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IWAN — JOHANNES
Dreißig der schönsten russischen Märchen |
1 Arschin 1 Werst 1 Pud Bojaren Pope Wojewode Gusli Kwas Tscherkassy |
=71cm =I Elle
= 1066 m
= 40 russische Pfund = 40 X 400 gr
Adel
Priester
Oberster einer Stadt und des dazugehörigen Landkreises, im
Kriege Feldherr Saiteninstrument gegorenes Getränk aus Brot und Zucker, unter Zusatz von Weinbeeren Stadt am Schwarzen Meer, bekannt durch seine Lederwerkstätten |
VORWORT
Vorliegende Märchen sind alle ohne Ausnahme aus der Sammlung «Narodnyja russkija skaski» von A. N. Afanasjev, Moskau 1861
Afanasjev - der russische Grimm, wie man ihn auch nennt - lebte von 1826 bis 1871. Sein Werk ist bedeutungsvoll, wie das aller großen Sammler. Bei ihm aber kommt noch etwas Besonderes hinzu: Der schier unübersehbare Schatz der russischen Märchen blieb in den weiten, einsamen, noch nicht der Zivilisation verfallenen Gegenden Rußlands als altes Kulturgut größtenteils unverändert bewahrt, und man kann gerade an diesen Märchen die Urform des Märchens überhaupt erkennen.
Afanasjev sagt: «Das Volk hat es sich nicht ausgedacht, es erzählte von dem, woran es glaubte, und darum hat es in seinen Erzählungen vom Übersinnlichen mit richtigem Takt Wiederholungen betont und hat seiner Phantasie nicht erlaubt, die Grenzen zu überschreiten und sich in einer Welt von unheimlichen Vorstellungen zu verlieren. Bei aller Einförmigkeit, die man in diesen volkstümlichen Überlieferungen trifft, enthalten sie doch so viel wahre Poesie und rührende Szenen.»
Afanasjev nennt die Märchen Erzählungen vom Übersinnlichen. Wurde doch in jener Zeit noch gewußt, was im Zeitalter des Materialismus weitgehend verlorengegangen ist: Märchen sprechen vom übersinnlichen Wesen des Menschen. Sie stammen aus einer Zeit, in der der Mensch in einer inneren Bildschau lebte und diese Bilder formte in der Bildsprache. Einmal war die innere Bildschau Gemeingut aller Völker. Ihr höchster Niederschlag war der Mythos. Der Mensch sah die Schöpfung der Welt, ihre Entwicklung und fortwährende Wandlung, in die er als seelisch-geistiges Wesen lebendig einbezogen ist, im inneren Wahrbild, in der Imagination (imago =Bild).
Man könnte dieses hellsichtige Naturbewußtsein auch «Wesensbewußtsein» nennen, denn solange es waltete, war der Mensch mehr mit dem inneren Wesen der Dinge verbunden, als mit dem gegenständlichen Äußeren. Manche Naturvölker leben noch teilweise in diesem Bewußtsein. Ein letzter dekadenter Rest jener uralten Fähigkeit ist auch bei uns, noch vorhanden: der nächtliche Traum. Wohl ist der Traum meist ein chaotischer Abklatsch der Tagesereignisse, aber hin und wieder werden noch tiefere Bewußtseinsschichten ergriffen, und es erzeugt sich das Wahrbild. So selten der echte Traum heute geworden ist - er ist noch nicht ausgestorben und ist ein bedeutsamer Hinweis auf jene fast erstorbene Fähigkeit der Imagination. Das
imaginative Natur-Bewußtsein bildete sich zurück, als das Denken erwachte, und erlosch schließlich ganz, als dieses abstrakt geworden war und sich mehr und mehr zum einseitigen Intellekt entwickelt hatte. Aber durch lange Zeiträume blieb das Denken noch bildhaft. In Mythen und Sagen wurde in der Bildsprache niedergelegt, was ehemals hellsichtig traumhaft geschaut worden war. Als der Mensch immer mehr sein persönliches Wesen erfaßte und dessen Entwicklung begriff, entstanden die Märchen. Während der Mythos von der göttlichen Überwelt spricht und die Heldensage vom Schicksal des Volkes und seiner Führer, spricht das Märchen vom Schicksal des einzelnen Menschen. Märchen sind Seelenwege in Bildern.Nun können wir bei allen Märchen deutlich verschiedene Arten unterscheiden: Streng gefügte Gleichnisse seelischer Erlebnisse, innere Entwicklungswege und andere, aus Scherz und Neckerei entsprungene, der Fabel verwandte Märchen.
Afanasjev: «Wie alle volkstümlichen Schöpfungen atmen diese Märchen poetische Reinheit und Wahrhaftigkeit. Mit kindlicher Naivität und Einfachheit vereinigen sie - oftmals grob - ehrliche Aufrichtigkeit und geben ihre Erzählungen ohne versteckte Ironie und falsche Sentimentalität. Wir sprechen von den Märchen ältester Herkunft. Bei den späteren ordnet sich das Märchen neueren Anforderungen unter, die mit der neueren Lebensführung zusammenhängen, und wird ein gehorsames -Werkzeug-des volkstümlichen Humors und der Satire und verliert die ursprüngliche Einfalt des Herzens.»
Diese Märchen «ältester Herkunft» zeigen deutlich, daß sie nicht der naiven Bildschau allein entsprossen sind. Lückenlos reiht sich in ihnen Bild an Bild. Innere Seelenwege werden mit solcher Prägnanz geschildert und Wandlungen und Entwicklungen aus einer so umfassenden Erkenntnis des Menschenwesens heraus, daß man voller Ehrfurcht die Hand des Eingeweihten erkennt. Und so kann man sagen: Diese Märchen sind ausgegangen von Wissenden, denen die innere Bildschau noch völlig gegeben war, und die aus einer großen Überschau heraus die besonderen Anlagen und Aufgaben eines Volkstums erfaßten. Sie zeigten in ihren Märchen Wege, die gerade diese Volksseele und damit auch jede einzelne Seele zu gehen hat, damit sie ihren Beitrag leistet an dem großen sich fortbildenden Wesen «Menschheit». Die russischen Afanasjev-Märchen haben den nicht genug zu schätzenden Vorzug, daß viele von ihnen die Urform des Märchens schlechthin zeigen, wo Bild und Wort noch eines sind. Ihr eigentümlicher holzschnittartiger Stil, der dem Übersetzer gerade in seiner Einfachheit nicht geringe Mühe bereitet, zeigt uns die alte Gleichnissprache in seltener Reinheit. Jeder Satz ist ein Bild. Man könnte von einem Bild-Kanon sprechen. Darum die fortwährende Wiederholung des vollen Namens, selten ersetzt durch ein persönliches Fürwort,
darum die in knappen Hauptsätzen fortschreitende Handlung, der Verzicht auf Relativsätze und das Beiwerk füllender und schmückender Worte. Darum auch die Einförmigkeit der Darstellung, die rhythmischen wörtlichen Wiederholungen, der sparsame Ausdruck.Wir sind durch die gemüthafte Sprache der Grimmschen Märchen einen ganz bestimmten Märchenstil gewohnt und sind versucht, ihn für den allein gültigen zu halten. Aber die Gebrüder Grimm waren Romantiker und haben - wie sie selber sagen - auf ihre eigene Weise gestaltet und ihre Erzählungen in langer Arbeit ausgeformt. Es war vor allem Wilhelm, der den alten Gleichnis-Kanon auflockerte, durch das ausgestaltete Satzgefüge und das Rankenwerk poetischer Ausdrücke. Jakob, der Mythologe, sah in den Märchen «Urkunden einer vergangenen epischen Poesie», und diese epische Poesie war ihm die Einheit von Bild und Wort in der knappsten Ausdrucksweise. «Die Urfassung der Märchen nach der Originalhandschrift der Abtei Ölenberg im Elsaß», herausgegeben von Josef Lefftz, sowie «Die Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm in ihrer Urgestalt» von Friedrich Panzer lassen uns erkennen, daß den deutschen Märchen ursprünglich derselbe strenge Bild-Kanon zu Grunde gelegen hat.
In Rußland blieb diese alte Form länger bewahrt als im Westen. Der Stamm der Märchen-Erzähler reicht herauf bis in die heutige Zeit.
In dieser Ausgabe ging es darum, die Bilder in absoluter Treue in die deutsche Sprache zu übertragen. Dazu war ein Erarbeiten der inneren Bilder notwendig, weiterhin ein Erarbeiten der geschilderten Seelenwege und ihrer Bedeutung. Es mußte verzichtet werden auf jede gefällige Auflockerung der Sprache, damit die Einheit von Wort und Bild möglichst bewahrt blieb. Es mußte ferner für jedes Bild das deutsche Wort gefunden werden, durch welches im deutschen Leser das innere Bild wieder rein erweckt wird. Darum wurde auch auf Ausdrücke verzichtet, die billig von vornherein den russischen Charakter aufprägen. Der Begriff des inneren Königtums, der königlichen Menschenwürde, erbildet sich beim deutschen Leser schneller an den Worten König, Königin, Königssohn als an Zar, Zarin, Zarewitsch. Um aber denen gerecht zu werden, die bei vorhandenen typisch russischen Namen auch nach der russischen Bezeichnung verlangen, wurde es in einzelnen Märchen belassen. Jeder kann sie dann so weitererzählen, wie er es wünscht.
Was das eigentlich Russische dieser Märchen bedingt, liegt in ihren Inhalten. Ein Großteil der Afanasjev-Sammlung sind Iwan-Märchen, wenn auch nicht in allen der Name genannt wird (Iwan heißt Johannes). Die Durchforschung dieser Märchen führt zu einer einzigartigen Erfahrung: Geisterkenntnisse und Seelenwege des johanneischen Christentums sind darin ausgesprochen. Von dieser Erfahrung berichtet das Nachwort in der Beilage.
Es enthält einige Sinndeutungen, damit der Leser, der in die Bildersprache eindringen will, eine kleine Hilfe hat.Selbstverständlich sind diese Skizzen nur als Hilfe für die Erwachsenen gedacht. Sie gehören nicht in die Hand des Kindes. Einem Kinde darf man Märchen nicht deuten, denn es lebt ja selbst noch bis zu einem gewissen Grade im Bildbewußtsein. In ihm wiederholen sich frühe Menschheitsepochen, da noch nicht gedacht, sondern im Bilde Wahrheiten erlebt wurden. Das Kind vermag, unbelastet vom Verstand, die Bilder in ihrer inneren Wahrheit zu erleben. Es ist aber von großer Bedeutung, daß man dem Kinde echte Volksmärchen gibt, und daß diese Märchen nicht «bearbeitet» und nicht verstümmelt sind. Wer z. B. von «Grausamkeiten» im Märchen spricht, zeigt nur, daß er die Gleichnissprache nicht mehr versteht. (Wir kennen auch in der Umgangssprache den «kopflosen Menschen», sprechen davon, daß man «sein Auge auf etwas geworfen hat» u. s. f.) Werden Bilder aus dem Märchen weggelassen oder willkürlich ergänzt, so leidet der innere Wahrheitsgehalt. Solche Märchen schaden letzten Endes der Seele des Kindes, während echte Wahrheiten in echten Bildern ernähren und aufbauen.
Durch diese Johannes-Märchen vermag das Kind auf völlig undogmatische Weise einen Schatz christlicher Weisheit in sein Gemüt aufzunehmen.
Friedel Lenz
MORGENROT, ABEND UND MITTERNACHT
In einem Reiche lebte einmal ein König, der hatte drei Töchter von unbeschreiblicher Schönheit. Er hütete sie mehr als seine Augen, richtete ihnen unterirdische Säle ein und setzte sie dort hinein, damit kein feindlicher Wind sie berühren oder die grelle Sonne sie mit einem Strahl versengen könne. Da saßen sie -gerade wie Vögelchen -in einem Käfig.
Eines Tages lasen die Königstöchter in einem Buche, daß über ihnen eine wunderbare helle Welt sei; und als der König kam, sie zu besuchen, fingen sie an, ihn unter Tränen zu bitten: «Herr, du unser Väterchen, lass' uns die helle Welt anschauen, im grünen Garten lustwandeln!» Der König hätte es ihnen gerne ausgeredet, aber sie wollten nicht auf ihn hören. Je mehr er es ihnen verweigerte, desto mehr bedrängten sie ihn. Schließlich gab er ihrem unaufhörlichen Verlangen nach, und die Königstöchter stiegen hinauf in die helle, freie Welt. Sie lustwandelten in dem grünen Garten, sie sahen die leuchtende Sonne, die Bäume und die Blumen und freuten sich über die Maßen, daß ihnen die helle Welt erschlossen war. Sie liefen umher um zu spielen, jedes Kräutlein bewunderten sie. Da kam plötzlich ein stürmischer Wirbelwind daher, erfaßte die Jungfrauen und trug sie hoch hinauf und weit davon. Kein Mensch wußte wohin.
Die Ammen und Wärterinnen erschraken heftig und liefen zum König, um es ihm anzuzeigen. Der König sandte sofort seine treuen Diener nach allen Seiten aus und versprach jedem, der die Spuren der Entführten ausfindig machen könnte, eine hohe Belohnung. Die Diener ritten und ritten, suchten und suchten, aber sie konnten nichts erkunden. Und so, wie sie ausgezogen waren, kehrten sie wieder zurück.
Da rief der König seinen großen Rat zusammen und fragte die Bojaren, wer es unternehmen wolle, seine Töchter zu suchen. Wer sie fände, dem wolle er eine der Jungfrauen zur Gemahlin geben, mit großer Mitgift und mit reichen Schätzen für das ganze Leben. Er fragte einmal - die Bojaren schwiegen; er fragte zweimal - nicht ein halbes Wörtchen kam als Antwort; er fragte dreimal - alles blieb stumm. Da vergoß der König bittere Tränen: «Jetzt weiß ich gewiß, daß ich weder Freunde noch Verteidiger habe.» Und er befahl, im ganzen Reiche ausrufen zu lassen, ob sich nicht im einfachen Volke einer fände, der es wagen wollte, die Königstöchter zu suchen.
Zu derselben Zeit lebte in einem Dorfe eine arme Witwe, welche drei
Söhne hatte, hochmächtige Helden. Alle drei waren in ein und derselben Nacht geboren, der Älteste am Abend, der Mittlere um Mitternacht und der Dritte ums frühe Morgenrot. Danach wurden sie Abend, Mitternacht und Morgenrot genannt. Als der Aufruf des Königs zu ihnen gelangte, nahmen sie sogleich den Segen der Mutter, machten sich auf den Weg und fuhren in die Hauptstadt. Sie gingen zum König, verbeugten sich tief vor ihm und sprachen: «Viele Jahre mögest du leben, o Herr und König! Wir kamen zu dir, nicht um ein Fest zu feiern, sondern um dir einen Dienst zu leisten. Erlaube uns, daß wir ausziehen, um die drei Königstöchter zu suchen.»«Heil euch, wackere Jünglinge!» rief der König. «Wie heißet ihr?»
«Wir sind drei leibliche Brüder, Morgenrot, Abend und Mitternacht.»
«Womit kann ich euch für den Weg ausrüsten?»
«Wir haben nichts nötig, o Herr, achte du nur auf unsere Mutter. Verlasse sie nicht in ihrer Armut, in ihrem Alter!»
Der König nahm die Alte an den Hof und befahl, ihr Speise und Trank von seinem Tische zu geben und sie mit Kleidern und Schuhen aus seinen Vorräten wohl zu versehen.
Die wackeren Burschen machten sich auf den Weg. Sie zogen einen Monat. einen zweiten und einen dritten. Endlich kamen sie auf eine weite, öde Steppe. An jene Steppe grenzte ein dichter Wald, und an diesem Walde stand eine kleine Hütte. Sie klopften ans Fensterchen, aber niemand meldete sich. Sie traten durch die Tür, niemand war darinnen. «Nun, Brüder», sagten sie zueinander, «laßt uns hierbleiben und von dem langen Wege ruhen!» Sie zogen ihre Kleider aus, beteten zu Gott und legten sich schlafen.
Am Morgen sprach der jüngste Bruder Morgenrot zum ältesten, namens Abend: «Ich will mit Mitternacht auf die Jagd gehen, bleibe du zu Hause und bereite uns das Mittagsmahl!» Der älteste Bruder stimmte zu. Neben jenem Hüttchen aber war ein Stall voller Schafe. Abend bedachte sich nicht lange, holte den besten Hammel, schlachtete ihn, weidete ihn aus und briet ihn zum Mahle. Und bereitete alles, wie es nötig war. Dann legte er sich auf das Bänklein um auszuruhen. Auf einmal klopfte und lärmte es, die Tür öffnete sich, und herein trat ein altes Männchen, so klein wie ein Fingernagel mit einem ellenlangen Barte. Zornig blickte es um sich und schrie: «Wie durftest du in meinem Hause wirtschaften, wie durftest du meinen Hammel schlachten?»
«Wachse erst, sonst sieht man dich nicht», antwortete Abend, «oder ich nehme einen Löffel Kohlsuppe und einen Krumen Brot und werfe dir damit die Augen zu!»
«Ich bin klein, aber tüchtig!» schrie das Männlein mit dem langen Bad zornig, ergriff ein Ränftlein Brot und fing an, Abend auf den Kopf zu schlagen. Halbtot schlug es ihn. Als kaum noch Leben in ihm war, warf es ihn unter
die Bank, dann aß es den gebratenen Hammel auf und ging wieder zurück in den Wald. Abend verband sich den Kopf mit einem Lappen, lag da und stöhnte.«Was ist mit dir geschehen?» fragten die Brüder, als sie zurückkehrten.
«Ach, ihr Brüder, ich zündete den Ofen an, und der Dunst machte mir Kopfweh. Den ganzen Tag wälzte ich mich so herum, ich konnte weder kochen noch braten.»
Am andern Tag ging Morgenrot mit Abend auf die Jagd, und Mitternacht blieb zu Hause, um die Mahlzeit zu bereiten. Er blies das Feuer an, holte den fettesten Hammel, schlachtete ihn und stellte ihn in den Ofen. Dann legte er sich auf das Bänklein. Plötzlich lärmte und klopfte es, und herein kam das alte Männlein, einen Fingernagel groß, mit dem ellenlangen Bart. Es fiel über Mitternacht her und schlug auf ihn los, fast hätte es ihn erschlagen. Dann aß es den gebratenen Hammel und ging fort in den Wald. Mitternacht verband sich den Kopf mit seinem Sacktuch, lag unter der Bank und ächzte. Die Brüder kehrten zurück. «Bruder, was ist mit dir?» fragte Morgenrot.
«Ich wurde von Rauch und Hitze betäubt, Brüder, mein Kopf ist wie zerstückt. Die Mahlzeit konnte ich nicht bereiten.»
Am dritten Tage gingen die beiden ältesten Brüder auf die Jagd, und Morgenrot blieb zu Hause. Er fing den besten Hammel, den er nur finden konnte, schlachtete ihn, weidete ihn aus und briet ihn. Dann legte er sich auf das Bänklein.
Plötzlich klopfte und lärmte es, und das alte Männlein, einen Fingernagel groß, mit dem ellenlangen Barte, kam auf den Hof. Auf dem Kopfe schleppte es einen ganzen Schober Heu, und in den Händen trug es eine große Kufe Wasser. Es stellte die Kuf bin, breitete das Heu aus und fing an, die Schafe zu zählen. Als es sah, daß wieder ein Hammel fehlte, wurde es zornig, rannte zum Hüttchen, warf sich auf Morgenrot und schlug ihn heftig auf den Kopf.
«Wer die Furt nicht kennt, sollte nicht ins Wasser gehen!» rief Morgenrot, sprang auf, packte den Alten an seinem langen Barte und zerrte ihn hin und her.
«Erbarme dich, hochmächtiger Held!» stöhnte der Alte. «Liefere mich nicht dem Tode aus, lass' die Seele Buße tun!»
Morgenrot schleifte ihn auf den Hof hinaus, brachte ihn zu einem eichenen Pfahl und klemmte ihm den Bart mit einem eisernen Keil in den Pfosten. Darauf kehrte er in die Hütte zurück und setzte sich hin, um die Brüder zu erwarten. Die Brüder kamen von der Jagd zurück und wunderten sich, daß Morgenrot heil und unversehrt war. Morgenrot lächelte und sprach: «Kommt her, ihr Brüder, seht, ich habe euren Dunst gefangen, am Pfosten habe ich ihn festgebunden!»
Sie gingen auf den Hof hinaus und schauten, doch das Männlein war längst davon, nur die Hälfte des Bartes war geblieben und wehte am Pfosten hin und her. Dort, wo es gelaufen war, lag Blut.
Die Brüder folgten dieser Blutspur und kamen zu einem tiefen Spalt in der Erde. Morgenrot ging in den Wald, holte Bast und focht daraus ein Seil. Dann forderte er die Brüder auf, ihn in die Erde hinunterzulassen, und Abend und Mitternacht ließen ihn hinab.
Als Morgenrot in der unterirdischen Welt angekommen war, band er sich vom Seile los und ging, wohin die Augen schauen. Er ging und ging, auf einmal stand er vor einem kupfernen Schlosse. Da trat er hinein und sieh, die jüngste Königstochter kam ihm entgegen, röter als eine Purpurblume, weißer als weißer Schnee. Sie sprach ihn freundlich an: «Wie kamst du hierher, braver Jüngling? Kamst du freiwillig oder aus Zwang?»
«Dein Vater sandte mich, euch Königstöchter zu suchen.»
Sogleich setzte sie ihn an den Tisch, gab ihm Speise und Trank und reichte ihm ein Bläschen mit stärkendem Wasser: «Trinke dieses Wasser, dann wird deine Kraft sich mehren!» Morgenrot trank das Bläschen aus, und alsogleich fühlte er große Kraft in sich. «Jetzt werde ich jeglichen Feind überwinden», dachte er. Auf einmal erhob sich ein stürmischer Wind, und die Königstochter erschrak: «Jetzt kommt mein Drache geflogen!» Sie nahm Morgenrot an der Hand und verbarg ihn in der anderen Kammer. Ein dreiköpfiger Drache kam die feuchte Erde und in einen kühnen Burschen. «Ha», rief er, «ich wittere russischen Geist! Wer ist bei dir zu Caste?»
«Wer sollte bei mir sein», sagte die Königstochter, «du flogst ja durch Rußland, hast selbst russischen Geist in dich aufgenommen, darum witterst du ihn hier!»
Der Drache verlangte zu essen und zu trinken. Die Königstochter brachte allerlei Speisen und Getränke, aber sie streute Schlafkräuter in diese Getränke. Der Drache aß und trank und fing an schläfrig zu werden. Er zwang die Jungfrau, ihm den Kopf abzusuchen. Er legte ihn auf ihre Knie und fiel in einen kräftigen Schlaf. Da rief die Königstochter Morgenrot zurück. Er kam herein, schwang sein Schwert und hieb dem Drachen alle drei Köpfe ab. Darauf errichtete er einen Scheiterhaufen, verbrannte den Unreinen und streute die Asche über das freie Feld.
«Lebe wohl, Königstochter», sagte er zu der Jungfrau. «Ich gehe, um deine Schwestern zu suchen, und wenn ich sie gefunden habe, kehre ich zurück, um dich zu holen.» Und damit machte er sich auf den Weg.
Er ging und ging, und sieh, da stand ein silbernes Schloß. Darinnen wohnte die mittlere Königstochter. Morgenrot tötete den sechsköpfigen Drachen und ging weiter.
Über kurz oder lang kam er zu einem goldenen Schlosse, in dem die älteste der drei Königstöchter lebte. Auch hier tötete er den Drachen, den mit den zwölf Köpfen, und befreite die Jungfrau aus der Gefangenschaft. Die Königstochter freute sich überaus und fing an, zur Heimkehr zu rüsten. Sie trat auf den weiten Hof hinaus und winkte mit einem roten Tüchlein. Da rollte sich das Königreich zusammen in ein kleines goldenes Ei. Das Ei nahm sie, steckte es in ihre Tasche und ging mit Held Morgenrot, die Schwestern zu holen. Alle beide taten dasselbe: jede rollte ihr Königreich zusammen in ein Ei. Das goldene, das silberne und das kupferne Ei nahmen sie mit sich und begaben sich zu jenem Spalt in der Erde. Abendrot und Mitternacht zogen die drei Königstöchter und Morgenrot, ihren Bruder, in die helle Welt hinauf. Dann kehrten sie zusammen heim in ihr Reich.
Als sie dort angelangt waren, rollten die Königstöchter ihre Eier auf das freie Feld, und sogleich erschienen die drei Königreiche: das kupferne, das silberne und das goldene. Der König freute sich so sehr, daß man es gar nicht sagen kann. Sogleich wurden Morgenrot, Abend und Mitternacht mit seinen Töchtern vermählt, und bei seinem Tode machte er Morgenrot zu seinem Erben.
DAS KUPFERNE, DAS SILBERNE UND DAS
GOLDENE KÖNIGREICH
In einem Reich, in einem Königreich, lebte einmal ein König Bjäl Bjäljanin, der hatte eine Frau, Anastasia mit den goldenen Flechten, und drei Söhne, Basilius, Peter und Johannes.
Eines Tages ging die Königin mit ihren Ammen und Wärterinnen in den Garten lustwandeln. Da erhob sich plötzlich ein heftiger Sturmwind, ergriff die Königin und trug sie fort - Gott weiß wohin. Der König geriet darüber in große Trauer und wußte sich keinen Rat.
Als die Söhne herangewachsen waren, sagte er zu ihnen: «Meine lieben Kinder, wer von euch will ausziehen, um die Mutter zu suchen?»
Die beiden ältesten Söhne waren dazu bereit, rüsteten sich und machten sich auf den Weg. Nach ihnen bat auch der jüngste, Johannes, fortziehen zu dürfen. «Nein, mein Söhnchen», sagte der König, «reite du nicht von mir fort, lass' mich alten Mann nicht allein!»
«Erlaube es mir doch, liebes Väterchen! Ums Leben gern möchte ich in die weite Welt ziehen und mein Mütterchen suchen.»
Der König wollte es ihm ausreden, aber es gelang ihm nicht. Er sprach
lange dagegen, und schließlich gab er nach: «Nun, wenn gar nichts zu madien ist, dann ziehe fort -Gott mit dir!»Königssohn Johannes sattelte sein braves Pferd und machte sich auf den Weg. Er ritt und ritt - ob er lange ritt, ob nicht so lange - schnell ist ein Märchen erzählt, nicht so schnell die Tat getan. Endlich kam er in einen großen Wald, darinnen stand ein wunderbar prächtiges Schloß. Johannes ritt in den weiten Hof, erblickte einen Greis und grüßte ihn: «Mögest du noch viele Jahre gesund bleiben, guter Alter!»
«Sei mir willkommen, braver Jüngling. Sage mir, wer du bist?»
«Ich bin Johannes, der Sohn des weißen Königs Bjäl Bjäljanin und der Königin Anastasia mit den goldenen Flechten.»
«Ach, so bist du mein Anverwandter, meines Bruders Sohn! Wohin führt dich Gott?»
«Ja, das ging so zu: Ich bin ausgeritten, um mein Mütterchen zu suchen. Wenn du Vaters Bruder bist, kannst du mir dann nicht sagen, wo sie zu finden ist?»
«Nein, Brudersohn, das weiß ich nicht. Aber soweit ich kann, will ich dir gerne helfen. Hier gebe ich dir eine Kugel, wirf sie hin, sie wird vor dir herrollen und wird dich zu hohen steilen Bergen hinführen. In jenen Bergen ist eine Höhle, in die gehe hinein. Dort wirst du Steigeisen finden, befestige sie an Händen und Füßen und klettere damit hinauf. Vielleicht findest du dort oben deine Mutter Anastasia mit den goldenen Flechten.»
Königssohn Johannes nahm Abschied von seinem Oheim, ließ das Kügelchen fallen, und sogleich rollte es ihm voraus auf dem Weg. Es rollte und rollte, und er ritt hinter ihm her.
Über kurz oder lang kam er auf ein freies Feld. Da hatten seine Brüder Peter und Basilius mit ihren zahlreichen Kriegern ein Lager aufgeschlagen.
«Potztausend, wohin, Johannes?» riefen ihm die Brüder zu.
«Mich hat zu Hause die Sehnsucht gepackt, da kam mir's, auch ich könnte ausziehen, das Mütterchen suchen. Laßt eure Krieger nach Hause reiten, dann reiten wir zusammen!»
Das taten sie auch; sie entließen ihr Heer und folgten zu dritt dem Kügelchen des Johannes. Schon von weitem erblickten sie die Berge, die so hoch und steil waren, daß sie sich - weiß Gott - gegen den Himmelsbogen zu stemmen schienen. Schnell näherten sie sich, und die kleine Kugel rollte geradeswegs auf die Höhle zu. Königssohn Johannes sprang vom Pferde und sprach zu den Brüdern: «Hier habt ihr mein braves Roß. Ich muß nun hinauf auf die Berge steigen und unser Mütterchen dort suchen. Wartet hier auf mich, wartet drei Monate, bin ich dann noch nicht zurückgekehrt, so ist alles weitere Warten vergebens.»
Die Brüder dachten bei sich: «Wie kann man auf diese steilen Berge steigen,
ohne sich dabei Hals und Bein zu brechen?» Zu Johannes aber sagten sie: «Gut denn, gehe mit Gott! Wir werden indessen hier auf dich warten.»Der Königssohn Johannes trat an die Höhle heran und erblickte eine eiserne Tür. Mit aller Kraft schlug er dagegen, da sprang sie auf, und er trat hinein. Steigeisen hefteten sich von selber an seine Hände und Füße, und er fing an, den Berg zu besteigen. Er stieg und stieg, einen ganzen Monat lang mühte er sich, mit größter Anstrengung langte er endlich oben an. «Nun also» —sprach er zu sich selber, «gelobt sei Gott!» Er ruhte sich ein wenig aus und ging dann über die Höhen, er ging weiter und weiter, und mit einem Male stand er vor einem Schloß, das aus reinem Kupfer erbaut war. Vor dem Tore ringelten sich schreckliche Drachenschlangen, die an kupferne Ketten geschmiedet waren. Daneben stand ein Brunnen, am Brunnen hing ein kupferner Eimer, an einer kupfernen Kette hing er herab. Königssohn Johannes nahm den kupfernen Eimer, schöpfte Wasser damit und tränkte die Schlangen. Sie beruhigten sich, legten sich nieder, und er schritt an ihnen vorbei in das Schloß hinein. Fröhlich sprang die Königin des kupfernen Reiches heraus: «Wer bist du, guter Jüngling?»
«Ich bin Johannes, der Königssohn.»
«Kamst du aus freiem Willen hierher oder aus Zwang?»
«Ganz aus freiem Willen kam ich hierher. Ich suche meine Mutter, Königin
Anastasia mit den goldenen Flechten. Ein Sturmwind raubte sie aus unserem Garten. Weißt du vielleicht, wo sie zu finden ist?» «Nein, ich weiß es nicht, aber nicht weit von hier wohnt meine Schwester, die Königin des silbernen Reiches. Vielleicht kann sie es dir sagen.» Sie gab ihm eine kupferne Kugel und einen kupfernen Ring. «Dieses Kügelchen», sagte sie, «wird dich zu meiner Schwester leiten, und in diesem Ringlein ist das ganze kupferne Königreich beschlossen. Wenn du den Sturmwind besiegst, der mich hier gefangen hält und der alle drei Monate zu mir geflogen kommt, so vergiß mich Arme nicht, erlöse mich von hier und nimm mich mit dir in die freie Welt!»
«Gut», sagte der Königssohn Johannes, nahm das kupferne Kügelchen und warf es vor sich hin. Das Kügelchen rollte davon, und der Königssohn ging hinter ihm her. Er ging und ging und kam in das silberne Reich. Dort fand er ein Schloß, das noch viel schöner war, als das erste. Es war ganz aus Silber erbaut. Vor dem Tore ringelten sich schreckliche Drachenschlangen, die an silberne Ketten geschmiedet waren. Daneben stand ein Brunnen; am Brunnen hing ein silberner Eimer, an einer silbernen Kette hing er herab. Königssohn Johannes schöpfte Wasser mit dem silbernen Eimer und tränkte die Schlangen. Da legten sie sich nieder und ließen ihn vorbei in das Schloß. Heraus trat die Königin des silbernen Reiches.
«Ach», sprach sie, «es sind bald drei Jahre her, daß der mächtige Sturmwind
mich hier festhält. Ich habe noch nie den russischen Geist mit Augen gesehen, noch nie mit Ohren gehört, aber jetzt tritt der russische Geist vor meinen Augen in Erscheinung. Wer bist du, guter Jüngling?»«Ich bin Johannes, der Königssohn.»
«Wie kamst du hierher, kamst du aus freiem Willen oder aus Zwang?»
«Ganz aus freiem Willen kam ich, ich suche mein liebes Mütterchen. Sie lustwandelte einst im grünen Garten, da erhob sich ein Sturmwind und riß sie mit sich fort. Weißt du vielleicht, wo sie zu finden ist?»
«Nein, das weiß ich nicht. Aber nicht weit von hier lebt meine älteste Schwester, Elena, die Wunderschöne, die Königin des goldenen Reiches, vielleicht kann sie es dir sagen. Nimm hier das silberne Kügelchen, wirf es vor dich hin und folge seiner Spur. Es wird dich zum goldenen Königreich hinführen. Aber denke daran, wenn du den Sturmwind besiegst, vergiß mich Arme nicht, erlöse mich von hier und nimm mich mit dir in die freie Welt! Der Sturmwind hält mich gefangen und kommt alle zwei Monate zu mir geflogen.» Darauf gab sie ihm ein silbernes Ringlein: «In diesem Ringlein ist das ganze silberne Königreich beschlossen.»
Königssohn Johannes ließ das silberne Kügelchen rollen, und wohin es rollte, dahin richtete er auch seinen Schritt. Ob er lange ging oder nicht so lang - er kam an ein goldenes Schloß, das so hell wie Feuer lohte. Vor dem Tore wimmelte es von furchtbaren Drachenschlangen, die an goldene Ketten geschmiedet waren. Daneben stand ein Brunnen; am Brunnen hing ein goldener Eimer, an einer goldenen Kette hing er herab. Johannes der Königssohn schöpfte Wasser mit dem goldenen Eimer und tränkte die Schlangen. Da legten sie sich nieder und wurden still. Der Königssohn trat in das Schloß, und Elena, die Wunderschöne, kam ihm entgegen: «Wer bist du, guter Jüngling?»
«Ich bin Johannes, der Königssohn.»
«Wie kamst du hierher - kamst du aus freiem Willen oder aus Zwang?»
«Ganz aus freiem Willen kam ich, ich suche meine liebe Mutter, Anastasia mit den goldenen Flechten. Hast du Kenntnis davon, wo sie zu finden ist?» «Wie sollte ich nicht Kenntnis davon haben, sie lebt ja nicht weit von hier! Jede Woche fliegt der Sturmwind zu ihr, zu mir kommt er einmal im Monat. Hier hast du ein goldenes Kügelchen, wirf es vor dich hin und folge seiner Spur! Es wird dich dorthin leiten, wohin du mußt. Und nimm auch noch dieses goldene Ringlein! In dem goldenen Ringlein ist das ganze goldene Königreich beschlossen. Denke daran, o Königssohn, wenn du den Sturmwind besiegst, vergiß mich Arme nicht und nimm mich mit dir in die freie Welt!»
«Gut», sagte Königssohn Johannes, «ich werde dich mit mir nehmen!»
Er rollte das goldene Kügelchen vor sich her und schritt hinter ihm drein.
Er ging und ging und kam zu einem Schloß, das - o du mein Gott ganz in Diamanten und Edelgestein flammte und strahlte. Vor dem Tore zischten schreckliche Drachenschlangen. Der Königssohn tränkte sie, sie beruhigten sich und ließen ihn vorbei. Er durchschritt viele hohe Gemächer.Im allerletzten fand er seine Mutter. Sie saß auf hohem Thron, im königlichen Schmuck, mit einer kostbaren Krone gekrönt. Sie erblickte den Gast und rief: «Ach, du mein Gott, bist du es, mein geliebter Sohn? Wie kamst du hierher?»
«Auf mancherlei Weise kam ich hierher, dich zu holen!»
«Ach, lieber Sohn, das wird nicht leicht für dich sein! Wisse, daß auf diesen Bergen der böse, mächtige Sturmwind herrscht, dem alle Geister untertan sind. Er ist es auch, der mich fort trug. Du mußt mit ihm kämpfen. Wir wollen schnell in den Keller hinabgehen.»
Sie stiegen hinunter. Dort standen zwei Kufen mit Wasser, die eine zur Rechten, die andere zur Linken. «Trinke von dem Wasser, das rechts steht>', sagte die Königin Anastasia mit den goldenen Flechten. Johannes trank.
«Nun sage, wieviel Kraft hast du gewonnen?»
«Ich fühle mich jetzt so stark, daß ich das ganze Schloß mit einer Hand herumdrehen könnte.»
«Nun, so trinke noch einmal!»
Der Königssohn trank.
«Wieviel Kraft hast du jetzt?»
«Jetzt kann ich, wenn ich will, die ganze Welt umkehren!»
«Das ist schon sehr viel, mein Sohn! Nun stelle die beiden Kufen um, von einem Platz auf den anderen. Die, welche rechts steht, trage auf die linke Seite, und die, welche links steht, auf die rechte!»
Johannes, der Königssohn, nahm die Kufen und stellte sie um. «Merke es dir wohl, mein lieber Sohn, in der einen Kufe ist kräftigendes Wasser, in der anderen schwächendes. Wer sich von dem ersteren satt trinkt, wird ein großmächtiger Held, aber wer von dem anderen trinkt, wird ganz schwach. Der Sturmwind trinkt immer das Wasser der Stärke und stellt es auf die rechte Seite. Man muß ihn täuschen, sonst wird man mit ihm nie zurechtkommen.»
Sie kehrten in das Schloß zurück. «Bald wird der Sturmwind angebraust kommen», sprach die Königin zu Johannes, «setze dich unter meinen Purpurmantel, damit er dich nicht erblickt. Wenn er herbeifliegt und sich auf mich wirft, um mich zu umarmen und zu küssen, so ergreife ihn an seiner Keule. Er wird sich hoch, hoch emporheben und dich weit über Meere und Abgründe tragen. Dann sieh zu, daß du seine Keule nicht aus der Hand läßt. Der Sturmwind wird sich völlig erschöpfen und nach dem stärkenden Wasser verlangen. Er wird sich in den Keller hinablassen und sich auf die Kufe
stürzen, die rechts steht. Du aber trinke aus der Kufe, die links steht. Wenn er ganz von Kräften ist, entreiße ihm sein Schwert und schlage ihm mit einem Hiebe den Kopf ab. Hast du das getan, so werden Stimmen hinter dir rufen: Schlage noch einmal zu, schlage noch einmal zu! Du aber, mein Sohn, schlage nicht mehr zu, sondern antworte ihnen: Eine Heldenhand schlägt nicht zweimal zu, sondern macht alles mit einem Streiche.»Kaum hatte Johannes sich unter dem Purpurmantel verborgen, als sich Finsternis über den Hof legte, und der ganze Umkreis erbebte. Der Sturmwind flog heran, schlug auf den Boden, verwandelte sich in einen jungen Burschen und trat in das Schloß. In der Hand hielt er die Keule. «Fuh, fuh, was riecht bei dir nach russischem Geist? War etwa jemand hier zu Caste?»
Antwortet die Königin:
«Ich weiß nicht, warum es dir so vorkommt.»
Der Sturmwind warf sich auf sie, um sie zu umarmen und zu küssen, aber Johannes, der Königssohn, griff sogleich nach seiner Keule.
«Ich verschlinge dich», schrie der Sturmwind ihn an.
«Vielleicht -vielleicht auch nicht», spottete Johannes.
Da fuhr der Sturmwind mit dem Königssohn durch das Fenster, bis unter das Himmelsgewölbe. Er brauste mit ihm über die Berge und schrie: «Soll ich dich an den Felsen zerschmettern?» Er sauste mit ihm über die Meere und drohte: «Soll ich dich in der Tiefe ertränken?»
Umsonst, Johannes behielt die Keule fest in der Hand. Die ganze, weite Welt durchflog der Sturmwind. Endlich ermattete er und begann, sich hinunterzulassen, und ließ sich in den Keller hinab. Er stürzte zur Kufe, die zur Rechten stand und fing an, das entkräftende Wasser zu trinken. Johannes, der Königssohn, aber warf sich auf die andere Kufe, trank sich satt am kraftspendenden Wasser und wurde zum mächtigsten Helden der Welt. Als er sah, daß der Sturmwind völlig entkräftet war, entriß er ihm sein scharfes Schwert und hieb ihm mit einem einzigen Streiche den Kopf ab. Hinter ihm riefen Stimmen: «Haue noch einmal zu, haue noch einmal zu, sonst lebt er wieder auf!» Aber Johannes antwortete:
«Nein, eine Heldenhand holt nie zweimal aus - mit einem Hieb macht sie ein Ende.»
Sogleich schürte er ein Feuer an, verbrannte den Körper des Sturmwindes und auch sein Haupt und ließ die Asche im Winde verwehen.
Die Königin-Mutter aber freute sich über alles: «Jetzt lass' uns fröhlich sein, mein über alles geliebter Sohn! Wir wollen ein Mahl halten und dann so schnell wie möglich nach Hause zurückkehren, denn hier ist es so traurig, außer uns ist keine Menschenseele da.»
«Aber wer wird uns beim Mahle bedienen?»
«Das sollst du bald sehen!»
Kaum hatten sie an das Essen gedacht, so deckte sich der Tisch ganz von selber, und Speisen und Weine erschienen in Fülle. Die Königin und der Königssohn nahmen das Mahl zu sich, und eine unsichtbare Musik spielte wundersame Weisen. Als sie gegessen und getrunken hatten, ruhten sie aus. Dann sprach Johannes, der Königssohn: «Wir wollen aufbrechen, Mütterchen, es ist an der Zeit, erwarten uns doch unten am Berge die Brüder. Unterwegs müssen wir noch die drei Königinnen befreien, die der Sturmwind hier gefangen hielt.»
Sie nahmen mit, was sie brauchten, und machten sich auf den Weg. Zuerst holten sie die Königin des goldenen Reiches ab, dann die des silbernen und endlich die des kupfernen Reiches, und die drei gingen mit ihnen.
Auch ein Stück Leinwand nahmen sie mit und noch allerlei und gelangten bald an den Ort, an dem man sich von den Bergen hinunterlassen mußte. Der Königssohn ließ zuerst die Mutter auf der Leinwandbahn hinab, dann Elena, die Wunderschöne, und zuletzt ihre Schwestern. Unten am Berge standen die Brüder und warteten. Als sie die Königinnen herabkommen sahen, dachten sie bei sich: Lassen wir doch Johannes in der Höhe! Die Mutter und die drei Schwestern wollen wir zum Vater bringen und sagen, daß wir sie gefunden haben. Peter, der Königssohn, sprach: «Elena, die Wunderschöne, nehme ich für mich, du, Basilius, nimmst die Königin des silbernen Reiches, und die Königin des kupfernen Reiches geben wir zumindest einem General.»
Als Johannes, der Königssohn, an der Reihe war, sich hinabgleiten zu lassen, da griffen die älteren Brüder nach der Leinwand, zerrten daran und rissen sie ab. Königssohn Johannes mußte oben auf dem Berge bleiben. Was war da zu machen? Er weinte bitterlich und ging wieder zurück. Er ging und ging - ging durch das kupferne, das silberne und das goldene Reich - nirgends war eine Seele. Er kam wieder in das diamantene Reich, und auch da war niemand. War er denn wirklich vollkommen allein auf dem Berge? Tödliche Schwermut befiel ihn. Da sah er am Fenster des diamantenen Schlosses ein Rohrpfeifchen liegen. «Sieh da! Ich will mir eins aufspielen, das tut gut gegen die Schwermut!» Er nahm das Pfeifchen in die Hand und fing an, ein Liedchen zu pfeifen. Beim ersten Pfeifenton standen auf einmal ein Krummer und ein Lahmer vor ihm: «Was wünschest du, Königssohn Johannes?»
«Ich will essen!»
Im selben Augenblick erschien - weiß Gott woher - ein gedeckter Tisch mit Wein und Speisen allerbester Art. Johannes, der Königssohn, aß und trank und dachte bei sich: Jetzt sollte man auch ein wenig ruhen! Er blies ins Pfeifchen, und wieder erschienen der Krumme und der Lahme: «Was wünschest du, Königssohn?»
«Ein Lager soll mir bereitet werden!»
Er hatte es kaum ausgesprochen, da stand vor ihm die allerschönste Lagerstatt. Er legte sich hin, schlief sich aus und blies darauf wieder ins Pfeifchen.
«Was wünschest du, Königssohn?»
«Kann ich mir denn alles wünschen?» fragte der Königssohn.
«Ja, alles ist möglich, und nichts ist unmöglich für den, der auf diesem Pfeifchen spielen kann. Für ihn tun wir alles. Wie wir früher dem Sturmwind dienten, so freuen wir uns, jetzt dir zu dienen. Nur muß das Pfeifchen immer in deiner Hand bleiben.»
«Gut so», sagte Johannes, der Königssohn, «ich wünsche sogleich in meinem Reich zu sein!»
Kaum hatte er es gesagt, da stand er mitten auf dem Marktplatz in seinem eigenen Reiche. Er ging auf dem Markte umher, da kam ihm ein Schuhmacher entgegen, ein ganz lustiger Geselle.
«Wohin gehst du, Bäuerlein?» fragte Johannes.
«Ich bin ein Schuhmacher und bringe feine Schuhe zum Verkauf.»
«Nimm mich zum Gesellen an!»
«Kannst du denn auch Schuhe nähen?»
«Ich kann alles machen, was gewünscht wird, nicht nur Schuhe, auch Kleider kann ich nähen.»
«Nun, so komme mit!»
Als sie beim Schuhmacher daheim waren, sprach er: «So, nun zeige deine Meisterschaft! Hier hast du Leder - beste Ware - ich will sehen, was du kannst!»
Johannes, der Königssohn, ging in seine Kammer, holte das Pfeifchen hervor und pfiff. Der Krumme und der Lahme erschienen: «Was wünschest du, Königssohn Johannes?»
«Bis morgen soll ein Paar Schuhe fertig sein!»
«Das ist eine ganz geringe Gefälligkeit, das ist kein Dienst!»
«Da habt ihr das Leder dazu.»
«Das soll Leder sein? Lumpenzeug ist es, das man aus dem Fenster werfen sollte!»
Am anderen Morgen erwachte Johannes. Auf dem Tisch standen wunderschöne Schuhe von der allerbesten Sorte. Der Schuhmacher kam herein: «Nun, braver Geselle, hast du die Schuhe genäht?»
«Ja, sie sind fertig.»
«So zeige sie her!»
Der Schuhmacher besah sich die Schuhe und rief: «Da habe ich mir einen Meister gefunden! Nein, das ist nicht nur ein Meister, das ist ein wahrer Zauberer!»
Er nahm die Schuhe und brachte sie auf den Markt zum Verkauf. Zur selben Zeit wurden bei dem König Bjäl Bjäljanin drei Hochzeiten vorbereitet. Der Königssohn Peter wollte Elena, die Wunderschöne, heiraten, der Königssohn Basilius die Königin des silbernen Reiches, und die Königin des kupfernen Reiches sollte mit einem General vermählt werden. Man war gerade dabei, den Hochzeitsstaat für diese drei Hochzeiten zu beschaffen. Elena, die Wunderschöne, brauchte ein Paar Tanzschuhe. Es zeigte sich, daß unser Schuhmacher die allerschönsten Schuhe hatte, und so wurde er in das Schloß geholt. Elena, die Wunderschöne, schaute darauf und staunte: «Was ist das? Nur hoch auf den Bergen kann man solche Schuhe machen!»
Sie gab dem Schuhmacher viel Geld dafür und befahl: «Mache mir - ohne Maß zu nehmen - ein zweites Paar Schuhe. Sie sollen ein Wunderwerk sein und mit kostbaren Edelsteinen und Diamanten besetzt sein. Und bis zum Morgen sollen sie fertig sein, sonst wirst du gehängt.>'
Der Schuhmacher nahm das Geld und die kostbaren Edelsteine und ging finster nach Hause. «Das ist ein wahres Unglück», sagte er, «was soll ich jetzt machen? Wie können solche Schuhe in einer Nacht fertig werden, und noch dazu ohne Maß? Mir scheint, man wird mich morgen hängen. So will ich wenigstens den Tag noch mit meinen Freunden verjubeln.» Er ging ins Wirtshaus, wo es an Freunden nicht fehlte: «Brüderchen, warum bist du so finster?» fragten sie ihn.
«Ach, liebe Freunde, morgen wird man mich hängen!»
«Und warum denn das?»
Der Schuhmacher erzählte ihnen seinen Kummer. «Ach, was soll man da noch an die Arbeit denken, lieber verjubeln wir noch zum Abschluß die Zeit!»
Nun ging es lustig zu, sie tranken und schmausten. Der Schuhmacher wankte schon ganz beträchtlich. «Ich nehme ein Fäßchen Wein mit nach Hause», sagte er, «und lege mich schlafen. Und morgen, wenn die Henker kommen, trinke ich noch einen halben Eimer aus, dann bin ich wenigstens nicht bei Bewußtsein, wenn sie mich hängen.»
Als er nach Hause kam, schalt er Johannes: «Sieh, du Elender, was du mit deinen Schuhen angerichtet hast! So steht es nun mit mir. Morgen früh, wenn sie mich holen kommen, wecke mich sofort!»
In der Nacht holte Johannes das Rohrpfeifchen hervor und tat einen kurzen Pfiff, und sofort erschienen der Krumme und der Lahme.
«Was wünschest du, Königssohn Johannes?»
«Macht schleunigst die gleichen Schuhe noch einmal, mit Edelsteinen und Diamanten sollen sie besetzt sein.»
«Wie du befiehlst!»
Johannes legte sich schlafen. Als er am Morgen erwachte, standen die
Schuhe fertig auf dem Tisch, funkelten wie Feuer. Er ging hin, um seinen Hausherrn zu wecken: «Herr, es ist Zeit zum Aufstehen!»«Wie, kommen sie mich schon holen? Gib mir schnell das Fäßchen mit Wein her! Hier ist eine Kanne - schenk ein! So mögen sie denn einen Betrunkenen hängen!»
«Aber die Schuhe sind ja fertig!»
«Wie, fertig? Wo sind sie?» Der Meister lief hin, sah sie und staunte: «Ach, wann haben wir beiden denn das gemacht?»
«Nun, Meister, in der Nacht! Erinnerst du dich nicht daran, wie wir sie zuschnitten und nähten?»
«Ach, Bruder, ich habe es ganz verschlafen, kaum noch erinnere ich mich daran.»
Er packte die Schuhe, drehte sich um und lief zum Schloß. Elena, die Wunderschöne, sah die Schuhe und hatte es gleich erraten: Wahrscheinlich tun es die Geister für den Königssohn Johannes! «Wie hast du das gemacht?» fragte sie den Schuhmacher.
«Ich kann eben alles machen», antwortete er.
«Wenn es so ist, dann nähe mir das Hochzeitskleid, es soll mit Gold bestickt und mit Edelsteinen und Diamanten übersät sein. Und daß es mir morgen früh fertig ist - sonst -Kopf ab!»
Wieder lief der Schuhmacher finster einher. Schon lange hatten die Freunde auf ihn gewartet. «Was ist mit dir?» «Ach, eine verfluchte Geschichte. Diese Verdreherin des Christentums befahl mir, bis morgen ein Kleid mit Gold und Edelsteinen zu nähen, als wäre ich ein Schneider. Wahrscheinlich schlägt man mir morgen den Kopf ab.»
«Ach, Bruder, der Morgen ist weiser als der Abend, komm, lass' uns trinken und lustig sein!»
Sie gingen ins Wirtshaus, tranken und vergnügten sich. Der Schuhmacher trank sich wieder voll, schleppte ein ganzes Fäßchen Wein nach Hause und sagte zu Johannes: «Nun, wenn du mich früh aufweckst, werde ich einen ganzen Eimer hinunterschütten, dann können sie einem Betrunkenen den Kopf abschlagen. Ein solches Kleid kann ich im Leben nicht machen.»
Der Schuhmacher legte sich schlafen und fing an zu schnarchen. Johannes aber tat einen kurzen Pfiff auf seinem Pfeifchen. Sogleich erschienen der Krumme und der Lahme.
«Königssohn Johannes, was wünschest du?»
«Daß bis morgen dasselbe Kleid genäht werde, welches Elena, die Wunderschöne, beim Sturmwind trug!»
«Wie du befiehlst, es wird fertig sein!»
Am Morgen lag das Kleid auf dem Tisch und leuchtete wie Feuer, so daß die ganze Stube erhellt war. Kaum begann es zu tagen, da erwachte Johan
nes und weckte seinen Meister. Der riß die Augen auf: «Sind sie gekommen, um mir den Kopf abzuschlagen? Gib mir ganz schnell den Wein!»«Aber siehe, das Kleid ist fertig!»
«Ach - wann haben wir denn das miteinander gemacht?»
«Nun, in der Nacht, erinnerst du dich nicht daran? Du selbst hast es zugeschnitten.»
«Ach, Bruder, kaum erinnere ich. mich. Ich sehe das alles nur wie im Traum.»
Der Schuhmacher nahm das Kleid und lief zum Schloß.
Da gab ihm Elena, die Wunderschöne, viel Geld und befahl: «Beim Morgenrot soll sieben Werst weit von hier auf dem Meere ein goldenes Schloß stehen und von jenem Schlosse zu unserem her eine goldene Brücke gebaut sein. Die Brücke muß mit kostbarem Samt belegt sein. Am Geländer zu beiden Seiten sollen wunderbare Bäume wachsen und Singvögel mit allerlei Stimmen darauf singen. Wenn das bis morgen nicht fertig ist, wirst du gevierteilt.»
Der Schuhmacher ging fort und ließ den Kopf hängen. Wieder kamen seine Freunde auf ihn zu: «Bruder, was ist mit dir?»
«Ach, mit mir ist es aus, morgen werden sie mich vierteilen, sie trug mir einen Dienst auf, den kein Teufel vollbringen kann.»
«Genug damit, der Morgen ist weiser als der Abend, laßt uns ins Wirtshaus gehen!»
«Nun also, ich will zum letzten Male lustig sein!»
Sie tranken und tranken. Der Schuhmacher war am Abend so betrunken, daß sie ihn nach Hause führen mußten. «Lebe wohl, Kleiner, morgen werde ich gevierteilt!»
«Ist dir vielleicht ein neuer Dienst aufgetragen?»
«Ja», sagte der Schuhmacher und erzählte.
Dann legte er sich hin und fing an zu schnarchen.
Johannes ging in seine Kammer, blies auf dem Pfeifchen, und sogleich erschienen der Krumme und der Lahme.
«Königssohn Johannes, was wünschest du?»
«Könnt ihr mir diesen Dienst leisten?»
«Ja, Königssohn, das ist endlich ein Dienst! Bis morgen wird alles fertig sein.»
Als es am Morgen anfing hell zu werden, erwachte der Königssohn und sah aus dem Fenster hinaus. Heilige Väter! Alles war fertig, und wie es sein sollte - auf dem Meer stand ein goldenes Schloß und glänzte wie Feuer. Johannes weckte seinen Meister, der sprang aus dem Bett: «Wie, sind sie schon gekommen, um mich zu holen? Gib mir den Wein, dann können sie einen Betrunkenen vierteilen!»
«Aber siehe, das Schloß ist gebaut!»
Der Schuhmacher sah aus dem Fenster und rief voller Verwunderung: «Wie kam dies zustande?»
«Kannst du dich nicht besinnen, wie wir dies zusammen taten?»
«Ach, ich kann mich nicht erinnern, ich verschlief es wohl ganz!»
Sie liefen zu dem goldenen Schlosse. Unerhörter, nie gesehener Reichtum zeigte sich ihren Blicken. Da sprach Johannes: «Meister, hier ist ein Flügelchen, geh, und fege das Geländer der Brücke! Wenn aber jemand kommt und fragt, wer in diesem Schlosse wohne, so sage nichts, sondern gib ihm dieses Schreiben!»
Der Schuhmacher ging hin und fing an, das Brückengeländer zu kehren. Am Morgen erwachte Elena, die Wunderschöne, sah das goldene Schloß und lief sogleich zum König. «Seht doch, o König, was sich bei uns tut! Auf dem Meere steht ein goldenes Schloß, und von diesem Schlosse aus erstreckt sich eine sieben Werst lange Brücke. Um die Brücke herum wachsen wunderbare Bäume, darinnen singen seltene Vögel mit vielerlei Stimmen.»
Der König schickte sogleich dahin und ließ fragen, was das bedeuten solle —ob vielleicht ein mächtiger Held gekommen sei?
Die Abgesandten fingen an, den Schuhmacher auszufragen. «Ich weiß es nicht», antwortete er, «aber ich habe ein Schreiben für euren König.»
In diesem Schreiben erzählte Johannes seinem Vater alles, was geschehen war, wie er die Mutter befreit hatte, wie er Elena, die Wunderschöne, erwarb, und wie die beiden Brüder ihn betrogen. Zugleich schickte er goldene Wagen und bat, daß der König und die Königin und Elena, die Wunderschöne, mit ihren Schwestern zu ihm fahren möchten, aber die Brüder sollten hinterher in hölzernen Wagen fahren. Alle machten sich bereit und fuhren ab. Königssohn Johannes ging ihnen voller Freude entgegen. Der König wollte die beiden älteren Söhne für ihre Lüge töten lassen. Aber Johannes bat für sie, und es wurde ihnen verziehen.
Da begann ein großes Heldenmahl. Johannes, der Königssohn, vermählte sich mit Elena, der Wunderschönen. Dem Königssohn Peter gab er die Königin des silbernen Reiches, dem Königssohn Basilius die Königin des kupfernen Reiches, und den Schuhmacher machte er zum General.
Auf jenem Mahle bin ich auch gewesen, ich habe Honigmet und Wein getrunken, über den Bart ist es geflossen, aber in den Mund kam nichts hinein.
DIE DREI KÖNIGREICHE
DAS KUPFERNE, DAS SILBERNE UND DAS GOLDENE
Es waren und lebten ein Alter und eine Alte. Sie hatten drei Söhne: Der erste hieß Georg der Brausekopf, der zweite Michael der Tollpatsch, der dritte Johannes hinter dem Ofen.
Vater und Mutter gedachten, sie zu verheiraten und schickten zuerst den ältesten Sohn auf Brautschau. Er ging und ging eine lange, lange Zeit, aber wie viele Mädchen er auch anschaute, er konnte sich keine als Braut erwählen, denn sie mißfielen ihm alle. Da traf er auf dem Wege eine Drachenschlange mit drei Köpfen, und er erschrak.
«Guter Mann, wohin gehst du?» fragte die Drachenschlange.
«Ich ging aus, um zu freien, kann aber keine Braut finden.»
Die Drachenschlange sprach: «Komm mit mir, ich werde dich führen. Ob du wohl eine Braut gewinnst?»
Sie gingen und gingen, bis sie zu einem großen Stein kamen. «Wälze den Stein weg», sagte der Drache, «dann wirst du bekommen, was du dir wünschest.»
Georg der Brausekopf bemühte sich, den Stein beiseite zu wälzen, konnte aber nichts machen.
«So gibt es für dich keine Braut», sagte die Drachenschlange zu ihm.
Georg der Brausekopf kehrte nach Hause zurück und erzählte Vater und Mutter von allem. Vater und Mutter bedachten und überdachten noch einmal alles, was zu tun sei, und schickten den mittleren Sohn, Michael den Tollpatsch, fort. Aber diesem geschah das Gleiche.
Wieder dachten der Alte und die Alte nach, wußten nicht, was zu tun sei: «Wenn man Johannes hinter dem Ofen schickt, so wird der erst recht nichts ausrichten!» Aber Johannes hinter dem Ofen begann selber zu bitten, daß er die Drachenschlange sehen dürfe. Vater und Mutter ließen es zuerst nicht zu, aber endlich gaben sie nach, und Johannes hinter dem Ofen nahm Abschied. Er ging und ging und begegnete der Drachenschlange mit den drei Köpfen.
«Guter Mann, wohin gehst du?» fragte der Drache.
«Meine Brüder wollten freien, konnten aber keine Braut finden, und jetzt ist die Reihe an mir.»
«So wollen wir gehen, ich werde dir den Weg zeigen. Vielleicht gewinnst du die Braut?»
Die Drachenschlange und Johannes gingen miteinander und kamen zu dem Stein. Die Schlange forderte ihn auf, den Stein wegzuwälzen. Johannes hinter dem Ofen rührte ihn an, und der Stein flog von der Stelle, als wäre
er nie da gewesen. Da zeigte sich ein großes Loch in der Erde, und daneben waren Riemen angebracht.«Johannes», sagte die Schlange, «setze dich auf die Riemen, ich werde dich hinunterlassen. Gehe dort unten weiter, bis du zu drei Königreichen kommst. In jedem Reich wirst du eine Jungfrau finden!»
Johannes ließ sich hinunter und ging los. Er ging und ging und kam zum kupfernen Königreich. Da trat er hinein und sah eine Jungfrau, die war schön aus sich selbst.
«Willkommen, nie gesehener Gast!» sagte die Jungfrau. «Tritt ein und setze dich, wo der Platz frei ist, sage mir, woher du kommst, und wohin du gehst!»
«Ach, schöne Jungfrau», erwiderte Johannes, «du speistest mich nicht, du tränktest mich nicht, und schon beginnst du zu fragen!»
Da trug die Jungfrau Speisen und Getränke auf. Johannes hinter dem Ofen aß und trank und fing an zu erzählen, daß er ausgezogen sei, um eine Braut zu suchen. «Wenn du die Güte hast, bitte ich dich, mich zu heiraten!»
«Nein, guter Mensch», antwortete die Jungfrau, «geh' weiter voran, es gibt noch ein silbernes Königreich. Darin ist eine Jungfrau, viel schöner als ich.» Und sie schenkte ihm einen silbernen Ring. Der Jüngling dankte für Salz und Brot und nahm Abschied.
Er ging und ging und kam zu dem silbernen Königreich.
Da trat er hinein und sah eine Jungfrau sitzen, schöner als die erste. Er betete zu Gott und berührte mit der Stirn den Boden. «Guten Tag, schöne Jungfrau!»
«Willkommen, junger Wandersmann! Setze dich und gib Auskunft, wessen du bist, und woher du kamst, und nach welchen Geschäften du trachtest.»
«Ach, schöne Jungfrau», sprach Johannes hinter dem Ofen, «du tränktest mich nicht, du speistest mich nicht, und schon beginnst du zu fragen!»
Da deckte die Jungfrau den Tisch mit allerlei Speisen und Getränken. Johannes hinter dem Ofen aß und trank, soviel wie er wollte, und begann zu erzählen, daß er ausgezogen sei, um eine Braut zu suchen. Und er bat sie, ihn zu heiraten. Sie aber antwortete ihm: «Geh weiter voran, es gibt noch ein goldenes Königreich, und in dem sitzt eine Jungfrau, viel schöner als ich.» Und sie schenkte ihm einen goldenen Ring. Johannes hinter dem Ofen nahm Abschied und ging weiter.
Er ging und ging und kam zu dem goldenen Königreich. Da trat er hinein und sah eine Jungfrau, schöner als alle. Er betete zu Gott, wie es sich gehört, und begrüßte die Jungfrau.
«Woher kommst du, und wohin gehst du?» fragte die Jungfrau.
«Ach, schöne Jungfrau, du tränktest mich nicht, du speistest mich nicht, und schon beginnst du zu fragen!»
Da brachte sie allerlei Speisen und Getränke auf den Tisch, wie man sie besser nicht wünschen konnte. Johannes hinter dem Ofen bediente sich gut und fing an zu erzählen: «Ich bin auf dem Weg und suche mir eine Braut. Wenn du mich heiraten willst, so komm mit mir!» Die Jungfrau willigte ein und schenkte ihm ein goldenes Knäuel, und sie machten sich zusammen auf den Weg.
Sie gingen und gingen und kamen zum silbernen Königreich und nahmen die Jungfrau mit. Dann gingen sie weiter zum kupfernen Königreich und nahmen auch da die Jungfrau mit. Endlich kamen sie an das Loch, aus dem man hinaufsteigen mußte, und die Riemen hingen noch herab. Oben standen die älteren Brüder, wollten in das Loch hinein, um Johannes hinter dem Ofen zu suchen.
Da setzte Johannes die Jungfrau aus dem kupfernen Königreich auf die Riemen. Die Brüder begannen zu ziehen und zogen die Jungfrau heraus. Die Riemen aber ließen sie wieder hinab. Johannes hinter dem Ofen setzte die Jungfrau aus dem silbernen Reiche darauf. Auch sie wurde hinaufgezogen, und die Riemen kamen wieder herab. Dann setzte er die Jungfrau aus dem goldenen Königreich darauf, und sie wurde hinaufgezogen. Als die Riemen wieder heruntergelassen waren, setzte sich Johannes selber darauf, und die Brüder fingen an zu ziehen. Als sie aber sahen, daß Johannes hinter dem Ofen darauf saß, dachten sie bei sich: «Vielleicht gibt er uns keine der Jungfrauen, wenn wir ihn heraufziehen?» Und sie schnitten die Riemen ab, und Johannes fiel in die Tiefe.
Soviel er auch weinte, es half alles nichts, er mußte weitergehen. Er ging und ging. Da saß auf einem Baumstumpf ein Alter - selbst eine Viertel-Elle und der Bart eine Elle lang. Johannes erzählte ihm alles, wie und was ihm geschehen war. Der Alte belehrte ihn: «Geh weiter voran, dann kommst du zu einem Hüttchen, und in dem Hüttchen liegt ein Mann, der ist so lang, daß er von einer Ede in die andere reicht, den sollst du fragen, wie man herauskommen kann ins russische Reich.»
Johannes hinter dem Ofen ging und ging und kam zu jenem Hüttchen. Er trat hinein und sprach: «Starker Götze, vernichte mich nicht, sag, wie gelange ich hinaus ins russische Reich?»
«Fuh! Fuh!» rief der Götze, «niemand hat den russischen Knochen gerufen, er kam von selber. Geh du hinter dreißig Seen, dort steht auf einem Hühnerfüßchen ein Häuschen, und in dem Häuschen wohnt die Baba Jaga. Sie hat einen Adlervogel, und der wird dich hinaustragen ins russische Reich.»
Da ging der wackere Jüngling, ging und ging und kam zu jenem Häuschen und trat hinein.
«Fuh! Fuh!» schrie die Baba Jaga, «du russischer Knochen, warum kamst du hierher?»
«Großmütterchen, ich kam auf den Rat eines starken Götzen hierher, dich um den kraftvollen, mächtigen Adler zu bitten, damit er mich hinausträgt ins russische Reich.»
«Geh in mein Vogelhaus», sagte die Baba Jaga, «an dem Tore steht ein Wächter. Nimm bei ihm die Schlüssel und geh durch sieben Türen! Wenn du die siebente Türe aufschließest, wird der Adler auffahren und sich schütteln. Und wenn du Mut hast und nicht vor ihm erschrickst, so setze dich auf seinen Rücken und fliege. Aber nimm Rindfleisch mit, und wenn er sich umschaut, gib ihm ein Stück davon!»
Johannes tat alles nach Geheiß der Baba Jaga. Dann setzte er sich auf den Adler, und der Adler flog. Er flog und und flog, sah sich um, und Johannes gab ihm ein Stück Fleisch. Er flog und flog, und immer wieder wandte der Vogel den Kopf. Allmählich war alles verfüttert, aber der Weg war noch weit. Der Adler sah sich um, es war kein Fleisch mehr vorhanden. Da schnappte er nach dem Schopfe des Jünglings, riß ein Stück Fleisch heraus und verschlang es. Dann trug er ihn aus jenem Loche hinaus ins russische Reich.
Als Johannes vom Adler stieg, würgte der Vogel das Fleisch wieder aus und befahl dem Jüngling, es an seinen Schopf zu legen. Johannes legte es an, es heilte fest, belebte sich, und der Schopf wuchs wieder zu.
Johannes hinter dem Ofen kehrte nach Haus zurück. Er nahm den Brüdern die Jungfrau aus dem goldenen Königreiche und vermählte sich mit ihr.
Und sie fingen an zu leben, und sie lebten lange, und sie leben heute noch.
DIE DREI WELTREICHE
In längst vergangenen Zeiten, als Gottes Welt noch von Waldgeistern, Nixen und Hexen bevölkert war, als die Flüsse noch voll Milch waren und die Ufer aus Roter Grütze, und als noch über die Felder die gebratenen Birkhühner flogen, in dieser Zeit lebte der König Erbse mit seiner Gemahlin, Anastasia der Schönen. Und sie hatten drei Söhne.
Eines Tages geschah ein schweres Unglück: ein böser Geist entführte die schöne Königin. Da sprach der älteste Sohn zum Vater: «Väterchen, gib mir deinen Segen, ich will fortreiten und mein Mütterchen suchen!» Er ritt davon, und drei Jahre lang sah und hörte man nichts mt dr von ihm.
Danach ging der zweite Sohn zum Vater und bat: «Väterchen, gib mir deinen Segen, ich will mein Glück versuchen und mein Mütterchen und mei
nen Bruder finden. Vielleicht gelingt es mir.» Der König gab ihm seinen Segen, der Königssohn ritt davon, und auch er verschwand, als ob er in ein tiefes Wasser gefallen wäre.Da sprach der jüngste Sohn, Johannes, zu seinem Vater: «Mein Väterchen, gib mir deinen Segen, und lass' mich auf die weite Reise gehen, vielleicht werde ich das Mütterchen und die beiden Brüder finden.»
«Fahre, mein Sohn», sprach der Vater, und der Königssohn Johannes ritt in ferne, fremde Länder. Er ritt und ritt und kam ans blaue Meer. Dort blieb er am Ufer stehen und sagte zu sich selbst: «Wohin soll ich meinen Weg nehmen?»
Auf einmal kamen dreiunddreißig Schwäne geflogen, die warfen sich auf die feuchte Erde und verwandelten sich in Jungfrauen von großer Schönheit, eine davon aber war schöner als alle. Sie warfen ihre Kleider ab, sprangen ins Wasser und badeten. Ob sie lange badeten oder nicht so lang -als sie so im Wasser spielten, schlich Königssohn Johannes hinzu, nahm den Gürtel der allerschönsten Jungfrau und verbarg ihn hinter seinem Brustlatz. Als die Jungfrauen gebadet hatten, kamen sie ans Ufer, um sich anzukleiden, aber siehe, es fehlte ein Gürtel. «Ach, Königssohn Johannes, gib mir doch mein Gürtelchen zurück!»
«Sage mir zuerst, wo mein Mütterchen ist!»
«Dein Mütterchen lebt bei meinem Vater, und mein Vater ist der Rabe Rabensohn. Geh' am Ufer des Meeres entlang, da wird dir ein silbernes Vöglein mit einem goldenen Schöpfchen über den Weg fliegen. Sieh, wohin es fliegt, und folge ihm nach!»
Der Königssohn gab der Jungfrau das Gürtelchen zurück. Er ging am Meere entlang, da kamen ihm seine beiden Brüder entgegen. Sie begrüßten einander, und Johannes nahm sie mit sich, und sie wanderten am Ufer weiter. Auf einmal sahen sie das silberne Vöglein mit dem goldenen Schöpfchen fliegen und folgten seiner Spur. Das Vöglein flog und flog, plötzlich aber stieß es herab und verschwand unter einer eisernen Platte in einem Spalt in der Erde. «Nun, Brüder», sagte Johannes, «gebt mir den Segen an Vaters und Mutters Statt, ich werde mich in dieses Loch hinunterlassen und erfahren, wie die Welt des fremden Glaubens aussieht, und ob unser Mütterchen sich dort befindet.» Die Brüder segneten ihn, und er fing an, sich an einem Seile in die tiefe Schlucht hinunterzulassen. Tief und immer tiefer ging es hinab, und es dauerte nicht mehr und nicht weniger als gerade drei Jahre lang.
Er erreichte die fremde Erde und setzte seinen Weg fort. Er ging und ging, ging und ging und erblickte mit einem Male das kupferne Weltreich. Dort stand ein Schloß, und in dem Schlosse saßen dreiunddreißig Schwanenjungfrauen und stickten, sie bestickten die leinenen Handtücher mit kunstvollen Mustern, stickten kleine Städtchen und Vorstädtchen darauf.
«Guten Morgen, Königssohn Johannes, wohin gehst du, wohin führt dich dein Weg?» fragte die Königstochter des kupfernen Weltreiches.«Ich gehe, um mein Mütterchen zu suchen!»
«Dein Mütterchen ist bei meinem Vater, dem Raben Rabensohn, der ist listig und weise, der fliegt über Berge und Täler, über Abgründe und Wolken. Er wird dich wackeren Jüngling töten! Aber hier hast du ein Knäuelchen, gehe ihm nach zu meiner mittleren Schwester, sprich mit ihr und höre, was sie dir wohl sagen mag. Und wenn du zurückkehrst, dann vergiß mich nicht!»
Der Königssohn Johannes rollte das Knäuelchen und ging hinter ihm her. Und so kam er in das silberne Weltreich. Drinnen saßen dreiunddreißig Schwanenjungfrauen, und die Königstochter des silbernen Reiches sprach: «Bis heute habe ich den russischen Geist nicht mit Augen gesehen, nicht mit Ohren gehört, und jetzt erscheint der russische Geist vor meinen Augen! Königssohn Johannes, scheust du die Tat, oder suchst du sie?»
«Ach, schöne Jungfrau, ich gehe, um mein Mütterchen zu suchen.»
«Dein Mütterchen ist bei meinem Vater, dem Raben Rabensohn, der ist listig und weise, der fliegt über Berge und Täler, über Abgründe und Wolken. Königssohn Johannes, er wird dich töten! Aber hier hast du ein Knäuelchen, folge ihm zu meiner jüngsten Schwester, die wird dir sagen, ob du weitergehen sollst oder umkehren.»
Königssohn Johannes kam in das goldene Reich. Und auch dort saßen dreiunddreißig Schwanenjungfrauen und bestickten die leinenen Handtücher. Aber größer und schöner als alle war die Königstochter des goldenen Reiches. So groß war ihre Schönheit, daß man es nicht mit einer Feder beschreiben, nicht in einem Märchen erzählen kann. Und sie sprach zu ihm: «Wohin gehst du? Wohin führt dich dein Weg?»
«Ich gehe, um mein Mütterchen zu suchen.»
«Dein Mütterchen ist bei meinem Vater, dem Raben Rabensohn, der ist listig und weise, er fliegt über Berge und Täler, er schießt dahin über Wolken und Sterne. O Königssohn, er wird dich töten! Hier hast du ein Knäuelchen, folge ihm und gehe in das Perlenreich hinein, dort lebt dein liebes Mütterchen. Wenn die Mutter dich erblickt, wird sie sich von Herzen freuen. Sie wird sogleich ihre Ammen und Wärterinnen rufen und ihnen befehlen: Kredenzt meinem Sohne den jungen Wein! Den jungen Wein aber sollst du nicht nehmen; bitte um den dreijährigen Wein, der im Schranke steht, und um eine gebähte Brotrinde dazu. Und. noch eins merke dir: achte darauf, daß bei meinem Vater auf dem Hofe zwei Bottiche stehen, in dem einen ist starkes Wasser, in dem anderen weniger starkes. Du mußt die Bottiche vertauschen und schnell von dem starken Wasser trinken.
Der jüngste Königssohn und die jüngste Königstochter sprachen lange
miteinander und gewannen sich so lieb, daß sie gar nicht ans Scheiden denken wollten. Aber was sollte man machen -der Königssohn Johannes mußte weiter wandern. Also nahm er Abschied und begab sich auf seinen Weg.Er ging und ging und kam ins Perlenreich. Als die Mutter ihn erblickte, freute sie sich gar sehr und rief: «Ihr Ammen und Wärterinnen, kredenzt meinem Sohne den jungen Wein!»
«Ich trinke keinen jungen Wein», sprach der Königssohn Johannes. «Gebt mir den dreijährigen und als Imbiß dazu ein gebähtes Krüstchen Brot!» Er trank den Wein und aß das Brot und trat hinaus auf den weiten Hof. Dort stellte er die Bottiche um und trank das starke Wasser.
Auf einmal kam der Rabe Rabensohn angeflogen, heller als der hellste Tag. Als er aber Johannes, den Königssohn, erblickte, ward er dunkler als die dunkelste Nacht. Er stieß herab auf den Bottich und fing an, von dem schwächeren Wasser zu trinken. Königssohn Johannes sprang geschwind auf seine Schwingen. Der Rabe Rabensohn schnellte hoch, hoch zum Himmel hinauf und trug ihn mit sich. Er trug ihn über Berge und Täler, über Abgründe und Wolken. Endlich hub er zu fragen an: «Was willst du von mir, Königssohn Johannes, willst du meinen Kronschatz haben? Ich gebe ihn dir.»
«Nichts will ich von dir haben», erwiderte Johannes, «gib mir nur dein Stabfederchen.»
«O nein, Königssohn Johannes», antwortete der Rabe, «da setzt du dich in einen zu weiten Schlitten!»
Und wieder flog der Rabe mit ihm über Berge und Täler, über Wolken und Klüfte. Königssohn Johannes aber hielt sich fest, legte sich mit ganzer Schwere auf den Raben und zerbrach ihm fast die Schwingen. «Brich mir meine Schwingen nicht entzwei!» rief der Rabe Rabensohn, «nimm lieber mein Stabfederchen!» Er gab dem Königssohn die Stabfeder, wurde ein ganz gewöhnlicher Rabe und flog auf die steilen Berge hinauf.
Königssohn Johannes gelangte ins Perlenreich, nahm sein Mütterchen mit und trat den Rückweg an. Er schaute sich um und sah: Das Perlenreich wickelte sich zu einem Knäuelchen zusammen und rollte hinter ihm her. Er ging weiter und kam zum goldenen Reich und danach zum silbernen und endlich zum kupfernen Weltreich. Überall nahm er die schönen Königstöchter mit sich, und jedes der drei Weltreiche knäuelte sich zusammen und rollte hinter ihm her. So kamen sie alle miteinander zu jener Stelle, wo das Seil herabhing. Dort blies Königssohn Johannes in ein goldenes Horn und rief: «Meine lieben Brüder, wenn ihr noch lebt, dann verratet mich nicht!» Die Brüder hörten das Horn, zogen am Seil und zogen die Königstochter aus dem kupfernen Reiche herauf. Als sie die schöne Jungfrau sahen, fingen sie an zu streiten, keiner wollte sie dem anderen gönnen.
«Warum streitet ihr, wackere Jünglinge? Unten wartet eine Jungfrau, die ist noch schöner als ich.»
Die Brüder ließen sogleich die Seile hinab und zogen die Königstochter aus dem silbernen Reiche herauf. Als sie die erblickten, fingen sie wieder an zu streiten und schlugen aufeinander los. «Mir gehört sie!» sagte der eine. «Nein, sie soll mein sein!» rief der andere.
«Zankt euch nicht, wackere Jünglinge, da unten ist eine andere, die ist weit schöner als ich!»
Da hörten die Königssöhne auf zu streiten, ließen schnell die Seile hinab und zogen die goldene Jungfrau herauf. Kaum erblickten sie die schöne Königstochter, so stritten sie noch viel mehr. Sie aber sprach: «Hört auf zu streiten, unten wartet eure Mutter!» Da zogen sie sogleich die Mutter herauf, und dann ließen sie die Stricke noch einmal hinab für den Königssohn Johannes. Als sie ihn aber bis zur Hälfte heraufgezogen hatten, schnitten sie die Stricke durch, und Johannes fiel wieder ins Grundlose hinab. Und er zerschlug sich so sehr, daß er ein halbes Jahr lang ohne Besinnung lag.
Als er endlich wieder zu sich kam, schaute er um sich und erinnerte sich an alles, was mit ihm geschehen war. Er holte aus der Tasche die Stabfeder und schlug damit auf die Erde. In demselben Augenblicke erschienen zwölf Jünglinge und sprachen: «Was wünschest du, Königssohn Johannes? Befiehl!»
«Tragt mich sofort hinauf in die freie Welt!»
Die Jünglinge griffen ihm unter die Arme und trugen ihn hinaus in die freie Welt.
Königssohn Johannes erkundigte sich nach seinen Brüdern und erfuhr, daß sie beide längst vermählt waren. Die Königstochter aus dem kupfernen Reich hatte den mittleren Bruder geheiratet, die Königstochter aus dem silbernen Reich den älteren; doch seine eigene Erwählte, die Königstochter aus dem goldenen Reiche, wollte nicht freien.
Nun hatte sich aber der Vater, der alte König, in den Kopf gesetzt, selbst die Jungfrau aus dem goldenen Reiche zu nehmen. Er rief alle seine Räte zusammen und beschuldigte seine Gemahlin, daß sie mit bösen Geistern Umgang gehabt hätte. Und er befahl, ihr den Kopf abzuschlagen. Als dies geschehen war, fragte er die Königstochter aus dem goldenen Reiche: «Willst du dich mit mir vermählen?»
«Nur dann werde ich es tun», antwortete die Jungfrau, «wenn du mir Schuhe machst, ohne Maß zu nehmen.»
Da ließ der König überall ausrufen, wer für die Jungfrau Schuhe anfertigen könne, ohne Maß zu nehmen.
Gerade zu dieser Zeit kehrte der Königssohn Johannes in sein Reich zurück. Als er von dem Aufruf hörte, verdingte er sich zu einem alten Mann
als Handwerker. «Geh zum König, Großväterchen, und nimm die Arbeit an!» sagte er zu ihm. «Ich werde die Schuhe schon nähen, sage aber nichts von mir!»Der alte Mann ging zum König und sprach: «Ich bin bereit, diese Arbeit zu machen!»
Der König gab ihm Zeug für ein Paar Schuhe und fragte: «Wirst du sie auch zu meiner Zufriedenheit machen, Alter?»
«Hab' keine Angst, o König, mein Sohn ist ein guter Schuhmacher.»
Als der Alte heimkam, gab er dem Königssohn das Zeug. Johannes nahm es, schnitt es in kleinste Stückchen und warf alles aus dem Fenster. Dann wickelte er aus dem goldenen Knäuelchen das goldene Reich, nahm die fertigen Schuhe heraus und sprach: «Großväterchen, nimm sie und bringe sie dem König!»
Der König freute sich sehr und fing an, die Braut von neuem zu bedrängen: «Wann gehen wir zur Vermählung?» Sie aber antwortete ihm: «Nur dann, wenn du mir ein Kleid machst, ohne Maß zu nehmen.»
Der König tat sich um, rief alle Meister des Reiches zusammen, damit sie für die goldene Jungfrau ein Kleid nähen möchten, ohne Maß zu nehmen, und bot ihnen viel Gold dafür.
«Großväterchen, geh hin zum König», sagte Johannes zu dem Alten, «nimm den Stoff, ich werde das Kleid nähen. Aber du darfst mich nicht verraten!»
Der Alte schleppte sich zum Schloß, ließ sich Samt und Seide geben, kehrte zurück und gab es dem Königssohn. Der Königssohn ergriff sofort die Schere, schnitt den Stoff in kleine Stückchen und warf alles aus dem Fenster. Dann wickelte er aus dem Knäuelchen das goldene Reich, nahm daraus das schönste Kleid und gab es dem Alten. «Hier, Alter, bring es schnell ins Schloß!»
Der König wußte vor Freude nicht, was er tun sollte. «Nun, meine geliebte Braut, ist es Zeit, zur Vermählung zu fahren!» Aber die Königstochter aus dem goldenen Reich antwortete ihm: «Nur dann werde ich mich mit dir vermählen, wenn du den Befehl gibst, den Sohn jenes alten Mannes in Milch zu kochen!»
Der König dachte nicht lange nach und gab sofort den Befehl. Noch am selben Tage brachte man von jedem Hofe einen Eimer Milch, goß ihn in einen großen Kupferkessel und fing an, die Milch auf starkem Feuer zu kochen. Man holte Königssohn Johannes herbei, er nahm von allen Abschied und verbeugte sich tief, tief bis zur Erde. Dann warf man ihn in den Kessel. Er tauchte unter, einmal und noch einmal - sprang heraus und war ein so wunderbar schöner Jüngling geworden, daß man es nicht mit der Feder beschreiben, ja, nicht einmal in einem Märchen erzählen kann.
«Wen soll ich nun heiraten?» sagte die Jungfrau zum König, «dich, den Alten, oder diesen tapferen Jüngling?»
Der König dachte bei sich: «Wenn ich in der Milch baden würde, käme ich vielleicht als ein ebenso schöner Mensch heraus.» Er warf sich in den Kessel -aber siehe: er zerkochte in der Milch.
Johannes aber fuhr mit der Königstochter aus dem goldenen Reiche zur Vermählung. Die Hochzeit wurde gefeiert, und sie fingen an, miteinander zu leben, und sie lebten und lebten und mehrten ihr Hab und Gut.
DAS MÄRCHEN VOM UNSTERBLICHEN
KNOCHENMANN
In einem Herrscherreich waren und lebten einmal ein König und eine Königin. Ihnen wurde ein Kind geboren, Königssohn Johannes. Die Kinderfrauen wiegten ihn, schaukelten ihn hin und her, aber der Königssohn konnte nicht schlafen. «König, großmächtiger Herrscher», rufen sie dem Vater zu, «kommt und wiegt selber euren Sohn!»
Der König schaukelt die Wiege: «Schlaf, Söhnchen schlaf! Wenn du groß geworden bist, vermähle ich dich mit der Unaussprechlichen Schönheit, an der niemand sich satt sehen kann - mit der Unaussprechlichen Schönheit, dreier Mütter Tochter, dreier Großmütter Großtochter, von neun Brüdern die Schwester.»
Der Königssohn schlief ein und schlief drei Tage und drei Nächte lang. Als er erwachte, schrie er ärger als zuvor. Die Kinderfrauen wiegten ihn, aber sie konnten ihn nicht in Schlaf wiegen. Sie rufen den Vater: «König, großmächtiger Herrscher, kommt und wiegt selber euren Sohn!»
Der König wiegt und spricht vor sich hin: «Schlaf, Söhnchen schlaf! Wenn du groß geworden bist, vermähle ich dich mit der Unaussprechlichen Schönheit, an der niemand sich satt sehen kann - mit der Unaussprechlichen Schönheit, dreier Mütter Tochter, dreier Großmütter Großtochter, von neun Brüdern die Schwester.»
Der Königssohn schlief ein, und wieder schlief er drei Tage und drei Nächte lang. Aber dann erwachte er und schrie noch mehr. Die Kinderfrauen wiegten ihn, aber sie konnten ihn nicht in Schlaf wiegen. «König, großmächtiger Herrscher, kommt und wiegt selber euren Sohn!»
Der König wiegt und spricht vor sich hin: «Schlaf, Söhnchen schlaf! Wenn du groß geworden bist, vermähle ich dich mit der Unaussprechlichen Schönheit, an der niemand sich satt sehen kann - mit der Unaussprechlichen
Schönheit, dreier Mütter Tochter, dreier Großmütter Großtochter, von neun Brüdern die Schwester.»Der Königssohn schlief ein und schlief abermals drei Tage und drei Nächte lang. Dann erwachte er und sprach: «Väterchen, gib mir deinen Segen, ich gehe auf Freite!»
«Was ist mit dir, Kindchen, bist ja erst neun Tage alt!»
«Gibst du mir deinen Segen, so fahre ich, gibst du ihn nicht, so fahre ich auch.»
«Nun, so fahre mit Gott», sprach der König und segnete ihn. Königssohn Johannes rüstete sich zur Reise und ging aus, um sich das rechte Pferd dafür zu holen. Als er schon recht weit gegangen war, begegnete ihm ein alter Mann: «Wohin des Weges, gehst du freiwillig oder unfreiwillig?»
«Ich habe keine Lust, mit dir zu reden», antwortete der Königssohn und ging weiter. Dann aber besann er sich: Warum habe ich dem Alten nichts gesagt? Alte Leute bringen einen zum Nachdenken. «Warte, Großväterchen, wonach hast du mich gefragt?»
«Wohin des Weges, habe ich gefragt, und ob du freiwillig gehst oder unfreiwillig?»
«Ich gehe freiwillig, zweimal soviel aber unfreiwillig. Als ich noch klein war, wiegte mich der Vater in der Wiege, versprach mir die Unaussprechliche Schönheit zur Gemahlin, dreier Mütter Tochter, dreier Großmütter Großtochter, von neun Brüdern die Schwester.»
«Du bist recht, und höflich ist deine Antwort. Doch wirst du dein Ziel nimmer zu Fuß erreichen, denn die Unaussprechliche Schönheit lebt weit, weit von hier.»
«Wie weit denn?» fragte der Königssohn.
«Am Ende der weiten Welt, im goldenen Reich, wo die Sonne aufgeht.»
«Was soll ich tun, Großväterchen, ich finde kein Pferd, auf dem noch niemand geritten ist, und auch kein seidenes Peitschlein, das noch niemand benutzt hat?»
«Du findest kein Pferd? Dein Vater besitzt dreißig Pferde, alle einander gleich. Geh heim, befiehl den Knechten, die Pferde am blauen Meer zu tränken. Das Pferd, das sich allen vorandrängt, bis zum Kopf ins Wasser geht, und anhebt zu trinken - im blauen Meer werden sich dabei Wellen erheben und von einem Ufer zum anderen wallen - das Pferd sollst du nehmen!»
«Dank für den guten Rat, Großväterchen», sagte der Königssohn, tat, wie der Alte ihn gelehrt hatte und erwählte sich sein Heldenroß. In der Nacht schlief er tief, am andern Morgen brach er auf, öffnete weit die Tore und wollte fort reiten.
Da sprach das Pferd mit menschlicher Stimme: «Königssohn Johannes, wirf dich auf die Erde, ich will dich zuerst einmal stoßen!» Das Pferd stieß ihn einmal, zweimal -aber kein drittes Mal: «Würde ich dich zum dritten Mal stoßen, die Erde könnte uns beide nicht mehr tragen!»
Königssohn Johannes nahm das Pferd aus den Ketten, zäumte und sattelte es, schwang sich in den Sattel und ritt davon, gerade noch sah ihn der König -.
Er ritt weit, weit fort. Der Tag wurde kürzer, die Nacht rückte heran, da lag ein Hof vor ihm, so groß wie eine Stadt, eine Hütte stand darin, so hoch wie ein Turm. Er ritt in den Hof, geradewegs bis vor die Stufen. Dort band er das Roß an einen kupfernen Ring. Dann trat er durch den Flur in die Hütte. Zuerst betete er zu Gott, dann bat er um Nachtlager. «Wohin führt dich Gott?» fragte die Alte, «übernachte, guter Jüngling.»
«Ach, du Alte, du fragst so unhöflich. Erst gib mir zu essen und bereite mir das Lager. Dabei magst du mich fragen!»
Die Alte tat nach seinen Worten, gab ihm zu essen und zu trinken und richtete das Lager. Dann fing sie wieder zu fragen an.
«Als ich ein kleines Kind war, wiegte mich mein Vater in der Wiege. Er versprach mir die Unaussprechliche Schönheit zur Gemahlin, dreier Mütter Tochter, dreier Großmütter Großtochter, von neun Brüdern die Schwester.»
«Du bist ein braver, junger Held, gibst höflich Antwort. Das siebte Jahrzehnt lebe ich zu Ende, aber von der Unaussprechlichen Schönheit habe ich nie gehört. Weiter auf dem Weg wohnt meine Schwester, vielleicht weiß sie es. Und nun schlafe, o Königssohn. Der Morgen ist weiser als der Abend.»
Der Königssohn schlief eine Nacht. Am Morgen stand er auf, wusch sich weiß und rein, führte sein Pferd hinaus, sattelte es und legte den Fuß in den Steigbügel. Er ritt weit, weit hinaus. Er ritt hoch, hoch hinauf. Der Tag wurde kürzer, die Nacht rückte heran. Da lag ein Hof vor ihm, so groß wie eine Stadt. Eine Hütte stand darin, so hoch wie ein Turm. Er ritt in den Hof, bis vor die Stufen. Dort band er sein Pferd an den silbernen Ring. Dann trat er durch den Flur in die Hütte. Er betete zu Gott und bat um ein Nachtlager.
«Fuh, fuh», rief die Baba Jaga, «noch nie habe ich einen russischen Knochen gerochen, noch keinen gesehen und von keinem gehört, und jetzt kommt er von selber auf meinen Hof! Woher des Weges, Königssohn Johannes?»
«Ach, altes Weib, was sagst du fuh fuh, und warum fragst du so unhöflich? Gib mir lieber zu essen und zu trinken und ein Lager für die Nacht, danach kannst du mich fragen.»
Sie setzte ihn an den Tisch, gab ihm zu essen und zu trinken und richtete
das Lager. Dann setzte sie sich zu seinen Häupten und sprach: «Wohin führt dich Gott?»«Mütterchen, als ich noch klein war, wiegte mich der Vater in der Wiege, versprach mir die Unaussprechliche Schönheit zur Gemahlin, dreier Mütter Tochter, dreier Großmütter Großtochter, von neun Brüdern die Schwester.»
«Du bist recht, wackerer Jüngling», sagte die Alte, «du sprichst höflich, gibst ehrfürchtig Antwort. Das achte Jahrzehnt lebe ich zu Ende, aber von der Unaussprechlichen Schönheit habe ich nie gehört. Weiter auf dem Weg wohnt meine älteste Schwester, vielleicht weiß sie davon. Sie hat viele, die ihr Auskunft geben müssen. Die ersten, die ihr Antwort geben, sind die Tiere des Waldes, die zweiten die Vögel in der Luft, und die dritten sind die Fische und Untiere des Meeres. Alles auf der weiten Welt ist ihr untertan. Reite morgen zu ihr. Aber jetzt sollst du schlafen, der Morgen ist weiser als der Abend.»
Königssohn Johannes schlief eine Nacht. Früh stand er auf, wusch sich weiß und rein, sattelte sein Roß und -fort war er.
Er ritt weit, weit hinaus, er ritt hoch, hoch hinauf. Der Tag wurde kürzer, die Nacht rückte heran. Da lag ein Hof vor ihm, so groß wie eine Stadt, eine Hütte stand darin, so hoch wie ein Turm. Er ritt in den Hof, bis vor die Stufen. Dort band er sein Pferd an den goldenen Ring. Dann trat er durch den Flur in die Hütte. Er betete zu Gott und bat um ein Nachtlager.
«Ach, du so und so», schrie die Baba Jaga, «keinen eisernen Ring bist du wert und an den goldenen bindest du dein Pferd?»
«Schon recht, Großmütterchen, schilt nicht, das Pferd kann man losmachen und an einen anderen Ring binden.»
«Na, junger Mann, hat dir die Alte eins gegeben? Fürchte dich nicht, setze dich aufs Bänkchen, ich will dich fragen. Sage mir, woher du stammst, aus welchen Städten du kommst?»
«Ach, Großmütterchen, zuerst sollst du mir zu essen und zu trinken geben, dann magst du mich fragen. Du siehst ja, der Mensch kommt von der Reise, und hat den ganzen Tag nichts gegessen.»
Sofort stellte die Alte einen Tisch hin, brachte Salz und Brot, goß Branntwein ins Glas, und fing an, den Königssohn zu bewirten. Er aß und trank, warf sich aufs Lager und erzählte ihr alles.
«Als ich noch klein war, wiegte mich der Vater in der Wiege. Versprach mir die Unaussprechliche Schönheit zur Gemahlin, dreier Mütter Tochter, dreier Großmütter Großtochter, von neun Brüdern die Schwester. Sage mir, Mütterchen, tu mir die Liebe an - wo lebt die Unaussprechliche Schönheit, wie kann ich zu ihr gelangen?»
«Das weiß ich selber nicht, o Königssohn. Mein neuntes Jahrzehnt lebe
ich schon zu Ende, aber von dieser Schönheit habe ich noch nie gehört. Nun schlafe mit Gott! Morgen früh rufe ich alle meine Hörigen zusammen, vielleicht weiß es einer von ihnen.»Am andern Tage stand die Alte früh auf, wusch sich weiß und rein und trat mit dem Königssohn auf die Schwelle. Sie rief wie ein Held und pfiff wie ein Jüngling über das Meer hin: «Ihr Fische und alle Untiere des Meeres, sammelt euch hierher!» Sogleich fing das blaue Meer an zu wallen und zu wogen. Die großen und die kleinen Fische und alle Tiere der Tiefe sammelten sich und bedeckten das Wasser bis ans Ufer. «Wo lebt die Unaussprechliche Schönheit, dreier Mütter Tochter, dreier Großmütter Großtochter, von neun Brüdern die Schwester?»
Da antworteten alle Fische und alle Untiere des Wassers mit einer Stimme: «Mit den Augen haben wir sie nie gesehen, mit den Ohren nie von ihr gehört.»
Da rief die Alte hinauf zum Himmelszelt: «Sammelt euch, ihr Vögel in der Luft!» Die Vögel kamen geflogen, bedeckten das Himmelszelt. «Wo lebt die Unaussprechliche Schönheit, dreier Mütter Tochter, dreier Großmütter Großtochter, von neun Brüdern die Schwester?» «Mit den Augen haben wir sie nie gesehen, mit den Ohren nie von ihr gehört.»
«Nun bleibt niemand mehr zu befragen», sagte die Alte, nahm den Königssohn bei der Hand und führte ihn in die Hütten Kaum waren sie eingetreten, da kam der Mogol geflogen und fiel nieder zur Erde. Es wurde dunkel, und in den Fenstern erlosch das Licht. «O Mogol, Lebensvogel, wo warst du, wo flogst du, daß du dich so verspätet hast?»
«Ich habe die Unaussprechliche Schönheit für die Heilige Handlung geschmückt.»
«Das brauche ich jetzt, Vogel Mogol, tue mir einen Dienst, trage den Königssohn Johannes dahin!»
«Gerne diene ich dir», antwortete der Vogel Mogol, «aber es braucht viel Wegzehrung.»
«Wieviel denn brauchst du?»
«Drei Maß Fleisch, das Maß zu vierzig Eimern, und einen Bottich Wasser.»
Der Königssohn füllte einen Bottich mit Wasser. Er erhandelte Rinder, schlachtete sie und füllte drei Maß mit Fleisch und lud sie dem Vogel auf. Dann ging er zum Schmied und schmiedete sich eine lange Lanze aus Eisen. Darauf kehrte er zurück und nahm Abschied von der Alten: «Leb wohl, Mütterchen, füttere mein gutes Roß, ich werde dir alles lohnen.»
Er setzte sich auf den Rücken des Vogels, und schon erhob sich Mogol in die Lüfte und flog davon. Der Vogel flog und wendete den Kopf unaufhörlich
zurück. Sobald er zurückschaute, reichte ihm Johannes ein Stück Fleisch auf der Lanzenspitze. Sie flogen eine Zeitlang, zwei Maß waren verfüttert, das dritte schon angebrochen. Da sprach der Königssohn zum Vogel: «Vogel Mogol, laß dich auf die feuchte Erde fallen, wenig bleibt dir zur Nahrung!»«Was fällt dir ein», sprach der Vogel, «da unten sind undurchdringliche Wälder und grundlose Sümpfe. Bis zum Ende der Zeiten würden wir leiden.» Der Königssohn hatte alles Fleisch verfüttert und stieß die leeren Fässer hinab. Der Vogel Mogol flog und wandte sich um.
«Was soll ich tun?» dachte Johannes. Er schnitt seine beiden Waden heraus und gab sie dem Vogel zum Fraß. Der Vogel verschlang sie - und flog hin zu grünen Wiesen, zu seidenen Gräsern, zu blauen Blumen. Da ließ er sich nieder auf die Erde. Johannes stieg herab und bewegte seine Glieder, aber er hinkte auf beiden Beinen.
«Was hast du, Königssohn, du hinkst doch nicht?»
«Doch, Vogel Mogol, ich hinke. Ich habe meine beiden Waden herausgeschnitten und dich damit gefüttert. Deshalb hinke ich.»
Da würgte der Vogel die Waden heraus, legte sie auf die Beine und spie darauf. Die Waden wuchsen an, und der Königssohn schritt wieder kraftvoll und rüstig aus wie zuvor.
Er kam in eine große Stadt. Bei einem alten Mütterchen vom Hinterhof blieb er, um auszuruhen. Spricht zu ihm das Mütterchen vom Hinterhof: «Schlafe, Königssohn Johannes, beim ersten Glockenschlag wecke ich dich auf!»
Der Königssohn legte sich hin und schlief alsobald ein. Er schläft den Tag, er schläft die Nacht. Die Glocken läuteten zum Frühgottesdienst, das Mütterchen vom Hinterhof kommt gelaufen und fängt an, ihn zu wecken. Sie schlägt mit allem auf ihn ein, was ihr nur in die Hände kommt. Aber es gelingt ihr nicht, ihn zu wecken.
Der Frühgottesdienst verging; die Glocken läuteten zur Messe. Die Unaussprechliche Schönheit fuhr zur Kirche. Wieder kommt das alte Mütterchen vom Hinterhof gelaufen, fängt an, ihn zu wecken, mit allem, was ihr zur Hand kommt, schlägt sie auf den Schlafenden ein. Mit Mühe und Not weckt sie ihn auf.
Schnell sprang Johannes auf, wusch sich weiß und rein, kleidete sich schmuck und fein und ging zum Gottesdienst. Er trat in das Gotteshaus, betete vor den Heiligenbildern, verbeugte sich nach allen vier Himmelsrichtungen und insbesondere vor der Unaussprechlichen Schönheit. So standen sie nebeneinander und beteten zu Gott. Am Ende der Heiligen Handlung trat sie als erste unter das Kreuz. Er folgte als zweiter hinter ihr drein.
Danach schritt er über die Schwelle und sah auf das blaue Meer. Da kamen sechs Schiffe, sechs Helden kamen gefahren, um die Königstochter zu
freien. Sie erblickten den Königssohn Johannes, fingen an zu lachen: «Du kropfiger Bauer, steht dir so eine Schönheit zu? Nicht ihren kleinen Finger bist du wert!» Sie sagten es einmal, sie sagten es zweimal. Als sie es zum drittenmal sagten, kränkte sich der Königssohn. Er winkte mit der einen Hand - da entstand eine Gasse, er winkte mit der anderen Hand - rundherum war alles wie reingefegt. Er selber ging zum Mütterchen vom Hinterhof.«Nun, Königssohn Johannes, hast du die Unaussprechliche Schönheit gesehen?»
«Ich habe sie gesehen und werde sie in Ewigkeit nicht vergessen!»
«Nun, so lege dich schlafen. Morgen wird sie wieder zur Messe gehen. Beim ersten Glockenschlag wecke ich dich auf.»
Der Königssohn legte sich hin. Er schläft den Tag, er schläft die Nacht. Die Glocken läuteten zur Frühmesse, und die Alte vom Hinterhof kommt gelaufen. Sie versucht, ihn zu wecken, mit allem, was ihr zur Hand kommt, schlägt sie auf ihn ein - nein, er erwacht nicht. Es läutete zur Mittagsmesse, und wieder schlug sie ihn und weckte ihn. Endlich sprang er auf, wusch sich weiß und rein, warf sich in schmucke Kleider und lief zur Kirche. Er trat zu den Heiligenbildern, verneigte sich nach allen vier Himmelsrichtungen, insbesondere aber vor der Unaussprechlichen Schönheit. Sie schaute ihn an und errötete. So standen sie nebeneinander und beteten zu Gott. Am Ende der heiligen Handlung trat sie als erste unter das Kreuz, er folgte als zweiter hinter ihr drein.
Dann schritt er über die Schwelle und sah auf das blaue Meer. Da fahren Schiffe herbei. Zwölf Helden kommen gefahren, fangen an, um die Unaussprechliche Schönheit zu freien. Sie spotten über den Königssohn: «Du kropfiger Bauer, steht dir so eine Schönheit zu? Nicht ihren kleinen Finger bist du wert!»
Die Reden kränkten den Königssohn. Er winkte mit der einen Hand, da entstand eine Gasse, er winkte mit der anderen Hand - rundherum war alles wie rein gefegt. Er selber ging zum Mütterchen vom Hinterhof.
«Nun, hast du die Unaussprechliche Schönheit gesehen?»
«Ich habe sie gesehen und werde sie in Ewigkeit nicht vergessen!»
«So schlafe, morgen früh wecke ich dich wieder auf.»
Der Königssohn legte sich hin. Er schläft den Tag, er schläft die Nacht. Als die Glocken zur Frühmesse läuten, kommt die Alte vom Hinterhof gelaufen, um ihn zu wecken. Sie schlägt und schlägt auf ihn ein, wie sich's trifft, ohne Erbarmen, aber er erwacht nicht. Bis die Glocken zur Mittagsmesse läuten müht sie sich, und endlich gelingt es ihr doch.
Flink sprang der Königssohn auf, wusch sich, kleidete sich schmuck und eilte zur Kirche. Er betete zu den Heiligenbildern und verneigte sich nach
allen vier Himmelsrichtungen und besonders vor der Unaussprechlichen Schönheit. Sie grüßte ihn und stellte ihn zu ihrer Rechten. Selbst stand sie zur Linken. So standen sie und beteten zu Gott. Diesmal trat er am Ende der heiligen Handlung als erster unter das Kreuz, sie folgte als zweite hinter ihm drein.Dann schritt er über die Schwelle und sah auf das blaue Meer. Da kommen Schiffe gefahren, vierundzwanzig Helden kommen gefahren, fangen an, um die Unaussprechliche Schönheit zu freien. Sie verspotten den Königssohn: «Du kropfiger Bauer, steht dir so eine Schönheit zu?» Sie umringen den Königssohn, suchen ihm die Braut zu entreißen. Der Königssohn hielt es nicht aus, er winkte mit der einen Hand, da entstand eine Gasse, er winkte mit der anderen Hand - rundherum war alles wie reingefegt, er hatte sie bis zum Letzten erschlagen. Die Unaussprechliche Schönheit nahm ihn an der Hand und führte ihn in ihre Gemächer. Sie setzte ihn an die eichenen Tische mit den gemusterten Tischtüchern. Sie bewirtete ihren Gast, nannte ihn ihren Bräutigam und erwies ihm reiche Gastfreundschaft.
Bald darauf machten sie sich auf den Weg und fuhren in das Reich des Königssohn Johannes. Sie fuhren und fuhren - auf freiem Feld machten sie Halt, um auszuruhen. Die Unaussprechliche Schönheit legte sich schlafen, und Königssohn Johannes bewachte ihren Schlaf. Nun hat sie sich ausgeschlafen, ist wieder aufgewacht, und der Königssohn spricht zu ihr: «Unaussprechliche Schönheit, hüte du meinen weißen Leib, denn auch ich will schlafen!»
«Und wie lange wirst du schlafen?»
«Neun Tage und neun Nächte werde ich mich nicht von einer Seite auf die andere drehen, wenn du mich wecken willst - du kannst mich nicht wecken. Kommt die Zeit, so erwache ich von selber.»
«So lange, Königssohn? Da werde ich mich nach dir sehnen!»
«Ob lang oder nicht lang, es muß so sein!»
Er legte sich nieder und schlief genau neun Tage und neun Nächte. Während dieser Zeit aber kam der unsterbliche Knochenmann und trug die Unaussprechliche Schönheit fort in sein Reich.
Der Königssohn erwachte aus dem Schlaf, schaute um sich, die Unaussprechliche Schönheit war fort. Da fing er an zu weinen. Dann ging er weiter ohne Weg und Steg. Ob es lang war oder nicht so lang -endlich kam er in das Reich des unsterblichen Knochenmannes. Dort bat er ein altes Weiblein um Rast.
«Was gehst du so traurig einher?»
«Großmütterchen, so und so ist es mir ergangen. Alles habe ich besessen, alles habe ich verloren.»
«Schlecht steht es um deine Sache, Königssohn Johannes. Den Knochenmann kannst du nicht umbringen.»
«Wenigstens anschauen will ich meine Braut, die Unaussprechliche Schönheit.»
«Nun, so lege dich hin und schlafe, morgen zieht der Knochenmann in den Krieg.»
Königssohn Johannes legte sich hin, aber an Schlaf dachte er nicht. Frühmorgens zog der Knochenmann zum Hofe hinaus. Königssohn Johannes ging in den Hof hinein, trat vor das Haus und klopfte ans Tor. Die Unaussprechliche Schönheit öffnete, schaute hinaus und weinte. Dann gingen sie in die Stube, setzten sich an den Tisch und fingen an zu reden. Und der Königssohn belehrte sie: «Frage den unsterblichen Knochenmann: Wo ist dein Tod?»
«Gut, ich werde ihn fragen.»
Kaum war Johannes vom Hofe fortgegangen, so kam der unsterbliche Knochenmann in den Hof: «Hier riecht's nach einem russischen Knochen, sicher war der Königssohn Johannes bei dir!»
«Was fällt dir ein, unsterblicher Knochenmann! Wie sollte ich den Königssohn sehen? Er blieb ja zurück in den dunklen Wäldern, in den grundlosen Sümpfen, gewiß haben ihn mittlerweile die wilden Tiere zerrissen.» Sie setzten sich zum Nachtmahl. Während des Nachtmahls fragte die Unaussprechliche Schönheit: «Sage mir, unsterblicher Knochenmann, wo ist dein Tod?»
«Mußt du das wissen, du törichtes Weib? Mein Tod ist in den Reisigwisch gebunden.»
Frühmorgens ritt der Knochenmann wieder in den Krieg.
Der Königssohn kam zur Unaussprechlichen Schönheit, nahm den Reisigbesen und überzog ihn mit hellem, reinem Golde. Kaum war der Königssohn weggegangen, da kam der Knochenmann auf den Hof: «Ah, hier riecht's nach einem russischen Knochen, sicher war der Königssohn Johannes bei dir!»
«Was fällt dir ein, unsterblicher Knochenmann! Flogst ja selber durch Rußland, nahmst in dich auf den russischen Geist, du riechst nach russischem Geist. Wie sollte ich denn den Königssohn sehen? Er blieb ja zurück in den dunklen Wäldern, in den grundlosen Sümpfen; gewiß haben ihn mittlerweile die wilden Tiere zerrissen.»
Die Zeit zum Nachtmahl kam. Die Unaussprechliche Schönheit setzte sich auf einen Stuhl, den Knochenmann ließ sie auf der Bank sitzen. Da schaute er zur Schwelle -dort lag der vergoldete Besen.
«Was ist das?» fragte der Knochenmann.
«Ach, unsterblicher Knochenmann, du siehst doch selber, wie ich dich ehre. Da du mir teuer bist, so ist es auch dein Tod.»
«Törichtes Weib, ich habe nur gescherzt, mein Tod hängt draußen im Eichenzaun.»
Frühmorgens ritt der Kochenmann fort. Der Königssohn Johannes kam und vergoldete den ganzen Zaun. Am Abend kehrte der unsterbliche Knochenmann zurück: «Ah, hier riecht's nach einem russischen Knochen, sicher war der Königssohn Johannes bei dir!»
«Was fällt dir ein, unsterblicher Knochenmann. Hab ich dirs nicht oft genug gesagt? Flogst ja selber durch Rußland, nahmst in dich auf den russischen Geist. Du riechst nach russischem Geist! Wie soll ich denn den Königssohn sehen? Blieb er doch zurück in den dunklen Wäldern, in den grundlosen Sümpfen. Sicher haben ihn längst die wilden Tiere zerrissen.»
Sie setzten sich zum Nachtmahl nieder. Die Unaussprechliche Schönheit setzte sich selbst auf die Bank. Ihm gab sie den Stuhl. Der Knochenmann blickte durchs Fenster. Da steht der vergoldete Zaun, brennt wie Feuerlohe. «Was ist das?»
«Unsterblicher Knochenmann, du siehst doch selber, wie ich dich ehre, da du mir teuer bist, so ist es mir auch dein Tod!»
Diese Rede gefiel dem Knochenmann: «Ach, du törichtes Weib, ich habe nur gescherzt. Mein Tod ist im Ei. Das Ei ist im Entchen, das Entchen im Wurzelstock. und der Wurzelstock schwimmt im Meer.»
Sobald am Morgen der Knochenmann in den Krieg gezogen war, brachte die Unaussprechliche Schönheit dem Königssohn weißes gutes Brot und erzählte ihm, wo man den Tod des Knochenmannes zu suchen habe.
Der Königssohn Johannes machte sich auf und wanderte fort, wanderte ohne Weg und Steg, bis er ans breite, weite Meer kam. Da wußte er nicht mehr, wohin er gehen solle. Das Brot war längst aufgezehrt. Es gab nichts mehr zu essen. Plötzlich flog ein Habicht daher. Königssohn Johannes zielte: «Nun hab ich dich, Habicht, ich schieße dich herab und esse dich, wie du bist!»
«Iß mich nicht, Königssohn Johannes, zur rechten Stunde werde ich dir nützlich sein!»
Ein Bär lief des Weges daher: «Krummpfotiger Michel, ich erschlage dich, und esse dich, wie du bist!»
«Iß mich nicht, Königssohn Johannes, zur rechten Stunde werde ich dir nützlich sein!»
«Sieh, da zittert ein Hecht am Ufer!»
«Oh, du vielzahniger Hecht, habe ich dich, so esse ich dich, wie du bist!»
«Iß mich nicht, Königssohn Johannes, wirf mich lieber ins Meer, zur rechten Stunde werde ich dir nützlich sein.»
Da stand der Königssohn und dachte bei sich: Wann wird die rechte Stunde wohl kommen? — noch muß ich bitteren Hunger leiden. Auf einmal
wallte das blaue Meer auf, die Wasser wogten und ergossen sich über die Ufer. Der Königssohn stürzte den Berg hinauf. Er lief aus aller Kraft; aber das Wasser jagte ihm nach, bis an die Fersen. Endlich erreichte er den Gipfel und stieg auf einen Baum. Nach einer Weile fielen die Wasser. Das Meer wurde still und legte sich. Am Ufer tauchte ein großer Baumstumpf auf. Der Bär kam gelaufen, packte den Wurzelstock und schlug ihn so gegen die Erde, daß er auseinanderbrach. Ein weißes Entchen flog heraus und schwang sich hoch in die Luft. Plötzlich tauchte von irgendwoher der Habicht auf, stürzte sich auf das Entchen und zerriß es in zwei Stücke. Aus dem Entchen fiel das Ei und fiel mitten ins Meer. Dort erschnappte es der Hecht, schwamm zum Ufer und brachte es dem Königssohn. Der verbarg das Ei an seiner Brust und ging zum unsterblichen Knochenmann.Er kam zu ihm in den Hof, da traf ihn die Unaussprechliche Schönheit, küßte ihn auf den Mund und lehnte sich an seine Schulter. Der Knochenmann aber saß am Fenster und drohte: «Königssohn Johannes, willst du mir die Unaussprechliche Schönheit fortnehmen, so bist du des Todes!» «Du selbst hast sie mir fortgenommen», antwortete der Königssohn. Er nahm das Ei aus dem Brustlatz und hielt es dem Knochenmann entgegen: «Was ist das?»
Das Licht des Tages verging dem Knochenmann. Er wurde still und fügte sich. Königssohn Johannes ließ das Ei von einer Hand in die andere fallen, immer schneller. Da fiel der unsterbliche Knochenmann in sich zusammen und starb.
Kostbare Schätze fand der Königssohn im Hause des Knochenmanns. Er spannte Pferde vor einen goldenen Wagen, nahm ganze Säcke voll Silber und Gold mit und fuhr mit seiner Braut, der Unaussprechlichen Schönheit, heim zum leiblichen Vater. Ob es lang war oder nicht so lang - sie kamen zu derselben Alten, die alle Tiere befragen konnte, die Fische, die Vögel und die Tiere des Waldes. Als der Königssohn sein Roß wiedersah, rief er: «Gott sei gelobt, mein Rappe lebt!» Und überschüttete die Alte mit Gold für des Pferdes Futter und Pflege. Und wenn sie noch einmal neunzig Jahre lebte, das wird sie nicht verleben.
Dann rüstete er einen Boten aus und schickte ihn mit einem Brief zum König: «Väterchen, komme deinem Sohn entgegen, ich komme mit meiner Braut, der Unaussprechlichen Schönheit!»
Der Vater erhielt den Brief, las ihn und traute kaum seinen Augen: Wie kann das sein, Johannes ritt fort, da war er nur neun Tage alt! Hinter dem Boten kam schon der Königssohn gefahren. Der König sah, daß sein Sohn die Wahrheit geschrieben hatte, lief hinaus auf die Freitreppe ihm entgegen und befahl, die Trommel zu schlagen und Musik zu spielen.
«Väterchen, segne mich zur Hochzeit!»
Und da man bei Königen nicht erst Bier zu brauen braucht und Wein zu keltern, denn von allem haben sie in Fülle, so wurde noch am selben Tage die Hochzeit mit einem fröhlichen Festmahl gefeiert, und der Königssohn Johannes wurde mit der Unaussprechlichen Schönheit vermählt. Auf allen Wegen standen große Fässer mit allerlei Getränken, und ein jeder konnte hinzutreten und trinken, soviel die Seele verlangte.
Auf jener Hochzeit bin ich auch gewesen und habe Honigmet und Wein getrunken. Es floß mir über den Bart, doch nicht in meinen Mund. Aber in meinem Herzen wurde ich trunken und satt.
DIE ZARJUNGFRAU
In einem Reich, in einem Weltreich, lebte einmal ein Zar mit seiner Zarin. Die hatten einen Sohn, Wassilij Zarewitsch, und diesem war ein Leibdiener beigegeben.
Die Zarin starb, und der Zarewitsch blieb als Waise zurück. Der Zar überlegte lange, ob er ihn vermählen sollte oder selber eine neue Gemahlin nehmen. Endlich entschloß er sich, selber zu heiraten. Er nahm eine junge Frau, die war bald Alleinherrscherin im Hause und Wassilij Zarewitsch eine böse Stiefmutter. Der Zar lebte eine Zeitlang mit ihr. Dann wurde er krank und starb. Die Zarin aber verband sich mit dem Diener des Zarewitsch.
Eines Tages sprach Wassilij Zarewitsch zu seinem Diener: «Laß uns an der Stadtmauer spazieren gehen!» Sie gingen hin, wandelten hin und her und stiegen an der Mauer hinab. Auf einmal riefen aus einem steinernen Turm drei Stimmen: Ein Löwe, ein Drache und ein Rabe riefen dem Zarewitsch zu: «Befreie uns aus der Gefangenschaft, Wassilij Zarewitsch, wir werden dich von drei Toden erretten!»
«Hörst du, wer uns ruft, was an der Stadtmauer geschieht?»
«Nein, Wassilij Zarewitsch, Ich höre nichts.»
«Wenn du es nicht hörst, so sollst du es auch in Ewigkeit nicht hören!» Und sie kehrten nach Hause zurück.
Am Abend legte sich Wassilij Zarewitsch früh zu Bett und entließ seinen Diener. Der Diener war froh und eilte fort, um sich mit der Stiefmutter zu vergnügen. Wassilij wartete eine Zeitlang, stand leise auf, nahm ein Brecheisen von fünfundzwanzig Pud Gewicht, kletterte aus dem Fenster und ging wieder zur Stadtmauer. Er schlug einmal und noch einmal zu und zerschlug den Turm. Der Löwe, der Drache und der Rabe kamen hervor, umringten den Zarewitsch und sprachen: «Wassilij Zarewitsch, höre, was
wir dir sagen! Als du noch deinen leiblichen Vater und deine leibliche Mutter hattest, da suchten sie lange für dich nach einer Braut. Sie fanden sie hinter den dreimal neun Ländern, im dreimal zehnten Zarenreich und freiten für dich um die Zarjungfrau; du sollst keine andere Jungfrau nehmen und sie keinen anderen Mann. Jetzt sind bald zwölf Jahre vergangen, daß sie dich erwartet. Nimm morgen die Gusli, besteige ein Schiff und fahre hinaus auf das Meer! Wenn du draußen auf dem Meere bist und auf der Gusli spielst, wird alsbald die Zarjungfrau erscheinen. Aber hüte dich, wenn der Schlaf dich übermannen will - du darfst nicht einschlafen! Wenn du schläfst, kann sie dich nicht erwecken und muß dich wiederum verlassen. Und noch eines sagen wir dir: Sei auf der Hut, Zarewitsch, morgen früh erwartet dich ein Tod!»«Was für ein Tod?»
«Deine Stiefmutter wird drei Kuchen mit Drachenfett backen und sie dir schicken. Iß sie nicht, sondern stecke sie in die Tasche, in kurzer Zeit wirst du das ganze Übel erkennen.»
Gesagt, getan. Der Zarewitsch nahm die Kuchen, steckte sie in seine Tasche und ging hinunter an die Stadtmauer. Er griff in seine Tasche und zog eine Natter heraus, er griff zum zweiten Male und holte eine Giftschlange hervor, er faßte zum dritten Male zu und packte einen Frosch.
«Der Löwe, der Drache und der Rabe sprachen die Wahrheit, hätte ich die drei Kuchen gegessen, so wäre das alles in meinem Inneren lebendig geworden.»
Der Zarewitsch kehrte nach Hause zurück, nahm die Gusli und sagte zu seinem Diener: «Komm, wir besteigen das Schiff und fahren hinaus auf das offene Meer!» Der Diener eilte zur Stiefmutter: «Der Zarewitsch will auf das Meer hinausfahren und seine Gusli mitnehmen!»
Da sprach zu ihm die Zariza: «Hier hast du eine kupferne Nadel, stecke sie dem Zarewitsch in den Rockkragen, dann wird er in einen tiefen Schlaf fallen, aus dem ihn niemand erwecken kann. Und käme einer zu Fuß oder zu Wagen - er könnte es nicht!»
Der Diener nahm die Nadel und ging mit dem Zarewitsch zum Hafen. Sie setzten sich in ein Schiff und fuhren hinaus auf das offene Meer, und Wassilij Zarewitsch fing an, auf der Gusli zu spielen. Die Zarjungfrau hörte sein Spiel hinter den dreimal neun Ländern. Sie versammelte sechs Regimenter, eilte zu ihren schnellen Schiffen und fuhr dem Zarewitsch entgegen. Als sie auf drei Werst herangekommen waren, erblickte der Zarewitsch die weißen Segel und zeigte sie seinem Diener: «Wessen Schiffe schwimmen dort?»
«Wie kann ich das wissen?» antwortete der Diener, nahm die kupferne Nadel und steckte sie ihm in den Rodckragen.
«Ach, wie habe ich so große Lust zum Schlafen», sagte der Zarewitsch, legte sich hin und schlief fest ein. Die Zarjungfrau kam herbei, ließ eine Brücke von ihrem Schiff auf das Schiff des Wassilij Zarewitsch schlagen, ging zu ihm und versuchte ihn aufzuwecken. Sie küßte ihn und wiegte ihn auf der Plane hin und her. Sie sprach zärtliche Worte zu ihm - nein, sie vermochte ihn nicht zu erwecken. Schließlich sprach sie zu dem Diener: «Grüße mir Wassilij Zarewitsch, sage ihm, er solle sich am Abend schlafen legen und sich meinetwegen nicht betrüben, morgen komme ich wieder.» Damit fuhr sie ab.
Sobald sie ein oder zwei Werst weit geschifft war, und der Diener sah, daß man sie mit der Stimme rufen, aber nicht erreichen, mit der Hand sie nicht mehr zurückwinken könne, faßte er die Nadel und zog sie heraus. Wassilij Zarewitsch erwachte: «Im Traum schien es mir, als ob ein Vöglein um mich herumflatterte und so traurig zwitscherte, daß das Herz mir jetzt noch schwer Ist.»
«Kein Vöglein umflatterte dich», antwortete der Diener, «sondern die Zarjungfrau selber war hier. Sie küßte und streichelte dich, sie wiegte dich auf der Plane hin und her, konnte dich aber um keinen Preis erwecken. Als sie wegfuhr, wünschte sie, daß du dich am Abend schlafen legen sollst, am Morgen aber früh aufstehen und wieder herausfahren aufs Meer.»
Sie kehrten nach Hause zurück, und der Zarewitsch legte sich nieder, aber vor Kummer vermochte er nicht zu schlafen. Am Morgen stand er früh, sehr früh auf und sprach zu seinem Diener: «Gehen wir hinab auf das Schiff!» Der Diener hinterbrachte es eilends der bösen Stiefmutter, daß der Zarewitsch wieder aufs Meer hinausfahre mit seiner Gusli. «Hier hast du eine zweite Nadel», sagte die Zariza, «tu mit ihr heute dasselbe, was du gestern tatest!»
Der Diener nahm die Nadel und ging mit seinem Herrn zum Hafen. Sie setzten sich in das Schiff und fuhren hinaus auf das Meer. Der Zarewitsch spielte auf seiner Gusli - er spielte so zart, so süß, daß man es gar nicht erzählen kann. Die Zarjungfrau hörte sein Spiel, es hielt sie nicht mehr, sie sprang auf und rief mit lauter Stimme: «Auf, Ihr Schiffsleute, lichtet die eisernen Anker, spannt die leichten Segel und macht Euch bereit, schnell dem Zarewitsch entgegen zu fahren! Wir müssen früh zur Stelle sein, bevor er in den Schlaf fällt, aus dem er nicht zu erwecken ist.» Ihre Schiffe flogen über das Meer wie leichtbeschwingte Vögel. Als sie drei Werst weit entfernt waren, erblickte Wassilij Zarewitsch die weißen Segel und fragte seinen Diener: «Wessen Schiffe schwimmen dort?»
«Wie soll ich das wissen?» antwortete der Diener, nahm die Nadel und steckte sie dem Zarewitsch in den Rodckragen. Der Schlaf überfiel Wassilij Zarewitsch. Er wusch sich mit kaltem Wasser, wollte sich um jeden Preis
wach erhalten, aber es half nichts, der Wackere hielt es nicht aus. Er legte sich auf das Verdeck und schlief wie ein Toter.Die Zarjungfrau kam herbei, ließ eine Brücke von ihrem Schiff auf das Schiff des Wassilij Zarewitsch schlagen, ging zu ihm und fing an ihn zu wecken. Sie küßte ihn, wiegte ihn auf der Plane, aber er schlief und erwachte nicht. Sie fing an, ihn zu besprengen, mit kaltem Wasser zu begießen - so wird er wohl erwachen - aber nein, es hilft nichts, er ist nicht zu erwecken. Endlich schrieb sie ein Brieflein, legte es dem Zarewitsch auf die weiße Brust, kehrte auf ihr Schiff zurück und fuhr davon. In jenem Brieflein stand geschrieben: «Lebe wohl, Wassilij Zarewitsch, erwarte mich nicht zum dritten Male. Wer mich liebt, der wird mich selber finden.»
Als sie so weit davongeschifft war, daß man sie nicht mehr mit der Stimme erreichen, nicht mehr mit der Hand zurückwinken konnte, nahm der Diener die Nadel aus dem Rodckragen. Der Zarewitsch erwachte: «Wieder schien es mir, als ob da ein Vöglein herumflog!»
«Es war kein Vöglein», sagte der Diener. «Es war die wunderschöne Zarjungfrau selber, die um dich war. Sie streichelte und küßte dich, sie wiegte dich auf der Plane, mit kaltem Wasser übergoß sie dich, aber sie konnte dich nicht erwecken.»
«Und was für ein Schreiben liegt auf meiner Brust?»
«Diesen Brief hat sie dir geschrieben.»
Der Zarewitsch öffnete den Brief, las ihn und weinte bittere Tränen: «Jetzt sehe ich, daß der Löwe, der Drache und der Rabe die Wahrheit sprachen, ich sollte mich vor dem Schlafen hüten. Aber das sieht man auch, seinem Schicksal kann man nicht entrinnen.»
In großem Kummer fuhr er nach Hause, nahm seine Büchse in die weißen Hände und ging in den grünen Garten, um sich den Gram zu vertreiben. Auf seinem liebsten Apfelbaum saß ein schwarzer Rabe und krächzte: «Krah, krah, Wassilij Zarewitsch, du hörtest nicht auf uns, du konntest nicht wach bleiben, jetzt beklage dich über dich selber.» Wie, denkt der Zarewitsch, sollte ein Vogel über mich spotten? Legte die Büchse an, drückte den Hahn ab und brach dem Raben den rechten Flügel. Aber da wurde ihm noch elender zumute, und er lief hinaus auf das freie Feld.
Er ging und ging und kam zu einem Hirten, der seine Rosse weidete. «Gott helfe dir die Herde weiden!» grüßte der Zarewitsch.
«Ich wünsche dir alles Gute, Wassilij Zarewitsch», antwortete der Hirte.
«Woher kennst du mich?»
«Wie sollte ich dich nicht kennen? Habe ich doch bei deinem Väterchen dreißig Jahre als Hirte gedient. Ich heiße Iwaschka Weißhemdchen mit dem weißen Käppchen. Früher war ich ein erster Wojewode, aber dein Vater wurde zornig auf mich und versetzte mich unter die Hirten.
«Iwasdika Weißhemdchen mit dem weißen Käppchen, weißt du nicht ein Pferd für mich? Wenn du mir ein gutes Pferd aussuchst, werde ich deiner in alle Ewigkeit nicht vergessen, und, wenn ich wieder zur Zeit da sein werde, dich wieder zum ersten Wojewoden machen.»
«Wie soll ich dir ein Pferd aussuchen, da ich deine Kräfte nicht kenne? Hier steht ein Weidenbusch, versuche es, reiße ihn samt der Wurzel aus!» Wassilij Zarewitsch faßte den Weidenbusch und riß ihn samt der Wurzel aus. Unter dem Busch lag eine Heldenrüstung, Schwert, Lanze und Schild und die Rüstung für das Pferd. Der Zaum wog drei Pud, der Sattel fünfundzwanzig Pud, die Lanze einhundertfünfzig Pud.
«Nun, Zarewitsch, erwarte mich hier», sagte Iwaschka Weißhemdchen, «morgen früh treibe ich die Pferde wieder hierher. Allen voran wird eine Stute laufen und hinter ihr her ein Hengst. Sie werden sich ins Wasser stürzen und weit, weit hinausschwimmen. Wenn zu Mittag die Sonne sich wendet und die Hitze abnimmt, wird der Hengst die Stute auf grüne Wiesen jagen. Dann habe acht und sei nicht müßig: Sobald der Hengst ans Ufer kommt, schlage ihn mit der Lanze zwischen die Ohren!»
Gesagt, getan. Am anderen Morgen wartete Wassilij Zarewitsch die rechte Stunde ab und schlug den Hengst mit seiner Lanze zwischen die Ohren. Da fiel der Hengst in die Knie, der Jüngling legte ihm den Zaum von drei Pud an und den tscherkassischen Sattel und bestieg ihn. Als der Hengst von dem Heldenschlage wieder zu sich gekommen war - oh, wie trug er den Zarewitsch und sprengte mit ihm durch Wiesen und Täler und über die hohen Berge! Drei Tage und drei Nächte trug er ihn, ohne zu rasten, und kein Schweiß, sondern rotes Blut tropfte an ihm herab. Dann sprach das Pferd mit menschlicher Stimme: «Hei, du, Wassilij Zarewitsch, gib mich frei, laß mich dreimal in der Morgenröte laufen, im blauen Meere will ich baden, im Tau mich wälzen, dann werde ich dein treuer Diener sein.»
Der Zarewitsch ließ das Pferd laufen. Es lief drei Tage lang umher und kehrte so stark und kräftig zurück, wie man es schöner noch nie gesehen hat. Wassilij Zarewitsch bestieg das Pferd und ritt hinter das dreimal neunte Land in die dreimal zehnte Herrschaft. Ob er lange ritt oder nicht so lange, man weiß es nicht. Er kam in das Reich des Löwen. Mit lauter Stimme rief der Löwenzar: «Kommt, meine sieben Kinderchen, bringt mir die eisernen Mistgabeln, stellt sie unter meine alten Augenlider und laßt mich den braven Jüngling sehen!»
Er sah ihn, erkannte ihn und freute sich sehr. «Ich wünsche dir Gutes, Wassilij Zarewitsch, du hast mir einen großen Dienst geleistet, nun sei bei mir zu Caste, so lange du willst.» Er gab ihm zu essen und zu trinken und ließ ihm ein Lager bereiten. Am anderen Morgen rüstete er ihn aus zur Reise.
Der Zarewitsch ritt und ritt und kam in das Reich des Drachen. Der Drachenzar empfing ihn freundlich und entließ ihn liebevoll.
Der Zarewitsch ritt weiter und kam in das Reich des Raben. Der Rabenzar kam ihm entgegen und sprach: «Du bist mir der Rechte, Wassilij Zarewitsch, warum hast du meinem leiblichen Bruder den Flügel zerbrochen? Für diese Schuld sollte ich dir den Kopf abschlagen lassen. Aber wie dem auch sei -kaufe dich mit einer Todesangst los!»
Er nahm den Jüngling auf seine Flügel, flog auf das blaue Meer und warf ihn hinab in die größte Tiefe. Wassilij Zarewitsch tauchte im Wasser unter, aber sobald er heraufkam, ergriff ihn der Rabenzar und brachte ihn ans feste Land. «Reite jetzt, wohin du mußt!»
Der Zarewitsch stieg zu Pferde und setzte seinen Weg fort. Da sprach das gute Pferd mit menschlicher Stimme: «Halte dich fest, Zarewitsch, du mußt schneller reiten. In drei Stunden und drei Minuten müssen wir in der dreimal zehnten Herrschaft sein. Dort ist der Iwan angelangt, ein russischer Held. Er hat eine geflickte Fratze, eine geflochtene Nase, eine gesteppte Zunge, die Füße sind Kalbsfüße, die Ohren sind Hundeohren. Wenn wir in drei Stunden und drei Minuten nicht angelangt sind, so wird er die Zarjungfrau für sich nehmen.»
Wassilij Zarewitsch ritt zum dreimal zehnten Zarenreich. An Iwan, dem russischen Helden, sprengte er vorbei, und er leuchtete wie der Blitz.
Sie ritten auf zwanzig Werst auseinander, stürmten gegeneinander, schlugen sich mit der Schlachtkeule -, es krachte, als ob der Donner grollte. Sie kämpften und kämpften, aber keiner gewann die Oberhand. Schließlich ermüdeten die Helden und verabredeten einen Waffenstillstand auf drei Tage. Wassilij Zarewitsch schlug sein Zelt auf, legte sich zur Ruhe und schlief einen festen Heldenschlaf. Als die dritte Nacht vergangen war, schlief er noch immer. Das brave Pferd machte sich auf, ihn zu wecken. «Wach auf, wach auf, Wassilij Zarewitsch! Jetzt ist keine Zeit zum Schlafen, du mußt aufstehen und mit Iwan, dem russischen Helden, kämpfen.»
Die Helden ritten auf dreißig Werst auseinander. Sie spornten ihre Pferde, stießen aufeinander und schlugen sich, aber keiner besiegte den anderen. Da machten sie noch einmal Waffenstillstand auf drei Tage. Der Zarewitsch legte sich wieder in das Zelt und schlief ein.
Am Ende des dritten Tages weckte ihn das gute Roß. «Wach auf, wach auf, Wassilij Zarewitsch, du hast genug geschlafen, du mußt aufstehen und dem russischen Helden den Kopf abschlagen!»
Wassilij sprang auf, sattelte schnell sein Roß, zog die Gurte an - nicht um sich Mut zu machen, sondern um fester im Sattel zu sitzen - und ritt los. Unter ihm tanzte das Pferd. Da kam Iwan, der russische Held, geritten. Unter ihm weinte das Pferd. Sie stellten sich auf fünfzig Werst auseinander
und gaben ihren Rossen die Sporen. Als sie aufeinanderschlugen, erbebte die ganze Erde. Iwan, der russische Held. tat einen gewaltigen Hieb, schlug daneben und verlor die Kriegslanze aus der Hand, und sie drang mit der Spitze drei Faden tief in die Erde. Wassilij Zarewitsch stieß das Roß gegen die Brust, warf es rücklings auf die nackte Erde und hieb Iwan dem Verwegenen den Kopf ab. «Jetzt ist mir der Weg nicht mehr verwehrt! Ich will die Gusli holen und im Garten der Zarjungfrau spielen.»Er nahm die Gusli und ging in den Garten. Er spielte so zart und so süß, daß man es nicht erzählen kann. Die Zarjungfrau hörte sein Spiel. Sie rief ihre Ammen und Wärterinnen, gab ihnen das Bildnis des Zarewitsch und schickte sie in ihren Lieblingsgarten: «Lauft wie der Wind und seht, ob Wassilij Zarewitsch gekommen ist, ob er im Garten auf der Gusli spielt!»
Da liefen die Ammen und Wärterinnen hinab, schauten ihn an, verglichen ihn mit dem Bildnis und kehrten wieder zurück. «Oh, nein, es ist nicht Wassilij Zarewitsch, der auf der Gusli spielt, wenn er ihm auch ähnlich sieht, Wassilij Zarewitsch ist viel schöner!»
Antwortet die Zarjungfrau: «Oh, ihr Törichten, ihr Unverständigen, ist doch der Zarewitsch erschöpft vom übermenschlichen Kampfe, darum gleicht er nicht mehr seinem Bilde!» Sie eilte selbst hinab in den Garten und erkannte ihren Bräutigam. Sie nahm ihn an den weißen Händen und führte ihn in ihre hohen Gemächer. Da wurde die Hochzeit gefeiert.
Dann zogen sie heim in das Reich des Wassilij Zarewitsch. Der Zarewitsch ließ die böse Stiefmutter und seinen Diener vor den Toren der Stadt töten. Dann fing er an, mit seiner jungen Frau zu leben, und sie lebten und lebten und mehrten ihr Hab und Gut.
ICH WEISS ES NICHT
In einem Dorfe lebte einmal ein nicht gar so reicher Bauer mit seiner Frau. Drei Jahre lang hatten sie kein Kind. Im vierten Jahre erwartete die Frau ein Kind und gebar einen Sohn, dem sie den Namen Johannes gaben. Der Knabe wurde fünf Jahre alt, konnte nicht gehen und saß immer. Vater und Mutter waren traurig und beteten zu Gott, daß er doch ihrem Sohne gesunde Füße geben möchte. Aber soviel sie auch beteten, der Knabe konnte nicht gehen und saß dreißig und drei Jahre lang.
Eines Tages ging der Bauer mit seiner Frau zum Mittagsgottesdienst in die Kirche. Um dieselbe Zeit trat ein Bettler an das Fensterchen der Hütte und bat Johannes, den Bauernsohn, um ein Almosen. Johannes, der Bauernsohn,
antwortete: «Ich möchte dir gerne ein Almosen geben, aber ich kann nicht von der Stelle aufstehen.» Da sprach der Bettler zu ihm: «Stehe auf und gib mir ein Almosen, deine Füße sind gesund und geheilt!» Johannes, der Bauernsohn, stand sogleich von seinem Sitze auf und war unbeschreiblich froh, denn seine Füße waren gesund und hatten keinen Schaden mehr. Er rief den Bettler herein In die Hütte und gab ihm zu essen. Darauf bat ihn der Alte um einen Trunk Honigmet. Aber der Bettler trank nicht, sondern forderte Johannes selber auf, das volle Gefäß zu leeren. Und Johannes trank es aus bis auf den Grund. Da fragte ihn der Bettler: «Nun, Johannes, wieviel Kraft fühlst du jetzt in dir?»«Sehr viel», antwortete Johannes, der Bauernsohn.
«So lebe denn wohl!» sprach darauf der Bettler und verschwand. Johannes, der Bauernsohn, blieb in großer Verwunderung zurück.
Als Vater und Mutter nach Hause kamen und sahen, daß ihr Sohn gesund war, verwunderten sie sich sehr und fragten ihn, wie er von seiner Krankheit geheilt wurde. Johannes erzählte es ihnen und die Alten meinten, es sei kein Bettler gewesen, der ihn geheilt habe von allem Leid, sondern ein heiliger Mensch. Und sie freuten sich und feierten ein Fest.
Johannes, der Bauernsohn, aber wollte seine Kraft erproben. Er ging in den Krautgarten hinaus, ergriff einen Zaunpfahl, stieß ihn in die Mitte des Gartens und drehte ihn so stark um, daß das ganze Dorf sich mit herumdrehte. Dann kam er in die Hütte zurück und bat die Eltern um ihren Segen, denn er wollte von ihnen Abschied nehmen. Die Alten fingen an, bitterlich zu weinen, und haten ihn, er möchte wenigstens noch eine kleine Weile bei ihnen bleiben. Aber Johannes achtete nicht auf ihre Tränen und sprach: «Wenn ihr mich nicht ziehen lasset so muß ich von selber gehen.» Da gaben ihm die Eltern ihren Segen. Johannes, der Bauernsohn, betete, verneigte sich nach allen vier Himmelsrichtungen und nahm Abschied von Vater und Mutter. Darauf verließ er den Hof, wandte sich nach der rechten Seite, ging, wohin seine Augen schauten und wanderte genau zehn Tage und zehn Nächte, bis er in ein anderes Königreich kam.
Kaum hatte er dieses Reich betreten, als sich ein großer Lärm und ein furchtbares Getöse erhob. Der König des Landes erschrak so sehr darüber, daß er ausrufen ließ, wer das Getöse zum Schweigen bringen könne, der solle seine Tochter zur Gemahlin erhalten und das halbe Reich als Mitgift dazu. Als Johannes dieses vernahm, begab er sich zum königlichen Hofe und ließ melden, daß er Lärm und Getöse beseitigen wolle. Der Wächter ging zum König und meldete es. Der König ließ sofort Johannes, den Bauernsohn, zu sich rufen und sprach zu ihm: «Mein Freund, ist es wahr, wessen du dich vor dem Torwächter gerühmt hast?»
«Ja, es ist wahr, ich habe mich dessen gerühmt», antwortete Johannes, der
Bauernsohn, «und ich verlange weiter nichts dafür, als daß du mir das schenkst. was diesen Lärm und dieses Getöse verursacht.»Da lächelte der König und sprach: «Gerne gebe ich es dir, nimm es, wenn du es brauchen kannst!»
Johannes, der Bauernsohn, verneigte sich vor dem König und ging hinaus. Er kam zu dem Torwächter und verlangte von ihm hundert Arbeiter. Der Torwächter gab sie ihm. Johannes, der Bauernsohn, führte sie vor das Schloß und befahl ihnen, die Erde umzugraben. Als die Arbeiter die Erde ausgeworfen hatten, erblickten sie eine eiserne Falltür mit einem kupfernen Ring. Johannes hob die Tür auf mit einer Hand, zerbrach sie und warf sie weg. In der Erde stand ein Heldenroß mit Zaum und Sattel, und eine volle Ritterrüstung hing dabei. Das Roß sah einen Reiter, der ihm gewachsen war, fiel auf die Knie und sprach mit menschlicher Stimme: «Sei gegrüßt, du wackerer Jüngling, Johannes Bauernsohn! Mich hat der starke und tapfere Held Lukopero hier hereingestellt. Ich sitze hier schon viele Jahre und habe dich seit dreißig und drei Jahren mit aller Kraft erwartet. Setze dich auf mich und reite, wohin du mußt, ich will dir im Glauben und in der Wahrheit dienen, wie ich dem starken Helden Lukopero gedient habe.»
Da sattelte Johannes, der Bauernsohn, sein gutes Roß, gab ihm einen Zügel von gewirktem Bande, legte ihm den tscherkassischen Sattel auf und schnallte ihm zwölf Gurte um von persischer Seide. Er bestieg das Roß, schlug ihm in die Flanke, das Roß bäumte sich auf und erhob sich von der Erde. Hoch stieg es hinauf, höher als der Wald, niedriger als die ziehenden Wolken, Berge und Täler ließ es unter seinen Füßen, mit dem Schweife fegte es über die großen Flüsse. Aus seinen Ohren stieg dichter Rauch, aus den Nüstern lohten Feuerflammen. Johannes, der Bauernsohn, kam in fremdes, unbekanntes Land. Er ritt gerade dreißig Tage und dreißig Nächte lang und gelangte in das chinesische Reich. Hie: stieg er ab von seinem guten Rosse und ließ es ins freie Feld hinaus laufen. Er selbst ging in die Stadt hinein, verschaffte sich eine Blase, zog sie über den Kopf und ging an den Königshof. Die Leute fragten ihn, von wannen er gekommen wäre, was für ein Mensch er sei und welches Vaters und welcher Mutter Sohn. Er aber antwortete auf alle ihre Fragen nur: «Ich weiß es nicht.» Da hielten ihn alle für einen Narren und erzählten es dem chinesischen König.
Der König ließ ihn zu sich rufen und fragte ihn, wer er sei, wie er sich nenne und woher er käme. Aber auch dem König antwortete er: «Ich weiß es nicht.» Der König wollte ihn vom Hofe jagen lassen, jedoch der Gärtner bat, daß er ihm den Narren gäbe, damit er im Garten helfe. Und der König überließ ihm den Jüngling.
Der Gärtner führte ihn in den königlichen Garten, trug ihm auf, den Garten zu reinigen, und nachdem er den Befehl gegeben hatte, ging er hinweg.
Johannes, der Bauernsohn, legte sich unter einen Baum und schlief. In der Nacht erwachte er und brach alle Bäume des Gartens um. Am Morgen kam der Gärtner, erschrak, fing an zu schelten und fragte den Bauernsohn, wer die Bäume umgebrochen habe. Johannes, der Bauernsohn, aber antwortete nur immer wieder: «Ich weiß es nicht.» Der Gärtner fürchtete sich, es dem König zu melden, aber die Königstochter sah aus dem Fenster, wunderte sich und fragte den Gärtner, wer das alles zerbrochen habe. Der Gärtner antwortete: «Der <Ich-weiß-es-nich> hat diese kostbaren Bäume abgebrochen.» Er bat sie, dem Vater nichts davon zu sagen, und versprach ihr, den Garten in kürzester Zeit besser instand zu setzen, als er vorher war.
In der nächsten Nacht schlief der <Ich-weiß-es-nich> nicht, sondern trug Wasser aus dem Brunnen und begoß die zerbrochenen Bäume. Am Morgen fingen sie an zu wachsen, und als die Sonne erschien, schlugen sie aus und wurden schöner als zuvor. Als der Gärtner in den Garten kam, erstaunte er über diese Schönheit, aber er stellte keine Frage mehr, weil er ja doch niemals eine Antwort bekam. Sobald die Königstochter von ihrem Lager aufgestanden war, blickte sie in den Garten und sah, wie schön er war. Sie ließ den Gärtner zu sich rufen und fragte ihn, wie das zugegangen sei. Der Gärtner antwortete, er könne es selber nicht begreifen. Die Königstochter aber erkannte, daß große Weisheit in dem Narren war. Sie fing an, ihn zu lieben, liebte ihn mehr als sich selber und schickte ihm Speise von ihrem Tisch.
Der chinesische König hatte drei Töchter von Töchter von großer Schönheit. Die älteste hieß Duasa, die mittlere Siasa, die jüngste, welche Johannes, den Bauernsohn, liebte, hieß Laota. Der König rief seine Töchter zu sich und sprach zu ihnen: «Liebe Töchter, wunderschöne Königstöchter, die Zeit für eure Vermählung ist gekommen! Ich habe euch zu mir gerufen, um euch dies zu sagen. Wählt euch die Königssöhne zum Bräutigam, die nach euren Gedanken sind!»
Die beiden älteren Schwestern erwählten zwei Königssöhne, die jüngste aber fing an, ihren Vater mit Tränen zu bitten, er möchte sie dem Ich-weißes-nicht zur Gemahlin geben. Der König, als er dies hörte, verwunderte sich sehr und sprach: «Bist du von Sinnen, meine Tochter, daß du den Narren Ich-weiß-es-nicht zum Manne haben willst, der nicht einmal zu sprechen versteht?»
«Wenn er auch ein Narr ist, ich liebe ihn doch!» sagte die Königstochter. «Ich bitte euch, Herr Vater, gebt mich ihm zum Weibe!»
«Wenn du nichts anderes willst», sprach der König traurig, «so sei es, geh und nimm ihn.»
Bald danach sandte der König zu den Königssöhnen, die die ältesten Töchter erwählt hatten. Sobald sie die Einladung erhalten hatten, kamen sie eilends nach China und wurden mit den Königstöchtern vermählt. Ebenso
wurde die Königstochter Laota mit Johannes, dem Bauernsohn, vermählt. Ihre älteren Schwestern aber lachten, daß sie einen Narren zum Manne genommen hatte.Nach einiger Zeit fiel ein großes Heer in das chinesische Reich ein. Der mächtige Held Polkan führte es an, er war unten ein Pferd und oben ein Mensch. Er verlangte des Königs liebste Tochter Laota zur Gemahlin und drohte, daß er das ganze Reich mit Feuer verwüsten wolle, das Heer mit dem Schwert erschlagen, den König und die Königin ins Gefängnis werfen und die Königstochter mit Gewalt nehmen. Als der König solche Drohungen vernahm, erschrak er und befahl, sein ganzes Heer zur Verteidigung aufzurufen.
Das versammelte Heer stellte sich dem Helden Polkan entgegen, und die Königssöhne führten es an. Die beiden Heere fingen an zu kämpfen, wie zwei furchtbare Gewitterwolken stießen sie aufeinander, aber Held Polkan schlug das chinesische Heer.
Da ging die Königstochter Laota zu ihrem Manne, Johannes, dem Bauernsohn, und sprach zu ihm: «Mein lieber Freund Ich-weiß-es-nicht, man will mich von dir nehmen. Polkan, der Ungläubige, ist in unser Reich eingefallen und schlägt unser Heer mit seinem schreddichen Schwerte.»
Johannes, der Bauernsohn, sandte sie hinweg, sprang zum Fenster hinaus, rannte ins freie Feld und rief mit heldischer Stimme:
«Ciwka Burka, heh! Frühlingslichtfuchs steh, wie das Blatt vorm Grase hier unverweilt vor mir!» |
Da kam sein Roß gesprungen, die Erde bebte, aus den Nüstern lohten die Flammen, aus den Ohren stieg dichter Rauch. Johannes, der Bauernsohn, kroch in das Ohr hinein, aß und trank und schmückte sich, kam aus dem anderen Ohr heraus und war mit einem buntfarbigen Rock bekleidet und ein so schöner, tapferer Jüngling geworden, daß man es nicht mit der Feder beschreiben und in keinem Märchen erzählen kann. Er setzte sich auf sein Roß und ritt dem Heere Polkans entgegen. Mit seinem Schwerte fällte er das ganze Heer und verjagte es aus dem Reiche. Der chinesische König ritt heran, und weil er ihn nicht kannte, bat er ihn zu sich in das Schloß. Johannes, der Bauernsohn, antwortete: «Ich bin nicht dein Knecht, und ich diene dir nicht.»
Als er diese Worte gesprochen hatte, ritt er davon, ließ sein Roß in das freie Feld laufen, ging zurück zum Schlosse und schlich sich wieder zum Fenster hinein. Er zog die Blase über den Kopf und legte sich schlafen. Der König aber feierte ein großes Fest.
Nicht lange währte es, bis Held Polkan aufs neue mit seinem Heer in das Reich einfiel. Wieder verlangte er die jüngste Königstochter, die schöne Laota, zur Gemahlin. Der König befahl, sogleich das Heer zu sammeln, und schickte es aus, gegen Polkan zu streiten, aber Held Polkan schlug das Heer.
Abermals eilte Laota zu ihrem Gemahl und sprach: «Polkan will mich dir rauben.»
Johannes, der Bauernsohn, schickte sie fort, sprang zum Fenster hinaus, eilte ins freie Feld und rief sein Roß mit heldischer Stimme:
«Ciwka Burka, hehl Frühlingslichtfuchs steh, wie das Blatt vorm Grase hier unverweilt vor mir!» |
Er setzte sich darauf, ritt gegen den Feind, schlug ihn mit dem Schwerte und jagte ihn aus dem Reich. Der König kam herzu, um zu danken und ihn in sein Schloß zu bitten. Johannes, der Bauernsohn, aber ritt davon. Er ließ sein Roß ins freie Feld laufen, kehrte nach Hause zurück und legte sich schlafen. Wieder feierte der König den Sieg, ohne zu wissen, wer der Held war, der sein Reich beschützt hatte.
Nach einiger Zeit fiel Polkan mit seinem Heere zum dritten Mal in das Reich ein und verlangte die Königstochter Laota unter furchtbaren Drohungen zum Weibe. Abermals befahl der König, ein Heer zu sammeln und gegen Polkan auszuschicken. Als der Kampf entbrannt war und Polkan anfing, die chinesische Macht zu schlagen, eilte die Königstochter Laota zu ihrem Manne und sagte ihm unter Tränen, daß Polkan sie von ihm nehmen wolle. Johannes, der Bauernsohn, eilte hinweg, sprang aus dem Fenster und lief ins freie Feld. Er rief sein Roß mit mächtiger Stimme, setzte sich darauf und ritt Polkan entgegen. Da sprach das Roß mit menschlicher Stimme: «Johannes Bauernsohn, von dir und mir wird heute ein schwerer Dienst gefordert. Wehre dich mit allen Kräften und stehe fest vor Polkan, sonst wirst du umkommen mitsamt dem ganzen chinesischen Heere!»
Johannes, der Bauernsohn, spornte sein Roß, ritt Polkans Heer entgegen und fing an zu kämpfen. Als Polkan sah, daß sein Heer geschlagen wurde, geriet er in furchtbaren Zorn und fiel über Johannes, den Bauernsohn, her wie ein ergrimmter Löwe. Sie stritten und stritten, die beiden gewaltigen Helden, daß das ganze Heer staunte. Schließlich verwundete Polkan Johannes, den Bauernsohn, an der linken Hand. Johannes, der Bauernsohn, ergrimmte, ergriff seine spitzige Lanze, zielte auf Polkan und durchbohrte sein Herz. Dann schlug er ihm das Haupt ab und verjagte den Rest des Heeres aus China.
Der chinesische König verbeugte sich vor ihm mit dem Gesicht bis zur Erde und lud ihn ein in sein Schloß. Die Königstochter Laota sah Blut an seiner linken Hand, verband ihn mit ihrem Tuch und bat ihn auch zu sich in das Schloß. Aber Johannes, der Bauernsohn, hörte nicht auf sie und trabte davon. Er ließ sein Roß ins freie Feld hinaus laufen, ging heim und legte sich schlafen. Der König befahl wieder, ein großes Festgelage zu richten. Zur gleichen Zeit ging auf Befehl des Vaters die Königstochter Laota zu ihrem Manne, um ihn zu wecken, konnte ihn aber um keinen Preis erwecken. Da erblickte sie plötzlich auf seinem Haupte, von dem die Blase abgefallen war, goldene Haare und verwunderte sich sehr. Als sie näher herzutrat, gewahrte sie das Tuch an der linken Hand, mit dem sie die Wunde des Siegers verbunden hatte. Und nun erkannte sie, daß er es gewesen war, der dreimal den Helden Polkan besiegt und ihn zuletzt getötet hatte. Schnell lief sie zu ihrem Vater, führte ihn zu ihrem Manne und sprach: «Seht, Herr Vater, ihr habt gesagt, ich hätte einen Narren geheiratet, schaut seine goldenen Haare und erkennet die Wunde, die er im Kampfe mit Polkan davongetragen hat!»
Da erkannte der König, daß es Johannes gewesen war, der sein Reich dreimal von dem Einfall des Helden Polkan befreit hatte, und freute sich sehr.
Als Johannes, der Bauernsohn, erwachte, nahm ihn der König bei seinen weißen Händen, führte ihn in seine Gemächer, dankte ihm für die Befreiung und setzte ihm die Krone auf das Haupt.
Johannes, der Bauernsohn, bestieg den Thron, herrschte nun in China und lebte mit seiner Gemahlin in Liebe und Frieden. Und sie beschlossen ihr Leben in Glück und in Freude.
Es waren einmal ein alter Mann und eine alte Frau. Die hatten drei Söhne. Zwei waren klug und verständig, der dritte aber einfältig. Vater und Mutter kamen zum Sterben und vor seinem Tode sagte der Vater zu ihnen: «Meine lieben Kinder, geht und sitzt drei Nächte auf meinem Grabe!»
Als er gestorben war, warfen die Söhne das Los, und es fiel dem Einfältigen zu, auf das Grab zu gehen. Um Mitternacht kam sein Vater hervor und fragte: «Wer ist da?»
«Ich, Väterchen, der Einfältige.»
DAS GOLDBORSTIGE SCHWEINCHEN, DIE GOLDGEFIEDERTE ENTE
UND DAS PFERD MIT DER GOLDENEN MÄHNE
«Sitze, mein Sohn, der Herr sei mit dir!»
In der zweiten Nacht fiel es dem ältesten Bruder zu, am Grabe zu wachen. Er bat aber den Einfältigen: «Geh du, Einfältiger, sitze für mich die Nacht über dort, nimm dafür, was du willst!»
«Du kannst gut sagen: geh! — Dort springen die Toten umher.»
«Geh nur, ich kaufe dir rote Stiefel!»
Der Einfältige konnte sich nicht weigern und brachte die zweite Nacht am Grabe zu. Als er so saß, öffnete sich die Erde, sein Vater kam hervor und fragte: «Wer sitzt da?»
«Ich, Väterchen, der Einfältige.»
«Sitze, mein Sohn, der Herr sei mit dir!»
In der dritten Nacht mußte der mittlere Bruder zum Grabe gehen. Auch er bat den Einfältigen: «Tu mir den Gefallen und sitze du für mich. Nimm dafür, was du nur willst!»
«Ja, du hast gut sagen: geh! —Die erste Nacht war schon schrecklich, die zweite noch schrecklicher. Die Toten raufen und schreien miteinander und mich schüttelt das Fieber.»
«Geh nur, ich werde dir eine rote Kappe kaufen!»
Da war nichts zu machen, der Einfältige mußte die dritte Nacht Wache halten. Plötzlich öffnete sich die Erde und der Vater kam hervor. «Wer ist da?»
«Ich, der Einfältige.»
«Sitze, mein Sohn, der Herr sei mit dir! Hier hast du meinen großen Segen!» Und er gab ihm drei Pferdehaare.
Der Einfältige ging auf die königlichen Hegewiesen, sengte und brannte die drei Haare an und rief mit tönender Stimme:
«Ciwka Burka, lieber Grauer, Vaters Segen, lauf herbei, stehe vor mir grad, wie am Grase steht das Blatt.» |
Da kam Ciwka Burka, der Graue, herbei. Aus seinem Maule sprühte Feuer und aus seinen Ohren stieg eine Rauchsäule empor. Das Pferd stand vor ihm still wie das Blatt vor dem Grase. Der Einfältige kroch in das linke Ohr hinein und aß und trank sich satt. Er kroch ins rechte Ohr, schmückte sich mit einem bunten Gewand und wurde ein so tüchtiger Bursche, wie man es nicht ausdenken, nicht erraten und nicht mit der Feder beschreiben kann.
Am anderen Tage ließ der Zar einen Aufruf ergehen: «Wer mit dem Pferde bis ins dritte Stockwerk meines Palastes fliegen und meine Tochter Milolika (Schöngesicht) küssen kann, dem gebe ich sie zur Gemahlin!»
Die älteren Brüder machten sich zurecht, um zuzuschauen und riefen:
«Komm mit uns, Einfältiger!»
«Nein, ich will nicht, ich gehe ins freie Feld, den Korb mit Krähen zu füllen, für die Hunde zur Speise.»
Er ging aufs freie Feld, sengte die drei Pferdehaare an und rief mit tönender Stimme:
«Ciwka Burka, lieber Grauer, Vaters Segen, lauf herbei, stehe vor mir grad, wie am Grase steht das Blatt!» |
Da kam Ciwka Burka, der liebe Graue, herbei. Aus seinem Maule sprühte Feuer, aus seinen Ohren stieg eine Rauchsäule empor. Das Pferd blieb vor dem Einfältigen stehen wie das Blatt vor dem Grase. Er kroch in das linke Ohr hinein und aß und trank sich satt. Dann kroch er ins rechte Ohr, schmückte sich mit einem bunten Gewand und wurde so schön, wie man es nicht ausdenken, nicht erraten und nicht mit der Feder beschreiben kann. Er stieg zu Pferde, winkte mit der Hand, stieß mit dem Fuß und ritt los.
Das Pferd läuft über Stock und Stein. Wenn es sich erhebt, die Erde erbebt - Die Berge und Täler fegt sein Schweif. |
Im Hofe des Zaren sprang das Pferd bis zum ersten Stockwerk hinauf. Dann lief es wieder zurück.
Als die Brüder nach Hause zurückkehrten, lag der Einfältige auf dem Hängeboden über dem Ofen.
«Ach, du Einfältiger, warum bist du nicht mit uns gegangen? Ein junger Bursche war da, so schön, wie man es nicht ausdenken, nicht erraten und nicht mit der Feder beschreiben kann.»
«War ich es nicht, ich, der Einfältige?»
«Du, wie solltest du ein solches Pferd gewinnen? Wische dir lieber die Nase ab!»
Am anderen Morgen machten sich die Brüder zurecht, um wieder im Zarenhof zuzusehen. «Komm mit uns, Einfältiger!» riefen sie dem Jüngsten zu. «Gestern war ein schöner Bursche da, heute wird ein noch schönerer kommen.»
«Nein, ich will nicht, ich gehe aufs Feld, schlage Krähen, den Hunden zur Speise.»
Er ging aufs freie Feld und sengte die drei Pferdehaare an:
«Ciwka Burka, lieber Grauer, Vaters Segen, lauf herbei, stehe vor mir grad, wie am Grase steht das Blatt!» |
Da kam Ciwka Burka, der große Graue, herbei. Aus seinem Maule sprühte Feuer, aus seinen Ohren stieg eine Rauchsäule empor. Das Pferd blieb vor dem Einfältigen stehen wie das Blatt vor dem Grase. Der Einfältige kroch In das linke Ohr hinein und aß und trank sich satt. Dann kroch er ins rechte Ohr, schmückte sich mit einem bunten Gewand und wurde so schön, wie man es nicht ausdenken, nicht erraten und nicht mit der Feder beschreiben kann. Er stieg zu Pferde, winkte mit der Hand, stieß mit dem Fuß und sprengte zum Zarenhof. Dort flog er über zwei Stockwerke hinauf, aber nicht bis zum dritten. Dann kehrte er zurück, ließ sein Pferd auf den königlichen Hegewiesen, ging nach Hause und legte sich auf den Ofen.
Die Brüder kamen herbei: «Ach, du Einfältiger, wärest du mit uns gegangen! Gestern kam ein schöner Bursche, heute war er noch schöner. Wo wohl solche Schönheit geboren wurde?»
«Nun, war ich es nicht, der Einfältige?»
«Der Narr redet närrisch! Du dummer Einfältiger, woher solltest du solche Schönheit nehmen, woher so ein Pferd gewinnen? Liege du nur immer auf dem Ofen!»
«Nun, wenn ich es nicht war, werdet ihr vielleicht morgen erfahren, wer es war.»
Am dritten Morgen machten sich die klugen Brüder bereit, um wieder zum Zaren zu gehen. «Einfältiger, komme mit uns, heute wird er sie küssen!»
«Nein, ich will nicht, ich gehe aufs Feld, schlage Krähen und bringe sie heim, den Hunden zur Speise.»
Er ging aufs freie Feld, sengte die drei Pferdehaare an und rief mit tönender Stimme:
«Ciwka Burka, lieber Grauer, Vaters Segen, lauf herbei, stehe vor mir grad, wie am Grase steht das Blatt!» |
Er setzte sich auf das Pferd, winkte mit der Hand, stieß mit dem Fuß und sprengte bis zum dritten Stockwerk hinauf. Er küßte die Zarentochter auf den Mund, und sie schlug ihm mit ihrem goldenen Siegelring auf die Stirn. Dann kehrte er um, ließ sein Pferd auf die grünen Wiesen und ging nach Hause. Den Kopf band er mit einem Tuche zu und legte sich auf den Hängeboden.
Die Brüder kamen herbei: «Ach, du Einfältiger, jene Burschen waren schön, aber heute war der schönste da, wo mag solche Schönheit geboren sein?»«War ich es nicht, ich, der Einfältige?»
«Ach, der Närrische schreit närrisch! Du dummer Einfältiger, woher solltest du solche Schönheit nehmen?»
Da band der Einfältige das Tuch ab, und das ganze Haus leuchtete.
«Wo hast du diese Schönheit gewonnen?» riefen die Brüder.
«Wo es auch war, ich habe sie gewonnen. Ihr wolltet mir immer nicht glauben. Hier bin ich ja euer Einfältiger. Nun seht, was für ein Einfältiger ich bin!»
Am anderen Tage gab der Zar ein Mahl für die ganze rechtgläubige Welt. Er befahl, die Bojaren und Fürsten zu Hofe zu laden, alt und jung, hoch und nieder, Mann und Weib. Dabei sollte die Zarentochter ihren Bräutigam anden. Auch die klugen Brüder machten sich zum Gastmahl bereit. Der Einfältige verband seinen Kopf mit einem Tuch und sprach: «Heute braucht ihr mich nicht zu rufen, ich gehe von selber.»
Er kam in den Palast des Zaren und stellte sich hinter den Ofen. Die Zarentochter bot allen Gästen den Wein an, um den Bräutigam herauszufinden, und der Zar schritt hinter ihr her. Als sie schon alle bewirtet hatte, erblickte sie hinter dem Ofen den Einfältigen. Die Stirn hatte er mit einem Tuch verbunden, der Speichel lief herab, und die Nase tropfte ihm. Die Zarewna Milolika holte ihn hervor, trocknete ihn mit ihrem Tuche ab, küßte ihn und sprach: «Herr, mein Väterchen, hier ist der mir Bestimmte!»
Der Zar sah, daß der Bräutigam gefunden war, und obwohl es ein Einfältiger war, galt doch sein Wort, denn ein Zarenwort ist Gesetz. Er ließ sogleich die beiden miteinander trauen, und da jeder weiß, daß man bei einem Zaren nicht erst Bier brauen und Wein keltern muß, richtete man schnell die Hochzeit aus.
Da gab ihm der Zar ein ganz jämmerliches Pferdchen. Der Einfältige bestieg es, setzte sich mit dem Gesicht zum Hinterteil, nahm den Schwanz zwischen die Zähne und schlug ihm mit den flachen Händen auf die Flanken: «Hopp, hopp, hopp, lauf, Hund, im Galopp!>'
Er ritt auf das freie Feld, ergriff die Schindmähre am Schwanz, zog ihr die Haut ab und rief: «Fliegt herbei, ihr Dohlen, Krähen und Elstern, Väterchen hat euch Futter geschickt!» Die Dohlen, Krähen und Elstern flogen herbei und fraßen alles Fleisch auf. Dann rief der Einfältige den Ciwka Burka:
«Ciwka Burka, lieber Grauer, Vaters Segen, lauf herbei, stehe vor mir grad, wie am Grase steht das Blatt!» |
Ciwka Burka kam herbei, aus dem Maul sprühte Feuer, aus den Ohren stieg eine Rauchsäule empor. Der Einfältige kroch in das linke Ohr und bekam Trank und Speise. Er kroch in das rechte Ohr, schmückte sich mit einem bunten Gewand und wurde ein ganzer Kerl. Dann fing er das goldgefiederte Entchen und schlug ein Zelt auf -selbst sitzt er im Zelt, das goldgefiederte Entchen aber lief um ihn herum.
Da kamen die klugen Schwiegersöhne geritten und fragten: «Wer ist in dem Zelt? Wenn es ein Greis ist, sei er unser Großväterchen, ist er von mittlerem Alter, sei er unser Ohm!»
Da antwortete der Einfältige: «Ich bin von eurem Alter, bin euer Brüderchen.»
«Nun, Brüderchen; verkaufst du das uns Entchen?» «Nein, es Ist nicht verkäuflich, aber ich vermache es euch unter einer Bedingung.»
«Unter welcher Bedingung?»
«Für den kleinen Finger der rechten Hand.»
Sie schnitten sich den kleinen Finger der rechten Hand ab und gaben ihn dem Dummen. Der steckte die Finger in seine Tasche. Die Schwiegersöhne ritten nach Hause und legten sich schlafen. Zar und Zarin kamen hinzu und hörten, was sie sprachen. «Still», sagte der eine zu seiner Frau, «die Hand tut mir weh.» Der andere murmelte: «Ach, was für Schmerzen, die Hand schmerzt mich!»
Am anderen Morgen rief der Zar die klugen Schwiegersöhne und sprach: «Meine klugen, meine sehr klugen Schwiegersöhne, leistet mir einen Dienst, ich befehle es euch! In der Steppe läuft ein goldborstiges Schwein umher mit zwölf goldborstigen Ferkelchen. Verschafft mir das Schwein und die Ferkel!» Er befahl ihnen, die besten Pferde zu satteln; aber dem Einfältigen gab er ein schlechtes Pferd, das gerade nur zum Wasserfahren taugte.
Der Einfältige ritt auf das freie Feld, faßte die Schindmähre am Schwanz, zog ihr die Haut ab und rief: «Fliegt herbei, ihr Dohlen, Krähen und Elstern, Väterchen hat euch Futter geschickt!»
Die Dohlen, Krähen und Elstern flogen herbei und fraßen alles auf. Der Einfältige rief den Ciwka Burka, den lieben Grauen. Und dann fing er in der Steppe das goldborstige Schwein mit den zwölf goldborstigen Ferkeln und schlug sein Zelt auf. Selbst sitzt er im Zelt, das Schwein aber mit seinen Jungen lief draußen herum.
Da kamen die klugen Schwiegersöhne herzu: «Wer denn, wer ist in diesem Zelt? Wenn es ein alter Mann ist, sei er unser Großväterchen, wenn er im mittleren Alter steht, sei er unser Ohm!»
«Ich bin von eurem Alter, bin euer Brüderchen», antwortete der Einfältige.
«Und ist das dein goldborstiges Schweinchen?»
«Das ist es.»
«Nun, Brüderchen, verkaufst du das goldborstige Schweinchen?»
«Nein, es ist nicht verkäuflich. Aber ich vermache es euch unter einer Bedingung: für eine Zehe vom Fuß!»
Sie schnitten sich die Zehen ab, gaben sie dem Einfältigen und nahmen dafür das goldborstige Schwein mit den zwölf goldborstigen Ferkeln.
«Ja, Väterchen.»
Der Zar ließ die besten Pferde satteln, aber dem Einfältigen gab er wieder eine alte Schindmähre, die kaum zum Wasserfahren tauglich war. Der Einfältige setzte sich auf das Pferd, aber mit dem Gesicht nach hinten, nahm den Schwanz zwischen die Zähne und trieb es mit Schlägen auf die Flanken an. Da lachten die klugen Schwiegersöhne über ihn. Er aber ritt aufs freie Feld, ergriff die Schindmähre am Schwanz, zog ihr die Haut ab und rief: «Fliegt herbei, ihr Dohlen, Krähen und Elstern, Väterchen hat euch Futter geschickt!» Die Dohlen, Krähen und Elstern flogen herbei und fraßen alles Fleisch auf. Dann rief der Einfältige den Ciwka Burka:
«Ciwka Burka, lieber Grauer, Vaters Segen, lauf herbei, stehe vor mir grad, wie am Grase steht das Blatt.» |
Ciwka Burka eilte herbei, aus dem Maule sprühte Feuer, aus den Ohren stieg eine Rauchsäule empor. Der Einfältige kroch in das linke Ohr und bekam Trank und Speise. Er kroch in das rechte und war ein ganzer Kerl geworden.
«Ich muß die Stute holen mit der goldenen Mähne und ihre zwölf Fohlen!»Da antwortete ihm Ciwka Burka, der gute Graue: «Die ersten Aufgaben waren ein Kinderspiel, aber dies ist eine schwierige Sache! Nimm drei kupferne, drei eiserne und drei zinnerne Ruten mit dir! Die Stute wird hinter mir herlaufen, mich über Berg und Tal jagen, schließlich aber wird sie ermüden und auf die Erde niederfallen. Lasse nicht nach, setze dich auf sie und schlage sie mit allen neun Ruten zwischen die Ohren, bis die Ruten in kleine Stückchen zerbrechen. Vielleicht wirst du dann die Stute mit der goldenen Mähne besiegen.»
Gesagt - getan, der Einfältige eroberte die goldmähnige Stute mit den zwölf Fohlen. Dann schlug er ein Zelt auf -selbst sitzt er im Zelt, die Stute aber wurde an eine Säule gebunden. Die klugen Schwiegersöhne kamen geritten und riefen: «Wer ist in dem Zelt? Ist er ein alter Mann, sei er unser Großväterchen, ist er von mittlerem Alter, sei er unser Ohm!»
«Ich bin von eurem Alter, bin euer Brüderchen», antwortete der Einfältige.
«Nun, Brüderchen, verkaufst du das Pferd mit der goldenen Mähne?» «Nein, es ist nicht verkäuflich, aber ich vermache es euch unter einer Bedingung: für einen Striemen aus dem Rücken!»
Die Klugen zögerten und zögerten, dann aber bückten sie sich und der Einfältige schnitt ihnen einen Striemen aus dem Rücken, steckte sie in die Tasche und gab ihnen dafür die Stute samt den zwölf Fohlen.
Am anderen Tage hielt der Zar ein großes Festmahl und alle kamen herbei. Der Einfältige nahm aus der Tasche die abgeschnittenen Finger und Zehen sowie die zwei Striemen und sprach: «Dies hier ist das goldgefiederte Entchen, dies das goldborstige Schweinchen und dieses die goldmähnige Stute mit den zwölf Fohlen.»
«Du redest Irre», sagte der Zar zu ihm.
«Herr, mein Väterchen, befiehl den klugen Schwiegersöhnen, die Handschuhe auszuziehen!» Sie zogen die Handschuhe aus, — da fehlte an der rechten Hand der kleine Finger. «Die nahm ich ihnen ab für das goldgefiederte Entchen», sagte der Einfältige. Er hielt die Finger an ihren Platz, da wuchsen sie wieder an und belebten sich.
«Lass' sie nun, Väterchen, die Stiefel ausziehen!» Die Brüder zogen die Stiefel aus und an ihren Füßen fehlte eine Zehe. «Die nahm ich ihnen ab für das goldborstige Schwein mit den zwölf Ferkelchen.» Er hielt die abgeschnittenen Zehen an die Füße, und. sie wuchsen im Augenblick wieder an und belebten sich.
«Väterchen, lass' sie die Hemden ausziehen!» Sie zogen die Hemden aus, und beiden Schwiegersöhnen war aus dem Rücken ein Striemen geschnitten.
«Die nahm ich für die goldmähnige Stute mit den zwölf Fohlen.» Er legte die Striemen an ihre alte Stelle, sie wuchsen an und belebten sich. «Jetzt», sagte der Einfältige, «lass' einen Wagen anspannen!» Der Wagen wurde angespannt, sie setzten sich miteinander hinein und fuhren auf das freie Feld. Dort brannte der Einfältige die drei Pferdehaare an und rief mit lauter Stimme:«Ciwka Burka, lieber Grauer, Vaters Segen, lauf herbei, stehe vor mir grad, wie am Grase steht das Blatt!» |
Da kam Ciwka Burka, der liebe Graue, herbei, aus seinem Maule sprühte Feuer, aus seinen Ohren stieg eine Rauchsäule empor. Das Pferd blieb vor dem Einfältigen stehen wie das Blatt vor dem Grase. Er kroch in das linke Ohr hinein und aß und trank sich satt. Er kroch ins rechte Ohr und schmückte sich mit einem bunten Gewande und war ein so schöner Jüngling geworden, daß man es nicht ausdenken, nicht erraten und nicht mit der Feder beschreiben kann. Von dieser Zeit an lebte er mit seiner Gemahlin nach Zarenart, fuhr in einem königlichen Wagen und gab reiche Gastmahle.
Auf jenen Gastmahlen war auch ich und trank Honigmet und Wein. Wieviel ich aber auch trank - ich machte nur den Schnurrbart naß.
IWAN POPJALOV —JOHANNES AUS DER ASCHE
Es lebten einmal ein alter Mann und eine alte Frau, die hatten drei Söhne. Zwei waren klug, einer war dumm. Der Dumme hieß Johannes und hatte den Namen Johannes aus der Asche. Er lag zwölf Jahre auf der Asche, danach stand er auf und schüttelte sich und schüttelte sechs Pud Asche heraus.
In dem Königreich, in dem Johannes aus der Asche lebte, war niemals Tag, sondern immer Nacht. Schuld daran war ein mächtiger Drache. Johannes aus der Asche erbot sich, diesen Drachen zu töten, und er sprach zu seinem Vater: «Vater, mache mir einen ganz schweren Knüttel, einen, der fünf Pud wiegt!»
Mit diesem Knüttel ging Johannes aus der Asche auf das Feld, warf ihn auf den Berg hinauf und kehrte nach Hause zurück. Am anderen Tage stellte er sich auf dasselbe Feld und hielt seine Stirn nach oben. Auf einmal kam der Knüttel herab, traf ihn auf die Stirne und brach mitten entzwei. Johannes
aus der Asche ging nach Hause und sagte zum Vater: «Vater, mache mir einen anderen Knüttel, einen, der zehn Pud wiegt!»Mit diesem Knüttel ging er in das Feld, schleuderte ihn in die Höhe, und der Knüttel flog drei Tage und drei Nächte lang. Am vierten Tage stellte sich Johannes aus der Asche an dieselbe Stelle und hielt ein Knie bereit. Der Knüttel kam zurück und zerbrach in drei Stücke. Johannes aus der Asche ging abermals zum Vater und drängte ihn: «Vater, mache mir einen dritten Knüttel, einen, der fünfzehn Pud wiegt!»
Er nahm den neuen Knüttel mit aufs Feld, warf ihn in die Höhe, und er flog sechs Tage und sechs Nächte lang. Am siebenten Tage trat Johannes an denselben Ort, und der Knüttel flog mit mächtigem Schlag gegen seine Stirn, sodaß der Kopf sich nach hinten bog. «Dies ist der rechte Knüttel», sprach Johannes aus der Asche, «der wird standhalten gegen den Drachen.»
Johannes aus der Asche tat sich mit seinen Brüdern zusammen, und sie zogen aus, den Drachen zu töten. Sie ritten und ritten -da stand ein Hüttchen auf Hühnerfüßchen, und in diesem Hüttchen lebte der Drache. Dort hielten sie an. Johannes hing seine Fäustlinge an die Wand und sagte zu seinen Brüdern: «Wenn von meinen Fäustlingen das Blut herabtropft, so kommt mir sofort zu Hilfe!» Nachdem er das gesagt hatte, setzte er sich unter den Fußboden des Hüttchens. Da kam der Drache mit den drei Köpfen. Vor dem Hüttchen stolperte sein Roß, sein Hund heulte, und sein Falke sträubte sich. Sprach der Drache: «Was stolperst du, mein Roß? Was heulst du, mein Hund? Und was sträubst du dich, mein Falke?»
«Wie sollte ich nicht stolpern», antwortete das Roß, «da doch unter dem Fußboden Johannes aus der Asche sitzt!»
«Komm heraus, Hänschen», rief der Drache, «wir wollen unsere Kräfte messen!»
Johannes aus der Asche kam heraus. Sie fingen an, sich zu schlagen, und Johannes aus der Asche erschlug den dreiköpfigen Drachen. Dann setzte er sich wieder unter den Fußboden.
Da kam der Drache mit den sechs Köpfen, und auch er ward von Johannes erschlagen. Danach erschien der dritte mit den zwölf Köpfen. Johannes aus der Asche fing an, mit ihm seine Kräfte zu messen. Er schlug ihm neun Köpfe ab, und die Kraft des Drachen ließ nach. Da sahen sie einen Raben fliegen, und der rief: «crof, crof -Blut, Blut!»
Der Drache sagte zum Raben: «Flieg zu meinem Weibchen, sie soll Johannes aus der Asche fressen!»
Johannes aus der Asche aber rief: «Flieg zu meinen Brüdern, sie sollen kommen, wir wollen den Drachen töten, und dir geben wir das Fleisch!»
Der Rabe hörte auf Johannes aus der Asche, flog zu den Brüdern und fing an, über ihren Köpfen zu krächzen. Die Brüder erwachten, hörten den Ruf
des Raben und eilten Johannes zu Hilfe. Sie schlugen den Drachen tot, nahmen eins der zwölf Häupter mit, gingen zur Drachenhütte und zerschlugen das Haupt, und im ganzen Königreich wurde es hell und licht.Nachdem sie nun den Drachen getötet hatten, ritt Johannes aus der Asche mit seinen Brüdern nach Hause. Aber sie vergaßen, die Fäustlinge mitzunehmen. Da hieß Johannes aus der Asche die Brüder warten und kehrte um, sie zu holen. Als er zur Hütte kam und nach den Handschuhen langte, sah er, daß das Weib des Drachen und die Drachentöchter drinnen saßen und schwatzten. Schnell verwandelte er sich in einen Kater und fing an, unter der Türe zu maunzen. Da ließen ihn die Drachenweiber herein, und Johannes aus der Asche hörte alles, was sie unter sich besprachen. Dann nahm er seine Fäustlinge und lief davon zu den Brüdern. Schnell bestieg er sein Pferd, und sie ritten miteinander weiter. Sie ritten und ritten. Auf einmal kamen sie an eine grüne Wiese, und auf dieser Wiese lagen seidene Kissen.
«Wollen wir hier nicht unsere Pferde weiden lassen und uns ein wenig ausruhen?» riefen die Brüder.
Johannes aus der Asche aber sprach: «Wartet, Brüder!», nahm seinen Knüttel und schlug auf die seidenen Kissen. Sieh, aus den Kissen floß Blut! Sie ritten weiter, ritten und ritten. Auf einmal stand ein Apfelbäumchen vor ihnen mit goldenen und silbernen Äpfeln.
«Wollen wir nicht jeder einen Apfel essen?» riefen die Brüder.
«Wartet, Brüder, ich versuche erst!» sprach Johannes, nahm seinen Knüttel und schlug auf den Apfelbaum, und aus dem Baume floß Blut! Sie ritten weiter, ritten und ritten. Plötzlich sprudelte vor ihnen eine Quelle.
«Wollen wir nicht Wasser trinken?» riefen die Brüder.
«Wartet, Brüder!» antwortete Johannes aus der Asche, nahm seinen Knüttel und schlug auf die Quelle. Sieh, aus dem Wasser kam Blut!
Die grüne Wiese mit den seidenen Kissen, das Apfelbäumchen und das Quellchen, das waren alles die Töchter des Drachen gewesen. Nachdem Johannes aus der Asche nun die Drachentöchter erschlagen hatte, ritt er mit seinen Brüdern weiter nach Hause.
Plötzlich hörten sie die Drachin selber hinter sich herkommen. Sie hatte ihren Rachen vom Himmel bis zur Erde aufgesperrt und wollte Johannes aus der Asche verschlingen. Aber Johannes und seine Brüder warfen ihr drei Pud Salz hinein. Die Drachin schluckte das Salz hinunter und meinte, es wäre Johannes aus der Asche. Aber als sie das Salz schmeckte und merkte, daß es nicht Johannes aus der Asche war, machte sie sich von neuem an die Verfolgung. Johannes aus der Asche sah, daß ihm Unheil drohte, spornte sein Roß und sprang in die Schmiede von Kosmas und Damian hinter die zwölf Türen. Aber auch die Drachin flog dahin und sagte zu Kosmas und Damian: «Gebt mir Johannes aus der Asche heraus!»
«Da mußt du mit deiner Zunge die zwölf Türen durchlecken!» antworteten Kosmas und Damian, «dann kannst du ihn dir nehmen.»
Die Drachin fing an, die Türen zu lecken, Kosmas und Damian aber machten die eisernen Schmiedezangen rotglühend, und als die Drachin sich durch die zwölf Türen durchgeleckt hatte und ihre Zunge in die Schmiede hineinsteckte, faßten sie mit der Zange zu und erschlugen sie mit dem Schmiedehammer. Als sie sie erschlagen hatten, verbrannten sie den toten Drachenleib und streuten die Asche in den Wind. Dann ritten die drei Brüder miteinander nach Hause.
Und sie fingen an, miteinander zu leben, Feste zu feiern und Honigmet und Wein zu trinken.
Auch ich war dort und trank den Wein, übern Bart floß es, in den Mund kam nichts hinein. |
Es lebte einmal ein König mit Namen Swjetossar, der hatte zwei Söhne und eine wunderschöne Tochter. Zwanzig Jahre lang lebte sie in einem herrlichen Turm, liebevoll behütet von König und Königin und von ihren Ammen und Wärterinnen. Sie war so schön, daß niemand sich an ihr sattsehen konnte. Noch nie hatte ein Fürst oder ein Königssohn ihr Angesicht gesehen.
Niemals verließ die herrliche Königstochter ihren Turm, freie Luft hatte sie noch nie geatmet. Sie besaß kostbare, vielfarbige Gewänder und herrliches Geschmeide. Aber die Zeit war ihr lang, und die Abgeschlossenheit bedrückte sie. Ihr seidenes Haar war dicht und wie aus Gold; zu langen Flechten geflochten hing es herab bis zu den Fersen, ihr Haupt war unbedeckt. Und die Leute nannten die Königstochter: Wassilissa mit den goldenen Flechten und dem unbedeckten Haupte, die Unvergleichlich-Schöne. In allen Landen sprach man davon, daß viele Könige sie erkannten und Boten sandten zum König Swjetossar und anhielten um ihre Hand.
Der König Swjetossar aber ließ sich Zeit. Als er meinte, die Stunde sei gekommen, sandte er Boten in alle Länder, um Könige und Königssöhne zu einem Feste zu laden, damit die Königstochter sich einen Gemahl erwähle. Selber ging er in den hohen Turm, um es der schönen Wassilissa anzusagen.
WASSILISSA MIT DEN GOLDENEN FLECHTEN UND DEM
UNBEDECKTEN HAUPTE UND JOHANNES AUS DER ERBSE
Die Königstochter freute sich von Herzen. Sie sah aus dem goldvergitterten Fensterchen hinab in den grünen Garten, auf die bunten, blumigen Wiesen und wollte so gerne da unten lustwandeln. «Großmäditiger Vater, noch nie sah ich Gottes Welt, noch nie lief ich über Gras und Blumen, deinen herrlichen Hof habe ich nie gesehen. Laß mich mit Ammen und Wärterinnen im Freien lustwandeln!»
Der König gewährte es, und Wassilissa, die Herrliche, stieg aus dem hohen Turm hinab in den weiten Hof, die holzgezimmerten Tore öffneten sich, und sie stand auf grüner Wiese vor einem hohen Berge. Herrliche Bäume wuchsen auf diesem Berge, vielfarbige Blumen auf der Wiese. Die Königstochter pflückte sich blaue Blumen, arglos entfernte sie sich ein wenig von ihren Begleiterinnen, denn ein junges Herz kennt keine Vorsicht. Ihr Gesicht trug sie frei, unverhüllt war ihre Schönheit.
Da brach ein Sturm los, wie ihn die ältesten Leute noch nicht erlebt hatten. Keiner hatte je so etwas gesehen oder gehört. Alles wurde herumgewirbelt und zerbrach. Mit einem Male ergriff der Sturmwind auch die Königstochter und trug sie durch die Lüfte davon, er trug sie über weite Länder und tiefe Ströme, durch drei Reiche bis in das vierte Reich, in die Herrschaft des grausamen Drachen.
Die Ammen und Wärterinnen schrien, liefen überall hin und suchten an allen Orten, aber es war alles umsonst. Dann eilten sie in das Schloß zurück, warfen sich dem König weinend zu Füßen und riefen: «Hoher König, wir sind unschuldig an dem Unglück, wenn wir auch schuldig vor dir erscheinen. Sprich ein Wort der Gnade und lass' uns nicht strafen! Der Sturmwind entführte unsere Sonne, Wassilissa mit den goldenen Flechten, die Unvergleichlich-Schöne, und wir wissen nicht wohin.» Und sie erzählten, wie alles gekommen war. Der König war traurig und zürnte, aber er begnadigte die Armen.
Am anderen Morgen erschienen Fürsten und Königssöhne im Schloß. Als sie die Trauer und die Schwermut des Königs sahen, fragten sie, was geschehen sei.
«Oh, Jammer und Not», sprach der König, «der Sturmwind entführte mein teures Kind, Wassilissa mit den goldenen Flechten, und niemand weiß wohin», und er erzählte alles, was geschehen war. Da erhob sich ein Gemurmel unter den Gästen, ob der König nicht eine Ausrede gebrauche, damit er seine Tochter nicht hergeben müsse. Fürsten und Königssöhne stürzten in den Turm, doch sie fanden die Königstochter nicht. Der König schenkte den hohen Freiem von seinen Schätzen, gab ihnen ein ehrenvolles Geleit, sie stiegen zu Pferde und zogen wieder in ihr Land zurück.
Die beiden Königssöhne, Wassilissas mutige Brüder, sahen die Tränen von Vater und Mutter und baten: «Entläßt uns, großmächtiger Vater, segnet
uns, gnädige Mutter, wir wollen eure Tochter, unser Schwesterchen, suchen!»«Kinder meines Herzens, liebe Söhne», sprach der König traurig, «wohin wollt ihr ziehen?»
«Väterchen, wir reiten überall hin - wohin der Weg geht, wohin der Vogel fliegt, wohin die Augen schauen.»
Der König segnete sie, die Mutter bekleidete sie mit festlichem Gewand, und unter Tränen zogen sie von dannen.
Die Königssöhne ritten davon über Berg und Tal. Ob es kurz war oder lang, ob es nah war oder fern - sie wußten es beide nicht. Sie ritten ein Jahr und ein zweites und kamen durch drei große Reiche. Endlich schimmerten ferne Berge zwischen sandigen Steppen, das Land des grausamen Drachen. Die Königssöhne fragten alle, die vorüber gingen, nach Wassilissa mit den goldenen Flechten. «Hörtet ihr nicht, sahet ihr nicht, wo Wassilissa mit den goldenen Flechten ist?» Aber die Leute erwiderten: «Wir haben sie nie gekannt, wir haben nichts von ihr gehört», und gingen weiter.
Endlich kamen die Königssöhne zu einer großen Stadt. Am Tore stand ein gebrechlicher Greis, krumm und lahm, mit Krücke und Ranzen, und bettelte. Die Königssöhne hielten an, gaben ihm Silbergeld und fragten ihn nach ihrer Schwester, Wassilissa mit den goldenen Flechten und dem unbedeckten Haupte.
«Ach, Freunde, man merkt, daß ihr aus fremdem Lande seid. Unser Gebieter, der grausame Drache, hat aufs strengste verboten, mit Fremden zu reden. Hier darf niemand bei Strafe davon sprechen, wie der Sturmwind die schöne Königstochter an der Stadt vorüber trug.»
Da ahnten die Brüder, daß ihre Schwester nahe sei. Sie trieben ihre feurigen Pferde an und ritten zum Schloß des Drachen. Das Schloß war aus Gold und stand auf einer silbernen Säule. Das schirmende Dach bestand aus Edelgestein, die Stiegen waren aus Perlmutter und gingen wie Flügel auseinander.
Wassilissa sah gerade traurig aus ihrem goldvergitterten Fensterchen. Plötzlich schrie sie laut auf vor Freude, sie hatte von weitem die beiden Königssöhne gesehen, und das Herz sagte ihr, daß es die Brüder wären. Heimlich sandte sie ihnen einen Boten entgegen und ließ sie in das Schloß führen. Der Drache war nicht zu Hause. Wassilissa, die Herrliche, bangte darum, daß er die Brüder sähe. Aber kaum waren sie eingetreten, da stöhnte die silberne Säule, die perlmutternen Stiegen gingen wie Flügel auseinander, alle Edelsteindächer blitzten, und das ganze Schloß drehte und bewegte sich. Die Königstochter erschrak: «Das Schloß schwankt, der Drache kommt geflogen, verbergt euch, meine Brüder!»
Kaum hatte sie es gesagt, da flog der grausame Drache herbei, tat einen Pfiff und schrie mit lauter Stimme: «Wer ist hier, ein lebendiger Mensch?»
«Wir sind es, grausamer Drache!» antworteten unverzagt die Königssöhne. Wir kommen aus der Heimat und suchen unsere Schwester.»
«Ach, ihr seid es, wacker. Burschen», schrie der Drache und schlug mit den Flügeln. «Freilich habt ihr die Schwester gefunden, und ihr seid auch tapfere Helden, aber doch nur kleine, euch habe ich schnell bezwungen!» Und er nahm den einen Bruder auf den Flügel und erschlug damit den andern. Dann pfiff und schrie er, die Schloßwache lief herbei, packte die beiden Toten und warf sie in eine tiefe Grube.
Wassilissa mit den goldenen Flechten weinte bittere Tränen. Sie aß nicht und trank nicht und verbarg sich vor dem Himmelslicht mit ihrem Gram. Es vergingen zwei Tage, es vergingen drei Tage - sie wäre am liebsten gestorben - aber ihrer Schönheit wegen beschloß sie zu leben. Und am dritten Tage aß sie. Dann überlegte sie, wie sie sich selber von dem Drachen befreien könne, und versuchte es mit kluger Schmeichelei: «Grausamer Drache, deine Kraft ist groß, dein Flug gewaltig. Ist dir kein Gegner gewachsen?»
«Noch ist die Zeit nicht gekommen. Bei meiner Geburt wurde mir geweissagt, mein Gegner heiße Johannes aus der Erbse und er würde aus der Erbse geboren.» Der Drache sagte es zum Scherz, denn er dachte an keinen Gegner. So verläßt sich der Starke auf seine Kraft, und doch wird aus Scherz oftmals bitterer Ernst.
Die Mutter der schönen Wassilissa trauerte. Nach der Königstochter waren auch die Söhne verschwunden. Einstmals erging sie sich mit den Bojarinnen im Garten. Der Tag war heiß, und sie verlangte zu trinken. Aus dem Hügel sprudelte eine Quelle, aufgefangen in einer Mulde aus weißem Marmelstein. Sie schöpfte mit goldener Kelle das tränenhelle Wasser und trank. Und wie sie so hastig trank, schluckte sie eine Erbse hinab. Die Erbse quoll, und der Königin wurde es sonderbar zumute. Die Erbse wuchs und wuchs, und die Königin trug schwer an der Frucht.
Als die Zeit gekommen war, gebar die Königin einen Sohn, der erhielt den Namen: Johannes aus der Erbse. Der Knabe wuchs nicht nach Jahren, sondern nach Stunden, schön glatt und rundlich. Erblickte umher und lachte, hüpfte und sprang, rollte über den Sand und war so voller Kraft, daß er mit zehn Jahren schon ein richtiger Held war. Einmal fragte er Vater und Mutter, ob er noch Geschwister gehabt habe, und da erfuhr er, daß die Schwester vom Wirbelwind davongetragen wäre und die beiden Brüder ausgezogen seien, um sie zu suchen.
«Vater, Mutter, gebt mir euren Segen, laßt mich ausziehen, meine Schwester und die Brüder zu suchen!»
«Aber Kind», riefen Vater und Mutter mit einer Stimme, «du bist noch so jung und grün, deine Brüder zogen aus und kamen um, dir wird es nicht besser ergehen!»
«Mir geschieht nichts», sagte Johannes aus der Erbse, «ich will Brüder und Schwester suchen!» Vater und Mutter wollten ihren lieben Sohn zurückhalten, er aber bat unter Tränen, bis sie ihn zur Reise ausrüsteten.
Johannes aus der Erbse war nun frei und rollte in das freie Feld. Er ritt davon, ritt einen Tag und den andern Tag und kam des Nachts in einen finsteren Wald. Im Walde stand ein Hüttchen auf Hühnerfüßchen, das schwankte im Winde und drehte sich um sich selbst. Nach altem Brauch, wie es die Mutter gelehrt hat, blies der Königssohn das Hüttchen an und sprach: «Hüttchen, Hüttchen, dreh dich zu mir und dreh dem Wald den Rücken!»
Und sogleich drehte sich das Hüttchen Johannes zu. Aus dem Fensterchen sah eine grauhaarige Alte: «Wen hat Gott hierher geführt?»
Johannes verneigte sich und fragte: «Großmütterchen, sahst du den Wirbelwind fliegen, weißt du, wohin er die schönen Jungfrauen trägt?»
«Ach, wackrer Jüngling», antwortete die Alte, hustete und sah ihn an, «auch mich hat der Sturmwind erschreckt. Seit hundertzwanzig Jahren sitze ich in diesem Hüttchen und wage mich nicht vor die Tür, denn er könnte kommen und mich entführen. Es ist kein Sturmwind, es ist der grausame Drache!»
«Wie kann ich zu ihm gelangen?» fragte Johannes.
«Was willst du dort, mein Licht? Er wird dich bald verschlingen.»
«Nun, vielleicht wird er mich nicht verschlingen.»
«Oh, tapferer Held», flehte die Alte, «du kannst deinen Kopf nicht retten! Aber wenn du den Drachen bezwingst, so nimm aus seinem Hort das verjüngende Wasser. Wer sich damit besprengt, wird wieder jung», setzte sie hinzu, mit Mühe die Zähne bewegend.
«Mütterchen, mein Wort darauf, ich bringe dir das verjüngende Wasser!»
«Gerne glaube ich es. Gehe immer gradeaus und folge dem Lauf der Sonne. Übers Jahr kommst du zum Fuchsberg, dort frage wieder nach dem Weg ins Drachenreich!»
«Dank dir, Großmütterchen!»
«Nichts zu danken. wackrer Jüngling.»
So ging Johannes aus der Erbse dem Lauf der Sonne nach. Schnell ist ein Märchen erzählt - nicht so schnell die Tat getan - er zog durch drei Königreiche, bis er in das Reich des Drachen kam. Vor den Toren der Stadt sah er einen Bettler stehen, einen lahmen, blinden Armen mit einer Krücke. Dem gab er ein Almosen und fragte, ob hier nicht Wassilissa mit den goldenen Flechten, die Unvergleichlich-Schöne, gefangen sei. «Ja, sie ist hier, aber es ist verboten, es zu sagen.»
Da wußte Johannes aus der Erbse, daß seine Schwester nahe sei. Der gute tapfere Jüngling ermannte sich und ritt zum Schloß des Drachen.
Wassilissa, die Herrliche, sah aus dem Fenster, ob nicht der Drache geflogen
käme, und erblickte von weitem den jungen Helden. Gerne hätte sie gewußt, wer es war. Sie sandte ihm heimlich einen Boten entgegen, um zu erkunden, aus welchem Lande, von welchem Stamme er sei und ob er nicht von Vater und Mutter gesandt wäre. Als sie hörte, daß Johannes gekommen sei, der jüngste Bruder, lief sie ihm mit Tränen in den Augen entgegen: «Fliehe, fliehe, mein Brüderchen, gleich kommt der Drache, und wenn er dich erblickt, erschlägt er dich!»«Das sollst du nicht sagen, das will ich nicht hören, Schwester, ich fürchte die Kraft des Drachen nicht!»
«Bist du vielleicht aus der Erbse?» fragte Wassilissa mit den goldenen Flechten, «dann könntest du ihn besiegen.»
«Warte nur, Schwesterherz, erst gib mir zu trinken, ich wanderte weit durch die glühende Sonne, bin müde vom Weg und durstig!»
«Was willst du trinken, Brüderchen?»
«Einen Eimer voll süßen Honigmet, liebes Schwesterchen.»
Wassilissa mit den goldenen Flechten ließ ihm einen Eimer mit süßem Honigmet bringen. Johannes aus der Erbse trank ihn aus mit einem Zug und bat um einen zweiten. Die Königstochter staunte und ließ einen anderen Eimer holen. «Bruder, ich kannte dich nicht, aber jetzt glaube ich, daß du Johannes aus der Erbse bist.»
«Bringe mir einen Stuhl, damit ich ein wenig ruhen kann!»
Wassilissa ließ einen kräftigen Stuhl herbeibringen, aber der Stuhl brach unter ihm zusammen. Man brachte einen anderen, mit Eisen beschlagen, aber auch dieser bog sich und krachte.
«Ach, Bruder», rief die Königstochter, «das war des Drachen Sitz!»
«Ei, da wiege ich schwerer als er», sagte Johannes aus der Erbse, lachte und ging in die Schmiede. Beim alten, weisen Hofschmied bestellte er einen Stab, fünfhundert Pud schwer. Die Schmiede machten sich sogleich an die Arbeit und schmiedeten das Eisen. Tag und Nacht dröhnten die Hämmer, und die Funken flogen. In vierzig Stunden war der Stab geschmiedet. Fünfzig Menschen schleppten ihn mühsam herbei. Johannes aus der Erbse nahm ihn mit einer Hand und warf ihn in die Höhe. Der Stab flog mit Donnergetöse bis über die Wolken und war nicht mehr zu sehen. Alles Volk lief voller Angst davon. Fiel der Stab zur Erde, so schlug er alle Mauern ein und zerschmetterte die Menschen, fiel er aber ins Meer, so gingen die Wasser über das Ufer und überschwemmten die Stadt. Johannes aus der Erbse gab den Befehl, zu melden, wann der Stab wieder geflogen käme. Dann ging er ruhig in das Schloß zurück. Das Volk verlief sich und schaute aus Fenstern und Türen nach dem Stabe aus. Sie warteten eine Stunde, eine zweite und dritte. Da erbebten sie, riefen und schrien, daß der Stab geflogen komme. Johannes aus der Erbse sprang auf den Platz hinaus, öffnete seine Hand und fing ihn
im Fluge. Er selber beugte sich nicht, aber der Stab in seiner Hand wurde krumm. Er nahm den Stab, bog ihn über dem Knie wieder zurecht und kehrte in das Schloß zurück.Plötzlich erhob sich ein furchtbares Pfeifen - der grausame Drache schoß herbei. Sein Pferd flog wie ein Pfeil, und Flammen schlugen aus seinen Nüstern. Er sah aus wie ein Held, hatte aber den Kopf eines Drachen. Wenn er auf zehn Werst herangeflogen war, begann der Hof zu schwanken und sich zu drehen. Heute aber blieb er ruhig und bewegte sich nicht von der Stelle. Offenbar war ein gewichtiger Gast im Hause. Der Drache stutzte, pfiff und schrie. Das Sturmpferd schüttelte die schwarze Mähne, schlug mit den großen Flügeln, lärmte und wieherte. Es flog zum Schloß, aber das Schloß rührte sich nicht. «Oho», brüllte der Drache, «mein Gegner ist da! Erbse, bist du mein Gast?»
Held Johannes erschien.
«Ich setze dich auf eine Hand, schlage mit der andern zu, und niemand findet deine Knochen!»
«Das werden wir sehen», sagte Johannes aus der Erbse und trat ihm mit dem Stabe entgegen.
«Erbschen, rolle nicht!» sprach der Drache höhnend vom Sturmpferd.
«Komme nur, grausamer Drache!» rief Johannes aus der Erbse und hob den Stab. Der Drache kam mit Macht und stieß mit seiner Lanze zu, aber er stach daneben, und Johannes sprang auf die Seite, ohne zu straucheln. «Jetzt schlage ich», rief er dröhnend und schleuderte den Stab gegen den Drachen. Der Drache wurde betäubt und in lauter Stücke zerrissen, und Johannes streute die Stücke umher. Der Stab drang in die Erde und ging durch zwei Reiche bis in das dritte.
Das Volk warf die Mützen in die Höhe und rief Johannes zum Könige aus. Johannes aber wies hin auf den weisen Schmied, der den Stab so schnell geschmiedet hatte, und sprach zu dem versammelten Volke: «Er ist euer Haupt, gehorcht ihm zum Guten, wie ihr früher dem Drachen zum Bösen gehorcht habt!»
Dann holte Johannes Wasser des Lebens und des Todes und besprengte damit die toten Brüder. Da standen die Jünglinge auf, neben ihre Augen und sprachen: «Wir schliefen lange, Gott weiß, was inzwischen geschah.»
«Ohne mich hättet ihr auf immer geschlafen, liebe Brüder», sagte Johannes aus der Erbse und drückte sie an sein stürmisches Herz. Er vergaß nicht, Drachenwasser mitzunehmen. Dann rüstete er ein Schiff und nahm Wassilissa mit den goldenen Flechten und die Brüder mit sich. Sie zogen auf dem Schwanenfluß in die Heimat - durch drei Reiche bis in das vierte Reich. Johannes aus der Erbse vergaß auch nicht die Alte im Hüttlein und brachte ihr das versprochene Wasser zum Waschen. Sie wusch sich damit, verwandelte
sich und wurde wieder jung. Singend und tanzend lief sie hinter Johannes her und begleitete ihn auf dem Wege.Vater und Mutter waren voller Freude, begrüßten den Königssohn mit großen Ehren und sandten Boten in alle Welt mit der Nachricht, daß Wassilissa mit den goldenen Flechten wieder zurückgekehrt sei.
Die Geschütze donnerten - in den Ohren schallte es, die Trompeten bliesen - in den Ohren hallte es, und die Glocken läuteten in der Stadt. Wassilissas stetes Ausharren wurde belohnt, sie fand den Bräutigam, und auch für den Königssohn Johannes fand sich eine Braut. Vier Brautkronen wurden bestellt, zwei Hochzeiten gehalten. Das war ein Fest -berghoch wuchs die Freude, Honigmet floß in Strömen. Die Großväter der Väter waren auch dabei und tranken Honigmet. Der Honigmet floß bis zu uns. Er floß über den Bart, aber er kam nicht in den Mund.
Gewiß ist, daß Johannes nach dem Tode des Vaters die Königskrone empfing. Er regierte ruhmvoll, und noch viele Geschlechter feierten seinen Namen: Johannes aus der Erbse.
DIE BEIDEN JOHANNES SOLDATENSÖHNE
In einem Reich, in einem Königreich, lebte einmal ein Bauer, den steckten sie unter die Soldaten. Seine Frau erwartete ein Kind, und als er von ihr Abschied nahm, sagte er: «Frau, zerstöre nicht unser Häuschen, lebe in Frieden mit den Nachbarn und warte auf mich, vielleicht fügt es Gott, daß sie mir bald den Abschied geben. Hier hast du fünfzig Rubel für das Kind. Ist es eine Tochter, so hat sie eine Mitgift, ist es ein Sohn, so wird es ihm eine große Hilfe sein.»
Damit nahm er Abschied und zog in den Krieg, wie ihm befohlen war. Nach drei Monaten schenkte die Frau Zwillingen das Leben. Es waren zwei Knaben, und sie nannte sie Johannes Soldatensöhne. Die Knaben wuchsen, gingen auf wie der Hefeteig, als züge man sie in die Höhe. Mit zehn Jahren schickte sie die Mutter in die Schule zum Lernen. Sie lernten schnell, hatten bald Kaufmanns- und Bojarensöhne überflügelt; keiner konnte besser lesen, schreiben oder Antwort geben als sie. Die Bojaren- und Kaufmannskinder beneideten sie und stießen und zwickten sie alle Tage.
«Sollen sie uns noch lange stoßen und zwicken? Näht uns Mütterchen dafür Kleider und Mützen, damit sie gleich in Stücke gerissen werden! Laßt es uns ihnen heimzahlen auf unsere Art.»
Als die Kinder wieder zu streiten anfingen, duldeten es die Soldatensöhne
nicht mehr und schlugen selber zu. Einem schlugen sie ein Auge aus, einem anderen die Hand ab, einem dritten den Kopf und prügelten alle miteinander.Da lief die Wache herbei und setzte sie beide ins Gefängnis. Der König hörte davon und ließ die Knaben kommen. Er fragte sie aus und befahl dann, sie freizulassen.
«Sie sind unschuldig», sagte er, «sie haben sich nur verteidigt. Gott straft die Angreifer.»
Die beiden Johannes Soldatensöhne wuchsen heran und baten: «Mütterchen, gib uns Geld, wir wollen uns auf dem Jahrmarkt gute Pferde kaufen.»
Die Mutter gab ihnen die fünfzig Rubel und prägte ihnen ein: «Hört, Kinder, auf dem Wege zur Stadt grüßt freundlich jeden, der euch begegnet!»
«Ja, liebes Mütterchen.»
Die Brüder gingen in die Stadt auf den Pferdemarkt. Es waren viele Pferde dort, aber keines, das ihnen gefiel. Da sagte einer zum anderen: «Gehen wir an das andere Ende des Platzes, sehen wir, warum das Volk sich dort so drängt!»
Sie gingen hin und sahen: An zwei eichene Pfosten waren zwei Füllen mit eisernen Ketten gebunden, das eine mit sechs, das andere mit zwölf Ketten. Die Tiere zerrten an Ketten, kauten auf ihrem Gebiß und wühlten die Erde auf mit ihren Hufen. Niemand konnte ihnen nahen.
«Was kosten die Pferde?» fragte Johannes Soldatensohn.
«Diese Ware taugt nicht für dich, brauchst deine Nase nicht überall hineinzustecken und zu fragen!»
«Warum sagst du Dinge, die du nicht weißt? Vielleicht kaufen wir sie, wir müssen nur erst die Zähne besehen.»
Der Pferdehändler lachte: «Sieh hin, wenn dir dein Kopf nicht leid tut!»
Der eine Bruder ging zu dem Füllen, das an sechs Ketten gebunden war, der andere zu dem, welches zwölf Ketten hielten. Sie wollten die Zähne ansehen, aber die Pferde stellten sich auf die Hinterfüße und schnaubten. Da stießen die Brüder ihnen das Knie vor die Brust, daß die Ketten rissen und die Pferde fünf Klafter weit flogen und auf den Rücken fielen.
«Ei, wie habt ihr geprahlt, so elende Klepper nehmen wir nicht einmal geschenkt!»
Das Volk staunte und bewunderte die Helden. Der Pferdehändler weinte beinahe. Die Füllen jagten über das freie Feld. Niemand wagte, ihnen zu nahen und sie einzufangen. Da erbarmten sich die beiden Brüder, gingen vor die Stadt und riefen die Tiere mit mächtiger Stimme. Die Pferde kamen und standen vor ihnen still wie festgeschmiedet. Die Brüder legten ihnen
die eisernen Ketten an, führten sie in die Stadt und schlossen sie an die eichenen Pfosten. Dann gingen sie wieder nach Hause.Unterwegs begegnete ihnen ein alter Mann, sie vergaßen, was die Mutter geboten hatte, und gingen vorüber, ohne zu grüßen. Aber dann erinnerten sie sich: «Bruder, was taten wir, wir vergaßen, diesen Alten zu grüßen. Eilen wir ihm nach!»
Sie eilten dem Alten nach, zogen die Kappen und verneigten sich vor ihm: «Großväterchen, verzeih, daß wir ohne zu grüßen vorbeigingen. Unser Mütterchen befahl, jeden zu grüßen, den wir auf unserem Wege antreffen.»
«Schönen Dank, wackere Burschen, woher kommt ihr?»
«Aus der Stadt vom Pferdemarkt. Wir wollten uns gute Pferde kaufen, aber sie taugten uns alle nicht.»
«Soll ich jedem von euch ein Pferd schenken?»
«Ach, Großväterchen, wenn du das tust, wollen wir immer zu Gott für dich beten.»
«Ei, so kommt!»
Der Alte führte sie an einen großen Berg, öffnete eine eiserne Türe und führte zwei echte Heldenrosse heraus. «Hier habt ihr Pferde, gute Jungen, reitet mit Gott und bleibt gesund!»
Sie dankten ihm, saßen auf und jagten nach Hause. Dort banden sie die Tiere an einen Pfosten und traten ein. Die Mutter fragte: «Kinder, habt ihr euch Pferde gekauft?»
«Wir haben sie nicht gekauft, aber es wurden uns zwei geschenkt.»
«Wo sind sie?»
«Vor der Hütte.»
«Ach, Kinder, wenn sie jemand stiehlt!» «Mütterchen, die führt keiner hinweg, niemand wagt es, ihnen zu nahen.»
Die Mutter trat vor die Tür und betrachtete die Pferde. Dann brach sie in Tränen aus: «Ach, ihr Söhne, ihr bedürft meines Schutzes nicht mehr!»
Am nächsten Tage baten die Söhne ihre Mutter: «Lass' uns in die Stadt gehen, scharfe Säbel zu kaufen!»
«Geht, ihr Lieben!»
Sie gingen zum Schmied und sagten: «Schmiede uns scharfe Säbel!»
«Wozu schmieden, es sind viele fertig, nehmt, welche ihr wollt!»
«Nein, wir brauchen Säbel, die dreihundert Pud wiegen.»
«Was ihr euch einbildet, wer kann so einen Säbel schwingen? Man kann auf der ganzen Welt keine Esse dazu finden.»
Es war nichts zu machen, die Brüder ließen die Köpfe hängen und zogen heim. Unterwegs begegneten sie demselben Alten.
«Guten Tag, wackere Burschen!»
«Guten Tag, Großväterchen!»
«Woher des Weges?»
«Aus der Stadt vom Schmied, wir wollten uns Säbel kaufen, aber solche, wie wir brauchen, gibt es nicht!»
«Das ist schlimm. Soll ich jedem einen Säbel schenken?»
«Ach, Großväterchen, wenn du das tust, werden wir immer Gott für dich bitten.»
Der Alte führte sie zu einem großen Berge, öffnete eine eiserne Tür und brachte jedem einen mächtigen Säbel. Sie nahmen die Säbel, dankten dem Greis und wurden fröhlichen Herzens.
Zu Hause fragte die Mutter: «Nun, Kinderchen, kauftet ihr euch Säbel?»
«Gekauft haben wir uns keine, aber wir bekamen sie geschenkt.»
«Wo habt ihr sie?»
«Sie lehnen an der Hütte.»
«Wenn sie aber jemand hinwegträgt?»
«Nein, Mütterchen, die stiehlt keiner, die sind viel zu schwer!»
Die Mutter ging hinaus und betrachtete die Säbel. Sie waren groß und redcenhaft und drückten beinahe die Mauer der Hütte ein.
Da weinte die Mutter: «Ihr werdet ,weiß Gott, nicht meine Ernährer sein!»
Am nächsten Morgen sattelten die beiden Johannes Soldatensöhne ihre Pferde, ergriffen ihre Säbel und nahmen Abschied von der Mutter: «Mutter, gib uns deinen Segen mit auf den weiten Weg!»
«Kinder, mein-mütterlicher Segen möge immer über euch bleiben! Reitet mit Gott, zeigt euch und seht euch die Leute an! Nehmt nicht jeden zum Freunde, tut niemandem ein Leid und weichet niemals vor dem Feind!»
«Fürchte dich nicht, Mütterchen, wir bleiben unserm Grundsatz treu: Wir reiten und reiten und pfeifen dazu, und kommt der Feind, so schlagen wir zu.»
Die wackeren Jünglinge stiegen zu Pferde und ritten fort. Ob es kurz war oder lang, ob es nah war oder fern, schnell ist ein Märchen erzählt, nicht so schnell die Tat getan. Sie kamen schließlich an einen Kreuzweg, dort standen zwei Pfosten. Auf dem einen Pfosten stand geschrieben: «Wer rechts reitet, wird König.» Auf dem andern: «Wer links reitet, wird getötet.»
Die Brüder blieben stehen, lasen die Inschriften und überlegten, wohin sie reiten sollten. Wenn beide nach der rechten Seite ritten, war es nicht ruhmvoll für ihre ritterliche Kraft und ihren Wagemut, aber links reiten und sterben wollte auch keiner von ihnen. Doch sie mußten sich entscheiden. Da sagte der eine: «Bruder, ich bin stärker als du, ich reite nach links und will sehen, wie der Tod ist. Reite du nach rechts, vielleicht macht Gott dich zum König!»
Sie nahmen Abschied voneinander. Jeder gab dem andern ein Tüchlein und schwor, auf seinem Wege überall Zeichen aufzustellen. Jeden Morgen
sollte jeder sein Gesicht mit dem Tüchlein abreiben. Zeigte sich Blut darin, so bedeutete es den Tod des anderen. Dann sollte der Überlebende den andern suchen gehen.Sie ritten also nach verschiedenen Seiten. Der, welcher sein Pferd nach der rechten Seite gehen ließ, kam in ein herrliches Reich. Dort lebten ein König und eine Königin mit ihrer Töchter, Anastasia, der Wunderschönen. Der König sah Johannes, den Soldatensohn, gewann ihn lieb, weil er so kühn war, und gab ihm ohne Zaudern seine Tochter zur Frau.
Er nannte ihn Johannes Königssohn und übertrug ihm die Verwaltung seines Reiches. Johannes Königssohn lebte in Freude und Herrlichkeit; er liebte seine Frau, hielt das Reich in Ordnung und ging auf die Jagd.
Als er wieder einmal jagen gehen wollte und seinem Roß den Zaum umlegte, fand er in den Satteltaschen zwei Bläschen, das eine mit heilendem Wasser, das andere mit Wasser des Lebens. Er betrachtete sie, steckte sie wieder an ihre Stelle zurück und sagte: «Ich will sie aufbewahren, bis die Stunde kommt, da ich sie brauche.»
Sein Bruder Johannes Soldatensohn, der den Weg nach links eingeschlagen hatte, war Tag und Nacht ohne Rast und Ruh geritten - einen Monat, zwei Monate, drei Monate. Schließlich kam er in ein fremdes Land und gerade in die Hauptstadt hinein. Dort herrschte große Trauer. Die Häuser waren mit schwarzem Tuch verhängt, und die Menschen gingen wie im Traum einher. Bei einer alten Frau ging er zur Herberge und fragte sie: «Sage, Mütterchen, warum trauert das ganze Volk, warum sind die Häuser mit schwarzem Tuch verhangen?»
«Ach, guter Jüngling, großes Unglück hat uns getroffen! Jeden Tag steigt aus dem blauen Meer, hinter dem grauen Stein, ein zwölfköpfiger Drache hervor und verschlingt einen Menschen. Heute ist der König an der Reihe. Er hat drei wunderschöne Töchter. und die älteste hat man eben ans Meer gefahren, dem Drachen zum Fraß.»
Johannes Soldatensohn bestieg sein Roß und ritt ans Meer zu dem grauen Stein. Da stand die schöne Königstochter mit eisernen Ketten angeschmiedet. Als sie den Ritter erblickte, rief sie ihm zu: «Geh fort von hier, wackerer Held, gleich kommt der Drache, um mich zu verschlingen, er soll nicht auch dich noch verderben!»
«Fürchte dich nicht, schöne Jungfrau, vielleicht wird er sich an mir verschlucken!»
Er nahm die Ketten mit starker Hand und zerriß sie, als wären es mürbe Bindfäden. Dann legte er den Kopf in ihren Schoß und sprach: «Nun suche mir meinen Kopf ab, aber sieh so oft auf das Meer wie auf meinen Kopf. Und wenn sich eine Wolke erhebt, der Sturm tost und das Meer erbebt, dann wecke mich getrost auf, schöne Jungfrau!»
Sie gehorchte ihm und sah so oft auf das Meer wie auf seinen Kopf. Plötzlich erhob sich eine Wolke, der Wind stürmte, das Wasser toste, und der Drache hob sich aus dem blauen Meer. Die Jungfrau weckte den Ritter, er sprang auf und bestieg sein Roß. Da flog der Drache herbei und rief: «Hänschen, warum kamst du hierher? Das ist mein Platz! Nimm Abschied von der weiten Welt und steige in meinen Schlund - da wird es dir wohl sein!»
«Du lügst, verfluchter Drache, du wirst mich nicht verschlingen, du wirst an mir ersticken!»
Der Held zog seinen scharfen Säbel, schwang ihn und hieb dem Untier die zwölf Köpfe ab. Dann hob er den grauen Stein auf, legte die Köpfe darunter und warf den Leichnam ins Meer.
Er ging nach Hause, aß und trank, legte sich schlafen und schlief drei Tage und drei Nächte lang. Unterdessen rief der König einen Wasserträger zu sich und sprach: «Nimm dein Wägelchen, geh ans Meer und sammle die Gebeine der Königstochter!»
Der Wasserträger fuhr ans blaue Meer und fand die Königstochter am Leben. Kein Leid war ihr geschehen. Er setzte sie auf seinen Wagen, führte sie tief in einen dichten, dunklen Wald und begann, sein Messer zu schärfen.
«Was willst du tun?» fragte die Königstochter. «Ich schärfe mein Messer, um dich zu erstechen!»
Da weinte sie und sprach: «Erstich mich nicht, ich tat dir nichts Böses!»
«Wenn du dem König sagst, daß ich dich von dem Drachen befreit habe, übe ich Gnade an dir.»
Sie konnte sich nicht anders helfen und willigte ein. Als sie ins Schloß zurück kam und der König sie sah, freute er sich so über ihre Heimkehr, daß er den Wasserträger zum Hauptmann machte.
Als Johannes, der Soldatensohn, erwachte, gab er der Alten Geld und bat:
«Alte, geh auf den Markt, kaufe, was nötig ist, und höre, was die Leute reden. Vielleicht gibt es etwas Neues.»
Die Alte lief auf den Markt, kaufte Vorräte ein, hörte, was die Leute redeten, lief wieder heim und sprach: «Im Volke geht das Gerücht, daß der König ein großes Gastmahl gab. Königssöhne, Bojaren und viele andere große Männer saßen an der Tafel, als ein glühender Pfeil durchs Fenster in die Mitte des Saales flog. Daran hing der Brief eines zwölfköpfigen Drachen, und der Drache schrieb: Wenn du mir nicht deine zweite Tochter gibst, verheere ich dein Reich mit Feuer und zerstreue die Asche im Wind. Und heute noch führen sie die Arme ans blaue Meer zum grauen Stein.»
Johannes, der Soldatensohn, setzte sich sofort auf sein braves Roß und jagte ans Meer. Da rief die Königstochter: «Weshalb kommst du, wackerer Held? Die Reihe, den Tod zu leiden, ist an mir. Mein warmes Blut wird fließen, warum willst auch du dabei sterben?»
«Fürchte dich nicht, schöne Jungfrau, vielleicht rettet dich Gott!»
Kaum hatte er das gesagt, da kam der Drache geflogen. Feuerschnaubend drohte er Tod. Aber der Ritter schwang seinen Säbel und schlug ihm mit einem Streiche alle zwölf Köpfe ab. Die Köpfe verbarg er unter dem Stein, den Leib warf er ins Meer und ritt nach Hause. Er aß und trank und schlief drei Tage und drei Nächte lang.
Wieder kam der Wasserträger gefahren und fand die Königstochter lebend und gesund. Er setzte sie auf sein Wägelchen, fuhr in den dunklen Wald und wetzte sein Messer.
«Warum schleifst du dein Messer?»
«Ich schleife mein Messer, um dich zu erstechen, aber wenn du schwörst, deinem Vater zu sagen, was ich verlange, dann verschone ich dich!»
Die Königstochter schwor es. Der Wasserträger führte sie zum Hofe. Der König freute sich über alle Maßen und machte ihn zum General.
Nach drei Tagen erwachte Johannes, der Soldatensohn, und schickte die Alte auf den Markt, um Neuigkeiten zu hören. Die Alte lief fort und kehrte bald zurück: «Nun hat ein dritter Drache Botschaft gesandt, daß der König die dritte und jüngste Tochter ausliefern müsse.»
Johannes, der Soldatensohn, sattelte sein braves Roß und jagte an das blaue Meer. Am Ufer stand die Jungfrau mit eisernen Ketten an den Stein gefesselt. Der Held faßte die Ketten und zerriß sie wie mürbe Bindfäden. Dann legte er das Haupt auf ihre Knie: «Suche mir den Kopf ab, aber blicke so oft auf das Meer wie auf meinen Kopf, und wenn sich eine Wolke erhebt, der Sturm tost und das Meer erbebt, dann wecke mich auf!»
Die Königstochter suchte seinen Kopf ab. Da erhob sich eine Wolke, der Sturm brauste, das Meer bebte, und aus dem Wasser hob sich der Drache und fing an, den Hügel zu erklimmen. Die Königstochter versuchte, Johannes, den Soldatensohn, zu wecken, aber wie sehr sie ihn auch rüttelte, sie konnte ihn nicht erwecken. Da weinte sie bitterlich, und ihre heißen Tränen fielen auf seine Wangen, so daß er endlich erwachte. Schnell lief er zu seinem Roß, das hatte die Erde schon zwei Ellen tief aufgewühlt. Der zwölfköpfige Drache kam geflogen, und das Feuer stob aus seinem Rachen: «Schön bist du, junger Ritter, und gewiß zu etwas nütze, aber du hast die längste Zeit gelebt! Ich fresse dich auf bis aufs letzte Knöchelchen!»
«Du lügst, verfluchter Drache, du wirst an mir ersticken!»
Ein tödlicher Kampf begann. Johannes schwang so oft und so schnell seinen Säbel, daß das Eisen glühte, kaum vermochte er ihn noch zu halten. «Rette mich, schöne Jungfrau!» bat er die Königstochter, «nimm ab dein kostbares Tüchlein, tauche es ins blaue Meer und wickle es um meinen Säbel.»
Die Königstochter nahm ihr Tüchlein, tauchte es ins blaue Meer und gab es dem Helden. Er wickelte es um den Griff seines Säbels, schlug mit
aller Kraft zu und hieb dem Drachen alle zwölf Köpfe ab. Die Köpfe legte er unter den grauen Stein, den Leichnam warf er ins Meer. Dann eilte er nach Hause, aß und trank, legte sich schlafen und schlief drei Tage und drei Nächte lang.Der König sandte wieder den Wasserträger ans Meer, der nahm die Königstochter, führte sie in den dunklen Wald und begann, sein Messer zu schleifen.
«Was tust du?» fragte sie.
«Ich schärfe mein Messer, um dich zu erstechen. Sagst du aber deinem Vater, daß ich dich vom Drachen befreite, so übe ich Gnade.»
Die schöne Jungfrau fürchtete sich und schwor ihm Gehorsam.
Die jüngste Königstochter war dem König die liebste, und als er sie lebend und unversehrt sah, freute er sich noch mehr als die anderen Male. Er wollte den Wasserträger besonders belohnen und versprach ihm die jüngste Tochter zur Gemahlin. Das Gerücht durchlief das ganze Reich. Auch Johannes, der Soldatensohn, erfuhr, daß am Königshofe Hochzeit gehalten wurde und begab sich zum Schloß. Das Mahl war im Gange, die Gäste aßen und tranken und vergnügten sich.
Da erblickte die jüngste Königstochter Johannes, den Soldatensohn, und erkannte ihr Tüchlein an seinem Säbel. Sie sprang auf, ergriff ihn bei der Hand und rief: «Königlicher Vater, dieser war es, der mich vom Drachen befreite und vom Tode errettete. Der Wasserträger konnte nur sein Messer schärfen, um mich zu erstechen.»
Da erzürnte der König und befahl, den Wasserträger zu hängen. Die Königstochter aber gab er Johannes, dem Soldatensohn, zur Frau. Darüber herrschte allenthalben große Freude.
Die Neuvermählten fingen an, zusammen zu leben, und sie lebten und lebten und mehrten ihr Hab und Gut.
Pfanne und schob sie in den Ofen. Als sie gebraten waren, nahm er sie heraus und begann zu essen. Auf einmal war eine Jungfrau an seiner Seite, die war so schön, so schön, daß keine Feder es beschreiben, kein Märchen es erzählen kann. «Laß es dir schmecken, Johannes Soldatensohn!»
«Willst du nicht mit mir speisen, schöne Jungfrau?»
«Ich möchte wohl, aber ich traue mich nicht, du hast ein Zauberpferd.»
«Nein, schöne Jungfrau, mein Zauberpferd steht zu Hause. Ich kam auf einem gewöhnlichen Pferde geritten.»
Als das die schöne Jungfrau hörte, fing sie an zu blasen, blies sich auf und ward zu einer fürchterlichen Löwin. Die Löwin riß ihren Rachen auf und verschlang Johannes Königssohn; denn sie war keine Jungfrau, sie war die Schwester der drei Drachen, welche Johannes, der Soldatensohn, erschlagen hatte.
In diesem Augenblick gedachte Johannes, der Soldatensohn, seines fernen Bruders. Er nahm sein Tüchlein, wischte sich ab, und siehe, das ganze Tüchlein war voller Blut. Er wurde traurig und dachte in seinem Herzen: «Was für ein Geschick! Ritt doch mein Bruder auf die gute Seite und sollte König werden, und trotzdem ereilte ihn der Tod.»
Er nahm Abschied von seiner Frau und seinem Schwiegervater und ritt auf seinem Rosse fort, den Bruder zu suchen. Ob es kurz währte oder lang, ob es nah war oder fern -endlich kam er in das Reich des Bruders. Da forschte er nach und erfuhr, daß sein Bruder auf die Jagd geritten und nicht mehr zurückgekehrt sei.
Johannes Soldatensohn ritt denselben Weg, den sein Bruder geritten war, und auch er traf auf den schnellfüßigen Hirsch. Er verfolgte ihn bis zu einer großen Wiese und verlor ihn dort aus den Augen. Durch die Wiese floß ein Bächlein, und auf dem Wasser schwammen zwei Enten. Er schoß die Enten und ritt zu dem weißen Schloß, trat in die Gemächer und fand alles leer. Nur in einer Stube brannte der Herd, und eine Pfanne stand bereit. Johannes Soldatensohn briet die beiden Entchen, trug sie in den Hof hinaus, setzte sich auf die Treppe, zerteilte sie und fing an zu essen. Wiederum erschien die schöne Jungfrau und sprach: «Lass' es dir schmecken, wackerer Held! Warum ißt du draußen im Hof?»
«Ich hatte keine Lust, da drinnen zu essen. Draußen ist es fröhlicher. Setze dich zu mir, schöne Jungfrau!»
«Mit Freuden würde ich tun, was du begehrst, aber ich fürchte dein Zauberpferd.»
«Lass' gut sein, schöne Jungfrau, ich ritt heute einen gewöhnlichen Gaul.» Sie war dumm, glaubte es, fing an, sich aufzublasen, wurde zu einer schrecklichen Löwin und wollte Johannes verschlingen.
Sein Zauberpferd aber lief herbei und trat sie mit starken Füßen nieder.
Johannes Soldatensohn zog seinen Säbel und rief mit klingender Stimme: «Halte ein, Verfluchte, du hast meinen Bruder, Johannes Königssohn, verschlungen, gib ihn mir wieder heraus, sonst haue ich dich in Stücke!»Die Löwin würgte und spie Johannes Königssohn aus. Er war tot und halb verwest, und sein Kopf war kahl. Johannes Soldatensohn nahm aus seiner Satteltasche die beiden Bläschen mit dem heilenden Wasser und dem Lebenswasser und besprengte den Bruder. Da wuchs das Fleisch zusammen und wurde fest und gesund. Dann besprengte er ihn mit dem Wasser des Lebens, und Johannes Königssohn stand auf und sprach: «Ach, wie habe ich so lange geschlafen!»
«Du hättest in Ewigkeit geschlafen, wenn ich nicht gewesen wäre», antwortete Johannes Soldatensohn.
Er nahm seinen Säbel und wollte der Löwin den Kopf abhauen.
Aber sie verwandelte sich wieder in eine liebliche Jungfrau und war so schön, so überaus schön, daß man es nicht erzählen kann. Und sie fichte bitterlich weinend um Vergebung. Als er ihre unbeschreibliche Schönheit sah, hatte Johannes Soldatensohn Erbarmen und gab ihr die Freiheit.
Die Brüder ritten heim ins königliche Schloß und gaben ein Festmahl, das drei Tage lang währte. Danach nahmen sie Abschied voneinander. Johannes Königssohn blieb in seinem Reiche; Johannes Soldatensohn kehrte heim zu seiner Gemahlin und lebte weiter mit ihr in Liebe und Eintracht.
Als einige Zeit vergangen war, erging sich einmal Johannes Soldatensohn im freien Feld. Da trat ihm ein kleines Kind entgegen und bat um eine Gabe. Johannes hatte Mitleid, nahm ein Goldstück aus seiner Tasche und reichte es ihm. Das Kind nahm es, fing an, sich aufzublasen, verwandelte sich in einen Löwen und zerriß Johannes Soldatensohn in Stücke.
Einige Zeit danach geschah Johannes Königssohn dasselbe: Er erging sich in seinem Garten. Da kam ihm ein alter Mann entgegen, verneigte sich tief vor ihm und bat um ein Almosen. Der Königssohn gab ihm ein Goldstück. Der Alte nahm es, fing an, sich aufzublasen und verwandelte sich in einen Löwen, packte den Königssohn und riß ihn in Stücke.
So kamen die großen, mächtigen Helden um. Der Drachen Schwester überwältigte sie.
IWAN KUHSOHN
In einem Reich, in einem Zarenreich, lebten einmal ein Zar und eine Zarin, die hatten kein Kind. Und sie baten Gott täglich, daß er ihnen einen Sohn schenke. Sie wollten sich an ihm freuen, solange sie jung waren, und er sollte
für sie sorgen in ihrem Alter. Sie beteten und legten sich schlafen und fielen in einen tiefen, tiefen Schlaf. Im Traume sahen sie einen stillen Teich, nicht weit von der Hofburg, und darin einen Kaulbars mit goldenen Flossen. Wenn die Zarin diesen goldflossigen Kaulbars äße, würde sie alsbald guter Hoffnung werden.Als der Zar und die Zarin erwachten, riefen sie sogleich die Ammen und Wärterinnen zu sich und erzählten ihnen den Traum. «Was im Traume geschah, kann auch im Wachen geschehen», antworteten die Frauen.
Da rief der Zar seine Fischer zu sich und befahl ihnen, den goldenen Fisch zu fangen. Im Morgenrot gingen die Fischer an den stillen Teich und warfen ihre Netze aus. Das Glück war mit ihnen, beim ersten Zuge fingen sie den goldenen Fisch. Sie brachten ihn in die Hofburg, die Zarin eilte ihnen entgegen, nahm sie bei der Hand und belohnte sie mit reichen Schätzen. Darauf rief sie ihre Leibköchin und gab ihr den Kaulbars: «Bereite ihn zum Mittagsmahle, aber sieh zu, daß niemand ihn berührt!»
Die Köchin reinigte den Fisch, wusch und kochte ihn. Das Spülicht aber stellte sie auf den Hof. Da kam eine Kuh und trank das Spülicht aus.
Die Zarin aß den Fisch, die Köchin aber leckte das Geschirr ab. Nach einer Weile wurden alle drei schwanger, die Zarin, die Magd und die Kuh, und bekamen zu gleicher Zeit einen Sohn. Die Zarin gebar den Iwan Zarewitsch, die Magd den Iwan Magdsohn und die Kuh den Iwan Kuhsohn. Die Kindlein wuchsen nicht nach Tagen, sondern nach Stunden. Wie guter Hefeteig aufgeht in der Wärme, so streckten auch sie sich in die Höhe. Alle drei Knaben hatten das gleiche Gesicht, und es war nicht möglich zu erkennen, welches das Kind der Zarin war, weiches der Magd gehörte und welches der Kuh. Nur durch eines unterschieden sie sich: Wenn sie heimkehrten vom Spaziergang, so verlangte Iwan Zarewitsch die Wäsche zu wechseln, Iwan Magdsohn bat um Essen, und Iwan Kuhsohn legte sich hin zum Schlafen.
Im zehnten Jahre gingen die drei Knaben zum Zaren und sprachen: «Liebes Väterchen, laß uns einen eisernen Stab schmieden von fünfzig Pud Gewicht!»
Der Zar befahl sogleich seinen Schmieden, einen Stab von fünfzig Pud Gewicht zu machen. Die Schmiede fingen an zu schmieden und schmiedeten eine ganze Woche lang. Keiner von ihnen konnte den Stab hochheben. Aber Iwan Zarewitsch, Iwan Magdsohn und Iwan Kuhsohn drehten ihn zwischen den Fingern wie einen Gänsekiel. Sie traten damit auf den weiten Hof hinaus. «Nun, meine Brüder, wir wollen sehen, wer der Größte von uns ist», sagte Iwan Zarewitsch.
«Gut», antwortete Iwan Kuhsohn, «nimm den Stab und schlage uns auf die Schulter!»
Iwan Zarewitsch nahm den eisernen Stab und schlug Iwan Magdsohn und Iwan Kuhsohn auf die Schulter und schlug den einen und den andern bis zu den Knien in die Erde hinein. Iwan Magdsohn schlug beide Brüder bis zur Brust in die Erde, Iwan Kuhsohn aber schlug beide Brüder bis zum Halse in die Erde.
«Laßt uns noch einmal unsere Kräfte erproben!» sagte Iwan Zarewitsch. «Wir wollen den eisernen Stab in die Höhe werfen. Wer am höchsten wirft, der soll der Größte sein.»
«Nun, so wirf du zuerst!»
Iwan Zarewitsch warf, und der Stab fiel nach einer Viertelstunde herab. Iwan Magdsohn warf, da kam er nach einer halben Stunde zurück. Als aber Iwan Kuhsohn geworfen hatte, kam er erst nach einer ganzen Stunde zur Erde.
«Nun, Iwan Kuhsohn, so sei du der Größte unter uns Brüdern!»
Danach gingen sie in den Garten und fanden einen ungeheuer großen Stein. «Was für ein Stein!» rief Iwan Zarewitsch. «Können wir ihn nicht von der Stelle wälzen?» Er stemmte sich dagegen, rückte und drückte, aber er hatte keine Kraft. Iwan Magdsohn versuchte es, doch der Stein bewegte sich kaum. «Im flachen Wasser schwimmt ihr bloß», rief Iwan Kuhsohn, «laßt es mich versuchen!»
Er ging zum Stein, und als er ihn nur mit dem Fuße anstieß, hob er sich schon aus dem Boden, rollte zum anderen Ende des Gartens und riß viele Bäume um. Unter dem Stein öffnete sich eine Höhle. Darin standen drei Heldenrosse, und an den Wänden hing die ganze Rüstung dazu.
Sogleich eilten die braven Burschen zum Zaren: «Herr, du unser Väterchen, gib uns deinen Segen! Wir wollen in fremde Länder reiten, wir wollen andere Leute sehen und uns selber zeigen!»
Der Zar segnete sie und gab ihnen aus seiner Schatzkammer Gut und Geld mit auf den Weg. Sie nahmen Abschied, setzten sich auf ihre Heldenrosse und ritten davon. Sie ritten über Berg und Tal und über grüne Wiesen und kamen in einen tiefen Wald. In dem Walde stand ein Hüttchen auf Hühnerbeinchen und Widderhörnern. Wenn es nötig war, drehte es sich um. «Hüttchen, Hüttchen, dreh dich mit der Vorderseite zu uns, mit dem Rücken zum Walde. Wir wollen hineingehen, Salz und Brot darin essen!»
Das Hüttchen drehte sich, und die Burschen gingen hinein. Drinnen auf dem Ofen lag die Baba Jaga mit dem Knochenbein, reichte von einer Ecke zur andern und mit der Nase bis an die Decke. «Fuh, fuh, fuh, bis heute habe ich den russischen Geist nicht mit den Augen gesehen, noch mit den Ohren gehört. Jetzt sitzt der russische Geist auf dem Löffel und rollt mir sogar in den Mund!»
«Schilt nicht, Alte, klettere vom Ofen herab und setze dich auf das Bänkchen! Frage, wohin der Weg geht, und wir sagen es gern!»
Die Baba Jaga kletterte vom Ofen herab, näherte sich Iwan Kuhsohn und verbeugte sich tief: «Sei gegrüßt, Held Kuhsohn, wohin gehst du? Wohin führt dich dein Weg?»
«Mütterchen, wir reiten nach dem Johannisbeerfluß, nach der Wacholderbrücke. Ich hörte, daß dort furchtbare Ungeheuer leben.» «Glück zu, Iwanuschka! Da hast du eine schöne, gute Tat vor. Haben doch die Bösewichte jeden niedergestreckt und zerrissen und die benachbarten Reiche ganz dem Erdboden gleichgemacht.»
Die Brüder übernachteten bei der Baba Jaga, standen früh am Morgen auf und machten sich auf den Weg.
Sie kamen zum Johannisbeerfluß. Die Ufer lagen voll mit menschlichem Gebein, kniehoch waren die Knochen angehäuft. Gegen Abend kamen sie an ein Hüttchen. Sie traten hinein, es war leer, und sie gedachten zu bleiben. Als der Abend gekommen war, sagte Iwan Kuhsohn: «Brüder, wir sind in eine ferne, fremde Gegend gekommen, wir müssen vorsichtig sein. Laßt uns der Reihe nach Wache stehen!»
Sie zogen das Los: Iwan Zarewitsch sollte die erste Nacht wachen, Iwan Magdsohn die zweite, Held Kuhsohn die dritte.
Iwan Zarewitsch ging auf die Wache, kroch in ein Gebüsch und schlief fest ein. Iwan Kuhsohn setzte kein Vertrauen auf ihn. Als es Mitternacht war, nahm er Schwert und Schild, ging hinaus und stellte sich unter die Wacholderbrücke. Plötzlich wallten die Wasser des Flusses auf, auf den Eichen schrien die Adler, und ein sechsköpfiges Ungeheuer, der Tschudo Judo, kam herbei. Unter ihm strauchelte das Pferd, der schwarze Rabe auf seiner Schulter schlug mit den Flügeln, dem Hunde dahinter sträubte sich das Fell.
Spricht zu ihm der sechsköpfige Tsdiudo Judo: «Was strauchelst du, Hundeaas, was schlägst du mit den Flügeln, Rabenvieh, und du Köter, was sträubt sich dir das Fell? Oder denkt ihr vielleicht, daß Iwan Kuhsohn zur Stelle ist? Er, der Tapfere, ist noch nicht geboren, und wenn er es ist, so taugt er noch nicht zum Kampfe. Ich könnte ihn auf eine Hand setzen, mit der anderen draufschlagen - das würde bloß ein bißchen feucht.»
Da sprang Iwan Kuhsohn hervor: «Prahle nicht, du unreiner Geist! Einem hellen Falken kann man die Federn nicht ausreißen, ehe man ihn gefaßt hat, einen braven Burschen nicht schmähen, bevor man ihn sieht. Lass' uns die Kräfte messen, wer da siegt, wird gelobt werden!»
Sie gingen aufeinander los, sie maßen ihre Kräfte und schlugen so heftig aufeinander, daß ringsum die Erde dröhnte. Der Tschudo Judo verlor, Iwan Kuhsohn schlug ihm mit einem Hiebe drei Köpfe ab.
«Halt, Iwan Kuhsohn, laß mich verschnaufen!»
«Verschnaufen, du unreiner Geist? Hast du doch drei Köpfe und ich nur
einen. Warte, wenn du nur noch einen hast, können wir uns verschnaufen.»Wieder gingen sie aufeinander los, wieder schlugen sie sich. Iwan Kuhsohn hieb dem Tschudo die letzten drei Köpfe ab. Dann zersägte er den Leib in kleine Teile und warf sie in den Johannisbeerfluß. Die sechs Köpfe aber legte er unter die Wacholderbrücke. Selbst kehrte er in das Hüttchen zurück.
Gegen Morgen erwachte Iwan Zarewitsch. «Nun, Brüderchen, wie war es, was hast du gesehen?» fragte Iwan Kuhsohn.
«Nichts, Brüderchen, nichts, nicht einmal eine Fliege flog an mir vorbei.» In der zweiten Nacht ging Iwan Magdsohn auf Wache. Er kroch ins Gebüsch und schlief ein. Iwan Kuhsohn setzte kein Vertrauen auf ihn. Als Mitternacht herankam, rüstete er sich, nahm Schild und Schwert, ging hinaus und stellte sich an die Wacholderbrücke. Plötzlich wallten die Wasser des Flusses auf, auf den Eichen schrien die Adler. Ein neunköpfiges Ungeheuer kam herbei. Das Pferd strauchelte, der schwarze Rabe auf seinen Schultern schlug mit den Flügeln, dem großen Hunde dahinter sträubte sich das Fell. Das Ungeheuer schlug dem Pferde in die Flanken, riß den Raben an den Federn, den Hund an den Ohren: «Was strauchelst du, Hundeaas, was schlägst du mit den Flügeln, Rabenvieh, und du Köter, was sträubt sich dir das Fell? Oder meint ihr vielleicht, Iwan Kuhsohn wäre hier? Er ist ja noch nicht geboren, und wenn er es ist, so taugt er noch nicht zum Kampfe. Ich würde ihn mit einem Finger schlagen.»
Da sprang Iwan Kuhsohn hervor: «Prahle nicht, warte nur! Bete zu Gott, wasche die Hände, und mache dich ans Werk. Noch kann man nicht wissen, wen es trifft!»
Der Held schwang sein Schwert einmal, zweimal und schlug der unreinen Kraft sechs Köpfe ab. Aber der Tschudo Judo schlug ihn bis zu den Knieen in die feuchte Erde hinein. Held Kuhsohn nahm eine Handvoll Erde und warf sie seinem Gegner in die Augen. Während der sich die Augen auswischte, hieb er ihm die übrigen Köpfe ab. Er zersägte den Körper in kleine Teile und warf sie in den Johannisbeerfluß. Die neun Köpfe aber legte er unter die Wacholderbrücke.
Gegen Morgen kam Iwan Magdsohn herbei. «Nun, Bruder, sahst du nichts in der Nacht?»
«Nein, nicht eine Fliege flog vorbei, nicht eine Mücke summte.»
Iwan Kuhsohn führte die Brüder unter die Wacholderbrücke, zeigte ihnen die abgeschlagenen Köpfe und beschämte sie. «Oh, ihr Schläfer, wie solltet ihr auch kämpfen, ihr solltet lieber zu Hause auf dem Ofen liegen!»
In der dritten Nacht machte sich Iwan Kuhsohn auf, um auf Wache zu ziehen. Er nahm ein weißes Handtuch, hängte es an die Wand und stellte
eine Schüssel darunter auf den Fußboden. Dann sprach er zu seinen Brüdern: «Ich gehe in einen schrecklichen Kampf, ihr Brüder, wacht und schaut euch um! Wenn das Blut aus dem Handtuch fließen wird, wenn die Schüssel halb voll ist, so steht die Sache gut. Ist sie ganz voll gelaufen, so macht es auch noch nichts. Wenn das Blut aber über den Rand läuft, bindet mein Heldenroß von der Kette los und eilet mir zu Hilfe!»Dann stellte sich Iwan Kuhsohn unter die Wacholderbrücke. Die Zeit rückte vor bis Mitternacht. Da erhoben sich im Flusse die Wasser, auf den Eichen schrien die Adler, ein zwölfköpfiges Ungeheuer fuhr heraus. Sein Roß hatte zwölf Flügel, das Fell war aus Silber, Schweif und Mähne aber aus Gold. Der Tschudo Judo stürmt daher. Plötzlich strauchelte das Pferd, der schwarze Rabe auf der Schulter schlug mit den Flügeln, dem großen Hunde dahinter sträubte sich das Fell. Der Tschudo Judo stieß dem Pferd in die Flanken, riß den Raben an den Federn, den Hund an den Ohren und schrie: «Was strauchelst du, Hundeaas, was schlägst du mit den Flügeln, Rabenvieh, und du Köter, was sträubt sich dir das Fell? Meint ihr vielleicht, Iwan Kuhsohn wäre hier? Er wurde noch nicht geboren. Und wenn er es ist, so taugt er noch nicht zum Kampfe. Ich brauche bloß zu blasen, und nicht ein Aschenstäubchen bleibt von ihm zurück.»
Da sprang Iwan Kuhsohn heraus: «Rühme dich nicht, bete lieber zu Gott!»
«Ach, du bist da, wozu kamst du hierher?»
«Um dich Unreine Kraft anzuschauen, deine Stärke zu prüfen!»
«Warum willst du meine Kraft erproben? Du bist vor mir wie eine Fliege.» Antwortete Iwan Kuhsohn: «Ich kam nicht hierher, um Märchen zu erzählen, sondern um auf Leben und Tod mit dir zu kämpfen.»
Held Kuhsohn schwang sein scharfes Schwert und schlug dem Ungeheuer drei Köpfe ab. Der Drache ergriff die Köpfe, kritzelte darauf mit seinem feurigen Finger und sogleich wuchsen sie wieder an, als ob sie nie von den Schultern gekommen wären. Es stand schlecht um Iwan Kuhsohn, das Ungeheuer war nahe daran, ihn zu überwinden, bis zu den Knien drückte es ihn in die feuchte Erde.
«Halt, Unreiner, wenn Zaren und Könige kämpfen, so halten sie dabei Waffenstillstand. Wollen wir kämpfen, ohne zu verschnaufen? Laß mich nur dreimal verschnaufen!»
Der Tschudo Judo willigte ein. Iwan Kuhsohn zog den rechten Fausthandschuh ab und warf ihn nach dem Hüttchen. Der Fausthandschuh klopfte an alle Fenster, aber die Brüder schliefen und hörten nichts.
Iwan Kuhsohn schwang sein Schwert zum zweitenmal, stärker als zuerst, und hieb dem Ungeheuer sechs Köpfe ab. Aber der Drache griff danach, beschrieb sie mit dem feurigen Finger und sie wuchsen wieder fest. Dann drückte er den Helden bis zum Gürtel in die Erde hinein.
Iwan Kuhsohn bat wieder um Waffenstillstand, zog den linken Fausthandschuh aus und warf ihn nach dem Hüttchen. Der Handschuh durchbrach das Dach, aber die Brüder schliefen und hörten nichts.
Zum drittenmal schwang Iwan Kuhsohn sein Schwert, noch stärker als die andern Male, und hieb dem Tschudo Judo neun Köpfe ab. Aber der Drache bekritzelte sie und sie wuchsen alle wieder an, und Iwan Kuhsohn wurde bis zu den Schultern in die feuchte Erde gedrückt.
Noch einmal bat der Held um Waffenruhe, nahm seinen Helm und warf ihn auf das Hüttchen. Von diesem Schlage brach das Dach zusammen, die Hütte fiel in Splittern auseinander, und jetzt erst erwachten die Brüder. Sie sahen nach der Schüssel - sieh, das Blut floß über den Rand! Im Stalle wieherte der Hengst und riß an der Kette. Da liefen sie hinaus, banden ihn los und eilten zu Hilfe.
«Ach», schrie der Tschudo Judo, «du betrügst mich, du hast Hilfe!» Das Heldenroß schlug mit den Hufen nach ihm, Held Kuhsohn erhob sich aus der Erde und hieb dem Ungeheuer den feurigen Finger ab. Dann schlug er die Köpfe herunter, alle bis zum letzten, zerriß den Rumpf und warf die Stücke in den Johannisbeerfluß. Nun kamen die Brüder herbei.
«Ach, ihr Schläfer», rief Iwan Kuhsohn, «euren Schlaf hätte ich beinahe mit dem Kopfe bezahlen müssen.»
In der Morgenfrühe ging Iwan Kuhsohn auf das freie Feld, setzte sich auf die Erde und verwandelte sich in einen Sperling. Er flog nach dem Palast, nach den weißsteinernen Gemächern, und setzte sich in das geöffnete Fenster. In dem Palaste wohnte eine alte Hexe. Plötzlich sah sie ihn, streute Körner aus und lockte: «Sperling, Sperling, du flogst herbei, um Körner zu fressen, um meinen Kummer zu hören! Iwan Kuhsohn hat mich verhöhnt. Meine drei Schwiegersöhne hat er getötet.»
«Mache dir keinen Kummer, Mütterchen», sprachen die Töchter, die Weiber jener drei Ungeheuer, «wir werden ihm alles zurückzahlen!» «Sieh», sagte die Jüngste, «ich werde Hunger erzeugen und selber auf den Weg gehen und mich in ein Apfelbäumchen mit goldenen und silbernen Äpfelchen verwandeln. Wer ein Äpfelchen ißt, wird sogleich zerspringen.»
«Und ich», sagte die Mittlere, «werde Durst erzeugen und mich selber in einen Brunnen verwandeln. Auf dem Wasser werden zwei Becher schwimmen, ein goldener und ein silberner, wer nach den Bechern greift, den werde ich ertränken.»
«Und ich», sagte die Älteste, «werde einen tiefen Schlaf hervorrufen und mich selber in ein goldenes Bett verwandeln. Wer sich auf das Bett legt, wird vom Feuer verzehrt.»
Iwan Kuhsohn hörte alle diese Reden, flog zurück, schlug auf die Erde
und wurde wieder der junge Held. Die drei Brüder machten sich fertig und zogen heimwärts. Als sie auf dem Wege waren, quälte sie der Hunger, aber weit und breit gab es nirgends etwas zu essen. Schau, da steht ein Apfelbäumchen mit goldenen und silbernen Äpfelchen! Iwan Zarewitsch und Iwan Magdsohn wollten die Äpfelchen pflücken, aber Iwan Kuhsohn sprang hinzu und spaltete den Baum kreuzweise mit seinem Schwert. Blut spritzte nach allen Seiten. Dasselbe geschah mit dem Brunnen und dem goldenen Bett. So gingen die Weiber der drei Ungeheuer zugrunde.Dies erfuhr die alte Hexe, kleidete sich wie eine Bettlerin und stellte sich mit ihrem Felleisen an den Weg. Als Iwan Kuhsohn mit den Brüdern kam, streckte sie die Hand aus und bat um ein Almosen. Da sagte Iwan Zarewitsch zu Iwan Kuhsohn: «Brüderchen, hat nicht unser Väterchen reiche Schätze? Gib doch der Armen ein frommes Almosen.»
Iwan Kuhsohn holte ein Goldstück hervor und reichte es der Alten. Diese aber griff nicht nach dem Gelde, sondern nach seiner Hand und war im Augenblick mit ihm verschwunden. Die Brüder sahen sich um, und als sie ihn nicht mehr fanden, sprengten sie voller Schrecken nach Hause. Sie hatten allen Mut verloren.
Die Hexe schleppte Held Kuhsohn in die unterirdische Welt und führte ihn zu ihrem Manne: «Hier hast du unseren Verderber!»
Der Alte lag auf einem eisernen Bett und sah nichts. Lange Wimpern und dichte Brauen deckten seine Augen zu. Da rief er zwölf mächtige Helden herbei und befahl ihnen: «Nehmt eine eiserne Mistgabel und hebt mir die Augenbrauen und die schwarzen Wimpern! Ich will sehen, was das für ein Vogel ist, der meine Söhne getötet hat.»
Die Helden hoben ihm die Brauen und die schwarzen Wimpern mit der eisernen Mistgabel. Und der Alte sah: «Ah, das ist Wanjuschka, der tapfere Bursche! Du warst so kühn, gegen meine Kinder zu kämpfen, was soll ich mit dir machen?»
«Das steht bei dir, tu mit mir, was du willst, ich bin auf alles gefaßt.»
«Nun, wozu viel reden, meine Kinder kann ich doch nicht mehr auferwecken. Leiste mir lieber einen Dienst! Geh in das nie gesehene Zarenreich, in die nie dagewesene Herrschaft und verschaffe mir die Zarin mit den goldenen Haaren. Ich will mich mit ihr vermählen.»
«Das wäre eine Frau für mich jungen Burschen», dachte Iwan Kuhsohn bei sich. «was willst du alter Teufel dich mit ihr vermählen?»
Die Alte aber war zornig geworden, band sich einen Stein um den Hals, sprang ins Wasser und ertrank.
«Hier hast du einen Knüttel», sagte der Alte zu Iwan Kuhsohn, «geh zu jener Eiche, schlage dreimal mit dem Knüttel an den Stamm und rufe: Komme heraus, Schiff, komme heraus! Und wenn das Schiff zu dir herausgekommen
ist, so befiehl dreimal der Eiche, sich wieder zu schließen. Aber gib acht und vergiß es nicht, sonst beleidigst du mich schwer!» Iwan Kuhsohn ging zur Eiche. Er schlug mit der Keule darauf - unzählige Male - und rief: «Alles was darin ist, komme heraus!»Da kam das erste Schifflein hervor. Iwan Kuhsohn trat hinein und rief: «Alle anderen hinter mir her!» Und er fuhr los.
Als er ein wenig gefahren war, schaute er zurück: Eine unübersehbare Reihe von Schiffen und Kähnen folgte ihm. Alle Insassen lobten ihn, alle dankten ihm. In einem Kahne näherte sich ein Greis: «Held Kuhsohn, lange Jahre mögest du leben bleiben, nimm mich zum Gefährten an!»
«Und was kannst du?»
«Ich kann Brot essen.»
«Bah, das kann ich selber», sagte Iwan Kuhsohn, «setze dich aber auf das Schiff, ich freue mich über einen braven Gefährten!»
In einem anderen Kahn fuhr ein zweiter Greis herbei. «Sei gegrüßt, Iwan Kuhsohn, nimm mich mit dir!»
«Und was kannst du?»
«Väterchen, ich kann Wein und Bier trinken.»
«Das ist keine pfiffige Wissenschaft, aber steige ins Schiff!»
Ein dritter nahte: «Sei gegrüßt, Iwan Kuhsohn, nimm auch mich mit dir!»
«Und was kannst du?»
«Ich kann in jedem Bade baden.» -
«Hol dich der Teufel! Hältst du das für eine Weisheit?» Aber er nahm auch diesen ins Schiff.
Als er schon weiter fuhr, nahte sich ein vierter Greis: «Viele lange Jahre mögest du leben, nimm auch mich unter deine Gefährten!»
«Und was für einer bist du?»
«Ach, Väterchen, ich bin ein Sternenzähler.»
«Nun, der Gefährten sind noch nicht zuviel, komme mit!» Da bat ein fünfter Greis um Aufnahme.
«Was soll ich mit euch allen machen, was kannst du denn?»
«Ich, Väterchen, kann wie ein Kaulbars schwimmen.»
«Nun, so komm!»
Und sie fuhren dahin zur Zarin mit den goldenen Haaren. So kamen sie in das nie gesehene Zarenreich, in die nie dagewesene Herrschaft. Dort wußte man schon lange, daß Iwan Kuhsohn kommen würde. Man hatte volle drei Monate lang Brot gebacken, Wein gekeltert und Bier gebraut. Iwan Kuhsohn sah unzählige Fuder Brot, unzählige Fässer mit Wein und Bier. Er wunderte sich und fragte, was das alles zu bedeuten habe.
«Das ist alles für dich hergerichtet.»
«Zum Teufel, soviel kann ich in einem ganzen Jahre nicht essen und
trinken.» Aber er erinnerte sich an seine Gefährten und rief: «He da, ihr wackeren Alten, wer von euch kann alles essen und trinken?»«Das ist für uns ein Kinderspiel», antworteten Freßsack und Saufsack.
«Nun, so macht euch ans Werk!»
Der erste Greis kam herzu und fing an das Brot zu essen. Fuderweise aß er es auf. «Das war wenig Brot», tiefer, «gebt mir mehr!»
Der andere Greis eilte herbei und begann Wein und Bier zu trinken. Fässerweise schluckte er es hinunter, alles trank er aus. «Das war wenig», rief er, «gebt mir mehr!»
Die Diener eilten voller Sorge zur Zarin und berichteten, daß weder Wein noch Brot gereicht habe.
Nun befahl die Zarin mit den goldenen Haaren, den Iwan Kuhsohn ins Badhaus zu führen. Das Badhaus war schon drei Monate lang geheizt und so heiß, daß man sich ihm nicht auf fünf Werst nähern konnte. Man holte Iwan Kuhsohn zum Baden. Er sah, daß aus dem Badhaus Feuer sprühte und rief:
«Seid ihr um den Verstand gekommen? Dort würde ich ja verbrennen!» Aber er erinnerte sich seiner Gefährten.
«He da, ihr wackren Greise, wer von euch kann in diesem Badhaus baden?»
Da kam jener Alte herbei und rief: «Ich, Väterchen, für mich ist das ein Kinderspiel.» Munter sprang er ins Badhaus, in die eine Ecke blies er, in die andere spuckte er. Da wurde das heiße Bad kalt und in den Winkeln lag Schnee.
«Ach, ich erfriere», rief der Greis, «heizt das Bad noch drei Jahre lang.»
Die Diener eilten mit der Botschaft zur Zarin, daß das Bad vollständig eingefroren sei. Nun aber verlangte Iwan Kuhsohn die Zarin mit den goldenen Haaren. Die Jungfrau kam herbei und reichte ihm ihre weiße Hand.
Sie setzten sich in das Schiff und fuhren ab. Sie fuhren einen Tag, zwei Tage. Da wurde die Zarin traurig, ja schwermütig, schlug sich auf die Brust, verwandelte sich in einen Stern und flog zum Himmel hinauf.
«Ach, nun ist sie mir verloren!» rief Iwan Kuhsohn, aber er erinnerte sich an seine Gefährten: «Heda, ihr wackeren Greise, wer von euch ist ein Sternenzähler?»
<SIch, Väterchen, für mich ist das ein Kinderspiel», antwortete jener Greis. Er schlug auf den Boden und verwandelte sich in einen Stern. Dann flog er zum Himmel hinauf und fing an zu zählen. Erfand einen überzähligen Stern und stieß ihn an. Das Sternchen löste sich los von seinem Platz, schnell rollte es über den Himmel, fiel herab auf das Schiff und verwandelte sich wieder in de Zarin mit den goldenen Haaren.
Wieder fuhren sie weiter, einen Tag, zwei Tage. Da wurde die Zarin aufs
neue von tiefem Kummer befallen. Sie schlug sich an die Brust, verwandelte sich in einen Hecht und schwamm ins Meer hinaus.«Ach, nun ist sie mir verloren!» rief Iwan Kuhsohn. Aber er erinnerte sich an seinen letzten Gefährten und fragte: «Kannst du so gut schwimmen wie ein Kaulbars schwimmt?»
«Ja, Väterchen, für mich ist das ein Kinderspiel.»
Er setzte sich auf den Boden, verwandelte sich in einen Kaulbars, schwamm dem Hechte nach und machte sich daran, ihn in die Seiten zu stechen. Da sprang der Hecht auf das Schiff und wurde wieder zur Zarin mit den goldenen Haaren.
Darauf nahmen die Alten Abschied und wurden in ihre Heimat entlassen. Iwan Kuhsohn fuhr mit der goldhaarigen Zarin zum Vater der Ungeheuer in die unterirdische Welt. Der rief die zwölf mächtigsten Helden herbei, befahl ihnen, die eiserne Forke zu bringen und die schwarzen Wimpern und Brauen aufzuheben. Er schaute auf die Zarin mit den goldenen Haaren und sprach: «Wanjuschka, wackrer Bursche, jetzt verzeihe ich dir und entlasse dich in die lichte Welt!»
«O nein», antwortete Iwan Kuhsohn, «so habe ich es nicht gemeint.»
«Und wie denn?»
«Ich habe eine tiefe Grube hergerichtet, und über dieser Grube liegt eine dünne Stange. Wer über diese Stange hinübergehen kann, der gewinnt die den Zarin mit goldenen Haaren.»
«Gut, Wanjuschka, gehe du voraus!»
Iwan Kuhsohn trat zur Grube. Leise flüsterte die goldhaarige Jungfrau vor sich hin: «Geh hinüber, leichter als ein Schwanenflaum!»
Iwan Kuhsohn betrat die Stange und sie bog sich nicht einmal unter seinen Füßen. Als aber der Alte darauf trat, kam er nur bis zur Mitte und stürzte in die Grube hinab.
Da nahm Iwan Kuhsohn die Zarin mit den goldenen Haaren und kehrte mit ihr nach Hause zurück. Sie wurden miteinander vermählt und gaben ein Gastmahl für die ganze Welt. Iwan Kuhsohn saß beim Male und rühmte sich vor seinen Brüdern:
«Wenn ich auch lange kriegte, ich mir doch eine Frau ersiegte, aber ihr sitzt auf dem Ofen alleine und verschluckt Ziegelsteine.»
Ich war auf diesem Fest, trank Met und Wein, über den Bart lief's, in den Mund kam nichts hinein. Man nahm dem Stier sein Tröglein, goß Milch hinein |
und tunkt' darein ein Brötlein. Das reichte man mir dort. Doch aß ich nicht und trank auch nicht, den Mund allein nur wischte ich und wollte wieder fort. Man stritt mit mir, man schlug nach mir, ein Schlafmützlein dann gab man mir, so stieß man mich vom Ort. |
DER BERG AUS KRISTALL
In einem Land, in einem Reich lebte einmal ein König, der hatte drei Söhne. Einmal sprachen die Söhne zu ihm: «Gnädiger Herr und Vater, segne uns, wir wollen hinaus auf die Jagd!» Der Vater segnete sie, und sie ritten fort, jeder nach einer anderen Seite.
Der jüngste Sohn ritt und ritt und verirrte sich. Endlich kam er auf eine Wiese. Auf dieser Wiese lag ein gefallenes Pferd, und um das Pferd hatte sich allerlei wildes Getier versammelt, auch Vögel und eides Gewürm. Ein Falke erhob sich, flog zum Königssohn, setzte sich auf seine Schulter und sprach: «Königssohn Johannes, teile uns dieses Pferd zu! Schon dreiunddreißig Jahre liegt es hier, und wir streiten immer noch darum, aber wie wir es verteilen sollen, wissen wir nicht.» Der Königssohn stieg von seinem guten Rosse und verteilte das tote Pferd. Den wilden Tieren gab er die Knochen, den Vögeln das Fleisch, dem Gewürm die Haut und den Ameisen den Kopf.
«Dank dir, Königssohn Johannes!» sagte der Falke. «Für diesen Dienst kannst du dich, so oft du es willst, in einen hellen Falken oder in eine kleine Ameise verwandeln.»
Da schlug der Königssohn Johannes gegen die feuchte Erde, wurde zum hellen Falken, schwebte hoch und flog in das dreißigste Königreich. Dieses Königreich war mehr als zur Hälfte hineingezogen in einen Berg aus Kristall. Er flog geradeswegs vor das Schloß, verwandelte sich wieder in einen Jüngling und fragte die Wächter: «Wird euer Herr mich wohl in seine Dienste nehmen?»
«Warum soll er solch' stattlichen Jüngling nicht nehmen?»
Königssohn Johannes trat in die Dienste jenes Königs und lebte bei ihm eine Woche, eine zweite und eine dritte. Da fing die Königstochter an zu
bitten: «Herr, mein Vater, erlaube mir, mit Johannes, dem Königssohn, auf dem kristallenen Berge spazierenzugehen.»Der König erlaubte es, sie setzten sich auf ihre braven Pferde und ritten fort. Als sie zum kristallenen Berge kamen, sprang plötzlich -keiner wußte woher - eine goldene Ziege hervor. Der Königssohn jagte ihr nach, ritt und ritt, aber er konnte sie nicht erjagen. Als er zurückkam, war die Königstochter verschwunden. Was war zu tun? Wie sollte er dem König unter die Augen treten? Er verkleidete sich als alter Mann, so daß man ihn nicht erkennen konnte, kehrte zum Schlosse zurück und sprach zum König: «Herr König, dinget mich als Hirten!»
«Gut so, sei mein Hirte! Wenn der Drache mit den drei Köpfen herbeifliegt, gib ihm drei Kühe. Wenn der mit den sechs Köpfen kommt, gib sechs Kühe. Aber wenn der zwölfköpfige heranfliegt, so zähle ihm zwölf Kühe ab!»
Königssohn Johannes trieb die Herde hinaus über Berg und Tal. Plötzlich erhob sich aus dem See der Drache mit den drei Köpfen. «Ei, Königssohn, was für eine Arbeit hast du da auf dich genommen! Ein tapferer Bursche sollte lieber kämpfen, anstatt die Herde zu hüten. Nun aber gib mir drei Kühe!»
«Wird das nicht ein zu fetter Bissen sein?» fragte der Königssohn. «Ich selbst esse ein Entchen in vierundzwanzig Stunden, und du willst drei Kühe haben? Keine einzige bekommst du!»
Der Drache wurde wütend und stürzte sich auf die Kühe; aber Königssohn Johannes verwandelte sich schnell in einen hellen Falken und riß ihm seine drei Köpfe ab. Dann trieb er die Herde nach Haus.
«Nun, Großväterchen», fragte der König, «kam der dreiköpfige Drache geflogen? Und gabst du ihm die drei Kühe?»
«Nein, Herr König, keine einzige gab ich her.»
Am anderen Tage trieb der Königssohn wiederum die Herde über Berg und Tal. Da stieg aus dem See der Drache mit den sechs Köpfen und verlangte sechs Kühe.
«O du märchenhafter Vielfraß! Ich selbst esse ein Entchen in vierundzwanzig Stunden, und du willst sechs Kühe? Keine einzige gebe ich dir!»
Der Drache wurde wütend und ergriff statt der sechs Kühe deren zwölf. Aber Königssohn Johannes verwandelte sich in einen strahlenden Falken, warf sich auf den Drachen und riß ihm die sechs Köpfe ab. Dann trieb er die Herde nach Hause.
«Nun, Großväterchen», fragte der König, «kam der sechsköpfige Drache herbeigeflogen und hat sich meine Herde vermindert?»
«Wenn er auch da war, so hat er doch nichts bekommen!»
Am späten Abend verwandelte sich der Königssohn in eine Ameise und kroch durch eine winzige Spalte in den kristallenen Berg. Drinnen im Kristallberg
saß die Königstochter. «Sei gegrüßt, Königssohn Johannes, wie bist du hierher geraten? Mich hat der Drache mit den zwölf Köpfen entführt. Er lebt im See meines Vaters. In jenem Drachen ist ein Kasten verborgen, in dem Kasten ein Hase, in dem Hasen eine Ente, in der Ente ein Ei, im Ei ein Same. Wenn du den Drachen tötest und dieses Samenkorn erlangst, kannst du den Kristallberg vernichten und mich befreien.»Königssohn Johannes kroch wieder als Ameise aus dem Loch heraus, wurde wieder zum Hirten und weidete seine Herde. Auf einmal erhob sich aus dem See der Drache mit den zwölf Köpfen. «Ei, du tapferer Jüngling, was treibst du hier? Statt zu streiten, hütest du eine Herde! Nun, so zähle mir zwölf Kühe ab!» «Die Mahlzeit wäre zu fett für dich! Ich selbst esse ein Entchen in vierundzwanzig Stunden, und du willst so viel?»
Sie fingen an zu kämpfen, und über kurz oder lang besiegte Johannes den Drachen mit den zwölf Köpfen. Er schnitt seinen Leib entzwei und fand auf der rechten Seite den Kasten. In dem Kasten war ein Hase, in dem Hasen eine Ente, in der Ente ein Ei und im Ei das Samenkorn. Er nahm das Samenkorn, zündete es an und trug es zum Kristallberg. Der Berg taute auf, und Königssohn Johannes führte die Königstochter hinaus und brachte sie zu ihrem Vater.
Der König war voller Freude und sprach zu ihm: «Du sollst mein Sohn sein!»
Da wurde Königssohn Johannes mit der Königstochter vermählt, und das Hochzeitsmahl ward gehalten.
IWAN ZAREWITSCH UND BJELY POLJANIN
In einem Reich, in einem Zarenreich lebte einmal ein Zar, der hatte drei Töchter und einen Sohn, Iwan Zarewitsch. Der Zar wurde alt und starb, und Iwan Zarewitsch nahm die Krone. Als dies die Nachbarkönige hörten, sammelten sie sogleich unzählige Heerscharen und zogen gegen ihn in den Krieg. Iwan Zarewitsch wußte sich keinen Rat, ging zu seinen Schwestern und fragte: «Liebe Schwestern, was soll ich tun? Alle Könige ziehen gegen mich in den Krieg!»
«Oh, du tapferer Krieger, was fürchtest du? Bjely Poijanin führt Krieg gegen die Baba Jaga mit dem goldenen Bein - schon dreißig Jahre lang steigt er nicht vom Pferde und kennt nicht Rast noch Ruh. Und du fürchtest dich, noch ehe du etwas gesehen hast?»
Da sattelte Iwan Zarewitsch sogleich sein braves Roß, legte seine Kriegsrüstung an, ergriff das Heldenschwert aus echtem Stahl, die lange Lanze und die seidene Peitsche, betete zu Gott und ritt gegen den Feind. Er erschlug viele mit dem Schwerte, ritt unzählige nieder und brach so die feindliche Heeresmacht. Dann kehrte er in die Stadt zurück, legte sich nieder und schlief. Drei Tage und drei Nächte lang schlief er einen tiefen Schlaf und war nicht zu erwecken. Am vierten Tag erwachte er, trat auf den Balkon hinaus und sah auf das freie Feld. Die feindlichen Könige hatten ein noch größeres Heer gesammelt und standen dicht vor den Mauern der Stadt. Traurig wurde der Zarewitsch und ging zu seinen Schwestern: «Ihr Schwestern, was soll ich tun? Eine Streitmacht habe ich vernichtet, aber eine zweite steht schon vor den Toren -mächtiger als die erste.»
«Ei, was für ein Held bist du? Einen Tag hast du gekämpft und drei Tage ohne Unterlaß geschlafen, sieh dir Bjely Poijanin an, der kämpft gegen die Baba Jaga mit dem goldenen Bein - schon dreißig Jahre lang steigt er nicht vom Pferde und kennt nicht Rast noch Ruh.»
Iwan Zarewitsch lief zu dem weißsteinernen Stall und sattelte sein Heldenroß. Er legte die Kriegsrüstung an, gürtete das Schwert um, nahm in die eine Hand die lange Lanze, in die andere die seidene Peitsche, betete zu Gott und ritt gegen den Feind. Der helle Falke fällt nicht so über Schwäne, Gänse und graue Enten her wie Iwan Zarewitsch über das feindliche Heer. Er erschlug viele, mehr noch zertrat sein Pferd, und so vernichtete er die Macht des Feindes. Dann kehrte er heim und legte sich nieder. Sechs Tage und sechs Nächte lang schlief er einen tiefen Schlaf und war nicht zu erwecken. Am siebenten Tage erwachte er, trat auf den Balkon und sah ins freie Feld. Sieh, die Könige hatten ein Heer aufgestellt, größer als zuvor, und die Stadt umringt. Iwan Zarewitsch ging zu seinen Schwestern und fragte: «Meine lieben Schwestern, was soll ich tun? Zwei Heere habe ich vernichtet, aber ein drittes steht vor den Mauern -schlimmer noch droht es.»
«Oh, du tapferer Held! Einen Tag hast du gekämpft und sechs Tage unaufhörlich geschlafen. Bjely Poljanin kämpft gegen die Baba Jaga mit dem goldenen Bein - schon dreißig Jahre lang steigt er nicht vom Pferde und kennt nicht Rast noch Ruh.»
Bitter erschien das dem Iwan Zarewitsch. Er lief in den weißsteinernen Stall und sattelte sein gutes Roß. Er legte die Kriegsrüstung an, gürtete sein Schwert um, nahm in eine Hand die lange Lanze, in die andere die seidene Peitsche, betete zu Gott und ritt gegen den Feind. Nicht der helle Falke stößt in die Schar der Schwäne, Gänse und Enten - es ist Iwan Zarewitsch, er stößt auf das feindliche Heer! Viele erschlug er, mehr noch zertrat sein Pferd. Und so vernichtete er die große Macht des Feindes. Dann kehrte er heim und legte sich nieder. Neun Tage und neun Nächte lang schlief
er und war nicht zu erwecken. Am zehnten Tage erwachte er, versammelte die Hohen des Reiches und sprach: «Ich will in fremde Länder reiten, um Bjely Poijanin zu schauen. Ich bitte euch zu richten und zu schlichten und alle Dinge wahrheitsgetreu zu ordnen.»Dann nahm er Abschied von seinen Schwestern, stieg zu Pferde und machte sich auf den Weg. Ob viel Zeit verging oder wenig nur - schließlich kam er in einen finsteren Wald. Darinnen stand eine Hütte und in der Hütte wohnte ein alter Mann. Iwan Zarewitsch trat auf ihn zu: «Sei gegrüßt, Großväterchen!»
«Sei gegrüßt, russischer Zarewitsch! Wohin führt dich Gott?»
«Ich suche Bjely Poijanin, weißt du vielleicht, wo er ist?»
«Ich selbst weiß es nicht. Aber warte, ich will meine treuen Diener rufen und sie fragen.» Der Alte trat auf die Schwelle und blies auf einem silbernen Horn. Da flogen von allen Seiten die Vögel zusammen, und ihrer waren so viele, daß der Himmel wie von einer schwarzen Wolke verdunkelt war. Der Alte rief laut und pfiff wie ein Jüngling: «Ihr ziehenden Vögel, meine treuen Diener, habt ihr Bjely Poijanin gesehen oder von ihm gehört?»
«Nein, mit den Augen haben wir ihn nie gesehen, mit den Ohren haben wir nie von ihm gehört.»
«Reite weiter, Iwan Zarewitsch, zu meinem älteren Bruder, vielleicht wird er es dir sagen. Hier hast du ein Knäuelchen - wo es hinrollt, dahin lenke dein Roß.»
Iwan Zarewitsch bestieg sein treues Pferd, ließ das Knäuelchen rollen und ritt hinter ihm drein. Der Wald wurde dunkler und dunkler. Schließlich kam er zu einer Hütte und trat hinein. Drinnen saß ein Greis mit Haaren wie der Mond. «Sei gegrüßt, Großväterchen!»
«Sei gegrüßt, russischer Zarewitsch, wohin führt dich dein Weg?»
«Ich suche Bjely Poijanin, weißt du, wo er zu finden ist?»
«Warte, ich will alle meine treuen Diener rufen und sie fragen.» Der Alte trat hinaus auf die Schwelle, blies auf einem silbernen Horn, und plötzlich versammelten sich allerlei Tiere um ihn. Und er rief ihnen laut und pfiff wie ein Jüngling: «Ihr springenden Tiere, meine treuen Diener, habt ihr Bjely Poijanin gesehen, habt ihr von ihm gehört?»
«Nein», antworteten die Tiere, «wir haben ihn nie gesehen, wir haben nie von ihm gehört.»
«Zählt, ob ihr vollzählig seid, vielleicht kamen nicht alle!» Die Tiere zählten und siehe, es fehlte die krumme Wölfin. Der Alte sandte Boten aus, um sie zu suchen. Sogleich liefen die Läufer und brachten sie herbei. «Sage, krumme Wölfin, weißt du, wo Bjely Poijanin ist?»
«Wie soll ich das nicht wissen? Bin ich doch immer bei ihm. Er schlägt die Krieger, und ich nähre mich von den Leichen.»
«Und wo ist er jetzt?»
«Auf dem Hünengrab im freien Feld schläft er in seinem Zelt. Er führte Krieg gegen die Baba Jaga mit dem goldenen Bein. Und nach dem Kampf legte er sich nieder zum Schlaf, und er schläft zwölf Tage und zwölf Nächte lang und ist nicht zu erwecken.»
«Führe Iwan Zarewitsch dahin!»
Die Wölfin lief voran, und der Zarewitsch folgte ihrer Spur. Sie kamen an den großen Hügel, und er trat in das Zelt. Da lag Bjely Poljanin und schlief einen tiefen Schlaf.
«Ei, meine Schwestern sagten, Bjely Poljanin kämpfe ohne Rast und Ruh gegen die Baba Jaga mit dem goldenen Bein, aber er legte sich doch zwölf Tage zum Schlafen nieder. Sollte ich nicht eben so schlafen, bis er erwacht?» So dachte Iwan Zarewitsch und legte sich neben ihn. Da flog ein kleines Vöglein ins Zelt, flog zu ihren Häupten und sprach solche Worte: «Steh auf, wach auf, Bjely Poljanin, und schaffe meinem Bruder Iwan Zarewitsch einen schlimmen Tod, sonst erschlägt er dich!»
Iwan Zarewitsch sprang auf, fing das Vöglein, riß ihm das rechte Bein aus und warf es aus dem Zelt. Dann legte er sich nieder neben Bjely Poijanin. Aber ehe er eingeschlafen war, kam ein anderes Vöglein geflogen, flog zu ihren Häupten und sprach: «Steh auf, wach auf, Bjely Pol janin, und schaffe meinem Bruder Iwan Zarewitsch einen schlimmen Tod, sonst erschlägt er dich!»
Iwan Zarewitsch sprang auf, fing das Vöglein, riß ihm den rechten Flügel ab und warf es aus dem Zelt. Dann legte er sich auf den gleichen Platz. Danach kam das dritte Vögelchen geflogen, flog zu ihren Häupten und sprach: «Steh auf, wach auf, Bjely Poljanin, und gib meinem Bruder Iwan Zarewitsch einen schlimmen Tod, sonst erschlägt er dich!»
Iwan Zarewitsch sprang auf, ergriff das Vögelchen und riß ihm den Schnabel ab. Das Vögelchen warf er hinaus, selber legte er sich nieder und schlief fest ein.
Als die Zeit um war, erwachte Bjely Poljanin und sah einen fremden Helden neben sich liegen. Er ergriff sein scharfes Schwert und wollte ihn töten. Aber beizeiten hielt er im Schlage ein. Nein, denkt er, er kam zu mir während ich schlief und wollte sein Schwert nicht mit Blut beflecken, es wäre ruhm- und ehrlos für mich wackeren Jüngling, ihn im Schlafe zu töten. Ist doch ein Schlafender wie ein Toter. Lieber will ich ihn wecken. Er weckte Iwan Zarewitsch auf und fragte: «Bist du ein guter oder ein böser Mensch? Sage, wie man dich nennt und weshalb du kamst?»
«Ich heiße Iwan Zarewitsch und kam, um dich zu sehen und deine Kraft zu erproben.»
«Du bist sehr kühn, Zarewitsch. Du hast mein Zelt ohne Erlaubnis betreten
und darin geschlafen, ohne zu fragen. Dafür allein dürfte ich dich töten.»«Eh, Bjely Poijanin, du bist noch nicht über dem Abgrund und schon rühmst du dich! Warte nur, vielleicht stolperst du doch noch! Du hast zwei Hände, aber auch mich hat meine Mutter nicht mit einer Hand geboren.»
Sie bestiegen ihre Heldenrosse, ritten gegeneinander und schlugen so stark aufeinander ein, daß die Lanzen splitterten und ihre Rosse auf die Knie fielen. Iwan Zarewitsch warf Bjely Poijanin aus dem Sattel und zückte sein scharfes Schwert.
«Töte mich nicht», flehte Bjely Poijanin, «laß mir das Leben und nenne mich deinen jüngeren Bruder! Ich will dich ehren wie einen Vater.»
Iwan Zarewitsch nahm ihn bei der Hand, hob ihn von der Erde auf, küßte ihn auf den Mund und nannte ihn seinen jüngeren Bruder. «Bruder, ich hörte, daß du dreißig Jahre Krieg führtest gegen die Baba Jaga mit dem goldenen Bein, warum bekämpft ihr euch?»
«Sie, hat eine wunderschöne Tochter, die will ich erringen und zum Weibe nehmen.»
«Wenn man Freundschaft schließt, muß man einander beistehen», sagte Iwan Zarewitsch, «ziehen wir zusammen gegen die Baba Jaga!» Sie bestiegen ihre Pferde und ritten ins Feld. Aber die Baba Jaga stellte ihnen eine unermeßlich große Streitmacht entgegen. Nicht der helle Falke stößt in die Schar der Tauben, sondern die machtvollen Helden fallen ein in das feindliche Heer. Sie schlugen viele Feinde zu Boden, mehr noch ritten die Pferde nieder. Viele Tausende töteten sie.
Die Baba Jaga ergriff die Flucht und Iwan Zarewitsch verfolgte sie. Schon war er ihr ganz nahe, da lief sie plötzlich hinab in einen tiefen Abgrund, hob eine eiserne Falltür auf und verschwand unter die Erde. Iwan Zarewitsch und Bjely Poijanin erhandelten viele Stiere, schlugen sie tot und schnitten die Haut zu Riemen. Daraus fochten sie ein Seil, das war so lang, daß das eine Ende bei ihnen lag, das zweite aber hinabreichte in die andere Welt. Sprach Iwan Zarewitsch zu Bjely Poljanin: «Laß mich schnell in die Schlucht hinab und ziehe das Seil nicht herauf, sondern warte.»
Bjely Poijanin ließ ihn hinab bis auf den Grund. Iwan Zarewitsch sah sich im Kreise um und ging, um die Baba Jaga zu suchen. Er ging und ging. Da sah er Schneider hinter einem Gitter sitzen. Die fragte er: «Was macht ihr da?»
«Wir nähen ein Heer für die Baba Jaga mit dem goldenen Bein.»
«Wie näht ihr denn?»
«Ei, das weiß jeder - wenn man mit der Nadel sticht, dann setzt sich ein Kosak mit seiner Lanze zu Pferd, stellt sich in die Reihe und zieht in den Streit gegen Bjely Poijanin.»
«Eh, Brüder, ihr arbeitet schnell, aber nicht gut. Stellt euch in eine Reihe, ich will euch lehren, besser zu nähen!»
Die Schneider stellten sich sogleich in eine Reihe. Iwan Zarewitsch schwang sein Schwert - und die Köpfe flogen. Nachdem er die Schneider besiegt hatte, zog er weiter. Er ging und ging. Da sah er Schuster hinter einem Gitter sitzen und fragte: «Was macht ihr da?»
«Wir schaffen ein Heer für die Baba Jaga mit dem goldenen Bein.»
«Wie macht ihr das?»
«Ei, wenn man mit dem Pfriemen sticht, dann setzt sich ein Soldat mit seiner Flinte zu Pferd, stellt sich in die Reihe und zieht in den Streit gegen Bjely Poijanin.»
«Eh, Leute, ihr arbeitet schnell, aber nicht gut. Stellt euch in eine Reihe, ich will euch lehren, es besser zu machen!»
Sie stellten sich in eine Reihe. Iwan Zarewitsch schwang sein Schwert - und die Köpfe flogen. Als er die Schuster besiegt hatte, zog er weiter. Ob viel Zeit verging oder wenig nur - er kam in eine große schöne Stadt. In dieser Stadt war ein königlicher Palast erbaut, und in diesem Palast saß eine Jungfrau von unbeschreiblicher Schönheit. Vom Fenster aus sah sie den wackeren Helden und fand Gefallen an ihm, an seinen schwarzen Locken, seinen hellen Falkenaugen mit den schönen dunklen Brauen und an seinem ritterlichen Wesen. Sie rief den Zarewitsch zu sich und fragte ihn, wohin er ginge.
«Ich suche die Baba Jaga mit dem goldenen Bein.»
«Ach, Iwan Zarewitsch, ich bin ja ihre Tochter. Sie legte sich zur Ruh für zwölf Tage und Nächte, sie schläft einen Schlaf, aus dem man sie nicht erwecken kann.»
Die Jungfrau führte Iwan Zarewitsch aus der Stadt hinaus und zeigte ihm den Weg. Iwan Zarewitsch ging zur Baba Jaga mit dem goldenen Bein. Er traf sie im Schlaf und hieb ihr mit seinem Schwerte den Kopf ab. Der Kopf rollte und rief: «Schlage noch einmal zu!» «Ein Schlag genügt bei einem Helden», antwortete der Zarewitsch. Er kehrte in den Palast zu der schönen Jungfrau zurück und setzte sich mit ihr an die eichenen Tische mit den gemusterten Tüchern. Er aß und trank sich satt und sprach zu ihr: «Gibt es jemanden auf der Welt, der stärker wäre als ich und schöner als du?»
«Ach, Iwan Zarewitsch, was bin ich denn schon für eine Schönheit? Hinter dem dreimal neunten Land, im dreimal zehnten Reich lebt eine Königstochter bei dem König der Drachen, die ist wahrhaftig eine unaussprechliche Schönheit. Ich habe mich nur mit dem Wasser gewaschen, mit dem sie ihre Füße wusch.»
Iwan Zarewitsch nahm die schöne Jungfrau an der weißen Hand, führte sie an den Ort, wo das Seil herabhing, und gab Bjely Pol janin ein Zeichen.
Bjely Pol janin griff nach dem Seil und fing an zu ziehen, zog und zog - und zog Iwan Zarewitsch mit der schönen Jungfrau hinauf.«Sei gegrüßt, Bjely Poijanin», sagte Iwan Zarewitsch, «hier hast du deine Braut! Lebe froh mit ihr und sorge dich um nichts, ich ziehe in des Drachen Reich!»
Er bestieg sein Roß, nahm Abschied von Bjely Poijanin und seiner Braut und ritt davon hinter das dreimal neunte Land, in das Reich des Drachen.
Ob es lang war oder kurz, ob es tief war oder hoch - schnell ist ein Märchen erzählt, nicht so schnell eine Tat getan! Iwan Zarewitsch kam in das Reich des Drachen und erschlug den Drachenkönig. Dann befreite er die wunderschöne Königstochter aus der Gefangenschaft und nahm sie zur Gemahlin. Danach kehrte er heim in sein Reich und fing an, mit ihr zusammen zu leben. Und sie lebten und lebten und mehrten ihr Hab und Gut.
ALJONUSCHKA UND IWANUSCHKA
Da gehen zwei Waisen, Schwesterchen Aljonuschka und Brüderchen Iwanuschka, den weiten Weg über ein breites Feld. Die Hitze quält sie und das Brüderchen dürstet. «Schwesterchen Aljonuschka, ich möchte trinken!»
«Warte, Brüderchen. wir kommen zu einem Brunnen!» Sie gingen und gingen. Die Sonne stand hoch, der Brunnen war weit, die Hitze quält sie und Schweiß bricht aus.
Da steht ein Kuhhuf, voll mit Wasser. «Schwesterchen Aljonusdika, ich will aus diesem Huf trinken!»
«Trinke nicht, Brüderchen, sonst wirst du ein Kälbchen!»
Das Brüderchen hörte auf sie, und sie gingen weiter. Die Sonne stand hoch, der Brunnen war weit, die Hitze quält sie und Schweiß bricht aus.
Da steht ein Pferdehuf, voll mit Wasser. «Schwesterchen Aljonusdika, ich trinke aus diesem Huf!»
«Trink nicht, Brüderchen, sonst wirst du ein Fohlchen!»
Iwanuschka seufzte und ging weiter mit. Die Sonne stand hoch, der Brunnen war weit, die Hitze quält sie und Schweiß bricht aus.
Da steht ein Schafshuf voll mit Wasser. Das Brüderchen sieht es und, ohne zu fragen, trinkt es ihn aus bis auf den Grund.
Aljonuschka ruft Iwanuschka, aber statt Iwanuschka lief hinter ihr ein weißes Bödcchen, und sie erriet, was geschehen war, und zerfloß in Tränen. Sie setzte sich neben einen Heuschober und weinte, und das Böckchen sprang neben ihr auf dem Grase.
Ein Edelmann fuhr vorbei, hielt an und fragte: «Warum weinst du, schönes Mädchen?» Da erzählte sie ihr Unglück.
«Komm mit mir», sagte der Edelmann, «heirate mich, ich werde dich mit schönen Kleidern und mit Silber schmücken, und das Bödcchen werde ich auch nicht verlassen, wo du sein wirst, da wird es auch sein!»
Aljonuschka willigte ein. Sie heirateten einander und lebten so, daß gute Menschen sich freuten, wenn sie sie sahen, und schlechte sie beneideten.
Einmal war der Mann nicht zu. Hause und Aljonuschka blieb allein. Da kam die Hexe, band ihr einen Stein um den Hals und warf sie ins Wasser. Sich selber aber schmückte sie mit Aljonuschkas Kleidern und nistete sich ein in den Herrengemächern. Niemand erkannte sie, sogar der Ehemann selber täuschte sich. Nur dem Schafböckchen war alles bekannt. Es allein war traurig, hing den Kopf, nahm kein Futter und morgens und abends lief es am Ufer entlang und schrie: «Mäh, mäh!»
Die Hexe erfuhr es und fühlte sich nicht mehr ganz geheuer. Sie befahl, hohe Scheiterhaufen zu schichten, gußeiserne Kessel zu heizen, die breiten Messer zu schärfen und sprach: «Das Böckchen muß geschlachtet werden!» Und sie schickte einen Diener, das Böckchen zu fangen. Der Mann wunderte sich: «Wie geht das zu? Wie hat doch die Frau das Bödcchen geliebt und mir immer zugesetzt und mich fast gelangweilt mit ihrem: «tränke es, füttere es», und jetzt befiehlt sie, es zu schlachten!»
Das Böckchen wurde gewahr, daß es nicht mehr lange leben sollte, legte sich ans Ufer und klagte: «Aljonusdika, mein Schwesterchen, man will mich schlachten, man stellt hohe Scheiterhaufen auf, man heizt die eisernen Kessel und schärft die breiten Messer!»
Aljonuschka antwortete: «Ach, mein Brüderchen Iwanuschka, der schwere Stein hat mein Hälschen zerrieben, das seidene Gras meine Hände gebunden, gelber Sand legte sich auf die Brust!»
O Wunder, ein Mensch hörte es! Er sagte es dem Edelmann, und sie gingen hin, um zu wachen. Das Böckchen kam und begann abermals Aljonuschka zu rufen und zu klagen über dem Wasser: «Aljonuschka, mein Schwesterchen, man will mich schlachten, man stellt hohe Scheiterhaufen auf, man heizt die gußeisernen Kessel und schärft die breiten Messer.»
Und Aljonuschka antwortete ihm: «Mein Brüderchen Iwanuschka, der schwere Stein hat mein Hälschen zerrieben, das seidene Gras meine Hände gebunden, gelber Sand legte sich auf die Brust!»
«Menschen, Menschen», rief der Herr, «sammelt euch! Ihr Diener des Hofes, laßt Netze hinab, laßt hinab die seidenen Netze!»
Da versammelten sich die Diener des Hofes und warfen die seidenen Netze, und Aljonuschka fing sich. Man zog sie herauf ans Ufer und schnitt den Stein von ihrem Halse. Man tauchte sie unter, bespülte sie mit reinem
Wasser und wickelte sie in weißes Linnen. Und sie wurde noch schöner, als sie je gewesen war, und umarmte ihren Mann. Das Bödcchen aber wurde wieder zum Brüderchen Iwanuschka. Und sie lebten wieder nach der alten Weise, nach der guten.Nur die Hexe kriegt ihr Teil. Aber ihr geschieht recht, denn sie hat es verdient, um so eine braucht man nicht zu klagen.
DIE HEXE
Es waren einmal ein alter Mann und eine alte Frau. Die hatten ein Söhnlein Iwanuschka, und das liebten sie so sehr, wie man es gar nicht mit Worten sagen kann. Eines Tages bat Iwanusdika: «Väterchen, Mütterchen, laßt mich Fischlein fangen!»
«Wo willst du hin, Kind, bist ja noch so klein, du könntest ertrinken. Wozu soll das gut sein?»
«Oh, nein, ich ertrinke nicht, ich will euch Fischlein fangen. Laßt mich hinaus!»
Da zog ihm die Frau ein weißes Hemdchen an, gürtete ihn mit einem roten Gürtel und ließ ihn hinaus.
«Schifflein, mein Schifflein, schwimme soweit du kannst! Schifflein, mein Schifflein, schwimme soweit du kannst!» |
Und das Schifflein schwamm weit, weit hinaus, und Iwanusdika fing an, die Fischlein zu fangen.
Ober kurz oder lang kam die Mutter zum Ufer und rief ihrem Söhnlein: «Iwanusdika, Iwanusdika, mein Söhnlein, schwimme, schwimme zum Ufer, ich habe dir Essen und Trinken gebracht!»
Und Iwanuschka sprach: «Schifflein, mein Schifflein, schwimme, schwimme zum Ufer, mein Mütterchen ruft mich!»
Und das Schifflein schwamm rasch zum Ufer.
Die Frau nahm sich die Fische, gab ihrem Söhnlein Essen und Trinken, zog ihm ein frisches Hemdchen an und einen neuen Gürtel und ließ ihn weiter Fischlein fangen.
Iwanuschka setzte sich in das Schifflein und sprach:
«Schifflein, mein Schifflein, schwimme so weit du kannst! Schifflein, mein Schifflein, schwimme so weit du kannst!» |
Und das Schifflein schwamm weit, weit hinaus, und Iwanuschka fing wieder an, Fischlein zu fangen.
Über kurz oder lang kam der Vater zum Ufer und rief seinem Söhnlein: «Iwanuschka, Iwanuschka, mein Söhnlein, schwimme, schwimme zum Ufer, ich habe dir Essen und Trinken gebracht!»
Und Iwanuschka sprach: «Schifflein, mein Schifflein, schwimme, schwimme zum Ufer, mein Väterchen ruft mich!»
Das Schifflein kam zum Ufer zurück, der Vater nahm sich die Fische, gab seinem Söhnlein Essen und Trinken, zog ihm ein frisches Hemdchen an und einen neuen Gürtel und ließ ihn weiter Fischlein fangen.
Eine Hexe hörte es, wie Vater und Mutter Iwanuschka riefen, und wollte den Knaben für sich gewinnen. Sie kam zum Ufer und rief mit heiserer Stimme: «Iwanuschka, Iwanuschka, mein Söhnlein, schwimme, schwimme zum Ufer, ich habe dir Essen und Trinken gebracht!»
Aber Iwanuschka hörte wohl, daß es nicht die Stimme der Mutter war, sondern die Stimme der Hexe. Und er sang:
«Schifflein, mein Schifflein, schwimme so weit du kannst! Schifflein, mein Schifflein, schwimme so weit du kannst! Das ist nicht die Mutter, die mich ruft, das ist die Hexe.» |
Da merkte die Hexe, daß sie Iwanuschka mit der Stimme der Mutter rufen müßte. Schnell lief sie zum Schmied: «Schmied, Schmied, schmiede mir ein Stimmchen, so fein wie es Iwanuschkas Mutter hat! Und wenn du es nicht tust, dann verschlinge ich dich.»
Da schmiedete der Schmied dasselbe feine Stimmchen, wie es Iwanuschkas Mutter hatte.
In der Nacht kam die Hexe ans Ufer und sang: «Iwanuschka, Iwanuschka, mein Söhnlein, schwimme, schwimme zum Ufer, ich habe dir Essen und Trinken gebracht!»
Da kam Iwanuschka zum Ufer geschwommen, die Hexe nahm sich schnell alle Fische, griff nach Iwanuschka und brachte ihn in ihr Haus. Zu Hause sagte sie zu ihrer Tochter Aljonka: «Schüre den Ofen, und brate mir den Iwanuschka schön braun und knusprig, ich will herumlaufen und meine Freunde zum Schmause laden.»
Aljonka schürte den Ofen und rief: «Iwanuschka, komm her und setze dich auf den Ofenschieber!»
«Ach, ich bin so klein und so dumm», antwortete Iwanuschka, «ich verstehe ganz und gar nichts davon. Lehre mich zuerst, wie man sich auf den Schieber setzt!»
«Gut», sagte Aljonka, «lehren dauert nicht lange», und setzte sich selber
auf den Ofenschieber. lwanuschka aber schob sie schnell in den Ofen, machte das Türlein zu und lief aus dem Hause. Er schloß das Haus ab und kletterte auf eine hohe, hohe Eiche.Die Hexe kam mit den Gästen nach Hause, klopfte an die Tür, aber niemand öffnete ihr. «Diese unselige Aljonka, wieder spielt sie Irgendwo herum!»
Sie stieg durch das Fenster, schloß die Tür auf und ließ ihre Gäste herein. Alle setzten sich an den Tisch. Die Hexe machte das Ofentürchen auf, zog die gebratene Aljonka heraus und setzte sie auf den Tisch. Sie aßen und aßen, sie tranken und tranken, traten auf den Hof hinaus und fingen an, sich auf dem Rasen zu wälzen. «Ich drehe mich, ich wälze mich, satt von Iwanfleisch. Ich drehe mich, ich wälze mich, satt von Iwanfleisch», schrie die Hexe.
Und Iwanusdika rief von oben: «Drehe dich, wälze dich, satt von Aljonkafleisch!»
«Oh», murmelte die Hexe, «ich höre etwas, ob wohl die Blätter rascheln?» Und wieder spricht sie: «Ich drehe mich, ich wälze mich, satt von Iwanfleisch!»
Und Iwanuschka das seine: «Drehe dich, wälze dich, satt von Aljonkafleisch!»
Die Hexe guckte nach oben und erblickte Iwanuschka. Schnell stürzte sie zur Eiche und fing an, den Stamm durchzunagen. Sie nagte und nagte und brach sich zwei Vorderzähne aus. Da lief sie zum Schmied, kam an und sprach: «Schmied, Schmied, schmiede mir eiserne Zähne, sonst werde ich dich verschlingen!» Und der Schmied schmiedete zwei eiserne Zähne.
Sie kehrte zurück, fing wieder an, an der Eiche zu nagen, nagte und nagte. Eben hatte sie den Stamm durchgenagt, da sprang Iwanuschka hinüber auf die andere Eiche, und die sie durchgenagt hatte, krachte auf die Erde. Die Hexe sah Iwanuschka auf der anderen Eiche sitzen, knirschte vor Wut mit den Zähnen und fing wieder an zu nagen. Sie nagte, nagte und nagte und brach sich zwei untere Zähne aus. Wieder lief sie zum Schmied, kam an und sprach: «Schmied, Schmied, schmiede mir eiserne Zähne, sonst werde ich dich verschlingen!» Und der Schmied schmiedete noch einmal zwei eiserne Zähne. Sie kehrte zurück und nagte weiter an der Eiche, auf der Iwanuschka saß. Und Iwanuschka wußte nicht, was er machen sollte. Da sah er auf einmal eine Schar Gänse und Schwäne vorbeifliegen.
«Meine lieben Gänslein, meine lieben Schwänlein, nehmt mich auf eure Fittiche und bringt mich zu Vater und Mutter! Bei Vater und Mutter gibt es Essen und Trinken, und da ist gut sein.»
«Die nächsten sollen dich nehmen!» riefen die Vögel und flogen vorbei, und Iwanuschka wartete. Da kam der zweite Zug geflogen und Iwanuschka bat:
«Meine lieben Gänslein, meine lieben Schwänlein, nehmt mich auf eure Fittiche und bringt mich zu Vater und Mutter! Bei Vater und Mutter gibt es Essen und Trinken, und da ist gut sein.»
«Die letzten sollen dich nehmen!» und Iwanuschka wartete. Endlich kam der dritte Zug, und er bat wieder. Da nahmen ihn Gänse und Schwäne auf ihre Fittiche, trugen ihn nach Hause und setzten ihn oben auf dem Dachboden ab.
Am nächsten Morgen, ganz in der Frühe, fing die Mutter an, Pfannkuchen zu backen, fing an zu backen und dachte an ihr Söhnlein: «Wo mag nur mein Iwanuschka sein? Wenn ich doch von ihm träumen könnte!» Da sagte der Vater: «Mir träumte, Gänse und Schwäne hätten unseren Iwanuschka auf ihren Flügeln nach Hause gebracht.»
Die Mutter war fertig mit Backen und fing an, die Pfannkuchen zu verteilen: «Nun, Alterchen, einen für dich, einen für mich - einen für dich, einen für mich -einen für dich, einen für mich.»
«Und für mich ist keiner da?» rief Iwanuschka.
-«der ist für dich, der ist für mich.»
«Und mir nichts?»
«Oh», sagte die Mutter, «was ist dort! Väterchen geh, und sieh nach!»
Der Alte ging auf den Boden und holte Iwanuschka herab; und sie freuten sich sehr, und sie fragten den Sohn nach allem, was geschehen war. Von da an lebten sie wieder miteinander, und sie lebten und lebten und mehrten ihr Hab und Gut.
DIE HEXE UND DIE SCHWESTER DER SONNE
In einem Land, in einem weit entlegenen Reich lebten einmal ein König und eine Königin, die hatten einen Sohn, Johannes, der war von seiner Geburt an stumm. Als er zwölf Jahre alt war, ging er eines Tages in den Pferdestall zu seinem liebsten Knecht. Der erzählte ihm immer Märchen. Auch diesmal kam Königssohn Johannes, um von ihm Märchen zu hören. Aber er sollte etwas anderes hören.
«Königssohn Johannes», sprach der Roßknecht zu ihm, «deine Mutter wird bald eine Tochter bekommen und du also eine Schwester. Die aber wird eine furchtbare Hexe sein. Sie wird Vater und Mutter und alle Untertanen verschlingen. Geh hin und tue, als wolltest du ausreiten, und bitte deinen Vater um sein bestes Pferd. Besteige es und reite davon, reite, wohin deine Augen schauen, damit du dem Unglück entrinnst!»
Königssohn Johannes lief zu seinem Vater, und zum ersten Male in seinem Leben konnte er ihn ansprechen. Der König war darüber so froh, daß er gar nicht fragte, wozu Johannes das Pferd brauche. Und er befahl sogleich, daß man ihm das allerbeste Roß aus seinen Koppeln sattle.
Königssohn Johannes bestieg das Roß und ritt davon, ritt, wohin die Augen schauen, ritt lange, lange Zeit Endlich kam er zu zwei alten Näherinnen, die bat er, ob er bei ihnen bleiben dürfe. «Wir würden dich gern bei uns aufnehmen, Königssohn Johannes», antworteten die beiden Alten. «Aber wir haben nicht mehr lange zu leben, w.r zerbrechen noch eine Truhe voll Nadeln, vernähen noch eine Truhe Faden, und dann kommt gleich der Tod.»
Königssohn Johannes fing an zu weinen, ritt weiter und ritt eine lange, lange Zeit. Da kam er zum Riesen Wendebaum: «Nimm mich bei dir auf!» «Gern würde ich dich bei mir aufnehmen, Königssohn Johannes, aber ich habe nicht mehr lange zu leben. Wenn ich alle diese Eichen mit den Wurzeln ausgerissen habe, dann kommt sogleich der Tod.»
Königssohn Johannes weinte noch mehr und ritt weiter und weiter. Endlich kam er zu dem Riesen Wendeberg und bat ihn um Aufnahme. «Gern würde ich dich aufnehmen, Königssohn Johannes, aber ich habe nicht mehr lange zu leben. Du siehst, ich bin hierher gestellt, um diese Berge zu versetzen, und wenn ich den letzten versetzt habe, dann kommt sogleich der Tod.»
Königssohn Johannes vergoß bittere Tränen und ritt weiter, ritt lange, lange. Endlich gelangte er hinauf zur Schwester der Sonne. Die nahm ihn auf, gab ihm Speise und Trank und pflegte ihn wie ihren eigenen Sohn. Dort führte der Königssohn ein schönes Leben. Aber er grämte sich immer, denn er hatte Heimweh, wollte wissen, was im Vaterhause geschah. Immer wieder stieg er auf einen hohen Berg und schaute nach dem Königshofe aus. Aber dort war alles verschlungen, und nur die Mauern waren übriggeblieben. Da fing er an zu seufzen und zu weinen. Als er wieder einmal vom Berge herab kam, traf ihn die Schwester der Sonne und fragte: «Königssohn Johannes, warum hast du geweint?»
«Der Wind blies mir ins Auge», — und ein anderes Mal antwortete er das gleiche. Da verbot die Schwester der Sonne dem Winde zu blasen. Als aber Königssohn Johannes zum dritten Male so verweint vom Berge herab kam, da war nichts zu machen, er mußte alles bekennen. Und er begann, die Schwester der Sonne zu bitten, daß sie ihn nach Hause ziehen lasse, damit er die Heimat wiedersehen könne. Sie wollte ihn nicht fortlassen, den wackeren Burschen, aber erbat und bat, bis sie ihn endlich fort ließ, die Heimat zu sehen.
Beim Abschied schenkte sie ihm eine kostbare Bürste. einen Kamm und
zwei frische Äpfelchen. Wie alt ein Mensch auch sein mochte, aß er eins von diesen Äpfelchen, so wurde er sogleich wieder jung.Königssohn Johannes ritt davon und kam zum Riesen Wendeberg. Dem war nur noch ein einziger Berg übriggeblieben. Der Königssohn nahm seine Bürste und warf sie ins freie Feld. Da wuchsen mit einem Male hohe, hohe Berge aus der Erde hervor. Bis zum Himmel ragten ihre Gipfel, und ihrer waren so viele, daß man sie gar nicht zählen konnte. Wendeberg freute sich und machte sich fröhlich an die Arbeit.
Über kurz oder lang kam Königssohn Johannes zum Riesen Wendebaum. Dort standen nur noch drei Eichen. Er nahm den Kamm und warf ihn ins freie Feld, und plötzlich erhob sich rauschend ein dichter Wald, eine Eiche dicker als die andere. Wendebaum freute sich, dankte dem Königssohn und machte sich fröhlich daran, die hundertjährigen Eichen zu roden.
Ob es lang war oder nicht so lang - Königssohn Johannes kam zu den beiden Alten. Er gab jeder ein Äpfelchen, sie aßen sie auf und wurden auf der Stelle wieder jung. Darauf schenkten sie ihm ein Tüchlein: «Schwenkst du es, so entsteht hinter dir ein ganzer See.»
Als Königssohn Johannes nach Hause kam, lief ihm seine Schwester entgegen und liebkoste ihn zärtlich: «Setze dich nieder, Bruder, nimm die Gusli und spiele, ich aber gehe und bereite das Mittagsmahl!»
Königssohn Johannes setzte sich hin und spielte die Gusli. Da kroch ein Mäuslein aus einem Loch und sprach zu ihm mit menschlicher Stimme: «Rette dich, Königssohn, und eile davon! Deine Schwester wetzt schon ihre Zähne.»
Königssohn Johannes eilte hinaus, setzte sich auf sein Roß und sprengte zur Sonne zurück.
Das Mäuslein aber lief über die Saiten der Gusli, da fingen sie an zu klingen, und die Schwester merkte nicht, daß der Bruder geflohen war. Als sie ihre Zähne geschärft hatte, stürmte sie in die Stube, aber da war keine Seele mehr, nur das Mäuslein schlüpfte ins Loch. Da wurde die Hexe zornig, knirschte mit den Zähnen und machte sich an die Verfolgung.
Königssohn Johannes hörte Lärm, drehte sich um und sah, daß die Schwester ihn beinahe eingeholt hatte. Schnell schwenkte er sein Tüchlein, und hinter ihm entstand ein tiefer See. Die Hexe durchschwamm ihn, aber Königssohn Johannes war schon weit. Noch schneller jagte sie ihm nach, und wieder kam sie ihm ganz nahe. Da erriet Wendebaum, daß der Königssohn sich vor seiner Schwester retten wollte, und fing an, die Eichen auszureißen und wälzte sie auf den Weg. Einen ganzen Berg türmte er aufeinander da war kein Durchkommen für die Hexe! Sie fing an, sich einen Weg zu nagen und nagte sich schließlich mit letzter Kraft durch. Aber Königssohn Johannes war schon weit.
Wieder stürmte sie hinter ihm her, sie jagte und jagte, und wenig fehlte, so hätte sie ihn erreicht. Aber Wendeberg sah es, ergriff den allerhöchsten Berg, drehte ihn auf den Weg und türmte noch einen darüber. Die Hexe krabbelte und kletterte. Aber Königssohn Johannes ritt und ritt und war schon ganz weit.
Als die Hexe über dem Berg war, verfolgte sie wieder den Bruder und schon erblickte sie ihn und rief: «Jetzt entgehst du mir nicht!» Aber da sprengte er schon vor das Schloß der goldenen Sonne und rief:
«Sonnenschein, Sonnenschein, öffne mir dein Fensterlein!» |
Und die Schwester der Sonne öffnete das Fenster und Königssohn Johannes sprang mit seinem Pferde hinein.
Die Hexe fing an zu bitten, man solle ihr den Bruder herausgeben. Aber die Schwester der Sonne hörte nicht auf sie und gab ihn nicht heraus. «Königssohn Johannes soll mit mir zur Waage gehen», forderte die böse Schwester, «wir wollen sehen, wer überwiegt. Wird er mehr wiegen, so fresse ich ihn, werde ich mehr wiegen, so soll er mich erschlagen!»
Da gingen sie miteinander zur Waage. Erst setzte sich der Königssohn auf die Waage, dann kroch auch die Hexe hinauf. Kaum aber hatte sie den Fuß daraufgesetzt, als Johannes mit solcher Gewalt in die Höhe geworfen wurde, daß er geradeswegs in den Himmel flog, in die Gemächer der Schwester der Sonne.
Die Hexe aber, die Schlange, blieb auf der Erde.
DER BÄRENKÖNIG
Es lebten einmal ein König und eine Königin, und die hatten kein Kind. Einmal ging der König auf die Jagd, um Rotwild und Zugvögel zu schießen. Es wurde heiß, er dürstete, und es verlangte ihn nach Wasser. Da sah er abseits vom Wege einen Brunnen, trat hinzu und beugte sich hinab, um Wasser zu trinken. Kaum aber hatte er getrunken, da erschien der König der Bären und faßte ihn an seinem Bart.
«Lass' mich los», bat der König.
«Gib mir das, was du zu Hause hast und nicht kennst, dann lasse ich dich los!»
Was kenne ich denn nicht in meinem Hause? dachte der König. Mir scheint doch, ich kenne alles. «Idi werde dir lieber eine Herde Kühe geben», sagte er zu dem Bärenkönig.
«Nein, audi zwei Herden mag ich nicht.»
«Ich werde dir eine Koppel Pferde geben.»
«Nein, auch zwei Koppeln brauche ich nicht; gib mir das in deinem Hause, wovon du nichts weißt!»
Schließlich willigte der König ein, machte seinen Bart frei und ritt nach Hause.
Er trat in das Schloß hinein, und siehe, seine Frau hatte ihm Zwillinge geboren, den Königssohn Johannes und die Königstochter Maria. Das war es, was er nicht gewußt hatte. Er schlug die Hände vor Verzweiflung zusammen und weinte bitterlich.
«Was bist du so verzweifelt?» fragte ihn die Königin.
«Wie sollte ich nicht weinen? Ich habe meine leiblichen Kinder dem Bärenkönig versprochen.»
«Wie ist das gekommen?»
«So und so», sagte der König.
«Wir werden sie ihm nicht geben», sprach die Königin.
«Oh, das ist nicht möglich, er wird unser Reich bis zum letzten zerstören und sie trotzdem nehmen.»
Sie sannen und sannen, was zu tun sei, und hatten schließlich einen Plan. Sie hoben eine tiefe Grube aus, schmückten sie wie ein Gemach, brachten allerlei Vorräte hinein, Essen und Trinken. Dann setzten sie ihre Kinder in diese Grube, machten eine Decke darüber, warfen Erde darauf und glätteten sie. Bald danach starben der König und die Königin. Die Kindlein aber wuchsen und wuchsen.
Eines Tabes kam der Bärenkönig, um die Kinder zu holen. Er schaute hierhin und dorthin, aber niemand war da, das Schloß war leer. Er ging durchs ganze Haus und dachte bei sich: «Wer wird mir sagen, wo ich die Königskinder finde, wohin sie gekommen sind?» Da sah er in der Wand ein Stemmeisen stecken.
«Stemmeisen, Stemmeisen», fragte der Bärenkönig, «sage mir, wo die königlichen Kinder sind!»
«Trage mich in den Hof und wirf mich zur Erde, wo ich stecken bleibe, dort grabe!»
Der Bärenkönig nahm das Stemmeisen und warf es zur Erde. Das Eisen kreiste, drehte sich und schlug ein an der Stelle, wo der Königssohn Johannes und die Königstochter Maria sich befanden. Der Bärenkönig grub mit seinen Tatzen die Erde auf, zerschlug die Decke und rief: «Da seid ihr, Königssohn Johannes und Königstochter Marial Ihr wolltet euch vor mir verstecken,
euer Vater und eure Mutter haben mich betrogen, dafür werde ich euch fressen.»«Ach, Bärenkönig, friß uns nicht, unser Vater hat viele Hühner und Gänse hinterlassen und alles mögliche andere Gute, es gibt noch genug für dich zu fressen.»
«Nun, es soll mir recht sein, setzt euch auf meinen Rücken, ich werde euch in meine Dienste nehmen.»
Die Königskinder setzten sich auf seinen Rücken, und der Bärenkönig brachte sie auf hohe, steile Berge, die bis in den Himmel ragten. Da war alles leer, niemand lebte dort.
«Wir wollen essen und trinken», sprachen der Königssohn Johannes und die Königstochter Maria.
«Ich werde laufen und euch Essen und Trinken verschaffen», antwortete der Bär. «Unterdessen bleibt hier und ruht euch aus!»
Der Bär lief nach Nahrung, und der Königssohn und die Königstochter standen da und weinten bitterlich. Plötzlich erschien ein heller Falke, schlug mit den Flügeln und sprach: «Königssohn Johannes und Königstochter Maria, was für ein Schicksal hat euch hierher verschlagen?»
Sie erzählten es ihm.
«Warum hat euch der Bär mit sich genommen?»
«Um allerlei Dienste.»
«Wollt ihr, so trage ich euch weg, setzt euch auf meine Flügel!»
Sie setzten sich darauf, der helle Falke erhob sich, höher als der ragende Baum, niedriger als die ziehende Wolke und flog in ferne weite Länder.
Um diese Zeit kam der Bärenkönig zurück, entdeckte den Falken unter dem Himmel, schlug, mit dem Kopf auf die feuchte Erde und sengte dem Falken mit Feuer die Flügel. Die Flügel waren versengt - der Falke ließ den Königssohn und die Königstochter auf die Erde hinab.
«So», sagte der Bärenkönig, «ihr wolltet vor mir fliehen, dafür werde ich euch bis aufs letzte Knöchelchen fressen.»
«Friß uns nicht, Bärenkönig, wir werden dir treu dienen!»
Der Bärenkönig verzieh ihnen und brachte sie in sein Reich. Da waren die Berge noch höher und noch steiler als zuvor. Als eine Weile vergangen war, sagte Königssohn Johannes: «Ich will essen!» «Ich auch», sprach die Königstochter Maria. Der Bärenkönig lief nach Nahrung und befahl ihnen streng, sich nicht vom Platze zu rühren. Und während er davonlief, saßen sie auf dem Gras und weinten.
Da erschien ein Adler, ließ sich aus den Wolken herab und fragte:
«Ach, Königssohn Johannes und Königstochter Maria, welches Schicksal hat euch hierher verschlagen?»
Sie erzählten es ihm.
«Wollt ihr, so bringe ich euch fort.»
«Wie kannst du das? Der helle Falke wollte uns forttragen, aber er vermochte es nicht, und auch du wirst es nicht vermögen.»
«Der Falke ist ein kleiner Vogel, ich werde höher fliegen, setzt euch auf meine Schwingen!»
Der Königssohn und die Königstochter setzten sich, der Adler schlug mit den Flügeln und erhob sich in die Lüfte, höher als der Falke.
Der Bär kam zurück, sah den Adler unter dem Himmel, schlug mit dem Kopf auf die feuchte Erde und versengte ihm die Flügel. Der Adler setzte die königlichen Kinder auf die Erde hinab.
«Ach, ihr wolltet wieder flüchten», sprach der Bär, «nun aber werde ich euch fressen.»
«Sei so gut und friß uns nicht, der Adler hat uns verführt, wir werden dir treu und ehrlich dienen!»
Der Bärenkönig verzieh ihnen zum letzten Mal. Gab ihnen zu essen und zu trinken und brachte sie weiter.
Ober kurz oder lang wurde Königssohn Johannes wieder hungrig und sprach: «Ich möchte essen!» «Ich auch», sagte Königstochter Maria. Der Bärenkönig verließ sie, lief fort, um Nahrung zu holen.
Sie aber saßen auf dem Gras und weinten. Plötzlich erschien ein Stierlein. schüttelte den Kopf und fragte: «Königssohn Johannes und Königstochter Maria, welches Schicksal hat euch hierher verschlagen?»
Sie erzählten ihm alles.
«Wollt ihr, so bringe ich euch fort.»
«Ach, wie willst du das machen? Uns hat der Falke davongetragen und auch der Adler, und sie vermochten es nicht, dir wird es erst recht nicht gelingen.»
Und sie zerflossen in Tränen, konnten vor Weinen kein Wörtchen mehr sagen. «Die Vögel konnten euch nicht tragen, aber ich trage euch, setzt euch auf meinen Rücken!»
Sie setzten sich, das Stierlein fing an zu laufen und lief nicht gar so schnell. Der Bärenkönig sah, daß der Königssohn und die Königstochter sich entfernten, und stürzte los, um sie zu verfolgen.
«Ach, Stierlein, Stierlein, der Bär ist hinter uns her!»
«Ist er noch weit?»
«Nein, nahe!»
Der Bär kam gesprungen und wollte zupacken. Das Stierlein aber streckte sich, drückte... und warf ihm die beiden Augen zu. Der Bär lief an das blaue Meer, die Augen zu waschen. Das Stierlein aber trottete weiter und
weiter. Als sich der Bärenkönig die Augen ausgewaschen hatte, machte er sich wieder an die Verfolgung.«Ach, Stierlein, Stierlein, der Bär ist hinter uns her!»
«Ist er noch weit?»
«Ach, nahe!»
Der Bär sprang herzu. Wieder streckte sich das Stierlein, drückte.., und verklebte ihm die Augen. Während der Bär davonlief, um sich die Augen zu waschen, lief das Stierlein weiter und weiter. Und als er zum dritten Male zupacken wollte, verklebte es dem Bären abermals die Augen.
Dann gab das Stierlein dem Königssohn Johannes einen kleinen Kamm und ein Handtuch und sprach: «Wenn der Bärenkönig nahe ist, wirf zuerst den kleinen Kamm, und zum andernmal schwenke das Handtuch!»
Das Stierlein lief weiter und weiter. Königssohn Johannes schaute sich um: wieder ist der Bärenkönig hinter ihnen her, gleich wird er sie erreichen. Da nahm Johannes den kleinen Kamm und warf ihn hinter sich. Und es wuchs ein Wald, so dicht, so dunkel - kein Vogel konnte darin fliegen, kein Tier hindurchkriechen, kein Fußgänger gehen, kein Reiter reiten. Der Bär nagte und nagte, mit Mühe nagte er sich ein schmales Weglein, kam durch den Wald und stürzte ihnen nach. Aber die Königskinder waren schon weit.
Und wieder war der Bär ihnen nahe. Königssohn Johannes sah sich um und schwenkte hinter sich das Handtuch. Auf einmal entstand ein Feuersee, so groß, so breit, die Lohe wallte von einem Ufer zum andern. Da stand der Bärenkönig am Ufer, konnte nicht weiter, stand und stand, und kehrte schließlich nach Hause zurück.
Das Stierlein aber gelangte mit den königlichen Kindern auf ein kleines Stück Feld. Auf diesem Felde stand ein schönes, großes Haus.
«Da habt ihr ein Haus», sprach das Stierlein, «lebt da und trauert nicht! Zündet auf dem Hof ein Reisigfeuer an, erstecht mich und verbrennt mich in dem Feuer!»
«Ach», riefen die Königskinder, «warum sollen wir dich erstechen? Lebe lieber mit uns, wir werden dich hegen und pflegen, werden dich füttern mit frischem Grase und deinen Durst löschen mit frischem Quellwasser.»
«Nein, ihr Kinder, erstecht mich, verbrennt meinen Leib und streut die Asche auf drei Beete! Aus dem einen Beet wird ein Rößlein springen, aus dem andern ein Hündlein und aus dem dritten ein Apfelbaum wachsen. Du, Königssohn Johannes, reite das Roß und geh auf die Jagd mit dem Hündlein!» Und so geschah es.
Eines Tages wollte Königssohn Johannes auf die Jagd reiten. Er nahm Abschied vom Schwesterchen, setzte sich auf sein Roß und ritt in den Wald. Er schoß eine Gans, eine Ente, fing noch ein lebendes Wölfchen und brachte dies alles nach Hause.
Der Königssohn sah, daß ihm das Jagen gelang, ritt abermals aus, schoß mancherlei Geflügel und fing einen kleinen Bären.
Zum dritten Male begab er sich auf die Jagd, aber diesmal vergaß er, das Hündlein mit sich zu nehmen.
Um diese Zeit ging die Königstochter Maria an den See, um Wäsche zu waschen. Ans andere Ufer des Sees aber kam der sechsköpfige Drache geflogen. Er verwandelte sich in einen wunderschönen Jüngling, sah die Königstochter und rief mit schmeichelnder Stimme:
«Sei gegrüßt, schöne Jungfrau!»
«Sei gegrüßt, tapferer Jüngling!»
«Ich habe von alten Leuten vernommen, daß in vergangenen Zeiten dieser See noch nicht bestand. Wenn man eine hohe Brücke darüber schlagen könnte, käme ich auf die andere Seite, um dich zu freien.»
«Warte, die Brücke wird gleich fertig sein», antwortete ihm die Königstochter Maria.
Sie warf das Handtuch, und alsbald bog und wölbte es sich als hohe, schöne Brücke über den See. Der Drache ging über die Brücke, nahm seine Gestalt wieder an, schloß das Hündchen des Königssohns ein und warf den Schlüssel in den See. Dann packte er die Königstochter und trug sie davon.
Königssohn Johannes kam von der Jagd zurück -ach, die Schwester war verschwunden, und das Hündchen heulte im verschlossenen Raum! Da erblickte er die Brücke über dem See und sprach: «Gewiß hat der Drache meine Schwester entführt.»
Und er machte sich auf, um die Königstochter Maria zu suchen.
Der Königssohn ging und ging. Im freien Felde stand ein Hüttchen auf Hühnerfüßchen und Hundepfötchen.
«Hüttchen, Hüttchen, dreh dich zum Wald mit dem Rücken, zu mir mit der Vorderseite!»
Das Hüttchen drehte sich um, und Königssohn Johannes trat hinein. In dem Hüttchen lag die Baba Jaga mit dem Knochenbein, lag von einem Winkel zum andern, die Nase in die Decke gewachsen.
«Fuh, fuh, fuh, bis heute habe ich nichts vom russischen Geist gehört, aber jetzt ersteht der russische Geist vor meinen Augen und. in die Nase wirft er sich auch! Warum bist du gekommen, Königssohn Johannes?»
«Ach, wenn du meinem Leide abhelfen könntest!»
«Was für ein Leid hast du?» Der Königssohn erzählte ihr alles.
«Nun, Königssohn Johannes, geh nach Hause, auf deinem Hofe wächst ja ein Apfelbaum! Brich drei grüne Reiser ab, ficht sie zusammen und da, wo das Hündchen eingeschlossen ist, schlage auf das Schloß! Sofort wird das
Schloß in kleine Stücke zerspringen, dann greife furchtlos den Drachen an, er kann dir nicht widerstehen.»Königssohn Johannes kehrte nach Hause zurück und befreite das Hündlein. Wütend sprang es heraus. Er nahm noch das Wölfchen und das Bärlein und ging auf den Drachen los. Die Tiere warfen sich auf den Drachen und zerrissen ihn in Stücke.
Königssohn Johannes aber nahm die Königstochter Maria wieder zu sich, und sie fingen an, miteinander zu leben, und sie lebten und lebten und mehrten ihr Hab und Gut.
DIE BEINE BIS ZU DEN KNIEN IN SILBER,
DIE ARME BIS ZU DEN ELLENBOGEN IN GOLD
Der König Dodon hatte drei Töchter. Da kam der Königssohn Johannes, um zu freien. Seine Beine waren bis zu den Knien aus Silber, seine Arme bis zu den Ellenbogen aus Gold, mitten auf der Stirn hatte er die schöne Sonne und am Hinterhaupt den hellen Mond.
Und er fing an, beim König Dodon um die Töchter zu werben: «Ich nehme diejenige zum Weibe, die mir in drei Schwangerschaften sieben prächtige Knaben gebiert, alle so, wie ich es bin: die Beine bis zu den Knien in Silber, die Arme bis zu den Ellenbogen in Gold, mitten auf der Stirn sollen sie die schöne Sonne tragen und am Hinterhaupt den hellen Mond.»
Da sprang die Jüngste auf, Maria, Dodons Tochter: «Ich werde dir in drei Schwangerschaften sieben prächtige Knaben zur Welt bringen, und noch bessere und schönere als du bist!»
Das gefiel dem Königssohn Johannes, und er nahm die Königstochter Maria zum Weibe. Eine kurze Zeit verging, und sie ward schwanger. Der Königssohn aber mußte in sein Amt.
«Wie, du willst mich verlassen?» fragte Maria, die Königstochter.
«Ich werde nach deiner Schwester schicken!»
Die Schwester kam, und der Königssohn fuhr fort.
Als die Zeit gekommen war, brachte Maria, die Königstochter, drei prächtige Knaben zur Welt. Alle drei hatten die Beine bis zu den Knien in Silber, die Arme bis zu den Ellenbogen in Gold, auf der Stirn die schöne Sonne und am Hinterhaupt den hellen Mond. Zu ihrem Unglück hatte um dieselbe Zeit eine Hündin ihre Jungen geworfen. Die Schwester nahm der Königstochter Maria ihre drei Söhnlein fort und setzte sie auf einer Insel aus. Als der Königssohn Johannes nach Hause kam, brachte sie ihm drei junge Hunde
und sprach: «Sieh her, da hat deine Prahlerin drei junge Hunde zur Welt gebracht!»«Nun», sagte Königssohn Johannes, «warten wir auf die nächste Geburt!»
Zum zweiten Male wurde Maria, Dodons Tochter, schwanger. Zum zweiten Male mußte Königssohn Johannes in sein Amt, und seine Frau brachte abermals drei prächtige Knaben zur Welt. Zu ihrem Unglück warf die Hündin zur selben Stunde wiederum drei Junge. Die Schwester nahm die Kindlein weg, zeigte sie der Mutter nicht und setzte sie auf derselben Insel aus.
Als der Königssohn Johannes nach Hause kam, zeigte sie ihm drei junge Hunde und sprach: «Schon wieder hat deine Prahlerin drei junge Hunde zur Welt gebracht!»
«Nun», sagte Königssohn Johannes, «warten wir bis zur dritten Geburt!» Zum dritten Male wurde Maria, Dodons Tochter, schwanger, und Königssohn Johannes mußte abermals in sein Amt.
Sie gebar einen Knaben, aber zu ihrem Unglück warf auch die Hündin zur selben Zeit Junge. Maria, Dodons Tochter, zeigte das Kindlein keinem Menschen und verbarg es am Busen. Die Schwester aber ließ nicht ab: «Wenn du mir das Kind nicht zeigst, erwürge ich dich!» Aber nein, Maria, Dodons Tochter, zeigte es nicht.
Als der Königssohn Johannes nach Hause kam, brachte ihm die Schwester das junge Hündchen und sprach: «Sieh her, deine Prahlerin hat schon wieder einen jungen Hund zur Welt gebracht!»
Da schloß der Königssohn Johannes Maria, Dodons Tochter, in ein Faß ein und ließ das Faß ins blaue Meer hinab.
Maria schwamm und schwamm im blauen Meer. Das Kindlein wuchs und wuchs und fing an zu sprechen: «Mütterchen, darf ich mich strecken?» «Nein, mein Seelchen, das Faß schurrt noch nicht, unter uns ist noch die große Tiefe, wir würden untergehen!»
Das Faß schwamm weiter und weiter, und die Wellen trugen es näher und immer näher zum Ufer, und auf einmal schurrte es auf dem Sand. «Jetzt, Mütterlein, jetzt sitzen wir auf dem Sand, darf ich mich nun strecken?»
«Ja, nun strecke dich, mein Liebling!»
Er streckte sich, und die eisernen Bänder brachen. Mutter und Sohn stiegen aus dem Faß und kamen auf die Insel, gingen hin und her und suchten einen Weg. Wo sollten sie hin? Sie gingen und gingen und fanden auf einmal einen schmalen Pfad. Auf diesem Pfade gingen sie weiter. Sie gingen und gingen und standen plötzlich vor einem Hause. Sie traten in das Haus hinein und sahen sich um, sahen hin und her: überall auf den Stühlen lagen Hemden, getragen und ungewaschen. Maria, Dodons Tochter, nahm sogleich
die Hemden, wusch und spülte sie, trocknete und glättete sie und legte sie zusammengefaltet in die rechte vordere Ecke (Heiligenecke). Und sie sah sich abermals um: alles Geschirr stand gebraucht auf dem Tisch, abgegessen und stehengelassen. Sie nahm das Geschirr, wusch und trocknete es und fegte den Fußboden. Und es wurde überall sauber.Danach sprach Maria zu ihrem Sohn: «Ich höre jemanden kommen, schnell, verstecken wir uns hinter dem Ofen!»
Sie versteckten sich hinter dem Ofen, standen dort ein Weilchen, und siehe, in die Stube traten sechs Jünglinge. Die kamen herein und freuten sich, daß alles so sauber und aufgeräumt war. «Wer war bei uns, wer hat gewaschen und aufgeräumt? Zeige dich! Wenn du eine schöne Jungfrau bist, sollst du unser leibliches Schwesterlein sein, bist du aber ein halbes Jahrhundert alt, so sei unser richtiges Mütterlein!»
Da kam Maria, Dodons Tochter, hinter dem Ofen hervor. Die sechs Jünglinge warfen sich ihr an den Hals und riefen: «Nun, so sei du unser liebes Mütterlein!»
Und sie fingen an, miteinander zu leben. Und sie fragten sie aus: «Woher kommst du zu uns, du liebes Mütterlein?»
Und Maria erzählte ihnen: «Königssohn Johannes war mein Gemahl. In meinem ersten Kindbett habe ich ihm drei Knaben geboren, die Beine bis zu den Knien in Silber, die Arme bis zu den Ellenbogen in Gold, auf der Stirn die schöne Sonne, am Hinterhaupt den hellen Mond. Die Schwester hat sie genommen und fortgetragen, und sie hat zu meinem Gemahl gesagt: <Sieh her, Königssohn Johannes, was deine Prahlerin zur Welt gebracht hat, drei junge Hunde!' Johannes aber hat mir nichts angetan bis zum zweiten Kindbett. Und wieder brachte ich drei Knaben zur Welt, die Beine bis zu den Knien in Silber, die Arme bis zu den Ellenbogen in Gold, auf der Stirn die schöne Sonne und am Hinterhaupt den hellen Mond. Abermals hat sie die Schwester beiseite geschafft und meinem Mann drei junge Hunde gezeigt, und Johannes, der Königssohn, hat mir nichts angetan bis zum dritten Kindbett. Beim dritten Male habe ich nur einen Knaben geboren und ihn an meinem Busen versteckt. Wieder lief die Schwester zu Johannes, dem Königssohn, zeigte ihm einen Hund und sprach: <Sieh her, was deine Prahlerin zur Welt gebracht hat!' Da hat mich der Königssohn in ein Faß gesteckt und hinabgelassen ins blaue Meer. Lange Zeit sind wir umhergeschwommen, mein Söhnlein wurde groß, streckte sich, und das Faß brach entzwei. Wir kamen auf diese Insel und hier in euer Haus. Und ihr, meine Kinder, wo seid ihr geboren, wo seid ihr erzogen?»
«Wo wir geboren sind, wissen wir nicht, groß geworden sind wir auf dieser Insel, und hier hat uns eine Löwin mit ihrer Milch gesäugt.» Damit nahmen die Jünglinge ihre Kappen ab, und Maria, Dodons Tochter, sah, daß
sie alle auf der Stirn die schöne Sonne trugen und am Hinterhaupt den heilen Mond.«Ach, meine lieben Kinder, ihr seid ja von mir geboren!» und vor Freude fiel sie tot zur Erde. Die Söhne aber hoben sie auf und neben sie, und sie wurde wieder lebendig. Danach sprachen sie zu ihr: «Liebes Mütterlein, segne uns für den weiten Weg, wir wollen gehen und unser Väterchen suchen!»
«Gott segne euch!»
Und sie gingen alle sieben fort.
Endlich kamen sie in das Reich des Königssohns Johannes. Sie fragten nach ihm, und man ließ sie sofort in das Schloß hinein. Alle sieben hatten' die Kappen tief in die Stirn gezogen. «Königssohn Johannes, willst du eine Geschichte hören?»
«Ja, ich höre Geschichten gern.»
Und die Jünglinge erzählten, wie die böse Muhme sie auf einer Insel ausgesetzt hatte, wie sie groß wurden und die Mutter fanden. Und dann nahmen sie die Kappen ab, und Königssohn Johannes erkannte, daß es seine Kinder waren. Alle hatten die Beine bis zu den Knien in Silber, die Arme bis zu den Ellenbogen in Gold, auf der Stirn die schöne Sonne und am Hinterhaupt den hellen Mond. Königssohn Johannes umarmte die Söhne und, ohne zu zögern, sandte er Boten nach seiner Frau aus.
Die böse Muhme aber wurde anden Schweif eines Rosses gebunden. Der Königssohn jagte den Hengst mit seiner Peitsche, und der flog wie ein Pfeil ins freie Feld. Da wurde sie zerstückelt und zerstreut - weithin über Gebüsch und Abgrund.
Maria, Dodons Tochter, aber kehrte zu ihrem Gemahl zurück, und sie lebten und lebten und mehrten ihr Hab und Gut.
DIE BEINE BIS ZU DEN KNIEN IN GOLD,
DIE ARME BIS ZU DEN ELLENBOGEN IN SILBER
In einem Reich, in einem Weltreich lebten einmal ein König und eine Königin, die hatten drei Töchter, drei leibliche Schwestern. Die älteste Tochter sprach zu ihren Schwestern: «Ihr Schwesterlein, wollen wir in der Dämmerung zum Großmütterchen im Hinterhof gehen? Wollen wir mit ihr reden und uns raten lassen?» Sie waren einig und gingen.
«Sei gegrüßt, Großmütterlein! Wir haben im Sinn, mit dir zu reden und uns raten zu lassen.»
«Willkommen, meine Mädchen!»
Da sprach die älteste Königstochter: «Wenn mich Johannes, der Königssohn freien würde, ich würde ihm einen fliegenden Teppich sticken. Damit kann er fliegen, wohin er will.»
Johannes, der Königssohn, aber stand unter dem Fenster, hörte ihnen zu und dachte bei sich: Bah, was ist das schon für eine Tat! Den fliegenden Teppich kann ich mir selber beschaffen.
Die zweite Königstochter sagte: «Wenn mich Johannes, der Königssohn, freien würde, ich würde ihm meinen Kater mitbringen, der Märchen erzählen kann, und diese Märchen kann man drei Werst weit hören.»
Johannes, der Königssohn, dachte bei sich: Bah, was ist das schon, den Kater, der Märchen erzählt, kann ich mir selber beschaffen.
Die jüngste Königstochter aber sprach: «Wenn mich Johannes, der Königssohn, freien würde, würde ich ihm neun Söhne gebären, die Beine bis zu den Knien in Gold, die Arme bis zu den Ellenbogen in Silber, die Schläfen dicht voller Sternlein!»
Johannes, der Königssohn, hörte diese jungfräulichen Reden, fuhr heim zu Vater und Mutter und sprach: «Väterchen, Mütterchen, ich möchte mich vermählen. Ich nehme mir die jüngste Königstochter aus dem dreimal zehnten Reich.» Vater und Mutter segneten ihn, und er zog aus, um seine Braut zu holen.
Er kam in die weiten Länder, verbeugte sich vor dem König und bat: «Gib mir deine jüngste Tochter!»
Der König rüstete die Hochzeit und stellte die eichenen Tische auf. Den Königssohn und seine Braut setzte er an den besten Platz. Sie aßen und tranken und waren fröhlich, bis die Hochzeit zu Ende war.
Königssohn Johannes lebte ein Jahr oder zwei bei seinem Schwiegervater. Da bekam er ein Schreiben, daß Vater und Mutter gestorben seien, und die Zeit für ihn gekommen wäre, sein Reich zu übernehmen. Er fuhr mit Marta, seiner jungen Gemahlin, in sein Land und trat dort die Herrschaft an.
Ob viel Zeit verging oder wenig nur -die Königin ward schwanger. Königssohn Johannes aber ritt auf die Jagd, im freien Feld sich zu ergehen und Gänse und Schwäne zu jagen. Und er blieb lange Zeit fort. Ohne ihn brachte Marta drei Söhnlein zur Welt: die Beine bis zu den Knien in Gold, die Arme bis zu den Ellenbogen in Silber und die Schläfen dicht voller Sternlein. Man konnte sich nicht daran satt sehen. Die Königin schickte sogleich einen Boten zur weisen Frau.
Auf dem Wege begegnete dem Boten die Baba Jaga und fragte: «Wo gehst du hin?»
Der Bote antwortete: «Gar nicht weit, nur in die Nähe.»
«Sage wohin, wenn du es nicht sagst, verschlinge ich dich!»
«Ich gehe, die weise Frau zu holen. Die Königin Marta hat drei Söhnlein geboren, gerade so, wie sie es versprochen hat.»
«Nimm mich als Hebamme!» sagte die Baba Jaga.
«Nein, Baba Jaga, ich wage es nicht, dich zu nehmen. Königssohn Johannes würde mir den Kopf abschlagen lassen.»
«Gut, dann verschlinge ich dich!»
«Nun, was soll ich tun? Komm mit!»
Die Baba Jaga kam ins Schloß und fing ihr böses Werk an. Sie nahm der Königstochter Marta die Söhnlein fort und ließ ihr dafür drei häßliche Hunde. Dann lief sie in den Wald und versteckte die Kindlein neben einer alten Eiche unter der Erde.
Als Johannes, der Königssohn, nach Hause kam, meldete man ihm sofort, daß seine Frau ihm nur drei Hunde geboren hätte. Er wurde sehr zornig, befahl, die Hunde ins Meer zu werfen und wollte Marta den Kopf abschlagen. Dann aber besann er sich. «Nun», sagte er, «einen ersten Fehler kann man verzeihen. Warten wir bis zur zweiten Geburt!»
Ob viel Zeit verging oder wenig nur - seine Frau wurde zum zweiten Male schwanger. Johannes, der Königssohn, ging wieder auf die Jagd. Marta, die Wunderschöne, wollte ihn nicht ziehen lassen und weinte bitterlich. Aber er hörte nicht auf sie, bestieg sein Roß und ritt ins freie Feld.
Als die Zeit gekommen war, brachte Marta, die Wunderschöne, sechs Söhnlein zur Welt: die Beine bis zu den Knien in Gold, die Arme bis zu den Ellenbogen in Silber und die Schläfen voll strahlender Sternlein. Man konnte sich nicht daran satt sehen. Sie schickte den Boten zur weisen Frau. «Rufe ja nicht die Baba Jaga!» befahl sie mit Tränen in den Augen. Der Bote ging, unterwegs aber begegnete ihm die Baba Jaga und fragte: «Wo gehst du hin?»
«So -nicht weit.»
«Sag wohin, wenn du es nicht sagst, werde ich dich verschlingen!»
«Ach, Baba Jaga, ich gehe zur Hebamme. Marta, die Wunderschöne, hat sechs Söhnlein geboren: die Beine bis zu den Knien in Gold, die Arme bis zu den Ellenbogen in Silber und die Schläfen dicht voller Sternlein.»
«Nimm mich als Hebamme!»
«Nein, ich nehme dich nicht, ich fürchte mich vor dem Königssohn Johannes. Er wird mir den Kopf abschlagen.»
«Wenn du mich nicht nimmst», drohte die Baba Jaga, «werde ich dich auf der Stelle bis aufs letzte Knöchelchen verschlingen!»
«Nun, so wollen wir gehen.»
Die Baba Jaga kam zum Schloß und brachte sechs häßliche Hunde. Als Marta, die Wunderschöne, sie erblickte, nahm sie eins von ihren Söhnlein
und versteckte es in ihrem Ärmel. Die Baba Jaga legte ihr die häßlichen Hunde ins Bett und nahm die fünf Kinderlein mit. Sie suchte nach dem sechsten, suchte und suchte, aber sie fand es nicht. Die anderen nahm sie mit sich in den dunklen Wald.Als Johannes, der Königssohn, nach Hause kam, meldete man ihm sofort, daß seine Frau wieder Hunde zur Welt gebracht habe. Furchtbarer Zorn überfiel ihn. Er befahl, die Königstochter Marta in ein Faß zu stecken, um das Faß eiserne Reifen zu legen, es fest zu verschließen und zu verpichen und in das Meer zu werfen. Im selben Augenblick wurde alles ausgeführt. Man setzte die Königstochter mit ihrem Söhnlein in ein Faß, schlug es zu, verpichte es und ließ es ins weite Meer hinab.
Lange Zeit schwamm das Faß auf dem Meer. Endlich trieb es zu einem Ufer hin und saß fest auf dem Sande. Der Sohn der Königin Marta wuchs nicht täglich, sondern stündlich. Als er groß geworden war, sprach er: «Mütterchen, ich will mich strecken!»
«Strecke dich, mein Kindchen!»
Er streckte sich, und das Faß zerbrach. Mutter und Sohn traten heraus und kamen auf einen hohen, hohen Berg. Der Sohn der Marta schaute nach allen Seiten und sprach: «Mütterlein, wenn hier ein Haus stünde mit einem grünen Garten darum, dann wäre dies ein schönes Leben!» Die Mutter aber sagte: «Gott gebe es!»
Und zur selben Stunde ward dort ein großes Reich. Es erstanden weißsteinerne Paläste, von grünen, kühlen Gärten umrahmt, und zu diesen Palästen führte ein breiter, glatter, festgetretener Weg.
Und auf diesem Weg kamen die Bettler, die armseligen Leute gezogen und baten um ein frommes Almosen. Marta, die Wunderschöne, rief sie alle zusammen in die weißsteinernen Paläste, gab ihnen zu essen und zu trinken und begleitete sie bis zum Tor.
Die Bettler, die armseligen Leute, zogen zu Johannes, dem Königssohn, und erzählten ihm: «An einem Ort, wo früher nur hohe Berge waren, undurchdringliche Wälder und tiefe Bäche, ist jetzt ein gewaltiges Reich erstanden. Dort wohnt eine Witwe mit ihrem Sohn. Und dieser Sohn ist von so großer Schönheit - noch nie hat ein Mensch so etwas gesehen, noch nie davon gehört: die Füße bis zu den Knien in Gold, die Arme bis zu den Ellenbogen in Silber und die Schläfen dicht voller Sternlein. Man kann sich nicht daran satt sehen. Und Mutter und Sohn haben uns Armen Speise und Trank gegeben, Brot für den Weg und ein Ehrengeleite.»
Johannes, der Königssohn, sprach: «Soll ich nicht hingehen und selber sehen, was für ein Reich dort ist?»
Aber die Baba Jaga, die bei dem Königssohn lebte, hörte diese Reden und sprach: «Was ist das schon für ein Wunder? Ich habe im Wald bei einer
alten Eiche acht solcher Jünglinge sitzen, und alle haben die Beine bis zu den Knien in Gold, die Arme bis zu den Ellenbogen in Silber und die Schläfen dicht voller Sternlein.»Und Johannes, der Königssohn, blieb zu Hause und fuhr nicht in das neue Reich.
Und wiederum pilgerten die Bettler, die armseligen Leute dahin, um die frommen Almosen zu erbitten. Marta, die Wunderschöne, rief sie alle zusammen in die weißsteinernen Paläste, gab ihnen Speise und Trank und ein Lager für die Nacht. Am anderen Tag fragte sie alle: «Ihr Krüppel, ihr lautstimmigen, wo waret ihr, wo seid ihr gewesen, was habt ihr gehört?»
Und die Krüppel antworteten: «Als wir weggegangen waren von dir, wanderten wir geradeswegs zu dem Königssohn Johannes, und er hat sich zu uns gesetzt und uns gefragt: <Wo habt ihr etwas gesehen, wo habt ihr etwas gehört?' Wir haben ihm alles erzählt, daß wir dein neues Reich gesehen haben, daß du hier als Witwe lebst und einen Sohn hast, wie es keinen schöneren auf der ganzen weiten Welt mehr gibt. Königssohn Johannes wollte kommen und alles betrachten, aber die Baba Jaga ließ ihn nicht los. <Na', sagte sie, <was ist das schon für ein Wunder, ich habe bei mir im Walde bei der alten Eiche acht solcher prächtigen Jünglinge leben, und alle haben die Beine bis zu den Knien in Gold, die Arme bis zu den Ellenbogen in Silber und die Schläfen dicht voller Sternlein.'»
Als die Bettler, die armseligen Leute, weggegangen waren, sagte Marta, die Wunderschöne, zu ihrem Sohn: «Das sind doch meine Kinder, deine Brüder, die da im Walde bei der alten Eiche sind!»
«Mütterlein», antwortete der Sohn, «gib mir ein wenig Brot mit, ich gehe hin, hole die Brüder und bringe sie heim.»
«Geh mit Gott, mein Kind», sagte die Mutter, nahm Milch aus ihrer eigenen Brust, buk acht Brote, gab sie ihm und segnete ihn für den Weg.
Ob viel Zeit verging oder wenig nur - der gute tapfere Jüngling schritt dahin. Schnell ist ein Märchen erzählt, nicht so schnell eine Tat getan.
Er kam zu der alten Eiche. Bei dieser Eiche lag ein ganz großer Stein. Der Jüngling wälzte den Stein zur Seite und erblickte seine Brüder, drunten in der Erde saßen sie um einen Tisch. Er ließ jedem von ihnen ein Brot hinab. Die Brüder aßen das Brot und fingen an zu weinen: «Die Brote sind mit der Milch unserer Mutter gebacken!» Da ließ der Jüngling feste Riemen hinab und zog sie alle herauf in die freie Welt. Sie begrüßten einander, küßten sich und gingen heim zur Mutter.
Marta, die Wunderschöne, lief heraus, aus ihrem Schloß, ihnen entgegen. Sie streichelte und küßte sie und drückte sie an ihr Herz. Und von nun an lebten sie alle zusammen.
Wieder kamen die Bettler, die armseligen Leute, gezogen, um die frommen
Almosen zu erbitten. Marta, die Wunderschöne rief sie herein in den weißsteinernen Palast, gab ihnen Speise und Trank und ein Lager für die Nacht. Am anderen Tage gab sie ihnen Brot auf den Weg und das Ehrengeleite.Die Bettler kamen zu Johannes, dem Königssohn, und er fing an, sie zu fragen: «Ihr Krüppel, ihr lautstimmigen, wo wart ihr, wo seid ihr gewesen, was habt ihr gesehen?»
«Wir waren - wir sind im neuen Reich gewesen und haben die Nacht darin zugebracht. Die junge Witwe gab uns zu essen und zu trinken und noch Brot für den Weg. Und sie hat neun Söhne, schönere gibt es auf der ganzen Welt nicht mehr - alle haben die Beine bis zu den Knien in Gold, die Arme bis zu den Ellenbogen in Silber und die Schläfen dicht voller Sternlein.»
Königssohn Johannes gab sofort den Befehl, die Pferde vorzuführen. Die Baba Jaga hatte nichts mehr, womit sie sich brüsten konnte, sie saß und schwieg.
Königssohn Johannes fuhr in das neue Reich.
Ob viel Zeit verging oder wenig nur - auf einmal erblickte er eine große Stadt und hielt an vor den weißsteinernen Palästen. Marta, die Wunderschöne, und die neun Söhne kamen ihm entgegen. Sie fielen sich in die Arme, küßten sich, vergossen viele süße Tränen und gaben ein Fest für die ganze getaufte Welt.
Und ich bin auch auf diesem Feste gewesen und habe Bier und Wein getrunken. Es floß mir über den Bart, aber es kam nichts in meinen Mund.
MARIA, DIE TOCHTER DES MEERES
In einem Reich, in einem Weltreich, lebte einmal der Königssohn Johannes. Er hatte drei Schwestern: die erste hieß Königstochter Maria, die zweite Königstochter Olga und die dritte Königstochter Anna. Die Eltern waren gestorben. Sterbend hatten sie ihrem Sohne Johannes anbefohlen: Den Freiem, die sich zuerst um deine Schwestern bewerben, sollst du sie geben, behalte sie nicht zu lange bei dir! Der Königssohn begrub seine Eltern. Und vor Kummer erging er sich mit den Schwestern in den grünen Gärten.
Da zog plötzlich am Himmel eine schwarze Wolke herauf, und es kam ein fürchterliches Gewitter. «Laßt uns nach Hause gehn, ihr Schwesterlein!» sagte Königssohn Johannes.
Als sie in das Schloß gekommen waren, rollte der Donner, die Zimmerdede
öffnete sich, und herein zu ihnen flog ein heller Falke. Der Falke schlug auf den Boden, verwandelte sich in einen schönen Jüngling und sprach: «Sei gegrüßt, Königssohn Johannes! Früher bin ich als Gast bei dir gewesen, aber heute komme ich als Freiersmann. Ich werbe bei dir um die Hand deiner Schwester, der Königstochter Maria.»«Wenn dich meine Schwester mag, so halte ich sie nicht; möge sie in Gottes Namen ziehen!»
Die Königstochter Maria willigte ein, der Falke nahm sie zur Frau und führte sie in sein Reich.
Stunden folgten auf Stunden, Tage auf Tage, ein ganzes Jahr verflog, als ob nichts geschehen wäre. Wieder einmal ging Königssohn Johannes mit seinen beiden Schwestern in den grünen Gärten spazieren. Abermals zog eine Wolke herauf, der Wirbelwind toste, und die Blitze zuckten. «Laßt uns nach Hause gehen, ihr Schwesterlein!» sagte Königssohn Johannes.
Kaum waren sie in das Schloß gekommen, da rollte der Donner, das Dach zerfiel, die Zimmerdecke teilte sich in zwei Teile, und ein Adler stieß herab. Der Adler schlug auf den Boden und verwandelte sich in einen schönen Jüngling.
«Sei gegrüßt, Königssohn Johannes! Früher bin ich als Gast bei dir gewesen, heute komme ich als Freiersmann.» Und er warb um die Königstochter Olga.
«Wenn die Königstochter Olga dich liebt, so mag sie dir folgen; ich werde ihr ihre Freiheit nicht nehmen.»
Die Königstochter Olga willigte ein, der Adler erhob sich mit ihr und nahm sie mit sich in sein Reich.
Wieder verging ein Jahr. «Lass' uns ein wenig im grünen Garten spazierengehen», sprach Königssohn Johannes zu seiner jüngsten Schwester. Als sie so gingen, erhob sich abermals eine Wolke unter Sturmwind und Blitz. «Lass' uns heimkehren, Schwesterlein!»
Eben traten sie ins Gemach, da rollte der Donner, die Zimmerdecke tat sich auseinander, und ein Rabe flog herab. Er schlug auf den Boden und verwandelte sich in einen schönen Jüngling. Wohl waren die anderen Freier schön, aber dieser war der herrlichste von allen.
«Königssohn Johannes, früher kam ich als Gast zu dir, aber heute erscheine ich als Freiersmann. Gib mir die Königstochter Anna zur Frau!»
«Ich werde der Schwester die Freiheit nicht nehmen; wenn sie dich liebt, mag sie mit dir gehen.»
Die Königstochter folgte dem Raben, und er führte sie in sein Reich.
Königssohn Johannes blieb allein zurück. Ein ganzes Jahr lebte er ohne die Schwestern, und er fing an, sich nach ihnen zu sehnen. «Ich werde mich aufmachen und die Schwestern aufsuchen», sagte er. "ç
Er machte sich auf den Weg - ging und ging. Und plötzlich sieht er - da liegt ein ganzes Heer erschlagen auf dem Felde. «Wer erschlug dies ganze große Heer? Lebt noch ein Mensch, so rufe er!»
Da antwortete einer: «Maria, die Tochter des Meeres, die Königstochter, hat dieses ganze große Heer erschlagen!»
Königssohn Johannes zog weiter, bis er zu weißen Zelten kam. Da trat heraus Maria, die Tochter des Meeres, die herrliche Königstochter. «Sei gegrüßt, Königssohn, wohin führt dich Gott? Gehst du freiwillig oder unfreiwillig?»
Königssohn Johannes antwortete: «Rechtschaffene Burschen fahren nicht unfreiwillig daher!»
«Nun, wenn dein Vorhaben keine Eile hat, so bleibe als Gast in meinen Zelten!»
Königssohn Johannes war gern dazu bereit und blieb zwei Nächte in den Zelten der Königstochter. Und er gewann sie lieb und nahm sie zum Weibe. Maria, die Tochter des Meeres, die wunderschöne Königstochter, nahm ihn mit sich in ihr Reich.
Wie lange sie dort lebten, weiß niemand zu sagen. Da gedachte die Königstochter in den Krieg zu ziehen. Sie übergab Königssohn Johannes das ganze Hauswesen und trug ihm auf: «Überall magst du hingehen, über alles die Aufsicht führen, aber in die kleine Kammer sollst du nicht hineinschauen!»
Aber Königssohn Johannes hielt es nicht aus. Als Maria, die Tochter des Meeres, abgefahren war, eilte er sogleich zu der Kammer, öffnete die Tür und schaute hinein. Da hing der unsterbliche Knochenmann angeschmiedet an zwölf eiserne Ketten. «Erbarme dich und gib mir zu trinken!» rief der Knochenmann. «Schon zehn Jahre schmachte ich hier, aß nicht und trank nicht, ganz trocken ist meine Kehle.»
Der Königssohn gab ihm einen ganzen Eimer voll Wasser, und der Knochenmann trank ihn aus. «Mit einem Eimer ist mein Durst noch nicht gelöscht, gib mir mehr!»
Der Königssohn gab ihm einen zweiten Eimer. Auch diesen trank 'r aus und verlangte einen dritten. Als er aber den dritten ausgetrunken hatte, kehrte seine alte Kraft zurück. Er rüttelte an den zwölf Ketten, und plötzlich zerrissen sie. «Ich danke dir, Königssohn Johannes», sprach der unsterbliche Knochenmann, «jetzt sollst du Maria, die Tochter des Meeres, nie mehr mit Augen sehen, so wenig wie deine eigenen Ohren!» In einem schrecklichen Sturmwind wirbelte er zum Fenster hinaus, holte Maria, die Tochter des Meeres, die Königstochter, ein, ergriff sie und führte sie mit sich davon.
Königssohn Johannes weinte heiße, heiße Tränen. Dann rüstete er sich und zog in die Welt: «Was auch kommen mag, ich werde Maria, die Tochter des Meeres, finden!»
Er wanderte einen Tag, zwei Tage, bei Anbruch des dritten Tages erblickte er ein wunderbares Schloß. Vor dem Schlosse stand eine Eiche, und auf der Eiche saß ein lichter Falke. Der Falke flog herab, schlug auf den Boden, verwandelte sich in einen stattlichen Jüngling und rief: «Wie hat dich der Herrgott gnädig geführt!» Auch die Königstochter Maria empfing ihn voll Freude, fragte nach seiner Gesundheit und erzählte von ihrem eigenen Leben und Treiben.
Der Königssohn blieb drei Tage bei ihnen zu Gaste. Dann sprach er: «Ich kann nicht länger bei euch bleiben, ich gehe, mein Weib suchen, Maria, die Tochter des Meeres, die herrliche Königin.»
«Schwer wird es sein, sie aufzufinden», versetzte der Falke. «Aber auf jeden Fall lass' uns dein silbernes Löffelchen hier, wir werden nach ihm schauen und dabei an dich denken!»
Königssohn Johannes ließ ihnen sein silbernes Löffelchen und machte sich auf den Weg. Er ging einen Tag, einen zweiten - bei Anbruch des dritten Tages erblickte er ein Schloß, schöner als das erste. Neben dem Schloß stand ein Eichbaum, oben auf dem Eichbaum saß ein Adler. Der Adler flog vom Baume herab, schlug auf die Erde, verwandelte sich in einen stattlichen Jüngling und rief: «Steh auf, Königstochter Olga, unser lieber Bruder ist da!» Königstochter Olga lief ihm sogleich entgegen, umarmte und küßte ihn, fragte ihn nach seiner Gesundheit und erzählte von ihrem eigenen Leben und Treiben.
Drei Tage blieb Königssohn Johannes bei ihnen zu Caste. «Länger darf ich nicht verweilen», sagte er, «ich gehe mein Weib suchen, Maria, die Tochter des Meeres, die herrliche Königin.»
«Schwer wird es sein, sie aufzufinden», antwortete der Adler. «Aber lass' uns doch dein silbernes Gäbelchen da, wir werden es betrachten und dabei an dich denken!»
Königssohn Johannes gab ihnen das silberne Gäbelchen und zog seines Weges. Er ging einen Tag, einen zweiten - bei Anbruch des dritten Tages erblickte er ein Schloß, schöner als die beiden andern. Neben dem Schlosse stand ein Eichbaum, und auf dem Eichbaum saß ein Rabe. Der Rabe flog herab, schlug auf die Erde, verwandelte sich in einen stattlichen Jüngling und rief: «Königstochter Anna, komm heraus, unser Bruder ist da!» Königstochter Anna eilte heraus, empfing ihn voller Freude, umarmte und küßte ihn, fragte nach seiner Gesundheit und erzählte von ihrem eigenen Leben und Treiben.
Der Königssohn blieb drei Tage bei ihnen zu Gast. Danach sprach er zu ihnen: «Lebt wohl, ich will gehen, mein Weib zu suchen, Maria, die Tochter des Meeres, die herrliche Königin.»
«Schwer ist es für dich, sie aufzufinden», erwiderte der Rabe. «Doch lass'
uns dein silbernes Döschen hier, wir werden es betrachten und dabei an dich denken!»Der Königssohn gab ihnen sein silbernes Döschen, nahm Abschied und zog weiter. Er wanderte einen Tag, einen zweiten - am dritten gelangte er zu Maria, der Tochter des Meeres. Als sie ihren Geliebten erblickte, warf sie sich an seinen Hals, vergoß bittere Tränen und sprach: «Warum hast du nicht auf mich gehört? Du schautest in die Kammer und ließest den unsterblichen Knochenmann heraus.»
«Verzeihe mir, Maria, Tochter des Meeres, denke nicht an das Vergangene! Lass' uns heimkehren, solange der unsterbliche Knochenmann nicht zu sehen ist. Vielleicht entkommen wir ihm!»
Sie machten sich bereit und eilten davon. Aber der Knochenmann war auf der Jagd gewesen und kehrte gegen Abend zurück. Da strauchelte sein gutes Roß.
«Was stolperst du, hungrige Schindmähre, oder witterst du irgendein Unheil?»
Antwortete das Roß: «Königssohn Johannes ist gekommen und hat Maria, die Tochter des Meeres, entführt.»
«Kann man sie einholen?»
«Man kann Weizen säen und warten, bis er wächst. Man kann ihn ernten, dreschen und zu Mehl mahlen, schließlich fünf Öfen voll Brot backen, das Brot essen und dann aufbrechen, um sie einzuholen - und selbst dann werden wir es schaffen.»
Der Knochenmann sprengte los und holte die beiden ein: «Königssohn Johannes, einmal will ich dir verzeihen um deiner Güte willen, hast du mir doch Wasser zu trinken gegeben. Auch ein zweites Mal würde ich dir verzeihen. Aber beim dritten Mal sei auf der Hut, da haue ich dich in Stücke!» Und er nahm Maria, die Tochter des Meeres, und entführte sie.
Königssohn Johannes setzte sich auf einen Stein und weinte. Er weinte und weinte. Dann kehrte er wieder zu Maria, der Tochter des Meeres, zurück. Der unsterbliche Knochenmann war gerade nicht zu Hause. «Lass' uns aufbrechen, Maria, Tochter des Meeres!»
«Ach, Königssohn Johannes, er holt uns ein!»
«Wenn auch, Maria, Tochter des Meeres, lass' ihn uns einholen. Ein oder zwei Stündlein können wir doch wenigstens zusammen verbringen.» Sie brachen auf und ritten davon.
Der unsterbliche Knochenmann kehrte nach Hause zurück. Unter ihm strauchelte sein gutes Roß. «Hungrige Schindmähre, was stolperst du, oder witterst du irgendein Unheil?»
«Königssohn Johannes ist gekommen und hat Maria, die Tochter des Meeres, entführt.»
«Und kann man sie einholen?»
«Man kann Gerste säen und warten, bis sie wächst. Man kann sie ernten, dreschen und Bier daraus brauen, schließlich bis zur Trunkenheit davon trinken, den Rausch noch ausschlafen - dann aufbrechen, um sie einzuholen, und selbst dann werden wir es schaffen.»
Der Knochenmann sprengte davon und holte Königssohn Johannes ein: «Ich sagte dir doch, daß du Maria, die Tochter des Meeres, so wenig sehen sollst, wie deine eigenen Ohren.» Und er nahm Maria, die Tochter des Meeres, ihm fort und entführte sie.
Königssohn Johannes blieb allein zurück, weinte und weinte. Dann eilte er abermals zu Maria, der Tochter des Meeres. Um diese Zeit war der Knochenmann nicht zu Hause. «Lass' uns fortziehen, Maria, Tochter des Meeres!»
«Ach, Königssohn Johannes, er holt uns ja doch ein und haut dich in Stücke.»
«Lass' ihn hauen, ich kann ohne dich nicht leben!» Sie machten sich fertig und eilten davon.
Der unsterbliche Knochenmann kam nach Hause zurück. Unter ihm strauchelte sein gutes Roß. «Was stolperst du, hungrige Schindmähre, oder witterst du irgendein Unheil?»
«Königssohn Johannes ist gekommen und hat Maria, die Tochter des Meeres, entführt.»
Der Knochenmann sprengte davon, holte Königssohn Johannes ein, hieb ihn in kleine Stücke und warf die Stücke in ein Faß. Er verpichte das Faß, band es mit eisernen Reifen und warf es ins blaue Meer. Maria, die Tochter des Meeres, aber nahm er mit sich.
Zur selben Zeit aber wurde das Silber bei den Schwägern des Königssohns schwarz. «Ach», sagten sie, «ein Unglück hat sich ereignet!» Schnell schwang sich der Adler ins blaue Meer, packte das Faß und schleppte es ans Ufer. Der Falke flog aus nach dem Wasser des Lebens, der Rabe aber nach dem Wasser des Todes. Dann flogen sie alle drei hin zu dem Faß, zerschlugen es und nahmen die Stücke des Königssohns heraus. Sie wuschen sie und legten sie zusammen, so wie es notwendig war. Der Rabe besprengte sie mit dem Wasser des Todes, da wuchsen sie zusammen und wurden wieder eins. Der Falke besprengte ihn mit dem Wasser des Lebens, und Königssohn Johannes regte sich, stand auf und sprach: «Ach, wie lange habe ich doch geschlafen!»
«Du hättest noch länger geschlafen, wenn wir nicht gewesen wären», antworteten die Schwäger. «Nun, komm mit uns und sei unser Gast!»
«Nein, ihr Brüderchen, ich werde gehen, Maria, die Tochter des Meeres, zu suchen.»
Der Königssohn kam zu Maria, der Tochter des Meeres, und bat: «Frage den unsterblichen Knochenmann, wo er sein gutes Roß bekam!»
Da wartete Maria, die Tochter des Meeres, einen günstigen Augenblick ab und begann, den Knochenmann auszufragen. Der Knochenmann erzählte: «Hinter den dreimal neun Ländern, im dreimal zehnten Königreich, über dem Feuerfluß, wohnt die Baba Jaga. Sie hat eine kleine Stute, auf der fliegt sie jeden Tag rund um die Welt. Sie hat auch noch viele andere gute und schöne Stuten. Ich habe drei Tage als Hirte bei ihr gedient, und keine einzige Stute ist mir entlaufen. Dafür gab mir die Baba Jaga ein Hengstchen.»
«Wie bist du denn über den Feuerfluß gekommen?»
«Nun, ich habe ein Tüchlein, wenn ich das dreimal nach der rechten Seite schwenke, so entsteht eine hohe, hohe Brücke, und die Lohe reicht nicht heran.»
Als Maria, die Tochter des Meeres, den Knochenmann ausgefragt hatte, nahm sie das Tüchlein an sich, gab es dem Königssohn Johannes und erzählte ihm alles.
Königssohn Johannes setzte über den Feuerfluß und machte sich auf den Weg zur Baba Jaga. Lange war er gelaufen, ohne zu essen und zu trinken. Da erblickte er einen fremden Vogel von jenseits des Meeres mit seinen jungen Vöglein. «Ich möchte doch gern so ein kleines Dingelchen verzehren», sprach Königssohn Johannes.
«Iß mein Junges nicht, Königssohn Johannes», bat der fremde Vogel, «die Zeit wird kommen, da werde ich dir nützlich sein!»
Königssohn Johannes ging weiter und fand im Walde einen Bienenstock. «Ich werde mir doch ein bißchen Honig daraus nehmen», sagte er.
Rief die Bienenmutter: «Rühre mir nicht an meinen Honig, Königssohn Johannes, die Zeit wird kommen, da werde ich dir nützlich sein!»
Er rührte nicht daran und ging weiter. Da begegnete ihm eine Löwin mit ihrem Jungen. «Ich will doch wenigstens diesen kleinen Löwen verzehren, ich habe so großen Hunger, daß mir schon ganz schwach ist.»
«Rühre mein Junges nicht an, Königssohn Johannes», bat die Löwin, «die Zeit wird kommen, da werde ich dir nützlich sein!»
«Gut, es gehe nach deinem Willen.» Königssohn Johannes schleppte sich hungrig weiter, ging und ging. Da stand das Haus der Baba Jaga, und rings um das Haus standen zwölf Stangen. Auf elf Stangen steckten Menschenköpfe, nur eine war noch leer. «Sei gegrüßt, Großmütterchen!»
«Sei gegrüßt, Königssohn Johannes! Warum kommst du hierher? Kommst du aus freiem Willen oder aus Not»?
«Ich kam, um bei dir ein Heldenroß zu erwerben.»
«Meinetwegen, Königssohn, du brauchst kein Jahr zu dienen, sondern nur drei Tage; wenn du meine Stuten drei Tage lang hüten kannst, so werde ich dir das Heldenroß geben. Kannst du es nicht, dann zürne nicht, wenn ich deinen Kopf auf die frei gelassene Stange stecke!»
Königssohn Johannes war einverstanden. Die Baba Jaga gab ihm zu essen und zu trinken und gebot ihm, sich ans Werk zu machen.
Kaum hatte er die Stuten hinaus auf die grünen Wiesen getrieben, hoben sie die Schweife und stoben auseinander - im Augenblick waren sie verschwunden. Er weinte vor Gram, setzte sich auf einen Stein und schlief ein.
Schon ging die liebe Sonne unter, da kam der fremde Vogel geflogen und fing an, ihn zu wecken: «Steh auf, Königssohn Johannes, die Stuten sind alle daheim!»
Der Königssohn stand auf und eilte zurück. Da lärmte die Baba Jaga und schrie mit ihren Stuten: «Warum seid ihr schon nach Haus zurückgekehrt?» «Ja, sollten wir denn noch nicht nach Hause kommen? Es flogen Vögel aus der ganzen Welt herbei, die hätten uns fast die Augen ausgepickt.» «Nun, ihr werdet morgen nicht auf die Wiesen laufen, sondern in die dichten, dunklen Wälder!»
Königssohn Johannes schlief die ganze Nacht. Am Morgen sagte die Baba Jaga: «Sieh her, Königssohn, hüte heute noch einmal die Stuten, und wenn auch nur eine verlorengeht, soll dein ungestümes Köpfchen auf die Stange!»
Königssohn Johannes trieb die Stuten hinaus ins Freie, sofort hoben sie die Schweife und zerstreuten sich im tiefen Wald. Wiederum setzte sich der Königssohn auf einen Stein, weinte und weinte und schlief ein.
Die Sonne versank schon hinter dem Wald, da sprang die Löwin herbei: «Steh auf, Königssohn Johannes, die Stuten sind alle beisammen!»
Der Königssohn stand auf und ging nach Haus. Die Baba Jaga lärmte und schrie noch mehr mit ihren Stuten: «Warum kehrt ihr heim?»
«Ja, sollten wir denn nicht heimkehren? Es kamen grausame Tiere aus der ganzen Welt gelaufen, fast hätten sie uns alle zerrissen.»
«Nun, morgen werdet ihr in das blaue Meer laufen!» Wieder schlief Königssohn Johannes die ganze Nacht. Am Morgen schickte ihn die Baba Jaga mit den Stuten auf die Weide. «Wenn du sie nicht zu hüten vermagst, so soll dein ungestümes Köpfchen auf die Stange!»
Königssohn Johannes trieb die Stuten auf die Weide. Sie hoben sogleich die Schweife, verschwanden ihm aus den Augen und liefen ins blaue Meer. Bis an den Hals standen sie im Wasser.
Königssohn Johannes setzte sich auf einen Stein, weinte und schlief ein. Schon sank die Sonne hinter den Wald, da kam ein Bienchen geflogen und sprach: «Steh auf, Königssohn Johannes, die Stuten sind alle beisammen. Doch wenn du nach Hause kommst, geh der Baba Jaga aus den Augen, lauf
in den Pferdestall und verstecke dich hinter der Krippe. Dort ist ein räudiges Fohlen, das wälzt sich im Mist. Dieses nimm und mach dich um Mitternacht aus dem Hause!»Königssohn Johannes stand auf, ging in den Pferdestall und legte sich hinter die Krippe.
«Warum kehrt ihr denn heim?» lärmte und schrie die Baba Jaga mit ihren Stuten.
«Ja, sollten wir denn nicht heimkehren? In großen Schwärmen flogen Bienen aus der ganzen Welt herbei und stachen uns von allen Seiten bis aufs Blut.»
Die Baba Jaga ging schlafen. Um Mitternacht nahm Königssohn Johannes heimlich das räudige Fohlen, sattelte es, setzte sich darauf und sprengte zum Feuerfluß. Als er an den Fluß kam, schwenkte er sein Tüchlein nach der rechten Seite. Und plötzlich, o Wunder, spannte sich über den Fluß eine schmale, schmale Brücke. Der Königssohn ritt über die Brücke. Dann schwenkte er das Tüchlein zweimal nach der linken Seite, da blieb die Brücke über dem Feuerfluß hängen -ganz dünn und schmal.
Gegen Morgen erwachte die Baba Jaga. Das räudige Fohlen war spurlos verschwunden. Schleunigst machte sie sich an die Verfolgung. In einem Nu sprang sie auf einen eisernen Mörser. Mit dem Stößel trieb sie ihn an, und mit dem Besen verwischte sie ihre Spur. Sie sprengte zum Feuerfluß, schaute hinauf und dachte bei sich: eine schöne Brücke! Sie sprengte auf die Brücke, aber als sie in der Mitte war, brach die Brücke zusammen, und die Baba Jaga fiel in den Feuerfluß und fand einen grausamen Tod.
Königssohn Johannes ließ das Fohlen auf grünen Wiesen weiden, da wurde aus ihm ein herrliches Roß.
Auf diesem Rosse ritt der Königssohn zu Maria, der Tochter des Meeres. Sie kam heraus und warf sich an seinen Hals.
«Wie hat der Herrgott dich denn auferstehen lassen?»
«So und so - und nun lass' uns zu mir nach Hause gehen!»
«Ich fürchte mich, Königssohn Johannes! Wenn der Knochenmann uns einholt, wird er dich wieder in Stücke hauen.»
«Nein, er wird uns nicht einholen. Habe ich doch ein herrliches Heldenroß, das fliegt so schnell wie ein Vogel.»
Sie setzten sich miteinander auf das Roß und ritten davon.
Der unsterbliche Knochenmann kehrte heim. Unter ihm strauchelte sein gutes Roß. «Warum stolperst du, hungrige Schindmähre, oder witterst du irgendein Unheil?»
«Königssohn Johannes ist gekommen und hat Maria. die Tochter des Meeres, entführt!»
«Und kann man sie einholen?»
«Gott weiß! Jetzt hat Königssohn Johannes ein Heldenroß, das besser ist als ich.»
«Nein, das ertrage ich nicht», rief der unsterbliche Knochenmann, «ich werde sie dennoch verfolgen.»
Ober kurz oder lang holte er Königssohn Johannes ein, sprang auf die Erde und wollte ihn mit seinem scharfen Säbel schlagen. Aber das Pferd des Königssohns schlug plötzlich mit aller Macht aus. Mit dem Huf traf es den unsterblichen Knochenmann und zerschmetterte ihm den Kopf. Und Königssohn Johannes machte ihm mit der Keule den Garaus. Dann schichtete er einen Haufen Holz aufeinander, legte Feuer daran und verbrannte den unsterblichen Knochenmann. Seine Asche aber ward in alle Winde zerstreut. Maria, die Tochter des Meeres, setzte sich auf das Pferd des Knochenmanns und Königssohn Johannes auf das seinige. Und sie ritten zuerst zu dem Raben, dann zu dem Adler und schließlich zu dem Falken und blieben dort zu Caste. Überall, wohin sie kamen, begegnete man ihnen mit großer Freude.
«Ach, Königssohn Johannes, wir glaubten dich nicht mehr am Leben. Aber deine Mühe hat sich gelohnt. Solche Schönheit, wie Maria, die Tochter des Meeres, gibt es kein zweites Mal auf der ganzen Welt.»
Königssohn Johannes und Maria, die Tochter des Meeres, blieben dort zu Caste, feierten Feste und zogen dann endlich in ihr Reich. In ihrem Reiche angekommen, lebten sie glücklich miteinander, tranken Honigmet und mehrten ihr Hab und Gut.
DIE MILCH DER TIERE
Vor Zeiten lebte einmal ein König, der hatte einen Sohn und eine Tochter. Ober das benachbarte Königreich kam großes Unheil: das ganze Volk starb. Da bat der Königssohn Johannes: «Vater, gib mir deinen Segen, ich will in jenes Königreich ziehen, um dort zu leben.» Aber der Vater wollte nicht.
«Dann werde ich von selber gehen», sprach der Königssohn und rüstete zur Reise. Seine Schwester aber wollte nicht von ihm lassen und begleitete ihn.
Sie gingen und gingen und kamen auf ein freies Feld. Sieh, da stand ein Häuschen auf Hühnerfüßchen, das drehte und drehte sich um sich selber.
Königssohn Johannes sprach: «Häuschen, Häuschen, stelle dich nach der alten Weise, so, wie die Mutter dich hingestellt hat!»
Das Häuschen stand still, und sie traten hinein. Drinnen lag die Baba
Jaga, in der einen Ecke die Füße, in der andern den Kopf, die Lippen auf dem Türbalken und oben an der Decke die Nase. «Sei gegrüßt, Königssohn Johannes, hast du eine Tat vor dir, oder hast du Taten hinter dir?»«Ich habe allerlei Taten hinter mir, aber ich habe auch Taten vor mir. Ich weiß ein Reich, darin ist das Volk ausgestorben, ich gehe hin, um dort zu leben.»
«Du gehe hin», sprach die Baba Jaga, «aber die Schwester hast du zu Unrecht mitgenommen, sie wird dir großen Schaden tun.»
Sie gab ihnen zu essen und zu trinken und legte sie zum Schlafen nieder.
Am anderen Morgen machten sich Bruder und Schwester auf den Weg. Die Baba Jaga gab dem Königssohn ein Hündlein und ein blaues Knäuelchen: «Wohin das Knäuelchen rollen wird, dahin geht dein Weg!»
Das Knäuelchen rollte und rollte zu einem anderen Häuschen, das gerade so auf Hühnerfüßchen stand. «Häuschen, Häuschen, stelle dich nach der alten Weise, so wie die Mutter dich hingestellt hat!»
Das Häuschen stand still, und der Königssohn und die Königstochter traten ein.
Drinnen lag die Baba Jaga und fragte: «Königssohn Johannes, hast du Taten hinter dir, oder hast du Taten vor dir?»
Er erzählte ihr, warum und wohin er geht.
«Daß du selber gehst, ist recht», sagte die Baba Jaga, «aber die Schwester hast du zu Unrecht mitgenommen, sie wird dir viel Schaden zufügen.»
Die Baba Jaga gab den beiden zu essen und zu trinken und legte sie schlafen. Am Morgen schenkte sie dem Königssohn ein Hündlein und ein Handtuch. «Auf deinem Weg wirst du an einen großen Fluß kommen, da kann man nicht hinüber gehen. Nimm du dies Handtuch und schwenke das eine Ende, sofort wird eine Brücke erscheinen. Geh hinüber und schwenke das andere Ende, so wird die Brücke wieder verschwinden. Aber sieh dich vor und schwenke das Handtuch heimlich, damit die Schwester es nicht sieht!»
Königssohn Johannes begab sich auf den Weg, wohin das Knäuelchen rollte, dahin ging er und die Schwester mit ihm. Sie kamen an einen breiten, breiten Fluß. «Brüderchen», sagte die Schwester, «setzen wir uns nieder, um auszuruhen!»
Sie setzte sich hin, Königssohn Johannes aber schwenkte heimlich das Handtuch, und sofort erstand eine Brücke. «Komm, Schwesterchen, komm, Gott hat uns eine Brücke gegeben, damit wir auf die andere Seite gehen können.» Als sie drüben waren, schwenkte der Königssohn heimlich das andere Ende des Handtuchs, und die Brücke verschwand, als ob sie nie gewesen wäre.
Und nun waren sie in dem Reich. in dem das Volk ausgestorben war. Niemand war da, alles war leer. Sie blieben da und fingen an, sich einzuleben.
Der Bruder ging auf die Jagd und streifte mit seinen Hunden durch Wälder und Sümpfe.
Um diese Zeit kam der Drache Gorynytsch zu dem Flusse geflogen, schlug auf die feuchte Erde und verwandelte sich in einen so schönen Jüngling, daß man es sich nicht vorstellen, nicht ausdenken - eben nur in einem Märchen erzählen kann. Er lockte die Königstochter herbei und rief: «Vor Sehnsucht nach dir bin ich fast vergangen, ich kann ohne dich nicht leben!»
Die Königstochter wurde von Liebe ergriffen und rief ihm zu: «Fliege über den Fluß zu mir!»
«Ich kann nicht hinüber!»
«Was könnte ich dazu tun?»
«Dein Bruder besitzt ein Handtuch, nimm es und schwenke das eine Ende!»
«Er wird es mir nicht geben!»
«Nun, so überliste ihn, sage ihm, daß du es waschen willst!»
Die Königstochter kehrte heim ins Schloß, und zur selben Zeit kam auch der Bruder von der Jagd zurück. Er hatte allerlei Wild mitgebracht und gab es der Schwester für den andern Tag zum Mittagsmahl.
«Brüderchen, hast du nicht etwas Wäsche zu waschen?»
«Geh in meine Kammer, Schwesterchen. dort wirst du etwas finden», sprach Königssohn Johannes und vergaß das Handtuch der Baba Jaga, das sie verboten hatte, der Königstochter zu zeigen. Die Königstochter aber nahm das Handtuch an sich.
Am andern Tage begab sich der Bruder auf die Jagd, die Schwester aber ging zum Flusse hinab. Sie schwenkte das eine Ende des Handtuchs, und im selben Augenblick erstand die Brücke. Der Drache kam über die Brücke, sie liebkosten einander, küßten sich und gingen zusammen ins Schloß. «Wie könnten wir deinen Bruder vernichten?» sprach der Drache.
«Ich weiß es nicht, denke es dir selber aus», antwortete die Königstochter.
«Nun, so stelle dich krank und verlange Wolfsmilch von ihm. Wenn dein Bruder auszieht, um Wolfsmilch zu holen, dann verliert er vielleicht den Kopf.»
Der Bruder kehrte zurück. Die Schwester lag krank auf dem Bett, klagte und sprach: «Brüderchen, im Traum habe ich gesehen, daß ich von Wolfsmilch gesund geworden bin. Könnte man die nicht irgendwo finden? Sonst muß ich sterben!»
Der Königssohn ging in den Wald; da säugte eine Wölfin ihre Jungen. Er wollte sie erschießen, aber sie rief mit menschlicher Stimme: «Schieße
nicht, Königssohn Johannes, vernichte mich nicht, mache meine Kindlein nicht zu Waisen! Sage mir lieber, was du brauchst.»«Ich brauche deine Milch!»
«Gerne, melke sie dir, ich gebe dir noch ein Junges dazu, es wird dir treu und ehrlich dienen.»
Der Königssohn molk die Milch, nahm sich das Wölfchen und ging nach Hause. Der Drache sah ihn und sprach zur Königstochter: «Dein Bruder kommt zurück und bringt ein Wölfchen. Sage ihm nun, daß du die Milch des Bären brauchst.» Der Drache sprach es und verwandelte sich in einen Reisigwisch.
Der Königssohn trat in das Gemach, hinter ihm folgten die Hunde. Sie witterten den unreinen Geist und fingen an, den Reisigwisch zu zausen, daß die Reiser flogen.
«Was soll das heißen, Bruder, beschwichtige deine Meute, sonst habe ich nichts, womit ich morgen fegen kann!»
Königssohn Johannes beschwichtigte seine Meute und gab der Königstochter die Milch der Wölfin. Am Morgen fragte der Bruder: «Wie geht es dir, Schwesterchen?»
«Es geht mir ein wenig besser, aber wenn du, Brüderchen, mir Bärenmilch bringen würdest, würde ich ganz gesund werden.»
Der Königssohn ging in den Wald, da säugte eine Bärin ihre Jungen. Er legte an, um sie zu erschießen, aber sie flehte mit menschlicher Stimme: «Schieße nicht auf mich, Königssohn Johannes, mache meine Kindlein nicht zu Waisen, sage lieber, was du brauchst!»
Ich brauche deine Milch!»
«Gerne, und ich gebe dir dazu noch ein Bärchen.»
Der Königssohn molk sich die Milch, nahm das Bärchen und kehrte zurück. Der Drache sah ihn und sprach zur Königstochter: «Dein Bruder kommt, er bringt einen kleinen Bären. Wünsche dir nun noch Löwenmilch», sprach es und verwandelte sich in einen Ofenbesen. Und die Königstochter steckte ihn unter den Ofen. Plötzlich kam die Meute des Johannes, witterte den unreinen Geist, warf sich unter den Ofen und fing an, den Ofenbesen zu zausen.
«Brüderchen, beschwichtige deine Meute, sonst habe ich nichts, um morgen den Ofen zu fegen!»
Der Königssohn rief seine Hunde, sie legten sich unter den Tisch und knurrten. Am Morgen fragte der Königssohn Johannes: «Wie fühlst du dich, Schwesterchen?»
«Ach, es hat nichts geholfen, aber mir träumte heute Nacht, wenn du mir Milch von einer Löwin brächtest, würde ich gesund.»
Der Königssohn ging in einen dichten, dichten Wald, ging lange, lange.
Endlich sah er eine Löwin, die säugte ihre Jungen. Er wollte sie erschießen, aber die Löwin rief mit menschlicher Stimme: «Schieße nicht, Königssohn Johannes, mache meine Kindlein nicht zu Waisen, sage lieber, was du brauchst!»«Ich brauche deine Milch!»
«Gerne, ich gebe dir noch einen kleinen Löwen dazu.»
Der Königssohn molk die Milch, nahm einen kleinen Löwen und kehrte nach Hause zurück.
Der Drache Gorynytsch sah ihn und sprach zur Königstochter: «Dein Bruder kommt und bringt einen kleinen Löwen.» Und er fing an, darüber nachzugrübeln, wie man den Königssohn vernichten könne. Er sann und sann und endlich hatte er es. Er beschloß, den Königssohn in das dreimal zehnte Reich zu schicken. In diesem Reich steht eine Mühle, hinter zwölf eisernen Türen. Einmal im Jahr wird die Mühle geöffnet, aber nur für kurze Zeit. Kaum schaut man sich um, so schlagen die Türen wieder zu.
«Laß ihn versuchen, aus dieser Mühle das allerfeinste Mehl zu holen!» sagte der Drache zur Königstochter. Sagte es und verwandelte sich in einen Schürhaken, und die Königstochter warf ihn unter den Ofen. Der Königssohn trat ins Gemach, begrüßte die Schwester und gab ihr die Löwenmilch. Wieder witterten die Hunde den Drachen, warfen sich unter den Ofen und begannen am Schürhaken zu nagen.
«Ach Brüderchen, beruhige deine Meute, sie werden noch etwas zerbrechen!» »
Johannes rief seine Hunde, sie legten sich unter den Tisch, sahen böse nach dem Schürhaken und knurrten. Gegen Morgen wurde die Königstochter noch kränker, ächzte und stöhnte.
«Was ist mit dir, Schwesterchen», fragte der Bruder, «will dir die Milch denn gar nicht helfen?»
«Nicht im geringsten, Brüderchen.»
Und sie redete ihm zu, zu jener Mühle auszuziehen.
Königssohn Johannes trocknete sich Zwieback, rief seine Hunde und die übrigen Tiere und machte sich auf den Weg zur Mühle. Er mußte lange warten, bis die Zeit gekommen war und die zwölf Türen sich öffneten. Dann trat er in die Mühle hinein und mahlte schnell das feine Mehl. Kaum war er wieder herausgetreten, da fielen die Türen hinter ihm zu, aber die Tiere blieben in der Mühle eingeschlossen. Der Königssohn fing an, bitterlich zu weinen: «Nun sehe ich, daß der Tod mir nahe ist!»
Er kehrte nach Hause zurück. Der Drache sah, daß er allein kam, ohne die Tiere und sprach: «Nun fürchte ich ihn nicht mehr!» Er sprang ihm entgegen, sperrte seinen Rachen auf und rief: «Lange habe ich versucht dir beizukommen, Königssohn Johannes, endlich werde ich dich fressen!»
«Warte mit dem Fressen, befiel lieber, daß ich mich zuerst in der Badstube wasche!»
Der Drache war einverstanden und befahl ihm, selber das Wasser zu tragen, das Holz zu hacken und die Badstube zu heizen.
Königssohn Johannes fing an Holz zu hacken und Wasser zu tragen. Da kam ein Rabe geflogen und krächzte: «Krah, krah, Königssohn Johannes, hacke das Holz, aber hacke nicht zu schnell, deine Tiere haben schon vier Türen durchgenagt!»
Johannes hackte das Holz, aber was er zerhackte, warf er ins Wasser. Jedoch die Zeit verrann und verann, es war nichts zu machen, man mußte den Ofen heizen. Wieder kam der Rabe geflogen und krächzte: «Krah, krah, Königssohn Johannes, heize die Badstube, aber heize nicht zu schnell, deine Tiere haben schon acht Türen durchgenagt!»
Johannes heizte die Badstube, fing an sich zu waschen und hatte nur den einen Gedanken: «Ach, wenn doch meine Tiere zur rechten Zeit erschienen!»
Da kam ein Hund gelaufen, — nun, zu zweien ist der Tod nicht schrecklich! Danach kamen alle anderen Tiere gesprungen.
Der Drache Gorynytsch hatte lange auf den Königssohn gewartet. Schließlich packte ihn die Ungeduld, und er kam selber zur Badstube. Da stürzten sich die Tiere auf ihn und zerrissen ihn in kleine Stücke. Königssohn Johannes sammelte alle Stücke, verbrannte sie im Feuer und streute die Asche auf das freie Feld. Dann begab er sich ins Schloß, gefolgt von seinen Tieren, um der Königstochter den Kopf abzuschlagen. Aber sie warf sich vor ihm auf die Knie, weinte und flehte, und der Königssohn richtete sie nicht. Er führte sie hinaus auf den Weg und setzte sie in eine steinerne Säule. Daneben legte er ein Bündel Heu und stellte zwei Bütten dazu. Die eine war voll Wasser, die andere leer. Und er sprach: «Wenn du dieses Wasser getrunken hast, das Heu gegessen und den Bottich gefüllt mit deinen Tränen, dann werden Gott und ich dir verzeihen.»
Königssohn Johannes ließ seine Schwester in der steinernen Säule zurück und wanderte mit seinen Tieren hinter das dreimal neunte Land. Er ging und ging und kam in eine ansehnlich große Stadt. Und sieh, die eine Hälfte des Volkes feierte Feste und sang Lieder, die andere aber weinte bittere Tränen. Da bat er ein altes Mütterchen um Herberge für die Nacht und fragte: .Sage, Großmütterchen, warum feiert eine Hälfte eures Volkes und singt Lieder, während die andere weint?»
«Ach», antwortete ihm die Alte, «in unserem See hat sich ein zwölfköpfiger Drache eingenistet, der kommt jede Nacht geflogen, um einen Menschen zu fressen. Wir haben eine bestimmte Reihenfolge eingerichtet, von welchem Ende der Reihe und an welchem Tage einer dem Drachen geopfert
wird. Diejenigen, die ihr Opfer gebracht haben, feiern Feste, die anderen aber weinen Tränen.»«Und wer ist jetzt an der Reihe?»
«Jetzt ist das Los auf die Königstochter selber gefallen. Der König hat nur eine einzige Tochter, und er muß sie hingeben. Er hat einen Aufruf erlassen: Wenn einer sich fände, der den Drachen tötet, so würde er ihm die Hälfte seines Reiches geben und die Königstochter zur Gemahlin. Aber wo gibt es heutzutage noch Helden? Für unsere Sünden sind sie alle dahingegangen.»
Der Königssohn sammelte seine Tiere und ging hinaus an den See. Am Ufer stand die wunderschöne Königstochter und weinte bittere Tränen.
«Fürchte dich nicht, o Königstochter, ich bin dein Beschützer!»
Da regte und bewegte sich der See, und es erschien der zwölfköpfige Drache. «Königssohn Johannes, du russischer Held, warum bist du hierher gekommen? Suchst du Kampf oder Frieden?»
«Warum Frieden? Ein russischer Held kommt nicht deshalb zu dir.» Und er hetzte seine Tiere auf den Drachen, die beiden Hunde, den Wolf, den Bären und den Löwen. Die Tiere packten ihn und zerrissen ihn im Augenblick in Stücke. Nun schnitt Königssohn Johannes aus allen zwölf Drachenköpfen die Zungen heraus und steckte sie in seine Tasche. Dann ließ er die Tiere laufen, legte seinen Kopf auf die Knie der Königstochter und schlief
Am frühen Morgen kam der Wasserträger mit seinem Faß gefahren. Er sah, daß der Drache getötet war, daß die Königstochter lebte und auf ihren Knien ein wackerer Jüngling schlief. Da lief er herzu, zog sein Schwert und schlug dem Königssohn den Kopf ab. Dann erzwang er den Schwur von der Königstochter, ihn als ihren Befreier zu nennen. Die Drachenköpfe brachte er zum König. Aber er wußte nicht, daß alle Köpfe ohne Zungen waren.
Ober kurz oder lang kehrten die Tiere zurück und fanden den Königssohn ohne Kopf daliegen. Da deckte ihn der Löwe mit grünem Grase zu und setzte sich daneben. Plötzlich kamen Raben mit ihren Jungen herbeigeflogen, um an dem Leichnam zu picken. Geschickt fing der Löwe einen jungen Raben und tat, als wolle er ihn in zwei Hälften zerreißen. «Vernichte mein Junges nicht, es hat dir nichts getan! Wenn du etwas brauchst, befiehl nur, ich werde alles erfüllen.»
«Ich brauche Wasser des Lebens und Wasser des Todes, bringe es mir, und ich werde dir das Rabenjunge zurückgeben!»
Der Rabe flog davon, die Sonne war noch nicht untergegangen, da kehrte er wieder zurück und brachte zwei Bläschen mit Wasser des Lebens und Wasser des Todes. Der Löwe zerriß das Rabenjunge, besprengte es mit dem Wasser des Todes, und die Stücke schlossen sich wieder zusammen. Er
besprengte es mit dem Wasser des Lebens, und das Junge belebte sich und flog hinter dem alten Raben her. Nun besprengte der Löwe den Königssohn Johannes mit dem Wasser des Todes und mit dem Wasser des Lebens. Der Königssohn stand auf und sprach: «Wie habe ich so lange geschlafen!»«Du würdest in Ewigkeit schlafen, wenn ich nicht wäre», antwortete ihm der Löwe. Und er erzählte, wie er ihn tot gefunden hatte und ihm das Leben zurückgegeben habe.
Als Königssohn Johannes in die Stadt einzog, feierten dort alle Menschen ein Fest, umarmten sich, küßten sich und sangen Lieder. «Sag, Großmütterchen», fragte er die alte Frau, «warum seid ihr alle so fröhlich?»
«Sieh, was bei uns geschehen ist, der Wasserträger hat den Drachen besiegt und die Königstochter gerettet, und nun gibt ihm der König seine Tochter zur Gemahlin.»
«Ist es erlaubt, die Hochzeit anzusehen?»
«Wenn du spielen kannst, so geh, dort sind alle Spielleute eingeladen.»
«Ich verstehe die Gusli zu spielen.»
«Geh, die Königstochter liebt es gar sehr, daß man die Gusli spielt.»
Königssohn Johannes erhandelte sich eine Gusli und ging in das Schloß. Er begann zu spielen, und alle, die ihn hörten, staunten. «Woher kommt dieser wunderbare Spielmann?»
Die Königstochter füllte einen Becher mit Wein und reichte ihm den mit eigener Hand. Dabei schaute sie auf, gedachte ihres Befreiers und Tränen stürzten ihr aus den Augen.
«Warum weinst du», fragte der König.
«Ich erinnerte mich meines Befreiers.»
Da gab sich der Königssohn Johannes dem König zu erkennen. Er erzählte ihm alles, wie es gewesen war, und holte aus seiner Tasche die Drachenzungen heraus. Den Wasserträger aber ergriff man, führte ihn hinweg und tötete ihn.
Und Königssohn Johannes nahm die wunderschöne Königstochter zur Gemahlin.
In der Freude erinnerte er sich an seine Schwester und kehrte zurück zur steinernen Säule.
Die Königstochter hatte das Heu gegessen, das Wasser getrunken, und der leere Bottich war voll von ihren Tränen.
Königssohn Johannes verzieh ihr und nahm sie zu sich. Und sie fingen an, zusammen zu leben, und sie lebten und lebten und mehrten ihr Hab und Gut.
BÄRCHEN UND DIE DREI HELDEN SCHNAUZBART,
BERGRIESE UND BAUMRIESE
In einem Reich, in einem Weltreich, lebte einmal ein alter Mann mit seiner Frau, Kinder hatten sie keine. Einmal sagte er zu ihr: «Alte, geh und hole Rüben für unser Mittagsmahl!»
Die Alte ging und holte zwei Rüben. Die eine aßen sie auf, die andere legten sie in den Ofen, daß sie gar würde. Als eine Weile vergangen war, rief ein Stimmchen: «Großmütterchen, mach auf, hier ist es zu heiß!»
Die Frau öffnete die Ofenklappe, da lag in der Ofenröhre ein lebendiges Mädchen.
«Was ist das?» fragte der Mann.
«Ach, Väterchen, Gott schenkt uns ein Mädchen!»
Die beiden Alten freuten sich sehr und nannten das Kind Rübchen. Rübchen wuchs heran und wurde groß. Einmal kamen die Mädchen aus dem Dorf und baten: «Großmütterchen, laß Rübchen mit uns in den Wald gehen nach Beeren!»
«Nein, ihr nichtsnutzigen Kinder, ihr laßt sie im Walde allein.»
«Nie und nimmer tun wir das, Mütterchen.»
Da ließ die Alte Rübchen mit in den Wald. Die Mädchen gingen miteinander und kamen in einen so dichten Wald, daß man nichts mehr vor den Augen sah. Sieh, da stand ein Hüttchen. Sie gingen hinein, da saß auf einem Pfosten ein Bär.
«Guten Tag, schöne Mädchen, ich warte schon lange auf euch.» Er hieß sie sich an den Tisch setzen und brachte ihnen Grütze zu essen. «Eßt, schöne Mägdlein, wer nicht ißt, den will ich zur Frau nehmen!»
Da aßen alle von der Grütze, aber Rübchen aß nicht.
Der Bär ließ die Mädchen nach Hause gehen und behielt Rübchen bei sich. Er holte einen Schlitten, befestigte ihn an dem Querbalken, legte sich hinein und befahl ihr, ihn zu schaukeln. Rübchen wiegte ihn und sang dazu:
«Heia hei, du alter Rettich.»
«Nein», sagte der Bär, «nicht so, sing hein hei, liebster Freund!»
Da war nichts zu machen. Sie schaukelte und sang: «Hein hei, alter Freund.»
Beinah ein Jahr blieb Rübchen bei ihrem Bären und wurde immer runder. Sie sann auf eine Gelegenheit zur Flucht. Einst ging der Bär auf Jagd und ließ sie allein in der Hütte zurück. Die Tür verschloß er mit Eichenklötzen, aber Rübchen versuchte, sich durchzuzwängen. Sie mühte und mühte sich, mit knapper Not gelang es, und sie lief nach Hause.
Der Alte und seine Frau freuten sich, als sie wiederkam. Sie lebten einen
Monat, einen zweiten und einen dritten miteinander. Im vierten Monat bekam Rübchen einen Sohn, der war halb Mensch, halb Bär. Den tauften sie und gaben ihm den Namen Iwaschkobärchen. Iwasdiko fing an zu wachsen, er wuchs nicht nach Jahren, sondern nach Stunden. Kaum war ein Stündchen vergangen, so war er um eine Handbreit größer, als zöge ihn jemand in die Höhe. Mit fünfzehn Jahren spielte er mit anderen Kindern und machte schlimme Streiche. Einen Knaben faßte er an der Hand, da ward sie weggerissen. Einem anderen griff er nach dem Kopf, auch der flog weg. Da klagten die Bauern bei dem Alten: «Landsmann, es wäre gut, wenn dein Sohn fort wäre. Durch seine Streiche gehen unsere Kinder zugrunde.»Da wurde der Alte sehr unglücklich und traurig. Das merkte Iwaschkobärchen und fragte: «Großväterchen, warum bist du so traurig? Hat dir jemand ein Leid getan?»
Der Alte seufzte schwer: «Ach, Enkelchen, du warst mein Ernährer, und jetzt will man dich aus dem Dorfe verjagen.»
«Das ist kein Unglück, Großväterchen. Es ist nur schade, daß ich keine Waffe habe. Geh, mache mir eine eiserne Keule, die fünfundzwanzig Pud wiegt!»
Der Alte schmiedete ihm eine Keule von fünfundzwanzig Pud Gewicht. Iwaschko ergriff die Keule, nahm Abschied und zog in die weite Welt. Er ging und ging, ging, wohin die Augen schauen, und kam an einen Fluß, der drei Werst breit war. Am Ufer stand ein Mensch, der hielt den Fluß mit seinem Munde auf, fing Fische mit dem Schnauzbart, briet sie auf seiner Zunge und aß sie.
«Sei gegrüßt, Ritter Schnauzbart!»
«Sei gegrüßt, Iwaschkobärchen, wohin des Weges?»
«Das weiß ich selber nicht, wohin die Augen schauen.»
«Nimm mich mit!»
«Komm, Bruder, ich freue mich des Gefährten!»
Die beiden gingen miteinander weiter. Da begegneten sie einem Helden, der trug einen Berg, warf ihn in ein Tal und machte ebene Wege. Iwaschkobärchen staunte und sprach: «O Wunder, seht das Wunder! Du bist wohl übermäßig stark, Bergriese?»
«Oh, Bruder, meine Kraft ist nicht allzu groß. Da läuft Iwaschkobär in der Welt herum, der ist wirklich stark.»
«Das bin ja ich!»
«Wohin gehst du?»
«Wohin die Augen schauen.»
«Nimm mich mit!»
«Gerne, wandern wir zu dritt!»
Sie gingen miteinander weiter. Da sahen sie einen Helden, der sorgte, daß die Eichbäume alle zu gleicher Höhe wuchsen. War ein Baum zu hoch,
so drückte er ihn in die Erde zurück, war er zu klein, so zog er ihn in die Höhe. Iwasdiko staunte und sprach: «Ei, was für eine wunderbare Kraft!»«Oh, Brüder, meine Kraft ist nicht allzu groß. Da läuft Iwaschkobär in der Welt herum, der ist wirklich stark.»
«Das bin ja ich!»
«Wohin führt dich Gott?»
«Ich weiß es nicht, Baumriese, wohin die Augen schauen.»
«Nimm mich mit!»
«Gut, ich freue mich des Gefährten.»
Nun waren es ihrer vier, und sie gingen miteinander weiter. Ober kurz oder lang kamen sie in einen dichten, dunklen Wald. In der Mitte des Waldes stand ein Hüttchen auf Hühnerfüßchen, das drehte sich fort und fort. «Hüttchen, Hüttchen», rief Iwaschko, «dreh das Gesicht zu uns und kehre dem Walde den Rücken!»
Das Hüttchen drehte sich zu ihnen, und Türen und Fenster sprangen von selber auf. Die Helden traten in das Hüttchen hinein. Innen war niemand zu sehen. Aber auf dem Hofe waren Enten, Gänse und Truthühner in großer Zahl.
«Brüder», sagte Iwasdiko, «es taugt nicht, wenn alle zu Hause sitzen. Losen wir, wer bleiben soll; die anderen ziehen auf die Jagd.»
Das Los traf Ritter Schnauzbart. Die beiden Brüder zogen auf die Jagd. Schnauzbart bereitete ein herrliches Mahl, wusch sich den Kopf, setzte sich ans Fenster und kämmte seine Locken. Plötzlich drehte sich alles, es wurde trüb, und er sah grün und blau vor den Augen. Die Erde wurde zum Nabel, ein Stein brach heraus, und hervor kam die Baba Jaga Knochenbein. Sie ritt in einem eisernen Mörser, trieb ihn mit einem eisernen Schlegel an, und hinter ihr kläffte ein Hündlein.
«Schnauzbart, ich bekomme Essen und Trinken!»
«Wie es beliebt, Baba Jaga Knochenbein!»
Er setzte sie an den Tisch und gab ihr ein wenig Speise. Sie aß es auf, er gab ihr noch einmal, das gab sie dem Hund.
«So also bewirtest du mich!» schrie die Baba Jaga.
Sie ergriff den Schlegel und schlug auf ihn ein, schlug und schlug, bis er unter das Bänklein rollte. Dann schnitt sie ihm einen Riemen aus dem Rücken, aß die ganze Speise auf und fuhr davon.
Als Schnauzbart zu sich kam, verband er seinen Kopf mit einem Tüchlein, setzte sich hin und stöhnte.
Iwaschko Bärchen kam mit seinen Brüdern heim: «Nun, Schnauzbärtchen, gib uns zu essen, was du gekocht hast!»
«Ach, ihr Brüder, ich habe nichts gekocht und nichts gebraten. Ich bin ganz benommen vom Kohlendunst, und das Häuschen ist voller Rauch.»
Am anderen Tag blieb Bergriese zu Hause. Er kochte und briet, wusch sich den Kopf, setzte sich ans Fenster und kämmte seine Locken mit einem Kamm. Plötzlich drehte sich alles, es wurde trüb, und er sah grün und blau vor den Augen. Die Erde wurde zum Nabel, ein Stein brach heraus, und hervor kam die Baba Jaga Knochenbein. Sie ritt im Mörser, trieb ihn mit dem Schlegel an, und hinterdrein bellte ihr Hündlein.
«Bergriese, ich bekomme Essen und Trinken!»
«Wie es beliebt, Baba Jaga Knochenbein!»
Er gab ihr einen Bissen, den aß sie auf, er gab ihr einen zweiten, den gab sie dem Hund.
«So also bewirtest du midi!» schrie sie, ergriff ihren eisernen Schlegel und schlug auf ihn ein, bis er unter der Bank lag. Dann schnitt sie ihm einen Riemen aus dem Rücken, aß alles bis auf das letzte Krümchen und fuhr von dannen.
Als Bergriese zu sich kam, verband er seinen Kopf, ging herum und stöhnte.
Iwasdiko kam mit den Brüdern heim und fragte: «Nun, Bergriese, was hast du uns gebraten?»
«Ach, ihr Brüder, mir ist nichts geraten. Das Holz ist feucht, der Ofen raucht: Mit Mühe und Not habe ich ihn angefeuert.»
Am dritten Tag blieb Baumriese zu Hause. Er kochte und briet, wusch sich den Kopf, setzte sich ans Fenster und kämmte seine Locken.
Plötzlich drehte sich alles, es wurde trüb, und er sah grün und blau vor den Augen. Die Erde wurde zum Nabel, ein Stein brach heraus, hervor kam die Baba Jaga Knochenbein. Sie ritt im eisernen Mörser, trieb ihn mit dem Schlegel an, und hinterdrein kläffte ihr Hündlein.
«He, Baumriese, ich bekomme Essen und Trinken!»
«Wie es beliebt, Baba Jaga Knochenbein!»
Sie setzte sich, und er gab ihr ein Stück, er gab ihr ein zweites, das gab sie dem Hund.
«So bewirtest du mich?»
Sie nahm den Schlegel, schlug ihn und schlug, bis er unter der Bank lag. Dann schnitt sie ihm einen Riemen aus dem Rücken, aß alles auf und fuhr davon. Als Baumriese sich erholt hatte, band er ein Tuch um seinen Kopf und ging stöhnend umher.
Iwaschko kehrte heim: «Baumriese, gib uns zu essen!»
«Ich habe weder gekocht noch gebraten. Ich habe mich verbrannt und der Dunst hat mich benebelt. Die Hütte war voller Rauch.»
Am vierten Tag kam die Reihe an Iwaschkobärchen. Er kochte und briet, wusch seinen Kopf, setzte sich ans Fenster und kämmte sich die Haare. Plötzlich drehte sich alles, es wurde trübe, und er sah grün und blau vor
den Augen, die Erde wurde zum Nabel, ein Stein brach heraus und, fuh, hervor kam die Baba Jaga Knochenbein. Sie ritt auf ihrem Mörser, trieb ihn mit dem Schlegel an, und hinterdrein kläffte das Hündchen.«Iwaschkobärchen, ich bekomme Essen und Trinken!»
«Wie es beliebt, Baba Jaga Knochenbein!»
Sie setzte sich, und er gab ihr ein Stück - sie aß es auf. Er gab ihr ein anderes, das warf sie dem Hunde vor.
«So bewirtest du mich?» Sie ergriff den Schlegel, drang auf ihn ein und wollte ihn schlagen. Iwaschko aber ward zornig, entriß ihr den Schlegel und fing an, sie zu schlagen. Erschlug und schlug, bis sie halbtot war. Dann schnitt er drei Riemen aus ihrem Rücken und sperrte sie in ein Kämmerchen. Nach einer Weile kamen seine Gefährten.
«Iwaschko, wir wollen essen!» «Jawohl, liebe Freunde, setzt euch!»
Sie setzten sich und aßen. Von allem war reichlich vorhanden. Die Helden wunderten sich und sagten zueinander: «Gewiß blieb er von der Baba Jaga verschont!»
Nach dem Essen heizte Iwasdiko die Badstube, und alle gingen hinein, um ein Dampfbad zu nehmen, Schnauzbart, Bergriese und Baumriese wuschen sich, kehrten aber Iwaschko nie den Rücken zu. «Brüder», fragte Iwaschko. «weshalb versteckt ihr euren Rücken vor mir?» Da mußten sie eingestehen, daß die Baba Jaga bei ihnen war und jedem einen Riemen aus dem Rücken geschnitten hatte.
«Also deswegen waret ihr vom Dunst betäubt?» rief Iwaschko, lief zu dem Kämmerchen, nahm der Baba Jaga die drei Riemen ab und legte sie auf die Rücken seiner Gefährten, und alles war wieder heil. Dann nahm Iwaschkobärchen einen Strick, band ihn der Baba Jaga ans Bein und hing sie an ihrem Knochenbein ans Tor. «Nun Brüder, laß uns schießen, wer das Seil durchschießt, ist Sieger!»
Als erster schoß Schnauzbart, traf aber nicht. Als zweiter Bergriese, der traf schon näher. Baumriese streifte fast das Seil, Iwasdiko aber schoß es entzwei. Die Baba Jaga fiel herab, lief zu dem Stein und verschwand in der Erde. Die Helden jagten ihr nach, wollten den Stein wegwälzen. Der eine versucht, der andere versucht - sie können den Stein nicht heben. Iwaschko lief hinzu, stieß mit dem Fuße daran, da flog er weg, eine Höhlung öffnete sich. «Brüder, wer steigt hinab?»
Keiner wollte es. «Dann muß ich hinabsteigen», sprach Iwaschkobärchen.
Er nahm einen Pfosten, stellte ihn neben das Loch, hängte eine Glocke daran und stellte ihn am Abgrund auf. An dem Pfosten befestigte er ein Seil, das andere Ende des Selles aber schlang er sich um. «Laßt mich in die Erde hinab, und wenn ich läute, zieht mich wieder herauf!»
Die Helden ließen ihn in die Höhle hinab. Schon war das Seil zu Ende, aber man sah noch lange keinen Grund. Da nahm Iwaschkobärchen aus seiner Tasche die drei Riemen aus dem Rücken der Baba Jaga, knüpfte sie aneinander und ließ sich vollends hinab in die andere Welt. Er sah einen ausgetretenen Weg, ging darauf weiter und kam an ein Schloß. In dem Schlosse saßen drei schöne Jungfrauen, die riefen ihm zu: «Ach, guter Jüngling, warum kamst du hierher? Unsere Mutter, die Baba Jaga, wird dich bald verschlingen.»
«Wo ist sie denn?»
«Sie schläft, und unter ihrem Kopf liegt ein mächtiges Schwert. Aber rühre es nicht an, sonst erwacht sie sogleich und wirft es nach dir! Hier hast du zwei goldene Äpfelchen in einer silbernen Schüssel. Nimm eins, wecke die Alte sanft auf und bitte sie, die goldenen Äpfelchen zu kosten. Wenn sie den Kopf hebt, um zu essen, ergreife das Schwert und schlage ihr mit einem Streiche den Kopf ab. Tu aber keinen zweiten Schlag, sonst kommt sie wieder ins Leben zurück und schafft dir grausamen Tod!»
Iwaschko tat alles, was die Jungfrauen gesagt hatten, und schlug der Baba Jaga den Kopf ab. Dann führte er die schönen Jungfrauen zu jenem Loch. Er band die älteste Schwester an das Seil, zog an der Glocke und rief: «Hier, Schnauzbart, hast du deine Frau!» Die Helden zogen die Jungfrau hinauf und ließen das Seil wieder hinab. Iwaschko band die zweite Schwester daran, läutete die Glocke und rief: «Bergriese, da hast du deine Frau!» Und sie zogen sie hinauf. Iwaschko band die jüngste Schwester an das Seil und rief: «Jetzt kommt meine Frau!» Dann band Iwaschko sich selber fest und läutete die Glocke.
Baumriese aber wollte ihm die Frau nicht gönnen und wurde böse. Und als sie Iwaschko hinaufzogen, nahm er einen Knüttel und zerschlug das Seil in zwei Hälften. Iwaschko stürzte in die Tiefe und schlug hart auf den Boden.
Als der wackere Held wieder zu sich gekommen war, wußte er nicht, was er beginnen sollte. Einen Tag saß er, einen zweiten und dritten, ohne zu essen und zu trinken und wurde ganz schwach vor Hunger. Da dachte er bei sich: «Ich werde in den Kammern der Baba Jaga nach Nahrung suchen, vielleicht finde ich etwas zu essen.» Er ging in ihre Kammern, fand Speise und Trank und gelangte zu einem Gang in der Erde. Dem ging er nach und stieg hinauf ans Tageslicht.
Dort kam er auf ein freies Feld und sah eine schöne Jungfrau, die weidete ihre Herde. Als er näher trat, erkannte er seine Braut.
«Schöne Jungfrau, was tust du?»
«Ich hüte die Herde. Meine Schwestern vermählten sich mit den beiden Helden. Ich aber wollte Baumriese nicht, darum läßt er mich hier Kühe hüten.»
Am Abend trieb die schöne Jungfrau die Kühe heim, und Iwaschko folgte ihr nach. In der Hütte saßen Schnauzbart, Bergriese und Baumriese am Tisch und feierten. «Gute Leute, reicht mir einen Becher jungen Wein!» sprach Iwaschko. Sie schenkten ihm ein, er trank aus und bat um einen zweiten Becher. Er trank aus und bat um einen dritten. Als er den dritten Becher getrunken hatte, entflammte sich sein heldenhaftes Herz. Er ergriff seine Kriegskeule und erschlug die drei Helden. Dann warf er ihre Leichen auf das freie Feld, den wilden Tieren zum Fraß.
Iwaschko aber nahm seine erwählte Braut, kehrte mit ihr zu dem Alten und seiner Frau zurück und feierte fröhliche Hochzeit. Da wurde viel gegessen und getrunken.
Ich bin auch auf der Hochzeit gewesen, habe Honigmet und Wein getrunken. Es floß mir über den Bart, aber der Mund blieb trocken. Sie gaben mir einen Krug Bier in die Hände -damit ist meine Geschichte zu Ende.
IWAN ZAREWITSCH UND ELENA, DIE WUNDERSCHÖNE
In jenem Zarenreich - nicht in unserem Weltreich - lebte einmal ein Zar im Zarenreich, ein König im Königreich, der hatte zwei Kinder: einen Sohn, Iwan Zarewitsch, und eine Tochter, Elena, die Wunderschöne. Eines Tages erschien der Bär Eisenfell und fing an, die Untertanen zu verschlingen. Der Bär fraß die Menschen, und der Zar saß und dachte bei sich: wie soll ich meine Kinder retten? Er befahl, eine hohe, hohe Säule aufzurichten. Auf diese Säule setzte er Iwan Zarewitsch und Elena, die Wunderschöne, und Speise dazu für fünf Jahre.
Als der Bär alle Menschen verschlungen hatte, lief er in das Zarenschloß, aber weil er nichts mehr fand, fing er an, voller Wut an einem Reisigbesen zu nagen.
«Zernage mich nicht, du Bär Eisenfell», sagte der Reisigbesen, «geh lieber in das Feld. Dort wirst du eine hohe Säule sehen, und auf dieser Säule sitzen Iwan Zarewitsch und Elena, die Wunderschöne.»
Der Bär lief zu der Säule und fing an, daran zu rütteln. Iwan Zarewitsch erschrak und warf ihm etwas Nahrung hinab. Der Bär fraß es auf, legte sich nieder und schlief ein.
Als er eingeschlafen war, stiegen Iwan Zarewitsch und Elena, die Wunderschöne, herab und liefen davon, liefen, ohne sich umzuschauen. Am Wege stand ein Pferd. «Roß, Roß, rette uns!» Als sie sich gerade auf das Pferd gesetzt hatten, holte der Bär sie ein. Er riß das Pferd in Stücke, nahm Iwan
Zarewitsch und Elena, die Wunderschöne, in seinen Rachen und brachte sie zu der Säule zurück. Sie gaben ihm wieder etwas von ihrer Nahrung. Er fraß es auf, legte sich hin und schlief ein.Als der Bär schlief, liefen Iwan Zarewitsch und Elena, die Wunderschöne, davon, ohne sich umzusehen. Am Wege entlang liefen Gänse. «Gänse, Gänse, rettet uns!» Sie setzten sich auf die Gänse und flogen davon. Der Bär aber erwachte, holte sie ein, versengte die Gänse mit lodernden Flammen und brachte die Zarenkinder zur Säule zurück. Sie gaben ihm wieder Nahrung und er schlief abermals ein.
Als der Bär schlief, liefen Iwan Zarewitsch und Elena, die Wunderschöne, fort, ohne sich umzusehen. Auf dem Wege stand ein dreijähriges Stierlein. «Stierlein, Stierlein, rette uns, hinter uns jagt der Bär Eisenfell!» «Setzt euch auf mich, Kinder! Du aber, Iwan Zarewitsch, wende das Gesicht zum Schwanze, und wenn du den Bären siehst, so sage es mir!»
Als der Bär sie einholte, sagte es Iwan Zarewitsch dem Stierlein, und das Stierlein drückte.., und verklebte dem Bären die Augen. Dreimal holte der Bär sie ein, dreimal verklebte ihm das Stierlein die Augen. Dann mußten sie einen Fluß durchschwimmen. Der Bär schwamm hinterher und ertrank.
Iwan Zarewitsch und Elena, die Wunderschöne, aber waren hungrig geworden. Da sprach das Stierlein zu ihnen: «Ihr müßt mich schlachten und essen! Meine Knochen aber sollt ihr sammeln und gegeneinanderschlagen. Aus meinen Knochen kommt das Männlein Kulatschok - klein wie ein Nagel und der Bart bis zum Ellenbogen.»
Die Zeit geht und geht - sie hatten das Stierlein aufgegessen und bekamen wieder Hunger. Da schlugen sie die Knöchlein leicht zusammen und das Männlein Kulatschok erschien. Nun gingen sie alle drei in den Wald. In diesem Walde stand ein Haus und dieses Haus gehörte den Räubern. Das Männlein Kulatschok erschlug die Räuber und ihren Hauptmann und verschloß sie alle in eine Kammer. Elena, der Wunderschönen, aber verbot er, die Kammer zu betreten. Sie jedoch hielt es nicht aus, schaute hinein und verliebte sich in den Kopf des Hauptmanns. Sie bat Iwan Zarewitsch, ihr Wasser des Lebens und Wasser des Todes zu bringen. Und kaum hatte ihr Iwan Lebens- und Todeswasser gebracht, erweckte Elena den Räuberhauptmann vom Tode. Die beiden kamen überein, Iwan Zarewitsch zu vernichten. Zuerst beschlossen sie, ihn nach Wolfsmilch auszusenden.
Iwan Zarewitsch und das Männlein Kulatschok gingen miteinander auf die Suche. Schließlich fanden sie eine Wölfin. «Wölfin, gib uns deine Milch!»
«Nur dann», sagte die Wölfin, «wenn ihr auch mein kleines Wölflein mitnehmt, denn es tut nichts, näßt nur und schmutzt und frißt umsonst das Brot.»
Sie nahmen das Wölflein mit, kehrten zurück und brachten Elena die Milch, aber das Wölflein behielten sie für sich.
Da sahen die beiden, Elena und der Hauptmann, daß aus ihren Schlichen nichts geworden war, und sie schickten Iwan Zarewitsch abermals fort, um Bärenmilch zu holen.
Also gingen die beiden, Iwan Zarewitsch und das Männlein Kulatschok, fort, um Bärenmilch zu suchen, und schließlich fanden sie eine Bärin. «Bärin, gibst du deine Milch?»
«Gut», sagte die Bärin, «ich gebe sie euch. Aber nehmt auch mein kleines Bärlein mit, denn es tut nichts, näßt nur und schmutzt und frißt umsonst das Brot.»
Sie nahmen die Milch und das Bärlein und kehrten zurück. Elena, die Wunderschöne, bekam die Milch, und das Bärlein blieb bei Iwan Zarewitsch und dem Männlein Kulatschok. So war auch diese List umsonst.
Nun schickten sie Iwan Zarewitsch fort, um Löwenmilch zu holen. Iwan und das Männlein Kulatschok zogen aus, Löwenmilch zu suchen, und fanden auch schließlich eine Löwin. «Löwin, gib uns deine Milch!»
«Gut», sagte die Löwin, «ich gebe sie euch, aber nehmt auch mein Junges mit, denn es tut nichts, näßt nur und schmutzt und frißt umsonst das Brot.»
Sie kehrten zurück, gaben Elena die Milch und nahmen das Löwenjunge für sich.
Als der Hauptmann und Elena, die Wunderschöne, sahen, daß es nicht gelungen war, Iwan Zarewitsch zu vernichten, sandten sie Iwan Zarewitsch aus, die Eier des Feuervogels zu holen.
Iwan Zarewitsch und das Männlein Kulatschok zogen in die Welt hinaus, um diese Eier zu suchen, und fanden auch endlich den Feuervogel. Als sie ihm aber die Eier nehmen wollten, geriet der Feuervogel in Zorn und verschluckte das Männlein Kulatschok. Iwan Zarewitsch mußte ohne Eier nach Hause zurückkehren. Er kam zu Elena, der Wunderschönen, und erzählte ihr, daß er die Eier nicht erlangen konnte und der Feuervogel das Männlein Kulatschok verschluckt habe. Da freuten sich Elena, die Wunderschöne, und der Räuberhauptmann, denn sie meinten, ohne das Männlein Kulatschok könne Iwan Zarewitsch nichts tun, und sie gaben Befehl, ihn zu töten.
Iwan Zarewitsch aber hatte alles gehört und bat die Schwester, das Badhaus heizen zu lassen, denn er wollte sich vor dem Tode noch einmal waschen. Elena, die Wunderschöne, gab Befehl, die Badstube tüchtig zu heizen, und Iwan Zarewitsch ging hinein.
Nach einer Weile schickte sie ihre Boten, er solle sich mit dem Waschen beeilen, aber Iwan Zarewitsch hörte nicht darauf und wusch sich langsam und gemächlich rein.
Auf einmal kamen das Wölflein, das Bärlein und das Löwenjunge gelaufen und riefen ihm zu, daß das Männlein Kulatschok sich aus der Gewalt des Feuervogels befreit habe und sogleich zu ihm käme. Iwan Zarewitsch befahl den Tieren, sich auf die Schwelle des Badhauses zu legen, und fuhr fort, sich zu waschen. Elena, die Wunderschöne, schickte wieder einen Boten, er solle sich mit dem Waschen beeilen, und wenn er nicht bald herauskäme, hole sie ihn selber. Iwan Zarewitsch aber hörte nicht darauf und wusch sich weiter. Elena, die Wunderschöne, wartete und wartete, schließlich aber wurde sie ungeduldig und ging mit dem Räuberhauptmann hin, um nachzusehen, was Iwan Zarewitsch dort treibe. Sie kam und sah, daß er sich immer noch wusch und gar nicht auf ihre Befehle hörte, wurde zornig und schlug ihm ins Gesicht.
Da plötzlich kam das Männlein Kulatschok zurück und befahl dem Wölflein, dem Bärchen und dem Löwenjungen, den Räuberhauptmann in Stücke zu zerreißen. Elena, die Wunderschöne, aber band er nackend fest an einen Baum, daß ihr Leib den Fliegen und Mücken preisgegeben war. Dann machte er sich auf und ging mit Iwan Zarewitsch auf die große breite Straße. Als sie so dahingingen, erblickten sie einen mächtigen Palast. «Iwan Zarewitsch, willst du dich nicht vermählen?» fragte das Männlein Kulatschok. «In diesem Palast lebt eine Heldenjungfrau, und die sucht einen Helden, der sie besiegen kann.»
Sie gingen auf den Palast zu. Nicht weit davon bestieg Iwan Zarewitsch ein Roß und das Männlein Kulatschok setzte sich hinter ihn, und sie forderten die Heldenjungfrau zum Kampfe heraus. Die Heldenjungfrau kam heraus, sie kämpften und kämpften, und sie schlug Iwan Zarewitsch auf die Brust. Beinahe wäre Iwan Zarewitsch vom Pferde gefallen, aber das Männlein Kulatschok hielt ihn fest. Endlich traf Iwan Zarewitsch die Heldenjungfrau mit der Lanze, und sie fiel sogleich vom Pferde herab. Als er sie vom Pferde geworfen hatte, sprach sie: «Nun, Iwan Zarewitsch, jetzt will ich mich mit dir vermählen!»
Aber schnell wird nur ein Märchen erzählt, nicht so schnell eine Tat getan.
Iwan Zarewitsch vermählte sich mit der Heldenjungfrau.
«Iwan Zarewitsch», sprach das Männlein Kulatschok, «wenn du in der ersten Nacht ohnmächtig wirst, so komme schnell heraus, ich werde dir helfen.»
Iwan Zarewitsch ging mit der Heldenjungfrau schlafen. Auf einmal legte sie ihm ihre Hand auf die Brust und Iwan wurde es schwach. Er bat, ob er hinausgehen dürfe. Und als er hinausgegangen war, rief er das Männlein Kulatschok und flüsterte ihm zu, daß ihn die Heldenjungfrau erdrücken wolle. Das Männlein ging zu der Heldenjungfrau hinein, schlug sie und murmelte dabei: «Ehre deinen Mann, ehre deinen Mann!»
Von dieser Zeit an lebten Iwan Zarewitsch und die Heldenjungfrau zusammen, und sie lebten im Guten, und das Gute mehrte sich.
Eines Tages sprach Elena, die Wunderschöne, zu Iwan Zarewitsch: «komm, Brüderchen, ich werde dir den Kopf absuchen!»
Sie fing an zu suchen und stieß ihm einen toten Zahn hinein. Iwan fing an zu sterben.
Das Löwenjunge sah, daß Iwan Zarewitsch starb, und zog ihm den toten Zahn heraus. Iwan Zarewitsch begann zu leben, das Löwenjunge aber fing an zu sterben.
Das sah das Bärenjunge und zog dem Löwenjungen den toten Zahn heraus. Das Löwenjunge begann zu leben, und das Bärchen fing an zu sterben.
Da lief der Fuchs - sah, daß das Bärenjunge am Sterben lag, und zog ihm den toten Zahn heraus. Und weil ein Fuchs schlauer ist als alle anderen Tiere, so warf er sofort den Zahn weg. Er flog auf eine heiße Bratpfanne und zerfiel in Stücke.
Da nahm Iwan Zarewitsch Elena, die Wunderschöne, band sie an den Schweif eines Heldenrosses und jagte sie ins freie Feld.
Ich bin auch dabei gewesen und habe das alles gesehen. Ich habe Honigmet getrunken - es lief mir über den Bart, aber es kam nichts in meinen Mund.
DER HELLSICHTIGE TRAUM
Es war einmal ein Kaufmann, der hatte zwei Söhne, Demetrius und Johannes. Einmal, als er sie für die Nacht segnete, sprach er zu ihnen: «Kinder, was ihr heute nacht träumen werdet, sollt ihr mir morgen früh anvertrauen; aber wer seinen Traum verschweigt, den werde ich töten lassen.»
Am anderen Morgen kam der ältere Sohn und sprach: «Vater, mir träumte, daß Bruder Johannes auf zwölf Adlern bis unter das Himmelsgewölbe flog, und daß dein Lieblingslamm umkam.»
«Und was hast du geträumt, Johannes»?
«Ich sage es nicht», antwortete der Sohn. Und wie ihm der Vater auch zuredete, er blieb hartnäckig und erwiderte auf alle Ermahnungen: «Ich sage es nicht, ich sage es nicht!»
Der Kaufmann ward zornig, rief seine Diener und befahl, den ungehorsamen Sohn nackt auszuziehen und an einer Säule an der Landstraße festzubinden. Wie gesagt, so getan - die Diener ergriffen ihn und banden ihn fest, ganz fest an eine Säule. Schlecht ging es dem braven Jüngling, die Sonne schien heiß auf ihn herab, Hunger und Durst quälten ihn, und die Mücken stadien ihn.
Da kam ein junger Königssohn des Weges daher und erblickte den Kaufmannssohn. Er empfand Mitleid mit ihm, ließ ihn losbinden und mit seinem eigenen Gewande bekleiden. Dann führte er ihn in sein Schloß und fing an ihn zu fragen: «Wer band dich an jene Säule?»
«Mein eigener Vater, er war zornig auf midi.»
«Was hast du verbrochen?»
«Ich wollte ihm nicht erzählen, was ich geträumt habe.»
«Wie einfältig ist doch dein Vater, eine Kleinigkeit so hart zu bestrafen! Was träumte dir denn?»
«Das sage ich nicht, o Königssohn!»
«Du sagst es nicht, und ich habe dich vom Tode errettet?»
«Ich sagte es dem Vater nicht, ich sage es auch dir nicht!»
Der junge König ward zornig und befahl, Johannes, den Kaufmannssohn, in das Gefängnis zu setzen. Sogleich kamen die Soldaten herbei und brachten den Knecht Gottes in ein dunkles Verließ.
Ein Jahr verging, und der Königssohn wollte sich vermählen. Er rüstete sich und ritt fort in ein fremdes Reich, um Elena, die Wunderschöne, zu freien.
Bald danach ging seine Schwester einmal an dem Turme vorüber. Johannes, der Kaufmannssohn, erblickte sie von seinem Fensterchen aus und rief mit lauter Stimme: «Erbarme dich, o Königstochter, und lasse mich frei! Vielleicht kann ich dir einmal nützlich sein; weiß ich doch, daß der Königssohn fortritt, um Elena, die Wunderschöne, zu freien. Ohne mich wird er sich aber nicht mit ihr vermählen können, am Ende sogar sein Vorhaben mit dem Kopfe bezahlen. Vielleicht hast du selber schon einmal gehört, daß Elena, die Wunderschöne, überaus klug ist und ihretwegen schon viele Freier den Kopf verloren haben.»
«Und du willst dem Königssohn helfen?»
«Ich könnte es schon, aber dem Falken sind die Flügel gebunden.»
Die Königstochter gab Befehl, ihn sogleich aus dem Turme zu befreien. Nun erwählte sich Johannes, der Kaufmannssohn, seine Gefährten. Mit ihm zusammen waren es zwölf, alle einander gleich wie leibliche Brüder. Wuchs wie Wuchs, Stimme wie Stimme, Haar wie Haar. Sie kleideten sich in Röcke von gleicher Farbe und von gleichem Maß, setzten sich auf ihre braven Pferde und ritten los. Sie ritten einen Tag - zwei Tage - drei Tage. Am vierten Tage kamen sie in einen mächtigen, dichten Wald. In diesem Walde
hörten sie ein lautes Geschrei. «Haltet an, Brüder», rief Johannes, «wartet hier, ich gehe jenem Lärm nach.»Er sprang vom Pferde und lief in den Wald. Auf einer Lichtung fand er drei alte Männer, welche heftig miteinander stritten. «Seid gegrüßt, ihr Alten, warum streitet ihr?»
«Ach, wackerer Jüngling, von unserem Vater erhielten wir drei Wunderdinge: ein unsichtbar machendes Hütlein, einen fliegenden Teppich und ein Paar selbstlaufende Stiefel. Schon siebzig Jahre streiten wir, aber wir können darob nicht einig werden.»
«Wollt ihr, daß ich sie verteile»?
«Habe die Güte!»
Johannes, der Kaufmannssohn, spannte seinen Bogen, legte drei Pfeile darauf und schnellte sie nach verschiedenen Richtungen ab. Dem einen Greis befahl er, nach rechts zu laufen, dem anderen, nach links, und den dritten schickte er geradeaus. «Wer den ersten Pfeil zurückbringt, dem gehört das unsichtbar machende Hütlein, wer als Zweiter erscheint, erhält den fliegenden Teppich, und der letzte mag die selbstlaufenden Stiefel nehmen.» Die Alten liefen hinter den Pfeilen her.
Johannes, der Kaufmannssohn, aber nahm die drei Wunderdinge und kehrte zu seinen Gefährten zurück. «Brüder», sagte er, «laßt die Rosse laufen und setzt euch mit mir auf den fliegenden Teppich!» Sie setzten sich miteinander auf den fliegenden Teppich und flogen in das Reich Elenas, der Wunderschönen. Sie kamen in die Hauptstadt und hielten beim Schlagbaum an. Dann fingen sie an, den Königssohn zu suchen, und fanden seinen Hof.
«Was wollt ihr?» fragte er.
«Nimm uns brave Burschen alle zwölf in deine Dienste! Wir wollen für dich sorgen und dir aus treuem Herzen dienen.»
Der Königssohn nahm sie in seinen Dienst und gab dem einen die Stelle eines Kochs, dem anderen die eines Pferdeknechts - jedem seinen besonderen Platz.
Am gleichen Tage kleidete sich der Königssohn in sein Festgewand und ritt zum Schlosse, um sich Elena, der Wunderschönen, vorzustellen. Sie kam ihm freundlich entgegen, bewirtete ihn mit Speise und Trank und fragte: «Sage mir, o Königssohn, warum du uns besuchst?»
«Ich will um dich freien, Elena, du Wunderschöne, willst du dich mit mir vermählen?»
«Ich bin einverstanden, aber du mußt vorher drei Aufgaben erfüllen; wenn du sie erfüllst, werde ich die Deine, wenn nicht, so sei bereit, deinen Kopf unter ein scharfes Beil zu legen.»
«Gib die erste Aufgabe!»
«Ich werde morgen etwas haben - was, das sage ich nicht. Klügle es aus, o Königssohn, und bringe das herbei, was meinem Unbekannten völlig gleich ist!»
Voll großer Sorge kehrte der Königssohn in seine Herberge zurück.
«O Königssohn», fragte Johannes, «warum bist du so traurig, hat dich Elena, die Wunderschöne, gekränkt? Teile mir deinen Kummer mit, dann wird es dir leichter werden!»
Der Königssohn antwortete: «Elena, die Wunderschöne, hat mir eine Aufgabe gestellt, die kein Weiser auf der Welt lösen kann.»
«Nun, das ist noch nicht das größte Übel, bete zu Gott und lege dich schlafen, der Morgen ist weiser als der Abend. Morgen wollen wir die Sache überlegen.»
Der Königssohn legte sich schlafen. Johannes, der Kaufmannssohn, setzte das unsichtbar machende Hütlein auf, zog die selbstlaufenden Stiefel an und eilte zu Elena, der Wunderschönen, ging geradeswegs in ihr Gemach und lauschte. Sie gab gerade ihrer liebsten Magd einen Auftrag: «Nimm diesen kostbaren Stoff und bringe ihn zum Schuhmacher, er soll so schnell wie möglich einen Schuh für meinen Fuß daraus machen!»
Die Magd eilte davon und Johannes hinter ihr her. Der Meister machte sich sogleich an die Arbeit, nähte eilends den Schuh und stellte ihn ans Fenster. Johannes, der Kaufmannssohn, nahm leise den Schuh und steckte ihn in seine Tasche. Der arme Schuster lief hin und her, aber seine Arbeit blieb verschwunden. Er suchte und suchte, durchstöberte alle Winkelchen, aber alles war vergebens. «Das ist ein Wunder», sagte er, «oder irgendein Teufel treibt seinen Scherz mit mir.» Da war nichts zu machen, er mußte noch einmal zur Nadel greifen und einen zweiten Schuh nähen.
«Was bist du für ein langsamer Mensch», sagte Elena, die Wunderschöne, als er ihr den Schuh brachte. «Soviel Zeit hast du auf einen einzigen Schuh verwendet!» Sie setzte sich an ihren Arbeitstisch und fing an, den Schuh mit Gold zu besticken und mit großen Perlen und wunderbaren Edelsteinen zu besetzen. Aber Johannes war auch da, holte seinen Schuh hervor und tat dasselbe. Wenn sie ein Steinchen nahm, wählte er genau das gleiche, wenn sie eine Perle befestigte, tat er es auch. Elena, die Wunderschöne, beendete ihre Arbeit, lächelte und sprach: «Was wird der Königssohn mir morgen zeigen?»
«Warte nur», dachte Johannes, «man weiß noch nicht, wer klüger ist!» Er kehrte in die Herberge zurück und legte sich schlafen.
Bei der Morgenröte stand er auf, kleidete sich an und ging hin, um den Königssohn zu wecken. Er weckte ihn und gab ihm den Schuh. «Geh zu Elena, der Wunderschönen, und zeige ihr den Schuh, das ist die erste Aufgabe!»
Der Königssohn wusch sich, kleidete sich schön an und sprengte zur Braut. Alle Räume waren voller Gäste: Bojaren, Magnaten und Ratsherren. Als der Königssohn eintrat, spielte die Musik, die Gäste sprangen von ihren Plätzen auf, und die Soldaten machten Front.
Elena, die Wunderschöne, holte ihren mit Perlen und Edelsteinen bestickten Schuh hervor, sah auf den königlichen Freier und lächelte.
«Das ist ein schöner Schuh», sprach der Königssohn, «aber wenn man nicht den gleichen dazu hat, ist er zu nichts zu gebrauchen. Offenbar muß ich dir den anderen geben!» Mit diesen Worten holte er aus seiner Tasche den Schuh hervor und stellte ihn auf den Tisch. Da klatschten alle Gäste und riefen mit lauter Stimme: «Heil dem Königssohn, er ist würdig, Elena, die Wunderschöne, unsere Herrin, zu freien!»
«Nun, das werden wir sehen, möge er zuerst die zweite Aufgabe erfüllen! — Ich werde morgen etwas haben, was, das sage ich nicht. Klügle es aus, o Königssohn, und bringe das herbei, was meinem Unbekannten völlig gleich ist!»
Spät am Abend kehrte der Königssohn zurück, noch trüber gestimmt als zuvor.
«Höre auf, dich zu grämen», sagte Johannes, der Kaufmannssohn, «bete zu Gott und lege dich schlafen, der Morgen ist weiser als der Abend!»
Er brachte den Königssohn zu Bett, zog die selbstlaufenden Stiefel an, setzte das unsichtbar machende Hütlein auf und lief zu Elena, der Wunderschönen. Sie gab gerade ihrer Lieblingsmagd folgenden Auftrag: «Geh so schnell wie möglich zum Geflügelhof hinab und hole mir ein weißes Entlein!»
Die Magd lief in den Geflügelhof und Johannes hinter ihr her. Sie packte ein Entchen und Johannes einen Enterich, und beide kehrten auf demselben Wege zurück. Elena, die Wunderschöne, setzte sich an ihren Arbeitstisch, nahm das Entchen und schmückte seine Flügel mit seidenen Bändern und das Schöpfchen mit Diamanten. Johannes, der Kaufmannssohn, sah zu und tat mit seinem Enterich genau das Gleiche.
Am anderen Tage waren bei Elena, der Wunderschönen, abermals alle Gäste versammelt, und die Musik ertönte. Sie ließ ihr Entlein los und fragte den Königssohn: «Hast du meine Aufgabe erraten?»
«Ja, Elena, du Wunderschöne, hier ist zu deinem Entchen der Enterich!» Damit ließ er diesen los.
Einstimmig riefen alle Bojaren: «Ha, der Königssohn, er ist würdig, Elena, die Wunderschöne, zu freien!»
«Halt, muß er doch vorher die dritte Aufgabe lösen! Ich werde morgen etwas haben - was, das sage ich nicht. Klügle es aus, u Königssohn, und bringe das herbei, was meinem Unbekannten völlig gleich ist!»
Am Abend kehrte der Königssohn so traurig nach Hause zurück, daß er gar nicht sprechen konnte.
«Betrübe dich nicht, lege dich schlafen, bete, der Morgen ist weiser als der Abend», sagte Johannes, der Kaufmannssohn. Er setzte schnell das unsichtbar machende Hütlein auf, zog die selbstlaufenden Stiefel an und eilte zu Elena, der Wunderschönen. Sie machte sich gerade zurecht, um an das blaue Meer zu fahren. Sie setzte sich in einen Wagen und fuhr mit großer Geschwindigkeit davon, aber Johannes, der Kaufmannssohn, blieb keinen Schritt hinter ihr zurück. Elena kam an das blaue Meer, um ihr Großväterchen zu rufen. Die Wellen wallten und wogten, und aus dem Meere erhob sich der große Alte. Sein Haupthaar war silbern, der Bart aus Gold. Er kam heraus ans Ufer: «Sei gegrüßt, Großtöchterchen, lange, lange habe ich dich nicht gesehen. Suche mir den Kopf ab und kämme mir das Haar!»
Er legte den Kopf auf ihre Knie und schlief ein. Elena, die Wunderschöne, suchte ihm den Kopf ab. Johannes, der Kaufmannssohn, aber stand hinter ihr. Als sie sah, daß der Greis eingeschlafen war, riß sie ihm drei silberne Haare aus. Johannes, der Kaufmannssohn, aber nahm nicht nur drei Haare, sondern ergriff ein ganzes Büschel. «Au!» schrie der Großvater und fuhr hoch, «bist du von Sinnen, das tut mir weh!»
«Verzeih, Großväterchen», sagte Elena, die Wunderschöne, «ich habe dich solange nicht gekämmt. Alle Haare haben sich verwirrt.»
Der Alte beruhigte sich und schlief wieder ein. Elena, die Wunderschöne, zog ihm drei goldene Haare aus dem Bart. Johannes aber faßte den Bart und riß ihn fast ganz aus. Der Alte schrie auf, sprang in die Höhe und warf sich ins Meer.
«Jetzt ist es mit dem Königssohn vorbei», dachte Elena, die Wunderschöne, «denn diese Haare kann er nicht erlangen.»
Am anderen Tag versammelten sich die Gäste, und auch der Königssohn fuhr zum Schloß. Elena, die Wunderschöne, zeigte ihm die drei silbernen und die drei goldenen Haare. «Sahst du jemals so ein Wunder?» fragte sie ihn.
«Du fandest etwas Rechtes, um dich zu rühmen; wenn du willst, gebe ich dir eine ganze Handvoll davon!» Er holte das silberne und das goldene Büschel hervor und schenkte es ihr.
Da wurde Elena, die Wunderschöne, zornig und lief in ihr Schlafgemach, um in ihrem Zauberbuche nachzusehen, ob der Königssohn alles selber erraten habe, oder ob ihm jemand helfe. In diesem Buche las sie, daß nicht er der Kluge war, sondern sein Diener Johannes, der Kaufmannssohn. Da kehrte sie zu den Gästen zurück und sprach zu dem Königssohn: «Stelle mir deinen Lieblingsdiener vor!»
«Ich habe deren zwölf.»
«Schicke mir den, der Johannes heißt!»
«Sie heißen alle Johannes.»
«Gut, so sollen alle kommen!» Denn sie hoffte, dann den Schuldigen herauszufinden.
Der Königssohn gab den Befehl, und sofort erschienen die zwölf braven Burschen, seine treuen Diener, alle im Gesicht völlig einander gleich, Wuchs wie Wuchs, Stimme wie Stimme, Haar wie Haar.
«Wer ist der Älteste unter euch?» fragte Elena, die Wunderschöne.
«Ich, ich, ich bin der Älteste!» riefen alle zu gleicher Zeit.
«So kann ich nichts erfahren», dachte Elena, die Wunderschöne, und sie befahl, elf gewöhnliche Becher zu bringen und als zwölften ihren eigenen goldenen Becher. Sie füllte die zwölf Becher mit edlem Wein und bewirtete die braven Burschen, aber keiner von ihnen trank aus einem gewöhnlichen Becher, alle zwölf streckten ihre Hände nach dem goldenen aus. Jeder wollte ihn nehmen, und der Wein wurde verschüttet. Als Elena, die Wunderschöne, sah, daß es ihr so nicht geraten wollte, befahl sie den Burschen, Speise und Trank zu nehmen und sich zum Schlafen niederzulegen.
In der Nacht, als alle im Schlafe lagen, ging sie mit ihrem Zauberbuche zu ihnen, schaute in das Buch und erkannte sogleich den Richtigen. Sie nahm eine Schere und schnitt ihm die Haare an den Schläfen ab. «An diesem Zeichen werde ich ihn morgen erkennen und ihn töten lassen.»
Am Morgen erwachte Johannes, der Kaufmannssohn, griff an den Kopf und fand seine Schläfen geschoren. Schnell sprang er auf und weckte seine Gefährten. «Ihr habt genug geschlafen», rief er, «Unheil ist nahe. Nehmt Scheren und schert eure Schläfen!»
Nach einer Stunde rief Elena, die Wunderschöne, alle zu sich, um den Schuldigen herauszufinden. Aber - o Wunder - wen sie auch ansah, ein jeder hatte geschorene Schläfen. Verzweifelt ergriff sie ihr Zauberbuch und warf es in den Ofen. Nun konnte sie sich nicht mehr weigern, sie mußte sich mit dem Königssohn vermählen.
Froh wurde die Hochzeit gefeiert. Drei Tage und drei Nächte lang ging niemand schlafen, drei Tage und drei Nächte lang waren alle Wirtshäuser geöffnet und jedermann konnte umsonst essen und trinken, soviel er nur wollte.
Als die Gastmähler zu Ende waren, machte sich der Königssohn auf, um mit seiner jungen Gemahlin in sein Reich zu fahren. Voraus schickte er die zwölf Diener. Sie eilten vor die Stadt, breiteten den fliegenden Teppich aus, setzten sich darauf und erhoben sich in die Luft. Hoch stiegen sie hinauf, höher als die Wolken, flogen und flogen, bis sie über jenem dichten Walde angelangt waren, wo sie ihre wackeren Pferde wußten. Im Augenblick, als sie von ihrem Teppich herunterstiegen, kam der erste Greis mit seinem Pfeil
gelaufen, und Johannes, der Kaufmannssohn, übergab ihm das unsichtbarmachende Hütlein. Hinter dem Alten erschien sogleich der zweite und bekam den fliegenden Teppich, und zuletzt lief der dritte herbei und erhielt die selbstlaufenden Stiefel.Dann rief Johannes seine Gefährten und sprach: «Jetzt, Brüder, sattelt eure Pferde, es ist Zeit, daß wir uns auf den Weg machen!» Sie fingen die Pferde ein, sattelten sie und ritten in ihr Vaterland. Als sie in ihrem Vaterlande angekommen waren, erschienen sie sogleich vor der Königstochter. Die Königstochter freute sich über alle Maßen und fragte nach ihrem Bruder, nach seiner Hochzeit und wann er zurückkehre. «Womit kann ich eure großen Dienste belohnen?» fragte sie.
«Setze mich wieder in den Turm!» antwortete Johannes, der Kaufmannssohn. Und was die Königstochter auch dagegen sagte, er bestand auf seinem Willen. Die Soldaten nahmen ihn und führten ihn in das Gefängnis zurück.
Nach dreißig Tagen erschien der Königssohn mit seiner jungen Gemahlin und wurde feierlich empfangen: die Glocken läuteten, die Böller schossen, und die Musik spielte. So viele Leute waren beisammen, daß man auf ihren Köpfen hätte gehen können. Die Bojaren und alle anderen Stände kamen, um sich vorzustellen. Der Königssohn aber schaute sich um und fragte: «Wo ist Johannes, mein treuer Diener?»
«Er sitzt im Gefängnis.»
«Wer wagte es, ihn hineinzusetzen?»
«Du selbst, Bruder, hast es getan», sagte die Königstochter. «Du warst zornig auf ihn und ließest ihn in den Turm bringen. Erinnere dich, du hattest ihn nach einem Traume gefragt, und er wollte ihn dir nicht erzählen.»
«Ist mein Diener wirklich Johannes, der Kaufmannssohn?»
«Ja, er ist es», sagte die Königstochter. «Ich gab ihn für kurze Zeit frei.»
Der Königssohn ließ Johannes, den Kaufmannssohn, holen, fiel ihm um den Hals und bat ihn, sich nicht mehr an das vergangene Böse zu erinnern.
«Du mußt wissen, o Königssohn», sagte Johannes, «daß ich alles vorausgewußt habe, was sich mit dir zugetragen hat, denn alles dieses habe ich im Traume gesehen. Darum habe ich es dir nicht erzählt.»
Der Königssohn erhob Johannes, den Kaufmannssohn, zum General, nahm ihn in sein Schloß und teilte ihm große Güter zu.
Johannes ließ seinen Vater und Demetrius, seinen älteren Bruder, zu sich kommen, und alle miteinander lebten in Frieden und Eintracht und vermehrten ihr Hab und Gut.
DAS MÄRCHEN VON IWAN ZAREWITSCH, DEM FEUERVOGEL
UND DEM GRAUEN WOLF
In einem Reich, in einem Zarenreich lebte einmal ein Zar, der hieß Wysslav Andronowitsch. Er hatte drei Söhne, Dimitri, Wassilij und Iwan. Der Zar besaß einen Garten, der war so reich und schön, wie es keinen zweiten mehr gab. Darin wuchsen kostbare Bäume mit Früchten aller Art und Bäume ohne Früchte. Audi ein Apfelbaum stand darin, darauf wuchsen Äpfel aus lauterem Golde. Der Feuervogel aber, mit den goldenen Federn und den Augen wie aus orientalischem Kristall, kam jede Nacht in den Garten, setzte sich auf diesen Lieblingsbaum des Zaren, riß sich goldene Äpfel ab und flog davon.
Der Zar grämte sich, weil der Feuervogel die Äpfel holte. Daher rief er seine drei Söhne zu sich und sprach: «Meine lieben Söhne, wer von euch kann den Feuervogel fangen? Wer ihn lebend fängt, dem gebe ich zu meinen Lebzeiten die Hälfte des Reiches und bei meinem Tode das ganze Reich.» Darauf erwiderten die Söhne wie aus einem Munde: «Gnädiger Herr Vater, hoher Zar, wir wollen uns mit großem Eifer bemühen, den Vogel lebendig zu fangen.»
In der ersten Nacht ging Dimitri Zarewitsch in den Garten um zu wachen. Er setzte sich unter den Apfelbaum, von dern der Feuervogel die Äpfel holte. Aber bald schlief er ein und hörte nicht, wie der Feuervogel geflogen kam und wieder viele Äpfelchen brach. Am Morgen rief der Zar Wysslav Andronowitsch seinen Sohn Dimitri Zarewitsch zu sich und fragte: «Mein lieber Sohn, hast du den Feuervogel in der Nacht gesehen?» «Nein, gnädiger Herr Vater, ich habe ihn nicht gesehen. In dieser Nacht ist er nicht gekommen.»
In der nächsten Nacht ging Wassilij Zarewitsch in den Garten, um auf den Vogel zu lauern. Er setzte sich unter den Apfelbaum und wachte. Lange saß er da - eine Stunde - zwei Stunden - dann aber schlief er so fest ein, daß er nicht merkte, wie der Feuervogel herbeiflog und die Äpfel pflückte. Am Morgen rief ihn der Zar zu sich und fragte: «Mein lieber Sohn, sahst du den Feuervogel in der Nacht?»
«Gnädiger Herr Vater, in dieser Nacht ist er nicht gekommen.»
In der dritten Nacht ging der jüngste Sohn, Iwan Zarewitsch, in den Garten und wachte. Lange saß er - eine Stunde - eine zweite Stunde und eine dritte. Mit einemmal leuchtete der Garten, als ob er mit vielen Lichtern erhellt würde. Der Feuervogel kam geflogen, setzte sich auf den Apfelbaum und fing an, die goldenen Äpfel zu brechen. Iwan Zarewitsch griff nach ihm und packte ihn an den Schwanzfedern, aber er konnte ihn nicht festhalten,
der Feuervogel riß sich los und flog davon. Iwan Zarewitsch behielt jedoch eine Feder in der Hand. Diejenige, an der er sich festgehalten hatte.Am Morgen, als der Zar vom Schlaf erwacht war, ging Iwan Zarewitsch zu ihm und übergab ihm die Feder des Feuervogels. Der Zar war voller Freude, daß es dem jüngsten Sohn gelungen war, wenigstens eine Feder des Feuervogels zu erringen. Die Feder war so wunderbar und leuchtete mit solcher Kraft, daß ein dunkler Raum kerzenhell wurde. Der Zar bewahrte die Feder in seiner Schatzkammer auf und hütete sie wie ein kostbares Kleinod. Aber von jener Zeit an kam der Feuervogel nicht mehr in den Garten geflogen.
Als eine Zeit vergangen war, rief der Zar Wysslav seine beiden älteren Söhne zu sich und sprach: «Liebe Kinder, ich gebe euch meinen Segen, ziehet aus, sucht den Feuervogel und bringt ihn lebendig zu mir! Derjenige, der ihn bringt, wird erhalten, was ich versprach.»
Dimitri Zarewitsch und Wassilij Zarewitsch ließen sich segnen und zogen aus, um den Feuervogel zu suchen. Aber im Herzen hegten sie Groll gegen Iwan Zarewitsch, weil es ihm gelungen war, die goldene Feder des Feuervogels zu erlangen.
Auch Iwan Zarewitsch bat den Vater um seinen Segen. Der Zar aber sprach: «Mein geliebter Sohn, du bist noch zu jung für einen so weiten und schweren Weg. Warum soll ich dich von mir lassen? Sind doch deine Brüder schon fortgezogen. Was soll werden, wenn auch du von mir gehst und ihr lange nicht zurückkehrt? Ich bin schon alt und gehe unter Gott. Wenn während eurer Abwesenheit Gott, der Herr, mein Leben nimmt, wer wird dann das Reich verwalten? Es kann Aufruhr entstehen oder Uneinigkeit, und keiner wird da sein, um das Volk zu beschwichtigen. Der Feind kann eindringen in unser Reich, und niemand wird da sein, um das Heer zu führen!» So sehr sich aber der Zar bemühte, Iwan Zarewitsch zurückzuhalten, er konnte ihn doch nicht von seinem Vorhaben abbringen, und endlich gab er ihm seinen Segen.
Iwan Zarewitsch wählte sich ein gutes Roß und machte sich auf den Weg. Er ritt aus, ohne selber zu wissen wohin. Ob er nah ritt oder fern, ob hoch hinauf oder tief hinab - schnell ist nur ein Märchen erzählt, nicht so schnell die Tat getan. Endlich kam er auf ein freies Feld, auf grüne Wiesen. Auf dem freien Felde stand eine Säule und darauf war geschrieben:
Wer geradeaus reitet, hungert und friert. Wer rechts reitet, bleibt gesund, aber sein Pferd geht zugrund. Wer links reitet, geht zugrund, sein Pferd aber bleibt gesund. |
Iwan Zarewitsch las die Schrift und wandte sich nach rechts. Er dachte,
wenn er nur selber am Leben bliebe, könnte er ja ein anderes Pferd gewinnen. Er ritt einen Tag, zwei Tage, drei Tage - da kam ihm auf einmal ein großer grauer Wolf entgegen und sprach: «Du bist mir der Rechte, Iwan Zarewitsch, hast du doch auf der Säule gelesen, daß dein Pferd umkäme auf diesem Wege. Warum bist du hierher geritten?» Damit riß er das Pferd mitten entzwei und lief davon. Iwan Zarewitsch war sehr betrübt, weinte bitterlich um sein gutes Roß und ging zu Fuß weiter. Er ging und ging den ganzen Tag und wurde unaussprechlich müde. Als er sich eben niedersetzen wollte, um zu rasten, holte auf einmal der graue Wolf ihn ein und sprach: «Du tust mir leid, Iwan Zarewitsch, weil du dich zu Fuße abmühst. Auch dauert es mich, daß ich dein gutes Roß zerriß. Setze dich auf mich, den grauen Wolf, und sage mir, wohin ich dich tragen soll!»Iwan Zarewitsch erzählte, daß er den Feuervogel suchen wolle, und der Wolf eilte mit ihm davon, schneller als das schnellste Pferd. Mitten in der Nacht brachte er ihn zu einer steinernen Mauer. Vor der Mauer hielt der graue Wolf an und sprach: «Nun, Iwan Zarewitsch, steige ab von mir, dem grauen Wolf, und klettere über die steinerne Mauer! Dahinter ist ein Garten, in diesem Garten steht ein goldener Käfig, und in dem Käfig sitzt der Feuervogel. Nimm den Feuervogel heraus, aber rühre den goldenen Käfig nicht an! Wenn du den goldenen Käfig berührst, so werden sie dich gefangennehmen, und du kannst nicht mehr herausfinden.»
Iwan Zarewitsch stieg über die Mauer in den Garten, sah den Feuervogel im goldenen Käfig und war geblendet von seinem Glanze. Er nahm den Vogel aus dem Käfig und wandte sich zum Gehen, aber dann dachte er bei sich: «Weshalb habe ich den Feuervogel ohne Käfig genommen, wohin soll ich ihn denn setzen?» Und er kehrte um und griff nach dem goldenen Käfig. Kaum hatte er ihn berührt, als ein Ton erklang und ein Donner durch den Garten hallte, denn es waren Saiten zu dem Käfig gespannt. Die Wächter erwachten, liefen in den Garten, ergriffen Iwan Zarewitsch mit dem Feuervogel und führten ihn zu ihrem Herrn, dem Zaren Dolmat. Zar Dolmat war sehr zornig und rief mit Donnerstimme:
«Wie, schämst du dich nicht zu stehlen, du junger Bursche? Wer bist du, welches Vaters Sohn, und wie ist dein Stand und dein Name?»
«Ich bin aus dem Wysslav'schen Reich», antwortete Iwan Zarewitsch, «bin ein Sohn des Zaren Wysslav Andronowitsch und heiße Iwan. Dein Feuervogel hat sich gewöhnt, jede Nacht in unseren Garten zu fliegen. Er riß von meines Vaters Lieblingsapfelbaum die goldenen Äpfelchen ab und verdarb fast den ganzen Baum. Darum sandte mich mein Vater aus, den Feuervogel zu suchen und ihm zu bringen.»
«Oho, junger Bursche, war denn das recht, was du getan hast? Wärest du zu mir gekommen, dann hätte ich dir den Feuervogel in allen Ehren gegeben.
Was nun, wenn ich im ganzen Reiche laut werden lasse, wie ehrlos du gehandelt hast? Willst du mir aber einen Dienst leisten und hinter dreimal neun Länder reiten ins dreimal zehnte Reich und mir vom Zaren Aphron das Pferd mit der goldenen Mähne verschaffen, so verzeihe ich dir und gebe dir den Feuervogel samt dem goldenen Käfig in allen Ehren. Leistest du mir diesen Dienst nicht, so werde ich das ganze Reich wissen lassen, daß du ein ehrloser Dieb bist!»Iwan Zarewitsch verließ den Zaren Dolmat in großem Kummer und versprach, ihm das goldmähnige Pferd zu verschaffen. Er kam zum grauen Wolf und erzählte ihm alles. «Ach, du junger Bursche, Iwan Zarewitsch, warum hast du nicht auf meine Worte gehört und den goldenen Käfig genommen?»
«Ich fühle mich vor dir schuldig», sagte Iwan Zarewitsch.
«Das ist recht so», antwortete der graue Wolf. «Setze dich auf mich, den grauen Wolf, ich werde dich dahin bringen, wohin du mußt.»
Iwan Zarewitsch setzte sich auf den Rücken des grauen Wolfes, und dieser schoß wie ein Pfeil davon. Ober Nacht kam er in das Reich des Zaren Aphron. Vor dem weißsteinernen Marstall des Zarenhofes hielt der Wolf an und sprach: «Alle Wächter schlafen. Geh in den weißsteinernen Stall und hole das Pferd mit der goldenen Mähne. An der Wand hängt der goldene Zaum, aber nimm ihn nicht, sonst wird es dir schlimm ergehen!»
Iwan Zarewitsch ging in den weißsteinernen Stall, nahm das Pferd mit der goldenen Mähne und wollte zurück gehen. Da sah er an der Wand den goldenen Zaum, und der gefiel ihm so sehr, daß er ihn vom Nagel nahm. Kaum hatte er ihn berührt, als ein lauter Donner ertönte, denn es waren Saiten zu jenem Zaume gespannt. Die Stallknechte erwachten, liefen herbei, ergriffen den Zarewitsch und führten ihn zum Zaren Aphron. Der Zar ward zornig und rief:
«He, junger Bursche, du bist mir der Rechte! Sag an, aus welchem Reiche bist du, welches Vaters Sohn und wie ist dein Name?»
Darauf antwortete Iwan Zarewitsch: «Ich bin aus dem Reiche des Wysslav Andronowitsch, bin der jüngste Sohn des Zaren, und man nennt mich Iwan Zarewitsch.»
«Ei, junger Bursche», sagte der Zar, «ziemt es sich für einen Ritter, so zu handeln? Wärest du zu mir gekommen, dann hätte ich dir das goldmähnige Pferd in Ehren gegeben. Wird es dir zur Ehre gereichen, wenn ich überall verkünden lasse, wie du ehrlos in meinem Reich gehandelt hast? Aber höre, Iwan Zarewitsch, leiste mir einen Dienst: Reite hinter das dreimal neunte Land in das dreimal zehnte Reich und bringe mir Elena, die Wunderschöne, die ich seit langer Zeit mit Herz und Seele liebe und die ich nicht erreichen kann, dann verzeihe ich dir diese Schuld und gebe dir
das Pferd mit der goldenen Mähne und den goldenen Zaum in allen Ehren. Leistest du mir diesen Dienst nicht, so lasse ich im ganzen Reiche bekanntmachen, was du Unrechtes verübt hast.» Da versprach Iwan Zarewitsch, Elena, die Wunderschöne, zu holen. Dann ging er aus dem Palast hinaus und weinte bitterlich.Er erzählte dem grauen Wolf alles, was ihm zugestoßen war. «Du bist mir der Rechte», sagte der graue Wolf, «warum hörtest du nicht auf meine Worte und nahmst den goldenen Zaum?»
«Ich fühle mich schuldig vor dir», antwortete Iwan Zarewitsch.
«Nun, das ist gut», fuhr der Wolf fort. «Setze dich auf mich, den grauen Wolf, ich bringe dich dahin, wohin du reiten mußt.»
Iwan Zarewitsch setzte sich auf den Rücken des grauen Wolfes und der Wolf schoß davon, schnell wie ein Pfeil, und lief so, wie man es im Märchen erzählt, gar nicht lange, und kam bald in das Reich der Königstochter Elena, der Wunderschönen, und an ihren Garten. Als er an das goldene Gitter kam, welches den Garten umgab, sagte der graue Wolf: «Nun, Iwan Zarewitsch, steige jetzt ab von mir, dem grauen Wolf, gehe auf demselben Weg zurück, auf dem wir gekommen sind, und erwarte mich auf dem freien Felde bei der grünen Eiche!»
Iwan Zarewitsch ging, wie es ihn der Wolf geheißen hatte. Der graue Wolf aber setzte sich vor das goldene Gitter und wartete, bis Elena, die Wunderschöne, im Garten lustwandeln würde.
Als am Abend die Sonne im Westen sich neigte und die Luft nicht mehr so heiß war, erging sich Elena, die Wunderschöne, mit ihren Ammen und Wärterinnen im Garten. Als sie sich der Stelle näherte, wo der graue Wolf hinter dem Gitter saß, sprang dieser plötzlich in den Garten, ergriff Elena, die Wunderschöne, sprang mit ihr zurück und in mächtigen Sätzen davon. Er lief auf das freie Feld zu der grünen Eiche, wo Iwan Zarewitsch ihn erwartete, und sprach zu ihm: «Setze dich so schnell wie. möglich auf mich, den grauen Wolf!» Iwan Zarewitsch setzte sich auf den grauen Wolf und der graue Wolf trug beide ins Zarenreich. Die Ammen und Wärterinnen schickten sofort Leute hinter ihnen her. Die Läufer liefen, konnten sie aber doch nicht einholen, und so kehrten sie wieder zurück.
Als Iwan Zarewitsch mit Elena, der Wunderschönen, auf dem Rücken des grauen Wolfes saß, fing er an, sie von Herzen zu lieben und sie ihn. So gelangten sie in das Reich des Zaren Aphron. Als aber Iwan Zarewitsch Elena, die Wunderschöne, zum Zaren führen sollte, da wurde er betrübt und weinte.
«Warum weinst du, Iwan Zarewitsch?» fragte der graue Wolf.
«Warum soll ich nicht betrübt sein und weinen? Ich liebe Elena, die Wunderschöne, und soll sie nun für das Roß mit der goldenen Mähne zu
dem Zaren Aphron führen. Gebe ich sie ihm nicht, so wird er mich im ganzen Reiche ehrlos machen.»«Ich habe dir viel gedient, Iwan Zarewitsch», sprach der graue Wolf, «ich will dir auch noch diesen Dienst leisten. Höre, was ich dir sage: Ich verwandle mich in Elena, die Wunderschöne, und du führst mich zum Zaren Aphron. Er wird mich für die wirkliche Elena halten und dir dafür das Pferd mit der goldenen Mähne geben. Wenn du auf dem goldmähnigen Pferde davongeritten bist, werde ich den Zaren Aphron bitten, daß er mich auf das freie Feld spazierengehen läßt; und wenn ich dann mit den Ammen und Wärterinnen und Bojarinnen da draußen bin auf dem freien Felde, dann erinnere dich an mich, und ich werde wieder bei dir sein.» Der graue Wolf sprach es, warf sich auf die feuchte Erde und wurde zu Elena, der Wunderschönen, und es wäre keinem möglich gewesen, ihn wiederzuerkennen.
Iwan Zarewitsch ging mit ihm an den Hof des Zaren Aphron. Elena, die Wunderschöne, wartete hinter der Stadt.
Als Iwan Zarewitsch mit der vermeintlichen Elena zum Zaren kam, freute der sich überaus, daß er das Kleinod erlangte, das er sich schon so lange gewünscht hatte. Er nahm die vermeintliche Königstochter zu sich und übergab dem Zarewitsch das Pferd mit der goldenen Mähne und dem goldenen Zaum. Iwan Zarewitsch setzte sich auf das Pferd und ritt hinter die Stadt. Dort hob er Elena, die Wunderschöne, zu sich auf das Pferd und ritt geradeswegs mit ihr in das Reich des Zaren Dolmat.
Der graue Wolf aber blieb, statt der herrlichen Königin, bei dem Zaren Aphron einen Tag - zwei Tage drei Tage. Am vierten Tage ging er zum Zaren Aphron und bat, ihn auf das freie Feld hinausgehen zu lassen, um seinen Hann und seine Traurigkeit zu vertreiben. Da antwortete der Zar Aphron: «Ach, meine liebe, wunderschöne Königstochter Elena, ich tue alles für dich, ich lasse dich auch auf das freie Feld spazierengehen.» Er befahl den Ammen, Wärterinnen und Bojarinnen, Elena, die Wunderschöne, auf das freie Feld zu begleiten.
Unterdes ritt Iwan Zarewitsch mit Elena, der Wunderschönen, seinen Weg, plauderte mit ihr und hätte beinahe darüber den grauen Wolf vergessen. Auf einmal erinnerte er sich und sprach: «Wo bist du, mein grauer Wolf?» Und im nächsten Augenblick stand der graue Wolf vor dem Zarewitsch und sagte: «Setze dich auf mich, den grauen Wolf, und Elena, die Wunderschöne, soll auf dem Pferd mit dei goldenen Mähne reiten.» Da setzte sich Iwan Zarewitsch auf den Rücken des Wolfes und sie ritten fort in das Reich des Zaren Dolmat.
Über kurz oder lang kamen sie in das Reich des Zaren Dolmat und hielten drei Werst vor der Stadt an. Da fing Iwan Zarewitsch an, den grauen Wolf zu bitten: «Höre, du grauer Wolf, mein lieber Freund, du hast mir
viele Dienste getan, leiste mir auch noch den letzten: Verwandle dich in das Pferd mit der goldenen Mähne, ich mag mich nicht davon trennen!» Da warf sich der graue Wolf auf die feuchte Erde und wurde zum goldmähnigen Pferde. Iwan Zarewitsch ließ Elena, die Wunderschöne, mit seinem goldmähnigen Pferd auf einer grünen Wiese zurück, stieg auf den grauen Wolf und ritt in das Hoflager des Zaren Dolmat.Als der Zar Dolmat ihn auf dem goldmähnigen Pferde kommen sah, freute er sich sehr, kam aus dem Palast in den weiten Hof, begrüßte den Zarewitsch und küßte ihn auf seinen süßen Mund. Dann nahm er ihn an die rechte Hand und führte ihn in seinen Palast und befahl, ein festliches Mahl zu richten. Sie setzten sich an eichene Tische, geschmückt mit schön gestickten Tüchern, aßen und tranken und trieben Kurzweil zwei Tage lang. Am dritten Tage überreichte der Zar Dolmat Iwan Zarewitsch den Feuervogel mit dem goldenen Käfig.
Iwan Zarewitsch nahm den Feuervogel, ging vor die Stadt, setzte sich zusammen mit der herrlichen Zarentochter auf das goldmähnige Pferd und ritt in sein Vaterland, in das Reich des Zaren Wysslav.
Am anderen Tage wollte Zar Dolmat das goldmähnige Pferd auf freiem Felde zureiten. Er ließ es satteln, bestieg es und ritt auf das freie Feld. Kaum aber war das Pferd im freien Felde, da warf es den Zaren ab und verwandelte sich wieder in den grauen Wolf, und nachdem er sich verwandelt hatte, lief er hinter Iwan Zarewitsch her und holte ihn ein.
«Iwan Zarewitsch, setze dich auf mich, den grauen Wolf!» sagte er, «und Königin Elena, die Wunderschöne, soll auf dem goldmähnigen Pferde reiten.»
Iwan Zarewitsch bestieg den grauen Wolf, und sie setzten ihren Weg miteinander fort. Als der graue Wolf sie an den Ort gebracht hatte, wo er das Pferd des Iwan Zarewitsch in zwei Stücke zerrissen hatte, machte er halt und sprach: «Iwan Zarewitsch, ich habe dir treu gedient. Siehe, an dieser Stelle habe ich dein Pferd in zwei Stücke gerissen, und hierher habe ich dich auch wieder zurückgebracht. Steige herab von mir, dem grauen Wolf. Jetzt hast du ein Roß mit einer goldenen Mähne, schwinge dich darauf und reite, wohin du mußt. Ich aber bin nicht mehr dein Diener.» Als der graue Wolf das gesagt hatte, lief er davon.
Iwan Zarewitsch weinte bitterlich um den grauen Wolf. Dann machte er sich mit Elena, der Wunderschönen, auf den Weg. Er ritt mit ihr auf dem goldmähnigen Pferde fort, und über kurz oder lang hatte er das Reich seines Vaters bis auf zwanzig Werst erreicht. Da hielt er an, stieg vom Pferde herab und legte sich mit Elena, der Wunderschönen, unter einen Baum, um bei der Sonnenhitze zu ruhen. Das Pferd mit der goldenen Mähne band er an denselben Baum, und das Bauer mit dem Feuervogel stellte er neben
sich. Während sie auf dem weichen Grase lagen und miteinander verliebte Gespräche führten, schliefen sie beide fest ein.Gerade um dieselbe Zeit kehrten die beiden Brüder Dimitri und Wassilij, die nach verschiedenen Reichen geritten waren, mit leeren Händen in das Reich des Vaters zurück. Unverhofft stießen sie auf ihren schlafenden Bruder Iwan Zarewitsch und Elena, die Wunderschöne. Als sie den Feuervogel im goldenen Käfig sahen und daneben das goldmähnige Pferd, freuten sie sich sehr. Sie beschlossen, ihren Bruder Iwan Zarewitsch zu erschlagen. Dimitri zog sein Schwert aus der Scheide, hieb auf Iwan Zarewitsch ein und schlug ihn in Stücke. Darauf weckte er Elena, die Wunderschöne: «Schöne Jungfrau, aus welchem Reiche und welches Vaters Tochter bist du, und wie ist dein Name?»
Als Elena, die Wunderschöne, sah, daß Iwan Zarewitsch tot war, erschrak sie sehr und fing an, bitterlich zu weinen. «Ich bin die Königin Elena, die Wunderschöne», sagte sie unter Tränen. «Iwan Zarewitsch, den ihr getötet habt, hat mich erworben. Wäret ihr echte Helden, so hättet ihr ihn auf dem freien Felde, im offenen Kampfe und im Wachen besiegt. Aber ihr habt ihn im Schlafe getötet, das bringt euch keine Ehre. Ist doch ein Schlafender wie ein Toter.»
Da richtete Dimitri Zarewitsch sein Schwert auf das Herz der Königstochter und sprach: «Höre, Elena, du Wunderschöne, du bist jetzt in unserer Hand. Wir führen dich zu unserem Vater, dem Zaren Wysslav Andronowitsch, und du wirst ihm sagen, daß wir dich errungen haben, dich, den Feuervogel und das Pferd mit der goldenen Mähne. Sagst du es nicht, so wirst du auf der Stelle getötet!»
Elena, die Wunderschöne, erschrak. Mit einem Eid mußte sie versprechen, das zu sagen, was die Brüder befohlen hatten. Dann warfen Dimitri und Wassilij das Los, wem die Königstochter gehören solle und wem das goldmähnige Pferd. Das Los fiel so, daß Wassilij Zarewitsch die Königstochter gewann und Dimitri Zarewitsch das Pferd mit der goldenen Mähne.
Darauf nahm Wassilij Elena, die Wunderschöne, und setzte sie auf sein Pferd. Dimitri bestieg das Pferd mit der goldenen Mähne und nahm den Feuervogel, um ihn seinem Vater, dem Zaren Wysslav Andronowitsch, zu bringen. Und so zogen sie ihren Weg.
Dreißig Tage lag Iwan Zarewitsch tot an jenem Orte. Da kam der graue Wolf herbei und witterte, was geschehen war. Er wollte Iwan Zarewitsch zum Leben erwecken, aber er wußte nicht wie. Da sah er einen alten Raben mit seinen zwei Jungen über dem Leichnam fliegen, die wollten sich am Fleisch des toten Iwan satt fressen. Schnell verbarg sich der graue Wolf in einem Busche, und als die jungen Raben sich auf die Erde niederließen, um den Leib Iwans zu fressen, sprang der graue Wolf aus dem Gebüsch
hervor, packte einen der jungen Raben und tat, als wolle er ihn in Stücke reißen. Da ließ sich der alte Rabe auf die Erde nieder, setzte sich dem grauen Wolf zu Füßen und sprach: «Ach, du bist ja der graue Wolf! Rühre mein Junges nicht an, es hat dir ja nichts zuleide getan!»«Höre, Rabe Rabensohn», sagte der Wolf, «ich werde dein Junges nicht anrühren und werde es gesund und unversehrt lassen, wenn du mir einen Dienst leistest. Fliege hinter das dreimal neunte Land, in das dreimal zehnte Reich und bringe mir Wasser des Lebens und Wasser des Todes!» «Ich werde dir diesen Dienst leisten», antwortete der Rabe, «aber rühre meinen Sohn nicht an!» Danach schwang er sich in die Lüfte und war bald nicht mehr zu sehen.
Am dritten Tage kehrte der Rabe zurück und brachte zwei Bläschen mit: in einem war Wasser des Lebens, in dem anderen Wasser des Todes. Der graue Wolf nahm die beiden Bläschen, zerriß den jungen Raben in zwei Stücke, besprengte ihn mit dem Wasser des Todes, und die Stücke schlossen sich wieder zusammen. Dann tat er dasselbe mit dem Wasser des Lebens, und der junge Rabe schlug mit den Flügeln und flog davon. Darauf besprengte der graue Wolf den Leichnam des Iwan Zarewitsch mit dem Wasser des Todes, und die Stücke wuchsen wieder zusammen. Dann besprengte er ihn mit dem Wasser des Lebens, und Iwan Zarewitsch stand auf und sprach: «Ach, wie habe ich lange geschlafen!»
«Ja», sagte der graue Wolf zu ihm, «du hättest ewig geschlafen, wenn ich nicht gekommen wäre. Siehe, deine Brüder hieben dich in Stücke und nahmen Elena, die Wunderschöne, das Pferd mit der goldenen Mähne und den Feuervogel mit sich fort. Eile so schnell wie möglich ins Reich deines Vaters. Dein Bruder Wassilij will sich heute mit deiner Braut vermählen! Setze dich auf mich, den grauen Wolf, damit du schnell dahin gelangst. Ich will dich dahin tragen.»
Iwan Zarewitsch setzte sich auf den grauen Wolf, und dieser lief mit ihm in das Reich des Wysslav Andronowitsch, und über kurz oder lang kam er vor des Zaren Stadt.
Iwan Zarewitsch stieg herab vom grauen Wolfe, ging in die Stadt und hin zur Hofburg. Er kam gerade an, als Wassilij Zarewitsch mit Elena, der Wunderschönen, getraut worden war und mit ihr beim Mahle saß. Als Elena, die Wunderschöne, Iwan Zarewitsch erblickte, sprang sie vom Tische auf, küßte ihn auf seinen Honigmund und rief: «Dieser hier ist mein geliebter Bräutigam und nicht der böse Wicht, der dort beim Mahle sitzt!»
Da erhob sich der Zar Wysslav Andronowitsch und fing an, Elena, die Wunderschöne, zu fragen, was das zu bedeuten habe. Nun erzählte ihm Elena, die Wunderschöne, die lautere Wahrheit: Wie Iwan Zarewitsch sie gewonnen habe und dazu das goldmähnige Pferd und den Feuervogel, wie
die älteren Brüder ihn töteten, während er schlief, und sie dann gezwungen wurde zu sagen, die Brüder hätten dies alles erworben. Da wurde der Zar zornig und ließ die bösen Brüder in den Kerker werfen.Iwan Zarewitsch aber wurde mit Elena, der Wunderschönen, vermählt, und sie fingen an, in Liebe und Eintracht zusammen zu leben, und keines wollte auch nur einen Augenblick mehr ohne das andere sein.
DAS MÄRCHEN VOM FROSCH UND DEM HELDEN JOHANNES
In einem Reich, in einem Königreich lebte einmal ein König, der hatte drei Söhne, die waren alle drei erwachsen. Eines Tages rief er sie zu sich und sprach: «Meine lieben Söhne, ihr seid jetzt erwachsen, und es ist an der Zeit, an eine Braut zu denken. Nehmt Bogen und Pfeile und macht euch zum Schießen bereit! Geht auf die königlichen Hegewiesen und schießt nach verschiedenen Seiten. Wohin der Pfeil fliegt, dort holt euch eure Braut!»
Die Söhne nahmen jeder einen Pfeil, gingen auf die königlichen Hegewiesen und schossen den Pfeil ab: der ältere zur Rechten, der mittlere zur Linken und der jüngste, Held Johannes, geradeaus. Hierauf ging jeder nach seiner Seite, um den Pfeil zu suchen. Der älteste Bruder fand seinen Pfeil im Hause eines Ministers und der mittlere bei einem General, und sie heirateten deren wunderschöne Töchter. Aber Johannes der Held konnte seinen Pfeil lange nicht finden und war sehr betrübt. Zwei Tage wanderte er durch Wälder und über Berge, und am dritten Tage kam er zu einem Sumpf und erblickte darin einen großen Frosch. Der Frosch trug den abgeschossenen Pfeil in seinem Maule. Held Johannes wollte weglaufen, um von seinem Funde fortzukommen, aber der Frosch rief ihm zu: «Quak, quak, Held Johannes, komm zu mir und nimm deinen Pfeil, sonst kommst du in Ewigkeit nicht aus dem Sumpfe heraus!» Als der Frosch dies gesagt hatte, überschlug er sich, und augenblicklich erschien eine schön geschmückte Laube. Held Johannes ging in die Laube hinein.
«Ich weiß», sagte der Frosch, «daß du drei Tage lang nichts gegessen hast. Willst du nicht etwas essen?» Er überschlug sich von neuem, und im selben Augenblick erschien ein Tisch mit allerlei Speisen und Getränken. Held Johannes setzte sich an den Tisch und aß und trank, bis er gesättigt war.
«Höre», sagte der Frosch, «dein Pfeil flog zu mir, da mußt du mich zur Frau nehmen, und wenn du mich nicht nimmst, so kommst du niemals aus diesem Sumpfe heraus!»
Held Johannes wurde traurig und wußte nicht, was er tun sollte. Er dachte lange nach, dann aber nahm er den Frosch mit sich und brachte ihn in sein Reich. Die Brüder und ihre Frauen lachten über die beiden.
Der Tag kam heran, an dem Johannes der Held heiraten mußte. Er fuhr in einem Wagen zur Hochzeit, den Frosch aber trug man auf einer goldenen Platte. Als es Nacht wurde, und der Bräutigam und die Braut ins Schloß in ihre Gemächer gingen, nahm der Frosch seine Froschhaut ab und verwandelte sich in eine wunderbare Schönheit. Am Tage wurde sie wieder zum Frosch. Held Johannes lebte glücklich und zufrieden mit ihr.
Nach einiger Zeit ließ der König seine Söhne zu sich rufen und sprach zu ihnen: «Meine lieben Söhne, ihr seid jetzt alle drei vermählt. Ich wünsche ein Hemd zu tragen, das eure Frauen, meine Schwiegertöchter, genäht haben.» Er gab jedem ein Stück Leinwand und verlangte, daß die Hemden bis zum nächsten Tage fertig sein sollten.
Die beiden älteren Brüder brachten die Leinwand zu ihren Frauen. Die Frauen riefen ihre Ammen, Wärterinnen und schönen Hausmädchen, damit sie ihnen beim Nähen der Hemden helfen sollten. Die Ammen, Wärterinnen und schönen Hausmädchen eilten sogleich herbei und machten sich an die Arbeit, die einen schnitten zu, die anderen nähten. Inzwischen sandten die beiden Schwägerinnen ihre niedrigste Magd ab, um zu schauen, wie wohl der Frosch das Hemd nähen würde. Gerade als die Magd in die Gemächer Johannes des Helden trat, kam er mit der Leinwand und legte sie traurig auf den Tisch. «Held Johannes, was bist du so traurig?» fragte der Frosch.
«Wie sollte ich denn nicht traurig sein», antwortete der Königssohn, «mein Vater befiehlt, du sollst bis morgen aus dieser Leinwand ein Hemd nähen!»
«Weine nicht, gräme dich nicht», sagte der Frosch, «lege dich schlafen, der Morgen ist weiser als der Abend, es wird alles recht gemacht!» Er nahm eine Schere und schnitt die Leinwand in kleine Flickchen, dann öffnete er das Fenster, warf sie in den Wind und rief: «Ihr wehenden Winde, tragt die Leinwandflickchen fort und macht daraus für den Schwiegervater ein Hemd!»
Die Magd ging heim und erzählte den königlichen Schwiegertöchtern, daß der Frosch die Leinwand in Flickchen geschnitten und aus dem Fenster geworfen hätte. Sie lachten sehr über den Frosch und sagten: «Was wird wohl ihr Mann morgen dem Könige bringen?»
Am andern Morgen erwachte der Held, und der Frosch übergab ihm ein Hemd. «Held Johannes, bringe deinem Vater dieses Hemd!» Der Königssohn nahm es und trug es zu seinem Vater. Auch die älteren Brüder brachten ihre Hemden.
Der König betrachtete das Hemd des Ältesten und sprach: «Dieses Hemd ist so genäht, wie gewöhnliche Hemden genäht sind.» Dann nahm er das Hemd des anderen Sohnes und meinte, daß auch dieses nicht besser sei. Als aber der jüngste Sohn ihm das Hemd reichte, da konnte er sich nicht genug verwundern. Keine einzige Naht war daran zu sehen, es war wie aus einem Stück, und er sagte: «Dieses Hemd trage ich an den allerhöchsten Feiertagen.»
Ein zweites Mal rief der König seine Söhne zu sich und sprach: «Geliebte Söhne, ich möchte gern wissen, ob eure Frauen mit Gold und Silber zu sticken verstehen. Nehmt euch Seide, Silber und Gold, und laßt jede bis morgen einen Teppich sticken!»
Die Frauen der beiden älteren Söhne riefen ihre Ammen, Wärterinnen und schönen Hausmädchen herbei, damit sie ihnen beim Sticken der Teppiche hüllen. Sogleich kamen die Ammen, Wärterinnen und schönen Hausmädchen, fingen an, die Teppiche zu sticken, die einen mit Gold, die anderen mit Silber und die dritten mit Seide. Wieder schickten sie die niederste Magd ab, um zu erfahren, was der Frosch machen würde. Held Johannes brachte Gold, Silber und Seide und war sehr betrübt. Der Frosch saß auf einem Stuhl und fragte: «Quak, quak, quak, Held Johannes, warum bist du so traurig?»
«Wie sollte ich denn nicht traurig sein», antwortete er, «Väterchen befahl, bis morgen einen Teppich zu sticken mit Gold, Silber und Seide!»
«Weine nicht, gräme dich nicht», sagte der Frosch, «lege dich schlafen, der Morgen ist weiser als der Abend!» Er nahm eine Schere, zerschnitt die Seide, zerriß Gold und Silber, warf alles aus dem Fenster und rief: «Ihr wehenden Winde, bringt jenen Teppich herbei, mit dem mein Vater seine Fenster verhängt!»
Als die Schwiegertöchter durch ihre Magd davon hörten, meinten sie, es auch so machen zu können. Lange warteten sie. Da die Winde ihnen aber keine Teppiche brachten, schickten sie fort, um Seide, Silber und Gold zu kaufen und fingen an, die Teppiche zu sticken, so wie sie es früher getan hatten.
Früh am Morgen, als Johannes der Held aufgestanden war, reichte ihm der Frosch den Teppich. Alle drei Brüder brachten ihre Teppiche zum Vater. Der König ergriff zuerst den Teppich des Ältesten und sprach: «Dieser Teppich taugt nur dazu, daß man bei Regenwetter die Pferde damit zudeckt.» Dann nahm er den Teppich des mittleren Sohnes an: «Dieser kann im Vorzimmer ausgebreitet werden, damit man sich daran die Füße abtritt.» Darauf nahm er den Teppich des jüngsten Sohnes, staunte und sprach: «Dieser soll bei festlichen Anlässen über meinen Tisch gebreitet werden!» Er befahl, den Teppich sorgsam zu verwahren und wohl zu hüten. Den anderen
Söhnen jedoch gab er ihre Teppiche zurück: «Bringt sie euren Frauen und sagt ihnen, sie sollen sie für sich behalten!»Ein drittes Mal sprach der König zu seinen Söhnen: «Jetzt, liebe Söhne, will ich Brot, das von den Händen eurer Frauen gebacken ist!»
Als die Schwiegertöchter das hörten, schickten sie sogleich die Magd, um zu erkunden, wie der Frosch es machen würde. Zur selben Zeit kam Held Johannes in seine Gemächer und war sehr betrübt.
«Quak, quak, quak, Held Johannes, warum bist du so traurig?»
«Wie soll ich denn nicht traurig sein? Vater befiehlt, daß du ihm ein Brot backen sollst.»
«Weine nicht, gräme dich nicht», sagte der Frosch, «ich mache alles!» Er befahl, Sauerteig, Mehl und Wasser zu bringen, schüttete das Mehl in den Sauerteig, goß Wasser hinzu, vermischte und häufelte es und rührte den Teig an. Dann schüttete er alles in einen kalten Ofen, machte das Ofentürchen zu und sprach: «Backe, Brot, rein, locker und weiß wie Schnee!»
Die Magd kehrte zu den Schwiegertöchtern zurück und sagte: «Ich verstehe nicht, warum der König den Frosch so lobt. Er weiß nichts Rechtes zu machen!» Aber die Schwiegertöchter gedachten es ihm gleichzutun. Sie mischten Mehl und kaltes Wasser und gossen den Teig in einen kalten Ofen. Als sie aber sahen, daß alles auseinanderfloß, ließen sie sich noch einmal Mehl bringen, vermischten es mit heißem Wasser und schoben den Teig in einen geheizten Ofen. Sie fürchteten, zu spät zu kommen, und eilten sich so, daß das Brot der einen anbrannte und das der anderen nicht gar war. Der Frosch holte sein Brot aus dem Ofen hervor, und es war rein, locker und weiß wie Schnee.
Die Brüder gingen zum Vater und brachten ihm ihre Brote. Der Vater empfing das Brot des Ältesten, beschaute es und sprach: «Solches Brot kann man nur in der Not essen.» Er betrachtete das Brot des Mittleren und sagte: «Auch dieses ist nicht besser geraten!» Dann nahm er das Brot des Jüngsten und befahl, daß man es auf die Tafel setzen sollte für die königlichen Gäste.
«Geliebte Kinder», fuhr der König fort, «eure Frauen haben alles für mich getan, was ich ihnen befohlen habe, darum bitte ich euch, morgen mit ihnen in mein Schloß zum Mahle zu kommen.» Die Söhne gingen heim und verkündeten es ihren Frauen. Held Johannes war betrübt und dachte bei sich: «Wie soll ich den Frosch zum Könige fahren?» Der Frosch saß auf dem Stuhle und sprach: «Quak, quak, quak, Held Johannes, warum bist du so traurig?»
«Warum sollte ich nicht traurig sein?» sagte Johannes. «Der Vater hat uns befohlen, morgen mit unseren Frauen zu ihm ins Schloß zu kommen. Wie soll ich dich dahin mitnehmen?»
«Weine nicht, gräme dich nicht», sagte der Frosch, «lege dich hin und schlafe, der Morgen ist weiser als der Abend!»
Am anderen Morgen machte sich Johannes bereit und fuhr zum Schlosse. Die Schwiegertöchter schickten wieder ihre Magd, um zu erkunden, wie der Frosch wohl fahren würde. Der Frosch öffnete das Fenster und rief mit lauter Stimme: «Auf ihr wehenden Winde, fliegt in mein Reich und sagt, daß ein reich geschmückter Wagen kommen soll, mit allem, was dazugehört, mit Dienern, Heiducken, Läufern und Vorreitern!» Hierauf schlug er das Fenster zu und setzte sich auf seinen Stuhl.
Als alle im Schlosse versammelt waren, warteten sie nur noch auf den Frosch. Und plötzlich sahen sie: da kamen Läufer gelaufen, Vorreiter geritten, und ein überreich geschmückter Wagen fuhr vor. Der König meinte, daß ein fremder König oder Königssohn käme, und schritt ihm entgegen. «Macht euch keine Mühe», sagte Held Johannes, «das ist ja mein Fröschlein, das sich in einem Schächtelchen herbeischleppt!»
Die Kutsche fuhr vor, und heraus trat die Frau des Helden Johannes - eine wunderbare Schönheit -, und alle verwunderten sich sehr. Sie setzten sich zum Mahle. Die Froschfrau trank, und was sie nicht austrank, goß sie in den einen Ärmel. Sie aß und legte die Knöchelchen in den andern Ärmel. Die Schwiegertöchter machten es ebenso: was sie nicht austranken, gossen sie in den einen Ärmel, was sie nicht aufaßen, steckten sie in den anderen. Als man sich vom Mahle erhob, spielte die Musik, und die Froschfrau ging zum Tanze. Sie schwenkte den linken Ärmel, und es erschien ein Wasser, ein Arschin hoch. Sie schwenkte den rechten Ärmel, da schwammen auf dem Wasser Gänse und Schwäne, und alle, die es sahen, verwunderten sich sehr über ihre Zauberkunst. Als die Froschfrau aufhörte zu tanzen, verschwand alles, das Wasser, die Gänse und die Schwäne.
Dann gingen die anderen Schwiegertöchter zum Tanze. Als sie ihre Ärmel schwenkten, bespritzten und begossen sie alle und schlugen ihnen mit den Knochen fast die Augen aus.
Held Johannes ging nach Hause, nahm die Froschhaut und verbrannte sie. Als seine Frau kam, suchte sie überall ihre Haut, aber sie fand sie nicht. «Ach», sagte sie, «Held Johannes, hättest du nur noch eine kleine Weile Geduld gehabt! Weil du dich nicht gedulden konntest, so mußt du nun ausziehen, um mich zu suchen. Suche mich hinter dreimal neun Ländern, im dreimal zehnten Reich, im Königreich unter der Sonne, und wisse, daß ich Wassilissa heiße, die Allweise.» Sie sagte es und verschwand.
Held Johannes war untröstlich und weinte heiße Tränen, dann machte er sich auf, um Wassilissa die Allweise zu suchen.
Ob es kurz war oder lang - ob es nah war oder fern -, schnell ist ein Märchen erzählt, nicht so schnell eine Tat getan.
Endlich kam er zu einem Hüttchen, das stand auf Hühnerfüßchen und drehte sich unaufhörlich um sich selber. «Hüttchen, Hüttchen, dreh dich mit dem Rücken zum Walde, mit der Vorderseite zu mir!»
Bei seinen Worten blieb das Hüttchen stehen, und Held Johannes ging hinein. Im vorderen Winkel saß die Baba Jaga. Mit zorniger Stimme rief sie: «Bis heute habe ich den russischen Geist nicht mit den Augen gesehen, nicht mit den Ohren gehört, aber jetzt erscheint der russische Geist vor meinen Augen! Wie ist es, Held Johannes, kommst du freiwillig oder aus Zwang?»
«Ich komme freiwillig, zweimal soviel aber unfreiwillig», antwortete Held Johannes und erzählte alles, was geschehen war.
«Du tust mir leid», sprach die Baba Jaga, «gestatte, und ich werde dir dienen und dir Wassilissa die Allweise zeigen. Jeden Tag kommt sie zu mir geflogen, um sich hier auszuruhen. Wenn sie herbeifliegt, versuche, sie am Haupte zu fassen. Wenn du sie fängst, wird sie sich in einen Frosch verwandeln, in eine Kröte, eine Schlange und allerlei Gewürm, und endlich in einen Pfeil. Nimm diesen Pfeil und brich ihn mitten durch, dann wird sie auf ewig die deine. Aber sieh zu, daß du deine Frau festhältst, wenn du sie eingefangen hast!»
Hierauf verbarg die Baba Jaga den Königssohn, und kaum hatte sie ihn versteckt, als Wassilissa die Allweise geflogen kam. Held Johannes trat leise hinzu und ergriff sie am Haupte, da verwandelte sie sich in einen Frosch, in eine Kröte und endlich in eine Schlange. Aber Held Johannes erschrak und ließ die Schlange aus der Hand, und im Augenblick war Wassilissa die Allweise verschwunden. «Weil du sie nicht festhalten konntest», sagte die Baba Jaga, «darum wirst du sie hier nie wiederfinden. Aber wenn du willst, geh zu meiner Schwester, Wassilissa die Allweise fliegt auch dorthin, um sich auszuruhen!»
Der Königssohn ging zu der anderen Baba Jage. Aber er vermochte es auch dort nicht, Wassilissa die Allweise festzuhalten. Er kam zur dritten Schwester der Baba Jage: «Wenn du jetzt Wassilissa die Allweise losläßt, so wirst du sie nie und nimmermehr finden!»
Als Wassilissa die Allweise kam, trat Held Johannes herzu und ergriff sie am Haupte, und wie sie sich auch drehte und wendete, Johannes der Held ließ sie nicht mehr aus der Hand. Endlich wurde sie zu einem Pfeil. Er nahm den Pfeil und brach ihn mitten durch in zwei Stücke. In demselben Augenblick erschien Wassilissa die Allweise vor ihm und sprach: «Nun, Held Johannes, ergebe ich mich ganz in deinen Willen!»
Die Baba Jaga schenkte ihnen einen fliegenden Teppich, sie setzten sich darauf und flogen heim in ihr Reich.
Nach drei Tagen, am vierten Tage, ließ sich der Teppich gerade vor dem
Schlosse nieder. Der König empfing seinen Sohn und seine Schwiegertochter mit großer Freude. Er richtete ein großes Gastmahl und machte Johannes zum König an seiner Statt.
DAS WASSER DES LEBENS
In einem Reiche, in einem Königreiche lebte einmal ein König, der hatte drei Söhne. Zwei waren klug, der dritte ein Dummling.
Einstmals hatte der König einen Traum. Es träumte ihm, daß hinter dreimal neun Ländern, im dreimal zehnten Königreich eine schöne Jungfrau lebt, von deren Händen und Füßen Wasser fließt. Wer von diesem Wasser trinkt, wird um dreißig Jahre jünger. Der König aber war sehr alt. Da rief er seine Söhne zu sich und seinen ganzen Rat und sprach zu ihnen: «Verma es jemand, meinen Traum zu deuten?»
Die Räte antworteten dem König: «Hoher König, nicht mit den Augen haben wir es gesehen, nicht mit den Ohren vernommen, daß es eine so schöne Jungfrau gibt. Wie man zu ihr gelangen könnte, das wissen wir nicht.»
Da meldete sich der älteste Sohn, Königssohn Demetrius: «Väterchen, gib mir deinen Segen, ich will in alle vier Himmelsrichtungen reiten, die Menschen betrachten, mich selber zeigen und die schöne Jungfrau finden.»
Der König gab ihm seinen väterlichen Segen. «Nimm Krongeld mit, soviel du willst, und auch an Heerscharen, soviel du nur brauchst!»
Demetrius, der Königssohn, nahm hunderttausend Krieger und machte sich auf den Weg. Er ritt einen Tag, eine Woche, einen Monat - und zwei und drei. Wen er auch fragte, niemand wußte etwas von der schönen Jungfrau. Endlich kam er in öde Gegenden, da war nichts zu sehen, nur Himmel und Erde. Er jagte sein Pferd weiter, und auf einmal stand vor ihm ein hoher, hoher Berg. Kaum konnten die Augen seine Höhe ermessen. Irgendwie erklomm er den Berg und fand dort einen uralten, grauen Mann. «Ich grüße dich, Väterchen!»
«Sei gegrüßt, tapferer Jüngling! Scheust du die Tat, oder willst du eine vollbringen?»
«Ich suche eine Tat.»
«Was brauchst du denn dazu?»
«Ich habe gehört, daß hinter dreimal neun Ländern, im dreimal zehnten Reich eine schöne Jungfrau lebt, von deren Händen und Füßen heilendes
Wasser fließt. Wer dieses Wasser gewinnt und trinkt, der wird um dreißig Jahre jünger.»«Nun, Bruder, du wirst nicht bis dahin kommen!»
«Warum denn nicht?»
«Weil auf dem Wege dahin drei breite Ströme fließen, drei Fähren fahren. Auf der ersten wird man dir die rechte Hand abschlagen, auf der zweiten den linken Fuß, auf der dritten den Kopf.»
Königssohn Demetrius betrübte sich sehr. Er ließ seinen verwegenen Kopf hängen, tiefer als die mächtigen Schultern, und dachte bei sich: Entweder muß ich mit dem Kopf des Vaters Mitleid haben, oder mit meinem eigenen! Besser, ich kehre um! Er stieg den Berg hinab, kam zum Vater zurück und sprach: «Nein, Väterchen, ich konnte nichts finden. Von dieser Jungfrau hat niemand etwas gehört.»
Da bat der mittlere Sohn, Basilius, den Vater: «Väterchen, gib mir deinen Segen, vielleicht werde ich die Jungfrau finden!»
«Gehe, mein Sohn!»
Der Königssohn Basilius nahm hunderttausend Krieger und machte sich auf den Weg.
Er ritt einen Tag, eine Woche, einen Monat - und zwei und drei - und kam in eine Öde voller Wälder und Sümpfe. Da fand er die Baba Jaga mit dem knöchernen Bein. «Sei gegrüßt, Baba Jaga mit dem knöchernen Bein!»
«Sei gegrüßt, tapferer Jüngling! Scheust du die Tat, oder willst du eine vollbringen?»
«Ich suche eine Tat. Ich habe gehört, daß hinter dreimal neun Ländern, im dreimal zehnten Reich eine schöne Jungfrau lebt, von deren Händen und Füßen heilendes Wasser fließt.» «Das gibt es, das gibt es, aber dir wird es nicht gelingen, dorthin zu gelangen.»
«Warum denn nicht?»
«Weil auf dem Wege dahin drei breite Ströme fließen, drei Fähren fahren. Auf der ersten wird man dir die rechte Hand abschlagen, auf der zweiten den linken Fuß und auf der dritten den Kopf.»
Basilius, der Königssohn, wurde nachdenklich: Entweder muß ich Mitleid haben mit des Vaters Haupt oder meinen eigenen Kopf hüten. Ich gehe lieber heil und gesund nach Hause.
Er kehrte heim und sagte zum Vater: «Nein, Väterchen, ich konnte nichts finden, keiner hat von dieser Jungfrau gehört.»
Nun bat der Jüngste, Königssohn Johannes: «Väterchen, segne mich, vielleicht finde ich die wunderbare Jungfrau!»
Der Vater segnete ihn: «Gehe, mein geliebter Sohn! Nimm Krongeld und Krieger mit, soviel du nur brauchst!»
«Ich brauche nichts, gib mir nur ein gutes Roß und ein Heldenschwert aus echtem Stahl!»
Königssohn Johannes bestieg das Roß, nahm das Schwert aus echtem Stahl und begab sich auf den Weg. Er ritt einen Tag, eine Woche, er ritt einen Monat und zwei und drei. Und kam in eine Gegend, wo sein Pferd bis zu den Knien im Wasser versank, bis zur Brust im Grase ging. Er aber, der tapfere Jüngling, hatte nichts mehr zu essen. Da sah er ein Häuschen, das stand auf Hühnerfüßchen, und er trat hinein. Indem Häuschen saß die Baba Jaga mit dem knöchernen Bein. «Sei gegrüßt, Großmütterchen!»
«Sei gegrüßt, Königssohn Johannes! Scheust du die Tat, oder willst du eine vollbringen?»
«Und was für eine Tat! Ich reite in das dreimal zehnte Reich, dort, so sagt man, sei eine schöne Jungfrau, von deren Händen und Füßen heilendes Wasser herabfließt.»
«So etwas gibt es! Wenn ich sie auch nicht mit meinen Augen gesehen habe, habe ich doch mit den Ohren von ihr gehört. Aber du wirst sie nicht erreichen.»
«Warum denn nicht?»
«Weil auf dem Wege dahin drei breite Ströme fließen, drei Fähren fahren: Auf der ersten wird man dir die rechte Hand abschlagen, auf der zweiten den linken Fuß, auf der dritten den Kopf.»
«Nun, Großmütterchen, ein Kopf weniger macht mich nicht arm. Ich reite, wie es Gott gibt.»
«Ach, Königssohn Johannes, kehre lieber heim! Du bist noch so jung, du bist noch nie in gefährlichen Gegenden gewesen, du hast noch keine großen Ängste ausgestanden.»
«Nein, wer etwas anfängt, muß es auch zu Ende führen.»
Der Königssohn nahm Abschied von der Baba Jaga und ritt weiter. Er ritt einen Tag, einen zweiten und dritten und kam zur ersten Fähre. Die Fährmänner schliefen auf der anderen Seite. Was soll ich tun, dachte Königssohn Johannes, wenn ich rufe, mache ich sie taub für ewige Zeiten, wenn ich pfeife, versenke ich die Fähre. Er pfiff mit halblautem Pfiff. Die Fährmänner erwachten sofort und holten ihn über den Fluß.
«Was wollt ihr für eure Arbeit haben, Brüder?»
«Gib deine rechte Hand!'>
«Nein, meine Hand brauche ich selber.»
Der Königssohn schwenkte sein Schwert nach rechts und links und tötete alle Fährmänner. Dann bestieg er sein Roß und sprengte davon. Auf den beiden anderen Fähren tat er dasselbe. Und bald näherte er sich dem dreimal zehnten Reich.
An der Grenze stand ein wilder Mensch, im Wuchs so hoch wie der Wald,
im Umfang wie ein Heuschober, und in den Händen hielt er einen wurzelstarken Eichbaum.«Wohin reitest du, du Wurm?» rief der Riese.
«Ich reite in das dreimal zehnte Reich, ich will die schöne Jungfrau schauen, von deren Händen und Füßen das heilende Wasser fließt.»
«Wo denkst du hin, du Knirps, schon hundert Jahre behüte ich ihr Reich. Sie taugt nicht für dich. Viele mächtige Helden sind hierher gekommen und sind von meiner starken Hand gefallen. Und was bist du? Nichts als ein Wurm!»
Der Königssohn sah, daß er nicht mit dem Riesen fertigwerden konnte und ging zur Seite. Er ging und ging und trat in einen dunklen Wald. Im Walde stand ein Häuschen, und in dem Häuschen saß eine uralte Frau. Sie sah den tapferen Jüngling und sprach: «Sei gegrüßt, Königssohn Johannes, warum hat Gott dich zu mir geführt?»
Er erzählte ihr alles, ohne etwas zu verschweigen. Da gab ihm die Alte ein Zauberkraut und ein kleines Knäuel. «Geh auf das freie Feld», sagte sie zu ihm. «Zünde ein Reisigfeuer an und wirf dies Kraut hinein! Aber sieh zu, daß du selber hinter dem Winde stehst. Durch dieses Zauberkraut wird der Riese in einen tiefen Schlaf verfallen. Schlage ihm den Kopf ab, dann lass' das Knäuelchen rollen und reite auf seiner Spur. Das Knäuelchen wird dich dahin bringen, wo die schöne Jungfrau herrscht. Sie lebt in einem großen, goldenen Schlosse, und oft reitet sie mit ihrem Heer auf die grünen Wiesen hinaus, um sich zu erfreuen. Neun Tage erfreuen sie sich, dann schlafen sie neun Tage und neun Nächte den Heldenschlaf.»
Königssohn Johannes dankte der Alten und ritt auf das freie Feld. Im freien Felde zündete er ein Reisigfeuer an und warf das Zauberkraut in die Flamme. Der starke Wind trug den Rauch auf die Seite, wo jener Wilde auf Wache stand. Dem wurde bald schwarz vor den Augen. Er legte sich auf die feuchte Erde und schlief fest, fest ein. Königssohn Johannes hieb ihm den Kopf ab, ließ das Knäuelchen rollen und folgte seiner Spur. Er ritt und ritt, und schon glänzte in der Ferne das goldene Schloß. Da bog er vom Wege ab, ließ sein Roß grasen und verbarg sich im Gebüsch. Kaum war es ihm gelungen, sich zu verstecken, als sich vom goldenen Schlosse her eine riesige Staubwolke erhob. Die schöne Jungfrau kam mit ihren Heerscharen geritten, um sich auf den grünen Wiesen zu erfreuen. Der Königssohn schaute: das ganze Heer bestand aus lauter Jungfrauen, war die eine schön, so war die andere noch schöner, aber am schönsten war die Königin selber. Neun Tage erging sie sich in den grünen Auen. Der Königssohn wandte kein Auge von ihr, konnte nicht genug schauen.
Am zehnten Tage betrat er das goldene Schloß, auf dem Daunenlager lag die schöne Jungfrau, sie schlief den Heldenschlaf, und von ihren Händen
und Füßen tropfte das heilende Wasser. Mit ihr schlief das ganze treue Heer.Königssohn Johannes füllte zwei Bläschen mit heilendem Wasser. Aber sein junges Herz ertrug es nicht - er zerdrückte die jungfräuliche Schönheit. Dann verließ er das Schloß, bestieg sein gutes Roß und sprengte heimwärts.
Neun Tage schlief die schöne Jungfrau. Als sie erwachte, ward sie zornig, stampfte mit den Füßen und rief mit lauter Stimme: «Welch ein Nichtswürdiger war hier? Wer hat von meinem Kwas getrunken und hat ihn nicht bedeckt?»
Sie schwang sich auf ihre schnellfüßige Stute, und in raschem Lauf verfolgte sie den Königssohn.
Die Stute läuft, die Erde bebt. Die Jungfrau holt den tapferen Jüngling ein, sie schwingt ihr Schwert und trifft ihn in die Brust. Der Königssohn sinkt auf die feuchte Erde, die klaren Augen schließen sich, das rote Blut erstarrt. Die schöne Jungfrau schaut ihn an, und tiefes Mitleid ergreift sie. Einen zweiten Jüngling von solcher Schönheit findet man auf der ganzen Welt nicht mehr.
Sie legt ihre weiße Hand auf seine Wunde und benetzt sie mit dem heilenden Wasser. Da schließt sich die Wunde, und Königssohn Johannes erhebt sich heil und unversehrt.
«Wirst du mich zum Weibe nehmen?»
«Ich nehme dich, schöne Jungfrau!»
«Nun, so reite nach Hause und erwarte mich nach drei Jahren!»
Königssohn Johannes nahm Abschied von seiner angelobten Braut und setzte seinen Weg fort.
Er kam in die Nähe seines Reiches, aber die älteren Brüder hatten überall Wachen aufgestellt, um ihn nicht zum Vater zu lassen, und die Wächter verkündeten seine Ankunft. Die älteren Brüder eilten ihm auf dem Wege entgegen und gaben ihm zu trinken, bis er berauscht war. Dann nahmen sie ihm die beiden Bläschen mit dem heilenden Wasser weg und warfen ihn in einen tiefen Abgrund. Königssohn Johannes befand sich auf einmal in der anderen Welt.
Er ging und ging. Auf einmal erhob sich ein heftiger Sturm, die Blitze zuckten, der Donner grollte, und der Regen floß. Er kam zu einem Baum und wollte sich darunter bergen. Da sah er auf dem Baume ein paar junge Vöglein sitzen, die waren völlig durchnäßt. Er nahm seine Kleider ab, deck te sie damit zu und setzte sich unter den Baum. Plötzlich kam ein riesiger Vogel geflogen, der war so groß, daß er das Licht mit seinen Schwingen verdeckte. Es war schon dunkel, aber jetzt wurde es ganz finster. Das war die Mutter der jungen Vöglein, die der Königssohn zugedeckt hatte. Als der
Vogel sah, daß seine Jungen eingehüllt waren, fragte er: «Wer hat meine Vögelchen zugedeckt?» Und als er den Königssohn erblickte, rief er: «Das hast du getan, ich danke dir. Erbitte von mir, was du willst, ich werde alles für dich tun!»Da antwortete der Königssohn: «Trage mich hinauf in jene Welt!»
«Mache einen ganz großen Zwerchsack, fange allerlei Wild und stecke es in die eine Hälfte, in die andere gieße Wasser, damit du Nahrung für mich hast!»
Der Königssohn tat, wie ihm geheißen war. Dann nahm der Vogel den Sack auf seinen Rücken, der Königssohn setzte sich in die Mitte, und sie flogen. Und über kurz oder lang trug ihn der Vogel hinauf in die andere Welt. Sie nahmen Abschied voneinander, und der Vogel flog wieder in sein Reich.
Königssohn Johannes kehrte nach Hause zurück, aber der Vater liebte ihn nicht mehr und verbannte ihn von seinen Augen. Drei Jahre lang war er daheim und doch nicht daheim und lebte überall herum.
Als drei Jahre vergangen waren, kam die königliche Jungfrau auf ihrem Schiff gefahren. Sie schickte dem König einen Brief und verlangte, daß er den Schuldigen herausgeben solle; weigere er sich, würde sie das ganze Reich zusammenschlagen und verbrennen, daß nichts mehr übrig bliebe.
Der König schickte seinen ältesten Sohn zum Schiff. Die beiden Söhnlein der königlichen Jungfrau sahen ihn kommen und fragten die Mutter: «Ist das vielleicht unser Väterchen?»
«Nein, das ist euer Oheim.»
«Wie sollen wir ihn empfangen?»
«Nehmt jeder eine Peitsche und treibt ihn zurück!»
Der älteste Königssohn ging niedergeschlagen nach Hause, als wenn er salzlos gegessen hätte, so ging er.
Aber die königliche Jungfrau drohte und forderte weiter, und der König schickte seinen zweiten Sohn hinaus. Jedoch mit ihm geschah dasselbe.
Da befahl der König, den jüngsten Sohn zu suchen, und als man ihn gefunden hatte, wollte er ihn auf das Schiff der königlichen Jungfrau senden.
Königssohn Johannes aber sprach: «Ich gehe nur dann dahin, wenn eine Brücke aus Kristall bis hin zum Schiffe gebaut wird und auf dieser Brücke kostbare Speisen und edle Weine stehen.»
Da war nichts zu machen, man baute die kristallene Brücke und bereitete die Speisen und Wein und Honigmet.
Der Königssohn versammelte seine Freunde und sprach: «Kommt alle mit mir, begleitet mich, eßt und trinkt und laßt es euch nicht leid sein!»
Als er über die Brücke kam, riefen die Knaben: «Mütterchen, wer ist das?»
«Das ist euer Väterchen!»
«Wie sollen wir ihn empfangen?»
«Nehmt ihn an der Hand und führt ihn zu mir!»
Sie umarmten sich, liebkosten einander und küßten sich. Dann gingen sie zum König und erzählten ihm alles, was geschehen war.
Da jagte der König die beiden älteren Söhne von seinem Hofe und fing an, mit dem Jüngsten zusammen zu leben, und sie lebten und lebten und mehrten ihr Hab und Gut.
DAS WASSER DES LEBENS UND DIE SÜSSEN ÄPFEL
DER JUGEND
Es lebte einmal ein König, der hatte drei Söhne, Theodor, Georg und Johannes. Johannes aber war nicht sehr klug.
Einst sandte der König den ältesten Sohn aus, das Wasser des Lebens zu holen und die süßen Äpfel der Jugend. Der Sohn ritt fort und kam an einen Kreuzweg. Dort stand ein Pfosten, und darauf war geschrieben:
Rechts gehen -Essen und Trinken Links gehen -Kopf verlieren |
Der Königssohn ritt nach der rechten Seite. Bald kam er an ein Haus und trat hinein. Darinnen war eine Jungfrau, die sprach zu ihm: «Königssohn Theodor, lege dich mit mir schlafen!»
Er tat es und legte sich hin. Aber da stieß sie nach ihm und stieß ihn fort, Gott weiß wohin. Lange wartete der König auf seinen ältesten Sohn.
Schließlich sandte er den zweiten aus. Der machte sich auf den Weg, kam an denselben Platz und trat in das Haus. Doch auch ihn stieß die Jungfrau fort, Gott weiß wohin.
Jetzt sandte der König den dritten Sohn in die Welt und sprach: «Reite auch du!»
Der Jüngste ritt aus, kam an den gleichen Kreuzweg und sprach: «Für den Vater wage ich meinen Kopf!» und ritt nach links. Über kurz oder lang kam er zu einem Hüttchen und trat hinein. Drinnen wohnte die Baba Jaga, die saß am Spinnrocken, spann einen seidenen Faden mit einer goldenen Spindel und sprach: «Du russischer Knochen, Königssohn Johannes, wo willst du hin?»
«Gib mir zu trinken, gib mir zu essen», antwortete er, «dann magst du mich fragen, fragen nach allem!»
Sie gab ihm zu trinken, sie gab ihm zu essen, sie fragte nach allem, und er erzählte: «Ich bin ausgezogen, das Wasser des Lebens zu suchen und die süßen Äpfel der Jugend, dahin, wo der weiße Schwan lebt: Lebedj Saharjewna, die Schwanentochter des Zacharias.» «Das wirst du kaum erreichen -vielleicht, wenn ich dir helfe», sagte die Baba Jaga und gab ihm ihr Roß.
Er schwang sich auf das Roß, ritt und ritt und kam zur Schwester der Baba Jaga. Er trat in die Hütte, und die Alte rief: «Fuh, fuh, der russische Knochen! Kein Ohr hat von ihm gehört, kein Auge ihn gesehen, und jetzt erscheint er plötzlich selbst auf dem Hof! Königssohn Johannes, wohin reitest du?»
«Gib mir zu trinken, gib mir zu essen, danach magst du mich fragen!» Sie gab ihm zu trinken, sie gab ihm zu essen, und er erzählte: «Ich bin ausgezogen, das Wasser des Lebens zu suchen und die süßen Äpfel der Jugend, dahin, wo der weiße Schwan lebt, die Schwanentochter des Zacharias.»
«Das wirst du schwerlich erreichen», antwortete die Baba Jaga und gab ihm ihr Roß.
Der Königssohn ritt und ritt und kam zur dritten Baba Jaga. Er trat in die Hütte, und die Alte rief: «Fuh, fuh, der russische Knochen, kein Ohr hat von ihm gehört, kein Auge ihn gesehen, und jetzt erscheint er selbst auf dem Hof! Königssohn Johannes, wohin reitest du?»
«Gib mir zu trinken, gib mir zu essen, danach magst du mich fragen!» Sie gab ihm zu trinken, sie gab ihm zu essen, sie fragte nach allem, und er erzählte: «Ich bin ausgezogen, das Wasser des Lebens zu suchen und die süßen Äpfel der Jugend, dahin, wo der weiße Schwan lebt, die Schwanentochter des Zacharias.»
«Schwer wird es sein, o Königssohn, und schwerlich wirst du es erreichen!»
Sie gab ihm ihr Pferd und die Keule mit der Kraft der Siebenhundert und riet ihm: «Wenn du zur Stadt des weißen Schwanes kommst, dann schlage das Roß mit dieser Keule, damit es hinüberspringt über den Burgwall!»
Er tat so, sprang über den Wall, stellte sein Roß an einen Pfosten und betrat die Gemächer des weißen Schwans, der Schwanentochter des Zacharias. Die Diener wollten ihn zurückhalten, aber er schlug sich durch und sprach: «Ich bringe dem weißen Schwan ein Schreiben!» Und er drang vor bis in ihre Gemächer. Sie lag in tiefem Schlaf auf dem Bett von Schwanenflaum, lag mit gelösten Gliedern, und das Wasser des Lebens stand zu ihren Häupten. Er nahm das Wasser, küßte die Jungfrau und scherzte ein wenig. Dann nahm er sich die Äpfel der Jugend und ritt wieder heimwärts. Als aber sein Roß über die Palisaden setzte, stieß es mit den Hufen daran, und alle Glocken und Glöckchen und Schellen fingen auf einmal zu läuten an, daß
die ganze Stadt erwachte. Der weiße Schwan, Lebedj Saharjewna, geriet außer sich, rief nach den Mägden, schlug die eine und die andere und schrie: «Jemand ist im Hause gewesen, hat vom Wasser getrunken, hat den Brunnen nicht verschlossen!»Unterdessen ritt der Königssohn, so schnell er konnte, zur Baba Jaga und wechselte sein Pferd. Der weiße Schwan aber jagte hinter ihm her und kam zu derselben Baba Jaga: «Baba Jaga, wohin bist du geritten, dein Pferd ist naß von Schweiß?»
«Ich bin aufs Feld geritten, das Vieh hinauszutreiben.»
Königssohn Johannes erreichte die andere Baba Jaga und wechselte wieder sein Roß. Aber der weiße Schwan jagte hinter ihm her: «Baba Jaga, wohin bist du geritten, dein Pferd ist naß von Schweiß?»
«Ich bin aufs Feld geritten, das Vieh hinauszutreiben, darum ist mein Pferd naß von Schweiß.»
Königssohn Johannes kam zur letzten Baba Jaga und wechselte wieder sein Roß. Aber der weiße Schwan folgte ihm auch hierher und fragte: «Baba Jaga, warum ist dein Pferd naß von Schweiß?»
«Ich war auf dem Feld, trieb das Vieh hinaus, darum ist mein Pferd so naß von Schweiß.»
Da kehrte der weiße Schwan nach Hause zurück.
Aber der Königssohn ritt weiter zu seinen Brüdern und kam an die Hütte, wo die Jungfrau lebte. Sie sprang auf die Schwelle, hieß ihn willkommen und rief ihn zum Schlafen, aber der Königssohn sprach: «Gib mir zu trinken, gib mir zu essen, danach lege ich mich schlafen!»
Sie gab ihm zu trinken, sie gab ihm zu essen und sprach: «Lege dich zu mir!»
«Lege du dich zuerst», antwortete der Königssohn. Sie legte sich hin, und er stieß sie hinab - sie fiel, weiß Gott wohin. Der Königssohn dachte bei sich: «Ich will diese Falle öffnen, ob nicht meine Brüder dort unten gefangen sind.» Er öffnete die Falltür, und wirklich, da unten saßen die Brüder.
«Brüder, was tut, ihr da, schämt ihr euch nicht? Kommt heraus!» Und sie taten sich zusammen und machten sich auf den Weg nach Hause zum Vater.
Unterwegs aber beschlossen die älteren Brüder, den Jüngsten zu töten. Johannes erriet ihre Gedanken und sprach zu ihnen: «Erschlagt mich nicht, ich werde euch alles geben!»
Aber die Brüder gingen nicht darauf ein und erschlugen ihn doch. Sie warfen seine Knöchelchen über das freie Feld und ritten davon. Das Roß des Königssohns aber las alle Knöchelchen wieder zusammen und besprengte sie mit dem Wasser des Lebens. Da wuchsen sie aneinander, die Gelenke verbanden sich, und der Königssohn erwachte wieder zum Leben. «Lange
habe ich geschlafen, schnell bin ich erstanden!» In einem alten Pelzrock kam er heim zum Vater.«Wo warst du solange?» fragte der Vater, «geh und reinige die Gruben!»
Unterdessen fuhr der weiße Schwan, die Schwanentochter des Zacharias, auf die königlichen Hegewiesen und sandte von dort ein Schreiben an den König, er solle den Schuldigen herausgeben. Der König schickte den ältesten Sohn hinaus.
«Da kommt unser Väterchen», riefen die Kinder des weißen Schwans, als sie ihn sahen. «Womit sollen wir ihn bewirten?»
«Nein, es ist nicht euer Väterchen», sagte die Mutter, «es ist Väterchens Bruder. Bewirtet ihn mit dem, was ihr in den Händen haltet!» Jeder von ihnen hatte einen Knüttel in der Hand, und sie schlugen so zu, daß er kaum noch nach Hause kam.
Dann schickte der Vater seinen zweiten Sohn.
«Da kommt unser Väterchen», riefen die Kinder und freuten sich.
«Nein», sagte die Mutter», das ist Väterchens Bruder.»
«Womit sollen wir ihn bewirten?»
«Mit dem, was ihr in den Händen haltet, damit bewirtet ihn auch!» Und sie schlugen ihn ebenso, wie den ältesten Bruder.
Wieder schickte der weiße Schwan zum König und forderte ihn auf, den Schuldigen herauszugeben. Da sandte der König endlich seinen jüngsten Sohn. Langsam schlich er daher, in seinem schlechten Pelz, mit zerrissenen Bastschuhen an den Füßen.
«Seht, da kommt ein Bettler!» riefen die Kinder.
«Nein, das ist euer Väterchen», sagte die Mutter.
«Womit sollen wir ihn bewirten?»
«Mit dem, was Gott schickt!»
Als der Königssohn Johannes herantrat, kleidete ihn die Jungfrau, die Schwanentochter des Zacharias, in herrliche Gewänder, und sie gingen zusammen zum König. Königssohn Johannes erzählte alle seine Abenteuer, wie er die Brüder aus der Falle befreit hatte, sie ihn aber erschlugen.
Da wurde der Vater zornig, entkleidete die Brüder aller Ehren und Rechte und stellte sie zu niederen Diensten an. Johannes aber setzte er zu seinem Erben ein.
DER KÖNIG DES MEERES UND WASSILISSA, DIE ALLWEISE
Hinter den dreimal neun Ländern im dreimal zehnten Weltreich lebten einmal ein König und eine Königin, die hatten kein Kind.
Einst ritt der König fort in fremde Länder, in die weite Welt und war lange, lange nicht zu Hause. In dieser Zeit gebar die Königin einen Sohn, den Königssohn Johannes. Der König aber wußte nichts davon.
Endlich ritt er wieder heim in sein Königreich. Schon war er der Heimat nahe, da brannte eines Tages die Sonne heiß und immer heißer auf ihn herab. Ein furchtbarer Durst überfiel ihn -alles, alles hätte er hingegeben für einen einzigen Schluck Wasser. Er schaute sich um - gar nicht weit sah er einen großen See. Er ritt zu dem See, stieg vom Rosse, legte sich ans Ufer und fing an, das kühle Wasser in vollen Zügen zu trinken -trinkt und ahnt kein Unheil. Plötzlich packte ihn der König des Meeres am Barte.
«Lass' mich los!» bittet ihn der König.
«Nein, ich lasse dich nicht los, untersteh dich nicht, hier ohne mein Wissen zu trinken!»
«Ich gebe dir alles, was du verlangst, nur lass' mich los!»
«So gib mir das aus deinem Hause, wovon du nichts weißt!»
Der König dachte hin und her: Was kenne ich denn nicht in meinem Hause? Ich weiß doch alles, kenne doch alles. Und er willigte ein. Er versuchte, seinen Bart herauszuziehen - keiner hielt ihn fest. Er stand von der Erde auf, bestieg sein Roß und ritt heimwärts.
Er kam nach Hause, die Königin empfing ihn voller Freude und zeigte ihm den Sohn. Der König sah sein liebes Kind und brach in bittere Tränen aus. Er erzählte der Königin, was ihm geschehen war, und sie weinten miteinander. Aber was war zu machen? Tränen helfen ja nicht, sie mußten weiterleben wie zuvor.
Der Königssohn wuchs und wuchs, nicht täglich, sondern stündlich, wie ein Hefeteig, der aufgeht in der Wärme, und wurde groß und kräftig. Der König aber dachte in seinem Herzen: wie gerne ich ihn behalten möchte - hergeben muß ich ihn doch, das ist unabänderlich! Er nahm den Königssohn an der Hand und brachte ihn an jenen See. «Suche mir meinen Ring, den ich gestern hier verloren habe!» Damit ließ er den Königssohn Johannes allein und kehrte nach Hause zurück.
Königssohn Johannes fing an, den Ring zu suchen und ging am Ufer entlang. Da kam ihm eine alte Frau entgegen: «Wohin gehst du, Königssohn Johannes?»
«Ach laß mich in Ruhe, langweile mich nicht, alte Hexe, auch ohne dich habe ich Kummer genug!»
«Nun, so behüte dich Gott», sagte die Alte und ging vorüber. Königssohn Johannes aber dachte plötzlich bei sich: warum habe ich eigentlich die Alte so beschimpft? Ich werde sie zurückholen, alte Leute sind klug und können raten, vielleicht rät sie mir Gutes. Und er rief ihr zu: «Komme zurück, Großmütterchen, und entschuldige mein dummes Wort, das sagte ich nur aus Kummer. Der Vater hat mir befohlen, seinen Ring zu suchen. Ich gehe herum und suche überall, aber von dem Ring ist nichts zu sehen.»
«Nicht des Ringes wegen bist du hier», sagte die Alte. «Dein Vater hat dich dem König des Meeres versprochen, der wird wohl bald heraufkommen, um dich in sein Reich unter dem Wasser zu holen.»
Da begann der Königssohn bitterlich zu weinen.
«So traurig brauchst du nun auch nicht zu sein», sagte die Alte, «auch auf deinem Wege wird noch einmal ein Fest sein! Aber du mußt auf mich altes Weib hören. Setze dich hinter jenen Johannisbeerbusch und sei leise, ganz, ganz leise! Bald werden zwölf Täubchen kommen, das sind in Wahrheit zwölf herrliche Jungfrauen. Zuletzt kommt auf ihrer Spur die dreizehnte Taube geflogen. Sie werden miteinander im See baden. Du aber nimm unterdes der dreizehnten ihr weißes Hemdchen weg und gib es nicht eher wieder her, als bis sie dir ihr Ringlein schenkt. Wenn du das nicht fertig bringst, bist du auf immer und ewig verloren. Rund um das Schloß des Meerkönigs steht ein spitziger Zaun, ganze zehn Werst weit, und auf jeder Spitze sitzt ein Menschenkopf. Ein Pfahl ist dort gerade noch leer, hüte dich, daß dein Kopf nicht darauf kommt!»
Königssohn Johannes bedankte sich, verbarg sich hinter dem Johannisbeerbusch und wartete auf die rechte Stunde. Da kamen zwölf weiße Täubchen geflogen, schlugen auf die feuchte Erde und verwandelten sich in lauter Jungfrauen, alle, von der ersten bis zur letzten von so großer Schönheit, daß man es nicht ausdenken, nicht erraten und nicht beschreiben kann.
Sie warfen ihre Kleider ab, sprangen in den See und fingen an zu spielen, zu plantschen, zu lachen und zu singen. Auf einmal kam auf ihrer Spur die dreizehnte geflogen, schlug auf die feuchte Erde und verwandelte sich in eine Jungfrau. Und sie war die lieblichste und schönste von allen. Sie warf ihr Hemdchen ab von ihrem weißen Leib und ging ins Wasser. Lange konnte der Königssohn kein Auge von ihr wenden, lange schaute er sie an. Plötzlich erinnerte er sich an den Rat der Alten, schlich leise herzu und nahm das weiße Hemdchen.
Die schöne Jungfrau stieg aus dem Wasser - ach, das weiße Hemdchen ist verschwunden, irgend jemand hat es fortgetragen! Alle Jungfrauen stürzten herbei und fingen an zu suchen. Sie suchten und suchten. Aber nirgends war es zu sehen.
«Sucht nicht, meine lieben Schwestern, fliegt nach Hause, ich bin selber schuld. ich habe mein Hemdchen nicht gehütet, selber muß ich es verantworten.»
Die schönen Jungfrauen warfen sich auf die feuchte Erde, wurden wieder zu Tauben, schwenkten ihre Flügelchen und flogen davon. Die dreizehnte blieb allein zurück. Sie sah sich um. und rief: «Wer du auch seiest, der du mein Hemdchen hast, komm heraus! Wenn du ein alter Mensch bist, sei mein Väterchen, wenn du im mittleren Alter stehst, sei mein Brüderchen, bist du mir aber gleich an Jahren, sei mein geliebter Freund!»
Kaum hatte sie das letzte Wort gesprochen, da zeigte sich Johannes, der Königssohn. Sie reichte ihm ihr goldenes Ringlein und sprach: «Ach, Königssohn Johannes, warum bist du so lange ausgeblieben? Der König des Meeres ist böse auf dich. Dort führt der Weg in das Königreich unter dem Wasser. Geh mutig weiter auf diesem Wege, du wirst auch mich dort unten finden; denn ich bin des Meerkönigs Tochter Wassilissa, die Allweise.» Damit verwandelte sie sich wieder in eine Taube und flog fort.
Königssohn Johannes aber begab sich in das Königreich unter dem Wasser. Und was sieht er? Dort leuchtet das gleiche Licht wie bei uns, dort sind Felder, Wiesen und grüne Haine, und die liebe Sonne wärmt. Und er kam zum König des Meeres hinab. Der aber herrschte ihn an: «Wo bist du so lange geblieben? Für dieses Vergehen mußt du mir eine Aufgabe lösen! Ich habe eine Einöde, dreißig Werst lang und dreißig Werst breit, voll tiefer Gräben, Dornhecken und spitzer Steine. In einer Nacht soll sie so eben wie mein Handteller sein und mit Korn besät, und am frühen Morgen soll das Korn schon so hoch stehen, daß eine Krähe sich mit Leichtigkeit darin verbergen kann. Wenn du das nicht fertig bringst, verlierst du deinen Kopf!»
Königssohn Johannes ging hinaus und weinte bittere Tränen. Aus dem Fenster des hohen Frauenturms sah ihn Wassilissa, die Allweise, und fragte ihn: «Sei gegrüßt, Königssohn Johannes, warum weinst du so sehr?»
«Was bleibt mir anderes übrig, als zu weinen?» antwortete der Königssohn. «Der König des Meeres hat eine Einöde, dreißig Werst lang und dreißig Werst breit, voll tiefer Gräben, Dornhecken und spitzer Steine. In einer Nacht soll sie so eben wie ein Handteller sein und mit Korn besät. Und am frühen Morgen soll das Korn schon so hoch stehen, daß eine Krähe sich darin mit Leichtigkeit verbergen kann.»
«Das ist kein Kummer», rief Wassilissa, die Allweise, «der echte Kummer kommt noch! Lege dich hin und schlafe mit Gott, der Morgen ist weiser als der Abend, es wird alles getan.» Königssohn Johannes legte sich schlafen. Wassilissa, die Allweise, aber trat auf die Freitreppe hinaus und rief mit lauter Stimme: «Ihr, meine treuen Diener, kommt herbei und ebnet die
Gräben, schafft Dornhecken und Steine fort und sät den Samen des ährenreichen Roggen, auf daß am frühen Morgen alles vollendet sei!»Im Morgengrauen erwacht Königssohn Johannes. Und siehe, es ist alles getan. Da ist kein Graben mehr, kein Dornbusch, kein Stein. Vor ihm liegt das Feld, glatt wie der Teller der Hand und schön steht der Roggen darauf und so hoch, daß eine Krähe sich mit Leichtigkeit darin verbergen kann.
Johannes, der Königssohn, ging zum König des Meeres, um es ihm anzuzeigen. «Ich danke dir», sagte der König des Meeres, «daß du mir diesen Dienst erwiesen hast. Aber hier hast du noch eine zweite Aufgabe: Ich habe dreihundert Haufen Getreide, jeder Haufen hat dreihundert Garben reinen, hellen Weizen. Bis zum Morgenrot muß aller Weizen gedroschen sein, ganze sauber bis zum letzten Körnlein. Aber die Haufen zerbrich nicht, und die Garben zerreiß nicht! Und wenn du das nicht fertig bringst, so rollt dein Kopf von den Schultern.»
«Ich gehorche euch, hoher König», sagte Königssohn Johannes. Und wieder ging er den Hof entlang und weinte bitterlich.
«Warum weinst du so sehr?» fragte Wassilissa, die Allweise.
«Wie soll ich denn nicht weinen? Der König des Meeres hat mir befohlen, in einer Nacht alle seine Garben zu dreschen. Kein Körnlein soll fehlen, und doch dürfen die Haufen nicht auseinandergerissen werden und die Garben nicht zerstört.»
«Das ist kein Kummer, der rechte Kummer kommt noch. Lege dich mit Gott nieder und schlafe, der Morgen ist weiser als der Abend!»
Der Königssohn legte sich hin und schlief ein. Wassilissa, die Allweise, aber trat auf die Freitreppe hinaus und rief mit lauter Stimme: «Auf, ihr Ameisen, ihr kriechenden alle, so viel ihr auch seid auf der weiten Welt, kommt herbei und sucht mir die Körnlein aus Väterchens Garben, alle bis auf das letzte!»
Am frühen Morgen rief der König des Meeres nach Königssohn Johannes. «Nun, hast du meinen Befehl erfüllt?»
«Hoher König, ich habe ihn erfüllt.»
«So wollen wir gehen und schauen.»
Sie kamen zur Tenne. Alle Haufen standen unberührt. Sie gingen zur Kornkammer, die war voll mit Korn.
«Ich danke dir, Bruder», sagte der König des Meeres. «Und nun kommt noch eine Aufgabe: Baue mir bis zum Morgengrauen eine Kirche aus reinem Wachs! Dies soll dein letzter Dienst sein.»
Abermals ging Johannes, der Königssohn, auf den Hof hinaus und badete sein Gesicht in Tränen.
«Warum weinst du so bitterlich?» fragte Wassilissa aus ihrem hohen Frauenturm.
«Wie soll ich wackerer Jüngling nicht weinen? Der König des Meeres hat mir befohlen, in einer einzigen Nacht eine Kirche aus reinem Wachs zu bauen.»
«Das ist kein Kummer, der rechte Kummer kommt noch. Lege dich mit Gott nieder und schlafe, der Morgen ist weiser als der Abend!»
Königssohn Johannes legte sich hin und schlief. Wassilissa, die Allweise, trat auf die Freitreppe hinaus und rief mit heller Stimme: «Ihr Immen all, die ihr auf der weiten Welt lebt, fliegt alle, alle herbei, baut mir die Kirche aus reinem Wachs und seht zu, daß am frühen Morgen alles vollendet ist!»
Bei der Morgenröte wachte Königssohn Johannes auf und schaute: Da stand die Kirche aus reinem Wachs. Und er ging zum König des Meeres, es ihm zu sagen.
«Ich danke dir, Königssohn Johannes, so viele Diener ich auch schon gehabt habe, keiner verstand es so wie du. Dafür wirst du mein Erbe sein und des ganzen Reiches Hüter. Wähle dir die schönste von meinen dreizehn Töchtern zur Gemahlin!»
Königssohn Johannes erwählte Wassilissa, die Allweise. Und die Hochzeit wurde sogleich gehalten und dauerte drei Tage und drei Nächte lang.
War viel Zeit vergangen, war es wenig nur -Königssohn Johannes sehnte sich nach seinen Eltern, und er wollte heim ins heilige Rußland.
«Warum bist du so traurig, Königssohn Johannes?»
«Ach, meine weise Wassilissa, ich habe Heimweh nach Vater und Mutter, und es zieht mich fort ins heilige Rußland!»
«Jetzt ist der rechte Kummer gekommen! Wenn wir dahin gehen, ins heilige Rußland, bricht eine furchtbare Verfolgung aus. Der König des Meeres in seinem Zorn wird uns töten. Wir müssen klug sein, Königssohn Johannes!»
Wassilissa, die Allweise, spuckte in drei Ecken und schloß die Türen des Turmes zu. Und sie floh mit Königssohn Johannes ins heilige Rußland.
Am anderen Morgen, ganz in der Frühe, kamen die Boten des Meerkönigs, um das junge Paar zu wecken und in das Schloß zu laden. Sie klopften an die Türe: «Wacht auf, steht auf, der Vater ruft euch!»
«Es ist noch viel zu früh, wir sind noch nicht ausgeschlafen, kommt später», antwortete ein Spuckchen.
Die Boten gingen und warteten, warteten eine Stunde, zwei Stunden, dann kamen sie wieder und klopften an: «Es ist jetzt keine Zeit zum Schlafen, es ist Zeit zum Aufstehen!»
«Wartet ein bißchen, wir stehen auf und ziehen uns an», antwortete das zweite Spuckchen.
Zum dritten Male kamen die Boten: «Der König des Meeres ist zornig, was zögert ihr so lange?»
«Sofort, wir kommen gleich», antwortete das dritte Spuckchen.
Die Boten warteten und warteten und fingen wieder an zu klopfen - keine Antwort, kein Widerhall. Sie brachen die Tür auf - das Türmchen war leer.
Schnell gingen sie zum König des Meeres und berichteten ihm, daß das junge Paar geflohen sei. Der König des Meeres war außer sich vor Zorn und schickte seine Verfolger hinter den beiden her. Aber Wassilissa, die Allweise, und Königssohn Johannes waren schon weit - ganz weit. Sie sprengten auf schnellsten Rossen ohne Rast und Ruh nach dem heiligen Rußland.
«Königssohn Johannes, steig ab vom Pferde, leg dein Ohr auf die feuchte Erde, horche, ob der Verfolger naht!»
Königssohn Johannes sprang vom Pferde herab und legte sein Ohr auf die feuchte Erde: «Ich höre Menschengemurmel und Pferdegetrappel!»
«Man verfolgt uns!» rief Wassilissa, die Allweise, und sogleich verwandelte sie die Pferde in eine grüne Wiese, Königssohn Johannes in einen alten Hirten, sich selber aber in ein sanftes Lamm.
Schon sprengte der Troß heran: «Hör', Alter, hast du nicht einen wackeren Jüngling reiten sehen mit einer wunderschönen Jungfrau?»
«Nein, ihr guten Leute, ich habe nichts gesehen. Schon vierzig Jahre hüte ich am selben Platz. Kein Vogel flog vorbei, kein Tier lief vorüber.»
Da kehrten die Verfolger wieder um: «Hoher König, wir haben auf dem Weg niemanden gefunden. Wir sahen nur einen alten Hirten, der sein Lämmchen weidete.»
«Das sind sie gewesen, warum habt ihr sie nicht mitgenommen?» schrie der könig, und er schickte neue Verfolger aus. Aber Königssohn Johannes und Wassilissa, die Allweise, sprengten weiter auf ihren schnellen Rossen.
«Königssohn Johannes, steig ab vom Pferde, lege dein Ohr auf die feuchte Erde, horche, ob der Verfolger naht!»
Königssohn Johannes sprang vom Pferde herab und legte sein Ohr auf die feuchte Erde: «Ich höre Menschengemurmel und Pferdegetrappel!»
«Man verfolgt uns!» rief Wassilissa, die Allweise. Sie verwandelte sich selber in eine Kirche und Königssohn Johannes in einen ganz alten Popen. Die Pferde aber wurden zu Bäumen.
Schon kamen die Verfolger heran: «Hör', Väterchen, hast du vielleicht einen Hirten mit seinem Lamm gesehen?» «Nein, ihr guten Leute, ich habe nichts gesehen. Schon vierzig Jahre diene ich in dieser Kirche, kein Vogel flog vorbei, kein Tier lief vorüber.»
Da kehrten die Verfolger wieder um: «Hoher König, den Hirten und das Lamm haben wir nicht gefunden. Unterwegs sahen wir nur ein altes Kirchlein und den greisen Popen darin.»
«Warum habt ihr die Kirche nicht zerstört und den Popen mitgenommen? Das waren sie doch!» rief der König des Meeres.
Und nun jagte er selber hinter Königssohn Johannes und Wassilissa, der Allweisen, her. Königssohn Johannes und Wassilissa, die Allweise, aber waren schon weit, ganz ganz weit.
Wieder rief Wassilissa, die Allweise: «Königssohn Johannes, steig ab vom Pferde, lege dein Ohr auf die feuchte Erde, horche, ob der Verfolger naht!»
Königsohn Johannes sprang vom Pferde herab und legte sein Ohr auf die feuchte Erde: «Ich höre Menschengemurmel und Pferdegetrappel, stärker als zuvor.»
«Da sprengt der Meerkönig selber heran!» Wassilissa, die Allweise, verwandelte die Pferde in einen See. Königssohn Johannes wurde ein Enterich, sie selber ein weißes Entlein.
Als der König des Meeres an den See gekommen war, erkannte er sogleich, wer Entlein und Enterich waren. Er warf sich auf die feuchte Erde und verwandelte sich in einen Adler. Der Adler wollte sie tödlich schlagen. Aber was geschah? Um ein Haar hätte er den Enterich getroffen, aber der tauchte schnell unter das Wasser. Jetzt stößt er auf das Entlein herab, aber auch das Entlein tauchte schnell in das Wasser. Wie sich der König des Meeres auch mühte, er konnte nichts erreichen, und zornentbrannt sprengte er in das Königreich unter dem Wasser zurück.
Wassilissa, die Allweise, und Königssohn Johannes warteten eine Zeit lang, warteten auf die rechte Stunde und ritten ins heilige Rußland.
War viel Zeit vergangen, war es wenig nur - endlich erreichten sie das dreimal zehnte Weltreich.
«Erwarte mich in diesem Wäldchen», sagte Königssohn Johannes zu Wassilissa, der Allweisen. «Ich will zuerst gehen und mich vor Vater und Mutter verneigen.»
«Du wirst mich vergessen, Königssohn Johannes!»
«Nein, ich vergesse dich nicht!»
«Königssohn Johannes, sage das nicht; du wirst mich vergessen! Denke an mich wenigstens dann, wenn zwei Täubchen an dein Fenster pochen!»
Königssohn Johannes kam zum Schloß. Die Eltern erblickten ihn, warfen sich an seinen Hals, streichelten und küßten ihn. Und vorlauter Freude vergaß Königssohn Johannes Wassilissa, die Allweise.
Er lebte einen Tag und den andern mit Vater und Mutter. Am dritten Tag kam es ihm in den Sinn, um irgendeine Königstochter zu freien.
Wassilissa, die Allweise, aber ging in die Stadt. Sie verdingte sich bei der Opferbrotbäckerin als Magd. Sie fingen an, miteinander die Weihebrote zu backen. Wassilissa, die Allweise, nahm zwei Hand voll Teig, formte daraus ein Paar Täubchen und setzte sie in den Backofen.
«Nun errate, Frau, was wird aus diesen Täubchen?»
«Was wird schon sein, wir essen sie auf, das ist alles.»
«Oh, du hast es nicht erraten!» Wassilissa, die Allweise, machte die Ofentür auf und öffnete schnell das Fenster. In diesem Augenblick hoben die Täubchen ihre Flügelchen, flogen schnurstracks zum Schlosse hin und begannen, ans Fenster zu pochen. Und wie sich audi die Dienerin des Königs mühte, sie zu verjagen, es gelang ihr nicht. Da sah Königssohn Johannes die Täubchen, und auf einmal erinnerte er sich: «Denke an midi, wenigstens dann, wenn zwei Täubchen an dein Fenster pochen!»
Überall hin - nach allen Richtungen sandte er Boten aus, zu suchen und zu forschen, und er fand Wassilissa, die Allweise. Königssohn Johannes nahm sie an den weißen Händen, küßte ihren süßen Mund, führte sie zum Vater, zur Mutter.
Und sie fingen an, alle miteinander in Eintracht zu leben und zu sein, und sie lebten und mehrten ihr Hab und Gut.