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INHALTSVERZEICHNIS
Vom goldenen Zeitalter im Schweizerland 9
Vom Paradies der Tiere und vom Krämerlital 12
Wie das Dorf Bellwald seinen Namen bekam 14
Vom Laufenden Juden 17
Der Ewige Jude auf dem Theodulpaß 21
Der Heiland im Wallis 22
Der Gang ins Paradies 24
Der erleuchtete Senn 29
Der Kreuzstein 33
Der Schwarze Tod im Gorns 37
Blüemlisalp 44
Der Kornfluch 48
Der Untergang vom Rinderbühl 50
Die Sage vom Schafselbsanft 51
Mutteri und Fideri 51
D's Liecht im Häfeli 52
Der Unsegen in der Butter 53
Meier Waldis und der Berggeist 53
Der Hirt und die Riesen 56
Die goldene Glocke der Felsenjungfrau 60
Die Geister auf dem Langgletscher 64
Die schöne Büßerin 65
Schoch, schoch, d'Altschmidja spinnt noch! 68
Der Totentanz 70
Der Volkgang 73
Die Bergfrau und der Hirtenknabe 75
Das erste Alphorn 77
Dreierlei Milch 79
Wie einer das Geigen lernte 85
Das Abenteuer des Geigers 88
's Nachtvolk tanzt 90
Der Schuster von Kippel 91
Der Geißhirt und Krönleinschlange 95
Der Schlangenbanner 96
Die Schlange und das Kind 98
Die Schlangenkönigin 99
Der Venediger 101
Der Rabenstein 106
Das Schuldenbäuerlein und der Geldscheißer 108
Chämmi üff und niänä-n-ä! 112
Die Hexenäpfel 115
Der Stubetiknabe als Esel 117
Der Hexenritt 120
Das gefangene Toggeli 122
Die Hexe als Fuchs 124
Der Fuchs im Sack 125
Der Postli und die Katze 126
D'Hexa-Senneri 127
Die Nidelgret 128
Der Schuster und der Hexennidel 129
Der Säubur 132
Die singende Tanne 133
Der Stier von Uri 135
Der Sennentunsch 138
Der Tifol als Basi 142
Des Teufels Roß 146
Der Tüfel a's Tänzer 150
D'Chindsmörderi 151
Die tod Mueter und 's Büebli 152
Der Doktor Parazelsus und der Teufel 154
Der geprellte Teufel 159
Wie ein Bauer seine Frau dem Teufel verkaufte 160
D'Tifelsbrugg und der Tifelsstei 162
Der Kesseldieb 164
Der reuige Dieb 165
Der ungetreue Hirte 166
Die beiden Hirten 168
Die verwunschene Alp 169
Der dienstfertige Alpgeist 174
Der Ma im Mond 177
Der Verdingbueb ufern Älimig 178
Das Geistergoid 180
Die geschlachtete Kuh 182
Der verhexte Melkstuhl 185
Der Schuster und der Hausbutz 186
Die Rüfenhexe 187
Die Teilen im Berg 188
Der Grenzlauf 190
Getreu bis in den Tod 192
Das Gottesurteil 193
Es böses Heimcho 195
's Todtebeindli 196
Der Büßer 197
Der Todesengel 200
Die Geburtstanne 201
Der Glückstraum 203
D's ful Geishirtji 206
Wie der Bartolo den Hauszins zahlte 207
Die lindi Wolla 208
Vome-n-a schlaue Bürli 209
Vo eifältige Fraueline 214
Vom Brotässe 216
Die Käsprobe 216
Gudbrand vom Berge 217
Die drei Töchtere 222
Der Hirt und der Bär 222
D's Wetter ist guot! 224
Worterklärungen 225
Quellennachweise 233


Alpensagen-004. Flip

ALPENSAGEN


UND SENNENGESCHICHTEN AUS DER SCHWEIZ


NACHERZÄHLT VON C. ENGLERT-FAYE

BUCHCLUB EX LIBRIS ZURICH



Alpensagen-009. Flip


VOM GOLDENEN ZEITALTER IM SCHWEIZERLAND

In uralten Zeiten - so lang ist's her, es ist schon bald nicht mehr wahr - da gab es im Schweizerlande Birnen, die waren tausendmal größer als die, welche heute an den Bäumen hängen; das waren eben die überwelschen Birnen. Wenn dann so eine überwelsche Birne abgefallen war, wurde sie in den Keller gerollt, und da zapfte man ihr den Saft ab, und der Spund lief alle sechs Werktage und den Sonntag dazu bei Tag und bei Nacht. Zwei Männer sägten mit der großen Waldsäge den Stiel ab und fuhren ihn mit vier Rossen in die Sägemühle, allwo die Bretter für das Täferholz daraus geschnitten wurden.

Da wuchs auch im Guggernell einmal eine so große Erdbeere, daß die Sennen und ihre Säue einen ganzen Sommer sich daran letzen konnten. Als aber die Erdbeere im Herbst vollends reif geworden war, fiel sie ab dem Stengel und rugelte die Halde ab und drückte noch eine Staffelwand ein.

Im Thurgau gab's Weinstöcke, die trugen Trauben, daran die Beeren so groß waren, wie heutzutags die größten Mostäpfel. Einem Weinbauer, der den Segen des Wümmet eben heimführte, fiel einmal eine Traube ab dem Wagen und kam unters Rad. Es tat einen Ruck, daß der Mann vom Bock fiel. Erschrocken schaute er nach, was im Weg gelegen sei. Da sah er die Traube, hob sie auf und sagte: «Gottlob, 's hät ka Beeri vertruckt !»

Das war halt dazumal, als es noch Riesen und Zwerge im Lande gab; da hatten die großen Leute im Simmental und auch anderwärts einen Schlag Rinder, der war für alle Ställe zu groß. Drum ließ man das Vieh stets im Freien. Und Hörner hatten die Kühe, die waren so lang, wenn man um Ostern hineinblies, so kam der Ton um Pfingsten heraus. Wie die Tiere fraßen, du glaubst es nicht! Einmal stand eins nahe am



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Ufer des Rheines und war eben dran, den ungeheuren Berg Grünfutters zu verschlingen, der ihm zur Morgenfütterung aufgeschüttet war. Aber im besten Fressen wurde es von den Bremen heftig geplagt, und wie es nun mit dem Kopfe abwehren wollte, da schlenkerte es in einem Male so viel Futter über den Rhein, daß die Feuerthaler drüben sieben große Fuder davon laden und heimführen konnten.

Im bernischen Dorfe Meichnau war dazumal eine riesige Kuh. So groß war sie, wenn man sie molk, standen die vorderen Beine im Guger und die hinteren im Bottmet. Beide Orte liegen wohl eine halbe Stunde Weges voneinander. Bei der Mühle lag ein Weiher, den die Kuh jeden Morgen und Abend mit Milch frisch füllte. Eine andere stand im Oberried und konnte über den Gletscher der Pleine Morte im Wallis Heu fressen. Wenn sie ein Maulvoll zurückschleuderte, war's genug, um damit drei Geißen einen ganzen langen Winter durchzufüttern.

Viel Sorge machte es den Leuten dazumal, die Milch aufzubewahren. Die Kühe waren nämlich so groß, daß man Teiche graben mußte, um die viele Milch, die sie gaben, darein zu melken. All Abend fuhr dann der Sennenbub in einem Weidling in dem Teich herum und schöpfte den Rahm ab. Die Umfassungsmauern und die Treppenstufen, die zum Milchsee hinabführten, waren aus Käslaiben gemauert, die so groß waren, daß drei Mähder darauf ihre Sägessen dengeln konnten, ohne daß einer den andern hörte. Und den vorigen Anken füllte man in hohle Eichbäume.

Eines Morgens aber trieb's ein Hirtenbub auf dem Milchweiher zu unachtsam und stieß mit seinem Weidling gegen einen Ankenballen; das Schifflein kenterte, und der Bub ertrank. Die Burschen und Mädchen des Tales trauerten um ihn und suchten lange seine Leiche, um sie zu begraben. Aber erst nach einigen Tagen beim Ausbuttern kam sie hervor, mitten im



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schäumenden Nidel eines Butterfasses, das so hoch war wie ein Turm. Und man begrub ihn in einer gewaltigen Wachshöhle, welche von den Bienen mit Honigscheiben war ausgekleidet worden, und jede Wabe darin war größer als die Stadttore zu Freiburg und Brugg.

Auf dem Weißenberg hatten die Sennen ein so großes Käskessi - wenn sie's auswaschen wollten, so mußten sie einen Esel hineinstellen. Dem banden sie je einen Gescher unten an die Hufe, dann trieben ihn die Küher so lang im Kessi rundum, bis es blitzblank gescheuert war.

Heute ist von all der Herrlichkeit nichts mehr übrig als jener gewaltige Ankenklumpen, der noch allenthalben im Gebirge steht, aber in eine spitze, weiße Fluh verwandelt ist, daran die Sennen ihre ärmlichen Hütten bauen.



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VOM PARADIES DER TIERE UND VOM KRÄMERLITAL

Es ist eine uralte Sage, daß in den Bergen, wo sie am höchsten sind, ein einsamer wilder Wald steht. Niemand betritt ihn; denn der Wind hat vielhundertjährige Tannen umgestürzt. Die liegen in einem undurchdringlichen Gewirr durcheinander, von Moos und Flechten überwachsen, und vermodern langsam. Dorthin fliehen die wilden Tiere, die den nachstehenden Menschen entrinnen. Wenigen Jägern nur ist es gelungen, nach diesem Walde vorzudringen; denn die Zugänge sind verborgen. Hinein ist noch keiner gekommen; denn der Wald ist geschützt durch einen Bann, den niemand zu brechen vermag.

Hinter dem Walde aber tut sich ein weites grünes Tal auf, hell und lieblich zu schauen. Ewig scheint dort die Sonne, und an den Halden haftet kein Schnee und kein Eis. Auf den unersteigbar hohen Kulmen weiden ganze Herden von Gemsen und Steinböcken zwischen Felsen und Firnen. Es ist das Paradies der Tiere. Nur alle dreimal sieben Jahre darf ein Mensch



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diesen gefriedeten Ort schauen, und unter zwanzig kühnen Jägern ist es einem einzigen nur vergönnt. Aber keiner darf ein Tier erlegen. Einmal nur hat einer eine prächtige Steinbockshaut von dort mitgebracht. Ein jeder aber, der dahin kommt, schneidet seinen Namen in die mächtigen Stämme der Bäume. Arvennüßlein darf man essen, die schmecken so süß und lind wie Mandelkerne.

Einmal ging ein Mann auf die Jagd. Er sichtete ganze Rudel von Gemsen und schoß mehrmals, traf aber keine, und war doch sonst ein guter Schütze. Er verfolgte die Tiere über alle Gräte schattenhalb bis auf die Moränen des hintersten Gletschers. Auf der äußersten Spitze saß er ab und glaubte, er könne nicht mehr weiter gelangen. Die Gemsen sah er nicht mehr, aber ganz nahe vor seinen Augen tat sich ein Tal auf, von einem klaren Bach durchströmt, mit niedrigen braunen Alphütten, deren kleine runde Scheiben in der Sonne blinkten. Auf den frutigen Matten des Talbodens standen Apfelbäume mit ausgereiften roten Früchten. Auf dem Weglein zwischen den Häusern gingen steinalte Leute einher, und die Gemsen, die er verfolgt hatte, leckten einem wohl zweihundertjährigen Greise das Salz aus der Hand. Kein Mensch hätte lebend da hinab gelangen können, senkrecht gingen die glatten Felswände in die Tiefe.

Der Mann traute kaum seinen Augen, und wußte nicht, was das alles zu bedeuten hatte, und kehrte ins Dorf zurück. Dort war ein hochbetagter Pfarrer. Zu dem ging er und erzählte ihm, was ihm begegnet war. Der holte ein altes Buch, in verschrumpfeltes Schweinsleder gebunden, blätterte darin nach und las. Dann aber sprach er: «Jage solche Tiere nicht mehr, denn sie gehören ins Krämerlital. Das Krämerlital aber hat Gott der Allmächtige als Ort des Friedens erschaffen für alle Geschöpfe, jung und alt, Mann und Weib, die der Zuflucht bedürfen vor dem gewaltsamen Drang der Welt.»



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WIE DAS DORF BELLWALD SEINEN NAMEN BEKAM

In jenen weltenalten Tagen, als die Erde eben erschaffen worden, sprach eines schönen Morgens Gottvater zum Erzengel Michael: «Schnüre dein Bündel und steck hinein, was dir und mir zu einer weiten Reise nötig ist; denn ich will ausgehen und mir beschauen, was ich geschaffen habe, und du magst mich begleiten.» — Das ließ sich der heilige Michael nicht zu zweien Malen sagen, mit Freuden tat er, was ihn der Herr geheißen.

Bald fuhren die beiden himmlischen Pilger die Weite und Breite durch alle Länder der Erde und beschauten das Werk der Schöpfung, und alles schien ihnen wohlgetan. Der heilige Sankt Michael aber war vor übergroßem Wundern und Staunen lauter O und A! So wanderten sie selbander alsgemach durch das blühende Land Italien herauf und stiegen langsam über den Albrun ins Wallis hernieder nach dem armen Gorns. Da klaffte eine baumlose, wilde Klamm jenseits Aernen, an deren nackten Felskanten die Wasser der Rhone sich brachen, und droben dehnte sich eine öde Steinhalde, bar gebrannt von der Sonne. Und hier zum ersten Male auf der ganzen Wanderung verließ den Erzengel sein Staunen und er sprach: «Traun, dieses haben deine Hände nicht vollendet, Herr 1» — Gottvater verzog die Brauen und gab zur Antwort: «Nun, was nicht ist, kann allemal noch werden. Schau !» Und alsobald waren Tobel und Halde mit einem gewaltigen Walde bekleidet. Taufrisch standen die Bäume und rauschten im Morgenwinde. Und der heilige Michael stand still und staunte.

Wie aber die beiden Wanderer gen Aernen kamen, da erschollen in allen Dörfern weit im Rund die Sturmglocken und brüllten die Harsthörner. Aus allen Häusern stürmten schreiend in wildem Lauf bewaffnete Mannen. «Was gibt's, was



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gibt's?» fragte der Herrgott einen Bauer, der eben vorübereilte. «Ja, was gibt's wohl?!» rief jener und rannte zu. «Hast du denn keine Augen im Kopfe, oder siehst du vor lauter Bäumen den Wald nicht, der da drüben aufs Mal aus dem Boden geschossen ist? Der muß unser werden, eh ihn die andern für sich nehmen!» Und fort war er wie's Bisiwetter. «So also pfeift hier der Wind», sprach da Gottvater zum heiligen Sankt Michael, «sieh zu, zuletztamend werden wir zum Dank für das gewirkte Wunder noch müssen richten und schlichten gehen und uns blutige Köpfe heimholen, denn diesem Volk ist's schwer recht zu machen.» Also schritten sie geradenwegs dem neugeschaffenen Walde zu; der widerhallte bereits von Kriegsgeschrei und Kampfgetümmel. Gottvater aber trat mitten unter die Streitenden: «Hört, Leute», sprach er gütig, «ich will euren Streit schlichten zu eines jeden besten.» Die aufgebrachten Bauern murrten und knurrten zuerst noch eine Weile, gaben dann aber Ruhe, und Gottvater waltete seines Amtes als Richter. Er teilte jedweder Gemeinde ein Stück des Waldes zu, wies gerecht war und billig, und alle waren des wohl zufrieden.

Als die beiden Wanderer nach vollbrachtem Werke talaus zogen, da schauten sie bei Lax noch einmal hinter sich ins Tal zurück. Da fragte aufs Mal der heilige Sankt Michael: «Aber was ist denn das für ein Dorf dort oben?» — «Welches?» fragte der Herr. «Das dort ob dem Walde, den du heute erschaffen.» Und er deutete dem Auge des Herrn mit dem Finger den Weg. «Welcher Teil war diesem Dorfe zugesprochen?» — «E, wo bin ich nur mit meinem Kopf gewesen», erwiderte Gottvater und schüttelte bedenklich sein Haupt, «wahrlich, dieses Dorf habe ich übersehen. Aber es sei. Die Leute sind selber schuld, warum sind sie nicht wie alle andern zur Verteilung gekommen? Gewiß aus Faulheit oder Furcht!» Dann aber sann er lange nach und endlich



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sprach er: «Aber gerecht ist's gleichwohl nicht, daß mein Segen allen andern frommen soll, nur einzig diesen nicht. Vom Walde freilich kann ich ihnen nichts mehr geben; der ist und bleibt verteilt. Drum möge ein guter Name den Schaden heilen, den ich im Vergeß ihnen angetan. Ihr Dorf, es heiße fürder: Bellwald.»


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VOM LAUFENDEN JUDEN

Der Schuhmacher Ahasver kam eben von einem Gang in die Stadt zurück, ein Paar zerrissene Schuhe über den Arm gehängt, zwischen den Fingern einen Groschen drehend, den er für seine Arbeit von dem Kunden erhalten hatte. Wie er eben über die Schwelle seiner Werkstatt treten wollte, wälzte sich in dichtem Gedränge ein johlender Volkshaufe die Straße herauf. Ein blasser Mann, über und über mit Blut bedeckt, schleppte, von rohen Kriegsknechten mit Flüchen und Fußtritten getrieben, ein schweres Kreuzholz zur Richtstätte. Nahe am Hause des Meisters strauchelte der Gepeinigte und brach unter der Last zusammen. Mit Stockschlägen und Lanzenstößen trieben die Soldaten ihn wieder auf, und die Menge schüttelte die Fäuste und schrie Hohnworte. An Ahasvers Haus vorüberschwankend, sank der Erschöpfte abermals in die Knie, aber mit tastender Hand stützte er sich gegen die Wand und hielt sich am Türpfosten fest. Ahasver, der auf der Schwelle stand, stieß ihn mit harter Faust von der Mauer fort. Da rief eine Stimme: «Wehe, wehe, wandern wirst du, solange die Welt währt, bis ans Ende der Zeiten zum Jüngsten Tag!» Und zur selbigen Stunde trieb es den Juden stehenden Fußes von seiner Heimstatt, ohne Abschied von Weib und Kind. Er hat sein Haus nimmer betreten.

Tag und Nacht lief er ziellos in die Welt hinaus; und nimmer sollte er weder Rast noch Ruhe finden, wohin er auch seinen Fuß setzen mochte, und keine Stätte auf Erden, sein Haupt hinzulegen. Und selbst wenn er einen Imbiß nahm, so schlang er die Brocken hastig im Gehen und Stehen hinunter. Und noch immer baumeln ihm die Schuhe über den Arm herunter, und in der Hand hält er jenen Groschen noch. Der ist sein einziger und letzter Zehrpfennig. Er wechselt ihn nie, und wo er hinkommt, verzehrt er nur diesen. Aber allemal,



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wenn er ihn ausgegeben hat, läuft er dreimal um den Tisch herum, und er klimpert ihm wieder in der Hand. Ururalt ist der laufende Jude zu schauen und riesengroß, mit langem, wehenden Bart, der ihm bis zu den Knien herablampt. Und angetan ist er in einer seltsamen Tracht, ganz zerschlissen und zerrissen, wie kein lebender Mensch sonst sie trägt in keinem Lande. Sein Schatten aber reicht weiter als Menschenmaß.

Auf seinem ewigen Irrgang, ruhelos die weite Welt durchwandernd, kam Ahasver einst auch ins Alpenland. Die Berge übersteigend, wo sie am höchsten sind, ging er über die Grimsel. Rhone und Aare strömten, ihren Quellen entspringend und alle Gewässer sammelnd, vollen Laufes talab, der Ebene zu. An den Bergen zogen sich sonnenhaib üppige Rebengelände. Eichenhaine und Buchenwälder wiegten die Wipfel im Winde, belebt von Scharen zwitschernder Vögel. Weite Gebreite fruchtbaren Ackerlandes und saftige Wiesen dehnten sich in den lieblichen Talgründen, und zwischen Obstgärten versteckt lagen behäbige Dörfer und heitere Weiler in den üppigen Fluren. Fröhliche Menschenkinder mit frischen Gesichtern und glänzenden Augen hausten in den hellen Gehöften. Freundlich boten sie dem scheuen Fremdling Willkomm und hießen ihn niedersitzen an ihren reichlich gedeckten Tischen. Würziges Brot und süßer Wein waren der schlichteste Imbiß, den sie ihm boten. Er aber durfte nicht den Staub von seinen Schuhen schütteln, daß er verweile; stehenden Fußes trieb es ihn weiter unentwegt. Doch aber nach fünfhundert Jahren, nachdem er viele Länder der Erde durchwandert, kam Ahasver desselbigen Weges gegangen. Dichtes Nebelgewölke lag über dem Land, naßkalt nieselte die Luft. Plötzlich zerblies ein Windstoß die Wolken, so daß die Nebelfetzen stoben. Schwarze Tannenwälder deckten die steilen Halden und Hänge bis hinauf an Fels und Fluh. Ächzend knarrten die mächtigen Stämme unter der Wut des chutenden



Alpensagen-019. Flip

Sturmes, und der Luft bog die Äste und zerzauste die Wipfel. Heiser krächzten die Krähen, und lichtscheue Eulen schrien aus dem Gefelse finsterer Klüfte. Nirgends waren Dörfer zu sehen, nirgends ein einsam Gehöft, nichts als blauende Wälder, soweit das Auge reichte. Endlich sah Ahasver weitweg einen Rauchstreifen aus dem Walde aufsteigen. Er ging darauf zu und kam zu einer Hütte. Dort hielten einige Köhler Haus, ernste schweigsame Leute, die boten ihm altbackenes Schwarzbrot und Bier, aus den jungen Sprossen der Tannen gebraut. Er aber zog weiter ohne Rast.

Doch aber nach fünfhundert Jahren kam Ahasver wieder in jene Täler. Der Pfad, den er einstmals durch dichte Wälder gegangen, war verschüttet von Gand und Gufer. Kein Busch noch Baum war mehr zu sehen, ringsum nur kahles Gestein. Hier und da nur wuchs ein spärlich Gräslein. Totenstille war es, nur vereinzelte Bergdohlen flatterten hin und wieder, und dann und wann pfiff gell ein Murmeltier. Von den Bergen herunter



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hingen bis tief ins Tal die grünblauen Eiszungen der Gletscher und aus den weißen Firnen ragten schwarz die scharfen Nüssen und Tossen verwitterter Felsen, und eisig fegte der Wind von den Höhen. Keine lebende Seele begegnete ihm in der Ode. Da setzte sich Ahasver auf einen Stein in der Tiefe des Tales. Ringsum ragten jäh die Wände und Gräte empor. Da saß er und weinte. Dann zog er weiter. Und wenn er das nächste Mal wiederkommt, dann werden auch die lieblichen Talgelände, die grünen Matten und grasreichen Triften der Alpen vom Schnee bedeckt und vom Eise begraben sein. Dann aber wird er alida die Stätte finden, wo er endlich seinen müden, ausgezehrten Leib wird ausstrecken dürfen zur ewigen Ruhe.

An manchen Orten ist der laufende Jude vorübergekommen, und viele Leute haben ihn gesehen und mit ihm gesprochen. Einmal kehrte er bei strömendem Regen zu Visp im Haus einer armen Witwe ein, ganz zerzaust von Wind und Wetter. Die Frau stellte ihm einen Sitz ans Herdfeuer, damit er sich und seine Hudeln an der Glut trocknen möge. Er aber blieb nur einen Augenblick an der Wärme stehen, dann lief er eilig um den Tisch herum. Die Frau, die eben am Käsen war, bot ihm Molken an, die waren aber süttig heiß. Der Jude nahm den Napf und schüttete, nein schleuderte die heiße Brühe, damit sie erkühle, mit solcher Wucht von einer Gebse in die andere, daß der Sprutz bis ans Dach fuhr und wieder in die Gebse zurückfiel, aber kein Tröpfchen ist nebenausgegangen. Dann schlürfte er gierig die Milch hinunter. Plötzlich erblickte er das Bild des Gekreuzigten in der Ecke. Da packte ihn die wilde Wut, daß er am ganzen Leibe lottelte, und aufstampfend stürzte er mit einem wüsten Fluche zur Türe hinaus, so daß es der Frau grauste. Er aber enteilte, wie vom Sturmwind getrieben, taleinwärts und klomm die hohe Bergwand hinan und war verschwunden.



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DER EWIGE JUDE AUF DEM THEODULPASS

Zwischu der Monte-Rosa und dum Matterhorn ist a mächtige Gletscher, dem mu der Augstalgietscher oder Theodulpaß seit. Da sy vor alte Zyttu a schöni Stadt gstannu, zuo welcher ouch der lauf und Jud cho sy. Wyl abar d' Lit nu b'chent Beint, was er fer Eine-n-ist, so hät nu kei Mensch ubernachtu wellu. Wegu discher Unbarmherzigkeit hei der Ewig-Jud d'Stadt sammt de Menschu verfluocht und gseit: «Jez ist noch a Stadt; und we-n-i nomal chumu, so wachst hie Gras, stähnd da Bäum und liggunt da grossi Steina, und wurd mu keini Hüscher, Gassa, Mura-n-und Turna meh gseh. We-n-i abar d's drittmal chumu, so wurd mu keis Chrut, kei Tannubäum, kei Hitta, kei Mura, no Gassa meh antreffu, sondru nummu Schnee und Isch old Gletscher - und das soll da so lang liggu blybu, so lang, so lang ich ohni Ruohw und Rast muoß um die ganzi Welt wandru.» Und so ist alls haarchlei yngitroffu, wie der laufend Jud einst prophizijod hät. A Gletscher va dri Stundu Breitti bideckt jez dischi Gegund, wa diesel! Stadt gstandu sy. Totustill ist's, und mu ghört numma das Donnru der Lowinu und Chrachu der Gletscherspaltu und Tobu und Wietu der Winter-Gugsa. Die Gemschini sind d'einzigu lebundu Wesu, die mu da jez no antrifft.



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DER HEILAND IM WALLIS

Als unser Herr noch auf Erden ging und im Morgenlande unter den Juden wandelte, da sprach eines schönen Morgens der heilig Sankt Peter zu ihm: «Ei hör, lieber Meister, du bist denn doch ein rechter Tor, daß du noch immer aller Welt im Judenlande helfen magst. Ubel ist der Dank, den du von diesem Volke erntest; sieh dich nur um, die Ohren der Tauben, die du öffnest, sie sind nur offen, Schmähreden über dich zu hören; die Zungen, die du lösest, sie lästern dich schamlos. Und die Augen, die du helle machst, sie spähen Tag und Nacht nach dir, um Arges an dir zu erblicken, und die lahmen Hände, die du heilest, sie regen sich, um Steine zu greifen, die sie nach deinem Haupte werfen könnten. Traun, wär ich der Wundertaten mächtig, die du verrichtest, längst schon hätte ich den Staub dieser undankbaren Stätte von meinen Füßen geschüttelt, und beträte andere Länder und ließe meine Wunder walten an Menschen, die deiner Wohltat würdig sind in Dankbarkeit.»

Stille vernahm der Herr die Worte des heiligen Sankt Peter und sann eine Weile nach. Dann tat er nach des Jüngers Willen, nahm seinen Stab zur Hand, und so durchzogen sie selbander die weite Welt und taten den Menschen Gutes.

Da kamen sie auf ihrer Fahrt auch in das Alpenland, von Tal zu Berg, von Berg zu Tal, und allerorten machte der Meister die Menschen gesund von allerlei Siechtum und Bresten, und das Volk war dankbaren Herzens.

Aber den heiligen Sankt Peter stach alsbald eitler Hochmut, als er des Volkes Ehrfurcht und Dankbarkeit ersah. Und hinter des Meisters Hand ging er hin und fragte die Leute, welchen Wunsch sie noch hätten, damit er den Herrn, seinen Meister, in ihrem Namen bitte, ihnen denselben zu erfüllen. Die Leute aber hätten in den Tälern statt der Gletscher und



Alpensagen-023. Flip

Firne gar zu gerne Feld, Acker und Matte gehabt, und alsbald taten sie dem Jünger ihren Wunsch kund. Der tat gar gnädig und versprach, ein gutes Wort für sie zu reden bei seinem Meister. Und eilig lief er hin zum Herrn und trug ihm die Bitte vor. Und wieder hörte unser Herr ihn stille an, sann eine Weile, und nickte Gewährung.

Und wo vordem grüne Eisschründe sich getürmt und graues Felsgeschiebe sich gehäuft und dumpf der Firn gebrüllt, da dehnten sich alsbald herrliche Felder aus und grüne Matten, darauf üppige Gräser, duftige Kräutlein und bunte Blumen sprossen.

Bald aber schied der Heiland von den Bergen, um ins Unterland hinabzusteigen. Aber bevor er weiter wanderte, da fragte er das Volk, ob sie noch eine Bitte an ihn hätten. Und also war es auch: neue Plage, neue Klage! Geschwunden waren die kühlen Firne und eisigen Gletscher! jetzt war es viel heißer in Tal und Berg, und die Gräser auf den Matten verdorrten und wurden rot und tot unter den Strahlen der Sonne. Und wider dieses Ubel sollte der Heiland helfen mit seiner Kraft und Kunst. Der Herr aber lächelte und sprach: «Feuchte tut der Erde not! Anger und Acker müssen gewässert werden. Nun saget Leute, was ihr wollt: soll ich es tun, oder wollt ihr es tun?» Und eines Mundes sprachen alle: «Herr, du hast bis anhin weise und wohl an uns getan; du walte deines Werkes weiter!» Nur einer blieb stumm und kam nicht aus dem Sinnen und Minnen: der Walliser.

Der heilig Sankt Peter aber sah's und, abseits von des Herrn Auge, schlich er geschwind zu denen aus dem Wallis, tupfte sie auf die Schultern und sprach: «Ei, ihr guten Leute, laßt nur getrost den Herrn das Ding zu Handen nehmen, denn euch ist er vor allen andern in Gnade zugetan. Wahrlich, er ist ja recht eigentlich auch ein Walliser!» — «Was du nicht sagst! Ein Walliser ist jener?» schrien die aus dem



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Wallis alle voller Zorn. «Was, er ist ein Walliser? Wie will er denn mehr vermögen als wir selber? Nein, nein, wenn dem so ist, dann wässern wir unsern Boden lieber selber!»

Seit dieser Zeit wässert im ganzen Schweizerlande sonst der Heiland allenthalben Äcker und Wiesen, Weiden und Wald; im Wallis aber wässern die Walliser selbst ihre spärliche Erde.


DER GANG INS PARADIES

Vor vielen Jahren lebte auf Schattenhalb ein armer Keßler. Nur mühsam ernährte er mit seinem Gewerbe Frau und Kinder. Alle Dörfer auf der Schattenseite hatte er vorlängst durchwandert. Dort gab es keine Arbeit mehr für ihn. Müde und traurig zog er über den Rotten hinüber auf die Sonnenseite nach dem Dorfe Guttet. An vielen Türen klopfte er an, doch nirgends bekam er Antwort. Nur den alten Pfarrer traf er zu Hause. Als er ihn um Arbeit bat, erzählte der ihm, der große Sterbet habe die Bewohner alle dahingerafft, er allein vom ganzen Dorfe sei noch am Leben. «Ich habe genug Kessel und Pfannen, gute und schlechte, ich bedarf deiner nicht!» schloß er. «Aber ich will dir den Weg weisen an einen Ort,



Alpensagen-025. Flip

wo du der Arbeit mehr als genug finden wirst.» Gleich war der Keßler dabei, und auf dem Fuß folgte er dem Pfarrer auf eine hohe Fluh. Von dem Felsgupf ging ein schmaler Pfad, einem Strange vergleichbar, hoch durch die Luft ob Berg und Tal hinüber auf die Spitze des Gliserhorns. Von dort leuchtete ein heller Feuerschein.

Der Pfarrer riet ihm, unentwegt den Pfad zu beschreiten und stetig auf das Licht zuzuwandeln. «Wenn nun der Abend sinkt und es finster geworden ist, dann werden dir die bösen Geister zum Schein große breite Brücken bauen, daß sie dich trügen. Du aber darfst nie und nimmer das Licht aus den Augen lassen. Sonst stürzest du in die Tiefe und fällst zu Tode. Unter der Brücke ist das Meer, dessen Wasser sind erst grün und ruhig zu schauen, dann aber rot wie Blut und wallend und brausend, dann schwefelgelb, strodelnd und brodelnd.»

Der Keßler dankte dem guten Pfarrer, gab ihm die Hand zum Lebewohl, stemmte seinen Stecken ein und betrat getrost den luftigen Pfad. Mit sicherem Schritte wandelte er vorwärts. Tief, tief unter ihm schillerte grün das Meer. Mit eins aber wurde es purpurrot wie Blut, und unsicheren Ganges stapften seine Füße, und er fing an zu schwanken. Aber mit seinem Stabe hielt er sich im Gleichgewicht und schritt unverzagt weiter. Getreu der Lehre und Mahnung des Pfarrers achtete er auch nicht der breiten, prächtigen Brücken, welche die bösen Geister ihm schlugen, damit sie ihn vom Wege ab ins Verderben lockten. Unverwandt schaute er in das Licht hin auf dem fernen Berge. Heller und heller flammte es bei jedem Schritte, den er auf dem schmalen Pfade fürder tat. Endlich langte er auf dem Gipfel des Berges an, müde von der Wanderung auf dem schwanken Stege. Er stand vor einer prächtigen Kirche mit zwölf großen Porten. Zu beiden Seiten des Hauptportals stand je ein Wächter in weißem Gewande.



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Der eine trug auf der Schulter eine Hacke, der andere eine Schaufel. Der Keßler wollte sein Räf voll des schweren Werkzeuges niedersetzen, damit er, wie es sich schickte, aller Lasten ledig in den Dom trete. Jene aber bedeuteten ihm, er solle sein Gerät nur mit hineinnehmen. So schritt er mit der schweren Bürde durch das Portal in die Kirche hinein. Innen war alles hell erleuchtet und voller Seelen, die waren in weiße Gewänder gehüllt. Durch den Raum ging ein breites Mittelschiff, das vorn und hinten einen Ausgang kreuzte. Rechter Hand des vorderen Kreuzganges erblickte er eine Totenbahre. Er stellte seine Werkzeugkiste darauf ab und kniete erschöpft vom rinnenden Schweiße in einen Stuhl und lauschte den wundersamen Klängen einer himmlischen Musik, die aus dem Chore klang. Die Seelen im Kreuzgang saßen, den Rücken gegen das Portal gewandt, und hielten die Hände vor das Gesicht. Die Seelen im Kreuzgang vor dem Chor ruhten, die Arme auf dem Gestühle. Der Keßler staunte und staunte. Aber alles blieb stumm und starr, doch vom Chore scholl heller Jubel und Gesang. «Wie schön muß es erst dort sein», sagte der Keßler bei sich, und er erhob


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sich und wollte dorthin gehen. Aber zwei Meßbuben in weißen Kleidern hielten ihn fest: «Du bist nicht sauber genug, drum mußt du eine Weile noch warten!» So geduldete er sich auf ein Zeitlein. Aber als die Knaben von ihm gingen, da stand er wieder auf und schritt nach vorne. Da traten zwei heilige Männer zu ihm, die waren in rote Festgewänder gekleidet. «Warte!» sprachen sie. «Du bist schmutzig; zuerst wollen wir dich waschen. Erst wenn du rein bist, darfst du zu jenen gehen, die da singen und lobpreisen.» Sie nahmen ihn am Arme und schritten mit ihm durch die Türe des Kreuzganges, erstiegen die Treppe eines hohen Turmes und betraten ein schönes Gemach. Dort erblickte er zwei fest gedrehte Geißeln, zwei große Wasserläufe aus hellem Metall und allerhand Waschgefäße. Die Männer füllten die Zuber mit Wasser, zogen ihm die Kleider ab dem Leib, gossen zuerst laues, dann süttiges Wasser über ihn aus und peitschten ihn mit den Geißeln, daß sein Blut rann und die Haut in Fetzen von ihm fiel. Dann begossen sie ihn mit eiskaltem Wasser; sein Leib bekleidete sich mit junger, weißer, feiner Haut. Die Schmerzen wichen, ein wundersames Wohlbehagen überkam ihn. Dann warfen sie ihm ein neues schlohweißes Hemd über und sprachen: «Jetzt darfst du in den Chor gehen.» Und sie geleiteten ihn selber hin. Dort hießen sie ihn in einen großen schönen Betstuhl knien und geboten ihm: «Nun bitte den himmlischen Vater um eine ewige Wohnstatt, so wie du dir sie wünschen magst!» Er kniete nieder und betete das Vaterunser. Kaum hatte er sein Gebet beendet, da standen die Meßbuben wieder vor ihm und winkten ihm, daß er ihnen folge, um einem andern Raum zu machen. Sie verließen den Dom und wanderten wohl eine halbe Stunde lang auf einer schön gepflasterten Straße bis zu einem Weinberg, der voll reifer Trauben hing.

«Iß, soviel dich gelüstet!» sagten sie. Er tat also. Und jedesmal,



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wenn er eine Beere zupfen wollte, war er schon satt. Als er von allen Sorten gekostet hatte, reichten ihm die Chorknaben einen goldenen Schlüssel an grünem Bande zu dem Hause, das er hinfort bewohnen solle. Sie geleiteten ihn zum Eingang und schlossen die Türe auf. «Aber mit nur einem Schlüssel mag ich kaum alle Türen auftun», meinte der Mann. «Dieser Schlüssel öffnet alle Schlösser», erwiderten die Knaben. Dann schieden sie, und der Keßler wußte nicht, wie ihnen danken. «Wir werden bald wiederkommen und nach dir sehen, wie es dir gefällt», riefen sie noch und schon waren sie fort.

Nach einigen Tagen kamen sie wiederum zurück und fragten, wie es ihm ergehe. «Ich bin wohl und zufrieden», antwortete er, «nur ein wenig langweilig ist's zu Zeiten; man sieht halt hier nie jemand. Darf ich drum nicht meine Leute zu mir nehmen und vielleicht auch die andern Verwandten holen?» «Das geht nicht wohl an», versetzten die Knaben, «aber hab noch ein Weilchen Geduld, dann werden sie schon von selber kommen, freilich nicht gar alle, aber die meisten.» Und sie wiesen zum Dome hin: «Siehst du dort vor dem Portal den Bischof mit der Mütze und dem Krummstab? Der kann lange warten, er kommt nicht hinein!»



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DER ERLEUCHTETE SENN

Der Heer in Leuk hatte lange schon bemerkt, daß der Senn von der Hungerlialp, der im Rufe stand, ein gar braver, frommer Mann zu sein, samt seinem Hausstand nie zur Messe kam, weder am Sonntag, noch an gebotenen Feiertagen, ja selbst zu Weihnachten und an Ostern nicht. Er sage allemal, so erzählten sich die Leute, er diene Gott auf seine Weise und habe täglich seine eigene Messe. Das aber durfte der Heer kraft seinem Amtes dem Manne nicht so hingehen lassen, und er ließ ihm drum ausrichten, er habe seine Kirchenpflichten wie alle anderen zu erfüllen. Mehrmals war der Mann also schon gemahnt worden, aber vergebens. Zuletzt am End entschloß sich der Heer, selber hinaufzusteigen und den Mann zur Rede zu stellen.

Als er zu den Alphütten kam, fand er nur die Kinder zu Hause. Er fragte sie, wo denn die Eltern wären. — «Zur Messe!» antworteten sie und wiesen gegen den Wald hin. — «Was, zur Messe? Im Walde? Wo weder Kapelle noch Kirche steht», dachte der Heer bei sich. Nach einer Weile kamen die Eltern zurück. «Woher kommt ihr jetzt?» fragte sie der Heer, «und wisset ihr denn nicht, was das zweite Kirchengebot verordnet? Und warum hört ihr die Messe nicht? Empfanget ihr nie die heilige Kommunion?» — «Damit hat es keine Not», antwortete der Mann, «alltag gehe ich zu einem Felsen im Walde, ein Engel verrichtet dort das heilige Meßopfer; dem diene ich zur Messe und von ihm erhalte ich die heilige Kommunion. Und eben jetzt kommen wir vom Amte.» Der Heer schüttelte den Kopf zu den sonderbaren Worten der Leute. Dann ging man zu Tische. Und da schien es dem Heer, sie hätten nur wenig gekocht. Aber ob auch alle mit großer Eßlust aßen, wurden sie doch satt, und zuletzt blieb obendrein noch mehr als genug übrig.



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Nach dem Essen nahm der Senn den Heer bei der Hand: jetzt werde er ihn zur Messe führen. Nach kurzem Gang kamen sie zur einsamen Stätte. Auf freiem Platze ragte ein großer Felsen. In dessen Mitte war eine Mulde ausgehöhlt. Die war mit Weihwasser gefüllt. Noch heute heißt der Fels der «Weihwasserstein» oder die «Meßfluo». Nun sagte der Senn zum Heer: «Stelle dich auf den linken Fuß und lug mir über die rechte Schulter!» Der Heer tat es und er blickte in den Himmel hinein. In blauer Höhe schaute er einen lichten Altar, umgeben von Scharen der Engel, die das heilige Meßopfer darbrachten. «Nun stelle dich auf den rechten Fuß und lug mir über die linke Achsel!» sagte weiter der Senn. Wieder tat der Heer, wie er geheißen, und er blickte in die Hölle und schaute die Pein der gefolterten Seelen. Da hegte der Heer keinen Zweifel mehr an der Frommheit der seltsamen Bergler.



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Gen Abend nahm der Senn ein Handmälterlein, das die Frau mit dem feinsten Nidel gefüllt hatte als Bhaltis für den Gast, und geleitete den Heer durchs Tal hinaus nach Leuk, wo er am andern Tage der Messe beiwohnte. Der Heer ließ ihn während der Handlung und der Predigt strenge überwachen, um zu sehen, wie er sich betrage. «Nun», sagte der Pfarrer nach dem Amt, «wie hat der Mann sich während des Gottesdienstes verhalten?» — «Ohne Tadel», sagte der Aufpasser, «nur sahen wir, daß er einmal weinte und einmal lachte, und als ihr die Monstranz emporhobt, da hat er gerufen: ,Halt ihn! Halt ihn!'»

Da ging der Heer und bat den Mann, ihm in die Sakristei zu folgen, er habe noch etwas mit ihm zu reden. Wie sie nun miteinander das schmale Weglein zwischen den Gräbern durch über den Kirchhof gingen, da sah der Mann bei jedem Schritt und Tritt ängstlich vor und neben sich, als ob er fürchte, seinen Fuß geradezu auf den Boden zu setzen. «Was ist im Wege, daß du so kurios gehst?» fragte der Heer ein wenig unwirsch. «Sehet Ihr denn nicht die armen Seelen, die allenthalben aus dem Boden herausragen, wo ihre Leiber begraben sind», antwortete der Mann. Und wie sie die Sakristei betraten und der Heer ihm einen Stuhl bot, sagte er: «Mit Verlaub, erst häng ich meinen Hut auf.» Die Sonne, die durch das Fenster in den feinen Dunst schien, der in der Luft lag, warf einen hellen Strahl durch den Raum. An diesen Lichtstrang hängte der Mann Hut und Mantel auf, und diese blieben daran hängen. Wie der Heer das sah, da getraute er sich kaum noch, seinen Gast zu fragen, welche Bewandtnis es habe mit seinem Gebaren während des Gottesdienstes. — «Ja, sehet, Hochwürden», antwortete jener lächelnd, «ich sah in der Kirche von dem Platz aus, wo ich saß, den Teufel auf dem Fenstersims hocken. Der hatte gar viel zu tun, alle sündhaften Gedanken und Verfehlungen des Kirchenvolks aufzuschreiben, eine ganze



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Kuhhaut voll. Ob solcher Schlechtigkeit mußte ich weinen. Dann aber sah ich, wie der Teufel die Kuhhaut mit den Zähnen auseinanderzerren wollte, damit sie sich dehne und er noch mehr darauf bringe. Aber er zerrte so stark, daß die Haut plötzlich zerriß, und von dem Ruck zerschlug sich der Teufel die Hörner an der Kirchenmauer. Da hab' ich halt lachen müssen. Und dann habt ihr den Heiland so spitzig gehalten, daß mir Angst ward, er falle zu Boden.»

Erstaunt, daß dieser Senn Dinge sehen und vollbringen konnte, die sonst nur Heilige zu schauen vermögen und zu tun pflegen, bedeutete ihm der Heer, daß er nicht zur Kirche kommen brauche. Er solle es nur weiterhin so halten, wie bisher, und ehrerbietig ließ er ihn ziehen. Der Mann nahm Hut und Mantel, um zu gehen. Aber auf der Schwelle wandte er sich nochmals um und sprach: «Hochwürden, eine Bitte hätt' ich, gebt mir doch auch so ein hochgesegnetes Brot, daß ich's meinen Kindern heimbringe.» Und der Heer tat ihm eine heilige Hostie in das Handmälterlein, worin ihm der Mann den Nidel gebracht hatte. Dann ging jener talaufwärts, das Mälterlein behutsam in der Hand. Aber wie er daheim den Deckel ablüpfte, um den Kindern das hochgesegnete Brot zu geben, da flog wie ein Sommervogel ein Engelein heraus.



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DER KREUZSTEIN

Vor alten Zeiten war der große Wald zwischen Agaren und Pfyn ein ebener Grund, überwachsen mit schönen großen Fruchtbäumen, so daß die Eichhörnchen die ganze Weite von einem Baum zum andern hüpfen konnten. Auf diesem Boden wohnte zu denselben Zeiten ein Bauer, Carus Edler genannt, mit seinen Söhnen und Töchtern. Er hatte große Herden Kühe, Rinder, Schafe und Ziegen. Er kam nie unter die Leute. Jahraus und jahrein sah er nur die Seinen. Aber das Schönste, das er hatte, das war ein seltsamer Stein, von seinen Ahnen ererbt. Der war wie ein Kreuz gebildet und strahlte alles Licht und alle Farben der Sonne und des Himmels wider.

Da kam ein großer Sterbet ins Land, und alle seine Kinder starben. Hinter dem Hof stand ein schwarzer Kirschbaum. Unter seinem Stamm begrub er sie. Ihm und allen seinen Ahnen aber hatte geträumt, daß dieser Kreuzstein das Wahrzeichen seines Hauses sei in Glück und Unglück. Also stellte er ihn zu Häupten der Toten auf und betete alida jeden Tag.

Nach einer Weile ward auch seine Frau schwer krank, und niemand konnte sie heilen. Da vernahm er, daß in der Burgschaft Leuk ein Mann wohne, der die Himmelssprache kenne und wider alle Krankheiten Rat wisse. Da machte sich Carus Edler auf nach Leuk. Er fand den Wundermann zu Hause und klagte ihm seine Not. Da sagte der Doktor: «Ich will dir ein Mittel geben, das deiner Frau sicher helfen wird.» Und er holte ein Fläschlein hervor mit dem Saft und der Kraft seltener Kräuter. Es koste zehn Taler, ob er Geld bei sich habe. Carus Edler sprach: «Geld? Was ist Geld? Ich lebe von Milch und von dem, was Anger und Acker bringen.» So solle er ihm statt der Taler Vieh geben, meinte der Mann. Freilich, das könne er haben, gab der Bauer zur Antwort, er solle nur kommen und sich zwei schöne Kühe auslesen.



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Das deuchte den Mann ein guter Handel, und er gab dem Bauer gerade einen Knecht mit, der die Kühe holen sollte. Der ging mit auf den Edlerboden, nahm aus der Herde zwei der schönsten Kühe und trieb sie heim. Als er sie in den Stall gestellt hatte, ging er zu seinem Herrn und sagte: «Eine prächtige Herde hat er, der Carus Edler; aber das Schönste ist ein großer Stein, der von Licht und Farben funkelt.» Da fragte der Herr, ob der Bauer ihm auch etwas für den Gang gegeben habe. «Nein», sagte der Knecht, «nur die beiden Kühe für die Medizin.» — «So bleibt er mir das noch schuldig», sagte der Doktor.

Der Bauer gab der Frau den Trank, aber es half nicht. Nach wenigen Tagen starb sie. Da begrub er sie neben den Kindern unter dem Kirschbaum. Er selber aber ging hin und hintersann sich. Er ließ alles liegen und stehen und tat nichts mehr. Das Vieh verdarb, Schafe und Ziegen verliefen sich in den Bergen, erfielen oder wurden von reißenden Tieren zerrissen. Nur eine kohlschwarze Geiß blieb ihm noch. Er nannte sie nur die Faule, weil sie bloß in seiner Nähe weiden wollte.

So gingen einige Jahre. Da kam es dem Doktor in Leuk eines Tages wieder in den Sinn, daß ihm der Carus Edler noch den Lohn für den Knecht schulde. Er ging zum Richter und bat ihn, daß er ihm zu seinem Rechte verhelfe. Der Richter sandte seinen Boten. «Geh hin zu Carus Edler auf den Edlerboden und richt ihm aus, daß er dem Doktor zu Leuk zu zahlen habe die Schuld für den Knecht.» Der Bote sagte: «Herr, schreibt's mir auf, daß ich's nicht vergesse und recht sage.» Da nahm der Richter ein Ziegenfell, schrieb alles drauf und der Bote rollte es auf, nahm's unter den Arm und ging. Er fand den Bauer und las ihm vor, was auf dem Pergament stand. Carus Edler aber sagte, die schwarze Geiß sei alles, was er noch habe; bald werde er sterben, und dann könne



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der Doktor kommen und holen, was noch da sei. Der Bote aber schaute immer nach dem Kreuzstein, der in allen Farben des Himmels schimmerte. Da sagte der Bauer: «Nur diesen Stein auf dem Grab soll niemand anrühren.» Der Bote ging und überbrachte des Bauern Antwort dem Richter und sprach auch von dem sonderbaren Stein auf dem Edlerboden. Das sei kein Stein, sondern ein Wunder.

Der Richter gab dem Doktor Bescheid und redete auch von dem Stein, der den Boten ein Wunder gedeucht. Und sie beschlossen miteinander zu Carus Edler zu gehen und den seltsamen Stein zu beschauen.

Andern Tags stiegen sie auf den Edlerboden und besahen den Block, und sie erkannten sogleich, daß es ein Edelstein war von unermeßlichem Werte. Das aber schien der Bauer nicht zu ahnen, und so sagten sie ihm, sie würden wiederkommen und den Stein holen, da er anders nicht bezahlen könne. Der Bauer bat, den Stein stehen zu lassen, denn sein Leben und das Leben seiner Ahnen sei diesem Stein verhaftet in Glück und Unglück. Darunter lägen ihm Weib und Kinder begraben. Wenn er tot und gestorben sei, sollten sie wiederkommen und alles nehmen, was übrig sei, den Stein aber nicht berühren.

Die beiden sagten nicht ja und nicht nein und gingen heim. Auf dem Wege berieten sie, wann sie den Stein holen wollten. Der Richter sagte: «Morgen habe ich nicht der Weil, da ist Gerichtstag, aber übermorgen wohl.» Und der Doktor sagte: «Morgen habe ich auch nicht der Weil, ich habe ein Tränklein ob, das ich fertig sieden muß, aber übermorgen wohl.» Bei sich aber dachte jeder, er gehe schon morgen in aller Frühe und hole den Stein für sich allein.

Am andern Morgen zogen beide aus. Ein jeder begleitet von vier starken Trägern mit einer Bahre. Der eine aber nahm die Landstraße gegen Agaren, der andere den Weg gegen das



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Vonöischi, jeder, damit der andere nicht merken sollte, was er im Sinne habe.

Als der Richter auf den Edlerboden kam, da war der Doktor schon da. «Du hast doch gesagt, du hättest heute keine Zeit, und jetzt bist du doch da», sprach dieser. «Und du?» erwiderte der andere, «du bist auch da.» Da sagte der Richter: «Ich will den Stein für mich, und du willst ihn für dich, aber meine Männer sind stärker als die deinen; wir werden sie töten, und dann gehört der Stein mir ganz allein.»

Als Carus Edler sah, daß die beiden mit je vier Trägern da waren, um den Stein mit Gewalt zu holen, da warf er sich über den Block, so daß er ihn mit dem ganzen Leibe deckte, breitete die Arme aus zum Kreuz und rief: «Eher laß ich mein Leben als den Stein!» Da stürzten der Richter und der Doktor sich beide über ihn, um ihn wegzureißen. Aber da fuhr ein Blitzstrahl vom Himmel hernieder mit einem gewaltigen Donnerschlag und erschlug alle drei. Starr vor Schrecken standen die Träger und dann eilten sie, was sie laufen konnten, davon.

Einige Tage danach ermannten sich die Leute des Doktors und gingen hinauf auf den Edlerboden, um zu sehen, was aus den Dreien geworden sei. Als sie zu der Stelle kamen, wo Carus Edlers Haus gestanden, da lag da ein großer Felsblock.



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Darauf lag ein weißes Lamm, und zu beiden Seiten des Blokkes schnoben zwei kohischwarze Drachen Feuer und züngelten zu dem Lamm hinauf. Da sprach einer der Träger zu den andern: «Grad wie dies Lamm hat er auf dem Stein gelegen!» Und er machte das Zeichen des Kreuzes. Da verschwand das Lamm und die Drachen fuhren brüllend hinauf in die Berge, und von Tag an ward der Ort wild und öde und von Menschen und Tieren gemieden.


DER SCHWARZE TOD IM GOMS

Im Gorns wohnten die Leute nicht immer tief unten im Tale. Es gab Zeiten, da man die Täler mied und auf den Höhen und an den Hängen haushielt. In jenen alten goldenen Tagen wuchs noch auf den höchsten Bergen Korn und an tieferen Hügeln und Halden reifte ein feuriger Wein. Das Gelände um die hablichen Dörfer war bestanden mit mächtigen Fruchtbäumen, Äpfeln und Kirschen, und weit im Umkreis dehnten sich saftige Matten, umsäumt von gewaltigen Schirmtannen.

Einmal aber kam ein böses Mißjahr über das Land, und die Weinernte fiel gar mager aus. Das war einem reichen Bauer zu besonderem Ungefäll. Die früheren Jahre hatte er kaum Faß und Lägel genug, die Fülle des neugekelterten Weines zu bergen. Dieses Jahr aber füllte ihm der Unsegen kaum das kleinste Lägel. «Wahrlich», sprach er mißmutig, «es ist nicht der Mühe wert, die paar sauren Tropfen einzukellern. Der erste beste Gast soll mir den Neuen auftrinken !» Lange harrte er also eines Besuches, aber lange wollte niemand auf seinem Gehöft einkehren. Des Wartens müde, sprach er eines Tages bei sich: «Nein, nimmer hab' ich Lust, mir die Augen blind zu sehen nach einem Gaste. Ich will selber gehn und sehn, ob ich eine durstige Kehle finde, die mir hilft, den Heurigen auf den Zahn zu nehmen!»



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Also nahm er gleitig das Lägel auf die Achsel und den Weg unter die Füße. Wie er sinnend eine Strecke gegangen war, sah er in der Ferne einen Pilgersmann herankommen, mit Schlapphut und Krummstab. «Dem ist heute auch sein Glück ein guter Wirt», dachte er und saß ab in den Schatten einer knorrigen Eiche. Und sobald der Wanderer auf Rufweite sich genähert hatte, hielt der Bauer die Hände vor den Mund nach Art einer Volle und rief, so laut er konnte: «He da, guter Freund, wenn du Durst hast, so zeig, daß du laufen kannst! Hier entspringt frisch vom Quell ein besserer Labetrunk als Bachwasser. Und köstlich soll er dir munden!» Als der Fremde, der brav und bieder dreinsah, vor ihm stund, schlug unser Bauer den Stöpsel vom Spundloch und hielt ihm das Lägel zum Trinken hin. Doch, wie dieser die Hände danach ausstreckte, zog er's mit eins zurück und fragte: «Halt, wart' ein wenig, mit Verlaub, wer bist du denn eigentlich?» — «Ich bin Gottvater», erwiderte der Pilger. «So, du bist also unser Herrgott?» knurrte der Bauer und würgte an jedem Wort vor Unmut, «dann mach nur, daß du fort kommst, so schnell und so weit dich deine Beine tragen!» Und er fuchtelte dem lieben Gott mit der geballten Faust vor dem Gesicht herum. «Der ist auch gröber als Saubohnenstroh!» dachte der Herrgott; aber an den wilden Gebärden und den sprützigen Blicken des Mannes merkte er gleich, daß bei ihm für heute kein gut Wetter mehr für sich zu machen sei, und eilends schritt er weiter. Der Bauer aber faustete und fuchtete noch eine Weile hinter ihm drein, und es war gut, daß unser Herrgott nicht alles gehört hat, was er sprach.

Nach einer Weile kam ein mageres, hageres, eisgraues Männlein dahergepütscht. Es sah aus wie ein Henneplüggi, aus lauter Haut und Knochen zusammengeküfert. Ein Gesicht hatte es, so schmal, es hätte einen Geißbock zwischen den Hörnern küssen können. Sein Haar war schütter wie welkes Gras



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und weiß wie Birkenrinde, und seine Wangen verschrumpfelt wie ein leerer Tabaksbeutel. «Der lugt auch aus wie die dürre Zeit, und wird nicht feist, und wenn man ihn in einen Ankenhafen stellte!» dachte der Bauer bei sich, und laut rief er ihm entgegen: «Du siehst auch drein wie einer, dem die Kehle trocken geworden ist vom weiten Weg. Willst du dir die Gurgel schwenken, so komm nur her und trink nach Herzenslust!» Und er bot ihm das Lägel, und der Magere tat einen guten Zug und schleckte sich mit spitziger Zunge die vertrockneten Lippen ab. Der Bauer tat ihm Bescheid zum Willkomm. Nachdem also das Läge! einigemal von Mund zu Mund gegangen, fragte der Bauer: «Nun sag' mir, wo kommst du her, und welches Geschäft hast du hierzulande zu bestellen? Du bist gewiß ein Unterländer oder sonst von draußen her!» — «Ich bin der Tod!» erwiderte der Alte mit brüchigem Rust, dumpf wie aus einem Kellerloch herauf, «und gekommen, um deinen kranken Nachbar zu holen.» — «Hm, so, Ihr seid also der Tod. Ja, mir kann's nur recht sein, wenn Ihr den schäbigen Racker holen kommt. Je eher desto besser! Ein böser Nachbar traun war er mir sein Lebtag. Aber


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heut, heut kommt Ihr grad zur letzen Stunde; Ihr könnt nicht in sein Haus hineinkommen, denn sein Gesinde ist alles auf dem Feld, und er ist ganz allein in der Stube eingeschlossen. — Zum Wohl! Noch einen Schluck, Meister Tod!» Da lachte der Tod, daß ihm alle Knochen klapperten und rief: «Ei, da bist du aber letz dran! Glaubst du, ich kehr' mich an verschlossene Türen?! Wo ein Sonnenstäublein eindringt, da kommt auch ich noch durch!» Der Bauer machte ein Maul wie eine Kuh, wenn sie auf den Schleifstein speit, und einige Vaterunser lang verschlug's ihm die Rede. Doch reichte er dann und wann dem Mageren das Lägel, und der schüttete den Wein nicht in die Schuhe, sondern tat jedesmal mit langem Schluck einen guten Trunk wohl über seinen Durst, denn die erloschenen Augen in den tiefen Höhlen buben aufs mal wieder an gar seltsam zu glimmen und zu glühen. «Aha, man muß heuen, wenn die Sonne scheint», dachte der Bauer bei sich, als er sah, wie der Magere wacker 01 an der Kappe hatte. Und laut sprach er: «Noch einen Schluck Gevatter! Zum Wohl! Aber wisset, das macht Ihr mir denn doch nicht weis, daß Ihr durch jede Ritze schlüpfen könnt wie ein Sonnenstrahl, so hell bin ich auch noch. Wäre das wahr, dann müßtet Ihr, mein Gott Seel, ein Donnerskätzer sein. Freilich, man sieht's Euch an den Augen an, daß Ihr mehr könnt als Brot essen und Milch trinken. Aber wie ein Sonnenstäublein durch die Klunsen in der Wand! — das gebt nur einem andern an! Damit laßt Euch heimgeigen! Doch nichts für ungut. Noch einen Schluck!» Aber wem der Wein eingehet, dem gehet der Witz aus. — Der Tod wackelte mit dem Kopf, kniff die dürren Lippen ein und blinzte aus den Augenhöhlen und meinte damit, daß ihm freilich jedes Vaterunserweiblein dieses Kunststück nicht nachmache, und wieder lachte er, daß es ihm im Gebeine tschätterte. «Unsereins», kicherte er und wippte von einem Fußspitz auf


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den andern, «kann mehr als Euch Erdenlölen im Traum einfällt! Hi hi hi!» — «Ich glaub' halt eben nur», versetzte der Bauer, «was ich mit Augen sehen und mit Händen greifen kann. Alles andere ist so gut wie Lug und Trug!» — «Du schwatzest auch zuhinterfür, wie ein Mann ohne Kopf! — Wenn's weiter nichts braucht», rief Meister Dürr, «um dich im Glauben zu stärken, das ist leicht getan! 'Was gilt's, ich schlupf vor deinen Augen da durch das Spundloch in dein Lägel!» —«Hei, um mein Leben gern säh' ich ein solches Teufeisstücklein von Euch!» — «Also schau her!» und schon war der Tod mit seinem Kopf in das Lägel geschloffen, und im Handkehrum war auch sein dürrer Leib drin verschwunden. Der Bauer aber war nicht linkhändig: Päng - hat er den Zapfen mit fester Faust ins Spundloch geschlagen, und Meister Klapperbein saß gefangen im nassen Faß wie der Fisch in der Reuse.

Jetzt lachte der Bauer, daß es schallte, und rieb sich die Hände vor Freude; dann nahm er geschwind das Lägel auf die Schulter und kehrte vergnügten Sinnes heim auf seinen Hof. Dort stieg er stracks in den Keller und versorgte das Läge! in den dunkelsten Winkel des Gewölbes, und ehe er hinaufging, rief er dem gefoppten Tode noch zu: «So jetzt, da bist, da bleibst! Wer dich verlocht hat, das weißt! Wer dich wieder an die Luft läßt, kannst erraten, wenn du willst; Zeit dazu hast jetzt, will ich meinen!» Dann warf er die schwere Bohlentür ins Schloß, daß es nur so dröhnte, und fürder kümmerte er sich nicht sonderlich um den seltenen Gast im Keller drunten. Aber er hat niemand von seinen Hausleuten ein Sterbenswörtlein davon gesagt, was für ein Fang im Fasse war, und wo es stand.

Aber was geschah? Jahr um Jahr ging ins Land. In ganz Gorns nahm kein Mensch mehr Abschied von dieser Welt, um die Erde mit dem Himmel zu vertauschen. Immer neue



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Geschlechter kamen auf die Welt, aber die alten blieben und wollten nimmer ab der Welt. Wie hoch auch die Berge zum Himmel ragten, alle die zahllosen hungrigen Mäuler vermochten sie nicht satt zu machen, und wenn sie noch viel höher gewesen wären. So kam es, daß auf den Gomserbergen bald Mangel war an Boden und an Brot. In dieser Not stieg ein Teil des Volkes hinab ins Tal und baute sich drunten an. Und wieder kamen und gingen die Jahre.

Auch unser Bauer war alt und älter geworden, und jetzt war er steinalt. Seine gebrechlichen Knie trugen ihn kaum noch, und er schleppte sich an Krücken; alles an ihm bambelte und lampte wie ein Kuhschwanz. Seine Hände waren zittrig und taugten nicht mehr zur Arbeit. Am liebsten saß er die sommerlangen Tage auf dem Bänklein vor seinem Hause im Sonnenschein; des Winters aber lag er die meiste Zeit auf der Kunst am warmen Ofen. Schon längst waren seine Urenkel Herr und Meister in Hof und Hurst, und der Urähni war den Jungen nur zur Last, und die Jüngsten trieben gar ihr Gespött mit ihm. Dann geschah es wohl, daß er sich vor lauter Gram und Bitternis den Tod herbeiwünschte, aber vergebens. Der Tod kam nicht, wie sehnlich er nach ihm rief, zu ihm so wenig wie zu den andern. Auch sein Gedächtnis war ihm längst entschwunden und sein Sinn blöde geworden; vieler Dinge erinnerte er sich nicht mehr, nur daran entsann er sich noch, daß die Menschen vordem gestorben waren, wie einst sein Vater und seine Mutter vor undenklichen Zeiten gestorben. Dann seufzte er aus tiefstem Herzen nach der alten guten Zeit, da man noch hatte sterben können. Er aber konnte nicht sterben.

Eines Tages, als ihm wieder einmal von seinen unbotmäßigen Nachfahren Schimpf und Schmach war angetan worden, da hob sich der Uralte auf, kaum waren alle Bewohner des Hauses fort aufs Feld, und humpelte auf seinen Krücken in



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den Keller hinunter, um Grimm und Groll wie vor alters im Weine zu ertränken; heute wollte er vom besten Weine trinken, damit er für ein Stündlein seines Kummers vergesse und seinen Sinn von all dem Elend erlabe. Er tastete sich von Faß zu Faß und spähte mit seinen trüben Augen nach dem ältesten Jahrgang; da fiel aufs mal sein Blick in eine finstere Ecke, und er sah im hintersten Winkel hinten ein altes Läge! liegen, über und über von Staub bedeckt und von Spinngeweben eingesponnen. «Das wird der rechte Tropfen sein!» dachte er. «In dieses Lägel hab' ich vordem immer einen Probetropfen vom feurigsten Jahrgang verzapft. Ja, arg lang ist's her, seit ich es zuletzt sah, das Lägel, lang, lang!» Keuchend rollte er es hervor und stieß mit seinen schwachen Fingern den Zapfen aus und hub es auf zum Munde. — Da sprang auch schon der Tod ihm an die Kehle und würgte ihn auf der Stelle.

Vom Tage hub ein großes Sterben an auf den Bergen und in den Tälern von Gorns; und an keinem Hause schritt der Tod vorüber. Den Knaben trat er an, die Jungfrau, den Säugling samt der Mutter, den Mann, den Greis. Reihenweis riß die böse Pest sie alle ins kalte Grab. Höfe starben aus, ganze Dörfer und Weiler wurden leer und standen öde, und wie der schwarze Tod vorübergegangen, waren der Überlebenden so wenige, daß weder die Bergler noch die Talleute für sich allein bestehen konnten. Da beschlossen sie, sich zu einer Gemeinde zu vereinen, aber die Talleute wollten nicht mehr auf die Berge hinaufsteigen, und so mußten die Bergleute die Höhen verlassen und in den Tälern wohnen.

Wie aber die Berge nicht mehr von schaffigen Händen bebaut wurden, da lag bald alles wild und öde, und wo vordem blühende Höfe gestanden, umkränzt von Obstgärten und Rebland, dehnen sich heute nur mehr magere Weiden und wüste Geröllhalden.



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BLÜEMLISALP

Voreinst lebte im Urnerland ein reicher Bauer mit seiner Frau. Sie hatten in Haus und Hof, in Stall und Stadel, auf Anger und Acker des Lebens Notdurft in Hülle und Fülle. Nur ein Gut fehlte ihnen: lange Jahre hatten sie keine Kinder. Spät erst gebar die Frau ein Söhnlein. In ihrer übergroßen Freude verhätschelten und verpäppelten die Eltern das Kind und vergaßen sich also sehr im Übermaß ihrer blinden Liebe, daß sie an ihm die guten Gaben Gottes eitel verschwendeten. Denkt nur! Nicht in der Schotte, nein, in der puren, reinen Milch haben sie den Buben gebadet! Aber das tat kein gut an dem Knaben. Ja, großen Leibes ward er und starken Armes, aber wilden und ungebärdigen Gemütes, hoffärtig und roh in seinem Herzen. Von jung auf plagte er Tiere und Menschen bis aufs Blut und tat allenthalben allerlei Schandwerk. Wollten Vater und Mutter ihm wehren, so lachte er sie nur aus und trieb es nur ärger denn je. Vor Harm und Gram ergrauten die Eltern früh, und bald starb der Vater.

Jetzt ward der ungeratene Sohn Herr und Meister auf dem schönen Hofe und über die weiten Gebreite, darunter eine herrliche Alp mit grasreichen Weiden, blumigen Wiesen und sprudelnden Quellen, Blüemlisalp geheißen, darauf melchige Kräutlein gar saftig gediehen, so daß den Kühen dreimal am Tage die lötige Milch gemolken wurde.

Im Sommer fuhr der Sohn zur Alp mit seinem ganzen Senntum lauber Kühe, darunter die rote Treichelkuh Brändli sein Lieblingstier war, und mit seinem wilden Hunde Ryn. Und seine Buhle Kathrin kam auch mit ihm. Die war eben so schön als eitel und übermütig, und toll trieb sie auf dem Berge alle Hoffart, die Gott verboten hat. Ihr zuliebe belegte der Bursche den kotigen Weg von der Hütte zum Käsgaden mit lauter schönen Käsen, die Fugen mit Butter verstrichen, damit sie



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sich ihre feinen Tanzschuhe mit den silbernen Schnallen nicht besudle. Und mit frischer, süßer Milch wurde der Steig alltäglich gescheuert. Und sündhaft, wie der gottlose Meister, so trieben's auch die Sennen bis zum Handbuben herab. Was der Segen des Himmels nur Gutes bot, es wurde vergeudet. Die Glut des Herdfeuers wurde mit purer Butter genährt, und Ryn, der Hund, und Brändli, die Kuh, wurden mit Leckereien gefüttert, indes die arme alte Mutter des jungen Meisters drunten im Tale darbte.

Eines Tages aber stieg die Mutter zu Berg, um zu sehen, wie es dem Sohne ergehe. Aber als sie müde anpochte, empfing der Sohn sie gar unwirsch: nicht bot er ihr Willkomm, nicht hieß er sie sitzen, und als die Mutter, durstig vom Wege, um einen Trunk bat, da reichte er ihr statt kühler Milch und Zieger, alte Schotte mit Gülle vermengt. Und ein Brot, mit Kuhmist statt mit Butter gestrichen. Wortlos ging die Mutter hinaus auf die Weide und stieg zu Tal. Aber siehe, die ganze



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Herde folgte ihr nach, nur nicht die Kuh Brändli. Und als sie eine Strecke weit gegangen war, kehrte die Frau sich um und rief, die Arme gen Himmel erhoben: «Ihr Firne und Felsen, fallet nieder auf die Frevler!» Und kaum war das Wort gesprochen, da ward aufs Mal der Himmel nachtschwarz, und ein Wirbelwind brach heulend aus Schlüften und Klüften, Regen troff, Hagel schlug, Schnee fiel, und tosend erschollen alle Flühe. Der Gletscher brach donnernd los, stürzte zu Tal und begrub die blühende Alp unter Eis und Schnee. Vom Berge rollten Rüfen und Lauenen und schütteten zu mit Schutt und Geschiebe, mit Grus und Grien, was noch bar war von Eis, und den Sennen damit samt seiner Buhle, der Kuh und dem Hunde. So ward dem Frevel die Buße.

Aber zu Zeiten in mondlosen Nächten, wenn der Sturm braust, hört man aus dem Firn ganz deutlich den Sennen zauren, die Buhle blänggen, die Kuh blaaren, den Hund bellen und die Schelle klingen:

Ich und's Chueli Brändli, myn Hund Ryn und myn Buol Kathrin

Müeßen immer und ewig z'Blüemlisalpen sin!

Aber allemal am Karfreitag, wenn die Passion gelesen wird, oder am Christfest in der heiligen Nacht, da geht auf dem Trümmerfeld oder in der Eistrift eine schwarze Kuh um, und ein schwarzer Hund läuft hinter ihr drein. Die Kuh hat stets bresch, sieben Meichter voll Milch gäbe sie, aber das Euter ist aus Erz, und die Strichen sind dornig und schwarzägget die Milch. Doch wenn ein mutiger Küher sie ganz sauber bis auf Tropf und Tran ausmelkt, so daß sie wieder weiße Milch gibt, ohne ein Wörtlein dabei zu sprechen, dann werden das Tier und die armen Seelen erlöst, und der Firn schwände, und die Alp stünde wieder grün und blühend wie vordem.



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Einmal versuchte es ein mutiger Küher. Mit einem großen Eimer, dem Melkstuhl, die Hände voll Melchschmutz, ging er an die Kuh, die ganz zahm dazu stand, und hub an zu melken. Das Euter war warm und schwarz die Milch. Bald wurde das Euter noch wärmer, die Milch braunrot, dann heiß, und rot die Milch, und als das Euter glühte, da war die Milch schon rosenrot; der Melchschmutz an den Fingern war ihm zerronnen, aber tapfer hielt er aus und freute sich schon. Doch da kam aufs Mal der schwarze Hund und strich dem Melker wedelnd um die Beine, schlich schnuppend zum Eimer und fing an, von der Milch zu lappen. «Nu, nu Hundli», brummte der Melker, und im selben waren Hunde und Kuh und Milch verschwunden. Und noch immer harren die armen Seelen unter dem Firn ihrer Erlösung.



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DER KORNFLUCH

In jener goldenen Zeit, als Gott und seine Boten noch auf Erden wandelten, da reifte in den Gomsertälern das Korn in Überfülle auf den Äckern, denn an jedem Halme sproßten zwölf volle Ähren, so schwer, daß sie den Stengel zur Erde bogen. Und so reichlich hatten die Menschen des Brotes, daß nicht einer im Lande wußte, was Hunger war.

Aber wie die Menschen sind, Überfluß macht Überdruß, und die Herzen verhärteten sich in Undank und Hoffart. Und übel haben die Leute gar bald an der schönen Gottesgabe getan: Da ging ein Knecht hin und streute dem Vieh ganze Haufen Ährenbüschel zur Schütte, und eine Magd feuerte gar mit vollen, zeitigen Ähren den Herd an, und die Drescher und Müller verschütteten und verzetterten das Korn viertelweise.

Eines Tages, als eben die Saat des Jahres reifte, ging eine reiche Frau mit ihrem jüngsten Kinde übers Feld, um den Segen auf Matten und Äckern zu beschauen. Stolz, als wär' es ihr eigen Werk, blieb sie an einem der prächtigen Felder stehen, wo die fingerdicken Halme unter der Last der vielhundertfältigen Frucht schier die Scholle berührten. Voller Gier dachte sie der gleißenden Goldstücke und der klingenden Silbertaler, die ihr als Erlös aus der heurigen Ernte in den Geldschrein rollen würden; denn das Weib war nicht minder habsüchtig und karg als selbstgut. Wie sie so stand und sann und rechnete, trat aufs Mal ein alter, zerlumpter Bettler an sie heran, dem der Hunger zu den Augen aus lugte. Der grüßte gar demutvoll, lobte den schönen Acker und die prächtige Frucht und bat um eine kleine Gabe auf den Weg. Unwirsch aber fuhr das böse Weib ihn an mit harten Worten und schrie: «Lieber will mein Brot ich vor die Hunde werfen, als an euch Bettelpack verschwenden. Gleich pack dich fort, du garstiger Unflat, und komm mir nicht mehr unter die Augen! Sonst



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hetz ich dir die Hunde an dein Klappergebein!» Rief's, wandte sich ab und raufte eine Handvoll Ähren und wischte damit ihr Kind rein. Aber als sie wieder aufblickte -siehe, da stand vor ihr nicht mehr der alte, elende Bettler, sondern in leuchtendem Gewande ein Engel des Herrn mit strahlendem Angesicht. Der kehrte dem erschrockenen Weibe seine flammenden Augen zu und rief mit einem Rust wie Donnerklang: «Wohlan! Von Gott war ich gesandt, daß ich dich prüfte zum letztenmal. Du aber hast die Probe nicht erwahrt! Des Herrn Brot gabst lieber du den Hunden, als denen, die da hungern. Und ärger als ein Hund hast Gottes heilige Gabe du entweiht, verworfen Weib! Weh über deinen undankbaren Sinn! Weh über dein hartes Herz! Weh über deinen Frevelmut! Fortan trägt jeder Haim nur eine Ähre noch! Die aber wächst durch Gottes Gnade nicht den Menschen mehr; des Herrn Liebe zu den Hunden macht sie noch sprossen, die Gottes Gabe besser ehren als die gottvergessenen Menschen!»

Also hat der Engel gerufen und ist entschwunden. Im selben aber ballten sich am heitern Sommerhimmel schwarze Wetterwolken zuhauf, und ein tobender Sturm brach los, desgleichen seit Menschengedenken nicht über das Land gefahren: Hagelschloßen, groß und scharf wie spitze Kieselsteine, prasselten herab. Und nach dem Schauer war zu oberst an jedem Halm nur eine Ähre noch. Die andern elfe zerspellt im Boden.

Seit jenem Tage wächst auf jedem Halme nur noch eine Ähre. Und seither ist Not und Teuerung ins Land gekommen.



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DER UNTERGANG VOM RINDERBÜHL

Auf dem Rinderbühl, einer Alp im Maderanertal, molken eines Abends die Älpler wie alle Tage ihre Kühe. Da rief's auf einmal dumpf und hohl von der gähen Wand ob den Hütten: «J lan la gal» Der Meistersenn, ein Mann wie ein Baum, hielt die Hände wie eine Volle an den Mund und rief zurück: «Dä magsch schon nu gha!» Am nächsten Abend erscholl die Stimme abermals, noch lauter als am Tag zuvor: «J müoß la ga!» Der Senn rief zurück: "Mal jez häp nu ä chly!» Der dritte Abend kam. Die letzte Kuh wurde gemolken. Das ganze Senntum stand zuhauf beieinander. Da rief's wieder von der Wand, wie Donner grollend, daß es weithin scholl: «Jäh, j müoß la ga!» Der Senn rückte den Melkstuhl unter der Kuh weg, richtete sich mit dem vollen Eimer an der Hand auf und rief aus Leibeskraft zurück: «So lach's äbä la chu!» Noch eh das Wort verklungen, barst krachend der Fels und donnerrollend und funkensprühend fuhr eine Rüfe haldab und begrub das ganze Senntum mitsamt dem Sennen und den Knechten unter Stein und Grus. Nur der Hüterbube und ein rotes Treichelkühlein, das einzige Stück Vieh einer armen Witwe, kamen davon. Der Bub war mit der Kuh noch auf der Weide unten am Bach gewesen.



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DIE SAGE VOM SCHAFSELBSANFT

Ufern Schafselbsanft het's vor altem schüni Weid ghä. Jez gsieht me nüt meh dervu, wegem Pire, aber as der Firen-abe chu ischt, da ischt der Balz d'Schuld, das ischt der letzt Sänn gsi. Der het mit sym Sänte welle z'Alp fahre. Wo-n-er über d'Brugg will, so gsieht er wyt unde-n-im Loch en aits Wybli, das het ufegrüeft und schüzli by-n-em aghalte, er söll em ufehelfe, aber der Balz het gseit: «Hock du nu da unde! worum bischt abe?» und het glachet.

Es vergünd etis Tage-n-über das, so sitzet der Balz vorussen-und lueget dem Veh. Uf eimal git's e Chlapf, und der Pire rutschet a und flint alls mit em, d'Stei und d'Hütten-n-und's Veh, und der Balz het au nümme chänne flieh und het müesen-über d'Wand abe wie das ander. Wo-n-er schu z'usserst usse gsi ischt, het er das alt Wybli wieder gsih, das isch mit em Eire derher z'ryte chu und het ne-n-use g'stoße-n-und gseit: «Jez will ich lache!»


MUTTERI UND FIDERI

Vor alte Zyten-n-ischt e prächtigs meichs Gresli bis uf die höchste Grät ufe gwachse. Jez findt me's nu noch wyter unde. Worum ächt? Dorum daß es d' Pure z' guet gha händ derby und übermüetig worde sind. Wenn sie a de-n-undere Stäfle gsi sind, so sind sie viel nidsi gange gu tanze-n-und gu wüest tue. Ab de-n-obere-n-abe het's es aber nüd möge gi. D's Gras ist so guet gsi, daß sie drümal hend müese melche z'Tags; drum hend si müese dobe blybe. Das het ne gar nüt gfalle, und sie hend mängmal gseit:



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«Milcherchrut und Cipriu
Söllet ewig dürre si,
Mutteri werd Fideri !»
Weget dem ist d's best Gras, d'Mutteri in der Höchi obe vertüret,
    und es het Fideri drus gi.


D'S LIECHT IM HÄFELI

Es syn iinischt o zwoa Schweschtri gsyn. Die unt ischt as miserabligs, as böß, gittigs Wyb gsyn, aber darzua grusem a ryhi; d's Summer het sie a schwera Tschuppa Veh u de vum fürnämsten, wo du choast gsien, z'Bärg ghäben, gruuß Trächli darzua, u d's Winterzyt gwüß föf ol säx Ghirt in de Stäälen umha. Da ischt a Keena nienaby soa ryha gsyn. Die ander hingägen, vun de gringlochtigsten iis, wo's nadischt Numine no Mueteni git, het och e kes gotzigs Dingeli ghäben: kes Gvichtli, ke Spys, kes Gwendi, weder iis noch a Kus. So het sie's o grad schiergar fit vermögen sälbe z'liechten. Drum ischt sia den aalben zwüscht Tag u Liecht mit der Chochla d'Matten embryn z'disara gangen, für by-n-ihru Liecht z'spinen, daß sie emel o chienti es Tröpfli 01 erhusen. Die Ryhi hetti 's nadischt liechtlig mögen b'salen, 'ru appartig a Tägel z'gien; aber niiniggwüß! dua sie in iru Verbooscht nieme nüt hed mögen gönen, su het sie 'ra nidnummen a keena vor sia sundrig dartan, sie het bym Sapperlilott noch iru iigat Liecht gnoan u het s'es in as Häfeli ynhitan, daß sie ja nüt seliti darvoa gsien. Das het die Armi streng bchrenkt; aber gsiit hetti sia nüt, sie wie mu denn doch no z'stolzi gsyn. Aber am Morgen, wennd's gluuteret het u d'Sunna hinder den Bärgen embruuf choan ischt, da het sie al gschrien und gsiit:

«O du my lieba, liechta Tag,
Dä nimmer j d's Häfeli schließen mag!»


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U jetz, myner Chind, machet's - b'hüet mi Gott! — nid och a soa wie die Ryhi. D's Widerspiel! Gönet enand, was er hut; nu u-n-abchunt üch as arms Mendi ol Wybli, su gät mu gäre, was's mangleti u was er chiänt!


DER UNSEGEN IN DER BUTTER

Auf einer Alp im Schanfigg kam einst ein Bettelmännchen in Lumpen und Hudeln gehüllt zu einem Weibe in die Hütte, das eben Butter sott. Demütig grüßte das Männlein und fragte mit flehender Stimme, ob die Butter im Auf- oder im Abgehen sei. «Sei sie im Auf- oder im Abgehen», antwortete das Weib höhnisch, «was geht's dich an? Du bekommst doch nichts davon.» — «Nun, so soll sie für immer im Abgehen sein», rief das Männlein mit gewaltiger Stimme und ragte aufs Mal wie ein Riese mit dem Haupt unter's Dach.

Und seither nimmt die Butter beim Sieden stetig ab von dem Augenblick an, wo der Schaum verschwindet, bis sie ausgesotten ist.


MEIER WALDIS UND DER BERGGEIST

Waldis hieß der reichsten Bauern einer und mächtigste Mann im Tale. Und das Volk hatte ihm das Meieramt über die Talschaft übertragen. Er verwaltete Wald und Wild, Weide und Wasser, Jagd und Fischerei. Seine eigenen Güter ließ er von Lehensleuten und Häuslern bestellen, indes er selber nur der Jagd oblag, denn das Weidwerk war seine höchste Lust, und oftmals hat er um eines zottigen Bockes willen sein Leben aufs Spiel gesetzt. Den ganzen Sommer durch stieg er den Gemsen nach bis auf die steilsten Gräte und schoß die schönsten weg.

Die Gemsen aber kamen alle von einer frutigen Alp zuhinterst in den höchsten Bergen, wo die melchigsten Kräutlein



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wuchsen, und gehörten zur Herde des Berggeistes, Schwarzbart geheißen, der Milch und Käse von ihnen gewann. Aber allemal gaben die gejagten Tiere, die den Jägern entronnen, rote Milch. Wehe, wenn je ein kühner Weidmann sich in jenen Bereich verstieg. Jählings trat der Geist ihn an und gebot ihm, seine Herde in Frieden zu lassen, und wer der Warnung nicht achtete, den stürzte er über die Felsen in den Abgrund.

Einmal, als der Meier Waldis auch wieder zu Berg gegangen war und eben auf dem Anstand lag, da stand mit eins der Berggeist vor ihm, ein Riese mit rabenschwarzem, langwallendem Bart und Augen wie glühende Kohlen. Mit drohendem Rust sprach er zu dem erschrockenen Manne: «Waldis, warum verfolgst du meine Geißen, die mir Milch und Käse geben? Laß ab von dem Mord meiner Tiere! Zum Entgelt magst du dir eine Gabe wünschen!» — «Gut», sagte der Meier, «ich habe gleiches Recht wie du, aber deine Gemsen sollen geschont sein, ich will keine mehr schießen, wenn du mir einen Ankenkübel voll der süßesten Butter gibst, so groß, wie man sonst keinen auf der Welt gesehen hat.» Dann hängte er seine Büchse um und schritt talwärts.

Als er am anderen Morgen vor die Türe trat, stand wahrhaftig der Kübel schon auf der Matte, so hoch wie der Kirchturm von Kippel, bis zum Rande gefüllt mit frischgekirnter, süßer Butter. Und so fort jeden Morgen am selben Ort, alle Tage.

So gingen einige Jahre ins Land. Und die Leute wunderten sich sehr, daß der Meier nie mehr sein Gewehr zur Hand nahm. Die gefriedeten Gemsen aber vermehrten sich so sehr, daß sie in hellen Rudeln in die Matten und Acker, ja bis in die Kohigärten herabkamen. Als der Meier die feisten Tiere sah, da zuckte und ruckte es ihm in allen Gliedern, und unversehens griff er zur Flinte und schoß einen fetten Bock. Aber noch war der Schuß nicht verhallt, da brach ein Unwetter los,



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wie wenn die Welt untergehen sollte, Blitz und Donner schmetterten krachend Schlag auf Schlag, und durch das Sturmgebraus tönte dumpf die Stimme des Geistes: «'Weh dir, du hast dein Wort gebrochen! Zu Fels und Firn wird Flur und Matte!» Und als das Wetter vorüber war, da war das blühende Talgelände eine wüste Steinöde von Schutthalden, Gufer und Grus, und wie ein Felsenturm ragte der Ankenkübel empor. Der Meier Waldis aber ballte die Faust und nahm seine Büchse, klomm über die Geröllhalden bergwärts und strich den Gemsen nach, die allenthalben auf den Grasbändern ästen. Bald sichtete er einen prächtigen Bock, der war schneeweiß, und er verfolgte das flüchtige Tier immer weiter in die Berge hinein, baldauf, haldab, an Schrunden und Gründen vorüber, über Kämme und Gräte, Gletschereis und Firnschnee. Mehrmals kam er zum Schuß, aber jedesmal fehlte er, und hatte doch ein sicheres Auge und eine feste Hand. Aber immer weiter verfolgte er das seltene Wild, fernab von begangenen Bergen, bis er an einer Wand keinen Schritt mehr machen konnte, weder vorwärts noch rückwärts, weder über sich, noch unter sich. Da stand der Geist plötzlich wieder vor ihm. Waldis riß die Büchse an die Wange und schoß ihm eine Kugel durch den Leib. Aber nicht einmal die Stelle war zu sehen, wo das Blei eingedrungen. Der Geist aber lachte gellend auf und rief: «Waldis, Waldis, nimm den Hut vom Haupt, daß du nicht siehst, wie hoch du fällst», — und stieß ihn in die Tiefe.


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DER HIRT UND DIE RIESEN

Es geschah einmal in einem Bergdorf, daß die Leute keinen Hirten mehr für auf die Alp bekommen konnten, denn alle, die sie hinauf geschickt hatten, waren erschlagen worden, man sagte von Riesen, die droben in ihren gewaltigen Steinburgen hausten. Aber nach langem Suchen haben sie doch endlich einen Burschen gefunden, der sich gegen gute Kost und einen rechten Lohn als Aipler bei ihnen verdang - ein Fremder zwar, aber groß und stark. Als der von den Unholden reden hörte, ging er zum Meister Schmied und sagte, er solle ihm aus allem Eisen, was er habe, einen Hirtenstecken machen. Da lachte der Schmied und sagte, einen solchen Stecken wolle er ihm vergebens machen, wenn er ihn lüpfen könne. Da nahm der Bube den Amboß und die ganze Rüstung aus der Werkstatt, hing alles an ein Drahtseil und lief damit ums Dorf herum. Da hat ihm der Meister Schmied den Stecken weidlich schmieden müssen.

Mit dem Stab in der Hand ist der Hirte dann mit der Habe zur Alp gefahren. Unterhalb des Staffels waren drei eingezäunte Weiden, und auf jeder die Burg eines Riesen. Am Abend der Alpfahrt sagte der Senne zu dem Hirten: «Nimm dich wohl in acht und treibe die Kühe nicht auf die Weiden der Riesen, sonst ist's um dich und die Tiere getan!» —«Nein, nein, weiß wohl», antwortete der Hirt, «aber gebt mir dicken Nidel zum Frühstück!»

Am andern Morgen bekam er einen großen Napf mit Rahm, und dann ist er mit dem Senntum auf die Weide gegangen. Aber die Kühe drängten gleich zu der schönen saftigen Weide der ersten Riesenburg. Der Hirt hielt sie nicht zurück, sondern ließ sie ruhig laufen, und ging mit seinem Stecken gemächlich hinterdrein. Kaum aber waren die ersten Tiere auf das umfriedete Gelände gekommen, da stürzte der Riese aus der Burg hervor, einen Baum mit samt der Wurzel schwingend.



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«Wer hat dich hierher kommen heißen?» brüllte er, daß es in den alten Wettertannen und Lärchenbäumen prasselte und rauschte. «Niemand», antwortete der Hirte und gab dem Riesen mit seinem Stab einen Schlag an den Kopf, daß er, so lang er war, wie ein Baum zu Boden fiel. «Laß mich am Leben», rief er, «ich will dir zum Lohn ein rotes Roß geben, das so schnell läuft wie der Wind.» — «Das Roß ist ohnedies mein», sagte der Hirt und schlug den Riesen vollends tot. Dann hat er das Roß am Halfter genommen und es in den Stall auf der Burg gestellt. Am Abend trieb er die Kühe zum Melken auf den Staffel zurück. Die aber haben mehr Milch gegeben als je zuvor. Da sagte der Senn: «Du bist gewiß auf der Weide des Riesen gewesen?» — «Auf einer guten Weide bin ich gewesen», antwortete der Hirte.

Als er am andern Morgen austrieb, da sind die Kühe gleich zur andern Riesenweide gelaufen, und der Hirt wehrte ihnen nicht, sondern ging mit seinem Stecken gemächlich hinterher. Kaum betraten sie die Umfriedung, da stürzte der zweite Riese aus der Burg hervor, der schwang zwei ausgerissene Tannenbäume. «Wer hat dich hierher kommen heißen?» brüllte er, daß es scholl wie das Getöse einer Rüfe. «Wart, ich will dir dafür tun!» — «Ich selber», sagte der Hirt und gab ihm einen Schlag über den Kopf mit seinem Stecken, daß der Unhold umtrolte wie ein Steinklotz. «Laß mich am Leben», rief er, «und ich gebe dir ein schwarzes Roß zum Lohn, das so schnell läuft wie der Blitz!» — «Das Roß ist ohnedies mein», sagte der Hirte und schlug den Riesen vollends tot. Dann nahm er das Roß am Halfter und stellte es in den Stall der Burg. Zur Melkzeit trieb er das Senntum wieder auf den Staffel zurück, und die Kühe gaben noch mehr Milch als am Abend zuvor. «Du bist gewiß auf der Weide des andern Riesen gewesen», sagte der Senn. «Auf einer noch besseren Weide bin ich gewesen», sagte der Hirt.



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Am dritten Tage gingen die Kühe zur dritten Riesenweide, und der Hirte mit seinem Stecken folgte gemächlich nach. Wie sie durchs Gatter kamen, da stürzte der dritte Riese aus der Burg hervor, der schwang drei Tannenbäume, als wären's dürre Haglatten, und brüllte, daß die Felsen und Hübe wackelten. «Wer hat dich herkommen heißen? Wart, das will ich dir für immer verleiden!» — Der Hirt sagte nichts, sondern gab ihm mit seinem Stecken ein Schlag über den Kopf, daß der Unhold sich überkollerte. «Laß mich am Leben», hat er gerufen, «und ich gebe dir ein weißes Roß, das so schnell läuft wie der Gedanke!» — «Das Roß ist ohnedies mein», sagte der Hirt und schlug den Riesen vollends tot. Dann nahm er das Roß am Halfter und stellte es in den Stall auf der Burg und trieb die Herde auf den Abend wieder zum Staffel zurück, und diesmal gaben die Kühe noch mehr Milch als am vorigen Abend. «Du bist gewiß auf der Weide des dritten Riesen gewesen», sagte der Senn. — «Auf der besten Weide bin ich gewesen», antwortete der Hirt.

Unlang, so hat der König im ganzen Land bekanntmachen lassen, der solle der erste Ritter im Reiche werden und die Königstochter zur Frau haben, der an einem Wettrennen am schnellsten zum Ziele reite. Am festgesetzten Tage nahm der Hirte das rote Roß aus dem Stall, das so schnell lief wie der Wind, und ritt auf den Festplatz, wo das Rennen stattfinden sollte. Da waren viele vornehme Herren, die besten Ritter, Grafen und Herzöge versammelt auf den edelsten Pferden. Aber der Hirt ist halt der Erste gewesen. Doch die Höflinge sagten zum König, er könne doch seine Tochter nicht einem armen Hirten zur Frau geben. Das Spiel gelte nicht. Er solle die Probe an einem andern Tage wiederholen lassen, wenn das Glück einem andern hold sei. Der König tat nach dem Rate und ließ einen neuen Wettkampf ansagen. Der Hirte holte das schwarze Roß, das so schnell laufen konnte wie der



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Blitz, und ist wieder der Erste gewesen. Und wieder lagen die Höflinge dem König in den Ohren, er dürfe seiner Tochter und dem Reiche die Schmach nicht antun, einen gemeinen Hirten zum Schwiegersohn anzunehmen. Und der König ließ sich noch einmal überreden und hat die Probe ein drittes Mal verlangt. Der Hirt aber holte das weiße Roß aus dem Stall, das so schnell laufen konnte wie der Gedanke, und im selben Augenblick, als das Zeichen zum Abritt ertönte, ist er schon am Ziel gewesen.

Diesmal hat ihm der König die Tochter nicht abschlagen können, ob auch die Höflinge Gesichter schnitten, als müßten sie Essig schluckweise trinken.

So ist der Hirt ein Prinz geworden und fröhlich stieg er mit der Gebse zu Alp.



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DIE GOLDENE GLOCKE DER FELSENJUNGFRAU

Es war einmal ein junger Hirt aus dem Simmental. Der hatte sein Herz an eine reiche Meisterstochter gehängt. Die hieß Liseli und war weit und breit das schönste Mägdlein im Land. Aber schnöde wies sie den armen Hein ab, er mochte ihr nachgehen bei Tag und bei Nacht, und hielt's mit des reichen Nachbars Hans. Drob ward's dem armen Hein sterbensweh vor Harm, und er hintersann sich schier in seinem Gram. Und trübselig wie ein Schatten schlich er umher. Aber das Liseli lachte ihn nur aus.

Um sich ein wenig zu vertun von seinem Schmerz lief er eines Tages zu Berg, nach den Kühen zu schauen auf der Weide. Als er den untersten Staffel erstiegen hatte und am Brunnen vorbeikam, sah er plötzlich auf einer Platte im Felsgeröll einen alten, rostigen Schlüssel liegen, der gar kunstreich geformt war. Er nahm ihn auf, um ihn zu betrachten. Aber als er aufblickte, gewahrte er im Gewände der überhängenden Fluh ein Löchlein, das wie ein Schlüsselloch aussah. Das deuchte ihn gar seltsam, und neugierig steckte er den Schlüssel ein. Es schien der rechte; er drehte um, und siehe da, eine



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Türe tat sich auf im Felsen. Die ging in einen finstern Gang. Keck trat der Bub ein und kam bald in eine große Kammer im Berge. Darinnen war alles leer und kahl. Er ging weiter durch eine andere Türe. Ein herabhängender Felszacken stand ihm entgegen. Aber nicht faul schloff er behend drunter durch und ging weiter und betrat ein zweites Gemach. Kaum hatte er den Fuß hineingesetzt, erscholl eine gewaltige Stimme, die rief: «Unglücklicher, vollende, was du begonnen, und betritt auch das dritte Gemach!»

Er tut's und schreitet in einen großen Saal. Der schien heller als die Sonne und ein Glanz strahlte daraus, der ihm die Augen blendete. Überall schimmerte es von funkligem Edelgestein und gleißte eitel Gold. Auf einem hohen Stuhle aber saß eine stolze Jungfrau, in alte Tracht gar kostbar gekleidet. Ihr zu Füßen stand ein mächtig großer Hafen voll gediegener Goldmünzen und ihr zu Seiten an der Wand hing eine goldene Glocke. Starr vor Staunen stand der Bub und gaffte. Da hub die Jungfrau an zu sprechen und sagte: «Wisse, hier sitze ich seit vielen hundert Jahren und harre dessen, der mich erlösen wird. Verrichte das Werk. Drei Dinge stehen dir zur Wahl: Der Topf mit den Goldstücken, die goldene Glocke und ich selber. Wähle von diesen dreien, welches du willst. Wählst du aber mich selber, dann werden dir die beiden andern Dinge auch zuteil.»

Dem Hein kam das stolze Liseli in den Sinn. Und nicht gewahrte er, wie die schöne fremde Jungfrau aus traurigen Augen ihn gar ernst anschaute, sein Herz zu wenden, daß er recht wählen möge. Doch er blickte der Jungfrau nicht ins Antlitz, und nicht rührte seine Hand den Goldtopf, sondern mit eins nahm er die güldene Schelle von der Wand und rannte davon, so schnell ihn seine Füße trugen. Die Jungfrau aber stieß einen gellen Wehruf aus und weinend schrie sie ihm Fluch und Verwünschung nach: «Wehe dir, Elender! Dir war



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es gegeben, mich zu erlösen! Jetzt bin ich wieder verdammt, hier zu harren und zu harren hundert Jahre über hundert Jahre, bis wieder die Zeit inne ist, daß mir aber ein Erlöser erscheinen darf. Schade und Schande über dich!» Und der ganze Berg erbebte von Grund auf und donnerte, daß es in allen Schlüften und Klüften dröhnte. Ein gewaltiger Stoß, wie von einem Wirbelwind, traf den Enteilenden und warf ihn mit Wucht hinaus; dröhnend schlug die Felsenporte hinter ihm zu, daß die Fluh erklang. Draußen auf dem Rasen fand er sich wieder, und neben ihm lag die goldene Glocke im Grase.

Frohgemut sprang er in großen Sätzen talab. Hei, wenn er dem Liseli diese Glocke bringe, eine güldene Schelle, wie keine Sennerin sonst sie hatte für die Leitkuh bei der Alpfahrt! Oh, jetzt werde sie ihn gewiß mit tausend Freuden zum Manne wollen! Aber als er zu ihrem Hause kam, — das Herz stand ihm stille - da war sie längst die Frau des Nachbars Hans und hatte schon manches Kind von ihm.

Gebrochenen Herzens wanderte er nun mit seiner güldenen Kuhschelle in die weite Welt. Aber nirgends hielt es ihn; ewige Unrast trieb ihn ruhelos von Ort zu Ort. Die schöne Felsenjungfrau kam ihm nimmermehr aus dem Sinn und das große Glück, das er verspielt. Er kehrte heim und stieg zu Berg, um die Stätte wieder zu finden. Er ging zur Fluh am Brunnen, nach dem Schlüssel zu spähen. Aber wie sehr er auch suchte, er fand den Schlüssel nicht mehr, und nicht das Schlüsselloch in der Bergwand. Totentraurig irrte er nun auf den Weiden umher und läutete auf allen Matten und Staffeln in einemfort die goldene Glocke. Die gab einen gar wundersamen Klang. Aber er mochte läuten, wie er wollte, die Felsenjungfrau rief ihn nicht.

Er aber geriet darüber nur tiefer und tiefer in die Wildnis der Berge hinein, so daß er zuletzt nicht mehr ein und aus



Alpensagen-063. Flip

wußte. Todmüde gelangte er eines Abends beim Zunachten endlich auf eine einsame Alp, wo er nie zuvor gewesen. Vor der Sennhütte stand ein alter Mann, grauer denn das Felsgestein. Der spaltete eben Holz. Diesen bat er um einen Imbiß und ein Nachtlager. «Ja, das kann schon werden», antwortete der Alte, «aber ich muß erst meinen Vater fragen. Der heizt in der Küche den Herd.» Wie der Bursche über die Schwelle der Hütte trat, sah er einen schneeweißen Greis vor dem Ofenloch knien und Scheiter ins Feuer schieben. Der hob den Kopf und sprach: «Tritt ein, wenn es meinem Vater recht ist!» Hinter dem Tische kauerte ein ururalter Mann, das Haupt auf die Platte gestützt. Sein langer Bart, weiß wie Kirschenblust, hing auf die Erde nieder und war weit über den Boden gebreitet.

Diesem mußte er seine Schicksale erzählen. Finster hörten die Alten zu. Als er geendet hatte, da erhob sich der Uralte im Zorne und rief mit Donnerstimme, daß die Berge widerhallten: «Heilig halt ich den Gast! Dir zum Heile! Diese Nacht magst du bleiben. Beim Morgengrauen aber heb dich von dannen, du feiger Wicht! Wisse, meine eigene Tochter ist es, die du verschmäht! Nun muß sie wieder eine Ewe harren, bis aber ein Erlöser kommt.» —

Seither hat man den Buben nicht mehr gesehen, weder auf den Bergen, noch im Tal. Nur in stillen, sternenhellen Sommernächten hören die Sonntagskinder aller Orten das leise Geläute der goldenen Glocke.



Alpensagen-064. Flip


DIE GEISTER AUF DEM LANGGLETSCHER

Ein Jäger ging gegen den Langgletscher jagen. Auf einmal hörte er einen wundersamen Gesang. Er blickte um und sah eine arme Seele, die bis über den Hals im Eise stak. Er schritt weiter, und auf einmal hörte er schmerzlich weinen. Da sah er eine Seele, der nur die Zehen eingefroren waren. Da wandte er sich zur ersten und fragte: «Warum singst du also schön, und warum klagt jene also weh?» Da antwortete die Seele: «Ich singe, weil ich bald erlöst sein werde, jene aber weint, weil ihr Leiden jetzt erst angeht.»



Alpensagen-065. Flip


DIE SCHONE BÜSSERIN

Ein Hirte von der Törbjeralp nahe der Grimsel stieg bei finsterem Regenwetter hoch oben unter Gand und Wand vor Gletscher und Firn im Geröll der Bergöde umher, nach einem verlorenen Rinde suchend. Da sah er aufs Mal grad vor sich eine vornehm gekleidete Dame, die gegen den Gletscher zuschritt. Das deuchte ihn sonderbar, und er beschleunigte seine Schritte, um ihr seine Dienste anzubieten, denn er glaubte nichts anderes, als daß es eine Fremde sei, die sich verirrt habe. Wie aber staunte er, als er ihr nahe kam: denn die Dame ging barhaupt und barfuß, aus dem langen aufgelösten Lockenhaar troff der Regen in Strömen. Das feine Seidenkleid klebte ihr am Leibe. Aber um den lilienweißen Nacken hing ihr eine schwere goldene Kette und ein kostbarer Gürtel schloß ihr das prächtige Seidengewand. An Armen und Fingern funkelten gleißende Goldreifen und blitzende Diamantringe, wie Tautropfen in der Sonne. Mit der einen Hand hielt sie die lange Schleppe ihres Gewandes auf, um besser gehen zu können, mit der andern stützte sie sich auf einen zierlich geschnitzten Stab. Ihre bloßen Füße, von Nässe und Kälte gerötet, zuckten bei jedem Tritt auf die spitzen Steine des rauhen Grundes, so behutsam sie auch auftrat. Das holdselige Antlitz war totenblaß und ganz verhärmt, und blanke Tränen hingen ihr an den Wimpern. Häufig aus tiefster Brust aufseufzend flüsterte sie mit bebenden Lippen Gebetesworte vor sich hin. Von Mitleid ergriffen, faßte der Hirt sich ein Herz und sprach: «Aber um Gottes und aller Heiligen willen, edle Frau, was wollt Ihr bei solchem Wetter in dieser Wilde? Ihr habt gewiß den Weg verloren! Wo habt Ihr Eure Begleitschaft gelassen, daß Ihr so allein seid? Ihr seid doch gewiß zu Pferde gekommen? Habt Ihr denn keinen Führer gehabt? Daß Gott erbarm, wie Ihr ausseht, so ohne Hut und



Alpensagen-066. Flip

Schuhwerk! Erlaubt, so begleit ich Euch zu den Euren zurück. Die werden nicht weit sein, mein ich.» —«Nein, mein guter Mann», antwortete die Dame mit einer Stimme, die tönte wie fernes Glockengeläute, «ich habe mich nicht verirrt. So wie ich bin, ohne Schuhe und Hut, komme ich ohne alles Geleit, ohne Reittier und Dienerschaft. Verlassen habe ich soeben einen stolzen Palast in einer großen Stadt. Zu Mailand liegt noch warm auf der Bahre mein Leib, und meine Eltern stehen davor und weinen bitterlich um ihr einziges Kind, das ihnen der Himmel entrissen hat. Wisse, von Gott bin ich verurteilt worden, hier einsam in Fels und Firn zu büßen, was ich im Leben gefrevelt habe, denn nicht wollte mein Fuß die Erde betreten, allzeit mußte ich nur Kutsche fahren, niemals berührte ein kalter Luftzug oder ein Regentropfen meine Haut. Nie ging ich alleine von Hause, immer sorglich begleitet und behütet. Jegliche Mühe und Anstrengung scheute ich, als wär es das ärgste Ubel der Welt, und kein Vergnügen und keine Freude hab ich mir je versagen können. Drum muß ich jetzt in dieser Wüste wandeln Tag und Nacht in Wind und Wetter bei Regen und Kälte, in Eis und Schnee.»

Noch war das letzte Wort ihrer Rede nicht verklungen, da fuhr plötzlich ein schwarzes Nebelgewölk daher und ein naßkalter Schauer ging nieder und verhüllte die schöne Gestalt. Als es wieder auftat und heiter wurde, war keine Spur mehr von ihr zu erblicken. Da fiel dem Hirten ein, Gott habe ihm die Erscheinung gesandt, damit er ihr helfe und sie erlöse. Und da rief er, so laut er vermochte: «Edle Frau, sagt mir doch, was kann ich für Euch tun?» Aber leise tönte ihm nur der Widerhall seines Rufes zurück. Dumpf donnerte der Gletscher und der Bach toste. Nebelstreifen stiegen aus den Eisschründen auf und nieder und schlangen sich wie Schleier um die zerklüfteten Flühe und Gräte. Die Fremde aber ließ sich



Alpensagen-067. Flip

nicht mehr sehen. Aber dem Hirten wich das Bild der Büßerin nicht mehr aus Seele und Sinn. Immer wieder bei trübem Wetter trieb es ihn an eben jene Stelle, wo ihm die schöne Erscheinung begegnet war. Und manchen langen Tag stand er dort traumversunken, die Augen nach der Gegend gewandt, wo sie verschwunden war. Und immer wieder rief er: «Edle Frau, was kann ich für Euch tun?» Eine Antwort aber ist ihm nie geworden.


Alpensagen-068. Flip


SCHOCH, SCHOCH, D'ALTSCHMIDJA SPINNT NOCH!

Im Aletschtal, nah am Gletscher, wohnte einst in einer altersschwarzen Holzhütte eine fromme alte Witwe, die Altschmidja geheißen. Allemal, wenn sie in den langen Winternächten bei einem Nachtlämpchen an ihrem Rocken saß und emsig spann, so betete sie unablässig für die Verstorbenen, deren arme Seelen in den Eisschründen des Gletschers wohnen mußten. Sie ließ die Hauspforte unverschlossen, damit die Toten in ihr niederes eingeheiztes Stüblein an die Wärme kommen könnten, doch immer erst, wenn sie selber zu Bette gegangen war. Dann öffnete sie ein Fenster und rief leise hinaus: «Jetzt kommt, aber tut mir nichts zu leide!» Und immer ließ sie ein Stümpchen Licht brennen. Kaum lag sie im Bette, ging, wie von einem eisigen Windzug, leise die äußere Türe auf, dann die Stubentür. Zahllose Tritte trippelten und trappelten, schlürften und schleiften, kaum hörbar, herein, als wenn viel Volk sich in die Stube an den warmen Ofen drängte. Gegen Beteläuten verzog die unsichtbare Schar mit dem gleichen leichten Geräusche wieder zur Türe hinaus.

Eines Abends aber blieb die gute Frau länger auf als gewöhnlich, so eifrig spann und sann sie. Draußen aber war es eisig kalt. Aufs Mal rief es deutlich vernehmbar vor dem Fenster: «Schoch, schoch, d'Altschmidja spinnt noch!» «Weiß wohl, weiß wohl», erwiderte sie, «ich will nur eben noch dieses Löcklein Werg ab der Kunkel spinnen.» Aber unlang rief es draußen wieder: «Schoch, schoch, d'Altschmidja spinnt noch!» Da ward die gute Frau schier ein wenig unwirsch und rief zurück: «Wenn ihr's nicht erleiden könnt, bis ich fertig bin, so kommt halt in Gottesnamen herein!» Sie vergaß aber hinzuzufügen: «Aber tut mir nichts zu leide!» Und schon fuhr die Haustüre wie von einem starken Windstoß auf, und



Alpensagen-069. Flip

die Tritte und Schritte der unsichtbaren Abendsitzer wollten kein Ende nehmen, und es war wie ein unaufhörliches Wogen und Rauschen hin und her in dem engen Raum. Ihr aber wurde aufs Mal so angst, daß sie kein Glied mehr regen konnte und vor Hitze schier zu ersticken meinte, und konnte doch nicht vom Rocken fort, so voll von Toten war die Stube. So mußte sie die ganze lange Nacht auf ihrem Stuhl verbringen bis zum Morgengrauen, wo die Geister zur gewohnten Stunde gingen. «Warum hab' ich die armen Seelen in der Kälte warten lassen!)> dachte die Frau, und seither hat sie die Zeit niemehr versäumt.

So gingen die Jahre, und als die alte Schmidja selber zu sterben kam und eben in den letzten Zügen lag, da sagten die Krankenwärter zueinander: «Was werden wohl die armen Seelen jetzt rufen, wenn ihre Freundin tot ist?» Da tönte es draußen durch die stille Nacht laut und klar: «Schoch, schoch, d'Altschmidja lebt noch!» Da lächelte die Sterbende und gab mit der Hand noch ein Zeichen der Freude, dann hauchte sie ihre Seele aus. Im selben Augenblicke leuchtete vor dem Fenster ein heller Schein auf, und wie die Wärter hinausschauten, sahen sie einen großen Zug brennender Lichter, die von dem Haus bis an den Gletscher wie funkelnde Sterne sich langsam fortbewegten, um eins nach dem andern am Rand zu erlöschen. Es waren die Toten mit den Nachtlichtlein, welche die gute Frau für sie hatte brennen lassen. Sie geleiteten ihre Freundin. «Ja, d'Altschmidja lebt noch!» sagten die Wärter und sprachen ein Gebet.



Alpensagen-070. Flip


DER TOTENTANZ

Im Walde auf der Eggen im Natisserberge holzte eines Tages Michel, ein junger Bauer, der in der Quatemberzeit geboren war. Quatember-Kinder aber sind geistersichtig. Als Michel nach getaner Arbeit bei einbrechender Nacht in den menschenleeren Weiler zurückkehrte, um dort in seiner Hütte zu übernachten, sah er in dem Hause gegenüber alle Fenster hell erleuchtet, daß die Scheiben blinkten, und Schatten wie von Menschengestalten daran vorüber huschen. Alte fröhliche Tanzweisen tönten in die sternenhelle Nacht hinaus. «Das wird Jungvolk aus Rischinen sein», dachte Michel bei sich selber, «aber die sind nicht wohlbewahrt, daß sie so spät im Jahr und erst noch in den Tämpertagen hier im geheimen tanzen! Will doch gehen und sehen, wer sich da lustig macht. Aber zuerst eß ich zu Nacht.» Er bereitete sich hurtig einen Imbiß und nachdem er gegessen, ging er behutsam hinüber zur Haustüre. Die stand halb offen, so daß er lautlos zur Stubentüre kam. Die war nur angelehnt, und durch den schmalen Spalt sah er in den Raum, von vielen aufgesteckten Unschlittlichtern



Alpensagen-071. Flip

und einigen Lampen taghell erleuchtet, oben am Tisch in der Ecke den Geiger in einem langen Fäckenrock, zum Tanz aufspielend, und einige andere Leute, die er nicht kannte, in alte Trachten aus Urväterzeiten gekleidet. So auch die tanzenden Paare, die in seltsamen Reigen sich hurtig drehten und kreisten, sangen und sprangen. Die schweren steifen Seidengewänder knitterten und rauschten und gaben einen seltsam hellen Ton wie ein feines Klirren und Klingen. Als Michel genauer hinschaute, sah er zu seinem Staunen, daß den Tanzenden allen wie kleine Eiszäpfchen und Eisblättchen, im Kerzenschein blinkend, in den Haaren und an den Kleidern hingelten und dingelten; aber auch die Finger der schneeweißen Hände schienen von Eis zu sein. Aufs Mal gewahrte Michel im Gewoge der kreisenden Paare ein junges, schönes Weib, in der üblichen Landestracht, das allein im Tanz sich drehte, mit einem Antlitz weißer denn Firnschnee. Mein Gott! fuhr's Michel durch die Seele: die gleicht, wie ein Tropfen 'Wasser dem andern, der Angela, die sie im Frühjahr begraben haben! Mein Gott, was ist das für ein Volk! Im selben Augenblick streifte die Gestalt an der Tür vorüber und winkte ihn mit der Hand herein - und ein eisiger Schauer wehte ihn an, wie ein Hauch aus einem Gletscherschrund, so daß ihn fröstelte durch Mark und Bein. Es war Angela, seine tote Geliebte! Aber jäh packte ihn das schwarze Grauen, am ganzen Leibe vor Entsetzen lottelnd stürzte er aus dem Hause und lief in seine Hütte zurück - er spürte den Boden nicht unter den Füßen —schlug die Türe ins Schloß und stieß den Riegel vor, schloff ins Bett und zog die Decke über den Kopf, vom Fieberfrost geschüttelt. So lag er da, und Stunde um Stunde verging, und er lag noch immer wach. Es mochte Mitternacht oder darüber sein, da ging die Hauspforte auf, es klopfte leise an die Tür des Schlafgadens. Michel wollte aufspringen und rufen, aber kein Glied konnte er rühren, und der Laut erlosch ihm in der


Alpensagen-072. Flip

Kehle. Da ging auch die Kammertür wie von selber auf; es trat wer ein. Er hörte das Klirren und Klingen der Eisstücklein, und es näherte sich seinem Bette, zog sachte die Decke weg und legte sich zu ihm. Dem Michel war's, als müßte er vergehen, aber mit äußerster Kraft machte er das Zeichen des Kreuzes und stöhnte halblaut: «Heilige Jungfrau! — wer bist du?» Da neigte sich die Gestalt an seiner Seite über ihn und berührte seine Lippen, von seinem lebendigen Atem schöpfend. Da wich mit einem Schlage alle Angst von ihm, und eine vertraute Stimme sprach: «Ich bin Angela. Ich komme aus dem Aletsch. Mit anderen Toten muß ich im Eise wohnen, bis gebüßt ist, was ich im Leben gesündigt. Allein in diesen Nächten dürfen wir umgehen und unsere Buße den Lebenden kund tun, denn wir bedürfen ihrer Hilfe, um erlöst zu werden, sonst währt unsere Pein ewige Zeiten. Bitt für uns und gedenke mein!» — «Bei Gott dem Allmächtigen und allen heiligen Helfern, ich gelobe es dir!» flüsterte Michel. Da fühlte er abermals einen Kuß auf seinen Lippen, und die Gestalt löste sich von ihm und schwebte zur Tür in einem hellen Schein wie Sternenlicht und entschwand dem Blick.

Seit dieser Nacht war Michel ein anderer geworden. Fortan lebte er einsam und still, immerfort der Toten gedenkend und ihrer Pein, ein Freund und Helfer der armen Seelen und guten Geister.



Alpensagen-073. Flip


DER VOLKGANG

In den Eggen zu Grächen im Wallis stand ein altes Aiphaus am Rand der Straße, die auch der Geisterweg oder Gratzug geheißen war. Darin wohnte ein Maurer, der war zu Frohnfasten geboren, und konnte drum mehr als sein Handwerk; denn wer zu Frohnfasten auf die Welt kommt, der ist geistersichtig. Und so ging denn auch dieser Mann mit den Wesen der anderen Welt um als mit Seinesgleichen und ward von mancher Erscheinung heimgesucht und oftmals im Traume mit der Ahnung künftiger Dinge begabt.

Einmal spät abends in einer Quatembernacht, als er, rechtschaffen müde von des Tages langer Arbeit, eben zu Bette gehen wollte und schon mit dem einen Bein aus der Hose geschloffen war, da hörte er aufs Mal vom Tal her die Straße herauf ein mächtiges Getöse wie von Trommelschlag, Horngetön und Pfeifengeschrill, so stark, daß die nahen Felsen laut widerhallten. Schnell trat er ans Fenster, daß er sehe, was das für ein Lärmen wäre. Da sah er vom Kirchhof her einen langen Zug verhüllter Gestalten daherkommen, in weißen wallenden Gewändern, Männer und Weiber, junge und alte. Alle trugen brennende Kerzen in den Händen, matt in die Nacht hinausscheinend wie der Mond bei Nebelgewölk, und es war, als rauschte gewaltig der Wind durch die Wipfel der Bäume. Und wie das ferne Brausen eines Sturzbaches erscholl ein dumpfes Gemummel und Gebrummel. Dem Zuge voran aber schritt der knöcherne Tod, schrillen Striches seine Geige streichend. Mehrere von den Wandlern, meinte der Maurer, müsse er doch kennen: einige glichen längst Verstorbenen, andere Leuten, die noch lebten. Jetzt, da die Schar wie eine Wolke am Haus vorüberzog, ward er inne, daß sie hohlen Lautes dumpfe Trauergesänge psalmierten. Eine Stunde verging, er wußte nicht, wie lang oder wie kurz sie war, da endlich schien



Alpensagen-074. Flip

der Zug zu Ende. Zuletzt aber kam noch einer gegangen, ein Stücklein hinter den anderen drein, der stak nur in einem Hosenbein, das andere hielt er in der Hand, so daß er mit den Vorausgehenden nur mühsam Schritt hielt. Als er am Hause vorüberging, reichte er dem Manne seine Kerze. Da schlug die Uhr Eins, und im selben war der Spuk verschwunden mit einem Rasseln und Prasseln, als wenn Knochen und Schädel aneinander stießen. Der Maurer aber stand in stockfinsterer Nacht fröstelnd am offenen Fenster und hielt statt des erloschenen Kerzenstumpfes ein bleiches Totenbein in der Hand.

Da schlug er das Zeichen des Kreuzes und ging stille zu Bett, nachdem er ein Vaterunser gebetet; denn nun wußte er, daß bald ein großer Sterbet ins Land kommen solle, und er selber werde der letzte sein, der sterben müsse. Er hatte den Zug des Totenvolks geschaut, darunter auch die zu sehen sind, denen bald zu sterben bestimmt ist, und zwar in den Kleidern, in denen sie zu Grabe getragen werden. Und wie das Gesicht ihm angekündigt, so geschah es: Unlang, so ging der schwarze Tod um im Land, und als letzter vom Dorf ist der Maurer gestorben.



Alpensagen-075. Flip


DIE BERGFRAU UND DER HIRTENKNABE

Auf einer Alpweide am Rothorn schlief einst ein Hirtenknabe bei seiner Herde. Da träumte ihm, er höre fernher ein Silberglöcklein klingen. Er wandte sich um und sah eine wunderhelle Frau, die seiner weißen Leitkuh eine neue Schelle umhängte. Dann trat sie auf leisen Sohlen zu ihm hin, neigte sich zu ihm herab und sang ihm eine Weise, darob er nicht erwachen konnte. Als sie ihr Lied beendet, winkte sie ihm mit ihrer blütenweißen Hand. Und der Bube wußte nicht, wie ihm geschah, er mußte aufstehen und ihr folgen. Schwebenden Fußes schritt sie ihm voran gegen die Fluh zu, und dann weiter der gähen Wand entlang auf einem handbreiten Pfade, bis ein Torbogen sich auftat, und sie betraten selbander einen finsteren Gang, der ins Innere des Berges führte. Doch der funkelnde Edelstein im goldenen Stirnreif der Frau leuchtete mit seinem Glanz weitherum wie der hellste Lampenschein. Aber bald wurde der Boden unwegsam, und immer wilder das Gelände; über zackiges Felsgestein und scharfe Eisschründe schritten sie hin, so daß dem Knaben mit jedem Schritte bang und hänger wurde, und zuletzt mußte er sich an dem goldenen Gürtelband der fremden Frau halten, das ihr das schimmernde Faltengewand zusammenhielt. Bald überrieseite ihn Frost, bald glühte ihn Hitze an. Endlich kamen sie in eine großmächtige Halle, die schimmerte so hell, daß er, von all dem Glanz geblendet, die Augen wegwenden mußte. Aber schwer wie Blei fühlte er seine Glieder, daß er sich hätte schlafen legen mögen. Da reichte die Frau ihm einen goldenen Becher dar. Der Knabe trank ihn in einem Zuge aus. Da ging's wie ein Feuerstrom durch seinen Leib. Aber jetzt fiel ihm aufs Mal seine Herde ein und daheim das Mütterlein, und weinend begehrte er wieder hinaus aus dem Berge hinauf an die Sonne. Da sprach die Frau: «Denke nicht, woher du kommst.



Alpensagen-076. Flip

Du darfst künftig nur mir gehören, und alle Schätze dieses Berges sollen dein sein!» Und sie reichte ihm einen zweiten Becher dar. Der Trank daraus machte ihn alles vergessen. Lange war er wie im Traum und wußte nicht, was mit ihm geschah. Die Frau sagte ihm viele Worte, deren Sinn er nicht verstand. Da aber war ihm aufs Mal, als wehe kühle Luft ihn an und würden seine Füße kalt wie Eis. Ein warmer Hauch strich über seine Stirn, und an den Händen spürte er feuchte Berührung. Eine vertraute Stimme sprach leise seinen Namen. Da griff er noch immer wie im Traume nach einem Becher, den die Frau ihm bot, und trank ihn mit geschlossenen Augen aus. Ein lauter Schrei erscholl. Er tat die Augen auf. Dunkel war es um ihn her. Rotes Fackellicht erhellte flackernd das Felsengelaß. Er lag wie tot auf einer Bahre. Neben ihm kniete die Mutter auf dem Eise und küßte ihm die Stirn, und zu seinen Füßen winselte sein treuer Hund und leckte ihm die Hände. Männer vom Dorfe trugen ihn aus der Gletscherhöhle dem Bach nach über die blumigen Staffeln ab durch den Wald in die Hütte seiner Mutter.

Der Knabe ist ein stiller, versonnener Mann geworden. Er ging zu den Kranken und Notleidenden in den Tälern und auf den Bergen und linderte Schmerzen und trocknete Tränen.

Und wenn wo das Leid Menschenmaß überging, beugte er sich mit mildem Lächeln über den Duldenden, strich ihm mit sanfter Hand über die Stirn, indem er jene Worte sprach, die einst die Bergfrau zu ihm gesprochen, und aller Schmerz war ausgelöscht.



Alpensagen-077. Flip


DAS ERSTE ALPHORN

Auf der Wengernalp hirtete in alten Zeiten all Sommer ein junger Senn, der hat das erste Alphorn erfunden. Das gab er seiner Liebsten, einer Sennerin. Die hütete nicht weit von ihm auf einer Alp, und bald lernte sie das Horn gar schön blasen.

Früh bei Tag, wenn die Morgensonne die Firne beschien, trieb der Senn seine Kühe auf die Weide; dann lehnte er sich wohl gegen eine Fluh und blies aus frischer Brust ein munteres Morgenlied, und alsbald trieb auf der andern Alp die Jungmagd ihr Senntum aus und blies ein Stücklein zum Gegengruß. So bliesen sie bald zusammen ein Lied, bald jedes für sich seine Weise, und bei frohem Schaue verging ihnen Stunde um Stunde der Tag, und eines ward inne des andern Gedanken im tönenden Klang des Horns von Berg zu Berg.

So ging ein Lenz und noch ein Lenz, und wenn der dritte vergangen, sollte die Ehe sie einen, denn so hatten sie es einander versprochen.

Und aber kam der Lanzig ins Land, die Matten grünten, die ersten Blumen blühten, aus den tiefen Tälern waren die Sennen fröhlich zu Berg gefahren, und die Küher jauchzten und johlten vor Lust. Auch der Jungsenn war wieder auf seiner Alp, und als am ersten Tag die Sonne aufging, blies er einen lustigen Reigen hinüber zum Willkomm. Aber kein Ton erscholl von der andern Alp. Und stärker blies er zum anderen Male. Aber stille war es, da blies er zum dritten Male mit allem Odem so stark und hell wie nie zuvor. Und nun klang es von drüben in sanften Tönen hallend zurück:

Im Fridhof han myn Platz ich gnon!
O, möchtist bald doch zuo mir chon!
Da ward dem Jüngling so weh ums Herz. In wildem Schmerz
nahm er sein gutes Horn und schmetterte es gegen den Felsen,


Alpensagen-078. Flip

so daß es in Stücke zerschellte. Irr und wirr vor Leid lief er einsam haldan über die Weiden hinauf, nur die schneeweiße Treichelkuh lief hinter ihm drein, und leise läutete ihre Schelle. Er aber vernahm keinen Laut mehr und stieg empor durch Schratten und Schrunden auf die Berge und ward nie mehr gesehen. Aber niemand will wissen, wie er geendet. Und lange hat keiner die Kunst vermocht ein Alphorn zu bauen.


Alpensagen-079. Flip


DREIERLEI MILCH

Vor Zeiten hütete alle Sommer auf der Bahlisaip im Hasli ein Senn sein Vieh. Res hat er geheißen. Allabend aber, wann die Sonne zu Gold ging, zaurte und jauchzte er durch die Volle, daß es rundum in den Felsen und Flühen schaute und hallte. Aber rauh war sein Gesang und ungefüge, und schrill und gell sein Ton, denn noch war dazumal die schöne Jodlerweise nicht in den Bergen erklungen.

So ging der Res eines Abends, als die Sonne hinter den Gräten versunken war, nach seinem Juhen und Huien auch wieder einmal zum Staffel ein, stieß den Saren vor, räbbelte auf die Gasteren hinauf und streckte sich auf die Lischen. Müde von des langen Tages harter Arbeit war er bald friedlich eingeschlafen und lag in tiefem Schlummer; aber nicht für lange. Mitten in der Nacht weckte ihn aufs Mal ein Geräusch. Es war ihm, als höre er drunten im Hüttenraum das Feuer sprazzeln. Er rieb sich die Augen und schnellte gleitig von seinem Gliger auf - und geschaut! Aber ebenso jäh fuhr er, starr vor Staunen, wieder zurück. Herr Jent, Herr Jent, was mußte er sehen! Stehen da, bei Gott, drei fremde Mannen, die eben angefeuert haben und dabei sind, den großen Käskessel an den Turner zu hängen und über das hell lodernde Feuer in der Wellgrube zu rücken, um die Milch zu erwellen, und doch war die Tür fest mit dem Riegel verrammelt. «Was habt ihr fremden Bursche da zu schaffen?» wollte der Res gerade rufen - denn der erste Klupf war dem Zorn gewichen — da sah er erst, was das für Gesellen waren. Der eine war ein großer, fester Mann, bäumig wie ein Riese, mit einem Bart, struppig wie ein Tannengrotz und zündfeuerrot, und hatte ein Hirtenhernd an wie ein Küher. Der stand am Herd und richtete den Kessel. Der zweite trug Wasser und Holz zu, schob Scheiter ins Feuer und schürte es von Zeit zu Zeit,



Alpensagen-080. Flip

daß Flammen und Funken flogen. Der war ein hoher, hagerer Mann mit schwarzem Haar und einem großen Schnauzbart, und trug ein grünes Wams wie ein Jäger, und über die Achsel ab hing ihm eine Weidtasche. Der dritte, ein feiner, blasser Knabe mit schneeweißem Gesicht und falbem Haar und Augen, so blau wie der Himmel, half dem Großen alles rüsten, trug aus dem Gaden die Gebsen voll blanker Milch herbei und leerte sie in das Kessi, bis es voll war. Dann drehte der Rote den gyrenden Turner übers Feuer, daß es kroste und krachte, als wollte das Dach einstürzen. Da aber kroch dem Res, wenn er auch sonst nicht grad klupfig war, der kalte Schauder den Rücken ab, und der Schopf stand ihm vom Scheitel gradauf, steif wie Föhrennadeln: wie's nämlich Zeit war, die Milch dick zu legen, winkte der Große dem Hageren, und er nahm seine breite, bauchige Gutter hervor und fleußte — der Donner schieß! — ganz blutrotes Käslab drein, und der große Küher rührte mit dem Brecher aus Leibeskräften um, daß die Hütte bebte.

Unterweilen aber schritt der Blasse zur Tür hinaus - die tat sich von selber lautlos vor ihm auf - und trat hinaus vor den Staffel. Und alsbald hörte der Res Töne und Weisen, Singen, Jauchzen, Juhen und Johlen, wie er es sein Lebtag nie gehört, noch für glaublich gehalten: hoholiohu holihe hoholiloba tönte es von der Hüttenwand ins Dunkle hinaus, dröhnte es mächtig von den Flühen und Wänden wieder, bald hochhinauf schwebend, bald tief, bald sachte, bald laut, daß es weit drüben her von den Firnen und Gletschern widerhallte, als wäre es eine ganze Schar von Sängern, die da jauchzte. Es war grad, als ob alles rundum sänge und klänge, und drein schallte das volle Geläute der Kuhglocken und das helle Klingen der Schellen. Und dem Res wurde so wohl und so wehe ums Herz, daß ihm das Augenwasser kam. So wie ich sage, ist's gewesen.



Alpensagen-081. Flip

Dann kam der Helle wieder herein. Er ergriff ein langes, geschwungenes Horn, von Weiden und Wurzeln umwunden, das er da in einer Ecke hatte stehen gehabt. Das nahm er und stellte sich damit noch einmal vor die Hütte und ließ nochmals die gleiche Weise langsam in die sternenhelle Nacht ergehen, aber diesmal durch das Horn. Das tönte und schallte, sang und klang und jauchzte und juhte, ich kann's nicht sagen, wie seltsam und schön. Das eine Mal hat's gedröhnt und gebebt und gezittert, wie wenn der Föhnluft durch die Schindeln saust und die Balken biegt, dann wieder, wie wenn der Bergwind durch die rauschenden Wipfel des Hochwalds streicht, und dann wieder war's, als wenn im Frühling alle Quellen springen und klingen, und Wässer und Bäche sprudeln und rauschen, oder wie tosender Wassersturz von hoher Fluh. Das andere Mal, als ob's zur Kirche läute, oder wie wenn eine ganze Herde lober Kühe mit Glocken und Treicheln beieinander wäre und stille weidete. — Und abermals



Alpensagen-082. Flip

hörte er das Senntum nah und näher zum Staffel kommen, und wie die Tiere stille standen, um zu losen. Da ergriff es ihn, als wollt es ihm das Herz zersprengen. Und die Tränen rannen ihm über die Wangen ab vor Wonne und süßem Schmerz.

Derweilen war der Große mit seinem Geschäft fertiggeworden. Er schöpfte und schüttete die Schotte in drei bereitstehende Gebsen. Aber, o Wunder, da war die Milch in der einen rot wie Blut, in der andern grün wie Gras, und in der dritten weiß wie Schnee. Aber im selben lugte der Riese ob sich und rief dem Res mit rauhem Rust: «Gleitig, Bub, komm herab und wähl, was du willst, dir und uns zum Heil!» Dem Res fuhr's durch Mark und Bein, und das Blut gefror ihm schier in den Adern. Aber da trat eben der Weiße mit seinem Horn wieder in die Hütte und blickte ihn hellen Auges an. So nahm denn der Res sein Herz in beide Hände und glitt von seinem Lager hinab auf den Boden zu den drei unheimlichen Gesellen. «Aus einer von diesen Mutten mußt du trinken, aus welcher du willst. Bedenk dich wohl und wähle gut!» sprach der Rote mit einem Laut wie Donnerklang. «Hier, sieh, die rote, trinkst du davon, so wirst du stark all deine Tage und mutig dazu, daß keiner dir widerstehen kann. Allen magst du Meister, die auf Erden sind, und nimmst dir mit Gewalt, was du willst, und keiner kann dir dawider sein und dir's wehren. Dein Wille allein wird Herr sein und Richter. Und obendrein geb ich dir noch hundert lobe, rote Kühe — morgen schon weiden sie auf deiner eigenen Alp - und blanke, braune Rosse, und im Tal einen großen schönen Hof mit Acker und Wiesland, Wald und Obstgarten. Nun wähle, und dann greif zu!» Dem Res ruckte und zuckte es in allen Gliedern bei diesen Worten. Da trat der Grüne mit dem Schnauzbart vor und sprach - und seine Stimme tönte wie ein Harsthorn: «Trink aus der grünen Gebse! Bist du nicht so schon stark genug und legst im Hosenlupf die stärksten



Alpensagen-083. Flip

Schwinger auf den Rücken! Und was wolltest du auch mit den hundert Kühen machen, wird dir erst eine bresthaft, so gehst du bald mit der letzten zum Markt! Ich biete dir bleibendes Gut. Ich gebe dir, daß du alles grad kaufen kannst und haben, wonach dich gelüstet. Und der Reichste sollst du sein im Land, und dazu geehrt wie keiner. Und der beste Schütze sollst du werden weitherum in den Tälern und ein gefürchteter, ruhmreicher Krieger in fernen Ländern; fremde Fürsten werden buhlen um deine Gunst. Die ganze Welt ist dein. Da schau nur her und hör, wie's tut!» Und dann leerte der Grüne seinen Sack aus: lauter rote, funkelnde Goldstücke und harte, blanke Silbertaler klangen durcheinander, daß dem Res ganz irr und wirr wurde in Augen und Ohren. Und es zog ihn an allen Haaren.

Der Blonde hatte derweil im Dunkel gestanden, auf sein Horn gelehnt, als wie im Traum verloren. Jetzt hub er die Augen auf und sprach mit einem Laut so rein und voll wie silberheller Glockenton - und seine Wangen röteten sich wie die Alpenrosen an der Fluh und seine Augen leuchteten: «Trinkst du aus der weißen Gebse, so gebe ich dir meine Stimme, meinen Gesang und mein Horn. Und morgen früh, wenn die Sonne aufgeht, wirst du den Kuhreihen so schön singen, jodeln und blasen können, wie du es zuvor von mir vernommen. Und wer dich wird singen und spielen hören, dem wird das Herz von den Klängen und Tönen also erfreut, daß er es nimmer vergißt, solange er lebt. Du aber wirst Gott und allen Menschen lieb sein!» — «Der wyße bin j mi gwennt», sagte der Res, hub die Mutte leicht an den Mund; frische, würzige Milch war, was er trank. «Du hast gut gewählt», sprach der Helle, «hättest du anders getan, du wärest des Todes gewesen. Hundert und aberhundert Jahre wären vergangen, ehe ich meine Gabe den Menschen wiederum hätte darreichen dürfen. Gott ist mit dir gewesen und hat dein Herz beseelt.»



Alpensagen-084. Flip

Und da waren die Dreie auf einen Schlag verschwunden. Das Feuer in der Wellgrube erlosch, und unversehens lag der Res wieder auf der Lischen und schlief, wie wenn nichts gewesen wäre. Als aber die Sterne erblichen und die Vögel zwitscherten und pfiffen und die Sonne kam, da erwachte er und meinte, das alles habe ihm bloß geträumt. Aber da lag das Horn, das ihm der Weiße nächten gegeben hatte. Und flugs ging der Res hinaus vor die Hütte, stellte sich mitten auf die Alpmatte, wo das Vieh weidete, und hub an aus voller Brust zu singen und zu jodeln und zu blasen. Aber da liefen alle Kühe von selber herzu und reihten sich in Ordnung ein und die wildeste wurde zahm und ließ sich melken. Und wie er's auch versuchte, ob leis oder laut, er konnte singen und jodeln und blasen, wie nächten der Blauäugige. Und von Berg zu Tal scholl sein Gesang, so wundersam rauschend wie Quellen und Bäche, sausend wie in den Wäldern der Wind, brausend wie tosende Wasserstürze in Kluft und Schluft der Berge, so daß die Menschen, die den Klang vernahmen, es nimmer vergaßen.

Also hat sich der Kuhreihen vererbt von Geschlecht zu Geschlecht bis auf den heutigen Tag, und die Sennen haben die Weise, das Jauchzen und Spielen nimmer verlernt.



Alpensagen-085. Flip


WIE EINER DAS GEIGEN LERNTE

Auf einer Alp im Nanzertal sömmerten ein Senn und ein Hirte ein Senntum Kühe nebst Schweinen und Schmalvieh. Der Hirte -Christen hieß er - war ein frommer Bursche, der seine Arbeit fleißig tat. Der Senne aber, ein roher Mann, fluchte und schwor den lieben langen Tag, tat selber wenig oder nichts und jagte den Hirten nur so herum, und wie der's auch machen mochte, nie war's recht getan, und dann setzte es obendrein böse Worte oder gar Schläge. Wenig und schlecht war die Kost, die der arme Bube bekam, aber das Ärgste war: allemal wenn er abends beim Zunachten sein Gebet sprechen wollte, dann lachte der Meister ihn nur aus und spottete mit spitzigen Stichelreden.

Als sie nun im Spätsommer von dem Obersäß auf den niederen Staffel fuhren, blieb beim Aufbruch im Vergeß ein Melkstuhl in der Hütte stehen. Obwohl es schon spät am Abend war und eben dämmerte, befahl der Senn dem Hirten, den weiten Weg wieder hinaufzusteigen und den Stuhl diese Nacht noch heimzuholen. Der Bube fürchtete sich zwar sehr, denn die Schatten langten schon hoch die Halden hinauf, aber ohne zu murren lief er wieder zu Berg, und bald war es stockfinstere Nacht geworden.

Wie er zur Hütte kam, tat er die Türe auf. Da aber war in der Stube eine lustige Gesellschaft beisammen, ein ganzer Schwarm Sennen und Älpierinnen, alle in altmödigen Gewändern. Die taten, als ob sie hier zu Hause wären. Der Hirte erschrak, daß ihm eine Hühnerhaut den Rücken abfuhr, man hätte Käs dran reiben können, und wollte wieder davonlaufen. Aber einer der Männer, der älteste, ein eisgrauer Greis, hielt ihn zurück und sagte: «Komm nur herein, hab keine Angst. Es geschieht dir nichts. Warum aber bist du heraufgekommen?» —«Mein Meister hat den Melkstuhl vergessen,



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und den soll ich heut nacht noch holen.» —«So, so», sagte der Alte, «der Stuhl ist dort. Aber sitz jetzt nur ab und ruh dich ein wenig aus!» Derweil hatten die andern einen Haufen Holz in die Feuergrube geworfen, Funken geschlagen und angezündet, und den Kessel übergehangen, und fingen nun zu käsen an, obwohl kein Tröpflein Milch mehr im Keller war. Der Christen tat keinen Schnauf auf seinem Hock und zog die Füße an vor Staunen, denn jenen ging alles glatt und rasch durch die Hände, wie er's noch nie gesehen. Als sie fertig waren, stellten sie eine Mutte voll Schotte auf den Tisch und sprachen: «So komm und iß mit uns!» Der Bub wagte nicht, nein zu sagen, und Hunger hatte er auch von dem weiten Weg, und so saß er mit großen Augen mit den andern zu Tisch und griff wacker zu, so unheimlich ihm auch zumute war. Als er genug gegessen hatte, wischte er sich den Mund und dankte. Dann räumten sie ab, und hernach gingen alle hinaus vor den Staffel. Da spielten einige lustige Weisen zum Tanz auf, während die andern sich in zierlichen Reigen schwangen und künstliche Tänze traten. Der Christen aber stand wie versteinert und lauschte den Tönen. Ihm war's, als höre er die Engel im Himmel musizieren. Da trat aufs Mal jener Alte zu ihm und fragte, ob er lieber Singen oder Geigen lernen wollte. Der Bube sagte, lieber singen, er sei doch zu arm, sich eine Geige zu kaufen. «Nun, nun, deß mag schon Rat werden», sagte der Alte und reichte ihm eine prächtige Geige. «So, jetzt spiel mit den andern!» Und ehe der Christen wußte, wie ihm geschah, hatte er seine Geige schon angesetzt und strich die Saiten, man hätte meinen mögen, das Fiedeln sei immer schon sein Geschäft gewesen. Und so hurtig ging das Spiel, und immer schneller und schneller, daß ihm zuletzt ganz schwindlig wurde und er nicht mehr wußte, wo ihm der Kopf stand. Da erlosch aufs Mal Feuer und Licht wie ausgeblasen, und alle waren verschwunden, als hätte der Erdboden


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sie aufgenommen. Der Christen aber legte sich auf die Tril und schlief vor lauter Müde auf dem Flecke ein.

Wie der Tag lauterte, erwachte er aus einem tiefen Schlaf, rieb sich die Augen von dem wunderlichen Traum, aber da lag ja die Geige neben ihm samt dem Bogen. Gleich nahm er sie unter den Arm, hängte den Melkstuhl über die Achsel und stieg singend und jodelnd den Berg ab, heller trillernd als Bergfink und Amsel, und dazu fiedelte er fröhlich, daß es weithin sang und klang. Als er zur Melkzeit auf den untern Staffel kam, liefen ihm die Kühe nach, die Plumpen schüttelnd, und ihnen nach die Kälber, Schafe und Schweine. Von dem Getöse erwachte der Senne, der noch tief im Schlafe lag. «Chunnst endli emol, du glampete Hösi!» schnarzte er den Christen an. Der aber hörte gar nicht, was jener sagte, und spielte fort. Das nahm den Sennen denn doch wunder, und er fragte ihn, wo er die Geige her habe, und wer ihn so schön spielen gelehrt. Der Christen erzählte ihm alles der Reihe nach, was ihm begegnet war. Da meinte der Senn, eine so gute Gelegenheit, Geigen zu lernen, wolle er auch nutzen; das deuche ihn die schönste Musik. Und am Abend spät stieg er heimlich ohne Grund zum Obersäß hinauf. Und richtig fand auch er die Gesellschaft vor, und alles ging gleich wie beim Hirten. Als sie ihn aber fragten, was er lieber lernen wolle, Singen oder Geigen, da sagte er Geigen.

Am Morgen drauf vermißte der Hirte den Sennen. Er suchte und suchte überall im Gelände, und fand ihn nirgends. Zuletzt kam es ihm, der Meister möchte zum Oberstaffel hinaufgestiegen sein. Da ging er hinauf und fand in der Hütte den Sennen tot auf dem Boden liegen, auf der Brust das Bild einer Geige eingebrannt.



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DAS ABENTEUER DES GEIGERS

Der Geiger Hans Jöri von Sargans sollte einst in Liechtenstein drüben an einer Kilbe aufspielen. Er machte sich schon am Vorabend auf den Weg, um am nächsten Morgen im Städtlein allerlei Geschäfte zu besorgen. Spät erst kam er unterhalb Balzers über den Rhein. Es war schon tiefdunkle Nacht. Da wurde er plötzlich von artig gekleideten Leuten angeredet und von der Landstraße abseits gerufen in ein hell erleuchtetes Haus, aus dem ihnen fröhlicher Lärm entgegenscholl. «Ei, da gibt's einen guten Schluck für den Durst und ein paar Batzen Nebenverdienst obendrein. Ja, unverhofft kommt oft», dachte der Hans Jöri wohlgemut, obwohl er sich nicht erinnern konnte, an dieser Stelle je ein Haus gesehen zu haben. Ober eine hohe Stiege kamen sie in einen Saal, wo eine glänzende Gesellschaft beieinander war, und toll und voll ging's her. Er solle gleich aufspielen, aber nicht auf seiner eigenen Geige. Und man reichte ihm eine silberne Geige samt Fiedelbogen. Die sang und klang, als musizierten die Engel im Himmel. Und bald ging der Tanz an, daß einem die Augen flirrten und der Staub wolkenweise auffiog. In den Pausen mußte der Hans Jöri an einem schön gedeckten Tisch mit auserlesenen Speisen und Getränken in kostbarem Geschirr sich gütlich tun. Ein feiner Herr, derselbe, der ihm die Geige gegeben hatte, bedeutete ihm jedoch, er solle sich's nach Herzenslust munden lassen, aber auf nichts achten, was um ihn her vorgehe, und sich durch nichts stören lassen, was auch geschehen möge, vor allem aber solle er kein Sterbenswörtlein beim Trinken aussprechen. Dem Hans Jöri kam das zwar sonderbar vor, aber «wo's Bruch ischt, leit ma d'Kuah i d's Bett», dachte er bei sich und nickte nur, und spielte einen Tanz nach dem andern auf bis gegen Morgen, und zwischen hinein ließ er sich's allemal weidlich schmecken. Auch kümmerte sich



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keiner von den Gästen weiter um ihn. Aber alsgemach wurde es ihm so mutterseelenallein unter dem lauten Volk denn doch ein wenig langweilig zumute. Auch machten der feurige Wein ein und das Getümmel im Saal ihn warm und mitteilsam, so daß er schließlich, den schweren Silberbecher nach einem guten Schluck mit einem kräftigen Klapf auf die Tischplatte abstellte und halblaut vor sich hinmurmelte: «Gsundheit, Hans Jöri! Gseg'n der's Gott, Hans Jöri! Fürcht's der nüt, so geschieht der nüt!» Kaum aber war ihm das Wort über die Lippen, da war mit einem Schlag Tisch und Tanz und Saal und Sang verschwunden. Und der Hans Jöri saß im Frühlicht auf dem Vaduzer Galgen, statt des Silberbechers einen Kuhfuß in der Hand, und statt der Geige hielt er eine tote Katze am Schwanz. Da saß er nun und mußte warten, bis ein früher Wanderer des Weges kam und im Städtlein berichtet hatte. Da kamen sie mit einer Leiter, und der Hans Jöri konnte endlich mit froststeifen Gliedern von seinem luftigen Nachtsitz heruntersteigen. Unter dem Galgen aber lag seine eigene Geige. Er ist aber seitdem nie mehr am späten Abend über den Rhein gegangen.


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'S NACHTVOLK TANZT

En Jeger ist amol under'ma dürra, tschudriga Bäumli über Nacht gsi. Um Mitternacht verwachet er ufsmol us'am Schlof und gsieht's Nachtvolk uf an zuako. Do dänkt er bei am selber: mit derlei Lüta ist ma-n-am gschydtsta manierli, und goht as bitzli uf d'Syta. 's Nachtvolk ist do näher und näher ko und sie hend si underem Bäumli ufgstellt, und do fangt seil Bäumli uf einmol a voma selber gär liebli ufspilla: das eint Ästli blost d'Flöta, as ander's Glarinet und as Zwygli s'chly Pfyfli. Und a so-n-a liebligi Musig ist gsi, wia-n-er syner Lebtig noch keini ghört het, grad a's teten d'Engel ufspilla,



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und je lenger, um so liebliger tönt's. Und 's Nachtvolk, fit ful, lot a und tanzt umme-n-um's Bäumli, Paar an Paar, daß gstübt het.

Wia der Jeger kurzwylig beim Tanza zualuaget, ghört er uf eimol da Berga-n-ananderno-uffa miaua, und wia-n-er si as bitzli fürsi bückt und über as Büeheli ahiluaget, so gsieht er as Tschüpli Katza mit Arna grüsliga Gschrei uffikrabla, daß dem Jeger dür Mark und Bei ganga-n-ist, und a jedwederi zücht a Lägeli Wy nohi am Schwanz. Wo do die Fuehr zum Tännli kunt, het der Tanz as End gno. Und jez wird azäpft und ygschenkt, aber j Küehtschagga, und anander zuabrunga. Beim Taga aber sind Nachtvolk und Katza mit der gleerta Läglena abgfahra.


DER SCHUSTER VON KIPPEL

Zu Kippel im Lötschental saßen einmal drei Schuhmacher beisammen auf der Stör, und, daß ihnen die Arbeit leichter von der Hand gehe, schwatzten und plauderten sie eins und erzählten einander allerlei Bozengeschichten, die eine toiler als die andere. «Ja», sagte einer, «heut ist Tämpersamstag, da gehen die Bozen um. Wer von uns würd es heute abend wagen, auf die Gugginaip zu gehen!» — «Ich, meiner Seel, nicht», sagte der andere, «aber es gilt die beste Treichelkuh in Lötschen, wenn einer in's Trummernazis Hütte heut nacht einen Schuh bestechen darf. Dort haust ein Boz, ein ganz böser!» Der dritte hatte lange schweigend zugehört, jetzt sagte er: «Ist's Euch Ernst mit der Kuh? Ich gehe schon. Aber schafft mir drei Dinge: ein gesattelt Roß, einen schneidigen Säbel und eine geweihte Kerze!» Die beiden anderen Gesellen schlugen lachend ein; denn sie dachten, der komme nicht



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weit und sei bälder zurück als er fortgegangen. Aber, sagten sie, er müsse in der Hütte ein Zeichen zurücklassen, daß er dort gewesen sei.

Nach Feierabend packte der Schuster sein Werkzeug zusammen und ritt auf seinem Gaul Staubvomboden fort. Bis zur Tennmatten ging's im Galopp. Hier pfitzte ihm heftig ein Gretzlein ins Gesicht. Erschrocken schlug der Schuster mit seinem Säbel in die Dornstauden. Da raschelte, knisterte und knackte es, und ein gräßlicher Scheuel schrie schauerlich aus dem Strauch:

«Der Tag ist dyn,
Die Nacht ist myn.
Hettist du mich unter der Dornstuiden lassen sin!
Hettist hinad fit Ryßends und Byßends,
Gwichts und Gwachsts,
So tet ich dich hinad chlein zerschryßen.
Aber wenn d'denn chuist bis zum Chluiwstein,
Da will ich dich denn lern spinn rein!»

Der Schuster hört's und denkt: «Ja, ja hinad ist änmal der Rächt hiä!», gibt dem Roß eins in die Weichen und sprengt zu durch die nächsten Dörfer am Wege, die still im Schlafe liegen. Im Horoiw aber stand eine gewaltige Flammengestalt, die Beine wie ein Tor über die Wegenge spreizend von einem Chluiwstein zum andern hinüber. Je näher der Schuejer der Stelle kam, gesto größer und gräßlicher reckte sich das Ungetüm auf, so daß es ihm um die Herzgrube gramselte. Aber er gab sich einen Ruck und machte das Zeichen des Kreuzes. «He, änmal der lebendig Tifel würscht äs deich' nit sin!», rief er und gab dem Roß wieder eins in die Flanken, daß es mit einem Sprung durch das Tor setzte. Dem Schueni war's, als ob er durch Feuer ginge.



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Nun war der Weg zur Hütte, wo er die Schuhe nageln sollte, frei. Unlang, so war er am Ort und band das Roß vor der Türe an. Dann ging er mit festem Tritt hinein, zündete die Kerze an und stellte sie auf den Tisch. Auf der Treche machte er ein Feuer an, damit er besser sehe, und dann setzte er sich hinter seine Arbeit.

Wie unser Schuster nun so im besten Zuge ist, klopft's plötzlich ans Fenster, zuerst sachte, dann immer fester und stärker, daß zuletzt die Scheiben klirrten und tschätterten. Aufs Mal sprang der Flügel auf, und ein Boz lotzte zur Stube herein. Ein Gefräß hatte der wie ein Schweinsgrind, und zu den Augen aus hat's ihm geblitzt wie's bare Feuer. Eiskalt lief der Schauder dem Schuster über den Leib, und die Haare sträubten sich ihm wie Borsten auf dem Kopf. Aber er schusterte nur um so eifriger zu und tat, als merke er von allem nichts. Aber alsgemach lampte der Unhold mit seinem Saurüssel über den Tisch herein und fing an, ihm alles Werkzeug durcheinanderzumachen, und gröhlte und krächzte in einem



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fort: «Was ist das? Was ist das?» Dies wurde dem Schuejer zuletzt denn doch zu arg, er schlug ihn derb auf die Prazzen und sagte: «Das ist äs Gnyphölzli, und wenn du damit oich eis willt, so chaist nuh neher chon!»

Wie der Schueni mit seiner Arbeit zu Ende war und die Schuhe fertig genagelt hatte, stand er auf, packte seine sieben Sachen zusammen, und schlug noch zum Zeichen, daß er da gewesen sei, drei Nägel in die Tischplatte. Dann nahm er Käs und Brot aus dem Sack, um sich für den Heimweg zu stärken. Er saß ans Feuer und briet sich den Käse. Aufs Mal hockt der Boz neben ihm und hält seine Klauenfüße ans Feuer und röstet sich die Fersen und schneidet mit einem schartigen Hegel davon Streifen herunter, wie der Schuster Mocken von seinem Käse, und hält sie ihm hin: «Sä, willt oich?» Der schüttelt den Kopf und sagte: «Gsich du z'dyna und ich z'myna! Friß du dys und ich mys!» Aber der Scheuel gab nicht nach, sondern streckte ihm wieder seinen Fuß hin. Da nahm der Schuster unversehens seine Gnypn hervor und schnitt dem Unhold in die Tschaggen. Der heulte auf und schrie, durch Mark und Bein gellend, daß es nicht zum Hören war, rollte die Augen und fletschte die Hauer. Der Schuster nahm flugs die Kerze, war in einem Sprung und Schwung auf dem Roß und sprengte davon, daß die Funken stoben. Und hinter ihm drein kreischte das Gewimmer und Gejammer des Bozen. Der Schuster aber, schaute nicht um und ritt starrengangs heimwärts.

In Kippel erwarteten ihn seine Kumpane, die schlafend den Kopf in den Armen am Tische saßen. Sie hatten die Wette verloren und mußten ihm die versprochene Kuh geben. Aber der Gewinner hat sich seines Besitzes nicht lange freuen dürfen. Seit jener Nacht serbte und siechte er, und bald hat man ihn in den Totenbaum getan.



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DER GEISSHIRT UND DIE KRÖNLEINSCHLANGE

Wenn der Geißbube von Herbriggen an den Augen seiner Geißen sah, daß es Mittagszeit war, ging er allemal mit seinem Ranzen an den Bach hinab, um auf einer Steinplatte seinen Imbiß zu verzehren. Und allemal kroch aus einer Felsenritze eine große grünschillernde Schlange herzu mit rotem Kamm und einem goldenen Krönlein auf dem Kopf, und er teilte sein Essen mit ihr. Nach der Mahlzeit stieg der Bub ins Bachbett hinunter und trank. Die Schlange folgte ihm und tat desgleichen, legte aber vorher ihr Krönlein auf einem Steine ab. Das ging so manchen Sommer. Aber einmal kam der Bube daheim auf die Schlange zu reden. Der Vater, ein habgieriger Mann, stieg andern Tags insgeheim mit zu Berg und versteckte sich in der Nähe des Baches. Als der Bube mit der Schlange kam und trank, schlich der Mann herzu und schlug dem Wurm mit einem Knüttel auf den Kopf, daß er, im Kreise sich windend, verzückte, und nahm das Krönlein. Da aber gab's ein Donnergetose unter der Erde, und auf einen Schlag tat ein Riß sich auf durch die ganze Weide und krachend lösten sich berstende Erd- und Steinmassen, und eine gewaltige Rüfe ging nieder, Wald und Matten bis ans Dorf hinab verschüttend.



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DER SCHLANGENBANNER

Auf der Saaser Alp im Prättigau, einer der schönsten im Bündnerland, wimmelte es einst an den sonnigen Halden von zahllosen Schlangen. Zu ganzen Knäueln vernestelt deckten sie, die giftgeschwollenen Bäuche blähend, große Strecken der melchigsten Weideflächen. Wo man ging und stand, kroch und ringelte es sich zischend. Sie bissen Menschen und Vieh, drangen in den Staffel, soffen Nidel und Milch im Gaden, stahlen Brot, Käs und Zieger. Sie wanden sich den brüllenden Kühen um Hals und Horn, so daß die Milch, die sie gaben, blutfarben ward. Die Bauern wußten keinen Rat gegen den Greuel, und als die schönste Kuh des Senntums, die Heerkuh, von dem Gewürm getötet wurde, beschloß die Genossame die Alp zu räumen.

Da kam eines Tages ein fremder Landfahrer ins Dorf, ein kleines spinnendürres Männlein, das aus grauen Äuglein unter borstigen Brauen in die Welt guckte; man sah's auf den ersten Blick, der konnte mehr als nur auf fünfe zählen. Wie der wunderliche Gast von der Not der Bauern hörte, anerbot er sich, die Schlangen zu bannen, wenn sie heilig versprächen, dabei alles zu tun, was er anordne und vor allem ihm kräftig beizustehen, wenn eine weiße Schlange, größer als alle andern, sich zeigen sollte.

Schon am anderen Morgen zogen die Dorfgenossen mit dem Banner nach der Alp, mit Sensen, Äxten, Schoßgabeln und Hackmessern bewaffnet. Hier schichteten sie nach seinen Angaben aus Steinen drei kreisförmige Wälle auf, immer einen Ring im andern. In der Mitte des innersten machte das Männchen aus Reisig und Heidekraut einen hohen Haufen, legte einige Handvoll Kräuter und Wurzeln zu oberst, schlug Feuer und setzte alles in Brand, indem er dazu in einer unverständlichen Sprache ein Sprüchlein murmelte. Dann zog er sein



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Käpplein ab, nahm ein silbernes Pfeiflein aus dem Sack und fing an ein Gesätzlein fremdartiger Töne zu blasen, indem er feierlichen Schrittes mit seltsamen Gebärden das Feuer umging. Im selben Augenblick kamen, noch ehe die Leute sich besonnen hatten, überall aus allen Löchern und Ritzen haufenweise die Schlangen krümmelnd und wimmelnd hervorgeschloffen, schauerlich pfeifend und zischend. In ganzen Klumpen und Krungeln wälzten sie sich über die Steinwälle empor und stürzten in die Flammen, wo sie zuckend und zischend verbrannten. Mit Staunen und Grausen sah das Volk dem Schauspiel zu und freute sich schon des guten Gelingens. Aber da plötzlich schnellten gräßlich fräsend drei mächtig große armdicke Schlangen herzu, eine milchweiße, goldgebänderte Viper mit einer Goldkrone auf dem Kopfe gefolgt von zwei kupferfarbenen, blutrot gesprenkelten Ottern. Laut aufschreiend vor Entsetzen stoben die Leute auseinander. Der Banner aber schrie mit schriller Stimme gellend: «Das ist die Königin! Schlagt sie tot!» und setzte behend wie ein Eichhörnchen auf die nächste Tanne. Die weiße Schlange schoß ihm nach und wand sich fauchend am Stamme hinauf. Da aber ermannte sich ein beherzter Küher und spießte den Wurm mit seiner Mistgabel am Baume fest und hieb ihm den Kopf ab, indeß andere mit ihren Knüppeln die beiden roten Schlangen totschlugen. «Schonet der Krone!» rief das Männlein, das sich geschwinde an den Ästen herunterließ. Dann löste es behutsam die Krone vom Kopfe der Schlangenkönigin, schob sie zu seiner Pfeife in den Sack und sprach: «So, ihr guten Leute, das ist mein Lohn, und ihr habt auf eurer Alp fortan Frieden vor dem Gewürm.» Und seitdem hat man alida auch nie mehr von Schlangen sagen hören. Auf dem Fleck aber, wo das Feuer gebrannt hatte, ist kein Grashalm mehr gewachsen.


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DIE SCHLANGE UND DAS KIND

Den Sennenleuten auf einer Alp im Urnerlande war ein Kindlein geboren worden. Als es einige Jahre alt war, gab ihm die Mutter alle Morgen einen Napf voll Milch. Und während die Eltern an den steilen Halden beuten, saß das Kind mit seinem Kacheli auf den Steinplatten der Treppe vor der Hütte und trank seine Milch. Da kam eines Tages unter dem Geröll eine große schillernde Schlange hervorgekrochen und trank, was in der Schüssel war. Das nächste Mal brachte das Kind einen Löffel mit, machte Bröckli und wollte die Schlange füttern. Da es schon ein wenig reden konnte, sagte es: «Meckli äu näh, nit nur Mämmeli!» und wollte dem Wurm einen Brocken ins Maul schoppen. Aber die Schlange begehrte kein Brot. So ging es den ganzen Sommer, bis die Eltern einmal unvermutet von der Arbeit zwischendurch heimkommend das Kind reden hörten und inne wurden, mit was für einem Spielgefährten es seine Kurzweil hatte. Sie erschraken schier zu Tode. Und am andern Tag stand der Vater unbemerkt mit einem Knüttel hinter einer Wettertanne, und als die Schlange, wie gewohnt, herankroch, gab er ihr einen Schlag auf den Kopf, daß sie verendete.

Seit jenem Tage aber serbte das blühende Kind, und bald ist es gestorben.



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DIE SCHLANGENKÖNIGIN

Vor vielen hundert Jahren hütete einst ein Mädchen die Kühe. Während das Vieh friedlich graste, schaute die junge Hirtin so wie im Haibtraum auf der Weide herum, und wußte selber nicht recht, was sie suchte oder dachte. Aber auf einmal gewahrte sie auf einer Felsplatte eine schöne, schwarze, silberglitzernde Schlange in der Sonne liegen mit einem goldenen Krönlein auf dem Kopf, darin die Edelsteine wie der Regenbogen funkelten. Die war am Verschmachten und rührte sich kaum, als das Kind hinzutrat. Mitleidigen Herzens reichte es ihr seinen Milchkrug dar. Die kranke Schlange lappte begierig von der Milch und erholte sich alsbald, so daß sie davonkriechen konnte.

Unlang trat ein junger, armer Hirte, dem das Mädchen im Stillen zugetan war, vor ihren Vater und bat ihn, daß er ihm seine Tochter zur Frau gebe. Der alte Bauer aber war ein hablicher Mann, und meinte besser zu sein als der arme Hirte: «Wenn du erst einmal so viel Vieh zu besorgen hast wie ich, dann kannst du wiederkommen und freien, meine Tochter ist nicht für dich und deinesgleichen!» sagte er und wies ihm die Türe. Aber von jenem Tage an kam alle Nacht ein feuriger Lindwurm, schlug Hirten und Vieh und verwüstete Wunn und Weide. Was übrig war, befiel eine Seuche, Stück um Stück stand um, und bald hatte der Bauer seine ganze Habe verloren. Da kam der Hirt wieder und sprach: «Jetzt haben wir beide gleichviel, gib mir jetzt deine Tochter zur Frau, wie du versprochen hast.» Der Alte war gottfroh, daß überhaupt noch wer das Mädchen begehrte, und er sagte lieber heute ja als morgen. Am Hochzeitstage, als die Braut den Bräutigam erwartend sich eben zum Kirchgang schmückte, kam aufs Mal eine gewaltige Schlange in ihr Gemach, darauf eine wunderschöne Jungfrau saß, weißer als Schnee und mit Wangen wie



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Rosen. Die sprach: «Fürchte dich nicht, ich bin die Schlangenkönigin. Ich komme, dir zu danken, daß du mich in der Not mit Milch gelabt hast», und sie nahm die goldene Krone mit den Strahisteinen von ihrem Haupt und legte sie dem Mädchen in den Schoß. Dann entschwanden Schlange und Jungfrau, woher sie gekommen. Die Braut aber hob die Krone auf und hatte lauter Glück und Segen davon ihr Leben lang. Das Kleinod hinterblieb den wohlgeratenen Kindern und erbte sich als schönster Schatz des Hauses fort, solange das Geschlecht bestand.


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DER VENEDIGER

Zu dem Sennen auf der Alp Chammli im Schächental, der mit Hirt und Knecht sein Vieh sömmerte, kam eines Sommers ein kleines verhudeltes Zottelmannli in weißen löcherigen Strümpfen, verschossenen himmelblauen Sammethöslein mit goldgelben Knöpfen an den Seiten und einem schäbigen zündfeuerroten Feckenkuttli. Es war schwarzbraun im Gesicht wie Tannenborke, und Augen hatte es wie glühige Kohlen. Es komme von Venedig, sagte es und fragte, ob es den Sommer über auf der Alp bleiben dürfe und bei ihnen schlafen und essen könne. Es sei mit dem landesüblichen Gliger zufrieden und mit der gewöhnlichen Sennenkost. Und überdies werde es alles recht und gehörig bezahlen. Der Senn nahm den seltsamen Fremdling gerne auf. Alle Morgen stand nun das Mannli beizeiten auf, stieg, mit einem feinen Hämmerlein versehen, hinauf zu den Wänden und Gräten und blieb den ganzen Tag aus. Am Abend spät erst kam es zurück und brachte allemal eine Menge der schönsten Steine und Strahlen mit, die es in Gand und Gufer sich zusammengesucht hatte. Die verlas es genau und bewahrte sie sorgfältig in verschiedenen Säcken auf. Die Aipler sahen ihm beim Ordnen und Packen zu und schüttelten den Kopf über die absonderliche Hantierung, meinten, der kuriose Geist sei nicht ganz recht unterm Hut: «'S git doch närschi Lüt uf der Welt!»

Zuweilen traf es sich, daß der Hirt, der die Kühe zu hüten hatte, und das Mannli ein Stück des Weges miteinander haldan stiegen. Einmal nahm der Hirt einen Stein auf und warf ihn nach einer ausbrüchigen Kuh. Das Mannli sah scharf hin, wo der Stein zu Boden fiel, lief hin und hob ihn auf, brachte ihn dem Hirten und sagte: «Ja, gelt, Ihr würdet auch nicht glauben, daß dieser Stein mehr wert ist als die Kuh, nach der Ihr damit geworfen.» —«Abbah, solcher Steine hat's hier übergenug!»



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brummte der Hirte und lief der Kuh nach. «Je nun, wie Ihr meint», sagte das Mannli, schoppte den Stein in den Sack und ging seiner Beschäftigung nach. Es klomm die steilsten Wände hinauf so leicht wie die Fliegen die Stubenwand.

Dem Hirten aber wollten des Mannlis Worte nicht mehr aus dem Sinne kommen. Er war ein armer Mann und hatte im Tale drunten Weib und Kind und besaß nur ein kleines Gütlein, das wenig abtrug, und oft genug hatte er schier gar vergessen müssen, daß die Blutzger rund waren. «Wer weiß», dachte er, «vielleicht hat's doch etwas auf sich damit, und wenn der Teufel aus Steinen Brot machen kann, machen ander Leut damit Geld!» und zuletzt griff er dann und wann insgeheim in den einen und andern Sack und füllte sich selber einen Habersack mit den schönsten Stücken. Es seien ja so viele, daß das Mannli es gar nicht merken werde, und überdies finde es ja täglich genug neue. Und in der Tat, das Mannli machte keine Miene, als ob es den Verlust bemerke. Als der Sommer um war, hatte es sieben schwere Säcke mit seiner Ware gefüllt. So jetzt sei seine Zeit um und die Arbeit getan. Es kehre jetzt in seine Heimat zurück. Und es machte seine Rechnung mit dem Sennen, bezahlte, was es schuldig war, und mehr als das, dankte und nahm Abschied von den Alpiern und schaffte seine Säcke ins Tal.

Im Spätherbst, als ausgealpt war und alle Arbeit auf dem Berg für dieses Jahr zu Ende, nahm der Hirt den Habersack mit den gestohlenen Steinen auf den Rücken, stieg über die Berge und wanderte dem Meere zu nach Venedig, um dort sein Glück zu versuchen. Aber in der großen fremden Stadt wurde es dem Manne denn doch bang, er werde sich nicht zurechtfinden und am Ende unverrichteter Dinge heimkehren müssen oder gar belogen und betrogen werden. Denn er konnte kein Wort weisch. Verloren wanderte er in den Straßen umher, um ein Unterkommen zu finden, das seinem mageren



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Geldsäckel angepaßt wäre. Wie er nachdenklich durch eine schmale Gasse ging, rief ihn aus einem hochgebauten Hause aufs Mal jemand an: «Ja so, Heini, seid Ihr auch hier! Kommt doch herauf!» Dem Hirten fuhr der Klupf in die Glieder, daß er stockstille stand, denn er konnte sich nicht entsinnen, in Venedig einen Bekannten zu haben. Die Stimme aber wiederholte: «Ei, so kommt doch herauf!» Da ging der Hirte in das Haus hinauf und fand dort in einer fürstlichen Wohnung einen kleinen vornehm gekleideten Herrn, den er nicht kannte. Der reichte ihm leutselig die Hand und hieß ihn nochmals freundlich willkommen, wie wenn sie seit alters gute Bekannte wären, und fragte, wie es stehe und gehe, ob die Abfahrt von der Alp gut vonstatten gegangen sei, und wie der Senn und der Knecht sich befänden. «Es ist mir eine Freude, Euch in meinem Hause als Gast zu beherbergen.» Jetzt erkannte der Hirte den fremden Herrn plötzlich wieder: es war der Steinsammler vom Sommer ab der Alp daheim im Urnerland. Verlegen stotterte er einige Worte hervor, denn der Diebstahl fiel ihm schwer aufs Herz, und er wollte sich gleich wieder davonmachen. Doch der Venediger lächelte freundlich und sprach: «Habt keine Sorge, guter Freund, ich weiß schon, was Euch drückt. Wisset, mir ist nichts verborgen. Aber deswegen soll Euch nichts geschehen. Ich bin stadtkundig und werde Euch bei Eurem Vorhaben behilflich sein.» Ob er wollte oder nicht, so mußte der Hirte der Einladung folgen und Quartier und Bewirtung annehmen. Weich war das Bett und üppig Speise und Trank.

Anderntags sagte der Venediger zu dem Manne: «Geht jetzt mit Eurem Sack einige Häuser weiter von hier bis an einen großen Platz. Dort steht ein Gebäude, dessen Marmorstiegen goldene Geländer haben. Da kehrt kecklich ein, zeigt Eure Steine vor, und sagt, sie sollen Euch dafür geben, was sie wert sind!» Der Hirte tat, wie der Herr ihn geheißen, und



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fand den Palast am angegebenen Orte. Man füllte ihm seinen Sack mit funkelnden Goldstücken und entließ ihn. Aber sein Gastgeber war übel damit zufrieden und schickte ihn nochmals zurück: «Sagt ihnen, Ihr habt den vollen Wert noch nicht erhalten, sie sollen Euch den gehörigen Preis blank und bar auszahlen, sonst werde ein anderer kommen und mit ihnen ein Wörtlein sprechen.» Da füllten sie ihm seinen Sack zum anderen Male mit Golddukaten. Aber noch war der Gastgeber nicht zufrieden: «Es ist noch immer nicht der volle Wert! Geht noch einmal hin, und sagt, wenn sie Euch diesmal nicht den vollen Preis erlegen, so kämet Ihr nicht allein zurück.» Da wurde der Sack zum dritten Male voll. Da sagte der Hausherr: «So, jetzt habt Ihr für Euer Leben genug. Kommt jetzt mit dem Gelde mit.» Sie stiegen nun miteinander viele steile Stiegen hinauf und gingen durch dunkle winklige Gänge. Dem Hirten wurde bang und hänger, und scheu schaute er zuweilen den Venediger an. Der aber lächelte bloß freundlich und sprach: «Habt keine Angst. Ich tue Euch nichts zuleide. Die Steine, die Ihr mir entwendet habt, hätten mich nicht reicher gemacht, als die andern, die ich auf Eurer Alp gesammelt habe. Aber Eines muß ich Euch sagen: Tut diese Reise nie mehr! Denn hättet Ihr hier nicht mich getroffen, Ihr wäret nimmermehr aus dieser Stadt lebendig herausgekommen!» Jetzt betraten sie ein fensterloses Gelaß und der Venediger stellte den bestürzten Hirten vor eine Wand hin, die wie der hellste Spiegel war und das Gemach erhellte, und sagte: «Schaut da hinein!» — und jener sah so klar und deutlich, als wenn alles grad hinter der Wand wäre, sein Dorf und sein Heimwesen vor sich; sein Weib saß grad auf dem Bänklein vor der Hütte und wusch und strählte die Kinder. Der Venediger sagte: «Gelt, Ihr wolltet auch, Ihr wäret schon daheim! Aber der Weg ist weit und die Reise mühsam. Aber wer weiß, vielleicht doch nicht so weit und so beschwerlich


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wie der Herweg. Und überdies, so wäre es gefährlich, mit so viel Geld alleine und zu Fuß zu reisen. Das machen wir anders. Nehmt Euren Sack gut auf den Rücken und Euren Stecken fest in die Hand und lauft die ganze Nacht ohne Unterlaß in der Kammer hier herum. Aber bleibt beileibe nicht einen Augenblick stehen. Und wenn Ihr dann denkt, es möchte Morgen geworden sein, dann geht getrost zur Tür dort hinaus, aber erschreckt nicht, wenn's ein wenig rumpelt und poltert. Und somit gehabt Euch wohl!» Ehe der Hirte dem seltsamen Wohltäter Dank und Lebewohl sagen konnte, hatte er ihn schon verlassen, er wußte nicht wie.

Der Mann tat nun, wie jener geboten, und lief die ganze Nacht ohne Anhalt in der Kammer herum. Als er glaubte, jetzt tage es draußen, ging er zur Türe. Die sprang mit einem Donnerklapf auf, so daß er erschrocken mit einem Satz über die Schwelle schnellte - mitten in seine Stube hinein, wo Frau und Kinder noch im Schlafe lagen.

Nun war der arme Hirte unversehens ein reicher Mann geworden. Aber er hat nicht zu seinem Sachli schauen können. Er meinte, er müsse den großen Herrn machen, und das ist allemal letz und gefehlt. In wenigen Jahren hatte er alles verspielt und verloren und war wieder so arm wie zuvor nach dem alten Spruch:

«Liechtli gwunne,
Liechtli zerunne.»


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DER RABENSTEIN

Es war einmal ein Hüterbube. Der hütete alle Tage auf dem Berge seine Geißen und Schafe. Und dabei sang er wie ein Vogel, und jodeln konnte er, daß man's weit und breit im Tal unten hörte.

Eines Tages bekam er gewaltigen Durst und suchte lange auf der ganzen Weide herum nach einem Trunk frischen Wassers. Endlich fand er unter einer hohen Tanne eine Glunte. Da kniete er nieder und schlürfte begierig das Wasser mit trockenem Gaumen. Indes er aber also über das Weiherlein gebeugt lag und von ungefähr hineinguckte, erblickte er im Wasserspiegel das umgekehrte Tannengrotzli und oben in den Zweigen ein Vogelnest aus Reisern, darin drei junge Raben lagen. Er stand auf und wollte die Raben ausnehmen. Nicht faul, kletterte er flink wie ein Eichhörnchen stammauf und suchte und griff nach dem Ast, den er im Wasser gesehen hatte. Aber von dem Nest und den Raben fand er nicht Staub, nicht Flaub. «Ich werd halt letz gelugt haben», dachte er und stieg herab. Unten schaute er noch einmal in das Wasser, und siehe da, abermals sah er das Nest ganz deutlich noch auf demselben Aste, an der gleichen Stelle wie das erstemal. Was gischt was bescht war er wieder oben auf dem Baume; aber auch diesmal konnte er das Nest auf dem verwünschten Aste nicht entdecken. Das trieb er so zum dritten und vierten Male. Endlich fiel es ihm ein, er wolle am Spiegelbild im Wasser alle Äste zählen bis zum Nest hinauf. Gedacht - getan. Genau merkte er sich jetzt, auf dem wievielten Ast das Nest saß. Er kletterte hinauf, zählte ab, und beim rechten Aste tastete er hin, griff zu und hielt mit eins ein schneeweißes Steinchen in der Hand, und im selben Augenblick ward ihm auch das Nest mit den drei jungen Raben sichtbar. Da, ganz vorne auf dem Aste lag's, und er wunderte sich, wie es ihm so lange entgangen wäre. Das schneeweiße



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Steinchen gefiel ihm gar wohl, er steckte es in den Sack und glitt hinunter.

Am Abend trieb er seine Geißen und Schafe heim und sang und jodelte dazu, wie er immer tat, nach Herzenslust. Aber was geschah? Wie er ins Dorf kam, sperrten die Leute Augen und Maul auf, denn sie hörten ihren Geißbuben wohl singen, aber kein Mensch konnte ihn sehen. Und als er gar vor seiner Eltern Haus kam, stand der Vater unter der Türe und rief: «A der Tüfel hindere, wo chunsch jez du här und wo bisch du, daß me di nüd gseht?» — «A grad vor ech zue stahn ich ja, z'mitts in der Stube, gsehnd-er nüt?» fragte der Bub verwundert zurück. — «I gsehne kei Bitz vo-der!» entgegnete der Vater, dam es nachgerade unheimlich zumute wurde. Zuletzt am End dämmerte es dem Buben, was da ungrad mit ihm sein möchte. «Lueg da, Ätti, wellige Stei han ich da imene Rabenescht ine gfunde!» — «Mach weidli dä Stei use!» riefen Vater und Mutter voller Schrecken wie aus einem Munde. Flugs gab er dem Vater das weiße Steinlein in die Hand. Aber was gab's jetzt? «Herjeses, Ätti, wo bischt?» riefen die Mutter und der Bub. Denn jetzt stand der Bub im Licht, aber der Vater war dafür unsichtbar geworden. Dem aber war's, als ob er eine Kröte in der Hand hielte, und er warf das Steinchen auf den Tisch, und im Augenblick war der Tisch verschwunden. Jetzt fuhr der Vater auf, tappte nach dem Tisch und erwischte glücklich das Steinchen. Wie der Wind sprang er damit zum Haus aus und warf es mitten in den Sodbrunnen hinunter. Aber hei, wie das drunten geblitzt und gedonnert hat, nicht anders, als wenn Himmel und Erde zusammenstürzen müßten!

Was gibst du mir, wenn ich's wieder heraufhole?

Der Bub aber trauerte Zeitlebens um den Stein als um ein Kleinod und war seitdem nimmer so lustig, wie an dem Tage, wo er das Steinchen gehabt.



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DAS SCHULDENBÄUERLEIN UND DER GELDSCHEISSER

Im Reußtale lebte einmal ein armer, geplagter Bauer. In seiner Not wußte er nicht mehr, wo Brot hernehmen für sein Herdlein Kinder und wo Geld, um dem harten Herrn zu zinsen. Wie er eines Tages traurig durch den Wald dahinschritt und sich fast hintersann um Rat und Hilfe, da begegnete er einem fremden Mandli in lederbraunem Gewande. Das bot ihm freundlich Guten Tag und fragte gar mitleidsvoll, was ihn denn so bedrücke, daß er ein so räßes Gesicht mache und mit so trüben Augen in die Welt luge. Dem Bauer war der Braune eher unheimlich, aber er nahm sich doch ein Herz und klagte ihm seine Not. «Da bist du am Rechten», antwortete das Mandli, «tu nur, wie ich dir sage, geh und grabe unter einem Weißhaselbusch, an dem eine Mistel sitzt! Grab in der Heiligen Nacht, wenn es zur Wandlung läutet, grab gerade so tief in die Erde, als hoch an der Staude die Mistel sitzt, dann wirst du dort eine Kröte finden; die nimm mit nach Hause und leg ihr ein Geldstück unter, und sie wird dir jeden Tag noch einmal so viel dazu legen. Fahr so fort, bis du reich genug bist. Nur mußt du gut zu ihr schauen und ihr putzen und schoren wie einem Kind.»



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Der Bauer dankte dem Mandli gar sehr und ging voller Freuden heim und tat zur bestimmten Stunde, wie ihm geboten. Just, als es zur Wandlung schellte, grub er unter dem Busche ein Tierlein aus. Das sah aus wie ein glänzig grasgrünes Fröschlein. Er brachte es in einem finsteren Winkel seines Stübleins unter und legte ihm am ersten Tag einen Franken unter, am zweiten zwei, am dritten vier, und so fort, und konnte sich alle Tage die Taschen füllen, und bald hatte er einen schönen Schochen Geld aufgehäuft und lebte mit den Seinen im Wohlstand. Aber - warum, wußte er nicht zu sagen - er konnte seines unverhofften Glückes nicht recht froh werden, denn sein kleiner Geldscheißer schien ihm je länger je weniger geheuer, und schließlich dachte er, jetzt sei es genug, und er beschloß, sich des Tieres zu entledigen. Auf den Rat seines Weibes wickelte er das unheimliche Geschöpf in ein seidenes Sacklümpli und steckte es in den Hosensack und ging mit ihm auf den Markt, ließ aber den Zipfel des kostbaren Tüchleins mit Fleiß zum Sack heraus lampen. Und was er dachte, geschah: Wirklich griff im Gedränge ein Schächentaler darnach, zog's heraus und machte sich stille davon. Unser Bauer aber tat nicht Mutz, nicht Cheus, als er merkte, wie jener ihm mit langen Fingern in den Sack fuhr. Aber, o heie, als er froh der gelungenen List heimkam und in den Sack langte, da lag das Donnersvieh mitsamt dem Seidentüchlein wieder drin. Jetzt ward's ihm eng und heiß. Er packte die Kröte und warf sie in einer Wut weit über eine hohe Fluh hinaus. «Jetzt ist der Cheib zu Hudeln und Gudern gegangen», dachte er aufatmend und ging befriedigt heim. Aber, o heie, als er zu Hause ankam, saß das Teufelstier, wie wenn nichts geschehen wäre, unversehrt in seinem Truckli hinter dem Kasten und glotzte ihn mit stechigen Augen an. Jetzt wurde dem Manne erst recht höllenmäßig angst und verzweifelt lief er, so schnell ihn seine Füße trugen, noch zur selben



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Stunde talab zu einem Pater Kapuziner in einem Kloster, viele Stunden weit weg. Der hörte seine Geschichte mit bedenklicher Miene an, strich sich ernst den Bart und sprach streng: «Du kommst in letzter Stunde noch; es ist dein Glück, daß du nicht gestorben bist mit diesem Tiere im Hause. Du wärest auf ewig verloren gewesen. Aber es wird schwer sein, den Unhold loszuwerden.» Lange sann der Pater kopfschüttelnd hin und her und schien mit seinem Witz am Berge, und dem Bäuerlein ward's bang und hänger. Aber endlich sprach jener: «Bring die Airaune morgen abend, fest eingetan in ein Lümpli, hierher an die Pforte; ich werde bereit stehen und dir öffnen. Wirf sie blitzgeschwind zum Spalt hinein, schletz die Tür zu und mach' dich fort. Aber, aber, ich fürchte, es wird einen harten Putsch absetzen; denn mit dergleichen Teufelszeug ist nicht zu spaßen.»

Der Abend war noch dem Tage näher als der Nacht, als das Bäuerlein in seiner Angst an der Klosterpforte anläutete. Die Pforte sprang auf, das Tüchlein flog in den Kreuzgang, und die Türe schlug krachend ins Schloß. Der Pater packte die Kröte und heftete sie, in ein Kelchtüchlein eingewickelt, an das große Kruzifix zu Füßen des Gekreuzigten.

Aber um die zwölfte Stunde der nächsten Nacht erhub sich wildes Getümmel und gewaltiger Lärm draußen vor den Klostermauern. Der Pater Guardian schaute zur Luke hinaus und erblickte eine Rotte wüster Kriegskerle, die ohne Aufhör mit den Waffen klirrten, tobten und brüllten. «Heraus mit ihm, heraus mit ihm, sonst zerstören wir Kirche und Kloster!» Erschrocken fragte sie der Guardian nach ihrem Begehr. «Ihr haltet unsern Hauptmann gefangen!» schrien jene, «gebt ihn auf der Stelle heraus!» Aber jener wußte von allem nichts und meldete es dem Oberen. Der berief ohne Verzug den Konvent und frug die frommen Väter, ob einer von ihnen etwas wisse; aber keiner wußte, was sich begeben, und alle zitterten vor



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Furcht, denn der Lärm wurde je länger je ärger. Da fiel es dem Oberen ein, daß er einen Pater, den alle für einfältig hielten und drum nicht eben hoch achteten, noch nicht gerufen und gefragt habe. Wer konnte wissen, was der in seiner Dümme angestellt haben mochte! Gleich ließ er ihn vor sich kommen und forschte ihn genau aus. Der bekannte auch gleich, was geschehen war. «Gut», sprach der Obere streng, «so iß jetzt selber die Suppe aus, die du uns eingebrockt!» Gehorsam ging der Pater zur Pforte, um mit dem tobenden Haufen zu verhandeln. «Gebt unsern Hauptmann heraus, gebt unsern Hauptmann heraus!» schrien sie nach wie vor. «Hm, das eilt mir keinen Dreck», meinte der Pater gelassen, «wenn ihr nicht warten wollt, so kommt nur und holt ihn selber!» Das aber war ihnen verwehrt. Freilich, die andern Väter drangen gar heftig in ihn, er solle der wütenden Menge den Willen tun, ehe etwas Böses geschehe. Er aber lächelte bloß und verharrte in seinem Tun. «Fürchtet euch nicht!» sprach er beschwichtigend, «wir wollen mit Gott erst noch sehen, wer der stärkere ist!» Endlich wurde es draußen stiller und die üblen Gesellen verlegten sich aufs Markten. Sie hatten wohl gemerkt, daß sie da mit Fuchten und Fausten nichts vermöchten. «Gut so», sprach der unerschrockene Kuttenmann, «schafft mir zwölf Säcke geschoppt voll Gold vom Meeresgrund herauf und stellt sie her, so sollt ihr euern Hauptmann wieder haben, eher nicht!» Aber wohl. Unlang, so standen die zwölf Säcke voller Gold vor der Pforte und das Meerwasser troff noch ab ihnen. Nun schleuderte der Pater in weitem Wurf die Kröte zur Pforte hinaus und im selben Augenblicke war das Unwesen verschwunden. «Sehet jetzt!» sprach da der einfältige Pater zu den klugen, «jetzt ist ein Lösegeld gezahlt worden, das unserem Kloster und den Armen gar wohl kommt.»


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CHÄMMI OFF UND NIÄNÄ—N—Ä!

Im Birchi, in einem Häuschen am Wege an, der von Isleten ins Isental führt, lebten vor Zeiten zwei hübsche Jungfrauen. Sie waren aber nicht wie die andern Mädchen im Tale, sondern von wunderlicher Sinnesart und absonderlichem Gebaren, und es hieß von ihnen, sie könnten mehr als andere Leut.

In ihrem Gärtlein stand ein schöner Kirschbaum, damals noch der einzige im ganzen Tale. Es konnte drum nicht fehlen, daß es dann und wann den Talleuten auch nach den leckeren Früchten gelüstete, und daß ein Nachbar bei ihnen um einige Kirschen bettelte. Aber selten nur wagte jemand davon in den Mund zu nehmen; denn man traute der Freigebigkeit der Beiden nicht wohl.

Einmal kam auch ein junger Bursch zu ihnen, der weder Tod noch Teufel fürchtete. Freundlich hießen sie ihn willkommen und stellten ein Becki voll saftiger Kirschen vor ihm auf den Stubentisch. Er besann sich nicht lange und langte herzhaft zu, während die Mädchen sich in der Küche zu schaffen machten. Aber noch hatte er nicht manche Kirsche verzehrt, als es ihn auf einmal unwiderstehlich zur Stube hinaus in die Küche trieb. Durch den Türspalt sah er die Beiden an der Herdstatt stehen. Sie rührten wie nicht gescheit in einem Töpflein, und ein beizender Brodem stieg ins Gebälk. Der Bursche blieb stehen, still wie ein Stein. Jetzt schoben die Mädchen den Hafen vom Feuer und zogen ihre Kleider aus, bis sie fasernackt dastanden, und neben sich am ganzen Leibe mit dem fertigen Schmeer ein. Dann nahmen sie vom Unterzug jede einen Stecken herunter, setzten sich rittlings darauf und murmelten: «Chämmi üff und niänä-n-ä!» und fuhren wie Vögel schwirrend und rauschend zum Rauchfang hinaus. — «So, so, ihr seid also derlei Zugvögel!», sprach der Bursche bei sich selber, «beim Eid, euch will ich nachgehen und sehn,



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was ihr treibt.» Und schon stand er am Herde, tupfte den Finger in den Tiegel und bestrich sich Hosenboden und Tschopenärmel mit der Salbe. Dann nahm er ebenfalls einen Stecken und rief: «Obä-n-us und uiberall ä!» Da lüpfte es ihn mit gewaltiger Wucht vom Boden auf und - huißst - fuhr er zum Kamin auf und aus. Aber, o heie, so hart warf und schlenkerte es ihn hin und her, daß er an allen Ecken und Kanten sich blau und blutig stieß, und weiter sauste es mit ihm durch die Lüfte fort in schwindliger Fahrt über Wipfel und Gipfel, Tobel und Täler, Flüsse und Seen, in weite, weite Fernen, daß ihm Hören und Sehen verging. «Jesus, Maria und Josef!» stöhnte er laut - da fiel er -pardauz - wie ein Sack zu Boden, grad über einem Wald, durch Äste und Zweige. In einem dichten Dorngestrüpp blieb er hängen, übel verkratzt und zerschunden.

Da stand er nun im fremden Land und wußte nicht aus noch ein. In seiner Not fing er an zu beten und die Muttergottes um ihre Hilfe anzuflehen. Aufs Mal stand eine wunderbar schöne Frau in weißem Gewande vor ihm, wies ihm mit der Hand die Richtung, in der sein Weg gehe, und war verschwunden.

Der Isentaler folgte dem Deut und wanderte drei Tage und drei Nächte. Endlich gelangte er zu einem Kloster, das er nicht kannte, und klopfte an die Pforte. Fremde Mönche nahmen ihn freundlich auf, aber niemand kannte ihn und keiner verstand seine Sprache. Zuletzt führten sie ihn vor den Ältesten im Kloster, der der Höchste über Allen war. Es war ein ehrwürdiger Greis mit weißem Barte und tiefen Augen. Er saß auf einem prächtigen Stuhle und hielt ein großmächtiges Buch auf seinen Knien aufgeschlagen. Das war das Weltenbuch. Der Bursche erzählte, was ihm widerfahren, und wie ihm zuletzt eine schöne weiße Frau die Richtung hierher gewiesen. Und dann fragte er nach dem Wege in seine Heimat. Mit



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ernster Stimme antwortete der Alte: «Niemals mehr, und wenn dein Leben hundert Jahre währte, und du jeden Tag zwölf Stunden wandertest, niemals mehr kannst du je wieder deine Heimat erreichen, es sei denn, ich segne dich!» Und er hob seine Rechte auf, segnete ihn mit dem Zeichen des Heiles und legte ihm ein geweihtes Skapulier an. «Nun ziehe hin in Frieden!» Dankbar schied der Bursche von den Mönchen und machte sich frohgemut auf den Weg und gelangte nach langer, langer Zeit endlich wieder heim ins Isental.


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DIE HEXENÄPFEL

Ein junger Knecht ab einer Alp im Urnerlande ging öfter, als der Arbeit gut und dem Meistersennen lieb war, über die Berge zu einem Mädchen, das stundenweit weg wohnte, zur Stubeten. Und allemal kam er müde und verdrossen zurück, so daß die andern Älpler ihn schalten und ihm sein Treiben vorhielten. Der Bursche nahm sich die Vorwürfe zu Herzen, aber er konnte es nicht bleiben lassen, es ziehe ihn an allen Haaren zu dem Mädchen, obwohl es schönere gäbe und sie ihm nicht einmal besonders gefalle. «Sei auf der Hut», sagten die andern Knechte, «das geht nicht mit rechten Dingen zu! Wer weiß, was so ein Weibervolk alles auf der Pfanne hat.» Der Hirte beschloß, sich künftig vorzusehen. Als er das nächstemal zu dem Mädchen kam, bezeigte sie große Freude und Freundlichkeit: «Mußt etwas Gut's zu essen haben nach dem weiten Weg», sagte sie und ging in die Küche, um Kräpfel zu backen. In der Tür aber war eine Spalte, durch die schaute der Senn und sah im Rauchfang über der Feuerpiatte eine gewaltige Kröte mit gedunsenem Bauche hängen. Die stach das Mädchen allemal an, wenn das Fett in der Pfanne verschmürzelt war. Da war der Magen vor der Mahlzeit satt, und jener wußte, was er wissen wollte, und stehenden Fußes nahm er Abschied mit dem Vorgeben, er müsse heute zeitig zurück sein. Das Mädchen machte zwar kuriose Augen, klopfte ihm aber lächelnd auf die Schulter und sagte: «Nun, komm recht bald wieder!» und gab ihm zwei prächtige goldgelbe Apfel mit, die dürfe er ja nicht weggeben, sondern er müsse sie selber essen. Der Hirte wagte nicht die Gabe auszuschlagen, nahm die Apfel und bewahrte sie auf. Jetzt mußte er gleich mehrere Male hintereinander das Mädchen besuchen, er konnte nicht anders. Es kam über ihn, und dann war's ihm wie einem Stein, der fällt. Und jedesmal kam er blasser und ausgezehrter



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zurück. Wieder murrten die Mitsennen. Da erzählte er ihnen, wie es ihm ergangen sei. Sie rieten ihm, die Äpfel einer schwarzen Bündner Sau in den Trog zu werfen. Er tat's, und sobald das Tier die Apfel gefressen hatte, rannte es blitzgeschwind über Berg und Tal geradeswegs dahin, wo jenes Mädchen wohnte, fuhr an der Hauswand empor bis zu ihrem Kammerfenster und stürzte tot zur Erde. Der Bursche aber ist nie mehr zu dem Mädchen gegangen.


Alpensagen-117. Flip


DER STUBETIKNABE ALS ESEL

Am Murgerberge wohnten einmal zwei schöne Mädchen. Aber kein Freier wollte kommen, denn es ging bei ihnen nicht mit rechten Dingen zu. Sie waren insgeheim gar schlimme Hexen, die den Leuten mit ihrer schwarzen Kunst allerhand Böses antaten. Sie verhexten den Bauern das Vieh, so daß die Kühe Blut molken oder keine Milch mehr gaben; sie riefen glaskiaren Frost hervor, just wenn die Obstbäume in vollem Blust standen, so daß die weißen Blüten schwarz wurden, und wenn die grüne Sommersaat auf den Feldern sproß, dann zauberten sie Hagelschlag herbei, der die zarten Halme in den Boden schlug. Und wenn das Heu luftig und duftig auf den gemähten Matten in der Sonne lag, dann rauschten auf ihr Geheiß tagelang Regengüsse wie Geißelschnüre herab, und das Heu wurde brandig und faulte. Und wenn's dann im Herbst kein Obst zu günnen und kein Korn zu dreschen gab, und im Winter das Futter rar war, und die armen Leute unter all der Not seufzten, dann hatten sie so recht ihre Freude dran. Auch allerlei Siechtum und Gebresten sandte ihr böser Blick den Leuten zu. Aber niemand wagte, etwas gegen sie zu sagen oder gar zu tun. Drum waren sie von allen gemieden; nur ein junger stattlicher Bursche ließ sich nicht schrecken. Keck kam er immer wieder zu ihnen zur Stubete, denn die schönen Mädchen gefielen ihm trotz allem gar wohl, und er hoffte, die eine zur Frau zu gewinnen. Sie aber sahen ihn gar nicht gern und trieben auch immer bloß ihr loses Spiel mit ihm und hielten ihn zum Narren. Als er nun wieder einmal auf dem Wege zu ihnen war, da schauten beide gerade zum Fenster hinaus und sahen ihn kommen. Ärgerlich sprach da die eine: «Wenn nur der blöde Tscholi grad ein Esel würde!» Und kaum gesagt, war der böse Wunsch schon erfüllt. Ein graues Eselein mit langen Ohren stand draußen auf dem Hofe und schrie ängstlich



Alpensagen-118. Flip

I—A. Es war der verwandelte Bursche, der in seiner Angst um Hilfe rief. Aber, o weh, niemand kam. Wer hätte ihn auch in dieser Gestalt erkennen können! Die beiden Hexen aber zeigten vor Lachen ihre Zähne.

Verzweifelt trottete der arme Langohr heim ins Vaterhaus. Aber, oha, dort kam er letz an; wie treuherzig er auch dreinblickte und wie zutraulich er die Ohren stellte, und eindringlich I—A machte, niemand beachtete ihn, und als er nicht von selber gehen wollte, jagten sie am Ende das lästige Tier mit einem Knüppel fort. Traurig den Kopf schüttelnd trollte er langsam davon und lief schließlich zur Mühle an den See hinab. Dort werde man wohl einen Esel brauchen können, dachte der Bursche bei sich, stellte die Ohren und schrie laut I—A.

Und so war es auch. Der Müller stellte das herrenlose Grautier noch so gerne ein, und der verwunschene Bursche verrichtete fortan als Mühlesel geduldig und redlich sein schweres Tagewerk zur Zufriedenheit seines Meisters. Des Nachts aber trabte er oftmals heimlich aus dem Stalle oder ab der Weide den Berg hinauf zum Hause der Hexen. Vielleicht, so dachte er, würden sie es des bösen Spieles endlich genug sein lassen und ihn durch ein Zauberwort aus seiner traurigen Gestalt erlösen. Aber nein, die lachten den armen Langohr, der flehentlich vor ihren Fenstern sein I—A schrie, nur aus und trieben boshaft ihren Spott mit ihm. Aber eines Abends, als er wieder einmal traurig mit lampenden Ohren um das Haus strich, da hörte er die eine Hexe sagen: «Der arme Kerl, er ist doch fast zum Erbarmen. Der Narr, er könnte sich selber helfen, wenn er nur wüßte, wie er's anstellen muß.» — «Ja», antwortete die andere, «er braucht ja nur am Fronleichnamstage nach dem Gottesdienst in der Kirche von dem frischen Laube der Myrthenbäumchen ein paar Blätter fressen, dann wäre er erlöst!»



Alpensagen-119. Flip

Was meint ihr, wie's dem Verwunschenen zu Mute war! Hellauf vor Freude schrie er I—A und galoppierte in ausgelassenen Gümpen in seinen Stall zurück, fraß sein Futter und besorgte in der Mühle weiter getreulich seinen Dienst. Endlich war der ersehnte Festtag gekommen. Und als nach dem Gottesdienst das Volk aus der Kirche strömte, drängte sich das Eselein geschwind in die leere Kirche, ehe einer der unwilligen Kirchgänger vor der Tür es hindern konnte, und rupfte rasch ein paar Blättlein ab dem Myrthenbäumchen. Und seht, mit einem Schlage hatte er seine Menschengestalt wiedergewonnen, und fröhlich kehrte er in sein Elternhaus zurück. Was das für ein Wiedersehen gab! Aber erzählt hat er niemandem nichts von allem. Er wußte schon, warum. Er tat, als sei er die ganze Zeit in der Fremde gewesen.

Und die beiden Hexen? Ich glaube, sie haben ein böses Ende genommen. Aber geht selber hin und fragt nach!



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DER HEXENRITT

Ein Meister Schmied hatte zwei Gesellen - ein frischer, munterer Bursch der eine, mit harten, warmen Armen und mächtigen Fäusten, der andere ein feiner, zarter Knabe, schüchtern und still. Der wurde von Tag zu Tag immer schweigsamer und bleicher, ohne eigentlich krank zu sein. Es war, wie wenn ein geheimes Ubel an ihm zehre, und zuletzt war er so blaß und mager wie der Tod. Da meinten die Leute, es komme daher, weil der Starke faul und träge sei, und alle Arbeit dem schwächeren Kameraden aufbürde. Und weil die Leute immer auch sagen, was sie meinen, so kam es dem Fröhlichen zu Ohren und verdroß ihn sehr. «Höre», sagte er eines Tages zu dem Mageren, «du weißt, was die Leute sagen und wie sehr sie mir Unrecht tun. Wir arbeiten beide gleich viel und haben ein rechtes Essen. Woher kommt es nur, daß du so bleich und mager bist?» Aber lange wollte jener nicht mit der Sprache heraus. Endlich redete er doch und sagte: «Das ist eine schlimme Geschichte: Alle Nacht, wenn ich in meinem Bette liege und eingeschlafen bin, dann kommt eine Hexe herein und wirft mir einen Halfter über. Und im selben Augenblicke bin ich ein Roß. Sie führt mich ins Freie hinaus und reitet dann auf mir die ganze Nacht bis zum Morgengrauen über Stock und Stein und Berg und Tal in der Welt herum. Dann sprengt sie mich heim, nimmt mir den Halfter ab, und ich liege, am ganzen Leib zerschlagen, wieder wie ein anderer Mensch in meinem Bette. Ich will meinen Dienst aufsagen und anderswo Arbeit suchen, denn wenn das so fortgeht, liege ich auf der Totenbahre, ehe das Jahr um ist.» — «Höre», sagte da der Muntere und blickte ganz ernsthaft drein, «laß mich nur machen. Heute abend gehe ich in deine Kammer und lege mich in dein Bett, und du gehst in meine Kammer und legst dich in mein Bett. Sag aber niemandem kein Wort!» Wie gesagt,



Alpensagen-121. Flip

so getan. Der Geselle legte sich zum Scheine ins Bett und tat, als ob er fest schlafe. Unlang knarrte die Tür, und die Hexe kam leise herein, Zaum und Zügel und eine Peitsche in der Hand. Wie sie ans Bett trat, um dem Schlafenden den Zaum anzulegen, sprang der Bursche gleitig auf, nahm ihr blitzgeschwind den Zaum aus den Händen und warf ihn der Frau über. Und sie ward auf der Stelle in eine Stute verwandelt. Er führte sie gleich zur Schmiede, wo sein Geselle schon alles gerüstet hatte, und sie beschlugen das Tier wie ein anderes Roß, so ungebärdig es auch tat. Dann bestiegen sie es beide und ritten die ganze Nacht darauf herum, indem sie es weidlich spornten und mit Peitschenhieben trieben, bis sie es beim ersten Frührot, über und über von Schaum bedeckt, mit zitternden Flanken in den Stall stellten.

Am Morgen traten beide vor den Meister und begehrten ihren Abschied. Der aber, ein rechtschaffener Mann, verlor die tüchtigen Gesellen nur ungern. Aber da sie durchaus fortwollten, so mußte er sie gehen lassen, so leid es ihm war. Aber ein Abschiedsmal mußten sie noch miteinander halten. Er rief seiner Frau, damit sie das Essen rüste. Die aber gab keine Antwort und kam nicht. Endlich ging der Meister ins Haus, um nachzusehen, wo sie stecke. Er fand sie in der Schlafkammer schwer krank im Bette liegen, die Decke bis ans Kinn heraufgezogen, und als er sie abdeckte, da war sie an Händen und Füßen mit Hufeisen beschlagen.



Alpensagen-122. Flip


DAS GEFANGENE TOGGELI

Ein junger Bauer im Urnerlande war arg vom Toggeli geplagt. Fast alle Nacht schlich etwas in den Schlafgaden, sprang aufs Bett und kroch über die Decke herauf, saß ihm aufs Herz und drückte ihn so heftig, daß es ihm war, als müsse er vor Angst vergehen. Wenn es auf ihm lag, konnte er sich nicht rühren, nicht um Hilfe rufen, obwohl er wach war. Erst gegen Morgen ließ es ab und entwich, aber er sah es weder kommen noch gehen; Tür und Fenster aber waren fest verschlossen. Die Plage wurde je länger, je ärger, und der Bursche magerte zusehends ab, obwohl er gute Kost hatte und nicht übermäßig viel Arbeit, so daß er zuletzt blaß und hohläugig, nur Haut und Knochen noch, herumwankte. Der Nachbar, ein älterer Bauer, fragte ihn öfter, was ihm fehle, aber lange wollte jener ihm den wahren Grund nicht sagen. Der ließ aber nicht nach und brachte es schließlich doch aus ihm heraus. Es werde wohl in der Wand oder in der Diele ein Loch sein, wo der Unhold hereinkomme, meinte der Mann. Sie schauten in der ganzen Kammer nach und fanden richtig in einer Ecke ein Astloch, das vom Ein- und Ausschlüpfen ganz glatt gescheuert war. Der Nachbar riet ihm, einen Holzzapfen zu schnitzen, mit einem eingekerbten Kreuz darauf, der ganz genau in das Loch passe. Und sowie er das nächstemal die Nähe des Schrättligs spüre, solle er aufspringen und das Loch damit verschließen. Dann werde das Toggeli sich zeigen müssen, und er sei es für immer los.

Der junge Bauer tat nach dem Rate. Sowie er in der nächsten Nacht das Wesen in der Kammer spürte, sprang er aus dem Bett und stieß den Zapfen ins Loch. Als er am Morgen erwachte, saß auf dem Bänkli ein wunderschönes, fasernacktes Mädchen. Das bat ihn flehentlich um Kleider. Er gab ihm, was von der Mutter selig her noch im Kasten hing. Das Mädchen



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aber ging nicht mehr fort, sondern blieb im Hause als Magd. Der Bauer fand Gefallen an ihr und machte sie zu seiner Frau. Und sieben Kinder hat sie ihm geboren. Immer wieder aber bat sie ihren Mann, er möge doch den leiden Zapfen aus dem Loch herausnehmen. Er aber sagte nein und blieb fest. Aber eines Tages zog eines der Kinder beim Spielen den Zapfen heraus. Da riß die Mutter sich alle Kleider vom Leibe: «Saget de-n-em Vatter, d's Toggeli syg de wider ids Niderland und heig e no la grüeze!» rief es den Kindern zu und schloff wie ein Vogel durch das Loch und ward von Stund an nicht mehr gesehen.


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DIE HEXE ALS FUCHS

Ein Bauer von Scheid besorgte eines Winterabends das Vieh im Stalle seines Maiensäßes. Hell schien draußen der Mond. Als er durchs Fenster schaute, erblickte er nahe beim Stall einen prächtigen Fuchs, der bellend und bläffend auf dem Schnee herumtanzte und allerlei seltsame Sprünge machte. Das tat das Tier die ganze Nacht. Am andern Abend war der Fuchs wieder da und tat wie tags zuvor. Der Bauer sah ihn, als er eben mit einer Burde Heu aus dem Stadel kam. Er ging in den Stall und holte seinen Stutzen, der immer geladen an der Wand hing, legte an und zielte. Aber der Fuchs hüpfte und müpfte, als wolle er seiner spotten, so daß der Mann nicht zum Schuß kam. Als der Fuchs einen Augenblick still stand, drückte er ab, aber das Pulver sprühte durch die Zündpfanne heraus und versengte ihm den Bart. Der Fuchs aber erhob sich keck auf die Hinterbeine und rieb sich mit den Vorderpfoten die Nase. Rasch lud der Mann wieder und legte an. Da kam der Fuchs näher und näher, und als er ganz nahe war, schrie er dem Schützen mit schriller Stimme zu: «Zul



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guat, Chäsperli!» — und war verschwunden, ehe der Mann losdrücken konnte. Erschrocken ließ er das Gewehr fallen, die Stimme schien ihm wohlbekannt. Er schüttelte den Kopf und brummte: «Wart nu, dir will ich schon derfür tua», und er schabte andern Tages etwas Silber ab einem alten guten Kronentaler, lud sein Gewehr mit grobem Schrot, tat zum Pulver etwas von dem geschabten Silber auf die Zündpfanne und legte sich abends wieder auf die Lauer. Der Fuchs kam wie zuvor und machte noch tollere Sprünge und Späße und geitschte und jaulte, als wenn ein Weib keifte. Der Jäger legte an und schoß. Der Fuchs geußte, tat einen lahmen Sprung und hinkte eilig davon.

Frühmorgens ging der Bauer der Spur nach. Die Fährte führte ins Dorf zu seinem eigenen Hause. Wie er in die Stube trat, da lag seine Schwiegermutter auf der Ofenbank, Kopf und Hals blutig. Gell schrie sie auf, und der Bauer erkannte den Laut des Fuchses. «Was best auch du gmacht?» fragte der Mann. — «Du wirst's wohl selber wüssa», kreischte die Alte, zuckte zusammen und fiel tot von der Bank.


DER FUCHS IM SACK

Der Peter Geel vu Vild ist emoul spout in der Nacht vu Mels gägem Städtli dure chu überts Fäld. Bem Chrüz chunt e Fuchs zuehe und het ganz zahm tue. Der Peter, nit ful und nünnt de Fuchs ine leire Sagg, wo-n-er bei-n-em gha hät, und mit uffe Rugge. Wie-n-er zum steinerne Stäg chunt, ghöürt er e Wyberstimm vu der Wand ahe gelle: «Gragörli, chum jez!» Duä antwortet's: «J cha nit, i bi ins Peter Geele Sagg in!» Der Peter würft der Sagg erschrogge vum Buggel und hut der Fuchs laufe. Där hät der Schwanz zwüsched d'Bein gnu und ist we bsässe der Wand zue.



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DER POSTLI UND DIE KATZE

Der Postli vom Maderanertal isch einisch der d'Nacht z'Silänä by der Schitzä verby. Und darnah chunt dur ds Teeltschi appä-n-ä gryßlichi, schwarzi Chatz, ihm grad vor d'Fiäß, und gaht vorem anä. Z'ersch het er sie wella uf d'Armä nä und ärä wella flatiärä. Und darnah het er aber doch tänkt: Nei, das machisch nitt, mä weiß niä! Der «Nacht sind all schwarz Chatzä-n-alt Häxä. Diä Chatz isch em düä eißter i dä Fiäßä gsy, und z'letscht isch er afigs ertäubet und het züen-em sälber gseit: Dä witt sie ä chliy stäikä, diä müeß doch sicher nu gleitiger gah! Und het-ä Stei üffgläsä und will ärä der ariährä. Aber woll! Diä het si eiswägs kehrt gha! Der Tyxel hindärä! wiä diä ä Puggel gmacht het! und d'Augä! diä hend-ärä glissä wiä Liächtli. Und küttet und pfüset lied etz diä, wiä-n-es Lokamatyv! Düä het der Postli dersälb Stei einisch änandäränah uß dä Händä ta! A Tschüder isch dur-en üff chu, und d'Haar sind em z'Bärg gstandä, sy hend d' Kappä-n-uf-em Grind schiär glipft. Vo da äwägg isch em diä Chatz nimmä-n-uß dä Fiäßä, er het chennä macha, was er het wella, und wo-n-er zur Ellbogächappälä-n-üfä chu isch, het er gschwitzt, ds Wasser isch uß ein üsä grunnä wiä us-ämä Zeintli. «Jetz wit aber doch probiärä», tänkt er düä züenem sälber, «ob dü etz diä Häx nitt von der äwägg pringsch; jez sind ämal Hyser i der Neechi, wennd's fählt, sä channsch um Hilf riäffä.» Und er list ä Stei üff, und macht aber äs Chrytz drüff. Wiä-n-er aber das Chrytz gmacht het, isch diä cheibä Chatz niäna meh gsi. —«Hrn, das het mä-n-eißter gseit: der d'Nacht syg keiner Chatz fit z'trüwä.»



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D'HEXA-SENNERI

Vor Johr und Tag ist uf ara-n-Alp a Senneri gsi, und so oft sie am Obed ga melka ganga-n-ist, het sie d'Stalltür hindera zuegschlaga und vom schlechtesta Küehli de größt Eimer voll Milch gmolka, daß all Alplüt nüt anders gmeint hend, a's sie könn hexa. Jetz amol goht der Alpmeister und seit: «Ei, Senneri, säg mer, wia milkst du dyni Küeh?» Aber d'Senneri will zerst nit ußa mit der Sproch, und nu, wyl er gär fit nohgit z'tribiliera, so seit sie: «Wenn d' die schönst Kuah dra woga witt, so will der zeiga, wia-n-i myni Küeh milk.»

«Es sei a Wort», git ara der Alpmeister zer Antwort, «luag dia seil schö bru Kuah dört uf am Ram doba, sie het a prächtigi Schella-n-a und schrytet den andera vorus - dia wogi dra.» liber das seit d'Senneri: «So will j sie meika!» Der Alpmeister will z'weg und will d'Kuah zum Melka vom Ram abahola, aber d'Senneri seit: «Das brucht si alls nit, loß dy Kuah doba», und schloht vier Zäpfa-n-i d'Stallwand und foht a melka a dena Zäpfa, und-äh gelt! es kunt us' em Holz Milch grunna i vier fingerdicka Brünneli, daß me fit gnuag Schiff und Gschirr i der Hütta het ufbrocht. Noch und noch seit aber d'Melkeri: «Jetz sött ma höra melka, es könnt sus Bluat ko.» — «Macht nüt», seit der Alpmeister, «milk du zua», und d'Senneri milkt und milkt, und richtig rinnt noch und noch Bluat für Milch us da Zäpfa, und über na's Wyli trolet die schö bru Kuah mustod aba vom Ram.



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DIE NIDELGRET

Unweit von Andermatt liegt ein großer weißer Steinblock in der Matte. Dort stand vor vielen, vielen Jahren ein Haus, darin ein altes Weib wohnte. Die hatte eine einzige Kuh. Die Alte wurde im Tal nur die Nidelgret genannt, weil sie von dieser einen Kuh immer mehr Nidel hatte, als fünfzig der besten Kühe Sommers geben. Das nahm die Leute denn doch wunder, und mancher hätte zu gern gewußt, wie's damit bewandt sei. Eines Abends beim Zunachten schlüpfte ein gwundriger Küher ungesehen in ihren Stall und versteckte sich im Futterkasten, um die Alte beim Melken zu belauschen. Sie kam hereingehumpelt und stellte eine großmächtige Gebse vor sich hin und mit Armen und Händen wunderliche Zeichen und Gebärden vollführend, murmelte sie immer vor sich hin:

«Häxäguot und Sennäzoll,
Vu jeder Chuo zwee Leffel voll!»

Und kaum war das Wort gesprochen, da füllte die Gebse sich bis an den Rand mit dem schönsten Rahm. Dann nahm die Alte die Gebse auf den Rücken und ging aus dem Stall. Der Küher aber, der sich den Spruch wohl gemerkt hatte, lief eilig nach Hause, um die Kraft des Zauberwortes auch zu erproben. Zwei Löffel aber deuchten ihn der Müh nicht wert, und so murmelte er:

«Häxäguot und Sennäzoll,
Vu jeder Chuo zwee Chübel voll!»

Kaum gesprochen, floß und schoß der Rahm in solchen Strömen zu, daß bald Stall und Stube vom Boden bis zur Diele sich füllten, und der Küher elendiglich ertrank. Auf dem Dache ihrer Hütte aber saß die Nidelgret, lachte und schrie mit gellender Stimme: «Dä tuot's mir nimma nah!» Kaum hatte sie das gerufen, da fuhr eine dunkle Wolke mit einem sausenden Sturmwind daher. Das Haus der Hexe und des



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Kühers fegte es weg und davon wie dürres Laub, und an derselben Stelle steht seit dazumal der weiße Steinbock. Darinnen sind die Nidelgret und der habgierige Küher beschlossen bis zum Jüngsten Tag.


DER SCHUSTER UND DER HEXENNIDEL

In einem Dorf im Bernerland, wo viel fahrendes Volk vorüberkam, Bettelleute, Hausierer und wandernde Handwerksburschen, klopfte eines Tages auch ein armer Schuster an die Türen und bat um Arbeit. Aber nirgends war etwas für ihn zu tun, und mancherorts schletzte man ihm kurzerhand die Türe vor der Nase zu. «Schieß dich der Schnägg!» brummte der Bursche mißmutig «das ist auch schier zum stigelsinnig und gatterläufig werden!» und wollte schon den langen Weg wieder unter die müden Füße nehmen, als er am Ausgang des Dorfes ein stattliches Haus sah, das von der Straße etwas zurücklag. «Versuch ich's noch ein letztes Mal», dachte der Schuster bei sich, «noch ist's ja nicht Feierabend», und klopfte herzhaft an. Die Bäuerin selber tat ihm auf, eine dicke, feste Frau, kugelrund wie ein Mehlkloß, und fragte ihn nach seinem Begehr. «Komm nur herein! Auf dich haben wir gerade gewartet!»



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sagte sie freundlich, als sie sein Anliegen vernommen hatte. Und nach einem kräftigen Imbiß saß unser Schuster bald in der Stube vor einem Haufen Schuhe, die zu flicken und zu nageln waren. Aber seltsam - es wollte ihm gar nicht so recht geheuer werden, alles kam ihm so eigen vor, er wußte nicht warum, so daß ihm auch seine Arbeit nur halb von der Hand ging.

Nach einer Weile kam die Bäuerin mit dem Butterfaß herein und setzte sich in die Ecke, um zu kernen. Sie klemmte den Kübel zwischen die Knie, zog und stieß den Stöpsel auf- und abwärts - und unaufhörlich rann ein feiner Strahl dicken Nidels heraus. Das kam dem Schuster, der mit offenem Munde zuschaute, kurios vor, und immer wieder schielte er zwischendurch nach der Meistersfrau hinüber, die eifrig weiter hantierte. Zum Abendessen wurde der schneeweiße Nidel aufgestellt, und der mundete dem mageren Hungerleider von Schuster so gut, daß es ihn dünkte, so etwas Leckeres habe er in seinem Leben nie gegessen.

Dann wies man ihm seine Schlafstatt in einer kleinen Kammer an, und er legte sich zu Bette. Aber er lag wach: das geheimnisvolle Butterfaß kam ihm nicht aus den Gedanken. Er hörte, wie die Bauersleute noch aufs Feld gingen. Da schloff er behend in die Hosen, schlich gleitig in die Küche, und da stand das Butterfaß. Voller Gwunder drehte und wendete er es nach allen Seiten, da fand er unterhalb einen Zettel aufgeklebt, mit seltsamen Worten beschrieben. Sorgfältig löste er ihn ab, faltete ihn rasch zusammen und schoppte ihn in den Sack - und hurtig zurück in die Kammer. Er verschloß die Türe und legte sich aufs Ohr und bald war er eingeschlafen. Im Halbschlummer war ihm, als hörte er die Frau in der Küche kernen.

Am Morgen beim Aufstehen fand er unter dem Stuhl, auf den er am Abend seine Hosen hingeworfen hatte, einen weißen



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Brei. Mit großen Augen und hochgezogenen Brauen starrte der Schuster den Fladen an. Es war dicker weißer Nidel. Nun schlug's ihm doch ein wenig in die Kutteln, aber er ging hinunter und machte sich an seine Arbeit mit einem Gesicht, man hätte zwei draus machen können, und schusterte und schusterte, daß ihm der Schweiß in hellen Tropfen von der Stirne rann. Er wagte gar nicht aufzublicken, und sah und hörte nicht die Frau mit dem Butterkübel in die Stube kommen, und ihr nach die ganze Familie und alles Gesinde. Er schnitt, stach, büezte, hämmerte drauflos, was das Zeug hielt. Plötzlich ein gellendes Gelächter. Er fuhr auf und schaute sich um: Da standen alle Hausbewohner um ihn her versammelt, die Bäuerin nur butterte eifrig in ihrer Ecke - aus seinem Hosensack aber quoll ein dünnes Bächlein weißen Nidels und tröpfelte auf den Stubenboden, wo schon eine große Lache lag.

Mit einem Kopf wie eine glühende Kuhschelle raffte der Schuster in aller Hast seine sieben Sachen zusammen, legte schweigend den zerknitterten Zettel auf den Tisch und stürzte ohne Abschied aus dem Hause, so schnell seine Füße ihn trugen.



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DER SÖUBUR

Es isch emol en Ma - es tuet em jetzig kein Zah meh weh — zum e ryche Bur cho und hät em syn ganze Stal voll Söu abgchauft. —Jo, Prachtstuck sinds gsi! — Aber nid vergäbis. En ganze Hufe Föufliber hät er defür müese füremache. Nu, er isch's nid gröuig gsi, bis er mit dene mordsebigfeiße Säune dorfshalbe trybt und se do grad vor em Dorf zue wott über de Stäg schöucke - gus! gus! Aber jo, wie isch do der Ma verschrocke! Schlegel a Wegge sind sy Söu in Bach abe trohlet, eini hinder der andere dry; und wo de Ma abelueget, so sind's - de Gugger söll di hole, wänn's nid wohr isch - luter Strauwäle gsi und sind de Bach ab gschosse - häsch mer's niene gseh! Zerste-n-isch de Ma halt schüli vertottert; aber es isch kei Stund gange, so seit er zue-n-em selber: «Hol's der Teigger, de Bur muess mer ane ha!!» Goht starregangs, wo-n-er här cho isch, und trifft zerst d'Büri a, wo grad i der Chuchi Härdöpfel präglet hät zum Imbiß, und surret ase wild anere verby. Wo-n-er i d'Stube-n-ye chunnt, so lit de Bur de lange Wäg über der Ofen ye und schloft und schnarchlet wie en Chabisschnyder. De Ma futteret und fluecht, regiert und resenniert, daß d'Schwarte hettid möge chrache; aber der Bur rodt si nid und tuet, wie wänn er wett ebig verschnufe. Uf das wird de Ma erst fuchstüfelswild; er nimmt de Bur am Bei und wott en ab em Ofe-n-abe zehre. — Do loht bigostlig s'Bei und blybt em i der Hand wie en uszehrts Söuschwänzli. Tusig Gottswille, wie hät de Ma si zäpft! Gsprunge-n-isch er und gsprunge was gisch was häsch, und hät nümme-n-ume glueget, bis er diheim gsi isch.

Ja, es hät amig öppedie no-n-e Nase gha, e rächtschaffeni Sou und - en pfiffige Bur z'verwütsche.



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DIE SINGENDE TANNE

Allemal, wenn die Glocken des Kirchleins von Reckingen im Wallis des Tages das Ave durchs Tal hinaus läuteten, ließen die Leute im Dorfe ihre Hände von der Arbeit ruhen und lauschten stille einer wundersamen Weise, die leise wie ein fernes Singen hoch oben vom Hochwald herabtönte. Und wenn die letzten Klänge des Geläutes versummt waren, dann verstummte auch der seltsame Gesang; niemand, weder alte, noch junge Leute, wußte zu sagen, woher die geheimnisvollen Töne kämen; denn lange Jahre schon vernahm man die lieblichen Laute, als wäre es seit ewiger Zeit. Und niemand dachte je daran, danach zu fragen.

Nun aber lebte im Dorfe ein kunstreicher Schnitzler. Der legte bei jedem Ave Messer und Meißel auf die Werkbank und lauschte fromm wie die andern alle der Wunderweise vom Berge. Aber der süße Klang bewegte sein Gemüt tief innen so mächtig, daß ihm die Töne in der Seele lange fortklangen und sangen. Und er sann und sann, wie er das Wunder erforschen möchte, und seinem Herzen ward keine Ruhe mehr vor diesem Drang, nicht beim Gebet und nicht im Schlaf.

Also geschah es, daß er eines Tages haldan stieg in den Bergwald hinauf und dort anhub zu lauschen; er lauschte dem Wasser, er lauschte den Winden, den Steinen lauschte er und den Bäumen, und endlich hörte er die Laute einer gewaltigen Tanne entklingen. Aber seine Sehnsucht ward um dessentwillen nicht stille, und eher nicht fand er den Frieden - mit starkem Arm und scharfer Axt hat er den Wunderbaum gefällt und seinen Riesenstamm ins Tal geschleift.

Nun hieb der Meister sich daraus einen mächtigen Block vom schönsten Kernholz zu, glatt gefasert, ohne Ast, und hub in heiligem Ernst und Eifer ein neues Bildwerk an zu schnitzen Tag und Nacht. Und anderem Werke diente seine Kraft und



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Kunst fortan nicht mehr. Nach Jahr und Tag erst war das Werk vollendet. Ein Bildnis war's der allseligen Jungfrau Mutter. Kein ander Bildwerk weit und breit im Lande kam diesem Bildnis gleich an Himmelsanmut und Gottesschöne.

Aber der Meister gab das heilige Bild der Kirche seines Heimatorts als Weihegabe. Doch als die hehre Abgestalt der Himmelskönigin festlich am feierlichen Hochaltare ragte, da hub das schöne Bild auf einmal an, die Lippen zu bewegen, und einmal noch ertönten, allen vernehmbar, die altvertrauten Wunderweisen aus der Höhe. Und alles Volk fiel auf die Knie und weinte vor seliger Wonne helle Tränen und pries in lautem Gebete den allmächtigen Gott und die himmlische Jungfrau.



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DER STIER VON URI

Viele hundert und hundert Jahre sind es seitdem. Ein junger Knabe, Urs im Riet geheißen, hirtete auf der Surenaip die Schafe. Allemal, wenn es ihm an Speise gebrach, schlachtete er ein Schaf, und wenn er mehrere Häute beisammen hatte, trug er sie des Nachts hinab ins Urserental und tauschte dafür Käse und Zieger. Eines Tages, als er auch wieder zu Berg stieg, kamen fremde Männer des Weges aus dem Welschland herauf und trieben eine Herde schöner Schafe, dergleichen er nie gesehen. Da war auch ein schneeweißes Lämmlein, das deuchte ihn so lieblich, daß er seine Augen nicht davon kehren konnte, und so bat und bettelte er die Hirten, sie möchten's ihm lassen. Die aber sagten: «Du hast ja nicht Geld, es zu bezahlen, du Bettelbube!» Aber der Knabe gab nicht nach und bat und bettelte in einem fort. Da sprach zuletzt der fremden Männer einer: «Nun wohl, du sollst das Lamm haben, wenn du aufkniest und einen Rosenkranz betest.» — «Das hab ich von meiner Mutter wohl gelernt, aber nicht viel geübt», antwortete der Knabe, und tat, was jene sagten, und bekam zum Lohn das Lamm. Die Fremden aber gingen ihres Weges.

Urs im Riet aber stieg, so rasch ihn die Füße trugen, mit dem Lämmlein zur Alp hinauf und wußte sich vor Freuden nicht zu fassen und zu lassen. Und so groß war seine Liebe zu dem Tier, daß er es immer um sich hatte, bei Tag und bei Nacht. Er aß mit ihm und schlief bei ihm, und am Ende meinte er gar, es müsse auch getauft sein, gleich wie er getauft sei. Und alsbald machte er sich auf nach Attinghusen, ging heimlich in die Kirche, erbrach den Taufstein und nahm vom Taufwasser. Dann stieg er wieder zu Berg und taufte das Lamm nach christlichem Brauch im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Da aber erlosch mit eins die Sonne;



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nachtschwarz wurde der Himmel, und tosend brauste ein Sturmwind auf. Die Berge bebten; alle Wände schollen; die Gräte dröhnten, und der Wetterstrahl schlug in die Hütte, und statt des lieblichen Lammes stand ein grauslich Ungetüm vor dem Hirten. Dem erstarrte das Blut in den Adern, die Füße waren ihm wie festgefroren. Brüllend warf sich das Ungetüm auf ihn und zerriß ihn.

Und seit jenem Tage ging das Untier auf der Alp um und schlug Menschen und Vieh. Die Hirten aber nannten es das Greiß, und bald wollte niemand mehr auf jenen Weiden sömmern. Die Triften verödeten, die Hütten zerfielen. Da kam eines Tages ein fahrender Schüler ins Land. Der gab den Talleuten guten Rat, wie sie des Unholds ledig werden möchten. Aber siebenmal mußten sie ihm den Geldbeutel mit schweren Kronentalern füllen, und siebenmal den Becher mit welschem Wein. Dann sagte er: ein silberweißes Stierkalb sollten sie aufziehen und es sieben Jahre mit reiner Milch tränken; das erste Jahr mit der Milch einer Kuh, das zweite Jahr mit der Milch zweier Kühe, und so fort bis auf sieben. Und wenn der Stier erwachsen wäre, dann sollte eine reine Jungfrau aus dem Volke mit ihm zur Alp fahren; dann würden sie von der Not erlöst.

Also wollten die Urner tun. Aber sie hatten Not, ein solches Kalb zu bekommen. Bei einem Mann im Schächental fanden sie endlich eines. Sie boten ihm jeden Preis. Er aber gab das Tier so, und wollte nichts dafür. Aber schon nach drei Jahren war der junge Stier so stark und wild, daß niemand mehr es wagte, ihm nahezukommen. Da bauten sie einen festen Gaden, damit alida die sieben Jahre voll würden, und schafften ihn hinein. Und wie nun die sieben Jahre um waren, erbot sich Agnes, des Ritters von Attinghusen Tochter, das Werk zu vollbringen. Im weißen Linnenkleid, wie eine Braut geschmückt und bekränzt, stieg sie den Pfad zur Alp



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hinan und führte hinter sich an einer weißen Seidenschnur den silberweißen Stier am Nasenring. Und alles Volk schaute ihr nach, bis sie den Blicken entschwand. Schwarze Wetterwolken aber hingen über Firn und Fels; grelle Blitze schlugen nieder; dumpf dröhnte der Berg. Da krachte ein Donnerschlag als wie am jüngsten Tag, und die Berge bebten und bidmeten bis in den Grund.

Bang harrte unten im Tal das Volk lang und länger. Als es aber stille geworden war, gingen kühne Männer hinauf zur Alp. Das Greiß lag zerfleischt, der weiße Stier tot in seinem Blute. Und wo er gefallen, da war ein Bach entsprungen. Die Jungfrau aber hat keines Menschen Auge mehr erblickt.

Die Landsgemeinde aber beschloß, das Haupt des sieghaften Stieres mit dem Nasenring fortan als des Landes Wappenbild zu führen.



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DER SENNENTUNSCH

Auf der Drusenaip hirteten vor alters einmal drei junge Älpler, Senn, Küher und Handknab, übersünige und ungeberdige Gesellen, denen es nur wohl war ums Herz, wenn sie mit allem und jedem ihren Mutwillen treiben konnten. Der schlimmste war aber der Meistersenn selber, ein gäher, gottloser Mann, der den lieben langen Tag bei allen Hantierungen schwor und fluchte, so daß die Flühe dröhnten, und den Namen Gottes und aller Heiligen frevien Mundes höhnte. Aber von Gott abgeschworen, ist ewig verloren!

Bisweilen hatten die Sennen nicht eben viel zu tun, denn das Vieh brauchte auf der Weide kaum gehütet zu werden und wurde nie gestallt: Müßiggang aber ist allemal aller Laster Anfang. Eines Tages, als sie vor Übermut und Langeweile wieder einmal nicht wußten, was sie anfangen sollten und ihnen keine Kurzweil mehr geraten wollte, rief aufs Mal einer: «Wüsset er was, mir settend au as Wybervolk ha!» Und sie gingen hin und schnitzten mit vielem Gelächter aus einem Holztotz einen rohen Kopf mit Augen, Nase und Mund, und küferten aus ein paar alten Hosen und einem verhudelten Tschopen, die sie mit Gras und Mies ausfüllten, einen Leib dazu, lebensgroß und menschenähnlich, einem Weibe gleich. Aus Blätzen und Fetzen schnürpften sie der neuartigen Docke eine Staatstracht zusammen, eine Jüppe mit kurzem Gstältli, ein Tschöpli mit Zülli und Häftli und einem bunten Schooß, ein Paar Ringgenschuhe an die Füße und auf den Kopf ein Florbödeli mit Fransenchrüseli.

Den fertigen Dittitolgg nannten sie das Zurrimutzi, und taten mit ihm, als wäre er lebendig. Sie redeten mit ihm, als ob er ein Mensch wäre, trugen ihn auf den Armen herum, setzten ihn in die Sonne, legten ihn unter die Kühe und molken ihm Milch ins Maul, und trieben aller Gattung Unfug



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und Gugelfuhr mit ihm. Wenn sie aßen, nahmen sie den Tunggel, setzten ihn zu sich an den Tisch und sagten: «Mir müend am Chlyna-n-au gä!» steckten ihm den Löffel in die Taapen und zeigten ihm, wie er tun müsse, wenn er essen wolle. Und da die Puppe starr und steif blieb, rief der Dinner: «Jo, tue jez au no dümmer a's d'bischt!» und schlug sie allemal von der Bank herab auf den Boden. Dann hoben sie sie wieder auf, setzten sie wieder vor den Tisch und riefen: «Zurrimutzi, magsch au a Bitz?» —«Se do, Schätzeli, muoscht au a Schläck ha!» und strichen ihr einen Chleipis Mus oder Nidel unter die Nase und ums Maul. Wenn sie einen Jaß machten, sagte einer: «Chum, Zurrimutzi, wotsch au spilla?» und sie gaben ihm die Karten in die Hand, und der Partner schaute sie selber auf und spielte sie aus. Bald hätschelten und tätschelten sie den Tolgg, dann wieder lästerten und höhnten sie ihn, machten den Löl mit ihm und lachten ihn aus, und zur Nacht nahmen sie ihn abwechslungweise in ihr Gliger, indem sie einander neckten: «Hinecht kasch du s'Schätzeli bei der ha, mora denn ich!» Zuletzt meinte der Senn, man müsse das Heidewybli doch auch christlich taufen. Und nun wurden mit lautem Hui und Hei die großen Plumpen geläutet, als ging es zur Kirche, der Scheiterstock war der Taufstein, eine Gebse voll Jauche das Taufbecken. Die Sennen als Götteti standen davor. Als aber der ruchlose Senne, als wäre er der Pfarrer, eben die Babe in den drei höchsten Namen mit Gülle begoß und das Amen sprach, da bewegte der Toggel aufs Mal die Augen im Kopf und die Glieder am Leibe, glotzte den Sennen und die Knechte greulich an, sperrte knarrend das Maul auf zu einem gräßlichen Gelächter und lief in die Hütte.

Die Aipler standen schreckensbleich mit schlotternden Knien und gesträubtem Haar, und aller Spaß war ihnen vergangen. Aber sie ermannten sich und gingen in die Hütte, — da saß der Tunsch hinter dem Tisch und aß und fraß den



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fetten Nidel, daß ihm der Schaum von den Lefzen troff. Da packten ihn die Sennen und rissen ihn in Hudeln und Fetzen. Aber als sie sich am Abend wohlgemut zu Tische setzen wollten, da saß der Tolgg voll und glockenganz in der Schroten und begehrte zähnefletschend zu fressen. Am andern Tag packten sie ihn abermals, schleppten ihn über die Weide bis an den Rand des großen Tobels und warfen ihn über die Felsen ab in den Schrund hinunter. Aber als sie zur Hütte zurückkamen, da stand der Tunggel unter der Tür, lüpfte den Rock auf und wies ihnen mit gräßlichem Gelächter das blutte Hinter. Da packten sie ihn und warfen ihn in die süttige Schotte, aber wie sie vor die Hütte traten, da trabte der Tunsch wie ein Roß auf dem Dach herum mit schrillem Hohngeschrei und schüttelte die Fäuste gegen sie.

Was wollten die Sennen machen? Ob's ihnen lieb war oder leid, die böse Babe war da und blieb da, und war den ganzen langen Tag auf Schritt und Tritt mit ihnen. Sie machte die Hausfrau auf der Alp, kochte, wusch, büezte, half das Vieh hirten, melken, ging beim Käsen zur Hand und beim Salzen. Und wenn die Knechte ihr einmal nicht gleich zu Willen waren, bleckte sie mit den Zähnen und warf ihnen Melkstühle und Holzscheiter nach. Sie redete auch, aber nur mit dem Meistersenn. Dabei aß und fraß das Gespenst, daß die Älpler kaum für sich mehr genug hatten, so viel verschlang es bei jeder Mahlzeit, und wurde je länger je feißter, so daß alle drei es kaum noch lüpfen mochten, wenn es sich allemal am Sonntag zur Zeit des Kirchgangs von ihnen in die Sonne tragen ließ. Denn die rohen Alpier hatten sich gar bald an den neuen Hausgenossen gewöhnt und machten wieder s'Kalb mit ihm und trieben's wüster denn je. Und jetzt spielte der Toggel beim Jassen als Vierter jeweilen selber mit, und wer's mit ihm hatte, der gewann immer.

So verging der Sommer, und es hub alsgemach zu herbsteln



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an, bis der Tag der Abfahrt herankam. Und die Älpler meinten die ganze Zeit, dann würde das Unwesen von selber ein Ende haben. Aber als alles Schiff und Gschirr aufgepackt und die Kühe zusammengetrieben waren und alles zum Aufbruch bereit stand und sie eben -kismis läckmis -forttreiben wollten, da stellte sich der Tunsch in aller Breite am Alpgatter in den Weg, glotzte die Männer teuflisch grinsend an und krächzte gellend: «So, der ganz Summer han j ghulfa schaffan-und werka. Jez g'hört mir au a Freud. I muoß fryli do blyba. Aber eina von-n euch muoß au do blyba. Sus gaht's euch alla bös!» Die Älpler sahen einander an wie gestochene Böcke, und der Knecht stotterte: «Was wemmer jez mit der Poppa macha?» Da sagte der Senn: «Gähnd ihr zwee nur afanga mit am Veh vorus. J blyba scho z'rugg und mach as mit am us!» Da brüllte der Tunsch: «So mached euch furt mit eurem Sachli und luaged nit z'rugg vor-er überein dritta Tobel sid!»

Als die beiden Knechte von der Höhe des dritten Tobels nach dem Stafel zurückblickten, da spreitete der Tunsch eben die blutige Haut des Sennen auf dem Hüttendach aus.



Alpensagen-142. Flip


DER TIFOL ALS BAST

Im Wallis vor weiß Gott wie vile Jahru, — ich bi noch a I chleine Buob gsi, wa ich va discher altu Zähliata ghört hä, ist in ar schönu Alpu, wa d'Chie fast bis annu Büch im Chrüt gwattot und gnuog Milch und Nutz gigä Beint, oich an erzschlechte Senno, abar oich an grundbrave Hirt gsi. Hät der Hirt wellu betu, so hät der Senno, wenn er oich noch guoter Lünu gsin ist, gneitot und gschlafu; ist er abar lünige und eirichtige gsi, so hät er druber gspottet und gräsoniert. We der Hirt über d's Veeh gibetot und gigkrizgot hät, so hät der Senno gfluochot - d's Veeh gibriglot und alle Tiflu ubergä;



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we der Hirt am Morgu und Abu, vor am Bild old Chrizifix schyni Andacht verrichtot und dernach mit Wichwasser schich gsegnot hät, so ist der Senno wie d's Veeh ufgstannu und ga liggu ohni Chriz und Haggo - und hät du Hirt an Pfaff und dumme Tifol gscholtu, ja nu usgschoru, daß er's hät fast mießu verbergu und chum Zyt ghäbet hät, an guoti Meinig z'machu. Und we der Hirt hät wellu der Milch Sorg hä, damit d'Lit ihn Sach berchome - so hät der Senno ohni Borgu und Gwissu drangitribu; nummu guot essu und trichu, chochu und chiechlinu, d'Nidla obun ab näh, die best Sufi brüchu und darzuo nummu fülenzu wellu - a's wenn er nur Büch und kei Seel hätti. D'Chie lose fit uf du Bäro, d'Hiener nit uf du Fuchs, d'Hase fit uf du Hund; aber die dumme Lit lose-n-uf du Tifol, wenn er ne nett pfyfot und gygot und lockt. Ja, er hät sogar mit dum Beschu, Gott bhiet isch derfür, an Pakt gmacht, er welle mu schich mit Hüt und Haar ubergä, we der Tifol ihm nummu de Summer durch lä zuocho, was schyni Begierlichkeit wünsche. «Mießiggang ist aller Laster Afang!» All's Abmahnu vam bravu Hirt hät fit verfangu. Einest an am Abund hät der Senno die schrecklichstu Wünsch gita. D's Leida, Gott bhiet isch derfür, hät guoti Ohru, diz Mal hät er mu fit vergebu grieft und schyni Hüt angibotu. As fürchigs Wetter ist angangu: der Wind hät ahi Baigge und Türini angu nuf und zuo gschlagu und durch ahi Chieck gipfifot, a's wenn a Tschuppu Chatze rawotti; der Blitz hät Fir gschlagu und der Donner gchrachot, daß as Grüsu gsin ist, und gregnot hät's, a's we sus mit Zubru ilöschti. Da hät der Sturm uf einmal d'Hittutür angu nuf gschreckt - und - Jekos, Maria und Josef! hät der Hirt gschruwu - was ist das? Mitti in-er offunu Tür - ist as jungs und karjos gikleidots Wybsbild gstannu - und hinner ihr hät's so starch giblickt a' we's im baru Fir stiehndi - und druf hät's eis uf d's andra gidonot, daß der Bodu gezitrot hät. Derwyl der Hirt gibetot hät und


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mu vor Chlupf die Bei wie an Treta gigangu sind, ist der Senno mir und dir fit freidig wie an ar bikantu Persoh entgegu gigangu und hät scha frindlich in d'Hitta zum Fir zuo gfiehrt. Wesch dum Hirt gnochet hät, so ist mu z'chalt und z'heiß cho und ist ra us um Weg gflieht, so gschwind er hät mögu. Der Senno hät ra zwar immer Basi gseit, aber dem Hirt ist schier fir cho, a's we's der lebendig Tifol wäri, de so hübsch und reizundi Gstalt schi hät ghäbet, so hät schi doch as uheimlichs Gsicht und Oigu wie gliehendi Choie ghäbet, bsunderbar, we schi schich gegu du Hirt kehrt hät -. O armi Fleiga, die höllisch Spinna hät dich scho yngletschot und in ihr Wub gizogu, du bist ufehlbar verloru; so hät der Hirt z'ihm selber gideicht. — <(Will die hinacht hie blybu?» hät der Hirt gfrägt. «Was anderst», hät der Senno gantwortot. Hirt: «Aber wa ga schiafu?» Senno: «Das fräg, da, wa wier!» Hirt: «Da gan ich in d'Schyr ga schiafu.» Senno: «Und nimmst alle gsegnote Grimpol mit dir, uf das myni Basi fit vil hät.» Am Nachtag ist die Basi niene umha gsi, und vor der Hütta hät as Chrizifix und d's Wichwassergschirr glegu, dem der Senno d's heilig Grimpol gseit hät, der schyner Basi im Weg gsi ist. «Ja, ja», hät der Hirt z'ihm selber gideicht, «entweder ist schyni Basi a Hex oder der Tifol selber; de nummu sottigi chönnunt d's Heiliga und d's G'segnata nit lydu. Ja, ja, fir a churzi Zyt hät der Senno jez, was er wellu hät, aber darnah welti mu fit tüschu, bhiet mit Gott derfir!» —Von da ist schi ahi Abund uheimlich wie a Nachtgschiwwata in d'Hitta zum Senno ghuschot und am Morgu ebu so uheimlich verschwunnu. Us dum täglichu Biträgu vam Senno hät mu chännu gseh, was schyni Basi fer eini gsin ist. We mu der Hirt gseit hät, er selle schich doch bikehru, jez sy's noch Zyt; die Zyt rücke scho, wa schyni Hüt in die Gerwi mieße, so hät der Senno ihm ins Gsicht glachot und nu usgspottot, er selle mu mit sottigum Pfaffugschwez schwygu.


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Endli ist der letzt Tag van der Summerig oich cho. Am Vorabund häts aber es Hexuwetter gmacht, daß mu kei Hund hätti dörfu usjagu. «Weißt wer by nam sotti Wetter cho ist? Das schrecklich Wyb will ebu by sottigum Wetter verreißu! Und weißt, warum schi cho ist? Und was du versprochu häst? Mach di reißfertig!» — So ist dum Senno fircho, a's we ihm etlis das ins Ohr rünetti. Ebu da schi mit andre Beint wellu ab Alp fahru, ist plötzlich, was du ganzu Summer nie gsche ist, schyni Basi in d'Hitta cho. Dum Senno Beint die Bei angfangu schiottru und im Gsicht ist er äschubleich wordu, und der chalt Schweiß ist mu wie Erbis über z'Gsicht ynegitrolut - zum Hirt hät'sch gseit: «Mit dir hän i fit z'schaffu, du chaist ga - aber ich und der Senno hei noch mit andre z'redu, der blybt hie.» Und mit dische Wortu hät'sch nu am Arm ergriffu und ins Stubji gschreckt und hinter schich die Tür zuogschlagu. Im glychu Oigublick hät mu as gryslichs Gipolter und Ghammer und Weh- und Mordio-Gschrei g'hört. Der Hirt hät vor Chlupf schier kei Bei mache chönnu. Doch ist er endli zum Schlüssulloch van der Stubutür ga yngseh; — und, Jekos, Maria und Josef! was hät er da Erschrecklichs gseh! — Abbas, das ist nit zum sägu! — Am Bodu ist der Senno wie an gekrizigte Herrgott ufgnaglote gsi. Schyni besi Basi hät grytjundu uf ihm ghocket un mit am großu bluotigo Messer nu lebendig gschindtot. — Us ihrum Chopf hät mu dytlich Horu und us ihre Zewu Chiawe gseh ußa lotzu. Der Tifol hät d'Hüt wellu, die er mu so oft versprochu hät. So gäru der Hirt us Mitlydu - nu grettot hätti, so hät nu der Schrecku chraftlos gmacht, und vor Chlupf hät er die Port zuogschlagu und ist gliffu-n-und gliffu, bis er nimme hät ghört jammru und schriju, und wie er zrugglozzet hät, da hät die Basi die bluotig Hüt vam Senno grad ebu ufs Hittudach usgspreitot. Der Tifol tuot nit vergebu, er will schy Loh hä! Bhiet isch doch Gott derfir!



Alpensagen-146. Flip


DES TEUFELS ROSS

Der Schmied von Ruspek im Wallis allis hatte eine Tochter, die war überaus schön und klar von Angesicht und hatte eine feine und zarte Haut, wenn sie roten Wein trank, konnte man sehen, wie er ihr durch den Hals hinunterlief. Schön Anneli aber war nicht, was sie schien, insgeheim trieb sie Unholderei und Hexenwerk. Aber nichts ist so fein gesponnen, es kommt doch an das Licht der Sonnen, und selbst des Teufels Kunst bleibt nicht verborgen. Als ihr Vater, ein rechtschaffener und gottesfürchtiger Mann, inne wurde, wes Handwerks seine Tochter beflissen war, da geriet er in heiligen Zorn und verfluchte sein mißratenes Kind an Leib und Seele: «Ich wollt, der Teufel trüg dich über alle Gräte, du Höllenbraut!» und verstieß sie von Heim und Hof. Anneli aber ging trotzig ihres Weges.

Da kam ein flotter Reitersmann dahergesprengt, ein stolzer Herr in grünem Wams und rotem Mäntelchen mit spitzer Feder auf dem Hut, hielt jählings sein Pferd an, daß es steil aufbolzte: «Ei, schöne Jungfer», sprach er freundlich, «wohin so allein auf der weiten Welt? Wenn's Euch behagt, so nehm ich Euch eine Strecke mit, und wär's auch nur ein halbes Stündlein weit. Selbander reist sich's besser, und mein Pferd trägt gerne zwei.» Anneli lachte und sagte:

«E halbi Stund wär mir fit z'lang,
Möcht by dir si mys Lebe lang!»

Da nahm der Reiter sie im Schwick am Gürtelschloß und schwang sie hinter sich aufs Roß und sprengte mit ihr staubvomboden über Stock und Stein auf und davon, daß Strauch und Dorn ihr das Kleid am Leibe zerschlissen und die Haut blutig rissen, geradeswegs vors Höllentor. Ja, seht ihr, so geht's: Zieh vor em Tüfel der Huet ab, so nimmt er der Huet



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und d'Hand derzue. Vor dem Höllentor aber standen drei Gottbhüetis. Der erste sprach: «Gottwilche, schöns Jümpferli!» — «Do goht's yne!» sagte der andere und stieß sie zur Tür hinein. «Do sitz ab!» sagte der dritte und führte sie zu einem glühigen Stuhl. Dann mußte Anneli einen Becher voll Pech und Schwefel trinken. Hernach zogen ihm die drei Teufel die schneeschlohweiße Haut ab und machten aus ihm eine graue Schimmelstute.

Eines Morgens, als der Meister früh mit seinem Gesellen am Amboß stand und hämmerte, daß die Funken in Rauch und Ruß wie Sternlein sprühten, kam aufs Mal ein fremder Reiter in vornehmer Kleidung auf einer grauen Stute im Galopp vor die Schmiede geritten.

«He, Meister Schmid, du wackre Ma,
Gschwind schlag mym Roß nüw Yse-n-a!»
rief er, sich gleitig aus dem Sattel schwingend, in die Werkstatt
  herein, und band sein Roß am Türpfosten an. «Es hat
Eile. Hab' nur einige schnelle Geschäfte im Dorf. Bin gleich
wieder zurück!» schnerzte der Fremde noch und ging davon,
ohne eine Antwort abzuwarten. «Das isch jez en schützlige
Jasti», brummte der Schmied und machte sich gleich an die
Arbeit. Er holte vier neue Hufeisen und spitzte die Nägel. Der
Geselle hielt ihm den Huf hin, und mit sicherer Hand schlug
der Meister das aufgeklemmte Eisen fest. Da lugte die Stute
mit großen blanken Augen vornherum zurück. Auch beim
zweiten und dritten Eisen schaute das Tier unverwandt zurück.
   Doch als der Meister das vierte auflegte, da röchelte,
schnob und wieherte das Pferd und plötzlich sprach es mit
deutlich vernehmbarer Stimme:
«Ach, Vatter, höred, es isch jez gnueg,
Ihr bschlöhnd eues eigne Fleisch und Bluet!»


Alpensagen-148. Flip

Dem Meister Schmied entfiel schier der Hammer vor Chlupf, und er bebte am ganzen Leib: es war Schön-Annelis Stimme. Aber ehe er sich besinnen konnte und ein Wort sagen, stöhnte der Schimmel abermals tief auf und sprach: «Ach, Vater, schnell, schnell schlag das Eisen auf, schneide den Zügel entzwei und bet zu Gott und der Heiligen Jungfrau. Mein Reiter ist der Teufel. Kann ich über neunundneunzig Friedhöfe setzen, ehe er mich einholt, dann bin ich erlöst, sonst auf ewig verloren. Heut ist der letzte Tag, und drum darf ich als Mensch noch einmal sprechen.» — «Gott und seine heilige Mutter mögen dir beistehen, du armes Kind!» rief, zum Himmel aufblickend, der Schmied und schlug den letzten Nagel ein, löste dem Pferde den Zügel, und es flog davon wie ein Nebeistreif im Wind.

Da aber kam auch schon der Reiter zurück. «Wo ist das Roß?» — «Es wird auf die Weide hinuntergelaufen sein.» — «Was fällt dir ein, es loszubinden!» — «Ich habe das Pferd zu beschlagen, hüten müßt Ihr's schon selber. Gebt mir meine Bezahlung, Herr, und dann gehabt Euch wohl!» Mit einem greulichen Fluch, aufstampfend vor Wut, warf der Fremde dem Schmied das Geld auf den Amboß, daß es nur so klang und klirrte und Feuer und Funken stoben, und wurde im selben vor aller Augen ein schwarzer Hengst, der wie eine finstere Wetterwolke vorm Sturm ins Weite flog.

Der Meister und sein Geselle waren in die Knie gesunken und flehten inbrünstig zu Gott dem Allmächtigen und der Heiligen Jungfrau, daß sie das arme Kind durch ihre Himmelsmacht gnädig erretten möchten. Der graue Schimmel aber rannte derweil, daß ihm der weiße Schaum von Nüstern und Lenden troff und Lunge und Leber im Buge kochten. Er keuchte, stürzte, sprang wieder hoch, setzte weiter, aber immer näher und näher kam hinter ihm feuerschnaubend der schwarze Hengst. Eben, als die Stute die Mauer des neunundneunzigsten



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Friedhofs mit der letzten Kraft in einem gewaltigen Satze übersprang, erreichte der knirschende Hengst sie und schnappte mit schäumendem Maule das Ende des Schweifes, so daß es abriß. Da zuckte ein Blitz, und es tat einen Donnerklapf. — Da stand der Teufel, des erlösten Mädchens Haarzopf in den Klauen, und vor ihm auf dem Boden lagen die vier Hufeisen. Lottelnd vor Wut warf er beides nach Schön-Anneli, das mit gefalteten Händen auf dem Gottesacker kniete.

Nach mühsamer Wanderung, viele Tagereisen weit, kam Schön-Anneli mit den Hufeisen und der Haarflechte heim ins Vaterhaus. Der alte Meister aber schmiedete alle vier Eisen in eines zusammen und hing es mitsamt der Haarflechte und einem Blumenkranz als Dankgeschenk der Mutter Gottes in ihrem Kirchlein droben im Bergwald auf zur ewigen Gedächtnis dieser denkwürdigen Begebenheit.



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DER TÜFEL A'S TÄNZER

Es Meitli het welle z'Tanz goh. «Dä Obe gang nid!» het Es ihm's Müetti gseit. «I ha der rächt a; gang doch nid, blyb deheime !» Aber 's Meitli het nid einisch welle-n-uberspringen-u verwäge gredt: «Un i wott, u wenn i mit em Tüfel heichäm !»

Derno isch es uf e Tanzbode. Es isch nid lang gstange, du chunt es jungs, grüens Heri derhär: «Se, alle, Meitli, mir wei eine ha!» Dermit het er's gno un isch mit ihm gfahre. Kei einzige Tanz hei sie verbyglo. Die angere junge Lüt, wo si do gsi, hei enangere gmüpft u gchüschelet, wo sie gseh hei, wie das gange-n-isch. Es het se düecht, die beide chöme nid z'Bode u tüei urne so flüge. U 's Meitli sälber het afo chummere: «Oh, hätt i doch urne der Muetter gfolget! Die het mer welle dervor si.»

Andtlige hei d'Gyger der letscht ufgmacht. Derno het das Heri zum Meitli gseit: «I chume grad mit der hei!» 's Meitli het gsüfzet, aber nid dürfe widerrede. Derno si si zäme hei un j 's Gade. Der Her isch uf enes Trögli go hocke-n-u het gseit: «Zieh mer jetz der Stiefel!» 's Meitli het gfolget u het e lute Schrei to. Es isch e Geißfueß füre cho.

D'Eltere si überniede gläge; sie hei der Schrei ghört u si gleitig uberrueche i 's Gade; aber sie si z'spät cho. Sie hei möge-n-erchenne, wie der Tüfel mit em Meitli dür d'Luft us gfloge-n-isch. Grüselig, gar grüselig het 's Meitli brüelet; der Tüfel het's verschrisse. Weder Staub no Laub het me von ihm gfunge.



Alpensagen-151. Flip


D' CHINDSMÖRDERI

Emol het e Hirt 's Veh in Wald ustribe. Do ghört er in de Stude-n-e chlys Chindli gryne. Er goht go luege, findt aber niene nüt und seit: «J ghöre di wol, i gseh di aber fit, j weiß fit, wer dys Müeterli isch!» Und wider ghört er es fyns Stimmli, das seit: «Mys Müeterli wott hüt Hochsig ha. Es het drü chlyni Chind vergrabe; 's erscht het es is Wasser gheit, 's ander under de Mischt vergrabe, und mi i grüene Wald use treit und mit Laub und Aeschte zuedeckt!

Ufs Mol gseht do de Hirt im Laub under de Stude es tots Chindli ligge. Er nimmt's ufe-n-Arm und goht mit em is Wirtshus abe, wo's grad Hochsig gha hend, und obe-n-am Tisch isch d'Brut gsässe. Seit das tote Chindli: «Gsägn'ech Gott, gsägn'ech Gott, ihr Hochsiglüt! Die obe-n-am Tisch isch mys Müeterli. Ach, Mueter, du darfscht keis Chränzli träge. Du



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hesch drü chliny Chind vergrabe. 's erscht hesch is Wasser gheit, 's ander under de Mischt vergrabe und mi in grüene Wald use treit und mit Laub und Aeschte zuedeckt.» Seit d'Brut: «Und wen j söll euri Mueter si, so schlag mi der bös Geist derfür!» Und wie das Wort gseit isch gsi, do isch der bös Find j d'Stube broche-n-und het grüeft: «Chum wägg, chum wägg, vom Tisch ewägg! Mit mir muesch jez trinke Schwäfel und Päch!» Und nimmt se by der Hand und füehrt se furt zum Helletor; dört sitze drei Gottbhüetis dervor. Der erscht seit: «Willkumme-n-yne!» Der ander schänkt ere-n-en Bächer voll Bluet, der dritt stoßt se-n-i d'Hell abe, wo sie am tüfschte-n-isch.


DIE TOD MUETER UND S' BÜEBLI

Es ist amol a Mueter gsi, und dia het a Büebli gha, und das Büebli ist ara lieb gsi, wia sus nüt uf der Welt, und 's Büebli wär syner Mueter au dur' na Für gsprunga. Aber d'Mueter erkranket und stirbt, und do ist dem Büebli gsi, a's gehret's nümma z'leba, und de ganza Tag Bets gröret und au d'Nacht noch. Wo's het wella schlofa, ist em d'Mueter in Sinn und 's Wasser i d'Auga ko. Wias' aber gega Mitternacht goht, und 's Büebli noch allawyl wach und trurig i sym Bettli lit, goht eismols d'Tür vom Schlofkämmerli langsam uf, und wia s'Büebli erschrocka luaga will, wer kemm, stoht syni gstorba Mueter vorem, ima schneewyßa Kleid, nu am Ärmel sei a schwarzes Tüpfli gsi. Fründli seit sie zum Kind: «Gelt, Hansli, du kennst mi noch?» —«Jo fryli, kenn i di noch.» — «So gang», seit d'Mueter wider, «und wüsch der d'Auga-n-us



Alpensagen-153. Flip

und bet für mi andächtig an Rosakranz, daß mer do my Tüpfli am rechta-n-Armel vergoht, derno bin i ohni Makel und kumm in Himmel.)> So seit sie und verschwindet druf. 's Hansli springt gschwind us' am Bett und betet kneuliga an Rosakranz, und wia's mit dem letzta Stückli ist fertig gsi, so erschynt em d'Mueter noch amol, aber ohni Tüpfli am rechta-n-Aermel, über und über wyß wia Schnee, und lieblig wia-n-an Engel dütet sie gega Himmel und seit: «Hansli, jetz kummi uffi!» und verschwindet, und dem Hansli wird wohl ums Herz und er vertschioft ruebig.


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DER DOKTOR PARAZELSUS UND DER TEUFEL

Als der Doktor Parazelsus noch in Innsbruck wohnte und dort studieren lernte, ging er einmal - wie er gerne tat — an einem heiligen Sonntag Morgen im Walde spazieren und hatte allerlei Gedanken, so daß er sich ganz vergaß und immer tiefer in den Wald hinein geriet. Plötzlich stand er still, denn es kam ihm vor, als hätte ihn jemand mit Namen gerufen; er mochte sich aber umsehen, wie er wollte, er konnte niemand erblicken. «Es sind wohl Raben in ihren Nestern oder Winde in den Felsklüften gewesen», sagte er zu sich selber und ging weiter. Aber bald hörte er wieder eine dumpfe Stimme rufen: «Parazelsus! Parazelsus!» und der Ton schien nicht eben von weit her zu kommen. Der Doktor schaute sich um: «Wer ruft da?» — «Ich», antwortete es ganz nahe an seinem Ohr aus einer alten Tanne, «erlöse mich aus dem verdammten Kerkerloch !» Parazelsus erschrak und sprang seitwärts, bald aber faßte er Mut und rief: «Wer ist der Ich?» — «Man nennt mich nur den Bösen», erwiderte die Stimme, «ich bin aber so schlimm nicht, als mich die Leute machen wollen. Das sollst du sehen, wenn du mich befreist!» — «Und wie kann ich das tun?» fragte der Doktor. — «Schau nur rechts am Stamm der Tanne hinauf, da ist ein Astloch, das mit einem Zäpflein vermacht ist, darauf drei Kreuze eingeschnitten sind. Dahinter bin ich eingezwängt von einem verfluchten Geisterbanner. Ich kann's von innen nicht herausstoßen.» —«Nun, was gibst du mir, wenn ich's herausziehe?» fragte Parazelsus. — «Was willst du?» — «Gib mir», gebot Parazelsus, «pro primo eine Arznei, die alle Krankheiten heut; pro secundo eine Tinktur, womit ich alles, was ich will, in Gold verwandeln kann, pro tertio - — —» — «Halt ein!» fiel ihm der andere ins Wort. Der Dinge drei sind mir verhaßt und lähmen meine Kunst und Kraft. Die kann ich dir nicht geben.



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Begnüge dich mit zweien, die sollen dir werden!» — «Wer steht mir aber dafür, daß du Wort hältst?» —«Ich, so wahr ich der Teufel bin!» rief die Stimme. — «Er wird mich doch nicht gar holen, wenn ich ihm den Willen tue», dachte Parazelsus bei sich selber und sagte dann laut: «Gut denn! ich will dich befreien.» Also nahm er sein Federmesser aus der Tasche und porzte damit das Zäpflein heraus. Dann trat er einen Schritt zurück, die Augen fest auf das Löchlein geheftet, und sah alsbald eine häßliche, schwarze Spinne daraus hervorkrabbein. Die lief gleitig am Stamm hinunter auf das Moos. Aber kaum berührte sie den Boden, so verschwand sie wie weggeblasen. Aber auf dem Flecke richtete sich - wie aus der Erde steigend - ein langer, hagerer Mann mit dünnen, dürren Gliedern vor Parazelsus auf, und schielte ihn mit roten Augen spottlich grinsend an und sagte ihm in wohlgesetzter Rede seinen Dank für den Dienst. Dabei schlug er den roten Mantel sorglich übereinander, wohl damit Parazelsus seine schmählichen Hahnenfüße nicht gewahren sollte. Aber der Mantel war zu kurz, und Parazelsus sah die scharfen Klauen und Krallen nur zu gut, und ein Schauder lief ihm über den Leib und die Haare standen ihm zu Berg, daß es ihm schier die Kappe auf dem Kopf lüpfte. Das machte dem Teufel rechten Spaß. Er zeigte seine gelben, spitzigen Zähne vor Lachen und sagte: «So, graut dir's? Du brauchst dich nicht zu fürchten. Dich hol' ich ja nicht!» Und er winkte ihm mit spitzigem Finger: «Komm mit, dort an den Felsen!» Der Parazelsus wäre lieber davongelaufen und hätte ihm gerne den Dank geschenkt. Aber er folgte ihm doch nach, so katzbang war ihm. Auf dem Wege brach sich der Teufel im Gebüsch eine Haseirute. Bald kamen sie zu einer Fluh, die hoch die höchsten Tannen überragte. Jetzt sprach der Teufel: «Wart hier ein Weilchen. Ich bin gleich wieder da», und schlug mit der Rute gegen das Gestein. Krachend barst der Fels auseinander, und der Teufel verschwand


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darin. «Meinethalben brauchst du nicht wieder kommen», murmelte Parazelsus in seinen Bart. Aber schon trat der Rotmantel wieder aus der Spalte hervor, in jeder Hand ein durchsichtiges Gefäß haltend, oben zugebunden wie die Arzneigläser. Diese reichte er Parazelsus dar. «Das gelbe da», sagte er, «ist die Goldtinktur, das weiße die Arznei.» Dann nahm er die Haselrute vom Boden auf, schlug damit wieder gegen das Gestein, und der Fels schloß sich, als ob er nie gespalten gewesen.

«Gehst du mit nach Innsbruck?» sagte der Teufel, «ich hole mir dort den Geisterbanner, der denkt gewiß auch nicht, daß ich los bin, er soll's mir büßen! Alle Knochen brech ich ihm im Leibe und das Gehirn verspritz ich ihm!» So gingen nun der Rotmantel und der Doktor schweigsam eine Weile nebeneinander fort. Allein Parazelsus hatte seine eigenen Gedanken dabei, denn er hatte großes Mitleid mit dem armen Geisterbanner und dachte: «Er ist meinesgleichen. Könnt ich ihn nur retten! Aber den Scheelaug bitten, wird nichts helfen. Und jenen voraus warnen, geht auch nicht; auch wüßt ich nicht einmal, wie er heißt und wo er wohnt.» So schritt Parazelsus, hin und wider sinnend, neben dem Hahnenfüßler einher und drehte dabei zwischen den Fingern das hölzerne Zäpfchen. Da roch's ihm plötzlich auf: «Ich will's probieren. Hilft's nichts, so schadt's auch nichts!» Nun waren sie nicht mehr weit weg von jener Tanne, worin der andere gesteckt hatte, da hub er an: «Traun, der Banner muß wohl ein übermächtiger Mann sein, daß er die Gewalt hatte, Euch in ein so winziges Löchlein hineinzuzwingen, und erst noch spinnengroß nur. Wahrlich, aus eigener Kraft hättet Ihr das schwerlich vermocht. Dazu gehört viel.» — «Unsereiner kann mehr, als ihr naseweisen Wichte euch nur träumt», entgegnete der Teufel giftig. «Hast du denn nicht mit eigenen Augen gesehen, wie ich als Spinne zu dem Loch herausgekrochen bin?» —



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«Oh, das war eitel Blendwerk», sagte der Doktor, «Ihr seid als Lügenmaul und Prahlhans wohlbekannt. Geht mir doch weg, Leuten Euren Schlages hat ein größerer Herr schon lang das Handwerk gelegt. Ja was gilt's, ich verwette Euch die zwei Wunderflaschen grad wieder, wenn nicht wahr ist, was ich sage.» —«Topp, es gilt!» rief der Teufel eifrig. «Schau her!» und im selben Augenblick war er verschwunden, und dieselbe häßliche, schwarze Spinne kroppelte wieder im Moose und lief gleitig am Stamm der Tanne hinauf und kroch in das Löchlein und die Stimme rief: «Jetzt sind die Flaschen wieder mein!» —«Nein, noch glaub' ich's nicht», schrie Parazelsus ins Loch hinab und steckte blitzgeschwind das Zäpflein wieder ein.

«Was soll der Scherz?» rief die Stimme von innen. «Ernst ist's», rief Parazelsus zurück, schlug mit einem Stein den Zapfen fest und schnitt mit seinem Messer drei neue Kreuzlein drüber. «Jetzt bist du am rechten Ort. Gehab dich wohl!» Da nützte kein Bitten und kein Drohen. Wie der Sturmwind rüttelte der betrogene Teufel den gewaltigen Stamm von der Wurzel bis zum Wipfel, daß die Tannenzapfen haufenweise von den Ästen auf Parazelsus herabprasselten. Der aber wandelte lachend davon.

Als er wieder aus dem dunkeln Walde in die sonnenhellen Wiesen hinaustrat, sprach er bei sich: «Jetzt will ich doch sehen, wie der Rotmantel mich genasführt hat», denn er hielt die Flüssigkeiten in den Fläschchen für bares Wasser. Also öffnete er das gelbe und ließ daraus ein Tröpflein fallen, und siehe da, es wurde schwer und schwerer in seiner Hand, und war pures Gold. Staunend machte er das Fläschchen gleich wieder zu, damit der kostbare Goldgeist nicht verdunste. «Das wäre gut», dachte er, «und jenes will ich grad an dem kranken Gemsjäger dort unten in der Hütte erproben.» Und als er in



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die Stube trat und dem Mann einen Tropfen davon eingab, sprang derselbe auf dem Flecke gesund aus dem Bett.

Der Parazelsus aber ist von selbiger Zeit an der berühmteste Doktor und der reichste Mann der Welt geworden und hat Arm und Reich gesund gemacht. Und denen, die's nicht vermochten, hat er oft noch zur völligen Genesung von seinem Golde dazugegeben. Aber just darum hat er auch viele Feinde bekommen, die ihm sogar ans Leben gegangen sind.

Der Teufel aber hockt noch immer in dem Löchlein, und wenig Hoffnung hat er, je loszukommen. Denn der Wald ist Bannwald und schirmt das Tal gegen die Lauenen und Rüfen, und darf drum nie gehauen werden. Die Tanne aber, die er zu Zeiten wütend schüttelt und rüttelt, daß die Wurzeln knarren und die Wipfel sausen und ein Hagel von Tannenzapfen niedergeht, heißt noch heute der Teufelsbaum.



Alpensagen-159. Flip


DER GEPRELLTE TEUFEL

Ein armer Mann war in so große Not geraten, daß er nicht mehr ein und aus wußte. Da ging er von Hause fort, wo nichts mehr zu beißen und zu brechen war, denn er konnte Frau und Kinder nicht länger hungern sehen. Vielleicht finde er irgendwo anders Arbeit, dachte er, oder sonst wie Hilfe. Wie er sich so traurig mit hängendem Kopf und schlaffen Knien seines Weges schleppte und über seinem Unglück grübelte, begegnete er dem Teufel. Der redete ihn an und fragte, wohin er gehe. «Weiß ich's», erwiderte der Mann, «bin ich doch arm wie ein Stein, auf dem kein Moos wächst. Vielleicht find ich auswärts was zu verdienen, daß ich Brot für meine Kinder kaufen kann. Keller und Küche daheim sind längstens leer, und Stall und Speicher auch.» Der Teufel sagte: «Ist's weiter nichts, was dir fehlt, so kann dir schon geholfen werden. Gib mir nur Arbeit auf deinem Gut für einen ganzen Tag. Doch merke wohl, wenn ich nicht die volle Zeit beschäftigt bin, dann bist du mein mit Leib und Seele!» «Ei», dachte der Mann, «das läßt sich hören, der könnte mir die große Wilde reuten und ackern, die an mein Feld grenzt.» Und er besann sich nicht lange und schlug ein. Da gab ihm der Teufel einen großen Sack voll Gold, so schwer, daß er ihn nicht tragen konnte, sondern daheim erst einen Karren holen mußte.

Am nächsten Morgen früh bei Tag begann der Teufel seine Arbeit in der Wilde. Er fällte Bäume, riß Wurzelstöcke aus, trug Steine zu Hauf; das ging alles wie von selber. Und als der Bauer gegen Mittag kam, um nachzuschauen, wie weit die Arbeit gediehen sei, da sah er, daß beinah das ganze Stück schon das schönste Ackerland geworden war, und spätestens auf die Essenszeit würde der Teufel mit dem Werke fertig sein. Das Herz im Hals vor Angst und Schrecken eilte der Mann nach Hause. Er wußte dem bösen Knechte keine Arbeit mehr.



Alpensagen-160. Flip

Vor dem Hoftor begegnete ihm ein altes Weiblein. Das fragte, was ihm fehle. Er sagte ihr seine Not. Da sprach die Alte: «Geh nur getrost nach Hause, reiß dir ein Haar aus, und wenn der Teufel kommt und nach mehr Arbeit fragt, so heiß ihn nur das Haar bolzgrad aufstellen, ohne es zu brechen.» Als der Mann heimkam, läutete der Sigrist eben Mittag. Da kam auch schon der Teufel angerannt und sagte: «Das Feld ist fertig gepflügt. Gib mir Arbeit!» Da riß sich der Bauer ein Haar aus dem Kopfe und legte es vor ihn auf den Tisch und sagte: «Stell dies Haar auf, aber brich es nicht um. Und wenn du damit fertig bist, ist deine Arbeit getan.» Der Teufel fuhr mit seinen Krallenpratzen daran herum, strich und glättete. Aber es wurde nur immer krümmer, rollte sich auf und zerbrach. Da stampfte der Teufel vor Wut, ließ einen wüsten Stank und war verschwunden, als wie in den Boden gesunken.


WIE EIN BAUER SEINE FRAU DEM TEUFEL VERKAUFT

Ein armer Bauer, dem der Geldherr hatte sagen lassen, er werde ihn von Haus und Hof verjagen, wenn er nicht bald zahle, was er schulde, ging traurig aufs Feld und sann über sein Elend nach. Am Kreuzweg im Wald traf er einen fremden Mann an. Das war aber der Teufel. Der fragte den Bauer, was ihm fehle, daß er so bekümmert dreinschaue. Der Bauer sagte ihm seine Not. Da sprach der Teufel: «Geh nur getrost heim und grab in deinem Stalle nach, wo ich dir sage, und du wirst an Geld finden, was du brauchst, und mehr als das. Und alles ist dein, wenn du mir das versprichst, was du daheim vor deiner Hustür finden wirst!» — «Was anders wird zu Hause vor der Schwelle sein, als die Scheiterbeige. Die kann er gerne haben!» dachte der Bauer, schlug ein und machte sich gleich auf den Heimweg. «Bring mir dann, was ich mir ausbedungen



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habe, morgen, wenn die Sonne zu Gold geht, pünktlich hierher!» rief ihm der Teufel noch nach. Wie aber erschrak der Mann, als daheim unter der Türe seine Frau stand, ganz verwundert, daß er so zeitig vom Feld zurückkomme. Er aber ließ sich nichts merken. Gleich ging er in den Stall, grub an der bezeichneten Stelle nach und fand einen großen Topf voll lötiger Silbertaler, und alle Not hatte ein Ende. Anderntags lud er zur angegebenen Zeit seine Frau auf ein Maultier, um sie ein wenig spazieren zu führen, sagte er. Ihr kam das zwar sonderbar vor, und es wollte ihr nicht geheuer werden dabei, aber sie mochte ihrem Manne nicht widerreden. Unterwegs jedoch an der Waldkapelle stieg sie ab und trat ein, um ein Gebet zu verrichten. Der Mann aber hatte ein schlechtes Gewissen, und ging nicht mit hinein, sondern wartete draußen. Nach einer Weile kam die Frau wieder heraus, bestieg das Maultier und sie zogen selbander weiter bis an den Kreuzweg, wo schon der Teufel auf sie wartete. Aber kaum gewahrte er die Frau, da fing er gräßlich an zu brüllen und zu heulen, und wand und krümmte sich und geberdete sich wie


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hinterfür und schrie in einem fort: «Die will ich nicht! Die will ich nicht! Fort mit ihr! Fort mit ihr!» und lottelnd vor Angst und Wut fuhr er fauchend und fluchend davon.

Heilefroh, daß er so wohlfeil davonkommen sollte, kehrte der Bauer mit seiner Frau um. Bei der Kapelle stieg die Frau abermals ab, um zu beten. Und wieder wartete der Mann draußen. Aber diesmal kam sie lang und länger nicht zurück. Schließlich tat der Bauer die Tür auf, um nach ihr zu schauen. Da fand er sie schlafend auf der Bank sitzen. Er weckte sie auf, und siehe, da ergab es sich, daß die Frau die ganze Zeit über in der Kapelle geschlafen hatte, seit sie auf dem Herweg eingetreten war. Die Mutter Gottes selber war in der Frau Gestalt und Aussehen für sie zum Teufel geritten.


D'TIFELSBRUGG UND DER TIFELSSTEI

Zur selbe Zyt, wo's nu keini Inschinier gä het und d'Urner doch i der Schellenä-n-ä Briggä hend mieße la macha, sind's fit ibel i der Not gsi. Am End nu hend's mit em Tifel gakkordiert.

«Was gänd er mer derfir?» het er sie gfragt, und grüsig sy langi Gablä gschwenkt. «Schland i, — der Erst, wo über d'Briggä chunt.» («Es trifft mi fit», hed Jedä by sich selber tänkt.) «Nu ja! —Landschryber, nimm's ad's Protikoll! Doch tummlä muest di: i dri Tägä mueß d'Briggä fix und fertig si, und derby blyb's!»

Und j dri Tägä, wie sie's abgredt hend, isch d'Briggä fertig gsi, grüsig hoch und breit vo einer Felsäwand zur anderä baut. Der Tifel, arig gnüeg, hockt ab am än'rä Port, het si still und passet uff der Erst. Das het dä Urnerä Verdruß düä gä: 's het halt niemer wella z'Hell fahrä. Entli düä isch d'Landsgmeind z'Schatteräf zämä ganga, um Einä-n-üsä z'mehrä fir das



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Gwärb. Düä seit ä Ratsherr, än finä Ma, vom Landamme ai um sy Meinig g'fragt: «Jedä bsunders will j grüezet ha! Elch und mich plagt der Tifel, wiä-n-i gseh. 'S isch 'nes gryßlichs Ding. Doch, myni lieba Landslüt, mer wend nu fit vellig verzage. I han ä Gitzibock däheimä-n-im Stall stah: wenn eine jetz mit däm zur Briggä gaht, springt der Gitzibock gwiß üiber d'Brugg dem Tifel züo und so wird'rä als der Erst doch miäßä ha. Güot, mä bringt das Tier a d'Briggä. Es stellt si wietig graduf, wiä der am anderä Port ai mit ämä Schwanz und Horä si fürälaht. Drüif pütscht der Bock über d'Briggä dem Tifel a, und d'Urner rüefä: «Der Erst, da chast jetz ha!» Jetz aber settet ihr dä Schwarz gseh ha, wiä der fit stampft und d'Briggä zerschmetträ will, wie der wüästi Gsichter schnydt und schimpft und speizt und chratzet! Jetz wiä's Wetter lauft er abbä j der Waßnerwald und holt ä gryßlichä, hüshochä Stei und will sy Brugg i tüsig Stugg zerschlah. Wiä-n-er am


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Stei da strüßet und bald mit em geg's Dörfli Geschenä-n-ufä chunt, bigägnet em äs steialts Müetterli. «Güäts Tägeli! Wo witt mit dem da hi? lüog, wiä d'schwitzist; stell dü ab und ghirm äs bitzli.» Nu, er stellt ab, und 's Müetterli schlipft gschwind hindrä Stei und macht druf und dry es großes mächtigs Chrytz. Der Tifel merkt neimis, stoßt am Std und stoßt, und wiä-n-er's 's Chrytz erblickt, —nei au, Tifel, was springst dervo und lahst dy Schwanz so hanga? Lüog, der Tifelstei und d'Tifelsbrugg, diä stähnd no hüt.


DER KESSELDIEB

Auf einer Alp im Urnerlande wurde vier Winter hintereinander der große Käskessel gestohlen. Wie man auch nachforschte, dem Dieb war nicht auf die Spur zu kommen. Das verdroß die Bauern nicht wenig, denn so ein Kessel aus getriebenem Kupfer war teuer, und die Batzen rar. Endlich beschlossen sie, dem Dieb «den Segen zu legen». Sie gingen zum buckligen Jakob, der vieler geheimer Kräfte und Künste mächtig war und immer Rat und Trost wußte, wenn einer sich nicht mehr selber helfen konnte. Der versprach ihnen, den Dieb zu «b'stellen», durch einen Zauber festzubannen, so daß er wie angewachsen am Orte stehenbleiben müsse mit samt seinem Raube, bis einer ihm das Gestohlene wieder abnehme. So würden sie wieder zu ihrer Sache kommen.

Es wurde Herbst, und dann kam der Winter. Als im andern Sommer das Senntum zu Alp fuhr, fanden die Sennen einen Mann vor der offenen Hüttentür stehen, starr und steif, ganz verdorrt und eingeschrumpft, den Kessel auf dem Rücken. Aber wie sie ihn anrührten, um ihm den Kessel abzunehmen, da zerfiel er in Staub und Asche. Es war der Kupferschmied gewesen, bei dem die Bauern allemal die Kessel gekauft hatten.



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DER REUIGE DIEB

In einem Dorfe predigte einmal der Pfarrer der Gemeinde: Unrecht Gut tut nicht gut, und wenn einer etwas gestohlen habe, so müsse er's wieder zurückgeben, so lange es ihm noch vergönnt sei. Spät gereut in der Zeit, ist gewonnene Ewigkeit. Da war nun einer unter dem Kirchenvolk, der hatte einem Bauern einen Sennkessel gestohlen. Dem griff das Wort ans Herz, und er sann hin und her, wie er den Kessel seinem rechten Eigentümer wieder zurückgeben könne, ohne daß es auskäme. Denn er wollte, daß alles noch vor Ostern getan sei, wo er zur Beichte gehen sollte. Endlich fiel ihm ein, wie es zu machen wäre. Er verkleidete sich als Geist, nahm den Sennkessel auf den Rücken und machte sich mitten in der Nacht auf den Weg zum Gehöfte jenes Bauern. Dort klopfte er an die Haustüre, und bald kam auch der Bauer mit einem Licht in der Hand und tat die Türe auf, um zu sehen, wer draußen sei. Dem stand schier das Herz still, als er das Gespenst mit dem Sennkessel vor sich sah. «I mueß geista, wyl i eu das Sennkessi gstohla ha, und jez möcht i na wider z'rugg gä!» sprach der Geist mit hohler Stimme. «Er söll der gschenkt si, er söll der gschenkt si! B'halt an nu, de Kessel!» sagte der Bauer vor lauter Angst, daß der Geist ihm etwas anhaben möchte. Der aber ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern machte sich auf hurtigen Füßen davon. Dem Pfarrer aber beichtete der Schelm, daß er einen Sennkessel gestohlen habe, als er ihn jedoch habe zurückgeben wollen, da hätte man ihm den Kessel geschenkt. Und er ward aller Sünden losgesprochen. Bald darauf ist der Mann gestorben. Aber viele haben ihn lange nachher noch umgehen sehen mit dem Sennkessel auf dem Rücken.



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DER UNGETREUE HIRTE

Eines schönen Tages im Spätherbst warf ein Gemsjäger zu Leuk die Flinte um und stieg zur Bachaip hinauf. Lange war er gewandert, und die Sennhütten lagen weit hinter ihm. Da stieß er in den Felsenklüften auf den Sommerhirten der Bachaip. Der kannte jeden Schritt und Tritt in diesem wilden Gebiete und wußte die Gänge und Örter der Gemsen. Der Jäger fragte den Sennen, ob er mit ihm zusammen das Glück versuchen wolle. Jener war bereit, und so klammen sie von Gand zu Wand, von Fels zu Firn und gegen Abend erlegten sie an einer schroffen Wand einen prächtigen Steinbock. Wohlgemut stiegen sie mit ihrer Beute zu Tal und kamen beim Zunachten oberhab des Staffels der Bachalp an die jähe Geröllhalde, welche Steirischu genannt wird. Noch eine halbe Stunde und sie seien drunten, meinte der Jäger. Aber der Hirte antwortete nicht. Schlaffen Ganges schleppte er sich noch einige Schritte, dann sank er kraftlos zu Boden. «Ich kann nicht weiter, laß mich hier liegen.» Der Jäger aber blieb bei ihm und rüstete sich, die lange Nacht unter freiem Himmel zu verbringen. Sein Gefährte war auf dem Fleck eingeschlafen und lag regungslos da wie ein Toter. Als der Jäger talwärts blickte, die Gand hinunter, da sah er unten einen Mann, eine brennende Kienfackel in der Hand, mit einer großen Last auf den Schultern, langsam haldan steigen. Als die Gestalt näher kam, gewahrte er im Scheine der Fackel, daß der Mann ein schweres Rind trug, und er hörte ihn keuchen und schnaufen und zwischenhinein stöhnen und schluchzen. Und je höher er stieg, desto tiefer beugte ihn die Last, desto schmerzvoller tönte das Gestöhn. Wie der Mann aber oben am Rand des Gerölles steht, da wendet er sich plötzlich und wirft das Tier mit gewaltiger Wucht in die Tiefe. Dumpf hört man's unten aufschlagen. Da jauchzt der Hirte gell auf, daß die Nachtvögel



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jäh aufschrecken und der Laut vielfältig von den Wänden und Gräten widerhallt.

Dem unerschrockenen Weidmann erstirbt das Blut in den Adern und das Herz will ihm stille stehen, denn Gestalt, Antlitz und Gewand der Erscheinung ist des Hirten von der Bachalp, der neben ihm am Boden schlafend liegt. Der Jäger rüttelt und schüttelt und ruft ihn. Der bleibt regungslos liegen, derweil sein Ebenbild im Steingeröll von neuem die Last dumpf stöhnend bergwärts schleppt und sie von oben gell jauchzend wieder hinunterwirft.

Beim ersten Morgengrauen ist die Erscheinung plötzlich verschwunden. Der schlafende Hirte streckt und reckt sich, reibt die Augen aus und blickt sich um. Dann steht er ohne Morgengruß auf und steigt wortlos mit dem Jäger zur Staffel hinab. Am großen Kreuzlärch zieht er sein Messer und ritzt ein kleines Kreuz in den Stamm zum Zeichen, daß ein Weidesommer ohne Schaden für die Alp vorübergegangen sei. Der Jäger, der das seltsame Gebaren des Hirten schweigend betrachtet, sagt: «Gelt, du hast auch nicht alle Sommer ein Kreuz in den Baum ritzen können», und er enthüllte ihm, was



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er die Nacht geschaut. Der Hirte ward weiß wie Kalk und, an allen Gliedern bebend, bekannte er dem Jäger, daß er im vorferndrigen Sommer im Zorn ein unstätes Rind, das ihm viel zu schaffen machte, in der Gand habe erfallen lassen. «Mach' den Schaden wieder gut, so lang du noch lebst», sagte der Jäger und ging seines Weges.

Jahre sind vergangen, der Hirte ist längst tot und begraben, aber noch immer sehen mitunter Jäger und Sennen des Nachts den Hirten das Rind jene Gerölihalde hinauftragen.


DIE BEIDEN HIRTEN

Es waren einmal zwei Hirten, die trieben ihre Herden auf ungleiche Weiden. Der eine ließ sein Vieh nur auf steinigem, unfruchtbarem Boden grasen, damit es nicht im Überfluß mutwillig werde und hagbrüchig und ihm das Hüten erschwere; das ertrugen aber die armen Tiere nicht länger, sie magerten und schwächten so ab, daß sie ihm endlich einmal umstanden und auf dem Flecke liegen blieben. Da ward der faule Hirte in einen Wiedehopf verwandelt, der muß nun in einemfort hüp! hüp! rufen, daß er die toten Tiere wieder erwecke und heimbringe.

Der andere Hirte dagegen trieb sein Vieh auf lauter fette, frutige Weide, denn er wollte es vor der Zeit glatt und feist haben. Davon wurden aber die Tiere wild und übermütig und sprangen rechts und links aus; und nun schleuderte ihnen der Hirt Steine und Stöcke nach, wie's ihm eben in die Hand kam, und warf manches von ihnen krank und lahm. Da ward er in eine Rohrdommel verwandelt, die ruft nun unaufhörlich oha! oha!, daß er die entlaufenen Tiere zum Stehen bringe. Wer Ohren hat, der hört's.



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DIE VERWUNSCHENE ALP

Eine entlegene Alp ob Escholzmatt im Entlebuch war lange Zeit verrufen und geflohen; denn es war dort nicht geheuer. Jahr für Jahr hatte der Hirt Ungefäll mit seiner Ware. Immer wieder erfielen ihm Kühe, und zwar just die schönsten und melchigsten des ganzen Senntums. Mancher Älpler, der nicht ab der Alp fahren wollte, weil er meinte, es käme schon besser, kam um all seine Habe und ward ein armer Mann. Und so wollte am Ende niemand mehr sein Vieh dort sömmern. Und fortan lag die Alp das ganze Jahr verlassen und öde. Aber seltsam: die Sennen auf den anderen Alpen sahen aus der Ferne, wie alle Sommer auf dem gemiedenen Staffel die Sennenwirtschaft fortging; man hörte das Geläute der Glocken und Schellen, als wenn die Herde früh morgens auf die Weide gelassen und abends wieder eingetrieben würde; vom Hüttendach stieg blauer Rauch auf, als ob wie sonst gekocht und gekäst werde. Aber nie kam einem ein Mensch zu Gesicht, weder Senn, noch Hirt, noch Handbub.

Die Leute im Tal erzählten sich, die Alp sei durch einen bösen Fluch verwünschen, wer eine Nacht in der Hütte zubringe, der werde den Bann lösen und Alp und Herde mit allem Schiff und Gschirr zu eigen gewinnen und einen verborgenen Schatz dazu. Manch ein wackerer Bursche, der sich das Wagestück zutraute, ging hinauf. Keiner ist zurückgekommen.

Da kam eines Tages ein junger Melkerknecht ab einem anderen Berge ins Tal. Der hörte die unheimliche Sage. Aber er fürchtete sich nicht und sagte keck, er wolle das Glück versuchen, ob auch alle ihn bei Gottes Huld abmahnten, denn das junge frische Blut dauerte sie. Der Sami aber - so war der Melker geheißen - stieg getrost mutterseelenallein zu Berg. Wie er über die gemiedene Mark trat, war alles totenstill und



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regungslos: kein Lüftlein ging, kein Vogel flog, kein Ast an den Wettertannen, kein Hälmlein, keine Blume im Grase bewegte sich. Lautlos rieselte der Bach in seinem steinigen Bette und unhörbar fiel der Wasserstrahl aus dem Känel in den vollen Brunnentrog. Ja, er hörte den eigenen Tritt nicht auf dem harten Grund des Steiges. Da ward es ihm denn doch unheimlich zu Mute und bang um die Herzgrube. Um sich Mut zu machen, hub er aus vollem Hals an zu jauchzen und zu jodein. Aber kein Widerhall tönte zurück von Gräten und Wänden. Auch um die Hütte war alles still, nicht einmal eine Fliege lief über die Balkenwand. Da rief er laut zum offenen Fenster hinein, ob jemand daheim sei. Dann ging er zur Türe und pochte an. Lautlos sprang sie von selber auf. Er trat über die Schwelle in den Hüttenraum. Auf dem Herde brannte ein Feuer, aber kein Scheit knisterte und die Flammen flackerten nicht. Darüber hing zum Käsen gerüstet der Kessel. Jetzt rief der Sami nochmals, so laut er konnte, nach dem Sennen. Aber alles blieb still. Wart, dir will ich! dachte der Sami unwirsch und tat, als ob er den Gaumer hinter dem Kessel versteckt glaubte: «He, du dort hinten, du machst mir nicht Angst, komm nur hervor!» Aber nichts rührte sich. Da ging er zur Seitentür, um zu schauen, ob jemand im Nebenraum wäre. Sie sprang ohne Geräusch vor ihm auf, und er kam in eine saubere Stube. Der Tisch stand fertig gedeckt mit Näpfen, Löffeln und reichlicher Sennenkost. Abermals rief der Sami nach dem Meister im Haus. An der Wand stand ein großes Bett mit Umhängen. «Kommt Zeit, kommt Rat», dachte der Sami. «Der hier daheim ist, wird schon noch hervorkommen zur rechten Stunde.» Schloff in das Himmelbett unter die Decke, zog den Umhang vor und reckte und streckte sich behaglich. Kaum aber hatte er den Kopf recht aufs Kissen gelegt, um zu schlafen, da schlurfte es dumpf und schwer von draußen her gegen die Hütte, zur Tür und über die Schwelle


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herein. «Aha, das wird jetzt wohl der Meister sein», dachte der Sami und setzte sich auf. Da sah er durch ein Loch im Umhang eine schaurige Gestalt zur Stube hereinkommen, eher einem Tier gleich als einem Menschen: Pferdebeine und Hufe hatte das Ungetüm und einen Kopf wie ein Roß und spie Feuerflammen aus dem Maul. Sein ganzer Leib war mit borstigen Zotten bedeckt und sah aus, als wäre er eben aus der Erde genommen worden, und statt der Hände hatte es Pratzen mit scharfen Krallen. Der Unhold trat an den Tisch, zählte die Teller und gröhlte mit hohlem Rust: «Es ist fertig getischt, es fehlt nur der, der dort im Bette liegt!» Und nun kam das Ungetüm mit Donnergepolter zu dem Bette hin gepütscht, riß den Umhang fort, das Bettgehäuse schütterte, daß der Bub darin zwirbelte, wie eine Kartoffel im Korbe - es packte den Sami am Arm, daß ihm war, das Fegefeuer fahre ihm ins Knochenmark: «Steh auf und iß!» schrie der Scheuel


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und schleifte den Sami zum Tische. Der dachte bei sich: «Jetzt gilt's» und sagte mit fester Stimme: «Ich habe nichts eingebrockt und brocke nichts aus.» Da saß der Unhold selber zu und löffelte den Napf aus. Dann stampfte er hinaus und brachte ein Licht, einen Pickel und eine Schaufel, warf alles dem Sami mit Gekrache vor die Füße und brüllte: «Heb's auf und trag's in' Keller!» — «Ich habe nichts heraufgetragen, und trag auch nichts hinunter!» sagte der Sami und hat sich nicht verrodt. Da nahm der Geist die Geräte selber auf und krächzte: «Komm mit!» — «Ja», sagte der Sami, «aber du gehst voran!» Da schlarpte der Grüsel voraus und tappte über die Stege ab in den Keller. Dort deutete er, am ganzen Leibe lottelnd, auf eine Stelle am Boden, nahm einen faustgroßen Stein auf und zerrieb ihn zwischen seinen Pratzen zu Grus, machte böse glühige Augen und grunzte heiser: «Da, grab' auf!» — «Ich habe nichts vergraben, und grab auch nichts auf!» sagte herzhaft der Sami und blieb stehen, wo er stand. Da machte sich jener selber an die Arbeit und hackte und grub, was Zeug hielt, bis ein großer Kessel zum Vorschein kam. «Heb' ihn heraus!» schrie das Gespenst, so daß das Gemäuer dröhnte. «Ich hab' nichts hineingetan, und heb' auch nichts heraus!» antwortete unentwegt der Sami. Nun hob jener mit einem Ruck den schweren Kessel selber aus dem Loche. «Trag's hinauf!» schrie er den Sami an. «Ich hab' nichts heruntergetragen, und trag' auch nichts hinauf!» sagte dieser. Da nahm der Geist den Kessel auf den Nacken, schleppte ihn nach oben, stellte ihn auf den Tisch, daß er tschätterte, und brummte: «Lüpf den Deckel ab!» — «Ich habe nichts zugedeckt, und decke auch nichts ab!» sagte der Sami. Da nahm jener den Deckel ab: Bis zum Rande war der Kessel voller Silbertaler. Jetzt leerte der Wandler mit einem gräßlichen Gelächter alles auf die Tischplatte, machte drei gleichgroße Haufen von dem Gelde und sagte zum Sami, der mit großen Augen


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zuschaute: «So, nun wähle dir einen Haufen! Triffst du den rechten, so ist dir dein zeitliches Glück und mir das ewige Heil gewonnen! Sonst zerreib' ich dich zu Staub, und werde meiner Pein nicht frei und muß weiter umgehn, bis einmal der Rechte kommt. Ein Haufe nämlich ist dein, einer den Armen, die hier ihre Habe verloren, einer den Witwen und Waisen der Toten, die ich erwürgt habe. Nun wähle den rechten!» Flugs griff der Sami mit beiden Händen über den Tisch und fegte alle drei Haufen zu sich: «Einer wird der rechte sein», rief er, «und den Armen und Verlassenen geb' ich selber, was ihnen gehört.»

Da tat es einen Klapf, daß alle Wände wankten, und das Dach sich hob. Aber wie das Getöse verhallt war, stand vor dem Sami ein schöner, junger Senn, der ihn selig anlächelte. «Jetzt bin ich erlöst! Und Alp und Senntum sind dein eigen!» sprach er mit sanft lautender Stimme, wandte sich um und schritt schwebenden Ganges in einem hellen Schein zur Türe hinaus.

Der Sami aber stieg noch am selben Tag mit der Milchtause voller Taler von seinem Staffel zu Boden und tat nach des Geistes Geheiß, und das Glück ist ihm sein lebelang hold geblieben. Die Leute aber sagten: «Ja, so geht's: wer wagt gewinnt, und dem Mutigen gehört die Welt.»



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DER DIENSTFERTIGE ALPGEIST

Ein reicher Bauer besaß im Engelberger Tale eine große schöne Alp. Aber der Mann mochte seines Gutes nicht froh werden, denn es duldete keinen Knecht alida. War das Senntum zu Alp gefahren und die Wirtschaft in vollem Gange, dann währte es allemal nicht manchen Tag, und der Senn lag tot. Niemand aber konnte sagen, was sich zugetragen hatte. Das sprach sich bald im Land herum, so daß der Herr keine Knechte mehr bekam, und die Alp verödete und ward zur Wilde.

Eines Tages kam ein fremder Küher ins Tal, ein frischer kecker Bursche mit hellen Augen und starken Armen, und bat um Arbeit. Der Bauer sagte ihm von der gemiedenen Alp und meinte, er solle lieber die Finger davon lassen. Aber der Baschi — so nannte sich der Bursche - hieb standhaft und sagte: «I gange glych!» — «Jä nu», sagte der Bauer, «mach wie d'witt.» Und so fuhr der Baschi mit einem Dutzend lober Kühe zu dem verlassenen Staffel auf. Wie er mit der Habe zum Weidgatter kam, stand da ein schwarzer Mann. «He, du Cholebrenner, hie Bere, tue's Gatter uf!» rief unerschrocken der Baschi. Gleich kam der Schwarze gelaufen und tat auf. «Hü, rod di e chly! Bind al Du hesch der Zyt. Du bisch jo hie deheime.» Flugs tat's der Schwarze und lief gleitig hin und her, wo's was zu schaffen gab, sprach aber nie kein Sterbenswörtlein. Stumm folgte er dem Baschi auf Schritt und Tritt und tat immer das Gleiche, was er. Ging der Baschi ins Milchgaden, um die Gebsen zu rüsten, so ging der Schwarze mit, ging er in den Keller, in die Küche oder in den Futtergang, so tat jener desgleichen. Dem Baschi kam dies Gebaren kurios vor, aber er ließ ihn machen und sagte nichts.

Am Abend stellte der Baschi eine Mutte mit Ziegermilch auf den Tisch. Der Schwarze stand am Herd und rührte sich



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nicht. Da rief der Baschi: «He du, chum füre und sitz zuehe! Du hesch brav gschaffet. Jetz chasch au ha.» Der Schwarze kam und löffelte mit. Nach dem Essen schloff der Baschi ins Bett. «Gang, ligg au ab!» sagte er zu dem Schwarzen. Der kam ungesäumt und legte sich zu ihm, und so eiskalt war er, daß dem Baschi ein Schauer durch Mark und Bein ging, und doch war es ihm, als berühre der andre ihn gar nicht. «Rütsch yne, ich will der scho warm gä!» sagte der Baschi und schlief ein.

Am andern Tage folgte der Schwarze dem Baschi wiederum unablässig, wie sein Schatten, aber diesmal war er ihm, wo er nur stand und ging, im Wege. Da sagte der Baschi: «Gang mer doch uß Wäg! Ich ha hie d'Rächt und ha susch Arbet gnueg. Hilf mer ringer schaffe, und tramp mer wäger nit uf d'Füeß!» Und siehe da, kaum gesagt, griff der Schwarze behende zu, nahm den Eimer zur Hand, molk die Kühe, mistete, trug die Milch ins Gaden, trieb den Ankenkübel und half die Käse salzen. Er schürte das Feuer in der Wellgrube, daß es hoch aufloderte und die Funken bis zum Giebel stoben, holte die Milch im Nidler, schüttete sie ins Wellkessi, aber so raas,



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daß der Gutsch hoch bis zum Dach aufspritzte, man hätte meinen können, kein Tröpflein käme ins Geschirr. Der Baschi sah dem Treiben zu, und schüttelte zuweilen den Kopf, wenn's gar zu toll herging, aber alles ging dem seltsamen Helfer gut von der Hand, und so sagte er nichts. So ging ein Tag um den andern, und der Senn und der Geist waren bald die besten Gespanen geworden. Der Baschi plauderte mit dem schwarzen Gesellen wie mit Seinesgleichen; der aber blieb stumm wie ein Stein, nickte nur zuweilen mit dem Haupt oder machte eine Gebärde mit der Hand. Alle Nacht aber schliefen sie im selben Bett. Die Kühe gediehen prächtig und gaben einen Schapf Milch, wie noch nie. Und alle Welt wunderte sich, daß der Baschi noch am Leben sei und so gut schaffe.

So verstrich der Sommer ohne Unfall, bis die Alp geräumt werden mußte. Am Tag der Abfahrt half der Wandler alles rüsten und trieb zuletzt noch die Kühe zusammen. Als aber alles zum Aufbruch bereit war, stand er da und schaute dem Baschi traurig in die Augen. Dem wollte es scheinen, als sei sein Genosse nicht mehr so schwarz, wie er gewesen. «Wenn d'witt, chumm mit!» sagte der Baschi. Und so zog der Geist mit zu Boden, trieb das Senntum zu Tal und half die Kühe daheim wieder anbinden, und wie auf dem Staffel werkte und schaffte er auch auf dem Hofe als treuer Gehilfe den lieben langen Tag, und des nachts schlief er, wie gewohnt, in Baschis Bett. Aber keiner, außer dem Baschi, konnte ihn mit Augen sehen. Unlang aber, so fragte der Meister den Baschi, mit wem er denn auch immer gesprächle, er rede am End gar laut mit sich selber. «S'isch Numine der Schwarz», sagte der Baschi, und erzählte dem Meister alles, was sich Sommers auf der bösen Alp begeben. Da ward der Mann nachdenklich und riet dem Baschi, er solle den Wandler fragen, ob er etwas für ihn tun könne, das ihm zur Seligkeit verhelfe. Der Baschi tat nach des Meisters Wort. Der Geist sprach: «Vor Jahren bin ich



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Senn auf jener Alp gewesen und hab meinem Meister, dem Großvater deines Herrn, aus purer Bosheit, weil ich neidisch war, die schönsten Kühe erfallen lassen, viel gute Milch versudelt, Käs und Anken vertan und sonst mit seinem Gut gewüstet. Bis das gebüßt ist, muß ich wandeln. Wenn mir die Schuld erlassen wird, bin ich erlöst. Aber nur durch einen Menschen kann ich mich mitteilen. Die vor dir hinaufgekommen sind, fürchteten sich oder ärgerten sich an mir und fluchten, wenn ich ihnen im Wege war. Da erhielt ich Gewalt über sie und mußte sie erwürgen!» Als das der Bauer vernahm, schenkte er dem Büßer die Schuld in seines Großvaters Namen um der Gnade Gottes willen. Da erschien der Geist dem Baschi ganz weiß und sprach: «Lebewohl und vergelt's Gott. Jetzt geh ich ein zur Seligkeit!» — «Leb wohl und mach's gut», sagte der Baschi und hielt ihm die Hand hin zum Abschied. Aber jener winkte ab und schüttelte den Kopf. Da hielt ihm der Baschi ein Schindelholz hin. Der Geist ergriff es, als wäre es die Hand, und war im selben verschwunden. Die Schindel aber lag ganz verkohlt am Boden.


DER MA IM MOND

Weisch, wer dört oben-n-im Mond lauft? Das isch emol en usöde Ma gsi, dä het nid umegluegt, ob's Suntig oder Wärchtig gsi isch; goht einisch amene heilige Suntig is Holz und fangt a e Ryswälle zämestähle; und wo-n-er fertig gsi isch, u die Wälle bunde gha het, nimmt er sie uf e Rügge-nund isch e heimlige Wäg us, wo-n-er gmeint het, daß ihm kei Mönsch begägni. Aber wer em do begägnet, das isch der lieb Gott sälber gsi; dä het em scho lang zuegluegt, wie-n-er der Suntig gschändet het und verbotni Wäge gang-en-isch, und



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het du dänkt, er weil em emol zeige, wo's dure göng. «Ghörsch», seit er zue-n-em, «du bist jetz scho-n-en alte Sünder und hättisch weigger d'Hell meh a's verdient; j will der aber no b Gnad für Rächt ergoh und lone der d'Wahl, ob de wellisch i d'Sunne go schwitze oder j Mond go früre.» Uf das het der arm Schölm dänkt: «Ebe so mär j d'Hell a's i die brünnig Sunne» — und seit ämel stantebeni: «He se nu se de, wenn's doch si mueß, so will i's mit dem Mond versueche.» «'s blybt derby», seit der lieb Gott - und sider isch de Ma im Mond und treit ahi Obe sy gstolni Ryswälle-n-uf em Rügge hei, wyl's em gar grüseli chalt macht dört obe und er gärn es Fürli miech. Lueg nume gnoti, ob's nid wohr isch!


DER VERDINGBUEB UF EM AELLMIG

Vor vilne Johre-n-isch uf em Ällmig e Bur gsi. Dä het e Verdingbueb gha. Uf em Hoger obe het der Bur e Weid gha, u der Bueb het all Obe der War 's Gläck uehe treit. So het er au einisch z'Obe spät der Wäg unger d'Füeß gno; ire Hang het er der Fuetterchübel treit. Ungerwägs dräiht er si um u luegt hingere-n-über e Hoger us. Was gseht er eismols? Do steiht armsläng vor em zuehe-n-e Tisch. Vier Here-n-i altmodische Chleidere, wie me se äi Rung nid treit het, sitze-n-um e Tisch urne-n-u spile. Du reckt der Bueb prezis i Fuetterchübel yhe-n-u streut e Hampfele Salz u Mähl über die vier Here-n-un übere Tisch. Un im Schwick dräiht er si um, macht si dervo u luegt nid lang urne.

Drufabe het er d'War gefuehret wie gäng un isch der glych Wäg urne gäge hei. Do, wo vorane die vier Here gspielt hei, isch niemer meh gsi. Das het er scho vo wytems rnöge-n-erchenne. Aber wie-n-er nöher chunnt, geseht er uf cm Bode-n-e Hufe Gäld. Gleitig isch er derhinger har u het der Fuetterchübel



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gfüllt, derno 's Seckli; fascht het er's nid möge träge. Deheime het er's im Gade-n-imene-n-alte Schaft verstoße. Jez hätt er's ungwärchet chönne u nümme müeße bös ha - denn er het schwär müeße schindte-n-u raggere bym sälbe Bur. Aber er het nüt derglyche to u niemere es Wörtli dervo gseit.

Sider isch mängs Johr düre. Der Bueb isch größer worde-nun isch mit dem Bur sym Meitli gange. Der Alt het nüt dervo gmerkt. Aber wie seit me: Z'Lieb u z'Leid wird eim alls gseit. Mi het ein Bur z'merke gä, er söll de der Mähre zum Aug luege, so lang es Zyt syg. Es chönn au e chlyne Baum es großes Dulier ha. Die zweu ließe sie nid däwäg b gschire.

Em Bur het me das umen-n-einisch bruche z'säge. Uf der Stell het er's Meitli j d'Hüpple gno. Das het nid lang glaugnet. Jez isch 's Für ganz im Dach gsi.



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Drufabe het er em Chnächt 10 säge, er söll i die binger Stube cho; er heig öppis mitem z'rede. U dütsch u dütlich het er em gseit, das toi er de nid; da bruch er nüt z'sinne. — Was er si de syner z'erchlage heig, het der Chnächt gefrogt. — Seit der Meister, was er eigetli au meini: en Buretochter, u de grad sys einzig Ching, un e arms Chnächtli! — Es düech ne, we's urne das syg, sötti de no alls i d'Gredi cho, het der Chnächt gseit u het sys Gäld us ern Gade-n-abe greicht un uf der Tisch gheit. Jez het der Bur angeri Auge gmacht u süferli afo anger Saite-n-ufzieh. Am And het er d'Milch ganz abeglo u nüt meh dergäge gha. 's Gägespiel, meh weder urne froh isch er gsi, daß es däwäg gange-n-isch.

Wie's wyter gange syg? He, giy druf hei si Hochzyt gha. Mi cha nid säge, daß ne überus guet gange wär, aber au nid schlacht. Ahi Johr isch es Ching cho. Eso wie's by üsereim au isch. U we's über Eggs geiht, speichet me-n-am Charrli, bis's nümme chiehret, u we d'Ching nohe si, lauft mängs ringer, u was me chum cha reise, chunt nüschti no gäng i d'Gredi.


DAS GEISTERGOLD

Dem Altmüller war eine alte reiche Base gestorben, und morgen war schon der Tag für ihn da, wo er die Erbschaft in Empfang nehmen sollte. Er hieß also den Knecht Wagen und Geschirr für morgen herrichten und befahl der Magd, das Morgenessen auf Schlag fünf fertig zu haben. Das Mädchen wollte die Zeit ja nicht verschlafen, und so kam es, daß sie vor aller Zeit schon erwachte. Den hellen Mondschein, der ins Zimmer fiel, hielt sie für die Morgenhelle, sprang aus dem Bett und lief in die Küche hinunter, um Feuer zu schlagen. Aber der Zunder war feucht, und sie brachte kein Licht zusammen. Darüber schaute sie nochmals nach dem Tag zum



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Küchengucker hinaus. Da gewahrte sie draußen einen Feuerschein. Nur zwanzig Schritte entfernt brannte ein Feuerlein hübsch ruhig auf der Hofwiese. Sie lief drum schnell mit dem Kohlenbecken hinaus, um sich Gluten für des Herrn Frühstück herbeizuholen. Dort findet sie drei Männer, in weiße Tücher eingehüllt, um das Feuer sitzen. Sie trat herzu und sprach: «Mit Verlaub, ihr Herren, darf ich ein paar Kohlen nehmen? Ich muß dem Meister das Morgenessen richten, und ich bring kein Feuer an; der Zunder ist naß.» Die Männer blieben stumm und sprachen kein Wort. Da nahm Katharina eine Handvoll Kohlen, dankte hübsch und ordentlich dafür und machte sich ins Haus. Aber wie sie die Kohlen auf den Herd schüttet, sind sie schon erloschen. Aber unverdrossen geht sie wiederum hinaus zu den Männern am Feuer, grüßt, fragt, nimmt und dankt abermals und bringt das zweite Becken voll in die Küche zurück. Wie sie sie auf dem Herd ausleert, sind auch diese Kohlen tot. «Jesses, jetzt wird der Meister gleich erwachen, und noch hab' ich kein Feuer!» In ihrer Angst


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läuft sie zum drittenmal hinaus, wo die drei immer noch sitzen. Rasch füllt sie ihr Becken noch einmal. Wie sie davoneilt, sagt der Älteste mit dumpfer Stimme: «Nun aber komm nicht wieder!»

Zu Tod erschrocken lief das Mädchen in die Küche zurück und leerte die Kohlen aus. Sie waren erloschen. Da schlug es drüben im Dorf Mitternacht, und vor dem Haus tat es einen lauten Klapf.

Das Feuer draußen war erloschen, die Männer verschwunden. Alles war wie weggeblasen. Schaudernd kroch Katharina unter die Bettdecke und zog sie über den Kopf. Jetzt aber verschlief sie sich wirklich. Es war schon sechs Uhr, da der Müller in die Stube herüberkam und kein Morgenessen und keine Katharina fand. Als er nach ihr zu sehen in die Küche kam, da gleißte etwas auf dem Herd. In dreifachen Haufen lagen die blanken Dukaten übereinander, und das Ganze war sicher weit mehr, als was er heute aus dem Erbe bekommen sollte. Aber der Müller war ein rechtschaffener Mann und ließ Dein und Mein geschieden. So war Katharina über Nacht eine reiche Frau geworden und wußte nicht einmal, wie's zugegangen war.


DIE GESCHLACHTETE KUH

Bei der Abfahrt von der Alp Rämisgummen bemerkte der Senn, als man schon mehrere Stunden weit gekommen war, daß ihm eine Kuh fehlte. Da man ihr erst wenige Tage zuvor das Kalb genommen hatte, nahm er an, sie sei unterwegs entlaufen, um ihr Junges zu suchen. Und er sandte den Hirten zurück, daß er sie nachbringe. Der fand das Tier erst nach stundenlangem Suchen. Da war es aber schon so spät am Abend, daß er mit der Kuh in die Alp ging, um dort zu übernachten.



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Er stellte sie in den Stall, verschloß vorsorglich die Tür und legte sich auf die Gastern.

Eben war er am Einschlafen, als es plötzlich mit Getös und Gebraus daherfuhr, so daß er erschrocken von seinem Gliger aufjuckte: Männer und Weiber kamen mit Hui und Hallo in die Hütte herein. Die sangen und lachten und schwatzten durcheinander, mißtönend wie das Gelärme von Elstern, und taten ganz, als wären sie hier daheim. Sie hatten altmödige Gewänder an, am Leibe aber waren sie nicht wie rechte Leute anzusehen. Einige schienen lahm und tschiengig, andere halbblind zu sein, wieder andere krumm und von vorn und hinten bucklig, noch andere räudig und voller Schorf. Ihre Haut war dunkelgelb und runzlig wie verschrumpftes Leder, und allen fehlte an der rechten Hand der Zeige- und Mittelfinger. Dem Hirten grauste, daß ihm der Schauder das Haar sträubte. Die unheimlichen Gäste machten Feuer an und begannen zu käsen und Nahscheid zu bereiten. Die fertigen Laiber legten sie auf ein Brett am Boden. Plötzlich rief einer: «Holt jetzt die Kuh her!», und mit lautem Toben brachten einige die Kuh herein. Und unter allerhand Sprüchen und Geberden schlachteten sie das Tier, schlitzten es auf und zerlegten es. Dann ging es an ein Sieden und Braten, indes andere alle Anstalten zum Mahle trafen. Der Hirte auf der Lischen droben wagte kaum zu atmen bei dem Tumult und zog die Decke über den Kopf, um nichts mehr zu hören und zu sehen, bachnaß vor Schweiß, so angst war ihm. Aber als das Volk unten johlend und polternd am besten Essen war, rief plötzlich einer mit geiler Stimme: «Gänd däm dobe-n-au e Bitz!» Der Hirte schloff noch tiefer ins Heu. Da stieg einer tipp tapp die Leiter hinan und bot ihm auf einem Stück harten Zwiebacks einen Streifen duftenden Fleisches. Der Hirte, dem vor Entsetzen der Laut in der Kehle b'steckte, wehrte mit beiden Händen ab. «Iß oder stirb i» schrie der Mann und hielt ihm das Fleisch



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an den Mund. Da nahm der Hirte ein nußgroßes Stücklein zwischen die Zähne. Es war so wohlschmeckend, wie er sein Leben lang nie nichts gegessen.

Unterweilen war das Mahl beendet. Nun wurde die Haut der geschlachteten Kuh ausgebreitet, einer sammelte sorgfältig alle Knochen und Knöchlein und warf sie hinein, faltete dann die Haut zu einem Bündel zusammen, murmelte einen Spruch unter allerhand Geberden und rief zum Schluß: «Rosina stand uf!» Da machte der Hirt, der starr wie ein Stein allem zusah, das Zeichen des Kreuzes und sagte laut: «B'hüet's Gott!» Da wurde es mit einem Schlage stockfinster und totenstill.

Aber der Hirt hat die Nacht kein Auge mehr zugetan. Er lag wach, bis der Tag über den Grat kam, und dachte bang, was wohl der Meister sagen werde, wenn er morgen ohne Kuh zurückkomme. Als es heiter geworden war, sah er sich in der Hütte um: Der Käs war ein Stein, die Nahscheidlaibe getrocknete Kuhfladen, der Zwieback eine Schindel. Wie er aber vor die Hütte auf den Staffel hinaustrat, hörte er ein fröhliches Muhen aus dem Stall. Die Tür war fest verschlossen. Da stand die Kuh unversehrt und ganz. Er nahm sie am Halfter und führte sie talab. Da aber sah er, daß sie mit einem Hinterbein hinkte. Er schaute nach und fand, daß am Schenkel ein kleines Stücklein Fleisch fehlte, just so groß als das gewesen war, das er nächten gegessen hatte.



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DER VERHEXTE MELKSTUHL

Auf der Alp Altsäß kam den Sennen ein Melkstuhl allemal wieder aufs Obersäß zurück, so oft man ihn bei der Abfahrt vom oberen Staffel mit allen anderen Geräten aufs Untersäß hinabbrachte. Aber niemand konnte sagen, wie das zuging.

Da hieß einst der Meistersenn den Hüterbuben den Stuhl vom Obersäß herabholen. Wenn's ihm gelinge, so bekomme er die schönste Gockengeiß zum Lohn. Diese Geiß war des Buben Lieblingstier, und um sie zu eigen zu haben, wäre er geradeswegs in die Hölle gelaufen. Und so stieg er hurtig haldan, um noch vor dem Zunachten oben zu sein. Wie er zum Staffel kam, schlich er zur Hütte und schaute zu einer Spalte im Balkenwerk hinein. Da saß just auf dem Stuhl, den er holen sollte, ein ungeschlachter Geselle, ein riesengroßer Küher vor dem Kessel, und feuerte. Dem Buben schlug das Herz bis zum Hals hinauf, aber er dachte an seine Geiß, und rannte in die Hütte hinein, riß dem Riesen den Melkstuhl unter dem Leib weg, so daß er rücklings zu Boden stürzte - und lief, so schnell die Füße ihn trugen, talab. Als er auf dem Untersäß ankam, lachte ihn der Meister nur aus und sagte, alles sei barer Spaß gewesen, und wollte ihm die versprochene Geiß nicht geben.

Da aber kam in der Nacht der riesige Küher aufs Hüttendach herab und rief mit einem Rust wie Donnergrollen durch die Schindeln hinunter:

«Dem Buob gehört die Glockengeiß.
Wären aber fit mit gsin
Die Hitz und der Witz
Und die Beiß,
Die Glockengeiß
Wär buben dyn!»


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DER SCHUSTER UND DER HAUSBUTZ

Da wurde einmal ein Schuster von einem Bauer für acht Tage auf die Stör gedungen. Am Abend des ersten Tages sagte der Schuster: «Ich leg mich diese Nacht nicht ins Bett, sondern bleibe auf der warmen Ofenbank.» — «Wenn du verständig bist», antwortete der Bauer, «so lässest du das bleiben. Die Ofenbank ist der Schlafplatz des Hausbutzen, der alinächtlich kommt.» Der Schuster aber dachte, was schert das mich, und legte sich dennoch auf der Ofenbank zur Ruhe. Um Mitternacht kam der Butz und zerrte den schlafenden Schuster unsanft von der Bank auf den Boden. Der aber setzte sich kräftig zur Wehr, und der Butz mußte zuletzt das Feld räumen. Die nächste Nacht kam er wieder, und wieder mußte der Schuster mit ihm baschgen, und so erging es Nacht für Nacht, bis die Störzeit vorüber war. Als der Schuster am Abend des letzten Tages, wie eben die Nacht anbrach, aus dem Hause des Bauern trat, da packte ihn vor der Haustüre schon der Butz und schnarzte: «So, jetzt bin ich Meister!» — und darauf lief er blitzgeschwind davon. Der Schuster aber wußte nicht, wie ihm geschah, ob er wollte oder nicht, er mußte dem Butz nachlaufen. Der lief wie ein Gemsi über Stock und Stein den steilen Berg hinauf. Der Schuster lief, was seine Beine hergaben, und schnaufte und keuchte, und die Zunge hing ihm zum Munde heraus. Die wundgelaufenen Sohlen brannten wie Feuer. Und er jammerte und schrie, winseite und bat, aber der Butz lief nur immer schneller. Und immer schneller mußte der Schuster rennen. Und wie sie auf dem Gipfel ankamen, da hatte der Schuster sich die Füße bis auf die Knöchel abgelaufen, und er jappte und schnappte nach Luft wie ein Jagdhund, der einen Hasen gejagt hat. Da packte der Butz ihn und hängte ihn an den Füßen an einem Tannenbaum auf und ließ ihn zappeln, bis er verröchelt war.



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DIE RÜFENHEXE

Während des Sommers kam öfters ein fremdes Wybervölchli herauf in den Bruniboden. Am einen Bein trug es einen roten, am andern einen schwarzen Strumpf. Auf dem Kopf hatte es eine Haube, tief ins Gesicht, mit Spitzen dran, die immer auf und ab wippten. Sie tat gar armselig und bresthaft und bettelte an allen Türen. Die Leute gaben ihr Almosen an Zieger, Geißkäslein und anderem Imbiß. Aber bald merkten sie, daß die Alte mehr Batzen hatte, als sie hervormachen wollte, und gar nicht so arm war, wie sie tat. Da gaben ihr die Bauern nichts mehr. Aber da wurde das Weiblein böse und schrie allemal mit schriller Stimme, wenn es an seinem Stecken davonhumpelte: «Wartet nu, ich will-i im Nahsummer ä Schwirrä schla, daß er nu am-mi dänket!» und machte dazu fuchsteufelswilde Augen. Von da an zeigte sie sich nicht mehr.

Es war ein schöner Sommer gewesen. Gras gab's in Hülle und Fülle, das Vieh war gediehen wie selten, und reichlich hatten die Leute Käs und Anken aufgespeichert. An einem der ersten Nachsommertage bedeckte sich eines strahlenden Nachmittags der Himmel plötzlich mit schweren schwarzen



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Wetterwolken, und ein Sturmwind mit Hagelschauern und Regengüssen brach hernieder über den Boden, wie es die Leute noch nie erlebt hatten. Mächtige Tannen wurden entwurzelt oder geknickt wie Strohhalme, Gras und Kraut auf den Weiden in den Boden geschlagen. Durch Runsen und Rinnen tosten die Bäche, und brüllend rollte eine gewaltige Rüfe, Totz über Totz, rainab. Zuvorderst auf dem größten Trämel aber hockte das Bettelweib, jauchzte und johlte mit gellem Gekreisch und spann und spann wie letz an einem Spinnrad. Und zuoberst fuhr ein zweites Wybervolch daher und trieb aus Leibeskräften an einem Haspel. Alles Volk aber stand und weinte und jammerte. Ein Alter sagte: «Wenn doch nur einer nach Schwanden liefe und das Kapellglöcklein läutete!» Ein flinkes Büblein hört's und springt - was gischt was bescht - und zieht den Strang. Da spitzt die Haspierin die Ohren und schnerzt:
«Sperz, Lunnä, sperz, Lunnä!
's Sywli gyßet z' Schwandä!»

Und die Spinnerin schreit zurück:

«D'Annä tüot z'fast schryä
j mag nimma, i müoß la ghyä!»

Und im Nu waren die Hexen verschwunden, das Wetter legte sich und die Rüfe ließ nach.


DIE TELLEN IM BERG

Es begab sich, daß dem Geißbuben auf Seelisberg eines Tages eine Geiß entlief. Er machte sich auf, nach ihr zu suchen. Als er unter einer Balm absaß, um ein wenig zu ruhen, gewahrte er, seitwärts auf den Felsen blickend, in der Wand eine Spalte. Die war wie eine Tür. Er lief darauf zu, steckte seinen Stock in den Letten, öffnete und ging hinein. Weiter



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innen kam er bald an eine zweite Pforte. Er tat auch diese auf und kam in einen Raum, der nur spärlich erleuchtet war. Da schaute er drei uralte Mannen in Gewändern, wie sie dazumal niemand mehr trug. Die saßen um einen Tisch, die Häupter schlafend auf die Platten gestützt. Die langen, weißen Bärte hingen ihnen auf die Erde hernieder und waren weit über den Boden hin ausgebreitet. Da hub einer von ihnen, ein gewaltiger Mann, der alte eigentliche Teil, sein Haupt auf, lüpfte die Augenlider und fragte mit rauhem Rust: «Welche Zeit ist auf der Welt?» — «Es ist hoch am Mittag!» anwortete erschrocken der Bube. Da sprach der Teil: «Es ist noch nicht an der Zeit, daß wir kommen!» neigte das Haupt und entschlief alsbald wieder. Der Hirte entsprang, so schnell seine Füße ihn trugen, und erzählte den Leuten daheim, was ihm widerfahren sei. Er sollte ihnen darauf die Pforte in der Balm zeigen und führte sie an den Ort; der vergessene Stecken stak noch im Lehm, und vor der Fluh waren die Spuren seiner Holzschuhe noch deutlich zu sehen. Aber die Tür hat der Knabe nicht wiedergefunden.


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DER GRENZLAUF

Über den Klausenpaß und die Bergscheide hinaus vom Schächentale weg reicht das Urnergebiet am Fletschbache fort und ins Glarnerland hinüber. Einst stritten die Urner mit den Glarnern bitter um die Landesgrenze, und sie beleidigten und schädigten einander täglich. Da ward von den Obmännern der Spruch getan: Zur Tag- und Nachtgleiche solle aus jedem Ort frühmorgens, sobald der Hahn krähe, ein rüstiger Berggänger ausgesandt werden, des Weges kundig, und jedweder nach dem jenseitigen Gebiet zulaufen, und da, wo sich die beiden Männer begegneten, die Grenzscheide festgesetzt bleiben, es möge nun fallen diesseits oder jenseits. Die Läufer wurden ausgewählt, und man dachte besonders darauf, einen solchen Hahn zu halten, der sich nicht verkrähe und die Morgenstunde auf das allerfrühste ansage. Und die Urner nahmen einen Hahn, setzten ihn in einen Korb und gaben ihm sparsam zu fressen und zu sauf en, weil sie glaubten, Hunger und Durst werde ihn früher wecken. Die Glarner dagegen fütterten und mästeten ihren Hahn, daß er frisch und freudig



Alpensagen-191. Flip

den Morgen grüßen könne, und dachten, also am besten zu fahren.

Als nun der Herbst kam, und der festgesetzte Tag erschien, da geschah es, daß zu Altdorf der schmachtende Hahn zuerst erkrähte, kaum wie es dämmerte, und froh brach der Urner Felsenklimmer auf, der Mark zulaufend. Allein in Linthal drüben stand schon das volle Morgenrot am Himmel, die Sterne waren verblichen, und der fette Hahn schlief noch in guter Ruh. Traurig umstand ihn die ganze Gemeinde; aber es galt die Redlichkeit, und keiner wagte es, ihn aufzuwecken. Endlich schwang er die Flügel und krähte. Der Glarner Läufer enteilte, so rasch ihn seine Füße trugen, um dem Urner den Vorsprung wieder abzugewinnen! Ängstlich sprang er und schaute gegen das Scheidegg. Wehe, da sah er oben am Giebel des Grats den Mann schreiten, und schon bergabwärts niederkommen. Aber der Glarner schwang die Fersen und wollte seinem Volke noch vom Lande retten, so viel als möglich, und bald stießen die Männer aufeinander. Und der von Uri rief: «Hier ist die Grenze!» —«Nachbar», sprach betrübt der von Glarus, «sei gerecht und gib mir noch ein Stück von dem Weidland, das du errungen hast!» Doch der Urner wollte nicht. Aber der von Glarus ließ ihm nicht Ruh, bis jener sich erbarmte und sagte: «So viel will ich dir noch gewähren, als du, mich an deinem Halse tragend, bergan läufst!» Da faßte ihn der rechtschaffene Sennhirt von Glarus und klomm mit letzter Kraft noch ein Stück Felsen hinauf, und manche Tritte gelangen ihm noch, aber plötzlich versiegte ihm der Atem, und tot sank er zu Boden. Noch heutigen Tags wird der Grenzbach gezeigt, bis zu welchem der sinkende Glarner den siegreichen Urner getragen hat.



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GETREU BIS IN DEN TOD

Glamer und Bündner stritten sich manch hundert Jahr lang um Triften und Weiden, und oft zogen sie gegeneinander aus, brannten Alphütten nieder und raubten Vieh. Oft kam es bei solchen Überfällen zu Mord und Tod.

So kamen einst die Glarner auf den Flimserstein. Die Sennen, die dort sömmerten, warfen sie häuptlings in die siedende Schotte. Der Hirte allein entsprang und verbarg sich. Alsbald trieben die Glarner das Vieh zusammen und eilten bergwärts. Da kam der Bündner aus seinem Versteck hervor, stieg auf den Felsen und blies mit aller Kraft in sein Horn:

«Ho Loba, ho Loba, o Blessi,
D'Senna ligend im Kessi,
Ho Loba, ho Loba,
's Landammas guat bru Chua
Mit der großa Schälla,
Ho Loba, ho Loba,
Goht vorna duri
Dem Glarnerland zua.
Ho Loba, ho Loba,
I guga, i guga,
My Guga verspringt,
Gott Vatter, Gott Suhn
Zum Himmel mi bringt.»

Und also gewaltig blies der Hirte sein Horn, daß ihm das Herz in der Brust zersprang. Tot sank er zu Boden. Sein Blut rieselte wie ein rotes Bächlein den grauen Stein ab. Den Ruf hörte des Sennen Liebste drunten im Tal, die eben das Kraut am Dorfbrunnen wusch. Sie sagte es dem Vater. Der bot die Talleute auf, und die Flimser jagten den Feinden auf dem Fuße nach und erreichten sie auf der ersten Alp auf der Glarner Seite. Die Glarner saßen johlend in der Hütte und aßen



Alpensagen-193. Flip

und tranken. Das Vieh war ohne Wächter draußen. Die Bündner schlichen herzu und nahmen den Kühen alle Treicheln und Schellen ab und trieben die ganze Herde eilig von dannen. Aber einer von ihnen blieb zurück und läutete so lange mit den Glocken, bis die Seinen weit genug waren. Dann warf er den ganzen Klumpen von Klopfen auf den Boden, daß es jähen Schalles tönte und klirrte, und entlief mit lautem Hohnlachen. Da sprangen die Glarner auf und merkten den Streich. Bald sammelten sie einen Haufen Volks, daß sie sich zur Rache mit gewaffneter Hand an die Bündner machten. Die aber waren gerüstet, und so wetzten die Glarner ihren Schimpf nicht aus. Alle wurden sie von den Bündnern erschlagen.


DAS GOTTESURTEIL

Zwei Jungmannen, die sich wegen eines Mädchens bitter gram waren, trafen einander unvermutet allein auf einer wilden Alp. Sie nahmen die Waffen, und der Stärkere erschlug den Schwächeren und warf ihn in ein tiefes Tobel hinunter. Bald suchte man in Berg und Tal nach dem Vermißten. Man fand ihn nicht und wähnte ihn in den Bergen umgekommen. Den Mörder aber trieb die Angst aus dem Land. Er nahm Handgeld und blieb lange Jahre in der Fremde verschollen. Der Tote war vergessen.

Eines Tages kam ein fremder Mann bergwärts gegangen. Haar und Bart waren weiß. Als er über den Steg des Baches schritt, da sah er auf den Wassern etwas Weißes schimmern. Der Greis bückte sich und griff das Ding. Es war ein kahler Totenschädel. Der Mann brachte ihn zum Pfarrer. Der Pfarrer sagte: «Da der Bach den Schädel gebracht hat, so muß der Mensch, dem er eigen gewesen, auch dort zu Tod gekommen



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sein, erfallen oder erschlagen.» Und er gebot, daß am Sonntag nach dem Gottesdienst die ganze Gemeinde, Mann für Mann, an dem Schädel vorübergehe und ein jeder ihn berühre. Bei wem der Schädel blute, der sei der Mörder. Also geschah. Alle waren vorübergeschritten, alle hatten den Schädel berührt. Kein Blut war gekommen. Da rief das Volk: «Einer ist noch, der hat den Gang nicht gemacht, er tue, wie wir getan!» und sie zeigten auf den Alten, der hoch unter dem Kirchenvolk stand. «Er ist's, der den Schädel hergebracht, dem mag der Gang erlassen sein», riefen etliche. Jene aber blieben bei ihrem Wort. Schwanken Ganges schritt der Fremde zu dem Schädel und berührte ihn mit bebender Hand und erschauerte. Rot quoll Blut hervor. Da ward der Mann ergriffen und vor die Richter geführt. Er bekannte den Mord und ward mit dem Schwerte gerichtet.


Alpensagen-195. Flip


E BÖSES HEIMCHO

Einisch hei zwe Buebe wägeme Meitli Chritz übercho, u eine het der anger derby z'tod gschlage. Im Augeblick isch äine si graune gsi; aber jez, was mache? Gscheh isch gscheh. Er het nümme hingerumme chönne. I're Matte het er es Loch gmacht u der Tot dryto. Niemer het dä gfunge. Sueche het nüt abtreit, u notinoh het me ne vergässe, u daß er isch ewägg cho und niemer gwüßt het, wohi, isch mit de Johre verroche.

Aber diese het es bös Gwüsse gha und die schwarz Angst isch em gäng im Acke ghockt. Gäng het er gförchtet, es chönnt ungsinnet uscho. Drum isch er i d'Fröndi.

Sider isch mängs Johr düre. Wo-n-er isch eiter worde, het's ne nümme länger ebha; an aime Hoore het's ne heizoge. Drum isch er urne hei.

Äs isch amene schöne Morge gsi, z'mitts im Heuet, ufere Matte hei're gmäiht. Es Rüngli, un er wär deheime gsi. Aber jez het er si gstellt u zuegluegt. Ob's hau, het er gfrogt. Jo, het's gheiße, un eine het d'Sägesse-n-abgestellt u gwetzt. Är syg au do deheime gsi u heig albe gheuet u g'ärnet; fascht tät's ne gluschte, z'probiere, ob er's Mäihe nit vergässe heig. He, wenn's ne freu, chönn er probiere; si beige no e fürigi Sägesse. Dermit het em äine-n-e Sägesse gä, u diese het afo mäihe. Aber schon no-n-es paar Streiche, het's nümme welle goli. Im Blatt isch es Bei gsteckt. Är het probiert, 's drus z'näh; weder är het's nid losbrocht. Die angere hei ihm zuegluegt, u sie hei si zuecheglo, eine um de anger, für ihm z'hälfe. Aber was müeße sie gseh! Vo däm Bei isch 's Bluet urne so uf e Worb brünnelet un uf e Bode-n-abe glüffe. U der frönd Ma isch dogstange mit der Sägesse i der Hang; wyß isch er gsi wie-n-es bleiktnigs Tuech. Kes Wort het er füre brocht. «Jä», seit eine, «was isch do gange? Do isch öppis dehinger. Se, mach füre.» Ändtlige het diese eis Wort nom angere chönne fürebrösme. Do grad



Alpensagen-196. Flip

do heig er vor sövel u sövel mängem Johr äine tödt un i Bode to.

Jo, so isch es gscheh, u sövli mängs Johr isch es nid uscho, du geiht er hei u lauft däwäg dry.


'S TODTEBEINDLI

Sisch einisch e Chünig gstorbe; sy Frau und zweü Chind sind no am Läbe bube, es Meiteli und es Büebli. Do händ sie einisch d'Mueter gfrogt, vieles vo-n-ene daß einisch müeß Chünig wärde. Do seit sie zue-n-ene: «Liebi Chind, gönd jetze zämme i Wald usse und suechet das Büemli, wo-n-ech do zeige, und das, wo's von ech zerst findt, das mueß einisch Chünig wärde.» Do sind die zweü zämme gange, und im Wald sind si bym Sueche-n-e chly ussenand cho, und 's Meiteli het 's Blüemli z'erst gfunde. Do denkt's, es weil sym Brüederli no-n-e chly warte, und lyt näbe Wald i Schaue, nimmt 's Blüemli j d' Hand und schloft j Gottsname-n-i. Derwyle chunt 's Büebli au a das Orth, aber 's Blüemli het er nonig gfunde gha. Wo-n-ers do aber im Händli vo sym Schwösterli gseh het, so chunt em öbbis Schröckligs z'Sinn: «I will mys Schwösterli ermorde-n-und em's Blüemhi neh, und hei go mit, und denn wird i Chünig?» Denkt und to. Er het's tödt und im Wald verscharret und Härd drüber deckt, und kei Mönsch het nüt dervo gwüßt. No mängem, mängem Johr isch e Hirtebüebli dert uf der Weid gsi mit de Schöflene, und findt es Todtebeindli am Bode vo dem Meiteli. Do macht er e par Löchli dry wie am-e-ne Flötli, und blost dry. Do het das Beindli gar erschröckli trurig afoh singe - die ganz Gschicht, wie's Meiteli vom Brüederli umbrocht worde-n-isch: me het möge die bälle Träne briegge, wemme das Lied ghört het. Do goht einisch, wo das Hirtebüebli so gflötet het, e Ritter det



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verby; dä het em das Flötli abgchauft und isch dermit im Land ummezoge, und het an alle-n-Orte-n-uf dem Beindli gspilt. Einisch het do au die alte Chünigi dem Ritter zueglost, und isch ganz trurig worde, und het der Sohn abem Thron gstoße und briegget erer Läbtig.


DER BÜSSER

In einem fernen Lande lebte einmal ein edles Ritterfräulein. So schön war die Jungfrau, daß viele wackere Ritter um ihre Hand warben. Aber noch größer als ihre Schönheit war ihre Tugend. Sie hatte ihr Herz dem Heiland gelobt und ihr Leben seiner Liebe geweiht. Demütig wies sie alle Freier ab und entsagte der Ehe auf ewig.

Ein wilder Jüngling aber, der sie mit allen Sinnen zum Weibe begehrte, wollte nicht von ihr lassen, und so heftig war sein Begehr, daß er sich vornahm, nicht zu ruhen, ehe er nicht seine Lust am Leibe der stolzen Magd gestillt. Allerorten lauerte er ihr auf, aber lange gelang ihm sein böses Werk nicht. Einmal aber begegnete er ihr an einem einsamen Orte im Walde und tat ihr Gewalt. Die Jungfrau aber wehrte sich bis aufs Blut und wahrte ihre Keuschheit durch den Tod. Der Mörder begrub den Leichnam am selben Orte und entwich.

Aber am Abend, als er seine Seele erforschte, da roch ihm auf, welch eine Freveltat er verübt, und fortan fand er weder Ruhe noch Rast mehr. Bittere Reue zerfraß sein Herz. Da erkannte er sich harte Strafe zu, und schwere Buße nahm er auf sich: Nie mehr sein Leben lang wollte er nach Art der Menschen gehen und stehen, noch sich nähren und gekleidet sein. «Ich bin wie ein Tier, und wie ein Tier will ich wandeln und auf Hand und Fuß im Wald herum kriechen, so viele Jahre, als es dem Himmel wohlgefällig ist.» Und er floh weit außer Landes in die Fremde. So kam er ins Entlebuch, wo er in der



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Einöde des Waldes das Werk seiner Buße antrat. Nackt, wie er aus der Mutter Leib gekommen, lebte er im Dickicht, niemals sich erhebend, nie Schirm suchend gegen die Witterung, weder Sommers noch Winters, keiner andern Speise genießend als Beeren, Wurzeln und Kräuter. Nach wenigen Jahren schon war sein Leib ganz mit Haaren überwachsen, so daß er einem zottigen Tier gleich sah mit Pranken wie ein Bär.

Viele Jahre waren ins Land gegangen. Ein Landmann zog des Weges daher und unlang gesellte sich ihm ein fremder Landfahrer, der ihm freundlich Gott zum Gruß bot und leutselig mit ihm sprach. Und unbemerkt lenkten sie auf einen anderen Weg ein und waren aufs Mal tief in den Wald geraten. Plötzlich brach aus dem Waldesdickicht ein seltsames Wesen, das einem wilden Tiere gleich sah, und doch scheu vor den Menschen zu entfliehen trachtete. Der fremde Wandersmann gebot ihm: «Steh still !» Das Ungetüm gehorchte und lauschte seinen Worten: «Wisse, isse, sieben mal sieben Jahre hast du nun redlich Buße getan, fern den Menschen, den Tieren des Waldes gesellt. Deine Schuld ist gesühnt. Du bist erlöst. Schüttle die Sünde von dir!» Das Untier schüttelte sich, und in tausend Fetzen und Flocken zerstob die zottige Hülle, in welcher der Büßer beschlossen gewesen. Ein kniendes Knäblein erschien statt des Tieres, holdselig zu schauen, betend die Händlein erhoben. Und alsbald ward es zum weißen Täublein und flog auf gen Himmel.



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Der Fremde enthob den Landmann jählings weit, weit hinweg in ein fernes Land. In einem großen Walde setzte er ihn ab. Und vor sich im Grase, mitten in einem Haufen abgehauener Stauden, schaute der Bauer eine wunderbare Blume, dergleichen er nie in seinem Leben gesehen. Sie duftete wie daheim die feinste Nelke der Berge. Der Führer hieß ihn die Stauden abheben. Und es lag eine wunderschöne Jungfrau da. Die war tot, aber so blütenfrisch, als ob sie eben schlafe. Ihrem Herzen war die wunderbare Blume entsprossen und durch das Gestrüpp zum Licht emporgewachsen. Der Bauer staunte in seinem Herzen ob all den seltsamen Dingen, die sich mit ihm begaben. Aber der Unbekannte sprach: «Vor neunundvierzig Jahren hat jener Büßer dort fern im Walde deiner Heimat, hier dieses Menschenbild schändlich ermordet. Der Jungfrau aber ward der Himmel aufgetan, auf daß sie Wohnung nehme im Kreise der Heiligen. Ihr Leichnam auf Erden aber blieb durch Gottes Gnade bis zur Stunde wunderbar erhalten, und herrlich ist er dem Licht des Tages erschienen durch des Himmels Gerechtigkeit.»



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DER TODESENGEL

Bei Escholzmatt wohnten einmal ein Mann und eine Frau. Es waren gar habliche Leute, und hatten nur ein einzig Kind. Das war aber den Eltern so lieb, daß nichts Lieberes für sie sein mochte auf der Welt als ihr Büblein. Kein Vaterunser konnten sie mehr recht beten, weder in der Kirche noch daheim. Ihr Herz war nur immer bei ihrem Kinde, nicht bei Gott im Himmel.

Da zog einst in selber Gegend ein armer Glasträger umher. Ihm gesellte sich unterwegs aufs Mal ein fremder Pilgersmann. Der schien ein gar frommer Mann, der weit gereist war in der Welt, und wußte von allerhand wunderbaren Dingen und seltsamen Begebnissen in fremden Ländern gar schön zu erzählen, so daß der Glaser vor lauter Lauschen es nicht achtete, wie sie von der breiten Landstraße unvermerkt auf einen Seitenweg abgekommen waren. Vom Gespräche benommen, kamen sie wie von ungefähr zu dem Hause jener reichen Leute, die ihr Kind so über die Maßen liebten. Und da der Abend schon dunkelte, baten sie um Herberge für die Nacht. Ehrfürchtig ward der Pilger empfangen, und seinetwegen hieß man auch den Glasträger lieber willkommen als sonst. Man stellte ihnen auf, was Küche und Keller zu bieten hatten, und bereitete beiden eine Schlafstatt in der Stube, da keine Kammer mehr zu vergeben war; denn es waren noch mehr Leute zu Gaste.

Um Mitternacht, als alles im tiefsten Schlafe lag, da weckte der Pilger seinen Gefährten auf und führte ihn an den Ort, wo das Kind des Hauses in seiner Wiege schlief, und sprach: «Dieses Kind werde ich jetzt erwürgen!» Der Glasträger öffnete seinen Mund, um die Leute aus dem Schlaf zu schreien, damit das Kind gerettet werde und der Mörder nicht ungerochen entrinne. Allein seine Stimme blieb tonlos, und seine Glieder waren wie gelähmt, und schon war die grause Tat geschehen. Das Kindlein lag tot. Der Unbekannte ging und



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legte es wieder hin, wo er es genommen. Dann ergriff er den Glasträger, der nicht wußte, wie ihm geschah, und trug ihn wie durch Wunderkraft, leicht wie ein Federlein, zum Haus hinaus unter den offenen Himmel und wies seinen Blick zur Höhe. Und jener schaute, wie eben eine weiße Taube auf zum Himmel flog. «Das ist», sprach der Fremde, «des Kindleins reine Seele, auf ewig dem Heil erhalten, gerettet aus der Schuld seiner Eltern, durch deren eigensüchtige Liebe es dem Verderben anheimgefallen wäre. Selig ist es samt Vater und Mutter; sie werden in sich gehen und Buße tun, denn ihre Gesinnung ist gut. Wisse, daß ich des Kindes Engel bin, von Gott gesandt.»


DIE GEBURTSTANNE

In dem Dorfe Auenstein an der Aare ward einem Landmann ein Kindlein geboren, und zu eben derselben Stunde pochte eine fremde Frau an die Türe und bat um Obdach und Nachtlager. «Es ist uns leid, aber es geht nicht wohl an. Heut' ist uns ein Kindlein geboren, und der Raum ist so schon eng», meinte der Mann und wollte die Türe wieder zutun. «Ich bin fremd hier und müde vom Wege. Nehmt mich in Gottes Namen auf für diese Nacht!» bat das Weib. «In Gottes Namen, so tritt halt ein», sagte der Mann, «und nimm fürlieb!»

Als die Fremde des andern Morgens früh bei Tag sich wieder auf den Weg machte, dankte sie ihrem Gastgeber gar sehr: «Ich wünsche Eurem neugeborenen Kindlein alles Glück und Wohlergehen für sein ganzes Leben. Doch hört Eines und bergt's in Eurem Herzen: Habt Sorge zu ihm, und hütet es wie Euer Augenlicht! Denn mir hat diese Nacht ein böser Traum geträumt von einer hohen Waidtanne, daran das arme Kind sich erhängen wird, wenn es zwanzig Sommer zählt. So ist ihm von einem dunkeln Schicksal verhängt. Doch Gottes Kraft vermag ihm das Unheil zu wenden und zu wandeln.



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Gewöhnet das Kindlein nur von seinem ersten Spielen und Sprechen an, alles, was es tut, im Namen Gottes zu beginnen !» Mit diesen Worten schied sie, ernst mit dem Haupte nickend.

Die Eltern und alle Leute im Hause blieben der Mahnung eingedenk und versäumten nicht, den Rat der fremden Frau zu befolgen. So wurde das Kind in Gottes Huld und Hut auferzogen und wuchs zur schönen Jungfrau heran. Niemals hatte man es alleine beim Spiel, nie ohne Aufsicht über Feld, nie ohne Begleitung zur Kirche gehen lassen, und ohne Unheil waren ihm neunzehn Lebensjahre vorbeigegangen.

Als nun des Mädchens zwanzigster Geburtstag kam, weckte der Vater sein Kind in blauer Morgenfrühe, hieß es aufstehen und sich ankleiden, damit es mit ihm von Hause fort über Feld gehe, ehe noch jemand erwacht wäre. Diesen Tag sollte die Tochter mit ihm allein droben auf dem einsamen Berge zubringen, wohin kein Mensch zu ihr dringen und Gefahr bringen konnte. Der Vater tat Wein und Brot in seinen Quersack, die Tochter trug ihr Körbchen nach, und so stiegen sie durch die taufrischen Matten bergwärts. Das Mädchen freute sich von Herzen an Blumen und Vögeln und war voller Lust und Fröhlichkeit ob dieser Wanderung. Aber beim ersten Waldbaum, der den Weg verschattete, blieb sie stehen und maß ihn mit freudestrahlenden Augen. Es gelüstete sie, voll Übermut, die rege Kraft ihrer Gieder zu erproben. «Ei, welch eine schöne Tanne!» rief sie frohlockend den gewaltigen Stamm hinauf. «O Vater, den möchte ich ums Leben gern erklimmen!» — «In Gottes Namen, so geh denn und steig hinauf!» sagte der Vater, dem das Herz stille stand. Aber mitten im Sprunge wandte das Mädchen sich um. «Ach Vater», sagte sie ganz verwundert mit erschrockenen Augen, «nun kann ich's nicht mehr!» Der Mann verstand dieses Wort und stille dankte er Gott tief innen in seinem Herzen.



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DER GLÜCKSTRAUM

Auf der Alp Trichelegg zu Grindelwald hirtete vor Zeiten ein Küher. Hans Kuhschwanz hat er geheißen. Der war auch von dort, wo die Spatzen in der Ernte sterben; ein armer Mann ist er gewesen und schwer hat er tun müssen, und war doch immer am Hag an, und oft am Feierabend nach saurem Tagwerk seufzte er unmutsvoll: «Wenn's eim nit will, so schwindt eim der Mist in der Gruebe.» Da träumte ihm eines Nachts, er höre eine Stimme rufen:

«Z'Thun uf der Sinnebrück,
Machsch de dys Glück!»

Am Morgen erzählte er seinem Weibe den seltsamen Traum und wollte gleich den Weg unter die Füße nehmen. Die Frau aber war eine gar gescheite, die ihrem Manne nie keine Zeit ließ und bei keinem Worte recht haben, und das Maul ging ihr, wie dem Wasserstelzchen der Sterz. Die sagte: «Was willst du den hellichten Tag verfeiern und deine Schuhe für nichts ablaufen? Als wenn sonst nichts zu werken wär', und wir vorige Zeit zum Vertörlen hätten!» Der Hans schnitt ein Gesicht, als wenn er Spinnweben gefressen hätte, und machte sich brummelnd und mummelnd an seine Arbeit und het an sym Schiff und Gscher dänglet und ghämmerlet und pöpperlet, bis em d'Hose chiötterlet händ.

Aber in der nächsten Nacht hatte er nochmals akkurat denselben Traum. Doch auch diesmal hielt ihn die Frau zurück: «Traum ist Schaum», sagte sie. «Geh lieber Scheiter beigen!» denn sie hatten unlang das Jahrholz vermacht.

Aber in der folgenden Nacht hatte Hans den wunderlichen Traum zum drittenmal. Und ganz deutlich, als wär's grad beim Ohr zu, hörte er wieder die Worte:

«Z'Thun uf der Sinnebrück,
Machsch de dys Glück!»


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Jetzt gilt's, dachte Hans, als er früh vor Tag erwachte, und leise, damit er seine Frau, die noch tief in der Bettkiste lag und schlief, ja nicht wecke, schloff er in die Hosen und schlich auf den bloßen Zehen aus dem Schlafgaden in die Küche hinaus, schoppte ein Stück altbacken Brot in den Tschopen und ging starrengangs nach Thun. Und als die Sonne aufging, stand er schon voller Erwartung auf der Sinnebrücke. Aber alles war leer und niemand um den Weg. Der Hans wartete wohl ein Viertelstündlein. Da kam der Geißhirt, bot ihm gute Zeit und trieb eilig seine fröhlich glöckelnden Geißen weiter. Dann kam lange Zeit niemand. Der Hans lief hin und her und wußte nicht, was anstellen. Er schaute dem Lauf des Wassers zu und dem Flug der Vögel. Alsgemach wurde es Mittag, und der Hans bekam Hunger. Er nahm sein Brot hervor und aß. Um alles wäre er nicht von der Brücke gegangen. Aber er mochte warten, wie lange er wollte, niemand kam. Ein altes Sprüchlein von der Mutter selig kam ihm in den Sinn, und er sprach zu sich selber:

«Wart e Wyli, beit e Wyli
Und sitz e Wyli nider.
Und wenn d'e Wyli gsässe bisch,
So chum und säg mer's wider!»


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Aber zu letzt am End wollte ihm der Geduldsfaden nachgerade denn doch abreißen, und er schaute schon ganz grämlich zum Niesen hinauf; denn er dachte, wie die Frau ihn wegen der vertanen Zeit schmähen werde und obendrein noch auslachen, daß er so leichtgläubig gewesen sei. Aber da war's ihm, als höre er die Stimme aus dem Traume wieder, aber diesmal ganz laut:

«Z'Thun uf der Sinnebrück,
Machsch de dys Glück!» —
und er blieb standhaft und wartete, bis die Sonne unterging.
Da trieb der Geißhirt seine Herde über die Brücke zurück.
Als er sah, daß der Hans noch immer da war, blieb er stehen
und schaute ihn lange an. Dann sprach er: «Jetzt nimmt's
mich denn aber doch Wunder, was du im Sinn hast, daß du
den ganzen geschlagnen Tag hier wartest, und ein Gesicht
machst du, als tätest am ewigen Gangwerk studieren!» —
«Z'Thun uf der Sinnebrück,
Machsch de dys Glück!» —
sagte der Hans drauf, das habe ihm dreimal hintereinander
geträumt, und ehe es wahr geworden sei, gehe er nicht heim.
Da lachte der Geißer, daß ihm der Kinnladen lottelte, und
sagte: »Ohjeh, guter Freund, da kannst du noch lange warten!
   Mir hat es auch mehrmals schon geträumt, ich solle nach
Grindelwald gehen, auf die Trichelegg in Hansen Kuhschwanz'
Haus. Da sei in der Küche unterm Herd ein Kessel voll Geld,
und ich rühre deshalb kein Glied. Wie möcht einer, der recht
im Kopf ist, sich solcher Sachen achten! Denk nur, wer in aller
Welt wollte auch Hans Kuhschwanz heißen!» Der Hans hörte
kaum die letzten Worte noch, als er schon davonstürmte, als
hätt' ihn 's Wespi gestochen, und den Geißer stehen ließ. Der
schaute ihm mit offenem Munde nach, tupfte sich mit dem
Finger an die Stirn und schüttelte den Kopf. «D'Narre sind


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au Lüt, aber fit all Lüt Narre!» sagte er und lief hurtig hinter seinen Geißen drein.

Als der Hans spät in der Nacht heimkam, riß er gleich die Feuerpiatte heraus, da stand der Topf bis zum Rande voll lötiger Goldtaler. «Jetz het au mir emol die rächt Chue chaiberet», sagte der Hans und schloff ins Bett, wo seine Frau schon im besten Schlafe lag.

So war der Hans über Nacht der reichste Bauer weit und breit geworden. Aber Kuhschwanz wollte er sich jetzt nicht mehr nennen hören. Er ging zum Landvogt in Interlaken, und der mußte ihm einen gmögigeren Namen geben, der besser zum vollen Geldseckel passen sollte. Wie meint ihr, daß der geheißen hat? Geht selber hin und fragt beim Gemeindeschreiber nach!


D'S FUL GEISHIRTJI

Es Wyb het emal es Geishirtji gedingut, und het mu gseit, es selle de schee by Zytu cho ga z'Morgund essu, damit's die Geis fit 50 spat usla chenne. Und duo ischt d's Hirtji cho, und d's Wyb het mu d's Essu uf un Tisch geta und gseit: «Jetz iß de nummu gnuog.» Und d's Hirtji het zuogriffu und schee g'gessut, bis fascht nimme gmegut het; het aber no nit Lust ghä z'ga. Duo het mu schi e scheni Schnittu Cheß und Brod abghauwu und innu Sack gegä für z'Abundbrot. Und d's Hirtji ischt no alizi am Tisch blibu. Duo het d's Wyb es Schisselti gno und ischt mu innu Cheller ga Nidlu reichu, damit schi d's Buobji do recht chenne hirtu. Und d's Hirtji het d'Nnidlu gsuffu und no fit wellu ga. Duo het mu duo schi do afa gseit, es sygi jetz Zyt ga die Geis usz'la. Und duo het 's Geishirtji endli au afa redu und zum Wyb gseit: «Gad nit gan il»



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WIE DER BARTOLO DEN HAUSZINS ZAHLTE

In einem baufälligen Häuslein oberhalb des Dorfes, das einem reichen Herrn gehörte, wohnte eine arme Familie zur Miete. St. Martin, der Zinstag, war schon vorüber, aber kein roter Rappen im Hause. Da kam eines Tages der Besitzer, um das fällige Geld einzuziehen. Er traf aber nur den Bartolo daheim, des Schuldners Sohn, der im Dorf für blöde galt. Er saß auf der Herdplatte neben dem Feuer, darauf ein brodelnder Kochtopf stand. «So, so, Bartolo, was machst auch du da?» fragte ihn der Herr. «Mooh, ich gebe acht darauf, wer heraufsteigt und wer hinuntergeht», erwiderte der Bursche. «Kommen denn so viele Leute hier herauf?» fragte der Herr. «He nein, kein Bein», antwortete der Bursche. «Hm, wo ist auch dein Vater?» fragte der Herr weiter. «Er ist gegangen, um ein Loch zu machen, damit er ein anderes Loch stopfen kann.» —«Hm, und wo ist denn deine Mutter?» «Sie ist im Ofenhaus und backt grad ehgegessen Brot!» — «Hm, und dein Bruder, wo ist denn der?» — «Der ist eben auf der Jagd, und die er erlegt, läßt er laufen, und die er nicht erlegt, die bringt er heim.» —«Hm, und deine Schwester, was macht denn die?» — «Sie beweint ihre ferndrigen Freuden.» — Der Hauswirt zog die Stirne kraus und schüttelte verwundert den Kopf und wußte nicht, ob er lachen oder unwirsch werden sollte. «Du sprichst wie ein Narr oder wie ein Weiser», sagte er, «möchtest du mir deine Rätsel nicht erklären?» — «Ei wohl, recht gern, Herr, wenn Ihr uns die Schuld erlaßt, denn ein Dienst ist des andern wert und eine Gefälligkeit ruft der andern», antwortete der Bartolo. «Ja», sagte der Herr, «wenn deine Antwort Hand und Fuß hat. So sag mir denn: wen siehst du herauf und hinunter steigen?» — «Oh, das ist doch sonnenklar», sagte der Bartolo und lüftete den Deckel des Topfes, «da schaut nur hinein und seht selber. Ich siede Bohnen, die steigen fleißig auf und nieder.» — «Und was ist mit dem Loch,



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das dein Vater macht, um ein anderes zu stopfen?» — «Ja, freilich, ja, mein guter Herr, er geht im Dorf herum von einem Nachbarn zum andern, um die Summe zu entleihen, die wir Euch schulden. Also macht er ein Loch, um ein Loch zu stopfen.» — «Und das ehgegessene Brot, das deine Mutter backt?» — «Das Brot, das wir die letzte Woche gegessen haben, war vom Nachbar entliehen. Nun backt die Mutter neues, um es den Leuten zurückzugeben.» — «Aber was in aller Welt macht dein Bruder, der laufen läßt, die er erlegt, und die er nicht erlegt, heimbringt?» —«Ei, das Ungeziefer stach und juckte ihn, da ging er hinaus und zog sein Hemd aus und liest die Flöhe ab. Die er erwischt, läßt er laufen, die er nicht erwischt, bringt er heim. Das ist doch nicht schwer zu verstehn!» — «Was aber ist mit deiner Schwester, die das Glück des letzten Jahres beweint?» —«Ja, seht, guter Herr, sie hat im vorigen Frühling mit ihrem Liebsten Hochzeit gemacht. Da war eitel Lust und Freude. Aber jetzt, wo er sie hat, ist er böse, schilt und schlägt sie und macht sie weinen. Ja, so geht's zu in der Welt!» —

Da sprach der Herr: «Wohl, wohl, Bartolo, du bist ein gescheiter Bursch, das hast du gut gemacht. Die Schuld sei euch geschenkt. Geh lauf, bring deinem Vater den Schein hier.»


DIE LIND! WOLLA

Buren sind ze obrost am Chyn gstannu und hemd ze undrost scheene wyße Nebol gsehn. Duo hemd schi gmeint, es sygi wyßi Wolla. Duo het's Eine gwagt, ambryn z'springun, denn er het gseit: «Es cha mer nyt Leids gschehn, d'Wolla ist ja lindi, da spring ich dry wie in as weichs Bett.» Da er ambryn gsin ist, het er gibrochni Tschebini ghan und us dum Nebol ambruf griefu: «O wie blind!» D'Obru hemd verstannu: «O wie lind!» Da heind'sch mu d'Wolla nit wellu alleinig la und sind alli nah gesprungu.



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VO ME-N-A SCHLAUA BÜRLI

Eist amol as Bürli gsi, das het as Hus, as Wyb und as Küehli ka, aber ke Handbreit Boda derzua. 's Wyb hät gära gmolha und g'anket, und 's Küehli hät gära gfressa - und wohär neh und fit stehla? Aber 's Bürli weiß si' bald an Rot und lot sys Küehli mir nüt, dir nüt uf de Güeter von de Nochbura uf's Gschand goh. De Nachbura ist aber das bald verleidet, und sie göhnd us Töibi, bringen 's Küehli um und verstechen d'Hut, daß der Schelm sie fit könn gärba b. Wo dua am Obed 's Bürli 's Küehli heihola will, so findt 's das arm Tierli mustod im Gras ligga, und vo de Sticha i d'Hut ganz voll Bluet, und gäl und grüa vor Zorn schwört's, de Bura-n-amol a Suppa z'kocha, daß gwüß all dra gnua ha sötten.

Dua schleipft's 's Küehli hei, zücht em die verstocha Hut ab und träit sie am andere Morga zum Gärber. «Villicht», meint 's, «git er mer a par Batza derfür.» Der Gärber ist nit grad dehei, aber d'Gärberi het au' as bitzli vo der Hantierig verstanda, und sie lueget d'Hut a, seit aber bald: «Ja, Mandli, das ist a Rytera und ke Hut, ich cha der nüt derfür ge.» 's Bürli jomeret und seit, sie söll em sus eppas ge, der Gottswilla. D'Gärberi goht und holt em as Gütterli Brantwy und e paar dörri Biraschnitz. Wia dua's Bürli ißt und suft und schmatzget, kurzwylet der Gärberi ihr Buebi uf der Lauba duß. Uf der Lauba-n-ist au an alta Trog gstanda, und 's Buebi goht, hebt's Lid uf, schluft yhi und versteckt si dry. Das alls het 's Bürli gseh, denn d'Stubatür ist offa gsi, aber d'Gärberi het derwyl eppas büezt und nüt dervo gwahrnet. 's Bürli suft noch as Wyli a sym Brantwy, lueget aber i eim furt uf sella Trog, ob's Buebi wider ussakömm. 's Buebi ist aber nümma fürako, und 's Bürli seit bei em seib: «Der ist gwüß vertschiofa.» Beim Goh seit 's dua zer Gärberi: «Wottender mer fit dä Trog



Alpensagen-210. Flip

dört uf der Lauba ge, ich tet an mangla zum Korn», und d'Gärberi lacht und seit: «Wenn der mit der alta Rustig dianet ist, so nun sie halt mit der.»

Do nimt 's Bürli de Trog gschwind uf de Buggel und goht mit em dervo und stift der Gärberi 's Buebi, denn das het im Trog hert gschlofa. 's Bürli goht as Wyli mit syner Burdi und kunt uf an Steg, der über 'nas tüfs Tobel füehrt; do schottlet 's am Trog und rüeft: «Ich wirf de Trog i d's Wasser.» Do erwacht der Bueb im Trog und hört 's und rüeft i der Angst: «Nei, nei! Ich bi' im Trog»; aber 's Bürli tuet fit derglychan-und rüeft: «Ich wirf de Trog i d's Wasser.» Der Bueb kunt scho i Todsängsta und rüeft noch amol: «Der Gottswilla, ich bi' im Trog», und do seit 's Bürli: «Los, Bueb im Trog: Dy Mueter het mer dä Trog gschenkt, und jetz ist er my, und ich ka mitem tua, was ich gära will; wenn d'mer aber hundert Taler ge witt, so will di uslo.» Der Bueb verspricht's, 's Bürli stellt ab, macht 's Lid uf, lot der Bueb us, goht mit em hei und kunt hundert Taler über. Munter kehrt 's druf heimetzua, und wia's uf desella Steg kunt, so stoht der Trog noch a's a lera do, und es nimt an und wirft an holops i's Tobel ahi und lacht: «Was bruch ich dia alt Rustig zu myna hundert Taler?»

Wia 's Bürli hei kunt, zeiget 's de Nachbura sy Hufa Taler und seit, es häi sie für die verstocha Hut überko, wyl so a durchsichtigi Hut eppas seltes sei: D'Bura losen und luegen, und dia hundert Silbertaler für an einzigi Hut stechen n'na unig in d'Auga, und noch und noch meinens', Küeh seien zwor nützligi Tier, aber so-n-an Hufa Geld für d'Hüt vom Tisch strycha, wär halt denk au' nit letz, und göhnd und metzgen d'Küeh und verlöchern d'Hüt, 's Bürli lacht si halba krank derbei; aber d's Lacha wär em bald verganga; denn wo d'Bura mit de verlöcherta Hüta zem Gärber kömmen und für die hundert Taler wacker usgiacht werden, so stygt 'na 's Bluet in Kopf, und fürigtaub kömmens' hei und reden ab, i der Nacht



Alpensagen-211. Flip

zum Feister vo d's Bürlis Schlofkammera yha z'lenga und em de Garus z' ge. Aber 's Bürli het das erfahra, und am Obed seit 's zum Wybli: «Los, wottist fit so guet si und hinecht a's Feister z'ligga, ich ha as bitzli d' Struha, und do möcht mer de Luftzug eppa fit grad guet tua.» 's Wybli tuet em de Gfalla und leit si' a d's Feister. Um Mitternacht kömmen d'Bura, lengen zum Feister yna-n-und verstechen das arm Wyb, und hend gmeint, jetz seiens' dem Bürli abko. Aber dem Bürli ist noch wohl gsi unter der Bettdecki, und sobald d'Bura sind furt gsi, so nimt 's das tod Wyb, as Spinnrad und an Stuhl und trait die ganz Burdi mitta-n-uf d'Landstroß; dert setz 's d'Lych uf de Stuehl, stellt 's Rad vors' aha und richtet ara d'Händ, a's tets' spinna, und druf versteckt as si' j der Nehi und passet.

Jetz am Morga-n-ist an Her in ara Schesa im grösta Galopp uf der Landstroß gfahra ko, und wia-n-er d'Spinneri mitta-n-uf der Stroß sieht, so rüeft er: «Flüch, flüch!» Aber 's Wybli ist halt fit usgwicha, und vor der Her d'Roß z'ruckheba



Alpensagen-212. Flip

ka, fahrt der Waga schon drüber us. Der Her, grüseli erschrocka, hebt a, stygt us und zücht 's Wybli under dem Waga-n-usse-n-und merkt, daß 's rnustod sei. Rotlos und bleich wia d'Wand stoht er do und luegt um, ob en niemed schi, daß er geschwindt dervofahra könn; aber im sella-n-Augablick kunt's Bürli füra und räsoniert mit dem Her wia wüetig, daß er em sys Wyb überfahra häi, und es werdi bym Gricht d'Azeig maha. Der guet Her meint, er häi scho de Galgastrick um de Hals und seit: «Lueg, Mandli, ich will der die ganz Schesa mit de zwe Rapa b, wenn d'mich nit bym Gricht azeigest.» 's Bürli seit: «No, das lot si höra, und mir sind Handels einig.» Der Her düselet z'fueß wyter, und 's Bürli stygt i d'Schesa-n-und fahrt großartig heirnetzua.

Wia 's dabei dur 's Dörfli fahrt, machen d'Bura d'Feister uf und luegen, was do ächt für an hoha Her gfahra köm. Aber wo sie 's Büri wia-n-en Graf i der Schesa sitza sehnd, do wüssens' nümma, wia 'na gschieht; z'erst meinens' gär, es sei der Geist vom Bürli, erst wia 's usstygt und 'na gueta Morga zuerüeft, glaubens', daß as der Hannes sei, und natina kömmen's zueha und wunderen, wia 's ächt zu der köstlicha Männi ko sei. 's Bürli verzellt 'na alls horklei. D'Bura losen und luegen, und z'letzt göhnds', tödten d'Wyber und stellen d'Lycha-n-uf der Landstroß nebet de Spinnräder uf und richten 'na d'Händ, gottversprich, as teten's spinna; fryli ist halt kei so närrscha Her gfahra ko, und d'Bura sind wider agfüehrt gsi.

Das ist de gueta Bura dänk afo z' räß gsi, und sie packen 's Mandli beim Kraga, binden's in an Sack und wend 's in a tüfi Gülla werfa. Vorher göhnds' aber noch mitnand hei und wend bym a Güterli Brantwy Guraschi fassa und lönd 's Manch im Sack ligga. Z'erst het's drin urne gsperzt, um ussa z'ko, 's het aber nüt gnützt. Do will 's der Zuefall, daß an Schwytryber a Hab Peru j derselbe Gegni vorbeitrybt; 's Bürli



Alpensagen-213. Flip

im Sack hört an ko und rüeft überlut: «D'Königstochter gähr i fit!» Der Schwytryber hört's und dänkt: «Ich wort sie schon», und goht und bindet de Sack uf. 's Bürli kunt ussa, und wia der Schwytryber fröget, wia 's eigetli mit der Königstochter standi, so seit's, der König häi as viirars Töchterli, und zua dem Töchterli seien sovil Prinza zer Stubete ko, daß das schö Maiggi umügli' zu n-ara Wahl häi ko könna; do sei der König ertaubet und häi verkünda b, wer si siba Stund lang in an Sack spera löß, dä müeß 's Töchterli manna; es seib häi si' dua z'erst derzua abotta, es sei em aber z'lang worda. Wo der Schwytryber das hört, so seit er gschwindt: «Dia siba Stund g'halt ich scho us, sei so guet und pack mich in Sack yha und tue dem König brichta, ich will der gära die ganz Hab Ferli lot» 's Mandli seit: «Ich will em scho brichta», und bindt de Schwytryber in Sack und fahrt mit der Hab Ferli dervo. Mittlerwyl kömmen d'Bura und werfen de Schwytryber, der scho meint, sy Gspusa, d'Prinzässi, kömm, i d'Gülla-n-und göhnd wider hei.

No-n-ara Zyt goht's Bürli großartig dur' 's Dörfli und trybt syni Hab Peru vor em aha. Wia 's d'Bura sehnd, so machens' halt z'erst wider as unigs Paar Auga und druf kömmens' go wundera, wia 's Bürli ächt zu dena Ferli ko sei. 's Bürli verzellt: «Ich bi' i der Gülla tüf, tüf ahigsunka, und uf eimol bin ich stoh bliba; ich hantier und sperz a Wyl im Sack, bis der Bändel ufgoht; ich kumma-n-ussa us 'em Sack, und wo meinender, bin ich gsi - im Güllawasser meinender? Nei, beilyb, in ara wunderliebliga Gegni bin ich gsi, wo der Himmel noch amol so blau und d'Rosa noch amol so rot sind a's bi üs; ich ha gschwindt gmerkt, daß das d'Unterwelt ist, und bi' as Wyl spaziera ganga und ha mer's Häß vo der Sunna tröchna b. Wia ich so goh, siehni' uf ara Wiesa a Hab vom schönsta Veh; a par stolzi gäli Küeh mit wyßa Sternli uf der Stirna, mit breita gfärbeta Scheliriema und Schella dra wia chlyni Glöckli:



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wyter hani' gseh an Fasel properi Gaiß und Schof mit Gitzi und Lämmli und Schwy mit Peru. D'Schwy und Ferli hend mer am meista gfalla, und ich ha mer drum a Hab mit mer gno. Was der Weg j d'Unterwelt abelangt, so ist der dur' d'Gülla der flehst.)) Die stolza Küeh mit de breita gfärbeta Scheliriema machen d'Bura wider halba närrsch und z'letzt gar närrsch: sie werden einig, au' as Gängli i d'Unterwelt z' maha und Veh uffaz'hola. Dasmol wends' aber d'Sach gschyd afoh; ein söll vorusspringa, mahens' us, und merkt er, daß d'Unterwelt kunt, so söll er rüefa: «Sie kunt!» Rüeft er aber fit, so söll ma-n-en weidli ussazüha. Ma goht zer Gülla, der Woghais springt und —plump -drin lit er. Die andera meinen, das «plump» heißi «kunt», und springen no und ersufen. 's gschyd Bürli ist dua Erb vom ganza Dörfli worda und an rycha, rycha Ma gsi.


VO EIFÄLTIGE FRAUELINE

Es isch einisch e Ma und e Frau gsi. We der Ma es paar Batze het chönne-n-uf d'Syte tue, so het er se-n-i Schaft gleit, glachet und gseit: «Das isch öppis für en alte Ma.» Dermit het er gmeint, er weil de dervo bruche, wenn er alt syg.

Einisch isch d'Frau eileini deheime gsi. Du het's a der Türe gchlopfet. E Bättler het es Almuese gheusche. D'Frau het dänkt, das syg jez der alt Ma und het ihm libermänts alls gä, wo-n-im Schaft gläge-n-isch.

Z'Obe-n-isch der Ma hei cho. Du frogt er: «Und de, was isch gange, wo-n-i furt gsi bi?» Du seit d'Frau: «He, der alt Ma isch de do gsi.» — «Wele-n-aite Ma?» —«He, dä, wo du-n-ihm albe Gäid ewägg tuesch. I han ihm's du grad gä.»

Ändtiige het der Ma begriffe, was gange-n-isch. Du het er afo em Frauen wüescht säge. Jetz göi er furt, het er am And gseit, wenn er e dümmeri fing, weil er de urne cho.

Derno isch er furt. Du isch er in es Dorf cho. Do het e rychi



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Wittfrau der Ma j Bode to gha. Ar isch vor dere-n-ihres Hus gange-n-un isch härechneulet u het d'Hang über d'Auge gleit un a Himmel uehe gluegt. Gly druf isch es Pfäischter ufgange. D'Frau isch cho u het es Tuech usgstaupet. Derno het sie der Ma gseh u ne gfrogt: «Was machsch du do?» — Dä seit: «He, i luege, wo's düre geiht.» — «Wodüre de?» — «I Himmel. J bi von abegheit. Jetz sueche-n-i 's Loch für ume-n-uehe z'cho.» —«Jä, isch das de wohr?» —«Jo waeger isch's wohr! Dy Ma isch au vor dreine Tage uehe cho.» —«Ee, das freut mi jetz au, daß er im Himmel isch und nid ame-n-angere-n-Ort! Was macht er? Was seit er au?» —«He, neue nid vil.» — «Wie geiht's ihm au?» — «He guet u nid guet.» — «Jo worum de?» — «Er isch drum mit em Gäld voruse cho.» — «E aber au, was du nid seisch!» — «He jo, dänk wohl. Aber däm chönnt me-n-abhälfe.» — «Jä, wie müeßt me de das achehre?» — «Schick em halt öppis. I wett's am Änd ufe bringe.» — «O, do wär i grüseli froh! Wart e chly. I will reiche. J bi gly urne do.» Sie goht und reicht es Schübeli u bringt's em. «J hätti gwünd Chummer, wenn i glaubti, er müeß chum tue. J löi ne de grüeße. Er söll fit Längizyti ha!» —«Jo, jo, i will's usrichte.»

Dermit het si der Ma dervogmacht. Hie und do het er hingere gluegt. Er het gförchtet, es chömm ihm öpper nohe. Ändtlige isch er heicho. Du het er's Gäld uf e Tisch gheit, daß es het gchlingelet u gseit: «Lue urne, Fraueli, i bi urne do. Die schleuischt bisch nid, aber j ha doch no e dümmeri gfunge.»



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VOM BRODÄSSE

Der Hansli het es Fraueli gha, und das het Bethli gheiße, und 's Bethli het e Ma gha, und dä het Hansli gheiße; der Hansli und 's Bethli sind heidi gar ordeligi Lüt gsi und hend heidi gar ordeli chönne Brot ässe. Der Hansli het aber nüt uliebers gässe als der Rouft, und 's Bethli nit uliebers als d'Mutsche. Und häretgäge het der Hansli d'Mutsche schröckelech gärn gässe und 's Bethli der Rouft. Dessetwäge hend sie's gar guet mitenander chönne. Denn der Hansli isch froh gsi, wenn 's Bethli brav Rouft gässe het, wyl ihm de alimol d'Mutsche-n-übrig blibe-n-isch; und 's Bethli isch froh gsi, wenn der Hansli d'Mutsche gässe het, wyl es de der Rouft ganz übercho het. Und eso isch es gange, bis der Hansli am End aller Ende ghimmlet het. Do dernochet het aber 's Bethli z'eismol Niemet meh gha, wo-n-em d'Mutsche-n-ewäg gässe het. Was tuets? Es het halt wider e Ma gno, und dä het gheiße Jöri. Und der Jöri und 's Bethli sind heidi gar ordeligi Lüt gsi und hend heidi gar ordeli chönne Brot ässe. Aber o heie! Der Jöri het au grad Numine welle de Rouft ässe, und 's Bethli hätt' um's Läbe kei Mutsche abebrocht. Do hend sie ahi heidi enand hiberments nüt meh ässe b und sind zletscht ahi heidi a der Vergöustig gstorbe. Gott bhüet is dervor.


DIE KÄSPROBE

Ein junger Hirt bekam Lust zu heiraten. Nun kannte er drei Schwestern, die waren alle gleich schön, und sie waren ihm auch alle gleich gewogen, so daß er nicht mit sich einig werden konnte, welche unter ihnen er zu seiner Braut erwählen sollte. Das bemerkte endlich seine Mutter. «Soll ich dir gut zu Rat sein», sagte sie zu ihm, «so lade die Schwestern alle drei miteinander zu dir und stelle ihnen Käs auf und gib Acht, wie sie damit umgehn.» Der Sohn befolgte diesen Rat; er lud die Jungfrauen zu sich und setzte ihnen den Käs vor. Da ver-



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schlang die erste gierig ihr Stück samt der Rinde, daß keine Spur übrigblieb. Die zweite im Gegenteil schnitt die Rinde so dick ab, daß sie noch viel Gutes mit wegwarf. Die dritte aber schälte die Rinde sauber, grad wie sich's gehört. Und als nun der Hirt seiner Mutter erzählte, wie es bei dem Käse hergegangen, da sagte die Mutter: «Die dritte nimm, sie wird dir Glück bringen.» Das tat er, und es hat ihn sein Lebtag nie gereut, daß er der Mutter gefolgt hat.


GUDBRAND VOM BERGE

Es war einmal ein Mann, der hieß Gudbrand vom Berge, denn er wohnte zuoberst im Val d'Entremont. Gudbrand und sein Weib lebten in Frieden und Eintracht miteinander samt einem Schärlein Kinder auf ihrem Gütlein. Im Stalle standen ihnen zwei braune Kühe am Barren und im Bettkasten lagen, in einem dicken Wollstrumpf verborgen, hundert bare Silbertaler als Zehrpfennig für Zeiten der Not. Die Frau liebte ihren Mann über alles; was er sagte, war gut und was er tat, noch besser. Immer war die Frau zufrieden mit ihrem Mann.

Eines Tages sprach die Frau: «Gudbrand, weißt du was, nimm die eine Kuh und geh auf den Markt nach Martinach und verkaufe sie! Dann bekommen wir ein wenig Geld für den Alltag in die Hand, wir so gut wie andere Leute, die nicht mehr haben und nicht besser sind. Beileibe - unsere hundert Taler rühren wir nicht an - aber wir haben genug mit einer Kuh.» — «Wohlgesprochen, Frau», sagte Gudbrand, holte die Kuh und brachte sie zur Stadt. Aber niemand wollte die Kuh kaufen. Und schon wollte Gudbrand das gute Tier wieder heimtreiben, da kam eben ein Mann über den Platz mit einer blinden Mähre. Der sagte: «Dir geht's, mein ich, grad gleich wie mir: niemand will mir den Gaul da abkaufen. Wie wär's, wenn wir tauschten, dann wäre uns beiden gedient!» —



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«Warum auch nicht», antwortete Gudbrand, denn ein Pferd, dachte er, zu der einen Kuh, sei immer noch besser als zwei Kühe, und so tauschte er die Kuh gegen das Pferd und machte sich wohlgemut auf den Heimweg.

Am Brunnen, wo er seinen Gaul trinken ließ, traf er einen, der hatte eine lustige Glöckligeiß am Seil. Das wäre eine Freude für die Kinder, wenn ich ihnen so ein munteres Geißlein heimbrachte! dachte Gudbrand, und flugs tauschte er seine Stute gegen die Geiß. Der andere, der glauben mochte, es könnte jenen dieser Handel gereuen, machte sich schleunigst mit dem Pferd aus dem Staube, indes Gudbrand fröhlich mit seiner Geiß weiterging. Unterm Tor kam ihm einer mit einem Schaf entgegen. Ei, so ein chruselig Wollenschaf wär' uns grad kommlich! dachte Gudbrand, das gibt warme Socken für den Winter, und er tauschte die Geiß gegen das Schaf.

Vor der Stadt begegnete ihm unlang einer mit einem quiekenden Färrlein unterm Arm. Hab, dachte Gudbrand, was klein ist, wird groß. Das Säuli könnten wir mästen, Abfall haben wir mehr als genug. Und ist es erst eine fette Sau geworden, dann gibt's Braten, Gesalznes und Geräuchtes, Würste und Schinken die Hülle und Fülle auf Jahr und Tag hinaus! — Und er tauschte das Schaf gegen das Ferkel. Nach einer Weile begegnete ihm einer mit einem Hahn, dessen buntes Gefieder in allen Farben im Sonnenschein schimmerte. Ein flotter Güggel ist doch schöner als ein kahles Schwein, dachte Gudbrand, und tauschte sein Färrlein gegen den Hahn, und schritt wohlgemut seines Weges weiter.

Die Sonne brannte heiß und staubig war die Straße, und bald plagte Gudbrand der Durst und unlang auch der Hunger. Am Wege stand ein Wirtshaus, dessen schattige Rebenlaube den Wanderer zu Sitz und Imbiß einlud. Der Wirt stand eben unter der Türe, als Gudbrand ankam, und es bedurfte nur weniger Worte, und sie waren handelseinig geworden:



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Gudbrand tauschte seinen Hahn gegen ein Mittagessen und ein Viertel weißen Weines. Nachdem Gudbrand also in aller Gemächlichkeit sich gütlich getan, wischte er zufrieden den Schnauzbart mit dem Handrücken und dachte bei sich: Traun, ein guter Bissen und ein noch besserer Schluck drüberab ist wohl einen Güggel ohne Hennen wert! Und dann zog er fröhlich seines Weges weiter.

Die Schatten krochen schon die Hänge hinauf, als er ins Dorf kam. Einige Nachbarn standen auf der Straße und plauderten. «Heda, Gudbrand, du siehst auch aus, als hättest du einen guten Handel gemacht!» Gudbrand blieb stehen und erzählte den Mannen, was er ausgerichtet hatte. «Oha lätz», sagte da ein anderer, «deine Frau wird dich mit dem Besen empfangen und dir mit Zins und Zinseszinsen heimzahlen, was du vertan hast.» «Geschah nichts Böseres auf der Welt als schlechte Geschäfte!» antwortete Gudbrand. «Geschehen ist geschehen, und wird nicht anders durch Meinen und Markten. Eines aber, sag ich euch, ist sicher: Meine Frau, die wird mit allem zufrieden sein.» Da schüttelten die Nachbarn die Köpfe, blinzten einander zu und lachten, und einer sagte: «Nichts für ungut, Gudbrand, aber ich glaub eben nur, was ich mit eigenen Augen sehe und mit eigenen Ohren höre.» «Was gilt's», versetzte Gudbrand, «ich wette hundert Taler, daß mein Wort sich erwahren wird! Nehmt ihr an?» «Topp, es soll gelten!» sagten die anderen und schlugen ein. Dann gingen sie mit Gudbrand zu seinem Hause. Dort blieben sie vor der Türe stehen, um zu belauschen, was sich begäbe, wenn Gutbrand seinem Weibe Rechenschaft ablegen würde von seinem guten Handel.

«Guten Abend», sagte Gudbrand, als er in die Stube trat. «Gottlob, daß du wieder da bist!» erwiderte die Frau, «es war mir schon gar schier ein wenig Angst um dich, weil du so lange ausgeblieben bist. Hast du die Kuh gut verkaufen können?»



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«O ja, wie man's nimmt», sagte Gudbrand. «Wie lang ich auch stand und wartete, es kam niemand, der sie kaufen wollte. Und da hab ich sie zuletzt gegen ein Pferd umgetauscht.» «Gegen ein Pferd!» rief die Frau und schlug vor Freude die Hände zusammen. «Da können wir ja künftig am Sonntag zur Kirche fahren! Wenn wir nur auch den Wagen schon hätten!» «Langsam, langsam», sagte Gudbrand, «so schnell rollen die Räder nicht, so rund sie sind, — ich hab hernach den Gaul gegen eine Geiß getauscht.» «Gegen eine Geiß!» rief wieder die Frau, «das war noch besser als das Pferd! Was wollten wir auch mit einem Pferd? Bedenk ich's recht, so wären die Nachbarn nur neidisch geworden und hätten und darob gefatzt und getratzt. Geh, stell sie gleich in den Stall !» «Nur nicht so geschwind!» sagte Gudbrand, «die Geiß hab ich gegen ein Schaf getauscht.» «Nein, war das ein guter Tausch!» rief die Frau und schlug sich auf die Hüften, daß der Rock sich fältete. «Was wollten wir auch mit der Geiß! Den lieben langen Tag hätten wir nichts anderes zu tun gehabt, als ihr durch Stauden und Steine nachzulaufen, um sie am Abend wieder heimzubringen! Da ist ein Schaf doch ganz was anderes! Denk nur, die gute Wolle, das gibt Strümpfe und Lismer für uns alle. Stell das Schaf gleich in den Stall!» «Gemach», sagte Gudbrand, «das Schaf, das hab ich gegen ein Färrlein getauscht.» «Gegen ein Färrlein!» rief die Frau, «einen besseren Tausch hättest du gar nicht machen können! Das gibt Fleisch und Fett, und erst die Würste und Schinken im Rauchfang! Was wollten wir auch mit dem Schaf? Ich hätte ja doch weder Kamm noch Haspel gehabt. Und dann erst das Spinnen und Weben! Geh, stell das Schwein in den Kofen!» «Ja, wart noch ein Weilchen», sagte Gudbrand, «das Färrlein hab ich gegen einen Hahn getauscht.» «Gegen einen Hahn! Das wäre mir wahrlich nicht eingefallen! Ein Hahn ist besser als eine Wanduhr mit Schlagwerk! Der wird uns morgens beizeiten


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aus den Federn krähen, indes die anderen alle noch schlafen. Und bis sie aufstehen, haben wir das halbe Tagewerk schon getan. Es heißt nicht vergebens: Morgenstund hat Gold im Mund. Was wollten wir auch mit dem Schwein? Wir hätten's mit der Zeit rupis stupis aufgegessen, und dann wär's alle gewesen, und wir hätten nichts mehr gehabt. Nein, so ein Hahn auf dem Mist, da hat man doch alleweg seine Freude dran! Geh, sperr ihn für heute in den Holzschopf, daß der Fuchs ihn nicht holt!» «Hör, Frau», sagte Gudbrand, «den Hahn hab ich auch nicht mehr. Weißt du: Ich wurde unterwegs aufs Mal so hungrig, daß ich glaubte, ich käme nimmermehr heim, und da hab ich den Hahn gegen ein gutes Mittagessen getauscht.» «Gott und allen Heiligen sei's gedankt, daß sie dir das eingegeben!» rief die Frau und umarmte den Mann, «denk nur, was hätte auch aus mir und den Kindern werden sollen, wenn du auf dem Wege Hungers gestorben wärest! Und was wollten wir auch mit dem Hahn! Jetzt werden wir nicht zu nachtschlafender Zeit aus dem besten Schlummer geschreckt, und können am Sonntagmorgen liegen bleiben, solange es uns gefällt. Meinst du nicht auch?» Da tat Gudbrand die Tür auf: «Nun, macht die hundert Taler heraus», sagte er zu den Nachbarn, die mit langen Gesichtern draußen standen. «Ja, der Teufel hat's gesagt: Dem Einfältigen sind Gott und die Weiber hold, und allerwegen ist das Glück mit ihm», sagten diese und holten das Geld.


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DIE DREI TÖCHTERE

En Bur het drei Töchtere gha, die si eppis yfältig, ugschicht gsi u mit dem Sack gschlage. Dem Bur wär es schier en Ehr gsi, wenn syner Töchtere ahi hätte chönne hürate. Är het ne darvoa gsyt; da ist ne grüseli angst woarde un sie hei du welle hürate; er seit ne aber darby, är weil ne e Dorfet areise un de weil är ne's de abringe u für sie rede, Numine sähe sie de d's Mul halte. Un du gly druf het är ne es Paar Buebe zummene Mähli yglade, d's Flysch het me übertoa un d's Mähli akommediert u gsotte. Darmit het är ne welle zeige, daß är e ryche Bur sygi. Die Töchtere het's afange blanget und si usi ga achte, ob's fit gly rücki; es het si darby aber Wunder gnoa, wie de das Züg ablaufi; und eini chunnt du zur Tür ynhi z'springe u syt: «Au du, d's Flysch ist schottets.» Die Zweiti louft ere nah und syt: «Waßt du nüt, daß me nüt zäge scholl?» Die Dritti het du Fröud gha und seit du noa: «Guot, ih nüt zyt ha, ih de Ma chumme!» Es het du aber Kene glustet, wo sie ghört hei, wie sie rede, und us der Hürat het's du nüt gä.


DER HIRT UND DER BAR

Einem Hirten, der im Walde nach einem entlaufenen Rinde suchte, begegnete plötzlich auf einem kaum fußbreiten Pfade am Rand einer Fluh ein großmächtiger Bär. Beide blieben stehen und musterten einander. «Mach mer keini Stempeneie, du Stopfli», sagte der Hirt, «lueg, i mueß do dure-nund wenn's all Mumpfel en Ma chost. Gschwind, gang mer us Weg, i ha my Bsunderig gern apartig!» Da stund der Bär auf die Hinterbeine und zeigte dem Fürchtenichts seine Pratzen und seine Zähne. «Jä, so, umtrohlet isch au gfalle», sagte



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der Hirt, «witt mi, so Boi mi, aber heb sorg, susch chuntsch frörnd Händ j d'Hoor über.» Da erhob der Bär fauchend seine Tatzen. «Chumm nume z'Tanz, du Donners Läcker, wenn's di glustet! I will di scho päckle, daß warm git!» Da brummte der Bär und bewegte sich vor. «So jez isch de gnueg, du Fekkelschätzer, du muesch mer hindersig uf Rom!» rief da der Hirt und umschlang den Meister Mutz mit nervigen Armen, als wär's am Schwinget auf ebenem Grasboden - und beide stürzten über die Fluh ab. Der Bär, der schwerer war, kam im Falle unten zu liegen und blieb tot auf der Stelle. Mit einem Ruck löste sich der Hirt aus der Umschlingung und stand auf. «So gsehsch jez, du Thorejoggel, was hani der gseit, jez bisch du tot, i aber nit!»


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D'S WETTER IST GUOT

Emal sy an guote, brave Bur gsi, wa niemal über d's Wetter gfuchtot hät, es hei megu si, wettigs es wellu hei. We's oich noch so ulustigs und leids Wetter gmacht hät, so hei er allzyt gseit: «D's Wetter ist guot, d's Wetter ist guot!» — Zuo der Zyt, wa der Glycho gstorbun und Lych ufglägu hät, hei es erschrecklichs wüests Wetter gmacht. Ja, am Tag, wa ma mu nu hät sellu vergrabu, sy schys Grab haibvolis Reguwasser gsi. Da beige die Totuwächter z'sämu gseit: «Was würdi der Verstorbino, wenn er noch redu chönti, z'dischum abschülichu Wetter sägu? Würdi er hüt oich sägu: «D's Wetter ist guot?» Da beige schich der Toto, wan er Lych ufglägu hät, üfghäbet und mit lüter Stimm gseit: «Ja, d's Wetter ist guot!» Und drüf schich wieder niedergleit und wieder an toti Lych gsi wie derfir.



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WORTERKLÄRUNGEN


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NACHWEIS EINGESEHENER BUCHER UND WERKE



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Walter Keller: Tessiner Märchen. Frauenfeld u. Leipzig 1927. — Tessiner Sagen. Basel 1930.

C. Kohlrusch: Schweizerisches Sagenbuch, nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen herausgegeben. Leipzig 1854.

Georg Küeffer: Sagen aus dem Berner Land. Bern 1925.

J. Kuoni: Sagen des Kantons St. Gallen. St. Gallen 1903.

Lautbibliothek: Texte zu den Sprachplatten des Institutes für Lautforschung an der Universität Berlin, hrsg. von D. Westermann. Leipzig 1935.

Alois Lütolf: Sagen, Bräuche und Legenden aus den fünf Orten: Luzern, Un, Schwyz, Unterwalden und Zug. Luzern 1865.

L. Meyer: Sagen vom Turtmantal. Jahrbuch des Schweizerischen Alpenclubs 1923.

Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 230 vom Donnerstag, 25. September 1817.

Joseph Müller: Sagen aus Un. I. Basel 1926. II. Basel 1929.

Franz Niederberger: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Unterwalden. I/III. Sarnen 1909.

A. Oberholzer: Thurgauer Sagen. Frauenfeld 1912.

J. J. Reithard: Geschichten und Sagen aus der Schweiz. Frankfurt a. M. 1853.

Ernst Ludwig Rochholz: Schweizer Sagen aus dem Aargau. I/II. Aarau 1856. — Naturmythen. Neue Schweizer Sagen. Leipzig 1862.

Peter Joseph Ruppen und Moritz Tscheinen: Walliser Sagen. Sitten 1872.

N. Senn: Bündnerische Volkssagen. Chur 1854.

Walter Senn: Charakterbilder Schweizerischen Landes, Lebens und Strebens. Glarus 1870.

Franz Joseph Schild: Aus dem Leberberg. Gedichte und Sagen in Solothurner Mundart. Solothurn 1860.

Christian Schneller: Märchen und Sagen aus Wälschtyrol. Innsbruck 1867.

M. Sooder: Sagen aus Rohrbach. Huttwil 1929.

G. Stebler: Sonnige Halden am Lötschberg. Bern 1914.

J. Stutz: Sieben mal sieben Jahre aus meinem Leben. Pfäffikon 1853.

Otto Sutermeister: Kinder- und Hausmärchen aus der Schweiz. 2. Auflage. Aarau 1873. — Die Schweizerischen Sprichwörter der Gegenwart. Aarau 1869.

Schweizer Archiv für Volkskunde (Zürich). Basel 1897 ff. II, VI, VII, VIII, X, XIII, XVI, XVII, XXV.

Schweizer Blätter, St. Gallen 1832.

Der Schweizerische Erzähler. Schwyz 1856.

Schweizerische Monatsschrift des Literarischen Vereins in Bern. Schaffhausen 1858.

Ludwig Tobler: Schweizerische Volkslieder. I/II. Frauenfeld 1884.

Theodor Vernaleken: Alpensagen. Volksüberlieferungen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich. Wien 1858.



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F. J. Vonbun: Beiträge zur deutschen Mythologie, gesammelt in Churrhätien. Chur 1862. — Die Sagen Vorarlbergs. 2. Auflage. Innsbruck 1889.

C. Wälti: Blumen aus den Alpen. Bern 1841.

Walliser Sagen: Herausgegeben von dem Historischen Verein von Oberwallis. 1/II. Brig 1907.

J. R. Wyss: Idyllen, Volkssagen, Legenden und Erzählungen aus der Schweiz. Bern 1815/1822.

Paul Zaunert: Deutsche Märchen aus dem Donaulande. Jena 1926.

Zeitschrift für Volkskunde. Berlin 1891 ff. XVI.

Ignaz Vinzenz Zingerle: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Tyrol. Innsbruck 1859.

Für den Wortlaut zweier Stellen auf 5. 78 und S. 170 bin ich Arnold Büchlis Neubearbeitung des gesamten Schweizerischen Sagenschatzes (Schweizer Sagen I/III ohne Jahr bei H. R. Sauerländer in Aarau erschienen) verpflichtet; desgleichen auf S. 63 und 5. 170 Meinrad Lienerts Schweizer Sagen und Heldengeschichten (24. Auflage bei Eduard Salchei in Bern). Die Mundartstücke auf den 5. 150, 178, 195, 214 sind mit gütiger Erlaubnis des Sammlers den «Sagen aus Rohrbach» von M. Sooder entnommen, jedoch mit geringfügigen Änderungen.

Herrn Erwin Burckhardt in Basel habe ich für zahlreiche Handreichungen bei der infolge räumlicher Entfernung und auf Grund der Zeitverhältnisse oft umständlichen Beschaffung des Quellenmateriales und für verschiedene Hinweise zu danken, dem Schweizerischen Idiotikon in Zürich für freundliche Beihilfe bei der Erstellung des Wörterverzeichnisses, das vor allem auch dem nichtschweizer Leser dienen möge. Den im vorliegenden Bande vereinigten Sagen aus allen Landesteilen und Gegenden des Schweizerlandes bietet die 1937 von den «Schweizer Bücherfreunden» in St. Gallen herausgegebene Sammlung «Vo chlyne Lüte, Zwergensagen, Feen- und Fänggengeschichten aus der Schweiz» eine reichhaltige Ergänzung, sowie «Das Schweizer Märchenbuch", herausgegeben im Auftrag der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde, Basel 1940 bei Helbing und Lichtenhahn, beide mit Bildern von Berta Tappolet in Zürich.

Oslo, Johanni 1941. C. E.-F.