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Märchen
Hirschdieb 7
Der Mann ohne Herz 10
Das Nußzweiglein 17
Der Zauberwettkampf 22
Die drei Hunde 26
Schwan, kleb an 32
Der Hase und der Fuss 36
Der kleine Däumling 38
Die drei Hochzeitsgäste 43
Der Richter und der Teufel 45
Die Probestücke des Meisterdiebes 49
Die Kornähren 6o
Star und Badewännlein 61
Das Märchen vom Ritter Blaubart 65
Die Hexe und die Königskinder 68
Des Hundes Not 72
Die drei Gaben 76
Der beherzte Flötenspieler 78
Die schlimme Nachtwache 82
Das Natterkrönlein 84
Zwergenmützchen 88
Der Mönch und das Vögelein 96
Vom Knaben, der das Hexen lernen wollte 98
Schab den Rüssel 103
Der fette Lollus und der magere Lollus 109
Die drei Wünsche 115
Schneider Hänschen und die wissenden Tiere 124
Das blaue Flämmchen 137
Der goldene Rehbock 140
Das Tränenkrüglein 144
Sagen
Die Hinzlein zu Aachen 149
Der Pilatus und die Herdmanndli 151
Die Bergmanndli schützen Herden und Fische 152
Kastelen Alpe 154
Die Herdmanndli ziehen weg 155
Der Drescher und der Zwerg 156
Von den Schweckhäuserbergen 158
Der goldene Kegel 160
Das stille Volk zu Plesse 162
Von Moosleuten, Holzweibeln und Heimchen 165
Nibelung von Hardenberg und der Zwerg Goldemar 167
Geist Blaserle 168
Die Allensteiner Zwergmännlein 170
Der Graf von Hoya 171
Burggeist Poppele 172
Pumphut 175
Das Zwergvolk im Osenberge 178
Zwergschabernack 179
Die Unterirdischen 182
Die Kobolde 184
Die Tückebolde 191
Der lange Wapper 193
Lodder 194
Die Klabautermännchen 196
Der Teufelsweg auf Falkenstein 199
Die Saalni~en 201
Die Seelen der Ertrunkenen 202
Vom großen Mummelsee 204
Lurlei 206
Berggeist Rübezahl 208
Roßtrappe und Kretpfuhl 212
Die Eppsteiner 214
Das Riesenspielzeug 216
Von Drachen und Lindwürmen 218
Winkelried und der Lindwurm 219
Der Lindwurm auf Frankenstein 220
Jungfrau Ilse 222
Die unkluge 223
Die törichten Musikanten 225
Die buckligen Musikanten auf dem Pervisch 226
Die glühenden Kohlen 228
Der Farrensamenfinder 230
Allerünken 231
Jungfer Eli 232
Der Mühlgötz 234
Der Mühlenbär 235
Das Weidwiesenweiblein 236
Die sieben Schwestern 238
Das Lindigsfrauchen 239
Der Klopfer und der Staufer Geist 241
Die Gräfin von Orlamünde 243
Der Stadtpfeifer aus Orlamünde 244
Der fliegende Holländer 246
Schwertmann 248
Der schnelle Reiter Tod 230
Die Nagelstätter Weide 251
Des Rodensteiners Auszug 254
Der wilde Jäger 255
Der wilde Jäger in Dithmarschen 257
Der Wode 259
Frau Holle und der treue Eckart 262
Der Gast des Pfingsttänzers 263
Der Schneider von unken ,264
Der Teufel ein Fürprech 266
Das Pfaffenkäppchen .270
Die Teufelsbrücke,274
Jägestücklein ,275
Vom Eschenheimer Turm ,276
Die Kinder von Hameln 279
Eppela Geila,282
Zauberverblendung 283
Vom Zauberer Agrippa 284
Das Mäuselein 286
Der blaue Dunst 287
Das Oldenburger Horn 288
Die Quäste 290
Der Affe zu Dhaun 291
Die schwarze Gret und das Danewerk 292
König Watzmann 294
Die übergossene Alm 296
Blümelis-Alpe 297
Hatto und Willigis 299
Die Brüder 302
Der Graf im Feuer 303
Stock voll Dukaten 304
Gaul aus dem Pfuhl 305
Vineta 307
Das versunkene Kloster 308
Arendsee 310
Die drei Bergleute in Kuttenberg 311
Die tote Braut 313
Die Ururalte 314
Die Spinnerin im Mond 316
Die Pferde aus der Bodenluke 318
Die fliegenden Knaben 320
Der Brautstein 322
Zum Stehen verwünscht 324
Die umirrenden Stiefel 326
Die beiden Kröten 328
Der Klapperer 329
Der Schwanritter 332
Dei Schloßvogt . 334
Krötenstuhl 336
Falkenstein und Tidian 338
Das quellende Silber 340
Schneeberger Teufelgbanner 341
Vom Eisenberge 343
Der Geldsot 344
Die Wisperstimme 346
Der Schloßberg bei Kreuzburg 348
Des Königs Abenteuer 349
Das bescherte Glück 352
Köterberg 354
Die heilige Genoveva 355
Rolandseck 358
Bergentrückung 360
Kaiser Friedrich 363
Der Gast des Toten 365
Die drei Auflagen 368
Herr Gryn und der Löwe 370
Der Glomssack zu Memel 371
Gottes Krieg 372
Die lebendige Mauer 373
Die letzte Saat 374
Die Weibertreue 376
Umrittener Wald 378
Der Schmied in Ruhla 380
Wo der Hund begraben liegt 382
Der starke Jochem 385
Das große Los 386
"Das ist des Mannes Feld 387
Die getreue Frau Florentina 388
Straßburger Schießen und Zürcher Brei 391
Blutlinde 393
Der Besserstein 394
Trifels 396
Die Luftbrücke 397
Dee Münsteruhr 398
Der Stiefel voll Wein 401
Kinderzüge und Kindertanz 402
Die getreue Alte 404
Der Glockenguß zu Attendorn 406
Die Krempner Glocke 409
Das Frühmahl 410
Treuer Kerr, treuer Knecht 412
Swentipols Scherz 413
Ein Dieb rettet Thorn 414
Die Schlacht auf dem Tausendteufelsdamme 415
Die Tellensage 418

Märchen von Ludwig Bechstein



003 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

Ludwig Bechstein

Märchen und Sagen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von
Ruth Koser-Michaëls

Th. Knaur Nachf. Verlag

Berlin



007 Ludwig Bechstein Märchen. Flip



Hirsedieb

In einer Stadt wohnte ein sehr reicher Kaufmann, der hatte am Haus einen großen und prächtigen Garten, in dem auch ein Stück Land mit Hirse besät war. Da nun dieser Kaufmann einmal in seinem Garten herumspazierte — es war zur Frühjahrazeit, und die Hirse stand frisch und kräftig —, sah er zu seinem größten Ärger und Verdruß, daß verwichene Nacht von frecher Diebeshand ein Teil abgegrast worden war; und gerade dieses Gartenäckerlein war ihm ganz besonders lieb. Er beschloß, den Dieb zu fangen und dem Gerichte zu übergeben. Daher er seine drei Söhne Michel, Georg und Johannes zu sich rief und sprach: "Heute nacht war ein Dieb in unserm Garten und hat mir einen Teil Hirse abgegrast, was mich höchlich ärgert. Der Frevler muß gefangen werden und soll mir büßen! Ihr, meine Söhne, mögt nun wachen die Nächte hindurch, einer um den andern und wer den Dieb fängt, soll von mir eine stattliche Belohnung bekommen.

Der älteste, Michel, wachte die erste Nacht; er nahm sich etliche geladene Pistolen und einen scharfen Säbel, auch zu essen und zu trinken mit, hüllte sich in einen warmen Mantel und setzte sich hinter einen blühenden Holunderbusch, hinter dem er bald fest einschlief. Wie er am hellen Morgen erwachte, war ein noch größeres Stück abgegrast



008 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

als in voriger Nacht. Und als nun der Kaufmann in den Garten kam und das sah und merkte, ward er noch ärgerlicher und schalt und höhnte ihn als einen braven Wächter, der ihm samt seinen Pistolen und Säbel selbst gestohlen werden könne!

Die andere Nacht wachte Georg; der nahm sich nebst den Waffen auch noch einen Knittel und starke Stricke mit. Aber der gute Wächter Georg schlief ebenfalls ein und fand am Morgen, daß der Hirsedieb wieder tüchtig gegraset hatte. Der Vater ward ganz wild und sagte: "Wenn der dritte Wächter ausgeschlafen hat, wird die Hirsesaat vollends zum Kuckuck sein und dann keines Wächters mehr bedürfen!

Die dritte Nacht kam nun an Johannes die Reihe. Er nahm trotz alles Zuredens keine Waffen mit; doch hatte er sich im geheimen mit recht bewährten Waffen gegen den Schlaf versehen: er hatte sich Disteln und Dornen gesucht und die an seinem Wächterplatz vor sich aufgebaut. Wenn er nun einnicken wollte, stieß er allemal mit der Nase an die Stacheln und wurde gleich wieder munter. Als die Mitternacht herbeikam, hörte er ein Getrappel; es kam näher und näher, machte sich in die Hirse, und da hörte Johannes ein recht fleißiges Abraufen. Halt, dachte er, da hab' ich dich! und er zog einen Strick ans der Tasche, schob leise die Dornen zurück und schlich dem Dieb vorsichtig näher, Ala er hinzukam — wer hätte das vermutet? — war der Dieb — ein allerliebstes kleines Pferdchen. Johannes war innerlich erfreut, hatte auch mit dem Einfangen gar keine Mühe; das Tierchen folgte ihm willig zum Stall, den Johannes fest verschloß. Und nun konnte er noch ganz gemach in seinem Bette ausschlafen.

Früh, als seine Brüder aufstiegen und in den Garten gehen wollten, sahen sie mit Staunen, daß Johannes in seinem Bette lag und schlief. Da weckten sie ihn und höhnten ihn mit allerlei Neckreden, daß er der beste Wächter sei, da er sogar nicht einmal die Nacht ausgehalten habe auf seiner Wache. Aber Johannes sagte: "Seid ihr nur ganz stille, ich will euch den Hirsedieb schon zeigen." Und sein Vater und seine Brüder mußten ihm zum Stalle folgen, wo das wunderseltsame Pferdlein stand, von dem niemand zu sagen wußte, woher es gekommen und wem es zugehörte.



009 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

Es war von zartem und schlankem Bau und ganz silberweiß. Da hatte der Kaufmann eine große Freude und schenkte seinem wackern Johannes das Pferdchen als Belohnung; der nahm es freudig an und nannte es Hirsedieb.

Bald vernahmen die Brüder, daß eine schöne Prinzessin verzaubert wäre im Schloß, das auf dem gläsernen Berge stehe, zu dem niemand wegen der großen Glätte emporklimmen könne. Wer aber glücklich hinauf und dreimal um das Schloß herum reite, der erlöse die schöne Prinzessin und bekomme sie zur Gemahlin. Unendlich viele hätten schon den Bergring probiert, wären aber alle wieder herabgestürzt und lägen tot umher.

Diese Wundermär erscholl durchs ganze Land, und auch die drei Brüder bekamen Lust, ihr Glück zu versuchen, nach dem gläsernen Berg zureiten und — die schöne Prinzessin zu gewinnen. Michel und Georg kauften sich junge, starke Pferde, deren Hufeisen sie tüchtig schärfen ließen, und Johannes sattelte seinen kleinen Hirsedieb, und so ging es fort zum Glücksritt. Bald erreichten sie den gläsernen Berg, der älteste ritt zuerst, aber ach — sein Roß glitt aus stürzte mit ihm nieder, und beide, Roß und Mann, vergaßen das Wiederaufgehen. Der zweite ritt, aber auch sein Roß glitt ab, stürzte mit ihm nieder, und beide, Mann und Roß, vergaßen auch das Aufstehen. Nun ritt Johannes, und es ging trapp trapp trapp trapp — droben waren sie, und wieder trapp trapp trapp trapp — und sie waren dreimal ums Schloß herum, als wenn Hirsedieb schon hundertmal diesen gefährlichen Weg gelaufen wäre. Nun ging die Schloßrür auf, und es trat die schöne Prinzessin heraus; sie war ganz in Seide und Gold gekleidet und breitete freudig die Arme gegen Johannes aus. Und er stieg schnell vom Pferdlein und eilte, die holde Prinzessin zu umfangen.

Und die Prinzessin wandte sich zum Pferdlein, liebkosete es und sprach: "Ei, du kleiner Schelm, warum warst du mir denn entlaufen, daß ich nicht mehr die einzige Nachstunde, die mir vergönnet war, unten auf der grünen Erde zu weilen, genießen konnte? Nun darfst du uns nimmermehr verlassen." — Und da ward Johannes gewahr, daß sein Hirsediebchen das Zauberpferdlein seiner himmelschönen Prinzessin war. Seine Brüder



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kamen wieder auf von ihrem Fall, Johannes aber sahen sie nicht wieder, denn der lebte glücklich mit seinem Engel im Zauberschloß auf dem gläsernen Berge. Zu diesem Berge fand kein Menschenkind mehr den Weg, weil der Zauber gelöst und die Prinzessin von ihrem Bann befreit worden war, durch ihr kluges Rößlein, das den rechten Befreier und Gemahl ihr zugetragen.


Der Mann ohne Herz

Es sind einmal sieben Brüder gewesen, waren arme Waisen, hatten keine Schweter, mußten alles im Hause selbst tun, das gefiel ihnen nicht, wurden Rates untereinander, sie wollten heiraten. Nun gab es aber da, wo sie wohnten, keine Bräute für sie; da sagten die Älteren, sie wollten in die Fremde ziehen, sich Bräute suchen, und ihr Jüngster sollte das Haus hüten, und dem wollten sie eine recht schöne Braut mitbringen. Das war der Jüngste gar wohl zufrieden, und die Sechse machten sich fröhlich und wohlgemut auf den Weg. Unterwegs kamen sie an ein kleines Häuschen, das stand ganz einsam in einem Walde, und vor dem Häuschen stand ein alter, alter Mann, der rief die Brüder an und fragte: "Heda! Ihr jungen Kiekindiewelt! Wohin denn so lustig und so geschwind?

"Ei, wir wollen uns jeder eine hübsche Braut holen und unserm jüngeren Bruder daheim auch eine!" antworteten die Brüder.

"Oh, liebe Jungen!" sprach da der Alte: "ich lebe hier so mutterseelensternallein, bringt mir doch auch eine Braut mit, aber eine junge hübsche muß es sein!

Die Brüder gingen von dannen und dachten: "Hm, was will so ein alter eisgrauer Hozelmann mit einer jungen Braut anfangen?"

Da nun die Brüder in eine Stadt gekommen waren, fanden dort sieben Schwestern, so jung und so hübsch sie sich's nur wünschen konnten,



011 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

die nahmen sie, und die jüngste nahmen sie für ihren Bruder mit. Der Weg führte sie wieder durch den Wald, und der Alte stand wieder vor seinem Häuschen, als wartete er auf sie, und sagte: "Ei, ihr braven Jungen! das lob' ich, daß ihr mir so eine junge hübsche Braut mitgebracht habt!"

"Nein!" sagten die Brüder, "die ist nicht für dich, die ist für unsern Bruder zu Hause, dem haben wir sie versprochen!

"So?" sagte der Alte, "versprochen? Ei daß dich! Ich will euch auch versprechen!" und nahm ein weißes Stäbchen und murmelte ein paar Zauberworte und rührte die Brüder und die Bräute mit dem Stäbchen an — bis auf die jüngste. Da wurden sie alle in graue Steine verwandelt. Die jüngste aber von den Schwestern führte der Mann in das Haus, und das mußte sie nun beschicken und in Ordnung halten, tat das auch gern, aber sie hatte immer Angst, der Alte könne bald sterben, und dann werde sie in dem einsamen Häuschen im wilden öden Walde auch so mutterseelensternallein sein, wie der Alte zuvor gewesen war. Das sagte sie ihm, und er antwortete: "Hab' kein Bangen, fürchte nicht und hoffe nicht, daß



012 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

ich sterbe. Sieh, ich habe kein Herz in der Brust! stürbe ich aber dennoch, so findest du über der Tür mein weißes Zaubestäbchen und rührst damit an die grauen Steine, so sind deine Schwestern und ihre Freier befreit, und du hast Gesellschaft genug."

"Wo aber in aller Welt hast du denn dein Herz, wenn du es nicht in der Brust hast?"fragte die junge Braut.

"Mußt du alles wissen?" fragte der Alte. "Nun, wenn du es denn wissen mußt, in der Bettdecke steckt mein Herz.

Da nähte und stickte die junge Braut, wenn der Alte fort und seinen Geschäften nachging, in ihrer Einsamkeit gar schöne Blumen auf seine Bettdecke, damit sein Herz eine Freude haben sollte. Der Alte aber lächelte darüber und sagte: "Du gutes Kind, es war ja nur ein Scherz; mein Herz, das steckt — das steckt" —

"Nun, wo steckt es denn, lieber Vater?

"Das steckt in der — Stubentür!

Da hat die junge Frau am andern Tage, als der Alte fort war, die Stubentür gar schön geschmückt mit bunten Federn und frischen Blumen und hat Kränze daran gehangen. Fragte der Alte, als er heimkam, was das bedeuten solle? sagte sie: "Das tat ich, deinem Herzen was zuliebe zu tun.

Doch der Alte lächelte wieder und sagte: "Gutes Kind, ganz woanders als in der Stubentür ist mein Herz." Da wurde die junge Braut sehr betrübt und sprach: "Ach, Vater, so hast du doch ein Herz und kannst sterben, und ich werde dann so allein sein." Da wiederholte der Alte alles, was er ihr schon zweimal gesagt, und sie drang aufs neue in ihn, ihr zu sagen, wo doch eigentlich sein Herz sei? Da sprach der Alte: "Weit, weit von hier liegt in tiefer Einsamkeit eine große uralte Kirche, die ist fest verwahrt mit eisernen Türen, um sie ist ein tiefer Wallgraben gezogen, über den führt keine Brücke, und in der Kirche da fliegt ein Vogel wohl ab und auf, der ißt nicht und trinkt nicht und stirbt nicht, und niemand vermag ihn zu fangen, und solange er lebt, solange lebe auch ich, denn in dem Vogel ist mein Herz.



013 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

Da wurde die Braut traurig, daß sie dem Herzen ihres Alten nichts zuliebe tun konnte, und die Zeit wurde ihr lang, wenn sie so allein saß denn der Alte war fast den ganzen Tag auswärts.

Da kam einmal ein junger Wandergesell am Häuschen vorüber, der grüßte sie, und sie grüßte ihn, und sie gefiel ihm, und er kam näher, und sie fragte ihn, wohin er reise, woher er komme?

"Ach!" seufzte der junge Gesell; "ich bin gar traurig. Ich hatte noch sechs Brüder, die sind von dannen gezogen, sich Bräute zu holen, und mir, dem Jüngsten, wollten sie auch eine mitbringen, sind aber nimmer wiedergekommen, und nun bin ich auch fort vom Hause und will meine Brüder suchen!"

"Ach, lieber Gesell! rief die Braut, "da brauchst du nicht weiter zu gehen! Erst setze dich und iss und trinke etwas, und dann laß dir erzählen! Sie gab ihm zu essen und zu trinken und erzählte ihm, wie seine Brüder in die Stadt gekommen, und wie sie ihre Schwestern und sie selbst als Bräute mit sich nach Hause hätten führen wollen, und daß sie für ihn, ihren Gast, bestimmt gewesen, und wie der Alte bei sich behalten und die anderen in graue Steine verwandelt habe. Das alles erzählte sie ihm aufrichtig und weinte dazu, und auch, daß der Alte kein Herz in der Brust habe, und daß es weit, weit weg sei in einer festen Kirche und in einem unsterblichen Vogel. Da sagte der Bräutigam: "Ich will fort, ich will den Vogel suchen, vielleicht hilft mir Gott, daß ich ihn fange.

"Ja, das tue, daran wirst du wohl tun, dann werden deine Brüder und meine Schwestern wieder Menschen werden!" und versteckte den Bräutigam, denn es wurde schon Abend. Am andern Morgen, sobald der Alte wieder fort war, packte sie dem Wandergesellen viel zu essen und zu trinken ein, gab es ihm mit und wünschte ihm alles Glück und Gottes Segen auf seine Fahrt

Als nun der Gesell eine tüchtige Strecke gegangen war, deuchte ihm, es sei wohl Zeit zu frühstücken, packte seine Reisetasche ans, freute sich der vielen Gaben und rief: "Holla! nun wollen wir schmausen! herbei, wer mein Gast sein will!"



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Da rief es hinter dem Gesellen; "Muh!" und wie er sich umsah, stand ein großer roter Ochse da und sprach: "Du hast eingeladen, ich möchte wohl dein Gast sein!

"Sei willkommen und lange zu, so gut ich 's habe!

Da legte sich der Ochse gemächlich an den Boden und ließ es sich schmecken und leckte sich dann mit der Zunge sein Maul recht schön ab. Als er satt war, sagte er: "Habe du großen Dank, und wenn du einmal jemand brauchst, dir in Not und Gefahr zu helfen, so rufe nur in Gedanken nach mir, deinem Gast." Und erhob sich und verschwand im Gebüsch. Der Gesell packte seine Tafelreste zusammen und pilgerte weiter, wieder eine tüchtige Strecke, da deuchte ihm nach dem kurzen Schatten, den er warf, es müsse Mittag sein, und seinem Magen deuchte das nämliche. Da setzte er sich an den Boden hin, breitete sein Tafeltuch aus setzte seine Speisen und Getränke darauf und rief: "Wohlan! Mittagsmahlzeit! Jetzt melde sich, was mittafeln will!" Da rauschte es ganz stark in den Büschen, und es brach ein wildes Schwein heraus, das grunzte oui oui oui und sagte: "Es hat hier jemand zum Essen gerufen! Ich weiß nicht, ob du es warst, und ob ich gemeint bin?

"Immerhin, lange nur zu!" sprach der Wandersmann, und da aßen beide wohlgemut miteinander, und es schmeckte beiden gut. Darauf erhob sich das wilde Schwein und sagte: "Habe Dank, bedarfst du mein, so rufe dem Schwein! — und damit trollte es sich in die Büsche. Nun wanderte der Gesell eine lange Strecke und war schon gar weit gewandert, da wurde es gegen Abend" und er fühlte wieder Hunger und hatte auch noch Vorrat, und da dachte er: wie wär' es mit dem Vespern? Zeit wär es, dächt' ich, und breitete wieder sein Tuch aus und legte seine Speisen darauf, hatte auch noch etwas zu trinken und rief: "Wer Lust hat, mit zu essen, der soll eingeladen sein. Es ist nicht, als wenn nichts da wäre!" Da rauschte über ihm ein schwerer Flügelschlag und wurde dunkel auf dem Boden, wie vom Schatten einer Wolke, und es ließ sich ein großer Vogel Greif sehen, der rief: "Ich hörte jemand hier unten zur Tafel einladen! Für mich wird wohl nichts abfallen?"



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"Warum denn nicht? Lasse dich nieder und nimm vorlieb, viel wird's nicht mehr sein!" rief der Jüngling, und da ließ sich der Vogel Greif nieder und ass zur Genüge, und dann sagte er: "Brauchst du mich, so rufe mich!" hob sich in die Lüfte und verschwand. Ei, dachte der Geselle, der hat's recht eilig; er hätte mir wohl den Weg nach der Kirche zeigen können, denn so finde ich sie wohl nimmer, und raffte seine Sachen zusammen und wollte vor dem Schlafengehen noch ein Stückchen wandern. Und wie er gar nicht lange gegangen war, sah er mit einem Male die Kirche vor sich liegen und war bald bei ihr, das heißt am breiten und tiefen Graben, der sie rings ohne Brücke umzog. Da suchte er sich ein hübsches Ruheplätzchen, denn er war müde von dem weiten Weg, und schlief, und am andern Morgen, da wünschte er sich über den Graben und dachte: "Schau, wenn der rote Ochse da wär und hätte rechten Durst, so könnte er den Graben aussaufen, und ich käme trocken hinüber." Kaum war dieser Wunsch getan, so stand der Ochse schon da und begann den Graben auszusaufen. Nun stand der Gesell an der Kirchenmauer, die war gar dick, und die Türme waren von Eisen, da dachte er so in seinen Gedanken: Ach, wer doch einen Mauerbrecher hätte! Das starke wilde Schwein könnte vielleicht hier eher etwas ausrichten als ich." Und siehe, gleich kam das wilde Schwein dahergerannt und stieß heftig an die Mauer und wühlte mit seinen Hauern einen Stein los, und wie erst einer los war, so wühlte es immer mehr und immer mehr Steine aus der Mauer, bis ein großes tiefes Loch gewühlt war, durch das man in die Kirche einsteigen konnte. Da stieg nun der Jüngling hinein und sah den Vogel darin herumfliegen, vermochte aber nicht ihn zu ergreifen. Da sprach er: "Wenn jetzt der Vogel Greif da wäre, der würde dich schon greifen, dafür ist er ja der Vogel Greif!" Und gleich war der Greif da, und gleich griff er den Vogel in dem des alten Mannes Herz war, und der junge Gesell verwahrte selbigen Vogel sehr gut, der Vogel Greif aber flog davon.

Nun eilte der Jüngling, sosehr er konnte, zur jungen Braut, kam noch vor abends an und erzählte ihr alles, und sie gab ihm wieder zu essen und zu trinken und hieß ihn unter die Bettstelle kriechen mitsamt seinem



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Vogel, damit ihn der Alte nicht sähe. Dies tat er alsbald, nachdem er gegessen und getrunken hatte; der Alte kam nach Hause und klagte, daß er sich krank fühle, daß es nicht mehr mit ihm fort wolle, das mache, weil sein Herzvogel gefangen sei. Das hörte der Bräutigam unter dem Bette und dachte: "Der Alte hat dir zwar nichts Böses getan, aber er hat deine Brüder und ihre Bräute verzaubert, und deine Braut hat er für sich behalten, das ist des Bösen nicht zuwenig!" und da kneipte er den Vogel, und da wimmerte der Alte: "Ach, es kneipt mich! Ach, der Tod kneipt mich, Kind —ich sterbe!" Und fiel vom Stuhl und war ohnmächtig, und ehe sich 's der Jüngling versah, hatte er den Vogel totgekneipt, und da war es aus mit dem Alten.

Nun kroch er hervor, und die Braut nahm den weißen Stab, wie der Alte gelehrt hatte, und schlug damit an die zwölf grauen Steine. Siehe, da wurden sie wieder die sechs Brüder und die sechs Schwestern, das war eine Freude und ein Umarmen und Herzen und Küssen, und der alte Mann war tot und blieb tot, konnte ihn keine Meisterwurz wieder lebendig machen, wenn sie ihn auch hätten lebendig haben wollen. Da zogen sie alle miteinander fort und hielten Hochzeit miteinander und lebten gut und glücklich miteinander lange Jahre.


Das Nußzweiglein

Es war einmal ein reicher Kaufmann, der mußte in seinen Geschäften in fremde Länder reisen. Da er nun Abschied nahm, sprach er zu seinen drei Töchtern: "Liebe Töchter, ich möchte euch gerne bei meiner Rückkehr eine Freude bereiten, sagt mir daher, was ich euch mitbringen soll?" Die älteste sprach: "Lieber Vater, mir eine schöne Perlenhalskettte!" Die andere sprach: "Ich wünschte mir einen Fingerring mit einem Demantstein." Die jüngste schmiegte sich an des Vaters Herz und flüsterte: "Mir



018 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

ein schönes grünes Nußzweiglein, Väterchen." — "Gut, meine lieben Töchter!" sprach der Kaufmann, ich will mir g merken, und dann lebet wohl!

Weit fort reisete der Kaufmann und machte große Einkäufe, gedachte aber auch treulich der Wünsche seiner Töchter. Eine kostbare Perlenkette hatte er bereits in seinen Reisekoffer gepackt, um seine älteste damit zu erfreuen, und einen gleich wertvollen Demantring hatte er für die mittlere Tochter eingekauft. Einen grünen Nußzweig aber konnte er nirgends gewahren, wie er sich auch darum bemühte. Auf der Heimreise ging er deshalb große Strecken zu Fuß und hoffte, da sein Weg ihn vielfach durch Wälder führte, endlich einen Nußbaum anzutreffen. Das war lange vergeblich, und der gute Vater fing an, betrübt zu werden, weil er die harmlose Bitte seines jüngsten und liebsten Kindes nicht zu erfüllen vermochte.

Endlich, als er so betrübt seines Weges dahinzog, der ihn just durch einen dunkeln Wald und an dichtem Gebüsch vorüberführte, Stieg er mit seinem Hut an einen Zweig, und es raschelte, als fielen Schloßen darauf. Wie er aufsah, war's ein schöner grüner Nußzweig, daran eine Traube goldener Süsse hing. Da war der Mann sehr erfreut, langte mit der Hand empor und brach den herrlichen Zweig ab. Aber in demselben Augenblicke schoß ein wilder Bär aus dem Dickicht und stellte sich grimmig brummend auf die Hintertatzen, als wollte er den Kaufmann gleich zerreißen. Und mit furchtbarer Stimme brüllte er: "Warum hass du meinen Nußzweig abgebrochen, du? Warum? Ich werde dich auffressen.

Bebend vor Schreck und zitternd sprach der Kaufmann: "O lieber Bär, friß mich nicht, laß mich mit dem Nußzweiglein meines Weges ziehen, ich will dir einen großen Schinken und viele Würste dafür geben!"

Aber der Bär brüllte wieder: "Behalte deinen Schinken und deine Würste! Nur wenn du mir versprichst, mir das zu geben, was dir zu Hause am ersten begegnet, so will ich dich nicht fressen." Dies ging der Kaufmann gerne ein, denn er gedachte, wie sein Pudel gewöhnlich ihm entgegenlaufe, und diesen wollte er, um sich das Leben zu retten, gerne opfern. Nach derbem Handschlag kappte der Bär ruhig ins Dickicht



019 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

zurück; und der Kaufmann schrie aufatmend rasch und fröhlich von dannen.

Der goldene Nußzweig prangte herrlich am Hut des Kaufmanns, als er seiner Heimat zueilte. Freudig hüpfte das jüngste Mägdlein ihrem lieben Vater entgegen; mit tollen Sprüngen kam der Pudel hinterdrein, und die ältesten Töchter und die Mutter schritten etwas weniger schnell ans der Haustür, um den Ankommenden zu begrüßen. Wie erschrak nun der Kaufmann, als seine jüngste Tochter die erste war, die ihm entgegenflog" Bekümmert und betrübt entzog er sich der Umarmung des glücklichen Kindes und teilte nach den ersten Grüßen den Seinigen mit, was



020 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

ihm mik dem Nußzweig widerfahren war. Da weinten nun alle und wurden betrübt, doch zeigte die jüngre Tochter den meisten Mut und nahm sich vor, des Vaters Versprechen zu erfüllen. Auch ersann die Mutter bald einen guten Rat und sprach: "Ängstigen wir uns nicht, meine Lieben, sollte ja der Bär kommen und dich, mein lieber Mann, an dein Versprechen erinnern, so geben wir ihm, anstatt unserer Jüngsten, die Hirtentochter, mit der wird er auch zufrieden sein." Dieser Vorschlag galt, und die Töchter waren wieder fröhlich und freuten sich recht über diese schönen Geschenke. Die jüngste trug ihren Nußzweig immer bei sich; sie dachte bald gar nicht mehr an den Bären und an das Versprechen ihres Vaters.

Aber eines Tages rasselte ein dunkler Wagen durch die Straße vor das Haus des Kaufmanns, und der häßliche Bär stieg heraus und trat brummend in das Haus und vor den erschrockenen Mann, die Erfüllung seines Versprechens begehrend. Schnell und heimlich wurde die Hirtentochter, die sehr häßlich war, herbeigeholt, schön geputzt und in den Wagen des Bären gesetzt. Und die Reise ging fort. Draußen legte der Bär sein wildes zotteliges Haupt auf den Schoß der Hirtin und brummte:

Kraue mich, krabble mich
Hinter den Ohren zart und fein,
Oder ich fress' dich mit Haut und Bein!

Und das Mädchen fing an zu krabbeln; aber sie machte es dem Bären nicht recht, und er merkte, daß er betrogen wurde; da wollte er die geputzte Hirtin fressen, doch diese sprang rasch in ihrer Todesangst aus dem Wagen.

Darauf fuhr der Bär abermals vor das Haus des Kaufmanns und forderte furchtbar drohend die rechte Braut. So mußte denn das liebliche Mägdlein herbei, um nach schwerem bitterm Aschied mit dem häßlichen Bräutigam fortzufahren. Draußen brummte er wieder, seinen rauhen Kopf auf des Mädchens Schoß legend:

"Kraue mich, krabble mich
Hinter den Ohren zart und fein,
Oder ich fress' dich mit Haut und Bein!


021 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

Und das Mädchen krabbelte, und so sanft, daß es ihm behagte und sein furchtbarer Bärenblick freundlich wurde, bis allmählich die arme Bärenbraut einiges Vertrauen zu ihm gewann. Die Reise dauerte nicht gar lange, denn der Sagen fuhr ungeheuer schnell, als brause ein Sturmwind durch die Luft. Bald kamen sie in einen sehr dunklen Wald, und dort hielt plötzlich der Wagen vor einer finster gähnenden Höhle. Diese war die Wohnung des Bären. O wie zitterte das Mädchen! Und zumal da der Bär sie mit seinen furchtbaren Klauenarmen umschlang und zu ihr freundlich brummend sprach: "Hier sollst du wohnen, Bräutchen, und glücklich sein, wenn du drinnen dich brav benimmst, daß mein wildes Getier dich nicht zerreißt." Und er schloß, beide in der dunkeln Höhle einige Schritte getan, eine eiserne Tür auf und trat mit der Braut in ein Zimmer, das voll von giftigem Gewürm angefüllt war, welches ihnen gierig entgegenzüngelte. Und der Bär brummte seinem Bräutchen ins Ohr:

"Sieh dich nicht um!
Nicht rechts, nicht links!
Geradezu, so hast du Ruh'!

Da ging auch das Mädchen, ohne sich umzublicken, durch das Zimmer, und es regte und bewegte sich so lange kein Wurm. Und so ging es noch durch zehn Zimmer, und das letzte war von den scheußlichsten Kreaturen angefüllt, Drachen und Schlangen, giftgeschwollenen Kröten, Basilisken und Lindwürmern. Und der Bär brummte in jedem Zimmer:

"Sieh dich nicht um!
Nicht rechts, nicht links!
Geradezu, so hast du Ruh

Das Mädchen zitterte und bebte vor Angst und Bangigkeit wie ein Espenlaub, doch sie blieb standhaft, sah sich nicht um, nicht rechts, nicht links. Als sich aber das zwölfte Zimmer öffnete, strahlte beiden ein glänzender Lichtschimmer entgegen, es erschallte drinnen eine liebliche Musik, und es jauchzte überall wie Freudengeschrei, wie Jubel. Ehe sich die Braut



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nur ein wenig besinnen konnte, noch zitternd vom Schauen des Entsetzlichen und nun wieder dieser überraschenden Lieblichkeit — tat es einen furchtbaren Donnerschlag. Sie dachte, es breche Erde und Himmel zusammen, aber bald ward es wieder ruhig. Der Wald, Höhle, die Gift tiere, der Bär — waren verschwunden; ein prächtiges Schloß mit gold geschmückten Zimmern und schön gekleideter Dienerschaft stand dafür da, und der Bär war ein schöner junger Mann geworden, war der Süss des herrlichen Schlosses, der nun sein liebes Bräutchen an das Herz drückte und ihr tausendmal dankte, daß sie ihn und seine Diener, das Getier, so liebreich aus der Verzauberung erlöset hätte.

Die nun so hohe, reiche Fürstin trug noch immer ihren schönen Nußzweig am Busen, der die Eigenschaft hatte, nie zu verwelken, und trug ihn jetzt nur um so lieber, da er der Schlüssel ihres holden Glückes geworden war. Bald wurden die Eltern und ihre Geschwister von diesem freundlichen Geschick benachrichtigt und wurden für immer zu einem herrlichen Wohlleben von dem Bärenfürsten auf das Schloß genommen.


Der Zauberwettkampf

Einstmals ging ein junger Buchbindergeselle in die Fremde und wanderte, bis kein Kreuzerlein mehr in seiner Tasche klimperte. Da endlich nötigte ihn sein schlaff gewordener Geldbeutel, ernstlich der Arbeit nachzufragen, und bald ward er auch angenommen und bekam es sehr gut. Sein Meister sprach zu ihm: "Gesell, du wirst es gut bei mir haben; die Arbeit ist ganz gering. Du kehrst nur die Bücher hier alle Tage recht säuberlich ab und stellst sie dann nach der Ordnung wieder auf. Aber dieses eine Büchlein, das hier für sich steht, darfst du nicht anrühren, viel weniger hineinsehen, sonst ergeht dir's schlimm, Bursche, merke dir's. Dagegen kannst du in den andern Büchern lesen, soviel du nur magst.



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Der Geselle beherzigte die Sorte seines Meisters sehr wohl und hatte zwei Jahre lang die besten Tage. Er säuberte täglich nur die Bücher, las in manchem und hatte dabei die vortrefflichste Kost — jenes verbotene Büchlein ließ er gänzlich unangerührt. Dadurch erwarb er sich das volle Vertrauen seines Herrn, so daß dieser öfters tagelang vom Hause entfernt blieb.

Einstmals regte sich, als der Meister auf mehrere Tage verreist war, in dem Gesellen eine mächtige Begierde, endlich doch zu wissen, was in dem Büchlein stehe, das immer ganz heilig an seinem bestimmten Orte lag — denn alle andern Bücher hatte er bereits durchgelesen Zwar sträubte sich sein Gewissen, aber die Neugierde war mächtiger; er nahm das Büchlein, schlug es auf und fing an zu lesen. In dem Büchlein standen die größten, kostbarsten Geheimnisse, die stärksten Zauberformeln waren darinnen enthalten, und es stellte sich dem staunenden, höchst verwunderten Gesellen nach und nach alles so sonnenklar her daß er schon anfing, Versuche im Zaubern zu machen. Alles gelang. Auch lehrte das Büchlein, jede menschliche Gestalt in eine andere zu verwandeln. Nun probierte er mehr und mehr, und zuletzt machte er sich zu



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einer Schwalbe, nahm das Büchlein und flog im schnellsten Fluge seiner Heimat zu. Sein Vater war nicht wenig erstaunt, als eine Schwalbe du seinem Fenster einflog und plötzlich dann aus ihr sein Sohn wurde, den er zwei Jahre lang nicht gesehen hatte. Der Bursche drückte den Alten herzlich an seine Brust und sprach: "Vater, nun sind wir glücklich und geborgen, ich bringe ein Zauberbüchlein mit, durch das wir die reichsten Leute werden können." Das gefiel dem Alten wohl, denn er lebte sehr dürftig. Bald darauf machte sich der junge Zauberer zu einem überaus großen, fetten Ochsen und sprach zu seinem Vater: "Nun führet mich zum Markt und verkauft mich, aber fordert ja viel, recht viel, man wird mich teuer bezahlen, und vergesset ja nicht das kleine Stricklein um meinen linken Hinterfuss abzulösen und wieder mit heim zu nehmen, sonst bin ich verloren.

Das machte der Vater alles so, er verkaufte den Ochsen für ein schweres Geld; denn als er nun mir ihm auf dem Markt erschien, versammelte sich gleich ein Haufen Volks um ihn, alles bewunderte den Ochsen, und Christen und Juden schlugen sich darum, ihn zu kaufen. Der Käufer aber, der das höchste Gebot tat und bezahlte und den Ochsen im Triumph von dannen führte, hatte am andern Morgen Satt des herrlichen Ochsen ein Bündlein Stroh in seinem Stalle liegen. Und der Buchbindergeselle —der war wohlgemut wieder daheim bei seinem Vater und lebte mit ihm herrlich und in Freuden von dem Gelde.

Bald darauf verzauberte der Bursch sich wieder in einen prächtigen Rappen und ließ sich von seinem Vater auf den Roßmarkt führen und verkaufen. Da lief wieder das Volk zusammen, um das wunderschöne glänzend schwarze Roß zu sehen.

Jener Meister Buchbinder aber hatte nach seiner Rückkehr gleich gesehen, was vorangegangen war, und da er eigentlich ein mächtiger Zauberer war, Buchbinder jedoch nur zum Schein, wußte er auch gleich, wieviel es geschlagen hatte, und setzte dein Entflohenen nach. Auf jenem Roßmarkt nun war der Meister unter den Käufern, und da er alle Stücklein des Zauberbüchelchens kannte, so merkte er alsobald, was es für eine



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Bewandtnis mit dem Pferde habe, und dachte: Halt, jetzt will ich dich fangen. Und so suchte er für jeden Preis das Pferd zu kaufen, was ihm auch ohne große Mühe gelang, weil er es gleich um den ersten Kaufpreis annahm. Der Vater kannte den Käufer nicht, aber das Pferd fing an heftig zu zittern und zu schwitzen und gebärdete sich äußerst scheu und ängstlich, doch der Vater konnte die nun so gefährliche Lage seines Sohnes nicht ahnen und wollte wieder das Stricklein ablösen; aber der Käufer ließ es durchaus nicht zu, da er sehr wohl wußte, daß es dann um seinen Fang geschehen wäre. So mußte der Vater ohne Snicklein abziehen und dachte in seinem Sinn: er wird sich schon selbst helfen, kann er so viel, daß er zu einem Pferde macht, kann er sich gewiß auch wieder durch seine Zauberkunst dort in dem Stall losmachen und heim kommen.

In jenem Pferdestall aber war ein mächtiges Gedränge von Menschen; groß und klein, alt und jung — alles wollte das ausgezeichnet schöne Roß beschauen. Ein kecker Knabe wagte sogar das Pferd zu streicheln und liebkosend zu klopfen, und es ließ das gerne gefallen, und als der Knabe immer vertraulicher näherte und das Pferd am Kopf und am Hals streichelte, da flüsterte es dem Knaben ganz leise zu: "Liebster Junge, hast du kein Messerchen?" Und der froh verwunderte Knabe antwortete: "O ja, ich habe ein recht scharfes." Da sprach der Rappe wieder ganz leise: "Schneide einmal das Strickiein an meinem linken Hinterfuß ab", und schnell schnitt es der Knabe entzwei. Und in diesem Augenblick fiel das schöne Roß vor aller Augen zusammen und war ein Bündlein Stroh, daraus flog eine Schwalbe hervor und aus dem Stall empor in die hohen blauen Lüfte. Der Meister hatte das Roß nur einen Augenblick außer acht gelassen, jetzt war keine Zeit zu verlieren. Er brauchte seine Kunst, verwandelte sich rasch in einen Geier und schoß der flüchtigen Schwalbe nach. Es bedurfte nur noch einer kleinen Weile, so hatte der Geier die Schwalbe in seinen Klauen, aber das Schwälblein merkte den Feind, blickte nieder auf die Erde und sah da gerade unter sich ein schönes Schloß, und vor dem Schloß saß eine Prinzessin, und flugs verwandelte sich das Schwälblein in einen goldenen Fingerreif, fiel nieder und gerade der holden Prinzessin



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in den Schoß. Die wußte nicht, wie ihr geschah, und steckte das Ringlein an den Finger. Aber die scharfen Augen des Geiers hatten alles gesehen, und rasch verwandelte sich der Zauber-meister aus einem Geier in einen schmucken Junker und trat heran zur Prinzessin und bat sie höflichst und untertänigst, dieses Ringlein, mit welchem er soeben ein Kunststück gemacht habe, ihm wieder einzuhändigen. Die schöne Prinzessen lächelte errötend, zog das Ringlein vom Finger und wollte es dem Künstler überreichen, doch siehe, da entfiel es ihr und rollte als ein winziges Hirsekörnlein in eine Steinritze. Im Augenblick verwandelte sich der Junker und wurde ein stolzer Gockelhahn, der mit seinem Schnabel emsig in der Steinritze nach dem Hirsekörnlein pickte, aber gleich darauf wurde aus dem Hirsekörnlein ein Fuchs, und der biß dem Gockel den Kopf ab. Und somit war der Zauber-Meister besiegt. Jetzt aber nahm der junge Geselle wieder seine Gestalt an, sank der Prinzessen zu Füßen und pries dankend, daß sie ihn an ihrem Finger getragen und sich so mit ihm verlobt habe. Die Prinzessin schenkte ihm ihr Herz und ihre Hand, doch unter der Bedingung, daß er fortan aller Verwandlung entsage und ihr unwandelbar treu bleibe. Das gelobte der Jüngling und opferte sein Zauberbüchlein den Flammen, woran er sehr übel tat, denn er häne es ja dir oder mir schenken und vermachen können; in Ochsen hätten wir zwei uns gewißlich nicht verwandelt.


Die drei Hunde

Ein Schäfer hinterließ seinen beiden Kindern, einem Sohn und einer Tochter, nichts als drei Schafe und ein Häuschen und sprach auf seinem Totenbette: "Teilt euch geschwisterlich darein, daß nicht Hader und Zank zwischen euch entstehe." Als der Schäfer nun gestorben war, fragte der Bruder die Schweter, was sie lieber wolle, die Schafe oder das Häuschen? Und als sie das Häuschen wählte, sagte er: "So nehm' ich die



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Schafe und gehe in die weite Welt: es hat schon mancher sein Glück gefunden, und ich bin ein Sonntagskind." Er ging mit seinem Erbteil fort; das Glück wollte ihm jedoch lang nicht begegnen. Einst saß er recht verdrießlich an einem Kreuzweg, ungewiß, wohin er sich wenden sollte; auf einmal sah er einen Mann neben sich, der hatte drei schwarze Hunde, von denen der eine immer größer war als der andre. "Ei, junger Gesell", sagte der Mann, "Ihr habt da drei schöne Schafe. Wißt Ihr was? Gebt mir die Schafe, ich will Euch meine Hunde dafür geben."Trotz seiner Traurigkeit mußte jener lachen. "Wag soll ich mit Euren Hunden tun?"fragte er. "Meine Schafe ernähren sich selbst, die Hunde aber wollen gefüttert sein. — "Meine Hunde sind von absonderlicher Ark", antwortete der Fremde; "sie ernähren Euch und werden Euer Glück machen. Der kleine da heißt: ,Bring Speisen', der zweite ,Zerreiß'n' und der große starke Brich Stahl und Eisen Der Schäfer ließ sich endlich beschwatzen und gab seine Schafe hin. Um seine Hunde zu prüfen, sprach er: "Bring Speisen! und alsbald lief der eine Hund fort und kam zurück mit einem großen Korb voll der herrlicheren Speisen. Den Schäfer gereuete nun der Tausch nicht; er ließ sich 's wohl sein und zog lange im Sande umher.

Einst begegnete ihm ein Wagen, mit zwei Pferden bespannt und ganz mit schwarzen Decken bekleidet, und auch der Kutscher war schwarz angetan. In dem Wagen saß ein wunderschönes Mädchen in einem schwarzen Gewande, das weinte bitterlich. Die Pferde trabten traurig und langsam und hingen die Köpfe. "Kutscher, was bedeutet das?" fragte der Schäfer. Der Kutscher antwortete unwirsch. Jener aber ließ nicht nach zu fragen, bis der Kutscher erzählte, es hause ein großer Drache in der Gegend, dem habe man, um sich vor seinen Verwüstungen zu sichern, eine Jungfrau als jährliche Abgabe versprechen müssen, die er mik Haut und Haar verschlinge. Das Los entscheide allemal unter den vierzehnjährigen Jungfrauen, und diesmal habe es die Königstochter betroffen. Daher sei der König und das ganze Sand in tiefer Betrübnis, und doch müsse der Drache sein Opfer erhalten. Der Schäfer fühlte Mitleid mit dem schönen jungen Mädchen und folgte dem Wagen, der endlich an



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einem hohen Berge hielt. Die Jungfrau stieg aus und schritt langsam ihrem schrecklichen Schicksal entgegen. Der Kutscher sah, daß der fremde Mann ihr folgen wollte, und warnte ihn; der Schäfer ließ sich jedoch nicht abwendig machen. Als sie die Hälfte des Berges erstiegen hatten, kam vom Gipfel herab ein schreckliches Untier mit einem Schuppenleib, Flügeln und ungeheuren Krallen an den Füßen; aus seinem Rachen loderte ein glühender Feuerstrom, und schon wollte es sich auf seine Beute stürzen, da rief der Schäfer: "Zerreiß'n!", und der zweite Hund stürzte auf den Drachen, biß sich in der Weiche fest und setzte ihm so zu, daß das Ungeheuer endlich niedersank und sein giftiges Leben aushauchte. Der Hund aber fraß ihn völlig auf, daß nichts übrigblieb als ein paar Zähne, die steckte der Schäfer zu sich. Die Königstochter war ganz ohnmächtig vor Schreck und Freude, der Schäfer erweckte sie wieder zum Leben, und nun sank ihrem Retter zu Füßen und bat ihn flehentlich, mit zu ihrem Vater zu kommen, der ihn reich belohnen werde. Der Jüngling antwortete, er wolle sich erst in der Welt umsehen, nach drei Jahren aber wiederkommen. Und bei diesem Entschlusse blieb er. Die Jungfrau setzte sich wieder in den Wagen, und der Schäfer ging eines andern Weges fort.

Der Kutscher aber war auf böse Gedanken gekommen. Als sie über eine Brücke fuhren, unter der ein großer Strom floß, hielt er still, wandte zur Königstochter und sprach: "Euer Retter fort und begehrt Eures Dankes nicht. Es wäre schön von Euch, wenn Ihr einen armen Menschen glücklich machtet. Saget deshalb Eurem Vater, daß ich den Drachen umgebracht habe; wollt Ihr aber das nicht, so werf' ich Euch hier in den Strom, und niemand wird nach Euch fragen, denn es heißt, der Drache habe Euch verschlungen." Die Jungfrau wehklagte und flehte, aber vergeblich; sie mußte endlich schwören, den Kutscher für ihren Retter auszugeben und keiner Seele das Geheimnis zu verraten. So fuhren sie in die Stadt zurück, wo alles außer sich vor Entzücken war; die schwarzen Fahnen wurden von den Türmen genommen und bunte darauf gesteckt, und der König umarmte mit Freudentränen seine Tochter und ihren vermeintlichen Retter. "Du hast nicht nur mein Kind, sondern das ganze



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Land von einer großen Plage errettet sprach er. "Darum es auch billig, daß ich dich belohne. Meine Tochter soll deine Gemahlin werden; da sie aber noch allzu jung ist, so soll die Hochzeit erst in einem Jahre sein." Der Kutscher dankte, ward prächtig gekleidet, zum Edelmanne gemacht und in allen feinen Sitten unterwiesen. Die Königstochter aber erschrak heftig und weinte bitterlich und wagte doch nicht, ihren Schwur zu brechen. Als das Jahr nun um war, konnte sie nichts erreichen als die Frist noch eines Jahres. Auch dies ging zu Ende, und sie warf sich dem Vater zu Füßen und bat um noch ein Jahr, denn sie dachte an das Mersprechen ihres wirklichen Erretters. Der König konnte ihrem Flehen nicht widerstehen und gewährte ihr die Bitte, mit dem Zusatz jedoch, daß dies die letzte Friss sei, die er ihr gestatte. Wie schnell verrann die Zeit! Der Trauungstag war nun festgesetzt, auf den Türmen wehten bunte Fahnen, und das ganze Volk war im Jubel.

An demselben Tage geschah es, daß ein Fremder mit drei Hunden in die Stadt kam. Der fragte nach der Ursache der allgemeinen Freude und erfuhr, daß die Königstochter eben mit dem Manne vermählt werde, der den schrecklichen Drachen erschlagen. Der Fremde schalt diesen Mann einen Betrüger, der sich mit fremden Federn schmückte. Aber er wurde von der Wache ergriffen und in ein enges Gefängnis mit eisernen uren geworfen. Als er nun so auf seinem Strohbündel lag und sein trauriges Geschick überdachte, glaubte er plötzlich draußen das Winseln seiner Hunde zu hören; da dämmerte ein lichter Gedanke in ihm auf. "Brich Stahl und Eisen!" rief er so laut als er konnte, und alsbald sah er die Tatzen seines größten Hundes an dem Gitterfenster, wodurch das Tageslicht spärlich in seine Zelle fiel. Das Gitter brach, und der Hund sprang in die Zelle und zerbiß die Ketten, mit denen sein geir gefesselt war, darauf sprang er wieder hinaus, und sein Herr folgte ihm. Nun war er zwar frei, aber der Gedanke schmerzte ihn sehr, daß ein anderer seinen Sohn ernten sollte. Er rief seinen Hund an: "Bring Speisen!" Bald darauf kam der Hund mit einem Tuch voll köstlicher Speisen zurück; in das weiße Tuch war eine Königskrone gestickt.



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Der König hakte eben mit seinem ganzen Hofstaat an der Tafel gesessen, ala der Hund erschien und der bräutlichen Jungfrau bittend die Hand leckte. Mit freudigem Schreck hatte sie den Hund erkannt und ihm selbst Wein und Braten gegeben. Sie bat den Vater um einige Worte und vertraute ihm das ganze Geheimnis. Der König sandte einen Boten dem Hunde nach und ließ den Fremden holen. Der König führte ihn an der Hand in den Saal; der ehemalige Kutscher erblaßte bei seinem Anblick und bat kniend um Gnade. Die Königstochter erkannte den Fremdling als ihren Retter, der sich auch durch die Drachenzähne, die er noch bei sich trug, auswies. Der Kutscher ward in einen tiefen Keller geworfen, und der Schäfer nahm seine Stelle an der



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Seite der Königstochter ein. Diesmal bat sie nicht um Aufschub der Trauung.

Das junge Ehepaar lebte schon eine geraume Zeit in wonnigem Glück, da gedachte der ehemalige Schäfer seiner armen Schwester und sprach den Wunsch aus, ihr sein Glück mitzuteilen. Er sandte einen Wagen fort, sie zu holen, und es dauerte nicht lange, so lag sie an der Brust ihres Bruders. begann einer der Hunde zu sprechen und sagte: "Unsere Zeit ist nun um; du bedarfst unser nicht mehr. Wir blieben nur so lange bei dir, um zu sehen, ob du auch im Glücke deine Schwester nicht vergessen würdest." Darauf verwandelten sich die Hunde in drei Vögel und verschwanden in den Lüften.


Schwan, kleb an

Es waren einmal drei Brüder, von denen hieß der älteste Jakob, der zweite Friedrich und der dritte und jüngste Gottfried, Der jüngste mußte sich von seinen Brüdern alle Neckereien gefallen lassen, weil er schwächlich war und sich nicht wehren konnte. Dadurch wurde ihm das Leben sauer gemacht, und er sann Tag und Nacht darauf, wie er sich helfen könnte.

Als er einst im Walde Holz sammeln mußte und bitterlich weinte, trat ein altes Weiblein zu ihm, das fragte ihn um seine Not, und er vertraute ihr all seinen Kummer. "Ei, mein Junge", sagte das Weiblein darauf, ist die Welk nicht groß ': Warum versuchst du nicht anderswo dein Glück?" Das nahm sich Gottfried zu Herzen und verließ eines Morgens frühe das väterliche Haus und machte sich auf den Weg in die weite Welt, sein Glück zu suchen. Aber der Abschied ging ihm doch nahe, und er setzte sich auf einen Hügel nieder, um noch einmal recht das heimatliche Dorf zu betrachten. Siehe, da stand das Weiblein hinter ihm, schlug ihn auf die Schulter und sprach: "Das hast du einmal gut gemacht, mein Junge! Aber was willst du nun anfangen?" Gottfried dachte jetzt erst daran,



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was er beginnen solle. Er hatte geglaubt, das Glück müsse ihm wie eine gebratene Taube in den Mund fliegen. Das Weiblein mochte seine Gedanken erraten, lächelte und sagte: "Ich will dir sagen, was du anfangen sollst. Heute abend, wenn die Sonne untergeht, gehe an den großen Birnbaum, der dort am Kreuzweg steht. Darunter wird ein, Mann liegen und schlafen, an den Baum aber wird ein großer, schöner Schwan angebunden sein; den Mann hütest du dich aufzuwecken, den Schwan aber knüpfst du los und führst ihn mit dir fort. Die Leute werden in seine schönen Federn vernarrt sein, und du magst ihnen erlauben, davon eine herauszurupfen. Wenn aber der Schwan berührt wird, so wird er schreien, und wenn du dann sagst: Schwan, kleb an!, so wird die Hand fest ankleben und nicht wieder loswerden, bis du sie mit diesem Stöcklein antippst, das ich dir hiermit zum Geschenk mache. Wenn du nun so einen weidlichen Zug Menschenvögel gefangen hast, so führe sie nur immer geradeaus. Da wirst du an eine große Stadt kommen, da wohnt eine Königstochter, die noch nie gelacht hat. Bringst du sie zum Lachen, so ist dein Glück gemacht; aber dann vergiß auch mich nicht, mein Junge!

Gottfried gab das Versprechen und war mit Sonnenuntergang richtig an dem bezeichneten Baume. Der Mann lag da und schlief, und ein großer schöner Schwan war mit einem Bande an den Baum gebunden. Gottfried knüpfte den Vogel beherzt los und führte ihn davon, ohne daß der Mann erwachte.

Nun traf es sich, daß Gottfried mit seinem Schwan an einer Baustätte vorüber kam, wo einige Männer mit aufgeftreiften Beinkleidern Lehm kneteten; die bewunderten die schönen Federn des Vogels, und ein vorwitziger Junge, der über und über voll Lehm war, sagte laut: "Ach, wenn ich doch nur eine solche Feder hätte!" Gottfried sprach freundlich: Zieh dir eine aus!"Der Junge griff nach dem Schweife des Vogels, der Schwan schrie; "Schwan, kleb an!" sprach Gottfried, und der Junge konnte nicht wieder loskommen, er mochte anfangen, was er wollte. Die andern lachten, je mehr der Junge schrie, bis vom nahen Bache eine Magd herzugelaufen kam, die mit hochaufgeschürztem Rocke dort gewaschen hatte.



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Die fühlte Mitleid mit dem Jungen und reichte ihm die Hand, um ihn loszumachen. Der Schwan schrie. "Schwan, kleb an!" sprach Gottfried, und die Magd war ebenfalls gefangen. Als Gottfried mit seiner Beute eine Strecke gegangen war, begegnete ihm ein Schornsteinfeger; der lachte über das sonderbare Gespann und fragte die Magd, was sie denn da treibe? "Ach, herzliebster Hans", antwortete die Magd kläglich, "gib mir doch deine Hand und mach mich doch von dem verteufelten Jungen los." — Wenn 'a weiter nichts lachte der Schornsteinfeger und gab der Magd die Hand. Der Vogel schrie. "Schwan, kleb an!" sprach Gottfried, und der schwarze Mensch war ebenfalls behext. Sie kamen nun in ein Dorf, wo eben Kirchweih war; eine Seiltänzergesellschaft gab dort Vorstellungen, und der Bajazzo machte eben seine Narreteidinge. Der riß Mund und Nase auf, als er das seltsame Kleeblatt sah, das an dem Schweife des Schwans festhing. "Bist ein Narr geworden, Schwarzer?" lachte er. "Da ist gar nichts zu lachen!" antwortete der Schornsteinfeger. Das Weibsbild hält mich so sess, daß meine Hand wie angenagelt ist. Mach mich los Bajazzo! Ich tu' dir einmal einen andern Liebesdienst! Der Bajazzo faßte die ausgegorene Hand des Schwarzen. Der Vogel schrie. "Schwan, kleb an!' sprach Gottfried, und der Bajazzo war der vierte im Bunde. Nun Sand in der vordersten Reihe der Zuschauer der stattliche wohlbeleibte Amtmann des Dorfes, der machte ein gar ernsthaftes Gesicht dazu, und er ärgerte sich höchlich über das Blendwerk, das nicht mit rechten Dingen zugehen könne. Sein Eifer ging so weit, daß er den Bajazzo an der ledigen Hand faßte und ihn losreißen wollte, um ihn dem Büttel zu übergeben; da schrie der Vogel, und "Schwan, kleb an!" sprach Gottfried, und der Amtmann teilte das Schicksal der Vorgänger. Die Frau Amtmännin, eine lange dürre Spindel, entsetzte sich über das Mißgeschick ihres Eheherrn und riß mit Leibeskräften an seinem freien Arm. Der Vogel schrie. "Schwan, kleb an!" sprach Gottfried, und die arme Frau Amtmännin mußte trotz ihres Geschreies folgen. Hinfort hatte niemand mehr Luft, die Gesellschaft zu vergrößern.

Gottfried sah schon die Türme der Hauptstadt vor sich; da kam ihm



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eine wunderschöne Kutsche entgegen, in der eine schöne junge, aber ernste Dame saß. Als die den bunten Zug erblickte, brach sie in lautes Gelächter aus, und ihre Dienerschaft lachte mit. "Die Königstochter hat gelacht! rief alles vor Freuden. Sie stieg aus betrachtete sich die Sache noch genauer und lachte immer mehr bei den Kapriolen der Festgebannten. Der Wagen mußte umwenden und fuhr langsam neben Gottfried zur Stadt zurück. Als der König die Kunde vernahm, daß seine Tochter gelacht habe, war er voll Entzücken und nahm selbst Gottfried, seinen Schwan und dessen wunderliches Gefolge in Augenschein, wobei er selbst lachen mußte, daß ihm die Tränen in den Augen standen.

"Du närrischer Gesell", sprach er zu Gottfried,



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weißt du, was ich dem versprochen habe, der meine Tochter zum Lachen bringt?"

"Nein" sagte Gottfried.

"So will ich dir's sagen", antwortete der König. "Tausend Goldgulden oder ein schönes Gut. Wähle dir zwischen den beiden.

Gottfried entschied sich für das Gut. Sann berührte er den Buben, die Magd, den Schornsteinfeger, den Bajazzo, den Amtmann und die Amtmännin mit seinem Stäbchen, und alle fühlten sich frei und liefen davon, als brenne die Hölle hinter ihnen, was neues, unauslöschliches Gelächter verursachte.

Da wurde die Königstochter bewegt, den schönen Schwan zu streicheln und sein Gefieder zu bewundern. Der Vogel schrie. "Schwan, kleb an! sprach Gottfried, und so gewann er die Königstochter. Er machte sie wieder los, der Schwan aber erhob sich jetzt in die Lüfte und verschwand am blauen Horizont. Gottfried erhielt nun ein Herzogtum zum Geschenk; er erinnerte sich aber auch des alten Weibleins, dem er sein Glück verdankte, und berief es als seine und seiner auserwählten Braut Haushofmeisterin in sein stattliches Residenzschloß.


Der Hase und der Fuchs

Ein Hase und ein Fuchs reisten beide miteinander. Es war Winterszeit, kein Kraut grünte, und auf dem Felde kroch weder Maus noch Laus. Das ist ein hungriges Wetter", sprach der Fuchs zum Hasen, "mir schnurren alle Gedärme zusammen." — "Jawohl", antwortete der Hase, es ist überall Dürrhof, und ich möchte meine eignen Löffel fressen, wenn ich damit ins Maul langen könnte.

So hungrig trabten sie miteinander fort. Da sahen sie von weitem ein Bauernmädchen kommen, das trug einen Handkorb, und aus dem Korb



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kam dem Fuchs und dem Hasen ein angenehmer Geruch entgegen, der Geruch von frischen Semmeln. "Weißt du was!" sprach der Fuchs: "Lege dich hin der Länge lang und stelle dich tot. Das Mädchen wird seinen Korb hinstellen und dich aufheben wollen, um deinen armen Balg zu gewinnen, denn Hasenbälge geben Handschuhe; derweilen erwische ich den Semmelkorb, uns zum Troste.

Der Hase tat nach des Fuchsen Rat, fiel hin und stellte sich tot, und der Fuchs duse sich hinter einer Windwehe von Schnee. Das Mädchen kam, sah den frischen Hasen, der alle viere von sich streckte, stellte richtig den Korb hin und bückte sich nach dem Hasen. Jetzt wischte der Fuchs hervor, erschnappte den Korb und strich damit querfeldein, gleich war der Hase lebendig und folgte eilend seinem Begleiter. Der aber stand gar nicht still und machte keine Miene, die Semmeln zu teilen, sondern ließ merken, daß er sie allein fressen wollte. Das vermerkte der Hase sehr übel.

Als sie nun in die Nähe eines kleinen Weihers kamm, sprach der Hase zum Fuchs: "Wie wär' es, wenn wir uns eine Mahlzeit Fische verschafften? Wir haben dann Fische und Weißbrot wie die großen Herren! Hänge deinen Schwanz ein wenig ins Wasser, so werden die Fische, die jetzt auch nicht viel zu beißen haben, sich daran hängen. Eile aber, ehe der Weiher zufriert.

Das leuchtete dem Fuchs ein, er ging hin an den Weiher, der eben zufrieren wollte, und hing seinen Schwanz hinein, und eine kleine Weile, so war der Schwanz des Fuchses fest angefroren. Da nahm der Hase den Semmelkorb, fraß die Semmeln vor des Fuchses Augen ganz gemächlich, eine nach der andern, und sagte zum Fuchs: "Warte nur, bis es auftaut, warte nur big ins Frühjahr, warte nur, bis es auftaut!" und lief davon, und der Fuchs bellte ihm nach wie ein böser Hund an der .Kette.



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Der kleine Däumling

Es war einmal ein armer Korbmacher, der hatte mit seiner Frau sieben Jungen, da war immer einer kleiner als der andere, und der jüngste war bei seiner Geburt nicht viel über Fingers Länge, daher nannte man ihn Däumling. Zwar ist er hernach noch etwas gewachsen, aber nicht gar zu sehr, und den Namen Däumling hat er behalten. Doch war es ein gar kluger und pfiffiger kleiner Knirps, der an Gewandtheit und Schlauheit seine Brüder alle in den Sack steckte.

Den Eltern ging es erst gar übel, denn Korbmachen und Strohflechten ist kein so nahrhafter Beruf wie Semmelbacken und Kälberschlachten, und als vollends eine teure Zeit kam, wurde dem Korbmacher und seiner Frau himmelangst, wie sie ihre sieben Würmer satt machen sollten, die alle mit äußerst gutem Appetit gesegnet waren. Da beratschlagten eines Abends, als die Kinder zu Bett waren, die beiden Eltern miteinander, was sie anfangen wollten, und wurden Rates, die Kinder mit in den Wald zu nehmen, wo die Weiden wachsen, aus denen man Körbe flicht, und sie heimlich zu verlassen. Das alles hörte der Däumling an, der nicht schlief, wie seine Brüder, und schrieb sich der Eltern übeln Ratschlag hinter die Ohren. Sann auch die ganze Nacht, da er vor Sorge doch kein Auge zutun konnte, wie er es machen sollte, sich und seinen Brüdern zu helfen.

Frühmorgens lief der Däumling an den Bach, suchte die kleinen Taschen voll weiße Kiesel und ging wieder heim. Seinen Brüdern sagte er von dem, was er erhorcht hatte, kein Sterbenswörtchen. Nun machten sich die Eltern auf in den Wald, hießen die Kinder folgen, und der Däumling ließ ein Kieselsteinchen nach dem andern auf den Weg fallen, das sah niemand, weil er als der jüngste, kleinste und schwächste stets hintennach trottete. Das wußten die Alten schon nicht anders.

Im Walde machten sich die Alten unvermerkt von den Kindern fort, und auf einmal waren sie weg. Alls das die Kinder merkten, erhoben sie allzumal, Däumling ausgenommen, ein Zetergeschrei. Däumling lachte und sprach zu seinen Brüdern: "Heult und schreit nicht so jämmerlich!



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Wollen den Weg schon allein finden!" Und nun ging Däumling voran und nicht hinterdrein und richtete sich genau nach den weißen Kieselsteinchen, fand auch den Weg ohne alle Mühe.

Als die Eltern heimkamen, bescherte ihnen Gott Geld ins Haus; eine alte Schuld, auf die sie nicht mehr gehofft hatten, wurde von einem Nachbar an sie abbezahlt, und nun wurden Eßwaren gekauft, daß sich der

Tisch bog. Aber jetzt kam auch die Reue, daß die Kinder verstoßen worden waren, und die Frau begann erbärmlich zu jammern: "Ach du lieber, allerliebster Gott! Wenn wir doch die Kinder nicht im Wald gelassen hätten! Ach, jetzt könnten sie sich dicksatt essen, und so haben die Wölfe sie vielleicht schon im Magen! Ach, wären nur unsre lieben Kinder da! — "Mutter, da sind wir ja!" sprach ganz geruhig der kleine Däumling, der bereits mit seinen Brüdern vor der Tür angelangt war und die Wehklage gehört hatte, öffnete die Tür, und herein trippelten die kleinen Korbmacher - eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben. Ihren guten Appetit



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hatten sie wieder mitgebracht, und daß der Tisch so reichlich gedeckt war, war ihnen ein gefundenes Essen. Die Herrlichkeit war groß, daß die Kinder wieder da waren, und es wurde, solange das Geld reichte, in Freuden gelebt, dies ist armer Handarbeiter Gewohnheit.

Nicht gar lange währte es, so war in des Korbmachers Hütte Schmalhans wieder Küchenmeister, und ein Kellermeister mangelte ohnehin, und es erwachte aufs neue der Vorsatz, die Kinder im Walde ihrem Schicksal zu überlassen. Da der Plan wieder als lautes Abendgespräch zwischen Vater und Mutter verhandelt wurde, so hörte auch der kleine Däumling alles, das ganze Gespräch, Wort für Wort, und nahm sich's zu Herzen.

Am andern Morgen wollte Däumling aus dem Häuschen schlüpfen, Kieselsteine aufzulesen, aber o weh, es war verriegelt, und Däumling war viel zu klein, als daß er den Riegel hätte erreichen können, da gedachte er sich anders zu helfen. Wie es fort ging zum Walde, steckte Däumling Brot ein und streute davon Krümchen auf den Weg, meinte, ihn dadurch wiederzufinden.

Aller begab sich wie das erstemal, nur mit dem Unterschied, daß Däumling den Heimweg nicht fand, dieweil die Vögel alle Krümchen rein aufgefressen hatten. Nun war guter Rat teuer, und die Brüder machten ein Geheul in dem Walde, daß es zum Steinerbarmen war. Dabei tappten sie durch den Wald, bis es ganz finster wurde, und fürchteten sich über die Maßen, bis auf Däumling, der schrie nicht und fürchtete sich nicht. Unter dem schirmenden Laubdach eines Baumes, auf weichem Moos, schliefen die sieben Brüder, und als es Tag war, stieg Däumling auf einen Baum, die Gegend zu erkunden. Erst sah er nichts als eitel Waldbäüme, dann aber entdeckte er das Dach eines kleinen Häuschens, merkte sich die Richtung, rutschte vom Baume herab und ging seinen Brüdern tapfer voran. Nach manchem Kampf mit Dickicht, Dornen und Disteln sahen alle das Häuschen durch die Büsche blicken und schritten guten Mutes darauf los, klopften auch ganz bescheidentlich an der Tür. Da trat eine Frau heraus, und Däumling bat gar schön, sie doch einzulassen, sie hätten



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sich verirrt und wüßten nicht wohin? Die Frau sagte: "Ach, ihr armen Kinder!"und ließ den Däumling mit seinen Brüdern eintreten, sagte ihnen aber auch gleich, daß sie im Hause des Menschenfressers wären, der besonders gern die kleinen Kinder fräße: Das war eine schöne Zuversicht! Die Kinder zitterten wie Espenlaub, als sie das hörten, hätten gern lieber selbst zu essen gehabt und sollten nun statt dessen gegessen werden. Doch die Frau war gut und mitleidig, verbarg die Kinder und gab ihnen auch etwas zu essen. Bald darauf hörte man Tritte, und es klopfte stark an der Tür; das war kein anderer als der heimkehrende Menschenfresser. Der setzte sich an den Tisch zur Mahlzeit, ließ Wein auftragen und schnüffelte, als wenn er etwas roche, dann rief er seiner Frau zu: "Ich wittere Menschenfleisch!" Die Frau wollte es ihm ausreden, aber erging seinem Geruch nach und fand die .Kinder. Die waren ganz hin vor Entsetzen. Schon wetzte er sein langes Messer, die Kinder zu schlachten, und nur allmählich gab er den Bitten seiner Frau nach, sie noch ein wenig am eben zu lassen und aufzufüttern, weil sie doch gar zu dürr seien, besonders der kleine Däumling. So ließ der böse Mann und Kinderfresser sich endlich beschwichtigen. Die Kinder wurden zu Bett gebracht, und zwar in derselben Kammer, wo ebenfalls in einem großen Bette Menschenfressers sieben Töchter schliefen, die so alt waren wie die sieben Brüder. Sie waren von Angesicht sehr häßlich, jede ham aber ein goldenes Krönlein auf dem Haupte. Das alles war der Däumling gewahr geworden, machte sich ganz still aus dem Bett, nahm seine und seiner Brüder Nachtmützen, setzte diese Menschenfressers Töchtern auf und deren Krönlein sich und seinen Brüdern.

Der Menschenfresser trank vielen Wein, und da kam ihm seine böse Lust wieder an, die Kinder zu morden, nahm sein Messer und schlich sich in die Schlafkammer, wo sie schliefen, willens, ihnen die Hälse abzuschneiden. Es war aber stockdunkel in der Kammer, und Menschenfresser tappte blind umher, big er an ein Bett stieß, und fühlte nach den Köpfen der darin Schlafenden. Da fühlte er die Krönchen und sprach: "Halt da! Das sind deine Töchter. Bald hättest du betrunkenes Schaf einen Eselsstreich gemacht!"



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Nun tappelte er nach dem andern Bett, fühlte da die Nachtmützen und schnitt seinen sieben Töchtern die Hälse ab, einer nach der andern. Dann legte er sich nieder und schlief seinen Rausch aus. Wie der Däumling ihn schnarchen hörte, weckte er seine Brüder, schlich sich mit ihnen aus dem Hause und suchte das Weite. Aber wie sehr sie auch eilten, so wußten sie doch weder Weg noch Steg und liefen in der Irre herum voll Angst und Sorge, nach wie vor.

Als der Morgen kam, erwachte der Menschenfresser und sprach zu seiner Frau: "Geh und richie die Krabben zu, die gestrigen!" Sie meinte, sollte die Kinder wecken und ging voll Angst um sie hinauf in die Kammer. Welch ein Schrecken für die Frau, als sie sah, was geschehen war; fiel gleich in Ohnmacht über diesen schrecklichen Anblick, den sie hatte. Als sie nun dem Menschenfresser zu lange blieb, ging er selbst hinauf, und da sah er, was er angerichtet hatte. Seine Wut, in die er geriet, ist nicht zu beschreiben. Jetzt zog er seine Siebenmeilenstiefel an, das waren Stiefel, wenn man damit sieben Schritte tat, so war man eine Meile gegangen, das war nichts Kleines. Nicht lange, so sahen die sieben Brüder ihn von weitem über Berg und Täler schreiten und waren sehr in Sorgen, doch Däumling verstecke sich mit ihnen in die Höhlung eines großen Felsens. Als der Menschenfresser an diesen Felsen kam, setzte er sich darauf,



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um ein wenig zu ruhen, weil er müde geworden war, und bald schlief er ein und schnarchte, daß es war, als brause ein Sturmwind. Wie der Menschenfresser so schlief und schnarchte, schlich sich Däumling hervor wie ein Mäuschen aus seinem Loch und zog ihm die Meilenstiefel aus und zog sie selber an. Zum Glück hatten diese Stiefel die Eigenschaft, an jeden Fuß zu passen wie angemessen und angegossen. Nun nahm er an jede Hand einen seiner Brüder, die faßten wieder einander an den Händen, und so ging es, hast du nicht gesehen, mit Siebenmeilenstiefelschritten nach Hause. Da waren sie alle willkommen. Däumling empfahl seinen Eltern, ein sorglich Auge auf die Brüder zu haben, er wolle nun mit Hilfe der Stiefel schon selbst für sein Fortkommen sorgen, und als er das kaum gesagt hatte, tat er einen Schritt, und er war schon weit fort, noch einen, und er stand über eine halbe Stunde auf einem Berge, noch einen, und er war den Eltern und Brüdern aus den Augen.

Nach und nach hat der Däumling mit seinen Stiefeln sein Glück gemacht und viele große und weite Reisen, hat den verschiedensten Herren gedient, und wenn es ihm wo nicht gefallen hat, ist er spornstreichs weitergegangen. Kein Verfolger zu Fuß noch zu Pferd konnte ihn einholen, und seine vielen Abenteuer, die er mit Hilfe seiner Siebenmeilenstiefel bestand, sind gar nicht zu beschreiben.


Die drei Hochzeitsgäste

Es waren einmal in einem Dorfe drei Hofhunde, die hielten gute Nachbarschaft miteinander. Da sollte eine große Bauernhochzeit sein, zu der war alt und jung geladen, und wurde gekocht und gebacken, gesonen und gebraten, daß der Geruch durchs ganze Dorf zog. Die drei Hunde waren auch beisammen und rochen den feinen Dunst und ratschlagten, wie auch hin zur Hochzeit gehen wollten und sehen, ob nichts für sie abfallen werde. Aber um unnützes Aufsehen zu vermeiden, beschlossen sie, nicht zugleich,



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alle dreie auf einmal, hinzulaufen, sondern einzeln, einer nach dein andern.

Der erste ging, machte sich in das Schlachthaus, erschnappte jählings ein großes Stück Fleisch und wollte damit seiner Wege gehen, allein er wurde erwischt und empfing eine fürchterliche Tracht Prügel, nächstdem, daß man ihm das Stück Fleisch aus den Zähnen riß.

So kam er hungrig und übel geschlagen zurück auf den Hof zu seinen Nachbargesellen; die hungerten schon nach guter Nachricht und fragten: Nun, wie ist es dir ergangen, wie hat es dir gefallen?"Nun schämte sich aber der Hund, die Wahrheit zu gestehen, daß sein Hochzeitsmahl in einer scharf gesalzenen Prügelsuppe bestanden, sprach deshalb: "Ganz wohl! Aber es geht dort scharf her, und muß einer hart und weich vertragen können!

¨Die Kameraden, als sie das hörten, vermeinten, es werde über alle Maßen gegessen und getrunken auf der Hochzeit, und es fielen viele gute Bröcklein ab, harte und weiche, Fleisch und Bein. Alsbald rannte der zweite Hund in vollen Sprüngen zum Hochzeitshaus, gerade in die Küche, und nahm, was er fand — aber ehe er noch den Rückweg fand, war er schon bemerkt, und ward ihm ein Topf voll siedend heißes Wasser über den Rücken gegossen, daß es nur so dampfte, als er von dannen schoß, wie ein Pudel, der aus dem Wasser kommt; doch ob's ihn auch schrecklich brannte, er verbiß seinen Schmerz. Als er nun auf den Hof kam, wo die beiden Kameraden seiner harrten, fragten die gleich: "Nun, wie hat es dir gefallen ?

"Ganz wohl!" antwortete der Hund, aber es geht dort heiß her, und muß einer kalt und warm vertragen können!

Da dachte der dritte Hund: "Die Hochzeitsgäste sind beim Schmaus in voller Arbeit, und kalte und warme Speisen wechseln ab wollte daher nichts versäumen und wenigstens zum Nachtisch dasein, wenn der mürbe Kuchen aufgetragen wird. Eilte sich, was er konnte. Kaum aber war er im Hause, so erwischte ihn einer, klemmte ihm den Schwanz zwischen die Stubentür, gerbte ihm das Fell windelweich und klemmte so lange,



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big die Haut vom Schwanz sich abstreifte und der Hund verschändet entsprang.

"Nun wie hat es dir auf der Hochzeit gefallen?" Sagten die Freunde, jeder mit etwas Spott im Herzen. Der Übelzugerichtete zog seinen geschundenen Schwanz, so gut es gehen wollte, zwischen die Beine, daß man ihn nicht sah, und sprach: "Ganz wohl, es ging recht voll her und gab viel Mürbes, aber .Paare lassen muß einer können!

Und da dachten die drei Hunde noch lange daran, wie wohl ihnen die Hochzeitssuppe, die Hochzeitsbrühe und der Hochzeitskuchen geschmeckt hatte, und vom Braten hatte jeder genug gerochen.


Der Richter und der Teufel

In einer Stadt saß ein Mann, der hatte alle Kisten voll Gold und Gut, er selbst aber war voll aller Laster, so schlimm war es, daß es die ente schier wunders dünkte, weshalb ihn die Erde nicht verschlang. Dieser Mann war noch dazu ein Richter, das heißt ein Richter, der aller Ungerechtigkeit voll war. An einem Markttage ritt er des Morgens aus, seinen schönen Weingarten zu sehen, da traf der Teufel auf dem Heimwege ihn an, in reichen Kleidern und wie ein gar vornehmer Herr gestaltet. Da der Richter nicht wußte, iver dieser Fremdling war, und solches doch gern wissen mochte, so fragte er ihn eben nicht höflich, wer und von wannen er sei ? Der Teufel antwortete: "Euch ist besser, wenn Ihr's nicht wisset, wer und woher ich bin! —"Hoho! fuhr der Richter heraus, seid, wer Ihr wollt, so muß ich 's wissen, oder Ihr seid verloren, denn ich bin der Mann, der hier Gewalt hat, und wenn ich Euch dies und das zuleide tue, so ist niemand, der es mir wehren wird und kann. Ich nehme Euch Leib und Gut, wenn Ihr mir nicht auf meine Frage Bescheid gebt!

"Steht es so schlimm", antwortete der Arge, "so muß ich Euch wohl meinen Namen und mein Herkommen offenbaren; ich bin der Teufel.



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"Hm!'' brummte der Richter, und was ist hier deines Gewerbes, das will ich auch wissen?" — "Schau, Herr Richter", antwortete der Böse, mir ist Macht gegeben, heute in diese Stadt zu gehen und das zu nehmen, was mir in vollem Ernst gegeben wird.

Wohlan!" versetzte der Richter, tue also, aber laß mich dessen Zeuge sein, daß ich sehe, was man dir geben wird!

Fordere das nicht, dabei zu sein, wenn ich nehme, was mir beschieden wird" widerriet der Teufel dem Richter, Dieser hub an, den Fürsten der Hölle mit mächtigen Bannworten zu beschwören, und sprach: "Ich gebiete und befehle dir bei Gott und allen Gottesgeboten, bei Gottes Gewalt und Gottes Zorn, und bei allem, was dich und deine Genossen bindet, und bei dem ewigen Gerichte Gottes, daß du vor meinem Angesicht, und anders nicht, nehmest, was man dir ernstlich geben wird!

Der Teufel erschrak, daß er zitterte bei diesen fürchterlichen Worten, und machte ein ganz verdrießliches Gesicht, sprach auch: "Ei, so wollte ich, daß ich das eben nicht hätte! Du bindest mich mit einem so starken Band, daß ich kaum jemals in größerer Klemme war. Ich gebe dir aber mein Wort als Fürst der Hölle, das ich als solcher niemals breche, daß es dir nicht zum Frommen dient, wenn du auf deinem Sinn bestehst. Steh ab davon!

"Nein ich stehe nicht ab davon!" rief der Richter. "Was mir auch darum geschehe, das muß ich über mich ergehen lassen; ich will jenes nun einmal sehen, und soll es mir an das Leben gehen!

Nun gingen beide, der Richter und der Teufel, miteinander auf den Markt, wo gerade Markttag war, daher viel Volks versammelt, und überall bot man dem Richter und seinem Begleiter, von dem niemand wußte, wer er sei, volle Becher und ließ sie Bescheid tun. Der Richter tat das auch nach seiner Gewohnheit und reichte auch dem Teufel eine Kanne, der aber nahm den Trunk nicht an, weil er wohl wußte, daß es des Richters Ernst nicht war.

Nun geschah es von ungefähr, daß ein Weib ein Schwein dahertrieb, das nicht nach ihrem Willen ging, sondern die Kreuz, die Quere, da schrie



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das zornige Weib im höchsten Ärger dem Schweine zu; "Ei, geh zum Teufel, daß er dich mit Haut und Haar hole!"

"Hörst du, Geselie?" rief der Richter dem Teufel zu. "Jetzt greife hin und nimm das Schwein." Aber der Teufel antwortete: "Es ist leider der Frau nicht Ernst mit ihrem Wort. Sie würde ein ganzes Jahr lang trauern und sich grämen, nähme ich ihr Schwein. Nur was mir im Ernste gegeben wird, das darf ich nehmen."

Ähnliches geschah bald hernach mit einem Weib und einem Kind.



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Das ging auch nicht so, wie die Frau es lenken wollte, so daß sie zu schreien begann: "Hol dich der Teufel und drehe dir den Hals um! Hörst du, Geselie?" fragte da wieder der Richter. "Das Kind ist dein, hörst du nicht, daß man es dir ernstlich gibt?

"O nein, es ist auch nicht ihr Ernst!" antwortete der Teufel. "Sie würde bitterlich wehklagen, nähme ich sie beim Wort, und das Kind nicht fahren lassen."

Nun kamen die beiden recht mitten auf den Markt, wo das dichteste Volksgedränge war, da mußten sie ein wenig stilleflehn und konnten nicht durch das Gewimmel und Getümmel schreiten. Da wurde ein Weib des Richters ansichtig, das war alt und arm und krank und trug ein großes Ungemach; sie begann laut zu weinen und zu schreien und ließ vor allem Volk folgende heftige Rede vernehmen: "Weh über dich, Richter! Weh über dich, daß du reich bist und ich so arm bin; du hast mir ohne Schuld, göttliche und menschliche Barmherzigkeit verleugnend, mein einziges Kühlein genommen, das mich ernährte, von dem ich meinen ganzen Unterhalt harte. Weh über dich, der du es mir genommen hast! Ich Sehe und schreie zu Gott, daß er durch seinen Tod und bitteres Leiden, die er für die Menschheit und für uns arme Sünder trug, meine Bitte gewähre, und die ist, daß deinen Seib und deine Seele der Teufel zur Hölle führe!"Auf diese Rede tat der Richter weder Sage noch Frage, aber der Teufel fuhr ihn höhnisch an und sprach: "Siehst du, Richter, das ist Ernst, und den sollst du gleich gewahr werden!" Damit streckte der Teufel seine Krallen aus, nahm den Richter beim Schopf und fuhr mit ihm durch die Lüfte von dannen wie der Geier mit einem Huhn. wies Volk erschrak und staunte, und weise Männer sprachen die Lehre aus:

Es ein unweiser Rath,
Der mir dem Teufel umgaht,
Wer gern mit ihm umfährt,
Dem wird ein böser Lohn beschert.


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Die Probestücke des Meisterdiebes

Es wohnten in einem Dorfe ein Paar sehr arme alte ente mutterseelenallein in einem geringen Häuslein, das ganz weit draußen stand, und gerade mit diesem Häuslein hörte das Dorf auf. Die beiden Alten waren brav und fleißig, aber sie hasen keine Kinder. Einen Sohn, einen einzigen, hasen gehabt, aber der war ein ungeratener Bube gewesen und heimlich auf und davon gegangen, hatte auch fein Lebtag nichts wieder von hören lassen, und so glaubten die Eltern, ihr Einziger sei lange tot und bei Gott gui aufgehoben.

Nun saßen einstmals die beiden Alten vor ihrer Haustür, an einem Feiertage; da fuhr zum Dorfe herein ein stattlicher Wagen, den zogen sechs schöne Rosse, und darin saß ein einzelner Herr, hintenauf stand ein Bedienter, dessen Hut und Rock von Gold und Silber nur so starrte. Der Wagen fuhr durch das ganze Dorf, und die Bäuerlein, die gerade aus der Kirche kamen, meinten schier, es fahre ein Herzog oder gar ein König vorbei, denn solche Pracht konnte der Edelmann, der droben im alten Schloß wohnte, nicht aufwenden. Da hielt mit einem Male der Wagen vor dem letzten Häuslein still, der Bediente sprang vom Bock und öffnete den Schlag. Sein Herr stieg aus und eilte auf die beiden Alten zu, die ganz bestürzt von ihrer Bank erhoben hatten, Er bot ihnen freundlich guten Tag und Handschlag und fragte, ob er nicht ein Gericht Kartoffelhütes (Klöße) mit ihnen essen könne? Darüber verwunderte am meisten das Mütterlein, aber der junge, hübsche und sehr vornehm gekleidete Herr stillte alsbald ihr Staunen, indem er sagte, daß ihm noch kein Koch diese Hutes habe recht machen können, er wolle sie einmal von Landleuten zubereitet essen wie in seiner Jugend. Da luden die Alten den edlen Junker, für den sie den Fremdling hielten, freundlich in ihre Hütte, und er ließ den Wagen mit Kutscher und Bedienten einstweilen in das Wirtshaus fahren.



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Das Mütterlein holte eilends Kartoffeln aus dem kleinen Keller des Häusleins herauf, schälte, rieb und preßte sie, ließ Sasser sieden, tat die geballten Klöße, zu denen sie etwas Schmalz getan, hinein und segnete dieses Essen mit dem frommen Spruch: "Gott behüt' es", davon denn auch die Klöße an vielen Orten Südthüringens Hutes heißen. In dieser Zeit, daß die Alte ihr Mahl bereitete, war ihr Mann mit dein Fremdling in das Hausgärtchen gegangen, wo er an kurz zuvor gepflanzten jungen Bäumen sich eine kleine Beschäftigung machte und nachsah, ob die Pfähle, woran die Stämmchen mit Weide gebunden waren, noch festhielten und der Wind keine Weide losgerissen hatte, und wo dies geschehen war, da band der Alte jedes Stämmchen wieder fest. Da hub der junge Fremde an zu fragen:

"Warum bindet Ihr dieses kleine Stämmchen dreimal an?

"Ja!" sprach der Alte, "da hat es drei Krümmen, darum bind' ich's fest, daß es gerade wächst.

"Das ist recht, Alter!" sprach der Fremde, "aber dort habt Ihr ja einen alten krummen Knorz von Baum! Warum bindet Ihr den nicht auch an einen Pfahl auf, daß er gerade wird?

"Hoho!" lachte da der Alte, "alte Bäume, wenn sie krumm sind, werden nicht wieder gerad. Senn man sie gerade haben will, muß man sie jung gut ziehen.

"Habt Ihr auch Kinder?" fragte der Fremde weiter.

"O lieber Gott, Euer Gnaden!" antwortete der Mann, "gehabt hab ich einen Jungen, war ein arger Taugenichts, hat wilde, böse Streiche gemacht und ist mir zuletzt davongelaufen und sein Lebtag nicht wiedergekommen. Wer weiß, wo er steckt und wo ihn der liebe Gott hingeführt hat oder der Böse.

"Warum habt Ihr denn Euren Sohn nicht beizeiten gerad gezogen wie diese da, Eure Bäumchen?" sprach betrübt und vorwurfsvoll der Fremde. "Senn er nun ein ungeratener, krummer Knorz und Wildling worden, so ists Eure Schuld. Aber wenn er Euch nun wieder unter die Augen käme, würdet Ihr ihn wohl erkennen?"

"Weiß auch nicht, lieber Herr!" erwiderte der Bauer, "er wird mohl



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in die Höhe geschossen sein, wenn er noch lebt, doch hatte er ein Muttermal am Leibe, daran allenfalls könnt' ich ihn erkennen, Der kommt aber doch erst am Nimmermehrstag wieder heim."

Da zog der Fremde seinen Rock aus und zeigte dem Alten ein Muttermal; der schlug die Hände überm Kopf zusammen und schrie: "Herr Jes's! Du bist mein Sohn — aber nein — du bist so schrecklich fürnehm. Bist du denn ein Graf geworden oder gar ein Herzog?

"Das nicht, Vater", sprach der Sohn leise, "aber etwas anders, ein Spitzbub' bin ich geworden, weil Ihr mich nicht gerade gezogen habt; doch laßt's gut sein, ich hab' meine Kunst tüchtig studiert, bin nicht etwa so ein miserabler Pfuscher, wie's ihrer viele gibt."

Der alte Mann war ganz stumm vor Schreck und vor Freude, führte den Sohn an der Hand ins Haus und zur Mutter, die justament die Klöße fertig hatte und auftrug, und sagte ihr alles. Da fiel das Mütterlein ihrem Sohn an das Herz und um den Hals, küßte ihn und weinte und sagte:

"Dieb hin, Dieb her! Du bist doch mein lieber Sohn, den ich unterm Herzen getragen habe, und mir hüpft das Herz hoch in der Brust, daß ich dich in meinen alten Tagen wiedersehe! Ach, was wird dein Herr Pate sagen, droben auf dem Schloß der Edelmann!"

"Ja!"sprach dazwischen der Vater, während alle drei nun miteinander tapfer in die Klöße einhieben; "dein Herr Pate wird nichts von dir wissen wollen, bei so bewandten Umständen, wie es mit dir steht; er wird dich am Ende an dem Galgen zappeln lassen."



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"Nun, besuchen will ich ihn doch, den Herrn Paten!" antwortete der Sohn, ließ seinen Wagen anspannen und fuhr aufs Schloß hinauf.

Der Edelmann war sehr erfreut, seinen Paten, den er als armes Kind aus Gnaden zur Taufe gehoben, so stattlich wieder vor sich treten zu sehen, als er sich ihm zu erkennen gab. Aber darüber freute er sich nicht im mindesten, als auf Befragen, was er denn in der Welt geworden sei, der junge Pate zur Antwort gab, er wäre ein ausgelernter Spitzbube geworden. Sann alsobald darüber nach; wie er mit guter Art einen so gefährlichen Menschen beizeiten loswerden möchte.

"Wohlan!" sprach der Edelmann zu seinem Paten, "wir wollen sehen, ob du das Deinige ordentlich gelernt hast und ein so großer Dieb geworden bist, den man mit Ehren laufen lassen kann, oder nur so ein kleiner, den man an den ersten besen Galgen henkt. Das werde ich in meinem Gerichtsbann mit dir unfehlbar tun, wenn du nicht die drei Proben bestehst, die ich dir auferlegen werde!

"Nur her damit, mein gestrenger Herr Pate! Ich fürchte mich vor gar keiner Arbeit.

Der Edelmann sann eine kleine Weile nach, dann sprach er: "Hör an! Dieses sind die drei Proben. Zum ersten: stiehl mir mein Leibpferd aus dem Stalle, den ich wohl bewachen lasse von Soldaten und Stalleuten, die jeden totschlagen, der Miene macht, in den Stall zu dringen. Zum andern: stiehl mir, wenn ich mit meiner Frau im Bette liege, das Bettuch unterm Leibe weg und meiner Frau den Trauring vom Finger, doch wisse, daß ich geladene Pistolen zur Hand habe. Zum dritten und letzten — und merke, das ist das schwerste Stück: stiehl mir den Pfarrer und Schulmeister aus der Kirche und dann mußt du sie aufg Schloß bringen und beide lebend in einem Sack in meinen Schornstein hängen. Tor und Türen sollen dir dazu offenstehen."

Der Meisterdieb bedankte sich freundlich bei seinem Herrn Paten, daß er ihm so leichte Stücklein aufgegeben, und ging seiner Wege, um in nächster Nacht gleich das erste Stück auszuführen. Der Edelmann traf alle Anstalten, sein Leibroß gut bewachen zu lassen. Sein erster Reitknecht



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mußte sich daraufsetzen, ein anderer Diener mußte den Zaum fassen, ein dritter den Schwanz, und vor die Türe ordnete der Herr eine Soldatenwache.

Die wachten und wachten, froren und fluchten, denn es war kalt, und alle waren durstig; da zeigte sich ein altes, müdes Mütterlein, das trüg ein Fäßlein auf einem Korbe, hüstelte schwer und keuchte zum Schloßhof hinein.

Das Fäßlein weckte in der Seele der Soldaten ganz besonders anziehende Gedanken, nämlich die, daß möglicherweise Branntwein darin sein könne, und daß Branntwein ein Spezifikum gegen den Nachtfrost sei und gegen die bösen Nebel. Riefen daher das alte Mütterlein zum Feuer, daß sich's wärme, und forschten nach dem Inhalt des Fäßleins. Nichtig geahnet! Branntwein war darin, und noch dazu veredelter, Doppelpomeranzen, Spanischbitter oder so eine Sorte. Auch war das Fäßlein nicht tückischerweise verpicht und verspündet, sondern es war ein Hähnlein daran, und die Frau hakte, das war das beste, den Branntwein zu verkaufen. Da kauften die Soldaten ein Becherlein ums andere, riefen s auch den Wächtern im Stalle zu, daß draußen im Hofe der Weizen blühe, und das alte Frauchen hatte alle Hände voll zu tun mit Einschenken, so daß ihr Fäßlein schier leer war.

Die alte Frau war aber kein anderer Mensch als der Erzdieb, der sich gut verkleidet und in den Schnaps einen barbarischen Schlaftrunk gemischt hatte. Es währte gar nicht lange, so fiel ein Soldat nach dem andern in Schlaf, und den Wächtern im Stalle fielen die Augen zu, und es war gut, daß der Dieb schon im Stalle bei dem Pferde stand, so konnte er den Reitknecht in seinen Armen auffangen, als der gerade vom Pferde fiel, und ihn sanft rittlings auf die Schranke setzen und ein wenig anbinden, damit der gute Mensch nicht etwa auch da herunterfalle und Schaden leide. Dem Leibkutscher, der den Zaum hielt und in der Ecke schnarchte, gab der Dieb einen Strick in die Hand, und dem Stallknecht stau des Roßschweifes ein Strohseil. Dann nahm er eine Pferdedecke, schnitt sie in Stücke, wickelte sie um des Rosses Füße,



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schwang sich in den Sattel, und heidi, hast du nicht gesehen — zum Stall und zum offengebliebenen Schloßtor hinaus.

Als es heller Tag geworden, sah der Edelmann zum Fenster hinaus und sah einen stattlichen Reiter dahergaloppiert kommen, auf einem nicht minder stattlichen Roß, das ihm so bekannt vorkam. Der Reiter hielt an und bok guten Morgen hinauf zum Schloßfenster. "Guten Morgen, Herr Pate! Euer Pferd ist Goldes wert!" "Ei, daß dich alle Teufel!" rief der Edelmann, wie er sah, daß das Pferd seine Schecke war. "Du bist ein Oberdieb! Nu, nu — nur zu! ass deine Kunst weiter sehen!" Der Edelmann nahm seine Reitpeitsche und ging nach dem Stalle voller Zorn. Als er die wunderlichen Gruppen der noch immer schlafenden Wächter sah, mußte er laut auflachen; gedachte aber bald in seinem Herzen: wenn der Gauner diese Nacht kommt, mir das Bettuch zu stehlen, will ich ihm eine Kugel durch den Kopf schießen, denn solch einen gefährlichen Kerl möchte ich nicht in meiner Nähe wissen.

Da nun die Nacht herbeigekommen war, legte sich der Edelmann mit



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seiner Frau zu Bette, und neben sich legte er eine geladene Pistole und unterschiedliche andere Wehr und Waffen, schlief auch nicht ein, sondern blieb wachsam, horchte und lauschte, ob sich nichts regte. Lange blieb alles still; jetzt endlich, es war schon ziemlich dunkel, war es, als würde eine lange Leiter angelehnt, und bald darauf wurde draußen am Fenster die Gestalt eines Menschen sichtbar, der hereinsteigen wollte. "Erschrick nicht, Frau! rief leise der Edelmann, nahm die Pistole, zielte gut, drückte los und schoß den Räuber mitten durch den Kopf. Ser Dieb wankte, und gleich darauf hörte man unten einen schweren Fall. "Der steht nicht wieder auf", sprach der Edelmann, "doch möcht' ich Aufsehen vermeiden, ich will deshalb geschwind die eiter hinunterneigen, daß im Hause kein Lärm wird, und den Erschossenen beiseiteschaffen." Das war der Edelfrau recht, und ihr Mann tat, wie er gesagt. Bald darauf kam er wieder herauf und sprach leise zur Frau: "Oer ist mausetot; ich will den armen Teufel aber doch, ehe ich ihn in die Grube werfe, in ein Leinlaken hüllen, und da er um deines Ringes willen sein eben hat lassen müssen, so wollen wir ihm diesen Ring anstecken: gib mir den Ring und auch das Bettuch."Die Frau gab beides her, und jener stieg eilend wieder hinunter. Es war aber nicht der Edelmann, sondern der Meisterdieb, der, um sein Stücklein auszuführen, vom ersten besten Galgen (damals gab es in Deutschland noch alle Wege viele Galgen) einen frisch Gehenkten abgeschnitten und ihn dann auf seine Schultern geladen hatte, als er die Leiter emporstieg. Wie drinnen der Schuß fiel, ließ er den Leichnam hinunterstürzen, stieg eilend die Leiter herab und versreckte Und wie nun der Edelmann herunterkam und sich mit dem vermeintlich Erschossenen zu schaffen machte, wischte er rasch hinauf ins Zimmer der Frau, ahmte des Paten Stimme nach und forderte Ring und Bettuch.

Am andern Morgen sah der Edelmann wieder nach seiner Gewohnheit zum Fenster hinaus, da ging drunten ein Mann auf und ab, der hatte, wie es schien, Leinwand zu verkaufen; wenigstens trug er ein zusammengeschlagenes Bündel über der Schulter und ließ einen schönen Ring in der Morgensonne blitzen und funkeln. Mit einem Male rief der Mann hinauf:



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"Schönsten guten Morgen, Herr Pate! Ich wünsche Ihnen und der Frau Patin, recht wohl geruht zu haben!" — Der Edelmann war wie vom Donner gerührt, als er seinen Paten, den er die vorige Nacht mit eigner Hand erschossen und mit derselben Hand in eine Grube geworfen, leibhaftig stehen sah, und fragte hastig seine Frau nach Ring und Tuch. "Nun, du hast mir's ja diese Nacht abverlangt!" erwiderte die Dame. "Der Satan! Aber ich nicht! tobte der Edelmann — doch gab er bald wieder zufrieden, in Erwägung, daß der kühne Dieb noch mehr häne nehmen können. Er machte dem Paten eine Faust zum Fenster hinaus und rief: "Erzgauner! Das dritte! Das dritte bringt dich sicherlich an den Galgen!"

In der nächsten Nacht darauf begab sich etwas Seltsames auf dem Gottesacker. Der Schulmeister, der ihm zunächst wohnte, wurde es zuerst gewahr und meldete es dem Herrn Pfarrer. Über den Gräbern wandelten kleine brennende Lichtlein in unsteter Bewegung umher. "Das sind die armen Seelen, Schulmeister!" flüsterte der Pfarrer mit Grausen. Plötzlich erschien eine große schwarze Gestalt den Stufen der Kirchtür, die rief mit hohlem Tone:

Kommt all' zu mir, kommt all' zu mir,
Der Jüngste Tag ist vor der Tür!
O Menschenkinder, betet still!
Die Toten sammeln schon ihr Gebein!
Wer mit mir in den Himmel will,
Der Seuch in diesen Sack hinein!

"Wollen wir?" fragte der Schulmeister den Pfarrer mit Zähneklappern. "Zeit wär's, vorm Torschluß. Der heilige Apostel Petrus ruft uns, das ist keine Frage. Aber Reisegeld?" — "Ich habe mir zwanzig Kronen erdarbt", wisperte das Schulmeisterlein. "Ich habe mir hundert gute Dukaten für den Notfall zurückgelegt!"sprach der Pfarrer. "Holen wir 's und nehmen 's mit!" riefen beide und taten also; dann näherten sie sich der schwarzen Gestalt mit Furcht und Zittern. Diese war der Meisterdieb:



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er hatte Krebse gekauft und ihnen brennende Wachglichterlein auf den Rücken geklebt, das waren die armen Seelen, hatte einen Mönchgbart und eine Mönchskukte und einen Hopfensack, in den er die beiden Schwarzröcke aufnahm, nachdem er ihnen ihr Erspartes abgenommen. Jetzt schnürte er den Sack zu und schleifte ihn hinter sich her durch das Dorf und durch einen Tümpel, wobei er rief: "Jetzt geht 's durch das Rote Meer!" dann durch den Bach: "Jetzt geht 'a durch den Bach Kidron", dann durch den Schloßflur, allwo es kühl war: "Jetzt geht's durch das Tal Josaphat", dann zur Treppe hinauf: "Dieses ist schon die Himmelsleiter", endlich hing er den Sack im Schornstein auf an einen Haken, daran man die Schinken räuchert, machte darunter einen ziemlichen Qualm und rief mit schrecklicher Stimme: "Dieses ist das Fegefeuer! es dauert etwelche Jahre!" und machte sich fort. Da schrien Pfarrer und Schulmeister Zeter Mordio, daß das ganze Hausgesinde zusammenlief. Der Meisterdieb aber trat kecklich zum Edelmann:

Herr Pate, meine dritte Probe ist auch gelöst, Pfarrer und Schulmeister hängen im Schornstein, und so es Euch gefällig, könnt Ihr sie selber zappeln sehen und schreien hören!"

"O du Erzschalk und Erzgauner, du Erzbösewicht und Meisterdieb aller Meisterdiebe!" rief der Edelmann und gab gleich Befehl, jene aus dem Fegefeuer zu erlösen. "Du hast mich überwunden, hebe dich von dannen! Hier hast du ein Goldstück. Hebe dich von dannen, komme mir nicht mehr vor Augen und laß dich für dein Geld henken, wo es dir gefällig ist.

Danke zum allerschönsten, gestrenger Herr Pate, und will so tun!" antwortete der Spitzbub, "aber wollt Ihr nicht die Pfänder auslösen, die ich redlich erworben habe? Euer Leibroß mit zweihundert Kronen, Eurer Gemahlin Trauring und das Tuch mit hundert Kronen, des Pfarrers und Schulmeisters Geld mit hundertundzwanzig Kronen! Wo nicht, so fahr' ich damit von dannen." Den Edelmann rührte fast der Schlag; er sprach:

"Lieber Pate, das war ja alles nur ein Spaß, du wirst diese Güter nicht behalten wollen; ich schenke dir ja das Leben.



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"Nun, so will ich gehen und Euch die Sachen alle herbringen!" sprach der Meisterdieb; ging und ließ seinen Wagen anspannen, seinen alten Vater und seine Mutter hineinsetzen, setzte sich selbst auf des Edelmanns Roß, steckte den prächtigen King an den Finger und schickte dem Edelmann nur das Bettuch mit einem Brieflein, darin stand: "Gebt dem Pfarrer und dem Schulmeister ihr Geld zurück, sonst stiehlt Euch Eure Frau

Dero untertäniger Pate und Meisterdieb.



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bekam der Edelmann große Furcht, trug den Schaden und wollte nichts mehr von seinem Paten wissen, erfuhr auch nichts mehr von ihm, denn der war mit seinen Eltern in ein fernes Land gezogen und ein ehrlicher und angesehener Mann geworden.


Die Kornähren

Es war einmal eine Zeit, aber das ist schon undenklich lange her, da trugen alle Kornhalme und auch die von anderem Getreide volle goldgelbe Ähren herab bis auf den Boden; da gab es keine Armut und keine Hungersnot, niemals, und das war die goldne Zeit. Da konnten sich alle Menschen mit Wonne sättigen, und auch die Vögel, die gerne Körner fressen, Hühner und Tauben und andere Vögel, fanden Futter vollauf.

Aber da waren unter den Menschen welche, die waren undankbar und gottvergessen und achteten die schöne werte Gottesgabe, das liebe Getreide, für gar nichts. Da gab es Frauen, die nahmen, wenn ihre kleinen Kinder sich verunreinigt hatten, die vollen Ährenbüschel und reinigten damit ihre Kinder und warfen die Ähren auf den Mist; und die Mägde scheuerten mit den vollen Ähren, und die Buben und kleine Mädchen jagten sich durch das liebe Korn, spielten Verstecken darin, wälzten sich darauf herum und zertraten es. Das jammerte den lieben Gott, der das Getreide den Menschen zur Nahrung gegeben hatte und dem Vieh zum Futter und nicht zum Verderben, und dachte bei sich, wir wollen es anders machen, und die goldne Zeit soll ein Ende haben.

Und da schuf der liebe Gott, daß hinfort jeder Halm nur eine einzige Ähre trug, einmal für die Menschen, damit sie das liebe Getreide besser schonen lernten, und einmal für die unschuldigen Tiere, damit sie doch noch ihr Futter haben sollten, wenn auch die Menschen nicht einmal die eine Ähre wert wären.

Von da an ist Teuerung und Armut in die Welt gekommen. Nur zuweilen



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und selten läßt der liebe Gott da oder dort einen Wunderhalm mit vielen, vielen Ähren emporschießen und zeigt so dem Menschen, wie es einst beschaffen war um das Getreide, und was Er kann. Und es geht eine alte Prophezeiung unter dem Volke, daß einmal nach langen Jahren, wenn das Engelwort sich erfüllt haben wird: Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und unter allen Menschen Wohlgefallen, Segnung und Liebe, daß dann der Boden auch wieder von Gott erweckt werden solle, solche Halme zu tragen, die bis zur Wurzel voll Ähren sind. Unser keiner aber wird das erleben.


Star und Badewännlein

Vor einem Wirtshaus im Walde hielt ein junger, stattlicher Reitersmann, da trat eine feine Maid aus der Tür, grüßte ihn züchtig und fragte, was er begehre. Er heischte einen Becher kühlen Weins, den brachte ihm die Jungfrau. Der Reitersmann trank aber nicht eher, bis die Maid mit ihren roten Lippen von dem Weine genippt hatte. Während er nun trank, trat die Wirtin aus der Tür, ein häßliches Weib von brauner Gesichtsfarbe und widrigem Aussehen. Die fragte der Reitersmann: "Holla, Frau Wirtin! Ihr habt fürwahr ein feines Töchterlein!" — "Nein, Herr!" antwortete die Wirtin, "diese Dirne da ist nicht meine Tochter, sie ist nur meine angenommene Magd, hat nicht Eltern und Heimat mehr. Habe sie angenommen aus Barmherzigkeit.

Der Reitergmann fühlte Liebe zu der schönen Maid, stieg ab vom Roß, begehrte ein Nachtquartier, und daß ihm die Magd ein Fußbad rüste, weil er gern mit ihr reden wollte. Die Wirtin gebot der Magd in den Garten zu gehen und Rosmarin, Thymian und Majoran für das Bad zu pflücken. Das tat sie gern und freudig, ging und brach die Kräuter, da flog ein Star auf und sang: O weh, du Braut! Du sollst dem Junker das Badewännlein rüsten, darin du hierhergetragen worden! Dein Vater



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ist vor Herzeleid gesiorben, und deine Mutter hat schier um dich zu Tode gegrämt!

O weh, du Braut, du Findelkind!
Weißt nicht, wer dein Vater und Mutter sind!

Da erschrak die fromme Maid und grämte sich, rüstete das Bud unter Tränen in dem kleinen Männlein und trug 's hinauf in die Stube, wo der junge Ritter ihrer harrte. Als der sie weinen sah, fragte er: "Warum weinest du, Schönste 't Willst nicht lieber mit mir fröhlich sein?

"Wie kann ich mit Euch fröhlich sein?"fragte sie weinend zurück. "Ich weine über das, was mir der Star sang, da ich drunten im Garten die Kräuter pflückte in Euer Bad. Der Star sang: O weh, du Braut! Du sollst dem Junker das Badewännlein russen, darin du hergetragen bist. Dein Vater ist vor Herzeleid gesiorben, und deine Mutter hat sich schier um dich zu Tode gegrämt!

O weh, du Braut, du Findelkind!
Weißt nicht, wer dein Vater und Mutter sind!

Da betrachtete der Herr das Badewännlein und sah daran das Wappen des Königs am Rhein, verwunderte sich über alle Maßen und rief: "Das ist meines Vaters Wappenschild! Wie kommt dies Männlein in dies schlechte Wirtshaus?

Jetzt sah der junge Herr am Hals der Maid ein Muttermal und rief freudig aus: "Grüß dich Gott, du Schönte! Du bist meine liebe Schwester: Dein Vater war der König am Rhein! Christine heißt deine Mutter! Konrad heiße ich, dein Zwillingsbruder bin ich. Darum empfand mein Herz nach .dir, gleich als ich dich zum ersten Male sah, solch ein heftiges Verlangen!

Da fielen sie einander um den Hals und weinten beide, knieten nieder und dankten Gott und sprachen liebreich miteinander die ganze Nacht. Als nun der Morgen graute, rief die Wirtin vor der Tür mit lauter Stimme und voll Hohn: "Steh auf, steh auf, du junge Braut, und kehre deiner



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Frauen die Stube aus!" Da antwortete aber die Stimme Herrn Konrada: "Weder ist sie eine junge Braut, noch kehrt sie der Wirtin ihre Stube aus! Bringet uns nur selbst den Morgenwein!" Als die Wirtin mit dem Morgenwein hereingetreten war, fragte sie Herr Konrad: "Von wem und von wannen habt Ihr diese edle Jungfrau? Sie ist eines Königs Tochter und meine Schwester!

Die Wirtin wurde weiß wie eine Wand und fiel zitternd auf ihre Knie Sie brachte kein Wort hervor, aber der Star war schon wieder am Fenster und verriet der Wirtin böse Tat und sang: In einem Lustgarten im grünen Gras saß ein zartes Kind in einem Badewännlein, und wie die



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Wärterin nur einen Augenblick zur Seite gegangen war, da kam die böse Zigeunerin und trug das Kind samt dem Wännlein von dannen!

Darüber wurde Herr Konrad so entrüstet, daß er das Schwert zückte und es der Wirtin durch die Ohren spießte, zu einem hinein, zum andern heraus. Dann küßte er züchtiglich seine allerschönste Schwester, führte sie an ihrer schneeweißen Hand aus dem Hause, hob sie auf den Sattel, und sie mußte das Badewännlein vor sich auf dem Schoß tragen. Auf ihre Schulter setzte sich der Star. So ritten sie vor das Königsschloß am Rhein, darin die Mutter, die Königin, herrschte, und als sie in das Tor einritten, kam ihnen die Mutter gerade entgegen gegangen. Die fragte verwundert: "Ach, mein liebster Sohn! was für eine Dirne bringst du da herein? Sie führt ja ein Badewännlein mit sich, als ob sie mit einem Kinde ginge!

"Oh, meine liebste Mutter!" antwortete der junge Königssohn, "sie ist drum keine Dirne, sondern ist Eure Tochter Gertraud, die in diesem Wännlein Euch geraubt wurde!" Und da stieg die Prinzessin aus dem Sattel, die Königin aber fiel vor Freuden in eine Ohnmacht, aus der sie in den Armen ihrer Kinder wieder erwachte. Der Star sang: Heut sind es gerade achtzehn Jahre, seit die Königstochter geraubt und in dem Wännlein über den Rhein getragen worden ist! Das sang der Star, und auch noch dies:

Der Zigeunerin tun die Ohren so weh,
Sie wird keine Kinder stehlen mehr!

Die Prinzessin aber ließ einen Goldschmied rufen, der mußte ein goldnes Gitterlein vor das Badewännlein schmieden, da hinein tat sie den Star und pflegte ihn bis an sein Ende.



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Das Märchen vom Ritter Blaubart

Es war einmal ein gewaltiger Rittersmann, der hatte viel Geld und Gut und lebte auf seinem Schloß herrlich und in Freuden. Er hatte einen schwarzblauen Bart, davon man ihn nur Ritter Blaubart nannte, obschon er eigentlich anders hieß, aber sein wahrer Name ist verlorengegangen. Dieser Ritter hatte sich schon mehr als einmal verheiratet, allein man hatte gehört, daß alle seine Frauen schnell nacheinander gestorben seien, ohne daß man eigentlich ihre Krankheit erfahren hatte. Nun ging Ritter Blaubart abermals auf Freiersfüßen, und da war eine Edeldame in seiner Nachbarschaft, die hatte zwei schöne Töchter und einige ritterliche Söhne, und diese Geschwister liebten einander sehr zärtlich. Als nun Ritter Blaubart die eine dieser Töchter heiraten wollte, hatte keine von beiden rechte uht, denn sie fürchteten sich vor des Ritters blauem Bart und mochten sich auch nicht gern voneinander trennen. Aber der Ritter lud die Mutter, die Töchter und die Brüder samt und sonders auf sein großes schönes Schloß zu Gaste und verschaffte ihnen dort so viel angenehmen Zeitsvertreib und Vergnügen durch Jagden, Tafeln, Tänze, Spiele und sonstige Freudenfeste, daß sich endlich die jüngste der Schwestern ein Herz faßte und sich entschloß, Ritter Blaubarts Frau zu werden. Bald darauf wurde auch die Hochzeit mit vieler Pracht gefeiert.

Nach einer Zeit sagte der Ritter Blaubart zu seiner jungen Frau: "Ich muß verreisen und übergebe dir die Obhut über das ganze Schloß, Haus und Hof mit allem, was dazu gehört. Hier sind auch die Schlüssel zu allen Zimmern und Gemächern, in alle kannst du zu jeder Zeit eintreten. Dieser kleine goldene Schlüssel aber schließt das Kabinett ganz am Ende der großen Zimmerreihe. In das, meine Teure, muß ich dir verbieten, zu gehen, so lieb dir meine Liebe und dein eben ist. Würdest du es öffnen, so erwartete dich die schrecklichste Strafe der Neugier. Ich müßte dir dann mit eigner Hand das Haupt vom Rumpfe trennen!" — Die Frau wollte auf diese Rede den kleinen goldnen Schlüssel nicht annehmen, indes mußte sie es tun, um ihn sicher aufzubewahren, und so schied sie von ihrem



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Manne mit dem Versprechen, daß es ihr nie einfallen werde, jenes Kabinett aufzuschließen und es zu betreten.

Als der Ritter fort war, erhielt die junge Frau Besuch von ihrer Schwester und ihren Brüdern, die gerne auf die Jagd gingen. Nun wurden mit Lust alle Tage die Herrlichkeiten in den vielen, vielen Zimmern des Schlosses durchmustert, und so kamen die Schwerern auch endlich an das Kabinett. Die Frau wollte, obschon selbs große Neugierde trug, durchaus nicht öffnen, aber die Schwester lachte ob ihrer Bedenklichkeit und meinte, daß Ritter Blaubart darin doch nur aus Eigensinn das Kostbarste und Wertvollste von seinen Schätzen verborgen halte. So wurde der Schlüssel mit einigem Zagen in das Schloß gesteckt, und da flog auch gleich mit dumpfem Geräusch die Tür auf, und in dem sparsam erhellten Zimmer zeigten sich — ein entsetzlicher Anblick! — die blutigen Häupter aller früheren Frauen des Ritter Blaubart, die ebensowenig wie die jetzige dem Drange der Neugier hatten widerstehen können und die der böse Mann alle mit eigener Hand enthauptet hatte. Von Grauen geschüttelt, wichen die Frau und ihre Schweter zurück. Vor Schreck war der Frau der Schlüssel entfallen, und als sie ihn aufhob, waren Blutflecke daran, die sich nicht abreiben ließen. Ebensowenig gelang es, die Tür wieder zuzumachen, denn das Schloß war bezaubert, und indem verkündeten Hörner die Ankunft Berittener vor dem Tore der Burg. Die Frau atmete auf und glaubte, es seien ihre Brüder, die sie von der Jagd erwartete, aber es war Ritter Blaubart selbst, der nichts Eiligeres zu tun hatte, als nach seiner Frau zu fragen, und als sie ihm bleich, zitternd und bestürzt entgegentrat, fragte er nach dem Schlüssel. Sie wollte den Schlüssel holen, und er folgte ihr auf dem Fuße, und als er die Flecken am Schlüssel sah, verwandelten sich alle seine Gebärden, und er schrie; "Weib, du mußt nun von meinen Händen sterben! Alle Gewalt habe ich dir gelassen! Alles war dein! Reich und schön war dein Leben! Und so gering war deine Liebe zu mir, daß du meine einzige kleine Bitte, meinen ernsthaften Befehl nicht beachtet hast? Bereite dich zum Tode! es ist aus mit dir!"

Voll Entsetzen und Todesangst eilte die Frau zu ihrer Schwester und



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bat sie, geschwind auf die Turmzinne zu steigen und nach ihren Brüdern zu spähen, um ihnen ein Notzeichen zu geben, während sie sich auf den Boden warf und zu Gott um ihr Leben flehte. Und dazwischen rief sie: "Schwester, siehst du noch niemand?" — "Niemand!" klang die trostlose Antwort. —"Weib! komm herunter!" schrie Ritter Blaubart, "deine Frist ist aus!" — "Schwester! siehst du niemand? schrie die Zitternde. "Eine Staubwolke — aber ach! es sind Schafe!" antwortete die Schwester. —"Weib! komm herunter, oder ich hole dich!"
schrie Ritter Blaubart. — "Erbarmen! Ich komme ja gleich! Schwester! siehst du niemand?" —"Zwei Ritter kommen zu Roß daher, sie sahen mein Zeichen, sie reiten wie der Wind." — "Weib jetzt hole ich dich!" donnerte Blaubarts Stimme, und da kam er die Treppe herauf. Aber die Frau gewann Mut, warf ihre Zimmertür ins Schloß und hielt sie fest, und dabei schrie sie samt ihrer Schwester so laut um Hilfe, wie sie beide nur konnten. Indessen eilten die Brüder wie der Blitz herbei, stürmten die Treppe hinauf und kamen eben dazu, wie Ritter Blaubart die Tür sprengte und mit gezücktem Schwert in das Zimmer drang. Ein kurzes Gefecht, und Ritter Blaubart lag tot am Boden. Die Frau war erlöst, konnte aber die Folgen ihrer Neugier lange nicht verwinden.


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Die Hexe und die Königskinder

Mitten in einem Walde wohnte eine alte schlimme Hexe ganz allein mit ihrer Tochter, die ein gutes, mildes Kind war. Wer die Alte sah, ging ihr aus dem Wege und dachte: weit davon ist gut vorm Schuß. Sie trug beständig eine grüne Brille und über ihrem Zottelhaar, das ungekämmt ihr vom Kopfe weit herunterhing, einen roten Tuchlappen, und ging gern in kurzen Ärmeln, daß ihre dürren, wettergebräunten Arme weit aus dem schlotternden Gewande hervorragten. Auf dem Rücken trug sie für gewöhnlich einen Sack mit Zauberkräutern, die sie im Walde sammelte, und in der Hand einen großen Topf, darin sie alle kochte und damit Ungewitter, Hagel und Schloß.., Reif und Frost zuwege brachte, sooft es ihr beliebte.

Am Finger trug sie einen Hexenreif von Gold mit einem glühroten Karfunkelstein, mit dem sie Menschen und Tiere bezaubern konnte. Dieser Ring machte die Alte riesenstark und lebenskräftig und machte sie, wenn sie wollte, auch ganz und gar unsichtbar; da konnte sie hingehen, wohin wollte, und nehmen, was sie wollte — und das tat sie auch. Im Walde suchte sie die Hirschkühe auf, und wenn die Tiere den Ring sahen und sahen den Stein funkeln, da mußten sie an eine Stelle gebannt stehenbleiben, und dann ging die Alte zu den Hirschkühen und molk deren Milch in ihren Topf und trank sie mit ihrer Tochter. Diese Tochter hieß Käthchen und hatte es nicht gut bei ihrer bösen Mutter, doch trug sie geduldig alles Leid. Am schmerzlichsten war ihr, daß ihre Mutter manchmal Kinder mitbrachte, mit denen Käthchen gern gespielt hätte, allein die Alte nahm immer den Kindern die Kleider, sperrte die Kinder ein und fütterte sie mit Hirschmilch, daß sie fett wurden, und was sie dann mit ihnen vornahm, ist gruselig zu erzählen; sie verwandelte sie in Hirschkälbchen und verkaufte sie an Jäger. Die Jäger aber schossen die armen verwandelten und verkauften



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Hirschkäwchen tot und lieferten sie in die Stadt, wo die Leute das junge Wildbret gern essen. So schlimm und böse war die häßliche Alte, und da sie den ganzen Tag nichts tat, als zaubern und böse Ränke ersinnen und dabei oft und viel laut vor sich hin murmelte, so lernte ihre Tochter Käthchen ihr unvermerkt einige Zauberstücklein ab, die sie ganz im stillen für sich behielt.

Da brachte eines Abends die Alte wieder zwei wunderschöne Kinder geführt, einen Knaben und ein Mädchen, denen sah man es an, daß es Geschwister waren und reicher Leute Kinder; beide hatten sich im Walde verirrt, waren von der Alten gefunden und nach ihrem Hause mitgenommen worden, und sie hatte ihnen gesagt, sie wolle sie zurück zu den Eltern bringen. Die Kinder sahen sich schrecklich getäuscht, als die Alte ihnen ihre schönen Kleider auszog, ihnen dafür Lumpen anlegte und sie in ein dunkles Kämmerchen einsperrte. Doch bekamen sie einen ganzen Topf voll Hirschmilch zu trinken, die gut schmeckte, und ein Stück schwarzes Brot dazu, das weniger gut schmecke, aber doch verzehrt wurde.

Am andern Morgen humpelte die Alte schon frühzeitig in den Wald und winkte den Hirschkühen. Da schlich Käthchen zu dem Kämmerlein und sah durch eine Ritze in der Tür die armen gefangenen Kinder, die seufzten und weinten in großem Herzeleid. Käthchen fragte: "Wer seid ihr denn, ihr armen Kinder?" — "Wir sind eines Königs Kinder! Oh, mache uns frei, mein Vater wird es dir lohnen!" — sprach der Königsprinz. "Und meine Mutter auch!" —sagte die kleine Prinzessin, indem sie hinzufügte:

Du sollst auch unsre gute Schwester sein und sollst bei mir im seidnen Bettchen schlafen, und ich will dir gar schöne, goldne Kleider geben, hilf uns nur!" —Da sagte Käthchen: "Seid nur geduldig, liebe Königskinder; ich will schon zusehen und darauf sinnen, daß ich euch befreie." —

Am andern Morgen in der Frühe machte das gute Käthchen ein Zauberstück. Sie verließ eilig ihr Lager, hauchte hinein und sagte leise:

"Liebes Bettchen, sprich für mich,
Bin ich weg, sei du mein Ich."


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So auch hauchte auf ihre Lade, auf die Treppe und auf den Herd in der Küche und sprach das nämliche Sprüchlein. Darauf ging sie an das wohlverwahrte Kämmerlein der Königskinder, hielt eine Springwurzel, welche die Alte liegen hatte, an das Schloß und sagte:

Riegel, Riegel, Riegelein,
Offne dich, laß aus und ein!

Da sprangen gleich Schloß und Riegel auf, und Käthchen führte alsbald die Königskinder hinweg in den Wald hinein.

Alls die Alte aufwachte, rief sie: "Käthchen, stehe auf und schüre Feuer an!" — Da rief es aus dem Bettchen:

Ich bin schon auf und munter!
Komme gleich in die Küche hinunter!

Die Alte blieb nun noch liegen, doch da sie nach einer Weile nichts hörte, rief sie wieder: "Käthchen! Wo bleibt denn das faule Ding?" — Gleich rief es von der Lade:

Ich sitze auf der ade,
Binde das Strumpfband über die Wade!

Da nun wieder eine Weile verging und sich im Hause nichts rührte noch regte, ward die Alte böse und schrie: "Käthe! Balg! bleibst du denn?" scholl eine Stimme von der Treppe:

Ich komme schon, ich fliege!
Ich bin ja schon auf der Stiege!

Die Alte beruhigte sich noch einmal — aber gar nicht lange, denn da wieder alles still blieb, so fuhr sie auf und schalt und fluchte. Da rief es vom Herde her:

"Wozu die bösen Flüche:
Ich bin schon am Herd in der Küche!


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gleichwohl blieb es in der Küche und im ganzen Hause totenstill. Jetzt riß der Alten völlig der Geduldgfaden, sie sprang aus ihrem Bett, fuhr in die Kleider, nahm einen Besenstiel und wollte Käthchen unbarmherzig durchprügeln. Aber wie sie hinauskam, war kein Käthchen da, nicht zu sehen, nicht zu hören, und auch die Königskinder waren fort. Ihr Ring zeigte ihr sogleich die Richtung an, nach der Käthchen mit den Kindern geflohen war, und sie raste nun wild hinter ihnen her. Die Kinder aber, als sie in den Wald gekommen waren, hatten dort die Hirsche angetroffen und ihnen in aller Eile ihr Unglück und ihre Flucht erzählt und ihre edlen Herzen mächtig gerührt, so daß sie sich bereit zeigten, ihnen alle mögliche Hilfe angedeihen zu lassen. Die gute Hirschkuh bot den Kindern ihren Kücken dar, sie alle drei nach dem Königsschlosse zu tragen, und der Hirsch befahl seinen Kindern, sich in das Dickicht zurückzuziehen, er selbst stellte sich hinter


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dichtes Laubgebüsch nahe am Wege und wollte die Alte, wenn sie vorbeirenne und er ihren Ring nicht sehe,. über den Haufen stoßen.

Es währte auch gar nicht lange, so kam die Alte in großen Sprüngen gesetzt; in ihrem Zorn und Eifer vergaß sie ganz, unsichtbar sein zu wollen, hielt auch den Finger mit dem Ring nicht empor, und ehe sich 's einer versah, hatte der Hirsch die alte Hexe aufgegabelt und trug sie in gestrecktem Lauf der Fährte nach, welche die gute Hinde im tauigen Grase zurückgelassen hatte. asie war indes mit den drei Kindern bereits im Königsschlosse angekommen, und von dem König und der Königin waren die verlorenen Kinder und das gute Käthchen, das sie rettete, mit großer Freude empfangen worden — als sie plötzlich alle mit großer Verwunderung die Alte auf dem Geweih des stattlichen Edelhirsches sitzend und getragen daherschweben sahen. Der Hirsch sprang aber ohne Säumen in den Schloßteich und tauchte mit dem Kopf unter. Als er wieder auftauchte, war sein Geweih frei von der Last. Aber auch der Zauberring blieb am Grunde. Hirsch und Hirschin kehrten zu ihrem Walde und zu ihren Kindern zurück und waren sehr froh, daß ihnen nun niemand mehr ihre Milch nahm; Käthchen aber blieb bei den Königskindern und schlief in einem seidenen Bettchen und trug goldene Kleidchen und wurde selbst gehalten wie ein Königskind.


Des Hundes Not

Es war ein Hund, der lag hungrig und kummervoll auf dem Felde, da sang über ihm eine Lerche ihr wonniges Lied. Als der Hund das hörte, sprach er: "O du glückliches Vögelein, wie froh du bis, wie süß du singst, wie hoch du dich aufschwingst! Aber ich — wie soll ich mich freuen? Mich hat mein Herr verstoßen, seine Tür hinter mir gesperrt, ich bin lahm, bin krank, kann kein Essen erjagen und muß hier Hungers sterben!

Wie die Lerche den hungrigen Hund also klagen hörte, flog sie nahe



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zu ihm und sprach; "H du armer Hund! Mich bewegt dein Leiden, wirst mir es auch Dank wissen, wenn ich dir helfe, Daß du satt wirst?

"Womit, Frau Lerche?"fragte der Hund mit matter Stimme, und die Lerche antwortete: "Sieh, dort kommt ein Kind gegangen, das trägt Speise zu jenem Ackersmann; ich will dafür sorgen, daß esche Speise niederlegt und mir nachläuft, indes gehst du hinzu und issest den Käse und das Brot und stille deinen Hunger!"

Der Hund dankte der Lerche, und sie lief vor dem Kinde her, bald flatterte sie auf dieser, bald auf jener Seite, bis das Kind dachte: die Lerche muß ich fangen; und die Lerche stellte sich flügellahm und ließ einen ihrer kleinen Fittiche hangen, wie gebrochen. Das Kind griff oft nach ihr, aber es haschte vergebens mit der einen Hand, und da legte es sein Tüchlein nieder, darin es das Essen trug, und lief der Lerche nach. Indessen erhob sich der Hund, hinkte nach dem Tuche und schnüffelte hinein: da lagen: ein



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Stück Brot, ein Quarkkäse und oier gute Eier, die fraß er ungesotten und ungestalt, und den Käse und das Brot nahm er mit von dannen, als er forckroch und sich in dem Korn versteckte.

Als der Hund sein Teil hatte, flog die Lerche in die Lüfte und sang; das betrogene Kind aber verwünschte sie, und noch viel mehr, als es sein Tüchlein leer fand. Weinend ging es zurück zu seiner Mutter.

Die Lerche flog zum Hunde hin und fragte ihn, wie er sich jetzt befinde? Er sagte ihr schönen Dank, und nie sei ihm wohler gewesen. "Nur eine Bitte, herzliebe Frau Lerche, habe ich noch auf dem Herzen" sprach er, "wer satt ist, der ist gern froh. O bitte, erzählet mir noch etwas, davon ich ein wenig lachen und lustig werden mag.

Wohlan!" sprach die Lerche, "folge mir." Und da flog die Lerche voran, und der Hund folgte ihr zu einer Scheuer, auf deren Dachboden man leicht gelangen konnte; da hinauf hieß die Lerche den Hund steigen und hinunter sehen, denn der Boden war schadhaft und durchgebrochen. Unten auf der Tenne standen zwei Kahlköpfe, die draschen; da setzte sich flugs die Lerche dem einen auf die Glatze, und flugs klapse der andere mit der Hand darauf, die Lerche zu fangen; das kluge Vöglein war aber schneller als er und flog zur Seite.

"Nun, Geselle, was soll Das? Was schlägst du mich?" fragte der erste Kahlkopf den andern. Der entschuldigte sich, daß ein Vöglein sich jenem auf den Kopf gesetzt, dieses habe er erhaschen wollen; habe der Klaps weh getan, sei es ihm leid. Indem setzte sich die Lerche auf die Glatze dessen, der eben sprach, und da schlug gleich der andre hin mit einem so harten Schmiß, daß der Kopf gewiß zersprungen wäre, wenn er von Glas gewesen wäre, wenigstens brummte er dem Geschlagenen tüchtig, und nun ging gleich das Schelten los, und beide Drescher warfen ihre Flegel hin und wollten einander in die Haare. Weil nun keine Haare hatten, so kratzten einander auf die Glatzen, daß das Blut danach lief, und stießen sich hart; darüber mußte der Hund so unbändig lachen, daß ihm ganz weh ward und er weder liegen noch stehen konnte, und da purzelte er vor Lachen von dem Boden hoch herunter, den Dreschern gerade auf die Kahlköpfe.



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Sie wandten ihren Zorn gleich gegen den Hund, und da Drescher waren, so draschen sie ihn so lange, bis er mit Ach und Krach durch ein Loch in der Scheuerwand und durch den Zaun fuhr, wobei ihm nicht nur das Lachen, sondern schier Hören und Sehen verging. Ganz mürbe und marode legte er sich in das Gras hinter den Zaun, und da kam die Lerche geflogen und fragte: "Edler Herr, wie befinden Sie sich?

"Ei, Frau Lerche"ächzte der Hund, "ich habe vollauf genug. Ich bin ein ganz geschlagener Mann! Ich glaube, meiner Treu, ich habe gar keinen Rücken mehr, die Drescher haben mir das Fell bei lebendigem Leibe abgeschunden und gegerbt. Ach, soll ich länger leben, so muss ich einen Wundarzt haben!" — "Wohl nur getrost! Ich hole dir auch den, so es irgend möglich ist"sprach die Lerche und flog von dannen. Bald fand einen Wolf, den redete sie an: "Herr Wolf, Ihr habt wohl gar keinen Appetit?"

"Ach, Frau Lerche", ward ihr zur Antwort, "was das anbetrifft, so kann ich mit Wolfshunger dienen.

"Nun wenn Ihr es mir danken wollt", sprach die Lerche weiter, "so wollte ich Euch wohl weisen, wo ein feister Hund liegt, der Euch kaum entrinnen wird!"

"Oh, meine edle Königin, wie gnädig Ihr seid!" schmeichelte und schmunzelte der Wolf und lese sich die Zähne. Die Lerche flog vor ihm her, und er folgte ihr, und wie sie zu dem Hunde kam, redete sie ihn an: "Nun, Geselle, schläfst du? Willst du nicht den Arzt sehen? Richte dich auf, dort kommt der Doktor!"

Wo, Frau Lerche, wo?" fragte der Hund ganz müde. Aber als er den Wolf sah, da schrie er: "Nein, Frau Lerche, nein! Diesen Doktor nicht! Haltet ihn zurück! Ich bin gesund!" Und mit einem Sahe war der Hund auf den Beinen und fort, daß ihm kein Zaun zu hoch und kein Graben zu breit war.



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Die drei Gaben

Es war einmal ein armer Leinweber, zu dem kamen drei reiche Studenten, und da sie sahen, daß der Mann sehr arm war, schenkten sie ihm in seine Wirtschaft hundert Taler. Der Leinweber freute sich sehr über diese Gabe, gedachte sie gut anzuwenden, wollte aber noch eine Zeitlang seine Augen an den blanken Talern weiden, sagte daher seiner Frau, die nicht zu Hause gewesen war, nichts von seinem Glück und versteckte das Geld dahin, wo niemand Geld sucht, nämlich in die Lumpen.

Als er einmal auswärts war, kam ein Lumpensammler, und dem verkaufte die Frau den ganzen Vorrat für einige Kreuzer. Da war groß Herzeleid, ala der Leinweber heim kam und seine Frau ihm erfreut die Kreuzer zeigte.

Über ein Jahr kamen die drei Studenten wieder, hofften den Leinweber nun in guten Verhältnissen zu treffen, fanden ihn aber noch ärmer als zuvor. Er klagte ihnen sein Mißgeschick. Mit der Ermahnung, vorsichtiger zu sein, schenkten ihm die Studenten abermals hundert Taler; nun wollte er's recht klug machen, sagte seiner Frau wieder nichts und steckte das Geld in den Aschentopf. Da ging 's gerade wieder so, wie das vorige Mal; die Frau vertauschte die Asche an einen Aschen sammler gegen ein paar Stückchen Seife, als gerade ihr Mann abwesend war, irgendeinem Kunden bestellte Leinwand abzuliefern. Als er wiederkam und den Aschen handel erfuhr, wurde er so böse, daß er seine Frau mit ungebrannter Asche laugte.

Über ein Jahr kamen die Studenten zum dritten Male, fanden den Leinweber fast am Bettelstab und sagten ihm, indem sie ihm ein Stück Blei vor die Füße warfen: "Was nützt der Kuh Muskate? Dir Tropf Geld zu schenken, wären wir dümmer, als du selbst bist. Zu dir kommen wir auch nicht wieder." Damit gingen sie ganz ärgerlich fort, und der



077 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

Leinweber hob das Stück Blei vom Boden auf und legte es aufs Fensterbrett.

Bald darauf kam sein Nachbar herein, der war Fischer, bok guten Tag und sprach: "Lieber Nachbar, habt Ihr nicht etwa ein Stückchen Blei oder sonst was Schweres, das ich an mein Netz brauchen könnte ? Ich habe nichts mehr dergleichen." Da gab ihm der Leinweber das Stückchen Blei, und der Nachbar bedankte sich gar schön und sagte: "Den ersten großen Fisch, den ich fange, den sollt Ihr zum Lohne haben!" — "Schon gut, es ist nicht darum", sprach der zufriedene Leinweber.



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Bald darauf brachte der Nachbar wirklich einen hübschen Fisch von vier bis fünf Pfund, und der Leinweber mußte ibn annehmen. Er schlachtete den Fisch und fand einen großen Stein im Magen. Den Stein legte der Leinweber auf das Fensterbrett. Abends, als es dunkel wurde, fing der Stein an zu glänzen, und je dunkler es wurde, je heller leuchtete der Stein, wie ein Licht. "Das ist eine wohlfeile Lampe", sagte der Leinweber zu seiner Frau und legte den Stein so, daß er die ganze Stube erhellte.

Am folgenden Abend ritt ein Herr am Hause vorbei, erblickte den Glanzstein, stieg ab und trat in die Stube, besah den Stein und bot zehn Taler dafür. Der Weber sagte: "Der Stein ist mir nicht feil!" —"Auch nicht für zwanzig Taler?" fragte der Herr. "Auch nicht", antwortete der Leinweber. Jener aber fuhr fort zu bieten und zu bieten, bis er tausend Taler bok, denn der Stein war ein kostbarer Diamant und noch viel mehr wert. Jetzt schlug der Weber ein und war der reichste Mann im Dorfe. Nun harte die Frau das letzte Wort und sagte: "Siehst du, Mann, wenn ich das Geld nicht zweimal fortgegeben hätte, würden wir nicht so reich geworden sein. Das hast du doch nur mir zu danken!" —


Der beherzte Flötenspieler

Es war einmal ein lustiger Musikant, der die Flöte meisterhaft spielte; er reiste daher in der Welt herum, spielte in Dörfern und Städten und erwarb sich dadurch seinen Unterhalt. So kam er auch eines Abends auf einen Pachtershof und übernachtete da, weil er das nächste Dorf vor einbrechender Nacht nicht erreichen konnte. Er wurde von dem Pachter freundlich aufgenommen, mußte mit ihm speisen und nach geendigter Mahlzeit einige Stücklein vorspielen. Als das der Musikant getan hatte, schaute er zum Fenster hinaus und gewahrte in kurzer Entfernung bei dem Scheine des Mondes eine alte Burg, die teilweise in Trümmern zu liegen schien. "Was ist das für ein altes Schloß?"fragte er den Pachter, "und



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wem bak es gehört?" Der Pachter erzählte, daß vor vielen, vielen Jahren ein Graf da gewohnt hätte, der sehr reich, aber auch sehr geizig gewesen wäre. Er häne seine Untertanen sehr geplagt, keinem armen Menschen ein Almosen gegeben und sei endlich ohne Erben (weil er aus Geiz sich nicht einmal verheiratet habe) gestorben. Darauf hätten seine nächsten Anverwandten die Erbschaft in Besitz nehmen wollen, hätten aber nicht das geringste Geld gefunden. Man behaupte daher, er müsse den Schatz vergraben haben und dieser möge heute noch in dem alten Schloß verborgen liegen. Schon viele Menschen wären des Schatzes wegen in die alte Burg gegangen, aber keiner wäre wieder zum Vorschein gekommen. Daher habe die Obrigkeit den Eintritt in dies alte Schloß untersagt und alle Menschen im ganzen Lande ernstlich davor gewarnt.

Der Musikant hatte aufmerksam zugehört, und als der Pachter seinen Bericht geendigt hatte, äußerte er, daß er großes Verlangen habe, auch einmal hineinzugehen, denn er sei beherzt und kenne keine Furcht. Der Pachter bat ihn aufs dringendste und endlich schier fußfällig, doch ja sein junges Leben zu schonen und nicht in das Schloß zu gehen. Aber es half kein Bitten und Flehen, der Musikant war unerschütterlich.

Zwei Knechte des Pachters mußten ein paar Laternen anzünden und den beherzten Musikanten bis an das alte Schloß begleiten. Dann schickte er sie mit einer Laterne wieder zurück, er aber nahm die zweite in die Hand und stieg mutig eine hohe Treppe hinan. Als er die erstiegen hatte, kam er in einen großen Saal, um den ringsherum Türen waren. Er öffnete die erste und ging hinein, setzte sich an einen altväterischen Tisch, stellte sein Licht darauf und spielte die Flöte. Der Pachter aber konnte die ganze Nacht vor lauter Sorgen nicht schlafen und sah öfters zum Fenster hinaus. Er freute sich jedesmal unaussprechlich, wenn er drüben den Gast noch musizieren hörte. Doch als seine Wanduhr elf schlug und das Flötenspiel verstummte, erschrak er heftig und glaubte nun nicht anders, als der Geist oder der Teufel, oder wer sonst in diesem Schlosse hauste, habe dem schönen Burschen nun ganz gewiß den Hats umgedreht. Doch der



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Musikant hatte ohne Furcht sein Flötenspiel getrieben; als aber sich endlich Hunger bei ihm regte, weil er nicht viel bei dem Pachter gegessen hatte, ging er in dem Zimmer auf und nieder und sah sich um. Da erblickte er einen Topf voll ungekochter Linsen stehen, auf einem andern Tische stand ein Gefäß voll Wasser, eines voll Salz und eine Flasche Wein. Er goß geschwind Wasser über die Linsen, tat Salz daran, machte Feuer dem Ofen, weil auch schon Holz dabeilag, und kochte sich eine Linsensuppe. Während die Linsen kochten, trank er die Flasche Wein leer, und dann spielte er wieder Flöte. Als die Linsen gekocht waren, rückte er sie vom Feuer, schüttete in die auf dem Tische schon bereitstehende Schüssel und ass frisch darauf los Jetzt sah er nach seiner Uhr, und es war um die elfte Stunde. Da ging plötzlich die Tür auf, zwei lange schwarze Männer traten herein und trugen eine Totenbahre, auf der ein Sarg stand. Die stellten sie, ohne ein Wort zu sagen, vor den Musikanten, der sich keineswegs im Essen stören ließ, und gingen ebenso lautlos, wie sie gekommen waren, wieder zur Tür hinaus. Als sie sich nun entfernt hatten, stand der Musikant hastig auf und öffnete den Sarg. Ein altes Männchen, klein und verhutzelt, mit grauen Haaren und grauem Barte, lag darinnen; aber der Bursche fürchtete sich nicht, nahm es heraus, setzte es an den Ofen, und kaum schien es gewärmt zu sein, als sich schon eben in ihm regte. Er gab ihm hierauf Linsen zu essen und war ganz mit dem Männchen beschäftigt, ja fütterte es wie eine Mutter ihr Kind. Da wurde das Männchen ganz lebhaft und sprach zu ihm; "Folge mir!" Das Männchen ging voraus, der Bursche aber nahm seine Laterne und folgte ihm sonder Zagen. Es führte ihn nun eine hohe verfallene Treppe hinab, und so gelangten endlich beide in ein tiefes, schauerliches Gewölbe.

Hier lag ein großer Haufen Geld. Da gebot das Männchen dem Burschen: "Diesen Haufen keile mir in zwei ganz gleiche Teite, aber daß nichts übrigbleibt, sonst bringe ich dich ums Leben!" Der Bursche lächelte bloß, fing sogleich an zu zählen auf zwei große Tische, herüber und hinüber, und brachte so das Geld in kurzer Zeit in zwei gleiche Teile, doch zuletzt — war noch ein Kreuzer übrig. Der Musikant aber besann sich kurz, nahm



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sein Taschenmesser heraus, setzte es auf den Kreuzer mit der Schneide und schlug ihn mit einem dabeiliegenden Hammer entzwei. Als er nun die eine Hälfte auf diesen, die andere auf jenen Haufen warf, wurde das Männchen ganz heiter und sprach: "Du himmlischer Mann, du hast mich erlöst! Schon hundert Jahre muß ich meinen Schatz bewachen, den ich aus Geiz zusammengescharrt habe, bis es einem gelingen würde, das Geld in zwei gleiche Teile zu teilen. Noch nie ist es einem gelungen, und ich habe sie alle erwürgen müssen. Der eine Haufen Geld ist nun dein, den andern aber teile unter die Armen. Göttlicher Mensch, du hast mich erlöst Darauf verschwand das Männchen. Der Bursche aber stieg die Treppe hinan und spielte in seinem vorigen Zimmer lustige Stücklein auf seiner Flöte.

Da freute sich der Pachter, daß er ihn wieder spielen hörte, und mit dem frühesten Morgen ging er auf das Schloß (denn am Tage durfte jedermann hinein) und empfing den Burschen voller Freude. Der erzählte ihm die Geschichte, dann ging er hinunter zu seinem Schatz, tat, wie ihm das Männchen befohlen hatte, und verteilte die Hälfte unter die Armen. Das alte Schloß aber ließ er niederreißen, und bald stand an der vorigen Stelle ein neues, wo nun der Musikant als reicher Mann wohnte.


Die schlimme Nachtwache

Es war einmal eine Gastwirtin, die taugte sehr wenig; sie wog falsch, sie maß falsch, sie log und trog. Wer in ihr Haus kam, kam nicht ungerupft wieder heraus. Nach Geld stand all ihr Sinn, um Geld hätte sie dem Bösen ihre Seele verkauft, wenn der sie gemocht hätte.

In dem Hause dieser Wirtin geschah manche Untat, die nicht an den Tag kam. Endlich war das Maß ihrer Sünden voll.

Ein vornehmer Herr kam zugereist, der über Nacht bleiben wollte. Er ass und trank und sagte vor dem Schlafengehen zur Kellnerin: "Es muß



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jemand vor meiner Tür wachen; ich zahle dafür hundert Gulden und mehr. Magst du die verdienen, Kellnerin?

"Nein!" antwortete die Kellnerin. "Zur Nacht schlaf ich, am Tage wach' ich, und abends bin ich müde genug. Ich will's aber meiner Frau sagen, daß die dem Herrn jemand zur Nachtwache anschafft.

"Denkt Euch, Frau!" sprach zur Wirtin die Kellnerin, "der fremde Herr will hundert Gulden und mehr zahlen, wenn jemand vor seiner Tür wacht. Ich hab mich dafür bedankt.

"So?" sagte die Wirtin. "Nun, so gehe du schlafen, ich will schon jemand anschaffen."

Die Wirtin gönnte das Wachtgeld niemand als sich selbst. Sie ging zum Fremden und sagte ihm: "Es ist niemand da, der Euch wachen will; ich muß es schon selbst tun, Ihr müßt aber noch was drauflegen.

"Schon recht, Frau Wirtin! Ich lege noch etwas darauf. Wacht nur fein." — Dann verschloß er sein Zimmer, und die Wirtin blieb draußen auf der Flur und wachte und zählte in Gedanken schon das leicht verdiente viele Geld.

Um Mitternacht war es der Kellnerin, als höre sie ein winselndes Gestöhne auf dem Vorsaal, aber es gruselte ihr darob, und sie blieb hübsch unter ihrer Bettdecke.

Als es Tag war, saß die Frau Wirtin vor des Fremden Tür und hatte einen Beutel voll Geld in der Hand; sie sah aber jämmerlich aus, und mit Entsetzen sah das Gesinde, daß nur die Kleider und die Haut der Wirtin noch da waren. Das andere hatte der Teufel mitgenommen,



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Das Natterkrönlein

Alte Großväter und Großmütter haben schon oft ihren Enkeln und Urenkeln erzählt von schönen Schlangen, die goldene Krönlein auf ihrem Haupte tragen; die nannten die Alten mit mancherlei Namen, als Otter könig, Krönleinnatter, Schlangenkönigin und dergleichen, und sie haben gesagt, der Besitz eines solchen Krönleins bringe großes Glück.

Bei einem geizigen Bauer diente eine fromme, mildherzige Magd, und in dessen Kuhställe wohnte auch eine Krönleinnatter, die man zuweilen des Nachts gar wunderschön singen hörte, denn diese Nattern haben die Gabe, schöner zu singen als das besse Vögelein. Wenn nun die treue Magd in den Stall kam und die Kühe melk oder sie fütterte und ihnen streute — was sie mit großer Sorgfalt tat, denn ihres Herrn Vieh ging ihr über alles —, da kroch manchmal das Schlänglein, welches so weiß war wie ein weißes Mäuschen, aus der Mauerspalte, darin es wohnte, und sah mit klugen Augen die geschäftige Dirne an, und dieser kam es immer vor, als wolle die Schlange etwas von ihr haben. Und da gewöhnte sie sich, in ein kleines Untertäßchen etwas kuhwarme Milch zu lassen, um dem Schlänglein dieses hinzustellen, und das trank die Milch mit großem Wohlbehagen und wandre dabei sein Köpfchen, und da glitzerte das Krönlein wie ein Demant oder ein Karfunkelstein und leuchrete ordentlich in dem dunkeln Stalle.

Die gute Dirne freute sich über die weiße Schlange sehr und nahm auch wahr, daß, seit sie das Tierlein mit Milch tränkre, ihres Herrn Kühe sichtbarlich gediehen, viel mehr Milch gaben, stets gesund waren und sehr schöne Kälbchen brachten, worüber sie die größte Freude hatte.

Da traf sich's einmal, daß der Bauer in den Stall trat, als just die Krönleinnatter ihr Tröpfchen Milch schleckte, das ihr die gute Dirne hingestellt hatte. Weil er nun geizig und habsüchtig über alle Maßen war,



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so fuhr er gleich so zornig auf, als ob die arme Magd die Milch eimerweise weggeschenkt hätte.

Du nichtsnutzige Dirn' die du bist!" schrie der böse Bauer. "So gehst du also um mit Hab und Gut deines Herrn? Schämst du dich nicht der Sünde, einen solchen giftigen Wurm, der ohnedies den Kühen zur Nacht die Milch aus den Eutern zieht, auch noch zu füttern und in den Stall zu gewöhnen? Hat man je so etwas erlebt? Schier glaub' ich, daß du eine böse Hexe bist und dein Satanswesen treibst mit dem Teufelswurm!"

Die arme Dirne konnte diesem Strome harter Vorwürfe nur mit reichlich geweinten Tränen begegnen; aber der Bauer kehrte sich nicht im mindesten daran, daß sie weinte. Er schrie und zankte sich immer mehr und mehr in den vollen Zorn hinein, vergaß alle Treue und allen Fleiß der



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Magd und fuhr fort zu wettern und zu toben: "Aug dem Hause, sag' ich, aus dem Hause! Und auf der Stelle! Ich brauche keine Schlangen als Kostgänger! Ich brauche keine Milchdiebinnen und Hexendirnen! Gleich schnürst du dein Bündel, aber gleich! Und machs, daß du aus dem Dorfe fort kommst, und läßt dich nimmer wieder hier blicken, sonst zeig' ich dich an beim Amt, da wirst du eingesteckt und kriegst den Staupbesen, du Hexendirne!

Laut weinend entwich die so hart gescholtene Magd aus dem Stalle, ging hinauf in ihre Kammer, gase ihre Kleider zusammen und schnürte ihr Bündlein, und dann trat sie aus dem Hause und ging über den Hof. wurde ihr weh ums Herz, im Stalle blökte ihre Lieblingskuh. — Der Bauer war weitergegangen; sie trat noch einmal in den Stall, um gleichsam im stillen und unter Tränen Abschied von ihrem lieben Vieh zu nehmen; denn frommem Hausgesinde wird das Vieh seiner Herrschaft so lieb, als wäre es sein eigen. Saher pflegt man auch zu sagen, im ersten Dienstjahre spricht die Magd: meines Herrn Kuh, im zweiten: unsere Kuh, und im dritten und in allen folgenden: meine Kuh.

Da stand nun die Dirn' im Stalle und weinte sich aus und streichelte noch einmal jede Kuh, und ihr Liebling lese ihr noch einmal die Hand und da kam die Schlange mit dem Krönlein auch gekrochen.

"Leb wohl, du armer Wurm, dich wird nun auch niemand mehr füttern." Da hob sich das Schlänglein empor, als wollte es ihr seinen Kopf in die Hand legen, und plötzlich fiel das Natterkrönlein in des Mädchens Hand, und die Schlange glitt aus dem Stalle, was sie nie getan hatte. Das war ein Zeichen, daß auch sie aus dem Hause scheide, wo man ihr fürder nicht mehr ein Tröpflein Milch gönnen wollte,

Jetzt ging die arme Dirne ihres Weges und wußte nicht, wie reich sie war. Sie kannte des Natterkrönleins große Tugend nicht. Wer es besitzt und bei sich trägt, dem schlägt alles zum Glück aus der ist allen Menschen angenehm, dem wird eitel Ehre und Freude zuteil.

Draußen vor dem Dorfe begegnete der scheidenden Magd der reiche Schulzensohn, dessen Vater vor kurzem gestorben war, der schönste junge



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Bursche des Dorfes. Der gewann gleich die Dirne lieb, und er grüßte sie und fragte sie, wohin sie gehe und warum sie aus dem Dienst scheide. Da sie nun ihm ihr Leid klagte, hieß erste zu seiner Mutter gehen, und sie solle dieser nur sagen, er sende sie. Wie nun die Dirne zu der alten Frau Schulzin kam und ausrichtete, was der Schulzensohn ihr aufgetragen, da faßte die Frau gleich zu ihr ein großes Vertrauen und behielt sie im Hause. Als am Abend die Knechte und die Mägde des reichen Bauern zum Essen kamen, mußte die Neuaufgenommene das Tischgebet sprechen, und allen schien es, als flössen des Gebetes Worte von den Lippen eines heiligen Engels. Sie wurden alle von einer wundersamen Andacht bewegt und gewannen zu der Dirne eine große Liebe. Und als abgegessen war und die fromme Dirne wieder das Gebet und den Abendsegen gesprochen und das Gesinde die Stube verlassen hatte, da faßte der reiche Schulzensohn die Hand der ganz armen Dirne und trat mit ihr vor seine Mutter und sagte: Frau Mutter, segnet mich und die — denn die nehm' ich zur Frau oder keine. Sie hat mir's einmal angetan!

"Sie hat's uns allen angetan", antwortete die alte Frau Schulzin. "Sie ist so fromm, wie sie schön ist, und so demütig wie makellos. Im Samen Gottes segne ich dich und sie und nehme sie von Herzen gerne zur Tochter."

So wurde die arme Magd zu des Dorfes reichster Frau und zu einer ganz glücklichen noch dazu.

Mit senem geizigen Bauer aber, der um die paar Tröpflein Milch sich so erzürnt und die neueste Magd aus dem Hause getrieben, ging es baldigst den Krebsgang. Wit der Krönleinnatter war all sein Glück hinweg, er mußte erst sein Vieh verkaufen, dann seine Acker, und alles kaufte der reiche Schulzensohn. Seine Frau führte lieben Kühe, die nun ihre eigenen waren, mit grünen Kränzen geschmückt in ihren Stall, streichelte sie und ließ sich wieder die Hände von ihnen lecken, molk und fütterte sie eigener Hand. Auf einmal sah sie bei diesem Geschäfte die weiße Schlange wieder. Da zog sie schnell das Krönlein hervor und sagte: "Das ist schön von dir, daß du zu mir kommst. Nun sollst du auch alle Tage frische Milch haben, soviel du willst, und da hast du auch dein Krönlein



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wieder, mit tausend Dank, daß du mir damit so wohl geholfen hast. Ich brauch' es nun nicht mehr, denn ich bin reich und glücklich durch Liebe, durch Treue und durch Fleiß."

Da nahm die weiße Schlange ihr Krönlein wieder und wohnte in dem Stalle der jungen Frau, und auf deren ganzem Gute blieben Friede, Glück und Gottes Segen ruhen.


Zwergenmützchen

Es war einmal ein Müller, der hatte drei Söhne und eine Tochter. Die Tochter liebte er sehr, aber die Söhne konnte er gar nicht leiden, war Sets unzufrieden mit ihnen und machte ihnen das eben sauer; denn sie konnten ihm nie etwas recht machen. Darüber waren die Brüder sehr bekümmert und wünschten sich weit weg von ihrem Vaterhause und saßen oft beisammen, klagend und seufzend, und wußten nicht, was sie anfangen sollten.

Eines Tages, als die drei Brüder auch so betrübt beisammensaßen, seufzte der eine von ihnen: "Ach, hätten wir nur ein Zwergenmützchen, da wäre uns allen geholfen."

"Was ist 's damit?"fragte der eine von den beiden andern Brüdern.

"Die Zwerge, die in den grünen Bergen wohnen", erläuterte der Bruder, "haben Mützchen, die man auch Nebelkäpplein nennt, und damit kann man sich unsichtbar machen, wenn man sie selbst aufsetzt. Das ist eine schöne Sache, liebe Brüder; da kann man den Leuten aus dem Wege gehen, die nichts von einem wissen wollen und von denen man nie ein gutes Wort hört. Man kann hingehen, wohin man will, nehmen, was man will; niemand sieht einen, solange man mit dem Zwergenmützchen bedeckt ist."

Aber wie gewinnt man so ein Mützchen?"fragte der dritte und jüngste der Brüder.

Die Zwerge", antwortete der älteste, "sind ein kleines, drolliges Völklein, das gern spielt. Da macht es ihnen große Freude, bisweilen ihr



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Mützchen in die Höhe zu werfen. Wupps! sind sie sichtbar, wupps! fangen sie das Mützchen wieder, setzen es auf und sind wieder unsichtbar. Nun braucht man nichts zu tun, als aufzupassen, wenn ein Zwerg sein Mützchen in die Höhe wirft, und muß dann rasch den Zwerg packen und das Mützchen geschwind selbst fangen. Da muß der Zwerg sichtbar bleiben, und man wird Herr der ganzen Zwergensippschaft. Nun kann man entweder das Mützchen behalten und sich damit unsichtbar machen, oder von den

Zwergen so viel dafür fordern, daß man für sein Leben lang genug hat. Denn die Zwerge haben Macht über alles Metall in der Erde, kennen alle Geheimnisse und Wunderkräfte der Natur. Sie können auch durch ihre Lehren aus einem Dummen einen Klugen machen, und aus dem faulsten Studenten einen hochgelehrten Professor, aus einem Barbier einen Doktor und aus einem Advokatenschreiber einen Minister."

"Ei, das wäre!" rief einer der Brüder. "So gehe doch hin und verschaffe dir und uns solche Mützchen, oder mindestens dir eins, und hilf dann auch uns daß wir von hier fortkommen!



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Ich will es tun" sagte der älteste der Brüder, und bald war er auf dem Wege nach den grünen Bergen. Es war ein etwas weiter Weg, und erst gegen Abend kam der gute Junge bei den Zwergenbergen an. Dort legte er in das grüne Gras an eine Stelle, wo im Grase die Ringelspuren von den Tänzen der Zwerge im Mondenscheine sich zeigten. Nach einer Weile sah er schon einige Zwerge ganz nahe bei sich übereinander purzeln, Mützchen werfen und spaßige Kurzweil treiben. Bald fiel ein solches Mützchen neben ihm nieder, schon haschte er danach — aber der Zwerg, dem das Mützchen gehörte, war ungleich behender als er, erhaschte sein Mützchen selbst und schrie: Diebio! Diebio!"Auf diesen Ruf warf sich das ganze Heer der Zwerge auf den armen Knaben, und es war, als wenn ein Haufen Ameisen um einen Käfer krabbelt. Er konnte sich der Menge nicht erwehren und mußte es geschehen lassen, daß die Zwerge ihn gefangennahmen und mit ihm tief hinab in ihre unterirdischen Wohnungen fuhren.

Wie nun der ältere Bruder nicht wiederkam, bekümmerte und betrübte das die beiden jüngeren Brüder gar sehr. Auch der Tochter tat es leid, denn sie war sanft und gut, und es betrübte sie oft, daß der Vater gegen ihre Brüder so hart und unfreundlich war und sie allein bevorzugte. Der alte Müller aber murrte: "Mag der Schlingel von einem Jungen beim Kuckuck sein, was kümmert 's mich? Ist ein unnützer Kostgänger weniger im Hause. Wird schon wiederkommen, ist ans Brot gewöhnt! Unkraut verdirbt nicht.

Aber Tag um Tag verging, und der Knabe kam nicht wieder, und der Vater wurde gegen die beiden zurückgebliebenen immer mürrischer und härter. klagten die zwei Brüder oft gemeinsam, und der mittlere sprach: "Weißt du was, Bruder? Ich werde mich jetzt selbst aufmachen und nach den grünen Bergen gehen, vielleicht erlange ich ein Zwergenmützchen. Ich denke mir die Sache gar nicht anders als so: Unser Bruder hat solch ein Mützchen erlangt und ist damit in die weite Welt gegangen, erst sein Glück zu machen, und darüber hat er uns vergessen. Ich komme gewiß wieder, wenn ich glücklich bin; komme ich aber nicht wieder, so



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bin ich nicht glücklich gewesen, und für diesen Fall lebe du wohl auf immer:

Traurig trennten sich die Brüder, und der mittlere wanderte fort nach den grünen Bergen. Dort erging es ihm in allen Stücken genau so, wie es seinem Bruder ergangen war. Er sah die Zwerge, haschte nach einem Mützchen, aber der Zwerg war flinker als er, schrie: "Dieb! Dieb!" Der helle Haufen der Unterirdischen stürzte sich auf und über den Knaben, um; striche ihn, daß er kein Glied regen konnte, und führte ihn tief hinab in die unterirdische Wohnung.

Mit der sehnsüchtigsten Ungeduld harrte der jüngste Bruder daheim in der Mühle auf des Bruders Wiederkehr, aber vergebens. Da wurde er sehr traurig, denn er wußte ja nun, daß sein mittlerer Bruder nicht glücklich gewesen war, und die Schwester wurde auch traurig. Der Vater aber blieb gleichgültig und sagte nur: "Weg ist weg. Wem es daheim nicht gefällt, der wandere. Die Welt ist groß und weit. In meinem Hause hat der Zimmermann nicht umsonst ein Loch gelassen. Wenn dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis, tanzt und bricht ein Bein. Laßt den Guckindiewelt nur laufen, was grämt ihr euch um den Schlucker? Ich bin froh, daß er mir aus den Augen ist.

Der jüngste Bruder hatte bisher im Ertragen des gemeinsamen Leides Trost gefunden; als aber nun seine beiden älteren Brüder fort waren, fand er seine Lage ganz unerträglich und sagte zu seiner Schwester: "Liebe Schwester, ich gehe nun auch fort, und schwerlich werde ich wiederkommen, wenn es mir ergeht wie unsern Brüdern. Der Vater liebt mich einmal nicht, und ich kann nichts dafür. Die Scheltworte, die früher auf uns drei niederfielen, fallen jetzt auf mich allein, das ist mir denn doch eine zu schwere Last. Lebe wohl und laß es dir wohl ergehen!

Die Schwester wollte ihren jüngsten Bruder erst nicht fortlassen, denn sie hatte ihn am allermeisten lieb, allein er ging dennoch heimlich von dannen und überlegte sich unterwegs recht genau, wie er es anfangen wollte, sich ein Zwergenmützchen zu verschaffen. Als er auf die grünen Berge kam, erkannte er bald an den grünen Ringeln im Grase den Ort



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der nächtlichen Zwergentänze und ihren Spiel- und Tummelplatz. Er legte sich in der Dämmerung hin und wartete ab, big die Zwerglein kamen, spielten, tanzten und Mützchen warfen.

Eines kam ihm ganz nahe, warf sein Mützchen, aber der kluge Knabe griff gar nicht danach. Er dachte: "Ich habe ja Zeit. Ich muß die Männlein erst recht sicher und kirre machen." Der Zwerg nahm sein Mützchen, das ganz nahe dem Knaben niedergefallen war, wieder. Es dauerte gar nicht lange, so fiel ein zweites Mützchen neben ihn. "Ei" dachte der Knabe, "da regnet's Mützchen" griff aber nicht danach, big endlich ein drittes ihm gar auf die Hand fiel. Wuppdich, hielt er's fest und sprang rasch empor. "Diebio! Diebio! Diebio!" schrie laut der Zwerg, dem das Mützchen gehörte, mit feiner, gellender Stimme, die durch Mark und Bein drang, und da wimmelte das Zwergenvolk herbei. Aber der Knabe wurde unsichtbar, weil er das Mützchen hatte, und sie konnten ihm gar nichts anhaben. Allesamt erhoben sie ein klägliches Jammern und ein Gewinsel um das Mützchen, er solle es doch um alles in der Welt wieder hergeben.

"Um alles in der Welt?" fragte der kluge Knabe die Zwerge. "Das wär' mir schon recht! Aus dem Handel könnte etwas werden. Will aber erst sehen und hören, worin euer ,Alles' besteht. Vorerst frage ich: Wo sind meine beiden Bruders"

"Die sind drunten im Schoß des grünen Berges!" antwortete der Zwerg, dem das Mützchen gehört hatte. "Und was tun sie?" "Sie dienen!

"So! Sie dienen — und ihr dient nun mir. Auf! Hinab zu meinen Brüdern! Ihr Dienst ist aus und eurer fängt an!"

Da mußten die Unterirdischen dem irdischen Menschen gehorsam sein, weil er durch das Mützchen Macht über sie erlangt hatte und von ihnen fordern konnte, was er wollte.

Die bestürzten und bekümmerten Zwerglein führten nun ihren Gebieter an eine Stelle, wo sich eine Öffnung in den grünen Berg fand; die tat sich klingend auf, und es ging rasch hinein und hinunter. Drunten waren



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herrliche und unermeßlich weite Räume, große Hallen und kleine Zimmer und Kämmerchen, je nach des Zwergenvolkes Bedarf, und nun verlangte der Knabe gleich, ehe er sich nach etwas anderem umsah, nach seinen Brüdern. Die wurden herbeigebracht, und der jüngste sah, daß sie in Dienertracht gekleidet waren, und sie riefen ihm wehmütig zu: "Ach, kommst auch du, lieber, guter Bruder, unser jüngster! So sind wir drei nun doch wieder beisammen, aber in der Gewalt dieser Unterirdischen, und sehen nimmermehr wieder das himmlische Licht, den grünen Wald und die goldenen Felder!"

"Liebe Brüder" erwiderte der jüngste, "wartet nur, das Blättlein soll sich wohl wenden."

"Herrenkleider und Prunkgewande für meine Brüder und mich! "herrschte er den Zwergen zu, hielt aber wohlweislich das werte Mützchen in der Hand fest, als seinem Befehle augenblicklich gehorcht wurde und das Um

kleiden vor sich ging. Nun befahl der Zwergengebieter eine Tafel mit auserlesenen Speisen und trefflichen Weinen, dann Gesang und


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Saitenspiel nebst Tanz und Theater, in welchen Künsten die Zwerge das Ausgezeichnete leisten, was einer nur sehen kann, dann kostbare Betten zum Ausruhen, dann Illumination des ganzen unterirdischen Reiches, dann eine gläserne Kutsche, mit prächtigen Pferden bespannt, um in den grünen Bergen überall herumzufahren und alles Sehenswerte in Augenschein zu nehmen. Da fuhren die drei Brüder durch alle Edelsteingrotten und sahen die herrlichsten Wasserkünste, sahen die Metalle als Blumen blühen, silberne Lilien, goldene Sonnenblumen, kupferne Rosen, und alles strahlte von Glanz und Pracht und Herrlichkeit. Dann begann der Gebieter mit den Zwergen über die Zurückgabe des Mützchens zu unterhandeln und legte ihnen schwere Bedingungen auf. Erstens: einen Trank aus den köstlichsten Heilkräutern, die mit allen ihren Kräften den Zwergen wohlbekannt sind, für seines Vaters krankes Herz, daß es sich umkehre und Liebe zu den drei Söhnen gewinne. Zweitens: einen Brautschatz, so reich wie für eine Königstochter, für die liebe Schwester. Drittens: einen Wagen voll Edelsteine und Kunstgeräte, wie sie nur die Zwerge zu verfertigen verstehen, einen Wagen voll gemünztes Geld, weil das Sprichwort sage: Bares Geld lacht, und die Brüder gern auch lachen wollten, und endlich noch je einen Wagen für die drei Brüder, höchst bequem eingerichtet, mit Glasfenstern, und zu diesen drei Wagen alles Nötige, Kutscher, Pferde, Geschirre und Riemzeug.

Die Zwerge wanden und krümmten sich bei diesen Forderungen und taten so erbärmlich, daß es einen Stein erbarmt haben würde; es half ihnen aber all ihr Gewinsel nichts.

Wenn ihr nicht wollt"sagte der Gebieter, "so ist es mir auch recht, so bleiben wir da; es ist ja recht schön bei euch; ich nehme euch allesamt, wie ihr seid, eure Mützchen; dann seht, was aus euch wird, wenn man euch sieht — tot werdet ihr geschlagen, wo sich nur einer von euch blicken läßt. Noch mehr! Ich fahre hinauf auf die Oberwelt und sammle Kröten, die geb' ich euch dann, jedem eine, vor Schlafengehen mit ins Bett.

Als der Gebieter das Wort Kröten aussprach, stürzten alle Zwerge auf ihre Knie und riefen: "Gnade! Gnade! Nur das nicht! Um alles in



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der Welt! Nur das nicht!" Denn die Kröten sind der Zwerge Abscheu und Tod.

"Ihr Toren", schalt der Gebieter; "ich verlange gar nicht ,alles in der Welt', ich habe euch die allerbescheidenste Forderung gestellt, ich könnte ja unendlich mehr verlangen, allein ich bin ein grundgüter Knabe. Ich könnte ja alles nehmen und das Mützchen und die Herrschaft über euch fort und fort behalten; denn solange ich das Mützchen hätte, würde ich ja, das wißt ihr wohl, nicht sterben. Allso ihr wollt meine drei kleinen Bedingungen gewähren? Nicht?

"Ja, ja, hoher Herr und Gebieter!"seufzten die Zwerglein und gingen ans Werk, alles Begehrte herbeizuschaffen und alle Gebote zu vollziehen. —

Aber in der Mühle des alten grämlichen Müllers droben war nicht gut sein. Als der jüngste Bruder auch davongegangen war, murrte der Vater: "Nun — der ist auch fort — bleibt auch aus, wie das Röhrenwasser — so geht es — das hat man davon, wenn man Kinder großzieht —sie wenden einem den Rücken zu. Nun ist nur noch das Mädchen da, mein Augapfel, mein Liebling.

Der Liebling aber saß dort und begann zu weinen.

"Weinst du schon wieder!" murrte der Alte; "denkst, ich soll meinen, du weinst um deine Brüder? Um den Gauch weinst du — um den armen Schlucker, der dich freien will. Ist so leer und ausgebeutelt wie ein Mehlsack — er hat nichts, du hast nichts, ich habe nichts, haben wir alle dreie nichts. Hörst du was klappern? Ich höre nichts. Die Mühle steht; schlechter kann es nicht stehen um eine Mühle, als wenn sie steht. Ich kann nicht mahlen, du kannst nicht heiraten, oder wir halten Bettelmanns Hochzeit. Wie?

Solcherlei Reden hatte die Tochter täglich anzuhören und verging fast im stillen Leid.

Da kamen eines schönen Morgens Wagen gefahren, einer, zwei, drei, und hielten vor der Mühle; kleine Kutscher fuhren, kleine Lakaien sprangen vom Tritt und öffneten den Schlag des ersten Wagens; drei junge hübsche Herrchen stiegen aus, fein gekleidet wie Prinzen.



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Dienerschaft wimmelte um die anderen Wagen, lud ab, packte ab, schnallte ab, Kisten, Kasten und schwere Truhen, und sie trugen alles in die Mühle. Stumm und staunend standen der Müller und seine Tochter,

Guten Morgen, Vater! Guten Morgen, Schwester! wären wir wieder!"riefen die drei Brüder. Jene starrten sie verwundert an. —

Trink uns den Willkommen zu, lieber Vater!" rief der Älteste und nahm aus eines Dieners Hand eine Flasche, schenkte einen überaus künstlich gearbeiteten Goldpokal voll edlen Trankes und hieß den Vater trinken. Der trank und gab den Pokal weiter, und alle tranken nach ihm. Dem Alten strömte Wärme in das kalte Herz, und die Wärme wurde zum Feuer, zum Feuer der Liebe. Er weinte und fiel seinen Söhnen in die Arme und küßte sie und segnete sie. Und da kam der Bräutigam der Tochter und durfte auch mittrinken.

Darüber fingen vor Freude die Mühlräder, die so lange still gestanden, an, sich rasch zu drehen, um und um, aber nun hatten sie es gar nicht mehr nötig.


Der Mönch und das Vögelein

In einem Kloster war ein junger Mönch Urbanus, gar fromm und fleißig, dem war der Schlüssel zur Bücherei des Klosters anvertraut, und er hütete sorglich diesen Schatz, schrieb selbst manches schöne Buch und studierte viel in den anderen Büchern und in der Heiligen Schrift. Da fand er auch einen Spruch des Apostels Petrus, der lautet: Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag und wie eine Nachtwache. Das dünkte dem jungen Mönche schier unmöglich, er mochte und konnte es nicht glauben und quälte sich darob mit schweren Zweifeln. geschah es eines Morgens, daß der Mönch herunterging aus dem dumpfen Bücherzimmer in den hellen, schönen Klostergarten, da saß ein kleines buntes Waldvögelein im Garten, das suchte Körnlein, flog auf einen Ast



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und sang. Das Vögelein war auch gar nicht scheu, sondern ließ den Mönch nahe an sich herankommen, und er hätte es gern erhascht, doch entfloh es von einem Ast zum andern, und der Mönch folgte ihm eine gute Weile nach, dann sang es wieder mit lauter und heller Stimme, aber es ließ sich nicht fangen, obschon der junge Mönch das Vögelein aus dem Klostergarten heraus in den Wald noch eine gute Weile verfolgte. Endlich ließ er ab und kehrte zurück nach dem Kloster, aber alles dünkte ihm anders, was er sah. Alles war weiter, größer und schöner geworden, die Gebäude, der Garten, und statt des niederen alten Klosterkirchleins stand jetzt ein stolzes Münster da mit drei Türmen. Das dünkte dem Mönche seltsam und zauberhaft. Und als er an das Klostertor kam und mit Zagen die Schelle zog, da trat ihm ein ihm gänzlich unbekannter Pförtner entgegen. Nun wandelte der Mönch über den Klosterkirchhof, auf dem waren viele, viele Denksteine, die er gesehen zu haben sich nicht erinnern konnte. Und als er nun zu den Brüdern trat, wichen sie alle vor ihm aus.

Da schauerte der Mönch zusammen und wankte, wie ein Greis wankt, und senkte den Blick zur Erden. Siehe, da hatte er einen langen silbernen



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Barr, bis über den Gürtel herab, an dem noch der Schlüsselbund hing zu den vergitterten Bücherschreinen. Den Mönchen dünkte der Mann ein wunderbarer Fremdling, und sie leiteten ihn mit scheuer Ehrfurcht zum Sessel des Abtes. Dort gab er einem jungen Mönche die Schlüssel zu dem Büchersaal, der schloß auf und brachte ein Chronikbuch getragen, darin stand zu lesen, daß vor dreihundert Jahren der Mönch Urban spurlos verschwunden, niemand wisse, ob entflohen oder verunglückt. "O Waldvögelein, war das dein Lied?" fragte der Fremdling mit einem Seufzer. Kaum drei Minuten lang folgte ich dir und horchte deinem Gesang, und drei Jahrhunderte vergingen seitdem! Du hast mir das Lied von der Ewigkeit gesungen, die ich nicht fassen konnte! Nun fasse ich sie und bete Gott an im Staube, selbst ein Staub"' Sprach 's und neigte sein Haupt, und sein Leib zerfiel in ein Häuflein Asche.


Vom Knaben, der das Hexen lernen wollte

Es war einmal ein Knabe, der hatte vieles gehört von der Hexenkunst, wollte sie auch gerne lernen. Wen er aber darum fragte, der sagte, daß er solche Kunst nicht kenne und nicht könne und auch nichtig von ihr wissen wolle. Da ging der Knabe ganz allein in einen dunkeln Wald und rief mehr denn einmal recht laut: "Wer lehrt mich das Hexen?" Und da schallte es wie antwortend an mehreren Stellen des tiefen Waldes: Hexen: Hexen:

Nach einer Weile kam ein uraltes Weiblein durch das Gebüsch gekrochen, das keinen Zahn mehr im Munde und schrecklich rote Augen hatte. Ihr Rücken war gekrümmt, ihr Haar weiß und hing ihr wild um den Kopf herum und wehte im Winde. Ihre Stimme klang wie die Stimme des Vogels Kreideweiß, wenn er ruft: Komm mit! Und geradeso rief auch das alte Weib dem Knaben zu und winkte ihm zu folgen, sie wollte ihn das Hexen lehren. Der Knabe folgte ihr. Da führte sie ihn



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miner tiefer in den Wald hinein, und zuletzt auf ein sumpfiges Erlenmoor, darauf eine graue, unscheinbare, halbverfallene Waldhütte stand. Die Wände waren von Torfziegeln aufgeführt und mit Moos austapeziert; das Dach war mit Schilf gedeckt. In der Waldhütte war niemand als ein junges, hübsches Mädchen, das Lieschen hieß; die Alte sagte aber nicht, ob es ihre Tochter oder ihre Enkelin sei. Außerdem waren nur noch drei große Kröten da, und über dem niedern Herde hing ein Kessel, darinnen eine Brühe kochte, wie Gänseschwarz, Hasenpfeffer oder sonstiges Schwarzsauer mit Fleischknöchlein darin. Die Alte setzte eine Kröte vor die Türschwelle, daß sie Wache halte, die zweite Kröte schickte sie auf den Boden, daß sie dem Knaben eine Lagerstatt bereite, und die dritte Kröte stellte sie auf den Tisch, daß sie leuchte. Diese Kröte tat ihr Bestes im Leuchten; doch wie auch ihre Äugelein im grünlichen Schimmer flammten, so brachte sie es kaum dahin, so hell zu leuchten wie ein Glühwurm; daher auch der Haß kommt, den die Kröten gegen die Glühwürmer haben. Nun aßen die Alte und das Lieschen aus dem Kessel ihre Abendmahlzeit, und der Knabe sollte auch essen, aber es graute ihm vor der Speise. Er klagte, daß er sehr müde sei, und wurde auf sein Strohlager gewiesen, wo er bald mit dem Gedanken einschlief, am andern Morgen werde nun seine Lehrzeit in der Hexenkunst angehen, und daß es sehr hübsch sein werde, wenn das kleine Lieschen ihm darin Unterricht geben wolle. Die alte Hexe aber zischelte dem Mädchen zu: "Wieder einen gefangen! Ein hübscher Braten! Morgen wecke mich recht früh, ehe die Sonne aufgeht, da wollen wir ihn schlachten."

Jetzt gingen die beiden auch schlafen, aber Lieschen fand keinen Schlaf, der schöne Knabe dauerte sie gar sehr, daß er auch sterben sollte. Sie stand von ihrem Sager auf, trat an das seine und sah, wie schön rot seine Wängelein waren und wie blond sein gelocktes Haar. Daß seine Augen blau waren wie Vergißmeinnicht, hatte Lieschen nicht vergessen. Es graute ihr vor ihr selbst, daß sie gezwungen war, der alten bösen Hexe zu dienen, die sie schon lange, als sie noch ein ganz kleines Kind war, ihren Eltern geraubt und in den tiefen Wald geschleppt hatte. Sie hatte das Hexenwerk lernen



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müssen, wie man pfeilschnell durch die Luft eilt, wie man sich unsichtbar macht, wie man sich in andere Gestalten verwandelt. Als sich nun Lieschens Herz in voller Zuneigung zu dem Knaben bewegte, beschloß das Mädchen, ihn womöglich zu erretten. Sie weckte ihn daher ganz leise und flüsterte ihm zu: "Lieber Knabe, erhebe dich und folge mir! Hier wartet deiner nur der Tod.

Soll ich denn hier nicht das Hexen lernen?" fragte der Knabe, der Friedel hieß.

Besser ist dir, wenn du es nimmermehr lernst; außerdem hast du noch Zeit genug dazu", antwortete Lieschen; "jetzt säume nicht — siehe, und ich will mit dir fliehen.

"Mit dir gehe ich gerne, liebes Mädchen", sprach der Knabe, "und bei der häßlichen Alten mit ihren garstigen Kröten möchte ich nicht bleiben.

"So komm denn!" sprach Lieschen, öffnete leise das Häuschen und sah nach, ob die Alte schlief; die schlief noch, denn es war noch halb Nacht und lange nicht Morgen.

Jetzt trat Lieschen mit Friedel aus dem Häuschen, und Lieschen spuckte auf die Schwelle, worauf sie beide rasch von dannen eilten. Durch das Öffnen und Wiederschließen der Tür war aber doch ein kleines Geräusch entstanden, und weil alte Leute sehr leise schlafen, so erwachte die Hexe und rief: "Lieschen Stehe auf! Ich glaube, es wird bald Tag!" Da rief der Speichel auf der Schwelle vermittele eines Hexenzaubers, den Lieschen verübt: "Ich bin schon auf! Ruhe nur noch, bis ich das Hüttchen gekehrt und Laub und Holz zum Feuer zusammengelesen habe. '4 jun blieb die Alte noch ein Weilchen liegen, während die Fliehenden unaufhaltsam von dannen eilten; sie konnte aber nicht wieder einschlafen und rief abermals: "Lieschen, brennt das Feuer?

Da antwortete abermals der Speichel auf der Schwelle: Es brennt noch nicht, das Laub ist feucht, das Holz raucht ; ruhe noch ein Weilchen, bis ich das Feuer angeblasen habe.

Die Alte ruhte noch eine kurze Zeit, während die Fliehenden immer mehr sich von ihrer Hütte entfernten. Unterdes ging die Sonne auf, da



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fuhr die Alte, die ein wenig eingenickt war, mit beiden Beinen zugleich aus dem Bett und schrie: "Satanskind! Die Sonne geht auf, und du hast mich nicht geweckt. Wo steckst du?"

Auf diese Frage bekam die Alte keine Antwort, denn die Sonne hatte den Speichel auf der Schwelle vertrocknet — und nun fuhr die Hexe im Hause herum wie ein Wirbelwind. Der Knabe war fort, und Lieschen war fort, und die Hütte war nicht gefegt, es lag nicht Laub, nicht Holz auf dem Herde. Die Alte war wütend. Sie ergriff einen Besenstiel und rannte aus dem Hause. Sie schlug mit dem Besen an die Tür, da ward das Häuschen unsichtbar; sie trat auf einen Bofist, da wallte eine Wolke empor; sie setzte sich auf ihren Besenstiel und fuhr mit der Wolke in die Luft. Da sah sie, nach welcher Richtung die Flüchtlinge flohen, und mit Windeseile flog die Wolke ihnen nach. Lieschen aber sah sich auf der Flucht beständig um — denn sie kannte die Künste der alten Hexe — und sprach jetzt zu Friedel: "Siehst du dort am hohen Himmel die braune Wolke? Das ist die Hexe, die uns nachfährt; wir können nicht weiter fliehen, sie wird uns bald einholen. Jetzt lasse mich meine Kunst brauchen. Ich will ein Dornstrauch werden und dich als eine Schlehe tragen.

Plötzlich war Lieschen ein Schlehendorn, der viele Früchte trug und an einem Raine stand, und die unterste Beere, das war Friedel.

Die Hexe bekam auf ihrer Luftfahrt großen Durst, und als sie den Schlehendornstrauch mit den vielen Früchten sah, sprach sie zu sich selbst; "Die Luft ist trocken und zehrt- ich muß mich herablassen und ein paar Schlehen essen."Dieses tat sie dann und pflückte eine Beere nach der andern und sagte: "Sauer macht lustig."Jetzt waren die Beeren alle verzehrt bis auf die letzte, welches der Friedel war, und das wußte die schlimme Alte recht gut, sie krallte mehrmals danach, aber der Dornbusch stach sie tüchtig in ihre langen, dürren Finger. Doch sie kehrte sich nicht daran, sie gab sich rechte Mühe, die in Dornen ganz versteckte letzte Schlehe zu erhaschen. Da fiel die Schlehe ab und rollte den Rain hinab, und da wurde plötzlich der Dornbusch zu einem Wasser und die Beere zu einem kleinen Enterich, alles durch Lieschens Zauberkunst, die sie von der



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Alten gelernt hatte. Nun warf die Alte einen ihrer Pantoffel in die Luft, der wurde alsbald ein großer Raubvogel und stieß auf den Enterich. Der tauchte schnell unter, und sowie der Raubvogel mit seinem Schnabel das Wasser berührte, schlug es eine Welle, die ihn faßte und ersäufte, worauf der Enterich wieder auftauchte. Wütend schleuderte die Alte ihren zweiten Pantoffel in das Wasser, der wurde ein Krokodil und schoß nach dem Enterich hin, ihn zu erschnappen. Da flog der Enterich in die Luft und ließ sich an einer andern Stelle wieder in das Wasser nieder; das Wasser aber, welches dem Krokodil in den Rachen drang, wurde zu Stein; da wurde das Krokodil so schwer, daß es untersank, Jetzt legte sich die alte Hexe platt an den Rand des Wassers, um es wegzutrinken, denn ohne das Wasser hatte der verzauberte Enterich kein Dasein mehr. Sowie er das Land berührte, mußte er die vorige Gestalt wieder annehmen. Nicht lange aber hatte die Alte getrunken, da verwandelte sich das Wasser in ihrem Leibe in Feuer, und da tat es einen Knall, als ob die Hölle platze. Die Hexe war zersprungen, der Enterich war wieder der schöne Knabe, das Feuer wurde zum Liedchen, und dann blieben sie beide miteinander treu verbunden.


Schad den Rüssel

In einer großen deutschen Stadt war einmal eine fürstliche Hochzeit, die herrlich ausgerichtet wurde. Da gab es Aufzüge und Feste und Lustbarkeit aller Art, da kamen auch Gaukler und Springer und Bettelleute über alle Maßen viel. Unter letzteren war auch ein Bettler, der sein Almosenheischen als förmliches Gewerbe trieb. Gleichwohl hatte er an diesem Festtage kein absonderliches Glück, denn jeder hatte mit sich zu tun. Man lief, man rannte, man stieß und wurde gestoßen, drängte und wurde gedrängt, gaffte und schaute und hatte keine Zeit, den Säckel zu ziehen. Das war auch gar nicht geraten, denn wenn eine fremde Hand den Säckel wegriß, so war er dagewesen. Es wurmte den Bettler über die Maßen, daß er an



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dem Sage, an dem er sich jnst eine große Ausbeute an reichlich fallenden Almosen versprochen hatte, so gar nichts erhielt, und er murrte unwillig vor sich hin; "Ist denn die ganze Stadt ein Dürrhof geworden? Da muß der Donner hineinfahren und der Teufel drin sitzen! Ei, so wollt ich doch lieber den Teufel um ein Almosen angehen als euch Geizdrachen und Hungerleider! Wie viele Gebete habe ich nicht schon heute gesprochen, wie viele Litaneien heruntergehaspelt und nicht einmal Gelegenheit gehabt, zu sagen: Küss" die Hand, Euer Gnaden, vergelt g Gott!

Während der Bettler so murrte, ging ein kleines, hinkendes Männlein in einem grünen Samtröcklein an ihm vorüber, das trug einen schwarzen spanischen Hut und darauf eine rote Feder und schaute sich halb um nach dem Bettler, wobei ein scharfblitzendes Auge und eine sehr stattliche, Stark gebogene Adlernase sichtbar wurden. Der Bettler vergaß auf der 1 telle seinen Vorsatz, niemanden an diesem Tage ferner anzusprechen, schritt vielmehr dem kleinen Grünrock nach, drängte sich an ihn, hielt ihm seinen Schlapphut vor und begann seinen Bettlerspruch in Form eines Stoßgebetes. Der Grünrock zog ein grimmiges Gesicht und rief mit heiserer Stimme dem Bettler zu: "Halte gleich dein Maul, du ump! Mit solcherlei Redensarten gewinnst du mir absolut nichts ab. Du weißt nicht einmal, wen du um ein Almosen angehst, und hast's doch vorhin gelobt!

Mit diesen Worten schritt der Grünrock in einen Straßenwinkel, in dem man freier stehen konnte, weil das Volkggewimmel in der Straße rastlos vorüberwogte, und der Bettler folgte ihm, weil er sah, daß der Grüne in die Tasche griff, auf alle Fälle, um aus ihr eine Gabe für ihn hervorzuholen. Das tat er denn auch; zog eine kleine eiserne Raspel mit kurzem Holzstiele hervor und sagte: "Dies kleine Werkzeug kann und wird all deiner Not ein Ende machen, wenn du meinem Rate folgen willst. brauchst damit nur einmal über die Lippen zu streichen und zu sagen: Schab den Rüssel, so fällt dir ein Goldstück vom Maule. Da aber nach dem Sprichwort umsonst nur der Tod ist — und das Sprichwort übrigens auch noch liiert, denn der Tod kostet das eben — so wirst du es billig finden, daß ich auch von dir einiges begehre.



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"Was Euer Gnaden nur befehlen; ich stehe zu Dienst!"rief vor Freude zitternd der Bettler und blickte unverwandt nach der neuen eisernen Raspel.

"Du darfst erstens keine Reimgebetlein mehr sprechen, überhaupt hinfüro weder beten noch betteln, darfst in keine Kirche gehen, darfst nicht heiraten, und nach sieben Jahren muß deine Seele mein sein. Wenn dich jemand mit Schimpfreden antastet, wenn einer dir was nachredet, das dir übel gefällt, dann ziehe nur diese Raspel aus der Tasche und sprich, ohne sie an deine Lippen zu bringen: Schab den Rüssel, so wird sie jenen dir Übelwollenden dermaßen über das Maul fahren, daß sie es dann ganz sicherlich halten werden.

Obwohl der Bettler nun merkte, wer dieser gewisse Grünrock war, und ihn eine Gänsehaut bei dieser Wahrnehmung überlief, erschien ihm das Anerbieten doch so übel nicht, denn Geld war ihm das Höchste, und um seine Seele hatte er sich nie sonderlich bekümmert. Gebet und Kirchengehen zu meiden, fiel ihm auch nicht schwer, denn bei sei nen Gebeten, die er beim Betteln nur so herleierte, hatte er sich- niemals etwas gedacht, und sein Kirchenstand war immer außen, vor den Kirchentüren gewesen. Er sagte also zu, und der Grünrock sagte, er wolle am andern Morgen zu ihm kommen und die Verschreibung mitbringen, zur Unterschrift — um Lebens und Sterbens willen; denn etwas rot auf weiß müsse er haben, und wenn der Bettler den Pakt nicht gewissenhaft halte, so verfalle die Seele dem



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Grünen sofort. Das Kunststück mit dem Schab den Rüssel, um Geld zu erzielen — setzte der Grüne noch hinzu —, kann des Tages nur einmal, und zwar bloß früh nüchtern, ausgeübt werden.

Der Grünrock hinkte hinweg und verlor sich bald unter dem Volks gewimmel, der Bettler aber hielt beständig die Hand auf seiner linken Hosentasche, in die ihm jener die Raspel gestreckt hatte, daß nicht etwa ein Taschendieb sie ihm stibitze. Er ging gegen seine Gewohnheit diesen Abend in kein Wirtshaus und konnte vor Erwartung die ganze Nacht nicht schlafen. Die Raspel hatte er sich in einem Tüchlein um den Hals gebunden, um ja nicht darum zu kommen.

Mit dem Morgengrauen war er schon auf, holte eine Schüssel, zog die Raspel hervor, strich sie über seinen breiten Mund und sprach: "Schab den Rüssel!" —Plauz! plumpte ein funkelnagelneuer Kremnitzer Dukaten klingend in die Schüssel — indes fuhr zugleich etwas Haut von der Lippe. Aber der Strolch achtete nicht den Schmerz; er arbeitete wie ein Schlosser mit der Feile auf seinem Munde herum: "Schab den Rüssel, schab den Rüssel, schab den Rüssel!" — das ging ganz flott, und es fiel förmlich ein goldener Regen in die Schüssel.

Jetzt blutete dem Raspelkünstler der Mund ziemlich arg, und da kam der Grünrock und hatte ein Pergament und eine frisch, aber verkehrt geschnittene Feder, die tauchte er auf seines Mannes blutende Lippen wie in ein rotes Tintenfaß, und jener mußte seinen Minen unter den Vertrag setzen, worauf alsbald der Grüne wieder verschwand und den Pakt mit sich hinwegnahm, Zuvor aber ließ er ein Büchschen mit Lippensalbe zurück — die mehr nach Schwefel als nach Rosenöl roch —, um die kleinen Wunden zuzuheilen, und fügte noch die Warnung hinzu, nicht gar zu häufigen Gebrauch von der Raspel zu machen, sonst werde der Raspler stetig ein böses Maul haben, und mit nichts mehr, als mit einem solchen, mache man sich verdächtig und werde gar nicht gern gesehen.

Anderntags hatte der Goldmund einen gräulichen Grind auf seinen Lippen, aber er hatte, seiner Meinung nach, noch lange nicht genug Kremnitzer Dukaten, fing daher aufs neue an, seinen Rüssel zu schaben, daß es



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nur so in die Schüssel prasselte. Er litt freilich dabei abscheuliche Schmerzen, und die Lippen schwollen ihm auf wie zwei braune, teilweise beim Braten zerplatzte Leberwürste, aber er gewann doch vieles Gold. Er konnte nur mit verbundenem Munde ausgehen, ging indessen doch abends in ein Zechhaug und ließ einige seiner Goldvögelein fliegen, schlemmte und war fröhlich mit seinen vormaligen Bettelbrüdern. Gleichwohl spotteten diese ihn aus über sein Schwartenmaul; er müsse des Teufels Großmutter geküßt haben, sagten sie. Als ihn das ärgerte, zog er die Raspel hervor, sprach heimlich und leise: "Schab den Rüssel" und plötzlich tanzte unsichtbar die Raspel dem Zechgesenen, der den Witz gerissen, auf den Lippen herum — ohne daß aber Gold herunterfiel —, daß der vor Schmerz laut aufschrie; der andere verzog sich und schwur, fortan solche gemeine Gesellschaft zu meiden. Er ließ nun die Raspel, soviel er's irgend aushalten konnte, auf seinem Munde fleißig arbeiten und begann den Aufbau eines neuen Hauses, den er eifrig betrieb. Über die Tür ließ er schreiben: "Zum Schad den Rüssel", und nahm den vornehmen Samen Chrysostomus an, der zu deutsch Goldmund lautet.

Herr Chrysostomus zum Schab den Rüssel wurde immer reicher und reicher. Es war nur schade, daß er stets mit verbundenem Munde ging, weshalb sich die Mär im Volke verbreitete, sein Mund sei kein Mund, sondern ein kleiner Saurüssel, aber von Golde, davon schabe er immerfort ab, und daher rühre sein Reichtum. Weil er nun keinem Armen etwas gab, kam die Redensart auf, die sich hernachmals im ganzen Deutschen Reiche verbreitete, die jeden Geizigen einen schäbigen Mann nennt.

Herr Chrysostomus zum Schab den Rüssel lebte herrlich und in Freuden; wer ihm was zuwider tat oder sagte, den ließ er tüchtig von der Raspel bearbeiten, so daß alle auf der Stelle das Maul hielten.

So gingen die sieben Jahre herum, da kam der Grünrock wieder, willens, nun die verfallene Seele in Empfang zu nehmen. Der Türsteher des Herrn Grafen Chrysostomus von und zum Schab den Rüssel wollte den Grünen nicht zu seinem Herrn lassen; der kleine Grünrock aber unter



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stellte dem großen Türsteher ein Bein, daß er hinplumpste wie ein Nußsack.

Seine Erlaucht, der Herr Graf, lagen auf dem Sofa, lasen die Zeitung, hatten neben sich etwelche Fläschchen Ungarwein gsehen und rauchten türkischen Tabak, als der Grünrock in das herrlich ausgeschmückte Spiegelzimmer trat.

Was gibt's? Was soll es?" fragten der Herr Graf in übler Laune, daß jemand sich unterfing, unangemeldet einzutreten. "Man wende sich an den Kammerdiener!

Habe mit dir selbst zu sprechen, mein Wertester!" entgegnete der Grünrock. "Seine Zeit ist um! Hier ist der Pakt. Auf, zum Abmarsch! Jetzt heißt es nicht mehr Schab den Rüssel, sondern Schab ab!" —

Seine Erlaucht, der Herr Graf von und zum Schab den Rüssel, setzten ein viereckiges Lorgnettenglas, das an einer Schnur hing, vor das rechte Auge und blinzten damit nach dem Grünrock hin, indem Hochdieselben einmal gähnten und dann sprachen: "Was? Zeit? Pakt? Abmarsch? Schab den Rüssel! — Dummheit!

Sowie des Herrn Grafen Erlaucht das Wort "Schab den Rüssel aussprachen, fuhr die Raspel dem Grünrock über das Maul und raspelte, daß ihm Hören und Sehen verging. Der dumme Teufel — kein anderer war der Grünrock — hatte vergessen, die Eigenschaft des Rüsselschabers diesem nicht als eine allgemeine zu verleihen. Der Herr Graf trommelten mit den Fingern der linken Hand auf dem Tisch einen Schottischen im Zweivierteltakte und brummten dazu:

Schab den Rüssel, sch. b den Rüssel, schab den Rüssels Hopsasa:
Schab den Rüssel, schab den Rüssel, schab den Rüssel! Trallala!"

Dem Teufel wurde übel und weh bei diesem Tanze; er schrie, daß das ganze Haus erbebte. Endlich fiel er auf die Knie und bat des Herrn Grafen erlauchte Erlaucht fußfällig um Gnade und Einhalt.

Des Herrn Grafen Erlaucht bliesen dem Teufel eine Wolke von türkischem Tabakdampf in das Gesicht und streckten, ohne ihre liegende Stellung



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zu verändern, ihre Hand aus, indem sie nur die zwei Worte sagten: "Meinen Pakt!", worauf der Teufel das Pergament hinreichte. Der Herr Graf überzeugten sich, daß es das rechte sei und nicht etwa ein untergeschobenes, dann zerrissen Hochdieselben ganz gemächlich das Pergament mit ihrer roten Namenunterschrift und sprachen: "So mag es gut sein! Sei so gut, wische dir das Maul und verschwinde. Die Raspel aber läßt du mir zum Andenken."— "Halte dein Maul, alberner Narr!" unterbrach ihn der Teufel, das hättest du eher sagen müssen. Der Pakt ist zerrissen, und die Raspel ist wieder mein. Für solch ein unschätzbares Werkzeug wie sie bekomme ich ganz andere Seelen, wie die deine ist, du Lump! Oh, daß ich an dich könnte! Aber harre nur, und wehe dir, wenn du einst doch zu mir kommst-— da will ich auch sagen an dem Orte, wo Heulen und Zähneklappern ist: Schab den Rüssel!


Der fette Lollus und der magere Lollug

Es starb ein reicher Mann, der zwei Söhne hinterließ und ein hübsches Vermögen und Erbe. Der eine der Söhne erwählte den geistlichen, und zwar den Mönchsstand, der zweite einen sehr weltlichen, er wurde ein Gastgeber, das heißt er gab seinen Gästen sowenig als möglich und nahm dafür von ihnen soviel als möglich. Er heiratete nach Geld und strebte fort und fort nach Geld. Von seinem Bruder borgte er dessen Erbanteil ab, da der als Mönch keines Geldes bedurfte, und wucherte damit, aber nicht zu des Bruders, sondern zu seinem eigenen Nutzen. Seine Biermaße waren falsch, und seine Weinflaschen ließ er auf der Glashütte so klein blasen, daß man beim Anblick einer ganzen Flasche sehr in Zweifel geriet, ob es nicht eine halbe sei, und seine halben Flaschen schienen alle nach der schlanken Körperbildung eines Bleistiftes hinzustreben; daher hießen sie auch bei den Gästen dieses Wirtes nie anders als Stifte. Wenn der Stallknecht



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dem Pferde eines Reisenden Hafer vorgeschüttet hatte, so trat der Wirr, wenn er sich unbemerkt glaubte, an die Krippe, krippe ganze Hände voll Hafer wieder dem armen Tiere vor dem Maule weg und schob ihn in seine Tasche. Er sagte sich, deshalb heiße die Krippe so, weil man aus ihr kripsen könne. Es war ein durchtriebener Schalk, dieser Wirt, und an ihm lag es nicht, daß er nicht recht reich wurde, denn Anlagen dazu hatte er. Aber das Bibelwort sagt: "Die da reich werden wollen, fallen in Versuchung und Stricke." Des Wirtes Tun brachte nicht Segen. Was half es ihm, wenn er fremden Pferden von deren Futter ein paar Hände voll Hafer stahl — und eins seiner eigenen Pferde zugrunde ging? Wenn er durch sein zu knappes Maß nach und nach ein wenig Wein langsam gewann und durch Nachlässigkeit seiner Sente, die er ohne Aufsicht ließ, ihm ein ganzes Faß in den Keller lief? Er kam nicht vorwärts, dieser betriebsame Wirt, sondern er kam zurück in allen Dingen, nur nicht in seiner Prellerei und Habsucht. Die trieb er immer ärger und ärger, bis die Gäste wegblieben und das Weinstüblein leer Sand, der Bratofen kalt blieb und der Schornstein sich das Rauchen abgewohnte.

Als es so weit schon mit dem Krebsgange dieses Wirtes gediehen war, schlug ihm ein neuer Schrecken in die Glieder. Sein Bruder, der fromme Mönch, kam und sprach zu ihm: "Lieber Bruder, gib mir das dir geliehene Geld heraus, ich habe meinem heiligen Schutzpatron in unserer Klosterkirche einen kostbaren Altar mit herrlicher Malerei, Schnitzwerk und Vergoldung gelobt; den will ich davon herstellen, und wenn etwas übrigbleibt, davon will ich Seelenmessen für unsere lieben Eltern, für dich und mich auf ewige Zeiten stiften.

Großer Gott! schrie der Wirt, "Bruder, wie kannst du so unsinnig handeln! Ich kann dir dein Geld jetzt nicht herausgeben, denn ich habe es nicht —ich bin zugrunde gerichtet. Wenn du auf Zahlung bestehst, so wird mir Haus und Hof über dem Kopfe verkauft. Ich muß mit Weib und Kindern betteln gehen, und du bekomme erst recht nichts, und dein heiliger Schutzpatron bekommt auch keinen neuen Altar. Höre mich an und sei vernünftig, mein lieber gottseliger Bruder! Sasse mir noch das Geld,



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gönne mir Zeit, mich zu erholen! Du weißt, wir haben eine schlimme Zeit durchgemacht, in der niemand auf einen grünen Zweig hat kommen können außer den Bauern; die haben ihr Schäfchen geschoren und lachen uns jetzt aus. Dein Heiliger ist gewiß ein edeldenkender Menschenfreund gewesen, und hat er einige Jahrhunderte in deiner Klosterkirche keinen Prachtaltar gehabt, so wird es ihm darauf auch nicht ankommen, einige Jahre früher oder später einen zu erhalten. Gott der Herr weiß, daß ich mir es gehörig sauer werden lasse — ich plage mich über alle Maßen, Geld zu erschwingen- aber es geht nicht-—ich komme zu nichts.

"Das höre ich sehr ungern von dir, lieber Bruder", sprach mit Teilnahme der Mönch. "Du hast den schlechtesten Gast in dein Gasthaus aufgenommen, den es geben kann."

"Wer wäre das?"fragte der Wirt.

"Das ist der fette Lollus!" entgegnete der Mönch.

"Der fette Lollus?" fragte verwundert der Wirt. "Du scherzest entweder, Bruder, oder du faselst. In meinem Fremdenbuche steht kein Gast solchen Namens, und nie hörte ich diesen Samen nennen, in meinem ganzen Leben nicht!" —

"Das ist wohl möglich", sagte der Mönch; "dennoch ist dieser schlimme Gast vorhanden, und er ist die alleinige Ursache deines Vermögensverfalles und deines Zurückkommens."

"Den möcht' ich sehen! Ich wollt' ihn", fuhr der Wirt auf.

"Du wirst ihm nicht gleich etwas anhaben, lieber Bruder", sprach lächelnd der Mönch; "allzulange hass du ihn treulich gehegt und gepflegt; doch sehen solist du ihn, den fetten Lollus. Er steckt in deinem Keller; geh mit mir hinunter!"

Verwundert nahm der Wirt den Kellerschlüssel und eine Lampe und dachte: "Aha, mein Bruder meint den Wein; er will andeuten, ich sei mein bester Gast selbst, doch da irrt er sich sehr."

Im Keller hieß der Mönch seinen Bruder die Lampe auf ein Faß setzen, daß ihr Strahl in eine leere Ecke fiel, hieß den Wirt hinter sich treten, zog ein kleines, schwarzes Buch hervor und murmelte daraus,



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gegen die Ecke gekehrt, eine Beschwörungsformel. Da wallte der Boden, da hob sich etwas Dickes heraus, da glühten ein paar feurige Augen, und dem Wirt gerann das Blut in den Adern vor Furcht und Grauen.

Solle, geh ganz herzu!" rief der Mönch. Da hob sich dem dickgeschwollenen Kopfe ein unförmlich dicker Leib nach, und kurze plumpe Füße patschten auf dem Boden des Kellers, und ein unförmiges, scheußliches Tier, dessen Haut so fett und speckig glänzte wie die einer Robbe, hockte in der Ecke.

Schaust du deinen werten Gast, mein Bruder?" fragte der Mönch sehr ernst. "Ich meine, er habe sich in deiner Herberge nicht übel gemästet! Siehst du, Bruder, alle und jede Frucht deines Truges hat nicht dir angeschlagen, sondern diesem Lollug. Was du den Fremden und deren Vieh abgezwackt, der hat sich davon genährt, den durch zu kleines Maß und durch zu kleine Flaschen trüglich gewonnenen Wein oder sonstiges Getränke — alles hat der Lollus geschluckt. —Unrecht Gut gedeihet nicht, und Untreue schlägt ihren eigenen Herrn. Soll sich 's mit dir und deinem Wesen bessern, so übervorteile niemand mehr, betrüge niemand, übernimm niemand. Fordere, was recht ist; denn was recht ist, lobt Gott. Halte ehrliches, gerechtes Maß und Gewicht, sieh selbt zu deinen Sachen, täglich, stündlich, vom Keller bis zum Kornboden. Bediene, soviel du es kannst, selbst deine Gäste, verlasse dich nicht allzuviel auf Ober- und Unterkellner, auf Hausknecht und Stallknecht, auf Koch und Büttner. Je mehr du Gesinde hälst, je fetter füttert sich der Lollus.

Nach dieser Vermahnung wurde der Wirt sehr nachdenklich und sagte: Ich danke dir, mein Bruder; ich will tun nach deinen Worten, die du mir gesagt hast.

Da beschwor der Mönch den Lollug wieder und sagte: "Solle, kreuch ein!" und schwerfällig kroch der Lollus hinterwärts wieder in die Erde zurück, die Kellerecke war wieder leer und glatt wie zuvor.

"Mein Geld will ich dir noch vier Jahre lassen", sagte der Mönch; dann aber muß meinem Heiligen Wort gehalten werden."Darauf schied er von seinem Bruder hinweg.



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Der Wirt befolgte mit Eifer seines Bruders treuen Rat, änderte seine Wirtschaft ganz und gar, richtete alles besser ein, sparte am rechten Orte, veruntreute aber nichts mehr. Seine Frau mußte in der Küche selbst zum Rechten sehen, was sie früher nicht getan hatte; richtiges Gemäß wurde hergestellt, auf der Glashütte wurden gerechte und vollkommene Weinflaschen geblasen, und die kleinen Zwergflaschen verschwanden. Dafür stellten sich die verschwundenen Gäste wieder ein, der Bratofen wurde nicht mehr kalt, und der Schornstein rauchte wieder Tag und Nacht.

Des Wirtes ganzes Wesen besserte sich in jeder Weise; sein Wohlstand nahm mit seiner Rechtlichkeit sichtbarlich zu; sein guter Ruf und der seines Hauses breitete sich weit aus. Die Gastwirte in den Nachbarstädten begannen ihn zu beneiden; denn die Reisenden fuhren lieber noch ein paar Stunden in die Nacht hinein, um nur in das gute Gasthaus zu gelangen. Nicht selten war es so von Gästen überfüllt, daß der fröhliche Wirt dennoch eine traurige Miene annehmen und die überzähligen Gäste abweisen mußte.



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Als nach dem Ablauf von vier Jahren der Mönch, des Wirtes Bruder, wiederkam, seinen Erbanteil zu begehren, empfing ihn der Wirt auf das freundlichste. Er setzte ihm ein herrliches Weinchen von der schönsten Farbe vor und allerlei schmackhaftes Backwerk, süße Kuchen und dergleichen, und legte ihm starke Geldrollen auf den Tisch, indem er sagte: "Hier, mein lieber Bruder, ist mit meinem Hessen Sank dein Kapital samt allen Zinsen, redlich berechnet bei Heller und Pfennig!" Der Mönch aber sagte: "Lieber Bruder, die Zinsen nehme ich nicht; das ziemt mir nicht als einem Priester. Es steht auch geschrieben: Du sollst nicht Wucher nehmen von deinem Bruder. Aber ich freue mich, daß du des fetten Lollug ledig bist und hast nur noch den magern. "So?"sagte der Wirt. "Wohnt der wieder im Keller? Den möcht' ich auch sehen.

"Den sollst du sehen!" antwortete der Mönch, hieß den Wirt voran in den Keller gehen und hob drunten seine Beschwörung wieder an. Da bewegte sich ganz langsam hinten in der Ecke die Erde, und allmählich lugte ein schmales Köpfchen heraus mit ganz matten Augen.

"Lölle, geh ganz herzu!" sprach der Mönch. wand sich der Lollug matt und mühsam aus dem Boden und erschien äussere abgemagert; seine Haut glänzte nicht mehr wie Speckschwarte, sondern war verrumpfelt und verschrumpfelt wie eine Baumrinde und sah äußere hinfällig aus. "Nun ist 's gut, das freut mich!" sprach der Mönch. "Solle, kreuch ein!" — Da kroch der Lollus wieder hinterwärts, aber ganz langsam, in den Kellerboden zurück, und in der Ecke war nichts mehr zu sehen.

"Hab acht, Bruder!" sagte der Mönch; "wenn du bleibst, wie du jetzt bist, so hält es der Lollug kein Vierteljahr mehr bei dir aus. Entweder er verkommt oder er geht ein Haus weiter und sucht sich einen Herrn, der ihn besser nährt als du." —Dieses Trostes war der Wirt über alle Maßen froh und segnete seines weisen Bruders Rat tausendfach.



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Die drei Wünsche

Zu den Zeiten, als der liebe Gott bisweilen noch sichtbarlich auf Erden wandelte, um die Menschen zu prüfen-— und niemand weiß, ob er dies nicht noch heute tut —, kam er einmal in Gestalt eines armen, alten und gebrechlichen Mannes in ein Dorf und vor das Haus eines Reichen. Er bat um ein wenig Trank und Speise und um ein Nachtlager; denn der Abend war da und die Nacht nicht fern, und das Wetter stürmisch.

Da trat der Reiche spottend aus seinem stattlichen Hause und sprach zum lieben Gott: "Dumm bist du nicht, Alter! Meinst, hier sei ein Wirtshaus oder ich ein Garkoch, oder meinst, hier sei ein Spittel? Denkst etwa, hier sei eine Bettelmannsherberge? Nein ich sage dir, hier ist Bettelmannsumkehr. Fort, marsch! Gleich packe dich vom Hofe, oder ich pfeife dem Hunde, du alter Tagedieb, du Strolch und Stromer; untersteh dich nicht, noch einmal in meinen Hof hereinzutreten!

Mit einem Seufzer wendete sich der Arme vom Hofe des reichen, geizigen und hartherzigen Mannes hinweg und wankte weiter. Da rief ihn von drüben aus einem kleinen Häuslein die Stimme eines Mannes an. "Na, Alterchen! wo willst denn du hin?"fragte der Häusler voll Mitleid im Tone, und der Arme antwortete: "Ach, nach Nirgendheim! Nirgend hab' ich ein Heim! Aber Hunger und Durst hab' ich und bin todmüde!

"So komme soch herüber, Alter, zu mir!" rief wieder der Häusler. "An dem, was dir mein Nachbar da drüben gegeben hat, wirst du doch nicht zu schwer zu tragen haben. Ich bin freilich selbst arm, aber ein Stück Brot hab' ich noch, und einen Schluck Wasser kannst du auch haben und einen Sack voll Waldmoos zum Nachtlager, wenn du damit zufrieden

"Ihr seid sehr gütig! Ich nehm' es an, und Gott gesegne es Euch!" sagte der liebe Gott. Er trat beim Häusler ein, ass mit ihm, trank mit ihm und ruhte aus. Weil es noch nicht Schlafenszeit war, setzten sich die beiden Männer vor das Haus; denn der liebe Gott hatte das wilde Wetter



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schnell vergehen lassen und eine klare milde Mondnacht geschaffen. Er ließ das Firmament leuchten und seine Sternenheere, die ihn ewig preisen und voll Pracht über der dunklen Erde wandeln.

Da saßen die beiden Männer, der alte und der junge, der liebe reiche Gott und der arme Häusler, beieinander auf der Steinernen Bank vor dem Häuslein und sprachen miteinander.

Drüben aber sah der reiche Mann zum Fenster heraus, paffte aus einer großmächtigen Tabakspfeife und murmelte und grämelte: "Da hat der Lump, mein Nachbar, da drüben richtig den alten Strolch aufgenommen und gibt ihm Quartier und hat doch selbst nichts zu beißen und zu brechen. So was Dummes lebt nicht! Aber ich sage es immer: Gleich und gleich gesellt sich gern; gleiche Lumpen, gleiche Lappen. Eigentlich gehört sich 's gar nicht, so einen hergelaufenen Landstreicher aufzunehmen; denn man weiß nicht, was hinter ihm steckt und ob nicht so ein Stromer das Dorf mit Feuer anstößt, daß dann seine Bande aus dem Walde bricht und plündert. Wie sie schwätzen, die beiden Taugenichtse! Ich will doch ein wenig zuhören.

Du bist so gut und so fromm", sprach der liebe Gott zu seinem Wirte; du wärest wert, daß dir geschähe, wie vorzeiten manchem frommen Manne, daß du drei Wünsche tun dürftest zu deinem Heile und zum Heile deiner Seele. Aber du müßtest das letztere ja nicht vergessen, damit es dir nicht ergehe wie dem Schmied von Jüterbog.

Und wie erging es dem?" fragte der Häusler.

Kennst du das Märchen nicht?" fragte der liebe Gott zurück. "Zu diesem Schmiede kam der Apostel Petrus geritten und bat ihn, seinen Esel mit neuen Hufeisen zu beschlagen, dafür solle er drei Wünsche tun dürfen. Da wünschte der Schmied, daß seine Schnapspulle niemals leer werden solle, ferner, daß, wer auf seinem Birnbäume sitze, darauf so lange sitzen müsse, bis der Schmied ihm abzusteigen erlaube, und daß endlich niemand ohne Erlaubnis in seine Stube kommen dürfe, außer etwa durchs Schlüsselloch. Damit gewann der Schmied zwar dem Tode ein langes Leben ab, weil er diesen überlistete, sich auf seinen Birnbaum zu setzen — und tat



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dem Teufel eine Drangsal an, weil der durch das Schlüsselloch in des Schmiedes Stube gewischt war — aber den besten Wunsch, die ewige Seligkeit, hatte der Schmied nicht getan, und nun starb er nicht, und Petrus ließ ihn nicht in den Himmel, und der Teufel fürchtete sich vor ihm und schnappte vor ihm das Höllentor zu und verriegelte es von innen — und nun muß der Schmied unselig umherwandeln.

"Ach du lieber Gott!" rief der Häusler, ohne zu wissen, wer neben ihm saß. "Dag ist schlimm — das war gefehlt — da wollt ich schon gescheiter wünschen, wenn zu mir so ein heiliger Nothelfer oder Apostel käme! Das wird aber nicht sein!

"Man kann das nicht wissen", erwiderte der Gast. "Nur muß der Mensch nicht töricht wünschen wie jenes Ehepaar, zu dem der Engel Gottes kam und ihm drei Wünsche bescherte.

"Was geschah da?"fragte der Häusler.

"Ein Mann und eine Frau". erzählte der Gast, lebten in großer, Armut und baten Gott Tag und Nacht, ihre Lage zu bessern und ihnen zu



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helfen. Weil sie nun fromm und redlich waren, so wollte Gott ihr Flehen erhören und sandte ihnen seinen Engel. Der Engel sprach: ,Drei Wünsche dürft ihr tun, zu eurem Heile, aber es darf nicht der Wunsch nach Geld und Gut dabei sein; denn wenn euch solches beschieden und nütze und zuträglich wäre, so besäßet ihr dessen längst, so aber ist es euch nach Gottes weisem Ratschlusse versagt.' Der Mann sprach: ,Was sollen mir drei Wünsche helfen, wenn ich nicht wünschen dürfen soll, was mir zu meinem Glücke dienlich scheint? Was ist der Mensch ohne Geld? Da spricht man von ihm just wie von einem falschen Groschen: Er gilt nichts.' Darauf sprach der Engel: ,Nun, so wünsche denn in Gottes Minen, doch trage selbst die Schuld, wenn du dir selber Unheil wünschest.' Nun sprach der Mann mit seinem Weibe, wie sie beiderseits die Wünsche wohl erwägen wollten. ,Was wünschen wir? fragte er das Weib. ,Was brauchen wir zunächst? Ich dächte, einen ganzen Berg von Gold und eine dicke Mauer rundherum, daß kein Dieb danach gräbt — oder aber lieber ein Trühelein Immervoll, daraus man stetig Geldes nehmen mag, soviel man just bedarf? — Ich dächte', nahm das Weib das Wort, ,du wärest vor allen Dingen so gütig und schenktest oder überließen einen der drei Wünsche mir, denn ich habe genug danach geseufzt und mich wundgekniet, da kanns du dir noch immer wünschen, was du willst.

Nun wohl', antwortete der Mann, ,Frauen sind oft klüger als die Männer, so wünsche denn.

Ich wünsche', sprach die Frau, ,für mich das allerschönste Kleid, wie nie ein Weib der Welt eines getragen hat, schöner als das Kleid der größten Kaiserin!' Kaum hatte die Frau diesen Wunsch ausgesprochen, so war sie angetan mit dem herrlichsten Kleide, überreich besetzt mit Diamanten, Perlen, Gold und Silber, daß es nur so davon starrte.

Ist das nicht ein dummer, unüberlegter Wunsch!' rief voll Unwillen der Mann. .Du konnten damit allen Frauen Gewänder wünschen, da wäre tausendfacher Segen auf dein Haupt vom Himmel von den Dürftigen herabgefleht worden; so hast du nur einen Wunsch des hoffärtigen und übermütigen Eigennutzes getan!



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Ei, daß dich!' schrie die Frau. Pfui über dich, Mann, daß du mich also schiltst! Gefalle ich dir nicht in diesem schönen Kleide, so wette ich, daß ich andern desto besser gefallen werde. Lauf hin, du Hans Narr!

Gauklerin!' schrie voller Zorn der Mann. ,Daß dir doch gleich das Kleid in deinen hoffärtigen Leib fahre!

Wehe mir!' schrie die Frau — denn im Augenblick verschwand das Kleid, das sie bedeckt hatte, und zog in ihren Leib und schmerzte sie, daß sie laut aufheulte und durchs Dorf lief und allen Bauern ihr Leid klagte, wie sie durch ihres Mannes Schuld so schrecklich leiden müsse. Darauf liefen die Bauern in hellen Haufen zu dem Manne und riefen ihm drohend zu, er solle seinem Weib von ihrem Weh helfen, oder sie wollten ihn gleich erwürgen. Sie zückten schon ihre Messer gegen ihn.

Als der Mann solchen großen und grimmigen Bauernzorn sah und wie sein Weib litt, sprach er: Ich wünsche in Gottes Namen, daß sie ihrer Schmerzen wieder ledig werde.

Darob wurde das Weib heilfroh, und all ihr Schmerz war hinweg, denn der dritte Wunsch war nun getan; aber das Kleid kam nicht wieder zum Vorschein. Nun hatte der Mann keine gute Stunde mehr auf Erden, war der Spott aller Welt und starb bald vor Gram und Kummer. Darum merket wohl, mein werter Gastfreund, wenn Ihr Wünsche tut, daß Ihr nicht auf den Wegen der Toren wandelt."

Und welche Wege meinst du?"fragte wieder der Häusler.

"Der Toren Sitte", sprach des Häuslers Gast, "ist, Unrechtes begehren, Unrechtes trachten und nach dem Verluste Unrechtes klagen. Die Toren sind dreierlei Schlages. Toren, die nichts wissen und nichts können; Toren, die nichts wissen wollen, die Wissen und Kennen verachten, und Toren, die wissen und können und dennoch nicht das tun, was das Rechte ist, das sie doch einsehen sollten, damit sie ihre Seele bewahren.

"Nun denn, dürfte ich wünschen", sagte der Häusler, "so wünschte ich mir vorerst und vor allen andern Schätzen die ewige Seligkeit; hernach Gesundheit und Zufriedenheit bis zu meinem Tode, und dann — wenn es nicht gegen Gottes Willen wäre- möchte ich wünschen, daß



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mein den Einsturz drohendes Häuslein wieder in guten Stand gesetzt ware.

"Eure Wünsche sind Gott genehm", sagte der Gast, "und ich will Euch den Hauptwunsch dazu tun, daß sie alle drei in Erfüllung gehen!

Nach diesem guten Gespräche verließen die beiden Männer, der arme Alte und der arme Häusler, ihren Steinsitz und gingen in die Hütte, sprachen ihr Nachtgebet und legten sich zur Ruhe nieder.

Der Reiche drüben hatte jedes Wort gehört, das jene sprachen, und machte seine Bemerkungen darüber. "Man sollte nicht meinen", brummelte er vor sich hin, "daß so ein alter Mann noch so kindisches Zeug auf die Bahn .bringen könnte, so läppischen Märchenschnickschnack — aber freilich, das Alter macht kindisch, und Alter schützt nicht vor Torheit. O ihr Wünschelnarren!"

Soeben wollte der Reiche sich nun auch zur Ruhe begeben, als er wahrnahm, daß ein eigentümlicher Lichtschimmer das Häuschen des Armen umfloß, während alle andern Häuser dunkel dalagen. Doch war es kein Feuerschein, auch nicht eine Wirkung des Mondlichtes, sondern ein reines Himmelslicht — dann schienen auch lichte Gestalten um das Häuschen zu schweben, und deren wurden mehr und mehr, die bewegten sich wundersam, ab und auf, als ob sie auf unsichtbaren Leitern schwebten; sie glitten um das Dach und um die Wände, und dabei war alles feierlich und tief still.

Dem Reichen gruselte es — er meinte, es seien Gespenster, schlug sein Kreuz und suchte sein Sager, aber er konnte fass die ganze Nacht nicht schlafen, und am frühen Morgen, als kaum der Tag graute, war er, von einer innern Unruhe getrieben, schon wieder am Fenster — da sah er just den armen Alten an seinem Hause vorübergehen, der sich mithin früh aufgemacht hatte.

"Hm!" murmelte der Reiche, der bald auf den Beinen, das hat sicher einen Haken. Und er trägt einen Sack —gestern trug er keinen. Der hat gewiß da drüben etwas mitgehen heißen und durchgebrannt, derweil der Nachbar noch schläft. Geschieht dem Nachbar schon recht! Was geht es mich an?" —



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Unter dieser Betrachtung wurde es draußen heller, des Reichen Weib war auch aufgestanden und sah aus dem Fenster nach dem Wetter. Der Nebel verzog sich, und beide trauten ihren Augen nicht, als sie gegenüber ein ganz stattliches neues Bauernhaus stehen sahen, das zwar noch die Gestalt des alten hatte, aber in allen Teilen größer und schöner war. "Träum' ich denn oder wach' ich?"fragte der Reiche. "Ist denn wirklich der Wunsch in Erfüllung gegangen? Wer war denn der Alte? Hilf Himmel! Sicherlich Petrus oder gar der liebe Gott selbst. Dummkopf, der ich war, ihn gestern so schnöde abzuweisen.

"Jawohl, Dummkopf!" rief die Frau. "Spute dich, reite nach, bin ihm ab, gib ihm gute Worte. O Himmel, wie ist doch unsereins übel daran, wenn man so einen dummen Mann hat!"

Holla! Knecht! Pferd satteln! Ausreiten!" rief der Reiche stürmisch, steckte Geld zu sich und Eßwaren und galoppierte durchs Dorf, die Straße entlang und bald genug holte er den Alten ein, tat aber nicht, als hase er ihn schon gestern gesehen.



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Gar freundlich rief er vom Pferde herunter: "Grüß Gott, Alter! Wie geht 's? Ist das Leben noch frisch? Wo hinaus denn so früh? Was trägst du denn da im Sacks"

"Dank dem Gruß! Nach Gottwalte!" antwortete der Wanderer.

"Bist wohl ein recht armer Schlucker! Da hast du ein Geld!"

"Danke! Danke!"

"Aber was du im Sack trägst, möcht' ich wissens

"Ach", schien der Alte zu schergen, "es ist ein Sorgenbürdlein, lieber Herr, hab s einem armen Schlucker abgenommen."

"So, so!" lachte der Reiter. "Ich will nicht wissen, was darin ist — ich wünschte bloß —"

Aha! Ihr seid auch ein Wunschfreund", unterbrach der arme Alte. "Das trifft sich gut ich trage in diesem Sacke jnst drei Wünsche, die sich dem erfüllen, der sie tut. Er muß aber den Sack dazu nehmen.

"Gib her! Gib her!" rief habgierig der reiche Mann und langte nach dem Sacke. "Da hass du auch ein Stück Brot und eine ganze Wurst! Du siehst, daß ich nicht geizig bin, wie mich meine Feinde und Neider ausschreien, Ich bin ein rechtlicher Mann, der auf Ordnung sieht und das Seinige zu Rate hält, aber ich gebe gerne den Armen, die der Gaben würdig sind. Allen kann man freilich nicht helfen,"

"Allen ? Nein das ist bei Gott unmöglich!" sagte der Alte.

"Ich habe doch immer sagen hören", widersprach der Reiche, der den Sack bereits in der Sand hatte, "bei Gott sei kein Ding unmöglich, und sein Wille sei es, daß allen geholfen werde?"

"Oh, mein lieber Herr", erwiderte der Arme, "das ist geistlich zu versehen, nicht weltlich!

Der Reiche wendete sein Roß und sprengte wieder heimwärts. Der Kopf war ihm voller Wünschegedanken, es ging ihm darin herum wie Windmühlenflügel. Was sollte er nur alles wünschen? Geld brauchte er eigentlich nicht, das hatte er vollauf, folglich gutes Leben die Fülle; gesund war er ebenfalls, und zufrieden — ach, Zufriedenheit sich zu wünschen, deuchte ihm nicht der Mühe wert, denn der Mensch ist doch nie zufrieden



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—dachte er und ritt immer hastig darauflos und spornte das Pferd, das schon keuchte, und jetzt stolperte es, daß es beinahe seinen Reiter abgeworfen hätte.

"Ei, so wollt' ich, daß du den Hals bräche, verwünschtes Vieh!" rief zornig der reiche Mann — und o weh, da knickte das Roß zusammen, stürzte und brach den Hals. Ein Wunsch war dahin, und der Reiche war wütend. Er schnallte von dem toten Tiere Sattel und Zaum los und trug das eine Strecke, aber gar nicht weit; da war es ihm zu schwer, und es wurde ihm furchtbar heiß, und da wünschte er wieder: "Wenn nur das verdammte Gepäck daheim wär' und mein Weib, die mir diesen Ritt geraten, auf dem Sattel säße!"

Zwei Wünsche waren dahin, der Sattel und Zaum nebst Gebiß und Steigbügel und Schabracke — alles war fort — und der Geizige atmete freier. Ein Glück, daß er nicht noch einmal wünschte; denn daheim saß sein Weib fest im Sattel und hatte die Reitpeitsche in der Hand, wußte nicht, wie ihr geschah, und wünschte ihren Wann, seinen Gaul und sein Sattelzeug alles zum Teufel.

Wollte der Reiche wohl oder übel, so mußte er sein Weib wieder frei und ledig wünschen, da war auch der dritte Wunsch dahin.

Des Nachbarn nagelneues Haus drüben stand hell glänzend im Sonnenschein und war das schönste des Dorfes.

Neugierig öffnete der Reiche den Sack — hätte er nur das nicht getan Im Sacke stak des Nachbars Armut, die kam jetzt über ihn wie ein gewappneter Mann,



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Schneider Hänschen und die wissenden Tiere

Ein Schuhmacher und ein Schneider sind einmal miteinander auf die Wanderschaft gegangen. Der Schurer hatte Geld, der Schneider aber war ein armer Schwartenhans. Beide hatten ein und dasselbe Mädchen lieb, das Lieschen hieß, und jeder gedachte es zu heiraten, wenn er sich ein gutes Stück Geld verdient habe und Meister geworden sei. Der Schuster, Peter genannt, war aller Tücke voll und hatte ein schwarzes Herz, das Schneiderlein war gutmütig und leichtgläubig, und sein Name war Hänschen. Erst hatte Hänschen nicht mit dem Peter zusammen wandern wollen, weil es kein Geld hatte; aber Peter, der auf Bosheit gegen das Schneiderlein sann, weil Lieschen das Hänschen gern sah und nicht den Peter, ging auf des Schneiderleins Verderben aus und sprach: "Komm nur mit mir, ich habe Geld genug, ich halte dich frei, auch wenn wir keine Arbeit bekommen. Alle Tage wollen wir uns dreimal tüchtig satt essen und satt trinken. Ist dir das nicht recht?

"Von satt essen und satt trinken bin ich ein Freund!" antwortete Hänschen, beide schnürten ihre Ränzel und traten ihre Wanderschaft an. Neun Tage lang gingen sie und fanden nirgend Arbeit, zumal Peter keine finden mochte. Und wenn auch Hänschen Arbeit hätte haben können, verlockte er ihn immer, sie nicht anzunehmen, sondern mit ihm zu wandern. Nun aber, nach den neun Tagen, sprach Peter: "Hänschen, mein Geld nimmt ab, soll es noch eine Weile reichen, so dürfen wir von jetzt an des Tages nur zweimal essen und trinken.

"O weh!" seufzte Hänschen; "wird schon jetzt Schmalhans unser Wandergeselle? Wär' ich doch nicht mit dir gegangen! Hungern konnt' ich auch daheim!

Peter, der während des Weitermarsches stets die Speisen kaufte, ass sich heimlich dicksatt, denn er hatte Geld genug dazu; aber Hänschen gab er täglich nur zweimal und hatte seine Freude daran, wenn seinem Gefährten der Magen murrte und knurrte.



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So gingen abermals neun Tage hin, und noch immer fand sich keine Arbeit; da sprach Peter:

Liebes Hänschen, mit meinem Gelde wird es jetzt bald zu Ende sein; es langt wahrlich nimmer zu vier Mahlzeiten alle Tage, zwei für dich, zwei für mich. Mein Geldbeutel hat die Schwindsucht. Schau her, er ist so dünn wie ein Spulwurm. Wir können von jetzt an uns nur einmal täglich sättigen.

Ach, ach, Peterlein!"" klagte Hänschen, "in welches Unglück hast du mich gebracht! Das halt' ich ja nicht aus Sieh mich nur an, ich bin ja schon so dünn und durchsichtig, daß ich schier kaum noch einen Schatten werfe. Wo soll denn das zuletzt hinaus?"

Schnalle einen Schmachtriemen um!" lachte Peter. "Übe dich in der Tugend der Enthaltsamkeit!

Ich mein', ich hätte mich schon genug darin geübt" jammerte das Schneiderlein.

Was half aber nun alles, es mußte guttun, wohl oder übel. Hänschen hungerte tapfer; daß er aber nicht zunahm an Leibesfülle, kann sich jeder



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denken. Er wurde rasseldürr, und sein Angesicht bekam eine Farbe wie der blasse Tod. Und immer gab es keine Arbeit, und nun zumal erst recht nicht, denn die Meister sprachen: "Reise mit Gott, Bruder Mondschein! Wie kann so ein Kerlchen etwas Dauerbares nähen, dem sein ganzes eigenes Gestelle aus der Saht reißt? Schneider dürfen von Natur dünn sein, aber nur was recht ist — so dünn, daß man sie statt Nähgarn einfädeln kann, dürfen sie doch nicht sein!

Hänslein weinte heiße Tränen, wenn er solche lose Reden zu hören bekam, und der schlechte Peter frohlockte heimlich und innerlich darüber. Als wiederum neun Tage vergangen waren und Hänschen vor Hunger fast am Wege liegenblieb, sprach der falsche Peier: "Bruderherz — es tut mir leid und schneidet mir in die Seele, daß ichs sagen muß, aber meine Geldquelle ist ganz versiegt — mit essen und trinken bei Bäcker und Wirt ist es nun ganz und gar vorbei.

"Daß Gott erbarm'!" schrie Hänschen. "Gar nicht mehr essen und trinken? steht mir der Verstand still! Wer kann das aushalten! O wehe, wehe mir! Daß ich dir folgte! Wehe dir, daß du mich so verlockt

"Mein Himmel, wie du gleich außer dir geraten kannst, Hänschen! rief Peter. "Als ob es nicht zu trinken vollauf gäbe!

"Wo? Wo?" rief Hänschen mit lechzender Zunge.

"Überall! Wasser, Bruderherz! Wasser!" lachte Peter. "Sasser ist sehr gesund, es verdünnt das Blut, es heilt die meisen Krankheiten, es stärkt die Glieder. Siehst du, ich muß ja auch Walser trinken.

"Aber Wasser ist kein Essen!" klagte Hänschen. "Von Luft kann ich nicht leben; also schabe mir zu essen, oder ich muß ins Gras beißen und Erde kauen. Etwas muß ich zu kauen haben.

"Nun, ich will zum Bäcker gehen und für das letzte Geld ein Brötchen kaufen, das will ich redlich mit dir teilen!" sagte der falsche Peter, hieß Hänschen auf einen Stein sitzen und ging zu einem Bäcker. Dort kaufte er vier Brötchen, ass drei davon gleich auf und trank einen Schnaps dazu — dann kam er wieder zu Hänschen.



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Aber Peter!"sprach das hungrige Schneiderlein, du bleibst sehr lange aus. Gib mir zu essen, die Ohnmacht wandelt mich an.

Ich habe erst warten müssen, bis das Brot sich abgekühlt hatte", verteidigte sich Peter. "Warmes Brot ist nicht gut in einen leeren Magen. Hier hast du deine Hälfte." —"Peter, du riechst nach Schnaps!" sprach Hänschen. "So?" fragte Peter; "kann schon sein, drinnen trank einer; der stieß an mich und schüttete mir aus Ungeschick ein paar Tropfen auf mein Gewand."

Hänschen verschlang sein halbes Brötchen mit Wolfghunger, stillte mit Wasser seinen Durst und wanderte Weiter mit seinem treulosen Gefährten. Beide sprachen fast nichts mehr miteinander.

Als es Abend wurde und beide wieder durch ein Dorf kamen, ging Peter wieder zu einem Bäcker, ass sich satt und kam mit einem Brötchen aus dem Laden —Hans dachte, jener werde das Brötchen mit ihm teilen, aber Peter schob es in die Tasche.

Nach einer Weile sprach Hänschen, als sie das Dorf im Rücken hatten und in einen Wald gelangt waren:

"Nun, Peter! Rücke heraus mit deinem Brötchen! Mich hungert ungemein

"Mich nicht", antwortete Peter ganz kurz.

Nicht?"schrie Hänschen erschrocken und blieb stehen, und seine Beine zitterten. "Unmensch, der du bist!

Vielfraß, der du bist!" höhnte Peter. "Das Brötchen, das ich noch bei mir trage, ist, wie du sehr richtig bemerktest, mein Brötchen, und du bekommst nicht eine Krume davon, weil du mich Unmensch genannt hast."

So muß ich ja Hungers sterben!" schrie Hänschen in heller Verzweiflung.

Es wird wenig schade um dich sein", antwortete Peter.

Aber ich bitte dich um Gottes willen!" jammerte Hänschen.

Um was?"fragte Peter lauernd.

Um die Hälfte deines Brötchens!"stammelte Hänschen.



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"Umsonst ist der Tod- es hat mich mein allerletztes Geld gekostet. Wie vieles Geld könnte ich noch haben, hätte ich mich nicht mit dir geschleppt und dich gefüttert!" sprach Peter aufs neue.

Aber du selbst hast mich ja beredet, mit dir zu gehen!"warf Hänschen ein, doch machten Ärger und Hunger ihm schon schwer, die Worte hervorzuwürgen. Seine Zunge klebte am Gaumen.

"Gibst du mir, so geb' ich dir" nahm Peter wieder das Wort. "Mir ist mein Brötchen so lieb wie meine Augäpfel, folglich ist es zwei Augäpfel wert. Gib mir einen deiner Augäpfel für die Hälfte."

"Gott im Himmel! Wie strafst du mich, daß ich diesem folgte! wimmerte Hänschen, denn schreien konnte das arme Schneiderlein schon vor Schwäche nicht mehr doch steckte er die Hand nach dem halben Brötchen aus und sättigte sich, und dann nahm ihm Peter den einen Augapfel weg.

Ain andern Tage wiederholte sich alles Traurige des vorigen Tages bei den zwei Wandergesellen. Peter kaufte wieder ein Brötchen und gab Hänschen nichts davon und wollte das andere Auge Hänschens für dessen Hälfte haben.

"Aber dann bin ich ja stockblind", jammerte das Schneiderlein. "Dann kann ich ja nicht mehr arbeiten!

"Wer blind ist" tröstete der bark- und schwarzherzige Peter mit heimlichem Hohne, "der hat es gut. Er sieht nicht mehr, wie böse, falsch und treulos die Welt ist; er braucht nicht mehr zu arbeiten, denn er hat eine gute Entschuldigung, und einem armen Blinden gibt auch der Geizigste zur Not noch eine Gabe.

Hänschen vermochte auf diese teuflische Rede gar nichts mehr zu erwidern; er ließ alles mit sich geschehen und gab, um nur nicht Hungers zu sterben, dem treulosen Gefährten auch den zweiten Augapfel preis. Als das geschehen war und Hänschen hoffte, daß der Peter ihn nun leiten und führen werde, sprach der: "Nun gehabe dich recht wohl, mein gutes, dummes Hänschen! Hier habe ich dich haben wollen. Hier ist Bettelmanns Umkehr. Jetzt wandere ich wieder heim und heirate mein Lieschen. Siehe du zu, wohin du kommst!" —



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Fort ging Peier, und Hänschen schwanden vor Körper- und Seelenschmerz eine Zeitlang völlig die Sinne, so daß er umsank und wie tot am Wege lag.

Da kamen drei Wanderer des Weges daher, aber keine zweibeinigen, sondern vierbeinige, das waren ein Bär, ein Wolf und ein Fuchs. Sie berochen den Ohnmächtigen, und der Bär brummte: Dieses Manntier ist tot! Mögt ihr ihn? Ich mag ihn nicht!

"Ich habe vor einer Stunde



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erst ein frisches Schaf verspeist, habe just jetzt keinen Hunger, auch ist ja das Männchen so dürr und so hart wie ein Baumast! sprach der Solf. "Da wäre mir leid um meine Zähne.

"Dieser Held muß ein Schneider gewesen sein! spöttelte der Fuchs. "Mir ist eine fette Gans lieber als ein dürrer Stichling. Wäre er ein Kürschner gewesen, so würde ich ihm Ehre antun, so aber liegt er mir gut. Er ist ja blind gewesen, der hat gewiß nie einen Fuchs geschossen.

Das arme Schneiderlein kam wieder zu sich, merkte seine Gesellschaft und hielt den Odem an sich, so gut es ging, während die drei Tiere sich gar nicht weit von ihm behaglich ins Grüne lagerten.

"Blind zu sein ist ein großes Unglück" sprach der Fuchs, "sowohl für uns edle Tiere als für die schlechten zweibeinigen Tiere, die sich Menschen nennen und sich so klug dünken und so dumm sind, daß sie gar nichts wissen. Süßten sie, was ich weiß, so gäb es keine Blinden mehr.

"Oho!" rief der Welf. "Ich weiß auch, was ich weiß. Wüßten das die Manntiere in der nahen Königsstadt, so litten sie nicht den brennenden Durst, den sie leiden, und kauften nicht ein Schnapsglaschen voll Wasser um einen Dukaten.

"Hrn, hin!" brummte der Bär. Unsereiner ist auch nicht auf den Kopf gefallen. Auch mir ist ein Geheimnis kund. Sagt ihr mir das eure, sage ich euch das meine, aber bei Leib und Leben darf keiner von uns den andern verraten.

"Nein, das dürfen und wollen wir nicht tun!" gelobte der Fuchs.

"Es muß einer dem andern feierlich die rechte Pfote darauf geben!" bekräftigte der Wolf.

"Topp, es gilt!" sprach Petz und hielt seine haarige Tatze hin, und wie die andern einschlugen, so drückte und schüttelte der Bär zum Spaß ihre Pfoten so, daß sie vor Schmerz laut aufheulten, davon dem blinden Schneiderlein angst und bange wurde.

"Ich weiß", begann der Fuchs, als ihn der Bär ob seiner Empfindlichkeit ausgelacht und wieder begütigt hatte, daß heute eine besonders heilige Nacht ist; in dieser fällt Himmelstau auf Gras und Kraut.



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Wer blind ist, darf nur mit dem Tau seine Augen salben, so wird er wieder sehend, und selbst wenn er keine Augäpfel mehr hat, bekommt er wieder neue."

"Das ist ein schönes Geheimnis", sprach der Wolf; "meins ist aber auch nicht zu verachten. In der Königsstadt ist das Wasser ausgeblieben, und die Leute dort leben jetzt fast nur vom Geist, wenigstens sagen sie so; wenn es aber noch ein Weilchen so fort geht, so werden sie ihren Geist ganz aufgeben müssen. Gleichwohl haben sie Wasser die Fülle unter sich und wissen's nur nicht. Auf dem Markte mitten im Pflanzer liegt ein Grauwackenstein; wenn der aufgehoben wird, so wird ein Wasserstrahl turmhoch aus dem Boden springen. Ach, wie froh würden die Stadtleute sein, und wie heilsam wär' es ihnen, wenn sie wieder Wasser hätten. Daß aber keiner von euch es ihnen sagt, sonst beiße ich jedem die Zunge im Maule ab!

"Nichts wird gesagt, Bruder Isegrim!" sprach Herr Braun und brummte: "Was ich weiß, ist dieses: Seit sieben Jahren kränkelt des Königs einzige Tochter, und kein Doktor kann ihr helfen, weil keiner weiß, was ihr fehlt, wie wunderklug sich auch alle dünken. Die Krankheit der Königstochter ist so gestiegen, daß der König verheißen hat, sie dem zur Gemahlin zu geben, der ihr hilft, um sie nur am Leben erhalten zu sehen; es kann aber keiner helfen, der das nicht weiß, was ich weiß.

"Du machst uns neugierig, hochgnädiger Herr König Braun!" sprach der Solf, und Petz brummte: "Nur Geduld, es kommt schon noch. Ihr werdet doch ein wenig warten gelernt haben?" — Darauf schnaufte der Bär erst einmal gehörig und fuhr dann fort: "Die Prinzessin Königstochter sollte in der Kirche ein Goldstück in den Opferstock werfen; sie war aber noch sehr jung und befangen und ängstlich und schämte sich vor den vielen Leuten in der Kirche und warf das Goldstück etwas ungeschickt, daß es daneben und in eine Spalte fiel. Darauf wurde sie von ihrer Krankheit befallen, die nicht früher enden wird, bis man das Goldstück hervorzieht und in die Ritze des Opferstockes einwirft. Solche Kur ist kinderleicht, es dürfte nur einer hingehen und das Goldstück suchen.



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Als die Tiere sich einander so ihre Geheimnisse mitgeteilt hatten, erhoben sie sich aus ihrer Ruhe und gingen weiter; Hänschen aber war heilfroh über das, was er gehört hatte. Er bestrich sich eilend mit dem bereits fallenden Himmelstau die Augen; da wuchsen ihm neue klare Augäpfel, und er sah die goldenen Sterne am Himmel blinken und die dunkele Wipfel der Waldbäume. Bald brach der Morgen an, und Hänschen sah nun Weg und Steg und wanderte neu gestärkt der Straße entlang. In einigen Dörfern, durch die er kam, erbat er so viel, daß er seinen neuerwachten Hunger und Steiss stillen konnte, und endlich kam er in die Stadt, wo der Wassermangel so groß war, daß alle Leute Wein und viele Schnaps tranken.

Hänschen hatte kein Geld dazu; er trat zu einer Wirtin und bat, ihm ein großes Glas Wasser zu reichen. Die Wirtin sah ihn dafür sehr groß an und schalt: "Seh" mir einer den Schlecker! Hat nicht einmal Geld, einen Schnaps zu bezahlen, und will Wasser zechen! Meint der Mosjö, Herr von Fadenschein, das Wasser quelle nur so für nichts und wieder nichts? Es koste kein Geld? Oh, weit gefehlt. Wisch Er sich den Mund von wegen dem Wasser; Wein kann Er haben, mit Wasser kann ich nicht dienen, zumal in so großer Menge nicht.

"Ist denn hier wirklich eine solche Not um das Wasser?" fragte Hänschen. "Diesem Mangel wollte ich bald abgeholfen haben; ich bin ein Brunnenarzt,

Die Worte vernahmen einige junge Ratsherren, die bei der Wirtin Champagnerwein tranken. Sie taten dies nur aus Ermangelung des Wassers, sonst würden sie es gewiß nicht getan haben; denn sie nannten den Champagner Gift, und ohne die äußerste Not wird sicherlich niemand Gift zu sich nehmen. Diese jungen Herren umringten Hänschen und fragten hastig, wie er es anstellen wolle, dem Mangel abzuhelfen?

"Meine hochverehrtesten Herren" sprach Hänschen, "wenn ich solchen Mangel allhier abstellen soll, so ist vor allem nötig, daß ich erst angestellt werde. Soll ich euch geheimen Rat erteilen, so würde eine mir zugeteilte kleine Geheimratsbesoldung —so vier-big sechstausend Tälerchen alljährlich



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— mich zu Sank vergnügt machen. Sann solltet ihr Herren aber auch sehen, daß ich etwas Tüchtiges zu leisten verstehe."

Die Sache wurde nun im Gemeinderat und vom Magistrat reiflich erwogen, und alle Stimmen einigten sich in dein Rufe: Wasser um jeden Preis- ehe wir im Sande allzumal vertrocknen!

Der Magistrat stellte hierauf die Not der Stadt dem Könige vor und auch das Mittel zu deren Abhilfe und bat Seine Majestät, in Gnaden zu geruhen, den fremden Brunnenarzt um Geheimrat zu machen, die Besoldung solle aus städtischen Mitteln gern bestritten werden. Der König willfahrte mit väterlicher Huld diesem Gesuche, jedoch mit dem Vorbehalt, daß es nicht eher in Kraft trete, big hinlängliches Wasser geschafft sei. Außerdem solle es nichts gelten. Hänschen begab sich nun in Begleitung einer schnell ernannten Wasserkommission auf den Markt, sah schon von weitem den grauen Quaderstein und sprach zu den Technikern: "Diesen Stein lasset ausbrechen, ihr Herren!" Als dies geschah, rauschte plötzlich der Strahl eines Springbrunnens stark und mächtig turmhoch in die Luft. Es quoll so viel Wasser aus daß auf der Stelle in allen Kaufladen der Hauptstadt die Preise der wasserdichten Zeuge um das Doppelte in die Höhe gingen.

Laut erscholl das Lob des Wasserdoktors. Noch desselben Tages wurde der neue Herr Geheimrat, der sich indessen mit Staatskleidern, Staatswagen und Dienerschaft versehen hakte, an den Hof gerufen und fuhr stolz den Palacki. Der König sagte ihm vieles Freundliche und schenkte ihm in Anerkennung seines Verdienstes um die Hauptstadt einen schönen Orden, am gewässerten Bande zu tragen. Sehr bald lenkte sich das Gespräch auf die Krankheit der Königstochter, und der König fragte den neuen Geheimrat, ob er als geschickter Wasserdoktor vielleicht für die Prinzessin eine Brunnenkur heilsam finde? — "Nein, Euer Majestät" erwiderte der Geheimrat. "Einmal mit Wasser mich befaßt und nicht wieder. Lassen mich Eure Majestät der Gnade teilhaft werden, Allerhöchstdero Tochter, die Prinzessin, zu sehen, so hoffe ich zuversichtlich, den Sitz ihrer Krankheit zu ergründen."— Darüber war der König über alle



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Maßen froh und führte den Doktor selbst zu der kranken Prinzessin. Der fühlte ihr den Puls und sah, daß sie sehr schön war. Dann sprach er: Großmächtigster König, wenn die allerdurchlauchtigste Prinzessin genesen soll, so kann dies nicht durch irdische Medizin geschehen, sondern durch göttliche Hilfe; gestatten Allerhöchstdieselben, daß wir die Kranke in die Hofkirche tragen lassen; dort wird sie wohl genesen.

Dieser Vorschlag ward vom Könige alsbald gutgeheißen; denn er war sehr fromm und freute sich, einen so frommen neuen Geheimrat gewonnen zu haben. In der Kirche ließ sich der Heilkünstler von der Prinzessin den Opferstock zeigen, suchte nach und fand in einer Ritze das Goldstück. Das gab er der erlauchten Kranken in die Hand und ersuchte sie, es nun richtig in den Stock zu werfen. Das tat die Prinzessin, und alsbald wurde sie völlig gesund und begann wie eine Rose aufzublühen. So führte sie nun der Geheimrat zu dem Könige. Was da für eine große Freude war, ist gar nicht zu schildern. Aus dem Geheimrat wurde alsbald rasch nacheinander ein Reichsrat, ein Standesherr, ein Graf, ein Fürst — und aus diesem ein Bräutigam der genesenen Prinzessin.

Nach der Hochzeit fuhren die Neuvermählten auf einer Rundreise durch das Land; da kamen sie auch durch das Dorf, aus dem der Fürst jüngst als Hänschen gewandert war. Da stand am Wirtshaus ein Scherenschleifer und schliff, und seine Frau drehte ihm das Rad-— und da war's der Peter und das Lieschen, das den Peter erst durchaus nicht haben wollte, ihn aber am Ende doch nahm, weil er ihr zuschwur, Hänschen werde sie nie wieder sehen. Hänschen kannte gleich den Peter am Gesicht, rief dem Kutscher zu: "Halt!", und jenem: "Peter!

Peter horchte hoch auf und fragte, was der Herr befehle?

"Nichts befehlen will ich, Peter"sprach Hans, "als daß du das Hänschen in mir wiedererkennen sollst, dem du zu so hohem Glücke verholfen hast. Dort im Walde fand ich armer Augenloser das blinde Glück, wie manche blinde Taube ihre Erbse. Dort unter einem Baume, an dem ich lag, suchte mich es heim. Hier ist der blinde Bettler, der wieder sehend und reich geworden ist! Leb wohl, und fahr zu, Kutscher!"



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Peter stand wie aus den Wolken gefallen; lange starrte er dem Prachtwagen nach, dann sagte er: "Dorthin muß ich auch- muß auch das blinde Glück finden." Alsbald rüstete sich Peter und wanderte, so rasch er wandern konnte, an jenen Ort, wo er am armen Hänschen die letzte treulose Tat begangen hatte. Ein Fuchs lief schon lange vor ihm her — an jenem Orte stand er. Da kam von weitem ein Wolf entgegengesprungen. Kasch wandte Peter sich um, da trabte ein Bär des Weges daher. Voll Entsetzen klomm jetzt Peter am Saume empor, unter dem er Hänschen den letzten Augapfel ausgekrochen hatte.

Verräter! Verräter! Verräter, die ihr seid!" bellte der Fuchs, heulte der Wolf, brummte der Bär, und jeder beschuldigte den andern, das Geheimnis verplaudert zu haben, auf dessen Behütung sie einander doch alle drei die Pfote gegeben hatten. Sie waren sehr bissig gegeneinander und gaben einander schlechte itel. Endlich nahmen Bär und Fuchs gegen den Wolf Partei, der sollte zunächst der Verräter sein und dafür gehenkt werden. Gleich drehte der Fuchs ein Seil und eine Schlinge aus Tannenreisig, der Bär hielt den Solf fest, der Fuchs warf ihm die Schlinge um den Hals und zog den Zappelnden in die Höhe. Der Solf starrte stieren Auges empor, sah er Peter im Gezweige des Baumes sitzen und heulte: "O falsche Welt! droben sitzt er, der unser Geheimnis verraten hat!

Jetzt sahen die anderen beiden Tiere auch in die Höhe und ließen den Solf fallen. Der Bär kletterte auf den Baum und holte den Peter herunter. Drunten empfing ihn der Fuchs, der so wild war, daß er ihm gleich beide Augen auskratzte. Dann würgte ihn der Wolf, und der Bär drückte ihn mausetot, darauf haben sie ihn dritt aufgefressen, daß kein Knöchelchen von ihm übriggeblieben ist, und das war recht.



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Das blaue Flämmchen

Einst lebte ein einzelner alter Herr in einem uralten Hause; bei dem blieb selten ein Gesinde lange, und alle die Dienstboten, die er gehabt, erzählten, es sei nicht recht geheuer in dem Hause; man höre Gespenster rumoren,

sehe Flämmchen an dunklen Orten und werde auch auf sonstige Weise von Spukdingern geschrei. Nun geschah es, daß bei diesem Herrn abermals eine neue Magd einzog, die Anna hieß, und nach der ersten Nacht fragte der Herr die Dienerin, wie sie geschlafen habe, denn er besorgte, schon wieder Klage über Geisterspuk im Hause zu vernehmen. Die muntere Dirne antwortete ihm, sie habe ganz gut geschlafen. Eine gleiche Antwort auf die gleiche Frage erfolgte auch am zweiten Morgen. Am dritten Morgen


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verschlief sich die Magd, war dann verlegen und sagte: "Mir war die ganze Nacht, als tanze um mein Bett herum ein bläuliches Lichtlein, und das flüsterte fort und fort: ,Geh, Ann', geh, Ann'!', so daß ich nicht eher einschlafen konnte als gegen Morgen beim ersten Hahnschrei."

Als nun einige Nächte hintereinander diese Beunruhigung fortdauerte, zeigte das Mädchen Neigung, den neu angetretenen Dienst wieder zu verlassen. Das war dem Herrn leid, und er sagte zu der Anna: "Weißt du was, Anna, sprich doch einmal mit dem Herrn Pfarrer darüber, vielleicht kann dieser dir einen guten Rat geben!" —

Der Geistliche sagte nun zur Anna, als diese ihn fragte: Wenn das blaue icht ein Geist ist und dich ruft, so ziehe dich schnell an und folge ihm; sei aber dabei sorglich auf deiner Hut, daß du nichts von ihm annimmst, nichts ergreifst, was er dir bietet, nichts tus, was er dir heißt, und daß er dir stets vorangehe. Tust du genau nach diesem Kate, so kann es dein Glück sein.

Abends war die Dirne kaum im Bett, so tanzte das blaue Flämmchen wieder herum und flüsterte: "Geh, Ann', geh, Ann

"Wenn es denn sein muß" sagte Anna, indem sie aus dem Bett und rasch in die Kleider fuhr,"so gehen wir.

"Geh, Ann'!"flüsterte das Flämmchen. "Geh du voran!"sprach Anna, und da flackerte das Flämmchen vor ihr her, über einen Gang, die Treppe hinunter, bis vor die Kellertür. Dort flüsterte das Flämmchen wieder: Schließ auf, Ann'!" —

"Schließ du auf!" sagte Anna; "ich habe keinen Schlüssel.

Da schien das Flämmchen die Gestalt eines kleinen weißen Weibleins zu gewinnen, das hauchte gegen das Schlüsselloch, und da ging die Kellertür auf. Jetzt schwebte die bläulich schimmernde Gestalt die Kellertreppe hinunter vor Anna her, nach des Kellers hinterher Ecke. Dort lehnte eine Hacke an der Mauer, und das Weibchen, dessen bläulicher Lichtschimmer den Keller leidlich hell machte, deutete auf das Werkzeug und flüsterte: "Hacke hier ein Loch, Ann'!" —"Hacke du ein Loch!" sprach Anna, "ich brauche keins." Da ergriff das Weiblein wirklich die Hacke und arbeitete



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tüchtig darauflos. Nach kurzer Weile kam ein Kesselchen zum Vorschein, darinnen lagen allerhand schöne Sachen, alte Goldmünzen und Schmuck von guten Perlen und Edelsteinen. "Heb, Ann'! Heb heraus, Ann flüsterte der Geist, aber Anna sprach ganz ruhig: "Hebe du heraus, ich könnte mir Schaden tun." Da hob das Weiblein das Kesselchen aus dem Boden und setzte es vor Anna hin, daß es klang und klirrte, das viele Gold und Silber, welches darinnen lag.

"Trag 's h'nauf, Ann', in deine Kammer!"flüsterte das Frauchen; doch Anna sagte: "Trag 's selber h'nauf. Mir 's zu schwer." Da hob das Weib das Kesselchen und flüsterte wieder: "Geh, Arin geh, Ann — und Anna erwiderte: "Geht nicht an! Der Leuchter geht voran!"So ging denn auch das Weiblein wieder aufwärts voran, aber langsam, denn es trug schwer an dem Kesselchen und ächzte und stöhnte alle die Treppen hinauf bis in Annas Bettkammer. Da setzte es das Kesselchen hin, und Anna legte sich wieder in ihr Bett, und um das Bett tanzte wieder das bläuliche Licht. Da schlug Anna ein Kreuz und sprach: "Hast du mir geholfen, so helfe dir Gott in das ewige Himmelreich, Amen!

Da stand noch einmal das weiße Weiblein in klarer Gesait vor Anna, und sein Gesicht leuchtete im Schimmer reinster Freude; dann verschwand es plötzlich. Anna schlief ruhig ein, und ala sie am Morgen erwachte, glaubte sie, es habe ihr das alles nur geträumt. Aber siehe da das Kesselchen war noch vorhanden, und ein ansehnlicher Schatz war ihr beschert. Nie spukte wieder ein Geist im Hause des alten Herrn.



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Der goldne Rehbock

Es waren einmal zwei arme Geschwister, ein Knabe und ein Mädchen, das Mädchen hieß Margarete, der Knabe hieß Hans. Ihre Eltern waren gestorben, hatten ihnen auch gar kein Eigentum hinterlassen, daher sie ausgehen mußten, um durch Betteln sich fortzubringen. Zur Arbeit waren beide noch zu schwach und klein; denn Hänschen zählte erst zwölf Jahre, und Gretchen war noch jünger. Des Abends gingen sie vors erse besse Haus, klopften an und baten um ein Nachtquartier, und vielmal waren sie schon von guten mildtätigen Menschen aufgenommen, gespeiset und getränket worden; auch hatte mancher und manche Barmherzige ihnen ein Kleidungsstückchen zugeworfen.

So kamen sie einmal des Abends vor ein Häuschen, das einzeln stand; da klopften sie ans Fenster, und als gleich darauf eine alte Frau heraussah, fragten sie die, ob sie hier nicht über Nacht bleiben dürften? Die Antwort war: "Meinetwegen, kommt nur herein!" Aber wie sie eintraten, sprach die Frau: "Ich will euch wohl über Nacht behalten, aber wenn es mein Mann gewahr wird, so seid ihr verloren; denn er isset gern einen jungen Menschenbraten, daher er alle Kinder schlachtet, die ihm vor die Hand kommen!" Da wurde den Kindern sehr angst; doch konnten sie nunmehr nicht weiter, es war schon ganz dunkle Nacht geworden. So ließen sie sich gutwillig von der Frau in ein Faß verstecken und verhielten sich ruhig. Einschlafen konnten sie aber lange nicht, zumal da sie nach einer Stunde die schweren Tritte eines Mannes vernahmen, der wahrscheinlich der Menschenfresser war. Des wurden sie bald gewiss, denn jetzt fing er an mit brüllender Stimme auf seine Frau zu zanken, daß sie keinen Menschenbraten für ihn zugerichtet habe. Am Morgen verließ er das Haus wieder und tappte so laut, daß die Kinder, die endlich doch eingeschlummert waren, darüber erwachten.



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Als sie von der Frau etwas zu frühstücken bekommen hatten, sagte sie: "Ihr Kinder müßt nun auch etwas tun, da habt ihr zwei Besen, geht oben hinauf und kehrt mir meine Stuben aus, deren sind zwölf, aber ihr kehret davon nur elf, die zwölfte dürft ihr um 's Himmels willen nicht aufmachen. Ich will derzeit einen Ausgang tun. Seid fleißig, daß ihr fertig seid, wenn ich wiederkomme." Die Kinder kehrten sehr emsig, und bald waren sie fertig. Nun mochte Gretchen doch gar zu gerne wissen, was

in der zwölften Stube wäre, das sie nicht sehen sollten, weil ihnen verboten war, die Stube zu öffnen. Sie guckte ein wenig durchs Schlüsselloch und sah da einen herrlichen kleinen goldenen Wagen mit einem goldenen Rehbock bespannt. Geschwind rief sie Hänschen herbei, daß er auch hineingucken sollte. Und als sie sich erst tüchtig umgesehen, ob die Frau nicht heimkehre, und da von der nichts zu sehen war, schlossen sie schnell die Tür auf, zogen den Wagen samt Rehbock heraus, setzten sich drunten hinein in den Wagen und fuhren auf und davon. Aber nicht lange, so sahen sie von weitem die alte Frau und auch den Menschenfresser sich entgegenkommen,


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gerade des Wegs, den sie mit dem geraubten Wagen eingeschlagen hatten. Hänslein sprach:

"Ach, Schwester, was machen wir? Wenn uns die beiden Alten entdecken, sind wir verloren."

"Still!" sprach Gretchen, "ich weiß ein kräftiges Zaubersprüchlein, welches ich noch von unsrer Großmutter gelernt habe:

Rosenrote Rose stich;
Siehst du mich,
So sieh mich nicht!

Und alsbald waren sie verwandelt in einen Rosenstrauch. Gretchen wurde zur Kose, Hänslein zu Dornen, der Rehbock zum Stiele, der Sagen zu Blättern.

Nun kamen beide, der Menschenfresser und seine Frau, dahergegangen, und die wollte sich die schöne Rose abbrechen, aber sie bach so sehr, daß ihre Finger bluteten und sie ärgerlich davonging. Wie die Alten fort waren, machten sich die Kinder eilig auf und fuhren weiter und kamen bald an einen Backofen, der voll Brot stand. hörten sie aus demselben eine hohle Stimme rufen: "Rückt mir mein Brot, rückt mir mein Brot. Schnell rückte Gretchen das Brot und tat es in ihren Sagen, worauf sie weiterfuhren. Da kamen sie an einen großen Birnbaum, der voll reifer schöner Früchte hing, aus diesem tönte es wieder: "Schüttelt mir meine Birnen, schüttelt mir meine Birnen!" Gretchen schüttelte sogleich, und Hänschen half gar fleißig auflesen und die Birnen in den goldenen Wagen schütten. Und wieder kamen sie an einen Weinstock, der rief mit angenehmer Stimme: "Ppückt mir meine Trauben, pflückt mir meine Trauben! Gretchen pflückte auch diese und packte sie in ihren Sagen.

Unterdessen aber waren der Menschenfresser und seine Frau daheim angelangt und hatten mit Ingrimm wahrgenommen, daß die Kinder ihren goldenen Wagen samt Rehbock gestohlen, gerade wie diese beiden ebenfalls vor langen Jahren Wagen und Rehbock gestohlen und noch dazu bei dem Diebstahl einen Mord begangen hatten, nämlich den rechtmäßigen



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Eigentümer erschlagen. Der mit dem Rehbock bespannte Wagen war nicht nur an und für sich von großem Wert, sondern er besaß auch noch die vortreffliche Eigenschaft, daß, wo er hinkam, von allen Seiten Gaben gespendet wurden, von Baum und Beerstrauch, von Backofen und Weintock. So hatten denn die Sente, der Menschenfresser und seine Frau, lange Jahre den Wagen, wenn auch auf unrechtmäßige Weise, besessen, hatten sich gute Eßwaren spenden lassen und dabei herrlich und in Freuden gelebt. Da sie nun sahen, daß sie ihres Wagens beraubt waren, machten sie sich flugs auf, den Kindern nachzueilen und ihnen die köstliche Beute wieder abzujagen. Dabei wässerte dem Menschenfresser schon der Mund nach Menschenbraten; denn die Kinder wollte er sogleich fangen und schlachten. Mit weiten Schritten eilten die beiden Alten den Kindern nach und müden derer bald von ferne ansichtig. Die ,Kinder kamen jetzt an einen großen Teich und konnten nicht weiter, auch war weder eine Fähre noch eine Brücke da, daß sie hinüber hätten flüchten können. Nur viele Enten waren darauf zu sehen, die lustig umherschwammen. Die lockte Gretchen ans Ufer, warf ihnen Futter hin und sprach:

Ihr Entchen, ihr Entchen,
Schwimmt zusammen,
Macht mir ein Brückchen,
Daß ich hinüber kann kommen!

Da schwammen die Enten einträchtiglich zusammen, bildeten eine Brücke, und die Kinder samt dem Rehbock und Wagen kamen glücklich ans andere Ufer. Aber flugs hinterdrein kam auch der Menschenfresser und brummte mit häßlicher Stimme:

"Ihr Entchen, ihr Entchen,
Schwimmt zusammen,
Macht mir ein Brückchen,
Daß ich hinüber kann kommen!

Schnell schwammen die Entchen zusammen und trugen die beiden Alten hinüber — meint ihr? nein! in der Mitte des Teiches, da das Wasser am



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tiefsten war, schwammen die Entchen auseinander, und der böse Menschenfresser nebst seiner Alten plumpsten in die Tiefe und kamen um. Und Hänschen und Gretchen wurden sehr wohlhabende Leute, aber sie spendeten auch von ihrem Segen den Armen viel und taten viel Gutes, weil sie immer daran dachten, wie bitter es gewesen, da sie noch arm waren und betteln gehen mußten.


Das Tränenkrüglein

Es war einmal eine Mutter und ein Kind, und die Mutter hatte das Kind, ihr einziges, lieb von ganzem Herzen und konnte ohne das Kind nicht leben und nicht sein. Aber da sandte der Herr eine große Krankheit, die wütete unter den Kindern und erfaßte auch jenes Kind, daß es auf sein Lager sank und zum Tod erkrankte. Drei Tage und drei Nächte wachte, weinte und betete die Mutter bei ihrem geliebten Kinde, aber es starb. Da erfaßte die Mutter, die nun allein war auf der ganzen Gotteserde, ein gewaltiger und namenloser Schmerz, und sie ass nicht und trank nicht und weinte, weinte wieder drei Tage lang und drei Nächte lang ohne



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Aufhören und rief nach ihrem Kinde. Wie sie nun so voll tiefen Leides in der dritten Nacht saß, an der Stelle, wo ihr Kind gestorben war, tränenmüde und schmerzensmatt big zur Ohnmacht, da ging leise die Tür auf, und die Mutter schrak zusammen, denn vor ihr stand ihr gestorbenes Kind. Das war ein seliges Engelein geworden und lächelte süß wie dir Unschuld und schön wie in Verklärung. Es trug in seinen Händen ein Krüglein, das war schier übervoll. Und das Kind sprach: "O lieb Mütterlein, weine nicht mehr um mich! Siehe, in diesem Krüglein sind deine Tränen, die du um mich vergossen hast; der Engel der Trauer hat sie in dieses Gefäß gesammelt. Wenn du nur noch eine Träne um mich weinest, so wird das Krüglein überfließen, und ich werde dann keine Ruhe haben im Grabe und keine Seligkeit im Himmel. Darum, o lieb Mütterlein, weine nicht mehr um dein Kind, denn dein Kind ist wohl aufgehoben, ist glücklich, und Engel sind seine Gespielen." Damit verschwand das tote Kind, und die Mutter weinte hinfort keine Träne mehr, um des Kindes Grabesruh und Himmelsfrieden nicht zu stören.



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Sagen



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Die Hinzlein zu Aachen

Überall in Deutschland und den Nachbarländern gehen Sagen von Zwergen und Neckebolden, heißen da so und dort anders, Hinzelmännlein, Bergmanndli, Hütchen, Heinzchen, Wichtlein, Querchlein, Quarkse, stilles Volk, Unterirdische, sind ein wunderlich spukhaft Geistervolk, den Menschen gut und feindlich, je nachdem es kommt, hilfreich und zuwider, nütze und schädlich, doch am meisten den Guten mild und den Bösen feindlich gesinnt.

Solche Kobolde gab es auch zu Aachen, hießen dort Hinze, wie man auch hie und da in Deutschland die Katzen nennt, die Hexenlieblinge, wohnten im Felsgeklüft unter der Emmaburg. Da waren viele Gänge und unterirdische Keller, daraus zog in gewissen Nächten der Hinzenschwarm hervor mit spukhaftem Gelärm und Gepolter, klapperten an die Haustüren und trieben viel Tückerei und bösen Mutwillen. Kein Geisterbannspruch, kein Kreidekreuz an Türen und Läden half gegen den Nchtspuk der Hinzemännlein; erst als man eine Kapelle dicht an die Felsen der Emmaburg baute und deren Glocken zum ersten Male erklangen, da war alles vorbei — denn Glockengeläute können die Unterirdischen nicht hören und vertragen.

Aber die guten Aachener ahnten nicht, daß sich mit dem Kapellenbau erst recht eine Rute auf den Hals gebunden hatten. Denn die Hinzlein zogen zwar aus den Felsen fort, aber wo zogen sie hin? — In die Stadt Aachen zogen sie, in einen alten Mauerturm, zu dem ein unterirdischer Gang nach dem Felsen unter der Emmaburg führte, und nun ging der Spuk erst recht an. Der alte Turm lag unweit der Kölner Straße, da klopfte es zur Nacht an die Häuser, da knisterte es auf dem Herd, da rasselte und klapperte es in den Küchengeschirren, und das ging stundenlang



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so fort, daß kein Mensch ein Auge zutun konnte. Niemand wußte Rat gegen die schlimmen Poltergeister.

Da kam von auswärts her ein weit umgewanderter Gesell nach Aachen, der vernahm von dem Spuk und erzählte, solcher Zwergvölker gebe es in Thüringen und Sachsen vollauf, bei Jena, bei Königsee, bei Plauen, in der Grafschaft Hohnstein am Harzwald, bei Zittau in Sachsen, im Zobten Schlesien, im Kuttenberg in Böhmen und an vielen andern Orten, auch im ganzen Vogtland, in der Schweiz am Pilatus, im Erzgebirge, im Untersberg bei Salzburg sowie am Rhein usw. Da sei nichts besser, als man stelle vor jedes Haus ein Geschirr, ehern oder irden, dessen wären die Hinzlein sehr froh, benutzten es zur Nacht und stellten es ungeschädigt wieder an seinen Ort, ließen dagegen die Leute in Ruhe. Der Kat des guten Gesellen ward probiert und war probat, man folgte ihm und hatte

Kamen nachmals zwei fremde Kriegsgesellen nach Aachen, die hörten in ihrem Quartier von der Sache und der Sage, hatten Spottens kein Ende, daß die Aachner Töpfe und Kessel für die Zwergmännlein hinstellten, deren es doch auf der Welt keine gebe, und vermaßen sich, nachts Wache zu stehen, da sollten die Hinzen statt der blanken Kessel blanke Segen finden. Darauf bezechten sich die Kriegsgurgeln, setzten sich vor die Tür, sangen und hatten sich sehr lustiglich, schrien immer einer den andern an: "He da, Hinz, jetzt kommt der Hinz!" trieben einander zur Kurzweil auf der Straße um, jagten sich, traten sich, rannten durchs Hinzengäßlein hinter big zu dem alten Mauerturm, da hörte man sie beide noch einmal brüllen, dann war alles still.

Am andern Morgen lagen die Prahlhänse tot vorm Hinzenturm, hatte einer den andern durch und durch gestochen.



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Der Pilatus und die Herdmanndli

In der ganzen Schweiz, im Berner und Luzerner Land, im Haslital und fast allenthalben gehen Sagen von Zwergen und Berggeistern, die sich vielfach ähnlich sind. Absonderlich viel Redens ist von dem hohen Berge Pilatus und den Zwergen, die sonst in seinem Geklüft wohnten, die heißen Herdmanndli. Der Pilatus, das ist der rechte und wahre Brockenberg der Schweiz, auf welsch Fraxmont (mans fractus) geheißen, auf lateinisch mons pileatus, Hutberg, weil im Sand die bekannte Rede geht:

Hat der Pilatus einen Hut,
So steht das Wetter gut.

Aber es geht die Sage, daß nach Christi Tod und Auferstehung der römische Landpfleger Pilatus in dieses Land gezogen sei, oder gar, daß der Satan seinen Leichnam hergetragen. Da habe er am Berge den ungeheuerlichen See gefunden, der hat weder Zu noch Abfluß und ist wegen der unergründlichen Tiefe schwarz und gräßlich anzusehen, ein unheimlicher Moorgrund. Lange hat die Sage gelebt, daß wer etwas in den See werfe, alsbald ein heftiges Unwetter mit Hagel und Wolkenbrüchen errege, wie auch das Gewässer den Krienser Boden und Luzern, die Stadt, in den Jahren 1332 und 1475 in große Not gebracht. Darum hat man Fremde nicht gern hinzugelassen und das Hineinwerfen von Steinen oder Holz bei Leib und Lebensstrafe verbeten. In diesen See habe sich der römische Landpfleger gestürzt, weil sein Gewissen ihn fort und fort gepeinigt, andere sagen, der Teufel habe ihn hineingesteckt.

Die Herdmanndli wohnten vielfach in der Pilatushöhle, die hoch oben liegt, tief und schaurig. Sie waren den Menschen gar gut und hilfreich, gar "gespässige Lüeth", wie die Hirten sagen; sie verrichteten nachts der Menschen Arbeit, kamen vom Berg auch herunter in die Täler, schafften



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und ackerten redlich, und ein Herdmanndli konnte mehr verrichten als zehn Meister mit allen Knechten. Aber sehen ließen sich die Manndli wunderselten, und auch da hatten sie lange, graue Kutten an, die big auf die Erde reichten, daß man nimmer ihre Füße sah.

Einem Hirten begegnete es, daß er einen reichtragenden Kirschbaum oben am Berge hatte, dem pflückten die geschäftigen Zwerglein die Kirschen ab und brachten sie zum Trocknen auf die Hürden, daß hernach gutes Kirschwasser gebrannt werden konnte. Der Hirt ward neugierig, zumal wollte er gern die Füße der Herdmanndli sehen. Er freute Asche rings um den Baum, als die Früchte im nächsten Jahre wieder reiften. Die Herdmanndli kamen, pflückten redlich die Kirschen ab, und am Morgen sah der Hirt ihrer Füßlein Spur in der Asche. Es waren eitel kleine Gänsefüße. Der Hirte lachte und sagte es freudig seinen Genossen an, daß nun wisse, was für Füße die Herdmanndli haben. Die Zwerge ergrimmten, zerbrachen des Hirten Dach und Fach, versprengten seine Herde, zerknickten dem Kirschbaum Alst um Ast, und ihrer keines kam jemals wieder herunter, den Menschen hilfreich zu sein. Sie blieben droben in ihrer tiefen Höhle und in ihrem Geklüft wohnen. Der Hirte aber wurde ganz tiefsinnig, schlich bleich umher und hat nicht lange gelebt.


Die Bergmanndli schuhen Herden und Fische

Die Bergzwerge schätzen und lieben die Gemsen, sie wollen nicht, daß die Jäger sie töten, und manchem Alpenjäger ist es deshalb schon gar schlecht ergangen. Guten Jägern, denen sie wohlwollten, haben sie wohl auch das eine und das andere Stück hingestellt, der durfte aber bei Leib und Leben nicht mehr schießen, als mit den Bergmanndli verabredet war, sonst schmissen sie ihn die Felsen hinunter und bliesen ihm das Lebenslicht aus elendiglich.

Da war einmal ein Gemsjäger, der verstieg sich hoch in die Felsen, auf



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einmal stand ein eisgraues Bergmanndli vor ihm da und sprach ihn zornig an:

Was verfolgst du meine Herde?

Der Jäger war ganz erschrocken und sprach:

"Hab' ich doch nicht gewußt, daß die Gemsen dein sind. Sprach der Berggeist:

"Du sollst jede Woche vor deiner Hütte ein Grattier finden, aber du hütest dich und schießest mir kein anderes.

So geschah's, der Jäger fand alle Wochen den frischen Braten, der machte ihm aber gar keine Freude. Er konnte die Jagdlust nicht bezwingen, stieg wieder hinauf zu Berg und Holz, ward auch bald eines Gemsenleitbocks ansichtig, auf den legte er rasch an, zielte und schoß — aber wie er losdrückte, hob sich hinter ihm der Berggeist aus dem Boden und zog ihm die Hagen unterm Leib weg, daß er niederstürzte und in den Abgrund hinunterschmetterte.

In Malters saß ein Untervogt, der hieß Hans Bucher, der wollte auch gern einmal ein Herdmanndli sehen; war gar ein eifriger Fischer und Jäger, aber sonst ein frommer Mann, stieg eines Tages hinauf am Pilatus, folgte dem Rümligbach und wollte gern Forellen fangen. Da sprang ihm jählings ein Herdmanndli hinterwärts auf den Rücken und drückte ihn mit solcher Gewalt



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mit dem Gesicht in den Bach nieder, daß er meinte, er müsse versaufen. Dabei sagte das Herdmanndli zürnend:

Ich will dich wohl lehren, meine Tierlein fangen und jagen.

Als der Untervogt nach Hause kam, war er halbtot und sah im Gesicht aus wie der Tod von Ypern; war auch auf der einen Seite erlahmt und kam nimmermehr auf den Berg, zu jagen oder zu fischen.

In Obwalden war ein alter Landamman, der hieß Heinrich Immlin, der hat selbst erzählt, wie er einmal zum Pilatus hinangestiegen auf die Gemsjagd, da begegnete ihm ein Zwergmanndli und verlangte, er solle flugs umkehren. Nun ist der Landamman ein Starker, stattlicher Mann gewesen, der spottete des Zwergs und sagte:

"He, du wirst wohl große Macht haben, mir was zu wehren!

Kaum gesagt, so sprang ihn der Zwerg an, drückte ihn an einen Felsen, schwer wie ein Pferd, daß ihm schier die Seele ausfuhr und die Sinne ihm vergingen. Lag da eine halbe Stunde für tot, bis die Seinen ihn fanden, erquickten und heimführten.


Kastelen-Alpe

Auf der Kastelen-Alpe wohnte ein reicher Bauer, der hatte viele Herden und Matten, und drunten in Kriens hatte er eine arme Muhme, die war Witwe, hatte nur eine einzige Tochter und nährte sich mit dieser gar kümmerlich, lag auch schwer an der Gicht danieder. Da entschloß sich das Maidli, hinauf auf die Alp zum reichen Vetter zu gehen und ihn um eine Unterstützung anzusprechen.

Als sie auf der Alpe ankam, stieg ein schrecklich Gewitter am Himmel auf, ihr aber ward kein Trost und keine Gabe, nur Hohn und Scheltworte, und sie ließen droben auch trotz des drohenden Wetters das Mägdlein wieder fortgehen. Das kam tüchtig in das Wetter und erreichte mit Not die Hütte eines Sennen. Das war ihr Bub Aloys, der hatte noch einen kleinen Käs, den gab er ihr für sie und ihre Mutter.



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Raschen Schrittes eilte die Dirne abwärts, da glitt sie auf der glatten Trift, fiel hin, und der Käs rollte in die Tiefe, unaufhaltbar in unzugängliche Felsklüfte. Weinend und kummervoll schaute die arme Dirne dem entrollten Käse nach. Da faßte etwas ihre Hand, und sie erschrak zu Tode, und bei ihr stand so ein klein winziges graues Herdmanndli, das hatte auf seiner Schulter das verlorengegangene Stückchen Alpenkäse, etwa so groß wie ein Viertelsmühlstein, und in der Hand ein Büschel Kräuter, und sprach:

"Magst den Käs mit heimnehmen und deiner Mutter von den Kräutern einen Tee kochen, sollst nicht mehr hilflos weinen.

Hoch droben im Gebirg aber tobte das Unwetter noch fort, über alle Maßen greulich, und war ein Donnern, Tosen und Krachen, als ginge die Welt unter. Wie das Maidli zur Mutter kam, war der Käs ein Stück schweres Gold geworden, und vom Kräutertee wurde die Mutter ganz gesund. Über die Kastelen-Alp aber hatte sich im Gewitter ein Bergsturz geschüttet, die Matten verwüstet, die Herden erschlagen, und ein Stein, etwa so groß wie ein Alpenkäs, hatte dem geizigen Vetter einen Fuß abgeschlagen.

Später ist er noch zu seiner Muhme Haus gehinkt gekommen und hat gebettelt.


Die Herdmanndli ziehen weg

Es schon viel gesagt, wie gut gegen die guten Menschen die Bergzwergli des Pilatus waren; kleine, zwei Fuß hohe Männlein mit grünen oder grauen Röckchen, mit Füßen, die man nicht sah, langem Silberbart bis zur Erde herunter, die hüteten das edle Gestein im Berge, waren den Menschen hilfreich, kamen wohl auch und begehrten Speise, liebten insonderheit das Schweinefleisch, und wer ihnen gab, hatte es gut und erfreute sich ihrer Gunst. Wenn ihnen die Sennerinnen etwas Milch beiseitestellten, so molken und fütterten sie und waren ganz heimisch bei den



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Mägden; sie konnten auch wahrsagen aus Karten und Händen und waren geschick zu allen Dingen, aber erzürnen durfte man sie nicht. Wem sie im Sommer beim Heuen halfen, der konnte zufrieden sein, sie mehrten das Heu wunderbar. Manchmal sahen sie auch dem Heuen zu und halfen nicht. Einstmals verdroß das einen Heuer, der machte mit noch einem Kameraden, bevor die Arbeit anging, ein Feuer auf den Felsstein, darauf die Herdmanndli zu sitzen und zuzusehen pflegten, und kehrten dann geschwind Asche und Kohlen vom heißen Steine weg. Als die Manndli kamen und den Stein betraten, verbrannten sie sich ihre Füße. Da schrien überlaut: "O böse, böse Welt!" — und kamen nimmermehr wieder.

So auch kamen Bergmanndli vom Pilatus ing Haslital von den Felsen herunter, den Heuern zuzuschauen; sie waren gewohnt, sich auf die ASSe und Zweige eines schattigen Ahornbaumes zu setzen. Das merkten Schalke und sagten die Asse knapp durch, daß die armen Manndli herunterfielen. Da erhuben sie ein jämmerlich Geschrei und riefen:

"O wie ist der Himmel so hoch!
O wie ist die Untreu so groß!
Heute hier und nimmermehr!

Und nachher hat sich im Haslital niemals wieder eins sehen lassen.


Der Drescher und der Zwerg

In der Burgscheuer zu Schweckhausen draschen einmal zwei Drescher Erbsenfrucht auf der Tenne aus; die Schoten waren groß und ausgiebig, und nach dem Ausdreschen worfelten sie die Erbsen, aber als sie bald fertig waren, sahen sie, daß es kein Haufen wurde. Die Erbsen flogen wohl durch die Luft, und die Spreu fiel nieder, aber auf die Tennen kamen keine Erbsen. — "Höre, das geht nicht mit rechten Dingen zu", sagte der eine Arbeiter zum andern, und der erwiderte: "Da hat der Kuckuck sein Spiel", und warf seine Wurfschaufel in die Höhe, nach der Stelle hin, wohin sie



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die Erbsen geworfen hatten. Mit einem Male steht ein Zwerg sichtbarlich vor ihnen, der hält einen großen Sack aufgesperrt, und dahinein waren alle Erbsen geflogen. Durch den Schaufelwurf war aber dem Zwerg die Nebelkappe vom Kopf gestreift, daher war er nun sichtbar geworden.
Rasch fuhr der Knecht zu, nahm die Kappe weg, und der andere griff nach seinem zur Seite liegenden Dreschflegel, um auf den Zwerg loszuschlagen. Der aber flüchtete eilend von dannen, ließ den Sack mit Erbsen zurück und auch seine Nebelkappe. Die ist hernach noch lange im Schloß aufbewahrt worden, und die Herren haben damit viel Kurzweil getrieben.


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Von den Schweckhäuserbergen

In der Göttinger Gegend, zwischen den Dorfschaften Waake, Landolfshausen und Mackenrode, liegen die drei Berghohen, die man vereint die Schweckhäuserberge nennt. Eine dieser Höhen ist etwas länglich gedehnt, wie so manches in dieser Erdenwelt, die heißt der lange Schweckhäuserberg und trug früher auf seinem Gipfel ein Ritterschloß. Obschon keine Trümmer davon mehr vorhanden sind, gehen doch die Einwohner der drei genannten Orte gern hinauf auf den Gipfel, der freien Natur und schönen Aussicht zu genießen, besonders am ersten Ostersonntag, und erzählen sich mancherlei Mär und Sage von diesen Bergen. Ein Heidentempel habe einst droben gestanden, mit einem ehernen Riesenbilde, hohl wie der Herkules auf der Wilhelmsshöhe bei Kassel, das die Heidenpriester zu allerlei Trug und Blendwerk benutzt, und statt selbst zu predigen, hätten sie das metallene Bild predigen lassen.

In den Bergen sollen Zwerge seßhaft gewesen sein. Von ihnen hat einer die Tochter eines Schafhirten gern gesehen, aber sie liebte bereits einen treuen Schäfer und war für den Quarksen nicht zu Hause, zumal er neben der Kleinheit vorn und hinten mit einem merklichen Verdruß aufwartete, kleine Schweingäugelein, beträchtliche Lippenwülste, Schlappohren, ein aschgraues Gesicht und die Annehmlichkeiten grüner Zähne und stets feuchter Nase, etwa wie der Spiegelschwab im Volksmärchen, besaß. Doch hatte der Zwerg eine große Tugend, er war über die Maßen reich und spendierlich und schenkte drauf und drein. Da die Mutter besagten Mägdleins, das Lorchen hieß, die Gaben nicht zurückwies, so meinte der Zwergenmann, er habe nun ein Recht, und sagte endlich kurz und rund zur Allten:

Daß du es weißt, deine Tochter wird mein — es wäre denn, du wüßtest meinen Samen zu nennen; kannst du das, wenn ich wiederkomme, so soll es auch gehen wie im Kindermärchen, dann will ich weichen, und das



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Lorchen soll freie Wahl haben nach dem Orakel der Gänseblume zwischen Edelmann, Bettelmann, Schulmeister, Pfarr'."

Damit ging er nicht in bester Laune hinweg.

Das war der Mutter des Mägdleins gar unlieb zu hören, klagte es dem Liebhaber ihrer Tochter und riet ihm um sein selbst und seiner Liebe willen, des Zwergen Samen auszukundschaften. Das deuchte nun freilich dem jungen Gesellen ein schweres Stück und war's auch in der Tat, denn es gibt der Wichtlein wohl ab und auf all um den Rhein, in Preußen und Reußen, dünken sich wunders viel zu sein und zu bedeuten, und wenn einer nach ihnen umfragt in allen Landen, hat niemand die Tausendteufelskröpel jemals auch nur nennen hören.

Der Schäfer spähte nun gar fleißig umher, und als einmal der Zwerg sich zeigte, schlich er ihm nach, allein plötzlich verschwand er an einem Steinfelsen. Als der Schäfer zum Fels trat, sah er eine schöne rote Blume darauf blühen, und innen hörte er hämmern und klingen. Der Zwerg schmiedete und sang dazu:

Hier sitz' ich, Gold sch" ich,
Ich heiße Holzrührlein, Bonneführlein;
Wenn das die Mutter wüßt',
Behielt sie ihr Lürlein.

Das nahm sich der Schäfer zu Ohren und hinterbrachte es schnell seiner Liebsten und ihrer Mutter. Bald darauf kam der Zwerg wieder und fragte:

"Weißt du meinen Nanen?"

"Ach", sagte die Alte, "wie kann ich Euern Namen wissen? Ihr werdet wohl am Ende Vitzliputzli heißen.

"Nein, so heiße ich nicht!"grölzte der Zwerg.

Oder Peter Neffert?" riet die Alte neckend weiter.

"Nein so gar nicht!" antwortete jener. "Ich frage zum dritten- und letztenmal, wie heiße ich?

Da sang die Alte:



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Im Felsen sitzt Ihr, Gold schnitzt Ihr:
Ihr heißet Holzrührlein, Bonneführlein;
Und weil das die Mutter weiß,
Kriegt Ihr nicht mein Lürlein!

"Das hat dir der Teufel gesagt, Weib!" schrie voll Ärger der Zwerg, fuhr ab und lieg sich nimmermehr wieder sehen. Der Schäfer aber hat das Lorchen geheiratet und ist mit ihr glücklich geworden.


Der goldene Kegel

Bei Argen, zwischen Pyrmont und Hameln, liegt der Lüningsberg, auf dem haben über einen schönen, grünen Rasen weiße Geister zur Nachtzeit mit goldenen Kugeln nach goldenen Kegeln geschoben. Das ist ein Rollen und Klingen gewesen, daß bisweilen die Vögel vom Schlummer erwachten und des Waldes Tiere gekommen sind und haben neugiervoll unter den Büschen hervorgelugt; die Menschen aber haben sich nicht herzugewagt, denn jedem, der dies hätte versuchen mögen, wandelte ein geheimes Grauen an.

Ein kecker Webergeselle faßte sich aber endlich doch ein Herz, er meinte, solch ein goldener Kegel sei mehr wert als ein hölzerner Webstuhl, und wollte sein Glück einmal mit den Geistern versuchen. In einer lauen Sommernacht erstieg er den Lüningsberg, trat in den Wald, kam an den Geisterrasen, sah des Berges kleine weiße Geister, wie sie eifrig Kegel schoben und keinen Kegeljungen dazu brauchten, denn die Kugeln rollten von selbst zurück, und die Kegel Stellten sich von selbst wieder auf. Pfeilschnell und klingend rollten die Kugeln, mit tönendem Hall sanken die Kegel um, und die Tiere lauschten, und die Vöglein huschten im Gezweig. Hui flog ein Kegel um, der rollte rasch zu dem Weberburschen hin, der ängstlich und bebend im Gebüsche lag, er hatte ihn in der Hand, wußte selbst nicht wie, und nun auf und davon.



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Alsbald, wie die Geister den Verlust ihres Kegels erblickten, setzten sie hinter dem Räuber her, der lief schon über die Wiese am Bergesfuß, da floß die Humme, und ein Baumstamm lag über ihr als Brücke von einem Ufer zum andern. Wie der Webergeselle den morschen Stamm betrat, merkte er die Geister dicht hinter sich, verfehlte den rechten Tritt, sprang in den Bach hinab. Da riefen Stimmen:

Das war dein Glück! Im Wasser haben wir keine Macht! Hätten wir zu Lande dich erreicht, so hätten wir dir den Hals umgedreht!"

Die Geister schwebten von dannen —



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der Bursche aber hielt den Kegel fest, kam glücklich heim, baute vom Golde des Kegels ein Haus freite sein Mädchen und wurde glücklich.

Noch zeigt man am Mühlbach das Haus, eine große Linde steht davor, noch zeigt man auch am Lüninggberge die Geisterkegelbahn, aber die Geister kegelten seitdem nicht mehr, da der neunte Kegel ihnen geraubt wurde.


Das stille Volk zu Plesse

Tief unterm Boden des Burgberges der Plesse wohnt ein stilles Zwergenvolk, hilfreich und guttätig den Menschen, das sich unsichtbar zu machen vermag und durch jede verschlossene Tür, durch jede Mauer wandelt, wie es ihm beliebt. Bei dem tiefen Felgbrunnen ist der Haupteingang in des stillen Volkes unterirdisches Reich.

Wie die Herren Studenten zu Göttingen gar gern die Burgruinen der beiden Gleichen und die absonderlich schöne und anmutige der Plesse besuchen, so tat auch ein Göttinger Student im Jahre 1743. Er hatte ein Buch mitgebracht, und da er sich auf dem von lieblichen Schatten malerischer Bäume umspielten Burgplatz allein fand, legte er sich auf den Rasen und las. Ein süßer Geruch wie von Waldmeister, Maienglöckchen und Flieder schläferte ihn ein.

Sange schlief er, bis ein Donnerschlag und strömender Regen ihn weckten. Dunkel war es um ihn her, nur Blitze beleuchteten mit fahlem Schein die verwitternden Trümmer. Der Student betete, denn damals pflegten die Studenten noch zu beten, jetzt werden's wohl nur noch wenige tun — da kam ein Licht auf ihn zu. Ein kleines altes Männchen mik eisgrauem Bart trug 's und hieß jenen ihm folgen. Das Männlein führte den Jüngling zum Brunnen, in dem ein Brettergerüst stand, darauf traten beide, und jetzt ging es wie auf der schönsten Versenkung eines Theaters sanft zur Tiefe bis auf den Wasserspiegel. Da wölbte sich eine Grotte, in der es trocken und reinlich war. Da sagte das Männlein:



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"Es steht dir nun frei, hier im Trocknen zu verharren, bis droben das Unwetter vorüber, oder mir in das Reich der Unterirdischen zu folgen.

Der Student erklärte, letzteres wählen zu wollen, wenn keine Gefahr ihm drohe. Darüber beruhigte ihn das alte eisgraue Männlein, und so folgte er ihm gleich einem Führer durch einen gar niedern und engen Gang, der für das Männlein just hoch und weit genug war, aber für den Bruder Studio nichts weniger als bequem, so daß ihm ganz schlecht wurde. Endlich traten beide aus dem Gange und sahen vor sich eine weite Landschaft, durch die ein rauschender Bach floß, mit Dörfern aus lauter kleinen Häusern, wie die chinesischen, und ganz kunterbunt bemalt wie die Wachtelhäuser.

In das schönste dieser Häuschen traten sie ein, und darin war des eisgrauen Männleins werte Familie, der unser Studiosus Theologia aus Göttingen vorgestellt wurde. Hierauf grüßten ihn die Anwesenden mit einer stillen Verbeugung. Dann stellte das Männlein dem Studenten die werte Familie vor, seinen Väter, das war ein ganz schneefarbiger Greis, und ebenso seine Mutter, beide so alt, daß sie nur noch auf Stühlen sitzen, nicht mehr stehen und gehen konnten; dann seinen Großvater und seine Großmutter, die hatten beide kein Härlein mehr auf ihrem Kopf und kein Fleisch mehr auf ihren Knochen und konnten bloß liegen, dann des Männleins Frau, auch schon in den Sechzigen, und ihre Kindlein von dreißig big vierzig Jährchen und die kleinen Enkelchen etwa von vierzehn bis fünfzehn Jahren. Dazu sprach der alte Großvater einige Worte des Grußes, der Gast aus der Oberwelt möge sich nur umsehen und ohne Furcht sein. Dann kam die jüngste Tochter, die war nur eines Schuhes hoch, doch dreizehn Jahre alt, und sagte: "Es ist angerichtet.

Das hörte der Student gern, daß die stillen Leutchen auch anrichteten. Und die Tafel war königlich, was die Geräte, Tafeltücher von Asbest gewebt, Teller und Löffel von Gold, Messer und Gabeln von Silber und dergleichen betraf. Das Essen war und schmeckte gut, und was das Trinken anlangte, so dünkte dem Studenten, er trinke den köstlichsten Wein, die Zwerglein aber behaupteten, es sei nur Wasser.



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Nach Tische erzählte der uralte Vater dem Studenten viel von der Einrichtung des unterirdischen Reiches. Ihm und den Seinen, ala geborenen Herren, gehorche alles willig und gern. Landstände habe das Land keine, und er als Regent halte auch keine Minister — die einen seien so teuer und so unnütz wie die andern. Es gebe in diesem stillen Reiche nur Friede, Zufriedenheit und Wohlwollen. Ein jeder tue ungeheißen seine Pflicht. Es gebe keine Zwiste, keine Kriege, keine sogenannte Politik. Man kenne hierunten keine Wühler als die Maulwürfe und Reitmäuse, und die stammten nicht aus dem unterirdischen Reiche.

Wie der Alte noch redete, erscholl ein Zeichen von einem stark geblasenen Horne; das Zeichen zum Gebet. Alles faltete die Hände und fiel auf die Knie und betete still und leise. Der Abend brach an, und es kamen Lichte auf großen silbernen Armleuchtern, und man ging in ein anderes Zimmer.

Alles, was er bis jetzt gesehen, gehört und wahrgenommen, reizte gar sehr die Wiß- und Neubegier des Studenten. Er dachte, es müsse nicht übel sein, über diesen so wohlgeordneten Staat unter dem althessischen Boden eine Reisebeschreibung zu verfassen und herauszugeben zu Nutz und Frommen der Oberwelt, und wollte schon beginnen, sich Bemerkungen in seine Brieftasche zu machen. Aber das alte Männlein verhinderte ihn daran und sagte:

Laß das! Ihr da oben lernt doch nicht, glücklich zu sein; ihr versteht das Befehlen so schlecht wie das Gehorchen. Ziehe hin und fürchte Gott, ehre den Herrscher und die Gesetze und scheue niemand!

Der Studiosus fand es sonderbar, daß man die Gäste, die man erst eingeladen, gehen heiße, mußte sich aber fügen. Er empfing noch einige Gaben mit auf den Weg und fand sich unversehens wieder oberhalb des Brunnens auf der Plesse. Der Morgen war prächtig angebrochen, und der Burgwald erschallte von Vogelstimmen. Der Studiosus besah die Gaben und fand, daß es Gold und Edelsteine waren von hohem Wert. Er hatte, wenn er diesen Reichtum gut und vernünftig anwandte, genug für sein ganzes Leben.



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Von Moosleuten, Holzweibeln und Heimchen

Die Heimchen sind nicht wild, sondern traulich, wie ihr Name, der traulichste, der in deutscher Zunge klingt, und daher auch einem Tiere gegeben ward, das heimlich am heimischen Herde, am Backofen, in der Wärme weilt und dessen Zirpen der Volksglaube prophetische Bedeutung beilegt. Sie heißen im Lande Heimchen, nicht mit Heinchen oder Heinzchen zu verwechseln. Im Orlagau heißt Perchta die Heimchenkönigin und erscheint umschwärmt von dieser neckischen Elfenschar. Wie andernorts die Zwerge über Flüsse sich schiffen ließen und fortzogen, so bei den Dörfern Cosdorf und Rödern (welche nicht mehr vorhanden sind), im Orlagau die Heimchen.

An einigen Orten dieser Gegend heißen sie auch Butzelmännchen, Heimele, Erdmännele und werden gedacht als ganz winzig kleine Erdgeister, welche nur fingerslang sind und in den Mäuselöchern der Häuser wohnen. Gewöhnlich lassen sie sich in den Abendstunden sehen, sind weiß bekleidet, erweisen sich freundlichen Gemütes und führen in Zahl von mehreren Hunderten liebliche Kreiseltänze auf. Sie zeigen den Bewohnern des Hauses Glück oder Unglück im voraus an und hinterlassen zuweilen, wenn man sie sorgsam hegt, köstliche, obschon höchst niedliche Geschenke, welche zur Morgenstunde in goldnen Kästchen vor den Mäuselöchern aufgestellt sich finden.

Im Schnerfert bei Grobengereuth, auf dem roten Biel, gab es vorzeiten Waldweibchen in Menge. Sie sprangen auf den Heuschobern und den Getreidegarben herum und spielten miteinander wie die Kinder. Wenn Leute dazukamen, die sich bei dem Anblick der Kleinen blöde und furchtsam zeigten, so riefen sie ihnen freundlich zu:

"Kommt immer her, treibt, was ihr wollt, wir tun euch nichts.

Doch benaschten sie die Arbeiter gern und trugen ihnen wohl halbe und ganze Brote weg.



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Eine kecke Magd schritt am Dreikönigsabend von Neidenberg nach Saaltal, einem Dorf unweit Wilhelmsdorf, dicht an der Saale, heim, Sie war in einer Lichtstube zu Neidenburg spinnen gewesen und hatte ihren Rocken rein abgesponnen, auch hatten junge Burschen ihr das Geleit gegeben bis zum Bergabhang, der sich in das Flußtal senkt. Den Bergpfad herauf zog Perchta mit dem Heimchenvolke, und die Magd stutzte, als sie eine stattliche Frau sah, von einer so großen Schar Kinder umwimmelt, die noch dazu sich abmühten, einen großen Ackerpflug zu ziehen und bergauf zu schieben und anderes Geräte zu schleppen. Das kam ihr ganz komisch vor, und sie lachte hellauf, daß es drüben von der Bergwand widerhallte. Darob erschraken die Heimchen, daß sie abließen von ihrem Gerät, und alles, samt dem Pflug, rollte wieder den steilen Pfad hinab.

Zürnend trat Frau Perchta vor die Unbesonnene und blies ihr in die Augen. Alsbald schlossen sich diese in starrer Blindheit. Angstvoll irrte sie nun und pfadlos über Stock und Stein, irrte die ganze Nacht, und erst am Morgen fand man sie und fuhr sie über den Strom zu ihrer Herrschaft in Saaltal, die sie nun aus dem Dienst wies, und so wurde die Hilflose eine Bettlerin.

Da saß sie nun oft weinend und ihren Vorwitz bereuend am Weg und an der Überfahrtstelle, und das geschah auch, als der Dreikönigsabend wiederkehrte. Die Blinde hörte, daß eine Frau des Weges kam, Gewänder rauschten, und es trippelte und trappelte wie von vielen Kindern, und sie erhob ihre Stimme und flehte um eine Gabe. Die Frau aber war Perchta mit ihrem Völklein und sprach:

"Du sollt eine Gabe han. Vorm Jahr blies ich dir zwei Lichtlein aus, heuer zünd' ich sie wieder an", blies der Bettlerin ins Gesicht und schritt weiter. Mit einemmal taten sich die Augen der Magd auf, und sie sah wieder wie zuvor. Nie vergaß sie, was ihr geschehen, und erzählte es oft, andern zur Warnung und zur guten Lehre.



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Nibelung von Hardenberg und der Zwerg Goldemar

Im Jülicher Lande saß ein Edler des Namens Nibelung von Hardenberg, dem gehörten die Schlösser Hardenberg, Hardenstein und Rhauental, und bei ihm wohnte ein Zwergenkönig oder Elbe, der hieß Goldemar, der war dem Nibelung von Hardenberg und nicht minder dessen schöner Schwester sehr zugetan, gab Ratschläge und war hilfreich in allen Sachen. Und obschon der Eld Goldemar sich nicht sehen ließ, vielmehr stets unsichtbar blieb, ließ er sich doch deutlich wahrnehmen. Er trank Wein mit dem Ritter, spielte mit ihm und seiner Schwester mit Würfeln und spielte auch die Harfe gar wundersam, daß kein Mensch auf Erden ihr solche Töne entlocken konnte. Wollte Nibelung sich überzeugen, ob wirklich der Elbe bei ihm sei, so fühlte er nach dessen Hand, und die war sehr klein, zart, weich und warm.

Dieser Elb trieb es also drei Jahre lang auf Hardenbergs Schlössern und beleidigte niemand, da geschah es, daß er beleidigt wurde, denn die Hausgenossen, denen seine Anwesenheit unverborgen war, wurden von Neugierde geplagt, ihn zu sehen und doch zu erfahren, wie der Elbe aussähe. Sie streuten heimlich Asche auf den Fußboden und Erbsen, und Goldemar, der Zwerg, kam, sich nichts versehend, in den Saal und trat auf die Erbsen und glitt aus und fiel, und seine Gestalt drückte sich in die Asche ab. Die war aber wie eines sehr jungen Kindes Gestalt, und die Füße waren ungestaltet.

Nun kam der Elbe Goldemar nimmer wieder auf des Hardenbergs Schlösser. Er wandte sich anderswohin und entführte eine Königstochter, die hieß Hertlin. Die Mutter dieser Königstochter starb vor Leid über der Tochter Verlust, letztere aber ward durch den sieghaften Helden Dietrich von Bern, den alte Lieder feiern, befreit und von ihm geehelicht.

Manche sagen, daß dieses Bern, wovon der Held Dietrich den Samen geführt, nicht das Bern in der Schweiz, auch nicht das welsche Bern:



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Verona, gewesen, sondern das rechte Dietrichs-Bern sei Bonn gewesen, der älteste Teil dieser Stadt habe auch Verona oder Bern geheißen, und da in dieses rheinische Land und Gefilde so viele Taten Dietrichs von Bern fallen, von denen in alten Heldenbüchern viel zu lesen, so dürfte wohl etwas Wahres an der Sache und Sage sein.

Der Gezwerg Goldemar habe, nachdem ihm Dietrich die Beute abgedrungen, die Kiesen zu Hilfe gerufen und Berge und Wälder ringsum schrecklich verwüstet.

Die Stadt Elberfeld soll ihren Namen von nichts anderm tragen als von den Elben, auf deren Felde sie begründet ward.


Geist Blaserle

Das Pfarrhaus zu Eisingen ist eine Zeitlang ein rechtes Spukhaus gewesen. Zuvörderst hielt sich ein Geist darin auf, der hatte die üble Gewohnheit, abends gleich nach Sonnenuntergang den Leuten in das Gesicht zu blasen, ohne sich sonst wahrnehmen zu lassen, und war unter dem Namen Blaserle" der Herrschaft wie dem Gesinde bekannt.

Einst bekam der Pfarrer eine Kuh geschenkt, aber kaum war das Tier im Stalle, so brüllte es fort und fort, fraß auch nicht und hatte sich so ungebärdig, daß der Pfarrer die Kuh verkaufen mußte, worauf sie denn ganz gut tat und gedieh. Das Blaserle war es gewesen, das die arme Kuh gequält. Das Federvieh gedieh auch nicht, es schrie sich tot. Das hai lange Zeit gedauert, und kein Mittel half, bis endlich das Blaserle von selbst aufhörte, seinen bösen Mutwillen gegen Menschen und Tiere auszuüben und aus der Pfarre wegkam, man wußte nicht wie.

Das war ein Geist, nun ging aber auch noch ein anderer im Hause um, des Natur war nicht luftig wie die des Blaserles, sondern schwerfällig. Er schlich und schlürfte mit so schweren Tritten durch das Haus,



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daß die Balken knackten, und tat schaurige Achzer, ohne sich jemals sichtbar zu zeigen. So ging er durch alle Stuben, über alle Treppen und durch die Ställe sogar. Er hatte keinen Samen, schien abei eine namenlose Qual mit sich herumzutragen.

Dieses war Summer zwei; nun kam aber auch eine weiße Sonne, die erschien sichtbarlich, schwebte stets nach dem Stalle und verschwand dort. Da es nun nicht gut ist, daß der Mensch allein sei, was auch von Geistern gelten mag, so erschienen auch noch eine Schlange mit einem Bund Schlüssel im Maule und ein gespenstischer welscher Hahn, die wandelten auch selbander oder zu dritt mit der Sonne nach dem Stalle und verschwanden dort.

Einst faßte, vom Pfarrer ermuntert, eine Magd sich ein Herz und folgte der Sonne, die ihr noch dazu stets winkte, und ging ihr mit einem Licht nach in den finstern Stall. Dort wies die Sonne in einen Winkel und verschwand. Anderntags grub man dort, hob einen großen Stein, fand darunter einen kupfernen Topf und darin die Gebeine zweier Sonnenkinder.



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Man begrub diese auf dem Kirchhof an dem Orte, wo das alte Weihwasser hingeschüttet wurde, und Sonne und Schlange kamen nicht wieder. Nur die Welschhahnengestalt ließ sich als gebratener Konsistorialvogel zuzeiten noch im Pfarrhause erblicken, wenn die Kirchenvisitation war oder das Fest der Kirchweihe.


Oic Allensteiner Zwergmännlein

Höher hinauf an der Alle liegt das Städtchen Allenstein, dem sie ebenso den Samen verlieh wie dem tiefer abwärts liegenden Allenburg. In Allenstein hausen Zwergmännlein in großer Zahl.

Eines reichen Ratsmannes Frau, namens Schellendorf, saß eines Abends allein in ihrer Stube; die Mägde waren im Hause beschäftigt, die Frau feierte und hatte kein Licht Sie hing ihren Gedanken nach. Da öffnete sich die Stubentür ganz weit, und in die Stube wimmelten die kleinen Männlein, jedes trug einen spitzen Hut und ein Laternchen mit blau brennendem Licht, auch führte jedes ein Zwergenfrauchen oder Jungfräulein im besten Putz.

Die Frau Schellendorf erschrak und schlug die Hände vor die Augen, blinzelte aber durch die Finger und sah, daß sich die Pärlein zum Reigen stellten und ihn auch alsbald zierlich begannen. Da trat plötzlich ein Männlein aus dem Kreis vor die Frau und rief mit grölzender Stimme:

Was blinzelst du? Du sollst nicht blinzeln! Mache deine Augen ganz zu

Die Frau tat es nicht, sie äugelte ferner durch die Finger. Da sprach das Männlein wieder:

Laß dir raten, Frau, und mache deine Augen zu!

Sie aber tat es dennoch nicht. Darauf sprach das Zwergmännlein zu einem andern:

Verschließe die Fenster!



171 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

Und gleich trat dieses andere Männlein vor die Frau und blies ihr in die Augen. Vom Augenblicke sah sie keinen Stich mehr und ist blind geblieben all ihre Lebetage,


Der Graf von Hoya

Drei Gaben sind es, die in mannigfaltiger Gestaltung die Sage durch Erd und Wassergeister, durch Zwerge und Kobolde edeln Geschlechtern insgemein verleihen läßt und an dieser Gaben Dauer der Geschlechter Fortblühen und Dauerbarkeit knüpft. Wie der Hinzelmann dem Herrn auf Hudemühlen Kreuz, Hut und Handschuh schenkte, Frau von Hahn dreierlei Stücke Goldes, der letzte Graf von Drgewiler von einer Fee ein Streichmaß, einen Trinkbecher und einen Kleinodring empfing, ingleichen auch die Frau von Ranzau durch ein Männlein oder Fräulein Rechenpfennige, einen Hering und eine Spindel zum Geschenke und Andenken von den Unterirdischen bekam und andere anderes erhielten, also geschah es auch einstmals einem Grafen von Hoya, daß in der Nacht ein kleines Männlein an ihn herantrat und ihn, da er sich entsetzte, ansprach und sagte:

"Fürchte dich nicht und höre die Werbung, so ich an dich zu tun habe, und schlage mir meine Bitte nicht ab.

"Was begehrst du?"fragte der Graf und fügte hinzu: "So ich 'a ohne meinen und der Meinen Schaden gewähren kann, sage ich dir's zu. Darauf hat das Männlein also gesprochen:

"Nächste Nacht wollen unserer etliche in dein Haus kommen, deiner Küche und deines Saales sich bedienen ohne Nachfragen und Lauschen deiner Diener, deren keiner etwas davon erfahren darf, das soll dir und deinem Geschlechte zugute kommen, und in keiner Art soll jemand geschädigt werden.

Der Graf sagte zu, den Wunsch des Zwergmännleins zu erfüllen, und trug Sorge, daß seine Leute sich alle niederlegten und ihrer keiner um



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Küche oder Saal im Wege war. Da kamen in der Nacht die kleinen Leute alle zu Hauf, wie ein reisiger Zug, und wimmelten über die Brücke hinauf in das Schloß und in die Küche und schafften und rüsteten, kochten und brieten und trugen Speisen auf in den Speisesaal, was aber sonst in diesem sich begab, ist niemand kundgeworden. Gegen Morgen kam dasselbige kleine Männlein, das den Grafen zuerst angeredet, dankte ihm höflich und brachte ihm drei Gaben dar; das waren ein Schwert, eine bunte Decke und ein güldner Ring, in dem ein roter Leu eingegraben war. Diese drei Stücke solle der Graf wohl bewahren und nicht von sich und seinem Hause lassen, so werde es Glück haben und behalten. Hernachmals hat der Graf wahrgenommen, daß der rote Löwe im Kingtchildlein jedesmal erbleichte, wenn in seinem Hause ein Sterbefall bevorstand. Nach der Zeit sind aber die Stücke doch hinweggekommen, und das Grafenhaus ist darauf erloschen; die Grafschaft Hoya ist dem Hause Hannover zugefallen.


Burggeist Poppele

Auf der Burg Hohenkrähen im Hegau Schwabens, die im Volksmund Kreihen genannt wird, haust ein wunderlicher Spukgeist, der muß schon seit mehr als ein paar hundert Jahren wandern oder, wie man dortzulande spricht, laufen. Selbiger Geist gehörte, als er noch in einem menschlichen Leibe umging, dem Vogt einer Witwe an, die auf Hohenkrähen saß, der hieß Hans Christian Poppel und war ein übergeschäftiges lustiges Männlein, das die Leute gern vexierte, das Gesinde fleißig zur Arbeit trieb. Nebenbei trieb er Ränke und Schwänke, wünschte auch auf der Welt nichts anderes und besseres, als dies immerfort zu tun. Da Poppel nun doch nach der Welt Lauf einmal nicht ewig leben konnte, so setzte er das Geschäft nach dem Tode fort, wurde ein Hilfsgeist und Neckebold mit Rübezahls Sutur und Launen und heißt im Volke allgemein der Poppele.

Seine Hilfe ist meist so unerbeten wie unwillkommen. Er trägt zwar die



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Garben in die Scheuer, aber er wirft sie durcheinander, statt sie auszudreschen. Er spannt zwar das Vieh an und ein, aber verkehrt; die Wagen und Kutschen hemmt er, wo es nicht nötig ist Manchen äffte Poppele, der zerbrechliche Ware hatte, stand als Baumstrunk oder als einladende Bank am Wege; setzten sich nun die Müden mit ihrem Glas- oder Eierkorbe darauf, plauz, saßen sie auf dem eignen Poppel, Strunk oder Bank waren weg, und die Tracht zertöpferte. Manchmal schon blies in stiller Nacht das Posthorn und kam dem Stadttor von Radolfzell immer näher,

immer näher; der Wächter dachte, du willst dem Postillon das Tor auftun, und wenn der Wächter nun dicht vor dem Tore das Horn hörte und tat das Tor sperrangelweit auf, so war kein Teufel da und auch kein Postillon — und nur in weiter Ferne hörte der Wächter, wie der Spukgeist eine grelle Sache aufschlug.

Will man den Poppele gut haben, so muß man ihn einladen zum Mitessen oder Mitfahren, und wenn er etwas recht und nicht verkehrt tun soll, dazu sprechen: "It ze lützel und it ze viel."

Auf dem Heuberge (einer also genannten Gegend) gibt es auch Hinzelmannähnliche Kobolde des Samens Poppele in mehreren Dörfern; ach, und wie viele, viele Poppele gibt es auch außerdem noch in Schwaden und



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im übrigen lieben Deutschland, die alles verkehrt machen! — sie heißen nur anders.

Die Benennung Poppele hat im Worte Popel, Popanz seine Wurzel — und geht durch ganz Unter-, Mittel- und Oberfranken bis Bamberg. "Ich hole den Popel, wenn du nicht artig bist!" — werden dort die Kinder bedroht.



***
Ein ähnlicher Geist wie der Poppele auf Hohenkrähen war der Kasperle oder Käschperle, auch eines Vogts, und zwar zu Gomaringen, der in einem einzelnen Hause spukte, welches das Volk Annaut (Unnoth) nennt. Er machte allerlei Spuk und Rumor in Haus und Hof, Stall und Scheuer, Boden und Keller, absonderlich gegen Weihnachten und in den Zwölften. Auch er machte alles verkehrt, wie so viele andere Käschperle, war auch ein Raucher und platzte zum Fenster heraus. Endlich war er auch ein Schnupfer und hielt den Leuten eine Dose hin, die war grün wie ein Kuhfladen und roch keineswegs nach Tonkabohnen. Wollte aber jemand dennoch eine Prise nehmen, so zog er schnell die Dose weg.

Zuletzt wurde das Haus gar abgebrochen, darin er spukte, und man führte das Holz herein ins Dorf Gomaringen und gedachte, den Kasperle loszuwerden. Dieser aber wartete, bis der letzte Wagen vollgeladen war, da saß er obendrauf und machte sich und die Last so schwer, daß die Pferde den Wagen kaum fortziehen konnten, denn der Umzug war nicht nach seinem Sinne. Und kaum waren des Hauses alte Schwellen wieder gelegt und die ersten Balken aufgerichtet, da war auch das Kasperle da und begann von neuem seine beschwerlichen Possen.

Endlich kam man auf den Gedanken, nachdem der Geist sechs volle Jahre gespukt hatte, den Körper des Vogts auszugraben, und siehe, der Leichnam ward noch unverwest und blutig befunden. Da wurde er noch einmal begraben, und von da an ward der Kasperle nimmer zu Gomaringen gesehen.



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Pumphut

In der Gegend um Pausa trieb sich vor langen Zeiten ein koboldähnlicher Bursche herum, aus dem die Leute gar nicht recht klug werden konnten und nicht wußten, ob er ein Mensch sei oder ein Hinzelmann; immer jedoch erschien er als ein Mühlknappe und wurde wegen eines eigentümlich geformten Hütleins, das er zu tragen pflegte, von alt und jung der Pumphut genannt. Er war ungeheuer fleißig, hielt es aber in keiner Mühle lange aus, weil er es durch neckische oder täppische Streiche immer dahin brachte, daß man ihm Feierabend gab. Er konnte, das sagten alle, die ihn kannten, mehr als Brot essen und hatte schon manchen, der an ihn wollte, garstig ablaufen lassen, meist aber trieb er bloß harmlosen Schabernack, wenn man ihn ruhig gewähren ließ.

So saß einst in einem Bauernhause zu Wallengrün die Familie, groß und klein, beim Mittagsmahle am Tische, umschwärmt von einer ungeheuern Schar von Fliegen, sich die Tür auftat und der Pumphut hereinsah. Er wurde freundlich willkommen geheißen und zur Teilnahme am Essen eingeladen, was er sich nicht zweimal bieten ließ, sondern rasch dabei war. Gleich, als ihm die gastliche Bäuerin die etwas zu fest geratenen Klöße auf den Teller gelegt hatte, ereignete sich ein Spaß, denn wie Pumphut seinen Kloß zerteilen wollte, zeigte der sich von solcher Härte, daß er unter dem Messer Pumphuts hinwegschlüpfte, wie eine Kanonenkugel durch die Stubentür schlug, durch die sich gegenüber befindliche Stalltür ebenso fuhr und sich auf das Horn eines scheckigen Ochsen spießte. Alle sperrten vor Verwunderung Maul und Nasen auf, Pumphut aber nahm sich ruhig einen Kloß nach dem andern und verzehrte ihn mit großem Wohlbehagen. Da ihn nun die Fliegen bei dieser angenehmen Arbeit aufs äußerste belästigten, so brummte er über deren große Menge gegen seine Wirte und riet, daß man doch das Ungeziefer zur Tür hinausjagen solle.



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"Ja, wenn sie sich hinausjagen ließen und draußen blieben", ward ihm erwidert, "was hilft denn aber das Hinausjagen ?

"Nun", entgegnete Pumphut, "so solltet ihr sie doch nur so lange an einem besondern Platz bleiben lassen, big das liebe Essen verzehrt ist, daß man Ruhe hätte vor den zudringlichen Bestien. Alles lachte, und der Hausvater sagte:

Tue Erdas doch, Pumphut, bringe Er dock die Fliegen auf einen Platz, Er ist ja ein Hexenmeister!

Der Pumphut fletschte, legte sein Hütlein auf eine besondere Stelle, gebot den Fliegen, sich hinein zu begeben, und zum Erstaunen aller schwärmten alle Fliegen wie ein Bienenschwarm in den Hut, so daß er voll und übervoll wurde und sie über den Rand noch wimmelnd aufeinanderkrochen. Pumphut aber wischte sich den etwas großen und breiten Mund, bedankte sich fein, nahm den Hut samt den Fliegen, trug sie zur Tür hinaus und schüttelte sie draußen in die Milchtöpfe, indem er laut lachend von dannen ging.



***
Pumphut ging, als echter Wühlknappe, wenn es ihm in einer Mühle nicht mehr gefiel, dem Wasser nach. Da kam er zu einer Mühle, die Burkhardsmühle genannt, wo er eine ziemliche Zahl Leute versammelt fand, denn es war ein neues Mühlrad erbaut, das sollte feierlich gehoben werden nach Müllerbrauch. Des freute sich Pumphut, denn daß es bei solchen Gelegenheiten nicht vollauf zu essen und zu trinken gegeben, wäre gegen alles Herkommen gewesen. Auf gastlichen Empfang ganz sicher rechnend, trat der wandernde Klapperbursch kecklich in die Stube, sprach seinen Handwerksgruß und Spruch und blinkte nach den großen Kuchen hin und den Würsten und was sonst zum Schmause bereits aufgeschüsselt war und vor Augen stand. Der Meister aber, der Pumphut nicht kannte, sonst hätte er wohl anders getan, ließ diesem ein Stückchen Brot reichen und ein Gläschen Branntwein einschenken, wie er das zu tun gewohnt war, wenn fechtende Klapperburschen das Handwerk grüßten. Der


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Pumphut ass sein Brot, leerte sein Gläschen und fragte den Meister, was vor sei, daß er so viele Leute bei sich habe?

Das Rad wird gehoben", sagte der Müller kurz.

So?" sagte der Pumphut noch kürzer und ging aus der Stube ohne großen Dank.

Nun ward die Arbeit des Radhebens begonnen, aber wer beschreibt des Müllers Schreck und Ärger, als sich fand, daß die Welle viel zu kurz

war und die Zapfen nicht bis dahin reichten, wohin sie doch reichen mußten. Der Müller und der Zimmermann und der Schmied schwuren zu dritt Stein und Bein, daß vorher alles genau abgemessen worden sei und richtig gepaßt habe, und nun erschien die ganze Arbeit vergebens.

Da fiel einem der Gase ein, daß der fremde Knappe am Ende der Pumphut möge gewesen sein, der geheimnisvolle Hexenmeister, der aus Ärger, daß man ihn so karg abgespeist, dem Müller solchen Schabernack spiele. Man stimmte bei, und einige liefen fort, womöglich den Pumphut



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einzuholen und zurückzubringen. Bald sahen sie ihn auch ganz langsam seines Wegs dahinschlendern und riefen ihm mit lauter Stimme zu; wer aber tat, als höre er nicht, war der Pumphut. Nun liefen sie, ihn einzuholen, noch schneller, mußten aber laufen, bis sie schwitzten und außer Atem waren, denn der Pumphut, obschon er ganz langsam ging, wie ein erzfauler Gesell, blieb doch von den Nachrennenden in immer gleicher Entfernung. Endlich ließ er sich einholen, hörte die Einladung, zur Mühle zurückzukehren, höhnisch mit an und zeigte keine Lust, Folge zu leisten. Nur vieles anhaltendes Bitten schien ihn zu bewegen, endlich mit umzukehren

In der Mühle ungleich freundlicher wie zuvor begrüßt, führte Pumphut gleich den Beweis, daß er mehr könne als Brot essen, denn er ass nun auch Braten, Schinken, Wurst und Kuchen in erstaunlicher Menge und trank dazu auf eine nicht minder in Erstaunen setzende Weise. Und als das geschehen war, ging er hinaus zum Rade, das erhoben mit seiner kurzen Welle und nicht ausreichendem Zapfen zwischen dem Gestelle stand, und kletterte nun auf das Brett, nahm sein Hütlein ab, klopfte damit an die eine Seite des Gestells, dann an die andere, da rückten die Seiten ganz sanft der Welle näher und nahmen den Zapfen auf.

Alles jubelte Beifall, und der Pumphut ging seines Weges, ohne ein Wort zu sagen.



Das Zwergvolk im Osenberge

Im Osenberge, aus dem vorzeiten die Jungfrau trat, die dem Grafen von Oldenburg das Horn darreichte, gibt es Zwerge und Erdmännlein. Im Dorfe Bümmerstett war ein Wirtshaus, das hatte von den Zwerglein gute Nahrung. Sie liebten das Bier und holten es gern, wenn es vom Brauen noch warm aus der Hütte kam, und bezahlten es mit gutem Gelde vom feinsten Silber, obschon solches Geld kein landübliches Gepräge hatte.



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Da ist auch einmal ein uraltes Zwerglein zu durstiger Jahreszeit in das Brauhaus gekommen und hat Bier holen wollen, hat aber großmächtigen Durst mitgebracht und gleich etwelche Züge in der Hitze getan. Darauf ist es eingeschlafen tief und fest, und niemand hat gewagt, es zu stören oder zu wecken. Aber als das steinalte Männlein endlich wieder aufgewacht ist, da hat es angehoben, bitterlich zu weinen und zu klagen:

Ach, ach, ach! Was wird mein Großvater mir nun für Schläge geben!

Und ist so eilend davongesprungen, daß es gar seinen Bierkrug vergessen gehabt, und nimmermehr ist das Männlein oder ein anderes Gezwerg wieder in das Brauhaus zu Bümmerstett gekommen. Den Krug aber hob der Wirt gut auf.

Dann heiratete des Wirtes Tochter, blieb aber mit ihrem Mann im Hause, setzte die Wirtschaft fort und hatten auch lange Zeit Nahrung vollauf. Endlich wurde durch Unvorsicht der Krug zerbrochen, und von da an ging gleich die Wirtschaft den Krebsgang, und mit dem Kruge war das Glück zerbrochen, denn Glück und Glas, wie bald bricht das, oder Glück und Glas, wie bald zerbricht ein Bierkrug!

Der Wirt, der die Tochter des alten Wirts gefreit hatte, wurde an die hundert Jahre alt und hat es selbst oft und viel erzählt, es ist aber schon lange her, daß er es erzählt hat, schon viele hundert Jahre.


Zwergschabernack

Bei Zittau liegt der Breitenberg, in dem hausten gutartige Zwerge, welche oft in der Stadt und den umliegenden Dörfern sich einfanden, den Menschen hilfreich waren und gern, wenn auch unsichtbar, an deren Leisen und Freuden teilnahmen. Bei guten Gelegenheiten und Gelagen ließen sie sich's trefflich wohl sein und vergüteten auf andere Meise, was sie genossen.



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Eines Tages rief eine Frau ihrem weggehenden Manne nach;

Eile, daß du bald zurückkehrst, damit wir nicht zu spät zur Hochzeit kommen!

Diesen Ruf hörten einige Zwerglein und riefen es ihren Brüdern, dem stillen Molke zu, daß Hochzeit gehalten werde. Gleich fand sich eine Schar zusammen, die wollten alle hin, und es hörte ihre Beratung darüber ein Mann, der am Breitenberge arbeitete, und rief ihnen zu:

Wenn ihr unsichtbar zur Hochzeit fahren wollt, ei, so nehmt mich doch auch mit, ihr guten Gesellen!

Die Zwerge stutzten, sagten ihm aber seines Wunsches Erfüllung zu, doch unter der Bedingung, daß er — obschon er essen und trinken dürfe, soviel er wolle, doch durchaus nichts heimlich zu sich stecken und mitnehmen dürfe.

So fuhren sie alle miteinander ungesehen zum Hochzeitshause; das war zwar schon ganz voll von Gästen, allein die Zwerglein bedurften wenig Kaum, zwischen jedem Gast saß ein Gezwerg, und der Peterbauer, den sie mitgenommen, hatte einen guten Platz, aber freilich kein hochzeitlich Kleid an, und hätte ihn einer gesehen, so würde er wohl an den Ort des ungebetenen Gastes befördert worden sein. Er zechte wacker und ließ sich's trefflich schmecken, und tat ihm nur leid, daß seine Frau nicht bei ihm war, denn der Bauer Peter war im Grunde ein guter Kerl und genoß nicht gern allein. Und diese Liebe zu seiner Frau ließ ihn sein Versprechen brechen und etwas einstecken.

Das nahmen die Zwerge übel, sie brachen schleunig auf, und der zunächst beim Peter saß, riß diesem die Nebelkappe vom Kopf und schwand hinweg samt den andern. Da saß der Peter in seinem Schmierkittel, mit vollen Backen und kauenden Zähnen, und alles sah auf den seltsamen Gast, und der war noch nie ein so angesehener Mann gewesen wie heute; der Peter aber langte tapfer zu und kaute und schluckte, was das Zeug hielt, denn er hatte die Entführung des leichten Zwergenmützchens von seinem Stichelhaar gar nicht wahrgenommen, bis er von verschiedenen Seiten her Püffe und Rippenstöße bekam, und erst noch hinter dem Braten her die



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Suppe, nämlich die Prügelsuppe. Sodann ward er zum Hause hinausgefuhrwerkt und vor der Tür seinem Nachdenken und schmerzlichen Gefühlen überlassen.

Hernachmals sind die Zwerge aus dem Breitenberge fortgezogen, man sagt nach Böhmen hinein, in Rübezahls Reich, und sagt auch, das viele Glockenläuten oder die vielen Hunde, welche die Bauern in Ober- und Niederolberadorf halten, wo die Häuser und die Hunde kein Ende nehmen und aus jedem Haus ein Köter springt und bissig die Fußreisenden anklagt, die vom Dybin kommen-— haben die Zwerglein vertrieben. Ein Bauer aus Heinewalde habe auf zwei Wagen die ganze Schar der Zwerge und alle ihre Schätze hinweggefahren und habe sehr reichen Lohn erhalten.



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Die Unterirdischen

Das Volk der Unterirdischen und der Glaube daran ist im deutschen Norden und weiter nordwärts verbreiteter als irgendwo. Es wohnt unter der Erde, häufig in den alten Grabhügeln und Hünenbetten. In Schleswig heißt es Biergfolk, Ellefolk, Unuervaestöi, auf Sylt Önnererske, auf Föhr und Amrum Önnerkänkissen, in Holstein Unnererske, Dwarge. Seit undenklichen Zeiten wohnen sie im Lande.

Die Sage von ihrer Entstehung lautet: Christus, der Herr, wandelte einmal auf Erden und nahte einem Hause, darinnen eine Frau wohnte, die hatte fünf schöne Kinder und fünf häßliche. Der Häßlichen schämte sie sich vor dem hohen Gast und verschloß sie schnell im Keller. Wie nun der Herr in das Haus kam, sprach er:

"Frau, lasset Eure Kindlein zu mir kommen.

Da brachte die Frau ihre fünf hübschen Kinder, daß der Herr sie segne.

"Und wo sind Eure andern Kinder?"fragte der Herr.

"Andere Kinder hab' ich keine', log das Weib.

So?"sagte der Herr und legte die Hände auf die fünf Kinder, segnete sie und sprach:

"Was drunten ist, soll drunten bleiben, was oben ist, soll oben bleiben.

Allg der Herr hinweg war, lief die Frau in den Keller, ihre häßlichen Kinder herauszulassen, aber da waren sie verschwunden. Aus ihnen ist das Geschlecht der Unterirdischen entstanden.

Zahllos sind die Orte, die das Selk in Schlegwig, Holstein, Lauenburg, in Jütland und auf den Inseln nennt und kennt, wo Unterirdische sich aufhalten sollen, und noch viel zahlloser die mannigfaltigen Sagen von ihnen. Die Önnerkänkissen auf Amrum haben ihr Wesen hauptsächlich im Fögedshoog bei den Dänen, da laufen sie auf dem Wasser Merum Schlittschuhe.



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Ein Mann ließ sich einfallen, ihnen nachzugraden, wie man einem Fuchs oder Dachs nachgräbt; da schrie es hinter ihm: "Feuer!", und wie er sich umschaute, sah er sein Haus in hellen Flammen stehen. Eilend ließ er ab von seiner Graberei und stürzte seinem brennenden Hause zu; als er hinkam, war da keine Spur einer Flamme. Er war klug genug, sich die Lehre zu merken, er grub nicht wieder.

Die Unterirdischen sollen auch an Gott glauben, aber vom Christentum wissen sie nichts.

Viele sonderliche Kunst wird den Unterirdischen zugeschrieben, besonders sollen sie die Verfertiger der so mannigfach geformten Grabtöpfe sein, die in Hünengräbern stehen, und von alle dem schönen Schmuck und den bronzenen Waffen, die in der Erde und häufig selbst in solchen Töpfen gefunden werden. Einen solchen Topf zu zerschlagen, bringt kein Glück (zeugt auch von geringem Verstand). Mancher ist über solchen nutzlosen Frevel ganz von Sinnen gekommen. Same, aus solchen Gefäßen gesät, gedeiht besser als anderer, Hühner, daraus getränkt, werden nicht krank, Milch, in ihnen hingestellt, rahmt besser und gibt mehr Butter. (Die Rahmtöpfe auf manchen Dörfern in Thüringen haben noch ganz eine Form altdeutscher Urnen, nur daß sie etwas höher sind; ohne Henkel, wenig bauchig, schmaler ausgebogener Rand, unglasiert.)

Wie in Deutschland vom Zwergenvolk die Sagen gehen, daß es Kessel und sonstige Geräte leihe, besonders zu seinen Hochzeiten und Festen-— so findet im Norden der umgekehrte Brauch statt, die Bauern leihen dergleichen bei den Unterirdischen und geben es nach gemachtem Gebrauch mit Speiseresten zurück.

Was sich die Leute zu Zittau in der Lausitz von den in dortiger Gegend hausenden Bergzwergen erzählen, daß sie unsichtbar an Hochzeiten der Menschen teilnehmen, zwischen den Leuten sitzen und mit ihnen essen, das wird auch im Pinnebergischen erzählt und im nördlichen Schlegwig. Wer den Unterirdischen etwas, das ihnen gehört, wegnimmt, erzürnt und vertreibt sie. Lärmenden Instrumentenschall können die Unterirdischen nicht vertragen, am wenigsten aber den Klang der Glocken, der hat sie fast



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überall hinweggetrieben, und dieser Glaube ist übereinstimmend in allen Ländern.

Die Unterirdischen holen auch oft irdische Wehfrauen hinab zu ihren Wöchnerinnen, belohnen sie scheinbar gering, aber wenn sie das Geringfügige: Hobelspäne, Sand, Asche, Kohlen, Erbsen, Laub u. dgl., nicht unklug wegwerfen, so verwandelt sich's in Gold. Meist werfen sie es aber weg und bleibt nur ein kleines Restchen an der Schürze hängen oder fällt in den Schuh, und zu spät wird entdeckt, welchen Reichtum sie verwarfen.

Unter dem Landvolke, soweit es noch an die Unterirdischen glaubt, herrscht mehr Furcht und Abneigung gegen sie als Neigung und Liebe; sie nennen sie Untüeg, Unzeug (Gezügk sagen die Thüringer).

Vom Verkehr der Menschen mit den Unterirdischen, von Krieg und Frieden, Gunst und Tücke, Raub und Wiederbringung, Gaben, die Glück, Gaben, die Unheil bringen u. dgl. mehr wären allein ganze Sagenbücher zu füllen.

Auch die Wechselbälge sind der Unnereerdschen unliebliche Früchte, denn diese stehlen neugeborene Menschenkinder vor der Taufe und legen ihre verschrumpfelten Hutzelmännchen in die Wiegen. Mancher geht umher, und wenn er in den Spiegel guckt, weiß er nicht, ob er nicht vielleicht auch ausgetauscht worden ist.


Die Kobolde

Im nordwestlichen und südlicheren Deutschland hausen die Kobolde, denen der Namen gar viele und mannigfaltige zugeteilt worden sind, so Heinzchen (bis Aachen), Hütchen und Hinzelmännchen (im Münsterlande), Knechtchen, Kurd Chiemchen, Heimchen (im Vogtlande), Hütchen und Wichtlein (in Thüringen und Franken big nach Böhmen). Ihre Verrichtung ist fast überall dieselbe: Haus Küchen Boden-, Keller- und



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Stalldienstleistung, ihr Lohn ein hingestelltes Schüsselchen mit Essen oder Milch. Ihr Anblick durch ein Menschenauge ist ihnen unlieb — erscheinen selbst meist unhold, oft grauenhaft, nackt, in kleiner Kindesgestalt, ein Schlachtmesser durch den Rücken.

Ein Kobold auf einem Schlosse zu Flügelau hieß Klopfer. Der tat lange Zeit treulich seine Arbeit, bis eins vom Hausgesinde darauf bestand, ihn sehen zu wollen, da fuhr der Klopfer als Feuerflamme zornig zum Schornstein aus und entzündete das Schloß, daß es bis auf die Mauern abbrannte. Ein ähnlicher Hausgeist auf dem Schlosse Calenberg hieß Stiefel; wieder ein anderer beim Dorfe Elten im Herzogtum Cleve hieß Ekerken (Eichhörnchen), der war von echter Koboldnatur, mehr neckisch und tückisch als hilfreich: man sah von ihm nur bisweilen eine kleine Hand wie die eines Kindes.

Aller Kobolde Kobold aber war der vielberufene Hinzelmann. *



***
Im "Lüneburger Sande auf dem Schlosse Hudemühlen über der Aller begann man im Jahre 1584 zuerst einen Poltergeist zu spüren, der seine Anwesenheit durch allerlei Pochen und Lärmen kundgab. Dabei aber ließ er es nicht lange bewenden, sondern er begann zu reden und zu sprechen, erst mit dem Gesinde, dann auch mit dem Schloßherrn, endlich auch mit fremden Gästen.

Im Anfang kam es allen gar graulich vor, unverhofft eine Stimme bei sich im Zimmer oder in der Küche vernehmlich reden zu hören und doch keinen Redenden zu erblicken. Da aber diese Stimme mild und fein war wie die eines Kindes, da der Spukgeist niemand beleidigte, vielmehr oft lachte, Kurzweil trieb, auch sang, so wurden die Schloßgenossen allmählich an ihn gewöhnt, so daß sie sich nicht mehr fürchteten und grauten, ja an ihn die Frage wagten, wer und woher er sei, wie er heiße, was er gerade auf Hudemühlen zu Schaffen habe? Darauf erwiderte er, daß er vom böhmischen Gebirge komme, dort sei seine Gesellschaft, die wolle ihn nicht leiden, deshalb sei er ausgewandert, bis sich seine Sachen in der Heimat



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besserten. Er heiße Hinzelmann, auch Lüring, und habe eine Frau, die heiße Hille Bingels, von der er jetzt getrennt lebe. Einst werde er sich auch sichtbar zeigen, jetzt schicke es ihm noch nicht, und er sei ein so guter und ehrlicher Hausgeist als irgendeiner und besser als viele andere.

Das war nun dem Schloßherrn und dem Gesinde auf Hudemühlen verwunderlich anzuhören und ganz graulich, mit so einem wunderseltsamen Gesellen zusammenzuleben, der nicht daran dachte, seinen Abzug bald zu nehmen, und da dachte der Schloßherr, du willst ihm aus dem Wege gehen, ließ deshalb den Reisewagen zurichten und fuhr nach Hannover zu. Auf der stillen, öden, menschenleeren Strecke zwischen Essen und Brockhof sahen Kutscher und Diener fort und fort eine kleine weiße Flaumfeder neben dem Wagen her fliegen und wußten gar nicht, wie es zugehe, daß diese Feder immer den Wagen begleitete.

Als nun der Schloßherr eine Nacht in Hannover zugebracht hatte, war seine goldne Halskette fort. Er machte deshalb Lärm und beschuldigte die Leute im Hause der Entwendung, der Wirt aber nahm sich seiner Sente an und verlangte Beweis oder Genugtuung. Tief verstimmt darüber saß der Schloßherr auf seinem Zimmer, da fragte es neben ihm:

Warum bist du traurig? Wohl wegen der Kette, die dir fehlt?"

Wie? Du bist hier, Hinzelmann? Mir gefolgt? und warum? Wo ist die Kette ?

Sahst du nicht die weiße Feder, die neben deinem Wagen flog?" fragte der Geist. "Das war ich, und ich folgte dir zu deinem Besten! Die Kette hast du gestern abend selbst unter dein Hauptkissen verborgen.

Und richtig, es war so. Dein Schloßherrn war zwar lieb, daß die Kette wieder da war, aber daß Hinzelmann da war, das war ihm nicht im mindesten lieb. Er zürnte mit dem Geist und beschloß, wieder auf Schloß Hudemühlen zurückzureisen, da er dem Kobold nicht entgehen konnte und dieser an seine Person sich fesseln zu wollen schien.

Auf dem Schlosse Hudemühlen nun verwaltete Hinzelmann den Küchendienst in musterhafter Weise; er spülte auf, kehrte, scheuerte, putzte, mahnte



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Knechte und Mägde zum Fleiße an, teilte wohl auch nötigenfalls Schellen aus, pflegte auch der Rosse, wusch, kämmte, striegelte sie, daß sie zunahmen und glatt und glänzend aussahen wie die Aale. Hoch im Oberstock des Hauses Hudemühlen hatte sich Hinzelmann ein Kämmerchen zur Wohnung ausersehen. Darin hatte er einen kleinen runden Tisch, einen Sessel, dessen Sitz das zierlichste Strohgeflecht war, das man nur sehen konnte und das er selbst kunstreich verfertigte, auch eine kleine, zubereitete Bettstatt, die aber nie verrammelt war. Nur ein Grübchen, wie etwa eine Katze macht, wenn sie sich auf ein Bett legt, fand sich jeden Morgen darin. Auf das Tischchen kam eine Schüssel süße Milch mit Semmelbröckchen, das leckte und schleckte der Hinzelmann so rein aus wie ein Kätzlein sein Schüsselchen. Bisweilen speise der Geist auch mit an der Tafel, wo ein Gedeck für ihn bereit gehalten ward.

Hinzelmann war gern fröhlich mit den Fröhlichen, sang Reimverschen und Scherzlieder, doch nie eins, das unehrsam gewesen wäre, neckte gern, doch ohne Tücke, und hatte wohl seine Freude daran, wenn das Gesinde aneinander geriet, hetzte auch wohl ein wenig zu und ließ die Schläge, die es dann gegenseitig setzte, bis zu roten Striemen und blauen Flecken gedeihen, aber nicht weiter, daß Gesundheit und eben nicht litten. Wenn die Gäste einander in die Haare gerieten und vom eder ziehen wollten, konnten sie die Degen nicht aus den Scheiden bringen, oder es fand sich kein tödliches Gewehr, weil der Hinzelmann alles versteckt hatte. Einen Edelmann, der sich vermaß, den Hinzelmann mit Hilfe einiger Bewaffneter auszutreiben, foppte der Geist weidlich und schreckte ihn dann in Gestalt einer großen Schlange. Einen andern verhöhnte er und sagte ihm, was derselbe noch nicht zu wissen schien, daß er ein großer Narr sei. Als aber gar ein Teufelsbanner kam, der ihn mit Formeln wegplappern wollte, riß ihm der Geist das Beschwörungsbuch in hundert Fetzen, warf diese im ganzen Zimmer herum und kratzte den Banner blutrünstig, gleich als sei er eine böse Katze. Der Geist hielt sich auch zum christlichen Glaubensbekenntnis, wenn er schon bei dessen Hersagung mit leiserer und heiserer Stimme über manches hinwegglitt; er sang auch geistliche jeder mit



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solchen, denen er wohl gewogen war, und diese mit feiner klarer Stimme, genug, es war ein sehr wunderlicher Geist. Einem Freund des Hauses, der vorbeireiste und dies ins Schloß melden ließ, der aber die Einladung Hinzelmanns wegen abschlug, weil er nicht mit einem Teufelsgespenst am Tische sitzen wollte, drohte Hinzelmann mit Rache, machte ihm die Pferde beim Weiterfahren scheu, brachte ihn in Angst und Schreck und warf Wagen und Gepäck und den Reisenden zwischen Hudemühlen und Eickelohr in den Sand.

Dem weiblichen Geschlecht war Hinzelmann sehr gewogen und sehr freundlich und umgänglich mit ihm. Besonders erfreuten sich die Schloßfräulein Anna und Katharine seiner Gunst; er unterhielt sich gern mit ihnen, begleitete sie, wenn sie über Land fuhren, als Flaumfeder, ja, er schlief zu ihren Füßen auf ihrem Deckbette. Es war aber diese Neigung des Geistes für die beiden Jungfrauen von äußerst lästiger Art, denn er verscheuchte ihnen alle Freier, und es ist dahin gekommen, daß sie beide ledig geblieben sind und ein hohes Alter erreicht haben.

Hinzelmann warnte manchen vor Unglück und Schaden, so einen tapfern Obersten, der zum Besuche nach Hudemühlen kam und ein guter Schütze und großer Jagdfreund war. Der rüstete sich zu einer Jagd, als Hinzelmann sich vernehmen ließ:

Thomas, sieh dich im Schießen vor, sonst trifft dich ein Unglück.

Der Oberst achtete der Warnung weiter nicht, aber bei der ersten Jagd zersprang ihm beim Abdrücken auf ein Wild die Büchse und schlug ihm den Daumen weg. Ein anderer mutiger Kriegsmann kam auch zum Besuch, das war ein Herr von Falkenberg, der ließ sich viel mit Hinzelmann in Gespräche ein, neckte ihn und führte allerhand Spottreden gegen ihn, die den Geist verdrossen. Endlich sagte Hinzelmann:

Falkenberg, Falkenberg, jetzt verspottest du mich! Komm nur in ein Treffen, da wird dir das Spotten wohl vergehen!

Dem Herrn von Falkenberg waren diese Worte sehr bedenklich, er schwieg und ließ den Geist in Ruhe. Bald darauf zog Falkenberg im Dienste eines deutschen Fürsten mit zu Felde, da riß ihm im ersten Treffen



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eine Kanonenkugel das Kinn hinweg, und nach drei Tagen starb er an dieser Wunde unter den größten Schmerzen.

Einen übermütigen und hoffärtigen Schreiber äffte und rückte Hinzelmann vielfältig, störte ihn in seiner Liebschaft und quälte ihn des Nachts. Eine Magd, die den Hinzelmann gescholten harte, sperrte er eine ganze Nacht lang in den Keller hinter Schloß und Riegel, wo sie sich fast zu Tode fürchtete.

Da der Schloßherr wiederholt in Hinzelmann drang, sich ihm doch einmal zu zeigen oder sich mindestens anfühlen zu lassen, gab auf langes Drängen und Bitten Hinzelmann endlich nach und sagte: "Da ist meine Hand.



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Der Schloßherr faßte hin, und es war ihm, als fühle er die Finger einer kleinen Kinderhand, aber kalt, und blitzschnell zog der Geist sie zurück. Als nun der Herr auch bat, ihm sein Antlitz befühlen zu dürfen, und Hinzelmann es zugab, tastete der Herr an einen kleinen kalten Schädel, der ihm fleischlos zu sein schien, ehe er aber deutlich fühlen konnte, war der Kopf zurückgezogen.

So hatte auch die Köchin keine Ruhe mehr, sie wollte den Hinzelmann durchaus einmal sehen, er sagte ihr aber immer, es sei noch nicht an der Zeit, sie würde ihren Vorwitz bitterlich bereuen. Sie hielt an, ihn zu drängen, bis ihr endlich Hinzelmann sagte, sie möge anderntags vor Sonnenaufgang hinab in den Keller kommen, aber in jeder Hand einen Eimer Wasser mit hinunterbringen. Das deuchte ihr ein seltsam Verlangen, aber ihre stachelnde Neugier überwog jedes Bedenken, sie ging in den Keller und brachte das Wasser mit. Erst sah sie gar nichts, endlich aber fielen ihre Augen auf eine Mulde in der Ecke, und darin lag ein etwa dreijähriges, nacktes, totes Kind, dem steckten kreuzweig übereinander zwei Messer im Herzen, und der ganze kleine Leib war mit Blut überlaufen. Über diesen Anblick entsetzte sich die Magd so sehr, daß sie laut aufschrie und dann ohnmächtig niederstürzte. Da nahm der Geist die Wassereimer und goß ihr deren Inhalt über den Kopf, einen nach dem andern. Nun kam sie wieder zu sich, sah die Mulde und das Kind nicht mehr und hörte nur Hinzelmanns Stimme:

"Siehst du? Ohne das Wasser wärst du hier im Keller gestorben und nicht wieder zu dir gekommen!

So ungern und so wenig Hinzelmann sich Erwachsenen zeigte, und dann meist schrecklich, so gern gesellte er sich sichtbarlich als ein schönes Kind unter Kinder, spielte mit ihnen, hatte gelbes Lockenhaar big über die Schultern hängen und ein rotes: Samtröcklein an. Wenn aber Erwachsene seiner gewahr wurden, schwand er sogleich aus dem Kinderkreise hinweg.

Als der Geist vier Jahre lang auf Hudemühlen zugebracht, schied er freiwillig und verehrte noch vor dem Scheiden dem Schloßherrn dreierlei Andenken. Das war ein kleines Kreuz von Seide geflochten, fingerslang,



191 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

inwendig hohl, und gab geschüttelt einen Klang von sich, dann ein sehr kunstvoll geflochtener Strohhut und endlich ein lederner Handschuh mit Perlenstickerei in wunderbaren Figuren. Solange diese Stücke in guter Verwahrung beisammenblieben, solle des Hauses Geschlecht blühen und wachsen, würden sie aber mißachtet und verzettelt, so würde das Gegenteil stattfinden. Diese Stücke sind hernach im Besitz der beiden alten Fräulein Anna und Katharina geblieben und von ihnen bis zu ihrem Tode gar hehr gehalten und nur selten gezeigt worden, dann fielen sie an ihren Bruder, der sie überlebte, zurück, kamen auf dessen einzige Tochter, die sich vermählte, und sind dann wahrscheinlich verstreut worden.

Hinzelmann schied im Jahre 1588 von Hudemühlen und soll hernach zu Estrup, auch im Lande Lüneburg, seinen Aufenthalt genommen haben.



Die Tückebolde

Ganz Holland ist voller Spukgeister, Kobolde und Tückebolde; die stillen Flächen, die weiten Ebenen, die tiefen Gewässer, das flüsternde Röhricht, das murmelnde Wellenrauschen — aus allen brechen und sprechen die Stimmen der Satter geheimnisvoll, und des Volkes eigner Sinn gibt sich dem geisterhaften Geheimnis gern gefangen.

Im Wanslande geht ein Geist um, oer Osschaert heißt, der treibt viel mannigfaltigen Spuk, guten und schlimmen, recht nach Koboldnatur. Er macht sich groß, macht sich klein, macht sich sichtbar, macht sich unsichtbar, wandelt sich in Tiere um, wirft Trunkenbolde zur Abkühlung ihrer Saufhitze in manch kaltes Bad, äfft als Esel die menschlichen Esel, legt sich den Bezechten auf den Rücken, daß sie ihn huckepack tragen müssen, so daß sie, wenn sie es schon satt haben, es noch satter kriegen, und dabei lacht er auch so herzlich, so laut und so wunderschön, wie nur immer ein Esel lachen kann.



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Eines Tages ging ein alter Gärtner vom Dorfe zur nahen Stadt. Es war noch früh am Sage, aber dunkel, denn es war Winterzeit. Da sah er ein gräulich Ding auf sich loskommen und simulierte aus das möge wohl gar der Osschaert sein, wich ihm aus — sprang etwas hastig neben den Weg auf eine Wiese. Das Ding sah ihm nach und verschwand. Wie der Gärtner von der Wiese wieder auf die Heerstraße lenken wollte, fand er sich abgeschnitten und zwischen lauter Wassergräben, die in Holland das allerhäufigste sind, was dort zu finden. Nun hatte aber der gute Mann Eile, und war ihm gar nicht einerlei, daß er zwischen den Kanälen von einem zum andern irrte und doch über keinen hinwegkommen konnte, denn sie waren alle zu breit, und wie tief sie waren, das konnte man so eigentlich nicht wissen.

Da wurde dem alten Gärtner das Ding zu bunt, und er tai den Mund auf und tat einen Fluch, daß der Schnee sich erschrak, der auf den Baumästen lag und herunterfiel. Da plumpste ihm aber gleich eine schwere Last auf den Kücken und spornte ihn, wie ein Reiter sein Roß, nach den breitesten der Gräben hin und trieb ihn hinein, da half kein Zittern vor dem Froste. Und siehe, als der Mann in den breiten Graben trabte, da machte er keinen Schuh naß, denn der Graben war gar kein Graben, sondern die salztrockne Heerstraße, aber seinen Aufhuck, oh, den behielt er, und mußte ihn noch eine gute Viertelstunde tragen und Lastgaul, wo nicht esel sein, bis ihm eine Bäuerin begegnete, die eine Kiepe (Tragkorb) von Weidengeflecht trug. Da hopste der Osschaert hinein, und jenem ward es leicht, der Frau aber schwer; sie wußte gar nicht, was sie auf einmal so Schweres trug, und stand und nahm den Korb an und giekte hinein. Da flog ihr eine Fledermaus ins Gesicht aus dem Korbe, und sie tat einen Schrei, und die Fledermaus wurde so groß wie ein Mondkalb und lachte, daß es durch Mark und Bein drang,



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Der lange Wapper

Ein anderer Tückebold ist der lange Wapper, der spukte vornehmlich zu Antwerpen und gehörte zu demselben Gelichter; er verschmähte es nicht, selbst unschuldige Kinder zu betören. Er spielte mit ihnen um Schüsser und Knicker, ließ sie gewinnen, und wenn sie meinten, die Tasche recht voll gewonnene Küglein zu haben, und wollten sie zeigen, dann waren es Schaflorbeeren. Wenn er mit den Jungen das Diebspiel spielte, kartete er es so ab, daß er den Henker machte, und dann henkte er die armen Buben wirklich, und wenn sie sich zu Tode zappelten und die andern alle davonliefen, so schlug er ein unmenschliches Gelächter auf.

Ein Brauer hatte einen neuen Gesellen gedingt; der war kräftig und fleißig; am Abend rollte er eine schwere Tonne voll Bier mit einem Nebengesellen von ihrer Stelle, stellte dem Nebengesellen flink ein Bein, daß er fiel und unter die Tonne kam, die drückte ihn breit wie eine Oblate, und der neue Gesell lachte, daß die Gewölbe erbebten. Als die andern Braugesellen sich darüber erzürnten und ihn prügeln wollten, rannte er dicht vor ihnen her, und plumps lag er im Braubottich, und plumps purzelten drei, viere, die ihm dicht auf den Fersen waren, auch hinein und verbrühten sich elendiglich. Der lange Wapper aber schaute plötzlich aus einer Trebernbütte heraus und lachte, daß alle hohlen Fässer dröhnten.

Zahllos sind die Sagen, die vom langen Wapper im Molke zu Antwerpen umgehen. Es war nicht gut, ihn zu nennen, und wer seinen Samen nannte, tat mehr übel als klug. Häufig hielt dieser Geist sich unter einer Brücke auf, sie heißt heute noch die Mapperbrücke, machte sich klein wie ein Schulbube, nahm der Abwesenden Gestalt an, absonderlich gegen die Dämmerung, wenn die Knaben spielten, und spielte ihnen selbst allerlei Schabernack.



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Der lange Wapper konnte sich so hoch und lang strecken, daß er bequem den Leuten in den höchsten Häusern in die obersten Stockwerke hineinsehen konnte. Da rief er denn denen, die er drinnen erblickte und nicht immer in allertugendsamster Hantierung, manches erschreckende Wort zu. An vollen Tafeln saß er als Gast und zechte mit; ehe man es sich versah, besonders aber, wenn der Teller umging, um die Zeche zu zahlen oder eine Auflage für Arme zu machen, hörten die andern sein Gelächter, er selbst war verschwunden. Gern weilte er bei Spielgesellen, spielte mit, verlor die größten Summen, dann hatte er nichts zu zahlen, begann Streit, lockte die Mitspieler vor die Tür, hetzte sie aneinander, daß sie zu den Messern griffen, und wollte sich totlachen, wenn ihrer einer oder etliche auf dem Platze blieben.


Lodder

Ein verwandter Geist spukt in der Gegend um Brüssel umher.

Schnitter, die abends ihre Kleider abgelegt hatten und ruhten, hörten, von fernher kommend, ein Gerassel wie von Ketten, das näherte sich bis an den Ort, wo ihre Kleider lagen, die aber lagen ganz ruhig. Ein Gewitter zog heran, die Schnitter zogen ihre Kleider an und wollten heimgehen, da rasselte und prasselte es ganz in der Nähe und plötzlich schrie einer der Schnitter:

Lodder! Lodder! schlagt zu! schlagt zu! ich sitze drauf.

Und da ritt er schreiend fort, und keiner sah, auf was er ritt, und alle lachten, denn der Geist Lodder war unsichtbar und rannte fort mit der erfaßten Last des Schnitters und warf ihn bei einem Weiher in das Gras und plumpste ins Wasser, und jener mußte froh sein, daß nicht er in das Wasser geworfen worden.

Einem Zechgesellen begegnete es, daß er, als er abends ziemlich spät nach Hause kam, an der Erde etwas ticken und tacken hörte. Neugierig



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lauschend bog er sich nieder, ticketack, ticketack ging es fort und fort. Er griff hin, und siehe, unter einem Stein lag eine gehende Uhr. Er nahm sie und steckte sie ein, und in seiner Kammer zog er sie hervor, sie im Mondschein recht zu betrachten, da zeigte ihr Zeiger auf zwölf, und auf der Kirchenuhr schlug es zwölf, die Uhr ging also genau, aber sie wurde mit einmal so kalt, eiskalt und feucht und so schwer, und wie der Gesell recht hinsah, hielt er eine dick aufgeschwollene Kröte in der Hand. Schaudernd warf er das Ungetüm zur Erde, und in dem Augenblick hatte er einen großen Hund bei sich in der Kammer, der hatte ein Paar Augen wie zwei Schiffslaternen, und der Gesell fiel vor Schreck auf sein Bett, der Hund aber sprang zum Fenster hinaus und schlug ein Höllengelächter auf.

So hat der Tückebold Lodder gar viele geäfft und mit seinem nächtlichen Erscheinen, teils mit seiner Stimme und seinem Gelächter, manche zu Tode erschreckt.



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Die Klabautermännchen

Was im höheren Norden die Trollen, in Deutschland die Hinzchen, Heinzemännchen, Hütchen sind —Zwerge, zwerghafte Erdgeister, das sind in Holland und Niederland die Klabautermännchen, Kaboter- oder Kaboutermannekens; sie wohnen in Höhlen, sind oft hilfreich den Menschen, gutartig, dankbar.

Beim Dorfe Gelrode liegt ein Kabouterberg, darinnen wohnten die Mannekens, nahe einer Mühle, die schärften dem Müller seine Mühlsteine und wuschen sein innen, wenn er ihnen nur ein Butterbrot und ein Glas Bier zur Nacht hinstellte. Ein anderer Müller im Kärntner Lande fand, wenn er zufällig etwas von seinem Butterbrote liegenließ, des Morgens lange Zeit alle Arbeit in der Mühle getan, die er für den andern Morgen vorbereitet; er wußte, daß in der Nähe Klabautermännchen hausten, steckte sich hinter die Säcke und sah richtig in der Nacht ein solches Männchen alles tun mit ungeheurer Kraft und Schnelligkeit, aber dabei verzehrte es das Restchen Butterbrot. Das Manneken war ganz nackt, das tat dem Müller leid, er bestellte ihm beim Schneider ein Kleidchen nach ungefährem Maß und legte es ihm hin und ein großes Butterbrot daneben. Dann verbarg sich der Müller, das Klabautermännchen kam, tat einen Freudensprung, ass schnell das große Butterbrot, zog die Kleidchen an, verschwand und kam nimmermehr wieder. Nun wußte aber der Müller, daß die Klabautermännchen jeden Abend über einen Steg am Mühlbach schritten, und da lauerte er ihnen auf. Als sie kamen, waren alle nackt, und er ließ sie vorüber, bis das letzte kam, welches der Müller gekleidet hatte. Nach diesem langte er und rief:

"Hab ich dich?

Da schrie es "Hilfe! Hilfe!" aus dem Mühlbach mit der Stimme von des Müllers Frau; der Mann erschrak, sah sich um, glitt aus vom Stege



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und plumpste selbst hinunter in das Wasser. Die Klabautermännchen aber schwanden hinweg und kamen niemals wieder.

Ein anderer Kaboutermannekengberg liegt zwischen Tournhout und Casterle; die darin wohnten, waren aber böse von Natur, anderwärts gibt es hingegen viele gute, und wer sich gut mit diesen Manneken versteht, dem dienen sie gern und oft; häufig aber üben sie auch Tücke, besonders gegen solche, die ihnen abhold sind. Sie verderben die Butter, saugen die Kühe aus, treiben mannigfachen Spuk und Schabernack. Sie werden auch Rotmützchen und Klabbers genannt.

Ein Bauer hatte ein gar hilfreiches Rotmützchen im Hause, das butterte ihm, leistete ihm allerlei Dienst, half ihn allmählich reich machen. Der Bauer kaufte Kühe, baute das Haus neu, und das Männchen tat mehr als drei starke Knechte, es pflügte 'auch und bestellte den Acker in aller Weise. Einmal hatte es der Bauer zu sehen bekommen, es trug sich ganz rot, hatte ein grünliches Gesicht und grüne Hände. Des guten Kotmützchens hilfreicher Fleiß verdarb jedoch den Bauer, er tat selbst gar nichts mehr, gewöhnte sich an das Wirtshausleben, an Trunk und Spiel. Rotmützchen warnte ihn, aber sein Warnen fruchtete nicht, ja eines Abends, als er spät und trunken nach Hause kam, schimpfte und schalt er den Hilfsgeist. Das Klabautermännchen verschwand.

Am andern Tage lag die Frau des Bauern krank, das Vieh fiel in den Ställen, in den Strümpfen, die der Bauer nach und nach mit harten Talern gefüllt und wohlverborgen hatte, staken Kohlen und faule Kartoffelscheiben, die Felder hatte ein Hagel zusammengeschlagen und furchtbar verwüstet, das Haus hing auf eine Seite und drohte dem Einsturz. Der Bauer ging in sich, bereute, gelobte Besserung — das war alles vergebens. Hohnlachen erscholl uni das Haus herum, das mehr und mehr verfiel. Der Bauer starb in Armut und Elend.

Ein armer Bauernbursche liebte ein reiches Mädchen und sie auch ihn, aber der Vater sagte nein. Wer nicht tausend blanke Gulden besitzt und aufzählt, die sein eigen sind, wird nicht mein Schwiegersohn, sagte er. Der arme Bursche schlich traurig heim, mochte seine Barschaft gar nicht



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zählen, er hatte nicht hundert Batzen, geschweige tausend Gulden. Ging hinaus zu Feld und Busch und dachte: was liegt am Leben, wenn es nicht Liebe krönt ': Willst's abwerfen.

Siehe, da stand ein Klabautermännchen vor ihm, wie hergeschneit oder aus dem Boden herausgewachsen, und fragte ihn:

"Was fehlt dir ':

Da klagte ihm der Bursche sein eid.

"Wenn's weiter nichts ist", sagte der Klabautermann, "zähle doch nur erst einmal dein Geld.

"Ich hab s gezählt, es langt nimmer.

"Hast nur nicht recht gezählt, geh, zähl noch einmal, es muß treffen!

Der Bursche ging, halb ungläubig, halb hoffend; er zog seine kleine Habe hervor und begann zu zählen und zählte und zählte und zählte immerfort, bis tausend Gulden voll waren, und da war's alle, nicht einer darunter nicht einer darüber. Welch ein Glück! Er rannte wieder ins Feld hinaus, er wollte danken, er rief:

"Kaboutermänneken! Kaboutermänneken!

Ja, guten Morgen, da war kein Kaboutermänneken weder zu hören noch zu sehen.

Nun lief er heim, hob und schleppte seinen Schatz zum reichen Bauer hin, zählt' ihm die blanken Gulden vor, bekam des Mädchens Hand und des Alten Segen und wurde ein glücklicher Mann.

Im Kasteelberg bei Beveren im Hennegau wohnten auch Kaboutermannekens Die wuschen den Leuten die Wäsche gegen Empfang von etwas Butter, Eiern, Milch, Mehl und wenigem Geld, bleichten sie auch im Mondenscheine ganz blütenweiß und hielten oft, derweil die Wäsche bleichte, in den Waschkufen einen Ball. Hernachmals sind die Männchen fortgezogen, man weiß nicht warum und wohin. Nur ein ganz altes blieb zurück. Das sehen bisweilen die Leute droben auf dem Berge sitzen, es hat einen eisgrauen Bart, der langt bis auf die Füße nieder, es sitzt und sinnt und schmökt seine Pipe und macht mit den Daumen die Mühle, ganz wie ein echter alter Holländer.



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Der Teufelsweg auf Falkenstein

Auf der Höhe, oier Stunden von Frankfurt a. M., erheben sich auf fast unzulänglichem Fels die Burgtrümmer Falkenstein, die Wiege eines im Taunus und der Wetterau gar mächtigen Geschlechts, von dessen Sprossen einige sogar Erzbischöfe von Trier wurden.

Ein Ritter von Sayn minnte die Tochter eines Falkensteinerg, aber der Vater war ihm abhold und wies des Ritters Werbung mit den höhnenden Worten ab:

"Meine Tochter will ich Euch gern zum Ehegespons geben, ich verlange nur einen geringen Gegendienst. Schafft diese Felsenzacken in einer Nacht zum gang- und reitbaren Wege um — das ist mein Beding und mein Bescheid!

Unmögliches war begehrt und hätten tausend und aber tausend Hände sich zugleich zerarbeitet an dem harten Felsgestein, es wäre nicht möglich gewesen, in solch kurzer Frist das Werk zu vollenden.

Traurig zog der Ritter von Sann, Kuno geheißen, von dannen, zog nach dem heiligen Lande, focht tapfer in vielen Sarazenenfchlachten, suchte den Tod, fand ihn nicht, blieb stets eingedenk seiner Minne und kehrte endlich in die Heimat zurück. Mit schmerzlichen Gedanken umirrte er den felsumtürmten Falkenstein, hätte gerne Kunde gehabt von seiner Geliebten und starrte trübe die Felsen an, die mit ihrer Härte sein Geschick versinnbildlichten.

"Hier hilft keine menschliche Macht, nur Zauber könnte diese Felsen zum Wege bahnen!" seufzte der Ritter.

Horch da war es ihm, als höre er seinen Namen rufen — und wie er umschaut, hebt sich ein Erdmännchen in brauner Kutte, eisgrau und mit verschrumpfeltem Gesicht einer Felskluft herauf und redet ihn mit sondrer Stimme an:



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"Kuno von Sayn, was lässest du nach Silber wühlen drunten auf deinem Gebiet und störst unsre Ruhe ? Willst du diese Felsen zum Wege gebahnt sehn? Willst du die Erbtochter vom Falkenstein, die droben noch einsam um dich trauert, nach dir sich sehnt, dein nennen ? Dann gelobe nur eins und schwöre es zu halten.

Dem Ritter war es seltsam zumute bei dieser Erscheinung und Rede. Er dachte, es möchte etwa eine Versuchung des bösen Feindes, und was er geloben solle, möchte etwa seine Seele sein. Er fragte daher nicht ohne Zagen: "Was ist dein Begehr?" Da sprach das Erdmännchen:

"Versprich mir auf dein ritterlich Wort, daß du morgen des Tages alle deine Gruben, Schachte und Stollen willst zuschütten lassen, die wir ohnedies, so wir wollten, ersäufen könnten — so wollen wir in heutiger Nacht noch die Felsen ebnen, daß du, wenn du getan, was ich heische, am lichten Tag hinaufreiten und den Falkensteiner an seine Zusage mahnen kannst.

Des war der Ritter hocherfreut, er sagte gern zu, was der kleine Erdzwerg verlangte, und begab sich zur Ruhe. Sobald es Nacht geworden, regte sich's wunderbarlich um die Burg. Es krachte, es polterte, es hackte, es schaufelte — tausend kleine Berggeister allzumal, obschon sie zwerghaft gestaltet waren, mit Riesenkraft begabt, förderten das verheißne Werk. Als der Hahn den Morgen ankrähte, war 's vollbracht, und als die Sonne hinterm fernen Spessart heraufstieg, ritt schon Kuno von Sayn den neuen Weg und ließ sein Horn erschallen, daß sich der Wächter auf dem Turme des Falkenstein nicht wenig verwunderte. Noch mehr der Falkensteiner, doch freute er sich auch ob des so lang ersehnten Weges und hat sein Wort gehalten und die Liebenden vereinigt.

Der Ritter Kuno von Sayn hielt gleichermaßen auch sein Wort, das er dem Zwerg gegeben, und ließ die Schächte, darin er nach Silber gegraben, zuwerfen und eingehen. Der Felsenpfad, den die Erdgeister bahnten, heißt heute noch der Teufelsweg; er zieht unten an der westlichen Seite des Allthing, wo die Berggeister hausen, durch die Schärdter Höhle vorüber zur Bergeshöhe.



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Die Saalnixen

Von den Saalnixen gehen der Sagen viele; der Fluß zieht in mannigfaltiger Krümmung durch weite Länderstrecken von seinem Ursprung auf dem Fichtelgebirge bis zu seiner Einmündung in den Elbstrom in der Nähe von Barby.

Zu Wilhelmsdorf, zwischen der Saale und dem Städtchen Ranis, hat sich eine Saalnixe zum öftern gezeigt. In der Berggrube bleichte sie ihre Wäsche, die war blütenweiß und rot gerändert. Ein Bauer, der dort vorüberfuhr, hieb mit seiner dreckigen Peitsche ein paarmal darüber hin, daß man garstige Schmitzen sah. Da stand die Nixe plötzlich an seinem Wagen und schalt, er solle das nicht noch einmal tun, sonst wär' es aus mit ihm. Murrend fuhr der Knecht davon.

Als er das nächstemal wieder an derselben Stelle vorbeikam, lag das Linnen wieder dort, aber es war keine Nixe dabei. Da trieb der angeborene Frevelsinn, der manchem im Leibe steckt, den Burschen an, nach Herzenslust auf die blütenweiße Wäsche zu schlagen und sie mit dreckigen Striemen zu zeichnen, und über dieser Frevelübung merkte er gar nicht, daß aus der nahen Berggrube hervor endlos Wasser strömte, bis er es an den Füßen spürte, bis es über die Knie ihm schwoll, und da er sich nun hinauf auf seinen Wagen vor der mehr und mehr anschwellenden Flut retten wollte, war die Nixe riß ihn zurück, tauchte ihn unter und hielt ihn fest, bis ihm der Odem ausging.

Lange Zeit trieb diese Saalnixe zum Zeitvertreib ihr Wesen in der Costerquelle und den runden Teichen auf der Walperwiese bei Wilhelmsdorf Einstmals ging ein Mann aus dem Dorfe nach dem schwarzen Holze, sich dort einen Peitschenstecken zu holen. Die Sonne ging gerade auf, als der Wilhelmsdorfer über die Walperwiese schritt. Er sah, wie die Nixe blendendweiße Wäsche an dem Rande der Costerquelle ausgebeeiter hatte



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zum Trocknen. Daneben saß sie selber und wiegte ihr noch schlafendes Kind. Erschrocken darüber wollte er von der unheimlichen Stelle ausbiegen, doch die Nixe hatte ihn schon gewahrt. Sie fragte nach seinem Anliegen und versprach ihm einen Peitschenstecken, mit dem er gewiß zufrieden sein solle, wenn er das kleine Nixlein recht schön wiegen wolle.

Der Mann wollte die Sage nicht böse machen und setzte sich bei der Wiege nieder. Unbeholfen stieß er daran und brachte sie nach seiner Weise in starken Schwung. Eines solchen Wiegens ungewohnt, erhub die kleine Nixe wehklagend ihre Stimme. Da schaute die Nixenmutter sich um, drohte mit der Hand und gebot ihm Schonung für ihr Kind. Der Mann aus Wilhelmsdorf aber wurde dadurch so aus der Fassung gebracht, daß er die Wiege gar umwarf und dann entfloh. Die zurückkehrende Saalnixe schwur dem Fliehenden Rache, und ehe dreimal vierundzwanzig Stunden vergangen waren, lag der Frevler als toter Mann in der Saale.


Die Seelen der Ertrunkenen

In einem See im Böhmerlande wohnte ein Wassermann, der trug einen grünen Hut und konnte die Lippen nicht schließen, so daß, wer ihn sah, auch seine grünen, bleckenden Zähne sah, sonst war er von einem Menschen in nichts unterschieden. Zuweilen hat er sich den Mädchen gezeigt, sitzend am Ufer des Sees und grünes Band messend, das er endlos aus der Flut herauszog und dann ihnen zuwarf, wenn er genug gemessen.

Dieser Wassermann war gut bekannt worden mit einem Bauer, der am See wohnte, kam zum öftern in dessen Haus und lud auch den Bauer ein, ihn in seiner Wohnung unterm See zu besuchen. Das tat der Bauer und fand es unten über alle Maßen schön und viele Schätze, und endlich kam er in eine kleine Stube, darin standen ganze Reihen neuer Töpfe, aber alle umgestürzt.

Was tut Ihr damit?" fragte der Bauer.



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Das will ich dir sagen", antwortete der Wassermann. Alle Jahre hole ich mir einen in den See, und seine Seele, die ist dann mein, und ich halte sie unter dem Topf eingesperrt. Jeder Mann muß doch ein Vergnügen auf der Welt haben, auch der Wassermann, und das ist nun das meine.

Den Bauer verdroß dieses Vergnügen, es ärgerte ihn und ging ihm im Kopf herum; er achtete genau auf die Art, wie er in den See gekommen war. Der Weg ging durch eine Brunnenstube, und als er eines Tages in der Mittagsstunde den



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Geist am See sitzen und Band messen sah, was er den Mädchen nur hinwarf, sie daran zu fangen und hinabzuziehen, schlüpfte der Bauer geschwinde heimlich hinunter in des Wassermannes Behausung und schmiß alle Töpfe um. Hei, war das eine Seelenluft, wie alle die Seelen aus der Sammlung des Wassermannes frei wurden und erlöst aufwärtgschwebten!

Der Wassermann aber wurde sehr böse über den ihm gespielten Streich und drohte dem Bauer grimmige Rache.

Nun hatte der Wassermann die Gewohnheit, sein Fleisch in den Fleischbänken der Stadt selbst zu kaufen und immer mit alten böhmischen Groschen zu bezahlen. Da stach ihn bei einem jüngsten Besuch der Metzger, als geschehe es unversehens, mit dem spitzen und scharfen Messer in den Daumen, womit er die Groschen zählte, daß das Blut des Wassermanns floß, welches aussah wie Froschlaich. Zornig wandte der Wassermann sich hinweg, ging und kam nimmermehr wieder.

So entging jener Bauer seiner Rache.


Vom großen Mummelsee

Im Schwarzwald der große Mummelsee gelegen, gar weit berufen, auf hohem Berge und von unergründlicher Tiefe. Man darf in ihn —so ging die allgemeine Sage sowenig Steine oder sonstiges hineinwerfen wie in den Pilatussee, sonst wird der heiterste Himmel trüb, und es entstehen gleich Stürme und Ungewitter. Er duldet auch keine Fische, wohl aber große Salamander eigner Art.

Gar viele und mancherlei Sagen gehen von dem Mummelsee; Waldmännlein und Waldfrauen, Wasserminnen und Nixenmänner haben allda häufig sehen lassen. Den Nanen hat er von den vielen Mümmlein, Seerosen oder Seelilien, die auf ihm blühen, die geheimnisvollen Nymphäen, die aus tiefster Tiefe herauf ihre Blätter und Blumenstengel treiben. Kleine Steine oder Erbsen und dergleichen durfte man ohne Schaden in



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den Mummelsee hängen; war die Zahl ungerad, so wurde eine gerade Zahl von ihnen im Säcklein heraufgezogen, umgekehrt aber eine ungerade.

Hirten, die einst am Mummelsee weideten, sahen dem Wasser einen braunen Stier entsteigen, der sich unter ihre Herde mischte, aber da kam alsbald ein Männlein mit einem Stecken, das trieb den Stier mit aller Gewalt wieder in das tiefe Wasser.

Ein Jagdgesell sah am See ein Waldmännlein sitzen, das hatte den Schoß voll Geld und spielte damit, wie Kinder mit Sand spielen. Dieser Schütz war von der dummen Art, die gleich nach allem schießt, es sei damit ein Nutz oder keiner, hatte daher rasch die Büchse im Anschlag und wollte auf das Waldmännlein losbrennen. Da tat es einen Hupf in den See hinein wie ein Frosch, ward zum Wassermännlein und rief dem Jäger zu:

Du lausiger Lump! Leichtlich hätt' ich dich reich gemacht, wenn du mir die Zeit geboten, statt nach mir zu zielen! Nun sollst du verkommen in Armut und Elend.

Der Gesell ist auch niemals auf einen grünen Zweig gekommen, und hinterm Zaun ist er gestorben.

Der Mummelsee friert selten zu; tut er's aber, so hat er seine Tücken. Einstmals war er fest zugefroren, ein Bauer fuhr zwei Holzstämme mit einem Paar Ochsen darüber, ohne daß das Eis nur krachte. Auf einmal, wie der Bauer schon am andern Ufer war, kam ihm sein Hund nachgesprungen, da krachte das Eig und brach, und der Hund ertrank.

Ein Herzog von Württemberg war begierig, zu erfahren, wie tief doch der Mummelsee sei, und ließ ein Floß bauen, darauf zu fahren und die Faden zu messen. Die Messer banden nach und nach neun Rollen Bindfaden aneinander und fanden noch keinen Boden, da begann aber das Floß zu sinken, und die Messer mußten eilen, das Ufer zu gewinnen. Lange haben am Ufer noch Stücke von dem Flog gelegen.

Ein Markgraf von Baden schoß geweihte Kugeln in den See, da brauste er wild auf und wollte überwallen, daß der Herr mit seiner ganzen Gesellschaft eilend entweichen mußte.



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Einstens kam zu einem Bauer ein Männlein auf den Hof, das bettete sich in die Binsen und das Geröhrig am Brunnen und vertraute dem Bauer, es sei ein Wassermännlein, und sein Weiblein sei ihm abhanden. Das suche er nun schon in allen Seen vergebens, wolle zusehn, ob es nicht in den Mummelsee entführt sei; bat den Bauer, seiner am See zu harren oder eines Wahrzeichens gewärtig sein. Lange blieb es aus, und endlich kam es gar nicht wieder. Nur sein Stecken fuhr aus dem Wasser in die Höhe, und an derselben Stelle färbte sich der See plötzlich blutrot, und das rote Wasser sprang ein paar Schuh hoch in die Luft. Da merkte der Bauer, daß das Wassermännlein drunten getötet worden sei, wahrscheinlich hatte es den Räuber seines Weibleins gefunden, das sich willig hatte entführen lassen.


Lurlei

Wo das Stromtal des Rheins unterhalb Kaub am engsten sich zusammendrängt, starren hoch und schroff zu beiden Seiten echoreiche Felsenwände von Schiefergestein schwarz und unheimlich empor. Schneller schießt dort die Stromflut, lauter brausen die Wogen, prallen ab am Fels und bilden schäumende Wirbel. Nicht geheuer ist es in dieser Schlucht, über diesen Stromschnellen; die schöne Nixe des Rheins, die gefährliche Lurlei oder Lorelei, ist in den Felsen gebannt, doch erscheint sie oft den Schiffern, strahlt mit goldenem Kamme ihr langes flachsenes Haar und singt dazu ein süß betörendes Lied. Mancher, der davon sich locken ließ, der den Fels erklimmen wollte, fand seinen Tod in den Wellenwirbeln. Rheinab und auf ist keine Sage so in aller Mund als die von der Lurlei, aber sie gleicht dem Echo der Uferfelsen, das sich mannigfach rollend bricht und wiederholt.

Lurlei ist die Khein-undine. Wer sie sieht, wer ihr Lied hört, dem wird das Herz aus dem Busen gezogen, Hoch oben auf ihres Felsens höchster



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Spitze steht sie, im weißen Kleide, mit fliegendem Schleier, mit wehendem Haar, mit winkenden Armen. Keiner aber kommt ihr nahe, wenn auch einer den Felsgipfel erstiege, sie weicht vor ihm — sie Schwebt zurück, sie lockt ihn durch ihre zaubervolle Schönheit bis an des Abgrunds jähen Rand, er sieht nur sie, er glaubt sie vor sich auf festem Boden, schreitet vor und stutzt zerschmetternd in die Tiefe.

Einst schiffte auch der Teufel auf dem Rhein und kam zwischen die Lurleifelsen; der Paß schien ihm zu enge, er wollte ihn weit haben und den gegenüberliegenden Felsenkoloß entweder von der Stelle rücken oder in solche Brocken brechen, daß sie den Strom ganz sperren und unschiffbar machen sollten. Da stemmte er nun seinen Rücken an den Lurleifels und



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hob und schob und rüttelte am Berge gegenüber. Schon begann dieser zu wanken, da sang die Lurlei. Der Teufel hörte den Gesang, und es wurde ihm seltsam zumute. Er hielt inne mit seiner Arbeit und hielt es fast nicht länger aus. Gern hätte er sich selbst die Lurlei zum Liebchen erkoren und geholt, aber er hatte keine Macht über sie, und wurde doch von Liebe so heiß, daß er dampfte. Als der Lurlei Lied schwieg, eilte der Teufel von dannen; er hatte schon gedacht, an dem Fels gebannt bleiben zu müssen.

Aber als er hinweg war, da zeigte sich, o Wunder, seine ganze Gestalt, den Schwanz nicht ausgenommen, in die Felswand schwarz eingebrannt, womit er sein Andenken bei der Lurlei verewigte. Nachher hat der Teufel sehr gehütet, der Sirene des Rheins wieder nahezukommen, und hat gefürchtet, wenn er von ihr abermals gefesselt werde, in seinen Geschäften große Unordnung und Unterbrechung zu erleiden.

Die Lurlei aber singt noch immer in stillen ruhigen Mondnächten, erscheint noch immer auf dem Felsengipfel, harrt immer noch auf Erlösung. Aber die Liebenden, die sich von ihr betören ließen, sind ausgestorben; die heutige Welt hat keine Zeit, ihren Fels zu besteigen oder im Nachen sich in Mondnächten diesem zu nahen. Der Räderumschwung des raschen Dampfschiffes braust ohne Aufenthalt vorüber, und durch sein Rauschen dringt keine Sang- und Sagenstimme mehr.


Berggeist Rübezahl

Vom Kynast hat einer nicht weit auf das Gebirge zu wandern, darin des weit und breit genannten Berggeistes Rübezahl Reich ist. Von keinem Gespenst gehen so viele teils alte, teils neu ersonnene Volkssagen. Zahlreich sind die Örtlichkeiten im Gebirge, an denen sein Same haftet; es steige einer nur vom Dorfe und Vitriolwerk Schreibergau hinauf zum Elbfall"zu den Zacken- und Kachelfällen und zum großen Rad wie zur Koppe, da findet er unterwegs Rübezahls Festung, seinen Ball, seine



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Treppe, seine Steinkanzel, seinen Keller, Garten, Teich, Thron und dergleichen häusliche Niederlassungen mehr. Rübezahl ist allbekannt und doch noch nicht genau erkannt; eine Koboldnatur, gut und schlimm, mehr neckisch als tückisch, aber leicht reizbar und oft grausam in seiner Neckerei. Er erscheint in allen Gestalten der Waldleute, als Bergmann, Jäger, Holzhauer, Köhler, Führer, Bote, nicht minder als Mönch, als Moosmann, in Tiergestalt, er gebietet den Elementen wie allen Schätzen der Tiefe, deren Oberhüter er ist.

Es ist eine bekannte Rede, daß dieser Geist den Namen Rübezahl nicht leiden könne und sich an denen empfindlich räche, die ihn damit rufen und höhnen, was ihm auch nicht zu verdenken ist, denn kein Gescheiter wird dulden, daß ihm der erste beste Laffe den ehrlichen Namen verhunze und verschände. Nun weiß aber kein Mensch den wahren Namen dieses Waldschrats, und so nannte man ihn den Herrn des Gebirges, den Herrn vom Berge, und die Kräutersammler nannten ihn Bornirte Johannes und verehrten ihn, da er den Kräutlern gar gute Wurzeln und Kräuter anzeigte, sie auch schöne Steine finden ließ, wenn er sie selbst gut und seiner Gaben wert befand. Da der Gebirgggeist den ihm aufgehängten Samen so wenig leiden und ertragen kann wie der Pilatussee in der Schweiz oder der bayrische See auf der Gebirgsgrenze zwischen Böhmen und Bayern, wo man es "in jener Welt" nennt, die in sie geworfenen Steine und diese mit Toben und Brodeln ausstoßen — so hat er zum öftern groben Leuten, die ihn gerufen, schlimm und scharf gelohnt. Davon wäre viel zu erzählen.

Einem dieser unsaubern und gemeinen Gesellen, der ihn förmlich schimpfte, schickte der Geist ein Hagelwetter auf den Hals, einen zweiten putzte er mit der Mistgabel; einem botanisierenden Mediziner brach er das Genick; einem Schäfer ließ er Ochsenhörner am Kopfe wachsen; einem Schneeberger Ratsdiener zog er die Ohren so hoch in die Höhe, daß sie genau die Ohrenlänge des Esels hatten. Ein Briefträger wurde vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht und bis zum andern Morgen um ein altes Zauberschloß in Ruinen herumgeführt; ein Bauer wurde



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zum Nasenkönig gemacht, der mußte, wenn er sich schneuzen wollte, das Taschentuch so weit vom Gesicht weghalten, wie sein Arm langte. Einer Grasemagd, die im Walde Spottliedlein auf den Berggeist sang, nahte er sich als Buhle, griff ihr unters Kinn und heftete ihr einen Ziegenbart an, den sie ihr Lebelang tragen mußte. Bauern, die ihn geschmäht, lenkten sich, als sie in der Scheune draschen, unwillkürlich die Flegel nicht aufg Getreide, sondern auf ihre Köpfe und Buckel, so daß sie mehr blaue Flecke als Körner ausdraschen, und solcher Strafen verhängte er, wenn er gereizt war, ott und viele. *



***
Die Gunst des Gebirgsherrn erweiss sich vielfach gütig, hilfreich, mitunter etwas Schadenfroh, etwas herb, er gibt selten ohne eine gewisse Laune, wenn er überhaupt noch gibt, doch hat er viele Glückliche gemacht.

Drei Haudwerksburschen bettelten einen vornehmen Herrn an, der ihnen, in einer prächtigen Kutsche fahrend, im Gebirge begegnete. Er gab jedem eine Gabe, sorglich in Papier gewickelt, mit der Weisung, nicht eher als in der nächsten Herberge diese Papiere zu öffnen. Allein einen davon trieb die Neugierde dennoch — er öffnete, ehe ihm noch die Kutsche aus den Augen war, und fand — zwei verschimmelte Rechenpfennige, für die ihm niemand etwas gab. Der zweite konnte auch die Zeit nicht erwarten, der fand zwei alte böhmische Groschen; der dritte wartete und fand zwei Goldstücke.




***
Einem Bauer befahl sein Edelmann als gestrenger Junker, eine große Eiche aus dem Walde zu holen. Der Bauer spannte sein Pferd an den Sagen und fuhr in den Wald, fand aber gleich, es sei eine Sache der Unmöglichkeit, den großen dicken Eichbaum nur auf den Wagen zu heben, geschweige mit einem Pferd von der Stelle zu bringen, hatte aber doch seines ungnädigen Junkers Zorn und Strafe zu fürchten und wehklagte laut im Walde, als wolle er gleichsam die Bäume um Hilfe an


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flehen. Da kam ein Mann in Jägertracht durch den Wald und fragte dem Bauer sein Herzeleid ab, und tröstete ihn und sagte, er möge nur leer heimfahren, er wolle mit Hilfe seiner Kreiser und Holzleute ihm den Baum ohne Entgelt an Ort und Stelle zum Junker schaffen. Dem Bauer fiel ein großer Stein vom Herzen, und er zog fröhlich heim.

Der Berggeist aber hob sich nachts die Eiche mit all ihren dicken Ässen auf den Rücken und trug sie vor des Junkers Haustür, die der mächtige Stamm so versperrte, daß niemand aus und ein konnte. Nun war es eine Lust, zuzusehen, wie der Junker zum Fenster heraus kommandierte, seine Leute sollten den Baum gleich wegschaffen; der lag fest wie von Eisen; nun rief der Junker, sie sollten doch den Baum entzwei sägen und spalten, damit Platz vor der Tür werde — aber da zersprangen die Äxte, wie wenn sie von Klingstein gewesen wären, und die Sägen büßten alle ihre Zähne ein und waren nicht schärfer als ein Fiedelbogen. Die Eiche war oder schien versteinert — sie blieb vor des gestrengen Junkers Hause liegen, und dieser mußte eine neue Tür in sein Haus brechen lassen, welcher kleine Bau viele Bauhandwerker, Maurer, Zimmerer, Schreiner, Schlosser und Tüncher erforderte, vielen Ärger verursachte und dreimal soviel kostete, als die Eiche wert war.



Roßtrappe und Kretpfuhl

Von keiner Felsengruppe des Harzgebirges gehen der Sagen so viele wie von dem schaurigen Talkessel, den nahe beim Dorfe Thale die Bode, das wilde Waldwasser, brausend durchwallt.

In frühen, frühen Zeiten bewohnten Riesen den Harzwald; ein solcher Hüne hatte eine schöne Tochter, die liebte einen jungen Riesensohn des Samens Wittig, der dem Felsen, der heute die Roßtrappe heißt, gegenüber seinen Wohnsitz hatte. Ihr Vater wollte aber nichts von dieser Liebe wissen und verbot sie ihr mit Strenge. Da beschloß das Riesenfräulein



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heimliche Flucht, und da der Vater unter solchen Umständen nicht an ihre Mitgift denken konnte, so beschloß sie, diese selbst mitgehen zu heißen. Sie nahm daher nebst andern Schätzen auch ihres Vaters schwere goldene Krone und setzte sie auf ihr Haupt, stieg zu Roß und eilte dem Felsgebirge zu, in der Nähe des Geliebten sich zu bergen.

Bald ward ihre Flucht entdeckt, und die Verfolgung brauste hinter ihr her. Auf hohem Felsenvorsprung, der in jähe Tiefe hinab sich senkte, rings Fels an Fels aufgegipfelt, und im Tale der schwarze, strudelnde, schäumende Waldbach —sah sie sich umringt, aber da zwang sie ihr Roß zum entsetzlichen Sprung über den Talkessel, und glücklich kam sie hinüber, wohin kein Verfolger ihr nach konnte. Nur die Krone entfiel ihr, tief in den Bodestrudel hinab.

Die Stelle, wo des alten Harzkönigs Krone noch immer in der Tiefe ruht, heißt noch heute das Kronenloch, und da, wo des Rosses Huf dem Fels durch die Gewalt des Sprunges sich eingedrückt, blieb die Spur stets sichtbar und hat der ganzen wildschönen Felsengruppe den Namen Roßtrappe gegeben. Eine Stelle ganz nahe dabei wird der Tanzplatz genannt; auf ihm tanzte die Hünentochter vor Freude, der Verfolgung entronnen und mit ihrem Geliebten vereinigt zu sein. Andere nennen den Platz des Teufels Tanzplatz, ein kleines Filial von seinem großen hoch oben auf dem Brockengipfel.

Zu einer Zeit wollten die Umwohner gar die goldene Krone des Harzkönigs wiedergewinnen, ein Taucher ward geworben, der mußte hinab in den Bodewirbel; er tat es nicht gerne, doch glücklich fand er die Krone und hob die Hand, und ihre goldenen Zacken glitzerten über dem Wasser. Aber gleich darauf entfiel seiner Hand die Krone. Nochmals tauchte er nieder, nochmals fand er die Krone und ließ ihre blitzenden Zacken dem zahlreich versammelten Volke sehen — da entfiel sie ihm abermals, denn sie war schwer. Und wieder tauchte er hinab in den Kretpfuhl, aber nimmer kam er wieder herauf. Ein Blutstrom sprang ans dem Wasserwirbel, zum Zeichen, daß die unterirdischen Mächte, welche die Krone bewachen, ihn getötet hatten.



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Jetzt soll immer noch ein schwarzer Hund die Krone hüten. Tiefe Stille waltet über dem schauerlichen Grunde, nur das Wasser der Bode rauscht und rollt fort und fort über das dunkle Gestein


Die Eppsteiner

Es hauste in den wirren Felsenschluchten und dunkeln Gebirgstälern um das heutige Eppstein ein wilder Riese, der lauerte den Jungfrauen auf, und wenn er eine fing, geschah ihr mehr nach seinem Willen als nach dem ihren. Einstmals gelang es ihm, ein Fräulein von Falkenstein, das ein edler Ritter minnte, hinwegzuführen.

Der Ritter, Eppo genannt, folgte eilend dem Kiesen nach, mit ihm zu kämpfen oder ihn durch List zu besiegen, und hatte ein eisernes Netz, das er an einem gewissen Ort aufstellte. Damit der Riese, wenn er ihn wahrnehme ihn nicht sogleich erkenne, mußte der Knappe Eppos Gewand und Rüstung anlegen, und Eppo trug die des Knappen.

Der Kiese achtete sich keinen Deut um den Ritter, der ihm nachfolgen wollte, er war mit all seinen Gedanken nur bei seiner Gefangenen und trachtete danach, ihr zu tun wie den andern, aber ein Schutzgeist war mit und bei ihr, gegen den weder des Riesen Stärke noch seine Zaubermacht, denn er war auch ein Zauberer, etwas vermochte. Voll Grimm darüber wandte sich nun der Riese Eppo entgegen, und als er ihn daherkommen sah, gebrauchte er seine Zauberkunst und Macht. Er verwandelte Eppos Dienstmann in einen Felsen, meinte so seinen Feind für genugsam lange Zeit an eine Stelle gebannt zu haben und eilte vorwärts, um auch alles Gefolge des Ritters unschädlich zu machen. Darüber aber stürzte der Riese in das eiserne Netz, zappelte darin gar gewaltig, konnte es aber nicht zerreißen.

Nun kam der Ritter in Knappentracht, der sich verborgen gehalten, hervor, schleppte den Niesen auf einen hohen Felsen und stürzte ihn von da herunter, worauf er die Gefangene des Riesen aus ihrem Bann befreite



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und sie zum Ehgenoß gewann. Den verzauberten Dienstmann konnte Eppo leider nicht lösen, der steht heute noch starr und steif wie ein Felsen und ist ein Felsen, und heißt der Mannstein.

Darauf erbaute Ritter Eppo eine neue Burg auf dem Fels, von dem herab er den Niesen gestürzt, und das wurde der Eppstein, und zu den Gewölbrippen im Tor wurden statt der gebogenen Steine die Rippen des Riesen eingemauert und angeschmiedet. Dem Ritter und seiner Gemahlin entsproßte ein gewaltiges Geschlecht von Helden.


Das Riesenspielzeug

An einem wilden Wasserfall in der Nähe des Breuschtales im Elsaß liegen die Trümmer einer alten Riesenburg, Schloß Niedeck geheißen.

Von der Burg herab ging einsmals ein Fräulein bis gen Hasloch. Das war des Burgherrn riesige Tochter, die hatte noch niemals Menschenleute gesehen, und da gewahrte sie unversehens einen Ackersmann, der mit zwei Pferden pflügte. Das dünkte ihr etwas sehr Gespaßiges, das kleine Zeug; sie kauerte sich zum Boden nieder, breitete ihr Schürztuch aus und raffte mit der Hand Bauer, Pflug und Pferde hinein, schlug die Schürze um sich herum, hielt 's mit der Hand recht fest und lief, was sie nur laufen konnte, und sprang eilend den Berg hinauf. Mit wenigen Schritten, die sie tat, war sie droben und trat, jubelnd über ihren Fund und Fang, vor ihren Vater, den Niesen, hin, der gerade beim Tische saß und sich am vollen Humpen labte. Als der die Tochter so mit freudeglühendem Gesicht eintreten sah, fragte er:

"Nu, min Kind, was hesch so Zwaselichs in di Furti? Krom's us, krom's us!"

"O min Vater", rief die Riesentochter, "gar ze nettes Spieldinges ha i funden.



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Und da kramte sie aus ihrem Vortuch aus, Bauer und Pferde und Pflug, stellt's auf den Tisch hin und hatte ihre Herzensfreude daran, daß das Spielzeug lebendig war, sich bewegte und zappelte.

Ja, min Kind", sprach der alte Riese, "do best de ebs Schöns gemacht, dies is so ken Spieldings nitt, dies is jo einer von die Burn; trog alles widder fort und stell's widder hin ans nämlich Plätzli, wo du 's genommen haft!

Das hörte das Riesenfräulein gar nicht gern, daß sie ihren Fund wieder fort tragen sollte, und greinte, der Riese aber ward zornig und schalt:

"Potz tusig, daß de mir nett murrst! E Bur ist nitt e Spieldings! Wenn die Burn nett ackern, so müssen die Riesen verhungen!"

Da mußte das Riesenfräulein seinen vermeintlichen Spielkram wieder fort tragen und stellte alles wieder auf den Acker hin.



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Von Drachen und Lindwürmen

Auf dem hohen Pilatus hat es Drachen und Lindwürme vollauf gegeben, die hausten in unzugänglichen Höhlen und Schluchten des gewaltigen Alpenbergstocks. Oft haben Schiffer auf den Seen sie mit feurigen Rachen und langen Feuerschweifen vom Pilatus herüber nach dem Rigi fliegen sehen.

Solch ein Drache flog einsmals in der Nacht vom Rigi zurück nach dem Pilatus; ein Bauer, der, von Horn bürtig, die Herden hütete, sah ihn. Da ließ der Drache einen Stein herunterfallen, der war wie eine Kugel geformt und glühend heiß; der war gut gegen allerlei Krankheit, wenn man davon eine Messerspitze voll abschabte und dem Kranken eingab. Zu andrer Zeit hat man einen grauslich großen Drachen aus dem Luzerner See die Reuß hinaufschwimmen sehen.

Einstmals ging ein Binder oder Küfer aus Luzern auf den Pilatus, Reifholz und Holz zu Faßdauben zu suchen; er verirrte sich, und die Nacht überfiel ihn, mit einem Male fiel er in eine tiefe Schlucht hinab. Drunten war es schlammig, und als es Tag wurde, sah er zwei Eingänge in der Tiefe zu großen Höhlen, und in jeder dieser Höhlen saß ein greulicher Lindwurm. Die Würmer flößten ihm viel Furcht ein, aber sie taten ihm kein Leid; sie leckten bisweilen an den feuchten salzigen Felsen, und das mußte der Küfer auch tun, damit fristete er sein eben, und das dauerte einen ganzen Winter lang.

Als der Frühling ins Sand kam, machte sich der größte Lindwurrn auf und flog aus dem feuchten Loche heraus mit großem Rauschen; der andre kleinere kroch immer um den Küfer herum, liebkoste ihn gleichsam, als wolle er ihm zu verstehen geben, daß er doch auch mit heraus sollte. Der arme Mann gelobte Gott und dem heiligen Leodager in die Stiftskirche im Hof zu Luzern ein schönes Meßgewand, wenn er der Drachengrube



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entrinne, und als der zweite Drache sich anschickte, aufzufliegen, hing er sich ihm an den Schweif und fuhr mit auf, kam also wieder an das Licht, ließ sich oben los und fand sich wieder zu den Seinen. Doch lebte er nicht lange mehr, weil er der Nahrung ganz entwöhnt war, hielt aber Wort und sein Gelübde, ließ ein prächtiges Meßgewand fertigen, darauf die ganze Begebenheit sticken und alles in das Kirchenbuch einzeichnen.

Es soll diese Wundergeschichte sich ereignet haben 1410 oder 1420, und vom 6. November des einen Jahres bis zum 10. April des folgenden hauste der Küfer bei den Lindwürmen.


Winkelried und der Lindwurm

Zu Wylen, einem Dorfe nicht weit vom Pilatus, saß ein Mann, hieß Winkelried, und in der Nähe droben am Berge hauste ein schädlicher Lindwurm, der fraß Menschen und Vieh und verödete den ganzen Landstrich, so daß ihn die Umwohner Öd-Wyler nannten. Nun hatte der Einwohner Winkelried ob einer Mordtat Leib und Leben verwirkt und war flüchtig worden; er sandte Botschaft, daß er, wenn man ihn wieder annehmen wolle, Mut habe, den Lindwurm zu bestehen.

Diesen Kampf vergönnte man ihm gern, er bewehrte sich gut mit scharfem Schwert, und statt des Schildes hielt er in der linken Hand eine Dornwelle. Die stieß er dem Drachen, sowie der auf ihn losfuhr, in den weit aufgesperrten Rachen hinein. Das waren dem Lindwurm zu viele Zahnstocher auf einmal; er wand und krümmte sich, und sowie Winkelried eine Blöße sah, stieß er ihm mit sicherer Hand das Schwert in den Leib. Der Lindwurm sank tot nieder, von seinem Blute troff Winkelrieds Schwert. Der schwang es hoch und freudig als Sieger und hatte sein Leben gewonnen, aber nur, um es alsbald zu verlieren. Denn vom Schwert ab floß das giftige Drachenblut und rann ihm über die Hand und den Arm, das brannte alsbald wie Feuer der Hölle, und der Held starb an



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diesem Brand. Das Land hatte er befreit; das Drachenloch wird noch heute gezeigt.

Ein andres Drachenloch zeigt man bei Burgdorf mitten im Berner Sande.

Es zogen zwei Herzöge von Lenzburg aus, zu jagen, die waren Brüder und hießen Syntram und Bertram, oder nach andern Guntram und Waltram, und kamen in einem wilden Wald an ein wüstes Geklüft, darin lag ein ungeheurer Drache, der ebenfalls die Landschaft umher zur Einöde machte. Als der die jungen Jäger gewahrte, fuhr er alsbald auf los und schlang den Bertram, den jüngeren, mit Haut und Haar durch seinen weiten Schlund hinab, Syntram aber fiel voll Mut den Drachen an, hieb ihm den Kopf ab, schnitt ihm den Leib auf und half seinem Bruder, der noch lebendig war, heraus.

Danach ließen die Brüder der heiligen Margareta zu Ehren eine Kapelle an dem Orte erbauen und die Tat durch ein Bild verewigen.


Der Lindwurm auf Frankenstein

Überm Dorfe Eberstadt, zwei Stunden von Darmstadt, liegen die umfangreichen Trümmer der Burg Frankenstein. Darauf saß ein Ritter, der hieß Georg. Drunten im Dorfe floß ein Brunnen, aus dem die Bauern ihr Wasser schöpften, und auch auf die Burg hinauf wurde solches Wasser geholt. Neben dem Brunnen wohnte ein gräulicher Lindwurm, der ließ niemand zum Brunnen, es mußte ihm zuvor ein nicht zu kleines Tier geopfert werden, ein Schaf, ein Hund, ein Kalb, ein Schwein er fraß alles und viel, und solange er fraß, konnte jedermann zum Brunnen — wenn er aber nichts hatte, so fraß er die Leute, die zum Brunnen kamen.

Da entschloß sich der Ritter von Frankenwein, das Dorf und die Gegend von dem schädlichen Ungetüm zu befreien, wappnete sich und stritt



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mit dem Lindwurm. Der wehrte sich wacker, spie so viel Feuer, als ihm möglich war, aber der Ritter schlug dem Wurm endlich den Kopf glatt ab. Der spitze Pfeilschweif des Drachen kringelte sich nun um den Ritter und stach ihn hinterwärts, wo die Rüstung nicht deckte, in die Kniekehle, und da der ganze Wurm über und über, außen und innen giftig war, so mußte der wackere Ritter von Frankenstein am Drachengift sterben.

Danach ist er begraben worden zu seinen Vätern in die Kirche zu Niederbeerbach, wo die Frankensteiner schöne Grabmäler haben, und hat auch ein stattlich Denkmal erhalten im Harnisch mit Schwert und Streithammer, lebensgroß. Auf den Lindwurm, der seinen Schweif nach der Kniekehle richtet, tritt er, und Engel krönen ihn, ein echtes Bild des Ritters St. Georg.


Jungfrau Ilse

Hoch oben am felsreichen Brocken entspringt ein Bergbach, der mit starkem Fall zu Tale rinnt, das ist die Ilse. Unten im Tal, nicht weit von dem ehemaligen Klosterort Ilsenburg, ragt senkrecht ein mit einem eisernen Kreuz geschmückter steiler Fels empor, das ist der Ilsenstein.

In diesem Stein wohnt des Flüßchens Nixe, die Jungfrau Ilse; bisweilen tritt sie in Mondscheinnächten oder am frühen Morgen aus dem Stein hervor, in der klaren Flut zu baden. Wer da das Glück hat, sie zu sehen — selten nur ist dies einem vergönnt , den macht sie reich. Sie soll eines Harzkönigs Tochter gewesen sein und von einer bösen Hexe aus Neid in den Stein verwünscht, bis Zeit und Stunde kommen, sie zu erlösen. Nur ein völlig reiner und tugendhafter Jüngling und so schön wie die Jungfrau Ilse vermag dies; er darf noch nie geliebt haben, und Ilse muß die erste Maid sein, der sein Herz in Neigung sich zuwendet.

Einst wandelte ein Köhler am frühen Morgen durch das waldige Tal abwärts; er sah die Jungfrau Ilse und grüßte sie. Sie winkte ihn zu sich, und er folgte ihr bis an den Fels, in dem er eine Tür erblickte, die er früher



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nie gesehen hatte. An dieser Pforte nahm sie ihm seinen Ranzen ab und ging hinein. Bald kam die Jungfrau Ilse wieder heraus und übergab ihm den Ranzen, sagte ihm aber, er solle ihn ja nicht eher öffnen, bis er seine Wohnung erreicht habe.

Erst war der Ranzen leicht, er wurde aber mit jedem Schritt schwerer, und die Neugier des Köhlers, was wohl darinnen sei, wuchs gleich der Schwere mit jedem Schritt. Sie werde ihm wohl einen Schabernack gespielt und Steinklumpen hineingetan haben, dachte er. Auf der Ilsenbrücke hielt er an, öffnete den Ranzen, fand ihn aber nur soll Eicheln und Tannenzapfen.

Was soll ich an dem Zeuge tragen?" sagte er und schüttete es in die Ilse hinab, da hörte er ein Klingeln drunten auf den Steinen, es blinkte und blitzte wie helles Gold herauf und verschwand. Geschwind schloß er den Ranzen, einige Eicheln rasselten noch darin. Als er heimkam, waren sie Goldstücke, und der Rest reichte dennoch hin, ihn reich zu machen.


Die Unkluge

Über Heilingen stand ein altes Ritterschloß. Der letzte Ritter, der es bewohnte, hatte eine einzige Tochter, die ward geliebt von einem Jüngling, den sie wiederliebte, der Vater aber haßte ihn und schoß ihn nieder; da stürzte sich das Ritterfräulein vom Turm, der Alte starb vor Reue, und das Schloß zerfiel in Trümmer.

Das Fräulein wandelt nun als ruheloser Geist umher, doch ist sie ein gütiger Geist und hat schon manche begabt. Sie hat auch den Schlüssel zu dem verborgenen Weinkeller, der noch große Fässer voll des besten Weins enthält. Schade, daß solche Keller und solche Fräulein so selten sind !

Ein Bauer zu Heilingen hatte eine Tochter, die war unklug, was man so insgemein simpel nennt, doch nicht ganz stumpfsinnig, sondern nur blöd.



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Bei dem war einmal eine Trink- und Kartgesellschaft von guten Nachbarn, und da meinten die Bäuerlein und sprachen diese ihre Meinung auch aus: Wer doch nur den Keller in dem alten Schlosse auffinden könnte, Darin des Weines und Goldes die Menge liegt!"— Da rief die blödsinnige Tochter:

"Ich weiss den Keller, ich weiß ihn!

"Ja, du sähest mir danach aus!"sprach der Vater.

"Ich weiß ihn doch", wiederholte die Unkluge, und will euch gleich Wein daraus holen."

Damit nahm sie einen Topf, ging und brachte in kurzer Zeit den Topf zurück bis zum Rande angefüllt mit Wein.

"Den Keller muss ich auch sehen", sprach der Vater, "komm du und geh mit mir hin!

Sie machten sich beide auf den Weg, doch jede Spur war jetzt für die Einfältige verschwunden.

"Wäre ich nur allein gewesen", sprach sie bei der Rückkehr in die Bauernstube, "ich hakte meinen Keller schon finden wollen.

Da regte sich die Lust nach wiederholtem Trunke des guten Weines. Die Bauern legten zusammen und boten Geld, wenn sie noch einmal Wein zur Stelle schaffen wolle. Sie ging, brachte Wein, klagte aber dabei:

"Nun ist es mit dein Weinschank aus. Das weiße Fräulein läßt mich nicht wieder hinein, weil ich von euch das dumme Geld genommen habe. Das Fräulein läßt euch sagen, für eure Strumpfgurgeln wäre der Wein viel zu gut, euch gehörte Bier, ihr wäret alle zusammen keine Kanne Wein wert.

Die Bauern lächelten und sprachen untereinander:

"Laßt sie reden, sie ist halt unklug."



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asia törichten Musikanten

Mehrere Musikanten aus Klein-Gölitz, die in Blankenburg beim Tanze mit aufgespielt hatten, gingen auf dem Nachhausewege am alten Schlosse vorüber. Der Mond beleuchtete die gelben Mauern, und durch die verödeten Fenster neigten sich grüne Büsche. )er eine sagte:

Wie wäre es, Kameraden, wenn wir den alten Grafen, die da oben umwandeln, ein Ständchen brächten? Solche großen Herren nehmen das gar gut auf, zumal wenn sie so selten Musik hören wie da droben!

ver-

Den andern war es recht, und sie spielten einen gemütlichen Dreher. Die heitern Weisen hallten lustig in die Nacht hinein, und ihr Klang brach sich sanft widerhallend an den alten Mauern. Oben aus den Fensterhöhlen schienen verwitterte Gesichter freundlich zu nicken.

Alls die letzten Töne klangen, trat ein graues Männchen — die Musikant ten hatten es nicht kommen sehen — zu ihnen, schenkte jedem einen Buchenzweig und sagte:

Bringt das eueren Kleinen mit, die schnabulieren gern Bucheckern!"



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Unterwegs warfen alle den Zweig lachend weg und sagten;

"Wenn der wunderliche Mann uns wenigstens ein Zuckerbrötchen mitgegeben hätte, denn Bucheckern essen unsre Kleinen dieses Jahr nicht, da wir Süsse die Fülle haben, und in denen steckt doch ein ordentlicher Kern.

Nur der Baßspieler steckte das Zweiglein zum Andenken in seinen Baß. Des andern Morgens kamen seine Kinder fröhlich gehüpft und fragten:

"Vater, was habt ihr uns denn für gelbe Nüßchen mitgebracht, die taugen doch nicht zum Essen, denn die sind hart, daß man sich die Zähne dran ausbeißen könnte?

Und als der Vater den Zweig betrachtete, da war er in reines Gold verwandelt, und so wurde er der reichste Mann im Dorfe.

Die andern Musikanten durchsuchten nun jedes Gräschen am Wege, um ihr Zweiglein wiederzufinden, aber es blieb nicht nur verloren, sondern sie sollen noch obendrein von unsichtbaren Händen unbarmherzige Nasenstüber bekommen haben.


Die buckligen Musikanten auf dem Pervisch

Zu Aachen, in der alten Reichsstadt, haben einmal zwei Musikanten gelebt, von denen hatte jeder einen nicht kleinen Buckel; das war aber auch alles, was sie miteinander gemein hatten, denn der eine war gut und wohlgesinnt, der andere war neidisch und tückisch, scheelsüchtig und habsüchtig.

Nun trug sich 's einstmals zu, daß der erstere auf ein Dorf erfordert war, dort zu einer Hochzeit mit aufzuspielen, und erst am späten Abend heimwanderte. Er mochte dort manch gutes Trünklein getan haben, denn er war ganz fröhlich, und als er auf seinem Wege am hohen Dome vorbeikam, pfiff er wohlgemut ein lustiges Schelmenstücklein. Indem schlug die Glocke Mitternacht, und alsbald war um ihn her ein Schwirren und Schweben, geisterhaft und grauenhaft, und die Gespensterfurcht ergriff den Spielmann und trieb ihn eilend vorwärts durch die Schmiedegasse vor auf



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den Pervisch, das ist der Fischmarkt. Dort traf es der Spielmann ganz hell an, alle Fischbänke waren illuminiert, Wein und Speisen die Hülle und Fülle standen auf reich gedeckten Tafeln in köstlichen Gefäßen, und vornehme Frauen saßen da und schmausten und zechten. Eine solche Dame trat auf den Spielmann zu und sprach:

Holla, Fiedler, du kommst gerade recht, jetzt geig uns eins auf, wir wollen tanzen. Doch zuvor trink erst einmal!

Sie reichte ihm würzigen Wein in einem Goldpokal, und er trank und erglühte vor Lust, nahm sein Saitenspiel und geigte fröhlich darauflos. Die Frauen begannen miteinander zu tanzen im wilden Reigen, und des Geigers Tanzweisen gellten wie toll durch die Nacht. Da schlug es dreiviertel auf eins, und jetzt ließen allgemach die wirbelnden Paare vom Tanzen ab, wie ermüdet — und die Frau, die den Geiger angesprochen, trat jetzt wieder zu ihm und sprach:

Habe Dank und auch Lohn.

Dabei strich sie ihm mit ihrer Hand sanft über den Rücken, daß er vermeinte, sie wolle ihn an sich ziehen — aber indem war sie verschwunden und alle andern Frauen desgleichen und die Lichter, die Speisen, die Geräte alles — und die Münsteruhr schlug eing. Der Spielmann ging nach Hause, so leicht, so wohlig. — er wußte gar nicht, wie ihm geschehen. Als er sich nun auskleidete, da war sein Buckel weg, den hatte zum Lohn die nächtliche Tanzfrau ihm abgestreift.

Bald lief durch ganz Aachen die Wundermär, die hörte nicht sobald der andere Buckelmusikant, als der Neid über ihn kam, und er dachte, mir soll das doch wohl auch gelingen, was jenem Lump gelang. Konnte kaum die Nacht erharren, stand lange vor Mitternacht schon auf dem Pervisch, seine Geige mit dem Fiedelbogen in der Hand. Endlich schlug s, und da glänzten auch die Fischbänke voll Lichter, da standen die kostbaren Geräte, da reichte ihm eine Dame würzigen Wein, alles wie es vorher ging, und forderte auch ihn auf, seine Tanzweisen zu spielen. Das tat er, aber seine Tänze wurden, ohne daß er wollte, Grabmelodien, der Tanz wurde ein Totentanz, die holden Frauenbilder wurden zu Gerippen, und als es dreiviertel



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schlug, huschte ein wolkiges Schattengebild an den Spielmann heran, das hatte zuvor aus einem Silbergefäß ein Kleinod gehoben, und sprach:

Habe Dank und auch Lohn.

Es hing ihm und drückte ihm das Kleinod an die Brus, schier wie einen Orden. Dann schwand alles hinweg, und der Spielmann wankte und schwankte nach Hause, es war ihm weh auf der Brust, und er hatte kurzen Odem. Als er sich aber auszog, da hatte er den Buckel seines Spießgesellen vorn auf der Brust, und seinen eigenen dahinten, den hatte er auch noch, und mußte beide Buckel tragen bis an sein Ende.


Die glühenden Kohlen

Im Städtchen Lorch am Rhein, da wo die Wisper in den Strom fällt, steht an der Stadtmauer auch eine Mühle, deren Räder die raschen Wellen der Wisper treiben. Eines Nachts erwachte die Magd in dieser Mühle sehr früh, es war ganz hell, und sie meinte schon, sich verschlafen zu haben, und eilte, das Feuer in der Küche zu schüren. Da gewahrte sie, wie sie durch das Küchenfenster in den Hof hinabsah, einen Haufen glühender Kohlen, und ging eilend hinab, um davon um so schneller für ihr Herdfeuer Brand zu gewinnen. Drunten lagen um das Kohlenfeuer einige ihr unbekannte fremde Männer, sie aber fuhr, ohne sich an diese Männer zu kehren, mit ihrer Schaufel in die Kohlen hinein und kehrte mit der Schaufel voll in das Haus zurück. Alls sie die Kohlen auf den Herd schüttete, glühten sie nicht mehr, sondern waren erloschen, Sofort lief die Magd noch einmal hinaus und holte wieder eine Schaufel voll — es ging aber gerade wie vorher, die Kohlen waren tot. Und nochmals rannte die geschäftige Magd hinaus, da sprach einer der Männer mit tiefer Stimme:

Du, höre, dies ist das letztemal.

Die Magd erschrak, und es befiel sie ein Bangen, doch sprach sie kein Wort und eilte nur, daß sie wieder an ihren Herd kam. Aber die Kohlen



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waren abermals erloschen — und jetzt hob die Turmuhr auf der Stadtkirche aus und schlug — und die Magd horchte und wollte gern wissen, wie früh es wäre, und zählte drei — vier —sechs —sieben — so spät konnt es doch noch nicht sein — acht — neun — was ist das? und die Uhrglock schlug immerzu und schlug zwölf — und im Hof verschwand das Kohlen

feuer, verschwanden die Männer. Der Magd gruselte fürchterlich — sie eilte in ihre Bettkammer, kroch tief unter die Decke und betete so viele Seufzerlein und Reimgebetlein, als sie konnte und wußte.

Am Morgen verschlief sie üch in aller Form, und statt ihrer trat der Müller zuerst in die Küche, der traute seinen Augen kaum, als er auf dem Herd statt glühender Kohlen einen Haufen glitzernder Goldstücke liegen sah, nahm den Schatz und erbaute sich davon ein neues Haus zu Lorch, heiratete auch die Magd und dankte so für den durch sie gewonnenen Reichtum.



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Der Farrenasmenfinder

Manche mühen sich um den Farrensamen und suchen ihn zu erlangen durch böse Kunst und höllischen Beistand, und andere, die ihn nicht suchen, finden ihn. Der Farrensame, zu rechter Zeit und Stunde gefunden und gesammelt, hat nicht nur die Eigenschaft, Glück zu bringen, unfehlbare Schüsse auf Wild und anderes, sondern er macht auch unsichtbar.

Einem Manne zu Berka an der Werra ging es damit gar wunderlich. Sein Fohlen hatte sich im Walde verlaufen, er suchte es nun und trat unversehens auf der Waldwiese auf reifendes Farnkraut, dabei fiel ihm etwas von dem Samen in die Schuhe. Er lief lange im Walde herum, fand das Füllen nicht, kain erst früh am Morgen wieder nach Hause, ging in die Stube und setzte sich verdrießlich und müde hinter den Kachelofen auf den Lehnstuhl. Fran, Kinder und Gesinde gingen ab und zu, hantierten und plauderten, und keins sprach guten Morgen zu ihm, das nahm ihn wunder; endlich sprach er:

"Ich habe das Fohlen nicht gefunden!

Alle erschraken, niemand wußte, woher plötzlich die Stimme kam; alle sahen einander an, ihn sah niemand.

"Jo, Mann, wo steckst du denn?"rief fragend die Frau.

Da erhob sich der Mann, trat mitten in die Stube und sagte:

"Da bin ich ja, närrische Frau, ich stehe ja vor dir!

Nun erschraken die Seinen noch mehr, denn sie hatten ihn aufstehen und gehen hören und sahen doch noch immer nichts von ihm. Da merkte der Mann, daß er unsichtbar geworden war, wünschte aber nicht, so zu bleiben, entsann sich, daß ihm etwas in die Schuhe gefallen war, das ihn drückte wie Sand, zog die Schuhe alsbald aus und klopfte aus und da fiel der Wünschelsame heraus, der Finder aber stand wieder sichtbarlich vor allen da.



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Allerünken

Allerünken heißen im Dithmarschen die Alräunchen, wenn sie nicht Eigennamen haben.

Eine Bauernfrau hatte so ein Ding im Hause. Sie brauchte bloß ein wenig Teig anzurühren, so wuchs ihr der ganze Kessel voll Klöße. Ein neues Dienstmädchen erfuhr von andern auf dem Felde, daß ihre Frau in einem Koffer das Allerünken verschlossen halte. Neugierig wartete das Mädchen nur den Sonntag ab, als Bauer und Bäuerin in die Kirche waren, um zu stöbern und zu suchen, und richtig, sie fand den Schlüssel zum Koffer in seinem Versteck und schloß auf. Eine kleine Puppe lag in dem Koffer, hatte Kleidchen an, war weich gebettet und bewegte sich. Der Magd kam das Ding graulich vor, sie schlug den Seckel zu und legte den Schlüssel wieder an seinen Ort.

Mittags nahm sie die nötige Menge Mehl zu Klößen für das Haus und Gesinde —Herrgott, wie quoll und schwoll das! Alles voll, alles voll das ganze Dorf hätte ein Klößeessen halten können. Jetzt kam die Frau nach Hause und sah den Vorrat.

"Was fällt dir ein? Was soll diese Menge? Bist du unkluge"

Das Mädchen antwortete:

"Ich habe nicht mehr Mehl zum Teig genommen, als nötig war.

"Ha — so hast du — geh — wasche dir einmal die Hände und halte dein Maul!

Wie das Mädchen ihre Hände gewaschen hatte, war ihr die Kraft des Allerünken verloren.

Manche haben auch das Allerünken Mönöloke genannt. Verfertigt wurde es in des Teufels Samen von weißem Wachs, in einen Kock von blauem Taft gekleidet, und darüber ein Wams von schwarzem Samt, Hände und Füße blieben bloß. Sie mußten gut verwahrt und reinlich



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gehalten werden, dann wurden die Besitzer reich. Wollte einer viel Getreide, so stellte er Die Mönöloke unter den Getreidehaufen, wollte er Geld — unter den Geldkasten.


Jungfer Eli

In der Davert, einem Walde im Münsterlande, sind viele Gespenster und Poltergeister gebannt, da dürfen sie nicht heraus, um so greulicher durchspuken sie den Wald. Einer dieser Geister gehörte einer Haushälterin an, welche im münsterschen Stifte Freckenhorst einer frommen Äbtissin diente, aber selbst nichts weniger als fromm war, vielmehr recht böse, geizig und gottlos. Diese Haushälterin hieß Jungfer Eli. Arme jagte sie mit der Geißel aus der Pforte des Stifts; die Klingel an der Tür band sie fest, daß kein Bettler anläuten konnte; Knechte und Mägde plagte und schalt sie, ließ es wohl auch bei letztern nicht an Püffen fehlen. Jungfer Eli trug ein grünes Hütchen mit weißen Federn darauf, so sah man sie häufig im Garten gehen oder sitzen.

Eines Tages kam eine Klostermagd eilend zum Pfarrer, er möge gleich ins Stift kommen, Jungfer Eli wolle sterben. Der Pfarrer eilte, sein Weg führte ihn durch den Garten, und da saß Jungfer Eli in ihrem grünen Hütchen mit weißen Federn auf einem Apfelbaum. Wie aber der Pfarrer dennoch in das Haus trat, führte ihn die hochwürdigste Frau Äbtissin an das Bette der Kranken, und da lag Jungfer Eli doch wieder darin und schalt und belferte:

Das dumme Mensch hat gesagt, ich wolle sterben, ist nicht wahr, ich will nicht sterben, ich sterbe nicht, ich halt 's nicht aus! Geht zum Kuckuck!

Endlich aber mußte Jungfer Eli doch Serben, mochte wollen oder nicht; wie sie starb, zersprang eine Glocke der Abtei, und bald darauf ging Jungfer Elis Spuken an durch Küche und Stall, über Treppen und



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Gänge. Mit Saus und Braus fuhr sie wie ein Wirbelwind im ganzen Abteigebäude herum, ja, selbst im Stiftswalde sahen sie die Holzknechte von einem Alst zum andern fliegen. Bisweilen trug sie, wie sie sonst getan, eine schöne Torte aus der Küche nach dem Zimmer der Äbtissin, zeigte sie den Mägden und bot sie ihnen an. Wenn nun jene die Torte nicht annahmen, weil sie sich entsetzten, schlug Jungfer Eli ein Gelächter auf, daß die Kannen klirrten, und warf ihnen die Torte vor die Füße, und da war es insgemein ein runder Kuhfladen.

Selbst die Äbtissin blieb nicht ungeplagt; auf einer Fahrt nach Wahrendorf wollte Jungfer Elis Geist zu ihr in den Wagen, und jene entging ihr nur mit ist, indem sie einen Handschuh fallen, und während Jungfer Eli sich danach bückte, den Kutscher eilend davonjagen ließ. Endlich berief die Äbtissin die Geistlichkeit der ganzen Gegend, den Spukgeift zu bannen. Die geistlichen Herren fanden sich ein mit allem ,Rüstzeug zum Bannen und Teufelaugtreiben und begannen im Herrenchor der Stiftskirche ihre Zitationen. Da rief eine Stimme:

"He gickt, he gickt!"

Und es fand sich, daß sich ein Knabe in die Kirche geschlicken hatte und lauschte. Der Knabe wurde hinausgejagt und schlug draußen ein Höllengelächter auf, er selbst war Jungfer Eli und durch die Herren selbst vom Banne befreit. Doch half ihr das nicht, denn es wurde gleich ein stärkerer Bann angewendet und Jungfer Eli in die Davert gebannt. Alle Jahre einmal fährt, der Sage nach, Jungfer Eli mit Gebraus und Getümmel wie die wilde Jägerin über die Freckenhorfter Abtei, wirft einige Schornsteine ab und zertrümmert Fensterscheiben, und mit jedem hohen Feste kommt sie der Abtei wiederum einen Hahnenschritt näher.



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Der Mühlgötz

In der oberen Mühle zu Plauen ward oder wird noch heute ein seltsames altes Holzbild gezeigt, eine plumpe Menschenfigur, etwa wie der Sondershäuser Püstrich, das nannten sie den Mühlgötz, und die Sage ging, es stamme noch aus heidnischer Zeit, sei wirklich ein Götzenbild gewesen. Das Bild hatte die wunderliche Eigenschaft, daß es nicht aus der Mühle fortzubringen war, sondern wenn man versuchte, es wegzuschaffen, so kehrte es immer wieder an seinen alten Ort zurück, aber dann niemals ohne Rumor und Spukspektakel.

Nun trat einstmals ein vorwitziger Gesell als Klapperbursch (Mühlknappe ) ein, grüßte nach üblicher Weise das ehrsame Müllerhandwerk und bat um Nachtquartier, was ihm gern gewährt wurde. Als er sich die Mühle beschaute, fiel ihm auch der Mühtgötz in die Augen, und auf Befragen erhielt er Bericht über die Bewandtnis, die es mit dem Bilde habe. Des lachte der fremde Knappe und gedachte heimlich zu erproben, ob denn das wirklich an dem sei, daß solch ein altes braunes Holzbild von selbst wieder dahin zurückkehre, von wo man es weggetragen?

In der Nacht schlüpfte er, da zudem heller Mondschein war, aus seinem Kämmerlein, schlich zum Bilde, nahm es von seiner Stelle und warf es in den Mühlgraben. Aber da erhob sich plötzlich ein lautes Sturmgetöse, die Räder wurden von unsichtbarer Hand angelassen, die Mühle ging, die Klingel schellte, das Wasser brauste fürchterlich, und Geräte, Kübel und Kästen wirbelten im Werk umher, daß dem Burschen Hören und Sehen verging. Eine unsichtbare Hand faßte den Knappen beim Schopf und zog ihn zum Graben zurück, aus dein der Holzblock ragte. Geschwind zog der Erschrockene den Mühlgötzen wieder aus dem Wasser und trug ihn an seinen Ort zurück.



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Darauf war alles wieder still, nicht aber der Müller. Als er mit seinem Knappen sah, was die Ursache des greulichen Rumors gewesen war, und daß der Fremde den Mühlgötzen beunruhigt hatte, nahm er einen Stecken, hieß seinem Knappen ein Gleiches tun, und beide prügelten nun den Vorwitzling derb und tüchtig ab und warfen ihn zur Mühle hinaus. Der Mühlgötz blieb fortan unbeunruhigt auf seiner Stelle.


Der Mühlenbär

Im Elsaß, in der Gegend von Niederbronn und Gunthershof, liegt eine Mühle, in der sollte es gar nicht richtig sein, ein Bär sollte in ihr spuken. Wenn ein Mühlarzt zugereist kam oder aber am Werk etwas zerbrochen war und ein solcher berufen werden mußte, blieb keiner länger als eine Nacht in der Mühle, denn das Gespenst litt sie nicht, und zuletzt drohte ihr Verfall und dem Müller Verarmung, denn es blieb auch kein Mahlbursche.

Da kam eines Tages ein frischer kecker Klapperbursche dahergewandert, sagte sein Müllersprüchlein ohne Anstoß her und bot um guten Lohn und gute Kost seine Dienste an. Der Müller war froh, daß wieder einer kam, nahm ihn gern in Dienst und hieß ihn die nächste Nacht mahlen.

Der neue Bursch hatte schon von dem Mühlspuk gehört, fürchtete sich nicht, ließ sich gegen Mitternacht vom Glöcklein wecken, schüttete frisch auf, tat einen guten Zug aus der Pulle und legte sich auf ein paar Mehlsäcke schlafen, neben sich legte er aber die scharf geschliffene Mühlaxt.

Er war noch nicht ganz eingeschlafen, als die Tür der Meisterstube, die herein in das Werk führte, aufging und ein schwarzer Zottelbär in die Mühle getreten kam. Er schnopperte und griff erst am Mehlkasten herum, schritt die Treppe hinauf an die Trommel und wurde jetzt den neuen Mahlburschen gewahr, der, die Hand am Beile, die ganze Zeit über den Bären beobachtet hatte, denn die Laterne brannte hell. Jetzt reckte der Bär



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mit Gebrumm die eine Tatze nach dem Burschen aus der, nicht faul, hob das Beil, hieb zu, und die Tatze lag am Boden. Laut auf heulte der Bär und stürate in die Meisterstube zurück.

Als man am andern Morgen das Frühmahl einnahm, fehlte die Müllerin, sie lag im Bette, und ihr fehlte der rechte Vorderarm; da holte der Bursche die Tatze, und die Tatze war der Vorderarm, und die Müllerin war eine unholde Hexe.

Solchen Hexenspuk mit Müllerinnen, die auch als Katzen erscheinen und arge Teufeleien treiben, erzählt man sich auch viel in Thüringen und Sachsen.


Das Weidwiesenweiblein

Mag das Weidwiesenweiblein nun ein verwunschenes Fräulein sein, wie einige sagen, oder auch nicht, so viel steht aber baumfest, daß selbiges Weiblein gehörig spukt. An der Wegscheid sitzt es und winselt zum Steinerbarmen, aber die Steine sind dort gar zu groß. Als Baumstamm saust es die steilen Bergwände prasselnd nieder und rollt hinter den Pferden des Reiters her bis nahe an den Kaitl, dann ist 's weg. Auf dem Felsen hört man es herzzerschneidend schreien und wimmern; am schlimmsten hat sich 's im Jahre 1831 aufgeführt, nachdem es auch in den Jahren 1782 und 1783 gar arg gespukt und viel Redens von sich gemacht.

Seine Gestalt war klein, sein Gewand schwarz, in der Hand trug es einen Tiegel und im Tiegel ein brennend Lämpchen. Ein großer Hut barg das spinnewebig runzelvolle Gesicht. Mit dem Lämpchen leuchtete es den Leuten ganz getreulich durch die dunkle Nacht, und kein Wind mochte das verlöschen, bisweilen aber hat es manche auch ganz ungetreulich irregeführt, besonders wenn sie sich im Kaitl recht bezecht hatten.

Im letzterwähnten Jahre machte sich im Spätherbst der Brunnenwärter vom Nesselgraben auf und ging dem Winseln nach, das sich stark hören ließ. Er verstieg sich hoch hinauf bis auf den Grat des Bergstocks,



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da hörte er das Gewinsel wieder tief unter sich, und unter ihm klaffte steilab die schüssige Wand. Als er mit Not wieder heruntergestiegen war, kam ein Bekannter zu ihm, das war der Kreiser von Helmbach, der stieg kecklich und mit Gefahr seines Lebens durch die Schrunden der Stimme nach und fand endlich ein uralt hockeruckerigeg Weiblein, das saß in einer Felsenspalte wie eine Unke und greinte gottserbärmlich. Es gab auf keine Frage eine Antwort, und wie der Bub sich zu ihm bog, krallte es ihm nach dem Gesicht. Der aber, nicht furchtsam und nicht faul, erwischt das Weiblein beim Schlaffittich und zieht es nach sich bis auf die Matte, wo er vorher seine Joppen ausgezogen. Da läßt er's fahren und bückt sich und zieht die Joppe an, und wie er umschaut, ist's Weiblein weg wie weggeblasen. Da kommt ihm aber ein gewaltig's Grauen an, er macht, daß er heimkommt, und wird acht Tage lang krank vor Schrecken.

Nicht lange darauf ist das Weiblein auch auf den Kaitl gekommen, hat Gaben empfangen, aber nie dafür gedankt. Einige sagen, daß das Weidwiesenweiblein mit seinem Lämpchen einem Fuhrmann geleuchtet, dem in finsterer Nacht beim Kalköfen ein Rad zerbrochen; dem sei das Leuchten ein großer Trost gewesen und er habe gesagt, als er das Hilfsrad angelegt:

"Tausend Dank!"

Da hätte das Weiblein voller Freuden gesagt:

"Hab' genug an einem Dank! Jetzt sieht mich niemand mehr!" Darauf sei es hinweggeschwunden und erlöse gewesen.


Oic sieben Schwestern

Am Khein unterhalb dem Pfalzgrafenstein stehen hochragende Burgtrümmer das Schloß Schönberg. Darauf sollen sieben so schöne Ritterfräulein gewohnt haben, day ihre Schönheit selbst dem Schlosse, darinnen sie hausten, den Namen lieh. Aber so groß der Fräulein Schönheit war, so kalt und gefühllos waren sie gegen die Minne. Keines Ritters Vewerbung



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erhörten sie, einen Freier nach dem andern wiesen sie ab, manches junge edle Herz brach an den Felsenherzen der sieben schönen Schwestern. Aber das Geschick beschloß ihre Strafe. Eines Tages landete ein Sachen unten am Fuße des Berges, darinnen sieben herrliche Jünglinge saßen, in ritterlicher Tracht und von vornehmem Gebaren. Sie kamen zur Burg, sie stellten sich den Fräulein dar, sie warben um Herzen und Hände. Es war vergebens, die sieben Schwestern blieben kalt. Mit einem Male verdunkelte sich der Himmel, eine höllische Musik ertönte, die Jünglinge umschlangen die sieben Schwestern, jeder eine, wie zum Tanzreigen, und schwangen sie tanzend und drehend aus der Burg, über die Zugbrücke, den Berg hinab in den Strom hinein, der stürmisch unter Donnern und Blitzen wogte. — Als es wieder hell und friedlich am reizenden Stromesufer geworden war, da ragten sieben Felsenspitzen aus dem Strome, in die waren die Jungfrauen mit den Felsenherzen zur Strafe ihrer unnatürlichen Härte verwandelt. Größere Flut überwogt sie, kleinere läßt sie sichtbar werden. Die Rheinschiffer kennen sie unter dem Namen der sieben Jungfern und haben unter sich die Sage: wenn einst ein Mächtiger diese Felsen dem Strombette enthübe und sie zu Säulen einer Betkapelle am Ufer bilde, so würden die Jungfrauen erlöst werden, wieder auf die sich erneuende Burg zurückkehren und jede nach der jahrhundertelangen harten Buße einen Mann beglücken.


Das Lindigsfrauchen

Bei Gerstungen soll eine Burg gelegen haben, das Lindigsschloß genannt. Darauf wohnte ein wunderschönes Fräulein, dessen Schönheit sprichwörtlich wurde im ganzen Gau, das hatte aber gar seltsamlichen Verkehr mit den Geistern der Elemente, mit den Nixen des Talflusses und mit den Kobolden und Wichtlein im Reichelsdorfer Bergwerke. Dieserhalb taten die Eltern ihre Tochter in ein Kloster unter dem Arnsberge,



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das der heilige Bonifazius angelegt haben sollte, aber aus diesem Kloster ließ sich das Fräulein durch einen jungen Ritter von der Brandenburg entführen, der sie zur Gemahlin nahm.

Doch auch als solche konnte sie sich des Umganges mit den Nixen nicht ganz entschlagen; sie verlobte ihren einzigen Sohn einer Wasserfee, und
diese holte ihn frühzeitig in ihr nasses Reich, das heißt in der Alltagssprache: der junge Knabe ertrank in der Werra.

Von einem dunkeln Sehnen ruhelos umhergetrieben, fand die junge Frau kein Glück; sie gehörte nur halb der Oberwelt an, und als ihr früh das letzte Stündlein schlug, schied sie ohne Beichte, dieweil sie nicht Lust und Neigung hatte, dem Pfaffen auf die Nase zu binden, welche wonne- und wundersamen Geheimnisse ihren tief verschlossenen Jungfrauen- und Frauenbusen bewegt und erfüllt hatten. Deshalb mußte sie auch ohne Absolution hinübergehen und kam nicht in den Himmel, sondern in das Mittelreich der umgehenden Geister, was ihr vielleicht nicht unangenehm war.

Da hat sie nun alle sieben Jahre zu erscheinen, und zwar einmal zwischen der Brandenburg und Gerstungen auf der Stätte der ehemaligen Lindigsburg und zum andernmal auf dem Wege von Gerstungen nach dem ehemaligen Kloster im Kolbacher Tale. Sie trägt einen Schlüsselbund



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und hat die unglückliche Neigung, sich den Leuten auf den Rücken zu setzen, auch soll sie, trotz ihres früheren Umganges mit ätherischen Wesen, gar nicht unbeträchtlich schwer sein. Wer aber sie geduldig hockelt bis an ihr Ziel, dein soll und wird sie mit ihrem Schlüsselbunde reich angefüllte Burg- oder Klostergewölbe erschließen, davon soll er die eine Hälfte für sich behalten, für die andere Hälfte soll er ein Kirchlein in Rom bauen. Ein solcher hat sich noch nicht, wohl aber haben einige vom Aufhocken des Lindigsfräuleins den Tod gefunden, wie der Ackermann Ohme, der Fleischer Rösing und andere Biedermänner; andere sind vor der bloßen Erscheinung schon so erschrocken, daß sie in schwere Krankheit gefallen.

So wird das arme Lindigsfrauchen wohl fort und fort unerlöst und im Mittelreich bleiben, denn gesetzt, es bekäme einer wirklich den Schatz, so würde er sich doch bedenken, eine Kirche in Kom zu bauen, das hieße Sasser in die Werra tragen.


Der Klopfer und der Staufer Geist

Nahe dem berühmten Staufenberge, darauf der Hohenstaufen Wiege stand, von der auch die letzten Trümmer vom Zahn der Zeit hinweggenagt wurden und nichts blieb als im Markt Hohenstaufen, dicht am Burgberge in der Kirche, des alten Barbarossa erneutes Bild und die wehmütige Inschrift: Hic transibat Caesar — ragt auf stattlicher Höhe das noch erhaltene Bergschloß Hohenrechberg. In dieser Burg, da haust bis auf diesen Tag ein Geist, der Klopfer, insgemein Klopferle genannt, unterschieden von dem Klopfer im Schlosse zu Flügelau, der ein dienstwilliger Hilfsgeist war und doch recht koboldhaft tückisch. Denn als er einst erzürnt ward, fuhr er feurig durch den Schornstein und steckte das ganze Schloß in Brand. Der Rechberger Klopfer erscheint als ein vorhersagender, ahnungsvoller Geist.



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Ein Ritter von Rechberg, Ulrich ll., roar in die Ferne gezogen, in Kampf und Krieg, und vergebens hoffte seine Hausfrau, Anna von Wenningen, auf seine Wiederkehr. Der Ritter hatte einen treuen Hund, der wußte Briefe zu tragen wie der kluge Stutzel zu Wintersein, und kam bisweilen und brachte Kunde, endlich aber blieb der Hund ganz aus. Eines Tages betete die Frau brünstig für ihren fernen Gatten, da störte ein lautes Klopfen sie im Gebet, und endlich rief sie unwillig aus:

"Ei, so klopfe ewig und drei Tage!

Als sie öffnete, war es der treue Hund, der blickte sie traurig an und hatte keinen Brief. Nach drei Tagen führten Knappen den Rechberger als Leiche in sein Schloß.

Als nachher die Frau sich tot grämte, Burte sie vor ihrem Tode das Klopfen wieder, schalt nicht mehr, sondern sagte bloß: "Ich komme" — und starb nach drei Tagen. Und nun hat es stets drei Tage vor dem Tode eines jeden Rechbergers geklopft, ohne daß jemals eine Erscheinung sichtbar geworden.

Der Rechberger Geschlecht stieg zu hohen Ehren, ward in den Grafenstand erhoben und schreibt sich Grafen von Rechberg und roten Löwen. Seit 1317 wurde das alte Steinhaus Hohenrechberg genannt und geschrieben. Im alten Schloß zu Sachsenheim wohnt auch ein unruhigtätiges Klopferle.

Ein anderer Geiss wandelt in Gesait eines Lichtes, also unzweifelhaft ein Lichtgeist von Hohenrechberg nach Hohenstaufen und wieder zurück, und zwar hauptsächlich zur Herbstzeit, unbeirrt durch Sturm- und Regennächte. Bald geht das Licht langsam, bald erhebt es sich, zuzeiten wächst es wie ein Backofenfeuer, wandelt an der Burg vorbei bis zu einer Stelle unter der Kirche höchst auf dem Burgberge und legt sich dann gegenüber an den Hohenstaufen bis zur Morgenglocke. Die Umwohner nennen dieses Licht den Staufer Geist und mögen wohl im stillen dafür halten, daß es ein Licht für sich sei, und die Sage verlautet nicht, daß schon einer so vorlaut gewesen, es anzureden.



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Die Gräfin von Orlamünde

Es war ein Graf zu Orlamünde, Otto, der starb und hinterließ seine Gemahlin Agnes, die ihm zwei Kinder geboren hatte, als eine noch sehr junge Witwe. Sie war eine geborene Herzogin von Meran, und so war ihr als Erbe neben der Grafschaft Orlamünde in Thüringen auch die Plassenburg und deren Gebiet in Franken zugefallen, und sie wohnte bisweilen dort.

Da geschah es, daß sie eine heftige Liebe gewann zu Albrecht dem Schönen, Markgrafen von Brandenburg und Burggrafen zu Nürnberg, und heimlich forschen ließ, ob dieser wohl geneigt sei, sich mit ihr zu verbinden? ? Es war aber schon zwischen dem Markgrafen und der Gräfin Sophia von Henneberg eine Verbindung im Gange, welche des Markgrafen Eltern lebhaft wünschten, und Albrecht ließ die Äußerung fallen, als ihm unterderhand von der Neigung der Gräfin von Orlamünde Kenntnis zuging: "Wenn vier Augen nicht wären.

Dies hörte die Gräfin und deutete es auf ihre zwei schuldlosen Kindlein, das eine, ein Söhnlein von drei, das zweite, ein Töchterlein von zwei Jahren, und ward von unsinniger Liebe zu dem Markgrafen also verblendet, daß sie den schwarzen Entschluß in ihrer Seele faßte, die Kindlein aus dem Wege zu räumen. Darauf gewann sie mit Gaben einen Dienstmann, Haider, die Kindlein umzubringen, und als dieser zur Tat schritt, soll der kleine Graf gefleht haben:

Lieber Haider, laß mich leben,
Ich will dir Orlamünde geben;
Auch Plassenburg, das neue,
Auf daß es dich nicht reue!


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Und das Töchterlein:
Lieber Haider, laß mich leben,
Ich will dir alle meine Püppchen geben!

Der Mörder ließ sich nicht ersehen und vollbrachte die Untat, hat aber nachher auf der Folter bekannt, daß sie ihn schrecklich gereut habe, wenn er der Worte der unschuldigen Kinder, insonderheit des Mägdleins, gedachte.

Da nun die Gräfin ihren Zweck dennoch nicht erreichte, Seel sie in Reue und Verzweiflung, übte schwere Buße und fand auch nach ihrem Tode keine Ruhe, sondern wandelt als die bekannte weiße Frau auf dem Schlosse Plassenburg umher. Sie rutschte auf ihren Knien big zum Kloster Himmels und liegt alldort begraben.


Der Stadtpfeifer aus Orlamünde

Zu Orlamünde war ein Stadtpfeifer, sie nannten ihn den Hausmann, ein munterer Geselle, doch ein ehrlich Blut, nicht mehr ganz jung an Jahren, aber frischen Gemütes und kein Verächter des edeln Rebensaftes, der Gottesgabe.

Nun war einstmals besagter Hausmann mit seinen Leuten zu Heilingen, andere sagen in einem Dorfe unterm Schauenforst, gewesen und hatte bei einer Hochzeit aufgespielt, waren auch schön bewirtet worden, zogen daher, als der Tag graute, fröhlich und wohlgemut am alten Schloß vorbei oder an dem Schauenforst, und da sprach der Hausmann:

Wir wollen doch heute den Tag mit einem Morgenlied anblasen und zugleich dem weißen Fräulein da droben!

Sie stellten sich also auf und bliesen mit frommem Sinne frisch drauflos. Noch waren sie mit ihrem Choral nicht fertig, da trat das weiße Fräulein heraus, auf die Musikanten zu und bot freundlich auf einem Teller, nach der Zahl der Leute, so viele Becher Weines. Sie tranken, und aus



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Dankbarkeit bliesen sie noch ein Stück. Das Fräulein kam zum zweitenmal, reichte aber auf dem Teller eine Anzahl Knochen dar. Mochten sie da auch große Augen machen, so hatte doch keiner das Herz, die wunderliche Gabe auszuschlagen. Sobald sie aber den Turm aus den Augen hatten, warfen die Gesellen ihr Teil in den nächsten Kornacker. Ehrbar aber hatte der Hausmann seinen Knochen in die Tasche gesteckt, und so wurde er bei der Heimkehr mit dem Rocke in den Kleiderschrank gehängt.

Am nächsten Sonntag verlangte der Mann seinen Staatsrock. Die Frau holte ihn.

Was hast du denn eingesteckt?" fragte sie. "Das ist ja schwerer als ein Klumpen Eisen!

Ich wüßte nicht", war seine Antwort, "wer mir etwas gegeben hätte, zeig doch her!

Sie langte eine lange Rolle Gold aus der Tasche, in die der fromme Stadtpfeifer den Knochen gesteckt hatte.

Das war den Gesellen, die ihre Knochen weggeworfen hatten, außer dem Spaß, als sie das hörten; sie liefen spornstreichs nach dem Kornacker zurück, und o Freude, sie fanden die Knochen und trugen sie jubelnd nach Hause. Als sie sie dort aus der Tasche zogen, hatte jeder ein Stück beinerne Flöte — ihr gehofftes Glück war flöten gegangen und konnten sich nun selbst was pfeifen.


Der fliegende Holländer

Im Lande Limburg liegt ein altes Schloß, das Falkenberg genannt, darin es spukt und umgeht. Eine Stimme ruft gegen die vier Wände den Klageruf: "Mörder! Mörder!" —Zwei kleine Flämmchen flackern vor der Stimme her, aber den Rufer sieht keiner. Und das ist so seit sechshundert Jahren.

Damals, vor so langer Zeit, stand das Schloß noch in seinem Glanze, zwei Brüder von Falkenberg wohnten darin, die hießen Waleram und



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Reginald, und liebten beide die schöne Tochter eines Grafen von Cleve, Alix. Waleram war der Glückliche, den die Jungfrau erkor, und feierte mit ihr glänzende Hochzeit. Dem verschmähten Reginald aber wandte der Rachegeist das Herz im Busen, und er ging und ermordete die Liebenden. Im Todeskampfe griff Waleram in des Bruders Mordwaffe, schlug ihm die blutende Hand ing Gesicht und sank dann tot zurück. Der Mörder schnitt vom Haupt der von ihm erdolchten Braut eine Locke und entwich, war auch nimmer zu finden, als man die Toten fand und bejammerte und den Mörder ahnte.

Es lebte dazumal nicht allzu weit vom Schlosse Falkenberg ein frommer Einsiedel, dessen Klause neben einer kleinen Kapelle stand. Bei dem klopfte es an um Mitternacht und begehrte Einlaß im Samen des Himmels. Reginald war s, den die Reue marterte und auf dessen Gesicht die Spur einer blutigen Hand unaustilgbar sichtbar war, ein Wahrzeichen, was kein Wasser abwusch. Reginald beichtete dem Einsiedel seine schwere Schuld, und der hieß ihn mit ihm gehen, und führte ihn in die Kapelle, und kniete mit ihm am Altare, und betete mit ihm die ganze Nacht. Am andern Morgen gebot der Einsiedel dem Grafen Reginald von Falkenberg: "Wandelt als büßender Pilger gen Norden und immer gen Norden, bis Ihr keine Erde mehr unter den Füßen habt, dann wird Gott Euch durch ein Zeichen offenbaren, was Ihr weiter beginnen sollt." Da sprach Reginald kein anderes Wort als Atmen! und verbrannte an der ewigen Ampel des Altars Ulixens Locke und ging von dannen, gen Norden und immer gen Norden, und büßte und betete. Und da sind zwei Gestalten mit ihm gegangen, eine weiße zu seiner Rechten und eine schwarze zu seiner Linken; die zur Rechten bestärkte ihn im Büßen und Beten, die zur Linken aber flüsterte ihm zu, davon abzulassen und den Freuden der Welt zu leben, und so kämpften sie um seine Seele, und dieser Kampf, den er im Herzen fühlte und mitkämpfte, war seine Buße.

So ging er tagelang und wochenlang und mondenlang, big er am Meere stand und kein Erdreich mehr vor sich sah, darauf er seinen Fuß hätte setzen können. Aber da fuhr ein Sachen heran, da saß einer drin, der winkte



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Reginald und sprach: Exspectamus te!, d. h. Wir erwarteten dich! Das war das Zeichen, und Reginald stieg in den Kahn, die zwei Gestalten mit ihm. Der Mann im Sachen stieß ab und fuhr nach einem großen Schiffe hin, das im Meere lag und alle Segel aufgespannt hatte und alle Flaggen aufgezogen. stiegen die drei an Bord, und der Mann samt dem Sachen verschwand, und das Schiff segelte durch das Meer. Reginald aber ging unter das Verdeck des Schiffes, das ganz menschenleer war und ohne alle Bemannung; da stand eine Tafel und Stühle, und die drei setzten sich, und die schwarze Gestalt legte drei beinerne Würfel auf den Tisch und sprach: Jetzt wollen wir um deine Seele würfeln big zum Jüngsten Tag.

Das tun sie noch heute, ohne Ruder und ohne Steuer fährt das Schiff durch den Ozean im Norden, zur Nacht wabern Flammen auf seinen Masten und tanzen auf den Sahen. Seine Segel sind grau wie Erde, und seine Flaggen sind fahl, wie abgebleichte Bänder an Totenkränzen. Sein Bord ist leer, und am Steuer steht kein Steuermann. Sein Gang Flug, und sein Begegnen ist Fluch, Unheil verheißend dem Fahrzeug, dem es begegnet. Mancher Schiffer hat es schon gesehen, und es hat ihm Grausen erregt. Selbst bei Windstille fliegt es wie ein Pfeil über die Meeresglätte. Und nennen es den fliegenden Holländer.


Schwertmann

In einem Hofe namens Rothwisch in der Krempnermarsch lebte vorzeiten ein Raufbold, der trieb es arg mit allen tollen Streichen und hieß Schwertmann. Der hat für seine Übeltaten lange als Gespenst umgehen müssen, als Feuermann, und die Leute geschreckt und geängstigt.

Als Schwertmann gestorben war, sah man ihn auf seinem Leichenwagen wieder nach Hause fahren. Beim Leichenschmause saß Schweremann unter den Leidträgern. Bald guckte er da, bald dort aus einem Fenster,



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einem Korbe, einer Luke mit schrecklicher Fratze. Als Pfarrer und Küster kamen und den Geist bannen wollten, warf er ihnen alles Böse, das sie heimlich getan, laut vor, bis zum geringsten. Endlich überwand ihn der Schulmeister, der im Überwinden Übung hatte, und trug ihn nach dem wilden Moor, ihn zu bannen. Da zischelte ihm Schwertmanns Geist ins Ohr:

"Nur nicht zu tief in den Sumpf, hörst du? Nur nicht zu tief.

Als Schwertmann nun dorthin gebannt war, aber eben nicht zu tief, wandelte er von Zeit zu Zeit als Feuermann herum und schreckte viele Leute. Die größte Pein litt er an seinen brennenden Füßen; wo er Schuhe fand, zog er sie an, weil sie seinen Brandschmerz linderten, es paßten ihm auch alle, nur konnte er kein Paar lange tragen, weil er jedes gleich durchbrannte Oft bat er selbst Leute um Schuhe, die gleich verschwanden, sobald sie ihm hingesetzt wurden.

Endlich. hat ein Bäckergesell diesen ruhelosen Geist in einer Kiepe gefangen und sie ins Meer gesenkt. Seitdem war Ruhe vor ihm, aber sein tolles Wesen bei seinem Leben und nach seinem Leben, das blieb im Gedächtnis der Leute, und sprachen sprichwörtlich, wenn es wo recht wild und toll und übel herging: "Da regiert Schwerzmann.

Wenn einmal einer etwa die Kiepe zufällig auffischt und öffnet, da wird er schon sehen, was für einen Fisch er gefangen hat.



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Der schnelle Reiter Tod

Im Schleswiger und Dithmarscher Sande geht eine Sage um von einem bäuerlichen jungen Liebespaare, das hatte sich gar zu lieb, aber Gott fügte es, daß der Bräutigam krank ward und starb. Da wollte sich seine Liebste gar nicht zufrieden geben und weinte und jammerte den ganzen Tag, und wenn es Abend wurde, ging sie hin auf sein Grab und weinte und jammerte die liebe lange Nacht. Da nun die dritte Nacht kam, seit er begraben war, und sie wieder dasaß und weinte, da kam ein Reiter auf einem Schimmel und fragte sie:

Magst du mit mir reiten?

Da schlug sie die Augen auf und sah, daß es ihr Geliebter war, und sprach:

Ja, ich will mit dir reiten, wohin du willst."

Mutig stieg sie zu ihm auf sein Pferd, und fort ging es mit dem Wind um die Wette in die weite Welt. Als sie nun eine gute Strecke geritten waren, sprach der Geliebte:

Der Mond, der scheint so hell,
Der Tod, der reitet so schnell,
Mein Liebchen, graut dir nicht?

"Nein" sagte sie, "wag soll mir wohl grauen? Ich bin ja bei dir. Und weiter und weiter ging der Ritt und immer hastiger, aber die Dirne saß fest auf dem Pferde und hielt den Geliebten umfaßt. Da fragte dieser zum andernmal:

Der Mond, der scheint so hell,
Der Tod, der reitet so schnell,
Mein Liebchen, graut dir nicht?


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"Nein", erwiderte sie nochmals, "was soll mir grauen? Ich bin ja bei dir!

Aber es wurde ihr doch ein wenig wunderlich zumute; und da fragte er zum drittenmal:

Der Mond, der scheint so hell,
Der Tod, der reitet so schnell,
Mein Liebchen, graut dir nicht?

Es begann ihr zu grauen, fester hielt sie ihn umklammert und sprach kein Wort. Da sauste das Pferd dreimal mit ihnen in einem Kreis herum, und weg waren sie.


Die Nägelstätter Weide

Zwischen Langensalza und Groß-Margula liegt das Dorf Nägelstätt und dabei eine Trift, die ist verrufen und heißt die Nägelstätter Weide. Zum öftern sind Geister dorthin gebannt worden.

So lebte zu Langensalza ein wunderlicher Doktor, der von aller Welt sich abgeschieden hielt, doch ließ er reiche Gaben an die Armen durch seinen Diener austeilen. Er starb endlich alt und vielleicht auch lebenssatt; da es nun zu seinem Begräbnis kam und der Sarg schon im Flur stand, sangen die Kurrendeschüler vor dem Hause nach üblicher Weise ein Sterbelied — siehe, da schaute oben der alte tote Doktor in seiner weißen Zipfelmütze und mit einer grünen Brille zum Fenster heraus. Man eilte bestürzt in das Haus, öffnete den Sarg — da lag der Alte starr und steif; man hob rasch den Sarg und trug ihn zum Gottesacker hin, während der Doktor wiederum gemütlich nachsah, wie man mit ihm dahinlief, als wäre er ein zu begrabender Jude.

Von da an schaute von jedem Mittagaglockenschlag zwölf bis ein Uhr der Geist des Doktors aus dem Fenster, und niemand wollte in das Haus



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ziehen. Da ließ man einen Hullen- und Pöpelsträger kommen, das war ein Jesuit vom Eichsfeld, der brachte einen Fuhrmannskober mit, bannte den Geist dahinein und trug ihn in die Nagelstätter Weide.

Acht Tage darauf geschah es von ungefähr, daß ein Brautpaar aus dem Dorfe durch die Weide ging, wollte in die Stadt und Einkäufe zur Hochzeit machen, hatte aber des Geldes nicht gar viel, und da tat die Braut einen Wunsch:

Ach, wenn wir doch einen Schatz fänden, da wäre unserer Sorge mit einem Male abgeholfen!

Ja ja', sagte der Bräutigam, "hat sich was mit Schatz finden!

Da aber gewahrte sein Blick an einer alten Eiche einen Kober, der mit Stricken fest umwunden war, der hing an einem Astrest, und da rief der Bräutigam scherzend:

Fundus! hier hängt unser Schatz.

Rasch wurde der Kober vom Baume genommen, er war sehr schwer, gewiß enthielt er Geld — und wurde etwas seitab vom Wege geöffnet. Als die fest geknoteten Stricke mühsam gelöst waren und der Deckel abgehoben war, da ging es dem Brautpaar wie dem Fischer 'im ersten Märchen der Tausendundeinen Nacht, der die alte Wärmflasche aufgefischt und aufgeschraubt, es stieg ein Qualm aus dem Kober, der roch wie Teufelsdreck, Baldrian und Moschus durcheinander. Aug diesem Qualm formte sich die Gestalt eines uralten hockeruckigen Männleins, und das war der Langensalzer Doktor, der sprach gar freundlich;

Habt Dank, ihr jungen Leutchen, daß ihr mich aus dem Kober erlöst habt, in den mich der gottverfluchte Jesuiter hineingebannt, und empfanget zum Danke diesen Goldgulden, dafür mögt ihr kaufen, was ihr wollt, er wird immer wieder zu euch zurückkehren. Doch mißbraucht nie die Gabe meines Dankes."

Da wurde das Brautpaar reich und glücklich. Der Geiss des alten Doktors ging aber nicht wieder in das Haus nach Langensalza zurück, sondern blieb in der Nägelstätter Weide, wo er sich noch immer bisweilen



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Des Rodensteiners Auszug

Im Odenwalde oder nahe dabei stehen zwei Trümmerburgen, die heißen der Rodenstein und der Schnellert, zwei Stunden voneinander entfernt.

Die Herren von Rodenstein waren ein mächtiges Rittergeschlecht. Einer von ihnen war ein gewaltiger Kriegs- und Jagdfreund, Kampf und Jagd waren sein Vergnügen, bis er auf einem Turnier zu Heidelberg auch die Minne kennenlernte und ein schönes Weib gewann. Doch lange hielt er es nicht aus im friedsamen Minneleben auf seiner Burg, eine nachbarliche Fehde lockte ihn zu blutiger Teilnahme. Vergebens und ahnungsvoll warnte sein Weib, beit und flehte, sie nicht zu verlassen, da in Hoffnung und ihrer schweren Stunde nahe war. Er zog von dannen, achtete ihres Flehens nicht — sie aber war so sehr erschüttert, daß ihre Wehen zu früh kamen, sie genas eines toten Sohnes und —starb.

Der Ritter war, dem Feinde näher zu sein, auf seine Burg Schnellert gezogen — dori erschien ihm im Nachtgrauen der Geist seines Weibes und sprach eine Verwünschung gegen ihn aus

Rodenstein", sprach sie, "du hast nicht meiner, nicht deiner geschont, der Krieg ging dir über die Liebe, so sei fortan ein Bote des Krieges fort und fort bis an den Jüngeren Tag!

Bald darauf begann der Kampf. Der Rodensteiner fiel und ward auf Burg Schnellert begraben. Ruhelos muß von Zeit zu Zeit sein Geist ausziehen und dem Lande ein Unheilsbote werden. Wenn ein Krieg auszubrechen droht, erhebt er sich schon ein halbes Jahr zuvor, begleitet von Troß und Hausgesinde, mit lautem Jagdlärm und Pferdegewieher und Hörner- und Trompetenblasen. Das haben viele Hunderte gehört, man kennt sogar im Dorfe Oberkainsbach einen Bauernhof, durch den er hindurchbraust mit seinem Zuge, dann durch Brensbach und Fränkisch Crumbach und endlich hinauf zum Rodenstein zieht. Dort weilt das



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Geisterheer bis zum nahenden Frieden, dann zieht es, doch minder lärmend, nach dem Schnellert zurück.

Im achtzehnten Jahrhundert sind im Gräflich Erbachischen Amte zu Reichelsheim gar viele Personen, die den Nchtspuk mit eigenen Ohren gehört hatten, amtlich verhört worden und haben ihre Aussagen zu Protokoll geben müssen.

Viele sagen zwar, es sei des Lindenschmieds Geist, der so ruhelos ziehe und von dem am Rhein alte Lieder gehen, aber der Lindenschmied war ein Schnapphahn, den Kaspar von Freundsberg gefangennahm, und lange vor seinem Leben war der Rodensteiner zum Auszug und Kriegsherold bis zum Jüngsten Tage verwünscht worden.


Der wilde Sager

Der Wild- und Rheingrafen einer war ein gewaltiger Jäger, aber nicht wie Nimrod vor dem Herrn, sondern so recht vor dem Teufel. Einen Tag und alle Tage ging es hinaus in die Forste mit wildem wüstem Gefolge. Werktag und Feiertag, das war dem Grafen alles gleich, in die Kirche ging er nicht, und die Pfaffen achtete er nicht, nur Jagen war seine Freude.

Da geschah es eines Sonntagsmorgens, daß der Wild- und Rheingraf abermals vom hohen Stein mit dem Gefolge seiner Jagdknechte und Rüden herab zu Tale zog, mit "Horido und Hussassa", wie der Dichter singt, durch Felder und Saaten, nichts achtend, niederstampfend in den Boden junge Saat und reife Ähren. Es währte nicht lange, so brachten die Hunde einen großen weißen Hirsch auf, dessen Spur sie nun mit lautem Kliffen und Klaffen folgten, und die Hifthörner klangen, die Hetzpeitschen knallten, daß es nur so sauste und brauste, immer dem Hirsch nach. In allen Tälern riefen die Kirchenglocken, der Wildgraf hörte es gar nicht.



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Ein Bäuerlein, in dessem Feld der fliehende Hirsch sich zu bergen suchte, sah den Troß auf sein Korn losjagen, und fiel auf die Knie und flehte seines Ackers, des einzigen, welchen es besitze, doch gnädiglich zu schonen — der Wild- und Rheingraf überritt den Bauer und stürmte mit dem ganzen Jagdtroß über die Saat hin. Der fliehende Hirsch mischte sich unter eine weidende Herde, da Sicherheit zu suchen — der Hirte sah die wilde Jagd annahen und flehte um Barmherzigkeit für das ihm anvertraute Vieh — der Wild- und Rheingraf knallte ihm mit der Peitsche um die Ohren und schrie:

"Hui hatz! Hui hatz!

Da fiel die blutgierige Meute mit wütenden Bissen den Hirten an und riß ihn nieder, und biß die Rinder tot, und jagte den Hirsch weiter. Dieser gewann einen Wald, dessen friedliche Sonntagsstille jetzt gellend laut der Zug des wilden Jägers durchtobte.

Im Walde stand eine Einsiedlerklause, und in diese floh jetzt der auf den Tod gehetzte Hirsch.

Der Wild- und Rheingraf stürmte mit seinem Troß gegen die Klause an — der Klausner, ein Greis mit schneeweißem Bart, trat heraus und hob warnend die Hand.

"Nicht weiter!" rief er mit starker Stimme. "Hier ist das Tier geschützt!"

"In der Hölle ist dein Schutz, du Narr!" schnaubte der Wild- und Rheingraf den Klausner an und hob die Peitsche hoch gegen ihn auf.

Aber die aufgehobene Rechte fiel nicht mehr zum Schlage nieder — Nacht ward es plötzlich — der Klausner und die Hütte, der Hirsch und die Hunde, die Jäger und die Knechte — alles schwand, und des Wild- und Rheingrafen keuchendes Roß brach zusammen. Und da zuckte ein Blitz, und da fuhr des Teufels Faust riesengroß aus der Erde und drehte dem wilden Jäger den Hals um, und eine Stimme donnerte:

"Jage so fort, bis an der Welt Ende!"

Und also geschieht es, wie viele, viele Sagen melden, daß von Zeit zu Zeit die wilde Jagd durch die Lüfte und über Felder und Wälder fährt



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mit gräßlichem Geschrei, mit dem Kliffen und Klaffen der Hunde, mit gespenstischem Wild, und der wilde Jäger selbst als Wild gehetzt vom wilden Heere der Hölle.


Der wilde Jäger in Dithmarschen

Auch in Dithmarschen kennt man den wilden Jäger, wie am Rheine, auf dem Harz, in Thüringen, im Vogtlande und sonst. Also wird vom Freischützen zu Marne erzählt, daß er ein ziemlich wilder Bauernbursch gewesen, der die Jagd über alles geliebt, aber, nachdem er sich verheiratet und ein kleines Gütchen bewirtschaftete, dieses über der Jägerei vernachlässigt, mit dem Waidwerk aber wenig erreicht habe.

Da ging er einstmals ganz mißmutig durch den Wald nach Hause, denn er hakte den ganzen Tag noch keine Krähe und keine Klaue geschossen, siehe, da ging ein fremder Jagdgesell vor ihm her, der trug ein schönen Gewehr und eine bauschende Jagdtasche, und der Bauer hätte ihn gern eingeholt. Jener aber führte einen tüchtigen Schritt. Endlich tat der Bauer einen hellen grellen Jagdpfiff, jener jedoch kehrte sich gar nicht daran und stand nicht, bis er an einen Kreuzweg kam, da stand er endlich und erwartete den Bauer, und war ein ganz feiner, gutgekleideter Gesell.

Ihr habt wohl besser Glück gehabt als ich", sprach der Bauer zu ihm, "ich seh's Euerm Jagdranzen an, der ist gut gefüllt.

"Ja" sprach der Fremde, "kannst 's auch so haben, kannst Kugeln schießen, die immer treffen, mit deinen Kugeln trifft du freilich nichts. Guten Weg!

Damit wollte er weitergehen, aber der Bauer-Jäger hielt ihn zurück und bat, ihn sein Geheimnis des Stetstreffens und Niefehlens zu lehren und versprach ihm hohen Lohn. Jener aber sprach:

"Ich will es dich wohl lehren, du mußt mir aber schwören, keiner lebenden Seele mein Geheimnis zu verraten, denn tätest du das, so würde es dir übel ergehen.



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Jener schwur und hob die Hand gen Himmel, da flogen zwei Raben auf und krächzten und schwirrten um die beiden Männer, und der fremde Jäger sagte jenem sein Geheimnis. Dies Geheimnis war aber gar entsetzlich, und der Bauer trug schwer daran. Es lastete ihm auf dem Gemüt, und er probierte es nicht, ging lieber gar nicht mehr hinaus in den Wald, sondern blieb zu Hause, aber auch da still und träumerisch.

Die Frau sah ihres Mannes Veränderung, und hatte ihr sein Jagdgehen nicht gefallen, so gefiel ihr sein in sich gekehrtes Wesen noch viel weniger, und sie drang in ihn, ihr zu sagen, was ihm denn fehle. Er aber schwieg, sie aber ließ nicht nach mit Forschen und Fragen, Bitten und Betteln, bis er endlich ihr vertraute und sprach:

Ich soll, wenn ich will, daß jede meiner Kugeln treffe, mein Gewehr mit einer geweihten Hostie laden statt mit einer Kugel, dann im Walde auf einen freien Platz gehen zur Mittagsstunde, da ein weißes Tuch ausbreiten, darauftreten und gerade in die Sonne schießen. Von da an soll jeder meiner Schüsse treffen und des Wildes nimmer fehlen.

Wohl war das der Frau graulich zu hören, doch allmählich stillte sich ihr Grauen, und da sie mehr und mehr in Not, ihr Hauswesen aber in Verfall kam, so meinte sie, probieren könne er das Kunststück ja doch einmal, so sehr viel könne es doch nicht auf sich haben, es sei ein Jägerstücklein wie viele andere, und wenn es probat sei, wie sie gar nicht glaube, so hülfe es ihnen aus aller Not und was ihres Zuredens Worte mehr waren. Und da dachte er es endlich zu wagen. Er hatte aber ganz und gar vergessen, daß er seinen Schwur schon gebrochen und das Geheimnis verplaudert hatte und daher schon jenem Argen verfallen war.

Nun ging der Jäger zum Abendmahl, empfing die heilige Hostie, behielt sie im Munde und lud sie dann heimlich in seine Büchse. Dann tat er alles übrige nach der Vorschrift, ging noch denselben Sonntag zur Mittagszeit in den nahen Wald. Die Sonne schien hell. Der Jäger zielte, er schoß nach der Sonne. Da verfinsterte sich die Sonne, schwarzes Gewölk fuhr auf, Blitze flammten, Donner krachten, die zwei Raben waren da und krächzten und schlugen mit den Flügeln.



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Der Entsetzte sprang von seinem Tuche, bückte sich, wollte es aufraffen, da waren die Fußtapfen, wo er gestanden hatte, voll Blut. Er stürzte aus dem Walde, die Angst brachte ihn fast um — dort stand sein Haus, das brannte lichterloh - das Wetter hatte hineingeschlagen, schreiend und heulend stürzten Weib und Kinder ihm entgegen. Und da war auch der fremde Jäger wieder da, der höhnte ihn, daß er ein schlechter Freischütz sei, der das Geheimnis nicht bewahrt habe. Und nun müsse er bis zum Jüngsten Tage jagen, Weib und Kinder müßten als Hunde ihn begleiten — am Tage müsse er bei den zwei Raben im Walde wohnen und des Nachts durch die Lüfte hetzen.

Dieses geschah und geschieht noch immer, und die Leute nennen das den wilden Jäger. Wer ihn hört und das Wauwau der Hunde nachmacht, dem wirft er Knochen herab oder Stücke von verfaultem Wild oder Pferden. Einen Mann aus Bornhövede ist das geschehen, auch einem aus Meinsdorf, die wurden gezwungen, selbst von dem Braten zu essen.

Der wilde Jäger hat insgemein viele Hunde, meistens kleine Dächsel und andere, manches Mal brennt den Hunden auf dem Schwanz ein Licht. Manches Mal zieht er mitten durch die Häuser, und da tut er niemand etwas, wenn nur die Leute sich ruhig verhalten und sich an nichts kehren.


Der Mode

Im Lauenburger Lande heißt der wilde Nachtjäger Mode, mag wohl ein Namensnachhall des Sachsenvolksgottes Wodan sein. Der Mode jagt vornehmlich, wie der wilde Jäger im Harz, Thüringer Wald und Vogtland, in der Adventszeit und in den Zwölften. Er reitet das altheilige, große, weiße Roß, und es folgen ihm vierundzwanzig Hunde. Sein Pferd hat nur drei Beine. Wenn die Wodensjagd auf Zäune stößt, krachen sie gleich zusammen, über Nacht richten sie sich von selbst wieder auf. (Dem



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Hause des Verfassers gegenüber liegt ein Garten, dessen Zaun der wilde Jäger des Nachts öfters umwirft; dieser Zaun richtet sich aber nicht von selbst wieder auf, sondern der Nachbargartenbesitzer läßt ihn allemal am Tage wiederaufrichten.) Des Moden Hunde bleiben bisweilen ermattet liegen, schnaufen, heulen und winseln. So geschah es in Wulfsdorf, in Fühlenhagen und anderswo. Tags darauf holt sie der Mode wieder. Läßt eine Frau zur wilden Jagdzeit Wäsche im Freien hängen, so wird sie von den Wodenshunden in Fetzen gerissen. Bäckt jemand zu dieser Zeit, so kann er es erleben, daß die Brotlaibe ala Jagdhunde auf und davon fliegen. Läßt jemand die Haustür unversehens offenstehen, so kann er gewärtigen, daß das Wodensheer hereinzieht und hindurch, und daß die Hunde auffressen, was sie vorfinden, absonderlich den Brotteig. Doch weiß der Mode solchen Verlust auch zu vergüten.

Einst klagte ein Bäuerlein erbärmlich, was es denn nun mit den Seinen essen und ob es keinen Schadenersatz erhalten sollte? Der Mode schrie:

"Jo, jo! Ho, ho!"

Er schmiß einen toten Hund aus der Luft herunter dem Bauer vor die Füße und rief dazu:

"Wirf's Aas durch den Schornstein!"

Der Bauer erschrak und tuts. Der tote Hund war schwer. Auf des Bauern Herd zerplatzte der Hundebalg, und es rollte die Küche voll Goldstücke.

Der Wode jagt — wie der wilde Jäger im Vogtland die Wichtel, Holzweibel und Moosleute — die kleinen Waldfrauen, die Erd- und Bergmännchen, die die Leute dort im Lauenburger Lande Unterirdische nennen. Er vertilgte sie so ziemlich von der Erde. Sein Hauptjagdweg geht um Krumesse herum über das Moor nach Beidendorf zu.

Ein Beidendorfer Bauer wollte einmal abends nach Krumesse, da kam ein ganzer Schwarm Unterirdischer dahergelaufen, waren aber dasmal gar nicht bange und riefen:

Heut kann er uns nicht kriegen, heut soll er uns wohl in Ruhe lassen, heut hat er sich nicht gewaschen!



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Als der Bauer ein Stück weitergegangen war, fuhr der Bode daher und fragte den

Was riefen sie?

Der Bauer antwortete:

Sie sprechen, du hätt'st dich heut morgen nicht gewaschen!

Gleich ließ der Bode sein Pferd halten, ließ es stallen und wusch sich damit — dann ging die Jagd los. Ehe der Bauer Krumesse erreichte, sah er den ode schon wiederkommen; der hatte ganze Bündel Unterirdische hüben und drüben am Pferde baumeln wie Krammetsvögel und hatte sie mit den Haaren aneinandergebunden.

Jetzt jagt der Bode bloß noch in der Luft, denn die Unter irdischen, meinen viele, hat er bereits alle von der Erde fortgebracht.

Auch im Mecklenburger Lande wird der wilde Jäger "der Mode" genannt und werden von ihm vielerlei ähnliche Geschichten erzählt.



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Frau Holle und der treue Eckart

Unter Benshausen liegt der Stadtflecken Schwarza, durch den zog einstmals zur Weihnachtszeit die Frau Holle mit ihrem wütenden Heer, voran aber ging der treue Eckart und warnte die Leute, im Wege zu bleiben, damit ihnen kein Leides geschehe. Denn das Heer nahm die ganze Wegbreite ein, und auf den die Larven stießen, dem erging es nicht gut.

Als nun der Schwarm durch den Ort gebraust war, kamen zwei Knaben des Weges, die trugen Krüge voll Bier, das hatten sie auf dem Köhler geholt, einem Wirtshaus mit Mühle gleich am Wege, eine Strecke unter Schwarza, wo es immer gutes Bier gibt und viele Einkehr. Diese Knaben hieß der treue Eckart auch zur Seite treten, und sie drückten sich furchtsam seitab. Gleichwohl wurden sie doch wahrgenommen, und da die wilden Jäger immer Durft haben, so traten einige der Furien zu ihnen, nahmen ihnen die Krüge und züllten ihnen das Bier aus. Darüber waren hernach die Knaben sehr bekümmert, denn sie fürchteten daheim Schläge, wenn sie kein Bier brächten, und hatten doch kein Geld, anderes zu holen. Aber auf einmal stand der treue Eckart wieder bei ihnen und sprach:

"Seid nur getrost, ihr Jungen; es war gut, daß ihr das Bier freiwillig hergabet, sonst stände es jetzt schlecht um eure Hälse. Geht nur immer getrost heim mit euern Krügen, sagt aber binnen drei Tagen keiner Seele etwas von dem, was euch heute abend begegnet ist.

Wie nun die Knaben heimkamen, waren die Krüge voll und schwer und war ein Bier darin, wie die Mannen zu Schwarza noch nie getrunken, just wie englisch Öl (Ale), als wär' es in Tölz gebraut. Was aber das beste und wundersamste war, die Krüge wurden nicht leer, sie gaben fort und fort Bier her, das war eine ganz prächtige Sache —bis die drei Tage um waren und die Knaben ihr Schweigen brachen. Da war's alle.



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Der Gast des Pfingsttänzers

Zu Kessin war lustiger Pfingstreigen, das Pfingstbier war gut und die Freude groß. Ein munterer Bauernknecht war unter den Tänzern, der war von einem entfernten Dorfe hergekommen und tat das Beste mit. Als aber Mitternacht herzu kam, mochte er nicht länger bleiben, obschon die Tänzer ihn dazu nötigten und die Dirnen sich merken ließen, daß sein Weggang ihnen nicht lieb sei, aber er ging.

Stockdunkel war es, aber der Knecht hatte nicht viel getrunken und schritt sicher fürbaß. Dann tat sich der Himmel flammend auf, machte alles in weite Ferne taghell, und ein schwerer Donnerschlag rollte, darauf war es wieder tiefdunkel, aber der Bursche fürchtete sich nicht, sondern ging gottgetrost seinen Weg. Auf einmal hallte es neben ihm wie Tritte, und im Dunkel der Sommernacht sah er, daß ein langer Mann neben ihm wanderte. Der lange Mann grüßte ihn nicht, und der Knecht grüßte nicht den langen Mann, denn viel Grüßens ist im Mecklenburger Lande nicht Sitte. Jetzt kamen die stillen Wanderer an einen schmalen Steg, da fing der lange Mann an zu reden und fragte:

Wie willst du da hinüberkommen?

Der Nase nach! Ist's deine Sorge?" antwortete der Knecht mit land üblicher Derbheit und schritt über den Steg. Der Sange folgte ihm. Nach einer Weile kamen sie an ein umzäuntes Gehöft.

Wie willst du da hinüberkommen?"fragte wieder der Fremde.

Geht dich das an?" fragte der Knecht zurück. "Ohne deine Hilfe!

Damit stieg er über den Zaun. Da kletterte der Sange auch über den Pfahlzaun. Jetzt ging der Knecht an das Haus, das war verschlossen.

Wie willst du da hineinkommen?"fragte der lange Mann.

Du wirst mir doch nicht aufschließen!" antwortete der Knecht, klopfte ans Fenster, und da war eine alte Frau im Stübchen, die erhob schlug



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Licht und trippelte zur Tür und schloß auf. Das war des Burschen Mutter, die hieß ihn willkommen. Der Fremde trat uneingeladen mit in das Haus und in die Stube, und da sagte der Bursche:

Ach Mutter, da ist auch ein fremder Mann, dem ist nicht wohl zumute, geht doch hin zum Herrn Nachbar, dem Sasser, er möchte kommen und den fremden Herrn aus Gottes Wort trotten.

Da schauerte es dem Langen durch alle Gebeine und er hörte auf, lang zu sein; er kroch in sich zusammen, wurde klein und immer kleiner, und endlich kroch er unten durch die Türspalte wie ein Mäuslein und war dagewesen. Und der Knecht und seine Mutter freuten sich und dankten Gott, daß sie den schlimmen Gass los waren.


Der Schneider ven Unken

Im Lofertal liegt Unken, mag wohl den Samen mit Recht haben. Es gibt darin auch noch ein Mäustal und ein Kabental, ein Dörflein Höllenstein und eine Bergreihe: die Hohlwege; ein Bach heißt der Untenbach, einer der Finsterbach und einer der Schwarzbach, fließen alle in die Saal, die ihr Eiswasser unterhalb Salzburg in die Salzach rinnen läßt. Geister gibt es auch genug dort herum und manchen Schatz im Schoß der gewaltigen Berge, die das Tal einengen.

Nun war zu Unken ein tapferer Schneider, eines Schneiders Sohn, das war ein gewaltiger Nimrod. Er hatte den Stutzen lieber als das Bügeleisen und den Hirschfänger lieber als die Schere, tat wenigstens so, und hielt sich einen großen Fanghund, aber mit dem Jagdgewehr durft' er am Tage nicht gehen.

Mun ging er einstmals bei Nacht über die Wegscheid, wo es gar nicht geheuer ist, war auf dem Kaitl gewesen und hatte da ohne Zweifel einmal getrunken, denn man kann am Kaitl nicht wohl ohne Einkehr vorübergehen. Wie nun der Schneider so hinaufsteigt zur Wegscheid, geht neben



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ihm ein schwarzer Maun, hält Tritt und Schritt mit ihm und spricht kein Grüß Gott, auch nicht guten Abend, sondern gar nichts. Wird's dem tapfern Schneider seltsam, ruft seinen großen Fanghund. Aber der große Fanghund, wie er den schwarzen Mann sieht, klemmt den Schwanz zwischen die Beine und reißt aus wie Schafleder, über die Wegscheid hinein ins Lofertal, daß er in zwei Augenblicken seinem Herrn aus dem Gesicht ist.

Jetzt wird's dem Schneider brühheiß und eiskalt in einem Atem, doch faßt er sich ein Herz und zieht vom eder, nämlich aus seinem Gürtel sein Messer, daran auch, wie dort landüblich, eine Gabel. Er nestelt die Gabel ganz in der Stille vom Messer los, schnappt beide auf, faßt das Messer



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in die rechte, die zweizinkige Gabel in die linke Hand und denkt, nun komm nur an, du Schwarzer! — dabei schlugen ihm aber alle Glieder, und die Knie schlotterten ihm. Der Schwarze blieb stumm. Ein sehr starkes Stück Wegs, unterm ganzen Wendberg zur Rechten hin ging der dunkle Begleiter mit, bis sie herunterkamen, wo eine Brücke über einen Bach führt. Der rollt vom Mitterberg herab, und auf der Brücke blieb der Schwarze stehen und bog sich hinab zum Wasser. Der tapfere Schneider, fest die Wehr, Messer und Gabel in den Händen, trabte weiter, erreichte das Wirtshaus zur Schnagelreit mit Mühe und Not und mehr tot als lebendig und käseweiß. Da dachten die Sente, er wolle jemand totstechen, denn er legte die Wehr gar nicht aus der Hand. Endlich fand sich, daß er vom ängstlichen Festhalten den Krampf in die Finger bekommen hatte und die Fäuste nicht öffnen konnte. Nicht um die Welt wäre er noch einmal vor die Haustür gegangen, und niemals ging er wieder im Zwielicht über die Wegscheid.

Andern Morgens, da der tapfere Schneider heimkam nach Unken, prügelte er den großen Fanghund weidlich durch mit der Elle und jagte ihn aus dem Hause.


Der Teufel ein Fürsprech

Durch die Mark zog ein Landsknecht, der blieb in einer Stadt krank liegen und gab seinen vollen Geldbeutel, den er mit sich führte, der Wirtin, ihn zu verwahren. Dieser gelüstete nach dem Gelde, und sie ward eins mit ihrem Mann, es zu verleugnen.

Als nun der Landsknecht genesen war und weiterziehen wollte, forderte er sein Geld, Da schrie ihn das Weib an, was er sich denke, was er eigentlich wolle? Sie wisse nichts vom Gelde, habe keins von ihm empfangen und schalt ihn auf das ärgste. Er nun schalt das Weib wiederum eine untreue Diebin. Indem kam der Wirt hinzu, verteidigte sein Weib



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und warf den Landsknecht zur Tür hinaus; zieht der Landsknecht vom Leder, haut in die Tür, stürmt das Haus. Schreit der Wirt: "Nachbarjo!" — es gibt gleich einen ziemlichen Zulauf, der Landsknecht wird verstrickt und in Summer Sicher gebracht, darauf Gericht über ihn gehalten und er wegen Haus- und Stadtfriedensbruch zum Schwert begnadigt".

Da kam zu dem Gefangenen der Teufel und sagte:

Willst du dich mir ergeben, so errette ich dich, willst du nicht, so kostet dich der Handel den Hals.

Der Landsknecht war keiner von den übel verschrienen, sondern ehrlich und fromm, und da er sich schuldlos wußte, antwortete er, er wolle lieber zehnmal sterben als dem Teufel seine Befreiung danken. Da ihm nun der Teufel vergebens die Schmerzen des Todes, den er erleiden sollte, schilderte und jener immer sich gleich und standhaft blieb, sagte der Teufel endlich:

Und ich will dir dennoch helfen, ohne allen Beding und ohne Zusage und Lohn von deiner Seite, damit du siehst, daß der Teufel nicht so schwarz ist, wie ihr ihn malt, und auch uneigennützig sein kann. Verlange daher, wenn du vor das Gericht gefordert wirst, um dein Urteil zu Vernehmen, einen Rechtsanwalt, einen Fürsprech zum Verteidiger, dann will ich in einem blauen Hut mit weißen Federn in der Nähe stehen, mitten unter den andern Advokaten."

Dem Landsknecht dünkte solches höfliche Anerbieten des Teufels nicht gegen Gott zu sein, nahm es an, sintemal doch einem jeden sein Hals lieb ist, und so erbat er einen Fürsprech und deutete auf den Herrn mit dem blauen Hut. Der Teufel verneigte sich sittig gegen den Gerichtshof, bat um das Wort, erhielt es und hub an zu sprechen wie nur einer. Er trug den ganzen Handel noch einmal vom Anfang an vor, wie des frommen Landsknechts Vertrauen auf das schändlichste von der falschen Wirtin getäuscht worden sei, wie der Wirt nicht von ungefähr zu dem Hader gekommen, sondern mit seiner schlechten Frau im Einverständnis gewesen sei und schon im Hinterhalt gelegen habe. Wie ferner der Wirt — der mit



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seinem Weibe mit anwesend war — den Landsknecht zuerst mit tätlicher körperlicher Mißhandlung verletzt und aus dem Hause geworfen, der Landsknecht aber niemand angegriffen, sondern mit seinem Schwert bloß einige unerhebliche Ritze in die Haustür gehauen, wozu ihn gerechter Zorn über die gegen ihn begangene Untreue hingerissen, daher ihm die zur Last gelegte Gewalttat gar nicht anzurechnen sei, mindestens nicht big zur Lebensstrafe.

Nun erhob sich der Wirt und zürnte in ungeschlachter Rede gegen den Teufel: das seien alles Kniffe, Ränke und Rechtsverdrehungen; man kenne wohl das Sprichwort: Advokaten-— Teufelsbraten (Murren auf der linken, Beifall auf der rechten Seite der Zuhörer), ihn, den Wirt, aber solle gleich der Teufel bei lebendigem eibe holen, wenn er oder sein Weib je von dem Landsknecht Geld empfangen oder auch nur bei ihm gesehen, und ein weiser hoher Gerichtshof werde sich nicht in seinem nur allzu gerechten Urteile irren lassen durch einen —hier würde der Teufel noch einen ganzen Sack voll Ehrentitel an den Hals geworfen bekommen haben, wenn der Oberrichter den Wirt nicht zur Ordnung gerufen hätte. Der Fürsprech des Landsknechts lächelte, er neigte sich nochmals vor dem Gericht und bat aber ums Wort:

"Mein Klient", hub er an, "hat mir seinen Beutel nebst Inhalt also beschrieben: er ist von Wildleder, durch langen Gebrauch unsauber, an der einen Schnur, womit er zugezogen wird, hängt ein Ringlein von Messing. In dem Beutel befinden sich fünfzig und fünf kurfürstlich brandenburgische Taler mit dem Bildnis Joachimi, sechs rheinische Goldgulden, zwanzig Schreckenberger, dreizehn sächsische Gröschlein, ferner eine spanische Doppelkrone mit dem Bildnis Königs Philippi, ein Doppeldukaten Herzog Richards von Bayern, Pfalzgrafen bei Rhein, und außerdem noch zwei Schaustücke, eines mit dem Bilde Kaiser Maximiliani, eines mit dem Caroli quinti, und endlich ein kupferner Schaupfennig, auf dem steht: Ehe man brech Treu und Glaub in Not, soll man willig gehn in Tod.

Alle Zuhörer erstaunten über des Fürsprechs treffliches Gedächtnis, am meisten der Landsknecht selbst, denn er hatte dem Teufel von dem Inhalt seines



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Beutels kein Wort gesagt, kannte so genau gar nicht die Münzen, und was auf ihnen für Schriften geprägt waren, davon konnte er keine einzige lesen.

"Will nun ein hoher Gerichtshof", fuhr der Fürsprech weiter fort, "die Gnade haben und zwei sichere Boten in dieses unschuldigen Wirtes Haus senden, so dürfen diese nur im Hintergebäude hinter dem letzten Schornstein rechter Hand drei Ellen und eine Spanne hoch fühlen, da werden sie

die Hände voll Ruß bekommen, und unter diesem Ruß wird der Beutel meines Klienten sich finden lassen.

Die Wirtin tat einen Schrei, und dem Wirt begannen die Knie zu schloddern, beide aber wurden kreideweiß und fielen auf ihre Knie nieder. Die Boten gingen, und der Teufel sprach:

"Mit Verlaub, ihr Herren! Machen wir einmal gegen eure Gewohnheit kurzen Prozeß! Dieser Schächer Geständnis lest ihr in ihren Armesündermienen



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— einen mußte ich haben, den Gast oder den Wirt — das Weib lass' ich euch, das ist mir zu gefährlich. Der Wirt hat sich mir verschworen, des seid ihr alle Zeugen!

Sprachs, packte den Wirt im Sacken, fuhr mit ihm zum Fenster hinaus und führte ihn über den Markt in den Lüften hinweg, wohin, erfuhr niemand, konnten sich 's aber schon denken. So kam der Landsknecht zu seinem Recht und auch wieder zu seinem Gelde.


Das Pfaffenkäppchen

Zwischen schrot und steil überm Tai der Nahe zum Himmel sich aufgipfelnden Felskolossen werden jetzt die Trümmer der einst trotzigen Burgfeste Rheingrafenstein erblickt.

Auf der Kauzenburg saß ein junger Rheingraf, jagdlustig, mutig, der wünschte sich eine Burg auf diesen ungeheuern Felsen, stattlich wie die Ebernburg und der Landstuhl der Sickinger, unnahbar dem Feinde —und mit solchen Wünschen weilte er einstens sehnend und sinnend in der Nähe der Felsriesen, deren Gipfel noch kein Mensch erstiegen hatte. Da gesellte sich einer zu ihm, den man nicht gern nennt, der las in des jungen Rheingrafen Seele den Wunsch und redete ihn an und sprach:

"Eine Burg da droben, eine schöne stattliche, feste, ja, die wär' Euch recht! Nicht so? Fehlt nur der Baumeister ja — und wenn einer käme und baute sie über Nacht dem verschriebet Ihr wohl einen stattlichen Lohn? Was gäbet Ihr ihm? Sagt an!"

"Ihr redet wunderlich", erwiderte der Rheingraf. "Seid Ihr der Mann, der das vermag, so fordert und bestimmt den Lohn."

"Nur eine einzige Seele die Seele dessen, der zuerst durchs Fenster der neuen Burg herab ins Tal der Nahe und über alle die Täler und Berge ausschaut das wohl wenig für eine stattlich Grafen



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Kommt heute abend wieder her — ich will es in Überlegung ziehen! sagte der Rheingraf und verließ gedankenvoll den Ort-— eine Seele seinem Wunsche zu opfern, dünkte ihm sündlicher Frevel, und doch war sein Wunsch stark und groß.

Daheim ließ er seinen Burgpfaffen kommen und offenbarte dem den Handel. Der Pfaffe schlug viele Kreuze und riet ernstlich ab, warnte gar treu vor des bösen Feindes List und Tücken und rückte sein schwarzes Käppchen auf dem Scheitel wohl hin und her. Da trat des Rheingrafen junges Ehegemahl herrin und hörte das Gespräch, ließ erst den Pfaffen hinausgehen, dann sagte sie:

Laß jenem nur gewähren, versprich ihm, was er begehrt, das andere findet sich."

Der Ritter ging ins Nahetal und hielt ganz allein am Fuß der Felsen, und es dämmerte schon, oben aber sprang eine schwarze Gestalt von Fels zu Felsen einer Gemse gleich, und mit einem Male stand der Fremde auch unten im Tale.

Was machtest du da droben?"fragte der Ritter.

Ich nahm einstweilen die Maße", antwortete jener und fragte: "Nun, soll ich?

Fast hätte der Rheingraf gesagt: "In Gottes Samen" — da wäre es gleich aus gewesen — er besann sich und sagte bloß:

"Ja — aber bis morgen früh fertig, und daß nichts fehle, Bergfried, Mushaus, Palas, Lug ins Land, Mauern, Brücken, alles, was zu einer stattlichen Burg gehört.

Alm andern Morgen glänzte die Burg flammendrot ins Nahetal herab, alle Welt war erstaunt, solch Wunder- und Zauberwerk war noch nicht dagewesen.

Der Rheingraf ritt nun hinauf, und der Architekt der Nacht führte ihn in dem neuen herrlichen Eigentum umher, zeigte ihm Hallen und Säle, Brücken und Gänge und öffnete im Palas ein hohes Bogenfenster, die herrliche Aussicht bewundern zu lassen. Aber der Ritter sah nicht hinaus, er sagte spöttisch:



272 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

"Machet zu, hier zieht's, wir sind warm vom Steigen. Morgen wollen wir die Kauzenburg verlassen und hier heraufziehen. Ihr räumt wohl den Platz und nehmt ein Zimmer im Wächterturme? So wird es Euch wohl recht sein ?

Der Teufel zog ein schiefes Maul, er hatte sich schon unendlich darauf gefreut, dem Rheingrafen einen Stoß ans dem Fenster in die schwindelnde Tiefe zu geben und mit dessen Seele davonzufahren.

Am andern Morgen kamen der Rheingraf und die Gräfin, und der Burgkaplan, und das Hofgesinde, die Leibdiener, die Jäger, die Knappen, die Stalleute, die Wächter, die Hundejungen, die Hühnerwärter, die Schloßmägde, die Käsemutter, die Zwergin und die Pferde, die Kühe, die Esel, die Rüden, der Meeraffe, die Katzen. Es war ein Zug, schier gleich dem des Erzvaters Noah, da er in den Kasten einging, zu Roß, zu Esel, zu Wagen — alles auf das neue Schloß.

Die junge Gräfin scherzte freundlich mit dem Burgkaplan, da droben werde es sehr zugig sein, sie wolle ihm ein wärmeres Käpplein nähen, er möge ihr das alte zum Muster einmal leihen. — Als sie oben angelangt war, ließ sie durch die Knappen auch ein Eselfüllen hinauf in den Palas führen und hieß es halten. Ihm band sie das Pfaffenkäpplein auf den Kopf, ließ das Fenster öffnen und das Füllen daranstellen. Das schaute gar fromm und bedächtiglich zum Fenster hinaus, spitzte die Ohren und witterte die frische Morgenluft.

Der Teufel hatte lange schon still lauernd seitwärts gegenüber auf der Turmzinne gesessen, jetzt sah er das Fenster sich öffnen und des Pfaffen ihm wohlbekanntes Käppchen zum Vorschein kommen. Im fuhr er hin und krallte seiner Meinung nach den Pfaffen heraus, schmetterte ihn ins Tal und fing die Seele auf.

Herrgott, was der Teufel für einen Zorn hatte, als er von einer Tochter Evas sich überlistet sah und statt einer Pfaffenseele eine Eselgfüllenseele in den Klauen hielt!



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Die Teufelsbrücke

Vom Multhorn, nicht allzu fern von St. Gotthard, stürzt sich mit raschem Rollen und unbändigen Sprüngen ein wildes Bergwasser, die Reuß.

Ein Allpenhirt liebte eine Sennerin, die er zum öftern besuchte, aber er hatte oft mit dem wilden Fluß seine Not, hinüberzukommen, und mußte doch hinüber und auch wieder herüber zu seiner Hütte und Herde. Als nun einstmals die Reuß recht angeschwollen war und wilder als jemals über die Felsen herabstürzte, sah der Hirte keine Möglichkeit, hinüber und zu seiner Geliebten zu gelangen, und rief aus:

"Ei, so wollt' ich, daß der Teufel käme und baute eine Brücke über dich verfluchtiges Wasser.

Und da kam der Teufel gleich hinter einem Felsklumpen hervor und

"He! was gibst mir, wenn ich dir die Brücke baue?

"Was soll ich dir geben?" fragte der Hirte.

"Die erste lebendige Seele, die darüber geht", sagte der Teufel und dachte, es werde niemand schneller sein als der Hirte, hinüberzukommen.

"Ich bin's zufrieden", sagte der Hirt.

"Topp, schlag ein!" sagte der Teufel, und der Bub schlug ein.

Jetzt baute der Teufel mit Hilfe aller seiner höllischen Geister die Brücke in ganz kurzer Frist, und als sie fertig war, setzte er sich hin und lauerte. Wer aber nicht darüberging, war der Hirtenbub, er jagte vom Gotthardgebirg' unterm Hospital eine Gemse auf und trieb sie abwärts, immer der Reuß zu, bis an die Brücke, und da setzte sie flink hinüber. Der Teufel fuhr zu, wurde teufelswild über solches Wild und zerriß die Gemse in Stücke, nachdem er sie hoch in die Luft hinaufgetragen hatte.



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Nun ging der Hirte ungehindert, sooft er wollte, über die Brücke herüber und hinüber, doch soll es an ihr, die auf ewige Zeiten die Teufelsbrücke heißt, nicht recht geheuer sein, und es geht auch die Sage, der Teufel reiße alle Jahre ein Stück ein, daß immerdar daran gebaut werden müsse.


Jägerstücklein

Im Münsterlande besaß ein Edelmann weit ausgedehnte Forste, und da begab sich's auf seinem Gute, daß der Förster meuchlings erschossen wurde, und als ein anderer die Stelle bekam, ging es diesem ebenso, und andern, welche folgten, desgleichen. Da mochte endlich niemand mehr in diesem Walde Förster sein, denn die Sache hatte sich in der ganzen Gegend herumgesprochen, und man erzählte sie ganz genau, wie es zugehe mit diesen rätselhaften Ermordungen, nämlich sobald der neue Förster in den Wald trete, knalle in weiter Ferne ein Schuß, ihn aber treffe stets die Kugel mitten in die Stirne, so daß leicht zu ermessen war, daß hier etwas Übernatürliches und grauenhaft Geheimnisvolles im Spiele sein mußte.

Daher blieb der Wald einige Jahre fast ganz ohne Aufsicht, bis sich endlich ein Jäger meldete, der ganz so aussah, als fürchte er weder den Teufel noch seine Großmutter. Der Edelmann sagte ihm aber ganz ehrlich, welche mißliche Bewandtnis es mit der Försterstelle habe und daß er ihm kaum zur Annahme derselben raten könne und dürfe, wie gern er auch seine Waldung wieder in forstlicher Aufsicht habe. Der Weidmann aber sagte, er wolle es darauf wagen, er fürchte sich nicht vor den unsichtbaren Scharfschützen, er könne auch Jägerstücklein und habe für den, der ihm ans Leben wolle, auch eine gewisse Kugel gegossen und im Rohre stecken, und übernahm also die Stelle und den Wald.

Am andern Tage versammelte der Edelmann mehrere Jagdgesellen, den neuen Förster auf seinem ersten Gange in den Wald zu begleiten. Kaum war dieser betreten, so knallte in der Ferne ein Schuß, aber im selben



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Augenblicke warf der Jäger seinen Hut in die Höhe, und wie der Hut niederfiel und aufgehoben ward, sah man, daß er von einer Kugel gerade da durchbohrt war, wo er auf der Stirne des Jägers aufsaß.

Jetzt komme ich, spricht der Hanswurst", sagte der Jäger, nahm seine Büchse von der Achsel, rief: "Dem Gruß einen Gegengruss!" —und schoß.

Alle wunderten sich, die dabei waren, auf das höchste und folgten dein Jäger tief durch den Wald, big sich an dessen Ende ein Mühlhaus zeigte, aus welchem Klagegeschrei erscholl. Als die Waldgesellen hinzutraten, fanden sie darin den Müller tot — eine Büchsenkugel war ihm mitten durch die Stirne gegangen; er war der jagdzauberkundige Schütze gewesen, der jeden Förster aus der Ferne mit Freikugeln traf, um allein im Walde des Wildstandes Herr zu sein.

Seni Edelmann grauste vor solchen Künsten, wie sem neuer Förster nicht minder übte. Dieser konnte die Feldhühner nach seiner Tasche fliegen lassen, soviel er deren bedurfte. Das Wild bannte er, daß es stehenbleiben mußte, wo er wollte, und völlig schußgerecht. In die unglaublichste Entfernung traf der Jäger stets und sicher. Darum nahm der Edelmann einen schicklichen Vorwand und entließ ihn bald wieder aus seinen Diensten.


Vom Eschenheimer Turm

Zu Frankfurt steht noch gar ein alter Turm von der ehemaligen Stadtmauer.

Einst hatten die Frankfurter einen Wilddieb gefangen, des Name war Hänsel Winkelsee, und der saß schon neun Tage im finstern Loch, ehe Spruch und Urteil über ihn erging, und hörte allnächtlich die Wetterfahne kreischen und rasaunen über seinem luftigen Stüblein hoch oben im Eschenheimer Turme und sprach:

Wäre ich frei und dürfte ich schießen nach meinem Wohlgefallen, so schösse ich dir, du lausige Fahne, so viel escher durchs Blech, als Nächte ich hier gesessen habe.



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Diese Rede hörte der Kerkermeister und trug sie vor den Stadtschultheißen der freien Stadt, und dieser sagte:

Dem Kerl gehört keine Gnade als der lichte Galgen; wenn er aber so ein gar guter Schütz sein will, so wollen wir ihn sein Glück versuchen lassen.

Da ward dem Winkelsee seine Büchse gegeben und gesagt, nun solle er tun, wes er sich vermessen. Wenn er das könne, solle er frei von dannen gehen, wenn aber auch nur eine Kugel fehlgehe, so müsse er baumeln, und da krähe kein Hahn nach ihm. Da hat der Bildschütz seine Büchse genommen, sie besprochen mit guten Weidmannssprüchlein, und Kugeln genommen,



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die auch nicht ohne waren, und hat angelegt und hat nach der Fahne gezielt und hat losgedrückt. Da saß ein Löchlein im Blech, und alles hat gelacht und bravo gerufen. Und nun noch achtmal so und jede Kugel an die richtige Stelle, und mit dem neunten Schuß war der Neuner fertig, der heute noch in der Fahne auf dem Eschenheimer Turm zu sehen ist, und war ein großes Hallo um den Schützen her.

Der Stadtrat aber dachte bei sich: o weh, unsere armen Hirsche und sonstiges Bild, wenn dieser Scharfschütze und Erzdieb wieder hinaus in die Wälder kommt — und beriet sich, und der Stadtschultheiß sagte: Höre, Hänsel, daß du gut schießen kannst, haben wir schon lange an unserer Stadt Wildstand verspürt und jetzt auch deine Kunst mit Augen gesehen. Bleibe bei uns, du sollst Schützenhauptmann bei unserer Bürgerwehr werden.

Aber der Hänsel sprach:

"Mit Gunst, werte Herren, ins Blech hab' ich geschossen und schieß euch auch auf euern Schützenhauptmann. Eure Dachfahnen kreischen mir zu sehr, und euer Hahn kräht mir zu wenig. Mich seht ihr nimmer und mich fangt ihr nimmer! Dank für die Herberge!

Er nahm seine Büchse und ging trutziglich von dannen. Mit dem Hahn hatte der Hänsel einen Spott ausgeredet, er meinte das Frankfurter Wahrzeichen, den übergüldeten Hahn mitten auf der Sachsenhauser Brücke, die der Teufel hatte fertig bauen helfen. Denn als sie der Baumeister nicht fertigbrachte, rief er den Teufel zu Hilfe und versprach ihm die erste Seele, die darüber laufen werde, und jagte dann in der Frühe zuallererst einen Hahn über die Brücke. ergrimmte der Teufel, zerriß den Hahn und warf ihn durch die Brücke mitten hindurch; davon wurden zwei Löcher, die können bis heute nicht zugebaut und zugemauert werden, es fällt bei Nacht alles am Tage Gemauerte wieder ein. Auf der Brücke aber wurde der Hahn zum ewigen Wahrzeichen aufgestellt. Den meinte der Hänsel Winkelsee, daß er zu wenig krähe, nämlich gar nicht.



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Die Kinder von Hameln

Es geschah im Jahre 1284, daß ein Mann von wunderlichem Aussehen und bunter Tracht gen Hameln kam, der war ein Rattenfänger und verhieß sich, gegen ein gewisses Geld die ganze Stadt von dem Ungeziefer der Ratten und Mäuse, das überhandgenommen hatte, zu befreien. Das ward ihm denn von einem hohen Rate und der Bürgerschaft zugesichert, und darauf zog der Mann ein Pfeifchen hervor, ging durch die Gassen und pfiff, wie heutzutage in manchen Städten Hirten und Nachtwächter pfeifen, weil das Blasen auf dem Kuhhorn nicht städtisch genug klingt, und siehe, da kamen die Ratten und Mäuse aus allen Häusern gesprungen und liefen in Scharen hinter ihm drein, wie vordessen hinter dem Bischof Hatto von Mainz her.

Da nun der Rattenpfeifer durch alle Gaffer gegangen war, wandelte er mit seinem grauen Gefolge durchs Wesertor hinaus dem Strome zu, schürzte sein Gewand, trat in den Strom. Ratten und Mäuse folgten ihm blindlings nach und ersoffen.

Nun waren aber die Bürger zu Hameln damaliger Zeit geradeso erschrecklich klug, wie viele Menschen noch heutzutage nicht nur zu Hameln, sondern allüberall, sie legten den Maßstab des Lohnes nicht an die Kunst und Wissenschaft, so einer innehatte, sondern an die Arbeit und Plage, die einer hat, um etwas zu vollbringen, und sprachen unter sich: "Es ist doch ein sündliches Geld, was dieser Rattenfänger sich bedungen hat für so gar keine Mühe; ja, wenn er Fallen gstellt und Gift gelegt hätte in jedem Hause, das ließe sich hören — aber so! Und ist es nicht heillos, daß er das Ungeziefer in die Weser gelockt hat, wo es nun die Fische fressen? Da mag ein anderer Weserfische essen, wir danken dafür. Und wie hat er es denn vollbracht? Mit einem Satanskunststück! Vielleicht gar nur ein Blendwerk; wenn er das Geld hat und fort ist, haben wir zuletzt unsere



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Ratten wieder. Wir wollen ihm nur das halbe Geld geben, und wenn ihm das nicht recht ist, so wollen wir ihn als einen Zauberer in den Turm werfen und abwarten, ob die Ratten und Mäuse nicht wiederkommen.

So sprachen erst unter sich die vorsichtigen und weisen, auch höchst sparsamen Bürger und Ratsherren zu Hameln, dann hielten sie das alles dem Rattenfänger vor und boten ihm das halbe Geld und drohten ihm mit dem Turme. Da nahm der Künstler das Geld und ging im Zorne.

Darauf geschah, daß am Tage Johannis und Pauli, der heiligen Märtyrer, war der 26. Tag des Heumondes, als die Leute in der Kirche waren, derselbe Rattenfänger wieder in den Straßen zu Hameln gesehen wurde, aber in Tracht eines Jägers mit schrecklichem Angesicht und mit einem roten, verwunderlichen Hut, und pfiff durch alle Gassen. Da kamen aber keine Ratten und Mäuse aus den Häusern, denn die blieben vertrieben und aufgerieben, wohl aber die Kinder, Knaben und Mädchen vom vierten Jahre an, und liefen dem Rattenfänger nach, auch eine schon ziemlich große Tochter des Bürgermeisters, der am meissen den Künstler angeschnurrt und bedräut hatte. Die Kinder folgten ihm mit großen Freuden, führten sich an den Händen und hatten ihre Luft. Selbst ein blinder und ein stummer Knabe gingen als die letzten mit im Zuge: der Stumme führte den Blinden. Hinterdrein kam noch eine Kindsmagd, die ein Kind im Mantel trug, die wollte auch sehen, wo es denn hingehen sollte.

Der Schwarm zog, den Jäger an der Spitze, die schmale Gasse zum Ostertor hinauf und dann hinaus nach dem Koppelberg zu. Der tat auf, der Pfeifer ging voran, die Kinder folgten, nur der stumme Knabe und der Blinde, den er führte, blieben draußen, weil der Blinde nicht so sehr eilen konnte, denn knapp vor ihnen tat sich der Berg mit einem Male wieder zu. Da wandte die Kindsmagd auch wieder um und brachte das Geschrei aus in der Stadt, daß die Kinder in den Koppelberg geführt worden.

Welch ein großer Schrecken! Die Kirche wurde geschlossen, die Eltern eilten voll Angst hinaus zum Berge, kaum fanden sie noch eine schmale Schluft als Wahrzeichen. Einhundertunddreißig Kinder kamen so hinweg



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und nimmer wieder, und in der ganzen Stadt war nur ein herzzerreißendes Jammern und Wehklagen und aufs neue schmerzlich offenbar, daß der blödsinnige Geiz und die torheitvolle Sparsucht die Wurzeln allen Übels sind.

Lange, lange trauerte Hameln um seine verlorenen Kinder — zwei steinerne Grabeskreuze wurden ihnen an der Stelle geweiht, wo der Berg sich hinter den Kindern zugetan — eines den Knaben und eines den Mägdlein. In der Straße, durch die der Zug zuletzt gegangen, durfte nie wieder Trommelschall und Musikgetöne laut werden, selbst der Brautzüge Musik mußte in ihr verstummen, deshalb wird sie auch bis heute die Bunge (Trommellose) Straße genannt, weil in ihr nicht darf getrommelt werden.

Der Unglückstag blieb schwarz angeschrieben in Hamelns Annalen, das Rathaus verewigte sein Andenken in diesen Zeilen einer Steinschrift:

Im jar 1284 na Christi gebort
tho Hamel worden uthgevort
hundert ond driczig kinder dosülvest geborn
dorch enen piper omer den köppen verlorn.

An der neuen Pforte wurde die Kunde lateinisch in Stein geschrieben: im Jahr 1572 ließ der damalige Bürgermeister die Wundermär in der Glasmalerei der Kirchenfenster bildlich erneuern, die auch ohne das von Mund zu Munde gehend, unsterblich fortlebte.

Noch geht die Sage, daß die Kinder von Hameln unter der Erde hinweg nach dem Sande Siebenbürgen geführt worden seien, wo sie wieder an das Tageslicht gekommen und dort, nachdem sie erwachsen, den sächsisch-deutschen Volksstamm begründet hätten.

Den grausamen Rattenfänger und Teufelspfeifer hat niemand wiedergesehen, aber nach ihm haben hernachmals alle Ratten und Mäusefänger des Heiligen Römischen Reichs Jägertracht angelegt und sich Kammerjäger genannt.



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Eppela Gaila

Zu Drameisel bei Muggendorf saß ein Ritter, dessen Name war Eppelin von Gailingen, der war zugleich ein großmächtiger Zauberer und hatte ein Flugroß, damit sprengte er steile Felswände hinan und hinab, setzte über Heuwagen und berührte kein Hälmlein, setzte über die Wisent und ward nicht naß am Fuß. Zu Gailenreuth war sein Stammhaus, doch hatte er noch viele Burgen im Land umher, und von einer zur andern flog er auf seinem Wunderroß wie der Wind. Auf die Nürnberger hatte der Eppelein einen scharfen Zahn; er umgab sich mit beutesüchtigen Genossen und ritt an ihrer Spitze gar oft in das Nürnberger Stadtgebiet. Da sangen die Kinder von ihm:

Da reit't der Nürnberger Feind aus,
Eppela Gaila von Dramaus.

Oder:

Eppela Gaila von Dramaus
Reit't allzeit zu vierzehnt aus.

Die Vierzehnzahl mochte wohl von alters her im Ostfrankenlande eine geheimnisvolle Bedeutung haben. Als der Eppelein, auf dessen Kopf ein Preis gesetzt war, den die Nürnberger gern selbst verdient hätten, einstmals in Nürnberg auf die Burg gestürmt war und sich dort eingeschlossen und hart bedrängt sah, denn sie hatten das Burgtor zugeschlagen und schrien ihm zu, daß sie ihn nun gleich henken würden, da tummelte er sein Roß mit Fechterhieben und rief:

Die Nürnberger henken keinen,
Sie hätten ihn denn zuvor! —"


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Er spornte sein Roß zur Mauer nahe beim Luginsland und sprengte die furchtbare Tiefe über Wall und Graben hinab und hinüber und entkam glücklich. Da haben sie hernach mit Staunen die Spuren der Hufeisen angeschaut, die der Rossessprung in der Mauerzinne zurückgelassen.

Als nach manchen gelungenen Handstreichen und kühnen Griffen der Eppelin einmal gen Farnbach kam und zechend in der Herberge lag, bauten die Feinde, denen das verraten war, eine Wagenburg um das Haus, er aber saß zu Roß und sprengte über acht Wagen, aber "überm neunten", so singt ein altes Lied von ihm, "gab er den Giebel auf" Da er nicht weiterkonnte, so opferte er sein Wunderroß, indem er es erstach, und gab sich gefangen.

Das geschah zu Postbauer und im Städtlein Neumarkt, und zwischen Nürnberg und Regensburg ward er mit dem Schwert gerichtet. Sein Andenken lebt unvergessen,


Zauberverblendung

Ein Zauberer kam gen Magdeburg, schlug auf offnem Markt seine Bude auf und sammelte viel Volkes um sich her, sammelte auch ein ziemliches Geld ein, bevor er anfing mit seinem Hokuspokus und Abrakadabra. Als nun das Spiel im Gange war, zeigte sich unter andern ein allerliebstes wunderkleines Pferdchen, das tanzte im Ring und belustigte die Menge.

Gegen das Ende stellte der Zauberer seine Frau, seine Magd, den Hanswurst und das Pferdchen nebeneinander und hub einen Schwatz an. Darin klagte er über das schlechte und schmachvolle Zeitalter, in dem man jetzt lebe, wo die Leute davonliefen, wenn der Teller käme und sie bezahlen sollten, und wie ein ehrlicher Mann es doch zu gar nichts Rechtem bringen könne. Er habe es nunmehr mit den lieben Seinigen satt auf dieser Welt und absonderlich in Magdeburg, wolle daher auswandern und davonziehen, zunächst gen Himmel, und wenn es ihm da nicht glücke, gen Bitterfeld (zwischen Dessau und Halle), wo es auch gar schön wäre.



284 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

Darauf warf er ein Seil in die Luft, das erfaßte flugs das Rößlein und fuhr stracks daran in die Höhe. Der Zauberer erwischte das Pferdchen beim Schwanz, rief: "Hoppdiho!" — und fuhr auf, und seine Frau hing sich an ihres Mannes Beine und die Magd an der Frau ihre Beine und der Hanswurst an der Magd ihren Rock. So fuhr die Gesellschaft hinauf, und der Zauberer rief aus der Luft herunter:

Sehen wir uns nicht mehr auf dieser Welt,
So sehen wir uns doch in Bitterfeld!

Alles Volk lachte und staunte mit weit offnem Munde, bis ihm in der Richtung nach dem Himmel und gen Bitterfeld zu die Gesellschaft aus den Augen geriet.

Nun kam ein Bürger aus der Stadt gegangen, dem sagten seine Bekannten von dem Wunder, es wäre schade, daß er es nicht auch gesehen, so was sehe man nicht alle Tage. Aber der Bürger sprach:

Das kann nicht wahr sein, denn alleweile habe ich den Zauberer, sein Rößlein und seine Leute in ihre Herberge eingehen sehen, sie sind also weder gen Himmel noch gen Bitterfeld durch die Luft gefahren."


Vom Zauberer Agrippa

Der weit berufene Zauberer Henricus Cornelius Agrippa wohnte zu Löwen, er führte stets einen schwarzen Hund mit sich, der ihm auf dem Fuße folgte wie dem Doktor Faust sein Hund; mochten wohl beide von einer Art abstammen. Dieser weise Meister der Magie, Agrippa, hatte stets einen Schüler, den er die schwarze Kunst lehrte und der ihm als Famulus diente.

Nun trug sich mit einem dieser Schüler folgendes zu. Der Meister mußte verreisen, und der Schüler, den er damals gerade hatte, war noch zu unerfahren, als daß der Meister ihn hätte in seine Heimlichkeit blicken



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lassen können oder wollen. Er gab daher beim Abschied den Schlüssel zu seinem Studierzimmer der Hausfrau und befahl ihr bei Leib und Leben, keinen Menschen darin einzulassen.

Kaum aber war der Meister hinweg, so bat der Schüler die Frau, ihn in des Meisters Zimmer zu lassen, denn er war neugierig und brauchte allerlei Vorwand, und ob auch anfangs die Frau widerstand, so gab sie endlich doch nach und ließ den Schüler ein. Da lag das große Zauberbuch des Meisters auf seinem Pult an einer Kette, damit es keiner wegtrage. Neugierig trat der Jüngling hinzu, schlug das Buch auf und begann darinnen zu lesen, er wußte aber kaum, daß das, was er las, eine Beschwörungsformel war. Da klopfte es an die Tür. Jener überhörte das Klopfen und las weiter. Es klopfte noch einmal, aber jener hörte wieder nicht, er las immer weiter. Da sprang die Tür auf, und es trat ein höllischer Geist ein, fürchterlich anzusehen, und fragte:



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Was rufst du mich? Was soll ich dir tun?

Der Schüler bebte, als die übermächtige Erscheinung vor ihm stand, er vermochte nicht zu sprechen — das Entsetzen faßte ihn, er konnte auch den Geist nicht wieder hinwegbannen, zürnend hob der Geist die Hand, und der Schüler sank entseelt zu Boden.

Das alles sah in der Ferne der Zauberer Agrippa in seinem Erdspiegel und eilte flugs nach Hause zurück, rief einen dienstbaren Geist und gebot ihm, in die Leiche zu fahren und aus dem Hause zu wandeln, damit es nicht heiße, es sei bei ihm sein Schüler umgekommen, dann aber wieder von dem Körper zu weichen. Diesem Gebot gehorchte der Geist, und der Schüler wandelte wieder wie lebend durch die Straßen. Aber an einer Ecke fiel er um, denn der Geist hatte ihn wieder verlassen, und jedermann mußte glauben, daß ihn erst an dieser Stelle ein jäher Tod befallen.

Als es mit Henricus Cornelius Agrippa zum Sterben kam, verfluchte er seinen Hund und rief: Packe dich hinweg, du meiner Verdammnis Schuld und Urheber! Und nach dem Tode des Meisters der Hund hinweggekommen, niemand wußte wohin. Einige sagen, er sei in das Wasser gesprungen und seit der Zeit nicht mehr gesehen worden.


Das Mäuselein

Nicht weit von Saalfeld liegt ein Ort mit einem Rittersitz, Unterwirrbach, da wurde ein Knecht häufig und sehr von der Alptrude gedrückt. Er konnte gar keinen Frieden haben, kein Mittel schlug an, denn das unfehlbare, das Verstopfen des Schlüsselloches, kannte und erfuhr er nicht.

Nun schälte zu einer Zeit das Gesinde spätabends in der Stube Obst, es kam einer Magd der Schlaf an, und sie legte sich auf die Bank, ein wenig zu ruhen. Wie sie nun eine Weile dort gelegen hatte und einige hin



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sahen, ob sie schlief oder ob sie nicht bald wieder aufwachen werde, da kroch der schlafenden Magd ein rotes Mäuselein zum Maule heraus, daß sich alle entsetzten und einander anstießen und sich's zeigten. Das Mäuselein lief am Getäfel hinauf an das Fensterbrett, dort klaffte ein Fenster, und husch, war es hinaus.

Eine Zofe, die bei dem Gesinde saß und Äpfel schälen und auch essen half, war neugierig und wollte die Schlafende wecken. Die andern aber sagten ihr, sie solle das nicht tun, es sei vielleicht nicht gut. Sie ließ sich aber nicht abhalten und ging doch hin und rüttelte die Schlafende. Die lag aber starr, wie recht eigentlich entseelt, obschon sie sich noch nach einer andern Stelle hin bewegen ließ.

Bald hernach kam das rote Mäuselein wieder durchs Fenster hereingehüpft und wollte wieder einkriechen. Aber es fand nicht mehr an der Stelle, wo es ausgekrochen, den Mund der Magd, lief ängstlich hin und her, und endlich verschwand es. Die Magd aber erwachte nimmer zum Leben, sie war jetzt und blieb tot — vergebens bereute die Zofe ihren Vorwitz.

Es war aber dieselbige Magd eine Trude gewesen, die den Knecht im Schlafe gedrückt hatte, denn seit sie tot war, blieb er von allen Alp- und Trudendrücken frei.


Der blaue Dunst

Die Stadt Gera im Vogtlande und ihre Umgegend ist voll von Sagen aus der Pestzeit. Eine Menge Ortschaften wurden von der Pest ergriffen, und die Einwohner starben nur so hin, da hat sich allerlei ereignet, das noch sagenhaft fortlebt.

Zu Gera kamen zwei fremde Gesellen in ein Haus, darinnen schon etliche Personen an der Pest gestorben waren, und zechten miteinander. Da sah der eine einen seltsamen blauen Rauch, wie ein dünner Nebel, in



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einem Winkel ganz sachte aufsteigen, stieß seinen Kameraden an, der sah den blauen Dunst auch, und beide sahen, wie er sich in eine Klunze in der Wand sachte hinein verschlich. Nun schnitzte geschwind der erste Geselle zur Kurzweil einen Pflock, schlug den in die Klunze und verkeilte sie damit, und als die Gesellen ihre Zeche bezahlt, zogen sie weiter. Nach der Zeit ist niemand mehr an der Pest gestorben.

Nun geschah es ein paar Jahre später, daß der eine Geselle zufällig wieder nach Gera kam, als niemand mehr an die schlimme Seuche dachte. Er war in derselben Wirtsstube und sah von ungefähr seinen damals eingeschlagenen Pflock, der noch an dem vorigen Ort stak; lachte daher und sprach zu den andern Zechgesellen:

Schaut, vor ein paar Jahren hab' ich dahinein einen blauen Vogel gesperrt, wollen doch sehen, ob er noch darinnen ist.

Zog alsobald den Pflock heraus, da quoll hinterm Pflock her der blaue Dunst, und das war die Pest, die befiel gleich einige Leute im Haus, breitete sich in der ganzen Stadt aus und raffte noch weit mehr Leute hin denn das erstemal.


Das Oldenburger Horn

Im heutigen Oldenburger Lande herrschte einst ein Graf des Namens Otto, der hatte große Lust am Jagen und zog aus mit seinen Vasallen, Jagdgenossen und Jägern nach einem Walde nicht allzufern von dem Osenberge. Da stieß dem Grafen ein Reh auf, das floh vor ihm her, und er hetzte es mit seinen Rüden und kam in der Verfolgung seinem Jagdgefolge ganz aus dem Gesicht. Sein weißes Pferd trug ihn so schnell von dannen, daß er selbst seinen schnellen Windhunden aus der Spur kam und sich mit einem Male, ohne auch nur von weitem etwas von seiner Jägerei zu sehen oder zu hören, auf einer stillen Bergfläche befand. Auch das Reh, das ihn so weit verlockt hatte, sah er nimmer.



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Nun war die Hitze an diesem Tage groß, es soll im Julimond gewesen sein, und den Grafen durstete sehr, daher sprach er zu sich selbst; ,O Gott, wer kühlen Wassers nur einen einzigen Trunk hätte!" —

Da öffnete sich eine Felswand am Osenberg, und es trat aus ihr eine schöne, wohlgezierte Jungfrau, reizend anzuschauen. Die hielt in ihrer Hand ein uraltes Jägertrinkhorn, verziert mit mancherlei seltsamem Bildwerk, das war von Silber überkleidet und kostbar vergüldet und überaus künstlich, voll Figuren, und das Horn war voll eines rankes, den bot die Jungfrau dem Grafen sittiglich dar. Graf Otto nahm das Trinkhorn, schlug den Deckel auf und wollte es zum Munde führen, sah aber in das Horn hinein und beschaute den Trank, und der gefiel ihm mitnichten, denn als er ihn schüttelte, war er trübe und roch auch nicht wie Malvasier — und der Graf trank nicht. Die Jungfrau aber ermunterte den Grafen, er solle nur ihr vertrauen und trinken; es werde ihm und seinem Geschlechte gedeihen. Aber der Graf weigerte sich fortdauernd, um so mehr, da die Jungfrau in ihn drang, doch zu trinken, und so sagte sie:

So du nicht trinkst, wird in deinem Geschlechte und deiner Nachkommenschaft nimmermehr Einigkeit sein.



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Nun hielt der Graf immer noch das Horn mit dem Trunke in seiner Hand und hatte sein Bedenken, da zuckte das Roß, und troff etwas von dem Tranke über und auf des Pferdes hintern Bug, da gingen gleich die Haare weg. Jetzt langte die Jungfrau nach dem Horne und begehrte es wieder aus seiner Hand zu nehmen, aber der Graf behielt es und ritt von dannen, und die Jungfrau schwand wieder in den Berg hinein.

Den Grafen kain ein Grauen an, er schüttete das Horn aus. Das Gefäß behielt er und ritt weiter, bis er sich wieder zu seiner Jägerei fand, zeigte ihr das Horn und erzählte, auf wie wunderbarliche Weise er zu dem köstlichen Kleinod gekommen sei, Darauf ist das Horn sorgsam im Schatz der Grafen von Oldenburg aufbewahrt worden.


Die Quäste

Am Harz, unweit Koßla und Wallhausen, erheben sich Burgtrümmer auf dem Quästenberge, der aber früher Finsterberg geheißen haben soll, und das Dorf Quästenberg am Fuße soll auch eine Stadt gewesen sein,

Der Burgherren einer hatte eine Tochter, die ging als junges Kind aus der Burg und verirrte sich, Blumen suchend, in dem Walde, der rings die Burg umgab. Als das Töchterlein nicht heimkehrte und vermißt wurde, entstand große Sorge darum in den Herzen seiner Eltern, die ganze Dienerschaft ward ausgesandt, es zu suchen. Indessen hatte ein Köhler es schon im tiefen Walde gefunden, wie es harmlos aus seinen Blumen einen Kranz wand, und nichts von ihm über seine Herkunft erfahren können; er hatte es mit in seine Hütte genommen, ihm zu essen gegeben und es bei sich behalten. Zu ihm in seine stille Waldeinsamkeit drang nichts von der Sorge und dem Suchen, die dem verlorenen Kinde galten, big einige Leute von Rota, einem mansfeldischen Dorfe, es auf einer Wiese wieder mit Kranzwinden beschäftigt fanden und von ihm zu der Köhlerhütte geleitet wurden. Diese Leute wußten von dem Verlust des Kindes, befragten den



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Köhler und erfuhren von ihm, daß er es im Walde allein gefunden habe. Nun eilten alle mit dem Kinde nach der Finsterburg, und der Köhler trug den Kranz, den es gewunden hatte, solchen Kranz nannte man aber damals Quäste. Große Freude über des Kindes Wiederkehr war auf der Burg. Der Ritter schenkte dem Köhler und den Einwohnern zu Rota die Wiese, auf der sein Töchterlein wiedergefunden wurde, und ordnete ein Volksfest an, das alle Jahre am Tage der Auffindung des Kindes, am dritten Pfingsttage, gehalten werden sollte. Da ziehen die Bursche — denn das Fest besteht noch immer-— eine starke Eiche auf den Burgplatz, befestigen einen Kranz wie ein Wagenrad groß daran und richten sie auf, es. wird sogar zur Erinnerung noch Gottesdienst gehalten. Auch nannte jener Ritter seine Burg fortan Quästenburg und nicht mehr Finsterburg, und im Volke heißen noch heute die jetzt öden Trümmer die Quäste.


Der Affe zu Dhaun

Hoch über dem Städtlein Simmern liegt der alte rheingräfliche Burgsitz Dhaun, das war ein gar stattliches und schönes Grafenschloß mit herrlichem säulengeziertem Palas — und über dem Eingang zum Palas wird ein Wahrzeichen in Stein erblickt, ein Affe, der einem Kinde einen Apfel darbeut, von welchem Bilde diese Sage geht:

Es hatte ein Burggraf ein junges Kind gehabt, das hatte eine Wärterin, die wiegte das Kindlein im schattigen Burghof, und da der Tag ein Sommertag und schwül war, so nickte sie ein, und als sie aufwachte, war das Kindlein aus der Wiege und fort. Da ward ihr angst und bange, denn wie sie es auch ringsum suchte und in alle Winkel lugte — es war und blieb verschwunden. Der Schreck schlug ihr in alle Glieder, zitternd vor dem Zorn der Gräfin und des Grafen dachte sie nichts Besseres tun zu können, als ihr Leben zu retten, und stürzte in den Wald, um auch da vielleicht noch eine Spur zu finden.



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Sie kam in ein dunkles Dickicht, und da saß der Affe, den der Graf hielt, und hatte den jungen Grafensohn auf seinen haarigen Armen und küßte ihn gar zärtlich und schaukelte ihn, legte ihn dann sanft auf ein Lager von Moos, bot ihm einen Apfel dar, und als es den nicht annahm, sondern einschlief, wehrte der Affe eine Zeitlang die Fliegen von ihm ab, und dann entschlief er selbst. Des war die Amme froh, schlich leise hinzu und nahm das Kind und trug es fröhlich wieder zur Feste Dhaun hinauf, wo schon alles unruhig war und nach ihr rief und suchte. Da verkündete sie laut die Tat des Affen, und die erst entsetzten, nun hocherfreuten Eltern beschlossen, sie in Stein auszuhauen und überm Torbogen ihres herrlichen Palas verewigen zu lassen.


Die schwarze Gret und das Danewerk

König Christoph I. von Dänemark hatte zur Gemahlin des Pommerherzogs Sambor Tochter, das war ein arges Zauberweib; sie hieß nur die schwarze Gret und hatte den Beinamen Springhest. Sie ist die Urheberin des berühmten Danewerkes, jenes riesigen und weiten Walles. Den zu erbauen, schloß sie einen Bund mit dem Teufel und gebot ihm, in einer Nacht den Wall fertigzumachen. Nur ein einziges, und zwar ein eisernes Tor solle hineinkommen, dafür solle dem Teufel gehören, was zuerst durch das vollendete Werk schreite.

Der Teufel stellte ein zahlloses Heer von Arbeitern in das Feld, davon füllte jeder nur dreimal seinen eisernen Hut voll Erde, so war der Wall fertig. Der Teufel stellte sich hinter dem Torflügel auf die Lauer, sah auch schon einen gutgekleideten Reiter die Landstraße daherkommen, und freute sich auf den Fang. Aber zufällig hatte der Reiter einen Pudel bei sich, der lief vornweg nach Hundeart, und der Teufel riß ihn wütend in Stücke, wie auf der Reußbrücke die Gemse, auf der Regensburger Brücke den Hund, im Dom zu Aachen den Solf und wo sich sonst dieser Sage ein Widerhall findet.



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Weil nun die wilde schwarze Gret, Springhest genannt, überhaupt ein gottloses, unseliges Leben führte, ward ihr zur Strafe ihrer schrecklichen Sünden von Gott geboten, allnächtlich über ihr Teufels- und Danewerk als Geist zu reiten. Da haben viele Leute sie gesehen. Ihr Anzug ist ganz schwarz, aber ihr Pferd ist weiß, und sein Odem ist Feuer. Zwei Geister in weißen Kleidern folgen ihr, und da rennen und sprengen die drei wie der wilde Jäger von Hollingstede big Haddebye. Dieses Gespenst leidet nicht, daß auf seinem Walle etwas angebaut werde. In der Nähe von Haddebye heißt ganz besonders eine Stelle im Danewerke nach der Springheft Margaretenwerk, da läßt sie sich am häufigsten sehen.

Einstmals erschien sie armen Fischern vom Schleswiger



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Holm, die traurig waren, daß sie nach einer arbeitsvollen Nacht nichts gefangen hatten, in aller ihrer königlichen Pracht, mit Perlen und Demanten geschmückt, wie man ihr Bild im Schlosse zu Husum sah, und gebot ihnen, die Setze noch einmal auszuwerfen, aber den besten Fisch, den sie fingen, den sollten sie wieder ins Wasser werfen.

Die Fischer taten den glückhaftesten Zug, der seit St. Petri Zeiten getan worden, und der beste Fisch hatte Flossen von Smaragd, Schuppen von Gold, und seine Nase war mit Perlen besetzt. Der eine Fischer wollte dieses Prachtstück gleich wieder in die Flut werfen, dem andern aber fraß die Habgier am Herzen, und er verbarg den Fisch gegen den Willen des andern, seines Gefährten. Rasch wurde fortgerudert, aber da begannen alle andern Fische auch Schuppen von Golde zu bekommen, Perlen am Oberkiefer und Edelsteine statt der Flossen, und der Kahn wurde so schwer, so schwer und sank, und der Habgierige mußte ertrinken, der andere aber konnte nur mit genauer Not sein Leben retten.


König Watzmann

Südwestlich von Salzburg erhebt sich, mit ewigem Schnee bedeckt, ein Berg, das ist der Watzmann. Von ihm erzählt das umwohnende Volk aus grauen Zeiten diese Sage.

Einst, in undenklicher Frühzeit, lebte und herrschte in diesen Landen ein rauher und wilder König, der Watzmann hieß. Er war ein grausamer Wüterich. Liebe und menschliches Erbarmen waren ihm fremd, nur die Jagd war seine Lust. Zitternd sah sein Volk ihn durch die Wälder toben mit dem Lärm der Hörner, dem Gebell der Rüden, gefolgt von seinem ebenso rauhen Weibe und seinen Kindern, die zu böser Luft auferzogen wurden. Bei Tag und bei Nacht durchbrauste des Königs wilde Jagd die Gefilde, d Wälder, die Klüfte, verfolgte das scheue Wild und vernichtete



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die Saat und mit ihr die Hoffnung des Landmanns. Gottes Langmut ließ des Königs schlimmes Tun noch gewähren.

Eines Tages jagte der König wiederum mit seinem Troß und kam auf eine Waldestrift, auf der eine Herde weidete und ein Hirtenhäuslein stand. Ruhig saß vor der Hütte die Hirtin auf frischem Heu und hielt mit Mutterfreude ihr schlummerndes Kindlein in den Armen. Neben ihr lag ihr treuer Hund, und in der Hütte ruhte ihr Mann, der Hirte. Jetzt unterbrach der tosende Jagdlärm den Naturfrieden dieser Waldeinsamkeit; der Hund der Hirtin sprang bellend auf, da warf sich des Königs Meute alsobald auf ihn, und einer der Rüden biß ihm die Kehle ab, während ein anderer seine scharfen Zähne in den Leib des Kindleins schlug und ein dritter die schreckensstarre Mutter zu Boden riß.

Der König kam indes nahe heran, sah das Unheil und stand und lachte. Plötzlich sprang der vom Gebell der Hunde, dem Geschrei des Weibes erweckte Hirte aus der Hüttentür und erschlug einen der Rüden, der des grausamen Königs Lieblingstier war. Darüber wütend, fuhr der König auf und hetzte mit teuflischem Hussa Knechte und Hunde auf den Hirten, der sein ohnmächtiges Weib erhoben und an seine Brust gezogen hatte und verzweiflungsvoll erst auf sein zerfleischtes Kind am Boden und dann gen Himmel blickte. Bald sanken beide zerrissen von den Ungetümen zu dem Kinde nieder; mit einem schrecklichen Fluchschrei zu Gott im hohen Himmel endete der Hirte, und wieder lachte und frohlockte der König.

Ader alles hat ein Ende und endlich auch die Langmut Gottes. Es erhob sich ein dumpfes Brausen, ein Donnern in Höhen und Tiefen, in den Bergesklüften ein wildes Heulen. Der Geist der Rache fuhr in des Königs Hunde, die fielen ihn jetzt selbst an und seine Königin und seine sieben Kinder. Sie würgten alle nieder, daß ihr Blut zu Tale rann, und dann stürzten sie sich von dem Berge wütend in die Abgründe. Aber jener Leiber erwuchsen zu riesigen Bergen, und so Seht er noch, der König Watzmann, eisumstarrt, ein marmorkalter Bergriese, und neben ihm, eine starre Zacke, sein Weib und um beide die sieben Zinken, ihre Kinder. In der Tiefe hart am Bergesfuß ruhen die Becken zweier Seen, in die einst das Blut der



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grausamen Herrscher floß. Der große See hat noch den Samen .Königssee und die Alpe, wo die Hunde sich herabstürzten, heißt Hundstod.

So gewann König Watzmann mit all den Seinen für schlimmste Taten den schlimmsten Lohn, und hatte sein Reich ein Ende.


Die übergossene Alm

Im bayrischen Hochgebirge ragt unter der weiten Kette mächtiger Alpenhäupter auch der Wendelstein über 2000 Meter hoch in die Lüfte, und ewiger Schnee bedeckt die Höhen ringsumher. Am Abhang dieses Berges war nordwärts eine Alm gelegen, die Kaiserer Alm genannt. Sie war gar blumenvoll, rings gute Weide, und schöne Sennhütten standen droben mit frischen und lustigen Sennerinnen, die wußten gar nicht, wie gut sie es hatten.

Weil sie es zu gut hatten, wurden sie übermütig, führten ein üppiges Leben und sannen auf allerlei Lustfrevel und unnütze Dinge. Sie hingen den Kühen silberne Glocken an und verguldeten den Stieren die Hörner; sie wuschen sich mit Milch und pflasterten den Weg zum Stall mit Käsen, wie der Hirte auf der Blümelis-Alpe seine Treppe. Wein ließen sic von Salzburg fäßleinweis heraufkommen, und Schleckerbißlein auch, Rosinen, Mandelkern, Zucker und Ingwer, eingemachten versteht sich, Zimt und Nägelein, Muskatblüt' und -nuß, Pistazien und Zibeben, Datteln und Feigen, Marzipan und Biskuit. An Beten dachten selbige Dirnen die ganze Woche nicht und den Sonntag auch nicht, und wenn die Woche herum war, wieder nicht, aber getanzt und gejuchezet haben's alleweil genug. Und da haben sie einmal einen ganzen Tanzplatz von Käsen gemacht und die Lücken mit Butter ausgefüllt, und sind darauf herumgetanzt und haben gemeint, der Teufel könnte hernach mit seiner Großmutter und seiner Kameradschaft die Käs' schon fressen, daß er auch ein



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mal etwas in seinen hungrigen Wanst bekäme. Aber nun war es verspielt und war Gottes Geduldsfaden abgerissen.

In der Nacht, da heult s und klopft's und pocht und donnert an die Sennhütten und seufzt und ächzt und stöhnt, und die Windsbraut kommt dahergefahren, und die ewig-starren Wellen im steinernen Meer wogen und branden, und es ist, als ob vom Watzmann bis zum Zugspitz das ganze Gebirg in eins zusammenkrache und --donnere. Ganze Berge Lawinenschnee übergossen die Alm mit den sündigen Menschen darauf — war nur schad' ums arme Vieh — und als der Morgen kam, da war auf der ganzen Alm ein Schmelz wie ein Zuckerguß auf einer Linzer Torte und glitzerte hell im Sonnenschein — eitel Eis und Schnee und glatt gefroren wie eine Gletscherwand. Das ist nun die übergossene Alm, ein ewiges Wahrzeichen von der Menschen Frevel und Gottes Strafgericht.


Blümelis-Alpe

Im Berner Oberland liegt ein Bergzug, die Klariden geheißen, darauf waren herrliche Weiden, alle voll der kräftigten Alpenkräuter und Blumen, so daß jede Kuh des Tages dreimal gemolken werden konnte und jedes Melken dritthalb Maß in den Milcheimer gab. Da war auch eine die war absonderlich schön, triftreich und ganz voll Blumen, deswegen hieß man sie auch die Blümelis-Alp. Darauf hatte ein reicher Hirte sein Haus, das war ihm nicht schön genug, wollt's schöner haben, baut' ein großes neues, baute eine Treppe von eitel Käsen, darüber ging er mit seiner liebsten Sennerin, seinem Hund und seiner Kuh, und wenn die Käsetreppe schmutzig geworden war, so ließ er sie mit Milch abwaschen.

Im Tale wohnte des Hirten fromme Mutter, die wußte nichts von ihres Sohnes Frevel und gottlosem Tun, ging einmal eines Sonntags hinauf auf die Blümelis-Alpe, wollte die Sennerei besuchen, und dürstete sehr, bat deshalb, als sie kam, um einen Labetrank. Die Sennerin sah die



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Alte gar ungern kommen und der Sohn desgleichen, und beide fürchteten deren Vorwürfe und wollten sie gern bald wieder hinab haben. Und als die Alte trank, fand sie, daß eine ruchlose Hand Sand auf die Milch gestreut hatte. Da wandte sich die Alte alsbald von hinnen, schritt die Alpe hinunter, stand drunten still, hob die Hände empor und verwünschte die Gottlosen.

Alsbald brach ein Wetter los, wie wenn der Jüngste Tag käme, und der kam auch für die Blümelis-Alp und für alles, was auf ihr lebte, Hirt und Sennerin, Kuh und Hund, Haus und Gehöft — alles fand seinen Untergang, und über die Alpe lagerten sich Gletschereis und Felsentrümmer. Auf diesem öden Gefild spukte nachher der Geiss des Hirten umher und klagte:

Ich und min Kathrin,
Min Kuh Brandlin,
Und min Hund, der Rhin,
Müssen stetig uf Klaride sin!

Es geht die Sage, diese umirrenden Geister wären zu erlösen, wenn einmal an einem Karfreitag ein frommer Senne die gespenstige Kuh ganz stillschweigend ausmelke, der Dornen an den Handschuhen habe. Einstmal wagte es einer, ob die Kuh sich wegen der Dornen noch so wild stellte, und hatte schon den Eimer halb voll. Da klopfte ihn ein Mann auf die Schulter und fragte:

"Schäumt's auch wacker?"

Der Senn vergaß des Schweigens Bedingung und sagte:

"O ja, es schäumt wohl.

Da riß sich die Kuh mit einem Kuck los, trat den Eimer um und verschwand, und die Geister der Blümelis-Alp blieben unerlöst.



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Hatto und Willigis

Die Samen der zwei ältesten Erzbischöfe von Mainz hat die Sage des Volkes insonderheit von Mund zu Mund bis auf die späte Sachwelt getragen.

Hatto war gar ein strenger Herr, zornigen, treulosen Gemütes, ohne Furcht vor Gott und ohne Liebe zu den Menschen. Wenn Bischof Hatto eine Rede bekräftigen wollte, so soll er immerdar das Wort im Munde geführt haben: "Sollen mich die Mäuse fressen, wenn 's nicht wahr ist.

Nun trug sich 's zu, daß unter Hattos Regierung eine große Not und Teurung entstand, daß die Leute Hunde und Katzen aßen und viele Hungers starben, Und da war des Bettelns und Gabenheischens in dem Bischofhof zu Mainz kein Ende, und Hatto meinte, es sei am besten, das arme Volk käme eilend von der Welt, so hungere es nicht mehr, und er bliebe ungeplagt Ließ daher alle Armen der Stadt in eine Scheune draußen vor dem Tore entbieten, als wolle er ihnen eine Mahlzeit zurichten lassen, und als alle darinnen waren, ließ er das Scheunentor Verschließen und die Scheune an allen vier Ecken anzünden. Da nun die Eingesperrten gar ein jämmerliches Geschrei erhoben, so sagte der grausame Bischof:

Hört ihr, wie meine Kornmäuse pfeifen? Nun wird der Bettel wohl ein Ende haben, sollen mich die Mäuse fressen, wenn 's nicht wahr ist

Und siehe, da sprang eine Schar Mäuse aus dem Brand der Scheune hervor und an den Bischof hinan, die bissen ihn, und ihm graute. Als er nach Hause kam und sich zur Tafel setzte, liefen Mäuse auf der Tafel herum, fraßen von seinen Speisen, fielen in seinen Becher und bissen ihn in die Hände. Über seiner Lagerstatt und unter ihr und in ihr waren Mäuse und quälten ihn mit wütenden Bissen — da erkannte Hatto schaudernd das Gericht Gottes.



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Nun stand bei Bingen im Rheinstrom eine Wasserburg, dahin enteilte der Bischof, dort sicher zu sein, denn über das Wasser, meinte er, würden die Mäuse nicht kommen. Aber ehe er noch in das Schiff trat, waren schon die Mäuse drin, und da half kein Totschlagen, denn sie verkrochen sich, und ganze Scharen Wassermäuse kamen, die schwammen mit dem Schiff um die Wette nach der Turminsel bei Bingen. Auf einem größen Rheinfloß waren nicht so viele Menschen als Mäuse in und um Bischof Hattos Schiff. Und als er in dem Turme war, da fielen sie ihn an und bissen ihn und fraßen ihn bei lebendigem Leibe, und er litt brennende Höllenschmerzen von den zahllosen Bissen und verfluchte seine Seele zu allen Teufeln.

Die Teufel ließen nicht allzulange auf sich warten, sie kamen dahergefahren im lichterlohen Brande und nahmen seine Seele und was vom Leib die Mäuse übriggelassen hatten, und warfen es in den Schlund des Ätna. Und wo an einer Wand oder auf einer Tafel der Name des Bischofs Hatto zu lesen war, den nagten die Mäuse ab, selbst sein Gedächtnis zu vertilgen.

Seitdem heißt der Rest von Hattos Wasserburg im Rhein bei Bingen der Mäuseturm.

Erzbischof Willigis war ein gelehrter und frommer Mann und von Herzen demütig. Er war von niederer und geringer Herkunft, sein Vater war ein armer Rademacher. Das machte ihm Neid bei den adeligen Domherren, die ihre Ahnenproben ablegen mußten und beschwören, die malten ihm heimlich Räder an die Türen und Wände seines Bischschofes zu Schmach und Schimpf, und spotteten: das ist unsers Bischofs Ahnenwappen.

Willigis aber, der fromme Mann, nahm sich das mitnichten als eines Spottes an, er ließ über seine Bettstätte ein hölzernes Pflugrad aufhängen und in seine Gemächer weiße Räder in rote Wappenfelder malen und dazu einen Reim setzen, der lautete: "Willigis, Willigis, denk woher du kommen sis.

Nachher haben dem frommen Willigis zum Gedächtnis alle nach ihm



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kommenden Erzbischöfe dieses Rad als Wappenzeichen beibehalten, und Stadt und Bistum Mainz haben es angenommen und beibehalten big auf den heutigen Tag.


Die Brüder

Auf den nachbarlichen Burgen Sternfels und Liebenstein am Rhein wohnten zwei Brüder, die waren sehr reich und hatten die Burgen stattlich von ihres Vaters Erbe erbaut. Als ihre Mutter starb, wurden sie noch reicher, beide hatten aber eine Schweter, die war blind, mit der sollten nun die Brüder der Mutter Erbe teilen. Sie teilten, da man das Geld in Scheffeln maß, so, daß jedes ein volles Maß nach dem andern nahm, und die blinde Schwester fühlte bei jedem, daß eines so richtig voll war wie das andere. -Die arglistigen Brüder drehten nun jedesmal, wenn es ans Maß der Schweter ging, dieses um und decken nur den von schmälern Nand umgebenen Boden mit Geld zu. Die Blinde fühlte oben darauf und war zufrieden, daß sie ein volles Maß empfing, wie sie nicht anders glaubte. Sie war aber gottlos betrogen, dennoch war mit ihrem Gelde Gottes Segen, sie konnte reiche Andachten in drei Klöster stiften, zu Bornhofen, zu Kidrich und zur Not Gottes. Aber mit dem Gelde der Brüder war der Unsegen für und für, ihre Habe verringerte sich, ihre Herden starben, ihre Felder verwüstete der Hagel, ihre Burgen begannen zu verfallen, und sie wurden aus Freunden Feinde und bauten zwischen ihren nachbarlich nahe gelegenen Burgen eine dicke Mauer als Scheidewand, deren Reste noch heute zu sehen sind. Als all ihr Erbe zu Ende gegangen, versöhnten sich die feindlichen Brüder und wurden wieder Freunde, aber auch ohne Glück und Segen. Beide bestellten einander zu einem gemeinschaftlichen Jagdritt, wer zuerst munter sei, solle den andern Bruder frühmorgens durch einen Pfeilschuß an den Fensterladen wecken. Der Zufall wollte, daß beide gleichzeitig erwachten, beide gleichzeitig die Armbrust spannten, im gleichen Augenblick den aden aufstießen und schossen, und



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daß der Pfeil jedes von ihnen dem andern in das Herz fuhr — das war der Lohn ihrer untreuen Tat an ihrer blinden Schwester.

Andere erzählen, es habe das Geschick nur den einen Pfeil eines der Brüder dem einen der Brüder in das Herz gelenkt, darauf sei der andere zur Buße nach dem Heiligen Grabe gepilgert und im Morgenlande verstorben. Noch andere haben neue Märlein über dies feindliche Brüderpaar ersonnen, denen Kundige es auf den ersten Blick ansehen, daß sie früher nie als Sagen im Volke lebten.


Der Graf im Feuer

In der Gegend um Halberstadt liegt ein Berg, der ist der Feuerberg geheißen, darin hat der Böse sein Wesen und quält die Bösen.

Ein schlimmer Graf schuldete einem Manne seit vielen Jahren vieles Geld, und der Gläubiger konnte die Bezahlung nimmer erlangen. Nach einer Zeit war der Graf verschollen, die Rede ging, er sei in fernen Landen gestorben, der Teufel möge wissen, wo er liege. Der wußte auch, wo er den Grafen hingetan hatte. Nun machte sich jener Mann noch einmal auf, von den Erben seine Schuld zu fordern, allein die wußten von keiner Schuld und drohten dem Manne Zahlung mit harter Münze auf seinen Rücken an, wenn er nicht gehe auf Nimmerwiederkehr. Da ging der arme betrogene Mann traurig im Walde, und da trat ihn ein Fremder an und fragte ihn, was ihm denn fehle? Der Mann klagte ihm sein Leid und seinen Kummer. — "Willst du den Grafen sehen, so folge mir nach", sprach der Fremde. Der Mann folgte ihm und kam auf einen hohen kahlen Berggipfel, der tat sich auf, und da sah jener alles darinnen hell und lichterloh brennen. Mitten in der ungeheuern Flammenlohe saß auf einem glühenden Stuhle der Graf und schrie ihn an:

"Nimm dies Tuch, bringe es den Meinen zum Zeichen, daß du mich gesehen, und sag ihnen, wie ich leiden muß." Er reichte es dem Gläubiger



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hin, seine Finger und Sande glühten und knisterten und sprühten Funken von sich. Darauf ward der Mann zurückgeführt und hat sein Geld dann gern erhalten. Später hat sich der kahle Feuerberggipfel mit Eichen und Tannen bewaldet.


Stock Sell Dukaten

Zu Salzwedel ist einmal ein Mann gewesen, der hatte von einem andern hundert Dukaten geliehen, hatte aber keine Lust, dieses Gold wieder zurückzuzahlen. Er habe es ihm ja schon gegeben, sagte er zu dem Mahnenden, sooft dieser kam, und so ward er endlich verklagt.

Nun gebrauchte der böse Schuldner diese List: er ließ einen Spazierstock hohl drehen, barg in diesen das Röllchen mit den hundert Dukaten fest, daß es nicht klapperte, und kam mit diesem Stock auf das Rathaus, wo er seinen Gläubiger schon nebst dem Richter seiner harrend fand. Nach Reden und Gegenreden schritt der Richter zur Eidesabforderung. Dazu war der treulose Mann bereit, er drückte geschwinde dem Gläubiger seinen Stock zum Halten in die Hand, weil er die rechte Hand emporheben und die linke auf ein Kruzifix über einem Evangelienbuch legen mußte, und schwur frech und sicher, was jetzt die Wahrheit war, daß er die hundert Dukaten vollwichtig und vollgezählt in des Gläubigers Hände zurückgegeben habe.

Somit war die Sache abgetan, der Gläubiger ging traurig und beschämt, der Schuldner aber triumphierend nach Hause, nur war es schade, daß er nicht auch nach Hause kam, denn unterwegs ereilte den Meineidigen das schwere Gericht des allsehenden Gottes. Er stieß auf einen Müllerwagen, dessen Pferden sandte der Herr ein paar Hornissen auf den Hals, daß sie wütend wurden und durchgingen, den Mann umstießen und den Sagen über ihn hinwegrissen. Zwei Räder gingen über ihn und gaben ihm den Armsündertod des Gerädertwerdens ohne Urteil



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und zwei über den Stock, den sprengten sie auf da fielen die hundert Dukaten heraus, und der offenbare Betrug fiel auch mit heraus und kam ans Licht.

Hernachmals ist diese Geschichte in der katharinenkirche auf der Neustadt zu Salzwedel abgebildet worden.


Gaul aus dem Pfuhl

Bei Dassel liegt ein Pfuhl, von dem geht die Sage wie von den Teufelskreisen auf dem Schneekopf im Thüringer Walde und vom Schwarzen Moor auf dem Rhöngebirge, daß er unergründlich sei und ein Wohnplatz und Tummelplatz des Teufels.

Zu Leuthorst saß ein Bauer, der konnte nimmer genug haben, und hatte neben dem Pfuhl einen Acker, den pflügte er an einem Sonnabend, und brachte sein Werk vor Feierabend nicht zu Ende und pflügte immer



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fort. Die Betglocke läutete, aber der Sauer hatte keine Acht darauf; er stand nicht still wie andere bei den dreimaldrei feierlichen Schlägen, tat seine Mütze nicht ab und sprach kein frommes Vaterunser, er rief vielmehr seinen Pferden zu:

"Jü bott, ihr Schindmähren! Wollt ihr in's Teufels Nanen ziehen, daß's endlich ein Ende wird?

Er hatte auch seinen Jungen bei sich, der mußte neben den Pferden her laufen und sie schlagen und antreiben, und endlich prügelte er selbst die Pferde und den Jungen wie unsinnig und wünschte sie zu allen Teufeln. Schon wurde es dämmerig, da stieg ganz langsam ein großer kohlschwarzer Gaul aus dein Moorpfuhl, und wie der Bauer den sah, freute er sich der Hilfe und rief dem Jungen zu:

"Geh hin, fange den Gaul und spanne ihn vor den Pflug in aller Teufel Namen, daß wir mit dem verfluchten Acker zu Rande kommen!

Der arme gescholtene und geprügelte Junge heulte und schrie, doch gehorchte er und holte den schwarzen Gaul als Vorspann, und nun ging es, heißa, hast du nicht gesehen. Die Schar riß Furchen in den Acker so tief wie ein Weggraben, und der Bauer konnte die Hand nicht mehr vom Pflugsterz bringen und mußte laufen. Wie er an des Ackers Ende war und wenden wollte, ließ das der Gaul nicht zu, sondern zog immer geradeaus, frisch und gewaltig, bis an den Pfuhl, und da er hineingegangen mitsamt dem Bauern, Pflug und Pferden, und keines davon wieder zum Vorschein gekommen.

Iii selbigem Teufelspfuhl liegt auch eine goldene Glocke, die stammt vom Kirchturm zu Portenhggen, und weil sie einen so wonnesamen Klang hatte, dem niemand widerstehen konnte, und alles in die Kirche gleichsam magisch zog (jetzt gibt es keine solchen Glocken mehr), da hat sie der Teufel aus Gift und Ärger geholt und in den Pfuhl geworfen. Eins wagte sich ein Taucher in den Mroorpfuhl hinab, iim vielleicht die Glocke herauszuwinden; da sah er auf grüner Wiese einen Tisch, und auf dem Tisch stand die Glocke. Aber unter dem Tisch lag der Teufel als ein schwarzer Hund, der funkelte ihn an mit feurigen Augen und streckte eine armslange



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feurige Zunge gegen ihn heraus, und daneben war auch ein grünes Meerweib, das rief:

"Noch nicht an der Zeit! Noch nicht an der Zeit!

Da eilte der Taucher, wieder hinaufzukommen, und seitdem hat niemals wieder jemand die goldene Glocke gesehen.


Vineta

Bei der Insel Usedom ist eine Stelle im Meere, eine halbe Meile von der Stadt gleichen Samens, da ist eine große, reiche und schöne Stadt versunken, die hieß Vineta. Sie war zu ihrer Zeit eine der grösten Städte Europas, der Mittelpunkt des Welthandels zwischen den germanischen Völkern des Südens und Westens und den slawischen Völkern des Ostens. Überaus großer Reichtum herrschte allda. Die Stadttore waren von Erz und reich an kunstvoller Bildnerei, alles gemeine Geschirr war von Silber, alles Tischgeräte von Gold. Endlich aber zerstörte bürgerliche Uneinigkeit und der Einwohner ungezügeltes Leben die Blüte der Stadt Vineta, die an Pracht und Glanz und der Lage nach das Venedig des Nordens war. Das Meer erhob sich, und die Stadt versank.

Bei Meeresstille sehen die Schiffer tief unten im Grunde noch die Gassen, die Häuser eines Teiles der Stadt in schönauer Ordnung, und der Rest Vinetas, der hier sich zeigt, ist immer noch so groß wie die Stadt Lübeck.

Die Sage geht, daß Vineta drei Monate, drei Wochen und drei Tage vor seinem Untergang auch als ein Luftgebilde erschienen sei mit allen Türmen, Palästen und Mauern, und kundige Alte sollen die Einwohner gewarnt haben, die Stadt zu verlassen, denn wenn Städte, Schiffe oder Menschen sich doppelt sehen lassen, so bedeute das vorspukend sichern Untergang und das bevorstehende Ende — jene Alten seien aber verlacht worden.



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An Sonntagen bei recht stiller See hört man noch über Vineta die Glocken aus der Meerestiefe heraufklingen mit einem trauervoll summenden Ton.


Das versunkene Kloster

Unweit des Fleckens Neuenkirchen im Odenwalde liegt ein stilles, einsames Wiesental mit einem kleinen Weiher ohne Zufluß und ohne Abfluß. Dort hai vor Zeiten ein Nonnenkloster gestanden, und darinnen war eine junge Novize, die hatte das Gelübde noch nicht abgelegt. Sie war zum Kloster gezwungen worden und liebte einen Ritter von einer der nahen Burgen, der oft zur Nchtzeit, wenn alles ruhte, heimlich in den Klostergarten kam und die Geliebte sah und sprach.

Eines Abends kam ein müder, greiser Pilger an die Klosterpforte und begehrte Einlaß und Obdach über Nacht, allein die Priorin und der ganze Konvent wiesen ihn ab. Nur die Novize bat, des alten Mannes Bitte doch zu gewähren, allein da sie noch nicht Sonne war, Stand ihr nicht einmal zu, einen Kat zu geben, und die Pforte des Klösterleins blieb dem Pilger verschlossen. Da murmelte er einen Fluch, schwang seinen Stab, schlug dreimal damit an die Pfortenmauer, und da versank das Kloster mit Kirche und Konoenthaus lautlos in die Tiefe, und wo es gestanden, breitete eine stille Wasserfläche geheimnisvoll sich aus. Der Pilger aber schwand hinweg, an seine Stelle trat der liebende junge Ritter — und traute gar nicht seinen Sinnen, als er nichts mehr vom Kloster sah. Laut rief er den Namen der Geliebten durch die öde Stille, die ihn umschauerte, da scholl es aus der Tiefe herauf:

Morgen zu dieser Stunde kehre wieder zu dieser Stätte! Einen roten Faden, der auf dem Wasser schwimmen wird, erfasse dann!

Der Ritter tat in der folgenden Nacht, wie ibm geboten war, er faßte den Faden und zog an ihm, und da Sand sein liebes Lieb vor ihm und küßte ibn und sprach zu ibm:



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Unschuldig muß ich mit den andern büßen, doch ist mir vergönnt, dich zu dieser Nachtstunde zu sehen, nur darf ich nicht über ihren letzten Schlag verweilen. Der rote Faden, an dem du mich emporziehst, ist mein Lebensfaden, darum halte mich nicht über die Zeit.

Lange sahen sich so die Liebenden fast in jeder Nacht, bis sie einmal allzulange verweilte- da hatte der Ritter sein Lieb zum letzten Male in seinen Armen gehabt. Als er in folgender Nacht wiederkam und den

Faden faßte, da war er nicht mehr rot, er war durchschnitten —wohl aber war rot der ganze See, vom Blute der Geliebten gefärbt. Andere sagen, der Sonnen Mißgunst habe ihn durchschnitten. Der Liebende blickte traurig in den See und versenkte sich selbst hinab in die Tiefe.

In Mondnächten rauschen die versunkenen Sonnen bisweilen herauf und tanzen als Nixen mit Skapulier und Stola lustigen Ringelreigen am grünen Ufer, und Irrlichter mischen sich in ihren Reigen.

Der Sagen von Jungfrauen, die aus Weihern emporsteigen und im Arm der Liebe oder der Freude des Tanzes die bestimmte Stunde vergessen, gibt es in Deutschland wohl an die tausend.



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Arendsee

Das Städtchen Arendsee dankt seinen Namen einem großen umfangreichen See, der dicht danebenliegt. Ehe noch das Städtlein erbaut war, und ehe der große See vorhanden war, stand an dessen Stelle eine große Burg, die ist aber in einer Nacht mit Mann und Maus versunken, und nur ein Mann, der Arend hieß, und seine Frau, die ziemlich weit von dem Schlosse waren, sahen es, denn auf einmal hörte die Frau ein Krachen und ein gewaltiges Rauschen und rief ihren Mann:

Arend, seh.

Beide mußten eilend Suchten, daß die Flut sie nicht auch erreichte, und haben hernachmals ausgesagt, daß die Flut überschnell die ganze Burg samt allen Bewohnern verschlungen. Weshalb sie das getan, ist nicht kundgeworden, schwerlich jedoch, um die Bewohner für ihre Tugenden zu belohnen.

Hernach hat jenes gerettete Paar sich angebaut am Seeufer und so allmählich den Ort begründet, der vom Ausruf der Frau den Namen des Mannes Arendsee bekommen hat. Der See friert nur dann zu, wenn der Belt zufriert, und da fängt er erst an zu rauchen wie ein Backofen und läßt in seinem Innern ein Geheul und Krachen hören und ein Getöse über sich in der Luft, daß es Grausen erregt, es zu vernehmen. Es werden bisweilen im See, wenn die Sonne recht hell scheint und wenn es recht still ist, die Mauern und Gebäude des versunkenen Schlosses erblickt.

Als einstmals einige vorhatten, des Sees Tiefe zu ergründen, und ein Seil hinabließen, ward plötzlich von unten an dem Seile gezuckt, und wie sie es heraufzogen, war ein Zettel daran befestigt, auf welchem aus Hiob stand: "Willt du der Welt Lauf achten, darinnen die Ungerechten gegangen sind? Die vergangen sind, ehe denn es Zeit war, und das Wasser hat ihren Grund weggewaschen."

Die im Schiffe saßen und das lasen, erbebten und ließen ab von ihrem Vorhaben.



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Die drei Bergleute im Kuttenberg

Im Lande Böhmen liegt ein berühmtes Bergwerk, das ist im Kuttenberge; da hat sich's vorlängst zugetragen, daß drei Bergleute miteinander jahraus jahrein in einer Grube arbeiteten und ihr Brot verdienten. Sie nahmen täglich, wenn sie anfuhren, ihr Gebetbuch, ihr Grubenlicht, auf einen Tag mit Öl versehen, und ihr Brot, auch nur für einen Tag, mit in die Grube, beteten und fuhren dann vor Ort.

Da geschah es, daß sich eines, Tages ihre Grube verschüttete, und da befahlen sie sich Gott und gedachten zu sterben, denn ihr und Brot reichte nur auf einen Tag. Aber ihr Gebet, das sie gemeinsam verrichteten, das reichte viel, viel weiter, und es nahm ihr Öl nicht ab und nicht ihr Brot, und sie beteten und arbeiteten im Berge immerfort und merkten nicht, daß die Jahre dahingingen, und als eine Jahreswoche vorüber war, dünkte es sie noch keine gewöhnliche Woche zu sein; nur daran, daß Bart und Haare ihnen mächtig wuchsen, merkten sie die Flucht der Zeit.

Ihre Weiber daheim wußten, daß sie alle drei verschüttet und vergraben waren, und dachten endlich daran, andere Männer zu nehmen, wenn einer sie haben wolle.

Zu einer Zeit begannen die drei Bergleute sich doch recht herzlich aus ihrer Gruft herauszusehnen dem Lichte, gleich der Pflanze im Keller, die sehnsuchtbleiche Ranken empor zum Lichte schickt und gern ergrünen möchte, und da seufzte einer von den dreien aus tiefem Herzensgrunde:

"O nur noch einmal, einmal nur am Tageslicht mich freuen und sonnen und dann in Gottes Namen sterben!

Da seufzte der zweite:

"O nur einmal noch mit meiner lieben Frau zu Tische sitzen, nur einen Tag mich wieder droben freuen, und dann sterben in Gottes Samen!

Und der dritte seufzte:



312 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

Ach, nur ein Jahr im guten Frieden droben an der Seite meiner Frau und nimmermehr herunter dann wollt ich gerne sagen: Welt,

Da tat der Berg, als sie so gewünscht hatten, einen Donnerkracher, als wollte er initien voneinander bersten, und da pct durch eine Ritze der Echein des blauen Himmels in die tiefe Grube. Da klommen die drei hinan, und der erste krech hinaus ans Tageslicht und sog es wonneatmend ein, freute sich und sonnte sich am warmen Strahl und rief:

"O du Licht, du Licht von Gott!"

Sann sank er um und war tot.

Indem krochen die zwei andern auch heraus und wanderten in ihr Dorf, da sie wohnten, und suchten ihre Weiber, die kannten nicht, denn jeder sah aus wie ein Waldschrat, und wollten nichts mit ihnen zu tun haben. Die Männer aber heischten Bartmesser und Seife und traten bald darauf vor ihre Weiber, nachdem sie sich geschoren und gesäubert, und war jetzt jeder ein Mann, der sich gewaschen hakte und auch gekämmt, da freuten sich die Weiber, daß sie ihre Männer wiederhatten.

Die des ersten bereitete gleich ein Mahl, so gut sie es vermochte, und da aßen und tranken die beiden und freuten sich, und der Mann sprach zuletzt den Abendsegen und dankte Gott für Speis' und Trank und sank um und war tot.

Dem dritten aber ward vergönnt, ein ganzes Jahr hindurch sich noch des Erdentages zu erfreuen und fuhr nicht mehr in den Schacht; und genau, als ein Jahr vorüber war, nachdem der Bergmann wieder aus dem Kuttenberge hervorgegangen, da umfing er seine Frau und sagte zu ihr:

"Lebe wohl! Auf Wiedersehen in Gottes Himmel!

*O nimm mich lieber gleich mit!" sprach sie, und wie sie sich so lieb- Schmerzlich und treu umfangen hielten, umfing sie selbst beide der ewige Schlaf.



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Die tote Braut

Es war ein Brauer zu Braunschweig, der hatte eine schöne Tochter, die liebte von Herzen einen jungen Kaufmann aus Bremen. Die Liebenden schwuren, einander im Leben und im Tode treu zu sein, und wer die Treue bräche, den solle der andere Teil noch im Grabe mahnen dürfen. Nun mußte der Kaufmann von dannen reisen, in der Welt sein Glück zu machen und zeitliches Gut zu erwerben, und blieb länger aus, als seine Geliebte hoffte. Der Vater aber hatte ohnedies diese Liebe nicht gern gesehen und sich einen Schwiegersohn gewünscht, der verstände, gute Braunschweiger Mumme (Süßbier) zu brauen. Weil er nun einen hübschen und geschickten Werkmeister hatte, sollte dieser und kein anderer sein Schwiegersohn werden, und die Tochter mußte sich dem von ihr nicht geliebten Wann verloben. Aber bald darauf warfen Sehnsucht und Gram sie auf das Krankenlager, von dem sie nicht wieder aufkam. Kaum war sie begraben so kam ihr früherer Bräutigam an, erfuhr, daß seine Braut als die Verlobte eines andern gestorben sei, und konnte der Sehnsucht nicht widerstehen, sie noch einmal zu sehen. Er verleitete daher den Totengräber durch Geld, heimlich das Grab wieder ufzuschaufeln und den Sarg zu öffnen. Als dies geschehen war, lag das Mägdlein bleich und schön, mit einem Kranz um die Stirne, im himmlischen Frieden, der vom Angesicht der Toten uns anblickt, und da sprach der Jüngling:

"O meine liebe, liebe Braut, konntest du wirklich mein vergessen? So mahne ich dich bei unserm dreimal heiligen Schwur an dein mir gegebenes Gelübde!

Als der junge Kaufmann diese Worte gesprochen hatte, ist die Tote erwacht und hat die Augen aufgeschlagen und geseufzt: "Dein, nur dein, im Leben und im Tode" — und hat ihre Arme erhoben und fest um ihn geschlungen. Da ist der Totengräber vor jähem Schreck umgefallen, und



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als er wieder zu sich kam, siehe, da war der Sarg leer und von den beiden Liebenden keines mehr zu sehen gewesen, und nie hat wieder jemand etwas von ihnen erfahren. Sobald nun diese Geschichte in der Leute Mäuler kam, schämte und ärgerte der zweite Bräutigam, der Mummebrauer, über alle Maßen. Er dachte bei sich, die ganze Sterbe und Begrabe- und Aufgrabesache möchte wohl nur ein abgekartet Spiel gewesen sein, ihm die Brant zu enteißen. Er wußte sich nichts Besseres zu raten, als dem Teufel die Sache in die Schuhe zu schieben, der so immer alles getan haben soll, was die Menschen Unrechtes oder Dummes machen. Ließ also ein abscheulich Zerrbild schnitzen und am Hausgesimse, recht vor aller Augen, festmachen; da sah man ein Mägdlein aus einem Sarg steigen und dem Teufel mit dem Pferdefuß die Hand reichen, und ließ auch einen nicht weniger abgeschmackten Spottreim darunterschreiben, der gerade schmeckte wie saure Mumme. Sange hat das alte Haus gestanden mit Reim und Bildwerk, endlich ist s abgebrochen worden, aber die Sage davon lebt noch im Volke zu Braunschweig immerdar fort.


Die Ururalte

Zu jener Zeit, als das Wünschen noch etwas half, denn heutzutage hilft es wunderwenig mehr und auch dazumal schon war der Wünsche Erfüllung nicht allewege heilsam, da lebte zu Lübeck eine Frau, die war frisch und munter, gesund und stark, sie ass auch gern und trank gern und hatte alles, was ihr Herz begehrte. Und weil es nun also mit ihr stand, so gefiel es ihr auf der Welt ausnehmend wohl, und sie wünschte sich, nie zu sterben, sondern ewig zu leben, nicht aber in einem ewigen seligen eben, wie andere Fromme wünschen und hoffen, sondern hienieden auf dieser Erdenwelt, bei gutem Essen und Trinken. Und weil damals mit Wünschen noch etwas anzufangen war, so wurde jener Frau der Wunsch erfüllt, und sie lebte immer darauflos und war gar eine lustige Alte; hatte aber doch



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etwas beim Wünschen vergessen, nämlich des Körpers Rüstigkeit mit einzubedingen.

Nun tat es ja wohl einhundert Jahre leidlich gut, aber als sie die hundert Jahre aufgeladen hatte, da drückten diese doch gar sehr, so daß die Alte zusammenkroch mehr und mehr, und konnte erst nicht mehr gehen, dann nicht mehr stehen und hernach auch nicht mehr selbst essen und trinken, und sterben konnte sie auch nicht. Die Menschen mußten sie füttern wie ein kleines Kind und heben und tragen. Das war aber noch nicht genug; sie kroch hernach noch immer mehr und mehr zusammen und trank und ass zuletzt gar nichts mehr. Endlich vermochte sie sich nur noch dann und wann ein wenig zu regen. Da meinten die Leute,



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es wäre am besten, wenn sie ihnen untern Füßen wegkäme, weil aber doch noch Leben in ihr war, so taten sie die kleine zusammengeschrumpfelte Alte unter ein Glas und hingen sie in der Kirche auf. Da hängt sie nun noch immer in der Lübecker Marienkirche, ist so groß wie eine Maus und bewegt sich nur alle Jahre einmal.


Die Spinnerin im Mond

In einem Dorfe bei Salzwedel, es könnte Wiebelitz gewesen sein, lebte ein altes armes Weiblein, das hatte eine einzige Tochter, die hieß Marie, und das war gar ein geschicktes Kind und half der Mutter leicht über die Armut hinweg. Marie konnte täglich beinahe zwei Pfund Garn spinnen, und ihr Faden war unvergleichlich gleich und fein. Aber so fleißig die Marie war, so lebensfroh war sie, und in der Spinnenkoppel (Spinnstube) stetig die lustigste, zumal wenn die Rädlein beiseitegesetzt wurden und der Tanz anging, der spät genug aufhörte. Der Mutter war das gar nicht lieb, daß das Töchterlein zum öftern bis nach Mitternacht umhertollte und ihre Ermahnungen sich so gar wenig zu Herzen nahm.

Nun war wieder ein Winter fast zu Ende, und Marie war der Fleiß selbst gewesen, und es kam der Abend, wo noch einmal Spinnekoppel sein sollte, den Winter zu beschließen, und die Mutter sprach zur Tochter, als diese ihr Rädchen aufnahm, um fortzugehen:

Liebes Kind, heute ist ein Marientag, heute darf kein Kind ungehorsam gegen die Eltern sein, sonst straft es der Himmel alsogleich, darum versprich mir, daß du heute nicht wieder big nach Mitternacht ausbleibst, sondern vor Mitternacht heimkommst, und daß du heute nicht zum Tanze gehst, ich verlasse mich darauf.

Marie versprach mit nassen Augen, was ihre Mutter verlangte, und nahm ihr Rad und ging.

Es wurde sehr fleißig gesponnen, aber nun kamen die jungen Burschen und hatten im Wirtshause ein paar Prager Musikanten gefunden, das



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war etwas Neues, die mußten mit, und nun ging das Tanzen los. Marie wollte fort, wollte der alten Mutter Wort halten, allein die Burschen und die Mädchen ließen sie nicht, sie mußte mit in den Reigen, die Spielleute pfiffen und siedelten auch gar zu schön. Und als die Marie einmal im Tanzen war, da ging sie nimmer davon, da konnte die Alte lange warten, denn tanzen war Mariens Wonne und ihr Glück. Da ging die Mitternachstunde vorüber, ehe sie es nur dachte, und als der lustige Kreis das Haus verließ, wurden die Mädchen mit Musik nach Hause gebracht und bekamen schöne Ständchen, das hallte gar lieblich durch die helle Mondnacht und die tiefe Stille.

Da kamen sie auch am Kirchhof vorbei, dessen Tor offenstand, und stand eine alte inde darauf, darunter war ein freier ebener Raum, und dahinein gingen die Tänzer und die Spielleute und begannen von neuem Tanz. Erst schauerten und scheuten die Dirnen, dann folgten sie doch, halb gezwungen, und endlich auch Marie.

Die alte Mutter aber wartete daheim und weinte über ihr Kind, und da sie von weitem den Freudenschall hörte, dachte sie gleich, dabei werde die Marie nicht fehlen, und machte sich auf und kroch aus dem Häuschen, ihr Kind zu holen. Da sah sie nun zu ihrem Schreck und Zorn ihre Marie unter den Kirchhofspringern und rief ihr zu mit strengem Gebot, sogleich nach Hause zu folgen. Aber die Maid rief:

"Ei, Mutter, der Mond scheint ja noch so hell und schön! Geh nur hin, ich komme bald!"

Da hob die Alte ihre beiden dürren Hände zum Himmel auf und schüttelte ihre grauen Haare, die ihr wild um das Haupt hingen, und schrie im wilden Grimme:

"Ei, daß du Rabenkind im hellen Monde säßest fort und fort und hättest immer und ewig deine Spinnekoppel droben oder beim Teufel und seiner Großmutter!

Und wie die Alte diesen Fluch gesprochen, schlug sie hin und war tot, Marie aber behielt nicht Zeit zum Jammern und Klagen, samt ihrem Rädchen ward sie schnell entrückt hinauf in den Mond, da sitzt sie, da sinnt



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sie, da spinnt sie — wenn der Mond recht hell scheint, kann man sie gar deutlich sehen, und all ihr wunderzartes überfeines Gespinst, das streut sie vom Mond herab, zum Frühlingsbeginn, wann die Spinnekoppeln enden, und im Herbst, wann sie beginnen und die Abende sich längen, da führt es der Wind an hellen Tagen dahin und dorthin und schwimmt weiß durch die Luft und zieht regenbogenfarbig glänzend von Strauch zu Strauch, von Blume zu Blume, und die Leute nennen es Marienfäden, Marienseide, fliegenden Sommer.


Die Pferde aus der Bodenluke

Zu Köln nahe dem Eingange der Kirche zu den heil. zwölf Aposteln war ein Gemälde zu schauen, das stellte eine gar absonderliche Geschichte dar. Es war ein Bürgermeister daselbst hieß Richmuth von Andocht, dem starb sein Eheweib und ward begraben, und da man am Grabe den Sarg nochmals öffnete, wie es sonst üblich war, und über der Leiche betete, sah der Totengräber, daß die Frau einen großen goldnen King am Finger hatte, mit Edelsteinen wohl geziert. Da wurde in dem Totengräber die Gier lebendig, zur Nacht das Grab wieder zu öffnen und den Ring zu stehlen. Aber wie erdas tat, drückte die Leicht ihm die Hand zusammen, denn sie war nicht tot, sondern lebend begraben, und wollte sich aus dem Sarge helfen. Eilend entfloh voller Schreck der Totengräber, die Begrabene aber wickelte sich aus den Grabtüchern los trat aus dem Grabe und ging auf ihr Haus zu, klopfte und befahl dem Diener zu öffnen, sie sei es. Der Diener vermeinte ein Gespenst zu sehen und zu hören und lief eilend zu seinem Herrn, ihm die Begebenheit zu melden, und stammelte:

"Ach, Herr! Unsere Frau drunten vorm Hause steht sie leibhaftig und will, daß ich ihr auftue.

"Du bist ein Narr", antwortete der Bürgermeister, Herr Richmuth von Andocht. "Ebenso wahr könntest du sagen, meine Schimmel stünden droben auf dem Heuboden.



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Kaum hatte er das Wort ausgeredet, so erhob sich von unten nach oben ein grausamer Tumult, und als der Diener nachsah, so standen schon die sechs Kutschpferde oben, ohne die andern, die noch nachkamen. Der Bürgermeister war ganz starr vor Schreck und glaubte nun, und die Frau ward eingelassen und ihrer mit warmen Tüchern und Arzeneien wohlgepflegt daß sie sich wieder erholte. Am andern Tage schauten zu jedermanns Verwunderung die Pferde aus den Bodenluken heraus, und man mußte große Gerüste und Maschinen anwenden, um sie nur wieder herunter in den Stall zu bringen. Darauf wurden einige Pferde ausgestopft, die mußten zum Andenken auch fürder oben herausschauen. Und die Frau lebte noch sieben Jahre lang und spann und webte einen schönen großen Vorhang von weißem innen, den sie in die Apostelkirche verehrte.


Die fliegenden Knaben

Es war am Ende des siebzehnten Jahrhunderts, als an einem Spätherbsttage drei muntere Knaben unweit des Städtchens Lengsfeld und zwischen diesem und dem Baier auf immergrüner Waldwiese eine Anzahl Rinder weideten. Kaum war die Sonne gesunken, die noch ihre letzten goldnen Strahlen auf den hohen nachbarlichen Berg warf, so fachten die Knaben nach ihrer Weise ein Feuer an und stachen Rasen ab, um sich eine Bank zu bauen, auf der sie vertraulich und sich am Feuer wärmend sitzen wollten.

Wie es nun oft zu geschehen pflegt, daß heitre unbedachte Jugend in lächerliche Wünsche ausbricht, deren Erfüllung unmöglich ist, so auch hier. Einer sprach:

Wäre nur dieses Stück Rasen ein Stück Eisenkuchen!

Kaum war dieser Wunsch laut geworden, so trat schon ein unbekannter Mann auf die Trift, begrüßte die jungen Hirten und sprach:



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"Hört, ihr habt Eisenkuchen gewünscht! Hier habt ihr welche, laßt sie euch schmecken!"

Er teilte Eisenkuchen unter sie aus. Freudig und begierig ward die Spende angenommen und verzehrt, und der Mann erbot sich, sie täglich mit solchen Kuchen zu erfreuen, wenn er nur wüßte, auf welchem Hutplatz sie immer anzutreffen wären. Die Knaben nannten den Platz, wo sie am nächsten Tage hüten würden, und der Unbekannte hielt sein Wort und brachte ihnen das leckere Mahl am nächsten Abend wieder.

Als das verzehrt und der Mann hinweggegangen war, trat eine alte Frau aus Lengsfeld den Knaben nahe und bat sie, doch einmal mit ihr zu dem nahen Talbrunnen zu gehen, sie wollte ihnen dort etwas zeigen. Die Knaben willfahrten ihr, wurden aber nichts gewahr, als daß die Alte mit dem Wasser des Brunnens besprengte und unverständliche Worte dazu murmelte, weshalb sie ihr bald entliefen, mit Gelächter zu ihrer kleinen Herde zurückkehrten und diese wohlgemut nach Hause trieben.

Am dritten Tag trafen sich die Knaben frühmorgens auf dem Weg zur Schule, grüßten sich munter, und der eine sprach zu dem andern:

"Höre, ich fühle mich heute so federleicht, daß ich meine, ich müßte fliegen können wie ein Vogel!"

"Ich auch, ich auch!" riefen die beiden andern, und da hoben alle drei die Arme empor und flogen.

Sie flogen auf die kleine runde Mauer, die den Marktplatz umzog, und über dieser gegenseitig hin und her, zum größten Erstaunen aller ihrer indes sich zahlreich versammelnden Schulkameraden.

Die Kunde dieses wunderbaren Ereignisses durchdrang mit Blitzesschnelle das Städtchen und kam auch zuletzt zu den Ohren des Kantors, der nach beendigter Schulstunde die drei Knaben aufrief, ihre Kunst auch in der geräumigen Schulstube zu üben. Sie traten auf den Tisch und flatterten von ihm herab und schwebten auf und nieder. Den Kantor überfiel ein Grausen, er entsendete eilig einen Boten zum Oberpfarrer und Inspektor und ließ den geistlichen Hirten bitten, zur Schule sich zu bemühen und selbst Zeuge eines nie erhörten Wunders zu sein.



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Der Geistliche kam und staunte und nahm die Knaben scharf in das Verhör, denn er witterte Satans Trug und Tücke. Sie erzählten treuherzig alles, was sich mit ihnen begeben, und fügten noch dies hinzu:

In der vergangenen Nacht machten wir uns den Spaß und setzten uns zu dritt auf einen Schimmel, der in unsers Nachbars Scheuer stand. Kaum spürte uns das Pferd, so setzte 'a gegen unsern Willen in Trab und brachte uns an einen Ort, wo es uns sehr wohl gefiel; dann brachte es uns wieder nach Hause, und darauf fühlten wir una so leicht.

Der Oberpfarrer ging bestürzt hinweg, um dem Gericht Anzeige zu tun, damit dieses sich der sicherlich Behexten bemächtige und ihnen den Prozeß mache, denn fliegen zu können schien ihm ein arges Verbrechen.

Mittlerweile kamen die Knaben sorglos und ihrer Fliegerkraft froh nach Hause, den Ihrigen das Wunder selbst zu verkündigen oder zu bestätigen. Der Vater des einen der Knaben war der Scharfrichter und hieß Michael Weber. Er erzürnte sich sehr über die Kunde, die er schon vernommen, glaubte, sein Sohn sei ein Teufelsbündner, und beschloß, ihn zu opfern. Daher schwang er, als dieser vor ihn trat, das Richtschwert und schlug ihm das Haupt ab. Zwei weiße Ströme Milch sprangen statt des Blutes zur Decke, und dem Scharfrichter entsank das Schwert.

Die zwei andern fliegenden Knaben, als sie das gesehen, hoben sich auf und davon, und niemand hat sie jemals wieder erblickt.


Der Brautstein

Vielfach trifft man in weiten, ebenen Landstrecken des nördlichen Deutschland, wo weit und breit kein Urgebirge zu erblicken ist, vereinzelte, oft sehr große Granitfelsenstücke an; die Gelehrten nennen sie erratische Blöcke. Ein solcher Block oder Stein liegt auch in der Nähe des Städtchens Lüchow, auf der Kolborner Heide, er sieht über und über rotgesprenkelt aus und ragt meterhoch über den Boden.



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Ein adeliges Liebespaar, dem des Schicksals Fügung Abschiednehmen gebot, denn der Ritter mußte in den Krieg ziehen, saß auf diesem Steine, der inmitten eines Birkenwäldchens lag, und gelobte sich gegenseitig ewige Treue. Ringsum am Boden blühte ein niedriges Sträuchlein voll weißer Blumen in Fülle. Der Ritter warf die Besorgnis im Gespräche hin, ob die Geliebte ihm wohl neu bleiben werde, sie aber fühlte sich durch solche Frage sehr gekränkt und schwur, daß, wenn sie treulos werde, dieser Fels sich bewegen und ihr Grabstein werden solle. Bei so heftigem Schwur gab sich der Ritter zufrieden und schied beruhigt von der lieben Braut.

Es kam aber nach einer Zeit, daß die liebe Braut ihres fernen Bräutigams vergaß, wie das so zuweilen zu geschehen pflegt. Sie hatte einen neuen Buhlen und ging mit ihm spazieren auf der Kolborner Heide ins Birkenwäldchen. Sie kamen auch von ungefähr an den Felsblock, ließen sich darauf nieder und führten Gespräche von der Liebe des Nächsten. Da



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erhob sich mit einem Male der Stein riesengroß aus der Erde — der Liebhaber stürzte an den Rand der dadurch entstehenden Vertiefung, die Treulose aber stürzte hinein, recht wie in ein offenes Grab und ward vom Stein, der sich gleich über sie wälzte, so zerschmettert, daß ihr Blut ihn bespritzte und auch die weißen Blumen ringsumher.

Wieder nach einer Zeit kehrte der Ritter heim, und sein Weg führte ihn durch jenes Wäldchen. Als er an den Stein kam, sah er, daß er mit rötlichen Flecken und Adern überlaufen war und die Blumen rot waren, die zuvor weiß gewesen. Es ahnte ihm nichts Gutes, er zog sein Schwert und führte einen Streich auf den Stein. Da sprang ein Blutstrahl heraus, und ein Klageschrei tönte aus der Tiefe. Der Ritter pflückte einen Strauß von den Blumen, bestieg sein Roß und zog wieder in den Krieg, aus dem er nimmer heimkehrte.

Die Blume, die zuvor weiß und hernach rot blühte, das die Heide. Den Stein hat man hernach den Braustein genannt und die Heide Brauttreue. Selten findet man hie und da noch einen Heidestengel mit weißen Blüten.


Zum Stehen verwünscht

Zu Freiberg im Meißner Lande wohnte ein Weber des Namens Lorenz Richter, der hatte einen Sohn von vierzehn Jahren, dem die Untugend des Ungehorsams in hohem Grade eigen war. Der Vater mochte dem verstockten Jungen heißen, was er wollte, so tat er's nicht oder tat das Gegenteil und hatte seine Lust daran, stöckisch zu sein und seinen Vater zu ärgern.

Da geschah es eines Tages, daß der Vater dem Knaben, der bei ihm in der Stube war, gebot, eilend etwas zu tun, jener aber blieb ruhig flehen, wo er stand, und fiel ihm gar nicht ein, des Vaters Befehl nachzukommen. Der Vater wiederholte sein Gebot, aber der Junge kat, als höre er es gar



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nicht, er blieb stehen wie ein Stock. Da geriet der Vater vor Zorn außer sich und schrie:

"Ei, so stehe in aller Teufel Namen, du versuchter ungeratener Bube, und daß du nimmermehr dich vom Flecke regen könntest!

Da zuckte ein jäher Schreck durch den Knaben, er ward starr und stand — und stand. Er wollte nun folgen, aber er stand. Der Vater stürzte jetzt auf ihn, ihn von der Stelle wegzureißen oder hinweg zu treten, aber er vermochte es nicht — der Knabe stand, festgebannt und festgezaubert auf die Diele und völlig machtlos. Vergebens suchte man ihn wegzuheben, wegzutragen, seine Füße wurzelten am Boden.

Und so stand er drei Jahre an einer Stelle, nahe dem Ofen und der Tür, hinderlich den Leuten, die aus und ein gingen, an einem Pult, darauf er Haupt und Arme Stützen konnte; so stand und so schlief er, den Eltern zum quälenden Anblick, der Stadt zum Wunder. Die Geistlichen beteten über ihn und für ihn und versuchten endlich ihre Kräfte, ihn aufzuheben und in einen andern Stubenwinkel zu tragen, wo er weniger hinderlich war; dies gelang, aber dann blieb er an jener Stelle stehen. Tief waren der Diele die Spuren seiner Füße eingeprägt. Wollte man an einen andern Ort ihn bringen, da schrie er laut und schmerzvoll auf und gebärdete sich wie rasend. So stand er wie die Büßer Indiens, ein Büßer seines Ungehorsams, hinter einem Vorhang und war voll Traurigkeit, elenden Aussehens, und endlich gab Gott zu, daß er auf ein neben ihm gestelltes Bett sich legen konnte — und das währte wieder nahe an oier Jahre. Und dann ist er in Demut und Ergebung und gläubig eines sanften, natürlichen Todes gestorben.

Die Fußtapfen wurden lange Jahre gezeigt, in der Stube und dann in der Kammer, und wenn die Eltern ihre Kinder vor Ungehorsam warnen wollten, brauchten sie nicht weit zu deuten.



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Die umirrenden Stiefel

Zu Lauban in der Lausitz, sonst Lübben genannt, hat sich folgendes im Dreißigjährigen Kriege zugetragen.

Es kam von Görlitz her ein Regiment Butlerischer Dragoner, die waren nicht von den besten, und es ward den Bürgern vor ihnen mächtig bange, hatten auch der Drangsale in Fülle von ihnen auszustehen. Da kam ein entsetzlich langer Kerl von dieser Raubbande zu einem Schuster und verlangte ein Paar Reiterstiefel, Kanonen, wie diese Haudegen und Eisenfresser sie trugen. Er fand ein schönes, großes, langes Paar, die ihm trefflich paßten, denn den Soldaten im Dreißigjährigen Kriege ging es wie jenem Trödeljuden, der von sich sagte: "Ich hab 'nen guten Klaiderlaib, es paßt mir allens.

Da nun der gewaltige Kriegsheld die Stiefel an- und dafür ein Paar gan; erbärmliche, zerrissene Stiefel ausgezogen hatte, dem er die Sporen ab- und an die neuen Stiefel anschnallte — fragte er, was die neuen kosten sollten, und da der Schuhmacher den Preis forderte, so zog jener seinen Haudegen blank, nahm den Schuster am Arm und fuchtelte ihm so viele Hiebe zählend auf, als der arme Bürger Taler gefordert hatte, so daß dieser sich vor Schmerz, Angst und Schrecken nicht bergen konnte, sich endlich losriß und verwünschend rief:

"Ei, so wollte ich, daß diese Stiefel und Eure Beine in ihnen niemals Ruhe finden, Ihr mögt tot oder lebendig sein!"

Der Reiter lachte den Schuster in seinem ohnmächtigen Zorne aus und stolperte mit klirrenden Schritten über das Wackersteinpflaster Laubans und verfluchte dieses Pflaster und den Berg, der dazu die Steine lieferte.

Bald darauf wurde das Dragonerregiment anderwärts hin beordert — als aber hernachmals die Schlacht bei Lützen geschlagen ward, riß eine schwedische Stückkugel, die dem Pferde durch den Hib fuhr, demselben



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Dragoner beide Beine ab, und er verblutete auf dem Schlachtfeld.

Und danach hat man zwei Stiefel marschieren sehen ohne Ruh und Rast und ohne Herrn, doch staken in ihnen zwei blutige Beinstummel, die wanderten und wanderten von Lützen nach Markranstädt und über Rippach, wo der bekannte unsterbliche Herr Hans von dort sie mit eignen Augen sah, nach Leipzig, von Leipzig nach Wurzen, Oschatz, Zehren und Meißen nach Dresden; von da ohne Rast und Kuh über Bischofswerda, Bautzen, Löbau und Reichenbach nach Görlitz, und von da endlich spornstreichs nach Lauban, und blieben auf dieser ganzen langen Wanderfahrt völlig ganz.



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Die Stiefel spazierten zum Städtlein hinein, an des Schuhmachern Haus vorbei, recht als ob er sehen solle, daß sein Wunsch in Erfüllung gegangen, wendeten von da um und bestiegen den Steinberg, welcher der Vater des verwünschten Pflasters, und dort wanderten sie nun bald sichtbar, bald unsichtbar auf den scharfkantigen Basaltsäulen umher; man hörte sie auch trappsen; wer sie aber sichtbar sah, was nicht einem jeden widerfuhr, und trug etwa ein Verlangen nach ihnen und wollte sie haschen, der bekam einen Tritt und schlug auf die Wackersteine hin, daß ihm die Rippen krachten. Dem Schuster, der sie als sein Eigentum wieder einfangen wollte, soll dieses am allerersten begegnet sein.


Die beiden Kröten

Zu Leisnig, einem Städtlein zwischen Lucka und Meißen, das, so klein es ist, eine Schmalzgrube des Meißner Landes hieß, war lange an der Stadtkirche ein Steingebild zu sehen, ein Mann, der, die Arme in die Seite gestemmt, gegen zwei Knaben gewendet erschien. Davon geht die Sage.

Es war ein Vater, der hatte zwei sehr ungeratene Buben zu Söhnen, das kam daher, daß er ihnen nicht genug aufgezählt hatte, wenn sie ungezogen und trotzig waren, wie es sich gehört, denn das Sprichwort sagt: Wer seinen Kindern die Rute gibt, spart dem lieben Gott eine Mühe.

Da ist es denn geschehen, daß eines Tages, als der Vater die beiden Knaben schalt, weil sie wieder böse Dinge getrieben hatten, daß sie wieder schalten und widerbellten, recht wie die Klaffhunde; damit ließen sie es aber nicht einmal bewenden, sondern sie trieben ihre verruchte Auflehnung so weit, daß sie, was kaum zu denken und niederzuschreiben ist, ihrem Vater ins Angesicht spuckten.

Da schrie der alte Mann zu Gott im Himmel hinein, daß der solche Untat rächen wolle, und verfluchte seine Söhne mit einem entsetzlichen Fluche.



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Doch da wollten die nichtsnutzen Jungen ihren Vater auch wieder verfluchen, aber plötzlich Sammelten sie, und es quoll und schwoll ihnen im Munde so dick, so dick und so eiskalt, und biß entsetzlich wie ätzendes Gift, und kroch aus dem Munde hervor lebendig, und war eines jeden Zunge ihm im Munde zu einer scheußlichen lebendigen Kröte geworden; konnten fortan weder spucken noch schlucken, weder gellen noch widerbellen — mußten verstummen und verzweifeln und im grausen Elend zur Hölle fahren.

Des zum Wahrzeichen hat man hernach die drei an der Kirche in Stein abgebildet und die Kröten aus der Knaben Maul hervorgucken lassen, was sehr schrecklich anzusehen


Der Klapperer

Auf dem Kirchhofe zu Thierbach, unweit Pausa, war vorzeiten ein rippe, dessen Knochen alle noch zusammenhingen. Es stand in einer Mauernische und diente der Dorfjugend teils zum Schreck, teila zum Frevel. Wenn der Wind stark wehte, schlugen die geblichenen Gebeine klappernd zusammen, darum nannte man es den Klapperer.

Das Gerippe hatte einst einem reichen Bauernsohn, man sagt, dem Sohne dee Schulzen, angehört, der ein armes Mädchen aus dem Dorfe liebte und betrog. Er hatte ihr zugeschworen: wenn er ihr untreu werde und sie nicht nehme, solle sein Leib niemals im Grabe ruhen. Aber er durfte dieses Mädchen doch nicht heiraten und wollte hernach auch nicht und freite sich eine reiche Frau. Die arme fand doch einen Mann, der sie zu Ehren brachte, jener Treulose aber wurde nicht glücklich mit der reichen Frau, und da ergab er sich dem Trunke und starb an einem unglücklichen Sturz, den er in der Trunkenheit tat.

Er ward begraben, aber der Sarg mit seinem Leibe hatte keine Ruhe in der kühlen Erde, er hob sich empor, und immer sah man ein klein wenig



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davon aus dem Grabe ragen. Man schüttete frische Erde darauf, es half aber nichts, und der Sarg rückte immer höher. Da hob man ihn endlich heraus und stellte ihn in ein offenes Gewölbe, wo man die Totenbahren zu verwahren pflegte. Allmählich verfiel der Sarg, und das Gerippe wurde frei und allen sichtbar.

Darüber gingen aber Jahre hin, und viele wußten schon nicht mehr, wie der geheißen, der einst in diesem Leibe gewandelt, aber die Sage ging, daß er immer noch wandere, rastlos und ruhelos.

Da wurde zu Thierbach eine Hochzeit gehalten, auf der viele Junge und Alte waren, und das junge Volk spielte ein Pfänderspiel. Es war schon Mitternacht.

"Was soll das Pfand tun, das ich in meiner Hand halte?"fragte eine Stimme.

"Es soll den Klapperer vom Kirchhof hierhertragen!" erscholl die Antwort.

Alles lachte, aber fast unbemerkt war der, dem das Pfand gehörte und der die kecke Dirne liebte, die so frevlen Wunsch ausgesprochen, zum Kirchhof gegangen, hatte sich mit dem Klapperer beladen und kam bald darauf mit seiner asi angeprasselt. Alles schrie auf vor Schreck und Entsetzen, der Bursche aber war stolz auf seinen Mut.

Mitten in den Lärm der jungen Leute trat nun ein alter Mann und sprach ernst:

"Gebt dem Klapperer alle die Hand und bittet ihn um Verzeihung, daß ihr ihn gestört habt, sonst wird Unglück über euch kommen."

Zagend taten die Versammelten, was der Alke gebot, nur ein Mütterlein stand ferne, und Tränen zitterten in ihren Augen.

"Auch du, auch du mußt bitten!"rief der Alte.

Und sie schritt zitternd heran, faßte die Knochenhand und flüsterte:

"Verzeihe, wie ich selber dir verzeihe!"

Es war die Verlassene. Und da lösten leise die Knochenbänder, und das Gerippe sank auseinander. Man sammelte und begrub die Knochen, und der Klapperer hatte nun Ruhe.



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Der Schwanritter

Als Herzog Gottfried von Brabant zum Sterben kam und hatte keinen Sohn, wollte er sein Land und Erbe seiner Gemahlin und seiner Tochter überlassen. Aber Gottfrieds Bruder, der Sachsenherzog, wollte darein nicht willigen und sagte, das Land sei kein Weiberlehen und Erbe, und nahm Brabant für sich.

Da ward die Herzogin klagend bei König Karl, der nun lud sie und auch ihren Schwager gen Neumagen Nimwegen, Nijmegen) am linken Arm des Rheinstroms, die Wahl geheißen, und sie kam mit ihrer Tochter hin und auch ihr Gegner.

Da geschah es, daß Karolus durch ein Fenster hinausschaute und hinab auf den Strom, da sah er einen Schwan schwimmen, der hatte ein silbern Halsband um und zog mit dem an silberner Kette einen Nachen, und in dem Sachen lag ein Ritter im gleißenden Harnisch, auf seinem Schilde ruhte sein Haupt, seinen Helm und Halsberge hatte er abgetan und neben sich gelegt, und der Schwan ruderte an das Ufer heran. Alle Hofleute, die das samt dem Kaiser sahen, verwunderten sich hoch, vergaßen den Rechtshandel und eilten nach dem Ufer hinunter.

Der ritterliche Jüngling im Sachen erwachte, tat sein Gewalten wieder an, erhob den Schild, darauf acht Zepterlein um einen weißen Karfunkel gestellt waren, stieg aus der Barke und sprach zu dem Schwane: Fliege deinen Weg wohl hin, lieber Schwan, so ich deiner bedarf, will ich dich rufen!

Da wandte sich der Schwan und ruderte im Wasser und entschwand saint dem Sachen den Augen der ihm Nachblickenden. Alles blickte ganz verwunderungsvoll nach dem Gast, dein Karol selbst die Hand bot und ihn nach der Burg geleitete, dann setzte er sich auf den Richterstuhl und hieß den Fremdling bei den Fürsten und Herren eine Stelle einnehmen.



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Es erhub nun die Herzogin ihre Klagen, und ihr Schwager brachte seine Gegenrede vor und sprach, daß er bereit sei, für sein Recht zu kämpfen, sie solle ihm nur einen Kämpen stellen, der mit ihm für ihr und ihrer Tochter vermeintes Recht stritte. Der Sachsenherzog war ein mannlicher Held und dem Besten im Kampfe überlegen, darum erbebte die Herzogin, denn sie wußte keinen Kämpen in ihrer Sippschaft, den sie wagen konnte, aufzufordern, sich jenem gegenüberzustellen.

Da weinte sie in bitterm Schmerz, und ihre Tochter weinte mit ihr, und es war ihr wey im Herzen.

Gleich erhob sich der junge Ritter, der mit dem Schwan gekommen war, neigte sich gegen den Kaiser und sprach:

So du es mir vergönnest, großer Kaiser, will ich wohl dieser Frauen Kämpe sein.

Das wurde ihm gewährt, und er stritt darauf einen schweren Streit mit dem Sachsenherzog, doch siegte er endlich und machte so der Herzogin und ihrer Tochter Erbe frei und ledig. Die dankten ihm in Züchten, und die Herzogin bot ihm jeden Kampfeslohn, den sie gewähren könne, und wär es selbst ihrer Tochter Hand und einstiges Erbe. Da sagte der Jüngling, Werteres könne ihm nimmer geboten werden. Sein Same sei Helias, mehr könne er von sich nicht sagen, und er müsse unerläßlich bedingen, daß seine Braut und Vermählte nie und nimmermehr ihn frage, wo er hergekommen, welches sein Geschlecht sei, wer ihm Vater und Mutter wäre und solcher Fragen mehr, denn sowie sie solche Frage, auch nur die leiseste und nur ein einziges Mal, an ihn richie, müsse sie auf immer ihn verlieren.

Diese Bedingnis deuchte der Prinzessin von Brabant leicht zu halten; sie gelobte ihm das und vermählte sich dem Schwanenritter Helias. Sie sogen nach Cleve, der uralten Stadt, wo schon Iulius Cäsar eine Burg erbaute, erneuerten das Schloß, nannten es die Schwanenburg und freuten sich des Lebens und der Landschaft, die Schon manche mit den Elisäischen Feldern der alten Mythe ob ihrer Anmut verglichen. Sie bekamen auch zwei blühende Kinder und waren sehr glücklich, wären es auch geblieben, wenn nicht der Weiber Erbsünde, die schlimme Neugier, die junge Herzogin



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gequält und immer mehr gequält hätte. Sie mochte gar zu gerne wissen, wer denn eigentlich ihrer Kinder Vater sei, und so drückte es ihr fast das Herz ab, bis sie endlich die Frage tat, die ihr doch so ernst verboten war. Da sprach Helias:

"Nun hast du dein Glück zerbrochen und mein Glück und hast mich am längsten ges eben.

Er waffnete sich und winkte zum Fenster hinaus — da kam schon der Schwan geschwommen mit seinem Schifflein. Der Herzog küßte seine Kinder und drückte seiner Gemahlin stumm und schmerzlich die Hand weinte überlaut, stürzte ihm voller Reue zu Füßen und wollte ihn zurückhalten, und auch alles Volk flehte ihn an, daß er bleiben sollte. Aber Helias konnte nicht bleiben — er segnete alle, bestieg seinen Kahn und fuhr von dannen.

Tief drang der Kummer ing Gemüt der Herzogin, doch erzog sie die Kinder zu tüchtigen Rittern, und ihnen entstammten alle spätern Grafen und Herzöge von Cleve und Geldern und Reineck, die führten meist den Schwan im Wappen.


Der Schlossvogt

Auf dem runden Schloßberge über Tilsit, hart am Ufer der Memel, hüteten Hirtenknaben aus dem Kämmereidorfe Alt-Preussen Vieh. Einmal standen sie betrachtend an einer recht in der Mitte des Berges tief in die Erde hinabgebenden Öffnung, erzählten auch einander dies und das, welche Bewandtnis es mit diesem unergründlichen Loche habe. Vor alten Zeiten sei hier oben ein Schloß gestanden voll unermeßlicher Schätze, dessen tiefen Graben und doppelte Wälle man noch erkenne. Dieses Schloß nun sei in einer .Nacht plötzlich versunken, und das Loch sei der big zur Bergeshöhe heraufreichende Schornstein. Bisweilen lasse sich der Schloßvogt sehen, ein altes graues Männchen mit schneeweißen Haaren.



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Da wurden die Hirtenknaben sehr neugierig, wie tief diese Höhle sei und ob sich nichts aus ihr erlangen lasse. Sie schleppten ein Seil herbei und banden den Jüngsten ihrer Schar, sosehr er sich auch sträubte und schrie, daran und ließen ihn hinunter. Das Seil war zweimal so lang wie der Kirchturm in Tilsit und hing immer noch straff, obgleich sie schon längst das Schreien ihres Gefährten nicht mehr hörten. Endlich ward es leicht und krümmte sich, jener hatte also den Grund erreicht. Sie riefen hinunter — alles blieb still; sie warteten lange und bange — endlich zogen sie das Seil herauf — es war leicht und — leer. Voll Angst liefen nun alle vom Berge, und am andern Morgen wagten sie sich nicht wieder zum Schloßberggipfel.

Noch trieben sie unschlüssig auf der Straße, da kam der Knabe, den sie gestern in den Berg hinabgelassen, ihnen munter entgegen. Seine Taschen und seine Mütze waren voll Gold, und er erzählte nun seinen Kameraden, die ihn neugierig umringten, was ihm geschehen war.

"Ich kam" erzählte er, "in eine große Küche, darinnen funkelte es rings von prächtigem Geschirr und Geräte. Und da kam ein altes graues Männchen, das muß wohl der Schloßvogt gewesen sein, das grüsste mich freundlich und sagte: ,Das ist hübsch von dir, daß du mich auch einmal besuchst, sei nur nicht bange.' Er band mich los vom Strick und führte mich durch das Schloß, von einem Zimmer in das andere, da lag alles voll Gold und Schätzen. Hernach wurde ich müde, da führte mich der Schloßvogt zu einem schönen Bette, darin schlief ich prächtig. Heute morgen kam das alte Männlein, als ich gerade ausgeschlafen hatte, an mein Bett, hieß mich aufstehen, füllte mir Mütze, Taschen und Hände voll Gold und sagte: ,Das sollst du vom Schloßvogt verehrt erhalten!' — dann brachte er mich an ein enges Tor, schloß es auf und hieß mich hinausgehen. Wie ich draußen war, war ich im Tale, und wie ich mich umsah, war das Tor mitsamt dem Schloßvogt verschwunden."

Die Hirtenknaben verwunderten sich über diese Erzählung sehr. Sie beneideten ihren Kameraden um sein vieles Geld, dazu sie ihm doch eigentlich wider seinen Willen verholfen, und meinten, einen kürzeren Weg, als



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durch den Schornstein hinab in das Goldschloß und zu Geld zu gelangen, gäbe es auf der Welt nicht. Sie eilten daher auf den Berg, so schnell sie konnten, losten, welcher von ihnen zuerst hinabgelassen werden solle, und den das Los traf, den ließen sie hinunter unter Bedingung der Teilung dessen, was er empfangen würde. Richtig kam das Ende des Seils wieder leer herauf, und am andern Morgen gingen sie erwartungsvoll dein Kameraden entgegen. Aber er kam nicht und soll noch heute wieder-

Seitdem hat es keinen wieder gelüstet, in die Tiefe hinabgelassen zu werden.


Krötenstuhl

Im Elsaß war eine Burg, sie hieß Nothaeder, und auf ihr wohnte ein Herzog, der eine überaus schöne oster hatte. Sie war aber nicht weniger stolz als schön; kein Freier, so viel deren kamen, ihre Hand zu erlangen, war ihr gut genug, und mancher nahm sich das Leben, weil er ihre Gunst nicht erlangen konnte. Der letzte, der das tat, verwünschte die hartherzige Jungfrau in einen harten Steinfelsen, und daß sie nur alle Freitag einmal sichtbarlich sich zeigen dürfe, aber auch nur alle drei Wochen einmal in ihrer wahren Gestalt als Jungfrau, zum andernmal als eine Schlange und zum dritten als eine häßliche Kröte. Jeden Freitag kommt sie nun hervor, wäscht oder badet sich auf dein Felsen an einer Quelle und sieht um nach allen Weiten, ob kein Erlöser nahe. "Wollte jemand an das Wagestück gehen, so muß er an einem Freitag auf den Felsen gehen, da findet er eine Muschel, darin liegen drei Wahrzeichen: eine dunkelgelbe Schlangenschuppe, ein Stückchen grssgelbe Krötenhaut und eine goldgelbe Haarlocke. Diese drei Dinge muß der Befreier zu sich stecken und bei sich tragen, und zur Mittagsstunde am nächsten Freitag wieder hinauf auf den wüsten Felsen steigen, und zwar dreimal, und muß einmal die Schlange,



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zum andern die Kröte, zum dritten die Jungfrau küssen. Wem das aber möglich ist, der erlöst die Verzauberte, bringt sie zur Ruhe und wird durch ihre Schätze unermeßlich reich. Schon mancher fand die Merkzeichen, wagte sich in die öden Burgtrümmer und kam nimmermehr wieder, sei es, daß ehe er den Kuß gewagt, Furcht und Grausen ihn tötete, sei es, daß er den Kuß wagte und vor Entsetzen in des Todes Arme sank, denn wie lieblich sie als Jungfrau erscheint, immer gleich jung, niemals gealtert, so schrecklich ist sie als Kröte, nämlich riesengroß, und speit Feuer. Am allerschrecklichsten ist sie als Schlange, lang und stark wie ein Heubaum. Einmal hatte ein kecker Bursch doch sich überwunden und die Schlange geküßt, da war die Schlange hinweg, nun kam die Kröte, die war über alle Maßen abscheulich anzusehen, das Eingeweide drehte sich ihm im Leibe um, und er entrann; die Kröte aber hüpfte plump und schwer hinter ihm her und verfolgte ihn bis zum Krötenstuhl — und spie ihm den Berg hinab noch ganze Bündel Feuer nach.


Falkenstein und Tidian

Weit berufen ist das stattliche Schloß Falkenstein im Harz über dem Selketale, vorzugsweise weit und breit das Schloß genannt, darauf hatten schon in uralten Zeiten mannhafte Harzgrafen ihren Sitz, und ein Graf Hoyer von Falkenstein hat das berühmte alte Rechtsbuch, der Sachsenspiegel genannt, durch einen Edelmann, Ecko von Rebkau, sammeln und ans der lateinischen in die deutsche Sprache übertragen lassen.

Auf Schloß Falkenstein hauste ein Burggeist, der manchen Spuk übte. Als einstmals viele Grafen und Herren der Umgegend, darunter auch ein Graf von Anhalt, auf Falkenstein beim Spiele saßen und dieser Graf alles verloren hatte, was er bei sich trug, setzte er noch ein oder einige Haare seines Bartes zum Spielpfande ein und verlor auch die. Niemand untergang sich, sie ihm ausraufen zu wollen, und er selbst tat es auch nicht. Aber



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in der Nacht stattete ihm der Burggeist einen Besuch ab, forderte das Spielpfand und nahm's. Einen andern edlen Herrn, der in verschlossener Kammer schlief, soll derselbe Geist aus dem Bette geworfen haben, doch könnte dies auch der Weingeist gewesen sein. Schloß Falkenstein ist noch im Stande trefflicher Erhaltung, und es werden da viele merkwürdige Gegenstände gezeigt.

Nahe beim Falkenstein liegt der Wald Tidian, und in ihm eine tiefe Höhle, die Tidianshöhle geheißen, von der geht manche Sage. Es ruht in ihr neben andern reichen Schätzen ein ganz goldner Mann. Wem es glückte, von diesem Mann etwas abzubringen, der hatte, wie die Goldschmiede erprobten, ein Gold, das an Reinheit und Feinheit jedes andere übertraf.

Ein Schäfer, der so glücklich war, die Wunderblume zu finden, fand auch die Tidianshöhle; die eiserne Tür öffnete sich ihm, und er gewann Goldes die Fülle, das ein Goldschmied in Quedlinburg ihm abkaufte, gegen den der Schäfer kein Hehl machte, wo er es gewonnen hatte. Der Goldschmied sprach zu ihm:

"Bringe mehr.

Der glückliche Schäfer, immer noch im Besitz der Wunderblume, ging und fand und brachte mehr. Da kam ein Graf von Falkenstein zum Goldschmied, ein Geschmeide zü kaufen, verlangte es vom feinsten Golde, und da sprach der Goldschmied: "Das feinste Gold kommt vom Tidian.

"Vom Tidian, aus meinem Walde?" fragte erstaunt der Graf und erfuhr nun des Schäfers Glück.

Solches wollte der Graf nicht nur teilen, denn vom Teilen mit dem gemeinen Mann sind die Grafen und Herren allüberall niemals und im geringsten nicht Freunde gewesen, sondern er wollte es allein besitzen, ließ den Schäfer entbieten und befragte ihn scharf, warum er ihm, dem Grafen, das Gold aus dem Berge trage? Gleich solle er den Ort zeigen, wo er es gefunden habe. —

Dem armen Schäfer, der an ein Unrecht nicht gedacht und genommen hatte, was gütige Berggeister ihm gönnten, erzitterte das Herz, er ließ



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seinen Hut aus der Hand fallen, da sprang des Grafen Affe herbei und nahm den Hut, spielte damit und zerbiß und zerpflückte die Wunderblume in eitel kleine Stücke. Wohl führte gehorsam der Schäfer seinen strengen Herrn in den Tidian, wohl fand er die Höhle, aber wo die eiserne Tür zum Innern sich geöffnet, da hemmte jetzt starrer Fels jeden Weiterschritt.

Die Sage geht, daß die Tidianshöhle ihre Schätze so lange festhalten müsse und werde, bis Schloß Falkenstein drei Herren geboren worden und gewohnt haben, von denen einer blind, einer lahm und einer stumm ist, und dieses ist noch nicht dagewesen.


Das quellende Silber

Im Tale, wo die Bode aus den Schluchten der Roßtrappe hervorkommt und friedlicher fließt, hat vordessen ein armer Bauer gelebt, der schickte seine Tochter in die nahe Waldung, etwas Holz zu sammeln. Das Kind füllte sich mit abgefallenen Asien und Zweigen den Tragkorb und auch noch einen Handkorb, soviel es fortbringen konnte, und ging heimwärts. Da ist ihm ein altes schneeweißes Männlein begegnet, das hai ihm geboten, sein zusammengelesenes Holz wieder auszuschütten und ihm zu folgen, es wolle ihm etwas Besseres zeigen. Nahm das Kind an die .Hand, führte es wieder zurück an einen Hügel und zeigte ihm einen Platz, der war zweier Tische breit, und darauf quoll eitel Silbergeld, kleine und große Münzen mit uralter Schrift darauf und einem Marienbild, wie die Stadt Goslar am Harz in ihrem Wappen führt und solcher Münzen viele hat prägen lassen. Das Mädchen erschrak vor dem quellenden Silber und fürchtete sich, das Männlein aber füllte ihm selbst den Handkorb mit den uralten und doch noch blanken Harzgulden Den Tragkorb wollte das Mägdlein nicht ausschütten, es sagte,' zu Hause brauchten sie Holz, Milch und Suppe zu kochen für die kleinen .Kinder und ihnen eine



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warme Stube zu machen. — Da ließ es das Männlein dabei bewenden und ließ das Mädchen nach Hause gehen. Als es nun sein Glück erzählte und es im Dorfe herumkam, da entstand ein Saufen und Rennen, jeder Nachbar wollte der erste sein, jeder nahm einen Feuereimer oder zwei und einen Schöpfstutz mit, als wenn es brenne, aber es hat ihrer keiner weder das alte Männlein noch den Ort des quellenden Silbers gefunden. Der Herzog von Braunschweig kaufte von den alten Münzen ein ganzes Pfund und ließ die Stücke im Münzkabinett aufbewahren.


Schneeberger Teufelsbanner

Als das Teufelsbannwesen und die Schätzehebesucht wie eine Krankheit umging, kamen auch zu Schneeberg am sächsischen Erzgebirge verschiedene Leute auf den Gedanken, Geister zu bannen und durch deren Hilfe Schätze zu finden. Der Anstisrer war ein Mann namens Bauer-schnurr, er gewann noch einige Gefährten.



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Das große Werk wurde auf dem geräumigen Boden eines Malzhauses vorgenommen; ein dreifacher Kreis ward mit Kreide gezogen, Kreuze, Bibelsprüche, Planetenzeichen und Charaktere wurden hineingemalt. In die Mitte wurde ein mit einem weißen, mit Blut besprengten Tuche gedeckter Tisch gestellt, darauf stand ein Kruzifix und lagen Bibel, Psalter und Evangelienbuch; unter dem stand eine Räucherpfanne mit Kohlen und Rauchwerk, am Eingange des Kreises war eine Öffnung, die schlossen die Bilder der Evangelisten und Apostel und eine Bibel. Außerhalb stand eine hölzerne Bank, höflichkeitshalber, damit der Hauptgeist sich setzen könne, da man in ihm einen gesetzten Geist erwartete. Außerdem war noch die Hirnschale eines vor einiger Zeit verlorengegangenen Kindes vorhanden.

Die Beschwörung wurde vorgenommen, sie war furchtbar; die Kunst war groß, die Hexenmeister konnten ganz vortrefflich Geister bannen, aber — es kamen keine. Immer schrecklichere Bannsprüche folgten, fast er zitterten Balken und Sparrwerk des Malzbodens —endlich schien etwas erscheinen zu wollen, es polterte die Treppen herauf, es klirrte wie Degen und Sporen-— dem Hauptzauberer und Geisterbeschwörer Bauer-schnurr ward nicht wohl beim Herannahen dieser Geister, er schnurrte durch eine Dachluke und flüchtete über die Dächer wie eine Katze, ein zweiter folgte ihm auf gleichem Wege.

Die übrigen Genossen waren standhafter —sie blieben und wurden alsobald von den heraufkommenden dienstbaren Geistern hochlöblicher Polizei der guten Stadt Schneeberg verstrickt und in Haft genommen. Einer war ein Ingenieur aus Eisenach, dessen Geist nicht weiter als auf den Schneeberger Malzboden gereicht, ein zweiter war ein Müller aus Wildenfels, der dritte war ein Schmiedegeselle, der seines Glückes Schmied werden und das Eisen schmieden wollte, weil es warm war, ward aber in die kalten Eisen gelegt, und der glückliche Flüchtling hieß Hang Tietze und war ein Sangerhäuser, der die Geschichte Ludwigs des Entspringers gut innehatte.



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Vom Eisenberge

Im Waldeckischen erhebt sich ein hoher Berg, den ein Schloß krönte, dem Berg und Schloß war der Same Eisenberg gemeinsam. Des Eisenerzes birgt der Berg eine Fülle in seinem Innern, und auf dem Schlosse herrschten in grauen Zeiten die mannhaften Grafen von Waldeck; viele des edeln Geschlechtes wurden auf dem Schlosse geboren. Nicht Eisen allein, auch Gold lieferte der Eisenberg, und lange ward in ihm ein ergiebiges Goldbergwerk betrieben. Aber das Schloß fiel in Trümmer und schwand hinweg, und das Bergwerk ging ein.

Eines Tages hütete ein Schäfer auf des Berges einsamer Höhe. In der Mittagsstunde legte er sich zur Ruhe unter den Schatten eines Holunderbaumes, und als er wieder aufwachte, hatte die Dämmerung schon begonnen. Die Herde las friedlich um ihn her, aber der Leithammel fehlte. Da hörte der Schäfer ihn kläglich blöken und folgte der Stimme des treuen Tieres.

Siehe, da blitzte klarer Schein aus einem verfallenen Kellergewölbe der alten Burg, und drunten im Gewölbe steht der Hammel, und neben ihm steht ein großer Kessel voll alter Taler. Der Hirte, nicht faul, steigt hinunter, greift zu und stopft sich Tasche und Hut voll Taler, dann gibt er dem Hammel einen sanften Stoß, wieder hinaufzuspazieren, und spricht:

Du bist ja ein tausendsappermentscher Teufelskerl!

Wie der Schäfer geredet hat, erhebt sich droben am Eingange in den Keller ein eisgrauer alter Mann, angetan mit einem langen weißen Rocke mit Streifen besetzt, rot wie Blut, der hebt ein silbernes Horn zum Munde und bläst mit einem allgewaltigen Schall, daß die Bäume wie vom Sturmwind geschüttelt rauschen, das Gewölbe erdröhnt und der Erdboden schüttert. Von dem entsetzlichen Schall vergeht dem Hirten Hören und Sehen, er wirft alles genommene Geld von sich, unendliches Zagen und



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Grausen erfaßt ihn, er stürzt besinnungslos zu des alten Mannes Füßen nieder.

Lange lag er so. Als er wieder zu sich kommt, ist es heller Tag, seine Sachen liegen oben neben ihm — die Herde liegt auch da, kein Stück fehlt, nur das Geld, nur das Gewölbe, nur der Kessel, selbst der verfallene Eingang sind verschwunden.


Der Geldsot

In Süddithmarschen bei Marne rinnt eine helle Quelle über die Marsch hin, die blinkt wie Silber. Sahe dabei hat ein Dorf gestanden, das verheerte erst der Krieg, nachher kam die Seuche, und da starb es ganz aus, bis auf einen einzigen Mann, das war der Hirte, und der erbte nun all das Geld und Gut, das die Verstorbenen hatten zurücklassen müssen. Er hatte seine Lust daran, alles zusammenzutragen, und versenkte dann alles hinab in den Quellbrunnen, dann starb er und hinterließ keine Erben.

Es mochte aber im Vorbeireisen doch jemand gesehen haben, was der Hirte getan hatte, denn die Sache kam unter die Leute, und der Brunnen wurde der Geldsot geheißen. Wenn einer mit einem Stocke in den Quell hineinstieß, klang es hohl, und man konnte bisweilen in der Tiefe den kleinen grauen Mann sehen, wie er, einen schwarzen Hut auf dem Kopf und ein brennendes Licht in der Hand, nachsah, ob der Schatz noch ganz vorhanden wäre. Wollte einer versuchen und hinabgreifen, so war der Hirte verschwunden.

Einstmals haben sich ihrer dreie verbunden, den Schatz zu heben, und haben die Quelle tief aufgegraben. Da sind sie auf einen großen Braukessel gestoßen, den konnten so nicht herausheben. Sie legten einen Windebaum quer über das Loch und banden Stricke an die Henkel und begannen den Kessel in die Höhe zu winden, das taten aber ganz stillschweigend, weil man beim Schatzheben ja nicht reden darf. Mit einem



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Male hörten sie Räder rollen und Achsen ächzen, und da fuhr ein Fuder Heu vorbei, das zogen sechs weiße Sause. Aber keiner von den dreien verlor ein Wort noch einen Laut, und der Kessel rückte schon merklich höher. Da kam der Mann mit dem dreieckigen Hute auf einem Schimmel geritten, der nur drei Beine hatte.

"Guten Abend!" sagte der Alte, aber die drei waren klug und antworteten nicht.

Könnt' ich wohl das Heufuder einholen?" fragte der Mann weiter, und da fuhr 's dem einen heraus:

"Den Teufel wirft du's einholen, du lahmer Krüppel auf deinem lebendigen Dreibein!"

"O weh, da brach die Winde, und der Kessel versank, und nimmermehr, soviel ihrer es auch später wieder versucht haben, vermochte einer, ihn zu heben.


Die Wisperstimme

Unweit Lorch am ,Khein liegt eine Mühle im Wispertale und am Wisperbach, darinnen lebten der Müller, seine Frau und einige Kinder ganz gut und glücklich. Das Haus lag dicht am Berg, auf dem die alten Schlösser Kammerberg und Rheinberg Stehen,

Einst geschah es, daß die Müllerin eine Stimme hörte, als wispere ihr jemand in das Ohr, und sah doch niemand — und dann wisperte es von neuem;

"Gehe hinauf auf den Kammerberg, hebe den Schatz im Turm- er ist dir bestimmt der Schlüssel steckt am schwarzen Kasten."

Die Frau, dadurch beunruhigt, erzählte ihrem Manne, was sie immer um sich flüstern und wispern hörte, der aber sagte:

"Possen! Träumerei! Hirngespinste kehre dich nicht an solche Dinge — unser Schatz ist der weiße Mehlkasten!"



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Aber die Frau hörte die Wisperstimme fort und fort und hatte keine Ruhe mehr und hatte auch Lust zum Schatz, wenn der ihr doch einmal beschert sei- und eines Morgens, da der Müller weit oben im Tale am Wehr in der Wisper zu bauen hatte und nicht so bald nach Hause zu kommen gedachte, ging die Frau mit ihrem jüngsten Kinde, einem Säugling, in aller Stille hinauf auf den Kammerberg.

Der Müller vollendete sein Geschäft früher und kam nach Hause, es war gerade Mittag und Essenszeit, aber die Müllerin fehlte. Wie er nun nach der Mutter fragte, sagte ihm sein ältester Knabe, daß seine Mutter mit dem jüngsten auf dem Arm schon vor ein paar Stunden den Berg hinaufgegangen sei. Eilend rannte der Müller hinauf, und als er in die Trümmer eintrat, hörte er die Stimme seines wimmernden Kindes, die aus der Öffnung eines halb verfallenen Turmgewölbeg drang, stieg hinab und fand darin sein Weib leblos am Boden liegen. Eilend zieht er Frau und Kind aus dem Gemäuer und trägt und schleppt beide hinab in sein Haus.

Nach langer Ohnmacht ist die Müllerin zu sich gekommen und hat erzählt, die Wisperstimme habe ihr Tag und Nacht keine Ruhe gelassen, sie habe hinaufgemußt, und die Stimme habe ihr auf dem Wege noch zugewispert, sie solle ganz ohne Furcht und Bangen sein, es werde ihr nichts geschehen, nur reden solle sie um keinen Preis. Sie stieg in das Turmgewölbe hinab — da stand der Kasten, da stak der Schlüssel, sie öffnete — da lag das blanke Gold — sie durfte nur nehmen — da hört sie plötzlich ihren ältern Knaben hinter sich rufen: "Mutter! Mutter!

Sie antwortete unwillig: "Wag gibt's!?

Da tut es einen entsetzlichen Krach, als berste der Turm und stürze das Gemäuer auf sie und ihr Kind nieder, und eine Stimme ruft aus:

Weh! weh! Warum redest du? Nun bin ich wieder unerlöst auf aber hundert Jahre!

Da ist es der Müllerin schwarz vor den Augen geworden.

Und als sie das alles ihrem Mann erzählt gehabt, ist sie in eine tiefe, schwere Krankheit verfallen, und nach drei Tagen ist sie eine Leiche gewesen. So hat es der Wispermüller selbst erzählt.



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Der Schloßberg bei Kreuzburg

Über Kreuzburg hat vorzeiten ein Schloß der Deutschherren gestanden, davon sieht man noch Trümmer, und es ist auf dem Berge nicht geheuer. Eine weisse Jungfrau wandelt auch dort und hofft auf Erlösung, wie die Sage an so viele Schloßberge und Trümmerburgen knüpft. Unter den Trümmern ruhen noch viele verborgene Schätze. Spielenden armen Kindern,

die zufällig in eines der halbverfallenen Kellergewölbe gerieten, erschien die weisse Jungfrau und füllte ihnen die Mützen mit Gold. Jubelnd brachten sie die Gabe nach Hause, und die bedrängten Eltern waren glücklich. Andere neideten diesen ihre Begabung, sie durchkrochen alle Gewölbe, fanden aber nur Kröten und Unken und keine gabenspendende Jungfrau.

Eines Abends hatten die Schuhmacher ihren Jahrestag gefeiert und sich tüchtig bezecht. Da meinten zwei Gesellen, es wäre doch schön, wenn sie die Jungfrau im Schloßberg aufsuchten, Mut hätten sie dazu, und



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torkelten in der Nacht den Berg hinauf. Sie sahen auch die Jungfrau in der Tat sitzen, das Kleid erschien ihnen sehr prächtig, vor sich harte sie eine Braupfanne voll Gold und in der Hand eine silberne Kelle. Die Schustergesellen boten ihr einen recht schönen guten Abend und haken um einen Zehrpfennig. Da winkte ihnen die Jungfrau, ihre Schurzfelle aufzuhalten, und da strich sie mit der .Kelle das gehäufte Gold von der Braupfanne in die Schurzfelle. Sie hatten ganz schmer an der ast zu tragen.

Mit Neugier erwarteten die Meister und Gesellen auf der Herberge ihre kecken Kumpane. Endlich kamen sie und jubelten, obschon ihre Köpfe schwerer und ihre Schurzfelle immer leichter geworden waren. Jetzt schütteten den Schatz auf den Tisch- o pfui alle Teufel — was war das für Gold Gelbe Molche, grüne Frösche, braune Kröten, faules Holz. Und das Ungeziefer kroch umher und hüpfte gar in deis Putziger Bier und in das Danziger Goldwasser, daß es ein Ekel war.

Da sind die beiden Gesellen furchtbar durchgeblänert worden, denn das Handwerk hielt es für einen Schimpf und Schabernack, den die beiden ihm hätten antun wollen.


Des Königs Abenteuer

An der St. Georgenkirche zu Mühlhausen erblickt man noch manch altertümliches steinernes Bildwerk, das wird gedeutet auf der Stadt Mühlhausen Ursprung, und sie haben dort darüber eine gar verwunderliche Sage.

Vorzeiten war ein König in Thüringen gesessen, der fuhr einstmals auf die Jagd. Da sprangen seine Windhunde im Dickicht um einen Baumstrunk herum und wollten sich davon nicht wegbringen lassen. Endlich musste einer von des Königs Dienern auf den Baumstrunk klettern, der von oben hinein hohl war, und sehen, was darinnen siecke, dieweil die Rüden also bellten.



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Da fand sich ein kleiner wilder Mann darinnen, den holten sie heraus, und der König freute sich seines Abenteuers, ließ den wilden Mann zu sich in den Wagen sitzen und Jagd Jagd sein. Er nannte seinen ein: gefangenen wilden Mann Noah, tat ihn in ein Gewölbe und wartete und pflegte sein selbst.

Einst aber, da der König hat verreisen müssen, spielte sein Sohn Georg Ball im Schlosse, und der Ball fiel durch ein Loch in das Gewölbe hinab. Da rief der kleine Königssohn hinunter:

"Wilder Mann Noah, gib mir mein Bällchen heraus!

Darauf antwortete der wilde Mann:

"Dein Bällchen kann ich dir nicht herausgeben, denn würfe ich 's hinauf, so würde es so weit fliegen, daß du es nimmer wiederfanden. Gehe aber hin in deines Vaters Gemach, hole den Schlüssel und öffne mir, so will ich es dir herausgeben.

Da holte der Prinz im Gemach seines Vaters den Schlüssel, denn niemand konnte sonst das Gewölbe öffnen. Er öffnete es, und der wilde Mann kam heraus, gab ihm das Bällchen und sprach:

"Du hast mir aus meiner Not geholfen, und wenn du einmal in Not kommst, so komme in den Wald und rufe mich, so will ich dir auch heraushelfen."

Bald darauf kam der König nach Hause, und sein erster Gang war, sein Abenteuer zu besuchen. Aber wie erschrak er, da er das Gewölbe leer fand, und sein Verdacht, den wilden Mann herausgelassen zu haben, fiel sogleich auf seinen Prinzen. Er ließ ihn vor sich rufen und fragte:

"Georg, du hast wohl den Schlüssel genommen, das Gewölbe eröffnet und den wilden Mann Noah herausgelassen?"

Der kleine Prinz gestand offenherzig, daß er solches getan. Da verstieß der König im Zorn seinen Prinzen, denn sein Abenteuer war ihm lieber als alles.

Traurig schied der Prinz aus seines Vaters Hause und irrte als ein armer Knabe umher, bis ihn endlich ein Schäfer zu sich nahm. Dieser Schäfer vermutete bald, daß der Knabe aus keinem geringen Stande sei,



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und behielt ihn bei sich. Er erzog ihn so weit, daß er ihn bei der Herde brauchen konnte.

Da nun der Schäferknecht Georg die Jünglingsjahre erreicht hatte, fügte es sich, daß er bekannt wurde mit einem hübschen Mädchen, das er zu seiner Braut machte.

Damals hauste in der Gegend ein ungeheuerliches Tier, das man den Lindwurm nannte, und diesem Lindwurm mußte alle Jahre ein Mensch geopfert werden. Nach alter Meinung war dies Tier eine Verwünschung. Wenn es sein Opfer nicht auf den Tag empfing, brüllte es gleich einem Donnerwetter, welches dem Lande Verderben drohte. Nun kam wieder die Zeit, daß das Volk zusammengerufen ward und das Los geworfen; wen es traf, mußte das Opfer des Lindwurms werden. Das Los traf gerade die Braut des Schäfers Georg.

Da fiel ihm ein, was ihm der wilde Mann versprochen hatte. Er trat vor und bat um Aufschub der Opferung, er wolle den Lindwurm töten oder sich für seine Braut dem Ungeheuer opfern —lief eilend in den Wald und rief den wilden Mann oah um Hilfe und Beistand an.

Da kam der wilde Mann und gab ihm ein Schimmelpferd und ein Schwert und sagte ihm, er solle ein weißes Gewand anziehen, sich auf das weiße Pferd setzen, das Schwert an dem Kopfe des Pferdes herabführen und gerade auf das Ungeheuer losreiten. Dieses würde begierig seinen Rachen weit aufsperren; dann solle Georg das Schwert dem Tier gerade zum Rachen hineinrennen.

Dieses alles geschah, und so wurde die Braut Georgs wie auch das ganze Land von dem Ungeheuer befreit. Großer Jubel entstand unter dem Volke, und Freude vernahm man überall, so daß Georg zum Ritter geschlagen wurde. Als man nun nach Georgs Herkunft forschte, gestand er, daß er des Königs Prinz sei, und erzählte sein Schicksal. Da wurde ihm gesagt, sein Vater sei gestorben, und er könne sicher nach Hause gehen und das Reich übernehmen. So war aus des Königs Sohn ein Schäferknecht geworden, aus dem Schäferknecht ein Ritter und aus diesem wieder ein König.



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Als nun Georg das Königreich übernommen, reiste er im Lande umher, sein Reich zu besehen und kennenzulernen, auch selbst Abenteuer zu bestehen. Da kain ihm ein Örtchen zu Gesicht, das war eine Ansiedlung um ein Mühlhaus, und das Örtchen hatte noch keine Kirche. Da nun der junge König gern dem lieben Gott seinen Dank abstatten wollte, so erbaute er dieser angesiedelten Gemeinde ein Gotteshaus, das seinen Namen als des Stifters Georg erhielt, und der Baumeister mußte seine ganze Geschichte in Stein bilden. Das ist der Anfang der Stadt Mühlhausen geworden.


Das bescherte Glück

Dicht bei Saalfeld liegt das Stift Grada, dort träumte einem jungen Menschen, es sei ihm ein großer Schatz beschieden, er solle nur zur gehörigen Zeit nachgraben an einer Stelle, die der Traum ihm ganz genau bezeichnete, dort werde er einen Topf, gefüllt mit Golde, finden. Am Morgen darauf begegnete er einem seiner Bekannten und erzählte ihm den wunderlichen Traum. Dieser lachte darüber und redete ihm die Sache aus, ging aber in der folgenden Nacht in aller Stille hin, grub und fand wirklich den bezeichneten Topf. Leider aber war der Topf, statt mit dem erwarteten Golde, mit gelben Ameisen angefüllt bis zum Rande. Ärgerlich über die Täuschung, und um sich für die Anstrengung und Nachtwache zu rächen, nahm dieser gute Freund den Fund und schüttete seinem Freunde, der den Anlaß zu so herber Täuschung mit seiner Traumerzählung gegeben, die kleinen, gelben Ameisen in das Bett. Vergebens aber lauschte er auf den Schrei, wenn dieser von den Bissen der Ameisen erwachen werde; der Freund schlief wie ein Toter. Als dem Träumer der anbrechende Morgen die Augen aufschloß, sah er sich in lauter Golde liegen, denn ihm war einmal das Glück beschert, und nicht dem andern.



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Köterberg

Der Köterberg an der Landscheide des Paderbornschen, Corveyschen und Lippeschen Gebietes mag wohl ehedem Götterberg geheißen haben. Viel erzählt von ihm die Sage; daß er innen voll Schätze sei, daß an seinem südlichen bewaldeten Fuße eine Harzburg gestanden habe, deren Reste noch zu sehen, und bei Zierenburg, zwei Stunden von ihr, eine Hünenburg. Öfters haben die Hünen, die auf diesen Burgen wohnten, mit Hämmern herüber- und hinübergeworfen.

Einem Schäfer, der auf dem Köterberge seine Herde hütete, erschien eine reizende Jungfrau in königlicher Tracht, die trug in ihrer Hand die Springwurz, bot sie dem Schäfer dar und sagte:

"Folge mir!

Da folgte ihr der Schäfer, und sie führte ihn durch eine Höhle in den Köterberg hinein, bis am Ende eines tiefen Ganges eine eiserne Tür das Weitergehen hemmte.

"Halte die Springwurz an das Schloß!"gebot die Jungfrau, und wie der Schäfer gehorchte, sprang die Pforte krachend auf.

Nun wandelten sie weiter, tief, tief in den Bergesschoß hinein, wohl bis in des Berges Mitte. Da saßen an einem Tische zwei Jungfrauen und spannen, und unterm Tische lag der Teufel, aber angekettet. Ringsum- standen in Körben Gold und Edelsteine.

"Nimm dir, aber vergiß das Beste nicht!" sprach die Jungfrau zum

Da legte dieser die Springwurz auf den Tisch, füllte sich die Taschen und ging. Die Springwurz aber ließ er auf dem Tische liegen. Wie er durch das Tor trat, schlug die Tür mit Schallen hinter ihm zu und traf ihn hart an die Ferse.

Mit Mühe entkroch der Schäfer der Höhle und freute sich am Tageslichte des gewonnenen Schatzes. Als er ihn überzählte, gedachte er sich



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den Weg wohl zu merken, um nach Gelegenheit noch mehr zu holen, allein wie er sich umsah, konnte er nirgend den Ein- oder Ausgang entdecken, durch den er gekommen war. Er hatte das Beste, nämlich das beste Stück zur Wiederkehr, die Springwurz, vergessen.


asie heilige Genoveva

Zu Pfalzel an der Mosel steht ein getürmtes Haus, das Genovevenhaus geheißen, da lebte ein Pfalzgraf Siegfried, der hatte eine treue und fromme Gemahlin, eines Herzogs Tochter aus Brabant. Aber es geschah, daß Siegfried in das Heilige Land ziehen mußte, ließ daher sein Weib in seiner Pfalz am Moselstrome zurück und übergab sie in die Obhut eines vertrauten Dienstmannes, des Samens Golo.

Golo aber war ein schlimmer Hüter, er entbrannte in Liebe zu der schönen Herrin und begann Ränke zu schmieden, schrieb falsche Briefe, als sei Siegfried mit all den Seinen im Meere ertrunken, und las sie der Pfalzgräfin vor, gestand ihr seine Liebe und wollte sie umarmen, sie wehrte ihn aber mit einem Faustschlag ing Geticht ab. Nun verwandelte sich seine Liebe in bittern Haß; er entzog der Pfalzgräfin alle Bedienung, und als ihre Stunde nahte, wo sie eines Söhnleins entbunden werden sollte, hatte sie niemand zum Beistand als eine alte Waschfrau.

Da kam Botschaft in ihr Haus, daß ihr Herr lebe und heimkehre, des erschrak Golo, der Verräter, bis zum Tode und suchte Kat bei einem alten Hexenweibe. Das riet ihm teuflisch: Golo solle dem Pfalzgrafen einreden, der schöne Sohn Genovevas sei mitnichten der seine, sondern Dracos, des Kochs. Das tat Golo, indem er seinem Herrn entgegenreiste; da ward Siegfried sehr betrübt und wußte nicht, wie er sich des Weibes, das ihn nach des Lügners treulosem Bericht geschändet hatte, abtun solle. Da riet Golo, daß er Genoveva samt ihrem Kinde an ein Wasser führen und sie beide ersäufen wolle, und Siegfried willigte ein.



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Darauf bestellte Golo zwei Knechte, die mußten Genoveva und ihren Sohn hinwegführen und sollten sie umbringen, so oder so. Unterwegs tat den Knechten die schöne Frau und das schöne Kind leid, und sie sprachen untereinander:

"Was kann diese Frau verbrochen haben? Und was hat sie uns getan? Sollte ihr zu sterben bestimmt sein, brauchen wir ihr doch nicht das Leben zu nehmen. Wir wollen dem Hund, der da mit uns läuft, die Zunge ausschneiden und Golo zeigen zum Wahrzeichen, daß wir die Frau getötet, und sie gehen lassen.

So taten die .Knechte und ließen die arme Genoveva mit ihrem Kinde trostlos und weinend und betend in öder Wildnis zurück. Das Kind nannte Genoveva Schmerzenreich, es zählte noch keine dreißig Tage, und der Schmerz vertrocknete alle Milch in seiner Mutter Brust. Da trat aus dem Waldesdickicht eine Hindin, die lagerte sich vor Genoveva hin, und Genoveva legte ihr Söhnlein an die Zitzen des Tieres, sich selbst aber nährte sie mit dein, was der Wald bot, und baute auch für sich und ihren Sohn eine Hütte aus Holzstämmen, Reisig, Dornen und Moos. Darin blieb sie sechs Jahre und drei Monate und sah kein anderes Wesen ala die treue Hindin.

Nun geschah es, daß der Pfalzgraf Siegfried einmal in dieser Gegend des Waldes jagte, und da trieben die Hunde die Hirschkuh auf, die mit ihrer Milch Genoveva und ihren Knaben ernähren half. Jäger und Hunde folgten dem Wild, die Hinde floh zur Hütte Genovevas und kniete zu dem Knaben hin, und Genoveva wehrte mit einem Stock die nachhetzenden Hunde ab. Jetzt kam der Pfalzgraf, mit Staunen sah er das Weib im Walde, fast aller Kleidung entblößt durch die lange Zeit. Der Pfalzgraf meinte, es sei etwa ein verlaufenes heidnisches Weib oder eine Zigeunerin, und rief sie an:

"Bist du eine Christin?

Sie antwortete:

"Ich bin eine Christin — aber gib mir deinen Mantel, daß ich mich bedecke.



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Das tat Siegfried und fragte sie, warum sie keine Kleider habe und so einsam im wilden Walde hause?

"Meine .Kleider sind vor Alter zerschlissen", sagte

"Wie lange wohnst du in diesem Walde? Und wes ist dieser Knabe? Wer ist sein Vater? Und wie heißest du? Auf diese Fragen antwortete Genoveva:

"Sechs Jahre und drei Monate wohne ich einsam in diesem Walde! Der Knabe ist mein Sohn, und seinen Vater kennt Gott so gewiß, als ich ihn kenne. Und Genoveva ist mein Name!"

Bei diesem letzten Wort erschrak der Pfalzgraf, und ein Kämmerling trat zu ihm und sprach:

"Herr, trügt mich nicht die Erinnerung, so ist das wahrhaftig unsere Frau, die schon so lange gestorben sein soll —schaut doch nach dem Muttermal an ihrem Halse.

Und siehe-— sie hatte das Mal. Der Pfalzgraf war abseit getreten und wußte nicht, was er beginnen solle, und sprach:

"Sehet doch, ob sie auch den Trauring noch trägt.

Und sie trug ihn noch. Und es kam über den Pfalzgrafen ein unsäglicher Schmerz und eine tiefe Reue, er eilte zu Genoveva hin und schlang die Arme um sie und küßte sie und herzte den Knaben und rief:

"Ja, das ist mein Weib, das ist mein Sohn!

Genoveva erzählte, wie es ihr ergangen durch Golos Teufelstücke und Verrat, und eben kain er, sich nichts von diesem Ereignisse versehend. Da zürnten ihm die Sannen des Pfalzgrafen und wollten ihn niederstoßen Aber der Pfalzgraf gebot ihnen Einhalt und sagte, daß dieser Verräter des Todes von Ritterhand nicht wert sei. Vier Ochsen, die noch an keinem Pfluge gezogen, wurden genommen, an jeden Fuß und an jede Hand des Missetäters wurden Seile gelegt und an die Ochsen gespannt und diese dann nach vier Seiten getrieben. So ward Golo lebendigen Leibes in vier Teile zerrieben.

Nun wollte Siegfried seine Gemahlin auf sein Schloß führen und aller Ehren teilhaft werden lassen, allein sie sprach:



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Hier dieser Ort hat mich beschirmt und behütet, die wilden Tiere abgewehrt, die Hinde hat mein Kind erhalten, dieser Ort soll meine Stätte bleiben.

Dem willfahrte der Pfalzgraf Siegfried, sandte zu Hildulf, dem Bischof, und ließ durch ihn die Stätte weihen, und ordnete auf Genovevaa Bitten den Bau einer Kirche an. Die Pfalzgräfin wohnte nun unter besserm Dach, allein sie konnte keine künstliche Speise mehr vertragen, sondern nur die gewohnte Waldkost, und lebte nach dem Wiederfinden nur noch wenige Tage. Sie starb froh und selig und ruhte in der neu erbauten Waldkapelle ohnweit Mayen. Es sind allda manche Wunder geschehen, und die Geschichte von der frommen Genoveva ist durch alle Lande gegangen.


Rolandseck

Es saß auf hoher Burg am Khein hoch über dem Stromtal ein junger Rittersmann, Roland geheißen (manche sagen Roland von Angera, Neffe Karls des Großen), der liebte ein Burgfräulein, Hildegunde, die Tochter des Burggrafen Heribert, der auf dem nahen Schloß Drachenfels saß, und wurde wiederum auch von ihr geliebt. Weil auch der alte Burggraf nichts gegen die Verbindung seiner Tochter mit Ritter Roland einzuwenden hatte, so verlobte er ihm seine geliebte Tochter herzlich gern. Da erscholl, noch bevor die Vermählung des Brautpaares erfolgen konnte, ein Aufgebot der Ritterschaft gegen Hunnen und Heidenscharen, die im Osten das Reich bedrohten, und dem Ritter Soland geboten Pflicht und Ehre, diesem Aufgebot zu folgen. Große Taten vollführte Roland gegen die Heidenschwärme, und seine tapfere Hand entschied den Kampf zugunsten des Christenheeres. Davon kam die erfreuliche Kunde bald an den Khein und auf den Drachenfels und weckte dort große Freude. Dann aber ward wieder eine Zeitlang keine Kunde vom Ritter Roland vernommen.



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Endlich kam ein heimkehrender Ritter am Siebengebirge vorüber und sprach um ein Nachtlager auf dem gastlichen Drachenfels an, der verkündete, ohne daß er wußte, wie schmerzlich für seine Wirte die Kunde sei, daß Ritter Roland in einem der letzten Kämpfe an seiner Seite den Heldentod gefunden habe. Nun entstand großes Leid und Wehklagen, und Hildegunde war so trauervoll, daß sie sogleich den Entschluß faßte, im Kloster Nonnenwerth den Schleier zu nehmen. Da der Bischof, der über dieses Kloster gebot, ihr Verwandter war, so willigte er in Hildegundens dringendes Verlangen, ihr das Probejahr zu erlassen, und ließ sie schon nach eines Monates Frist als Sonne einkleiden.

Am folgenden Tage stieg ein Gast um Drachenfels empor, ward eingelassen und sah auf allen Mienen nur Trauer. Mit Schreck und Freude erkannte Ritter Heribert in dem Fremden den geliebten Ritter Roland. Wohl war dieser für tot vom Schlachtfeld getragen worden, aber wieder genesen, wohl hatte er Botschaft gesendet, aber der Bote war nicht angelangt, und nun fragte er nach seiner Hildegund und vernahm das Donnerwort: sie ist eine Nonne!

Schrecklich war, was Roland empfand. Stumm vor Schmerz ging er vom Drachenfels herab, bestieg sein Roß, ritt nach Rolandseck hinauf — entließ seine Diener, wählte sich droben einen Felsensitz, wo er Nonnenwerth sehen konnte, und schaute herab nach der Geliebten, jeden Tag und Mond um Mond und Jahr um Jahr, lebte als Einsiedler und murmelte Gebete, wenn drunten im Tale die Klosterglocke klang. Bisweilen erblickte er die Sonne Hildgund, die aus Trauer um ihn das ewig unlösbare Gelübde tat — big er einst sie lange nicht mehr sah, big ein Leichenzug ihm sagte, daß sie geschieden aus dem irdischen Leben und zum ewigen Frieden eingegangen sei. Und bald danach Roland erblichen gefunden worden und ihr dahin nachgegangen, wo alle liebenden Seelen im Schoße der ewigen Liebe sich wieder einigen.



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Bergentrückung

In Tilleda, dicht am Fuße des Knffhäusers, wo eine der alten Kaiserpfalzen der güldnen Aue stand, lebte ein armes braves Brautpaar, das wollte ,Hochzeit machen, es mangelte ihm aber an Küchengeschirr, da es doch einige Gäste geladen hatte, und der Vater des Mädchens sprach halb im Scherz:

Geht doch auf den Kyffhäuser hinauf und borgt euch von der Prinzessin, was ihr braucht.

Das Pärchen ging hinauf, und droben wartete schon die Prinzessin, die zeigte ihnen viele schöne Sachen und gab ihnen Hausrat soviel sie wollten, und sie trugen ganz schwer daran, als sie wieder herunter nach Tilleda schritten. Doch seltsam kam ihnen alles vor. Der Weg war noch der alte, aber wo des Brautvaters Hütte gestanden hatte, da lag jetzt ein großer Ackerhof. Sie sahen auch lauter fremde Gesichter, veränderte Tracht und verwunderten sich darüber, wie sich die Menschen über sie verwunderten. Da sie gar niemand kannten, so suchten sie den Pastor auf, der war ihnen aber auch fremd, doch fragte er freundlich:

Wer seid ihr denn, ihr guten alten Leute? Wo kommt ihr denn her?

"Ei, vom Kyffhäuser kommen wir", antworteten die jungen Liebenden, und es dünkte ihnen wunderseltsam, daß der Pfarrer sie alte Leute nenne.

Wir sind vor zwei Stunden hinaufgegangen.

Sie sagten ihre Samen. Der Pfarrer schüttelte den Kopf und schlug im Kirchenbuche nach, und da fand er ihre Samen; sie waren zweihundert Jahre in den Berg entrückt gewesen. Da ließen diese Uralten sich einsegnen, setzten sich auf den Kirchhof, auf die Gräber, und weinten, denn auf Erden hatten sie keine Stätte. Und da fielen ihre Leiber in Asche.

Ähnliches trug sich zu mit Peier Klaus, dem Ziegenhirten von Sittendorf, der folgte einer Ziege nach, die von der Herde weg ing Gemäuer



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sich verkrochen; endlich fand er sie, Hafer fressend, der durch ein Loch in das Gewölbe fiel, und über sich hörte er Pferdegestampfe. Hernach hat er sich weiter umgesehen und ist zu Rittern gekommen, die Kegel spielten, und hat aufsetzen müssen, und hat aus einer Kanne voll Wein, die niemals leer wurde, trinken dürfen, bis ihm der Schlaf kam.

Als er wieder aufgewacht war, da hat er draußen in der Ruine gelegen unter hohem Gras und unter Bäumen, die er vorher nicht gesehen. Klang pfiff seinem Hund — es kam kein Hund; er sah sich nach den Ziegen um, und da waren keine Ziegen mehr da. Verdrießlich ging er in sein Dorf herab; am Hirtenhaus, das fass verfallen war, lag ein magerer Hund, der knurrte ihn garstig an, und ein Junge schrie:

"Heda! Was will der alte Lump?

Er fragte einige Leute — sie sahen ihn von der Seite an, ganz neugierig, gaben aber keinen Bescheid.

"Wo wohnt Kurt Steffen?" fragte er endlich.

"Ho, Alter!"rief ein Mütterchen, "der wohnt schon seit zwölf Jahren nicht mehr hier, der ist nach Oldisleben unter der Sachsenburg gezogen!"

"Der Velten Steier?"

"O je", schrie eine andere, der liegt schon fünfzehn Jahre auf dem Kirchhof.

Jetzt ward Klaus eines jungen Weibes ansichtig, die trug auf dem Arme ein Kind und führte an der Hand ein vierjährig Mädchen, und alle drei Gesichter glichen Klausens Frau. Da fragte Klaus diese:

"Wie heißt Ihr und Euer Vater?"

"Marie", antwortete die junge Frau, "und mein Vater hieß Klaus, Gott habe ihn selig! ist vor zwanzig Jahren auf den Kyffhäuser gegangen; Hund und Herde kamen ohne ihn ins Dorf, er kam nimmer wieder. Tag und Nacht haben wir ihn gesucht, aber nicht mehr gefunden.

"Ach Gott seufzte Peter Klaus. "Meine Tochter, meine liebe Marie! Ich bin es ja. Kennst du deinen Vater nicht mehr? So hätte ich zwanzig Jahre droben mit Kaiser Friedrichen verträumt? Und dünket mich doch nur ein paar Stunden!



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Einem andern Hirten, der Schweine am Kyffhäuser hütete, verlief sich auch ein Stück seiner Herde, wie jenem die Ziege. Erst nach drei Tagen fand er es wieder und sah es aus einer Kluft in der Burg sich herauszwängen, was schwer hielt, denn es war in der Zeit eine rechte Fetzensau geworden, vorher war sie mager, und jetzt war sie so feist, daß sie schwabbte. Sie war im Berge gewesen und in der kurzen Zeit dick und fett geworden.

Als das Gerede davon unter die Leute kam, wollte der Graf von Schwarzburg gern wissen, ob daran etwas Wahres, und ließ einen auf den Tod Gefangenen in das Bergloch einkriechen, der sollte schauen, was es drunten gebe, und tat es denn auf Gefahr seines Lebens. Der ist nun hineingekommen auf dem Sauwege und hat den Kaiser gesehen, und der hat ihn sehr ernst angeblickt, ihm einen goldnen Ring gegeben und gesagt:

Bringe diesen Ring dem Grafen. Er solle nicht wieder dahin schicken und blicken lassen, allwo er nichts zu schaffen und zu suchen hat.

Der Bote brachte Ring und Gruß dem Grafen — der erste war schöner als der zweite — und durfte frei von hinnen gehn.


Kaiser Friedrich

Auf dem Kyffhäuserberge steht weit sichtbar ein alter Turm, die Warte der Kaiserburg, die dieser Berggipfel trug und deren Trümmer eine Strecke unter dem Turme noch erblickt werden; diesen Turm nennt alles Volk in der güldnen Aue den Kaiser Friedrich.

Als der wirkliche Kaiser Friedrich, zubenamt der Rotbart, vom Papst in den Bann getan ward, schlossen sich ihm alle Kirchen und Kapellen, kein Priester durfte ihm Messe lesen. Da legte der edle Held ein Gewand an, das ihm aus India verehrt worden, nahm ein Fläschchen mit duftendem Wasser zu sich, bestieg sein Leibroß und ritt in einen dunkeln Wald tief hinein. Wenige seiner Getreuen durften ihm folgen, aber auch ihnen entschwand er, denn in dem tiefen Walde drehte er einen wunderbaren



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Fingerring und wünschte sich aus ihrem Angesicht. Alsbald entschwand er der Herren Blick und ward von ihrer keinem mehr gesehen, und so war der hochgeborene Kaiser verloren.

Alte Bauern haben ausgesagt, er lasse noch bisweilen als ein Waller erblicken und habe verkündigt, er werde eins noch aus deutscher Erde gewaltig werden und die Pfaffen Sören und das Heilige Grab wieder in die Gewalt der Christen bringen, daß nimmer wieder ein Schwert darum gezogen werde; dann werde er seinen Schild hangen an den Ast eines dürren Baumes und guten Frieden aufrichten im Lande und auf den Festen. Das gleiche Recht werde er allen bringen, die heidnischen Reiche sich unterwerfen, die Kraft und Macht der Juden niederwerfen, daß sie nimmer wieder aufkommen, die Nonnen verehelichen und zur Arbeit leiten. Wenn das geschähe, so kämen uns gute Jahre, und der dürre Baum werde wieder ergrünen.

So klangen Sage, Lied und Prophezeiung aus grauer Zeit, und die darauf folgende Zeit schmolz Kaiser Friedrich I. des Rotbart Heldenbild mit dem Bilde Kaiser Friedrich ll. zusammen, denn auch dieser hatte sein Deutschland verlassen, kehrte nimmer wieder, und ob er tot war, glaubte doch das treue Volk, er lebe, und harrte ohn Ende seiner Wiederkehr. Und da er nicht wiederkehrte, sagte es, Kaiser Friedrich habe sich mit seiner Tochter, mit all seinem Hofgesinde, mit seinen Wappnern und Zwergen tief in den Schoß der alten Kaiserfeste Kyffhausen verwünscht. Oort sitze er schlummernd, mit langem Bart, der um seinen steinernen Tisch gewachsen, erst zweimal, herum, wann aber der Bart das drittemal herum lange, dann werde der Kaiser wiederkehren und das Reich wieder behaupten

Um den Berg, darunter der Kaiser verzaubert im Halbschlummer sitzt, stiegen fort und fort die Raben, und nur alle hundert Jahre sendet der Kaiser einen Zwerg herauf, daß er frage und schaue, ob die Raben noch fliegen. Und wenn er nun rückkehrt und kündet, daß sie noch immer fliegen, da neigt der Kaiser trauriger denn zuvor sein greises Haupt und zwickert wieder mit den Augen im halben Schlummer.



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Der Gast des Toten

In alten Zeiten war ein Totengräber im Kirchspiel Groß-Berkentime, der mußte eines Abends um neun Uhr noch ein Grab graben, denn der Tote sollte am andern Morgen beigesetzt werden. Als er eine Weile gegraben hatte, stieß er auf einen Sarg mit plattem Deckel, und da dieser ihm im Weg war, holte er ihn heraus, stellte ihn beiseite und machte das Grab so viel tiefer, daß ein Sarg auf dem andern Kaum hatte. Der Sarg war aber so hübsch, fast wie neu, und der Totengräber, neugierig, wer darin liege, schraubte ihn auf. Da hatte der Tote ein schönes Kissen von rotem Samt unter seinem Kopf.

Du scheinst mir ein vornehmer Herr gewesen zu sein, bei dir möcht ich wohl gastieren.

Der Tote antwortete:

Die Ehre kannst du haben.

Darauf der Totengräber:

Komm du erst ala Gast zu mir.

Das kann geschehen!" sprach der Tote.



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"Nun so komme morgen abend an die große Kirchenpforte, da will ich dich empfangen.

Den andern Tag sprach der Totengräber:

"Mutter, ich bringe heute abend einen Gass.

"Was soll das für ein Gass sein?"fragte die Frau.

"Nun, du wirs ibn schon zu sehen bekommen" erwiderte der Mann, war Glock neun an der Kirchentür, holte seinen Gast, brachte ihn ins Haus und ass und trank mit ihm wie mit einem andern. Als der Gast gesättigt war, holte er ihm eine Pfeife und abak, und da rauchte jener auch eine Pfeife, und nach einer Stunde Verweilens sagte der Gast:

"Nun gibst du mir das Geleite bis zur großen Kirchentür, und morgen abend bist du bei mir zu Gast.

Am andern Tage mit dem nämlichen Glockenschlag und an der nämlichen Stelle empfing der Gast den Totengräber und ging mit ihm durch eine Gruft unter die Erde. Da war gar eine schöne Stube, und daran stieß noch eine Stube, darin war prächtige Musik, in die aber hineinzugehen, verwehrte der unterirdische Gastfreund. Es war auch außerhalb schon schön genug, und der Totengräber sagte:

"Ach, hier ist es ja herrlich, da möcht' einer wohl hundert Jahre sein.

Da kamen Leute, die gingen schweigend durch das Vorzimmer in sene Stube hinein, aus der die herrliche Musik tönte, darunter war auch des Totengräbers eigner Vater.

"Ei Vater, wo wollt Ihr denn hin?" rief er ihn an, aber jener antwortete ihm nicht. Es dauerte nicht lange, so kam des Totengräbers Frau, und er rief ihr zu: "Ei Mutter! wo willst du denn hin?

Aber sie hat ihm nicht geantwortet und ist auch dahinein gegangen, wo die wunderschöne Musik war.

Nun kam seine älteste Tochter, wieder rief er, blieb ohne Antwort, schweigend ging sie hinein. Es kamen Vettern, Nachbarn, Bekannte jeden Alters, selbst Kinder, und wen er anrief, antwortete nicht. Endlich kam auch seine jüngste Tochter, sein Liebling, und er rief:

"Meine Dirn', wo willst denn hin?



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Aber auch sie sah ihn nicht an und antwortete ihm nicht, still schritt sie dahin und ging hinein. Nun wurde der Totengräber böse und sagte:

"Ha, was ist das hier für ein Donnerloch, daß alles vom Hause wegläuft nach der schönen Musik?

Er hatte Lust, auch hineinzugehen, aber da kam sein Gastfreund wieder, und er meinte auch, die Stunde sei wohl herum, die er ihm habe schenken wollen, brachte ihn wieder vor die große Kirchentür und verabschiedete ihn. Der Totengräber ging nach Hause und klopfte an, die Uhr schlug gerade zehn. Da rief drinnen eine fremde Stimme: "Wer ist draußen?

"Frag nicht lange, ich bin's! Wo sind meine Frau und meine Töchter?

"Was für eine Frau? Was für Töchter?"fragte es drinnen.

"Meine, zum Kuckuck! ich bin ja der Totengräber.

"Nein"rief der drinnen, das bin ich — du bist wohl wirr im Schädel? Warte, ich will dir gleich Beine machen!

Den Totengräber wunderte die Geschichte, und er rief:

"Schwerenot, dann behalte mich wenigstens über Nacht, morgen früh wollen wir sehen, wer von uns beiden der rechte Totengräber ist.

Er bat so lange, bis jener ihn einließ, blieb die Nacht über auf einem Stuhl sitzen, und am Morgen fragte er, wie der Priester heiße? Jener nannte den Samen.

"Hin!" sagte der Totengräber. "Den Namen kenne ich nicht, geh doch mit mir zu dem Pastor.

Nun gingen die beiden hin, und der Pastor fragte den alten Totengräber nach seinem Samen und schlug im Kirchenbuche nach. Da stand darin aufgezeichnet der richtige Same und war dazu geschrieben: Deeser Kulengraver is in de Gemeen wegkommen, unn kener het wüst wo he blöven is. Und das war geschrieben worden vor hundert Jahren.

Da fragte ihn der Pastor, ob er nicht das Nachtmahl empfangen wolle, und jener sprach ja. Darauf wurde der Küster geholt, die Kirche aufzuschließen, und der Priester reichte ihm das Abendmahl; das empfing der Alte mik gläubiger Seele, und als er den Wein empfangen hatte, sank er leise in sich zusammen und war tot.



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Die drei Auflagen

Über die Stadt Osnabrück war ein Graf von Teklenburg als Kirchenvogt gesetzt mit allerlei Rechten. Eines davon war, daß die Metzger sich von ihm mußten ihre Preise vorschreiben lassen. Diese Fleischpreise brachte stets ein kleiner Burgzwerg auf einem Esel herunter in die Stadt, und ehe er damit da war, durften die Metzger kein Fleisch verkaufen, was sie stets sehr ärgerte, denn wenn die Käufer vom Markte hinweg waren, konnten die Metzger ihr Fleisch selbst essen. Vergebens bedrohten sie den Burgzwerg, wenn er sich nicht besser eile, und endlich, als seines Zögerns kein Ende wurde, griffen sie ihn und zerhackten ihn, und legten die Stücke in des Esels Tragkörbe, und ließen diesen allein hinauf zur Teklenburg treiben. Schrecklich war der Zorn des Grafen, er befehdete die Stadt, tat ihr allen Tori an und quälte sie so lange, bis sie um Gnade bat. Der Graf von Teklenburg aber war nicht willens, Gnade zu üben, sondern sprach höhnend, er wolle Gnade üben gegen das verräterische Osnabrück, wenn die Stadt binnen Jahresfrist zwei Scheffel Wifelinghöfer einliefere, welches kleine Silberheller waren, die ein früherer Bischof aus dem Geschlechte der Grafen von Wekelinghofen hatte prägen lassen und die man nur noch selten sah, sodann zwei blaue Windhunde und zwei Rosenstöcke ohne Dornen. Da war guter Kat teuer, diese drei Bedingungen zu erfüllen. Weit und breit wurden Boten umhergesandt, schlechte Heller gab es genug, aber keine Wifelinghöfer; blauen Dunst genug, aber keine blauen Windhunde; Rosenhecken genug, aber nirgend dornenlose, denn das gemeine Sprichwort sagt ja ausdrücklich: Keine Rose ohne Dornen. Für die Münzen wurde endlich doch Kat geschafft, denn der Rat zu Osnabrück ließ verkündigen, daß er die Wifelinghofer Heller gut bezahle, strömten aus allen Nachbarlanden die Bettelleute wie Sand am Meere ins Bistum Osnabrück und lieferten Wifelinghofer ein, big der Kat genug



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hatte. Unterdessen waren ein Paar weiße Windhunde in ein Zimmer mit blauen Glasfenstern gebracht worden, blau angestrichen, die wurden von blaugefärbten und -gekleideten Wärtern gefüttert mit Blaumeisen, Blaukehlchen und gekochtem Blaukohl aus blauen Geschirren. Da bekamen die Windspiele Junge, die waren schon etwas blau angelaufen, dann wurden von diesen Jungen aber Junge erzielt, die waren blitzblau. Mittlerweile hatte der Kat ausgesonnen, Rosenschößlinge durch enge Glasröhren wachsen zu lassen, da blieben die Dornen inwendig, denn sie hatten keinen Kaum, hervorzutreiben. Und so erfüllten die Osnabrücker die drei schweren Bedingungen mit Last und Mühe und hatten fortan wieder gute Ruhe; die Metzgerzunft aber wurde bedeutet, ihre Hackekunst nicht wieder an Zwergen zu üben. Das Geschlecht der blauen Windspiele verlor sich bald wieder, aber die dornenlose Kose ward fortgepflanzt und hat sich von Osnabrück aus in alle deutschen Gärten verbreitet.


Herr Gryn und der Löwe

Zu Köln saß auf dem geistlichen Herrscherstühle Erzbischof Engelbert, der hatte viel Streitens mit der Bürgerschaft, das big zum blutigen Kampf gedieh. Dieser Bischof hatte einen Löwen, den hatten ihm zwei Domherren aufgezogen. Gegen den Bischof stand im steten Streite der Bürgermeister der Stadt, Herr Hermann Gryn, und hielt zur Gemeinde und verteidigte deren Rechte, doch war er mit den Domherren gleichwohl persönlich nicht verfeindet. So luden die zwei, welche des Erzbischofs enge Freunde waren, eines Tages — es soll im Jahre 1266 sich zugetragen haben — den Bürgermeister zu sich ein zu einem Gastmahl und brachten das Gespräch auf den Löwen, den sie heimlich hatten fasten und sehr hungrig werden lassen, und erboten sich, vor dem Essen ihn den Löwen sehen zu lassen. Sie führten Hermann Gryn an die Pforte des Löwen zwingers, öffneten diese und streben ihn unversehens hinein, worauf sie



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die Tür zuschlugen und vermeinten, der Löwe werde ihn alsobald zerreißen. Der Löwe, als er den Mann sah, riß den Rachen mit den scharfen Zähnen weit auf, schlug einen Schweifring und legte sich nach Katzenart zum Sprunge; Herr Hermann Gryn aber, wie er sah, was ihm drohte, schlang rasch seinen Mantel um den linken Arm, zog sein Schwert und wartete nicht, big der Löwe sprang, sondern stürzte sich auf ihn mit gezücktem Schwerte, fuhr ihm mit dem linken Arm in den Rachen hinein und durchstieß ihn mit dem Schwerte. Dann gewann er einen Ausgang und ging, ohne gegessen zu haben, seinem Hause zu. Dieses Mittagessen bekam aber den beiden Domherren gar übel, denn der Bürgermeister sandte seine Häscher unversehens und ließ sie greifen und aufhenken an einen Balken gleich am Tore des Chorherrenhauses neben dem Dom, das nannte man seitdem das Pfaffentor. Darauf wurde zum Andenken solchen Mutes das Bild Gryns mit noch dreien andern Löwenbändigern in Gesellschaft in Stein ausgeführt und zur Zier über dem Pfeilerbogengang am Rathaus angebracht, da sieht man die Mär von Herzog Heinrich dem Löwen, Simsons Löwenkopf und Daniel in der Löwengrube dem Kölner Löwensieger beigesellt. —


Der Glomssäck zu Memel

Ein Glomssack ist ein Sack, darinnen die litauischen Slomgkäse aufbewahrt werden, die nicht so klein sind wie die zu Suhla im preußischen Henneberg, welches wohl die kleinsten ,Sässen auf der Welt sind, daher Gamaschenknöpfe genannt und sonderlich appetitlich und köstlich. Zu Semel aber hing das Abbild eines litauischen Käsesackes in Erz gegossen und zwei Zentner schwer an der äußeren Festungsbrücke und diente als Gewicht beim Auf- und Niederziehen.

Einstmals ward Memel vom König Erich von Schweden hart belagert wehrte sich auf das tapferste, zehrte aber auch so, und zuletzt war



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es mit dem Proviant Matthäi am letzten und Schmalhana Küchenmeister. Der ganze Morratrest bestand in einem handlichen Glomgkäse, und da dachten die Belagerten: ergeben müssen wir uns ja doch, ob wir nun erst noch diesen Käse verspeisen oder nicht. Sie nahmen also den Käse und einen Glomssack, taten ihn hinein, luden ihn auf eine Blide und warfen ihn in das feindliche Lager, daß die Schweden dachten: Bomben und Granaten! Was kommt da für eine höllische Bombe? — Wie es nun der große Käse war, sagten die Schweden untereinander: "Wo noch so viel zu essen ist, da können wir unsern Schwedentrunk nicht anbringen. Wenn diese Käsefresser es noch zum Wegwerfen haben, während bei uns im Lager Mangel einreißt, so tun wir besser, wir ziehen ab von Memel." — So sprachen sie, ließen sich den Glomgkäse schmecken und zogen ab. Die Seniler aber, zu dankbarer Erinnerung, ließen einen Glomssack mit einem Glomskäse darin zum ewigen Andenken in Erz gießen und an derselben Stelle aufhängen, wo der wirkliche Käse hinausgeschleudert worden war.


Gottes Krieg

Im Jahre 1349 kam über die gute Stadt Bremen schweres Verhängnis Die Pest wütete in ihr, und außen vor den Mauern lag ein Feind, Graf Martin von Oldenburg, der sie hart belagerte und bedrängte. Zuletzt wurde die Not durch die Krankheit in der Stadt so groß, daß die Bürger die Mauern nicht mehr verteidigten, die Tore nicht mehr verschlossen, sondern in mutloser Ergebung untereinander sprachen: "Sterben müssen wir doch, einerlei wie — komme es, wie es komme." —Da nun die Haupt: leute vor den Kriegsherrn traten und sprachen: "Die Stadt ist offen und unverteidigt, lasset uns hineinfallen und Beute machen nach dem Kriegsbrauch und dem Recht des Eroberers" — da sprach Graf Martin von Oldenburg mit ernster Würde: "Mitnichten soll also geschehen, denn da Gott, der allerhöchste König, mit der Stadt Bremen kriegt und sie in



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größter Not schon befindet, so ziemt es sich nicht, daß auch wir sie ferner schädigen. Sasset uns einziehen als menschliche Bezwinger, denn ob wir jetzt der Stadt Bremen Feind sind, so können wir in der Folge doch wieder ihr Freund werden. — Und so geschah es, und der Graf zog ein, und keiner von seinem Volke durfte an Menschen oder am Eigentum der Stadt sich irgendwie vergreifen.


Die lebendige Mauer

Landgraf Ludwig von Thüringen hatte den höchsten irdischen Herrn im Reiche zum Schwager, Kaiser Friedrich, den Rotbart. Der kam von seiner unweiten Kaiserburg Kyffhausen herüber auf die Numburg zum Besuche, die war aber noch ohne Mauern, und dem Kaiser gefiel die "niuwe Burg" und sprach:

"Schade, daß sie nicht Mauern hat, sie sollte stark und feste sein.

"Ho "sagte Ludwig, "um die Mauern sorg' ich nit, die kann ich haben, alsbald ich will.

"In wie kurzer Zeit?" fragte der Kaiser.

Näher denn in drei Tagen.

"Das ist bei Gott nicht möglich", entgegnete der Rotbart, und wenn alle Maurer des Reichs beisammen wären.

Darauf ging der Kaiser zu Tische, und der Landgraf entsandte sogleich Eilboten durch sein ganzes Land, an alle seine Grafen und Edeln, daß sie alsbald gen Freiburg aufbrechen sollten im besten Geschmuck der Sagen mit nur wenig Wappnern — war auch eine gute Gelegenheit, der Vasallen Gehorsam zu prüfen — merkten das auch und kamen allzumal pünktlich. Und als der Morgen des dritten Tages anbrach, da richtete der Landgraf alles zu nach seinem Willen und ging zu seinem Schwager ins Gemach und sprach:

"Mein Kaiser, die Mauer ist fertig.



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Da bekreuzte sich der Kaiser und dachte, hier müsse Satans Hilfe im Spiel sein, und trat heraus und staunte, denn da ersah er eine lebendige Mauer stehen, rings um die Burg, Mann an Mann, im Glast der Harnische und Gewaffen. Wo ein Turm stehen mußte, stand ein Graf und vor ihm sein Bannerträger und dazwischen die Herren und Edeln. Da flatterten im frischen Morgenwind bunt und schön die Bannerfahnen, und Kaiser Friedrich rief aug: "Fürwahr, solch eine edle, köstliche, teure und feste Mauer sah ich noch nie! Habe Dank, Schwager, daß du solche mir gezeigt hast!


Die legte Saat

Bei Mülheim, nahe dem Khein, lag vorzeiten ein Kloster namens Dünwald, das war in Streit geraten über hundert Morgen Ackerlandes mit einem nachbarlichen Edeln, Junker Hall von Schleebusch. Das Kloster wie der Junker sprachen dieses große Grundstück als Eigentum an, doch hatte es der Junker im Besitz, aber alle Nutzung verzehrten die Kosten des vor Gericht geführten Rechtsstreites, die Anwälte, die Fürsprecher, die Richter, die Schöffen, die Schreiber. Da bot endlich der Junker Hall von Schleebusch gütlichen Vergleich an und sprach zu den frommen Vätern des Klosters Dünwald:

Fromme Väter, ich bin des langen Haders müde, der uns beiderseits nicht frommt. Die hundert Morgen sollen fürder und künftig für alle seiten des Klosters Eigen sein, nur eins bedinge ich, noch einmal eine, und war die letzte Aussaat. Ist die zur Ernte reif und gediehen und eingebracht, so begebe ich mich jedes Anspruchs an die hundert Morgen.

Der Himmel stärke Euch, edler Junker, in solch frommem Entschluß", sprach der Abt, "doch seid Ihr wohl so gnädig, dieses Versprechen uns schriftlich zu geben.



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Darauf wurde ein Brief auf Pergament doppelt geschrieben und ausgefertigt. Der Junker hing sein Siegel in Wachs daran und der Abt des Klosters das seine, und das große Konventsiegel kam auch noch hinzu und das des Priors und noch zwölf Siegel erbetener ritterlicher Zeugen. Es war ein sehr schöner Brief, diese Schenkungsurkunde auf ewige Zeiten nach der Ernte der letzten Aussaat, die noch des Junkers sein sollte.

Junker Hall von Schleebusch ließ nun seinen Acker bestellen und die hundert Morgen besäen, das geschah im Herbst, und im Frühjahr ging die Saat auf, wollte aber gar nicht recht in die Höhe schießen wie andere Saat. Als nun das Fest der Hagelfeier kam, wo man mit Prozessionen und Fahnen die Felder umgeht und für sie beter, sahen die Mönche nach der Saat auf dem künftigen Klostererbe — aber was sahen sie? — Eine Saat von Eicheln. —

Betrug! Betrug!" schrien Abt und Prior und Konvent — aber es half nichts, denn im Briefe stand: ende bewilligen ihme deme edeln junkherrn Hall vom Sleehenbosche die letzte Vssaat finder widerrede unde binser alle geferde. deßcz gezügen han mir erbeten usw.

Lange noch freute Junker Hall von Echleebusch sich seines schönen, herrlich gedeihenden jungen Eichenwaldes, er jagte noch Hasen und Hühner darin — die Bäume wuchsen, und Abt und Prior und der ganze damalige Konvent gingen einer nach dem andern zur ewigen Ruhe der "Saat, von Gott gesäet" — und immer noch wuchsen die Eichen.

Im Archiv der schöne Brief wurde grau, und die Siegel wurden voll Staub, und es dachte niemand mehr an ihn — und immer noch wuchsen die Eichen, und das Kloster versank in Schutt und Trümmer, und das neue Geschlecht, das gekommen war, konnte die Schrift des alten Briefes nicht mehr lesen.



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Die Weibertreue

Überm Städtchen Weinsberg liegen die Trümmer einer Burg, ina- gemein die Weibertreue geheißen, von der die Sage eine der allbekanniesten ist in allen deutschen Gauen. Es geschah im Jahre 1140, daß König Konrad III. von Hohenstaufen die Stadt Winesberg am Neckar belagerte, die dem Herzoge Welf von Bayern zuständig war.

König Konrad von Schwaben war zu Waiblingen geboren und wurde von seinem Kriegsvolk der Waiblinger geheißen, der Bayernherzog aber, Konrada Gegner, hieß Welf, daraus entstanden die Feldschreie: "Hie Welf, hie Waibling! "Dieses verwelschten hernach italienische Truppen



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in Guelf und Gibelin, und so ist die Benennung Welfen und Gibellinen aufgekommen.

Da nun Welf eine Schlacht bei Waiblingen verloren hatte, warf er sich mit den Seinen in das Schloß Weinsberg, konnte aber eine lange Belagerung darin nicht aushalten, sondern mußte um Gnade nachsuchen. Nun hatte der Kaiser auf dringendes Bitten den Frauen freien Abzug gewährt, und daß eine jede von ihrem Schatz mit sich tragen dürfe, soviel sie könne, die Sanner aber sollten alle über die Klinge springen. Die Frauen dachten mehr an die Treue, die sie ihren Männern schuldig waren, ala daran, ihre Habe zu retten und zu bergen. Es nahm eine jede ihren Mann auf den Rücken, und die Herzogin Jutta ging mit ihrem Gemahl Welf voran den Berg hinab, und die andern folgten in langer Reihe. Das gefiel dem Kaiser über die Maßen wohl, er begnadigte auch die Männer, obschon sein Bruder, Herzog Friedrich, Einsprache tat und solche Gnade nicht gut hieß. Da antwortete ihm der Kaiser:

Am Königswort ziemt nicht zu rütteln.



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Als der Florentiner Fürst Lorena von Medicis, da er erkrankt war, auf seinem Lager dieses Ereignis las, lachte er sich gesund darüber, so wohl gefiel ihm dieser treue deutsche Ernst, den er wohl nicht für Scherz nahm.

Es findet diese Gage von der Weibertreue, welcher Name auf die Burg Weinsberg vom Volke vor undenklicher Zeit übertragen ward, in deutschen Gauen mehr als an einem Ort ihren Widerhall, wenn auch nur immer eine einzelne Frau das tut, was hier von vielen geschah.

Im Sachsenlande war ein Ritter von Staupitz in Fehde mit einem Ritter von Bernwalde und gewann diesem sein Schloß Kriebenstein ab, warf sich mit den Seinen hinein und wehrte sich wacker, als Friedrich der Streitbare, der erse Kurfürst von Sachsen, beider Ritter Lehensherr, von dem verdrängten Bernwalder zu Hilfe gerufen, den Kriebenstein belagerte Da erflehte auch, wie sich die Burg nicht länger halten konnte, die Frau von Staupitz freien Abzug mit ihrem Heiratsgut, und der Kurfürst gewährte ihr dessen, soviel sie tragen könne. Und da trug sie ihren Gatten auf ihren Schultern herab als das beste Gut, das sie erheiratet, und Kurfürst Friedrich sprach dasselbe, was Konrad III. gesprochen:

"Wenn einem Fürsten die Treue nichts mehr gilt, für wen soll sie dann noch einen Wert haben?

Das trug sich zu im Jahr 1415.


Umrittener Wald

Nicht gar weit von eren (zwischen Köln und Aachen) liegt ein Dorf, das führt den Samen Arnoldsweiler, und den führt es von einem frommen Sänger, der am Hofe Kaiser Karls des Großen lebte und sein Liebling war. Da forderte einst der große Kaiser von Arnold, seinem Sänger, er möge sich einen Lohn erbitten für seine vielen und schönen Lieder, und der Sänger bat, Karl wolle ihn mit einem Stück Wald begaben, soviel Arnold werde umreiten können in der Zeit, wo Karl sein Mahl halte.



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Das ward ihm gewährt; Arnold hatte aber schon von Strecke zu Strecke, so weit ein Roß im gestreckten Lauf aushalten konnte, ausgeruhte Rosse, die seiner harrten, aufgestellt und damit eine Waldstrecke vom Bürgelwald umstellt, die ein Mann kaum in eines Tages Länge umschritten hätte.

Darauf begann er, als der Kaiser sein Mittagsmahl begann, sein Jagen. Er bezeichnete und bestreute überall, wo er vorbeisauste, durch Schwerthiebe in die Äste seinen Weg mit grünen Brüchen von Eichen- und Buchenlaub und kam schon wieder und trat vor den Kaiser, bevor dieser noch sein Mahl beendet hatte, dieweil er noch beim Apfelessen verweilte. Karl sprach:

Du hast dir gewißlich ein zu kleines Stück erritten, da du so bald wiederkehrst.

Arnold aber antwortete:

Mitnichten, ich umritt ein großes Stück, das ein Mann wohl kaum in Tageslänge umwandeln kann.

Da fiel auf den Sänger ein ernster Blick seines Herrn, der bei sich dachte, daß im Bürgelwald für Arnold die Blume der Bescheidenheit wohl nicht gewachsen sei, und der Kaiser schwieg. Arnold aber sprach:

Du zürnest mir, mein hoher kaiserlicher Herr! Zürne nicht! Nicht für mich umritt ich deinen Bürgelwald. Sieh, alle den Dörfern von Dören bis Bredburg und von Jülich big Bergheim gebricht es an Holz. Für sie habe ich den Wald, den du mir zu schenken angeboten, umritten.

Da freute sich Kaiser Karl über seines Sängers Biederherzigkeit und sagte ihm gern die ganze Waldstrecke zu.



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Der Schmied in Ruhla

Graf Ludwig, der die Wartburg baute, der auch Eisenach, die Stadt, mit Mauern umgab und Reinhardsbrunn, das Kloster, gründete, hinterließ einen Sohn, auch Ludwig geheißen, den machte der Kaiser zum Land grafen in Thüringen, und der war, da er noch ein Jüngling war, gar gütig und demütig gegen Edle und Unedle und von mildem Wesen; solches ward ihm von seinen Vasallen für Schwäche und Torheit ausgelegt. Er strafte nicht gern und hörte nicht gerne klagen, hatte zu allen Menschen das beste Vertrauen und wußte nicht, daß die Edeln seine Untertanen schmählich bedrückten und daß Bürger und Bauern von ihnen viel böse Gewalt erleiden mußten, zumal die, die um ihn waren, zu verhindern wußten, daß Beschwerden an den Herrn gelangten.

Da geschah es, daß der junge Landgraf eines Abends auf einem Jagd: ritt sich im Forste verirrte und in die Nähe des Ortes Kuhla kam, da sah er das helle Feuer einer Waldschmiede durch die Nacht leuchten, ging darauf zu und bat den Schmied um Herberge. Der Schmied kannte ihn nicht und fragte ihn, wer er sei.

Ich bin Eures Herrn, des Landgrafen, Jäger einer.

Pfui des Landgrafen!" rief der Schmied und spuckte aus und wischte sich. "Wer ihn nennt, muß sein Maul wischen, daß er es nicht verunreint mit dem Samen. Pfui des übelbarmherzigen Herrn! Um deines Herrn willen herberge ich dich wahrhaftig nicht! Geh, ziehe nur dein Pferd in den Schuppen, dann komme her und sitze nieder — iss und trink, was da ist, und ruhe auf dem Heu, denn Bettgewand ist hie nicht vorhanden.

Der Landgraf, verwundert ob dieser groben Rede, schwieg still, ging und brachte sein Pferd unter Dach und kam wieder in die Schmiede. Der Schmied kümmerte sich soviel als gar nicht um ihn, schürte sein Feuer, zog



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den Blasebalg, hitzige und hetzte, glühte sein Eisen, löschte es, glühte wieder und hämmerte und rief bei den Schlägen fort und fort:

Landgraf Ludwig, werde hart, werde hart!

Er schlug mit dem gewichtigen Hammer, daß die Funken Soden, und erzählte alles nach der Schnur her, worüber die Untertanen klagten, und schob alle Schuld und alles Unrecht, was im Sande geschah, auf den Landgrafen und verwünschte und verfluchte ihn in die unterste Hölle. Er sang das alte Lied von den dünkelvollen Räten, die alles besser wissen, sich und ihre Weisheit für unfehlbar halten, die Fürsten glauben machen, es siehe alles gut im Sande, und hinterdrein, ist's Lug und Trug, und der Aufruhr schlägt in hellen Flammen aus, und alles Unglück, das daraus entsteht, wird hernach den Fürsten in die Schuhe geschoben.

Dem Landgrafen erschrak das Herz im Leibe, als er aus dieser harten Stimme des Schmiedes des Volkes Stimmung gegen sich vernahm, und er nahm sich vor, dem Unfug, den seine Edeln verübten, ein Ende mit Schrecken zu machen. Ganz hart geschmiedet verließ er, nachdem er kein Auge zugetan, die Kublaer Waldschmiede, und sein milder Sinn war in einen eisernen verkehrt.

Er nahm die Zügel der Regierung in die eigne Hand und zog sie so straff, daß die edeln Rosse schäumten und knirschten und sich bäumten — aber das Volk atmete freier auf und es ward ihm wohler, denn die ritterlichen Vasallen durften es nicht mehr placken und schinden.


Wo der Hund begraben liegt

In Winterstein liegt der Hund begraben; das ist ein Dorf hart am Fuße des Inselberges, durch den die Emse fließt. Da haben früher auch viele Bergleute gewohnt, und die Herren von Wangenheim haben ein Bergschloss gehabt, das ist jetzt in Trümmern, es sind aber noch drei Wangenheimische Schlösser allda.



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Einer dieser Herren war, wie fast alle seine Vorfahren und Nachkommen, Jägermeister eines Herzogs von Gotha. Er hatte einen sehr gescheiten und neuen Hund, des Same war Stutzel, und als der Herr von Wangenheim gestorben war, hatte seine Witwe den Hund noch lange. Stutzel war so geschickt und klug, daß er mit Briefen, die man an sein Halsband befestigte, ganz allein nach Gotha auf den Friedenstein und zur Herrschaft ging und wieder mit Briefen zurück, so daß sich der gothaische Bote den Weg über Winterstein fast ersparen konnte.

Die Witwe war nun dem Stutzel über alle Maßen gut, und da er endlich den Zoll der Natur bezahlte, da ließ sie ihn in einen Sarg legen und weinte schmerzlich und wollte haben, daß auch die Dienerschaft weinen sollte. Die tat's der Herrin und dem Stutzel auch zulieb und heulte und schrie aus Leibeskräften um den guten Hund, bis auf eine alte Köchin, die weinte "mit trockenen Augen" —darob zürnte die Herrin und gab ihr auch kein Trauerkleid, wie das übrige Gesinde empfangen. Da sie aber in die Küche kam, wo die Köchin Zwiebeln schnitt, davon ihr die Augen tränten, so sprach sie schmerzvoll:

"Nicht wahr, nun weinst du doch noch um den guten Stutzel? Sollst nun auch ein Trauerkleid haben!

Die alte Köchin lächelte durch die Tränen und sagte nicht nein.

Nun wollte die Frau von Wangenheim, Stutzel solle feierlich beerdigt werden, und zwar nirgend anders als auf dem Gottesacker; da kam der Pfarrer aufs Schloß und sagte:

"Gnädige Frau, dieses gehet nicht an. Der Gottesacker ist für Christenleute und nicht für einen Hund. Nicht einmal einen Juden dürfte ich auf ihm begraben lassen.

"So", sagte die Frau Jägermeisterin von Wangenheim Witwe, "gehet es nicht an? Das tut mir leid. Der selige Stutzel war gar kein Hund, er hatte Menschenverstand und hat sogar ein Testament gemacht, und hat darin Seiner Kirche einhundert Taler vermacht und Ihm selbst fünfzig Taler, notabene, wenn ihm ein Plätzchen auf dem Kirchhof würde, außerdem aber nichts.



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Das ist freilich ein ander Ding, gnädige Frau — die Kirche ist sehr arm", sagte darauf der Pfarrer. "Ei, der gute fromme Stutzel! Wer weiß, ob nicht in ihm ein lieber Mensch verzaubert war, da er so vielen Menschenverstand gehabt. Nun —ich denke — ein Eckchen im Kirchhof — Ihro Gnaden mich dienstwilligst zu erzeigen.

Wurde darauf ein feierliches Leichenbegängnis veranstaltet, untz mußten Knechte und Mägde, so alle in Trauer gekleidet, hinter dem Hundesarg hergehen. Aber das wurmte die Gemeinde und kam herum in der Gegend, und wo sich ein Winters einer sehen ließ, lachten die Leute und spotteten, wie ohnehin die Thüringer gern spotten:

"Na, bei euch zu Winterstein leigt ja der Hund uff'm Kerfich (Kirch begraben!

Die Sache kam vor die gnädige Landesherrschaft, die wurde darum sehr ungnädig, es kam eine Kommission vom herzoglichen Konsistorio zu Gotha, und der Pfarrer wurde vernommen. Der sagte, er habe es um des armen Kirchleins willen zugelassen, half ihm aber solche Ausrede gar nichts; der Pfarrer wurde abgesetzt und der Stutzel ausgegraben, ob die Frau von Wangenheim aber das Geld zurück erhalten hat, ist sehr zu bezweifeln; ein Herr von Wangenheim, der dieses selbst erzählt hat, wußte davon nichts.

Nun ließ die Frau Jägermeisterin von Wangenheim Witwe den Stutzel zum zweiten Male beisetzen, und zwar im Garten, und ließ ihm einen Stein zum Denkmal setzen, darauf der unvergeßliche Stutzel abgebildet war, wie er leibte und lebte, und eine schöne Grabschrift war darauf lesen, die Stutzels Tugenden der Unsterblichkeit überlieferte.

Und noch immer geht das Sprichwort: In Winterstein — da liegt der Hund begraben,



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Der starke Jochem

Zu Kurfürst Georgs Zeiten lebte zu Berlin ein Edelmann, Joachim von (schapelow geheißen, sie nannten ihn nur kurzweg den starken Jochem wegen seiner ungeheuren Stärke. Niemand konnte ihn niederringen, obgleich er von Gestalt nichts weniger als ein Kiese war. Da kam einmal ein fremder Fürst an den Berliner Hof, der hatte in seinem Gefolge einen ungemein großen und auch starken Mann, den konnte auch keiner bezwingen, und der Fürst rühmte absonderlich dessen Stärke gegen den Kurfürsten und daß seinesgleichen nicht zum zweiten Male gefunden werde. "Hm" machte der Kurfürst: "mein Schapelow nimmt's am Ende doch mit deinem starken Hans auf!" — Und da wetteten die Fürsten miteinander um vier Eimer, das sind zwei Hektoliter, Wein, wessen Mann obsiege, der solle selbigen Wein gewonnen haben. Die Kämpfer traten auf den Plan, der große Ausländer und der kleine, aber kernfeste Märker. Der Kampf begann, und nach kurzem Ringen warf Schapelow seinen riesigen Gegner zu Boden, daß ihm die Rippen krachten, und als dieser wieder aufzustehen versuchte, ergriff ihn der starke Jochem, hielt ihm beide Hände eisenfest, packte ihn, trug ihn zum Fenster und wollte ihn hinauswerfen — was jedoch der Kurfürst verhinderte. Um nun den Schapelow für seine Anstrengung auch zu belohnen, befahl er ihm, sich im Hofkeller seinen Lohn zu holen und sich soviel Wein zu nehmen, als er auf einmal herauftragen könne, der solle ihm gehören. Das war nun dein starken Jochem sehr willkommen, er stieg hinab in den Keller, besah sich die Fässer und griff nicht blöde zu. Der Kurfürst und sein hoher Gast standen oben auf dem Söller nach dem Hofe und blickten hinab, da erschien der wackere Jochem unten auf der Kellertreppe. Er hatte drunten aus zwei Eimern die Spunde geschlagen, hatte einen vollen Eimer unter dem rechten, einen unter dem linken Arm, und an den Fingern, die er in die Spundlöcher



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gesteckt, trug er rechts einen Eimer und links auch einen Eimer, da sonst ein Mann an einem einzigen vollen halben Eimerfaß gerade genug zu tragen hat. Die Herren lachten über diese komische Erscheinung und bewunderten die gewaltige Kraft des Mannes, und der ,Kurfürst rief hinunter: "Bist du des Teufels, Schapelow? Wenn die meinen Wettgwinn wegträgst, was trägt's denn mirs "Ach, Durchlaucht!" rief Joachim von Schapelow hinauf, "es trägt's nicht aus. —


Das große Los

Zu Berlin war ein armer Schuhmacher, dem hing ein Händler, statt baren Geldes für Stiefel oder Schuhe, ein Lotterielos auf; der Mann legte das Papier ing Fenster und hatte dessen keine Acht. Als der Sonntag kain, ging er mit seiner Frau spazieren, ließ aber die Kinder daheim.

Die Kinder hatten ihre Lust mit Pappen und Kleidern, und wie sie nach Papier umhersuchten, fanden sie auf dem Fensterbrett das Log.

Ach, ein Bild! riefen sie. "Dag muß hin- zu den andern Bildern an die Stubentür!

Gesagt, getan, das Los bekam auf seine minder schöne Rückseite eine merklich dicke Lage Mehlkleister und erhielt seine Stelle neben einem berühmten Kriegshelden, einer Kompanie Soldaten und sonstigen Dreier- oder Pfennigbildern, welche das Bildergemisch an der Stubentür bereits bilden halfen.

In der Woche tat der Schuhmacher einen Geschäftsgang, von diesem kam er ganz atemlos nach Hause, seine Augen glänzten — er stürzte nach dem Fenster, seine Hand streckte sich nach dem Papier aus — es war fort.

Wo wo — wo das Los? Das Papier? Hier hab's hergelegt! Himmel tausend Donner!

Frau und .Kinder zitterten — der Schuster wurde wild — seine Hand erfaßte den Knieriem, es drohte ein schreckliches Gewitter — da faßte das



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jüngste Kind, ein Mägdlein mit schelmischen Augen, des Vaters Hand und sah ihn bittend und zitternd an und wieg nach der Tür. Da klebte das Los, gut und sicher- aus dem Fenster hätt' es vielleicht ein Windstoß geweht.

Goldkind!"rief der Schuster, und hob das Kind empor, und küßte es, und ließ den Knieriem fallen.

Aber das Log saß fest, herunter ging es nicht-— der Versuch, mit Wasser es abzuweichen, hätte das dünne Papier jedenfalls vernichtet. Der glückliche Gewinner, denn das Log war als Großes Los aus ier Ziehung gekommen, faßte sich kurz, er hob die Tür aus den Angeln und trug huckepack auf das Rathaus, wo die Ziehung stattfand.

Alles erstaunte, als das Los so groß und schwer hereinkam, doch da alles in Ordnung befunden ward, mußte gleich dem Besitzer des glückhaften Loses die Tür zum Zählbrett dienen.

Darauf hat dieser Schuster in der Wallstraße zu Berlin ein hübsches Haus erbaut und über der Tür sich selbst abbilden lassen, wie er seine Stubentür huckepack trägt. Das Haus hat die Nummer 25.


"Das ist des Mannes Feld"

Als Kaiser Heinrich auf seiner Pfalz Wallhausen in der güldnen Aue Hoflager hielt, wollte er einem seiner Mannen eine Gnade erzeigen, und so erbat sich dieser ein Stück Feldes, angrenzend an die güldne Ane, so groß, als er mit einem Scheffel Gerste werde umsäen können. Dieses Ansuchen gewährte ihm der Kaiser, und der Rittersmann säte nun nichts weniger als dicht, sondern lang und weit, und umfing den Bodenraum einer ganzen Grafschaft.

Das verdroß des Kaisers Ritter und Dienstmannen, und sie murrten gegen ihn, daß jener Kämpe mit ziemlicher Unbescheidenheit zu Werke gegangen, der Kaiser aber lachte und sprach:



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Wort ist Wort. Was der Mann umsät hat, das ist des Manns Feld."

Von da ab wurde und blieb der neuen Grafschaft der Name Mansfeld, und in das Wappen, das die Grafen annahmen, wurden Gerstenkörner gestellt. Die Heraldiker nannten sie hernach Wecken, weil sie den Ursprung vergessen hatten und die Körner undeutlich ausgedrückt fanden, wie sie aus den ursprünglichen Pfauenschweifwedeln durch den Hut überm Wappen der alten Grafen von Henneberg ein paar unbedeutende Rohrkolben gemacht und andere solche Schnitzer mehr auf gar vielen alten Geschlechterwappen.

Des Hauses Mansfeld Ahnherren haben die alten Historiker, die so zuverlässig sind wie die alten Heraldiker, weit über die Zeit der Kaiser Heinriche hinaufgerückt, sie glänzten nach ihnen schon unter den Rittern der Tafelrunde.


Die getreue Frau Florentina

Zu Metz lebte ein edler Rittersmann namens Alexander, der hatte eine gar tugendsame Ehewirtin, Florentina genannt. Der Ritter gelobte sich zu einer Bußfahrt zum Heiligen Grabe, und sein Ehegemahl fertigte ihm ein feines neues Hemde, das zeichnete sie mit einem roten Kreuze und hieß es ihn stetig tragen. Es sei also gefeit und geweiht, daß es immer rein bleibe, zum Zeichen ihrer steten Reinheit und Treue, die sie ihm bewahren wolle bis seiner Wiederkehr.

Im Heiligen Lande geriet Ritter Alexander aus Metz in Gefangenschaft und mußte mit anderen als Knecht den Pflug ziehn und Geißelhiebe und ein Joch auf seinem Sacken dulden wie ein Stier. Das Hemd blieb trotz harter Arbeit, trotz Staub und Schweiß und Blut stets rein und weiß wie Schnee-— das verwunderte die Aufseher, und sie brachten es vor den Sultan. Da erkundigte sich der Sultan, welche Bewandtnis



389 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

es mit des Sklaven Hemde habe, und Alexander erzählte ihm von der Treue und Reinheit seiner Florentina.

Solches dünkte dem Sultan eine Lügenmär zu sein, und er ward sehr neugierig, ob dem in der Welt nur so sein könnte, und ließ auf seine Kosten einen vertrauten Eilboten ins Abendland reisen. Der kam auch glücklich nach Metz, erkundete die Frau, erzählte ihr von ihres Herrn harter Gefangenschaft und warb, da er sie besonders schön fand, mit starker Versuchung um ihre Minne. Allein da er ganz vergebens sich um die Gunst der Frau bemühte, zog er wieder ab und brachte seinem Herrn die Nachricht von Florentinas unwandelbarer reue. Sie aber kleidete sich in Pilgrimtracht, nahm eine Harfe mit, die sie meisterlich zu spielen verstand und reiste dem Heiden nach, holte zu Venedig ihn ein und fuhr mit

ihm, ohne daß er sie wiedererkannt hätte, in das Heidenland.

Als sie nun an des Heidenkönigs Hofe ankamen, meldete der Abgesandte, was er zu Metz ausgerichtet, und rühmte seines Reisegefährten



390 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

kunstreiches Harfenspiel. Da wurde der Pilgrim an den Hof gefordert und durfte sich hören lassen und wurden ihm große Geschenke für sein Spiel dargeboten. Er weigerte sich, sie anzunehmen, und bat nur um die Freilassung eines der Sklaven, die im Pfluge gingen. Das ward ihm zugestanden, und nun ging Florentina zu den Sklaven und suchte unter ihnen ihren Mann, den bai sie los, gab sich ihm aber nicht zu erkennen, weder zu Lande noch zur See, sondern blieb in ihrer Verkleidung als Mann und fuhr mit ihrem Gemahl der Heimat zu. Als sie noch zwei Tagereisen von Wetz waren, sprach Florentina:

Mein lieber Wandergesell, nunmehr gehen unsere Wege voneinander. Gib mir dafür, daß ich dich befreit, doch auch etwas zum Andenken."

Was soll ich dir geben, der ich soviel wie nichts habe?"fragte der befreite Ritter.

Du hast ein sonderbares Hemde an, von dessen Wunder habe ich im Heidenlande reden hören, schneide mir ein Stück heraus, damit ich auch andern von dem Wunder singen und sagen kann."

Weil du es bist und ich so großen Dank dir schuldig geworden", sprach der Ritter, "will ich's tun, keinem anderen auf der Welt gäbe ich vom Hemde, das mir meiner Frauen Reine und tugendsame Zucht so wunderbar verbrieft.

Er schnitt ihm also ein Stücklein, nicht gar groß, aus dem Hemde heraus und schied so dankend von dem Pilgrim.

Florentina eilte ihrem Gatten schnell voraus nach Metz, legte ihre Frauenkleidung wieder an, und als er nun, einen ganzen Tag später wie sie, daheim ankam, empfing sie ihn mit herzlicher Liebkosung und Freude, des ward er sehr glücklich. Als aber nun der heimgekehrte Ritter allmählich seine Freunde wiedersah, da merkte er an ihrem sondern Wesen, daß sie etwas Heimliches gegen ihn auf den Herzen hatten, und endlich sagte ihm einer: "Mich nimmt viel wunders, daß du dein Weib wieder daheim funden hast, sie muß deine Heimkunft gerochen haben. Ein fremder Mann war oft und lange bei ihr, und endlich sie ihm nachgefahren und zwölf Monate außen blieben und nur kurz vor dir wiederkommen.



391 Ludwig Bechstein Märchen. Flip

Da ward der Ritter sehr zornig, lud seine Freunde und Verwandten zu einem Mahl und fragte dann dabei sein Weib öffentlich, warum sie so lange Zeit ihr Haus verlassen und wo sie denn in der Welt herumgereist sei nach fahrender Fräulein Ari? — Da stund die getreue Florentina schweigend vom Tische auf, ging in das Zimmer nebenan und kam als Pilgrim mit der Harfe wieder und reichte ihm das Stücklein Leinwand aus seinem Hemd. Da hob der Ritter seine Hände auf und rief:

"Vergib, du Himmlische, du ,Keine! Du befreitest mich aus Sklavenbanden, aus dem Joche am Pfluge!

Er fiel ihr weinend um den Hals, bat sie um Verzeihung, und jede Anklage verstummte auf immerdar.


Strasburger Schießen und Zürcher Brei

Im Zeughaus zu Straßburg wird ein eherner Topf gezeigt, den sandte einstmals die Stadt Zürch voll Brei dahin, den sie in Zürch gekocht und der noch warm in Straßburg ankam, das begab sich also.

Die Straßburger hielten großes Freischießen und luden dazu ein alle Nachbarstädte am Rhein, in der Rheinpfalz, im Elsaß und in der Schweiz, die kamen auch durch Gesandte zahlreich und nahmen teil am Feste; am weitesten hatten freilich die Schützen von Zürch, drei Tagereisen.

Da war zu Zürch ein wackerer Kumpan, der hieß Hans im Weerd, und sann ein lustig Stücklein aus.

"Wir wollen gen Straßburg zu Wasser fahren", riet er, "da brechen wir kein Rad und fällt uns kein Roß, und wollen das tun, so Gott will, in einem Tag, und einen heißen Brei, den wir allhier gekocht, den Straßburgern mitbringen.

Dieser Rat fand großen Beifall, alles ward vorgerichtet und gerüstet, der Brei wurde in einer Nacht gekocht, kam in einen warmen Topf von Erz, und der Topf wurde in heißen Sand gesellt, und nun ging es schnell



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zu Schiff, als die Sterne noch glänzten. Vom Schiffe wehten lustig die Wimpel mit Zürchs Farben, weiß und blau, und munter flog es über der Limmat rasche Wellen rasch dahin. Von der Limmat lenkten die fröhlichen Schweizer Schützen in die Aar, vorüber an mancher gefährlichen Stelle, und aus der Aar in den Rhein, am Höllenhaken kühn vorbei durch Strudel und Klippen.

Da das glückhafte Schifflein gen Rheinfelden kam, wohin schon Kunde von seiner Fahrt gelangt, ward zur Mauer herab ein Korb voll edlen Weines zum Morgentrunk herabgelassen und unverweilt eingenommen. Als die Basler Glocke elf schlug, war es erst um zehn Uhr, und das glückhafte Schiff mit seinen Zürchern nahte schon der Brücke. Da schallte von aufgestellter Mannschaft und drängendem Volk herzlich-froher Bundesgruß entgegen, und die Geschütze krachten, aber wie ein Pfeil schoß das Schiff, getrieben von den Ruderschlägen stets sich ablösender kräftiger Ruderer, immer rheinabwärts, und vorn im Schiff am Steuer stand lugenden und sorgenden Blickes der Hans im Weerd, und mitten im Schiff saß Kasper Thomann, der Zürcher erwählter Obmann und Sprecher beim Schützenfeste.

So ging es weiter und immer weiter, an Neuenburg vorbei, an Breisach vorbei, durch die hundert Inseln im Khein. Wohl sank der Abend nieder, wohl tauchte hinter der Vogesen blauer Bergkette das glühende Rad der Sonne unter, aber was leuchtete dort weit, weit her über die unermeßliche Stromtalfäche, eine rote Feuersäule? Im Sonnenjscheidekuß flammte Unser-Frauen-Münsters Turmriese, und der Jubel der Schiffer grüßte das leuchtende ferne Ziel.

Aber immer noch lagen Stunden zwischen dem Ziele und dem Schiffe der Tag schwand, die Nacht brach an, hell und rund stand der Mond am Abendhimmel, das Münster tauchte empor wie ein Geisterschiff, von der Schützenmatte her drang dumpfer Lärm des Volksgewimmels; jetzt begannen auch die im Schiff zu blasen mit hellen Zinken und Posaunen, Pfeifen und Drommeten — jetzt endlich war Straßburg erreicht, und am Guldenturm legte das Schifflein an.



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Jubel begrüßte die nimmermüden Stromfahrer, die das nie Dagewesene vollbracht, in einem Tage gefahren die unendlichen Strecken, und der Brei im Topfe war noch warin, gerade noch mundrecht. Das war ein gar festliches Begrüßen, mit Musik und Fahnen wurden die werten Zürcher Gäste auf die Maurerstube geleitet zum herzlichen Willkommen und frohen Mahle. Von da brachte man die Zürcher, nachdem der Brei verzehrt war, in den güldnen Hirsch zur Rast, und am andern Tage beim Schießen wurden sie hochgeehrt vor allen Gästen, und der Topf blieb aufbewahrt für ewige Zeiten,


Blutlinde

Nahe bei Wiesbaden liegt ein uralt Gehöft, der Graroder Hof, von dem eine Sage geht.

Ein junger Grafensohn des Lahngaues liebte ein seinem Geschlecht nicht ebenbürtiges Mädchen, deshalb stieß ihn sein Vater im Zorne von sich, daß er nie wieder vor sein Angesicht kommen solle. Das tat denn auch der junge Ritter, er ging und folgte dem Zuge seines Herzens und seiner Neigung. Aber um den alten Grafen her begann ein Sterben — sein Weib starb, seine Töchter starben, dann die vielen blühenden Söhne allzumal, einer nach dem andern; zuletzt hatte er nur noch einen — und auch dieser eine starb. Völlig vereinsamt, völlig kinderlos war der Greis, da gedachte er mit Schmerz seines verstoßenen Sohnes, wenn der bei ihm wäre, er wolle ihn nicht mehr um seiner Liebe willen verstoßen. Und ob er wohl noch lebte?

Der alte Graf machte sich auf und suchte ihn auf und ab am Rheinstrom und in den Flußtälern, die in diesen münden, und in den Seitentälern und auf den Bergen. Da kam er einst ermüdet an ein kleines Winzergehöft und traf ein Winzerpaar, Mann und Frau und wohl auch Kinder. Er sah, wie diese Leute ringsum den Felsboden gerodet hatten und



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hatten Reben gepflanzt und gewannen ihr Brot, das sie mit ihm teilten, denn er war hungrig.

Das junge Weib bot ihm Trauben aus irdener Schüssel, und der Mann trat dazu, auf der Schulter den blinkenden Karst, blinkend von stetem fleißigem Gebrauche. Da erkannte der alte Graf mit einem Male seinen Sohn in dem Häcker, fiel ihm um den Hals und weinte.

Darauf hat der Ritter über sein Weinberggehöft sich eine Burg gebaut und sie mit den Seinen bezogen, denn er wollte nicht mehr hinweg von dem Stück Erde, das er mit seinem Weibe gerodet und bebaut hatte. Das nannte man hernach den Grafenroder oder kurzweg Graroder Hof, weil ein Graf es gerodet hatte.

Der alte Graf lebte noch lange Jahre glücklich bei seinen Kindern und Enkeln, und der junge Graf nahm zum Helmkleinod einen bärtigen Mann im schwarzen, kurzen Rock, auf der Schulter eine silberne Rodhaue tragend, zum Andenken, daß er selbst mit seiner Geliebten den Boden gerodet habe.

In der alten Kirche zu Schierstein am Rhein sind noch Grabmäler des Geschlechts zu sehen.


Der Besserstein

Im Aargau, da wo Reus und Limmat in die Aar und die Aar in den Rhein fließen, liegt der Geißberg, der trägt auf seinem Gipfel die Trümmer einer Ritterburg. Ein Herr von Villigen baute die Burg auf das schönste und festeste, hatte seine Herzensfreude daran, gedachte in ihr glücklichen Alters froh zu werden und in Leutseligkeit und Güte seinen Untersassen ein treuer Vater zu sein. Fertig stand der Bau, und festlich sollte er eingeweiht werden. Des Bauherrn Söhne und alle Gefreundete rings im Gau waren versammelt, und die Humpen kreisten. Der Ritter von Willigen sprach zu den Söhnen:



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"Da schaut nun, wie gut sich's hier wohnen wird in der Pracht der Gegend, rund um uns her unsre fleißigen Leute und Mannen, mitten im Kreis der Dörfer unser stattliches Burghaus, fest gegen den Feind, offen dem Freund, den Bedrängten ein Schutz, den Dürftigen eine Herberge! So wollt' ich's haben."

"Ja, Vater", sprachen die Söhne, "das ist eine wackre Trutzburg worden; da mag sich das nichtsnutzige Volk auflehnen oder nicht, wir zwingen es von hier aus, wir werden ihm den Fuß auf den Nacken setzen. Von hier aus können wir Zölle legen auf die Flüsse und den Rheinstrom, auf Wege und Stege. Der ganze Gau muß uns tributpflichtig werden, damit unser Gut sich mehre und unser Name gefürchtet sei im Rhein- und Schweizerlande.

Als der Herr von Villigen diese Rede seiner Söhne vernahm, war es ihm, als wolle sein Blut stocken und sein Herz brechen, und zürnend brach er aus:

"Entartete Söhne! So ist euer Sinn? Wartet, den will ich euch bessern!

Er warf seinen vollen Humpen zur Erde, daß er in tausend Scherben zerklirrte.

"Wie dieser Humpen zertrümmert liegt, so soll dieser stolze Bau, meine Lust und meine Freude, zertrümmert liegen!" schrie er.

Er berief seine Mannen, seine Untersassen, sein ganzes Volk und hieß sie den neuen Bau abbrechen und verfluchte die Hand, die ihn wiederum zu bauen beginnen werde.

"Besser Stein, ein wüster Stein, als eine Zwingburg des Volkes und des Gaues, die Schimpf auf den edeln Namen derer von Villigen häuft!"rief er.

Seitdem liegt auf dem Geißenberge der öde Mauerrest und heißt allwege im Volke der Besserstein.



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Trifels

Über dem Anweiler Tale bei Landau erhob sich eine stattliche Kaiserpfalz, Burg Trifels. Es geht die allgemeine Sage, daß König Richard Löwenherz von England darinnen gefangengehalten worden vom Kaiser Heinrich. Niemand wußte, wo er hingekommen, und große Sehnsucht nach Richards Wiederkehr herrschte in seinem Reiche.

Nun hatte Richard einen treuen Dienstmann, der war ein Minnesänger und verstand sich meisterlich auf die Kunst des Gesanges und der Töne. Der machte sich mit einer Schar redlicher Mannen auf, seinen König allüberall zu suchen. Reichen Schatz an Gold und Kleinodien, den das Volk geopfert, nahmen mit sich zum Lösegeld. Auch König Richard war ein Minnesänger, und Blondel, so hieß jener treue Dienstmann, kannte und konnte des Königs Lieder. Vor mancher Burg, darinnen er den König gefangen glaubte, hatte Blondel schon Weisen angestimmt, auf die, wie er sicher voraussetzte, der König, wenn er ihn hörte, singend antworten mußte, aber es war stillgeblieben hinter den festen Mauern.

Schon war er am Donaustrom auf- und abgezogen und hatte auch all um den Rhein gesucht und gesungen, da vernahm er, daß in der Nähe der Stadt Landau, allwo man dazumal des heiligen Reiches Kleinodien aufbewahrte, auf dreien Felsenzacken gar ein großes und stattliches Kaiserschloß stehe, und da Blondel der Meinung war, nur in einem solchen Schloß werde der römische Kaiser seinen König und Herrn gefangen- so wandte er sich dorthin mit den Seinen, umschlich spähend die Mauern und stimmte am Fuße der starken und hohen Türme, in deren Tiefen und Verließen man gewöhnlich die Gefangenen Schmachten lieh, jene Weisen an, die nur König Richard kannte. Und — o Freude — endlich, endlich drang aus dem Gemäuer des Turms auf Trifels antworten



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der Gesang in gleicher Weise. Soch schlug vor Freude Blondels Herz, sein Richard, sein König war gefunden uns bald darauf auch aus seiner Hast befreit.


Die Luftbrücke

Aus dem Ahrtale ragten stolz und kühn einst zwei stattliche Nachbarburgen einander gegenüber, zwischen beiden rauschte in der Taltiefe die Uhr, das waren die Schlösser Nuwenahr und Landskron, und hoch über dem Tale zog sich eine luftige Brücke, die beide Burgsitze miteinander verband. Die beiden Herren dieser Burgen, der Graf von Nwenahr und der Herr von Landskron, waren so traut befreundet, daß sie gemeinschaft lich diese Brücke bauten, mit unsäglicher Kunst gefügt, ohne Mittelstützen und doch dauerhaft, so daß die beiden Freunde zu jeder Stunde beisammen sein und doch auch jeder schnell wieder in seinem Hause sein konnte, während ein nachbarlicher Besuch durch Herabritt und Hinaufritt mehrere Stunden in Anspruch nahm.

Als diese Freunde verstorben waren kam die Brücke in Verfall die Elemente zerstörten sie, nur blieben an jeder Burg die Brückenpfeiler, die das Ganze mächtig gestützt harren, erhalten.

Da geschah es, daß ein Ritters ohn auf Landskron seine Nachbarin,



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eine junge Gräfin von Nwenahr, liebte, die waren eingedenk ihrer Vater Freundschaft und wünschten sich sehnend die Brücke zurück. Da band die Grafentochter an einen Armbrustpfeil ein Garnknäuel ganz lose gewickelt, dessen Endfaden sie befestigte, und schoß den Pfeil zur Nachbarburg hinüber. Nun waren durch den Faden die Burgen wieder verbunden, und an dem Faden lief noch eine dünnere Schnur mit einem Vorhangring, daran ließen sich Brieflein und Liebespfänder hin und her ziehen in der Dämmerstunde; den dünnen Faden, dessen Farbe nicht ganz hell und nicht ganz dunkel war, gewahrte man kaum oben und von unten gar nicht.

Als die Herzen beider Liebenden sich nun verständigt hatten, heirateten sie einander und bauten, wie die Sage meldete, die Brücke noch einmal neu, und dann ist sie wieder verfallen und nimmer wieder aufgebaut worden, und die Burgen sind verfallen, und Freundschaft und Liebe wohnen dort nicht mehr, ja Burg Nwenahr ist bis auf seine Ruinen aus der Gegenwart hinweggeschwunden.


Die Münsteruhr

Zu Straßburg im Münster ist ein kostbares und verwunderungswürdiges Uhrwerk, das seinesgleichen in der ganzen Welt nicht hat. Hoch und stolz, ein wundersames figurenreiches Gebäu, steht es da vor Augen, aber leider steht es eben und geht schon längst nicht mehr.

Unten zeigt sich neben einem Himmelsglobus ein Pelikan, darüber erhebt sich ein Kalender, in dessen Mitte die Erdkugel ersichtlich zu beiden Seiten stehen der Sonnengott und die Mondgöttin, die mit ihren Pfeilen Tages- und Nachtstunden zeigen. Schildhalter an den vier Winkeln lassen Wappen erblicken. Darüber fuhren in Wagen, von verschiedenen Tiergespannen gezogen, die sieben Planetengötter als Tagesboten, jeden Tag zeigte sich sanft vorrückend ein anderes Gespann, stand in der Mitte zur Mittagsstunde und gab dann allmählich dem nachfolgenden Raum.



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Darüber ein großer Viertelstundenzeiger und zur Seite oier Gebilde, die Schöpfung, Tal Josaphat, Jungles Weischt und Verdammnis.

Zur Rechten des Beschauers steht ein freier Treppenturm am Uhr gebäu, zur Linken ein ähnlicher von anderer Form mit Göttergestalten, auf der Spitze ein großer Hahn, welcher die Stunden krähte und mit den Flügeln schlug. Ain Sockel der Türme halten zwei große aufrecht sitzende Löwen je einer den Helm mit dem Kleinod, der andere das Wappenschild Straßburgs. Recht in der Mitte ist das riesig große, mannigfach verzierte und mit kunstvollem Triebwerk versehene Zifferblatt, umgeben von den Bildern der vier Jahreszeiten. Den Zeiger bildet ein geschlängelter Drache, dessen Zungenpfeil auf die Stundenzahl deutet. Über dem Zifferblatte zeigte ein kleinerer Kreis mit der Mondesscheibe genau des Mondes wechselnde Zeiten. Darüber zeigten sich zwischen Schildhaltern und Wappenfiguren wandelnde Gestalten der Menschenalter, welche an die offenhängenden Viertelstundenglocken anschlugen, über ihnen hängt die Stundenglocke; nach jedem Viertelstundenschlage trat der Tod hervor, die Stunde zu schlagen, aber da begegnete ihm die Gestalt unseres Heilands und wehrte ihm, erst wenn die Stunde voll war, durfte der Tod sein Stundenamt üben.

Hoch empor über all diesem hob sich noch eine gotische Krone mit den frei stehenden Gestalten der vier Evangelisten, die Tiere der Offenbarung neben sich, und über diesen standen zwei musizierende Engel, dahinter aber barg sich gar ein schönes klangvolles Glockenspiel, auch ist noch manch anderes künstliches Bildwerk an der Münsteruhr zu sehen und sind gedankenvolle Sprüche daran zu lesen.

Dieses herrlichen Werkes Meister hieß Habrecht, der hatte gar lange gesonnen Tag und Nacht und gearbeitet unermüdlich, bis er es vollendet und big es durch seinen lebendigen Gang alle Welt zum Erstaunen hinriß. Da es nun vollbracht war, gedachte der Meisser, auch anderswo seine unvergleichliche Kunst zu üben, da blies der böse Feind dein Rare der Stadt Straßburg schlimmen Neid in das Herz, es sollte seine Stadt solch Wunderwerk nur einzig und allein haben. Und weil die Herren im Rate



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glaubten, wenn sie dem Meister Habrecht auch verboten, der Stadt Weichbild zu verlassen, werde er Straßburg dennoch den Rücken kehren, so wurden sie miteinander eins, ihn des Augenlichts zu berauben.

Das ward dem Meister angesagt, und wie er es vernahm, schauderte ihm, und er sprach:

"Nur einmal noch muß ich mein Uhrwerk sehen, möcht' etwan noch was daran bessern, da ich's später nicht mehr vermag, wenn ich nicht sehend bin.

Das wurde ihm vergönnt, und dann flieg der Meister zu seinem künstlichen Bau hinauf und trat hinein und schaffte was darin, eine kurze Weile. Und hernach haben sie auf dem Rathaus den Meister des Augenlichts beraubt.

Aber siehe — da stockte mit einem Male das Uhrwerk. Christus und der Tod und die Alter der Menschen wandelten nicht mehr, das Glocken spiel verstummte, der Hahn krähte nicht, die Uhrglocken tönten nicht, der Zeigerdrache zeigte nicht, die Götter fuhren nicht mehr — alles stand. Bald aber nach der grausamen Tat wurden Meister Habrechts geblendete Augen aufgetan zum ewigen Licht — und vergebens sandte der Rat nach Künstlern umher, die das Uhrwerk wieder in Gang bringen sollten. Viele kamen, viele probten und pösselten daran und darin herum, keiner bracht s in Gang, von alter Zeit zu neuer Zeit, immer wieder-sie verdarben mehr, als sie gut machten, und so steht im Münster das Uhrwerk heute noch; wunderbar anzuschauen, aber ungangbar, und die Zeiger zeigen noch Tag und Stunde, an denen so grausenhafte, undankvolle Untreue an dem kunstreichen Meister verübt ward.



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Der Stiefel voll Wein

Auf einer Burg am Rhein ging es jun öftern gar hoch her. Da sagen eines Abends die Wild- und Rheingrafen und eine große Schar Ritter von den Nchbarburgen im Saale beisammen und zechten, und die Humpen kreisten.

Da saßen Ritter Sponheim, von Dhaun, von der Ebernburg, von Flörsheim, von Stromberg und tranken scharf und fest.



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Da hob der Rheingraf einen mächtigen Reiterstiefel auf den Tisch und goß den voll Weines und rief:

Wer diesen Humpen leert auf einen Zug, dem soll Hüffelsheim zu eigen sein mit Wonne und Weide und aller Zubehör!

Des verwunderten sich die Mannen und mocht sich's keiner vermessen, schien ihnen allen der Schluck doch zu groß, und selbst der Burgpfaff, der etwas zu leisten vermochte in guten Trunken, und mancher andere Wackere wagten sich nicht daran.

Es saß auch ein alter Zecher im .Kreise, Ritter Keos von Waldeck, der sah die andern alle der Reihe nach an und wartete, ob einer den Stiefel leeren wolle, und da es keiner tnt, da faßte er ihn in die Hand und ließ den Wein ringen in seinen Schlund und trank ihn leer bis auf die Ngelprobe, und dann sagte er:

"Lieber Rheingraf, dein Hüffelsheim schmeckte gut, wie wär' es nun mit Waldbökelheim ? Jer Mensch kann doch nicht in einem Stiefel gehen?

Aber der Rheingraf wollte nicht noch einen Ort an eine Rittergurgel verlieren und schwieg stille.

Danach ist das Sprichwort aufgekommen: Der verträgt einen guten Stiefel.


Kindertzüge und Kindertanz

Zu einer Zeit (1212) kam unter die Kinder in Thüringen und auch im übrigen Deutschland, wie in Frankreich, ein gar sonderer Trieb und eine wunderbare Phantasei, sich zusammenzizscharen und hinwegzuziehen, das Heilige Grab zu gewinnen.

Die Sage geht, daß ein fremder schöner Knabe durch die Gaue gewandelt und das Kreuzfahrerlied gesungen habe, da seien ihm alle Kinder scharenweise gefolgt mit unwiderstehlichem Triebe, da weder Worte, noch Schläge, noch Bande sie abhielten. So sollen aus Deutschland zwanzigtausend, aus Frankreich aber dreißigtausend Knaben fortgewandert sein;



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kamen aber auf ihrem Wege über die Alpen in unwegsamen Gebirgen um, und jene, die das Meer erreichten, durch schreckliche Seestürme, und hat ihrer keiner die Heimat wiedergesehen.

Wie dieser Zug im großen, ist auch einer im Jahre 1237 im kleinen geschehen, doch war der wieder anderer Art und Ausganges, gab aber Zeugnis, wie ein unbekanntes Etwas die Menge allgewaltig ergreifen und fortreißen kann, ohne daß sie sich Rechenschaft zu geben weiß von ihrem oft ganz wahnvollen Tun.

Es kam am 15. des Brachmonats im genannten Jahre unter die Kinder in der Stadt Erfurt eine sonderbare Tanzlust. Sie sammelten sich zu einer Schar von mehr als eintausend und machten einen Tang, Hände in Hände, in großen Ketten, vom Löbertor zu Erfurt hinauf auf den Steigerwald bis zum Dorfe Waltersleben und von da nach Eischleben, von Eischleben nach Ichiershausen und über Kudisleben nach Arnstadt, eine Wegstrecke von oier guten Stunden, immer tanzend, singend und springend, guter Dinge und hingerissen, bis sie am Abend todmüde in Arnstadt ankamen.

Die Bürger von Arnstadt verwunderten sich gar sehr, wo die vielen Kinder auf einmal herkamen, nahmen sie auf, und die Bürger in Erfurt wußten nicht, wo ihre Kinder hin waren, und war eine überaus große Bestürzung in der Stadt, da fast in jedem Hause Kinder fehlten, die dauerte die ganze Nacht hindurch, big endlich am frühen Morgen Botschaft von Arnstadt kam.

Da haben die Erfurter viele Wagen genommen und sind hinüber nach Arnstadt gefahren, haben diesen Bürgern gar herzlich gedankt für die Gastfreundschaft, die sie ihren Kindern erwiesen, und haben die Kinder wieder mit sich nach Hause genommen. Die Kinder aber haben alle nicht sagen können, wer ihnen geheißen, diesen weiten Weg tanzend zurückzulegen — es wäre ihnen so angekommen, und sie wären wohl noch weitergegangen, wenn sie nicht müde und hungrig geworden. Aber viele dieser Kinder starben bald darauf, und die Mehrzahl der übrigen blieb bis zum Tode mit einem anhaltenden Zittern behaftet. Ihr Tanz war ein Verhängnis.



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Die getreue Alte

Zu Husum sollte einst ein Winterfest gefeiert werden auf dem Eise, denn das Eis war fest. Zelte wurden aufgeschlagen auf der herrlichen blanken Fläche zwischen dem Ufer und der Insel Nordstrand, Schlittschuh lief, was laufen konnte, Stuhlschlitten flogen dahin, Musik und Tanz, Lied und Becherklang verherrlichten den schönen Tag und die nahe lichthelle Mondnacht, die den Jubel noch vermehren sollte, denn schou ging der Mond auf.

Alles und alles war hinaus aufg Eis und machte sich lustig, nur ein steinaltes Mütterchen war zurückgeblieben, hatte die Weltlust hinter sich, und wenn sie ja wollte, konnte sie hinaus und hinab aufs Eig sehen, denn ihr Häuslein stand auf dem Damme. Und sie tat's, sah gegen Abend hinaus und sah im Westen ein Wölkchen über die Kimmung heraufziehen Da befiel sie große Angst, denn war eines Schiffers Witwe und kannte die See und die Zeichen von Wetter und Wind.

Sie rief, sie winkte — niemand vernahm sie, niemand blickte nach ihr — aber das Wölkchen wuchs zusehends und war ein Bote der Flut und schnell umspringenden Windes von Nord nach West. Und wenn die auf dem Eise nur noch eine halbe — eine Viertelstunde zögerten, so war es um sie getan, so stand Husum menschenleer. Wie die Wolke wuchs, zusehends, riesengroß, schwarz- wie schon den lauen Windhauch spürte, wuchs auch der Alten unsägliche Angst — und sie war allein, krank, halb gelähmt, machtlos. Dennoch ermannte sie sich, kroch auf Händen und Füßen zum Ofen, nahm einen Brand, zündete das Stroh ihres eigenen Bettes an und kroch zur Tür des Häuschens hinaus.

Bald schlug die Flamme aus dem Fenster, hinauf zum Dach, des Sturmes Odem fachte hellodernde Glut an, und "Feuer! Feuer!"schrie es auf dem Eise, und die Zelte wurden verlassen, die Schlittschuhläufer flogen



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dem Strande zu, die Schlitten lenkten sich heimwärts. Und da fauchte schon der Wind über die Eisfläche, da pochte es schon drunten und polierte, und wie Kanonendenner krachte das Eig in der Ferne. Die schwarze Wolke überzog den Mond und den ganzen Himmel, wie ein Leuchtturm stammte das Haus der Witwe und zeigte den Heimwärtseilenden die sichere Bahn. Als die letzten am Strande waren, rollte die Flut ihre Wogen über das Eig und riß Zelte und Tonnen, Wagen und Zechgeräte in ihre rauschenden Wirbel.

Die arme Alte hatte ihr Häuschen geopfert, die Bewohner ihrer Stadt jenen. Es wirs ihr ja wohl nicht unvergolten geblieben sein.


Der Glockenguß zu Attendorn

Eine Witwe, die zu Attendorn im Lande Westfalen lebte, hatte einen einzigen Sohn. Der ging in die Fremde, nach Holland, wo er treu und fleißig arbeitete, die Mutter unterstützte und auch für sich etwas zurücklegte, was er aber alles nach Hause zur Sutter sandte, es ihm aufzubewahren. Da kam eines Tages mit anderen Sachen eine kleine schwarze, aber sehr schwere Metallplatte, und die Frau, die einen kleinen Laden hielt, stellte sie unter die Bank, da sie nicht recht wußte, wo sie das Erz aufbewahren sollte, seiner auch nicht hoch achtete.

Nun traf es sich, daß die zu Attendorn wollten eine neue Glocke gießen lassen, und da gingen Männer aus der Gemeinde von Haus zu Haus und erbaten altes Metall, Erz, Messing, .Kupfer, Zinn, alles, was gut war zur Glockenspeise von zerbrochenen oder abgängigen Geschirren und Hausgeräten, und da die Witwe gerade nichts Entbehrliches von solcher Art hatte, fiel ihr die alte schwarze Erzplatte ihres Sohnes ein, und sie gab diese den Männern hin.

Der Glockengießer reiste bald darauf nach Arnsberg, wo er auch Arbeit hatte, indes bereitete sein Geselle zu Attendorn alles zum Guß vor big zu



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des Meisters bestimmter Ankunft, formte die Glocke und brachte einstweilen alles Erz in Fluß. Siehe, da blieb der Meister, durch andere Arbeit verhindert, aus, und der Geselle konnte nicht anders als den Guß vollenden, auch war er seiner Sache gewiß. Und das Werk gelang ganz vortrefflich, und als nun die Glocke geläutet wurde, hatte sie einen überaus herrlichen Klang, so daß alles, und sein Werk am meisten, den Meister lobte, obgleich der Meister nur ein Geselle war.

Heitern Sinnes gedachte dieser nun nach Arnsberg zu reisen, um seinem Meister dort zu helfen, und als er schied, da gaben ihm viele gute Gesellen das Geleite, und hinter ihm schallte das herrliche Geläute seiner Glocke ihm zu Sank und Ehren. Allg nun der wandernde Geselle mit seiner Geleitschaft gegen das Schloß Schnellenberg kam, begegnete ihm auf einer steinernen Brücke zu Pferde sein Meister, welcher schon erfahren hatte, daß der Geselle ohne ihn den Glockenguß meisterlich vollbracht, voller Zorn und Wut, schnaubte ihn mit den Worten an:

Was hast du getan, du Bestia?!"

Er schoß ihm auf der Stelle eine Kugel durch den Kopf und sprach zu den erschrockenen Geleitenden:

Der Kerl hat die Glocke gegossen als ein Schelm, muß umgegossen werden!

Ritt stracklich, als habe er was Rechtes vollbracht, nach Attendorn, in Absicht, die Glocke wirklich umzugießen.

Allein die Zeugen der Mordtat klagten ihn an beim Rat, und der Rat ließ ihn alsbald festsetzen und bedeuten, es sei nicht Brauch im Reich, daß jeder Meister an seinem Gesellen zum Scharfrichter werde, und ließ ihn befragen, was ihn zu solcher Untat getrieben, denn ein hochweiser Kat zu Attendorn sah klüglich ein, daß wohl mehr dahinter verborgen liegen müsse ala bloßer Zorn und Eifersucht über ein noch dazu wohlgelungenes Werk des Gesellen. Erst fragten sie gütlich, dann peinlich und sehr peinlich, mit eisernen Fragezeichen, als da waren Daumschrauben, spanische Stiefel, gespickter Hase und dergleichen, und da bekannte der Meister Glockengießer, er habe sich so sehr verzürnt über den Gesellen, weil unter dem eingelieferten



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Metall eine schwere schwarzgefärbte Goldplatte gewesen, die er, der Meister, für sich habe wegzwacken und zurückbehalten wollen, die habe der Geselle aus Unkunde auch mit eingeschmolzen, und davon habe die neue Glocke den herrlichen Klang. Darum habe er die Glocke nochmals umschmelzen, das Gold ausscheiden und sie neu gießen wollen.

Mit diesem Bescheid auf seine Fragen war der Kat zu Attendorn zufrieden und ließ dem Meister den Kopf abschlagen, dem unschuldigen Gesellen aber auf jener Brücke ein Steinernes Kreuz zum Andenken errichten. Niemand aber konnte denken, wer in der Stadt zur Glocke eine so kostbare Beisteuer gegeben habe.

Da kehrte der Sohn der Witwe mit ziemlicher Habe aus Holland zurück und fragte bald seine Mutter, wo sie die schwere Goldplatte aufbewahrt habe, so er ihr gesendet?

"Gold? Das war Gold?"schrie die Witwe und wurde vor Schrecken bleich und schier ohnmächtig und bekannte mit Zittern, daß sie das ja unmöglich habe wissen können, daß die schwarze Platte hingegeben habe zum Glockenguß. Darauf sprach der Sohn:

"Beruhigt Euch nur, meine liebe Mutter! Es ist gegeben zu Gottes

Und nun erzählte die Frau ihrem Sohne die Geschichte von dem Glockenguß und wie es dabei ergangen, daß durch jenes Gold zwei Menschen, einer unschuldig und einer schuldig, ihr Leben eingebüßt, daß sie aber nimmermehr habe denken können, daß aus ihrer Hand das vielbesprochene Gold gekommen, und der Sohn sagte:

"Gott hat es also vorausbestimmt, wir wollen über den Verlust nicht klagen und nur über das Unglück trauern, das jenes Gold geboren.

Nach langen Jahren entzündete ein Wetterstrahl den Glockenturm zu Attendorn, und in der Glut schmolz auch die Glocke. Da ward das Erz gesammelt und geprüft und also goldhaltig befunden, daß von seinem Wert der ganze Turm neu gebaut und mit Blei gedeckt werden konnte.



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Die Krempner Glocke

Wieviel die Hamburger an Gold übrighatten, erhellt aus dieser Sage; Zu Krempen hing eine herrliche Glocke in dem Kirchturm. Es hatte sich bei ihrem Guß etwas Besonderes zugetragen; da nämlich die Speise schon flüssig und alles zum Gusse fertig war, hatte der Meister noch ein Geschäft und befahl dem Lehrjungen die Obhut des Gießofens. Da stand auf einer Kapelle ein Schmelztiegel, in dem Silber floß — der Meister mochte das wohl zu einer Zier oder Inschrift benutzen wollen, der Junge aber meinte, das müsse noch zur ganzen Masse, um sie recht gut und wohlklingend zu machen, und schüttete den Tiegel voll Silber hinein zur Glockenspeise. Der Meister kam gerade dazu, ergrimmte und schlug mit seinem Stock so hart auf den Jungen, daß der tot niederfiel.

Der Glockenguß fand statt, und als nun die Glocke getauft war, in ihrem Stuhle hing und geläutet wurde, da hatte sie von dem Silber einen hellen, reinen Klang, dergleichen noch niemand so schön gehört hatte, aber immer klangen und lauteten die Worte hindurch: Schad' um den Jungen! Schad' um den Jungen.

Weil nun die Glocke so schön tönte, wurden die Hamburger neidisch auf die Krempner. Sie boten und boten darauf, zuletzt eine Kette von Gold, so groß, daß sie um ganz Krempen herumreichen sollte. Das waren endlich die zu Krempen zufrieden, die Glocke ward auf einen Wagen gesetzt und fortgefahren. Aber auf einer nahen Anhöhe stand der Wagen und sank ein. Es wurde vorgespannt noch soviel, die Pferde vermochten nicht, ihn weiterzubringen. Da spannte man zwei Pferde am hintern Teile des Wagens an, und siehe, mit Leichtigkeit ließ er samt der Glocke sich ziehen, wieder hinab nach Krempen zu. Da hing sie bald wieder im Turm und ließ ihre wehmutvolle Klangstimme ertönen: Schad' um den Jungen!



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Im Kriege der Russen gegen die Schweden, der auch über diese friedlichen Gefilde sich hinwälzte, haben die Schweden die schöne Kirche von Krernpen in die upi gesprengt, aber von der Glocke ist nichtig entdeckt mor- den. Die 1 age gebi, sie sei in die Erde versunken und werde dereinst wohl wiedergefunden werden.


Das Frühmahl

Auf dem Schlosse zu Rudolstadt herrschte die verwitwete Katharina von Schwarzburg, eine geborene Fürs gräfin von Henneberg, ala der Dreißigjährige Krieg durch die Sande wütete. Sie hatte für das Sand ihrer ummündigen ,ohne einen kaiserlichen Schutzbrief erwirkt, denn es nahten ihm des blutgierigen Herzogs Alba räuberische Scharen, die alles deutsche Land verwüsteten. )er Herzog kam in Rudolstadt an und lud sich auf ein Frühstück bei der Gräfin auf dem Schlosse ein, und diese Einladung kennte nicht abgelehnt werden.

Während der Herzog mit seinen Begleitern und Gefolge sich's wohlschmeken ließ, raten die spanischen Soldaten nach ihrer Gewohnheit, trieben den Bauern das Vieh weg, plünderten und erpreßten Geld. Klage auf Klage traf ein, und die Gräfin hieß ihren ganzen männlichen Hofstaat und alle Schloßdienerschaft sich big an die Zähne bewaffnen, dann trat sie in den Speisesaal zum Herzog Alba und schilderte ihm die Ungebühr seiner Soldateska, indem sie ihm des Kaisers Freibrief zeigte. Alba aber sagte: "Krieg ist Krieg! sprach die Greisin: "Schreibt einen Brief, Herr Herzog, an Euer Selk, daß sie meinen Untertanen alles wiedergeben, was sie raubten, und auf der Stelle ihrer Zügellosigkeit Einhalt tun.

Wie, Frau Gräfin ?" fragte unmutig der Herzog und zeigte keine Neigung, der Aufforderung Folge zu leisten; da rief die Gräfin ganz entrüstet: "Ihr wollt nicht Nun, bei Gott, Fürstenblut für Ochsenblut!"



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Ein Handwink der mutvollen und entschlossenen Frau, und durch alle Türen drängte sich Mann an Mann, eine Schar Geharnischter mit bloßen Schwertern und spitzen, scharfen Partisanen. Der Herzog wurde blaß uns flüsterte mit dem Herzog von Braunschweig, der mit ihm war. Dann schrieb er den Befehl. Der Herzog von Braunschweig lachte und lobte, äußerlich im Scherz, innerlich im Ernst, die herrliche deutsche Frau, die nun dankte und die Bewaffneten entließ. Alba schwieg und ging und mag lange an das Rudolstädter Frühmahl gedacht haben. Diese wackere Gräfin ruht in der Kirche zu Rudolstadt, und über ihrer Gruft ist ein schönes metallenes Denkmal mit nachrühmender Schrift zu lesen.



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Treuer Herr, treuer Knecht

Als auf der Lohheide die Holsten gegen die Dänen die große Siegesschlacht schlugen, fielen der Dänen so viele, daß die ganze Feldmark voll Leichen lag. Die schwarze Gret hat auch in dieser Schlacht mitgefochten. Graf Geert, der Holstenführer, ward im Schlachtgetümmel vom Pferde geworfen, aber ein Bauer aus Büttel bei Brockdorf in der Wilstermarsch half ihm wieder zu Roß und sprach:

"Nun gebrauche wieder deine vorigen Kräfte.

Zum Dank dafür befreite der Graf das ganze Dorf von der Landesschatzung. Einen Edelmann, Wedeke von Osten, der in dieser mörderlichen Schlacht fiel, hatte Graf Geert so lieb, daß er um ihn weinte.

Derselbe Graf ließ in Kendaburg eine Schar Landgknechte zurück, an welche die Bürgerschaft noch Forderung hatte. Als sie aber den Lärm der Schlacht hörten, machte sich die Schar unter Führung des Ritters Burchard von Jtzehude, des Grafen Marschall, auf und dem Getümmel zu. Es war aber Nacht, und wie sie gegen Sehestedt oder Königsfährde kamen, ritt ihnen ein Dänenhaufe stracks in die Hände. Den griffen sie an, erschlugen einen Teil und fingen die anderen, und der Marschall ritt mit ihnen nach Schloß Gottorp und pochte an, den Grafen Geert zu sprechen. Der war schwerverwundet, erhob sich aber dennoch vom Lager. Da sprach Burchard zu ihm:

Herr, da ich Euch zuziehen und Hilfe leisten wollte, bin ich verwundet und gefangen worden und nur unter Geleit entlassen. Weg soll ich mich trösten? Wollt Ihr mich vom Feinde lösen?"

Ohne Zweifel!" antwortete der Graf. "Ich habe der Dänen genug gefangen und gebe ihrer viele darum, dich frei zu machen."

Getreuer Herr, getreuer Knecht! sprach darauf der Marschall zu sich selber und rief dem Grafen freudiglich zu:



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Herr, ich bin nicht wund und nicht gefangen, aber ich bringe Euch gefangen den Dänenkönig, seine schwarze Gret und sein ganzes Gefolge! Laßt das Schloß auftun und verwahret alle wohl."

Danach hat sich der König mit großem Gelde lösen müssen, und es wurde ein Sprichwort im Lande: Treu Herr, treu Knecht.

Dasselbige Sprichwort hat sich weit verbreitet und hat in späterer Zeit ein Herzog zu Sachsen-Gotha es sogar auf Münzen prägen lassen, und liegt ein tiefer Sinn darin für Herren und Diener.


Swentipols Scherz

Zur selben Zeit, als Herzog Swentipol gegen den Deutschen Orden aufgestanden war, lagerte er in Pomesanien an einem lustigen Ort an der Weichsel, etwa zwischen Kulm und Thorn, und war guter Dinge. Nun war ein Mann am Hofe Swentipols, der fürchtete sich vor den Deutsch rittern schier mehr als vor dem Teufel, und Swentipol hatte mit ihm stets seinen Spott ob jenes Zagheit. So dachte der Herzog auch einen guten Scherz sich aus, ein vertrauter Diener solle über Tafel hastig kommen und schreien: "Die Ritter! Die Ritter sind da!", und da wollte Swentipol sich recht an des Hofmanns furchtsamem Wesen ergötzen. Er sagte das auch seinen Heerführern an, daß sie sich, wenn der Diener schreie, ganz ruhig verhalten sollten.

Da nun alles beim Mahle saß und ein Diener, der seines Herrn Befehl zu rechter Zeit vollziehen wollte, draußen stand und ohngefähr in das Feld blickte, sah er wirklich die Ordensritter gegen das Lager heranreiten, eilte daher voll Schreck in den Saal und schrie: "Die Kreuzherrn kommen! Gewiß und wahrhaftig! Sie kommen! Rettet euch!

Kaum hörte der furchtsame Hofmann dies Geschrei, als er vom besten Bissen aufstieg und eiligst das Weite suchte. Auch gelang ihm seine Flucht trefflich, er erreichte einen nahen Busch und rettete sein Leben. Swentipol



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und seine Hauptleute lachten allzumal über den Feigling, der Diener schrie aber immerfort: "Auf! auf! die Ritter kommen!

Da rief Swentipol ihm zu: "Halte nun endlich dein Maul, dummer Narr! Siehst du nicht, daß es genug ist?

Sie kommen aber doch, die Ritter! Sie kommen!" schrie der Diener.

Aber nicht lange mehr, da waren die Ritter wirklich da und schlugen auf ihre Feinde, die sich eines Überfalles nicht versahen, grimmig los, und alle, bis auf Swentipol, wurden erschlagen. Er selbst und nur einer der Seinen retteten sich mit Not und Gefahr durch Schwimmen, indem sie die Weichsel erreichten und sich in den Strom warfen.


Ein Dieb rettet Thorn

Im Dreißigjährigen Kriege, der seine verderblichen Heereswogen auch über das alte Preußenland wälzte, rückte der schwedische Obrist Helmold Wrangel, insgemein der tolle Helm genannt, in Eile vor Thorn und wollte nach seiner tollen Art die Stadt überrumpeln und einnehmen. Das wäre ihm auch fast geglückt, aber er hatte keinen guten Tag und keine günstige Stunde gewählt, denn zufällig traf es sich, daß die Thorner einen Dieb hängen wollten, und wie der Dieb auf der Leiter stand und ihm schon die Schlinge um den Hals gelegt werden sollte, schaute er in das weite Feld hinaus und sah die feindlichen Heerhaufen daherziehen, schrie deshalb überlaut: "Der Feind, der Feind!"

Da liefen die Leute nach der Stadt, und das Amt lief, und die Schergen liefen, und der Henker ließ den Dieb von der Liter fallen und lief, und der Dieb lief auch, und drinnen in Thorn stürmten sie mit den Glocken und griffen zu den Waffen, den Feind abzuwehren.

Wie der tolle Helm ans Tor kam, da war es zu, und von der Mauer herab knallte böser Gruß entgegen, da mußte der Obrist Helmold von Wrangel wieder umkehren und der Stadt Thorn den Kücken zeigen.



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Dem armen Dieb, der seines Leibel jaer dem Tore keinen Rat gewußt und auch wieder mit in die Stadt Hineingelaufen war, wurde gern das Leben geschenkt.


Die Schlacht auf dem Tausendteufelsdamme

König Johann von Dänemark sprach ;u dem Herzog, seinem Bruder:

"Was beginnen wir nur, daß wir das reiche freie Dithmarschenland an uns bringen ?

Da sprach der Herzog:

Wir wollen einen Boten an die sächsische Garde senden, mit deren Beistand wollen wir wohl den Dithmarschen obsiegen.



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Sie sandten einen Boten in die Marsch und kündigten dem Volke an, daß der König drei feste Schlösser haben wolle im Lande, aber das wollten die Bauern nicht leiden.

Der Bote ging zurück nach Rendsburg, wo der König lagerte und ein mastig großes Heer sammelte aus Jütland, aus Fühnen, aus Holstein und aus deutschen Landen; Goldknechte eine ganze Schar vom Rhein, aus Franken und Sachsen, die hatten sich zusammengetan und nannten sich die sächsische Garde. Als die Garde zu dem Königsheer Süess, fragte sie:

Herr König, wo liegt denn das Dithmarschen? Liegt es im Himmel droben oder auf schlichter Erde?"

Da sprach der König:

Es ist nicht mit Kloben an den Himmel geschlossen, es liegt auf Erden.

Darauf sprach die Garde wieder:

Herr König, wenn das Dithmarschenland nicht mit Kloben an den Himmel geschlossen ist, soll es bald unser werden."—

Nun ließ der König die Fahnen fliegen und die Trommeln schlagen und zog mit dem Heere von zwölftausend Mann auf das tiefe Land zu. Zuerst zog das Heer nach Windbergen, da lag es eine kleine Weile und rastete, hernach zog es weiter nach Meldorf zu und trieb allerlei Übermut und Grausamkeit. Sie steckten des Königs Banner hoch vom Turme aus und hingen ihre Schilde über die Mauer, alles den Dithmarschen zum Hohne. Die hatten nur eine kleine Schar von tausend Streitern und wichen zurück bis an die Hemmingstetter Brücke.

Dort waren noch Wälle aus der alten Sassenzeit und tiefe Gräben, schlammig, voll Wasser. Da machten die Dithmarschen in der Nacht ein Bollwerk, stopften die Lücken des alten Erdwalles mit Moos und Schlamm und Binsen, machten ein Pfahlwerk und erwarteten den Feind. Der kam im Frühstrahl herangezogen, voll Kampfesmut, und die Dithmarschen warfen ihm einen Steinhagel entgegen. Die Feinde aber suchten in Eile den Graben zu überbrücken, banden Speere zusammen, und darauf warfen sie querüber wieder Speerbündel, und nun hinüber, aber rücklings wurden sie niedergestürzt und niedergeschmettert. Viele wollten im Sprung



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die Höhe des Walles gewinnen und schwangen sich am Schaft der Lanzen hoch empor, aber sie sprangen zu kurz, und wem ja der Sprung gelang, der empfing in Kolbenstreichen auf dem Wall den sicheren Tod. Da leuchtete mancher alte Morgenstern vom Bornhövder Schlachttage wieder hell, und manche verrostete Klinge von damals schliff sich wieder blank an Feindes Helm und Panzer.

Aber siehe, plötzlich entstand ein Angst- und Schreckensruf im Kampfhaufen der Dithmarschen:

"Umgangen! weh! wir sind umgangen!

Im Rücken heran zog Feindesgewimmel, das an anderer Stelle den Wall überklettert hatte, und es drohte nun Unheil. Da trat plötzlich allen unversehens eine Dithmarschenjungfrau vor, die schwang hoch in der Hand eine Fahne.

"Mir nach!" rief "Drauf!" — und stürmte mit der Fahne und einem Schwert fliegenden Haares geradezu gegen den Feind. Es entstand ein hartes und fürchterliches Schlagen, und lange stand der Kampf, aber die Übermacht der Feinde war allzu groß.

Endlich hatte Gott Erbarmen und sandte die Flut. Die wälzte sich heran, krachte an die Schleuse, brach sie, überströmte die Felder von Hemmingstett, und wie die Bauern die Wogen daherbrausen sahen, da jauchzten sie in erneuter Kampflust. Sie nahmen wieder hinterm Tausendteufelsdamme festen Stand, wo sie sicher vor der Flut waren, und schlugen auf den Feind los, den rings die Wogen bedräuten.

Da war ein Gardenführer, sie nannten ihn den langen Jürgen, der hatte Herz im Leibe und spornte seinen Hengst, sprengte glücklich auf den Wall und rief: "Wer wagt es mit mir, der komme heran!

Doch da war ein Bauer, der hieß der Reimer von Wiernerstede, der sprang vor, schlug mit seiner Mordaxt des Junker Jürgen Speer zur Seite und hieb mit der Axt in den Panzer des Junkers ein. Die Axt saß so fest, daß er sie nicht wieder herausziehen konnte. Da riß der Reimer den Jürgen am Axtstiel nieder, trat auf das Eisen und trat es dem Junker fünf Zoll tief in den Leib hinein.



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Auch von anderen Feinden blieben zahllose Tote in dieser wilden Schlacht, außer denen, die von den Wogen verschlungen wurden. Es blieben da fünf von dein Geschlechte der Kanzau, von Ahlefeld sieben, von Wackerbarth vierzehn, der König entfloh zu Schiffe.

Lange sind noch Lieder von dieser Schlacht auf die sächsische Garde, von Jürgen Slens, von der kühnen Maid und dem Reimer von Wiemerstede im Dithmarschenlande gesungen worden.


Die Tellensage

Lieder und Chroniken des Schweizerlandes preisen den Tell als den Befreier von hartem und lastendem Druck, als den Schöpfer der Schweizer- freiheit, und in alle Lande ist sein Ruhm erklungen, ewig fortlebend und unaustilgbar.

Es war zu den Zeiten des Kaisers Albrecht von Österreich, der war ein strenger und heftiger Herr und suchte, daß er sein Land mehre; so kaufte er viele Städte, Flecken und Burgen in dem Schweizerland, setzte dort Landvögte ein, die in seinem Namen regierten. Drei Schweizerstädte und Sand aber wollten nichts von dem Österreicher wissen noch haben; da sandte ihnen der Kaiser zwei edle Boten, den Herrn von Lichtenstein und den Herrn von Ochsenstein, die mußten den Orten vortragen, daß sie sich doch sollten in Österreichs Schutz und Schirm begeben, da könnten es mit der ganzen Welt aufnehmen und ihr trutzen. Wollten sie das aber nicht, so werde der Österreicher ihr Feind sein, und sie sollten sich nichts Gutes von ihm zu versehen haben, Da sprachen die Männer von Schwyz:

Liebe Herren, wir wollen dem Hause Österreich gern in allen Ehren zu Lieb und zu Dienst sein, aber wir wollen doch bei unsrer alten Freiheit bleiben, die noch niemalen ein Fürst oder Herzog angetastet hat."

Auf diese ,Rede brachen die Abgesandten rasch auf und ritten stracks nach Uri und Unterwalden, dort, dachten sie, würden sie gleich Gehör



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finden. Es kam aber ganz anders, denn die drei Orte hatten sich schon miteinander verbunden und sich verschworen, treulich zusammenzuhalten, sagten auch, daß ihre Freiheit ihnen verbrieft sei von Kaiser Friedrich dem Hohenstaufen und Rudolf dem Habsburger, und nun ritten die Abgesandten unverrichtetersache von dannen.

Bald darauf sendete Albrecht von Österreich zwei Vögte, die hießen Geßler und Landenberger. Von denen sollte Geßler Amtmann zu Schwyz und Uri sein, der Landenberger aber zu Unterwalden. Sie sollten sich zu Anfang freundlich zeigen, ob sie vielleicht in Güte das Volk bewegten, allein es ließ sich nicht beschwatzen, und da erhielten die Landvögte Befehl, den Bauern alles gebrannte Herzeleid anzutun. Als das nun geschah, sendete das Volk Klageboten an Albrecht, der aber ließ diese gar nicht vor sein Angesicht. Nun gingen die Sendboten zu des Kaisers Räten und baten sie freundlich und ernstlich, sie sollten dem Mutwillen und der Plackerei der Vögte steuern; aber die Räte sprachen:

"Ihr Männer seid selber schuld an allem Übel, warum wollt ihr euch nicht auch in unsers Herrn Gnade, Schutz und Schirm geben? Tätet ihr solches, so hättet ihr Ruhe und guten Frieden."

Da kehrten die Gesandten traurig heim und ohne Hoffnung.

Damals hauste in Unterwalden ein gar redlicher Mann, der niemals Untreue verübte, der war dem Landenberger besonders verhaßt, und sein Name war Heinrich im Melchtal an der Halde. Zu dem sandte der Landenberger, der auf Burg Sarnen saß, einen seiner Knechte mit dem Gebot, dem Melchtaler die Ochsen vom Pfluge abzuspannen. Flugs gehorchte der Knecht und wollte dem Manne die Ochsen vom Pfluge wegführen. Heinrich im Melchtal aber sprach:

Laß ab, meine Ochsen behalte ich. Hab' ich was Sträfliches getan, so soll man mich vorfordern und richten."

Der Knecht antwortete:

"Bauer, ich tue, was meines Herrn Gebot ist, frag ihn selbst um die Ursach'! Ihr Bauern seid selber Ochsen genug, daß ihr den Pflug selbst ziehen könnt.



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Diese lose Rede hörte des Alten junger Sohn, der hieß Arnold, nahm einen Stecken und schlug dem Knecht des Landenbergers einen Finger entzwei, daß ihm das Ochsenausspannen verging. Der Knecht lief, die Tat dem Landvogt anzusagen, und der junge Arnold im Melchtal entwich nach Uri. Der Landenberger ließ alsbald Heinrich im Melchtal vor sich bringen und begehrte von ihm des Sohnes Aufenthalt zu erfahren. Da nun der Alte entweder nicht sagen wollte oder nicht wußte, wohin sein Sohn sich geflüchtet hatte, ließ der Landenberger dem Vater beide Augen ausstechen, nahm ihm sein Gut und trieb ihn ins Elend.

Der Landvogt Geßler, der zu Uri säß, hub an, auf einem Hügel über Altdorf eine neue Burg zu bauen, die sollte genannt werden "Zwing Uri", um so recht das Landvolk zu quälen und zu reizen. Weil nun der Geßler wußte, daß er allem Volke verhaßt war, und mutmaßte, es möge sich schon etwas Heimliches gegen ihn angesponnen haben, ließ er mitten auf einem freien Platze eine hohe Stange aufrichten, mit einem Hute darauf, und befehlen, daß jedermann, wer es immer sei, dem Hute Reverenz erzeigen solle mit Bücken und Hutabnehmen, als ob es der Vogt selbst sei, und ließ heimlich spüren und aufpassen, wer das etwa nicht täte und den Gruß verweigerte. Darauf ritt er gen Schwyz und kam über Stein, da wohnte ein frommer Mann, der hieß Werner von Stauffacher, der hatte noch nicht lange zuvor ein neues Haus an seines alten Statt gebaut. Als nun der Vogt vorüberritt, fragte er:

"Wem gehört dieses Haus?"

Der Stauffacher wollte recht höflich sein, sagte nicht, daß es sein gehöre, sondern antwortete:

"Meinem Kaiser und Euch, Herr Landvogr, ich trag's von Euch zu Lehen! Beliebt Euch, einzutreten?"

Der Landvogt fuhr den Stauffacher scheltend an:

Ich bin hier an des Kaisers Statt! Hast du um Erlaubnis gefragt zu diesem Bau? Nein! Und baut ihr Bauern nicht Häuser, als wenn Herren darinnen wohnen sollten? Das will ich euch wohl wehren!"

Sprach's und ritt trutziglich weiter.



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Den Stauffacher schmerzte die Rede sehr, aber sein kluges Weib tröstete ihn und sagte ihm, er solle sich doch umtun bei andern Freunden, ob es überall im Lande so übel sei, und mit ihnen Rats pflegen, daß es anders werde.

Da ging Werner von Stauffacher gen Uri zu einem Freund, der hieß Walter Fürst, und bei dem fand er Arnold im Melchtal, der sich noch flüchtig hielt. Da ratschlagten die drei miteinander und wurden eins, daß sie noch andere treue und vertraute Männer aufsuchen und mit ihnen einen Bund gegen den Druck der Vögte schließen wollten.

Das gelang ihnen trefflich und ward ein großer, heimlicher Bund, du dem traten auch viele von ritterlichem Geschlecht, denn die Vögte waren auch ihnen aufsässig, nannten sie Bauernadel und adelige Kuhmelker. Darauf wählten die Männer des Bundes zwölf aus ihrer Mitte als ihren Vorstand, die kamen zusammen und tagten in ihren Sachen auf einer Matte am Vierwaldstätter See, die man im Gryttli (Rütli) nennt, wie es nun werden sollte. Da rieten die von Unterwalden, man solle noch warten, weil es schwer wäre, in aller Schnelle die festen Plätze, wie Sarnen und Roßberg, zu gewinnen, und wolle man sie belagern, so gewinne der Kaiser Zeit, ein Heer zu senden, das sie allzumal aufreiben werde. Man solle lieber die Schlösser mit List gewinnen, niemand töten, der sich nicht bewaffnet widersetze, allen übrigen freien Abzug gewähren und dann die Festen bis auf den Boden schleifen. Als die Männer so tagten und den großen Bund beschwuren, da entsprangen der Matte heilige Quellen.

Mittlerweile geschah es, daß ein Mann aus Uri, Wilhelm Tell geheißen, etliche Male achtlos an Geßlers Hut vorüberging und ihm keine Reverenz machte. Kaum ward das angezeigt, so forderte ihn der Vogt vor sich, Tell aber sprach:

"Ich bin ein Bursgmann und vermeine nit, daß so viel an dem Hut lieg', hab' auch nit sonder acht darauf gehabt."

Da ergrimmte der Vogt, schickte nach des Tellen allerliebstem Kind und sagte:



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"Du bist ja ein Schütz und trägst Geschoß und Gewaffen mit dir herum, jetzt schieße diesem deinem eigenen Kind einen Apfel vom Kopf.

Dem Tell erschrak das Herz, und er sprach:

"Ich schieße nicht, nehmt mein Leben."

"Du schießest, Tell", schrie der Landvogt, "oder ich lasse dein Kind vor deinen Augen und dich hinterdrein niederstoßen!

Da betete der Tell innerlich zu Gott, daß er seine Hand führe und des liebsten Kindes Haupt schirme. Und der Knabe stand still und ruhig und zuckte nicht, und Tell schoß und traf den Apfel. Da jauchzte das Volk laut auf und umjubelte den Tell, den meisterlichen Schützen, das verdroß erst recht den Geßler, und er schrie den Tell an, der noch einen Pfeil im Koller hatte:

"Du hass noch einen Pfeil, Tell, sag an, was hättst du getan, wenn du dein Kind getroffen

Tell antwortete: "Das ist so Schützenbrauch, Herr."

"Nein, das ist eine Ausrede, Tell! antwortete der Landvogt. "Sag es frei, ich sichere dich deines Lebens."

"Wenn Ihr denn es wissen müßt", sprach Tell, "und meines Lebens mich versichert, so hört, traf ich mein Kind, so hätte dieser Pfeil Euer wahrlich nicht fehlen sollen."

"Ha, du Schalk und Erzbösewicht!" schrie der Landvogt, "das Leben hab ich dir versichert, aber nicht die Freiheit. Ich will dich an einen Ort bringen, wo weder Sonne noch Mond dich bescheinen soll!"

Er hieß alsobald seinen Knechten, den Tell zu binden und ihn in sein Schiff bringen, darin er über den Urner und Vierwaldstätter See fahren wollte, und ron Weggis nach Küßnacht reiten. Ja schuf Gott der Herr einen Sturmwind und ein schrecklich Ungewitter, daß das Wasser ing Schiff schlug. Nun sagten die Schiffsleute dem Landvogt, daß der Tell der beste Schiffslenker sei, der allein könne sie noch aus der Todeagefahr retten. Darauf ließ der Landvogt den Tell losbinden, der ruderte flugs mit starken Armen und brachte das Schifflein nach dem rechten Ufer, wo das Schwyzer Gelände sich hinabsenkt; dort war ein Vorsprung mit einer



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Felsenplatte, auf die sprang plötzlich der Tell mit seinem Geschoß und Pfeil, das er rasch ergriff, stieß mit Gewalt das Schifflein von sich und ließ es durch die Wellen treiben. Des erschraken der Landvogt und seine Leute mächtig, Tell aber entfloh eilend auf Pfaden, die ihm wohlbekannt waren.

Als die im Schiff nach Laupen kamen, legte sich der Sturm, Geßler ließ aber bei Brunnen anlegen, denn er fürchtete sich nun vor dem Ungestüm der Wellen. Tell wandelte auf Bergpfaden hoch über den Seetälern und sah, wohin der Landvogt zog, und da fand sich zwischen Art und Küßnacht eine hohle Gasse. Dort harrte Tell des Vogts, und wie der durch die hohle Gasse dahergeritten kam, schoß ihn der Tell mit dem aufgesparten Pfeil vom Rosse herunter, wie ein Jäger eine wilde Katze vom Baume schießt. Nach solcher Tat wich der Tell ungesehen von hinnen, kam im Dunkel der Nacht im Lande Schwyz in des Stauffachers Haus zu Steinen, eilte dann durchs Gebirg zu Walter Fürsten in Uri und sagte allen an, was und wie es sich zugetragen, und daß es jetzt an der Zeit sei, loszuschlagen und das fremde Joch abzuschütteln.

Nun war es nicht mehr weit hin bis zum neuen Jahr, denn als der Bund im Gryttli tagte, war schon Wintermond. Zuerst wurde Roßberg mit Liss eingenommen von den Unterwaldnern, und darauf Sarnen ohne Schwertschlag, und mußten alle Leute der Vögte Urfehde geloben und schwören, nimmermehr wieder in das Schweizerland zu kommen, und wurden über die Grenze vergeleitet; das noch nicht fertig ausgebaute Schloß Zwing Uri wurde wie die genannten Schlösser der Erde gleichgemacht und Werner Stauffacher brach Schloß Louvers, das in den See hineingebaut stand.

Da nun Kaiser Albrecht von allen diesen Dingen die Kunde vernahm, geriet er in großen Zorn, nahm gleich ein Kriegsheer, die Schweizer zu züchtigen. Aber auf diesem Zuge, da er durch den Aargau ritt und gen Brugg wollte, wurde er von seinem eigenen Neffen, Johann Herzog von Schwaben, ohnweit Königsfelden meuchlings erschlagen. Darum behielten die Schweizer Frieden und ihre Freiheit bis auf den heutigen Tag.



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