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Sagen aus dem Berner Oberland
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Du, du, du, ja du! Diesmal wieder Ruh. Hätt' ich keine gefunden mehr Litt ich siebenmal so schwer. |
Dann nahm sie das Mädchen, dem die Rede gegolten, bei der Hand, und ohne nach dem Wege zu fragen, irrezugehen
oder zu zaudern, führte sie es zum reichsten, schönsten und besten Jüngling des Tales. Dem legte Frau Ute der Jungfrau Hand in die Rechte, sah ihn nickend an und verschwand, indem sie den Herzen der Brautleute eine inbrünstige Liebe zueinander eingab.Nie ist erhört worden, dass die Eltern eines Jünglings Frau Utes Wahl missachteten, mochte das zugeführte Mädchen auch arm sein. Jedesmal ward die Weisheit und Güte der geheimnisvollen alten Frau hochgepriesen. Und immer auch kehrte das reinste Glück bei dem auserwählten Paar ein, dessen Hochzeit das ganze Volk jubelnd mitfeierte.
Kühreihen und Alphorn
Der Senn auf Bahlisalp hatte seine Kühe gemolken und sie wieder hinausgetrieben auf die Weiden; er durfte es wohl wagen, denn am Himmel war kein Wölkchen zu sehen und eine milde, sternenhelle Sommernacht stand bevor.
Res, so hiess der Bahlisaiphirt, schaute vor der Sennhütte noch dem Scheiden der
Sonne zu, dann rief er über die tiefe Schlucht hinweg seiner Liebsten den Abendgruss und Aelplersegen zur Seealp hinüber. Gellend und schrill tönte sein rauhes Jauchzen durch die Lüfte und markdurchdringend hallten die ungeschlachten Töne seines kunstlos gearbeiteten Hirtenhorns in die Stille der Berge hinaus. Noch kannten die Menschen die weiche, sehnsuchtsvolle und wundersame Melodie des Kuhreihens nicht. Umsonst harrte der Senn auf einen Gegengruss. Das Seealprösli wies seine Liebe spröde zurück. So begab er sich, als das Abendglühen auch von den höchsten Schneebergen gewichen war, traurig in seine Hütte und hinauf zur Gastern, wo weiches Bergheu das gewohnte Lager bot.Res wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, als ihn ein lautes Prasseln wach werden liess. Erschreckt hob er sich vom Lager empor, und was er da sehen musste, war wohl geeignet, ihm das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Drunten auf dem Herde loderte ein lustiges Feuer; ein riesiger Senn und ein munterer Knecht trugen aus dem Gaden die Gepsen voll blanker Milch herbei und drehten unter
lautem Knarren und Aechzen des Drehbaumes das Käskessi über den hellen Flammen. An der Feuerplatte sass ein grüngekleideter Jägersmann, der düster in die Glut blickte und sie dann und wann schürte. Schweigend walteten die drei unheimlichen Gesellen, denen Res von der Gastern herunter entsetzt lauschte und zusah, ihrer Obliegenheiten. Als es Zeit war, das Lab zuzusetzen, winkte der geheimnisvolle Senn dem Grünen, und dieser goss aus seiner bauchigen Jagdflasche eine blutrote Flüssigkeit in die Milch.Mittlerweile trat der junge, blondhaarige Knecht vor die Hütte hinaus. Ihm hatte sich die Türe von selbst geöffnet. Gar bald liessen sich nun Liederklänge vernehmen, wie Res sein Leben lang noch keine gehört hatte. Von langen, gedehnten, tiefen, schwermütigen Tönen bewegte sich die Singweise ohne Worte fast unmerklich hinauf und hinüber zu hellem Gejohle, dann stieg sie wiederum herunter zu ergreifenden, langsam in den fernen Schluchten ersterbenden Klängen. Res hörte deutlich, wie seine Herde, von dem wundersamen Reigen angezogen, sich
dem Staffel näherte. Hernach ergriff der Sänger ein langes hölzernes, mit Weiden und Wurzeln umwundenes Horn, durch das er die gesungene Melodie in die schweigende Nacht hinaus erklingen liess, nur langsamer und gedehnter als vorher. Rings im Gebirge wurde alles lebendig. Geisterstimmen gaben die Töne von den Fluhwänden zurück, leiser klangen sie nach vom dichten Tann her, ja selbst aus den Lüften herab schienen sie schwebend widerzuhallen.Der riesige Senn war mit seiner Arbeit fertig geworden und schöpfte die Schotte in die drei bereitstehenden Gepsen heraus. In der ersten erschien sie blutig rot, in der zweiten grün, in der dritten weiss wie frischgefallener Schnee. Res blieb keine Zeit, sich darüber zu wundern, denn eben rief der Käser mit tieftönender Stimme: «Steig' jetzt herunter, Menschenkind, um eine der Gaben zu wählen!» Furchtbar erschrak Res über diese Aufforderung, doch da auch der Sänger wieder in die Hütte getreten war und ihm ermutigend zuwinkte, fasste er sich und stieg hinab zu den drei Geistermännern. Vor den Gepsen nahm zuerst der Grüne
das Wort: «Aus einem dieser Gefässe musst du trinken; überlege dir wohl, welches du wählen willst! » Darauf begann der riesige Senn: «Schau her, Büblein! Die mit Rot gefüllte Gepse ist meine Gabe. Nimmst du sie an, so verleiht sie dir die Kraft eines Riesen und beherzten Mut; kein Mensch wird dir widerstehen können. Obendrein gebe ich dir hundert schöne, rote Kühe. Trink darum von meiner Milch, Bübchen!»«Das wäre nicht schlecht!» überlegte Res; doch kaum gedacht, trat der Grüne hervor: «Nimm lieber einen Zug aus meiner Gepse! Stark genug bist du bereits, um deine Händel selbst auszutragen und einen frischen Hosenlupf ehrenhaft zu bestehen. Wer weiss dazu, wie lange dir die hundert roten Kühe gesund bleiben würden. Ich biete dir bleibendes Gut, harte, runde, blanke Silbertaler und klingendes Gold. Hör' einmal, welch lieblichen Klang es hat!» Damit schüttete der Grüne einen gewaltigen Haufen funkelnder Gold- und Silberstücke vor die Füsse des Hirten. «Was alles könnte man kaufen um dieses Geld!» fuhr der Gedanke durch Res, «wie manche Matte im Tal,
wie manches Rind, der Liebsten von der Seealp was für ein schönes Haus!» Beinahe hätte er die Gepse des Grünen ergriffen. Aber zur rechten Zeit sah er sich nach dem Sänger um, der schweigend auf sein Alphorn gelehnt im Dunkel der Hütte stand. «Was hast du mir zu bieten, wenn ich aus deiner weissen Gepse trinke? » redete Res, mutig geworden, ihn an.Der Sänger erhob das Haupt und forschend ruhten seine sanften Augen eine Weile auf Res. Erst dann trat er zu den Gepsen: «Weder übermenschliche Kraft und Wohlstand noch die Schätze irdischen Reichtums stehen in meiner Hand. Meine Gabe besteht in den Klängen und Liedern, die du vernommen hast. Wählst du sie, so ist der Menschenbrust fortan die Macht gegeben, zu verwandten Herzen mit ergreifenden Tönen zu dringen; sogar die Tiere werden auf diese Klänge horchen und ihnen folgen, die Waldbäume lispeln sie nach, die harten Felsen werden sie ans Ohr des Sängers zurückflüstern. Den Kühreihen und das Alphorn biete ich dir, und wenn du sie wählst, wird dir auch jener wundersame Friede, den meine Gabe verleiht. Trinkst
du aus der dritten Gepse, der reinen, so wirst du am Morgen früh singen und jodeln und das Alphorn blasen können, so schön wie ich es getan habe. Wer dich vernimmt, hat seine Freude an dir; Gott und die Menschen werden dich lieben!»Regungslos hörte Res das Versprechen des Jünglings und mächtig kämpften die Wünsche in seiner Brust. Bald blickte er auf den riesigen Sennen, dessen Kraft ihm versprochen war, bald auf den Goldhaufen des grünen Jägers, bald in des Sängers lichtblaues Auge. Endlich erhellte ein Sonnenstrahl seine dunkle Ratlosigkeit: «Auch das Herz des Seealpröschens wird mich dann lieben!» «Nun denn», rief er, «ich verzichte auf Kraft und Gewalt und goldene Schätze; ich will arbeiten, lieben und singen solang ich lebe. Der Kühreihen und das Alphorn, sie seien mein!» Damit hob er die dritte Gepse leicht an den Mund. Siehe, der Trunk mundete köstlich, er war nichts anderes als gesunde, würzige Milch.
Als der Bahlisalpsenn die Gepse niedersetzte, waren die Drei verschwunden. Unsichtbar fühlte sich Res auf sein weiches Lager getragen, wo er schlief, bis das
Vogelgezwitscher die nahende Sonne verkündete. Wie schnell stand er beim ersten Morgenschimmer mit dem Horn vor der Hütte! Dort hob er zu singen an, laut und leise, hell und dunkel und so fein, wie der Blauäugige es diese Nacht gekonnt hatte. Durch Berg und Tal und besonders zur Seealp hinüber tönten die prächtigen Weisen; zweistimmig sangen Res und das Röslein bald und lieblich mischten sich die Herdenglocken mit dem Klang des wortlosen Liedes.So ist der Kühreihen entstanden. Die traumhafte Weise vererbte sich von Res und Röschen auf ihre Kinder und Kindeskinder. Nie mehr ging das Geschenk, für das sich der Bahlisalpsenn damals entschlossen, den Menschen verloren.
Blümlisalp
Als eine der schönsten und erhabensten Bergkronen, makellos weiss, rein und wohlgestaltet, schaut die Blümlisalp hinaus in die Lande. Ihre leuchtenden Gletscher, deren Licht nach Kandersteg und ins Kiental hinabflimmert, gehören zu
den silberglänzendsten des Berner Oberlandes. Früh vor Tag schon funkeln die hehren Firnen, und am Abend, wenn das Glöcklein von Kandersteg seinen Segen ruft, recken sich die Gipfel rotüberglüht zum Himmel empor.Die Blümlisalp trug vorzeiten weder Schnee noch Eis. Kräuterreiche Matten dehnten sich rings um die höchsten Berge, deren Abhänge noch nicht so stotzig, sondern mit fruchtbarer Erde bedeckt und bis zu oberst blumig bewachsen waren. Nicht umsonst galt der junge Blümlisalpsenn als der reichste Bauer weit und breit! Er hatte eine Herde, so prächtig und gross, wie sie nirgends sonst gefunden wurde. Den herrlichen Kühen, unter denen des Sennen schwarze Lieblingskuh Brändlin die stolzeste war, mussten die strotzenden Euter dreimal des Tages gemolken werden, und die Milch gab Rahm, Anken und Käse in solcher Fülle, dass man den Ueberfluss kaum zu messen vermochte.
Allein mit dem wachsenden Reichtum veränderte sich das früher bescheidene Wesen des Sennen. Sein Herz verhärtete sich und sein Gemüt begann in wildem
An einem schwülen Tage, als der Senn mit seinem Schatz, der Kathrin, und mit seinem Hunde Ryn auf und ab über die Treppe spazierte, kam die Mutter vom Tale heraufgestiegen; ander Hand führte sie ihre Kinder, und da sie alle müde und hungrig waren, bat sie bescheiden um einige Nahrung. Hellauf lachte da der übermütige Senn: «Ihr sollt Speis' und Trank vollauf bekommen, und der Himmel möge segnen, was ich euch aufzutischen habe!» Damit mischte er Sand mit saurer Milch zu einem schmutzigen Brei, den er der Mutter reichte. Entsetzen über solchen Frevel des Sohnes ergriff die arme Frau. «Also dies ist dein Geschenk, unseliger Tor, den ich verfluche!» rief sie, indem sie ihre Kinder an sich zog und ohne Blick und Gruss davoneilte, so rasch ihre Füsse sie trugen.
Eine Stunde oder mehr mochte vergangen sein, als sich auf der Blümlisalp der Himmel auf einmal in Finsternis hüllte.
Kalte Windstösse, vor denen die Herde zu fliehen suchte, fegten aus den Klüften über die Wiesen hin; dann erhob sich ein stürmisches Brausen von solcher Gewalt, dass die Berge ringsum erzitterten und niederzustürzen drohten. Schon wagten die Hirten nicht mehr, das Vieh zusammenzutreiben. Rollend und siebenfach widerhallend brüllte der Donner, die Blitze zuckten, schaurig prasselte Hagel aus rabenschwarzen Wolken herab. Am Blümlisalphorn öffneten sich die Tiefen der Erde; wütende Gletscherdrachen wurden befreit und wälzten sich prasselnd wie unversiegliche Ströme auf die einst so gesegneten Auen nieder. Nicht einhalten wollte das Unheil, bis die Blümlisalp kirchturmhoch von Eistürmen bedeckt war. Erst als dies geschehen, verzog sich auch die schreckliche Finsternis. Die Blumen und saftigen Gräser, die Hütte, die Menschen und Tiere der schönen Trift konnten den neuen Tag nicht mehr grüssen. Ein ewiger Gletscher hatte sich auf die Stätte gelegt und sie für alle Zeiten begraben.An düstern, nebelverhängten Tagen oder in Nächten, die sausenden Schneestürmen
vorangehen, bewegen sich flüchtige Schatten über den Blümlisalpgletscher - das sind die ruhelosen Geister des Sennen und seiner Geliebten, des Hundes Ryn und der schwarzen Kuh Brändlin, deren Euter mit Dornen umflechten ist. Man hört nicht selten auch den klagenden Ruf des Sennen: «Ich und mi Kathrin, min Hund Ryn und mi Chue Brändlin müssen ewig auf Blümlisalp syn. » Sie könnten erlöst werden, wenn es einem Menschen gelänge, die schwarze Kuh zu stellen und dann zu melken. Einmal unternahm ein Hirte das unheimliche Wagnis. Das grimmige Tier stand ihm und schon war es dem Mutigen gelungen, einen Eimer halb zu füllen, als ein Mann hinter ihm fragte: «Schäumt's auch recht? » Ueberrascht antwortete der Hirte: «Ja, es schäumt ganz wacker!» Wie das Wort seinem Munde entfuhr, sprang die Kuh Brändlin mit wildem Ruck zur Seite in dichtes Gewölk hinein.Uebermut und Hoffahrt der Menschen haben den Fluch über ungezählte Blümlisalpen heraufbeschworen und dem goldenen Zeitalter, das heute noch währen könnte, ein allzufrühes Ende bereitet.
Stadt Roll zieh us!
Über dem blauen Thunersee hinter dem Schlossturm und ehemaligen Rebgut Ralligen liegt an sonniger Berghalde die «Einöde», ein von wildem Bergsturzgeröll überdecktes Landstück. Nach der Ueberlieferung stand hier die Stadt Roi!, deren Bewohner durch übermässigen Stolz unbussfertig und ungastlich geworden waren. So hatten sie den heiligen Beatus, der ihre Herzen prüfen wollte, am Barte gerissen und scheltend davongejagt.
Als das Mass ihrer Sünden gefüllt war, verkündete ein Zwergmännchen, das sich auf die «Spitze Fluh» gesetzt hatte, den nahenden Untergang:
Stadt Roi!, zieh us mit dinem Volch! Die spitzi Fluh ist gspalte, Schlegel und Wegge si kalte, Zieh us, dem Stampach zu! |
Unter «Wegge» verstand man die eisernen Keile zur Felssprengung und «kalte» heisst soviel wie «verwahrt»; der Zwerg bedeutete damit den Bewohnern, dass seine Genossen, die kleinen Erzleute, ihre
Werkzeuge verwahrt hätten, um die lang bearbeitete Fluh von selbst stürzen zu lassen.Darauf löste sich der Bergsturz von den zerrissenen Ralligstöcken und Roi! wurde mit Ausnahme eines einzigen Hauses klafterhoch zugedeckt.
Kienholz
Am östlichen Ufer des Brienzersees findet der Wanderer den Weiler Kienholz, einst ein grosses Dorf, das im Jahre 1353, kurz nach der Aufnahme Berns in den Eidgenossenbund, die bernischen und eidgenössischen Gesandten zur ersten Beratung beherbergt hatte. Zu vielen Zeiten war die Ortschaft furchtbaren Ausbrüchen der Wildwasser ausgesetzt gewesen. Auch im fünfzehnten Jahrhundert wurde sie von den Bächen des Brienzergrates überfallen, mit Schlamm und Gestein zugedeckt, zum Teil auch in den Brienzersee hinausgedrängt. Fast alle Häuser und das Schloss fielen dem wütenden Wasserdrachen zum Opfer, und während vieler Jahre bezeichneten nur wenige dürftige
Hütten die Stätte, auf welcher der schöne Flecken gestanden.Zu jener Zeit fuhr öfters ein Karrer über den hohen Schuttwall, wobei sich das Pferd stets auf der nämlichen Stelle unruhig zeigte, der Hund des Fuhrmanns den Boden zu scharren begann und beide, Pferd und Hund, nur mit grosser Mühe vom Fleck zu bringen waren. Neugierig gemacht, verschaffte sich der Karrer endlich die Erlaubnis, am Orte schürfen und graben zu dürfen. Schon nach geringer Mühe stiess man auf das Gewölbe eines Kellers, und als die Mauern geöffnet wurden, entstiegen ein alter Mann und ein Knabe, Einwohner des verschütteten Dorfes, der unterirdischen Wohnung. Die Geretteten hatten sich in ihrer Gruft mit reichlich vorhandenem Käse und Wein ernährt und an herabsickerndem Wasser erquickt.
Der Greis ertrug das Sonnenlicht und die frischwürzige Luft des Tales nicht mehr, er legte sich bald für immer hin. Der Knabe dagegen lebte weiter und erwuchs zum glücklichen Manne. Zum Andenken an das seltsame Ereignis wurde er Kienholz genannt. Später gründete er
eine Familie, deren Gedeihen noch heute an den ehrwürdigen, vom Erdboden verschwundenen alteidgenössischen Tagungsort erinnert.
Mannried wird untergehen
Einladend und heimelig, ein rechtes Simmentaler Dörfchen, liegt Mannried mitten unter grünen Bäumen am Fuss eines steilen Berghanges zerstreut. Schon die Römer hatten sich hier angesiedelt, so geschützt ist der Talwinkel, der die braunen Häuschen und Stadel birgt. So hätten denn die Bewohner, sollte man meinen, von den Gefahren der Bergnatur nichts zu befürchten. Ja, wenn der Lindwurm auf der Seebergalp nicht wäre und das Dörfchen bedrohte!
Abgeschieden von der Welt, spiegelt hoch über Mannried auf der Seebergalp ein blauer See die Schönheit des Himmels und der umstehenden Berge. Von Zeit zu Zeit, wenn weit und breit kein Lüftchen weht, heben sich seine verschwiegenen Wasser zu wallender Bewegung; grausam brodeln und tosen sie, Quellen der Unter-
weit ähnlich, die ans Licht drängen wollen. Dazu lässt sich vom Seegrund her ein wüstes Brummen hören, ein Schnaufen, Stöhnen und Gurgeln, und je lauter das unterirdische Gedröhn anschwillt, desto höher spritzt die Flut an den blumengeschmückten Ufern empor.Auf dem Seegrund haust ein grimmiger Drache, ein Wurm, wie die Leute der Gegend sagen, der sich befreien möchte. Verwehrt ist ihm das Aufsteigen durch die Oberfläche des Wassers, darum gräbt es sich immer tiefer in den Berg hinein, um seinen Ausweg eines Tages durchs Gestein nach unten zu finden. Schon hat er den Berg beinahe durchhöhlt. Oft kriecht er aus seiner Wasserbehausung hervor, um zu atmen und Luft zu fassen; dann wühlt er keuchend den ganzen See auf und trübt seinen klaren Spiegel. Bald aber senkt er sich wieder und bohrt dann doppelt angestrengt am Schacht nach Mannried hinunter. Wehe dem Dörfchen im Tale, wenn der Lindwurm dereinst seine Fesseln zerrissen und den Ausgang gefunden hat! Jäh springend wird sich das Ungetüm darauf werfen und es verschlingen.
Die Riesen von Iseltwald
Zu Iseltwald lebten einst, als das Berner Oberland noch zum Reiche gehörte, drei Riesen von gewaltiger Stärke; sie waren Jäger und erlegten die Bären und Wölfe der Gegend.
Als in Zeiten wilder Kriegsläufte der Kaiser einmal auch die Völker der Berner Alpen zur Heerfolge aufrief, beschlossen die Bürger von Iseltwald, dass die drei Riesen sie alle ablösen und allein zum Lager des Kaisers stossen sollten. Hierüber zeigte sich der Kaiser erzürnt, doch versprachen die drei Riesen, mehr leisten zu wollen im Kampfe als ein zahlreiches Volk. Sogleich begaben sie sich zu einem nahe gelegenen Buchenholz, dort schnitten sie drei Stämme und säuberten sie von den Aesten; dann stellten sie sich mit solcher Wehr in Reih' und Glied zu den kaiserlichen Scharen. Bald begann auch die Schlacht. Die drei Riesen von Iseltwald schwangen ihre furchtbaren Keulen und schlugen so mächtig auf die Feinde, dass der Sieg in kurzer Zeit errungen war.
Zum Dank für ihre Stärke und Tapferkeit gewährte der Kaiser den Riesen die Erfüllung zweier Wünsche. Sie wollten den Adler auf ihrem Banner führen dürfen vom Tage an, da Iseltwald hundert Mann ins Feld zu rücken vermöchte; ausserdem sollte ihnen erlaubt sein, wenn sie zu Land am Brienzersee des Sommers durstig dahinwandelten, in den Aeckern bei Bönigen auf Reichsboden drei Rüben auszuziehen und eine mit der Hand, zwei im Gürtel davonzutragen.
Am Wege zwischen Iseltwald und Bönigen, wo jetzt der Platz «am Stadel» heisst, versahen sich die Riesen von der Zeit an mit den ausgerissenen Rüben zur Erfrischung; doch niemals brachte es Iseltwald zu hundert streitbaren Männern, weshalb der Adler auch ihr Banner nicht schmücken konnte. Bis vor wenigen Jahrzehnten war in Matten, einem Dorfe bei Interlaken, eine gemalte Glasscheibe zum Andenken an die drei Riesen zu sehen; sie zeigte einen Bären, der zwei Rüben in seinem Gürtel trug.
Der Riese im Gadmental
Im Gadmental ist ein Steg von Fels zu Fels, den nennt man den Heidenweg. Jenseits am Talrande hauste einst ein Riese; der war sehr stark und trug eine mächtige Keule, und was in seine Nähe kam, Menschen und Tiere, erschlug er und briet es sich und verspeiste es mit Behagen. Als er es lange so getrieben, wagte sich niemand mehr in jene Gegend, sodass der Riese Not litt und sich entschloss, zu den diesseits gelegenen Häusern zu gehen, um dort Menschen oder Vieh zu rauben. Wie er aber den schwankenden Steg über das Bachtobel betrat, brach dieser unter ihm zusammen. Wild heulend stürzte der Unhold gegen die schwarzen Felsen in das schäumende Gewässer und kam elendiglich um. So ward das Tal befreit, und jubelnd stellten die Einwohner den zerstörten Steg wieder her. Wohlüberlegt machten sie ihn wiederum leicht und schwach, damit jeder Riese beim Versuch, ihn zu betreten, dem gleichen Schicksal verfalle wie sein Stammesgenosse.
Kalligroosi
Der Kalligroosi oder Kalli-Grossvater war ein alter Riese mit sprühenden Augen, wildem Blick und wallendem Bart. Seinen Aufenthalt nahm er hauptsächlich im «Kalli»: das sind die Felsen und Rasen überm Eismeer bei Grindelwald, auf der Eigerseite. Oft soll er die Leute mutwillig geneckt haben, doch kam es auch vor, dass er ihnen Wohltaten zukommen liess, wenn sie in starker Bedrängnis waren. Das Alpenwild beschützte er, denn seine liebsten Wesen waren die Gemsen.
Brach ein Unwetter über die Berge herein, so ging der Geisterriese zur Mettenbergseite hinüber. Beim alten Bäregg- Gasthaus hat man ihn in tobenden Nächten oftmals gehört. In mächtigen Holzschuhen schlurfte er über den mit Felsplatten besetzten Weg vor dem Hause hin und her. Und wenn der Sturm durch die Flühe toste und an den Bergflanken heulte, so hörte man darin das Wettern des zornigen Riesen.
Das schöne Wassermädchen
Wenn in dem kleinen Fischerdörfchen Tracht, das heute den Mittelpunkt des Dorfes Brienz mit der Schifflände und dem Bahnhof bildet, die jungen Burschen auf die Alpen stiegen, um nach altem Brauch frühmorgens am ersten Maitag Fluhblumen vor die Türen ihrer Mädchen setzen zu können, blieb Wilhelm, der schmuckste Jüngling, allein im Dörfchen zurück. Er hatte keine Geliebte, für die er mitziehen mochte, und selbst am Maienabend, wenn die Jugend um die Linde tanzte, verharrte er einsam und in sich gekehrt.
Wieder tönten an einem Pfingsttag die Hirtenhörner und Schalmeien. Munter vergnügten sich Burschen und Mädchen mit Reigentänzen. Da trat plötzlich aus dem Gebüsch des Seeufers ein fremdes Menschenkind in die Reihe der Tanzenden. Niemand hatte die unbekannte Jungfrau je gesehen und doch flogen ihr, weil sie über alle Maßen lieblich war, die Herzen zu. Ihr Kleid unterschied sich nicht
vom Putze der übrigen Mädchen, bloss dass es aus Seide war, mit Silberfäden geziert. Ihre goldgeflochtenen Haare wallten herab um Hals und Busen.Jetzt erwachte Wilhelm aus seiner Verschlossenheit, ging auf die Fremde zu und bat sie zum Tanze. Die schöne Jungfrau legte ihre Hand lächelnd in die seinige. Des Jubels darüber war kein Ende. Doch ehe von der Turmglocke die elfte Abendstunde verkündet wurde, hüllte sich das Mädchen in seine wehenden Schleier, eilte dem Gebüsch zu und war augenblicklich verschwunden.
Am nächsten Sonntag kam die Liebliche wieder und von nun an immer, sooft die Hörner zum Tanze riefen. Herrlicher war sie jedesmal und auch stets köstlicher angetan. Wilhelm durfte sie führen, ja zuletzt vergönnte sie dem Jüngling, sie zu begleiten, wenn sich die elfte Stunde verkündete.
Ihren Namen wusste nur Wilhelm, denn er harrte oft lange an dem Orte, wo sie ihn verliess, und küssend hielten sie sich jedesmal umfangen. Ihr Vater, so offenbarte sie ihm, sei der Fürst des Wassers; die schaumweisse Kappe weit über seine trotzige
Stirne herabgezogen, sitze er oft auf den Wellen des Brienzersees. Wundersam schön, erzählte die Liebende, doch totenstill und einsam sei es in der Tiefe; auf dem Grunde ständen hohe Türme, prächtige Paläste, zauberherrliche Gärten; bloss hören könne man nichts als ein dumpfes Rauschen, und den Gärten fehle der süsse Duft irdischer Blumen. Die Wassermenschen in den Gebäuden des Seegrundes seien von Schlangenschuppen bedeckt, Bärte und Haare der Männer mit Schilf und Muscheln verwachsen. Oefters lauerten und lauschten diese Wesen am Menschenstrande, unerwartet kämen sie an Land und raubten Jünglinge und Männer als Nahrung für die Wassertiere. Fingen sie jedoch Mädchen, so müssten sie des Wasserfürsten Frauen werden. So sei es auch ihrer Mutter ergangen. Sie habe am Strande Blumen gesammelt, als ihr Vater sie geraubt; doch da sie des Wasserfürsten Grausamkeit nicht zu ertragen vermochte, sei sie frühzeitig gestorben, nichts beweinend als das Schicksal ihres Kindes. Wenn der Vater erführe, dass seine Tochter sich zu den Menschen gesellte, so wäre der Tod ihre leichteste Strafe.Einst, als das Liebespaar in mondheller Nacht lange in traulicher Umarmung weilte, schlug vom Turme die zwölfte Stunde. Das Mädchen stürzte nieder, so gross war sein Erschrecken. «Leb' auf ewig wohl, mein Geliebter», sagte es, «bald siehst du mein Blut das Wasser röten!» Bleich vor Furcht und Schmerz sprang es alsbald in den nachtstillen See.
Erstarrt stand der Jüngling am Ufer. An einem Weidenzweig bückte er sich nieder und schaute in die Wellen, die goldschimmernd vorüberflossen. Auf einmal verdunkelte sich der helle Strom. Eine blutige Welle spielte heran und verschwand. Da liess Wilhelm die Weide seiner Hand entschlüpfen. Sein Körper sank hinunter ins nasse Grab. Nach drei Tagen fand man den Leichnam am Ufer liegen.
Es war an St. Johannes, als Wilhelm und das Mädchen den Tod gefunden. Lange mied an diesem Tage das Volk den opferheischenden See.
Die guten Leutlein im Oberland
Kaum zwei Fuss hohe Wesen waren die Zwerge oder «Teggeli» oder «guten Leutlein» des Oberlandes, die vorzeiten in Feld und Wald, Haus und Hof den Menschen viele Dienste erwiesen. Sie hausten unter grossen Steinblöcken, in verlassenen Berghütten und hauptsächlich in Felsenhöhlen, die sie zu mächtigen Hallen umgestaltet und mit Kristallen, Gold und Edelsteinen geschmückt hatten. Der Körper der Männchen schien von ziemlich ebenmässiger, derjenige der Weibchen nicht selten von ausnehmend schöner Form zu sein, bloss dass der Kopf, auf dem die meistens grün gekleideten Männchen ein spitzes, rotes Käppchen trugen, viel zu gross war für die kleinen Gestalten. Auch fehlte ihnen stets etwas an den Füssen, was sie mit Fleiss zu verstecken suchten; entweder hatten sie eine Zehe zu wenig oder sie besassen Ziegen- und Gänsefüsse. Es kam auch vor, dass sich die Männchen in Menschenmädchen verliebten, die erst dann, wenn sie den
Namen des Zwerges erraten konnten, der aufdringlichen Werbung entgingen. Da aber Churri-Murri, Muggistutz, Chussi- Mussi, Hans Oefelichächeli noch als gangbare Zwergnamen galten, musste man das seltsame Wort immer durch List zu vernehmen suchen.Den guten Leutlein gefiel es ausnehmend im Oberland, ihr Lieblingsaufenthalt war jedoch das Haslital. Dort kamen sie in ganzen Scharen von den Flühen herabgezogen, am häufigsten zur Erntezeit, wenn sie, auf Steinen und Baumästen sitzend, den arbeitenden Bauern zuschauen konnten. Das Schaffen rüstiger Hände war ihre beste Freude und erweckte ihre Teilnahme. Sobald die Erntearbeiter ihr Mittagschläfchen hielten, oder wenn gar schlechtes Wetter im Anzug war, was die Zwerge tagelang zum voraus wussten - husch, wurde von ihnen das Korn aufgeschichtet und zur Heimfahrt bereitet. Einstmals fand ein Bauer seine ganze Frucht abgemäht, obschon sie erst kümmerlich reif war. Da er glaubte, Bosheit habe sein Brot zur Unzeit geschnitten, fuhr er die Garben schimpfend zur Scheune. Indes ward er bald andern Sin
nes, denn nach einigen Tagen verwüstete ein Hagelwetter die Felder der Nachbarn und es blieb kein ungebrochenes Hälmchen stehen.In futterarmen Jahren übernahmen die guten Leutlein die Fütterung von Kühen und Ziegen, ja des ganzen Viehbestandes der Menschen. Bei solchen Gelegenheiten führten sie die Tiere hinweg nach den unauffindbaren Zwergenställen im Innern der Berge. An derartige Dienstleistungen knüpften sie gewöhnlich sonderbare Bedingungen. So hatten sie einem Sennen alle seine mageren Kühe zur Pflege mitgenommen; er sollte dafür, wenn die Tiere im Frühling wehlgenährt wiederkehren würden, kein einziges Haupt beim Namen nennen. Als aber die Zeit der Alpauffahrt gekommen war und die Teggeli mit der Herde der Fluh nachgefahren kamen, konnte der Senn die Freude nicht zurückhalten und er brach in den Ruf aus: «Hoho, die Gäbe! ist ämel alle z'weg!» Kaum dass das letzte Wort verhallt war, lag die bei ihrem Namen genannte Kuh, von den Felsen herabgestürzt, zerschmettert vor ihm. Wenn auch das am Vorwitz seines Herrn unschuldige Tier von den Toggeli
in den Abgrund gestossen werden konnte, so zeigten sich die Zwerge doch als die besten Hüter, wenn das Vieh an stotzigen Hängen graste. Auf Weidplätzen in der Nähe der guten Leutlein verunglückten niemals weder Kühe noch Ziegen, und verlaufene Tiere wurden gewöhnlich zur Nacht sorglich nach Hause geführt.Wie viele Wohltaten waren sonst noch den guten Leutlein zu danken! Gegen arme Kinder, die im harten Winter zum Holzsammeln ausgeschickt worden waren, zeigten sie sich besonders mitleidig. Bald legten sie ihnen den schönsten Reisig hin, bald gaben sie ihnen kleine wehlschmekkende Käslein, die sich nie aufzehren liessen, wenn man jedesmal ein Restchen aufhob, ebenfalls schenkten sie Geldstücke, deren Eigenschaft darin bestand, dass sie zum Besitzer zurückkehrten, so oft sie auch ausgegeben wurden. Endlich halfen die Toggeli den fleissigen Mädchen bei der Flachsbereitung. War die Arbeit schäkernd vollbracht und wollten die Zwerge heim, so nahmen sie ein Hanfknäuel zwischen die Beinchen und ritten auf ihm zum Ergötzen der Menschen durchs Fenster fröhlich von dannen. In vielen Häusern
dienten sie ganz und gar wie dienstbare Knechte, hielten das Geschirr rein, putzten die Pferde, säuberten die Ställe und taten so tausend Dinge zauberhaft flink und aufs Pünktchen genau. Viele Geheimnisse der Natur waren ihnen bekannt, weshalb sie auch als geschickte Aerzte walteten und heilsame Tränklein für Menschen und Vieh zu brauen verstanden. Hinwiederum kam es vor, dass sie selbst ratlos waren, dann nämlich, wenn ihre Weibchen ins Wochenbett kamen. In diesem Falle baten und bettelten sie, bis ihnen eine kundige Bauernfrau nach der Felswohnung folgte. Auf recht ärgerliche Weise pflegten sie solchen Dienst jeweilen zu entgelten. War der Lohn nicht dürres Laub, so dann sicher ein Häufchen Kohlen, das die beschenkten Frauen auf dem Heimweg missmutig verstreuten, bis sie an irgend einem zurückgebliebenen Restchen sahen, dass sie lauteres Gold weggeworfen hatten.Und doch begannen die Menschen, die Teggeli mit schlimmen Streichen zu plagen und sie auf diese Art allmählich ganz aus dem Lande zu treiben. So hatten boshafte Buben den Baumast, auf dem die
Zwerge auszuruhen pflegten, bis auf eine dünne Stelle durchsägt, sodass er brach, als die muntern Männchen arglos darauf versammelt waren. Schreiend purzelten sie alle zu Boden, worüber die Missetäter ein lautes Gelächter anhoben. Auch hatte man den Stein, der ihr Lagerplatz war, glühend gemacht, denn man wollte sich am drolligen Jammer der Gebrannten ergötzen. Wieder zu einer andern Zeit hatten Neugierige einen Garten mit Asche bestreut, um zu sehen, was für Füsse die Zwerge hätten. Als sich nun Gänsefüsschen abgedrückt hatten, flohen die guten Leutlein auch hier mit dem zürnenden Ruf: «O böse, böse Welt!» Ueberall wo sie schieden, geschah dies weniger im Zorn als voller Betrübnis. Die Trennung fiel ihren Herzen schwer, daher wichen sie auch nur Schritt für Schritt. Erst als die letzten Wohnungen am Schreckhorn verödet waren, fügten sich die guten Leutlein ins Schicksal und suchten ihre eigentliche Heimat im Innern der höchsten Eisberge auf.
Der gefoppte Zwerg
Grindelwaldner Mundart
D'Zwärgleni si fremmi Liitieni gsiin.
Desstwägen hei s' viii meh chemie wan die g'wehnlihe Lili. Tifiger sii s' gsiin u g'merkiger; sie hein viii besser g'sehn u g'cheerd. U Chchraft hein denn die Pefeni g'häben, dass dääm niena niid bii choon ist! Aber sie hein nid numman über alls uus gued g'sehn u g'cheerd; die hein o d's Näsi g'wissd z'bruuhen, das niid seliss erheerd worden ist. Wen im Winter anhi d'Chieh hein aafaa chalb'ren su hed's es den o g'ggän, dass d'Liit under Malen eppa en Biestturta ag'reiset hein. Aber nid über lang hei s' denn das z'ob'rist im Wätterheren uehi g'wissd, das eppas fur si 'twäga wää. Biestturta hein de d'Zwärgleni grad es Breesi gääre g'häben, die hätt 'ne 's denn newwa chennen! D'Taalliit hein das gwissd und hein 'ne 'ra gäären es Aawärd innäbe gstelld. Da hätte s' eimmal o aber eis in e'm Huus fir z' nachtnen en Biestturta uf e Tusch gstellti g'häben, wa s' g'cheerren es Zwärgli über d'Summerleiba zueha und
i d's Gengli inha träppellen. Dur vergiistig Hellsaata von e'm Wiibli lied g'merkd, waran daas 's mu fählti und ist angänds mit der Turten j d's Ofelleech inh. D's Zwärgli chunnd i d'Stuba und lied si no chliinder g'machd, wan das 's schö sust ist gsiin. U wie n es si da no ase a d's Biistaal zuehi trickd, lied's um d's Gott's Willen aaghäben, sie selle 'mu es Schnäfi Biestturta gään. Was hein die Lüt 'taan? Sie hei 'mu e g'sottna Hääpel und es Aawärd magerra Ziger aabb'oten und hei 'sen g'lached u g'seid: was ihm o z'Sii chemi! von Biestturta wisse sie newwan und. Darmid lied's Zwärgli g'wissd, waraan dass's ist. Uf der Tiirschwelle trääjd es si no eis um u seid: Jer heid d'Triwwi o im Ofen u d'Utriwwi in der Stuben usa!
Der Zyland
Zu den Leuten in Obegg bei Zweisimmen kam einmal zur Zeit der Heuernte ein junges Zwerglein, setzte sich neben die arbeitenden Bauern und schaute ihnen zu, wie sie das duftende Bergheu in Arfeln auf ein langgestrecktes Seil legten, zusammenbanden und dann nach der
Sie mögen dich ertränken, Sie mögen dich erhenken, Sie mögen dich erstechen, Die Arme und Beine brechen: Fürcht' weder der Menschen Macht noch List Und sag nicht, für was der Zyland (Seidelbast) ist. Zeichnung aus dem Jahre 1889 |
Rehbärbchen und Selbthan
In den Steinhöhlen des Haslitales hausten in uralter Zeit hilfreiche Zwerge, ein halb geisterhaftes, halb menschliches Zaubervölkchen, das längst verschwunden ist. Es hatte einen eigenen König, der sich Mückenstutz nannte; Selbthan hiess der Prinz und die Prinzessin Rehbärben. Der König thronte in der Höhe der Furrenfluh auf einem kristallenen Stuhle. Mit den Leuten von Guttannen verkehrten die Zwerge freundschaftlich, sie gaben und nahmen Geschenke und waren unermüdlich mit Dienstleistungen aller Art.
Unweit der Furrenfluh wohnte in einem Bauernhäuschen der Wildheuer Hans. Wie dem König Mückenstutz blühten ihm zwei Kinder, ein Sohn und eine Tochter, beide schön und stark gleich Alpenrosen im Frühsommer. Eine gute Kuh und zwei tüchtige Geissen versorgten die zufriedenen Leute mit Milch. Nicht ein einziges Mal kam dem Wildheuer zu Sinn, wie seine Nachbarn es häufig taten, den König Mückenstutz um Gaben anzusprechen. Er fühlte, dass es nicht geraten sei, ohne Not
mit grossen Herren Kirschen zu essen, weil sie einem gern Stein und Stiel an die Nase werfen. Darum lebte er doch in gutem Vernehmen mit Mückenstutz. Der König und die Königin kamen wohl zuweilen auf Abendsitz und brachten auch den Prinzen und die Prinzessin daher, die mit Vreneli und Benz, den Wildheuerkindem, vertraulich spielten.Aber die Wildheuerkinder wuchsen rasch heran, wurden gross und stattlich, während sich die Königskinder gar nicht strecken wollten. Beide waren zwar zierlich gebaut, sie sahen fast aus wie gedrechselt; doch als Benz sechzehn Jahre zählte, reichte ihm die Zwergentochter Rehbärben kaum an den Gurt, und Selbthan, der Prinz, dem Vreneli nicht einmal bis an die Spitzen der herunterhangenden goldgelben Zöpfe) Dennoch zeigten Prinz und Prinzessin steigende Liebe zu Vreneli und Benz. Wünschte Vreneli einen Strauss Alpenrosen von jenen, die an ungangbaren Stellen glühten - sofort kletterte Selbthan durch die Klüfte, um das Begehren zu stillen. Wenn Benz am Morgen oder Abend in den Stall kam, war alle Arbeit schon getan; aus irgend einem finstern
Winkel vernahm er das Händeklatschen und lustige Kichern Rehbärbens, die das Werk vollbracht hatte. Und trieb er zur Sommerszeit das Vieh an dunkeln Schrunden vorbei auf höhere Staffeln, voller Angst, es möchte das eine oder andere Stück ausgleiten und erfüllen - dann sah er der Prinzessin schlanke Gestalt lenkend zwischen den Hörnern der Kuh sitzen und die beiden Geissen an Bastfäden nachziehen. Wollte Vrenelis Spinnrädchen geflickt, der Flachs gehächelt und zurechtgelegt sein - solches geschah, ehe man nur recht daran dachte. Hatte es ein frisches Göller, Mäntelchen oder Kettchen nötig -frühmorgens fand es die Gegenstände zierlich auf seiner Lade. Bedurfte Benz einer neuen Küherkappe, flugs sass ihm eine prächtig mit kunstvollen Stickereien geschmückte, wie sie nur Rehbärben zu fertigen vermochte, auf dem Lockenkopf. Auch fühlte er manchmal eine leise, weiche, glühende Lippenberührung; gleich darauf hörte er jeweilen das bekannte silberne Kichern der lieben Elfe. Die beiden Zwergkinder nahmen das Spiel mit Vreneli und Benz für tiefen Ernst. Unter ihnen war abgemacht, dass Benz die Rehbärben und Selbthan das Vreneli heiraten sollte. Der Zwergenkönig war damit einverstanden.Um den Menschen seine Macht und Güte zu zeigen, kam Mückenstutz auf den Gedanken, dem Wildheuer, als ein strenger Winter waltete und das Heu rar geworden war, die schöne Zeitkuh heimlich zu entführen. Darüber entstand grosser Jammer im Wildheuerhause, bis Mükkenstutz in die Stube trat und die Betrübten tröstete; dem Vater gab er ein gefülltes ledernes Geldsäckchen, der Mutter ein Geisskäslein. Von dem Käslein konnte man sich täglich sattessen, sofern man nur ein Stückchen übrig liess, und auf gleich wunderbare Weise liess sich das Geldtäschchen nicht erschöpfen. So schwand der Winter leidlich vorüber; wieder wurde es Frühling und die Alpen prangten voller Blumen. Da brüllte eines Tages die entführte Kuh vergnüglich vor der Haustüre; auch die Stimme eines Kalbes liess sich hören. Vor dem Häuschen stand Mückenstutz. Lächelnd erzählte er, wie er die Kuh durch den Winter gefüttert und der Geburt des Kälbleins beigewohnt habe. Jetzt sei die Kuh
das milchreichste Tier des Haslitales, und das Kalb werde seiner Mutter nachschlagen, dafür bürge er.Wegen des Dankes könnte wohl Rat werden, meinte König Mückenstutz, und er habe eine Bitte an den Wildheuer und seine Frau. Ehe er aber damit herausrücke, müsse er noch ein Unrecht ahnden. Die Feuermännchen, die im innersten Kern der Berge wohnten, seien mehrmals durch die Felsspalten der Furrenfluh heraufgestiegen und hätten mutwillig Zwergengehöfte und Höhlen versengt. Nun gedenke Mückenstutz seinerseits die Feuermännchen mit Wasser heimzusuchen. Zu diesem Ende habe er den hintern Teil der Furrenfluhhöhle in einen gewaltigen Weiher verwandelt, dessen Inhalt noch diese Nacht in die Felsspalten geleitet werde, als Abkühlung für den Hochmut des Gegners. Wenn es dabei etwas stürmisch hergehe, sollten der Wildheuer und die Seinen nicht erschrecken. in der Tat rauschte, brauste, krachte und donnerte es gegen Mitternacht gewaltiglich um die Furrenfluh. Das Häuschen, in dem sich Benz und Vreneli aufs Nachtlager begeben hatten, ward von unsichtbarer Macht hinund
hergeschaukelt wie eine Wiege. Dann erstillte der Lärm nach und nach, der Mond brach wieder aus den Wolken hervor und die Gegend wurde friedlich wie vorher.Vreneli hatte den Kampf der Zwerge und Feuermännchen mitangehört. Vor Schrecken und Angst fand es noch jetzt keine Ruhe. Da vernahm es auf einmal seinen Namen rufen. Unten vor der Scheiterbeige sah es den Prinzen Selbthan stehen. «Komm' herunter», bat der Zwerg fiehentlich. Abseits unter die nächste Baun zog Selbthan das Mädchen, weil er ihm etwas Wichtiges anzuvertrauen habe. In der Höhle fiel Selbthan zu Füssen Vrenelis nieder. Sein Vater Mückenstutz, so erzählte er, sei im Kampfe schwer verletzt worden. An seiner Statt werde er, der Prinz, als König regieren; Königin aber könne niemand anders als Vreneli sein!
«Warum nicht gar!» rief Vreneli, und es machte ein Paar Augen, in denen Schalkheit und Erstaunen miteinander wetteiferten. Es dachte nicht daran, sich den Zwerg als Geliebten zu nehmen. Zuerst legte sich Selbthan aufs Bitten, bald aufs Drängen. Vreneli fand das alles unendlich
spassig; es lachte ausgelassen über den heftig aufsprudelnden Knirps, bis der ungestüme Liebhaber Gewalt anwendete. Auf sein Zeichen sprangen unversehens aus allen Winkeln Zwerge herbei, die das Mädchen blitzschnell mit feinen Fäden umspannen, gleich wie die Spinnen mit ihrem Raub es tun. Das Treiben und Kreisen der Zwerge ging so flink vonstatten, dass sich Vreneli der garstigen Umhüllung erst zu erwehren begann, als es zu spät war. Doch rief es laut um Hilfe. Schon den ersten Ruf hörte Benz. Die Laterne in der einen, den Farrenschwanz in der andern Hand, eilte er nach der Höhle. Wie räumte der Farrenschwanz unter dem keichenden, grölenden Völkchen auf!Selbthan liess sich von nun an lange nicht mehr sehen. Das zierliche Rehbärbchen dagegen erschien an einsamen Orten und lugte Benz verweinten Auges wehmütig an. Einmal belauschte er Rehbärbchen beim Bade; wundersam wurde es von den Schaumwellen des nahen Wasserfalles umspielt. Doch der Bergsohn verstand ihre Tränen nicht.
Monate vergingen darauf. Vreneli glaubte,
Selbthan bereue seine arge Tat. Es fürchtete sich bereits nicht mehr, allein in der Kammer zu schlafen. Nur Benz traute dem Landfrieden nicht, und das war wohlgetan. Denn in einer schwülen Sommernacht ward er durch einen gellenden Schrei aus seinem unruhigen Schlummer geschreckt. Im Hui war Benz drüben beim Gaden der Schwester. Vreneli war aus dem Bette gesprungen, bleich vor Grausen und Zorn. Siehe, in Vrenelis Bett lag am Fussende, zusammengerollt wie ein Igel, der Zwergenkönig Selbthan. Benz packte den heulenden Fant säuberlich und hob ihn aus dem Lager. Drüben an der Wand streckte eine Flachshechel ihre langen, spitzigen Eisenzähne empor. Auf die Flachshechel zu schritt Benz, den schreienden Zwerg in den gewaltigen Händen; mitten in die Spitzen setzte er ihn wie auf einen gewöhnlichen Stuhl. «Selbthan, Selbthan! antwortete Benz auf das Jammern des Zwerges. Zuletzt warf er ihn zum Fenster hinaus und der gezüchtigte König entfloh.So grosse Scham herrschte auf der Furrenfluh über dieses Unglück, dass Seibthan den Hofstaat der Zwerge nach der
Wenige Jahre später heiratete Vreneli einen hablichen Guttanner Jüngling. Benz, nach dem die Mädchen des ganzen Haslitales verlangend ausschauten, erwuchs zum besten Manne zwischen Meiringen
und dem Wallis, doch blieb er zeitlebens unbeweibt. Ein stilifreudiges Wesen besonderer Art, das sich niemand erklären konnte, war über ihn gekommen. Manche wollten ihn gesehen haben, wie er in mondsilbernen Nächten die Furrenfluh erstieg, wo nach der Sage Rehbärbchen allein vom ausgewanderten Zwergenvolke verblieben war.Das Geheimnis des glücklichen Benz wurde erst enthüllt, nachdem er als steinalter Mann sterbend die Augen geschlossen. In der Nacht nach seinem Tode wachte Vreneli, nun selbst ein eisgraues Mütterchen, an der Bahre des Bruders. Da öffnete sich die Kammertüre leise und herein trat Rehbärbchen, unverwelkt schön und jung geblieben. Einen Alpenrosenkranz wand Rehbärbchen ums Haupt des Toten, dann hauchte es einen Kuss auf die kalte Stirn, und mit der schmerzlichen Klage:
Ach könnte Rehbärben Auch sterben! verschwand es und wurde fortan von keinem Menschen wieder gesehen. |
Das Küherücken
Die fruchtbare Alp Sefinen in Lauterbrunnen gehörte verschiedenen Bauern, die für die Alpfahrt ihre Kühe zu einem Senntum zusammentrieben und es von einigen Knechten besorgen liessen. Nun kam es auf dieser Alp öfters vor, dass die Herde «rückte»: wie von einem Zauber gebannt und erstarrt, hängten die Kühe den Kopf zur Erde, um dann plötzlich in wilder Bewegung gemeinsam die Flucht zu ergreifen. Drei Tage blieben sie alsdann verschwunden, doch wenn indessen die Hirten ihre Arbeit scheinbar weiter verrichteten und so taten, wie wenn sie sich um das nicht vorhandene Vieh mühten, kehrte die ganze Herde fröhlich läutend und muhend zurück. Gegen das «Rücken» kannten die Sennen wohl einige Mittel. Sobald sie bemerkten, dass der Vorgang stattfinden sollte, riefen sie den Kühen zu: «Steht in Gottes Namen still!» Dann war der Zauber verwirkt und das Vieh graste weiter. Waren die Tiere aber bereits in Bewegung, so sprangen ihnen die Knechte mit Rufen und Pfeifen nach;
auch versuchten sie, den Melkstuhl über die Tiere zu werfen, wodurch es jeweilen gelang, einzelne Kühe zurückzuhalten.Ein Bauer mit Namen Hansen Peter gebot einst den Hirten, beim nächsten Mal seine Kühe «rücken» zu lassen, denn, so sagte er: «Sie werden gewiss nicht zum Teufel fahren!» Wie nun die Verzauberung wieder einmal begann, riefen die Sennen: «In Gottes Namen steht still, nur Hansen Peters Kühe können gehen!» So geschah es; die Herde blieb da, nur Hansen Peters zwölf Stücke rannten davon und kehrten den ganzen Sommer nicht wieder zurück. Doch im nächsten Frühling, als die Sefineralp bezogen wurde, waren die Abhandengekommenen unter der Hut eines Zwerges bereits auf dem Läger. Sie waren fetter und glänzten mehr denn je. Zum Zeichen, dass der unbekannte Ort ihres Aufenthaltes nicht die Hölle gewesen sein konnte, trug jede Kuh eine Fluhblume und eine schwere Kornähre an den Hörnern; dazwischen baumelte ein Säckchen mit fünf Neutalern zum Entgelt für die Nutzung.
Tod und Tödin
Vor vierhundert Jahren ging ein sonderbares Mannli mit seinem Weib durch die Täler des Oberlandes. Das Mannli trug eine Sense über der Schulter und das Weib einen Besen; so wanderte das Paar von Wimmis durchs Diemtigtal der Grimmialp zu. «Wir wollen hinten anfangen und herauswischen!» antworteten sie auf die Frage, welches ihr Vorhaben sei. Sogleich fing im Diemtigtal der Sterbet an. Die Menschen niesten und sanken hin. Die Seuche war so gross, dass eine Kuh in einer einzigen Nacht an den neunten Erben fiel. Gar schwierig wurde die Wegschaffung der Gestorbenen, denn bald waren nicht mehr genug Lebendige da, um die Gräber zu schaufeln. Ein Mann fuhr die Toten von hinten bis in die Mitte des Tales und ein anderer auf den Kirchhof. Auf dem Wege nach der Kirche steht der «Brotstein>, wo die Männer ausruhten, indem sie zugleich Brot und Wein zu sich nahmen.
Das Volk um den Brienzersee hiess die Seuche «d'Schwinden»; es hatte sie in
Gestalt eines blauen Wölkchens am Brienzergrat entstehen und niederschweben gesehen. In jener Gegend schritt der Tod mit seiner Frau, der Tödin, durchs Habkerntal nach Grindelwald, Lauterbrunnen und ins Sefinental hinein, und vom Diemtigtal her schwang er die Sense nach den Tälern der Saane und Simme hinüber. Niemand kannte ein helfendes Kräutlein gegen die Krankheit, doch sagte man ein frommes «Helf dir Gott!» sobald jemand niesen musste und der «Schwinden» verfiel. Daher rührt die Sitte, Niesenden im Berner Oberland noch jetzt ein «Helf dir Gott!» zuzurufen.Jeder Not ist ein Ende gesetzt! Eines Tages, als in den Lütschinentälern nur noch wenige Menschen verschont geblieben waren, rief in Grindelwald von einem Felsen herab ein Bergmännchen den Spruch: «Bruchit Astränzen und Bimpinäll, so stärbet ihr denn nid so schnäll!» Meisterwurz und Bibernelle, das waren die rechten Mittel, und sie wurden eifrig angewandt. Nicht lange ging es, bis die Kraft des Todes und der Tödin erlahmte; beide begaben sich ausser Landes, woher sie gekommen waren.
Als nach dem Erglimmen der Pest Umschau gehalten wurde, sah man erst, wie menschenleer das Berner Oberland nun geworden war. In der innern Bäuerten des Diemtigtales lebte noch eine einzige Weibsperson, zu der später ein Bettler kam. Von diesen beiden Menschen wurde die Gegend wieder bevölkert.
Das Hauri
Ein guter Geist ist das Hauri, in seinem Wirken den Erdmännchen ähnlich, doch mächtiger. Die schönsten Alpen sind sein Wohnsitz. Sein bevorzugter Aufenthalt ist aber die Steinbergalp am südöstlichen Abhang des Hohgant, wo eine Stelle seinen Namen trägt.
Das Hauri liebt die Menschen und schirmt sie vor dem Treiben der bösen Geister des Gebirges. Im Frühling streift es engelgleich über die Triften dahin und lockt die Erstlingsblumen aus dem erwachenden Grund; den Sennen bereitet es eine fröhliche Ankunft auf der Alp und Futter für die Herde; dem alpfahrenden Vieh hüpft es entgegen, und zuweilen kitzelt
es die Tiere, bis sie in mutwilligen Sätzen, ohne Schaden zu nehmen, den Berg hinantollen. Den Hirten nimmt es die schweren Lasten ab, auch breitet es einen leichten Duft über die Berge, damit der ungewohnte Glanz die Menschen nicht blende. Dann geht es wieder den Kühen voran und zeigt ihnen die besten Weideplätze; ebenso schützt es das Vieh vor schädlichen Kräutern. Im Winter hört des Hauri Sorge für die Herden auf, dafür wacht es über den verderblichen Anschlägen der Geister, von denen die Menschen bedroht sind. Wenn die vereinte Macht der Kobolde eine Lawine zusammengescharrt hat, um sie hohnlachend auf die Häuser herabzuschleudern, zieht das Hauri durch die Lüfte, mahnend und warnend, bis es verstanden wird. Nicht selten ruft seine Stimme die Namen der Bedrohten, öfters dagegen lässt es nur wimmernde Laute ertönen, so eindringlich vernehmbare, dass die Menschen sogleich auch wissen, in welcher Art und von welcher Richtung her sie gefährdet sind. Zaudern die Gewarnten bei der ersten Klage und wollen sie noch nicht fliehen, so ruft das Hauri zum zweitenmal.Schaurig ist sein dritter Ruf: Erde und Himmel scheinen dann Schreie zu entsenden, heulendes Gewimmer bricht aus den Schlünden, die ganze Luft ächzt und stöhnt und wie ein blitzender Gewitterschein fliegt das Hauri über den Ort des bevorstehenden Unglückes. Ihm unmittelbar folgt der Zerstörungsgraus. Ganze Berge von Schnee donnern von den Höhen herab, und freudebrüllend werfen sich die bösen Geister auf die Verwüstung.
Vor einigen Jahrzehnten verschüttete eine Lawine das alte, von einem einsamen Knecht und seinen Hunden den Winter über behütete Grimselhospiz; auch damals warnte das menschenfreundliche Hauri. Durchdringend rief es vom Juchliberg her. Die Hunde kannten die Stimme und sprangen auf, um sogleich zu flüchten. Auch ihr Herr eilte ins Freie, doch glaubte er einen hilfeheischenden Passgänger gehört zu haben. Draussen schien freundlich die Sonne, kein Lüftchen regte sich, und nirgends liess sich ein verirrter Wanderer finden. Bloss um den Juchliberg war ein undeutliches Schweben und Flimmern, das sich der Spähende nicht zu erklären wusste. Nun rief das Hauri
zum zweitenmal, und abermals suchte der Knecht den vermeintlichen Wanderer, auch diesmal umsonst. Darum pfiff er die Hunde zu sich und ging mit ihnen ins Haus.Zu spät erkannte der arglose Wächter, wessen Stimme er gehört hatte. Kaum dass er sich wieder im Hospiz befand, schien der Himmel polternd zusammenzubrechen; das Licht schwand unter unermesslichen Schneelasten, deren Wucht die Dachsparren wie Strohhalme knickte. Dennoch wurden der Knecht und seine Hunde gerettet, weil es dem Hauri gelungen war, den Deckel des Kamins aufzuklappen. Der Knecht kletterte durch den Schornstein ans Tageslicht, dann zog er die Hunde nach, während die Kobolde ihren Triumph auf dem Aaregletscher feierten.
Das Hauri will seine guten Werke in der Stille üben, es wird zornig, wenn man von ihm spricht, selbst wenn man es lobt. An Vieh und Habe straft es die Schwätzer. Die Hirten des Berner Oberlandes wissen das und achten den Willen des guten Geistes. Auch der Knecht des Grimselhospizes. nachdem er die Märe zu Tal
gebracht hatte, erzählte sie nicht gern wieder. Wer mochte sich auch die Gunst des Hauri leichtfertig verscherzen,!
Beatuslegende
Beatus, der heilige Glaubensbote des Oberlandes, kam in härenem Mantel und mit langem Pilgerstab über den Brünig an den Wendelsee gezogen, zusammen mit Justus, seinem treuen Genossen. Sie pilgerten dem Ufer des Brienzersees entlang nach dem Bödeli, überschritten den Lombach und wanderten immerzu. Am Abend kamen sie ins Dörfchen Sundlauenen, wo freundliche Hirten sie gastlich empfingen. Weltabgeschieden lebten die Leute der Gegend als Heiden. Druiden lehrten sie, den Frevel durch Menschenopfer zu sühnen. Opferstätten waren auf dem Hohlenstein am Kienberg und auf der felsigen Platte vor der grossen Drachenhöhle der Balmfluh.
Die Sundlauener baten den heiligen Beatus, nachdem sie die Botschaft des Christentums vernommen hatten, dass er bei ihnen bleiben und sie in der neuen
«Die Erde ist des Herren und was darinnen ist», sprach fröhlich Beatus, «im Namen Gottes will ich den Drachen vertreiben! » Ohne Zögern machte er sich, wiederum von Justus begleitet, auf den Weg. Wütend zischte der Lindwurm den Ankömmlingen entgegen, allein Beatus erhob seinen Stab und beschwor das Ungetüm im Namen des Herrn. Da fuhr der Drache aus, ohnmächtig heulend. Er stürzte sich in den See, der darob in heisser Wallung siedend aufkochte; dann schoss das Tier die senkrechte Fluh empor, wobei sein riesenhafter Schwanz dermassen an die Felswand schlug, dass das Zeichen tief eingegraben zurückblieb. Beatus selbst musste noch wiederholt den Zorn des Gewürms erfahren. Als sich der Heilige wohnlich eingerichtet hatte, zimmerte er unten
am Seegestade ein Schiffchen, da er die Dörfer ringsum besuchen wollte. Aber der Widersacher verfolgte ihn mit Sturm und Wind und starkem Hagel solange, bis das Schiffchen zerschellte. «O Herre Gott, hilf aus dieser grossen Not, dass zu künden deine Lehr' mir der Satan nicht verwehr!» betete Beatus. Alsogleich ward das Flehen erhört - «von oben flugs ein Wind lüpft Beatum gar geschwind auf dem Mantel hurtig fort, über Wasser an den Ort, da die frommen Schäflein sein harrten an dem grünen Ram.Zutraulich versammelten sich von nun an die Umwohner, um Beatus' Predigt zu hören und ihm beim Bau seiner Kapelle zu helfen. Dafür besuchte der Heilige die Leute in ihren Hütten. Kranke tröstete er mit freundlichem Zuspruch und manche wurden gesund durch sein kräftiges Gebet; vielen gab er heilsame Arznei, die ihm von dienstbaren Zwergen zugebracht wurde. Auch jenseits des Sees gewann er viele Jünger, besonders zu Einigen, wo das erste Kirchlein errichtet wurde. Weil jedoch die Reise weit war, schickte er seinen Gefährten Justus dorthin, damit die Gemeinde im Glauben befestigt
werde. Später erbaute Justus im Justistal hinter Merligen eine Klause, denn er wollte ein Leben führen «den Engeln nahe».Bei aller Mühsal und Entbehrung, die sich Beatus auferlegt hatte, erreichte er ein hohes Alter. Als er sein Ende nahen fühlte, liess er seinen lieben Genossen Justus rufen. Der pflegte ihn und versammelte das Volk am Sterbelager des Heiligen. Beatus nahm herzlichen Abschied von allen, die durch sein Zeugnis bekehrt worden waren. Nachdem er sie ermuntert hatte, treu zu sein bis in den Tod, schloss er die von himmlischer Seligkeit erfüllten Augen. Sein Leichnam wurde in der Höhle begraben, nahe dem Kirchlein; am gleichen Orte ward auch Justus wenige Jahre danach zur Erde gebettet.
Stetsfort übten die Christen ihre Andacht an den beiden Gräbern, die zu Heiligtümern des Berner Oberlandes wurden. Aus nahen und fernen Gegenden wallte das Volk zu den Ruhestätten der Glaubensboten, deren Gebeine seit Jahrhunderten unauffindbar vermodert sind. In Beatus' Kapelle aber verstummte die Predigt des Evangeliums nicht wieder.
Beatus' unheiliges Lachen
Sankt Beatus begab sich einst nach Aeschi, um der dortigen Gemeinde zu predigen. Er verspätete sich eine Weile, sodass der heilige Justus die Predigt hielt. Da war aber der Tag warm und Justus kein guter Redner. Eins ums andere der Gemeindeglieder verfiel einem freundlichen Schlummer, bis zuletzt der heilige Beatus ganz allein wach geblieben war und den Worten seines Freundes lauschte.
Wie Beatus sich frommen Herzens an der Predigt erbaute, nahm sein Auge plötzlich den Teufel wahr: ein Bein übers andere geschlagen und eine Krähenfeder in der Hand, so sass der leibhaftige Feind unter der Kanzel, und er hatte ein grosses Bocksfell vor sich, auf das er eifrig die Namen der ihm verfallenen Schläfer eintrug. Wie gern hätte St. Beatus die Schlummernden geweckt und sie dem Satan wieder entrissen, doch war ihm verboten, die Predigt des heiligen Justus zu unterbrechen. Schon hatte der Teufel seine höllische Schreibtafel angefüllt und
immer noch waren die Namen der Schlafenden nicht vollzählig aufgeschrieben. Da kam dem Teufel der Gedanke, die Bockshaut ein wenig in die Länge und Breite auszuspannen, indem er das eine Ende mit den Zähnen, das andere mit den Klauen fasste; um recht ziehen zu können, stemmte er sich kräftig gegen den Taufstein. Dabei strengte er sich so heftig an, dass das Bocksfell riss und sein Kopf mit aller Gewalt gegen den Fuss der Kanzel geschlagen wurde. Laut auflachen musste bei diesem Anblick der heilige Beatus, denn Lustigeres hatte er selten gesehen; darob erwachte die ganze Gemeinde just vor dem Amen. Dem Teufel entging die ganze Beute, die er schon sicher in der Hölle untergebracht wähnte. Vor Aerger rannte er kopfüber in den Thunersee, dessen Wellen aufspritzend zusammenschlugen.Nicht ungestraft für die Sünde seines Lachens blieb der heilige Beatus. Als er an den See kam und nach der Beatushöhle übersetzen wollte, hatte sein Mantel die ihm verliehene Kraft, den Heiligen zu tragen, für immer verloren.
Worum mu ösem Tielti dLengg syt
Lenker Mundart
Da ist ynist in aalte Zyten es ganzes Chriegsvolch i ds Walis choan; mu het 's di thebäisch Legio gnamset; us Egypten sy s' gsyn, as christligs Volch. D'Waliser syn duezmale grobi, ugschlachti Kärlissa gsyn u ddarzua no Hyden u hy sen allsame tödt u vverheschet u vverflüekt un ne ggien, es zahlet mu nut. Aber yna isch nen glych etrune, dä hy si nid möge bsien. Er het a frömda Name ghäbe: Lengynus hy s' mu gsyt. Wuon där gsie het, dass syner Kameraden all hy mmüessen dran gluube, ist är alla zwääg druus un über all Bärga embryn.
Duezmal isch es hie in ösem Tielti no nid so streng wilds gsyn. Dr Waald ist bis z'ebrist über d'Bärga embruuf ggangen; vun den Gletschren het mu no nüi gwüssen un uf em Walisbärg, wo jitz akyn Gemsjeger meh uber ds Ysch ver dürha chunnt, ist än Bärg gsyn, z'mindst hundert Rinderswyd, a ssunderbar a schöni Glägehyt; mu het mu dr Blüemelibärg gsyt, u d' Chile het mu nid bloss
zwüren, mu het su drynist müessen mälhen, u d' Lüüt syn no minder wüesti gsyn as hüttigs Tags. Aber glehrti u bschueletti sy s' nadist nit gsyn. Si hyn vun dr Gschrift nut bchiännt; a Chilha ist niena umha gsyn, un a Pfaarheer hy si kyna bruucht. Si hy d'Sunna abbättet, u ddermit het 's es ghaan.Nu, disa Lunggynus chunnt emel oh in öss Tal. Es hei duezmal no aky Name ghäbe. Er het es Gwendi anghabe wien es Chlumli so ärtlig, un es Huutchlyd vun em Soldat, aber aahs ghudels u zerhyts; u vverstande hy s' nen kis gotzigs Dingeli. Aber wo si gsie hyn, as er alla ernassetta un erbluttetta chunnt, hy s' nen ghyssen i d' Stuba choan u hym mu Spys u Ggaffiwysses ggien um mu Faal u Rat tan wien ar Chjindbetterra. Un är isch nid mysterhafta gsyn u het 's es ggäre gnehn u ddanket. Zlöscht het er si bsunen, im Tielti z'blyben, u wwan er ösi Sprach afen es bitzi hei aagfange z'verstahn, hei er bigostlig das Hirtevölhi gliert läsen u schschryben, u wwien er glierta u ggystliha gsyin ist un a Christ, su het er nen d' Bibli uusglyt un nen Bredigi taan, bsunderbar schöäni, vum Hyland,
un nen gsyt, si söllte höären zur Sunne z'bätten, u het sen aalsame zu sym Gluube bbrunge. D' Häxi u d'Strudla hy chiäne ds Muul wüschen u ggahn; u ddas Gmür, wa s' bbruucht hyn zum Opferen — si sägen, uf em Burgbüel - ist glyhanhi zerfales gsyn. Är het 's bhuutet un Aalds zum Vollstand bbracht. Soa syn öser Aalten zum christiige Gluube choan u hhy si fry toll drüber gfröwt u hyn zum Dauch, woan är gstoarbna gsyn ist, iru Glend nach unu der Namen Lengg ggien.
Martinsloch und Martinsdruck
Eiger und Mettenberg werden die beiden einander gegenüberstehenden Riesenwächter des Grindelwaldner Eismeeres genannt; zwischen ihnen leckt die perlmutterglänzende Zunge des Untern Gletschers an den grünsaftigen Matten von Grindelwald. Vor vielen hundert Jahren, zur Zeit der wunderwirkenden Heiligen, wie anders sah da die Gegend aus! Der vom Eiger niederschwingende Kalligrat setzte sich damals bis zum Mettenberg
hinüber fort, als eine schwindlig steile Mauer, hinter der sich im Gletschertal ein mächtiger See voller schwimmender Eisblöcke angesammelt hatte. Nicht selten schwoll der See zu bedeutender Höhe; dann rollten seine brüllenden Wellen nach Grindelwald hinunter, Weg und Steg, Wiesengründe und Heimstätten verheerend.Des bedrohten Dorfes erbarmte sich der heilige Martin und er beschloss, den Wasserdrachen für immer aus seinem Talwinkel zu bannen. Wuchtig stemmte sich der Wundertäter gegen den Mettenberg, indem er gleichzeitig mit seinem Stocke den Eiger zurückstiess. Auf diese Weise wurde das Tal erweitert und der gefahrvolle See zur Entleerung gezwungen. Beim Stemmen presste sich des Heiligen Rücken, sechsmal so gross wie ein gewöhnlicher Menschenrücken, tief in den Felsen des Mettenberges. Und mit dem Stocke stiess St. Martin so gewaltig gegen den Eiger, dass der Kalligrat durchstochen wurde, mir nichts, dir nichts, als wäre er eine frische Butterballe gewesen.
Wann genau dies geschehen, niemand zu Grindelwald wird es noch wissen. Indes
erinnern die Namen «Martinsdruck» für die Rückenhöhlung am Mettenberg und Martinsloch» für das helle Fenster des Kalligrates bedeutsam an die seltene Tat. Zweimal im Jahr, um den Martinitag und im Januar, scheint die Sonne durch das Loch auf die Grindelwaldner nieder; auch dies geschieht gewiss zum Andenken an den heiligen Riesen.
Ahasvers Ruheplatz
Ewig wandert Ahasver, der dem kreuztragenden Heiland eine kurze Rast verwehrte, durch die Welt. Als er zum erstenmal auf die Grimsel kam, lebte ein munteres Menschengeschlecht am Ufer der jungen Ströme. Die sonnigen Berge waren rebenumkränzt, Eichen und Buchen wiegten ihre Kronen, von sanftem Winde gefächelt. Inmitten fruchtbarer Obstwälder lagen stattliche Dörfer. Die Bewohner gewährten Ahasver wohltätiges Gastrecht, gaben ihm köstlichen Wein zu trinken und hiessen ihn weilen.
Mancher Jahreswechsel war über Ahasver dahingegangen, als er zum zweitenmal
Nach vielen Jahren betrat Ahasver, der ewige Jude, die bekannten Berge zum drittenmal. Der Pfad, den er früher gewandelt, war jetzt verschüttet. Ueber wildkahle Felsen strauchelte des Irrenden Fuss. Hie und da nur wuchs ein spärlicher Grashalm. Von den Halden, die Reben und später einsame Fichtenwälder getragen hatten, hingen todesstarre Gletscher herab. Aus Schnee und Eis ragten zerrissene Felsnadeln zum Himmel empor. Ausgestorben waren die Menschen, ertötet schien die Natur. Ausser dem durchdringenden Pfiff des Murmeltiers erklang kein lebendiger Laut durch die Wildnis der brodelnden Nebelfetzen.
Da erbarmte sich Gott, dass der ewige Wandler weinen konnte, um sein bedrücktes Herz zu erleichtern. Ahasver setzte sich auf einen Stein und liess seine Tränen rinnen. Hier allein, wo ringsum Felswände drohten, war ihm endlich ein Augenblick
der Rast gegönnt. Unaufhaltsam weinte der Unglückliche, bis er bald auch diesem Orte wieder den Rücken wenden und weiterstreben musste, dem Haslital entgegen. Seine Tränen aber hatten sich in der Tiefe gesammelt und einen kleinen See gebildet. Dessen Wasser sind trotz der vielen Zuflüsse aus den Gletschern der Grimselberge warm geblieben wie die ersten Tränen Ahasvers.Drei Male hat Ahasver den Grimselweg beschritten und ein viertes Mal wird er kommen. Dann wird sich ein einziger Gletscher vom Brienzersee nach dem Wallis hinüber ausdehnen über die freundlichen Talgelände. Und nur Ahasver wird einsam durch die erstarrte Gegend wallfahren, um seinen Rastplatz, den einzigen auf Erden, nochmals zu finden.
Von den grauen Rottalherren
Schwindlig hoch über den Tälern zwischen der Jungfrau und der Ebnefluh dräut das vergletscherte Rottal. Senkrechte Felswände schliessen es von allen Seiten ein. Zerschrundete Gletscher fallen
zwischen den Gräten herab und füllen die unergründeten Tiefen.Dieses Gletschertal ist weit ins Land hinaus bis an die fernen Ufer der Aare und Rhone verrufen als der Sitz grauer Gespenster. Die berüchtigsten Hexenmeister, sogenannte Strudel, haben zu verschiedenen Zeiten Geister, die zerfallene Burgen, Wege, Feldmarken und Alpstadel unsicher machten, hinauf ins Rottal gebannt. Solche Hexenmeister waren vor allem der Stuffensteintoni und der Guntenjosi. Letzterm mussten die zu ewiger Busse Verdammten aus den Tälern von Lauterbrunnen und Grindelwald in Gestalt eines kohlschwarzen, drolligen Böckleins nach dem Rottal hinauf nachlaufen. Wenn etwa während der Wanderung unbekannte Leute das hübsche, lustige Tierchen von ungefähr streicheln wollten, drohte der Guntenjosi mit dem Finger und warnte:
Nit, nit! Strich mir d's Böckin nit, Wenn d'nit selber ins Rottal witt! |
Aus dem Emmental führte ein anderer Hexer, der Mühleseiler, ganze Gespensterscharen dem Rottal entgegen. Sie schwebten als Menschengestalten hinter dem
Zauberer her, ohne den Boden zu berühren. Kam der Mühleseiler nächtlicherweise mit seinem Gespenstertrüppchen daher, so pflegte er den Hut unter dem Arme zu tragen. Begegnete ihm alsdann ein Mensch, so sagte er geheimnisvoll: «Sid so guet und geit uf d'Site, es chömed da Herre. »Aus dem Saanenlande brachte der Guntenjosi die schönen Jungfrauen mit den falben Zöpfen, weil sie nicht lieben und heiraten wollten, nach dem Rottal. Durchdringend und jämmerlich wehklagten die unseligen Mädchen. Bei solchem Anlass überzog sich der klarschimmernde Geltenschuss, ein prachtvoller Wasserfall im Saanenland, bleich oder blutrot zum Zeugnis des Verhängnisses. Noch gegenwärtig ruft man an der Saane ungehorsamen Kindern zu: «Du wirst ins Rottal wollen zu den falbhaarigen Mädchen? » oder: «Der Guntenjosi muss dich ins Rottal führen!»
Wenn glühendheissen Hauches der Föhn durchs Oberland braust, dazu riesenhafte Felsstücke und Eiszacken gelöst werden und die Gletscher sich spalten mit dem Getön furchtbarer Kanonenfeuer und Gewehrsalven,
dann heisst man die Erscheinungen das «Wetterschiessen.Nach alter Sage war das vergletscherte Rottal einst eine der grasreichsten Triften des Berner Oberlandes. Ein guter Pass führte da hinüber nach dem hellen Wallis. Glücklich wären die Bewohner gewesen, hätte nicht die Willkürherrschaft grausamer Herren auf ihnen gelastet. Einst verfolgte einer dieser Ritter, von seinen Gelüsten gestachelt, ein Hirtenmädchen hinauf zu den Rottalfelsen; schon zagte die Unschuld, der Gewalt erliegen zu müssen. Da stand plötzlich ein grosser schwarzer Bock, wie auf der Alp noch keiner gesehen worden war, vor dem Bedränger und warf ihn kräftig, mit jähem Ruck, abgrundtief von der Felswand aufs Steingeröll. Gleichzeitig rollten ringsum die Firne herab und im Nu war das blühende Hochtal unter eisigen Panzern begraben.
So wurde das Rottal zur verwünschten Stätte der Geister, die an bestimmten Tagen, eigentümlich dumpf heulend, als graue Rottalherren durch die Lüfte ziehen müssen, bis sie endlich doch einmal Erlösung finden.
Das Wütisheer
Vom Rottal her über die Scheidegg, zwischen Grindelwald und dem Hasli, hört man in gewissen Nächten das Brausen des wütenden Heeres. Mächtige Riesen, Ureinwohner des Landes und Westfriesen genannt, führen den nächtlichen Zug an. Ihnen folgt ein schauerlicher Haufe wilder Gestalten, Zwerge von scheusslichem Aussehen, reitend auf allem möglichen Ungetier, auf zweibeinigen Rossen, andere an Räder gebunden, die von selbst laufen, wieder andere kopflos daher stürzend oder ihre Beine auf den Achseln tragend. Auch die Geister jener Fluchbeladenen, die ins Rottal gebannt sind, sausen mit dem Wütisheer daher. Wenn der Sturm das Nahen dieser wilden Jagd verkündet, müssen oben auf der Scheidegg, da wo der Weg nach Gassen und aufs Faulhorn steigt, dem Geisterspuk die Tore des Melkhauses geöffnet sein. Das Haus würde zu Fetzen zerrissen, wäre die Türe einmal geschlossen. Unterhalb Thun, auf der Anhöhe «Hünli» bei Allmendingen,
hört man das Wütisheer in anderer Art. Gebell von Jagdhunden, Jägergeschrei und Hörnerklang lässt sich dort vernehmen, besonders an Abenden und in Nächten, die einer Aenderung des Wetters vorangehen.
Das Totenvolk von Gsteig
Mannigfach sind die Erscheinungen des Totenvolkes in den Alpen. Bald zieht es wie das wütende Heer dahin, bald benützt es die Geisterkutsche oder auch gespenstische Schiffe, wenn der Weg über Wasser geht. Meistens jedoch wandelt es, als grausige Prozession in unabsehbar langem Zuge, Gebete murmelnd durch die nachtstillen Dörfer. Es sind die Verstorbenen der Gegend, die da gleichgewandet, wie sie zu Grabe gelegt wurden, ihren schauerlichen Umgang vornehmen. Auch alle Lebenden der Gemeinde, die im gleichen Jahre noch sterben werden, gehören dem Zuge an. In der Reihenfolge ihres Todes bilden sie den Schluss der Prozession. Mancher Neugierige, der hinter dunkelm Fenster das Totenvolk an
seinem Hause vorüberwandeln sah, erblickte sich selbst und viele seiner Bekannten in den fahlen Reihen der gestorbenen Schar.Von der Kirche zu Gsteig im Saanenland wusste man längst, dass sich in ihr das Totenvolk zum Gottesdienste versammelte. Oft hatte der Mesmer nächtlicherweile die Kirchenfenster erhellt gesehen und die vollen Laute einer Predigt gehört. Doch nie wollte es ihm glücken, des Totenvolkes ansichtig zu werden, bis er das Mittel vernahm, durch welches ihm das Geheimnis offenbar werden sollte. Einmal in der Morgenfrühe eines Sonntags, als er die Kirche wiederum vom Totenvolk angefüllt glaubte, schritt er rückwärts, ein Totenbein auf der Achsel, durch ein Seitentürchen ins Gotteshaus, und sogleich zeigte sich seinem Auge die versammelte Geistergemeinde. Da sassen Männer und Frauen, so wie sie dem Kirchhofe entstiegen waren, gedrängt in den Bänken, und auf der Kanzel stand ein längst verstorbener Pfarrer, der den Toten des Tales die ewige Predigt hielt. Jede Furcht war dem Mesmer fremd, darum beschloss er auch, an dem unheimlichen
Orte bis zum Schluss auszuharren. Seine Geduld wurde auf eine lange Probe gestellt. Seit Stunden strahlte bereits die Morgensonne vom Himmel und die Glekken hoben zum Sonntagsläuten an; gleichwohl blieben die Schatten beisammen. Erst mit dem letzten Glockenschlag strömten sie zur Kirche hinaus auf den Friedhof. Dort wurden sie von den Gräbern aufgenommen, lautlos und unsichtbar für die Talleute, die sich inzwischen zum eigenen Kirchgang versammelt hatten. Der Mesmer hatte genug gesehen, doch wollte er den Anblick des Totenvolkes auch andern Menschen gewähren. Viele haben seither, ein Totenbein auf der Achsel und mit rückwärts gerichtetem Schritt, die Kirche von Gsteig betreten, die tote Gemeinde besucht und den Worten des Totenpfarrers ihr Ohr geliehen!
Ritter Redcliff
Irgenwo auf dem Ausläufer des Bergrückens, der das Saxeten- vom Lauterbrunnental scheidet, erhob sich die Burg Rotenfluh, so genannt wegen der rötlichen Felsen, die von der Stätte des längst
vom Erdboden getilgten Trutzbaues gegen die Lütschine hinunterfallen.Es war ums Jahr 1280, als dem Freiherrn von Rotenfluh, dem die Täler von Lauterbrunnen, Grindelwald und Saxeten zu eigen waren, Zwillingssöhne geboren wurden, die sich sehr unähnlich waren. Der eine von ihnen, Hartmann, übte sich früh im Waffenwerk und waltete nach des Vaters Tod mit eiserner Hand, während sein Bruder Hermann, milden Sinnes und von feiner Gestalt, zu Padua die Wissenschaften studierte. Nun entschied es sich aber, dass Hermann, der sich schon als Jüngling einem Bauernmädchen, dem Röschen von der Wengernalp, anverlobt hatte, seinen rauhen Bruder ablösen wollte in der Herrschaft über das Land. Ein Schiedsgericht stellte auf Martini 1305 im Kloster Interlaken die Ankaufsumme fest. Darauf wurde die erste Zahlung geleistet. Nachher rieten die Mönche dem heimgekehrten Hermann, mit den weitern Zahlungen hinzuhalten und den Bruder ohne sein volles Gut in fremde Fehden ziehen zu lassen. Allein so hatte Hartmann den Handel nicht verstanden. Ungesäumt ritt er auf die Rotenfluh,
doch da ihn Hermann mit kränkendem Spott empfing, entbrannte sogleich ein klirrender Waffengang zwischen den Brüdern. Die Felswände hallten wider von den mächtigen Schlägen, und die vorbeirauschende Lütschine sang eine dumpfe Trauerklage zu dem heillosen Streite. Bald hatte der starke Hartmann die Oberhand gewonnen. Mit einem fürchterlichen Schwertstreich hieb er Hermanns rechte Hand vom Arm. «Mein Schatten wird dir folgen bis an dein unseliges Ende! » rief der Getroffene, dann sank er sterbend vom Pferd. Noch am Boden streckte er den blutigen Stumpf empor.Hartmann floh nach dem grausen Mord über die Grimsel und den Griesgletscher nach Genua. Dort entschloss er sich, für England wider die Schotten zu ziehen. Bei der Erstürmung der Feste von Wheatley-Hall vollbrachte er eine so wackere Tat, dass ihn der König mit der eroberten Burg belehnte und ihm erlaubte, sie fortan Rotenfluh - Redcliff in englischer Sprache - zu nennen. Ein holdes Fräulein verband sich mit ihm zu treuer Ehe, und der Himmel schenkte dem Paar eine ehrenreiche Nachkommenschaft. Glücklich
war Hartmann trotz alledem nicht. Ihn suchte der Schatten des erschlagenen Bruders heim. Deshalb reiste er schliesslich nach dem Lauterbrunnental, wo es ihm gelang, den Geist Hermanns ins Rottal zu bannen. Fortan lebte er unbehelligt auf seinem schottländischen Schlosse.Als er sein Ende herannahen fühlte, liess er von einem Geistlichen eine Urkunde verfassen, welche die Geheimnisse des Brudermordes und Rottalbannes sowie eine Ermahnung zum Frieden unter den Nachfahren enthielt. Auch bestimmte das Testament, dass nach fünfhundert Jahren am einundzwanzigsten Weinmonat der älteste Redcliffsprössling nach dem Rottal gehen und zwischen zwölf und ein Uhr dreimal den Namen Hartmanns rufen sollte. Die Urkunde verriet, dass dort in der gleichen Nacht im Jahre 1308 und zur selben Stunde der Bann vollbracht worden war.
Zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts liebten zwei Brüder aus der Familie Redcliff, Richard und Robert, die schöne Julia Manvers. Sie kamen überein, den Vater die gemeinsame Wahl entscheiden zu lassen. Bei diesem Anlasse eröffnete
der alte Redcliff den Willen des Ahnherrn. Auch überreichte er den Söhnen eine zweite Urkunde vom Jahre 1396, in der sechs Grefisöhne Hartmanns eigenhändig bezeugten: «In der Nacht, die dem fünfundzwanzigsten Geburtstag eines jeden von uns folgte, wurde durch die Hallen ein dröhnender Schritt gehört. Es war ein Schall, wie wenn ein Fels dahergerellt worden wäre. Ein Ritter in voller Rüstung erschien hernach, eindringlich mahnend: ,Hüte dich vor Bruderzwist und Brudermord!' Dann entfernte sich der steinerne Schritt; die schweren Türen ächzten in ihren Angeln und die Grundfesten des stolzen Schlosses erzitterten. » Noch eine dritte Urkunde fand sich vor, derzufolge ein Nachkomme in der Nacht auf den fünfundzwanzigsten Geburtstag gelähmt und der Sprache beraubt worden war, aus Schreck über die Erscheinung, die keinen Spross des Geschlechtes der Redcliff verschonte.Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, da einer der Söhne das Rottal aufsuchen und die Seele des ersten Redcliff erlösen musste. Richard wagte das Unterfangen. Bei milder Herbstwitterung trat er die
Wanderung durch das gespenstische Tal an, und zur genannten Stunde rief er den vorgeschriebenen Namen. Da ertönte ein überirdisch lautes Krachen von den Wänden der Jungfrau und ein haushoher Gletscherklotz prallte funkenstiebend gegen die Felsen des Abgrundes. «Er ist zur Ruhe!» dachte Richard dankbar bewegt. Schweigend begab er sich sodann auf den Rückweg, und rasch ging die Reise nach Schottland vonstatten. An seinem fünfundzwanzigsten Geburtstage zeigte sich der Spuk zum ersten Male nicht mehr.Richard ist ein berühmter Staatsmann geworden und Robert, sein Bruder, der die schöne Julia Manvers bekam, ein vortrefflicher Offizier im Heere des englischen Königs.
Der Schadburgwolf
Wer auf einem der frohbewimpelten Dampfschiffe den gletscherkühlen Brienzersee befährt, sieht unter der Roten Fluh bei Ringgenberg die Ueberreste eines Burgbaues, von dem die Sage zu melden weiss, warum er nie fertig geworden ist.
Schadenburg oder Schadburg wird die Ruine genannt, und wie immergrünes Epheu, vom Winde durchzittert, raunt die Märe um ihr zerbröckelndes Gestein.Am untern Ende des Brienzersees waltete einst der grausame, von den Bauern Wehrwolf, von seinen Knechten «der Wolf» geheissene Zwingherr von Ringgenberg über Land und Volk. Er war gross und hager und seine Gestalt stak im Harnisch früh und spät. Rot beleuchteten Bart und Kopfhaar sein wildbleiches Gesicht, aus dem die gelben Augen arglistig funkelten. Eine schwere Armbrust von gewaltiger Spannkraft trug er, übers Knie gelegt, vor sich hin, wenn er sein rabenschwarzes Pferd ritt, und der Bolzen des Zwingherrn traf den fliegenden Vogel so sicher wie den schwimmenden Fisch.
Einst sprengte der Wehrwolf durch Geldswil. Das kleine Dorf Iseltwald am jenseitigen Ufer gedachte er heimzusuchen. Indem sein Streitross den steinigen Pfad bezwang, erblickte er vor einer der Hütten einen unbekannten schönen Mann, angetan als ein Fischer, aber doch besser, als sonst des Landes und Berufes Brauch war. «Bursche, woher bist du und was
treibst du auf meinem Grund? » fuhr der Wehrwolf den Fremdling an. Darauf antwortete der Fischer bescheiden, er sei aus dem niedern Lande heraufgekommen, ein freier Mann, und habe hier ein freies Hüttchen gekauft. Das war dem Junker unrecht, dass der Mann frei sein sollte, doch wollte er für diesmal nichts wider ihn tun. Nun aber trat zum Unglück des Fischers Töchterchen aus der Hütte, schmuck nach der Weise freigeborener Jungfrauen gekleidet. Arges kam darüber dem Zwingherrn in den Sinn. «Wessen ist die Dirne», rief er, «und was tut sie so üppig in meinem Land und macht die Weiber hoffärtig? » Der Fischer entgegnete: «Herr, es ist mein Kind, und was es trägt, geschieht mir zu Gefallen. » Nachdem der Ritter diese Worte gehört, stellte er sich freundlich gegen den Fischer; sogleich befahl er ihm, am dritten Tag mit dem Kind aufs Schloss zu kommen. «So bin ich des Besuches huldreich gewärtig», grinste der Wehrwolf, «und dem Töchterchen will ich Ehr' antun, weil sie hübsch und jung ist und gar einen freien, mannhaften Vater hat!»Am dritten Tage sah der Zwingherr
schon früh vom Turm auf den See hinaus. Es war ihm hundertmal leid geworden, dass er den Fischer nicht gleich auf den ersten Morgen bestellt, so gross war seine Ungeduld und Begier. Aber jetzt hatte er sich trefflich eingerichtet. Den Vater wollte er abseits schaffen und das Mädchen zu Handen nehmen. Um den Fischer sicher zu machen, schickte er die Knechte aufs Jagen und Fischen; am Burgtore sollten nur zwei alte Knappen stehen. Dem Leibdiener war befohlen, beim Vorhäuschen Holz zu spalten, damit er hinter den Ankommenden herschleiche und ihre Flucht hindern könne.Mürrisch empfing der Leibdiener den kummervoll, jedoch gefasst aussehenden Fischer und das Töchterchen. Die Gäste beim Ritter anzumelden weigerte er sich mit ungeschlachten Worten, auch habe er schweres Holz zu spalten, davon er nicht lassen wolle. «Büblein», donnerte ihn der Fischer an, «lauf und sage dem Junker, der Klaus sei da!» Zugleich zückte er sein Schwert, schwang es furchtbar über den Diener, schlug es auf das Holz nieder und spaltete Keil und Stamm glatt und sauber der Länge nach mit einem Streich.
Vielleicht war es die ruchlose Tat, die dem Wehrwolf von nun an keine Ruhe mehr liess, sodass er ein neues Schloss zu bauen begann, dreimal fester als Ringgenberg, mit zyklopischen Mauern, Gewölben, Kellern und heimlichen Gängen. Wie da der Ringgenberger eben einmal bemerkte, wie sehr dem Werke ein kundiger Meister fehlte, trat ein stiller, feiner Mann zu ihm, mit fast grauem Haar und langem, schwarzwildem Barte. Seines Zeichens ein Baumeister, sei er von Rom die Strasse gereist, ausgeplündert worden und kaum dem Unfall entsprungen; an dem herrliehen
Schlosse möchte er einen Zehrpfennig verdienen. Närrisch kam es dem Ringgenberger vor, dass ihm gerade zu dieser Stunde ein Mann in den Weg lief, wie es sein Wunsch war. «Es ist gut, Männchen, du sollst Arbeit erhalten und guten Lohn dazu!» sagte der Ritter, und eifrig wies er auf die ungeheuern Mauern, an denen der Meister eines langstieligen Hammers Stärke zu messen begann. «Ja, klopf nur zu, das hält entgegen! Gnade Gott denen, die da hineinkommen!» lachte der Wehrwolf.Wie die herrliche Burg denn heissen. werde, begehrte der Meister zu wissen, als er mit dem übermütig Höhnenden hoch über dem Werkplatze stand. Auf diese Frage begann der Burgherr ein abscheuliches Gelächter: «Schadenburg, wer's merken will!» schrie er laut, dass alle es hören mussten. In diesem Augenblicke hob der demütig gebückte Meister sein Angesicht zernüberglüht; schreckliches Feuer funkelte aus seinen Augen; beidhändig schwang er den unförmigen, schweren Hammer, und mit der Stimme des Fischers rief er den Ritter an: «Oder Freiburg, wer's merken will!» Gewaltig
schlug er den Hammer auf den Ritter nieder, der mit zerschmettertem Haupte von der Mauer mitten unter die Frohnenden fiel.Niemand von den Werkleuten dachte daran, den starken Rächer seines Kindes zu greifen. Heiteren Angesichts, still und bedächtig stieg er vom Gemäuer herab, schritt durch die erstaunten Arbeiter dahin, grüsste sie kopfnickend und ging ohne Zagen davon, als hätte er ein Böcklein getötet. Er soll nach dem gelobten Land ans Grab des Heilands gezogen sein.
Der Freiherr mit der Lecktasche
Johann von Weissenburg lebte mit seiner Gattin, einer Oesterreicherin, auf der Stammburg seiner Väter am Simmenfluss in kinderloser Ehe. Er war ein frommer, biederer Herr und Wohltäter der Armen.
Indessen ereignete es sich, dass seine Gemahlin auf der einsamen Burg von heftiger Langeweile ergriffen wurde, sodass sie einen Ritter aus der Heimat, den sie heimlich liebte, als Gast nach Weissenburg kommen liess. Hier bestimmte sie
den Geliebten, auf der Jagd ihren Gatten zu erschlagen. Lohnen wollte sie die Tat mit süsser Minnelust. Sobald jedoch der Mord geschehen war, überfiel brennende Reue des Mörders Herz. Wie gehetzt floh er auf das Schloss, wo die Burgfrau freudestrahlend seiner harrte und ihm den Trauring an den Finger streifte. Als hätte der gleissende Schmuck des Mörders Hand versengt, so fuhr er zusammen. Entsetzt schleuderte er den Ring von sich. Unter grässlicher Verfluchung des gottlosen Weibes bestieg er sein edles Pferd; dann jagte er davon, der fernen Heimat entgegen.Als das Vermächtnis des erschlagenen Freiherrn eröffnet wurde, fand man darin die Bestimmung: er befehle seine Seele Gott, den Leib der Erde, sein Gut den Armen, sein Weib dem Buhlen. Hundert weisse Kühe und eine grosse Allmend für tausendvierhundert Haupt Vieh hinterliess er den Armen. Weil aber Geldgier und Reichtum miteinander gingen und die Reichen diesmal auch arm sein wollten, fiel ihnen entgegen der Absicht des Toten der schönste Teil des Erbes anheim.
Seit diesem Unrecht wandelt des Freiherrn Geist mit einer Lecktasche auf der grossen Allmend. Er gibt den Kühen Salz zu schlecken. Oft leckt das Vieh der Reichen auch von seiner Hand, dann fällt es ab, wird mager und stirbt. Lecken dagegen die Tiere der Armen, hei! wie gedeihen sie, wie werden sie fett, geben reichlich Milch und bleiben von Krankheiten verschont! So straft der Freiherr von Weissenburg die Missachtung seines letzten Willens; was den Armen menschliche Habsucht stahl, gibt er ihnen doppelt zurück.
Die Adelbodner Sillernkuh
Das Hahnenmoos und der Sillernberg, zwei dem schönen Dorf auf dem «adeligen Bödeli» angehörende aussichtsreiche Alpen, waren nicht immer, wie dies heute der Fall ist, durch den schluchtartig eingerissenen Sillerngraben voneinander getrennt. Ein Holzgatter bildete die einzige Grenze und verhinderte das gegenseitige Eindringen und Hinüberweiden der Herden.
Damals fiel zu Anfang eines Sommers ein unzeitiger Schnee aufs Hahnenmoos, sodass die Tiere zwei Tage lang eingeschneit waren und kein Fressen mehr finden konnten. Am dritten Tag wurde beim Gatter ein Stücklein Weideland frei, wohin die hungrige Herde lief, um das noch schneenasse Gras abzurupfen. Dabei wurde eine Kuh von der nachdrängenden Schar durchs Gatter gestossen, vom Sillernsenn sogleich als Eindringling zu Handen genommen und nach Frutigen in den Pfandstall geführt. Von ihrem Besitzer, einem armen Bäuerlein, forderte der Sillernsenn eine hohe Entschädigung wegen Grasraubes. Langwierig war der Prozess, der sich um die wenigen von der Kuh abgerissenen Halme entspann. Endlich einigte man sich dahin, dass der Sillernsenn die Kuh behalten und dafür die Kosten des Gerichtes, die das verklagte Bäuerlein nicht aufbringen konnte, begleichen sollte. Wie schmunzelte der reiche Senn und wie rieb er sich die Hände ob solchem Kauf!
Nach einem Jahr, als es wiederum Sommer geworden war, weidete die Kuh vom Hahnenmoos mit der kleinen Schelle friedlich
inmitten der stolzen Sillernherde, zum Schmerze des armen Bäuerleins, das gar oft übers Gatter blicken und an das verlorene Tier denken musste. So grasten die Sillernkühe eines Tages den Grat hinauf gegen den kleinen Sillernsee, der tief unter der Erde mit dem See im Hahnenmoos zusammenhängt. Gemächlich erreichte die Herde den Abhang oberhalb des Seeleins. Regen und Nebel hatten das Gras genetzt und den Boden schlüpfrig gemacht. Unversehens glitt hier die Kuh vom Hahnenmoos aus und fiel das Bord hinunter ins unergründliche Wasser des Sillernsees. Wohl suchten die Hirten, die an keinen Unfall, viel eher an eine Entführung glaubten, nach der vermissten Kuh. Sie liess sich nicht finden und man musste im Herbst ohne sie talwärts fahren.Und wieder ein Jahr darauf -welcher Schrecken verbreitete sich unter den Hirten, als kein Gatter mehr, wohl aber eine tief eingefressene Schlucht das Hahnenmoos vom Sillernberg trennte! Während des Winters hatte sich, zur Strafe für das begangene Unrecht, der zerklüftete Sillerngraben geöffnet. Kein Tier sollte mehr von der einen zur andern Alp hinüber gelangen!
Auch von der ertrunkenen Kuh stellte sich jetzt die erste Kunde ein, zwar nicht auf Sillern, doch im Hahnenmoos. Schwimmend auf dem Hahnenmoossee wurden Schelle und Halsband gefunden.Die Kuh selbst wandert unverdrossen, den gleichen verborgenen Weg wie die Schelle und das Halsband gehend, durchs unterirdische Wasser. Einmal wird sie im Hahnenmoos eintreffen. Sobald dies geschieht, ist die Sünde des Sillernsennes beglichen. Dann endlich werden auch die schroffen Hänge des Sillerngrabens wieder Gras und Kräuter tragen, doch die Schlucht selbst kann nie mehr geschlossen werden.
Die schöne Mailänderin
Auf der Törbjeralp über der brodelnden Aare sah ein Hirte, der einem verlaufenen Kühlem nachstieg, bei finsterm Regen eine vornehme Dame dem Gletscher zuwandern. Er verdoppelte seine Schritte, um ihr, falls sie sich verirrt hätte, seine Hilfe anzubieten. Als er ihr nahe genug gekommen war, bemerkte er
zu seinem Erstaunen, wie jung und schön sie war; doch fiel ihm besonders auf, dass sie keine Kopfbedeckung trug und barfuss einherging. Aus ihren prächtigen schwarzen Haaren, die reichgelockt auf schneeweisse Schultern herabfielen, tröpfelte der Regen. An ihrem feinen Halse hing eine brillantenbesetzte Goldkette; die schlanken Hüften umgab ein kostbarer Gürtel; mit Spangen waren die Arme geschmückt und an der Hand funkelten herrliche Diamantringe. Die von Nässe und Kälte geröteten Füsse der Frau schienen so zart, dass jedes Steinchen sie verwunden musste. Mit einer Hand hielt sie ihre seidene Schürze empor, um sich den Aufstieg durch die Wildnis zu erleichtern, und in der andern führte sie einen langen Reisestock. Ihr liebliches Angesicht trug die Spur von vieler Kümmernis, denn noch glänzten Tränen an den Wimpern; die Lippen bewegten sich leise, sie schienen zu seufzen und Gebete zu sprechen.Voller Erbarmen sprach der junge Aelpler die seltsame Fremde an: «Um Gotteswillen, wo wollt Ihr hin bei so harter Witterung in einer so grausen Höhe? Ihr geht ja barfuss, ohne Hut und Schuhe;
gewiss seid ihr verunglückt! Wo sind Eure Bedienten? Habt Ihr keinen Führer mitgenommen? Ohne Zweifel seid Ihr nicht fern von hier vom Pferde gestiegen und habt Euch zu weit von der Begleitschaft entfernt? »«Nein, mein guter Bursche», erwiderte die Dame freundlich, «ich habe mich nicht verirrt, sondern komme wirklich ohne Begleitschaft, Pferde, Diener, Schuhe und Hut. Soeben wandelte ich aus einer grossen Stadt und aus einem glänzenden Palaste daher. Mein Leib liegt noch warm in Mailand auf dem Totenbette, vor dem meine Eltern bitterlich weinen und mein Gesicht benetzen. Ich habe bei Lebzeiten fast keine Erde getreten, weil ich in der Kutsche fuhr; nie entfernte ich mich ohne Begleitung vom Hause und keinem Lüftchen setzte ich mich aus. Da ich mich vor aller Anstrengung und Mühe fürchtete, muss ich meine Verzärtelung schutzlos in dieser Wildnis und im Eise des Gletschers abbüssen - dies ist mein Fegfeuer, denn sonst habe ich keine Sünden begangen. »
Bei den letzten Worten der armen Seele drängte aufeinmal wallender Nebel um
die liebliche Gestalt, und nach der Aufhellung war von der schönen Frau keine Spur mehr zu erblicken. Zu spät fiel dem Hirten ein, die zarte Gestalt könnte sich ihm gezeigt haben, damit er sie erlöse. So laut er vermochte, rief er darum: «Sagt mir, womit ich Euch erlösen kann!» Statt einer Antwort flüsterte jedesmal nur ein schwaches Echo seine eigenen Worte. Trüb rauschte die wilde Aare, dumpf kreischte der Gletscher, und bleiche Dunstgestalten stiegen aus dem Eise auf und nieder. Die edle Mailänderin zeigte sich nicht mehr. Und sooft eine wunderbare Sehnsucht auch später den Hirten an die Stelle trieb, wo die frierenden Füsse der Büsserin gestanden stets widerhallte nur sein fragender Ruf aus finstern Nebeln und Regenschauern.
Strättligen
Berühmt und hochgepriesen seit tausend Jahren ist die frohe, zwischen blaue Wasser und strahlende Himmelsbläue gebettete Landschaft des Thunersees, und ausgezeichnet vor allen Ufern sind die Buchten bei Strättligen, Einigen und dem
Schlosse Spiez. Weit zurück geht deshalb die Kunde von Merkwürdigkeiten, deren Schauplatz oder Zeuge der Thunersee war. Im Jahr 660 wusste der fränkische Geschichtschreiber Fredegar zu vermelden, dass «im vierten Regierungsjahr des Königs Dietrich der lacus dunensis, in den der Fluss Arula mündet, in ein solches Sieden geriet, dass viele gesottene Fische gefunden wurden. » Auch die Strättliger Chronik, verfasst um 1500 vom Einiger Pfarrherrn Eulogius Kiburger, beschreibt wunderbare Geschehnisse. Nach ihr hat ein Graf Arnold von Strättligen im Jahre 223 die Kirche «zum Paradies» in Einigen gestiftet, und im Jahre 933 soll ein Rudolf von Strättligen, Gemahl der Königin Bertha, Herrscher des grossen burgundischen Reiches gewesen sein. Dreihundert Jahre später wurde ein Spross der Strättliger. Heinrich II. oder sein Sohn Heinrich III. weit in den Landen als Minnesänger verehrt. Von ihm sind drei Lieder erhalten geblieben. Und wie die Menschen damals die Schönheit ihrer Heimat erkannten! Das den Strättliger Herren gehörende Schloss zu Spiez nannten sie den «goldenen Hof», Einigen «das Paradies», und das ganze Ufer trug den wie Harfenton klingenden Namen «die goldene Luft».König Rudolf von Strättligen hatte einmal einen merkwürdigen Traum, der ihn bewog, im Umkreis von Frutigen abwärts bis Thierachern zwölf Kirchen und zu Amsoldingen ein Kloster zu stiften. Nachdem er dies getan, bemächtigten sich Stolz und Uebermut seines Gemütes, weshalb ihn zur Strafe eine schwere Krankheit befiel, an der er den Tod erlitt. Kaum dass der König die Augen geschlossen, erhob sich zwischen dem Teufel und den Erzengeln Gabriel, Michael und Rafael um seine Seele ein harter Kampf, der endlich durch eine Wage geschlichtet werden sollte. In die eine Schale wurden Rudolfs gute, in die andere seine sündigen Werke getan, wobei es sich erwies, dass die Sünden das Uebergewicht zu erhalten drohten. Kurz entschlossen legte der Erzengel Michael seine schwere Hand auf die guten Taten, was den Teufel so sehr in Aufregung versetzte, dass er sich mit seinen Krallen an die andere Schale hängte, denn er wollte die Seele des Königs um jeden Preis zur Hölle entführen. Da aber zog der Erzengel Michael das
Schwert, sodass der Teufel seine Krallen einziehen und die Schale der Sünden, nun als leichter befunden, in die Höhe schnellen lassen musste. So wurde Rudolfs Seele für den Himmel gerettet. In der Kirche von Lauterbrunnen ist das Ereignis auf einer Glasscheibe dargestellt, und zu Thun findet sich neben dem Strättliger Wappen das Bild Michaels; der Erzengel trägt die Wage mit dem an der Sündenschale hängenden Teufel.Einstmals kam der Teufel, dürftig als Pilger gekleidet, wieder aufs Strättliger Schloss. Da es sehr kalt war, erbarmte sich der damalige Graf Wernhardt seiner, und mitleidig sandte er ihm seinen Mantel. Am andern Morgen aber war der Pilger mit dem Mantel verschwunden. Später geschah es, dass Wernhardt eine Wallfahrt nach dem Berge Garganum antrat. Vorher brach er seinen Ring in zwei Hälften; die eine gab er seinem Eheweib Susanna, die andere behielt er selbst und sagte: «Wenn du die Hälfte wieder siehst, wird dies ein Zeichen sein, dass ich noch lebe. Fünf Jahre sollst du meiner warten, nicht länger; dann bist du frei! »
Auf dem Berge Garganum ging Herr
Wernhardt in die Kirche des heiligen Michael, um dessen Schutz für sich und sein Haus er bat. Der heilige Michael erhörte ihn; auch ward ihm dort ein Stück von seinem Mantel wieder. Darauf, als der Ritter seine Heimfahrt angetreten hatte, geriet er in Gefangenschaft und sass vier Jahre in einem Kerker zu Lamparten. Dort erschien ihm eines Abends plötzlich ein Unbekannter, der ihm den Rest des gestohlenen Mantels überbrachte und sich als Teufel zu erkennen gab. Er sei jener diebische Pilger gewesen, sagte der Höllenfürst, komme aber jetzt auf den Befehl des heiligen Michael, um ihn, Herrn Wernhardt, nach der Heimat zurückzubringen. Hierzu sei hohe Zeit, da Frau Susanne ihren Mann für tot halte und diese Nacht einen andern heiraten werde. Sanft hob der Teufel den Grafen vom Boden und trug ihn unbeschädigt in wenigen Minuten nach dem Schloss am Thunersee. Als fremder Spielmann eilte der Heimgekehrte zum Hochzeitsmahl, und den halben Ring warf er in den Becher seiner Gemahlin, die alsbald rief: Mein Eheherr ist nicht weit von diesem Orte!» Gleichzeitig erkannte sie ihn in einer Ecke des Saales, sodass er dankbaren Herzens Weib, Schloss und Herrschaft wieder erlangte.Gütig, fromm und gerecht waren die Herren von Strättligen. Nur wenige von ihnen, darunter Diebold, der vom Teufel besessen war, machten eine Ausnahme. Als Diebold starb, sahen die sein Lager umstehenden Verwandten und Freunde nicht nur die Seele des Dahingeschiedenen, wie sie den Körper verliess, sondern sie hörten auch deutlich die Stimme des heiligen Michael den bösen Geistern den Befehl erteilen, die Seele von dannen in ein unfern am Thunersee gelegenes Moos zu verbannen. Dort «syg sie viel und oft» gehört worden, weshalb das Moos seither als Höllmoos verrufen und unheimlich ist.
Gemsjäger Bürki
Gross war der Ruhm des Gemsjägers Bürki von Beatenberg. Wenn andere Schützen meist zu zweien oder mehrern auf die Jagd gingen und gar oft ohne Beute nach Hause zurückkehrten, wandte sich Bürki stets allein den Bergen zu und
jedesmal kam er mit einem fetten Grattier ins Dorf. Bürki konnte mehr als gewöhnliche Menschen, er war ein Schwarzkünstler. Nur wusste man nicht, ob er die Gemsen bannte, sodass sie ihm vor die Kugel laufen mussten, oder ob er mit Kugeln von jener Art schoss, wie sie der Teufel damals in der Allerheiligennacht auf einem Kreuzwege goss.Nun drangen aber zwei neugierige Freunde darauf, Bürki bei seinem nächsten Jagdauszug begleiten zu dürfen. Auf diese Weise wollten sie in sein Geheimnis eingeweiht werden. Nach langem Zureden willigte er ein. Frühmorgens am nächsten Tage brachen die Männer auf nach dem Güggisgrat. Dort angelangt, stellte Bürki die beiden Gesellen auf den Anstand. «Gebt wohl acht», sagte er, «jenem hohen Fluhbändchen entlang wird nach kurzer Zeit ein Gemstrüppchen erscheinen. Voran zieht ein starker Bock und ihm folgen einige magere Gemsen. So sehr der schöne Bock die Begierde wecken mag, ihn niederzubrennen -lasst ihn ungefährdet, wenn kein Unheil entstehen soll. Legt auf die magern Geissen an, denn was unter ihnen getroffen wird, erweist
sich nach dem Schuss als herrliches Stück!»Jetzt entfernte sich Bürki eine ziemliche Strecke, dann legte er sich nieder wie zum Schlafe, worauf die Grattiere wirklich erschienen. Voran trabte, den Kopf stolz aufgerichtet, der Bock, fast um die Hälfte grösser als die dünnen Tierchen, die ihm folgten. «Die sind nicht das Pulver wert!» dachten die beiden Jäger. Deshalb zielten sie auf den Bock und drückten ab; doch als die Schüsse krachten, erfolgte ein Klirren, als ob sie in Glasscherben getroffen hätten. Im nämlichen Augenblick war der Bock verschwunden und das Gemsenrudel stob davon. Dafür sprang Bürki aus seinem Schlaf empor, indem er schrie: «Teufel, was habt ihr getan? Beinahe bin ich getötet worden!» Heftig fing er seine Brust zu reiben an, er öffnete das Wams und zeigte die Haut voller blauer Flecken, die nur von abklatschenden Kugeln herrühren konnten. Erbost über den Ungehorsam der Kameraden entfernte sich Bürki. Niemand durfte ihn von da an mehr zur Jagd begleiten.
Dafür war das Geheimnis des Gemsjägers
entsiegelt. Bürki brauchte sich nur auf die Erde zu legen, dann fuhr sein Geist als Gemsbock über die Höhen, wobei ihm die ahnungslosen Gratgeissen zutraulich folgten bis zu der Stelle, wo sein schlafender Menschenkörper im Wildgras lag. Hier verschwand der Bock urplötzlich; an seinem Platz erhob sich Bürki und knallte die verlockten Tiere ab.Zur Sühne für die Ruchlosigkeit wird Bürki seit seinem Tode als Gemsbock auf den Flühen herumgetrieben, verfolgt von den grauen Schatten erschossener Gemsen. Mancher am Güggisberg streifende Jäger hat das tolle Jagen gehört und den düstern Wildzug gesehen.
Bestrafter Hochmut
Lustig liess sichs früher auf der Gestelenalp leben, wenn aus dem Simmen- und Diemtigtal das junge Sennenvolk zu einem Dürfet zusammenkam.
Eines Morgens, es war eben wieder Dorfsonntag, wanderte eine schöne und reiche Sennerin stolzen Schrittes den Berg hinan zum Aelplerfest. Selbstgefällig betrachtete
sie ihren Sonntagstaat, die Blumen und flatternden Bänder. «Heute bin ich von allen Tänzerinnen die schönste!» sann sie, und sie verschwor sich feierlich, der Teufel möge sie holen, wenn sie nicht den ersten Tanz tun und den Reigen anführen könne.Auf der Alp hatte sich, da der Tag hell und sonnig war, bereits viel ungeduldiges Volk eingefunden. Früher als sonst begannen die Spielleute zu musizieren. Alles erhob sich bei den muntern Klängen, und jeder Bursche fand eine Tänzerin, die ihm als die schmuckste erschien. Nur die stolze Sennerin, wie sehnsüchtig sie auch die Blicke schweifen liess, blieb einsam und wurde nicht weiter beachtet.
Kaum waren jedoch die letzten Töne des Ländlers verklungen, flugs traf auch schon der Teufel ein, der Jungfer Wort einzulösen. Er fasste die Widerstrebende hohnlachend um den Leib und stellte sie auf einen vierkantigen Felsblock. Da stand sie nun, konnte sich nicht von der Stelle bewegen, denn ihre Füsse sanken tief in den Stein, und ihr hochmütiger Sinn musste aus der Ferne zusehen, wie sich die andern ergötzten.
Die Erinnerung an ihren frevelhaften Uebermut bleibt verewigt im «Teufelsritt» — so heisst der Stein, auf den der Teufel sie hob. Noch ist der felsige Würfel oberhalb der Gestelenalp zu sehen. Auch die Füllstapfen darin und die Zeheneindrücke der Sennerin sind sichtbar erhalten geblieben.
Die verhexten Schwestern
Ein Berner aus dem Oberland kehrte einst auf weiten Reisen in einem abgelegenen Häuschen ein, wo ihn ein uralter Mann gastfreundlich empfing. Nach mancherlei Gesprächen beim einfachen Mahl teilte der Greis dem Wanderer mit, dass er ein Landsmann aus dem Oberhasli sei und vor langen Zeiten die Heimat verlassen habe, von einem schweren Kummer getrieben. Ihm waren drei schöne Töchter verflucht worden, die seither auf hohen Haslerbergen als Spukgeister ihr Unwesen treiben. Das erste der Mädchen wurde auf den Gauligletscher gebannt, dort erscheint es, von einem Hündchen begleitet, den Sennen des Urbachtales: es wird das
Gauliweibchen genannt. Das zweite irrt in der Gegend der Engstienaip zuhinterst im Gental und heisst darum das Engstlenfräulein. Das dritte, den Leuten unter dem Namen Geissmaidlein bekannt, lockt am Hasliberg Hirtenknaben und Sennen in seine Nähe, um sie zu einsamem Liebesspiel zu verführen. Einmal, als es mit einem hübschen, still gearteten Jüngling den Heuboden einer Scheune besteigen wollte, vergass es sich und ging die Leiter voran -da aber liess es unter dem Röckchen ein Paar Ziegenfüsse zeigen. Nun wusste der Knabe, was für einer Liebsten zu folgen er im Begriffe war. Noch fand er Zeit, von seinem Vorhaben abzustehen und bangen Herzens von dannen zu schleichen.Wie die drei verhexten Mädchen entzaubert werden könnten - nur der Greis in der Fremde vermöchte es zu künden. Aber niemand kennt seinen Aufenthalt; vielleicht hat er sein Geheimnis längst mit ins Grab genommen. Unerlöst müssen die drei Schwestern Gauliweibchen, Engstlenfräulein und Geissmaidlein auch weiterhin die Wildnis der hohen Hasliberge bewohnen.
Die Nidelhexe
Unter dem fleissigen Völkchen von Lauterbrunnen lebte eine junge Frau, die sich absonderlich gut aufs Hexen verstand. Sie besass nur ein einziges, dürres Kühlem und konnte doch jeden Tag eine ganze Brente voll Nidel zu Butter schlagen. Anfänglich meinten die Nachbarn, sie melke anderer Leute Vieh durch einen aufgehängten Axthalm, wie dies die Hexen gewöhnlich zu tun pflegten; doch da man sie nur selten im Stalle sah, musste sie wohl ein anderes Schelmenmittel besitzen. Schliesslich unternahm es ein alter Schuster, sie auszukundschaften. Er begab sich zu ihr, da sie gerade wieder Nidel schlug, und liess sie nach einer Weile abrufen durch einen im voraus bestellten Helfer. Jetzt schaute der Schuster ins sorgfältig verdeckte Butterfass. Zu seinem Erstaunen fand er darin ein briefähnlich zusammengefaltetes, über und über mit Nidel bedecktes Blättchen Papier, das er ohne Besinnen in seinen Hosensack steckte.
Als die Hexe zurückkehrte und unverweilt
wieder Butter schlug, siehe, da strömte der Nidel weißschäumend, reich fliessend aus der Tasche des überraschten Mannes. Die Hexe erriet den Zusammenhang, ehe der Schuster Zeit fand, das Briefchen von sich zu werfen. Glutrot vor Zorn schrie sie ihm zu: «Das soll mir nicht umsonst angetan worden sein!» Wenige Tage darauf wurde der Schuster von einem bösen Ausschlag befallen. Es geschah dies am Körperteil, der bis dahin auf dem Dreibein gesessen hatte und dies von nun an nicht wieder konnte.Von diesem Begebnis hörte nun auch der Ehemann des Hexenweibchens, doch wollte er nichts glauben, da sein Mareili ihm sonst gut und zugetan war. Dennoch nahm er sich vor, die Frau auf die Probe zu stellen. Wie er des Abends bei ihr sass, plauderte er viel daher, wie nützlich ein paar kleine Hexenkünste anzuwenden wären, wenn man sie nur besässe, und fände er einen Meister, so würde er gewiss ein aufmerksamer Lehrling sein. «Wenn das dein Ernst ist», raunte die Hexe, «so kann ich dir helfen!»
In der nächsten Mitternacht stellte sie ihren Mann vor sich auf den Düngerhaufen,
indem sie ihn anwies, dass er genau nachsprechen solle, was sie vorbeten werde. Dann begann sie: «Hier stehen wir auf unserm Mist!» Der Mann wiederholte die Worte vernehmlich, und die Frau fuhr fort: «Und verleugnen unsern Herrn Jesum Christ!» Da aber rief der Mann: «Ich schlage nieder, was hinter und vor mir ist!» Mit diesem Rufe traf er die Hexe so heftig auf den Kopf, dass sie ohne Sterbenslaut tot niederfiel.
Die Goldkammer am Niesen
Es waren einmal drei Männer weit weg in fremden Landen, der eine von Amsoldingen, der andere von Steffisburg, der dritte von Sigriswil gebürtig; um den Heimweg nach ihrem Vaterlande zu finden, fragten sie hin und her. Endlich trafen sie einen ganz alten Mann an; er sagte ihnen, sie sollten zu seinem Vater kommen, der werde ihnen schon Anweisung geben. Der Greisenvater hiess sie sehr freundlich willkommen und eröffnete ihnen, dass er ein Landsmann sei und die Heimat wohl kenne. Jedem der drei Wanderer
gab er einen silbernen Teller und drei Reckholderbeeren; sollten sie Geld nötig haben, so brauchten sie nur eine der Beeren zu öffnen. Er sagte ihnen, sie müssten des Morgens immer gegen Sonnenaufgang ziehen, wenn sie aber am Nachmittag in Städte kämen, sich immer nach den Windfahnen richten. Seien sie dann daheim angelangt, so würden sie an einem Ort, den er ihnen bezeichnete, eine grosse Tanne finden, die habe einen dürren Ast und daran hange ein Schlüssel. Mit ihm könnten sie eine Felsentüre öffnen. Dann möchten sie hineingehen bis zu einem grossen Gemache, wo viel Geld aufbewahrt sei. Jeder dürfe davon eine Handvoll nehmen alle Tage, jedoch nicht mehr; auch sollten sie weder an einem Tage zweimal den Baum und die Höhle aufsuchen, noch die Verschwiegenheit brechen.Des alten Mannes Voraussagen bewahrheiteten sich. Die drei Männer besuchten den Baum fleissig und lebten in Freuden, bis die Unersättlichkeit der beiden ersten sie an einem Tage zweimal verleitete, aus der Goldkammer zu schöpfen; sie starben kurz darauf. Der dritte war eines Abends
im Wirtshaus und schwelgte vollauf, liess sich von einem andern Gaste in ein Gespräch ziehen und gab zuletzt das ganze Geheimnis bekannt. Weil er das Verbot übertreten hatte, blieb ihm die Höhle für immer verloren.Wieder arm geworden, verdingte er sich als Knecht auf den Niesen zu einem Müller, der drei Windmühlen hatte, auf dem hohen Berge auch pflügte und Korn pflanzte. Von diesem Windmüller schreiben sich vermutlich die Mühlsteine her, die rechts über den obersten Sennhütten am Niesen zu sehen sind 1
Hans Kühschwanz
Hans Kühschwanz, der auf der Trichelegg ein dürftig Gütlein besass, hatte dreimal nacheinander denselben Traum. Ihm träumte, er solle nach Thun auf die Sinnibrücke gehen, dort werde er sein Glück machen. Schliesslich lief er eines Tages Thun zu. Auf der Sinnibrücke kam er mit einem alten Männchen ins Gespräch, das ihn laut auslachte: «Bist du bei Trost, dass du wegen eines Traumes
nach Thun läufst? Mir hat auch dreimal geträumt, zu Grindelwald auf der Trichelegg liege bei einem Hans Kuhschwanz ein grosser Haufen Geldes unter der Feuerplatte. Es fällt mir aber nicht ein, deswegen den weiten Gang zu tun!»Hans Kühschwanz spitzte die Ohren, als er diesen Bericht vernahm; stracks eilte er Grindelwald zu. Auf der Trichelegg riss er in seiner Küche die Feuerplatte weg, und wirklich fand er den Geldhaufen, der ihn zum reichen Manne machte. Nicht gern wollte er sich fürderhin mehr Kühschwanz rufen lassen. Darum ging er zum Landvogt nach Interlaken, der ihm einen würdigen Namen gab.
Schloss Weissenau
Im Bödeli vor Interlaken, wo noch vor fünfhundert Jahren der längst verschwundene Marktflecken Wyden lag, erhob sich auf einer nun verlandeten Aareinsel das feste Schloss Weissenau. Es hatte mächtige Mauern und Türme, deren Ruinen noch heute über das Erlen- und Holundergebüsch emporragen. Dort befand
Als die Herren von Weissenburg die Feste erbauten, geschah dies in der Absicht, die anlegenden Schiffe und vorbeiziehenden Landfrachten einer willkürlichen Abgabe zu unterwerfen; doch war die Macht des Berner Bären bereits so gross geworden, dass die ritterlichen Wegelagerer ihr Vorhaben nicht mehr zu verwirklichen wagten. Es blieb den Freiherren nichts anderes übrig, als sich ruhig zu aus dem Jahre 1893
verhalten und die gewaltigen Kosten des Burgbaues ihren Untertanen aufzubürden, den armen Bauern zwischen dem Thuner- und Brienzersee. Gedacht, getan! Bald liefen die Büttel von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus, die Leute zu plagen. Einige Zeit trug das geknechtete Volk sein Schicksal geduldig, bis der Freiherr zu Weissenau Unzufriedene und Murrende auf die Insel bringen liess und einzusperren begann. Das war das Zeichen zum Aufstand.Dem Führer der Bauern, einem vorsichtig entschlossenen Greise, war nicht entgangen, dass im Kampf mit den Reisigen nur List zum Ziel führen konnte. Der Freiherr hatte die Gepflogenheit, jeden Sonntag in der Kirche von Unterseen die Messe zu hören; er sowohl als seine Lehensmänner und Knappen ritten dabei auf schönen Schimmeln prächtig geharnischt zum Städtchen. Darauf bauten die Talleute ihren Plan. Mit vieler Mühe, indem Arme und Reiche ihr letztes Geld dem gemeinsamen Streben darbrachten, gelang ihnen der Kauf weisser Rosse und zahlreicher Rüstungen, wie die Weissenauer sie trugen.
Als der Freiherr am nächsten Sonntag nach seiner Uebung Messe und Predigt hörte, stürmte plötzlich ein stolzer Ritterzug gegen die Burg, verfolgt von bäuerlichem Landsturm mit Spiessen, Morgensternen und ähnlichen Waffen. Da der Burgwart einen Aufruhr lange befürchtet hatte und ausserdem die Ritter für seinen Herrn und dessen Gefolge hielt, stand er vorsorglich bereit, die Brücke herabzulassen und den Verfolgten das Wasserschloss aufzutun. Die vermeintlichen Reisigen waren kaum eingeritten, als sie den getäuschten Pförtner und seine Knechte niederhieben, die nachstürmenden Landleute einliessen und der Feste den roten Hahn aufsetzten.
Die Kunde von dem gelungenen Ueberfall ward dem Weissenauer in der Kirche. Sofort flüchtete er mit den Seinen ins Habkerntal und von dort über den Grünenberg ins Entlebuch. Später verkaufte er seine Besitzungen und Rechte den Klosterherren von Interlaken, die den Bauern eine milde Obrigkeit waren. Den Mönchen war an der Erhaltung des Tyrannenschlosses sowenig gelegen wie dem Volke, weshalb sie die Weissenau vollends zusammensinken
liessen. Um die Ruine zeigte sich seither von Zeit zu Zeit eine weisse Frau, der sich nur nähern darf, wer entschlossen ist und auch das Mittel kennt, sie zu erlösen. Ein unermesslicher, von zwei Geisterhunden bewachter Schatz harrt des Glücklichen, dem das Wagnis gelingt.
Die Stollenwürmer
Von Unterseen bis hinauf gegen die Grimsel und im Gadmental liessen sich zuweilen nach schwüler Hitze, oder wenn sich das Wetter ändern wollte, Schlangen mit kurzen, stollenartigen Füssen sehen. Man nannte sie Stollen- oder Tatzelwürmer. Die solche Tiere vor den Augen gehabt haben, geben die Zahl der Füsse mit zwei, vier und auch sechs an; darin stimmen jedoch alle Beobachtungen überein, dass das Unwesen einen dicken, katzenartigen Kopf aufwies. Anfangs des letzten Jahrhunderts wurde ein solches Tier von dem Schulmeister zu Guttannen erblickt; es soll ein Klafter lang und etwa so dick wie ein Mannsschenkel gewesen sein. Auch ein gewisser Hans Kehrli sah
in der gleichen Gegend eine derartige Schlange, die zehn Junge im Leibe hatte, davon eines ganz weiss gewesen sein soll. Noch in unsern Tagen gibt es hie und da Leute, die Stollenwürmer bemerkt haben wollen. Einmal sei ein totes Tier in einem vertrockneten Sumpfe gefunden und aufbewahrt worden; doch frassen die Krähen das Fleisch, sodass nur das Gerippe übrig blieb.Dass die Stollenwürmer sehr gefährlich waren, indem sie Menschen und Viehhabe schädigten, wird vielfach bezeugt. Vorzüglich stellten sie den Erdmännchen nach, die sie besonders gehasst haben müssen. Wenn der Stollenwurm zum Angriff bereit war, so stürzte er sich, hochaufgebäumt und die pfeilförmig zugespitzte Zunge weit aus dem giftigen Rachen hervorstreckend, auf den Feind und suchte ihn nach Schlangenart mit dem Schweif zu umschlingen. Auch gab es Stollenwürmer, weniger gefährliche zwar, die den Kühen die Milch aussaugten; dagegen konnte man sich schützen, indem man einen weissen Hahn in der Nähe der Herde hielt. Versichert wird auch, dass es weisse und schwarze Stollenwürmer gab.
Die weissen, die sich durch ein Krönlein auf dem Haupte auszeichneten, waren seltener als die häufiger vorkommenden schwarzen.Ein verwegener Mann, der auch etwas vom Zaubern verstand, zog einen Kreis um sich und bannte darauf mit Pfeifen das Gewürm in grosser Menge herbei. Doch lockte er weiter, bis zuletzt ein ganz dicker und abscheulicher Stollenwurm daherkam, sich gegen den Zauberer warf und ihn im Augenblicke zerriss.
Einen sterbensmatt kranken Stollenwurm fand einst ein armes Hirtenmädchen auf der Heubühne seines Elternhauses. Trotz der hässlichen Gestalt des Tieres trat das Kind hinzu und reichte ihm mitleidig eine Schale mit Milch. Gierig leckte der Stollenwurm den kühlenden Trunk. Zum Dank verwandelte er das goldene Krönlein auf seinem Haupt in die Schlangenkönigin und gab sie dem Hirtenmädchen. An die Schlangenkönigin aber waren wohltätige Zauberkräfte gebunden.
Kirchbau zu Reichenbach
Oft mag sich der Fremde wundern, warum die spitzhelmige Kirche von Reichenbach nicht auf einer der aussichtsreichsten Anhöhen des Kientalhanges erbaut wurde, sondern in flacher Talsenke, aus der sie seit vielen hundert Jahren zu den Weilern und Dörfern und zu den herrlich schimmernden Gletschern der Blümlisalp emporblickt.
Im 16. Jahrhundert, als Reichenbach von Aeschi getrennt wurde, bestand freilich die Absicht, das neue Gotteshaus auf einem der grünen Hügel, Schärüte genannt, zu errichten. Als der Grund gelegt war und einige Mauern bereits den Umriss der Kirche wiesen, wurde das ganze Werk in einer Nacht zerstört; niemand kannte den Untäter, doch riet man auf einen zürnenden Geist. Zum zweitenmal musste darum der mühsame Bau begonnen werden. Wie gross war das Erstaunen der Leute, als auch jetzt, trotzdem zur Sicherheit drei Mann als Wachen aufgestellt worden waren, die angefangene Kirche wiederum niedergelegt wurde.
Nochmals machte man sich am darauffolgenden Tag an den Wiederbeginn der Arbeit, und siehe, zum drittenmal blieb kein Stein auf dem andern.Endlich deutete das Volk den geheimnisvollen Umstand als Stimme des Himmels, die den Bürgern die Wahl eines andern Bauplatzes befahl. Um die richtige Stätte zu finden, trieb man am Abend zwei zusammengebundene Stiere hinaus ins Freie; sie sollten die Nacht auf der Weide verbringen und, von der Vorsehung gelenkt, sich gegen Morgen an dem für die Kirche bestimmten Orte zur Ruhe begeben.
Auf keinem Hügel, wohl aber am Rande der Talebene, inmitten eines Erlengebüsches neben dem vorbeipolternden Reichenbach, fanden sich in der Morgenfrühe die beiden ruhenden Stiere; friedlich lagerten sie im tauigen Gras, als eben die Sonne den Kamm der Berge betrat. Nun war der Kirchplatz gefunden! Flink warfen die Handwerksleute den Grund auf, auch die Maurer waren da, und in kurzer Zeit erhoben sich Turm und Gotteshaus zu ihrer jetzigen schönen Gestalt.
Badquelle Weissenburg
Im Jar da man zellt nach Christi Gepurt tusent vierhundert und fünfzechen Jar ist beschächen als hienach geschriben staht. Da war zu Därstetten im niedern Simmental, hart an der Simme, ein altes, berühmtes Klösterlein, von einem Propst und etlichen Brüdern des Ordens St. Augustini innegehabt, und freundnachbarlich hatte unfern der Freiherr zu Weissenburg ein offenes Haus auf seiner Feste, wo er mit den Klosterbrüdern pokulierte bei Tag und Nacht. Noch jetzt sieht man die Ueberreste des Schlosses an der alten Talstrasse, während zu Därstetten das Klösterlein längst vom Erdboden getilgt ist.
Zu der Zeit kam aus dem Klösterlein ein geistlicher Jüngling, der Bruder Gervasi genannt wurde, oft auf die Burg; er war ein Herr von Simmenegg und der letzte Spross seines Stammes. Mit seinem frommen Wesen erbaute er die Schlossherrin und des Freiherrn Töchterchen Kunigunde. Da sollte nun schnell eine Hochzeit werden zwischen Kunigund und
einem strengen, fast harten Manne, dem Burgherrn von Grimmenstein. Das Fräulein war aber widerspenstig und wollte nichts davon, denn sie liebte den Bruder Gervasi, und sie konnte daraus auch kein Hehl machen gegen ihn. «So das Euer Begehr ist, dass Ihr den Herrn Grimmenstein nicht freien wollt», beschied der geistliche Ritter, «so ist nichts nötiger, als dass wir von hier hinweg und weiterziehen, damit Euer Herr Vater Euch nicht dränge und zwinge wider Euern Willen. »Es hob der Bruder die Jungfrau zur Nacht bei dem kleinen Türchen auf die Arme, trug sie von dannen und watete durch die Simme. Weiter trug er sie nach einer bösen Bergschlucht, durch Wasser und über wildes Gestein. So kamen sie in eine enge Kluft, verborgen zwischen Flühen, wo sie eine Hütte bauten. Ein vertrauter Geisshirt, der nicht weit weg auf seinem Stafel weidete, liess dem Bruder eine Geiss und brachte Speise von Zeit zu Zeit, sodass die Liebenden, als ehrbare Eheleute in Zucht und Treue lebend, keinen Mangel erleiden mussten.
Als der alte Freiherr merkte, dass sein Töchterchen abhanden war, schickte er
Es ward aber dann Kunigunde krank und das machte den Bruder Gervasi übel traurig; er fürchtete, sie werde sterben und ihn kummervoll zurücklassen. Darum betete er viel und wollte sie mit allerlei Kräutern heilen, das half aber nichts. Da ging er aus und es ward ihm eine grosse Gnade. In der Schlucht fand er ein Brünnchen; es war lau und gab einen gar besondern Geschmack. Er schöpfte ein Näpfchen voll und hiess sein Weib davon
trinken so viel es mochte. Heilsam schien das Wasser zu sein, denn Kunigunde gesundete mehr und mehr.Darnach spendete der Bruder forthin aus dem Brünnchen jedermann, der krank und bresthaft darniederlag, also dass ein Schall ausging im Lande und er berühmt wurde wegen des Wassers. Als er dann gestorben war im hohen Alter und sein Eheweib dazu am gleichen Tage, blieb sein Gedächtnis beim Volke frisch und in guter Ehre. Die Talleute bauten ein gutes Schirmdach in der Schlucht und kamen mit Fleiss daher. Immer fanden sie, dass das Brünnchen ein segensreiches Heiltum war. Ein Heiltum ist es geblieben bis auf den heutigen Tag.
Die Bürger von Merligen
Drollige Leutchen waren einst die Bürger von Merligen. Auf einen Streich mehr oder weniger kam es ihnen nicht an. Als sie ein Rathaus gebaut und die Fenster vergessen hatten, trugen die Ratsherren viele Stunden lang sack weise Licht, und den versenkten Staatsschatz wollten
sie dereinst wiederfinden, hatten sie doch einen dicken Strich an das Schiff gekerbt, das mit dem Geld in den See hinausgefahren war.Zu Merligen stand damals ein schöner Nussbaum, der seine Krone gegen den See zuneigte. Deshalb meinten die Merliger, der Nussbaum sei durstig und man müsse ihn trinken lassen. Zu diesem Behufe kletterte der Ammann auf den Baum und schlang seine Hände um den Wipfel. Der erste Bürger fasste den Ammann an den Beinen, ein zweiter den ersten und so fort, bis der unterste das Wasser berührte. Als die Kette fertig war und einer dem andern an den Beinen hing, rief der Ammann von oben: «Haltet recht fest, ich will in die Hände spucken!»
Alle fielen sogleich in den See und mussten jämmerlich sterben.
Die Nidelkirche
Weit oben im Saanenland, wo die Wasserfälle Geltenschuss und Dungelschuss ihr ewiges Lied rauschen, breiten sich sammetweiche Wiesen und freundliche
Heimstätten um das Kirchlein von Lauenen aus. Von früh bis spät leuchtet der Eispanzer des Wildhorns ins Tal, rein und weiss wie Milchschaum im Sonnenlicht.Bei solchem Glänzen und Funkeln des Wildhorngletschers bemerkten die Leute plötzlich einmal, wie schwarz ihre Kirche geworden war die vielen Jahreszeiten hindurch. Sie kamen deshalb überein, das Gotteshaus zu weissen und zwar mit Nidel, denn ihre Kirche war nicht bloss einer gewöhnlichen Tünche würdig. Jeder Talgenesse trug einen gefüllten Rahmkübel herbei. Die Arbeit begann und wurde bestens zu Ende geführt.
Indes hatten die Fliegen, Bremsen und Wespen wahrgenommen, zu welch einem süssen Aufenthalt die Kirchenmauern geworden waren. Scharenweise fanden sie sich ein, die dargebotene Speise zu nützen. Den Lauenern gefiel das wenig und sie stellten an allen vier Ecken Wächter mit Flinten auf. Den Wächtern war vom Gemeinderat eindringlich befohlen, beim Herannahen der geflügelten Heere zu pulvern. Als eines Sommermorgens ein vielstimmiges Summen und Schwärmen
vernehmbar wurde und die Kirche fast im Handkehrum einem Bienenhaus glich, kommandierte einer der Wächter: Gewehr in Anschlag, zielen und -drücken! Vier Schüsse hallten durchs blühende Land und vier erschossene Männer fielen ins sprossende Gras. Ach, es hatte ein jeder der Wächter den andern getroffen.
Nachwort
Diese ihrer äussern Anlage nach mit Ueberlegung auf kleinen Umfang und handliches Format beschränkte Sagensammlung aus dem Berner Oberland verdankt ihre Entstehung einem oft angemeldeten Bedürfnis Keineswegs konnte es sich darum handeln, ungeschriebene Sagen aus dem Volksmund einzuheimsen, um sie in letzter Stunde drohender Vergessenheit zu entreissen. Das Berner Oberland, dessen landschaftliche Grossartigkeit schon vor mehrern Menschenaltern über den Erdkreis hin gepriesen wurde, fand früher als viele andere Alpengebiete auch die Anerkennung seiner uralten volkskundlichen Eigenheiten. In den Jahren 1854 bis 1882 veröffentlichten Kohlrusch, Vernaleken und Herzog ihre die ganzen Alpen berücksichtigenden Sagensammlungen, allerdings zu geringerm Teil auf Grund selbstgehörter Mitteilungen aus den Erinnerungen des Volkes. Was die Sagen des Berner Oberlandes anbetrifft, so verfügte man bereits über zahlreiche in
Reiseschilderungen, Zeitschriften und Kalendern verstreute Quellen. Die oft ausgiebig in die Länge gezogenen Erzählungen von willkürlichen Ausschmückungen und Zutaten befreit, ihr Angedichtetes vom Kern der Sage getrennt, die Sage selbst harmonisch wieder in den allgemeinen Rahmen der Lebensweise und Anschauungen des Volkes zurückgeführt zu haben, war das eigentliche und verdienstvolle Werk der genannten Verfasser. Es muss bemerkt werden, dass im einen oder andern der herrlichen Täler des Berner Oberlandes der rechte Zeitpunkt zur Aufzeichnung mündlich erhalten gebliebener. doch allmählich verblassender Ueberlieferungen ungenützt blieb, weshalb manche schöne und sinnreiche Deutung für ewig verloren ging. Dafür vermochten die übrigen Landesteile, voran die seit dem Beginn der touristischen Erschliessung am stärksten besuchten, ihr Sagengut kräftig und überraschend mannigfaltig zu wahren, ja es zu fördern, indem durch mundartliche Mitteilungen, die den Ausgangspunkt aller schriftsprachlichen Fassungen bildeten, stets neue Schätze ans Licht gezogen wurden, bis sie schliesslich fast ohne Ausnahme gehoben waren.Die dem Herausgeber dieses Büchleins gestellte Aufgabe lässt sich mit wenigen Worten umschreiben. Ihm war aufgetragen, den Wunsch des deutschsprechenden Lesers nach einer organisch aufgebauten, im Stofflichen möglichst lückenlosen, doch gleichzeitig auf das Wesentliche verdichteten Auswahl der Sagen des Berner Oberlandes zu erfüllen. Der Wunsch ist unumstritten berechtigt. Er ergibt sich aus dem Streben landschaftlich liebender Menschen, einem so bevorzugten, dabei geographisch und volkskundlich beispiellos geschlossenen Teil der Schweizeralpen, wie das Berner Oberland ihn bildet. auch innerlich immer näher zu kommen. Der Herausgeber hat diesem weite und erfreuliche Perspektiven öffnenden Zusammenhang seine ganze Aufmerksamkeit geschenkt. Hauptsäch
lich lag ihm daran, den Leser aus der Vorstellung der Landschaft ins Reich des Phantastischen schreiten zu lassen. Im Interesse des unmittelbaren Vordringens zur Sage wurde, mit einer einzigen, durch den Märchencharakter der Erzählung bedingten Ausnahme, grundsätzlich auf Knappheit und Kürze gehalten. Selbstredend mussten die meistens aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Textvorlagen, denen keine Gewalt angetan wurde, der neuzeitlichen Schreibweise angepasst werden; einige heute wenig mehr gebrauchte Wendungen indes, die mit vollem Bedacht übernommen wurden, möchten als die sprachlichen Begleiter der aus alten Druckschriften auferstandenen Bildchen angehört werden. Den Plan, nach welchem die Auswahl der Sagen erfolgte, bestimmte das Bedürfnis des Wanderers, gleichsam im Fluge, recht übersichtlich und gesamthaft, in den Sagenkreis des Berner Oberlandes eingeführt zu werden.
Bibliographie
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