|
DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTENVOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839 ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN BAND 6 IM INSEL-VERLAG Copyright 1953 by Insel-Verlag Wiesbaden
|
Der Mann wird in der Welt erkannt an seinem Handeln: Des Edlen, Freien Taten sind gleich seiner Art. Verleumde nicht, sonst wirst auch du gar bald verleumdet; Wer etwas sagt, dem bleibt das gleiche nicht erspart! Vermeide schlechtes Wort und führ es nie im Munde, Magst du im Ernste reden oder auch im Scherz! Ein Hund, der edles Wesen wahrt, wird gern geduldet; Dem Löwen, ist er töricht, trifft der Ketten Schmerz. Und einsam treibt die Leiche oben auf dein Meere, indes die Perle drunten liegt in seinem Sand. Ein Sperling würde nie nach einem Falken jagen, Es sei aus Narrheit denn und Schwäche an Verstand. Im Himmel steht geschrieben auf der Liebe Blättern: Wer Gutes tut, dem wird der gleiche Lohn gereicht. Drum suche keinen Zucker bei der Koloquinte, Da jedes Dings Geschmack nur seinem Wesen gleicht! |
Hinfort lebte Abu Str noch eine Weile, bis Allah ihn zu sich nahm; da begrub man ihn neben dem Grabe seines Gefährten Abu Kir. Und deshalb erhielt diese Stätte den Namen Abu Kir und Abu Str; aber jetzt ist sie nur als Abu Kir bekannt. Dies ist es, was uns von der Geschichte der beiden berichtet wurde. Und Preis sei Ihm, der da lebet in Ewigkeit und durch dessen Willen Tag an Nacht sich im Wechsel reiht!
DIE GESCHICHTE VON 'ABDALLAH.
DEM LANDBEWOHNER.
UND 'ABDALLAH. DEM MEERMANN
Es war einmal ein Fischersmann, 'Abdallâh geheißen; der hatte eine große Familie, denn bei ihm waren neun Kinder und deren Mutter. Aber er war arm und besaß nichts als sein Netz. Jeden Tag ging er zum Meere, um zu fischen; und wenn er wenig gefangen hatte, so verkaufte er es und verwandte den Erlös für seine Kinder je nach Maßgabe dessen, was Allah ihm beschert hatte; fing er aber viel, so kochte er ein gutes Gericht und holte Früchte. Dann gab er so lange Geld aus, bis ihm nichts mehr übrig blieb; und er pflegte darauf bei sich zu sprechen: ,Das Brot für morgen kommt morgen!' Als seine Frau ihm noch ein Kind schenkte, waren es ihrer zehn; und gerade an jenem Tage mußte es sein, daß der Mann ganz und gar nichts besaß. Die Frau sprach zu ihm: ,Mein Gebieter, schau doch für mich nach etwas, von dem ich mich nähren kann!' Er gab ihr zur Antwort: ,Ich will noch heute, auf den Segen Allahs des Erhabenen hin, zum Meere gehen, für das Glück dieses Neugeborenen, auf daß wir sehen, ob das Geschick ihm günstig ist.' Darauf sagte sie zu ihm: ,Setze dein Vertrauen auf Allah!' So nahm er denn das Netz und begab sich zum Meere. Dann warf er es aus für das Glück jenes kleinen Kindleins, indem er sprach: ,O Gott, laß den Lebensunterhalt leicht für ihn werden und ohne Beschwerden, reichlich und nicht kärglich!' Nachdem er eine Weile gewartet hatte, zog er es hoch; und es kam hoch, voll von Abfall, Sand, Kieseln und Tang, aber von Fischen konnte er nichts darin entdecken, weder viel noch wenig. Dann warf er es ein zweites Mal aus und wartete; doch
als er es herauszog, fand er wieder keine Fische darin. Und von neuem warf er es aus, ein drittes, ein viertes und ein fünftes Mal; dennoch kam kein Fisch in ihm hoch. Da ging er an eine andere Stelle und flehte zu Allah dem Erhabenen um sein täglich Brot. Unaufhörlich mühte er sich so, bis der Tag sich neigte; aber er fing auch nicht einmal ein kleines Fischlein. Da wunderte er sich in seiner Seele und sprach: ,Hat Allah denn dies Neugeborene ohne sein täglich Brot erschaffen? Das ist doch ganz unmöglich! Denn Er, der den Menschen mit dem Spalt des Mundes vollendet, hat sich auch für seine Speise verpfändet; und Allah der Erhabene ist der Allgütige, derdie Nahrung spendet.' Alsdann lud er sein Netz auf und kehrte heim, gebrochenen Mutes und das Herz voll von Sorgen um die Seinen, daß er sie ohne Speise lassen mußte, zumal da seine Frau im Kindbett lag. So zog er seines Weges weiter, indem er bei sich selber sprach: ,Was soll ich nur tun? Was soll ich heute abend den Kindern sagen?' Wie er aber zu dem Ofen eines Bäckers gelangte, sah er dort ein Gedränge; denn es war eine Zeit der Teuerung, und in jenen Tagen ward nur wenig Nahrung bei den Menschen gefunden; die Leute hielten dem Bäcker das Geld hin, aber er achtete ihrer nicht, weil das Gedränge so groß war. Der Fischer blieb dort stehen und schaute zu; und als er den Duft des warmen Brotes roch, gelüstete es seine Seele danach, weil ihn hungerte. Da erblickte ihn der Bäcker, und er rief ihm zu: ,Komm her, Fischer!' Als der zu ihm herangetreten war, fragte er ihn: ,Willst du Brot?' Doch der Fischer schwieg. Dann fuhr der Bäcker fort: ,Sprich nur, scheue dich nicht; denn Allah ist gütig! Wenn du kein Geld bei dir hast, so will ich dir Brot geben und warten, bis es dir wieder gut geht.' ,Bei Allah,' erwiderte der Fischer, ,Meister, ich habe kein Geld; doch gib mir Brot genug für die Meinen, und ich will dies Netz als Pfand bis morgen bei dir lassen.' Da sagte der Bäcker: ,Armer Kerl, dies Netz ist dein Laden und das Tor zu deinem täglichen Brot. Wenn du es verpfändest, womit willst du fischen? Sage mir nur, wieviel dir genügt!' ,Für zehn Para', antwortete der Fischer; und da gab der Bäcker ihm Brot für zehn Para und reichte ihm auch noch zehn Para hin, indem er zu ihm sprach: ,Nimm diese zehn Parastücke und koche dir dafür ein Gericht Fleisch; dann bist du mir zwanzig Para schuldig. Morgen kannst du mir Fische dafür bringen. Wenn du aber nichts fängst, so komm und hoi dir dein Brot und deine zehn Para; ich will gern warten, bis das Glück wieder zu dir kommt!' — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 941. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Bäcker zum Fischer sprach: ,Nimm, was du brauchst; ich will gern warten, bis das Glück wieder zu dir kommt. Dann bringe mir Fische für alles, was ich von dir zu fordern habe! 'Da sagte der Fischer: ,Allah der Allmächtige lohne es dir und vergelte dir an meiner Statt mit allem Guten!' Darauf nahm er das Brot und die zehn Parastücke und ging freudigen Herzens von dannen; nachdem er gekauft hatte, was ihm erreichbar war, trat er zu seiner Frau ein, und er sah, wie sie dasaß und die Kinder tröstete, die vor Hunger weinten, indem sie zu ihnen sprach: ,Gleich bringt euer Vater euch etwas zum Essen!' Als er nun wirklich bei ihnen war, legte er das Brot vor sie hin, und sie aßen, während er seiner Frau erzählte, wie es ihm ergangen war; und sie sprach: ,Allah ist gütig!' Am nächsten Tage lud er sein Netz wieder auf und ging aus seinem Hause, indem er sprach: ,Ich flehe dich an, o Herr, gewähre mir heute so viel, daß ich mit
reinem Gesicht vor dem Bäcker dastehe!' Als er zum Meere kam, warf er das Netz aus und zog es wieder ein; aber es kam kein Fisch darin hoch. Wiederum mühte er sich unablässig, bis der Tag zur Rüste ging, ohne daß er etwas gefangen hätte. Voll schweren Kummers kehrte er heim; und da der Weg zu seinem Hause an dem Ofen des Bäckers vorbeiführte, so sprach er bei sich selber: ,Wie soll ich nun zu meinem Hause gehen? Ich will doch meinen Schritt beeilen, damit der Bäcker mich nicht sieht!' Als er dann zum Ofen des Bäckers kam, sah er dort wieder ein Gedränge, und er beeilte seinen Gang aus Scheu vor dem Bäcker, auf daß der ihn nicht sähe. Aber der Bäcker hob seinen Blick zu ihm auf und rief: ,Du, Fischer, komm her, hol dir dein Brot und dein Geld. Du hast es wohl vergessen!' ,Nein, bei Allah,' erwiderte jener, ,ich hab es nicht vergessen; ich schämte mich nur vor dir, weil ich auch heute keine Fische gefangen habe.' Doch der Bäcker fuhr fort: ,Schäme dich nicht! Habe ich dir nicht gesagt, daß es Zeit für dich hat, bis das Glück wieder zu dir kommt?' Darauf gab er ihm das Brot und die zehn Para; und der Fischer ging zu seiner Frau und berichtete ihr das Geschehene. Sie sagte darauf: ,Allah ist gütig! So Gott der Erhabene will, wird das Glück wieder bei dir einkehren, und du kannst ihm deine Schuld bezahlen.' Vierzig Tagelang ging es so weiter; jeden Tag zog er zum Meere von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und mußte ohne Fische heimkehren; und immer holte er Brot und Geld von dem Bäcker, ohne daß der je einmal von den Fischen zu ihm sprach oder ihn warten ließ wie die anderen Leute, sondern er gab ihm stets die zehn Para und das Brot. Sooft der Fischer zu ihm sprach: ,Bruder, rechne ab mit mir!' erwiderte er ihm: ,Geh, dies ist nicht die Zeit zum Abrechnen: wenn das Glück wieder zu dir kommt, will ich mit dir abrechnen!' Dann segnete der Fischer ihn und verließ ihn, indem er ihm dankte. Am einundvierzigsten Tage nun sprach er zu seiner Frau: ,Ich will dies Netz zerreißen und vor diesem Leben Ruhe haben!' ,Weshalb denn?' fragte sie; und er gab ihr zur Antwort: ,Es scheint, als ob mein Lebensunterhalt nicht mehr aus dem Meere kommt. Wie lange soll dies Leben noch dauern? Bei Allah, ich vergehe aus Scham vor dem Bäcker; und ich will hinfort nicht zum Meere gehen, damit ich nicht bei seinem Ofen vorbeikomme. Ich habe ja keinen andren Weg als den, der an ihm vorbeiführt; und jedesmal, wenn ich dort vorüberkomme, ruft er mich und gibt mir das Brot und die zehn Parastücke. Wie lange soll ich noch Schulden bei ihm machen?' Da sprach sie zu ihm: ,Preis sei Allah dem Erhabenen, der dir sein Herz geneigt gemacht hat, so daß er dir die Nahrung gibt. Was mißfällt dir daran?' Er entgegnete: ,Jetzt hat er schon eine große Summe von Dirhems von mir zu fordern, und er wird sicherlich verlangen, was ihm gebührt!' ,Hat er dir harte Worte gegeben?' ,Nein; er will sogar nicht mit mir abrechnen und sagt immer: Wenn das Glück wieder zu dir kommt.' ,Wenn er dich mahnen sollte, so sprich du zu ihm: Warte, bis das Glück kommt, auf das wir beide hoffen, ich und du.' ,Und wann kommt endlich das Glück, auf das wir hoffen?' ,Allah ist gütig!' ,Du hast recht', sagte der Fischer, lud sich sein Netz wieder auf und begab sich zum Meere, indem er betete: ,O Herr, gewähre mir etwas, sei es auch nur ein einziger Fisch, damit ich ihn dem Bäcker schenken kann!' Dann warf er das Netz ins Meer; und als er es herausziehen wollte, fand er, daß es schwer war; er mühte sich lange mit ihm ab, bis er ganz ermattet war. Wie er es aber am Lande hatte, entdeckte er darin einen toten Esel, der schon aufgedunsen war und abscheulich stank. Ihm ward ganz übel, und als er das Tier aus dem Netze herausgeholt hatte, sprach er: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen! Ich verzweifle jetzt! Ich sage da zu meiner Frau: ,Aus dem Meere kommt kein Lebensunterhalt mehr für mich; laß mich dies Gewerbe aufgeben!' Und sie antwortet mir: ,Allah ist gütig! Das Glück wird zu dir kommen.' ,Ja, ist denn dieser tote Esel etwa das Glück?' Nun kam wieder schwerer Kummer über ihn, und er begab sich an eine andere Stelle, um dem Geruch des Esels fern zu sein; dort nahm er das Netz und warf es von neuem aus. Nachdem er eine ganze Weile gewartet hatte, zog er daran und fühlte, daß es schwer war, und er mühte sich so lange damit ab, bis ihm das Blut aus den Händen rieselte. Als er es schließlich am Lande hatte, entdeckte er darin ein menschliches Wesen, und er vermeinte, daß es einer von den Dämonen des Herrn Salomo sei, die er in kupferne Flaschen zu sperren und ins Meer zu werfen pflegte, und daß die Flasche im langen Laufe der Jahre zerbrochen und jener Dämon aus ihr herausgekrochen und in das Netz geraten sei. Deshalb floh er vor ihm und schrie: ,Gnade! Gnade! O Dämon Salomos!' Doch jenes Menschenwesen rief ihm aus dem Netze zu: ,Komm her, Fischer, und flieh nicht vor mir; denn ich bin ein Mensch wie du! Befreie mich, auf daß du himmlischen Lohn dafür empfangest!' Wie der Fischer seine Worte vernahm, beruhigte sich sein Herz, und er trat zu ihm hin und fragte ihn: ,Bist du denn nicht ein Dämon aus der Geisterwelt?' ,Nein,' erwiderte jener, ,ich bin ein Mensch, der an Allah und Seinen Gesandten glaubt.' Und als der Fischer ihn fragte: ,Wer hat dich ins Meer geworfen?' fuhr er fort: ,Ich gehöre zu den Kindern des Meeres, und ich wandelte gerade umher, als du das Netz über mich warfst. Wir sind ein Volk, das den Befehlen Allahs gehorcht, und wir sind gütig gegen die Geschöpfe Allahs des Erhabenen. Wenn ich mich nicht fürchtete und mich nicht scheute, zu den Ungehorsamen zu gehören, so hätte ich dein Netz zerrissen; aber ich fügte mich in das, was Allah mir vorherbestimmt hat. Und du wirst, so du mich befreist, mein Gebieter; denn ich bin dein Gefangener. Willst du mich nun freilassen im Begehren nach dem Antlitze Allahs des Erhabenen und einen Bund mit mir schließen und mein Freund werden? Dann will ich jeden Tag an dieser Stätte zu dir kommen; und wenn du mich besuchst, so bringe mir ein Geschenk mit von den Früchten des Landes. Denn bei euch gibt es Trauben und Feigen, Wassermelonen und Pfirsiche, Granatäpfel und dergleichen mehr; alles, was du mir bringst, soll mir von dir willkommen sein. Wir aber haben Korallen und Perlen, Chrysolithe und Smaragde, Rubinen und andere Edelsteine, und ich will dir den Korb, in dem du mir die Früchte bringst, mit Juwelen von den Edelsteinen des Meeres füllen. Was sagst du zu diesem Vorschlag, mein Bruder?' Der Fischer gab ihm zur Antwort: ,Die Fâtiha sei zwischen mir und dir auf diesen Vorschlag!' Da sprachen sie alle beide die Fâtiha, und der Fischer befreite ihn aus dem Netze. Nun fragte er den Mann: ,Wie heißest du?' Und jener erwiderte: ,Ich heiße 'Abdallâh der Meermann; und wenn du an diese Stätte kommst und mich nicht siehst, so ruf und sprich: ,Wo bist du, o 'Abdallâh, o Meermann?' Dann werde ich sofort bei dir sein!' — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 942. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh der Meermann zu dem Fischer sprach: ,Wenn du an diese Stätte kommst und mich nicht siehst, so ruf und sprich: ,Wo bist du, o 'Abdallâh, o Meermann?' Dann werde ich sofort bei dir sein.
Du aber, wie heißest du:' Der Fischer antwortete: ,Ich heiße 'Abdallâh!' Und der andere fuhr fort: ,So bist du denn 'Abdallâh der Landbewohner, und ich bin 'Abdallâh der Meermann. Warte du hier, bis ich wiederkomme und dir ein Geschenk bringe!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Fischer, während 'Abdallâh der Meermann im Wasser verschwand. Schon bereute 'Abdallâh der Landbewohner, daß er jenen aus dem Netz befreit hatte; denn er sagte sich: ,Woher soll ich wissen, daß er zu mir zurückkehrte Vielleicht hat er mich nur zum besten gehabt, damit ich ihn losließ. Hätte ich ihn festgehalten, so hätte ich ihn vor dem Volke in der Stadt zur Schau stellen können; dann hätte ich für ihn Geld von jedermann eingenommen und hätte ihn auch in die Häuser der Vornehmen führen können.' So bereute er, daß er ihn freigelassen hatte, und sagte zu sich selber: ,Dein Fang entschwand aus deiner Hand!' Während er noch darüber klagte, daß jener seiner Hand entwischt sei, kehrte plötzlich 'Abdallâh der Meermann zu ihm zurück, die Hände voll von Perlen und Korallen, Smaragden, Rubinen und anderen Edelsteinen, und er sprach zu ihm: ,Nimm hin, mein Bruder, und sei mir nicht böse! Ich hatte keinen Korb bei mir; sonst hätte ich ihn für dich gefüllt.' Darüber war 'Abdallâh der Landbewohner erfreut, und er nahm die Edelsteine von dem Meermanne hin; der aber sprach zu ihm: ,Komm jeden Tag vor Sonnenaufgang an diese Stätte!' nahm Abschied von ihm, wandte sich und verschwand im Meere. Der Fischer nun eilte voller Freuden in die Stadt zurück und hielt nicht eher an, als bis er zudem Ofen des Bäckers kam und zu ihm sprach: ,Mein Bruder, jetzt ist das Glück zu uns gekommen; drum rechne mit mir ab!' Der Bäcker antwortete ihm: ,Es bedarf keiner Abrechnung; wenn du etwas hast, so gib es mir, und wenn du nichts hast, so nimm dein Brot und dein Geld und geh, bis das Glück bei dir einkehrt!' Doch der Fischer fuhr fort: ,Mein Freund, das Glück ist ja bei mir eingekehrt durch die Güte Allahs. Du hast jetzt eine große Summe von mir zu fordern; nimm doch dies hier!' Und er nahm für ihn eine Handvoll von Perlen und Korallen, Rubinen und anderen Edelsteinen: und diese Handvoll, die von dem, was er bei sich hatte, die Hälfte ausmachte, gab er dein Bäcker, indem er zu ihm sprach: ,Gib mir etwas Bargeld, das ich heute ausgeben kann, bis ich diese Edelsteine verkauft habe!' Da gab der Bäcker ihm alles, was er an Geld besaß, sowie auch alles Brot in dem Korbe, den er bei sich hatte; er freute sich über jene Edelsteine und sprach zu dem Fischer: ,Ich bin dein Knecht und dein Diener!' Dann hob er sich alles Brot, das er dort hatte, auf den Kopf und schritt hinter dem Fischer her bis nach Hause; dort gab er es dessen Frau und Kindern, ging alsbald zum Markte und kehrte mit Fleisch und Gemüse und allen Arten von Früchten zurück. Auch verließ er den Ofen und blieb jenen ganzen Tag über bei 'Abdallâh dem Landbewohner, indem er sich mühte, ihm zu dienen, und alles besorgte, dessen er bedurfte. Da sprach der Fischer zu ihm: ,Bruder, du hast dich selber ermüdet.' Dochder Bäcker antwortete: ,Das ist meine Pflicht; denn ich bin dein Diener geworden, und du hast mich mit deiner Güte überhäuft.' Der Fischer aber sagte: ,Du warst mein Wohltäter in der Zeit der Not und der Teuerung.' Jene Nacht über blieb er bei ihm, nachdem sie gut gespeist hatten; und so wurde der Bäcker dem Fischer ein Freund. Der berichtete nun seiner Frau, wie es ihm mit 'Abdallâh dem Meermanne ergangen war; und sie sprach zu ihm: ,Bewahre dein Geheimnis, damit die Obrigkeit nicht über dich herfällt!' Er gab ihr zur Antwort: ,Wenn ich mein Geheimnis auch vor allen Leuten bewahre, so will ich es dem Bäcker doch nicht vorenthalten.' Am nächsten Tage machte er sich früh auf, nachdem er noch am Abend vorher einen Korb mit Früchten aller Art gefüllt hatte; den lud er sich vor Sonnenaufgang auf, begab sich zur Meeresküste und setzte ihn am Ufer nieder. Dann rief er: ,Wo bist du, o 'Abdallâh, o Meermann?' Alsbald erschien jener und sprach zu ihm: ,Zu deinen Diensten!' Und wie er aus dem Meere an Land gekommen war, brachte der Fischer ihm die Früchte; der Meermann lud sie auf, ging damit zum Wasser hinab und tauchte wieder unter. Nachdem er eine Weile fortgeblieben war, kehrte er zurück mit dem Korbe, der nun voll von allerlei Edelsteinen und Juwelen war. 'Abdallah der Landbewohner lud ihn sich auf den Kopf und ging damit fort. Als er zum Ofen des Bäckers kam, sprach der zu ihm: ,Lieber Herr, ich habe dir vierzig Semmeln gebacken und in dein Haus geschickt; jetzt backe ich dir noch Feinbrot, und wenn es fertig ist, will ich es dir nach Hause bringen, und dann will ich gehen, um Gemüse und Fleisch für dich zu holen.' Da griff der Fischer drei Händevoll aus seinem Korbe heraus, reichte sie ihm und begab sich nach Hause; dort setzte er den Korb nieder. Dann nahm er von jeder Art einen kostbaren Edelstein, ging zum Basar der Juweliere und blieb vor dem Laden des Basarscheichs stehen und sprach zu ihm: ,Kaufe mir diese Edelsteine ab!' ,Zeig sie mir!' sprach jener; und der Fischer zeigte sie ihm. Nun fragte der Scheich: ,Hast du noch andere als diese?' Der Fischer antwortete: ,Ich habe zu Hause einen ganzen Korb voll.' ,Wo ist dein Haus?' fragte der Scheich darauf: und 'Abdallâh erwiderte: ,In dem und dem Stadtviertel.' Der Scheich nahm ihm die Edelsteine ab; doch dann rief er plötzlich seinen Dienern zu: ,Haltet ihn fest, denn er ist der Dieb, der die Sachen der Königin, der Gemahlin des Sultans, gestohlen hat!' Ferner befahl er ihnen, den Fischer zu schlagen; und nachdem sie ihn geschlagen hatten, fesselten sie ihn. Darauf machte der Scheich sich mit allen Leuten des Basars der Juweliere auf den Weg, und sie schrieen: ,Wir haben den Dieb gefaßt!' Einer hub an: ,Niemand anders hat die Waren von Demunddem gestohlen als dieser Schurke.' Und ein anderer sagte: ,Alles, was im Hause Desunddes war, das hat auch nur er gestohlen.' So sagte der eine dies und der andere das in einem fort, während der Fischer schwieg und an keinen eine Antwort verschwendete, noch auch sich mit Worten an jemanden wendete, bis man ihn vor den König gebracht hatte. Dort hub der Scheich an: ,O größter König unserer Zeit, als das Halsband der Königin gestohlen war, sandtest du und ließest es uns melden und verlangtest von uns die Entdeckung des Schuldigen. Nun habe ich mir mehr Mühe gegeben als alles Volk, und ich habe dir den Schuldigen entdeckt. Da steht er vor dir! Und diese Juwelen haben wir ihm aus der Hand genommen.' Der König befahl dem Eunuchen: ,Nimm diese Edelsteine, zeige sie der Königin und frage sie: Sind dies deine Schmuckstücke, die dir verloren gegangen sind?' Da nahm der Eunuch die juwelen und trug sie zur Königin hinein; doch als sie die erblickte, ward sie darüber erstaunt und ließ dem König sagen: ,Ich habe mein Halsband in meinem Gemach gefunden; dies ist nicht mein Eigentum. Auch sind diese Juwelen noch schöner als die Edelsteine meines Halsbandes. Drum tu dem Manne kein Unrecht!' — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 943. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Gemahlin jenes Königs ihm sagen ließ: ,Dies ist nicht mein Eigentum. Auch sind diese Juwelen noch schöner als die Edelsteine meines Halsbandes.
Drum tu dem Manne kein Unrecht! Wenn er sie verkaufen will, so kaufe sie von ihm für deine Tochter Umm es-Su'ûd, auf daß wir sie ihr in ein Halsband fassen lassen.' Als der Eunuch zurückgekehrt war und dem König die Worte der Königin gemeldet hatte, verfluchte dieser den Scheich der Juweliere samt seiner Gesellschaft mit dem Fluche von 'Âd und Thamûd.' Da sprachen sie: ,O größter König unserer Zeit, wir wußten nur, daß dieser Mann ein armer Fischer war. und erachteten dies als zu viel für ilm und glaubten, er hätte es gestohlen.' Doch der König rief: ,Ihr Schurken, mißgönnt ihr einem Gläubigen sein Glück? Warum habt ihr ihn nicht gefragt? Vielleicht hat Allah der Erhabene sie ihm aus einer Quelle beschert, auf die er nicht rechnen konnte. Wie könnt ihr ihn zum Diebe machen und ihn vor aller Welt entehren? Hinaus mit euch, und Allah möge euch nicht segnen!' Da gingen sie voll Angst von dannen; und nun genug von ihnen!Sehen wir aber, was der König weiter tat! Er sprach: ,Mann, Allah segne dich in allem, was er dir verliehen hat! Ich gewähre dir Sicherheit: sag mir also die Wahrheit, woher hast du diese Juwelen? Denn ich bin ein König, und bei mir finden sich nicht ihresgleichen.' Der Fischer gab zur Antwort: ,O größter König unserer Zeit, ich habe einen ganzen Korb voll von ihnen; und das kam soundso.' Und er berichtete ihm von seiner Freundschaft mit 'Abdallah dem Meermanne, indem er mit den Worten schloß: ,Zwischen mir und ihm besteht ein Bund, daß ich ihm jeden Tag den Korb mit Früchten fülle, und daß er ihn mir voll von diesen Edelsteinen bringt.' Da sagte der
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 944. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß jener König seinen Eidam 'Abdallah den Landbewohner als Wesir zur Rechten einsetzte, 'Abdallâh den Bäcker aber als Wesir zur Linken. Hinfort lebte 'Abdallâh ein volles Jahr in dieser Weise dahin, indem er an jedem Tage den Korb, der mit Früchten gefüllt war, mitnahm und ihn voller Juwelen und Edelsteine heimbrachte. Als aber die Früchte in den Gärten zur Neige gegangen waren, nahm er Zibeben und Mandeln, Haselnüsse und Walnüsse, trockene Feigen und dergleichen mehr. Alles, was er ihm mitbrachte, nahm der Meermann von ihm hin, und wie immer gab er ihm den Korb voll von Edelsteinen zurück. Eines Tages aber, als 'Abdallah der Landbewohner wie gewöhnlich den Korb voll trockener Früchte gebracht und der Meermann ihn von ihm hingenommen hatte, begab es sich,
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 945. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, daß 'Abdallâh der Meermann zu 'Abdallâh dem Landbewohner sprach: ,Wenn tausend oder noch mehr von diesen Fischen einen einzigen menschlichen Schrei hörten, so würden sie sofort sterben, keiner von ihnen könnte sich mehr von seiner Stelle rühren.' Da rief 'Abdallâh der Landbewohner: ,Ich setze mein Vertrauen auf Allah', legte die Kleider ab, die er trug, machte eine Grube am Strande des Meeres und verbarg seine Gewänder darin. Dann rieb er seinen Leib vom Scheitel bis zur Sohle mit jener Salbe ein, stieg ins Wasser hinab und tauchte unter; als er dann die Augen öffnete, tat ihm das Wasser keinen Schaden, und er konnte nach rechts und nach links gehen. Er stieg in die Höhe, wenn er wollte, und ließ sich zum Boden hinab, wenn er wollte; und er sah, wie das Meereswasser gleich einem Zeltdach über ihn gespannt war und ihm keinen Schaden tat. Nun fragte 'Abdallâh der Meermann ihn: ,Was siehst du, mein Bruder?' Und er gab ihm zur Antwort: ,Ich sehe nur Gutes, mein Bruder! Du hattest recht mit deinen Worten; denn das Wasser tut mir keinen Schaden.' Als darauf der Meermann zu ihm sprach: ,Folge mir!', folgte er ihm, und die beiden schritten immer weiter von Ort zu Ort, während der Mann vom Lande vor sich zu seiner Rechten und seiner Linken Wasserberge sah und seine
Augenweide an ihnen hatte sowie an den Arten von Fischen, die im Meere spielten, die einen groß und die anderen klein. Unter ihnen waren einige, die wie Büffel aussahen, andere, die Rindern glichen, wieder andere sahen wie Hunde aus und noch andere wie menschliche Wesen. Alle Arten aber, denen die beiden nahe kamen. entflohen, sobald sie 'Abdallâh den Landbewohner erblickten. Da sprach er zum Meermanne: ,Mein Bruder. warum muß ich sehen, daß alle Fische, denen wir uns nähern, vor uns entfliehen?' Jener erwiderte ihm: ,Das tun sie aus Furcht vor dir; denn alle Wesen, die Allah der Erhabene erschaffen hat, fürchten den Menschen.' Immer wieder schaute 'Abdallâh der Landbewohner die Wunder des Meeres an, bis sie zu einem hohen Berge kamen, und während er an jenem Berge entlang schritt, hörte er plötzlich, ehe er sich dessen versah, einen gewaltigen Schrei. Er wandte sich um und sah etwas Schwarzes von jenem Berge auf ihn herunterkommen, das war so groß wie ein Kamel oder noch größer und schrie. Da fragte er seinen Freund: ,Was ist das, mein Bruder?' Und der Meermann gab ihm zur Antwort: ,Das ist der Dandân; er kommt herab auf der Suche nach mir und will mich fressen. Schrei du ihn an, Bruder. ehe er uns erreicht und mich packt und auffrißt!' Sofort schrie 'Abdallâh der Landbewohner ihn an, und siehe da, das Tier sank tot zu Boden; als er den Leichnam sah, rief er: ,Allah sei gepriesen und gelobt! Ich habe den da nicht mit einem Schwerte getroffen noch auch mit einem Messer; wie ist es möglich, daß dies Wesen, das von so gewaltiger Größe ist, meinen Schrei nicht ertragen kann, sondern stirbt?' Doch 'Abdallâh der Meermann sprach zu ihm: ,Wundere dich nicht! Bei Allah, mein Bruder, wenn von dieser Art auch tausend oder gar zweitausend da wären, so würden sie nicht den Schrei eines Menschenkindes ertragen!' Darauf schritten sie weiter zu einer Stadt und sahen, daß deren Volk aus lauter Mädchen bestand, unter denen kein männliches Wesen war. Der Landbewohner fragte: ,Mein Bruder, was für eine Stadt ist dies? Und was für Mädchen sind das?' ,Dies ist die Weiberstadt; denn ihr Volk besteht aus Meerweibern.' ,Gibt es denn keine Männer unter ihnen?' ,Nein!' ,Wie können sie denn empfangen und gebären ohne Männer?' ,Der König des Meeres verbannt sie nach dieser Stadt, und sie empfangen nicht, noch gebären sie. Wenn er irgendeiner von den Töchtern des Meeres zürnt, so schickt er sie in diese Stadt. Dann darf sie nie wieder aus ihr hinausgehen; kommt sie aber dennoch aus ihr heraus, so kann sie von jedem Tiere des Meeres, dem sie begegnet, gefressen werden. Doch in den anderen Städten gibt es Männer und Frauen.' ,Gibt es denn noch andere Städte im Meere als diese?' ,Ja, viele.' ,Herrscht über euch auch ein Sultan im Meere?' ,Jawohl!' ,Ach, mein Bruder, ich habe doch im Meere schon viele Wunder gesehen!' ,Was hast du an Wundern gesehen? Hast du nie das Sprichwort gehört, das da lautet: Der Wunder des Meeres sind mehr als der Wunder des Landes?' ,Du hast recht', erwiderte der Landbewohner und begann, sich nun diese Mädchen anzuschauen; da sah er, daß ihre Gesichter mondengleich waren und daß sie Haare hatten gleich den Haaren menschlicher Frauen; doch Hände und Füße saßen ihnen am Rumpf, und sie hatten Schwänze gleich den Schwänzen von Fischen. Nachdem der Meermann ihm das Volk jener Stadt gezeigt hatte, führte er ihn weiter, indem er vor ihm herging, zu einer anderen Stadt, und 'Abdallah sah, daß sie voll von männlichen und weiblichen Wesen war, die an Gestalt den Meermädchen glichen und auch Schwänze hatten. Es gab bei ihnen weder Verkauf noch Kauf wie bei den Bewohnern des Landes; und sie trugen keine Kleider, sondern waren alle nackt und hatten die Scham unbedeckt. Da sprach der Landbewohner zu seinem Gefährten: ,Mein Bruder. ich sehe, daß die Frauen und die Männer ihre Scham nicht verhüllt haben.' Der Meermann antwortete ihm: ,Das kommt daher, weil die Leute des Meeres keine Kleiderstoffe haben.' Weiter fragte 'Abdallâh: ,Wie machen sie es, wenn sie heiraten?' ,Sie heiraten gar nicht; vielmehr jeder, dem ein weibliches Wesen gefällt, stillt sein Begehr an ihr.' ,Das ist etwas Sündhaftes! Warum freit er denn nicht um sie und gibt ihr eine Brautgabe und richtet ihr ein Hochzeitsfest und heiratet sie, wie es Allah und seinem Gesandten wohlgefällt?' ,Wir sind nicht alle von einem Glauben; unter uns gibt es Muslime, die Gottes Einheit bekennen, und unter uns gibt es Christen, Juden und noch andere. Die aber unter uns, die sich vermählen, sind vornehmlich Muslime.' ,Ihr seid doch nackt, und bei euch gibt es weder Kauf noch Verkauf. Worin besteht dann die Brautgabe für eure Frauen? Gebt ihr ihnen Juwelen und Edelsteine?' Da erzählte ihm der Meermann: ,Juwelen sind für uns nur Steine, die keinen Wert haben. Aber wenn jemand sich vermählen will, so verlangt man von ihm eine bestimmte Menge von Fischen verschiedener Art, die er fangen muß, etwa tausend oder zweitausend, oder auch mehr oder weniger, je nachdem die Vereinbarung darüber zwischen ihm und dem Vater der Braut getroffen wird. Sobald er das Verlangte bringt, versammeln sich die Leute des Bräutigams und die Leute der Braut und verzehren das Hochzeitsmahl; danach führen sie ihn zu seiner Frau ein. Nachher fängt er Fische und gibt sie ihr zu essen; und wenn er das nicht kann, so fängt sie und nährt ihn.' Und weiter fragte der Landbewohner: ,Wenn sie untereinander Ehebruch treiben, was geschieht dann?' ,Wenn das Wesen, das einer solchen Tat überführt wird, eine Frau ist, so wird sie nach der Weiberstadt verbannt; und wenn sie durch Ehebruch schwanger geworden ist, so läßt man sie in Ruhe, bis sie geboren hat; bringt sie eine Tochter zur Welt, so verbannt man sie mit ihr, und die heißt dann immer Dirne, Tochter einer Dirne, und bleibt Jungfrau, bis sie stirbt; wenn das Kind aber ein Knabe ist, so bringen sie es vor den König, den Sultan des Meeres, und der läßt es töten.' 'Abdallâh der Landbewohner wunderte sich darüber; dann führte 'Abdallah der Meermann ihn weiter zu einer anderen Stadt und von dort abermals in eine andere. Immer mehr zeigte er ihm, bis er ihm achtzig Städte gezeigt hatte, und er sah, daß immer in jeder Stadt die Leute anders aussahen als in den übrigen Städten. Nun fragte der Landbewohner den Meermann: ,Mein Bruder, gibt es noch mehr Städte im Meere?' Doch jener erwiderte: ,Was hast du denn schon von den Städten und den Wundern des Meeres gesehen? Beim Propheten, dem Gütigen, dem Barmherzigen und Langmütigen, wenn ich dir auch tausend Jahre lang an jedem Tage tausend Städte zeigte und dich in jeder Stadt tausend Wunder sehen ließe, so hätte ich dir doch noch nicht ein Karat von den vierundzwanzig Karaten der Städte und der Wunder des Meeres gezeigt. Ich habe dich bis jetzt nur in unserem Land und bei unseren Wohnstätten umhergeführt, sonst nirgends.' ,Mein Bruder,' sagte darauf 'Abdallâh, ,da dem so ist, genügt mir, was ich geschaut habe. Mich ekelt davor, noch mehr Fische zu essen; jetzt bin ich schon achtzig Tage bei dir, und immer, morgens und abends, speisest du mich nur mit rohen Fischen, die weder gebraten noch gekocht sind!' ,Was heißt gekocht und gebraten?' ,Wir braten die Fische über dem Feuer, und wir kochen sie im Wasser und bereiten sie auf mancherlei Weise und machen viele Gerichte daraus.' ,Woher sollten wir Feuer bekommen? Wir kennen weder Gebratenes noch Gekochtes noch irgend etwas dergleichen.' ,Wir backen sie auch in Olivenöl und Sesamöl.' ,Woher sollten wir Olivenöl und Sesamöl bekommen hier im Meere? Wir kennen nichts von dem, was du da sagst.' ,Du hast recht; doch, mein Bruder, du hast mir schon viele Städte gezeigt, nur deine eigene Stadt hast du mir noch nicht gezeigt!' ,An meiner eigenen Stadt sind wir schon längst vorübergekommen; sie liegt nahe dem Festlande, von dem wir gekommen sind. Aber ich habe sie liegen lassen und habe dich hierher geführt, weil ich dich durch den Anblick der anderen Städte im Meer erfreuen wollte.' ,Was ich bisher gesehen habe, genügt mir, und ich möchte, daß du mir jetzt deine Stadt zeigst.' ,So sei es!' erwiderte der Meermann, und er führte den Landbewohner zu seiner eigenen Stadt zurück; als sie dort ankamen, sprach er zu ihm: ,Dies ist meine Stadt.' Da erkannte 'Abdallâh der Landbewohner in ihr eine Stadt, die kleiner war als die Städte, die er gesehen hatte; dann ging er in der Stadt weiter, zusammen mit 'Abdallâh dem Meermanne, bis sie zu einer Höhle kamen; dort sagte der Meermann: ,Dies ist mein Haus! Alle Häuser dieser Stadt sind wie dies, große und kleine Höhlen in den Bergen; ebenso sind alle Städte des Meeres von dieser Art. Wenn jemand sich ein Haus bauen will, so geht er zum König und spricht zu ihm: ,Ich will mir an derundder Stätte ein Haus gründen.' Dann schickt der König mit ihm eine Schar von Fischen, die man Schnabelhauer nennt, und setzt als Lohn für sie eine bestimmte Anzahl von Fischen fest; die haben nämlich Schnäbel, mit denen sie das härteste Felsgestein zerbröckeln. Sie kommen also zu dem Berge, den der Hausbauer wünscht, und hauen darin eine Wohnung aus, während der Mann für sie Fische fängt und sie speist, bis die Höhle fertig ist; dann gehen sie fort, und der Besitzer des Hauses schlägt darin seinen Wohnsitz auf. So machen es alle Bewohner des Meeres; nur um Fische handeln sie miteinander und dienen einander, und sie alle sind ja auch selber Fische.' Darauf sprach er zu seinem Freunde: ,Tritt ein!' Und als der eingetreten war, rief' Abdallah der Meermann: ,Heda, Tochter!' Da kam seine Tochter zu ihm; die hatte ein rundes Gesicht, dem Monde gleich, langes Haar, ein schweres Hüftenpaar, Augen von tiefdunklem Schein, einen Leib schmal und fein; doch sie war nackt und hatte einen Schwanz. Als sie 'Abdallâh den Landbewohner bei ihrem Vater erblickte, sprach sie zu ihm: ,Vater, was ist das für ein Ohneschwanz, den du da mitgebracht baste' Er antwortete ihr: ,Liebe Tochter, das ist mein Freund der Landbewohner, von dem ich dir immer die Früchte des Festlandes brachte. Komm, begrüße ihn!' Da trat sie vor und begrüßte ihn mit einer Zunge der Gewandtheit und Worten der Beredsamkeit; und ihr Vater sprach zu ihr: ,Hol Speise für unseren Gast, durch dessen Kommen der Segen bei uns eingekehrt ist!' Alsbald brachte sie ihm zwei große Fische, von denen ein jeder so groß wie ein Lamm war, und sprach zu ihm: ,Iß!' Er aß, weil er hungrig war, doch nur mit Widerwillen; denn es ekelte ihn, wieder Fische zu essen, aber sie hatten ja nichts anderes als ihre Fische. Kaum war eine kleine Weile vergangen, da kam auch die Frau des Meermannes 'Abdallâh; die war von schönem Aussehen, und sie hatte zwei Knaben bei sich, von denen ein jeder einen jungen Fisch in der Hand hielt, an dem er kaute wie ein Mensch an einer Gurke. Als sie 'Abdallâh den Landbewohner bei ihrem Gatten sah, sprach sie: ,Was ist das für ein Ohneschwanze?' Und nun liefen die beiden Knaben und ihre Schwester und ihre Mutter hin und schauten 'Abdallâh den Landbewohner von hinten an und 211 riefen: ,Ja, bei Allah, er hat keinen Schwanz!' Als sic ihn aber auslachten, sprach er zu dem Meermanne: ,Bruder, hast du mich hierher geführt, um mich zum Gespött für deine Kinder und deine Frau zu machen?' — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 946. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh der Landbewohner zu 'Abdallâh dem Meermanne sprach: ,Hast du mich hierher geführt, um mich zum Gespött für deine Kinder und deine Frau zu machen?' Darauf erwiderte ihm 'Abdallâh der Meermann: ,Verzeihung, lieber Bruder! Leute ohne Schwanz werden sonst nicht bei uns gefunden. Wenn sich aber einmal jemand ohne Schwanz findet, so holt ihn der Sultan, um seinen Scherz mit ihm zu treiben. Doch, mein Bruder, nimm es diesen kleinen Kindern und der Frau nicht übel; denn ihr Verstand ist gering.' Dann schrie er die Seinen an und rief ihnen zu: ,Schweigt!' Und sie fürchteten sich und schwiegen. Er aber fuhr fort, seinen Freund zu beruhigen; doch während er mit ihm redete, kamen plötzlich zehn Gestalten herein, große, kräftige und wuchtige Wesen, und die riefen: ,'Abdallah, es ist dem König berichtet worden, daß du einen Ohneschwanz von den schwanzlosen Landbewohnern bei dir hast.' Darauf erwiderte der Meermann: ,Jawohl; es ist dieser Mann. Er ist mein Freund, der als Gast zu mir gekommen ist, und ich will ihn zum Festlande zurückbringen.' Doch sie fuhren fort: ,Wir können nicht ohne ihn fortgehen; und wenn du etwas zu sagen hast, so steh auf, führe ihn und bringe ihn vor den König; und was du uns sagen willst, das sage dem König!' Da sprach 'Abdallâh der Meermann: ,Lieber Bruder, meine Entschuldigung liegt klar zutage; es ist uns unmöglich, dem
König zuwider zu handelt. Geh nur mit mir zum König! Ich werde dafür sorgen, daß du von ihm befreit wirst, so Gott will. Fürchte dich nicht: denn wenn er dich sieht, so erkennt er, daß du zu den Kindern des Festlandes gehörst; und wenn er weiß, daß du ein Landbewohner bist, so wird er dich sicherlich ehren und dich zum Festlande zurücksenden!' Darauf erwiderte 'Abdallâh der Landbewohner: ,Du hast ja zu entscheiden; so will ich denn mein Vertrauen auf Allah setzen und mit dir gehen.' Also nahm der Meermann ihn mit und führte ihn, bis er vor dem König stand. Sobald der König ihn erblickte, lachte er über ihn und rief: ,Willkommen, Ohneschwanz!' Und auch alle, die den König umgaben, lachten über ihn und riefen: ,Ja, bei Allah, er hat keinen Schwanz!' Doch nun trat 'Abdallah der Meermann vor den König und meldete ihm, es um den Landbewohner stand, indem er sprach: ,Dieser gehört zu den Kindern des Festlandes; er ist mein Freund, und er kann nicht unter uns leben, da er die Fische nur gebraten und gekocht essen mag. Deshalb wünsche ich, du möchtest mir erlauben, daß ich ihn zum Lande zurückbringe.' Der König antwortete: ,Da es so steht und er nicht unter uns leben kann, so erlaube ich dir, daß du ihn nach der Bewirtung zu seiner Stätte zurückbringst'; und er fügte alsbald hinzu: ,Bringt ihm das Gastmahl!' Da brachte man ihm Fische von mancherlei Art und Gestalt; und er aß, gehorsam dem Befehle des Königs. Darauf sprach zu ihm der König: ,Erbitte dir eine Gnade von mir!' Und 'Abdallâh der Landbewohner sagte: ,Ich erbitte von dir die Gnade, daß du mir Juwelen gebest.' Nun befahl der König: ,Führt ihn ins Juwelenhaus und laßt ihn dort auswählen, was er begehrt!' So führte sein Freund ihn denn in das Juwelenhaus, und er las auf, soviel er wollte. Darauf brachte der Meermann ihn in seine Stadt zurück und holte für ihn einen Beutel heraus; dann sagte er zu ihm: ,Nimm dies Pfand und bring es zum Grabe des Propheten -Allah segne ihn und gebe ihm Heil!' Jener nahm den Beute!, ohne zu wissen, was darin war. Schließlich ging der Meermann mit ihm fort, um ihn ans Land zu bringen; unterwegs aber vernahm 'Abdallah der Landbewohner Gesang und Freudenrufe und sah, wie ein Tisch mit Fischen bedeckt war, während die Leute aßen und sangen und in heller Festesfreude waren. Da sprach er zu 'Abdallâh dem Meermanne: ,Warum sind die Leute in so großer Freude? Ist bei ihnen eine Hochzeit?' Jener gab zur Antwort: ,Es ist keine Hochzeit bei ihnen; nein, es ist einer bei ihnen gestorben.' Als nun der Landbewohner fragte: ,Freut ihr euch denn, wenn einer von euch stirbt, und singt und esset?' fuhr der andere fort: ,Jawohl; und ihr, ihr Leute vom Lande, was tut ihr denn?' Der Landbewohner sprach: ,Wenn bei uns einer stirbt, so trauern wir um ihn und weinen; und die Frauen schlagen sich ins Antlitz und zerreißen die Busen ihrer Kleider aus Trauer um den Toten.' Da starrte 'Abdallâh der Meermann den Landbewohner 'Abdallâh mit weiten Augen an und sprach zu ihm: ,Gib mir das Pfand wieder!' Der gab es ihm. Dann führte jener den Gefährten ans Land und sprach zu ihm: ,Ich zerreiße das Band der Freundschaft und Liebe zu dir! Von diesem Tage an wirst du mich nicht wiedersehen, und auch ich werde dich nie mehr schauen.' ,Warum solche Worte?' fragte der Landbewohner; und der Meermann erwiderte: ,Seid ihr nicht, ihr Leute vom Festlande, ein Unterpfand Allahs?' ,Jawohl!' ,Wie kommt es, daß ihr, wenn Allah sein Unterpfand zurücknimmt, nicht froh seid, sondern weint? Wie kann ich dir ein Pfand anvertrauen für den Propheten -Allah segne ihn und gebe ihm Heil -? Wenn euch ein Kind geboren wird, so freut ihr euch, wiewohl Allah die Seele doch nur als Unterpfand hineinlegt; und wenn er es zurücknimmt, wie kann euch das so schwer werden, daß ihr weint und trauerte Wir bedürfen eurer Freundschaft nicht!' Und alsbald verließ er ihn und verschwand im Meere. Darauf legte 'Abdallâh der Landbewohner seine Kleider wieder an, nahm seine Juwelen und begab sich zum König; der empfing ihn voll Sehnsucht und freute sich seiner und sprach zu ihm: ,Wie geht es dir, mein Eidam? Und was ist der Grund deines so langen Fernbleibens von mir?' Da erzählte er ihm seine Geschichte und alles, was er von den Wundern des Meeres gesehen hatte; dem hörte der König voll Staunen zu. Als 'Abdallâh ihm aber berichtete, was der Meermann zuletzt gesagt hatte, sprach der König zu ihm: ,Du hast darin einen Fehler begangen, daß du ihm dies erzähltest.' Noch eine lange Zeit fuhr 'Abdallâh fort zur Meeresküste zu gehen und nach 'Abdallah dem Meermanne zu rufen; doch der gab ihm keine Antwort und kam auch nicht zu ihm. So ließ denn 'Abdallâh der Landbewohner alle Hoffnung auf ihn fahren, und er führte zusammen mit dem König, seinem Schwiegervater, und mit ihrer beider Sippen ein Leben, in dem sie voller Freude wandelten und immer rechtschaffen handelten, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und die Freundesbande zerreißt, und sie alle starben. Preis sei Ihm, der nie dem Tode verfällt, dem Herrn der sichtbaren und unsichtbaren Welt, der über alle Dinge mächtig ist, seinen Dienern Huld gewährt und um sie weiß zu jeglicher Frist!
DIE GESCHICHTE VON ZAIN EL-AS NAM'
Es ist mir berichtet worden, o König, daß einst in der Stadt Basra ein mächtiger Sultan lebte, der sehr reich war; doch er besaß gar keinen Sohn, der sein Erbe hätte werden können. Darum war dieser Sultan in Sorgen; und er begann, Almosen an die Armen und Bedürftigen zu verteilen, desgleichen auch Gaben an die Heiligen und Frommen, indem er nur dies eine durch sie erbat, daß ihm ein Sohn beschert werden möge. Und durch seine Wohltaten an den Armen und Elenden ward ihm sein Wunsch gewährt. Da versammelte er die Sterndeuter allesamt und mit ihnen die Männer, die des Sandzaubers' kundig waren, und sprach zu ihnen: ,Es ist mein Wunsch, daß ihr mir kundtut, ob das Kind, das mir in Bälde geboren werden soll, ein Knabe oder ein Mädchen sein wird, und wie sich sein Leben gestalten wird.' Die Sandzauberer warfen den Sand, und zugleich berechneten die Sterndeuter das Gestirn des Kindes, und dann hüben sie an: ,O größter König unserer Zeit, unseres Jahrhunderts und Zeitalters größter Mann im Herrscherkleid, das Kind, das dir von der Königin geboren werden soll, ist ein Knabe, und es geziemt sich, daß du ihn Zain el-Asnâm' nennst.' Und weiter sprachen die Sandzauberer: ,O größter König unserer Zeit, siehe, dieser Knabe wird ein Held werden; doch Ungemach und Mühsale werden über ihn kommen. Wenn er alles überwindet, was ihm vom Schicksal
Er kam; die Leute riefen: Allah sei gepriesen! Ja, glorreich ist der Herr, der ihm Gestaltung gab. Dies ist der König aller schönen Menschen; Sie alle beugen sich vor seinem Herrscherstab. |
Als er nun - o ihr Zuhörer -fünf Jahre alt war, brachte man ihm einen Lehrer, der in den Wissenschaften erfahren und in der Philosophie und anderen Kenntnissen bewandert war, so daß Zain el-Asnâm nunmehr ein Jüngling ward, der sich auf alle Wissenschaften der feinen Bildung und auf die Philosophie verstand und sogar die Meister seines Zeitalters übertraf. Da geschah es, daß der Sultan, sein Vater, erkrankte; und sein Siechtum war schwer und unheilbar, und er erkannte, daß der Tod ihn schon in seiner Gewalt hatte und daß die Ärzte ihm nichts mehr nützen konnten. So befahl er denn, seinen Sohn Zain el-Asnâm zu ihm zu bringen, und er versammelte auch die Großen seines Reiches und seine Wesire um sich. Darauf begann er seinem Sohne guten Rat und weise Lehren zu erteilen, in dem er zu ihm sprach: ,Mein Sohn, hüte dich davor, dem Armen ein Unrecht zu tun oder ihm kein Gehör zu leihen; verschaffe dem Armen sein Recht vor dem Reichen! Meide es, nur das zu glauben, was dir die Großen deines Reiches sagen; glaube vielmehr den Worten des Volks! Denn jene suchen
dich zu betrügen, auf daß sie erreichen, was ihnen genehm ist; und sie lassen das Wohl des Volkes außer acht!' Dann tat er seinen letzten Atemzug. Sein Sohn Zain el-Asnâm trug nun sechs Tage lang die Kleider der Trauer um seinen Vater; darauf, am siebenten Tage, ging er hin und setzte sich auf den Thron der Herrschaft. Und er berief die Staatsversammlung; das war eine große Menge Volks, und alle traten heran, beglückwünschten ihn zu seiner Thronbesteigung und wünschten ihm Macht und langes Leben. Als Zain el-Asnâm sich nun in solcher Würde sah, kam sein jugendlicher Sinn wieder über ihn, und da er es liebte, Geld auszugeben und zu verschwenden, so gesellte er sich zu Jünglingen seinesgleichen und gab viel Geld aus, während er die Staatsgeschäfte vernachlässigte. Seine Mutter, die Königin, riet ihm von solchem Tun ab und suchte seinen Sinn auf die Verwaltung des Landes zu richten, damit er dem Volke nicht zur Last fiele und das Volk sich nicht wider ihn erhöbe. Doch er wollte nicht auf sie hören, so daß unter den Leuten ein großes Murren entstand ob der Ungerechtigkeit, die ihnen von seiten der Regierung widerfuhr; und sie wollten sich wider den Sultan erheben. Wäre seine Mutter nicht eine kluge Frau und bei dem Volke gar sehr beliebt gewesen. so wären sie damals nicht vor Zain el-Asnâm zurückgewichen. Darauf sprach sie zu ihm: ,Habe ich dir nicht gesagt, daß du dein Leben und dein Reich durch diesen Wandel verlieren wirst? Du hast die Leitung des Reiches in die Hände der jungen Leute gegeben und hast die Alten beiseite gelassen; und du hast dein Gut und das Staatsgut verschleudert.' Da ließ Zain el-Asnâm von seiner Torheit ab und übergab die Leitung des Reiches den alten Männern; dennoch blieb er bei seinem Tun, bis er das Gut des Reiches vertan hatte und ein armer Mann geworden war. Nun begann er zu bereuen, was er getan hatte, und Trauer kam über ihn, so daß er keine Ruhe mehr fand. Während er aber eines Nachts im Schlafe dalag, erschien ihm im Traume ein alter Mann, der sprach zu ihm: ,O Zain el-Asnâm, sei nicht traurig! Denn auf die Trauer folgt stets die Freude; und es gibt keine Not, der die Rettung nicht nahe wäre. Wenn es drum nicht anders möglich ist, so begib dich nach Kairo; dort wirst du Schätze von Reichtümern finden.' Nachdem er sich von seinem Ruhelager erhoben hatte, erzählte er den Traum seiner Mutter; die aber fing an zu lachen. Da sprach er zu ihr: ,Lache nicht! Ich muß jetzt nach Kairo gehen.' Doch sie erwiderte ihm: ,Nicht doch, mein Sohn! Glaube nicht an Träume; denn die sind alle nur trügerische Vorspiegelungen und Einbildungen.' ,Dies ist kein Traum,' sagte er darauf, ,und der mir erschienen ist, der ist kein Mann der Lüge; nein, er ist ein ehrwürdiger Mann, ich glaube, er war der Prophet -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —, der meine Trauer gesehen hat. Darum ist es mir sicher, daß ich nicht unterlassen darf, dorthin zu gehen; denn ich habe Vertrauen zu diesem Manne, und seine Worte sind wahr.' Alsbald entkleidete er sich seiner Herrscherwürde und zog eines Nachts hinaus; und er ritt dahin auf dem Wege nach Kairo, Tag und Nacht, bis er in jene große Stadt kam. Dort ließ er sich in einer der Moscheen nieder, gänzlich ermattet, und nachdem er sich etwas zum Essen gekauft hatte, speiste er davon zu Nacht. Dann legte er sein müdes Haupt nieder und schlief ein. Kaum aber hatte er die Augen geschlossen, so erschien ihm der Alte wieder und sprach zu ihm: ,O Zain el-Asnâm, du hast getan, was ich dir gesagt habe, und hast meinen Worten vertraut. Ich habe dich nur auf die Probe stellen wollen, um zu erfahren, ob du ein Held bist oder nicht. Jetzt habe ich dich erkannt; und nun kehre du in deine Stadt zurück, denn ich will dich zu einem reichen König machen, so reich, wie keiner der Könige vor dir gewesen ist, noch einer nach dir sein wird.' Wie er dann aus seinem Schlafe erwachte, sprach er: ,Im Namen Allahs, des allbarmherzigen Erbarmers! Ist das nicht der Alte, der mir solche Mühe gemacht hat, von dem ich glaubte, er spräche die Wahrheit, und den ich für den Propheten hielt? Doch es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen! Ich habe gut daran getan, daß ich niemanden von meinem Fortgehen unterrichtete, nicht einmal meine Diener; ich habe diesem Alten geglaubt, und jetzt ist es mir klar, daß dieser Mann nicht zu den Menschen gehört, sondern zu denen, die Gott, den Hochgepriesenen, kennen. Er stellt mich heute wahrlich auf die Probe; darum will ich auch in meinem Glauben an diesen Alten nicht wankend werden!' Als es Morgen ward, bestieg er sein Roß und machte sich auf den Heimweg nach Basra, seiner Hauptstadt; und als er seine Stadt erreicht hatte, begab er sich bei Nacht zu seiner Mutter. Die fragte ihn, ob ihm etwas von dem, was der Alte ihm gesagt hatte, zuteil geworden sei; und sie begann ihm Trost zuzusprechen, indem sie sagte: ,Sei nicht traurig, mein lieber Sohn, wenn es dir bestimmt ist, so hat Allah etwas mit dir im Sinne. das du ohne Mühe erreichen wirst! Jetzt bitte ich dich, sei weise und tugendhaft, laß ab von den Dingen, die dich in diese Lage gebracht haben, als da sind Tanz und Gesang, Verschwendung und dergleichen mehr!' Da schwor er ihr, er wolle ihrer Mahnung nicht mehr zuwiderhandeln, sondern alle ihre Lehren wohl beachten und seinen Sinn auf das weise Handeln richten. Und dann ließ er ab von all diesen Dingen, von dem Verkehr mit den jungen Leuten und von all jenen Untugenden. In jener Nacht erschien ihm wiederum der Alte im Traum und sprach zu ihm: ,O Zain el-Asnâm, du tapferster der Helden, wenn du aus dem Schlafe erwachst, werde ich mein Versprechen an dir erfüllen. Nimm du dann eine Hacke und gehe zu demunddem Palast an die und die Stelle am Fuße des Palastes deines Vaters; dort grabe in der Erde, und du wirst finden, was dich reich machen wird!' Sobald er nun aus dem Schlafe erwacht war, eilte er zu seiner Mutter und tat ihr kund, was sich begeben hatte. Er war voller Freude; aber sie lachte ihn aus, und sie sagte zu ihm: ,Mein Sohn, dieser Alte spottet deiner, ganz sicher; laß ab von ihm!' Doch er antwortete ihr und sprach: ,Nein, liebe Mutter, ich glaube, daß dieser Mann die Wahrheit spricht und nicht lügt; das erste Mal hat er mich auf die Probe gestellt, und jetzt will er sein Versprechen erfüllen.' Sie erwiderte ihm: ,Dies macht dir auf alle Fälle keine Mühe; geh nur hin und tue, was du willst; versuche dein Heil, vielleicht wirst du heute meinen Worten glauben!' Da nahm er eine Hacke, ging hinunter zum Fuße des Schlosses des Sultans, seines Vaters, und begann dort zu graben. Nachdem er ein wenig gegraben hatte, entdeckte er einen Ring; dann grub er weiter, und siehe da, der Ring war an einer weißen Platte befestigt. Alsbald hob er die Platte hoch; darauf ging er auf einer Treppe hinunter und erblickte eine große Höhle, die ganz mit Marmor ausgelegt war. Und als er in sie eingetreten war, erblickte er dort weiter im Innern der Höhle einen Saal, und darin befanden sich acht Krüge aus grünem Jaspis. Jener Saal nahm seinen Sinn gefangen, und so sprach er: ,Was mögen diese Krüge enthalten? Was mag in ihnen sein?' Nachdem er die Krüge näher angeschaut und sie aufgedeckt hatte, sah er, daß sie mit lauterem Golde gefüllt waren. Er nahm etwas davon in seine Hand, ging zu seiner Mutter und gab es ihr, indem er zu ihr sprach: ,Siehst du nun, liebe Mutter?' Darüber war sie erstaunt, und sie gab ihm zur Antwort: ,Hüte dich, mein Sohn, dies Geld so auszugeben, wie du dein Gold früher verschwendest hast!' Da schwor er und sprach: ,Liebe Mutter, dein Herz soll um meinetwillen immer beruhigt sein, wahrlich, du wirst in Zukunft immer mit mir zufrieden sein!' Und nun machte sie sich auf und ging mit ihm; sie begaben sich beide hinab in jenen Saal, und da sah sie etwas, das den Blick bezauberte, als sie die Goldkrüge anschaute. Während beide sich die Krüge ansahen, erblickten sie plötzlich in einem kleinen Kruge aus grünem Jaspis einen Schlüssel aus Gold. Da sagte sie zu ihm: ,Mein Sohn, zu diesem Schlüssel gehört sicherlich eine Tür, die durch ihn geöffnet wird.' Und während sie suchte, sprach sie: ,Vielleicht werden wir noch etwas entdecken.' So spähten sie an jener Stätte umher, indem sie sagten: ,Vielleicht finden wir eine Tür.' Unterdessen entdeckten sie plötzlich ein verriegeltes Schloß, und sie erkannten, daß jener Schlüssel zu diesem Schlosse gehörte. Da steckte er den Schlüssel hinein und öffnete die Tür; die führte in einen Saal, der noch größer war als der erste. Er war ganz mit Marmor ausgelegt, und er nahm den Blick gefangen. In ihm sah man kein Feuer und keine Kerze, sondern nur acht Bildsäulen aus Edelsteinen; jede einzelne Bildsäule war aus einem einzigen Edelstein, nichts war hinzugesetzt. Die Sinne der beiden waren ganz verwirrt, und Zain el-Asnâm sprach: ,Woher mögen diese Dinge kommen?' Darauf begann er umher zuschauen und erblickte vor sich' einen seidenen Vorhang, auf dem folgendes geschrieben stand: ,O mein Sohn, wandere dich nicht über diese Dinge! Es ist wahr, ich habe sie mit Mühe erworben; aber es gibt immer noch in der 'Welt eine andere
DIE GESCHICHTE VON DEM NÄCHTLICHEN
ABENTEUER DES KALIFEN'
Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kalif Harûn er-Raschîd eines Nachts immerfort wachen mußte; und als er am Morgen sich erhob, kam Unruhe über ihn. Darum waren auch die Leute seiner Umgebung beunruhigt; denn das Volk folgt gern der Weise des Fürsten: es freut sich sehr, wenn er sich freut, und ist sorgenvoll, wenn er sich sorgt, wiewohl es den Grund nicht kennt, weshalb er so gestimmt ist.
DIE GESCHICHTE DES BLINDEN
BABA ABDULLAH
O mein Herr und Kalif, ich, der niedrigste deiner Sklaven, wurde in Baghdad geboren, und mein Vater und meine Mutter, die bald nacheinander innerhalb weniger Tage starben, hinterließen mir ein Vermögen, so groß, daß es mir für mein ganzes Leben genügt hätte. Doch ich kannte seinen Wert nicht, und in kurzer Zeit hatte ich es in Wohlleben und leichtfertigem Wandel vergeudet; denn ich dachte nicht an Sparsamkeit, noch daran, mein Gut zu vermehren. Als aber nur noch wenig von meinem Vermögen übrig war, bereute ich meinen schlechten Wandel und mühte und plagte mich Tag und Nacht, um den Teil meines Geldes, der mir noch verblieben war, zu vergrößern. Es heißt mit Recht: ,Nach der Verschwendung kommt die Erkenntnis des Wertes.' So brachte ich denn ganz allmählich achtzig Kamele zusammen, die vermietete ich an Kaufleute, und auf diese Weise hatte ich jedesmal, wenn sich Gelegenheit dazu bot, einen beträchtlichen Gewinn; ferner pflegte ich selbst mich mit meinen Tieren zu verdingen, und so durchzog ich alle Länder und Gebiete deiner Hoheit. Kurz, ich hoffte, in Bälde eine überreiche Goldernte einzuheimsen durch das Vermieten meiner Lasttiere.
Einmal nun hatte ich Kaufmannsgüter nach Basra gebracht, die nach Indien verschifft werden sollten, und befand mich
mit meinen unbeladenen Tieren auf dem Rückwege nach Baghdad. Wie ich so heimwärts zog, traf es sich, daß ich über eine Ebene kam, die ausgezeichnete Weidegründe hatte, aber brachlag und fern von jedem Dorfe war. Dort nahm ich den Kamelen die Packsättel ab, legte ihnen Fußfesseln an und band sie zusammen, damit sie die üppigen Kräuter und Büsche abweiden könnten, ohne sich in der Ferne zu verlaufen. Da erschien plötzlich ein Derwisch, der zu Fuß nach Basra zog; und er setzte sich an meiner Seite nieder, um Ruhe nach der Unruhe zu genießen. Ich fragte ihn, woher des Weges er käme und wohin er wandere. Auch er richtete die gleiche Frage an mich, und nachdem wir einander von uns selbst berichtet hatten, holten wir unsere Zehrung hervor und stillten unseren Hunger, indem wir beim Essen über mancherlei Dinge plauderten. Da sagte der Derwisch: ,Ich weiß eine Stelle ganz in der Nähe, die einen Schatz birgt; und dessen Reichtum ist so wunderbar groß, daß dort, wenn du auch deine achtzig Kamele mit den schwersten Lasten von Goldmünzen und kostbaren Edelsteinen aus dem Schatze beladen würdest, dennoch keine Lücke zu sehen wäre.' Als ich diese Worte vernahm, freute ich mich gar sehr; und weil ich aus seiner Miene und Haltung ersah, daß er mich nicht belog, sprang ich sofort auf und fiel ihm um den Hals, indem ich rief: ,O Heiliger Allahs, der du nicht an den Gütern dieser Welt hängst und der du aller irdischen Lust und Pracht entsagt hast, du hast gewißlich genaue Kunde von diesem Schatz; denn heiligen Männern wie dir bleibt nichts verborgen. Ich bitte dich, sage mir, wo er zu finden ist, damit ich meine achtzig Tiere mit Lasten von Goldstücken und Juwelen beladen kann; ich weiß wohl, daß dich nicht nach dem Reichtum dieser Welt gelüstet, aber nimm, ich bitte dich, eins von diesen meinen achtzig Kamelen zum Lohn und Dank für deine Güte!' Also sprach ich mit meiner Zunge, aber in meinem Herzen war ich doch tief bekümmert durch den Gedanken, daß ich eine einzige Kamelslast von Münzen und Edelsteinen verlieren sollte; freilich überlegte ich mir, daß die anderen neunundsiebenzig Kameislasten Reichtümer genug enthalten würden, um mein Herz zu befriedigen. Wie ich nun so im Geist hin und her schwankte, indem ich in einem Augenblick zugestand, im nächsten aber schon wieder Reue empfand, bemerkte der Derwisch meine Habsucht und Gierigkeit und Unersättlichkeit, und er antwortete mir deshalb: ,Nein, mein Bruder, ein einziges Kamel genügt mir nicht dafür, daß ich dir diesen ganzen Schatz zeigen soll. Nur unter der einen Bedingung will ich dir die Stelle zeigen, nämlich der, daß wir beide die Tiere dorthin führen und mit den Schätzen beladen, und daß du dann die eine Hälfte mir gibst und die andere Hälfte für dich behältst. Mit vierzig Kamelen kostbarer Erze und Steine kannst du dir mehr als tausend Kamele kaufen.' Da ich einsah, daß eine Weigerung unmöglich war, rief ich: ,So sei es! Ich nehme deinen Vorschlag an, und ich will tun, wie du es wünschest.' Denn ich hatte die Sache in meinem Herzen erwogen und wußte recht wohl, daß vierzig Kamelslasten Gold und Edelsteine für mich und viele Geschlechter meiner Nachkommen genug sein würden; und ich fürchtete zugleich, ich würde, wenn ich ihm widerspräche, es für immer und ewig zu bereuen haben, daß ich mir einen so großen Schatz aus der Hand schlüpfen ließ. Indem ich also in alles einwilligte, was er sagte, holte ich meine sämtlichen Tiere zusammen und machte mich auf den Weg mit dem frommen Manne. Nachdem wir eine kurze Strecke zurückgelegt hatten, kamen wir in eine Schlucht zwischen zwei schroffen Felswänden, die sich halbmondförmig emportürmten, und der Paß war äußerst schmal, so daß die Tiere gezwungen waren, in einzelner Reihe hintereinander hindurch zu gehen; doch weiterhin wurde der Pfad breiter, und wir konnten ihn ohne Mühe hinabsteigen bis zu dem offenen Tal unter uns. Nirgends war ein menschliches Wesen zu sehen oder zu hören in dieser Einöde, und wir waren daher ungestört und frohen Mutes und fürchteten nichts. Da sagte der Derwisch: ,Laß die Tiere hier und komm mit mir!' Ich tat, wie der Derwisch mir befahl. ließ alle Kamele niederknieen und folgte seinen Spuren. Nachdem wir uns nur eine kurze Strecke von dem Halteplatz entfernt hatten, zog er Feuerstein und Stahl heraus, schlug Feuer damit und zündete einige Reiser an, die er gesammelt hatte; und indem er eine Handvoll von stark duftendem Weihrauch in die Flammen warf, murmelte er Zauberworte. von denen ich gar nichts verstand. Alsbald stieg eine Rauchwolke auf und wirbelte hoch empor, so daß sie die Berge verhüllte; doch gleich darauf, als der Dunst verschwand, sahen wir einen mächtigen Felsen mit einem Pfade, der bis zu seiner senkrechten Wand emporführte. Und dort hatte diese Wand eine offene Tür. durch die mitten in dem Felsen ein herrlicher Palast sichtbar wurde; das war ein Werk der Geister, denn kein Mensch hätte etwas dergleichen zu schaffen vermocht. Nach schwerer Mühsal konnten wir ihn schließlich betreten, und wir fanden in ihm einen unendlich großen Schatz, der in einzelnen Haufen mit genauester Ordnung und Regelmäßigkeit aufgestapelt war. Als ich dort einen Berg von Goldstücken sah, fiel ich über ihn her, wie ein Geier auf seine Beute, das Aas, hinabstürzt, und ich begann nach Herzenslust die Säcke mit goldenen Münzen zu füllen. Die Säcke waren groß, und ich durfte sie nur so weit füllen, wie meine Tiere sie tragen konnten. Auch der Derwisch machte sich in derselben Weise zu schaffen: allein er füllte seine Säcke nur mit Edelsteinen und Juwelen und riet mir derweilen, das gleiche zu tun wie er. So warf ich denn die Goldstücke beiseite und füllte meine Säcke nur mit den kostbarsten Steinen. Als wir unsere Arbeit nach Kräften getan hatten, legten wir die wohlgefüllten Säcke auf die Rücken der Kamele und rüsteten zum Aufbruch; doch ehe wir das Schatzhaus verließen, in dem auch Tausende von goldenen Gefäßen von erlesener Gestalt und Arbeit aufgereiht standen, ging der Derwisch in eine verborgene Kammer und holte aus einem silbernen Schrein ein kleines goldenes Kästchen, das mit einer Salbe gefüllt war; er zeigte es mir und steckte es dann in seine Tasche. Dann warf er wieder Weihrauch ins Feuer und sprach seine Zauberformeln und Beschwörungen; und nun schloß die Tür sich, und der Fels wurde wieder, wie er zuvor gewesen war. Darauf teilten wir die Kamele, er nahm die eine Hälfte und ich die andere; und nachdem wir die enge und düstere Schlucht wiederum in Einzel reihe durchzogen hatten, kamen wir zurück in das offene Land. Dort teilten sich unsere Wege, da er gen Basra zog, ich aber die Richtung nach Baghdad einschlug; und als ich im Begriff stand, ihn zu verlassen. überschüttete ich den Derwisch mit Danksagungen dafür, daß er mir all diese Schätze und Reichtümer im Werte von tausendmal tausend Goldstücken verschafft hatte, und sagte ihm Lebewohl, von tiefster Dankbarkeit erfüllt. Dann umarmten wir uns, und ein jeder zog seiner Wege. Aber kaum hatte ich von dem frommen Manne Abschied genommen und hatte mich mit meinem Kamelzug eine kurze Strecke von ihm entfernt, als der Teufel mich durch Habgier in Versuchung brachte, so daß ich bei mir selber sprach: ,Der Derwisch ist allein in der Welt, ohne Freunde und Anverwandte, und ihm sind alle weltlichen Dinge fremd. Was sollen ihm diese Kameislasten schmutzigen Reichtums nützen? Außerdem, wenn die Sorge um die Kamele noch auf ihm lastet, von dem trügerischen Wesen des Reichtums gar nicht zu reden, so wird er vielleicht seine Gebete und seine Andacht vernachlässigen; deshalb ist es meine Pflicht, einige meiner Tiere ihm wieder abzunehmen.' Kurz entschlossen ließ ich meine Kamele halten, und nachdem ich ihnen die Vorderbeine gefesselt hatte, lief ich dem heiligen Manne nach und rief seinen Namen. Er hörte meine lauten Rufe und wartete sogleich auf mich, und sobald ich ihn erreicht hatte, sprach ich: ,Als ich dich verlassen hatte, kam mir ein Gedanke in den Sinn, nämlich der, daß du ein Einsiedler bist, der sich von allen irdischen Dingen fernhält und reinen Herzens ist und sich nur mit Gebet und Andacht beschäftigt. Nun wird die Sorge um all diese Kamele dir nichts bringen als Mühsal und Qual, Unruhe und Verlust von kostbarer Zeit; es wäre also besser. du gäbest sie zurück und setztest dich nicht der Gefahr dieser Unannehmlichkeiten und Fährlichkeiten aus.' ,Mein Sohn,' erwiderte der Derwisch, ,du sprichst die Wahrheit. Die Pflege all dieser Tiere wird mir nur Kopfschmerzen eintragen; drum nimm so viele von ihnen, wie du wünschest. Ich hatte nicht an die Bürde und Plage gedacht, bis du mich darauf aufmerksam machtest; jetzt aber bin ich davor gewarnt. Möge Allah der Erhabene dich mit Seinem heiligen Schutz behüten!' Demgemäß nahm ich ihm zehn Kamele ab und wollte eben wieder meiner Wege gehen, als mir plötzlich der Gedanke kam: ,Dieser Fromme hat sich nichts daraus gemacht, zehn Kamele herzugeben; drum wäre es besser, wenn ich noch mehr von ihm verlange.' Darauf trat ich näher an ihn heran und sagte: ,Du kannst schwerlich mit dreißig Kamelen fertig werden; gib mir, ich bitte dich, noch zehn andere!' ,Mein Sohn,' gab er zur Antwort, ,tu, was du willst! Nimm dir noch zehn Kamele; für mich werden zwanzig genug sein!' Ich tat nach seinem Geheiß, trieb die zwanzig fort und fügte sie zu meinen vierzig hinzu. Aber der Geist der Habgier nahm mich ganz in Besitz, und ich sann immer mehr darauf, noch weitere zehn Kamele von seinem Anteil zu erhalten; so lenkte ich denn zum dritten Male meine Schritte zu ihm zurück und bat ihn um zehn andere, und wirklich, ich schwatzte ihm diese ab, ja auch sogar die zehn, die noch übrig waren. Der Derwisch gab freudig die letzten seiner Kamele her und rüstete sich zum Aufbruch. nachdem er seine Säume geschüttelt hatte; aber meine verruchte Gier ließ mich immer noch nicht los. Wiewohl ich nun die achtzig Tiere, beladen mit Goldstücken und Juwelen, in meinem Besitz hatte und glücklich und zufrieden hätte heimkehren können mit Reichtümern für achtzig Geschlechter, so führte der Teufel mich noch mehr in Versuchung und reizte mich, auch noch das Kästchen mit Salbe zu gewinnen, von dem ich vermeinte, es enthielte etwas noch Kostbareres als Rubinen. Als ich nun wiederum Abschied genommen und ihn umarmt hatte, blieb ich eine Weile stehen und sprach: ,Was willst du mit dem Salbenkästchen tun, das du zu deinem Teil hinzugenommen hast? Ich bitte dich, gib mir auch das noch.' Der Fromme wollte sich ganz und gar nicht davon trennen, und deshalb gelüstete mich nur um so mehr danach, es zu besitzen; ja, ich beschloß in meinem Geiste, wenn der Heilige es freiwillig hergebe, so solle das schön und gut sein; wenn nicht, so wollte ich es ihm mit Gewalt abnehmen. Sobald er meine Absicht erkannte, zog er das Kästchen aus seiner Brusttasche und reichte es mir mit den Worten: ,Mein Sohn. wenn du wirklich dies Salbenkästchen haben willst, so gebe ich es dir aus freiem Willen; aber zuvor geziemt es sich, daß du die Kraft der Salbe erfährst, die es enthält.' Als ich diese Worte vernahm, sprach ich: ,Sintemal du mir all diese Güte erwiesen hast, so bitte ich dich herzlich, erzähle mir von dieser Salbe und sage mir, welche Eigenschaften sie besitzt!' Da sagte er: ,Die Wunderkräfte dieser Salbe sind über die Maßen merkwürdig und seltsam. Wenn du dein linkes Auge schließest und nur ein klein wenig von dieser Salbe aufs Lid reibst, so werden alle Schätze der Welt, die jetzt deinem Blick verborgen sind, sichtbar werden; wenn du aber ein wenig davon auf dein rechtes Auge reibst, so wirst du alsbald auf beiden Augen stockblind.' Da gedachte ich diese Wundersalbe auf die Probe zu stellen, und ich legte das Kästchen in seine Hand mit den Worten: ,Ich sehe, du verstehst dies Ding aus dem Grunde; darum bitte ich dich jetzt, tu mir mit eigener Hand etwas von der Salbe auf mein linkes Augenlid!' Darauf drückte der Derwisch mein linkes Auge zu und rieb mit seinem Finger ein wenig von der Salbe auf das Lid; als ich es aber wieder aufschlug und umherschaute, sah ich die verborgenen Schätze der Erde in zahllosen Mengen, genau so ,wie der fromme Mann es mir gesagt hatte. Dann schloß ich mein rechtes Auge und bat ihn, auch auf dies Auge ein wenig von der Salbe zu tun. Doch er sagte: ,Mein Sohn, ich habe dich davor gewarnt, daß du auf beiden Augen stockblind wirst, wenn ich die Salbe auf dein rechtes Augenlid reibe. Tue diesen törichten Gedanken weit von dir! Warum solltest du dies Unheil nutzlos über dich bringern' Er sprach wirklich die Wahrheit; aber mein verruchtes Mißgeschick wollte es, daß ich seiner Worte nicht achtete, sondern mir im Geist überlegte: ,Wenn das Bestreichen meines linken Augenlids mit der Salbe schon eine solche Wirkung hervorgerufen hat, so wird sicherlich der Erfolg noch viel wunderbarer sein, sobald sie auf das rechte Auge gegeben wird. Dieser Bursche hintergeht mich und verbirgt mir die Wahrheit des Ganzen.' Nachdem ich in meinem Sinne diesen Entschluß gefaßt hatte, lachte ich und sprach zu dem Heiligen: ,Du täuschest mich in der Absicht, daß ich von dem Geheimnis keinen Nutzen haben soll; denn das Bestreichen des rechten Augenlids mit der Salbe birgt eine noch größere Kraft in sich, als wenn man sie auf das linke Augenlid tut, und du willst mir die Sache verheimlichen. Es ist doch nicht möglich, daß dieselbe Salbe so gegensätzliche Eigenschaften, so verschiedenartige Kräfte hat.' Darauf erwiderte der andere: ,Allah der Erhabene ist mein Zeuge, daß die Wunderkräfte der Salbe keine anderen sind als diese, von denen ich dir gesagt habe! Mein lieber Freund, habe Vertrauen zu mir; denn ich habe dir nur gesagt, was die reine Wahrheit ist!' Dennoch wollte ich seinen Worten nicht glauben, da ich dachte, er täusche mich und halte die Hauptkraft der Salbe vor mir geheim. Von diesem törichten Gedanken erfüllt, drängte ich ihn also in stürmischer Weise und bat ihn, die Salbe auf mein rechtes Augenlid zu streichen; er weigerte sich aber immer noch und sprach: ,Du siehst doch, wieviel Gunst ich dir erwiesen habe; wie könnte ich dir nun ein so arges Unheil antun? Wisse, es ist sicher, daß es dir lebenslanges Leid und Elend bringen würde; und ich bitte dich flehentlich, bei Allah dem Erhabenen, gib diese deine Absicht auf und glaube meinen Worten!' Allein, je mehr er sich weigerte, desto hartnäckiger ward ich; und schließlich schwor ich einen Eid bei Allah, indem ich rief: ,O Derwisch, alles, was ich von dir erbeten habe, das hast du mir freiwillig gegeben; und jetzt habe ich nur noch diese eine Bitte an dich. Um Allahs willen, widersprich mir nicht, gewähre mir diese letzte deiner Wohltaten; und was mir auch widerfahren mag, ich will dich nicht dafür verantwortlich machen. Laß das Geschick entscheiden, zum Guten oder zum Schlimmen!' Als nun der Heilige sah, daß seine Weigerung nichts fruchtete und daß ich ihn mit äußerster Beharrlichkeit drängte, tat er ein ganz klein wenig von der Salbe auf mein rechtes Lid, und als ich meine Augen weit öffnete, da waren beide wirklich stockblind! Nichts konnte ich sehen wegen der schwarzen Dunkelheit, die vor ihnen lag, und seit jenem Tage bin ich ohne Augenlicht und hilflos, wie du mich antrafst. Als ich erkannte, daß ich geblendet war, rief ich: ,O du Unglücksderwisch, was du vorausgesagt hast, ist jetzt eingetroffen!' Und ich begann ihm zu fluchen, indem ich rief: ,Wollte der Himmel, du hättest mich nie zu dem Schatz geführt und mir nie solchen Reichtum gegeben! Was nützt mir nun all dies Gold und Edelgestein? Nimm deine vierzig Kamele zurück und mache mich wieder sehend!' Doch er gab zur Antwort: ,Was habe ich dir Böses getan? Ich habe dir mehr Wohltaten erwiesen, als je ein Mensch einem anderen hat zuteil werden lassen. Du wolltest nicht auf meinen Rat hören, sondern verhärtetest dein Herz und wolltest in deiner Gier alle diese Reichtümer gewinnen und auch noch die verborgenen Schätze der Erde erspähen. Du wolltest dich mit dem, was du hattest, nicht zufrieden geben, und du zweifeltest an meinen Worten, da du dachtest, ich hintergehe dich. Dein Geschick ist ganz hoffnungslos, denn du wirst dein Augenlicht nie und nimmer wiedergewinnen.' Darauf sagte ich unter Tränen und Klagen: ,O frommer Mann, nimm deine achtzig Kamele, beladen mit Gold und Edelgestein, wieder an dich und zieh deiner Wege! Ich spreche dich von aller Schuld frei; doch ich bitte dich flehentlich bei Allah dem Erhabenen, gib mir mein Augenlicht wieder, so du es vermagst!' Er gab mir keine Antwort mehr, sondern ließ mich mit meinem Elend allein und machte sich alsbald auf den Weg nach Basra, indem cr die achtzig mit Schätzen beladenen Kamele vor sich her trieb. Ich schrie laut und fichte ihn an, mich mit sich zu nehmen, fort aus der todbringenden Einöde, oder mich auf den Weg einer Karawane zu bringen; doch er achtete nicht auf meine Rufe und ließ mich dort zurück. Als nun der Derwisch von mir fortgezogen war, wäre ich fast gestorben vor Gram und Wut über den Verlust meines Augenlichtes und meiner Schätze und vor den Qualen des Durstes und des Hungers. Am nächsten Tage kam zum Glück eine Karawane aus Basra dort vorbei, und da die Kaufleute mich in solch traurigem Zustande sahen, hatten sie Mitleid mit mir und nahmen mich mit nach Baghdad. Ich konnte nichts anderes mehr tun, als mir mein Brot erbetteln, um mein Leben zu fristen; so wurde ich ein Bettler und tat dies Gelübde vor Allah dem Erhabenen, daß ich zur Strafe für meine unselige Gier und verruchte Habsucht von jedem, der Mitleid mit meiner Not hätte und mir ein Almosen geben würde, einen Backenstreich erbitten wollte. Daher kam es, daß ich dich gestern mit solcher Hartnäckigkeit bedrängte.'Als der Blinde seine Geschichte beendet hatte, sprach der Kalif: ,Baba Abdullah, dein Vergehen war schwer; möge Allah dir darum gnädig sein! Jetzt bleibt dir nichts mehr übrig, als daß du dein Schicksal den Frommen und Einsiedlern erzählst, auf daß sie für dich ihre fruchtenden Fürbitten emporsenden. Mach dir keine Sorgen um dein täglich Brot; ich habe beschlossen, daß du für deinen Lebensunterhalt eine Spende von vier Dirhems täglich aus meinem königlichen Schatzhause erhalten sollst, wie du sie nötig hast, solange du lebst. Hüte dich aber, hinfort noch in meiner Stadt Almosen heischend umherzugehen!' Da sagte Baba Abdullah dem Beherrscher
der Gläubigen Dank und sprach: ,Ich will nach deinem Geheiß tun.'Nachdem nun der Kalif Harûn er-Raschîd die Geschichte von Baba Abdullah und dem Derwisch gehört hatte, wandte er sich mit seiner Rede an den jungen Mann, den er gesehen hatte, wie er in rasender Eile auf der Stute ritt und sie grausam peitschte und quälte. ,Wie heißt dus' fragte er; und der Jüngling antwortete, indem er die Stirn senkte: ,O Beherrscher der Gläubigen, mein Name ist Sich Nu'mân.' Dann fuhr der Kalif fort: ,Höre einmal, Sich Nu'mân! Oft habe ich Reitersleuten zugeschaut, wie sie ihre Rosse übten; und ich habe selbst manchmal desgleichen getan. Aber nie habe ich einen gesehen, der so unbarmherzig ritt wie du auf deiner Stute; denn du gebrauchtest zugleich die Peitsche und das Steigbügeleisen' in der grausamsten Weise. Alles Volk stand da und starrte voll Staunen, vor allem aber ich, der ich wider meinen Willen gezwungen war, stehen zu bleiben und die Zuschauer nach dem Grunde zu fragen. Freilich konnte niemand mir die Sache aufklären; alle Leute sagten, du pflegtest jeden Tag die Stute in dieser schauerlich rohen Weise zu reiten, so daß ich mich nur noch mehr wunderte. Jetzt frage ich dich nach dem Grunde dieser unbarmherzigen Grausamkeit; gib acht, daß du mir alles erzählst und nichts verheimlichst!' Als Sich Nu'mân den Befehl des Beherrschers der Gläubigen vernahm, wußte er, daß der Herrscher fest entschlossen war, alles zu hören, und daß er ihn sicher nicht eher gehen lassen würde, als bis alles erklärt wäre. Deshalb ward die Farbe seines Antlitzes bleich, und er stand sprachlos da, einer Bildsäule gleich, voll Furcht
DIE GESCHICHTE VON STD! NU'MÂN
O Herr der Wohltat und des Wohlwollens, meine Eltern waren so reich an Hab und Gut, daß sie ihrem Sohne, als sie starben, reichliche Mittel für seinen lebenslänglichen Unterhalt hinterließen und er seine Tage gleich einem Großen des Landes sorgenlos in Genuß und Freude hinbringen konnte. Ich nun, ihr einziges Kind, brauchte mich um nichts zu kümmern und zu sorgen, bis ich eines Tages in der Blüte meines Mannesalters mich entschloß, mir eine Frau zu nehmen, eine Maid von munterem Wesen und holdselig anzuschauen, auf daß wir in gegenseitiger Liebe und doppeltem Glück miteinander leben könnten. Doch Allah der Erhabene wollte es nicht, daß eine vorbildliche Gehilfin die meine würde; ach nein, das Schicksal vermählte mich dem Gram und dem schwersten Elend. Ich freite eine Jungfrau, die nach ihrer äußeren Gestalt und ihren Zügen ein Vorbild von Schönheit und Lieblichkeit war, aber keine einzige liebreiche Gabe des Gemüts und der Seele besaß; und schon am zweiten Tage nach der Hochzeit begann ihre schlechte Natur sich zu zeigen. Du weißt ja, o Beherrscher der Gläubigen, daß nach unserer muslimischen Sitte niemand das Antlitz seiner Braut vor Abschluß der Eheurkunde sehen darf, noch auch nach der Hochzeit sich beklagen darf, wenn es sich zeigt, daß seine junge Gattin ein Zankteufel oder ein Scheusal ist; er muß durchaus bei ihr ausharren, so gut er es vermag, und muß seinem Schicksal dankbar sein, mag es gut oder schlimm sein.' Als ich das Antlitz meiner jungen Gattin zum ersten Male sah und erkannte, daß es über die
Da schwieg Sîdi Nu'mân still, nachdem er seine Geschichte zu Ende erzählt hatte; aber alsbald fuhr er fort: ,O Beherrscher der Gläubigen, ich hoffe, du bist nicht ungehalten wegen dieses meines Tuns, ja, ich glaube, du würdest ein solches Weib noch härter strafen, als ich es tue.' Darauf küßte er den Saum von des Kalifen Gewand und schwieg wiederum; und als Harün er-Raschîd erkannte, daß jener alles gesagt hatte, was er zu sagen hatte, rief er: ,Wirklich und wahrhaftig, deine Geschichte ist über die Maßen seltsam und merkwürdig. Die Missetaten deiner Frau sind nicht zu entschuldigen, und deine Vergeltung deucht mich angemessen und gerecht zu sein. Doch ich möchte dich noch eins fragen: Wie lange willst du sie so züchtigen, und wie lange soll sie in Tiergestalt bleiben? Es wäre doch wohl besser, wenn du die junge Herrin aufsuchtest, durch deren Zauberkunst deine Frau verwandelt wurde, und sie bätest. ihr die menschliche Gestalt wiederzugeben. Und doch fürchte ich sehr, daß diese Zauberin, diese Ghûla, wenn sie sich in die Gestalt einer Frau zurückverwandelt sieht und ihre Beschwörungen und Zaubereien wieder aufnimmt, dir vielleicht, wer weiß, mit einem noch größeren Unheil vergilt, als sie dir zuvor angetan hat, und daß du dann nicht imstande sein möchtest, diesem zu entrinnen.' So unterließ der Beherrscher der Gläubigen es denn, auf dieser Angelegenheit zu bestehen, wiewohl er von
Natur mild und barmherzig war; und indem er den dritten Mann anredete, den der Wesir vor ihn gebracht hatte, sprach er: ,Als ich in demunddem Stadtteile umherging, wunderte ich mich, dein Haus zu sehen, so groß und prächtig ist es; und wie ich mich bei den Städtern erkundigte, antworteten mir alle insgesamt, daß der Palast jemandem nämlich dir -gehöre, der Chawâdscha Hasan heiße. Sie fügten hinzu, du seiest ehedem über die Maßen arm und bedürftig gewesen, doch Allah der Erhabene habe dir reichere Mittel verliehen und dir jetzt Reichtum in solcher Fülle gesandt, daß du dir den herrlichsten Bau errichten konntest; ferner seiest du, obwohl du ein so fürstliches Haus und solchen Überfluß an Reichtum besäßest, doch nicht deines früheren Standes uneingedenk, und du verschwendest deinen. Besitz nicht in schwelgerischem Leben, sondern mehrest ihn durch rechtmäßigen Handel. Die ganze Nachbarschaft spricht gut von dir, und nicht ein einziger von den Leuten hat etwas wider dich zu sagen; deshalb möchte ich jetzt von dir die Wahrheit über all diese Dinge erfahren und von deinen eigenen Lippen hören, wie du diesen Überfluß an Reichtum gewonnen hast. Ich habe dich vor mich berufen, damit ich durch eigenes Hören von all diesen Dingen sicher unterrichtet werde; drum fürchte dich nicht, mir deine ganze Geschichte zu erzählen; ich wünsche nichts von dir, als von diesem deinem Schicksal Kunde zu haben. Genieße du nach Herzenslust den Wohlstand, den Allah der Erhabene dir zu verleihen geruht hat, und laß deine Seele sich seiner freuen!' Also sprach der Kalif; und die huldreichen Worte beruhigten den Mann. Nun warf Chawâdscha Hasan sich vor dem Beherrscher der Gläubigen nieder, und nachdem er den Teppich zu Füßen des Thrones geküßt hatte, rief er: ,O Beherrscher der Gläubigen, ich will dir getreulich Bericht erstatten von meinen Erlebnissen, und Allah der Erhabene sei mein Zeuge, daß ich nichts getan habe, was deinen Gesetzen und gerechten Geboten zuwider ist; denn dieser mein ganzer Reichtum kommt allein von der Gnade und Güte Allahs!' Darauf befahl Harûn er-Raschîd ihm von neuem, offen zu sprechen, und alsbald begann jener mit folgenden Worten
DIE GESCHICHTE
VON CHAWÂDSCHA HASAN EL-HABBÄL
O Herr des Wohltuns, gehorsam deinem königlichen Geheiß, will ich jetzt deine Hoheit davon unterrichten, durch welche Mittel und Wege das Schicksal mich mit solchem Reichtum beglückt hat; aber zuvor möchte ich, daß du etwas von zweien meiner Freunde vernimmst, die in Baghdad, der Stätte des Friedens, wohnen. Die beiden leben noch, und beide kennen die Geschichte, die dein Sklave dir jetzt erzählen will. Den einen nennen die Leute Sa'd, den anderen Sa'di. Sa'di war der Ansicht, daß ohne Reichtum niemand in dieser Welt glücklich und unabhängig sein könne; und ferner, daß ohne schwere Mühe und Arbeit und ohne Wachsamkeit und Weisheit es obendrein unmöglich sei, reich zu werden. Sa'd aber war anderer Meinung und behauptete, Wohlstand werde dem Menschen nur zuteil durch den Spruch des Schicksals und das Gebot des Glückes und Geschickes. Sa'd war ein armer Mann, aber Sa'di hatte viel Geld und Gut; doch zwischen ihnen entstand eine feste Freundschaft und eine herzliche Neigung zueinander. Sie pflegten auch nie über irgend etwas zu streiten, außer allein über dies: nämlich darüber, daß Sa'di sich nur auf Überlegung und Vorbedacht verließ, Sa'd aber auf das Verhängnis und des Menschen Los. Eines Tages begab es sich, daß
Sa'di, als sie beisammen saßen und wieder über die Frage plauderten, behauptete: ,Das ist ein armer Mann, der entweder als Armer geboren ist und alle seine Tage in Bedürftigkeit und Mangel zubringt, oder der in Reichtum und Wohlstand geboren ist, aber alles, was er hat, in seinen Mannesjahren vergeudet und in arge Not gerät und dann nicht mehr die Kraft hat, seine Reichtümer wiederzugewinnen und durch seinen Verstand und Fleiß in Behaglichkeit zu leben.' Sa'd antwortete und sprach: ,Weder Verstand noch Fleiß nützen einem irgend etwas, sondern allein das Schicksal macht es einem möglich, Reichtümer zu erwerben und zu bewahren. Elend und Mangel sind nur Zufälle, Überlegung ist nichts. Gar mancher Arme ist wohlhabend geworden durch die Gunst des Geschicks, und viele Reiche sind trotz ihrem Wissen und Wohlstand in Elend und an den Bettelstab geraten.' Da sagte Sa'di: ,Du redest töricht. Aber wir wollen doch einmal die Sache richtig erproben und uns einen Handwerksmann suchen, der nur spärliche Mittel hat und von seinem täglichen Verdienst leben muß; den wollen wir mit Geld versehen, dann wird er ohne Zweifel sein Vermögen vermehren und in Ruhe und Behaglichkeit leben, und dann wirst du dich überzeugen, daß meine Worte wahr sind.' Als die beiden dann ihres Weges dahingingen, kamen sie durch die Gasse. in der mein Haus stand, und sahen, wie ich Seile drehte, ein Handwerk, das mein Vater und Großvater und viele Geschlechter vor mir ausgeübt hatten. Aus dem Zustande meines Hauses und meiner Kleidung schlossen sie, daß ich ein bedürftiger Mann war; so wies denn Sa'd seinen Gefährten auf mich hin und sprach: ,Wenn du diese unsere Streitfrage durch einen Versuch erproben möchtest, so sieh den Mann dort! Er wohnt hier seit vielen Jahren, und durch sein Seilerhandwerk verdient er einen dürftigen Unterhalt für sich und die Seinen. Ich kenne seine Lage sehr genau seit langer Zeit; er ist der rechte Mann für den Versuch; drum gib ihm einige Goldstücke und erprobe die Sache!' ,Recht gern,' erwiderte Sa'di, ,aber laß uns zuerst genauer mit ihm bekannt werden.' So kamen denn die beiden Freunde auf mich zu, und ich verließ meine Arbeit und grüßte sie. Sie erwiderten meinen Gruß, und darauf sagte Sa'di: ,Mit Verlaub, wie ist dein Name?' Ich antwortete: ,Mein Name ist Hasan, aber wegen meines Seilerhandwerks nennen mich alle Leute Hasan el-Habbâl.' Weiter fragte Sa'di mich: ,Wie geht es dir bei diesem Gewerbes Mich deucht, du bist vergnügt und ganz mit ihm zufrieden. Du hast lange und tüchtig gearbeitet, und ohne Zweifel hast du eine große Menge Hanf und andere Vorräte angehäuft. Deine Vorfahren haben dies Handwerk viele Jahre schon betrieben und müssen dir viel Geld und Gut hinterlassen haben, das du gut verwertet hast, und in dieser Weise hast du deinen Besitz gewißlich sehr vermehrt.' Doch ich gab zur Antwort: ,Ach, hoher Herr, ich habe in meinem Beutel kein Geld. von dem ich glücklich leben oder mir auch nur genug zu essen kaufen könnte. Mit mir steht es so, daß ich jeden Tag von früh bis spät damit verbringe, Seile zu machen, und ich habe keinen einzigen Augenblick Zeit, um mich auszuruhen; dennoch fällt es mir sehr schwer, nur das trockene Brot für mich und meine Familie herbeizuschaffen. Ich habe eine Frau und fünf kleine Kinder, die noch zu jung sind, um mir zu helfen, dies Gewerbe zu betreiben; es ist aber keine leichte Sache, für ihre täglichen Bedürfnisse zu sorgen; wie kannst du also glauben, ich wäre imstande, einen großen Vorrat an Hanf und anderen Dingen aufzuspeichern? Die Seile, die ich täglich drehe, verkaufe ich sofort, und von dem Geld, das ich dafür erhalte, gebe ich einen Teil für unsere Bedürfnisse aus, und für das übrige kaufe ich Hanf, aus dem ich am nächsten Tage Seile drehe. Doch Allah der Erhabene sei gepriesen, daß Er uns trotz dieser meiner armseligen Lage mit so viel Brot versorgt, wie es für unsere Bedürfnisse genug ist!' Nachdem ich so meine Lage genau geschildert hatte, hub Sa'di wieder an: ,O Hasan, jetzt bin ich über deine Lage unterrichtet; sie ist wirklich anders, als ich gedacht hatte. Wenn ich dir nun einen Beutel mit zweihundert Goldstücken gebe, so wirst du dadurch deinen Verdienst gewißlich sehr vermehren und in Ruhe und Wohlstand leben können; was sagst du dazu?' Ich erwiderte: ,Wenn du mir gütigst so viel Geld geben willst, so könnte ich hoffen, reicher zu werden als alle meine Zunftgenossen insgesamt, obgleich Baghdad so begütert wie bevölkert ist.' Sa'di, der mich für treu und vertrauenswürdig hielt, zog darauf aus seiner Tasche einen Beutel mit zweihundert Goldstücken und reichte ihn mir mit den Worten: ,Nimm dies Geld und treib Handel damit! Möge Allah dich fördern; doch gib acht, daß du dies Geld mit aller Vorsicht verwendest, und vergeude es nicht in Torheit und Gottlosigkeit! Ich und mein Freund Sa'd, wir werden hocherfreut sein, von deinem Wohlergehen zu hören; und wenn wir wiederkommen und dich in Glück und Gedeihen finden, so wird es uns beiden eine große Genugtuung sein.' Daraufhin, o Beherrscher der Gläubigen, nahm ich den Beutel voll Gold mit großer Freude und dankbarem Herzen an, legte ihn in meine Tasche und dankte Sa'd, indem ich den Saum seines Gewandes küßte; dann gingen die beiden Freunde fort. Und als ich, o Beherrscher der Gläubigen, die beiden aufbrechen sah, fuhr ich mit meiner Arbeit fort; doch ich war in großer Verlegenheit und ganz ratlos, wo ich den Beutel unterbringen sollte, da in meinem Hause kein Schrank und keine Truhe war. Ich nahm ihn jedoch mit nach Hause und hielt die Sache vor meiner Frau und meinen Kindern geheim. Und als ich allein und unbeobachtet war, nahm ich zehn Goldstücke für meine Ausgaben heraus; dann verschloß ich die Öffnung des Beutels mit einer Schnur, band ihn fest in die Falten meines Turbans und wand mir das Tuch um den Kopf. Darauf ging ich in die Marktstraße und kaufte mir einen Vorrat an Hanf: und auf dem Heimwege erstand ich etwas Fleisch zum Nachtmahl; denn es war lange her, seit wir Fleisch gekostet hatten. Während ich so, das Fleisch in der Hand, den Weg dahinschritt, stieß plötzlich eine Weihe herab', und sie hätte mir das Fleisch aus der Hand gerissen, wenn ich den Vogel nicht mit der anderen Hand fortgescheucht hätte. Dann wollte er das Fleisch von der anderen Seite packen, aber ich trieb ihn wieder weg, und wie ich nun in wilder Verzweiflung mich abmühte, den Vogel fernzuhalten, fiel zum Unglück mein Turban auf den Boden. Sofort stieß jene verruchte Weihe herunter und flog davon, indem sie ilm in den Krallen hielt; ich lief hinterher und schrie laut. Als die Leute im Basar mein Schreien hörten, Männer und Frauen und eine Schar von Kindern, taten sie. was sie nur konnten, um den gräßlichen Vogel zu erschrecken, damit er seine Beute fallen ließe; doch vergebens schrieen sie und warfen mit Steinen. Die Weihe wollte den Turban nicht fallen lassen und flog bald ganz außer Sicht davon. Ich war sehr bekümmert und schweren Herzens, weil ich die Goldstücke verloren hatte, als ich mich nun nach Hause begab mit dem Hanf und der Zehrung, die ich gekauft hatte; besonders aber war ich ärgerlich und betrübt im Geiste und wollte vorDer Jude saß gerade in seinem Laden, als seine Frau zu ihm kam und ihm von dem Glasstück erzählte. Da sagte er: ,Geh sogleich zurück und biete einen Preis dafür, indem du sagst, es sei für mich. Fang mit einem kleinen Gebot an, und biete immer höher, bis du es bekommst!' Darauf kehrte die Jüdin zu meinem Hause zurück und bot zwanzig Goldstücke; das schien meiner Frau eine hohe Summe zu sein für eine solche Kleinigkeit, aber sie wollte den Handel doch nicht abschließen.
In diesem Augenblick verließ ich gerade meine Arbeit, und als ich zum Mittagsmahle heimkam, sah ich die beiden Frauen redend an der Schwelle stehen. Meine Frau hielt mich an und sagte: ,Diese Nachbarin bietet zwanzig Goldstücke als Preis für das Stück Glas; aber ich habe ihr bis jetzt noch keine Antwort gegeben. Was sagst du dazu?' Da gedachte ich dessen, was Sa'd mir gesagt hatte, nämlich, daß mir durch diese Bleimünze großer Reichtum zuteil werden sollte. Als die Jüdin sah, wie ich zögerte, glaubte sie, ich wolle nicht in den Preis einwilligen, und so sprach sie: ,Lieber Nachbar, wenn du dich für zwanzig Goldstücke nicht von dem Stück Glas trennen willst, will ich dir sogar fünfzig geben.' Nun überlegte ich mir, wenn die Jüdin ihr Angebot so bereitwillig von zwanzig auf fünfzig Goldstücke erhöhte, so müßte dies Glas sicher von großem Werte sein; deshalb schwieg ich und erwiderte ihr kein Wort. Als sie sah, daß ich immer noch schwieg, rief sie: ,So nimm denn hundert, das ist sein voller Wert, ja, ich weiß nicht einmal, ob mein Gatte mit einem so hohen Preise einverstanden sein wird.' Ich gab zur Antwort: ,Gute Frau, warum so töricht schwätzen? Ich verkaufe es nicht für weniger als hunderttausend Goldstücke, und du kannst es zu dem Preise erhalten, doch nur deshalb, weil du unsere Nachbarin bist.' Die Jüdin steigerte ihr Gebot nach und nach bis zu fünfzigtausend Goldstücken und sagte dann: ,Bitte, warte bis morgen und verkaufe es nicht vorher, damit mein Gatte kommen und es ansehen kann!' ,Recht gern,' erwiderte ich, ,auf jeden Fall laß deinen Gatten nur herkommen und es sich ansehen!' Am nächsten Tage kam der Jude in unser Haus, und ich zog den Diamanten heraus und zeigte ihn ihm; da glänzte und glitzerte er in meiner Hand mit einem Lichte, das so hell war wie von einer Lampe. So überzeugte er sich, daß alles, was seine Frau ihm von seinem gleißenden Schein erzählt hatte, ganz der Wahrheit entsprach, und er nahm ihn in die Hand, prüfte ihn, wandte ihn hin und her und wunderte sich gar sehr über seine Schönheit; dann sagte er: ,Meine Frau hat dir fünfzigtausend Goldstücke geboten; schau, ich will dir noch zwanzigtausend dazulegen.' Doch ich erwiderte: ,Deine Gattin hat dir sicherlich die Summe genannt, die ich festgesetzt habe, das heißt, einhunderttausend Goldstücke und nicht weniger; von diesem Preise lasse ich keinen Deut und kein Tüttelchen ab.' Der Jude tat, was er nur konnte, um es für eine geringere Summe zu erwerben, aber ich antwortete nur: ,Es macht nichts aus; wenn du mir meinen Preis nicht zahlen willst, muß ich ihn einem anderen juwelier verkaufen.' Schließlich willigte er ein und wägte mir zweitausend Goldstücke ab als Handgeld, indem er sprach: ,Morgen will ich dir den Betrag, den ich dir geboten habe, bringen und meinen Diamanten mitnehmen.' Damit war ich zufrieden; und so kam er am folgenden Tage zu mir und wägte mir die volle Summe von hunderttausend Goldstücken ab, die er unter seinen Freunden und Geschäftsteilhabern aufgebracht hatte. Darauf gab ich ihm den Diamanten, der mir so übermäßigen Reichtum eingetragen hatte, und dankte ihm und pries Allah den Erhabenen für dies große Glück, das mir so unerwartet zuteil geworden war, und ich hoffte sehr, bald meine beiden Freunde Sa'd und Sa'di wiederzusehen, um auch ihnen zu danken. Ich brachte nun zunächst mein Haus in Ordnung und gab meiner Frau einiges Geld, das sie für die Bedürfnisse des Hauses und für ihre eigene Kleidung und die der Kinder ausgeben sollte; dann aber kaufte ich mir ein schönes Wohnhaus und stattete es aufs beste aus. Darauf sprach ich zu meiner Frau, die an nichts anderes dachte als an prächtige Kleider und an gutes Essen und ein Leben in Herrlichkeit und Freuden: ,Es geziemt uns nicht, dies unser Handwerk aufzugeben; wir müssen etwas Geld beiseite legen und das Geschäft weiterführen.' Ich ging also zu allen Seilern der Stadt, kaufte mit vielem Gelde verschiedene Werkstätten und ließ darin arbeiten; über jede Werkstatt setzte ich einen Aufseher, einen verständigen und vertrauenswürdigen Mann, und jetzt gibt es in der ganzen Stadt Baghdad keinen Bezirk und kein Viertel, in denen sich nicht Reeperbahnen und Seilereien von mir befänden. Ja, noch mehr, ich habe in jedem Bezirk, in jeder Stadt des Irak Warenhäuser, alle unter der Obhut ehrlicher Aufseher; so ist es gekommen, daß ich solch eine Menge von Reichtümern aufgehäuft habe. Schließlich kaufte ich ein anderes Haus zu meinem eigenen Geschäftshaus; das war ein zerfallener Bau, an den genügend viel Land angrenzte, aber ich ließ das alte Gemäuer niederreißen und erbaute an seiner Statt das große und geräumige Gebäude, das deine Hoheit gestern anzuschauen geruht hat. Dort finden alle meine Arbeiter ihr Unterkommen, und dort werden meine Geschäftsbücher und Rechnungen geführt; und es enthält außer meinem Warenhaus auch noch Gemächer, versehen mit einfachem Hausrat, wie er für mich und die Meinen genügt. So konnte ich nach einiger Zeit meine alte Heimstätte, an der Sa'd und Sa'di mich hatten arbeiten sehen, verlassen und in das neue Haus ziehen und dort wohnen. Nicht lange nach dieser Übersiedlung dachten meine beiden Freunde und Wohltäter daran, mich wieder zu besuchen. Sie wunderten sich sehr, als sie in meine alte Werkstatt kamen und mich dort nicht fanden; und sie fragten die Nachbarn: ,Wo wohnt der Seiler Soundso? Lebt er noch, oder ist er tote' Die Leute antworteten: ,Er ist jetzt ein reicher Kaufherr, und man nennt ihn nicht mehr einfach Hasan, sondern gibt ihm den Titel: Meister Hasan, der Seiler. Er hat sich ein prächtiges Haus gebaut und wohnt in demunddem Stadtviertel.' Darauf gingen die beiden Gefährten hin, um mich zu suchen. Sie waren über die gute Botschaft erfreut; doch Sa'di wollte sich auf keine Weise davon überzeugen lassen, daß all mein Reichtum, wie Sa'd behauptete, aus jener Wurzel entsprungen sei, nämlich aus der kleinen Bleimünze. Nachdem er nun die Sache im Geiste überlegt hatte, sprach er zu seinem Begleiter: ,Es freut mich dennoch, von all diesem Glück zu hören, das Hasan widerfahren ist, obgleich er mich zweimal getäuscht und mir vierhundert Goldstücke abgenommen hat, durch die er zu solchem Reichtum gekommen ist; denn es ist widersinnig, anzunehmen, daß der von der kleinen Bleimünze herrühren sollte, die du ihm gegeben hast. Doch ich vergebe ihm und trage ihm nichts nach.' Der andere erwiderte: ,Du bist im Irrtum. Ich kenne Hasan von alters her als einen guten und wahrhaften Mann; er würde dich nie täuschen, und was er uns erzählt hat, ist die reine Wahrheit. Ich bin in meinem Innern davon überzeugt, daß er all dies Geld und Gut durch die Bleimünze erworben hat; allein, wir werden ja bald hören, was er zu sagen hat.' Unter solchen Gesprächen kamen sie in die Straße, in der ich jetzt wohne, und als sie dort ein großes und prächtiges, neu errichtetes Gebäude sahen, ahnten sie, daß es das meine wäre. Deshalb pochten sie an, und wie der Pförtner öffnete, wunderte Sa'di sich ob solcher Pracht und ob der vielen Leute, die darinnen saßen, und er fürchtete schon, sie seien vielleicht, ohne es zu wissen, in das Haus irgendeines Emirs eingedrungen. Doch er faßte sich ein Herz und fragte den Pförtner: ,Ist dies die Wohnung von Chawâdscha Hasan el-Habbâl?' Und der Pförtner antwortete: ,Dies ist in der Tat das Haus von Chawâdscha Hasan el-Habbâl. Er ist zu Hause und sitzt in seiner Kanzlei. Bitte, tritt ein, und einer der Sklaven wird ihm dein Kommen melden!' Darauf gingen die beiden Freunde hinein, und sowie ich sie sah, erkannte ich sie; und ich erhob mich, lief ihnen entgegen und küßte die Säume ihrer Gewänder. Sie wollten mir um den Hals fallen und mich umarmen, aber aus lauter Bescheidenheit wollte ich nicht dulden, daß sie es taten; so führte ich sie denn in einen großen und geräumigen Saal und bat sie, sich auf die höchsten Ehrenplätze zu setzen. Sie wollten mich zwingen, auf dem obersten Platze zu sitzen, aber ich rief: ,Hohe Herren, ich bin um nichts besser als der arme Seiler Hasan, der immer, eingedenk eurer Würde und Güte, für euer Wohlergehen betet und nicht verdient, an höherer Stelle zu sitzen als ihr.' Da setzten sie sich, und ich setzte mich ihnen gegenüber, und Sa'di sprach: ,Mein Herz ist über die Maßen erfreut, da ich dich in diesem Wohlstand sehe; denn Allah hat dir alles gegeben, was du nur wünschen konntest. Ich zweifle nicht daran, daß du all diesen Reichtum und Überfluß durch die vierhundert Goldstücke gewonnen hast, die ich dir einst gab; nun sage mir aber ehrlich, warum hast du mich zweimal getäuscht und mir die Unwahrheit gesagte' Sa'd hörte diesen Worten mit stiller Entrüstung zu, und ehe ich noch etwas erwidern konnte, hub er an: ,O Sa'di, wie oft habe ich dir versichert, daß alles, was Hasan früher über den Verlust der Goldstücke gesagt hat, keine Lüge, sondern die Wahrheit ist?' Darauf begannen sie miteinander zu streiten, während ich, sobald ich mich von meiner Überraschung erholt hatte, ausrief: ,Ach, meine Herren, wozu dieser Streit? Entzweit euch nicht um meinetwilen, ich flehe euch an! Alles, was mir früher widerfahren ist, habe ich euch mitgeteilt, und ob ihr meinen Worten glaubt oder nicht glaubt, darauf kommt wenig an. Vernehmet nun meine ganze Geschichte der Wahrheit gemäß!' Dann erzählte ich ihnen die Geschichte von dem Bleistück, das ich dem Fischer gegeben hatte, und von dem Diamanten, der sich im Bauche des Fisches fand; kurz, ich berichtete ihnen alles genau so, wie ich es jetzt deiner Hoheit kundgetan habe. Nachdem Sa'di mein ganzes Erlebnis vernommen hatte, sagte er: ,O Chawâdscha Hasan, es erscheint mir über die Maßen seltsam, daß ein so großer Diamant sich in dem Bauche eines Fisches finden sollte: und ich halte es auch für ein unmöglich Ding, daß eine Weihe mit deinem Turban fortgeflogen oder daß deine Frau den Krug mit Kleie für die Walkererde weggegeben haben könnte. Du sagst, die Geschichte sei wahr; dennoch kann ich deinen Worten keinen Glauben schenken, denn ich weiß doch recht wohl. daß die vierhundert Goldstücke dir all diesen Reichtum verschafft haben.' Als die beiden jedoch aufstanden, um Abschied zu nehmen, erhob auch ich mich und sprach: ,Hohe Herren, ihr habt mir die Gunst erwiesen, daß ihr mich in meiner armen Hütte zu besuchen geruhtet. Ich bitte euch nun herzlich, kostet auch von meiner Speise und verweilet hier diese Nacht unter dem Dache eures Dieners; denn morgen möchte ich euch gern auf dem Flusse in ein Landhaus führen, das ich vor kurzem erworben habe!' Darin willigten sie ein nach etlichen Einwendungen; und nachdem ich die Anordnungen für das Nachtmahl gegeben hatte, führte ich sie im Hause umher und zeigte ihnen die Einrichtung, indem ich sie mit gefälligen Worten und heiterem Geplauder unterhielt, bis ein Sklave kam und meldete, daß die Abendmahlzeit aufgetragen sei. Da geleitete ich sie in den Saal, in dem die Platten aufgereiht waren. beladen mit mancherlei Gerichten; auf allen Seiten standen Kerzen, die nach Kampfer dufteten, und vor dem Tische waren Spielleute versammelt, die sangen und auf mancherlei Instrumenten der Fröhlichkeit und Freude spielten, während am oberen Ende des Saales Männer und Frauen tanzten und allerlei zum Zeitvertreib aufführten. Als wir zu Nacht gegessen hatten, gingen wir zu Bett; dann standen wir beizeiten wieder auf, sprachen das Frühgebet und bestiegen ein großes und gut ausgerüstetes Boot, und die Ruderer ruderten mit der Strömung und landeten uns bald bei meinem Landsitz. Dort wandelten wir gemeinsam über das Land und traten ins Haus; ich zeigte ihnen auch unsere neuen Bauten und wies ihnen alles, was dazu gehörte; und sie betrachteten es mit größter Verwunderung. Darauf begaben wir uns in den Garten und sahen, in Reihen an den Wegen gepflanzt, Fruchtbäume jeglicher Art, die sich unter den reifen Früchten beugten; die wurden mit Wasser vom Strom her durch Kanäle aus Ziegelsteinen bewässert. Ringsum standen blühende Büsche, deren Duft dem Zephir Freude machte; hie und da ließen Springbrunnen ihre Wasserstrahlen hoch in die Luft steigen, und mit süßen Stimmen sangen die Vöglein zwischen den laubreichen Zweigen Loblieder dem Einen, dem Ewigen. Kurz, der Anblick und die Wohlgerüche erfüllten die Seele mit Freude und Fröhlichkeit. Meine beiden Freunde schritten erfreut und entzückt umher und dankten mir immer wieder, daß ich sie an einen so herrlichen Ort geführt hatte, und sprachen: ,Allah der Erhabene, lasse es dir in Haus und Garten wohlergehen!' Zuletzt führte ich sie an den Fuß eines hohen Baumes. nahe einer der Gartenmauern, und dort zeigte ich ihnen ein kleines Sommerhaus, wo ich mich auszuruhen und zu erfrischen pflegte; der Raum war mit Kissen und Polstern und Diwanen ausgestattet, die mit reinem Golde bestickt waren. Nun traf es sich, als wir in jenem Sommerhause der Ruhe pflegten, daß zwei meiner Söhne, die ich mit ihrem Erzieher des Luftwechsels halber zu meinem Landsitz geschickt hatte, im Garten umherstreiften und nach Vogelnestern suchten. Da entdeckten sie ein großes Nest, hoch im Gipfel, und versuchten, den Stamm hinaufzuklettern, um es zu holen; aber sie wagten sich doch nicht so hoch hinauf, weil sie nicht so stark und geübt waren, und deshalb befahlen sie einem jungen Sklaven, der sie immer begleitete, den Baum zu erklimmen. Er tat nach ihrem Geheiß; aber als er in das Nest hineinschaute, staunte er über die Maßen, weil er sah, daß es zum großen Teile aus einem alten Turban gemacht war. Dann brachte er das Nest herunter und hielt es den Knaben hin. Mein ältester Sohn nahm es ihm aus den Händen und brachte es in die Laube, um es mir zu zeigen; und indem er es mir zu Füßen legte, rief er in heller Freude: ,Vater, schau hier, dies Nest ist aus Zeug gemacht!' Sa'd und Sa'di waren über diesen Anblick höchlichst erstaunt, und das Staunen wuchs noch um so mehr, als ich das Nest näher ansah und darin eben den Turban erkannte, auf den die Weihe sich gestürzt hatte und der mir von jenem Vogel geraubt war. Darauf sagte ich zu meinen beiden Freunden: ,Seht euch diesen Turban näher an und überzeugt euch selbst, daß er genau derselbe ist, den ich auf dem Kopfe trug, als ihr mich zum ersten Male mit eurem Besuch beehrtet!' Sa'd sagte: ,Ich kenne ihn nicht.' Und Sa'di sprach: ,Wenn du in ihm die hundertundneunzig Goldstücke findest, so kannst du gewiß sein, daß es wirklich dein Turban ist.' ,Lieber Herr,' erwiderte ich, ,ich weiß ganz genau, daß dies derselbe Turban ist.' Und als ich ihn in meiner Hand hielt, fand ich, daß er schwer von Gewicht war; dann entfaltete ich ihn und fühlte, daß in einem Zipfel des Tuches etwas eingebunden war. Rasch rollte ich die Wickel auf, und siehe da -ich fand den Beutel mit den Goldstücken. Ich zeigte ihn Sa'di und rief: ,Kannst du diesen Beutel nicht wiedererkennen?' Und er gab zur Antwort: ,Dies ist wirklich derselbe Beutel mit Goldstücken, den ich dir gab, als wir einander zum ersten Male sahen.' Dann öffnete ich ihn und schüttete das Gold in einem Haufen auf den Teppich aus und hieß ihn sein Geld zahlen; er zählte es, Münze auf Münze, und stellte fest, daß es einhundertundneunzig Goldstücke waren. Tief beschämt und verwirrt rief er nun: ,Jetzt glaube ich deinen Worten; indessen du wirst doch zugeben, daß du die Hälfte dieses deines ungeheuren Reichtums durch die zweihundert Goldstücke erworben hast, die ich dir bei unserm zweiten Besuche gab, und nur die andere Hälfte durch das Scherflein, das du von Sa'd erhieltest.' Darauf gab ich keine Antwort; doch meine Freunde ließen nicht ab, darüber zu streiten. Dann setzten wir uns nieder zu Speise und Trank, und als wir gesättigt waren, gingen ich und meine beiden Freunde in der kühlen Laube zur Ruhe; und als die Sonne dem Untergang nahe war, saßen wir auf und ritten nach Baghdad zurück, während die Diener uns folgen sollten. Doch nachdem wir die Stadt erreicht hatten, fanden wir alle Läden geschlossen und konnten nirgends Korn und Futter für unsere Pferde finden; deshalb sandte ich zwei junge Sklaven, die neben uns her gelaufen waren, auf die Suche nach Futter. Einer von ihnen fand im Laden eines Kornhändlers einen Krug voll Kleie, und nachdem er für den Inhalt bezahlt und versprochen hatte, er würde das Gefäß am nächsten Tage zurückbringen, brachte er die Kleie samt dem Krug. Dann begann er die Kleie im Dunkeln herauszuholen, Handvoll auf Handvoll, und sie den Pferden vorzuwerfen. Plötzlich aber traf seine Hand auf ein Tuch, in dem etwas Schweres war. Er brachte es mir so, wie er es gefunden hatte, und sagte: ,Sieh, ist dies Tuch nicht gerade das, von dessen Verlust du oft zu uns gesprochen hast?' Ich nahm es und erkannte zu meinem höchsten Erstaunen, daß es dasselbe Stück Zeug war, in das ich die hundertundneunzig Goldstücke eingebunden hatte, ehe ich sie in dem Kleiekrug verbarg. Dann aber sprach ich zu meinen Freunden: ,Liebe Herren, es hat Allah dem Erhabenen gefallen, ehe wir uns voneinander trennen, meine Worte zu bezeugen und zu beweisen, daß ich euch nichts als die lautere Wahrheit erzählt habe.' Dann fuhr ich fort, indem ich mich zu Sa'di wandte: ,Schau hier die andere Summe Geldes, das heißt, die hundertundneunzig Goldstücke, die ich, nachdem du sie mir gegeben hattest, in ebendies Tuch einband. das ich nun wiedererkenne.' Sogleich ließ ich den Tonkrug bringen, damit sie ihn sehen könnten; und ich befahl, ihn auch zu meiner Frau zu tragen, damit sie ebenfalls Zeugnis ablegte, ob es derselbe Kleiekrug war, den sie damals für die Walkererde hingegeben hatte. Sie schickte uns alsbald Bescheid und ließ uns sagen: ,Jawohl, ich erkenne ihn genau. Dies ist derselbe Krug, den ich mit Kleie gefüllt hatte.' Jetzt gab Sa'di endlich zu, daß er im Unrecht war, und er sagte zu Sa'd: ,Nun weiß ich, daß du recht hast, und ich bin überzeugt, daß Reichtum nicht durch Reichtum kommt; sondern allein durch die Gnade Allahs des Erhabenen wird ein Armer zu einem reichen Manne.' Und er bat um Vergebung für sein Mißtrauen und seinen Unglauben. Wir nahmen seine Entschuldigung an, und dann begaben wir uns alle zur Ruhe. Früh am nächsten Morgen sagten meine beiden Freunde mir Lebewohl und zogen heim, fest davon überzeugt, daß ich kein Unrecht begangen und die Gelder, die sie mir gegeben hatten, nicht verschwendet hatte.'Als der Kalif Harûn er-Raschîd die Geschichte des Chawâdscha Hasan bis zum Schluß vernommen hatte, sprach er: ,Ich kenne dich seit langer Zeit durch den guten Ruf, den du
beim Volke hast; denn alle, einer wie der andere, erklären, daß du ein guter und wahrhaftiger Mann bist. Überdies ist dieser selbe Diamant, durch den du so großen Reichtum erlangt hast, jetzt in meiner Schatzkammer. Deshalb möchte ich gern sofort nach Sa'di ausschicken, auf daß er ihn mit eigenen Augen sehe und sicher wisse, daß die Menschen nicht durch Geld reich oder arm werden.' Ferner sagte der Beherrscher der Gläubigen noch zu Chawâdscha Hasan el-Habbâl: ,Geh hin und erzähle deine Geschichte meinem Schatzmeister, damit er sie zu ewigem Gedächtnis aufzeichne und die Schrift in der Schatzkammer bei dem Diamanten niederlege.' Darauf entließ der Kalif den Chawâdscha Hasan mit einem Wink, und Sîdi Nu'mân und Baba Abdullah küßten den Fuß des Thrones und gingen gleichfalls ihrer Wege. Ferner wird erzählt
DIE GESCHICHTE VON CHUDADÂD
UND SEINEN BRÜDERN'
O glücklicher König, diese meine Geschichte erzählt von dem Königreich von Dijâr Bakr', in dessen Hauptstadt Harrân' ein Sultan von erlauchter Herkunft lebte, ein Schirmherr des Volks, der seine Untertanen liebte, ein Freund der Menschen. der berühmt war, weil er alle guten Eigenschaften besaß. Nun hatte Allah der Erhabene ihm alles verliehen, was sein Herz nur begehren konnte, doch mit einem Kinde hatte Er ihn nicht gesegnet; denn wiewohl er anmutige Gemahlinnen und schöne Nebenfrauen in großer Zahl in seinem Harem hatte, so war ihm doch kein Sohn beschert worden, und deshalb
DIE GESCHICHTE
DER PRINZESSIN VON DARJABÂR
Auf einer Insel steht eine große Stadt, Darjabâr geheißen, und in ihr lebte ein König von hoher Würde. Aber trotz seiner Tugend und Tapferkeit war er immer traurig und betrübt, da er keine Nachkommen hatte, und deshalb sandte er unablässig Gebete empor. Nach langen Jahren und vielem Beten wurde ihm eine halbe Gnade gewährt, nämlich eine Tochter, und zwar ich selbst. Mein Vater, der zuerst sehr traurig war, war aber doch bald von hoher Freude erfüllt über meine unselige, unglückliche Geburt; und als ich alt genug war, um zu lernen, befahl er. mich lesen und schreiben zu lehren; auch ließ er mich unterrichten in höfischer Sitte, in königlichen Pflichten und in den Annalen der Vergangenheit, mit der Absicht, daß ich ihm einst folgen sollte als die Erbin seines Thrones und seiner Herrschaft. Nun begab es sich eines Tages, daß mein Vater auf die Jagd ritt und einem Wildesel mit solch hitzigem Eifer nachsetzte, daß er sich am Abend von seinem Gefolge getrennt fand; ermüdet durch den Ritt, sprang er nun von seinem Rosse und setzte sich an einem Waldpfade nieder, indem er sich sagte: ,Der Wildesel wird sicher in diesem Dickicht Unterschlupf suchen.' Plötzlich aber sah er ein Licht, das hell zwischen den Bäumen erglänzte, und da er glaubte, ein Weiler wäre in der Nähe, entschloß er sich, dort zu nächtigen und mit Tagesanbruch über seinen weiteren Weg zu entscheiden. So erhob er sich denn, und wie er auf das Licht zuschritt. erkannte er, daß es aus einer einsamen Hütte im Walde kam: als er aber hineinlugte, erblickte er dort einen Neger von gewaltiger Größe und schwarz wie der Satan. der auf einem Diwan saß. Vor ihm standen viele große Krüge voll Wein, und über einem
Kohlenfeuer röstete er einen ganzen Ochsen, dessen Fleisch er verzehrte, indem er von Zeit zu Zeit tiefe Züge aus einem der Krüge tat. Doch weiter erblickte der König in jener Hütte eine Herrin von wunderbarer Schönheit und Anmut, die voll tiefer Trauer in einem Winkel saß; ihre Arme waren mit Stricken festgebunden, und zu ihren Füßen lag ein Kind von zwei oder drei Jahren, das über seiner Mutter Elend weinte. Als nun mein Vater den jammervollen Zustand dieser beiden sah, ward er von Mitleid erfüllt und wollte sich mit dem Schwert in der Hand auf das Ungeheuer stürzen; doch da er nicht imstande war, es mit ihm aufzunehmen, unterdrückte er seinen Jähzorn und blieb heimlich auf der Wacht. Nachdem der Riese alle Krüge voll Wein geleert und die Hälfte des gerösteten Ochsen verschlungen hatte, wandte er sich an die Herrin und sprach: ,O du lieblichste aller Prinzessinnen, wie lange willst du noch spröde sein und dich mir versagen? Siehst du nicht, wie es mich danach verlangt, dein Herz zu gewinnen, und wie ich aus Liebe zu dir vergehe? Drum wäre es doch nur recht, daß du meine Liebe erwiderst und mich als dein eigen ansiehst; dann werde ich der gütigste Mensch zu dir sein.' ,O du Teufel der Wildnis,' rief die Herrin, ,was für ein Geschwätz fuhrst du da im Munde? Niemals, nein, niemals sollst du erreichen, was du von mir begehrst, mag es dich auch noch so sehr danach gelüsten. Foltere mich, und wenn du willst, töte mich auf der Stelle, ich aber werde mich nie deinen Lüsten ergeben!' Bei diesen Worten brüllte der rasende Wilde laut auf: ,Es ist genug und mehr als genug; dein Haß weckt Haß in mir, und jetzt wünsche ich weniger dich zu haben und zu besitzen, als dich ums Leben zu bringen.' Dann ergriff er sie mit einer Hand, zog seinen Säbel mit der anderen und hätte ihr den Kopf vom Leibe geschlagen, wenn mein Vater ihn nicht so geschickt mit einem Pfeil getroffen hätte, daß der sein Herz durchbohrte und ihm glitzernd zum Rücken herausfuhr; da sank der Riese zu Boden und fuhr sogleich zur Hölle. Darauf trat mein Vater in die Hütte, löste die Fesseln der Herrin und fragte sie, wer sie sei, und wie das Ungeheuer sie dorthin gebracht habe. Sie gab zur Antwort: ,Nicht weit von hier lebt an der Küste ein Stamm von Beduinen, die den Dämonen der Wüste gleichen. Ganz wider meinen Willen wurde ich ihrem Fürsten vermählt, und der ekelhafte Schurke, den du soeben getötet hast, war einer der Hauptleute meines Gatten. Er war von rasender Liebe zu mir erfüllt, und er entbrannte in heißem Verlangen danach, mich in seine Gewalt zu bekommen und mich aus meinem Hause zu entführen. Als nun eines Tages mein Gatte sich fortbegeben hatte und ich allein war, schleppte er mich mit diesem meinem Kinde aus dem Schlosse in diesen wilden Wald, in dem niemand weilt als der Allgegenwärtige, und wo, wie er wohl wußte, alles Suchen und Forschen vergeblich ist. Und von Stunde zu Stunde schmiedete er arge Pläne wider mich, doch durch die Gnade Allahs des Erhabenen bin ich aller fleischlichen Besudelung durch jenes schmutzige Scheusal entgangen. Heute abend verzweifelte ich schon an meiner Rettung, als ich sein viehisches Ansinnen abwies und er mich umzubringen versuchte; doch bei diesem Versuch wurde er von deiner tapferen Hand getötet. Dies also, was ich dir erzählt habe, ist meine Geschichte.' Mein Vater beruhigte die Prinzessin, indem er sprach: ,Meine Herrin, dein Herz möge guten Mutes sein! Morgen früh will ich dich aus dieser Wildnis fortführen und dich nach Darjabâr geleiten, der Stadt, deren Sultan ich bin; wenn dir die Stadt gefällt, so magst du dort bleiben, bis dein Gatte kommt, dich zu suchen.' Sie erwiderte: ,Mein Gebieter, dieser Plan mißfällt mir nicht.' So nahm denn mein Vater am nächsten Tage beim ersten Morgengrauen Mutter und Kind aus dem Walde fort, und gerade wollte er sich auf den Heimweg begeben, als er plötzlich seine Heerführer und Hauptleute traf, die während der ganzen Nacht überall auf der Suche nach ihm umhergewandert waren. Sie waren hoch erfreut, als sie den König erblickten, und staunten über die Maßen. wie sie eine Verschleierte bei ihm sahen; denn sie wunderten sich sehr, daß eine so anmutige Herrin in einem so wilden Walde wohnen sollte. Darauf erzählte ihnen der König die Geschichte von dem Ungeheuer und der Prinzessin, und wie er den Mohr getötet hatte. Dann ritten sie heimwärts weiter; einer der Emire nahm die Herrin hinter sich aufs Roß. während einem anderen die Obhut des Kindes anvertraut wurde. Nachdem sie die Hauptstadt erreicht hatten, befahl der König, für seinen Gast ein großes und prächtiges Haus zu erbauen; und auch das Kind erhielt die gebührende Pflege. So verbrachte denn die Mutter ihre Tage in aller Behaglichkeit und Zufriedenheit. Als aber nach dem Verlauf einiger Monate immer noch keine Nachricht von ihrem Gatten kam, obwohl sie sehnsüchtig darauf wartete, willigte sie ein, sich meinem Vater zu vermählen, den sie durch ihre Schönheit und Anmut und ihr liebliches Wesen bezaubert hatte; darauf nahm er sie zur Gemahlin, und nachdem die Eheurkunde nach der Sitte der damaligen Zeit niedergeschrieben war, lebten sie beide an gemeinsamer Stätte. Mit der Zeit wuchs der Knabe zu einem kräftigen Jüngling von schönem Angesicht heran, und er ward auch vollkommen in höfischer Sitte und in allen Künsten und Wissenschaften, die sich für Prinzen geziemen. Der König und alle Wesire und Emire hatten großes Gefallen an ihm, und sie beschlossen, daß ich ihm vermählt würde und daß er dem Herrscher als Erbe des Thrones und der Königswürde folgen sollte. Auch der Jüngling war über diese Zeichen der Gunst meines Vaters erfreut; doch die allergrößte Freude bereitete es ihm, daß er hörte, wie von seiner Verbindung mit der einzigen Tochter seines Beschützers gesprochen wurde. Eines Tages nun wünschte mein Vater, meine Hand land in die seine zu legen, um die Hochzeitsfeier sofort stattfinden zu lassen; aber zuvor wollte er meinem künftigen Gatten noch gewisse Bedingungen auferlegen, unter anderen die, daß er neben mir, der Tochter seiner Gemahlin, keine andere Frau zur Gattin nehmen solle. Diese Verpflichtung mißfiel dem hochmütigen Jüngling, und er versagte sogleich seine Einwilligung, da er glaubte, das Verlangen einer solchen Bedingung mache aus ihm einen verächtlichen und mißachteten Freier von niedriger Herkunft. So wurde denn die Hochzeit verzögert, und dieser Aufschub erregte in dem Jüngling heftigen Unwillen, so daß er in seinem Herzen glaubte, mein Vater sei sein Feind. Deshalb suchte er ihm immer aufzulauern, damit er ihn in seine Gewalt bekäme, bis er eines Tages in einem Anfall von Wut ihn erschlug und sich selbst zum König von Darjabâr ausrief. Ja, der Mörder wollte sogar in mein Gemach eindringen, um auch mich zu töten; aber der Wesir, ein treu ergebener Diener seines Herrschers, hatte mich bei der Nachricht vom Tode des Königs rasch fortgeführt und in dem Hause eines Freundes verborgen, und dort befahl er mir, mich versteckt zu halten. Zwei Tage später rüstete er ein Schiff aus und bestieg es mit mir und einer alten Kammerfrau; dann begann er mit uns die Fahrt nach einem Lande, dessen König ein Freund meines Vaters war. Unter dessen Obhut wollte er mich stellen, und von ihm wollte er ein Hilfsheer erlangen, mit dem er sich an dem undankbaren und gottlosen Jüngling rächen könnte, an ihm, der sich als Verräter am Salz' erwiesen hatte. Doch wenige Tage, nachdem wir die Anker gelichtet hatten, erhob sich ein rasender Sturm, der dem Kapitän und der Mannschaft alle Besinnung raubte; da schlugen die Wogen alsbald mit so ungeheurer Macht auf das Schiff, daß es unterging, und der Wesir, die Kammerfrau und alle, die an Bord waren, ertranken in den Wogen, nur ich wurde gerettet. Obgleich ich fast ohnmächtig war, klammerte ich mich doch an eine Planke, und ich wurde bald darauf von der Meeresströmung an den Strand geworfen; denn Allah hatte in Seiner Allmacht mich vor dem drohenden Tod in der tosenden See sicher und gesund bewahrt, freilich nur dazu, daß noch mehr Leid über mich käme. Als ich Besinnung und Bewußtsein wiedergewann, fand ich mich lebend am Strande liegen, und ich sandte innigen Dank zu Allah dem Erhabenen empor; da ich aber weder den Wesir noch irgend jemand aus unserem Geleite sah, wußte ich, daß alle in den Wassern umgekommen waren. Dann dachte ich daran, daß mein Vater ermordet war, und ich stieß einen lauten Schrei des bittersten Schmerzes aus; denn ich fürchtete mich sehr ob meiner Verlassenheit, und ich wollte mich schon wieder ins Meer stürzen, als plötzlich die Stimme eines Menschen und das Stampfen von Pferdehufen an mein Ohr klangen. Da schaute ich mich um und entdeckte eine Schar von Reitern, in deren Mitte sich ein schöner Prinz befand; der ritt auf einem Roß von edelstem arabischem Geblüt und war mit einem goldgestickten Mantel bekleidet; um die Lenden trug er einen Gürtel, der mit Diamanten besetzt war, und auf seinem Haupte ruhte eine goldene Krone; kurz, seine Gewandung und seine Gestalt zeigten, daß er ein geborener Herrscher über Menschen war. Als mich die Ritter nun allein am Strande erblickten, wunderten sie sich über die Maßen; und der Prinz entsandteSo erzählte die Prinzessin von Darjabâr ihre Geschichte dem Prinzen Chudadâd, und er hatte Mitleid mit ihr; dann tröstete er sie, indem er sprach: ,Hinfort fürchte nichts mehr und mache dir keinerlei Sorgen! Diese Prinzen sind die Söhne des Königs von Harrân; und wenn es dir beliebt, so laß sie dich an seinen Hof geleiten und dir dort ein Leben in Behaglichkeit und Überfluß bereiten; und der König wird dich auch vor allem Unheil behüten! Oder sollte es nicht dein Wunsch sein, mit ihnen zu ziehen, möchtest du dann nicht einwilligen, den zum Gatten zu nehmen, der dich aus so großem Elend befreit
hat?' Die Prinzessin von Darjabâr willigte ein, sich mit ihm zu vermählen; und nun wurde alsbald die Hochzeit mit großer Pracht in dem Schlosse gefeiert; denn dort fanden sie Speisen und Trank von mancherlei Art, auch köstliche Früchte und herrliche Weine, mit denen der Menschenfresser sich gütlich zu tun pflegte, wenn er des Menschenfleisches überdrüssig geworden war. So ließ denn Chudadâd Gerichte von aller Art zubereiten und bewirtete seine Brüder. Am nächsten Tage brachen alle gen Hann auf, nachdem sie an Zehrung mitgenommen hatten, was zur Hand war; und am Ende einer jeden Tagereise wählten sie eine passende Stätte aus, um dort zu nächtigen. Wie nun noch ein Tagesmarsch vor ihnen lag, verspeisten die Prinzen am Abend alles, was ihnen an Zehrung übrig geblieben war, und sie tranken auch des Weines letzte Neige. Als aber der Wein ihrer Sinne Herr geworden war, redete Chudadâd seine Brüder an, indem er sprach: ,Bislang habe ich euch das Geheimnis meiner Geburt verborgen; doch jetzt muß ich es euch enthüllen. Wisset denn, daß ich euer Bruder bin; auch ich bin ein Sohn des Königs von Hann, den der Herr des Landes Samaria erzog und unterrichten ließ, meine Mutter aber ist die Prinzessin Firûza.' Dann sprach er zu der Prinzessin von Darjabâr: ,Du kanntest meinen Rang und meine Herkunft nicht; hätte ich mich dir früher entdeckt, so wäre dir vielleicht eine Kränkung erspart geblieben, nämlich die, daß ein Mann von gemeinem Blute dich freite. Jetzt aber beruhige dein Gemüt; denn dein Gemahl ist ein Prinz!' Darauf erwiderte sie: ,Wiewohl du mir bis zu dieser Zeit nichts enthüllt hast, so fühlte ich doch in meinem Herzen gewißlich, daß du von edler Geburt und der Sohn eines mächtigen Herrschers seiest.' Alle Prinzen schienen äußerlich sehr erfreut zu sein, und ein jeder von ihnen brachte ihm warme Glückwünsche dar, während sie die Hochzeit feierten; im Innern aber waren sie von Neid und ärgern Verdruß erfüllt ob eines so unwillkommenen Ausganges der Dinge. Als Chudadâd sich dann mit der Prinzessin von Darjabâr in sein Zelt zurückzog, um zu schlafen, schmiedeten jene Undankbaren sogar schwarze Pläne, uneingedenk des Dienstes, den ihr Bruder ihnen geleistet hatte, da er sie befreite, während sie in den Händen des schwarzen Menschenfressers gefangen waren; und sie suchten sich einen sicheren Ort und berieten miteinander, ihn zu töten. Da sprach der erste unter ihnen: ,Brüder, unser Vater bewies ihm die größte Liebe, da er uns nichts war als ein Landstreicher und ein Unbekannter, und machte ihn sogar zu unserem Herrscher und Lehrmeister; wenn er nun von seinem Siege über das Ungeheuer hört und erfährt, daß der Fremdling sein Sohn ist, wird er da nicht diesen Bastard sogleich zu seinem einzigen Erben machen und ihm Gewalt über uns geben, so daß wir alle gezwungen sind, ihm zu Füßen zu fallen und sein Joch zu tragen? Mein Rat ist, daß wir hier auf der Stelle ein Ende mit ihm machen.' Daraufhin schlichen sie leise in sein Zelt und hieben von allen Seiten mit ihren Schwertern auf ihn ein, bis sie ihm alle Glieder zerfetzt hatten; und sie vermeinten, sie hätten ihn tot auf dem Bette liegen lassen, ohne daß die Prinzessin erwacht wäre. Am nächsten Morgen zogen sie in die Stadt Harrân ein und machten ihre Aufwartung vor dem König, der schon daran verzweifelte, sie je wiederzusehen; so freute er sich denn über die Maßen, wie er sah, daß sie ihm wiedergeschenkt waren, sicher und munter und gesund, und er fragte sie, warum sie so lange von ihm ferngeblieben wären. In ihrer Antwort verbargen sie ihm sorgfältig, daß sie von dem schwarzen Teufel in den Kerker geworfen waren und daß Chudadâd sie gerettet hatte; vielmehr erklärten sie alle, sie wären aufgehalten worden, als sie gejagt und die umliegenden Städte und Länder besucht hätten. Der Sultan schenkte ihrem Bericht vollen Glauben und schwieg. So stand es nun mit ihnen.Was aber Chudadâd anging, so fand die Prinzessin von Darjabâr, als sie am Morgen erwachte, ihren Gemahl im Blute schwimmen, zerrissen und zerfetzt von vielen Wunden. Und da sie ihn für tot hielt, weinte sie bitterlich bei diesem Anblick. und sie gedachte seiner Jugendschönheit, seiner Tapferkeit und seiner vielen Tugenden, und während sie sein Gesicht mit ihren Tränen tränkte, rief sie: ,Weh mir, wehe! O mein Geliebter, o Chudadâd, müssen diese Augen dich schauen, wie ein jäher und gewaltsamer Tod dich ereilt hat? Sind diese deine Brüder, die Teufel, die dein Mut gerettet hat, deine Mörder? Nein, ich allein bin deine Mörderin; ich, die ich duldete, daß du dein Schicksal mit meinem unseligen Geschick verkettetest, mit einem Los, das alle meine Freunde dem Untergange weiht!' Als sie aber den Leib aufmerksam betrachtete, bemerkte sie, daß noch der Atem langsam durch seine Nase kam und ging, und daß seine Glieder noch warm waren. So schloß sie denn die Zeittür und lief zur Stadt, um einen Arzt zu suchen; und nachdem sie einen geschickten Mann der Heilkunde gefunden hatte, kehrte sie sofort mit ihm zurück. Aber, siehe da, Chudadâd war verschwunden! Sie wußte nicht, was aus ihm geworden war; doch glaubte sie in ihrem Sinne, irgendein wildes Tier hätte ihn fortgeschleppt. Nun weinte sie wiederum bittere Tränen und beklagte ihr Unglück, so daß der Arzt von Mitleid erfüllt ward und ihr mit Worten des Trostes und der Zusprache sein Haus und seine Dienste anbot; und schließlich geleitete er sie in die Stadt und wies ihr eine eigene Wohnung an. Auch bestimmte er zwei Sklavinnen, um ihr zu dienen; und wiewohl er nichts von ihrem Stande wußte, diente er ihr
stets mit der Ehrfurcht und Ergebenheit, die Königen gebührt. Eines Tages nun, als sie weniger traurigen Herzens war, richtete der Arzt, der inzwischen davon gehört hatte, an sie die Bitte: ,Meine Gebieterin, es behebe dir, deinen Stand und deine Mißgeschicke mir kundzutun, und soweit es in meiner Macht liegt, will ich mich bemühen, dir Hilfe und Beistand zu leisten.' Da sie erkannte, daß der Arzt klug und zuverlässig war, machte sie ihn mit ihrer Geschichte bekannt. Darauf sagte der Arzt: ,Wenn es dein Wunsch ist, so möchte ich dich gern zu deinem Schwiegervater geleiten, dem König von Harrân, der in Wahrheit ein weiser und gerechter Herrscher ist; er wird sich freuen, dich zu sehen, und er wird an den unmenschlichen Prinzen, seinen Söhnen, Rache nehmen, weil sie das Blut deines Gemahls so ungerecht vergossen haben.' Diese Worte gefielen der Prinzessin; und nachdem der Arzt zwei Kamele gemietet hatte, saßen die beiden auf und machten sich auf den Weg nach der Stadt Harrân. Noch am selben Tage stiegen sie in einer Karawanserei ab, und der Arzt fragte, was es Neues aus der Stadt gäbe; da sprach zu ihm der Pförtner: ,Der König von Harrân hatte einen Sohn, überaus tapfer und untadelig, der einige Jahre hindurch bei ihm als Fremdling weilte; doch seit kurzer Zeit ist er verschollen, und niemand weiß, ob er tot oder noch am Leben ist. Seine Mutter, die Prinzessin Firûza, hat überall nach ihm suchen lassen, doch hat sie weder Spur noch Nachricht von ihm gefunden. Seine Eltern und, wahrlich, alles Volk, reich und arm, beweinen und beklagen ihn; und obgleich der Sultan noch neunundvierzig Söhne hat, so kann sich doch keiner von ihnen mit ihm vergleichen an tapferen Taten und kluger Gewandtheit, und keiner von ihnen vermag ihm den geringsten Trost zu bieten. Man hat überall gesucht und geforscht; doch bisher ist alles vergeblich gewesen.' Der Arzt tat diese Worte der Prinzessin von Darjabâr kund; da gedachte sie alsbald zu Chudadâds Mutter zu gehen und sie mit allem, was ihrem Gemahl widerfahren war, bekannt zu machen; aber der Arzt sprach nach reiflicher Überlegung: ,O Prinzessin, wenn du dich in dieser Absicht aufmachen würdest, so könnten schon vielleicht vor deiner Ankunft die neunundvierzig Prinzen von deinem Nahen hören; dann werden sie dich gewißlich auf irgendeine Weise umbringen, und dein Leben wird nutzlos vergeudet sein. Nein, laß mich zuerst zu Chudadâds Mutter gehen, ich will ihr deine ganze Geschichte erzählen, und sie wird dann sicher nach dir senden. Bis dahin bleib du in dieser Karawanserei verborgen!' So ritt denn der Arzt gemächlich zur Stadt, und auf dem Wege begegnete er einer Herrin auf einer Mauleselin, deren Decken von der reichsten und schönsten Art waren, und hinter ihr schritten vertraute Diener, denen eine Schar von Reitern und Fußvolk und schwarzen Sklaven folgte; und während sie dahinritt, stellte sich das Volk zu beiden Seiten in Reihen auf und grüßte sie auf ihrem Wege. Auch der Arzt mischte sich unter die Menge und machte seine Verbeugung; dann sagte er zu einem der Zuschauer, einem Derwisch: ,Mich deucht, dies muß die Königin sein.' ,So ist es,' erwiderte jener, ,sie ist die Gemahlin unseres Königs, und alles Volk ehrt und achtet sie höher als die anderen Frauen des Sultans, da sie doch die Mutter des Prinzen Chudadâd ist, von dem du sicherlich gehört hast.' Darauf ging der Arzt mit dem Reiterzug; und als die Herrin bei einer Hauptmoschee abstieg und Goldmünzen als Almosen unter die Anwesenden verteilte -denn der König hatte ihr befohlen, daß sie bis zu Chudadâds Rückkehr den Armen mit eigener Hand spenden und dafür beten sollte, daß der Jüngling in Frieden und Sicherheit heimkehren möchte -, da mischte sich der Arzt unter die Leute. die sich zum Gebet für ihren Liebling vereinten, und flüsterte einem Sklaven die Worte zu: ,Bruder, ich muß unverzüglich der Königin Firûza ein Geheimnis mitteilen, das ich hüte.' Jener antwortete: ,Wenn es etwas über den Prinzen Chudadâd ist, gut, so wird die Gemahlin des Königs dir sicherlich ihr Ohr leihen; ist es aber etwas anderes, so wirst du schwerlich Gehör finden, denn sie ist durch die Trennung von ihrem Sohne verstört und hat für nichts anderes Sinn.' Da fuhr der Arzt fort, immer noch leise sprechend: ,Mein Geheimnis betrifft das, was ihr am Herzen liegt.' ,Wenn es so ist,' antwortete der Sklave, ,dann folge heimlich dem Zuge, bis er das Tor des Palastes erreicht.' Wie nun die Herrin Firûza bei ihren königlichen Gemächern angelangt war, trat der Mann bittend an sie heran und sprach: ,Ein Fremder möchte dir heimlich etwas kundtun.' Und sie geruhte, Befehl und Erlaubnis zu geben, indem sie rief: ,Gut, er möge hierher geführt werden!' Darauf brachte der Sklave den Arzt zu ihr, und die Königin gebot mit huldvoller Miene, er möge näher treten; nachdem er den Boden vor ihr geküßt hatte, trug er sein Anliegen vor mit den Worten: ,Ich habe deiner Hoheit eine lange Geschichte zu erzählen, über die du sehr staunen wirst.' Und nun schilderte er ihr Chudadâds Geschichte, die Schurkerei seiner Brüder und seinen Tod durch ihre Hand: auch berichtete er ihr, daß seine Leiche von wilden Tieren fortgeschleppt sei. Als aber die Königin Firûza von der Ermordung ihres Sohnes hörte, fiel sie sogleich ohnmächtig zu Boden: und die Diener eilten herbei, richteten sie auf und besprengten ihr Gesicht mit Rosenwasser, bis sie wieder zu Verstand und Bewußtsein kam. Dann gab sie dem Arzte Befehl, indem sie sprach: ,Begib dich sofort zur Prinzessin von Darjabâr und überbringe ihr von mir und von seinem Vater Grüße und den Ausdruck des Mitgefühls.' Sobald aber der Arzt gegangen war, gedachte sie wieder ihres Sohnes und weinte bitterlich. Zufällig ging der Sultan dort vorbei, und wie er sah, daß Firûza weinte und seufzte und in schwere und bittere Klagen ausbrach, fragte er sie nach dem Grunde. Da erzählte sie ihm alles, was sie von dem Arzt gehört hatte, und ihr Gemahl wurde von heißem Grimm gegen seine Söhne erfüllt. So erhob er sich denn und eilte geradewegs in den Staatssaal, in dem sich das Volk der Stadt versammelt hatte, um Anliegen vorzutragen und um Gerechtigkeit und Abhilfe zu erbitten; doch als sie seine Züge vor Wut zucken sahen, wurden alle von großer Furcht erfüllt. Dann setzte sich der Sultan auf den Thron seiner Herrschaft und erteilte seinem Großwesir Befehl, indem er sprach: ,Wesir Hasan, nimm mit dir tausend Mann von den Wächtern, denen die Hut und Bewachung des Palastes anvertraut ist, und hole die neunundvierzig Prinzen, meine unwürdigen Söhne, dann wirf sie in den Kerker, der für Totschläger und Mörder bestimmt ist; doch gib wohl acht, daß keiner von ihnen entkommt!' Der Wesir tat, wie ihm befohlen war; er ließ die Prinzen allesamt ergreifen und in den Kerker werfen zu den Mördern und anderen Verbrechern. und er berichtete seinem Herrn darüber. Darauf entließ der Sultan einige Kläger und Bittsteller und sprach: ,Für den Zeitraum eines vollen Monats von heute an geziemt es mir nicht, in der Halle der Rechtsprechung zu sitzen. Geht fort von hier, und wenn die dreißig Tage verstrichen sind, so mögt ihr wieder hierher kommen!' Danach verließ er den Thron, nahm den Wesir Hasan mit sich und begab sich zum Gemach der Königin Firûza; dort befahl er dem Minister in aller Eile. doch mit königlicher Pracht und Würde, die Prinzessin von Darjabâr und den Arzt aus der Karawanserei zu holen. Der Wesir saß alsbald auf, begleitet von den Emiren und den Kriegern; und nachdem er eine schöne weiße Mauleselin, die reich mit juwelenbesetztem Geschirr geschmückt war, aus den königlichen Ställen geholt hatte, ritt er zu der Karawanserei, in der die Prinzessin von Darjabâr wohnte. Er berichtete ihr alles, was der König getan hatte, und ließ sie dann die Mauleseln besteigen; dem Arzt aber gab er ein Roß aus turkmenischem Blut zu reiten, und nun zogen alle drei in Pracht und Herrlichkeit zum Palast. Die Ladenbesitzer und das Stadtvolk eilten herbei, um die Herrin zu begrüßen, während der Reiterzug sich durch die Straßen bewegte; und als sie hörten, daß sie die Gemahlin des Prinzen Chudadâd war, waren sie hocherfreut, weil sie nun doch etwas über seinen Aufenthalt erfahren mußten. Sobald der Zug die Tore des Palastes erreichte, sah die Prinzessin von Darjabâr den Sultan, der ihr entgegenkam, um sie zu begrüßen, und sie sprang von ihrem Maultier und küßte ihm die Füße. Der König aber ergriff ihre Hand und richtete sie auf, und dann führte er sie in das Gemach, in dem Königin Firûza saß und ihren Besuch erwartete. Dort fielen alle drei einander um den Hals und weinten bitterlich, ja, sie konnten ihren Gram gar nicht mehr beherrschen. Doch als ihr Kummer sich ein wenig gelegt hatte, sprach die Prinzessin von Darjabâr zum König: ,O mein Gebieter und Sultan, ich möchte demütig bitten, daß volle Rache über alle jene komme, von denen mein Gemahl so schmählich und grausam ermordet worden ist.' Der König erwiderte: ,Mein Gebieterin, sei versichert, daß ich gewißlich alle jene Schurken hinrichten lassen werde zur Strafe für das vergossene Blut Chudadâds.' Und er fügte hinzu: ,Freilich ist die Leiche meines tapferen Sohnes nicht gefunden worden; doch scheint es mir nur recht, daß ein Grabmal erbaut werde, ein leeres Grabgebäude, durch das seine Größe und Güte ewiglich im Gedächtnis festgehalten werde.' Alsbald berief er den Großwesir und gab Befehl, daß ein großes Mausoleum aus weißem Marmor mitten in der Stadt gebaut würde; und der Minister ernannte sofort Werkleute, nachdem er eine passende Stätte mitten im Herzen der Stadt ausgesucht hatte. Dort nun errichteten sie ein prunkvolles Grabgebäude, das von einer stolzen Kuppel gekrönt war, und darunter ward ein Bildnis Chudadâds ausgemeißelt. Nachdem die Kunde von der Vollendung dem König überbracht war, bestimmte er einen Tag für die Trauerfeier und die Lesungen aus dem Koran. Zur bestimmten Zeit versammelte sich das Volk der Stadt, um dem Trauerzuge und der Totenfeier für den Dahingeschiedenen zuzuschauen; und der Sultan begab sich im Prunkzuge zudem Mausoleum, begleitet von allen Wesiren und Emiren und Herren des Landes, und er setzte sich auf Decken aus schwarzem Atlas, die mit goldenen Blumen bestickt waren und die über den Marmorboden ausgebreitet lagen. Nach einer Weile kam eine Schar von Reitern angeritten, mit gesenkten Häuptern und niedergeschlagenen Augen; nachdem sie zweimal um das Mausoleum gezogen waren, machten sie beim dritten Male Halt vor dem Tor und riefen laut: ,O Prinz. o Sohn unseres Sultans, könnten wir durch das Schwingen unserer guten Schwerter und die Kraft unserer tapferen Arme dich zum Leben erwecken, so würden unser Herz und unsere Stärke nicht versagen in heißem Bemühen! Doch vor dem Spruche Allahs des Erhabenen müssen alle Nacken sich beugen.' Dann ritten die Reiter wieder zu dem Platze hin, von dem sie gekommen waren, und ihnen folgten hundert weißhaarige Einsiedler, Bewohner der Höhlen, die ihr Leben in Einsamkeit und Entsagung verbracht und nie mit einem Mann oder einer Frau gesprochen hatten, sondern nur dann in Harrân erschienen, wenn eine Totenfeier des Königshauses stattfand. An ihrer Spitze schritt einer dieser Graubärte, der mit einer Hand ein großes und schweres Buch hielt, das er auf dem Haupte trug. Alle diese Heiligen zogen dreimal um das Mausoleum, dann machten sie auf der Straße Halt, und der Älteste rief mit lauter Stimme: ,O Prinz, könnten wir dich durch Gebete und Andacht ins Leben zurückrufen, so würden diese unsere Herzen und Seelen nur daran denken, dich aufzuerwecken; und wenn wir dich auferstehen sähen, so wollten wir dir die Füße mit unseren altersweißen Bärten abwischen.' Als auch sie sich zurückgezogen hatten, kamen hundert Jungfrauen von wunderbarer Schönheit und Anmut, beritten auf weißen Berberrossen, deren Sättel reich bestickt und mit Juwelen besetzt waren; ihre Gesichter waren entblößt, und auf ihren Häuptern trugen sie goldene Körbchen, die mit Edelsteinen, Rubinen und Diamanten gefüllt waren. Auch sie ritten rings um das Grabgebäude, und als sie an dem Tore hielten, sprach die jüngste und Schönste unter ihnen im Namen ihrer Schwestern und rief: ,O Prinz, vermöchte unsere Jugend und unsere Schönheit dir etwas zu nützen, so würden wir uns dir darbieten und deine Mägde werden. Aber ach, du weißt recht wohl, daß all unsere Schönheit nutzlos ist und daß unsere Liebe deinen Staub nicht zu erwärmen vermag.' Darauf zogen auch sie in tiefster Trauer von dannen. Sobald sie den Blicken entschwunden waren, erhoben sich der Sultan und alle, die bei ihm waren, und sie schritten dreimal um die Bildsäule, die unter der Kuppel errichtet war; dann blieb der Vater zu ihren Füßen stehen und sprach: ,O mein geliebter Sohn, mach diese Augen hell, die von den Tränen ob des Trennungsschmerzes verdunkelt sind.' Und er weinte bitterlich, und alle seine Minister und Hofmänner und Großen trauerten und klagten mit ihm. Als aber die Totenfeier beendet war, kehrte der Sultan mit seinem Gefolge in den Palast zurück, und die Tür des Mausoleums ward geschlossen. Darauf gab der König Befehl, eine ganze Woche lang in allen Moscheen Gemeindegebete abzuhalten; und er selbst weinte und trauerte acht Tage hindurch unaufhörlich vor dem Mausoleum seines Sohnes. Nachdem diese Zeit verstrichen war, befahl er dem Großwesir, die Rache für den Mord des Prinzen Chudadâd zu vollstrecken; die Prinzen sollten aus ihren Kerkern geholt und hingerichtet werden. Die Nachricht davon verbreitete sich in der Stadt, die Vorkehrungen für die Hinrichtung der Mörder wurden getroffen, und große Volksscharen versammelten sich und schauten auf das Blutgerüst, als plötzlich gemeldet ward, daß ein Feind, den der König in früheren Zeiten geschlagen hatte, mit einem Eroberungsheere wider die Stadt heranrücke. Darüber war der König sehr erschrocken und bestürzt, und die Minister sagten zueinander: ,Ach, wäre Prinz Chudadâd noch am Leben, er hätte die Scharen der Feinde, so grimmig und grausam sie auch wären, alsbald in die Flucht geschlagen.' Nun zog der Herrscher sofort mit seinem Gefolge und seinem Heer ins Feld; doch er traf zugleich Vorkehrungen, um auf dem Flusse in ein anderes Land zu flüchten, wenn die Truppen des Feindes siegreich sein sollten. Dann prallten die beiden Heere in heißem Kampfe aufeinander; und die Eindringlinge, die das Heer des Königs Hann auf allen Seiten umzingelten, hätten ihn und alle seine Krieger in Stücke zerhauen, wenn nicht plötzlich eine bewaffnete Schar, die man bisher noch nicht gesehen hatte, quer über das Feld geritten wäre, so schnell und so sicher, daß die beiden feindlichen Könige sie in höchster Verwunderung anstarrten, und niemand wußte, woher jene Schar kam. Als sie aber näher rückte, fielen die Reiter über die Feinde her und schlugen sie im Nu in die Flucht; und sie fällten sie in hitziger Verfolgung mit dem schneidenden Schwert und dem durchbohrenden Speer. Als der König von Harrân diesen Ansturm sah, staunte er gar sehr, und nachdem er seinen Dank gen Himmel gesandt hatte, sprach er zu denen, die ihn umgaben: ,Erkundet den Namen des Hauptmanns jener Schar und erforscht, wer er ist und woher er kam!' Als nun die Feinde auf dem Felde gefallen waren, bis auf wenige, die nach allen Seiten hin flüchteten, und bis auf den feindlichen Sultan, der gefangen genommen war, da kehrte der Hauptmann der befreundeten Schar zufrieden zurück von der Verfolgung, um den König zu begrüßen. Doch wie die beiden einander näher kamen, siehe, da erkannte der Sultan, daß der Hauptmann kein anderer war als sein geliebter Sohn Chudadâd, der einst verloren, aber nun wiedergefunden war. Eine unsagbare Freude kam über ihn, daß sein Feind so besiegt worden war, und daß er selbst seinen Sohn Chudadâd wiedersah, der lebend und sicher und gesund dort vor ihm stand. ,Mein Vater,' rief der Prinz, ,ich bin der, den du für tot hieltest; allein Allah der Erhabene hat mich am Leben erhalten, auf daß ich an diesem Tage für dich einstände und diese deine Feinde vernichtete.' ,Ach, mein geliebter Sohn,' erwiderte der Vater, ,wahrlich, ich hatte die Hoffnung verloren und glaubte nicht mehr, daß ich dich je mit eigenen Augen wiedersehen würde.' Da sprangen Vater und Sohn vom Rosse und fielen einander um den Hals, und der Sultan ergriff die Hand des Jünglings und sprach: ,Seit langem kannte ich deine tapferen Taten, und ich wußte auch, daß du deine unseligen Brüder aus den Händen des schwarzen Menschenfressers befreit hast und daß sie dir so übel vergolten haben. Eile jetzt zu deiner Mutter, die so bitterlich um dich weint, daß von ihr nur noch Haut und Knochen übrig sind; sei du der erste, der ihr Herz erfreut und ihr die frohe Kunde von deinem Siege bringt!' Als sie dann weiter ritten, fragte der Prinz den Sultan, wie er von dem Neger und von der Befreiung der Prinzen aus den Klauen des Menschenfressers gehört habe. ,Hat einer von meinen Brüdern', so fügte er hinzu, ,dir von diesem Abenteuer berichtet?' ,Ach nein, mein Sohn,' erwiderte der König, ,sie sagten nichts, sondern die Prinzessin von Darjabâr hat mir die jammervolle Geschichte erzählt; sie wohnt schon seit vielen Tagen bei mir, und sie hat als erste und am meisten nach Rache für dein Blut verlangt.' Wie Chudadâd vernahm, daß die Prinzessin, seine Gemahlin, als Gast bei seinem Vater weilte, freute er sich über die Maßen und rief: ,Laß mich erst meine Mutter sehen! Dann will ich zur Prinzessin Darjabâr eilen.' Darauf schlug der König von Harrân seinem Erzfeinde das Haupt ab und ließ es öffentlich durch die Straßen seiner Hauptstadt tragen; und alles Volk freute sich nicht nur über den Sieg, sondern auch über die wohlbehaltene und sichere Heimkehr Chudadâds, und in allen Häusern gab es Tanz und Feiern. Dann traten Königin Firûza und die Prinzessin von Darjabâr vor den Sultan und brachten ihm ihre Glückwünsche dar; und nun begaben sich die beiden Hand in Hand zu Chudadâd, und da fielen alle drei einander um den Hals und weinten vor eitel Freude. Danach unterhielten sich der König und seine Königin und seine Schwiegertochter lange miteinander, und sie wunderten sich, wie Chudadâd, obwohl er von den Schwertern schwer verwundet und zerhauen war, doch noch lebendig aus jener öden Wildnis entronnen sei; da erzählte der Prinz auf das Geheiß seines Vaters in diesen Worten seine Geschichte: ,Es traf sich, daß ein Bauer, der auf einem Kamel ritt, an meinem Zelt vorüberkam; und als er sah, wie ich schwer verwundet war und mich in meinem Blute wälzte, hob er mich auf sein Reittier und führte mich zu seinem Hause; dann wählte er einige Wurzeln der Steppenkräuter aus und legte sie auf die Wunden, so daß sie sanft heilten und ich bald wieder bei Kräften war. Nachdem ich meinem Wohltäter gedankt und ihm ein reiches Geschenk gegeben hatte, machte ich mich auf nach der Stadt Harrân, doch auf meinem Wege sah ich, wie die Scharen der Feinde in gewaltiger Zahl gegen deine Stadt zogen. Deshalb meldete ich es den Einwohnern der Flecken und Dörfer ringsum und bat sie um Hilfe; so sammelte ich eine große Streitmacht und stellte mich an ihre Spitze, und da ich gerade noch zur rechten Zeit eintraf, konnte ich die Scharen der Eindringlinge vernichten.' Der Sultan dankte nun Allah dem Erhabenen von neuem und sagte dann: ,Alle die Prinzen, die sich wider dein Leben verschworen haben, sollen jetzt hingerichtet werden'; und er schickte sogleich nach dem Träger des Schwertes seiner Rache. Aber Chudadâd legte bei seinem Vater Fürbitte ein, indem er sprach: ,Wahrlich, o mein Herr und König, sie alle verdienen mit Recht das Schicksal. das du für sie bestimmt hast! Doch sind sie nicht meine Brüder und auch dein Fleisch und Blute Ich habe ihnen schon aus freien Stücken ihre Schuld gegen mich vergeben, und ich bitte dich demütig, du mögest ihnen ihr Leben schenken; denn Blut ruft wieder nach Blut.' Der Sultan willigte schließlich ein und vergab ihnen ihre Missetat. Dann berief er alle Wesire und erklärte Chudadâd zu seinem Erben und Nachfolger in Gegenwart der Prinzen, die er aus dem Gefängnis hatte bringen lassen. Chudadâd aber ließ ihnen ihre Ketten und Fesseln abnehmen und umarmte sie, einen nach dem andern, indem er ihnen die gleiche Liebe und Freundlichkeit zeigte, die er ihnen in dem Schlosse des schwarzen Menschenfressers bewiesen hatte. Und alles Volk brach in Rufe des Beifalls aus, als dies edle Verhalten des Prinzen Chudadâd bekannt wurde, und liebte ihn noch mehr als zuvor. Der Arzt, der sich um die Prinzessin von Darjabâr so verdient gemacht hatte, empfing ein Ehrengewand und großen Reichtum; und so endete das, was in Leid begonnen hatte, in eitel Freude. — —«Danach fuhr die Königin Schehrezâd auf Befehl des Königs Schehrijâr fort und erzählte
DIE GESCHICHTE VON 'ALt CHAWÂDSCHA
UND DEM KAUFMANNE VON BAGHDAD'
Unter der Regierung des Kalifen Harûn er-Raschîd lebte in der Stadt Baghdad ein Kaufmann, 'All Chawâdscha geheißen; der hatte einen kleinen Vorrat an Waren, mit dem er Handel trieb und ein kärgliches Brot verdiente, indem er allein und ohne Angehörige im Hause seiner Vorväter wohnte. Nun begab es sich; daß er drei Nächte hintereinander in jeder Nacht im Traume einen ehrwürdigen Scheich sah, der also zu ihm sprach: ,Du bist verpflichtet, eine Pilgerfahrt nach Mekka zu machen. Warum verharrst du versunken in achtlosem Schlummer und machst dich nicht auf, wie es dir geziemte' Als er diese Worte vernahm, ward er bestürzt und so erschrocken, daß er Laden und Waren und all sein Hab und Gut verkaufte und in der festen Absicht, das heilige Haus Allahs des Erhabenen zu besuchen, sein Haus vermietete und sich einer Karawane anschloß, die nach dem hochgeehrten Mekka reiste. Doch ehe er seine Vaterstadt verließ, legte er tausend Goldstücke, die er über das Reisegeld hinaus noch besaß, in einen irdenen Krug und füllte ihn dann mit Sperlingsoliven', und nachdem er die Öffnung des Kruges verschlossen hatte, trug er ihn zu
Jetzt mußt du nun, o glücklicher König, von dem Kaufmann in Baghdad und von seiner Unehrlichkeit hören. Sieben lange Jahre hatte er nicht ein einziges Mal an 'All Chawâdscha gedacht, noch an das Pfand, das seiner Obhut anvertraut war. Schließlich aber, als er eines Tages mit seiner Frau beim Nachtmahle
saß, kam ihr Gespräch auf Oliven, und sie sagte: ,Ich möchte jetzt gern einige zum Essen haben.' Da gab er zur Antwort: ,Weil du gerade davon sprichst, fällt mir ein, daß 'All Chawâdscha, der vor sieben Jahren auf die Pilgerfahrt nach Mekka zog, vor seiner Abreise mir einen Krug mit Sperlingsoliven anvertraute, der noch im Speicher steht. Wer weiß, wo er jetzt weilt und was ihm widerfahren ist? Ein Mann, der kürzlich mit der Pilgerkarawane heimgekehrt ist, erzählte mir, daß 'All Chawâdscha Mekka, das hochgeehrte, verlassen habe mit der Absicht, nach Ägypten zu ziehen. Einzig Allah der Erhabene weiß, ob er noch am Leben oder schon gestorben ist; indessen, wenn seine Oliven noch gut sind, so will ich hingehen und einige davon bringen, damit wir sie kosten; gib mir also den Schlüssel und eine Lampe, daß ich einige davon holen kann!' Seine Frau jedoch, die ein ehrlich und rechtschaffen Weib war, erwiderte: ,Allah verhüte, daß du eine so gemeine Tat begehst und dein Wort und Gelöbnis brichst! Wer kann es wissen? Du hast von niemandem sichere Kunde, daß er tot ist; vielleicht kommt er morgen oder übermorgen sicher und gesund aus Ägypten zurück; dann wirst du, wenn du ihm nicht unbeschädigt wiedergeben kannst, was er dir einst anvertraute, dich wegen deines gebrochenen Wortes schämen müssen, wir werden vor den Menschen in Schande geraten und vor deinem Freunde entehrt sein. Ich wenigstens will an solcher Schändlichkeit keinen Teil haben, ich will auch die Oliven nicht kosten; überdies widerspricht es aller Vernunft, daß sie nach sieben Jahren noch eßbar sein sollten. Ich flehe dich an, laß ab von dieser argen Absicht!' In dieser Weise erhob die Frau des Kaufmanns Einspruch, und sie bat ihren Gatten, sich an 'All Chawâdschas Oliven nicht zu vergreifen, und brachte ihn durch Scham von seinem Vorhaben ab, so daß er sich für den Augenblick die Sache aus dem Sinne schlug. Obwohl der Kaufmann es an jenem Abend unterließ, 'All Chawâdschas Oliven anzurühren, so behielt er doch den Plan im Gedächtnis, bis er eines Tages in seiner Hartnäckigkeit und Treulosigkeit beschloß, sein Vorhaben auszuführen; da machte er sich auf und begab sich mit einer Schüssel in der Hand zum Vorratshause. Zufällig traf er seine Frau, und die rief: ,Ich habe mit dir an dieser argen Tat keinen Anteil. Wahrlich, dir wird Böses widerfahren, wenn du eine solche Tat begehst.' Er hörte sie, aber er achtete ihrer nicht; und als er im Speicher war, öffnete er den Krug und fand, daß die Oliven verdorben und weiß von Schimmel waren. Wie er dann jedoch den Krug umstürzte und einen Teil seines Inhalts in die Schüssel schüttete, sah er plötzlich, daß ein Goldstück zusammen mit den Früchten herausfiel. Von Gier erfüllt, schüttete er nunmehr alles, was darinnen war, in einen anderen Krug und wunderte sich über die Maßen, als er die untere Hälfte voll von Goldstücken fand. Dann legte er das Geld und die Oliven beiseite, schloß das Gefäß, kehrte zu seiner Frau zurück und sprach zu ihr: ,Du hattest recht; denn ich habe den Krug untersucht und gefunden, daß die Früchte schimmlicht sind und verdorben riechen. Deshalb habe ich sie wieder in den Krug getan und ihn stehenlassen, wie er war.' In jener Nacht konnte der Kaufmann kein Auge zutun, da er immer an das Gold dachte und grübelte, wie er es sich aneignen könnte; und als der Morgen graute, nahm er alle die Goldstücke heraus, kaufte auf dem Markte einige frische Oliven, füllte den Krug mit ihnen auf, verschloß die Öffnung und stellte ihn wieder an seinen alten Platz.Nun begab es sich, daß durch Allahs Gnade 'Alt Chawâdscha sicher und gesund am Ende des Monats wieder nach Baghdad heimkehrte. Zuerst begab er sich zu seinem alten
Freunde, dem Kaufmann; der begrüßte um mit geheuchelter Freude und fiel ihm um den Hals. aber er war doch sehr in Sorgen und Verlegenheit wegen dessen, was da kommen möchte. Nachdem sie sich also begrüßt und beide ihrer großen Freude Ausdruck gegeben hatten, begann 'All Chawâdscha von Geschäften zu sprechen und bat den Kaufmann, ihm seinen Krug mit Sperlingsoliven zurückzugeben, den er einst der Obhut seines Freundes anvertraut hatte. Da sagte der Kaufmann zu 'All Chawâdscha: ,Lieber Freund. ich weiß nicht. wohin du deinen Olivenkrug gestellt hast. Aber hier ist der Schlüssel; geh hinunter in den Speicher und nimm alles, was dein ist.' 'All Chawâdscha tat, wie ihm gesagt war; er holte den Krug aus dem Vorratshaus, nahm Abschied und eilte heim. Als er aber den Krug öffnete und die Goldstücke nicht fand, ward er bestürzt und von Schmerz überwältigt, und er klagte bitterlich. Dann eilte er zu dem Kaufmann zurück und sagte: ,Mein Freund, Allah, der Allgegenwärtige und Allsehende, sei mein Zeuge, daß ich in dem Kruge tausend Goldstücke zurückließ, als ich auf die Pilgerfahrt zog nach Mekka, dem hochgeehrten, und jetzt finde ich sie nicht; Kannst du mir nicht etwas über sie sagen? Wenn du in arger Not von ihnen Gebrauch gemacht hast, so tut es nichts; denn du wirst sie mir zurückgeben, sobald du kannst.' Der Kaufmann erwiderte, indem er sich den Anschein gab, als bemitleide er ihn: ,Mein guter Freund, du hast den Krug mit deiner eigenen Hand in den Speicher gestellt. Ich wußte nicht, daß du etwas anderes darin hattest als Oliven; genau wie du ihn verlassen hast, so hast du ihn wiedergefunden und fortgetragen; und jetzt beschuldigst du mich des Diebstahls von Goldstücken! Es kommt mir seltsam, ja noch mehr als seltsam vor, daß du eine solche Anklage zu erheben wagst. Als du fortgingst, sprachst du von keinem Gelde in dem Krug, sondern du sagtest nur, er sei voll von Oliven, so wie du ihn auch angetroffen hast. Hättest du Goldmünzen darin gelassen, so hättest du sie sicherlich auch wiedergefunden.' Darauf begann 'All Chawâdscha inständig und fiehentlich zu bitten, indem er sprach: ,Jene tausend Goldstücke waren alles, was ich besaß, das Geld, das ich in Jahren mühevoller Arbeit verdient hatte; ich flehe dich an, hab Mitleid mit meiner Not und gib sie mir zurück!' Aber der Kaufmann ergrimmte heftig und rief: ,Mein Freund, du bist ein feiner Gesell, daß du von Ehrlichkeit redest und dennoch solche falschen und lügnerischen Anklagen erhebst. Geh, hebe dich von dannen und komm mir nicht wieder in mein Haus; denn jetzt weiß ich, was du bist - ein Schwindler und Betrüger!' Alle Leute des Stadtviertels aber kamen herbei und drängten sich um den Laden, als sie den Streit zwischen 'All Chawâdscha und dem Kaufmann hörten; und die Menge griff die Sache hitzig auf, und so wurde es allen, Reichen und Armen, in der Stadt Baghdad bekannt, daß ein Mann namens 'All Chawâdscha tausend Goldstücke in einem Olivenkruge verborgen und sie einem gewissen Kaufmann anvertraut hatte; daß ferner der arme Mann nach der Pilgerfahrt gen Mekka und nach sieben Jahren der Wanderschaft zurückgekehrt war und der Reiche seine Worte in betreff des Goldes bestritten hatte und bereit war, zu schwören, er habe keinerlei derartiges Pfand erhalten. Schließlich, als nichts anderes mehr fruchtete. war 'All Chawâdscha gezwungen, die Sache vor den Kadi zu bringen und von seinem falschen Freunde tausend Goldstücke einzuklagen. Der Richter fragte: ,Welche Zeugen hast du, die für dich einstehen können?' Darauf erwiderte der Kläger: ,O Herr Kadi, ich fürchtete mich, die Sache irgend jemandem mitzuteilen, damit nicht alle von meinem Geheimnis erfuhren. Allah der Erhabene ist mein einziger Zeuge. Dieser Kaufmann war mein Freund, und ich glaubte nicht, daß er sich als unehrlich und ungetreu erweisen würde.' Der Richter fuhr fort: ,Dann muß ich den Kaufmann kommen lassen und hören, was er unter Eid aussagt.' Wie nun der Beklagte kam, ließen sie ihn schwören abei allem, was ihm heilig war, das Gesicht nach der Kaaba gewandt, mit erhobenen Händen; und er rief: ,Ich schwöre, daß ich nichts weiß von irgendwelchen Goldstücken, die 'All Chawâdscha gehören.' Da sprach der Kadi ilm frei und entließ ihn aus dem Gericht; 'All Chawâdscha aber ging traurigen Herzens nach Hause und sprach bei sich selber: ,Weh, was ist das für eine Rechtsprechung, die mir zuteil geworden ist! Ich soll mein Geld verlieren, und meine gerechte Sache soll für ungerecht erklärt werden? Mit Recht heißt es: Wer vor einem Schurken klagt, dem wird sein Recht versagt.' Am nächsten Tage verfaßte er einen Bericht über seine Sache; und als der Kalif Harûn er-Raschîd sich auf dem Wege zum Freitagsgebet befand, warf er sich vor ihm zu Boden und überreichte ihm das Schriftstück. Der Beherrscher der Gläubigen las die Bittschrift, und nachdem er sich den Fall überlegt hatte, geruhte er zu befehlen, indem er sprach: ,Man bringe morgen den Kläger und den Beklagten in die Audienzhalle und lege mir die Bittschrift vor; denn ich will diese Angelegenheit selbst untersuchen.'An jenem Abend nun legte der Beherrscher der Gläubigen, wie es seine Gewohnheit war, eine Verkleidung an, um in Baghdad über die Märkte und durch die Straßen und Gassen zu wandern; und begleitet von Dscha'far, dem Barmekiden, und Masrûr, dem Träger des Schwertes seiner Rache, zog er aus, um zu erforschen, was in der Stadt geschah. Bald nachdem er hinausgegangen war, kam er auf einen offenen Platz im
Basar, und dort hörte er den Lärm von spielenden Kindern. Dann sah er in geringer Entfernung etwa zehn bis zwölf Knaben, die sich im Mondenschein vergnügten; und er blieb eine Weile stehen, um ihrem Spiele zuzuschauen. Nun sagte einer von den Knaben, ein hübscher Bursche von heller Hautfarbe. zu den anderen: ,Kommt her und laßt uns jetzt Kadi spielen'; ich will der Richter sein, einer von euch sei 'All Chawâdscha und ein anderer der Kaufmann, dem er die tausend Goldstücke anvertraute, ehe er auf die Pilgerfahrt ging. Tretet nur vor mich her, und ein jeder rede für seine Sache!' Als der Kalif den Namen 'All Chawâdscha hörte, dachte er an die Schrift, die ihm überreicht war mit der Bitte um Rechtsprechung wider den Kaufmann, und er beschloß zu warten, um zu sehen, wie der Knabe die Rolle des Kadis im Spiel darstellen und welche Entscheidung er treffen würde. So beobachtete denn der Herrscher das Prozeßspiel mit lebhafter Aufmerksamkeit, indem er sich sagte: ,Dieser Fall hat wirklich die ganze Stadt in solche Erregung gebracht, daß selbst die Kinder davon wissen und ihn in ihren Spielen darstellen.' Dann traten beide vor, der Knabe, der die Rolle des Klägers 'All Chawâdscha spielte, und sein Gefährte, der den wegen des Diebstahls verklagten Kaufmann von Baghdad darstellte, und sie standen vor dem Knaben, der als Kadi ernsthaft und würdevoll dasaß. Der Richter hub also an: ,'All Chawâdscha, wie lautet deine Klage wider diesen Kaufmann?' Und der Kläger brachte seine Klage in allen Einzelheiten vor. Darauf sprach der Kadi zu dem Knaben, der den Kaufmann spielte: ,Was erwiderst du auf diese Klage,Der Beherrscher der Gläubigen, Harûn er-Raschîd, hatte großes Gefallen an dem Scharfsinn des Knaben, der den Richter in dem Spiele dargestellt hatte, und er gab seinem Wesir Dscha'far den Befehl: ,Merke dir den Knaben genau, der in diesem Prozeßspiel der Kadi war, und sieh, daß du ihn mir morgen vorführst; er soll den Fall vor mir wirklich und in vollem Ernst untersuchen, genau so wie wir ihn im Spiel haben
handeln sehen. Berufe auch den Kadi dieser Stadt, damit er von diesem Kinde die Rechtsprechung lerne. Ferner sende Bescheid an 'All Chawâdscha, daß er den Olivenkrug mitbringen soll, und halt mir auch zwei Ölhändler aus der Stadt bereit.' Diese Befehle erteilte der Kalif dem Wesir, als sie dahinschritten; dann kamen sie zum Palast zurück. Am nächsten Morgen begab sich der Barmekide Dscha'far zu jenem Stadtteile, in dem die Kinder das Prozeßspiel aufgeführt hatten, und fragte den Schulmeister, wo seine Schüler wären; der antwortete: ,Sie sind alle fortgegangen, ein jeder in sein Haus.' Darauf besuchte der Minister die Häuser, die ihm bezeichnet wurden, und befahl, daß die Kleinen vor ihm erscheinen sollten. Als sie ihm dann vorgeführt wurden, sprach er zu ihnen: ,Wer von euch ist es, der gestern abend die Rolle des Kadis gespielt und in der Sache von 'All Chawâdscha das Urteil gefällt hat?' Der Älteste unter ihnen antwortete: ,Das war ich, o Herr Wesir'; aber dann ward er bleich, da er nicht wußte, weshalb die Frage gestellt war. Der Minister rief: ,Komm mit mir; der Beherrscher der Gläubigen bedarf deiner.' Darüber erschrak die Mutter des Knaben gar sehr, und sie begann zu weinen; doch Dscha'far tröstete sie, indem er sprach: ,Gute Frau, hab keine Furcht und mach dir keine Sorge! Dein Sohn wird wohlbehalten zu dir zurückkehren, so Gott will, und mich dünkt, der Sultan wird ihm viel Gunst erweisen.' Als die Frau diese Worte des Wesirs vernommen hatte, ward ihr Herz beruhigt, und sie legte ihrem Sohne voller Freuden sein bestes Gewand an, ehe sie ihn mit dem Wesir fortgehen ließ; der leitete ihn an der Hand in die Audienzhalle des Kalifen und führte auch alle die anderen Befehle aus, die ihm sein Herr gegeben hatte. Nachdem der Beherrscher der Gläubigen sich selber auf den Richterthron gesetzt hatte, wies er dem Knaben einen Sitz zu seiner Seite an; und sobald die streitenden Parteien, nämlich 'All Chawâdscha und der Kaufmann von Baghdad, vor ihm erschienen, befahl er einem jeden, seine Sache vor dem Knaben vorzutragen, denn der solle den Prozeß entscheiden. Beide also, der Kläger und der Beklagte, berichteten über ihren Streit vor dem Knaben in allen Einzelheiten; doch als der Beklagte alle Schuld bestimmt ableugnete und schon einen Eid schwören wollte, daß seine Aussage wahr sei, mit erhobenen Händen und das Gesicht nach der Kaaba gewandt, hielt der junge Kadi ihn zurück und sprach: ,Genug! Schwöre nicht eher, als bis es dir befohlen wird! Zunächst soll der Olivenkrug vor den Gerichtshof gebracht werden.' Alsbald wurde der Krug geholt und vor ihn gestellt; dann befahl der Knabe, ihn zu öffnen, kostete eine Frucht und gab auch den beiden Ölhändlern, die vorgeladen waren, damit sie gleichfalls kosteten und erklärten, wie alt die Früchte wären, und ob ihr Geschmack gut oder schlecht wäre. Sie taten nach seinem Geheiß und sagten: ,Der Geschmack dieser Oliven ist unverändert, und sie sind von der Ernte dieses Jahres.' Darauf sprach der Knabe: ,Mir scheint, ihr irrt euch; denn 'All Chawâdscha legte die Oliven vor sieben Jahren in den Krug. Wie könnten Früchte aus diesem Jahre hineingelangt sein ?' Doch sie erwiderten: ,Es ist, wie wir sagen; wenn du unseren Worten nicht glaubst, sende sofort nach anderen Ölhändlern und befrage sie, dann wirst du sehen, ob wir die Wahrheit oder die Unwahrheit sagen.' Als nun der Kaufmann von Baghdad einsah, daß es ihm nicht mehr gelingen konnte, seine Unschuld zu erweisen, gestand er alles, nämlich daß er die Goldstücke herausgenommen und den Krug mit frischen Oliven gefüllt hatte. Wie der Knabe das hörte, sprach er zu dem Beherrscher der Gläubigen: ,O huldreicher Herrscher, gestern abend haben wir diese Sache im Spiel entschieden; aber du allein hast die Macht, die Strafe zu verhängen. Ich habe das Urteil in deiner Gegenwart gefällt, und ich bitte dich in Demut, daß du diesen Kaufmann nach dem Gesetze des Korans und dem Brauche des Propheten bestrafst; und dann befiehl, daß die tausend Goldstücke an 'All Chawâdscha zurückgegeben werden; denn es ist bewiesen, daß sie sein Eigentum sind!' Darauf befahl der Kalif, daß der Kaufmann von Baghdad abgeführt und gehängt werden sollte, nachdem er gestanden habe, wo er die tausend Goldstücke verborgen hatte, und daß diese dann ihrem rechtmäßigen Eigentümer 'All Chawâdscha zurückgegeben würden. Dann wandte er sich auch zu dem Kadi, der die Sache so voreilig abgeurteilt hatte, und hieß ihn von jenem Knaben lernen, wie er seine Pflicht eifriger und gewissenhafter ausüben könnte. Den Knaben aber umarmte der Beherrscher der Gläubigen, und er befahl dem Wesir, ihm tausend Goldstücke aus dem königlichen Schatze zu geben und ihn sicher in sein Haus zu seinen Eltern zurückzuführen. Und als der Knabe zum Mann herangewachsen war, machte der Beherrscher der Gläubigen ihn zu einem seiner Tischgenossen und förderte sein Wohlergehen und erwies ihm stets die höchsten Ehren. Ferner wird erzählt
DIE GESCHICHTE VON HARÛN ER-RASCHÎD
UND ABU HASAN, DEM KAUFMANN AUS OMAN'
Eines Nachts war der Kalif Harûn er-Raschîd von Schlaflosigkeit heftig geplagt; da rief er nach Masrûr, und als der gekommen war, sprach er zu ihm: ,Hole mir so gleich Dscha'far!' Jener ging hin und holte den Wesir, und als der vor dein Herrscher stand, sprach dieser: ,Dscha'far, heute nacht ist Schlaflosigkeit
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 947. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kalif und
Ich sprech zu ihm, wenn mir der Wein im Becher leuchtet Und wenn die Nachtigall im dichten Laube singt: Wie lange willst du dich der Freude noch enthalten? Erwach! Ein Lehn ist alles, was das Leben bringt. So nimm den Trank aus Händen eines lieben Freundes. Der dich versonnen anschaut mit verhaltner Sucht! Ich sät auf seine Wangen eine frische Rose; Da reifte bei den Locken der Granate Frucht. Du siehst, wo sonst Betrübte ihr Gesicht zerfleischen, Verglommne Asche; doch der Wangen Feuer blinkt.' Der Tadler sagt zu mir, ich solle sein vergessen; Wie könnt ich das, solang der Flaum mir heimlich winkt. |
Als der Kalif diesen Gesang hörte, rief er: ,O Dscha'far, wie herrlich ist diese Stimme!' Und der Wesir erwiderte: ,O unser Gebieter. nie ist etwas Lieblicheres oder Schöneres als dieser Gesang in meinen Ohren erklungen! Doch, hoher Herr, hinter einer Mauer hören, heißt nur halb hören. Wie wäre es, hinter einem Vorhang zu hören? Da sprach der Kalif: ,Wohlan denn, Dscha'far, wir wollen uns selbst bei dem Herrn dieses Hauses zu Gaste laden; vielleicht werden wir dann die Sängerin mit unseren eigenen Augen erblicken.' ,Wir hören und gehorchen', antwortete Dscha'far; und nun verließen sie alle das Boot und baten um Einlaß. Siehe, da trat ein Jüngling zu ihnen heraus,
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 948. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Maid, nachdem sie hereingetreten war, sich auf den Stuhl setzte und die Laute aus dem Beutel nahm, jene, die mit Edelsteinen und Rubinen eingelegt war und Wirbel aus Gold hatte. Dann stimmte sie die Saiten zu reinem Lautenklang, und es war, wie der Dichter von ihr und ihrer Laute sang:
Sie legte sie auf ihren Schoß, wie eine Mutter Voll Liebe ihren Sohn, und schlug die Saiten an. Und immerdar, wenn ihre rechte Hand sie rührte, War's ihre Linke, die den reinen Ton gewann. |
Und so zog sie die Laute an ihre Brust und neigte sich über sie, wie eine Mutter sich über ihr Kind neigt; dann rührte sie die
Saiten, und die klagten, wie das Kindlein seiner Mutter klagt, und schließlich spielte sie und hub an, diese Verse zu singen:Wenn mir die Zeit den Freund zurückgibt, will ich schelten: Geführte mein, nun la!! die Becher kreisen, lab Am Weine dich, der nie ins Herz des Mannes eindrang, Ohn daß er ihm der Freude höchste Wonne gab! Der Zephir nahte sich und trug des Weines Becher; Hast du den Stern gesehen in des Vollmonds Hand?' Wie manche Nacht verbracht ich plaudernd, wenn der Vollmond So hell im Dunkel ob des Tigris Fluten stand! Dann senkte sich der Mond, dem Schwinden zugekehrt, Als reckt' er übers Wasser hin ein gulden Schwert. |
Als sie ihr Lied beendet hatte, weinte sie bitterlich; und alle, die im Saale zugegen waren, weinten laut, bis sie fast den Geist aufgaben. Keiner war unter ihnen, der um ihres schönen Gesanges willen nicht den Verstand fast verloren, seine Kleider zerrissen und sich ins Angesicht geschlagen hätte. Da sprach er-Raschîd: ,Fürwahr, der Gesang dieser Maid beweist, daß sie eine verlassene Liebende ist.' Ihr Herr erwiderte: ,Sie hat Vater und Mutter verloren'; doch er-Raschîd fuhr fort: ,Dies ist nicht das Weinen einer, die Vater und Mutter verloren hat; nein, es ist das Klagen einer, die ihren Geliebten verloren hat.' Und entzückt von ihrem Gesang, sprach der Kalif zu Ishâk: ,Bei Allah, ihresgleichen habe ich nie gesehen!' Und Ishâk sagte: ,Ich bewundere sie über alle Maßen, ja, ich kann mich vor Entzücken nicht halten.' Derweilen schaute er-Raschîd immer den Hausherrn an und betrachtete seine Schönheit und all seine Lieblichkeit. Doch in seinem Antlitz entdeckte er Zeichen der Blässe, und so wandte er sich zu ihm und rief: ,Du Jüngling!' Jener antwortete: ,Zu Diensten, mein Gebietet!'
Da hub der Jüngling an: ,Wisse, o Beherrscher der Gläubigen, ich bin einer von den Kaufleuten, die das Meer befahren, und ich stamme aus der Stadt von Oman. Mein Vater war ein sehr reicher Kaufmann, und er besaß dreißig Schiffe für den Handel über See; ihre Pacht trug ihm alljährlich dreißigtausend Dinare ein. Er war ein edler Mann; und er lehrte mich schreiben und alles, dessen ein junger Mann bedarf. Als der Tod ihm nahte, rief er mich und gab mir die Ermahnungen, die man zu geben pflegt. Dann ließ Allah der Erhabene ihn zu Seiner Barmherzigkeit eingehen -möge Allah den Beherrscher der Gläubigen am Leben erhalten! Mein Vater hatte aber Teilhaber, die mit seinem Gelde Handel trieben und auf See fuhren. Und es begab sich eines Tages, als ich in meinem Hause
saß mit einer Schar von Kaufleuten, daß einer von meinen Dienern zu mir eintrat und sprach: ,Mein Gebieter, an der Tür steht ein Mann, der um Erlaubnis bittet, zur dir hereinkommen zu dürfen.' Ich gab ihm die Erlaubnis, und er trat ein, indem er etwas auf dem Kopfe trug, das zugedeckt war. Das legte er vor mir nieder und deckte es auf; es waren Früchte außer der Zeit, kostbare und seltsame Dinge, die es nicht in unserem Lande gab. Ich dankte ihm dafür und gab ihm hundert Dinare; und er ging dankbar davon. Dann verteilte ich jene Dinge an alle Gefährten, die zugegen waren; und ich fragte die Kaufleute, woher solches käme. Man antwortete mir: ,Diese kommen aus Basra', und pries sie hoch. Dann begannen die Leute Basras Schönheit zu beschreiben, und sie waren sich darin einig, daß es in der Welt nichts Schöneres gäbe als das Land von Baghdad und sein Volk. Und nun beschrieben sie mir Baghdad und das feine Wesen seiner Bewohner, die Herrlichkeit seiner Luft und die Schönheit seiner Anlage. Da sehnte sich meine Seele nach dieser Stadt. und alle meine Hoffnungen hängten sich daran, sie zu sehen. Drum machte ich mich auf und verkaufte meine Grundstücke und Besitztümer; auch verkaufte ich die Schiffe um hunderttausend Dinare und verkaufte die Sklaven und die Sklavinnen. Darauf sammelte ich meine Habe, und das waren tausendmaltausend Dinare, ausgenommen die Edelsteine und Juwelen; und ich mietete ein Schiff und belud es mit meinem Gelde und all meinem Gut. Auf dem reiste ich Tag und Nacht dahin, bis ich nach Basra kam; und dort blieb ich eine Weile. Dann mietete ich mir ein anderes Schiff und belud es mit meiner Habe: und wir fuhren wenige Tage stromaufwärts, bis wir Baghdad erreichten. Dort fragte ich, wo die Kaufleute wohnten, und welches Viertel das angenehmste zum Wohnen wäre. Man antwortete mir: ,Im Viertel el-Karch." So begab ich mich dorthin, mietete ein Haus in der Straße, die ,Safranstraße' genannt wird, schaffte all meinen Besitz in jenes Haus und blieb dort eine Weile. Eines Tages aber ging ich aus, um mich zu vergnügen, indem ich etwas Geld mitnahm; jener Tag war ein Freitag, und als ich zu der Moschee kam, die Mansûrs Moschee heißt, wurde dort die Freitagsandacht abgehalten. Nachdem wir den Gottesdienst beendet hatten, ging ich mit den Leuten hinaus zu einer Gegend, die Kam es-Sarât heißt; und an jener Stätte sah ich ein hohes und schönes Haus mit einem Söller. der das Ufer überschaute und auf der Seite ein Fenster hatte. Ich ging mit einer Schar von den Leuten zu jenem Gebäude, und dort sah ich einen alten Mann sitzen, der schöne Kleider trug und von dem Wohlgerüche ausströmten; sein Bart wallte herab und teilte sich auf seiner Brust in zwei Äste, die wie Stäbe reinen Silbers aussahen. Um ihn standen vier Dienerinnen und fünf Diener. Ich fragte einen der Leute: ,Wie heißt dieser Alte, und was für ein Gewerbe hat er?' Jener Mann antwortete mir: ,Dies ist Tâhir ibn el-'Alâ, und er ist ein Mädchen - wirt; jeder, der bei ihm eintritt, kann dort essen und trinken und schöne Mädchen sehen.' Ich sprach zu ihm: ,Bei Allah, seit langem bin ich auf der Suche nach dergleichen.' — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 949. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Jüngling sprach: ,Bei Allah, seit langem bin ich auf der Suche nach dergleichen.' Und dann fuhr er fort zu erzählen: ,Ich trat auf ilm zu, o Beherrscher der Gläubigen, grüßte ihn und sprach zu ihm: ,Lieber Herr, ich habe ein Anliegen an dich.' ,Was ist dein Begehr?'
Ihr duftgen Moschuswolken aus dem Land von Babel, —Bei meiner Sehnsucht! —traget meiner Botschaft Wort! Ich habe meinem Lieb gelobt, in jenen Landen An einem Ort zu sein -wie schön ist jener Ort! Und dort ist sie, für die sie alle heiß erglühn, Von Liebe ganz erfüllt, —vergeblich ist ihr Mühn. |
Ich blieb also einen Monat bei ihr; dann begab ich mich zu dem Alten und sprach zu ihm: ,Ich möchte die zu vierzig Dinaren.' ,Wäge mir das Gold ab', sprach er; und ich wägte ihm für einen Monat eintausendundzweihundert Dinare ab und blieb einen Monat bei ihr, als wäre es ein einziger Tag, da ich ihren Anblick so schön und ihr Gespräch so lieblich erfand. Darauf begab ich mich wieder zudem Alten; das war an einem Abend, und da hörte ich plötzlich ein großes Getöse und laute Stimmen. Als ich ihn fragte, was das zu bedeuten habe, antwortete er mir: ,Diese Nacht ist bei uns die berühmteste aller Nächte; in ihr vergnügt sich alles Volk miteinander. Hast du Lust, aufs Dach zusteigen und dir die Leute anzusehen?', Gern', erwiderte ich und stieg aufs Dach. Oben entdeckte ich plötzlich
einen schönen Vorhang und hinter dem Vorhang eine geräumige Stätte, auf der sich eine Bank mit Rückenlehnen befand, bedeckt mit einem prächtigen Teppich. Dort saß eine schöne Maid, die aller Augen entzückte durch ihre Schönheit und Lieblichkeit und ihres Wuchses Ebenmäßigkeit; und neben ihr saß ein Jüngling, der seine Hand um ihren Hals gelegt hatte, während er sie küßte und sie ihn küßte. Als ich die beiden sah, o Beherrscher der Gläubigen, konnte ich nicht mehr an mich halten, und ich wußte nicht, wo ich war, da mich die Schönheit ihrer Gestalt ganz verwirrt hatte. Sobald ich wieder nach unten kam, fragte ich die Maid, bei der ich gewesen war, indem ich ihr die Gestalt beschrieb. Da sprach sie: ,Was ist es mit dir und ihr?' Ich antwortete: ,Sie hat mir den Verstand geraubt!' Lächelnd fragte sie: ,O Abu el-Hasan, verlangt es dich nach ihr?' ,Ja, bei Allah; sie hat mir Herz und Seele gefangen genommen.' ,Dies ist die Tochter von Tâhir ibn el-'Alâ; sie ist unsere Herrin, und wir alle sind ihre Mägde. Weißt du aber auch, o Abu el-Hasan, wieviel ihre Nacht und ihr Tag kosten?' ,Nein.' ,Fünfhundert Dinare! Sie erweckt Seufzer in den Herzen der Könige.' ,Bei Allah, ich will all mein Gut für diese Maid ausgeben!' Die ganze Nacht hindurch ward ich von Sehnsucht gepeinigt; und als es Morgen ward, begab ich mich ins Bad, legte das prächtigste der königlichen Gewänder an und ging dann zu ihrem Vater. Zu dem sprach ich: ,Lieber Herr, ich möchte die, deren Nacht fünfhundert Dinare kostet.' ,Wäge mir das Gold ab!' sagte er; und ich wägte ihm für den ganzen Monat fünfzehntausend Dinare ab. Nachdem er sie empfangen hatte, sprach er zu dem Diener: ,Begib dich mit ihm zu deiner Herrin Soundso!' Der führte mich und brachte mich in ein Gemach, so prächtig, wie mein Auge auf dem Angesichte der Erde noch nie eines geschaut hatte; ich trat ein und sah darinnen eine Maid sitzen. Als ich die erblickte, ward mein Verstand durch ihre Schönheit verwirrt, o Beherrscher der Gläubigen; denn sie war wie der Vollmond in der vierzehnten Nacht.' — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 950. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Jüngling, als er dem Beherrscher der Gläubigen jene Maid beschrieb, des weiteren sprach: ,Sie war wie der Vollmond in der vierzehnten Nacht, sie besaß Schönheit und Lieblichkeit und des Wuchses Ebenmäßigkeit; ihre Rede beschämte die Klänge der Laute, und es war, als ob der Dichter dieser Verse sie im Geiste erschaute:' Und wie schön sind die Worte eines anderen:
Alle Götzendiener müßten, würde sie vor ihnen stehn, Sie allein als Gott verehren und die Götzen nicht mehr sehn. Spiee sie ins Meereswasser, wo das Meer doch salzig ist, Würde doch von ihrem Speichel süß das Meer zur selben Frist. |
Aber hätte sie im Osten dem Asketen sich gezeigt, Würde er den Osten lassen, nur dem Westen zugeneigt.' Wie schön auch die Worte eines dritten: |
Ich warf auf sie nur einen Blick; mein ganzes Herz Ward bald durch ihrer Reize Herrlichkeit gefangen. Daß ich sie liebte, tat ihr eine Ahnung kund; Und diese Ahnung zeigte sich auf ihren Wangen. |
Ich grüßte sie, und sie sprach: ,Willkommen, herzlich willkommen!' Und sie ergriff meine Hand, o Beherrscher der Gläubigen, und zog mich neben sich nieder. Doch da die Leidenschaft Gewalt über mich gewann, hub ich aus Furcht vor der Trennung zu weinen an, so daß der Tränenstrom aus meinen Augen brach, während ich diese beiden Verse sprach:
Die freudelosen Trennungsnächte muß ich lieben; Nach ihnen bringt vielleicht das Glück ein Wiedersehn! Ich hass' die Tage des Zusammenseins, dieweil ich Dann denk, daß alle Dinge, ach, sobald vergehn. |
Darauf begann sie mir sanfte Worte zuzusprechen von tröstender Kraft, während ich versunken war im Meere der Leidenschaft, und ich fürchtete die Trennung schon beim Zusammensein im Übermaß der gewaltigen Liebespein; denn ich gedachte der brennenden Schmerzen von Scheiden und Meiden, und ich sprach von Versen diese beiden:
Als ich ihr nahe war, gedachte ich der Trennung; Da strömten meine Tränen gleichwie Drachenblut. Und ich begann, an ihrem Hals mein Aug zu trocknen: Um Blut zu stillen, ist des Kampfers Art so gut.' |
Dann befahl sie, die Speisen zu bringen, und nun kamen vier Mädchen, hochbusige Jungfrauen, und setzten vor uns Speit.
Trink immer nur den Wein ein aus Händen eines Schönen. Zu dem du zierlich sprichst, und der zu dir so spricht! Denn nimmer kann der Trinker sich am Wein erfreuen, Zeigt ihm der Schenke nicht ein strahlend Angesicht. |
Und nun blieb ich, o Beherrscher der Gläubigen, eine lange Weile bei ihr, bis all mein Geld verbraucht war. Da begann ich, während ich bei ihr saß, der Trennung von ihr zu gedenken: und meine Tränen strömten wie Bäche über meine Wangen einher, und ich kannte den Unterschied von Tag und Nacht nicht mehr. Sie fragte mich: ,Warum weinst du?' Und ich gab ihr zur Antwort: ,Meine Gebieterin, seit ich zu dir gekommen bin, hat dein Vater mir für jede Nacht fünfhundert Dinare abgenommen; und jetzt bin ich aller Mittel bar - ja, der Dichter sprach in diesem Verse wahr:
Die Armut macht die Heimat uns zur Fremde; Der Reichtum macht die Fremde uns zur Heimat. |
Darauf sagte sie: ,Wisse, mein Vater hat die Sitte, einen Kaufmann, der bei ihm gewesen und verarmt ist, noch drei Tage als Gast bei sich zu behalten; danach treibt er ihn fort, und jener darf nie wieder zu uns kommen. Doch hüte du dein Geheimnis und verbirg deine Not; ich will ein Mittel ersinnen
daß ich mit dir vereint bleiben kann, solange es Allah gefällt, da mein Herz in heißer Liebe für dich glüht. Wisse, alles Geld meines Vaters steht unter meiner Hand, und er weiß nicht, wieviel es ist; ich will dir also jeden Tag einen Beutel mit fünfhundert Dinaren geben, gib du den meinem Vater mit den Worten: ,Ich will dir hinfort das Geld Tag für Tag geben.' Jedesmal, wenn du ihm gezahlt hast, zahlt er es mir aus, und dann gebe ich es dir wieder; in dieser Weise können wir zusammenbleiben, solange es Allah gefällt.' Ich dankte ihr dafür und küßte ihre Hand; und dann blieb ich, o Beherrscher der Gläubigen, in gleicher Weise ein ganzes Jahr lang bei ihr. Doch eines Tages begab es sich, daß sie eine ihrer Sklavinnen heftig schlug; und die sprach zu ihr: ,Bei Allah, ich will deinem Herzen weh tun, wie du mir weh getan hast!' Darauf ging jene Sklavin zu ihrem Vater und erzählte ihm unsere ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende. Als Tâhir ibn el Alâ die Worte der Sklavin vernommen hatte, machte er sich sofort auf und kam zu mir herein, während ich bei seiner Tochter saß. Er rief mich an: ,He, du da!' ,Zu deinen Diensten!' erwiderte ich; und er fuhr fort: ,Es ist unsere Sitte, einen Kaufmann, der bei uns gewesen und verarmt ist, drei Tage lang als Gast bei uns zu behalten. Du aber hast nun schon ein ganzes Jahr lang bei uns gegessen und getrunken und getan, was du wolltest!' Dann wandte er sich zu seinen Sklaven und befahl ihnen: ,Zieht ihm die Kleider aus!' Sie taten es und gaben mir ein schäbiges Gewand, das fünf Dirhems wert war, und dazu reichten sie mir zehn Dirhems. Darauf sprach er zu mir: ,Geh von dannen; ich will dich weder schlagen noch schmähen. Aber zieh deiner Wege; wenn du noch länger in dieser Stadt verweilst, so werde dein Blut ungestraft vergossen!' Da ging ich fort, o Beherrscher der Gläubigen, wider meinen Willen, und ich wußte nicht, wohin ich mich wenden sollte; auf meinem Herzen lastete das Leid der ganzen Welt, und trübe Gedanken quälten mich. Und ich sagte mir: ,Wie konnte es nur geschehen, daß mir, nachdem ich mit hunderttausendmaltausend Dinaren, von denen ein Teil der Erlös von dreißig Schiffen war, zu Meere hierhergekommen bin, all dies in dem Hause dieses Unglücksalten verlorengegangen ist! Und jetzt muß ich sein Haus verlassen, nackt und gebrochenen Herzens! Doch es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Dann blieb ich drei Tage in Baghdad, ohne Speise oder Trank zu kosten. Am vierten Tage aber entdeckte ich ein Schiff, das nach Basra fahren wollte; auf das ging ich und mietete mir einen Platz bei seinem Führer. Als wir in Basra ankamen, eilte ich sofort auf den Markt, da ich sehr hungrig war. Dort erkannte mich ein Mann, ein Krämer, und der kam auf mich zu und umarmte mich, da er früher mein und meines Vaters Freund gewesen war. Er fragte mich, wie es mir ergangen sei, und ich berichtete ihm alles, was mir widerfahren war. Da rief er: ,Bei Allah, dies ist nicht das Tun eines verständigen Mannes! Aber was hast du nach allem, was dir widerfahren ist, nunmehr im Sinne zu tun?' ,Ich weiß nicht, was ich tun soll', erwiderte ich; und er fuhr fort: ,Willst du bei mir bleiben und über meine Ausgaben und meine Einnahmen Buch führen? Dann sollst du jeden Tag zwei Dirhems erhalten und dazu noch dein Essen und Trinken.' Ich sagte es ihm zu und blieb bei ihm, o Beherrscher der Gläubigen, ein volles Jahr lang, indem ich verkaufte und kaufte, bis ich im Besitz von hundert Dinaren war. Dann mietete ich mir ein Obergemach am Ufer des Stromes, um zu sehen, ob nicht ein Schiff mit Waren vorbeikäme, die ich für meine Dinare kaufen und nach Baghdad bringen könnte. Nun begab es sich eines Tages, daß die Schiffe ankamen und alle Kaufleute dorthin eilten, um einzukaufen; auch ich ging mit ihnen. Aus dem Inneren eines Schiffes kamen zwei Männer hervor, die stellten sich zwei Stühle hin und setzten sich darauf. Und alsbald versammelten sich die Kaufleute bei ihnen, um zu kaufen. Die beiden befahlen einigen Dienern, den Teppich zu bringen; und als die ihn gebracht hatten, holte einer von den beiden eine Satteltasche, entnahm ihr einen Sack, öffnete den und leerte den Inhalt auf den Teppich aus. Ach, der blendete die Augen mit all seinen Edelsteinen, Perlen, Korallen, Rubinen, Karneolen und all seinen anderen Arten von juwelen.' — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 951. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Jüngling, als er dem Kaufen von der Geschichte mit den Kaufleuten und dem Sack und dessen Inhalt an allerlei Edelsteinen erzählte, des weiteren sagte: ,O Beherrscher der Gläubigen! Darauf wandte sich der eine von den beiden Männern, die auf den Stühlen saßen, an die Kaufleute und sprach zu ihnen: ,Ihr Männer des Handels, ich will heute nur dies verkaufen, da ich müde bin.' Nun begannen die Kaufleute auf den Preis der juwelen zu bieten und boten immer höher, bis er auf vierhundert Dinare stieg. Der Besitzer des Sackes aber, der ein alter Bekannter von mir war, sprach zu mir: ,Weshalb sprichst und bietest du nicht wie die anderen Kaufleute?' ,Bei Allah. lieber Herr,' gab ich ihm zur Antwort, ,ich habe in der ganzen Welt nur noch hundert Dinare.' Und da ich mich vor ihm schämte, füllten sich meine Augen mit Tränen. Er sah mich an, betrübt über meine Not, und sprach zu den Kaufleuten: ,Seid meine
Zeugen, daß ich alles, was in diesem Sack an verschiedenerlei Juwelen und Edelsteinen enthalten ist, diesem Manne für hundert Dinare verkaufe, wiewohl ich weiß, daß er soundso viele tausend Dinare wert ist. Es sei ein Geschenk von mir an ihn.' Dann gab er mir die Satteltasche und den Sack und den Teppich mit all den Juwelen, die auf ihm lagen; und ich dankte ihm dafür, während alle Kaufleute, die zugegen waren, ihn priesen. Darauf nahm ich das alles und trug es zum Juwelenbasar; dort setzte ich mich nieder, um Handel zu treiben. Nun befand sich unter jenen Edelsteinen ein rundes Amulett, das von den Meistern der Zauberkunst gearbeitet war und ein halbes Pfund wog; es war von rötestem Rot, und auf seinen beiden Seiten befanden sich Schriftzeichen, die wie Ameisenspuren aussahen; ich wußte aber nicht, welche Kraft es hatte. Ein volles Jahr lang trieb ich dort Handel; dann nahm ich das Amulett zur Hand und sagte: ,Dies liegt schon eine lange Weile bei mir, ohne daß ich wüßte, was es ist und welche Kraft es hat.' Deshalb gab ich es dem Makler; und der nahm es und zog damit herum. Als er wiederkam, sagte er: ,Keiner der Kaufleute hat mehr als zehn Dirhems geboten.' Da sprach ich: ,üm diesen Preis will ich es nicht verkaufen'; er aber warf es mir ins Gesicht und ging davon. Später an einem anderen Tage bot ich es von neuem zum Verkauf aus, und der Preis stieg auf fünfzehn Dirhems; da nahm ich es dem Makler zornig weg und warf es zu meinen Sachen. Während ich noch immer dasaß, kam eines Tages ein Mann auf mich zu, und nachdem er mich gegrüßt hatte, sprach er zu mir: ,Darf ich mit deiner Erlaubnis durchsehen, was du an Waren bei dir hast?' ,Gern', erwiderte ich; aber ich war noch ärgerlich, o Beherrscher der Gläubigen, weil das runde Amulett keinen Käufer gefunden hatte. Jener Mann also durchsuchte die Waren und nahm wirklich nichts von ihnen als gerade das runde Amulett! Und als er es erblickte, o Beherrscher der Gläubigen, küßte er seine Hand und rief: ,Preis sei Allah!' Dann fragte er: ,Mein Herr, willst du es verkaufen?' In steigendem Grimm antwortete ich ihm: ,Jawohl!' ,Wieviel kostet es?' fragte er weiter; und ich fragte dagegen: ,Wieviel zahlst du?' ,Zwanzig Dinare', sagte er; und weil ich vermeinte, er spotte meiner, rief ich: ,Geh deiner Wege!' Doch er fuhr fort: ,Fünfzig Dinare!' Als ich ihm darauf keine Antwort gab, sagte er: ,Tausend Dinare!' Und wie ich, o Beherrscher der Gläubigen, auch dabei noch schwieg und ihn keines Wortes würdigte, lächelte er über mein Schweigen und fragte: ,Warum antwortest du mir nicht?' ,Geh doch deiner Wege!' sagte ich und wollte schon mit ihm zanken, während er immer Tausend auf Tausend höher bot. Doch ich erwiderte ihm nichts, sogar als er sagte: ,Willst du es für zwanzigtausend Dinare verkaufen?', da ich ja glaubte, er wolle mich verspotten. Nun umringten uns die Leute, und ein jeder von ihnen sprach: ,Verkaufe es! Und wenn er es nicht kauft, so sind wir alle wider ihn; dann wollen wir ihn verprügeln und zur Stadt hinaus jagen.' Ich fragte ihn darauf: ,Willst du kaufen, oder treibst du Scherz!' Er aber fragte mich: ,Willst du verkaufen, oder treibst du Scherz?' ,Ich will verkaufen', antwortete ich; und er sagte: ,Also für dreißigtausend Dinare; nimm sie und schließe den Verkauf ab!' Da sprach ich zu den Leuten, die zugegen waren: ,Legt Zeugnis ab wider ihn! Aber ich stelle die Bedingung, daß er mir kundtut, welchen Nutzen und welche Kraft das Amulett hat!' Er rief: ,Schließ den Verkauf ab, dann will ich dir seinen Nutzen und seine Kraft kundtun!' ,Ich verkaufe es dir', erwiderte ich; und er sprach: ,Allah sei Bürge für das, was ich sage!' Danach holte er das Gold, und während er es mir reichte, nahm er das Amulett und tat es in seine Tasche. Schließlich fragte er mich: ,Bist du nun zufrieden?', und ich antwortete: ,Jawohl.' Zu den Leuten aber sprach er: , Seid meine Zeugen wider ihn, daß er den Verkauf abgeschlossen und den Preis erhalten hat, dreißigtausend Dinare!' Dann wandte er sich wieder an mich und sprach zu mir: ,Armer Kerl, bei Allah, hättest du den Verkauf noch länger hinausgezogen, so wäre ich bis auf hunderttausend Dinare gegangen, ja, bis auf tausendmaltausend Dinare.' Als ich diese Worte hörte, o Beherrscher der Gläubigen, da entfloh mir das Blut aus meinem Antlitz, und seit jenem Tage ist diese Blässe in ihm aufgestiegen, die du siehst. Ich sagte darauf zu dem Manne: ,Künde mir, was für einen Grund dies hat, und welche Kraft dies Amulett besitzt.' Da hub er an: ,Wisse, der König von Indien hat eine Tochter, das schönste Wesen, das man je erschaut hat: doch sie hat die Krankheit der fallenden Sucht.' Deshalb berief der König die Zauberer und die Gelehrten und die Wahrsager; aber sie konnten sie nicht davon befreien. Ich war in der Versammlung zugegen, und so sprach ich zu ihm: ,O König, ich kenne einen Mann, der heißt Sa'dallâh der Babylonier, und auf dem Angesichte der Erde gibt es niemanden, der diese Dinge besser kennt als er. Wenn du es für recht hältst, mich zu ihm zu schicken, so tu es!' ,Geh hin zu ihm', sprach er; und ich bat ihn: ,Laß mir ein Stück Karneol bringen!' Da ließ er mir ein großes Stück Karneol bringen, dazu noch hunderttausend Dinare und ein Geschenk; und ich nahm das alles und begab mich nach dem Lande Babel. Dort fragte ich nach dem Scheich, und als man ihn mir gezeigt hatte, gab ich ihm die hunderttausend Dinare und das Geschenk. Er nahm beides von mir entgegen, dazu auch das Stück KarneolDa bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 952. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Jüngling dem Beherrscher der Gläubigen des weiteren erzählte: ,Jener Mann sagte mir darauf: ,Ich nahm also dies Amulett und brachte es dem König; und als der es auf seine Tochter legte, war sie im selben Augenblick gesund, trotzdem sie mit vier Ketten hatte gebunden werden müssen und trotzdem in jeder Nacht eine Sklavin hatte wachen müssen und am nächsten Morgen mit durchschnittener Kehle aufgefunden wurde. Als er nun dies Amulett auf sie gelegt hatte und sie sofort genesen war, freute der König sich dessen über die Maßen, und er verlieh mir ein Ehrengewand und spendete viel Geld als Almosen; das Amulett aber ließ er in das Halsband der Prinzessin einfügen. Da begab es sich eines Tages, daß sie mit ihren Dienerinnen ein Schiff bestieg, um sich auf dem Meere zu ergötzen. Und als eine von den Mägden ihre Hand nach ihr ausstreckte, um mit ihr zu spielen, zerriß das Halsband und fiel ins Meer; zur selbigen Zeit fuhr der Dämon wieder in die Prinzessin. Da kam die Trauer von neuem über den König, und er gab mir viel Geld und sprach zu mir: ,Geh zum Scheich, auf daß er ein anderes Amulett für sie mache anstatt des verlorenen!' Ich reiste darauf zu dem Alten, aber ich erfuhr, daß er gestorben war; drum kehrte ich zum König zurück und meldete es ihm. Da schickte
er mich und zehn andere aus, um die Welt zu durchstreifen, ob wir ein Heilmittel für die Prinzessin fänden. Und jetzt hat Allah es mich bei dir finden lassen.' So nahm er das Amulett fort von mir, o Beherrscher der Gläubigen, und ging seiner Wege. Das also war die Ursache der Blässe, die auf meinem Antlitze liegt. Ich begab mich dann nach Baghdad mit all meiner Habe und wohnte wieder in dem Hause, in dem ich früher gelebt hatte. Und am folgenden Morgen legte ich meine Gewänder an und ging zum Hause von Tâhir ibn el-'Alâ, um vielleicht die zu sehen, die ich liebte: denn die Liebe zu ihr war in meinem Herzen unaufhörlich gewachsen. Doch als ich zu seinem Hause kam, sah ich die Fenster zerbrochen; ich fragte einen Burschen und sprach zu ihm: ,Was hat Allah mit dem Alten getan?' Jener gab mir zur Antwort: ,Mein Bruder, in einem der Jahre kam ein Kaufmann zu ihm, des Namens Abu el-Hasan aus Oman; der verweilte eine lange Zeit bei seiner Tochter. Als aber sein Geld verbraucht war, jagte der Alte ihn aus dem Hause, gebrochenen Herzens, wie er war. Nun war jedoch die Maid von heißer Liebe zu ihm erfüllt, und als sie von ihm getrennt war, erkrankte sie so schwer, daß sie dem Tode nahe war. Sowie ihr Vater das erfuhr, schickte er nach dem Jüngling in alle Lande, und er verbürgte sich, dem hunderttausend Dinare zu geben, der ihn brächte. Aber niemand konnte ihn finden, noch auch eine Spur von ihm entdecken; und jetzt liegt sie auf den Tod danieder.' Ich fragte weiter: ,Und wie steht es um ihren Vater?' Und jener erwiderte: ,Er hat die Mädchen in seinem großen Kummer verkauft.' Darauf sprach ich zu ihm: ,Soll ich dich zu Abu el-Hasan aus Oman führen?' ,üm Allahs willen,' rief er, ,mein Bruder, führe mich zu ihm!' Und ich fuhr fort: ,Geh zu ihrem Vater und sprich zu ihm: ,Frohe Botschaft bei dir! Abu el-Hasan aus Oman steht vor der Tür.' Da eilte der Mann so rasch fort. als wäre er ein Maultier, das aus der Mühle davongelaufen ist. Nachdem er eine Weile fortgeblieben war, kehrte er mit dem Alten zurück, und wie der meiner gewahr wurde, kehrte er in sein Haus zurück und gab dem Manne hunderttausend Dinare. Als jener sie erhalten hatte, ging er davon, indem, er mich segnete. Dann trat der Scheich zu mir, umarmte mich unter Tränen und rief: ,Ach, lieber Herr, wo bist du in all dieser Zeit gewesen? Meine Tochter ist dem Tode nahe wegen der Trennung von dir. Komm mit mir ins Haus!' Als ich eingetreten war, fiel er anbetend nieder, um Allah dem Erhabenen zu danken, und er sprach: ,Preis sei Allah, der uns wieder mit dir vereinigt hat!' Dann ging er zu seiner Tochter hinein und sprach zu ihr: ,Allah hat dich von dieser Krankheit geheilt.' Doch sie erwiderte: ,Lieber Vater, ich werde nur dann von meiner Krankheit genesen, wenn ich Abu el-Hasan ins Antlitz schaue.' Er sagte darauf: ,Wenn du einen Bissen essen und ins Bad gehen willst, werde ich euch zusammenführen.' Als sie seine Worte vernommen hatte, rief sie: ,Ist das wahr, was du sagst?' ,Bei Allah dem Allmächtigen,' antwortete er, ,was ich gesagt habe, ist wahr.' Darauf sagte sie: ,Wenn ich sein Antlitz erblicke, bedarf ich keiner Speise mehr.' Nun gebot er seinem Diener: ,Führe deinen Herrn herein!' So trat ich denn ein; doch als sie mich erblickte, o Beherrscher der Gläubigen, sank sie ohnmächtig hin. Sobald sie wieder zu sich gekommen war, sprach sie diesen Vers:Gar oft vereinigt Allah die Getrennten dennoch, nachdem sie fest geglaubt, sie sähen sich nie wieder. |
Dann richtete sie sich auf zum Sitzen und sprach: ,Bei Allah, mein Gebieter, ich hatte nie geglaubt, ich würde dein Antlitz je wiedersehen, es sei denn im Traume!' Darauf umarmte sie
mich unter Tränen und sprach: ,O Abu el-Hasan, jetzt will ich essen und trinken.' Und man brachte ihr Speise und Trank. Nun blieb ich, o Beherrscher der Gläubigen, eine lange Weile bei ihnen, und ihre frühere Schönheit kehrte zu ihr zurück. Dann ließ ihr Vater den Kadi und die Zeugen kommen und ließ den Ehevertrag zwischen ihr und mir niederschreiben; auch rüstete er ein gewaltig großes Hochzeitsfest. Und sie ist meine Gattin bis zum heutigen Tag.'Dann verließ jener junge Mann den Kalifen und kehrte zu ihm mit einem Knaben' zurück; der war von großer Lieblichkeit und hatte einen Wuchs von schlanker Ebenmäßigkeit. Abu el-Hasan sprach zu ihm: ,Küsse den Boden vor dem Beherrscher der Gläubigen!' Da küßte er den Boden vor dem Kaufen; und der Herrscher bewunderte seine Schönheit und pries seinen Schöpfer. Dann machte er-Raschîd sich mit seinen Gefährten auf den Heimweg, und er sprach: ,O Dscha'far, dies ist doch wirklich etwas Wunderbares, ich habe noch nie etwas Seltsameres gesehen oder gehört.' Und als er-Raschîd im Palaste saß, rief er: ,He, Masrûr!' ,Zu deinen Diensten, mein Gebieter', erwiderte jener; und der Herrscher fuhr fort: ,Leg auf diese Estrade den Tribut von Basra und den Tribut von Baghdad und den Tribut von Chorasan!' Da häufte Masrûr ihn dort auf, und es ward eine gewaltige Menge Geldes, deren Größe nur Allah der Erhabene berechnen konnte. Nun rief er-Raschîd: ,He, Dscha'far!' ,Zu deinen Diensten', antwortete der; und der Kalif befahl ihm: ,Bring mir Abu el-Hasan!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Wesir und holte den Jüngling. Als der eintrat, küßte er den Boden vor dem Kaufen; und er befürchtete, der Herrscher hätte nach ihm gesandt wegen eines Versehens, das er begangen hätte,
Ferner wird erzählt, o glücklicher König,
DIE GESCHICHTE
VON IBRAHIM UND DSCHAMÎLA
El-Chasîb, der Herr von Ägyptenland, hatte einen Sohn, so schön, wie es keinen anderen gab; und aus Besorgnis um ihn ließ er ihn nie ausgehen, außer zum Freitagsgebet. Nun kam der Jüngling einmal, als er von dem Freitagsgebete heimkehrte, an einem alten Manne vorüber, der viele Bücher bei sich hatte; da saß er von seinem Pferde ab und setzte sich neben ihn nieder und begann die Bücher zu wenden und anzuschauen. In einem aber erblickte er das Bildnis einer Frau, die fast zu sprechen schien, der schönsten, die auf dem Angesichte der Erde gefunden wurde; da ward ihm der Verstand geraubt und sein Sinn verwirrt. Und er sprach: ,O Scheich, verkaufe mir dies Bild!' Jener küßte den Boden vor ihm und sprach: ,Mein Gebieter, es ist dein ohne Preis!' Da zahlte der Jüngling ihm hundert Dinare und nahm das Buch, in dem sich dies Bild befand; dann begann er es anzustarren, mit Tränen im Auge, Tag und Nacht, und er enthielt sich der Speise und des Tranks und des Schlafes. Und er sprach bei sich selber: ,Wenn ich den Buchhändler nach dem Maler dieses Bildes frage, so wird er ihn mir vielleicht kundtun; und wenn das Urbild am Leben ist, so will ich zu ihm zu gelangen suchen. Ist es aber nur ein Bild, so will ich davon ablassen, dieser Frau in Liebe anzuhängen, und will mich nicht um etwas quälen, das keine Wirklichkeit hat.' — —«
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 953. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Jüngling bei sich selber sprach: ,Wenn ich den Buchhändler nach dem Maler
dieses Bildes frage, so wird er ihn mir vielleicht kundtun. Und ist es nur ein Bild, so will ich davon ablassen, dieser Frau in Liebe anzuhängen, und will mich nicht mit etwas quälen, das keine Wirklichkeit hat.' Als es wieder Freitag wurde, ritt er bei dem Buchhändler vorbei; und wie der vor ihm aufsprang, sprach er zu ihm: ,Oheim, tu mir kund, wer dies Bild gemalt hat!' ,Hoher Herr,' gab jener ihm zur Antwort, ,ein Mann aus dem Volke von Baghdad hat es gemalt; er heißt Abu el-Kâsim es-Sandalâni, und er wohnt in einem Viertel des Namens el-Karch. Aber ich weiß nicht, wessen Bildnis dies ist.' Da verließ der Jüngling ihn, und ohne irgendeinem aus dem Volke seines Reiches etwas von seinen Absichten zu verraten, verrichtete er das Freitagsgebet und kehrte nach Hause zurück. Dann nahm er einen Sack und füllte ihn mit Gold und Edelsteinen im Werte von dreißigtausend Dinaren. Nachdem er bis zum anderen Morgen gewartet hatte, ging er fort, ohne jemandem etwas zu sagen. Er schloß sich einer Karawane an, und als er einen Beduinen erblickte, fragte er ihn: ,Sag, Oheim, wie weit ist es zwischen mir und Baghdad!' ,Ach, mein Sohn,' antwortete jener, ,wo bist du und wo ist Baghdad? Zwischen dir und jener Stadt liegt eine Reise von zwei Monaten!' Doch Ibrahîm fuhr fort: ,Oheim, wenn du mich nach Baghdad bringst, so will ich dir hundert Dinare geben, dazu noch diese Stute, die ich reite und die tausend Dinare wert ist.' Da sprach der Beduine: ,Allah sei Bürge für das, was wir reden! Heute nacht sollst du bei niemand anders zu Gaste sein als bei mir.' Der Jüngling willigte in seinen Vorschlag ein und verbrachte die Nacht bei ihm. Als die Morgenröte anbrach, nahm der Beduine ihn mit sich und führte ihn eiligst auf dem kürzesten Wege aus Gier nach jener Stute, die er ihm versprochen hatte; und sie zogen unablässig weiter, bis sie vor den Mauern von Baghdad anlangten. Dort sprach der Beduine zu ihm: ,Preis sei Allah für die glückliche Ankunft, mein Herr! Dies ist Baghdad.' Des freute sich der Jüngling über die Maßen, und nachdem er von der Stute abgestiegen war, gab er sie dem Manne der Wüste zugleich mit den hundert Dinaren. Dann nahm er den Sack und begann nach dem Viertel von el-Karch zu fragen sowie nach der Stätte der Kaufleute; da führte ihn das Schicksal in eine Gasse, in der sich zehn kleine Häuser befanden, auf jeder Seite fünf, die einander gegenüber lagen. Am oberen Ende der Gasse befand sich ein Tor mit zwei Türflügeln, an denen ein silberner Ring erglänzte; und in dem Torweg standen zwei Marmorbänke, die mit den schönsten Teppichen bedeckt waren. Auf einer von beiden saß ein Mann von ehrwürdigem Aussehen und schöner Gestalt, der in prächtige Gewänder gekleidet war; und vor ihm standen fünf Mamluken, so schön wie Monde. Als der Jüngling das sah, erkannte er die Zeichen, die ihm der Buchhändler beschrieben hatte, und er grüßte den Mann; jener gab ihm den Gruß zurück, hieß ihn willkommen, bat ihn, sich zu setzen, und fragte ihn nach seinem Ergehen. Der Jüngling erwiderte ihm: ,Ich bin ein Fremdling, und ich bitte dich, sei so gütig, mir in dieser Straße ein Haus auszusuchen, in dem ich wohnen kann.' Da rief der andere laut: ,He, Ghazâla!" Und nun kam eine Sklavin zu ihm heraus und sprach: ,Zu deinen Diensten, mein Herr!' Er befahl ihr: ,Nimm einige Diener mit dir und dann geht zu demunddem Haus, säubert es, stattet es aus und bringt alles dorthin, was es an Geräten und anderen Dingen bedarf, und zwar für diesen schöngestalteten Jüngling.' Die Sklavin ging hin und tat, wie er ihr befohlen hatte. Dann nahm der Scheich den Jüngling mit und zeigte ihm das Haus. Und alsDa bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 954. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Jüngling, als er sah, daß der Sack verloren war, von schwerer Sorge ergriffen ward und schwieg und nicht mehr reden konnte. Da brachte der Scheich das Schachspiel und sprach zu ihm: ,Willst du mit mir spielen?' ,Jawohl', erwiderte der Jüngling; und nun spielten sie, doch diesmal gewann der Alte. Da sagte Ibrahim: ,Gut!', verließ das Spiel und stand auf. ,Was ist dir, Jüngling?' fragte der Scheich; und jener antwortete: ,Ich suche den Sack.' Sofort erhob sich der Alte und holte ilm her und sprach: ,Da ist er, lieber Herr. Willst du jetzt wieder mit mir spielen?' ,Gern', erwiderte der Jüngling, spielte mit ihm und gewann wiederum. Der Alte sprach: ,Als deine Gedanken mit dem Sack beschäftigt waren, gewann ich; aber da ich ihn dir wiedergebracht habe, hast du mich besiegt.' Dann fuhr er fort: ,Mein Sohn, sage mir, aus welchem Lande bist du?' ,Aus Ägypten', antwortete jener; und der Scheich fragte weiter: ,Aus welchem Grunde bist du denn nach Baghdad gekommen?' Nun holte Ibrahim das Bildnis heraus und sprach: ,Wisse, Oheim, ich bin der Sohn von el-Chasîb, dem Herrn von Ägypten; ich sah dies Bild bei einem Buchhändler, und es raubte mir den Verstand. Als ich nach seinem Maler fragte, ward mir gesagt, das sei ein Mann im Viertel el-Karch, des Namens Abu el-Kâsim es-Sandalâni, in einer Gasse, die man
als die Safrangasse kenne. Da nahm ich etwas Geld mit mir und kam allein hierher, ohne daß jemand um mein Tun wußte; ich möchte nun, daß du in der Fülle deiner Güte mich zu ihm führest, damit ich ihn fragen kann, weshalb er dies Bild gemalt hat und wessen Bild es ist. Was er nur immer von mir verlangt, das will ich ihm geben.' ,Bei Allah, mein Sohn,' erwiderte der Alte, ,ich bin Abu el-Kâsim es-Sandalâni; und dies ist ein wundersam Ding, wie das Schicksal dich zu mir geführt hat!' Als der Jüngling diese Worte von ihm vernommen hatte, eilte er auf ihn zu, umarmte ihn, küßte ihm Haupt und Hände und sprach zu ihm: ,üm Allahs willen, tu mir kund, wessen Bild es ist!' ,Ich höre und gehorche', sprach der Alte, ging hin, öffnete eine Kammer und holte eine Anzahl von Büchern heraus, in die er dasselbe Bild gemalt hatte. Dann sprach er: ,Wisse, mein Sohn, daß sie, die auf diesem Bilde dargestellt ist, meine Base ist; sie lebt in Basra, ihr Vater ist der Statthalter von Basra und heißt Abu el-Laith, sie selbst aber heißt Dschamîla. Es gibt auf dem Angesichte der Erde keine, die schöner wäre als sie; aber sie ist den Männern abgeneigt, und sie läßt nicht zu, daß man das Wort Mann in ihrer Gegenwart ausspricht. Ich bin schon zu meinem Oheim gegangen, um ihn zu bitten, daß er mich mit ihr vermähle, und ich habe viel Geld dafür ausgegeben; aber er konnte mir diesen Wunsch nicht erfüllen. Und als seine Tochter dies erfuhr, ergrimmte sie und ließ mir eine Botschaft zukommen, in der sie unter anderem sagte: ,Wenn du noch Verstand hast, so verweile nicht länger in dieser Stadt, sonst wirst du umkommen, und die Schuld ruht auf deinem Haupte.' Sie ist eine herzlose Tyrannin; und so mußte ich denn gebrochenen Herzens Basra verlassen. Doch ich malte dies Bild in Bücher und schickte sie in fremde Länder, auf daß ihr Bild vielleicht in die Hand eines schönen Jünglings fiele, wie du es bist; dann sollte er sich Zutritt zu ihr verschaffen, und sie sollte ihn lieb gewinnen; ich aber wollte ihm das Versprechen abnehmen, sie mir zu zeigen, wenn auch nur einen Augenblick von ferne.' Als Ibrahim ihn el-Chasîb diese Worte hörte, senkte er sein Haupt eine Weile in tiefen Gedanken; doch es-Sandalâni hub von neuem an: ,Mein Sohn, ich habe in Baghdad niemanden gesehen, der schöner wäre als du; und ich glaube, sie wird dich lieb gewinnen, wenn sie dich sieht. Willst du also, wenn du mit ihr vereinigt bist und sie gewonnen hast, sie mir zeigen, sei es auch nur einen Augenblick von ferne?' ,Jawohl', erwiderte Ibrahim; und der Scheich fahr fort: .Wenn dem wirklich so ist, so bleibe bei mir, bis du auf brichst!' Doch der Jüngling warf ein: ,Ich kann nicht länger verweilen; denn die Liebe zu ihr ist wie ein immer heißer brennendes Feuer in meinem Herzen.' Da sprach der Scheich zu ihm: ,Habe drei Tage Geduld, daß ich dir ein Schiff ausrüste. mit dem du nach Basra fahren kannst!' So wartete jener, bis Abu el-Kâsim ihm ein Schiff ausgerüstet und mit allem versehen hatte, was er an Speise und Trank und anderen Dingen nötig hatte. Nach drei Tagen sprach der Scheich zu dem Jüngling: ,Halte dich bereit zur Reise; denn ich habe dir ein Schiff ausgerüstet, auf dem alles ist, was du brauchst. Das Schiff ist mein Eigentum, und die Seeleute sind meine Diener; und an Bord befindet sich so viel, daß es dir genügen wird, bis du heimkehrst; auch habe ich den Seeleuten ans Herz gelegt, dich zu bedienen, bis du wohlbehalten wieder zurückkommst.' Alsbald machte der Jüngling sich auf und begab sich zum Schiffe, nachdem er von seinem Wirte Abschied genommen hatte; und dann segelte er stromabwärts, bis er in Basra ankam; dort holte er hundert Dinare für die Seeleute heraus, doch die sprachen zu ihm: ,Wir haben unseren Lohn von unserem Herrn erhalten.' ,So nehmt dies als Gabe,' sagte er, ,und ich werde es ihm nicht mitteilen!' Da nahmen sie es und segneten ihn. Dann begab sich der Jüngling in die Stadt Basra und fragte: ,Wo wohnen die Kaufleute?' Man erwiderte ihm: ,In dem Chân, der da heißt Chân Hamdân.' Deshalb ging er weiter, bis er zu dem Basar kam, an dem der Chân stand; und aller Augen richteten sich auf ihn, da er so überaus schön und lieblich war. Darauf trat er in den Chân ein, begleitet von einem Seemann, und fragte nach dem Pförtner; man führte ihn zu ihm, und er erkannte in ihm einen hochbetagten Scheich von ehrwürdigem Aussehen. Er grüßte ihn, und jener gab ihm den Gruß zurück. Dann hub Ibrahim an: ,Oheim, hast du ein hübsches Zimmer?' ,Jawohl', erwiderte jener, führte ihn und den Schiffer, öffnete ihnen ein schönes Zimmer, das mit Gold verziert war, und sprach: ,Junger Herr, sieh, dies Zimmer ist dir angemessen.' Da zog Ibrahim zwei Dinare hervor und sprach zu dem Pförtner: ,Nimm diese beiden als Schlüsselgeld.' Jener nahm sie und segnete ihn; dann befahl der Jüngling dem Seemann, zum Schiffe zu gehen, und trat selber in das Zimmer ein. Der Pförtner des Châns aber blieb bei ihm und bediente ihn, indem er sprach: ,Hoher Herr, durch dich ist die Freude bei uns eingekehrt.' Nun gab der Jüngling ihm einen Dinar mit den Worten: ,Hol uns dafür Brot und Fleisch und Süßigkeiten und Wein!' So ging der Türhüter denn auf den Basar, und nachdem er all das für zehn Dirhems gekauft hatte, kehrte er zu Ibrahim zurück und gab ihm die übrigen zehn. Doch der sprach zu ihm: ,Gib sie für dich selbst aus!' Dessen freute sich der Pförtner des Châns über die Maßen. Dann aß der jüngling von alledem, was er hatte kommen lassen, nur ein Brot mit etwas Zukost und sprach zu dem Pförtner: ,Nimm dies für die Leute deines Hauses!' Der nahm es. brachte es den Seinen und sprach zu ihnen: ,Ich glaube, es lebt auf dem Angesichte der Erde kein edlerer und kein liebenswürdigerer Mensch als der Jüngling, der heute bei uns eingekehrt ist. Wenn er länger bei uns bleibt, so werden wir reich werden.' Dann trat der Pförtner wieder zu Ibrahim ein und sah ihn weinen. Da setzte er sich nieder und begann ihm die Füße zu reiben, und er küßte sie und sprach: ,Hoher Herr, warum weinst dm Möge Allah dich nie weinen lassen!' ,Oheim,' erwiderte Ibrahim, ,ich möchte heute abend mit dir trinken.' ,Ich höre und gehorche!' sagte darauf der Türhüter; und der Jüngling gab ihm fünf Dinare mit den Worten: ,Kaufe uns dafür Früchte und Wein!' Dann reichte er ihm wiederum fünf Dinare und sprach zu ihm: ,Kaufe uns dafür Nachtisch und Blumen und fünf fette Hühner; auch bringe mir eine Laute!' Nun eilte der Alte fort, kaufte, was jener ihm befohlen hatte, und sprach zu seiner Frau: ,Bereite diese Speisen zu und kläre uns diesen Wein! Was du zubereitest, muß aber sehr gut sein, denn dieser Jüngling hat uns mit seiner Güte überhäuft.' Seine Frau tat, wie er ihr befohlen hatte, mit der allergrößten Sorgfalt; und er nahm alles und brachte es zu Ibrahim, dem Sohne des Sultans, hinein. — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 955. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Pförtner des Châns, nachdem seine Frau die Speisen und den Wein zubereitet hatte, alles nahm und zu Ibrahim, dem Sohne des Sultans hineinbrachte. Darauf aßen die beiden und tranken und waren guter Dinge. Doch dann begann der Jüngling zu weinen und sang diese beiden Verse: 387
Mein Freund, wenn ich mein ganzes Leben opfern müßte, Dazu auch all mein Geld. die Welt und was sie beut. Das ganze Paradies und auch das ew'ge Leben Für eine Liebesstunde. —wär mein Herz bereit. |
Dann tat er einen tiefen Seufzer und sank ohnmächtig nieder; und auch der Pförtner des Châns begann zu schluchzen. Als der Jüngling wieder zu sich kam, sprach der Türhüter zu ihm: ,Hoher Herr, was veranlaßt dich zu weinen, und wer ist sie, die du mit diesen Versen meinst? Sie kann doch nur Staub zu deinen Füßen sein.' Doch Ibrahim ging hin und holte ein Bündel der schönsten Frauenkleider und sprach zu ihm: ,Nimm dies für deine Frauen!' Da nahm der Pförtner sie von ihm hin und brachte sie seiner Frau; sie kam mit ihm und trat zu dem Jüngling ein; doch siehe, er weinte wiederum. Nun sprach sie zu ihm: ,Du brichst unsere Herzen. Tu uns kund, nach welcher Schönen du begehrst, und sie soll alsbald nichts anderes sein als deine Magd!' Der Jüngling erwiderte: ,Oheim, wisse, ich bin der Sohn el-Chasîbs, des Herrn von Ägypten, und ich bin von Liebe erfüllt zu Dschamîla, der Tochter des Statthalters el-Laith.' Doch die Frau des Türhüters rief: ,Allah, Allah! Mein Bruder, laß diese Reden, damit uns niemand hört; sonst sind wir des Todes! Denn es gibt auf dem Angesicht der Erde keine, die gewalttätiger wäre als sie; und niemand darf vor ihr das Wort Mann aussprechen, da sie den Männern abgeneigt ist. Mein Sohn, wende dich von ihr zu einer anderen!' Als er ihre Worte vernommen hatte, weinte er bitterlich, und der Pförtner des Châns sprach zu ihm: ,Ich habe nichts als mein Leben; aber das will ich wagen aus Liebe zu dir, und ich will dir ein Mittel finden, durch das du dein Ziel erreichen mögest.' Darauf gingen die beiden von ihm fort; er aber begab sich am nächsten Morgen ins Bad und legte dann ein königliches
Gewand an. Da traten auch schon der Pförtner und seine Frau zu ihm herein und sprachen zu ihm: ,Hoher Herr, wisse, es wohnt hier ein buckliger Schneidersmann, der istder Schneider der Herrin Dschamîla. Geh zu ihm und tu ihm kund, wie es um dich steht, vielleicht kann er dir einen Weg zeigen, auf dem du zu deinem Ziele gelangen kannst!' Sofort machte der Jüngling sich auf und begab sich zu dem buckligen Schneider; und als er zu ihm eintrat, fand er bei ihm zehn Mamluken, so schön wie Monde. Er begrüßte sie, und sie gaben ihm den Gruß zurück; dann hießen sie ihn willkommen und baten ihn, sich zusetzen, fast verwirrt durch seine Schönheit und Anmut; auch als der bucklige Schneider ihn sah, ward ihm der Sinn berückt durch die schöne Gestalt. Da sprach der Jüngling zu ihm: ,Ich wünsche, daß du mir meine Tasche nähest'; und der Schneider trat heran, nahm einen seidenen Faden und nähte die Tasche, die jener absichtlich zerrissen hatte. Und als der Mann mit dem Nähen fertig war, holte der Jüngling fünf Dinare heraus, gab sie ihm und kehrte in seine Wohnung zurück. Der Schneider sprach: ,Was habe ich für diesen jungen Herrn getan, daß er mir die fünf Dinare gegeben hat?' Dann verbrachte er die Nacht in Gedanken an seine Schönheit und seinen Edelmut. Am nächsten Morgen ging Ibrahim wieder zu dem Laden des buckligen Schneiders, trat ein und begrüßte ihn; jener gab ihm den Gruß zurück und hieß ihn in höflichster Weise willkommen. Nachdem der Jüngling sich gesetzt hatte, sprach er zu dem Buckligen: ,Nähe mir meine Tasche! Sie ist mir wieder zerrissen.' Jener antwortete ihm: ,Herzlich gern, mein Sohn', trat heran und nähte sie. Darauf gab Ibrahim ihm zehn Dinare; und der Schneider nahm sie, ganz erstaunt ob seiner Schönheit und Großmut. Dann sprach er: ,Bei Allah, junger Herr, dein Tun muß ganz sicher einen Grund haben; denn so verfährt man nicht beim Nähen einer Tasche. Doch sage mir, wie es in Wahrheit um dich steht! Wenn du einen dieser Knaben liebst, so ist bei Allah - unter ihnen keiner schöner als du; sie alle sind Staub zu deinen Füßen, ja, sie sind Sklaven vor dir. Oder wenn es etwas anderes ist als dies, so tu es mir kund!' ,Oheim,' erwiderte Ibrahim. ,dies ist nicht der Ort zum Reden; denn meine Geschichte ist seltsam gar, und mein Erlebnis ist wunderbar.' Der Schneider fuhr fort: ,Wenn dem so ist, so komm mit mir in ein besonderes Zimmer!' Darauf führte er ihn an der Hand und trat mit ihm in ein Zimmer hinter dem Laden. Dort sprach er zu ihm: ,Junger Herr, jetzt erzähle mir!' Ibrahim also erzählte ihm seine Geschichte von Anfang bis zu Ende; der Schneider aber staunte über seine Worte und rief: ,Junger Herr, fürchte Allah für dich! Die du da nennst, ist eine Tyrannin, die den Männern abhold ist. Hüte deine Zunge, mein Bruder; sonst wirst du dich selbst zugrunde richten!' Als der jüngling solche Worte von ihm vernahm, weinte er bitterlich, und er rief, indem er sich an die Säume des Schneiders klammerte: ,Hilf mir, Oheim; sonst bin ich des Todes! Ich habe mein Reich und das Reich meines Vaters und meines Großvaters verlassen und bin ein einsamer Fremdling in fernem Lande geworden; ich kann nicht länger ohne sie sein.' Wie der Schneider nun sah, was über ihn gekommen war, hatte er Mitleid mit ihm und sprach: ,Mein Sohn, ich habe nur mein Leben; aber das will ich wagen aus Liebe zu dir; denn du hast mein Herz verwundet. Darum will ich dir morgen ein Mittel ersinnen, durch das dein Herz Trost finden soll.' Ibrahim segnete ihn und kehrte zum Chân zurück; dort erzählte er dem Pförtner, was der Bucklige ihm gesagt hatte, und jener sprach: ,Er hat fürwahr freundlich an dir gehandelt.' Als es wieder Morgen ward, legte der Jüng ling seine prächtigsten Kleider an, nahm einen Beutel voll Dinare mit sich und begab sich zu dem Buckligen. Nachdem er ihn begrüßt und sich gesetzt hatte, sprach er zu ihm: ,Oheim, halte mir dein Versprechen!' Darauf antwortete ihm jener: ,Mach dich sogleich auf, hol drei fette Hühner und drei Unzen Zuckerkand und zwei kleine Krüge; die fülle mit Wein und nimm auch einen Becher dazu! All das tu in einen Beutel und steig morgen nach dem Frühgebet zu einem Fährmann ins Boot und sprich zu ihm: ,Ich wünsche, daß du mich nach unterhalb von Basra fährst.' Wenn er dann sagt: ,Ich kann nicht weiter fahren als eine Parasange', so sprich zu ihm: ,Wie du willst!' Wenn er aber so weit gefahren ist, erwecke die Geldgier in ihm, daß er dich ans Ziel führe; wenn du dann dahin kommst, so ist der erste Blumengarten, den du siehst, der Garten der Herrin Dschamîla. Sobald du ihn erblickst. geh zu seinem Tor! Dort findest du zwei hohe Stufen, die mit Teppichen aus Brokat belegt sind und auf denen ein buckliger Mann gleich mir sitzt. Dem klage deine Not und flehe ihn um seine Hilfe an; vielleicht wird er mit deinem Elend Mitleid haben und dir dazu verhelfen, daß du sie siehst, wenn auch nur mit einem Blick aus der Ferne! Ich weiß keinen anderen Weg als diesen. Wenn jener aber kein Mitleid mit deinem Elend hat, so sind wir beide des Todes. ich und du. Dies ist der Rat, den ich geben kann; die Sache aber steht bei Allah dem Erhabenen.' Ibrahim sprach: ,Ich flehe Allah um Hilfe an. Was Allah will, das geschieht. Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah!' Dann verließ er den buckligen Schneider und begab sich in seine Wohnung; nachdem er dann alles, was jener ihm nannte, erhalten hatte, tat er es in einen kleinen Beutel. Am nächsten Morgen eilte er zum Ufer des Tigris, und dort fand er einen schlafenden Fährmann; den weckte er, gab ihm zehn Dinare und sprach zu ihm: ,Setze mich über nach unterhalb von Basra!' Jener erwiderte ihm: ,Mein Gebieter, nur unter der Bedingung, daß ich nicht weiter als eine Parasange zu fahren brauche; wenn ich nämlich diese Strecke auch nur um eine Spanne überschreite, so sind wir des Todes, ich und du.' Ibrahim sagte: ,Wie du willst!' Da nahm jener ihn und fuhr mit ihm stromabwärts; und als sie sich dem Garten näherten, rief er: ,Mein Sohn, von hier aus kann ich nicht weiter fahren; wenn ich diese Grenze überschreite, so sind wir des Todes, ich und du.' Doch Ibrahim zog wiederum zehn Dinare für ihn heraus und sprach zu ihm: ,Nimm dies Geld und suche damit deine Lage zu bessern.' Weil nun der Fährmann Scheu vor ihm hatte, sprach er: ,Ich befehle die Sache in die Hand Allahs des Erhabenen.' — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 956. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Fährmann, als der Jüngling ihm wiederum zehn Dinare reichte, sie hinnahm und sprach: ,Ich befehle die Sache in die Hand Allahs des Erhabenen.' Und er fuhr weiter mit ihm stromabwärts. Kaum aber waren sie dem Garten nahe, da erhob Ibrahim sich in seiner Freude und sprang vom Boote aus ans Ufer, etwa einen Speerwurf weit, und warf sich dort nieder; der Ferge jedoch kehrte um und flüchtete. Dann schritt der Jüngling weiter und fand alles, was der Bucklige ihm von dem Garten geschildert hatte; er sah auch das Tor offen und im Torweg ein Lager aus Elfenbein, auf dem ein buckliger Mann von freundlichem Aussehen saß, angetan mit vergoldeten Kleidern und in der Hand eine silberne Keule, die mit Gold überzogen war. Auf den eilte der Jüngling zu, beugte sich über seine Hand und küßte
sie. Der Bucklige fragte ihn: ,Wer bist du? Woher kommst du? Wer hat dich hierher gebracht, mein Sohn?' Jener Mann war aber, als er Ibrahim ibn el-Chasîb erblickte, über dessen Anmut erstaunt. Da sprach der Jüngling zu ihm: ,Ach, Oheim, ich bin ein unwissender Knabe und ein Fremdling'; und er weinte. Da hatte jener Mitleid mit ihm und zog ihn zu sich auf das Lager, wischte ihm die Tränen ab und sprach zu ihm: ,Dir soll kein Leid widerfahren! Wenn du ein Schuldner bist, so möge Allah deine Schulden tilgen; und wenn du in Gefahr bist, so möge Allah dich gegen die Gefahr sichern!' ,Ach, Oheim,' erwiderte Ibrahim. ,ich bin nicht in Gefahr, und ich habe keine Schulden: vielmehr habe ich Geld in Fülle dank der Hilfe Allahs.' Nun fragte der Bucklige: ,Mein Sohn, was ist denn dein Begehr, so daß du dich und deine Schönheit an eine Stätte wagst, an der das Verderben lauert?' Da erzählte der Jüngling ihm seine Geschichte und berichtete ihm, wie es um ihn stand. Doch als jener seine Worte vernommen hatte, senkte er sein Haupt eine Weile zu Boden; dann fragte er: ,Ist der Mann, der dich zu mir wies, der bucklige Schneider?' ,Jawohl', antwortete der Jüngling, und der andere fuhr fort: ,Er ist mein Bruder, und er ist ein gesegneter Mann.' Dann fügte er hinzu: ,Mein Sohn, hätten sich die Liebe zu dir und das Mitleid mit dir nicht in mein Herz gehenkt, so wäret ihr alle verloren, du und mein Bruder und der Pförtner des Châns und seine Frau.' Und wiederum sagte er: ,Wisse, dieser Garten hat auf dem Angesichte der Erde nicht seinesgleichen, und er heißt der Garten der wilden Färse.' Während meines ganzen Lebens hat ihn noch kein anderer Mensch betreten als der Sultan und ich und Dschamîla, der er gehört. Ich lebe hier seit zwanzig Jahren, aber noch nie habe ich gesehen, daß jemand an dieseDa bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 957. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Gärtner, als er zu Ibrahîm ibn el-Chasîb in den Garten trat, zu ihm sprach: ,Wohlan, mein Sohn, steig in die Laube hinauf! Denn die Dienerinnen sind schon gekommen, um die Stätte zu bereiten; und sie kommt hinter ihnen her. Hüte dich auszuspucken oder zu schnauben oder zu niesen, sonst sind wir beide des Todes, ich und du!' Da ging der Jüngling hin und stieg in die Laube hinauf; doch der Gärtner ging fort und sprach: ,Allah gewähre dir Sicherheit, mein Sohn!' Während Ibrahim nun dort saß, erschienen plötzlich fünf Dienerinnen, derengleichen noch nie jemand gesehen hatte; die traten in den Pavillon ein, legten ihre Oberkleider ab und wuschen ihn, besprengten ihn mit Rosenwasser, beräucherten ihn mit Aloeholz und Ambra und statteten ihn mit Brokatdecken aus. Nach ihnen kamen fünfzig Dienerinnen mit Musikinstrumenten, und unter ihnen
schritt Dschamîla unter einem Baldachin aus rotem Brokat, dessen Säume die Sklavinnen an goldenen Haken hielten, bis sie in den Pavillon eintrat; doch Ibrahim sah nichts von ihr, noch auch von ihren Gewändern, und so sprach er bei sich: ,Bei Allah, meine ganze Mühe war vergeblich! Doch es ist nicht anders möglich, als daß ich warte, bis ich sehe, wie es wird.' Da brachten die Dienerinnen Speise und Trank; und nachdem sie gegessen und ihre Hände gewaschen hatten, stellten sie für die Herrin einen Stuhl auf, und sie setzte sich nieder. Darauf spielten sie alle auf den Musikinstrumenten und sangen mit unvergleichlich schönen Stimmen. Plötzlich trat eine alte Kammerfrau hervor, klatschte in die Hände und tanzte, während die Mädchen sie hin und her zogen, bis der Vorhang gehoben wurde und Dschamîla lächelnd heraustrat. Nun konnte Ibrahim sie schauen, wie sie mit Schmuck und Prachtgewändem bedeckt war und auf dem Haupte eine Krone, besetzt mit Perlen und Edelsteinen, trug; um ihren Hals schlang sich ein Halsband aus Perlen, und um ihren Leib lag ein Gürtel aus Chrysolithstäbchen mit Schnüren aus Rubinen und Perlen. Die Mädchen küßten vor ihr den Boden, während sie lächelte. ,Als ich sie ansah' — so erzählte Ibrahîm ibn el-Chasîb -, ,ward ich wie von Sinnen, mein Verstand ward berückt, meine Gedanken verwirrten sich; so sehr überwältigte mich eine Schönheit, derengleichen es auf dem Angesichte der Erde nicht gab. Und ich sank in Ohnmacht; als ich aber wieder zu mir kam, standen mir die Tränen in den Augen, und ich sprach diese beiden Verse:Ich schau dich an und kann die Augen nimmer schließen; Dein Bild soll durch der Lider Schleier nicht verblassen. Ach, wenn ich auch mit allen meinen Blicken schaute, Die Augen könnten deine Reize doch nicht fassen.' |
Sie ward nach ihrem Wunsch geschaffen; und im Gleichmaß, Nicht kurz und auch nicht lang, ist sie die Schönheit ganz. Es ist, als wäre sie aus Perlenglanz geschaffen; Aus jedem Glied erstrahlt des Mondes Schönheitsglanz. |
Oder wie ein andrer sagt:
Schau, wie des Tänzers Leib dem Weidenzweige gleicht, Wie mir, wenn er sich wiegt, die Seele fast entweicht! 398 |
Und wie kein einz'ger Fuß bei seinem Tanze ruht, Als wär in seinen Füßen meines Herzens Glut! |
,Während ich sie anschaute' — so erzählte Ibrahîm -, ,fiel ein Blick von ihr auf mich, so daß sie meiner gewahr wurde. Sobald sie mich sah, erblich ihr Antlitz; und sie sprach zu ihren Dienerinnen: ,Singt, bis ich zu euch zurückkehre!' Dann ging sie und holte ein Messer, das eine halbe Elle lang war, und schritt auf mich zu, indem sie sprach: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Als sie nahe vor mir stand, verlor ich fast das Bewußtsein. Doch wie sie mich betrachtete und mir von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, entfiel das Messer ihren Händen, und sie rief: ,Preis sei Ihm, der die Herzen wandelt!' Dann sprach sie zu mir: ,Jüngling, sei guten Mutes; dir sei Sicherheit gewährt vor dem, was du befürchtest!' Da begann ich zu weinen; sie aber trocknete mir mit eigener Hand die Tränen, indem sie sprach: ,Jüngling, sage mir, wer du bist und was dich an diese Stätte geführt hat!' Nun küßte ich den Boden vor ihr und ergriff ihren Saum; und sie fuhr fort: ,Dir soll kein Leid widerfahren; kein andrer Mann als du hat meine Augen erfüllt. Drum sage mir, wer du bist!' Da erzählte ich ihr' — so berichtete Ibrahîm weiter -,meine Geschichte von Anfang bis zu Ende; und erstaunt rief sie: ,Mein Gebieter, ich beschwöre dich bei Allah, bist du Ibrahim, der Sohn von el-Chasîb t' jawohl', erwiderte ich; und nun warf sie sich auf mich und sprach: ,Mein Gebieter, du bist es, um dessentwillen ich die anderen Männer gemieden habe !Denn als ich hörte, daß in Ägypten ein Jüngling lebe, wie auf Angesichte der Erde kein schönerer zu finden sei, da gewann ich dich lieb nach der Beschreibung, und mein Herz ward dir in Liebe zugetan, weil ich so viel von deiner herrlichen Anmut hörte; und es erging mir mit dir wie der Dichter sagt:
Mein Ohr gewann ihn vor dem Auge lieb; Denn oftmals liebt das Ohr noch vor dem Auge. |
Drum Preis sei Allah, der mich dein Antlitz hat sehen lassen! Bei Gott, wäre es ein anderer gewesen als du, so hätte ich den Gärtner und den Pförtner des Châns und den Schneider kreuzigen lassen, sie und jeden, der zu ihnen seine Zuflucht nimmt!' Dann fügte sie hinzu: ,Wie soll ich etwas beschaffen, das du essen kannst, ohne daß meine Frauen es bemerken?' Darauf gab ich ihr zur Antwort: ,Ich habe bei mir, was wir essen und trinken können'; und ich öffnete den Beutel vor ihr. Sie nahm ein Huhn, und nun gaben wir einander die Bissen in den Mund; als ich solches von ihr erleben durfte, wähnte ich, es wäre ein Traum. Danach holte ich den Wein hervor, und wir tranken; und all das geschah, während sie bei mir weilte und die Mädchen mit dem Singen beschäftigt waren. In dieser Weise verbrachten wir die Zeit vom Morgen bis zum Mittag; doch dann hub sie an und sprach: ,Mache dich auf und rüste dir ein Boot und warte auf mich an derundder Stätte. bis ich zu dir komme; denn ich kann es nicht ertragen, von dir getrennt zu sein!' ,Meine Gebieterin,' erwiderte ich, ,wisse, ich habe ein Boot bei mir; das gehört mir, und die Seeleute stehen in meinem Solde; sie warten jetzt auf mich.' Sie sagte: ,Das ist, was wir wünschen', und begab sich zu den Dienerinnen. — — « Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 958. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Herrin Dschamîla, nachdem sie sich zu ihren Frauen begeben hatte, zu ihnen sprach: ,Auf, laßt uns in unser Schloß gehen!' Jene aber wandten ein: ,Wie können wir jetzt schon fortgehen, wo wir sonst doch immer drei Tage zu bleiben pflegen?' Sie erwiderte:
,Ich fühle einen schweren Druck auf mir, als ob ich krank wäre, und ich fürchte, der wird noch schwerer werden.' ,Wir hören und gehorchen!' gaben sie zur Antwort und legten ihre Obergewänder an. Dann begaben sie sich zum Ufer und stiegen in das Boot. Alsbald ging der Gärtner zu Ibrahim, da er nichts von dem wußte, was geschehen war; und er sprach: ,Ibrahim, du hast nicht das Glück gehabt, dich ihres Anblicks zu erfreuen; sonst pflegt sie immer drei Tage hier zu verweilen und ich fürchte, sie hat dich gesehen.' Ibrahim antwortete: ,Sie hat mich nicht gesehen, und auch ich habe sie nicht gesehen; denn sie hat den Pavillon nicht verlassen.' ,Du sprichst die Wahrheit, mein Sohn,' fuhr der Gärtner fort, ,denn wenn sie dich gesehen hätte, wäre es um uns geschehen; doch bleibe bei mir, bis sie in der nächsten Woche wiederkommt und du sie erblickst und dich an ihr satt siehst !'Darauf entgegnete lbrahîm: ,Lieber Herr, ich habe Geld bei mir und bin darum besorgt; auch habe ich Leute daheim gelassen, und ich fürchte, sie werden sich mein Fernsein zunutze machen.' Nun sagte der Gärtner: ,Ach, mein Sohn, es fällt mir schwer, mich von dir zu trennen', und umarmte ihn und nahm Abschied von ihm. Ibrahim aber kehrte in den Chân zurück, in dem er wohnte; und als er den Pförtner des Hauses traf, ließ er sich von ihm sein Geld geben. Jener sprach zu ihm: ,Gute Nachricht, so Gott will!' Doch Ibrahim erwiderte: ,Ich habe keinen Weg zu meinem Ziele gefunden; darum will ich zu den Meinen zurückkehren.' Da weinte der Pförtner und sagte ihm Lebewohl; und er lud sich die Sachen des Jünglings auf und geleitete ihn zum Schiff. Nachdem dies geschehen war, begab Ibrahim sich zu der Stätte, die Dschamîla ihm angegeben hatte, und wartete dort auf sie. Wie es nun dunkle Nacht wurde, siehe, da kam sie auf ilm zu, aber in Gestalt eines verwegenen Mannes, mit einem Barte, der das Gesicht rings umschloß, und einem Gürtel um den Leib; in der einen Hand trug sie Pfeil und Bogen, in der anderen ein blankes Schwert. Und sie fragte ihn: ,Bist du der Sohn von el-Chasîb, dem Herrn Ägyptens?' ,Der bin ich', erwiderte Ibrahim; doch sie fahr ihn an: ,Was für ein Galgenstrick bist du, daß du kommst, um die Töchter der Könige zu verführen Auf, steh dem Sultan Rede!' ,Da sank ich' — so erzählte Ibrahim -,ohnmächtig nieder; und die Seeleute erstarben vor Furcht in ihrer Haut. Doch als sie sah, wie es um mich stand, riß sie jenen Bart herunter, warf das Schwert aus der Hand und nahm den Gürtel ab; da erkannte ich sie als die Herrin Dschamîla. Und ich sprach zu ihr: ,Bei Allah, du hast mir das Herz zerrissen!' Den Seeleuten aber rief ich zu: ,Lasset das Schiff rasch fahren!' Da machten sie die Segel los und fuhren rasch dahin; und kaum waren wenige Tage verstrichen, so kamen wir in Baghdad an. Dort sahen wir ein Schiff am Ufer liegen; und als die Seeleute, die auf ihm waren, uns bemerkten, riefen sie den Seeleuten zu, die bei uns waren, und hüben an: ,He, du da, und he, du da, wir wünschen euch Glück zur guten Heimkehr!' Darauf trieben sie ihr Schiff an das unsere heran, und als wir hineinschauten, war Abu el-Kâsîm es-Sandalâni darin! Kaum erblickte er uns, so rief er: ,Dies ist es, was ich wünschte. Ziehet hin in Allahs Hut! Ich will mich an meine Geschäfte begeben.' Er hatte aber eine Fackel in der Hand; und nachdem er mir zugerufen hatte: ,Preis sei Allah für deine glückliche Heimkehr! Hast du dein Ziel erreicht?', und ich geantwortet hatte: ,Jawohl', hielt er die Fackel dicht an uns heran. Als Dschamîla ihn erblickte, ward sie verwirrt und ihre Farbe erblich. Doch es-Sandalâni rief, als er sie erkannte: ,Gehet hin in Allahs Schutz! Ich fahre jetzt nach Basra in Geschäften des Sultans; doch das Geschenk wird dem zuteil, der zugegen ist.' Dann holte er eine Schachtel mit Süßigkeiten hervor und warf sie in unser Schiff; doch in ihnen war Bendsch. Ich sprach zu ihr: ,Mein Augentrost, iß davon!' Sie aber weinte und sprach: ,O Ibrahim, weißt du, wer dies ist?' ,Jawohl,' erwiderte ich, ,dies ist derundder.' Da fuhr sie fort: ,Er ist der Sohn meines Oheims; und er hat mich früher von meinem Vater zur Ehe begehrt, aber ich wies ihn ab. Nun fährt er nach Basra und wird gewiß meinem Vater von uns berichten.' ,Meine Gebieterin,' antwortete ich, ,er wird in Basra nicht eher ankommen, als bis wir Mosul erreicht haben.' Aber wir wußten nicht, was im Schoße des Schicksals für uns beide verborgen war. So aß ich denn ein Stück von den Süßigkeiten; doch kaum war es in meinen Magen gekommen, so schlug ich mit dem Kopfe auf den Boden. Als der Morgen graute, mußte ich niesen, und da flog das Bendsch mir zur Nase heraus. Ich tat die Augen auf, und wie ich mich nackt unter Trümmern liegen sah, schlug ich mir ins Gesicht und sprach bei mir: ,Dies ist ein Streich, den mir es-Sandalâni gespielt hat.' Ich wußte nicht, wohin ich mich wenden sollte; und ich hatte nichts auf dem Leibe als eine Hose. Doch ich stand auf und schritt etwas weiter; da kam plötzlich der Wachthauptmann mir entgegen, begleitet von Leuten mit Schwertern und Stöcken, so daß ich erschrak. Wie ich nun dort ein verfallenes Badhaus erblickte, lief ich hinein, um mich zu verstecken; dabei stolperte mein Fuß über etwas, und als ich mit der Hand danach griff, ward sie von Blut besudelt. Ich wischte die Hand an meiner Hose ab, ohne zu wissen, was es war, und streckte meine Hand noch einmal aus; da traf sie auf eine Leiche, und deren Kopf kam auf meine Hand zu liegen. Den warf ich alsbald nieder, indem ich sprach: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Dann verkroch ich mich in einen der Winkel des Badhauses; der Wachthauptmann aber blieb vor dem Eingang zum Hause stehen und rief: ,Geht hier hinein und sucht nach!' Da traten zehn von ihnen mit Fackeln ein, während ich mich in meiner Furcht hinter eine Mauer schlich; von dort konnte ich mir nun den Leichnam ansehen, und ich erkannte, daß es eine junge Frau war, deren Antlitz dem Vollmond glich; ihr Haupt lag auf der einen Seite, und ihr Leib auf der anderen, gekleidet in kostbare Gewänder. Wie ich das sehen mußte, erbebte mein Herz vor Entsetzen. Dann trat auch noch der Wachthauptmann selbst ein und rief: ,Durchsucht alle Winkel des Hauses!' So kamen die Leute bald in den Raum, in dem ich mich befand, und als einer von ihnen mich erblickte, kam er auf mich zu mit einem Messer in der Hand, das eine halbe Elle lang war; und wie er nahe vor mir stand, rief er: ,Preis sei Allah, dem Erschaffer dieses schönen Angesichts! Jüngling, woher bist du?' Dann aber packte er mich bei der Hand und fragte: ,Jüngling, warum hast du diese Frau getötet?' Ich antwortete: ,Bei Allah, ich habe sie nicht getötet, ich weiß auch nicht, wer sie getötet hat. Ich habe mich nur aus Furcht vor euch an diesen Ort geflüchtet.' Und ich erzählte ihm meine Geschichte und bat ihn: ,üm Allahs willen, tu mir kein Unrecht! Ich bin jetzt in Sorge um mein Leben.' Er aber nahm mich und führte mich vor den Wachthauptmann; und als er die Blutspuren auf meiner Hand erblickte, sprach er: ,Hier bedarf es keines Beweises; schlagt ihm den Kopf ab!' — —« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 959. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Sohn von el-Chasîb des weiteren erzählte: ,Als man mich vor den Wachthauptmann geführt hatte und der die Blutspuren auf meiner Hand sah, sprach er: ,Hier bedarf es keines Beweises; schlagt ihm den Kopf ab!' Wie ich diese Worte vernahm, weinte ich bitterlich; eine Tränenflut begann aus den Augen hervorzubrechen, und ich hub an, diese Verse zu sprechen:Wir gehen einen Pfad, der für uns vorgesehen; Und wem ein Pfad beschieden ist, der muß ihn gehen. Und droht an einer Stätte einem sein Verderben. So wird er nur gerad an dieser Stätte sterben. |
Dann tat ich einen tiefen Seufzer und sank ohnmächtig zu Boden. Des Henkers Herz hatte Mitleid mit mir, und er sprach: ,Bei Allah, dies ist nicht das Gesicht eines Mörders.' Doch der Wachthauptmann wiederholte: ,Schlagt ihm den Kopf ab!' Da setzte man mich auf das Blutleder und legte mir eine Binde um die Augen. Der Schwertträger ergriff sein Schwert, bat den Wachthauptmann um Erlaubnis und wollte mir eben den Kopf abschlagen, während ich rief: ,Weh mir armem Fremdling!' —da kamen plötzlich Reiter herangesprengt, und eine Stimme erscholl: ,Laßt ab von ihm! Zieh deine Hand zurück, Henker!'
Mit diesem wunderbaren Geschehnis hatte es eine seltsame Bewandtnis. Der Herr von Ägypten, el-Chasîb, hatte nämlich seinen Kammerhern an den Kalifen Harûn er-Raschîd gesandt, und zwar mit Geschenken und Kostbarkeiten und zugleich mit einem Briefe, in dem er ihm mitteilte: ,Wisse, mein Sohn ist seit einem Jahr verschwunden; und ich habe vernommen, daß er in Baghdad sei. Drum wende ich mich an die Güte des Stellvertreters Allahs, er möge nach Kunde von ihm forschen und eifrig nach ihm suchen und ihn mit dem Kammerherrn zu mir senden.' Als der Kalif das Schreiben gelesen hatte, befahl er dem Wachthauptmann nachzuforschen,
wie es in Wahrheit um ihn stände. Unaufhörlich fragten der Wachthauptmann und der Kalif nach ihm, bis dem Hauptmann gesagt ward, er sei in Basra, und dieser teilte es dem Herrscher mit. Darauf schrieb jener einen Brief und gab ihn dem Kammerherrn von Ägypten, indem er ihm befahl, nach Basra zu reisen und eine Schar aus dem Gefolge des Wesirs mit sich zu nehmen. In seinem Eifer, den Sohn seines Herrn zu finden. zog der Kammerherr sofort hinaus; und da traf er den Jüngling, wie er auf dem Blutleder vor dem Wachthauptmann saß. Als dieser nun den Kammerherrn erblickte und ilm erkannte. saß er ab vor ihm; da fragte ihn der Kammerherr: ,Was ist das für ein Jüngling? Und was ist sein Verbrechen?' Der Wachthauptmann erzählte ihm den Hergang; aber der Kammerherr, der freilich nicht wußte, daß jener der Sohn des Sultans war, sagte darauf: ,Fürwahr, das Antlitz dieses Jünglings ist nicht das Antlitz eines Mörders.' Dann befahl er dem Hauptmann, ihm die Fesseln zu lösen; und als der das getan hatte, sprach er: ,Führ ihn her zu mir!' Nun führte er ihn zu ihm: aber die Schönheit des Jünglings war geschwunden durch die Schrecken, die er durchgemacht hatte. Da sprach der Kammerherr zu ihm: ,Tu mir deine Geschichte kund, Jüngling! Und sage mir, wie diese ermordete Frau zu dir kommt!' Als Ibrahim den Kammerherrn anblickte, erkannte er ihn, und er sprach zu ihm: ,Weh dir! Kennst du mich nicht? Bin ich nicht Ibrahim. der Sohn deines Herrn? Vielleicht bist du gekommen, um mich zu suchen?' Der Kammerherr schaute ilm genau an, und als er ihn ganz sicher erkannte, fiel er ihm zu Füßen. Kaum hatte aber der Wachthauptmann gesehen, was der Kammerherr tat, so erblich seine Farbe, und der Kammerherr fuhr ihn an: ,Weh dir, du Tyrann! Hast du den Sohn meines Gebieters el-Chasîb, des Herrn von Ägypten, töten wollen?' Da küßte der Hauptmann den Saum des Kammerherrn und er sprach zu ihm: ,O mein Herr, wie konnte ich ihn kennen? Wir haben ihn doch nur in diesem Zustande gesehen und die tote Frau neben ihm gefunden.' Doch jener fuhr fort: ,Weh dir, du taugst nicht für das Amt des Wachthauptmanns. Dies ist ein Knabe von fünfzehn Jahren, der noch kein Vögelein getötet hat; wie sollte der einen Menschen ermorden? Warum hast du dich nicht mit ihm geduldet und ihn gefragt, wie es um ihn stand?' Darauf riefen der Kammerherr und der Hauptmann: ,Suchet nach dem Mörder der Frau!' Nun gingen die Leute von neuem in das Badhaus und entdeckten dort ihren Mörder: den ergriffen sie und schleppten ihn vor den Wachthauptmann. Jener nahm ihn und brachte ihn in den Palast des Kalifen und tat dem Herrscher kund, was geschehen war. Da befahl er-Raschîd, den Mörder der Frau hinzurichten; und zugleich gab er Befehl, den Sohn von el-Chasîb herbeizuführen. Als er dann vor ihm stand, lächelte der Herrscher ihm ins Antlitz und sprach zu ihm: ,Erzähle mir deine Geschichte, alles, was dir widerfahren ist!' Da berichtete der Jüngling ihm seine Erlebnisse von Anfang bis zu Ende, und dadurch ward der Kalif gewaltig erregt; drum rief er Masrûr, den Träger des Schwertes, und sprach: ,Geh sofort, dring in das Haus von Abu el-Kâsim es-Sandalâni und bring ihn und die Jungfrau zu mir !'Jener eilte alsbald dorthin, und als erin das Haus eindrang, sah er, wie die Jungfrau mit ihrem eigenen Haar gefesselt und dem Tode nahe war. Masrûr befreite sie und brachte sie und es-Sandalâni vor er-Raschîd. Wie der sie erblickte, staunte er ob ihrer Anmut; dann aber blickte er es-Sandalâni an und sprach: ,Nehmt ilm und hackt ihm die Hände ab, mit denen er diese Maid geschlagen hat! Dann kreuzigt ihn und liefert all sein Hab und Gut an Ibrahim aus!' Sie führten diesen Befehl aus; doch während sie es taten, kam plötzlich Abu el-Laith zu ihnen, der Statthalter von Basra, der Vater der Herrin Dschamîla, um bei dem Kalifen Hilfe zu suchen gegen Ibrahim, den Sohn von el-Chasîb, dem Herrn von Ägypten, und bei ihm Klage zu führen, daß der ihm seine Tochter geraubt habe. Da gab ihm er-Raschîd zur Antwort: ,Sieh, er war die Ursache ihrer Befreiung von Qual und Tod.' Dann ließ er Ihn el-Chasîb kommen; und als der zugegen war, sprach er zu Abu el-Laith: , Willigst du nicht ein, daß dieser Jüngling, der Sohn des Sultans von Ägypten, der Gatte deiner Tochter werde?' ,Ich höre und gehorche Allah und dir, o Beherrscher der Gläubigen!' erwiderte der Statthalter; und der Kalif ließ alsbald den Kadi und die Zeugen rufen. Dann vermählte er die Maid mit Ibrahim ibn el-Chasîb, gab ihm allen Besitz von es-Sandalâni und rüstete ihn aus für die Rückkehr in seine Heimat. Dort lebte Ibrahim mit seiner Gemahlin in größter Fröhlichkeit und schönster Seligkeit, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und die Freundesbande zerreißt. Preis sei dem Lebendigen, der nimmer stirbt!'Ferner wird erzählt, o glücklicher König,
DIE GESCHICHTE
VON ABU EL-HASAN AUS CHORASAN
Wisse, el-Mu'tadid-billâh' war ein hochgemuter und edelgesinnter Herrscher; er hatte in Baghdad sechshundert Wesire, und von dem, was unter dem Volke vorging, blieb ihm nichts verborgen. Eines Tages zog er nun mit Ihn Hamdûn aus, um sich bei den Untertanen umzuschauen und zu hören, was für Neuigkeiten es bei den Menschen gab; doch als der heiße Mittagswind ihnen zu drückend ward, wandten sie sich von
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 960. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kalif und sein Begleiter, als sie in das Haus eingetreten waren, erkannten, daß es den Menschen die Seinen und seine Heimat vergessen ließ, denn es glich einem Stück aus dem Paradies; im Hofe war ein Blumengarten, den auch vielerlei Bäume schmückten, die aller Augen entzückten, und die Wohnräume waren mit dem kostbarsten Hausrat ausgestattet. Man setzte sich, und nun saß el-Mu'tadid da und betrachtete das Haus und den Hausrat. Davon erzählte Ibn Hamdûn: ,Als ich den Kalifen anschaute, sah ich, daß seine Züge sich verändert hatten; und da ich in seinem Gesichte lesen konnte, ob er zufrieden oder mißvergnügt war, sagte ich mir, wie ich ihn so anblickte: ,Was mag ihm wohl fehlen, daß er zornig ist?' Darauf brachte man ein Becken aus Gold, und wir wuschen uns die Hände; dann breitete man ein seidenes Tuch aus und legte darauf eine Tischplatte aus Bambusrohr. Und als die Decken von den Schüsseln genommen waren, sahen wir darin Speisen, so kostbar wie die Blüten des Lenzes zur Zeit ihrer größten Seltenheit, einzeln und auch in Paaren aufgereiht. Da sagte der Hausherr: ,Im Namen Allahs', meine Herren! Bei Gott, der Hunger quält mich schon; also tut mir die Ehre an und esset von dieser Speise nach edler Männer Weise!' Darauf begann er, Hühner zu zerlegen und sie uns zu reichen; derweilen scherzte er und unterhielt uns mit Gedichten und erzählte Geschichten und allerlei lustige Märlein, wie sie sich für eine solche Gelegenheit geziemen.' Und weiter berichtete Ibn Hamdûn: ,Wir aßen und tranken und begaben uns dann in ein anderes Gemach, dessen Schönheit
,Wisse, o Beherrscher der Gläubigen, mein Vater war Kaufherr in den Basaren der Geldwechsler und der Spezereienhändler und der Linnenverkäufer; er hatte in jedem dieser Basare einen Laden und einen Verwalter und Waren von vielerlei Art, und hinter dem Laden, der im Basare der Geldwechsler war, hatte er noch ein Gemach, in dem er allein sein konnte. während er den Laden nur für den Kauf und Verkauf bestimmt hatte. Größer als jede Zahl war, was er besaß, ja, es überstieg jedes Maß. Doch hatte er kein anderes Kind außer mir, und er liebte und hegte mich zärtlich. Als nun sein letztes Stündlein nahte, rief er mich zu sich und empfahl meine Mutter meiner Fürsorge und ermahnte mich zur Gottesfurcht. Und er starb —Allah habe ihn selig und erhalte den Beherrscher der Gläubigen! Ich aber gab mich den Freuden des Lebens hin und aß und trank und gesellte mich zu Freunden und Gefährten. Meine Mutter pflegte mir das zu verbieten und mich deshalb zu tadeln: aber ich hörte nicht auf ihre Worte, bis alles Geld vergeudet war. Dann verkaufte ich die Ländereien, so daß mir nichts mehr übrig blieb als das Haus, in dem ich wohnte; und und es war ein schönes Haus, o Beherrscher der Gläubigen! Da sprach ich zu meiner Mutter: ,Ich will das Haus verkaufen.' Doch sie entgegnete: ,Mein Sohn, wenn du es verkaufst, so kommt Schmach über dich, und du kennst keine Stätte mehr, wo du dein Obdach findest.' Darauf sagte ich: ,Es ist fünftausend Dinare wert; ich will dann für tausend Dinare aus dem Erlös ein anderes Haus kaufen und mit dem
übrigen Gelde Handel treiben.' Sie fragte mich: ,Willst du mir dies Haus um diesen Preis verkaufen?' ,Gern', erwiderte ich; und sie ging zu einer Truhe und holte aus ihr ein Porzellangefäß heraus, in dem sich fünftausend Dinare befanden; da schien es mir, als ob das ganze Haus eitel Gold sei. Sie aber sprach zu mir: ,Mein Sohn, glaube nicht, daß dies Geld deines Vaters Gut ist! Bei Allah, mein Sohn, es ist von dem Gelde meines Vaters, und ich habe es aufgespart für die Zeit der Not. Zu deines Vaters Zeiten war ich so reich, daß ich dieses Geldes nicht bedurfte.' Ich nahm also das Geld von ihr hin, o Beherrscher der Gläubigen, und kehrte zu meinem früheren Leben zurück; ich schmauste und zechte und vergnügte mich mit Freunden, bis ich die fünftausend Dinare vertan hatte, ohne auf die Worte und die Ermahnungen meiner Mutter zu achten. Darauf sagte ich wieder zu ihr: ,Ich will das Haus verkaufen.' Doch sie erwiderte: ,Mein Sohn. ich habe dir schon einmal verboten, es zu verkaufen, da ich wußte, daß du seiner bedürfen würdest; wie kannst du es nun zum zweiten Male verkaufen wollen?' Ich sagte darauf zu ihr: ,Halt mir keine langen Reden; ich muß es verkaufen!' Und sie fuhr fort: ,Dann verkaufe es mir für fünfzehntausend Dinare unter der Bedingung, daß ich selbst deine Geschäfte beaufsichtige.' Und so verkaufte ich es ihr um jenen Preis und unter der Bedingung, daß sie selbst meine Geschäfte verwaltete. Sie ließ die Verwalter meines Vaters kommen und übergab einem jeden von ihnen tausend Dinare; doch sie behielt die Verfügung über alles Geld in ihrer Hand, Einnahmen und Ausgaben standen bei ihr, und mir gab sie einen Teil des Geldes, auf daß ich damit Handel triebe, indem sie zu mir sprach: ,Setze dich in den Laden deines Vaters!' Ich tat also nach dem Geheiß meiner Mutter, o Beherrscher der Gläubigen, und begab mich in das Gemach im Basar der Wechsler: und meine Freunde kamen und kauften von mir, und ich verkaufte ihnen; so hatte ich guten Verdienst, und mein Geld mehrte sich. Wie aber meine Mutter mich so auf rechtem Wege sah, zeigte sie mir, was sie an Juwelen und Edelsteinen, Perlen und Gold aufgespeichert hatte. Dann kam ich wieder in den Besitz der Grundstücke, die ich vergeudet hatte, und mein Reichtum wurde wieder so groß wie zuvor. So lebte ich eine Weile dahin, während auch die Verwalter meines Vaters zu mir kamen und ich ihnen die Waren gab; ferner baute ich mir ein zweites Gemach hinter dem Laden. Als ich nun eines Tages nach meiner Gewohnheit dort saß, o Beherrscher der Gläubigen, da trat plötzlich eine Maid zu mir ein, so schön von Angesicht, wie meine Augen noch nie eine andere geschaut hatten. Die fragte: ,Ist dies das Gemach von Abu el-Hasan'Alî ibn Ahmed aus Chorasan?' ,Jawohl', erwiderte ich ihr; und sie fragte weiter: ,Wo ist er?' ,Ich bin es', gab ich zur Antwort; doch mein Verstand war ganz von ihrer wunderbaren Schönheit berückt, o Beherrscher der Gläubigen. Dann setzte sie sich und sprach zu mir: ,Sage deinem Diener, er solle mir dreihundert Dinare abwägen!' Ich befahl ihm also, ihr jene Summe abzuwägen; und nachdem er es getan hatte, nahm sie das Geld und ging fort, während ich immer noch ganz verstörten Sinnes war. Da sagte mein Diener zu mir: ,Kennst du sie?' ,Nein, bei Allah', erwiderte ich; und er fragte weiter: ,Warum hast du mir denn gesagt, ich solle ihr das Geld abwägen?' Da rief ich: ,Bei Allah, ich wußte nicht, was ich sagte, so verwirrt war ich durch ihre Schönheit und Anmut.' Der Diener aber folgte ihr ohne mein Wissen und kehrte alsbald zurück mit Tränen im Auge und den Spuren eines Schlages in seinem Gesicht. Ich fragte ihn: ,Was fehlt dir?' und er antwortete: ,Ich bin der Dame gefolgt, um zu sehen, wohin sie ging; als sie mich aber bemerkte, kehrte sie sich um und versetzte mir diesen Streich, ja, es fehlte nur wenig daran, daß sie mir mein Auge ausschlug und ihm den Garaus machte.' Dann verstrich ein Monat, ohne daß ich sie wiedersah: sie kam nicht zurück, während mein Sinn immerdar von der Liebe zu ihr berückt war, o Beherrscher der Gläubigen. Am Ende des Monats aber erschien sie plötzlich wieder und grüßte mich; ach, da war mir, als müßte ich vor Freuden auffliegen. Sie fragte mich, wie es mir ergehe, und fuhr dann fort: ,Vielleicht hast du schon bei dir selber gesprochen: Was ist es mit dieser Betrügerin? Wie konnte sie mein Geld nehmen und von dannen gehen?' Doch ich rief: ,Bei Allah, meine Gebieterin, mein Geld und mein Leben sind dein Eigentum!' Da entschleierte sie ihr Antlitz und setzte sich nieder, um sich auszuruhen, während Schmuck und Geschmeide um ihr Gesicht und ihren Busen spielten. Nun sagte sie zu mir: ,Wäge mir dreihundert Dinare ab!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte ich; und nachdem ich ihr die Goldstücke abgewägt hatte, nahm sie das Geld und ging fort. Zum Diener sprach ich: ,Folge ihr!' und er ging ihr nach; doch bald kehrte er verstört zurück, und wiederum verging eine Weile, ohne daß sie kam. Doch eines Tages, als ich dasaß, trat sie wieder zu mir ein und plauderte eine Weile; dann sprach sie zu mir: ,Wäge mir fünfhundert Dinare ab; denn ich habe sie nötig.' Schon wollte ich zu ihr sagen: ,Weshalb sollte ich dir mein Geld geben?', aber meine übergroße Liebe hinderte mich am Reden; denn jedesmal, wenn ich sie anschaute, o Beherrscher der Gläubigen, zitterten meine Glieder und erblich meine Farbe, und ich vergaß, was ich sagen wollte. Ja, ich war, wie der Dichter sagt:Es ist nur dies: wenn ich sie plötzlich vor mir sehe, Bin ich verwirrt, sodaß mir fast die Sprache fehlt. 416 |
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 961. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Abu el-Hasan aus Chorasan des weiteren erzählte: ,Ich aber sprach zu ihm: ,Gib ihr das Halsband; ich will dir den Preis dafür schulden!' Und sie nahm das Halsband und ging ihrer Wege. Doch ich folgte ihr, bis sie zum Tigris kam und ein Boot bestieg; da machte ich mit der Hand ein Zeichen nach der Erde hin, als wollte ich den Boden vor ihr küssen. Sie fuhr lächelnd davon, während ich stehen blieb und ihr nachschaute, bis sie in einen Palast hineinging; ich sah genauer hin, und siehe da, es war der Palast des Kalifen el-Mutawakkil. Als ich dann heimkehrte, o Beherrscher der Gläubigen, da trug ich allen Schmerz der Welt in meinem Herzen; denn sie hatte mir dreitausend Dinare abgenommen, und ich sagte mir: ,Sie hat mir schon mein Geld genommen und meinen Verstand geraubt; vielleicht werde ich aus Liebe zu ihr auch noch das Leben verlieren.' Ich kehrte also nach Hause zurück und erzählte meiner Mutter alles was ich erlebt hatte; da sprach sie zu mir: ,Mein Sohn,
hüte dich, 'ihr hinfort noch einmal in den Weg zu kommen; sonst bist du des Todes!' Und als ich darauf in meinen Laden gegangen war, kam zu mir mein Verwalter im Basare der Spezereienhändler, ein hochbetagter Mann; der sprach zu mir: ,Mein Gebieter, warum muß ich sehen, daß du so verändert bist und die Zeichen des Kummers trägst? Sage mir, wie es um dich steht!' So erzählte ich ihm denn alles, was mir mit ihr begegnet war; und er sprach zu mir: ,Mein Sohn, sie ist wohl eine der Sklavinnen aus dem Palaste des Beherrschers der Gläubigen und vielleicht gar die Favoritin des Kalifen; also rechne das Geld, als hättest du es um Allahs des Erhabenen willen ausgegeben, und denke nicht mehr an sie! Wenn sie noch einmal zu dir kommt, so verhüte, daß sie sich dir wieder zeigt, und tu es mir kund, damit ich dir etwas ersinne, daß du nicht ins Verderben gerätst!' Danach verließ er mich und ging fort, während in meinem Herzen eine Feuerflamme lohte. Doch am Ende des Monats, siehe, da trat sie wieder zu mir ein, und ich freute mich ihrer über die Maßen. Sie fragte mich: ,Was bewog dich, mir zu folgen?' Und ich erwiderte ihr: ,Mich bewog dazu die übermächtige Liebe, die ich im Herzen trage.' Dann brach ich vor ihr in Tränen aus; und sie weinte aus Mitleid mit mir und sprach: ,Bei Allah, wenn dein Herz von Sehnsucht erfüllt ist, so ist es das meine noch viel mehr! Doch was soll ich tun? Bei Gott, es bleibt mir kein andrer Weg übrig, als daß ich dich in jedem Monat einmal sehe.' Darauf reichte sie mir ein Blatt mit den Worten: ,Nimm dies zu dem und dem dort und dort; der ist mein Verwalter. Und laß dir von ihm das geben, was darauf geschrieben steht!' Doch ich erwiderte: ,Ich brauche kein Geld; mein Geld und mein Leben gebe ich für dich dahin.' Dann fuhr sie fort: ,Ich will dir einen Plan ersinnen, durch den du zu mir gelangen kannst, sollte er mir auch viel Mühe bereiten.' Und sie nahm Abschied von mir und ging fort; ich aber begab mich zu dem alten Spezereienhändler und erzählte ihm, was geschehen war. Er ging mit mir zum Palaste el-Mutawakkils, und den erkannte ich als jenen, in dem die Maid verschwunden war. Der alte Händler war zuerst ratlos, was er tun, sollte, aber dann sah er einen Schneider, der gegenüber dem Fenster, das zum Flußufer führte, mit seinen Gesellen arbeitete, und nun sprach er: ,Durch diesen wirst du dein Ziel erreichen; doch erst zerreiß deine Tasche, und dann geh zu ihm und sage ihm, er solle sie dir nähen. Wenn er das getan hat, so gib ihm zehn Dinare!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte ich; und ich begab mich zu jenem Schneider, indem ich zwei Stücke griechischen Brokats mit mir nahm. Dann sprach ich zu ihm: ,Mache mir aus diesen beiden vier Gewänder, zwei mit langen Ärmeln und zwei ohne sie!' Als er sie fertig geschnitten und genäht hatte, gab ich ihm zum Lohn viel mehr, als sonst üblich war. Er wollte mir jene Kleider mit der Hand reichen; aber ich sprach zu ihm: ,Behalt sie für dich und für die Deinen!' Dann setzte ich mich zu ihm und blieb lange bei ihm sitzen, und ich bestellte bei ihm noch andere Gewänder, indem ich sprach: ,Hänge sie vor deinem Laden auf, damit die Leute sie sehen und kaufen!' Er tat es, und wenn nun irgend jemand aus dem Palaste des Kaufen kam und an einem der Kleider Gefallen fand, so gab ich es ihm, sogar auch dem Pförtner. Eines Tages aber sagte der Schneider zu mir: ,Mein Sohn, ich möchte, daß du mir die Wahrheit über dich erzählst: denn du hast bei mir schon hundert kostbare Gewänder machen lassen, von denen ein jedes viel Geldes wert ist, und die meisten davon hast du an die Leute verschenkt. Das ist nicht Kaufmannsart; denn ein Kaufmann rechnet mit jedem Dirhem. Wie groß muß dein Besitz sein, daß du solche Gaben verteilen kannst! Und wie hoch muß dein Verdienst in jedem Jahre sein! Sage mir die Wahrheit, auf daß ich dir zu deinem Ziele verhelfen kann!' Und er fügte hinzu: ,Ich beschwöre dich bei Allah, sage mir, bist du nicht von Liebe erfüllt?' ,So ist es', erwiderte ich; und er fragte weiter: ,Zu wem?' Ich antwortete: ,Zu einer von den Sklavinnen aus dem Palaste des Kaufen.' Da rief er: ,Allah bringe Schande über sie! Wie lange wollen sie die Leute noch betören?' Dann fragte er mich: ,Kennst du ihren Namen?' ,Nein', gab ich zur Antwort; und er bat mich: ,Schildere sie mir!' Nachdem ich sie ihm geschildert hatte, sprach er: ,Wehe! Das ist die Lautnerin des Kalifen el-Mutawakkil und seine Favoritin. Aber sie hat einen Mamluken, mit dem schließ Freundschaft; vielleicht wird es die Ursache werden, daß du zu ihr gelangst.' Während wir so miteinander sprachen, kam plötzlich jener Mamluk aus dem Tor des Kalifen, schön wie der Mond in der vierzehnten Nacht. Vor mir lagen die Gewänder, die der Schneider mir angefertigt hatte, und die waren aus Brokat von allen Farben. Als jener sie sah und betrachtet hatte, trat er auf mich zu; und ich erhob mich vor ihm und grüßte ihn. Er fragte mich: ,Wer bist du?' Da antwortete ich: ,Einer von den Kaufleuten.' ,Willst du diese Kleider verkaufen?' fragte er weiter; und ich erwiderte: ,Jawohl.' Dann wählte er fünf von ihnen aus und fragte: ,Wieviel kosten diese fünf?' Doch ich sagte: ,Sie sind ein Geschenk von mir für dich, auf daß Freundschaft uns verbinde.' Darüber freute er sich; und nun eilte ich nach Hause und holte ein Gewand, das mit Juwelen und Rubinen besetzt und dreitausend Dinare wert war. Ich bot es ihm dar, und er nahm es von mir an. Dann führte er mich in ein Gemach drinnen im Palaste und fragte mich: ,Wie heißest du unter den Kaufleuten?' ,Ich bin einer von erwiderte ich: und er fuhr fort: ,Ich habe einen Verdacht gegen dich.' Da fragte ich: ,Warum denn?' Er gab zur Antwort: ,Weil du mir ein großes Geschenk gemacht und dadurch mein Herz gewonnen hast; jetzt bin ich überzeugt, daß du Abu el-Hasan aus Chorasan bist, der Geldwechsler.' Als ich nun zu weinen begann, o Beherrscher der Gläubigen, fragte er: ,Weshalb weinst du? Bei Allah, sie, um die du weinst, ist noch von viel größerer und heißerer Sehnsucht nach dir erfüllt als du nach ihr. Und allen Mädchen im Schloß ist bekannt, wie es zwischen dir und ihr steht.' Alsdann fragte er mich: ,Was wünschest du?' Ich erwiderte: ,Ich wünsche, daß du mir in meiner Not zu Hilfe kommst.' Da bestellte er mich auf den folgenden Tag, und ich begab mich nach Hause. Am nächsten Morgen eilte ich zu ihm, und nachdem ich sein Gemach betreten hatte, kam auch er und sprach zu mir: ,Wisse, als sie gestern ihren Dienst beim Kalifen beendet hatte und wieder in ihr Gemach eingetreten war, erzählte ich ihr alles von dir; und sie ist nun entschlossen, mit dir zusammenzutreffen. Bleib also bei mir, bis der Tag zur Rüste geht!' So blieb ich denn dort, und als die Dunkelheit anbrach, kam der Mamluk mit einem Untergewand aus golddurchwirktem Stoffe und einem der Prachtgewänder des Kaufen; er legte mir die beiden an und beräucherte mich mit Wohlgerüchen, so daß ich dem Kalifen gleich ward. Darauf geleitete er mich in eine Halle mit je einer Reihe von Gemächern auf beiden Seiten und sprach zu mir: ,Dies sind die Gemächer der Lieblingssklavinnen; wenn du an ihnen vorbeigehst, so lege vor jede Tür eine Bohne; denn es ist die Sitte des Kalifen, allnächtlich so zu tun.' — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 962. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir
berichtet worden, o glücklicher König, daß Abu el-Hasan des weiteren erzählte: ,Der Mamluk sprach zu mir: ,Wenn du an ihnen vorbeigehst, so lege vor jede Tür eine Bohne, denn es ist die Sitte des Kaufen, so zu tun; wenn du dann zum zweiten Gange rechter Hand gelangst, so wirst du ein Gemach sehen, dessen Türschwelle aus Marmor ist. Die berühre mit der Hand. sobald du dort angekommen bist; oder wenn du willst, so zähle die Türen, deren soundso viele sind, und tritt in die Tür ein, die soundso aussieht: deine Freundin wird dich sehen und dich zu sich einlassen! Deinen Ausgang aber wird Allah mir leicht machen, wenn ich dich auch in einer Kiste hinausschaffen müßte!' Dann verließ er mich und kehrte zurück, während ich weiterging und die Türen zählte und vor jede Tür eine Bohne legte. Als ich aber die Mitte der Halle erreicht hatte, hörte ich plötzlich ein lautes Geräusch und sah das Licht von Kerzen, und dies Licht kam auf mich zu, bis es ganz in meiner Nähe war. Ich blickte verstohlen hin und erkannte. daß es der Kalif war, umgeben von den Sklavinnen, die jene Kerzen trugen. Auch hörte ich, wie eine von ihnen zu einer anderen sagte: ,Schwester, haben wir heute zwei Kalifen? Der Kalif ist schon an meinem Gemach vorbeigegangen, und ich habe auch den Duft seiner Spezereien und Wohlgerüche gespürt, ja, er hat auch wie immer die Bohne vor mein Zimmer gelegt. Und soeben sah ich das Licht der Kerzen des Kalifen, und er kam selbst mit ihnen daher.' Und die andere sagte: ,Das ist wirklich sonderbar. Es wird doch niemand sich gegen den Kalifen herausnehmen, seine Gewänder anzulegen!' Als aber das Licht noch näher kam, zitterten mir die Glieder. Plötzlich jedoch rief ein Eunuch den Frauen zu: ,Hierher!' Da wandten sie sich zu einem der Gemächer und traten dort ein; und nachdem sie wieder herausgekommen waren, gingen sie weiter, bis sie das Gemach meiner Freundin erreichten. Nun hörte ich, wie der Kalif sagte: ,Wessen Gemach ist dies?' ,Es ist das Gemach von Schadscharat ed-Dürr', ward ihm gesagt; und er gebot: ,Ruft sie!' Als man sie gerufen hatte, kam sie heraus und küßte die Füße des Kalifen. Er fragte sie: ,Willst du heute abend trinken?' Und sie gab ihm zur Antwort: ,Wäre es nicht um deiner Gegenwart willen und um dein Antlitz zu schauen, so würde ich nicht trinken; denn heute abend gelüstet es mich nicht nach dem Weine.' Da sprach der Kalif zum Eunuchen: ,Sage dem Schatzmeister, er solle ihr dasunddas Halsband geben!' Dann befahl er, in ihr Gemach' einzutreten, und die Wachskerzen wurden ihm vorangetragen, während er ihnen dorthin folgte. Nun aber kam plötzlich eine Maid, die ihnen vorausgeeilt war und deren Antlitz das Licht der Kerze in ihrer Hand überstrahlte, und trat auf mich zu und sprach: ,Wer ist denn das?' Dann ergriff sie mich und zog mich in eines der Zimmer; dort fragte sie mich: ,Wer bist du?' Ich küßte den Boden vor ihr und rief: ,Ich beschwöre dich bei Allah, meine Gebieterin, schone mein Blut. habe Erbarmen mit mir und verdiene dir Gottes Lohn, indem du mein Leben rettest!' In meiner Todesangst weinte ich; doch sie sprach: ,Du bist sicherlich ein Dieb!' ,Nein, bei Allah, ich bin kein Dieb,' erwiderte ich, ,sehe ich dir etwa wie ein Dieb aus?' Da sagte sie: ,Tu mir die Wahrheit über dich kund, so will ich dich in Sicherheit bringen!' Und ich gestand: ,Ich bin ein törichter, einfältiger Liebender, den die Leidenschaft und sein Unverstand zu solchem Tun getrieben haben, wie du es jetzt an ihm siehst; so bin ich in diesen Abgrund der Gefahr geraten.' Dann sprach sie: ,Bleib hier, bis ich zu dir zurückkomme!' DaraufDa bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 963. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Abu el-Hasan des weiteren erzählte: ,Die Herrin sprach zu ihrer Schwester: ,Ich habe einen Bund mit ihm geschlossen, daß ich nur in allen Ehren mit ihm zusammen sein will; und wie er sein Leben aufs Spiel gesetzt und diese Schrecken ertragen hat, so will ich die Erde sein unter dem Schritt seiner Füße und der Staub für seine Sandalen.' Darauf erwiderte ihr die Schwester: ,Durch diese Absicht errette ihn Allah der Erhabene!' Dann fuhr meine Freundin fort: ,Bald sollst du sehen, was ich tun werde, auf daß ich mich mit ihm in Ehren vereinige; ja, ich muß mein Herzblut hingeben, damit ich dies erreiche.' Doch während wir noch sprachen, vernahmen wir ein lautes Geräusch, und als wir uns umwandten, erblickten wir den Kalifen, der sich wieder zu ihrem Gemach begeben wollte, da er so sehr von Liebe zu ihr erfüllt war. Da nahm sie mich, o Beherrscher der Gläubigen, und verbarg mich in einem unterirdischen Raum und verschloß die Falltür über mir. Dann eilte sie dem Kaufen entgegen und hieß ihn willkommen; er aber setzte sich, während sie vor ihm stand und ihn bediente: darauf befahl er, Wein zu bringen. Nun liebte der Kalif eine Maid, die el-Bandscha hieß, die Mutter von el-Mu'tazz-billâh'; aber sie
Staunend sah ich, wie das Schicksal mich von dir zu trennen suchte; Doch als unser Glück geendet, sah ich auch das Schicksal ruhn. Ach, ich mied dich, bis man sagte: Liebe ist ihm fremd geworden; Und ich suchte dich, bis daß es hieß: Geduld versagt ihm nun. Liebe, quäle mich allnächtlich immer noch mit neuer Pein! Aber du, o Trost der Tage, stell am Jüngsten Tag dich ein! — Ihre Haut ist wie von Seide, ihre Stimme zart von Klang, Und sie plaudert nicht zu wenig, doch sie schwätzt auch nicht zu lang. Von den Augen sagte Allah: Werdet! —und da wurden sie. Und sie schaun ins Herz, als ob der Wein die Rauschkraft ihnen lieh. |
Als der Kalif ihr Lied vernahm, war er aufs höchste entzückt. und auch ich, o Beherrscher der Gläubigen, ward in dem unterirdischen Verlies so entzückt, daß ich laut aufgeschrieen hätte, wenn nicht die gütige Vorsehung Allahs des Erhabenen gewesen wäre - und dann wären wir entdeckt worden. Darauf sang sie auch diese Verse:
Ich umarm ihn -doch die Seele ist noch voller Sehnsuchtspein; Dennoch, kann man sich denn näher als in der Umarmung sein? Und ich küsse seine Lippen, daß die heiße Glut vergeh; Doch es brennt in meinem Innern stärker noch das Liebesweh. Ach, es ist, als ob der Durst im Herzen Heilung nie gewinnt, Bis du siehst, daß beide Seelen ganz in eins verschmolzen sind. |
Auch davon war der Kalif entzückt, und er sprach: ,Erbitte dir eine Gnade von mir, Schadscharat ed-Dürr!' Sie erwiderte: ,Ich erbitte als Gnade von dir meine Freilassung, o Beherrscher der Gläubigen, auf daß du dir den Lohn des Himmels verdienst!' Da sagte er: ,Du bist frei um Allahs des Erhabenen willen'; und sie küßte den Boden vor ihm. Dann fuhr er fort: ,Nimm die Laute zur Hand und sing uns etwas von meiner Sklavin, der mein Herz in Liebe zugetan ist und deren Wohlgefallen ich suche wie das Volk das meine.' So griff sie demi zur Laute und sang diese Verse:
O schöne Herrin, die du meine Andacht raubtest, Du mußt die Meine werden, sei es, wie es sei: Sei's, daß die Demut spricht, wie sie die Liebe zieret, Sei's durch Gewalt -die steht dem Herrscherthrone frei. |
Der Kalif ward von neuem entzückt, und nun sprach er: ,Nimm deine Laute noch einmal zur Hand und sing ein Lied, das da schildert, wie es mir mit drei Mädchen ergeht, die meine Zügel in den Händen tragen und meinen Schlaf verjagen; es sind aber du und jene eigensinnige Odaliske und eine andere, die ich nicht nennen will und die nicht ihresgleichen hat!' Da nahm sie die Laute und ließ die Saiten erklingen und hub an, diese Verse zu singen:
Sie drei, die zarten Mägdlein, halten meine Zügel Und thronen mir im Herzen als die höchste Zier. Ich schulde niemand in der ganzen Welt Gehorsam; Und doch gehorch ich ihnen, und sie trotzen mir. Das ist allein der Liebe allgewalt'ge Macht: So ward ich um der Herrschaft höchstes Gut gebracht. |
Da ward der Kalif von größter Verwunderung ergriffen über diese Verse, die seine Lage so trefflich schilderten, und die große Freude machte ihn geneigt, sich mit der eigensinnigen Odaliske wieder zu versöhnen. Darauf ging er hinaus und begab
sich zu ihrem Gemach: aber eine Dienerin eilte vorauf und meldete ihr das Nahen des Kaufen. So kam ihm denn die Odaliske entgegen und küßte den Boden vor ihm; dann küßte sie seine Füße, und er versöhnte sich mit ihr, wie sie mit ihm sich ausgesöhnt hatte.Wenden wir uns nun von dem Kalifen wieder zu Schadscharat ed-Dürr! Die kam erfreut zu mir und sprach: ,Ich bin frei geworden durch dein gesegnetes Kommen. Nun möge Allah mir helfen, daß ich einen Plan ersinne, durch den ich in Ehren mit dir vereint werden kann!' Da rief ich: ,Allah sei gepriesen!' Doch während wir noch miteinander sprachen, kam ihr Eunuch zu uns herein, und wir erzählten ihm, was bei uns geschehen war. Er sprach: ,Preis sei Allah, der bislang alles zu gutem Ende geführt hat, und wir wollen den Allmächtigen bitten, daß Er nun das Ganze vollende, indem du wohlbehalten fortgehen kannst!' Und als wir in diesem Gespräch waren, kam auch jene andere Sklavin, ihre Schwester, die den Namen Fâtir trug. Zu der sprach Schadscharat ed-Dürr: ,Schwester, wie sollen wir es beginnen, daß wir ihn wohlbehalten aus dem Palast schaffen? Siehe, Allah der Erhabene hat mir gnädigst die Freilassung gewährt, und ich bin nun eine Freie geworden durch den Segen seines Kommens.' Fâtir antwortete ihr: ,Ich habe kein anderes Mittel, um ihn hinauszubringen, als daß ich ihm Frauenkleider anlege.' Darauf holte sie Frauengewänder und kleidete mich darein; und alsbald ging ich hinaus, o Beherrscher der Gläubigen; doch als ich bis zur Mitte des Palastes gekommen war, saß dort der Beherrscher der Gläubigen, und die Diener standen vor ihm. Wie er mich erblickte, betrachtete er mich mit dem größten Befremden, und er rief seinen Dienern zu: ,Eilt hin und bringt mir die Sklavin, die dort vorbeischleicht!' Nachdem sie mich vor ihn geführt hatten, hoben
sie meinen Schleier auf; und sobald er mein Gesicht sah, erkannte er mich und stellte mich zur Rede. Ich tat ihm alles kund und verbarg nichts vor ihm. Und als er meine Geschichte vernommen hatte, sann er darüber nach; dann aber sprang er plötzlich auf, begab sich in das Gemach von Schadscharat ed-Dürr und fragte sie: ,Wie kannst du mir einen von den Söhnen der Kaufleute vorziehen?' Da küßte sie den Boden vor ihm und erzählte ihm ihre ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende der Wahrheit gemäß; und als er ihre Worte vernommen hatte, hatte er Mitleid mit ihr, und sein Herz erbarmte sich ihrer, so daß er ihr um der Liebe und ihrer Nöte willen verzieh; dann ging er fort. Darauf trat ihr Eunuch zu ihr herein und sprach zu ihr: ,Sei guten Mutes; als dein Freund vor dem Kalifen stand, hat der ihn gefragt, und er hat ihm Wort für Wort die gleiche Geschichte erzählt wie du.' Nun kehrte der Kalif zurück und ließ mich wieder vor sich kommen und fragte mich: ,Was trieb dich dazu, dich in den Palast des Kalifats zu wagen?' ,O Beherrscher der Gläubigen,' erwiderte ich, ,mich trieben dazu meine Liebestorheit und das Vertrauen auf deine Verzeihung und deine Großmut.' Dann brach ich in Tränen aus und küßte den Boden vor ihm; er aber sprach: ,Ich habe euch beiden verziehen', und befahl mir, mich zusetzen. Nachdem ich mich niedergesetzt hatte, berief er den Kadi Ahmed ibn Abi Duwâd, und der vermählte mich mit ihr. Nun befahl er, alles, was ihr gehörte, solle in mein Haus geschafft werden. Sie ward in ihrem Gemach mir als Braut zugeführt, und drei Tage danach ging ich fort und ließ all jenes Gut in mein Haus bringen. Was du, o Beherrscher der Gläubigen, hier in meinem Hause siehst, und was dich befremdete, das ist alles insgesamt von ihrer Ausstattung. Doch eines Tages sprach sie zu mir: ,Wisse, el-Mutawakkil ist ein hochherziger Mann; aber ich fürchte, er wird vielleicht einmal nicht gern an uns zurückdenken, oder einer von den Neid ern wird ihn an uns erinnern. Darum will ich etwas tun, was uns davor sichern soll.' ,Was ist denn das?' fragte ich; und sie antwortete: ,Ich will ihn um Erlaubnis bitten, daß ich die Pilgerfahrt mache und reumütig von dem Singen ablasse.' Darauf sagte ich: ,Der Plan, den du gefaßt hast, ist vortrefflich.' Doch während wir noch miteinander redeten. kam plötzlich ein Bote des Kaufen zu mir, um sie zu holen; denn el-Mutawakkil liebte ihren Gesang. So ging sie denn hin und versah ihren Dienst bei ihm; und er sprach zu ihr: ,Laß uns dich nie entbehren!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte sie. Nun begab es sich eines Tages, als sie wieder zu ihm gegangen war, da er seiner Gewohnheit gemäß nach ihr geschickt hatte, daß sie plötzlich, ehe ich mich dessen versah, mit zerrissenen Gewändern und mit Tränen im Auge von ihm zurückkam. Erschrocken rief ich: ,Siehe, wir sind Allahs Geschöpfe, und zu Ihm kehren wir zurück!' Denn ich vermutete, er hätte befohlen, uns zu ergreifen; so fragte ich sie denn: ,Ist el-Mutawakkil etwa wider uns ergrimmt?' Doch sie rief: ,Ach, wo ist el-Mutawakkil? Wisse, el-Mutawakkils Herrschaft hat ihr Ende gefunden, und seine Spur auf Erden ist geschwunden!' ,Sage mir die Wahrheit, was ist geschehen?' rief ich darauf; und nun erzählte sie mir: ,Er saß hinter seinem Vorhang und trank mit el-Fath ibn Chakân und Sadaka ibn Sadaka. Da fiel plötzlich sein Sohn el-Muntasir mit einer Schar von Türken über ihn her und tötete ihn. So wurde die Heiterkeit zum bitteren Leid und fröhliches Behagen zu Weinen und Klagen. Ich flüchtete mit der Sklavin, und Allah errettete uns.' Nun machte ich mich sofort auf, o Beherrscher der Gläubigen, und zog hinab gen Basra. Dort erreichte mich nach einer Weile die Kunde von dem Ausbruche des Krieges zwischen el-Muntasir und el-Musta'în: und in meiner Furcht brachte ich meine Frau und all mein Gut nach Basra. Dies ist meine Geschichte, o Beherrscher der Gläubigen; ich habe nichts hinzugefügt und nichts fortgelassen. Und so ist alles, was du in meinem Hause siehst und was den Namen deines Großvaters el-Mutawakkil trägt, eine Gabe seiner Huld gegen uns; denn wir verdanken den Ursprung unseres Glückes den Hochedlen, denen du deinen Ursprung verdankst. Wahrlich, ihr seid Männer der Wohltätigkeit und die Quelle aller Freigebigkeit!'Darüber war der Kalif hoch erfreut, und die Geschichte erfüllte ihn mit Verwunderung. Dann ließ ich - so berichtete uns Abu el-Hasan -die Herrin und meine Kinder von ihr kommen; sie küßten den Boden vor ihm, und er staunte ob ihrer Anmut. Ferner rief er nach dem Schreibzeug und schrieb uns eine Urkunde, daß unsere Besitztümer auf zwanzig Jahre von der Grundsteuer befreit sein sollten.
Der Kalif hatte solches Gefallen an Abu el-Hasan, daß er ihn zu seinem Tischgenossen machte, bis das Geschick sie trennte und sie aus der Schlösser Pracht einzogen in die Grabesnacht —Preis sei dem König der allvergebenden Macht! Ferner wird erzählt, o glücklicher König,
DIE GESCHICHTE VON KAMAR EZ-ZAMÂN
UND SEINER GELIEBTEN
Einst lebte in alten Zeiten ein Kaufmann, 'Abd er-Rahrnân geheißen, den Allah mit einer Tochter und mit einem Sohne gesegnet hatte; er hatte der Tochter den Namen Kaukab es-Sabâh' gegeben, wegen ihrer hohen Schönheit und Anmut; dem Knaben aber den Namen Kamar
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 964 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kaufmann seiner Frau, als sie so zu ihm gesprochen hatte, zur Antwort gab: ,Ich bin um die beiden besorgt wegen der Augen der Menschen; denn ich habe sie lieb, und die Liebe wird immer von eifersüchtiger Sorge geplagt, wieso schön der Dichter dieser Verse sagt:
Um dich bin ich voll Eifersucht auf meinen Blick, Auf mich, auf dich, auf deine Stätte und die Zeit. Und schloß ich dich auch ganz in meine Augen ein, Ach, deine Nähe würde mir doch niemals leid. Ja, wäre ich auch jeden Tag mit dir vereint, Es wär mir nie genug in alle Ewigkeit.' |
Da sprach seine Frau zu ihm: ,Vertraue nur auf Allah! Denn dem widerfährt nichts Arges, den Allah behütet. Nimm den Knaben noch heute mit dir zum Laden!' Darauf legte sie ihm die prächtigsten Gewänder an, so daß er die Beschauer durch seinen verführerischen Anblick erregte und die Herzen der Liebenden zu heißem Schmerz bewegte. Sein Vater also nahm ihn mit sich und führte ihn auf den Basar; und ein jeder, der ihn erblickte, ward von ihm bezaubert, trat an ihn heran, küßte ihm die Hand und begrüßte ihn. Sein Vater aber schalt die Leute, die ihm um der Neugier willen folgten. Da sagte wohl
einer von den Leuten: ,Die Sonne ist daundda aufgegangen und scheint nun auf dem Basar.' Und ein anderer sagte: ,Der Vollmond geht jetzt in derundder Gegend auf.' Und ein dritter sprach: ,Der Neumond des Festes leuchtet herab auf die Diener Allahs.' In dieser Weise deuteten sie mit ihren Worten auf den Jüngling hin und segneten ihn. Seinen Vater aber überkam die Scharrt wegen des Geredes der Leute; doch er konnte keinen von ihnen hindern, zu reden. So schalt er denn die Mutter und hub an, ihr zu fluchen, weil sie es veranlaßt hatte, daß der Knabe ausging. Und als er sich dann umschaute, sah er, daß die Menschen sich hinter ihm und vor ihm zusammendrängten, während er dahinschritt, bis er den Laden erreichte. Dort öffnete er die Ladentür, setzte sich nieder und hieß seinen Sohn sich vor ihm niedersetzen. Darauf sah er sich von neuem nach den Leuten um und erkannte, daß sie die Straße gesperrt hatten; denn ein jeder, der vorbeischritt, mochte er kommen oder gehen, blieb vor dem Laden stehen und schaute sich das schöne Gesicht dort an und konnte sich nicht von ihm trennen. So sammelte sich um ihn von Frauen und Männern eine große Schar, und sie machten das Wort des Dichters wahr:Du schufest die Schönheit für uns zur Verführung Und sprachst: Meine Knechte, habt Ehrfurcht vor mir! Doch du bist der Schöne, du liebst auch die Schönheit - Wie wären denn lieblos die Knechte von dir? |
Als nun der Kaufmann 'Abd er-Rahmân sah, wie die Menschen sich bei ihm zusammenscharten und in Reihen vor ihm standen, Männer und Frauen, um seinen Sohn anzustarren, kam große Verlegenheit über ihn; und er war ganz ratlos und wußte nicht, was er tun sollte. Doch ehe er sich dessen versah, kam von der anderen Seite des Basars ein Wanderderwisch des Wegs, ein Mann, der das Gewand der frommen Diener Allahs
trug; der schritt auf den Jüngling zu, und er hub an, seine Litaneien zu singen und ließ einen Tränenstrom aus seinen Augen dringen. Doch als er Kamar ez-Zamân dort sitzen sah, an Schönheit reich, einem Weidenzweige auf einem Safranhügel gleich, begann er in noch heftigere Tränen auszubrechen und die Verse zu sprechen:Ich sah ein Reis auf einem Hügel sprießen, Dem Vollmond gleich in seinem hellen Schein. Ich rief: ,Wie heißt du?' Und es sagte: ,Perle.' Ich sprach: ,Für mich? Für mich?' Es rief: ,Nein, nein!'' |
Darauf schritt der Derwisch langsam hin und her, indem er mit seiner rechten Hand über sein graues Haar strich, und die Menge wich aus Ehrfurcht vor ihm mitten auseinander. Doch als er den Jüngling wieder anschaute, verwirrten sich ihm Blick und Verstand, und es schien, daß der Dichter für ihn diese Worte erfand:
Als jener schöne Knabe dort im Hause weilte, Und als der Festesmond' aus seinem Antlitz schien. Da kam ein würdevoller alter Mann des Weges, Und Ruhe und Bedächtigkeit erfüllte ihn, An ihm ward der Entsagung Spur geschaut. Er hatte Tag und Nacht das Liebesspiel gekostet, Er tauchte in des Guten und des Bösen Reich. Den Frauen und den Männern hatt er sich ergeben; Er ward an Hagerkeit dem Zähnestocher gleich Und ward ein alt Gebein, bedeckt von Haut. Er war in jener Kunst ein Mann von Art der Perser, Der Alte, dein zur Seite sich ein Knabe fand. In Frauenlieb war er ein Mann vom Stamm der Asra'. — In beiden Dingen kundig und von Lust entbrannt: Ihm waren Zaid und Zainab' gleich vertraut. |
Zur Schönen zog es ihn, er liebte heiß die Schöne; Des Lagers Spur beweinte er, von Schmerz erregt. Ob seiner großen Sehnsucht glich er einem Ase, Der sich im Frühlingswinde hin und her bewegt. Von harter Art ist, wem vor Tränen graut. Er war erfahren in der Wissenschaft der Liebe Und spähte wachsam aus für sich zu jeder Zeit. Er wandte sich zu allem, Leichtem oder Schwerem; Und schlang die Arme um den Knaben und die Maid.' Zu alt und jung war ihm die Liebe traut |
Dann trat er nahe an den Jüngling heran und gab ihm eine Wurzel des Basilienkrauts; sein Vater aber streckte seine Hand in die Tasche und holte für den Frommen heraus, was er an Dirhems bei sich hatte, indem er sprach: ,Nimm, was dir das Glück beut, o Derwisch, und geh deiner Wege!' Jener nahm die Silberlinge von ihm hin und setzte sich auf die Bank vor dem Laden, dem Jüngling gegenüber, und er begann ihn anzustarren und zu weinen, so daß ein Tränenstrom gleich einer sprudelnden Quelle aus seinen Augen drang, während sich Seufzer auf Seufzer seiner Brust entrang. Da begannen die Leute ihn anzuschauen und ihm Vorwürfe zu machen; einige sagten: ,Alle Derwische sind doch unzüchtige Kerle', und andre: ,Wahrlich, das Herz dieses Derwisches ist in Liebe zu dem Jüngling entbrannt.' Als nun der Vater dies sah, hub er an und sprach: ,Auf, mein Sohn, wir wollen den Laden schließen und nach Hause gehen; heute ziemt es uns nicht, Handel zu treiben. Allah der Erhabene vergelte deiner Mutter, was sie uns angetan hat; denn sie hat all dies veranlaßt!' Dann fuhr er fort: ,Derwisch, erhebe dich, damit ich den Laden schließen kann!' Da stand der Derwisch auf; der Kaufmann aber schloß seinen
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 965. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kaufmann, der Vater von Kamar ez-Zamân, als der Derwisch gesagt hatte: ,Ich bin der Gast Allahs', ihm erwiderte: ,Willkommen sei der Gast Allahs Tritt ein, Derwisch !'Bei sich selber jedoch sprach er: ,Wenn dieser Derwisch den Jüngling liebt und Schlechtes von ihm begehrt, so muß ich ihn heute nacht umbringen und heimlich begraben. Wenn aber keine Sünde in ihm wohnt, so soll der Gast erhalten, was ihm zukommt.' Dann führte er ihn zusammen mit Kamar ez-Zamân in einen Saal, nachdem er zuvor heimlich dem Knaben gesagt hatte: ,Mein Sohn, setze dich, wenn ich euch verlassen habe, dem Derwisch zur Seite und schmeichle ihm und scherze mit ihm! Wenn er dann etwas Schlechtes von dir verlangt, während ich euch von dem Fenster, das in den Saal führt, beobachte, so will ich über ihn herfallen und ihn umbringen.' Sowie nun Kamar ez-Zamân mit dem Derwisch allein in jenem Saale war, setzte er sich ihm zur Seite, und der fromme Alte schaute ihn an und begann wieder zu seufzen und zu weinen. Sooft der Jüngling zu ihm sprach, gab er ihm freundlich Antwort, doch dann zitterte er
und schaute den Jüngling an und seufzte und weinte. Und als das Nachtmahl gebracht war, begann er zu essen, während seine Augen immer auf Kamar ez-Zamân gerichtet waren und unaufhörlich voll Tränen standen. Nachdem dann ein Viertel der Nacht vergangen und das Geplauder beendet und die Schlafenszeit gekommen war, sagte der Vater des Jünglings: ,Mein Sohn, widme dich dem Dienste deines Oheims Derwisch und handle ihm nicht zuwider!' Dann wollte er hinausgehen, aber der fromme Alte sprach zu ihm: ,Lieber Herr, nimm deinen Sohn mit dir oder schlaf mit uns!' ,Nicht doch.' erwiderte jener, ,sieh, mein Sohn soll bei dir schlafen; vielleicht verlangt deine Seele nach irgend etwas, dann kann er dir deinen Wunsch erfüllen und dir zu Diensten sein.' Darauf ging er hinaus und ließ die beiden allein; er setzte sich aber in ein anderes Gemach, von dem ein Fenster auf den Saal führte, indem die beiden waren.Lassen wir nun den Kaufmann dort, und sehen wir, was der Jüngling tat! Der trat an den Derwisch heran und begann, ihm zu schmeicheln und sich ihm anzubieten. Aber der Alte ward zornig und sprach zu ihm: ,Was sind das für Reden, mein Sohne Ich nehme meine Zuflucht zu Gott vor dem verfluchten Teufel. O Allah, dies ist ein Greuel, der dir nicht gefällt. Entferne dich von mir, mein Sohn!' Darauf erhob sich der Derwisch von seinem Sitze und ließ sich in einiger Ferne von dem Jüngling nieder; doch der folgte ihm und warf sich auf ihn und sprach zu ihm: ,Weshalb, o Derwisch, willst du dir die Freude versagen, mich zu genießen, da doch mein Herz dich liebte' Nun ward der Derwisch noch heftiger ergrimmt, und er sprach: ,Wenn du dich nicht von mir zurückhältst, so rufe ich deinen Vater und sage ihm, was du da treibst.' Aber der Jüngling erwiderte ihm: ,Mein Vater weiß, daß ich von dieser
Art bin, und es ist unmöglich, daß er mich hindern würde; also erfülle meinen Wunsch! Weshalb hältst du dich von mir zurück? Gefalle ich dir denn nichte' Darauf sagte jener: ,Bei Allah. mein Sohn. das tu ich nie, würde ich auch mit den scharfen Schwertern in Stücke geschlagen.' Und dann hub er an, das Dichterwort vorzutragen:Mein Herz ist voller Liebe zu den Schönen allen, Zu Knaben und zu Mädchen, und ich säume nicht. Doch schau ich sie nur an des Abends und des Morgens: Ich bin kein Wüstling, keiner, der die Ehe bricht. |
Dann weinte er und sprach: ,Wohlan, öffne mir die Tür, auf daß ich meiner Wege gehen kann! Ich will nicht mehr an dieser Stätte ruhen.' Und alsbald sprang er auf; aber der Jüngling hängte sich an ihn und sagte: ,Schau doch mein strahlendes Gesicht und meiner Wangen rotes Licht, meines Leibes weiche Art und mein Lippenpaar so zart!' Dann enthüllte er ihm eine Wade, die den Wein und den Schenken beschämte; und er schaute ihn an mit einem lieblichen Blick, der den Zauber und den Zauberer bezähmte. Er war ja von so herrlicher Lieblichkeit und von so sanfter Zierlichkeit, wie ihm einer der Dichter die Worte geweiht:
Ich kann ihn nicht vergessen, seit er vor mir stand, Mit einer Wade wie von Perlenglanz erfüllt. Drum staunet nicht, wenn mir die Seele auferstand:' Am Tag der Auferstehung wird das Bein enthüllt.' |
Nun zeigte der Jüngling ihm gar seinen Busen und sprach zu ihm: ,Schau meine Brüste, sie übertreffen die Brüste der jungfrauen
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 966. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Derwisch zu dem Kaufmann sprach: ,Wisse, ich bin ein wandernder Derwisch. Es begab sich einmal, daß ich an einem Freitag in der Frühe die Stadt Basra betrat; da sah ich die Läden offen, und in ihnen befanden sich alle Arten von Waren, Speisen und Getränken. Aber die Stadt war leer; kein Mann, keine Frau war in ihr, kein Mädchen und kein Knabe. Auf den Straßen und Basaren war kein Hund und keine Katze zu sehen; man hörte kein Geräusch, keinen Laut, kein freundliches Lebewesen ward geschaut. Darüber wunderte ich mich, und ich sprach: ,Wohin mögen wohl die Einwohner dieser Stadt mit ihren Katzen und Hunden gegangen sein? Was mag Allah mit ihnen getan haben?' Nun war ich hungrig, und ich nahm mir ein heißes Brot aus dem Ofen eines Bäckers; dann ging ich in den Laden eines Ölhändlers, bestrich das Brot mit geklärter Butter und Honig und aß es. Weiter begab ich mich zu einem Scherbettladen, und dort trank ich, was mir gefiel. Schließlich sah ich auch das Kaffeehaus offen, und so trat ich dort ein; da sah ich die Töpfe voll Kaffee auf dem Feuer stehen, aber niemand war dort. Ich trank, bis ich genug hatte, und sprach: ,Dies ist wirklich sonderbar! Es ist, als wäre der Tod über die Leute dieser Stadt gekommen und als wären sie alle zu dieser Stunde gestorben; oder als wären sie durch eine Gefahr erschreckt, die ihnen drohte, und wären geflohen, ehe sie ihre Läden hätten schließen können.' Während ich nun darüber nachdachte, hörte ich plötzlich, wie Trommeln geschlagen wurden, und in meiner Angst verbarg ich mich eine Weile. Dann spähte ich durch die Spalten und Ritzen und sah Mädchen kommen, so
schön wie Monde, und die schritten durch den Basar dahin, je zu zweit, mit unbedeckten Häuptern und entschleierten Gesichtern; es waren vierzig Paare, im ganzen also achtzig Mädchen. Ferner sah ich eine Herrin, reitend auf einem Rosse, das kaum seine Füße vorwärts bewegen konnte, weil es so schwer beladen war, gleich seiner Herrin, mit Gold und Silber und Edelsteinen. Ihr Angesicht war ganz entschleiert, und sie war mit dem kostbarsten Schmuck und mit den prächtigsten Kleidern bedeckt; um ihren Hals trug sie ein Halsband aus Edelsteinen, und auf ihre Brust hing goldenes Geschmeide herab; um ihre Handgelenke lagen Spangen, die wie Sterne leuchteten, und um ihre Knöchel goldene Ringe, die mit Edelsteinen besetzt waren. Die Sklavinnen schritten vor ihr und hinter ihr, zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken; und ihr voran ging eine Sklavin, gegürtet mit einem Schwert, dessen Griff aus einem Smaragd bestand und dessen goldenes Gehänge mit Juwelen besetzt war. Als jene Herrin in der Gegend vor meinem Versteck angelangt war, hielt sie den Zügel des Rosses fest und rief: ,Ihr Mädchen, ich höre ein Geräusch in dem Laden dort: durchforscht ihn, vielleicht ist einer darin verborgen, der uns beobachten will, während wir unsere Gesichter entschleiert haben!' Darauf durchsuchten sie den Laden gegenüber dem Kaffeehaus, in dem ich mich versteckt hielt. Da saß ich nun in meiner Angst und beobachtete, wie die Mädchen einen Mann herausholten und zu der Herrin sprachen: ,Gebieterin, wir haben dort einen Mann entdeckt, und hier steht er vor dir.' Alsbald rief sie der Sklavin, die das Schwert trug, zu: ,Schlag ihm den Kopf ab!' Die Sklavin trat an ihn heran und hieb ihm den Kopf ab; dann ließen sie den Leichnam am Boden liegen und zogen weiter. Als ich das sah, ward ich von Grauen erfüllt; dennoch war mein Herz von Liebe zu der jungen Herrin ergriffen. Nach einer Weile erschienen die Einwohner wieder, und jeder, der einen Laden besaß, trat in ihn ein; und die Leute schritten durch die Basare und sammelten sich um den Getöteten und schauten ihn an. Da schlich ich mich heimlich aus meinem Versteck hervor, ohne daß jemand auf mich achtete; aber die Liebe zu jener Herrin hatte mein Herz ganz gefangen genommen. Ich begann insgeheim nach ihr zu forschen; doch niemand konnte mir Auskunft über sie geben. So zog ich wieder fort von Basra mit einem Herzen, in dem die Liebe zu ihr heiß entbrannt war. Doch als ich diesen deinen Sohn sah, erkannte ich, daß er von allen Menschen jener Maid am meisten gleicht. Sogleich erinnerte er mich an sie, ja, er hat von neuem in mir das Feuer der Sehnsucht entfacht und in meinem Herzen die Glut der Leidenschaft zum Lohen gebracht. Dies istder Grund meines Weinens.' Dann fing er wieder heftig zu weinen an, wie kein Mensch bitterer weinen kann. Und er sprach: ,Lieber Herr, ich bitte dich um Allahs willen, öffne mir dir Tür, auf daß ich meiner Wege gehen kann!' So öffnete jener denn die Tür, und der Derwisch ging fort.Wenden wir uns nun von ihm zu Kamar ez-Zamân! Als der die Worte des Derwisches hörte, ward seine Seele von Liebe zu jener Herrin ergriffen; da kam über ihn die Leidenschaft, und es regte sich in ihm der Sehnsucht heiße Kraft. Am nächsten Morgen sprach er zu seinem Vater: ,Alle Söhne der Kaufleute ziehen umher in der Welt, um zu erreichen, was ihnen gefällt; es gibt keinen unter ihnen, den sein Vater nicht mit Waren ausrüstet, so daß er mit ihnen reisen und durch sie Gewinn haben kann. Weshalb denn, lieber Vater, rüstest du mich nicht mit Kaufmannsgut aus, so daß auch ich damit auf Reisen gehen und mein Glück suchen kanne' ,Lieber Sohn,' erwiderte jener, ,solchen Kaufleuten fehlt es an Geld, und sie senden ihre
Söhne aus, damit sie verdienen und Gewinn haben und irdisches Gut erwerben. Ich aber besitze viel Geld und Gut, und es verlangt mich nicht nach mehr. Wie sollte ich dich in die Fremde schicken, da ich mich nicht eine Stunde von dir zu trennen vermag, zumal du einzig bist an Lieblichkeit, Schönheit und Vollkommenheit und ich um dich besorgt bin?' Doch der Sohn entgegnete ihm: ,Lieber Vater, es ist nicht anders möglich, als daß du mich mit Waren ausrüstest, auf daß ich mit ihnen auf Reisen gehe; sonst muß ich, ohne daß du es weißt, entfliehen, sei es auch ohne Geld und ohne Waren. Wenn du also meine Sehnsucht stillen willst, so versieh mich mit Waren, auf daß ich hinausziehe und mir die Länder der Menschen ansehe.' Als nun der Kaufmann sah, daß der Jüngling sein Herz an das Reisen gehängt hatte, tat er das seiner Gattin kund, indem er zu ihr sprach: ,Dein Sohn wünscht, daß ich ihm Waren rüste, mit denen er indie Fremde ziehen möchte, wiewohl die Fremdlingsschaft nur Mühen schafft.' Seine Gattin gab ihm zur Antwort: ,Wie kann dir daraus ein Schaden erwachsen? Das ist doch die Gewohnheit der jungen Kaufleute; sie alle wetteifern um den Ruhm der Reisen und des Verdienstes.' Er sagte darauf: ,Die meisten Kaufleute sind arm und erstreben mehr Besitz; ich aber habe doch Reichtum in Fülle.' ,Zuwachs an Gut schadet nichts,' erwiderte sie. ,und wenn du es ihm nicht erlaubst, so werde ich ihm aus meinem eigenen Geld Waren verschaffen.' Doch der Kaufmann fuhr fort: ,Ich fürchte für ihn die Fremdlingsschaft, da sie doch nur arge Mühsal schafft.' Dem entgegnete sie: ,In der Wanderschaft liegt kein Verderben, wenn sie dazu dient, Gewinn zu erwerben. Wenn wir nicht einwilligen, so wird unser Sohn fortgehen, und wir werden ihn suchen und nicht finden: dann werden wir ins Gerede kommen bei den Menschen.' Der Kaufmann nahm den Rat seiner Frau an und versah seinen Sohn mit Waren im Werte von tausend Dinaren; die Mutter aber gab ihm dazu einen Beutel mit vierzig Siegelsteinen, kostbaren Juwelen, von denen ein jeder zum mindesten den Wert von fünfhundert Dinaren hatte, und sie sprach: ,Mein Sohn, hüte diese Edelsteine; denn sie werden dir von Nutzen sein!' So nahm denn Kamar ez-Zamân all das Gut und machte sich auf den Weg nach Basra. —Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 967. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân all das Gut nahm und sich auf den Weg nach Basra machte, nachdem er die Edelsteine in einen Gürtel getan und sich den um den Leib gebunden hatte. So zog er denn immer weiter dahin, bis zwischen ihm und Basra nur noch eine Tagereise lag. Dort aber fielen die Beduinen über ihn her und plünderten ihn aus; und als sie seine Leute und Diener töteten, warf er sich unter die Erschlagenen und wälzte sich im Blut, so daß die Beduinen glaubten, er sei tot, und ihn liegen ließen, ohne daß einer näher an ihn heranging. Dann nahmen sie seine Güter und eilten davon. Nachdem aber die Räuber ihrer Wege gegangen waren, erhob sich Kamar ez-Zamân unter den Toten und schritt weiter; und nun besaß er nichts mehr als die Edelsteine, die in seinem Gürtel waren. Ohne Aufenthalt zog er dahin, bis er in Basra ankam. Nun traf es sich, daß der Tag seiner Ankunft ein Freitag war; und da war die Stadt menschenleer, wie es der Derwisch erzählt hatte. Er fand die Basare verlassen und die Läden offen, doch voll von Waren; so aß er und trank und schaute sich um. Während er das tat, hörte er plötzlich, wie die Trommeln geschlagen wurden; darum verbarg er sich
in einem Laden, und dann kamen die Mädchen, und er sah sie an. Als er aber die Herrin auf ihrem Rosse erblickte, ergriff ihn der Liebe Leidenschaft, er war von Sehnsucht und Verlangen wie hinweggerafft, und zum Stehen hatte er nicht mehr die Kraft. Nach einer Weile erschienen die Leute wieder, und die Basare füllten sich. Da ging er auf den Basar und begab sich zu einem Juwelier; dem zeigte er einen von den vierzig Edelsteinen, der tausend Dinare wert war, und nachdem er ihn ihm verkauft hatte, kehrte er an seine Stätte zurück. Dort verbrachte er die Nacht, und am nächsten Morgen wechselte er seine Kleider, begab sich ins Badehaus, und als er heraustrat, sah er wie der Vollmond aus. Danach verkaufte er vier Siegelsteine um viertausend Dinare; und nun wandelte er durch die Straßen von Basra dahin, angetan mit den prächtigsten Kleidern, bis er zu einem Basar kam, in dem er einen Barbier erblickte. Zu dem ging er hinein, und nachdem jener ihm das Haupt geschoren hatte, schloß er Freundschaft mit ihm; dann sagte er zu ihm: ,Mein Vater, ich bin ein Fremdling im Lande; gestern kam ich in diese Stadt, und da fand ich sie verlassen von denen. die hier wohnen, ja, niemand war dort, weder Menschen noch Dämonen. Dann aber erblickte ich Mädchen und unter ihnen eine Herrin, die im Festzug dahinritt.' So erzählte er ihm, was er gesehen hatte; da fragte ihn der Barbier: ,Mein Sohn, hast du schon jemand anders als mir davon erzählte' ,Nein', erwiderte der Jüngling; und der Barbier fuhr fort: ,Mein Sohn, hüte dich, diese Worte vor irgend jemand anders zu erwähnen! Denn nicht alle Leute können Worte und Geheinmisse für sich behalten; und du bist noch ein unerfahrener Jüngling. Ich fürchte für dich, das Gerede könnte von Mund zu Mund eilen. bis es die Leute erreicht, die es angeht; und dann würden sie dich umbringen. Wisse, mein Sohn, was du gesehen hast, hat man noch nie gesehen und kennt man auch nicht außer in dieser Stadt. Die Leute von Basra sterben hin durch diese Plage; jeden Freitag am Vormittag müssen sie ihre Hunde und Katzen einschließen und verhindern, daß sie auf die Basare laufen; und alle Einwohner der Stadt müssen in die Moscheen gehen und die Türen hinter sich verschließen. Keiner von ihnen darf über den Basar gehen noch aus einem Fenster schauen; und niemand weiß die Ursache dieser Plage. Aber, mein Sohn, heute abend will ich meine Frau nach dem Grunde fragen; denn sie ist eine Wehmütter. die in die Häuser der Vornehmen kommt und weiß, was in dieser Stadt vorgeht. So Allah will, komm du morgen wieder zu mir; dann will ich dir kundtun, was sie mir berichtet hat.' Da zog der Jüngling eine Handvoll Gold hervor und sprach: ,Mein Vater, nimm dies Gold und gib es deiner Gattin; denn sie ist meine Mutter geworden!' Dann zog er eine zweite Handvoll hervor und sprach: ,Nimm dies für dich!' Der Barbier aber sprach: ,Mein Sohn, bleib sitzen, wo du bist; ich will indessen zu meiner Frau eilen und sie fragen und dir dann die rechte Nachricht bringen!' So ließ er jenen im Laden, lief zu seiner Frau und erzählte ihr von dem Jüngling. Und er sprach zu ihr: ,Ich wünsche, daß du mir die Wahrheit sagst über das, was in dieser Stadt vorgeht, damit ich es diesem jungen Kaufmann berichten kann; denn er ist von heißem Begehren erfüllt, die Wahrheit darüber zu erfahren, weshalb die Menschen und die Tiere jeden Freitag am Vormittag nicht auf die Basare kommen dürfen. Mich dünkt, er ist ein Liebender, denn er ist freigebig und hat eine offene Hand: und wenn wir ihm die Sache mitteilen, so können wir viel Nutzen von ihm haben.' Darauf gab sie ihm zur Antwort: ,Geh hin und hole ihn, indem du zu ihm sprichst: ,Komm und sprich mit deiner Mutter, meiner Frau; denn sie läßt dich grüßen und dir sagen, daß dein Ziel erreicht ist!' Alsbald kehrte er zum Laden zurück; und als er Kamar ez-Zamân dort sitzen und auf ihn warten fand, tat er ihm alles kund, indem er zu ihm sprach: ,Laß uns zu deiner Mutter, meiner Frau, gehen; denn sie läßt dir sagen, daß dein Ziel erreicht ist!' Und er nahm ihn mit sich und führte ihn, bis sie zu der Frau eintraten; die hieß den Jüngling willkommen und bat ihn, sich zu setzen. Er aber zog hundert Dinare heraus und gab sie ihr mit den Worten: ,Liebe Mutter, sage mir, wer diese junge Herrin ist!' Sie gab ihm zur Antwort: ,Mein Sohn, wisse, der Sultan von Basra erhielt einst von dem König von Indien ein Juwel und wünschte es durchbohrt zu sehen. Da ließ er alle Juweliere kommen und sprach zu ihnen: ,Ich wünsche, daß ihr mir dies Juwel durchbohrt. Wer das für mich vollbringt, der darf sich etwas von mir wünschen; und was er nur verlangt, das werde ich ihm geben. Aber wenn er es zerbricht, so werde ich ihm den Kopf abschlagen lassen.' Darüber erschraken sie und sprachen: ,O größter König unserer Zeit, ein Juwel nimmt leicht Schaden, und es ist selten, daß jemand es durchbohrt, indem es ganz heil bleibt; denn die meisten haben einen Sprung. Darum erlege uns nichts auf, was wir nicht vollbringen können; unseren Händen wird es doch nicht gelingen, diesen Edelstein zu durchbohren. Aber unser Scheich ist erfahrener als wir.' ,Wer ist denn euer Scheich?' fragte der König; und sie antworteten ihm: ,Meister 'Obaid; er ist in dieser Kunst geschickter als wir, und er hat große Reichtümer und vortreffliche Kenntnisse. Drum schicke nach ihm und laß ihn vor dich kommen, und befiehl ihm, diesen Stein zu durchbohren.' Da schickte der König nach ihm und gebot ihm, das Juwel zu durchbohren, indem er ihm die genannte Bedingung auferlegte. Jener nahm es und durchbohrte es nach dem Wunsche des Königs; darauf sprach dieser zu ihm: ,Erbitte dir eine Gnade von mir, Meister!' Doch 'Obaid bat: ,O größter König unserer Zeit, gib mir bis morgen Frist.' Der Grund davon war nämlich der, daß er sich mit seiner Frau beraten wollte: und seine Frau ist jene Herrin, die du im Prunkzug sahst. Er liebt sie inniglich, und in seiner herzlichen Neigung zu ihr tut er nichts, ohne sie vorher darüber um Rat zu fragen. Deshalb bat er auch um Aufschub für seinen Wunsch, um sich mit ihr zu beraten. Als er dann zu ihr kam, sprach er zu ihr: ,Ich habe für den König ein Juwel durchbohrt, und er hat mir einen Wunsch verstattet; aber ich habe um Aufschub gebeten, auf daß ich dich um Rat fragen könnte. Was willst du nun, das ich erbitten solle' Sie erwiderte: ,Wir haben so viel Reichtümer, daß kein Feuer sie verzehren kann. Aber wenn du mich wirklich liebst, so erbitte von dem König, er möchte in den Straßen von Basra verkünden lassen, daß alle Einwohner der Stadt am Freitag zwei Stunden vor dem Gebet in die Moscheen gehen; niemand, weder groß noch klein, soll sich in der Stadt anderswo aufhalten als in der Moschee oder im Hause; und dann sollen sie die Türen der Moscheen und der Häuser hinter sich schließen und sollen die Läden der Stadt offen lassen. Ich aber will mit meinen Dienerinnen ausreiten und durch die Stadt ziehen, ohne daß mich jemand durch ein Fenster oder durch ein Gitter sieht; jeden, den ich draußen treffe, will ich töten lassen.' Der Mann ging zum König und bat ihn um diese Gnade; und der gewährte ihm seine Bitte und ließ unter den Leuten von Basra ausrufen.' — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 968 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Frau des Barbiers
des weiteren erzählte: ,Als der König dem Juwelier seine Bitte gewährt hatte und unter dem Volke von Basra ausrufen ließ, um was jener gebeten hatte, sagten die Leute: ,Wir sind um unsere Waren besorgt wegen der Katzen und der Hunde.' Nun befahl der König, die Tiere an jenem Tage einzusperren, bis die Leute vom Freitagsgebet zurückkehrten. So begann denn jene Herrin, an jedem Freitag zwei Stunden vor dem Gebet auszureiten und im Prunkzug mit ihren Dienerinnen in den Straßen von Basra umherzuziehen; dann darf niemand über den Basar gehen noch durch ein Fenster oder durch ein Gitter schauen. Dies ist also der Grund; und nun weißt du, wer die Herrin ist; doch, mein Sohn, war es nur dein Wunsch, von ihr Kunde zu erhalten, oder möchtest du mit ihr zusammentreffen?' ,Liebe Mutter', erwiderte er, ,ich möchte mit ihr zusammenkommen.' Dann fuhr sie fort: ,Sage mir, was für kostbare Schätze du bei dir hast! 'Er antwortete: ,Liebe Mutter. ich habe vier Arten von wertvollen Edelsteinen bei mir; von der ersten Art ist ein jeder fünfhundert Dinare wert, von der zweiten ein jeder siebenhundert Dinare, von der dritten ein jeder achthundert Dinare, von der vierten ein jeder tausend Dinare.' Nun fragte sie ihn: ,Bist du bereit, vier von ihnen zu opfern?' ,Ich will sie alle opfern', erwiderte er; und darauf riet sie ihm: ,Mache dich ohne Verzug auf, mein Sohn, und hole einen Siegelstein, der fünfhundert Dinare wert ist! Dann frage nach dem Laden des Meisters 'Obaid, des Scheichs der Juweliere; geh zu ihm, und du wirst ihn in seinem Laden sitzen sehen, in prächtige Gewänder gekleidet und von seinen Gesellen umgeben. Grüße ihn, setz dich beim Laden nieder und hol den Siegelstein heraus; dann sprich zu ihm: ,Meister, nimm diesen Stein und fasse ihn mir in einen goldenen Siegelring. Doch mach ihn nicht zu groß, sondern laß ihn nur ein Mithkâl' wiegen, mehr nicht; mach aber ein schönes Stück Arbeit!' Dann gib ihm zwanzig Dinare und jedem der Gesellen einen Dinar; bleib auch eine Weile bei ihm sitzen und plaudere mit ihm, und wenn ein Bettler vorbeikommt, so gib ihm einen Dinar, um deine Freigebigkeit zu zeigen, auf daß der Meister dich lieb gewinnt. Darauf geh fort von ihm, begib dich in deine Wohnung und verbringe dort die Nacht! Am nächsten Morgen aber nimm hundert Dinare mit dir und gib sie deinem Vater hier; denn er ist ein armer Mann!' ,So sei es!' erwiderte der Jüngling, verließ die Frau und begab sich in den Chân. Von dort holte er einen Siegelstein, der fünfhundert Dinare wert war, und nahm ihn mit sich auf den Juwelenbasar; dann fragte er nach dem Laden des Meisters 'Obaid, des Scheichs der Juweliere, und man führte ihn zu ihm. Wie erden Laden erreicht hatte, sah er, daß der Scheich der Juweliere ein würdevoller Mann war und prächtige Kleider trug und daß er vier Gesellen unter sich hatte. Er sprach zu ihm: ,Friede sei mit Euch!' Und nachdem jener seinen Gruß erwidert und ihn willkommen geheißen hatte, bat er ihn, sich zu setzen. Der Jüngling tat es und zeigte ihm dann den Siegelstein, indem er sprach: ,Meister, ich möchte, daß du mir diesen Stein in einen goldenen Siegelring fassest; aber mach ihn nur ein Mithkâl schwer, nicht mehr, und verfertige mir daraus ein schönes Kleinod!' Dann zog er zwanzig Dinare heraus und sprach zu ihm: ,Nimm dies für das Gravieren, die Bezahlung des Ganzen bleibt für später!' Als er noch jedem Gesellen einen Dinar gab, gewannen die Leute ihn lieb, und auch Meister 'Obaid ward ihm geneigt. Danach blieb er sitzen und plauderte mit dem Scheich, und sooft ein Bettler zu ihm kam, gab er ihm einen Dinar, so daß die Leute seine Freigebigkeit bewunderten.Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 969 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Juwelier zu seiner Frau sprach: ,Hab Geduld! Der Eigentümer des Ringes ist großherzig; ich will versuchen, ihn von ihm zu kaufen, und wenn er ihn mir verkauft, so will ich ihn dir bringen. Oder wenn er noch einen anderen solchen Stein hat, so will ich ihn kaufen und ihn für dich einfassen wie diesen.' So stand es nun um den juwelier und seine Gattin.
Kamar ez-Zamân aber verbrachte die Nacht in seiner Wohnung, und am folgenden Morgen nahm er hundert Dinare und brachte sie der Alten, der Frau des Barbiers, indem er zu ihr sprach: ,Nimm diese hundert Dinare!' Doch sie erwiderte ihm: ,Gib sie deinem Vater!' Da gab er sie dem Barbier. Dann fragte
sie den Jüngling: ,Hast du getan, wie ich dir geraten habe?' ,Jawohl', antwortete er; und sie fuhr fort: ,Wohlan, begib dich jetzt zum Scheich der Juweliere. Wenn er dir den Ring gibt, so tu ihn auf die Spitze deines Fingers und zieh ihn eilig wieder ab und sprich zu ihm: ,Meister, du hast dich versehen, der Ring ist zu eng geworden.' Dann wird er zu dir sagen: ,Kaufmann, soll ich ihn zerbrechen und weiter machen?' Doch du erwidere ihm: ,Es scheint mir nicht nötig, ihn zu zerbrechen und neu zu schmieden. Nimm ihn und gib ihn einer deiner Sklavinnen!' Dann zeige ihm einen anderen Stein, der siebenhundert Dinare wert ist, und sprich zu ihm: ,Nimm diesen Stein und fasse ihn für mich; er ist noch schöner als jener!' Ferner gib ihm dreißig Dinare und gib jedem Gesellen zwei Dinare und sprich zu ihm: ,Diese Goldstücke sind für das Gravieren; die Bezahlung des Ganzen bleibt für später.' Darauf kehre in deine Wohnung zurück, verbringe die Nacht dort und komme am Morgen mit zweihundert Dinaren zu mir; so will ich dir alles mitteilen, was noch weiter zu tun ist.' Darauf ging der Jüngling zu dem Juwelier; und der hieß ihn willkommen und bat ihn, sich in seinem Laden zu setzen. Nachdem der Jüngling sich gesetzt hatte, sprach er: ,Hast du den Auftrag ausgeführt?' ,Jawohl', erwiderte der Juwelier und reichte ihm den Ring; Kamar ez-Zamân nahm ihn und tat ihn auf die Spitze seines Fingers, aber dann zog er ihn rasch wieder herunter und sprach: ,Du hast dich versehen, Meister.' Und er warf ihn ihm zu mit den Worten: ,Er ist zu eng für meinen Finger.' Da fragte der Juwelier ihn: ,Kaufmann, soll ich ihn weiter machen?' Doch jener entgegnete: ,Nein; nimm ihn als Geschenk und steck ihn einer deiner Sklavinnen an! Er ist nicht viel wert, nur fünfhundert Dinare; es lohnt sich nicht, ihn neu zu fassen.' Dann zeigte er ihm einen anderen Siegelstein, der siebenhundert Dinare wert war, und sprach zu ihm: ,Mach mir den zurecht!' Darauf gab er ihm dreißig Goldstücke und jedem der Gesellen zwei. Doch der Juwelier sagte: ,Hoher Herr, wir wollen den Preis nehmen, wenn wir den Ring geschmiedet haben.' Kamar ez-Zamân jedoch rief: ,Das ist nur für das Gravieren; die Bezahlung des Ganzen bleibt für später.' Dann verließ er ihn und ging fort; der Juwelier aber war ganz verwirrt durch die große Freigebigkeit von Kamar ez-Zamân, und desgleichen waren es die Gesellen. Nun eilte der Juwelier zu seiner Gattin und sprach zu ihr: ,O du, noch nie hat mein Auge einen freigebigeren Mann gesehen als diesen Jüngling; und du hast wirklich großes Glück, denn er hat mir den Ring umsonst geschenkt und zu mir gesagt, ich sollte ihn einer meiner Sklavinnen geben.' Und so erzählte er ihr, was geschehen war, und schloß mit den Worten: ,Dieser Jüngling kann nicht zu den Söhnen der Kaufleute gehören; er muß einer der Söhne der Könige und Sultane sein.' Je mehr er ihn pries, desto stärker ward in ihr die Leidenschaft und der Liebe heiße Kraft. Sie schob also den Ring auf ihren Finger, während der Juwelier einen zweiten schmiedete, der ein wenig weiter war als der erste. Als er mit seiner Arbeit fertig war, schob sie den neuen Ring auf ihren Finger, und zwar etwas tiefer als den ersten; dann rief sie: ,Mein Gebieter, sieh, wie schön die beiden Ringe an meinem Finger sind! Ich möchte, daß beide Ringe mir gehören!' Doch er entgegnete ihr: ,Gedulde dich! Vielleicht kann ich den zweiten für dich kaufen.' Dann schlief er die Nacht hindurch, und am nächsten Morgen nahm er den Ring und begab sich in seinen Laden.Wenden wir uns nun von dem Juwelier wieder zu Kamar ez-Zamân! Der begab sich am Morgen zu der Alten, der Frau des Barbiers, und gab ihr zweihundert Dinare. Und sie sprach zu
ihm: ,Begib dich zu dem Juwelier, und wenn er dir den Ring gibt, so stecke ihn auf deinen Finger und zieh ihn eilends wieder ab, indem du sagst: ,Du hast dich versehen, Meister; der Ring ist zu weit geworden! Wenn zu einem Meister, wie du es bist, jemand wie ich mit einem Auftrag kommt, so geziemt es sich, daß er das rechte Maß nimmt. Hättest du das Maß meines Fingers genommen, so hättest du dich nicht versehen!' Dann zeige ihm einen anderen Stein, der tausend Dinare wert ist, und sprich zu ihm: ,Nimm diesen und mache ihn mir zurecht; den Ring da gib einer deiner Sklavinnen!' Ferner gib ihm vierzig Dinare und jedem der Gesellen drei, indem du zu ihm sagst: ,Dies ist für das Gravieren; die Bezahlung des Ganzen bleibt für später.' Dann beachte, was er sagen wird. Hernach komm zu uns mit dreihundert Dinaren und gib sie deinem Vater, auf daß er durch sie sich besser durch die Zeit helfe: denn er ist ein armer Mann.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Jüngling und begab sich alsbald zu dem Juwelier. Der hieß ihn willkommen, bat ihn, sich zu setzen, und reichte ihm den Ring; Kamar ez-Zamân steckte ihn auf seinen Finger, nahm ihn aber eilends wieder ab und sprach: ,Wenn zu einem Meister, wie du es bist, jemand wie ich mit einem Auftrag kommt, so gebührt es sich, daß er das rechte Maß nimmt. Hättest du das Maß meines Fingers genommen, so hättest du dich nicht versehen. Nimm den Ring und gib ihn einer deiner Sklavinnen!' Darauf zeigte er ihm einen Stein, der tausend Dinare wert war, und fuhr fort: ,Nimm diesen und fasse ihn mir in einen Ring nach dem Maße meines Fingers!' ,Du sprichst wahr, du hast recht', erwiderte 'Obaid und nahm das Maß. Der jüngling aber zog vierzig Dinare heraus und sprach: ,Nimm dies für das Gravieren; die Bezahlung des Ganzen bleibe für später!' ,Hoher Herr', sagte der Juwelier, ,wieviel Lohn haben wir dir schon abgenommen! Deine Güte gegen uns ist zu groß!' ,Das ist nicht der Rede wert', erwiderte Kamar ez-Zamân; und er plauderte wiederum eine Weile mit ihm und gab jedem Bettler, der an ihm vorbeikam, einen Dinar. Dann verließ er ihn und ging davon.Sehen wir nun, was der Juwelier weiter tat! Er begab sich nach Hause und sprach zu seiner Gattin: ,Wie freigebig ist doch dieser junge Kaufmann! Ich habe nie einen Menschen gesehen, der freigebiger wäre als er, nie einen, der schöner wäre als er, ja, auch keinen, der lieblicher zu reden wüßte als er!' Und wie er ihr so seine Reize und seinen Edelmut schilderte und ihn über die Maßen pries, rief sie: ,O du Mann ohne Lebensart, nachdem du solche Eigenschaften an ihm kennen gelernt hast und er dir zwei wertvolle Siegelringe geschenkt hat, geziemt es sich doch für dich, ihn einzuladen und ein Gastmahl für ihn herzurichten und ihm jegliche Freundlichkeit zu erzeigen. Wenn er sieht, daß du ihn gern hast, und in unser Haus kommt, so wirst du vielleicht noch viel Gutes von ihm erfahren. Wenn du ihm aber ein Gastmahl nicht gönnst, so lad ihn ein, und ich will ihn auf meine eigenen Kosten bewirten.' Er entgegnete ihr: ,Kennst du mich etwa als einen Knauser, daß du solche Worte sprichst?' Darauf sagte sie: ,Du bist kein Knauser; aber dir fehlt es an Lebensart. Lad ihn noch heute abend ein und komm nicht ohne ihn zurück! Wenn er ablehnt, so beschwöre ihn bei der Scheidung und bitte ihn dringend!' ,Herzlich gern', erwiderte er; doch dann schmiedete er den Ring, legte sich schlafen und begab sich am Morgen des nächsten Tages zu seinsein Laden. Dort setzte er sich nieder.
Kamar ez-Zamân andererseits holte dreihundert Dinare, ging zu der Alten und gab sie ihr für ihren Gatten. Da sagte sie zu ihm: ,Wahrscheinlich wird er dich heute einladen; wenn
er das tut und du bei ihm die Nacht verbringst, so erzähle mir am Morgen alles, was du erlebt hast; bring dann aber auch vierhundert Dinare mit und gib sie deinem Vater!' ,Ich höre und gehorche!' antwortete der Jüngling; und sooft er kein Geld mehr hatte, verkaufte er einige Steine. Er begab sich also wieder zu dem Juwelier, und der erhob sich vor ihm und nahm ihn in seine Arme, und indem er ihn herzlich begrüßte, schloß er Freundschaft mit ihm. Dann holte er den Siegelring hervor; Kamar ez-Zamân fand ihn genau nach dem Maße seines Fingers, allein er sprach: ,Allah segne dich, du Herr aller Meister! Dein Werk paßt jetzt, aber ich mag den Stein nicht.' — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 970. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân zu dem Juwelier sprach: ,Dein Werk paßt jetzt; aber ich mag den Stein nicht. Ich habe noch einen schöneren; behalt diesen und gib ihn einer deiner Sklavinnen!' Dann holte er wieder einen anderen hervor und gab ihm hundert Dinare, indem er sprach: ,Nimm deinen Lohn und nimm es uns nicht übel, daß wir dir so viel Mühe gemacht haben!' Darauf erwiderte ihm 'Obaid: ,O Kaufmann, alle Mühe, die wir gehabt haben, hast du uns schon vergolten; denn du hast uns mit deiner Güte überhäuft, so daß mein Herz dich lieb gewonnen hat, und ich kann es nicht ertragen, mich von dir zu trennen. Um Allahs willen, ich bitte dich, sei heute nacht mein Gast und erfreue meine Seele!' Der Jüngling erwiderte: ,Das soll gern geschehen; doch ich muß vorher in den Chân gehen und meinen Dienern Anweisungen geben und ihnen sagen, daß ich heute nacht auswärts schlafen werde, damit sie nicht auf mich warten.' ,In welchem Chân bist du eingekehrt?' fragte der Juwelier; und
Kamar ez-Zamân antwortete: ,In dem Chân Soundso.' Weiter fragte 'Obaid: ,Darf ich dich dort abholen?' ,Das mag gern geschehen', erwiderte der Jüngling. So begab sich denn der Juwelier vor Sonnenuntergang zu jenem Chân; denn er fürchtete, seine Gattin würde ihm zürnen, wenn er ohne den Gast nach Hause käme. Und er nahm den Jüngling mit und führte ihn in sein Haus; dort setzten die beiden sich in einem unvergleichlich schönen Saal nieder; die Herrin aber hatte den jungen Kaufmann gesehen, wie er hereinkam, und sie war von ihm bezaubert. Dann plauderten die beiden, bis das Nachtmahl aufgetragen ward; und nachdem sie gegessen und getrunken hatten, wurden der Kaffee und die Scherbette gebracht. Und weiter unterhielt der Juwelier seinen Gast bis zur Zeit des Nachtgebets; da verrichteten beide ihre Andachtspfficht. Darauf kam eine Dienerin zu ihnen mit zwei Schalen, die mit einem Trank gefüllt waren. Nachdem sie den getrunken hatten, überkam sie die Müdigkeit, und sie schliefen ein. Nun aber trat die junge Herrin ein, und als sie die beiden schlafen sah, schaute sie Kamar ez-Zamân ins Antlitz, und ihr Sinn ward berückt von seiner Anmut. Da sprach sie: ,Wie kann der schlafen, der die Schönen liebt?' Und sie wandte ihn um, so daß er auf dem Rücken lag, und setzte sich auf seine Brust. Überwältigt von wilder Leidenschaft bedeckte sie seine Wangen mit einem Schauer von Küssen, so daß die Spuren davon auf ihnen zurückblieben, denn sie wurden hochrot; und die Haut über den Wangenknochen leuchtete hell. Dann begann sie an seinen Lippen zu saugen, und sie saugte an ihnen so lange, bis ihr das Blut in den Mund rann; aber trotzdem blieb ihr Feuer ungelöscht wild, und ihr Durst ward nicht gestillt. Und immer wieder küßte sie ihn und schloß ihn in die Arme ein und umschlang Bein mit Bein, bis der Morgen seine schimmernde Stirn erhob und das Frührot die Welt mit seinen Strahlen durchwob. Nun legte sie vier Spielknöchel in seine Tasche, verließ ihn und ging davon; und dann schickte sie ihre Dienerin mit einem Pulver, das dem Schnupftabak glich, und die tat es ihnen in die Nase. so daß sie niesten und aufwachten. Da sagte die Dienerin zu ihnen: ,Bedenket, meine Herren. das Gebet ist Pflicht; drum erhebt euch zum Frühgebet!' Und sie brachte ihnen Becken und Kanne. Kamar ez-Zamân aber rief: ,Meister, es ist spät geworden, wir haben uns verschlafen.' Und der Juwelier sprach zu dem Kaufmanne: ,Mein Freund, der Schlaf in diesem Zimmer ist schwer; jedesmal, wenn ich hier schlafe, ergeht es mir so.' Jener erwiderte: ,Du hast recht.' Darauf begann Kamar ez-Zamân die religiöse Waschung vorzunehmen; doch als er sein Gesicht mit dem Wasser berührte, brannten ihm Wangen und Lippen, und er rief: ,Sonderbar, wenn die Luft in diesem Saale drückend ist und wir in tiefen Schlaf versunken gewesen sind, wie kommt es denn, daß meine Wangen und Lippen so brennen?' Und wiederum rief er: ,Meister, mir brennen die Wangen und die Lippen!' Jener antwortete ihm: ,Mich deucht, das kommt von Stichen der Mücken.' Doch der Jüngling fuhr fort: ,Seltsam! Geht es dir denn auch so wie mir?' ,Nein,' erwiderte 'Obaid, ,aber immer, wenn ein Gast wie du bei mir ist, klagt er am Morgen über die Stiche der Mücken; doch es geschieht nur, wenn er bartlos ist wie du. Ist er bärtig, so sammeln sich die Mücken nicht bei ihm; mich hat nur mein Bart gegen die Mücken geschützt. Es scheint, als ob die Mücken bärtige Männer nicht lieben.' ,Du hast wohl recht', sagte der jüngling. Dann brachte die Dienerin ihnen das Frühmahl. und nachdem die beiden gespeist hatten, gingen sie fort. Kamar ez-Zamân begab sich zu der Alten; und als die ihn erblickte, sprach sie: ,Ich sehe die Spuren des genossenen Glücks auf deinem Antlitz; berichte mir, was du erlebt hast!' Er gab zur Antwort: ,Ich habe nichts erlebt. Ich habe nur mit dem Hausherrn in einem Saale zur Nacht gespeist; dann haben wir das Nachtgebet gesprochen und sind eingeschlafen und erst am Morgen wieder aufgewacht.' Doch sie lachte und fragte: ,Was sind denn das für Spuren auf deiner Wange und auf deiner Lippe?' ,Das haben die Mücken im Saale mir angetan', antwortete er; und sie fuhr fort: ,Du magst recht haben; aber ist es dem Hausherrn auch so ergangen wie dir?' ,Nein,' erwiderte er, ,aber er hat mir gesagt, daß die Mücken jenes Saales bärtige Männer nicht belästigen, sondern sich nur bei bartlosen sammeln. Sooft ein bartloser Gast bei ihm sei, beklage er sich am Morgen über die Stiche der Mücken; wenn der Gast aber einen Bart habe, so geschehe ihm nichts dergleichen.' Darauf sagte sie: ,Du magst recht haben; doch sage mir, hast du sonst nichts bemerkt?' Er sprach: ,Ich habe vier Spielknöchel in meiner Tasche gefunden.' Als sie dann bat: ,Zeige sie mir', gab er sie ihr, und sie nahm sie, lachte und fuhr fort: ,Diese Knöchel hat deine Geliebte dir in die Tasche gesteckt!' ,Wieso?' fragte er; und sie erklärte ihm: ,Sie deutet dir dadurch an: ,Wenn du ein Liebender wärest, so würdest du nicht schlafen; denn wer liebt, der schläft nicht. Aber du bist immer noch ein Kind, und für dich paßt sich nur das Spielen mit diesen Knöcheln. Was trieb dich denn an, die Schönen zu lieben?' Sie ist bei Nacht zu dir gekommen und hat dich schlafend gefunden; dann hat sie dir die Wangen wund geküßt und dir dies Zeichen hinterlassen. Aber das wird ihr nicht genügen; sie wird sicherlich ihren Gatten wieder zu dir schicken, daß er dich heute abend einlade. Wenn du dann mit ihm gegangen bist, so eile nicht mit dem Einschlafen; morgen nimm fünfhundert Dinare mit und komm und berichte mir, was dann geschehen sein wird. Ich will dir den Plan vollenden.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte er ihr und begab sich alsbald zu dem Chân.Wenden wir uns nun von ihm zu der Frau des Juweliers! Die fragte ihren Gatten: ,Ist der Gast fortgegangene' ,Jawohl', gab er zur Antwort, ,aber du, die Mücken haben ihn in der Nacht geplagt und ihm Wangen und Lippen zerstochen, so daß ich mich vor ihm schämte.' Darauf sagte sie: ,Das tun die Mücken unseres Saales immer; sie lieben ja nur die Bartlosen. Aber lad ihn doch wieder für heute nacht ein!' So begab er sich denn zu dem Chân, in dem der Jüngling wohnte, lud ihn ein und führte ihn wieder in den Saal. Dort aßen und tranken die beiden und verrichteten das Nachtgebet; dann kam die Dienerin zu ihnen herein und gab einem jeden eine Schale mit dein Trank. — —«
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 971. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Dienerin zu den beiden hereinkam und einem jeden eine Schale mit dem Tranke gab; und beide tranken und schliefen ein. Darauf kam die Herrin und sprach: ,Du Schlingel, wie kannst du schlafen und behaupten, du seiest ein Liebender? Der Liebende schläft nicht!' Darauf setzte sie sich wieder auf seine Brust und fiel über ihn her mit Küssen und Beißen und Saugen und Liebesspiel bis zum Morgen; nachdem sie ihm dann ein Messer in die Tasche gesteckt hatte, schickte sie ihre Dienerin zur Zeit des Frühgebets. Die weckte die beiden; doch die Wangen des Jünglings waren von einer so heißen Röte bedeckt, daß es schien, als ob sie von Feuer glühten, und seine Lippen waren wie Korallen von all dem Saugen und Küssen. Der Juwelier
fragte ihn: ,Haben die Mücken dich vielleicht wieder geplagt?' ,Nein', erwiderte jener; denn da er jetzt das Treiben erkannt hatte, unterließ er es, zu klagen. Dann jedoch bemerkte er das Messer in seiner Tasche; aber er schwieg. Nachdem er das Frühmahl gegessen und den Kaffee getrunken hatte, verließ er den Juwelier und begab sich zum Chân. Dort holte er fünfhundert Dinare und ging dann zu der Alten und berichtete ihr, was er erlebt hatte, indem er sprach: ,Sieh, ich bin wider meinen Willen eingeschlafen; und als ich am Morgen erwachte, bemerkte ich nichts, als daß ich ein Messer inder Tasche hatte.' Da rief sie: ,Möge Allah dich in der nächsten Nacht vor ihr schützen! Denn jetzt deutet sie dir an: ,Wenn du noch einmal schläfst, so töte ich dich.' Du wirst heute nacht wieder bei ihnen zu Gaste sein, und wenn du dann schläfst, schneidet sie dir den Hals ab.' ,Was soll ich denn tun?' fragte er darauf; und sie sprach: ,Sage mir, was du dort vor dem Einschlafen issest und trinkst!' Er sagte: ,Wir essen zu Abend wie alle Leute; dann kommt nach dem Abendgebet eine Dienerin und gibt einem jeden von uns eine Schale mit einem Trank. Sobald ich meine Schale geleert habe, schlafe ich ein und wache erst wieder am Morgen auf.' Da fuhr sie fort: ,Das Unheil liegt in der Schale. Nimm sie hin, aber trink nicht aus ihr, sondern warte, bis der Herr des Hauses getrunken hat und eingeschlafen ist! Wenn die Dienerin sie dir reicht, so sprich zu ihr: ,Gib mir einen Trunk Wasser!' Wenn sie dann geht, um dir den Wasserkrug zu holen, so gieß die Schale hinter dem Kissen aus und stelle dich schlafend. Sobald sie mit dem Kruge zurückkommt, wird sie glauben, du seiest nach dem Trunk aus der Schale eingeschlafen, und wird dich verlassen. Nach einer Weile wird dir alles klar werden. Hüte dich aber, meinem Rate zuwider zu handeln!' Ich, höre und gehorche!' sagte er und begab sich zum Chân. Hören wir nun, was weiter geschah! Die Gattin des Juweliers sprach inzwischen zu ihrem Manne: ,Einen Gast bewirtet man drei Nächte; lad ihn also ein drittes Mal ein!' Da begab er sich zudem Jüngling, lud ihn ein, nahm ihn mit und führte ihn in den Saal. Nachdem die beiden zu Nacht gegessen und das Abendgebet verrichtet hatten, trat auch schon die Dienerin ein und gab einem jeden seine Schale; der Hausherr trank und schlief ein. Kamar ez-Zamân jedoch trank nicht; und als die Dienerin ihn fragte: ,Trinkst du nicht, mein Gebieten' sprach er zu ihr: ,Ich bin durstig; hole mir den Wasserkrug!' Während sie hinging, um ihm den Krug zu bringen, goß er die Schale hinter dem Kissen aus und legte sich nieder; und als die Dienerin zurückkam und ihn schlafen sah, meldete sie es ihrer Herrin, indem sie sagte: ,Er hat die Schale ausgetrunken und schläft.' Nun sprach die Herrin bei sich: ,Es ist besser, daß er stirbt, als daß er am Leben bleibt!' Dann nahm sie ein scharfes Messer, ging zu ihm hinein und sprach: ,Dreimal, und du hast das Zeichen nicht beachtet, du Narr! Jetzt werde ich dir den Leib aufschlitzen.' Als ei sie nun mit dem Messer in der Hand auf sich zukommen sah, machte er die Augen weit auf und sprang lachend empor. Da sagte sie: ,Nicht aus eigenem Verstand hast du dies Zeichen begriffen, sondern nur mit Hilfe eines listigen Kopfes; drum sage mir, woher du dies Wissen hast!' ,Von einer alten Frau,' erwiderte er, ,und mir ist es soundso mit ihr ergangen', und er berichtete ihr, was geschehen war. Dann fuhr sie fort: ,Morgen, wenn du von uns fortgehst, begib dich zu der Alten und sprich zu ihr: ,Hast du noch mehr Listen als dieser' Und wenn sie sagt: ,Ja', so sprich zu ihr: ,Tu dein Bestes, daß ich sie öffentlich gewinnen kann!' Sagt sie aber: ,Ich habe kein Mittel mehr, und dies ist meine letzte List', so schlag sie dir aus dem Sinne. Morgen abend wird mein Gatte zu dir kommen und dich einladen; komm du mit ihm und gib mir Nachricht; dann werde ich schon wissen, was weiter zu tun ist.' ,Das mag gern geschehen', antwortete er; und dann blieb er die Nacht über bei ihr in Umarmungen und Umschlingungen: er gebrauchte die Präposition in der rechten Konstruktion und vereinte den Verbindungssatz mit dem Verbindungswort, doch ihr Gatte fiel wie die Nominal -Endung vor dem Genitiv fort; und in dieser Weise blieben sie bis zum Morgen zusammen. Dann sprach sie zu ihm: ,Mir genügt nicht eine Nacht mit dir, auch nicht ein Tag oder ein Monat oder ein Jahr; nein, es ist mein Wunsch, mein ganzes Leben lang bei dir zu sein. Aber warte, bis ich meinem Gatten einen Streich spiele, der die Männer des Verstandes irre macht und durch den uns die Erreichung des Zieles entgegenlacht! Ich will Zweifel in ihm erwecken, bis er sich von mir scheidet, so daß ich mich dir vermählen und mit dir in dein Land ziehen kann; ich will auch alle seine Schätze zu dir schaffen und dir einen Plan ersinnen zur Vernichtung seiner Fluren und Verwischung seiner Spuren. Du aber höre auf meine Worte und gehorche mir in dem, was ich dir sage, und handle mir nicht zuwider!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte er, ,und ich widerspreche dir nicht.' Da sprach sie: ,Geh zum Chân, und wenn mein Gatte kommt und dich einlädt, so sprich zu ihm: ,Lieber Bruder, ein Mensch kann lästig werden, und wenn er seine Besuche zu oft wiederholt, so 'wird der Hochherzige seiner ebenso überdrüssig wie der Geizige. Wie kann ich jeden Abend mit dir gehen und mit dir im Saale schlafens Und wenn du nicht zornig wirst wider mich, so werden vielleicht deine Frauen mir zürnen, weil ich dich von ihnen fern halte. Wenn dir der Umgang mit mir erwünscht ist, so verschaffe mir ein Haus neben dem deinen; dann können wir beiden, du und ich, abwechselnd bei mir oder bei dir uns des Abends bis zur Schlafenszeit unterhalten, und danach gehe ich in mein Gemach, und du begibst dich zu deinen Frauen! Dieser Plan ist besser, als daß du jede Nacht deinen Frauen fernbleibst.' Danach wird er zu mir kommen und mich um Rat fragen; ich werde ihm raten, er solle unseren Nachbarn fortgehen heißen; denn das Haus, in dem er wohnt, ist unser Haus, und der Nachbar wohnt darin nur zur Miete. Wenn du erst in das Haus eingezogen bist, wird Allah uns die weitere Ausführung unseres Planes schon leicht machen.' Und sie schloß mit den Worten: ,Geh jetzt und tu, wie ich dir befohlen habe!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte er; und sie verließ ihn und ging fort, während er sich schlafend stellte. Nach einer Weile kam die Sklavin und weckte sie; als der juwelier aufwachte, fragte er: ,Kaufmann, haben die Mücken dich vielleicht wieder gequälte' ,Nein', antwortete jener; und 'Obaid fuhr fort: ,Vielleicht hast du dich an sie gewöhnt.' Dann aßen die beiden das Frühmahl und tranken Kaffee und gingen ihren Geschäften nach; Kamar ez-Zamân begab sich zu der Alten und berichtete ihr, was geschehen war. — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 972. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân, nachdem er sich zu der Alten begeben hatte, ihr alles berichtete, was geschehen war. Er sagte: ,Sie hat soundso mit mir gesprochen, und ich habe ihr dasunddas geantwortet. Hast du nun noch einen weiteren Plan, wie du mich öffentlich mit ihr vereinen kannst?' ,Mein Sohn,' erwiderte sie, ,bis hierher hat meine Kunst gereicht, doch jetzt bin ich am Ende meiner Listen.' Darauf verließ er sie und kehrte in den Chân zurück. Am nächsten Tage kam der juwelier gegen Abend zu ihm und lud
ihn ein; doch der Jüngling sprach: ,Es ist unmöglich, daß ich mit dir gehe.' ,Warum denn?' fragte der Juwelier, ,ich habe dich doch so lieb, und ich kann es nicht ertragen, mich von dir zu trennen. Um Allahs willen, ich bitte dich, komm mit mir!' Kamar ez-Zamân gab ihm zur Antwort: ,Wenn der längere Umgang mit mir und die dauernde Freundschaft zwischen uns beiden dir erwünscht sind, so verschaffe mir ein Haus neben deinem Hause; dann kannst du, wenn du willst, den Abend bei mir verbringen, oder ich komme für den Abend zu dir, und zur Schlafenszeit kann jeder von uns in sein Gemach gehen und dort schlafen.' Da sagte 'Obaid: ,Ich habe ein Haus neben meinem Hause, und es ist mein Eigentum; komm heute noch mit mir, morgen will ich das Haus für dich räumen lassen!' Jener ging also mit ihm; sie speisten zur Nacht und verrichteten das Abendgebet. Dann trank der Juwelier die Schale mit dem Schlaftrunk aus und schlief ein; an der Schale für Kamar ez-Zamân aber war kein Falsch, und so konnte er sie leeren, ohne daß er einschlief. Und nun kam die Frau des Juweliers und setzte sich nieder und plauderte mit ihm, bis der Morgen anbrach, während ihr Gatte wie tot dalag. Als er dann wie gewöhnlich wieder wach wurde, ließ er den Mieter kommen und sprach zu ihm: ,Lieber Mann, räume mir mein Haus; denn ich habe es nötig!' ,Herzlich gern', erwiderte der Mann; und er räumte ihm das Haus, so daß Kamar ez-Zamân darin einziehen und all sein Gepäck dorthin schaffen konnte. An jenem Abend weilte der juwelier bei Kamar ez-Zamân, bis er in sein eigenes Haus zurückkehrte. Am nächsten Tage schickte die Herrin nach einem kundigen Baumeister und ließ ihn zu sich kommen; dann bestach sie ihn mit Geld, daß er ihr einen unterirdischen Gang machte, der von ihrem Gemach in das Haus des Kamar ez-Zamân hinüberführte, und ihn mit einer Falltür im Boden versah. Ehe sich nun der junge Kaufmann dessen versah, trat sie bei ihm ein mit zwei Beuteln voll Geld. Er rief ihr zu: ,Woher kommst du?' Da zeigte sie ihm den Gang und sprach zu ihm: ,Nimm diese beiden Beutel, die mit seinem Gelde gefüllt sind!' Dann setzte sie sich nieder und koste und scherzte mit ihm bis zum Morgen; und darauf sprach sie zu ihm: ,Warte auf mich; ich will derweilen zu ihm gehen und ihn aufwecken, damit er in seinen Laden geht, alsdann komm ich wieder zu dir.' So wartete er denn, während sie zu ihrem Gatten ging und ihn weckte; der erhob sich, vollzog die religiöse Waschung, sprach das Frühgebet und begab sich in seinen Laden. Doch kaum war er fort, so nahm sie vier Beutel und eilte durch den unterirdischen Gang zu Kamar ez-Zamân und sprach zu ihm: ,Nimm dies Geld!' Nachdem sie eine Weile bei ihm gesessen hatte, gingen beide ihrer Wege; sie kehrte in ihr Haus zurück, und Kamar ez-Zamân begab sich in den Basar. Als er aber um die Zeit des Sonnenuntergangs heimkehrte, fand er in seinem Hause zehn Beutel, dazu auch Juwelen und andere Kostbarkeiten. Dann kam der juwelier zu ihm in sein Haus und nahm ihn mit in den Saal; dort verbrachten die beiden den Abend miteinander. Wie gewöhnlich kam auch die Dienerin und brachte ihnen den Trunk; ihr Herr versank in Schlummer, während mit Kamar ez-Zamân nichts geschah, da sein Trank rein und unverfälcht war. Darauf kam die Herrin zu ihm und setzte sich nieder, um mit ihm zu tändeln; die Dienerin aber brachte derweilen Hab und Gut durch den unterirdischen Gang in das andere Haus hinüber. So taten sie bis zum Morgen; dann weckte die Dienerin ihren Herrn und brachte ihm den Kaffee, und ein jeder von ihnen ging seiner Wege. Am dritten Tage nun brachte die Frau dem jungen Kaufmanne ein Messer ihres Gatten, das er mit eigener Hand geschmiedet und sich fünfhundert Dinare hatte kosten lassen. Dessengleichen gab es nicht an Schönheit der Schmiedearbeit; und da die Leute es immer so eifrig von ihm begehrten, hatte er es in eine Truhe getan, und er konnte sich nicht entschließen, es irgend jemand in der Welt zu verkaufen. Sie sagte zu ihm: ,Nimm dies Messer und stecke es in deinen Gürtel; geh dann zu meinem Gatten. setze dich zu ihm und hole das Messer aus deinem Gürtel heraus. Darauf sprich zu ihm: ,Meister, schau dies Messer an, ich habe es heute gekauft; sage mir, ob ich dabei verloren oder gewonnen habe.' Er wird es erkennen, aber er wird sich scheuen, zu dir zu sagen: ,Dies ist mein Messer!' Wenn er dich dann fragt: ,Wo hast du es gekauft, und für wieviel hast du es erhalten?' so antworte ihm: ,Ich sah zwei türkische Seesoldaten miteinander streiten, und einer sprach zum anderen: ,Wo bist du gewesen?' Der andere sagte: ,Ich bin bei meiner Geliebten gewesen; die gibt mir jedesmal Geld, wenn ich bei ihr bin, doch heute sprach sie zu mir: ,Jetzt habe ich kein Geld zur Hand. doch nimm dies Messer da, das meinem Gatten gehört.' Da nahm ich es hin von ihr, und ich habe die Absicht, es zu verkaufen.' Das Messer gefiel mir; und als ich ihn so reden hörte, fragte ich ihn: ,Willst du es mir verkaufen?' ,Kaufe es'. erwiderte er; und ich erwarb es von ihm für dreihundert Dinare. Nun möchte ich wissen, ob das billig oder teuer ist.' Dann achte auf das, was er dir sagen wird! Plaudere auch noch eine Weile mit ihm, und wenn du ihn verlassen hast, so komm eilig zu mir! Du wirst mich an der Tür des unterirdischen Ganges sitzen und auf dich warten sehen; gib mir dann das Messer!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte er, nahm jenes Messer und steckte es in seinen Gürtel; darauf ging er zum Laden des Juweliers und begrüßte ihn, und jener hieß ihn willkommen und bat ihn, sich zu setzen. Als der Juwelier aber das Messer in seinem Gürtel erblickte, erstaunte er und sprach bei sich: ,Das ist doch mein Messer! Wer mag es diesem Kaufmann in die Hände gespielt haben?' Und er begann zu sinnen und sich zu sagen: ,Ist dies wohl auch mein Messer, oder ist es ein Messer, das ihm nur ähnlich ist?' Nun zog Kamar ez-Zamân es heraus und sprach: ,Meister, nimm dies Messer und schau es dir an!' Als jener es aus seiner Hand entgegengenommen hatte, erkannte er es ganz sicher; doch er scheute sich zusagen: ,Dies ist mein Messer!' — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 973. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Juwelier, als er das Messer von Kamar ez-Zamân hingenommen hatte, es erkannte, aber sich scheute zu sagen: ,Dies ist mein Messer!' So fragte er ihn denn: ,Wo hast du es gekauft?' Und der Jüngling erzählte ihm, was die junge Herrin ihm zu sagen befohlen hatte. Da sagte 'Obaid zu ihm: ,Es ist billig um diesen Preis; denn es ist fünfhundert Dinare wert.' Aber in seinem Herzen entbrannte ein Feuer, und seine Hände waren ihm wie gebunden, so daß er an seinem Werk nicht weiterarbeiten konnte. Kamar ez-Zamân begann mit ihm zu plaudern, während er im Meere der trüben Gedanken versunken war; und auf fünfzig Worte, die der Jüngling sprach, erwiderte er nur ein einziges Wort. Denn im Herzen litt er schwer, und sein Leib flog gleichsam hin und her, sein Gemüt war trüb und bang, und er war, wie einst der Dichter sang:
Verlangt man, daß ich rede, find ich keine Worte; Man sieht, mein Geist ist ferne, redet man mich an. Versunken in der Sorgen bodenlosem Meere, Erkenn ich unter Menschen nicht, ob Frau, ob Mann. |
Sehen wir nun, was der Juwelier tat! Nachdem Kamar ez-Zamân von ihm fortgegangen war, entflammte im Herzen des Mannes ein Feuer, und schwerer Argwohn bedrängte ihn, so daß er bei sich selber sprach: ,Ich muß aufstehn und nach dem Messer fragen und den Zweifel durch die Gewißheit verjagen.' So erhob er sich denn und begab sich nach Hause; dort trat er zu seiner Frau ein, schnaubend wie ein Drache. ,Was ist dir, mein Gebieter?' fragte sie ihn, und er rief: ,Wo ist mein Messer?' Sie gab zur Antwort: ,In der Truhe.' Dann schlug sie sich mit der Hand auf die Brust und rief: ,Ach, mein Kummer! Vielleicht hast du mit jemand gestritten und kommst nun, um das Messer zu holen und ihn damit zu stechen!' Doch er befahl ihr: ,Her mit dem Messer! Laß mich es sehen!' Darauf erwiderte sie: ,Schwör mir zuerst, daß du niemand damit erstechen willst!' Nachdem er das geschworen hatte, öffnete sie die Truhe und holte es ihm heraus. Er drehte es hin und her, indem er sagte: ,Das ist doch eine sonderbare Sache!' Dann sprach er zu seiner Frau: ,Nimm es und lege es wieder an
seinen Ort!' Nun hub sie an: ,Tu mir kund, was dies alles bedeutet!' Er antwortete ihr: ,Ich sah bei unserem Freunde ein Messer wie dies', und er tat ihr die ganze Geschichte kund und schloß mit den Worten: ,Da ich es nun in der Truhe gesehen habe, so habe ich den Zweifel durch die Gewißheit verjagt.' Da rief sie: ,Hast du etwa bösen Argwohn gegen mich gehegt und geglaubt, ich sei die Geliebte des türkischen Seesoldaten und hätte ihm das Messer gegeben?' ,Ja,' erwiderte er, ,ich hatte einen solchen Verdacht; aber da ich nun das Messer gesehen habe, ist der Argwohn aus meinem Herzen gewichen.' Doch sie fuhr fort: ,Mann, in dir ist nichts Gutes.' Da begann er, sich bei ihr zu entschuldigen, bis er sie versöhnt hatte; und dann ging er fort und begab sich in seinen Laden. Am nächsten Tage aber gab sie Kamar ez-Zamân die Uhr ihres Gatten, die er mit eigener Hand verfertigt hatte und derengleichen niemand besaß, indem sie zu ihm sprach: ,Geh zu seinem Laden, setz dich zu ihm und sprich zu ihm: ,Den Mann, den ich gestern sah, habe ich heute wiedergesehen, und er hatte eine Uhr in der Hand. Er fragte mich: ,Willst du diese Uhr kaufen?' Als ich ihn darauf fragte: ,Woher hast du diese Uhr?' antwortete er: ,Ich war bei meiner Geliebten; die hat sie mir gegeben.' Da kaufte ich sie ihm für achtundfünfzig Dinare ab. Schau, ob sie billig oder teuer ist um diesen Preis.' Und du, achte auf das, was er sagen wird; und wenn du ihn verlassen hast, komm eilends zu mir und gib sie mir!' So ging denn Kamar ez-Zamân zu ihm und tat bei ihm, wie sie befohlen hatte. Als der Juwelier die Uhr erblickte, sprach er: ,Die ist siebenhundert Dinare wert'; und Argwohn beschlich ihn. Der Jüngling aber verließ ihn, begab sich zu der jungen Herrin und gab ihr jene Uhr; alsbald trat auch schon ihr Gatte schnaufend ein und fuhr sie an: ,Wo ist meine Uhr?' Sie erwiderte: ,Da liegt sie doch!' ,Her damit!' befahl er ihr, und sie brachte sie ihm. Da rief er: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Nun sprach sie: ,Mann, mit dir ist sicher etwas geschehen; tu mir kund, was es ist!' ,Ach,' erwiderte er, ,was soll ich sagen? Ich bin ob dieser Dinge ein ratloser Tor!' Und dann trug er diese Verse vor:Bei Gott, ich bin fürwahr verwirrt ob meiner Lage; Die Not kam über mich; woher? —das weiß ich nicht. Ich will geduldig sein, bis daß Geduld erfahre, Daß meine Langmut nicht durch bittre Wehmut bricht.' Ach, bittrer noch als Wermut' ist doch meine Langmut; Denn ich ertrug, was heißer noch als Feuer lobt. Was mir geboten, bot sich nicht nach meinem Wunsche, Da der Gebieter schöne Langmut mir gebot. |
Dann fuhr er fort: ,Frau. ich habe bei dem Kaufmanne, unserem Freunde, zuerst mein Messer gesehen, und ich habe es erkannt, da seine Ausführung die Erfindung meines eigenen Verstandes ist und seinesgleichen nicht wieder gefunden wird; dann erzählte er mir Geschichten, die das Herz mit Gram erfüllen; aber ich kam und sah es hier. Nun habe ich aber auch bei ihm die Uhr gesehen, deren Ausführung die Erfindung meines eigenen Verstandes ist und derengleichen nicht in Basra gefunden wird; wiederum erzählte er mir Geschichten, die das Herz mit Gram erfüllen. Darum bin ich ratlos in meinem Sinn, und ich weiß nicht, was mit mir vorgeht.' Doch sie erwiderte ihm: ,Der Sinn deiner Worte ist also, daß ich die Freundin und Geliebte jenes Kaufmanns sein und ihm deine Sachen gegeben haben soll: daß du meine Untreue habest erweisen wollen und deshalb gekommen seist, um mich auszufragen; und daß, wenn du nicht das Messer und die Uhr bei mir gesehen hättest, meine Untreue für dich erwiesen wäre. Aber, Mann, da du solchen
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 974. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der juwelier, als er von seiner Frau fortgegangen war, seine Worte zu bereuen begann; und er begab sich in seinen Laden und setzte sich dort. Aber Unruhe bedrückte ihn schwer, und seine Sorge kannte keine Grenzen mehr, und er schwebte zwischen Glauben und Unglauben hin und her. Gegen Abend ging er alleine nach Hause und brachte Kamar ez-Zamân nicht mit sich. Da fragte die junge Herrin ihn: ,Wo ist der Kaufmann?' Er antwortete: ,In seinem Hause.' Und sie fuhr fort: ,Ist die Freundschaft zwischen dir und ihm erkaltet?' ,Bei Allah,' erwiderte er. ,ich habe eine Abneigung gegen ihn wegen dessen, was mir durch ihn widerfahren ist.' Doch sie bat ihn: ,Geh, hole ihn mir zu Gefallen!' So machte er sich auf und ging zu dem Jüngling ins Haus; dort sah er seine Sachen umherliegen, und als er die erkannte, entbrannte ein Feuer in seinem Herzen, und er begann zu seufzen. Kamar ez-Zamân fragte: ,Wie kommt es, daß ich dich in trüben Gedanken sehe?' Doch 'Obaid scheute sich zu sagen: ,Meine Sachen sind bei dir; wer hat sie zu dir gebracht?' Und so erwiderte er nur: ,Eine Mißstimmung ist über mich gekommen; doch wohlan, laß uns in mein Haus gehen, auf daß wir uns dort erheitern.' Da sagte der Jüngling: ,Laß mich doch hier in meinem Hause; ich möchte nicht mit dir gehen!'
Aber der juwelier beschwor ihn und nahm ihn mit sich. Dann speisten sie gemeinsam zur Nacht und blieben an jenem Abend beieinander, indem Kamar ez-Zamân mit 'Obaid plauderte, dieser aber im Meere der trüben Gedanken versunken war; wenn der junge Kaufmann hundert Worte sprach, so antwortete der Juwelier ihm nur ein einziges Wort. Dann trat, wie gewöhnlich, die Dienerin zu ihnen ein mit zwei Schalen; als beide getrunken hatten, schlief der juwelier ein, aber der jüngling blieb wach, da der Trank in seiner Schale ohne Falsch war. Nun kam die junge Frau zu Kamar ez-Zamân und sprach zu ihm: ,Was hältst du von diesem Gehörnten. der in seiner Achtlosigkeit trunken ist und nichts weiß von der Frauen List? Ich muß ihn gewiß noch so überlisten, daß er sich von mir scheidet. Morgen will ich mich als Sklavin verkleiden und dir in seinen Laden folgen. Dann sprich du zu ihm: ,Meister, ich kam heute inden Chân der Sklavenhändler. und dort sah ich diese Sklavin: die habe ich um tausend Dinare gekauft. Schau sie an und sage mir, ob sie um diesen Preis billig ist oder teuer!' Dann enthülle ihm mein Gesicht und meine Brüste und laß ihn mich anschauen. Schließlich aber nimm mich und kehre mit mir in dein Haus zurück; ich will von dort durch den unterirdischen Gang in mein Haus eilen, um zu sehen, wie unsere Sache mit ihm ausgeht!' Danach verbrachten die beiden die Nacht in Frohsinn und Heiterkeit, mit Unterhaltung und Liebesgetändel, in Freude und ohne Sorgen bis zum Morgen. Und nun ging sie wieder in ihr Gemach und schickte die Dienerin: die weckte ihren Herrn und Kamar ez-Zamân. Da erhoben sich beide, verrichteten das Frühgebet, aßen das Morgenmahl und tranken Kaffee. Der juwelier ging fort zu seinem Laden; Kamar ez-Zamân aber begab sich in sein Haus. Alsbald trat auch die junge Herrin aus dem unterirdischen Gang heraus zu ihm, in Gestalt einer Sklavin, wie sie ja auch ihrer Herkunft nach eine Sklavin war. Er machte sich nun auf zu dem Laden des Juweliers, während sie ihm folgte, und beide schritten ihres Wegs dahin, er vorauf und sie hinter ihm, bis sie zum Laden des Juweliers gelangten; er grüßte ihn, setzte sich und hub an: ,Meister, ich kam heute in den Chân der Sklavenhändler, da ich mich dort umschauen wollte, und ich sah diese Sklavin in den Händen des Maklers. Sie gefiel mir, und ich kaufte sie um tausend Dinare. Nun möchte ich, daß du sie dir anschaust und nachsiehst, ob sie billig ist um diesen Preis oder nicht.' Und er enthüllte ihm ihr Antlitz, so daß der Juwelier seine eigene Gattin sah, gekleidet in ihre prächtigsten Gewänder und angetan mit dem schönsten Schmuck, die Augen mit Bleiglanz geschminkt und die Hände mit Henna gefärbt, genau so wie sie sich vor ihm in seinem Hause zu schmücken pflegte. Er erkannte sie mit voller Sicherheit an ihrem Gesicht und ihrer Kleidung und ihrem Schmuck, den er mit eigener Hand geschmiedet hatte; ja, er sah auch an ihrem Finger die Siegelringe, die er erst vor kurzem für Kamar ez-Zamân verfertigt hatte, und so war er denn ganz fest überzeugt, daß sie seine Frau sein mußte. Er fragte sie: ,Wie heißt du, Mädchen?' Sie antwortete: ,Halîma.' Seine Gattin hieß wirklich Halîma. und sie wagte es, ihm ihren eigenen Namen zu nennen. Darüber war er sehr erstaunt, und er sprach zu dem Jüngling: ,Für wieviel hast du sie gekaufte' ,Für tausend Dinare', antwortete jener, und der Juwelier fuhr fort: ,Dann hast du sie umsonst erhalten; denn tausend Dinare sind weniger als der Preis der Siegelringe, und ihre Gewänder und ihr Schmuck haben dann auch nichts gekostet.' Der Jüngling sagte darauf: ,Möge Allah dich mit froher Botschaft erfreuen; da sie dir gefällt, will ich sie in mein Haus bringen!' ,Tu, was dir beliebt!' sagte 'Obaid; und Kamar ez-Zamân nahm sie und führte sie in sein Haus. Von dort ging sie durch den unterirdischen Gang und setzte sich in ihrem Gemach nieder.Wenden wir uns nun von ihr wieder zu dem Juwelier! Ihm brannte ein Feuer im Herzen, und er sprach bei sich selber: ,Ich will sofort hingehen und nach meiner Frau sehen. Wenn sie zu Hause ist, so ist diese Sklavin ihr Ebenbild -herrlich ist Er. der kein Ebenbild hat! Wenn meine Frau aber nicht zu Hause ist. so ist sie es ohne Zweifel.' Da machte er sich auf und eilte dahin. bis er in sein Haus kam; und dort sah er sie sitzen in ihren Gewändern und ihrem Schmuck, wie er sie im Laden gesehen hatte. Er schlug die Hände aufeinander und rief: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' ,O Mann,' fragte sie ihn, ,bist du irre geworden, oder was ist es mit dir? So etwas pflegst du doch sonst nicht zu tun. Dir muß unbedingt etwas widerfahren sein!' Er gab ihr zur Antwort: ,Wenn du wünschest, daß ich es dir kund tu, gräme dich nicht!' ,Sprich !'sagte sie zu ihm; und er berichtete: ,Der Kaufmann. unser Freund, hat eine Sklavin gekauft, deren Wuchs gleich deinem Wuchs und deren Höhe gleich deiner Höhe ist; ja, auch ihr Name ist wie dein Name, und ihre Gewandung ist gleich deiner Gewandung. Sie gleicht dir in allen deinen Eigenschaften, und an ihren Fingern trägt sie die gleichen Siegelringe wie du, und ihr Schmuck ist wie dein Schmuck. Als er sie mir zeigte, glaubte ich, du wärest es selbst, und ich war ganz ratlos. O hätten wir doch diesen Kaufmann nie gesehen und uns nie mit ihm befreundet! O hätte er doch nie sein Land verlassen, so daß wit ihn nie kennen gelernt hätten! Jetzt hat er mein Leben getrübt, nach all der Heiterkeit; er stiftete Zwistigkeit nach all der trauten Einigkeit; und er säte den Zweifel in mein Herz!'
Da sagte sie zu ihm: ,Schau mir ins Gesicht! Vielleicht bin ich jene, die bei ihm war, und der Kaufmann ist mein Geliebter; vielleicht habe ich mich als Sklavin verkleidet und mit ihm verabredet, daß er mich dir zeigen sollte, um dir eine Falle zu stellen!' Doch er sprach: ,Was für Worte sind düse Ich glaube nimmer, daß du dergleichen tun könntest.' Nun war jener Juwelier aber unerfahren in den Listen der Frauen; und was sie den Männern antun, war ihm nie zu Ohren gekommen; auch hatte er nie den Spruch des Dichters vernommen:
Dich zog ein wallend Herze zu den Schönen Bald nach der Jugend, als das Alter kam. Mich quäle Laila; fern ist ihre Liebe; Uns wurden Feinde und Gefahren gram. Wenn ihr mich nach den Frauen fragt, so u'isset: Ich kenn der Frauen Leiden alleweil. Ergraut des Mannes Haupt und schmilzt sein Reichtum, Hat er an ihrer Liebe keinen Teil. |
Noch auch den eines anderen:
Auf Frauen höre nie; das ist der beste Wahlspruch! Wer Frauen seinen Halfter gibt, der hat kein Glück. Wenn er auch tausend Jahre sich um Wissen mühet, Sie halten ihn von seinem höchsten Ziel zurück. |
Noch auch den eines dritten:
Die Frauen sind für uns als Teufel doch erschaffen; Ich flüchte mich zu Gott vor solchen Teufelsschlingen. Doch wen zu seinem Unglück Frauenlieb erfüllet, Verliert gar bald den Sinn in Welt - und Glaubensdingen. |
Darauf sprach sie zu ihm: ,Während ich hier in meinem Gemache sitzen bleibe, geh du zu ihm auf der Stelle, poche an die Tür und sieh zu, daß du schnell zu ihm hineinkommst. Wenn du beim Hineintreten das Mädchen dort erblickst, so ist es seine
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 975. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die junge Frau ihrem Gatten durch den unterirdischen Gang voraufeilte zur selben Zeit, als er durch die Haustür hinausging; und sie setzte
sich in ihr Gemach, und wie ihr Gatte zu ihr eintrat, sprach sie zu ihm: ,Was hast du gesehen?' Er antwortete: ,Ich habe sie bei ihrem Herrn gesehen, und sie ist dein Ebenbild.' Da rief sie: ,Geh in deinen Laden, laß es genug sein des argen Verdachts, und liege nie wieder schlechte Gedanken über mich!' ,So sei es,' erwiderte er ihr, ,sei mir nicht böse wegen dessen, was durch mich geschah!' Darauf sagte sie: ,Allah gewähre dir Verzeihung!' Er betrachtete sie noch nach rechts und nach links und ging in seinen Laden. Sie aber eilte durch den unterirdischen Gang zu Kamar ez-Zamân, mit vier Beuteln in den Händen, und sprach zu ihm: ,Rüste dich zu eiliger Abreise und halte dich bereit, alles Gut ohne Verzug aufzuladen, während ich die List ausführe, die ich im Sinne habe.' Da ging er fort, kaufte Maultiere und belud sie mit Lasten; auch rüstete er eine Sänfte und kaufte Mamluken und Eunuchen und führte alles zur Stadt hinaus, ohne daß ihm ein Hindernis in den Weg trat. Darauf kam er wieder zu ihr und sprach: ,Ich habe meine Sachen erledigt.' Und sie erwiderte ihm: ,Auch ich habe sein übriges Geld und alle seine Schätze zu dir hinübergeschafft; ich habe ihm weder wenig noch viel zum Leben übrig gelassen. All das geschieht aus Liebe zu dir, du Geliebter meines Herzens; ich würde dir tausendmal meinen Gatten opfern. Doch jetzt ist es nötig, daß du zu ihm gehst und von ihm Abschied nimmst, indem du zu ihm sprichst: ,Ich will nach drei Tagen abreisen; deshalb komme ich, um dir Lebewohl zu sagen. Rechne du zusammen, was ich dir an Miete für das Haus schulde, damit ich es dir senden kann und du mein Gewissen von aller Schuld freisprichst.' Achte auf die Antwort, die er dir gibt, und kehre zu mir zurück, um sie mir zu berichten! Ich habe alles getan, was ich tun konnte, indem ich ihn betrog und zu erzürnen suchte, damit er sich von mir scheiden sollte; aber ich sehe, daß er immer noch an mir hängt. So bleibt uns denn nichts Besseres übrig, als in dein Land zuziehen!' Er rief: ,Wie herrlich! Wenn nur die Träume sich als wahr erweisen würden!' Dann eilte er zudem Laden des Juweliers, setzte sich zu ihm und sprach zu ihm: ,Meister, ich will nach drei Tagen abreisen, und ich komme nur zu dir, um dir Lebewohl zu sagen. Doch ich möchte, daß du berechnest, was ich dir an Miete für das Haus schulde, damit ich es dir gebe und du mein Gewissen von aller Schuld freisprichst.' 'Obaid entgegnete ihm: ,Was für Reden sind das? Ich stehe doch in deiner Schuld. Bei Allah, ich will von dir nichts für die Miete des Hauses annehmen; denn der Segen ist bei uns eingekehrt. Aber du machst uns durch dein Fortgehen untröstlich, und wäre es mir nicht verboten, so träte ich dir entgegen und hielte dich von den Deinen und von deiner Heimat zurück.' Darauf nahm er Abschied von ihm, und die beiden weinten bitterlich, so daß ihr Schmerz keinem anderen glich; alsbald schloß der Juwelier seinen Laden, denn er sprach bei sich: ,Ich muß meinem Freunde das Geleit geben.' Immer wenn nun der Jüngling ausging, um etwas zu besorgen, ging der Juwelier mit ihm; und wenn dieser dann in das Haus von Kamar ez-Zamân kam, fand er seine Frau dort, die vor sie hintrat und ihnen aufwartete; kehrte er aber in sein Haus zurück, so sah er sie dort sitzen. So erging es ihm drei Tagelang: er sah sie in seinem Hause, wenn er dort eintrat, und er schaute sie im Hause von Kamar ez-Zamân, sobald er dorthin kam. Schließlich sprach sie zu ihrem Freunde: ,Jetzt habe ich alles, was er an Schätzen und Geldern und Hausgerät besitzt, zu dir hinübergeschafft, und ihm ist nichts geblieben als die Dienerin, die euch den Trunk zu bringen pflegte; aber ich kann mich nicht von ihr trennen, denn sie ist mir anverwandt und mir lieb und wert und hütet mein Geheimnis. Ich will sie schlagen und mich wider sie zornig stellen, und wenn mein Gatte nach Hause kommt, will ich zu ihm sagen: ,Ich kann diese Sklavin nicht mehr ansehen, noch auch mit ihr in einem Hause bleiben; also nimm sie und verkaufe sie!' Dann wird er sie fortnehmen, um sie zu verkaufen; du aber kaufe sie, auf daß wir sie mit uns nehmen können.' ,Das soll gern geschehen', erwiderte er; und sie schlug die Sklavin. Als ihr Gatte ins Haus kam, sah er, wie die Sklavin weinte. Da fragte er sie, warum sie weine; und sie antwortete: ,Meine Herrin hat mich geschlagen.' Alsbald ging er zu seiner Gattin und fragte sie: ,Was hat diese elende Sklavin getan, daß du sie schlagen mußtest?' ,O Mann,' erwiderte sie ihm, ,ich will dir nur ein einziges Wort sagen, ich kann diese Sklavin nicht mehr ansehen, nimm sie und verkaufe sie; sonst scheide dich von mir!' Er sagte darauf: ,Ich will sie verkaufen; ich tu ja alles, was du willst.' Als er sie dann mitnahm, kam er auf dem Wege zu seinem Laden bei Kamar ez-Zamân vorbei. Inzwischen war aber seine Gattin, sobald er mit der Sklavin hinausgegangen war, in aller Eile durch den unterirdischen Gang zu Kamar ez-Zamân gelaufen, und der hatte sie in die Sänfte gesetzt, ehe der alte Juwelier dorthin kam. Wie er aber dort ankam und Kamar ez-Zamân die Sklavin bei ihm sah, fragte dieser: ,Was für ein Mädchen ist das?' Der juwelier antwortete: ,Meine Sklavin, die uns den Trunk zu bringen pflegte. Sie hat ihrer Herrin nicht gehorcht, und die ist wider sie ergrimmt und hat mir befohlen, sie zu verkaufen.' Der Jüngling fuhr fort: ,Da ihre Herrin sie nicht mehr mag, kann sie nicht mehr bei ihr bleiben. Verkauf sie doch mir, damit ich noch deinen Geruch an ihr verspüren kann, und ich will sie meiner Sklavin Halîma zur Dienerin geben!' ,Gern; nimm sie!' erwiderte 'Obaid; doch als der Jüngling fragte: ,üm wieviel?' rief er: ,Ich will von dir nichts nehmen; denn du bist gütig gegen uns gewesen.' Kamar ez-Zamân nahm sie von ihm an und sprach zu der jungen Herrin: ,Küsse deinem Herrn die Hand!' Da kam sie aus der Sänfte hervor und küßte ihm die Hand; dann stieg sie wieder hinein, während er sie anschaute. Und nun sprach Kamar ez-Zamân zu ihm: ,Ich befehle dich in Allahs Hut, Meister 'Obaid! Sprich du mein Gewissen frei von Schuld !'Jener gab ihm zur Antwort: ,Allah spreche dein Gewissen frei und führe dich in Sicherheit zu den Deinen!' Dann nahm er Abschied von ihm und begab sich in seinen Laden; dabei standen ihm die Tränen in den Augen, denn es ward ihm schwer, sich von Kamar ez-Zamân zu trennen, da er sein Freund war und da die Freundschaft verpflichtet; dennoch freute er sich, daß nunmehr der Argwohn aufhörte, den er gegen seine Gattin gehegt hatte, da jetzt der jüngling abgereist war und sein Verdacht gegen seine Frau sich nicht bestätigt hatte.Wenden wir uns von ihm wieder zu Kamar ez-Zamân! Zu dem sprach die junge Herrin: ,Wenn du sicher sein willst, so laß uns auf einem anderen Wege als dem gewohnten reisen!' ——» Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 976. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß zu Kamar ez-Zamân, als er aufgebrochen war, die junge Herrin sprach: ,Wenn du sicher sein willst, so laß uns auf einem anderen Wege als dem gewohnten reisen!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte er ihr; und er schlug einen Weg ein, auf dem die Leute sonst nicht zu reisen pflegten. Immer weiter zog er von Land zu Land, bis er die Grenzen von Ägypten erreichte. Dann schrieb er einen Brief und schickte ihn an seinen Vater mit einem Eilboten. Sein Vater, der Kaufmann 'Abd er-Rahmân,
saß gerade auf dem Basar in der Kaufleute Schar, während in seinem Herzen ob der Trennung von seinem Sohn noch immer ein brennendes Feuer war; denn seit dem Tage seines Auf bruches hatte er keine Nachricht mehr von ihm erhalten. Und während er nun so dasaß, kam plötzlich der Eilbote an und rief: ,Ihr Herren, wer unter euch heißt der Kaufmann 'Abd er-Rahmân?' Sie fragten: ,Was willst du von ihm?' Und er antwortete ihnen: ,Ich habe einen Brief von seinem Sohne Kamar ez-Zamân, den ich bei el-'Arîsch' verlassen habe.' Darüber war 'Abd er-Rahmân hoch erfreut, und die Brust ward ihm weit; und auch die Kaufleute freuten sich mit ihm und wünschten ihm Glück zur sicheren Heimkehr seines Sohnes. Dann nahm er den Brief und las in ihm das Folgende: ,Von Kamar ez-Zamân an den Kaufmann 'Abd er-Rahmân. Gruß zuvor an Dich und an alle Kaufleute! Wenn Ihr nach uns fragt, so sei Allah Preis und Dank! Wir haben verkauft und gekauft und Gewinn gehabt. Und nun sind wir wohlbehalten und sicher und gesund heimgekehrt.' Da öffnete der Kaufmann der Freude die Tür und rüstete Gastmähler und lud zu den Festen viele Gäste ein; auch ließ er die Instrumente des Frohsinns bringen und verschönte die Freudenfeier mit allerlei wunderbaren Dingen. Als dann sein Sohn in es-Salihîja' eintraf, zog ihm sein Vater mit allen Kaufleuten entgegen. Und wie sie sich trafen, umarmte sein Vater ihn und drückte ihn an seine Brust und weinte, bis er in Ohnmacht fiel. Nachdem er wieder zu sich gekommen war, rief er: ,Das ist ein gesegneter Tag, mein Sohn, da uns der allmächtige Schützer wieder mit dir vereinigt hat!' Und dann sprach er die Worte des Dichters:Die Nähe des Freunds ist die Krone der Freuden; Da ist uns der Becher des Glückes geweiht. Willkommen, willkommen, ein herzlich Willkommen. Dem Vollmond der Monde, dem Licht unserer Zeit! |
Und von neuem begann er im Übermaß der Freude in einen Tränenstrom auszubrechen, und er hub an, diese beiden Verse zu sprechen:
Da jetzt der ,Mond der Zeit", der Helligkeit uns leiht, Von seiner Reise kam, sind Strahlen sein Geleit. Der Haare dunkle Pracht gleicht seines Fernseins Nacht, Indes der Sonne Schein aus seinem Antlitz lacht.' |
Dann traten die Kaufleute an den Jüngling heran und begrüßten ihn; und sie sahen bei ihm viele Lasten und Diener und auch eine Tragsänfte, die mit einem breiten Gurt umgeben war. Und nun nahmen sie ihn mit sich und führten ihn nach Hause; als dort die junge Frau aus der Sänfte stieg, schien es seinem Vater, daß sie alle Beschauer bezaubern mußte. Ihr ward ein hohes Obergemach geöffnet, gleich einer Schatzkammer, von der die Zauber siegel abgenommen waren; und als seine Mutter sie erblickte, war sie von ihr ganz berückt und hielt sie für eine Prinzessin unter den Gemahlinnen der Könige. Sie freute sich ihrer und befragte sie; Halîma antwortete ihr: ,Ich bin die Gattin deines Sohnes.' Und die Mutter sprach: ,Da er mit dir vermählt ist, geziemt es uns, daß wir dir eine prächtige Hochzeit rüsten, damit wir an dir und an meinem Sohne unsere Freude haben.'
Hören wir nun, was der Kaufmann 'Abd er-Rahmân tat! Nachdem die Leute sich zerstreut hatten und ein jeder seiner Wege gegangen war, blieb er mit seinem Sohne zusammen
Sehen wir nun, was der Kaufmann 'Abd er-Rahmân des weiteren tat. Er schickte Brautwerberinnen aus, damit sie um eine Jungfrau von Adel und Abkunft für seinen Sohn würben. Die forschten nun unermüdlich umher, aber jedesmal, wenn sie eine Maid sahen, hörten sie von einer, die noch schöner war als sie, bis sie zum Hause des Scheich el-Islam kamen und seine Tochter sahen, die in Kairo nicht ihresgleichen hatte an Schönheit und Lieblichkeit und an des Wuchses Ebenmäßigkeit, ja, sie war noch tausendmal schöner als die Gattin des Juweliers 'Obaid. Von ihr berichteten sie dem Kaufmanne, und nun begab er sich mit den Vornehmen zu ihrem Vater, und sie warben um sie. Dann wurde der Ehevertrag geschrieben, und eine herrliche Hochzeitsfeier ward für die Braut gerüstet. 'Abd er-Rahmân veranstaltete die Hochzeitsmahle; und zwar lud er am ersten Tage die Schriftgelehrten ein, und die feierten ein würdiges Fest. Am zweiten Tage lud er die Kaufleute ein insgesamt; da wurden die Trommeln geschlagen und die Flöten geblasen, und Straße und Stadtviertel wurden mit Lampen erleuchtet. An jedem Abend kamen auch alle Spielleute und trieben mancherlei Kurzweil. So bereitete er an jedem Tage ein Gastmahl für einen besonderen Stand von Leuten, bis er auch die Hochweisen und die Emire und die Bannerträger und die Machthaber eingeladen hatte. Vierzig Tagelang dauerte die Hochzeitsfeier; jeden Tag saß der Kaufmann da und empfing die Leute, während sein Sohn ihm zur Seite saß und sich die Menschen anschaute, wie sie von den Tischen aßen, ja, es war eine Hochzeitsfeier, wie es noch nie eine gegeben hatte. Am letzten Tage lud er die Armen und Bedürftigen von nah und fern ein; und die kamen in Scharen, während der Kaufmann und sein Sohn neben ihm dasaßen. Und als die beiden so zuschauten, kam plötzlich der Scheich
'Obaid, der Gatte der jungen Frau, mit einer Schar von Armen herein; doch er war dürftig gekleidet und müde und trug die Spuren der Reise an sich. Kaum hatte Kamar ez-Zamân ihn gesehen, so erkannte er ihn, und er sprach zu seinem Vater: ,Schau den armen Mann dort, Vater, der zur Tür hereinkommt!' Jener schaute ihn an und sah, daß er in Lumpen ging und ein altes Hemd trug, das zwei Dirhems wert war. Sein Gesicht war gelbgefleckt, und er war mit Staub bedeckt; er sah aus wie einer von den Pilgern, die am Wege niedersanken, und er stöhnte wie die elenden Kranken. Er ging mit schlotterndem Gang und schwankte beim Gehen bald nach rechts und bald nach links in einem fort; und an ihm bewahrheitete sich das Dichterwort:Durch Armut muß des Mannes Glanz verblassen Gleichwie der Abendsonne gelber Schein. Verstohlen schleicht er sich am Volk vorüber; Es quillt sein Tränenstrom, ist er allein. Er wird gar bald vergessen, ist er ferne; Und ist er nahe, wird er nicht beglückt. Bei Gott, ein Fremdling unter eignem Volke Ist doch der Mann, wenn ihn die Armut drückt. |
Und das Wort eines anderen:
Der Arme geht einher; und alles ist ihm feindlich. Das ganze Land verschließt vor ihm die Tore dicht. Du siehst, er ist verhaßt, und hat doch nicht gesündigt; Er sieht die Feindschaft, doch er sieht die Ursach nicht. Sogar die Hunde, wenn sie einen Reichen sehen, So schmeicheln sie und wedeln mit dem Schwanze dann; Doch sehn sie einmal einen Armen und Bedrückten, So bellen sie ihn unter Zähnefletschen an. |
Und wie schön ist das Wort des Dichters:
Wenn Ruhm und Gluck dem Manne zu Gefährten werden, So meiden ihn Gefahr und Widerwärtigkeit. |
Dann kommt zu ihm der Freund schmarotzend ungeladen, Der Nebenbuhler ist zum Kuppeln gar bereit. Die Menschen nennen seinen lauten Wind Gesang, Und sagen, ist er leis: Ein Hauch voll Sijßigkeit. — —« |
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 977. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kaufmann 'Abd er-Rahmân, als sein Sohn zu ihm sprach: ,Schau diesen armen Mann!' fragte: ,Mein Sohn, wer ist dast' Jener antwortete ihm: ,Das ist Meister 'Obaid, der Juwelier, der Gatte der Frau, die bei uns gefangen ist.' Weiter fragte der Kaufmann: ,Ist es der, von dem du mir erzähltest?' ,Jawohl,' erwiderte der Sohn, ,ich habe ihn ganz sicher erkannt.'
Der Grund seines Kommens aber war der folgende. Als Kamar ez-Zamân ihm Lebewohl gesagt hatte, begab der Juwelier sich in seinen Laden; dort ward ihm eine kleine Arbeit gebracht, und er machte sie im Verlauf des Tages fertig. Am Abend schloß er den Laden und ging nach Hause; er legte die Hand an die Tür, und sie tat sich auf. Als er aber eintrat, sah er weder seine Gattin noch die Sklavin; und er fand das ganze Haus in übelstem Stand, so daß dies Dichterwort auf ihn seine Anwendung fand:
Voller Bienen war die Stätte, als der Schwarm sich niederließ; Als die Bienen sie verließen, war es nur ein leer Verlies. — Heute ist's, als hätten Menschen nie sich dort ein Heim geschafft, Oder auch, als hätt ein Unheil alles Volk hinweggeraffi. |
Als er das Haus verlassen fand, wandte er sich bald nach rechts, bald nach links, ja, er lief überall umher wie ein Irrer; aber er fand niemanden. Dann öffnete er die Tür seiner Schatzkammer; doch er fand in ihr nichts von seinem Geld noch von seinen
Schätzen. Da endlich kam er wieder zu sich aus seinem Rausche und erwachte aus seiner Betäubung und erkannte, daß seine eigene Frau es war, die sich mit Listen wider ihn gewandt und ihn betrogen hatte; und er weinte über das, was geschehen war. Er hielt jedoch seine Sache geheim, damit keiner seiner Feinde über ilm frohlockte und keiner seiner Freunde sich betrübte; denn er wußte, daß er, wenn er sein Geheimnis ruchbar werden ließe, bei den Menschen nur Schimpf und Schande ernten würde. Deshalb sprach er zu sich selber: ,Mann, verbirg, was dir widerfahren ist an Leid und Schändlichkeit! Vielmehr sei nach dem Dichterworte zu handeln bereit:Ist eines Mannes Brust beengt durch ein Geheimnis, — Noch enger wird die Brust dem, der es weitergibt.' |
Darauf verschloß er sein Haus und begab sich in seinen Laden; dessen Obhut vertraute er einem seiner Gesellen an, indem er zu ihm sprach: ,Der junge Kaufmann, mein Freund, hat mich eingeladen, ihn nach Kairo zu begleiten, damit ich es mir ansehe, und er hat geschworen, er wolle nicht aufbrechen, es sei denn, daß er mich und meinen Harem mit sich nehme. Deshalb, mein Sohn, sei du mein Stellvertreter in meinem Laden; und wenn der König euch nach mir fragt, so sprecht zu ihm: ,Er hat sich mit seinem Harem auf die Pilgerreise zum heiligen Hause Allahs begeben.' Dann verkaufte er einiges von seinen Waren und kaufte sich Kamele, Maultiere und Mamluken; auch kaufte er sich eine Sklavin und ließ sie in einer Sänfte sitzen; und nach zehn Tagen verließ er Basra. Seine Freunde nahmen Abschied von ihm, und er brach auf; und die Leute glaubten nicht anders, als daß er seine Gattin mit sich genommen und sich auf die Pilgerfahrt begeben habe. Und alle Menschen freuten sich, daß Allah sie davon befreit hatte, jeden Freitag
sich in die Moscheen und in die Häuser einsperren zu lassen. Da sagte einer von den Leuten: ,Allah lasse ihn nie wieder nach Basra zurückkehren, damit wir nicht mehr an jedem Freitag in die Moscheen und in die Häuser eingesperrt werden!' Denn dieser launische Befehl hatte unter dem Volk von Basra viel Ärgernis erregt. Und dann sagte ein andrer: ,Ich glaube, er wird nie von seiner Reise zurückkehren, da das Volk von Basra ihn so verwünscht.' Und ein dritter sprach: ,Wenn er zurückkommt, soll er nur als gebrochener Mann wiederkehren!' So freuten sich denn die Bewohner von Basra gar sehr über sein Fortgehen, nachdem sie vorher so geplagt gewesen waren, und auch ihre Katzen und ihre Hunde hatten nun Ruhe. Als aber der Freitag kam, rief der Herold doch wieder wie gewöhnlich in der Stadt aus, das Volk solle zwei Stunden vor dem Freitagsgebet in die Moscheen gehen oder sich in den Häusern verborgen halten, desgleichen auch die Katzen und die Hunde. Da ward den Leuten die Brust wieder beklommen, und sie rotteten sich alle zusammen und begaben sich zum Staatssaal, traten vor den König und sprachen: ,O größter König unserer Zeit, der Juwelier hat doch seine Frau genommen und ist auf die Pilgerfahrt zum heiligen Hause Allahs aufgebrochen; so hat auch der Grund, aus dem wir uns einsperren mußten, aufgehört zu bestehen. Weshalb sollen wir uns denn jetzt noch einschließen?' Der König rief: ,Wie konnte dieser Verräter abreisen, ohne es mich wissen zulassen? Wenn er von seiner Reise zurückkehrt, so wird schon alles in gute Ordnung kommen. Also geht in eure Läden und verkauft und kauft; diese Plage ist jetzt von euch genommen!' So stand es um den König und das Volk von Basra.Sehen wir nun, wie es Meister 'Obaid, dem Juwelier, erging! Er reiste zehn Tagereisen lang dahin, und da widerfuhr ihm
dasselbe, was Kamar ez-Zamân widerfahren war, ehe er in Basra ankam; denn die Beduinen aus der Gegend von Baghdad fielen über ihn her, zogen ihn aus und nahmen ihm alles ab, was er bei sich hatte, und nur dadurch, daß er sich tot stellte, kam er mit dem Leben davon. Als aber die Beduinen fortgezogen waren, erhob er sich und ging, nackt wie er war, weiter, bis er in ein Dorf kam. Dort machte Allah ihm die Herzen gütiger Menschen geneigt, und sie bedeckten seine Blöße mit Stücken von alten Kleidern. Dann fragte er, bettelnd, seinen Weg weiter, von Ort zu Ort, bis er in Kairo, der Stadt, die Gott behüten möge, ankam, und da brennender Hunger ihn quälte, so zog er bettelnd in den Basaren umher. Ein Mann aus dem Volke von Kairo jedoch sprach zu ihm: ,Du Armer, geh doch in das Hochzeitshaus, iß und trink! Denn dort ist heute der Tisch für die Armen und Fremdlinge.' Da sagte er: ,Ich kenne den Weg zum Hochzeitshause nicht.' ,Folge mir, ich will ihn dir zeigen!' sagte der andere und ging ihm voran, bis er zu dem Hause kam. Dort sprach er zu 'Obaid: ,Dies ist das Hochzeitshaus; geh hinein und fürchte dich nicht, denn an der Tür zum Hause der Hochzeitsfreude gibt es keine Torwächter!' Nachdem er eingetreten war, erblickte Kamar ez-Zamân ihn und erkannte ihn und sagte es seinem Vater. Der Kaufmann 'Abd er-Rahmân aber sprach zu seinem Sohne: ,Lieber Sohn, laß ihn jetzt allein; vielleicht ist er hungrig. Laß ihn essen, bis er gesättigt ist und sein Gemüt sich beruhigt hat; hernach wollen wir ihn rufen lassen!' Sie warteten also, bis jener sich satt gegessen und die Hände gewaschen und den Kaffee getrunken hatte sowie die Zuckerscherbette, die mit Moschus und Ambra vermischt waren, und nun wieder gehen wollte. Da sandte der Vater von Kamar ez-Zamân nach ihm, und der Bote sprach zu 'Obaid: ,Komm, Fremdling, folge dem Rufe des Kaufmanns 'Abd er-Rahmân!' ,Was ist das für ein Kaufmann?' fragte der juwelier; und der Bote antwortete ihm: ,Er ist der Festgeber.' So kehrte er denn um, und er glaubte, jener wolle ihm ein Geschenk geben. Als er sich aber dem Kaufmann näherte, erblickte er seinen Freund Kamar ez-Zamân, und er verlor fast die Besinnung aus Scham vor ihm. Aber Kamar ez-Zamân sprang auf, schloß ihn in seine Arme und begrüßte ihn; und beide weinten bitterlich. Dann ließ er ihn an seiner Seite sitzen; doch sein Vater sprach zu ihm: ,O du Jüngling ohne Lebensart, auf solche Weise empfängt man die Freunde nicht! Schicke ihn zuerst in das Badehaus, dann sende ihm Gewänder, wie sie ihm gebühren, und danach setz dich mit ihm nieder und plaudere mit ihm!' Da rief er einige seiner Diener und befahl ihnen, sie sollten ihn ins Badehaus führen; auch sandte er ihm auserlesene Gewänder. die tausend Dinare wert waren oder noch mehr. Und die Diener wuschen seinen Leib und kleideten ihn in die Gewänder. so daß er nunmehr wie der Vorsteher der Kaufmannsgilde aussah. Inzwischen aber, während 'Obaid im Badehause war. fragten die Umstehenden Kamar ez-Zamân nach ihm, indem sie sprachen: ,Wer ist das? Und woher kennst du ihn?' Er gab zur Antwort: ,Das ist mein Freund, der mich in sein Haus aufgenommen hat und dem ich unzählige Wohltaten verdanke; ja, er hat mir die höchsten Ehren erwiesen. Er ist ein Mann von Pracht und Macht, und seines Berufes ist er ein Juwelier, dem niemand gleichkommt. Der König von Basra ist ihm in herzlicher Liebe zugetan; ja, er steht bei dem König in hohem Ansehn, und seinem Befehl wird Gehorsam geleistet.' So rühmte er ilm hoch vor ihnen; und er fuhr fort: ,Er hat soundso an mir gehandelt, und ich schäme mich vor ihm, da ich nicht weiß, wie ich ihm lohnen soll, um all die Ehrungen zu vergelten, die er mir erwiesen hat.' So pries er ihn in einem fort, bis sein Ansehen bei den Umstehenden sehr groß ward und er in ihren Augen verehrungswürdig war. Darauf sprachen sie: ,Wir alle wollen das tun, was ihm gebührt, und wollen ihn um deinetwillen ehren. Jedoch möchten wir wissen, aus welchem Grunde er nach Kairo gekommen ist, weshalb er seine Heimat verlassen hat, und was Allah mit ihm getan hat, daß er in solche Not geraten ist.' Darauf erwiderte er ihnen: ,Ihr Leute, wundert euch nicht! Ein Menschenkind ist dem Schicksal und dem Verhängnis unterworfen, und solange es in dieser Welt lebt, ist es nie vor Unheil gefeit. Der Dichter dieser Verse schilderte die Wirklichkeit:Das Schicksal stürzt sich auf die Menschen; drum vermeide, Daß dich die Sucht nach Würden und nach Rang betört! Und hüte dich vor Fehltritt, halt dich fern dem Elend; Bedenke, daß zum Schicksal Mißgeschick gehört! Der Wechsel eines jeden Dings hat seine Ursach: Durch kleinstes Unglück ward schon manches Glück zerstört! |
Wisset, als ich damals in Basra einzog, war mein Zustand noch schlimmer, als der seine es jetzt ist, und mein Elend noch größer als das seine; denn als dieser Mann nach Kairo kam, war seine Blöße mit Lumpen bedeckt, aber ich zog in seine Stadt mit unverhüllter Blöße. die eine Hand hinten, die andere vorn; und niemand half mir als Allah und dieser hochherzige Mann. Die Ursache davon war, daß die Beduinen mich ausplünderten, mir meine Kamele und Maultiere und Lasten raubten und meine Diener und Mannen töteten; ich legte mich zwischen die Erschlagenen nieder, und die Räuber hielten mich für tot, so daß sie mich liegen ließen, als sie fortzogen. Dann machte ich mich auf und schritt nackend weiter, bis ich in Basra ankam; dort nahm dieser Mann mich auf, kleidete mich und gab
mir eine Herberge in seinem Hause; auch versah er mich mit Geld, und alles, was ich mit mir gebracht habe, verdanke ich nur Allah und seiner Güte. Als ich abreiste, gab er mir reiche Geschenke, und ich kehrte fröhlichen Sinnes in meine Heimatstadt zurück. Damals, als ich mich von ihm trennte, lebte er in Pracht und Macht; vielleicht mußte er seither einen Schicksalsschlag erleiden, der ihn zwang, von seinem Volke und seiner Heimat zu scheiden. Ihm mag unterwegs das gleiche widerfahren sein, was mir widerfuhr; und darin liegt nichts Wunderbares. Aber jetzt geziemt es mir, ihm zu vergelten für seine hochherzige Tat, und nach dem Worte dessen zu) handeln, der da gesprochen hat:Oder du gut denkst von der Zeit, Bedenkst du, wie die Zeit verfährt? In Güte tue, was du tust; Wie einer lohnt, wird ihm gewährt! |
Während sie sich mit diesen und ähnlichen Worten unterhielten, trat Meister 'Obaid wieder zu ihnen ein, und er sah aus. als wenn er der Vorsteher der Kaufmannsgilde wäre. Alle erhoben sich vor ihm und begrüßten ihn und ließen ihn auf dem Ehrenplatze sitzen. Kamar ez-Zamân aber sprach zu ihm: ,Lieber Freund, dein Tag sei gesegnet und glücklich! Du brauchst mir nicht zu erzählen, was mir selbst früher als dir widerfahren ist; wenn die Beduinen dich ausgeplündert und dir Hab und Gut geraubt haben, so bedenke, daß Hab und Gut das Lösegeld für das Leben sind, und gräme dich nicht! Siehe, ich bin nackt in deine Stadt gekommen, und du hast mich gekleidet und freundlich aufgenommen; und ich verdanke dir viel Güte. Darum will ich dir vergelten.' — —« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 978.
Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Kamar ez-Zamân zu Meister 'Obaid dem juwelier sprach: ,Siehe, ich bin nackt in deine Stadt gekommen, und du hast mich gekleidet, und ich verdanke dir viel Güte. Darum will ich dir vergelten und an dir handeln, wie du an mir gehandelt hast, ja, ich will noch mehr tun als das. Also hab Zuversicht und quäl dich nicht!' In dieser Weise beruhigte er ihn und hinderte ihn am Reden, damit jener nicht von seiner Frau spräche und erzählte, was sie ihm angetan hatte; unermüdlich sprach er ihm zu mit Ermahnungen, Sprichwörtern und Gedichten, mit Anekdoten, Erzählungen und Geschichten, und er suchte ihn zu trösten, bis der juwelier verstand, daß Kamar ez-Zamân ihm andeuten wollte, er solle Schweigen bewahren. So schwieg denn 'Obaid von dem, was ihm das Herz beschwerte; die Erzählungen und lustigen Geschichten, die er vernahm, trösteten seinen Sinn, und er sprach das Dichterwort vor sich hin:Auf der Stirn des Schicksals stehet eine Schrift; wenn du die siehst, Wird ihr Sinn dich so betrüben, daß dein Auge Blut vergießt: Niemals hat das Schicksal einem mit der Rechten Glück geschenkt, Ohne daß ihn seine Linke mit dein Unheilsbecher tränkt. |
Darauf nahmen Kamar ez-Zamân und sein Vater, der Kaufman 'Abd er-Rahmân, den juwelier mit sich und führten ihn in den Saal des Frauenhauses; dort schlossen sie sich mit ihm ein, und der Kaufmann 'Abd er-Rahmân sprach zu ihm: ,Wir haben dich nur deshalb am Sprechen gehindert, weil wir fürchteten, es könnte dich und uns ins Gerede bringen. Doch jetzt sind wir allein, und nun berichte uns, was zwischen dir und deiner Frau und meinem Sohne vorgegangen ist!' Da erzählte der Juwelier die Geschichte von Anfang bis zu Ende. Und als er seinen Bericht beendet hatte, fragte der Kaufmann ihn: ,Lag
die Schuld an deiner Gattin oder an meinem Sohne?' ,Bei Allah,' erwiderte jener, ,deinen Sohn trifft keine Schuld; denn die Männer gelüstet es nach den Frauen, aber es ist die Pflicht der Frauen, daß sie sich von den Männern fernhalten. Nur meine Frau ist zu tadeln, sie, die mich verraten und mir all dies angetan hat.' Da erhob sich der Kaufmann und ging mit seinem Sohn beiseite und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, wir haben seine Frau geprüft und wissen, daß sie eine Verräterin ist; jetzt will ich ihn prüfen, um zu erfahren, ob er ein Mann von Ehre und Vornehmheit ist oder ein Lump.' ,Wie willst du das tun?' fragte der Jüngling; und sein Vater antwortete: ,Ich will ihm zureden, er solle sich mit seiner Frau aussöhnen, und wenn er in die Versöhnung einwilligt und ihr vergibt, so will ich ihn mit einem Schwerte totschlagen und dann auch die Frau und ihre Sklavin töten; denn am Leben eines Kupplers und einer Dirne ist nichts Gutes. Doch wenn er sich mit Grausen von ihr wendet, so willich um mit deiner Schwester vermählen und ihm dazu noch mehr Geld geben, als jene ihm weggenommen hat.' Dann kehrte er zu 'Obaid zurück und sprach zu ihm: ,Meister, der Umgang mit Frauen erfordert Langmut, und wer sie liebt, dessen Herz sei weit; denn sie sind böswillig gegen die Männer und tun ihnen weil; da sie ihnen überlegen sind an Schönheit und Anmut. Sie kommen sich selber herrlich vor und sehen auf die Männer herab, vor allem, wenn ihnen von ihren Gatten Liebe bezeigt wird; dann vergelten sie ihnen mit Hoffart, Dreistigkeit und Abscheulichkeit in jeglicher Weise. Wird nun ein Mann jedesmal zornig, wenn er an seiner Frau etwas bemerkt, was ihn verletzt, so kann es zwischen ihm und ihr keine Gemeinschaft geben; nur der vermag mit den Frauen auszukommen, der ein weites Herz sein eigen nennt und die Langmut der Seele kennt. Wenn ein Mann nicht mit seiner Frau Geduld hat und ihre Bosheit in Milde verzeiht, so erblüht ihm aus dem Umgange mit ihr keine Zufriedenheit. Es heißt von ihnen mit Recht: Wären sie auch im Himmel, so würden sich die Hälse der Männer nach ihnen wenden. Und wer die Macht hat und vergibt, dessen Lohn steht bei Allah. Diese Frau ist deine Gattin und deine Gefährtin; sie hat lange mit dir zusammengelebt; deshalb geziemt es sich, daß sie bei dir Vergebung findet, denn dies ist ein Zeichen, daß der Erfolg sich mit dem Zusammensein verbindet. Den Frauen mangelt es ja an Verstand und an Glauben. Wenn sie gesündigt hat, hat sie schon bereut: so Gott will, wird sie es nie wieder so treiben, wie sie es früher getrieben hat. Darum ist es mein Rat, daß du dich mit ihr versöhnst; und ich will dir an Hab und Gut mehr geben, als du besessen hast. Wenn du noch bei mir bleiben willst, so heiße ich dich und sie willkommen; euch soll nur das zuteil werden, was euch Freude macht. Willst du aber in deine Heimat zurückkehren, so will ich dir geben, was du zu deiner Zufriedenheit brauchst; da steht die Sänfte bereit, laß deine Gattin und ihre Sklavin einsteigen und zieh in dein Land! Der Dinge, die zwischen dem Manne und seiner Frau geschehen, sind viele; und es ist deine Pflicht, milde zu handeln und nicht auf dem Wege der Härte zu wandeln.' Da fragte der Juwelier: ,Hoher Herr, wo ist denn meine Gattin?' Der Kaufmann erwiderte ihm: ,Sie ist hier im oberen Gemach. Geh zu ihr hinauf, sei freundlich zu ihr um meinetwillen und betrübe sie nicht! Als mein Sohn sie brachte und sich mit ihr vermählen wollte, habe ich ihn daran gehindert, und ich habe sie in dies Gemach geführt und die Tür hinter ihr verschlossen. Denn ich sagte mir: ,Vielleicht wird ihr Gatte kommen, und dann will ich sie ihm wohlbehalten übergeben; denn sie ist lieblich von Gestalt. und wenn eine Frau so schön ist wie so' sie, so ist es unmöglich, daß ihr Gatte sie verläßt.' Das, was ich annahm, ist nun eingetroffen, und Preis sei Allah dem Erhabenen, daß du nun wieder mit deiner Gattin vereint bist! Was aber meinen Sohn betrifft, so habe ich um eine andere Frau für ihn geworben, und diese Feste und Gastmähler finden um seiner Hochzeit willen statt; heute nacht wird er zu seiner Gattin eingehen. Da ist der Schlüssel zu dem Obergemach, in dem deine Gattin weilt; nimm ihn, öffne die Tür und geh zu ihr und deiner Sklavin hinein! Sei guter Dinge mit ihr; Essen und Trinken soll euch gebracht werden, und du sollst nicht eher wieder herunterkommen, als bis du dein Genüge an ihr gehabt hast!' Nun sprach der Juwelier zu ihm: ,Allah belohne dich statt meiner mit allem Guten, lieber Herr!' Und er nahm den Schlüssel und ging fröhlich hinauf. Der Kaufmann glaubte, seine Worte hätten ihm gefallen, und er sei mit ihnen einverstanden; deshalb nahm er das Schwert und ging hinter ihm her, doch so, daß jener ihn nicht sehen konnte. Dann blieb er an einer Stelle stehen, von wo er sehen konnte, was zwischen 'Obaid und seiner Gattin vorgehen würde.Wenden wir uns nun von dem Kaufmann 'Abd er-Rahmân zu dem Juwelier! Als der zu seiner Gattin eintreten wollte, hörte er sie bitterlich klagen, weil Kamar ez-Zamân sich mit einer anderen vermählt hatte. Und dann hörte er, wie die Sklavin zu ihr sprach: ,Wie oft habe ich dich gewarnt, meine Gebieterin, und dir gesagt: Von diesem Jüngling wird dir nichts Gutes widerfahren; drum laß ab von dem Umgang mit ihm! Aber du hast nicht auf meine Worte gehört und hast sogar deinem Gatten all sein Hab und Gut geraubt und es dem Jüngling gegeben. Dann hast du dein Heim verlassen und dich nur an die Liebe zu ihm gehalten und bist mit ihm in dies Land gekommen. Er aber hat dich aus seinem Herzen verstoßen und
sich mit einer anderen vermählt; und das Ende deiner Vernarrtheft in ihn ist das Gefängnis.' Da rief Halîma: ,Schweig, du Verruchte! Wenn er auch mit einer anderen vermählt ist, so muß ich doch ganz gewiß ihm eines Tages wieder in den Sinn kommen. Ich kann die Nacht des trauten Vereins mit ihm nie vergessen; und meines Trostes Hort ist auf jeden Fall das Dichterwort:Mein Lieb, willst du denn seiner nicht gedenken, Dem du allein in seinem Sinne bist? Es sei dir ferne, daß du den vergessest, Der sich um deinetwillen selbst vergißt! |
Er wird ganz sicher einst wieder daran denken, wie -wir in Freundschaft verbunden waren, und dann wird er nach mir fragen, darum will ich mich nicht von der Liebe zu ihm abwenden und will in meiner Neigung für ihn nicht wankend werden, müßte ich auch im Kerker umkommen! Er ist es. der mir im Herzen weilt und der meine Schmerzen hellt; und meine Hoffhung ruht auf ihm, daß er zu mir zurückkehrt und mir wieder Freude bringt.' Als ihr Gatte hörte, daß sie diese Worte sprach, stürzte er zu ihr hinein und schrie sie an: ,Du Verräterin, wahrlich, deine Hoffnung auf ihn ist wie die Hoffnung des Teufels auf das Paradies. Alle diese Laster lebten in dir, ohne daß ich es wußte. Hätte ich geahnt, daß auch nur eins von diesen Lastern in dir hause, ich hätte dich nicht eine Stunde lang bei mir behalten. Aber da ich jetzt sicher weiß, daß solches in dir steckt, muß ich dich töten, wenn man mich auch deinetwegen umbringt, du Verräterin!' Und mit beiden Händen packte er sie im Nu und rief ihr diese beiden Verse zu:
Ihr Schönen, meine treue Lieb habt ihr durch Sünde Vertrieben und dem Rechte Achtung nicht bezeigt. Wie vielen unter euch galt meine Jugendneigung! — Durch dieses Leid ward ich dem Neigen abgeneigt. |
Hören wir nun, was der Kaufmann 'Abd er-Rahmân weiter tat! Er ließ den Scheich el-Islam und alle Vornehmen kommen und sprach: ,O Scheich el-Islam, schreib den Ehevertrag zwischen meiner Tochter Kaukab es-Sabâh' und Meister 'Obaid, dem Juwelier, und füge hinzu, daß ich die Brautgabe bereits voll und ganz erhalten habe.' Jener schrieb also den Vertrag, und dann wurden die Gäste mit Scherbetten bewirtet. Nun rüstete man ein gemeinsames Hochzeitsfest; während des Hochzeitszuges saßen die Tochter des Scheich el-Islam, die Gattin von Kamar ez-Zamân. und seine Schwester Kaukab es-Sabâh, die Gattin des Meisters 'Obaid, des Juweliers, in derselben Sänfte am gleichen Abend; und an demselben Abend geleitete man im Hochzeitszuge Kamar ez-Zamân und den Meister 'Obaid gemeinsam und führte Kamar ez-Zamân zur Tochter des Scheich el-Islam und den Meister 'Obaid zur Tochter des Kaufmanns 'Abd er-Rahmân. Als dieser zu ihr einging, fand er, daß sie noch tausendmal schöner und lieblicher war als seine erste Gattin: und er nahm ihr das Mädchentum. Am nächsten Morgen aber ging er mit Kamar ez-Zamân in das Badehaus: dann blieb er noch eine Weile bei ihnen in aller Freude. aber schließlich kam die Sehnsucht nach seiner Heimat über ihn. So trat er denn zu dem Kaufmann 'Abd er-Rahmân ein und sprach zu ihm: ,Lieber Oheim, ich habe Sehnsucht nach meiner Heimat. dort besitze ich noch allerlei Hab und Gut, über das ich einen meiner Gesellen als Verwalter an meiner Statt eingesetzt habe; ich gedenke deshalb heimzureisen, um meine Besitztümer zu verkaufen, und dann will
Hören wir aber, was der König von Basra tat! Als der vernahm, daß 'Obaid heimgekehrt war, ergrimmte er wider ihn und ließ ihn sofort vor sich bringen; und er schalt ilm und sprach zu ihm: ,Wie konntest du fortziehen, ohne mir von deiner Reise Kunde zu geben? Hätte ich dir nicht etwas geben können, um dich auf deiner Pilgerfahrt zum heiligen Hause Allahs zu unterstützen?' Der Juwelier gab ihm zur Antwort: ,Verzeihung, hoher Herr! Bei Allah, ich bin nicht auf die Pilgerfahrt gezogen; aber mir ist es soundso ergangen.' Und er berichtete ihm alles, was er mit seiner Gattin und mit dem Kaufmann 'Abd er-Rahmân in Kairo erlebt hatte, auch, wie dieser ihn mit seiner Tochter vermählt hatte, und er schloß mit den Worten: ,Schau, ich habe sie auch mit nach Basra gebracht! Da rief der König: ,Bei Gott, fürchtete ich mich nicht vor Allah dem Erhabenen, so würde ich dich töten lassen und mich nach deinem Tode mit dieser edlen Frau vermählen, wenn ich auch Schätze Goldes für sie dahingeben müßte; denn sie gebührt nur Königen. Doch Allah hat sie dir zuteil werden lassen, und Er gesegne sie dir, und du sei immer gut zu ihr!' Dann gab er dem Juwelier ein Geschenk; und der verließ ihn.
Nachdem er fünf Jahre lang mit seiner Gattin gelebt hatte, ging er ein zur Barmherzigkeit Allahs des Erhabenen. Da warb der König um sie; doch sie willigte nicht ein, sondern sprach: ,O König, ich habe in meiner Sippe nie eine Frau gekannt, die sich nach dem Tode ihres Gatten wieder vermählt hätte. Drum will auch ich mich nach meines Gatten Hinscheiden nicht wieder vermählen; auch deine Gemahlin kann ich nicht werden, selbst wenn du mich töten wolltest.' Später sandte der König ihr einen Boten und ließ sie fragen: ,Möchtest du in deine Heimat ziehn?' Sie ließ ihm antworten: ,Wenn du Gutes tust, so wirst du dafür belohnt werden.' Dann ließ er für sie den ganzen Besitz des Juweliers zusammenbringen und fügte auch noch von seinem eigenen hinzu, nach dem Maße seines Standes. Und schließlich sandte er einen seiner Wesire mit ihr, einen Mann, der wegen seiner Güte und Frömmigkeit berühmt war, samt einem Gefolge von fünfhundert Reitern. So zog denn jener Wesir mit ihr, bis er sie zu ihrem Vater geleitet hatte. Dort lebte sie, ohne sich wieder zu vermählen, bis sie starb: und alle die anderen starben auch.Wenn nun diese Frau nicht einwilligte, nach dem Tode ihres Gatten an seiner Statt sich mit einem Sultan zu vermählen, wie könnte sie da wohl verglichen werden mit einer, die ihrem Gatten noch zu seinen Lebzeiten einen Jüngling von unbekannter Herkunft und Sippe vorzog, zumal sie dabei verbotene Früchte genoß und keinen rechtmäßigen Ehebund schloß! Wer also glaubt, die Frauenart sei überall einerlei, der findet für seinen Wahnsinn keine Arznei. Preis sei dem Herrn der sichtbaren und unsichtbaren Welt, dem Lebendigen, der nie dem Tode verfällt!
Ferner wird erzählt, o glücklicher König,
DIE GESCHICHTE VON 'ABDALLAH IBN FÂDIL
UND SEINEN BRÜDERN
Eines Tages musterte der Kalif Harûn er-Raschîd den Tribut seines Reiches, und da fand er, daß die Tribute aller Länder und Provinzen ins Schatzhaus eingeliefert waren, nur nicht der Tribut von Basra; der war in jenem Jahre nicht gekommen, und deshalb berief der Herrscher eine Staatsversammlung. Dort befahl er: ,Man führe den Wesir Dscha'far vor mich!' Als der vor ihn getreten war, sprach der Kalif zu ihm: ,Die Tribute aller Länder sind in das Schatzhaus eingeliefert worden, nur nicht der von Basra; von dem ist nichts gekommen.' ,O Beherrscher der Gläubigen,' erwiderte der Minister, ,vielleicht ist dem Statthalter von Basra etwas widerfahren, das ihn verhindert hat, den Tribut zu senden.' Darauf sagte Harûn: ,Der Tribut hätte schon vor zwanzig Tagen eintreffen sollen; was für eine Entschuldigung kann der Statthalter haben, daß er ihn in dieser ganzen Zeit nicht geschickt hat, noch auch jemanden gesandt hat, um sich zu entschuldigen?' Dscha'far fuhr fort: ,O Beherrscher der Gläubigen, wenn es dir beliebt, wollen wir einen Boten zu ihm schicken.' Alsbald befahl der Kalif: ,Schicke' ihm Abu Ishâk el-Mausili, den Tischgenossen !',Ich höre und gehorche Allah und dir, o Beherrscher der Gläubigen', sagte der Wesir Dscha'far, begab sich in sein Haus und ließ den Tischgenossen Abu Ishâk el-Mausili kommen; dem schrieb er einen Brief im Namen des Kalifen, und dann sprach er zu ihm: ,Geh zu 'Abdallah ibn Fâdil, dem Statthalter von Basra, und sieh nach, was ihn verhindert hat, den Tribut zuschicken; dann laß dir von ihm den vollen Betrag des Tributs von Basra übergeben und bring ihn eiligst her. Denn der Kalif hat die Tribute der Provinzen gemustert und gefunden,
daß alle angekommen sind, nur nicht der von Basra. Wenn du aber siehst, daß der Tribut nicht bereit ist, und wenn der Statthalter sich vor dir entschuldigt, so bringe ihn mit dir, damit er dem Kalifen seine Entschuldigung mit eigener Zunge vortragen kann!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte Abu Ishâk, und indem er fünfhundert Reiter aus dem Heere des Wesirs mit sich nahm, machte er sich auf den Weg, bis er die Stadt Basra erreichte. 'Abdallâh ibn Fâdil aber erfuhr von seiner Ankunft, und so zog er mit seinem Heere ihm entgegen und hieß ihn willkommen. Dann ritt er mit ihm in Basra ein und führte ihn zu seinem Schlosse hinauf, während das Geleit draußen vor der Stadt in Zelten lagerte, nachdem der Statthalter ihnen alles angewiesen hatte, dessen sie bedurften. Als nun Abu Ishâk in den Staatssaal getreten war und sich auf den Thron gesetzt hatte, ließ er 'Abdallah ibn Fâdil an seiner Seite sitzen, und die Großen setzten sich rings um ihn, je nach Rang und Würden. Nach der feierlichen Begrüßung hub Ibn Fâdil an: ,Mein Gebieter, hat dein Kommen zu uns einen Grund?' ,Jawohl,' erwiderte Abu Ishâk, ,ich bin gekommen, um den Tribut einzufordern; denn der Kalif hat nach ihm gefragt, und die Zeit seines Eintreffens ist verstrichen.' Da rief der Statthalter: ,Mein Gebieter, hättest du dich doch nicht geplagt und die Mühsale der Reise nicht auf dich genommen! Der Tribut ist bereit, voll und ganz, und ich hatte beschlossen, ihn morgen abzusenden. Aber da du gekommen bist, will ich ihn dir überliefern, nachdem du drei Tage lang mein Gast gewesen bist. Am vierten Tage werde ich den Tribut vor dich bringen lassen. Jetzt aber geziemt es uns, dir ein Geschenk zu bieten, um für deine und des Kalifen Güte uns dankbar zu zeigen.' ,Das mag gern geschehen', erwiderte Abu Ishâk; und der Statthalter löste die Staatsversammlung auf und führte seinen Gast in ein Obergemach in seinem Palaste, das unvergleichlich schön war. Dann ließ er ihm und seinen Gefährten den Tisch der Speisen vorsetzen; und sie aßen und tranken, vergnügten sich und waren guter Dinge. Nachdem der Tisch fortgetragen war, wuschen sie sich die Hände, man brachte Kaffee und Scherbette, und alle saßen in trautem Verein. bis ein Drittel der Nacht verstrichen war. Da breitete man für den Gast ein Bett auf einem Lager aus Elfenbein, das eingelegt war mit Gold von gleißendem Schein. Auf das legte er sich nieder, während der Statthalter von Basra sich auf einem anderen Lager neben ihm zur Ruhe begab. Doch Abu Ishâk, der Gesandte des Beherrschers der Gläubigen, konnte keinen Schlaf finden, und er begann nachzusinnen über die Maße der Dichtkunst und Verskunst: denn er war einer von den auserlesensten unter den Tischgenossen des Kalifen, und besaß große Kenntnisse in Gedichten und heiteren Geschichten. So blieb er denn wach, indem er sich Gedichte aussann, bis es Mitternacht war. Während er so dalag, erhob sich plötzlich 'Abdallâh ibn Fâdil, gürtete sich und öffnete einen Wandschrank: daraus holte er eine Geißel hervor. Ferner nahm er eine brennende Kerze, und dann ging er zur Tür des Gemaches hinaus, in dem Glauben, Abu Ishâk schlafe. — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 979. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh ibn Fâdil zur Tür des Gemaches hinausging, in dem Glauben, der Tischgenosse Abu Ishâk schlafe. Doch Abu Ishâk wunderte sich über sein Hinausgehen und sprach bei sich selber: ,Wohin mag 'Abdallâh ibn Fâdil mit dieser Geißel gehen? Vielleicht will er jemanden züchtigen. Es bleibt mir nichts übrig,
als daß ich ihm folge und sehe, was er in dieser Nacht tut.' So erhob sich denn auch Abu Ishâk und ging ganz leise hinter ihm her, so daß jener ihn nicht sehen konnte. Da beobachtete er, wie 'Abdallâh eine Kammer öffnete und aus ihr einen Tisch mit vier Schüsseln voll Fleisch sowie Brot und einen Krug Wasser holte. Mit Tisch und Krug ging er weiter, während Abu Ishâk ihm heimlich folgte. Als der Statthalter in einen Saal trat, blieb Abu Ishâk hinter der Tür dieses Saales draußen stehen und spähte durch einen Spalt jener Tür. Er sah, daß es ein geräumiger Saal war, ausgestattet mit prächtigem Hausrat; und in der Mitte jenes Saales befand sich ein Lager aus Elfenbein, das ausgelegt war mit Gold von gleißendem Schein; und an jenem Lager waren zwei Hunde mit goldenen Ketten festgebunden. Weiter sah er, daß 'Abdallâh den Tisch beiseite in eine Ecke legte, sich die Ärmel über die Hände zurück streifte und den ersten Hund losband. Der begann sich an dem Strick in seiner Hand zu winden und seine Schnauze auf den Boden zulegen, als wollte er den Boden vor ihm küssen, indem er dabei mit leiser Stimme kläglich winselte. 'Abdallâh aber band ihm die Füße zusammen, warf ihn auf den Boden, schwang die Geißel und ließ sie auf ihn niedersausen; er versetzte ihm heftige Schläge ohne Erbarmen, während der Hund sich wand, aber sich nicht losreißen konnte. So lange hieb er mit jener Geißel auf ihn ein, bis das Tier aufhörte zu heulen und bewußtlos dalag. Darauf nahm er ihn und band ihn wieder an derselben Stelle an. Als dies geschehen war, holte er den zweiten Hund und tat mit ihm dasselbe, was er mit dem ersten getan hatte. Schließlich zog er ein Tuch heraus und wischte den beiden die Tränen ab und begann sie zu trösten, indem er sprach: ,Zürnet mir nicht! Bei Allah, dies geschieht nicht nach meinem Willen, und es ist mir nicht leicht geworden. Möge Allah euch beiden aus dieser Not Befreiung und Erlösung gewähren!' Und er betete für sie. All dies geschah, während der Tischgenosse Abu Ishâk dort stand und mit eigenen Ohren zuhörte und mit eigenen Augen zuschaute, erstaunt über ein solches Gebaren. Darauf setzte 'Abdallâh den beiden Tieren den Tisch mit Speisen vor und reichte ihnen die Bissen mit eigener Hand, bis sie satt waren. Nachdem er ihnen noch die Schnauzen abgewischt hatte, holte er den Krug und gab ihnen zu trinken. Schließlich nahm er Tisch und Krug und Kerze und wandte sich zum Gehen; Abu Ishâk aber eilte ihm vorauf, bis er wieder zu seinem Lager kam, und legte sich nieder, so daß der Statthalter ihn nicht sah und nicht erfuhr, daß er ihm gefolgt war und ihn beobachtet hatte. Dann brachte jener den Tisch und den Krug wieder in die Kammer, trat in das Gemach ein, öffnete den Wandschrank und legte die Geißel an ihren Ort; und nachdem er seine Kleider abgelegt hatte, begab er sich zur Ruhe.Solches tat 'Abdallâh; Abu Ishâk seinerseits verbrachte den Rest jener Nacht damit, daß er über dies Geschehnis nachsann, und er konnte in seiner großen Verwunderung nicht einschlafen. Immer sprach er bei sich selber: ,Was mag wohl der Grund von diesem Tun sein?' Und immer wunderte er sich, bis es schließlich Morgen ward. Da erhoben sie sich und verrichteten das Frühgebet. Dann ward ihnen der Morgenimbiß gebracht; sie aßen und tranken Kaffee und begaben sich zur Staatsversammlung. Abu Ishâks Gedanken weilten den ganzen Tag bei jenem Ereignis; doch er schwieg davon und befragte 'Abdallâh nicht darüber. In der nächsten Nacht tat der Statthalter ebenso mit den beiden Hunden; nachdem er sie geschlagen hatte, begütigte er sie und gab ihnen zu essen und zu trinken. Dabei folgte ihm Abu Ishâk und sah, daß er mit den beiden Tieren das gleiche tat wie in der Nacht zuvor; und ebenso geschah
es in der dritten Nacht. Am vierten Tage aber brachte der Statthalter den Tribut dem Tischgenossen Abu Ishâk; und der nahm ihn und brach auf, ohne jenem etwas zu verraten. Dann zog er rasch dahin, bis er Baghdad erreichte; und dort übergab er dem Kaufen den Tribut. Da fragte der Herrscher ihn nach der Verzögerung des Tributs, und er sprach: ,O Beherrscher der Gläubigen, ich sah, daß der Statthalter von Basra den Tribut bereit hatte und im Begriffe war, ihn abzusenden. Wäre ich einen Tag später gekommen, so wäre er mir auf dem Wege begegnet. Aber ich habe an 'Abdallâh ibn Fâdil ein wunderbares Gebaren bemerkt, desgleichen ich noch nie in meinem Leben gesehen habe, o Beherrscher der Gläubigen.' ,Und was war das, o Abu Ishâk?' fragte der Kalif; und Abu Ishâk antwortete: ,Ach, ich habe solche Dinge gesehen!' und erzählte ihm, was jener mit den Hunden getan hatte, indem er mit den Worten schloß: ,Ich sah, wie er in drei Nächten nacheinander also tat, daß er die beiden Hunde schlug und sie dann begütigte und tröstete und ihnen zu essen und zu trinken gab, während ich ihm zuschaute, ohne daß er mich sehen konnte.' Da sprach der Kalif zu ihm: ,Hast du ihn nach dem Grunde gefragt?' ,Nein, bei deinem Haupte, o Beherrscher der Gläubigen!' erwiderte der Tischgenosse; und der Herrscher fuhr fort: ,Abu Ishâk, ich befehle dir, daß du nach Basra zurückkehrst und mir 'Abdallâh ibn Fâdil und die beiden Hunde bringst.' ,O Beherrscher der Gläubigen,' sagte jener, ,erlaß mir dies! 'Abdallâh ibn Fâdil hat mir doch die größten Ehren erwiesen, und ich habe diese Dinge nur zufällig und ohne Absicht beobachtet und dir davon erzählt. Wie könnte ich zu ihm zurückkehren und ihn dir bringen? Wenn ich wieder zu ihm käme, so würde ich dazu nicht den Mut finden, aus Scham vor ihm. Es wäre daher besser, einen anderen als mich zu ihm zu schicken mit einem Handschreiben von dir; der mag ihn dann mit den beiden Hunden bringen.' Doch der Kalif entgegnete ihm: ,Wenn ich einen andern als dich zu ihm schicke, so wird er womöglich diese Dinge ableugnen und sagen, er habe keine Hunde. Allein, wenn ich dich schicke, und du ihm sagst, du habest ihn mit eigenen Augen gesehen, so wird er es nicht ableugnen können. Drum geht es nicht anders an, als daß du dich zu ihm begibst und ihn mit den beiden Hunden bringst; sonst steht dir der sichere Tod bevor.' — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 980. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kalif Harûn er-Raschîd zu Abu Ishâk sprach: ,Es geht nicht anders an, als daß du dich zu ihm begibst und ihn mit den beiden Hunden bringst; sonst steht dir der sichere Tod bevor.' Abu Ishâk erwiderte ihm: ,Ich höre und gehorche, o Beherrscher der Gläubigen! Allah ist unser Genüge und der trefflichste Sachwalter.' Der hat wahr gesprochen, der da sagte: Von der Zunge kommt, was dem Menschen nicht frommt. Ich habe wider mich selbst gesündigt, da ich dir dies erzählt habe. Doch gib mir ein Handschreiben, so werde ich zu ihm gehen und ihn dir bringen.' Da setzte der Kalif ein Handschreiben für ihn auf, und Abu Ishâk begab sich damit nach Basra. Als er dort zu dem Statthalter eintrat, rief jener ihm zu: ,Allah behüte uns vor dem Unheil deiner Rückkehr. o Abu Ishâk! Wie kommt es, daß ich dich so bald zurückkehren sehe? Fehlt vielleicht etwas an dem Tribut, so daß der Kalif ihn nicht annehmen will?' ,O Emir 'Abdallâh,' erwiderte Abu Ishâk. ,meine Rückkehr hat nicht den Grund, daß an dem Tribut etwas mangelt; nein, der ist vollkommen,
,Wisse, o Stellvertreter Allahs, wir sind drei Brüder von derselben Mutter und von demselben Vater. Unser Vater hieß Fâdil, und er war deshalb so genannt, weil die Mutter unseres' Vaters Zwillinge zu gleicher Zeit zur Welt brachte, von denen der eine zur selbigen Stunde starb, während der andere übrig blieb; deswegen nannte sein Vater ihn Fâdil.' Sein Vater zog ihn auf und gab ihm die beste Erziehung, bis er herangewachsen war; da vermählte er ihn mit unserer Mutter, und dann starb er. Unsere Mutter gebar zuerst diesen meinen Bruder, und mein Vater nannte ihn Mansûr; dann empfing sie ein zweites Mal und brachte diesen meinen zweiten Bruder zur Welt, dem mein Vater den Namen Nâsir gab; und nachdem sie zum dritten Male empfangen hatte, schenkte sie mir das Leben, und mein Vater hieß mich 'Abdallâh. Nachdem er uns erzogen hatte, bis wir herangewachsen waren und das Mannesalter erreicht hatten, starb auch er. Da hinterließ er uns ein Haus und einen Laden, voll von bunten Stoffen aller Art, indischen, griechischen, chorasanischen und noch anderen; auch hinterließ er uns sechzigtausend Dinare. Nachdem unser Vater gestorben war, wuschen wir ihn und bauten ihm ein prächtiges Grabgebäude; darin bestatteten wir ihn zur Barmherzigkeit seines Herrn. Wir ließen für sein Seelenheil beten und hielten Lesungen aus dem Koran und gaben Almosen für ihn, bis die vierzig Tage verstrichen waren. Und als dies geschehen war, versammelte ich die Kaufleute und die Vornehmen des Volkes und bereitete ihnen ein großes Fest. Nachdem sie gegessen hatten, sprach ich zu ihnen: ,Ihr Kaufleute, seht, diese Welt ist vergänglich, aber die nächste Welt ist beständig Preis sei Ihm, der ewig besteht, nachdem Seine Geschöpfe verl.
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 981. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh ihn Fâdil dem Kalifen des weiteren erzählte: ,Wie ich die beiden zittern sah, war ich ganz ergriffen, und ich hatte tiefes Mitleid mit ihnen, ja, es war mir, als ob mir die Sinne vergingen. Ich eilte auf sie zu und umarmte sie und weinte ob ihrer Not; und sogleich bekleidete ich den einen von ihnen mit dem Zobelpelz und den anderen mit dem Fehpelz. Dann führte ich sie ins Badehaus, und dorthin sandte ich für jeden von beiden eine Gewandung, wie sie sich für einen Kaufherrn ziemt, der tausend Säcke Goldes besitzt. Nachdem sie gebadet hatten, legte ein jeder seine Gewänder an, und ich führte sie in mein Haus; dort sah ich, daß sie fast verhungert waren, und so brachte ich ihnen einen Tisch voll Speisen. Sie aßen, und ich aß mit ihnen, indem ich ihnen freundlich zusprach und sie tröstete.' Wiederum wandte er sich an die beiden Hunde und sprach zu ihnen: ,Ist das nicht so geschehen, meine Brüder?' Und beide ließen die Köpfe hängen und senkten ihre Augen zu Boden. Dann fuhr der Statthalter fort: ,O Stellvertreter Allahs, darauf befragte ich sie, indem ich zu ihnen sprach: ,Wie ist euch dies widerfahren? Und wo sind eure Güter?' Sie gaben zur Antwort: ,Wir fuhren den Fluß hinauf und kamen dann in eine
Stadt, die Kufa heißt; dort verkauften wir das Stück Zeug, das uns einen halben Dinar gekostet hatte, um zehn Dinare, und das, was uns einen Dinar gekostet hatte, um zwanzig Dinare. So hatten wir großen Gewinn und kauften von persischen Stoffen das Stück Seide um zehn Dinare, während es in Basra vierzig Dinare gilt. Weiter kamen wir in eine Stadt, die el-Karch heißt; und auch dort verkauften und kauften wir und erzielten viel Gewinn, so daß wir großen Reichtum unser eigen nannten.' In dieser Weise zählten sie mir die Orte und die Gewinne auf, bis ich zu ihnen sprach: ,Da ihr all dies gute Glück erlebtet, wie kommt es denn, daß ich euch nackt heimkehren seher' Sie seufzten und sprachen: ,Lieber Bruder, ein böses Auge muß uns getroffen haben, und auf das Reisen ist kein Verlaß. Nachdem wir all das Geld und Gut zusammengebracht hatten, beluden wir unser Schiff mit unserer Habe und fuhren auf See in der Absicht, nach der Stadt Basra heimzukehren. Wir waren schon drei Tage gefahren, da, am vierten Tage, sahen wir, wie das Meer sich senkte und bäumte, tobte und schäumte, raste und wild bewegt war und von tosenden Wogen erregt war, und wie aus den Wellen Funken sprühten, die gleich Feuer erglühten. Die Winde kehrten sich wider uns, und unser Schiff ward gegen ein Felsenriff geworfen; da zerbrach es, und wir gingen unter. Alles, was wir besaßen, versank im Meere; doch wir selbst rangen einen Tag und eine Nacht auf der Oberfläche des Wassers, bis Allah uns ein anderes Schiff sandte und wir von dessen Mannschaft aufgenommen wurden. Danach zogen wir bettelnd von Stadt zu Stadt, indem wir von dem lebten, was uns durch das Betteln zuteil ward, und wir erduldeten große Mühsal. Wir legten sogar unsere Kleider eins nach dem andern ab und verkauften sie, um uns zu ernähren, bis wir unsWenn eines Mannes Haupt vom Tod gerettet wird, Dann ist doch Geld und Gut dem Span des Nagels gleich.' |
Und ich fuhr fort: ,Liebe Brüder, wir wollen annehmen, unser Vater sei erst heute gestorben und uns all dies Gut hinterlassen, das ich jetzt besitze; denn ich bin gern dazu bereit, daß wir es unter uns gleichmäßig verteilen.' So ließ ich denn zum zweiten Male einen Erbteiler von seiten des Kadis kommen und zeigte ihm meine ganze Habe; er teilte unter uns, und ein jeder von uns erhielt ein Drittel des Ganzen. Dann sprach ich zu den beiden: ,Liebe Brüder, Allah segnet dem Menschen sein täglich Brot, wenn er im eigenen Lande bleibt. Drum möge jeder von euch beiden einen Laden auftun und darin bleiben, um Handel zu treiben; und wenn einem im geheimen Ratschluß etwas vorherbestimmt ist, so muß er es auch gewinnen.' Darauf half ich jedem der beiden, einen Laden zu eröffnen, und füllte ihn mit Waren, indem ich zu ihnen sprach: ,Verkaufet und kaufet; doch behaltet euer Geld und gebt nichts davon aus; denn alles, was ihr an Speise und Trank und sonst noch nötig habt, soll euch von mir zuteil werden!' Und von
da ab sorgte ich für ihre Bewirtung; beide pflegten den Tag über Handel zu treiben und am Abend zu kommen, um in meinem Hause zu übernachten, und ich duldete nicht, daß sie etwas von ihrem Gelde ausgaben. Aber sooft ich bei ihnen saß, um zu plaudern, priesen sie die Wanderschaft und schilderten ihre Freuden und beschrieben, welche Gewinne ihnen beiden durch sie zuteil geworden seien; denn sie wollten mich dazu reizen, daß ich mich mit ihnen entschlösse, in die Ferne zu fremden Völkern zu ziehen.' Dann sprach er zu den Hunden: ,Ist es nicht so geschehen, meine Brüder?' Da ließen sie die Köpfe hängen und senkten ihre Augen zu Boden, um seine Worte zu bestätigen. Und weiter erzählte er: ,O Stellvertreter Allahs, so fuhren sie fort, mich zu verlocken, mir all den großen Gewinn und Nutzen in der Fremde vorzuhalten und mich aufzufordern, mit ihnen zu reisen, bis ich schließlich zu ihnen sprach: ,Es bleibt mir nichts anderes übrig, als daß ich mit euch reise, euch zu Gefallen.' Dann schloß ich mit ihnen Teilhaberschaft, und wir brachten kostbare Stoffe von allen Arten zusammen, mieteten ein Schiff und beluden es mit den Kaufmannsgütetn; auch brachten wir auf jenes Schiff alles, dessen wir sonst bedurften. Darauf segelten wir von der Stadt Basra hinaus auf das tosende Meer mit den brandenden Wogen ringsumher, in dem jeder, der hineinfährt, verloren ist, und jeder, der hinausfährt, wie neugeboren ist. Ohne Aufenthalt fuhren wir dahin, bis wir zu einer Stadt kamen, in der wir verkaufen und kaufen konnten; und dort erwuchs uns großer Gewinn. Von dort fuhren wir zu einer anderen Stadt, und so segelten wir immer weiter von Land zu Land und von Stadt zu Stadt, indem wir Handel trieben und Gewinn erzielten, ja, unser Besitz ward groß, denn reicher Gewinn fiel uns in den Schoß. Schließlich kamen wir zu einem Berge, und dort warf der Kapitän die Anker aus und sprach zu uns: ,Ihr Fahrgäste, geht an Land, auf daß euch dieser Tag' erspart bleibe; sucht dort, vielleicht werdet ihr Trinkwasser finden!' Da gingen alle, die auf dem Schiffe waren, an Land, und auch ich verließ mit ihnen das Schiff; und während wir nun nach dem Trinkwasser suchten, schlug ein jeder von uns eine andere Richtung ein. Ich selbst stieg auf den Gipfel des Berges, und als ich dort umherging, erblickte ich plötzlich eine weiße Schlange, die eilig flüchtete, und hinter ihr einen schwarzen Drachen, der ihr nacheilte; der war von häßlicher Gestalt und furchtbar anzuschauen. Der Drache holte sie bald ein und trieb sie in die Enge; dann packte er sie am Kopfe und wand seinen Schwanz um ihren Schwanz. Da schrie sie auf, und ich erkannte, daß er sie vergewaltigen wollte. Ich hatte Mitleid mit ihr, und so nahm ich einen Feuerstein auf, der fünf Pfund wog oder noch mehr, und schleuderte ihn auf den Drachen. Er traf seinen Kopf und zerschmetterte ihn. Doch ehe ich mich dessen versah, verwandelte sich jene Schlange und ward zu einer jungen Maid, strahlend von Schönheit und Lieblichkeit, Anmut und Vollkommenheit und des Wuchses Ebenmäßigkeit, als wäre sie der leuchtende Vollmond. Sie trat auf mich zu, küßte mir die Hand und sprach zu mir: ,Allah schütze dich zwiefach; er schütze dich vor der Schande in dieser Welt und vor dem Feuerbrande in jener Welt am Tage der großen Auferstehung, dem Tage, an dem weder Gut noch Söhne helfen und nur der besteht, der reinen Herzens zu Allah kommt!"Dann fuhr sie fort: ,O Sterblicher, du hast meine Ehre geschützt, und ich bin in deiner Schuld für diese gute Tat; deshalb ist es auch meine Pflicht, dich einst zu belohnen.' Darauf machte sie mit derWie manche der Nächte verbracht ich in Kummer. Der selbst einem Säugling die Haare wohl bleicht! Doch ehe der Schimmer des Morgens noch nahte, War Hilfe von Allah und Sieg schon erreicht! |
Als aber der Morgen sich erhob und die Welt mit seinen leuchtenden Strahlen durchwob, erblickten wir einen hohen Berg. Und wie wir jenen Berg sahen, waren wir hoch erfreut über unser Glück. Wir fuhren also an den Berg heran, und dann sprach der Kapitän: ,Ihr Leute, geht an Land und laßt uns nach Trinkwasser suchen!' Nachdem wir alle an Land gegangen
waren, suchten wir nach Wasser, aber wir fanden dort keins, so daß von neuem drückende Sorge uns befiel wegen des Wassermangels. Ich selbst aber stieg auf den Gipfel jenes Berges hinauf, und da gewahrte ich auf der anderen Seite ein weites rundes Tal, das etwa eine Stunde oder mehr entfernt war. Ich rief meine Gefährten, und sie kamen auf mich zu. Wie sie dann bei mir waren, sprach ich zu ihnen: ,Schaut jenes runde Tal dort hinter dem Berge. Ich sehe in ihm eine Stadt, deren Bau sich in große Höhe streckt und die ihre Mauern bis in den Himmel reckt, von Wällen und Türmen umkränzt, von Hügeln und Wiesen umgrenzt; dort fehlt es sicher nicht an Wasser und guten Dingen. Drum auf, laßt uns in diese Stadt gehen und von dort Wasser holen; laßt uns auch alles kaufen, was wir an Wegzehrung, Fleisch und Früchten nötig haben, und dann zurückkehren!' Doch sie sprachen: ,Wir fürchten, daß die Bewohner jener Stadt Ungläubige sind, die Allah Gefährten geben und in Feindsch gegen den wahren Glauben leben; die könnten uns ergreifen, so daß wir Gefangene in ihrer Gewalt wären, oder uns gar umbringen, so daß wir unseren eigenen Tod verschulden würden; dann stürzen wir uns selbst in Gefahren und treiben ein schlimmes Gebaren. Preis für Verblendung ist eine Verschwendung, da sie sich immer in Gefahr durch Unheil wagt, wie ja auch ein Dichter darüber sagt:Denn solang die Erde Erde und der Himmel Himmel ist, Soll man nie Verblendung rühmen, wenn sie auch erfolgreich ist. |
Wir wollen unser Leben nicht tollkühn aufs Spiel setzen. 'Darauf sagte ich zu ihnen: ,Ihr Leute, ich habe keine Gewalt über euch; aber ich will meine Brüder mitnehmen und mich in diese Stadt begeben.' Doch meine beiden Brüder sprachen zu mir: ,Auch wir fürchten uns davor, und wir wollen nicht mit dir gehen. So rief ich denn: ,Ich für mein Teil bin entschlossen, in diese Stadt
zu gehen. Ich vertraue auf Allah und bin mit dem zufrieden, was er mir vorherbestimmt hat. Drum wartet solange, bis ich dorthin gegangen und wieder zu euch zurückgekehrt bin! '— — «Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 982. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh des weiteren erzählte: ,Ich rief: ,Drum wartet auf mich, bis ich dorthin gegangen und wieder zu euch zurückgekehrt bin!' Dann verließ ich sie und schritt vorwärts, bis ich bei dem Tore jener Stadt ankam, und ich sah, daß es eine Stadt von wunderbarem Bau und seltsamer Anlage war; sie hatte hohe Wälle und feste Türme und ragende Burgen, ihre Tore waren aus chinesischem Eisen und waren so kunstvoll verziert, daß sie die Sinne berückten. Als ich in das Tor eingetreten war, entdeckte ich eine steinerne Bank, und dort saß auf ihr ein Mann, der an seinem Unterarm eine Kette aus Messing trug. An dieser Kette hingen vierzehn Schlüssel, und so wußte ich, daß jener Mann der Torwächter der Stadt war und daß die Stadt vierzehn Tore hatte. Ich trat an ihn heran und sprach zu ihm: ,Friede sei mit euch!' Doch er gab mir den Gruß nicht zurück, und auch als ich ihn ein zweites und ein drittes Mal grüßte, gab er mir keine Antwort. Da legte ich ihm meine Hand auf die Schulter und sprach zu ihm: ,He, du, warum erwiderst du nicht den Gruß? Schläfst du, oder bist du taub, oder bist du kein Muslim. daß du den Friedensgruß nicht erwiderst?' Doch immer noch antwortete er mir nicht und rührte sich nicht. Nun schaute ich ihn genauer an und erkannte, daß er aus Stein war. Da rief ich: ,Dies ist ein wunderbar Ding! Der Stein da ist gebildet nach der Gestalt eines Menschenkindes, und ihm fehlt nichts als die Sprache!' Dann verließ ich ihn und ging weiter in die Stadt
hinein; und als ich einen Mann auf der Straße stehen sah, trat ich zu ihm und schaute ihn an und erkannte, daß auch er aus Stein war. Immer weiter schritt ich durch die Straßen jener Stadt, und jedesmal, wenn ich einen Menschen sah, ging ich nahe an ihn heran und betrachtete ihn und fand, daß er aus Stein war. Ich traf auch eine alte Frau, und die trug auf ihrem Kopfe ein Bündel von Kleidern, das für die Wäsche bereit gemacht war; als ich mich ihr nahte und sie genauer anschaute, entdeckte ich, daß auch sie aus Stein war; ja, auch das Bündel Kleider, das sie auf dem Kopfe trug, war aus Stein. Dann trat ich in den Basar ein und sah einen Ölhändler mit gerichteter Waage, der allerlei Waren vor sich hatte, wie Käse und dergleichen; doch all das war aus Stein. Weiter sah ich all die Händler in den Läden sitzen, und ich sah auch das Volk, von dem die einen standen, die anderen saßen, Männer, Frauen und Kinder, und alle waren aus Stein. Darauf ging ich in den Basar der Kaufleute und schaute, wie ein jeder Kaufmann in seinem Laden saß und wie die Läden mit Waren jeglicher Art angefüllt waren -wiederum alles aus Stein; doch die Stoffe sahen aus wie Spinnengewebe. Ich betrachtete sie, aber jedesmal, wenn ich ein Stück von den Stoffen anfaßte, zerfiel es in meinen Händen zu feinem Staub. Ferner sah ich Truhen, und als ich eine von ihnen öffnete, fand ich darin Gold in Beuteln; da faßte ich die Beutel an, und sie zerfielen in meiner Hand, nur das Gold blieb, wie es gewesen war. Ich nahm davon mit, soviel ich tragen konnte, und ich sagte mir: ,Wenn meine Brüder bei mir wären, dann könnten sie sich von diesem Golde nehmen, soviel sie wollten, und könnten ihre Freude haben an diesen Schätzen, die herrenlos sind.' Danach trat ich in einen anderen Laden und entdeckte darin noch mehr, aber ich konnte nicht mehr tragen, als ich mir bereits aufgeladen hatte. Von jenem Basar begab ich mich in einen anderen, und von dort wieder in einen anderen, und so ließ ich meine Blicke verweilen auf den verschiedenartigen Geschöpfen, die alle aus Stein waren; ja, auch die Hunde und die Katzen waren aus Stein. Schließlich kam ich in den Basar der Goldschmiede, und dort sah ich Männer in den Läden sitzen, die ihre Waren bei sich hatten, teils in ihren Händen, teils in Körben. Als ich das sah, o Beherrscher der Gläubigen, da warf ich alles Gold, das ich bei mir hatte, fort und nahm mir von den Geschmeiden, soviel ich tragen konnte. Aus dem Basar der Goldschmiede kam ich in den Basar der Edelsteine, und dort sah ich die Juweliere in ihren Läden sitzen; vor einem jeden von ihnen stand ein Körbchen, voll von allerlei edelen Steinen, Hyazinthen und Diamanten, Smaragden und Ballasrubinen und noch anderen von jeglicher Art; die Besitzer der Läden waren aus Stein. Nun warf ich auch die Geschmeide fort, die ich bei mir trug, und ich nahm von den Edelsteinen, soviel ich zu tragen vermochte, immer noch traurig darüber, daß meine Brüder nicht bei mir waren, um auch von diesen Edelsteinen zu nehmen, soviel sie wollten. Nachdem ich den Juwelenbasar verlassen hatte, kam ich zu einem großen Tor, das vergoldet und mit den schönsten Verzierungen geschmückt war. Innerhalb des Tores standen Bänke, und auf jenen Bänken saßen Eunuchen, Kriegsmänner und Leibwächter, Mannen und Hauptleute; sie waren mit den prächtigsten Gewändern bekleidet, und alle waren aus Stein. Ich rührte einen von ihnen an, und da zerfielen die Kleider auf seinem Leibe wie Spinnengewebe. Nachdem ich durch das Tor geschritten war, erblickte ich ein Schloß, unvergleichlich in seinem Bau und in seiner kunstvollen Ausführung. In jenem Schlosse sah ich einen Staatssaal, voll von Vornehmen und Wesiren, Großen und Emiren. die auf Thronen saßen, und alle waren sie aus Stein. Ferner sah ich einen Thron aus rotem Golde, der mit Perlen und Edelsteinen eingelegt war; auf ihm saß ein Mensch, angetan mit den prächtigsten Gewändern, und auf seinem Haupte befand sich eine Krone wie die der Perserkönige, besetzt mit kostbaren Edelsteinen, deren Glanz so hell leuchtete wie das Tageslicht. Als ich an ihn herantrat, sah ich, daß auch er aus Stein war. Dann schritt ich weiter von jenem Staatssaal zum Tore des Harems, und nachdem ich dort eingetreten war, sah ich einen Staatssaal für die Frauen. Und auch in jenem Staatssaal erblickte ich einen Thron von rotem Golde, der mit Perlen und Edelsteinen eingelegt war; auf ihm saß eine Frau, eine Königin, und auf ihrem Haupte ruhte eine Krone, die mit kostbaren Juwelen besetzt war. Rings um sie waren Frauen, schön wie Monde, die auf Thronen saßen, angetan mit den prächtigsten Kleidern von allen Farben. Auch standen dort Eunuchen, die Hände auf der Brust gekreuzt, als ob sie in ihrem Dienste dort ständen. Jener Staatssaal berückte die Sinne der Beschauer durch all seinen Goldschmuck, seine wunderbaren Malereien und seine prächtige Ausstattung. Dort hingen die strahlendsten Hängelampen aus klarem Kristall, und an jeder Kristallglocke befand sich ein Edelstein, einzig in seiner Art, dessen Preis kein Geld bezahlen konnte. Nun warf ich, o Beherrscher der Gläubigen, wiederum alles fort, was ich bei mir trug, und begann mir von jenen juwelen zu nehmen; ich lud mir auf, soviel ich nur zu tragen vermochte, ratlos, was ich mitnehmen und was ich dortlassen sollte; denn mir schien es, als ob jener Raum eine Schatzkammer von ganzen Städten wäre. Darauf entdeckte ich eine kleine Tür, die offen stand, und hinter ihr eine Treppe; ich ging durch jene Tür und stieg vierzig Stufen hinauf. Dort hörte ich, wie ein Mensch mit sanfter Stimme den Koran vortrug; so ging ich denn der Richtung des Schalles nach, bis ich zur Tür des Obergemaches kam. In ihr sah ich einen seidenen Vorhang, der mit goldenen Schnüren bestickt war und auf dem sich Perlen und Korallen, Rubinen und geschnittene Smaragde aneinanderreihten, lauter Edelsteine, die gleichwie Sterne glitzerten. Die Stimme nun klang hinter jenem Vorhang her; darum trat ich an den Vorhang heran und hob ihn, und dort zeigte sich vor meinem Blick eine vergoldete Zimmertür, deren Schönheit die Gedanken verwirrte. Ich trat durch jene Tür ein und erblickte ein Gemach, das einer Schatzkammer auf der Erdoberfläche glich; und darin befand sich eine Jungfrau, so schön wie der leuchtende Sonnenball mitten im klaren Weltenall. Sie war in die prächtigsten Gewänder gekleidet und mit dem kostbarsten Geschmeide geschmückt, das es nur geben konnte; dazu war sie herrlich an Schönheit und Lieblichkeit in des Wuchses Ebenmäßigkeit und an Anmut und Vollkommenheit. Ihr Leib war schlank und zart, schwer waren die Hüften gepaart; ihr Lippentau gab dem Kranken die Gesundheit wieder, müde träumten ihre Augenlider; und es war, als ob des Dichters Sang von ihr erklang:Mein Gruß soll der Gestalt dort im Gewande gelten, Den Rosen in der Wangen Gärten auch zumal. Von ihrer Stirne hängen gleichsam die Plejaden, Als Schnur auf ihrer Brust die andren Sterne all. Wenn sie ein Kleid aus lauter zarten Rosen trüge, Ein Rosenblatt von ihrem Leibe zöge Blut. Und fiel ihr Lippentau ins Meer hinein, so schmeckte Noch süßer als der Honig jene Salzesflut. Und gäb sie ihre Huld dem alten Mann am Stabe, — Der Greis zerrisse Löwen bald in seinem Mut. |
O Beherrscher der Gläubigen, als ich jene Maid erblickte, ward ich von heißer Liebe zu ihr erfüllt; und ich näherte mich ihr und sah sie auf einem hohen Lager sitzen, wie sie das Buch
Allahs, des Allgewaltigen und Glorreichen, aus dem Gedächtnisse vortrug. Ihre Stimme war wie der Klang der Tore im Paradies, wenn Ridwân' sie öffnen hieß; die Worte fielen von ihren Lippen Juwelen gleich, und ihr Antlitz war wie leuchtende Blüten an Schönheit reich. Einer solchen Maid hat der Dichter die Worte geweiht:Die du der Menschen Herz erfreust durch Wort und Reize, Zu dir hin zieht mich stets der Sehnsucht Allgewalt. Zwei Dinge sind in dir, die jeden Mann der Liebe Erweichen: Davids Sang und Josephs Wohlgestalt! |
Ihrer Stimme, die den erhabenen Koran vortrug, lauschte ich von fern; und mein Herz, getroffen von ihren tödlichen Blicken, sprach: ,Friede, ein Wort von einem erbarmungsreichen Herrn!"Doch mein Mund brachte die Worte nur stammelnd heraus, und ich sprach den Friedensgruß nicht in schöner Weise aus, da Verwirrung mir in Geist und Auge drang, und ich war, wie einst der Dichter sang:
Mein stammelnd Wort verrät die Sehnsucht. die mich schüttelt; Mein Blut zu lassen, tret ich in das Heiligtum. Und wenn ich je ein Wort von unsren Tadlern höre, Bekenne ich in Worten. meinem Lieb zum Ruhm. |
Dann wappnete ich mich wider die Qualen der Sehnsucht und sprach zu der Maid: ,Friede sei mit dir, wohlbehütete Herrin mein, du wohlverwahrter Edelstein, Allah gebe den Pfeilern deines Glücks eine lange Dauer von Tagen, und hoch lasse er die Säulen deines Ruhmes ragen!' Darauf erwiderte sie: ,Auch von mir aus seien dir Frieden und Gruß und Ehrung beschieden, o 'Abdallâh. o Sohn des Fâdil! Sei mir willkommen, herzlich willkommen, mein Geliebter, du Trost meiner Augen!' Doch ich fuhr fort: ,Meine Gebieterin, woher weißt du men.
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 983. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh des weiteren
erzählte: ,Die Tochter des Königs der steinernen Stadt sprach: ,Sieh, 'Abdallâh, mein Vater besaß an Geld und Schätzen so viel, wie kein Auge je gesehen und kein Ohr je gehört hat. Er bezwang die Könige und pflegte die Helden und Recken im Kampf auf dem Blachgefild niederzustrecken, so daß die Gewaltigen in Furcht vor ihm schwebten und selbst die Perserkönige in Demut vor ihm lebten. Doch bei alledem war er ein Ungläubiger, der den Dienst anderer Götter neben Allah lehrte und statt seines wahren Herren Götzen verehrte: und auch alle seine Heerscharen waren Ungläubige und dienten den Götzen mit Fleiß, an Stelle des Königs, der alles weiß. Eines Tages aber, als er auf dem Throne seines Reiches saß, umgeben von den Großen des Landes, begab es sich, ehe er sich dessen versah, daß die Gestalt eines Mannes eintrat, der durch das Licht seines Antlitzes den ganzen Staatssaal erleuchtete. Mein Vater blickte ihn an und sah, daß er ein grünes Gewand trug; er war hochgewachsen, und seine Hände reichten ihm bis unter die Kniee herunter; sein Anblick flößte Ehrfurcht und heilige Scheu ein, und das Licht erstrahlte aus seinem Antlitz. Der sprach zu meinem Vater: ,O du verstockter Sünder, wie lange noch willst du in verblendetem Trotz die Götzen anbeten und die Verehrung des allwissenden Königs mit Füßen treten? Sprich: ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah, und ich bezeuge, daß Mohammed sein Knecht und Gesandter ist! Werde Muslim, du mit deinem Volke; und tu den Götzendienst von dir ab; denn in ihm ist kein Nutzen und kein Heil! Wahre Anbetung gebührt nur Allah, der ohne Säulen die Himmel hoch oben weitete und aus Gnade gegen Seine Diener die Länder ausbreitete!' Darauf erwiderte mein Vater: ,Wer bist du, o Mann, daß du den Göttern die Anbetung versagst und solche Reden zu führen wagst? Fürchtest du dich nicht vor der Götter Zorngericht?' Doch der Mann fuhr fort: ,Die Götter sind nur Steine, deren Zorn mir nicht schadet und deren Huld mir nicht nützt. Bring mir deinen Gott, den du verehrst, und befiehl, daß ein jeder in deinem Volke seinen Gott herbeibringe! Wenn alle eure Götter da sind, so betet zu ihnen, daß sie mir zürnen. Ich aber will zu meinem Herrn beten, daß er ihnen zürne; und dann werdet ihr des Unterschiedes zwischen dem Zorn des Schöpfers und dem Zorn des Geschöpfes gewahr werden. Denn eure Götter habt ihr euch selbst gemacht, und die Teufel hausen in ihnen; ja, sie sind es, die aus dem Bauche der Götzenbilder sprechen. Eure Götter sind nur geschaffene Dinge, aber mein Gott ist ein Schöpfer, und Ihm ist kein Ding unmöglich. Wenn das Wahre sich euch offenbart, so folget ihm; und wenn das Falsche euch kund wird, so lasset von ihm.' Da riefen die Leute: ,Gib uns einen Beweis für deinen Herrn, daß wir ihn sehen!' Doch er sprach: ,Gebt ihr mir Beweise für eure Herren!' Nun befahl der König, ein jeder, der ein Götterbild als Herren anbete, solle es bringen; darauf brachten alle die Heerscharen ihre Götzen in den Staatssaal. Das geschah damals bei ihnen.Ich aber saß derweilen hinter einem Vorhang verborgen, doch so, daß ich in den Staatssaal meines Vaters hinabschauen konnte; und ich hatte einen Götzen aus grünem Smaragd, der so groß war wie ein Mensch. Mein Vater verlangte nach ihm, und so sandte ich ihn zu ihm in den Staatssaal hinunter. Dort setzte man ihn neben den Götzen meines Vaters. Der Götze meines Vaters aber war aus Hyazinth, während der Götze des Wesirs aus Diamant war. Von den Götzen der Großen des Heeres und der Untertanen waren die einen aus Ballasrubin. die anderen aus Karneol, wieder andere aus Korallen oder Komoriner Aloeholz, noch andere aus Ebenholz oder aus Silber
oder aus Gold; denn ein jeder hatte einen Götzen, je nachdem sein Besitz es ihm gestattete. Das gemeine Volk unter den Kriegern und die Untertanen hatten Götzenbilder teils aus Feuerstein, teils aus Holz, teils aus Ton oder aus Lehm. Und alle die Bilder waren von verschiedenen Farben, gelb oder rot, grün, schwarz oder weiß. Da sprach jener Mann zu meinem Vater: ,Bete zu deinem Gott und zu diesen anderen Göttern. daß sie mir zürnen!' Und man reihte jene Götzen auf wie eine Staatsversammlung, indem man den Gott meines Vaters auf einen goldenen Thron an den Ehrenplatz setzte und meinen Gott daneben; all die anderen Götzen wurden nach dem Range ihrer Besitzer, die sie anbeteten, aufgestellt. Nun erhob sich mein Vater, warf sich vor seinem Gott nieder und sprach zu ihm: ,O mein Gott, du bist der gütige Herr, und unter den Göttern ist keiner größer als du. Du weißt, daß dieser Mann zu mir gekommen ist, um deine Gottheit zu beschimpfen und dich zu verspotten. Und er behauptet, er habe einen Gott, der stärker sei als du, und er gebietet uns, von deinem Dienst abzulassen und seinen Gott zu verehren. Darum ergrimme wider ihn, o mein Gott!' So flehte er zu dem Götzen, aber der Götze gab ihm keine Antwort, ja, er sprach kein Wort zu ihm. Dann fuhr mein Vater fort: ,Mein Gott. dies ist doch sonst nicht deine Art. Du pflegtest mir zu antworten, wenn ich zu dir sprach. Was ist mir, daß ich sehen muß, wie du schweigst und nicht redest? Bist du unachtsam, oder schläfst du? So wach doch auf und hilf mir und gib mir Antwort!' Darauf schüttelte er den Götzen mit seiner Hand; aber der sprach nicht und rührte sich nicht von seiner Stelle. Nun sagte jener Mann zu meinem Vater: ,Warum sehe ich, daß dein Gott nicht redet?' Und der König erwiderte: ,Mich deucht, er ist unachtsam oder schläft.' Doch der Fremde sprach zu ihm: ,O du Feind Allahs, wie kannst du einen Gott anbeten, der nicht spricht und der über nichts Macht hat? Warum verehrst du nicht meinen Gott, der stets in der Nähe weilt und gnädige Antwort erteilt, der allgegenwärtig ist und nie in die Ferne enteilt, der nie unachtsam ist und den kein Schlummer bezwingt, und zu dem empor keine Vorstellung dringt, der da sieht und nicht gesehen wird und über alle Dinge mächtig ist? Dein Gott ist machtlos, und er vermag keinen Schaden von sich abzuwehren; ein verfluchter Satan hat sich in ihn gekleidet, und der führt dich in die Irre und täuscht dich. Aber jetzt ist der Satan entwichen; drum verehre Allah und bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Ihm, daß keiner verehrt werden darf neben Ihm und daß niemand der Anbetung würdig ist außer Ihm, und daß es nichts Gutes gibt als das, was da kommt von Ihm. Aber was diesen deinen Gott betrifft, so kann er sich selbst vor keinem Übel schützen; wie könnte er denn dich davor schützen? Sieh jetzt mit deinen eigenen Augen seine Ohnmacht!' Und nun trat er heran und versetzte dem Götzen einen Schlag auf den Nacken, so daß er zu Boden fiel. Der König aber ergrimmte und rief den Umstehenden zu: ,Dieser Frevler hat meinen Gott geschlagen; drum tötet ihn!' Da wollten sie sich erheben, um ihn zu erschlagen, aber keiner von ihnen vermochte sich von der Stelle zu rühren. Dann bot der Mann ihnen den Islam dar; doch als sie ihn nicht annahmen, sprach er: ,Jetzt will ich euch den Zorn meines Herren zeigen.' ,Zeige ihn uns nur!' riefen jene; und er breitete seine Hände aus und betete: ,Mein Herr und mein Gott, du bist es, bei dem mein Vertrauen und meine Hoffnung steht, erhöre du mein Gebet wider dies sündige Volk, das von deinem Gute zehrt, aber andere als dich verehrt! Der du die Wahrheit bist, o Herr der Macht, du Schöpfer des Tages und der Nacht, ich bitte dich, verwandle diese Leute in Steine! Denn du bist allmächtig, nichts ist dir unmöglich, und du hast Gewalt über alle Dinge.' Da verwandelte Allah die Leute dieser Stadt in Steine. Ich aber ward, als ich seinen Beweis sah, Muslimin vor dem Angesichte Allahs, und so ward ich vor dem Unheil bewahrt, das sie traf. Darauf trat jener Mann an mich heran und sprach: ,Dir bestimmte Allah im voraus die Seligkeit, und darin hielt Er ein Ziel bereit.' Dann unterwies er mich, und ich leistete ihm Eid und Gelöbnis; damals war ich sieben Jahre alt, und jetzt habe ich das Alter von dreißig Jahren erreicht. Und damals sprach ich zu ihm: ,Mein Gebieter, alles, was in der Stadt ist, und alle ihre Einwohner sind durch dein frommes Gebet zu Stein geworden. Ich aber bin gerettet, weil ich durch dich den Islam angenommen habe; und da du nun mein Scheich geworden bist, so nenne mir deinen Namen und leih mir deine Hilfe und gewähre mir etwas, durch das ich mein Leben fristen kann!' Er gab mir zur Antwort: ,Mein Name ist Abu el-'Abbâs el-Chidr'; und er pflanzte mir einen Granatapfelbaum mit eigener Hand. Der wuchs und trieb Blätter und blühte und trug einen Granatapfel zur selbigen Stunde. Dann sprach er: ,Iß von dem, was Allah der Erhabene dir zur Nahrung beschert, und diene ihm, wie es ihm gebührt!' Und weiter lehrte er mich die Vorschriften des Islams und die Vorschriften des Gebets und den Weg der Anbetung; auch lehrte er mich, den Koran vorzutragen. Nun diene ich Allah an dieser Stätte seit dreiundzwanzig Jahren, und an jedem Tage trägt mir dieser Baum einen Granatapfel, und den esse ich, und durch ihn ernähre ich mich von einem Tag zum andern. An jedem Freitag kommt el-Chidr -Heil sei über ihm! — zu mir, und er ist es. der mich mit deinem Namen bekannt gemacht und mir die frohe Botschaft gebracht hat, daß du zu mir an diese Stätte kommen würdest. Dabei sprach er zu mir: ,Wenn er zu dir kommt, so nimm ihn ehrenvoll auf; gehorche seinem Geheiß und handle ihm nicht zuwider; du sollst ihm eine Gattin sein, und er werde der Gatte dein; geh mit ihm, wohin er will.' Und als ich dich sah, erkannte ich dich; und dies ist die Geschichte dieser Stadt und ihrer Bewohner. Das ist alles!'Darauf zeigte sie mir den Granatapfelbaum, an dem eine einzige Granate hing; sie aß eine Hälfte davon und gab mir die andere zu essen, und nie habe ich etwas gekostet, das so süß und zart und schmackhaft war wie jener Granatapfel. Dann sprach ich zu ihr: ,Willigst du in das ein, was dein Scheich el-Chidr -Heil sei über ihm! —dir aufgetragen hat, nämlich darin, daß du mir zur Gattin werdest und daß ich dein Ehgemahl sei, und daß du mit mir in mein Land ziehest, damit ich mit dir in der Stadt Basra leben kann?' ,Jawohl,' erwiderte sie, ,so Allah der Erhabene will; ich höre auf dein Wort und gehorche deinem Geheiß ohne Widerspruch.' So nahm ich denn Eid und Gelöbnis von ihr hin, und sie führte mich in die Schatzkammer ihres Vaters; daraus entnahmen wir, soviel wir zu tragen vermochten. Dann verließen wir jene Stadt und schritten weiter, bis wir zu meinen Brüdern kamen, die ich nach mir suchen sah. Sie sprachen zu mir: ,Wo bist du gewesen? Du bist lange von uns fortgeblieben, und unsere Herzen waren in Sorge um dich.' Der Kapitän des Schiffes aber sprach zu mir: ,Kaufmann 'Abdallâh, der Wind ist uns schon lange günstig gewesen, und du hast uns an der Abfahrt gehindert.' Ich gab ihm zur Antwort: ,Darin liegt kein Schaden; oft bringt der Aufschub Gewinn, und mein Ausbleiben trug nur Vorteil ein; dadurch ist mir das Ziel meiner Hoffnungen gelungen, und wie vortrefffich hat der Dichter gesungen:
Wenn ich nach einem Lande zieh und Gutes suche, So weiß ich niemals, was von beiden mir dort naht: |
Ob es das Gute ist, das ich im Sinne habe: Ob es das Böse ist, das mich im Sinne hat. |
Dann sprach ich zu ihnen: ,Seht, was mir zuteil geworden ist, während ich jetzt abwesend war!' Und ich zeigte ihnen die Schätze, die ich bei mir trug, und erzählte ihnen, was ich in der steinernen Stadt erlebt hatte, indem ich mit den Worten schloß: ,Wenn ihr auf mich gehört hättet und mit mir gegangen wäret, so hättet ihr viel von diesen Dingen gewonnen. — —«
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 984 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh ibn Fâdil des weiteren erzählte: ,Ich sprach zu meinen Gefährten und zu meinen Brüdern: ,Wenn ihr mit mir gegangen wäret, so hättet ihr viel von diesen Dingen gewonnen.' Doch sie erwiderten mir: ,Bei Allah, wären wir mitgegangen, so hätten wir es doch nicht gewagt, zu dem König der Stadt einzutreten.' Und ich sagte zu meinen Brüdern: ,Macht euch keine Sorgen! Was ich bei mir habe, genügt für uns alle; dies war uns bestimmt.' Darauf teilte ich meinen Gewinn nach Maßgabe unserer Zahl: ich gab meinen beiden Brüdern und dem Kapitän je einen Teil und behielt für mich so viel, wie je einer von ihnen empfangen hatte. Ein weniges gab ich auch den Dienern und den Seeleuten, und die freuten sich und segneten mich. Alle waren mit dem zufrieden, was ich ihnen gab, nur meine beiden Brüder nicht; denn sie sahen mit einem Male ganz verändert aus, und ihre Augen blickten unstet. Daraus ersah ich, daß die Gier über sie Gewalt gewonnen hatte, und ich sprach zu ihnen: ,Meine Brüder, mich deucht, was ich euch gegeben habe, hat euch nicht befriedigt. Aber ich bin ja euer
Bruder, und ihr seid meine Brüder, und es ist kein Unterschied zwischen mir und euch. Mein Gut und euer Gut sind einunddasselbe; und wenn ich sterbe, soll mich kein anderer beerben als nur ihr beide.' So sprach ich ihnen in Güte zu. Dann führte ich auch die Maid an Bord der Galeone und geleitete sie in die Kabine; darauf sandte ich ihr etwas zu essen und setzte mich nieder, um mit meinen Brüdern zu plaudern. Sie fragten mich: ,Bruder, was willst du mit dieser wunderschönen Jungfrau tun?' Und ich erwiderte ihnen: ,Ich will mit ihr den Ehevertrag schließen, sobald ich wieder in Basra bin, und dann will ich eine große Hochzeit feiern und dort zu ihr eingehen.' Der eine von beiden rief: ,Bruder, diese junge Herrin ist von wunderbarer Schönheit und Anmut, und mein Herz ist von Liebe zu ihr ergriffen; darum wünsche ich, du mögest sie mir geben, auf daß ich mich mit ihr vermähle.' Und der andere rief: .Auch mich verlangt nach ihr; gib sie mir, daß ich mich mit ihr vermählen kann.' ,Liebe Brüder,' erwiderte ich ihnen, ,sie hat mir Eid und Gelöbnis abgenommen, daß ich mich selber mit ihr vermähle; wenn ich sie also einem von euch beiden gebe, so verletze ich den Bund, der uns beide vereint, und vielleicht würde ihr dann das Herz brechen. Denn sie ist nur unter der Bedingung mit mitgekommen, daß sie meine Gemahlin wird. Wie kann ich sie da einem anderen vermählen? Wenn ihr sie liebt, so liebe ich sie noch mehr als ihr; denn sie ist ein Geschenk des Himmels für mich. Daß ich sie einem von euch geben sollte, ist etwas, das nie und nimmer geschehen kann; aber wenn wir wohlbehalten in der Stadt Basra eingetroffen sind, so will ich mich für euch nach zwei von den besten Töchtern Basras umsehen und will um sie für euch werben und die Brautgabe aus meinem eigenen Gelde bezahlen. Dann will ich ein einziges Hochzeitsfest rüsten, und wir wollen alle drei in derselben Nacht zu unseren Frauen eingehen. Also lasset ab von dieser Maid; denn sie ist mir vom Schicksal bestimmt!' Beide schwiegen, und ich glaubte, daß sie mit dem, was ich gesagt hatte, zufrieden wären. Wir setzten also unsere Fahrt nach dem Lande von Basra fort, während ich der Prinzessin immer Speise und Trank zusandte, so daß sie die Kabine des Schiffes nie verließ; ich schlief aber mit meinen Brüdern auf dem Deck der Galeone. So fuhren wir ohne Aufenthalt vierzig Tage dahin, bis uns die Stadt Basra in Sicht kam; wir waren erfreut, daß wir uns ihr näherten, und ich vertraute auch meinen Brüdern und fühlte mich ganz sicher im Gedanken an sie. Aber niemand kennt das Verborgene außer Allah dem Erhabenen! Ich legte mich also an jenem Abend zur Ruhe nieder; doch als ich in festen Schlaf versunken war, wurde ich plötzlich, ehe ich mich dessen versah, von den Händen dieser meiner beiden Brüder hochgehoben; der eine hatte mich an den Beinen gepackt und der andere an den Händen. Denn die beiden hatten sich verabredet, mich im Meere zu ertränken, damit sie jene Jungfrau gewönnen. Wie ich mich nun von ihren Händen hochgehoben sah, rief ich: ,Meine Brüder, weshalb tut ihr mir dies an?' Sie erwiderten: ,O du frecher Tor, wie kannst du um eines Mädchens willen unsere Freundschaft verscherzen? Dafür wollen wir dich ins Meer werfen.' Und dann warfen sie mich über Bord.' Nun wandte 'Abdallâh sich wieder zu den beiden Hunden und fragte sie: ,Ist dies wahr, meine Brüder, oder nicht?' Sie senkten ihre Köpfe zu Boden und begannen zu winseln, als ob sie seine Worte bestätigen wollten; darüber staunte der Kalif. Doch der Statthalter fuhr fort: ,O Beherrscher der Gläubigen, als sie mich so ins Meer geworfen hatten, sank ich bis auf den Grund hinab. Aber das Wasser trug mich wieder zur Oberfläche des Meeres empor, und ehe ich mich 543 dessen versah, stieß ein mächtiger Vogel, so groß wie ein Mensch, auf mich nieder, ergriff mich und schwebte mit mir hoch in den Luftraum empor. Wie ich meine Augen auftat, fand ich mich in einem Schlosse, dessen Bau sich in große Höhe reckte und seine Mauern bis in den Himmel streckte, und das ein Schmuck von prächtigen Malereien und Gehängen mit Edelsteinen aller Arten und Farben bedeckte. Darin standen Mädchen, die ihre Hände auf der Brust gekreuzt hatten; und in ihrer Mitte saß eine Herrin auf einem goldenen Throne, der mit Perlen und Juwelen besetzt war. Sie trug Gewänder, vor denen kein Sterblicher die Augen öffnen konnte wegen des Strahlenglanzes der Juwelen; um ihre Hüften lag ein Juwelengürtel, dessen Wert kein Geld bezahlen konnte, und auf ihrem Haupte ruhte eine dreigliedrige Krone, die Sinn und Verstand berückte und Herz und Auge entzückte. Der Vogel aber, der mich entführt hatte, schüttelte sich und ward zu einer Jungfrau, die der strahlenden Sonne glich. Als ich die genauer anschaute, erkannte ich in ihr plötzlich jene, die auf dem Berge in Gestalt einer Schlange gewesen war, sie, mit der jener Drache gekämpft und um die er seinen Schwanz gewunden hatte und die ich befreit hatte, da ich den Drachen mit einem Steine tötete, als ich sah, daß er Macht und Gewalt über sie gewann. Nun sprach zu ihr die Herrin, die auf dem Throne saß: ,Weshalb hast du diesen Sterblichen hierher gebrachte' Sie gab ihr zur Antwort: ,Mutter, dies ist der Mann, dem ich es verdanke, daß meine Ehre unter den Töchtern der Geister geschützt wurde.' Dann fragte sie mich: ,Weißt du, wer ich bin?' ,Nein', erwiderte ich; und sie fuhr fort: ,Ich bin jene, die auf demunddem Berge war; damals kämpfte der schwarze Drache mit mir und wollte meine Ehre schänden, aber du tötetest ihn.' Darauf sagte ich: ,Ich habe nur eine weiße Schlange bei dem Drachen gesehen.' Und dann erzählte sie: ,Ich war die weiße Schlange; aber ich bin die Tochter des Roten Königs, des Königs der Geister, und mein Name ist Sa'îda. Die dort sitzt, ist meine Mutter, und sie heißt Mubâraka, die Gemahlin des Roten Königs. Und der Drache, der mit mir kämpfte und meine Ehre schänden wollte, war der Wesir des Schwarzen Königs; er hieß Darfîl, und er war ein häßliches Geschöpf. Es begab sich einmal, daß er mich sah und von Liebe zu mir erfüllt wurde; dann warb er um mich bei meinem Vater. aber mein Vater ließ ihm sagen: ,Was bist denn du, o Abschaum der Wesire, daß du dich mit Königstöchtern vermählen willst? Darüber ward er zornig, und er schwor einen Eid, er wolle meine Ehre schänden; und dann lief er meiner Spur nach und verfolgte mich, wohin ich nur ging, in der Absicht, mir die Ehre zu rauben. Darauf entstanden zwischen ihm und meinem Vater heftiger Streit und viel bitteres Leid; aber mein Vater vermochte ihn nicht zu bezwingen, da er wild und voll Lug und Trug war, und sooft mein Vater ihn bedrängte und im Begriffe war, sich seiner zu bemächtigen, entschlüpfte er ihm, bis mein Vater schließlich ratlos war. Ich aber nahm von Tag zu Tage eine andere Gestalt und Farbe an, allein sooft ich mich in eine Gestalt verwandelte, nahm er die Gegengestalt an, und sooft ich in ein anderes Land floh, witterte er mich und folgte mir in jenes Land, so daß ich durch ihn große Qual erlitt. Schließlich nahm ich die Gestalt einer Schlange an und begab mich auf jenen Berg; er jedoch verwandelte sich in einen Drachen und verfolgte mich dorthin. Da kam ich in seine Gewalt, und wir rangen miteinander, bis er mich ermüdet hatte und schon auf mich stieg, um mit mir zu tun, wonach ihn gelüstete. Aber da kamst du und trafst ihn mit dem Steine und tötetest ihn. So verwandelte ich mich wieder in ein Mädchen und zeigte mich dir und sprach zu dir: ,Ich schulde dir für deine Wohltat Dank, der nur bei Bastarden verloren geht.' Als ich nun sah, daß deine Brüder solche Tücke an dir begingen und dich ins Meer warfen, eilte ich zu dir und errettete dich vor dem Verderben; und nun gebührt dir Ehre auch von meiner Mutter und von meinem Vater.' Dann fuhr sie fort: ,Liebe Mutter, ehre ihn zum Dank dafür, daß er meine Ehre geschützt hat.' Und die Königin sprach: ,Willkommen, Sterblicher! Da hast eine gute Tat an uns vollbracht, für die dir Ehre gebührt.' Darauf befahl sie, mir eine Gewandung wie aus einem Schatzhause zugeben, die sehr viel Geld wert war; auch schenkte sie mir eine Menge von Juwelen und Edelsteinen. Dann sprach sie: ,Nehmt ihn und führt ihn zum König hinein!' Da nahm man mich und führte mich zum König in den Staatssaal; ich sah den Herrscher, wie er auf einem Throne saß, umgeben von den Mârids und den Geisterwächtern. Als ich ihn anschaute, wurde mein Blick geblendet durch die Fülle der Juwelen, die er an sich trug. Doch wie er mich sah, erhob er sich, und alle seine Mannen erhoben sich mit ihm, aus Ehrfurcht vor ihm. Darauf begrüßte er mich und hieß mich willkommen und erwies mir die höchsten Ehren; auch gab er mir von den kostbaren Dingen, die er bei sich hatte. Zuletzt sprach er zu einigen aus seinem Gefolge: ,Führt ihn zu meiner Tochter zurück, damit sie ihn wieder an die Stätte bringt, von der sie ihn geholt hat!' Da nahmen die Leute mich mit sich und geleiteten mich zu seiner Tochter Sa'îda; die hob mich hoch und flog mit mir und den Kleinodien, die ich erhalten hatte, auf und davon. So erging es mir damals mit Sa'îda.Inzwischen war der Kapitän der Galeone durch das Geräusch des Falles aufgewacht, als meine Brüder mich ins Meer warfen. Da rief er: ,Was ist dort ins Wasser gefallen?' Meine Brüder
aber begannen zu weinen und sich auf die Brust zu schlagen und zu rufen: ,Ach um den Verlust unseres Bruders! Er wollte über den Bordrand ein Bedürfnis verrichten und ist dabei ins Meer gefallen.' Dann legten sie Hand an mein Gut; doch wegen der Jungfrau erhob sich ein Streit zwischen ihnen, denn ein jeder von beiden sagte: ,Keiner soll sie besitzen als ich!' Und nun fuhren sie fort, miteinander zu zanken; sie dachten nicht mehr an den Bruder. noch daran, daß er ertrunken war, und ihre Trauer um ihn war zu Ende. Aber während die beiden noch in dieser Weise miteinander stritten, ließ sich Sa'îda mit mir plötzlich mitten auf der Galeone nieder.' ——«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 985. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh ibn Fâdil des weiteren erzählte: ,Während die beiden noch in dieser Weise miteinander stritten, ließ sich Sa'îda mit mir plötzlich mitten auf der Galeone nieder. Als meine Brüder mich erblickten, umarmten sie mich und taten, als ob sie über mein Kommen erfreut wären, und sie sprachen: ,Lieber Bruder, wie ist es dir in dem ergangen, was dir widerfahren ist? Unser Herz war in Sorge um dich!' Doch Sa'îda hub an: ,Wenn euer Herz um ihn besorgt gewesen wäre und ihr ihn geliebt hättet, so hättet ihr ihn nicht ins Meer geworfen, während er schlief. Jetzt aber wählt euch die Todesart aus, auf die ihr sterben wollt!' Und sie ergriff die beiden und wollte sie töten; aber die beiden schrieen auf und riefen: ,In deinen Schutz, o Bruder!' Darauf legte ich bei ihr Fürbitte ein, indem ich zu ihr sprach: ,Ich bitte dich flehentlich, töte meine Brüder nicht.' Sie erwiderte: ,Es ist nicht anders möglich, als daß sie sterben; denn sie sind Verräter.' Doch ich ließ nicht ab, ihr gut zuzureden und sie zu besänftigen,
bis sic sagte: ,Dir zuliebe will ich sie nicht töten; aber ich werde sie verzaubern.' Dann holte sie eine Schale hervor, füllte sie mit Meerwasser und murmelte unverständliche Worte darüber; und indem sie sprach: ,Verlasset die menschliche Gestalt und nehmt die Gestalt von Hunden an!' sprengte sie das Wasser auf sie. Da wurden die beiden zu Hunden, wie du sie jetzt siehst, o Stellvertreter Allahs.' Wiederum wandte er sich zu den beiden und fragte: ,Ist das wahr, was ich gesagt habe, meine Brüder?' Und sie senkten die Köpfe, als ob sie zu ihm sagen wollten: ,Du hast die Wahrheit gesprochen.' Dann fuhr er fort: ,O Beherrscher der Gläubigen, nachdem sie die beiden in Hunde verzaubert hatte, sprach sie zu den Leuten auf der Galeone: ,Wisset, dieser 'Abdallâh ibn Fâdil ist mein Bruder geworden, und ich werde ihn jeden Tag einmal oder zweimal besuchen. Jedem von euch, der ihm widerspricht oder sich seinem Befehl widersetzt oder ihm mit Hand oder Zunge ein Leid zufügt, werde ich das gleiche antun, was ich diesen beiden Verrätern angetan habe; ich werde ihn in einen Hund verwandeln, so daß er in der Hundegestalt sein Leben beschließen und nie Befreiung finden wird.' Insgesamt sprachen sie zu ihr: ,O unsere Herrin, wir alle sind seine Knechte und seine Diener, und wir werden ihm nicht widersprechen.' Ferner sagte sie zu mir: ,Wenn du wieder in Basra bist, so prüfe deinen ganzen Besitz; und wenn etwas daran fehlt, so laß es mich wissen, und ich werde es dir bringen, bei wem und wo auch immer es sich befinden mag; und ich werde den, der es genommen hat, in einen Hund verwandeln. Wenn du dann deine Güter aufgespeichert hast, lege jedem dieser beiden Verräter ein eisernes Kettenhalsband um, binde sie an den Fuß eines Lagers und sperre sie für sich allein dort ein. In jeder Nacht geh du um Mitternacht zu ihnen und versetze einem jeden von ihnen so viel Schläge, daß er ohnmächtig wird; wenn aber eine einzige Nacht verstreicht, ohne daß du sie schlägst, so werde ich zu dir kommen und dir dein Teil Schläge geben und danach den beiden das ihre.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte ich; und sie fuhr fort: ,Binde sie nun mit Stricken fest, bis du in Basra ankommst.' So legte ich denn einem jeden von beiden einen Strick um und band sie beide an den Mast; darauf ging sie ihrer Wege. Am nächsten Tage trafen wir in Basra ein; da kamen die Kaufleute mir entgegen und begrüßten mich, aber niemand fragte nach meinen Brüdern. Doch die Leute sahen auf die Hunde und fragten mich: ,Du, was willst du mit diesen beiden Hunden tun, die du mitgebracht hast?' Ich antwortete ihnen: ,Die beiden habe ich während dieser Reise aufgezogen, und nun habe ich sie mitgebracht.' Dann kümmerten sie sich nicht weiter um die beiden, und so erfuhren sie nicht, daß es meine Brüder waren. Ich aber brachte sie in ein Zimmer, und danach war ich jenen ganzen Abend damit beschäftigt, die Ballen unterzubringen, in denen sich die Stoffe und die Edelsteine befanden. Die Kaufleute aber blieben noch bei mir zur Begrüßungs feier, und ich ward durch sie so abgelenkt, daß ich die beiden Hunde weder mit Ketten festband noch ihnen ein Leids tat. Dann legte ich mich nieder, um zu schlafen: doch ehe ich mich dessen versah, erschien Sa'îda, die Tochter des Roten Königs, vor mir und sprach zu mir: ,Habe ich dir nicht gesagt, du sollest ihnen Ketten um den Hals legen und einem jeden sein Teil Schläge versetzen?' Und alsbald legte sie Hand an mich, zog eine Geißel hervor und schlug mich solange, bis ich das Bewußtsein verlor; dann eilte sie in den Raum. in dem meine Brüder waren, und hieb auf einen jeden so lange mit der Geißel ein, bis er dem Tode nahe war. Zuletzt sprach sie: ,Schlag beide in jeder Nacht, so wie ich sie geschlagen habe! Wenn eine einzige Nacht vergeht, ohne daß du sie schlägst, so werde ich dich geißeln.' Ich gab ihr zur Antwort: ,Meine Gebieterin, morgen will ich ihnen die Ketten um den Hals legen, und in der nächsten Nacht will ich sie schlagen, und ich will sie hinfort in keiner Nacht mit der Geißelung verschonen.' Und sie schärfte es mir noch einmal ein, sie zu schlagen. Am nächsten Morgen aber ward es mir nicht leicht, ihnen die Ketten um den Hals zu legen, und so begab ich mich zu einem Goldschmied und befahl ihm, goldene Kettenhalsbänder für die beiden zu machen; nachdem er das getan hatte, nahm ich sie mit und legte sie den Hunden um den Hals und band sie fest, wie Sa'îda mir befohlen hatte; und in der folgenden Nacht schlug ich sie wider meinen Willen. Diese Sache trug sich zu unter dem Kalifat von el-Mahdî, dem fünften Nachkommen von el-'Abbâs.' Ich wurde ihm dadurch vertraut, daß ich ihm Geschenke sandte. und er betraute mich mit der Regierung und machte mich zum Statthalter in Basra. So lebte ich eine ganze Weile dahin; dann sagte ich mir einmal: ,Vielleicht ist ihr Zorn jetzt abgekühlt'; und so ließ ich die beiden in einer Nacht ungeschlagen. Doch da kam sie zu mir und versetzte mir Schläge, deren Brennen ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde. Von jener Zeit an unterließ ich es nie, die beiden zu geißeln, solange el-Mahdî regierte. Als er dann gestorben war und du ihm in der Herrschaft folgtest, sandtest du zu mir, um mich als Statthalter der Stadt Basra zu bestätigen; und jetzt sind schon zwölf Jahre vergangen, in denen ich sie jede Nacht wider meinen Willen schlage. Aber wenn ich sie geschlagen habe, so bei.Staunend hörte der Kalif Harûn er-Raschîd, welche Bewandtnis es mit diesen beiden Hunden hatte; und er fragte: ,Hast du jetzt deinen Brüdern vergeben, was sie wider dich gesündigt haben? Hast du ihnen Verzeihung gewährt oder noch nicht?' ,Mein Gebieter,' gab 'Abdallâh zur Antwort, ,Allah vergebe ihnen und spreche sie von ihrer Schuld frei in dieser und in jener Welt! Ich habe es nötig, daß sie mir vergeben, da schon zwölf Jahre vergangen sind, in denen ich sie jede Nacht geißele.' Dann fuhr der Kalif fort: ,'Abdallah, so Gott der Erhabene will, werde ich ihre Befreiung erwirken, so daß sie wieder zu Menschen werden, wie sie es früher gewesen sind, und ich will euch miteinander versöhnen, damit ihr hinfort euer Leben als liebende Brüder verbringt. Und wie du ihnen vergeben hast, so werden sie dir vergeben. Nimm sie also mit dir in deine Wohnung und schlag sie heute nacht nicht; morgen wird alles gut sein!' Darauf erwiderte der Statthalter: ,Mein Gebieter, bei deinem Haupte, wenn ich sie nur eine Nacht ungeschlagen lasse, so kommt Sa'îda zu mir und schlägt mich; und mein Leib verträgt die Schläge nicht mehr.' Doch der Kalif sagte: ,Fürchte dich nicht; ich will dir ein Handschreiben
von mir geben! Wenn Sa'îda zu dir kommt, so gib ihr das Blatt; und wenn sie es gelesen hat und dich verschont, so geschieht es durch ihre Huld. Wenn sie aber meinem Befehl keine Folge leistet, so befiehl du deine Sache Allah und laß dich von ihr schlagen, und nimm an, du hättest vergessen, sie in einer Nacht zu geißeln, und seiest deswegen von ihr geschlagen worden; doch geschieht es also, daß sie mir zuwider handelt, dann will ich, so wahr ich der Beherrscher der Gläubigen bin, mit ihr noch fertig werden.' Darauf schrieb der Kalif an sie auf einem Blatt, das zwei Finger breit war, und nachdem er geschrieben hatte, setzte er sein Siegel darunter. Und er sprach: ,'Abdallah, wenn Sa'îda zu dir kommt, so sprich zu ihr: ,Der Kalif, der König der Menschenwelt, hat mir befohlen, sie nicht zu schlagen; und er hat für mich dies Blatt geschrieben, und er entbietet dir seinen Gruß.' Dann gib ihr das Schreiben und befürchte kein Leid!' So nahm er dem Statthalter Eid und Gelöbnis ab, daß er sie nicht schlagen wolle; und der nahm die beiden Hunde und ging mit ihnen in seine Wohnung, indem er bei sich sprach: ,Ich möchte wohl wissen, was der Kalif gegen die Tochter des Sultans der Geister ausrichten kann, wenn sie nicht auf ihn hört und mich in dieser Nacht doch schlägt! Aber ich will noch einmal die Schläge ertragen und meine Brüder heute nacht in Ruhe lassen, auch wenn mir um ihretwillen Leid widerfährt.' Dann dachte er weiter in seinem Sinne nach, und sein Verstand sagte ihm: ,Wenn der Kalif sich nicht auf eine starke Hilfe verlassen könnte, so würde er mir das Schlagen nicht verbieten.' Er trat also in seine Wohnung ein und nahm seinen Brüdern die Kettenbänder vom Hals und sprach: ,Ich vertraue auf Allah!' Darauf begann er sie zu trösten, indem er sprach: ,Euch soll kein Leid widerfahren! Denn der Kalif, der sechste Nachkomme von el-'Abbâs ', hat sich für eure Lösung verbürgt, und ich habe euch verziehen. So Allah der Erhabene will, ist nun die Zeit gekommen, und ihr sollt noch in dieser gesegneten Nacht befreit werden; drum freut euch auf Glück und Fröhlichkeit!' Als die beiden diese Worte gehört hatten, begannen sie wie Hunde zu bellen. — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 986. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallah ibn Fâdil zu seinen Brüdern sprach: ,Freut euch auf Glück und Fröhlichkeit!' Und als die beiden diese Worte gehört hatten, bellten sie wie Hunde und neben ihre Backen an seinen Füßen, als ob sie Segen auf ihn herabflehten und sich vor ihm demütigten. Er aber war betrübt um sie und begann ihre Rücken zu streicheln, bis der Abend nahte. Und als man dann den Tisch aufgetragen hatte, sprach er zu den beiden: ,Setzt euch!' Sie setzten sich und aßen mit ihm am Tische; doch seine Leibwächter waren starr vor Verwunderung, daß er mit den Hunden zusammen aß, und sie sprachen: ,Ist er irre, oder ist er schwachsinnig? Wie kann der Statthalter von Basra mit Hunden zusammen essen, er, der größer ist als ein Wesir? Weiß er denn nicht, daß der Hund unrein ist?' Dann sahen sie die Hunde an, wie sie mit ihm gesittet aßen; aber sie wußten nicht, daß die beiden seine Brüder waren. Ja, sie hörten nicht auf, 'Abdallah und die beiden Hunde anzuschauen, bis sie die Mahlzeit beendet hatten. Danach wusch 'Abdallâh sich die Hände, und auch die Hunde streckten ihre Pfoten aus, um sie sich zu waschen, so daß alle, die dort zugegen waren, über sie zu lachen begannen
Hören wir nun, was mit 'Abdallâh ibn Fâdil geschah! Ehe der sich dessen versah, klaffte der Boden vor ihm auseinander, und Sa'îda stieg zu ihm empor und sprach: ,O 'Abdallâh, warum hast du die beiden heute Nacht nicht geschlagen, und warum hast du ihnen die Ketten vom Hals genommen? Hast du also getan, um mir zu trotzen und um meinen Befehl zu mißachten? Ha, jetzt werde ich dich schlagen und dich wie sie in einen Hund verwandeln!' Er aber sprach: ,Hohe Herrin, ich beschwöre dich bei den Zeichen auf dem Siegelringe Salomos, des Sohnes Davids - über beiden sei Heil! —, bezwinge deinen Zorn wider mich, bis ich dir den Grund berichtet habe, und dann tu mit mir, was du willst!' ,Berichte mir!' gebot sie ihm; und er fuhr fort: ,Der Grund, weshalb ich sie nicht geschlagen habe, ist dieser: Der König der
Menschenwelt, der Beherrscher der Gläubigen, der Kalif Harûn er-Raschîd, hat mir befohlen, ich solle sie in dieser Nacht nicht schlagen; ja, er hat mir daraufhin Eid und Gelöbnis abgenommen. Er entbietet dir seinen Gruß und hat mir ein Schreiben von seiner eigenen Hand gegeben und mir befohlen, es dir zu überreichen. Ich mußte seinem Befehle willfahren und gehorchen; denn der Gehorsam gegen den Beherrscher der Gläubigen ist Pflicht. Da hast du das Schreiben; nimm es und lies es, und danach tu, was du willst!' ,Gib es her!' erwiderte sie; und er reichte ihr das Schreiben. Sie öffnete es und las es und fand darin geschrieben: ,Im Namen Allahs des allbarmherzigen Erbarmers! Von dem König der Menschenwelt, Harûn er-Raschîd, an Sa'îda, die Tochter des Roten Königs. Des ferneren: Sieh, dieser Mann hat seinen Brüdern vergeben und hat seinen Anspruch wider sie fallen lassen; so habe ich ihm denn geboten, sich mit ihnen auszusöhnen. Wo nun Versöhnung stattfindet, da wird die Strafe aufgehoben. Wenn ihr euch unseren Entscheidungen widersetzt, so werden wir uns euren Entscheidungen widersetzen und eure Satzungen zerreißen. Wenn ihr aber unser Gebot befolgt und unsere Befehle ausführt, so werden auch wir eure Befehle ausführen. Nun gebiete ich dir, ihnen kein Leid anzutun. Wenn du an Allah und an seinen Gesandten glaubst, so geziemt dir Gehorsam gegen den, der mit der Obrigkeit betraut ist. Wenn du die beiden verschonst, so will ich es dir lohnen, wie mein Herr mich dazu befähigt. Und das Zeichen des Gehorsams ist, daß du den Zauber von diesen beiden Männern nimmst, damit sie morgen als Erlöste vor mir erscheinen können. Doch wenn du sie nicht befreist, so werde ich sie erlösen, dir zum Trotz, durch die Hilfe Allahs des Erhabenen.' Als sie jenen Brief gelesen hatte, sprach sie: ,O 'Abdallah. ich will nicht eher etwas tun, als bis ich zu meinem Vater gegangen bin und ihm das Schreiben des Königs der Menschenwelt gezeigt habe; mit seiner Antwort werde ich eilends zu dir zurückkehren.' Darauf machte sie mit ihrer Hand ein Zeichen nach dem Boden hin, und der spaltete sich, und sie stieg hinab. Als sie verschwunden war, flog das Herz 'Abdallâhs vor Freuden, und er rief: ,Allah stärke die Macht des Beherrschers der Gläubigen!' Sa'îda aber trat zu ihrem Vater ein, berichtete ihm, was geschehen war, und überreichte ihm das Schreiben des Beherrschers der Gläubigen. Der küßte es, legte es auf sein Haupt und las es dann; nachdem er seinen Inhalt verstanden hatte, sprach er: ,Liebe Tochter, der Befehl des Königs der Menschenwelt ist gültig für uns, und sein Gebot muß bei uns befolgt werden; wir können ihm nicht zuwider handeln. Drum geh zu den beiden Männern und befreie sie noch in dieser Stunde, indem du zu ihnen sprichst: ,Die Fürsprache des Königs der Menschenwelt tritt für euch ein.' Denn wenn er uns zürnt, so wird er uns alle bis zum letzten Mann vernichten; drum lad uns nichts auf, was über unsere Kraft geht!' ,Lieber Vater,' erwiderte sie ihm, ,was kann denn der König der Menschenwelt uns antun, wenn er uns zürnt?' Darauf sagte er zu ihr: ,Meine Tochter, erbat Macht über uns aus mehreren Gründen. Erstlich ist er ein Mensch und hat als solcher den Vorrang vor uns'; zweitens ist er der Stellvertreter Allahs; und drittens betet er beständig die zwei Rak'as der Morgendämmerung. Wenn alle Stämme der Geister aus den sieben Welten sich gegen ihn vereinen würden, so würden sie doch nicht vermögen, ihm ein Leid zu tun. Wenn er wider uns ergrimmt, so wird er die beiden Rak'as der Morgendämmerung beten und einen einzigen Schrei gegen uns ausstoßen; dann müßten wir uns alle gehorsamDa bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 987. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallah, nach
dem Sa'îda ihn vor seinen Brüdern gewarnt und Abschied von ihm genommen hatte und ihrer Wege gegangen war, den Rest jener Nacht mit seinen Brüdern verbrachte, indem sie aßen und tranken und fröhlich und guter Dinge waren. Als es wieder Morgen ward, führte er sie ins Bad, und nachdem sie es verlassen hatten, kleidete er einen jeden von ihnen in eine Gewandung, die viel Geld wert war. Darauf ließ er den Speisetisch bringen, und man setzte um vor ihn hin, und er aß mit seinen Brüdern. Wie aber die Diener die beiden erblickten und in ihnen seine Brüder erkannten, sprachen sie den Gruß vor den beiden und sagten zu dem Emir 'Abdallâh: ,O unser Herr, Allah erfreue dich durch die Vereinigung mit den teuren Brüdern! Wo sind sie in all dieser Zeit gewesen?' Er gab ihnen zur Antwort: ,Sie waren es. die ihr in Gestalt von Hunden gesehen habt. Preis sei Allah, der sie aus der Gefangenschaft und von der schweren Qual befreit hat!' Dann nahm er sie mit sich und begab sich zum Staatssaal des Kalifen Harûn er-Raschîd; dort führte er sie hinein, und nachdem er den Boden vor dem Herrscher geküßt hatte, wünschte er ihm, seine Macht und sein Glück möchten ewig bestehen, doch alles Übel und Unheil solle vergehen. Darauf sagte der Kalif: ,Willkommen, o Emir 'Abdallâh! Berichte mir, was dir widerfahren ist!' Und der Statthalter berichtete: ,O Beherrscher der Gläubigen Allah stärke deine Macht! —, wisse, nachdem ich meine Brüder mit mir genommen und sie in meine Wohnung geführt hatte, war ich über sie beruhigt, und zwar durch dich, da du dich für ihre Befreiung verbürgt hattest. Denn ich sagte mir: Den Königen ist nie etwas unmöglich, wenn sie sich darum bemühen, da ja die Vorsehung ihnen hilft. So nahm ich ihnen denn die Ketten vom Hals und vertraute auf Allah; und ich aß mit ihnen am selben Tisch. Als meine Diener sahen, daß ich mit den beiden aß, die noch in Gestalt von Hunden waren, hielten sie mich für schwachsinnig und sprachen untereinander: ,Er ist wohl irre! Wie kann der Statthalter von Basra mit den Hunden essen, er, der größer ist als ein Wesir?' Dann warfen sie fort, was auf dem Tische zurückgeblieben war, indem sie sprachen: ,Wir essen nicht, was die Hunde übrig gelassen haben.' So spotteten sie meines Verstandes, während ich ihre Reden hörte; doch ich sprach zu ihnen kein Wort darüber, da sie ja nicht wußten, daß die beiden Tiere meine Brüder waren. Als die Zeit der Ruhe kam, schickte ich sie fort und wollte schlafen, aber ehe ich mich dessen versah, klaffte der Boden auseinander, und Sa'îda, die Tochter des Roten Königs, stieg empor, ergrimmt wider mich und mit Augen gleich Feuer.' Dann berichtete er dein Kalifen alles, was sie und ihr Vater getan hatten, und wie sie die beiden aus der Hundegestalt wieder in die Menschengestalt verwandelt hatte. Und er fügte hinzu: ,Hier stehen sie vor dir, o Beherrscher der Gläubigen!' Der Kalif schaute hin, und als er in ihnen zwei Jünglinge, schön wie Monde, erkannte, sprach er: ,Allah lohne dir statt meiner mit Gutem, o 'Abdallâh, daß du mich mit einer Kraft bekannt gemacht hast, die ich früher nicht kannte! So Gott der Erhabene will, werde ich hinfort nie das Gebet dieser beiden Rak'as vor Anbruch der Morgendämmerung unterlassen, solange ich lebe.' Dann schalt er die beiden Brüder von 'Abdallâh ibn Fâdil wegen ihrer früheren Vergehungen wider ihn; und nachdem sie sich vor dem Kaufen entschuldigt hatten, sprach er zu ihnen allen: ,Reichet euch die Hände und verzeihet einander; und Gott vergebe, was vergangen ist!' Darauf wandte er sich wieder zu 'Abdallâh und sprach: ,O 'Abdallah, mache deine Brüder zu deinen Helfern und laß sie dir angelegen sein!' Als er die beiden dann noch zum Gehorsam gegen ihren Bruder ermahnt hatte, erwies er ihnen seine Gnade: denn er befahl ihnen, nach der Stadt Basra aufzubrechen, nachdem er ihnen reichliche Gaben verliehen hatte. So verließen sie denn fröhlich den Staatssaal des Kaufen. Der Kalif aber freute sich über die Kraft, die er aus diesem Verlauf der Dinge sich erworben hatte, nämlich die des Beharrens im Gebete der zwei Rak'as vordem Anbruch der Morgendämmerung; und er rief: ,Der hat recht, der da sagte: Das Unglück des einen ist des anderen Glück!'Wenden wir uns nun von dem Kalifen wieder zu 'Abdallâh ibn Fâdil! Der reiste von der Stadt Baghdad ab mit seinen Brüdern, indem er sie auszeichnete und ehrte und ihr Ansehen mehrte, bis sie in der Stadt Basra ankamen. Dort zogen die Großen und Vornehmen ihnen entgegen, nachdem man die Stadt geschmückt hatte; und so geleitete man sie in einem unvergleichlich schönen Prunkzug hinein. Das Volk flehte den Segen des Himmels auf sein Haupt herab, während er Gold und Silber unter sie streute. Und als nun das ganze Volk ihm mit Segenswünschen zujubelte, achtete niemand auf seine Brüder. Da schlichen wieder die Eifersucht und der Neid in die Herzen der beiden, obwohl er sie doch hegte und pflegte, wie man ein krankes Auge pflegt; und je freundlicher er sie behandelte, desto mehr wuchs ihr Groll und ihr Neid gegen ihn. Darüber ist einmal gesagt worden:
Ich tat den Menschen Gutes; doch bei meinem Neider Gewann ich keine Gunst, und keine Müh gelang. Wie kann der Mensch dem Neider seines Glückes wohltun, Da den doch nichts befriedigt als sein Untergang? |
Er gab jedem von beiden eine Odaliske, die nicht ihresgleichen hatte; auch schenkte er ihnen Eunuchen und Diener, Sklavinnen, schwarze und weiße Sklaven, von jeder Art vierzig. Ferner gab er einem jeden von beiden fünfzig Prachtrosse von
edelem Geblüt, nebst Wärtern und Gefolge; dazu verlieh er ihnen auch noch Einkünfte und bestimmte ihnen Gehälter. und er machte sie zu seinen Helfern, indem er zu ihnen sprach: ,Meine Brüder, wir sind gleich, ich und ihr, und es ist kein Unterschied zwischen mir und euch.' — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 988. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh seinen Brüdern Gehälter bestimmte und sie zu seinen Helfern machte, indem er sprach: ,Meine Brüder, wir sind gleich, ich und ihr, und es ist kein Unterschied zwischen mir und euch. Nächst Allah und dem Kalifen gehört die Macht mir und euch beiden; drum herrschet in Basra, wenn ich abwesend und wenn ich anwesend bin! Euer Befehl soll gelten; aber es ist eure Pflicht, die Furcht Allahs in den Entscheidungen walten zu lassen. Hütet euch vor der Ungerechtigkeit, die da, wenn sie anhält, vernichtet; und haltet euch an die Gerechtigkeit, die, wenn sie anhält, blühenden Wohlstand errichtet! Bedrücket die Diener Allahs nicht; sonst werden sie euch fluchen, und euer Tun wird dem Kalifen ruchbar werden, und das wäre eine Schmach für mich und für euch! Trachtet nicht danach, irgendeinem mit Gewalt etwas zu nehmen; wenn es euch nach etwas von der Habe der Menschen verlangt, so nehmt es von meiner Habe zudem hinzu, dessen ihr bedürft! Was uns die Schrift über die Unterdrückung an unverbrüchlichen Versen überliefert, ist euch nicht unbekannt; und wie trefflich ist der Mann, der diese Verse erfand:
Es lauert in des Mannes Seele Unterdrückung, Die nur das Unvermögen im Verborgnen hält. Der weise Mann erhebt sich nie zu einem Werke. |
Bis er die rechte Zeit erkennt, die ihm gefällt. Des klugen Mannes Zunge wohnt in seinem Herzen; Allein das Herz des Toren wohnt in seinem Mund. Und wer nicht größer ist als seine eignen Sinne, Den richtet bald das kleinste Ding der Welt zugrund. Des Mannes Ursprung mag verborgen bleiben; dennoch, Was er verbirgt, das wird aus seinem Handeln klar. Wer seine Herkunft nicht aus gutem Stamme leitet, Aus dessen Munde wird nichts Gutes offenbar. Wer sich dem Toren zugesellt in seinem Handeln, Der macht sich selber ihm in seiner Torheit gleich. Wenn einer allen Menschen sein Geheimnis preisgibt, Erwachen ihm die Gegner aus des Feindes Reich. Der Mensch begnüge sich mit dem, was ihm gebührt Und lasse das, was ihn nicht angeht, unberührt!' |
So ermahnte er seine Brüder, indem er ihnen Gerechtigkeit gebot und Ungerechtigkeit verbot, bis er glaubte, sie hätten ihn sehr lieb gewonnen wegen der guten Ratschläge, die er ihnen so reichlich erteilt hatte. So verließ er sich denn auf sie und erwies ihnen die höchsten Ehren; aber trotz all seiner Großmut gegen sie wurden ihr Neid auf ihn und ihr Haß gegen ihn nur noch heftiger. Eines Tages nun kamen seine beiden Brüder Nâsir und Mansûr zusammen; da sagte Nâsir zu Mansûr: ,Ach, Bruder, wie lange noch sollen wir unserem Bruder 'Abdallâh untertan sein, ihm, der solche Herrschaft und Macht besitzt? Nachdem er ein Kaufmann gewesen war, ward er ein Emir; erst war er klein, und dann ward er groß. Aber wir sind nicht groß geworden; wir haben keine Macht und kein Ansehen erlangt. Er hat sich über uns lustig gemacht, als er uns zu seinen Helfern ernannte; was hat denn das zu bedeuten? Heißt das nicht, daß wir seine Diener und ihm untertan sindt Solange er am Leben ist, wird unser Rang nicht erhöht, und wir haben nichts zu bedeuten. Unsere Wünsche
werden sich nur erfüllen, wenn wir ihn umbringen und uns seinen Besitz aneignen; wir können ja diese Reichtümer nicht eher erlangen, als bis er beseitigt ist. Haben wir ihn aber getötet, so werden wir herrschen und alles gewinnen, was seine Schatzkammern bergen an Juwelen und Edelsteinen und anderen Kleinodien; das wollen wir dann unter uns teilen. Danach wollen wir dem Kalifen ein Geschenk herrichten und von ihm die Herrschaft über Kufa erbitten; so wirst du Statthalter von Basra werden, und ich werde Statthalter von Kufa. Oder auch du magst Statthalter von Kufa sein, während ich als solcher in Basra bleibe. So kommt ein jeder von uns wirklich zu Ansehen und Macht aber das wird uns nie zuteil, wenn wir ihn nicht umbringen.' Darauf erwiderte Mansûr: ,Du hast recht mit dem, was du sagst; doch was sollen wir mit ihm machen, daß wir ihn zu Tode bringend' Der andre fuhr fort: ,Wir wollen in dem Hause des einen von uns beiden ein Gastmahl feiern und ihn dazu einladen, und wir wollen ihm mit größter Ergebenheit aufwarten. Dann wollen wir ihn durch Plaudern unterhalten und wollen ihm Geschichten und Scherze und seltene Begebenheiten erzählen, bis sein Herz durch das lange Wachen zergeht. Darauf wollen wir ihm ein Lager breiten, auf daß er ruhe; aber sowie er eingeschlafen ist, wollen wir auf ihm niederknieen, ihn im Schlafe erdrosseln und in den Fluß werfen. Am nächsten Morgen wollen wir sagen: ,Seine Schwester, die Dämonin, kam zu ihm, während er plaudernd bei uns saß, und rief: ,O du Abschaum der Menschheit. was bist du, daß du dich über uns bei dem Beherrscher der Gläubigen beklagen darfst? Glaubst du etwa, wir fürchten uns vor ihm? Wie er ein König ist, so sind auch wir Könige; und wenn er sich nicht gesittet gegen uns verhält, so lassen wir ihn des schmählichsten Todes sterben. Inzwischen aber will ich dich töten, damit wir sehen, was die Hand des Beherrschers der Gläubigen zu tun vermag!' Dann ergriff sie ihn, der Boden spaltete sich, und sie stieg mit ihm hinab. Als wir das sahen, sanken wir in Ohnmacht; und als wir wieder zu uns kamen. wußten wir nicht, was aus ihm geworden ist.' Danach wollen wir eine Botschaft an den Kalifen schicken und es ihm kundtun; der wird uns an seine Stelle setzen. Nach einer Weile aber wollen wir dem Kalifen ein kostbares Geschenk senden und ihn um die Herrschaft in Kufa bitten; dann kann einer von uns in Basra bleiben und der andere in Kufa sein. So soll das Land uns Freude bringen, wir wollen die Untertanen niederzwingen, und alle unsere Wünsche sollen uns gelingen!' ,Vortrefflich ist, was du rätst. mein Bruder'. erwiderte Mansûr: und die beiden kamen überein, ihren Bruder zu ermorden. Nun rüstete Nâsir ein Gastmahl und sprach zu seinem Bruder 'Abdallâh: ,Lieber Bruder, bedenke, ich bin dein Bruder, und ich möchte, daß ihr beide, du und mein Bruder Mansûr, mein Herz erfreuet. indem ihr als meine Gäste in meinem Hause speiset, damit ich mich deiner rühmen kann und es heißt: ,Der Emir 'Abdallâh hat als Gast im Hause seines Bruders Nâsir gespeist.' So möge mein Herz daran seine Freude haben!' 'Abdallâh erwiderte ihm: ,Das mag gern geschehen, lieber Bruder. Es ist kein Unterschied zwischen mir und dir, noch zwischen meinem Hause und deinem Hause. Du hast mich eingeladen, und nur ein schlechter Kerl lehnt die Gastfreundschaft ab.' Dann wandte er sich an seinen Bruder Mansûr und sprach zu ihm: ,Willst du mit mir in das Haus deines Bruders Nâsir gehen, daß wir dort als seine Gäste speisen und sein Herz erfreuen?' Jener antwortete ihm: ,Lieber Bruder, bei deinem Haupte, ich will nur dann mit dir gehen, wenn du mir schwörst, daß du auch in mein Haus kommst, wenn du das Haus meines Bruders Nâsir verlassen hast, und dann als mein Gast speisest. Wenn Nâsir dein Bruder ist, bin ich nicht auch dein Bruder? Und solltest du nicht auch mein Herz erfreuen, wie du das seine erfreust?' 'Abdallâh erwiderte: ,Auch das mag gern geschehen, herzlich gern! Wenn ich das Haus deines Bruders verlasse, will ich in dein Haus kommen; denn du bist mein Bruder ebenso, wie er es ist.' Darauf küßte Nâsir die Hand seines Bruders 'Abdallâh, verließ den Staatssaal und rüstete das Gastmahl. Am nächsten Tage bestieg 'Abdallâh sein Roß und begab sich, indem er eine Schar von Kriegern und seinen Bruder Mansûr mit sich nahm, zum Hause seines Bruders Nâsir; er trat ein und setzte sich mit seinem Gefolge und seinem Bruder. Darauf ließ Nâsir ihnen die Tische vorsetzen und hieß sie willkommen; und sie aßen und tranken, waren vergnügt und guter Dinge. Dann wurde der Tisch mit den Schüsseln fortgenommen, und man konnte zum Waschen der Hände kommen; so verbrachten sie jenen Tag bei Speise und Trank und in der Freude Überschwang, bis es Abend ward. Nachdem sie dann noch die Abendmahlzeit eingenommen hatten, verrichteten sie die Gebete des Sonnenuntergangs und des Abends. Und wiederum setzten sie sich zur Unterhaltung nieder; da erzählte bald Mansûr eine Geschichte, bald erzählte Nâsir eine andere, während 'Abdallâh zuhörte. Sie waren allein in einem Gemach, während die Krieger sich in einem anderen Raum befanden, und sie erzählten unablässig Scherze und Geschichten, seltsame Begebenheiten und Ereignisse, bis das Herz ihres Bruders 'Abdallâh durch das lange Wachen zerging und der Schlaf ihn übermannte. — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 989. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir
berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh des langen Wachens müde ward und zu schlafen wünschte; so breitete man ihm ein Lager, und nachdem er seine Obergewänder abgelegt hatte, ging er zur Ruhe. Die beiden Brüder legten sich neben ihm auf ein anderes Lager und warteten, bis er in tiefen Schlaf versunken war. Aber als sie wußten, daß der Schlaf ihn fest umfing, sprangen sie hoch und knieten auf ihn nieder; er wachte auf, und als er die beiden auf seiner Brust knieen sah, rief er: ,Was ist das, meine Brüder?' Doch sie fuhren ihn an: ,Wir sind nicht deine Brüder, und wir kennen dich nicht, du frecher Kerl. Jetzt ist es besser, daß du stirbst, als daß du am Leben bleibst!' Und sie packten ihn an der Kehle und würgten ihn, bis er die Besinnung verlor und sich nicht mehr regte, so daß sie ihn für tot hielten. Da nun jenes Gemach am Flusse lag, so warfen sie ihn dort hinein. Als er jedoch ins Wasser fiel, machte Allah ihm einen Delphin dienstbar, der unterhalb jenes Schlosses zu schwimmen pflegte, weil die Küche ein Fenster hatte, das auf den Fluß führte, und sooft man ein Tier schlachtete, warf man die Abfälle durch jenes Fenster in den Fluß, und jener Delphin kam und schnappte sie von der Oberfläche des Wassers fort; so hatte er sich an jenen Ort gewöhnt. Nun hatten die Leute an jenem Tage schon viel Abfall hinausgeworfen infolge des Gastmahls; und jener Delphin hatte mehr als sonst gefressen, so daß er große Kraft bekommen hatte. Als er das Aufschlagen des Leibes auf das Wasser hörte, eilte er rasch herbei und sah, daß es ein Mensch war; und der rechte Leiter leitete ihn, so daß er ihn auf seinen Rücken nahm und mit ihm quer durch den Fluß schwamm. Er hörte nicht eher auf zu schwimmen, als bis er das andere Ufer erreichte, und dort warf er ihn an Land. Jene Stätte aber, an der das Tier den Leib abwarf, lag an der Landstraße; und so kam dort bald eine Karawane vorbei. Als die Leute ihn am Ufer liegen sahen, sprachen sie: ,Da ist ein Ertrunkener, den der Fluß an Land geworfen hat'; und eine Schar von Reisenden aus jener Karawane scharte sich zusammen, um ihn zu betrachten. Der Scheich der Karawane war ein trefflicher Mann, der Kenntnisse in allen Wissenszweigen besaß, auch in der Heilkunde erfahren war und einen scharfen Verstand hatte; der sprach zu ihnen; ,Ihr Leute, was gibt es?' Man gab ihm zur Antwort: ,Da ist ein Ertrunkener!' Als er nun an den Leib herangetreten war und ihn genau betrachtet hatte, sagte er: ,Ihr Leute, in diesem jungen Manne ist noch Leben. Er gehört zu den besten der Söhne vornehmer Leute und ist in Pracht und Wohlstand aufgewachsen; so Allah der Erhabene will, ist noch Hoffnung für ihn vorhanden!' Darauf nahm er ihn mit, legte ihm Gewänder an und wärmte ihn am Feuer; und er hegte und pflegte ihn drei Tagereisen lang, bis 'Abdallâh wieder zu sich kam. Doch er zitterte noch und war von Schwäche überkommen, und der Scheich der Karawane behandelte ihn dann mit Kräutern, die er kannte. Sie zogen immer weiter dahin, bis sie dreißig Tagereisen von Basra entfernt waren, und immer noch wurde 'Abdallâh von dem Scheich gepflegt. Dann kamen sie in eine Stadt im Perserlande, die Audsch hieß; dort stiegen sie in einem Chân ab und breiteten für 'Abdallâh ein Lager, auf dem er ruhte. Aber er stöhnte jene ganze Nacht hindurch und störte die Leute durch sein Stöhnen. Am nächsten Morgen kam der Pförtner des Châns zum Scheich der Karawane und sprach: ,Was ist es mit dem Kranken, der bei dir ist? Er raubt uns den Schlaf!' Der Scheich erwiderte: ,Den habe ich unterwegs am Flußufer gefunden; er war fast ertrunken, und ich habe ihn gepflegt, doch ohne Erfolg, denn er ist noch nicht genesen.' ,Bring ihn doch zur Scheichin Râdschiha!' sagte darauf der Pförtner; und der Karawanenführer fragte: ,Wer ist die Scheichin Râdschiha?' Der Pförtner fuhr fort: ,Bei uns ist eine heilige Jungfrau, unvermählt und schön, deren Name Scheichin Râdschiha ist. Jeden, der ein Leiden hat, bringt man zu ihr, und wenn er nur eine Nacht in ihrer Nähe verweilt, so ist er am anderen Morgen geheilt, als ob ihm nie etwas gefehlt hätte.' Da bat der Scheich der Karawane: ,Führe mich zu ihr!' Und der Pförtner erwiderte: ,Heb deinen Kranken auf!' So hob jener den Kranken auf und trug ihn, während der Pförtner des Châns vor ihm her ging, bis er zu der Klause kam. Dort sah er, wie die Menschen mit Weihgaben hineingingen und wie andere voller Freuden wieder herauskamen. Zuerst trat der Pförtner des Châns ein, und als er zu dem Vorhang kam, rief er: ,Mit Verlaub, o Scheichin Râdschiha, nimm diesen Kranken auf!' ,Bring ihn herein hinter diesen Vorhang!' rief die Scheichin zurück. Da sprach der Pförtner zu 'Abdallâh: ,Tritt ein!' Nun trat er ein und schaute die Heilige an und sah, daß sie seine Gemahlin war, die er aus der steinernen Stadt mitgebracht hatte. Er erkannte sie, und sie erkannte ihn; sie grüßte ihn, und er grüßte sie. Dann fragte er sie: ,Wer hat dich an diese Stätte geführte' Und sie erzählte ihm: ,Als ich sah, daß deine Brüder dich ins Meer geworfen hatten und um mich stritten, stürzte ich mich selbst ins Wasser. Aber mein Scheich el-Chidr Abu el-'Abbâs nahm mich in seine Arme und brachte mich zu dieser Klause. Und er gab mir Erlaubnis, die Kranken zu heilen, und ließ in dieser Stadt ausrufen: ,Wer ein Leiden hat, der komme zur Scheichin Râdschiha!' Zu mir jedoch sprach er: ,Verweile an dieser Stätte, bis die Zeit erfüllet ist, daß dein Gatte zu dir in diese Klause kommt!' Dann pflegten alle Kranken zu mir zukommen, und wenn ich meine Hände auf sie gelegt hatte, waren sie am andren Morgen wieder gesund; dadurch verbreitete sich mein Ruf unter dem Volke. Und die Leute kamen zu mir mit Weihgaben, so daß ich viel Gut bei mir habe; jetzt lebe ich hier in Ruhm und Ehren, und alles Volk dieses Landes bittet um mein Gebet.' Dann legte sie die Hände auf ihn, und er ward gesund durch die Macht Allahs des Erhabenen. Nun pflegte aber el-Chidr -Heil sei über ihm! —in jeder Freitagsnacht zu ihr zu kommen, und es traf sich, daß jener Abend, an dem 'Abdallâh mit ihr wieder vereinigt wurde, der Abend vor dem Freitag war. Als die Nacht dunkelte, setzte sie sich zu ihm nieder, nachdem beide von den kostbarsten Speisen zu Abend gegessen hatten; und dann blieben sie beieinander sitzen, um auf die Ankunft el-Chidrs zu warten. Während sie so dasaßen, erschien der Heilige plötzlich vor ihnen, trug sie aus der Klause empor und setzte sie dann im Schlosse des 'Abdallâh ibn Fâdil in Basra nieder; dort verließ er sie und ging seiner Wege. Als es Morgen ward, schaute 'Abdallâh sich in dem Schlosse um, und siehe da, er entdeckte, daß es sein eigenes war; doch er hörte ein Lärmen unter dem Volk. Da blickte er zum Fenster hinaus und sah, wie seine beiden Brüder am Kreuze hingen, ein jeder an seinem Pfahl. Dies hatte sich also zugetragen. Als die beiden ihren Bruder in den Fluß geworfen hatten, begannen sie am nächsten Morgen zu weinen und zurufen: ,Unseren Bruder hat die Dämonin entführt!' Dann machten sie ein Geschenk bereit und schickten es an den Kaufen, indem sie ihm zugleich diese Meldung bringen ließen und ihn um die Herrschaft in Basra baten. Doch er ließ sie vor sich kommen und befragte sie selbst; sie berichteten ihm, was wir schon erzählt haben, und da ergrimmte der Kalif gewaltig. Am Ende jener Nacht aber betete er nach seiner Gewohnheit zwei Rak'as vor dem Anbruch der Morgendämmerung und berief dann die Stämme der Geister; und die erschienen gehorsam vor ihm. Er fragte sie nach 'Abdallâh, und sie schworen ihm, daß keiner von ihnen ihm ein Leids angetan habe, und fügten hinzu: ,Wir haben keine Kunde über ihn.' Dann kam Sa'îda, die Tochter des Roten Königs, und berichtete dem Kalifen die Wahrheit; darauf entließ er die Geister. Am andren Tage aber unterwarf er Nâsir und Mansûr der Folter durch Stockschläge, bis sie widereinander bekannten; da ergrimmte der Kalif über sie und rief: ,Schleppt sie nach Basra und kreuzigt sie vor dem Schlosse 'Abdallâhs!' So erging es den beiden.Hören wir nun noch, was 'Abdallâh des weiteren tat! Nachdem er seine Brüder hatte begraben lassen, saß er auf und begab sich nach Baghdad; dort berichtete er dem Kaufen, was er erlebt und was seine Brüder ihm angetan hatten, von Anfang bis zu Ende. Darob erstaunte der Kalif. und er berief den Kadi und die Zeugen und ließ den Ehevertrag niederschreiben für 'Abdallâh und die Prinzessin. die er aus der steinernen Stadt mitgebracht hatte. So ging denn 'Abdallâh zu ihr ein undichte mit ihr in Basra, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und der die Freundesbande zerreißt. Gepriesen sei der Lebendige, der nie stirbt! Ferner wird erzählt, o glücklicher König,
DIE GESCHICHTE
VON DEM SCHUHFLICKER MA'RÛF
Einst lebte in Kairo, der wohlverwahrten Stadt, ein Schuhflicker, der alte Schuhe ausbesserte: der hieß Ma'rûf. Er hatte auch eine Frau, die den Namen Fâtima trug und mit Beinamen das Scheusal genannt wurde; diesen Beinamen hatte man ihr nur deshalb gegeben, weil sie frech und boshaft war, arm an Scham, aber reich an Ränken. Sie herrschte über ihren Mann,
und jeden Tag beschimpfte und verfluchte sie ihn wohl tausendmal. Er aber fürchtete sich vor ihrer Bosheit und ängstete sich vor ihrem argen Tun; denn er war ein Mann von milder Art, der auf seinen guten Ruf bedacht war, doch er war arm an Geld und Gut. Wenn er viel durch seine Arbeit verdiente, so mußte er es für sie ausgeben; hatte er aber wenig erarbeitet, so ließ sie ihre Wut noch in selbiger Nacht an seinem Leibe aus und raubte ihm die Gesundheit und machte die Nacht für ihn gleich ihrem Buche'; ja, sie war, wie der Dichter von ihr gesungen hat:Wie manche Nacht verbrachte ich bei meiner Gattin! Doch was ich da erlebte, das war schauderhaft. Hält ich doch in der Hochzeitsnacht zum Gift gegriffen Und sie dann mit dem Gute aus der Welt geschafft! |
Zu dem, was dieser Mann von seiner Frau zu erdulden hatte, gehörte auch das folgende. Sie sprach einmal zu ihm: ,Ma'rûf, ich verlange von dir, daß du mir heute abend süße Nudelspeise mit Bienenhonig bringst!' Er gab ihr zur Antwort: ,Allah der Erhabene wird mich den Preis dafür verdienen lassen, und dann werde ich sie dir heute abend bringen. Bei Gott, ich habe jetzt kein Geld, aber vielleicht verhilft der Herr mir dazu.' Doch sie rief: ,üm solche Reden kümmere ich mich nicht!' — —«
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 990. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Ma'rûf, der Schuhflicker, zu seiner Frau sprach: ,Allah wird mir zu dem Preise dafür verhelfen, und dann werde ich sie dir heute abend bringen. Bei Gott, ich habe jetzt kein Geld; aber vielleicht verhilft der
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 991. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Mârid, nachdem er den Schuhflicker Ma'rûf emporgehoben hatte, mit ihm davonflog und ihn auf einem hohen Berg niedersetzte; dort sprach er zu ihm: ,O Sterblicher, steig von der Höhe dieses Berges hinab, dann wirst du das Tor einer Stadt erblicken; in die geh hinein, dort weiß deine Frau nicht den Weg zu dir, dort kann sie nicht zu dir gelangen!' Dann verließ er ihn und flog fort; Ma'rûf aber blieb staunend und ratlos zurück, bis die Sonne aufging. Da sagte er sich: ,Ich will mich aufmachen und von der Höhe dieses Berges zu der Stadt hinabsteigen; denn hier zu bleiben hat keinen Nutzen.' So stieg er denn zum Fuße des Berges hinab und erblickte dort eine Stadt mit hohen Mauern und ragenden Schlössern und vergoldeten Bauten, so daß sie für die Beschauer ein Entzücken war. Und er trat durch das Tor der Stadt ein und sah, daß sie das betrübte Herz aufheitern konnte; doch als er durch die Basare ging, begannen die Leute der Stadt ihn anzuschauen und anzustarren, und sie scharten sich um ihn zusammen und bestaunten seine Kleidung, da seine Tracht nicht der ihrigen glich. Nun hub einer von dem Stadtvolk an: ,O Mann, bist du ein Fremdling?' ,Jawohl', erwiderte er. ,Aus welchem Lande?' ,Aus Kairo, der glücklichen
Stadt.' ,Es ist wohl schon lange her, daß du sie verlassen hast?' ,Gestern um die Zeit des Nachmittagsgebets.' Da lachte der Mann ihn aus und rief: ,Ihr Leute, kommt herbei und seht euch diesen Mann an und hört, was er sagt!' ,Was sagt er denn?' fragten die Leute; und jener Mann erwiderte: ,Er behauptet, er komme aus Kairo und habe es gestern um die Zeit des Nachmittagsgebetes verlassen.' Da lachten sie alle, und nun stand das ganze Volk um ihn herum und rief: ,Mann, du bist ja irre, daß du so redest! Wie kannst du behaupten, du hättest Kairo gestern zur Zeit des Nachmittagsgebetes verlassen und seiest heute früh hier angekommen? In Wirklichkeit liegt doch zwischen unserer Stadt und Kairo eine Reise von einem vollen Jahr!' Er aber entgegnete ihnen: ,Niemand ist hier irre als ihr; was ich sage, ist die Wahrheit. Dies Brot aus Kairo ist doch bei mir noch frisch geblieben!' Er zeigte es ihnen, und als sie es anschauten, wunderten sie sich darüber: denn es war anders als das Brot ihres Landes. Da kamen noch mehr Leute bei ihm zusammen, und sie riefen einander zu: ,Da ist Brot aus Kairo! Seht es euch an!' So wurde er zum Gerede in jener Stadt; und die einen glaubten ihm, die anderen aber straften ihn Lügen und verspotteten ihn. Während dies sich abspielte, kam plötzlich ein Kaufmann des Wegs, der auf einer Mauleseln ritt, gefolgt von zwei Sklaven. Er brach sich Bahn durch die Menge und rief: ,Ihr Leute, schämt ihr euch nicht, euch so um diesen Fremdling zu drängen und ihn zu verspotten und auszulachen? Was geht er euch an?' Und er schalt sie solange, bis er sie von Ma'rûf hinweggetrieben hatte, ohne daß einer ihm Widerworte zu geben wagte. Darauf sprach er zu dem Fremdling: ,Komm, Bruder! Kümmere dich nicht um diese Leute; die haben kein Schamgefühl!' Dann nahm er ihn mit sich und zog mit ihm dahin, bis er ihn in ein geräumiges und reichgeschmücktes Haus führte; dort hieß er ihn sich setzen in einem Saal, der für Könige paßte, und er gab den Sklaven einen Befehl. Da öffneten sie ihm eine Truhe und holten ihm die Gewandung eines Kaufmannes heraus, der tausend Säcke Goldes besitzt; das legte er Ma'rûf an, und da er ein stattlicher Mann war, sah er nunmehr aus wie der Vorsteher der Kaufmannsgilde. Alsbald ließ der Kaufmann das Mahl auftragen; und die Diener setzten einen Tisch vor die beiden hin, auf dem sich allerlei köstliche Speisen jeglicher Art befanden. Nachdem beide gegessen und getrunken hatten, sprach der Kaufmann zu seinem Gast: ,Bruder, wie heißt du?' Der gab zur Antwort: ,Mein Name ist Ma'rûf, und ich bin meines Zeichens ein Schuhflicker: ich bessere die alten Schuhe aus.' ,Aus welchem Lande bist du?' ,Aus Kairo.' ,Aus welchem Stadtviertel?' ,Kennst du Kairo?' ,Ich bin einer von den Söhnen Kairos!' ,Ich bin aus der Roten Straße." ,Wen kennst du in der Roten Straße?' ,Denundden und Denundden', erwiderte Ma'rûf und zählte eine große Zahl von Leuten auf. Dann fragte der Kaufmann weiter: ,Kennst du Scheich Ahmed den Spezereienhändler?' ,Er ist mein Nachbar, wir wohnen Wand an Wand.' ,Geht es ihm gut?' ,Jawohl.' ,Wieviel Kinder hat er?' ,Drei: Mustafa. Mohammed und 'All.' ,Was hat Allah aus seinen Kindern werden lassen?' ,Mustafa geht es gut; er ist ein Gelehrter, ein Hochschullehrer. Was Mohammed angeht, so ist er ein Spezereienhändler und hat einen Laden aufgetan neben dem Laden seines Vaters, nachdem er sich vermählt hat; und seine Frau hat ihm auch einen Sohn geschenkt, der heißt Hasan.' ,Gott erfreue dich auch durch gute Nachricht!' rief der Kaufmann; und Ma'rûf fuhr fort: ,Und was 'All betrifft, so war er mein Gefährte. als wir noch klein waren, und wirDa bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 991. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kaufmann 'All zu Ma'rûf sprach: ,Ich will dich einladen und auch alle Kaufleute dir zu Ehren: so will ich dich mit ihnen zusammenbringen, auf daß sie alle dich kennen lernen und du sie kennen lernst, damit du verkaufen und kaufen und mit ihnen Handel treiben kannst. Und dann wird es nicht lange dauern, bis du ein reicher Mann wirst.' Am nächsten Morgen also gab er ihm tausend Dinare, legte ihm Gewänder an, ließ ihn auf einer Mauleseln reiten und gab ihm dazu einen Sklaven; und er sprach zu ihm: ,Möge Allah dich von der Verbindlichkeit für all dies freisprechen! Denn du bist mein Freund, und es ist meine Pflicht. dich ehrenvoll zu behandeln. Mach dir keine Sorgen, tu den Gedanken an das Treiben deiner Frau von dir und erwähne sie vor niemandem!' ,Allah vergelte es dir mit Gutem!' erwiderte Ma'rûf und ritt auf der Mauleseln von dannen, während der Sklave vor ihm her lief, bis er ihn zum Tor des Basars der Kaufleute geführt hatte. Dort saßen alle die Kaufherren. und unter ihnen befand sich auch der Kaufmann 'Ah: als dieser ihn sah, erhob er sich und eilte auf ihn zu, indem er rief: ,Ein gesegneter Tag, o Kaufmann Ma'rûf, o Mann der guten Werke und der Güte!" Dann küßte er ihm die Hand vor allen Kaufleuten und sprach: ,Ihr Brüder, der Kaufmann Ma'rûf hat euch durch sein Kommen beehrt. Begrüßet ihn!' Dabei gab er ihnen ein Zeichen, sie möchten ihn hoch ehren; und so war der Schuhflicker ein großer Mann in ihren Augen. Alsbald half 'All ihm, von der Mauleseln abzusitzen; und nachdem alle ihn begrüßt hatten, nahm er die Kaufleute einen
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 993. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir zu dem
Sehen wir nun, was der König weiter tat! Er wandte sich an den Wesir und sprach zu ihm: ,Sei freundlich gegen den Kaufmann Ma'rûf und plaudere mit ihm von diesem und jenem!
Sprich mit ihm auch von meiner Tochter, damit er sie zur Gemahlin nimmt und wir diese Reichtümer gewinnen, die er besitzt!' Doch der Wesir entgegnete: ,O größter König unserer Zeit, die Art dieses Mannes gefällt mir nicht. Ich glaube, er ist ein Betrüger und ein Belüger; laß ab von dieser Rede, damit dir deine Tochter nicht umsonst verloren geht!' Nun hatte der Wesir früher einmal den König gebeten, er möchte ihm seine Tochter zur Gemahlin geben; und der König hatte auch in die Vermählung eingewilligt; aber als ihr davon berichtet wurde, hatte sie sich geweigert. Deshalb sprach der König nun: ,Du Verräter. du wünschest mir nichts Gutes, weil du früher um meine Tochter geworben hast und sie nicht eingewilligt hat, sich mit dir zu vermählen. Deshalb willst du jetzt ihr den Weg zur Vermählung abschneiden, und du möchtest, daß meine Tochter brachliegen soll, damit du sie erhältst. Doch höre dies Wort von mir: Du hast mit dieser Sache nichts zu tun! Wie kann er ein Betrüger und Belüger sein, da er doch den Preis des Juwels kannte, um den ich es gekauft hatte? Er hat es zerbrochen, weil es ihm nicht gefiel; er hat Juwelen in Hülle und Fülle, und wenn er zu meiner Tochter eingeht und sieht, wie lieblich sie ist, so wird sie seinen Verstand berücken. und er wird sie lieb gewinnen und ihr Juwelen und Schätze schenken. Du aber, du möchtest uns beide, mich und meine Tochter. daran verhindern, daß wir diese Güter erlangen.' Da schwieg der Wesir aus Furcht vor dem Zorn des Königs wider ihn, und er sprach bei sich selber: ,Hetz nur die Hunde aufs Vieh!' Dann begab er sich zum Kaufmann Ma'rûf und sprach zu ihm: ,Wisse, Seine Majestät der König hat dich lieb gewonnen; und er hat eine Tochter, die schön und anmutig ist. Mit ihr will er dich vermählen; was sagst du dazu?' Ma'rûf erwiderte: ,Das soll gern geschehen; doch er möge warten, bis mein Gepäck kommt, denn die Brautgabe für Prinzessinnen ist groß, und ihr Stand verlangt es, daß für sie nur eine solche Brautgabe dargeboten wird, die ihrem Range entspricht. Augenblicklich habe ich kein Geld bei mir; so möge er denn sich gedulden, bis die Karawane eintrifft, denn ich habe Gut in Menge. Ich muß doch gewißlich eine Brautgabe von fünftausend Beuteln für sie zahlen, und ferner brauche ich tausend Beutel. um sie am Hochzeitsabend an die Armen und Bedürftigen verteilen zu lassen, und weitere tausend Beutel, um sie an die Leute zu verschenken, die im Hochzeitszuge mitgehen, und abermals tausend Beutel, um für die Truppen und die anderen Speisen zu beschaffen. Auch brauche ich hundert Juwelen, um sie der Prinzessin am Morgen nach der Hochzeit zu schenken, und wiederum hundert Juwelen, um sie an die Sklavinnen und Eunuchen zu verteilen, denn ein jedes von ihnen muß doch von mir ein Juwel erhalten, dem Range der Braut zu Ehren. Auch muß ich tausend nackte Arme kleiden, und Almosen müssen auch gegeben werden. All das kann erst geschehen, wenn die Karawane eintrifft; denn ich habe eine Menge bei mir. Ist das Gepäck erst da, so bedeuten alle diese Ausgaben nichts für mich.' Der Wesir ging fort und berichtete dem König, was Ma'rûf gesagt hatte. Der König sprach: ,Da dies seine Absicht ist, wie kannst du ihn einen Betrüger und Belüger nennen?' ,Ich höre auch jetzt noch nicht auf, das zu sagen', erwiderte der Wesir; doch der König drohte ihm und schalt ihn und rief: ,Bei meinem Haupte, wenn du von solchem Geschwätz nicht ablässest, so lasse ich dich hinrichten! Jetzt geh zu ihm zurück und hole ihn her zu mir; ich werde selbst alles mit ihm ordnen!' So ging denn der Wesir zu Ma'rûf und sprach zu ihm: ,Komm, folge dem Rufe des Königs!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte Ma'rûf und begab sich zum König; der sprach zu ihm: ,Halt mich nicht mit solchen Entschuldigungen hin! Sieh, meine Schatzkammer ist voll; drum nimm die Schlüssel an dich und gib alles aus, was du brauchst! Verschenke, was du willst, kleide die Armen und tu, was dir beliebt! Mach dir keine Sorgen wegen meiner Tochter und der Sklavinnen; wenn deine Karawane gekommen ist, dann zeige dich so freigebig gegen deine Gemahlin, wie du nur willst! Wir wollen uns mit der Brautgabe von dir gedulden, bis dein Gepäck eintrifft; zwischen mir und dir ist gar kein Unterschied.' Dann befahl er dem Scheich el-Islam, die Eheurkunde aufzusetzen; und der schrieb den Ehevertrag zwischen der Tochter des Königs und dem Kaufmann Ma'rûf. Darauf gab der König ein Zeichen, daß die Hochzeitsfeier beginnen solle, und befahl, daß die Stadt ausgeschmückt werde. Die Trommeln wurden geschlagen, Speisen aller Art wurden aufgetragen, und die Gaukler kamen. Der Kaufmann Ma'rûf aber saß auf einem Thron in einem Saal, und die Gaukler und Taschenkünstler, die Tänzer und all die Leute, die seltsame Kunststücke machten und gefällige Spiele vollbrachten, traten vor ihn hin, und er befahl dem Schatzmeister, indem er sprach: ,Bring Gold und Silber!' Der also holte Gold und Silber, und nun ging Ma'rûf unter den Zuschauern umher und gab jedem, der spielte, eine Handvoll; auch beschenkte er die Armen und Bedürftigen und kleidete die Nackten. Es war ein lärmendes Freudenfest, und der Schatzmeister konnte das Geld kaum rasch genug aus dem Schatzhause holen. Dem Wesir wollte das Herz bersten vor Wut; aber er wagte nichts zu sagen. Nur der Kaufmann 'Alt, der über diese Verschwendung der Gelder entsetzt war, sprach zum Kaufmann Ma'rûf: ,Allah und die Heiligen sollen über dein Haupt' kommen! Genügte es dirDa bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 994. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kaufmann Ma'rûf, als die Prinzessin den Schrei tat, der unausbleiblich ist, ihr das Mädchentum nahm. Und jene Nacht war nicht zu irdischem Leben zu zählen, da sie in der Vereinigung der Schönen so viel von Umarmung und Liebesspiel, von Küssen und anderen Genüssen in sich schloß, bis der Morgen sein Licht ergoß. Darauf begab er sich ins Bad und legte eine Gewandung von königlichen Kleidern an; und nachdem er das Bad verlassen hatte, trat er in den Staatssaal des Königs ein. Alle, die dort waren, erhoben sich vor ihm und empfingen ihn mit der höchsten Ehrerbietung; und sie wünschten ihm Glück und Segen. Er aber setzte sich zur Seite des Königs nieder und rief: ,Wo ist der Schatzmeister?' Man gab zur Antwort: ,Da steht er vor dir!' Dann fuhr er fort: ,Bringe Ehrengewänder und bekleide damit alle die Wesire und Emire und Würdenträger!' Da brachte der Schatzmeister ihm alles, was er verlangt hatte; und er selber saß da und beschenkte alle, die zu ihm kamen, indem er einem jeden Manne nach Rang und Würden gab. So trieb er es immer weiter, zwanzig Tage lang; aber es kam keine Karawane für ihn an, noch auch sonst etwas. Darauf geriet der Schatzmeister um seinetwillen in die größte Besorgnis, und er trat zum König ein, als Ma'rûf abwesend war. Nur der König saß da. allein mit dem Wesir; nachdem der Schatzmeister den Boden vor ihm geküßt hatte, sprach er: ,O größter König unserer Zeit, ich muß dir etwas mitteilen, weil du mich sonst vielleicht schelten würdest, wenn ich es dir nicht berichte. Wisse, das Schatzhaus ist fast leer; nur noch ein wenig ist darin verblieben, und nach zehn Tagen werden wir ein leeres Haus
zuschließen.' Da hub der König an: ,O Wesir, die Karawane meines Eidams bleibt wirklich lange aus, und wir erhalten auch gar keine Kunde von ihr.' Lachend erwiderte ihm der Wesir: ,Allah sei dir gnädig, o größter König unserer Zeit! Du bist völlig achtlos auf das Treiben dieses Betrügers und Belügers! Bei deinem Haupte, es gibt keine Karawane, die ihm gehört, noch eine Pest. die uns von ihm befreit. Er hat dich immer nur betrogen, bis er schließlich all dein Geld vertan und deine Tochter umsonst zur Gemahlin erhalten hat. Wie lange noch willst du sorglos diesem Lügner zuschauen?' Der König erwiderte ihm: ,O Wesir, was sollen wir tun, um die Wahrheit über ihn zu erfahren?' Darauf sagte der Minister: ,O größter König unserer Zeit, niemand kann in das Geheimnis des Mannes eindringen, es sei denn seine Gattin. Sende nach deiner Tochter und laß sie hinter einen Vorhang treten, damit ich sie frage, wie es in Wahrheit um ihn steht; denn sie soll ihn ausforschen und uns wissen lassen, was es mit ihm auf sich hat!' ,Das mag gerne geschehen,' sprach der König, ,und bei meinem Haupte, wenn es feststeht, daß er ein Betrüger und Belüger ist, so will ich ihn wahrlich des schmählichsten Todes sterben lassen.' Darauf nahm er den Wesir mit sich und führte ihn in das Wohngemach; und nachdem er seine Tochter hatte kommen lassen, trat sie hinter den Vorhang. All das geschah, während ihr Gatte abwesend war. Und als sie dorthin gekommen war, fragte sie: ,Mein Vater, was wünschest du?' Er sagte: ,Sprich mit dem Wesir!' So fragte sie denn weiter: ,O Wesir, was ist dein Begehr?' Und der gab zur Antwort: ,Meine Herrin. wisse, dein Gatte hat das Geld deines Vaters verschwendet und hat sich mit dir ohne Brautgabe vermählt. Unaufhörlich macht er uns Versprechungen und bricht sie; von seinem Gepäck haben wir noch keine Kunde erhalten, kurz, wir wünschen, daß du uns über ihn Auskunft gibst.' Sie erwiderte: ,Seiner Worte sind viel, und er kommt auch immer und verspricht mir Juwelen, Schätze und kostbare Stoffe, aber ich habe noch nichts gesehen.' ,Meine Herrin,' fuhr der Wesir fort ,kannst du nicht heute nacht mit ihm hin und herplaudern und dann zu ihm sagen: ,Tu mir die Wahrheit kund und fürchte nichts; denn du bist mein Gatte geworden, und ich werde mich nicht an dir versündigen! Drum sage mir, wie alles in Wirklichkeit steht, und ich will für dich einen Plan ersinnen, wie du Ruhe haben sollst!' Darauf sprich noch weiter mit ihm darüber hin und her und zeige ihm deine Liebe und bringe ihn dazu, daß er gesteht! Wenn das geschehen ist, teile uns den wahren Sachverhalt mit!' Sie sagte nur: ,Mein Vater, ich weiß, wie ich ihn erforschen will', und ging fort. Nach dem Nachtmahl kam ihr Gatte Ma'rûf wie immer zu ihr; da trat sie auf ihn zu und faßte ihn unter dem Arm und schmeichelte ihm in lieblichster Weise - o wie können die Frauen schmeicheln, wenn sie einen Wunsch haben, den sie bei den Männern durchsetzen wollen! —und hörte nicht auf, ihm zu schmeicheln und ihn unter Worten, süßer als Honig, zu liebkosen, bis sie ihm den Verstand berückt hatte. Als sie nun sah, daß er sich ihr ganz hingab, sprach sie zu ihm: ,Mein Geliebter, du mein Augentrost und Frucht meines Herzens, Allah beraube mich deiner nie, und nie trenne das Geschick uns beide, dich und mich! Wahrlich, die Liebe zu dir wohnt nun in meinem Herzen, und mein Inneres wird verzehrt von der Sehnsucht brennenden Schmerzen, so daß ich mich nie und nimmer an dir versündigen könnte. Aber ich möchte, daß du mir die Wahrheit sagst; denn die Listen der Lüge frommen nicht, und sie finden auch nicht immer Glauben. Wie lange noch willst du meinen Vater belügen und betrügen? Ich fürchte, deine Lage wird ihm noch eher aufgedeckt werden, als wir einen Plan wider ihn ersinnen können; und dann wird er Hand an dich legen. Drum tu mir die Wahrheit kund, und dir soll nichts geschehen, als was dich erfreut! Wenn du mir berichtet hast, wie alles in Wirklichkeit steht, so brauchst du nicht zu fürchten, daß dir ein Leids widerfahre. Wie oft willst du noch behaupten, du seiest ein Kaufmann und ein Besitzer von Reichtümern und hättest eine Karawane? Seit langer Zeit schon sagst du immer: ,Mein Gepäck, mein Gepäck!' Doch von deinem Gepäck ist uns noch keine Kunde gekommen, und auf deinem Antlitz ist deshalb die Sorge zu sehen. Wenn also deine Worte nicht der Wahrheit entsprechen, so tu es mir kund; und ich werde dir einen Plan ersinnen, durch den du dich retten sollst, so Gott will.' Da sprach er zu ihr: ,Meine Gebieterin, ich will dir die Wahrheit sagen, und dann tu, was du willst!' ,So sprich denn,' erwiderte sie, ,und bleib bei der Wahrheit; denn die Wahrheit ist ein Rettungsboot; hüte dich vor der Lüge, denn sie bringt dem Lügner Schande, und wie vortrefffich ist der Mann, der da sprach:Sei du ein Mann, der stets die Wahrheit nur bekennt. Wenn dich die Wahrheit auch durch Feuers Drohung brennt! Such Gottes Beifall; denn der größte Tor der Welt Ist, wer den Herrn erzürnet und dem Knecht gefällt!' |
Nun bekannte er: ,Vernimm denn, meine Herrin, ich bin kein Kaufmann, und ich habe keine Karawane, noch auch sonst irgend etwas. Ich war in meiner Heimat nur ein Schuhflicker, und ich hatte eine Frau, die heißt Fâtima das Scheusal; mit der ist es mir soundso ergangen.' Und so erzählte er ihr die Geschichte von Anfang bis zu Ende. Lächelnd sprach sie darauf: ,Du bist wirklich erfahren in der Kunst des Lügens und Betrügens!' Er aber sagte: ,Meine Gebieterin, Allah der Erhabene
lasse dich lang am Leben bleiben, um Fehler zu verhüllen und Sorgen zu vertreiben!' Dann fuhr sie fort: ,Bedenke, du hast meinen Vater betrogen und durch dein vieles Prahlen getäuscht, so daß er mich in seiner Habgier mit dir vermählte; ferner hast du sein Geld vergeudet, und deswegen hegt der Wesir Argwohn gegen dich. Wie oft hat er über dich mit meinem Vater geredet und gesagt: ,Er ist ein Betrüger und Belüger!' Doch mein Vater wollte nicht auf seine Worte hören, weil er sich einmal um mich beworben hat und ich nicht damit einverstanden gewesen bin, daß er mein Gatte und ich seine Gemahlin werden sollte. Nun ist die Zeit aber zu lang geworden, und mein Vater ist besorgt und hat mir gesagt, ich solle dich zum Geständnis bringen. Ich habe dich zum Geständnis gebracht, und das Verborgene ist offenbar geworden. Mein Vater hat nun Schlimmes mit dir im Sinn: aber du bist mein Gatte, und ich will mich nicht an dir vergehen. Wenn ich meinem Vater berichte, was du mir gesagt hast, so hat er die Sicherheit, daß du ein Betrüger und Belüger bist, daß du Königstöchter betrügst und königliche Schätze vergeudest; und dann wird deine Schuld bei ihm keine Vergebung finden, sondern er wird dich hinrichten lassen, das ist gewiß. Dann wird es aber auch unter dem Volke ruchbar werden, daß ich mit einem Manne vermählt wurde, der ein Betrüger und Belüger ist, und das wäre eine Schande für mich. Wenn mein Vater dich hat töten lassen, so wird er mich vielleicht mit einem anderen vermählen wollen, und das wäre etwas, in das ich nie willigen würde, auch wenn ich sterben müßte. Doch jetzt mache dich auf, lege die Gewandung eines Mamluken an, nimm fünfzigtausend Dinare von meinem Gelde mit dir und besteig ein Roß; dann begib dich in ein Land, in das meines Vaters Herrschaft nicht reicht! Dort werde Kaufmann; und dann schreib mir einen Brief und sende ihn mit einem Boten, der insgeheim zu mir kommen soll, damit ich weiß, in welchem Lande du bist, und dir alles senden kann, was meine Hand erreicht! So wird dein Gut sich mehren; und wenn mein Vater stirbt, will ich zu dir schicken, und du sollst wiederkommen, geachtet und geehrt. Wenn aber einer von uns beiden, ich oder du, zur Barmherzigkeit Allahs des Erhabenen eingeht, so wird die Auferstehung uns vereinen. Dies ist der beste Plan; und solange wir beide am Leben bleiben, will ich nie ablassen, dir Botschaften und Gelder zu senden. Also mache dich auf, ehe der Tag sich über dir erhebt und Ratlosigkeit dich bedrängt und das Verderben sich auf dich niedersenkt!' ,Ach, meine Gebieterin,' rief er, ,ich flehe dich an, gewähre mir zum Abschied die Gunst deiner Umarmung!' Sie antwortete: Das mag gern geschehen.' Nachdem er bei ihr geruht und sich gewaschen hatte, legte er die Gewandung eines Mamluken an und befahl den Stallknechten, ihm einen edlen Renner zu satteln. Da sattelten sie ihm ein Roß, und er nahm Abschied von seiner Gattin und ritt gegen Ende der Nacht zur Stadt hinaus. Wie er so dahinzog, glaubte ein jeder, der ihn sah, er sei einer von den Mamluken des Sultans, der fortritt, um einen Auftrag auszuführen. Am nächsten Morgen begaben sich der König und der Wesir in das Wohngemach; der König sandte nach seiner Tochter, und sie kam wieder hinter den Vorhang. Dann fragte ihr Vater sie: ,Meine Tochter, was hast du zu sagen?' Und sie antwortete: ,Ich habe zu sagen: Allah schwärze das Antlitz deines Wesirs, denn der hat mein Antlitz vor meinem Gatten schwärzen wollen!' ,Wie denn das?' fragte er weiter; und sie fuhr fort: ,Er kam gestern abend zu mir, und ehe ich noch mit ihm über diese Sache sprechen konnte, trat plötzlich der Eunuch Faradsch zu mir herein, mit einem Brief in der Hand, und sprach: ,Siehe, es stehen zehn Mamluken unter dem Fenster des Schlosses; die haben mir diesen Brief gegeben und gesagt: ,Küsse unserem Herrn, dem Kaufmann Ma'rûf, die Hand für uns und gib ihm diesen Brief; wir gehören zu den Mamluken, die bei der Karawane sind, und es ist uns berichtet worden, daß er sich mit der Tochter des Königs vermählt hat; und wir sind gekommen, um ihm zu melden, was uns unterwegs widerfahren ist.' Da nahm ich den Brief, und als ich ihn las, erkannte ich darin das Folgende: ,Von den fünfhundert Mainluken an Seine Hoheit. unsern Herrn, den Kaufmann Ma'rûf. Des ferneren: Wir tun dir kund, daß nach deinem Fortgehen die Beduinen uns überfielen und angriffen. Es waren ihrer zweitausend Reiter, während wir doch nur fünfhundert Mamluken waren. Zwischen uns und den Beduinen entspann sich ein heftiger Kampf; sie verlegten uns den Weg, und wir mußten dreißig Tage lang wider sie streiten. Und dies ist der Grund unseres Ausbleibens.' — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 995. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Prinzessin zu ihrem Vater sprach: ,Mein Gatte erhielt einen Brief von seinem Gefolge, der also schloß: ,Die Araber verlegten uns den Weg; und dies ist der Grund unseres Ausbleibens. Sie haben uns zweihundert Lasten Stoffe von dem Gepäck geraubt und fünfzig Mamluken getötet.' Als diese Nachricht meinen Gatten erreichte, tiefer: ,Allah mache sie zuschanden! Wie konnten sie mit den Beduinen wegen zweihundert Warenlasten streiten? Was bedeuten denn zweihundert Lasten? Um deren willen hätten sie nicht so lange ausbleiben dürfen; denn der Wert von zweihundert Lasten ist doch nur siebentausend Dinare!
Aber ich muß jetzt zu ihnen reiten und sie zur Eile antreiben. Was die Araber ihnen geraubt haben, das wird in dem Gepäck nicht vermißt werden, und das macht bei mir nichts aus; ich nehme an, ich hätte es ihnen als Almosen geschenkt.' Dann eilte er lächelnd fort von mir, ohne darum bekümmert zu sein, daß ihm das Gut verloren gegangen war und daß seine Mamluken getötet waren. Und als er hinabgeeilt war, schaute ich aus dem Fenster des Schlosses, und da erblickte ich die zehn Mamluken, die ihm den Brief gebracht hatten; sie waren schön wie Monde, und ein jeder von ihnen trug ein Gewand, das zweitausend Dinare wert war, ja, mein Vater hat keinen Mainluken, der einem von ihnen gliche. Darauf zog er mit den Mamluken fort, die ihm das Schreiben überbracht hatten, und er will sein Gepäck holen. Preis sei Allah, der mich davor bewahrt hat, ihm etwas von dem zu sagen, was du mir befohlen hast; denn sonst hätte er meiner und deiner gespottet! Vielleicht hätte er sogar mich mit dem Auge der Geringschätzung angesehen und eine Abneigung gegen mich gewonnen. Das ist alles die Schuld deines Wesirs, der wider meinen Gatten Worte redete, die sich nicht geziemen.' Da sagte der König: ,Liebe Tochter, der Reichtum deines Gatten ist unermeßlich, und er achtet seiner nicht; seit dem Tage, an dem er in unsere Stadt einzog, hat er immer nur Almosen an die Armen gegeben. So Gott will, wird er bald mit der Karawane kommen, und dann werden wir durch ihn viel Gut gewinnen.' So tröstete er seine Tochter; den 'Wesir aber schalt er. Und so war die List an ihm gelungen.Wenden wir uns von dem König wieder zu dem Kaufmann Ma'rsûf! Der ritt auf dem Rosse dahin und zog durch die öde Wüste, ratlos und ohne zu wissen, in welches Land er sich begeben sollte. Dabei klagte er im Schmerz über die Trennung;
Sehnsucht und Liebespein bedrängten ihn schwer, und er sang diese Verse vor sich her:Ach, die Zeit zerriß und trennte unser traut Zusammensein; Und das Herz zerschmilzt und steht in Flammen ob der grausen Pein. Trennung von der Liebsten quält mich, daß im Aug die Tränen stehn. Ja, dies ist die bittre Trennung! Ach, wann kommt das Wiedersehn? O du, deren Antlitz strahlet gleich dem Mond am Himmelspfad, Ich bin der, dem deine Liebe ganz das Herz zerrissen hat. Hätte ich doch keine Stunde jemals nur bei dir geweilt! Hätte doch nach trautem Nahsein mich das Elend nicht ereilt! Ewig sieht Ma'rûf in Dunja' seiner Sehnsucht höchstes Ziel; Möge sie noch leben, wenn er seiner Lieb zum Opfer fiel! O du. deren strahlend Leuchten nur die helle Sonne kennt, Nah dich einem Herzen. das nach Liebe und nach Güte brennt! Bringt uns wohl das Schicksal einstens wieder ein Zusammensein? Wird es uns in Zukunft doch noch Wiedersehn und Freude leihn? Wird der Liebsten Schloß in Freuden uns umschließen wie zuvor? Und umschließ ich mit den Armen jenes Reis, das ich verlor? O du schönes Mondenantlitz, gleich der Sonne strahlend klar, Mögen dir im Antlitz deine Reize strahlen immerdar! Ach, ich bin ja schon zufrieden mit der Lieb und ihrer Qual; Denn das Glück der Liebe ist doch Ziel des Unglücks allzumal. |
Als er seine Verse beendet hatte, weinte er bitterlich; denn die Wege waren vor ihm verschlossen, und er wollte lieber den Tod erstreben als noch weiterleben. Dann zog er seines Weges dahin, wie trunken vor dem Übermaß der Verstörung, und immer weiter ritt er bis zur Mittagszeit; da kam er zu einem kleinen Flecken. und dort in der Nähe sah er einen Landmann, der mit zwei Stieren pflügte. Weil der Hunger ihn quälte, ritt er auf den Pflüger zu und sprach zu ihm: ,Friede sei mit Euch!' Der Mann erwiderte seinen Gruß und fügte hinzu: ,Willkommen,
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 996. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kaufmann Ma'rûf, nachdem der Diener jenes Ringes ihn mit seinem Wesen bekannt gemacht hatte, ihn fragte: ,Wie heißest du?' Der Dämon erwiderte: ,Mein Name ist Abu es-Sa'adât."Darauf sagte Ma'rûf zu ihm: ,O Abu es-Sa'adât, was für eine Stätte ist diese Und wer hat dich durch Zauber an dies Kästchen gebunden?' ,Mein Gebieter,' gab jener zur Antwort, ,diese Stätte ist ein Schatz, genannt der Schatz von Schaddâd ibn 'Âd, dem Manne, der Tram erbaute, die ragende Säulenstadt, die im Lande nicht ihresgleichen hat. Ich war sein Diener zu seinen Lebzeiten, und dies ist sein Siegelring, den er in
Wenden wir uns nun von Ma'rûf einmal wieder zu dem Kaufmann 'All aus Kairo! Als der sah, daß die Stadt geschmückt wurde, fragte er nach der Ursache; und man erwiderte ihm: ,Die Karawane des Kaufmanns Ma'rûf, des Eidams des Königs, ist eingetroffen.' ,Allah ist der Größte,' rief 'All, ,was ist das für ein Unheil! Er kam zu mir auf der Flucht vor seiner Frau und war arm! Woher hat er jetzt eine Karawane? Doch vielleicht hat die Tochter des Königs einen Plan für ihn ersonnen aus Furcht vor der Entlarvung; und Königen ist nichts unmöglich. Möge Allah der Erhabene ihn behüten und nicht in Schande geraten lassen!' — —«
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 997. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kaufmann
'All, als er wegen der Ausschmückung der Stadt gefragt und den Grund erfahren hatte, für Ma'rûf betete, indem er sprach: ,Allah behüte ihn und lasse ihn nicht in Schande geraten!' All die anderen Kaufleute aber waren froh und vergnügt, weil sie nun ihr Geld wiederbekommen sollten. Dann versammelte der König die Truppen und zog hinaus, während Abu es-Sa'adât zu Ma'rûf zurückkehrte und ihm berichtete, daß die Botschaft überbracht war. Da befahl Ma'rûf: ,Ladet auf!' Und als sie aufgeladen hatten, legte er die kostbare Gewandung an und stieg in die Sänfte und war nun tausendmal prächtiger und majestätischer als der König. Nachdem er den halben Weg zurückgelegt hatte, siehe, da kam ihm der König mit den Truppen entgegen; als er ihn erreichte, sah er ihn in der Sänfte sitzen, mit jenem Gewand bekleidet, und er warf sich auf ilm und begrüßte ihn und wünschte ihm Glück zu seiner Heimkehr. Auch alle die Großen des Reiches begrüßten ihn, und es ward kund, daß er die Wahrheit gesprochen hatte und daß kein Falsch an ihm war. Dann kam er in die Stadt in einem solchen Prunkzuge, daß selbst dem Löwen vor Neid die Gallenblase geplatzt wäre; und die Kaufleute eilten zu ihm und küßten den Boden vor ihm. Der Kaufmann 'All aber sprach zu ihm: ,Du hast diesen Streich gespielt, und er ist dir geglückt, du Erzgauner! Aber du verdienst es; möge Allah der Erhabene dir seine Gunst noch mehren!' Da mußte Ma'rûf lachen. Als er dann in den Palast eingezogen war, setzte er sich auf den Thron und rief: ,Bringt die Lasten Goldes in die Schatzkammer meines Schwiegervaters, des Königs! Die Lasten Tuch aber bringt hierher!' Die Diener brachten sie ihm und begannen, sie zu öffnen, eine Last nach der andern, und ihren Inhalt herauszunehmen, bis sie siebenhundert Lasten ausgepackt hatten. Dann suchte er die schönsten davon aus und befahl: ,Bringt sie der Prinzessin; sie möge sie an ihre Sklavinnen verteilen! Nehmt auch diese Truhe voll Juwelen und tragt sie zu ihr hinein; sie möge sie an die Sklavinnen und die Eunuchen verteilen!' Dann überreichte er den Kaufleuten, in deren Schuld er stand, Stoffe als Entgelt für ihre Darlehen, und zwar gab er jedem, der ihm tausend Dinare geliehen hatte, Stoffe im Werte von zweitausend oder mehr. Danach verteilte er Gaben an die Armen und Bedürftigen, während der König selbst zuschaute und ihn nicht zu hindern wagte; unaufhörlich spendete und gab er, bis er die siebenhundert Lasten verteilt hatte. Dann wandte er sich zu den Truppen und verteilte an sie Edelsteine, Smaragden und Hyazinthen, dazu Perlen und Korallen und noch anderen Schmuck, indem er die Juwelen mit vollen Händen hingab, ohne sie zu zählen. Da aber sprach der König zu ihm: ,Mein Sohn, laß es genug sein mit diesen Gaben; es ist ja von der ganzen Karawane nur noch wenig übrig geblieben!' Doch jener entgegnete ihm: ,Ich habe eine Menge.' So war seine Wahrhaftigkeit offenbar geworden, und niemand konnte ihn mehr der Lüge zeihen. Und er achtete nicht darauf, wieviel er verschenkte, da ihm der Diener des Ringes brachte, was er nur immer verlangte. Nun kam auch der Schatzmeister zum König und sprach zu ihm: ,O größter König unserer Zeit, die Schatzkammer ist voll und kann den Rest der Lasten nicht mehr fassen. Wohin sollen wir das tun, was von dem Gold und von den Edelsteinen noch übrig ist?' So wies er ihm denn einen anderen Raum an. Als aber Ma'rûfs Gattin sah, was sich dort begab, wuchs ihre Freude, und sie sprach verwundert bei sich selber: ,Wüßte ich nur, woher ihm all dies Gut zuteil geworden ist!' Ebenso freuten sich auch die Kaufleute über das, was er ihnen gegeben hatte, und sie segneten ihn. Der Kaufmann 'Alt jedoch sprach bei sich in seinem Staunen: ,Wie mag er wohl betrogen und gelogen haben, daß er all diese Schätze in seine Hand bekommen hat! Stammten sie von der Prinzessin. so hätte er sie nicht an die Armen verteilt. Doch wie schön ist das Wort dessen, der da sprach:Wenn der höchste König schenkt, Sollst du nach dem Grund nicht fragen. Allah spendet, wem Er will; Ehrfurchtsvoll sei dein Betragen! |
So viel von ihm. Aber auch der König staunte über die Maßen ob dessen, was er Ma'rûf tun sah, wie er so freigebig und großmütig den Reichtum verschwendete. Schließlich trat Ma'rûf zu seiner Gattin ein, und die empfing ihn mit strahlendem Lächeln und voll Freuden. und nachdem sie ihm die Hand geküßt hatte, sprach sie: ,Wolltest du dich über mich lustig machen oder mich auf die Probe stellen, als du sagtest, du wärest arm und auf der Flucht vor deiner Frau? Doch Preis sei Allah, daß ich meine Pflicht gegen dich nicht versäumt habe! Du bist mein Liebling, und niemand ist mir teurer als du, ob du nun reich oder arm bist. Aber ich möchte doch gern, daß du mir sagst, was du mit jenen Worten im Sinne hattest.' Er gab zur Antwort: ,Ich wollte dich auf die Probe stellen, um zu sehen, ob deine Liebe aufrichtig wäre oder ob sie dem Reichtum gälte und der Gier nach irdischem Gut entsprungen wäre. Doch nun ist es mir offenbar geworden, daß deine Liebe rein ist; und da du wahrhafte Liebe hegst, so sei mir von Herzen willkommen; ich kenne jetzt deinen Wert!' Darauf schloß er sich allein in ein Gemach ein und rieb den Ring; Abu es-Sa'adât erschien vor ihm und sprach zu ihm: ,Zu Diensten! Verlange, was du willst!' Ma'rûf erwiderte: ,Ich wünsche von dir eine kostbare Gewandung für meine Gattin und kostbaren Schmuck, der auch ein Halsband enthält mit vierzig einzigartigen
Juwelen.' ,Ich höre und gehorche!' sprach der Geist und brachte ihm, was er verlangt hatte. Ma'rûf aber nahm die Gewandung und den Schmuck, nachdem er den Diener des Ringes entlassen hatte, und ging wieder zu seiner Gattin, legte beides vor sie hin und sprach zu ihr: ,Nimm hin und kleide dich; dies sei ein Willkommensgruß für dich!' Als sie das sah, ward sie vor Freuden fast wie von Sinnen; und sie fand unter den Schmuckstücken zwei goldene Fußspangen, die mit Edelsteinen besetzt waren, ein Zauberwerk; ferner Armbänder, Ohrringe und einen Gürtel', deren Wert kein Geld bezahlen konnte. So legte sie denn die Gewandung und den Schmuck an und sprach: ,Mein Gebieter, ich will dies für die Feiertage und die Feste zurücklegen.' Aber er sagte: ,Trag es nur immer! Ich habe andere in Menge.' Als sie nun alles angelegt hatte und die Sklavinnen sie erblickten, freuten sie sich und küßten ihm die Hände. Doch er verließ sie wieder und schloß sich ein; dann rieb er den Ring, und als der dienende Geist vor ihm erschien, sprach er zu ihm: ,Bring mir hundert Gewandungen mit ihrem Schmuck!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Geist und brachte ihm die hundert Gewandungen, in die ihr Schmuck eingehüllt war. Ma'rûf nahm sie und rief die Sklavinnen; nachdem sie zu ihm gekommen waren, gab er einer jeden eine Gewandung. Da legten sie die Gewänder an und sahen nun aus wie die Paradiesesjungfrauen, während die Prinzessin unter ihnen wie der Mond unter den Sternen erstrahlte. Eine der Sklavinnen berichtete dem König davon; und der kam alsbald zu seiner Tochter herein. Doch als er sah, daß sie und ihre Sklavinnen jeden Beschauer blendeten, verwunderte er sich über die Maßen. Dann eilte er wieder hinaus. ließ den Wesir kommen und sprach zu ihm: ,O Wesir, das-Als wir ihn getrunken hatten und er leis gekrochen war Zu der Heimlichkeiten Stätte, da gebot ich ihm: Halt ein! Denn mich bangte, seine Strahlen könnten mir verderblich sein Und den Zechgenossen wurde mein Geheimnis offenbar. |
Wenn er uns dann berichtet hat, wie es in Wahrheit um ihn steht, so werden wir wissen, was es mit ihm auf sich hat, und werden mit ihm tun können, was wir wollen und wünschen;
denn ich fürchte für dich die Folgen dieses Treibens, das von ihm ausgeht. Vielleicht wird er gar nach der Herrschaft trachten und die Truppen durch Freigebigkeit und Verschwendung gewinnen, um dich abzusetzen und dir die Herrschaft zu rauben.' ,Du hast recht', erwiderte ihm der König. — —«Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 998. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß jener König, als der Wesir ihm seinen Plan ersonnen hatte, zu ihm sprach: ,Du hast recht.' Und einig in diesem Beschluß verbrachten sie die Nacht. Als es wieder Morgen ward, begab sich der König in das Wohngemach und setzte sich nieder; doch da stürzten plötzlich die Diener und die Stallknechte ganz verstört zu ihm herein. ,Was hat euch betroffen?' rief er ihnen zu; und sie antworteten: ,O größter König unserer Zeit, die Stallknechte hatten die Pferde gestriegelt und ihnen und den Maultieren, die das Gepäck gebracht hatten, Futter gegeben; aber heute morgen entdeckten wir, daß die Mainluken die Pferde und die Maultiere gestohlen haben. Wir haben die Ställe durchsucht, doch weder Pferde noch Maultiere gefunden. Und als wir in den Raum der Mamluken eintraten, sahen wir niemanden dort, und wir wissen nicht, wie sie entflohen sind.' Darüber staunte der König; denn er glaubte ja, daß jene Geister wirkliche Pferde und Maultiere und Mamluken wären, und er ahnte nicht, daß sie die Geisterwächter des Dieners des Ringes waren. Darum fuhr er die Leute an: ,Ihr Verfluchten, wie konnten tausend Tiere und fünfhundert Mamluken und dazu noch andere Diener entfliehen, ohne daß ihr etwas davon gemerkt habt?' Sie gaben nur zur Antwort: ,Wir wissen nicht, was mit uns geschehen ist, daß sie fortlaufen konnten!' Darauf
sagte der König: ,Geht, und wenn euer Herr aus dem Harem kommt, so teilt es ihm mit!' So gingen sie denn fort von dem Angesichte des Königs und setzten sich ratlos nieder. Und wie sie so dasaßen, trat Ma'rsûf aus dem Harem heraus und sah sie in ihrer Kümmernis. Da fragte er sie: ,Was gibt es?' Und sie berichteten ihm, was geschehen war. Er aber rief: ,Was sind sie wert, daß ihr über sie bekümmert seid? Geht eurer Wege!' Dann setzte er sich lächelnd, ohne über dies Geschehnis erzürnt oder bekümmert zu sein. Da schaute der König dem Wesir ins Angesicht und sprach: ,Was ist das für ein Mensch, für den der Reichtum keinen Wert hat? Das muß doch sicher einen eigenen Grund haben!' Dann plauderten sie eine Weile mit ihm, und nun hub der König an: ,Lieber Eidam, ich habe im Sinne. mit dir und dem Wesir in einen Blumengarten zu gehen, um uns dort zu vergnügen. Was sagst du dazu?' ,Das mag gern sein', erwiderte Ma'rûf, und so gingen sie denn fort und begaben sich in einen Garten, in dem allerlei Fruchtbäume paarweise standen, wo die Bächlein sprangen und die Bäume sich hoch in die Lüfte schwangen und die Vögelein sangen. Sie traten dort in ein Gartenhaus, das die Herzen von allem Kummer befreite, und setzten sich zum Plaudern nieder. Der Wesir erzählte seltsame Geschichten und unterhielt sie mit lustigen Berichten und heiteren Gedichten, und Ma'rûf lauschte auf das Geplauder, bis die Zeit des Mittagsmahles kam. Da brachte man den Speisetisch herein und auch den Krug mit Wein. Nachdem sie gegessen und ihre Hände gewaschen hatten, füllte der Wesir den Becher und reichte ihn dem König, der trank ihn aus. Dann füllte der Wesir einen zweiten und sprach zu Ma'rûf: ,Nimm den Becher, mit dem Tranke voll geschenkt, vor dem der Verstand in Ehrfurcht den Nacken senkt!' ,Was ist das, o Wesir?' fragte Ma'rûf; und jener gab zur Antwort: ,Dies ist die Maid im grauen Haar, die lange als Jungfer behütet war, die dem Herzen die Freude bringt, wie denn der Dichter von ihr singt:Trutz' ger fremder Heiden Fuße traten auf ihn rings umher;' An den Häuptern von Arabiens Söhnen nichte er sich schwer. Ihn kredenzt ein Sohn der Heiden, der ein Mond im Dunkel ist, Und in seinen Blicken lauert der Verführung starke List.' |
Und wie vortrefflich war der Mann, der da sprach:
Es ist, als sei der Wein und seines Bechers Träger, Wenn er den Zechgenossen naht und ihn kredenzt, Die Morgensonne, die da tanzt' und deren Antlitz Der Mond des Dunkels mit den Zwillingssternen kränzt. Er ist so fein und zart und seine Art so lind, Daß er gleichwie die Seele durch die Glieder rinnt. |
Wie schön ist auch das Dichterwort:
Der schöne Vollmond ruhte nachts in meinen Armen, Indes die Sonne mir am Becherhimmel schwand. Ich schaute immer, wie das Feuer, dem die Perser Sich beugen, mir sich beugte von des Kruges Rand. |
Ein anderer sprach:
Er fließet durch die Glieder hin, Wie Heilung durch die Krankheit fließt. |
Und wieder ein anderer sang:
Ich staune, wie der Reben Presser starben Und uns des Lebens Wasser hinterließen. |
Und schöner als dies ist das Lied des Abu Nuwâs :4
Nun tadle mich nicht mehr! Der Tadel reizt zum Zorne. Nein, heile mich mit dem, das auch die Krankheit bringt, |
Mit ihm, dem goldnen Trank, vor dem die Sorgen weichen, Von dem berührt, ein Stein sogar vor Freuden springt. Wenn er in seinem Krug zu dunkler Nachtzeit nahet, So strahlt von seinem Glanz im Haus ein heller Schein. Dann kreist er bei den Mannen, die das Glück begünstigt; Als ihrer Wünsche Ziel kehrt er bei ihnen ein, Kredenzt von einer Maid in Kleidern eines Knaben, Die Knabenfreund und Mädchenfreund mit Lieb erfüllt. Und sprich zu dem, der sich der Wissenschaften rühmet: Du kennst nur einen Teil: ein Teil ist dir verhüllt. |
Doch am schönsten von allen sang Ibn el-Mu'tazz:
Der Regen ströme reich auf das Zweistromland nieder Und Dair 'Abdûn, das dort im Baumesschatten liegt! Mich weckte dort zum Frühtrunk einst in alten Zeiten Beim ersten Morgengrauen, eh der Vogel fliegt, Der Sang der Klostermönche, die beim Gottesdienste In schwarzen Kutten dort am frühen Morgen schrein. Wie mancher Schöne unter ihnen schminkt die Augen Und schließt verträumt das Weiße in die Lider ein! Ein solcher kam zu mir, verhüllt vom Kleid des Dunkels, Und eilte seinen Schritt voll Furcht und Ängstlichkeit. Da legt ich meine Wange hinfür ihn zum Teppich In Demut und verbarg die Spur mit meinem Kleid. Das Licht des Neumonds schien und hätt uns fast verraten; Er glich dem Nagelspane, der vom Finger fiel. Und was geschah, geschah; ich mag es nicht verkünden. Doch denke Gutes nur, und frag danach nicht viel! |
Vortrefflich war auch der Mann, der da sang:
Ich bin der reichste Mann der Welt Und lebe froh in Saus und Braus. Ich habe lauter flüssig Gold Und messe es in Bechern aus. |
Und wie schön ist das Dichterwort:
Bei Gott, dies ist die einzige Chemie, Was sonst darin gelehrt wird, das sind Lügen: Ein Quentchen Wein auf einen Zentner Gram Verwandelt ihn aufs schnellste in Vergnügen. |
So auch das Wort eines anderen:
Wenn leer die Gläser kommen, sind sie schwer, Bis man mit ungemischtem Wein sie füllt. Dann sind sie leicht und fliegen fast empor, Gleichwie der Leib, wenn er den Geist umhüllt. |
Und noch das Wort eines anderen:
Dem Becher und dem roten Wein sei hohe Ehre; Ihr Recht ist, daß man ihre Rechte nie beschränkt! Wenn ich gestorben bin, begrabt mich bei der Rebe, Auf daß ihr edler Saft mein tot Gebein noch tränkt! Begrabt mich aber nicht im trocknen Wüstensand; Mir graut es, den zu kosten, wenn mein Leben schwand.' |
So reizte er ihn zum Trinken unverwandt, indem er ihm die Tugenden des Weines rühmte, die er für schön befand; er trug ihm vor, was darüber bekannt war an Gedichten und heiteren Geschichten, bis Ma'rûf begann, am Rande des Bechers zu saugen, und glaubte, ihm könne nichts anderes mehr taugen. Immer wieder schenkte der Wesir ihm ein, während jener trank und fröhlich und guter Dinge war, bis ihm die Besinnung schwand und er den Unterschied zwischen Recht und Unrecht nicht mehr fand. Und als der Wesir bemerkte, daß die Trunkenheit in ihm den höchsten Grad erreicht, ja die Grenzen überschritten hatte, da sprach er zu ihm: ,0 Kaufmann Ma'rûf, bei Allah, ich wundere mich, woher du diese Juwelen erhalten hast, derengleichen sich nicht einmal bei den Perserkönigen finden. In unserem ganzen Leben haben wir noch keinen Kaufmann gesehen, der solche Reichtümer besäße wie du, auch keinen, der freigebiger wäre als du; dein Tun ist das
Tun von Königen, nicht das Tun von Kaufleuten. Ich beschwöre dich bei Allah, tu es mir kund, auf daß ich deinen wahren Wert und Rang erkenne!' Und er fuhr fort in ihn zu dringen und ihm zu schmeicheln, bis Ma'rûf, der keine Gewalt mehr über sich hatte, zu ihm sprach: ,Ich bin weder ein Kaufmann, noch gehöre ich zu den Königen', und ihm seine Geschichte von Anfang bis zu Ende erzählte. Darauf bat der Wesir ihn: ,üm Allahs willen, mein Gebieter Ma'rûf, zeige uns diesen Ring, auf daß wir sehen, wie er gefertigt ist!' In seiner Trunkenheit zog er den Ring vom Finger und sprach: ,Nehmt ihn und schaut ihn euch an!' Sofort nahm der Wesir ihn und wendete ihn hin und her, indem er sprach: ,Wird mir der Diener erscheinen, wenn ich den Ring reibe?' ,Jawohl,' antwortete Ma'rûf, ,reib ihn nur, dann kommt der Geist zu dir, und du kannst ihn dir ansehen!' So rieb der Wesir den Ring, und plötzlich rief eine Stimme: ,Zu Diensten, mein Gebieter! Verlange, so wird dir gegeben! Willst du eine Stadt vernichten oder eine Stadt aufbauen oder einen König töten? Was du nur immer verlangst, werde ich für dich tun ohne Widerrede.' Der Wesir aber zeigte auf Ma'rûf und sprach zu dem Geist: ,Heb diesen Elenden hoch und wirf ihn in der ödesten der Wüsteneien nieder, dort, wo er weder zu essen noch zu trinken findet, so daß er vor Hunger umkommt und elendiglich stirbt, ohne daß jemand um ihn weiß!' Da ergriff der Geist ihn und flog mit ihm zwischen Himmel und Erde dahin; als Ma'rûf das sah, fühlte er sicher, daß er in schlimmer Gefahr und dem Untergange nahe war, und er rief unter Tränen: ,O Abu es-Sa'adât, wohin willst du mich bringen?' Der gab ihm zur Antwort: ,Ich will dich im Wüsten Viertel' niederwerfen,Wenden wir uns nun von ihm wieder zum Wesir! Als der im Besitze des Ringes war, sprach er zum König: ,Was dünkt dich nun? Habe ich dir nicht gesagt, daß dieser Mann ein Belüger und Betrüger ist? Du aber wolltest mir nicht glauben.' ,Du hast recht, mein Wesir,' erwiderte ihm der König, ,Allah gewähre dir Wohlergehen! Gib mir jetzt den Ring, damit auch ich ihn mir ansehe!' Aber der Wesir blickte auf ihn voll Grimm und spie ihm ins Angesicht und rief: ,O du Dummkopf! Wie werde ich ihn dir geben und dein Diener bleiben, nachdem ich dein Herr geworden bin? Nein, ich will dich überhaupt nicht mehr am Leben lassen!' Dann rieb er den Ring, und als der Geist erschien, befahl er ihm: ,Heb diesen frechen Burschen auf und wirf ihn an derselben Stätte nieder, an die du seinen Eidam, den Betrüger, geworfen hast!' Jener hob ihn auf und flog mit ihm davon. Doch der König sprach zu ihm: ,O Geschöpf
Gottes, was ist meine Schulde' Der Diener des Ringes antwortete ihm: ,Ich weiß es nicht; das hat mir nur mein Herr befohlen, und ich kann dem nicht zuwiderhandeln, der diesen Zauberring besitzt.' So flog er denn weiter mit ihm, bis er ihn an der Stätte niederwarf, an der Ma'rûf lag; dann kehrte er um und ließ ihn dort liegen. Der König hörte Ma'rûf weinen, und er trat zu ihm und berichtete ihm, was geschehen war. Da saßen nun die beiden und weinten über das Geschick, das sie betroffen hatte; und sie fanden weder Speise noch Trank. Kehren wir jetzt zu dem Wesir zurück! Der machte sich auf, nachdem er Ma'rûf und den König beiseite geschafft hatte, und verließ den Garten; dann ließ er alle Krieger kommen, hielt eine Staatsversammlung ab und berichtete ihnen, was er mit Ma'rûf und mit dem König getan hatte; auch tat er ihnen kund, was es mit dem Ringe auf sich hatte, und sprach zu ihnen: ,Wenn ihr mich nicht zu eurem Sultan macht, so befehle ich dem Diener des Ringes, daß er euch alle fortträgt und in das Wüste Viertel wirft, und dort mögt ihr dann vor Hunger und Durst umkommen.' Sie erwiderten ihm: ,Tu uns kein Leid an! Wir sind es zufrieden, daß du Sultan über uns bist, und wir wollen deinem Befehl nicht ungehorsam sein.' So fügten sie sich wider ihren Willen darein, daß er ihr Sultan ward, und er verlieh ihnen Ehrengewänder; darauf begann er, von Abu es-Sa'adât alles zu verlangen, was er wollte, und der brachte es ihm auf der Stelle. Nachdem er sich dann auf den Thron gesetzt hatte und die Krieger ihm gehuldigt hatten, sandte er zu der Tochter des Königs und ließ ihr ,Mache dich bereit; ich will noch heute nacht zu dir eingehen, denn ich trage Verlangen nach dir!' Da hub sie an zu weinen voll Trauer über ihren Vater und ihren Gatten, und sie ließ dem Wesir durch einen Boten sagen: ,Habe Geduld mit mir, bis die Zeit der Witwenschaft' verstrichen ist; dann magst du den Ehevertrag mit mir schließen und in erlaubter Weise zu mir eingehen!' Doch er sandte wieder einen Boten zu ihr und ließ ihr sagen: ,Ich kenne keine Witwenzeit noch irgendwelche Saumseligkeit; ich brauche auch keinen Ehevertrag, ich mache keinen Unterschied zwischen Erlaubt und Unerlaubt, ich will nichts anderes, als heute nacht zu dir eingehen.' Darauf ließ sie ihm durch den Boten sagen: ,So sei mir willkommen! Es mag denn geschehen!' Aber das war nur eine List von ihr. Als nun die Antwort zum Wesir zurückkam, freute er sich, und die Brust ward ihm weit; denn er war von heißer Liebe zu der Prinzessin entbrannt. Darauf befahl er, allen Leuten Speisen vorzusetzen, und sprach: ,Esset von diesen Speisen; dies ist ein Hochzeitsmahl, denn ich will heute nacht zu der Prinzessin eingehen!' Doch der Scheich el-Islam sprach: ,Es ist dir nicht erlaubt, zu ihr einzugehen, ehe ihre Witwenzeit vollendet ist und du ihr den Ehevertrag hast niederschreiben lassen.' Jener rief: ,Ich kenne keine Witwenzeit, noch irgendwelche Saumseligkeit; also mache mir nicht viele Worte!' Da schwieg der Scheich el-Islam, aus Furcht vor seiner Bosheit, doch er sprach zu den Kriegern: ,Dies ist ein Ungläubiger, er hat weder Glauben noch Satzung!' Als es Abend war, ging der Wesir zu der Prinzessin hinein und fand sie mit ihren prächtigsten Gewändern angetan und mit dem schönsten Schmuck geschmückt. Sobald sie ihn erblickte, kam sie ihm lächelnd entgegen und sprach zu ihm: ,Eine gesegnete Nacht! Wenn du meinen Vater und meinen Gatten getötet hättest, so wäre mir das noch lieber gewesen.' Er antwortete ihr: ,Ich werde sie schon sicher zu Tode bringen.' Darauf ließ sie ihn sich setzen und begann mit ihm zu scherzen und ihm Liebe zu zeigen; und wie sie ihn so liebi.Ich hab durch meine List erreicht. Was man durch Schwerter nicht erringt, Und bin mit Beute heimgekehrt, Die manche süßen Früchte bringt. |
Als er ihre Liebkosungen und ihr Lächeln sah, entbrannte in ihm die Leidenschaft, und er verlangte, mit ihr in Liebe sich zu vereinen. Doch wie er sich ihr nahte, wich sie vor ihm zurück und weinte und sprach: ,Mein Gebieter, siehst du nicht den Mann, der uns zuschaut? Um Allahs willen, verbirg mich vor seinem Auge! Wie kannst du dich in Liebe mit mir vereinen, wenn er uns zusieht?' Da rief er zornig: ,Wo ist der Mann?' Und sie erwiderte: ,Da ist er, im Stein des Siegelrings! Er steckt seinen Kopf heraus und schaut uns an.' So glaubte er denn, daß der Diener des Ringes ihnen beiden zusehe, doch er sprach lächelnd: ,Fürchte dich nicht! Das ist der Diener des Ringes, und der ist mir untertan.' Darauf entgegnete sie: ,Ich fürchte mich vor Geistern; tu den Ring ab und wirf ihn weit von mir weg!' So zog er den Ring vom Finger und legte ihn auf das Kissen. Als er aber sich ihr nahte, da versetzte sie ihm mit ihrem Fuße einen Tritt gegen seinen Leib, so daß er rücklings niederfiel und in Ohnmacht sank. Dann rief sie laut nach ihren Dienerinnen, und als die rasch zu ihr geeilt waren, befahl sie: ,Ergreift ihn!' Nachdem vierzig Sklavinnen ihn gepackt hatten, nahm sie in aller Hast den Ring von dem Kissen und
Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 1000. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Truppen sich im Übermaße ihres Zornes im Staatssaale versammelten und über den Wesir redeten und über das, was er dem König und seinem Eidam und seiner Tochter angetan hatte, und daß dann plötzlich der König zu ihnen in den Saal eintrat und mit ihm sein Eidam Ma'rfif. Als die Truppen ihn sahen, freuten sie sich über sein Kommen, und sie erhoben sich und küßten den Boden vor ihm. Dann setzte er sich auf den Thron, und wie er ihnen die Geschichte erzählte, wich von ihnen, was sie quälte. Darauf befahl er, die Stadt zu schmücken, und er ließ den Wesir aus dem Kerker holen; als der bei den Truppen vorbeigebracht wurde, verfluchten und schmähten und schalten sie ihn so lange, bis er vor dem König ankam. Als er nun vor dem König stand, befahl der, ihn in schmählichster Weise hinzurichten; und nachdem man ihn hingerichtet hatte, verbrannte man ihn, so daß er ins Höllenfeuer fuhr vor Schmach; und trefflich sagte von ihm, der da sprach:
Seine Beingruft finde keine Gnade beim Erbarmungsreichen, Und die beiden Todesengel mögen niemals von ihr weichen! |
Der König machte dann Ma'rûf zu seinem Wesir der Rechten, und nun geschah es, daß die Zeiten ihnen Freude machten und heitere Wonnen ihnen lachten und sie fünf Jahre in dieser Weise verbrachten. Im sechsten Jahre aber starb der König; da setzte die Prinzessin ihren Gatten zum Sultan ein an ihres Vaters Stelle; aber den Ring gab sie ihm nicht. Während dieser Zeit hatte sie von ihm empfangen und einen Knaben
zur Welt gebracht, ein Kindlein von wundersamer Lieblichkeit und von hoher Schönheit und Vollkommenheit. der bei den Pflegerinnen zärtliche Fürsorge fand, bis er im Alter von fünf Jahren stand. Doch da ward seine Mutter von einer tödlichen Krankheit befallen, und sie rief Ma'rûf und sprach zu ihm: ,Ich bin krank.' ,Gott schütze dich. Geliebte meines Herzens!' erwiderte er ihr; und sie fuhr fort: ,Vielleicht werde ich sterben; es ist nicht nötig, daß ich deinen Sohn deiner Sorge empfehle, nur das möchte ich dir ans Herz legen, daß du den Ring hütest, da ich um dich und um den Knaben besorgt bin.' Darauf sagte er: ,Wen Allah behütet, dem wird kein Leid widerfahren.' Doch sie zog den Ring vom Finger und gab ihn ihm. Am nächsten Tage ging sie ein zur Barmherzigkeit Allahs des Erhabenen; er aber widmete sich als König weiter den Geschäften des Herrschers. Da begab sich eines Tages das folgende Ereignis. Er hatte das Tuch der Entlassung geschüttelt, und die Truppen hatten sich aus seiner Gegenwart in ihre Wohnungen zurückgezogen; dann trat er in sein Wohngemach und setzte sich dort nieder, bis der Tag zur Rüste ging und die Nacht alles mit ihrem Dunkel umfing. Nun kamen seine Tischgenossen von den Vornehmen nach ihrer Gewohnheit zu ihm und blieben bis zur Mitternacht bei ihm, um mit ihm heiter und guter Dinge zu sein; und nachdem sie ihn um Erlaubnis gebeten hatten, sich zurückzuziehen, gab er ihnen Urlaub, und sie gingen fort von ihm in ihre Häuser. Darauf kam eine Sklavin zu ihm, deren Dienst es war, sein Lager zu bereiten, und sie breitete ihm die Kissen, nahm ihm seine Gewandung ab und legte ihm die Nachtgewänder an. Als er sich niedergelegt hatte, knetete sie ihm die Füße, bis ihn der Schlaf überkam; dann verließ sie ihn, begab sich in ihr Schlafgemach und legte sich zur Ruhe nieder. Also tat sie; aber sehen wir nun, was mit dem König Ma'rûf geschah! Während er schlief, fühlte er plötzlich ganz unvermutet etwas neben sich im Bett, und er fuhr erschrocken auf und rief: ,Ich nehme meine Zuflucht zu Allah vor dem verfluchten Satan!' Als er jedoch die Augen öffnete, sah er neben sich eine Frau, die häßlich anzuschauen war, und er fragte sie: ,Wer bist du?' Sie erwiderte: ,Fürchte dich nicht, ich bin deine Gattin Fâtima das Scheusal.' Da schaute er ihr ins Antlitz und erkannte sie an ihrem scheußlichen Aussehen und ihren langen Eckzähnen. Er fragte weiter: ,Wie kommst du zu mir? Wer hat dich in dies Land gebracht?' Sie entgegnete ihm: ,In welchem Lande bist du denn jetzt?' ,In der Stadt Ichtijân' el-Chotan. Und wann hast du Kairo verlassen?' ,Eben jetzt.' ,Wie kann das sein?' Da erzählte sie: ,Wisse, als ich mich mit dir überworfen und dich bei den Machthabern verklagt hatte, weil der Satan mir einflüsterte, dir zu schaden, da suchte man dich, aber man fand dich nicht mehr; und die Kadis fragten nach dir, doch sie bekamen dich nicht zu sehen. Nachdem aber zwei Tage verstrichen waren, packte mich die Reue, und ich sah ein, daß die Schuld an mir lag; allein die Reue nützte mir nichts. So saß ich denn eine Reihe von Tagen da und weinte um deinen Verlust, bis alles, was ich noch hatte, zur Neige ging und ich gezwungen war zu betteln, um mein Leben zu fristen. Und ich begann bei allen zu betteln, bei Reichen, die voll Neid betrachtet werden, und bei Armen, die verachtet werden; seit du mich verlassen hast, aß ich durch schimpfliches Betteln mein Brot und war in der allerärgsten Not. Jede Nacht saß ich da und weinte um deinen Verlust und um alles, was ich seit deinem Fortgehen erdulden mußte an Schmach und Niedrigkeit, an Elend und Herzeleid.' So berichtete sie ihm, wie es ihr ergangen war, während er sieBemühe dich, den Herzen Leiden zu ersparen! Nach der Entfremdung wird die Umkehr ihnen schwer. Denn sind die Herzen erst der Liebe ganz entfremdet, Sind sie wie ein zersprungnes Glas - es heut nicht mehr. |
Ma'rûf nahm sie auch nicht wegen einer löblichen Eigenschaft auf, die sie besessen hätte, sondern er behandelte sie ehrenvoll, da erdas Wohlgefallen Allahs des Erhabenen zu gewinnen suchte. «
Hier unterbrach Dinazâd ihre Schwester Schehrezâd mit den Worten: »Wie sehr können diese Reden entzücken, die stärker als Zauberblicke die Herzen berücken! Wie schön sind diese seltsamen Geschichten mit ihren wunderbaren Berichten!« Schehrezâd erwiderte ihr: »Was ist all dies im Vergleich zu dem, was ich euch in der kommenden Nacht erzählen werde, wenn ich noch am Leben bin und der König mich verschont!« Als dann der Morgen sich erhob und die Welt mit seinen leuchtenden Strahlen durchwob, erwachte der König mit freier Brust und gespannt auf das Ende der Geschichte. Und er sprach bei sich selber: »Bei Allah, ich will sie nicht töten, bis
ich das Ende ihrer Geschichte gehört habe. «Darauf ging er in seinen Staatssaal, und der Wesir kam wie immer mit dem Totenlaken unter dem Arm. Nachdem der König unter dem Volke den ganzen Tag über seines Amtes gewaltet hatte, begab er sich in seinen Frauenpalast und ging hinein zu seiner Gemahlin Schehrezâd, der Tochter des Wesirs, wie er es gewohnt war. Schehrezâd hatte ja bemerkt, daß der Morgen begann, und hielt damals in der verstatteten Rede an. Doch als die Tausendunderste Nacht anbrach, die letzte Nacht dieses Buches, und als der König in seinen Frauenpalast geschritten und zu seiner Gemahlin Schehrezâd, der Tochter des Wesirs, hineingegangen war, sprach ihre Schwester Dinazâd zu ihr: »Erzähle uns die Geschichte von Ma'rûf zu Ende!« Sie antwortete: »Herzlich gern, wenn der König mir erlaubt zu erzählen. «Da sagte der König zu ihr: »Ich erlaube dir zu erzählen; denn ich bin begierig, das Ende zuhören. «So fuhr sie denn fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Ma'rûf sich nicht mehr um die Ehe mit seiner Frau kümmerte, sondern sie ernährte, indem er auf den Lohn Allahs des Erhabenen hoffte. Doch als sie sah, daß er sich von ihrer Umarmung fernhielt und sich anderen zuwandte, begann sie ihn zu hassen, und die Eifersucht gewann Gewalt über sie, und der Teufel flüsterte ihr ein, sie solle ihm den Ring entwenden und ihn töten und sich selbst zur Königin an seiner Statt machen. Deshalb machte sie sich eines Nachts auf und verließ ihr Schloß, um sich in das Schloß zu begeben, in dem ihr Gatte, der König Ma'rûf, wohnte. Nun traf es sich nach dem Ratschluß, den die Vorsehung für gut befand, und dem Geschick, wie es geschrieben stand, daß Ma'rûf bei einer seiner Odalisken ruhte, einer Maid von Schönheit und Lieblichkeit und des Wuchses Ebenmäßigkeit. Und er pflegte in seiner schönen Frömmigkeit den Ring von seinem Finger zu ziehen, wenn er bei einer Odaliske zu ruhen gedachte, aus Ehrfurcht vor den heiligen Namen, die darauf geschrieben standen, und ihn erst nach der Reinigung wieder anzulegen. Und seine Frau, Fâtima das Scheusal, verließ damals ihre Wohnung erst, nachdem sie erfahren hatte, daß er vor dem Beilager den Ring vom Finger zu ziehen und auf den Kissen liegen zu lassen pflegte bis zur Reinigung. Ferner war es seine Gewohnheit, nach dem Beilager der Odaliske zu befehlen, sie solle ihn verlassen, da er um den Ring besorgt war. Wenn er dann zum Bade ging, so verschloß er die Tür des Gemaches. bis er aus dem Bade zurückkehrte, den Ring nahm und wieder anlegte; darauf konnte ein jeder ungehindert in das Zimmer eintreten. Von alledem wußte Fâtima, und deshalb hatte sie sich bei Nacht fortgeschlichen, um zu ihm in das Gemach einzudringen, während er in tiefem Schlafe lag, und ihm den Ring zu stehlen, ohne daß er sie sähe. Als sie sich fortschlich, war gerade zufällig der Sohn des Königs ins geheime Kämmerlein gegangen, um im Dunkeln ein Bedürfnis zu verrichten; und er hockte dort ohne Licht über dem Loch in der Marmorplatte nieder, nachdem er die Tür offen gelassen hatte. Wie nun Fâtima aus ihrem Schloß fortgegangen war, sah er sie auf das Schloß seines Vaters zueilen, und er sprach bei sich: ,Warum hat wohl diese Hexe ihr Schloß im Schatten der Dunkelheit verlassen? Warum sehe ich sie nach dem Schlosse meines Vaters schleichen? Das muß sicher einen eigenen Grund haben.' Darauf ging er hinter ihr her und folgte ihrer Spur, ohne daß sie um sah. Er trug aber ein kurzes Damaszenerschwert, und er ging nie in den Staatssaal seines Vaters, ohne sich mit jenem Schwert umgürtet zu haben, da es ihm so teuer war. Wenn sein Vater um damit sah, so pflegte er wohl über ihn zu lächeln und zu rufen: ,Wunder Gottes! Dein Schwert da ist ja prächtig, mein Sohn. Aber du bist mit ihm noch nicht in den Krieg gezogen und hast auch noch keinen Kopf mit ihm abgeschlagen.' Dann antwortete der Knabe ihm: ,Ich werde sicherlich noch einmal mit ihm ein Haupt abschlagen, das die Köpfung verdient.' Über seine Worte pflegte der König zu lachen. Wie er nun der Frau seines Vaters nachging, zog er das Schwert aus der Scheide und folgte der Alten, bis sie in das Gemach des Königs hineinschlich. Er blieb an der Tür des Gemaches stehen und beobachtete sie; da sah er, wie sie umhersuchte, indem sie sprach: ,Wohin hat er wohl den Ring gelegt?' So wußte er, daß sie nach dem Ringe suchte, und wartete ab, bis sie ihn gefunden hatte, und sagte: .Da ist er!' Sie nahm ihn an sich und wollte heimlich forteilen, während er hinter der Tür verborgen war. Nachdem sie aus der Tür herausgetreten war, schaute sie den Ring an und wandte ihn in der Hand hin und her, und gerade wollte sie ihn reiben. da erhob er den Arm mit dem Schwerte und traf sie auf den Nacken. Sie stieß einen einzigen Schrei aus und sank tot nieder. Ma'rûf erwachte und sah seine Frau am Boden liegen, von Blut überströmt, und seinen Sohn mit gezücktem Schwert in der Hand dastehen. ,Was bedeutet dies, mein Sohn?' fragte er; und jener antwortete: ,Mein Vater, wie oft hast du zu mir gesagt: ,Dein Schwert da ist ja prächtig; aber du bist mit ihm noch nicht in die Schlacht gezogen und hast noch keinen Kopf mit ihm abgeschlagen!' Und ich antwortete dir dann: ,Ich werde sicherlich noch einmal mit ihm ein Haupt abschlagen, das die Köpfung verdient.' Siehe da, jetzt habe ich für dich ein Haupt abgeschlagen, das die Köpfung wahrlich verdiente!' Und er berichtete ihm, was sie getan hatte. Da suchte Ma'rûf nach dein Ringe, aber er konnte ihn nicht finden; erst nachdem er lange an ihren Gliedern gesucht hatte, sah er, daß ihre Hand über ihm geschlossen war. Dann nahm er den Ring aus ihrer Hand und sprach zu dem Prinzen: ,Du bist mein rechter Sohn, unstreitig und ohne Zweifel. Allah gebe dir Frieden in dieser und in jener Welt, wie du mir Frieden vor dieser Ruchlosen gebracht hast! Sie hat sich durch ihr eigenes Tun zugrunde gerichtet; und vortrefflich war der Mann, der da sprach:Wenn Gottes Hilfe einem Mann zur Seite steht, So wird ihm der Erfolg in allen Dingen blühn. Doch wenn von Gott dem Menschen keine Hilfe wird, So schadet ihm zuerst sein eigenes Bemühn. |
Dann rief König Ma'rûf laut nach einigen seiner Diener; die kamen herbeigeeilt, und er berichtet ihnen, was seine Frau, Fâtima das Scheusal, getan hatte. Darauf befahl er ihnen, ihre Leiche zu nehmen und bis zum Morgen beiseite zu legen. Sie taten, wie er sie geheißen hatte. So beauftragte er denn einige Eunuchen mit ihrer Herrichtung, und die wuschen sie, hüllten sie in das Totenlaken, hielten ein Leichenbegängnis und begruben sie. So war ihr Kommen aus Kairo nur eine Fahrt zu ihrem Grabe. Vortrefflich war der Mann, der da sprach:
Wir gehen einen Pfad, der Für uns vorgesehen; Und wem ein Pfad beschieden ist, der muß ihn gehen. Und droht an einer Stätte einem sein Verderben, So wird er nur gerad an dieser Stätte sterben. |
Und wie schön ist das Dichterwort:
Wenn ich nach einem Lande zieh und Gutes suche, So weiß ich niemals, was von beiden mir dort naht: Ob es das Gute ist, das ich im Sinne habe; Ob es das Böse ist, das mich im Sinne hat. |
Nun ließ König Ma'rûf den Ackersmann kommen, dessen Gast er auf seiner Flucht gewesen war; und als der vor ihm erschienen war, machte er ihn zum Wesir der Rechten und zu
seinem Ratgeber. Als er dann erfuhr, daß jener eine Tochter hatte von herrlicher Schönheit und Lieblichkeit und von edler Sittsamkeit, von einem Wesen voll Vornehmheit und von hoher Würdigkeit, so vermählte er sich mit ihr; und nach einer Weile vermählte er auch seinen Sohn. Sie führten noch eine Weile das herrlichste Leben, indem die Zeiten ihnen Freude machten und alle Wonnen ihnen lachten, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und die Freundesbande zerreißt, der da gebietet, daß blühende Städte in der Einöde verschwinden und daß Söhne und Töchter ihre Eltern nicht mehr finden. Preis aber sei Ihm, dem Lebendigen, der nie dem Tode verfällt und der die Schlüssel der sichtbaren und unsichtbaren Welt in den Händen hält!«
SCHLUSS
Nun hatte Schehrezâd in dieser Zeit dem König drei Knaben geboren, und als sie diese letzte Geschichte beendet hatte, erhob sie sich, küßte dann den Boden vor dem König und sprach zu ihm: »O größter König unserer Zeit, im ganzen Jahrhundert einzigartig weit und breit, siehe, ich bin deine Magd, und ich habe dich nun tausendundeine Nacht hindurch unterhalten mit Geschichten aus der Vergangenheit und lehrreichen Beispielen aus früherer Zeit. Darf ich jetzt an deine Majestät einen Wunsch richten und mir von dir eine Gnade erbitten? « Der König erwiderte ihr: »Bitte, es soll dir gewährt sein, o Schehrezâd!« Da rief sie die Ammen und die Eunuchen und sprach zu ihnen: »Bringet meine Kinder!« Jene brachten die Kinder in Eile; es waren drei Knaben, einer von ihnen ging, der andere kroch, und der dritte lag an der Brust. Und als sie nun bei ihr waren, nahm sie alle drei und
brachte sie vor den König, küßte den Boden vor ihm und sprach: »O größter König unserer Zeit, dies sind deine Kinder, und ich flehe dich an, daß du mir den Tod erlässest um dieser unmündigen Knaben willen. Wenn du mich tötest, so sind diese Kleinen ohne Mutter, und sie werden unter den Frauen keine finden, die sie in rechter Weise erzieht. «Da weinte der König und drückte die Knaben an seine Brust. Und er sprach: »O Schehrezâd, bei Allah, ich hatte dich schon freigesprochen, ehe diese Kinder kamen; denn ich habe dich als keusch und rein, edel und fromm erfunden. Allah segne dich und deinen Vater und deine Mutter, deine Wurzel und deinen Zweig! Und ich rufe Allah zum Zeugen wider mich an, daß ich dich freigesprochen habe von allem, was dir schaden kann. «Nun küßte sie ihm die Füße und freute sich über die Maßen und sprach zu ihm: »Allah schenke dir ein langes Leben und mehre deine Majestät und deine Würde!«Alsbald verbreitete sich die Freude im Schlosse des Königs, und sie strömte auch durch die ganze Stadt. Jene Nacht zählte zum irdischen Leben nicht, und ihre Farbe war weißer als des Tages helles Angesicht. Am anderen Morgen erhob sich der König, von Freude berückt und über die Maßen beglückt; dann ließ er alle Krieger kommen und verlieh dem Wesir, dem Vater Schehrezâds, ein prächtiges, kostbares Ehrengewand, indem er zu ihm sprach: »Allah schütze dich dafür, daß du mir deine edle Tochter zur Gemahlin gegeben hast, sie, die der Anlaß war, daß ich mich vom Töten der Töchter des Volkes abgewandt habe. Ich habe sie als edel und rein, keusch und tugendhaft erfunden; und Allah hat mir durch sie drei Söhne geschenkt. Preis sei Ihm für diese reiche Huld!<( Darauf verlieh er Ehrengewänder an all die Wesire und Emire und Großen des Reiches und befahl, daß die Stadt dreißig Tagelang geschmückt werden sollte; und er gab Weisung, daß keiner von den Bewohnern der Stadt etwas von seinem eigenen Gelde ausgeben solle, sondern alle Kosten und Ausgaben sollten aus dem Schatze das Königs bestritten werden. So schmückten sie denn die Stadt in herrlichster Weise wie nie zuvor; die Trommeln wurden geschlagen, und die Flöten wurden geblasen, und alle Spielleute trieben ihre Kurzweil, während der König reiche Gaben und Spenden an sie austeilte und den Armen und Bedürftigen Almosen gab, und alle seine Untertanen, alles Volk seines Reiches mit seiner Huld umfaßte. Und erlebte mit dem Volke seines Reiches in Glück und Seligkeit, in Freuden und Fröhlichkeit, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und die Freundesbande zerreißt. Preis sei Ihm, über den der Kreislauf der Zeiten keine Macht der Vernichtung hat, dem nie etwas von allem Wandel naht; den nie ein Ding von einem andern Ding abwendet, der einzig ist, in sich vollendet! Und Segen und Heil ruhe auf dem Verkünder Seiner Herrlichkeit, dem Auserwählten unter seinen Geschöpfen, unserem Herrn Mohammed, zum Herrn der Menschheit ausersehen, durch den wir zu Gott um ein seliges Ende flehen! ANHANG: ZUR ENTSTEHUNG UND GESCHICHTE VON TAUSENDUNDEINER NACHT
DIE ÜBERTRAGUNG
AUS DEM ARABISCHEN
Im Jahre 1918 ward mir vom Insel-Verlag der Auftrag zuteil, die frühere Insel-Ausgabe von Tausendundeiner Nacht, die von Felix Paul Greve auf Grund der Burtonschen englischen Ausgabe besorgt war, mit der Calcuttaer Ausgabe vom Jahre 1839 zu vergleichen und nach ihr zu verbessern. Bei der Herstellung des ersten Bandes der vorliegenden Übersetzung suchte ich diesen Grundsatz durchzuführen, in dem ich Übersetzungsfehler verbesserte, den Stil im allgemeinen dem arabischen Erzählungs stile näher anzupassen versuchte, ferner alle Stellen mit Reimprosa und alle Gedichte neu übersetzte. Vom zweiten Bande an jedoch habe ich eine vollständig neue Übersetzung niedergeschrieben, bei der ich öfters die Grevesche Übertragung mit Nutzen zu Rate gezogen habe. Meine Übersetzung wird auf dem Titel bezeichnet als »Vollständige deutsche Ausgabe in sechs Bänden. Zum ersten Mal nach dem arabischen Urtext der Calcuttaer Ausgabe vom Jahre 1839 übertragen«. Dieser Titel ist zu rechtfertigen. Es sind zwar schon früher deutsche Übersetzungen aus dem Arabischen veröffentlicht worden, von denen besonders die von Weil (Stuttgart und Pforzheim 1839 bis 1842) und die von Henning (in Reclams Universal-Bibliothek, Schlußwort vom 30. November 1897) hervorzuheben sind. Weil legte die erste Bulaker und die Breslauer Ausgabe' zugrunde sowie eine Gothaer Handschrift, Henning übersetzte nach einer späteren Bulaker Ausgabe und fügte die nicht darin enthaltenen Geschichten nach anderen Ausgaben hinzu, so viele ihrer damals bekannt waren. Beide Übersetzungen sind aber nicht in jeder Hinsicht vollständig;
BAND n: Die Geschichte von 'Alâed-Dîn und der Wunderlampe; nach einer von Zotenberg herausgegebenen Pariser Handschrift. Die Geschichte von Ah Baba und den vierzig Räubern; nach einer von Macdonald herausgegebenen Oxforder Handschrift.
BAND an: Die Geschichte von dem Prinzen Ahmed und der Fee Perî Banû; nach Burton. Die Geschichte von Abu el-Hasan oder dem erwachten Schläfer; nach der Breslauer Ausgabe. Die Geschichte von der Weiberlist; nach der ersten Calcuttaer Ausgabe.
BAND IV: Der Schluß der sechsten Reise Sindbads und die siebente Reise Sindbads; nach der ersten Calcuttaer Ausgabe.
Ergänzungen in der Geschichte von der Messingstadt. Das Ende der Geschichte von Sindbad und den sieben Wesiren. Die Geschichte von el-Malik ez-Zâhir Rukn ed-Dîn Baibars el-Bundukdâri und den sechzehn Wachthauptleuten; nach der Breslauer Ausgabe.BAND V: Die Geschichte von den beiden Schwestern, die ihre jüngste Schwester beneideten; nach Burton.
BAND vi: Die Geschichte von Zain el-Asnâm; nach einer von F. Groff herausgegebenen Pariser Handschrift. Die Geschichte von dem nächtlichen Abenteuer des Kaufen. Die Geschichte von Chudadâd und seinen Brüdern. Die Geschichte von 'All Chawâdscha und dem Kaufmann von Baghdad; nach Burton.
Was »Burton«in dieser Aufzählung bedeutet, ist aus Band III, Seite 7, Anmerkung 2 zu ersehen. Aus dieser Liste ergibt sich aber auch, daß von den Geschichten, die nicht in den orientalischen Ausgaben enthalten sind, nur eine Auswahl getroffen ist, und zwar nach Maßgabe der ersten Insel - Übersetzung.
Ich habe mich bemüht, eine wissenschaftlich zu rechtfertigende und zugleich lesbare deutsche Übersetzung herzustellen; papiernes Deutsch habe ich nach Möglichkeit vermieden. So ergab sich denn auch die Notwendigkeit, nicht buchstabenmäßig, sondern sinngemäß zu übertragen; dabei hat mir Luthers Sendbrief vom Dolmetschen vorgeschwebt. Wie Luther oft statt »Gott« im Deutschen »der liebe Gott«sagte, habe ich das arabische »o mein Herr« an vielen Stellen durch »lieber Herr« oder »hoher Herr« oder noch anders wiedergegeben, je nachdem der Sinn es erforderte. Das ewige arabische »er sagte«(oder »sie sagte«, »sie sagten«) habe ich abwechselnd durch verschiedene deutsche Ausdrücke übersetzt, wie z. B. »antwortete«, »erwiderte«, »entgegnete«, »gab zur Antwort« usw. Dabei habe ich manchmal der Deutlichkeit wegen
die arabischen Pronomina durch deutsche Substantiva oder arabische Substantiva durch deutsche Pronomina ersetzt. Gelegentlich habe ich auch das arabische »sagte (n)« ganz weggelassen und einfach in Dialogform ohne Einführung des oder der Redenden erzählt. Ich habe mich in solchen Fällen nach den Erfordernissen des Deutschen gerichtet, nicht nach der stereotypen arabischen Art. Ferner habe ich im Deutschen kleinere ausbessernde Veränderungen vorgenommen, wenn im Urtext ein Personenwechsel nicht beachtet oder nachlässig durchgeführt ist, oder wenn bei Übergängen von einer Nacht zur anderen innerhalb der Erzählung jemand erzählt, dies aber im Arabischen nicht angedeutet ist. Wiederholungen, die zum behaglichen Erzählungsstil gehören, namentlich beim Reden, habe ich jedoch auch im Deutschen getreu wiedergegeben. Im Gegensatz zu Burton, der viele arabische Fremdwörter im Englischen gebrauchte, habe ich solche im Deutschen vermieden, soweit es irgend möglich war; ich habe auch ausgesprochen arabische Ausdrücke, wenn ich es wissenschaftlich verantworten konnte, ins Deutsche übersetzt, ebenso wie ich Fremdwörter aus anderen Sprachen vermieden habe, wenn sie nicht unumgänglich nötig waren. Daß ich »Allah« meist habe stehen lassen und nur dann durch »Gott«übersetzt habe, wenn das Wort mehrfach in kurzen Abständen gebraucht wurde, geschah auf Wunsch des Verlages. Wenn sich in einem Werke von fast fünftausend Seiten kleinere unausgeglichene Unebenheiten finden, so ist das wohl zu entschuldigen; ich hoffe, sie werden auch den aufmerksamen Leser nicht stören.Besondere Erwähnung verdienen die Reimprosa und die Gedichte. Es liegt mir ganz fern, etwa im Deutschen die gereimte Prosa als Stilmittel einführen zu wollen; wir haben im Deutschen viel zu wenig Reime, während im Arabischen ein
Überfluß an ihnen herrscht, und den Germanen liegt der Stabreim viel näher. Ich habe jedoch in meiner Übersetzung die vielen Stellen arabischer Reimprosa durch deutsche Reime wiedergegeben, und zwar einerseits, damit der ästhetische Eindruck des Originals auch von den deutschen Lesern nachempfunden werden möge, und andererseits, damit solche Stellen sich im Deutschen von ihrer Umgebung abheben, wie sie es im Arabischen tun. Dabei hat die Wortwiedergabe gelegentlich gelitten; die Wiedergabe des Sinnes ist aber stets so getreu wie möglich gestaltet. Bei den Gedichten habe ich mir größere Freiheiten in bezug auf Metra und Reim gestattet. Daß ich die arabischen Gedichte durch deutsche Gedichte wiedergegeben habe, wird jedermann billigen; eine prosaische Übersetzung wirkt auf die Dauer unerträglich, und wenn auf die Worte »er sprach diese Verse«deutsche Prosa folgt, so ist das den meisten Lesern unverständlich. Ich habe auch in den Gedichten nach einer möglichst getreuen und sinngemäßen Übertragung gestrebt. Es ist unmöglich, im Deutschen die vielen, sehr komplizierten arabischen Versmaße und den durchgehenden Endreim. nachzuahmen, wenn man zugleich getreu übersetzen will. Nur gelegentlich habe ich ein arabisches Versmaß im Deutschen beibehalten und dann natürlich die arabischen Längen durch betonte Silben ersetzt. Im übrigen habe ich die längeren arabischen Metra meist durch »sechsfüßige lamben«, seltener -besonders bei epischen Heldenliedern - durch »achtfüßige Trochäen« wiedergegeben. Diese Metren sind aber nicht immer streng durchgeführt. Infolge der Fülle der Reime der arabischen Sprache ist es natürlich dort sehr leicht, die Gedichte mit durchgehenden Endreimen zu versehen. Rückert, der große Wortkünstler, hat bei seinen Übersetzungen aus dem Arabischen häufig auch im Deutschen den durchgehenden Reim angewandt; aber die Wiedergabe hat doch dadurch gelitten. Ich habe daher fast immer nur zwei aufeinanderfolgende Reime gebraucht. In meinen übertragungen bedeutet eine Verszeile stets einen arabischen Halbvers. Ich habe, je nach den Umständen, entweder Halbvers auf Halbvers gereimt oder Ganzvers auf Ganzvers, wobei dann der erste Halbvers jeder arabischen Verszeile ohne Reim blieb. Die arabischen Strophengedichte mit Kehrvers oder Kehrreim habe ich in ihrer Form nachgeahmt; und dort wurde auch der durchgehende Kehrreim im Deutschen wiedergegeben. *Die vorliegende Neuausgabe meiner Übertragung der Erzählungen aus den Tausendundein Nächten ist im wesentlichen ein Abdruck der ersten Ausgabe. Nur an wenigen Stellen habe ich den Stil etwas gefeilt oder die Übersetzung nach dem arabischen Urtext verbessert. Zu dem Abschnitt über die Entstehung und Geschichte von Tausendundeiner Nacht mußten auf Grund neuerer Forschungen einige Nachträge gegeben werden. Die Verweise auf Seitenzahlen mußten nach der jetzigen Paginierung geändert werden.
ZUR ENTSTEHUNG UND GESCHICHTE
VON TAUSENDUNDEINER NACHT
Wer die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten aufmerksam liest, der wundert sich bald über die mannigfaltige Verschiedenheit ihres Inhalts; sie gleichen einer Wiese im Morgenland, die mit Blumen von vielerlei Art und Farbe übersät ist und freilich auch einiges Unkraut trägt. Und ferner wird es dem nachdenklichen Leser bald auffallen, daß diese Erzählungen einen weiten Zeitraum umspannen; da sind einerseits Geschichten von König Salomo, von den alten Perserkönigen und den ersten Kaufen, andererseits solche, in denen Schießwaffen, Kaffee und Tabak vorkommen. Die Fragen, die sich aus diesen Beobachtungen ergeben, sollen hiernach dem augenblicklichen Stande der Wissenschaft beantwortet werden.
Zunächst muß kurz dargestellt werden, wann und wie das Buch von Tausendundeiner Nacht nach Europa gekommen ist; es ist ja eins der am meisten gelesenen Bücher, ist in fast alle europäischen Sprachen übersetzt und löst auch noch heute bei den Erwachsenen nicht nur die Freude am Studium fremder Kulturen und Literaturen aus, sondern auch die schönsten Erinnerungen an die Märchenwelt der Jugend. Schon früh kam die sogenannte Rahmenerzählung, die das ganze Werk umschließt, nach Italien. In einer Novelle des Giovanni Sercambi (1347 —1424) und in der Geschichte von Astolfo und Giocondo, die im 28. Gesang von Ariosts Orlando Furioso (also Anfang des 16. Jahrhunderts) erzählt wird, sind deutliche Spuren von ihr zu erkennen; sie wird schon längere Zeit vorher durch Reisende, die sie im Orient gehört hatten, in Italien bekannt geworden sein. Aber das eigentliche Werk kam erst zu Anfang des 18. Jahrhunderts nach dem Abendland und trat
von Frankreich aus seinen Siegeslauf durch die europäischen Literaturen an. Der französische Gelehrte und Reisende Jean Antoine Galland (1646 —1715) veröffentlichte es zum ersten Male. Er hatte auf Reisen im vorderen Orient zunächst als Sekretär des französischen Gesandten, dann als Sammler von Museumsstücken im Auftrage von Liebhabern die Welt des Morgenlandes kennen gelernt, und dabei wurde seine Aufmerksamkeit auch auf die erstaunliche Menge von Geschichten und Fabeln der Morgenländer gelenkt. Als er dann nach Frankreich zurückgekehrt war, veröffentlichte er sein Werk »Les milles et une Nuits traduits en François«vom Jahre 1704 ab. Für dies standen ihm eine arabische Handschrift, die er aus Syrien erhalten hatte, sowie mündliche Erzählungen eines Maroniten Hanna, der bei ihm in Paris war, zur Verfügung. Er bemühte sich, seine Übertragung dem Geschmack seiner europäischen Leser anzupassen, indem er manches ausließ, anderes hinzufügte, den Wortlaut änderte und Dinge, die dem Abendländer fremd waren, im Texte selbst umschrieb. Dies tat er mit großer Kunst, und der ungewöhnliche Erfolg, den Tausendundeine Nacht in Europa hatte, ist somit auch ihm zu verdanken; eine wörtliche Übersetzung hätte damals nicht den gleichen Eindruck gemacht. Sein Werk erschien in zwölf Bändchen. In den ersten sechs Bändchen hat er die Einteilung der Nächte beibehalten, in den folgenden aber nicht mehr. Nur in den ersten beiden Bändchen findet sich die Über leitungs formel, in der Dinarzade zu Scheherazade spricht: »Liebe Schwester, wenn du nicht schläfst, so bitte ich dich, mir eine von diesen schönen Geschichten zu erzählen, die du kennst. « Das hatte nämlich einen besonderen Grund. Es wird erzählt, daß nach dem Erscheinen der ersten beiden Bände in einer sehr kalten Winternacht einige junge Leute - es werden wohl lustige Studenten gewesen sein - an die Haustür des Verfassers klopften. Als er im Hemd ans Fenster trat, sagten sie: »Ah, Monsieur Galland, wenn Sie nicht schlafen, so erzählen Sie uns doch eine von diesen schönen Geschichten, die Sie so gut kennen. «Galland sagt selber, er habe die Übergangsformel ausgelassen, »comme cette répétition a choqué plusieurs personnes d'esprit».Zunächst gingen natürlich alle Übersetzungen in fremde Sprachen auf Gallands Werk zurück; von ihm wurde sogar auch in orientalische Sprachen übersetzt. Erst als im 19. Jahrhundert die arabischen Urtexte gedruckt wurden, übersetzte man mehrfach nach ihnen. Aber schon vor Erscheinen dieser Texte begann die wissenschaftliche Forschung nach dem Ursprung von Tausendundeiner Nacht. Lange Zeit hatte das Werk nur zur Unterhaltung gedient. Erst seit Herders bahnbrechenden Forschungen erkannte man im Abendlande immer mehr, welche Schätze an Gütern des Verstandes, der Einbildungskraft und des Gemütes in der Volkskunde geborgen sind, und diese Erkenntnis hatte dann auch ihren guten Einfluß auf die Beschäftigung mit den orientalischen Erzählungen. Die hauptsächlichsten Ausgaben der arabischen Texte seien hier zuerst genannt.
1. Die erste CALCUTTAER Ausgabe: The Arabian Nights Entertainments; In the Original Arabic. Published under the Patronage of the College of Fort William; By Shuekh Uhmud bin Moohummud Shirwanee uI Yumunee. Calcutta, Band I 1814; Band II 1818. Sie enthält nur die ersten zweihundert Nächte, dazu die Geschichte von Sindbad dem Seefahrer.
2. Die erste BULAKER Ausgabe, eine vollständige arabische Ausgabe, gedruckt 1835 in der Staatsdruckerei zu Bulak bei Kairo, die von Mohammed Ah, dem Schöpfer des modernen Ägypten, eingerichtet war.
3. Die zweite CALCUTTAER Ausgabe: The Alif Laila or Book of the Thousand Nights and one Night, Commonly known as 'The Arabian Nights Entertainments', nüw, for the first time, published complete in the original Arabic, from an Egyptian manuscript brought to India by the late Major Turner, editor of the Shah-Nameh. Edited by W. H. Macnaghten, Esq. In four volumes. Calcutta 1839-1842.
4. Die BRESLAUER Ausgabe: Tausend und Eine Nacht Arabisch. Nach einer Handschrift aus Tunis herausgegeben von Dr. Maximilian Habicht, Professor an der Königlichen Universität zu Breslau usw., nach seinem Tode fortgesetzt von M. Heinrich Leberecht Fleischer, ordentlichem Prof. der morgenländischen Sprachen ander Universität Leipzig. Breslau 1825 —1843.
5. Spätere BULAKER und KAIROER Ausgaben. In der zweiten Hälfte des 1.Jahrhunderts und zu Anfang des 2.Jahrhunderts wurde der vollständige Text der ersten Bulaker bzw. der zweiten Calcuttaer Ausgabe öfters wieder neu herausgegeben. In Beirut erschien eine Ausgabe in der Jesuiten-Druckerei; sie ist aber stark gekürzt worden.
Zu diesen Drucken kommen noch verschiedene Handschriften, die in Bibliotheken des Abendlandes und des Morgenlandes aufbewahrt werden, unter denen die von Galland benützte die wichtigste ist. Alle diese Ausgaben und Handschriften weichen zum Teil sehr stark voneinander ab. Denn es ist selbstverständlich, daß bei Werken, die nicht der höheren Literatur angehören und die weder durch einen Kanon noch durch einen berühmten Verfassernamen geschützt sind, große Schwankungen vorkommen. Die Erzähler und Schreiber halten sich für berechtigt, Änderungen, Auslassungen und Zusätze vorzunehmen, wie es ja auch die Sänger der sogenannten Volkslieder getan haben und noch tun. So enthält z. B. die Breslauer
Ausgabe vieles, was gar nicht zu Tausendundeiner Nacht gehört, und die »Handschrift aus Tunis«ist willkürlich von dem Herausgeber nach anderen Quellen ergänzt worden. Und in den orientalischen Drucken fehlen mehrere Erzählungen, die durch Galland bekannt und uns in der Jugend lieb geworden sind, wie »'Alâ ed-Dîn und die Wunderlampe«und »Ah Baba und die vierzig Räuber«. Wir stehen somit vor einer verwirrenden Fülle von Einzelheiten. Der amerikanische Orientalist D. B. Macdonald bereitete eine Ausgabe der Gallandschen Handschrift vor; er hat auch bereits Proben aus ihr veröffentlicht und hat den arabischen Text von Ali Baba in Oxford wiedergefunden und herausgegeben. Vor allem hat er sich um die Aufklärung des Verhältnisses der verschiedenen Textgestalten zueinander und um die Geschichte des ganzen Werkes große Verdienste erworben. Ebenso haben sich der Franzose Zotenberg, die deutschen Gelehrten Nöldeke und Horovitz sowie der Däne Oestrup durch ihre Untersuchungen zu Tausendundeiner Nacht sehr verdient gemacht.'Aus der bisherigen Aufzählung ergibt sich, daß eine unvollständige ägyptische Handschrift von Tausendundeiner Nacht, die Gallandsche, vorhanden ist, die aus dem 15. Jahrhundert stammt, und daß vollständige Ausgaben, in denen manches fehlt, was sonst zu diesem Werke gerechnet wird, im 19. Jahrhundert erschienen sind; diese Ausgaben scheinen eine Textgestalt wiederzugeben, wie sie in Handschriften des 18. Jahrhunderts sich zeigte. Dazu kommt nun eine von H. Ritter in Stambul entdeckte Handschrift aus dem 13. oder 14. Jahrhundert. die zwar nicht als »Tausendundeine Nacht«bezeichnet wird, aber doch manche Geschichten aus ihr enthält; diese, die
Der arabische Schriftsteller el-Mas'ûdi sagt in seinem 947 vollendeten und 957 neubearbeiteten Buch, das den Titel trägt »Die Goldfelder und Edelsteinminen«': »Es ist mit ihnen (das heißt: mit gewissen erdichteten Erzählungen) wie mit den Büchern, die aus dem Persischen, Indischen und Griechischen zu uns gekommen und für uns übersetzt sind, und die so entstanden sind, wie wir schon gesagt haben, zum Beispiel dem Buche Herâr Efsâneh, oder, aus dem Persischen ins Arabische übersetzt ,Tausend Abenteuer', denn ,Abenteuer' heißt auf persisch Efsâneh. Das Volk nennt dies Buch ,Tausend Nächte' (nach einer anderen, wohl späteren Lesart ,Tausendundeine Nacht'). Dies ist die Geschichte von dem König, dem Wesir sowie dessen Tochter und ihrer Dienerin, die Schirazâd und Dinazâd heißen (in anderen Handschriften heißt es ,und ihrer Amine', in noch anderen ,sowie dessen beiden Töchtern').« Neben den Tausend Nächten erwähnt el-Mas'ûdi hier auch
Ferner heißt es in dem Buche el-Fihrist (Der Katalog) von Mohammed ibn Ishâk ibn Abi Ja'kûb en-Nadîm, das im Jahre 987 verfaßt wurde': »Die ersten, die Abenteuer verfaßten, Bücher aus ihnen machten und sie in den Schatzhäusern niederlegten, auch in einigen davon die Tiere reden ließen, waren die alten Perser. Dann beschäftigten sich eifrig mit ihnen die arsakidischen Könige; sie sind die dritte Dynastie der Perserkönige. Darauf vermehrte und erweiterte sich jene [Art von Büchern] in den Tagen der sasanidischen Könige, und die Araber übertrugen sie in die arabische Sprache. Und die Männer von Beredsamkeit und Sprachkenntnis übernahmen sie, feilten an ihnen und schmückten sie aus und verfaßten, was ihnen dem Sinne nach ähnlich war. Das erste Buch, das in diesem Sinne ausgearbeitet wurde, war das Buch Hezâr Efsân, das heißt ,Die tausend Abenteuer'. Die Veranlassung dazu war die folgende: Einer von ihren Königen pflegte, wenn er sich mit einer Frau vermählt und mit ihr eine Nacht verbracht hatte, sie am nächsten Morgen zu töten. Nun vermählte er sich einmal mit einer Königstochter, die Verstand und Wissen besaß und Schehrazâd genannt war. Als die bei ihm war, begann sie ihm Abenteuer zu erzählen; dabei ließ sie die Geschichte am Ende der Nacht so weit gelangen, daß der König veranlaßt
Mohammed ibn Ishâk [das ist der Verfasser]sagt: ,Das Richtige ist -so Gott will -, daß der erste, dem bei Nacht Geschichten erzählt wurden, Alexander der Große war, und daß er Leute hatte, die ihn zum Lachen brachten und ihm Abenteuer erzählten, wobei er nicht das Vergnügen suchte, sondern nur wachsam und auf der Hut sein wollte. Nach ihm benutzten die Könige dazu das Buch Hezâr Efsân; es umfaßt tausend Nächte und weniger als zweihundert Erzählungen, da an einer Geschichte in mehreren Nächten erzählt wird. Ich habe es mehrere Male vollständig gesehen; es ist aber in Wirklichkeit ein wertloses Buch törichter Geschichten.'
Mohammed ibn Ishâk sagt: ,Abu 'Abdallâh ibn 'Abdûs el-Dschahschijâri, der Verfasser des ,Buchs der Wesire', begann ein Buch zu schreiben, in dem er tausend Geschichten auswählte von den Geschichten der Araber. der Perser. der Griechen und noch anderer, und zwar so, daß jeder Teil für sich selbst bestand und nicht mit einem anderen verbunden war. Er ließ die Geschichtenerzähler kommen und nahm von ihnen das Beste, was sie wußten und gut verstanden, und er wählte aus den Büchern, die über Erzählungen und Abenteuer verfaßt
waren, das aus, was nach seinem eigenen Geschmack war und was trefflich war. So brachte er daraus vierhundertundachtzig Nächte zusammen, von denen eine jede Nacht eine vollständige Geschichte enthielt, die ungefähr fünfzig Blätter umfaßte. Aber das Todesgeschick ereilte ihn, ehe er sein Vorhaben ausführen konnte, nämlich tausend Geschichten zu vollenden. Ich habe von jenem [Buch] eine Anzahl von Teilen gesehen in der Handschrift des Abu et-Taijib, des Bruders von esc-Schâfi'i' «Diese Angaben beziehen sich im wesentlichen auf die arabische Literatur von Baghdad im io. Jahrhundert. Wir erfahren aus ihnen, daß man dort zu jener Zeit ein Buch der tausend Nächte kannte, das aus dem Persischen übersetzt war, und daß dies Buch eine Rahmenerzählung enthielt, die einem Teile der uns jetzt bekannten Rahmenerzählung entsprach. Ferner erfahren wir, daß ein Schriftsteller namens el-Dschahschijâri ein Buch der Tausend Nächte verfaßte, für dessen Titel ihm sicher jenes andere Buch ein Vorbild gewesen war; sein »Buch der Wesire«hat sich in Wien wiedergefunden und ist durch Prof. H. y. Mzik veröffentlicht worden, und so kann man vielleicht hoffen, daß auch sein Erzählungswerk noch einmal wieder zum Vorschein kommen möge. Was aber die Tausend Nächte der Hezâr Efsân und die von el-Dschahschijâri enthielten, davon wissen wir nichts außer der Rahmenerzählung. Es ist nicht anzunehmen, daß die Zahl 1000 ursprünglich wörtlich gemeint war, wenn auch el-Dschahschijâri sie bereits im buchstäblichen Sinne zu nehmen beabsichtigt haben mag. Für den einfachen Verstand ist schon 100 eine große Zahl, und vor »100 Jahren« bedeutet daher -auch bei orientalischen Geschichtsschreibern oft soviel wie »vor langer Zeit«. Aber 1000 ist fast soviel wie »unzählbar«. Daß man später »Tausendundeine Nacht«sagte,
beruht neben der Furcht vor der runden Zahl wohl auf türkischem Sprachgebrauch, was nicht zu verwundern wäre, da seit dem . Jahrhundert die Länder des islamischen vorderen Orients unter türkischen Einfluß gerieten. Im Türkischen sagt man bin bir (mit dem Stabreim b) »tausend und eins« für eine große Anzahl. In Kleinasien gibt es eine Ruinenstätte, die von den Türken »Tausendundeine Kirche«genannt wird, in Konstantinopel eine Stätte »Tausendundeine Säule«, wo sich jetzt Seilerwerkstätten befinden; aber in Wirklichkeit sind weder soviele Kirchen noch soviele Säulen an jenen Stätten. Von der Erzählerin Schehrezâd wird gesagt, sie habe »tausend Bücher« gesammelt; ein arabisches »Buch der 1001 Sklaven«und ein »Buch der 1001 Sklavinnen«ist aus dem 13. Jahrhundert bekannt. Später, als man die Zahl 1001 wörtlich nahm, mußten natürlich auch wirklich tausend Nächte und eine Nacht vorhanden sein.Das nächste Zeugnis ist eine Stelle aus dem Werke eines ägyptischen Geschichtsschreibers des 12. Jahrhunderts. Dieser Mann wird al-Kurtubi genannt, hieß aber wohl, wie Macdonald vermutet hat, al-Kurti und schrieb eine Geschichte Ägyptens zwischen den Jahren 1160 und 1172. Eine Bemerkung von ihm hat der Schriftsteller Ibn Sa'îd übernommen, der 1274 oder 1286 starb, und aus einer seiner Schriften ging sie in die Geschichtswerke von el-Makrîzi (gest. 1442) und el-Makkari (gest. 1632) über. El-Kurti verglich die Geschichten von den Liebesabenteuern des Fatimidenkalifen el-Ämir biahkâm Allâh mit Tausendundeiner Nacht, indem er sagte: »Das Volk erweiterte die Geschichte von der Beduinin [das ist der Geliebten jenes Kalifen]..., bis bei ihm die Überlieferung davon gleich wurde den Geschichten von el-Battâl und von Tausendundeiner Nacht und dergleichen mehr. «Die Geschichten
von el-Battâl beziehen sich auf den großen Ritterroman von el-Battâl, der früher nur in türkischer Überlieferung bekannt war, von dem aber der arabische Text in einer Berliner Handschrift und einem Kairoer Druck vorliegt. Wir erfahren also weiter, daß die Sammlung der Geschichten von Tausendundeiner Nacht um die Mitte des 12. Jahrhunderts in Ägypten wohlbekannt war. Was sie damals im einzelnen enthielt, wissen wir nicht; wir können aber mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß die meisten Geschichten östlichen Ursprungs, das heißt indische, persische und baghdadische, bereits in ihr enthalten waren. Mit dem Zeugnisse von el-Kurti kommen wir schon näher an die handschriftliche Überlieferung heran. Von jetzt ab entwickelt sich das Werk auf ägyptischem Boden weiter, bis es die Gestalt annimmt, in der wir es kennen. —Wie sah es aber in seiner Urgestalt aus? Es enthielt von Anfang an eine Rahmengeschichte, die der gegenwärtigen ziemlich ähnlich gewesen sein muß. Jetzt wird in ihr folgendes erzählt. König Schahzamân von Samarkand wollte seinen Bruder König Schehrijâr von Indien besuchen. Er fand, als er bei der Abreise noch einmal in seinen Palast zurückkehrte, seine Gemahlin in den Armen eines Negers. Sofort erschlug er beide und ritt dann traurig zu seinem Bruder. Dort entdeckte er, daß die Gemahlin Schehrijârs es ebenso trieb, wie seine eigene Gemahlin es getrieben hatte. Nun ward er wieder froh. Sein Bruder wunderte sich über sein verändertes Aussehen und erfuhr auf sein dringendes Bitten hin die ganze Wahrheit von Schahzamân. Darauf legten beide ihre königliche Würde ab und zogen als Pilger durch die Welt auf der Suche nach jemandem, dessen Leid noch größer wäre als das ihrige. Sie fanden einen solchen in einem Dämon, der von seiner Frau in unerhörter Weise betrogen wurde. So kehrten sie denn in die
Hauptstadt zurück. Dort schlug Schehrijâr seiner Gemahlin sowie den Sklaven und Sklavinnen, die an ihrem Treiben teilgenommen hatten, den Kopf ab, und von da ab ließ er sich jeden Tag eine Jungfrau bringen, mit der er sich vermählte und die er am nächsten Tage enthauptete. Nachdem er das drei Jahre getan hatte, murrte das Volk, und alle Jungfrauen flohen aus der Stadt. Wieder befahl er seinem Wesir, ein Mädchen zu bringen; doch dieser konnte keines finden und ging betrübt nach Hause. Seine kluge Tochter Schehrezâd sprach ihm Mut zu und veranlaßte ihn, sie zum König zu führen. Als sie beim König war, bat sie ihn, ihre jüngere Schwester Dinazâd kommen zu lassen. Diese bat, als sie beim König war, Schehrezâd möchte eine Geschichte erzählen. Dann folgen im bunten Wechsel alle die Erzählungen, durch die Schehrijâr veranlaßt wird, die Hinrichtung immer von einem Tag auf den andern zu verschieben, da er stets die Geschichte zu Ende hören will. Nachdem Schehrezâd inder 1001. Nacht ihre letzte Geschichte beendet hat, führt sie dem König die drei Söhne vor, die sie ihm inzwischen geboren hatte. Der König bewundert ihre Klugheit, läßt ihr das Leben und gibt sein früheres Tun auf. Dann werden große Feste gefeiert, und alles endet in Herrlichkeit und Freuden, »bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und die Freundesbande zerreißt«.über die Herkunft dieser Rahmenerzählung ist viel geschrieben worden. In Wirklichkeit zerfällt sie, wie der französische Volkskundler Cosquin' nachgewiesen hat, in drei Teile, die alle aus Indien stammen. Diese drei Teile sind ursprünglich selbständige Erzählungen gewesen, die von Indien nach Osten und Westen und Norden gewandert sind.
1. Die Geschichte von einem Manne, der von seiner Frau betrogen wird, dann aber von seinem Schmerz darüber geheilt wird, als er sieht, daß es einer hohen Persönlichkeit ebenso ergeht wie ihm; sie kommt auch noch heute als selbständige Geschichte im Arabischen vor.
2. Die Geschichte von einem Dämon oder einem Riesen, den seine Frau oder seine Gefangene in kühner Weise mit anderen Männern hintergeht. Es ist dieselbe wie »die Geschichte von dem Prinzen und der Geliebten des Dämonen«, die noch einmal in Tausendundeiner Nacht erzählt wird, und zwar als Teil der Geschichte von der Tücke der Weiber (oder: dem weisen Sindbad), oben Band IV, S. 353 — 357. Zu den vielen Parallelen, die Cosquin angeführt hat, kommt jetzt noch ein neuaramäisches Märchen, in dem freilich aus dem Dämon ein Fellache geworden ist.'
3. Die Geschichte von der klugen Jungfrau, die durch ihre geschickte und unerschöpfliche Erzählerkunst ein Unglück abwendet, das ihr oder ihrem Vater oder den beiden droht.
Von diesen drei Teilen hat, nach dem alten Fragment, nach el-Mas'ûdi und dem Fihrist, nur der dritte zur ursprünglichen Rahmenerzählung gehört; und zwar hat dieser wohl nur den grausamen König, die kluge Wesirstochter und die treue alte Dienerin gekannt. Da keine persischen Handschriften der Tausend Erzählungen und nur ein altes arabisches Fragment von Tausendundeiner Nacht erhalten sind, ist man auf Vermutungen angewiesen. Es ist wahrscheinlich, daß die Geschichte von der klugen Wesirstochter schon früh von Indien nach Persien kam, wo sie »nationalisiert«wurde, wie die echt persischen Namen beweisen; Schehrijâr ist altpersisch Chschathradâra, das ist Reichs-
Welche anderen Geschichten aber haben in der ursprünglichen Tausendundeinen Nacht gestanden innerhalb der Rahmenerzählung? Unter den jetzt vorhandenen kann für eine ganze Anzahl indischer oder persischer Ursprung nachgewiesen werden. Von manchen ist es sicher, daß sie erst später eingefügt wurden, bei anderen kann man im Zweifel sein. Wir begegnen im ganzen Laufe der Entwicklung immer wieder der Tatsache, daß Geschichten aus Tausendundeiner Nacht anderswo als selbständige Geschichten oder in anderen Sammlungen vorkommen. In moderner Zeit sind mir in Drucken aus Ägypten und Syrien unter anderem die folgenden bekannt:
1 Die Geschichte von der Sklavin Tawaddud.
2. Die Geschichte von 'Adschîb und Gharîb.
3. Die Geschichte von der listigen Dafîla und ihrer Tochter Zainab der Gaunerin.
4. Die Geschichte von dem Hauptmann 'Alî ez-Zaibak.
5. Die Geschichte des Juweliers Hasan von Basra. Dazu kommt noch
6. Die Geschichte des weisen Haikâr, die in einige Rezensionen von Tausendundeiner Nacht aufgenommen ist, aber in der vorliegenden Insel-Ausgabe fehlt.
Dergleichen Drucke wird es noch viele andere geben. Da sie aus neuester Zeit stammen, ist es kaum wahrscheinlich, daß sie alle auf eine eigene Überlieferung zurückgehen; sie werden zum großen Teil erst aus Tausendundeiner Nacht entnommen sein. Aber das ist noch genauer zu untersuchen. Anders steht es. wenn uns aus früherer Zeit Handschriften erhalten sind, in denen sich solche selbständigen Geschichten finden. Das ist vor allem bei der oben, Seite 659, genannten Stambuler Handschrift der Fall. Sie hat aus zwei Bänden bestanden, aber nur der erste ist uns vorläufig bekannt geworden. Die ganze Handschrift
enthielt 42 Geschichten, deren Titel in der Einleitung angegeben werden. Der erste Band geht bis zur 19. Geschichte; da aber im Text die 15. Geschichte fehlt, so sind es im ganzen nur 18 Geschichten. Von diesen 18 finden sich 4 in unserer Tausendundeinen Nacht wieder, und zwar:1. Die Geschichte der sechs Leute. Dies sind die Geschichten der sechs Brüder des Barbiers von Baghdad; sie haben hier aber nichts mit dem Barbier zu tun, sondern sie werden von der Hausmeisterin eines Königs vor diesen gebracht und erzählen ihre Geschichten.
2. Die Geschichte von Dschullanâr der Meermaid. Sie ist der oben, Band V, S. 87 if., übersetzten Geschichte sehr ähnlich und weicht nur in kleinen Einzelheiten von ihr ab.
3. Die Geschichte von Budûr und 'Umair ibn Dschubair. Sie ist ausführlicher erzählt als oben, Band III, S. 258ff.
4. Die Geschichte von Abu Mohammed dem Faulpelz. Sie ist am Anfang ausführlicher, am Schlusse kürzer als oben, Band III, S. 172 ff. if; auch die Gedichte sind zum Teil anders. Der Anfang scheint hier dem Anfang der Geschichte von dem falschen Kalifen (oben, Band III, S. 130ff.) nachgebildet zu sein.
Dazu kommt noch die Geschichte von Sûl und Schumûl, die in der Stambuler Handschrift als Nr. 10 erscheint, in einer Tübinger Handschrift aber als ein Stück von 1001 Nacht ausgegeben wird. Sie hat sicher nie dazu gehört, da sie auf die Bekehrung eines Muslims zum Christentum hinausläuft, was dem Geiste von 1001 Nacht durchaus widerspricht; ein christlicher Schreiber hat den mißglückten Versuch gemacht, sie in das Werk einzuführen. Aus dem bisher noch nicht gefundenen zweiten Bande der Stambuler Handschrift gehört jetzt die Geschichte vom Ebenholzpferde zu 1001 Nacht (oben, Band III, S. 350ff.). Mehr läßt sich aus den Überschriften nicht erkennen;
vielleicht sind aber auch darin noch einige Geschichten unter anderem Namen vorhanden.In Handschriften, die in europäischen Bibliotheken aufbewahrt werden, finden sich des öfteren Geschichten aus 1001 Nacht. Um deren Verhältnis zu unserem Werk aufzuklären, müßte man feststellen, ob sie als eigene Geschichten ausgegeben werden, aus welcher Zeit sie überliefert sind und welche Texte sie bieten im Vergleich mit unserer 1001 Nacht. Auf alle diese Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Es genügt die Tatsache, daß wir sehr viel aus dem Inhalte von 1001 Nacht anderswo in der arabischen Erzählungsliteratur nachweisen können. Zu diesen gehören vor allem auch die Liebesgeschichten. zu denen R. Paret in seinem Buche »Früharabische Liebesgeschichten« (Bern 1927), S. 73, Parallelen aus der arabischen Literatur nachgewiesen hat.
Da in den meisten uns bekannten Handschriften und Drucken die ersten Geschichten, bis zum Roman von 'Omar ibn en-Nu'mân, das heißt also die oben in Band J, S. 19-500 übersetzten Geschichten, ungefähr übereinstimmen und an der gleichen Stelle stehen, hat man früher wohl angenommen, daß sie wenigstens zum Urbestande des Werkes gehören. Aber Macdonald hat mit Recht betont, daß wir bei unserer Beurteilung viel zu sehr von der vns vorliegenden späteren ägyptischen Redaktion ausgehen und daß wir in Wirklichkeit über die Geschichte der Sammlung erst etwa seit dem Jahre 1500 etwas Sicheres aussagen können. Dazu kommt, daß die Geschichte von Ghânim ibn Aijûb, die oben Band I, 5. 460 — 500 vor dem 'Omar-Romane steht, in anderen Handschriften in diesen einbezogen wird; daß die Geschichten von den Brüdern des Barbiers (Band I, 5. 363 —402) in der Stambuler Handschrift in ganz anderem Zusammenhange stehen; daß die Geschichte
des christlichen Maklers (Band I, S. 300 —318) auf ägyptischen Ursprung hinweist und so nicht in einem alten Baghdader Werk gestanden haben kann; daß endlich die erste Geschichte in 1001 Nacht, die Geschichte von dem Kaufmann und dem Dämon (Band T, S. 32 —48), obwohl sie deutliche indische Motive enthält, schon Parallelen in der altarabischen Literatur hat, wie Macdonald nachwies. Es ist also nicht sehr wahrscheinlich, daß alle jene ersten Geschichten zum Urbestande des Werks gehören. Prof. Macdonald nimmt fünf Entwicklungsstadien von 1001 Nacht an:J. Die ursprünglichen persischen Hezâr Efsân.
II. Eine arabische Übersetzung der Hezâr Efsân.
III. Eine Form, in der die Rahmenerzählung aus den Hezâr Efsân übernommen wurde; die dann folgenden Geschichten waren arabischen Ursprungs und standen nun an Stelle der ursprünglichen persischen Geschichten. Diese arabischen Geschichten waren kurz und unbedeutend, und vermutlich gehört zu ihnen der Kaufmann - und Dämon - Zyklus, wie er von Galland überliefert wurde.
IV. Die Tausendundeine Nacht der späteren Fatimidenzeit (also etwa 1100 —117O). Diese Form mag dieselbe gewesen sein wie III; sie war jedenfalls sehr beliebt in Ägypten.
V. Die Tausendundeine Nacht, für die das Gallandsche Manuskript das älteste handschriftliche Zeugnis war. Dies war sicherlich, was die in ihr enthaltenen Geschichten betrifft. ein von IV stark verschiedenes Buch. Es ist nahe verwandt mit der von Zotenberg gekennzeichneten »ägyptischen Rezension« und ebenso mit all den anderen Handschriften, die uns erhalten sind.
Macdonalds Urteil, daß in Nr. III die Geschichten kurz und unbedeutend gewesen seien, ist wohl durch die Bemerkung im Fihrist (oben S. 662) veranlaßt. Ob dessen Verfasser recht
gehabt hat, können wir nicht mehr feststellen. Es wäre aber weiter zu fragen, ob es überhaupt nötig ist, Nr. II anzunehmen, mit anderen Worten, ob es wirklich eine arabische Übersetzung der ganzen Hezâr Efsân gegeben hat. Es ist denkbar, daß für eine altarabische Geschichtensammlung »Tausend Nächte« nur die Rahmenerzählung aus den Hezâr Efsân genommen wurde und daß die in ihr gesammelten Erzählungen von Anfang an islamisch-arabischen Charakter hatten und in arabischer Sprache bekannt waren, mochten sie auch vielfach fremden Ursprungs sein. Dann wäre also das einzige, was »Tausendundeine Nacht«mit den »Tausend Erzählungen«der Perser im Anfang äußerlich gemeinsam hatte, die Rahmenerzählung und das Wort »Tausend«. Doch da weder die Hezâr Efsân noch ganze Handschriften der ältesten 1O01 Nacht uns überliefert sind, kann darüber nichts Sicheres ausgesagt werden. Eines aber ist sicher, daß wir deutlich erkennbare 1 Baghdader und 2. ägyptische Bestandteile von 1001 Nacht haben. Die Baghdader umfassen natürlich auch all das indisch-persische Gut, das zur Abbasidenzeit nach Westen gewandert war, und die ägyptischen mögen, da Syrien und Ägypten während der Mamlukenzeit und unter der türkischen Herrschaft eng verbunden waren, einiges aus Syrien enthalten. Ferner können wir mehrfach erkennen, daß Baghdader Geschichten in Ägypten umgearbeitet und daß ägyptische Geschichten späteren Datums in die »herrliche Zeit«des Kaufen Harûn er-Raschîd zurückdatiert worden sind. Wir haben zwar kein Mittel, um festzustellen, zu welcher Zeit die »Baghdader Bestandteile«, das heißt die Märchen persischen Ursprungs, die Erzählungszyklen indischer Herkunft, all die Anekdoten aus dem Baghdader Hofleben, der Seefahrer-Roman von Sindbad usw., in 1001 Nacht aufgenommen wurden. Es ist mir aber doch wahrscheinlich, daß sie zum großen Teile schon in der »Baghdader Rezension«standen, ehe diese nach Ägypten kam, und dort erweitert und umgearbeitet wurden. Ob demnach Nr. IV der obigen Liste gleich Nr. III war und auch nur »kurze und unbedeutende Geschichten«enthielt, ist mir sehr fraglich. —Unsere Tausendundeine Nacht enthält Stoffe aus mancherlei Ländern, Indien, Persien, Mesopotamien, Syrien, Arabien, Ägypten. Das einigende Band für alle ist der Islam und die arabische Sprache. Alle Geschichten sind von dem islamischen Firnis bedeckt. Ebenso verschieden wie die Herkunft der Stoffe ist auch die literarische und die sprachliche Form. Mehrfach treffen wir Geschichten, die mit großer Kunst erzählt sind; doch sie wechseln mit anderen, die nur bescheidenen literarischen Ansprüchen genügen. Viele Geschichten sind in einfacher Prosa erzählt, deren Sprache nicht mehr das klassische Arabisch ist, sondern sich stark der Sprache des täglichen Lebens nähert; in den Drucken -mit Ausnahme der Breslauer Ausgabe herrscht das Streben vor, die Sprache einigermaßen literarisch zu gestalten, in den Handschriften tritt die arabische Umgangssprache stärker hervor. Auf viele Geschichten ist jedoch hohe sprachliche Kunst verwendet, die sich namentlich in der Reimprosa äußert. Die Reimprosa war die Sprache der Wahrsager im heidnischen Arabien gewesen, und sie wurde daher in den ersten Jahrhunderten des Islams nicht angewandt, zumal auch das heilige Buch, der Koran, in ihr abgefaßt war. Aber sie kam später wieder in Aufnahme und feierte im Io. Jahrhundert wahre Triumphe. In den Geschichten, die mit größerer sprachlicher Kunst ausgearbeitet sind, kommt sie vor, wenn es sich um folgende Dinge handelt: 1 Beschreibungen von schönen Mädchen, von Palästen, Gärten, Landschaften, besonders auch von Schlachten oder von plötzlich eintretenden
Ereignissen; 2. Briefe; 3. Dialoge, die manchmal an Opern oder Operetten erinnern; 4. Gebete; 5. Predigt; 6. Parodien von Reimprosa höheren Stils; 7. Sprichwörter. In dieser Reimprosa zeigt sich echt arabischer Geist. Etwa 1420 poetische Einlagen finden sich nach Horovitz in der zweiten Calcuttaer Ausgabe; wenn davon die 170 Wiederholungen ausscheiden, so bleiben etwa 1250 verschiedene Gedichte übrig, von denen freilich bei weitem nicht alle vollständige, in sich abgeschlossene Gedichte sind, da manchmal nur wenige Verse angeführt werden. Prof. Horovitz hat festgestellt, daß diejenigen Liedereinlagen, von denen er den Verfasser nachweisen konnte, in ihrer Mehrzahl aus dem 12. bis 14. Jahrhundert n. Chr. stammen, also in die ägyptische Periode der Entwicklung von 1001 Nacht gehören. Die Verbindung von Poesie und Prosa ist auch ein echt arabischer Charakterzug. Freilich sind die dichterischen Einlagen in Tausendundeiner Nacht fast alle derart, daß sie fehlen könnten, ohne den Gang der Handlung zu stören; daraus erkennen wir, daß sie meist später hinzugefügt sind.Mögen nun auch die Zeitpunkte für die Aufnahme der einzelnen Geschichten noch so unsicher sein, für ihre Herkunft haben wir doch mancherlei Anhaltspunkte. Daß die Rahmengeschichte aus Indien stammt, wurde schon oben S. 666 angeführt. Indisch sind aber auch manche Erzählungen von frommen Männern. die an buddhistische und dschinistische erbauliche Geschichten erinnern; ebenso werden manche Tierfabeln aus Indien stammen, wie ja solche Fabeln schon zur Ptolemäerzeit nach Ägypten gekommen sind und indische Stilelemente sich in der koptischen Kunst finden. Ferner sind die Zyklen von dem weisen Sindbad und von Dschali'âd und Schimâs indisch, und indische Motive finden sich fast durch
das ganze Buch zerstreut; vor allem beruht die Geschichte von dem fliegenden Ebenholzpferd auf einem indischen Motiv. Alles ist aber durch das Persische hindurchgegangen, ehe es zu den Arabern kam.Aus Persien stammen vor allem die Märchen, in denen die guten Geister und Feen selbständig handelnd in das Leben der Menschen eingreifen; diese Geisterwelt ist durchaus verschieden von der unheimlichen Dämonenwelt der arabischen Wüste und von der ägyptischen Zauberwelt. Die Anekdoten von persischen Königen sind natürlich ursprünglich von Persern erzählt worden, mögen sie auch im Laufe der Zeit umgestaltet oder von einem Herrscher auf den anderen übertragen sein. Für ihre Aufnahme in Tausendundeine Nacht kommen wohl nur schriftliche Quellen in Betracht. Etwa fünfzig persische Namen kommen in den hier übersetzten Geschichten vor. Baghdad liegt im Gebiete des alten Babyloniens; es ist daher von vornherein wahrscheinlich, daß sich dort altbabylonische Anschauungen durch die Zeiten der Griechen und Perser hindurch bis zu den Arabern erhalten haben und gelegentlich auch in 1001 Nacht noch durchschimmern. Sogar eine ganze Erzählung, die in einigen Handschriften zu dem Werke gerechnet wird, ist altmesopotamischen Ursprungs. Das ist die Geschichte vom weisen Haikâr, die etwa im 7. Jahrhundert Chr. in der assyrischen Hauptstadt Ninive entstanden ist und durch die jüdische und christliche Literatur hindurch ihren Weg in die arabische gefunden hat. Chidr, der Ewig-Junge, der uns in den Geschichten von Bulûkija, von der Messingstadt und von 'Abdallâh ihn Fâdil und seinen Brüdern begegnet, hat ein babylonisches Vorbild; in den Wanderungen Bulûkijas und in dem Lebenswasser, das Prinz Ahmed holt, mögen Reflexe des babylonischen Gilgamesch-Epos enthalten
sein. Aber Chidr und das Lebenswasser sind den Arabern wohl erst durch den Alexander-Roman überliefert worden; und die Wanderungen Bulûkijas sind aus der jüdischen Literatur zu ihnen gekommen. Vor allem stammen aus der Baghdader Zeit die meisten der Anekdoten, die sich um die Abbasiden und ihren Hof gruppieren; auch einige Anekdoten aus bürgerlichen Kreisen sind dort zu Hause. Der Roman von Sindbad dem Seefahrer wird dort entstanden sein; der Roman von 'Omar en-Nu'mân ist in Syrien und Baghdad zu Hause; der Roman von 'Adschîb und Gharîb weist nach Mesopotamien und Persien; die Geschichte von der klugen Sklavin Tawaddud ist in Baghdad entstanden und in Ägypten überarbeitet worden. Desgleichen sind die Geschichten von Bulûkija, von dem weisen Sindbad und von Dschali'âd und Wird Chân sicher in Baghdad bekannt gewesen. Das »Buch der Lieder«, aus dem einige Geschichten in Tausendundeine Nacht übergegangen sind, wurde zuerst in Baghdad bekannt. Doch wir haben für alle diese Erzählungen keinen sicheren Beweis, daß sie bereits in das Baghdader Werk von Tausendundeiner Nacht aufgenommen waren.Für Ägypten sind in unserem Werke besonders charakteristisch die meist mit Humor und Geschick erzählten Streiche von Dieben und Schelmen sowie die Zaubermärchen, in denen die Geister den Menschen durch Talismane dienstbar gemacht werden. Auch einige Geschichten, die man als bürgerliche Novellen bezeichnen kann, sind dort geschaffen; einige von ihnen nehmen sich fast wie moderne Ehebruchsromane aus. Alle diese Geschichten stammen natürlich in ihrer jetzigen Form aus dem Ägypten der Mamlukensultane oder dem der türkischen Herrschaft. Es fragt sich nun, wieviel Ältägyptisches in ihnen enthalten ist. Das Volk der ägyptischen Hauptstädte
ist von alter Zeit bis zur Neuzeit sehr lebensfroh und leichtlebig gewesen; es hatte von jeher Freude am Erzählen, an Wundern, die oft nicht grotesk genug sein können, an komischen Situationen und humorvollen Ausdrücken. So haben denn unsere arabischen Schelmengeschichten und Zaubermärchen ihre altägyptischen Vorgänger gehabt. Prof. Nöldeke wies bereits darauf hin, daß die Geschichte vom Schatz des Rhampsinit sich in der Geschichte von 'Alî ez-Zaibak wiederfindet. Ein Vorgänger dieses Räuberhauptmannes 'All ez-Zaibak und seines Genossen Ahmed ed-Danaf ist der kühne Kondottiere Amasis', der es bis zum Pharao brachte, wie ja auch 'Alî ez-Zaibak in einem neuaramäischen Märchen (Bergsträßer, Neuaramäische Märchen, S. 90) sogar Sultan wird. Dazu kommen noch einzelne altägyptische Züge, wie die Gestalt des schreibenden Affen in der Erzählung des zweiten Bettelmönches innerhalb der Geschichte des Lastträgers und der drei Damen von Baghdad. Diese erinnert, wie Prof. Spiegelberg mir mitteilte, gewiß an den altägyptischen Götterschreiber Thoth, der oft als Affe dargestellt wird. Man hat auch vermutet, daß die Geschichte des ägyptischen Schiffbrüchigen mit Sindbads Reisen und die Geschichte der Einnahme von Jaffa durch ägyptische Krieger, die in Säcken verborgen waren, mit der Geschichte von Ah Baba zusammenhängen. Aber das ist sehr unwahrscheinlich, wie ich in meinem Vortrag »Tausendundeine Nacht in der arabischen Literatur«(Tübingen 1923) S. 22f. näher ausgeführt habe.Die Anlage des ganzen Werkes als Rahmenerzählung mit den darin eingefügten Geschichten ist typisch indisch. Zwar
DIE EINZELNEN ERZÄHLUNGEN
Es ist nicht leicht, die »Erzählungen aus den Tausendundein Nächten«nach ihren literarischen Gattungen in verschiedene Gruppen zusammenzufassen, da die Grenzen fließend sind, so daß man oft im Zweifel ist, welcher Gruppe man eine bestimmte Geschichte zuweisen soll. Dennoch ist im folgenden der Versuch gemacht unter der Voraussetzung, daß spätere Forschung manches anders erklären und vor allem die Herkunft der Geschichten genauer bestimmen wird. Als Hauptgruppenmögen gelten 1 Märchen; 2. Romane und Novellen; 3. Sagen und Legenden; 4. Lehrhafte Geschichten; 5. Humoresken; 6. Anekdoten. Bei der Besprechung der einzelnen Gruppen werden sich noch mehrere Unterabteilungen ergeben. Natürlich sind hier nur die in der vorliegenden Übersetzung vertretenen Erzählungen berücksichtigt; das sind also die Erzählungen, die in der zweiten Calcuttaer Ausgabe stehen, sowie die oben S. 650 f. aufgezählten Geschichten und abweichenden Fassungen.
1 MÄRCHEN
Oft hört man im Deutschen den Vergleich »wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht«. Und in der Tat sind es die Märchen, die ihren eigenartigen Reiz und Zauber am meisten ausüben, nicht nur auf die Morgenländer, sondern auch auf uns Abendländer. Von ihnen gilt zwar, was der große englische Gelehrte Bacon sagte: »Die Dichtung gibt der Menschheit das, was die Geschichte ihr versagt, und sie befriedigt in gewisser Weise den Geist mit Schattenbildern, wenn er sich der Wesenheit nicht erfreuen kann. Und da die wirkliche Geschichte uns nicht den Erfolg der Dinge gemäß den Verdiensten von Laster und Tugend gibt, so verbessert die Dichtung dies und zeigt
uns die Schicksale von Personen, die nach ihrem Verdienst belohnt und bestraft werden. «Aber damit ist das Wesen der orientalischen Märchen nicht erschöpft. Der Orientale flüchtet wohl gern aus der rauhen Wirklichkeit in die Zauberwelt des Märchens, aber die Frage von Verdienst und Schuld wird nicht immer aufgeworfen, Glück ohne Verdienst spielt eine ebenso große Rolle. Und vor allem ist es die Freude an »wunderbaren und seltsamen Dingen«, die ihm das Märchen so wertvoll macht.Schon die Rahmenerzählung ist ein Märchen für sich, das aus Indien stammt, wie oben S. 666 ausgeführt wurde. Dann folgt das Märchen von dem Kaufmann und dem Dämon, eine neue Rahmenerzählung mit den eingefügten Geschichten der drei Scheiche. Die Geschichten sind kurz und unheimlich; sie enthalten zwar indische Züge, sind aber auch schon in die altarabische Volksliteratur übergegangen. Sie werden sehr früh in das Baghdader Werk aufgenommen sein, und zwei von ihnen haben späteren ausführlicheren Märchen als Vorbild gedient. Die Geschichte des zweiten Scheichs (1,41), dessen böse Brüder in Hunde verwandelt wurden, hat zunächst ihr weibliches Gegenstück in der Geschichte der ältesten von den drei Damen von Baghdad (I, 187); diese letztere Fassung ist ausführlicher und enthält bereits die wesentlichen Elemente der dritten Fassung, die am kunstvollsten ausgeführt ist, nämlich der Geschichte von 'Abdallâh ibn Fâdil (VI, 509). Diese Elemente sind der Schlangenkampf und die versteinerte Stadt. Aber die beiden ersten Fassungen enthalten nicht den versöhnenden Schluß der dritten. Die Geschichte des dritten Scheichs (I, 46), der von seiner Frau betrogen wurde und sie in eine Mauleselin verwandelte, nachdem sie ihn vorher zu einem Hunde verzaubert hatte, ist das Vorbild der Geschichte von
Sîdi Nu'mân (VI, 259). Wiederum ist die letztere Fassung ausführlicher und kunstvoller; sie ist bisher nur durch Galland überliefert, erweist sich aber durch diese Zusammenhänge als echt orientalisch. Die Märchenkunst von 1001 Nacht zeigt sich hier am Anfang nicht von der besten Seite, und wenn zur Zeit des Fihrist die Sammlung nur Geschichten dieser Art enthielt, so würde das dort ausgesprochene Urteil, wenn es auch hart ist, doch in gewisser Weise berechtigt sein. Aber zum Glück folgen bald schönere und erfreulichere Märchen.Schon die Geschichte vom Fischer und Dämon (I, 48), wiederum eine Rahmenerzählung mit eingeschachtelten Erzählungen, bietet ein ganz anderes Bild. Eigentlich besteht sie aus zwei Teilen, die nur lose aneinandergefügt sind, und zwar 1 der Geschichte vom Fischer und dem Dämon bis zu seiner Befreiung aus der Flasche und 2. der Geschichte von dem See mit den verzauberten Fischen. Die Geschichte kann so, wie sie jetzt ist, nicht in den Hezâr Efsân gestanden haben; aber sie enthält doch allerlei indisch-persisches Gut, und die indische Überleitung zu einer eingeschachtelten Geschichte (Wie war denn das?) findet sich auch hier. Die in ihr enthaltene Geschichte von Junân und Dubân ist im wesentlichen indischen Ursprungs; sogar der Name Sindibâd hat sich in ihr erhalten. Am Schlusse wird erzählt, daß der zum Tode verurteilte Arzt an dem König Rache nimmt, indem er die Blätter eines Buches vergiftet, das er ihm hinterläßt; schon J. Gildemeister hat darauf hingewiesen, daß in Indien die Bücher auf Palmblätter geschrieben und zum Schutz gegen die Termiten mit einer ihnen gefährlichen Flüssigkeit eingerieben werden. Das Ganze ist aber mehrfach überarbeitet worden; man kann annehmen, daß die Geschichte zum ersten Male in Baghdad zusammengestellt
wurde und später in Ägypten einzelne Veränderungen erfuhr; das Bild des Negers, der Zuckerrohr kaut, Mäuse ißt und Bier trinkt (I, 87), ist typisch afrikanisch. Der Glaube, daß die widerspenstigen Dämonen von Salomo in Flaschen gesperrt wurden, ist wohl schon in alter Zeit aus jüdischen Erzählungen bei den muslimischen Arabern bekannt geworden. Parallelen zu dem Motiv, daß Dämonen oder Teufel eingefangen werden, finden sich bei vielen Völkern, auch bei den Indern. Gerade die Art, wie der Fischer hier den Geist übertölpelt, verleiht der Geschichte ihren Reiz.Die nächsten eigentlichen Märchen sind in der Reihenfolge dieser Übersetzung die von 'Alâ ed-Din (II, 659), Ah Baba (II, 791) und Prinz Ahmed (III, W; sie sollten eigentlich am Ende des ganzen Werkes stehen, da sie in der zweiten Calcuttaer Ausgabe nicht enthalten sind. Vorher steht aber ein Märchen, das mit einem »Familienroman«zusammengesetzt ist und eine eingeschachtelte Liebesnovelle enthält; dies ist die Geschichte von Kamar ez-Zamân und Budûr (II, 357ff.). Zugrunde liegt wohl ein persisches Zaubermärchen, das sich in der Handlungsweise des Geistes Dahnasch und der Dämonin Maimûna widerspiegelt. Aber schon diese Namen sind islamisch-arabisch, und die humorvolle, aber groteske Szene mit dem Eunuchen (II, 393 ff.) könnte fast ägyptisch sein; doch auch in Baghdad machte man sich in manchen Erzählungen über die Eunuchen lustig. Die Frage nach den islamischen Monatsnamen (II, 402) kann natürlich nicht in einem altpersischen Märchen gestanden haben, ebensowenig wie die Erwähnung eines venezianischen Hemdes (II, 386). Der Glaube an Dämonen im Brunnen (II, 369) ist altarabisch; aber das Aufsuchen der Geliebten in weiter Ferne (China) erinnert an Hasan el-Basri, der sie in japan sucht, und Hasan eI-Basri seinerseits ist von Sindbad abhängig. An
Persien erinnert noch der Name Marzuwân (II, 412ff.). Wir haben es also wohl mit einer späteren Komposition zu tun. Der erste Teil, das Märchen, reicht bis zur Vereinigung der Geliebten. Dann folgt der »Familienroman«. Die beiden Frauen des Helden verlieben sich in ihre Stiefsöhne, und daraus entstehen allerlei Irrungen und Wirrungen. Die »bösen Magier« (II, 443, 501) weisen auf die Baghdader Zeit; und die Geschichte von Ni'ma und Nu'm (II, 530), die in die Omaijadenzeit verlegt wird, stammt spätestens aus der alte Abbasidenzeit. Nach S. 544 war es Sitte, daß die vornehmen Leute Persisch sprachen; da die Derwische bereits eine Rolle spielen und 5. 541 der Rosenkranz genannt wird, wird die Erzählung in ihrer jetzigen Form kaum älter als das 9. oder io. Jahrhundert sein. Das Märchen von 'Alâ ed-Dîn und der Wunderlampe (II, 659) ist uns nur aus einer verhältnismäßig späten Zeit bekannt. Der arabische Urtext wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt. Er zeigt sehr starke europäische Einflüsse; manche Stellen sind ganz unarabisch gedacht und sind sehr wahrscheinlich Übersetzungen aus einer romanischen Sprache. Ob das Ganze eine Rückübersetzung ist, muß durch eine genauere Vergleichung endgültig festgestellt werden; das kann aber erst geschehen, wenn eine Gothaer Handschrift, die eine ähnliche Geschichte enthält, veröffentlicht ist. Das Märchen, das wie Ah Baba so große Berühmtheit erlangt hat, wird aus dem späteren Ägypten stammen; darauf weisen die Gestalt des Dämons, des »Dieners der Lampe« und die Erwähnung des Kaffees (II, 735).Für Ah Baba (II, 791) haben wir einen besseren arabischen Text, der zu Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt wurde. In ihm findet sich die gleiche Sprache wie in den meisten Teilen von Tausendundeiner Nacht. Verschiedene sprachliche Ausdrücke
sowie die Tatsache, daß eine ähnliche Geschichte in Syrien noch heute mündlich fortlebt, weisen auf Syrien als das Ursprungsland; der Name Ah Baba ist türkisch.Das Märchen von Prinz Ahmed und der Fee Perî Banû (III, ') ist ein hübsches persisches Märchen aus späterer Zeit. Wann es ins Arabische übersetzt wurde und ob noch eine Handschrift des arabischen oder persischen Textes vorhanden ist, wissen wir vorläufig nicht. Daß neben dem persischen Namen auch arabische gebraucht werden, ist nicht verwunderlich, da die muslimischen Perser so unendlich viele arabische Namen übernommen haben. Die genauere Kenntnis von Indien, von Brahmanen, Pagoden, Elefanten u. a. in. weist auch nach Persien, vor allem aber das Motiv des besten Pfeilschützen; ferner ist Firmân (S. 43) ein persisches Wort. Das Fernrohr (S. 20ff.) führt in die Neuzeit. In der Sprache zeigt sich zuweilen europäischer Einfluß durch längere Perioden und Reflexionen, die dem arabischen Erzählungsstil fremd sind. Da III, 22 und 43 König Schehrijâr angeredet wird, gibt sich das Märchen als ein Teil von Tausendundeiner Nacht aus. Innere Beziehungen hat es mit der Geschichte der neidischen Schwestern (vgl. III, 72 ff. mit V, 178 ff.); aber auch für die letztere Geschichte fehlt der orientalische Urtext. Alle diese Fragen können erst näher beantwortet werden, wenn dieser Text gefunden ist.
Die Geschichte von 'All Schâr und Zumurrud (III, 207) spielt in Chorasân im östlichen Persien, aber ein Kurde von der Bande des Ahmed ed-Danaf (III, 232) wird genannt. Dieser Kurde heißt Dschawân (besser: Dschuwân »Jüngling«), trägt also einen persischen Namen. Auch der Name des Helden ist aus Persien bezogen; denn Schâr ist dasselbe wie persisch Schar »Löwe«, und dies Wort wird öfters als Beiname ge
braucht. Die Verkaufsszene am Anfang (III, 213 if.) erinnert an die gleiche Szene in der Geschichte von Nûr ed-Dîn und Marjam (V, 658ff.); letztere mag eine ausführliche Nachahmung der ersten sein. Wegen des Märchenmotivs, daß eine Sklavin in fremdem Lande zur Königin wird, ist diese Geschichte hierher gestellt; man würde sie sonst eher zu den Romanen und Novellen rechnen. Die humoristischen Szenen beim Festmahl der Königin deuten auf ägyptischen Ursprung.Ein echtes Märchen wiederum ist die Geschichte vom Ebenholzpferd (III, 350). Das Motiv des fliegenden Pferdes ist indisch; das gut erzählte Märchen stammt aus Persien, worauf zunächst der nur in der Breslauer Ausgabe genannte Königsname Sabûr hinweist. Der Name Hardscha (III, 379) könnte ein entstelltes persisches Hardschad oder Chodscha sein. S. 356 wird Indien genannt, 5. 357, 358 ist die Rede vom Perserprinzen, 5. 374 vom Lande der Griechen, S. 377 von Persien. S. 365 if. taucht die Stadt San'â auf; die wird den Persern schon in vorislamischer Zeit bekannt gewesen sein, da Südarabien eilweise unter persischer Herrschaft stand. Somit könnte dies Märchen in den Hezâr Efsân gestanden haben; aber wir haben keinen Beweis dafür. In der Stambuler Handschrift (oben 5. 659) gehört es jedoch nicht zu Tausendundeiner Nacht. Die Geschichte von 'All aus Kairo (III, 593) ist ein späteres ägyptisches Märchen. Die ägyptische Geographie ist bekannt; S. 597 kommen die Insel er-Rôda und der Nilmesser vor, S. 600 und 612 Bulak und Damiette. Der Held zieht wie 'Alt ed-Dîn Abu esch-Schamât von Kairo nach Baghdad und erhält dort eine hohe Stellung; er findet dort einen Schatz wie Zain el-Asnâm (VI, 216 if.), und er sagt, seine Karawane werde kommen, wie der Schuhflicker Ma'rûf (VI, 571 if.), worauf dann wirklich eine Geisterkarawane eintrifft. Sein Sohn wird
König; seine Familie wird durch die Luft getragen, und der Schatz ist an Zauber gebunden.Die Geschichte von der Schlangenkönigin und Hâsib Karîm ed-Dîn (III, 762) ist ein Märchen, aber ihr Hauptteil, die Geschichte von Bulûkija ist eine Himmel - und Höllenfahrt, und in sie ist die Geschichte von Dschanschâh eingefügt, die wiederum am ehesten als Märchen zu bezeichnen ist, obwohl sich in ihr auch Motive aus den Seefahrergeschichten finden, wie die Bäume mit Menschenköpfen als Früchten (III, 789) und die Affenburg (III, 820). Der Name Dschanschâh ist persisch, und in seiner Erzählung finden sich auch sonst in indisch- persische Züge; die Geschichte von Bulûkija ist jüdischen Ursprungs; das Märchen von der Schlangenkönigin ist allem Anscheine nach ägyptisch. Wir haben hier also ein Musterbeispiel für die Entstehung unserer heutigen Tausendundeinen Nacht; und in Bulûkijas Fahrten haben wir ein ganzes Kompendium der jüdisch-christlich-muslimischen Kosmologie und Eschatologie. Prof. Horovitz, der sich um die Erklärung dieser Geschichte große Verdienste erworben hat, weist mit Recht darauf hin, daß diese Himmel - und Höllenfahrten ihren Höhepunkt in Dantes Dwina Commedia erreichten. In neuerer Zeit hat man auch versucht, in Dantes Werk Einflüsse der islamischen Eschatologie zu finden.' Prof. Horovitz hat auch nachgewiesen, daß Bulûkija dem biblischen Namen Hilkija entspricht und daß 'Affân der biblische Schafan ist, ferner daß unsere Bulûkija-Geschichte spätestens zwischen 850 und 900 den arabischen Muslimen bekannt gewesen sein muß.
Die Geschichte von Dschaudar und seinen Brüdern (IV, 371) ist wieder ein späteres ägyptisches Märchen. Der See
Die Geschichte von Dschullanâr. der Meermaid. und ihrem Sohne, dem König Badr Bâsim von Persien (V, 87) ist ein arabisch umgearbeitetes persisches Märchen; sie enthält Reimprosa und Verse nach allen Regeln der höheren arabischen Erzählungskunst. Die Namen Dschullanâr und Schahrimân sind persisch, ebenso auch Dschauhara und Samandal; aber die beiden letzteren Namen könnten persische Lehnwörter im Arabischen sein. Es ist auffällig, daß der Name
des Helden Badr Bâsim nach persischer Weise ohne Artikel gebraucht wird; die Araber würden von sich aus el-Badr el-Bâsim sagen. Daraus könnteman schließen, daß die Geschichte erst in islamischer Zeit in Persien entstanden und dann ins Arabische übersetzt sei; der islamische Firnis ist hier auch ziemlich stark aufgetragen. Jedenfalls gehört dies Märchen noch in die Baghdader Zeit; es ist in der Stambuler Handschrift enthalten (oben S. 670), wo es nur in wenigen Einzelheiten abweicht. Der Name der Hexenkönigin Lâb, der (V, 136) als »Berechnung der Sonne«gedeutet wird, erhält in der Handschrift die Übersetzung Schams el-Malika, was nach arabischem Sprachgebrauch bedeuten müßte »Sonne der Königin«, aber doch wohl als »Königin Sonne«gemeint ist; die Nachstellung des Titels könnte persisch sein.Ein weiteres persisches Märchen ist die Geschichte von den beiden Schwestern, die ihre jüngste Schwester beneideten (V, 154). Die Namen sind alle persisch: Chusrau, Bahman, Parwêz, Perizâde, Rustem, Asfandijâr. Der Tiger wird gejagt (V, 197), was freilich nur in Nordostpersien möglich ist. Da uns aber ein orientalischer Urtext noch fehlt, sind wir diesem Märchen gegenüber in derselben Lage wie dem von Prinz Ahmed und Peri Banû (oben S. 685). Beide Märchen gehören mit zu den schönsten in Tausendundeiner Nacht.
Zu den Märchen muß auch die Geschichte von Saif el-Mulûk (V, 228) gerechnet werden, obgleich ihr Inhalt zum großen Teil aus den Seefahrergeschichten entlehnt und nur mit allerlei Geistermären vermischt ist. Sie ist in eine eigenartige Rahmengeschichte eingespannt, deren richtige Bedeutung Prof. Horovitz erkannt hat. In dem König Mohammed ibn Sabâïk sieht er mit Recht den im ganzen Osten der islamischen Welt hochberühmten Fürsten Mahmud ibn Sabuktegin
von Ghazna (998 —1030)', der in der persischen Gestalt dieser Geschichte auch genannt wird, und so kommt er zu dem Schlusse, daß unsere Geschichte, die als selbständiges Buch noch arabisch, persisch und türkisch erhalten ist, ursprünglich arabisch verfaßt wurde, hauptsächlich aus Erinnerungen an Sindbad, dann nach Persien kam und dort mit einer Einleitung versehen wurde und schließlich ins Arabische zurückwanderte. Als Teil von 1001 Nacht zeigt sie jedoch einige ägyptische Spuren. Daß Saif el-Mulûk der Sohn des Königs 'Âsim von Ägypten ist, fällt kaum ins Gewicht, da die Namen erfunden sind. Aber V, 243 wird der Elefantenplatz genannt, und das weist daraufhin, daß der Schreiber Kairo kannte. Wenn jedoch der König der Geister in der Burg von el-Kulzum, dem heutigen Suez, wohnt (V, 273), so braucht das nicht einem ägyptischen Überarbeiter zugeschrieben zu werden. Das Meer von el-Kulzum (Rotes Meer) war auch in Basra und Baghdad bekannt; und ein Ägypter der späteren Zeit hätte eher Sues geschrieben wie in dem Märchen von Dschaudar (oben S. 688).Mit dem vorigen hat das lange Zaubermärchen von Hasan von Basra (V, 315) eine gewisse Ähnlichkeit; aber es entfernt sich noch weiter von Sindbad und enthält noch mehr Dinge aus der Geisterwelt. Mit Sindbad hat es nur die Geschichte von dem Diamantberg (hier der Berg mit dem Goldmacherkraut) und die Reise nach Japan gemeinsam. Aus der Geschichte von Dschanschâh (oben S. 687) scheint das Motiv der Vogeljungfrauen und die lange Fahrt nach der entflohenen Geisterbraut entlehnt zu sein; doch das müßte erst noch sicher festgestellt werden, da das indische Motiv der Vogeljungfrauen auch sonst in der arabischen Literatur vorkommt. Die Gestalt der alten Schawâhi Umm ed-Dawâhi (V, 422f.)
Die Geschichte von 'Abdallâh, dem Landbewohner, und 'Abdallâh, dem Meermann (VI, 186), ist eigentlich eine Wunderreise, die diesmal nicht übers Meer noch durch die Luft, sondern in das Meer hineinführt. oder eher noch eine »Geschichte von den Wundern des Meeres«; doch sie ist hier mit Märchenmotiven ausgestattet und zu einem Märchen verarbeitet; diese Motive hat sie teilweise mit den Märchen von Dschaudar (oben 5. 687) und von Dschullanâr (oben 5. 688) gemeinsam. Der Anfang erinnert so stark an den von Dschaudar, daß der eine von dem andern entlehnt sein muß; beide Male erhält der Fischer, der ohne Fang heimkommt, von einem freundlichen Bäcker mehrere Tage hindurch Brot und Geld.
Wie Badr Bâsim von dem Meeresbewohner Sâlih vor dem Untertauchen ins Meer mit einer zauberkräftigen Salbe bestrichen wird (V, 102), so erhält auch der Landbewohner von dem Meermann eine Salbe (VI, 203, 205); freilich kommt bei Badr Bâsim auch noch ein Zauberring hinzu. Die Menge der Juwelen im Meere wird in beiden Geschichten ähnlich geschildert. Aber 'Abdallâh bekommt noch allerlei andere Meereswunder zu sehen, wie den großen Fisch Dandân (VI, 204, 206) und die Seeweiberstadt (VI, 207). Am Schlusse findet sich ein merkwürdiges Motiv (VI, 214): die Meeresbewohner freuen sich beim Tode eines der Ihren, da Allah nur »sein Pfand« zu sich zurücknimmt, und der Meermann will mit den Landbewohnern nichts mehr zu tun haben, weil die beim Tode eines Menschen trauern. So endet die Freundschaft der beiden 'Abdallâhs mit einer gewissen Tragik wie die Geschichte Dschaudars (oben S. 688). Aber der Landbewohner selbst führt doch ein Leben voller Freude weiter bis an sein Ende. Das Märchen wird in seiner jetzigen Form aus Ägypten stammen, worauf auch der Gebrauch von Sultan =Herrscher (VI, 207 und öfter) hinweisen mag; es ist aber wohl die Bearbeitung einer Baghdader Erzählung.Das Märchen von Zain el-Asnâm (VI, 216) fehlt in den orientalischen Drucken; in Sprache und Komposition weicht es auch ziemlich stark von ihnen ab. Stil und Ausdruck sind öfters ungeschickt, und die Erzählung hat nicht die epische Breite wie die anderen Märchen. Der Kaffee wird erwähnt (VI, 235), mehrere späte Wörter kommen vor, wie kawaribdschi »Fährmann«(VI, 226 = Text S. 18, Z. 6) und ardu-hâl »Beschwerdeschrift«(VI, 233 = Text 5. 28, Z. 5 y. u.), und die Anrede an die Hörer (VI, 217 und 232) wird ganz wie in modernen arabischen Märchen gebraucht, aber sie paßt schlecht
zu 1001 Nacht. Am Anfang wird eine Erinnerung an Dschali'âd und Wird Chân, dem indischen Parabelzyklus, vorliegen; denn beide, Zain wie Wird Chân, werden leichtsinnig nach dem Tode ihres Vaters, und das Volk will sich empören. Das Hinundher wandern zwischen Basra und Kairo wegen des Schatzes ist ähnlich geschildert wie III, 337f. und in der Geschichte von 'Alt aus Kairo (III, 593 if.). Dies Märchen stammt also aus neuerer Zeit und kann irgendwo im vorderen Orient, am ehesten in Ägypten, entstanden sein.Nach Persien führt uns wieder das Märchen von Chudadâd und seinen Brüdern (VI, 302). Die Namen Chudadâd »Gottesgabe«, Firûza »Türkis«, Darjabâr »Seestadt«sind persisch; allerdings werden auch die arabisch-mesopotamischen Ortsnamen Dijâr Bekr und Harrân sowie das palästinische Samarien genannt. Aber die geographischen Begriffe des Erzählers sind sehr unklar. In gewisser Weise haben wir hier ein Gegenstück zu dem Märchen von den neidischen Schwestern (oben S. 689), doch die Ähnlichkeit besteht nur in dem Geschwisterneid, während die Einzelheiten ganz verschieden sind. Das Schiff bruchs motiv kommt VI, 321 ähnlich vor wie bei Sindbad und Saifel-Mulûk; aber es braucht nicht daher entlehnt zu sein. Sehr auffällig ist die Meißelung eines Bildes, das im Mausoleum aufgestellt wird (VI, 334). Da jedoch der orientalische Urtext noch fehlt, kann über Zeit und Entstehungsort dieses Märchens ebensowenig etwas Sicheres ausgesagt werden wie oben S. 68 und S. 689.
Den Schluß der Märchen und des ganzen Buches bildet die vortrefflich erzählte Märchenhumoreske von dem Schuhflicker Ma'rûf (VI, 571). Die Idee des Märchens mag aus der Geschichte von 'Alt aus Kairo stammen (oben S. 686); doch ein Erzähler von viel Geschmack und Humor hat etwas
ganz Neues daraus geschaffen. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß die Geschichte in Kairo entstanden ist, und zwar nicht vor dem 16. Jahrhundert.
2. ROMANE UND NOVELLEN
Während der Begriff »Märchen«noch einigermaßen einheitlich gefaßt werden konnte, müssen unter den »Romanen und Novellen«mancherlei verschiedene Dinge ihren Platz finden. Schon die Romane und Novellen können nicht immer klar voneinander geschieden werden; denn der Umfang kann nicht allein den Ausschlag geben, da längere Geschichten durchaus novellistisch dargestellt werden und Romane auch in kurzer Form erzählt werden können. Dazu kommt, daß die Romane von 1001 Nacht viele Märchenmotive enthalten, namentlich der Roman von 'Adschîb und Gharîb. Ferner habe ich die Liebesgeschichten, Schelmengeschichten und Seefahrergeschichten hierher gestellt, da einige von ihnen, aber beiweitem nicht alle, als Romane oder als Novellen bezeichnet werden können. Über Zeit und Heimat der Märchen konnte meist ein einigermaßen wahrscheinliches Urteil abgegeben werden; das wird in den folgenden Gruppen immer schwieriger, da noch viele Vorarbeit geleistet werden muß. Manche Quellen, die hier noch nicht genannt sind, werden sich in der arabischen Literatur auffinden. Für die Ritter - Volksromane hat Prof. Paret wichtige Vorarbeiten verfaßt.
Der größte Roman in Tausendundeiner Nacht, zugleich auch die umfangreichste Erzählung des ganzen Werkes ist die Geschichte des Königs 'Omar ibn en-Nu'mân und seiner Söhne Scharkân und Dau el-Makân (I, soo bis 766, II, 7 bis 224), der hier nicht weniger als 483 Seiten füllt und in anderen Textgestalten sogar noch länger ist. Ihm hat
Prof. Paret eine eigene Schrift gewidmet: »Der Ritter-Roman von 'Umar an-Nu'mân und seine Stellung zur Sammlung von Tausendundeine Nacht«(Tübingen 1927). Er ist ein echter arabischer Ritterroman, in den allerdings Liebesgeschichten, Anekdoten und noch anderes eingefügt sind. Er spiegelt zunächst die Kämpfe der Muslime und Byzantiner im .Jahrhundert wider, dann auch die der Kreuzfahrerzeit. Neben den Griechen, das ist Romäern oder Byzantinern, werden die Franken genannt (I, 545 if., II, 204), und 1 683 sieht die Aufzählung von Franzosen, Deutschen, Ragusanern, Zaranesen, Venezianern und Genuesen aus wie die Beschreibung eines Kreuzfahrerheeres; aber diese Aufzählung mag ein späterer Zusatz sein. Die eingeflochtene Liebesgeschichte wird weiter unten besprochen werden. Die Episoden in J, 600 if., 653 if. sehen aus wie ein indischer Fürstenspiegel und ein Kompendium islamischer Gelehrsamkeit gleich der Geschichte von Tawaddud; dabei spielen die Geschichten von Mystikern eine große Rolle. Eine kleine, wahrscheinlich ägyptische Humoreske findet sich II, 193 bis 195. Am Schlusse schimmert noch etwas Beduinenromantik durch; da werden alte Namen aus der Heidenzeit genannt (II, 160), und später folgen Beduinenkämpfe mit poetischen Herausforderungen (II, 216ff.). Aber andererseits macht sich der Städter doch lustig über die Feigheit von Beduinen (II, 178, 184), und die Beduinen gelten als Räuber, nicht als Helden. In den Ritterroman spielen auch Züge eines Familienromanes hinein bei der Geschichte von Scharkân, Dau el-Makân und Nuzhat ez-Zamân. Dagegen tritt das Übernatürliche, das in den späteren Volksromanen alles überwuchert, hier fast ganz zurück. Wenn 1 649 vom Sultan von Baghdad und vom Sultan von Damaskus die Rede ist, so erklärt sich das wohl aus der Seldschukenzeit des 12.Jahrhunderts. Beachtenswert ist der Zug, daß der byzantinische Kaiser Rumzân, in dem Prof. Paret vielleicht mit Recht den Kreuzfahrer Dschaufarân, das ist Gottfried von Bouillon, erkennt, hier zum Sohne des muslimischen Herrschers wird, wie einst Alexander im Roman bei den Persern zum Perser, bei den Ägyptern zum Ägypter wurde; der fremde Eroberer wurde nationalisiert, und die Tatsache seiner Eroberungen wurde dem Nationalgefühl leichter tragbar. Griechische, persische und arabische Namen, zum Teil von seltener Art, kommen in dem Roman vor; der feindliche König Afridûn hat einen altpersischen Namen erhalten, und der Name der Prinzessin Abrîza mag eine arabische Neubildung zum persischen Aparwêz (=Parwez) sein. Für alle anderen Einzelheiten möge der Leser die Schrift von Prof. Paret vergleichen. Wenn das Werk auch aus vielen verschiedenen Elementen besteht und die Handschriften öfters voneinander abweichen, so ist es doch einmal von einem Verfasser einheitlich konzipiert; dieser Verfasser hat dann auch die Figur der alten schlauen Ränkespinnerin Schawâhi Dhât ed-Dawâhi eingeführt, die mit bewundernswerter Energie ihrem Volke zu nützen und dem Feinde zu schaden sucht. Das Werk ist in Mesopotamien oder Syrien entstanden und erst später nach Ägypten gekommen; natürlich war es zuerst ein selbständiges Buch, das in 1001 Nacht eingefügt wurde, als man die Nächte auffüllte. Ob das schon in Baghdad oder erst in Kairo geschah, kann vorläufig nicht entschieden werden.Das Muster eines späten muslimischen Volksromanes ist die Geschichte von 'Adschîb und Gharîb (IV, 432). Er gibt sich als Ritter - oder Heldenroman aus, und am Anfang sind Motive aus dem Ritterroman von 'Antar entlehnt, allein er unterscheidet sich doch stark von den echten arabischen Ritterromanen,
nicht nur darin, daß der geschichtliche Hintergrund ganz verzerrt wird, sondern vor allem auch durch das Hineinziehen des Überirdischen; das ist aber nicht etwa eine Götterwelt wie die griechische in der Ilias, sondern eine groteske und spukhafte Dämonenwelt. Ein Vergleich der Ilias mit diesem arabischen Epos, das in Prosa, Reimprosa und Versen abgefaßt ist, würde zu bemerkenswerten Ergebnissen führen. Die Schauplätze des Romans sind Arabien, Mesopotamien und Persien; seine Idee ist der Siegeszug des vorislamischen Islams, das heißt der Religion Abrahams, in diesen drei Ländern, und damit ist der Kampf gegen das Heidentum und das Magiertum verbunden. Aber die Kämpfe mit den Menschen genügen der Phantasie schon nicht mehr, die Menschen kämpfen auch gegen die Geister, die Geister kämpfen für die Menschen und untereinander. Eine Schlacht soll die andere womöglich immer noch überbieten. Der Hauptheld Gharîb ist zwar Araber, doch seine Frau Fachr Tâdsch ist eine Perserin, und beider Sohn Murâd Schah wird König der »Perser, Türken und Dailamiten«(IV, 616). Darin scheint sich persisches Nationalbewußtsein zu dokumentieren, ein ähnlicher Zug wie der üben S. 696 angeführte. Nach Persien und Indien weisen auch andere Momente. So werden (IV, 536, 548, 572) die Elefanten im Kampfe verwendet, und die genauere Beschreibung S. 572 setzt Kenntnis Indiens voraus. Freilich hat ein hochgemuter Schreiber die Elefanten noch durch Giraffen übertrumpft (IV, 563, 573); er meinte wohl damit das indische Fabeltier çarabha. Das fliegende Pferd, das aus Indien stammt, erscheint hier (IV, 549). Die Episode mit der Königin Dschanschâh (IV, 604 ff.) hat das gleiche Motiv wie die mit der Königin Lâb in der Geschichte von Dschullanâr, für die oben 5. 689 persischer Ursprung vermutet wurde. Der Bruderkampf zwischen Gharîb und 'Adschîb zieht sich durch das ganze Werk hindurch, und IV, 613 kommt noch der Kampf zwischen Vater und Sohn hinzu. Dies sind zwar Motive, die in der Heldensage verschiedener Völker erscheinen, und ein Bruderkampf begegnet uns sogar auch bei den Tigrê-Stämmen in Nordabessinien; aber hier scheint die Erzählung doch durch die persische Heldensage beeinflußt zu sein. Daß unser Roman eine späte, muslimische, persischarabische Nachahmung von Firdausis »Königsbuch«wäre, ist kaum anzunehmen; der Unterschied ist zu groß, und beide haben nur das Ziel gemeinsam, ihre alte Geschichte zu verherrlichen. Die Namen sind teils arabisch, teils persisch; neben altarabischen Beduinennamen wie Mirdâs und Nabhân u. a. stehen persische Namen wie Sabûr, Dschuwamard, Dschânschâh (vielleicht =Dschehânschâh) und Tumân. Der Name Mirdâs mag in Erinnerung an den Ahnherrn der Mirdasiden in Aleppo (1023 bis 1079) gewählt sein. Die Hauptstadt der Perser heißt Isbanîr el-Madâïn; damit ist das alte Ktesiphon - Seleucia gemeint, aber Isbanîr scheint nach Isbahan willkürlich neu gebildet zu sein. Es wäre denkbar, daß der ägyptische Arzt Ihn Danijâl, der aus Mosul stammte und zu Kairo in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts mehrere Schattenspiele verfaßte, den Titel eines seiner Stücke »'Adschîb und Gharîb« in Anlehnung an den Roman wählte; das könnte aber nur als Parodie gedacht sein, im übrigen haben Roman und Schattenspiel nichts miteinander zu tun. Dann müßte Ibn Danijâl im 1.Jahrhundert den Roman in seiner Heimat oder in Kairo kennen gelernt haben. Auf alle Fälle braucht die Erwähnung von Feuerwaffen (IV, 573), wenn diese wirklich, nicht Wurfgeschosse, gemeint sind, nicht im ursprünglichen Text gestanden zu haben, sondern kann später eingefügt sein. Der Roman ist ursprünglich ein selbständiges Werk gewesen, ist aber allem Anschein nach später entstanden als der von 'Omar ibn en-Nu'mân. Die genauere Erforschung der übrigen arabischen Romane wird auch über ihn neues Licht verbreiten. Es wäre nicht undenkbar, daß er eine neupersische Vorlage gehabt hätte.Als bürgerlicher Roman ist die Geschichte von 'Alâ ed-Din Abu esch-Schamât (II, 569) zu bezeichnen; in ihn sind allerlei Zauberdinge verflochten, wie das im späteren Ägypten leicht möglich war. Wenn er auch zum Teil in Baghdad spielt, so ist er doch in Ägypten entstanden. Der Held ist ein Ägypter, der nach Baghdad kommt, dort allerlei Abenteuer erlebt, dann wieder nach Ägypten fliehen muß und schließlich ins Frankenland verschleppt wird, von wo er mit der Prinzessin Husn Marjam nach manchen Leiden in das Morgenland zurückkehrt. Der Verfasser hat nur eine oberflächliche Kenntnis von Baghdad gehabt; daß er Harûn als Derwisch verkleidet die Stadt besuchen läßt (II, 603), kann er aus anderen Geschichten entnommen haben; der heilige 'Abd el-Kâdir von Dschilân, den er II, 585 erwähnt, ist in Ägypten ebenso berühmt wie in Baghdad, und neben ihm wird auf derselben Seite die Kairiner Heilige Nafîsa genannt. Auf Ägypten weisen ferner die Ausdrücke Ardebb und Webe (II, 647) sowie der Zauberstein (II, 655), mit Hilfe dessen man durch die Luft fliegen kann, und die Räubergesellen Ahmed ed-Danaf und Hasan Schumân (II, 613), die freilich nach Baghdad versetzt werden. Da die Seekriege zwischen Muslimen und Franken erwähnt werden (II, 646f.), so könnte man annehmen, daß die Geschichte im 14. Jahrhundert etwa in Alexandrien entstanden sei, worauf auch die Hervorhebung von Genua (II, 646) deuten würde. Doch ist sie vielleicht noch später; denn wir finden hier die türkischen Wörter Effendi (II, 600) und Chatûn (619), den
türkischen Namen Aslan (636), das persisch-türkische Wort Firmin (611, 628) und das europäische Wort Konsul (644).Ein Märchenroman ist die Geschichte von 'Abdallâh ibn Fâdil und seinen Brüdern (VI, 509). Sie ist eine literarische Bearbeitung von Motiven, die wir aus Geschichten am Anfang von 1001 Nacht kennen, wie oben S. 68i ausgeführt ist, und ist im Stil der besten Geschichten von 1001 Nacht gehalten. Die geographischen und historischen Kenntnisse sind sehr ungenau; einen Emir 'Abdallâh ibn Fâdil scheint es in Basra nie gegeben zu haben, die Namen seiner Brüder Mansûr und Nâsir sind typisch erfunden. Dennoch würde man die Geschichte unbedenklich in die spätere Baghdader Zeit setzen, wenn nicht VI, 511 und 513 der Kaffee erwähnt würde; und S. 545 hat ein Drache den Namen Darfîl, der aller Wahrscheinlichkeit nach aus einem europäischen Worte für Delphin entstanden ist. Wenn man nicht annehmen will, daß eine Baghdader Geschichte in Ägypten diese Zusätze erhalten hat, muß man sie ganz für ägyptisch halten.
Die Geschichte des Lastträgers und der drei Damen (I, 97) ist am ehesten eine lasziv-komische Novelle zu nennen, die mit Märchenerzählungen und Anekdoten vermischt ist. Gerade diese Geschichte bietet der Analyse und Zeitbestimmung große Schwierigkeiten. In der Geschichte des ersten Bettelmönches findet sich das Aïda-Motiv; ein Jüngling und ein Mädchen werden unter der Erde eingemauert. Die beiden sind Bruder und Schwester, und man könnte darin einen Anklang an die altägyptische Schwesternheirat sehen. Beim zweiten Mönche kommt der Affe als Schreiber vor, in dem oben S. 678 der ägyptische Gott Thoth vermutet wurde; aber daneben finden sich das Eßgedicht (I, 152), das vielleicht mit persischen Gedichten ähnlicher Art zusammenhängt, und das indische
Motiv des Verwandlungskampfes der Zauberer oder Dämonen (I, 155). Ein Urteil über Zeit und Entstehung des Ganzen ist daher schwer abzugeben. Da die Geschichte jedoch in der Gallandschen Handschrift steht, muß sie spätestens im 15. Jahrhundert in Tausendundeine Nacht aufgenommen sein.Die Geschichte der Wesire Nûr ed-Dîn und Scheins ed-Dîn (I, 224), eine mit Märchenmotiven durchwobene Novelle, wird zwar von dem Barmekiden Dscha'far vor Harûn er-Raschîd erzählt; aber sie stammt doch aus ägyptischer Zeit. Professor Popper' hat nachgewiesen, daß der Name der 1 228 genannten Poststation es-Sa'dîje nur von 1264 bis zum Anfang des is. Jahrhunderts bestanden hat. Somit muß die Geschichte innerhalb dieser Zeit in Ägypten entstanden sein. Auf Ägypten weist auch die Nennung verschiedener anderer ägyptischer Ortschaften (Gîze, 1 227, Kaljûb und Besibeis, S. 228) sowie die humoristische Schilderung des buckligen Knechtes auf dem Abort (S. 252) und Hasans bei der Wiedererkennungsszene (S. 283 if.).
Die Geschichte von Nûr ed-Dîn und Enîs el-Dschelîs (1,406) spielt in Basra und Baghdad zur Zeit Harûns; sie ist eine Art Familienroman aus den Hof kreisen. Nûr ed-Dîn verliebt sich in eine Sklavin, die für den König bestimmt ist, und erlebt mit ihr allerlei Abenteuer. Die Liebesverhältnisse zwischen Odalisken oder Sklavinnen des Palastes und fremden Männern kommen in manchen der Geschichten aus Baghdad vor; dergleichen Dinge mögen historisch sein, aber in unseren Erzählungen sind sie mehr Dichtung als Wahrheit.
Aus Ägypten stammt die Geschichte von Nûr ed-Din und Marjam der Gürtlerin (V, 624). Sie steht in engen Beziehungen zu dem Roman von 'Alâ ed-Din Abu esch-Schamât
Eine bürgerliche Novelle mit Zügen, die an Humoresken und Schelmengeschichten erinnern, ist die Geschichte von Abu Kir und Abu Sir (VI, 114), die gleichfalls aus Ägypten stammt. Die Fresserei des Abu Kir (S. 151 f.) ist ganz nach dem Geschmack des niederen Volkes in Ägypten, das an solchen Schilderungen große Freude hat; wird doch auch der ägyptische Nationalheilige Ahmed el-Bädawi als großer Esser in Volksliedern verherrlicht. Die Betrügereien von Abu Kir am Anfange der Erzählung erinnern an Schelmenstücke. Da Tabak (5. 147) und Kaffee (5. 169) genannt werden und man kaum Anlaß hat, diese Stellen als spätere Einschübe anzusehen,
stammt die Geschichte erst aus der Zeit nach der türkischen Eroberung; sie wird an ein Grab bei dem Orte Abukir, östlich von Alexandrien, anknüpfen.
Liebesgeschichten
Der Liebesgeschichten, die in 1001 Nacht vorkommen, ist eine große Zahl. Aber sie sind ganz verschiedener Art; kurze Anekdoten, die man »Skizzen« nennen könnte, wechseln mit langen Liebesromanen; keusche, entsagungsvolle Liebe und echte, triumphierende Treue auf der einen Seite, bedenkliche Liebensabenteuer oder gar krasse Ehebruchsgeschichten auf der anderen Seite. Man kann hier drei Gruppen unterscheiden, von denen keine einzige etwas mit den Hezâr Efsân zu tun hat; wie viele von ihnen bereits in die Baghdader Fassung von 1001 Nacht aufgenommen wurden, entzieht sich vorläufig unserer Kenntnis. Die erste Gruppe ist die der altarabischen aus der Zeit vor dem Islam; sie sind meist kurz, in ihnen wird reine Liebe und Treue bis zum Tode geschildert, vom Liebestod wird oft erzählt, der Ort der Handlung ist die Wüste oder eine der Städte Arabiens; die schon stark einsetzende Sentimentalität nimmt sich bei Beduinen der Wüste etwas sonderbar aus. Die zweite Gruppe stammt aus Basra und Baghdad; städtische Kultur und Großstadtleben werden durchaus vorausgesetzt, das Liebesleben wird teils zu Liebesabenteuern, die liebenden Jünglinge oder Männer schleichen sich in die Häuser oder in den Palast ein, die Liebe zu schönen Sklavinnen tritt stark hervor, während es sich in der Wüste um freie Mädchen handelt, eine etwas dekadente Frivolität macht sich bereits bemerkbar. Die dritte Gruppe ist in Ägypten, hauptsächlich wohl in Kairo entstanden; in ihnen ist Laszivität und Frivolität nichts Ungewöhnliches mehr. So heißt es auch 1 341: »Sie
hatte jedoch vom Volk von Kairo die Unzucht gelernt«; ferner nennt der Wachthauptmann von Kairo die dortigen »Häuser der Unzucht«(III, 313), und Zain el-Asnâm muß die Erfahrung machen, daß »es ihm nicht möglich war, in Kairo ein Mädchen zu finden, das vollkommen keusch und rein war« (VI, 232). Diese Urteile sind natürlich stark verallgemeinert, aber sie zeigen doch, in welchem Ansehen Kairo bei manchen Muslimen stand.Liebesgeschichten müssen früh bei den Arabern und den arabisch sprechenden Muslimen sehr beliebt geworden sein. Bei den heidnischen Arabern gab es neben der Heldenpoesie schon eine entwickelte Liebespoesie; die Verbindung eines Liebesliedes mit einem Heldenliede wurde sogar zum poetischen Stil. In diesen Liedern tritt bereits eine starke Sentimentalität hervor; von Schmerz der Trennung, von der Sehnsucht nach der Geliebten wird oft gesungen. »Jene Asra, welche sterben, wenn sie lieben«sind durch Heines Lied »Der Asra« allgemein bekannt geworden. Ein Liebestod ist sogar inschriftlich bezeugt; denn eine griechische Grabinschrift aus dem Haurin-Gebiet, das damals von Arabern besiedelt war, lautet: »Aurelius Wahbân, Sohn von Alexandros. Liebe brachte mir den Tod. «' Trotz der angenommenen griechisch-lateinischen Namen erkennen wir an dem Namen Wahbân, daß dies Opfer der Liebe ein echter Araber war. Aus vorislamischer Zeit werden folgende Liebesgeschichten in 1001 Nacht erzählt: Die Liebenden aus dem Stamme der 'Udhra (III, 433); El-Mutalammis und sein Weib Umaima (III, 439) Die Liebenden vom Stamme Taiji (III, 558); Die Geschichte von 'Utba und Rana (VI, 616), die zwar aus der
In die Gruppe der Baghdader Liebesgeschichten mögen hier die gestellt werden, die nicht mit Sicherheit als ägyptische zu erkennen sind; durch spätere Forschung mag hier noch manches genauer erkannt werden. Da ist zunächst die Geschichte von Ghânim ibn Aijûb, dem verstörten Sklaven der Liebe (I, 460); sie ist mit Eunuchenanekdoten untermischt und wird in einigen Handschriften als Teil des Romans von 'Omar ibn en-Nu'mân gerechnet (oben S. 694). Die berühmte Sklavin Harûns Kût el-Kulûb, die von der eifersüchtigen Kalifengemahlin Zubaida beiseite geschafft wird, erscheint hier wie in der Humoreske vom Fischer Chalîfa. Als Teil des Romans von 'Omar erscheint auch in den gedruckten Ausgaben die Geschichte von 'Azîz und 'Azîza (11,25); sie ist in eine andere Liebesgeschichte eingefügt, die von Tâdsch el-Mulûk und der Prinzessin Dunja (II, W, und letztere ist nur eine andere, aber ganz ähnliche Form der Geschichte von Ardaschîr und Hajât en-Nufûs (V, W. Diese Geschichte stammt sicher aus der Baghdader Zeit; der Name Ardaschîr weist nach Persien,
Von den größeren Liebesromanen können die von Masrûr und Zain el-Mawâsif (V, 557), von Abu el-Hasan aus Oman (VI, 353), von Ibrahim und Dschamîla (VI, 379) sowie von Abu el-Hasan aus Chorasan (VI, 408) in Baghdad entstanden sein, aber dann sind sie in Ägypten überarbeitet. Sicher aus Ägypten ist der Roman von Kamar ez-Zamân und Halîma (VI, 432); da letzterer nach Basra verlegt wird, ist es möglich, daß ägyptische Autoren die anderen hier genannten Geschichten teilweise in Baghdad und Basra haben spielen lassen, um ihre eigene Heimat davon zu entlasten. Die beiden Romane von Masrûr und Kamar ez-Zamân ähneln sich stark in ihrem unmoralischen Ehebruchsthema.
Für Masrûr und Zain el-Mawâsif (V, 557) werden Zeit und Ort nicht angegeben; nur als das Paar in die Fremde zieht ist von Aden als einer fernen Stadt die Rede. Masrûr ist Christ und vergeht sich mit der Jüdin Zain el-Mawâsif: aber als beide den Islam annehmen, ist alles gut, während der betrogene Ehemann
in elender Weise umkommt. Die Geschichte scheint mehrfach überarbeitet zu sein, bis sie ihre jetzige operettenhafte Gestalt erhielt. Die Episode von dem Liebestode der Kadis (V, 612f.) mag noch aus Baghdader Zeit stammen, kann aber auch von einem späteren Verfasser, der mit den Liebestodgeschichten vertraut war, gedichtet sein.Abu el-Hasan aus Oman (VI, 353) kommt nach Basra und Baghdad und soll zur Zeit Harûns gelebt haben. Er kommt in ein Mädchenhaus und wird von dem Besitzer fortgejagt, als er kein Geld mehr hat. Durch einen Glückszufall erhält er wieder ein großes Vermögen, aber da er ein Amulett zu billig verkauft, verliert er aus Kummer darüber die Farbe. Er gewinnt seine Geliebte wieder, und als er von Harûn den Tribut von drei Provinzen erhält, kehrt auch die Farbe in sein Gesicht zurück. Da ein babylonischer Zauberer auftritt (VI, 373) und da der Verfasser Ortskenntnis von Baghdad hatte, wird diese Geschichte doch wohl in spätbaghdadischer Zeit entstanden und dem Harûnkreise eingefügt sein.
Die Geschichte von Abu el-Hasan aus Chorasân (VI, 408) spielt zur Zeit der Kaufen el-Mu'tadid (892 -902) und el-Mutawakkil (847—861). Der Held erzählt, wie er in den Palast eindringt, um zu seiner Geliebten, der Sklavin Schadscharat ed-Dürr, zu gelangen. Er wird entdeckt, aber der Kalif verzeiht den beiden und gibt die Sklavin frei; auch schenkt er den beiden viel Gut. Das alles wird kaum historisch sein. Die Bemerkung, daß der Kalif sechshundert Wesire gehabt habe (S. 408), kann später in Ägypten hinzugefügt sein; die Geschichte wird wohl aus spätbaghdadischer Zeit stammen wie die soeben besprochene.
Dagegen istdie Liebesgeschichte von lb r ah îm und Dschamîla (VI, 379) ägyptisch oder in Ägypten umgearbeitet. Der
Held ist ein Ägypter; und in Baghdad hätte man kaum einen ägyptischen Helden erfunden. Der Schauplatz ist hauptsächlich Baghdad und Basra. Die Szene (VI, 402), in der Dschamîla sich als Kapitän verkleidet, ist wohl der gleichen in der Geschichte von Marjam der Gürtlerin nachgebildet (oben S. 702); doch die letztere ist ausführlicher und auch besser motiviert. Überhaupt ist das Ganze nicht sonderlich gut erzählt.Der lange Ehebruchsroman von Kamar ez-Zamân und seiner Geliebten (VI 432) ist sicher erst im 16. oder 1.Jahrhundert in Ägypten entstanden; dabei werden mancherlei Motive aus früheren Geschichten benutzt. Das Kaffeehaus wird S. 443f. genannt, das Kaffeetrinken S. 465, 468, 470, 477, der Schnupftabak S. 462. Hier liegt keinerlei Anlaß vor, diese Stellen als spätere Einschübe anzusehen. Daher werden auch die türkischen Wörter für Bannerträger (VI, 490) und für den Seesoldaten (VI, 471) im ursprünglichen Text gestanden haben. Aus früheren Geschichten finden sich hier die folgenden Szenen: der Beduinenüberfall (S. 447 und 495) wie bei 'Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât (II, 589); der schlafende Geliebte (VI, 464) wie bei 'Azîz und 'Aziza (11,45); das Motiv, daß eine Dame beim Zug durch die Straßen nicht gesehen werden will (S. 444, 451) wie bei 'Alâ ed-Dîn (II, 698), aber dort ist es eine Königstochter, hier eine Goldschmiedsfrau, bei der dieser Befehl sehr unangebracht ist. Die päderastische Szene VI, 440 if., wirkt abstoßend; die Szenen beim Betrug des Ehemanns würden bei uns in einem »Schundroman«stehen. Immerhin ist das Ganze nicht ungeschickt komponiert und mit Reimprosa und Gedichten ausgeschmückt. Der Schluß soll moralisch wirken und die unmoralische Geschichte gewissermaßen legitimieren. Die Ehebrecherin und ihre Sklavin werden getötet, aber der Ehebrecher selbst zieht sich ziemlich
feige aus den Folgen seines Tuns heraus und wird sogar noch belohnt. Der Ehebrecherin aus Basra gegenüber werden die Kairiner Frauen als fromm und treu hingestellt. In den sich immer wiederholenden Szenen des Hinundhereilens zwischen dem Hause des Gatten und dem des Liebhabers zeigt sich ein ziemlich primitiver Geschmack; sie erinnern an Darstellungen im Schattentheater oder auf der Volksbühne, wo solche Wiederholungen sehr beliebt sind.In den Liebesliedern und in Schilderungen des Liebeslebens finden sich sehr viele Ausdrücke, die aus der religiösen Sprache entnommen sind, wie ja andererseits bekanntlich die Sprache des Liebeslebens in der Mystik auf die religiöse Sprache stark eingewirkt hat. Es wäre eine lohnende Aufgabe, diese Frage genauer zu untersuchen. Nach einer arabischen Überlieferung soll der Liebestod dem Märtyrertod gleich geachtet werden.
Schelmengeschichten
Die Schelmen - und Diebsgeschichten, die man, modern ausgedrückt, als Räuber- oder Kriminalromane bezeichnen kann, sind fast alle ägyptischen Ursprungs, wie schon oben S. 677 gesagt wurde. An solcher Literatur, die von den Spaniern ei genero picaresco genannt wird, haben jung und alt in verschiedenen Ländern zu verschiedenen Zeiten ihre Freude gehabt und haben sie noch. So ist denn auch 'All ez-Zaibak, der Nachfolger des altägyptischen Amasis, nicht nur in Ägypten, sondern im ganzen vorderen Orient bekannt. Sein Name wird zwar IV, 724 als »Quecksilber-'Alî«gedeutet; aber er wird doch wohl mit dem Namen des türkischen Räuberstammes der Zeibek im westlichen Kleinasien zusammenhängen, obwohl der letztere ein anderes k am Schlusse hat. Er wird freilich wie so viele andere in die Zeit Harûns versetzt; das mag
erst geschehen sein, als seine Abenteuer, die auch mehrfach als selbständiges Buch überliefert werden, in 1001 Nacht eingefügt wurden. Seine Kumpane sind Ahmed ed-Danaf und Hasan Schumân; der erstere mag seinen Beinamen von danaf »chronisches Übel«, der letztere von schûm, n »Unglück«erhalten haben. Ihre Gegenspielerinnen sind die listige Dalîla und deren Tochter, Zainab die Gaunerin. Die Abenteuer dieser Gesellschaft werden hier in Band IV, S. 685 -776 erzählt. Die Ortskenntnis von Kairo und Umgebung (IV, 725, 731) weist u. a. auf den ägyptischen Ursprung hin. Neben diesen Geschichten finden sich noch die folgenden dieser Art: Von dem Schelm in Alexandrien und dem Wachthauptmann (III, 309); Von el-Malik en-Nâsir und den drei Wachthauptleuten (III, 312); Von dem Geldwechsler und dem Dieb (III, 317); Von dem Wachthauptmanne von Kûs und dem Gauner (III, 319); Von dem Dummkopf und dem Schelm (III, 450), die freilich eine allgemein verbreitete Anekdote ist, hier aber wohl erst in ägyptischer Zeit eingefügt wurde; Von dem Dieb und dein Kaufmann (III, 521); Von el-Malik ez-Zâhir Rukn ed-Dîn Baibars el-Bundukdâri und den sechzehn Wachthauptleuten (IV, 776), die aber nicht in den orientalischen Drucken enthalten ist. Vor den ägyptischen Herrschern el-Malik en-Nâsir und el-Malik ez-Zâhir wird erzählt wie in Baghdad vor Harûn er-Raschid; es ist wahrscheinlich, daß erstere Einkleidung eine Nachahmung der letzteren ist, doch es ist daran zu erinnern, daß schon im alten Ägypten Geschichten vor den Königen erzählt werden. Einige Geschichten werden doppelt erzählt; die Geschichte des Wachthauptmanns von Kûs (III, 319) ist die gleiche wie die des Wachthauptmanns von Bulak (III, 315); die Geschichte des Wachthauptmanns von Kairo (III, 312) die gleiche wie die des fünften Wachthauptmanns (IV, 795). Der Zyklus von den sechzehn Wachthauptleuten (IV, 778) ist eine Art von literarischer Komposition einer Reihe von Anekdoten, und er mag der Geschichte der drei Wachthauptleute (III, 312) nachgebildet sein.
Seefahrergeschichten
Die berühmte Geschichte von Sindbad dem Seefahrer (IV, 94, eins der bekanntesten und besten Stücke von Tausendundeiner Nacht, war ursprünglich ein selbständiges Buch. Wir sind auch in der glücklichen Lage, die Quelle für dieses Buch nachzuweisen. Ein persischer Kapitän namens Buzurg ibn Schahrijâr sammelte in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts Seemannsgeschichten, die er auf seinen Reisen und im Heimathafen Basra gehört hatte, und stellte sie zusammen zu einem Buch, das er »die Wunder Indiens«nannte, da es sich ja hauptsächlich um indische Dinge handelte. Er gibt für jede einzelne Geschichte seinen Gewährsmann, bei vielen auch die Zeit an. zu der sie ihm erzählt wurde. Es sind Seemannsgeschichten, wie sie wohl zu allen Zeiten in allen Häfen der Weit erzählt werden, sailors' yarn, die mancherlei Wahrheit und noch mehr Dichtung enthalten; in ihnen finden sich aber doch zahlreiche Angaben, die von hohem Werte sind. Eine französische Übersetzung dieses Buchs, dessen Verfasser man damals noch nicht kannte, wurde 1878 in Paris von L. Marcel Devic veröffentlicht unter dem Titel »Les merveilles de l'Inde«. Den arabischen Text nebst einer verbesserten französischen Übersetzung gab van der Lith im Jahre 1886 heraus. Ein begabter Schriftsteller, der wahrscheinlich im 11. oder 12. Jahrhundert in Baghdad lebte, schuf aus den einzelnen Geschichten ein einheitliches Kunstwerk. Dabei hat dieser Verfasser andere Berichte von
arabischen Kaufleuten und Reisenden, vielleicht auch den arabischen Alexander-Roman und eine Prosabearbeitung von Homers Odyssee benützt. Seinem Sindbad dem Seefahrer gab er ein Gegenbild in Sindbad dem Landbewohner, und so spannte er die einzelnen Reisen in einen hübschen Rahmen ein. Die bunte Menge der einzelnen Abenteuer und Motive muß noch mit den »Wundern Indiens« und anderen Werken der Zeit, soweit sie uns erhalten sind, verglichen werden.Eine Art von Seefahrerroman ist die Geschichte von Ab u Mohammed dem Faulpelz (III, 172); aber die Seereise bildet nur einen Teil dieser aus Märchenmotiven und Seemannsberichten zusammengewobenen Erzählung. Sie steht als selbständige Geschichte in der Stambuler Handschrift, wie oben S. 670 schon erwähnt wurde. Der Affe, der für Mohammed so wichtig ist, wird in der Handschrift als »ein König von den Königen der Geister«bezeichnet. Daß die Geschichte aus der Baghdader Zeit stammt, ist mit Sicherheit anzunehmen. — Über das Verhältnis der Sindbadgeschichte zu den Märchen von Saif el-Mulûk und von Hasan aus Basra ist schon oben S. 689 f. gesprochen worden.
3. SAGEN UND LEGENDEN
Die Stammessagen der alten Araber sind in 1001 Nacht kaum noch vertreten. Am ehesten könnte man die Geschichte von Hâtim et-Tâï (III, 85) noch hierher rechnen, die ich in meinem Vortrag »Tausendundeine Nacht in der arabischen Literatur« näher besprochen habe; sie ist aus dem arabischen »Buch der Lieder«(oben S. 677) übernommen. Sie ist auch keine eigentliche Heldensage, sondern eine spukhafte Legende, die an das Grab des Helden anknüpft. Sie Sage von der Säulenstadt Iram (III, 108), dem irdischen Paradies, dessen Erbauer
durch ein göttliches Strafgericht umkam -ähnlich wie die Erbauer des Turmes von Babel für ihren Übermut bestraft wurden -, mag teils auf altarabische Überlieferungen zurückgehen; diese Überlieferungen waren auch Mohammed bekannt, da er im Koran von ihnen spricht. Gerade wegen ihres Vorkommens im heiligen Buche war die Sage bei den Muslimen sehr beliebt und wurde später ausgeschmückt. In 1001 Nacht wird erzählt, wie der Omaijadenkalif Mu'âwija l. durch Gewährsmänner Aufschluß über sie erhält. Aus der Zeit der arabischen Eroberungen stammt die Sage von der Stadt Le b ta (III, 90), die freilich an das Anekdotenhafte streift. In ihr wird erzählt, wie eine Stadt der Romäer von den Muslimen erobert ward und welche Schätze dort gefunden wurden. Die Stadt soll eingenommen sein, nachdem ein Usurpator einen verschlossenen Turm geöffnet hatte, in dem sich Bildnisse reitender Araberscharen befanden nebst einer Inschrift, die besagte, die Stadt würde erobert werden, wenn der Turm geöffnet wäre. In Lebta sehe ich eine Verschreibung für Sebta, das ist Ceuta in Marokko; mit dem Usurpator wird Graf Julian gemeint sein, der aber seinerseits auch der Legende angehört. Die drei genannten Sagen sind in die Baghdader Zeit zusetzen.Die große Sagenerzählung von der Messingstadt (IV, 208) ist durch viele Märchenmotive erweitert worden. Sie spielt nach unserem Texte zur Zeit des Omaijadenkalifen 'Abd el-Malik ibn Marwân, doch sie liegt uns in einer späteren ägyptischen Überarbeitung vor. Die Messingstadt soll im äußersten Westen liegen; eine Messingstadt (Madinat en-Nahâs) ist uns aus Südwestarabien bekannt, und diese hat ihren Namen davon erhalten, daß viele Bronzegegenstände dort gefunden wurden. Eine kurze Fassung der Sage von der Messingstadt findet sich in der Geschichte von Abu Mohammed dem Faulpelz
wieder (III, 192); sie erinnert an die Sage von den versteinerten Städten, die in 1001 Nacht vorkommen (I, 190; VI, 528). In der selbständigen Erzählung, wie sie hier vorliegt, mögen auch Reisebeschreibungen nach Nordwestafrika verwandt sein.Als Tierlegende verdient die Geschichte vom Vogel Ruch (III, 541) besonders erwähnt zu werden; er kommt auch sonst mehrfach in 1001 Nacht vor (I, 178; II, 786; IV, 118, 120ff.). Die Vorstellung von ihm wird auf den Aepyornis maximus zurückgehen.
Eine große Anzahl von Legenden aus dem Leben von Heiligen oder von frommen Leuten ist in 1001 Nacht aufgenommen; sie stehen im schärfsten Gegensatz zu den frivolen Liebesgeschichten und zu vielen erotischen Ausführungen in anderen Geschichten. Diese Legenden sind meist kurz, nur wenige sind etwas breiter ausgeführt. Einige von ihnen könnten als Anekdoten gelten, andere werden auch zu den Liebesgeschichten gerechnet, sofern sie tugendhafte Liebe schildern. Ihr Ursprung ist mannigfaltig; einige stammen aus Indien, andere aus der jüdischen und christlichen Literatur, in der sie teilweise auf hellenistische Vorbilder zurückgehen, noch andere mögen in islamischer Zeit neu erfunden sein. Als Mystik und Derwischtum im arabischen Islam in immer weitere Kreise drangen, wurden diese Legenden eine sehr beliebte Erbauungsliteratur. Die charakteristischeste von allen ist wohl die Geschichte von dem frommen Prinzen (III, 526), in der erzählt wird, daß ein Sohn Harûns zum Derwisch wurde; sie erinnert an indische Vorbilder und an die weitberühmte Alexioslegende. Das Derwischlied III, 533 ist sehr bezeichnend. Es würde viel zu weit führen, hier jede einzelne Geschichte gesondert zu betrachten und auf ihre Herkunft zu prüfen; so
mag eine Aufzählung mit einigen Bemerkungen genügen. Der Einsiedler und die Tauben (II, 239); Der fromme Hirte (II, 240); Der fromme Israelit (III, 329); Der Wasserträger und die Frau des Goldschmieds (111,492); Die fromme Israelitin und die beiden bösen Alten (III, 508; es ist die bekannte Erzählung von Susanna, die auch bei Ibn es-Sarrâdsch steht, Paret, S. 70 und 76); Der König und die tugendhafte Frau (III, 539; da diese Geschichte auch in dem Zyklus vom weisen Sindbad vorkommt, IV, 262, so wird sie von dorther übernommen sein); Der jüdische Richter und sein frommes Weib (III, 708); Das schiffbrüchige Weib (III, 712; hier wird 5. 714 mit feiner Detailmalerei geschildert, wie ein kleines Knäblein auf dem Rücken eines Ungetüms im Meere schwimmt und am Daumen saugt); Der fromme Negersklave (III, 715); Der fromme Mann unter den Kindern Israel (III, 720; auch bei Ibn es-Sarrâdsch, Paret, S. 71 und 76); El-Haddschâdsch und der fromme Mann (III, 725); Der Schmied, der das Feuer anfassen konnte (111,727); Der fromme Israelit und die Wolke (III, 731); Der Prophet und die göttliche Gerechtigkeit (III, 747); Der Nilferge und der Heilige (III, 749; auch hier ist ein sufisches Gedicht besonders bezeichnend); Der fromme Israelit, der Weib und Kinder wiederfand (III, 752); Abu el-Hasan ed-Darrâdsch und Abu Dscha'far der Aussätzige (III, 758, mit einem Derwischlied).Hierher gehören auch die Geschichten vom Engel des Todes vor dem reichen König und dem armen Manne (III, 697), vor dem reichen König (III, 699), vor dem König der Kinder Israel (III, 702) und ferner die Bekehrungsgeschichten. Von letzteren ist typisch die Geschichte von dem Prior, der Muslim wurde (III, 562); dazu kommen die Geschichten
von dem muslimischen Helden und der Christin (III, 736) sowie von der christlichen Prinzessin und dem Muslim (III, 743). Auch sonst ist manchmal von Bekehrungen der Heiden, Juden und Christen zum Islam die Rede; so zum Beispiel II, 651 (Husn Marjam); IV, 769 (die Tochter des Juden Asra); V, 622 (der Christ Masrûr und die Jüdin Zain el-Mawâsif); V, 692 (Marjam die Gürtlerin); V, 763 (die fränkische Rittersfrau). Da solche Übertritte in Wirklichkeit oft genug vorgekommen sind, brauchen die hier erzählten Geschichten nicht alle legendarisch und zum größeren Ruhme des Islams erfunden zu sein. Wir kommen aber ins Reich der Sage und des Märchens. wenn wir lesen, daß Salomo die Dämonen zum Islam bekehrte (IV, 226) oder daß in der versteinerten Stadt ein einziger Prinz von einer alten Frau (I, 194) oder eine einzige Prinzessin von el-Chidr (VI, 539) den Islam annimmt. Wie Salomo, so bekehrt auch der Romanheld Gharîb die Dämonen; doch dieser verbreitet den Islam zugleich mit Feuer und Schwert unter den Menschen.Es ist auffallend, daß fast alle die frommen Legenden oben im dritten Bande vereinigt sind. Das ließe auf einen Redaktor schließen, der besonderes Interesse für sie hatte. Da nun gerade unter ihnen sich manche Geschichten von frommen Juden befinden, hat man angenommen, daß hier ein zum Islam übergetretener Jude am Werke gewesen wäre. Die Annahme liegt insofern nahe, als hier die Juden als fromme und brave Leute erscheinen, während sie in anderen Teilen von 1001 Nacht manchmal verächtlich gemacht werden. Aber der Schluß ist nicht zwingend; denn einerseits waren die »israelitischen Geschichten« bei dem Völkergemisch in Baghdad und in Kairo den Muslimen bekannt, und andererseits finden sich auch sonst genug Gegensätze der Anschauungen in Tausendundeiner Nacht.
4. LEHRHAFTE GESCHICHTEN
Fabeln und Parabeln, namentlich auch Tiergeschichten, sind bei verschiedenen Völkern zu Hause. Sie waren den alten Ägyptern bekannt; aber schon in ptolemäischer Zeit kamen indische Fabeln nach Ägypten. Von griechischer und römischer Fabelliteratur mag hier ganz abgesehen werden. Die alten Araber haben ihre Tiergeschichten gehabt, und ähnliche Erzählungen finden sich bei vielen primitiven Völkern Afrikas. Da aber die beiden großen Fabelzyklen in 1001 Nacht, die vom weisen Sindbad und von Dschali'âd und Wird Chân, sicher indischen Ursprungs sind, so mögen auch die einzeln vorkommenden Erzählungen dieser Art aus Indien stammen. Die indische Geschichte vom Stier und Esel (I, 27) steht in der Rahmenerzählung; die von König Sindibâd (I, 62) hat sogar noch einen indischen Namen. In Band II ist eine Reihe von Fabeln nach indischer Art zu einer Art von Zyklus vereinigt. Das sind die Geschichten von den Tieren und dem Menschen Vom Wasservogel und der Schildkröte (II, 244); Vom Wolf und vom Fuchs (II, 249); Vom Falken und Rebhuhn (II, 257); Von der Maus und dem Wiesel (II, 268); Vom Raben und von der Katze (II, 270); Vom Fuchs und vom Raben (II, 272); Vom Igel und von den Holztauben (II, 280); Vom Dieb mit dem Affen (II, 284); Vom Pfau und vom Sperling (II, 286). Diese Fabeln mögen auf schriftlichem oder mündlichem Wege, über Persien oder unmittelbar von Indien durch Seeleute oder Reisende zu den muslimischen Arabern gekommen sein; jedenfalls sind einige von ihnen im Arabischen stark umgearbeitet, wie vor allem die Geschichte vom Wolf und vom Fuchs, die mit ihren vielen Gedichteinlagen und
ihren Dialogen zwischen den beiden Tieren wie eine komische Operette wirkt.Indisch ist, wie längst bekannt, die »Geschichte von der Tücke der Weiber oder von dem König, seinem Sohne, seiner Odaliske und den sieben Wesiren«(IV, 259), die auch als »das Buch vom weisen Sindbad«oder als »das Buch von den sieben weisen Meistern<>oder nach der griechischen Form des indischen Namens Sindbad als »Syntipas» bezeichnet wird. Der Königssohn, der vom weisen Sindbad erzogen ist, muß nach der Bestimmung des Schicksals sieben Tagelang stumm bleiben. Gerade, wie diese Zeit beginnt, will eine Odaliske seines Vaters ihn verführen, und als er standhaft bleibt, verleumdet sie ihn bei seinem Vater, wie einst Potiphars Weib den keuschen Joseph verleumdete. Da treten die sieben Wesire auf und erzählen einer nach dem andern Geschichten von der Tücke und Untreue der Weiber, einem in Indien von jeher sehr beliebten Thema; die Odaliske selber erzählt dazwischen immer eine Geschichte, in der die Männer als böse. die Frauen aber als gut hingestellt werden. Der König schwankt hin und her in seinem Urteil, bis am achten Tage der Sohn die Wahrheit verkündet und seine Weisheit durch einige Erzählungen bekundet. Darauf wird die Odaliske verbannt, und der Prinz lebt hinfort mit seinem Vater herrlich und in Freuden. Dies Buch, dessen indisches Original noch nicht aufgefunden ist, ist in eine ganze Anzahl von orientalischen und europäischen Sprachen übersetzt worden. Vermutlich wurde es im .Jahrhundert ins Mittelpersische und von dort im .Jahrhundert ins Arabische übertragen. Denn es wurde schon von einem 815 gestorbenen arabischen Dichter in Verse gebracht; und der muß eine arabische Prosavorlage gehabt haben. Ob diese unserem Texte genau entsprochen hat, kann noch nicht
festgestellt werden. Jedenfalls haben wir in ihm eine Umarbeitung, die vom Islam stark beeinflußt ist. Der Prophet Mohammed wird genannt; die Kadis kommen vor (IV, 310, 320); auf Hiobs Qual und Jakobs Trauer wird hingewiesen (S. 343). Die Namen von Geistern sind arabisch; Bint et-Tamîma (S. 276),Dhu el-Dschanahain (S. 286), Râdschiz (S. 287) und et-Taijâch (S. 276). Auch der Gebrauch von Reimprosa beweist, daß eine freiere Bearbeitung vorliegt. Inder äußeren Anlage ist das Buch von König Dschali'âd und seinem Sohne Wird Chân (VI, 7) dem Buche vom weisen Sindbad ganz ähnlich. Beide waren ursprünglich eigene Werke, und als solche werden beide auch bei el-Mas'ûdi genannt; erst später wurden sie in den Kreis von 1001 Nacht einbezogen. Die Namen des Königs, seines Sohnes und seines Wesirs werden in den Handschriften und gedruckten Texten sehr verschieden überliefert: ihre indische Urform ist noch nicht bekannt. Das vorliegende arabische Werk berichtet, daß dem König in seinem Alter noch ein Sohn geboren wird. Bei dieser Gelegenheit erzählen seine Wesire allerlei lehrhafte Geschichten. Dann wird der Sohn von weisen Männern erzogen und übertrifft schon in seinem dreizehnten Lebensjahre alle Gelehrten und Weisen seiner Zeit. Darauf besteht er vor seinem Vater eine Prüfung in Rede und Gegenrede mit Schimâs. Aber nach dem Tode des Königs neigt er sich den Frauen zu und vernachlässigt seine Pflichten. Da sucht Schimâs ihn durch Parabeln zu warnen, aber seine Lieblingsodaliske erzählt ihm Geschichten, durch die er seinem treuen Ratgeber entfremdet wird, und veranlaßt ihn schließlich, diesen und die anderen Wesire zu töten. Darauf gerät er in Kriegsgefahr, aus der er durch den Sohn des Schimâs gerettet wird. Dann regiert er wieder weise und tugendhaft, während seine bösen Weiber elend zugrunde gehen. Man könnte das Buch einen indischpersisch-christlich-muslimischen Fürstenspiegel mit praktischer Nutzanwendung nennen; denn außer den vielen muslimischen Spuren finden sich auch christliche in ihm, und es war bei den Christen des vorderen Orients sehr beliebt, wie uns denn auch christlich-arabische Handschriften. unter anderen eine in Tübingen, erhalten sind. Überall wird Monotheismus vorausgesetzt. Die theologischen Erörterungen über Adam und den Sündenfall (VI, Wf.) können christlich-jüdisch oder islamisch (von den Christen oder Juden her übernommen) sein; die Ausführungen über den Logos (S. 67) erinnern aber stark an das Johannes-Evangelium. Die Geschichte vom Blinden und Krüppel (S. 52) wird auch jüdisch überliefert. Salomos Frauen (5. 81) waren bei Juden, Christen und Muslimen berühmt, aber schwerlich im alten Indien bekannt. Echt indisch sind jedoch die Elefantenkämpfer (5. 128); auch im Sprichwort kommt der Elefant vor (S. 77). Man kann persische Spuren in dem Buche finden. S. 77 wird nach vier Dingen gefragt, in denen sich alle Geschöpfe gleich sind; es werden aber fünf genannt: Speise und Trank, Süße des Schlafs, Begierde nach dem Weibe und Todeskampf. Im Persischen würde man dadurch, daß man das gleiche Wort für Essen und Trinken gebraucht, die Vierzahl genauer herstellen können. Und die Frage nach der Wahrheit, die häßlich ist, obwohl eine jede an sich schön ist (5. 78), kommt in den neupersischen Fragen des Wesirs Buzurgmihr an seinen Meister ebenso vor; zwischen beiden wird ein Zusammenhang bestehen, und es ist nur natürlich, anzunehmen, daß unser Werk durch das Persische hindurchging, ehe es zu den Christen und Muslimen des vorderen Orients kam. Mir scheint es, daß sprachliche Eigenheiten auf eine Übersetzung ins Syrische deuten, die dann ins Arabische übertragen wäre; doch ist dies vorläufig noch zu unbestimmt. Der Stil des ganzen Werkes läßt Übersetzungstätigkeit erkennen; Reimprosa kommt wenig vor, dagegen sind langatmige Sätze und Konstruktionen nicht selten, während diese in den übrigen Teilen von 1001 Nacht recht wenig gebraucht werden, da sie dem Erzählungsstil nicht angemessen sind. Ungeschickte Darstellungen, wie zum Beispiel am Schluß der 918. und Anfang der 919. Nacht, mögen dem Übersetzer zur Last fallen oder bei der Einteilung in Nächte entstanden sein. Auch darauf sei hingewiesen, daß hier nie wie sonst immer in 1001 Nacht gesagt wird »er küßte den Boden vor dem König«, sondern »er warf sich anbetend vor Gott nieder und küßte die Hand des Königs«. An dieser Stelle mögen noch drei kleinere Geschichten von der Frauenlist angefügt werden, obgleich allein bei der ersten ein Satz am Schlusse lehrhaften Charakter hat, während die anderen beiden nur unterhaltende Anekdoten sein wollen. Das sind die Geschichten vom Müller und seinem Weibe (III, 448), von der List einer Frau wider ihren Gatten (III, 501), von der Weiberlist (III, 502). Die letztere ist nur in der ersten Calcuttaer Ausgabe ein Teil von 1001 Nacht; sie wird aber auch sonst mehrfach aus moderner Zeit überliefert, und mir wurde sie im Jahre 1900 in Jerusalem erzählt. Sie ist wohl in Syrien oder Ägypten zu Hause, obwohl sie in Baghdad spielt. Der Kaffee wird S. 505 erwähnt.Ganz anderer Art aber ist die lange Erzählung von der klugen Sklavin Tawaddud (III, 626). Sie ist, wie Prof. Horovitz sagt, »weniger durch ihren Inhalt als durch ihre literarischen Nachwirkungen bemerkenswert«. Kluge Sklavinnen kommen mehrfach in 1001 Nacht vor, aber Tawaddud übertrumpft sie alle bei weitem. Sie hat ihrem Herrn, der in Not gekommen ist, geraten, sie auf dem Sklavenmarkt zu verkaufen, und wird
dann dem Kaufen zum Kauf angeboten. Vor ihm besteht sie ein gründliches Examen über Fragen der Theologie, Astronomie, Medizin und Philosophie; dabei gibt sie nicht nur Antworten auf die Fragen, die ihr gestellt werden, sondern sie richtet auch ihrerseits Fragen an die Examinatoren, worauf diese ihr die Antworten schuldig bleiben. Dann fordert der Kalif sie auf, sich eine Gnade zu erbitten, und gibt sie ihrem früheren Herrn zurück. Prof. Horovitz erkannte, daß diese Geschichte ihr Vorbild vielleicht in einer aus dem Griechischen übersetzten Schrift hat, deren Titel lautet »Das Buch von dem Philosophen, der durch die Sklavin Kitâr geprüft wurde, und der Bericht der Philosophen in ihrer Sache«, und daß sie eine Parallele in einem weitverbreiteten arabischen Buche hat, den Fragen des 'Abdallâh ibn Salâm, die in manche orientalische Sprachen übersetzt und deren lateinische Übersetzung vom 13. bis ins 17. Jahrhundert im christlichen Europa viel gelesen wurde. Vor allem betonte er die schon früher erkannten Beziehungen zu einem spanischen Volksbuche, der Historia de la doncella Teodor, die bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts sehr beliebt war; der Name ist auch der gleiche, da Teodor aus der arabischen Nebenform Tudur entstanden ist. Die ältesten erhaltenen spanischen Versionen stammen spätestens aus dem 14., vielleicht schon aus dem 13. Jahrhundert. Das arabische Buch ist wahrscheinlich zu einer Zeit entstanden, in der man sich des Philosophen Ibrahim ibn Saijâr en-Nazzâm (III, 632, 686) noch erinnerte; dieser starb im Jahre 845. Es stammt also aus der Baghdader Zeit, und die koptischen Monatsnamen (III, 678 if.) sind erst später in Ägypten hinzugefügt. Als Tauded ist Tawaddud noch beiden heutigen Nordabessiniern bekannt, worauf ich im Vortrage »Tausendundeine Nacht in der arabischen Literatur«S. 23 aufmerksam gemacht habe.
5. HUMORESKEN
Auf humorvolle Schilderungen in Geschichten verschiedener Art aus 1001 Nacht ist schon mehrfach hingewiesen. Sie kommen besonders in den Erzählungen aus Ägypten vor, wie ja heute noch die Kairiner im arabischen Orient als die besten Humoristen gelten; aber auch die Bewohner Arabiens, Syriens und Mesopotamiens waren und sind durchaus nicht ohne Humor, und die drei Geschichten aus 1001 Nacht, die am ehesten als Humoresken bezeichnet werden können, stammen wahrscheinlich noch aus der Baghdader Zeit. Die Geschichte von Abu el-Hasan oder dem erwachten Schläfer (III, 454) spielt zur Zeit Harûns. Gleich zu Anfang erzählt der Held schon dem Kaufen die lustige Anekdote von dem Strolch und dem Koch (S. 456). Dann veranlaßt der Kalif, daß Abu el-Hasan betäubt in den Palast gebracht wird und dort als Kalif erwacht. Darauf wird er wiederum betäubt und in sein Haus zurückgetragen, hält sich für den Kalifen Kalifen und wird schließlich ins lrrenhaus gebracht. Das alles wird mit großer Komik erzählt. Er wird noch ein zweites Mal in den Palast gebracht, und nachdem er dort erwacht ist, macht ihn der Kalif zu seinem Tischgenossen. Dann spielt er mit seiner Frau dem Kalifen und seiner Gemahlin noch einen lustigen Streich, indem beide sich tot stellen. Diese Geschichte wird meist als ein Teil des großen 'Omar-Romans überliefert; sie wird daher auch in Baghdad entstanden sein.
Eine andere lustige Geschichte vom Kaufen und seinem »Doppelgänger«ist die von dem Fischer Chalîfa (V, 503). Im Deutschen wirkt die Geschichte nicht mehr ganz so komisch, da der Titel Chalife von den neueren Orthographen zu Kalif gemacht ist. Im Arabischen lautet der Personenname Chalîfa aber genau so wie der Titel des Beherrschers der Gläubigen;
auch bei uns gibt es viele einfache Leute, die Kaiser, König, Prinz oder Fürst heißen. Der Kernpunkt der Geschichte ist denn auch, wieder Fischer Chalîfa mit dem wirklichen Kalifen zusammentrifft, ihn das Fischen lehrt, dann mit dem Kaufenmantel abzieht und schließlich in den Palast des Kaufen kommt. Vorher geht eine Einleitung, die mehrere komische Szenen enthält; der Fischer fängt nur Affen, die ja als Unglückstiere oder Teufelstiere gelten, kommt dann zu einem Juden, bei dem ein Mißverständnis zu einer Prügelei führt, und wird schließlich um seine hundert Dinare besorgt, was mit grotesker Komik geschildert wird. Zum Schlusse wird die Geschichte des Fischers Chalîfa mit der von der Sklavin Kût el-Kulûb verquickt, die wir aus der Geschichte von Ghânim ibn Aijûb kennen (oben S. 705).Auch die Geschichte von Dscha'far dem Barmekiden und dem alten Beduinen (III, sio) spielt in der Nähe von Baghdad. Sie ist von so derber Komik, daß »Harûn er-Raschîd lachte, bis er auf den Rücken fiel«.
Eine echte Lügengeschichte, die zur Erheiterung dienen soll, ist die Geschichte von 'All dem Perser (III, iss) mit seinem Sack und dem Kurden. Sie wird baghdadisch sein. Lügengeschichten sind heute noch im Orient sehr beliebt, und Lügenmärchen sind auch im Abendlande nicht unbekannt. Die Geschichte von 'All dem Perser ist mit großer Sprachgewandtheit erzählt. —Über die Märchenhumoreske von Ma'rûf ist schon oben S. 693 gesprochen. Die Geschichte des Buckligen ist ein großer Zyklus von meist humoristischen Anekdoten.
6. ANEKDOTEN
Der Begriff der Anekdote muß hier etwas weit gefaßt werden; er umfaßt alle Geschichten, die in den vorhergehenden Gruppen keinen Platz gefunden haben. Da ist gleich die Geschichte
von den drei Äpfeln (I, 214), eine Art Kriminalgeschichte, die als Rahmenerzählung zu der Novelle von den Wesiren Nûr ed-Dîn und Scheins ed-Dîn (oben S. 701) dient; sie geht auf ein indisches Vorbild zurück. Die Geschichte des Buckligen (I, 292) mit der des Barbiers von Baghdad und seiner Brüder ist eine große Sammlung von Anekdoten und längeren Erzählungen, die durch Einschachtelung zu einer Komödie großen Stils miteinander verbunden sind. Wir sahen oben 5. 670 bereits, daß die Geschichten der Brüder des Barbiers in der Stambuler Handschrift als selbständige Erzählung vorkommen. Die Rahmenerzählung wird nach China verlegt; in der Geschichte des christlichen Maklers finden sich so viele ägyptische Spuren, daß man sie nicht anders als in Ägypten entstanden denken kann (I, 300: Ardebb, Chân el-Dschâwali und Siegestor; 303f.: Chân Masrûr und die Straße Bain el-Kasrain; 308: Tor der Zuwaila und andere Kairiner Bezeichnungen). So bietet denn die Geschichte dieses Anekdotenzyklus die ähnlichen Schwierigkeiten wie die von 1001 Nacht als ganzem Werk; wir können jedoch wie dort einen Baghdader Grundstock annehmen, der in Ägypten erweitert wurde.Die übrigen Anekdoten lassen sich in drei Gruppen einteilen, und zwar haben wir zuerst solche von Herrschern und ihren Kreisen, zweitens solche von freigebigen Leuten, drittens solche aus dem allgemein menschlichen Leben. Die Herrscher-Anekdoten beginnen mit Alexander dem Großen und enden mit den Mameluken-Sultanen. Eine Anekdote von Alexander findet sich III, 704. Auf ihn folgen die Perserkönige: König Kisra Anuscharwân und die junge Bäuerin (III, 489); Der gerechte König Anuscharwân (III, 706); Chosrau und Schirm und der Fischer (III, 494). Es wäre denkbar, daß diese persischen Anekdoten in den Hezâr Efsân gestanden
haben und von dort ins Arabische übersetzt wurden; doch nötig ist diese Annahme nicht, da auch in anderen arabischen Büchern Erzählungen von Perserkönigen vorkamen, die als Quelle für Tausendundeine Nacht gedient haben mögen. Noch unter Perserkönigen lebten die Lachmiden, die arabischen Fürsten von el-Hîra; eine ihrer Prinzessinnen hieß Hind, und von ihrem Abenteuer mit 'Adt ibn Zaid handelt die Geschichte III, 543 —547; sie beruht in dieser Form vielleicht auf einer Ortslegende des Klosters von el-Hîra. Im »Buch der Lieder« (oben S. 677) wird das Abenteuer sowohl von 'Adt wie von einem anderen Dichter erzählt; es ist wohl aus zwei Versen des Dichters 'Adî herausgesponnen. Von den vier ersten Kalifen ist nur 'Omar J. vertreten; von ihm und einem jungen Beduinen handelt die Geschichte III, 512-518, der das Motiv der Bürgschaft zugrunde liegt; ferner wird 1 609, die berühmte Geschichte von ihm und der armen Frau erzählt. In die Zeit der omaijadischen Kalifen werden folgende Anekdoten versetzt: Von dem Beduinen und seiner Frau (IV, 660); Von Hind. der Tochter en-Nu'mâns, und el-Haddschâdsch (IV, 623; hier wird anachronistisch einem Mädchen aus der Zeit von el-Haddschâdsch der Name einer Lachmidenprinzessin beigelegt); Von dem Schreiber Jûnus und Walîd ihn Sahl (IV, 633); Von Hischâm ibn 'Abd el-Malik und dem jungen Beduinen (III, 93). Auch sonst werden die Omaijaden öfters genannt; so spielt die Geschichte von Ni'ma und Nu'm (oben S. 684) an ihrem Hofe, und die Geschichte von der Messingstadt ist von einer Rahmenerzählung umgeben, die uns nach Damaskus an ihren Hof versetzt. Solche »Einrahmungen«für Geschichten anderer Art sind häufig, in den meisten wird Harûn verwendet; aber die brauchen nicht besonders aufgezählt zu werden. Es ist auch bekannt, daß manche Anekdoten oder »Einrahmungen« von anderen Herrschern auf Harûn übertragen sind; dafür ließen sich viele Beispiele anführen. Harûn war für die späteren Geschlechter das Urbild eines großen und mächtigen Herrschers schlechthin, ebenso wie Salomo für die späteren Juden, und damit für Christen und Muslime. Beide waren keine wirklich bedeutenden Herrscher; aber da in ihrer Zeit Frieden herrschte, nach vorhergehenden Kämpfen und vor all den folgenden Unruhen, so prägte sie sich der Nachwelt besonders lebhaft ein, und die Herrschergestalten wurden gewissermaßen verklärt. Auf Harûn und seinen Kreis beziehen sich die folgenden Anekdoten: Harûn er-Raschîd und der falsche Kalif (III, 130; dies ist eigentlich ein kleiner Roman, in dem das Motiv des »Doppelgängers« aber ganz anders gewendet ist als oben S. 724); Harûn er-Raschîd, die Sklavin und der Kadi Abu Jûsuf (III, 160); Harûn er-Raschîd, die Sklavin und Abu Nuwâs (III, 298); Abu Nuwâs mit den drei Knaben und dem Kaufen (111,425); Der Kalif Harûn. er-Raschîd und die Herrin Zubaida im Bade (III, 440); Harûn er-Raschîd und die drei Dichter (III, 442); Harûn er-Raschîd und die beiden Sklavinnen (III, 446); Harûn er-Raschîd und die drei Sklavinnen (III, 447; eine Erweiterung der vorigen); Masrûr und Ibn el-Kâribi (III, 523; eine kleine Humoreske); Harûn er-Raschîd und die junge Beduinin (IV, 638); El-Asma'i und die drei Mädchen von Basra (IV, 641; ein Gegenstück zu der Geschichte von dem Lastträger und den drei Damen von Baghdad, aber aus einer ganz anderen Sphäre, auch bei Ibn es-Sarrâdsch, Paret S. 66 und 75); Ibrahîm el-Mausili und der Teufel (IV, 645); Ishâk von Mosul und der Teufel (JV 674; eine andere Fassung der vorhergehenden Anekdote). In die Zeit von Harûns Nachfolger el-Amin führen uns die beiden Anekdoten III, 497: Von Mohammed el-Amîn und Dscha'far ibn Mûsa und III, 577: Von Amin und seinem Oheim Ibrahim el-Mahdî, in die Zeit von dessen Bruder und Nachfolger el-Mamûn die folgenden: Ibrahîm el-Mahdî (III, 96; er hatte sich gegen el-Mamûn empört); Ibrahîm el-Mahdî und der Kaufmann (III, 321); Ishâk aus Mosul und der Kaufmann (III, 550; eine Variante der vorigen Anekdote); Ishâk el-Mausili (III, 115; die Geschichte der etwas romantischen Verlobung von el-Mamûn mit der Tochter von Hasan ibn Sahl. die auch sonst in der arabischen Literatur vorkommt: sie ist unhistorisch. worauf schon der muslimische Geschichtsschreiber Ibn Chald ûn aufmerksam macht); El-Mamûn und der fremde Gelehrte (III, 204); Der Mann aus Jemen und seine sechs Sklavinnen (III, 280); Abu Hassan ez-Zijâdi und der Mann aus Chorasân (III, 33'); Der Kalif Mamûn und die Pyramiden (III, 518). Die späteren Abbasiden sind seltener vertreten; aber manche Anekdote, die zuerst von ihnen erzählt wurde, mag jetzt unter dem Namen Harems stehen. Wir finden noch die Geschichte von dem Kalifen el-Mutawakkil und der Sklavin Mahbûba (III, 339) sowie die von ihm und el-Fath ihn Chakân (III, 578). Dieser selbe Kalif und sein Enkel el-Mu'tadid spielen eine wichtige Rolle in der Liebesgeschichte von Abu el-Hasan aus Chorasân (oben S. 708). Die Anekdoten von den Barmekiden sind weiter unten zusammengestellt; eine kurze Anekdote von einem der Tahiriden, die unter den Abbasiden mehrere Statthalterstellen bekleideten, findet sich III, 591. Von den fatimidischen Herrschern Ägyptens wird nur eine Anekdote erzählt, die von dem Kaufen el-Hâkim und dem Kaufmann (III, 488); dieser Kalif kommt auch in der Geschichte von der Frau mit dem Bären vor (III, 341 f.). Welcher ägyptische Herrscher in der Geschichte von el-Malik en-Nâsir und seinem Wesir (IV, 682) gemeint ist, läßt sich nicht sagen, da ja mehrere von ihnen diesen Beinamen trugen, und da auch sein Wesir nicht bestimmbar zu sein scheint. Vor einem Herrscher dieses Namens und vor el-Malik et-Zâhir werden die Schelmengeschichten erzählt (oben S. Wif.).Eine eigene Gruppe bilden die Anekdoten von freigebigen Männern. Freigebigkeit und Gastfreundschaft waren neben der Tapferkeit bei den alten Arabern die höchsten Mannestugenden, und von ihnen wurde auch schon im alten Arabien manche Geschichte erzählt. Der Typus des freigebigen Helden war Hâtim, von dem oben S. 713 eine Legende angeführt wurde. Sein Nachfolger in diesem Rufe war Ma'n ib n Zâïda, von dem hier III, 87 und III, 88 zwei Anekdoten wiedergegeben werden. In diese Gruppe gehört ferner die Geschichte von Chuzaima ibn Bischr und 'Ikrima el-Faijâd (IV, 626) aus der Omaijadenzeit. Die Freigebigkeit und Verschwendung der Abbasiden kennt in den meisten Erzählungen, namentlich in den Märchen, gar keine Grenzen mehr; diesen Zug teilen sie aber mit den meisten Königen und Herrschern in 1001 Nacht. Der Glanz Harûns wurde auch auf das berühmte Geschlecht der Barmekiden übertragen, das unter Harûn ein so elendes Ende nahm und dessen Name heute in Ägypten die Landstreicher und anderes Gesindel bezeichnet. Der Wesir Dscha'far el-Barmeki ist der ständige Begleiter Harûns; ihm gilt eine besondere Anekdote (mit dem Bohnenverkäufer, III, 169). Von dem Edelmute seines Vaters erzählen die Anekdoten: Die Großmut des Barmekiden Jahja ibn Châlid gegen Mansûr (III, 195), Die Großmut
Jahjas gegen den Brieffälscher (III, 199; eine ähnliche Geschichte wird von dem späteren Wesir 'All ibn el-Furât erzählt, und diese mag auf Jahja übertragen sein); Der Barmekide Jahja ihn Châlid und der arme Mann (III, 496). Dazu kommt noch die Geschichte von den Söhnen Jahjas ibn Châlid (das ist el-Fadl und Dscha'far) und Sa'îd ibn Sâlim el-Bâhili (III, 499).Verschiedene Anekdoten aus dem Leben der Bürger finden sich neben denen von Herrschern und Ministern. Da ist zunächst die Geschichte von dem Schlachthausreiniger und der vornehmen Dame (III, 124). Das Thema »Reich und Arm«wird in drei Anekdoten variiert: Der Mann, der die goldene Schüssel stahl, aus der er mit dem Hunde gegessen hatte (III, 305); Der Arme und sein Freund in der Not (III, 335); Der reiche Mann, der verarmte und dann wieder reich wurde (III, 337). Von Jugend und Alter handeln zwei kleine Geschichten: Abu Suwaid und die schöne Greisin (III, 590); Die beiden Frauen und ihre Geliebten (III, 592); von Tyrannenmacht und den Leiden des Volkes erzählt die Geschichte von dem Pilgersmann und der alten Frau (III, 622); den Kauf einer Sklavin rechtfertigen die Verse des Abu el-Aswad (III, 446). Eine wahre Begebenheit aus der Zeit der Kreuzzüge mag in der Geschichte von dem Oberägypter und seinem fränkischen Weibe (V, 758) geschildert sein; denn die Kreuzfahrer wurden öfters von ihren Frauen begleitet.
Ganz eigentümlich sind die Geschichten von War dân dem Fleischer mit der Frau und dem Bären (III, 341) sowie von der Prinzessin und dem Affen (III, 347). Über sie ist in Band III, 5. 344, Anm. 1 und 5. 347, Anm. 1 das Nötige gesagt. Sie stammen sicher aus Ägypten. Besondere Typen,
die im Orient für Anekdoten ein beliebtes Thema bildeten und bilden, sind die Eunuchen, Schulmeister und Richter; den Eunuchen wird Dummheit und Frechheit, den Schulmeistern Torheit, den Richtern Bestechlichkeit und Ungerechtigkeit vorgeworfen. Schon im Altertum gab es den Typus des törichten Schulmeisters. In 1001 Nacht erscheinen diese Typen aber nur einige Male: Eunuchen sind Buchait (I, 465) und Kafûr (1,467); in Band III, S. 533-539 lesen wir hintereinander die Geschichten von dem Schulmeister, der sich auf Hörensagen verliebte; Von dem törichten Schulmeister; Von dem Schulmeister, der weder lesen noch schreiben konnte. Von ungerechten und tyrannischen Richtern und Beamten ist nur gelegentlich die Rede (IV, 320 und 379); in V, 660 wird ein Spottvers auf die hohen Beamten mitgeteilt. Dagegen wird die Klugheit des Richters in zwei Anekdoten gerühmt, in der von Harûn er-Raschîd, der Sklavin und dem Kadi Abu Jûsuf (III, 160) sowie in der von demselben Kadi und der Herrin Zubaida (III, 452), während in der Geschichte von 'All Chawâdscha und dem Kaufmanne von Baghdad (VI, 340) ein leichtsinniger Richter durch einen kleinen Knaben über sein Amt belehrt wird.Zuletzt sei hier noch des nächtlichen Abenteuers des Kalifen (VI, 240) gedacht, das bisher nur durch Galland überliefert ist. In ihm finden sich drei ausführlich und breit erzählte Anekdoten, die mit Märchenmotiven durchsetzt sind: Baba Abdullah verliert Besitz und Augenlicht wegen seiner Habgier; Sîdi Nu'mân hat eine Frau, die in Wirklichkeit eine Dämonin ist (oben S. 682); Chawâdscha Hasan el-Habbâl wird reich durch einen Diamanten, den seine Frau im Bauche eines Fisches findet. Diese Geschichten können der Baghdader Zeit angehören; das persische Wort bacht, »Glück«
(VI, 266), kann schon damals in die arabische Umgangssprache aufgenommen sein. Die Erzählungen sind aber durch Galland überarbeitet worden, und auf ihn wird die europäische Ausdrucksweise zurückgehen, auf die oben S. 259, Anm. 1 und S. 262, Anm. 1 hingewiesen ist.Im vorhergehenden ist versucht worden, von dem unendlich mannigfaltigen Inhalt von Tausendundeiner Nacht und seiner Geschichte ein Gesamtbild zu geben. Sehr viele Fragen mußten offen gelassen werden; namentlich in den Abschnitten über die Legenden und die Anekdoten ist noch ein reiches Feld für künftige Forschungen enthalten.
Wir haben gesehen, daß es außer Tausendundeiner Nacht noch eine ausgedehnte arabische Erzählungsliteratur gibt, aus der auch sehr vieles in unsere Sammlung übernommen wurde. Aber insofern ist das Buch von Tausendundeiner Nacht einzig in seiner Art, als es ein ungeschminktes Bild des muslimisch-arabischen Mittelalters in seiner ganzen Vielseitigkeit bietet. Und in ihm ziehen die Motive der Volkserzählungen aus vielen Ländern und vielen Zeiten an unseren Augen vorüber, da die islamische Kultur eine Fortsetzung und Zusammenfassung vieler anderer Kulturen ist.
NACHTRÄGE
Seit dem Erscheinen der ersten Ausgabe meiner Übersetzung sind eine Reihe von Arbeiten zum Thema »Tausendundeine Nacht«veröffentlicht; die meisten davon sind in dem Buche von C. Brockelmann »Geschichte der arabischen Litteratur, Zweiter Supplementband«, S. 62f., verzeichnet. — Zu dem Abschnitt »Die einzelnen Erzählungen«(oben S. 680) ist das Buch von Nikita Eliséeff, »Thèmes et motifs de Mille et une Nuits«(Beyrouth 1949) zu vergleichen.
Im einzelnen sei noch das Folgende bemerkt.
S. 660: Das Fragment aus dem 9. Jahrhundert ist herausgegeben, übersetzt und erklärt von Nabia Abbott im Journal of Near Eastern Studies, Vol. VIII, S. 129 if. — S. 665: Dem Schriftsteller al-Ghuzüli, der um die Wende des 14. Jahrhunderts lebte, war die ägyptische Fassung von 1001 Nacht bekannt; vgl. Torrey im Journal of the American Oriental Society 1894, S. 45 ff. — S. 672: Nabia Abbott teilt die Entwicklungsgeschichte in folgende sechs Stadien: 1 Eine arabische Übersetzung der Hezâr Efsâneh aus dem .Jahrhundert; 2. Eine islamisierte Form dieser Übersetzung, auch aus dem 8. Jahrhundert mit dem Titel »Tausend Nächte«; 3. Eine Ausgabe der »Tausend Nächte« aus dem 9. Jahrhundert mit persischen und arabischen Geschichten; 4. Eine Ausgabe mit dem Titel »Tausend Nachtunterhaltungen» aus dem 10. Jahrhundert, deren Verhältnis zu den »Tausend Nächten« nicht klar ist; 5. Eine Sammlung aus dem 12. Jahrhundert mit dem Titel »Tausendundeine Nacht«, die durch Material aus Nr. 4 und durch ägyptisches Material vermehrt war; 6. Das Schlußstadium der Entwicklung, die bis in das 16. Jahrhundert dauerte; darin befanden sich islamische Heldenromane aus den Kämpfen mit den Christen und Erzählungen aus Persien und Iraq, die mit den Mongolen im 13. Jahrhundert dorthin gekommen waren. — 5. 676: Zu den indischen Motiven vgl. L. Alsdorf, »Zwei neue Beiträge zur ,indischen Herkunft' von 1001 Nacht« in der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft« (ZDMG 1935, S. 27513.). —S. 678: Die Geschichte von dem kleinen Löwen, der sich vor dem Menschen nicht warnen läßt (Band II, 5. 225 if.) wird von Prof. Lexa auf ein altägyptisches Vorbild zurückgeführt. —S. 687, Anm.: Zur Frage der islamischen Eschatologie bei Dante vgl. auch Cerulli, »11 ,Libro
della Scala' e la questione delle fonti arabo-espagnole della Dwina Commedia«(Citta dcl Vaticano, 1949). —S. 694: über die Geschichte des Königs 'Omar ibn en-Nu'mân und seiner Söhne als Quelle eines byzantinischen Epos haben H. Grégoire und R. Goossens gehandelt in dem Aufsatz »Byzantinisches Epos und arabischer Ritterroman«(ZDMG 1934, S. 213 if.). Dort werden auch die Namen Lûka, Schamlût, Scharkân. Rumzân (dieser anders als oben 5. 696) erklärt. Der Roman muß schon um das Jahr 1000 in Nordsyrien bekannt gewesen sein. —S. 728: Zu den Anekdoten über Abu Nuwâs vgl. den Aufsatz von A. Schaade über Herkunft und Urform zweier dieser Geschichten in ZDMG 1934, 5. 259 if. —Zu den Liebesgeschichten (oben S. 704 ff.) ist das Folgende nachzutragen. Die Geschichte von Uns el-Wudschûd und el-Ward fil-Akmâm (III, 385) ist wahrscheinlich ein ägyptisches Liebesmärchen (vgl. III, 392, Anm. 2 und 3). Von Ehen zwischen Dämonen und Menschen (III, 415) wird auch in Ägypten erzählt. — Die Geschichte der Liebenden von Medina (IV, 678) ist oben 5. 704 nachzutragen. — Die Geschichte von Mus'ab ibn ez-Zubair und 'Âïscha Hint Talha (III, 444) ist wohl eine Baghdader Anekdote, ebenso wie die Geschichte von dem Streit über die Vorzüge der Geschlechter (III, 579); letztere wird 5. 579 aus dem 12. Jahrhundert datiert. Beide sind oben 5. 707 nachzutragen. — Die Geschichte von der Frau, die dem Armen ein Almosen gab (III, 326) ist oben S. 716 einzufügen.
BIBLIOGRAPHIE
Aus der reichhaltigen Literatur über Tausendundeine Nacht seien hier genannt: H. Zotenberg, Notice sur quelques manuscrits des Mille et une nuits et la traduction de Galland
(Paris 1888). —V. Chauvin, Bibliographie arabe IV—VII (Lüttich 1900ff.). —V. Chauvin, La récension égyptienne des mille et une nuits (Brüssel 1899), in der Bibliotheque de la Faculté de Philosophie et Lettres de l'Université de Liege. —J. Oestrups »Studien über 1001 Nacht« aus dem Dänischen (nebst einigen Zusätzen) übersetzt von O. Rescher (Stuttgart 1925). Hier hat der Übersetzer im Vorwort eine Übersicht über die neuere Literatur zu Tausendundeiner Nacht gegeben, in der auch die Einzeluntersuchungen von Macdonald, Horovitz und Nöldeke aufgeführt werden. Von den dort nicht genannten Aufsätzen Nöldekes ist sein Artikel »Zu den ägyptischen Märchen« in der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Band 42 (Leipzig 1888), S. 68-72, besonders wichtig. -J. Horovitz, Die Entstehung von Tausendundeine Nacht, in »The Review of Nations«Nr. 4, April 1927.Aus meinem Vortrag »Tausendundeine Nacht in der arabischen Literatur«(Tübingen 1923) sind hier einige Ausführungen herübergenommen. Die Schriften von Prof. R. Paret sind oben im Text aufgeführt. Herrn Professor Nöldeke, durch den ich manche Anregungen erhalten habe, sei hier mein herzlichster Dank ausgesprochen.
Außer den im Nachtrag zur »Abhandlung«erwähnten Büchern und Schriften, von denen besonders das Buch von Eliséeff hervorzuheben ist, seien noch genannt Lexa, »Note concernant l'origine d'un conte du livre arabe des 1001 nuits«, Archiv Orientálni (Prag), 1930, 5. 441; Heller, »Das hebräische und arabische Märchen« in Bolte und Polivka. »Anmerkungen zu Grimms Märchen«IV (1930) S. 315 ff; G. E. von Grunebaum, »Medieval Islam«(Chicago 1946), 5. 294 bis 319, »Greece in the ,Arabian Nights'«.
DRUCKFEHLER VERZEICHNIS
1 190, Zeile 6 von unten ist das Komma nach »mit« zu streichen.
—11,95, Zeile 8: statt »uns«lies »und«. —II, 135, Zeile II:
statt »Dândan«lies »Dandân«. —II, 148, Zeile 12: statt «zuckt«lies
»zückt«. —II, 592, Zeile 4 von unten: statt »ei Balchi«lies »el-Balchi«.
—II, 616, Zeile 17: vor »denn«ist ; einzufügen. —II,
620, Zeile 14: statt »Bazzazâ«lies »Bazzâza«. —II, 766, Zeile 5:
statt «gesehen« lies »geschehen«. — III, 656, Zeile z: statt
»Amseiensure« lies »Ameisensure«. — V, 362, Zeile 17: statt
»Wonnen«lies »Wonne«.
NAMENVERZEICHNIS
Dies Verzeichnis enthält die Namen der Menschen, Dämonen, Götter, Wundertiere. Länder und Orte. Die Namen der Stadtteile und Straßen sind nicht aufgeführt. Dazu kommen folgende Ausnahmen: Unter den Menschen fehlt der Prophet Mohammed, unter den Ländern und Orten fehlen Ägypten, Arabien, Syrien, Persien, Kleinasien, Griechenland, Baghdad, Basra, Kairo. Hinter Namen, die in derselben Geschichte mehr als zweimal vorkommen, steht meist nur die erste Stelle mit if. Die römischen Zahlen verweisen auf die Bände, die arabischen auf die Seiten. Der arabische Artikel ei- (oder mit assimiliertem 1) kommt für die alphabetische Reihenfolge nicht in Betracht.
Für die Übersetzung und die Schlußabhandlung wurde ein vereinfachtes System gewählt; betonte Längen wurden durch bezeichnet, unbetonte Längen nicht, bei den emphatischen Buchstaben hsdtzk wurde der Punkt weggelassen, der Kehllaut ' wurde durch ' angedeutet. Im folgenden Verzeichnis sind die emphatischen Buchstaben kursiv gedruckt, über unbetonten Längen steht ein Strich, und der Kehllaut ist stets gesetzt, damit überall die arabischen Formen genau erkannt werden können. Die Buchstaben des arabischen Alphabets sind also hier folgendermaßen wiedergegeben (nach der arabischen Reihenfolge):' (nur im Innern und am Schluß der Wörter bezeichnet) b t th dsch Im eh d dh r z s sch s dt z' gh fk kirn mn h wj. Im allgemeinen sind die arabischen Vokale ai u gewählt; in einzelnen Fällen sind e und o gesetzt, auf Schwankungen ist durch Rückverweise hingewiesen. Die biblischen Namen sowie manche Namen von Städten und Ländern sind in der im Deutschen geläufigen Form gegeben. Für Nichtorientalisten sei noch besonders bemerkt, daß z immer das weiche (stimmhafte) s bezeichnet.