt, Kreisende ihrer Bürde entledigt oder verschlossen gehalten, böse Geister und Todte aus ihren Gräbern zum Gespräch herbeigerufen. Es gab Bannformeln zum Festigen, wie zum Erweichen und Tauben der Waffen. Durch bloßes Hermurmeln eines Spruchs während der Trauung konnte die Hexe, wenn sie zugegen, den Mann zum Zeugen, die Frau zum Empfangen untüchtig machen. Diese Zauberei nannte man das Nestelknüpfen, Senkelknüpfen, Schloßschließen, weil dabei ein Knoten geknüpft oder ein Schloß zugeschlagen wurde ec. Eine Hauptabtheilung der theurgischen Künste der Alten war die Todtenbefragung, hierbei wurden nicht allein Beschwörungen, sondern auch Drohungen gegen die zögernden Manen der Dahingeschiedenen angewendet. Ein furchtbares, dem Lukan entnommenes Bild einer solchen Beschwörung nach thessalischem Ritual bringt I. v. Görres in seiner christlichen Mystik. Die Leiche eines römischen Legionärs schleppt eine Todtenbeschwörerin , nachdem sie derselben die Kehle durchschnitten, über Fels und Stein, in eine diesen stygischen Geheimnissen geweihte Höhle, in die Mitte des tiefsten, nie vom Licht durchdrungenen Waldunkels. Dort legt sie ihre furienhafte, schwarze Amtskleidung an und läßt die gelösten, von einer Viper umwundenen starrenden Haare das Gesicht beschatten. Sie füllt nun die Brust des Todten wieder mit warmem Blute, aus frischer


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Wunde hervorgeströmt; keine Giftart, die die Natur in böser Geburt hervorgetrieben , fehlt dem Werke der Finsterniß. Was man den Schaum des Mondes nennt, der Geifer wasserscheuer Hunde, die Eingeweide des Lynx, Knochen der Hyäne, Drachenaugen, die geflügelte Schlange der Wüste, der Cerast, die Giftkräuter allzumal; nichts fehlt von Allem, was je ein Gifthauch der Natur berührt. Jetzt hebt die Beschwörung mit einem mißtönenden Gemurmel an, das allmälig sich steigernd, bald zu einem der Menschensprache ungleichen Tosen anschwillt, und Hundegebell, Wolfsgewinsel , Krötengeguack, Eulenklage, Schlangengezische, Geheul der Meeresbrandung, Waldessausen und Donnergebrüll in Eins verbindend, allmälig in den furchtbaren thessalischen Zaubergesang sich artikulirt. Die Eumeniden, der Styx, das Chaos, Pluto, der Tod, Persephone, Hekate, Cerberus, die Parzen, Alle werden sie der Reihe nach beschworen: ihr Mächte des Abgrunds höret auf meine Bitten! habe ich anders mit unreinem greuelgefüllten Munde euch gerufen; habe ich je nüchtern von Menschenfleisch euch diesen Gesang gesungen; habe ich je volle Herzen mit warmem Gehirn gerieben, euch dargebracht, und in Opferschalen Kindeshäupter und ihre Eingeweide vor euch aufgestellt! Wie nun der aufdämmernde Schatten immer Scheu hat in den Körper zu fahren, da ergrimmt die Hege über die Zögerung, und wüthend die Leiche mit einer lebendigen Giftschlange peitschend, fährt sie fort, die Stille des Schattenreiches mit ihren Drohungen zu durchheulen. Du Tisiphone und harthörige Megäre! wollt ihr den unseligen Schatten nicht mit Gepeitsche zutreiben? Mit euern wahren Namen werde ich euch beschwören und die stygischen Hunde im Lichte des Tages an die Kette legen, über Gräber und Scheiterhaufen will ich euch folgen, aus allen Grabeshügeln euch vertreiben. Dich, Hekate! werde ich in deiner bleichen, hinschwindenden Gestalt binden, daß du nicht ferner mehr die Form zu wandeln vermagst ! Dein Geheimniß, Persephone! will ich kund geben, und über dich, arger Richter! will ich den gelösten Titan senden. Werdet ihr gehorchen? oder muß ich den anrufen (den Dämogorgon), bei dessen Erscheinen die Erde erbebt, damit die bebende Furie unter seinem Schlage gehorchen lernt? Zuletzt wendet sie sich an den Schatten, ihm versprechend, daß fortan nimmer seine Ruhe gestört werden solle, wenn er nur dießmal ihr Folge leiste. Erst nachdem er aus der Leiche der Wüthenden Rede gestanden und nun um den Tod gesieht, gewährt sie ihm endlich die Bitte und übergibt die Leiche den Flammen. Dies war das schreckliche thessalische Ritual, gegen welches in der That alles Hexenwerk späterer Zeit im Vergleich nur unschuldig Kinderspiel ist.


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Als Schutzmittel gegen Zauberei und Hexerei sei hier den in dieser Sammlung bereits an andrer Stelle speziell erwähnten noch hinzu gezählt: das Bilsenkraut; Doste und Dorant (origanum und antirrhinum); die Aurikel, primula yens elatior. Linn., schweizerisch Badönikli, auch Fluhblume , Händscheli, Bärenöhrli, Frühblume, dunne Schlüssli, FlorBlümli und Fräuli-Schlößli *) genannt; vierblättriger Klee; auf die Frage einer Hexe nicht zu antworten, auf eine von ihr erhaltene Dienstleistung nicht zu danken; ihr Lob durch Schimpfen zu erwiedern; bei jedem von ihr ausgesprochenen Wunsch auszuspeien; ebenso muß man, geht man an dem Hause einer Hexe vorüber, dreimal ausspucken, im Fall der Noth aber soll man die verdächtige Hege unbedenklich schlagen, bis Blut fließt, oder einen Feuerbrand nach ihr werfen; Galle von einem geschlachteten Thiere in einem verhexten Stalle vergraben, bis sie verdorrt, macht denselben von diesem Uebel frei; drei Stück Brod. drei Stück Kohlen und drei Büschelchen zerhackten Gartensefei in ein Lümpchen gewickelt, an einem Kommuniontage in die Kirche getragen, und dann an den Leib gehängt, ist ebenfalls ein sicheres Mittel gegen Hexen und Zauberschaden ; ganz schwarze Ziegenböcke oder Katzen endlich schützen gegen Gespensterspuck . Erkennungsmittel der Hexen sind die schon erwähnten rothen triefenden Augen und daß sie das Bild oder das Kindlein verkehrt im Auge haben. ein Merkmal, dessen schon Apollonides gedenkt, da er von den Bythiae der Scythen spricht. Ferner erkennt sie, wer einen gefundenen Eggnagel oder Getraidekörner, die in's Brod gebacken waren, oder einen Gründonnerstagei bei sich trägt; Frohnfastenkinder endlich, die sich gegenseitig über die Schultern sehen, können von allen vorübergehenden Männern und Weibern mit Bestimmtheit angeben, ob sie Hexen und Zauberer sind oder nicht.Fast alle Punkte, die diese Erläuterung als die hervorspringendsten Momente des Hexenthums bezeichnet, finden in folgendem Hexenprozeß Bestätigung. 
*) Dem Badönikli (Betonica) wird noch die Kraft zugeschrieben, daß es den Schlangenbiß heilt, ja es heißt sogar, daß durch seine Nähe die Schlangen gezwungen werden, sich selbst umzubringen.


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2. Mia Barmy.


Schweizerischer Merkur 1835 S. 186.

Als der gestrenge und rathfeste Herr Jost Ammann, Bürger von Freiburg im Uechtlande, auf dem hohen Felsenschlosse zu Ruw als Landvogt seiner gnädigen Herren und Obern saß, ließ er am 1. März des Jahres 1634 der christlichen Wiedergeburt ein Weib von Ecublens vor sich erscheinen; Mia Varmy genannt, Wittwe des Jakob Blanche. Im ersten Verhör wurde Mia über ihr wüstes Leben und ihre Verbrechen peinlich besagt; sie bekannte aber nur wenig, unter andern, sie habe mit einem Knecht ein uneheliches Kind gezeugt. Am andern Morgen legte man das Weib zum zweiten Male ach die Folterbank; da gestand es Folgendes:

"Vor achtzehn oder zwanzig Jahren begegnete ich zu ès- Mollian einem großen schwarzen Manne, der mir den Kopf kratzte, weil ich geflucht hatte, und dem ich Unterwürfigkeit und Gehorsam versprach: es war der Teufel, Gabriel genannt, mit dem ich einen Bund geschlossen habe. Zwei Jahre später kam er zu mir in's Haus und verlangte Lämmer von mir. Ich gab sie ihm einige Zeit hernach, das eine ob dem Dorfe und das andere ob der Stadt Ruw; um sie fangen zu können, hatte sich der Teufel in eine lange Stange verwandelt . Ein ander Mal versprach mir der schwarze Mann, mich reich, ja sehr reich zu machen; er gab mir viel Geld, allein es waren meistens gelbe, dürre Eichenblätter, und darunter nur zwei gute Goldschillingen In dem Mollian ergab ich mich dem Teufel, indem ich Gott verläugnete und ihm entsagte, Gabriel für meinen Herren und Meister annahm und ihm huldigte, worauf er mich, als ich ihm die Ruthe geküßt hatte, beim Nacken und Halse anpackte und



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mir seine Krallen eindrückte." Bei diesem gräßlichen Bekenntnisse bekreuzigten sich der Landvogt, die Schöppen, der Schreiber und die Weibel, worauf, nachdem sie dazu aufgefordert worden war, Mia Varmy ihr Sündenkenntniß fortsetzte, wie nachsteht:

"Bei Granges," so fuhr die Wittwe fort, "gab mir Gabriel ein Pulver, um Menschen und Thiere zu tödten. Die nächtlichen Hexentänze (Schetta) hatten an verschiedenen Orten statt, unter andern bei der Brücke über die Broye, Montet, Granges, Villeneuve u. s. w. Bei einem derselben tanzte man den Reigen um ein bläuliches Feuer, wo man gebratene Thiere ass, oder Most und Branntwein Sank, der dem Urin einer Stute glich *). Einige Hexen und Hexenmeister waren vermummt; zwei Teufelchen schürten das Feuer an, indem sie um dasselbe hüpften und sprangen. Gabriel, der große Teufel, verlangte meine Kinder von mir; allein ich verweigerte sie ihm."

Nach diesen Bekenntnissen ließ man die Hexe ruhen, aber nicht lange; denn sie wurde zum dritten Male auf die Folterbank gelegt, und zwar mit einem Gewichte von hundert Pfunden, worauf sie unter der Marterqual bekannte:

"Ich habe ferner," rief sie stöhnend, "zu Granges eine Ziege und ein Kalb getödtet, ein Kind zu Stäffis-am-See, eine Geiß und eine Katze zu Villards-Bramaré, so wie mehrere Thiere. Zu diesem Ende war es hinreichend, ein gewisses Pulver mit Salz, Brei oder Holzäpfel (Schetzéron) zu vermengen, oder ein besonderes vom Teufel erhaltenes Pulver in den Mund zu nehmen, um den Athem zu vergiften. Wenn das Obst auf den Bäumen oder das Korn 

*) Im Gebirgslande nennen die Weiber, welche dem Trunk ergeben sind, den Franzbranntwein oder Cogniac noch jetzt: De pissa do l'éga oder Stuten-Urin.



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verdorben werden mußten, so schlug ich nur mit einer weißen Weidenruthe auf das Wasser in den Brunnentrögen, und sogleich erhob sich ein Nebel, der sich in einen verderbenden Reif oder in ein Hagelwetter verwandelte. Vermittelst eines gewissen Haares, das mir der Meister gab, konnte ich mich willkürlich in einen Wolf umgestalten, um Stuten, Pferde und Ziegen zu tödten, welche wir dann zusammen aßen."

Man verdoppelte die Qualen, um ihr noch mehr Bekenntnisse zu entpressen,

"Ja," schrie die Hexe, "ja, vier Mal hat mir Gabriel im Bette Gesellschaft geleistet, er war aber so kalt, wie ein . . . . . Eiszapfen."

"Ja," rief Mia endlich, "ja, alles was ich bekannt habe, ist wahr; ich will als Christin leben und sterben, wenn mir Gott und meine gnädigen Herren die Gnade gewähren, die ich von ihnen erflehe."

Am 15. März 1634 wurde Mia Blanche, geborene Varmy, verfällt, lebendig auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden.

Den 17. des gleichen Monats und Jahrs wurde das Urtheil durch den Rath zu Freiburg bestätiget, und am 20. vollzogen, die Heie aber zuvor an empfindlichen Stellen ihres Körpers mit einer Zange gezwickt, damit sie durch diese Marter zur Angabe aller Genossen ihrer Greuelthaten gezwungen werde.



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Die Familie La-Beaume.


Schw. Merkur 1835. S. 188.

Ob Les-Arses *) gewahrt man eine große Felsenmasse, la Pierre de la Beaume genannt, auf der man sich noch am Ende des vorigen Jahrhunderts einige Mauerwerke, die Ueberbleibsel eines Schlosses der Familie LaBeaume zeigte, Die edle Familie La-Beaume stammte aus Savoyen, man weiß aber nicht, wie sie in's Alpengelände von Charmey kam. Als sie aus dem Balmisthale zog, verkaufte sie der reichen Familie Remy ihre Güter, die sehr beträchtlich waren, da sie sich bis zum Praz de l'Essert oder der Riedmatte erstreckten . solcher Reichthum konnte jedoch nur durch Zauberkünste und mit Hülfe des Fürsten der Finsterniß erworben worden sein, weßwegen die Käufer einen sehr kostspieligen Prozeß aushalten mußten, der sie fast an den Bettelstab brachte; aber dafür erhielten sie am 5. November 1652, als Ersatz, vom Schultheiß und Rath zu Freiburg ein Ehrenzeugniß, "daß sie weder Hexenmeister noch Zauberer seien."


4. Der Böse auf dem Moléson.


Franz Kuenltn, Alpenblumen aus dem Greierser Land. S. 67.

Wer am Abend vor Sankt Johannistag auf den Kulm des Molèson steigt und sich daselbst eine kahle Stelle aussucht, wo er weder läuten noch reden hört und weder Halm 

*) Les-Arses, ein Weiler, unweit dem Bergdorf Charmey.



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noch Farrenkraut blüht, dem erscheint daselbst der Fürst der Finsterniß und überreicht ihm einen mit Goldstücken gefüllten Beutel. Doch muß derjenige, der das Wagstück ausführt, des Beutels wirklich bedürftig sein.Eine Erläuterung obiger Sage erscheint nicht nöthig, da das Mythische in ihr durch die Erläuterung zu Catillion la Toascha hinreichend Erklärung findet; dafür sei es mir erlaubt, hier folgen zu lassen, was F. Kuenlin über die Abstammung des Namens Moußon, dieses Brockens des Greierser Landes, mittheilt:"Vor zwei oder dreihundert Jahren wüthete die Pest zu verschiedenen Malen in der Schweiz. Auch Greiers und die Umgegend blieb von dieser schrecklichen Plage nicht befreit; denn die Seuche hatte so viele Männer und Frauen und Kinder hinweggerafft, daß die meisten Häuser wie ausgestorben waren.Die Gesunden, vom Schrecken ergriffen, flüchteten sich, und mit hinlänglichen Lebensmitteln versehen, erklommen sie den höchsten nahen Berg, und lagerten sich aden Stafeln, hoffend, der mörderische Pesthauch werde nicht hinaufdringen bis zum Bereiche der reinen Alpenluft. Einige blieben zurück, um Freunde und Verwandte zu pflegen, die von der Pestilenz schon angesteckt waren. Als aber auch diese elendiglich gestorben, wollten sie nicht länger im gefährlichen, ungesunden Thalgrunde bleiben, weil sie die Zahl der Opfer nutzlos vermehrt hätten. Sie erstiegen also wie die erstern den hohen Berg. Als sie sich am Fuße des Gipfels befanden, fragten jene, welche sie gewahr worden, von oben in ihrem greierzer Dialekte: "Quemin va par-d'avo ? *) — Diese erwiederten sogleich: "Mô-lê-son et bin le-astro **), und von da ist der Name Moléson ***) dem Berge auch stets geblieben. So glaubt man größtentheils im Greierser Lande, besonders im obern Theile." *) 
Wie geht's drunten?
 
**) Die Einen schlecht, die Andern gut.
 
***) Der Name Susa wird von den Etymologen bald aus dem Celtischen, bald aber auch von dem Lateinischen Moles summa, oder Mons supra montes abgeleitet.


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5. Was einem Stadtbürger Freiburgs auf der Johannisbrücke passirte.


Wanderer in der Schweiz, IV. Jahrgang.

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts ging eines Nachts ein Stadtbürger, Namens Cugniet, über die kleine Johannisbrücke der Stadt Freiburg. Da hörte er auf dem nicht unweit liegenden Oelberg ein außerordentliches Geräusch, wie das Schreien, Wehen und Schlagen der Fische großer Raubvögel, von einem singenden Gesumse begleitet, das hin und wieder durch ein gellendes Gelächter oder liebesüßes Stöhnen unterbrochen wurde. Er lehnte sich an das Geländer der Brücke, und hörte diesem sonderbaren auftritte zu, den er sich nicht erklären konnte, und der nur auf Augenblicke durch das Geplätscher und dem Wellenspiel der Sane unterbrochen wurde; auch schien es ihm, daß hin und wieder rothgelbe oder graugrüne Flämmchen flimmerten, die sich im Kreise schnell bewegten. Unversehens empfing der Neugierige eine äußerst derbe Maulschelle, wie von einer eisernen Hand, daß er vor Schmerz und Schreck "heiliger Joseph!" rief. Da stand plötzlich neben ihm eine ihm wohlbekannte vornehme Frau, welche einen Besenstiel zwischen den Beinen hielt, auf dem sie reitend in die Nacht davon flog und verschwand, nachdem sie ihm einen silbernen Becher, zum Pfand für seine Verschwiegenheit, geschenkt hatte.

Brücken sind oftmals nicht geheuer. So heißt es von einer Brücke zu Brügge (Wolf, deutsche Mährchen u. Sagen, S. 325): ein ehrbarer Bürger, der nur ein Bischen angetrunken war, sei einmal gegen 12 Uhr über dieselbe gegangen; da habe er auf der Mitte ein Weibsbild gefunden, von der er nicht recht gesehen, was sie eigentlich da gethan habe.


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Der brave Mann wäre auf sie zugegangen, das sei ihm aber schlimm bekommen, denn sie habe ihm einen Backenstreich gegeben und sei dann ins Wasser gesprungen, wo sie verschwunden. Vermuthlich sei sie das Weib eines Wasserteufels gewesen.


6. Zwei Sagen von der Teufelsbrücke bei Pont-Ia-ville.


Die Schweiz in ihren Ritterburgen. T. il. S. 287.


I.

In dem Wirthshaus zu Pont-la-ville saßen eines Abends mehrere Männer beisammen und besprachen sich über die Nothwendigkeit einer- Brücke über die Sane, deren Wogen wischen Felsen und Klippen dort im wilden Strudel schäumen und toben, wie an keiner andern Stelle ihres Bettes. Vieles wurde hin und her gesprochen. Alle sahen die Wohlthätigkeit eines solchen Baues ein, alle aber verzweifelten auch an ihm, da bei der Armuth der Gemeinde die Ueberwindung der sich darbietenden Schwierigkeiten eine reine Unmöglichkeit zu sein schien. Da trat plötzlich ein Fremder, nach seinem grünen Wams zu schließen, ein Jägersmann, der an einem andern Tisch, in seinen Mantel gehüllt und den großen spanischen Hut mit der Feder darauf tief in das Gesicht gedrückt, ihrer Rede schon längst gelauscht hatte, an sie heran und erbot sich: er wolle ihnen eine solche Brücke bauen und das in kürzester Frist. Auch wolle er alles nöthige Material zu dem Bau liefern und da es ihm weder um Lohn noch um Ehre thun sei, verlange er für das Alles blutwenig , so gut wie nichts; man solle ihm nur das erste lebende Wesen, welches über die Brücke nach ihrer Vollendung gehen



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würde, als Eigenthum versprechen. Gefiele ihnen der Handel , so sollte ihm Einer aus der Gesellschaft als Zeichen des Einverständnisses den Handschlag geben.

Nach kurzem Berathen ging man auf den Vorschlag ein. Der Handschlag ward geleistet. Der aber, der dies that, erschrack und erblaßte, als er seine Hand in die des Fremden legte, und als derselbe kur; darauf sich entfernt hatte, erzählte er, er habe in seiner Rechten ganz deutlich die Krallen des Teufels gespürt. Jetzt erst wurde den Anwesenden klar, welch sündigen Vertrag man eingegangen. Furcht und Besorgniß um ihr Seelenheil ergriff sie. Unter ihnen war aber ein Schneider, ein gar schlauer Geselle, dessen Mutterwitz schon Manchen aus der Verlegenheit gezogen hatte. Dieser sagte auch jetzt: liebe Freunde, beruhigt euch, bin ich mit Manchem schon in meinem Leben fertig geworden, werde ich wohl auch mit dem Teufel fertig werden.

Obgleich die Uebrigen sich durch diese Versicherung etwas getröstet fühlten, denn der Schneider war, was sonst gegen die Gewohnheit der Schneider ist, ein Mann, der niemals versprach, was er nicht ausführen konnte, so kennte man sich doch an jenem Abend in banger Erwartung der Dinge, welche der kommende Tag bringen würde, und keiner von ihnen konnte da, wie sonst, daheim die gewohnte Ruhe finden, was übrigens, bei dem fürchterlichen Wetter, das die ganze Nacht hindurch tobte, so wie so unmöglich gewesen wäre. Erst gegen Morgen legte sich der Sturm. Golden ging die Sonne hinter den Bergen auf und schaute mit neugierigem Blick über ihre Gipfel in das Thal herab und siehe! der Teufel hatte sein Wort gelöst: in kühnen Bogen wölbte sich über die dahin brausende Sane die versprochene Brücke. Freude und Jubel war da unter den Bewohnern jener Gegend, nur die, welche um das Bündniß mit dem Teufel wußten, konnten sich des so prächtig ausge



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führten Werkes nicht recht erfreuen. Nicht lange aber sollte ihr Kummer, ihre Besorgniß dauern: war der Teufel ein Mann von Wort, so war es der Schneider auch. Einen großen Sack auf dem Rücken, kam er pfeifend und singend lustig einhergegangen, drängte die Menge, welche sich schon auf die Brücke stürzen wollte, zurück, warf dafür seinen Sack darauf, den er mit einem schnellen Ruck geöffnet hatte, und aus welchem jetzt sechs Ratten und sechs Mäuse in eiliger Sucht heraus sprangen, die, von eben, so viel Katzen verfolgt, in wilder Jagd über die Brücke hinwegeilten. Mit freudigem Muthe folgte ihnen der Schneider, ein Kruzifix in der Hand, das er, einen heiligen Segen sprechend, auf dem mittelsten der Brückenpfeiler aufpflanzte Als der Teufel, welcher in der Hoffnung auf die ihm vertragsmäßig zugesprochene Beute am andern Ende der Brücke in derselben Gestalt wie am vorigen Abend auf der Lauer lag, dies erblickte und sich so getäuscht sah, ward er teufelstoll, nahm sofort seine wahre Höllengestalt an und riß mit seinen Krallen von der jähen Felswand Felsblock auf Felsblock, welche er alle nach der Brücke warf, um sie wieder zu zerstören. Die Macht des auf ihr aufgepflanzten Kreuzes vereitelte jedoch seine Absicht . Ohne Schaden anzurichten, fielen die Felsblöcke zu beiden Seiten der Brücke in die Sane, wo sie, ihr von Stunde an ein schützender Wall, heute noch liegen.


II

Bevor der heilige Donat, Erzbischof zu Besançon, das Greyerserland zum Christenthum bekehrt, hatte dort ein ungeheurer Riese seinen Wohnsitz aufgeschlagen, welchen das Volk jener Gegend in seiner heidnischen Verblendung als Götzen verehrte und anbetete. Dieser Riese war der Riese Gargantua. Größer als die himmelstürmenden Titanen, soll dieser Riese mit dem einen Fuße auf der Spitze des



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Birrenberges, mit dem andern auf der des Gibloux gestanden und sich niederbeugend die Sane so vollständig ausge- trunken haben, daß ihr Bett drei Tage hindurch Socken blieb. Während dieser drei Tage habe er, so erzählt die Sage, mit seinen gewaltigen Händen von den Felsen links Felsblöcke abgebrochen und mit denselben das Fundament und die Grundpfeiler zu der Brücke bei Pont-la-ville gelegt, so daß den Menschen ihre Vollendung dann ein Leichtes gewesen sei.Die schon mehrmals angedeutete verwandtschaftliche Beziehung zwischen Teufel und Riesen leuchtet in obigen zwei Sagen, indem sie ein und dasselbe Werk der Urheberschaft Beider zuschreiben, auf das Deutlichste hervor; auch tritt uns hier als Repräsentant der rohen Naturkräfte *) ein sonst im schweizerischen Sagenkreis seltenes reinmythisches Riesengebild in der Person des Riesen Gargantua entgegen. Teufel und Riesen treten als Baumeister, dieses Amt sich gegenseitig übertragend, sehr häufig in der Volkssage auf. Gewöhnlich verwendet sie die Sage bei der Ausführung von kolossalen Bauten **), die Jahrhunderte überdauern oder 
*) In den mythologischen Vorstellungsweisen sind die Riesen immer das Symbol der rohen, gewaltigen Naturkraft, welche der Macht der Götter oder ber geistigen Ueberlegenheit des Menschen erliegt, der als Steger in glücklicher Mitte zwischen den Riesen und den Zwergen steht, zu deren List und Verschlagenheit die ersteren den Gegensatz bilden. Das Heldenbuch (Ausg. Frankfurt, 1590), von der Erschaffung der Riesen, Zwergen und Helden sprechend, schildert das Verhältniß dieser drei mit folgenden naiven Worten: zum ersten ließ Gott die Zwerglein werden, umb deß willen, daß das Land gar wüst und ungebauwet war, und viel gutes von Silber und Gold, Edelgestein und Berten in den Bergen war. Darumb masse Gott die Gezwerg gar listig und wyse, daß sie bös und gut gar wohl erkannten, und zu alle Ding gut waren. Sie wußten auch, wozu die Gestirne gut waren - und darumb gab Gott den Zwergen Kunst und Weisheit. Darumb so bauweten sie hübsche hohle Berg, und gab ihn Adel, daß sie König waren und Herren, als wol als die Helden, und gab ihn groß Reichthumb. Und da nun Gott die Rysen ließ werden, das war darumb, daß sie solten die wilden Thier und großen Würm erschlagen, daß die Zwerg desto sicherer weren und die Land gebauwet möchten werden: darnach über wenig Jar, da wurden die Rysen gar bös und untreu. Darnach beschuff Gott den starken Held, das war dazumal ein Mittelvolk unter ber dryerhand Volk."
 
**) Bei alten nordischen Dichtern mit den Namen amg (von Ent s. S. 9)


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ihrer merkwürdigen Struktur wegen auffallen; Teufel wie Riese aber werden dabei von den Menschen immer um den von ihnen ausbedungenen Lohn betrogen. So erzählt ein deutsches Mährchen ganz ähnlich wie oben: Der Teufel soll einem Bauer ein Haus bauen und dafür seine Seele erhalten; aber ehe der Hahn kräht, muß der Bau vollendet sein, da sonst der Bauer frei, der Teufel aber verfallen ist. Bald naht das Wert seinem Ende, ein einziger Ziegel fehlt nur noch auf dem Dache, da ahmt der Bauer den Hahnenschrei nach, plötzlich krähen alle Hähne in der Runde und der Bauer hat seine Seele gerettet. Alterthümlicher lautet eine nordländische Sage: König Olaf von Norwegen ging in tiefen Gedanken zwischen Berg und Thal; er hatte im Sinn, eine Kirche zu bauen, deren gleichen sich nicht finden sollte, allein er sah, daß er den Bau nicht zu Stand bringen könnte, ohne sein Reich sehr zu beschweren. In dieser Kümmerniß begegnete ihm ein Mann, seltsamen Ansehens, und fragte, worüber er so nachdenksam wäre? Olaf offenbarte ihm sein Vorhaben, und der Riese (Troll) erbot sich binnen gewisser Zeit ganz allein den Bau zu vollbringen. Zum Lohn bedung er sich aber Sonne und Mond, oder den heiligen Olaf selbst. Olaf ging darauf ein, entwarf aber einen solchen Plan zu der Kirche, dessen Ausführung ihn unmöglich däuchte: die Kirche sollte so groß sein. daß sieben Priester auf einmal dann predigen könnten, ohne einander zu stören, die Pfeiler und Zierrathe auswendig und inwendig sollten aus hartem Flins gearbeitet werden u. s. w. Bald stand eine solche fertig da, bloß Dach und Spitze fehlten. Neu bekümmert über den eingegangenen Handel wandelte Olaf wieder durch Berg und Thal; auf einmal hörte er in einem Berg ein Kind weinen und eine Riesenfrau es mit diesen Worten stillen: "ziß, ziß, morgen kommt Wind und Wetter, dein Vater, heim und bringt mit sich Sonne und Mond, oder den heiligen Olaf selbst!" Olaf, froh über diese Entdeckung, denn mit des bösen Geistes Namen war seine Macht vernichtet, kehrte nach Hause; alles war fertig, die Spitze eben aufgesetzt. Da rief Olaf: "Bind och Beder! du har satt Spiran sneder!" *) sogleich fiel der Riese mit erschrecklichem Krach von dem Kamm der Kirche herab und zerbrach 
geveorc, enta aergeveorc, eald enta geveorc bezeichnet; bei den Griechen finden wir die cyclopischen Mauern. Mauern, als Werk des Teufels mit der Benennung Teufelsmauern belegt, sind nicht selten; am häufigsten tritt jedoch ber Teufel, immer aber Seelen fordernd, als Baumeister von Kirchen und Brücken auf. Von vielem Aehnlichen sollen hier nur noch die neun Riesensäulen bet Miltenberg erwähnt sein, an denen das Volk heute noch die Handgriffe der Riesen sieht, die mit ihnen eine Brücke über den Main zu bauen beabsichtigten.
 
*) Wind und Wetter, du hast die Spitze schief gesetzt.


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in viele Stücke, die lauter Flinssteine waren (I. Grimm, Myth. d. Deutschen. S. 317). Die gleiche Sage erzählt man auch in Norwegen, wo der Riese jedoch S kalle heißt und zu Nidaros die prächtige Kirche erbaute, und in Schonen von dem Riesen Finn, dessen Werk die Kirche zu Lund ist und der vom heiligen Laurentius in Stein verwandelt ward. Was obige Sage von dem Riesen Gargantua betrifft, so ist dieselbe das Ueberbleibsel einer altceltischen Volkssage , die von Rabelais und Fischart verherrlicht ward, ihrer Ursprünglichkeit aber längst verloren ging. Vielleicht, daß spätre Zusammentragungen sie in ihrer Vollkommenheit wieder herstellen. Schlüßlich sei hier noch einer Sage gedacht, die Scheuchzer in seiner Naturgeschichte der Schweiz, Thl. II. S. 98 von der Teufelsbrücke über die Reuß im Kanton Uri erzählt und die mit No. I fast gänzlich gleichlautet.


7. Der wilde Jäger Chiliers.


Alpenrosen 1826. S. 37.

In dem Dorfe Grandvillars lebte einst ein leidenschaftlicher Jäger, Namens Chilier, der des Sonntags oft den Gottesdienst vernachläßigte, oder ihm nur flüchtig auf dem Kirchhof beiwohnte, um ganz seiner wilden Jagdlust Söhnen zu können. Nach seinem Tode wollte man ihn auf dem Gottesacker der Pfarrkirche, der ehemals auf jenem Hügel stand, wo jetzt noch die Kapelle der Dada steht, begraben; allein die Pferde konnten oder wollten seinen Leichnam nicht weiter ziehn, als bis zur Stelle, wo sich jetzt noch auf diesem Hügel ein hölzernes, altes, mit Moos bedecktes Kreuz befindet, da man ihn also begraben mußte. Nach seinem Tode hat der Geist des Chilier noch lange Zeit hindurch als wilder Jäger, besonders während der Jagdzeit die Nächte vom Sonnabend zum Sonntag sein Wesen getrieben. Sobald die Betglocke geläutet hatte, hörte man in den Wäldern und jähen Halden ob Grandvillars das Schmettern der



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Jagdhörner, das Ho —ha —ho des Jägers und Rüdengebell. In einer dort gelegenen Voralp hielt er gewöhnlich Rast, um seine zerstreuten Hunde wieder zu sammeln und das erlegte Wild in einer Felshöhle aufzubewahren. Kaum daß die Sennen es dort aushalten konnten. Wenn sie sich nicht ganz still verhielten, verheerte er Alles auf dem Vorsatz, zerschlug Dach und Zäune, gruben seine Hunde tiefe Löcher in den Boden, wurden endlich die Kühe im Stalle des Stafels auf unsichtbare Weise gequält und gepeinigt, daß sie laut brüllten und am andern Morgen nur wenige und schlechte Milch gaben.

Ein junger unerfahrner Küher, der vor der Alphütte stand, als der Nachtjäger ankam, schrie ihm einst keck entgegen: : Ho, ha, ho, hat welches Wagniß ihm jedoch schlecht bekam. Plötzlich, obschon der wilde Jäger noch fern war, erhielt er einen so hesftigen Stoß in den-Rücken, wie mit einem Gewehrkolben, daß er blutrûnftig gequetscht und halb ohnmächtig zu Boden sank, wo ihn die Sennen erst am folgenden Morgen vorfanden und aufheben konnten, da sie nicht gewagt hatten, während des Jagdsturms aus dem Stafel zu treten, der von den bellenden Hunden die ganze Nacht hindurch wie umlagert gewesen war. Diese hatten dem daliegenden jungen Aelpler jedoch nichts Leides gethan, sondern bloß berochen und beschnüffelt, bis sie sich mit dem unruhigen Jäger wieder entfernt hatten. Gewöhnlich fand man am Morgen nach solchen Nächten ringsum Spuren von Blut, Gemsen-, Hasen-, Fuchs- und Dachshaare und Tritte von Menschen und Hunden. Von dem erlegten Wild fand sich in dem Felsenkeller jedoch niemals etwas vor. Das hatte der wilde Jäger bis auf die letzte Fuchsklaue zu sich genommen.



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Wie am Harz Odin sich historisirt in der Person des braunschweigischen Dberjägermeisters Hans von Hackelberg (s. S. 46 die Anmerk.) wiederfindet, so ist dies hier in der Person des Jägers Chilier der Fall. Da die wilde Jagd der personificirte Sturmwind, dieser aber die eigentliche Manifestation Odin's ist, sind überhaupt sämmtliche wilde Jäger, mögen sie auch die verschiedensten Namen haben, sämmtlich Abkömmlinge dieser Gottheit. Im Uebrigen vergl. S. 37 —40.


8. Die rothe Frau auf Schloß Pigritz.


Alpenrosen. 1824. S. 45.

Jeden Quartember-Abend, sobald die Betglocke geläutet, fängt in einem der vergitterten Gemächer des Schlosses Pigritz *) ein fürchterliches Gespenst an zu rumoren, was bis gegen Mitternacht dauert. Oft sieht man es, ganz roth gekleidet, in Weiberkacht am Fenster, mit feuersprühenden Augen, jämmerlicher heulend, als der Uhu im Walde. Sobald die Mitternacht herannaht, öffnet sich die Schloßthurm Da schreitet stöhnend und seufzend die rothe Frau, so nennt man das Gespenst, langsam die Treppe hinab, schwere Ketten nach sich schleppend, einen Dolch in der Brust, aus welcher Blut fließt; und so wandelt sie wie ein furchtbarer Schatten bis zum Gewölbe unter der Kapelle, wo sie mit entsetzlichem Getöse verschwindet.

Die Sage von der rothen Frau auf Schloß Pigritz steht offenbar im Zusammenhange mit einer andern Sage, welche sich an die gleiche Lokalität bindet, jedoch mehr historischen Gepräges ist. Diese erzählt: Zur Zeit 
*o) Schloß Pigritz (Perraulcs), trüber den Grafen von Glane zugehörend, im Kanton Freiburg.


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des deutschen Königs Lothar, die eine Zeit voll Unruhe und Unheil für das Land war, wurden im Jahr 1126 die beiden Herren von Glane, Peter und Philipp, des Grafen Ulrichs Söhne, mit dem Grafen Wilhelm von Burgundien zu Peterlingen durch ihre eigenen Leute ermordet, wo sie so eben von einem Heereszuge rasteten. Von da habe sich einer dieser Elenden nach dem Schlosse Pigritz aufgemacht, um seiner Herrin, in der Hoffnung, sich das Eigenthum seiner Herrschaft anzueignen, dasselbe Schicksal zu bereiten. Die gräßliche Unthat gelang, aber nicht ihr schändlicher Zweck, da Peter von Glane mehrere Söhne hinterließ, welche unter dem Schutze Konrad's von Zähringen wieder zu ihrem Eigenthum gelangten.


9. Der Napfhans, Jean de la Bolieta.


Mündliche Withetlung. Franz Kuenlin. Alpenrosen, Jahrgang 1824. S. 74.


I.

Auf der Alp Zuazo-dessus *) hauste ehemals vor langen Jahren gar friedsam, aber dienstfertig und gefällig, ein Berggeist, der Napfhans, Jean de Bolieta, genannt Auf die gefährlichsten Stellen führte das Männlein die Kühe zur Weide, ohne daß je nur eine verunglückte. Wenn die Hirten den Berg verließen, war dort gewiß kein nährendes Gras mehr vorhanden. Für den geleisteten wichtigen Dienst stellten dann die Sennen jeden Abend dankbar einen Napf voll süßer, frischer Nidle (Rahm) auf das Dach des Stafels. Am andern Morgen fanden sie ihn richtig allemal leer. Es begab sich aber einst, daß ein Senn mit sieben eigenen Kühen auf diesen Berg zog. Zum ersten Male in seinem Leben befand er sich da, und hielt das Hirtenamt 

*) Andere schreiben : Tzuazo oder Chuazo.



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des Geistes für ein einfältig Mährlein, von der Unwissenheit und Leichtgläubigkeit ersonnen. Er entschloß sich daher den Geist zu prüfen und zu foppen; anstatt des gewürzigen Rahmes that er siedenden Unrath in die Schüssel. Um Mitternacht hörten die schnarchenden Sennen eine dumpfe, hohle Simme, die vom Rauchfange herunter zu kommen schien, und den ungläubigen Küher ermahnte, eilig aufzustehn , um seinen sieben Kühen die Häute abzuziehen. Er achtete nicht darauf, glaubte, man treibe nur Scherz mit ihm und schlief ruhig wieder ein. Aber wie groß war seine Bestürmung, als er am andern Morgen seine Kühe vermißte, und sie endlich jämmerlich zerrissen, sämmtlich todt in einer tiefen Schlucht fand, die jetzt noch der Schindanger (in Lecorzau) ) heißt.


II.

Von diesem Berggeist heißt es weiter: So lange er die Kühe hütete, schlug er mit denselben stets den gleichen Weg ein, welchen man jetzt noch den Weg des Napfhans, chemin de Jean Bolieta, nennt, und dieser steile Pfad ist immer so reinlich und nett, daß man nie einen Stein auf demselben antrifft, obschon auf dem Berge ein ganzes Lager von Rollsteinen vorhanden ist, das oft bei Sturmwinden aufgerüttelt und erschüttert wird. Leider können die Sennen, seitdem der gute Napfhans verschwunden ist, nicht länger als bis Anfang Herbstmonats auf dem obern Zuazo mit ihrer Heerde alpen, und müssen also noch viel gutes Kraut zurücklassen, aus dem sie manchen schweren und fetten Käs hätten bereiten können.



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10. Das Spielmännlein im Sagenboden und das Ungeheuerlein im Plasselbschlund.


Franz Küenlin, Alpenrosen und Sagen aus der Schweiz. S. 97.


I.

Links unten am Käsenberg, den die Welschen Cousinber nennen, liegt der tiefe Plasselbschlund; rechts erheben sich die Schweinberge. Im Sagenboden steht eine alte Hütte, wo sich die benachbarten Küher sehr oft des Abends versammelten, um ein Paar müßige Stunden verplaudern oder mit dem Tarokenspiel zu verkennen. Zu ihnen gesellten sich häufig die Pottaschebrenner, die Kräuter- und Harzsammler oder sonst andre Leute, die in den Bergen thun hatten. Zuweilen erschien ein Seines, fremdes Männlein bei der gemischten Versammlung. Es hatte eine blaßgelbe Gesichtsfarbe; aschgraue, blinzelnde, tiefliegende Augen; rothes, buschiges Haar; eine grüne Kappe auf dem Kopfe, und trug einen grauen Kittel; lange, enge Hosen von hellbraunem Zeuge und kurze Stiefel. Unter dem linken Arme hielt es stets eine Geige, weßwegen man es das Spielmännlein nannte. Es verhielt sich meist ganz ruhig und still in einem Winkel, wo es sich zusammenkauerte, wie ein Kater, oder wärmte sich am Feuer in halb knieender, gebückter Stellung. Wenn man es munter machen wollte, gab man ihm zum essen und Sinken Er dankte dann in einer sonderbaren, fremden Sprache, wovon man nur ein paar Worte verstehen konnte, und am Ende sing er an zu geigen allerlei alte und neue Tänze und Lieder, daß einem vor Freude das Herz sammt den Füßen hüpfte, wie wenn man beim Kiltgang, bei einer Hochzeit oder Kilbe mit seiner Liebsten tanzen kann. Ja, das Spielmännlein konnte den Sennen die Zeit so schön vertreiben, daß sie



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sogar oft darüber ihre Pflicht und Schuldigkeit vergaßen, weßwegen es dann auch in den Stafeln Streit und blutige Händel gab. Oft aber geschah es auch, daß man das Spielmännlein in dem alten Hüttenwerk nirgends sehen konnte, und doch hörte man sein Saitenspiel im Sagenboden bald diesseits, bald jenseits des wilden Aergernbaches.


II

Damals sprach man auch von einem Geiste, der im Plasselbschlund sich hin und wieder merken ließ; aber obschon viele Leute glaubten, es sei das Spielmännlein, so war dies kaum möglich, weil es, obschon nicht größer, jedoch viel stärker , und bei der Nacht besonders fürchterlich anzusehen war. Es hatte ganz das Ansehen von einem kleinen, zottigen, schwarzen Bär, mit feuersprühenden Augen; — und doch gab es verwegene Leute, die so keck waren, das Ungeheuerlein, wie man es nannte, durch Schimpfreden herauszufordern, und sich mit ihm in der Finsterniß herumzubalgen. Unter diesen Raufhelden lebten damals die Brüder Brügger von Zur March, die jedesmal, wenn sie benebelt von Plaffeyen nach Haus gingen, nicht ermangelten im Sagenboden zu rufen: "He, Ungeheuerlein, wo versteckst du dich? Bist du bei deinem Toggeli zu Ritt gewesen, oder hast du ein frisches Fantumli *) aufgefischt, mit dem du dich auf dem Heu herzest . . . . Gelt, du Michsuppenläger, du darfst heute Nacht nicht heraus aus deinem Buhlnest?" — Doch Sacks ergriff unsichtbar das Ungeheuerlein den riesenstarken Benz **) bei den Schultern, klemmte ihm den Hals so eng zusammen, wie wenn es ihn erdrosseln wollte, warf ihn zu 

*) Ein leichtsinniges Mädchen; welcher Ausdruck bei Stalder in seinem "schweizerischen Idiotikon" fehlt.
 
**) Benedikt.



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Boden, wo er sich fluchend im Kothe herumwälzte, und als er entweder ausstehen, oder ihm sein hochstämmiger Bruder Josi *), der Großmarcher genannt, zu Hülfe eilen wollte, saß die Teufelsbrut auf einem hohen Tannenast, lachte die geprellten Narren aus, sagte ihnen, sie sollten nach Hause trätschen **) und den Säbel wetzen ***), oder fiedelte ihnen Spottlieder vom Wipfel des pyramidenförmigen Baumes herab. ,Darob wurden die Marcher nur noch erboster; sie ergriffen Steine, Scheiter und Zaunstecken, und hängten !) nach dem windigen Föppeler; aber er erhob ein gellendes Gelächter, und erwiederte die Begrüßung mit einem Hagelwetter von Tannzapfen. Und so mußten die hochmüthigen Schläger ||), die sonst überall den Meister spielten, und es oft mit einer ganzen Stube voll handfester Leute aufnahmen, welche sie herausfuggten |||) wie mit einem Kehrbesen, mit einer langen Nase abziehen, Ein andermal ließ sich das Ungeheuerlein zum Schein von den Brüdern Brügger ergreifen und zu Boden werfen; aber in einem Nu war es entwischt, und da brauste auf der Stelle ein dermaßen gewaltiger Wirbelwind, daß sie so lange herumgedrillt wurden, bis sie betäubt und besinnungslos auf dem Grase niederfielen, wo man sie am andern Morgen noch schlafend fand.

Dieser Geist wurde auf Anrathen des Pater Jakobs, eines durch seine Beschwörungskünste weit und breit bekannten Kapuziners von Zbindenmühle dadurch gebannt, daß die Marcher eine Pilgerfahrt nach Rom und Loretto veranstalteten 

*) Joseph.
 
**) Watscheln, auch schwerfällig daher treten.
 
***) Den Rausch ausschlafen.
 
+) Schleuderten.
 
++) Raufbolde, Händelmacher.
 
+++) Ausfuggen, mit Gewalt austreiben, hinausstoßen.



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und sich bei ihrer Rückkehr in die römische Brüderschaft zu Düdingen aufnehmen ließen.


11. Der Todtenzug der grauen Zwerge.


Franz Kuenlin, Alpenblumen aus dem Greiser Land. S. 94.

Im Bur gerwald ob Muschels wohnte einst eine winzig kleine Art Menschen, die man die grauen Zwerge nannte, und die bald sichtbar, bald unsichtbar waren. Sie hielten sich meistentheils in den Klüften und Felsen auf, und ließen sich nur von Zeit zu Zeit sehen.

Ein alter Mann, Namens Hans Aeby, bewohnte ein entferntes Haus, genannt in der Gomma, am Saum des großen Waldes, welcher den Bürgern von Freiburg gehört. Seine ebenfalls sehr bejahrte Frau befand sich jener Zeit bei ihm. Sie hatten du ihrem Unterhalt bloß ein paar Geißen, von deren Milch sie lebten, wozu noch Käse und Brod oder Erdäpfel kamen. Es war an einem kalten, Swen Winterabende, da wurde vor dem Hause mit heller Stimme laut gerufen: "Hans Aeby, sag dem Appele, Appela sei todt."

Darauf hörte der Erschrockene ein leises Geräusch in einem Winkel seiner Stube; ein unsichtbarer Geist ging durch das Zimmer, weinte und schluchzte kaum vernehmbar, und bald darauf blieb Alles wieder still und ruhig. Hans Aeby, voll Kummer ob diesem Spucke, legte sich frühzeitg zu Bette. Um Mitternacht herum wachte er plötzlich auf. Die gleiche Silberstimme wie am Abend ließ sich hören, und klang gar entschlich bis zu seinen Ohren: "Hans Aeby, sag dem Appele , d 'Appela sei todt!" — Ersprang aus dem Bette und an's Fenster, das er schnell öffnete, aber er fuhr mit



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Entsetzen zurück, denn auf der beschneiten Wiese, welche der Mond blaß beleuchtete, zogen zahlreiche Zwerge vorüber. Einige hatten kurze, schwarze Mäntel um; andere trugen Fackeln. Ihre Weiber schienen vermummt, wie die deutschen Bauersfrauen, die, wenn sie zur Leiche gehen, bis auf Nase und Augen mit weißen Tüchern nonnenartig verschleiert sind. Endlich kamen einige langsam dahin schreitend mit einem Sarge, unter dessen Last sie zu erliegen schienen. Alle erhoben ein düsteres Trauergewimmer, und dann verschwanden sie für und für im nahen Walde, in welchem die Klagetöne noch dumpf erschollen, und sich endlich ganz verloren.

Die Furcht hatte Hans Aeby beinahe versteinert; da wehete ihn die kalte Nordluft an; er schauderte zusammen; wie aus einem Grabe schien ein faulender Mordgestank in seine Geruchsnerven zu dringen. Erschloß das Fenster wieder zu, kroch halb erfroren in sein Federnest, in welchem seine Frau tüchtig schnarchte. Als er am andern Morgen durch das Meckern seiner hungernden Ziegen endlich aus seinem langen Schlafe geweckt wurde, stand ein Bote draußen, der zu ihm sagte: — "Gelobt sei Jesus Christus! Euer Schwager Jost, von der Gauglera, schickt mich zu Euch, und läßt Euch melden, in der letzten Nacht sei d 'Appela, Euere Schwiegermutter, plötzlich an einem Schlagflusse gestorben, und morgen werde man sie zu Rechthalten begraben."

Und so geschah es auch.

Appele und Spela von Appollonia. Appela ist hier der Schwiegermutter Name.


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12. Der Kobold im Sause les Cerniettes.


Alpenrosen 1826. S. 26.

Zwischen Allières und la Cerniat steht ein einsames Haus, das man les Cerniettes nennt. Ein böser Kobold spuckte seit einiger Zeit in demselben. Des Nachts rumorte er auf dem Heuboden, oder pochte derb und grob, wie ein Tiroler oder Guggisberger, an Thüren und Fensterladen, oder band im Stalle die Kühe los, daß man sie des Morgens alle im Stalle fand. Unter verschiedenen Gestalten, bald scheußlich , bald läppisch, bald sogar zierlich und angenehm anzusehen, schreckte, neckte und quälte er Menschen und Vich, so zwar, daß sie oft, des Nachts besonders, gar keine Ruhe haben konnten. Einst tosete der Hausknecht mit ber Magd gar traulich auf der Bühne, da zeigte sich der Spuckgeist plötzlich und mit fürchterlichem Geheul den beiden Verliebten als ein ungeheurer, schwarzer Kater mit feurigen Augen, daß sie vor Entsetzen in die zum Glück mit Heu bedeckte Tenne und in lächerlicher Unordnung hinunter purzelten, wo sie vor Schrecken und Furcht erzitterten, wie Espenlaub, wenn es windet im Walde. Man hatte schon alle gewöhnlichen Mittel versucht, den lästigen Quälgeist los zu werden, aber ohne Erfolg; denn er trieb sein Unwesen nach wie vor. Endlich aber gelang es dem Pfarrer von Montbovon ihn aus dem Hause ;u treiben, und in ein nahes Felsenloch am Hongrinbache zu bannen, wo jetzt noch das hineinfließende Wasser seine Bosheit und die Lust zu losen Streichen abkühlt: so groß war damals noch des Wunderglaubens Macht und die Wirkung des geistlichen Beschwörers '



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13. Der boshafte Zwerg in der großen Riedera.


Franz Kuenlin, Alpenblumen aus dem Gretener Land. S. 104.

In der großen Riedera wohnte und lebte vor etwa mehr als einem halben Jahrhundert der Küfer Dietrich, welcher, weil er in einer Quatembernacht geboren war, alle Zwerge, Poltera und Berggeister sehen konnte. Gewöhnlich hielt sich bei ihm in seinem Hause sein Liebling auf, ein kleines, winziges, zerlumptes Schrätteli, das eine rothe Kappe trug, Eines Abends wärmte sich Dietrich beim Feuer, und sein Hausgeist leistete ihm Gesellschaft, der aus Muthwillen oder übewerstandener Gefälligkeit Alles nachäffte, was jener that. Zog Dietrich ein Stück Holz aus dem Feuerheerd, so folgte. wie durch Zaubermacht, ein zweites nach; legte er aber eins hinein, so folgte ein anderes auf der Stelle. Dieß ärgerte den Küfer endlich so sehr, daß er vor Zorn ein brennendes Scheit ergriff und damit den Nachäffer aus der Küche jagte, worüber dieser lange Zeit grollte, und sich nicht mehr sehen ließ. Zwar soll er nachher wieder einmal mit dem Dietrich Frieden geschlossen haben, der jedoch nur drei Tage andauerte, denn schon am vierten fingen sie in der Scheune, wegen dem Gaumen (für füttern und pflegen) der Kühe einen Streit an, daß Dietrich vor dem boshaften Zwerg fliehen mußte, der ihm, als er durch das Tenn (die Tenne) sprang, eine eiserne Heugabel nachwarf; aber glücklicher Weise traf sie ihn nicht, durchbohrte aber das dicke, hölzerne Thor.

Zu den vorstehenden Sagen von Berggeistern, Zwergen und Hausgeistern (No. 9 bis No. 13) ist wenig hinzuzufügen, da dieses Thema, so weit es Zweck und Raum dieser Sammlung verlangt und gestattet, bei den berner Erdmännchen- oder Toggelisagen (s. S, 11 —27), mit


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welchen sie identisch sind, zur Genüge erschöpft ward. Alles, was dort zur Bestätigung der elbischen Natur dieser Wesen angeführt ward, tritt auch hier hervor, nur daß hier dieselbe in einzelnen Zügen die gespenstischere und bösartigere Färbung der Schwarzelbe annimmt.


14. Der Pferdegeist Zavudschaou.


Schweizerischer Merkur. Jahrgang 1835. S. 114.

Bei Charmey wischen dem Weiler La-Tzintre und der Felsbrücke, lou pou daou vanni (le pont du Vanni) liegen die Moormatten, welche man Lé-Bourliandé nennt. Auf jenen Moorgründen werden im Spätherbste, um das Nach- gras zu benutzen, viele Pferde geweidet, nachdem sie die Alpen verlassen. Etwa vor hundert Jahren noch sah man daselbst einen vierfüßigen Geist, der einem Pferde ähnlich sah und den man Zavudschaou benannte. Dieser Geist war ein loser Geselle, der gar zahm und freundlich that, sobald Jemand dort des Nachts vorbeiging, mochte es auf dem Fuß- oder engen, holperichten Fuhrwege sich ereignen. Wollte man ein Stück Weges auf dem Gaule reiten, so zeigte er sich dazu sogleich bereit, allein sobald man aufgesessen war, sprang Zavudschaou in den nahen Bach und schwamm mit der größten Geschwindigkeit stromaufwärts, bis man entweder vor Nässe, Kälte oder Müdigkeit ohnmächtig neben dem Wasser liegen blieb, und am andern Morgen im Fieberfroste halb todt erwachte, oder nicht eher vom Kobold befreit wurde, bis man seinen Schutzengel oder einen andern Heiligen anrief, dann setzte das Pferd den Reiter auf der nächsten Wiese gan; sanft und gemächlich ab und verschwand.



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Im heidnischen Alterthum galt das Pferd in fast ganz Europa als zauberhaftes Thier, jedoch mehr in gutem, als in bösem Sinne: denn als das edelste und klügste der Hausthiere war es heilig, der Gottheit geweiht; die nordische Mythologie weist sogar fast jedem einzelnen Gotte sein besonders mit Wunderkräften ausgestattetes Pferd zu und bei den Slaven zog Swantewit, der Gott des Lichtes, allnächtlich auf einem weißen Rosse gegen die dem Lande Schaden zufügenden bösen Nachtgeister aus. Pferde dienten zu Opfergebräuchen, Weissagungen und dem Umzug der Götterwagen. Sie waren Mitwisser der Götter und konnten deren Rathschläge offenbaren (Tacitus Germ. 9. 10), Daher wohl auch die im Heidenthum den Bferdehäuptem beigelegte talismanische Wichtigkeit *). Pferdehäupter auf Stangen gesteckt und nach auswärts schauend hielten von den Häusern das nahende Unheil ab, ein abergläubischer Gebrauch, der sich im Lüneburgischen und Holsteinischen heutigen Tages noch in den aus Holz geschnitzten Pferdeköpfen erhalten hat, mit welchen man dort die Giebel der Häuser schmückt (auch Häuptern von Kühen schrieb man diese Macht zu; in der Schweiz, vorzüglich im Kanton Bern, trifft man heute noch auf Häuser **), unter dem Volte unter dem Namen "Heidenhäuser" bekannt, welche Häupter dieser Thiere an den Giebeln tragen, und die hier als Abwender für Feuer und Blitz gelten). Bei den Scandinaviern dagegen wurde mit ihnen böser Zauber geübt, indem man sie mit aufgesperrten Rachen nach der Gegend hinwendete, wo derjenige, dem man Schaden zufügen wollte, wohnte oder aus welcher derselbe herkommen mußte. Bei den Kalmüken bestimmt die Richtung des Bferdekopfes nach Osten oder Westen, ob das Opfer einem guten oder bösen Geiste dargebracht ward. Aus alle dem erklären sich die in der Volkssage so häufig vorkommenden gespenstischen Nachtpferde, zu welchen auch der Pferdegeist Zavudschaou zählt. Das gleiche Schicksal, welches nach Einführung des Christenthums den gefallenen Göttern zu Theil ward, die in Teufel und böse Geister verwandelt wurden, wurde auch den Opferthieren zu Theil, welche ihnen einst geweiht waren und die nun zu den verschiedenartigsten Spuckgestalten herabsanken. Ganz ähnliche Bildungsmotive liegen dem Nachtgespenst von Plaffeien zu Grunde, das in der folgenden Sage vorgeführt wird. 
*) Nur das Haupt des Pferdes wurde der Gottheit verehrt, die übrigen Theile des Thieres wurden zum Opfermahle verwendet. **)
 
Z. B. bei Wattenwyl.


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15. Das Nachtgespenst von Plaffeien, der Gassentätscher.


Alpenrosen. 1823. S. 121.


I.

Vor Zeiten hauste auf den Straßen und Nebenwegen um Plaffeien, hauptsächlich aber in diesem Orte selbst, ein gräuliches Nachtgespenst. Ließ man es ruhig, so that es keinem Menschen etwas zu Leid; aber wehe dem, der es neckte! Man nannte es den Nachthund, weil es Hundesgestalt hatte, oder den Gassentätscher.

Einmal gingen muthwillige Nachtbuben, lärmend und schreiend, aus dem Wirthshause. Kaum waren sie vor dem Dorfbrunnen, so gewahrten sie das Gespenst. Sie riefen ihm schon von ferne: he! Gassentätscher, hast du noch Durst? — Kaum hatten sie das gesagt, so verrannte ein großer, feuriger, rother Hund ihnen den Weg. Ei, ei, riefen sie wieder, laß uns durchgehen! aber vergebens; er streifte ihnen seine flammende Zunge entgegen, die so lang war, als ein Zaunstecken. Erschrocken schlugen sie einen Nebenweg ein; allein ein großer Ochs glotzte sie heulend an. Bebend und zähnklappernd flohen sie zurück, und siehe da . . . es stand ein neues Gespenst, so groß als ein Speicher, hinter ihnen. Das machte sie nüchtern. Durch ein kleines, enges Gäßchen konnten sie sich bis zum Wirthshause retten, wo sie zitternd anklopften und todtenblaß um eine Nachtherberge baten, die ihnen auch ward. Schlaf aber kam die ganze Nacht nicht in ihre Augen.

Ein herzhafter Mann soll den Nachstund einmal bei Bürgen angeredet und dann mit dem Rosenkranz berührt haben. Da soll sich das Ungethüm erst in eine schwarze Geiß, und dann in einen weißen Geist verwandelt haben und endlich auf



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dem Kirchhof eingesunken und verschwunden sein. Seit dieser Zeit will man ihn nicht mehr gesehen haben.


II.

Ein ander Mal begab sich um Mitternacht ein tüchtig benebelter Bursche von Plaffeien durch die Gasse nach Plasselb. Im Ried klopfte er am Fenster eines Mädchens, bei dem er noch kilten wollte; allein auf der Holbeige lag ein Hund, der ihm hinderlich war, so daß er demselben einen starken Stoß mit einem Scheite gab. Nun bellte der Hund gan; fürchterlich und spie aus seinem ungeheuren Rachen dem Buben Feuer entgegen, bis dieser, so geschwind, als es seine schweren Beine erlaubten, davon lief. Aber der Gassentätscher nicht faul, denn er war es selbst, hockte ihm stracks, so schwer als zwei fette Kühe von der Geißalp, auf die Achseln, und strich ihm Kinn und Backen mit den vordern rauhzottigen Pfoten, und so mußte der Bursche das Ungeheuer eine halbe Stunde weit, mühsam und keuchend, mit sich fortschleppen, bis es ihn bei einem Kreuze vor dem Dorfe wiederum fahren ließ.


16. Der Rabe der Herren non Corbières.


Alpenrosen. Jahrgang 1824. S. 58.

Die Herren von Corbières führten in ihrem Wappen einen Raben. Von diesem ging die Familiensage, daß sobald dem Hause ein Söhnlein geboren werden sollte, er einen silbernen Ring, sobald aber demselben die Geburt eines Töchterchens bevorstand, er einen goldenen Fingerreif auf gar höfliche und zierliche Weise von seinem Schnabel fallen ließ.



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Daß Vögel die Gabe der Weissagung besitzen, ist ein uralter Volksglaube. Vor allen aber war es der Kukuk, ihm zunächst der Rabe, welchen diese Gabe zugeschrieben ward; letzterem vielleicht in der Erinnerung an die zwei Raben Huginn und Muninn, welche als beständige Begleiter des Odin auf dessen Schulter Saßen und ihm Kunde von Allem überbrachten, was sich ereignete. Einen ähnlichen Raben, wie in obiger Sage, führten die Normannen in ihrer Kriegsfahne. Zeigte sich derselbe mit offenem Schnabel und flatternden Flügeln, bedeutete es Sieg; saß er still und ließ die Flügel hängen, so galt dies als böses Omen. Daß der Flug der Vögel Römern und Griechen Aehnliches verkündete, ist bekannt.


17. Das goldene Zeitalter der Alpen.


Bridel, Conservateur suisse. r. IV. e. 267.

Es gab eine Zeit, wo alle jene starren Felsen, Gletscher und Eismeere sonnige Tristen waren, auf denen das fetteste Gras und der saftigste Klee wucherte. Keine Giftblumen waren damals vorhanden, jede Blume war dem Vieh gedeihlich, so daß die Kühe und Ziegen dreimal des Tages gemolken werden mußten. Diese Zeit war das goldene Zeitalter der Alpen. Von ihm erzählen die Sennen und Hirten:

Damals waren die Kühe von ungeheurer Größe; sie hatten einen solchen Ueberfluß an Milch, daß man sie in weite Gräben melken mußte, welche sehr bald gefüllt waren. In Nachen fuhr man aus, um den Rahm von diesen Bassins abzuschöpfen. Eines Morgens verrichtete ein junger, schöner Hirte diese Arbeit, da plötzlich warf ein Windstoß das Fahrzeug um, der Unglückliche ertrank. Die Jünglinge und Jungfrauen des Thales betrauerten sein trauriges Ende und lange Zeit suchten sie seine Leiche, um sie zu bestatten, aber vergebens. Erst nach einigen Tagen, als man die Butter schlug, fand sie sich in der Mitte der Wellen eines schäumenden Rahms, der sich in einem Butterfaß



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von der Größe eines Thurmes hoch aufblähte. Da bestattete man die Leicht Die Grabstätte aber, wo man sie beisetzte , war eine weite Höhle, von den Bienen mit Honigscheiben ausgefüllt, die so groß wie die Thore der Stadt Freiburg waren.Die Vorstellung von einem entschwundenen goldenen Zeitalter, worin Milch und Honig floß, trifft in heidnischer und christlicher Anschauungsweise zusammen. In der nordischen Mythologie stand es dem Idavöllur oder Idafeld, dem Versammlungsorte der Asen, gegenüber, welche nach dem Weltuntergange denselben mit der neu verjüngten Erde überleben. In christlicher Anschauungsweise ist es der sinnliche Begriff eines verlornen Paradieses, das wir neben dem künftigen kennen. Dieses ist der Aufenthalt der Seligen bei Gott, jenes der Garten Eden, der den Menschen durch den ersten Sündenfall verloren ging.


18. Das Schlangenheer auf der Alp les Grosses- Combès und die Sage vom Schmarzensee.


Alpenrosen. 1823. S. 127.

Vor alten grauen Zeiten bewohnte ein wahres Schlangenheer die Alp les Grossses-Combès am Ahornberge. Das Ungeziefer biß Menschen und Vieh, und stiftete vielen Schaden. Bei jedem Schritte, den man that, wurde man von Schlangen angezischt. Sie drangen in den Stafel, soffen Rahm und Milch, stahlen Brod, Käse, Zieger ec, ec., und wanden sich um die Hälse der heulenden Kühe, welche dann blutigrothe Milch gaben. Am Ende kamen die Sennen nur mit Furcht und Schrecken nach les Grossses-Combès, und die stets sich mehrenden Schlangen trieben's so arg, daß sich auch der beherzteste Küher nicht mehr hinwagen durfte.



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Da gingen die betrübten Aelpler nach Altenryf *) zu einem ehrwürdigen Pater, der im Rufe der Heiligkeit stand, und erzählten ihm ihr Herzeleid. Er erbarmte sich ihrer, und versprach ihnen seine geistliche Hülfe. Den folgenden Sommer kam der Mönch, wie er versprochen, nach les Gross-Comds. Unerschrocken kat er mitten in das Schlangenheer, das ihn nicht berühren durfte, aber hoch sich bäumend ihn umzingelte und geifernd anzischte. Der Himmel verfinsterte sich, ein fürchterliches Gewitter nahte heran. Es donnerte ohne Unterlaß; die Erde dröhnte; es fielen Schlossen nußgroß, und mit Menschenhaar vermengt; jeden Augenblick droheten die Wolken zu bersten. Von ferne sahen die Sennen mit Grausen und Entsetzen zu. Ruhig, aber ernst, verrichtete der Mann Gottes seine Gebete, besprengte die giftigen Schlangen mit Weihwasser, beschwor sie, streckte gebietend seine Hand aus, und verbannte sie sammt und sonders bett tiefen Grund des nahen See's. Vor Grimm spieen die Schlangen Gift und Feuer aus. Ihre Augen glänzten wie die Sternlein am Firmament in einer dunkeln Sommernacht. Alles umsonst: denn kaum hatte der Pater die letzten, entscheidenden Beschwörungsworte gesprochen, so klumpten sich die pfeifenden Schlangen gehorsam zusammen, und rollten mit fürchterlichem Getöse, wie eine Schneelawine, die steilen Berghalden über Stock und Stein, alles mit sich forkeißend, hinunter in die Tiefen des nahen See's, dessen Grund von da an ganz kohlrabenschwarz aussicht, weßwegen man ihn auch den Schwarzensee nennt.

Der Pater winkte die erstaunten, frohen Aelpler zu sich. Mit dem Ungeziefer war auch das Gewitter verschwunden ; die Bäume trieften noch, aber die Sonne glänzte wie *) 

Ein Cisterzienser-Kloster, anderhalb Stunde von Freiburg am Ulfer der Sane.



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der. Vor Freude weinend, bezeugten die Sennen dem Manne Gottes ihren Dank, und aus Erkenntlichkeit für den geleisteten großen Dienst gelobten sie, jährlich von ihrer Alp einen schweren, fetten Käse im Kloster Altenryf auf dem Altare des heiligen Bernhards zu opfern. Zum Zeichen, daß beides, Wunder und Gelübde, wahr sei, drückte der Mönch seinen rechten Fuß auf einen nahen Block von Kalkstein , wo heutzutage noch der Mönchstritt zu sehen ist.

Vergl. Kanton Bern No. 7. S. 34.


19. Das Kreuz auf le petit vanni.


Alpenrosen. 1826. S. 17.

Auf dem Gipfel des Eccojalaz steigt eine steile Felsenspitze hoch empor, die der kleine Fels (le petit vanni) benannt wird. Die glatten Wände desselben scheinen jedes Hinaufklettern unmöglich zu machen, und doch ist ein Kreuz darauf sichtbar. Auf die Zusicherung eines ehrwürdigen Waldbruders, daß das Wagniß gelingen werde, trugen es zwei Sennen auf ihrem Rücken hinauf und pflanzten es dort fest. Seither versuchten es die dortigen Küher oft, diese hohe Felsenzacke zu erklimmen, aber stets fruchtlos, weil keine Zusage eines frommen Einsiedlers sie zu diesem Unternehmen mehr aufmuntert. Das Kreuz muß auch schon lange dort stehen, denn kein Greis der Nachbarschaft weiß sich zu erinnern, wann es hinauf gebracht ward.



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Thaten, deren Ausführbarkeit zu gewissen Zeiten und unter gewissen Verhältnissen als unmöglich erscheint und die, da sie doch geschehen, diese Ansicht Lügen strafen, sucht heidnischer wie christlicher Glaube gern mit einer höheren Fügung oder dem Zuspruch heiliger und frommer Männer in Verbindung zu bringen. In Beziehung auf letztere haben unsere christlichen Legenden eine Menge obiger Sage ähnlicher Vorfälle zu erzählen.


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'Sät n Luzern.


+. Sage vom Pilatus, Pilatusberg und la* .


Bridel, Conservateur suisse. r. l. p. 155.

Zu Rom lebte einstmals ein vornehmer und mächtiger Mann, Namens Pontius Pilatus, welchen aber, tross seiner Macht und seines Ansehens, die Strafe des irdischen Richters die vielen Verbrechen ereilte, welche er begangen hatte. Er wurde zum Tode verurtheilt *). Stolz aber, wie er war, kam er der Vollziehung dieses Urtheils dadurch zuvor, daß er sich selbst tödtete. Als Selbstmörder wurde er nun, wie es damals Gebrauch war, in die Tiber den Fischen zum Fraß 

*) Von der Sage vom Pilatus existiren du verschiedenartigsten Versionen. Nach der einen soll er, vom Kaiser Tiberius nach Gallien verbannt, und von Gewissensbissen gefoltert, sich selbst in den See auf dem Pilatusberg gestürzt haben, und eine andere wiederum erzählt, daß er zu Vienne an der Rhone sah. Auch zeigt man dort noch den Thurm, in dem er gesessen und den Abgrund, in den er sich hinabgestürzt haben soll. Dieser Abgrund ist ebenfalls häufig mit Wolken und Dünsten umgeben. Nork bemerkt hierzu: "Was aber zumeist überraschen muß, ist, daß Pilatus, welcher die Gefälligkeit hatte, sich zweimal umzubringen, einmal in Frankreich, das andere Mal in der Schweiz, von Geburt ein — Baier war. Forchheim ist seine Vaterstadt. Wer es bezweifelt, den machen folgende Verse verstummen:

Forchheimii natus est Pontius ille Pilatus Teutonicae gentis crucefixor omnipotentis."



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vorgeworfen. Kaum aber war dies geschehen, so war es als ob sich die Pforten der Hölle öffneten. Es begann ein Unwetter zu wüthen, welches kein Ende nehmen wollte. Da merkte man, daß dieser Aufruhr der Elemente von nichts Anderem herrührte, als von dem ungeschickterweise in die Tiber geworfenen Leichnam des Pilatus, dessen Verbrechen selbst dieser Fluß dermaßen verabscheute, daß er ihn nicht in seinen Fluthen behalten wollte. Mit vieler Mühe wurde er also wieder aufgesucht, und siehe l als man ihn gefunden hatte, legte sich das Unwetter. Da aber der Leichnam doch irgendwo untergebracht werden mußte, so wurde er nach Vienne *) im Delphinat geschafft und dort in die Rhone geworfen, welche ihm jedoch den gleichen Empfang bereitete. Unter Donner und Blitz zog ein Unwetter heran, bis die Bewohner jenes Landes den ungebetenen Gast wieder aus dem Wasser zogen und ihn, um ihn wieder los zu werden, nach Lausanne schafften. Da aber auch hier, wie in Italien und Gallien, Pilatus Ursache von Sturm und Wetter war, beschlossen endlich die Lausanner, nach reiflicher Ueberlegung, ihn in einen kleinen See zu werfen, welcher ohngefähr vierzig Stunden von ihrer Stadt auf den Alpen lag. In dieser Wohnung blieb er endlich, aber nicht ohne dieselbe von Zeit zu Zeit zu verlassen und als Gespenst die Alpen zu durchstreifen. Bald sah man ihn in dem Morast seines See's herumwaten, bald auf einem Felsen sitzen, hald im heftigen Streit mit noch einem anderen Gespenst, dem Könige Herodes , bald wie er in flüchtigem Lauf die Berge durchstreifte — immer aber war er der gleiche böse Geist, welcher die Umgegend mit Sturm und Wetter überzog, die Hirten auf den Weiden erschreckte, ihre Heerden zersprengte und das beste Vieh von den Felsenklippen in den Abgrund hinab stürzte. 
*) In Bienne an der Rhone.


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Als Pilatus aber anfing sein Wesen immer ärger und ärger zu Seihen und man seinen Leichnam doch in dem See behalten mußte, da kein anderes Land ihn mehr angenommen hätte, so wollten die Bewohner jener Gegend doch wenigstens versuchen, ob er nicht zur Ruhe zu bringen sei. Da traf es sich, daß eben ein fahrender Schüler, welcher Salamanka studirt hatte und zu den Rosenkreuzern gehörte, in die Schweiz gekommen war. Diesem versprach man eine große Summe Geldes, wenn er das Land von den Neckereien jenes bösen Geistes befreien und ihn auf ewig zur Ruhe bringen würde. Der Rosenkreuzer ging auf das Anerbieten ein und versprach sein Möglichstes thun. Er begab sich auch sofort auf die Verfolgung des Geistes, den er auch bald auf einer hohen Felsenspitze antraf, Er begann seine Beschwörungen. Wahrscheinlich daß diese nicht stark genug waren genug Pilatus wich nicht von dannen, Da sah der Rosenkreuzer sich gezwungen, Vorbereitungen ;u stärkeren Beschwörungs-Formeln zu treffen. Zu diesem Zwecke begab er sich auf einen Hügel, welcher der Felsenspitze, auf der Pilatus saß, gegenüber lag. Hier erst begann der eigentliche Kampf, der so heftig wurde, daß von den Fußstößen des Beschwörers noch heutigen Tages ein Theil jenes Hügels ohne Rasen geblieben ist. Endlich wurden die Formeln so stark, daß Pilatus nicht mehr widerstehen konnte, und dem Beschwörer so weit nachgab , daß er sich zu dem Versprechen herbeiließ, sich fernerhin in dem See ruhig zu verhalten, wenn man ihm einen in eine schwarze Stute verwandelten Geist geben würde, um auf eine einem römischen Ritter würdige Art in seine Wohnung ; zurückkehren zu können, und ferner müsse es ihm erlaubt sein, des Jahrs einmal auf die Oberwelt empor zu steigen. Diese Bedingungen wurden ihm bewilligt. Als nun aber auf Befehl des Rosenkreuzers wirklich eine schwarze Stute vor dem Pilatus erschien, sprengte er das Thier, nachdem er sich auf dasselbe



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hinaufgeschwungen, im Zorn über seine Niederlage zu solch heftigen Sprüngen an, daß man noch heute den Eindruck seiner Hinterfüße auf einem der Felsen sehen kann, welche um den See herum liegen, der seit dieser Zeit den Namen der "Pilatussee" trägt.

Pilatus aber hat seinen Pakt seither treulich gehalten, nur am Charfreitag sieht man ihn bisweilen in der Kleidung einer Magistratsperson um den See herum irren. Dem, der ihn gesehen, ist jedoch der Tod noch vor Ende des Jahres sicher. Seine Bosheit aber zeigt sich nur noch, wenn er geschmäht wird oder Steine in seinen See geworfen werden, dann bricht sein Zorn in irgend eine Ueberschwemmung oder ein Ungewitter aus, das oftmals heim hellsten Himmel erscheint. Daß aber ein Erdbeben die Folge davon gewesen, dies ist indessen nur sehr selten geschehen.

Der Beiname "pileatus" , welcher dem mons fractus, auf dem der Pilatussee zu finden ist, wegen der seinen Gipfel stets drückenden Nebel und Wolten beigelegt ward, hat wohl den ersten Anlaß obiger Sage gegeben. "Pileatus" schuf sich in Pilatus um, und die leichtgläubigen Hirten der Alpen glaubten gern, daß Vilatus sich an jenem Ort wirklich aufgehalten habe. Bald that der Aberglaube sein Uebriges und jene Gegend wurde zu seinem immerwährenden Wohnort. Schriftsteller aus finsteren Zeiten schmückten endlich die anfänglich in dem Munde des Volkes entstandene Sage aus, bis daß sie das wurde, was sie jetzt ist. Ein zürcher Chorherr, Namens de Mur, ist der erste Schriftsteller, welcher ihrer erwähnt. Dieser weist jedoch dem Leichnam den Septimer Berg in Graubünden zur Wohnung an. De Mur lebte in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, gegen dessen Ende ein Erzbischof von Genua, Namens Johann von Voragine, in seiner Geschichte der lombardischen Heiligen gleichfalls Aehnliches vom Pilatus erzählt, nur mit dem Unterschied , daß er ihm in der Diözese Lausanne ein Begräbniß gibt. Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts spricht der bekannte Felix Hämmerlein, Probst von Solothurn und Kantor des zürcher Kollegiatstifts, in seinem Malleus maleficorum Aehnliches vom Pilatus. Wagner in seiner Historia naturalis Helvetae curiosa (p. 60) kennt nicht weniger als 35 Schriftsteller, unter denen sich mehrere berühmte Männer befinden, welche diese


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Sage im guten Glauben in ihren Schriften aufgenommen haben. Cysat dagegen will neben Simons Majolus can. colloq. (le Lacubus nur noch die Werke von 13 Schriftstellern zu Gesicht bekommen haben, welche, wie er sagt, alle aus dem Werk ein und desselben schweizerischen Schriftstellers geschöpft haben, der jedoch, "obschon sonst ein berühmter Mann, diesmal die Reden ungewisser Leute für Wahrheit genommen habe" (Beschreibung des Vierwaldstätter See's, S. 252). Auf S. 254 dieses Buches erwähnt Cysat noch, daß der Aberglaube diesen Berg nicht allein dem Pilatus zur Wohnung angewiesen, sondern ihn auch mit Bergmännlein bevölkert hat. Er sagt: "Vor Jahren feyndt auch viel abenthewrige ond wunderliche Dinge von Erdmännlin oder zwergen erzählt, so in diesem Berg und dessen vilfältigen Klüfften ond verborgenen Gängen ihr Wohnungen gehabt ond zu Zeiten selzame Sachen mit den Sennen und Bergleuthen sollen verübt, guts auch böses gethan, etwann etlichen Gold geben, andern aber die sie beunrühiget, geplagt, oder verachtet, über die Felsen ond die Flühe hinabgestürzt haben."Aehnlicher abergläubischen Vorstellungen gedenkt auch der oben angeführte Bridel in seinem Conservateur suisse, nach welchem hauptsächlich die Pilatussage hier erzählt worden ist. Nach ihm ist an keinem andern Orte her Schweiz größerer Gespensterspuck im Schwange, als auf dem Pilatus: denn bald hören die Hirten hier zwischen den Felsen wildes Kampfgetöse ganzer Geisterheere zu Pferde, bald die höllische Musik der Zauberer und Hexen, welche dem großen Bock am Hexensabbath ihre Verehrung darbringen, bald sehen sie als Sennen verkleidete Zwerge, welche die Kühe entführen, uni sie zu melken, bald aber wissen sie auch von den freundlichen und dienstfertigen Erdmännchen, gleich den Hirten anderwärts, zu erzählen; außerdem kennen sie noch ein gräuliches Gespenst, , das mit schrecklichem Geräusch von einem Felsen zum andern jagt, und die jungen Kühe oftmals wohl an zehn Fuß hoch über die Erde erhebt und sie nur auf die flehentliche Bitte und das Geschrei ihrer Besitzer wider zurück gibt. Auch init Schlangen wie wir sehen, eine sich sehr oft wiederholende abergläubische Vorstellung — welche den Kühen die Milch aussaugen und zu deren Vertreibung man auf der Weide einen weißen Hahn halten muss, ist der Pilatus und seine Umgebung bevölkert. Endlich zeigt sich aber dort auch noch eine andere Erscheinung, eine Erscheinung lieblicher Art - eine Fee, die dort an gewissen Duellen sitzend, jedes Frühjahr verkündet, ob das Jahr fruchtbar oder unfruchtbar sein wird. Ist das erstere der Fall, so führt sie zwei Lämmer von weißer Farbe an der Leine, wird das 'letztere eintreten, so sind dieselben schwarz.Wie sehr der Sage, daß ein böswillig in den See geworfener Stein Unwetter errege, Glauben geschenkt wurde, beweist, daß noch bis nach


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der Reformation ein Edikt des Magistrats von Luzern existirte, welches jedem Fremden verbot, ohne ausdrückliche Erlaubniß den See *) zu besuchen. Erst im Jahr 1585 wurde dieses Verbot auf Anlaß eines luzerner Geistlichen , Namens Johann Müller, zurückgenommen, der eines Tages, unter Begleitung einer Menge Volks, zu dem See zog, und unter dem Rufe: "Pilatus, wirf deinen Schlamm aus Steine in ihn hineinwarf, ohne daß sich ein strafendes Unwetter am Himmel zusammenzog, **). Etwas früher vor dieser Zeit mußten sogar die Hirten, welche die benachbarten Weiden im Sommer bezogen, am Anfang jedes Frühjahrs einen feierlichen Eid leisten, keinem Fremden den Weg nach dem Sec zu weisen. Oefters warf man Zuwiderhandelnde in das Gefängniß, ja im Jahr 1307 wurden sogar sieben Prediger auf dem Weg zu ihm verhaftet, worüber noch ein Dokument vorhanden ist. Daß dagegen Uebertretende: mit dem Tode bestraft worden sind, wie Stumpf in seiner Chronik und Vadian t) in seinem Commentar über Pomponius Mela erzählt, verdient keinen Glauben. Ist übrigens die abergläubische Furcht vor dem Gespenste des Pilatus, welches früher Sinne und Verstand der Hirten jener Berge gänzlich beherrschte, und gegen das man sogar ganz besondere Litaneien als 
*) Der See, der zu allen diesen Schrecknissen unschuldige Veranlassung war, ist übrigens eigentlich nur ein Sumpftümpel, der sich bloß im Sommer durch das Schmelzen des Schnees mit Wasser füllt. Er liegt auf der Bründlenalp, der höchsten Bergwohnung des luzerner Pilatusbergs.
 
**) Um die letzte Spur dieses Aberglaubens du vertilgen, drang Johann Müller sogar bei dem Magistrat Luzerns darauf, den See durch einen Abzugskanal trocken zu legen — eine Arbeit, die auch im Jahr 1594 begonnen ward, durch lokale Hindernisse aber nicht beendigt werden konnte.
 
:) Als Beweis, wie selbst aufgeklärtere Geister des sechszehnten Jahrhunderts noch unter der herrschaft des Aberglaubens standen, möge hier folgen, was Vadian in Betreff dieses See's erzählt: "Es gibt wunderbare Dinge, die man sich nicht anders erklären kann, als daß man sie einer göttlichen Kraft (numen) zuschreibt, welche, wie Plinius sagt, durch die ganze Natur verbreitet ist und sich auf die verschiedenste Art kund gibt; so liegt zum Beispiel in der Nähe der alten berühmten Stadt Luzern ein hoher Berg, welcher in der Landessprache der Berg Fraun ont genannt wird, ein Name, der sich aus einer fremden Sprache herleitet und ihm ohne Zweifel seiner Höhe und der Tiefe seiner Abgründe wegen gegeben ist. Ein wenig unter seinem Gipfel aber ist ein sehr kleiner Sec oder vielmehr ein Morast, welchem man den Namen vom Pilatus gegeben hat. Wirft man mit Absicht etwas in diesen See, so gibt er seinen Zorn durch erschreckliche Wetter und fürchterliche Ueberschwemmungen kund, fällt jedoch zufällig Etwas in ihn hinein, so rührt er sich nicht, gleichsam als ob er verstünde, daß dem, was von ungefähr geschieht, keine böse Absicht zu Grunde liegen kann."


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Schutzmittel anwandte (s. Capeller, Beschreibung des Pilatusbergs S. 11), gegenwärtig auch verschwunden, so gilt ihnen doch noch bis zu diesem Augenblick, der Pilatusberg als eine Art Wetteranzeiger, sie sagen noch heute:
Das Wetter fein und gut,
Wann der Pilatus hat einen Hut *).


2. Der Küfer von Luzern in der Drachenhöhle.


A thanasii Kirchen e Soc. Jesu, Mundi subterranei. Tom. il. Lib. VIII. pag. c. Amsterdam 1678.


Cysat, Beschreibung des Luzerner oder Vierwaldstetter See's ec. Gedruckt zu Luzern im Jahr MDCLXI. S. 174.

In der Stadt Luzern lebte einst ein Küfer, der oftmals in ven dichten Wäldern und Klüften des Pilatusberges herumirrte, um sich Hol; zur Verfertigung der Weinfässer zu suchen. Eines Tages kam er aber von seinem gewöhnlichen Wege in den letztern so weit ab, daß er nicht mehr wußte, von wo er in dieses Labyrinth von Schluchten hineingerathen und wie er sich aus demselben wieder herausfinden sollte. Nachdem er so den ganzen Tag und einen Theil der Nacht mit Wiederaufsuchen des verlornen Pfades zugebracht, er auch ein wenig ausgeruhet hatte, wollte er mit Anbruch des Tages seinen Weg wieder aufnehmen. Das ungewisse Zwielicht aber, das, da der Tag noch nicht gänzlich angebrochen, in der Schlucht herrschte, ließ ihn eine in dem Weg liegende tiefe Grube nicht bemerken. Er stürzte in dieselbe hinab, nahm jedoch, da er auf weichen Lett fiel, der den Boden *) 

Ich führe diesen Spruch nach Cysat an. Ein späterer Zusatz ist:

Trägt er einen Degen,
So gibt es Regen.


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des Abgrundes bedeckte, von dem Falle keinen Nachtheil noch sonstigen leiblichen Schaden, außer solchen, der aus der Furcht vor dem möglichen Untergange zu entstehen pflegt. Als er aber die Höhe des Schlundes gemessen und zu der Ueberzeugung gekommen war, daß er an menschlicher Hülfe verzweifeln müsse, wandte er sich mit brünstigem Gebet zu der Mutter Gottes, daß dieselbe ihn aus seinen Nöthen befreien möge.

In den Seitenwänden der Grube waren aber noch tiefe Gänge und Höhlen. In diese schritt jetzt der Küfer hinein, um sich einen Ort zu suchen, der ihm zum Aufenthalt dienen könnte. Kaum aber hatte er einige Schritte nach vorwärts gethan, da kamen ihm zwei schreckliche Drachen entgegen, bei deren Anblick er bis auf den Tod erschrack und die heilige Mutter Gottes wiederum um Hülfe anflehte. Und siehe! o Wunder! die Drachen thaten ihm nicht nur keinen Schaden oder sonstige Gewalt an, sondern streichelten sogar seinen erschrockenen Körper mit Kopf und Schweif, so daß er neuen Muth faßte und sich an diese schreckliche und unerhörte Gesellschaft zu gewöhnen anfing. In dieser Gesellschaft brachte aber der Unglückliche nicht einen oder sieben Tage zu, sondern sechs volle Monate, von dem 6. Tag des Wintermonats an bis ;u dem 10. des Aprils. Während dieser langen Zeit stillte er seines Lebens Nothdurft auf folgende wunderbare Weise. Er hatte nämlich bemerkt, daß die Drachen während der ganzen Winterzeit keine andere Nahrung ;u sich nahmen, als einen salzichten Saft, der aus den Ritzen der Felsenwände bervorträufelte und welchen diese Thiere aufleckten. Da ihm nun alle andere Nahrung abging, folgte er ihrem Beispiele und fing gleich ihnen an, diesen Saft von den Wänden abzulecken.

Als jedoch die Sonne die Aequinoktiallinie überschritten hatte und die Wärme dieses Gestirns fühlbarer zu werden begann, da mochte sich auch in den Ungeheuern der Gedanke



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regen, daß die Zeit da sei, ihre unterirdische Wohnung zu verlassen und sich eine bessere Kost zu suchen. Und flog denn zuerst der eine der Drachen, nachdem er zuvor seine Flügel wie zum Versuch ein paarmal geschwungen, aus der Höhle von dannen. Als aber der noch Zurückgebliebene sich ebenfalls zum Davonfliegen bereit machte, da meinte der arme Küfer, dies möchte die beste Gelegenheit zu seiner Befreiung sein, und hängte sich mit seinen Händen fest an den Schweif des Unthiers, das ihn also auch mit davon nahm und ihn unter göttlicher Leitung alsbald zur Erde in der Richtung nach Luzern zu niedersetzte, worauf er, nachdem ihn der Drache verlassen, nach Haus zu den Seinigen geeilt ist, die ihn längst verloren gehalten und denen er nun diese seine so wunderbare Geschichte erzählte.

Damit aber seine Befreiung, welche ihm nur durch die Vermittlung der heiligen Mutter Maria- u- geworden war, im ewigen Gedächtnisse zur Verwunderung der Nachkommen bleibe, ließ er ein Meßgewand anfertigen, auf dem der ganze Verlauf dieser Geschichte gesticket und das noch heutigen Tages in der Kirche des heiligen Leodegarius zu schen ist. Der also Gerettete aber entschlief in Gott wei Monate nach seiner Befreiung aus der Drachenhöhle, da er menschliche Nahrung nicht mehr vertragen konnte.

Ein Pater Richeom erzählt in dem "Lorettanischen Pilgrim" (im Jahr 1526 von dem Bischof zu Rochester, Joh. Fischers, gegen Accolampadius herausgegeben) Cap, 138 auf ähnliche sagenhafte Weise von einem Priester, welcher sich auf einer Reise nach Italien auf den Alpen anfangs eines Winters verirrt und unter einem überhangenden ausgehöhlten Felsen den ganzen Winter in Gesellschaft von Schlangen zugebracht und sich mit ihnen, gleich jenem Küfer mit den Drachen, mit einem aus der Erde heworquellenden Safte das Leben erhalten habe.Was das Zeitalter obiger Sage betrifft, so ist dasselbe unbestimmt. Die Urkunden der erwähnten Kirche versetzen sie jedoch in das I, 1420,


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3.

Der Drachens ein zu Luzern.


Athanasii Kirchen e Soc. Jesu, Mundi subterran. r. VII, lib. lV. p. l. Cysat, Beschreibung des Vierwaldstetter See's. S. 176.

Ein Bauer sah einst bei Luzern, als er auf dem Felde beschäftigt war, einen Drachen von dem Berg Rigi nach dem Pilatusberg fliegen. Während seines Fluges fiel von dem Ungeheuer etwas zur Erde nieder. Als der Bauer sich von seinem Schrecken erholt und hingegangen war, um zu sehen, was das wohl gewesen sei, da fand er in einer Menge Blut einen vielfarbigen Stein, den man noch heute zu Luzern bewahrt und der ein kräftig Heilmittel gegen pestartige Krankheiten ist; daß sich dies oft bewährt hat, davon zeugen die Stadtbücher, worin man es beschrieben findet.

Folgendes ist die wörtliche Copie einer zu Luzern sich befindenden Urkunde, welche über die Auffindung des Drachensteins näheren Bericht enthält:"Ich Peter zu Katz, des Raths zu Luzern, und der Zeit Vogt zu Rotenburg, bekenne öffentlich mit disem Brief, daß auf heut seiner dato, als ich zu Rotenburg gericht hab, vor mir erschienen sind die Ehrsamen Martin Schryber der Wundarztet, Burger zu Lucern zu einem: Und Rudi Stempflin von Rotenburg anderstheils, und öffnet gemeldter Martin Schryber, wie das ihm gemeldter Rudin Stempflin ein Pfand versetzt hab, namlich einen Stein, so von einem Drache sye solle, umb eine Summa Gelts, welche Sum er begehrte, ihn der Stempflin, darumb ausrichte und bezahlte, und soll ich sein Pfand lösen, dieweil doch gemelt Pfand lengest vor Jahren und Tagen verstande und vergangen sye , nach Formb des Rechten, und dargegen und wider, Rudi Stempflin antwurt, es sye wahr, er hab gemeldten Martin Schryber solchen Stein versetzt und solte den vor leugst gelößt habe und sye Zihl und Tag und alle Rechte übergangen, aber es sye an seinem Vermögen nicht gewesen und noch nicht, wo es aber an seinem Vermögen wäre, so wollte er disen Stein lösen, dann derselbe Stein habe hievor seinen Vorderen, ein groß Gelt wöllen gelten, und in seinem Geschlecht gsin, als er ghört hab, vor 30


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Jahren, und hab auch derselbig Stein unzahlbarlich vil Menschen, Frauen und Mann, mit Hilff Gottes ernehrt und thue groß wunderlich ding, mit verborgnen Gift zu melden, und stelle alle Fluß des Bluts, wie die genennt werden mögen, es syen die roth Stuhlgang,, zu Wunden, zu der Nasen, und sonderlich der Frauen übrigen Fluß und weiblich Krankheit , ohn allen Schmerzen: Er habe auch von synen Vorderen gehört, daß sein Aeni diesen Stein funden hab, in einer Matten, als er gehewet hab, fye ein grausamer Drach kommen, in dem Luft schiessen, zu nechst bei ihme hin, von einem Berg genannt Rigi, in den andern Berg Frakmont, und ihm so nahend, von der Höhi herab kommen, daß ihm geschwunden und in Ohnmacht gelegen."Als er aufstünde, funde er eine Schwäre Bluts, so von dem Drachen gesprützt war, dasselbig Blut wäre zu stund an gestanden, als eine Sulz, in demselbigen Blut sye dieser Stein gelegen und funden worden, also sye der Stein, jesidt in seinem Geschlecht geblieben, und äther, etlich Herren und Stätt, disen Stein wollen taufen, aber seine Vorderen haben ihn nie wölle verkauffen, und dieweil er nun disen Stein jetzt nicht gelösen mög, ihm in Pfandtswyß verstanden, und vergange sye, so gunt er ihn niemands baß, als ermeldten Martin Schryber, der ihm auch vil guts gethan habe, und wölle von ihm, noch eine Ehrung und Schenki erwarten, was syn guten Will sye, ec. solches die obgenannten Parthyen, von mir obgedachtem Vogt, allerding, einanderen gichtig und bekanntlich waren, und Rudi Stempfli gutwillig was, auch Zihl und Tag vergangen, nach Ordnung des Rechten, ist zu recht gesprochen, und mir, als einem Obervogt auch erkennt, daß gemelter Martin Schryber und seine eben, fürerhin disen Stein haben sollen, damit schalten und walten, als mit ihrem eigenen Gut, von Stempflin syne Erben und allermennignichen ungesumpt, und unangesprochen, diser Bekanntnuß und Bertigung, begehrt Martin Schryber eines Urkundts, daß ihme zu geben erkennt ward, under mines vorgeschribnem Vogts angehenktem Insigel, mir und miner Erben ohn Schaden, auf Montag nach St. Martins Tag 1509."Hierauf folgen mehrere Urkunden, in welchen gerichtlich alle die Heilungen bezeugt werden, welche dieser Stein zu Werke gebracht hat.Ueber die Drachen selbst wurde schon Eingang dieses Werks eine etwas tiefer eingehende Erläuterung beigefügt, auch wurde daselbst bereits einmal der Drachensteine gedacht, welchen wir jetzt unsere Aufmerksamkeit schenken werden. Der älteste Schriftsteller, der ihrer erwähnt, ist Plinius. Seine Worte sind : "Der Drachenstein (draconitis sive dracontia) bildet sich aus dem Drachenhirne, wird aber nur zum Edelsteine, wann solches dem lebenden Thiere ausgeschnitten wurde, ohne daß es seines Todes sich bewußt war. Daher nimmt man diese Operation vor, wenn das


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Thier schläft. Sotacus, der einen Drachenstein bei dem König sah, erzählt, daß diejenigen, welche nach solchem ausgehen, auf einem Zweigespanne heranfahren und sobald sie den Drachen gewahr werden, einschläfernde Mittel ausstreuen und dann den Ausschnitt vornehmen. Der Stein sei von durchsichtiger Weiße, und brauche nachher weder geputzt zu werden, noch bedürfe er einer künstlichen Bearbeitung." — Aehnlich erzählt Philostratus von den Indianern, daß diese die Drachen mit einem golddurchwirkten scharlachrothen Tuche anlocken, auf welchem sich Buchstaben von einschläfernder Kraft befinden, und ihnen, wenn sie dann eingeschlafen sind, den Kopf abschneiden, in welchem sich der Drachenstein befinde. Außer den Drachensteinen waren dem Mittelalter auch noch Schlangen- und Krötensteine bekannt, welche neben ihren heilsamen Kräften auch noch die Tugend besaßen, Sieg zu verleihen. In einem Gedichte des Wiener Cod. 428, No. 136 heißt es:
Ich höre von den Steinen sagen
die Natern und Kroten tragen,
daz grôze tugent dar an lige,
swer si habe, der gesige;
mochten daz sigesteine wesen
sô solt ein wurm vil wol genesen,
ders in sînem Lîbe trüege,
daz in nieman erslüege.
Wie Drache und Schlange so ziemlich dasselbe, da die Vorstellung von dem erstern sich aus der letztern herausgebildet hat, so treffen hier auch die Vorstellungen von den Kräften überein, die man den Steinen zuschreibt, welche sich in diesen Thieren vorfinden sollen. Von anderen wunderkräftigen Steinen, deren Entwickelung ebenfalls in Thieren vorgeht, sei hier noch der Hahnenstein genannt, der der Sage nach in dem Leibe eines verschnittenen dreijährigen Hahns wächst: invictum reddit lapis hic quemcunque gerentem, extinguitque stini patientis in ora receptus (Marbod, liber lapidum. Cap. 3) *) Nach dem Pentamerone 4, 1. bildet sich die preta de 10 gallo in dem Kopfe des Hahns und ist ein Wünschelstein, mit dem man Alles erlangen kann. Aehnliche Steine kennt die morgenländische Fabel, sie läßt sie in dem Herzen oder Magen der Lerche und Nachtigall wachsen. Außer von den Siegssteinen wissen unsre alten Dichter viel von siegbringenden und unsichtbarmachenden 
*) Das gleiche Gedicht des Wiener Cod. nennt ihn den Durststillenden:
Man sagt von Hanensteinen
swer in in munt nem einen,
daz er guot vür den durst im st.


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Ringen zu melden, jedoch auch hier hängt die ihnen zugeschriebene Kraft immer von dem Stein ab, der in sie eingefaßt ist.Eine der unsrigen ganz ähnliche Sage bringt Wolf in seinen "deutschen Mährchen und Sagen". Sie lautet: "Am 27. Juli 1473 ging ein Mann aus Hopstag, Namens ,Berthold Gratter, gegen Mittag in einen nahen Busch, das Dipacher Thal genannt, um daselbst Holz zu hauen. In dem Walde angelangt, hörte er an dem durchfließenden Bache ein stark Gezische, Pfeifen und ähnlich sonderlich Geräusch, stand deßhalb von ferne still und schaute nach der Gegend hin, von wo er es hörte. Da sah er denn eine unglaubliche Menge von Schlangen, Nattern, Kröten und anderem giftigen Ungeziefer, welche alle auf einem Haufen durcheinander und übereinander krochen; es waren ihrer so viel, daß man eine große Tonne damit hätte füllen können. Zu ängstlich, um näher zu treten, steckte er nur einen Stock in die Erde, um die Stelle zu zeichnen, und entfernte sich still. Noch zweimal kehrte er am selben Tage zurück, um zu sehen, ob das Schlangengezücht noch nicht gewichen wäre, er fand sie aber noch da, ging darum nach vollendeter Arbeit nach Hause, wo er die Sache für sich hielt und keinem Menschen auch nur das leiseste Wörtlein davon sagte. Drei Tage nachher endlich ging er noch einmal auf -die Stelle und sah denn, daß die Schlangen alle weg waren; nur eine todte Schlange noch fand er und daneben eine getödtete Kröte, beide umgeben von dickem leimartigen Schleim. Neben der Kröte fand er einen Sogenannten Krötenstein, der ihm nicht wenig Freude machte; er nahm ihn auf, reinigte ihn und trug ihn mit sich nach Hause, in der Hoffnung, daraus einigen Nutzen zu ziehen. Und dann betrog er sich nicht, denn diese Steine sind ein vortrefflich Mittel gegen alle vergifteten und entzündeten Geschwülste und Beulen. Der Mann machte ihn nur in einem Säckchen warm und rieb alsdann über die wunde Stelle. Noch ist der Stein im Besitz der Familie, deren Aeltester ihn jedesmal in Verwahr hat und ihn auch nur gegen eine große Summe Geldes ausleiht."Der luzerner Drachenstein ist ziemlich groß, gleicht einer Kugel. ist weiß, schwarz und blutroth gestreift, wiegt neun Unzen. So berichtet Cysat.


4. Der zu Stein erstarrte Riese.


Mitgetheilt aus Bern.

In der Nähe der Bründlenalp ist die Dominikhöhle. Vor ihrem Eingange sitzt eine riesenhafte, steinerne Figur,



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welcher die Natur das Gebild eines Menschen gegeben hat. Unter dem Namen "der Mese des Berges" erzählt sich das Volk von ihr: diese kalte Masse sei einst Fleisch gewesen, und Blut habe ihre Adern durchströmt. Wenn ein Seinder Feind in das Land gebrochen, sei sie aus ihrer Wohnung, der Höhle, hervorgekommen, um das Volk auf zur Wehr zu rufen und an seiner Spitze den Feind aus dem Lande zu schlagen. Einst aber habe im Schweizerlande selbst der Funke der Zwietracht geglommen und derselbe sei zum Hader einer blutigen Schlacht ausgebrochen, in welcher viele tausend Schweizer gefallen seien. Als da der Riese sich von seinem Lager erhoben und aus seiner Höhle hervorgetreten, um zu schauen, was im Lande vorgehe, sei er Wer den Anblick dieses Bruderkampfes vor Schrecken dergestalt erstarrt, daß seine Glieder sofort zu der kalten Steinmasse geworden wären, welche man noch heutigen Tages an jenem Orte sehen kann.Die im folgenden Abschnitt vorkommende Sage von den drei Tellen wird Gelegenheit geben, auf den Riesen der Dominikhöhle zurückzukommen. Die Dominikhöhle findet sich am Pilatusberg in der Nähe der Bründlenalp. Sie sowohl, als noch eine andere Höhle jener Oertlichkeit, das sogenannte Mondloch, wurden im Jahr 1802 zum ersten Male genauer untersucht. Letzteres enthält hohe Gewölbe von 400 his 500 Fuß Länge, in denen jene unter dem Namen Mondmilch (lac lunae) bekannte weiße schwammige Erdart in großer Menge angetroffen wird.


5. Das Mädchen ab der Schratten.


Wanderer in der Schweiz, 8. Jahrgang, 10. Heft.

Als noch das Thal am Fuße der Schratten von Heiden bewohnt war, lebte in dieser Gegend ein schönes Mädchen,



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das man bald für das zurückgelassene Kind einer fremden Völkerhorde, bald für das Kind eines Zauberers, bald für das Kind eines bösen Geistes hielt. Es ging in Felle gekleidet, führte Bogen und Speer und ließ sich nur dann unter dem Volke erblicken, wenn den Göttern Opfer dargebracht wurden. Da endlich kam der heilige Justus als Verkünder des christlichen Glaubens in dieses Thal und der größte Theil seiner Bewohner ließ sich bekehren. Von da an war die schöne Jungfrau verschwunden. Nur noch ein einziges Mal begegnete ihr auf der Rückkehr von einer unglücklichen Jagd ein Jäger, Namens Jngur, der noch fest am alten Götzendienst hielt, obschon sein Weib der Lehre Christ Ohr und Her; geöffnet hatte. Schweigend winkte sie diesem, ihr in eine Höhle zu folgen, wo sie ihm wei Rehe über die Schulter hing und einen schwaren Ring darreichte, indem sie zu ihm die Worte sagte: "So lange du diesen Ring am Finger trägst, wird dich keine Noth treffen; doch nicht eher sollst du ihn anstecken, als bis dein Pfeil das Herz des fremden christlichen Lehrers getroffen hat — Schnell eilte Ingur nach dem Thal hinab und fragte nach dem Christen; dieser aber war fort, wieder über die Alpen zurück nach den Gestaden des Brienzer-sees. Die böse Absicht Ingurs, den heiligen Justus zu tödten, war vereitelt. Hierüber ergrimmt stürzte er von seinem zum Christengott betenden Weibe wieder in den Wald hinaus und schweifte dort verzweiflungsvoll umher. Da plötzlich kam ein wilder Muth über ihn, er ergriff den Ring und steckte ihn an den Finger. Kaum aber hatte er dies gethan, durchbebte ein Donnerschlag die Luft und Ingur sank todt zu Boden. Seit diesem Augenblick wurde die schöne Jungfrau, welche man das Mädchen ab der Schratten nannte, Jahrhunderte hindurch nicht mehr gesehen; erst in späterer Zeit soll sie wieder unten im Thale im stummen Schmerz, mit aufgelöstem


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Haar aus einer Höhle kommend, erblickt worden sein. Dann aber, so sagt man, brachte sie den Frauen, deren Männer in den Krieg gezogen waren, die Kunde von ihrem Tode.Das Mädchen ab der Schratten ist mit Speer und Bogen bewaffnet; sie verkündet den Tod der in den Krieg gezogenen Männer; auch schön nennt sie die Sage. Dies Alles sind eddische Anklänge, die auf eine Verwandtschaft mit der nordischen Walküre deuten. — Die Walküren waren liebliche Jungfrauen von unvergänglicher Schönheit und Jugend, die in Walhalla den um Odin versammelten Helden die Freuden der Erde ersetzten. Im Sinne nordischen Ritterthums war jedoch das Weib auch die Kampfgenossin des Mannes; daher die Halbgöttinnen, die Walküren, auch Schlacht- und Schildjungfrauen waren. Sie bestimmten, wer im Kampfe fallen sollte, davon ihr Name: Wal, Schlacht oder Todtenfeld, türen, wählen. So Sieg oder Niederlage der kämpfenden Helden bestimmend, waren sie aber auch Schicksalsjungfrauen. Als solche dachte man sie sich, gleich den Nornen, spinnend und webend. Dann aber war ihr Bild schrecklich. Wir finden es in der Nialsage: "Dörrudhr belauscht durch eine Felsenspalte singende Frauen, die an einem Gewebe sitzen, wobei Menschenhäupter zum Gewicht, Därme zum Garn und zum Wift, Schwerter zur Spule, Pfeile zum Kamm dienen. In ihrem schauerlichen Gesang bezeichnen sie sich selbst als Walkürien, ihr Gewebe als das des zuschauenden Dörrudhr. Zuletzt zerreißen sie ihre Arbeit, besteigen ihre Pferde und sechs reiten gen Norden, sechs gen Süden." (I. Grimm, Mythologie der Deutschen. S. 239.) Endlich bezeichnet die Edda die Walküren auch als Schutz und Beistand ertheilende Wesen und hiermit könnte vielleicht der allerdings nur bedingungsweise glückbringende Ring in Beziehung gebracht werden, den Ingur in unsrer Sage erhält.


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6. Die verwünschte Jungngan auf der Scheibenfluh.


Kirchen, mund. subterran. Viii. 4. 2.

Auf der Scheibenfluh gedeihet weder Baum noch Gras; aus ihrem Gipfel ist aber eine Höhle, darin wohnt eine verwünschte Jungfrau, welche Salina heißt und daselbst auf einem Verwünschten Schatz sitzet, den sie hütet. Viele, die sich in diese Höhle hineingewagt, haben große Klumpen Goldes von da zurückgebracht.

Schatzhütende Jungfrauen kommen in den Volkssagen sehr häufig vor. Auch in dieser Sammlung sind wir bereits einer ähnlichen Vorstellung begegnet (S. 75). Nach christlicher Anschauungsweise sind dieselben gewöhnlich unselige Geister, welche auf Erlösung harren und durch das Anbieten und Austheilen von Schätzen zu dem Schweren Werk ihrer Erlösung aufmuntern wollen. Zu den Wesen dieser Art gehört unstreitig die wiße Jungfrau auf der Sulzalp (S. 75), in der Jungfrau Salina prägt sich indessen ein mehr heidnischer Typus aus, welcher, da Sauna von Sal, Salz, Salzfrau bedeutet, an jene Frauen oder Priesterinnen des Heidenthums erinnert, welchen einer sehr wahrscheinlichen Muthmaßung nach in jener Zeit das Sieden des Salzes, das als eine von der Gottheit unmittelbar ertheilte Gabe galt, anvertraut war, nur daß das Salz, das in den Augen unserer heidnischen Vorfahren in so hohem Werthe stand, daß man den Besitz einer Stätte, an der eine Salzguelle entsprang, eines blutigen Krieges für werth erachtete ), in Folge anderer Begriffe von Werth und Kostbarkeit sich in unserer Sage in einen Schatz und Goldklumpen verwandelte.Die Scheibenfluh, auch Scheibengütsch genannt, ist ein Felsstock im Entlibuch und liegt hart an der Grenze des bernischen Amts Thun. 
*) Tacitus ann. 13. 57: "Eadem aestate inter Hermunduros Chattosque certatum magno grano, dum flumen gignendo sale foecundum et conterminum vi trahunt; super libidinem cuncta armis agendi religione insita, eos maxime locos propinquare coelo, precesque mortalium a deis nusquam propius audiri."


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7. Das Nachthuri im Kanton Luzern.


Wanderer in der Schweiz, IV. Jahrgang.

Auf dem Hundsaffen; welcher sich in nordöstlicher Richtung vom Rothsee, bei Luzern, bis Buchrain hinzieht, lebte einstens ein böses Weib, welches so unerträglich war, daß ihr Mann sie verließ, in den Krieg zog und auch bald in demselben von dem Tode ereilt wurde, wie er sich gewünscht hatte. Jetzt war sein böses Weib daheim wieder ledig und konnte sich nach einem andern Freier umsehen; es fand sich aber keiner, weil ein jeder ihre Bosheit kannte. Sie aber schrieb dies dem Umstand zu, daß sie zwei Mädchen aus der ersten Ehe besaß. Daher beschloß sie, sich derselben ;u entledigen . Einstmals im Winter, als es recht kalt war, nahm sie dieselben, unbemerkt von den Nachbarn, und führte sie weit von ihrer Wohnung hinweg tief in den Wald hinein, wo sie dieselben, trotz ihrem Flehen und Weinen, unerbittlich zurückließ. Nach Hause zurückgekehrt, fragte sie erst am andern Tage scheinbar unter großer Besorgniß, ob Niemand ihre Kinder gesehen hätte? Trotzdem daß die gutmüthigen Nachbarn Alles zum Wiederfinden der Kinder aufboten, fand man sie doch nicht, und so mußten sie in dem Walde vor Hunger und Frost elendiglich umkommen. Erst lange Zeit hernach fand ein Holzhauer die beiden Armen fest umschlossen in einer Decke von Schnee und EIS. Ihre Mutter aber, deren böse That man ahnete, fand immer noch keinen Mann. Da wurde sie, als der Winter wieder ankam, wghnsinnig, lief in den Wald hinaus, in welchem sic ihre Kinder ausgegesetzt hatte, rief in furchtbaren Tönen nach deren Namen und wühlte mit blutigen Fingern Eis und Schnee auf, um nach ihnen zu suchen. Dies trieb sie so lange, bis sie starb. Aber noch sieht man sie in dunklen und kalten Rächten in



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den Wäldern und Klüften jener Gegend herumirren; wenn aber die Zeit kommt, wo dichter Schnee die Fluren bedeckt und die Kinder der Armen in den Wald gehen, um sich Reisig für eine warme Stube zusammenzusuchen, hören dieselben oftmals ganz in ihrer Nähe bald ein Stöhnen, bald ein Aechzen, bald ein jammervolles Geschrei, und unter dem Rufe: "das Nachthuri kommt!" eilen sie erschreckt nach Hause.Auch im Kanton Unterwalden ist ein Gespenst unter dem Namen das Nachthuri bekannt. S. Stalder, Idiotikon. B. S. 64.


8. Der geizige Rieser auf Castelen.

Nicht weit von Ettiswyl im Kanton Luzern liegen die Trimmer der Burg Castelen. Susi wohnte hier ein Ritter, Kuno. Sein Gott war Gold und seine beste Tugend hieß Habsucht. Einstmals kam ein Teufelsbeschwörer zu ihm, den er aus dem Orient hatte kommen lassen, um durch seine Vermittlung mit dem Teufel in Verbindung zu treten, welche ihn zum reichsten Mann im Lande machen sollte. Da der Teufel nun aber nichts umsonst thut, so sann erlange mit dem Beschwörer hin und her, was er ihm als Gegengeschenk wohl geben könne. Geizig wie er war, wollte er von seinen irdischen Schätzen nichts hergeben, und so entschloß er sich, dem Teufel seine Seele anzubieten. Wie er sich mit dem Beschwörer über diesen Punkt geeinigt hatte, machte sich dieser sofort an das Werk und bald trat der Teufel zu ihnen. Ritter Kuno eröffnet demselben in kurzen Worten seinen Wunsch, daß er der reichste Mann auf Erden zu werden begehre und gerne seine Seele dafür geben wolle. Als Zeichen seiner



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Zustimmung nickte der Teufel mit dem Kopfe, und bald hatten sich die Steinmassen und Holzblöcke im Hofraum der Burg zu lauter Gold verwandelt. Durch den Glanz dieser Menge Goldes aber wurde Kuno dergestalt geblendet, daß ihm das Licht der Augen ausging. Hierüber in Verzweiflung, wollte er nicht länger leben und warf sich dem Teufel sofort in die Arme, welcher augenblicklich mit ihm verschwand. Die Schätze versanken alle in den Schooß der Erde. Nur am Charfreitag kommen einige Stücke in Gestalt von alten Steinen und faulem Hol; zum Vorschein, wer da das rechte findet, es mit nach Hause nimmt und sieben Tage in einer finstern Truhe verwahrt , wird, wenn sonst nichts Außerordentliches dazwischen kommt, am achten Tage gediegenes Gold darin vorfinden.Die Ruinen der alten Burg Casteien, mit der bis zum Jahr 1798 die Zwingherrlichkeit einiger benachbarten Ortschaften verbunden war, liegen auf einem Hügel zwischen Willisau und Ettiswyl. Diese Herrschaft , auch Fischbach genannt, wurde im I. 1683 von Franz von Sonnenberg , dem obersten Meister des Maltheserordens in Deutschland, angekauft und von demselben seiner Familie als Fideicommiß hinterlassen. Leider ist es mir unmöglich die Duelle obiger Sage, sowie die einiger jetzt noch folgenden anzugeben, da dieselben zu einer Zeit gesammelt wurden, in der die Herausgabe dieses Werkes in seiner jetzigen Fassung noch nicht bestimmt war.


9. Der schwarze Ritter auf ber Thurmmauer von Richensee.

Am Tage der Schlacht bei Sempach hört man in dem Dörschen Richensee, in dessen Mitte die Burg gleichen Namens steht, eine wimmernde Stimme, welche leise: "Konrad!



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Konrad!" ruft. Dann erwiedert eine dumpfe Stimme: "Hier! Oesterreich¨" und ein schwarzer Ritter tritt auf die noch stehende Thurmmauer, mit blutigem bald bis zur Hälfte gespaltenem Haupt und einer tiefen Stichwunde in der Brust.Das Dörfchen Richensee heißt auch Baldegg gleich seinem Schlosse und dem Richensee, in dessen Nähe es liegt, und der außer Baldegger- auch noch den Namen Heideggersee führt. Der Thurm des alten Rittersitzes Baldegg heißt Hünegg und war einst eine besondere Burg. Die Besitzer dieser Herrschaft, die Edeln von Baldegg, sielen im Dienste der Herzoge von Oesterreich; Marquart im Jahr 1315 bei Morgarten und Hartmann im Jahr 1385 in der Schlacht bei Sempach. Wahrscheinlich, daß letzteres Ereigniß, in Verbindung mit den treuen Diensten, von diesen Edlen dem Hause Oesterreich geleistet, die Entstehung obiger Sage veranlaßte.In dem Schlosse Baldegg befindet sich eine Kapelle, welche wegen einem ihrer Stifter *), einem Enkel des Marquart von Baldegg, dem Johann von Baldegg, bemerkenswerth ist, der Chorherr zu Münster wurde und jener bekannte Dekan von Kirchberg bei Aarau war, dem noch in seinen spätesten Lebensjahren junge Zähne wuchsen und dessen schon ergrautes Haar sich wieder schwarz färbte, wie auf seinem Grabe in der Stiftskirche zu Minster zu lesen ist, dessen Inschrift folgendermaßen lautet:
De Kirchberg canus edentatusque Decanus
Rursum dentescit, nigrescit et hic requiescit.


10. Das Sträggele unb der Dürst.

Es war einmal ein schönes Burgfräulein, das vor allen andern Speisen für sein Leben gern Wildpret ass. Als nun 

*) Die zwei andern waren Marquart von Baldegg und sein zweiter Enkel Albert.



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einmal ihr Geburtstag gerade an einem Freitag in der Fasten fiel, äußerte sie in Gegenwart ihrer Ritter und Knappen, sie möchte von einem frisch erlegten Wildschweine speisen. Hierüber waren alle Anwesenden sehr bestürzt und Keiner erwiederte ein Wort auf diesen Wunsch, außer ein einziger Ritter, welcher ihr Buhle war. Dieser erklärte sich sofort zur Jagd bereit, wenn sie ihn dabei begleiten wolle. Dies war das Fräulein wohl zufrieden und beide verließen auf ihren Pferden und von vielen Hunden begleitet die Burg, um auf die Jagd zu gehen. Weder das Fräulein, noch den Ritter, noch Pferde und Hunde sah man aber jemals wieder. Beide büssen ihren frevelhaften Leichtsinn und uebermuth damit, daß sie verdammt sind, jeden Freitag in der heiligen Zeit des Nachts von 12 — 1 Uhr mit ihren Hunden und Pferden eine wilde Jagd ab zuhalten. Wenn es dann das Entlibuch, das Wiggerthal, den Schiltwald und den Hundsrücken hinab, welches ihre Lieblingsörter sind, recht tobt und man wie Pferdeschnauben und Rüdengebell hört, sagen die Bauern: das "Sträggele" und der "Dürst" kommen, denn so nennt man jene Unglücklichen, obschon sie in ihrem Leben einen andern Namen gehabt haben werden.Was S. 113 in der Erläuterung zum wilden Jäger unter Beziehung auf S. 37 —40 gesagt wurde, findet auch hier seine Anwendung, nur daß sich in der Vorstellung vom Sträggele und dem Dürst einige neue mythische Anknüpfungspunkte darbieten, indem Dürst, Türst, von dem alten Thurs, das identisch mit Jötunn, wie dieses ein Namen der bösen Widersacher der Asen, der Riesen, war, abzuleiten ist. Statt Thurs findet man jedoch auch hier und da Thyrs und dieses könnte auf den Gott Tyr zurückführen, welcher, ein Sohn des Odin, sehr oft mit diesem verwechselt wird und der gleich ihm, als Beherrscher der Aetherregion, in die verwandtschaftliche Kette, die sich durch die Vorstellung von allen wilden Jägern hindurchschlingt, verflochten werden kann. Ganz ähnlich, wie die Bewohner der Insel Schonen mit den Worten Odins jagd (s, S, 38) ein zu gewissen Zeiten sich in den Lüften hören lassendes Geräusch bezeichnen,


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sprechen die Entlibucher vom Dürsten-g'jäg, Dürstensg'jeg, Türsteng'jäg (s. Stalders Idiotikon, B. 1. S. 329) in stürmischen Nächten. Was dagegen die andere Vorstellung unserer Sage, die Vorstellung von dem Sträggele betrifft, so stoßen wir, da Sträggele indentisch mit Häggele ist, Häggele aber von Hagsch, Haagsch, nach Stalder (s. sein Idiotikon B. 2. S. 10) ein verschmitztes Weib — Sege, abzuleiten ist, hier offenbar auf ein Wesen dieser Art, welches christlicher Aberglaube dem wilden Jäger gewöhnlich als Begleiterin beigibt; dem Sträggele oder Häggele ist jedoch im Kanton Luzern außerdem noch ganz 'allein eine besondere Spucknacht, die Frohnfastenacht am Mittwoch vor Weihnacht geweiht, welche die Sträggele- oder Häggelenacht genannt wird, in welcher das Sträggele, au die Frau Bertha und die Fran ' Holla *) erinnernd, hauptsächlich die faulen Mägde plagt, welche ihr Tagewerk nicht abgesponnen. Bei dieser Gelegenheit sei gleich noch eines anden Gespenstes, des Posterli, gedacht, das im Entlibuch ebenfalls zur; Weinachtszeit spuckt und an das sich ein eigenthümlicher Gebrauch der, Entlibucher, die sogenannte Posterlijagd, knüpft, welche zuweilen am Donnerstag, an der vorletzten Woche vor Weihnacht vor sich geht und die uns Stalder (s. sein Idiotikon, B. 1. S. 208) folgendermaßen beschreibt : 
*) Frau Bertha, Berchtha, Bergthe, Bergthli und Frau Holla führen die Aufsicht über die Spinnerinnen, strafen Unordnung im Hauswesen und verderben den am letzten Tage des Jahres ungesponnenen Flachs. Beide sind identisch, nur day diese mehr in den unteren Gegenden Deutschlands, jene mehr in seinen oberen Theilen, im Elsaß, in der Schweiz, Baiern und Oesterreich vorkommt, während man in Franken und Thüringen sowohl die Frau Bertha, als die Frau holla kennt. In der nördlichen Schweiz, besonders in Zürich, wo man neben Bergthe, Bergthli auch Bechtli, Bechteli sagt, hat man den Bechtelistag . Es ist dies der zweite Januar oder, wenn der Neujahrstag auf einen Sonnabend fällt, der dritte dieses Monats, welcher fast durchgehends mit gesellschaftlichen Lustbarkeiten, zumal von jungen Leuten, gefeiert wird. Davon leitet Stalder das neutrale Zeitwort bechtelen ab, den genannten Tag mit Lustbarkeiten feiern, und im weiteren Sinne: den Lustbarkeiten nachjagen, faullenzen. Daß es im Jahr 1529 zu Zürich noch üblich war, sich am Neujahrstag gegenseitig aufzufangen und zu Weine zu führen, was man zum Berthold führen nannte, könnte auf den Gedanken bringen, daß man in der Schweiz denselöen nämlichen Bercht oder Berchthold kannte, der noch im 16. Jahrhundert in Schwaben an die Spitze des wüthenden Heeres gestellt wurde und den man sich weiß gekleidet auf weißem Pferde sitzend, weiße Hunde am Strick leitend und ein Horn am Hals tragend Sachte (Grimm, Mythologie der Deutschen. S. 522).

Beichtli, Bärchtli heißt auch ein Freudenmahl auf den Zunfthäusern zu Luzern.



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"Auf den Abend sammeln sich die meisten Junggesellen, und Jungmänner jeder Pfarre in ihren Dörfern, und kommen mit einander überein in welche Gemeinde sie hinziehen wollen. Gemeiniglich geht der Zug dahin, von woher im verstossenen Jahre sie auch einen Besuch bekommen hatten. Nun ertönt ein Ohren betäubendes Durcheinanderlärmen von Kühe-Trycheln, und Ziegenschellen, von Kesseln und Pfannen; es knallen arms, und klafterlange Geisseln; messingene und eiserne Bleche werden an einander geschlagen; Alp- und Waldhörner machen das Getöse noch verworrener, und geht der Zug von mehr als hundert nervichten Jungen, deren jeder etwas zum größeren Tumult beiträgt, unter einem allgemeinen Gebrüll, das Berg und Thal erschreckt, nach dem bestimmten Orte.

"Voll froher Erwartung des Besuches steht eine große Anzahl rüstiger Jünglinge im Dorf; und nähert sich der wilde Zug, erst dann verdoppelt sich das Geräusch von allen Seiten. In einer langen Reihe ziehen die fremden Gäste unter beständigem Jolen, Schreien, Klatschen, Schellen und Hornen ins Dorf. Einer aus dieser Truppe stellt das Posterli, in Gestalt einer alten Hexe, oder einer alten Siege, oder eines Esels vor, bisweilen aber schleppt inan diese possirliche Maschine auf einem Schlitten nach. In einer Ecke des Dorfes läßt man das Gespenst zurück . und das korybantische Scharivari hört auf."


11. Die Thalherren im Enziloch.

Im Kanton Luzern ist eine wilde Thalschlucht, das Enziloch benannt. Dasselbe bevölkert die Phantasie des Volkes ob seiner Wildheit mit den Geistern aller derjenigen, welche reich und mächtig in ihrem Leben, ihre Macht und ihren Reichthum zur Unterdrückung der Armen, der Schwachen und Unmündigen mißbrauchten. Wenn der Sturmwind des Nachts diese enge Schlucht durchheult, und die Aeste der Schen und Tannen krachend macht, so sagen die Bewohner jener Gegend : "Sie bringen einen neuen Thalherren her !" So nennen sie die Geister, welche das Enziloch bewohnen,



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und dort zur Strafe eichene Stämme auf das Grat hinauf wälzen müssen, welche, sobald die Höhe kaum erreicht ist, donnernd in die Schlucht wieder zurückstürzen.Die Thalherren im Enziloch sind eine Reproduktion der Herren von Rothenthal (s. S. 35). Reithardt, der die ihnen auferlegte Strafe der des Sisyphus vergleicht (s. seine Geschichten und Sagen aus der Schweiz, S. 597), hat ihr schrecklich Schicksal in folgendem hübschen Gedicht dramatisirt:
Die Thalherren im Enziloch.
Ei, Vater, Vater! Höre doch,
Wie's toset und krachet im Enziloch,
Als stürzten Stämme und Blöcke schwer.
  "Mein Knabe, sie bringen Einen her"
Sie bringen Einen 2 Und wen denn, tuen?
Mein Vater. ich kann dich nicht versteh 'n;
Wer ist der Eine 2 Erzähl mir's geschwind !
— "Ein neuer Thalherr, mein gutes Kind '
— s ist irgend ein arger Bösewicht,
"Doch was er verschuldet, ich weiß es nicht;
Nur Eines weiß ich: daß in der Welt
Er mächtig gewesen und hoch gestellt.
"Ein Zwingherr vielleicht, der ungerecht
Im Leben gedrückt den armen Knecht;
Ein Schirmvogt, welcher — arg gesinnt —
Die Wittwe betrog, das Waisenkind;
"Ein Strolch, der aus dem Paradies
Des Ueberflusses den Armen stieß;
Ein Richter, ber um schändlich Geld,
In Gunst oder Haß den Spruch gefällt.
Ein Geizhals, der des Blutes Rest
Den Händen fleißiger Pflüger entpreßt ;
Ein Pfaff, der predigend Gottes Wort,
In Wollust lebte und Seelenmord —
"Traun', irgend ein großer Sünder ist's,
Der Gottes vergaß und Jesu Christ's,
Und eichene Stämme nun, zur Buß ',
Auf jenen Grat dort wälzen muß;


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Und hat er beinah' erreicht die Höh ',
"Dann ist's, als ob ihm die Eich' entfloh,
"Und paßt er noch so sorglich auf —
Sie wälzt sich zurück in polterndem Lauf.
So rollen der Stämme tausend zu Thal.
"Die Thalherren versuchen's nun abermal,
"Versuchen zum Dritten und Vierten ihr Glück,
"Doch immer rollen die Stämme zurück.
"Sie hasten und tasten, sie pusten und glühn ',
"Bis ihnen knisternde Funken entsprüh'n
"Dann stampfen sie grimmig, bis ihrem Gestampf
Thalnebel entsteigen und Wetterdampf.
"Das ist der "Thalberren" schrecklich Gericht;
"Sie finden die Ruhe des Grabes nicht
"Und büßen durch ein unendlich Leid,
"Die kurze, irdische Herrlichkeit."
Auf ähnliche Art straft der Volksglaube im Wallis betrügerische Advokaten , welche verdammt sind, nach ihrem Tode Wolken und Dünste weben, während die lieblosen Reichen die Strafe der Danaiden erleiden, nur daß sie statt Wasser Rhonesand in durchlöcherten Geschirren bergan tragen müssen.


12. Was die hundertjährige Megger-Meili aus Luzern Alles in den Ruinen von Neuhabsburg gesehen hat.

Ein altes Mütterchen, welches Gott mit einem Alter von 100 Jahren gesegnet hatte, und in Luzern und dessen Umgebung noch vor wenigen Jahren unter dem Namen die Megger-meili bekannt war, erzählte von gar wunderbaren Erscheinungen , welche sie in den Ruinen von Neuhabsburg, besonders an gewissen Tagen gehabt haben wollte. Oftmals wenn sie des Morgens frühe oder des Abends in der Dämmerung an ihnen vorbeigegangen oder in einem Kahne auf dem Vierwaldstättersee von dem Burgweidli nach der Angelfluh geschifft



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sei, habe sie stattliche Ritter, oft wie Höflinge mit seidenem Wamms bekleidet, dann wieder in Stahl gehüllt, mit Helm und Schwert gesehen. Im ersten Falle hätten sie ihr von den Ruinen herab freundlich zugenickt, oder ihr wohl gar gewinkt, hinauf ;u kommen; im letzteren dagegen hätten sie mit den Schwertern geklirrt und ihr mit geballten Fäusten und drohenden Geberden zu verstehen gegeben, sie solle sich so schnell als möglich entfernen. Einmal habe sie, nach einer so freundlichen Einladung, es gewagt, die Keine zwischen dem See und der Burg befindliche Wiese zu betreten. Dort habe sie zu nicht wenig Erstaunen und Entzücken gesehen, wie die Ritter mit einem .goldenen Kegelspiel sich ergötzten. Gern hätte sie eine der schön glänzenden Kugeln in ihrer Schürze aufgefangen, allein es sei ihr unmöglich gewesen, indem dieselben ihr Ziel nie überschritten gehabt hätten oder ihr nahe gekommen wären.An die Ruinen von Neuhabsburg, welche auf der Ramenflue, einem zwischen Luzern und Küßnacht aus dem Vierwaldstättersee steigenden Felsen, liegen, knüpfen sich große historische Erinnerungen. Der Erbauer dieser Burg, welche nach Cysat der Lieblingsaufenthalt Rudolfs von Habsburg war, ist unbekannt *). Die dritte Abtheilung dieses Werkes wird uns nochmals auf sie zurückführen, bei welcher Gelegenheit ein Mehreres von ihr.Die bald zum Kampf gerüsteten, bald mit Sammet und Seide zu Spiel und Tanz auges anan Ritter, mit denen obige Sage Neuhabsburg bevölkert, so wie nicht minder das goldene Kegelspiel, das der Volksglaube an ähnlichen Stellen sich sehr häufig wiederholen läßt **), sind Reminiscenzen heidnischer Vorstellungsweise. Die Ritter sind die 
*) Die Angabe des Petrus Leo in der Vorrede zu seinem Arbor vitae ein römischer Graf, der mit seinem Bruder hierher gekommen sei, um Unruhen zu stillen, sei ihr erster Erbauer, entbehrt aller historischen Wahrscheinlichkeit.
 
**) So belustigt sich unter andern Kaiser Otto mit seinen Rittern im Kyffhäuser mit einem goldenen Kegelspiel. Aehnliches könnte noch in Menge angeführt werden.


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Einherien Wallhallas, welche an diesem Orte der Freude ihre früheren Gewohnheiten fortsetzen, täglich zum Kampfe ausziehen, sich tödten und Wunden schlagen, nach diesem aber sich wieder beim fröhlichen Mahle am Abend als Freunde versammelt sehen, während die goldenen Kegel an die "goldenen Würfel" erinnern, welche nach der Völuspa "die Götter im Anfang der Zeiten besessen." Diese goldenen Würfel waren aber nichts anderes als die Sterne, eine Deutung, der auch das Kegelspiel unterliegt, und die unter dieser Form sich auf unsere christliche Zeit verpflanzte, wofür ein Bild in der Hauptkirche zu Annaberg, auf welchem die Engel sich mit Kegelschieben beschäftigen, ein sprechendes Zeugniß ist.


13. Das Erdmännchen im unterirdischen Gange der Seeburg.

Unter dem nicht weit von Luzern gelegenen Thurme Seeburg ist ein unterirdischer Gang. In demselben soll ein Erdmännlein hausen, welches ein schwarzes, wahrscheinlich mit Schätzen gefülltes Kästchen bewacht. Pächter aus der Umgegend will dasselbe drei Jahre hintereinander während den Hundstagen gesehen haben. Seiner Beschreibung nach ist es zwei Fuß hoch, hat einen langen, weißen Bart und weiße Backen. Auf dem Kopf trägt es ein rothes Barettchen; Schuhe hat es keine. Jener Pächter sah es gerade, als es sein grünes Röcklein, welches wahrscheinlich von dem im Gange heruntersickernden Wasser naß geworden war, auf das Gras wie zum Trocknen ausgebreitet hatte.

Vier herzhafte Studenten wollten es einmal in dem unterirdischen Gange selbst aussuchen. Kaum hatten sie ihn aber hessen, als der erste, welcher eine Fackel trug, dieselbe fallen ließ, und sich eilig aus dem Gange heraus an das Tageslicht flüchtete. Hier erzählte er seinen Begleitern, welche



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ihm gefolgt waren, daß er einen Hasen mit feurigen Ohren erblickt habe.Hasen als spuckende Thiere kommen im Volksglauben häufig vor. Gewöhnlich sind es verwandelte Segen (vergl. S. 112), oder wohl gar der Teufel selbst (vergl. S. 64), lassen sie sich aber in der Nähe von Schätzen erblicken, so sind sie die gespenstische Hülle verdammter Seelen, welche, auf Erlösung harrend, sich unter den verschiedenartigsten Thiergestalten zeigen. So als Katzen, als Kaninchen, Hunde, Ziegen ec.Die Seeburg liegt am Gestade der luzerner Seebucht und ist die Ruine eines Wachtthurms, drei Viertelstunden von Luzern, der zur Zeit König Albrechts von Oesterreich erbaut worden sein soll und wahrscheinlich als Schutz gegen feindliche Ueberfälle gedient hat.


14. Gottes Blut.

Musculi, Fluch-Teufel.
Steinhart, epitome historiarum. p. 566.
Butneri, epitome historiarum. p. 48.
Simon de Vries, histor. Ocean. S. 231.
I. W. Wolf, deutsche Märchen und Sagen. S. 302.

Im Jahre 1553 saßen unweit Luzern drei Spieler zusammen in heißem Spiel; einer von ihnen war besonders unglücklich und kam so weit, daß er seine letzten Pfennige einsetzte; darüber wüthend, schrie er, auf seine diesmal besonders gute Scheiben schauend: "Gewinne ich nun nicht, wahrhaftig, ich steche Gott im Himmel meinen Dolch in den Leib u Ueber eine so gräuliche Gotteslästerung hätten die andern ihn ziemlicher Weise mit harten Worten angehen müssen; das thaten sie aber nicht; sondern machten ruhig fort in dem Spielen, und siehe, der Flucher verlor. Rasend zog er seinen Dolch aus dem Gurt und schmiß denselben unter den abscheulichsten Verwünschungen gegen den Himmel. Niemals



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hat man denselben wieder finden können; dagegen sielen drei Blutstropfen, die gan; frisch und roth aussahen, aus der Luft und auf die vor den Dreien liegenden Spielscheiben nieder. Zugleich erhob sich ein fürchterliches Unwetter, und während desselben fuhr der Teufel sichtbarlich herzu und packte den schnöden Lästerer, um ihn zur verdienten Strafe mit sich zu führen. Die andern wollten, erschrocken darüber das Blut mit Wasser von den Scheiben abwaschen, vermochten es aber nicht; so wurde es denn auf Befehl der Amtleute nach Willisau gebracht und dort ewigem Gedächtniß bewahrt. Darauf faßte man die zwei andern Spieler, um sie ins Gefängniß zu bringen; der eine fiel aber unter der Thür nieder, wurde in demselben Augenblick von Millionen von Läusen befallen und nahm also inmitten des. umstehenden Volkes ein jämmerliches Ende. Dem andern machte man den Prozeß und schlug ihm den Kopf ab.Drohungen gegen Gott und die Heiligen, Fluchen und Lästerung anderer Art läßt der Volksglaube gern die Strafe auf dem Fuße folgen. Das schnelle Ereiltsein von der Strafe der beleidigten Gottheit charakterisirte schon den religiösen Glauben des Alterthums. Die Erinnyen waren die schnell schreitenden Rachegöttinnen, eine Allegorie der Gewissensbisse , welchen der Sünder sofort nach begangenen Verbrechen verfällt . — Eine ähnliche Sage wie obige bringt S. Temme in seinen Volkssagen von Pommern und Rügen S. 311. Sie lautet: "Ein Amtmann von Stettin vergaß sich, als seine Felder einst durch einen acht Wochen anhaltenden Regen bedeutend gelitten hatten, so weit, drei Schüsse nach dem lieben Gott gen Himmel zu schießen. Als Strafe für diese Frevelthat sank er beim dritten Schuß sofort bis mitten an den Leib in die Erde und mußte so eines elenden Todes sterben." Noch ähnlicher erzählt Wolff in seinen "deutschen Mährchen und Sagen (S. 304): "Ein Spieler hatte durch Würfeln Alles verloren und verzweifelte darob dergestalt, daß er einen Bogen ergriff und einen Pfeil gegen den Himmel schoß, wie wenn er des Himmels Herrn hätte durchbohren wollen. Bald aber fiel der Pfeil vor dem Frevler nieder und als dieser ihn genau besah, fand er ihn mit frischem Blute gefärbt. Das ergriff ihn also, daß er seine Sünde bereute und schwere Buße dafür that."


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Ebenso berichtet Schnezler in seinem "Bad. Sagenbuch" (B. IL S. 624) von einem schwedischen Fähndrich, der, als er im I, 1631 in der Klosterkirche von Amorbach dem Bilde der Muttergottes sein kostbares Kleid habe stehlen wollen, für diesen Frevel plötzlich erblindet sei und erst bei reuevoller Zurückgabe des gestohlenen Guts sein Augenlicht wieder erhalten habe.


15. Große Fische sagen bei, Tod an.


Cysat, Beschreibung des Vierwaldstetter See's. S. 25.

ES ist auch ein gemein Opinion, in- und außerhalb der Statt Lucern daß in dem Root-see unfehrn von Lucern, gen Ebiken den Herren zu Gilgen gehörig, wann der Herr oder Patron deß Sees desselbigen Jahrs sterben solle, sich ganz ungewöhnlich ungehewer große Fisch sehen lassen.

Todverkündende Fische kommen in der Volkssage nicht selten vor. So berichtet Wagner in seiner Historiae naturalis Helvetiae curiosa", p. 112: A viris gravibus ac ab omni superstitione alienis, qui sese occulatos, testes asserebant, audivi, in piscina cœnobii Mauritiani pisces servari pro fratrum numero, notis insignitos certis, quorum si quis moritur-, brevi fratrem aliquem consequi, et omnio certissimam mortem fratrum alicui portendi si piscis mortuus in aquis appareat *)." Dasselbe erzählt Joseph Simler in seiner "Descriptio Valles." p. m. 33. 
*) Deutsch: Von erfahrenen und alles Aberglaubens ledigen Männern habe ich gehört, wie sie behaupteten, mit eigenen Augen gesehen zu haben, daß im Fischteiche des Klosters zum heil. Mauritius stets so viel Fische gehalten wurden, als Klosterbruder da seien, und wenn von jenen, deren jeder durch ein bestimmtes Zeichen unterschieden sei, einer sterbe, so folge in kurzer Zeit einer von den Klosterbrüdern nach; eben so gewiß deute es den Tod eines von diesen an, wenn im Wasser ein todter Fisch erscheine.


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16. Der Wunderbrunnen im Vierwaldstätter See.


Cysat, Beschreibung des Vierwaldstetter See's. S. 244.

In der Tiefe des Vierwaldstettär See a in der Nähe der Bruderbalm soll ein Brunnen sein, der die Eigenschaft hat, daß er, wenn man ihn dreimal hintereinander ruft, mit großer Bewegung von Grund auf sichtbarlich über das Seewasser hervorwalle, und dies mit einer solchen Gewalt, daß man eilends davon fliehen müsse. Die Person, aber, welche ihn also gerufen, iih erlebe das Jahr nimmer.

Der Brunnen obiger Sage gehört in die Kategorie der Mai-Wunder- und Hungerbrunnen (s. S. 97 —100).Die Bruderbalm ist eine Felsenhöhle auf; dem Rigt, welche sich ziemlich tief in den Berg hineinzieht und wegen der wunderbar geformten Stalaktiten, mit denen sie ausgeschmückt ist, die Aufmerksamkeit seiner Besucher verdient.


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Die Kantone uri,; Schwyz und Zug.


1. Die heiligen Seven auf Grütli.


Mitgetheilt von R.

Als Walther Fürst, Stauffacher und Melchthal, die Gründer der schweizerischen Freiheit, in jener Nacht, in der sie auf dem Grütli zusammen kamen, die Ausführung des großen Befreiungswerkes sich gegenseitig gelobten, sprang in dem Augenblick, in welchem sie die Hände zum Schwur emporhoben, zu den Füßen eines jeden ein Ouell klarsten Wassers aus der Erde hervor. Ein Zeichen der Freiheit, die noch heute schützend und segnend ihren Arm über das schweizerische Volt ausstreckt, fließen noch heute jene drei Quellen, Labsal und Erquickung den Dürstenden bietend.

Daß obige Sage in dem Gemüthe des schweizerischen Volkes tiefe Wurzeln geschlagen, ist nicht zu verwundern. Die Schönheit und Einfachheit des Bildes — ohne das befruchtende Wasser liegt die Erde brach, ohne den Segen der Freiheit wird geistige und materielle Entwickelung eines Volkes zur Unmöglichkeit — ist zu erhaben und zu verständlich, als daß es seinen Eindruck hätte verfehlen können.Das Grütli oder Riedli (das kleine Ried) ist eine Bergwiese am östlichen Abhange des Seelisberges und am westlichen Ufer des obern Vierwaldstätter- oder Urnersee's. Die Nacht, in welcher jene drei Gründer der schweizerischen Freiheit den ersten Bund beschworen, war, wie


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bekannt, die des 17. Oktobers 1307. Am 25. Juni 1313 wurde dieser Bund an gleicher Stelle erneuert und 1713 zum letztenmal von 360 Abgeordneten der drei Urkantone daselbst feierlichst wiederholt.


2. Die drei Telle.


Das Kloster, von Scheible. Bd. 9, S. 117.


I.

In einer wilden Berggegend der Schweiz, um den Waldstätter See, ist nach dem Volksglauben eine Felskluft worin die drei Befreier des Landes, die drei Telle genannt, schlafen. Sie sind in ihrer uralten Kleidung angethan, und werden wieder auferstehen und rettend hervorgehen, wenn die Zeit der Noth für das Vaterland kommt. Aber der Zugang der Höhle ist nur für den glücklichen Finder.


II

Ein Hirtenjunge erzählte Folgendes einem Reisenden: Sein Vater sei, eine verlaufene Ziege in den Felsenschluchten suchend, in diese Höhle gekommen, und gleich, wie er gemerkt , daß die drei darin schlafenden Männer die drei Telle seien, habe auf einmal der alte eigentliche Tell sich aufgerichtet und gesagt: "welche Zeit ist's auf der Welt?" und auf des Hirten Antwort : "es ist hoch am Mittag," gesprochen: "es ist noch nicht Zeit, daß wir kommen," und sei darauf wieder eingeschlafen. Der Vater, als er mit feinen Gesellen, die Telle für die Noth des Vaterlandes zu wecken, nachher oft die Stelle gesucht, habe sie doch nicht wieder finden können.



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Die Bildungsmotive obiger Sage sucht Rock in den drei Kapellen *), welche, als Denkmäler der Thaten Tells, seinen Namen führen. Weniger irre, glaube ich indessen, geht man, wenn man in den drei schlafenden Tellen die drei eigentlichen historischen Gründer der schweizerischen Freiheit, Walther Fürst, Werner Stauffacher und Arnold von Melchthal erkennt, auf welche ein dankbarer Volksglaube, mit einer für die mythische Vorstellungsweise passenderen Namensveränderung, dankend zurückblickt und für alle Zeit der Noth auch jetzt noch seine Hoffnung gesetzt hat. Ganz ähnliche Hoffnungen finden sich übrigens in den Sagen der verschiedenartigsten Volksstämme vor. So schläft der Maurenfürst Boabdil in einem Berge des Alhambra, um sich, wenn der richtige Augenblick eintritt, für sein Volk zu erheben, und in Portugall lebt der König Sebastian, der in der Schlacht bei Alcazar umkam, noch irgendwo, um zur rechten Zeit, wenn auch spät, wieder zu erscheinen. Ganz ähnlich wollte man in neuester Zeit nicht an den Tod des Kaisers Napoleon glauben und die Bauern in Steiermark behaupten in diesem Augenblick noch steif und fest, ihr Kaiser Joseph, der sie von der Leibeigenschaft befreite, befinde sich noch am Leben und werde, sobald man sie unter dieses Joch zurück zu bringen suche, ihnen wieder schützend zur Seite treten. Die auffallendste Analogie aber mit unserer Sage bietet der im Kyffhäuser-schlafende Friedrich Barbarossa dar, welcher, wenn Feinde das Schwabenland bedrohen, als helfender Retter erscheinen wird, und der einst einen Schäfer, der von einem Zwerg in diesen Berg hineingeführt worden war, "fliegen die Raben noch um den Berg?" gefragt, auf Bejahung dieser Frage aber "nun muß ich noch länger schlafen!"ausgerufen haben soll. Daß der Riese der Dominikhöhle (s. S. 174), auf dieselben Bildungsmotive Ansprüche machend, in, den gleichen Sagenkreis gehört, braucht wohl nicht bemerkt zu werden. Was Tell selbst betrifft, so hat dessen geschichtliche Existenz bekanntlich neuerdings viele Gegner gefunden, wir wollen jedoch denselben an einem passenderen Platze, in der dritten Abtheilung dieser Sammlung, bei der historischen Sage von seinem Tode unsere Aufmerksamkeit schenken; einstweilen möge hier nur noch das "von Hieronimus Muheimb **) gebesserte 
*) Eine dieser Kapellen steht bei Fluelen auf der Felsplatte am Vierwaldstätter See, die noch jetzt der Tellensprung genannt wird und auch in dem Muheimischen Liede erwähnt, ist., Die zweite Kapelle ist zu Bürglen an dem Platze zu finden, wo Tells Haus gestanden haben soll und die dritte steht im Kanton Schwyz zwischen Jennensee und Küßnacht an der Stelle, wo der Landvogt Geßler, der Erzählung nach, von dem Geschosse Tells ereilt wurde.
 
**) Ueber den Verfasser dieses Liedes bemerkt E. Rocholz in seiner eidgenössischen Liederchronik: "Muheim, aus dem Urnergeschlechte der Muheime, hon denen


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und vermehrte new Lied von Wilhelm Tell, von der Historie und dem Ursprung der Eidgenossenschaft" folgen, welches als fliegendes Blatt erschien und von dem man das Jahr 1633 als sein ältestes Druckjahr kennt, bei welchem aber, nach Haller V. 23, ältere Abschriften und Drucke vorauszusetzen sind. Als Gründer der schweizerischen Freiheit preist auch dieses Lied den Tell und spielt selbst, wenn auch in negativem Sinne, auf sein einstiges unsrer Sage zu Grunde liegendes Wiedererscheinen unter dem Volke an. Es lautet folgendermaßen:
Wilhelm bin ich der Telle,
Von Heldenmuts und Blut!
Mit meinem Geschoß und Pfeile
Hab ' ich der Freiheit Gut
Dem Vaterland erworben,
Vertrieben Tyrannei,
Einen festen Bund geschworen
Han unser Gsellen Drei.
Schwyz, Uri, Unterwalden,
Gefreiet von dem Rych,
Litt großen Zwang und Gwalte
Von Vögten unbillig;
Kein Landmann dorft' nit sprechen:
Das ist mein eigen Gut! —
Man nahm ihm also freche
Die Ochsen von dem Pflug,
Dem, der sich wollte rächen
Und stellen in die Wehr,
Ließ man das Aug ausstechen;
Und hört der Bosheit mehr:
Zu Altdorf bei der Linden
Steckt auf der Vogt den Hut
Und sprach, ich will den finden,
Der dem nicht Ehr anthut!
Jost und Heiri bei Marignano fielen, war Pritschenmeister (Sieler bei den Schützenfesten) und hatte als solcher das damit verknüpfte Amt des Spaßmachers und Gelegenheitsdichters (praeco, ut rhytmos extemporales pronunciet, wie Frischens Wörterbuch den Pritschenmeister befinirt). Daß Muheims Ueberarbeitung nicht allzusehr hinter dem Originale zurückgeblieben, erhellt daraus, daß sich einzelne Strophen obigen Gedichtes noch an einem Hausgiebel zu Arth angeschrieben finden, von dem es Clemens Brentano für das Wunderhorn kopirte, und daß dasselbe Lied noch während der französischen Invasion der beliebte Gassenhauer der Waldstätte war, der namentlich bei der Einnahme Luzerns wieder ertönte.


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Das hat mich verursachet,
Daß ich mein Leben wagt;
Den Jammer ich betrachtet ,
Des Landmanns schwere Klag
   lieber wollt' ich sterben,
Denn leben in solcher Schand;
Dem Vaterland erwerben
Wollt' ich den freien Stand!
Den Filz wollt' ich nicht ehren,
Den aufgesteckten Hut;
Das grimmte den Twingherren,
In seinem Uebermuth
Faßt er den Anschlag eitel,
Daß ich muß schießen gschwind
Einen Apfel von dem Scheitel
Meinem allerliebsten Kind.
Da bat ich Gott, den Guten,
Da spien ich auf mit Schmerz,
Vor Angst und Sual mir blutet
Mein väterliches Herz;
Den Pfeil konnt wohl ich setzen,
Bewahret blieb der Knab,
Ich schoß ihm unverletzet
Vom Haupt den Apfel ab.
Auf Gott stund all mein Hoffen,
Der leitete den Pfeil;
Doch hätt' ich mein Kind hoffen
      ich hätt' in Eil
Den Bogen wieder gspannen,
Und troffen an dem Ort
Den gottlosen Tyrannen,
Zu rächen solchen Mord!
Das hat der Bluthund gschwinde
Gar wohl an mir verschmelzt,
Als ich einen Pfeil dahinten
Ins Goller eingesteckt;
Was ich damit thät meinen?
Wollt' er ein Wissen han;
Ich konnt' es nicht verneinen,
Zeigt' ihm die Meinung an.


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Er har mir zwar versprochen,
Er thäte mir kein Leid,
Jedoch er hat gebrochen
Sein Wort und seinen Eid,
Ja zu denselben Stunden
Mit Zorn er mich ergriff,
Ließ mich gar hart gebunden
Hinführen in ein Schiff.
Ich gnadet mein Gesinde,
Daß ich sie muß verlan
Mich jammern Weib und Kinde
Mit manchem Biedermann,
Er wollt mich han zur Buße
Beraubt des Sonnenscheins,
Zu Küßnacht auf dem Schlosse
Mich ewig sperren ein.
Gott that dem Wind gebieten,
Der kam im Sturm Bahar;
Der See sing an zu wüthen,
Das Schiff war in Gefahr;
Der Vogt ließ los mich binden
Und an das Ruder stohn ,
Er sprach: Hilf und geschwinde
Mir und dir selbst dahon r
Das mocht ' ich gern verstatten
Und säumte mich nit lang,
Da kam ich zu der Blatten,
um Schiff hinaus ich sprang ,
Ich eilte wunderschnelle
Durch hohe Berg hindan —
Den Winden und der Welle
Befahl ich den Tyrann. ':
Er brüllte wie ein Leue
Und schrie mir zornig nach,
Ich achtet nicht sein Dräuen,
Zu fliehen war mir gach;
    in der Hohlen Gassen
Wollt rächen ich den Trutz,
That meine Armbrust fassen
Und stellte mich zum Schutz.


Schw.Sagebuch-200. Flip

Der Vogt kam jetzt geritten
Herauf die Gasse hohl,
Ich schoß ihn durch inmitten,
Der Schuß gerieth mir wohl;
Zu Tod ist er geschossen
Mit Einem Pfeile gut;
Bald fiel er ab dem Rosse ,
Deß ward ich wohlgemuth.
Mein Gsell ,hat auch gewaget,
Der hatte ohne Gnad
Den Landenberg gezwaget
Mit einer Axt im Bad;
Als er sein Weib mit Zwange
Wollt haben zum Muthwill,
Da schont er ihn nicht lange
Und schlug ihn todt in .
Kein andres Gut noch Beute
Suchten wir insgemein,
Als Gewalt auszureuten,
Das Land zu machen rein;
Wir fanden ja kein Rechte,
Kein Schirm, kein Obrigkeit,
Drum gingen wir ans Fechten,
Gottes Gnade blieb bereit.
Da fing an sich zu mehren
Eine werthe Eidgnosschaft,
Den Angriff zu verwehren
Kam auch der Feind mit Macht;
Den Ernst wir da nicht sparten,
Wir schlugen tapfer drein,
Wohl an dem Moregarten
Mußt er erschlagen sein.
Wir schlugen da den abel
Sammt aller seiner Macht,
Gestreift hand wir den Wadel
Dem Pfau, der uns veracht ';
Ein Pfeil hat uns gewarnet,
Das Glück stand auf der Wag,
Gar sauer hand wir erarnet
Zween Sieg an einem Tag.


Schw.Sagebuch-201. Flip

Der Feind that uns angreifen
Mehr denn an einem Ort,
Den Schimpf macht' er uns reifen,
Wir mußten eilig fort
An Brünig zu dem Streite,
Zu Hülf den Freunden gut;
Da gab der Pfau die Weite ,
Das kostete Schweiß und Blut.
Das merkt euch Eidgenossen ,
Gedenket oft daran;
Dies Blut, für euch vergossen,
Laßt euch zum Herzen gahn '
Die Freiheit thut euch zieren,
Drum gebet Gott die Ehr,
Solltet ihr die verlieren,
Sie würd ' euch nimmermehr!
Mit Müh ist sie gepflanzet,
Mit eurer Väter Blut;
Freiheit, den schönen Kranze,
Den haltet wohl in Hut!
Den wird man ab euch stechen,
Ich sorg, zur selben Zeit,
Wo Treu und Glauben brechen
Aus Eigennutz und Geit!
Wir ist, ich sähe kommen
So manchen Herren stolz,
Der bringt euch große Summen
Des Geldes und des Golds,
Damit euch abzumarken,,
Zu rauben euer Kind,
Die noch kein Wort nicht sagen
Und in der Wiegen sind!
Ich thu euch dessen warnen,
Weil Warnung noch hat Platz;
Doch sind gespannt die Garne,
Die Hunde auf der Hatz!
Gedenkt an meine Treue,
Kein Tell kommt nimmermehr,
Euch wird kein Freund aufs neue
Geben ein beßre Lehr!


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Thut euch zusammen halten
In Fried und Einigkeit
Als eure frommen Aten"
Betrachtet Bund und Eid;
Laßt euch vom Geld nicht müssen,
Die Gaben machen blind,
Daß ihr es nicht müsst büßen
Und dienen dann dem Fiend.
Den Tellen sollen wir loben,
Seine Armbrust hatte Werth,
Daß er im Grimm und Toben
Der Herren sich erwehrt!
Viel Schlösser hat er brochen,
Geschlissen auf den Grund,
Und aus den fremden Jochen
Gemacht den Schweizerbund!
Nehmt hin, fromm Eidgenossen:
Die noch aufrichtig sind,
Dies Lied, hiemit beschlossen,
Und schlagt es nicht in Wind.
Der Muheim hat's gesungen,
Gedichtet und gemehrt,
Den Alten und den Jungen
Im Vaterland verehrt.


3. Sage von den Clarien-Alpen.


Scheuchzer, Beschreibung der Naturgeschichte der Schweiz. Bd. Il. S. 83.

Vor langen, langen Zeiten lebte einst auf den Clariden-Alpen ein Senn mit einer "leichtfertigen Dirne," welche er in so hohen Ehren hielt, daß er ihr von der Wohn- oder Sennhütte den kothigen und sonst schmutzigen Weg bis zum Käsgaden mit Käse belegte, damit sie ihre Schuhe und Füße nicht besudle. Da kam eines Tages seine arme Mutter, um ihren "hungrigen Bauch mit Milch und Suffy zu füllen."



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Der gottlose Sohn aber mischte ihr unter die Milchspeise "Pferdeharn", daß die alte Frau das schlimme Traktament gar bald verspürte und sich hierüber im gerechten Zorn so sehr entrüstete, daß sie ihrem verschwenderischen und verruchten Sohn alles Unglück über den Hals wünschte und Gott hät; an ihm seine gerechte Rachehand zu zeigen, was auch alsbald geschah, indem die Erde ihren Mund aufthat und den Sohn als eine unnütze Erdenlast sammt seiner Dirne verschlang.

Mit der Erfüllung dieses Mutterfluches stürzten aber zugleih die obern Firnen und Felsen ein und überschütteten die vorher grasreichen und fetten Ahen mit Steingerölle. so daß sie von dieser Zeit an graslos und unfruchtbar blieben.

Von dem auf solche schreckliche Art untergegangenen Bösewicht erzählen sich aber die Bewohner jener Gegend, daß er sich noch jetzt merken lasse, wenn man ihn rufe oder herausfördere. Ja, ein ehrwürdiger Priester, der nicht ohnweit von den Clariden-Alpcn seßhaft ist, will sogar selbst sich, einmal in seinen jungen Jahren an den Ort verfügt und kühnerweise den mit Leib und Seele verschlungenen Sennen herausgefordert haben. Hierauf sei aber die Erde in eine solche Erschütterung gerathen, daß hoch herab von den Felsen Steine mit großem Geräusch gestürzt wären, worüber er so erschrocken, daß er schleunig die Flucht ergriffen und Gott gedanket, als er mit dem Leben davongekommen.

Die Verwüstung und der Untergang fruchtbarer Gegenden, gesegnet mit allen Gaben des Himmels, als Strafe Gottes für den sündhaften Uebermuth ihrer Bewohner und Besitzer, finden wir schon in der biblischen Sage von Sodom und Gomorrha, deren verwandtschaftliche Beziehung zu unserer Schweizer-sage nicht zu verkennen ist. Jedenfalls hat das Erstarren der vegetabilen Kräfte auf den Alptriften der höheren Bergregionen und deren allmälige Vereisung, welche ein frommer Glaube mit dem Zorn Gottes in Verbindung brachte, auch hier den ersten Anlaß zu ihrer Entstehung gegeben. Daß solche Veränderungen in der That in


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den Alpen statfinden, bestätigen die glaubwürdigsten Augenzeugen. So erzählt Haller, daß er viele Berge, welche jetzt ewiger Schnee bedeckt, in seiner Jugend nur während des Winters mit Schnee verhüllt gesehen. "In den luzerner Gebieten, wo nun kein Mensch wagen würde zu überwintern , finden sich Trümmer eines vormals dort gestandenen Dorfes und einer Mühle. Von Chamouny soll man in sechs Stunden durch einen jetzt vom Eise des Montanvert verschlungenen Weg nach Carmoyen und in das Thal von Aosta haben gehen können. So ist auch der merkwürdige Weg zwischen Kandersteg und Lauterbrunnen so gut als ungangbar geworden. Ehedem soll über den Avicula (Vogelberg) ein Paß in das Calanka-Thal gegangen sein und schöne Weiden enthalten haben. Der vom Lauteraar-Gletscher war sonst ein fruchtbares Thal, der vom Grindelwald ein offener Paß nach Wallis; und endlich sieht man an allen Grenzen der Gletscher allenthalben Spuren herabdringenden Eises, hervorgestoßene Bäume und Felsenstücke." — Auch schon Scheuchzer in seiner Beschreibung der Naturgeschichte der Schweiz sagt: "Gewiß ist diß, daß viele schöne Alpen jetzund mit beständigem Schnee bedeckt sind, welche vor dreißig und mehr Jahren dem Vieh die beste Weide gegeben."Alles dies zusammengenommen, ist es nicht zu verwundern, wenn obenstehende Sage sich häufig mit tann merkbaren Veränderungen wiederholt, vorzüglich im Glarner- und Berner-oberlande. Gewöhnlich erzählt man die sonst ganz gleiche, nur etwas poetischer ausgeschmückte Sage von der Bluemlisalp, die den Fluch der schwerbeleidigten Mutter in folgenden Reimen mittheilt:
My Suhn Hans,
Si Hund Ryn,
Si Jungfrau Katrin,
il sie Küh Blum
Sollen immer und ewig
Auf Bluemlisalp verflucht sin!
Ich zog die Mittheilung der Sage von den Clariden-Alpen *) vor deren einfache Fassung, wie ich sie bei Scheuchzer fand, jedenfalls ursprünglicher ist.Ihr ganz gleiche Bildungsmotive bietet folgende dem berner Sagenkreis angehörende Sage :


Die drei Brüder.

Die ganze Schüpferseite des Schrattengebirges war sonst eine etnzige reiche Alptrift. Drei Brüder, welche den Berg geerbt, theilten ihn einst; 
*) Die Clariden-Aspen sind zwischen dem Linth- und Schächenthale gelegen.


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die beiden älteren betrogen aber den jüngern, welcher auf beiden Augen blind war. Sogleich ward der Berg in eine der unwirthbarsten Felfenwüsten verwandelt.


4. Das getaufte Schaf.


Scheuchzer, Beschreibung der Naturgeschichten der Schweiz. i. Bd. S. &

Jenseits der hohen Bergspitze, Sureneneck genannt, zu der man von Uri aus über die Alp Waldnacht gelangt, liegen die weidenreichen Surener- oder Surneralpen, auf welchen vor etlichen hundert Jahren sich folgende Geschichte zugetragen haben soll.

Ein Aelpler, so erzählen die Engelberger und Linnen, liebte von seiner Heerde ein Schaf dergestalt, daß er auf den Gedanken kam, dasselbe unter Nachahmung der christlichen Gebräuche ;u taufen.

Zur Strafe dieser Unthat wurde dieses Schaf von Gottes gerechtem Zorn in ein füchterliches Ungeheuer verwandelt, welches auf den genannten Alpen unter dem dort weidenden Vieh eine so arge Verwüstung anrichtete, daß diese bald zu einer öden Wildniß und von dem Gotteshaus Engelberg an den löblichen Ort Uri um einen geringen Werth o erkauft wurde.

Da endlich nahmen die Urner auf Anrathen eines fahrenden Schülers *) ein Kalb, das sie neun Jahre hintereinander mit Milch ernährten und zwar so, daß es das erste Jahr von einer Kuh, das andere Jahr von zwei, das

*) Von den fahrenden Schülern berichtet Wagenseil (Per Juvenil Sinops. Geograph. p. 101), daß sie in Salamanka vom Teufel in höchst eigener Person als ihrem Professor, unterrichtet worden seien.


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dritte Jahr oon drei Kühen und sofort die Milch erhielt. Nachdem die neun Jahre verflossen und das Kalb zu einem wahren Riesenstier herangewachsen war, wurde es von einer reinen Jungfrau auf die verödeten Surenenalpen geführt, wo es bald mit dem um Ungeheuer verwandelten Schaf zu einem schrecklichen Kampfe kam, der mit dem Tod des letztern endete. Der Stier aber soll, erhitzt von der Anstrengung des Kampfes, "in vollem Schweiß aus dem vorbeifließenden Bach getrunken, daß er darüber auf der Stelle todt geblieben."

Die Aelpler eigen nicht nur den sogenannten Stierengaden auf der Alp yacht, aus welchem der Stier, der Sage nach, ernährt wurde, fonda auch das Merkmal seiner Klauen, das sich während des Kampfes in dem harten Stein eingeprägt haben soll.

Surenen, Surinen, Surannum, ein Berg zwischen dem Kanton Uri und Engelberg gelegen. Sureneneck ist die Spitze desselben, bis zu welcher man von Altorf fünf Stunden zu steigen hat. Dieses Sureneneck hat einige historische Berühmtheit durch einen im Jahr 1278 zwischen Uri und Engelberg entstandenen Grenzstreite erhalten, der von dem damaligen Reichsvogte beigelegt wurde.


5. Der Elbst.


Mitgetheilt nach Reithardt, Geschichten und Sagen aus der Schweiz. S. 2s3.

In der Tiefe des Seelisbergersee's haust, ein Ungeheuer, den Bewohnern jener Gegend unter dem Namen der "Elbst" bekannt. Es hat die Gestalt einer Schlange, einen schuppenbepanzerten Leib, Füße mit Krallen gleich den Drachen; aber nur selten zeigt es sich in dieser seiner wahren



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Gestalt. Bald schwimmt es als moosbewachsener Stamm, bald als schmaler grünender Inselfleck, von den Ufern losgerissen , bald auch als blüthenvoller Zweig auf der Oberfläche des See's. Wehe dem, der sich diesen trügerischen Lockildern zu nähern wagt. Hinab ziehen den Getäuschten unrettbar die Krallen des Ungethüms. Aber auch das Eigenthum der Sennen ist von ihm gefährdet, denn oftmals des Nachts wälzt es sich empor an das Ufer des See's und zieht in scheußlicher Gestalt über die Weidplätze der Alpen hin. Am andern Morgen dann ist Vich, das erwürgt, Spuren von scharfen Krallen tragend, ; zerstreut auf ihnen herumliegt, den Sennen Zeugniß seines schauerlichen Besuchs.Ein den Menschen und den Thieren feindlicher Dämon zeigt uns der Elbst die Natur des im Wasser wohnenden Nives, welcher alles Lebende als Opfer hinab in die kühle Tiefe zieht, so wie den Charakter der gleich bösgesinnten Schwarzelbe (s. S. 19). Der Name selbst von alf, alp (die gothische Form ist albs), elbe abstammend, mag diese Verwandtschaft am besten bezugen. Die Vorstellung vom Elbst ist also heidnischen ursprunge, er ist einer jener Wassergeister, welchen schon römisches und celtisches Alterthum bestimmte Weiher und Flüsse als Wohnungen anweisen und dem vielleicht erst spätere Vorstellungsweise seine jetzige Drachengestalt verlieh.Der eine Viertelstunde lange und 10 Minuten breite Seelisbergersee liegt in reizender Umgebung südlich von der Pfarrgemeinde gleichen Namens in der Nähe von Treib. Einer optischen Täuschung, welche den Charakter dieses See's noch mythischer färbt, erwähnt Cysat in seguer Beschreibung des Vierwaldstätter See's (S. 249). Er berichtet:"Auf dem ohnweit des Vierwaldstetter See's gelegenen Seelisberg ist ein kleiner See, auf dessen Boden man vor Zeiten, wenn sein Wasser recht klar war, ganz deutlich eine Heerde Schweine weiden sah, die aber sich bald auf den Rücken legten und dann das Ansehen noch roher erst abgezogener Kalbfelle annahmen."


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6. Die Ridelgrete.


Aus Bern mitgetheilt.

Im Kanton Uri nicht weit von Andermatt steht ein weißer Steinblock. An der Stelle, wo derselbe liegt, soll Shea: ein Haus gestanden haben, in welchem ein altes Weib gewohnet, die blos eine Kuh als Eigenthum, aber immer mehr Nidel *) hatte, als: fünfzig der besten Kühe zur Zeit der Sommerfahrt geben; darum man sie Nidelgret ' nannte. Eines Tages aber schlüpfte ein neugieriger Küher in ihren Stall und versteckte sich im Trog, um die Alte beim Melken zu belauschen. Da sa? er sie, einen großen Gebs, in welchem ein kleines Krüglein Rahm, vor sich hinstellen und hörte sie. wunderliche Zeichen machend, immer vor sich binmurmetn : "Hezengut und Sennen gott , von jeder Kuh zwei Löffel voll !" Der Gebs füllte sich aber sofort bis an den Rand mit dem schönsten Rahm, worauf die Alte ihn auf den Rücken nahm und den Stall verließ, Der Küher aber, der sich den Spruch wohl gemerkt hatte, lief voller Freuden nach Hause, um seine Kraft probiren. Mit zwei Löffeln aber nicht zufrieden, murmelte er "Hexengut und Sennen oll, von jeder Kuh zwei Kübel voll !" Da aber floß der Rahm in solchen Strömen zu, daß sich bald Stall und Wohnung des Kühers damit füllte, so daß er gar elendiglich in demselben ersoff. Auf den Sparren des Dachs oben aber saß die Nidelgret' und rief: Der thuts mir nimmer nach !" Kaum hatte sie jedoch dies gesagt, so kam eine dunkle Wolke mit fürchterlichem Sturmwind über das Glatt gefahren, welches die Hütte des Kühers und die ihre mit sich hinweg nahm. An 

*) Rahm.



Schw.Sagebuch-209. Flip

der Stelle der letzteren stand aber von dieser Zeit jener weiße Steinblock. Darin steckt sie mit des Kühers Leib, welchen sie bis zum jüngsten Tag hüten muß.Daß fremden Kühen die Milch zu entziehen mit zu den Vorstellungen von dem Hexenwesen gehört, sahen wir schon S. 118 in der Erläuterung zu Catillon la Toascha: daher die Benennungen Milch- und Molkendiebin Milchräuberinnen, welche man den Hexen, zu denen auch unsere Nidelgrete zählt, hier und da beilegt. In Hexenprozessen kommt öfters das Geständniß vor, daß sich Hexen und Hexenmeister bei Ausübung des Milchdiebstahls verschiedener Geräthschaften bedienten, welche jedoch gewöhnlich nicht benannt sind. I. Grimm (s. seine deutsche Mythologie, S. 617) erwähnt aus baierischen Akten des sogenannten Mäuse- oder Fackeln (Ferkel-) Machens: "Die Hexe hat ein dunkelgelbes, hartes, unbiegsames, vierbeimges Werkzeug, sie bildet aus einem Tuch die Gestalt einer Maus oder eines Ferkels, hält jenes Geräth darunter und spricht:Lauf hin und komm wieder zu mir! dann läuft das Thier lebendig davon; wahrscheinlich, um ihr etwas von anderen Leuten herzuholen, zuzutragen." Schwedische Ueberlieferungen bezeichnen dieses Gefäß, übereinstimmend mit unserer Sage, als Melkgefäß (Mulctrale). Dasselbe war aus neunerlei gestohlenen Webknoten zusammengeflochten, welches drei aus dem kleinen Finger hineingetropfte Blutstropfen und gewisse Zaubersprüche in Bewegung setzten. Auf die Aehnlichkeit zwischen Göthe's Zauberlehrling und dem Küher in unsrer Sage, der wie jener durch Anwendung des abgelauschten Zauberspruchs die Geister wohl in Bewegung zu setzen, aber nicht wieder zu bannen verstand, brauche ich wohl nicht aufmerksam zu machen.


7. Die Nachtspinnerin auf der Lewasserbrücke.


Mündliche Mittheilung. I. I. Reithardt, Geschichten und Sagen der Schweiz. S. 248.

Bei Brunnen auf der Lewasserbrücke erscheint des Nachts jedes Mal von zwölf bis ein Uhr eine weiße Frauengestalt.



Schw.Sagebuch-210. Flip

Sie sitzt mitten auf der Brücke und spinnt. Das Spinnrad ist silbern, der Flachs darauf golden. Viele schon, die da vorbeigingen , haben dies ganz deutlich gesehen. Wehe aber dem Mädchen, das, wenn es des Tags über faul gewesen, und ihr Quantum Flachs nicht abgesponnen hat, um diese Zeit sein Weg da vorüberführt. Ein Blitzstrahl zuckt der Glanz des silbernen Rades und des goldenen Flachses in seine Augen. Augenblicklich wird es blind.Die Nachtspinnerin auf der Lewasserbrücke ist heidnischen Ursprungs. Sie ist niemand Anderes als Frau Bertha, von der schon S. 184 die Rede war. Eine spätere Gelegenheit, bei der Alles, was diesem Sagen- Seis angehört, zusammengefaßt sein soll, wird dies noch deutlicher hervortreten lassen.


8. Die bestraften Bergleute.


ulbert Schott. Alpenrosen 1838.

Mne Stunde ob Amsteg, wo die Reuß in ein weites Thal eintritt, sicht man zwischen den kleinen Dörfern Intschi und Drachenthal, auf beiden Seiten des Stromes die Bergabhänge ganz mit Schutt von Felsen und Steinen bedeckt, woraus nur einzelne Bäume und Sträucher kümmerlich hervordringen. Vor nicht hundert Jahren befanden sich an dieser Stelle zwei Goldbergwerke; einige Männer aus der Umgegend hatten sie entdeckt und mit gutem Erfolg bearbeitet. Das viele Gold aber war kein Glück für sie, denn sie fingen ein wüstes Leben an, und was in der Woche gewonnen ward, fraß der Sonntag. Eines Wals fanden sie einen reichen Fund, da gingen sie mitten in der Woche nach



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Amsteg ins Wirthshaus, machten am hellen Tag Thüren und Läden zu und steckten Kerzen an. "Wir Berglüt," sagten sie, "bruchet unsers Herrgotts Licht niememe!" Dann aßen, tranken und spielten sie Tag und Nacht. Kaum aber waren sie wieder daheim im Bergwerk, so zitterten in derselben Woche plötzlich die Berge, und beide Gruben stürzten über den Gottlosen ein. Keiner von ihnen kam mehr zu Tage, und so brauchten sie freilich unsers Herrgotts Licht nimmermehr Die Gruben aber liegen seitdem verschüttet und die Bauern scheuen sich wieder nach Gold zu graben.Dasselbe christlich-religiöse Bildungsmotiv, welches als Grundlage der Sage "Gottes Blut" (s. S. 190) bezeichnet ward, liegt auch hier zu Grunde; auch werden wir, immer unter Zurückweisung auf die bereits vorgekommenen Fälle, auf noch manches Aehnliche stoßen.


9. Erdmännchen zeigen Metalladern an.


Kirchen, mund. subterran. VIII. 4. 2.

Zu einem gelehrten Chemiker im Schwyzerland kam einstmals ein Bauer, der ihm im Vertrauen Folgendes erzähle: neulich sei er oben auf einem Berge gewesen, an dessen guß er ein schwarzes Männchen gesehen habe. Das habe gegraben, sei jedoch bald verschwunden, bald aber auch wiedergekommen, um in seiner Arbeit fortzufahren. Da sei er sogleich herabgestiegen, um sich die merkwürdige Erscheinung in der Nähe anzuschauen, er habe aber keine Spur mehr von dem Männchen vorgefunden, dagegen aber an der Stelle, wo es gegraben, wohl die Erzstücke. Hierauf sei er vor einiger Zeit mit mehreren anderen Bauern zusammengekommen,



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deren Hauptbeschäftigung das Suchen nach Krystallen sei; diese hätten ihm eine Stelle gezeigt, wo kürzlich einer von ihnen mit der Hacke eingehauen, und um die anderen zu täuschen, mit verstellter Freude ausgerufen habe: "Ei was für schöne Krystalle finde ich hier!" Da habe sich in dem Felsen drin, plötzlich ein so furchtbarer Höllenlärm, ein gräuliches Gerassel und Getöse erhoben, daß sie alle schleunigst die Flucht ergriffen hätten. Der Chemiker ließ sich von dem Bauer die Stelle zeigen, wo das Erdmännchen gegraben, und siehe, es fand sich daselbst eine reiche Metallader vor.Folgende dem Kanton Zug angehörende Sage von der Gründung des Walterschwyler Bades, überliefert von Hotz von Notikon, erwähnt der Bergmännchen auf ähnliche Art:"In dem Jahre 1519 zog ein frommer Mann, Namens Sigmund Schwarzmaurer, mit anderen Pilgrimen gen Jerusalem in das gelobte Land. Dort fand er in dem Hause eines Juden eine alte hebräische Chronik , aus der er ersah, daß dessen Voreltern, welche aus dem Stamme Aser gebürtig waren, einst auf der Barburg, so ob Walterschwyl liegt und von Baran seinen Namen hat, ihre Wohnung gehabt hatten. Ferner las er in dieser Chronik, daß auf jenem Berge gegen Mittag eine von Natur warme, gegen Aufgang aber eine kalte Duelle fließe, welche beide Gold, Schwefel, Kupfer und Salpeter enthielten, und außerdem noch von herrlichen Kräften wären. Als man aber vor 1400 Jahren dem Golderz, von welchem das Wasser fließe, nachgegraben, habe man das warme Wasser verloren *) und sei auch von Bergmännlein arg geplaget worden. Hierauf seien die stürmischen Zeiten gekommen, in welchen die Bewohner der Barburg, jene Juden, vertrieben und die Burg sammt den Bädern, 
*) Von einem andern Bade im Schächenthale im Kanton Uri geht die Sage, daß teuflische Kunst sein in früherer Zeit warmes Wasser verschüttet habe. Ein Auszug aus dem Jahrzeitbuche im Badhause bet dem Dorfe Unterschächen theilt dies folgendermaßen mit:
 
Anno 1414 inventum est hue balneum a Magistro Leopoldo, artis magica professore, qui et anno 1450 hue , quod a natura erat calidum. ex mena malitia et amte diabolica subvertit. Exstructa boec domus est 1495.


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die man an den Duellen gebaut hatte, zerstört worden wären. Hierdurch sei Alles verloren gegangen.

Als nun jener Pilger aus dein gelobten Lande zurückgekehrt war, hatte er, was er in jener Chronik gelesen, nicht vergessen, sondern sich wohl gemerket. Alsbald zog er in Begleitung drei anderer Männer; des Werni Steiners, des Hans Stockars und des Hans Brandenbergs, nach jenem Orte und forschte den verschütteten Duellen nach, von denen es ihm nach vieler Mühe gelang. die kalte wieder zu entdecken. Von Gold und anderen Metallen fand sich jedoch nichts mehr in ihr vor, dagegen merkte man gar bald, daß ihr Wasser gar gut sei für allerlei Krankheit; daher man es auch in Cysternen auffing, um es vor der Vermischung mit dem Regenwasser zu hüten; daneben aber baute man ein Saus für diejenigen , so zu ihrem Nutzen davon trinken wollten. So entstand nach und nach das Walterschwyler Bad."

Vgl. No. lV der Toggelisagen des Kantons Bern. S. 22.


10. Der Dreifingerstein.


Reithard, Schweizerischer Merkur. Jahrgang 1835, S. 51.

Zwischen den Kantonen Zürich, Schwyz und Zug steht, als erhabener Grenzstock, die hohe e Rohne, ein Berg, der, um seiner ausgedehnten Fernsicht willen, zur Frühling- Sommer- und Herbstzeit von zahlreichen Wallern besucht wird. kühler Föhrenwald umzieht des Berges Mitte und läuft gegen den sogenannten Roßberg hinunter in spärlichem Wuchse aus. Dieser Roßberg ist eine fruchtbare Alp, auf welcher mehrere Sennenwohnungen zerstreut herumliegen. Steigt man von diesen Hütten den steilen Bergpfad hinan, so muß man hei einem gewaltigen Granitblöcke vorbei. Dieser Block ist in der umliegenden Gegend unter dem Namen Dreifingerstein bekannt. Bei näherer Betrachtung rechtfertigt sich diese sonderbare Benennung dadurch, daß man oben auf der platten Höhe drei Vertiefungen wahrnimmt, die gerade der



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Art sind, als ob sie durch das Hineinstecken des Daumen Zeig- und Mittelfingers entstanden wären. Von dem Ursprung dieser Löcher erzählt die Volkssage Folgendes.

Ein reicher und habsüchtiger Senn machte nach dem Absterben des Besitzers auf Alp und Wald ungerechten Anspruch . Seine Forderung geschah auf Unkosten der Kinder des Verstorbenen, die durch den Verlust dieser Grundstücke arme Waisen geworden wären. Falsche Dokumente und Verschreibungen unterstützten die Ansprüche des Betrügers; die armen Kinder hatten nichts als ihr inneres, gutes Recht. Es kam zum richterlichen Augenschein und zum Eidschwur. Der Bösewicht leistete ihn mit aufgehobenen Schwörfingern auf der Höhe des Felsens laut und frech.

Weh dir, rief ihm der Richter zu, so du einen falschen gethan!

Da that der Mann auf dem Felsen die gräßlichsten Betheuerungen, wie der Teufel holen solle, wenn er Unwahrheit geschworen: "So wenig," rief er, "als ich meine Schwörfinger in diesen harten Stein tauchen mag, als in Wasser — so wenig hab ' ich einen falschen gethan ."

Und damit setzte er in grauser Vermessenheit die Finger auf den Stein, als ob er dieselben hineindrücken wollte. Und siehe, der Felsen gab nach wie weicher Schnee und die drei Schwörfinger begruben sich drin bis an's hinterste Gelenke.

Entsetzt wollt' er sie alsbald zurückziehen; sie waren aber festgewachsen, also, daß all sein Mühen und die Arbeit Anderer nichts fruchtete. Gott hatte gerichtet; der Fälscher bekannte sein Verbrechen vor allein versammelten Volke.

Und nach dem er gebeichtet, erbebte die Erde; die Föhrenzweige rauschten schauerlich, und giig dem Walde fuhr



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unter Blitz und Donner eine kohlschwarze Wolke. Und die Wolke umhüllte ihn und ein lautes Geheul erhob sich in derselben; dann zertheilte sie sich und erfloß in der Luft.

Der Verbrecher aber lag entseelt und das Antlitz im Nacken.

Obige Sage spricht für das tiefe Gefühl des Volkes, das in sittlicher Entrüstung Meineid mit Recht als eines der größten Verbrechen bezeichnet: daher die so häufigen Wiederholungen mythischer Ueberlieferungen ganz ähnlicher Art, welche zur Erkennung und gerechten Bestrafung des Verbrechers selbst die Natur von dem ihr für ewig vorgeschriebenen Gseh in solchem Falle abweichen lassen. (Vgl. S. 82.)


11. Der rothe Schuh.


Mittheilung aus Bern.

Unweit Gersau liegt ein Felsstück, das ob seiner Gestalt und Farbe von dem Volke dort der rothe Schuh benannt wurde. Von diesem Felsstücke geht die Sage, es sei in der That ein Schuh, welchen ein grausamer Vater, nachdem er sein Kind ermordet, hier verloren habe, und der jetzt als Zeugniß jener schrecklichen That, in Stein verwandelt, ewige Zeiten an dieser Stelle liege.

In obiger Sage hat der Wunderglaube des Volkes ein Faktum ausgeschmückt , das in der That in jener Gegend stattfand und als dessen historisches Monument die dortige "Kindleigsmordkapelle" zu betrachten ist. Cysat in seiner Beschreibung des Vierwaldstätter Sees erzählt jenes schauerliche Ereigniß mit folgenden Worten:"Ein zimhlicher Weg ab Gersaw ist das Hochgericht, vnnd bald darnach die Landmärk, zwischen bemeltem Gersaw vnnd dem Land Schwietz heißts bei der Steinwand, auch an dem See ist eine Kapellen, heißts bei


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deß Kindleins Mord, also genannt von der unmenschlichen vnnd grewlichen Mordthat, so ein Vater an seinem eygnen Kind daselbsten verübt, der selbig soll ein Spilmann oder Geyger vnnd an der Trieb bei einer Hochzeit gewesen sin, als nun derselbig von der Trieb mit seinem Kind wider hinübergefahren, vnnd das Kind dem Vater im Schiff etlich mahl Brod gefordert, hat er auß Teuflischem Sinn vnnd Vorhaben gesprochen, ja er wölle ihme schon Brod geben, sobald er zu Land komme, vnnd da er an dem Orth da jetzund die Capell steht zu Land gefahren, hat er das Kind bei beyden Füßen genommen, mit dem Kopf umb einen Steinfelsen geschlagen, vnnd jämmerlich ermordet, darüber er auch seinen verdienten Lohn empfangen. Dahin ist auch von andächtigen Leuthen eine Wallfahrt."

Eine andere dem Kanton Schwyz angehörende mythische Sage, ebenfalls eine Mordgeschichte enthaltend, die sich bei Ingenbohl zugetragen haben soll, wird bei einer ganz ähnlich lautenden, im Kanton Glarus erzählten, Erwähnung finden.


12. Sage vom Schloß Schwanau.


Bridel, Conservateur suisse.

Auf einer der Inseln des See's von Lauwerz erhebt sich ein in Ruinen zerfallener alter Thurm, die letzten Ueberbleibsel des Schlosses Schwanau. Dieses Schloß war ehemals der Sitz tyrannischer Beamten der Grafen von Habsburg, welche von hier aus, durch Felsen und Wasser geschützt, in der umliegenden Nachbarschaft die größten Gräuelthaten ausübten.

Im Jahre 1308 hatte einer dieser Schloßherrn ein junges Bauernmädchen des Dorfes Art nach seiner Insel entführt , um sie zum Opfer seiner Lüste ;u machen. Er erreichte seinen Zweck, aber nicht ungestraft. Die beiden Brüder der Geraubten lauerten dem schändlichen Entführer bei einem seiner Ausrisse auf, überfielen und erwürgten ihn und warfen ihn dann in den See. Die Rache des Oberherrn fürchtend,



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suchten sie nach vollbrachter That Hülfe bei ihren Nachbarn, den Schwyzern. Diese theilten ihren gerechten Zorn, belagerten mit ihnen das Schloß, nahmen es ein und zerstörten es; seinen mittleren Thurm ließen sie jedoch stehen als ein Denkmal jener Gräuelthat und ihrer Rache, späterer Zeit zum Gedächtniß.

Den Entführer des jungen Mädchens aber verfolgte der Fluch jener Schandthat noch nach dem Tode. In jedem Jahre einmal, an dem Jahrestage des Verbrechens, erzittern um die Stunde der Mitternacht die Ruinen des ehemaligen Zwingherrensitzes unter heftigen Donnerschlägen — entsetzliches Wehgeschrei erfüllt den Thurm — ein junges Mädchen, in einem weißen Kleide, verfolgt, eine Fackel in der Hand, auf dem Firste der Mauer einen Ritter, der ihr ;u entfliehen sucht; sie aber läßt nicht ab, bis er unter schrecklichem Geheul sich in den See stürmt, der 'ihn sofort verschlingt; dann erst verschwindet das Fantom, um im nächsten Jahre den Verfluchten der gleichen Rache zu unterwerfen.

Der Name Schwanau leitet sich nach Einigen von den Schwänen ab, die sich früher auf dem See von Lauwerz aufgehalten haben sollen. Da Schwäne indessen in der Schweiz sehr selten sind, scheint die Annahme Stumpf's, diese Benennung finde, ihren Ursprung in dem Umstand, daß die ehemaligen Herren dieses Schlosses einen Schwanen im Wappen geführt hätten, die richtigere.


13. Die Ritter von Morgarten.


Aus Bern mitgetheilt.

In der Schlacht am Morgarten ertranken viele Ritter in dem im Kanton Zug gelegenen Aegerisee. An dem Jahrestag



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dieser Schlacht, geht die Sage, wirbelt der See wie ein siedender Kessel auf und seine Fluthen färben sich wie Blut. Dann steigt aus dem See ein Haufen geharnischter Ritter, an deren Spitze der Tod mit Sanduhr und Hippe voranzieht . So ; ehen sie an den Ufern des See's in grausigem Anblick dahin, bis sie wieder mit dem Schlage "Eins" in seinem tiefen Abgrund verschwinden,

Vergl. No. 9, S. 181.


14. Der Bannhölzler.


Mitgetheilt von Pfyffer zu Neues. Schweiz. Merkur, Jahrgang 1835. S. 189.

In dem untern Roßberg — das Zugerli genannt — in der Höhe ob Walchwyl, bemerkt man viele gespaltene Sandsteinfelsen, in welchem die Natur mancherlei Grotten von verschiedenen Größen und Formen bildete. Die Gegend ist einerseits lieblich und erhaben, anderseits öde und schauerlich . Duftende Blümchen, Bewohner der Alpen, wiegen sich über die steilen Abhänge hinab und die einsame Ringamsel singt ihr melodisches Lied in den dunkeln Gebüschen. Die Felsen dagegen gewähren einen unheimlichen Anblick, und man muß sich nicht verwundern, daß der Volksglaube ein Gespenst dahin versetzt hat. Dasjenige, welches von einem Entlebucher Namens Krummenacher dorthin verbannt worden sein soll und noch daselbst hauset, ist allbekannt unter dem Namen "Bannhölzler," Es erscheint hie und da in der größten Grotte, des Bannhölzlers Thor genannt, und besucht seinen in einer andern Felsenöffnung befindlichen Schimmel,



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womit er einst alle Nächte jammernd auf der Walchwyler Allmend herumirrte, weil er im Leben durch Meineid diese der Gemeinde Walchwyl gehörenden Grundsücke derselben entfremdete und an Zug brachte.

Er ließ sich vor seiner Verbannung weder necken noch zitiren und erschien manchmal plötzlich da, wo man ihm mit' wenigsten vermuthete. Als Beweis wird unter anderm erzählt, daß einst ein paar lustige Gesellen im Kappelbusche, einer Gegend auf der Walchwyler Allmend, sich mit Kegelspiel ergötzten . Einer, den das Mißgeschick verfolgte, und der immer entweder fehlte oder weniger Kegel traf als sein Kamerad, fing an gräßlich zu fluchen und sagte: "wenn ich jetzt noch einist fehle, so wetti, daß der Bannhölzler selber cham, für mi rühre!" Kaum waren diese unbesonnenen Worte aus seinem Munde, so brauste der Bannhölzler auf seinem Schimmel daher, sprang auf den Boden — man sieht noch jetzt die Eindrücke seiner Füße auf einem Stein — ergriff mit gewalt'ger Faust die Kugel und schleuderte sie auf eine nahestchende Scheune hin.

Vergl. S. 82 No. 42 und S. 213, No. 10. Der Eid, welchen der Bannhölzler leistete, lautete ganz gleich mit dem, welchen uns die zürcher Sage vom "heiligen Stüdli" überliefert.


15. Das Wafferfräulein bei Zug.


Mitgetheilt von Reithard , Schweizerischer Merkur. Jahrgang 1835, S. 190.

Männiglich ist bekannt, daß im Jahr 1435 plötzlich zwei ganze Straßen der Stadt Zug in den See versanken; aber nur die Volkssage erzählt uns, wie dieß zugegangen,



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warum und was aus den Versunkenen geworden. Es heißt nämlich, ein See- oder Wasserfräulein sei in den Sohn des Rathsschreibers verliebt gewesen, und dieser habe ihre Minne erwidert. Lange trieben sie heimlich ihr süßes Spiel; da erschien die Nixe ihrem Geliebten eines Abends mit weinenden Augen und sprach: "ES ist das letzte Mal, daß du mich stehst. Mein Vater, welcher in den Tiefen des See's herrscht, hat meine öftere Abwesenheit entdeckt, mich zu Rede gestellt, und ich habe ihm — gestanden. Er gerieth in heftigen Zorn und verbot mir den Umgang mit dir für ewig; es sei denn, du folgest mir hinunter in die Tiefe und lebest mit mir als Gatte in einem ehelichen Verbande." — "Aber wie kann das geschehen ?" entgegnete seufzend der Jüngling; "das Wasser ist ja nicht mein Element und du forderst meinen Tod." — "Mit Nichten!" war des Wassefräuleins tröstende- Antwort : Trinke von diesem Wasser und du wirst unten in der Fluth so gut leben können, als ein Fisch." — Der Verliebte traut,' tauchte gläubig mit der Nixe unter und lebte einige Zeit herrlich und in Freuden in den Krystallpalästen des Seekönigs an der Seite seiner schönen Gattin. Allmählich aber schlich sich ein schmerzliches Heimweh in sein Herz; er gedachte seiner Eltern, Geschwister und Freunde auf der Oberwelt, gedachte der Freuden seiner alten Heimath bei Hochzeiten, Ringen und Alpfahrt und an die Freuden des Himmels, ;u welchen Glocken und Orgelklang ihn riefen. Innig besorgt den immer trauriger Werdenden, entlockte ihm die Nixe endlich das Geheimniß seiner Empfindung und beschloß, die Schnsucht des Geliebten nach Möglichkeit zu befriedigen. Sie vertauschte in einer Nacht alles Wasser in den Küchen der beiden Straßen mit jener Flüssigkeit, welche die menschliche Natur fähig macht, auch unter den Fluthen leben zu können, und am Morgen darauf versanken, mitten in den Freuden eines Festtages, jene beiden


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Straßen plötzlich in den See. Keiner der Versunkenen ertrank; ihre Wohnungen kamen unversehrt auf den Grund des See's ;u stehen, und der Sohn des Rathschreibers fand seine Eltern, Verwandten, Bekannten und Freunde wieder. Bei sehr klarem Himmel können besonders scharfe Augen nicht nur die Giebel der Häuser, sondern auch das geschäftige Treiben auf den Straßen wahrnehmen. Ost dringen die Glockenklange der versunkenen Kirche, vermischt mit wunderbarem Orgelton aus der Tiefe des See's, und die Schiffer, die es hören, ziehen die Ruder aus dem Wasser, bekreuzen sich und beten ein andächtiges Paternoster.Wie sich im Elbst (s. S. 206) die Natur des Nixes (s. S. 207) von ihrer bösen Seite zeigt, gestaltet sich im Wasserfräulein obiger Sage dieselbe zu einem lieblicheren Bilde. Das dämonisch Menschenfeindliche, selbst Blutdürstige und Grausame, die meisten der Wassergeistsagen charatterisirend, verliert sich hier und hat sich in Liebe und Theilnahme zu den Menschen verwandelt, welche sogar zwischen ihm und den geisterhaften Bewohnern der nassen Tiefe eheliche Verbindungen zulassen. Auf jeden Fall müssen wir hier ein Ueberbleibsel jener heiteren Weltanschauung des Heidenthums erblicken, welche Sterbliche mit dem Umgang und der Liebe der Götter und Göttinnen beglückte, eine Vorstellung, welche zu lebhaft war, als daß sie mit einem Male den Bemühungen der christlichen Bekehrer hätte weichen können; daß aber selbst diese derartige Wesen als etwas Wirkliches betrachteten, beweist die Art des Kampfes, welchen sie gegen dieselben führten. So berichtet die im 8. Jahrhundert niedergeschriebene vita St. Galli (Pertz 2, 7)"Im Laufe der Zeit kam es, daß der Auserwählte Gottes, Gallus, Wassernetze auswarf, aber da hörte er plötzlich von der Höhe des Berges einen Dämon einem anderen, der sich in der Tiefe des Meeres befand, zurufen. Als dieser antwortete: "ich bin da!" rief der Berggeist dagegen; "erhebe dich und komme mir zu Hilfe. Sieh ', die Pilger sind gekommen, die mich aus dem Tempel gestoßen haben (denn sie vertilgten die Götter, welche die Inwohner anbeteten, ja verleiteten sogar diese zum Uebertritt), komme, komme! hilf uns jene aus dem Lande vertreiben." Der Meergeist antwortete:"Sieh ' zu, Einer von Jenen ist auf dem Meere, dem ich nie werde schaden können, denn ich wollte seine Netze zerreißen; aber mich, den Besiegten,


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lasse klagen: mit dem Zeichen des Gebetes ist umschlossen, und niemals vom Schlafe bezwungen."Als der Auserwählte Gottes, Gallus, dies vernommen, schützte er sich, überall sich bekreuzigend, und sagte zu ihnen:"Im Namen Jesu Christi befehle ich Euch: weichet von diesem Platze und waget nicht, irgend Jemand hier zu verletzen; und darauf kehrte er in Eile zurück und erzählte seinem Abte, was er gehört hatte. Als der Mann Gottes, Columbanus, es gehört hatte, berief er die Brüder in die Kirche, das gewohnte Zeichen berührend. D seltsam teuflisches Wunder! die Stimmen der Diener Gottes übertönte die Stimme der Gespenster, da das Heulen ,und Jammern ihrer rauhen Stimme von den Berghohen vernommen wurde."Und in der aus dem ersten Viertel des 11. Jahrhunderts stammenden vita Godehardi hildesiensis heißt es e. 4:"Denn es befand sich im östlichen Theile unseres Landes (Hildeneshem ein schauderhafter und den Herumwohnenden durch mehrfache Schrecknisse verhaßter Sumpf, deßhalb weil sie dort sowohl am Tage als bei Nacht schreckliche Erscheinungen zu hören oder zu sehen vermeinten. Dieser Sumpf heißt nach der Salzquelle, die in seiner Mitte sprudelte, Sulza. Als er (Godehardus) diesen gesehen und auch von der Gespenstererscheinung , von der das rohe Volk sich schrecken lieh, vernommen hatte, schritt er im zweiten Jahre seiner Ankunft mit einem Kreuze und mit Reliquien von Heiligen in den Sumpf und schlug dort seinen Wohnsitz auf und gründete mitten auf der gefährlichsten Stelle ein Bethaus zu Ehren des heiligen Bartholomäus, des Apostels; als dieses im folgenden Jahre vollendet und eingeweiht war, vertrieb er völlig von Grund aus die Geistererscheinungen und schuf jenen Ort zu einem allen dort Verweilenden oder Hinkommenden angenehmen und ohne irgend eine Störung wohnbaren um."


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Die Kantone Unterwalden und Glarus.


1. Winkelried tödtet den Lindwurm.


Stumpf's Chronik, B. 7. C. 2.


Etterlin's Chronik, S. 7.


Tschudi, B. i. S. 146.

Zu der Zeit, als man die Wälder der Schweiz zu lichten und reinigen anfing, ist eine gräuliche Schlange und erschrecklicher Drache, so die Schweizerischen Jahrbücher Lindwurm nennen, in dem Unterwaldner Lande gefunden worden. Dieser würgte sowohl Menschen als Vieh, so daß ein Dorf davon den Namen Oedweiler bekam, welches so viel ist, als ein verlassener Ort.

Da war es, daß Einer aus diesem Lande aus dem Geschlechte der Winkelriede, dessen Vorname Struth war, sich wegen begangenen Todtschlages außer Landes aufhalten mußte. Als dieser von der Noth seiner Landsleute hörte, erbot er sich, das Ungethüm zu tödten, wenn ihm die Rückkehr in das Vaterland gestattet werde. Das wurde ihm gerne zugelassen Freudig seine Heimath wieder sehen, machte sich Struth von Winkelried sofort auf nach dem Orte, wo sich der Lindwurm aufzuhalten pflegte. Bald traf er auf ihn und der Kampf begann, aus dem Struth von Winkelried, nachdem er der Bese seine Lanze, an deren Spitze ein Büschel spitziger Dörner befestigt war, in den Rachen und dann sein



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Schwert durch den Leib gestoßen hatte, als Sieger hervorging. Als er aber vor Freude über den Sieg das blutige Schwert in der Luft schwang, fiel ein Tropfen Blut auf seinen Leib und plötzlich fiel er todt hin.Westwärts von Stanz am Fuße des Ramserhornes öffnet sich eine morastige, mit sauren Gräsern und Schilf bewachsene Thalebene, welche die Sage als den Schauplatz dieses Drachenkampfes bezeichnet. Noch heute führt diese Thalebene den Namen das Drachenried, so wie die dunkle Höhle im Mietenschwandenberg, der ihren Hintergrund begrenzt , in diesem Augenblicke noch das Drachenloch heißt, während der Sage nach die Kapelle *) auf dem Hügel, Namens Allweg, der zwischen dem Rotzberge und dem Stanzerberge liegt, zum Gedächtniß der Heldenthat des Struth von Winkelried errichtet sein soll, von welchem Tschudi behauptet, er sei mit jenem Winkelried, der wegen seiner großen Tapferkeit im Jahre 1250 vom Kaiser Friedrich, als dieser vom Papste Gregorius X. mit dem Banne belegt war, zum Ritter geschlagen wurde, eine und dieselbe Person. Was schließlich das getödtete Ungeheuer betrifft, so wurde schon auf S. 4 auf die naturhistorische Basis zur Genüge hingedeutet, die allen derartigen Sagen zu Grunde liegt; für die allgemeine Verbreitung des Glaubens an das Vorhandensein solcher Ungeheuer in der Schweiz aber mögen, unsere an dieser Stelle und auf Seite 49 in der Erläuterung zu den Stollenwürmern ausgesprochene Behauptung bestätigend , noch folgende Drachenhistorien, deren Zeitalter durchaus nicht zu den ältesten gehört, Zeugniß ablegen.


I.

Wagneri, historia naturalis Helvetiœ, lib. VIII. p. 250 et 251.Hans Egerter aus dem Dorfe Lienz in der Grafschaft Sax **), genannt der Martis Hans, ein alter 70jähriger Mann, sah einst auf der Alp Cammor, die nahe an der genannten Herrschaft liegt, an einem Orte, dem sogenannten Wellerschen Gang, einen erschrecklichen Drachen, welcher 
*) Im Jahr 1798 von den Franzosen zerstört und später neu aufgebaut, ist diese Kapelle das Denkmal eines noch anderen. bei weitem größeren Kampfes geworden auf dem Allweg erfolgte am 9. September 1798 der Hauptangriff der Franzosen auf die von dem Priester Lussi und dem Kapuziner Paul Styger anführten Hirten, ber, wie bekannt, von beiden Seiten die blutigsten Opfer forderte.
 
**) Kanton St. Gallen.


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unter einem überhängenden Felsen sein Lager aufgeschlagen hatte. Dieses Ungethüm hatte einen ungeheuren Kopf, eine weit aus seinem Rachen heraushängende gespaltene Zunge und war mit schwarzen und gelben Streifen gezeichnet; der Rücken war von dem Kopfe bis zu dem Schweif knotig, und sein Bauch von goldgelber Farbe. An dem Vordertheil seines Leibes hatte es zwei Füße, die ohngefähr einen Schuh lang waren, wie der Mann deutlich wahrnahm; das Hintertheil des Thieres konnte er dagegen nicht genau sehen, doch bemerkte er an demselben einen sehr langen Schweif, welcher in vielfache Ringe gewunden war. Kaum hatte das Ungethüm den Mann gesehen, so richtete es sich in die Höhe, und blies, wie eine Gans durch ihren Schnabel, aus seinen Nasenlöchern und seinem Schlunde einen giftigen Hauch gegen denselben, daß er wie in Schwindel gerieth und das Gesicht seiner Augen fast gänzlich geschwächt wurde, und gewiß würde die Bestie über ihn hergefallen sein, wenn es ihm nicht noch gelungen wäre, sich durch eilige Flucht zu retten. — Einen anderen Drachen, welcher aber 4 Füße hat, sah ein Mann, aus der Parochie Sennwald, Namens Bueler, auf dem Frumsenberg bei dem sogenannten Erlawäldli, welches an dem Ufer beß Kalenbachs liegt.


II.

Wagneri, ibid. lib. VII. p. 219.Als in dem Jahre 1660 — um diese Zeit war es ohngefähr — einst dem Herrn Andreas Roduner, welcher Landschreiber und Fähndrich der Landvoigtei Hohen -Sax war, und noch einem Anderen die Lust ankam, den sogenannten Wangserberg im Sarganser Lande zu besteigen, begegnete diesen beiden, während des Hinaufsteigens auf jenen Berg, ein Bergdrache von ungeheurer Größe, welcher sich bei ihrem Anblicke auf seinen Hinterfüßen zu der Größe eines Mannes emporrichtete. Sein Leib, dessen Länge und Dicke einem halben Wiesbaum ohngefähr gleich kam, war ganz und gar mit rauhen Schuppen bedeckt. Er hatte 1 Füße, seine Ohren und sein Gesicht glichen denen einer Katze und sein Schweif war ohngefähr drei Ellen lang. Sein Bauch war bis zu den Hinterfüßen mit braunrothen Striemen, gleich dicken angeschwollenen Adern, gezeichnet und sein Rücken war bis zu dem Kopf, auf dem ein Haarbusch emporragte, mit Borsten besetzt. Beide haben aber sofort den gebahnten Weg verlassen und ihre Reise ohne Schaden weiter fortgesetzt.


III.

Kircheri, Mund. subterr. Tom. II. lib. VIII. p. 98.Als Christoph Schorer, ehemaliger Landvoigt zu Solothurn *), in einer Nacht bes Jahres 1619 den hellen Himmel betrachtete, sah er aus 
*) Nach Scheuchzer war es ein Landvoigt von Luzern.


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einer Höhle eines ungeheuren Felsen des Berges Pilatus einen glänzenden Drachen sehr schnell nach einer anderen auf der entgegengesetzten Seite des Sees liegenden Höhle fliegen, welche Flue heißt. Er war sehr groß, sein Schweif von bedeutender Länge, der Hals dick und fein Kopf endete in einen gespaltenen Schlund. Während des Fliegens sprühte er, wie glühendes Eisen, wenn es geschmiedet wird, helle Funken um sich herum. Im Anfang hielt er das Thier für eine feurige Lufterscheinung, als er es aber näher beobachtet hatte, erkannte er aus der Bewegung und der Beschaffenheit der Glieder, daß es ein wirklicher Drache sei.


IV.

Wagneri, ibid. lib. VII. p. 258. Kirchen, ibid. r. 8. lib. VIII. p. 98.Einen anderen ungeflügelten Drachen will ein Jäger, Namens Schumperlin, auf dem Fluen-Berg, welchen er der Jagd wegen oft bestieg, an dem St. Jakobstag des Jahres 1654 an dem Eingang einer großen Höhle haben sitzen leben. Dieser hatte einen Schlangenkopf, einen Hals und einen Schweif von gleicher Länge, sein Leib aber ruhte auf vier Füßen, welche ohngefähr einen Schuh oder drüber hoch waren. Der Kopf war dem eines Pferdes nicht unähnlich. Als er den Jäger gesehen, zog er sich unter großem Geräusch der Schuppen, welche seinen Körper bedeckten, in die Höhle zurück.


V.

Joh. Jak. Scheuch er, Naturgeschichte des Schweizerlandes. Thl. 2. S. 237.Bei dem Dorfe Quinten in der Landschaft Gaster sah ein Wann, Namens Meier, ohngefähr um die 90er Jahre des iten Jahrhunderts herum, einen Drachen unter dem Schatten einer großen Tanne liegen. Er hatte Füsse und Flügel, welche mit rothen Flecken bezeichnet waren und schier wie Silber glänzten. Wenn er Athem holte, so war es, als ob er seufzete, zuweilen schüttelte er auch seine Flügel. Der Mann ging aber zurück, sobald er ihn gesehen hatte. Zwei Tage darauf zog ein schreckliches Ungewitter mit Hagel über jene Gegend, was wiederum die Sage bestätigt, daß wenn ein Drach sich zeigt, Sturm und Wetter gleichfalls nicht fern sind.


VI.

Noch wurde im Jahre 1696 auf dem Berge Joppatsch im Plurser Gebiet *) von einem Küher, Namens Bartolome Alegro de Ponte, ein Drache mit einem Flintenschuß und Steinwürfen getödtet, welcher ohngefähr zwei Ellen lang war, einen Katzenkopf, eine gespaltene Zunge und einen gespaltenen Schweif, so wie statt der Füße flügelartig-schuppichte 
*) Jetzt Graubünden.


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Absätze hatte (s. I. I. Scheuchzers Naturg. des Schweizerlandes sammt s. R. über d. Schw. Geb, Tom. 2. pag. 235). Ferner schreibt Johannes Fabrizius von Chur von solchen Thieren, welche im Jahre 1559 und vorher gesehen worden sind. Endlich erzählt Etterlin in seiner Schw. Chronik pag. 112 von einem großen ungeflügelten Drachen, welcher, die Reuß hinabschwimmend, im Jahr 1499 am 26. Mai zu Luzern gesehen wurde. Derselbe war so dick als ein Kalb, ohngefähr 8 Ellen lang und hatte hervorstehende Ohren.


2. Freiherr Conrad von Seldenbüren hört den Gesang der Engel unb stiftet das Kloster Engelberg.


Mittheilung aus Bern.

Als Conrad Freiherr von Seldenbüren mit den Seinigen einst das Thal durchzog, in dem Wolfenschieß und Graffenort gelegen ist, und hinauf auf den Hennenberg kam, gefiel ihm die Gegend so wohl, daß er sich entschloß, daselbst ein Männerkloster zu bauen. Dieser Entschluß gefiel Gott, seinen Heiligen und den Engeln so sehr, daß sie erfreut hierüber einen himmlischen Gesang anstimmten, welcher englische Gesang aber bis zu den Ohren des Freiherrn Conrad drang, worauf er dem Kloster den Namen Engelberg beilegte und als Laienbruder in das Kloster selbst eintrat.

Der Bau des Klosters Engelberg ward im Jahr 1119 begonnen; sein Gründer trat jedoch in Folge eines Streites zwischen dem Gotteshaus und den Weltlichen bald wieder in die Welt zurück, wo er im Jahr 1125 von seinen Feinden erstochen wurde. Das Kloster Engelberg, dessen Herrschaft das ganze Engelbergthal bis zur Staatsumwälzung unterworfen war, soll sich, besonders unter der Leitung des Abtes Leodegar Salzmann, manches Verdienst um die sittlichen und ökonomischen Verhältnisse seiner Bewohner erworben haben.


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3. Felix und Regula's Fingerdruck.


Scheuchzer, Beschreibung der Naturgeschichte der Schweiz. Bd. II. S. 40.

Ohnweit Glarus ist ein Berg, auf der Burg genannt, auf welchem man eine Kapelle findet, die nach Einigen zu Ehren des Erzengels Michaels, nach Andern zu Ehren der beiden Heiligen Regula und Felix erbaut ist. Nicht fern von dieser Kapelle befindet sich in einem Felsen eine Höhle, in der die beiden genannten Heiligen sich verborgen hielten, als sie sich von der thebäischen Legion geflüchtet hatten. In den Wänden dieser Höhle zeigt man die Abdrücke von Fingern, welche von jenen Heiligen herrühren und die diese daselbst als Wahrzeichen, daß diese Höhle einst ihr Aufenthalt war, hinterlassen haben sollen.

Nahe bei dem Dorfe Linththal, im gleichen Kanton, entspringt an dem Fuß der Baumgartenwand ein heller klarer Brunnen, welcher St. Felix und Regula's Brunnen genannt wird. Der Aufenthalt dieser Heiligen an diesem Orte soll gleichfalls die Ursache hiezu gegeben haben. Auf beide Heilige ist im zweiten Theil, welcher ausschließlich den Legenden gewidmet ist, zurückzukommen.


4. Musis auf der Sandalp.


Scheuchzer, Beschreibung der Naturgeschichte der Schweiz. Bd. II. S. 74.

In dem Kanton Glarus ist nicht weit von der Limmern-Alp, auf der der Limmernbach entspringt, welcher für den Ursprung der Linth gehalten wird, die später die Limmat



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ausmacht, eine Alp, genannt die Sandan. Von dieser erzählen die Aelpler, daß daselbst zu gewissen Zeiten eine liebliche Musik in der Luft gehört werde.Vergl. die Erläuterungen zu den auf naturhistorischer Basis ruhenden Sagenstoffen, S. 30, 33, 36, 37, 42, 43, 45, 97 ec,


5. Die böse Mutter.


Albert Schott, Alpenrosen 1838. S. 134.

Ein Mann von Matt im Sernftthal hatte von seiner ersten Frau zwei Knaben, die nach dem Tod ihrer Mutter eine gottlose Stiefmutter bekamen. Als der Vater eines Tages über Feld gegangen war, gerieth das Haus unversehens in Brand, und da das Feuer sehr schnell um sich griff, konnte man nicht daran denken, sehr viel retten. Die Frau nahm also mit Hülfe der Nachbarn von ihrem Hab und Gut das Beste fort, die Kinder ließ sie verbrennen. Der Mann, der bald darauf zurück kam, empfand zwar über den Verlust seiner ' Wohnung große Betrübniß, aber untröstlich ward er, als er 'erfuhr, daß sein Weib beim Retten die Knaben für geringer geachtet hatte, als Betten und Vieh. Er ließ sie heftig darüber an, sie aber suchte sich durch falsche Vorwände herauszuhelfen, und als er ihr nicht glaubte, betheuerte sie, wenn sie lüge, wolle sie zeitlich verrinnen und ewig verbrinnen. Da mußte er freilich schweigen.

Nicht lange hernach starb das Weib und ward auf den Kirchhof des Dorfes begraben, der um die Kirche her auf einem sanften grünen Hügel liegt. Gras und Blumen wuchsen auf ihrem Grab, wie auf anderen, und unten rauschte



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der Sernft vorüber. Man hatte des Brandes schon vergessen, da kam in einer Nacht der Föhn, der wehte so heiß um die Eisfelder des Bündnerbergs und des Hausstocks, daß alle Bächlein wie Waldströme von den hohen Felsen in die Wiesenthäler herabstürzten und der Sernft als ein tobender Strom Tannen und Felsblöcke dahinführte. Der Hügel, auf dem das Pfarrhaus und die Kirche von Matt noch liegen , erstreckte sich damals bis an das Ufer des Bachs und war mit seinen Nuß- und Ahornbäumen lieblich anzuschauen, jetzt stürmte das Wasser so gewaltig gegen ihn, daß ein Stück nach dem andern losging und in den Wellen verschwand. Die Särge der Todten wurden aus ihrer Ruhe gerissen, und man befürchtete schon den Einsturz der Kirche; aber ehe es so weit kam, hatte die Fluth das Grab des bösen Weibes gefunden, der Sarg schwebte eine Zeit lang auf den Wellen, ging dann in Stücken und zemann mit Allem, was darin war. Da war der göttliche Wille erfüllt, und die Wasser verliefen sich so schnell, als sie gekommen waren; aber noch zeugt die öde, steinbedeckte Fläche wischen Hügel und Bach von der Strafe des Meineids.Obige Sage beruhet auf einem historischen Faktum, welches sich zu Ende des 16. Jahrhunderts ereignete. Jahrbücher aus jener Zeit theilen nämlich mit, daß die wilden Bergwasser des Sernftbaches, der die tiefen Klüfte des Sernfthales durchtobt, zu jener Epoche einen Theil des Friedhofes zu Matt hinweggerissen *) habe, wobei mehrere Särge hinweggerissen *) 
Eine Sage, welche vom Gottesacker von Hasle geht, mag hier beiläufig Erwähnung finden. Es heißt nämlich, daß dort die Todten zweimal sterben, indem sie noch im Grabe ertrinken müssen (der Gottesacker von Hasle liegt am Fuße eines Hügels in ziemlich wasserreichem Grund). Ein altes Spottlied auf die Hasligemeinde sagt in Bezug auf diese lokale Beschaffenheit:
Si wei mir geng e Frau gä
U kent mit Manier!
E Hasli-Jungfer wit i nit,
Zweumah sterbe mag i nit!


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winden und selbst Kirche und Bfarrhaus des Ortes bedroht war. Selbst das Faktum eines Hausbrandes, bei welchem drei Kinder umgekommen sein sollen, findet sich geschichtlich vor. Es heißt nämlich: Im Jahre 1576 brannte das Haus des Landvogts Giesing ab, während sich derselbe im Welschland befand. Bei diesem Ereigniß fanden seine drei taubstummen Kinder elendiglich ihren Tod. Da nun die Frau, welche die Stiefmutter der Kinder war, viele Habseligkeiten gerettet hatte, machte ihr der von seiner Reise zurückgekehrte Landvogt die bittersten Vorwürfe, daß sie nicht zuerst an die Kinder gedacht habe, worauf dieselbe Antwort, welche obige Sage der bösen Mutter in den Mund legt, und die gleiche Strafe erfolgt sci, welche dieses Weib nach seinem Tode ereilte.


6. Das Knöchlein.


Sibert Schott, Alpenrosen 1838.

Auf der Sandalp, die sich im hintersten Winkel des Linththales am Fuße der höchsten Glarnergebirge hinzieht, hatte vor vielen Jahren ein böser Mann aus Linththal seine Sennhütte, und brachte daselbst wie die andern Hirten mit seinem Vieh den Sommer ;u, Er avar jähzornig, frech und übermüthig; einen armen Jungen, der bei ihm diente, quälte er auf jede erdenkliche Weise mit schwerer Arbeit, rauhen Worten und grausamen Schlägen. Eines Tages hieß er ihn ein Geschäft verrichten, für das der Knabe lange nicht genug Kraft besaß, so daß er sich desselben weigern mußte; da gerieth der Hirt in solchen Zorn, daß er den Knaben ergriff und mit dem Kopf in den Kessel tauchte, worin eben die Milch sott, um sie scheiden. So starb der Knabe, und der Senn warf den Leichnam in die Linth; daheim aber sagte er, der dumme Junge müsse von einer Fluh herabgestürzt sein, denn er sei fortgegangen, uni die Geißen zu melken, und nicht wieder zurückgekommen.



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Es vergingen viele Jahre, das Gebein des Knaben hing ungerächt an einem Felsen des wilden Linthbaches, und von Zeit zu Zeit, wenn eine stärkere Welle vorbeirauschte, nahm sie eins von den Knöchlein mit fort, spielte eine Weile damit und ließ es dann am einsamen Ufer liegen. Einstmals aber traf es sich, daß im Linththal Kirchweih war, wobei es lustig zuging und der böse Senn von Wein, Musik und Tanz betäubt ward, so daß er alle Demuth und Vernunft von sich that und in seiner Sündenthorheit wild dahintaumelte. Es war ihm drinnen zu heiß, drum ging er an den Bach hinaus , der, oben von einem starken, warmen Regen angeschwellt, stärker als sonst vorüberrauschte, kniete daran nieder und zog den Hut ab, um sich Wasser zu schöpfen. Er trank aus, was hineingelaufen war; auf dem Grund aber fand er ein weißes Knöchlein, das steckte er auf seinen Hut und ging so in den Saal zurück. Da fing auf einmal das Knöchlein an zu bluten, und man wußte nun, wohin der Knabe gekommen war; das Fest nahm schnell ein Ende, der Bösewicht ward ergriffen und bald nachher in Glarus auf den Richtplatz geführt.

Wie schon S. 216 erwähnt ward, erzählt man kaum mit einer andern Veränderung, als der des Ortes, im Kanton Schwyz die ganz gleiche Sage; ihre Aufnahme erscheint mir daher als überflüssig, dagegen erlaube ich mir, auf eine poetische Bearbeitung derselben aufmerksam zu machen, welche sich unter dem Titel: "Der Mord bei Ingenbohl" in I. I. Reithard's "Geschichten und Sagen der Schweiz", S, 260 ff. vorfindet.


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7. Sege fliegt als Hummel aus.


Der Kanton Glarus, historisch-geographisch-statistsch geschildert. S. 318.

In einem Dorfe des Kantons Glarus lebte einst ein Weib. Dieses Weib war eine Hexe. Lange Zeit wußte man dies freilich nicht, endlich ward es aber doch offenbar. Dies geschah auf folgende Art. Wollte nämlich das Weib des Nachts zu ihren Hexenversammlungen, so pflegte sie am Abend vorher das Fenster des Schlafgemachs, in welchem sie mit ihrem Mann schlief, zu öffnen. War der Mann eingeschlafen, so flog sie Nachts in der Gestalt einer Hummel um Fenster heraus und kehrte erst bei der Morgendämmerung wieder heim, wo sie dann in ihren unterdessen im Bett zurückgebliebenen Leih durch den Mund wieder einzog. Da trug es sich nun einstmals zu, daß der Mann, wahrscheinlich durch einen kalten Zug, durch das offenstehende Fenster verursacht, erwacht, aufstand und das Fenster schloß, worauf er sich wieder niederlegte. Gegen Morgen erwachte er jedoch von Neuem, dies Mal aber von dem Summen einer Hummel, welche immer ängstlicher und ängstlicher außen vor dem Fenster herumflog und sich alle mögliche Mühe gab, in die Stube hineinzukommen, bei Anbruch des Tags aber plötzlich verschwand. Darauf nun habe sich der Mann nach seiner Frau herumgedreht, um ihr die merkwürdige Geschichte zu erzählen; diese aber sei zu seinem Schrecken eiskalt und bei näherem Nachschauen todt gewesen, da sei ihm augenblicklich klar geworden , welche Bewandtniß es mit seiner Frau und der Hummel gehabt habe.

Auf obige Sage werden wir bei einer andern ganz ähnlichen, dem Kanton Graubünden angehörend, zurückkommen. Merkwürdig sind die


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im Kanton Glarus den Hexen beigelegten Benennungen Wuokisen und Wukisen ein Name, der sich wahrscheinlich aus Wodan, Wuotan gebildet hat. Daß Wodan der Stammvater aller wüthenden Heere und wilden Jagden, sahen wir schon früher, ebenso, daß die Hexen stete Begteiterinnen des wilden Jägers, was Alles zu jener Namensbildung mit beigetragen haben mag.


8. Hexen in Hermelin verwandelt.


Der Kanton Glarus, historisch-geographisch-statistisch geschildert. S. 319,

Ein alter Jäger von Matt saß einst auf der Berghöhe des Gulderstocks; da brach ein Hermelin unter einem Stein hervor. Obwohl der Jäger von seinem Vater und andern alten Jägern schon längst gewarnt worden war; nie im Gebirge Hermelin zu schießen, so wollte er das Thier dennoch erlegen Erlegte-an, ette und feuerte den Schuß ab. aber zersprang das Gewehr in tausend Stricken und augenblicklich war der Jäger von einer Unzahl Hermeline umringt. Der Jäger aber, der wohl wußte, welcher Sorte von Hermelin diese Thiere gehörten, machte sich eiligst aus dem Staube.

In obiger Sage hat sich ein Rest römischen Aberglaubens aufbewahrt , bei welchem Volke das zu den Wieseln zählende Hermelin als übelberüchtigtes Thier galt. Dasselle war auch bei den Griechen der Fall. Außer dem allgemein verbreiteten altdeutschen Volksglauben, daß Hexen zu schwarzen Katzen werden, bringt man im Kanton Glarus auch noch Füchse mit den Hexen in Verbindung, von welchen man ganz ähnlich wie vom Hermelin erzählt, daß sie nicht geschossen werden können, oder die sogleich, wenn man sie schießen will, sich verwandeln. Daß weiße Gemsen Todesboten sind, ist ebenfalls ein Jägerglaube, der im Kanton Glarus daheim ist. Verunglückt ein Jäger im Gebirge, so sagt man dort noch heute: er hat auf seiner vorletzten Jagd eine weiße Gemse gesetzen. (S. die oben angeführte Duelle, S. 319.)


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9. Das Heidenloch.


Der Kanton Glarus, historisch-geographisch-statistisch geschildert. S. 319.

Im Heidenloch liegt ein Schatz, tief in dem Berg in einer eisernen Kiste. Auf der Kiste liegt ein kleiner, schwarzer Hund, welcher den Bergmännchen den Schatz hütet. Zu Zeiten schläft das Hündchen. Wüsste man nur, wenn ! dann könnte man den Schah gut herausnehmen. Wenn es aber wacht und man nahet ihm, so bellt es. Augenblicklich kommen da die Bergmännchen herbei und Gnade Gott dem, der den Schatz hat nehmen wollen. ebend kömmt Niemand mehr aus der Höhle.

In Bezug auf das schatzhütende Hündchen obiger Sage mag auf die Erläuterung zu No. 13. S. 190 verwiesen sein, dagegen soll hier noch einiger anderen abergläubischen Vorstellungen gedacht werden, welche im Kanton Glarus daheim und aus der gleichen (aen angeführten Snelle geschöpft sind. Zuerst sei der Bölima oder Butzima *) (auch Butzi oder Butzibau, s. Stalders Idiotikon S. 251), ein kinderschreckendes Gespenst, genannt, der früherhin ein traulicher Hausgeist (Lar) der heidnischen Vorfahren der Glarner, allmälig zum Schreckbilde und Gespötte der Kinder heruntersank. Ferner der Schratt oder das Schrättele **), welches, ebenfalls heid 
*) Bölima von bohlen, böhlen — werfen, abebohlen, abeböhlen, umbebohlen, verhohlen, zerbohlen - hinab, herabwerfen, hin und herwerfen , Geräusch machen. Der Bölima ist also ein Poltergeist, ähnlich dem niederländischen Bulleimann. Butzima von Butz, die Larve.
 
**) Schratt, Skrat, Skrato, dasselbe, was die Dusii der Gallier und die Faunen und Panisken der Griechen und Römer, deren schon S. 26 Erwähnung geschah. Das Diminutiv Schrätteli, anderswo Schrettel, wohl erst später entstanden; Grimm's Ansicht schreibt dem Schrat oder Waldschrat in älterer Zeit eine ernstere, größere Gestalt zu, was ihm die altnordische Bedeutung von skratti, gigas, Riese bestätigt. Noch im s. und 7. Jahrhundert müssen die Waldgeister eines eigenen Cultus theilhaftig geworden sein. (S. I. I. Grimm, Mythologie der Deutschen, S. 272).


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nischen Ursprungs, anfänglich ein rauher, zottiger Waldgeist, später zum schlafstörenden Alp ward. Ein anderes Landesgespenst der Glarner ist noch der Hackenmann *), ein bösartiger Nix, der, gleich dem Elbst in den Gewässern lauernd, seine Opfer mit einem langen Hacken zu sich herab in die Tiefe zieht. Auch er dient als Kindergespenst, um sie vor dem Wasser zu warnen. Des Weiteren führt die genannte Duelle das Wydewibli und das Pulsteriwibli an; ersteres zeigt sich zwischen Schwanden und Nidfuhren, wo es des Nachts gerne die Heimkehrenden vom rechten Weg abführt und irreleitet, letzteres irrt in der Pulsterli bei Engi umher und ein drittes Wibli, wie jene zwei in die Kategorie der Bergfeen gehörend, schwebt, mit großem Schlapphut und rothen Strümpfen angethan, längs der Speichenruns in Engi herunter. Ferner spuckt im FemmeaGärtli in Adlebach das Roß ohne Kopf und im Walde der wild e Geißer, dessen durchdringendes Pfeifen **) man hauptsächlich an Sommerabenden hört. Aehnliche gespenstische Thiere sind endlich noch im Mattseiten der Mattseiteli-Bock und an der Runs in Hätzingen der Rufelihund, ein gräulich Unthier mit zerbrochener Kette t), an welche sich als nicht unwürdiges Seitenstück noch die Fischungeheuer im Walensee anschließen mögen, welche alle die in seinem Wasser Ertrunkenen auffressen und von denen es heißt, daß sie so groß wie "Tremmel" sind.Schließlich sei hier noch einer anderen Ueberlieferung Erwähnung gethan, die sich an die Höhle obiger Sage bindet. Es heißt nämlich : Vor Zeiten hatte man ein weißes Lamm iki das Heidenloch gebracht, das ganz roth gefärbt bei Schwendi (3/4 Stunden von dem Heidenloch) aus dem Berge wieder herausgekommen sein soll. Ein Pendant hierzu liefert der Gänsbrunnen bei St. Joseph im Münsterthale, in welchem Gänse, die in einem jenseits des Berges liegenden Dorfe einmal plötzlich verschwunden waren, der Sage nach, einige Zeit nachher wieder zum Vorschein gekommen sind, indem sie bis zu der Stelle, wo jener Brunnen, der von diesem Ereigniß seinen Namen hat, aus dem !sen quillt, einen unterirdischen Gang fanden. Daß solche Fälle in das Reich der Möglichkeit gehören, kann nicht bezweifelt werden; mythischer dagegen erzählt folgende Sage: 
*) Hackenmann aus Hackelmann, Hackelberend (f. S. 46) abzuleiten, weil Odin in altnordischer Vorstellung auch Wassergeist ist, scheint mir zu gewagt.
 
**) Das Pfeifen der Nachteulen.
 
) Ueber die Bildungsmotive der Gespensterthiere s. S. 154.


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10. Der Oberblegisee.


Der Kanton Glarus, historisch-geographisch-statistisch geschildert. S. 315.

An Oberblegi ist e See. Wo d's Wasser ine chunt Seht ine; aber wos use luft het nie anas g 'merkt, wo der Leuggelbacher-Geißer g 'meint het, er mües chrüzwis drüberübere schwimme. Der Pur i der Hütte het ems g 'wehrt und g'seit: Bis nüd e Nar. "Me mueß nüd Gott versueche" stat i der Gschrift. Aber der Geißer git umme: Sygs jez dem Herrgott lieb oder leid, se will i Were. Der Pur tankt: Nu sine ? und luegetem zue, wie ner schwimmt. Schier wär er danne gsi, da ninnts ene uf ei Mal abe (der Haaggema wird ene tank hime Bei gnu ha). Um die few Stund holt sy Mueter im Läuggewach Wasser. Was meined er, daß ere i d 'Gelte gsprunge syg? der Chopf ou ihrem Bu, wo übere See het welle schwimme.

Diese, so wie die ihr folgenden vier Sagen theilt die oben angeführte Duelle als Beispiele der verschiedenen glarner Mundarten mit. Ich zog die Mittheilung in gleicher Form vor, da mir, sie derselben zu entkleiden , eine Beraubung ihres ländlichen Gepräges schien.


11. Die Bergli -Ateren.


Der Kanton Glarus, historisch-geographisch-statistisch geschildert. S. 314.

ES ischt e Mal e fährede Schueler i Bergli ufe chu und ine Hütte g 'gange. Es wird schätz kei ryche gsi si (si chänd nu ander Lüt rych mache), drum het er dem Sann etis



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z'Esse gheuschet, der Gottswille. Aber der Sann isch e Berte Dingeler gsi und het gseit: chum mer ab d 'Chilbi, du Skolch. Uf das gat der Schueler i Chräuchthel übere -n-und tänkt : sine gänds mer da au nüt ? Aber die i Chräuchtel heid em g'gi so viel er het möge, Schotte -n- und Ziger und vum überbliebne Fänz und heidne gfraget, ob er well übernacht Abem z'Nacht sitzet der Sann und der Zusänn und d'Chnecht mit dem Schueler um d's Für umme und heid Churzwyl. Der Schueler seit: E schünen Alp gits doch wyt umme keine as Chräuchthel. Mer meinteds au, seit der Sänn, wämmer nu nüd mit dene 'Tunstigsatere plaget wäre. Die Chöge byßed d's Beh id Bei und suged de Chüene d'Mich ußem Uter use. Das Ertigist ist, daß die i Bergli kei heid. So? heid sie kei danne? fraget der Schueler. Sußt seit er nut. Aber um Morged ist er uf-ne Büchel ufe gftande und het allerlei Faxe g'macht und Ring g'schlage und d'Atere us Chräuchthel i Bergli übere b'bannt, as men- jez i Chräuchthel kei meh gseht und all überänne sind.Vergl. Kanton Freiburg, No. 18. S. 158.


12. Sage vom Schaffelbsanft.


Der Kanton Glarus, historisch-geographisch-stattstisch geschildert. S. 314.

Ufern Schafselbsaft Bets vor altem schüni Weid ghä. Jez gsieht nie nitt meh dervu, wegem Fire, aber as der Fire-n-abe chu ischt, da ischt der Val; z 'Schuld, das ischt der letzt Sann gsi. Der het mit sym Sante welle z'Alp fahre a Limmere. Wo-n-er über d'Pantebrugg will, so gsieht er wyt unde-naim Loch en alts Wybli, das het ufegrüeft



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und schüüzli bynem aghalte, er söll ein ufehelfe, aber der Balz het gseit: bock du nu da unde; worum bist abe, und het g 'lachet. — Es vergünd etis Tage-n-über das, so sitzet der Balz vorusse-n-und lueget dem Veh. Uf ei Mal gits e Chlapf und der Fire rutschet a und ninnt als mitem, d'Stei und d Hütte -n-und 's Vch, und der Balz het au nümme chänne flieh und het müeße - über d 'Wand abe wie das ander. Wo-n-er schu z'usserst uffe gsi ischt, beter das alt Wybli wieder gsih, das ischt mitem Fire derher ; z'ryte chu und het nean-nause g 'stoße und gseit: Jez will ich lache.In Bezug auf diese und die folgende Sage verweise ich auf die Erläuterung zu der Sage von den Clariden-Alpen (S. 203), welche, wie schon an jener Stelle erwähnt, auch im Kanton Glarus zu Hause ist. Nur mit der Veränderung, daß der übermüthige und gottlose Senn an einem bestimmten Tage im Jahr daselbst zum Vorschein kommt und in den Ruf ausbricht:
Ach ich und myni Liebsti Cathri
Und mys Hündeli Sari
Mücnd immer und ebig underäm Fire n unde si!
bindet sie sich hier an den Glärnisch, einen hohen Gebirgsstock, der sich südwestlich über den Flecken Glarus erhebt und der noch einer anderen Sage, der Sage vom Vreneligärtli, die dieser Sammlung an einer anderen Stelle eingereiht werden wird, zum Schauplatz dient.


13.

Verwandlung des Mutteri in Fideri.


Der Kanton Glarus, historisch-geographisch-statistisch geschildert. S. 312.

Vor alte Zyte, so erzählt man, ischt e prächtigs melchs Gresli bis uf die höchste Grat ufe gwachse. Je; findt mes nu noch wyter unde. Worum ächt? darum, daß es d 'Sre z'guet g'ha händ derby und übermüethig worde sind. Wenn



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sie a de-n-undere Stäfli gst sind, so sind sie viel nidsi g 'ange gu tanze -n-und gu wüest thue. Ab de-n-obere-n- abe hets es aber nüd möge g'gi. D's Gras ist so guet gsi, daß sie drü Mal heid müese melche z 'Tags; drum heid sie müese dobe blibe. Das het ne gar nüd g 'falle und sie heid mängmal g 'seit: wenn nu der Tüfel das Gras nähm. Wegs dem ist d's best Gras, d's Mutteri, in der Höchi obe vertüret und es het Fideri drus g'gi.Dieselbe Duelle, aus der obige Sage geschöpft ist, theilt noch eine andere Version dieser Verwandlung mit: "Nach Anderen hätten die Aelpler durch unbarmherzige Behandlung eines alten Weibleins die Verwandlung der milchreichen Kräuter der Hochalpen verschuldet. Dieses habe, die Aelpler verwünschend, ausgerufen; "Milcherchrut und Cypriu — sölled ebig dürre stu!" Worauf die Verwandlung erfolgt sei. Cypriu nennt man im Kanton Glarus die auf der Erde sich aus- breitenden Flechten, besonders das isländishe Moos Fiden dagegen die mehr staudenartigen, mit fein getheilten Resten, wie die Cornicularien und Cladonia rangiferina.


14. Gespenst fast ein Erdbeben an.


Scheuchzer, Beschreibung der Naturgeschichte der Schweiz. B. 3. S. 20.

Es war in den Jahren 1701 oder 1702, in welchen das glarner Land wohl durch 30 oder 40 Erdbidem erschüttert wurde, als einstmals um Mitternacht ein ehrlicher Mann und Burger im Linththal eine unbekannte Stimme hörte, die seinen Namen rief. Als er darüber aus dem Schlafe erwacht war und um Fenster hinaus gesehen hatte, sah er einen Geist mit einem Lichte in die seinem Hause nah gelegene Kirche gehen, welche, nachdem das Gespenst hinter sich die Thüre zugeschlossen hatte, in vollen Flammen stand,



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obwohl man hernach nicht das geringste Merkmal eines Feuers wahrnahm. Kurz darauf aber ward die dortige Gegend wieder von einem heftigen Erdbidem heimgesucht.Die Vision obiger Sage gehört in das Bereich der Weissagungen, Ahnungen und Vorzeichen — ein Glaube, der sich, da er in der zu allen Zeiten den Völkern sich aufdringenden Wahrheit, daß nicht der Zufall, sondern eine ewige Ursache künftiger Wirkungen Regierer und Lenker dieses Weltalls ist, wurzelt, von jeher Anhänger und Vertheidiger fand; die Erkenntniß jener Wirkungen aber hielt man nur während des Schlafes für möglich oder man schrieb sie einzelnen besonders bevorzugten Sterblichen zu, deren Organismus dem Zustand der Extase unterlag. Die Orakel der Alten, ihr Glaube an die Schutzgeister, welche ihnen vermittelst der Träume den Willen der Götter offenbarten, sind bekannt, nicht minder der Glaube an das zweite Gesicht *), welcher, noch heute in Schottland und am 
*) Das zweite Gesicht, in Schottland second sight genannt, schreibt man nicht nur einzelnen Personen, sondern ganzen Geschlechtern zu. Selten glückliche Ereignisse verkündend, weissaget es meistens Unglücks- und Sterbefälle. Am Niederrhein nennt man die mit dieser Gabe Betrauten Vorkicker oder Vorschauer. Nork in seinem Kloster T. XII. S. 741 erzählt von ihnen: Der Vorschauer sieht Leichenzüge, lange Heereskolonnen und Kämpfe ,ersieht deutlich den Pulverrauch und die Bewegungen der Fechtenden, beschreibt genau ihre fremden Uniformen und Waffen, hert sogar Worte in fremden Sprachen, die er verstümmelt wiedergibt, und die vielleicht lange nach seinem Tode auf demselben Flecke wirklich gesprochen werden. Auch unbedeutende Begebenheiten muß der Vorschauer unter gleicher Beängstigung sehen, z. B. einen Erntewagen, der vielleicht nach 20 Jahren auf diesem Hofe umfallen wird, er beschreibt genau die Gestalt und Kleidung der jetzt noch ungeborenen Dienstboten, die ihn aufzurichten suchen, die Abzeichen des Fohlens oder Kalbes, das erschreckt zur Seite springt, und in eine jetzt noch nicht vorhandene Lehmgrube fällt" ec. Daß es in der That einen solchen Zustand der Extase gibt, denen gewisse Personen in gewissen Momenten unterworfen sind und in welchen denselben die verschiedenartigsten Phantasiegebilde vorschweben, ist gleich dem Somnambulismus eine wissenschaftlich erwiesene Thatsache, gleich diesem aber auch ein krankhafter Zustand, welcher eher als die Folge eines innormalen Organismusses, denn als eine Bevorzugung durch die Gottheit betrachtet werden muß, welcher Meinung die Alten waren und der man in den oben genannten Gegenden noch heute huldigt. Außer Schottland und den Niederrhein nennt Nork noch Dänemark, Afrika und Asien, wo diese Krankheit vorkommen soll. Bei dieser Gelegenheit dürfte die Bemerkung nicht uninteressant sein, daß die Gabe des zweiten Gesichts auch Thieren (so unter anderen hunden und Pferden, Krähen, Elstern und Specht


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Niederrhein daheim, sich ebenfalls hierauf basirt und an das sogenannte "Kirchgangschauen" der Glarner lebhaft erinnert. Die Gabe des Kirchgangschauens, welche darin besteht, daß man alle Diejenigen, welche im Laufe des Jahres sterben werden, Nachts zur Kirche gehen sieht, ist der im Kanton Glarus herrschenden Vorstellung nach nur alten Weibern und Frohnfastenkindern eigen; letzteren jedoch nur in der Nacht, von welcher sie ihren Namen haben. Noch vor Kurzem lebte zu Matt ein altes Weib, 
ten; nach einem glarner Volksglauben verkünden die drei letzteren, wenn sie sich auf ein Haus setzen, worin ein Kranker liegt, dessen Tod) beigelegt wird, ebenso daß ein Vorschauer seine Fähigkeit auf eine zweite Person übertragen kann, welche, ihm auf den rechten Fuß tretend, ihm über die rechte Schulter schaut. Mit dem zweiten Gesicht hängen übrigens noch eine Menge abergläubischer Vorstellungen von Unheil verkündenden Vorzeigen in engem Zusammenhange, welche sämmtlich heidnisch , noch heute ihre Macht ausüben. So das Knarren der Wände, des Bodens, der Betten, das Blühen der Hauswurz im Garten oder auf dem Dache, das Schlagen der Glocken während des Betglockenläutens ec. ec.; vor Allem aber sind mit dem zweiten Gesicht noch die Erscheinungen von Doppelgängern verwandt, diesen "Schatten der Seele", wie sie Theophrastus nennt, von welchen uns der Kanton St. Gallen in neuester Zeit ein Beispiel liefert, und das, nach dem "Wahrheitsfreund erzählt, hier noch einen Platz finden soll. Die Geschichte lautet folgendermaßen: "Zu Amden im Kanton St. Gallen wurde unlängst beim Scheibenschießen der Zeiger Boni, ein junger tüchtiger Mann, vor der Scheibe erschossen. Derselbe soll wenige Tage vor seinem Tode eines jener warnenden Doppelgesichter gesehen haben, welche für Gelehrte und Nichtgelehrte bis zur Stunde ein unauflösliches Räthsel geblieben sind. Der Fall ist folgender: Boni hatte früher ein anderes Haus bewohnt, als in der letzten Zeit. Jene Wohnung steht nun seit längerer Zeit ganz leer und das Haus ist verschlossen. Drei Tage vor dem Unglückstag, an dem Boni auf der Schießstätte sein junges Leben aushauchen mußte, ging er bei jenem verschlossenen Haus vorüber, blickte bei hellem Tageslicht an dasselbe hin, sah einen jungen Mann aus dem Fenster seiner vormaligen Schlafkammer schauen und ihm warnend mit erhobenem Finger zuwinken. Er, als unerschrockener und kühner Mann in der Gemeinde allbekannt, erhob seinen Stock, um die Drohung des Winkenden mit einer Gegendrohung zu erwidern, erkannte aber, dem Hause ganz nahe gekommen, sogleich sein Ebenbild in der aus dem Fenster schauenden Gestalt, die nicht nur sein Gesicht, sondern auch seine anhabenden" Kleider wiedergab und ihn längere Zeit in besagter warnender Stellung anschaute. Er eilte nach Hause und erzählte seinem Weibe, was er soeben gesehen, erzählte es nachher auch vielen Mitbürgern, jedoch ohne daß er Furcht oder Schauer davor zeigte. Seine Frau und alle Anderen, die davon hörten, deuteten die ihnen berichtete Erscheinung als einen außerordentlichen Wink von oben, daß er am kommenden Sonntag nicht scheibenzeige; i solle, bei welcher Function ihm schon voriges Jahr zwischen seinen beiden Beinen durchgeschossen worden war. Das arme Weib drang bittend in ihn, von seinem Vorhaben abstehen zu wollen, der


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welches man oft des Nachts auf der Straße stehen sah und das behauptete , alle die im Laufe des Jahres Sterbenden, den Tod an ihrer Spitze, im geisterhaften Zuge an sich vorüberwallen zu sehen. Die Angaben solcher Kirchgangschauerinnen, durch einen innern Drang zum Anschauen dieser Züge gezwungen zu sein, und während demselben Niemand grüßen, noch den Namen Gottes anrufen zu dürfen, gehen offenbar in das Hexenartige über, was, wie wir sahen, ganz ähnliche Eigenheiten aufzuweisen hat. 
Pfarrer warnte ihn ebenfalls davor, Gemeindevorsteher und andere Freunde machten ihm gleiche Vorstellungen. Doch umsonst, er erwiderte ihnen einfach: er könne nicht mehr anders, er müsse an die Scheiben. Ohne Zweifel wollte sich der kühne junge Mann nicht anmerken lassen, als würde er der Erscheinung des Doppelgesichtes irgend welches Gewicht beilegen. Auf der Scheibenstätte hinter der Schutzmauer rief er noch einem seiner besten Kameraden zu: er solle ihn doch besuchen, es sei ihm in seinem Leben noch nie so öd und langweilig gewesen, wie eben jetzt. Als sein Kamerad sich wirklich zu ihm hinter die Schutzmauer begeben hatte, bemerkte ihm der sonderbar ergriffene Zeiger Boni: daß er ringsum auf dem Boden, Stutzerkugeln in Menge sich durcheinander bewegen sehe; er fürchte nun doch selbst, es könnte heute für ihn etwas absetzen. Wenige Minuten nachher siel ein Schuß, der ihn an die Scheiben rief, es knallte abermals und die Kugel eines neuen Schusses ging ihm durch den Kopf und streckte ihn todt zu Boden. Der Schuß war gegen den Willen des Schützen losgegangen; denn während er mit der unseligen Waffe zielte, rief ihm Jemand zu: Halt, der Zeiger ist vor! und er wollte alsobald wieder absetzen, berührte aber unvorsichtiger Weise den Abstecher und der Schuß ging los.


15. Der spuckende pfaff bei St. Wendel.


Scheuchzer, Beschreibung der Naturgeschichte der Schweiz, 3. Bd. S. 20.

Bei St. Wendel, jenseits der Linth, stand einst eine Kapelle, von der man jetzt kaum noch Trümmer wahrnimmt. Kurz vorher, ehe die Reformation in das Land kam, war dieser Kapelle ein Pfaff vorgesetzt, der die reichen Einkünfte der Kirche, welche er zu verwalten hatte, statt sie zum Besten der Armen und zum Heile der Religion anzuwenden, in Saus



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und Braus verschlemmte und verpraßte. Lampreten, Gemsziemer und die feinsten Weine zierten seine Tafel, bei der ihm ein hübsches, üppig gebautes Mädchen serviren mußte. Von all dem Gutleben ward er aber so dick und fett, daß er, bald ein kurzes Ende nehmend, buchstäblich in seinem Fette esse Obschon der Fleischklumpen, in welchem des Pfaffen Seele gewohnt hatte, nun zur Ruhe gekommen war, so war es mit dieser doch nicht das Gleiche. Noch heutigen Tages sieht man zur Strafe, daß sie den Sinnen des Leibes zu sehr unterthan war und darob die von der Religion auferlegten Pflichten vergaß, dieselbe in der spuckhaften Gestalt eines Pfaffen um den Ort, wo einst die Kapelle stand, herumwandeln.Die Einkünfte dieser Kapelle kamen nach der Reformation an die Kirche zu Schwanden.


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Vie Kantone Graubünden und St. Gallen.


1. Die Biene.


Bandlin, schweiz. Merkur. Jahrg. 1835, S 234.

Mne Gesellschaft von Jünglingen, die sich um die Mitternachtsstunde aus der Gemeinde Klein-Fettan in die von Groß-Fettan begaben, sahen, vom Mondscheine begünstigt, auf einer unweit der Straße gelegenen Wiese einen menschlichen Körper auf dem Boden liegen. Nachdem sie sich demselben genähert und ihn umgewandt hatten — denn das Gesicht lag gegen die Erde —- erkannten sie in ihm ein armes altes Weib aus der Gemeinde Klein-Fettan. Da sie dasselbe für todt hielten, trugen sie es in eines der nahe gelegenen Häuser, und legten es in ein Zimmer, in welchem schnell Licht macht wurde. — Ganz betroffen über diesen unerwarteten Fund, sahen sie sich gegenseitig stillschweigend an, als sie in der ärmlichen Stube eine herumfliegende Biene wahrnahmen Sie näherte sich der Leiche und flog in den offenen Mund derselben. Kaum war sie hineingeflogen, so schlossen sich die bleichen Lippen und die Alte richtete sich auf und mahnte die betroffenen Jünglinge, ihren Körper künftighin in Ruhe zu lassen, wenn ein ähnliches Ereigniß um zweiten Male mit demselben stattfinden sollte.

Schon unter den Sagen des Kantons Glarus fanden wir die Vorstellung , die Seele der entschlafenen Hexe stiege durch ihren Mund als


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Biene davon und kehre als solche auf gleichem Wege wieder in sie zurück. Aehnliches kennt auch der serbische Volksglaube, in welcher der böse Geist, der die Vjeschtitza oder Zauberin beseelt, als Schmetterling gestaltet aus ihr davon fährt. Ich hielt dies der Erwähnung werth, da auch in der Schweiz der Schmetterling als dämonisch bösartiges, teuflisches Thier, als Alp, als Nachttoggeli [ber Name einer Phaläne) erscheint. S. Stalders Idiotikon (B. 1. S. 287), der Toggeli von togen, sich über den Menschen bücken, daß er am Athemholen verhindert ist, ableitet.


2. Der Granitblock der Sege.


Wanderer in der Schweiz. IV. Jahrgang.

Nicht weit von Tusis liegt die zerstreute Gemeinde Tschapina. An den letzten Häusern derselben liegt ein kleiner Anger, auf dem sich ein großer Granitblock erhebt. Diesen hat eine Hexe dahin gebracht, welche die Obrigkeit und die Gemeinde wegen ihren bösen Künsten hatte strafen wollen. Um dieselben an der Ausführung ihres Urtheils zu verhindern, hatte die Hexe jenes Felsenstück vor die Thüre der Rathsstube tragen wollen, daß die Richter auf diese Art eingesperrt gewesen wären. Unterwegs aber riß ihr die Schürze, in der sie den Stein getragen, und derselbe siel an jener Stelle Boden, wo er noch heute unter dem Namen der Hexenstein liegt.

S, 10, 53, 77 u, 149 sahen wir, wie der Volksglaube das Steinetragen und Steineschleudern gewöhnlich den Riesen und dem Teufel zuschreibt. Wahrscheinlich, daß die enge Beziehung, in welcher Hexe und Teufel zu einander stehen, die hiervon abweichende Vorstellung obiger Sage, welcher jedoch die Bemerkung, daß sie sehr selten vorkommt, noch beizufügen ist, veranlaßte.


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3. Priester zum Hexentanz entführt.


Joa. Franc. Pici Comit. Miranduhae strix sive de ludificat. Doern. dial. III. Argent. 1612. p. 151.


Thyraei Daemoniaci h. e. de obsessis a spirit. daemon. horn. p. 167. Wolf. deutsche Märchen und Sagen, S. 469.

Zu den Zeiten Maxmilians des Ersten lebte in den rhäischen Alpen ein gar frommer und gottesfürchtiger Priester. Der wurde eines Abends gerufen, einem fernwohnenden Kranken die Wegzehrung zu bringen; damit er nun um so schneller den Weg zurücklegen möchte, schloß er die Hostie in ein Büchschen, hing das an den Hals und bestieg ein Pferd, welches einen guten Trab ging. Als er so ein Streckchen geritten war, da kam ihm Einer entgegen, der lud ihn ein, von dem Pferde zu steigen und ein Schauspiel zu schauen, wunderbarer, als je etwas gewesen wäre. Der Priester war unklug und neugierig genug, der Einladung zu folgen, und stieg vom Pferde, doch in selbigem Augenblicke fühlte er sich mit dem Andern in die Luft gehoben und daher getragen bis auf die Spitze eines hohen Berges. Da sah er eine große und anmuthige Ebene, beschattet von schönem Baumwerk und umgürtet mit starrenden Felsen; in der Mitte derselben tanzten unzählige Reihen, spielte man Spiele aller Art und standen mit den ausgesuchtesten Speisen beladene Tische; liebliche Gesänge tönten dazu und kurzum es war da Alles, was nur eines Menschen Herz erfreuen konnte. Der Priester stand noch ganz stumm darob, als der Geleitsmann wieder zu ihm kat und ihn fragte, ob er nicht der Königin seine Verehrung und ein Geschenk darbringen wolle? Die Königin nämlich saß auf einem hohen und prächtigen Thron und war schön und wohlgebildet über die Maßen. Alle nahten ihr nach der Reihe, warfen sich vor ihr nieder und reichten ihr



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ein Geschenk. Der Priester dachte bei sich, das könne Niemand anders sein als Christi Mutter, die benedeite Jungfrau Maria, und der könne er kein lieberes Geschenk bringen, als ihres lieben Sohnes heiligen Leib. Als nun die Reihe an ihm war, da kat auch er gar demüthig vor ihren Thron und legte ihr das Büchslein mit den Hostien auf ihren Schooß, aber in demselben Augenblick verschwand sie mit den andern Allen und den Priester umgab dickes Dunkel. Er rief Gottes Hülfe um Beistand an und suchte sich mit vieler Mühe einen Weg durch Wälder und Büsche und fand nach langem Wandern einen Hirten, von dem er erfuhr, daß er über hundert Meilen von dem Orte entfernt sei, wohin er die heilige Wegzehrung hatte bringen sollen.Die anmuthige Ebene obiger Sage mit ihrem Wonneleben, Freuden und Spielen in Mitten starrer Felsen ist nichts Anderes als Frau Sollens Hofhaltung, welche das 15. und 16. Jahrhundert in den Venusberg verwandelte, an welchen sich eine der lieblichsten Sagen des Mittelalters, die Sage vom Ritter Tannhäuser knüpft Frau Holla aber ist mit Frigga, der Gemahlin Odins, identisch, welche das Priesterthum zum unheimlichen Spuckgeist umschuf, der jedoch der alten Idee getreu auch in dieser Verwandlung eine mehr verlockend liebliche, als häßlich abschreckende Erscheinung war.


4. Der Schmied mit dem feurigen Eisen.


Reithard, schweiz. Merkur. Jahrg. 1535, S. 311.

Unweit Surawa, in Graubünden, stehen die Mauern eines Hauses. Sie sind innen alles Getäfels und Gebälkes entkleidet; durch die offenen Fensterhöhlen zieht der Wind und oben sieht der Himmel hinein. Im untern Stockwerk finden



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sich noch Spuren einer Esse. Der Landmann zieht schaudernd vorüber ; denn er kennt die Sage vom Schmied mit dem feurigen Eisen. Der war in uralter Zeit Besitzer dieses Hauses und der dazu gehörigen Schmiede und befand sich, als der einzige Schmied der Umgegend, bei seinem Berufe sehr wohl. Siehe, da kam aus der Fremde ein junger, frischer Gesell von Tiefenkasten, welches bekanntlich unweit Surawa liegt. Der Weg führte ihn an der Schmiede vorbei und, angezogen von den Funken, welche lustig emporsprühten, , trat er bei dem Meister ein. Sie kamen in's Gespräch und der Gesell erzählte dem Alten, wie er nun im Sinn habe, in Tiefenkasten ebenfalls eine Schmiede zu errichten und wie es ihm weder an Geld noch Geschick fehle, sich eine gute Kundsame zu erwerben. Da erwachte im Herzen des Alten grollender Neid, und der Böse, der überall bei der Hand ist, wo der Mensch eine Blöße zeigt, gab ihm einen verruchten Mordplan ein. Der Meister bot dem Jungen freundlich ein Nachtquartier an, und da es schon spät und finster war, nahm dieser es mit argloser Freude an. — Aber als ein tiefer Schlaf des Jünglings Sinne gefangen hielt, stieg der alte finstere Schmied hinunter in die Werkstatt, nahm eine spitzige Eisenstange: der Blasbalg gahrt, die Funken sprüh'n" und hald ist das Eisen glühend. Und als es glühend war, schlich er hinauf in die Kammer, wo der Jüngling schlief, und stieß ihm den knisternden Stab durch die Brust ! — Den Leichnam begrub er. Kein Zeuge war gegenwärtig und die That blieb verschwiegen. Aber die Reue und in ihrem Gefolge die Verzweiflung verfolgten den Mörder von nun an auf allen Stegen und Wegen. Endlich ging er hin zu dem Priester des Orts und beichtete die entsetzliche That. Dieser rieth ihm, sich selbst den Gerichten zu verzeigen und durch den Tod auf dem Rabenstein den zürnenden Schatten zu versöhnen. Aber er scheute sich zu sterben durch


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Henkershand und ging in sein Haus und schnitt sich die Kehle ab. Die Schauer der Hölle lagerten sich seither über der Wohnung und ringsherum wurde das Land öde. Um Mitternacht steigt der alte Schmied aus den Trümmern; man hört da, wo die Schmiede war, das Gahren des Blasbalg ges und sieht die wilden Funken sprüh'n. Alsdann Sitt er kohlschwarz mit dem knisternden Eisen in der Faust aus der Thüre, wankt ächzend nach der Stelle, wo, wie man sagt, die Gebeine des Gemordeten liegen, und steckt den knisternden Stab in die Erde hinein, aus welcher alsbald wilde Fammen schlagen, in denen der Geist des Mörders heulend verschwindet.

Vgl. die zwei folgenden Sagen und noch andere ähnliche Beispiele dieser Sammlung, welche sämmtlich begangene Verbrechen mit gespenstischem Umgehen nach dem Tode bestrafen.


5. Der Mann von Muntclü.


Bandlin, schweiz. Merkur. Jahrg. 1835, S. 233.

In einem Walde (Muntclü genannt), zwischen den Gemeinden Schuls und Fettan, erscheint um die Geisterstunde ein Mann. Erläuft im Gehölze herum, heult und bittet kläglich um Hülfe und Rettung. Der rechte seiner Arme soll etngekocknet und auf den Knochen der Hand soll weder Haut noch Fleisch sein. Diesen Arm streckt er vor sich hin.

Jeder, wenn's immer möglich ist, weicht zur Nachtzeit diesem Walde aus.

Man erzählt, dieser Mann habe während seines Lebens in diesem Gehölze einen Mord begangen.



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6. Der Ritter von Urschai.


Bandin, schweiz. Merkur. Jahrg. 1835, S. 234.

Es geht die Sage bei Jägern und Hirten, daß sie in gewissen Zeiten der Sommermonate, wenn sie um die stille Mitternachtsstunde durch das Thal Urschai kommen, auf der Höhe des Berggipfels zuerst ein gesatteltes Pferd, weiß wie der Schnee, und dann einen Ritter, schwarz wie Kohle, erscheinen und sich auf ersteres schwingen sehen. Pfeilschnell eilt das Pferd nun über das Gestein der zerfallenen Mauer, welche die Mpweide von Fettan von der von Steinberg scheidet, herab, und da, wo diese Scheidung eine Einbiegung bildet, öffnet sich die Erde und Pferd und Reiter verschwinden.

Als Schiedsrichter soll dieser Ritter, dem die genannten Gemeinden vor uralter Zeit die Ausmalung ihrer Alpen, um den langen Hader zu enden, überließen, durch diese Enbiegung die Gemeinde Fettan benachtheiligt haben.

Der Ritter von Urschai ist eine andere Variante der Sage vom Bannhölzler. S. S. 218.


7. Das nächtliche Gräben auf dem Friedhofe.


Bandim, schweiz. Merkur. Jahrg. 1830, S. 235.

Ein Engadiner erzählte einst wie folgt: Mein Großvater hatte einen Knecht. Eines Morgens sagte ihm derselbe, daß er um Mitternacht Spatenschläge von seiner Schlafkammer aus, deren Fenster nach dem Gottesacker schauten, gehört habe. Nachdem er sie einige Zeit vernommen, sei er wieder



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eingeschlafen — und endlich von Neuem durch solches Graben aufgeweckt worden. Um sich zu unterrichten von dem, was da vorgehe, stand er auf, kleidete sich an und begab sich zum Kirchhofe hinab. Im Hinuntergehen noch hörte er das Schaufeln, und fand, dort angekommen, ein offenes Grab an der Stelle, die er genau bezeichnete. Den Tag darauf starb der füher kerngesunde Mann und der Todtengräber öffnete ihm das Bett, dessen Decke er vierundzwanzig Stunden vorher weggehoben sah.Das nächtliche Graben auf dem Friedhof gehört gleich der Sage Nr. 14 S. 240 in das Bereich der Visionen, über welche ich mich schon bei dieser Gelegenheit ausließ. Daß mit ihnen jene größtentheils unheilverkündenden Vorzeichen, welche oftmals unter der verschiedenartigsten Deutung fast überall daheim sind, in enger Verbindung stehen, ward schon dort bemerkt. Es mögen von den abergläubischen Vorstellungen dieser Art, welche unter den Bewohnern Graubündens gäng und gäbe sind, daher nur einige der bezeichnendsten aus der gleichen Duelle, aus der obige Sage geschöpft ward, hier noch Erwähnung finden. bedeutet z. B. hohler und dumpfer Glockenklang bei einer Beerdigung, daß in nächster Zeit der Tod einen der Angesehensten die Gemeinde in große Trauer versetzen werde, während helles und volles Grabgeleute anzeigt, daß das Leid um den Nächststerbenden nur gering sein wird. Ferner verkündet ein freundliches Gesicht des im Sarge Liegenden, daß bald Einer der Zurückgebliebenen dem Dahingeschiedenen in das Land der Verklärung nachfolgen werde, welche gleiche Bedeutung auch das Einstürzen eines frisch gemachten Grabes hat, während die Höhlung des Talges im Leuchttiegel je nach ihrer Beschaffenheit diesen oder jenen Todesfall in nächster Nähe ansagt. Frißt z. B. das Licht an dem angezündeten Dochte in dem Talg eine Höhlung, daß dieselbe noch von allen Seiten mit Unschlitt umgeben ist, so ist dies ein Zeichen, daß überhaupt Jemand bald sterben wird, stürzt dagegen der obere Theil des Talges gegen den Docht, so fällt der Todeswürfel für Jemand im Hause, während, wenn dies nach auswärts geschieht, es Jemand außer demselben gilt. Endlich hält man auch hier, gleich im Kanton Glarus, für ein Vorzeichen nahenden Unglücks, wenn sich eine Elster am frühen Morgen auf den Hausgiebel setzt.


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8. Der brüllende See Calandari.


Schreiben des Dsylvadus Molitor, ehemann. Priesters zu Anders.


Scheuchzer, Beschreibung der Naturgeschichte der Schweiz. B. l. S. 170.

Auf der Arosen-Alp im Schamser-Gebiet findet man einen See, welcher so klein ist, daß man ihn von allen Seiten mit einem Stein überwerfen kann, dabei aber eine unergründliche Tiefe und wohl einen Zufluß, aber keinen Abfluß hat. Zieht ein bös Wetter heran, so schnellt sich inmitten dieses Sees ein gewaltiger großer Wirbel empor, welcher im zunehmenden Wachsen so stark brüllt, daß man es von einem Berge zum andern, wohl sechs Stunden weit, hören kann. Dabei hat dieser See noch die wunderbare Eigenschaft, die Menschen, welche sich an seinem Ufer schlafen gelegt haben, unwiderstehlich anzuziehen. So ist einstmals eine Frau, welche sich ziemlich weit entfernt von ihm niedergelegt hatte und eingeschlummert war, von ihm angezogen und verschlungen worden. Worauf man ihren Gürtel mit den Schlüsseln an den Ufern des Rheins gefunden hat, welcher Fluß doch vier Stunden von dem See Calandra entlegen ist. Es gibt aber noch viele andere Leute, welche, obschon sie nicht einen so kläglichen Tod wie jene Frau fanden, doch, als sie weit vom See eingeschlafen waren, mit den Füßen in ihm erwacht sind. Etlichen Knaben aber, welche aus Lust stehen Pferde in den See gesprengt hatten, ist Folgendes passirt: Nachdem die Pferde mehr als drei Stunden in dem See geblieben, sind die Knaben in Furcht gerathen, es möchten dieselben verloren sein; daher sie sich zusammen verstanden, Niemand zu offenbaren, daß sie Urheber dieses Unglücks gewesen. Wie sie aber so mit diesem Gedanken umgingen und sich von dem See hinwegbegaben, kam zuerst eine alte, graue Stute und dann die übrigen Pferde, je eines auf dem Rücken des andern



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fest angeschlossen, wieder aus ihm havar; Auf dem Lande angekommen, fielen sie zwar um und lagen lange wie todt, sind aber hernach wieder zu sich gekommen. Wunderbar hierbei ist, daß alle sieben Pferde, obschon sie vorher beschlagen, doch sämmtlich ihre Hufeisen in dem See verloren hatten.Von dem Pascholer-See bei dem Dorfe Flerda auf dem Heintzenberge bei Tusis erzählen sich die Landleute auf ähnliche Art, daß er bei herannahendem Gewitter ein unheimlich Getön von sich gebe. Gleiches wird auch von einem See in dem Thale Savogno in Bünden und von einem noch anderen im Sarganserlande berichtet, der ungefähr vier oder fünf Stunden von dem Bad Pfeffers entfernt ist.Die unwiderstehliche Anziehungskraft, welche die Sage dem See Calandari zuschreibt, ruht wohl vor allem in der natürlichen Beschaffenheit seiner Gewässer, deren plötzliches Anschwellen die an seinen ufern Eingeschlafenen überraschte. Vielleicht kann auch ein entfernter Anklang an die in ältester Zeit Flüssen und Seen gebrachten Menschenopfer in ihr aufgefunden werden.


9. Paracelsus in St. Gallen.


Bartholomaei Anhorn, Magiologia. Tom. c. 7. s. 2, p, 625.


Happe!, Relationes curiosae r. III. p. 482.


s. de Vries, de Satan. l. 296.


Wolf, deutsche Mährchen und Sagen. S. 245.


Neue illustrirte Zeitschrist für die Schweiz. Jahrgang 1850. Nr. 4.

Es was vf ain Zyt, 1526 —30, do der in ganz Europa hoch verüemt Doktor Theophrastus Paracelsus zu St. Gallen im obern Thurgäuw, vor dem Multerthor saß und mit ihm manch ehrbare Burger, wie das noch Büttgen Tages zur Abendzyt gepflogen wirdt.

Do erzellt Inen der Doktor velerley von synen Reysen und Farten durch Lamparten, Bömerland und Hungern, auch



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wie er in Polen mit den Zyginern gezogen und gehuset, ire Kunde der heilsamen Chrüter und Wundsalben zu erforschen, des Wytern Croatien und Skandinavien bereyset und kostliche Erfarung gesamblet zum Frommen der Lydenden.

Bud als er Inen so erzellt von der Menschen in fömden Landen Thun und Tryben zu aller Ergetzen, wandelt deß Wegß Stücheler, der Stadtpfyffer, sonst ein heller Gesell und lustiger Sinnen voll, jetzt aber vast trurig und ernstlich zuwider sin Gewohnhait; alß den der Doktor ersach, dem nünt entrünnt, frogt er ihn: "Stücheler, min guoter Gesell, was bist du so trurig und henkst die Lefzgen ? Du wärst wie ich wol truw lieber by dinen Herren zu Baden, statt hier zu schliche um ir Tor und die Fecken (Fittiche) zu lampen wie ain Vogel in der Mus?"

Auf das, so gnappet der Stücheler mit dem Haubt, alß wollt er dem Doktor Recht geben, doch schamt er sich, das ers merk, aber der Parazelß fart fort mit sym Spott, sagende, willtu hüt noch zur Abendstund in Baden sin zu; diner Freud und Lust und dinem Herren vorpfyffen, so ryt dahin, denn ich höre schon die Rößlin stampffen dorten by der Schüßhütten.

Deßen wunderten sich alle, vorab der Pfyffer, wie sticht Im do das Rößlin in die Augen, der Parazelß aber trybt In ylfertig, was sums so lang und stoht doch das Thierlin do für dich, satz dich hinuf und grüß mir mine Herren zu Baden, aber so lieb dir din tung Leben, so spar die Red und wahr din Zungen vestiglich underwegen, bis din Fuß zu Baden vf der Gassen stoht.

Do satzt sich der Stücheler hurtig vf und mit Im hub sich das Rößlin vf vom Boden, sam es ain Vogel wär, auch mit dem Pfyffer von dannen glych ainem Luftstoß, das Männiglich davor entsatzte, der Doktor aber lachte grimmig darob glych ainem rechten Schalken.



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Mocht auch der Pfyffer vf syner Windfart an den Doktor denken, so konnt ers doch nicht lang und dick, denn er zu Baden vor der Herberg war, eh daß er sich versach, grad alß es hoche Zyt und man zu Baden die Torglogen lüt, mocht auch bloß vss dem Bügel stygen, so war das Rößlin vf und furt, denk wohl von wo es kommen !

Zu Baden in den Rappen aber war alles lebendig, voll des Jubels und lutprächtigem Wesens, denn die frömden Gesandten, viel vss dem Adel, Frömd und Inheimbsch, auch der Eydtgenoßen Ratsboten pflogen daselbst der Freuden bym Spyl und Dan en, mit Bankettiren und Inen nach, in den anderen Wirthshüsern, machts das gmain Volk was ains Jeden Seckhel und Truhen erliden mag, sonder Kumber , wovon morn deß zeren.

Der Stücheler gher huscht ins Hus und sucht nit lang sin Platz hinter den Spillüteen; uff ainsmol doch so Nagt der; Junker Ludwig Zollikofer von St. Gallen syn Schwächern , Heinrichen Blum, mir ist ich hör deß Stüchelers Pfyffen vor allen andern vs und sind es doch frömd Spillüt vss Bömerland ? Deß mochtend sy wol Rats sin, denn der Stücheler lahnt hinder ainem Pfosten uff der Spillbrögi, das In kainer sehen konnt; denn die Bömen die mochtends wol liden, das er Inen hulf und syn Pfyffen tönt über die anderen vss mit künstlicher Schrillerei zur Freud von Alt und Jungen, deren viel vorhanden.

Doch sticht den Junker Ludwigen der Wunder so heftig sam -er ain großer Fründ der Musika, daß er hinden zu den Spillüten schlicht und gewart den Stücheler, zucht In auch alß der Dantz vorby, am Gwand hinter dem Pfosten herab und mußte er bychten den Herren von St. Gallen, den Ratspenden wie und wann er kommen.

Hierüber entsatzten sich die einten und fanden diese Wum derart schier verwegen und seltzam, die andern mainten gav,



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Stücheler hätt ainen Stotzen Win zu viel trunken und vergessen wie er herkommen, all aber hatten ytcl Freud und Lust an des Pfyffers Erzellen und munterm Wesen, er vergaß auch nit des Parazelßen Gruß ;u melden, deß Namen Manchem galt eines Zauberers glych. Doch fand der Stüchcler durch syn Herren von St. Gallen und lustig Spillwysen manch willig Hand und offen Becher, daß ers zu Baden wol verliden mocht und nachmols mit Inen dort abzog , alß sy rückkerten in Ir Vatterstadt, minder hitzig dann ers vßgeritten.Zauberpferde, welche mit Windesschnelle den Reiter nach weitentfernten Orten tragen, kommen in den Volkssagen nicht selten vor. Aehnlich wie die Vorstellung von der wilden Jagd ihre Abkunft dem Gotte Odin verdankt , sind sie Abkömmlinge jener zauberhaften Rosse des heidnischen Alterthums, welche schon S. 154 erwähnt wurden. Ich erinnere nur an Sleipnir, Odin's Leibroß, dessen acht Füße eine Allegorie der acht Hauptwinde waren. Der Begebenheit obiger Sage, welche nach der zuletzt angegebenen Ouelle mitgetheilt ist, soll das Multerthor seine Veränderung in Rößlithor zu verdanken haben. Auch ein Gasthof, der unter dem Namen zum weißen Rößli noch heute in St. Gallen bekannt ist, datirt der Sage nach seine Firma von diesem Ereigniß her.


10. Der Venetianer und der Wyßtanner.


Die Schweiz in ihren Ritterburgen, S. 349.

Zur Zeit der mailändischen Kriege bewirthete einstmals ein Venetianer einen jungen Wyßtanner auf das Köstlichste. Als sie mit Essen und Trinken fertig waren, fragte er seinen Gast: ob er denn das alte Chrütermändli *) im grauen Rock gar nicht mehr kenne, das in seines Vaters Hause stets 

*) Kräutermännchen.



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Nachtlager und Speise erhalten und einen braunen Krug getragen habe. Das sei er gewesen. Nur noch zweimal werde er den Krug füllen und es dann nicht mehr vonnöthen haben. Da nun der Venetianer merkte, daß durch diese Erinnerung an die Heimath dem armen Jungen das Heimweh rege ward, brachte er einen Bergspiegel herbei und zeigte ihm zu guter Letzt seine Eltern und Geschwister daheim zu, Wyßtanuen, wie sie gerade in der Stube zum Chliy -z-Obet *) versammelt waren.Von Spiegeln, welche die Zukunft enthüllen und das Bild geliebter, weitentfernter Personen wiederstrahlen, weiß die Sage fast aller Völker zu erzählen. Daß der Glaube an diese wunderbare Kraft dem Material, aus welchem dergleichen Zaubergeräth gewöhnlich angefertigt ist, dem Erze oder dem Krystall und deren Eigenschaft, fremde Gegenstände abzuspiegeln, verdankt, welche Eigenschaft auch dem Wasser zu seiner weissagenden Kraft verhalf, liegt auf der Hand ; ja es scheint sogar, daß diese Eigenschaft, wie das ja auch bei dem so eben genannten Elemente der Fall war, verschiedenen Völkern des Alterthums Anlaß zu einem ganz besonderen Cultus gab, von welchem die Zauberspiegel unserer Volkssagen und Aehnliches ein Ueberbleibsel sein mögen, wie die S. 98 angeführten abergläubischen Gebräuche Reste hes heidnischen Wasserkults waren. Daß Römer und Griechen das Erz heiliger hielten, als alle anderen Metalle, und ihm große zauberische Kräfte beilegten, ist bekannt, ein Glaube, der sicher auch unter den Juden heimisch war, wofür die Verwandtschaft der zwei hebräischen Wörter Nechosches, Erz, und Nachasch, Wahrsagerei, Zauberei, zu der noch das dritte Wort Nochosch, Schlange, hinzutritt, der sprechendste Beweis sein dürfte; ferner möchte hier noch an die linsenförmigen Glaskugeln im druidischen Cultus zu erinnern sein, welchen, je nach ihrer Farbe als Abzeichen der verschiedenen Stufen der Priester dieser Lehre geltend, ohne Zweifel ähnliche Kräfte beigelegt waren und zu denen die Krystallseher des Mittelalters — die selbst in neuester Zeit, mit Extase und Somnambulismus in Verbindung gebracht, mit angeblich schlagenden Beweisen ausgerüstete, Vertheidiger finden — jedenfalls in verwandtschaftlicher Beziehung stehen. So erzählt unter andern Nork in seinen "Sitten und Gebräuchen der Deutschen und ihrer Nachbarvölker" S. 648 von einem Krystallseher, der auf ähnliche Art wie der Venetianer in obiger Sage einem englischen Gesandten die nach dem regierenden Monarchen zunächstfolgenden Könige England's gezeigt habe. Bei andern Beispielen 
*) Abendsegen.


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führt er sogar die Namen der Gewährsmänner an, welche sich mit eigenen Augen von diesem zauberhaften Treiben überzeugt haben wollen. Unter diesen nennt er den Dichter Rist. Dieser sei nämlich, als er in seiner Jugend irgendwo Hauslehrer gewesen, von der Schwester seines Zöglings, welche ohne Wissen ihrer Eltern ein Liebesverhältniß angesponnen, angegangen worden, einem solchen Akte beizuwohnen. Dieser Akt habe darin bestanden, daß ein altes Weib, an welches das Mädchen, um die Zukunft zu erforschen, sich in der Verzweiflung seines Herzens gewendet, in einem einsamen Zimmer ein blauseiden Tüchlein, mit Drachen und Schlangen gestickt, auf einen Tisch ausgebreitet habe; darauf sei eine grüne, gläserne Schale gesetzt, auf welche, nachdem sie mit einem goldfarbig seidenen Tüchlein zugedeckt, eine ziemlich große Krystallkugel gelegt worden sei, welche das Weib mit einem weißen Tüchlein ebenfalls verhüllt habe. Nach einigen wunderlichen Geberden und dem Murmeln geheimnißvoller Worte habe das Weib die Kugel mit großem Respekt von der Schale genommen und sie den beiden Anwesenden am Fenster vorgehalten. Anfangs hätten sie nichts gesehen, bald aber sei das Mädchen im prächtigen Brautschmuck, aber bleich und betrübt, im Krystall zum Vorschein gekommen, da sei auch plötzlich der Geliebte erschienen, das Gesicht entstellt und entsetzlich anzuschauen und mit zwei Pistolen in der Hand, von denen er die eine auf sein eigenes Herz gerichtet und die andere seiner Geliebten vor die Stirne gesetzt habe, die Pistolen seien losgegangen und ein dumpfer Knall, den man ganz deutlich vernommen, sei das Ende dieses schrecklichen Gesichtes gewesen, das, wenn auch nicht ganz, so doch bis auf gewisse Punkte eingetroffen sei. Das unglückliche Mädchen habe nämlich, von ihren Eltern genöthigt, später einem fürstlichen Diener die Sand geben müssen. Am Tage der Hochzeit von einer Hofkutsche abgeholt, habe der erste Liebhaber an einem passenden Orte vor dem Thore die Braut verzweiflungsvoll erwartet und während dem Vorbeifahren des Wagens auf dieselbe gefeuert, der Schuß sei jedoch fehl gegangen und habe einer Dame neben ihr nur den Brautschmuck weggerissen. Der Thäter sei entkommen, die Braut aber sei von dem ihr aufgedrungenen Manne auf das Aergste gemißhandelt bald an gebrochenem Herzen gestorben. Nachdem Nork noch einen anderen Fall erwähnt, welchen derselbe jedoch als nicht durch hinreichende Zeugenbeweise unterstützt als mangelhaft bezeichnet, berichtet er von einem zauberhaften Verfahren ähnlicher Art, welches, von englischen und französischen Reisenden erzählt, aus Aegypten als ein Beispiel der neuesten Zeit hier noch mitgetheilt werden soll. "Die erwähnten Reisenden hatten nämlich in Erfahrung gebracht, daß sich zu Cairo ein Magier, Namens Abda Scheik Abda el Kader el-Moghrebt:, d. h. aus dem Westland Marocco, aufhalte, der sich mit Zauberkünsten dieser Art abgebe und durch dieselben im Hause des Consuls Sali schon einen Dieb


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entdeckt habe. Sie machten daher Alle gemeinsam und auch Jeder für sich zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten Versuche mit ihm, die sie später eben so gesondert bekannt gemacht. Die Weise seines Verfahrens war folgende:"Ein noch nicht mannbarer Knabe, eine Jungfrau, eine schwangere Frau oder eine schwarze Sklavin, wie sie sich eben bieten, werden gewählt, um die Gesichte zu schauen, und die geschauten auszusprechen. Dem Gewählten zeichnet der Magier mit der Rohrfeder in die rechte flache Hand mit schwarzer Dinte ein Viereck in dieser Form : und nachdem er in die neun kleinen Quadrate die neun Zahlenziffern in der vorgestellten Ordnung eingeschrieben, gießt er in die Mitte des größten 
*) Nicht nur im Lande der Pharaonen scheint man diese uni: zu kennen, auch in Deutschland war sie daheim. Doktor Hartlieb in seinem schon S. 98 erwähnten Buche aller verbotenen Kunst . beschreibt ein ganz ähnliches Verfahren: "Mer ist am trugenlicher List in der Kunst, daß die Maister nemen Oel und Russ von ainer Pfannen, und salben auch am ratnes Chind, es sei Meid oder Knebim, die Hant und machent das vast gleichent, und heben die Hant an die Sunnen, daß die Sunn darein schein, oder sie heben Kerzen, die haben sie gegen der Hant und lassen das Chind darein sehen, und fragen dann das Chind wornach sie wöllen. Aus dem Namen Pyromancia, welcher nach Hartlieb dieser Art Zauberei beigelegt ward, geht hervor, daß sie einen ganz besonderen Theil der Magie bildete, ebenso sprechen die verschiedenen Arten und Formen hierfür, nach welchen sie ausgeübt wurde. So heißt es bei Hartlieb weiter: "es sind Frawen und Man, die sich unterwinden Sewer zu machen und in dem Fewer dann sehen geschechne und künftige Ding — — — Etlich Maister der Kunst nemen am rains Chind und setzen das in ihr Schoß und heben dan sein Hant uff und lassen das in seinen Nagel sehen und beschweren das Chind und den Nagel mit ainer großen Beschwerung und sprechen dan dem Chind in am Dre driu unchunde Wort, ber ist ains Oriel, die andern beschweig ich von ergrung wegen. Darnach so fragen sie das Chind umb was sie wöllen und mainen das Chind süll das sehen in dem Nagel — — — Die Maister und irgleichen die treiben die Kunst auch in ainem schlechten Spiegel und lassen Chinder darein sehen, die sie dan auch vast beschwern und in auch verporgene Worte einraunen und mainent vast vil darin zu erfragen. —Auch treibt man die Sach in ainem schönen glanzen pulierten Swert, und die Mai sier dieser Kunst mainent etlich wann man müg wol nach Streit oder Grümsamen Sachen fragen, so soll das (ain) Swert sein, das vil Leut damit ertöt


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etwa einen halben Theelöffel voll derselben dicken Dinte, so daß sie einen Ball von der Dicke einer Pistolenkugel und in ihr einen Spiegel bildet, in dem er das Individuum sich zuerst beschauen läßt. Zuvor hat er auf einen Schmalen Streifen Papier einen arabischen Zauber aufgeschrieben, einen Theil des 21. Verses des 50. Kapitels vom Koran, lautend: "Und dies ist die Entfernung, und wir haben entfernt von dir deinen Schleier, und dein Gesicht ist heute scharf. Wahrheit! Wahrheit!" Ein anderes Papier nimmt dann die gleichfalls arabische Anrufungsformel auf: "Tarschun ! Tarzuschun ! kommt herab! kommt herab ! seid zugegen! wohin sind gegangen der Fürst und sein Heer? wo ist El-Ahhmar ? Der Fürst und 
sein, so körnen die Gaist dester ee und peider. Wann man fragen wil nach Lust und Fräden, Kunst erfinden, oder Schätz zu graben, so sol das Swert rain und unvermailigt sein. Ich waiss selbs am grossen Fürsten, wer dem pringt ain altes haher Swert, der hat ihn hochgeert. — — — Endlich heißt es noch: "Ettlich haben gar am lautern schönen gepulirten Cristallen oder Parillen, den lassen sie waihen und halten in gar rain und lesen dazu Weirravch, Wirren und desgleichen, und wann sie die Kunst treiben wöllen, so warten si uf gar amen schön Tag oder haben am rain Gemach und darin gar viel geweichter Kerzen. Die Maister gand den gen Bad und nemen dann das rain Chind mit in und beclaiden sich dann in ratnes weiss Gewand, und sitzen nider und sprechen in Zauber Beit und prennen dann ir Zauberopfer und lassen dann den Knaben in den Stam sehen und raunen im in seine Oren verporgen Wort die süllen vast heilig sein, warlich die Wort sind tewflisch. Darnach fragen sie den Knaben, ob er nicht sech amen Engel? wan der Knab spricht ja, so fragen sie in was Farb er anhab ? spricht der Knab rott, so sprechen die Maister je, der Engel ist zornig, und bäten aber mer und opfernt dem bösen Tewfel aber mer. Darinn hat dan der bös Tewfel am Wolgefallen, spricht der Knab dan, der Engel ist schwarz, so spricht der Massier, der Engel ist vast zornig, wir müssen noch mer bäten und mer Licht prennen, damit wir senften den Zorn des Engels, und bäten dan mer und opfernt mit Navch machen und anderm Dingen . . . . wan dan den Tüwfel bedunkt, das er Dienst genug hab, so laßt er erscheinen den Engel in weiss, so ist dan der Maister fro, so fragt er dan das Chind was hat der Engel in der Hand? er fragt in also lang bis er spricht "ich sieh ain Zedel in des Engels Hand". So fraget er dan so lang bis ersieht Puchstaben. Die selben Puchstaben sambent dan der Maister und macht daruß Wort, so lang bis er hat darnach er gesaget hat." Alle diese Künste waren offenbar ueberbleibsel eines heidnischen Cultus und rechtfertigen die oben ausgesprochene Ansicht, welche die abergläubischen Vorstellungen dieser Art hauptsächlich mit dem Druidismus in Verbindung brachte. Vielleicht, daß die Krystallkugeln der Druiden dieselbe inspirirende Wirkung hervorbrachten wie die Edelsteine der altjüdischen Lehre in dem Urim und Thumim auf den Hohenpriester in Israel. Daß von alle dem die Kassandren der Kaffeetasse eine neue etwas modernisirtere Auflage sind, bedarf keiner weiteren Entwickelung.


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sein Heer, erscheint ihr Diener dieser Namen!" Tarschun und Tarzuschun sind nach der Deutung des Magiers dir ihm dienstbaren Geister, El-Ahhmar ist also der Geisterfürst, die Formel wird in sechs Streifen zerschnitten. Der Knabe wird nun vor dem Magier auf einen Stuhl gesetzt, in Mitte der Gesellschaft, die beide ein Kreis umgibt; ein Becken mit glühenden Kohlen wird zwischen den Knaben und den Meister gestellt, der von einem zwiefachen Weihrauch, Takeh mabachi und Konsonbra Diaon genannt, zu gleichen Theilen in das Kohlenbecken wirft, von Zeit zu Zeit indischen Ambar beifügend, so daß ein dicker Rauch das Zimmer erfüllt und unangenehm auf die Augen wirkt. Er steckt das Papier mit den Worten aus dem Koran dann in den Vordertheil der Mütze des Knaben, wirft einen der mit der Anrufungsformel beschriebenen Papierstreifen in die Kohlen, und indem er nun die arabischen Worte:
Anzilu aiuba el Dschenni ona el Dschenuan
Anzilu betakki matalahontonhon abikum
         1 3 3
Target, Anzilu, Taricki 
mit einer gewissen, nothwendig innezuhaltenden Cadenz, die letzte Hälfte weist in der bezifferten Ordnung wiederholend, murmelt oder singt, unterbricht er dieses Recitativ nur, indem er den Knaben, dessen Hand er immerfort in der seinen hält, fragt: ob er etwas im Dintenspiegel sehe? Der Antwort "Nein" auf die erste Frage folgt eine Minute später ein Zittern des Knaben, der nun ausruft: ich sehe einen Mann, der mit dem Besen den Boden fegt. "Sage mir, wenn er fertig ist," erwidert der Magier und fährt mit der Beschwörung fort. "Jetzt ist er zu Ende!" ruft der Knabe, und jener unterbricht wieder sein Murmeln mit der Frage: ob er wisse, was eine Fahne sei? und da die Antwort bejahend ausfällt, so erwidert jener; so sprich denn, bring eine Flagge! Der Knabe thut so, und saat bald, er hat eine gebracht; welcher Farben roth! So ließ er ihn nach einander eine schwarze, weiße, grüne, blaue fordern, bis er sieben vor sich sah. Während dessen hatte der Magier den zweiten und dritten Papierstreifen mit Anrufungen in das Feuer geworfen, dabei neues Rauchwerk aufgelegt, und sang mit steigender Stimme an der Beschwörung fort. Nun ließ er den Knaben fordern, daß des Sultans Zelt aufgeschlagen werde, es geschah ; Truppen wurden dann verlangt; sie kamen und schlugen ihr Lager auf um das grune Zeit ihres Herrn; sie mussten nun in Reih ' und Glied treten, und der vierte, bald auch der fünfte Streifen wurden in's Feuer geworfen. Ein Ochs mußte beigeschafft werden ; vier Männer brachten ihn auf des Knaben Begehr hergeschleppt; drei andere schlugen ihn, er würde getheilt, in Stücken an's Feuer gesetzt, und als Alles bereitet war, wurde es den Soldaten vorgesetzt; sie aßen und wuschen ihre Hände. Das Alles beschrieb der Knabe, als ob er es vor sich sähe.


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Das Alles kehrte unveränderlich bei jeder einzelnen solchen Handlung und bei jedem Knaben wieder und endete damit, daß der Magier ihnen gebot, den Sultan zu fordern, der sofort mit schwarzem Barte, grünem Banisch und einer hohen rothen Kappe bedeckt, auf einem Braunen zu seinem Zelte ritt, abstieg, in ihm niedersaß, Kaffee trank und die Aufwartung Seines Hofes annahm. Nun sagte er zu der Gesellschaft: welche Frage irgend Jemand thun möchte; jetzt sei es an der Zeit. Lane forderte nun Lord Nelson; der Magier gebot dem Knaben zu sagen: mein Meister grüsst dich, und begehrt, daß du den ord Nelson bringest; bring ihn mir vor Augen, daß ich ihn sehe, eilig! Der Knabe that so, und sagte alsofort: ein Bote ist abgegangen und bringt jetzt einen Mann in schwär er (dunkelblau ist den Orientalen schwarz) europäischer Kleidung, der Mann hat den linken Arm verloren. Er hielt dann einige Augenblicke inne; darauf tiefer und angestrengter in die Dinte sehend, sage er: nein er hat den linken Arm nicht verloren, er hat ihn vor der Brust. Nelson pflegte den Aermel des verlorenen Armes vor der Brust zu befestigen ; aber er hatte nicht den linken, sondern den rechten Arm verloren. Ohne von dem Mißgriff etwas zu sagen, fragte Lane nun den Magier, ob die Gegenstände in der Dinte erschienen, als wenn sie vor Augen stünden, oder wie in einem Spiegel. Wie in einem Spiegel,; war die Antwort, und das erklärte den Irrthum des Knaben vollkommen, der übrigens von Nelson nie etwas gehört zu haben schien, da er nur nach mehreren Versuchen den Namen aussprechen lernte. Der Andere, den er forderte, war ein Aegyptier, der lange als Resident in England sich aufgehalten und als Lane sich eingeschifft, an langwieriger Krankheit bettlägerig war. Der Knabe sagte: hier wird ein Mann auf einer Bahre herbeigebracht, in ein Betttuch eingehüllt; er beschrieb dabei sein Gesicht als bedeckt, und ihm wurde gesagt: er solle verlangen, daß es enthüllt werde. Er that es und sagte dann: sein Gesicht ist blaß, und er hat einen Schnurrbart, aber keinen Bart; was richtig war. Bei einer dieser Gelegenheiten war ein Engländer zugegen, der die Sache lächerlich machte und sagte: nichts werde ihm Genüge leisten, als eine völlig ähnliche Erscheinung seines Vaters, von dem er sicher wußte, daß keiner der Anwesenden ihn kenne. Nachdem der Knabe nach ihm bei seinem Namen gerufen, beschrieb er einen Mann in fränkischer Kleidung, eine Brille tragend, die Hand an's Haupt gelegt, 
*) Lane ist der Name des Schriftstellers, aus dessen Werke Nork diesen Auszug gemacht hat. Der vollständige Titel desselben ist: An account of the man-. and customs of the modern Egyptians, Asna in Egypt during ilie years 1833-1534 and 35, partly from notes made during n former visit to that country in ins years 1825, .26, 27, 28 by Edward William Lane. 2 Vol Lodon 1837


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mit dem einen Fuße auf dem Boden aufstehend, den anderen aber hinten aufgehoben, als ob er von einem Stuhle aufstehe. Die Beschreibung war genau in jeder Beziehung, die Lage der Hand wurde durch ein anhaltendes Kopfweh herbeigeführt, die des Fußes aber war durch einen Sturz vom Pferde bei der Jagd veranlaßt worden. Ein Franzose, ein Herr Delaborde, der ebenfalls bei der Gesellschaft war, verlangte den Herzog De la Riviere. Der Bote wurde abgesendet, und ein Officier wurde vor den Sultan gebracht, in Uniform mit Silberborden um Kragen, Aufschläge um seinen Hut. Delaborde war verwundert, denn der Herzog war der Einzige in Frankreich, der als Oberjägermeister solche Borden trug. fragte bei dieser Gelegenheit den Knaben, woran er den Sultan erkenne? ? Dieser erwiderte: seine Kleidung ist prächtig, seine Hofleute stehen vor ihm, die Arme gekreuzt vor der Brust, und bedienen ihn; er hat den Ehrenplatz auf dem Divan, und seine Pfeife und Kaffeekanne glänzen von Diamanten. Auf die weitere Frage, woran er erkannt, daß der Sultan nach dem Herzog gesendet ? erwiderte er: ich hörte seine Worte in meinen Ohren und sah seine Lippen sich dazu bewegen. Ein andermal verlangte Einer der Gesellschaft den Shakspeare. Als der Knabe, ein Nubier, die Gestalt vor sich sah, brach er in Lachen aus und sagte: hier ist ein Mann, der hat den Bart unter seiner Lippe und nicht am Kinn, und hat auf dem Kopf wie einen umgestürzten Becher - Wo- lebte er ? sagte ein Anderer; auf einer Insel, war die Antwort.Das war der Verlauf der Handlung, die indessen nicht zu jeder Zeit mit dem gleichen Erfolge gelang, wo das Fehlschlagen dann in der Regel dem Wetter, der Dummheit des Knaben oder seinem nicht gehörigen Alter zugeschrieben wurde. Zeigte er Furcht oder Unruhe bei den Gesichtern , dann wurde er entlassen, und ein anderer für ihn eingestellt. War er ermüdet oder sollte die Sache zu Ende gehen, dann legte der Magier ihm die Daumen auf seine Augen, einige Beschwörungen hersagend, und nahm ihn dann von seinem Stuhle weg." Des Weitern berichtet Lane, daß der Franzose Delaborde und ein Engländer dem Magier das Geheimniß des Verfahrens abgekauft und vollständig gelungene Versuche damit angestellt hätten. Dieselben seien einzig und allein durch die genaue Wiederholung der Formeln, welche ihnen der Magier gelehrt, bewirkt worden, von einer Art von Gewalt oder Einfluß auf das Kind, so wie von einem geheimen Einverständniß mit demselben sei nicht die Rede. So oft man auch den Versuch wiederholt habe, so wisse man doch nicht, wie das Alles also sich begehe. Wie weit oder ob überhaupt physische Kräfte, als Magnetismus und ein mit Näuchereien geschwungner Dunstkreis, ihren Einfluß bei demselben ausübten, dies zu untersuchen, würde zu weit führen; jedenfalls kann die Sache nicht unter allen Umständen und bei allen Fällen als grober Betrug bezeichnet werden, ebensowenig aber ist


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es auch rathsam, sich jenen mysteriösen Definitionen vollständig hinzugeben, die hier eine offenbare Verbindung mit der Geisterwelt sehen wollen (S. Görres christl. Myst. III. S. 610.)


11. Peter Geel von Mill.


A. Henne, Schweiz. Merkur. Jahrg. 1832. 5. Heft.

Ein Bürger aus Bill (auch Bild) bei Sargans kam spät Abends von Mels über das Feld gegen Sargans. Beim steinernen Kreuze sing er einen nicht sehr scheu thuenden Fuchs, und schloß ihn in den leeren Sack, den er über die Schulter trug. Wie er dem Stadtgraben (d. h. dem Graben, der das ehemalige Stadtgebiet vom Melserschen trennte) und dem steinernen Steg nähte, rief eine Weiberstimme von der waldigen, , bereits dunkeln Basathiawand herab: Schwester, chumm tez!" — Wie erstaunte der Geel, als eine ähnliche Stimme auf seinen Schultern jammerte: "I cha nit; i bi in ds Beter Gesa Sack!" —Entsetzt warf er die Bürde weg und befreite die Unholdin, die mit gesenktem Schweife den Weinbergen und Basathia zurannte.

Vgl. die Erläuterung zu Nr. 8 S. 234.


12. Die Hexe im Schloßweiher von Sulzberg.


Schriftliche Mittheilung.

In dem Schloßweiher des Schlosses von Sulzberg lebte eine Hexe in der Gestalt einer Kröte, welcher, so weit die



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Grenzen der Besitzungen des genannten Schlosses gingen, Macht verliehen war, allen möglichen Unfug anzurichten. Dies that sie auch weidlich; des Nachts, wenn es recht stürmisch und regnerisch war, hüpfte sie aus dem Weiher heraus, nahm ihre wahre Gestalt an und suchte jene Gegend mit Ueberschwemmungen und Hagelwetter heim. Nie aber erstreckte sich der angerichtete Schaden über die Grenzen der Besitzungen des Schlosses Rorschach, dessen Hauspatronin die heilige Anna war. Diese war einstmals dort aus dem Kerker gerettet worden und dankbar schützte sie die Felder und Wohnungen des Landmannes und trieb jene Unholdin von diesen in ihre nasse Wohnung zurück.Frösche und Kröten waren von jeher im üblen Rufe. Dies erklärt sich aus dem nächtlichen Treiben dieser Thiere. Ja die Kröte ist sogar Teufelsmaske, wie wir aus folgender Sage ersehen: "Auf dem rechten Rheinufer, zwischen Laufenburg und Binzgan, im felsigen Thale das Andalbaches sollen bis zum dreißigjährigen Kriege mehrere Hammerwerke und sonstige Häuser gestanden haben. Wirklich findet man daselbst noch Mauertrümmer und viele Schlacksteine. Aus jener Zerstörungszeit her liegt daselbst viel Geld vergraben. Einmal in der Frohnfastenzeit ging ein Bürger von Laufenburg in genanntes Waldthal, um Holz zu holen. Es war Mittag und, sehr heiß. Er setzt sich unter eine Eiche, um auszuruhen. Plötzlich sieht er unfern von sich gewöhnliche Kohlen langsam aus dem Boden hervorsteigen, die allmählig bis zur Größe eines Korbes anwuchsen. In diesem Augenblicke zeigte sich auf dem Kohlenhaufen eine ungeheure Kröte, die ihn mit feurigen Augen anstarrte. Mit unverwandtem Blicke staunte der Mann eine geraume Zeit diese Erscheinung an, als plötzlich Kohlen und Kröte in den Boden versanken. Als er bei seiner Nachhausekunft erzählte, was er gesehen, sagte man ihm, daß er eine so seltene Gelegenheit , reich zu werden, nicht hätte unbenutzt vorübergehen lassen und sich ohne Umstände der Kohlen hätte bemächtigen sollen. Jene Kohlen seien ein Haufen Gold gewesen, den der Böse in Gestalt einer Kröte bewacht hätte, welcher aber leicht durch Bekreuzigung zu vertreiben gewesen wäre." (Schnetzler, Bad. Sagenbuch. l. S. 160.).Auch Ahriman, dem Gotte der Finsterniß im Zoroaster'schen Religionssystem , schreibt man Krötengestalt zu; ebenso gehörten diese Thiere zu dem Ungeziefer, mit dem er nebst anderen Plagen die Erde überzog,


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als er, im Kampfe mit dem Himmel unterliegend, zu derselben herabgestürzt ward. Was übrigens die obige Sage an sich selbst betrifft, so ist, wenn auch Ueberschwemmungen und Hagelmachen zu den Eigenthümlichkeiten des Hexenwesens gehören, das Charakteristische einer Wassergeistsage in ihr überwiegend.


13. Der Gafarrabühl.


Die Schweiz in ihren Ritterburgen. S. 349.

Bei der Alp Gafarra in Rhätien ist ein Hügel, der Gafarrabühl genannt, ein Versammlungsplatz der Hexen. Oftmals in der Nacht hört man dort liebliche Musik, bei deren Tönen seltsame Gestalten, vom Scheine lustiger Feuer beleuchtet, in luftigen Reigen auf und nieder schweben. Nicht selten nach solcher Nacht haben dann die Hirten auf diesem Hügel seidene Schuhe gefunden, welchen man auf den ersten Blick ansah, daß sie an zarten Frauenfüßen gesessen. Auch ein goldenes Hufeisen fand einstmals ein Hirt an seinem Fuße, was jedoch den andern Morgen in Kohlen zerfiel.

Diese nächtlichen Feste wurden vorzüglich von den Stiftsdamen des nahgelegenen Stifts Schänuis besucht. Sie ritten auf Gaishöcken zu denselben, daher der Gafarrabühl, obschon die Weide auf ihm nicht besonders fett ist, auch ein Lieblingsaufenthalt dieser Thiere ist, und mancher, von dem der Hirt gan; bestimmt weiß, daß er mit der Heerde noch nie auf ihm geweidet, thut da so bekannt, als sei er schon hundert Mal dort gewesen.

Der Gafarrabühl bei der Alp Gafarra, welche nebst der Aeblingen Alp ob Wangs und der Alp nov, "allwo vor Ziten die Walser wohneten" unter das Gericht der Burg Nidberg gehörte, ist im Kanton St. Gallen


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was die Suleck im berner Oberlande (s. S. 54). Der Sage nach sollen die heidnischen Landbewohner noch zur Zeit der Ausbreitung des Christenthums ihre Frühlingsfeste auf diesem Hügel gefeiert haben, was wiederum ein Beleg für die S. 19 ausgesprochene Behauptung ist, daß an heidnischen Cult- und Opferstätten abergläubische Vorstellungen, welche stets Reste des Götterglaubens unserer Voreltern sind, sich am längsten zu erhalten pflegen. In dem Umstand, daß dieser Hügel vorzüglich mit den Stiftsdamen des Stiftes Schännis bevölkert ist, erblickt Dr. Henne die rächende Nemesis, die sich dafür, daß jene frommen Damen einst eine Alp auf unrechtmäßige Weise zu behaupten wußten, auf diese Art im Volksglauben Geltung verschafft. Die Ouelle gediegenen Goldes aber, welche der Sage nach in dem am Gafarrabühl sich hinziehenden Tobel fließen soll, findet ihre Erklärung in den Münzen, Ringen und anderen Altherthümern, welche in der Nähe jener Lokalität häufig aufgefunden worden sind.


14. Die schöne Mailänderin und der graue Melser.


Die Schweiz in ihren Ritterburgen. u. S. 349.

Während der Mailänder Kriege stand ein Schweizer-soldat, der unter dem Namen der gigue Melser bekannt war, einst in Mailand vor einem Palast Wache. Da rief ihm eine schöne Dame aus dem Fenster zu, er solle doch ;u ihr einmal heraufkommen. Als seine Wache um war, that er es. Die schöne Dame bewirthete ihn auf das Beste und fragte ihn endlich auch beim Abschied; ob er auch den Gafarrabühl kenne? — Als nun der graue Melser dies bejahte, sagte sie lächelnd: sie hatze; manche vergnügte Nacht auf demselben zugebracht.

Siehe die vorige Sage.


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15. Der Geiger Hans Jöri.A. Henne, Schweiz. Merkur. 1832. V. Heft. S. 20.

Ein Sarganser Geiger, genannt "Giger Hans Jori", ging spät Abends über den Rhein in's Lichtensteinische, wo er Morgens aufspielen sollte. Unter Balzers, es dunkelte tief, wurde er an der Straße von artig gekleideten Leuten beiseite gerufen und traf eine glänzende Gesellschaft. Man hieß ihn sich auf einer Bühne setzen, wo auserlesenes Essen und Trinken stand. Blos bedeutete ihm ein Herr, er möge sich durch nichts beunruhigen lassen, auf nichts zu sehr achten und namentlich keine Gesundheit trinken. Das siel ihm zwar auf; aber er schwieg, spielte auf und ließ sich's schmecken. Es wurde toll und bunt getanzt vor ihm; sein Trunk fehlte nie. Nur bekümmerte sich Niemand weiter um ihn, so daß ihn, trotz des Lebens am Ende langweilte, und er warm werdend und der Mahnung vergessend bei einem Trunke nach Gewohnheit in sich hinein sagte: "Gsundheit Hans! Gseg ' ders Gott, Hans! Fürchts der nüt, so gschieht der nitt." Kaum über die Lippen, als Alles verschwunden war. Es ging gegen Morgen, und Giger Hans Jöri fand sich — auf dem Vaduzer Galgen sitzend, statt des silbernen Trinkbechers einen Kuhhuf in der Hand.

Sagen, wie obige, wiederholen sich sehr häufig. Sie finden ihre Erklärung in dem Hexenwesen. Außer auf Bergen kamen die Hexen auch auf Richtplätzen und unter dem Galgen zusammen, doch auch auf Kreuzwegen, unter Linden Eich- und Birnbäumen, am Susz und auf Wiesen feierten sie ihre Feste, alles Lokalitäten, welche in früherer Zeit entweder zu Opferplätzen oder zum Gerichthalten auserlesen waren. Wiederum ein Beweis für die auf S. 19 ausgesprochene Behauptung.


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16. Der Thiergarten unter Mels.


A. Henne, Schweiz. Merkur. Jahrg. 1832, S. 21.

Unter Mels ist der schöne mit Gebüsch und Stechpalmen bewachsene Hügel Thiergarten, wo vor der Reformation oft das Landgericht sich versammelte Die alten Landrichter mögen auf allerlei Arten gerichtet und gesprochen haben. Wenigstens sollen sich an schönen Abenden dort sonderbare Zirkel bilden, und auf eine Weise Musik hören lassen, daß der Wanderer, wenn er horcht, sicher den Weg verliert. Steht man still, so schwirrt einem auch ein Nachtvogel, genannt der "Zipper" um die Ohren, und verfolgt Einen bis nach Hause.

Dieselben Bildungsmotive wie bei der Sage vom Gafarrabübl S. 267 dürften auch hier zu Grunde liegen. Dasselbe Schicksal, was dort die Damen des Stiftes Schännis ereilt, trifft hier die ungerechten Richter des Landes.


17. Das Schaner Ried.


A. Henne, Schweiz. Merkur, Jahrgang 1832. S. 21.

Nach einer alten Sage der Sarganser sollen die Mädchen, die aus eigener Schuld alte Jungfern werden, nach ihrem Hinscheid auf dem großen Riede bei Schan im Lichtensteinischen sich versammeln, und nach Anderer Meinung dort ihre Zeit fromm und züchtig damit zubringen, Grüsch aus einander zu lesen.

Vergleiche Nr. 39 und 40 S. 80.


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18. Sagen vom Möttelischloß.


Vollständige Beschreibung des Schweizerlandes oder geographisch ,statistisches Handlexikon etc. etc. von Markus Lutz. S. 393. Mündlich.


I.

In dem Keller des Möttelischlosses, auch Schloß Sul berg genannt, liegt ein ungeheurer Schatz vergraben, welchen zwei wunderschöne Jungfrauen bewachen, von denen eine jede einen großen Hund bei sich führt. Klopft man des Mitternachts an die Pforte, so stoßen die Hunde ein fürchterliches Geheul aus. Erschreckt man hierüber nicht und klopft fort, so öffnet sich endlich die Pforte und die zwei Jungfrauen treten in dieselbe mit Ketten belastet; mit weißen Kleidern und rothen Schuhen angethan, und bitten, man möchte sie küssen, da dies das Bedingniß zur Erlangung ihrer Freiheit und des Schatzes sei. Die Hunde fletschen aber dabei so fürchterlich mit den Zähnen, daß einem Jeden bis jetzt der Muth dazu vergangen ist.

Vgl. S. 74 und 178.Das Möttelischloß hat seinen Namen von den Mötteli von Rappenstein von Si. Gallen, seinen letzten Besitzern, deren Reichthum zu obiger Schatzsage Anlaß gegeben haben mag.


II.

Auf diesem Schlosse herrschte früher, als seine Besitzer noch am Leben waren, ein so fröhliches und lustiges Leben, daß, dasselbe; auch noch nach ihrem Tode fortdauert;



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Oftmals in dunkler Mitternacht ist das Schloß wie hell erleuchtet, hört man Becherklang und lustige Gesänge. Unten am Stadel der Burg aber vernimmt man ganz deutlich wie Kegel geschoben wird, hört die Kugel in die Kegel einprallen und rauschendes Beifallgelächter, als ob ein Glücklicher alle Neune getroffen hätte. Dann aber Sitt plötzlich Todtenstille ein.

Aehnlich erzählt man von der Ruine Aspermont zwischen dem aspermonter Tobel und der Molmära in Graubünden, der Sage nach vom Kaiser Valentinian um das Jahr 368 erbaut, daß daselbst ein goldenes Kegelspiel liege und man höre, vorzüglich in schönen Sommernächten, ganz deutlich, wie damit gespielt werde. Im Uebrigen s. Nr. 12 S. 187.


19. Was die Wildhaufer von der Wildenburg erzählen.


Die Schweiz in ihren Ritterburgen. Il. S. 441.

Bei Gambs in der toggenburgischen Gemeinde Wildhaus im Kanton St. Gallen liegen auf einem Felsen die Trümmer der Wildenburg. großer finsterer Thurm ist das einzige merkliche Ueberbleibsel dieser einst so starken Veste. Hohe, schroffe und nackte Felsen, zwischen deren Zacken spärlich hier und da eine düstere Tanne hervorlugt, bilden seine Umgebung — eine schauerlich wilde Gegend, der geeignete Wohnort jener gespenstischen Spuckgestalten, die der Sage nach dort ihren Sitz aufgeschlagen haben. Die Wildhauser erzählen ;

"Im Schutt und Sand der Wildenburg liegen ungeheure Schätze, gehütet von zehn der häßlichsten Kobolde und Gnomen. Das sind die Zwingherren, die zum Schrecken des Volkes auf der wilden Burg wohnten, und die zu ewiger Strafe, Tyrannen zur warnenden Lehre, in den schrecklichsten



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Gestalten nun ihr zusammengestohlenes Gut Tag und Nacht bewachen müssen. Um Mitternacht, zur Geisterstunde, wenn kein Sternlein glimmt, kriechen sie aus ihren Höhlen hervor, springen herum, leuchten wie Irrwische, raufen sich die Haare, toben und heulen, daß es den Leuten in der Nachbarschaft Mark und Bein erschüttert und die Alpen bewegt. Zu gewissen Zeiten ändern sie ihre Gestalt, die nie ihres Gleichen hat. Das Eine dieser Ungeheuer ist jung und frisch, das Andere alt und kränklich, wieder Eines ganz schwarz; bald erscheinen sie als Riesen, bald als Zwerge, voll Höcker und so fort, zuweilen aber auch als Schweine, Hunde, Katzen und Tiger und als langgehörnte Böcke, die bei jedem Athemzug Höllendampf von sich blasen. Wenn die Quatember- oder andere heilige Zeiten herannahen, spucken sie in der Gegend weit umher. Dem wildenburger See entlang, wo mancher Berggeist schon ertrank, wandelt eine alte Matrone, die, wird sie Jemand gewahr, eifrig sich die Hände reibt, und Sagt und winselt. Dem Wanderer nahe, rümpft sie die Nase und zugleich wird sie zu einem sich immer und immer verlängernden Rüssel, womit sie nach Beute hascht. Glücklich, wer dann im Schleier der Nacht Schutz und Rettung findet.

"Weiter vorwärts stößt man wieder auf einen gewaltigen Mann mit großem breitgeränderten Hute, und eingehüllt in eine weite schwarze Kutte, vollkommen ähnlich einem schwarzen Mönche. Zuletzt steht noch mitten in der Straße ein Ungethüm mit Zigeunerbart und Räuberblick, welches den Weg verrammelt.

Alle diese Ungeheuer zusammen leben in ewigem Hader. Tritt einmal ein ruhiger Augenblick ein, so sitzen sie um ihre reichen Kessel, zehnmal größer als die, worin man Käse kocht, und zählen schäckernd ihr Gold. Plötzlich werfen sie dann Alles wieder hin, sich selbst mit geballten Fäusten schlagend,



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und so quälen sie sich, bis endlich die ausgestandene Pein ihre verübte Grausamkeiten sühnen wird.

"Nach ihren Schätzen waren schon manche lüstern, aber von den Einheimischen hat keiner das Her;, sich mit den mächtigen Gnomen zu schlagen, die an der eisernen Pforte der grauenvollen Gewölbe Wache halten. Da geschah es, daß aus den Laguneninseln des adriatischen Meeres viele Menschen auswanderten und sich in alle Winkel der Erde zerstreuten . In Wildhaus, wohin sie auch kamen, kannte man sie unter dem Namen Venediger und sie wurden als Hexenmeister und Tausendkünstler geehrt und gefürchtet.

"Ein solcher hatte auch Lust, die häßlichen Geizhälse in der Burg zu plündern, wollte aber -vorerst auf ein Mittel denken, wie er sie blenden könnte. Nach langem Grübeln besann er sich endlich wieder, wie man die Ungeheuer mit der weißen Ziegenkrautblume. wie man sie nennt, banne, die jedoch unglücklicher Weise höchst selten wächst. Dieß hielt ihn aber nicht ab, die höchsten Alpen zu durchsteifen, bis er sie fand. Nun machte er sich muthig auf den Weg zur berüchtigten Höhle, Beim wildenburger See stieg er in den unterirdischen Gang hinab, der vor Zeiten in die Burg führte, und nach wenigen Minuten stand er an einer großen, eisernen, mit schweren Barren kreuzweise belegten Thüre, die sich ihm, auf die Berührung mit seiner Zauberpflanze, krachend öffnete. Und er betrat eine leere Felsenkammer, und finster, wie die schwarze Nacht, nur zuweilen vom Strahle des Goldes, wie von einer Wetterleuchte feurig durchblitzt. Furchtlos und ohne Rast legte er nun Hand an's Werk, raffte von den zahllosen Goldklumpen, die an den Wänden herumlagen, was sich tragen ließ, zusammen, und versprach sich schon im Voraus, recht bald wieder zu kommen, als ihm auf einmal, als er eben abziehen wollte, mit leisem Wimmern ein unsichtbares Wesen zuflüsterte: "Laß's Best ' nicht liegen, laß's Best ' nicht



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liegen! !" Darob erschrack der goldgieme Mann ; folgsam, nach gegebenem Rathe, besah er noch einmal seine reiche Beute und eilte damit schaudernd von dannen. Erst beim schmetternden Schlusse der Thüre erinnerte er sich, daß er das Beste vergessen habe, die weiße Ziegenkrautblume! — Von nun an wagte sich Niemand mehr dahin, lieber grub man sich Gold im Gebirge, dessen Eingeweide an diesem köstlichen Metalle so reichhaltig gewesen sein sollen, daß einst ein anderer Venediger, der sich durch seine Zaubereien das Leben verwirkt hatte, eine goldene Kette um die Stadt Lichtensteig zu schmieden versprach, wenn er begnadigt würde."Zauberpflanzen, fähig Schlösser und Thüren zu sprengen, kannte man schon im Alterthum. Eine derselben war das Mohrenkraut, welcher man auch noch die Kraft zuschrieb, Seen, Flüsse und Sümpfe austrocknen zu können. Spottend erwähnt seiner Plinius: non satius fuit, Aemilianum Scipionem Carthaginis portas herba patefacere, quam machrinis claustra per tot annos quatere? Siccentur hodie Aetiopide Pontinae paludes tantumque agri suburbanae reddatur Italiae (Lib. XXVI. Cap. 4). Wie aus Terenz, Virgil und Horaz hervorgeht, wurde dieses Kraut, welches bei den Griechen Hierabotane und Peristereon, bei den Römern aber auch Verbenaca genannt wurde, zu Opfern und anderen gottesdienstlichen Handlungen gebraucht. Die Verwandtschaft der Ziegenkrautblume unserer Sage mit diesem Kraute der Alten, das nach deren Angabe weder im Lichte des Mondes, noch der Sonne, sondern nur im Scheine des Hundesterns mit der linken Hand vermittelst eines eisernen Instrumentes aus der Erde gegraben werden durfte, ist nicht zu verkennen. Zu dieser Verwandtschaft gehört auch die Springwurzel, welche einige andere Sagen an die Stelle der Ziegenkrautblume, oft nur auch Wunderblume genannt treten lassen und die nach Albertus Magnus nur dann zu erlangen ist, wenn man das Nestloch eines Spechtes, einer Elster oder eine Wiedehopfs während der Abwesenheit seines Inhabers mit einem Keil oder einem Strick verschließt. Kehrt der Vogel heim und findet sein Nest verschlossen , fliegt er auf der Stelle fort, um die Springwurzel *), von 
*) In Italien kennt man eine Wurzel, von der es unter dem Volke heißt, sie set so stark, daß sie den Pferden, welche auf sie treten, die Hufeisen absprenge, daher ihr Name sferracavallo.


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der er allein weiß, wo sie wächst, zu holen. Bald kehrt er die Springwurzel im Schnabel zurück, schnell aber, noch ehe er sein Nest berührt, muß man da ein weißes oder rothes Tuch unter dem Baum, auf welchem sich dasselbe befindet, ausbreiten und die Springwurzel fällt aus dem Schnabel des erschreckten Vogels auf das Tuch herab. Grimm, an die Verwandtschaft des Wortes herba (kraut) mit verbum (Wort) denkend, erkennt in ihr einfach das Zauberwort, dessen magische Kraft ebenfalls Schloß und Riegel sprengt.Die Wildenburg, deren Erbauung sich in die älteste Zeit verliert, verdankt, da sich ein eigentlich wildenburgisches Geschlecht nirgends in den Jahrbüchern vorfindet, ihren Namen wahrscheinlicherweise der wildromantischen Gegend, in welcher sie gelegen. Ihr erster bekannter Besitzer war ein Freiherr von Sax, von dem sie in die Hände des mächtigen Dynastengeschlechts der Grafen von Toggenburg überging, noch später war sie das Besitzthum des Abtes Ulrich VIII von St. Gallen. Keiner der Besitzer scheint jedoch die Burg selbst bewohnt zu haben; aller Muthmaßung nach war sie der Sitz grausamer Vögte und Lehensleute, deren Andenken sich in obiger Sage erhalten hat und die noch zu einer anderen Sage, mehr historischen Inhalts, Veranlassung gaben, welch c für den dritten Theil dieser Sammlung aufgespart sein soll.


20. Der Valeishund.


Mündlich.


Die Schweiz in ihren Ritterburgen. B. u. S. 397.

In den Straßen von Mels sieht man zur Nachtzeit oftmals mit rasselndem Geräusch einen großen schwarzen Hund einherzotteln. Gewöhnlich läuft er bis vor das Rathhaus, wo er heulend verschwindet. Das Gerassel rührt, wie die Einen behaupten, von einem dicken Schlüsselbund her, welchen das bei Jung und Alt unter dem Namen "Valeishund" bekannte Gespenst am Halse tragen soll, nach Anderen aber auch von einer Kette, welche, wie diese behaupten, die Bestie hinter sich nachschleppt. Dieses Gespenst, das niemals erlöst werden kann, weil es Thiergestalt hat, ist der Geist eines Mannes



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aus Vilters, der dieser Ortschaft in einem Streite mit Wangs durch Meineid zum Besitz der Alp beim Tobel Valeis verhalf.In der Stadt Schaffhausen spuckt das ganz gleiche Gespenst, dessen Name Wali vielleicht auch auf eine nähere etymologische Verwandtschaft mit dem Valeishund Anspruch zu machen hat. Wali, von valen, wahlen, dem Primitiv des veralteten uualden, hochdeutsch wälzen, abgeleitet, ist übrigens im schaffhausener Dialekt auch der Name einer dicken unbeholfenen Person, welche sich so zu sagen einherwälzt, ein Ausdruck, der auch auf die unförmliche Gestalt des Valeishundes angewendet werden kann. Jedenfalls gehören der Valeishund und der Wali in ein und dieselbe Kategorie, in die der Stadt- und Dorfgespenster, deren Bildungsmotive S, 154 angegeben worden sind. Daß der Hund Teufelsmaske ist, sahen wir S. 52.


21. Christen Chüng von Wyßtannen.


A. Henne, Schweizerischer Merkur, Jahrgang 1832. S. 68.

Die Sennen und Heerden waren von der Alp heim, als ein Mann aus Wißtannen noch einmal hinauf mußte, etwas Liegengebliebenes zu holen. Er kam, sich versäumend, spät Abends in der verlassenen Hütte an, und legte sich auf die bekannte Triel. Kaum aber hatte er das Abendgebet verrichte als er die Thüre öffnen, kommen und reden hörte. Schwitzend wagte er zu schauen, und siehe, es wurde ein Feuer gemacht in der verlassenen Feuerstätte, der Kessel eingehängt, Milch übergethan, gekocht, gekäset und gelacht, wie gewöhnlich. Als Alles fertig war, rief's hinauf zur ariel: Christen Chung chumm miss ge Schotten essen! — Er aber bewegte sich nicht, und schwitzte fort, bis er in Schlaf verfiel, Am Morgen war keine Spur von den nächtlichen Sennen.

Die Triel ist die Lagerstatt, welche man durch eine Leiter ersteigen muß.


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22. Der Kuhreigen.


A. Henne, Schweizerischer Merkur, Jahrgang 1832. S. 68.

Aehnliches begegnete einem jungen Aelpler aus Ragatz auf der dorttgen Alp Bardiel, welcher jedoch den Muth hatte, herabzusteigen und zwischen dreierlei farbigen Schotten geistesgegenwärtig die grüne zu wählen, worauf ihm einer der Geister bedeutete: hättest du anders gewählt, du wärst zerrissen worden, wie das Gstüpp in der Sonne" *). Sie ließen ihn sich eine Gabe ausbitten. Erbat, sie möchten ihn so singen lehren, wie er einen aus ihnen vor dem Käsen singen gehört. Es geschah, und das war der erste Kuhreigen im Oberlande.

Der Kuhreigen oder Kuhreihen (französisch Rann des vaches), dessen Namensabstammung sich wohl am sichersten durch den Umstand erklärt, daß die auf der Alp zusammen weidenden Kühe, sobald sie den Gesang hören, eine hinter der andern herbeieilen, ist so alt wie die Hirten selbst, welche zuerst die Berge und Thäler der Schweiz mit ihren Heerden bevölkerten **). Dieses hohe Alter, das melodisch echoartig Nachhallende seiner Töne, weder aus artikulirten Lauten, noch aus Worten gebildet, sein zauberhafter Einfluß endlich, welchen er auf Menschen und Thiere 
*) Gewöhnliches Sprichwert der Sarganser.
 
**) I, G. Ebel in seiner Schilderung der Gebirgsvölker der Schweiz" gibt über seine Entstehung folgende Erklärung: "Auf den Weidgängen der hohen Gebirge , wo das Vieh keine andere Schranken als Abgründe und steile Felswände fand, zerstreute es sich natürlich nach allen Seiten, so weit die Alpkräuter grünten und blühten. Unmöglich war's, zur Mahlzeit jeden Tag zwei und dreimal aus allen Ecken die Heerde zusammenzutreiben; die Nothwendigkeit zwang den Hirten ein Mittel zu suchen, wodurch er sein Vieh um sich her versammeln konnte, ohne sich von der Stelle zu bewegen, und dieses Mittel fand er ,in seiner Stimme, in den einfachen Tönen seines Sprechorgans. Die Erfahrung zeigte ihm bald, daß eine fortgesetzte Verbindung der Töne und ein schnelles Wechseln derselben weiter und stärker schalle als einzelne Schreie; das Vergnügen des Gesanges gesellte sich dazu und so entstanden die Pastoralgesänge, damit einzig und allein die Kühe zu locken und auf den Punkt, wo der Hirte sich befindet, zu versammeln."


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ausübt, konnte wohl zu dem Glauben veranlassen, daß er ein Geschenk höherer Wesen, der Berggeister sei, deren Sprache im nordischen Volksglauben ja das Echo ist. Daß Schweizer, entfernt von ihrem Vaterlande, bei Anhören des Kuhreihen eine Sehnsucht nach der Heimath bestel, die nicht gestillt mit dem Tode endete *), weiß Jedermann, doch auch Fremde ergreift das Melancholische dieses Gesanges, dessen Wirkung das ihn gewöhnlich begleitende Alphorn bedeutend erhöht, dessen dumpfklagender Ton ebenfalls seine Sage hat. Sie lautet ungefähr wie folgt:


Die Erfindung des Alphorns.

Das erste Alphorn erfand ein Jüngling auf der Wengeralp. Er schenkte es seiner Geliebten, welche nicht weit von ihm auf einer anderen Alp weidete. Sich selbst verfertigte er ein zweites. Jeden Morgen, wenn der erste Strahl der Sonne die Firnen röthete, entlockte er ihm helle freudige Töne seinem Mädchen zum Morgengruß, die ihm bald mit dem Alphorn, das ihr der Jüngling geschenkt, einstimmend in seine fröhlichen Weisen dankend Antwort gab. Mehrere Frühlinge trieben sie dieses Spiel, und es nahte die Zeit, wo sie Mann und Frau werden sollten, nur noch wenige Tage zählten sie bis zu diesem Augenblick. Da eines Morgens tönte es wieder hell und lustig herüber von der Alp des Hirten, aber keine fröhliche Weise hallte zurück, dumpfe, traurige Alphorntöne kündeten mit Geisterstimme: Das Mädchen, das du liebest, ist nicht mehr, sie schläft 
*) Bei den schweizerischen Regimentern in Frankreich kam es oft vor, daß den Soldaten beim Spielen oder Singen des Kuhreihen Thränen entfielen und sie vom Heimweh ergriffen desertirten oder starben. Dies der Grund, warum es bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts bei Todesstrafe verboten war, bei diesen Regimentern den Kuhreihen zu singen oder zu spielen. Ebenso war es früher in der Gegend von St. Gallen verpönt, auf den Weiden den Kuhreihen hören zu lassen, da die dorthin häufig verpflanzten Kühe appenzellischer Zucht durch seine Töne oftmals wie in einen Zustand von Raserei versetzt wurden. Ebel bemerkt, es scheint, daß diesen Thieren bei seinem Anhören alle Bilder ihres ehemaligen Zustandes plötzlich in ihrem Gehirn lebendig werden und eine Art von Heimweh erregen; sie werfen augenblicklich den Schwanz krumm in die Höhe, fangen an zu laufen, zerbrechen alle Zäune und Gatter, und sind wild und rasend. Doch schon dieser Schriftsteller fügt hinzu, daß diese Alpenmusik lange nicht mehr den zauberischen Eindruck auf die Gebirgsbewohner ausübt, wie früher und findet die Ursache hiervon in dem Umstand, daß sich der Gesang des Kuhreihens in den Alpen immer mehr und mehr vermindert hat und bei weitem nicht so allgemein beliebt und gepfiffen ist als ehemals, wo alle Gebirgsschweizer Hirten waren und das einfachste Leben führten. Seitdem Manufakturen und Handel in ihre Thäler eingedrungen, hat sich überhaupt Manches in ihren Beschäftigungen, Sitten und Gebräuchen verändert.


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den Todesschlaf ! Schmerz, unsäglicher Schmerz zog da in die Brust des Hirten ein, die einige Augenblicke zuvor noch so freudiger Hoffnung voll; trostlos entsank das Alphorn seinen Händen und siel zerschmettert hinab in den Abgrund, an dessen Rand der Unglückliche stand; da noch einmal warf er einen Blick der Sehnsucht nach der Alp, auf der die Hütte stand, welche die sterblichen Ueberreste der Geliebten umschloß, richtete dann, einen Schritt vorwärts tretend, seine Augen nach oben und folgte dem Alphorn in die Tiefe nach. Seit jener Zeit haben sich viele Hirten Alphörner aus Weidenrinden gewunden, aber keinem derselben konnte je wieder eine lustige und fröhliche Weise entlockt werden, den dumpfen, traurigen Ton, der einst jenem Hirten den Tod der Geliebten verkündet, behielten sie von nun an für immer bei.


23. Der Melkstuhl.


A. Henne, Seiz. Merkur-;-Jahrgang 1832. S. 19,

In der Haupthütte einer Melseralp war beim Heimfahren ein Melkstuhl vergessen worden. Einer, das Schwierige kennend, eine verlassene Hütte, den Berggeistern anheimgefallen, zu betreten, wie auch aus 2 und 3 erhellt, wettete eine rothe Zeitgeis, die im zweiten Jahre noch nicht gekzet, ihn zu holen. Er nahm mit sich ein Messer mit eingegrabenem † Zeichen, Feuerzeug, Agathabrod und einen Hund mit Sporen . So wie er den Melkstuhl berührte, hörte er mit sonderbarer Stimme drohend rufen:

Hettist du nit Fürli heiß
Und Hundili beiß,
Und Messerli Spiz,
I wett der helfe d'Zitgeis gwünnen !-
Der Aberglaube, daß Messer, besonders bekreuzte, gegen die Macht böser Geister schützen, ist sowohl bei deutschen als slavischen Volksstämmen allgemein verbreitet. So ist z. B. bei letzteren ein Messer in die Luft


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geworfen gut gegen das von der Hexe heraufbeschworene Unwetter. Daumer erkennt hierin die altchristliche Vorstellung von der Heiligkeit und vermeintlichen Wunderkraft des kirchlichen Opfermessers, die sich später auf sämmtliche Instrumente dieser Art vererbten. Eine ähnliche Erklärung finden auch die genannten drei anderen Gegenstände: das Feuerzeug symbolisirt das heilige Opferfeuer, welches nicht anders entzündet werden durfte, als durch frische Erzeugung des reinen Elementes, da das von den Menschen schon benutzte und von Brand zu Brand fortgepflanzte Feuer für unrein galt, während Hund und Agathabrod an das Opfer selbst erinnern, welches, früher der Gottheit zur Sühne dargebracht, jetzt christlichem Aberglauben als Schutzmittel gegen die in böse Geister verwandelten Götter dient.Die Entzündung des heiligen Feuers geschah durch Holzreibung, ein Gebrauch, der nicht nur den Römern und Griechen, sondern auch den celtischen Volksstämmen eigen war und der sich in dem sogenannten Nothfeuer, noch heute in Schottland daheim, und in dem unter der Bezeichnung "de Tüfel hale" *) jetzt noch im Kanton Appenzell bestehenden Kinderspiele bis zu diesem Augenblick erhalten hat.


24. Der alte Schimmel.


A. Henne, Schweiz. Merkur, Jahrgang 1832. Heft IV. S. 67.

In den katholischen Alpen war und ist es noch meistens Sitte, daß jeden Abend an einer gewissen Stelle ein Hirt den Abendsegen laut ruft, damit nicht böse Mächte oder Unfälle 

*) Dieses appenzeller Spiel besteht darin, daß ein Seil über einem Stück Holz so lange gerieben wird bis es Feuer fängt. "De Tüfel hale" heißt dem Teufel seine Kraft nehmen. Die Asche des auf diese Art verbrannten Holzes soll die Felder gegen Ungeziefer schützen. Aehnliches glaubte man auch von dem Nothfeuer, eine Sitte, die sich bei uns am längsten in dem Norden Deutschlands erhielt. Joh. Neiskius, Rektor der Schule zu Wolfenbüttel, beschreibt es in seiner Untersuchung des Nothfeuers. Frankfurt und Leipzig 1696. 8. S. 51 folgendermaßen: "wenn nun sich etwan unter dem großen und kleinen Vieh eine böse Seuche hat herfürgethan und die Heerde dadurch bereit großen Schaden erlitten, werden die Bauern schlüssig, ein Nothfür oder Nothfeuer anzumachen. Auf bestimmten Tag muß in keinem Hause noch auf dem Heerde sich einzige



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der Heerde schaden. Die Sitte ist uralt, ebenso die Rüfe, die meist versartig sind, z. B.:
Bhüet Gott Ans
Vor d's Wolfen Zahn,
Vor d's Rappen Schnabel,
Vor d's Luchsen Biß u. s. w.

Es nahm sich sonderbar aus, wenn man vor Zunachten solche Rüfe sich von Alp zu Alp antworten hörte, um die unheimlichen Gewalten zu bannen. Der Rufer hatte dafür einen eigenen Käse als Lohn, den "Rufkäse".

Als dieß einst im Sarganserland einen jungen Knaben traf, rief er unbesonnen zum Schluß; "bhüet Gott All's, as der alt Schimmel nit". — Mit Entsetzen aber sahen die Sennen am Morgen, aus der Hütte tretend, den unglücklichen Schimmel auf dem Dache liegen, ausgeschunden, kohlschwarz und lernten, mit Bittwünschcn nimmer spotten. 

Flamme finden. Aus jedem Hause muß etwas von Stroh und Wasser und Buschholz herzugebracht werden, darauf wird ein starker Eichenpfahl in die Erde geschlagen und ein Loch durch diesen gebort, in dasselbe wird eine hölzerne Winde eingestellet, mit Wagenpech und Theer wohlgeschmieret, auch so lange umgedreht, bis es nach heftiger Hitze und Nothzwang Feuer geben kann. Solches wird so fort mit Materialien aufgefaltet, durch Stroh, Heider und Buschholz gemehret, bis es zu einem vollen Nothfeuer ausschläget, dieses aber muß in die Länge zwischen Wänden oder Zäunen sich etwas ausbreiten, und das Vieh nebenst denen Pferden mit Stecken und Peitschen drei oder zweimal hindurch getaget werden. Andere schlagen anderswo zwei durchborete Pfähle, stecken in die Löcher eine Walle oder Winde nebst alten, fettbeschmierten Lumpen. Andere gebrauchen einen bauten oder gemeinen dichten Strick, suchen neunerlei Holz zusammen und halten so lange mit gewaltsamer Bewechung an, bis Feuer herabfalle. Vielleicht mögen noch mehr Arten bei dieses Feuer Generation oder Anzündung sich finden, alle dennoch werden blos auf die Cur des Viehes eingerichtet. Nach drei oder viermaligem Durchgang wird das Viehe zu Stalle oder in's Feld getrieben, und der zusammengebrachte Holzhaufe wiederum zerstöret, jedoch solchergestalt an etlichen Orten, daß jedweder Hausvater einen Brand mit sich tragen, in der Wasch- oder Spülkanne ablöschen und solchen in die Krippe, worin das Vieh gefüttert wird, auf einige Zeit beilegen lasse. Die zum Nothzwang des Feuers eingeschlagenen Pfähle und das zur Winde gebrauchte Holz wird bisweilen zum Feuermaterialien mitgezogen, bisweilen verwahrlich beigeleget, wenn zuvor mit dem Viehe die dreimalige Jagd durch die Flamme ist vollführt worden."



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25. Strafe nachlässiger Hirten.


A. Henne, Schweiz. Merkur, Jahrgang 1832, Heft V. S. 19.

Wer ein Stück Vieh liederlich todtfallen läßt, muß es, sobald er stirbt, die Fluh, die es hinabstürzte, bis er erlöst wird hinauftragen. Einen solchen hörte man oft, wie er hinankeuchte, bis es von oben wieder hinunter fiel, worauf er gräßlich lachte und seine Arbeit von Neuem begann.

Vgl. S. 185 —187. A. Henne erklärt den Aberglauben obiger Sage durch das in den Alpen so häufig vorkommende Unglück, was durch Fallen geschieht, und führt für den wohlthätigen Einfluß, welchen er auf die einfachen Gemüther der Hirten mache, folgendes Beispiel an: Zu Medens ob Mels sei einst ein Knecht zum Vater seiner Mutter gekommen und habe denselben voller Gewissensbisse gefragt, ob er ihm wohl verzeihe ? er habe ihm in der Alp Medems ein Roß verliedericht, daß es ein Bein gebrochen. Nur die erlangte Begnadigung habe den reuigen Sünder beruhigen können.


26. Der Pfaffenkellerin Tapp.


A. Henne, Schweiz. Merkur, Jahrgang 1832, Heft V. S. 20.

Bekannt ist, wie zu Anfang des 15. Jahrhunderts in den Schweizerstädten gegen die Haushälterinnen der Geistlichen , Pfgffcnkellerinnen, geeifert wurde, die man wohl nicht ohne Veranlassungen wegjagte und beim Wiedererscheinen ohne Gnade in die Thürme steckte. Im Volke aber entstund die Sage: wie Eine 10 Jahre lang Pfaffenkellerin sei, falle sie dem Teufel anheim, wenn sie sich, nicht lösen könne. ,Eine solche sollte zu diesem Behufe von der sarganser Bergkette auf



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die melsersche, über ein 1/4 Stunde breites Thal hinüber springen. Es gelang ihr aber nur bis an einen Rain unten in der Alp Tamons ob Mels, die den Sargansern gehört, wo ihr Fußtritt "der Pfaffenkellerin Tapp" noch in einem liegenden Felsstück jedem Besucher der Alp gewiesen wird.S. die Erläuterung zu Nr. 18 S. 54. Die interessantesten Aufschlüsse über die Pfaffenzucht jener Zeit liefern uns übrigens die Satzungen und Verbote, welche weltliche und geistliche Obrigkeit zur Verbesserung der Sitten der Diener des Herrn damals für nöthig erachtete. Außer dem Verbot, keine verdächtigen und liederlichen Weibspersonen zu halten, das sehr häufig vorkam, hielt es sogar ein Erzbischof von Rheims (Hinkmar) unter Anderem nicht für überflüssig, die ihm untergebene Geistlichkeit zu warnen, Kirchengeräthschaften nicht im Wirthshause zu versetzen und nicht zu Mord- und Todschlag zu reizen.


27. Die drei Kreuze auf dem Hurderfelde.


A. Henne, Schweiz. Merkur. Jahrg. 1932. S. 21.

Wenn man aus Rappersweil über die berühmte Brücke in das Schweizerdörfchen Hurden, und aus demselben auf das Feld tritt, stehen einsam drei hölzerne Kreuze am Wege. Gewöhnlich sind sie Zeichen, daß man dort in alter Zeit einen die Schweiz besuchenden römischen Kaiser von Obrigkeitswegen bewillkommte. Von diesen will es jedoch die Sage, die bekanntlich ihre eigenen Duellen hat, und die pergamentenen nicht sehr achtet, weil sie jeden Augenblick ihr räuberisch in's uralte Gebiet einfallen, besser wissen. Nach ihr waren einst drei rappertswyler Bursche in weiter Ferne und kehrten eines Abends bei einem alten Mütterchen am Wege ein. Ueber'm Essen redeten sie vom lieben Schweizerland und der freundlichen Halbinselstadt, die sie geboren, und äußerten von Herzen



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den Wunsch, dort zu sein und die monatlange Reise ersparen zu können, um die alten Eltern schneller zu grüßen. Die Wirthin meinte, da könnte wohl Rath werden, und zauberte die drei Jungen in einen Schlaf. Als sie aus selbem erwachten, wollte eben der Tag aufgehen und sie hörten ein Glöcklein klingen. EI, rief der Eine verwundert aus, wär's nicht so viele Meilen, wie wollt' ich wetten, das sei das Kapuzinerglöckchen und läute zur Morgenmette! — Kaum gesagt, so fanden sie, daß sie sich auf freiem Felde befanden, und sahen die alterdunkeln Thürme des Grafenschlosses über'n See herüberschauen. Erstaunt Sengten sie sich, dankten Gott, kehrten zu den Ihrigen und pflanzten am Orte, wo sie erwacht, die drei Kreuze.Die so häufig vorkommende Sage von der Erfüllung sehnsüchtiger Wünsche nach kurzem oder längerem Schlaf erklärt sich durch die Traumgesichte, welche dieser Zustand, unserer Seelenthätigkeit im Wachen folgend, als Bilder der Wirklichkeit gebiert. Daß man aber die Wirklichkeit selbst an die Stelle des Traumes treten lassen könne, war eine zauberhafte Handlung, welche schon die Zauber und Zauberinnen griechischen und römischen Alterthums vermittelst gewisser Mittel übten, die besonders lebhafte Träume hervorriefen und deren Kenntniß, wie wir sahen, auch das spätere Hexenthum besaß (s. S. 113-29).


28. Felsen verkünden ben Tod der Freiherren von Hohenfax.


Wagneri hist. nat. Helv. cur. pag. 332.

Zwischen Salez und Sennwald liegt das Schloß Forstes, Dieses Schloß gehörte früher den Freiherren von Hohensax, welche ihren Namen von der von ihrem Stammherrn erbauten Burg Hohen-Sax hatten. Von diesem Geschlecht; über dessen



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Geschick der Dämon des Unfriedens und der Zwietracht waltete, ging die Sage, daß, sobald der Tod einem seiner Mitglieder nahe war, von den hohen Bergen, welche die Baronie Hohen -Sax von dem Kanton Appenzell kennten, sich ein großes Felsstück losriß und mit donnergleichem Getöse bis auf den Vorhof des Schlosses Forsteck herniederrollte.In früherer Zeit erzählte man sich in diesem Theile des Kantons St. Gallen auch viel von den Bergmännchen oder Erdmändli. Eine Hauptrolle in diesen Erzählungen spielten die Concerte, welche die Unterirdischen in ihren Bergen drin der Sage nach abhielten und von denen die Töne, wenn die Luft klar und heiter war, bis an die Ohren der Menschen drangen. Diese Erscheinung, vor Zeiten hauptsächlich in den Monaten Juli und August auf Seiten der ehemaligen Herrschaft Hohenfax in der Nähe des Schlosses Forsteck gehört, war allgemein unter dem Namen "das Bergklingeln" bekannt. Schon Scheuchzer gibt die naturgemäß gerechtfertigte Erklärung: "Ich meines Orths halte darfur, es seye dieser Thon anders nichts gewesen, am eine Würkung des in einer Berg Höhle zu gewüsser Zeit (wann der meiste Schnee auf der Höhe schmilzet) von der Höhe in die Tiefe herabfallenden Wassers, und bestäte diese meine Muthmaßung, theils aus Betrachtung, was etwann wahrgenommen wird bei denen so genannten Stalactitis oder Tropfsteinen, welche nicht nur dann und wann mit ihrer Gestalt, eine oder viele Orgelpfeifen vorstellen, sondern auch, so man daran schlagt, einen lauten Thon von sich geben; heut zu Tag höret diese Bergmusic auf, weilen vielleicht von dieser tropfsteinichten Materie die gewesene Höhle ausgefüllet, und folglich der Fahl selbst nicht mehr kan verspührt werden." Am Harz gab die gleiche Ursache Anlaß zu ähnlichen Erzählungen. Im Uebrigen vergl. S. 100 Nr. 49, S. 104 Nr. 52, S, 192 Nr. 15.


29. Blicker von Steinar.


Mitgetheilt aus Bern.

Auf der nicht weit von dem kleinen Städtchen Arbon gelegenen Burg Stemach hauste einst ein edles Rittergeschlecht.



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Von einem Gliede desselben, das unter dem Namen "Ritter Blicker von Steinach" unter den Dichtern jener Zeit rühmend genannt wird, geht die Sage, daß seine Harfe, mächtiger als die des Orpheus und Arion, im Stande war, die heftigsten Stürme zu beschwören, daß sie schonend über seine alte Heimath und die Burg seiner Väter hinzogen.Daß Burg Steinach am Bodensee wirklich der Stammsitz des Ritters und Sängers, dessen dichterisches Talent zu der Allegorie obiger Sage Anlaß gab, gewesen, ist noch nicht zur Genüge erwiesen. Mit der Schweiz streitet sich die Pfalz, welche ebenfalls edle Geschlechter dieses Namens zählt, um den Besitz dieses Dichters *). Etwas Bestimmtes für seine Ansprüche vermag jedoch auch dieses Land nicht beizubringen. Beide Geschlechter, sowohl das in der Pfalz als das am Bodensee, führten eine Harfe in ihren Wappen, bei diesem war sie jedoch nach der manessischen Sammlung im pariser Codex golden im blauen und nach dem weingartischen Codex weiß im rothen Felde, bei jenem dagegen war die Harfe schwarz und das Feld golden, eine Aehnlichkeit und Verschiedenheit, die die Lösung der Frage nach der Heimath des Dichters eher erschwert als erleichtert. (S. die Schweiz in ihren Ritterburgen B. II. S. 447.) So ruhmvoll und segnend die Sage des Ritters Blicker von Steinach gedenkt, so wenig Gutes weiß sie von Conrad von Steinach, dem letzten Sprößling dieses Geschlechtes, zu berichten, von dem sie, wie folgt, erzählt:


Der lette Herr von Steinach

lebte als rauher gefühlloser Herrscher auf seiner Burg. Die Unterthanen erschracken, wenn der Zwingherr aus seiner Festung trat; denn ohne Erbarmen züchtigte er die, welche ihm nicht gefielen, oder seinen Befehlen ungehorsam waren, auf das Härteste. Sein Herz verschloß sich vollends, als eine bittere Fehde zwischen ihm und dem Herrn von Wartensee ausbrach ; mit kaltem Blute verbrannte er die Dörfer und Höfe, erschlug er die Leibeigenen und Knechte seines Feindes und ihre Weiber und Kinder. 
*) Schon Gottfried von Straßburg sagt von ihm:
sin zunge, die die Harfe treit
si hat zwo volle sälikeit
daz sind die wort, daz ist der sin
diu zwei die harfent under in.


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Der Herr von Wartensee suchte umsonst seinem Gegner beizukommen; bei Tage war derselbe immer wohl bewehrt, wenn er auf die Jagd ritt, und in der Nacht zog er die Fallbrücke auf, schob er gewaltige Riegel vor das Burgthor, wachten blutgierige Hunde hinter den Mauern. Ein Mädchen endlich, das bei dem Herrn von Steinach hausete, wurde von Wartensee gewonnen, daß es, wenn sein Herr zur Mahlzeit an das Fenster sitze, das gegen Wartensee hinaufschaue, ein weißes Tuch hinaushänge. Es geschah; und sogleich flog der Pfeil von der Armbrust des auf der Lauer stehenden Herrn von Wartensee durch das Fenster und durchbohrte Rücken und Brust des Zwingherrn mit solcher Gewalt, daß die Spitze im Tische stecken blieb. Den Blutflecken dieses Mordes löschte auf dem Boden kein Wasser aus.Der Vater des letzten Herrn von Steinach hieß Heinrich, seine Mutter, Margaretha, war eine geborne von Wartensee. I. I. Pupikofer, dessen Beschreibung der Burg Steinach (die Schweiz in ihren Ritterburgen . B. II. S, 479) vorstehende Sage entlehnt, glaubt nicht mit Unrecht daß dieselbe den Umstand, daß in dem Sohne Margaretha's von Wartensee der Hauptstamm des Geschlechtes von Steinach erlosch, besonders scheint im Auge gehabt zu haben, als sie den letzten dieses Namens durch einen Herrn von Wartensee umkommen ließ.


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Die Kantone Appenzell, Zürich und Thurgau.


1. Hirt und Teufel.


Mündlich.


Grimm, Mythologie der Deutschen.


J. J. Reithard, Geschichten und Sagen aus der Schweiz.


I.

Ein appenzeller Hirtenbub hütete einst eine Heerde Ziegen. Im Zorn über die wilden, neckischen und unbändigen Thiere, rief er einst: so wollt' ich, daß euch der Teufel hüt ! Sogleich erschien der Teufel und sagte, das wolle er wohl thun, nur dürfe der Hirtenbub das Evangelium Johannis nicht mehr hersagen. Ohne Zögern ging dieser den Pakt ein und der Teufel freute sich schon, so leichten Kaufs eine Menschenseele erhascht zu haben. Diese Freude war aber etwas zu früh, der Teufel war angeführt. Zwar hielt der Hirtenbub sein Versprechen, das Evangelium Johannis nicht mehr herzusagen dafür hat er es aber von jener Stunde an alle Tage einmal gepfiffen, was auf ein und dasselbe herauskam und dem Teufel alle Macht über den Schlaukopf nahm, dessen



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Heerde er von da an hätte hüten müssen, wenn dieser das unchristliche Bündniß nicht bereut und den Bösen nicht davon freigesprochen gehabt hätte.


II

Nicht so gut ging es einem andern Hirten, der einst sein wildes Vieh zum Teufel holen verwünscht hatte. Kaum war dieser gottlose Wunsch über die Lippen des Fluchers, so kam der Teufel in der Luft einhergebraust und stürzte ein paar Stück der schönsten Thiere über die Alpwand. Schon hatte der Teufel wieder ein Stück an den Hörnern, um es den andern zwei nachzusenden, da rief aber der Hirt, der seine Sünde erkannt reuevoll : Herr Gott, ich war im Fehlen ! und bekreuzigte sich dreimal. Diesem Spruche mußte der Teufel weichen, die Alp aber, auf da dies geschah, heißt heute noch Im Fehlen.

Das Zeichen des Kreuzes, Gebet und heilige Sprüche schützen vor der Macht des Teufels, eine hauptsächlich den Katholiken eigene frommgläuhige Vorstellung. So erzählt eine in Oberwallis verbreitete Sage:Ein Hirt wollte Abends spät seine Geliebte besuchen und der Weg führte ihn über die Visper, da wo sie in einer tiefen Felsenschlucht rauscht, worüber nur eine schmale Bretterbrücke hängt. Da sah er, der Chiltbube, was ihm sonst niemals widerfahren war, einen Haufen schwarze Kohlen auf der Brüse liegen, daß sie den Weg versperrten; ihm war dabei nicht recht zu Muthe, doch faßte er sich ein Herz und that einen tüchtigen Sprung, über den tiefen Abgrund von dem einen Ende glücklich bis dem andern. Der Teufel, der aus dem Dampf des zerstobenen Kohlenhaufens auffuhr, rief ihm nach : "Das war Dir gerathen, denn wärest Du zurückgetreten, hätt' ich Dir den Hals umgedreht, und wärst Du auf die Kohlen getreten, so hättest Du unter ihnen versinken und in die Schlucht stürzen müssen." Zum Glück hatte der Hirt, trotz der Gedanken an seine Geliebte, nicht unterlassen, vor dem Kapellchen. der Mutter Gottes hinter St. Niklas, an dem er vorbeikam, wie immer sein Ave zu beten. (Mundlich aus Oberwallis. Gebr. Grimm, deutsche Sagen, B. I S, 276, Vgl. auch Nr. 25 S. 62 dieser Sammlung.)


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Teufelsgeschichten, ähnlich den obigen, finden sich im Kanton Appenzell, wo der Teufel überhaupt noch eine große Molle spielt, viel vor; eben so häufig trifft man auch auf Sagen von Bergmännchen und geisterbewachten Schätzen; besondere charakteristische Züge, die sie von in andern Kantonen vorkommenden Erzählungen gleicher Art unterscheiden, von denen sie fast wörtliche Wiederholungen sind, bieten sie jedoch nicht, daher weitere Anführungen überflüssig; eigenthümlicher ist dagegen der unter den Appenzellern vorkommende Schwur: "Ich will den Rosenkranz dreimal beten, wenn meine Worte nicht wahr find!" ein Beweis , in wie weit sie sich der Macht des Gebetes unterwerfen, sowie der in diesem Kanton herrschende fromme Glaube, daß Kinder, welche sterben, als unschuldige Wesen geraden Weges in den Himmel steigen, daher die Eltern auch nur selten bei den Krankheiten derselben ärztliche Hülfe suchen, an deren Stelle sie Messen und Passionen lesen lassen.Die Alp Fehlen liegt am Säntis.


2. Sagen vom Türlerfee.


Mündlich und schriftlich aus Zürich.


Vgl. I. I. Reithard's Geschichten und Sagen aus der Schweiz S. 140 u. 145.


I.

Auf der südlichen Seite des Albis liegt der Türlersee. Nicht immer sollen seine gluthen den Fuß des Albis bespült haben. Trockenen Weges schritt man einst dort einem lies lieben Thal zwischen grasreichen Wisen und fruchtbaren Feldern einher. Dieses Thal gehörte dem Besitze der Freiherren von Schnabelburg, deren Schoß hoch oben auf einer Spitze des Albis stand, und Felder und Wiesen; darin wurden von einem der Pächter dieser Edellente; welche eine alte Chronik Grafen nennt, verwaltet und bewirtschaftet. Einer deser Pächter, so erzählt nun die Sage, soll seine Tochter deren Schönheit die Aufmerksamkeit des Burgherrn auf sich gezogen



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hatte, diesem gegen den Besitz jener Felder und Wiesen verschachert und die im Geleite des Vaters sich ungefährdet wähnende Tochter dem Grafen auf dem Schlosse selbst zugeführt haben, wo ihm das auf so schändliche Art erworbene Besitzthum schriftlich und urkundlich zugesichert worden sei. Kaum aber sei er, diese Urkunde in den Händen, zu dem neuen Eigenthum heimgekehrt , so habe sich ein fürchterlicher Orkan erhoben, Berge seien geborsten und hätten die Zugänge des Thales ausgefüllt , welches Wasserströme vom Himmel, den unnatürlichen Vater sammt seinem neuen Besitz für immer von der Erde vertilgend, von da an in den See umgewandelt hätten, welcher es jetzt ist. Der Graf aber habe reuevoll die Tochter freigegeben, welche den Schleier genommen und als Nonne gestorben sei.


II.

Ein fahrender Schüler, ber in Salamanca die Zauberei erlernt hatte, kam einst auf seinen Fahrten durch die Welt, die er mit Hülfe des Teufels unternahm, auch au den Türlersee. Zu dieser Zeit wohnte dort eine Frau Namens Chriemhild , welche sehr schön, dabei aber auch sehr bös und neidischen Gemüthes war. Ihr Haß und Neid war aber besonders gegen ihre Nachbarsleute gerichtet, deren Felder und Wiesen sich immer bei weitem fuchtbarer zeigten als ihre eigenen. Da nun das schändliche Weib schon längst gewünscht hatte, einmal ihre Bosheit an dem Gut ihrer Nachbarn auszulassen, so kam ihr die Ankunft des fahrenden Schülers, durch dessen Kunst sie Wiesen und Felder derselben wo möglich noch unfruchtbarer, die ihrigen, zu machen hoffte, eben recht. Dieser, in sündiger Liebe zu dem schönen Weibe entbrannt, willigte auch alsbald in das böse Verlangen ein und machte sich eines Nachts daran, einen großen Graben zu ziehen, ver



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mittelst welchem er das Wasser aus dem Türlersee auf die Wiesen und Felder jener Nachbarn leiten wollte, um sie so zu überschwemmen und ihren warmen, fruchtbaren Boden in kalten, nassen Moorgrund zu verwandeln. Bald wäre auch das boshafte Werk gelungen, nur noch wenige Spatenstiche fehlten und das Wasser wäre in den Graben eingebrochen, da kam aber von ungefähr ein frommer Pilgrim des Wegs daher, der das Schändliche des Unternehmens sofort erkannte und den fahrenden Schüler sammt dem bösen Weibe mit der Kraft seines heiligen Willens auf den Glärnisch verbannte, wo beide verdammt sind auf dem mittlern, mit ewigem Eis bedeckten Gebirgsstock einen Garten anzulegen; erst wenn dieser Garten, den das Volk das Vreneligärtli oder den St. Verenagarten nennt — jener Pilger soll nämlich die heilige Verena gewesen sein — vollendet ist, wird die Erlösung der Beiden erfolgen. Das wird aber wohl niemals geschehen, eben so wenig als den Verdammten bei Lebzeiten die Vollendung des Grabens gelang, der von dem bösen Weibe noch heut den Namen "Chriemhildengraben" führt.Das in der ersten Sage erwähnte Schloß der Freiherren von Schnabelberg später Besitzthum der Herren von Eschenbach und Schwarzenberg, ward im Jahr 1309 von den Söhnen Kaiser Alberts I. mit Hülfe des Abtes von St. Gallen in Folge der Theilnahme seines Besitzers an dem Kaisermord zerstört. Bei dieser Gelegenheit soll die ganze Besatzung um das Leben gekommen sein, ein einziger Knabe nur entrann dem Blutbade, dessen unschuldiges Lächeln selbst die den Tod ihres Vaters rächende Kaiserstochter rührte. Dieser Knabe soll der Stammherr der gegenwärtigen Fürsten von Schwarzenberg gewesen sein. Aehnliches wie vom Türlersee erzählt man übrigens auch vom Bichelsee im Kanton Thurgau, jedoch mit dem Unterschied, daß hier die Verwandlung eines Waldes, welcher dieser See früher gewesen sein soll, zum Schutz des Eigenthums einer Wittwe und zweier Waisen vor den Verfolgungen eines habsüchtigen Ritters erfolgt. Noch sei hier der in der Nähe des zürcher Pfarrdorfes Henggart zwischen Neftenbach und Andelfingen gelesene Haarsee erwähnt, von dem unter den Bewohnern jener Gegend die Meinung verbreitet ist, daß er ähnlich


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dem Maia, Wunder und Hungerbrunnen (s. S. 97 ) fruchtbare oder theure Zeiten verkünde. Seine Trockenheit im Frühjahr ist für erstere, sein Wasserreichthum für letztere das untrügliche Zeichen, eine Wahrnehmung, welche man auch von einem zwischen Bülach, dem zürcher Abdera, und dem Dorfe Neerach liegenden See geltend macht.


3. Die Klungerin.


Mittheilung aus Zürich.

An dem zürcher See, in der Städt Zürich selbst und auch sonst wo geht ein altes gespenstisches Weib um, es hat zwei Höcker, einen auf der Brust und einen auf dem Rücken, und an den Händen lange scharfe Nägel. Hauptsächlich ist sie den Kindern feind, welchen man, wenn sie nicht einschlafen wollen, mit ihrem Erscheinen droht; aber auch Erwachsene denen sie des Nachts als böser Alp zusammengekauert auf die Brust hockt und mit ihren langen Nägeln die Hälse zuschnürt, daß sie am andern Morgen ganz elend und erbärmlich anzusehen sind, quält und peinigt sie. Vorzüglich ist dies bei Wöchnerinnen der Fall.

Zu der Klungerin, diesem Stadt- und Lgndgespenste des Kantons Zürich, tritt noch in gleicher Eigenschaft set Bölimann und der Hackenmann hinzu, welche wir schon S. 235 kennen lernten. Ersterem ist der westlich von Zürich liegende Uetliberg als Wohnung angewiesen. Vergl. I. I. Reithard's Geschichten und Sagen aus der Schweiz, welcher den Namen Klungerin von Cia, Klaue, ableitet, weil man sich dieselbe mit langen Nägeln bewaffnet vorstellt. Da sie indessen auch als böser zusammengekauerter Alp gedacht wird, der auf den schlafenden Menschen hockt, vielleicht eher mit Klungel — Knäuel verwandt, das synonym mit dem fränkischen Clungen, dem angelsächsischen Monna, Clywe, Clowe und dem englischen Clew ist. Da die Klungerin vorherrschend den


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Charakter eines Kindergespenstes trägt, sei hier noch der wilde Mann eingereiht, der im graubündner Oberlande daheim ist und mit welchem man in der Gegend von Waltensburg Kindern droht, die sich auf gefährliche Felsen begeben, um wilde Lilien und Steinnelken zu suchen. Man stellt sich dieses Gespenst als furchtbar aussehenden Riesen vor und erzählt sich von ihm, daß er, von Menschen verfolgt, sich auf die Gipfel hoher Tannen flüchte und in kürzester Zeit die stärksten Bäume gleich Weidenzweigen zusammendrille, um seine Verfolger damit festzubinden. (S. deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben von E. Meier S. 170).


4. Der Baron von Regensberg und sein Hausgeist.


Thesaurus historia : Helvetiae, Zürich 1735,

Gegen das Jahr 1328 lebte am zürcher See auf dan nicht weit von dem Dorfe Küßnacht gelegenen Schlosse Balb, dessen Ruinen noch heutigen Tages zu sehen sind, ein Baron von Regensberg, welcher in heiligen und weltlichen Dingen sehr bewandert war und ihrem Studium in einem der Thürme seines Schlosses obzuliegen pflegte. Dieser Thurm wurde aber auch häufig von einem gewissen Hausgeist besucht, welcher die Bewohner des Schlosses so in Schrecken setzte, daß außer dem Herrn Niemand den Thurm betreten wagte. Dieser aber fürchtete den Dämon nicht im geringsten und studirte ohne Unterlaß an diesem Ort. Der Geist erschien ihm gewöhnlich in der Tracht eines Weltpriesters mehrmals des Tages und des Nachts, setzte sich neben ihn und unterhielt sich oftmals sehr lang mit ihm, indem er sich über die Art und Weise seiner Studien unterrichtete. Niemals fügte er ihm das geringste Leid zu. So lebten sie lange Zeit in gutem Einvernehmen mit einander und der Baron hätte von



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dem Geiste Vieles lernen können', wenn er ihn nur hätte darnach fragen wollen.In obiger Sage tritt uns die edlere Vorstellungsweise von den Genien der römischen und griechischen Götterlehre entgegen, welche dem einzelnen Menschen schützend und leitend zur Seite standen und die eine spätere christliche Zeit gleich den Laren in spuckende Kobolde und Hausgeister umschuf.


5. Der aufgerichtete Siegel.


Schweiz. Merkur. 1835. V. Heft. S. 310.

An einem uralten Zürcherlandhause nimmt man auf dem Dache einen aufgerichteten Ziegel wahr, von dem die Volkssage erzählt, der jedesmalige Inhaber des Hauses dürfe diesen Ziegel durchaus nie zurecht legen, und dies um eines Geistes willen, der durch diese Dachöffnung in ein Zimmer hinunter steige, welches damit in Verbindung steht. Dieser Geist soll ein früherer Bewohner dieses Zimmers gewesen sein und sich auch jetzt noch als solchen betrachten. Um Mitternacht erscheint er in blutigem aschgrauem Gewande und einem Antlitz von gleicher Farbe; denn ein begangener Mord läßt ihm keine Ruhe im Grabe. Aber er verhält sich ganz fuit und stört den Schlaf des jetzigen Bewohners nicht, wenn dieser nicht sonst wach ist. Man hört Nichts von ihm als ein leises Seufzen. Einmal fiel dem Hausbesitzer ein, den Ziegel einzulegen und in dem bezeichneten Zimmer das Benehmen des Geistes abzuwarten. Aber um die zwölfte Stunde erhebt sich auf dem Dache ein gräuliches Gepolter; Ziegel rasseln, Scheiben klirren und unter Windesbrausen stieg das Gespenst in die Kammer. Flammen sprühten aus seinen Augen; er faßte



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das Bett sammt dem zitternden Paton, der drin lag, zog es aus der Bettstelle, warf es auf den Boden und zerrte es dort herum. Der Geisterseher fiel in Ohnmacht; als er aus derselben erwachte, hätte er den ganzen Spuck für einen schweren Traum gehalten, wenn er nicht mit den Beinen auf dem Leibstuhl, mit dem Kopf auf dem Boden gelegen hätte und die Bettstücke nicht zerstreut herumgelegen und mit schwarzen Malern ausgestattet gewesen wären.


6. Die Geister von Greiffensee.


Bluntschli, Memorabilia Tigurina, S. 191.

Im sogenannten alten "Zürichkrieg" im Jahr 1444 erlag das Städtlein Greiffensee der Belagerung der sieben Orte der Eisgenossenschaft, nachdem seiner Besatzung, die aus 61 redlichen Männern bestand, an deren Spitze der tapfere Hans von Breiten-Landenberg, von dem Anführer der Eidgenossen, dem Ital Reding von Schwyz, freier Ab zug versprochen worden war. Dieses Versprechen wurde treulos gebrochen, unfern dem Dorfe Nänikon auf einer großen Wiese wurden sämmtliche 61 Mann schmählich enthauptet. An der Stelle auf der Wiese, wo dies geschah, wächst seit jener Zeit kein Gras, auch soll alle Jahre am Jahrestag dieser Schandthat dort in der Nacht ein geisterhafter Zug gesehen werden, welcher, den treulosen Ital Reding in der Mitte, dreimal diesen Platz umschwebt und dann mit einem herzzerreißenden Schrei verschwindet.

Vergl. No. 14 S. 312.


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7. Die rothe Buse.


Nach Ruch mitgetheilt.

Auf dem Bergrücken des Irchels liegt das Pfarrdorf Buch. Auf dein Wege nach diesem Dorfe steht am Stammberge eine rothe Buche. Von ihr erzählt man Folgendes:

Zur Zeit einer furchtbaren Hungersnoth, welche so groß war, daß die Menschen selbst zu Nahrungsmitteln greifen mußten, welche sie sonst verabscheuen, lebten in einer Hütte am Abhange eines der hohen Hügel jenes Bergrückens zwei Brüder in der vollsten Blüthe des Lebens und bis dahin in wahrhaft brüderlicher Eintracht. Nachdem sie alle ihre Lebensmittel aufgezehrt hatten und ihre Zuflucht zu den Wurzeln des Waldes nehmen mußten, geschah es eines Tages, daß eine Feldmaus aus dem Boden hervorsprang. Die Brüder stürzten über diesen Leckerbissen her und es gelang einem von ihnen, sie zu erhaschen und sie, ohne seinem Bruder davon etwas abzugeben, ganz allein zu verschlingen. Darüber ergrimmte dieser dermaßen, daß er den sonst geliebten Bruder mit einer Keule todt darniederschlug. Das warm dahinrinnende Blut des Erschlagenen aber netzte die Blätter eines an jener Stelle emporkeimenden Buchensprößlings, unter dem der Leichnam auch eingescharrt ward. Lustig wuchs die Buche über dem Grabe des Erschlagenen empor, ihre Blätter aber, welche sein Blut genetzt, nehmen jedesmal an den Festen der Pfingsten und der Himmelauffahrt zum Angedenken an jene ruchlose That eine blutrothe Färbung an, nach welcher Zeit sie wieder in ein sanftes Dunkelgrün übergehen; daher noch heute an diesen Festen die Stätte, wo die Wunderbuche steht, ein Wallfahrtsort der Jugend jener Gegend ist, welche mit Blättern von ihren Zweigen geschmückt, von dort erst spät am Abend nach ihren Wohnungen heimkehren. Sprößlinge von ihr nach an



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deren Orten verpflanzt, sollen nie zu irgend einem Gedeihen gekommen sein.Nach Scheuchzer, der die gleiche Sage in seiner "Beschreibung der Naturgeschichte des Schweizerlandes" B. l. S. 2 erzählt, waren es fünf oder vier Brüder, welche sich an jener Stelle erschlugen. Die Sage von noch einem andern Brudermord, dessen Schauplatz ebenfalls der Irchel und der unzweifelhaft identisch mit dem obiger Sage ist, findet sich in Murers Helvetia sancta. Ihren mehr den Charakter der Legende tragenden Inhalt erzählt Bluntschli in seinen Memorabilia Tigurina S. 117 mit kurzen Worten wie folgt: "Nach einer alten Tradition sind auf dem Irchel zwey Brüder gewesen, deren einer den anderen ermördet, das Bruderhäuslein angezündet, und darvon gegangen, damit man vermeine, der ermordete Bruder habe sein Häuslein verwahrloset, und sich selbst verunglücket. Dieser Leichnam ist aber in dem Jener unversehrt geblieben, und hat den herbey nahenden und die verübte Mordthat hefftig verneinenden Thäter durch das Bluten verrathen. Worauf dieser Mörder dem LandGrafen von Kyburg zugeführet und geradbrechet, der ermordete aber zu Embrach begraben, über sein Grab eine Capell gebauet, er für einen Heiligen verehret, und dahin Wallfahrten angestellet, also, daß nach und nach großes Gut dahin vergabet, mithin aus Bewilligung der Grafen von Kyburg daselbst ein Closter der regulirten Chorherren gebauet worden. Von obigen Morden oder Umbringen her, solle, nach einiger Meynung das Stift Umbrach oder Embrach genannt worden Seyn *)."


8. Das Aeckelmümmelisbrünneli.


I. I. Hottinger, helvetische Kirchengeschichten S. 298. Schweiz. Merkur. V. Heft. 1935, S. 314. Bluntschli, Memorabilia Tigurina, S. 319.

Gleich vor der herrlich an der Töß gelegenen Wartburg , die durch der Ungarnkönigin Agnes Nachsucht in eine 

*) Bluntschli hält die Aleitung des Namens Embrach von Emerieus wahrscheinlicher welches nach Murer der Name des ermordeten Heiligen gewesen sein soll.



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Ruine verwandelt wurde, erhebt sich das nicht mehr im Wesen stehende Schloß Pfungen, ein uralter Bau, der, wenn man der Chronik trauen darf, die Hof- und Lieblingsburg des Herzogs Gottfried von Pfungen, Caroli Magni Großvater, gewesen ist. Um das Schloß herum liegt, gar lieblich, am Fuße des Eigelhards, auf einer unbeträchtlichen Anhöhe, das Dorf gleichen Namens, und in demselben befindet sich ein Brunnen der unter dem Namen Neckelmümmelisbrunnen" ringsherum bekannt ist. Von dem Brunnen erzählt die Volkssage, daß in uralter Zeit an dessen Ouelle der liebste Aufenthalt eines wunderthätigen Mannes, Namens Aeckelmümmeli, gewesen sei. Unterrichtete Leute wissen aber wohl, daß unter diesem "Aeckelmümmeli" Niemand anders zu verstehen sei, als der heilige Priminius, der, von der Insel Reichenau, auf der er geboren ward, herüberkommend, an dem klaren Schattenquell ruhte und sich gottseligen Betrachtungen hingab, So wie jene Insel vor Priminii Zeiten mit allerhand giftigem Gewürm, so war die Gegend um Pfungen mit einer ungeheuren Menge giftiger Schwämme geplagt, welche die Viehzucht erschwerten; und so wie Priminius das Eiland Reichenau vom gifttgen Gewürm, so reinigte er auch die Gegend um Pfungen von den lästigen und schädlichen Schwämmen. Wie in Reichenau, richtete er zuerst mitten in der Gegend ein geweihtes Kreuz auf und verrichtete sodann knieend sein wunderkäftiges Gebet — und wie all' das giftige Gewürm unverweilt sich aufmachte und die Flucht nahm, also, daß der Bodensee drei Tage und drei Nächte lang davon bedeckt war — so auch verloren die Schwämme, welche die Wiesen von Pfungen verderbten, vollständig ihre giftige Eigenschaft, und die Bauern durften nun ohne Gefahr ihr Vieh auf die Weide treiben. Seit der Zeit ist der Brunnen, bei welchem Priminius sich so gerne aufhielt, ein Gegenstand der Ver


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ehrung des Landvolks, einer Verehrung, die sich selbst auf unsere Zeiten übertragen hat.Der Ort Pfungen war schon zur Zeit der römischen Herrschaft bekannt und hieß damals Pfungos, ein Name, den er den vielen Schwämmen verdankte, welche man zu jener Zeit daselbst auffand und die in der That in diesem Augenblick noch dort sehr zahlreich angetroffen werden. Ebenso scheint Greg. Mangold's Notiz in seiner Schrift von "Stiftung der Clösteren": er habe, da er ein Kind gewesen, seine Eltern, so sie von diesem Brunnen haben trinken wollen, oft sagen gehört: Das segne mir Gott und der heilige Priminius !" auf eine Wortverwandtschaft zwischen der Benennung Aeckelmümmeli und dem Namen dieses Heiligen hinzudeuten:. Im Uebrigen vgl. Nr. 7 S. 34 u. Nr. 18 S. 158 ec.


9. Karl der Große unb die Schlange.


Heinrich Brennwalds, Propstes zu Embrach geschriebene Chronik.

Als Kaiser Karl der Große sich mit seinem Hofstaat in der alten Stadt Zürich aufhielt und das Chorhemnyaus, zum Loch genannt, bewohnte, ließ er an dem Orte, wo Felix und Regula, die heiligen Märtyrer, von der thebäischen Legion enthauptet worden waren, eine Säule mit einer Glocke aufrichten und im Lande bekannt machen, daß der, so wider Andere Recht begehre, an dieser Glocke ziehen solle, wann er, der Kaiser, zu Tische sitze, und Jedem, der da Recht begehre würde Recht werden, wenn er solches habe.

Da nun begab es sich, daß, als der Kaiser eines Tages bei Tafel saß und er den Ton der Glocke gehört hatte, die Diener, denen er befohlen, nachzuschauen, wer da Recht begehre mit der Meldung zurückkehrten, daß an der Säule Niemand zu erblicken sei. Als aber hierauf die Glocke noch zu öfteren Malen ertönte und dem Kaiser immer die gleiche



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Meldung überbracht wurde, da befahl er den Dienern nochmals nachzuschauen, das Mal aber wohl Acht zu haben, was sich an der Säule noch ferner ereignen möge. Da nun die Diener dies thaten und sich in einen Hinterhalt legten, um unbemerkt zu sein, sahen sie einen Wurm sich der Säule nähern, der sich um den Strick daran schlang und die Glocke also anzog, daß sie läutete. Als nun der Kaiser dies Wunder, das man ihm treulich berichtet hatte, vernommen, erhob er sich alsbald von der Tafel und ging hin, um dem Wurme Recht zu sprechen gleich den Menschen.

Da nun, als der Kaiser auf den Platz zu der Säule kam, wo die Schlange war, neigte sich diese vor ihm als dem Herrn, dann aber schaute sie ihn an, bittend, als wollte sie sagen: Folge mir!" Dies verstand der Kaiser gar wohl und gütig wie er war, war er auch sofort bereit, der Aufforderung des Wurmes nachzukommen. Als aber die Schlange die Bereitwilligkeit des Kaisers sah, machte sie sich alsbald auf und kroch, dem Kaiser den Weg zeigend, vor ihm her nach dem Gestade des Sees dem Orte, da sie ihr Nest hatte. An diesem Orte aber angekommen, zeigte sich bald die Ursache dieser merkwürdigen Begebenheit: denn siehe, eine Kröte von ungemeiner Größe saß in dem Neste, brütend über den Eiern der Schlange. Da befahl der Kaiser, die Kröte hinwegzunehmen und fällte ihr, als frechen Eindringling in fremdes Eigenthum , das Urtheil, daß sie bei lebendigem Leibe verbrannt werde - ein Urtheil, das auch alsbald vollzogen wurde. Als aber einige Tage nachher der Kaiser wiederum bei Tische saß, stellte sich die Schlange plötzlich nochmals bei Hofe ein, und kroch, als man sie vor den Kaiser gelassen, auf die Tafel, an der er saß, stieß den Deckel von seinem Pokale und ließ in denselben einen kostbaren Edelstein als Zeichen ihrer Dankbarkeit fallen, worauf sie, nachdem sie sich wie um Abschied vor dem Kaiser geneigt hatte, verschwand und niemals wieder erblickt wurde.



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Den Stein aber, den der Kaiser von der Schlange erhalten , hob er als eine große Kostbarkeit zum Angedenken an das Wunder auf und schenkte ihn endlich seiner Gemahlin zum besondern Liebespfande. Dieser Stein aber hatte die Kraft eines Liebestrankes; denn von der Zeit an, da die Kaiserin den Stein besessen, hat ihr Gemahl sie niemals verlassen können und ist derselbe immer in große Betrübniß verfallen, wenn er nicht bei ihr war. Daher auch die Kaiserin diesen Stein, dessen Kraft sie wohl erkannt hatte, in ihrer letzten Krankheit, als sie zum Sterben kam, nicht von sich ließ und unter ihrer Zunge verbarg, da sie nicht wollte, daß er in die Hände eines anderen Weibes komme, welches der Kaiser alsdann hätte lieben müssen, während er ihr, der Todten, vergessen hätte. So wurde die Kaiserin einbalsamirt und mit dem Wunderstein begraben. Da aber der Stein auch noch nach ihrem Tode seine Wirkung nicht verlor, ließ der Kaiser, ihr Gemahl, sie wieder ausgraben und sich nachführen überall, wo er hinging. Dies dauerte achtzehn Jahre, bis einer von den Hofleuten, der die Kraft des Steines kannte, ob der fortdauernden Anhänglichkeit des Kaisers an die Leiche seiner Gemahlin muthmaßete, der Stein möge an derselben verborgen sein; worauf er sie auch durchsuchte, bis er endlich das Kleinod unter der Zunge der Todten fand, welches er nun für sich verwahrte.

Als dieses geschehen, ging die große Liebe, welche der Kaiser bisher für seine Gemahlin gehegt hatte, auf jenen Hofbedienten über, so daß er ohne diesen nicht mehr leben konnte. Einige Zeit nachher begab es sich aber, daß dieser Ritter auf einer Reise nach Köln, wegen eines gefaßten Unwillens, den Stein an einem "stinkenden Ort" bei einem Brunnen hinwarf, so daß hernach ihn Niemand mehr finden konnte. Mit dem Stein war jedoch auch die Liebe des Kaisers zu dem Ritter geschwunden, an deren Stelle jetzt ein fortwährendes



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Verlangen nach dem Orte kat, wo der Stein lag, so daß der Kaiser dort eine Stadt zu gründen beschloß, welche fortan sein Wohnsitz sein sollte.Einer der schönsten Züge in dem Charakter Karls des Großen war seine Gerechtigkeitsliebe. Sie hat die Sage, welche met Vorliebe an der Lebensgeschichte dieses Herrschers haftet, in der Allegorie von der dankbaren hülfesuchenden Schlange verewigt, deren mythischster Theil jedenfalls der Edelstein ist, das Zeichen der Dankbarkeit der Schlange. In ihm ist die Schlangenkönigin, welche das arme Hirtenmädchen von dem kranken Stollenwurm erhält (s. S. 49) und Alles das wieder zu erkennen, was beim Drachenstein von Luzern (s. S. 171-174) von mit wunderbaren Kräften begabten Steinen gesagt wurde.Eine der obigen sehr ähnliche Sage, welche gleichzeitig an den Küfer von Luzern in der Dracheuhöhle (s. S. 168) erinnert, findet sich in "Mathäus Paris größerer Geschichte der Engelländer". Sie lautet: "Ein Venetianer, Namens Vitalis, fiel in eine Grube und traf daselbst einen Löwen und eine Schlange an, welche ihm jedoch, als er das heilige Zeichen des Kreuzes gemacht hatte, Nichts zu Leide thaten. Endlich wurde er von einem Bauer sammt den Thieren aus der Grube erlöst, worauf die Schlange am andern Tag, als der Bauer bei seiner Mahlzeit saß, zu diesem in seine Hütte kam und ihm einen kostbaren Edelstein auf den Teller legte und, ohne Jemand Leides zu thun, sich wieder entfernte." Wir sehen also die gleiche Sage, die sich dort die Hallen eines kaiserlichen Palastes als Aufenthalt erwählte, hier in der Hütte eines Bauers wieder. Hier wie dort aber hat sie einen historischen Grund, bei der einen Variante allerdings nur das von dem Erzähler Mathäus Paris in das Jahr 1195 verlegte Reiseabenteuer eines Venetianers, dagegen aber bei der andern den urkundlich außer Zweifel gestellten Aufenthalt Karls des Großen in Zürich *). Daß der "stinkende Ort", wohin der Ritter den Edelstein in seinem Unwillen wirft, die Schwefelquellen Achens sind und die Stadt, die der Kaiser daselbst zu bauen beabsichtigt Schen **) ist, 
*) In den zürcher Archiven findet sich ein im Jahr 810 ausgestellter Bestätigungs- und Beglaubigungsbrief vor, in dem es ausdrücklich heißt, daß ihn Kaiser Karl auf den Rath seiner Bischöffe und Fürsten, welche damals dei ihm zu Zürich gewesen, ausgefertigt habe. Sein Schluß lautet: Actum in Turego anno imperio sui X., ipsius Caroli Imperat. Indictione XIII. A. Chr. DCCCX.
 
** **) Aachen von dem altdeutschen Ach, Aqua, Wasser.


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bedarf keiner weitern Erläuterung; dagegen dürfte hier die Legende von der Erbauung der Kathedrale zu Machen am Platze sein, und dies um so mehr, als diese Kirche mit dem in unserer Sage erwähnten zürcher Chorherrnhaus, zum Loch genannt, in enger Verbindung stand, indem die von Karl dem Großen über sie eingesetzten Chorherren von ihm mit denen des Stiftes zu ; Zürich zu einer unauflösbaren Brüderschaft vereinigt waren. Wolf in seinen deutschen Märchen und Sagen erzählt sie nach der Chronique de Pphil Mouskes ed. de Reiffenberg. Bruxelles 1636. wie folgt:"Der König war eines Tages in der Gegend, wo nun Aachen steht, und da jagte er, denn es war nichts als Wald daselbst zu finden. Der König erschaute einen Hirsch; seine Gefährten hatten sich von ihm verloren und der König jagte allein mit seinen Hunden, welche sprangen. Auf einem Pferde saß der König, das war schwarz und reich an Muth. Das Pferd trat mit einem Fuß in den Bach einer Duelle *), welche unfern entsprang; das Wasser war heiß, darum erhob es den Fuß und eilte zurück von dem Wasser und stieß ihn in den Staub, denn das Wasser war sehr heiß. Als der König das merkte, da stieg er ab; au er sein Pferd hinken sah, fühlte er mit seiner Hand an den Fuß und das Pferd litt es gern. Er fand den Huf sehr heiß, tauchte seine Hand alsbald ins Wasser und fand es heiß; also erkannte er, daß das Pferd den gehobenen Fuß zur Rechten hatte. Der König stieg in den Bügel und ging dem Laufe des Baches aufwärts nach, zwei Hufen Landes lang, und da fand er die Duelle, welcher der Bach entsprang, aber dieselbe war voll von Feuer. Nachdem er das, Wasser mit der rechten Hand gefühlt hatte, schaute er zur Linken und fand eine andere Duelle, welche klar war und kalt und heilsam; er befühlte sie init seiner nackten Hand und verwunderte sich sehr.Der König schaute sich ein wenig um und sah nahebei einen großen Palast, der war verdorben und alt und verfallen und voll Gesträuch und dichtem Gezweige. Reich und schön war er gewesen, aber das Alter hatte ihn zerstört. Granus, der Bruder Nero's, der den heiligen Petrus tödtete und Paulus und seinen Bruder Agrippa, hatte ihn gegründet; er war König in dem Lande gewesen. Seit alten Zeiten lag der Palast da und *) 
Die Entdeckung heilsamer Quellen durch ein Pferd steht nicht vereinzelt da. Die Sage kennt noch andere ähnliche Fälle, so die Entdeckung ber Quellen von Karlsbad. Alle diese Fälle sind auf den Glauben zurückzuführen, der im heidnischen Alterthum das Pferd zu dem Wasser in enge Beziehung brachte. Bei den Griechen und Römern galt es als Attribut des Neptun, des Gottes des Meeres und der Gewässer, und in der nordischen Mythologie war Sleipnir, das berühmte Roß Odins, das seinen Herrn sowohl hoch durch die Lüfte, als tief zu Nifhel hinunterträgt, eine Allegorie des Windes und des Wassers zugleich. Das


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hatte große Zimmer. Karl bat Gott den Herrn, daß er ihm rathe, was er an dem Orte zu thun habe, und also that er.Da sagte ihm eine Erscheinung, daß er der heiligen Frau Maria dort eine Kapelle bauen solle und der König vergaß es nicht. Den Stein ließ er von weitem kommen und die Kapelle bauen, so schön, wie keine war in der Welt, und er ließ sie rund machen nach dem Hufe seines Pferdes *), welches das Wasser drunten heiß fand. Auf diese Weise ließ er sie bauen, daß in der Welt keine schönere Kirche war. Und mit Märtyrern und Beichtigern, welche er von fern und nahe zuholte, und mit Kelchen und Kreuzen, und Kleidern und Golo, und Glocken und schönen Büchern, welche viele Marten und Pfunde kosteten, schmückte der reiche König sie sehr und ließ nichts daran fehlen. Und von dem Apostel (Papst) Adnan, welchen er entbot, um wohl zu thun, Baronen und Fürsten und Bischöfen, Primas, Aebten und Erzbischöfen und Rittern und Herren von gutem Rufe, wurde sie zu Ehren unserer Frauen geweiht und geheiligt und benedeit und geordnet von dem Papste, welchen der gute König mit reichem Geleite dazu entboten hatte.Und der arme Karl entbot dahin Barone und König und Herzog und Graf und Fürst und Hohe und Niedere und Arm und Reich und Cardinäle und alle Priesterschaft. Und als der Ort geweihet war, da bat und gelobte er der Priesterschaft und allen Baronen, daß für immer die Erben des Reichs an diesem Orte gekrönt und zu Königen gemacht werden sollten und von da nach Rom zur Weihe gingen, um gekrönt zu werden als Könige und Kaiser von jenem Tage an.Das bestätigte der Papst dem guten Könige, den er sehr liebte, und die Barone und Alle, die zugegen waren, thaten desgleichen. Und damit dies dauernd sei, hing der Kaiser sein Siegel daran, um es besser zu sichern und daß Keiner es fälschen möge."Wie gern der christliche Glaube in seiner Kindheit der heidnischen Vorstellung folgte und den Bau seiner Tempel und heiligen Gebäude wunderbaren Erscheinungen verdankte, beweist, außer obigen, noch folgende Sage: 
hellste, Licht auf diese Verwandtschaft wirft die Etymologie, indem das deutsche Roß gleich dem griechischen grec (Pferd) von grec (fliesen) von rieseln abzuleiten ist; ebenso sind verwandt: Mähre und Meer, die lateinischen Wörter ros (Thau) und Roß, equus (Pferd) und aequor, aqua (Wasser), das englische home (Roß) und das griechische grec (Thau). Hieraus erklärt sich Manches, so daß der Fluß Niemen ehemals den Namen Roß trug und bei den Lithauen überhaupt feder heilige Fluß so genannt wurde. (S. Scheible, Kloster B. IX S. 76).
 
*) Auch hier ist ein heidnischer Anklang, da die runde Form des Pferdehufes gleich dem Hufeisen heidnisches Heilszeichen war, ein Glaube, der in Irland, wo man Hufeisen als Schutz gegen böse Geister und Wassersnoth über die Thüre nagelt, noch heute daheim ist.


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Gründung des Frauen - Münsters zu Zürich.


P. Langins.


Bluntschli, Memorabilia Tigurina, S, 142.


Brennwald, Chron. Mscr.


I. I. Hottinger, helvetische Kirchengeschichten, r. l. ö. 433.

"König Ludwig il, Kaisers Karl des Großen Sohn-sohn, der gleich seinem Vater dem König Ludwig sich gern in Zürich aufhielt, hatte zwei Töchter, Hildegardis und Bertha. Diese zwei Töchter, welche sehr fromm waren, lagen ihrem Vater mit Bitten an, auch in der kleinen Stadt Zürich, die bis zu dieser seit noch kein größeres der Gottesverehrung geweihtes Baus besaß, ein Kloster zu bauen, und gaben hierzu als passendsten Ort die Stelle an, wo die Kapelle des heiligen Stephan und Cyriacus stand, welche Stelle aber der König, als er sie besichtigte, für solchen Bau zu eng und sumpfig erfand. So glaubte der König, anders aber war der Wille Gottes: denn siehe! am andern Morgen fand man ein grünes Seil von wunderbarem unbekannten Stoffe als Zeichen, daß Gott der himmlische Baumeister selbst diesen Platz, seine Größe und Ausdehnung für den künftigen Bau bezeichnend, für gut befunden, an ,dieser Stelle ausgespannt. Also ward das Frauen Münster erbaut nach dem Wunsche Hildegardis und Bertha's, der frommen Töchter des Königs Ludwig , denen ihr Vater das unfern gelegene Schloß Baldern als Wohnung anwies. Oftmals von diesem Schlosse wandelten später die Jungfrauen herab, um in jenem Kloster ihre Andacht zu verrichten ; oftmals geschah dies sogar bei Nacht, dann aber stellte sich jedes Mal am Thore des Schlosses ein großer Hirsch ein, welcher, flammende Leuchten an seinen Hörnern, den beiden Pilgerinnen den Weg zeigte *)."Beide Töchter des Königs Ludwig waren Aebtifsinnen am Frauenmünster **). Bertha folgte der Hildegard ***), welche schon im achtundzwanzigsten Jahre starb, in diesem Amte nach. Das grüne Seil soll bis zur Reformation im Münster über dem Hochaltar gehangen haben; Bullinger dagegen berichtet in seinem Chron, Mscr. Lib. 4 e. 12 es sei nebst anderem "Narrenwerk" in einem Sarg gelegen und, nicht über vier bis fünf Klaftern lang, später in des Bürgermeisters Diethelm Röusten's Haus als Glockenseil benutzt worden. 
*) Einen gleichen Wegweiser hatte auch die Gräfin Idda von Toggenburg, wenn sie sich aus ihrer Waldwohnung nach dem Kloster Fischingen begab.
 
**) Nach Einigen im Jahr 908, nach Andern im Jahr 833 gegründet und im Jahr 880 vollendet.
 
***) Eine spätere Aebtissin, Mechthild von Wunnenberg, ließ ihr Bildniß und das ihres Vaters in Stein aushauen. Dasselbe findet sich im Frauenmünster vor und trägt die Ueberschrift: Hujus sunt cura Turegiensitim conditujura.


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10; Kreuzregen.


Bluntschli, Memorabilia Tigurina S, 554.

Anno 1501 stelen den Leuthen vielerley schwarze, rothe, blaue, gelbe oder mehrentheils schwarzgraue einfache und zweifache Kreutzlein; Item Speer, Nägel, Geißlen und Dornen Cronen auf ihre Kleider, die erzeigten sich auch in verschlossenen Trögen und Kästen; Insonderheit au der Weibspersohnen weißen Kittlen und Tüchlinen, wurden aber (wie wohl solches etliche nicht ungelehrte Leuthe für Zeichen vorstehender Göttlicher Straf halten wollen,) als ob sie durch Krafft und teuffelische Kunst der Unholden angerichtet, und daß etliche derselben falsch erfunden worden, verachtet und verspottet.

Daß ungewöhnliche Erscheinungen in der Luft und am Himmel im Mittelalter immer als Vorzeichen herannahenden Unglücks betrachtet wurden, ward schon S. 104 bemerkt, der Erscheinung des Kreuzregens aber, von dem hauptsächlich schwäbische und elsässische Chronisten berichten, schien man auch eine augenblickliche nachtheilige Wirkung zuzuschreiben. So erzählt unter anderm die Gebw. Domimkanerchronik von einer gleichen Erscheinung , die in dasselbe Jahr wie die obige fällt: eine schwache Wolkendecke habe plötzlich den Himmel überzogen, aus der in Mühlhausen und an andern Orten Kreuze von mancherlei Farbe herabgefallen wären, der aber davon getroffen, sei plötzlich siech geworden und wäre ein großes Sterben darauf gefolgt, und hiermit ganz übereinstimmend sagt Schwelin in seiner würtemberger Chronik: "ES seye Anno 1503 in Würtemberg mancherlei roth- und eiterfarbne Kreuzlein den Weibern auf die Schleier, und sonsten den Leuthen auf die Kleider, darzu auch schwarze brennheiße Tropfen gefallen, welche einen pestilentzischen Sterbend mitgebracht, dann wo ein solcher heißer Tropfen einem auf die bloße Haut gefallen, ist er alsbald gestorben; welchen sie aber auf die Kleider fielen seynd mehrestheils draufgegangen und wenig doch schwerlich beim Leben erhalten worden." Ferner führt R. Stöber in seinen "Sagen des Elsasses" den straßburger Chronisten Kleinläwel an, welcher aus noch früherer Zeit Folgendes meldet :


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Und als hernach die Jahrzahl war
Siben hundert achtzig sechs Jahr,
Begaben sich seltzam Geschichta,
In die man sich gar nicht Kout richta,
Dann Greutz stelen, wie Del und Blut
In d 'Kleider, wie sauber und gut
Man dieselben in Trög packt ein,
Halff alles nichts, kamen doch drein.


11. Sage von der Burg Kyburg.


Felix Faber, Hist. Suevorum.

Im Jahre 1264 kam Burg Kyburg, bis dahin der Stammsitz der Grafen gleichen Namens, an das Haus Habsburg . Mit den Vögten, die von da an an der Stelle der einstigen Herren des Landes auf ihr hausten, zog ein finsteres Mißgeschick in ihre Mauern ein, das schnellen Tod jedem dort geborenen Kinde drohte und im Fall Mutter und Mur der Gefahr augenblicklich entrann, letzteres, wenn es ein Knabe war, nie die Jahre der Mannbarkeit erreichen ließ. Darum schlugen die Habsburger auch nie ihren Wohnsitz auf dieser Burg auf, obschon sie dieselbe zum Aufbewahrungsort der Reichskleinodien und heiligen Reliquien ausgewählt hatten.

Zur Entstehung obiger Sage mag das schnelle Dahinschwinden des Geschlechtes der Kyburger und der Haß und Neid der Feinde der neuen Besitzer Einiges beigetragen haben, welche, mit ähnlichem Schicksal drohend, vielleicht auf solche Art dem Hause Habsburg den Besitz Kyburgs verleiden wollten. In der That soll Rudolf von Habsburg , dessen Fehden und Kriege ihn doch oft in die Nähe der Kyburg riefen, kaum jemals Muße gefunden haben, diese Burg zu bewohnen, obgleich er sie sicher genug für Aufbewahrung der Reichskleinodien und Reliquien hielt, welche aus folgenden Stücken bestanden: 1. Das Schwert Karls des


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Großen. 2. Das Schwert des heiligen Mauritius. 3. Eine goldene vierzehn Mark schwere, mit Perlen und Edelsteinen besetzte Krone Karls des Großen. 4. Eine braunseidene Dalmatica. 5. Eine weiße Dalmatica oder Alba mit fünffachem Saume vom Jahr 1181, 6. Eine lange Stola mit Adlern und Perlen, welche dem Kaiser bei der Krönung um den Hals über die Alba gelegt und mit dem Gürtel befestigt wurde. 7. Ein rothseidenes Pluviale mit zwei aus Perlen und Goldfaden gestickten Löwen und zwei Kameelen. ES ist arabischen Ursprungs aus Sizilien vom Jahr 1133. 8. und 9. Zwei Gürtel Karls des Großen. 10. und 11. Zwei silberne Szepter, 12. 13. und 14. Der goldene und wei silberne, vergoldete Reichsapfel, mit daran befestigten Kreuzen. 15. Zwei goldene Sporen, angeblich Karls des Großen. 16. Eben desselben rothe Gugel (cuculus) eine Art von Kapuzinertappe mit sieben schwarzen einfachen Adlern in goldenen Einfassungen. 17. Karls des Gsroßen Handschuhe mit Perlen und Edelsteinen. 18. Seine Sandalen von carmoisinrothem Atlas, mit Gold und Perlen gestickt. 19 Seine Niederschuhe, wie sie in dem Verzeichniß genannt werden. Von Reliquien nennt dasselbe folgende: 1. Ein Span von der heiligen Krippe in einem goldenen, mit Edelsteinen besetzten Behälter. 2. Drei Glieder von den Ketten des Petrus, Paulus und Johannes in einem silbernen, vergoldeten Kästchen, 3. Ein Arm der heiligen Anna. 4. Ein Stück vom Rocke des Evangelisten Johannes. 5. Ein Zahn Johannes des Täufers. s. Der heilige Speer mit dem Nagel; in der Mitte desselben ist der Nagel mit einem Silberdrahte befestigt. 7. Ein Span vom Kreuze Christi in einem großen mit Edelsteinen und Perlen besetzten Kreuze von vergoldetem Silber. Alle diese Schätze, welche eine Zeit lang in den Händen Adolfs von Nassau waren, nach dessen Tode aber wieder zurückgebracht und nach Kaiser Albrechts Ermordung im Jahr 1308 an seinen Nachfolger Heinrich IV ausgeliefert wurden, wurden seit 1423 zu Nürnberg verwahrt. Der Kasten jedoch, in welchem sie gelegen, blieb auf Kyburg zurück und noch im fünfzehnten Jahrhundert wurde demselben von den Landleuten jener Gegend eine wunderthätige Kraft beigelegt, weswegen sie oft in die von Albrechts Tochter, der Königin Agnes, in der Burg erbaute Kapelle kamen und ihren Kopf, wunderbare Heilungen erwartend, auf den daselbst aufbewahrten Kasten legten (s. die Schweiz in ihren Ritterburgen B. II. S. 135). Eine andere Sage von der Kyburg, von den gleichen angegebenen Duellen mitgetheilt, war, daß leuchtende Flammen an ihren Thürmen blutige Fehden und drohende Kriegesnoth verkündeten, welche Sage durch die unruhige Seit, in der sie entstand und in welcher vielleicht eine derartige Lufterscheinung einer Fehde zufällig einmal vorherging, selbst Erklärung findet.


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12. Das Richtschwert.


Schriftlich aus Zürich.

Vor Zeiten zeigte man in Zürich ein großes zweischneidiges Schwert, das war nahe unter dem Griff zusammengeschweißt. Von diesem Schwerte ward erzählt, es sei ein Richtschwert gewesen, das habe jedes Mal, wenn einem armen Sünder von den Richtern das Todesurtheil gesprochen, einen hell schrillenden Ton gegeben. Neun und neunzig Mal sei es so erklungen, neun und neunzig Köpfe habe es gefällt, als aber das Hundert voll, sei es gesprungen und es also zusammengeschweißt von da an als unbrauchbar bei Seite gestellt worden.

Das zürcher Richtschwert erinnert- an die von Zwergen geschmiedeten und gefeiten Schwerter der nordischen Göttersage, deren Bestimmung, wie hier die Erfüllung eines dunkeln Verhängnisses, einmal gezogen, Blutvergießen war. Im Uebrigen vgl. I. I. Reithard's Geschichten und Sagen rer Schweiz S. 134, der diesen Stoff poetisch bearbeitet hat.


13. Der goldene Brunnen bei Kloten.


Mündlich,


Bluntschli, Memorabilia Tigurina, p, 551,

Unterhalb dem Pfarrdorf Kloten ist eine sumpfige Wiese, die Lachenwiese genannt, mit einem kleinen Weiher, der den Namen güldenes Thor oder güldenes Brünnlein führt, Hier soll einst von den Edlen von Kloten, die unweit auf dem sogenannten Homberg ihren Edelsitz hatten, zu einer Zeit da sie von ihren Feinden hart bedrängt waren, ein reicher



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Schatz, darunter ein großes goldenes Thor, versenkt worden sein. Daß dem aber wirklich so sei, beweisen nicht nur die Goldflitter, welche eine Menge große und kleine Quellen von dem Boden des Weihers emporsprudeln und die dort ein Jeder ganz deutlich sehen kann, sondern auch der Schatz selbst, der in gewissen Nächten sammt dem goldenen Thore, das sich dann mit blendendem Glanze hoch über den Weiher erhebt, aus seiner Tiefe emporsteigt; den Schatz und das Thor aber sieht freilich nicht Jedermann, davon wissen nur Frohnfastenkinder zu erzählen.Der metallglänzende Schaum, mit welchem in der That eine Menge Brunnadern in diesem Weiher emporquellen, mag Anlaß zu dem Namen das güldene Brünnlein gegeben haben, die Sage von dem Schatz und goldenen Thor aber steht gleich der von der Goldguelle am Sassa bühl (s. die Erläuterung zu Nr. 13 S, 268) ohne Zweifel mit den reichen antiquarischen Schätzen im Zusammenhange, welche seit einigen Jahrhunderten in jener Gegend ausgegraben wurden *).


14. Der Auszug nach dem Tägermoos.


Wanderer in der Schweiz, VIII. Jahrg. X. Heft.

Zweimal des Jahres, jedoch nicht ;u einer bestimmten Zeit, ösen sich in dunkler Mitternachtsstunde, wenn kein Sternlein aus düstern Wolken sein Licht herniedersenkt, und die schauerliche Stille bloß durch das Gekächze der Nachtvögel 

*) Im Jahr 1601 grub man zu Kloten eine Marmorsäule aus; dieselbe trug die Inschrift: Genio Pag, Tigor. u. Grag. — — Scribonia Lucana uxor sec.; späterhin im Jahr 1724 entdeckte man daselbst ein Stück von einem Mosaikboden einen Altarplatz mit noch übrig gebliebenen Kohlen und Thierknochen nebst allerhand Opferwerkzeugen, welche die Gewißheit geben, daß an dieser Stelle einst ein römischer dem Anschein Nana der Diana geweihter, Tempel stand, von dem die Erinnerung sich vielleicht in dem goldenen Thore obiger Sage erhalten hat.



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und das geheimnißvolle Flüstern der Wellen unter den alten Mauern unterbrochen wird, die Thore der Burg Gottlieben . Der Boden erdröhnt unter dem eisernen Fußtritt Gewappneter; man hört das Klirren von Waffen und Ketten und mitunter den dumpfen Wehlaut eines Jammernden. Man sieht nichts, hört aber deutlich, daß der Zug nach dem Tägermoos sich bewegt und endlich dort einen Halt macht. Daselbst angekommen, vernimmt man ein stärkeres Waffengetöse und dann ein dumpfes Hin- und Herrennen wie von vielen Leuten. Plötzlich wird Alles still. Dann erscheinen, so viel sich nach dem Gehör vermuthen läßt, mitten unter den Reisigen zwei dunkle Gestalten, welche auf dem Kopfe brennende Lampen tragen. Sie stehen nahe bei einander, leicht hin- und herschwankend. Endlich hört man ein sonderbares Zischen, die Lichter erlöschen, die Gestalten verschwinden.

Dies ist die Hinrichtung des Huß und Hieronymus in Prag, ;u deren jährlichen Wiederholung alle diejenigen verdammt sind, welche bei jenem furchtbaren Trauerspiel thätig waren.

Daß die geisterhafte Reproduktion der Hinrichtung der beiden Glaubenshelden von der Sage so weit von dem Ort verlegt ward, wo sie in der That geschah, ist wohl in dem Umstand zu suchen, daß sowohl Huß als Hieronymus in den furchtbaren Kerkern der Burg Gottlieben geschmachtet haben. Einige Erinnerungszeichen an die Gefangenschaft des erstern zu Konstanz, von wo aus er nach der Flucht des Papstes vom Bifchof von Konstanz bekanntermaßen nach Gottlieben gebracht wurde, fanden sich vor einiger Zeit noch in dieser Stadt vor. So stand im dortigen Kaufhaus eine alte Kutsche, deren obere Hälfte weggesägt war, von der erzählt ward, in ihr sei Huh nach dem Orte seiner Gefangenschaft gefahren. Auch das Haus zeigte man, in welchem er nach versuchter Flucht ergriffen worden sein soll. Angeblich stellte dieses Ereigniß ein in einer Mauerecke ausgehauener Kopf dar, unter dem die Worte :
Ich armer Tropf
ier nahm man mich beim Schopf
Ich bin zwar gflohen hiehar,
Bin doch nit kommen us der Gfahr.


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15. Sage von der Wasserburg im Bodensee.


Mündlich.

Unweit Moosburg und Friedrichshafen liegen auf dem Grunde des Bodensees die Trümmer einer Burg, die Wasserburg genannt. Daß diese Burg sammt der Insel, auf der sie stand, in die Tiefe des Sees versank, war der gsuch einer bösen That der Freiherren von Güttingen, deren Stammsitz Schloß Moosburg war. Grauenvoll lautet die Sage :

Zur Zeit als die Freiherren von Güttingen noch jene Gegend beherrschten, kam eine große Hungersnoth über das Land; was an Lebensmitteln vorhanden, war aufgezehrt, nur auf dem Schlosse der Freiherren von Güttingen, deren Speicher reichlich gefüllt waren, lebte man unbarmherzig mit dem Jammer der Andern noch in Saus und Braus. Da endlich als die Noth nicht mehr ertragen, lief das Volk in Schaaren zusammen und flehte die reichen Herren um einige Hände nom, das elende Leben zu fristen, aber alles Flehen der Armen war umsonst. Hierüber empört rafften sie ihre letzten Kräfte zusammen und wollten mit Gewalt nehmen, was ihren Bitten versagt war. Was aber konnte das entkräftete hunger matte Volk gegen die wohlgenährten Knechte der Freiherren von Güttingen. Bald mußte es der Gewalt weichen und ein großer Theil von ihnen ward gefangen auf Schloß Moosburg eingebracht, von dessen mitleidslosen Herren, die über die letzte verzweifelte That der Unglücklichen noch mehr ergrimmt , jetzt der Befehl erging, die Gefangenen in eine Scheuer zu sperren und diese darauf in Brand stecken. Als nun die Flammen über den armen Menschen zusammenschlugen und ihr Jammergeschrei mehr und mehr erstickte, da riefen



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die hartherzigen Freiherren mit teuflischem Hohn: Ah, die Kornmäuslein haben bald ausgepfiffen ! Kaum aber waren diese Worte über ihre Lippen, so fing es von unzähligen schwarzen Punkten in dem Brand drin an ;u wimmeln, immer schwärzer und schwärzer ward die Gluth, daraus endlich tausend und aber tausend Ratten und Mäuse hervorbrachen, welche mit spitzen Zähnen und Krallen wüthend über die Unmenschen herfielen. Da flüchteten sich diese nach der ihnen zugehörenden Wasserburg auf einer Insel in dem See, hoffend dort dem Strafgericht Gottes zu entgehen. Aber auch hierher drangen ihnen die Peiniger nach, von dem schrecklichen Schicksal, bei lebendigem Leibe aufgefressen zu werden, konnte sie nichts erretten. Burg und Insel aber, von da an der Wohnsitz jener Thiere, wurden in kurzer Zeit so zernagt, daß sie bald nach dem Tode ihrer Herren in den See versanken.Da das düstere Bild, welches obige Sage von den Edlen von Güttingen entwirft, kein einziger historischer Zug aus deren Leben rechtfertigt, so kann dasselbe nur einer rein sinnbildlichen Deutung unterliegen, zu welcher der Schlüssel in der mythologischen Vorstellungsweise der Alten gesucht werden muß, 'bei denen die Begriffe: Fruchtkorn und Maus Sinnbilder des Lebens und der Vernichtung waren. So wurden dem Gotte Dagon, der phönizischen Ceres, vergoldete Aehren und vergoldete Mäuse als Sühnopfer dargebracht, während diese gleichzeitig den todbringenden Typhon geheiligt und das hieroglyphische Zeichen für die Pest waren. Auf dieser mythologischen Grundlage ist für obige Sage und für alle ihr ähnlichen, z. B. für die vom Bischof Hatto zu Mainz *), 
*) Die Sage vom Bischof Hatto und dem Mäusethurm im Rhein unterhalb Bingen ist zu bekannt. als daß sie einer nähern, Anführung bedürfte, weniger verbreitet ist die von dem Polenkönig Popiel, welche etwas abweichend diesen zur Strafe begangenen Brudermordes auf einer einsamen Insel durch Mäuse den Tod finden läßt. So wären sich mehr oder weniger ähnliche mythische Ueberlieferungen in denen die Maus als Sinnbild der Vernichtung auftritt, in Menge anzuführen, sei jedoch nur noch auf die dem schweizerischen Sagenkreis ange hörende Sage von der rothen Buche S. '0 verwiesen, in der eine gewisse Ideenverwandtschaft mit den hier angeführten ebenfalls offenbar zu Tage liegt.


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leicht die Schlußfolgerung zuziehen, daß in ihnen die Erinnerung an einstige große Hungersnoth und darauf folgende Pestzeit aufbewahrt ist, indem sie, der sinnbildlichen Darstellungsweise der Alsen folgend, für diese einzelne Personen, statt die ganze von dem Unglück betroffene Volksmasse als Anhaltepunkt wählte, eine Personifizirung, in welcher sich die Sage von jeher gefiel.


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Vie Kantone Aargau, Schaffhausen, und Solothurn.


1. Das Schrätteli.


Mündlich.

Im Aargau fürchtet man ein Nachtgespenst, das man das Schrätteli nennt. ES ist wie ein Blutegel, bald zusammengezogen wie ein Knäuel, bald lang ausgedehnt wie ein Riese. Des Nachts, wenn der Mond scheint, schwebt es ein Schatten herab von den Bergen, huscht über Felder und Matten und verschwindet in den Wohnungen der Menschen, in die es durch das Schlüsselloch und die Ritzen der Fenster dringt. Hier, wo es einen Schlafenden findet, beginnt es sein geisterhaftes Spiel. Da zusammengeballt in scheußlich borstiger Igelgestalt hockt es zentnerschwer auf der Lagerstatt, zieht die Decke des Gemachs nieder auf den Schlafenden, schnellt plötzlich wieder mit ihr empor hinauf in die unendliche Ferne der Gestirne, reißt den Schläfer mit sich über Meere und Länder auf die Spitze der Berge und höher Thürme, stürmt ihn nieder in Abgründe und läßt ihn sonst alle Gefahr Wasser und zu Lande erleiden, Räuber umgeben ihn, drohen ihm mit dem



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Tode, bald verfolgen ihn wüthende Thiere, bald sieht er sich in Ketten und Banden, ein arger Verbrecher wird er zum Richtplatz geführt, das Ende der Welt naht, die Erde erzittert , feurige Kugeln fahren durch die Lüfte und platzen vor seinen Augen mit ungeheurem Knalle, daß der Gequälte gleich den Todten vom Posaunenklang am jüngsten Tag aus tiefem Schlafe erwacht, aber noch immer sitzt auf ihm das Schrätteli in seiner scheußlichen Gestalt, streichelt ihn mit seinen Borsten über das Gesicht und sieht ihn an mit seinen kleinen Augen, höhnisch und grinsend, als wollte es sagen: nun, habe ich dich recht gequälte da endlich rafft der halbwache Schläfer seine ganze Kraft zusammen, mit kräftigem Ruck zieht er die Bettdecke unter ihm hinweg, daß Bettdecke, Schrätteli und Träumer nieder auf die Diele des Zimmers stürzen, wo dieser endlich völlig erwacht, sich aber noch lange besinnt, warum er statt im Bett hier auf dem harten Boden liegt; erst wenn ihm klar, daß er's dem Schrätteli zu verdanken, entweicht der Quälgeist und huscht der gleiche schwarze Schatten wie er gekommen, über die Wiesen und Felder den Wäldern und Abgründen der Berge zu, wo am Tage sein Aufenthalt.

Gegen dieses Nächtgespenst schützen nur heilige Amulette, geweiht von Priesterhand, es gibt jedoch auch noch ein anderes Mittel, das gute Dienste leisten soll; es ist dies ein Messer, so auf die Brust gelegt, daß die Schneide aufwärts steht.

In dem dämonischen Nachtgeist obiger Sage ist die Schwarzelbe, der den Menschen feindlich gesinnte Alp (s. S. 19) nicht zu verkennen, schon sein Name Schrätteli von dem althochdeutschen Seratun , was gleich dem lateinischen Pilosus (f. S. 27) einen den Faunen und Panisken vergleichbaren rauhen, zottigen Berg- und Waldgeist bedeutet, bezeichnet ihn als solchen. Noch vollständiger hat sich das Wort Scratun in Schraf, dem Namen eines Riesen erhalten, von dem man im Wasgau erzählt und bem daselbst Tempel und Bäume geheiligt gewesen sein sollen


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Stöber, Sagen des Elsasses S. 88) und von wo aus sich vielleicht das mit der Diminutivform Schrätteli nicht ganz vereinbare Bild, welches man sich im Aargau von diesem Wesen macht und das sich dort mehr der Vorstellung von einem bösen riesenhaften Geist nähert *), nach der Schweiz verpflanzte. Das Messer, als Schutzmittel gegen böse Geister, erwähnte schon Sage Nr. 23 S. 280.


2. Die Härdmändlene uf der Ramsflue.


I. I. Grimm, deutsche Sagen. Mitgetheilt von H. Hagebuch in Aarau.

Hinder der ärlisbacher Egg, zwischenein Dörfli Hard und dem alte Lorenzekapällele, stoht im ene Thale so ganz eleigge e grüsle vertraite Flue. Se sägere d'Ramsflue. Uf der hindere Site isch se hohl, und d 'Höhle het numine e chline Igang. Do sind denn emol, nie weiß nid exakt in wele Johrgänge , so rarige Mändle gsi, die sind i die Höhle us und i gange, händ ganz e so es eiges Labe gfüehrt, und en apartige Hushaltig, und sind ganz bsunderig derhär cho, so wärklich gstawt, und mit eim Wort, es isch hält kei Mönsch usene cho, wer se denn au seige, woher se cho säge und was se tribe. Ämel gkochet händ se nüd, und Würzle und Beeri ggässe. Unde a der Flue vorbi lauft es Bächle, und i dem Bächle händ die Mändle im Summer badet, wie Tüble, aber eis vonene het immer Wacht gha, und het pfiffe, wenn öpper derhär cho isch, uf eni Fueßweg; denn sind sie aine gsprunge, was gisch was häsch, der Barg uf, daß ene tei Haas noh cho wär, und wie der Schwick in ehre Höhle gfchloffe. Dernäbe 

*) Anderswo ist das Diminutiv Schrätteli oder Schrätlein nur Bezeichnung der kleinen elbischen Geisterschaar der Wichtelmännchen, Hinzelmännchen, Bergmännchen oder Toggeli, welches letztere Wort, wie wir S. 216 sahen, in der Schweiz jedoch auch als Benennung eines bösen, Nachtalps gebraucht wird.



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händ se kern Mönsch nüt z 'Leid tho, im Gägetheil, Gfelligkaite, wenn se händ chönne. Einisch het der Hardpur es Füederli Riswälle glade, und wil er elei gsi isch, het ers au fast nid möge. E sones Mändle gsehts vo der Flue obenabe und chunt der durab zhöpperle über Driese, ünd hilft dem Pnr, was es het möge. Wo se do der Bindbaum waus ufe thue, so isch das Mändle ufern Wage gsi und het grichtet, und der Pur het überunde azoge a de Bindchneble. Do het das Mändle s 'Seil nid recht nine gliret, und wo der Pnr azieht, schnellt der Baum los und trifft s'Mändle ane Finger und Bets wüest blessirt; do foht der Pnr a; jommere und seit: "o heie, o heie, wenn's numenau mir begegnet wär !" Do seit das Mändle : "abba, das macht nüt, salben tho, salben gha *) mit dene Worte springts vom Wage -n-abe, het es Chrütle abbroche, Bets verschaflet und uf das bluetig Fingerte gleit, und das hät alles wägputzt.Ganz auf ähnliche Art, wie man im berner Oberlande von den Toggeli erzählt, berichtet die Sage dann weiter: "Mangisch, wenn rächtfchaffne Lüt durn Tag gheuet oder bunde händ und se sind nid fertig worde his z'Obe, und s'het öppe welle cho rägne, so sind die Härdmändle cho und händ gschaffet unb gwärnet druf ine, bis alles im Schärme gsi isch. Oder wenns dur d'Nacht isch cho wettere, händ se s'Heu und s'Chorn, wo dusse gläge isch, de Lüte zum Tenn zue trait, und am Morge het alles große Auge gmacht, und se händ nid gwüßt, wers tho hät. Denn händ erst no die Mändle kei Dank begehrt, numenau, daß nie se gern hät. Ame n-im Winter, wenn alles stei und bei gfrore gsi isch, sind die Mändle is oberst Hus cho z'Aertisbach; se bäds halt gar guet chönne mit dene Lüte, wo dert gwohnt händ, und sind ame durd d'Nacht ufern Ofe gläge, und am Morge vor Tag händ se se wieder drus gmacht. Was aber gspässig gst isch, si händ ehre Füehli nie vüre glo, händ es scharlachroths Mänteli **) trait, vom Hals bis ufe Bodee-n-abe. Jetzt 
*) Bei den Toggeli des berner Oberlandes fand dieses Sprichwort andere Annwendung (s. S. 26). Auch im Schwäbischen und Mittelhochdeutschen kömmt es vor.
 
**) Abweichend von den grünen Mänteln der Toggeli im berner Oberland.


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hets im Dorf so gwunderige Meitle und Buche gha, die sind einisch z'Nacht vor das go gen Aesche streue, daß se gsäche, was die Härdmändle für Füeßle hebe. Und was händ se gfunde s'isch frile wundern: Aente- und Geißfüeß sind in der Aesche abdrückt gsi. Aber vo selber Stund a isch keis Mändle meh cho, und se sind au numine uf der Ramsflue bliebe, i d'Kräche händ se se verschlösse, tief i d'Geißfluhe hintere, und händ keis Zeiche meh von ene ge und chöme nümme, so lang d'Lüt so boshaft sind *"). Also auch hier ist die Verwandtschaft mit dem freundlichen und gütigen Wesen der Lichtelbe nicht zu verkennen ; einen andern Charakter dagegen trägt folgende Sage, welche, den Bergen Graubündens entnommen, uns das in der Schweiz seltenere Bild eines tückischen Berggeistes entwirft, wie es die Phantasie der Bergleute sich vorzumalen pflegt.


Der Bergteufel.


Lavater de Spectr. 1580.


Das Kloster. Weltlich und geistlich. Bon I. Scheible. B. IX. S. 201.

"Ein frommer und gelehrter Mann schrieb vor einiger Zeit an Lavater, daß in den bündner'schen Gebirgen eine Silbergrube sei, auf welche das Haupt desselbigen Orts, Herr Landammann Peter Buol, in den letzten Jahren große Kosten verwendet, aber nicht geringen Reichthum aus derselben gesammelt; darin war ein Berzteufel, welcher besonders am Freitag, wenn die Bergleute das Metall in ihre Geschirre geladen, sich sehr geschäftig erzeigt und das Metall nach seinem Wohlgefallen aus einem Geschirr in das andere geschüttet, welches der Landammann gern sah; so oft er aber in die Grube hinunter- oder aus derselben wieder heraussteigen wollte, segnete er sich mit dem Zeichen des Kreuzes und blieb unverletzt. 
*) Auf andere Weise wurden die Erdmännchen, welche die Sage noch zu Menschengedenken das zwischen Schönholzerswylen und Hagenwyl in einer Waldschlucht im Kanton Thurgau gelegene Heidenloch bewohnen läßt, aus ber Nähe der Menschen getrieben. Hier erzählt man: "Auf silbernen Tellern mit silbernen Bestecken brachten diese guten Wesen den Ackersleuten Speise auf das Feld; seit aber ein undankbarer Knecht die Teller und Bestecke nicht zurückgab, verschwanden sie. Ferner: "Ein Erdmännchen pflegte das Vieh eines Bauern des Morgens so früh, daß Alles fertig war, wenn der Bauer in den Stall kam. Um seinen Wohlthäter kennen zu lernen, lauerte ihm einst der Bauer auf, und da er das Erdmännchen in ein sehr zerlumptes Kleid gehüllt sah, legte er ihm zum Zeichen seiner Dankbarkeit ein anderes Kleid hin. Allein nun kam das Männchen nicht wieder; es fühlte sich beleidigt, daß der Bauer des zerlumpten Wohlthäters sich schäme." In dem hier erwähnten Heioenloch pflegt die Jugend der dortigen Umgebung jährlich einmal im Frühjahr ein Feuer anzuzünden, sicher eine Reminiscenz heidnischer Frühlingsfeste.


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An einem gewissen Tage aber begab sich, als der Berggeist sehr überlästig und ungestüm gewesen, daß einer von den Silbergräbern denselben aus Verdruß mit Scheltworten überhäufte und mit vielen gräulichen Flüchen zu ihm gesagt: er solle zur Hölle fahren. Da habe der Berggeist den Bergknappen beim Kopf genommen und ihm denselben so herumgedreht daß das Angesicht auf den Rücken gekommen, und er doch nicht gänzlich erwürgt worden, sondern mit diesem gekrümmten Halse noch etliche Jahre gelebt habe, auch Vielen, die noch am Leben sind, wohlbekannt gewesen."

In Graubünden kennt man die Bergmännchen auch unter dem Namen Fenken, hier und da werden sie auch Enten genannt, wahrscheinlich von den ihnen beigelegten Entente oder Gänsefüßen.


g. Die Kornengel.


Mündlich.


Schriftliche Mittheilung.

Früher zur Zeit, als die Menschen noch gläubig und fromm waren, ließen sich im Kanton Aargau, wenn das Korn auf dem Felde in Blüthe trat, oftmals zwei liebliche Kindergestalten, ein Knabe und ein Mädchen, erblicken. Lange blonde Locken rollten über ihr leuchtendes Gewand und blaue Augen strahlten aus ihrem verklärten Antlitz. So schwebten sie kaum die Hase der Flur berührend, ihre Hände wie um Segen erhoben, in leichtem Schritte dahin und verschwanden , lange noch einen hellen lichten Schein hinterlassend. Dem Erscheinen dieser K aber, welche man die Kornengel nannte und von dem die Sage ging, daß sie die Geister zweier im Korn verirrter Geschwister, die so ihren Tod fanden, gewesen, folgte regelmäßig ein außerordentlich Schwär Jahr.

Aehnlich läßt eine graubündner Sage durch Erscheinen eines Kindes ein fruchtbares Jahr verkünden. Sie lautet :


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Das schwere Kind.


Bräuner's Curiosität. 274.


Gebr. Grimm, deutsche Sagen, S, 17.

"Im Jahr 1668 am achten Juni erblickten zwei Edelleute auf dem Wege nach Chur in der Schweiz an einem Busch ein kleines Kind liegen, das in Linnen eingewickelt war. Der eine hatte Mitleiden, hieß seinen Diener absteigen und das Kind aufheben, damit man es in's nächste Dorf mitnehmen und Sorge für es tragen könnte. Als dieser abgestiegen war, das Kind angefaßt hatte und aufheben wollte, war er es nicht vermögend. Die zwei Edelleute verwunderten sich hierüber und befahlen dem andern Diener, auch abzusitzen und zu helfen. Aber beide mit gesammter Hand waren nicht so mächtig, es nur von der Stelle zu rücken. Nachdem sie es lange versucht, hin und her gehoben und gezogen, hat das Kind angefangen zu sprechen und gesagt: "lasset mich liegen, deng ihr könnt mich doch nicht von der Erde wegbringen. Das aber will ich euch sagen, daß dies ein köstliches und fruchtbares Jahr sein wird, aber wenig Menschen werden es erleben." Die beiden Edelleute legten nebst ihren Dienern ihre Aussagen bei dem Rathe in Chur nieder."In den Kornengeln und dem schlafenden Kinde ist gleichwie in den Erdmännchen, deren Tänze im Mondenschein ebenfalls ein fruchtbares Jahr verkünden (s. S. 22), ein deutlicher Zusammenhang mit den Lichte und Schwarzelben der Edda. Von den Schwarzelben oder Zwergen (s. S. 19) heißt es: Thor's zweiter und schönster Gattin, der Göttin Sif, schmiedeten die tief unten in der Erde wohnenden Schwarzelben ein neues goldenes Haar, als ihr der böse Ase Locke das frühere, während sie schlief, geraubt hatte. Der Sinn dieses Mythus ist nicht zu verkennen. Sif, welche die Edda die schönhaarige nennt, ist die Ceres des Nordens, ihr Haar das Getreidefeld *), dessen Schmuck der goldene Getreidehalm im Spätsommer — die zur Neige gehende Jahreszeit repräsentirt eben Lote — abgeschnitten, dann aber von den Schwarzelben, den im Schooße der Erde wirkenden Naturkräften, wiederum von Neuem gewoben wird. Mithin sind die Schwarzelben die Hüter des in der Erde keimenden Samenkorns, während die Lichtelben, als die auf das Gedeihen des Saatfeldes Einfluß ausübenden Naturkräfte der (Luftregion, Wächter der in Blüthe stehenden Fruchtfelder sind. Als solche konnten sie ihrer göttlichen Natur nach wohl auch verkünden, ob das Jahr fruchtbar oder unfruchtbar werde, eine Vorstellung , die sich eben in obigen zwei Sagen auf unsere christliche Zeit übertragen hat, welche an die Stelle der Lichtelben die leuchtende Schaar 
*) Haddr Sifar, Sifs Haar, heißt im Isländischen noch heute eine Pflanze. ist das polyttichum aureum.


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der im Himmel wohnenden Engel, daher auch hier der Name Kornengel , treten ließ und sich statt dem Bilde von der Schwarzelbe das düstere und schreckliche. von den Teufeln der Unterwelt entwarf. Auffallend erinnert das schwere Kind noch an den Elfenkönig Elberich in den Nibelungen (S. 99. 108), welchen Dtnit in der Gestalt eines kleinen Kindes unter einer Linde liegen sieht und ihn als solches leicht heben und forttragen zu können vermeint.


4. Die drei Mareien.


Schriftliche und mündliche Mittheilung aus Baden.

In früherer Zeit. standen die Heilquellen Badens unter dem Schutze und der Aufsicht drei weißer Frauen. Wo sie eigentlich wohnten- oder zu Haufe-waren, wußte man nicht; doch sagt man, daß das alte Schloß, ehemals zum Stein genannt, ihr Wohnsitz gewesen sein soll. Selten nur sah man sie von Angesicht zu Angesicht, obschon sie, besonders während der Badezeit, fast immer in Baden anwesend waren, wo sie dann eine Senge Aufsicht über die Bäder führten. Wo sie eine Unreinlichkeit sahen, oder sonst etwas nicht in ber hörigen Ordnung war, blieb auf ihren Befehl das Wasser sofort aus und fieng erst dann wieder an zu fließen, wenn der Schmutz entfernt oder der Schaden wieder hergestellt war. Ihre größte Aufmerksamkeit widmeten sie jedoch dem Verenenbad, das von der heiligen Verena, die hier badete, seinen Namen hat, das man aber früherhin nur schlechtweg das Verenenloch nannte. Dort ließen sie so heilkräftiges und starkes Wasser zufließen, daß schwangere Weiher oder solche, die ein Kindlein begehrten, wenn sie dort badeten, bald eines solchen genasen. Auch Kinder, welche Kant waren, machte das Wasser dort bald gesund. Wem aber die Huld ihres Anblickes



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schenkten, der ward in seinem Leben nie wieder krank. Diese drei weißen Frauen, welche überaus schön waren, nannte man die drei Mareien. Ihr Andenken lebt in folgendem Kindemeim noch heute unter dem Volke :
Rite, rite Rößli,
Ze Bade stoht e Schlößli,
Ze Bade stoht e güidi Hus,
Es lueged drei Mareie drus.
Die eint spinnt Side,
Die andere schnützelt Chride,
Die dritt schnit Haberstrau,
B'hüet mir Gott das Chindle au!
Die heilsamen Kräfte der Heilquellen Badens kannte schon das Alterthum; als die Sterilität der Frauen beseitigend rühmten sie besonders die hier niedergelassenen Römer. Daher fand die ägyptische Isis, das Prinzip der zeugenden Kraft, von ihnen in ihre Mythologie aufgenommen, hier einen Tempel *), der nach Zerstörung der Altäre der heidnischen 
j In dem Verenenbad findet sich noch heute eine Statue der Isis, die man seit der Zeit der Franken für eine heilige Verena hielt. Spuren des Isisdienstes finden sich übrigens in der Schweiz sehr häufig vor. Deutlich spricht eine Inschrift in der nächsten Nähe Badens, im Dorfe Wettingen, die sich daselbst in der Kirchthurmmauer befindet. Sie lautet:
Dem Isidi Templum a Solo
L. Annusius Magianus
De suo posuit vir aquens. B.
Ad cujus templi ornamenta
Alpina Alpinula conjux
Et Peregrina Fil. XC dede —
Bunt L. . V . . Vicanorum
Wettingen, jetzt der Sitz des aargauischen Lehrerseminars, war früher ein Männerkloster des Cisterzienserordens, das im Jahr 1227 vom Graf Heinrich von Rapperswyl gegründet ward, der wegen seiner häufigen Wallfahrten der Wandeler genannt wurde. Als Ursache seiner Entstehung erzählt die Sage, bei seiner Rückkehr vom heiligen Grabe habe dem Grafen Schiffbruch gedroht. Da habe er den Himmel um Rettung angefleht und zum Danke für dieselbe den Bau eines Klosters gelobt. Auf dieses Gelübde sei plötzlich ein leuchtender Stern aufgegangen, bei dessen Erscheinen der Sturm sich sofort gelegt habe. Der Graf sei glücklich heimgekehrt, das Kloster erbaut und zum Andenken an jenen rettenden Stern Maris Stella oder Meer-stern genannt worden. Richtiger scheint die Vermuthung, daß es diesen Namen dem Eingange zu einem Hymnus auf die Mutter Maria, dem Ave Maris stella, verdankt.


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Götter den heiligen drei Königen aus dem Morgenlande geweiht ward. Gewiß scheint es nicht zu gewagt, wenn man der wunderbaren Fluctuation der Volkssage folgend, in der sich heidnische und christliche Vorstellung so oft in engsten und weitesten Kreislinien zusammenfindet, annimmt, sich die einst hier angebetete ägyptische Göttin Isis, die Eins mit der nordischen Freia, in der christlichen Maria, welche das Christenthum an die Stelle dieser zwei heidnischen Göttinnen treten ließ, vielleicht nicht ohne Einfluß der dreifachen Zahl der morgenländischen Könige, als die drei Mareien unserer Sage verdreifachte. Daß christlicher Sinn die Freia, die heidnische Göttermutter und Ehen beschützende Gottheit, durch die Mutter des Sohnes des Gottes des Christenthums, durch die Jungfrau Maria ersetzte, läßt außerdem so Manches als fast unzweifelhaft erscheinen. Unter Anderm ruft man in Frankreich die Mutter Maria ganz auf ähnliche Art, wie unsere Vorfahren von der Freia oder der Isis Kindersegen erflehten, noch heute als hülfreiche Jungfrau (vierge secourable) zum Schutze der Gebärenden an, und auf der Insel Seeland heißt der Gürtel Orions, dessen schwedische Benennung Friggerock oder Freyerock ist, beim gemeinen Mann in diesem Augenblick noch Mariarock,, die Spindel Maria's *). Da Maria schon hier als Spinnerin gedacht wird, so könnte dies auf einen noch angern Zusammenhang der drei Mareien unserer Sage mit der Mythologie der Alten führen, nämlich auf den mit den drei Nornen (die Nornen, einzeln Urdhr, Gewesen, Verdhandi, Werdend, Skuld, Zukunft, geheißen, wohnen in einem Palaste unter der Esche Ugdrasil, dem Lebensbaum, dessen Wurzel sie mit Wasser aus der Udarquelle benetzen und mit weißem Lehm bestreuen, damit er nicht verdorre und verfaule; sie spinnen die Schicksalsfäden und bestimmem die Lebenszeit jedes einzelnen Menschen, indem sic jedem neugeborenen Kinde nahen und demselben ihr Urtheil sprechen. Urdhr und Verdhandi schrieb man wohlwollende, der dritten, Skuld, aber böse Gesinnung zu; wahrscheinlich war sie es, die gleich der Parze Atropos den Lebensfaden abschnitt — sollte sich von alledem in obigem Kinderreim nicht eine dunkle Ahnung erhalten haben ?), die wir in den später gewöhnlich ebenfalls zu Dreien auftretenden Feen, die, anfänglich von der Verkündigung des Schicksals **) genannt, sich bald in geisterhafte Frauen überhaupt umwandelten, , wiedererkennen müssen. 
*) So heißt auch eine Art des Farrenkrauts, gewöhnlich Jungfrauenhaar genannt, das Martengras, auf isländisch Freyjuhär, dänisch Fruehaar .
 
**) Grimm bemerkt: Als die Parzen in der Einbildung des Volkes verschwunden waren, bildete die romanische Sprake aus Fatum ein italienisches Fata, spanisch hada, französisch Fée. Bat. nata, née, amata, aimée, lata, lée.


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Von dem Schlosse Stein, dessen unsere Sage erwähnt, heißt es noch, daß sich auf dessen Mauern bisweilen ein Ritter in schwarzer Rüstung erblicken lasse. Dieser Ritter soll der Geist des Kaisers Albrecht, der sich am Tage vor seiner Ermordung hier aufhielt, sein Erscheinen aber die Vorbedeutung irgend eines Unglücks sein.


5. Der Kreuzliberg.


Kleine Reminiscenzen und Gemälde. Zürich 1806.


Gebr. Grimm, deutsche Sagen.

Auf einer Burg in der Nähe von Baden im Aargau lebte eine Königstochter, welche oft zu einem nahgelegenen Hügel ging, da im Schatten des Gebüsches zu ruhen. Diesen Berg aber bewohnten innen Geister, und er wurde einmal bei einem furchtbaren Wetter von innen verwüstet und ;e r rissen. Die Königstochter, als sie wieder hinzukam, beschloß in die geöffnete Tiefe hinabzusteigen, um sie beschauen zu können. Sie trat, als es Nacht wurde, hinein, wurde aber alsbald von wilden, entsetzlichen Gestalten ergriffen und über eine große Menge Fässer immer tiefer und weiter in den Abgrund gezogen. Folgenden Tags fand man sie auf einer Anhöhe in der Nähe des verwüsteten Berges, die Füße in die Erde gewurzelt, die Arme in wei Baumäste ausgewachsen und den Leib einem Stein ähnlich. Durch ein Wunderbild, das man aus dem nahen Kloster herbeibrachte, wurde sie aus diesem furchtbaren Zustande wieder erlöst und zur Burg zurückgeführt . Auf dem Gipfel des Berges setzte man ein Kreuz, und noch jetzt heißt dieser der Kreuzliberg und die Tiefe mit den Fässern des Teufels Keller.



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6. Das Riefenspeinnrab.


Schriftlich.

Der Geißberg beim Dorfe Billigen läuft ostwärts in einen kegelförmigen Vorsprung aus. Auf dessen Höhe findet sich noch altes Gemäuer, weßhalb er nur die "Burg"genannt wird.

Daselbst hausete in früheren Tagen ein Riesenfräulein, unter dessen Launen und; Begehren die Bewohner der benachbarten Thäler viel zu leiden hatten. Oefters unternahmen die letztern Streitzüge gegen das Burgfräulein. Allein unter der Burg angekommen, sing es an zu schnurren und sausen, daß sie vor Angst und Grausen davon liefen. Das war das Schnurren und Sausen eines Riesenspinnrades, an dem das Burgfräulein ihre Kleider spann und das es in solchen Augenblicken gewaltiger drehte als sonst. Einst spann es so mächtig, daß ihm der Wirtel von der Spindel sprang und in kühnem Bogen mitten in die benachbarte Aare flog.

Daselbst ist er bis auf den heutigen Tag liegen geblieben. Er ist ein großer runder Stein, der bei kleinem und mäßigem Wasserstande über die Oberfläche des Stromes hervorblickt.

Vgl. S. 53 und was sonst von Riesen gesagt ward.


7. Der Jäger auf dem Schümberg.


Mündlich.


Der Jäger von Schümberg. Gedicht v. Wagner v. Laufenburg. Helvetia S. 178.

Der höchste Berg im Frickthal ist der Schümberg. Auf diesem Berge läßt sich oftmals, jedoch immer nur des Nachts



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um zwölf oder um ein Uhr, ein Jäger erblicken. Er ist, wie die Jäger es gewöhnlich pflegen, grün gekleidet, hat eine Büchse und eine leere Waidtasche um. Zwei Hunde folgen ihm. Gewöhnlich kommt er den Berg herab, ungefähr in der Mitte desselben bleibt er stehen, legt die Büchse an, im und drückt los. Sobald der Schuß gefallen, ertönt ein Klaggeschrei und Alles ist spurlos verschwunden.

Nach den Einen hat dieser Jäger, als er einmal bei Lebzeiten auf der Jagd gewesen und ihm den ganzen Tag kein Stück Wild Schuß gekommen war, den Fluch gethan: nicht ohne ein Stück Wild nach Hause zu gehen und sollte er ewig tagen. Nach Andern wieder soll der Unglückliche, wo er stehen bleibt, im Wahn, es sei ein Reh oder ein Hirsch im Gebüsch verborgen, sein Weib sammt ihrem Galan erschossen haben, worauf derselbe in den Wald zurückgekehrt und jämmerlich darin umgekommen sei.

Als wilder Jäger zur Strafe für Gattenmord jagt im Thurgau noch ein Graf von Rappenstein. Von einem Bankett in später Nacht heimgekehrt, soll dieser sein Weib, das er noch wachend und betend fand, in wilder Trunkenheit mit einem Dolchstoß getödtet haben. Alle Nächte steigt der Graf aus den Wellen der Goldach, an der Schloß Rappenstein gelegen, auf dunklem Rosse empor und jagt in wildem Ritte, von einem weißen Schatten , dem Geiste seiner Gattin, verfolgt, um seine jetzt in Trümmer zerfallene Burg. Dies, so erzählt die streng richtende Sage, wird so lange dauern, bis die Trommeten des Weltgerichts den Mörder vor den ewigen Richter rufen werden, und dieser wird dann ihm erst noch verkünden, ob die Zeit der Strafe für ihn abgelaufen oder nicht.


8. Das Agnesgeschrei.


Mündlich.

Gegen Sarmenstorf zu, in einem Walde, liegen die letzten Ueberreste der Burg Fahrwangen. Hier war es, wo die rache



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dürftige Kaiserin Elisabeth 63 Edelleute, Mitschuldige an dem Morde ihres Gemahls, des Kaisers Albrecht, enthaupten ließ. Sie selbst sah mit ihrer jungen Tochter, der Ungarnkönigin Agnes, der Hinrichtung zu. Als diese vollbracht war, watete die junge Agnes in dem Blute der Hingerichteten herum und rief fohlockend über die genommene Rache: heute bade ich im Matthau t

Seit jener Zeit hören die Bewohner der Umgegend jedes Mal, wenn eine Aenderung im Wetter eintritt, einen eigenthümlichen klagenden Ton in der Luft. Diesen Ton nennen sie das Agnesgeschrei, indem sie behaupten, es sei der Geist der Königin von Ungarn, welcher in den Trümmern der Burg Fahrwangen umgehe und zur Strafe jene unchristliche Rachethat verdammt sei, jenen Wetterveränderungen verkündenden Ton von sich zu geben. Viele wollen den Geist ber Königin auch selbst gesehen haben.

Als den Schauplatz jener grausamen Hinrichtung zeigt man einen Platz außerhalb des Dorfes Fahrwangen zwischen zwei Steinblöcken, der jedoch so eng ist, daß ein Mensch dort kaum hinzuknieen vermag.


9. Der Kindesmörder.


Mitgetheilt von I. N. Rueb, Schweiz. Merkur, Jahrgang 1839,

Zwischen dem Thale, welches das Flüßchen Frik durchströmt , und dem Harwalde, der sich unterhalb Laufenburg eine halbe Stunde lang längs dem linken Rheinufer hinzieht, erhebt sich eine Hügelkette, die Kindshalde genannt, die ganz mit Wald bewachsen ist, und auf deren Rücken sich eine tiefe enge Schlucht befindet.

Dieser Berg und der nahe Hartwald stehen bei den



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Bewohnern der Gegend in keinem guten Rufe, indem es hierum öfters nicht ganz, geheuer sei. So soll z. B. bei gänzlicher Windstille der Hartwald oft so arg erschüttert werden, als wenn ihn der ärgste Sturm durchbrauste, und Leute, die Nachts noch spät über Feld mußten, wollen schon oft eine hagere, schwarz gekleidete Mannsgestalt gesehen haben, die ein wie vom Hunger abgezehrtes Kind auf den Armen trug, dann dasselbe niederlegte und unter fürchterlichem Geheul und Wehrufen sich die Brust erschlug und die Haare ausraufte.

Ueber die Erscheinungen und Vorfälle, die noch jetzt von vielen Bewohnern der Umgegend als wahr, behauptet werden, geht folgende Sage:

Vor Zeiten herrschte in der ganzen Gegend eine solche Theurung, daß mehrere Leute Hungers starben. Ein Vater hatte ein einziges Kind; auch ihn drückte schwer die allgemeine Noth und als er endlich sah, daß er zwei Leben nicht mehr länger erhalten könne, faßte er den verzweifelten Entschluß, sein Kind heimlich wegzuschaffen. Unter dem Vorwande, auf dem Felde etwas Eßbares zu holen, führte er dasselbe in der Nacht zu der bewußten Schlucht und warf es hinab. Was geschehen, blieb unentdeckt; allein auf seinem Todbette beichtete der Unglückselige einem Geistlichen seine Frevelthat, worauf er dann in Versweiflung starb. Von diesem Vorfalle erhielt der Berg den Namen Kindshalde,

Vergl. 11 S. 215.


10. Die zwei Königskinder.


Wand. in der Schweiz, Nr. 49. S. 200

ES ist einisch e Künig g'storbe, si Frau und wen Chind



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sind no am Läbe blibe, e Meiteli und es Büebli. Do händ se einisch d'Muetter gfrogt, weles von ehne, daß einisch müeß Künig wärde; do sait se zue -n-ene : liebe Chind, gönd jetzt aine i Wald use und suechet das Blüemele, woan-ech do zeige, und das, was von ech zerst findt, das mueß einisch Künig wärde. Do sind die wen arne gange, und im Wald sind se bim Sueche e chli use ~n~and cho, und s'Meiteli het s'Blüemli est gfunde. Do dankt's, es well sim Brüederli no e chli warte, und lit nähern Wald i Schatte, nimmt s'Blümli i d'Hand und schloft i Götts Name -n-i. Derwile chunt s'Büebli au a das Dertli, aber s'Blüemli het er nonig gfunde gha. Wo -n-er's do aber im Handle vo sim Schwösterli gseh het, so chunt ein öppis Schröckeligs z'Sinn: i will mis Schwösterli ermorde und eni s'Blüemeli ne und hei go mit, und denn wird i Künig. Dankt und tho. Er het's wbt und-im Wald verscharret und Hard drüber deckt und ke Mönsch het nüd dervo gwüßt. No mängem, mängem Johr ist es Hirtebüebli dert uf der Weid gsi mit de Schöflene und findt es Todtebeinle am Bode vo dem Meiteli; do macht er e paar Löchli drie wie amene Flötli, und blost bri. Do het das Beindle gar erschröckli trörig afo singe die ganze Gschicht, wie s'Meiteli vom Brüederli umbrocht worde -n-isch; me hät möge die bälle Thräne briegge, we - me das Lied ghört het. Do goht einisch, wo das Büebli so gflötet het, e Ritter dert verbi, de het ein das Flötli abg'chauft und ist dermit im Land urne zoge und het a-n-glle Orte uf dem Beindli gspilt. Einisch het do au die alte Künigin dem Ritter zuglost und isch ganz trurig worde, und het der Sohn abem Thron gstoße und briegget ehrer Läbtig.Vergl. Nr. 6. S. 231.


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11. Der Meister und der Knecht.


Wand. in der Schweiz, Nr. 54. S. 180.

Einisch het z'Rinech bi der Burg obe e Chnächt mit sim Meister z 'Acher tribe. Do chöme ive der Barg ab, und ine het ene alles gseh weder der Chopf nid. Wo se do noch bi de Margsteine g'stande, sind die zwei vordere Roß vor gine gange, do het der Chnächt zum Meister gsait: Meister, i fahre nümme!" ""He worum nid?"" "He gsehst dei ne zwe bert nid obe-n-abe cho?" ""Abbah, i gfeh nüt, fahr du zue "I fahre miner Snel (Seel) nid zue, chumm, trib du, i will hinde ha, gsehst d 'Roß wand au nümme vürse (vorwärts)." Jä do chöme die zwe und spanne-n-e Schnuer über alle drei Margstei hindere, und bim letzte händ se enand ge und ufgleit mit de Hasene, daß es bi miner wahre Seel g'stobe het; und do sind se wieder gange und furt gsi und verschwunde.

Das Umgehen gespenstischer Markenmesser kommt in der Volkssage sehr häufig vor. Später mehr davon.


12.

Der Schatz im StaIle.


Wand. in der Schweiz, Nr. 39. S. 156.

ES isch einisch e Ma in es richs Hus cho und isch im Stal übernachtet. E so urne zwölfe um chunt eine mit eme Seckel voll Gält, und het ne verlochet und gsait: jetzt Tüfel hüet, bis se en wisse Geisbock dur der Stal hindere tage. Am andere Morge isch de Ma siner Wäge gange. Aber vo der



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Zit a hänt si ekes Veh meh ha chönne in dem Stak, alles isch druf gange. Uebers Johr isch de Ma wider dert verby cho, und wo-n-er ghört het, wie's au mit dem Stal stöi, so het er nes gsait was er efser Nacht gseh gha het. Do hant se en wisse Geißbock g chauft, und ne dur de Stal hindere gjagt und alles isch wieder guet gsi, und s 'Gält hant se use grabe und dem Ma au en schöne Tait dervo g'ge (gegeben).Geißböcke schützen gegen Gespensterspuck. S. S. 129.


13. Die verwandelten Frösche.


Wanderer in bet Schweiz.

Peter Schmied, Fuhrmann von schweizerisch Laufenburg, fuhr jede Woche nach Basel. Seine Frau, welche sehr näschig und putzsüchtig war, lag ihm immer an, Etwas zu chrome (ein Marktgeschenk mitzubringen). Da kam er einstmals auf seiner Rückfahrt von Basel, als er im Mondenschein an einem Kreuzweg eine Masse Frösche herumhüpfen sah, auf den Einfall , seiner Frau anstatt des Marktgeschenks ein halbes Dutzend solcher Frösche mit heimzubringen. Kaum gedacht, hat er auch bald sechs Stück in einen Sack gethan, und diesen hinten im Wagenkorb festgebunden. Als er nun nach Haus kam und seine Frau ihn vom Fenster herab fragte, ob er ihr einen "Chrom" mitgebracht habe? — sagte er: "Ei wohl, lieber Schatz, komm nur und hole ihn selbst, er liegt in einem Sacke hinten im Wagenkorb." Die Frau kam alsbald herunter, nahm den Sack und eilte mit ihm in die Stube, wo sie sogleich, ; während ihr Mann noch beim Wagen beschäftigt war,



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ein Licht anzündete, um ihn zu öffnen. Als sie eben mit der Oeffnung des Sackes beschäftigt war, kam auch ihr Mann hinzu. Wie groß war aber dessen Erstaunen, als statt des seiner Frau zugedachten Schabernaks, sechs alte vollwichtige Goldstücke auf den Tisch rollten, welche so glänzend waren, als ob sie eben aus der Münze gekommen wären.Eine ähnliche Verwandlung erzählt folgende Sage: Einem Weinhäcker aus Schweinfurt begegnete unter der Petersstirn bei Mainleite etwas Seltsames. Er war mit seiner Frau mit Brechen des unmittelbar unter der Trümmerstätte liegenden Weinbergs beschäftigt. Die Frau hackte sehr fleißig und mit einem Male hackte sie bei jedem Schlag in die Erde einen Frosch heraus. So mochte sie wohl fünf oder sechs Frösche herausgehackt haben, als es ihr auffiel und sie zu ihrem Manne sagte: "Pfui! die garstigen Frösche; jetzt kommen aber keine mehr!" Der Mann trat näher, bückte sich nach den Fröschen und sah keine, wohl aber leuchteten so viele Goldstücke, als zuvor Frösche zum Vorschein gekommen waren, an dem Boden. Die hob er auf und steckte sie ein, und zankte mit seiner Frau, daß sie nicht stillschweigend fortgehackt. (Bechstein, fränk. Sagen S, 158),


14. Der unerfüllte Traum.


Mitgetheilt von I. A. Rueb, Schweiz. Merkur, Jahrgang 1835.

Einer armen Frau von Laufenburg träumte es in drei Freitagsnächten vor dem Charfreitag, daß sie an diesem Tage Mittags 12 Uhr an einem bestimmten Platze auf der alten Burg daselbst einen bedeutenden Schah erheben könne; der dreimalige ganz gleich wiederkehrende Traum vermochte, daß sie sich entschloß, zur bestimmten Stunde an den bezeichneten Ort hinzugehen, um das unerwartete Glück in Empfang zu nehmen. Auf dem Wege dahin hegte sie allerlei Bedenklichkeiten und Zweifel über den Erfolg ihrer Wanderung, so daß



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sie schon wieder umkehren wollte; allein Neugier und die Reize des Reichthums erhielten bald wieder die Oberhand und mit frischem Muthe schritt sie weiter. An dem bestimmten einsamen Platze der alten Burgruine angekommen, harrte sie zwischen Hoffnung und Furcht der zwölften Stunde. ES schlug im nahen Thorthurme und mit dem ersten Glockenschlage durchbebte ein leises Schüttern den Boden unter ihren Füßen; unweit von ihr erblickte sie neben einem großen Topfe eine schwarze Katze mit feurigen Augen, die aber plötzlich zur Seite verschwand. Voll Freude, ihre Träume in Erfüllung gegangen zu sehen, nahte die Frau sich dem Topfe, den sie aber statt mit Gold nur von Glasscherben angefüllt fand. Verdrießlich ob solcher Täuschung ging sie nach Hause und erzählte das Vorgefallene einem Kapuziner, der ihr nicht wenig Vorwürfe machte, indem nur sie allein ihres steten Zweifelns wegen die Schuld trage, daß eine sos-höhnende Verwandlung vorgefallen sei.Vgl. die Erläuterung zu Nr. 16 S. 266 und Aehnliches.


15. Die Hand im Stein zu Olsberg.


Sebast. Münster, Cosmographia, S. 559.


Wolf, deutsche Märchen und Sagen, S. 164.

Die Gräfin Bertha von Thierstein, welche eine Aebtissin war des Klosters Olsberg, hatte einen Hofmeister oder Kastenvogt , welcher gegen die armen Leute rauh und unmild war. Auf eine Zeit da kam ein Mann, der klopfte an dem Thor des Klosters an und begehrte etwas um Gottes Willen. Der Thorwächter aber wies ihn ab und sagte, das Kloster hätte



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viel durch Brand gelitten und man hätte nichts auszugeben. Der Mann aber wollte sich nicht abweisen lassen. Da ward es dem Hofmeister angezeigt, der ging stracks heraus, den Armen unwirsch zu behandeln. Wie er aber unter das Thor kam, da sagte der Arme 't Date et dabitur vobis und mit den Worten verschwand er. Der Hofmeister erschrack sehr und erzählte es alsbald der Aebtissin, die ihn schon oft seiner Rauheit willen mit ernsten Worten gestraft; da befahl sie, man solle künftig Niemanden mehr mit leerer Hand gehen lassen, der ein Almosen begehre.

Als aber der Arme jene Worte: date u. s. w. sprach, drückte er seine offene Hand in einen Stein, der bei dem Thor war, und es blieb die ganze Form der Hand in dem Steine, wie wenn sie in Wachs gedrückt wäre. Indem Bauernkriege hat man den Stein hinweggeführt, er ist aber noch in einem Dorfe vorhanden.

Das Kloster Olsberg ,1 Stunde von Rheinfelden, ward im Jahre 1083 gegründet. Ursprünglich war es ein Cisterzienserfrauenkloster, später ein adeliges Frauenstift, wurde dann aber in eine weibliche Erziehungsanstalt umgewandelt. Die Kirche enthält die Familiengrüfte vieler Dynasten des Mittelalters.


16. Anna Vögtin.


Etterlin S. 180. — Tschudi.


Johannes von Müller, Gesch. der Schw. Eidgenossenschaft IV. c. IV. S. 254.

Anna Vögtlj, die aus bösem Verdacht ihr Vaterland Bischofszell verlassen, kam auf ihrem Irrweg nach dem aargauischen Pfarrdorf Ettiswil. Da brachte ihr böser Geist sie auf den Gedanken, Zauber mit Hostien zu versuchen. Kaum



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bestahl sie den Schrein, so fiel auf sie Schrecken der That; schwer drückte der Gott. Sie, zitternd, warf die Hoftie in die Nesseln des Sags" Siebenhlättrig sproßte eine weife Rose, das Heiligthum tragend. Ihm neigten sich die Thiere des Feldes; umleuchtender Glanz entdeckte es der unschuldigen Hirtin, Worauf der Leutpriester mit Glockenschall, Kren Fahnen, Licht und dem gläubigen Volk die Feier der Einholung bereitete. Da umfaßte die glückliche Erde den Heran. Aber ein Theil der Hostie, in schön erbaueter Kapelle, gab weit her zusammenfließenden Menschen Vergebung der Sünde, und bekäftigte dieselbe durch begleitende Zeichen.Nach Murer und andern strenggläuhigen katholischen Schriftstellern soll sich die Hostie in sieben Theile getheilt batzen, von denen sechs als weiße Rosenblätter gestaltet, der siebente ganz rund gewesen sei. Dieser sei in die Erde gesunken, was man als Zeichen, an dieser Stelle eine Kapelle du bauen, betrachtet hätte. Die Kapelle ward erbaut, 4,1 aber später (im Jahr 1555) der in ihr aufbewahrten Heiligthümer, unter denen die anderen sechs Hostientheile, beraubt worden. Eine Kritik des ettiswyler Wunders, als dessen Jahrestag man den 24. Mai 1447 angibt, findet sich in Hottingers Kirchengeschichte B. II. S. 116.


17. Die Christnacht.


Mündlich. .


Schweizerischer Merkur. Jahrgang 1835.


Wanderer in der Schweiz.

Im Frickthal und dem hauensteinischen Schwarzwald herrscht noch heute der Glaube, daß man in der Christnacht, wohl auch in der Andreasnacht, einen Blick in die Zukunft thuen kann, Dieser Glaube hat hauptsächlich unter dem weiblichen Geschlecht seine Anhänger, das dabei folgende Vorschrift befolgt:



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Vor Mitternacht wird der Tisch in die Mitte der Stube gerückt, auf denselben an die Ecke ein Glas mit Wasser gestellt, auf die andere quer gegenüber ein Brod gelegt, in die dritte ein Kranz von Epheu, und auf die vierte kommt ein Ring zu liegen.

Mit dem zwölften Stundenschlage verbindet sich dasjenige Mädchen, welches zuerst sein Glück versuchen will, die Augen, und während sie einige Male in der Stube herumgeführt wird, gibt man dem Tische eine andere Richtung, führt sie an denselben hin und läßt sie, sich selbst überlassen, wählen. Wer das Wasser ergreift, wird arm, das Brod, reich, wer den Kranz ertappt, wird eine Braut des Himmels, sowie der Ring Hoffnung für eine der Erde gibt.

Als einst eine Gesellschaft junger Mädchen beisammen saß und diesen Gebrauch übte, da soll es aber unter dem Tische, auf welchem sich das Glas, das Brod, Kran; und Ring befanden, so rumort und gepoltert haben, daß den Mädchen gegrauset und diese Sitte unter ihnen seither mehr abgekommen ist.

Aehnlich legt man im Aargau und auch noch anderswo den Träumen in der Sylvesternacht zukunftverkündende Eigenschaft bei. Andere abergläubische Vorstellungen, größtentheils auf die Enthüllung zukünftiger Dinge sich beziehend, im Aargau wie im Emmenthal zu Haus, sind noch folgende:Kukutsruf im Frühjahr gibt dem Frager die Lebensjahre, Eheleuten die Zahl der Kinder an.Blut von Verbrechern, das am zweiten Januar fließt, kündet Krieg oder Theuerung.Ein Fuchs, ein altes Weib oder ein hinkender Hund, welche dem Jäger über den Weg laufen, sind diesem, eine auffliegende Elster dem Fischer Zeichen eines beutelosen Tages.Ein frischg:borenes Kind, das man beim Fäschen (Wickeln) das erste Mal auf eine Bibel legt, wird gelehrsam und gottesfürchtig.Wenn der rechte Vater seinem Kinde beim ersten Anblick in den Mund haucht, wird es niemals Zahnschmerzen bekommen.


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Wenn beim Kochen seiner ersten Speise und bei der Taufmahlzeit gesungen wird, lernt es gut singen.,Wird auf dem Wege zu oder von der Taufe geleuet (geruht), so wird das Kind immer einen beschwerlichen Kirchgang haben.Wird ein Kind des, Morgens mit ungewaschenen Händen über die Dachtraufe seiner Wohnung getragen, ist es dem Verhexen ausgesetzt.Werden ihm vor dem siebenten Jahre die Haare abgeschnitten, kann es niemals zu vollen Kräften kommen.Werden ihm die Hagre zum ersten Mal im Zeichen des Widders geschnitten, so werden dieselben kraus, werden sie im Löwen geschnitten, werden sie früh grau werden.Verliebte oder Verlobte sollen sich nicht Messer schenken, sonst wird ihre Liebe zerschnitten.Eine verlobte Weibsperson soll sich nicht Nachts auf die Gasse wagen , sonst wird sie von Hexen und bösen Geistern verfolgt.Bei der Trauung sollen die Verlobten in der Kirche so, nahe beisammen stehen, daß Niemand zwischen durch sehen könne, sonst wird das Eheband nur locker geknüpft und sehr leicht zerrissen werden.Wer sich beim abnehmenden Mond trauen läßt, genießt nur selten eine gesegnete Ehe.Wer zuerst von den Brautleuten in der Brautnacht einschläft, wird auch zuerst sterben.Wenn eine schwangere Frau einen Faden zwirnt, wird sie eine schwere Niederkunft haben.Wenn eine Wöchnerin ihre Dachtraufe überschreitet, bevor sie den Gottesdienst besucht hat, gibt sie sich allen Unfällen, bösen Geistern, Verzauberungen . preis.Wenn sie in dieser Zeit spinnt, bereitet sie ihrem Kinde Stoff zu einem Strange.Wenn sich ein Mensch mit einer Nadel gestochen und dieselbe sogleich in Wachs steckt, wird die Wunde eher heilen.Wenn ein Mensch oder ein Thier ein Bein gebrochen, so soll man unter Anrufung der h. Dreieinigkeit ein Bein an einem dreibeinigen Stuhl verbinden, der Bruch wird viel eher heilen als sonst.Wenn man an einem Menschen oder Thier eine Wunde mit einem gestohlenen Bande verbindet, so heilt sie bald.Wenn in einem Hause geküchelt wird und man das erste gebackene Stück nicht der Katze oder dem Hund gibt, sind die übrigen nicht gesegnet.Wenn man mit einer Messer oder Nadelspitze in die Milch taucht, so empfindet das Thier, von dem sie kommt, den Schmerz einer Verwundung im Euter.


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Wenn man Rothkelchen ihre Eier oder Jungen verdirbt, geben die Kühe im Hause des Verderbers rothe Milch.Wenn Maulwürfe oder Erdratten Erde in ein Haus hineinstoßen oder eine Eule in der Nähe eines Hauses schreit, fo steht der Tod irgend eines Hausgenossen zu erwarten.Wenn man ein Thier mit einem Haselschößling, einem Strohband, einem Besen oder dessen Stiel schlägt, so ist es jedem Unglück preisgegeben 'Wenn man in einem Pferde- oder Viehstall gegen die vordere und nicht gegen die hintere Thüre wischt, so kehrt man das Glück zum Stalle hinaus.Ganz schwarze Ziegenböcke oder Katzen sichern das Haus vor Gespensterspuck.Wenn eine Henne weichschalige Eier legt, so muß man eine solche weiche Schale an den Rauch hängen, die Eier bekommen dann in Zukunft; so lange die Henne lebt, alle harte Schalen.


18. Sagen vom Rheinfall.


Mündlich und schriftlich.


I. I. Reithard, Geschichten und Sagen aus der Schweiz S. 337.

Zwischen den Klippen des Rheinfalls sieht man oft die Gestalten weißer Pferde hin- und herschwanken. Gewöhnlich geschieht das in den Nächten vom Freitag zum Samstag. Man sagt, das sollen die Geister der Pferde sein, welche die Allemannen, die von der Mündung der Elbe kommend bis vor an die Duellen des Rheins drangen, hier opferten und von denen sich, wie man in den schaffhauser Zeitbüchern lesen kann, vor nicht gar zu langer Zeit zwischen den Ritzen der Felsen noch die Hufeisen vorfanden. Früher sprach man auch von einem Wagen mit Rindern bespannt; der soll bis hin nach Schaffhausen und um die Stadt dreimal herumgefahren sein, Einige sagen in der Luft, Andere auf der Erde. Sei er von links nach rechts, habe es etwas Gutes, sei er



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von rechts nach links gefahren, habe es etwas Böses bedeutet Von alle dem weiß man aber jetzt nicht mehr viel. Endlich erzählt man auch noch von einem Geisterschiff; das blitzschnell wie ein Pfeil den Fall herabschießt und dann in dem Strudel verschwinde. In diesem Schiff sitzt ein Fischer, der einst in seinem Kahn eingeschlafen, unbewußt in die Nähe des Falles gerathen und von Gottes Hand beschützt die grausenhafte Fahrt glücklich überstanden haben soll. Statt Gott für seine Rettung zu danken, sei aber der Bursch durch das Abenteuer übermüthig geworden und habe gewettet, dasselbe noch einmal zu bestehen, meinend, das Schiff, das den Schläfer da glücklich durchgebracht, werde den Schiffer wachend und am Steuer, noch weit sicherer jede Gefahr vermeiden lassen. In der That habe der Fischer die Fahrt noch einmal gewagt, sei aber ein Opfer seines Frevelmuthes geworden, zu dessen Strafe er nun zu jener Geisterfahrt verdammt ist.Die Pferdeopfer der Allemannen sind geschichtlich, ebenso daß sie solche an den Quellen des Rheins verrichteten. Somit liefert Obiges einen Beweis für das S. 154 Gesagte. Ist der Wagen mit den Rindern nicht Hertha's Wagen *)?


19. Weise Frau auf Burg Balm.


Die Schweiz in ihren Ritterburgen B. l. S. 390.

Auf der Burg Balm sonnt eine weiße Frau an gewissen Tagen Kostbarkeiten, die aber nicht zu gewinnen sind, ohne *) 

Von ihm erzählt Tacitus Germ. e. 40: Von den Angeln und einigen andere deutschen Völkerftämen ist nichts besonder. Denkwürdiges zu melden, als daß sie insgesammt die Nerthus (Hertha), v. i. die Mutter der Erde verehren.



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daß man ein geheimes Pulver darauf streut. Wer ohne dasselbe sich an dem Schatz vergreifen will, stürmt rücklings den Felsen hinab.

Auch der Teufel treibt dort sein Wesen und hat schon manchen Habsüchtigen verleitet durch Gold, aber es war immer nur Scheingold.

Vgl. S, 63, 75, 178 und anderes Aehnliche.


20. Das Hexenloch in dem Thurme von Gößgen.


Mündlich.

Von der uralten Veste Gößgen steht nur noch ein Thurm. In diesem Thurm ist oben ein viereckiges Loch. Man nennt es das Hezenloch. Aus diesem Loch steht man oft des Machts, gewöhnlich in Freitagsnächten, hellglänzenden Kerzenschein . Wer sich dann näher wagt, hört ganz deutlich in dem Thurm drin lautes Stimmengeräusch, Musik und Bechergeklirr wie bei einem fröhlichen Feste. Ein glaubwürdiger Bürger 

von der sie glauben, daß sie in die menschlichen Dinge eingreife und die Völker besuche. Auf einem Eiland im Ozean ist ein heiliger Hain, dort steht ihr Wagen mit einer Decke verhüllt, die nur Ein Priester berühren darf. Dieser weiß, wenn sie den Wagen besteigt, und folgt ihr andachtsvoll, wenn sie von Rindern gezogen ihre Fahrt beginnt. Welchen Ort sie mit ihrem Besuch würdigt, dort ist Freude und Hochzeit, Niemand beginnt Krieg oder ergreift die Waffen, verschlossen ruht das Eisen: dann nur ist Friede, ist Ruhe gewünscht. Dies währt bis die vom Umgang mit den Sterblichen gesättigte Göttin der gleiche Priester in ihr Heiligthum zurückführt In einem abgelegenen See Wird dann der Wagen, die Decke und die Göttin selbst gewaschen; die Sklaven aber, die diesen Dienst verrichteten, verschlingt sogleich derselbe See. Daher heimlicher Schrecken und heilige Unwissenheit über das gebreitet, was nur diejenigen schauen, die gleich darauf dem Tod geweiht.



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aus Solothurn erzählt: er sei auch einmal in der Nacht dahin gerathen und habe den Spektakel lange mit angehört, da habe im Dorfe ein Hahn gekräht und plötzlich sei das Licht erlöscht und im Thurm drin Alles still geworden; hoch über ihm in der Luft aber aus dem Hexenloch habe es gerauscht wie vom Flügelschlag einer Schaar BogesDie Burg Götzchen oder Gößkon wurde von einem Freiherrn Gerhard von Gößkon erbaut. Er so wie seine Nachfolger waren Kastenvögte des im achten Jahrhundert errichteten Kollegiatstiftes St. Leodegarien zu Schönenwerth, auf dessen Grund und Boden mit Erlaubniß der Stiftsherren der Bau der Burg vor sich ging ; nicht immer war jedoch das Verhältniß zwischen dem Stift und seinen Kastenvögten ein freundliches. Hauptsächlich war dies unter Johann II der Fall, der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts Schirmherr des Stifts war und dasselbe und dessen Angehörige auf alle mögliche Weise beeinträchtigte. Von ihm heißt es, daß er die Güter der Verstorbenen ohne Rücksicht auf deren Erben einzog und daß er auf seiner Burg in dem von ihr noch übrig gebliebenen Thurm Angehörige des Stifts gefangen hielt und oftmals völlig unschuldig tödten ließ. So sollen seine Knappen unter Anderm auch einstmals die Wohnung eines Chorherrn, als dieser in der Kirche war, beraubt haben und er Mitwisser der That gewesen sein. Zur Strafe hiefür hat die Sage seinen Geist ebenfalls zum ruhelosen Umherwandeln und zur Theilnahme an dem gespenstischen Treiben in den Ruinen seines ehemaligen Wohnsitzes verdammt.


21. Warum der Teufel hinkt.


Mündlich und schriftlich.

Als die heilige Verena einst vor ihrer Zelle in der Nähe Solothurns auf den Knieen lag und ihr Gebet verrichtete, in das sie auch alle die miteinschloß, welche vom Pfade der Wahrheit und Tugend abgewichen geraden Wegs der Macht



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des Bösen anheimzufallen drohten, ärgerte sich der Teufel, der eben da vorbeigegangen und sich neugierig herbeigeschlichen hatte, dem Gebete der Heiligen zuzulauschen, so sehr, daß er wüthend ein Felsstück losriß und es mit seinen Krallen hoch über dem Haupte der Betenden erhob, um es auf dasselbe herabzuschleudern. In diesem Augenblick aber schaute, die heilige Verena zufällig empor und ihr Blick traf den über ihr niedergebeugten Fürst der Hölle, den dieser Blick dergestalt verwirrte, daß er erschreckt einige Schritte zurückfuhr und der schwere Stein, seinen Krallen entsinkend, statt auf das Haupt der Heiligen, auf seine eigenen Füße fiel. Brüllend und heulend entfloh er. Der Stein, an dem die Spuren der Teufelskallen ganz deutlich zu sehen, liegt noch an jener Stelle. Er ist sehr schwer und groß und daher es auch kein Wunder, daß der Teufel von seinem Fall zeitlebens hinkend geblieben.Vergl. S. 53 und S. 59 ec.


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Vie Kantone Baselstadt und Baselland. 1. Das Basilisken-Ei.


Joh. Groß, Kirchendiener, kurtze Baßler Chronik 1624. S. 120. Wurstisen, Fortführung der Basler Chronik, Vorrede S. 10. Mündliche Mittheilung.

Auf Donnerstag vor Laurentii im Jahr 1474 hat man auf dem Kohliberg zu Basel, allwo die Freileute wohnten und die Freigaben zu Gericht saßen *), einen Hahnen sammt einem M verbrannt, so er geleget hatte. Vorher schnitt der 

*) Im Mittelalter war der Kohliberg der Wohnsitz des Henkers und der Henkersknechte, der fremden Krämer, der Bettler und aller derer, die man sonst für ehrlos hielt. Zu einer Zeit, von der uns die basler Annalen das Datum nicht genau angeben, hatte man diesen Leuten zur Schlichtung ihrer Streitigkeiten ein eigenthümliches Gerichtsverfahren bewilligt, das von zwölf Gerichtsbeisitzern und einem Präsidenten aus ihrer Mitte gewählt, gepflogen und geübt ward. Beisitzer und Präsident, in zerrissenen Kleidern, die Beine nackt bis an das Knie faßen um eine große Linde, letzterer, den Richterstab in der Hand, war verpflichtet, seinen rechten Fuß, so lange die Sitzung dauerte, in einem Kübel voll Wasser zu halten und dies selbst in der größten Winterkälte. Dem Richterspruch gegenüber galt keine Appellation. Dieses Gericht scheint bis in das sechszehnte Jahrhundert gedauert zu haben, wenigstens war im Jahr 1586 der Kohliberg noch ein Ort, wo Gericht gehalten wurde, denn in der "Fortführung Wurstisens Baßler Chronik"heißt es S. 20: "In dem Anfange dieses Jahres, und zwar schon im Jenner, wurde auf dem Kohliberg das Gericht gehalten, zwischen Meister Georg dem Scharfrichter von Altkirch und Wendelin Vollmar, dem Wasenmeister von Schopfen. Den 5 Merz war das letste Gericht, und der Wasenmeister in den Esellthurm zu legen erkannt" . ec.



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Henker den Hahnen auf und fand noch drei Eier in ihm. Dies geschah in Folge richterlichen Spruchs der Freiknaben und im Beisein einer großen Menschenmasse aus der Stadt und vom Lande, die ob dem seltenen Vorfall nicht wenig in Schrecken war, da man allzeit dafür gehalten, daß aus einem solchen Hahnenei, wenn der Hahnen sieben Jahr alt und das EI im Mist von einer Schlange, Coluber genannt, ausgebrütet wird — Andere meinen auch die bloße Sonnenhitze thue es — ein Basilisk, ein Thier, halb Hahn, halb Schlange, hervorkomme, das, obgleich nicht größer als einige Spannen lang, furchtbarer und schrecklicher denn der größte Lindwurm oder Drache ist, da sein bloßer Blick tödtet, was einem Jeden sicher weniger wunderbar dünkt, wenn man weiß, daß der Strahl seiner Augen so scharf ist, daß er selbst das härteste Gestein zersprengt. Diese fürchterliche Eigenschaft besitzt der Basilisk ,jedoch nur im Sonnenlichte, daher Leute, welche einmal ein solches Thier im Keller hasen, denselben das ganze Jahr verschlossen halten mußten, damit kein Sonnenstrahl hineinfiel. Auch erzählt man, daß Gebüsch oder Gras, über das der Basilisk hinwegschreitet, — er knecht nämlich nicht wie eine Schlange, sondern schreitet gerade aufgerichtet; einher — augenblicklich verdorrt und aller Lebenskraft beraubt ist; als schrecklichstes Beispiel für die Kraft des ihm inne wohnenden Giftes aber gibt man an, daß, so Einer zu Pferde ein solches Thier mit seiner Lanze durchsticht, Roß und Reiter das durch die Lan; e zuckende Gift auf der Stelle tödtet. Einen solchen Basilisk unschädlich zu machen, d. h. zu tödten, ist nur ein einziges Mittel vorhanden, es besteht darin, daß man ihm einen Spiegel vorhält, damit er sich selbst erblickt; geschieht dies, so fällt er sofort um und ist todt. Was man endlich von der Stadt Basel erzählt, daß dieselbe von dem Auffinden eines solchen Thieres ihren Namen habe, ist irrthümlich, obschon es mit dem Auffinden seine Richtigkeit


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hat, wie dies eine alte Chronik erzählt, welche als Stelle, wo dieser Fund geschah, den Gerberbrunnen nennt, der damals eine Quelle in einem wilden Waldthale, dem sogenannten Leimenthale, gewesen sein soll.Fast zur gleichen Seit, als man zu Basel einem Hahnen das Todesurtheil sprach, wurde in der Nähe von Oron ein Schwein, das ein Kind aufgefressen hatte, in Folge richterlichen Spruchs des Officials des Bischofs von Lausanne von dem gleichen Schicksal ereilt. Sein Urtheil lautete, so lange aufgehängt zu, werden, bis sein Tod erfolge. Wirklich geschah dies auch und das Schwein hing lange Zeit ein warnendes Beispiel allen übrigen Thieren dieser Gattung an dem Galgen zu Lausanne. An diese Todesurtheile reihen sich alle jene Verfolgungen, Verbannungen und Verfluchungen schädlicher Thiere, welche, früher zu dem Amte der Druiden gehörend (s S. 34), später bis fast zur Zeit der Reformation und noch länger vom katholischen Klerus ausgeübt wurden. So suchte im Jahre 1478 die Stadt Bern bei ihrem Bischof in Lausanne Schutz gegen die Ingerllnge welche damals, eine große Landplage, Felder und Saaten verheerten. Der Bischof eröffnete einen förmlichen Rechtsgang gegen diese, Thiere, lud sie vor seinen bischöflichen Stuhl und stellte ihnen selbst einen Vertheidiger , der jedoch ihre Sache schlecht geführt haben muß, da ein Anathema und Verbannung für ewige Zeiten das Resultat des Prozesses war *). Aehnliches geschah schon früher im Jahr 1451, nur mit dem Unterschied, 
*) I. I. Hottinger in seiner helvetischen Kirchengeschichte B. II. S. 467 erzählt: "Dann; als diß Jahrs die Inger in Lobl. Statt Bern Gebiet großen Schaden zugefügt und Bern bei dem Bischoff von Lausannen sich Raths erholet; soll Benedictus de Monte Ferrando Bischoff gewesen seyn; und ihnen sothane Feinde mit dem Kirchenbann zu belegen, gerathen haben. Der hochwegs geachtete Apostolische Doctor, Thüring Frick, ließe ihnen solches auch geliehen. Deßwegen Bernhard Schmid, Leuthpriester zu Bern, ab offener Kanzel, den großen, durch dieses Ungeziefer in selbiger Landschafft und fast aller Orten zugefügten Schaden erzehlet: der Oberkeit zu Bern Sorgfältigkeit und den vom Bischoff ertheilten Raht angezeiget: Dienstag nach Bartholomei nach gehaltenem Amt der Fronmeß sich mit etlichen Geistlichen auf den Kirchhof gestellet: und denen Ingeren, den an sie habenden Bischöfflichen Befehl mit diesen Worten vorgelegt: unvernünfftige , unvollkommene Creatur (dann deines Geschlechts ist nicht gewesen in der Arch Noe ec.) du hast mit deinem Anhang großen Schaden gethan ec. Von deß (wegen) nun, so hat mir mein gnädiger Herr und Bischoff zu Lausannen gebotten, in seinem Namen, euch zu ermahnen, innert sechs den nächsten Tagen zu weichen


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daß es damals den Blutegeln galt, welche als Feinde der Forellen und Lachse in der Aar die Tafelfreuden der berner Herren beeinträchtigten.Die Fabel vom Basilisk, welchen schon Plinius erwähnt und der ihm die Provinz Cyrenaica zur Heimath gibt, hat sich wahrscheinlich zuerst aus der Naturgeschichte des Schlangengeschlechts entwickelt, dessen Fortpflanzung, wie bekannt, durch Eier geschieht und die man, in die Geheimnisse der Natur noch nicht tief genug eingedrungen, wahrscheinlich der Verbindung mit irgend einem Vogel zuschrieb. Noch Ende des achtzehnten Jahrhunderts, im Jahr 1796, sprach man zu Ardon von einem solchen Schlangen oder Hahnen-Ei. Dasselbe sollte auf dem Kirchhofe der genannten Stadt verborgen sein und es hieß, alle Leute müßten sterben, 
und abzustehen ec. Were Sach, daß ihr diesem Gebot nicht nachgiengen, so citiere ich euch bei Krafft und Gehorsamkeit der h. Kirch; am sechsten Tag nach dieser Execution, so Eins schlaget, nach Mittag gen Wiffelspurg, euch zu verantworten . oder durch einen Fürsprech Antwort zu geben vor meinem gnädigen Herren in Lausannen oder seinem Vicario. Und wird mein Herr fehrner nach Ordnung des Rechten wider euch handlen." Auf daß aber solche, Handlung desto nachtrucklicher were, vermahnete der, Leuthpriester, daß jeder anwesender auf den Knyen drei Pater Noster und Ave Maria spreche. Als solche Verkündigung und Verfluchung nichts verfangen, ward der angesetzte Gerichtstag gehalten; und diesem Ungeziefer, die Ursachen ihres Uebergriffs durch Johannem Perrodetum von Freiburg, einem ehemal losen Buben und Tröler, damahl aber abgestorbnen, anzuzeigen gebotten: klagende und antwortende Parthey wurden verhört und auß Raht der Schriftgelehrten erkennt, daß die Ladung dieser Würmer kräfftig seye; und die Würmer in die Person Joh. Perrodeti ihres Beschirmers beschworen werden sollen." Nach Felix Hämmerlein wurden in den Bisthümern Constanz und Chur ganz ähnliche Verfahren geübt, das man aber auch in andern Ländern kannte. Auch heilige Reliquien hielt man für fähig, die Vertreibung von Ungeziefer zu bewirken. So wurde im Jahr 1521 auf Begehren des Orts Uri der Arm des heiligen Magnus von St. Gallen zu diesem Zweck durch drei besondere Boten abgeholt. Noch sei hier eines Aberglaubens erwähnt, der im Kanton Thurgau in diesem Augenblicke noch zu Haus ist und der als das sicherste Mittel zur Vertreibung der Raupen aus Gärten und von Feldern das Umgehen derselben mit nackten Füßen von einem Weibe angibt, ein Zaubergebrauch der heidnischen Vorzeit. So konnte das Verbannen der römischen Lemuren oder Larven (die bösen Hausgeister im Gegensatz zu den Laren und Manen, den die Familie schützenden, friedlichen, wohlthätigen Geistern), denen, ein besonderes Fest: die vom 9. bis 13. Mai dauernden Lemuria, gewidmet war, nur mit entblößten Füßen geschehen, und von der Sauberm Medea heißt es (Ovidii Metam. 'b VII.):
Egreditur tectis vestes induta recinctas
Nuda pedem, nudos humeris infusa capillos.


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welche nur zur; Kirche gingen, daher, um sich von diesem Unglück zu befreien, sämmtliche Gebeine; der dort begrabenen Todten verbrannt wurden.


2. Die Schlangen Jungfrau.


Prätor. Welt beschr. l. 661 —663. Seyfried in medulla.. p. 477, 478. Kornemgnn mons Veneris c. 34. p. 189-192. Grimm, Gebr. deutsche Sagen. B. l. S. 17

Um das Jahr 1520 war einer zu Basel im Schweizerlande mit Namen Leonhard, sonst gemeinlich Lenimann genannt eines Schneiders Sohn, ein alberner und einfältiger Mensch, und dem dazu das Reden, weil er stammelte, übel abging. Dieser war in das Schlaufgewölbe oder den Gang, welcher zu Augst über Basel unter der Erde her sich erstreckt ein- und darin viel weiter, als jemals einem Menschen möglich gewesen, fortgegangen und hineingekommen und hat von wunderbarlichen Händeln und Geschichten zu reden wissen. Denn er erzählt, und es gibt noch Leute, die es aus seinem Munde gehört haben, er habe ein geweihtes Wachslicht genommen und angezündet und sei mit diesem in die Höhle eingegangen. Da hätte er erstlich durch eine eiserne Pforte und darnach aus einem Gewölbe in das andere, endlich auch durch Stiche gar schöne und lustige grüne Gärten gehen müssen. In der Mitte aber stünde ein herrlich und wohlgebautes Schloß oder Fürstenhaus, darin wäre eine gar schöne Jungfrau mit menschlichem Leihe his zum Nabel, die trüge auf ihrem Haupte eine Krone von Gold und ihre Haare hätte sie ;u Felde geschlagen; unten vom Nabel an aber wäre sie eine gräuliche Schlange. Bog derselben Jungfrau wäre er bei der Hand ciuem eisernen Kasten geführt worden, auf welchem zwei schwarze asse Hunde gosen, also daß sich



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Niemand dem Kasten nähern dürfen, sie aber hätte ihm die Hunde gestillt und im Zaum gehalten, und er ohne alle Hinderung hinzugehen können. Darnach hätte sie einen Bund Schlüssel, den sie am Halse getragen, abgenommen, den Kasten aufgeschlossen, silberne und andere Münzen heraus geholt. Davon ihm dann die Jungfrau nicht wenig aus sonderlicher Mildigkeit geschenkt, welche er mit sich aus der Schluft gebracht ; wie er denn auch selbige vorgezeigt und sehen lassen. Auch habe die Jungfrau zu ihm gesprochen, sie sei von königlichem Stamme und Geschlecht geboren, aber also in ein Ungeheuer verwünscht und verflucht, und könne durch nichts erlöst werden, als wenn sie von einem Jüngling, dessen Keuschheit rein und unverletzt wäre, dreimal geküßt werde; dann würde sie ihre vorige Gestalt wieder erlangen. Ihrem Erlöser wollte sie dafür den ganzen Schatz, der an dem Orte verborgen gehalten würde, geben und überantworten. Er erzählte weiter, daß er die Jungfrau bereits zweimal geküßt, da sie denn alle beide Mal, vor großer Freude der unverhofften Erlösung, mit so gräulichen Geberden sich erzeigt, daß er sich gefürchtet und nicht anders gemeint, sie würde ihn lebendig zerreißen; daher er zum drittenmal sie zu küssen nicht gewagt, sondern weggegangen wäre. Hernach hat es sich begeben, daß ihn etliche in ein Schandhaus mitgenommen, wo er mit einem leichtsinnigen Weibe gesündigt. Also vom Laster befleckt, hat er nie wieder den Eingang zu der Schlauf-Höhle finden können, welches er zum öftern mit Weinen beklagt.Obige Sage: ist wahrscheinlich die Ausschmückung einer Thatsache, welche sich hundert Jahre früher, im I. 1420, zutrug und die uns der Kirchendiner Johann Groß in seiner "kurtzen Baßler Chronik", wie folgt erzählt: "Um diese Zeit hat sich ein armer Gesell auß Hungersnoth, welchen er in einer grausamen Theurung mit Weib und Kind erlitten, vermessen in dem gewölbten Gang under der Erden bey dem zerstörten Augst ob Basel (da ihnen die Leuth von einem über-grossen Schatz, welchen die Römer verlassen


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sollten haben, und in einem Trog behalten, hinder einer eisernen Thüren verschlossen, und durch einen großen Hund verhütet werde, und daß bißhero niemand so kühn gewesen, der mit diesem Hund stritte) traumen lassen, den gedichteten Schatz zu suchen. Da er nun weit hinein kam, und vermeinte, er wäre schier bei demselbigen Ort, da der Schatz ligt, sande er nichts anders dann Todtenbein und andere erschrockenliche Zeichen. Darob er also erschrocken, daß er in eine Ohnmacht gefallen. Als er aber wieder zu ihm selbs kam, und herfür kroche, sahe er mehr einem Geist dann einem Menschen gleich, und ist 1u dreyen Tagen gestorben."


3. Faust speise mit saft in Basel.


Joh. Gast. Convivalium sermonum etc.

Als Faust zu Basel sich aufhielt, speiste er öfters mit dem Gelehrten Johannes Gast. Dieser erzählt nun, daß Faust bei solcher Gelegenheit zu verschiedenen Malen Vögel von ganz absonderlicher und Seinder Art zum Braten übergeben habe, von dem er, Gast, nicht gewußt hätte, wo sie Faust gekauft oder von wem er sie erhalten, da solche damals zu Basel nicht feilgeboten wurden und überhaupt keine dieser Art in der dortigen Gegend vorhanden waren. Faust hatte aber einen Hund und ein Pferd bei sich, welche, da sie Alles verrichten konnten, jedenfalls Teufel waren. So erzählte man dem Gast unter andern Wunderdingen, daß der Hund zuweilen die Gestalt eines Dieners annehme und dann dem Faust aufwarte und allerhand Speise bringe. Kein Wunder, daß Faust für diesen sträflichen Umgang hart bestraft wurde. Der Elende endete auf schreckliche Weise; denn der Teufel erwürgte ihn und seine Leiche lag immer mit dem Gesicht auf der Bahre, obschon sie an fünfmal umgedreht ward.

Daß der Faustsage in der That eine historische Person zu Grunde liegt, kann nicht bezweifelt werden. Jedenfalls ist aber Alles, was man


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von Faust erzählt, ein Aufeinanderhäufen einzelner Thaten und Ereignisse, von denen schon längst vor Faust die Sage im Volke umging. Ich erinnere nur an Simon den Magier, an den Zauberer Heliodorus zu Catanea, an den älteren Klingsor, den Zauberer Merlin ec ec., welchen man ganz ähnliche Zauberstücke zuschreibt, wie dem späteren Zauberer Faust. Ein Urtheil Melanchthons über den letztern findet sich in einer von einem seiner Schüler im Jahre 1562 zu Basel herausgegebenen Schrift *). Dasselbe lautet: "Ich habe einen Namens Faustus gekannt aus Kundling, einem Städtchen nahe bei meiner Heimath. Als er zu Krakau studirte, hatte er die Magie erlernt, wie sie dort früher stark getrieben wurde, wo man öffentliche Vorlesungen über die Kunst hielt. Später schweifte er an vielen Orten umher und sprach von geheimen Dingen. Da er zu Venedig Aufsehen erregen wollte, kündigte er an, er werde in den Himmel fliegen. Der Teufel hob ihn also in die Höhe, ließ ihn aber darauf zur Erde fallen, daß er von diesem Falle fast den Geist aufgegeben hätte. Vor wenigen Jahren saß dieser Johannes Faust seinem letzten Tage sehr betrübt in einem Dorf des Herzogthums Würtemberg. Der Wirth fragte ihn, warum er so betrübt sei wider seine Sitte und Gewohnheit; denn er war sonst ein schändlicher Schelm, der ein liederliches Leben führte, so daß er ein- und das anderemal fast wegen seiner Liebeshändel umgekommen wäre. Darauf erwiderte er dem Wirth in jenem Dorfe: "Erschrick diese Nacht nicht!" In der Mitternacht ward das Haus erschüttert. Da Faustus am Morgen nicht aufgestanden und der Mittag bereits gekommen war, ging der Wirth in sein Zimmer und fand ihn neben dem Bette liegen mit umgedrehtem Gesichte, so hatte ihn der Teufel getödtet. Als er noch lebte, führte er einen Hund mit sich, welcher der Teufel war, wie jener Schelm **), welcher von der Eite keit der Künste schrieb, auch einen Hund hatte, der mit ihm lief, welcher der Teufel war. Dieser Faustus 
*) Locorum communium collectanea: a Johanne Manlio per multos annos pleraque tum ex lectionibus V. Philippi Melanchtonis, tum ex aliorum doctissimorum virorum relationibus excerpta et nuper in ordinem ab eodem redacta. **)
 
Das Kloster von Scheible B. V. S. 50, dem wir obiges Citat entnommen, bemerkt hiezu: Melanchthon meint den Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim (1486-1535), an den sich wie an Trithemius, Paracelsus, Albert den Großen, Johannes Semeca, genannt Teutonicus, manche Zaubersagen anlehnten. Von ihm erzählt Paulus Jovius (elogia p. 121 ): "Als Agrippa den Tod nahe fühlte, nahm er diesem Hunde das mit magischem Zeichen versehene Halsband ab, indem er ihm zürnend zurief:" "Fort, du verworfene Bestie, die du mich ganz zu Grunde gerichtet hast! Der Hund aber soll, wie die erzählen, welche es gesehen haben wollen, in die Saane gesprungen und nicht wieder zum Vorschein gekommen


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entwischte in unserer Stadt Wittenberg, als der vortreffliche Fürst, Herzog Johann, den Befehl gegeben hatte, ihn gefangen zu nehmen. Auf ähnliche Weise soll er auch in Nürnberg entwischt sein. Beim Anfang des Mahles ward es ihm warm; er stand sogleich vom Tisch auf und bezahlte dem Wirth, was er schuldig war. Kaum war er vor der Thüre, als die Häscher kamen und nach ihm fragten. Dieser Zauberer Fauft; eine schändliche Bestie, eine Kloakevieler Teufel, prahlte, alle Siege, welche die kaiserlichen Heere in Italien erfochten, habe er durch seine Magie verschafft, was die unverschämteste Lüge war."


4. Zauberfamilie in Basel.


Aus einer ungedruckten Chronik.

Zu Basel war ein Burger von einem, awm berühmten Geschlecht: Adelbert Meyer. Dieser war einen der reichsten Burgeren gehalten. Er kam hernach in das Regiment und nahm eine reiche Wittwe zur Ehe, welche hernach vorgab , der Meyer ihr Ehemann sei ein Schwarzkünstler; daher sie sich von ihme scheiden ließ. Er aber wollte ihro nichts heraußgeben, bis man ihm seinen Haußrath angefangen verganten. Er wurde darauf, weil er Kant war, in einem Sessel auf das Rheinthor getragen; also war ihm von seinem zeitlichen Guth nichts übergeblieben. Inzwischen ist auch durch einen Inden erwiesen worden, daß er einen Spiegel habe, in welchem er alle seine Mißgünstige sehen könne. Kurtz hernach ist erin der kleinen Stadt in ein Haus verbannisirt worden, worüber er für großem Kummer ganz grau worden. Einer seiner Söhne wurde über seinen kläglichen Zustand ganz sinnloß, 

sein." Auch Lercheimer in seinem "Bedenken von Zauberey" (1585) K. 8. erzählt von dem schwarzen Hunde, den Agrippa mit sich führte, "der ihm anzeigte vnnd wirkte, was er wolte, vnnd was er, der Teuffel, könnte."



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der andere Sohn verdarb. Sein Tochtermann und seine Tochter wurden auch für Schwarzkünstler gehalten,


5. Der alte Schrank.


Joa. Nideri formicarum de malefic. deception. c. II.

In Basel wohnte nicht lange vor dem zulegt daselbst gehaltenen Concilium ein Mann, der der Zauberei verdächtig war; der hatte eine Tochter, und als er alt zu werden begann, heirathete die in's Haus. Nicht lange nachher erkrankte der Vater, der auch schon ziemlich bei Jahren war, und er sah wohl voraus, daß er nicht mehr genesen werde. Eines Tages nun wies er mit dem Finger auf einen alten Schrank und sprach zu seinem Schwiegersohn und dessen Frau, seiner Tochter : "Lasset den Schrank ruhig stehen, wenn ich sterben sollte, es würde euch sehr gereuen." — Bald darauf starb der Alte. Seine Tochter kümmerte sich nicht viel um des Vaters Warnung wegen des Schrankes, wollte selbst das Haus nicht bewohnen und in ein anderes ziehen, Ihr Mann packte also den Schrank auf den Rücken, um ihn in die neue Wohnung zu tragen, und das ging anfangs Sohl und gut, auch war der Schrank nicht sonderlich schwer; je weiter er aber ging, um so schwerer wurde derselbe, so daß er am Ende seine Frau bitten mußte, ihm helfen; so kamen sie nun mit dem Schrein in das neue Haus. Ob nun die Frau den Schrank daselbst geöffnet hat, oder was damit geschehen ist, das weiß man nicht; so viel ist ader sicher, daß, als sie mit ihrem Kindlein, welches sie gewonnen, in das Haus kam, sie wie wüthend über dessen Wiege herfiel und das Würmchen tödten wollte. Der Mann sprang gass Weise früh genug



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dazu und hielt sie davon holte auch einen Geistlichen, der sie belas. Der Teufel rief aber aus ihr, er werde nicht weichen, ohne sie zu tödten; und so geschah es auch, und sie starb unter dem Belesen. Andern Tags ging der Mann über die Straße und ein Stein fiel oben von einer Dachrinne herab, ihm gerade in's Gesicht, wodurch er so zugerichtet wurde, daß er kaum noch einem Menschen ähnlich sah.Die Tochter wird vom Teufel besessen, wird wahnsinnig. Das vom Teufel besessen werden der Kinder als Strafe für Nichterfüllung des hinterlassenen, elterlichen Willens trifft man in der Sage öfters an. Das asha des Teufels in den Leib des Menschen und sein schädliches Wirten von Innen nach Außen, das nur durch förmliche Austreibung aufgehoben werden kann, ist jüdischer und christlicher Vorstellungsweise entsprungen. Heidnischer Glaube läßt die Geister nur von aussen her wirken. Im Uebrigen vgl. die Erläuterung zu Nr. 37. S. 77.


6. Karlsstadt's Tod.


Mostrorius p. 22.

In der letzten Predigt, welche Karlsstadt zu Basel hielt, sah er, wie ein großer, schwär er Mann in die Kirche kam und sich neben den Bürgermeister setzte. Beim Ausgange aus der Kirche frug Karlsstadt, wer der Unbekannte gewesen, aber das wußte Keiner ihm zu sagen, denn Keiner hatte den Mann gesehen. Als der Prediger nach Hause kam, erzählte man ihm daselbst, der große, schwarze Mann sei vor, wenigen Augenblicken da gewesen und habe sein jüngstes und geliebtestes Kind bei den Haaren ergriffen und hoch aufgehoben von der Erde, dann gethan, als wolle er es fallen lassen oder niederwerfen g" um ihm den Hals zu brechen, doch zuletzt habe er es wieder auf die Erde geseit und ihm befohlen : "Sage



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deinem Vater, daß ich hinner drei Tagen zurückkomme und daß er sich also bereit halten mag." Karlsstadt erschrack sehr, als er das hörte; er '-legte sich zu Bette und starb drei Tage nachher.Der Glaube, der Tod erscheine oftmals selbst, um den Sterblichen ihren Todestag zu verkünden, ist eine Ueberlieferung der heidnischen Vors- I. W. Wolf, der; oben stehende Sage mittheilt, fragt mit Recht: "Ist hier nicht der Tod mit Hel verwechselt ?" — Hel war die Sachter des bösen Asen "oke und der Riesin Angerbode, Beherrscherin der neun Welten, die zu dem Reiche Niflheim oder Helheim gehören, Königin aller derer, die nicht auf dem, Schlachtfeld, sondern an Altersschwäche und Krankheit gestorben. Die Skandinavier hatten sich ein gräßliches Bild von ihr entworfen. Offenbar, weil sie nichts Schrecklicheres kannten, als den Tod der Krankheit und Entkräftung zu sterben. Sie erschien ihnen als furchtbare Riesin, mit hrn Farben der Verwesung bekleidet, halb fleischfarben,: halb blau oder schwarz, Menschen fressend, Grauen erregend und in schrecklicher Umgebung. Die spätere, weniger wilde Phantasie hat aus ihr den nicht so fruchtbaren, doch immer noch unheimlichen, Tod verkündenden schwarzen Mann der vorstehenden Sage gemacht. Bei ähnlichen Spuckgestalten, von denen maii in Oberösterreich erzählt, tritt diese Abkunft noch deutlicher hervor, da man, ihr Geschlecht unterscheidend, sie dort noch bezeichnender die einen Todt, die andern Todtin nennt, wie überhaupt die Vorstellung von Tod im deutschen Volksglauben fast durchgängig eine persönliche ist. So kennen wir ihn als Freund Hain, Gevatter Tod, immer aber erscheint er als jenes fleischlose Gerippe, das mit dem 12. Jahrhundert das Bild des Todes zu werden anfing und das, ein Gegenbild zu der lieblichen Gestalt des Todesengels des antiken Alterthums, in seinem grellen Contrast zu den üppig blühenden Leben gewiß nicht wenig zur Entwickelung der Idee von den Todtentänzen beitrug, 'oon denen ein (r der ältesten der von Basel ist, welcher im Jahr, 1438 durch eine Seuche veranlaßt, im Jahre 1443 ausgeführt wars *.) 
*) Aber nicht von Holbein, da dessen Geburtsjahr erst 35 Jahre später fällt. In der Schweiz finden sich noch Todtentänze ;u Bern und zu Luzern, in letzter Stadt sogar zwei, von denen der eine, an einer Brücke angebracht, wohl eine Copie des Basler ist. Außer der Schweiz finden sich noch Todtentänze zu Paris auf dem Gottesacker der Kirche des saints Innocents, zu Straßburg und Dijon, zu Wien, Lübeck, Dresden, Leipzig und Erfurt, die in ihrer Auffassung mehr oder


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7. Ruf der Sterbenden.


Beyerlink theatrum vitae humanae. l. IV.


Th. Zwingerus V. p. 194.


Jac. Schlingen mirabilia mundi p. 602.


I. W. Wolf, deutsche Märchen und Sagen, S. 164.

Im Jahre 1564 wüthete eine sehr heftige Pest an dem Rheine und besonders in ber Gegend von Basel. Während derselben hat man durchgängig gesehen, daß die von ihr Ergriffenen im ärgsten Augenblicke ihrer Krankheit und kurz vor ihrem Tode den Namen des Einen oder Andern aus ihrer Verwandtschaft riefen, oder auch den eines ihrer Bekannten oder Nachbarn. Es dauerte dann nicht lange und der Gerufene wurde gleichfalls ergriffen von der Pest und rief wieder, ehe erden Geist ausgab einn Andeern, der gleichfalls bald darauf erkrankte und ebenso machte.

Den Glauben, daß derjenige, dessen Name der Sterbende als den letzten vor seinem Ende nennt, dem Gestorbenen bald folgen muß, findet man in diesem Augenblick noch in der Schweiz, Deutschland und Frankreich an. Analog sind ihm alle jene Todesanzeigen, als das Knarren der Wände, das Pochen an den Haus- und Stubenthüren, das Aufgehen derselben, das Klirren im Waffensaal ec. Zu Basel und auch anderswo war ein Knallen der Dielen oder der Vertäfelung in den Rathsstuben noch Ende vorigen Jahrhunderts ein bestimmtes Vorzeichen des Todes eines Rathsherrn. Hierher gehört auch der schauerliche Glaube, der im Kanton 
weniger von einander abweichen, deren Tendenz aber, Darstellung der Nichtigkeit des irdischen Lebens, immer dieselbe ist. Auch England und Holland besitzen Todtentänze, deren Allegorie auch jene Münze gleicht, welche ein Memento mon zur Zeit einer herrschenden Epidemie zu Basel geschlagen wurde und die sich die Ueberlebenden zum Andenken an die überstandene Schreckensepoche überreichten. Diese Münze zeigte auf der einen Sette drei Mosen, Symbole des Todes, und auf der andern einen Todtenkopf mit einer Kornähre die Versinnbildlichung der Wiedergeburt; die Devise lautete : Hodie mihi, eins tibi.


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Wallis daheim ist und nach dem von dem Bette des, der sterben soll, ein feuriger Funken aufsteigt, der, dem Wege folgend, welchen später der Leichenzug einschlagen wird, sich in langsamem Fluge nach der Grabstätte bewegt.


8. Das Wundervögelein im Bruderholz.


Joh. Groß, Basler Chronik. S. 74.

In währendem Concilio zu Basel sind etliche geistliche Herren für die Stadt hinaus gespazieret in ein Hölzlin, so man das Bruderhoz; nennt, damit sie sich von streitigen Punkten etwas erspracheten. In allem Gehen hören sie ein Vöglein singen, so lieblich als eine Nachtigall. Die Herren verwunderten sich ob des Vögleins Simme und fingen an zweifeln, was das für ein Vöglein wäre. Und als Einer aus ihnen, so der herzhaftigste sein wollte, es hätte gern erschauen mögen, beschwur er dasselbe also : Ich beschwere dich im Namen des Herrn, zeig uns an wer du seiest! worauf das Vöglein die Antwort gegeben : Ich bin ein verlohrener und verdammter Geist und warte auf den jüngsten Tag, da mein Leiden kein Ende nehmen wird. Hiermit fleucht es davon und spricht: o ewig, ewig, wie ist das eine so lange Zeit! Das ist zweifelsohne der Satan gewesen. Darüber aber seyend selbige Herren also heftig erschrocken, daß sie krank worden und bald gestorben.

Der Glaube, die Seele nehme Vogelgestalt an, ist sehr alt. Am häufigsten findet man sie als Taube aufgefaßt, ein Sinnbild, das vorzüglich das Christenthum liebt. Auch die alten Griechen dachten sich ihre Psyche geflügelt. Ein noch treffenderes Bild für die Seele ist aber jedenfalls der Schmetterling, dessen Entpuppung aus der Larve ihrer Trennung von der irdischen Materie noch bezeichnender entspricht, daher dieses Insekt


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auch bei fast allen Völkern ihr Sinnbild ist. Auch die Irrlichter sind im Volksglauben die Seelen Dahingeschiedener. Davon in Folgendem ein Beispiel.


9. Die Feuermännlein bei Basel.


Wagner, Historia nat. Helvetiae. p. 358.


Du Pan, L'armos de David. p. m. 262.

Nahe bei Basel ist ein Feld, auf welchem man bei Nacht feurige Männlein hin- und herlaufen steht, welche bald zu tanzen, bald untereinander zu raufen scheinen. Dies sind die von der Hölle oder dem Fegfeuer angeflammten Geister jener, welche während ihres Lebens sich durch Versetzung der March steine an dem Gute Nässten versündigt haben,

Schon im alten Testament heißt es: "Verflucht sei, wer seines Nächsten Grenze engert." 5. B. Mos. 27, 17 und Spr. Sal. 22, 28, Numa Pompilius führte bei den Römern sogar einen Gott der Grenzen, den Terminus ein, dem zu Ehren am 23. Februar die Terminalien gefeiert wurden; daher man bei diesem Volk eine Grenzverletzung gleich einer Gotteslästerung ansah und solche Verbrecher von Jedermann getödtet werden konnten. Den Terminus vertrat bei den Griechen Apollo, der von ihnen zu Hermione in Argolis unter dem Beinamen Horius, der Begrenzer , im gleichen Sinne verehrt wurde. Hieraus mag der Aberglaube obiger Sage, der in der ganzen Rheingegend bis nach den Niederlanden hinunter verbreitet ist, entstanden sein. Hebel nennt die auf diese Art Verdammten füürige Marcher; Fischard Gargantua, S. 231, Zunselgespenster. Es gibt jedoch noch eine andere Art dieser Gespenster. Diese sind ganz schwarz und haben nur, wo das Herz ist, eine feurige Stelle; sie gehen aber nur an den Frohnfasten um und können nur von Frohnfastenkindern gesehen werden. Ihre Erlösung erfolgt, sobald ihnen der, dem sie leuchten, Dank sagt. Grimm, Mythologie der Deutschen, S. 513.Als letztes Beispiel des gespenstischen Umgehens betrügerischer Markenmesser mag hier noch folgen, was man sich in der Umgegend von Zurzach erzählt:


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Hienoch ! Hienoch !


Schriftlicht Mittheilung.

"In dem zwischen Zurzach und Degerfelden gelegenen Walde hört man oft in finstern und stürmischen Nächten den Ruf: Hienoch! Hienoch! (Hiernach ! Hiernach!), wodurch des Wegs Unkundige nicht selten irre geführt werden. Davon erzählt die Sage: Bei einer zwischen genannten Gemeinden entstandenen Markstreitigkeit wurden die zwei ältesten Männer — als wohl die kundigsten — bei Ehre und Gewissen aufgefordert, die richtige Scheidelinie anzugeben. Obwohl nun beide die richtige Scheidelinie nicht mit Bestimmtheit anzugeben wußten, so schwur doch der Eine von ihnen, daß er die wahre Grenze kenne, und so schritt er unter dem fortwährenden Rufe: Hienoch! Hienoch! weit über dieselbe hinaus, daß die eine Gemeinde um ein gut Stück Land arg betrogen war. Zur Strafe für dieses Verbrechen geht nun der Unglückliche auch jetzt nach seinem Tode noch jenen Ruf ausstoßend als Geist um."Den gleichen Schwur vom Richter und Schöpfer, der schon S. 82 erwähnt ward, führt auch diese Sage an.


10.

Das Gespensterhaus.


Mündlich.

In einer Vorstadt Basels ist ein großes, altes Haus, das mag wohl über viele hundert Jahre alt sein. Von außen ist es sehr schön anzuschauen, im Innern aber eckig und winkelig , jedoch nur in den Seitenflügeln. Von diesem Hause nun heißt es, es sei nicht geheuer; besonders wissen Mägde, die da zu Diensten, viel von dem Spuck ;u erzählen, der da getrieben werden soll. Eine alte Frau, die dort in der Nähe wohnt und oft in das Haus kam, da sie drin gut bekannt, behauptet jedoch, früher sei es ärger gewesen, jetzt hätten die Geister an ihrer Macht verloren, nur auf der Treppe eige sich dann und wann noch Etwas; das sei aber nicht von Bedeutung, höchstens busche es Einem einmal eiskalt wie mit Leichenhand über das Gesicht oder blase beim



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Leuchten auf der Treppe das Licht aus, während früher ganze Schwärme von Gespenstern das Haus durchtobt hasten Am tollsten sei aber der Spuck in den Schornsteinen und in den Rauchfängen der Küchen getrieben worden. Bisweilen habe es sich gar sanft angestellt und in denselben ganz leise pst! pst! gemacht, daß die Mägde, welche des Nachts noch in der Küche handthiert, oft vermeint, es sei ein Zeichen vom Liebsten auf der Straße, dann aber habe es allemal ein so grausenerregendes Gelächter aufgeschlagen, daß den Dirnen der Schreck in alle Glieder gefahren und sie gewiß Tags darauf den Dienst gekündigt hätten. Dies nun, so erzählt die vorhin erwähnte Frau, hat ungefähr bis in die neunziger Jahre gedauert. Da ist eine Köchin aus Schwaben in dem Hause in Dienst gestanden, die hat die Sache an einen katholischen Pfaffen geschrieben, dem sie früher die Wirthschaft besorgt. Der hat ihr nun aues geantwortet: der Spuck im Rauchfang rühre von niemand Anderem, als von dem Teufel selbst her. Den vertreiben kenne er nur ein Mittel, das helfe aber sicher. Dieses Mittel hat die Schwabenköchin auch angewendet. Etwas, meinte die Alte, muß sie aber doch dabei verfehlt haben, denn sonst würden die Gespenster gänzlich gewichen sein. Eine Thüre, durch welche die Geister in früherer Zeit gewöhnlich zu kommen pflegten, wird heute noch in dem Hause gezeigt.Fast jede größere Stadt hat ihr Gespensterhaus. Erinnerung an Geiz oder Habsucht früherer Besitzer, Laster, welche der Volksglaube gern mit gespenstischem Umgehen nach dem Tode bestraft, oder das Andenken an in solchen Lokalitäten begangene Verbrechen, oftmals verbunden mit eigenthümlicher Bauart, letztere auch bisweilen ganz allein, sind die gewöhnlichen Entstehungsgrunde derartiger Sagen, in welchen Gespenster- und Teufelsspuck nicht selten auch als Vorzeichen drohenden Unglücks auftritt. So erzählt folgende Sage:


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Des Teufels Brand.


Erasm. Rlotterdam. epist. Farn. L. 22. c. 20. Nie. Bemigii doemonolatria, c, 335

"Es liegt ein Städtlein im Schweizerlande mit Namen Schiltach, welches im Jahr 1533 am zehnten April plötzlich in den Grund abgebrannt ist. Man sagt, daß dieser Brand folgender Weise, wie die Bürger des Orts vor der Obrigkeit zu Freiburg angezeigt, entstanden sei. Es hat sich in einem Hause oben hören lassen, als ob Jemand mit linder lispelnder Stimme einem andern zuriefe und redete, er solle schweigen. Der Hausherr meint, es habe sich ein Dieb verborgen geht hinauf, findet aber Niemand. Darauf hat er es wiederum von einem höheren Gemach her vernommen, er geht auch dahin und vermeint den Dieb zu greifen. Wie aber Niemand vorhanden ist, hört er endlich die Stimme im Schornstein Da denkt er, es müsse ein Teufelsgespenst sein und spricht den Seinigen, die sich fürchten zu, sie sollten getrost und unverzagt sein, Gott werde sie beschirmen. Darauf bat er zwei Priester zu kommen, damit sie den Geist beschwören. Als diese nun fragten, wer er sei, antwortete er: der Teufel. Als sie weiter fragten, was sein Beginnen sei, antwortete er: ich will die Stadt in Grund verderben. Da bedräuen sie ihn, aber der Teufel sprach: sure Drohworte gehen mich nichts an, einer von euch ist ein liederlicher Bube; alle beide aber seid ihr Diebe. Bald darauf hat der Teufel ein Weib, mit welchem jener Geistliche vierzehn Jahre zusammengelebt, hinauf die Luft geführt, oben auf einen Schornstein gesetzt, ihr einen Kessel gegeben und sie geheißen, ihn umkehren und ausschütten. Wie sie das gethan, ist der ganze Flecken vom Feuer angegriffen worden und in einer Stunde abgebrannt."


11. Das Spahlenthier.


Mündlich,

In der Stadt Basel geht oft in der Nacht ein gespenstisch Thier um; dasselbe treibt indessen sein Wesen nur von da an, wo der Spahleuberg beginnt bis hinauf an das Spahlenthor , daher das Thier auch das Spahlenthier heißt. Wie das Thier gestaltet, weiß Niemand recht. Einige meinen, es



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sei einem großen Schweine oder vielleicht einem Nilpferd ähnlich , Andere wieder sagen, es gleiche einem Drachen ver Lindwurm; das Beste aber ist, gar nicht nachzuschauen, wie es gestaltet ist, denn so oft einer das Fenster geöffnet und den Kopf hinausgestreckt, wenn das Spahlenthier nahte, was immer ein eigenthümliches Sausen in der Luft verkündet, so ist ihm derselbe gewiß am andern Tage geschwollen gewesen, ja Einem, der recht verwegen war und sich sogar Spottreden über das Spahlenthier erlaubte, soll der Kopf plötzlich so dick geworden sein, daß man, um ihn zu erlösen, das Fenster hat ausbrechen müssen, zu er hinausgeschaut.Das Spahlenthier gehört in die gleiche Kategorie, zu der der Pferdegeist Zavudschaou (S. 153), der Gassentätscher (S. 1554, das Roß ohne Kopf im Femme.Gärtli, der Matseitel-Bock, der Rufeli- und der Valeishund . ahlen und pou der in jeder Stadt, ja fast in jedem Dorfe ein Exemplar anzutreffen ist (im Uebrigen s. S. 1513»


12. Der Schimmelreiter.


Mündlich.

In der Hard hinter Birsfelden und auch auf der Hügelkette, die sich hinter den beiden Gundeldingen und Binningen nach dem Bruderholz hingeht, und im Bruderholz selbst sieht man oft einen Mann auf einem großen Schimmel umherreiten , daher er der Schimmelreiter heißt. Er thut Niemand etwas zu Leide, doch ist er ein Schrecken der Kinder, welche ihn, wenn sie sich zu tief in den Wald wagen, oft in wilden, weiten Sätzen wischen den Bäumen, daß Busch und Aeste Sachen, einhersprengen sehen und die dann mit dem Rufe: "Der Schimmelreiter kommt!" sich aus dem Wald flüchten.



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Der Schimmelreiter hat einen großen grauen Mantel um und einen breitkrämpigen Hut auf dem Kopfe; nach Andern wieder soll er den Kopf unter dem Arm tragen.Offenbar begegnen wir hier einem zum Kindergespenst herabgesunkenen Gotte. Alles aber, das weihe Moß, Mantel und Hut (s. Anm. S. 46) deutet auf Odin, her in dieser Gestalt nichts als eine andere Variante der wilden Jäger und des wüthenden Heeres ist (s. S. 37 ec.);


13. Vorzeichen der Schluss bei St. Jakob.


Fel. Hämmerlein libr. de Nobilitate c. 33.


Wurstisen, Basler Chronik.

Dreißig Tage vor der Schlacht bei St. Jakob hat man zur Vorbedeutung derselben großes Getümmel, wie von zusammentreffenden und kämpfenden Personen und Geschrei und Seufzen der Erliegenden vernommen, wie denn auch sonst mehr beschehen, ohne Zweifel aus des Satans Gespengnuß, welcher eines solchen subtilen, geschwinden und. fertgen Verstandes, daß er aus der Menschen Reden, thun und lassen, bald merken kann, wo die Sachen hinauswollen.

Aehnlich erzählt Joh. Heinr. Petrie, Stadtschreiber der Stadt Mühlhausen , im Anfange des 17. Jahrhunderts geschrieben, herausgegeben von Pf. Graf, Mühlhausen 1838, S. 210; "Am 29. Aprillen deß 1506 jahrs habe man im Nortveld bei dem Jungenberg einen gewaffneten Heerzeug, ohne Häupter, ganz rot vnnd auf hochen Rossen reitend, vnnd gegen denselben ein ander weiß Heerzeug, zuechen gesehen, welcher jenen angegriffen, geflüchtigt und biß in die Hart hinein verfolget hahe.". Dieses Gespenst soll vier Wochen lang alle Mittag erblickt worden sein. Solcher tönenden und leuchtenden Lufterscheinungen sind unsere Chroniken voll. Als gespenstisch; betrachtet sind sie der Vorstellung vom wüthenden Heere analog, das , wie wir S. 37-40 sahen, wenn auch unter verschiedener Benennung


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und verschieden gestaltet, der Volksglaube fast aller Völker kennt. Nach Grimm führt in Frankreich ein solches Luftgebild kämpfender Geister die Benennung Hellequin, in Spanien exercito antiguo. Noch sei hier des Auszugs des Rothenthalers im Kanton Aargau erwähnt, der ähnlich der bekannten Sage vom Auszug des Rodensteiners nach dem Schnellerts am Odenwald, wenn er unter Trommetenschall und Waffengerassel erfolgt, Krieg verkündigt, dagegen Hoffnung zu baldigem Frieden giebt, wenn er in gleichem Zuge, doch geräuschlos nach seinem Geistersitz zurückkehrt.


14. Cäppelijoch gut Segen Zahnweh.


Joh. Groß, kurze Baster Chronik, S. 143.

Wer, wenn der Rhein zugefroren, dreimal auf dem Eis um ein gewisses Joch der Rheinbrücke, das sogenannte Käppelljoch geht, bekommt kein Zahnweh. Das hat man am 10. Januar 1514 geübt, als der Rhein 14 Tage beschlossen war, daß; man darüber wandeln konnte. Dreimal ging man da um das Käppelijoch und trieb sonst noch allerlei Spiel auf dem . Auch ein Müller wollte damals mit seinem Hengst über den gefrorenen Rhein reiten ; der hätte bald sein Leben mehr kein Zahn- noch ander Weh erlitten, denn als er auf die Mitte kam, brach das EIS, und wäre man ihm nicht zu Hülfe gekommen, so hätte er elendiglich ertrinken müssen.

Vergleiche Seite 103.


15. Die silberne Glocke im Rhein.


Mündlich.

Wenn man in hellen Nächten von der Pfal; in Basel auf den unten vorüberfließenden Rhein blickt, so sieht man,



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wenn man dies längere Zeit geübt hat, im Bett des Flusses einen hellglänzenden Punkt, bisweilen vernimmt man dann auch ganz deutlich ein liebliches, doch etwas gedämpftes Klingen. Dieser hellglänzende Punkt ist eine große silberne Glocke, von der die Sage geht, daß sie früher auf dem Münster gehangen, beim großen Erdbeben aber in den Rhein gestürzt sei und deren Läuten nun die Stromgeister des Rheines, welche Sommer als die Geister anderer Flüsse sein sollen, zur Andacht ruft,

Da wo die Glocke liegt, soll auch ein Gang unter dem Rhein hinweggeführt haben, welcher den Münster mit dem Carthäuserkloster in Kleinbasel verband.


16. Basler, wunderbar aus Gefangenschaft befreit.


Chronika vnser Lieben Frawen Capellen zu Einsiedlen 1694. S. 288.

Im Jahr 1338, als zwischen den Kronen Englands und Frankreichs ein Krieg erhoben und sich Deutschland mehr zu England hinneigte, hatte Frankreich nach der deutschen Seite seine Grenze versperrt und allen Eingang verboten. Trotz diesem Edikt hatte sich ein basler Kaufmann mit seiner Waare nach Frankreich gewagt, meinend, da er in der französischen Sprache wohl erfahren sei, werde man ihn leichtlich einen gebornen Franzosen halten, so daß er sicher unerkannt und verborgen bleiben würde. Dieses Wagniß schlug jedoch fehl, denn bald als Fremder erkannt, ward er auf eines Edelmanns Schloß gebracht und in einem hohen mit Wassergräben umgebenen Thurm mit Ketten an Händen und Füßen gefangen gehalten. In dieser Noth nun soll der Kaufmann ein inbrünstiges Gebet an die heilige Jungfrau Maria



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gerichtet und dieselbe gar flehentlich um Hülfe angerufen haben, welche, sein Gebet erhörend, auch alsbald in eigener Person in königlichem Gewand und mit güldener Krone auf dem Haupt, in seinem Kerker erschienen sei und ihm mit den Worten : stehe auf mein Geliebter und folge mir! die Hand gereicht habe. Darauf seien die Ketten von ihm gefallen, die Mauer des Gemachs habe sich gespalten und ungefährdet und unverletzt habe ihm die heilige Jungfrau aus dem dreistockhohen Gefängniß trockenen Fußes über das Wasser geführt , ohne daß die Thurmhüter etwas gemerket, und er alsbald glücklich in Basel angekommen sei, wo er seiner wunderbaren Rettung Meldung gethan.Von den Wunderwerken der Jungfrau Maria weiß der christliche Wunderglaube viel zu erzählen. Einem solchen verdankt auch das Kloster Maria Stein seine Entstehung. Die Sage erzählt:


Das verlorene Kind.


J. G. Lenggenhager, Schlösser und Burgen in Baselland, S. 41.

Auf einem der Aeste des Jura über dem Dorfe Ettingen liegen die Ueberreste der Burg Fürstenstein, einst der wehrhafte Wohnsitz der Herren von Rothberg. Einer der tapfersten dieses Stammes war Hans von Rothberg, der im vierzehnten Jahrhundert lebte und dessen Tugend und Mannlichkeit Gott durch die wunderbare Rettung seines Kindes schon auf Erden lohnte. Als einst, so geht nämlich die Sage, der Ritter zu Basel bei seinen Bekannten war, lustwandelte seine Gattin mit ihrem Kinde, einem blühenden Töchterlein, in der Umgebung ihres Wohnsitzes. Das Kind suchte Feldblumen und Erdbeeren, die sie freudig der Mutter brachte, welche sich im Schatten eines Baumes auf einem Rasenplatz niedergelassen hatte. Da plötzlich hört die Mutter einen Angstruf. Sie springt auf und eilt dem Orte zu, wo sie ihr Kind am Bergesabhang zuletzt erblickt. Ein schauderhafter Abgrund gähnt ihr entgegen, aber nirgends sah sie das Mädchen. Umsonst rief sie mit Schmerzenstönen in die grausenhafte Tiefe, aber nur das Echo gab den Ruf der unglücklichen Mutter zurück. Da stürzte sie, ihr Kind dem Schutze der Mutter Gottes emhfehlend, auf steilem Pfad hinunter in das Thal. Aber siehe o Wunder! kaum unten angelangt, kommt der Verzweifelten das todtgeglaubte , das Körbchen voll Erdbeeren, freudig entgegen und erzählt:


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eine wunderschöne Frau habe es mitten im Falle in ihre Arme geschlossen und unten im Thal leis und sanft auf den Rasen gesetzt. Dort habe es die Erdbeeren gepflückt, welche es jetzt dem Vater bringen wolle. Dieser wunderbaren Rettung zum Gedächtniß soll nun der erfreute Vater eine Kapelle erbaut haben, die heute noch im Wesen ist und welche zur Erbauung des Klosters Maria Stein, die später erfolgte, Anlaß gab.


17. Die Weite Jungfrau am Margarethenbrunnen.


J. G. Lenggenhager, Schlösser und Burgen in Baselland, S. 52. Mündlich.

Nicht weit von den letzten Resten der Burg Bischofsstein, am Fuße der sissacher Flue, ist ein Brunnen, der St. Margarethenbrunnen, der sich jetzt in die Ergolz ergießt. An diesem Brunnen sah man noch vor fünfzig Jahren eine Jungfrau, fein und zart von Angesicht und weiß gekleidet, oftmals bei hellem Sonnenschein lustwandeln. Wann sie dies eine Weile gethan, ließ sie sich an dem Brunnen nieder, löste und strählte ihr Haar, das ihr in vielen Locken auf Schultern und Nacken fiel und in der Sonne wie das lautere Gold erglänzte. So saß sie, als ob sie irgend Jemand sehnend erwartete, oftmals stundenlang; sobald aber die Sonne sich zum Niedergang neigte, stand sie auf und kehrte ihr goldenes Haar wieder zusammenflechtend traurig nach der Burg Bischofsstein zurück, von der sie gekommen. Von dieser Jungfrau heißt es, sie habe auf Erlösung geharrt, diese sei aber erfolgt, als einst ein junges Mädchen aus dem Dorfe es gewagt, der geheimnißvollen Fremden Kammerjungferndienste anzubieten und ihr die aufgelösten Haare wieder zurecht gebunden habe.

Ein charakteristischer Zug der in der Sage so häufig vorkommenden weißen Jungfrauen ist, daß ihr Erscheinen gewöhnlich an Duellen und


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im hellen Sonnenschein, hauptsächlich zur Mittagszeit erfolgt. Auch das Kämmen der Haare ist gemeinschaftlich. Dies alles sind heidnisch mythische Anknüpfungspunkte, auf welche bei der Sage von der Königin Bertha (Kanton Wagt), in der sich die Götter- mit der Heldensage vermengt , zurückzukommen sein wird.


18. Die Burghündlein.


I. G. Lenggenhager, Schlösser und Burgen in Baselland, S. 53.

Von den Ruinen der Burg Bischofsstein herab hörte man früher oft Hundegebell. Da sagten dann die Bewohner der Umgegend jedesmal: Horch, wie die Burghündlein bellen ! Mit diesem Redebrauch hängt die Sage zusammen, daß die einsogen Besitzer von Bischofsstein so übermüthig und gottlos waren, selbst den Sonntag nicht zu heiklen und statt in die Kirche zu gehen, mit ihren Rüden den ganzen Tag den Wald nach Wild durchstreiften, wo; u sie nun zur Strafe auch nach ihrem Tode verdammt sind. Einer, der an alle die Rederei nicht glaubte, war einst in der Nähe von Bischofsstein mit Kräutersammeln beschäftigt, da hörte er auch das Hundegebell ; ungestört davon fuhr er in seiner Arbeit fort, je mehr er aber von den Kräutern pflückte, desto näher kam das Gebelle und desto stärker ward es, endlich aber ward es so heftig, daß den bisher ungläubigen Sammler ein Grausen befiel und er eiligst die Flucht ergriff. Das Alles half ihm aber nicht, denn die Burghündlein verfolgten ihn so lange, bis er Kräuter und Blumen auf den Boden warf. Da endlich hatte er Ruhe, nie aber ist er wieder in die Nähe von Bischofsstein Kräutersammeln gegangen.

Daß sämmtliche wilde Jäger von Odins himmlischen Jagdvergnügungen an eine Personification des Sturmwindes sind, ward schon S. 143 gesagt;


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gleich alt ist auch das Bild des Hundes. sei nur an Vau, den indischen Windgott erinnert, der, gemeinsam mit dem Lichtgotte Surya*), den Beinamen Cuna (Hund) führte,


19. Der Jäger und der Jude.


Schweiz. Merkur. 1835. V. Heft. S. 311.

Vor dem Schlosse Ramstein in Baselland steht ein Sennenhaus ; vor dreißig Jahren war dort ein älteres, welches abgebrochen wurde, und von welchem man das morsche Gebälke zum Kalkbrennen gebrauchte. Um die zwölfte Stunde, als dieß Holzwerk brannte, zersprang unter fürchterlichem Krachen der Kalköfen und stob in alle vier Winde. Zwei Männer traten aus der Glut hervor; der eine mit langem weißem Bart, wie ein Jude; der andere ein grün gekleideter Jäger. Seit vielen Jahrhunderten, sagte dieser, hab ' ich, in den Balken gebannt, Höllenqual ausgestanden. Dieser Balken war früher Stamm einer Tanne, an welcher ich einen armen Bauern aufknüpfen ließ, der sich mit bewaffneter Hand widersetzte, als ich mit meinen Rüden seine Saaten durch Seifte;" und der Jude bekannte, daß er vor 400 Jahren vier Menschen im Schlosse vergiftet habe und von dem Burgpfaffen , in einen Jagdhund verwandelt, in den nämlichen Balken gebannt und dem Jäger zu namenloser Pein überantwortet worden sei. — Beide baten nun, daß man ihnen für die Nacht ein Obdach in der Kalkhütte gewähren möchte, worauf dann ihre Erlösung folgen würde. Geschehe dies nicht, so müßten sie inden angebrannten Holzblock zurück. Statt aller Antwort beteten die Kalkbrenner: "Alle guten Geister!" *) 

Surya, identisch mit Sirius, dem Hundssterne.



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— — — und plötzlich schrumpfte der Jäger in ein winziges Zwerglein, der Jude in ein kleines schwarzes Hündlein zusammen und beide schlüpften in den Balken zurück, welcher sodann in unbesonnenem Scherze dem neuen Sennenhause einverleibt wurde. Die Strafe folgte bald; denn ein Jahr darauf raffte eine schreckliche Seuche, der Angriff genannt, sämmtliches Vieh des Schloß -Sennen hinweg, und an der Brust aller gefallenen Stücke soll eine Spur von fünf schwarzen Fingern bemerkt worden sein.


20. Der wunderbare Spiegel.


I. G. Lenggenhager, Schlösser und Burgen in Baselland, S. 51.

Ein armer Holzhauer, der unweit der Burgruine Bischofsstein arbeitete, sah einst zwischen dem alten Gemäuer etwas funkeln und leuchten wie Gold oder Silber oder köstliches Gestein. In der freudigen Hoffnung, vielleicht dort einen Schatz zu entdecken, der ihn für sein ganzes Leben lang zu einem reichen Mann machen könnte, eilte er näher. Was er aber fand, war weder Gold noch Silber noch Edelstein, sondern ein großer Spiegel, der glitzernd und blendend die Strahlen der Morgensonne zurückwarf, Neugierig blickte der Getäuschte hinein, statt aber sich selbst zu erblicken, glotzten ihm die Augen eines kleinen seltsamen Männchens entgegen, das grün gekleidet war und ihm drohende Blicke zuwarf. Darob erschrack der arme Teufel so sehr, daß er spornstreichs davoneilte und fernere Enthüllungen, die der Spiegel vielleicht noch gemacht, nicht mehr begehrte.



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21. Die Vage vom Reifenstein.


Schweizerischer Merkur. Jahrgang 1535, V. Heft.

Zur Seite des Kirchweges, der von Titerten nach Reigoldswyl führt, erhebt sich die Burgruine von Reifenstein auf einem zackigen, beinahe einzeln stehenden Fels an der Ausmündung eines Seitenthälchens in's große, schöne Reigoldswylerthal , Kanton Baselland. Die hohe Lage dieses Gemäuers und die waldige Bekleidung des Felsens, den es front, gibt ihm ein höchst romanisches Ansehen. Von dem Erbauer der Burg und ihren späteren Bewohnern hat man nur wenig Kunde. Dagegen verbreitet sich dunkles Sagengewebe unter den Umwohnern über diese Trümmer. Wenn das Wetter ändern will, steht man Fräulein und Ritter in feurigen sechsspännigen Wagen daraus einherziehen. Am Charfreitag sonnet sich eine ganze Gesellschaft, köstlich gekleideter Herren und Frauen in uralter Tracht und legt viereckige Goldstücke auf mächtigen Tüchern an das Tageslicht. In den Revolutionsjahren machte ein Schatzgräber den Bauern der Umgegend nach den hier verborgenen ungeheuren Schätzen den Mund wässerig. Es war allbekannt, daß dieselben zwei verwünschte Edelfräulein von Reifenstein schon viele Jahrhunderte hüteten. Bald ertönte in stiller Mitternacht auf den Trümmern der alten Burg das allmächtige, Höll' und Teufel zwingende Christofelgebet, unterbrochen von dem Klange grabender Schaufeln. Bald stieß man auf etwas Hartes. Da rief einer der Bauern in der Freude seines Herzens aus : "Potz Hagel! da hämmert's!" Dem Geisterbanner blieb ein Drittel des Christofelgebetes im Halse, stecken; er stampfte unwillig mit dem Fuße und schrie: "Rei, du Kathl jetzt hämmere nüd!" und damit zog



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er — statt der erklecklichen Schätze — ein Paar eiserne Pfannenstiele und Topffüße aus der Grube.Der Kanton Baselland ist reich an Schatzsagen, es ist kaum eine Ruine, an welche sich nicht ganz ähnliche Vorstellungen und Erzählungen *) knüpfen. Etwas eigenthümlicher ist folgende Sage:


Die silbernen Geldstücke.


I. G. Lengenhager, Schlösser und Burgen in Baselland, S 1.o.

"Zwei Kinder hüteten einst gegen Rünenburg am Fuße des Berges, der die Trümmer der alten Burg Scheiden trägt, die Schafe ihres Vaters. Die Kinder vertrieben die Zeit so eben mit lustigen Spielen, da kamen den Berg hinunter, von der Burgruine her, auf weißen Pferden zwei Reiter, in glänzender Rüstung. Denselben voran sprengte ein munterer rüstiger Jägerbursche mit zwei gewaltigen Hunden. Die Kinder sprangen herbei und baten die Reiter um ein Almosen, Darauf zog einer derselben eine Hand voll silberner Rappenstücke aus der Tasche und warf sie stillschweigend vor die Kinder auf die Erde hin. Schon fühlten sich die Kinder glücklich und reich, ihre Freude war aber nur so- kurztr Dauer, denn als sie die weißglänzenden Geldstücke aufheben wollten, verschwanden sie vor ihren Augen. Auch die Reiter waren bald spurlos verschwunden."Auch hier wie anderswo gilt was schon früher über die Entstehungsgrunde derartiger Sagen angeführt ward,


22. Die Hexenwiese bei Prattelen.


Bruckener, Merkwürdigkeiten der Landschaft Basel. Mündlich.

Unfern Prattelen ist eine Wiese, die Hexenwiese genannt. Auf dieser Wiese kamen vor Zeiten die Hexen von weit und breit zusammen, selbst von hinter dem Schwarzwald und weit 

*) Aus diesem allgemein verbreiteten Glauben an verborgene Schätze entwickelte sich im Kanton Baselland die Schatzgräberei in so hohem Grade, daß endlich die Regierung sich genöthigt sah, diesem thörichten Geschäft Einhalt zu thun.



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aus dem Französischen. Von den Tänzen, die sie hier abgehalten zeigte man noch am Ende des siebzehnten Jahrhunderts die Spuren. Es waren große weite Kreise verdorrten Grases, das unter den Tritten der Hexen versengt und verbrannt. Der Teufel, der an diesen Festlichkeiten ebenfalls Theil nahm, kam gewöhnlich in einer schwarzen Kutsche angefahren. Von dieser Kutsche heißt es, daß sie sich jetzt noch zeigt, aber leer, und sie sei dann der Vorbote eines baldigen Todesfalls, höre man aber nur ihr Gerassel, so bedeute es schlecht Wetter.Eine Erklärung der sonderbaren Erscheinung kreisförmiger Spuren versengten Grases findet sich schon S. 66. Noch sei erwähnt, daß man die Lösung dieses Räthsels auch in der höhern Luftschicht und zwar in schwefeligen Entzündungen gesucht hat. Bei Lunnern, wo sich ähnliche Kreise auf Wiesen und Feldern vorfanden, entdeckte man unter denselben bei späteren Nachgrabungen nach römischen Alterthümern Fundamente alten Gemäuers, die ebenfalls als Ursache jener Erscheinung betrachtet wurden, indem man annahm, die von dem unterirdischen Mauerwerk zurückprallende Hitze befördere an der einen Stelle das Wachsthum des Grases, während sie an der anderen es verhindere. Als einen anderen Tanzplatz, ebenfalls eigenthümlicher Art, bezeichnen alte Urkunden eine hohe Linde nicht weit von dem Schloße zu Prattelen, unter der man zur Zeit einer Pest von allen Seiten zusammengelaufen sein soll, um unter Tanz und Spiel die Todesfurcht oder den Tod selbst zu vertreiben. "Wirklich, schreibt Sinner, waren gegen Verdickung des Blutes Tanz und Spiel eine nicht übel ausgedachte Kur." Noch sei hier als in den mythischen Theil dieser Sammlung gehörend, einer merkwürdigen Polizeiordnung erwähnt, welche im Jahr 1410 Bernhard von Eptingen feinen damaligen Unterthanen zu Prattelen erließ. Dieselbe lautete: "Wenn ein Mensch des Abends nach der Betstunde einen andern in seinem Hause angreift, ihn schlägt oder verletzt, so soll man ihn als Mörder behandeln . Der Angegriffene hingegen, gesetzt auch, daß er den Angreifer tödtet, wird ledig gesprochen. Nur muß er darthun, daß er die angegriffene Partei sei. Wenn er keine anderen Zeugen aufstellen kann, so bringt er als Zeugen vor den Richterstuhl seinen Hund, seine Katze, seinen Hahn, nebst drei Strohhalmen von seinem Schaubdache, und legt über denselben den Schwur ab *). Sinner bemerkt nicht mit Unrecht, vermuthlich gestand *) 
Noch sonderbarer ist folgendes Gesetz, das fast zur gleichen Zeit zu Erlach


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man diesen Thieren diese Zeugenschaft in Erinnerung an die ehemaligen Hausgötter zu, an deren Stelle sie jetzt die Bewachung des Hauses und seines Herrn übernommen, theils mag sich jener Gebrauch dadurch erklären , daß man sie zu jener Zeit gewissermaßen als Mitglieder der Familien und mit dem Schicksale derselben verbunden betrachtete. 
in Kraft stand: SI Advena civem percusserit, ligatur ad truncum, abstracta sidi cute capitis; si vero Burgensis advenam percusserit, tenetur sculteto pro lege in LX solides, et percusso in tribus solidis. S. Sinner's Voyages t l. p. 138.


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Die Kantone Waat, Wallis, Tesin, Neuenburg und Genf.


1. Der Ritter mit den Kröten.


Schweizerischer Merkur, 1835, Heft X, S. 221.

Unlängst entdeckte man zu La Sarraz beim Nachgraben die Statue eines Ritters aus dem vierzehnten Jahrhundert, mit zwei Kröten auf den Wangen, und ein solches Paar auf dem Rücken. Man erzählt darüber folgende Sage:

In grauer Zeit lebte ein junger schweizerischer Ritter, der unter dem Namen Hem von La Sarraz bekannt war. Durch Muth und Enschlossenheit in den Schlachten zeichnete er sich aus, so daß der Graf, dessen Vasall er war, ihn bemerkte und auszeichnete. Er verliebte sich in dessen schöne und reiche Tochter. Man machte ihr den Vorwurf, sie habe ein kaltes Herz und sei stolz und unempfindsam; aber auf diese Fehler, welche ein junges Mädchen verunzieren, achtete der Herr von La Sarraz wenig. Erwarb um ihre Hand, die man ihm zusagte, wenn er ihr zur Morgengabe dreihundert Vergehe und einen Burgstall darreichen könne.



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Das war alles was seine Eltern besaßen. Da ihr einziger Sohn sich grämte, weil er nicht so viel zusammen bringen konnte, so überließen ihm sem zärtlichen Erzeuger alles was sie hatten, um sein Glück begründen. Nun verehelichte er sich mit seiner Geliebten.

Sein Vater und seine Mutter, die sich nichts zu ihrem Lebensunterhalt ausbedungen hatten, verfielen sehr bald in tiefes Elend. Der junge Herr von La Sarra; schien nichts davon wissen wollen. ES stellte sich ein harter und rauher Winter ein. Eines Abends, als der Schnee in dicken Flocken fiel und ein Eiswind stürmte, pochten sie am Burgstall ihres Sohnes. Man empfing sie, aber auf unfreundliche Weise. Während einiger Zeit gab man ihnen essen und trinken, aber man ließ ihnen merken, daß sie eine Last im Hause seien. Nun entschloss sich der Herr von La Sarra;, und sein unbarmherziges-Weib unterstützte ihn darin, Vater unb Mutter zu verstoßen. Man führte sie also schlecht gekleidet, mit leerem Magen vor die Schloßpforte, die sogleich verriegelt wurde. Während sie nun Nachts auf holperigen Pfaden herumirrten , trauernd und weinend, saß der hartherzige Sohn vor dem flackernden Kaminfeuer an dem gedeckten Tisch, um den Imbiß zu verzehren. Man stellte ihm eine Wildpretpastete vor, die er sehr liebte, und eine Maaß starkes, schäumendes Bier. Ohne Reue über seine That, wiegte er sich in einem weichgepolsterten Lehnsessel. Aber kaum hatte er die dicke Kruste abgenommen, welche den Deckel der Pastete bildete, so fuhr er mit einem fürchterlichen Schrei zurück. Seine Frau betrachtete ihn mit Entsetzen und rief nach Hülfe. Zwei garstige Kröten waren aus der Pastete gehüpft und hatten sich auf die Wangen des Kriegsmanns fest eingekrallt; sie schienen gesandt von einer höhern Macht. Nachdem das junge Weib den Eckel mühsam überwunden, den ihm die scheußlichen Thiere einflößten, strengte es alle seine Kräfte



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an, um sie von den Stellen abzureißen, welche sie angebissen hatten. Mit ihren starren, flammenden, gräßlichen Blicken schienen sie die blutgefärbten Augen des Ritters verschlingen zu wollen. Alle Versuche der Knechte und Mägde, ihn von diesen Bestien zu befreien, blieben fruchtlos.

Nach zwei langen Stunden, welche Schmerzen und Beschämung erfüllten, dachte der Kriegsmann an sein Betragen gegen seine Eltern, und er fragte sich endlich, ob dieser fürchterliche Vorfall nicht eine göttliche Strafe sei? Er bat seine Frau, den Burgpfaffen holen zu lassen. Der Priester hörte die Beichte des Vater- und Muttermörders an, fand aber die Sünden zu gräulich, als daß er sie vergeben konnte. Er wies ihn an den Bischof.

Mit reuigem Herzen begann der Herr von La Sarraz die Reise. Die zwei Kröten verließen ihn nicht. Der Bischof empfing ihn; aber so wie er erfuhr, welcher großen Sünden gegen die kindliche Liebe er sich schuldig gemacht, wollte auch er den Himmel nicht mit ihm aussöhnen: "Der Papst allein," sprach er, kann Euch diese Gnade spenden." Nun mußte der Ritter nach Rom. Dort angekommen, warf er sich zu den Füßen des heiligen Vaters. Der Papst legte ihm eine harte Buße auf, damit der Sündenablaß ihm Suchten möge; dann sagte er zu ihm: Geht, um Euern Vater und Euere Mutter aufzusuchen, und wenn sie Euch verzeihen, so wird das Schandmal verschwinden, womit Euch Gott gezeichnet hat."

Der Herr von La Sarraz kehrte nach der Schweiz zurück; aber wo sollte er seine Eltern finden, die er verstoßen hatte? Während drei Monaten suchte er sie mit unermüdlichem Mer auf. Endlich fand er in einer einsamen Einsiedelei die Leichname eines bejahrten Mannes und eines alten Weibes, welche schon längst aus Hunger und Käm gestorben waren. Sogleich erkannte er seinen Vater und seine Mutter



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an den hagern, weißblaßen Zügen; er warf sich vor denselben auf die Kniee und vergoß bittere, reuevolle Zähren. Sogleich verließen die zwei Kröten seine Backen; da aber die Vergebung der sterbenden Eltern die göttliche Gerechtigkeit nicht hinlänglich befriedigt hatte, so wichen sie noch nicht gänzlich, sondern krochen auf den Rücken des Ritters, wo sie zwanzig Jahre lang fest angeklammert blieben, und wo er sie sorgfältig verborgen hatte. Nach diesem Zeitpunkt wurde der Herr von La Sarraz von seinem Sohne erstochen, der nach seinem Vermögen lüstern war. Dieser unnatürliche Sohn ward die Beute eines grimmigen Bären. Der Burgstall kam an eine Seitenlinie des Geschlechts. Zum Andenken des Vater- und Muttermordes errichtete man in der Kapelle eine Ritterstatue mit zwei Kröten auf Wangen und Rücken.


2. Wodan's Rache.


L. Vulliemien, der Kanton Waat. S. 16.

Als die heidnischen Gottheiten dem siegenden Christenthum erlagen und auch die Bewohner des Waatlandes der neuen Lehre geschworen, war der Groll der Besiegten gegen ihre ehemaligen Anhänger so groß, daß sie diesen durch die Elemente, über welche sie damals die Macht noch nicht gänzlich verloren hatten, an ihrem zeitlichen Gute, um sie für ihre Abtrünnigkeit zu strafen und ihren Glauben an den neuen Gott wieder wanken zu machen, so viel als möglich zu schaden suchten. Vor allen war es Wodan, der erste der heidnischen Götter, der solche Rache übte. Bald brauste er als entfesselter Sturm, bald auf der Wolte des Donners einher, die Felder und Saaten von Reich und Arm zer



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störend. So kam er auch einst im alten Glanze auf einer hochaufgebäumten Woge, gleich wie auf einem Streitrosse sitzend, die Rhone herab, in der einen Hand ein Schlachtschwert , in der anderen die Weltkugel haltend. Da rief er: rigou hai ousson! (Strom, erhebe dich!) und die Rhone erhob sich auf seinen Befehl, überschwemmte das Ufer und riß, die ganze Gegend verheerend, einen Theil von St. Moritz ein; nur die Stelle, wo der Altar dem neuen Gotte errichtet war, blieb unversehrt. Da erst erkannte Wodan seine Ohnmacht gegenüber dem Christengotte. Nie wieder seit jener Zeit hat er sich den Menschen gezeigt, nie wieder Versuche gewagt, von neuem sein Reich unter ihnen zu gründen. Nur des Nachts, zu gewissen Zeiten des Jahres, läßt er sich noch hören im Sausen des Sturmes, hoch oben auf den Gletschern, zwischen Felsen und Gestein, in düsterem Waldesgrund, mehr aber sich selbst zur Pein, denn zum Schaden der Menschen. Unerblickt von deren Augen zieht er dann im scheußlichen Zuge einher, Freia, seine Gattin, einst eine gütige Göttin, jetzt ein böses Zauberweib, zur Seite, und was auf ewig verdammt , folget ihm: Selbstmörder, Trunkenbolde, ungetauft gestorbene Kinder, gehengte und geköpfte Missethäter, üppiges Weibsgesindel, Hexen und Hexenmeister, blutdürstige Nixen und boshafte Gnomen, kurz die Schaar aller jener bösen Geister, deren Reich die Felsen und Gletscher der Alpen, und deren Zahl so groß ist, daß, wollten sie dasselbe theilen, einem Jeden kaum ein Pfund der mächtigen Eis- und Felsenmasse anheim fiele. So sank Wodan, der einst von den Menschen als heiliger Gott Verehrte.Im Bagnethale erscheint Wodan auch unter dem Namen Nickar (Nikarr, Hnikarr, nach Snorri schon im altnordischen Mythus ein Beiname dieses Gottes, unter dem er jedoch als wellenbesänftigend gedacht wurde) als König der Nixen. Diese Vorstellung sowohl, als obige Sage welche den Gott Wodan direkt als Anführer des wilden Heeres (s. S.


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37) bezeichnet, tragen somit das Gepräge hohen Alterthums. Als unzweifelhaftes Stammwort des Namens Wodan, Wuota nennt Grimm das dem lateinischen vadere, permeare entsprechende ahd. Zeitwort watan, wovon das Substantiv Wuot herzuleiten sei, das wie grec und animus eigentlich mens und ingenium, dann Ungestüm und Wildheit beedeutet. "Hiernach", bemerkt der Genannte in seiner Mythologie der Deutschen S. 94, "scheint Wuotan das allmächtige, alldurchdringende Wesen, qui omnia permeat, die geistige Gottheit. Wie frühe aber dieser Urbegriff verdunkelt oder erloschen war, läßt sich nicht sagen. Schon unter den Heiden muß jedoch neben der Bedeutung des mächtigen und weisen Gottes die des wilden, ungestümen und heftigen gewaltet haben; um so willkommener war es den Christen, die übele aus dem Namen Selbst hervorzuheben." Das Wort Vut, wahrscheinlich den Alamannen oder Burgunden in frühester Zeit abgelauscht, hat die romanische Sprache noch heute im Sinn von Abgott, Götze aufbewahrt.


3. Die Zauberweiber im Walde Sauvanelin.


Schriftlich.


L. Vulliemin, d. Kanton Waat.

In der Nähe von Lausanne ist ein Eichenhain, Sauvabelin genannt. In diesem Hain ist eine lichte Stelle, von der man den Leman überblickt. Vor Zeiten war hier ber Sammelplatz grauenvoller Zauberweiber, in der Landessprache Rortzén genannt, die hier Nachts bei dämmerndem Mondschein ihre schrecklichen Künste übten. Der Anblick dieser Zauberweiber war fürchterlich. Lange schwarze Gewänder umhüllten ihren mächtigen Leib. Der dürre Arm war entblößt, das Antlitz, von giftigen Vipern umzischt, bleich und düster. In der Linken gen sie einen goldenen Zauberstab. Ihr Hauptwerk war die Befragung der Todten, die sich ihren Beschwörungen, bei denen ihre Stimme vom leisen Gemurmel bis zum orkanähnlichen Geheul anschwoll, willig stellten; doch auch die Geister ferner Welten erschienen auf



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ihren Ruf und gaben Antwort auf ihre Fragen. Diese bannten sie, indem sie dreimal mit dem Zauberstabe ihr Haupt umkreisend, mit dreifachem Ring die Scheibe des Mondes umzogen. Nie hat jedoch ein Sterblicher einer solchen Beschwörung beigewohnt, aus der Ferne nur lauschte man angstvoll den Stimmen der Norton, wenn dieselben in Nächten, die dem Zauber geweiht, aus jenem Walde erschollen.Der Glaube an die Nortzn *) und ihre zauberhaften Handlungen in dem Sauvabelin **) erhielt sich bis zum fünfzehnten Jahrhundert. Offenbar war in ihm die Erinnerung an die Priester und Priesterinen der druidischen Lehre aufbewahrt, welche einst in dem Schatten dieses Waldes ihre Mysterien feierten. Augenblicklich ist jedoch das Andenken an sie in dieser Gestalt aus dem Volte verschwunden , sie sind jetzt zu Hexen (Moteintzas) und Hexenmeistern (Vaudais)***) geworden, die aber ihre Versammlung (Riola) unter dem Vorsitz des Teufels (Anchon) noch immer in jenem Walde halten, ein Glaube, der sich hauptsächlich noch unter den Bewohnern der eine Stunde von Lausanne entfernten Gemeinde le Mont findet, deren lebhafter Geist sich noch manche andere Spuckgestalt vormalt. So berichtet Vulliemin von kopflosen oder gehörnten Männern und von weitzen Frauen, die dort Nachts umherwandeln, von Schatten, welche um die Brunnen irren und in den benachbarten Häusern verschwinden, von einem gespenstischen Kinde, das seines Geschreies wegen der Greiuer (le pliorant) heißt, von einem bösen Geist, der die Kühe mit Stricken zusammenbindet und junge Männer nach dem Walde Sauvabelin entführt und sie zur Theilnahme an den Hexentänzen nöthigt, welche auf den Aesten der Bäume vollzogen werden. Auch auf dem Rasenplätze bei der Kirche zu le Mont sahen hellsehende Leute den Teufel bei Tanz und Schmaus sich lustig machen; im Winter läßt sich wohl auch öfters ein langbeiniger Mann sehen, der schnell über die Sraße und durch den Wald zieht ohne die geringste Spur von Fußtritten auf dem frischen Schnee zurückzulassen. Zahlreich sind auch die am Vieh ausgeübten Hexereien; allein mehrere Bauern wissen genug davon, um sie abzutreiben. (S. Vulliemin, Kanton Wagt, 2. Thl. S 124). 
*) Nortzé von Norne.
 
**) Der Sauvabelin war dem Belinus oder Belenus geweiht, daher silva belini, woraus der jetzige Name.
 
***) Vullemin Bemerkt: "Vielleicht von Wodan"


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4. Sagen vom grünen See.


Die Schweiz in ihren Ritterburgen.


I.

Früher herrschte auf dem im Untern-Drmundthale, bei dem Berg Chavonnaz gelegenen See Seray —welcher wegen seiner grünen Farbe, auch der grüne See" genannt wird — ein schneeweiß gefiederter Drache. Wenn er mit seinen langen, breiten Flügeln auf dem Spiegel dahinruderte, verschlang er alles übrige Geflügel — wilde Enten und Gänse —, was er auf demselben antraf, so daß binnem kurzen von solchen Nichts mehr zu sehen war; wenn sich aber junge und schöne Mädchen seinem Ufer nahten, da schwamm er langsam und hellsingend an das Ufer, um sie nicht zu erschrecken, und ass gar fein und zierlich den süßen Zieger oder den frischen Käs, den sie ihm darreichten, und entlockte seiner Kehle, während er die wunderbarsten Schwimmkünste machte, wie aus Dankbarkeit, die klarsten und süßesten Töne, bis er untertauchte und verschwand.


II.

In der Mitte des grünen See's liegt auf seinem Grunde ein Schatz von Perlen und Edelsteinen. Den hat dort die Tochter eines Edeln von Aigremont versenkt, als ihr Vater in einer Fehde mit den Wallisern begriffen war, und sie einen Ueberfall befürchtete. Später, als der Streit ausgeglichen war, fand sie den Schatz nimmer wieder.

Jetzt steht man sie, besonders wenn der Mond das Thal mit seinem Silberlichte füllt, an den Ufern des See's im Schatten daher schleichen. Man sagt, dies geschähe, um



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verhüten, daß der dort verborgene Schatz nicht in die Hände eines vorwitzigen Suchers fällt.Vergleiche Nr. 5 S. 206,


5. Pennetta, das Inselweibchen.


Vulliemin, der Kanton Wagt, S. 32,


Mündlich.

An den Ufern der Rhone hört man in dem Gesträuch, das dort wächst, oft ein Mitleid erregendes Aechzen und Stöhnen. Geht der Wanderer darauf los, so vernimmt er im Schilf ein seltsames Rauschen, das vor ihm her flieht; verfolgt er es schneller, so erblickt er ein Seines Weibchen, in weißem nassen Gewande und mit schilfgrünem Haar, das, wenn er näher kömmt, plötzlich vor ihm in das Wasser plumpt. Dieses Weibchen ist das Rhone- oder Inselweibchen, bei Jung und Alt unter dem Namen Fennetta bekannt.


6. Ghrebellhou, der Gnomenfürst.


Schuftuch.


Vulliemin, der Kanton Wagt.

Zu Vaulion im Kreise Orbe hält in der Nacht vor Weihnachten Grebellhou, der Fürst der Gnomen, in der Landessprache gommes genannt, seinen Umzug. Auf wunderbare Weise kommt er mit seiner Schaar Untergebenen daher, sämmtlich verkehrt auf kleinen weißen Schweinen sitzend,



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deren Schwänze statt Zäumen in den Händen haltend; nur er, der Gnomenfürst im rothen Purpurmantel und eine Krone auf dem Haupt, sitzt mit dem Gesicht nach vorwärts gewendet auf seinem Reitthier, das auch fast noch einmal so groß ist als das der andern. So reiten sie nach dem Jouxthal hinauf, wo sie das Gold in dem Dent de Vaulion hüthen. Da es aber ihrer viele Tausend sind, hört man das Schweinegetrappel auf der harten Landstraße schon aus weiter Ferne auf das Deutlichste. Jedem, der dies hört, ist jedoch gerathen , sich sofort umzukehren und zu warten, bis der Zug vorüber ist, denn sie lieben es nicht, von den Menschen gesehen zu werden und strafen neugierige Blicke mit augenblicklicher Blindheit. Davon weiß ein Bursche von Vaulion erzählen, welcher ein ganzes Jahr lang auf dem linken Auge blind war, weil er, da ihm der Zug zu lange gewährt, nur-ein klein wenig über die linke Achsel geschaut;


7. Der Kobold in der Blancherie unb die Diebswächter zu Renens, die Tçauce-villha und das Haus Kouairon.


L. Vulliemin, der Kanton Waat, S. 32 u. 170.

Zu Renens im Kreise Romanel spuckt in der sogenannten Blancherie ein Kobold, berüchtigt durch die schlimmen Steiche, die er spielt. Allen Wäscherinnen, welche später als bis zu einer gewissen Stunde beuchen, spritzt er siedendes Wasser in das Gesicht, daher dieselben, wenn diese Stunde geschlagen, gewiß auch kein Stück Wäsche mehr netzen. Auch will man dort von Geistern wissen, die mehr den Reichen hold, am Baume oder im Speicher die Hand des Diebes



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zurückhalten, daß er sein Gelüste nach fremdem Gut unbefriedigt lassen muß. Ein schrecklicheres Gespenst ist die Tçauceviliha, , die Hexenmutter, ein altes triefäugiges Weib, — das auf einem blinden, ausgemergelten Pferde umherreitet, immer darnach trachtend, sich Jemand zu nähern, um ihm den Fuß auf die Gurgel zu drücken und so den Athem zu versetzen. Nicht minder unheimlich ist die Vorstellung von dem Hause Kouairon, das mit Allem ausgerüstet, was nur unheimlich auf die kindliche Phantasie zu wirken vermag, eine Schreckensaufenthalt für böse und ungezogene Kinder ist.


8. Die goldene Kugel auf dem Kirchhof zu Cheseaux.


Schriftlich.


Vulliemin, Kanton Wagt. S. 37.

Im Kreise Romans zu Cheseaux zeigt sich dann und wann eine wunderbare Erscheinung. Eine große goldene Kugel , einer Weltkugel gleich, wälzt sich langsam und feierlich um den äußern Ring des Kirchhofs. Dies geschieht dreimal, dann verschwindet sie. Schon Viele haben das Wunder gesehen, was es aber bedeutet, weiß Keiner. Auch noch von anderen Dingen erzählt man Cheseaux. So geht im dosen Schlosse ein alter Herr um. Erträgt einen rothsammten Rock, weißseidene Strümpfe und Schuhe mit breiten glänzenden Schnallen und eine Lockenperücke, und auf den Feldern, Wiesen und in den Weinbergen spuckt der Kobold von Belair. Dieser zeigt sich bald als Schimmel ohne Kopf, bald als Irrwisch, bald als ungeschwänzter Hund und bald als Ziege. In letzterer Zeit ist er jedoch nicht mehr



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erblickt worden und es scheint als ob er mit den früheren Besitzern des Schlosses verschwunden sei.


9. Feensage der Ormonder.


Die Schweiz in ihren Ritterburgen.

Früher waren die Balmen *) der höchsten Felsen von Zauberinnen und Feen **) bewohnt. Dort hatten sie Grotten, mit Kristallen, Gold und Silber und mit allerhand köstlichen Steinen geziert, zu ihren Wohnsitzen. Helles Quellwasser, 

*) Balm, eine Höhle oder einen oben überhängenden Felsen bedeutend; ein uralt schweizerisches Wort rein celtischen Gepräges, das sich auch im Französischen, ohne das l in u zu verwandeln, erhalten hat, wie z. B. Balina in Languedoc, Balme in Dauphiné ec.
 
**) Daß der Name Fee sich von der Verkündigung des Schicksals (Fan, Fatum, Fata) herleitet, ward schon S. 316 angedeutet. Offenbar sind die Feen keltischen Ursprungs, dem sich später etwas von der Vorstellung von den Peris der Orientalen beimischte. Merkwürdig ist, daß der romanischen Bevölkerung, in der Schweiz sowohl, wie anderswo, die Feensage eigenthümlicher ist, als der germanischen, bei der sie mehr nacherzählt, als Produkt eigener Vorstellungsweise ist. Daß in ihnen sich die Erinnerung an die Druidinnen — an denen selbst die Römer die Gabe der Weissagung rühmten, eine Eigenschaft, die sich von der Gottheit (den Nornen) auf ihre Priester übertrug — erhalten, darin stimmen fast alle Forscher überein. Den Hauptbeweis hierfür liefern eben jene Grotten und Höhlen, welche der Volksglaube ihnen noch heute als Wohnung anweist und in denen wir fast durchgängig dem druidischen Kultus geweihte Stätten wieder erkennen müssen. Solcher Stätten sind in der westlichen Schweiz unter dem Namen la baume des Fées mehrere bekannt ; noch zahlreicher sind sie in Frankreich, das nach dem Mem. L Antiquaires de France, Tom. XVII, p.6 sq. in dem einzigen Departement de l 'Ardeche unter dem Namen Feenkammern (Chambres des Fées) und Feenöfen (For des Fées) an 140 besitzt. Auch offenbar künstliche Monumente aus der Druidenzeit gelten als Wohnungen dieser Wesen. Dieselben bestehen gewöhnlich aus rückwärts geschlossenen Hallen aus rohen Felsstücken, deren wagrechte Tafeln, eine Decke bildend, von senkrechten auf die schmale Seite gestellten, als Wänden, getragen werden. Der Franzose nennt sie Dolmen, der Engländer Cromlech, der Portugiese Anta. Ist das Monument groß, so trägt



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feine, feurige Weine waren ihre Getränke, Auerhähne, Haselhühner, Fasanen und junge Murmelthiere ihre Speise. Oft verlockten sie junge und wohlgestaltete Hirten in ihre Wohnungen, lebten dort in heimlicher Ehe mit denselben, lehrten ihnen die Heilkräfte der Bergkräuter und Pflanzen kennen, unterrichteten sie wie man verborgene Schätze entdecken und heben, Viehheerden vor Pest und Seuchen schützen, sich kugel- und eisenfest machen könne, und viele andere Geheimnisse und Künste. Wenn aber ein solcher Hirt, der sich ihrer Gunst zu erfreuen hatte, die anvertrauten Geheimnisse nicht zu wahren wußte, so lief er die höchste Gefahr von den Kobolden erwürgt oder in die Untiefen des Oldenhorns oder des Diablerets hinabgestürzt zu werden, wo seiner ein schreckbarer Hungertod harrte, und nur, wenn eine der Feen sich seiner erbarmte, und ein gut Wort bei den bösen Berggeistern für ihn einlegte, wurde er gerettet. Diese Feen sahen den gewöhnlichen Mädchen so ziemlich ähnlich, nur war ihre Haut 
es in Frankreich den Namen Feenschloß (Chateau des Fées), ist es klein, so heißt es Feenhütte (Cabane des Fées); ist aber von einem Solchen Monument nur noch eine Vorder oder Rückhand übrig, in der sich ein von Menschenhand angebrachtes rundes oder ovales Loch befindet, das die Fensteröffnung der ehemaligen Wohnung ist, so nennt man einen solchen Stein zum Unterschiede Lochstein (Pierre percée). Noch gehören hierher die sogenannten Feenhügel, welche das Volk ebenfalls von Feen bewohnt Sein läßt, obschon sie eigentlich heidnische Grabstätten sind, und die in Frankreich Montjoie, in England Barrow genannt werden, sowie die Straßen und Gärten der Feen. Druidenkreise genannt, welche eins mit den Hexentanzpläten sind. Endlich müssen auch noch die Feenspindeln (Quenilles a la bonne femme), Obelisken, deren sich die Riesenfeen (s. Seite 326) zum Spinnen bedient haben sollen, und die Schwungsteine (Pierres branlantes), ihr aus zwei Felsstücken bestehendes Spiel eug, von denen das obere Stück so gleichgewichtig auf das untere gesetzt ist, daß es ein kleiner Stoß in zitternde Bewegung setzt, — hier als Denkmäler eines einstigen druidischen Kultus erwähnt werden, an welche sich schließlich noch gewisse trichterförmige Gruben anreihen, welche man gewöhnlich an Bergabhängen und in der Nähe von Quellen und Bächen in größerer Anzahl beisammen antrifft, und deren Benennung im Französischen Mardelles, im Englischen Pennpits ist. (Mem. L Antiq. XIV, p. 144-163. Schreiber, hist. Tschb. 1846, S. 39.).


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rabenschwarz, wie die der Mohren in Agita und an ihren Füßen fehlte die Ferse. Ihr Kopfhaar aber war so dick und lang, daß sie damit ihren ganzen Körper wie mit einer härenen Kapuzinerkutte bedecken konnten. Jetzt steht man sie nicht mehr. Sie sind weiter gezogen, wohin weiß man nicht. An ihrem Fortzug soll ein unbändiger junger Geißhirt schuld sein, der ein solch Zauberweib hatte und es bei einem Wortwechsel , weil es, wie alle übrigen, sehr eigensinnig zanksüchtig und launisch war, mit dem Käsebrecher schlagen und zurechtweisen wollte. Das beleidigte die Fee, sie verließ den jungen Hirten, und mit ihr verschwanden auch alle übrigen.Eine der bekanntesten Feengrotten, in der Volkssprache cava di Fale genannt, befindet sich in dem reizenden Thale Vallorbes, das sich zwischen dem Dent de Vaulion und dem Mont d 'Dr hinzieht, und durch diese Berge von dem Jouxthale getrennt ist. Diese Grotte, deren Decke in eine spitzbogenähnliche Wölbung ausläuft, welche ihr das Ansehen einer gothischen Kirche gibt und die Höhe von tausend Fuß erreichen soll, besteht aus zwei Stockwerken, von welchen das zweite, in dem noch deutlich Spuren vorhanden, daß einst Wasser hier durchgerauscht, merkwürdiger, als das erste ist. Nicht weit von dieser Felsenhöhle sind die Eisenhammer von Vallorbes, zu welchen vor noch nicht zu langer Zeit die Feen während des Winters oftmals des Nachts, wenn die Arbeiter schlafen gegangen, herabgekommen sein sollen, um sich zu erwärmen. Ein wachsamer Hahn kündete ihnen da das Erwachen und Nahen der Arbeiter an, so daß sie immer Zeit gewannen, den neugierigen Blicken derselben zu entgehen; zur Sommerzeit aber pflegten sie, von zwei großen Wölfen gehütet, welche vorwitzige Lauscher in respektvoller Entfernung hielten, in dem schönen Bassin der Orbequelle zu baden, die in der Feengrotte selbst entspringt. Erst als ein junger Arbeiter aus den Eisenwerken in ihre Wohnung eingedrungen und an einer schlafenden Fee die Mißgestalt ihrer Füße entdeckt, sollen die gütigen Wesen von diesem Aufenthaltsort geflohen sein. In noch früherer Zeit, im vierzehnten Jahrhundert, erzählte man im Kanton Wagt auch von einer Fee mit diamantenen Augen, Wuivra genannt, welche Diejenigen bereicherte, denen sie wohl wollte, und die man noch heute in der Frunche-Comté, wie wir schon Seite 6 sahen, und so auch im Kanton Wallis als das, was ihr Name eigentlich bedeutet, als karfunkeltragende Viper (Vuivre) oder schätzehütenden


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Drachen kennt, von dem das Dorf Vouvry in diesem Landestheile seinen Namen haben soll. Ein lebhaftes Bild der gespenstischen Gestalten, mit denen sich die Phantasie der Bewohner des Kantons Wallis trägt, .entwirft uns ein Gedicht von I. I. Reithard, dessen Anführung ich mir nicht versagen kann, obschon Einzelnes daraus bereits Erwähnung fand. Es lautet:


Die Landesgespenster im Wallis.

Halt's Maul!" schrie Meister Nepomuk
Von seinem Schneidertische:
"Gespenster -, Geister -, Hezenspuk
Sind eitel faule Fische! —
"Glaub ' was du willst," versetzt die Frau,
Doch weiß ich, was ich weiß, genau!
"Schon seit acht Tagen hilft ein Geist
In Küche mir und Garten;
Die schwersten Werke thut er meist
Und weiß es abzukarten,
Daß, was mich sonst halb lahm gemacht,
Vollendet ist, eh' ich's gedacht!
"Ei," brach der Meister mürrisch los,
Den Burschen möcht' ich schauen;
Doch steht er, wie ich merke, blos
Im Dienst der Schneidersfrauen
Und überläßt dem Schneiderlein
Den Dienst der Nadel ganz allein.
"Mir ist es zwar so breit als lang —
Behalte den Gesellen;
Für eines nur, aus Wissensdrang,
Juckt s mich, ihn anzustellen :
Ich hätte gern um Mitternacht
Durch's Wallisland 'ne Fahrt gemacht!
"Es wimmelt ja zu dieser Frist
Von Teufeln und Gespenstern;
Sie hüten jeden Haufen Mist
Und schau 'n aus allen Fenstern.
Da wär ' ich dann in einem Rung
Der ganzen Sippschaft auf dem Sprung!
Der Schneider lacht's mit gellem Hohn;
Doch eine Stimm ', wie Seide,


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Ruft aus der Eck': "Da bin ich schon,
Zu Lieb Dir oder Leide
Gleich sind wir Wer Thal und Berg!"
Und vor dem Schneider stand ein Zwerg :
In rothen Hosen, gelbem Rock,
Auf dem Baret 'ne Feder,
Im Nacken gold 'nes Haargelock,
Die Fuß in blauem Leder,
Die Schelmenaugen schalkhaft -fromm,
  rief er: "Lieber Meister, komm!"
Dem Schneiderlein von Conthey fuhr
Es kalt in Herz und Magen;
Da schrie der Knirps: "So komm doch nur!"
Und packt ihn flugs am Kragen ;
Und durch die Luft trug ber Gesell
Den Nepomuk gen Monthey schnell.
Und Mitternacht ertönte g 'rad
Vom Kirchenthurme dröhnend,
Da saß der Schneider am Gestad
Des Viezeflusses stöhnend ;
Der Mond mit seinem falben Schein
Sah nicht, wie er, so grämlich d 'rein.
Und brausend über Stein und Stock,
Und schwarz kam's hergesprungen :
Das ist der große Geisterbock — *)
Nun frisch dich aufgeschwungen!
Das Zwerglein rief s. Gleichzeitig schier
Ritt Nepomuk das Riesenthier.
Das war der Böcke Fürst und Herr,
Die Bäume überragend
Und mit entsetzlichem Geplärr
Die Kreuz und Quere jagend;
Der Schneider, mit gesträubtem Haar,
Hielt schlotternd sich am Hörnerpaar.
*) 
Daß die Bocksgestalt Teufelsmaske ist, ward schon S. '2 angegeben. Auch bao Posterli (s. S, 18.) zeigt sich als siege. Ganz eigenthümlich lautet folgende Sage: "In dem Dorfe Waltensburg in Graubünden ist ein bestimmter Ort, wo zuweilen zwei Böcke Hols sägen. Daselbst soll eine Hert vergraben sein. Der Ort ist aber ughür (nicht geheuer)." Ernst Meier, deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche ec. S. 309.


Schw.Sagebuch-393. Flip

Und hinter ihm das Zwerglein, dicht,
Raunt ihm in's Ohr, das lange i
"Kennst du den Bock von Conthey nicht?
Und nicht die Lierreschlange,
Die dort, auf wüstem Haideplatz,
Bewahrt den alten Heidenschatz 2
Kaum war verhallt der letzte Laut,
Entstand ein gräulich Zischen,
Und der entsetzte Schneider schaut
Sich's ringeln aus den Büschen;
Ein Niesenwurm erhebt sein Haupt,
Das reichgekrönte, jach, und schnaubt.
Dampf wirbelt aus der Nase dick
Und aus dem Rachen Feuer,
Und nach des Schneiderleins Genick
Zielt, scheint's, das Ungeheuer.
In Herzensangst gibt Nepomuk
Dem Reitbock einen Fersendruck —
Der puhstet wild, und brausend geht's
Durch Aecker, Waiden, Forsten;
Des Schneiders Haar, zu Berge sicht's,
Wie aufgesträubte Borsten
Doch schnell erreicht er , im Sturm,
Sankt Moriz' grauen Klosterthurm.
Kaum sind sie vor dem Mauerkreis,
Glänzt auf bewegter Welle
Im Klosterteiche, silberweiß,
Ein todtes Stück Forelle.
"Sieh," wispert's in des Schneiders Ohr:
"So eben starb ein Herr vom Chor!"
Und plötzlich hub zu läuten an
Das Todtenglöcklein helle:
"Hier stirbt, muß dort ein Chorherr d 'ran,
Stets eine Teichforelle!"
Erklärt der Zwerg. Vom kleinen See
Schwenkt d'rauf der Bock gen Plannevet.
Welch' grause Schlucht! An steiler Wand
Sieht man Gespenster irren,
Die tragen aufwärts feinen Sand
In löchrigen Geschirren;


Schw.Sagebuch-394. Flip

Doch ach, am Ziel bleibt zum Gewinn
Den Armen kaum ein Körnlein d'rinn!
Dann jammern sie und klagen sie,
Umzischt von Höllenflammen.
Und, voll Verzweiflung, schlagen sie
Die Hände wild zusammen,
Und unter Pein, Geheul und Zorn
Beginnen sie ihr Werk von vorn.
Das sind," so raunt's dem Schneider zu,
Der reichen Leute Seelen,
Die hier sich ohne Rast und Ruh
Nun selbst vergeblich quälen,
Wie sie, von Stolz und Geiz verstählt,
Die armen Brüder einst gequält.
"So muß im Sod zu Sissery *)
Auch Kaiser Nero büßen;
Dort stöhnt er ärger noch, als die,
Und wird's wohl ewig müssen;
Er stößt, mit schaurigem Geschnauf,
Stets Blasen aus der Tiefe auf. 
*) Die Vorstellung, daß Tyrannei, Stolz, Habsucht und Wollust durch einen qualvollen Aufenthalt in tiefen Brunnen oder in Bergen gebüßt wird, ist rein christlich (s. Offenb. Joh. 9, 1-12); sie entspricht dem Glauben an die Hölle, die den Kirchenvätern nach dreifach ist und unter den drei Regenten: Lucifer, dem Fûrsten der Hochmüthigen (Jes, 14, 13), Mammon, dem Urheber des Geizes (matth. 6, 24), und Asmodi, dem Fürsten der Unzüchtigen (Tob. 3, 8), steht. So hüft auch — ganz ähnlich dem Kaiser Nero - Landgraf Ludwig seine Herrschsucht in einem Brunnen (f. Wolf, deutsche Sagen, Nr. 119) und von dem von den Pfaffen als Tyrann verschrieenen Bertolf von Zähringen erzählt die Mönchgsage; "Eines Tages wandelten ein paar Männer in der Gegend des Berges Giber, der, irren wir nicht, in Sicilien liegt und ein gewaltiger Vulkan ist, und hörten eine Stimme, die rief: Macht den Ofen zurecht." Dieser Ruf wurde noch zweimal wiederholt; nach dem dritten Male fragte eine andere Stimme: "Wofür denn?" und die erste Stimme antwortete: "Unser guter Freund kommt, der Herzog von Zähringen, der uns so viel Dienste schon erwiesen hat." Dag machte die Männer aufmerksam und sie zeichneten den Tag und die Stunde auf, wo sie die Stimme gehört hatten, und meldeten Alles dem Kaiser Friedrich, zugleich fragend, ob der Herzog Bertolf um die Zeit vielleicht gestorben wäre. Bald darauf hörten sie, daß das in der That war. Bertolf aber war ein unmenschlicher Tyrann und so geizig, das Keiner ihm darin gleich kam. Als er am Tode lag, trug er seinem Vertrauten auf, all seine Reichthümer auf einen Haufen zu werfen und zu verbrennen. Da fragten ihn mehrere, warum er das wolle, und er antwortete: "Wenn ich all die Schätze so lasse, wie sie sind, können sich meine lachenden Erben leicht darein theilen, sind sie aber zusammengeschmolzen, dann schlagen sie sich todt darum," (Caesar. heisterb. dial. mina. d. XII. c. 13.)


Schw.Sagebuch-395. Flip

"Und weiter unten, nah bei Ses,
Büßt für verruchte Thaten,
Den Reichen gleich im Plannevet,
Das Volk der Advokaten:
In der Aucenda best's den Graus
Verderblicher Gewitter aus.
"Wie hier der Reiche brennt und schmort
In heißem Sand und Gluthen,
Verkommt der Rechtsverdreher dort
In Nebel, Schlamm und Fluthen,
Dieweil er Luft und Wasser trübt,
Wie er's im Leben auch geübt."
Und wieder ging's in einem Ruck
Fort über Thal und Soye, *)
Und plötzlich sah sich Nepomuk
Am Hügel von La Soye,
Und ihm entgegen, roth von Haar,
Trat eine Jungfrau wunderbar.
Die seufzt: "Ich hoffte nur noch halb
Auf dich, mein Freund! und harrte;
Jetzt hebe flugs das gold'ne Kalb,
Das längst allhier verscharrte;
Drei Küsse gibst du mir, und dein
Wird gleich das Kalb zu eigen sein
"Ein gülden Kalb," fragt er, mein Kind?"
Die Stirne ganz entrunzelt —
"Vielleicht ward aus dem Kalb ein Rind!
Jauchzt Nepomuk und schmunzelt:
Nur her, du holdes Angesicht!
Mein altes Weibsstück sieht uns nicht!
Er spitzt sein großes Maul nach ihr —
Da wird ihr Mund zum Rachen,
Und vor ihm steht, voll Freßbegier,
Der gräulichste der Drachen.
Der Schneider gab — sein Schreck war gros
    Reitbock einen Rippenstoß.
Der bäumte sich und flog davon,
Wie Jägers Pfeil vom Bogen,
*) 
Walliser: Hügel.


Schw.Sagebuch-396. Flip

Und ist nach zwei Sekunden schon
In Sitten *) eingezogen;
Leis fragt der Zwerg: "O Schneiderheld!
Wie war's mit deinem Muth bestellt ?
Zwei Küsse noch, so hättest du
Den gold 'nen Hort genommen
Und wärst, wie manche andre Kuh,
Zu einem Kalb gekommen;
Der Drache war nur Trug und Wahn,
Er hätte dir kein Leid gethan.
"Nun aber halte dich bereit,
Vom Bock auf's Roß zu steigen;
Mir bleibt in gar zu kurzer Zeit
Noch Vieles Dir zu zeigen.
Da sind wir schon! Hier steht das Schloß
Und dort das Sedunenser Roß !"
Und wirklich, bei des Mondes Schein,
Steht's auf dem Platze mitten;
Statt zwei 'n hat blok ein-Hinterbein
Das Geisterroß von Sitten,
Schlank ist's, doch riesenhaft von Wuchs,
Zur hälfte Rapp ', zur Hälfte Fuchs.
Und mit geschwellten Nüstern schnob
Dem Bock es wild entgegen,
Und eine Funtengarbe stob
Von seines Hufes Schlägen;
Sein Auge rollt, sein Halshaar rauscht,
Als Nepomuk den Bock vertauscht.
Der Schneider hätt' es nie gethan,
Und d 'rum geschah's gezwungen:
Das Zwerglein sprang hinab, hinan
Und hielt ihn fest umschlungen:
So saß er plötzlich, unbegehrt,
Hoch oben auf dem Geisterpferd,
Es klapperte mit dem Gebiss-Ach
, ihm war nicht um Balgen! -
Am Ende schien's ihm gar gewiß,
Er sitz auf einem Galgen : 
*) Sitten, Sign, Sedunum, die Hauptstadt des Wallis.


Schw.Sagebuch-397. Flip

"Hu! hat man" — schrie aus Angst er laut
"Je ein dreibeinig Pferd geschaut?"
Da sing der Galgen eines Russ
Sich tanzend an zu regen,
Schoß hinter's alte Rathhaus flugs
Der Geistersau entgegen,
Die, riesengroß und riesendick
Dasaß mit grünem Funkelblick.
Welch ' Schwein! Der Leviathan Jobs
Mocht' gleiches Maß kaum segen;
Der dickste Rathsherr ist ein Mops,
Ein Knirps, ein Frosch dagegen —
Und hätt' er zwanzig Jahr mit Glanz
Justiz verwaltet und Finanz.
Dem Schneider bläst der Führer ein:
"Freund, laß dich nicht entmuthen
Das Roß von Sion, wie das Schwein,
Sind alte Höllenbruten,
Du schon in grauer Heidenzeit
Das Land durchzogen weit und breit!
Und wiehernd schoß das Roß fürbas
Und grunzend folgt die Bache;
Der Zwerg, der hinter 'm Schneider saß,
That eine gelle Lache:
Juheh, du wack'res Schneiderherz!
Guck hinterwärts! Guck hinterwärts!"
Der Meister wandte sich, und schau 1
Es folgt' in buntem Drange
Der schwarze Bock der Rathhaussau,
Dem Bock die Lierreschlange,
Dem Wum die Maid im rothen Haar,
Ihr: Plannevets Gespensterschaar.
Fast unabsehbar ging der Zug
In lichter Geisterstunde;
Der Chorherr von St. Moriz trug
Den todten Fisch im Munde,
Und Kaiser Nero, hoch zu Gaul,
Stieß Wasserblasen aus dem Maul.


Schw.Sagebuch-398. Flip

Zuletzt im Zuge, dick gedrängt,
Gewahrt der Geisterseher,
Die Häupter nebelhaft verhängt,
Den Schwarm der Rechtsverdreher:
Er kömmt von der Aucenda her
Schleppt Wasserschläuche zentnerschwer.
Und in gedankenschnellem Lauf
Ging's längs dem Strand der Rhone
Und dann zum Dörflein Leuk hinauf,
Der Schweizerbäder Krone;
Ein schwarzes Männlein sprang voran
Und pocht ' an allen Thüren an.
Hat dann an's Fenster Kopf um Kopf
Gelockt der arge Doppler —
Dann spottet er aus vollem Kropf:
Ich bin der Thürenföppler"
Legt euch nur frischerdings aufs Ohr
Und schnarcht im Frieden, wie zuvor!
Nun stampft heran ein scheußlich Thier,
Das aus den Nüstern rauchet:
O weh! das istder Geisterstier,
Der wilde Stier vom Zauchet ';
Die Hörner glüh 'n in rothem Glanz
Und eine Fackel ist der Schwanz.
Er läßt ein ehernes Gedröhn
Durch all' die Stille schallen,
Als sei er ganz entsetzlich höhn,
Im Zuge mitzuwallen ;
Worauf der Schneider, angsterfüllt,
Noch ärger denn der Ochse brüllt.
Und ohne Bleiben, ohne Statt,
Flog's fort in wildem sagen;
Bald hört der Reuter in Zermatt
Zwölf und drei Viertel schlagen —
Da plötzlich sprang in weitem Satz
Ein Esel auf des Dörfleins Platz.
Ein Esel, huh! ein Riesenvieh-Kein
Hof erzeugt es größer,


Schw.Sagebuch-399. Flip

Ein Esel, der entsetzlich schrie,
Ein wahrer Schreckeinflötzer;
Der langen Ohren Doppelmast
Maß ein Paar Schweizerellen fast.
Von Farbe war er heiterblau,
Von Wesen sehr manierlich;
Er sah hinauf zur Himmelsau
Und lauschte höchst begierlich
Und schlug mit Schwanz und Huf exakt
Zu einer Melodie den Takt.
Der Hausgeist sprach: Ein Esel zwar,
Und geht auf allen Vieren;
Allein er hört der Engel Schaar
Im Himmel musiciren
Und strebt dann selbst, von Lust berauscht,
Zu singen, was sein Ohr erlauscht.
"Bei Nacht pflegt er im Champésee
Das blaue Fell zu baden;
Und weil dein Dörflein in der Näh ',
Will ich ihn jetzt beladen
Mit unsrer Doppelkleinigkeit;
Das Thier ist flink und dienstbereit."
Und wie man einen Finger kehrt,
Ging rasch der Tausch von Statten:
Das Paar ritt für das Dreibein Pferd
Den Esel von Zermatten,
Ließ bald den Spuk weit hinter sich i
Herr Langohr rannte mörderlich.
Als er die kühle Flut erreicht,
Von Felsen rings umschlossen,
Schwamm er zur Insel federleicht,
Als hätt ' er Haifischflossen;
Dort stellten plötzlich, blos und baar,
Sich ein halb Dutzend Hexen dar.
Die tanzten wohlgemuth im Kreis
Und lärmten wie besessen;
Dem Schneider wurde kalt und heiß:
Die Weiblein sind zum Fressen,
Da mach ' ich gleich, nach wüstem Ritt,
Ein angenehmes Tänzchen mit!"


Schw.Sagebuch-400. Flip

— "Schön!" Wisperte das Zwerglein, "wär'
Nur Einer nicht erschienen:
Der Teufel von Corbachièr'
Ist mitten unter ihnen;
Er hält den Hexensabbat hier
Und assorirt sich kaum mit dir!"
— "Und wären tausend Teufel eier
  will ich Kühnheit zeigen!
Der Schneider schrie's, und, voll Begier,
Mischt er sich in den Reigen:
"Erlaubt, ihr Engel" sieht er fein,
"Von eurer Tanzpartie zu sein!"
Erst wird es ringsum grabesstill,
Doch ein gehörnter Bengel
Brüllt fürchterlich: "Du Schuft, ich will
Dir zeigen meine Engel!
Pack ' ihn beim Kragen, Salome!
Und wirf ihn hurtig in den See!"
Und eine derbe Braune faßt
Ihn rüttelnd an zwei Stellen,
Und schmeißt den ungebet 'nen Gast
Laut lachend in die Wellen.
Doch auf der Oberfläche schwamm
Der Schneider wie ein hohler Stamm.
            —
Nehmt Eure Besenstiele her
Und gerbt ihn durch nach Roten!
Hat Satan von Corbachèr'
Den Hexen d 'rauf geboten;
Und sieh, der Schneider wird gegerbt,
Bis rothes Blut das Wasser färbt!
D 'rauf steigen Nebel aus der Flut,
Ertosend, blitzend, rollend
Der Himmel setzt den Schattenhut
Rings auf die Felsen grollend;
Die Brandung schlägt an's Seegestad
Und speit den Schneider aus dem Bad.
Aufkeuchend zappelt er am Strand
Im weißen Schaumgefluder;
Und wieder faßt ihn eine Hand —
"Laß mich, du Hexenluder.


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— Ich eine Hexe ? EI so guck!
Bist du verrückt, mein Nepomuk?"
Der Schneider fegt die Augen aus:
"Bist du es, alte Schlampe ?
Besind ' ich wirklich mich zu Haus
Und nicht im See zu Champé?
Hab ' ich, statt dieses Wams gesäumt,
Blos einen wüsten Traum geträumt?"
Da kichert's hinter'm Ofen risch:
"O Held vom Bügeleisen!
Dein Leib nur lag auf diesem Tisch,
Die Seele war auf Reisen;
Sie hat geschaut ,o Nepomuk!
Des Wallislandes Geisterspuk."


10. Die Sage von der Königin Bertha.


Nach L. Vulliemin, der Kanton Waat, S. 17 und andern Quellen.

Im X. Jahrhundert herrschte über das Königreich Burgundien , zu dem damals auch das Waatland zählte, eine Königin, Namens Bertha. Das Volk nannte sie nur die Spinnerin oder die Demüthige, wie noch heute zu Peterlingen unter ihrem Bilde auf der Mauer der alten Kirche steht. Beide Namen gebührten ihr mit Recht, denn sie wohnte weder in einem prächtigen Palast, noch war sie von einem glänzenden Hofstaat umgehen, noch schmückte sie sich mit Edelstein und güldenen Gewändern, wie die Königinnen unserer Tage pflegen; einfach und demüthig wie die Hausfrau, von der die heilige Schrift sagt: "Sie steckt ihre Hand nach dem Rocken und ihre Finger fassen die Spindel; sie breitet ihre Arme aus ;u den Armen und reicht ihre Hände den Dürftigen" -so zog sie, den Rocken vor sich, auf ihrem Zelter



Schw.Sagebuch-402. Flip

spinnend durch ihr Reich und schlug bald dort, bald hier auf einem Bauernhöfe oder auf einer ihrer Meiereien, deren Ertrag sie auf das Genaueste bis auf die Eier im Hühnerstall kannte, ihr Nachtquartier auf. Eine wahre Mutter des Volkes frug sie aber auf solchen Zügen nicht nur dem Wohl und Wehe ihrer Landeskinder nach, sondern sie trieb auch da, wo sie Trägheit und nachlässiges Gebahren sah, mit mütterlicher Strenge zur Arbeit und rüstigerem Handeln an, so daß sich überall der Wohlstand des Landes mehrte und den zu seinem Flore nöthigen Lasten und Steuern, welche Königin Bertha nach seinem Ertrage vertheilte, ohne Mühe und Beschwerde nachgekommen werden konnte. Noch heute erzählen die Bewohner von Mont, oberhalb Lausanne, von der immer wandernden Bertha, und zwar nicht ohne Unwillen, sie habe, so oft sie vor einem Bauernhause Halt gemacht, sich jedesmal erkundigt. ob man ihrem Pferde Hafer oder Weizen gegeben, um so den Ertrag des Bodens zu erfahren und ihn nach seinen Erzeugnissen zu besteuern. Urbarmachung wüster Landesstrecken, Herstellung der Straßen, Gründung von Städten, Errichtung von Schulen und Klöstern und von Zufluchtsstätten für Arme und Kranke, das waren die Werke der guten und frommen Königin, welche, nachdem sie so, den Keim zu einer neuen gesitteten Gesellschaft legend, zur Vorsehung des Vaterlandes geworden, nun auch dessen Schild und Schirm ward, indem sie durch Erbauung fester Schutzwehren an seinen Grenzen dasselbe vor dem Einfall fremder Völkerhorden, der Ungarn und Sarazenen, zu schützen wußte. Auf manchem Hügel von den Alpen bis um Jura herab sieht man noch Vertheidigungswerke, an die sich der Name der Königin Bertha und die sie begleitende Sage knüpft. Eines derselben ist der Thurm von Gourze auf einem Vorsprünge des Jorat, nicht weit von Cully, den noch heute Bertha's Geist umschwebt, das Land


Schw.Sagebuch-403. Flip

schützend und segnend. Jeden Winter, wenn feuchte Nebel dem nassen Boden entsteigen und sich auf den Abhängen der Berge lagern, erscheint sie in weißem leuchtenden Gewande über seinem grauen Gemäuer und streut aus voller Futterschwinge die Saat zu einer reichen Ernte aus. Später zur Weihnachtzeit in der heiligen Christnacht durchzieht sie als Jägerin, ebenfalls im weißen Lichtgewande, einen Zauberstab in der Hand, begleitet von einer luftigen Schaar neckischer Geister, Ewen und Elbinnen, von dort aus ihr Reich, wie ehemals zu ihrer Lebzeit vor jedem Hause, vor jedem Hofe Halt machend, zu schauen wie es in oder auf demselben beschaffen sei. Wehe aber, wo sie nicht Alles in Ordnung findet, wo noch ungesponnener Flachs liegt, der Boden nicht gelüftet, der Keller nicht gegen eindringende Kälte geschützt, das Linnenzeug in den Kisten und Schränken nicht in Ordnung, , Speise - und Mundvorrath nicht an rechter Stelle aufbewahrt, Staub und Schmutz unter den Treppen und in den Ecken aufgehäuft, das Vieh in den Ställen nicht besorgt, nachlässige Knechte und faule Mägde, schmutzig und ungekämmt, in ungemachten Betten liegen, böse Kinder den Eltern ihre alten Tage verbittern oder von wo die alte Zucht und Sitte vielleicht gar gänzlich gewichen — dort läßt sie sicher als Zeugen ihres Besuchs ein strafendes oder mahnendes Zeichen zurück, die Zeit im neuen Jahre besser zu nützen, achtsam, fleißig und thätig zu sein und von dem Wege des Bösen um Guten wieder einzulenken, je nachdem, was sie vorfand, mehr oder minder strafbar war. Bald ist der ungesponnene Flachs unentwirrbar zu einem Knäuel geballt, bald sind die Bodenluken aus den Angeln gerissen, bald die Kartoffeln im Keller erfroren, bald ist das Linnenzeug in den Kisten und Schränken verstockt, bald der Mundvorrath verdorben, hald der Schmutz hinter den Thüren und aus den Ecken durch das ganze Haus verstreut, bald schreit und lärmt


Schw.Sagebuch-404. Flip

das Vieh in dem Stalle, daß Knechte und Mägde erwachen; die Bettdecken vom Leibe gerissen, schrecken sie auf und stürben schlotternd und zitternd vor Kälte nach den Ställen, im Glauben, der Marder sei unter die Hühner oder die Tauben gerathen oder der Stier oder ein Hengst habe sich losgerissen, nichts aber von alle dem ist geschehen: ruhig und still sitzt das Hühnervolk auf der Stange, nichts regt sich auf dem Taubenschlag, deutlich und vernehmbar schnarchend liegen Stier und Hengst auf ihrer Streu im tiefsten Schlaf, dem Zeichen eines guten Gewissens. Beim matten Scheine der Stalllaterne glotzen Mägde und Knechte sich da an, erschrocken fragend : was war das 2 Ein schallendes Gelächter gibt Antwort auf diese Frage: es war Königin Bertha's luftige Geisterschaar, die all' den Schabernack vollführt und nun desselben sich freuend mit ihrer Herrscherin weiter zieht. Also lebt Königin Bertha noch in dem Andenken-des Volkes segnend und mahnend, dem neuen Geschlechte noch heute was sie den dahingeschiedenen war : ein Vorbild des Guten.Ist im ersten Theil obiger Sage die historische Basis auch unverkennbar, so versetzt doch der Schluß uns auf rein mythischen Boden; denn jene Bertha, welche im leuchtenden Gewande über dem Thurm zu Gourze erscheint und zur Weihnachtszeit mit ihrer Elfenschaar das Land durchzieht, ist nicht mehr die spinnende Königin Bertha, Rudolph, des Heiligen, Gemahlin, sondern Frigga, Odins Gattin, welche von den alten Germanen auch Perahta, die leuchtende, glänzende, genannt wurde, ein Name, der sich später in Perchta und endlich in Bertha erweichte, wie sich aus Holda, einer andern germanischen Benennung dieser Göttin, die in der deutschen Volkssage so häufig auftretende Frau Holla (als identisch mit Bertha schon S. 94 und 184 angeführt) gestaltete. Frigga oder Freia *) aber, denn beide Namen sind eins, ist nicht nur die oberste der Asinnen und die Göttin der Liebe, sondern auch, gleich Nerthus 
*) I. Grimm hat Frigga und Freia etymologisch zu scheiden gesucht (s. seine deutsche Mythologie S 189), beide Mythen sind aber zu wenig abweichend, als daß sie eine Dialektverschiedenheit i ,ennen könnte.


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und Isis, eine zeugende und gebärende Erdgöttin, die man sich als Spinnerin vorstellte und der man als Attribut die Spindel, als Zeichen der Weiblichkeit beigab — eine Symbolik, welche auch die römische, griechische und indische Mythologie auf die Vertreterinnen des Princips der zeugenden Kraft anwandte, *) während seine männlichen Repräsentanten oftmals als Schmiede, mit dem Schwerte, dem Symbole der Männlichkeit, gedacht wurden. **) Freia ist aber auch Todtengöttin; ihr Reich heißt Folkvangr, Todtenwiese, wo sie die Seelen aller edeln und schönen Frauen empfängt, wie Odin die für die Geliebte oder für das Vaterland gefallenen Kämpfer in Walhalla aufnimmt, daher sie sich, wie dieser zum Anführer des wilden Heeres ward, in christlicher Zeit in die Anführerin (als Mondgöttin Jägerin gleich Diana) einer zur Weihnachtszeit spuckenden Geisterschaar verwandelte, die jedoch in der Volkssage oftmals auch ohne diese Begleitung erscheint, in welchem Falle sie dann jene Tod oder Leben verkündende gespenstische weiße Frau ist, welche wir, gleich Odin im Hans von Hackelberg (s. Seite 46), als Spuckgeist an fürstlichen Höfen in jener bekannten Bertha von Rosenberg historisirt wieder finden. Ebenso ist Freia aber auch die Stamm -Mutter aller jener weißen Jungfrauen, die der Volksglaube bald zur Mittag ., bald zur Abends oder Nachtzeit an Quellen, Brunnen und Flüssen bald spinnend, bald sich kämmend erscheinen läßt, da der Kamm, dem Attribute der Spindel entsprechend, ebenfalls als Zeichen der Fruchtbarkeit gilt, ***) als sie nicht minder in ganz gleichem Verhältniß zu allen jenen gespenstischen weiblichen Wesen steht, welche harrend auf Erlösung, als deren Lohn sie die von ihnen gehüteten Schätze bieten, sich den Sterblichen zeigen, denn diese Schätze sind nichts Anderes, als der im Schoße der Erde ruhende Ernteschatz, der unter der Obhut der Erdgöttin Freia steht, die, vom Christenthum auf ewig verdammt, nun ein der Erlösung 
*) Diana, welche als Geburten befördernde Mondgöttin mit Juno, weiche sich mit ihr in diese Wirksamkeit theilt, den gemeinschaftlichen Namen Lucina führt, nennt Homer die Göttin mit der goldenen Spindel (Iliad. 16. 184), während letztere Göttin als Juno Pronuba (Vorsteherin der Ehen) mit einem Spinnrocken abgebildet und ihre Tochter, die Geburtsgöttin Jlithya, als Spinnerin gedacht wurde. Ebenso stellte man sich die syrische Venus mit dem Attribut der Spindel vor ec.
 
**) Ich erinnere nur an das Schwert Freir's, des nordischen Ehengottes, das sich von selbst in Schwung setzt und aus seiner Hand gegeben zur Zeit des Weltuntergangs in dem Kampfe mit Surtur Ursache seines Todes wird. Das Weggeben des Schwertes ist das Entäußern der zeugenden Kraft, das Vergehen der Geschlechter, ohne welches ein Weltuntergang nicht denkbar.
 
***) Bei den Griechen war der Kamm der Liebesgöttin geweiht.


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bedürfender Spuckgeist ward. Dies Alles bestätigt hinlänglich, was S. 370 gesagt ward, daß in der spinnenden Königin Bertha, deren Zeitalter das Sprüchwort "zur guten alten Zeit, wo Königin Bertha spann," noch heute charakterisirt, sich Götter- und Heldensage vermischt, ebenso wie in jener andern dem Karlssagenkreis angehörenden Bertha mit dem Gansfuß, der Mutter Karls des Großen, neben welcher noch eine dritte Bertha, welche als Schwester des genannten Kaisers und Mutter des Ritters Roland in der Heldensage von König Arthurs Tafelrunde eine Rolle spielt, Erwähnung verdient. Die Erzählung von dem bei ihrer Heerde spinnenden Hirtenmädchen, das die Bertha unserer Sage reichlich beschenkte, ist bekannt, weniger die Antwort: "Die Bäuerin ist zuerst gekommen, wie Jakob hat sie meinen ganzen Segen mit sich fortgetragen," die den Edelfrauen des Hofes zu Theil geworden sein soll, als sie auf gleiche Belohnung hoffend am andern Morgen ebenfalls spinnend sich der Königin zeigten.


11. Der bestrafte Zöllner.


Vgl. J. J. Reithard, Geschichten und Sagen der Schwer S. 435.

In der Nähe von Vallorhes stand vor Zeiten ein wunderthätiges Muttergottesbild, bei dem von Nah und Fern fromme Beter, Wallfahrer und Pilgrime zusammenströmten, um Heil und Segen zu erflehen. Zu diesem Muttergottesbilde führte damals eine Brücke über die Doub, welche von den Benediktinermönchen des Klosters Romainmotier in Stand erhalten wurde, denen aber dafür das Recht zustand, von Jedem, der die Brücke passirte, einen Heller Zoll zu erheben, welches Amt ein von den heiligen Vätern eingesetzter Zöllner versah. Von einem solchen Zöllner geht nun die Sage, einst sei spät am Abend eine Jungfrau zu Roß an die Brücke gekommen und habe über dieselbe hinwegbegehrt, da sie aber vergessen, den üblichen Zollpfennig beizustecken, habe ihr der hartherzige Mann trotz ihrer Bitten und der Angabe ihres



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Vorhabens, sie wolle für ihre todtkranke Mutter daheim von dem Marienbilde Genesung erflehen, den Uebergang verwehrt. Da nun die Jungfrau gesehen, wie unnütz es sei, weitere Worte zu verschwenden, habe sie ihr Roß muthig zu einem kühnen Sprung angespornt und sei über die Brücke hinab in den Fluß gesetzt, um so sein anderes Ufer und ihr Ziel, das gnadenspendende Muttergottesbild, zu erreichen; mitten im Fluß aber habe Roß und Jungfrau die Strömung erfaßt und beide seien an den aus dem Wasser hervorragenden Felsenspitzen zerschellt und ohne Rettung untergegangen. "Schrecklich, so erzählt die Sage dann weiter, war aber die Strafe, welche den Urheber dieses traurigen Ereignisses ob seiner Hartherzigkeit ereilte. Jedesmal am Todestage der Jungfrau ward er um Mitternacht von Geisterhänden von seinem Lager hinaus an die Brücke gerissen; dort stand die durch ihn gemordete Jungfrau bleichen und blutigen Antlitzes im weißen Todtengewande, schwang sich auf seinen Rücken und trieb ihn mit scharfschneidendem Schilfrohr, das ihr als Gerte diente, im wilden Laufe hin nach dem Marienbilde. Dort verrichtete sie das Gebet, das ihr der Hartherzige bei Lebzeiten versagt, und kehrte auf gleiche Weise wieder zur Brücke zurück, wo sie von dem Rücken bes also gepeinigten Zöllners wieder im Wasser verschwand." "Nicht lange aber, so schließt die Sage, ertrug der Zöllner diese Strafe, nur noch zweimal hatte die Jungfrau auf seinem Rücken einen nächtlichen Ritt gemacht, als er vor der Zeit zum Greis geworden auch schon auf dem Sterbebette lag; erst kurz vor seinem Ende aber enthüllte er einem Klostergeistlichen die Ursache seines und des Todes der Jungfrau." Diesem Ereigniß zum Gedächtniß sah man noch vor einigen Jahren in der Kirche des Klosters ein geschnitztes Bild, das einen alten Mann auf Händen und Knieen und eine Jungfrau auf seinem Rücken vorstellte.


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12. Armer Mann vom Teufel verführt.


Vulliemin, Kanton Waat, S. 51.

Ein armer Mann, der den ganzen Tag über im Walde Reisig gelesen hatte, kehrte Abends spät mit dem schweren Bündel auf dem Rücken und sese große Armuth beklagend nach Haus zurück. Da plötzlich trat ihm ein schwarzgekleideter Mann in den Weg und bot ihm eine große Summe Geldes für seine Seele an. Entsetzt frug der Arme: wer bist du? — Der Teufel! so erschallte die Antwort. Da floh der Unglückliche, doch immer von Stund an, wo er ging und stand, trat ihm derselbe schwarze Mann in den Weg und wiederholte sein Anerbieten, So gedrängt und da seine Armuth von Tag zu Tag drückender ward, gab der arme Mann endlich nach. Da erhielt er von dem Teufel, denn Niemand Anderes war der Schwarzgekleidete, einen feinen Staub und eine schwarze Nadel, mit der er Menschen und Vieh tödten konnte. Das trieb er jedoch nicht lange, denn man faßte bald Verdacht, worauf er als Hexenmeister auf den Scheiterhaufen kam und verbrannt wurde.

Ist der Glaube an die Teufelsbündnisse des siebzehnten Jahrhunderts *) auch verschwunden, so ist jedoch die Erinnerung an die Person des 
*) Die Geschichte eines solchen Teufelsbündnisses, von dem Malleus maleficorum. . Lugduni 1614. T. I. p. 363 aus berner Akten aufbewahrt, hebt I. v. Görres in seiner christlichen Mystik bei seiner Abhandlung über die Zaubersage und dämonische Einflüsse ganz besonders hervor. In Bern, so lautet sie, hatte man einen jungen Mann mit seinem Weibe, beide Zaubers wegen, eingezogen und jeden Theil in eigenem Gefängniss eingeschlossen. Da sagte eines Tages der junge Mann: wenn ich meiner Vergehen wegen Verzeihung erhalten würde, dann wollte ich gern Alles, was mir vom Zauberwesen kund ist, offen auslegen, denn ich weiß, daß ich einmal sterben muß. Die Anwesenden erwiderten: daß diese Verzeihung ihm allerdings zu Theil werden solle, wenn er eine rechtschaffene Reue fühle, und nun gab er sich mit Freuden dem Tode hin und verließ die Wege früherer Ansteckung. Die Weise, sagte er unter Anderm, wie ich verführt worden bin, ist diese gewesen. Die Meister, die mich übernommen, haben mich an einem


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Teufels selbst in einzelnen Distrikten des Kanton Waat noch ziemlich lebhaft. Eine Masse verschiedenartiger aus dem Mittelalter stammenderSonntage: ehe das Weihwasser consecrirt worden, in die Kirche geführt und dort habe ich vor ihnen dem Herrn, seinem Glauben, der Taufe und der gesammten Kirche absagen müssen, dann aber dem Meisterlein, denn so und nicht anders nennen sie den Teufel, huldigen müssen. Sie gaben mir darauf aus einem Schlauche von einer Flüssigkeit zu kosten, und so wie ich davon zu mir genommen, fühlte ich in meinem Innern, wie die magischen Bilder in mich kamen und sich an die Gebräuche der Verbindung, die ich eingegangen, knüpften. In dieser Weise bin ich verführt worden, und so auch meine Frau, die ich aber so halsstarrig kenne, daß sie eher den Scheiterhaufen besteigen, als nur das Geringste von der Wahrheit entdecken wird. Es geschah, wie er gesagt, er selber starb mit großer Reumütbigkeit ; das Weib aber, durch Zeugen überwiesen, bekannte nicht das Geringste. Ferner erzählt I. v. Görres von einem Schweizer, Namens Abraham Pollier, der zuletzt als Dragoner in die Dienste des Grafen von Hohenlohe-Pfedelbach trat und das von ihm mit dem Teufel geschlossene Bündniß auf die schrecklichste Art durch Heimholung büßte. Schon lange im Verdacht eines solchen Bündnisses kündete derselbe am 4. April 1684 seinem Wirthe mit betrübtem Muthe an, er habe böse Zeitung erhalten, man werde ihn abdanken. Auf die Erwiderung: wie das sein könne, da ja der Krieg erst recht angehe? antwortete er: nicht mein Herr, sondern der Teufel wird mich abdanken, ich habe Geld darauf genommen! Auf weiteres Nachforschen erwiderte er: wie er mit ihm gegen Vorstreckung solchen Geldes einen Vergleich gestiftet; wollte er aber in Gemäßheit der Bedingungen desselben das Geld wieder erlegen, habe ihm allemal ein Thaler daran gefehlt. Am Abend desselben Tages, wo er also geredet, kam er nach Ausweis amtlicher Untersuchung aus dem Hause und dem Bette, wo er gelegen, hinweg, ohne je wieder heimzukehren. Nach denselben Amtsberichten hat man ihn am andern Tage in der Frühe in etlichen Flecken schreien gehört, also daß er um Hülfe gerufen, und auch zu Gott geschrieen, ihm aber Niemand zugelaufen. Als man daher sein Seitengewehr, Rock und Hut nahe bei Feßbach an demselben Morgen gefunden, seinen Leib hingegen nicht finden können; er aber gleichwohl auch noch an anderen Orten schreiend vernommen worden, so urtheilte man: daß er mit dem bösen Feind gerungen und endlich durch die Luft entführt sei. Später habe man ihn mit umgedrehtem Halse und blauen Flecken auf der Brust im Flusse gefundene und er sei dann unter dem Hochgerichte begraben worden. Aehnlich erzählt auch Tschudi in seiner glarner Chronik S. 632: Im Mai 1677 kam ein fremder Mann, der sich für einen Polaken und seiner Religion wegen für einen Manichäer ausgab, nach Glarus und brachte vor, er habe sich vor vielen Jahren dem Teufel ergeben und es wären ihm nur noch dreißig Tage über bis er von ihm hingerissen werden sollte, daher er sehr ängstlich um Hülfe und um Rath gebeten. Ob diesem Vorbringen war man zu Glarus nicht wenig erschreckt, daher man eilends den Mann gen Zürich recommandirte und ihn fortsendete; konnte aber nachmals nichts mehr von ihm erfahren, außer daß einige zerrissene Stücklein des Recommandationsschreibens, so man ihm mitgegeben, auf gewissen Abwegen in der Nähe von Zürich gefunden worden sein sollen. Vgl. Faust . S. 352.


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Namen, mit denen das Volk noch heute den Fürsten der Finsterniß belegt , sind das sprechendste Zeugniß hierfür. Da sich an diese Namen immer eine gewisse eigenthümliche Vorstellung bindet, kann ich mir die Anführung der hauptsächlichsten nicht versagen. Eine der 'gewöhnlichsten ist l'Anchon, der Alte, dann Grabbi, der Geizhals, Vita erotik, das Klauenthier, Tannai, der Höhlenbewohner, Niton, der Schlaue, und Maffi, der Böse; ferner: 1o Cassaron, der Allesbrecher, Loupgarou, der Währwolf , la Mano, das Gespenst, la Malabithia, das böse Vieh, l'Oze, der Vogel, 10 Tofron, der Herumstreicher, lo Grabethiou, der Allespacker, lo Kian-ne-l 'ou, den Niemand hört, 10 Schautairu, der Luftspringer, 10 Bocan, der Bock, und l'Otro, der Andere, wie er von furchtsamen Fluchern genannt wird. (Vgl. S. 130.)


13. Verdammte Säumer.


I. R. Wyß, Reise in das berner Oberland.

Auf der Furka zwischen Urseren und Oberwallis zeigen sich oftmals rothe Flecken in dem Schnee. Diese kommen von den Seelen trunkliebender Säumer, welche mit Saumrossen italienischen Wein Wer den Berg holen und oft durch Untreue oder Nachlässigkeit ihn auf dem Weg mindern lassen. In den Schnee gebannt, müssen die durstigen rohtfarbigen Seelen jetzt büßen, und dankbar wohl retten sie denjenigen auf gefährlichem und verirrlichem Pfade, der ihnen einige Tropfen des Rebensaftes, nach dem sie lechzen, geopfert hat.


14. Ein Geistlicher begegnet einer verdammten Marquisin.


I. R. Wyß, Reise in das berner Oberland.

Nicht weit vom Rhone-Gletscher begegnete einem frommen Geistlichen einstmals die Gestalt eines reizenden Weibes, welche



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ihm sagte, sie sei eine Marquisin, welche auf 3000 Jahre unter die Eiskuppe jenes Gletschers, noch mit vielen andern verbannt sei, welche wie sie, ihre Tage in zügelloser Ueppigkeit verlebt hätten.Der Glaube an das gespenstische Umgehen Verstorbener, ihr Gebanntsein an gewisse Orte zur Strafe für lasterhaften Lebenswandel hängt in engem Zusammenhange mit dem Glauben an die Unsterblichkeit und der Vorstellung von dem Zustande der Seelen nach dem Tode. Schon das heidnische Alterthum hatte die Meinung, die Geister der unbestattet gebliebenen Todten erschienen den Ueberlebenden, um sie an das Begräbniß ihrer irdischen Hülle zu mahnen; als strafende Vergeltung böser Thaten aber dachte sich das gespenstische Erscheinen der Todten erst der Aberglaube des Mittelalters . der diese Vorstellung aus den Lehren der alten christlichen Kirche und ihrer symbolischen Darstellung der Hölle schöpfte, mit der man sich hauptsächlich im vierten und fünften Jahrhundert beschäftigte und die Anlaß zu verschiedenen Meinungsäußerungen gab. So lag sie nach der Lehre des heiligen Chrysostomus außer der Welt, während sie der heilige Augustin in das Innere der Erde verlegte und ihre Oeffnungen die Vulkane sein ließ. Hier wurden die Seelen der Verstorbenen von Feuer hauchenden Engeln, von glühender, aber weder flammender noch leuchtender Hitze, von giftigen und fressenden Thieren, pestilenzialischen Ausdünstungen, von Eis und Kälte und anderen Martern gequält, welche Bilder die Hauptbasis der in unsern Volkssagen so häufig vorkommenden mit den Seelen der Dahingeschiedenen bevölkerten Schreckensorte sind, von denen diese Sammlung verschiedenartige Beispiele anzuführen hat. (S. S. 35 Nr. 8, S, 80 Nr. 39 u. 40, S. 81 Nr. 41, S. 162 Nr. i, S. 185 Nr. 11, S. 202 Nr. 3 ec. ec.) War man aber über den Ort, wo die Hölle sei, nicht einer Meinung, so herrschten auch über die Dauer der Höllenstrafen zweierlei Ansichten. Nach den Einen waren sie ewig, nach den Andern nicht. Dies währte bis in das fünfte Jahrhundert, in welchem die erstere Meinung die Oberhand gewann, die Kirche aber neben der Hölle noch das Fegfeuer erfand, in welchem die weniger verdammlichen Sünder bis zum Einbruch des jüngsten Gerichts eine peinliche Läuterung bestehen, die jedoch auch durch Fürbitte der Lebenden, hauptsächlich aber durch Messelesen verkürzt und gemildert werden kann — eine Lehre, welche dem Gespensterglauben neue Nahrung gab, indem sie durch die tagtäglich dem Volk in Bild und Wort vor Augen gerückten Leiden und Martern der im Fegfeuer auf Erlösung harrenden Dahingeschiedenen die Phantasie desselben erhitzte, in der nun die Geister der Verstorbenen, die


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Lebenden um Hülfe und Erlösung flehend, uner allen möglichen Gestalten auftauchten und so Anlaß zu allen jenen Erzählungen gaben, welche, zumeist mit heidnisch -mythischen Anklängen vermischt, einen Haupttheil unserer Volkssage bilden. Daß sich das schweizerische Volk die Firnen und Eisfelder seiner Gletscher gewöhnlich als Aufenthaltsort seiner Geister und Gespenster denkt, liegt in der Natur des Landes, ebenso wie, daß der Südländer seinen Vesuv und Aetna und der Nordländer die Dünen des Meeres mit ihnen bevölkert. Als ein anderes Beispiel gespenstischen Umgehens nach dem Tode reihe sich hier noch folgende freiburgische Sage an:


Die vier gespenstischen Sennen und ber Gemsjäger.


Bridel, Conservateur suisse Nr. XLIII. 1825.

Ein Jäger, einst auf der Gemsjagd auf dem Moleson von der Nacht überrascht, suchte, da es zu spät zur Heimkehr war, eine auf der Seite des Berges liegende Sennhütte auf. Da es schon Ende Herbst war und sämmtliche Sennen mit ihren Heerden längst zu Thal gezogen, war er nicht wenig überrascht, als er, jener Hütte sich nähernd, Stimmen und das Geläute von Kuhglocken vernahm. Neugierig trat er in die Hütte ein, wie aber war er erstaunt, als er vier Sennen in derselben antraf, welche er noch niemals in seinem Leben gesehen und von denen einer einäugig und einer lahm, der dritte aber auf Rücken und Brust einen Höcker hatte, während der vierte den Aussatz zu haben schien; alle vier aber waren gelb von Gesicht und runzlicht wie altes Pergament, dabei fehlte jedem der zweite und dritte Finger an der rechten Hand. Ihre Sprache, dem Jäger gänzlich unverständlich, glich dem Gekrächze der Raben zur Winterszeit. Nachdem sie den neuen Ankömmling einige Zeit von der Seite betrachtet hatten, luden sie ihn ein, auf einem dicken Holzblock in der Nähe des Feuers Platz zu nehmen. Dieser, obschon es ihm etwas unheimlich um's Herz war, folgte der Einladung , b hielt aber zur Sicherheit die Büchse zwischen den Beinen. Dies schien die Sennen wenig zu kümmern, ungestört fuhren sie in ihrer Arbeit fort. Erst machte man Käse, dann Zieger, von welchem sich schon ein Vorrath auf einem Balken der Hütte aufgerichtet vorfand. Als die Arbeit beendet, bot der Bucklige dem Jäger Brod und ein Stück Kuhfleisch an. Dieser, da er sehr hungrig, nahm das Angebotene, zog sein Messer aus der Tasche und schnitt sich von dem Fleisch einen Bissen ab, der Bissen war nicht größer als eine Fingerspitze; da jedoch sein Geschmack sehr fade war, murmelte der Jäger, wie man das häufig zu thun pflegt, wenn einem die Mahlzeit nicht mundet, still vor sich hin : das Salz fehlt. Kaum waren aber diese Worte über seine Lippen, so fingen die vier Sennen an auf


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schreckliche Art mit ihren Zähnen zu fletschen und den Jäger mit Blicken zu betrachten, als ob sie ihn verschlingen wollten. Da kam diesem die Idee, daß er nicht mit Christen sei, sich allen Heiligen empfehlend, machte er schnell das Zeichen des Kreuzes und plötzlich war Alles verschwunden , Sennen und Kühe, der Jäger war allein in der stockfinstern Hütte. Als er sich von dem gehabten Schrecken etwas erholt, warf er sich auf einen Haufen Heu, den er umhertappend in einer der Ecken der Hütte vorfand. Schlaf aber kam nicht in seine Augen. Am Morgen erst sah er, daß was er für Heu gehalten, ein Haufen Asche war und an der Stelle der Käse und der Zieger auf dem Balken der Hütte, die er am Abend vorher bemerkt, trockener Mörtel und faules Holz. Eiligst verließ er die Hütte und wendete seine Schritte dem Heimweg zu. Auf halbem Wege kam ihm einer seiner Knaben mit dem Rufe entgegen: Vater, denk' was diese Nacht mit Meriau (Miroir, der Spiegel, hier Name einer Kuh) vorgegangen, an dem linken Schenkel fehlt ihr ein Stück Fleisch, groß wie eine Fingerspitze! Da wußte der Jäger woran er war, ohne Zweifel war dies das Stück Fleisch, was er am vergangenen Abend in der Hütte auf dem Moleson gegessen, die Gespenster aber, so erzählte ihm später ein alter Mann aus seinem Orte, waren die Geister eines Kühers, der durch ein falsches Testament die Alp, auf der jene Hütte stand, sich anzueignen gewußt, und die seiner drei Zeugen, welche, durch Geld bestochen, wie er fälschlich geschworen, das Testament sei wahr, daher den vier Meineidigen auch die Schwurfinger gefehlt hätten.


15. Die Zirbelnüsse.


Mündlich aus Oberwallis.


Gebr. Grimm, deutsche Sagen.

Die Frucht der Arven oder Zirbeln, einer auf den Alpen wachsenden Gattung Tannen (Pinus cembra), hat einen röthlichen, wohl und süß schmeckenden Kern, fast wie Mandelnüsse sind. Allein man kann blos selten und mit Mühe dazu gelangen, weil die Bäume meistens einzeln über Felsenhängen und Abgründen, selten im Walde beisammen stehen. Die Bewohner geben allgemein vor : Die Meisterschaft habe diesen



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Baum verwünscht und unfruchtbar gemacht, darum weil die Dienerschaft zur Zeit, wo sie auf dem Felde fleißig arbeiten sollten, sich damit abgegeben hätte, ihres lieblichen Geschmacks wegen, diese Nüsse abzuwerfen und zu essen, worüber alle nöthige Arbeit versäumt oder schlecht gethan worden wäre.Die Erklärung naturgeschichtlicher Erscheinungen auf ähnliche naive Art, gewöhnlich in Beziehung auf Sitte und Volksreligion gebracht, liebten schon die Völker des Alterthums. In christlicher Zeit trägt diese Erklärung gewöhnlich einen legendenartigen Charakter, wie z. B. folgende Sage: "Als Christus einst über Berg und Thal reiste und die Kranken heilte, kam er durch einen Wald; da erkannten ihn die Bäume und neigten sich vor ihm zu Boden. Nur die Espe blieb aufrecht stehen. Da sprach Christus: Du sollst dich von nun an ewig mit allen deinen Zweigen bewegen, und auch im lindesten Winter sollen deine Blätter nicht ruhig bleiben! — Seitdem hat dieser Baum nicht Ruhe und seine Blätter flüstern und zittern bis zum jüngsten Tag." Reich an solchen Sagen sind vorzüglich die scandinavischen Volksstämme.


16. Das Paradies der Thiere.


Mündlich aus Oberwallis im Visperthale.


Gebr. Grimm. deutsche Sagen.

Oben auf den hohen und unersteiglichen Felsen und Schneerücken des Mattenbergs soll ein großer Bezirk liegen, worin die schönsten Gemsen und Steinböcke, außerdem aber noch andere wunderbare und seltsame Thiere, wie im Paradies zusammen hausen und weiden. Nur alle zwanzig Jahre kann es einem Menschen gelingen, in diesen Ort zu kommen und wieder unter zwanzig Gemsjägern nur einem einzigen. Sie dürfen aber kein Thier mit hinunterbringen. Die Jäger wissen manches von der Herrlichkeit dieses Ortes zu erzählen, auch daß daselbst in den Bäumen die Namen



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vieler Menschen eingeschnitten wären. Einer soll auch einmal eine prächtige Steinbockhaut mit herausgebracht haben.Vergl. S. 157 Nro. 17.


17. Der Kessel mit Butter.


Mündlich aus Oberwallis.


Gebr. Grimm, deutsche Sagen.

Unter einem Berg des Visperthales in Oberwallis soll ein ganzes Dorf mit der Kirche vergraben liegen. Die Ursache dieses Unglücks war folgende: Eine Bäuerin stand an ihrem Herde und hatte einen Kessel mit Butter, die sie auslassen wollte, über dem Feuer hangen, der Kessel war gerade halb im Sud. Da kam ein Mann des Wegs daher und sprach sie an, daß sie ihm etwas von der Butter zur Speise gebe. Die hartherzige Frau entgegnete: "Ich brauche Alles für mich selber." Da sprach der Fremde: "Hättest du mir ein Weniges nur gegeben, so würde ich deinen Kessel so begabt haben, daß er stets bis zum Rande voll gewesen wäre." Dieser Mann war Christus sewer. Das Dorf aber war seitdem verflucht, und wurde von einem Bergsturz überschüttet, , so daß nichts mehr davon zu sehen ist, als die Fläche des Kirchenaltars, der ehedem im Ort gestanden, über den fließt nämlich jetzt der Bach, der ehedem unter ihm hingeflossen und sich nun durch die Felsenschlucht windet.

S. Erläuterung S. 87 u. 203, deren Anwendung auf obige Sage eine weitere Erörterung unnöthig macht. Vgl. auch S. 21 u. 22.


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18. Das Muttergottes-Bild am Felsen.


Mündlich aus Oberwallis.


Gebr. Grimm, deutsche Sagen.

Im Visperthal an einer schroffen Felsenwand des Rätibergs hinter St. Niklaus stehet hoch oben, den Augen kaum sichtbar, ein kleines Marienbild in Stein. ES stand sonst unten am Weg in einem jetzt leeren Kapellchen, daß die vorbeigehenden Leute davor beten konnten. Einmal aber geschahs, daß ein gottloser Mensch, dessen Wünsche unerhört geblieben waren, Koth nahm und das heilige Bild damit bewarf; es weinte Thränen: als er aber den Frevel wiederholte, da eilte es fort, hoch an die Wand hinauf und wollte sich auf das Flehen der Leute nicht wieder herunter begeben, Den Fels-hinauzuklimmen und es zurückzuholen, war ganz unmöglich; ; eher, dachten die Leute, könnten sie ihm oben vom Gipfel herab nahen, erstiegen den Berg und wollten einen Mann mit starken Stricken umwunden so weit hernieder schweben lassen, bis er vor das Bild käme und es in Empfang nehmen könnte. Allein im Herunterlassen wurde der Strick, woran sie ihn oben festhielten, unten; u immer dünner und dünner, ja als er eben dem Bild nah kam, so dünn wie ein Haar, daß den Menschen eine schreckliche Angst befiel und er hinauflief: sie sollten ihn um Gotteswillen zurückziehen, sonst wär er verloren. Da mußten die Leute von dem Gnadenbild abstehen und bekamen es nimmer wieder.

Das Blutschwitzen und Thränenvergießen der Bilder Christi, der Mutter Gottes und der Heiligen ist durchaus keine neue Erfindung. Im Jahr 622 n. E. R weinte in dem Tempel des Apollo die Statue dieses Gottes vier volle Tage. Seine Thränen deuteten die Priester auf den Untergang Griechenlands, woher die Statue gekommen war. Aehnlich vergoß das Bild der Juno Sospita (Retterin) von Lanuvium, das sich noch heute


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im Vatikan befindet, Thränen im Jahr 570 n. E. R., und Blut schwitzte das Bild Merkurs im Jahr 659 der gleichen Epoche, nicht zu erwähnen einer Unzahl anderer Wunderzeichen, welche die Götterbilder der Alten zum Erstaunen des Volkes und durch die heute noch nicht vergessene Kunst der Priester von sich gaben.


19. Der Kirchenbau.


Schweizerischer Merkur. Jahrgang 1935, S. 365.

Nachdem Ulrich, Graf zu Neuenburg, die dasigen Prämonstratenser aufgehoben hatte, kamen einige Jahre später andere Mönche des gleichen Ordens ins Land, um sich daselbst anzusiedeln, und zwar in den schwarzen Bergen, wie man damals den Jura nannte; allein sie wählten eine Anhöhe in einer Fläche, nicht fern von der Stadt, woselbst man eine schöne Aussicht hat, die noch jetzt Fontaine-André heißt. Damals war aber das Land noch nicht so vortrefflich angebaut wie jetzt und wenig bevölkert, so daß ihnen die Bauern und Hörigen des Grafen und seiner Dienstmannen wenig helfen konnten; das thaten aber die Gnomen.

Eines Abends saß ein Mönch im Schatten der halb beendigten Pfeiler in der Kirche; der Himmel war dunkel, der Mond spielte mit seinen blassen Strahlen durch die Mauerwände, die nicht vollständig aufgeführt waren, durch die angefangenen Bogen, durch die Fenster ohne Gläser und formte daraus einen Reigen, den weiße und phantastische Geister vor den Augen des halbwachenden Klostermannes tanzten, der sich in eine andere Welt versetzt glaubte. Auf einmal erhellte ein glänzendes Licht das Innere der unvollendeten Kirche. Zahlreiche Berggeister, groß und klein, waren allenthalben beschäftigt, Steine zu zerspalten und zu behauen,



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Bretter und Latten zierlich zu schnitzeln, aber man hörte nicht das geringste Geräusch, weder das Klopfen des Hammers, noch das Zischen des Meißels oder des Stechbeitels. Die eichenen Bretter wurden rund oder geglättet, aber die bewegte Säge fraß das Holz, ohne zu schreien oder zu kreischen, und das Beil hieb stumm und lautlos. Die stille Arbeit rückte mit erstaunungswürdiger Geschwindigkeit vorwärts. Es war herrlich anzusehen wie unter den duftenden Händen der Bergmännchen und unter dem Sammet ihrer bunten und flatternden Fittige die Steine sich spitzten, abrundeten und kanteten, wie wenn des Abends der Wind am Himmel die Wolken in dünne, lange Streifen absondert, welche die letzten Strahlen der Sonne mit Gold und Purpur färbt.

Während mehrerer Nächte arbeiteten die Berggeister mit der größten Emsigkeit, und wenn am Morgen die Glocke die Mönche zur Mette und die Meister und Gesellen zur Arbeit rief, so fielen diese auf die Kniee und dankten den unsichtbaren Helfern, indeß die Prämonstratenser Lobpsalmen sangen.

Am Mariahimmelfahrtsfeste im August war der ganze Bau vollendet, mit den langen Gängen, Sälen und Zellen des Klosters, mit der prächtigen Kirche, ihren kühnen Unterbalken, ihren römischen Pfeilern, die den Füßen des Elephanten gleichen, ihrem Thurme, auf dem ein goldener Hahn wacht, ihren großen Glocken, ihrer zierlichen Rose, die einem glänzenden Sterne gleicht, ihren Bildern aller Art und Gattung, welche kränzend um die Säulchen laufen, in welchen Vögel nisten und hausen. Die Kirche wurde der heiligen unbefleckten Jungfrau geweiht, und auf dem reichlich vergoldeten Hauptaltare das erste Hochamt zu Ehren Gottes und seiner glorreichen Mutter gesungen.



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20. Der graue Hundedieb.


Mündlich aus Travers.

Einer aus dem Traversthale ging einst mit seinem Hunde auf die Jagd. Als er oben auf dem Ereni du Bent angelangt war, sah er einen großen Mann, der lehnte an einem Stein und war in einen weiten grauen Mantel gehüllt, wie man sonst zu Travers und in jener Gegend nicht zu tragen pflegt, über das Gesicht aber hatte er einen großen breitkrempigen Hut gedrückt, so daß dasselbe nicht zu erkennen war. Neugierig , wer das wohl sein möchte, ging der Mann näher und bot dem Fremden freundlich einen Gottesgruß. Kaum aber war der Gruß über seine Lippen, so erfaßte ihn ein Wirbelwind, drehte ihn wohl einige dutzendmal im Kreise herum und als er wieder zu sich kam, befand er sich tief unten im Thale an derselben Stelle, wo er am Morgen sich zum Frühstück gelagert, aber der Hund war nicht mehr bei ihm — auch hat er denselben nie wieder gesehen; dagegen behauptet der Mann, zur Weihnachtszeit, wenn der wilde Jäger mit Peitschenknall, Hurrahruf und Hundegebell über das Traversthal hinweggebraust, aus dem Lärm heraus ihn stets an der Stimme deutlich wieder erkannt zu haben, weil, sobald der Zug über sein Haus hinweggegangen, der Hund aus alter Anhänglichkeit jedes Mal etwas zurückgeblieben sei; daraus schließt aber jener Maun, daß der Graumantel auf dem Berge eben der wilde Jäger selbst gewesen und somit auch der Dieb des Hundes sei.

Ganz Aehnliches hörte ich auch im Kanton Baselland, bei Sebisberg. Hier mag die eigenthümliche Beschaffenheit des Creux du Bent *), von der *) 
Der Ereni: du Beni ist ein Felsenhalbkreis senkrechter Felsen, in weichem die Windströmungen eine Art Wirbel bilden, der ziemlich stark ist.


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derselbe seinen Namen hat, mit Anlaß zur Bildung der Sage gegeben haben, daß aber an den Windgott Odin zu denken, braucht keiner weitern Bemerkung. S. was in der Anmerkung S. 46 über ihn als Hut- und Mantelträger gesagt ward.


21. Die Unglücksbotin.


Schriftlich aus Neuenburg.

Noch Ende vorigen Jahrhunderts will man in den Staßen Neuenburgs jedesmal wenn der Stadt Feuersbrunst, Krankheit oder irgend ein ander Unglück bevorstand, ein Weib gesehen haben, welches ein blutgetränktes Tuch drohend in der Hand haltend dieselben eilig durchschritt und außen am See in einem flammenden Schein verschwand. Wohl nur Wenige wissen sich dieser Unglücksbotin zu entsinnen, doch hörte ich von einem hochbejahrten Mann, daß noch zu Lebzeiten seines Großvaters viel von ihr gesprochen worden sein soll.

An die unglückliche Wittwe jenes im Jahr 1412 zu Neuenburg wegen Fälschung enthaupteten Walther von Rochefort erinnernd, die, ihre Söhne durch Vorzeigen des blutigen Hemdes ihres Vaters zur Rache reizend, den im Jahr 1450 stattgehabten großen Brand, durch welchen fast die ganze Stadt eingeäschert wurde, veranlaßt haben soll, möchte ich die Vermuthung aussprechen, daß sich aus diesem Unglück und seiner angeblichen Urheberin die Vorstellung von der Unglück drohenden Erscheinung obiger Sage gebildet hat. Alles — das blutige Tuch, das Verschwinden am See, wo die ' nthauptung Walthers stattfand, Ereignisse, die sich zugleich mit dem Orte der Erinnerung des Volkes tief einzuprägen pflegen , läßt diese Hypothese nicht als ganz ungerechtfertigt erscheinen.


22. Die wunderbare Uhr.


Schriftlich.

Zu dem um die Mitte des 18. Jahrhunderts zu Lachaux-de-Fonds lebenden Jacques Droz, der berühmt durch



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seine Uhren und Automaten, kam einst der König von Spanien . Da zeigte Jacques Droz dem König eine Uhr auf der sich ein Neger, ein Hund und ein Schäfer befand. Die Construction der Uhr war aber der Art, daß wenn sie schlug, der Schäfer blasen anfing und der Hund schmeichelnd um denselben herumsprang, über welches Kunstwerk der König nicht wenig verwundert war. Da soll aber Jacques Droz zu dem König gesagt haben: Diese Artigkeit des Hundes ist dessen kleinstes Verdienst. Eiv. Majestät wage es einmal einen Apfel aus dem Korbe zu nehmen, der neben dem Schäfer steht, sicher, daß Sie dessen Treue und Wachsamkeit noch mehr in Erstaunen setzen wird. Als nun der König wirklich seine Hand dem Korbe näherte, um einen Apfel herauszunehmen , soll der Hund ihm wüthend entgegen gesprungen sein und so stark gebellt haben, daß des Königs Hund mit zu bellen angefangen und der ganze Hof sich bekeuzigend davon geflohen sei. Nur der Minister des Seewesens sei bei dem König geblieben. Da habe der König, der auf dieses Wunder nichts mehr für unmöglich gehalten, dem Minister befohlen, er solle den Neger fragen, wie viel Uhr es sei. Der nun habe dies auch in spanischer Sprache gethan, aber keine Antwort erhalten, worauf Jacques Droz ganz kurz die Bemerkung gemacht, der Neger verstehe nur französisch, welcher , als nun der Minister seine Frage in dieser Sprache wiederholt, auch sofort gar höflich erwiedert habe: Messieurs, troia heure moins un quart! Da sei aber auch der Minister mit dem Rufe: es ist der Teufel ! davongelaufen. Die Uhr wurde vom König gekauft und soll nach Madrid in den königlichen Palast gekommen sein. Jacques Droz aber kam wegen dieser Uhr in den Ruf der Zauberei.Eine ähnliche von Jacques Droz verfertigte Flötenuhr, die sich in der That im königlichen Palast zu Madrid befindet, mag zu obiger Sage, die sich auch in einem Jahrgange der Alpenrosen vorfindet, Anlaß gegeben haben.


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23. Der Richter von Bellenz.


Schriftlich. Vergl. Reithard, Geschichten und Sagen der Schweiz, S. 431.

Zur Zeit der Landvogtei Bellenz wohnte daselbst ein Richter, der sein Amt nach Gesetz und Recht, ohne Ansehen der Person übte und strafte, wo zu strafen war, gleich ob arm oder reich. Darob zog er sich aber die Feindschaft der Vornehmen des Landes zu, welche sich über dem Gesetz geglaubt und Ausschweifungen und Vergehen aller Art seither ungestraft verübt hatten. Da nun ihr übermüthiges und zügelloses Treiben nicht nachließ und sie Strafe auf Strafe ereilte, so beschlossen sie, den Richter zu tödten. Das sollte zur Zeit eines Gerichtstages zu Magadino geschehen, von wo derselbe nach beendigtem Gericht noch spät in der Nacht und stets allein nach Bellenz zurückzureiten pflegte. Und in der That hatten sich auch schon am nächsten Gerichtstage drei der vornehmen Mörder auf dem Wege von Magadino nach Bellenz, mit Dolch und Schwert bewaffnet, in Hinterhalt gelegt. Lange ließ der Richter auf sich warten. Endlich vernahm man den Schall von Rosseshufen; aber siehe! der Bedrohte kam nicht allein. Drei Jünglinge in silberleuchtenden Rüstungen, auf weißen Rossen, hellblitzende Schwerter in den Händen, zogen schweigend vor ihm her, und eine ganz gleiche Schaar deckte ihm den Rücken. Der Mordplan war vereitelt, aber nicht aufgegeben. Nicht lange dauerte es, so lauerten die Mörder wieder in ihrem Versteck; dieses Mal aber in verdoppelter Zahl, um den Beschützern, im Falle sie den Richter wieder begleiten sollten, gewachsen zu sein. Jedoch auch dieses Mal kam es nicht zur That; denn gleich ihnen hatte sich auch die Zahl der Jünglinge vermehrt, welche, gan; wie das erste Mal gerüstet, den Richter in ihrer Mitte, auf ihren schneeweißen Rossen an der erstaunten Mörderhände



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vorüberzogen. Mit der Zahl der Beschützer des Richters schwoll aber die Wuth und der Haß seiner Feinde; mußte man doch unter solcher Obhut seine Gerechtigkeit mehr denn je fürchten, daher der Mordplan auch fest beschlossen blieb und man zum dritten Mal an seine Ausführung schritt. Lagen das erste Mal nur drei, das zweite Mal neun Banditen im Hinterhalt, so waren es jetzt ihrer vierundzwanzig, welche dem Richter sammt seinen Begleitern Untergang und Verderben drohten. Aber o Wunder! ein ganzer Heereszug wohlgerüsteter Jünglinge, auf schneeweißen Rossen, wallte einher, den Richter in ihrer Mitte, welcher still und voll Nachdenken dahinritt, als ob ihm von seiner glänzenden Begleitung eben so wenig Kenntniß, als von der auf ihn lauernden Mörderschaar. Mächtiges Erstaunen ergriff da die Mörder. Wer waren diese Jünglinge, die von Neuem ihr verbrecherisches Vorhaben vereitelt? Hatte doch Keiner unter ihnen je einen derselben gesehen, weder zu Magadino noch zu Bellenz, noch sonst wo. Dies zu ergründen, folgten sie von fern dem im Mondlichte weithin schimmernden Zuge. Aber sieh! welch ' neues Wunder; kaum am Hause des Richters angekommen, zerfloß die Reiterschaar ein leuchtender Nebelstreif. Da erst erkannten die Verbrecher, welche höhere Macht den Richter in ihren Schutz genommen. Reuevoll gestanden sie ihr böses Vorhaben, das ihnen der Richter, sie der Gnade dessen überweisend, der sie davon abgehalten, verzieh.


24. Das Glücksschiff.


Schriftlich aus Genf,

Vor Zeiten erzählte man an den Ufern des genfer Sees viel von einem Schiff, das leuchtend wie die Scheibe des



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Mondes und von acht weißen Schwänen gezogen, sich auf seinen Wellen gezeigt haben soll. In dem Schifflein, das, so lautet die Sage, unter lieblichen Tönen, gleich denen einer Harfe, sich dem Ufer bald näherte, bald wieder von ihm entfernte, stand eine weißgekleidete hohe, wunderschöne Frauengestalt , umgaukelt von einer Schaar arter Kindergestalten, geflügelt gleich den Sylphiden oder Engeln. Wo aber das Schifflein das Ufer berührte, da prangte rings die Flur den ganzen Sommer hindurch in der üppigsten Fülle und sproßten die Blumen in duftiger Pracht wie nirgends sonst. Glück aber wem diese Erscheinung zu Theil ward, die Erfüllung des Wunsches, augenblicklich im Herzen gehegt, war die stete Folge solcher Begegnung. Dieses glückbringende Schiff ist jetzt leider vom See verschwunden, kaum noch, daß hie und da ein alt Mütterchen seiner erwähnt, wenn es von der Rosenzeit seiner Jugend erzählt, als noch ein sehnend Verlangen ihren Busen geschwellt und wie sie damals in mancher Nacht nach dem Schifflein geschaut, damit das junge Herz Befriedigung finde.Wie S. 341 in No. 18 bei jenem Glück oder Unglück verkündenden Wagen an die Hertha, so ist hier an die mit ihr identische Liebesgöttin Isis zu denken, der bei den Griechen das Schiff geweiht war. Auch Venus war eine segelnde, ebenso wie auch Freia, der nordische Liebesgott, ,meinem Schiffe, Skidbladnir, einherfuhr; offenbar war also das Schiff, ebenso wie der Wagen Hertha's ein Symbol vegetabilischer und animalischer Befruchtung.