Märchen Seite   Bibliothek © Arpa
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lnhalt des 1. Teiles.
Vorwort des Herausgebers . VII
Lebensbild . IX
Gedichte . 1
Einleitung des Herausgebers . 3
1. Der Schwester Traum . 7
2. Mutterliebe . 9
3. Der Kranke . 10
4. Hoffe! . 11
5. Prinz Wilhelm . 13
6. Soldatentreue . 14
7. Soldatenliebe . 15
8. Soldatenmut . 15
9. Reiters Morgenlied . 17
10. An die Freiheit . 17
11. Zur Feier des 18. Junius 19
a) Seid mir gegrüsst . 19
b) Ferne in der fremden Erde . 20
c) So nahst du wieder 21
d) Wo eine Glut die Herzen bindet . 22
12. Turnerlust . 22
13. Das Burschentum . 24
14. Trinklied . 24
15. Stammbuchblätter . 26
16. Amor der Räuber . 27
17. Stille Liebe . 27
r. Trost . 28
19. Sehnsucht . 28
20. Lied aus der Ferne . 30
21. Ihr Auge . 30
22. Serenade . 31
23. An Emilie . 32
24, Die Freundinnen an der Freundin Hochzeittage 32
25, Hans Huttens Ende . 34
26, Entschuldigung . 35
27, Jesuitenbeichte . 37
28, Regel für Kranke . 38
29, Schriftsteller . 39
30. Lehre aus Erfahrung . 39
31. Logogryph . 40
32. Rätsel . 40
a) Es ist ein Wort, dreideutig . 40
b) Noch sitzt auf halbverfallnem Throne . 40
c) Ernst hieß man mich 41
33. Scharade . 41
34. Grabgesang . 42
Märchen-Almanache . 43
Einleitung des Herausgebers . 45
Märchen-Almanach auf das Jahr 1826 . 59
Märchen als Almanach . 61
Die Karawane . 66
Die Geschichte vom Kalif Storch 68
Die Geschichte von dem Gespensterschiff . 78
Die Geschichte von der abgehauenen hand 88
Die Errettung Fatmes . 102
Die Geschichte von dem kleinen Muck . 118
Das Märchen vom falschen Prinzen . 133
Märchen-Almanach auf das Jahr 1827 . 155
Der Scheik von Alessandriaundsetne Sklaven 157
Der Zwerg Nase . 164
Abner, der Jude, der nichts gesehen hat 192
Der arme Stephan . 200
Der gebackene Kopf . 201
Der Affe als Mensch . 205
Das Fest der Unterirdischen 224
Schneeweißchen und Rosenrot 224
Die Gschichte Almansors . 228
Märchen-Almanach auf das Jahr 1828 . 241
Das Wirtshaus im Spessart . 243
Die Sage vom Hirschgulden 248
Das kalte Herz. 1. Abteilung . 267
Saids Schicksale 290
Die Höhle von Steenfoll 327
Das kalte Herz. 2. Abteilung 351


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Hauff_Vol_1-000.r03. Flip arpa

Hauffs Werke.Erster Teil.
Gedichte — Märchenalmanache Herausgegeben und mit einem Lebensbild versehen

von Max Drescher

Varlin Leipzig — Wien — Stuttgart

Deutsches Verlagshaus Bang & Co.



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Spamersche Buchdrukerei in Leipzig


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Vorwort des Herausgebers.

Den Leitsätzen der Redaktion dieser Klassiker-Bibliothek entsprechend , soll die vorliegende Ausgabe der Werke Wilhelm Hauffs nicht eine historisch-kritische sein. Es konnte daher in der Hauptsache der Wortlaut des Textes beibehalten werden, den Gustav Schwab in der ersten Gesamtausgabe festgesetzt hat, zumal die von ihm angebrachten Änderungen gering an Zahl und meist unwesentlicher Natur sind; nur bezüglich der Märchen machte sich ein Zurückgehen auf die Fassung der drei Original-Almanache nötig. Ergänzt und neu geordnet wurden die Gedichte; auch die Skizzen erfuhren durch die aus dem Nachlasse des Dichters aufgenommenen drei Nummern eine Bereicherung. In den Einleitungen war es meine Absicht, aus der Art der Entstehung jedes Werkes und aus einem Vergleiche mit den Quellen ein Urteil über den höheren oder geringeren Grad seines Wertes gewinnen zu helfen. Mehrfach war es möglich, durch Einsicht in die Originalhandschriften bisher unbekannte Einzelheiten mitteilen und die Auffassung einzelner Arbeiten Hauffs richtigstellen, beziehungsweise modifizieren zu können. Hinsichtlich der Anmerkungen habe ich mich einer größeren Ausführlichkeit befleißigt, als das für ein gebildetes Publikum im allgemeinen erforderlich sein mag; ich wurde indessen durch die Tatache dazu veranlaßt, daß sich Hauff innerhalb der letzten Jahrzehnte — wenigstens in bezug auf einen großen Teil seiner Schöpfungen — augenscheinlich mehr und mehr zu einem Schriftsteller der reiferen Jugend entwickelt hat, für die, namentlich soweit ihr eine höhere Schule verschlossen blieb, eine kurze Übersetzung fremder Ausdrücke zum Verständnisse jedenfalls ebenso notwendig als willkommen sein wird. In dem vorangestellten Lebensbilde wurde das Hauptgewicht auf die Darstellung der Schüler- und Studentenzeit gelegt, also derjenigen Jahre, die vor allem die eigenartige Entwicklung unseres Dichters bedingt haben. Das Material



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dazu verdanke ich außer der ersten Biographie Schwabs und einem Artikel Julius Klaibers in Nord und Süd V hauptsächlich Dr. Hans Hofmanns "Wilhelm Hauff" (Frankfurt a. M., Moritz Diesterweg 1902) und Karl Rieckes "Meine Eltern, ihre Geschwister und ihre Freunde" , einem Familienbuche, dessen Heranziehung die Verwandten des verstorbenen Verfassers mir freundlich gestatteten. Zu herzlichem Danke fühle ich mich auch verpflichtet der Frau Professor Sophie Klaiber in Stuttgart, die mir in mannigfacher Beziehung mit ihrem Rate zur Seite stand, ferner Herrn Geheimen Hofrat Professor Güntter daselbst für sein Entgegenkommen bei der Benutzung des Marbacher Schillermuseums, sowie Herrn Archivar Sailacher in Marbach für bereitwillige Beantwortung der Fragen, die sich im Laufe der Bearbeitung ergaben.

Leipzig, im November 1907.

Dr. Max Drescher.



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Hauffs Leben und Wirken.

Mehrfach bereits ist die Frage erörtert worden. ob die Werke Wilhelm Hauffs heute überhaupt noch die Bedeutung verdienen, die ihnen im allgemeinen zuerkannt wird. Vom rein ästhetisch-künstlerischen Standpunkte aus mag — der Maßstab der einzelnen Kritiker war zu allen Zeiten verschieden — daran gezweifelt werden können. Jedenfalls dürfen wir Hauff nicht zu den gewaltigen Geistesheroen rechnen. deren Schöpfungen wir als etwas bisher Unerreichtes und für alle Zukunft Unerreichbares staunend bewundern. Sicherlich gibt es auch literarische Erzeugnisse, die Hauffs Können überragen, ohne daß sie eine annähernd gleiche Popularität erlangt haben. Hier ist eben der Theoretiker nicht allein maßgebend, sondern die Leserwelt spricht ein gewichtiges Wort mit, und von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, gebührt unserm Hauff zweifellos nach wie vor ein Platz innerhalb der deutschen Literatur. Noch immer bilden seine Schriften einen Teil des nationalliterarischen Gutes unseres deutschen Volkes, und — bei aller Objektivität, mit der wir sein Schaffen prüfen wollen, mag das gesagt sein — dessen wollen wir uns freuen. Viele Tausende unserer Kinder werden auch in Zukunft leuchtenden Auges, mit angehaltenem Atem seinen spannenden Märchen lauschen, sein lebensfrohes und lebenswahres, jugendfrisches und ungekünsteltes Wesen, wie es im "Lichtenstein" oder in den "Memoiren" zum Ausdrucke kommt, mag auch fernerhin unserer Jünglinge Herz erfreuen, und selbst der literarische Feinschmecker kann, wenn er nur Hauffs Gaben aus dem Geiste ihrer Zeit heraus bewertet und unter Berücksichtigung des Alters, in dem er sie verfaßte, den "Phantasien" And einzelnen Novellen ein Wort der Anerkennung nicht versagen.

Wenn die folgende Darstellung des zwar kurzen, aber arbeitsvollen . an interessanten Momenten keineswegs armen Lebens unseres Hauff dazu beitragen würde, das Verständnis seiner Dichtungen und die Zahl seiner Freunde zu erhöhen, dann hätte sie ihren Zweck erfüllt.



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Auf dem kleinen Graben Nr. 1358 zu Stuttgart (jetzt Eberhardstr. 23) wurde am 29. November 1802 Wilhelm Hauff geboren. Sein Vater, der damalige Regierungs-Sekretarius und Registrator, August Friedrich Hauff, gehörte einem während des 30 jährigen Krieges nach Schwaben eingewanderten österreichischen , ursprünglich gräflichen Geschlechte an und wird als feine Natur von gewinnender Erscheinung und natürlichem Geistesadel geschildert. Ihm verdankte der Dichter das gewandte gesellschaftliche Auftreten, die Sicherheit im Umgange. Als Erbteil seiner Mutter Wilhelmine, geb. Elsässer, einer verständigen und zartfühlenden Frau, die nach Justinus Kerners Angaben zeitweilig Nachtwandlerin war, ist das ruhelos vorwärtsdrängende , nimmermüde, nicht selten sogar aufgeregte Wesen, aber auch die Herzlichkeit und Gemütstiefe und jedenfalls die dichterische Veranlagung zu betrachten. Dankbar erinnert er sich der Stunden, da ihn sein Vater auf den Knien schaukelte, da er auf seines Großvaters langem Meerrohr mit dem goldenen Knopfe reiten durfte. Mit keinem Worte aber erwähnt er das Mißgeschick, das der Familie früher widerfahren war. August Friedrich Hauff hatte nämlich das Unglück, wahrscheinlich auf böswillige Verdächtigungen hin, die an seinen freien politischen Ansichten und seinem mannhaften Eintreten für Recht und Freiheit Anstoß nahmen, das Mißfallen seines Fürsten zu erregen. Der ließ ihn im Jahre 1800 plötzlich eines Nachts verhaften, nach dem Asperg bringen und neun Monate dort gefangen halten, dann aber, ohne ihm den Prozeß gemacht zu haben, auf freien Fuß setzen und wieder in sein Amt eintreten. Es ist durchaus zweifelhaft, ob dieses Ereignis auf die Entwicklung des Knaben den Einfluß gewonnen hat, den man gewöhnlich annimmt. Einmal lag es fast zwei Jahre vor der Geburt des kleinen Wilhelm zurück und konnte also nur indirekt auf ihn gewirkt haben, zum andern versuchte der Fürst ja auch, die dem Regierungs-Sekretarius zugefügte Kränkung dadurch auszugleichen, daß er ihn 1806 zum Oberappellations-Tribunal Tübingen und 1808 als "Geheimen Kabinetts-Ministerial-Registrator" in das Ministerium berief, und wenn auch namentlich die zart veranlagte Mutter in der unglückseligen Zeit seelisch gewiß schwer gelitten hat, so vermied man es doch absichtlich. die Kinder davon wissen und spüren zu lassen. Aus des Dichters eignem Munde wissen wir es, daß seine ersten Lebensjahre eine Zeit heiteren Sonnenscheins und kindlicher Lust gewesen sind; nennt er sie doch in den "Phantasien" (S. 23, 36) selbst eine , "Wonnezeit voll holder



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Träume, reich behängt mit Bilderbüchern, Christbäumen, Mutterliebe, Osterwochen und Ostereiern, mit Blumen und Vögeln, Armeen aus Blei und Papier und den ersten Höschen und Kollettchen, in welche sich die kleine sterbliche Hülle, stolz auf ihre Größe, kleiden ließ" . Leider war es dem Vater Hauffs nur ein Jahr vergönnt, sein Amt im Ministerium zu verwalten , schon 1809 starb er, und es ist eine Verbindung zwischen seinem Tode und der früher erfahrenen Unbill wenn auch nicht unbedingt erwiesen, so doch immerhin möglich. Das war jedenfalls der erste Schatten, der in des Knaben heitere Jugend fiel, dunkel genug, um ihm, als er zum Dichter herangereift war, die Worte in die Feder fließen zu lassen: "Erinnerst du dich des Morgens, als sie dich hineinführten zu einem wohlbekannten Mann, dessen Gesicht so blaß geworden war, dessen Hand du weinend küßtest, weinend, ohne zu wissen, warum? Denn konntest du glauben, daß die harten Männer, die ihn in einen Schrank legten mit schwarzen Tüchern zudeckten, konntest du glauben, daß sie ihn nicht mehr zurückbringen würden?" — Die nächste wichtige Veränderung, die des Vaters Hinscheiden veranlaßte, war die dauernde übersiedlung der Familie von Stuttgart nach Tübingen. Sie erfolgte wahrscheinlich auf den Wunsch des Regierungs- und Appellationsgerichtsrates Elsässer, des Großvaters unseres Dichters, da dieser — selbst in Tübingen ansässig — seiner Tochter und ihren Angehörigen hier viel kräftiger zur Seite stehen konnte. Und Wilhelmine Hauff bedurfte des väterlichen Rates und Schutzes gar wohl, hatte sie doch außer dem siebenjährigen Wilhelm und dem um zwei Jahre älteren Hermann noch zwei kleine, erst 1806, beziehentlich 1807 geborene Mädchen zu erziehen. Dankbar wird sie es darum begrüßt haben, als ihr Vater sich erbot, seinen ältesten Enkel dauernd bei sich aufzunehmen und seine Erziehung zu leiten. Wilhelm wuchs indessen im Kreise seiner jüngeren Schwestern auf. Er war von jeher von zarter körperlicher Beschaffenheit, etwas schwach auf der Brust, und so mag wohl die ängstliche Fürsorge, womit seine Mutter ihn pflegte, durchaus begründet gewesen sein. Mit Rücksicht auf seine gefährdete Gesundheit gab man ihm wahrscheinlich reichliche Gelegenheit, sich in Gottes freier Natur zu tummeln, und er selbst erzählt, wie gern er aufs Feld gegangen sei, die Vögel singen zu hören und die Fische den Fluß hinabgleiten zu sehen. Eine so ausgesprochene Vorliebe für freies, ungebundenes Umherstreifen in Wald und Flur im Verein mit der träumerisch phantastischen Veranlagung des Knaben


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mußte natürlich bald zu Konflikten mit den Pflichten führen, welche die Schule ihm auferlegte. Auch darüber spricht er sich später aus in den Worten: "Ich genoß eine gute Erziehung, denn meine Mutter wollte mich durchaus zum Theologen machen, und weil dieser Stand in meinem Vaterland der eigentlich privilegierte Gelehrtenstand ist, so wurde mir in meinem siebenten Jahre mensa, in meinem achten amo, in meinem zehnten typto, in meinem zwölften pakat eingebläut. Sie können sich denken, daß ich bei dieser ungemeinen Gelehrsamkeit keine gar angenehmen Tage hatte; ich hatte, was man einen harten Kopf nennt, sprang lieber mit meinen Kameraden, als daß ich mich oben in der Dachkammer, die man zum Musensitz des künftigen Pastors eingerichtet hatte, mit meinem Bröder, Buttmann, Schröder, und wie die Schrecklichen alle heißen, die den Knaben mit harten Köpfen wie böse Geister erscheinen, abmarterte." Mag auch in dieser Stelle — der Eigenart der "Memoiren" , denen sie entnommen ist, entsprechend — manches Moment übertrieben sein, so wissen wir doch aus sicherer Quelle, daß seine wissenschaftlichen Leistungen keine besonderen gewesen sind, und Gustav Schwab, der erste Biograph des Dichters, sagt ausdrücklich: "Sehr bezeichnend für die Richtung, die sein Geist schon frühe genommen hatte, erscheint das Zeugnis, das der Rektor seiner Schule, ein sehr eifriger Schulmann, der manchen trefflichen Lateiner gebildet hatte und überhaupt die Geistesgaben seiner Schüler in dieser Beziehung herauszukennen und zu wecken wußte, unserem Hauff in das sogenannte Landexamen, — wo die zum Studium der Theologie bestimmten Jünglinge, die in eines der niederen theologischen Landesseminarien aufgenommen werden wollen, geprüft werden — an die Oberbehörde nach Stuttgart mitgab. ln litern, besonders in der lingua hebraic war Wilhelm sehr mittelmäßig prädiziert; dagegen machte der Rektor auf das überraschende Deklamiertalent des Knaben aufmerksam, damit der Arme doch auch etwas für sich hätte, das ihn als dereinstigen geistlichen Redner empfehle." Das überraschende Detlamiertalent war aber nicht nur für den zukünftigen Kanzelredner, sondern auch für den dereinstigen Schriftsteller bemerkenswert, und wir gehen gewiß nicht fehl, wenn wir behaupten, daß die ersten Keime dieser Lust zum Fabulieren seine Mutter gelegt hat. Julius Klaiber berichtet, ihre Erzählungsgabe sei unvergleichlich gewesen. , .Alles lebte vor ihrem Auge, und der einfachste Vorgang gewann in ihrem Munde einen eigentümlichen Reiz. Noch heute sprechen ältere Männer mit Entzücken von dem Zauber ihrer Unterhaltung, und wie oft hat mir meine Mutter von den glückseligen


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Abenden erzählt, wenn die Kinder, um ihren Lehnstuhl gedrängt, ihren Geschichten lauschten! Sie hat insbesondere die Phantasie des fein angelegten Knaben geweckt 1')." Ein zweites Element, wodurch Hauffs eigenartige geistige Entwicklung begünstigt wurde, war des Großvaters Büchersaal. Wenn er auch, wie er selbst zugesteht, die dort aufgestellten Bücher in Gesellschaft seines allerdings bedeutend ernster und ruhiger veranlagten Bruders nicht immer in der rechten Weise verwendete, indem er bisweilen aus den in Leder gebundenen großen Folianten Hütten und Ställe für sein Vieh, ein anderes Mal Schanzen und Festungen baute, oder wohl gar regelrechte Schlachten lieferte, wobei die Bücher als Wurfgeschosse dienen mußten, so verdankt er doch vor allem den illustrierten Werken einen gewissen historischen Sinn, und bei Schwab, der dem älteren Hermann Hauff wörtlich nacherzählt, heißt es: "Namentlich aber prägte sich ihnen das Mittelalter und die Zeit seines Übergangs in die neuere Geschichte gar lebhaft ein, weil dazu des Großvaters Folianten den meisten Stoff boten, und jene Periode wurde dadurch in der Phantasie der Brüder eine Art Lieblingsperiode. Sie, die Götz und Egmont und Wallenstein auswendig wußten, waren entzückt, in Hortleders ,Ursachen des deutschen Krieges' die eisernen Fürsten und Herren, die Lanzenknechte mit ungeheuren Hosen und Partisanen (vgl. Lichtenstein 246, 21), die Belagerungen und Feldschlachten und alle jene lehrreichen Kupfer zu finden." Auch die erste Bekanntschaft mit den Erzeugnissen der deutschen Literatur machte der Knabe in dem erwähnten Bibliothekssaale. Er selbst nennt gelegentlich "Sophiens Reise von Memel nach Prag" , Lessings Schriften und — last not least —unsere beiden Hauptklassiker, die er bis zum zwölften Jahre durchgelesen, wenn auch vielleicht nicht allenthalben verdaut hatte. Immerhin spricht die große Zahl von Reminiszenzen und Zitaten, die er aus Schiller und Goethe später in seine eignen Werke einstreut, für eine das gewöhnliche Maß des Verständnisses auf dieser Altersstufe übersteigende Beherrschung. Aber das Interesse Wilhelms wuchs bald über die in der großväterlichen Büchersammlung aufgestapelte historische und literarische Wissenschaft hinaus. Möglicherweise durch einen seiner Mitschüler aufmerksam gemacht, verfiel feine Lesewut auf Fougues Ritterromane. Außer den "Fahrten Thiodolfs des Isländers" scheint besonders der Zauberring" einen bleibenden Eindruck auf ihn gemacht zu haben; denn noch ein Jahrzehnt darnach erinnert er sich Ottos 
1) Nord und Süd V. S. 217


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von Trautwangen, der in Frankreich "mit seinem vernünftigen, lichtbraunen Rößlein eine Höhle bewohnte" , sowie der "fittigen, blauäugigen" Bertha von Lichtenrieth (vgl. Memoiren S. 137, 21), und es ist ihm wohl zu glauben, daß er oft auf seinem Dachkämmerlein saß, "vor sich die hebräische Bibel und die griechischen Unregelmäßigen und auf ihnen seine Romane" . Waren schon Fougues Schriften für einen Knaben eine wenig geeignete Lektüre, so mußten die Ritter- und Räuberromane eines Cramer, Spieß und Vulpius, die er in jener Zeit wahllos verschlang, geradezu gefährlich für ihn werden; kannte er doch erwiesenermaßen einen "Hasper a Spada," "Adolf den Kühnen, Raugraf von Dassel" ebenso geläufig als den "Domschütz" , den "deutschen Alcibiades" , den " alten Überall und Nirgends" und ".Rinaldo Rinaldini". Auf welche Weise er zu diesen Büchern gelangte, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen; er selbst erzählt, daß sie aus der Sparbüchse Amaliens, seiner Jugendfreundin , angeschafft worden seien. "Wenn ein Roman gelesen war, so empfing ich ihn, las ihn auch, trug ihn dann wieder in die Leihbibliothek und suchte dort immer die Bücher heraus, welche entweder keinen Rücken mehr hatten, oder vom Lesen so fett geworden waren, daß sie mich ordentlich anglänzten. Das sind so die echten nach unserem Geschmack, dachte ich." Zwar hat natürlich auch in diesen Worten, ebenso wie in der Darstellung seiner Jugendliebe innerhalb der "Memoiren" , die dichterische Phantasie gewaltet, immerhin lassen sie erkennen, daß die unpassende Lektüre sowohl, als die gewiß mehr eingebildete wie tatsächliche Neigung zu Amalien außerordentlich stark ablenkend wirken und sein ohnehin lebhaftes, reizbares Naturell immer mehr erregen mußten. Die ergötzliche Geschichte mit dem Aufsatze, die Garnmacher (Memoiren S. 137, 25 ff.) berichtet, ist sicherlich gleichfalls zum großen Teil erfunden, doch zeigt auch sie, vie der Schüler Hauff in die Gefahr geriet, die Verhältnisse seiner Zeit an den innerhalb jener Schmöker geschilderten zu messen, wie er innerlich teilnahm an den Taten und Schicksalen der Helden, wie er mit den unglücklichen klagte, mit den siegreichen jubilierte. Daß eine derartig überhitzte Phantasie, die den Inhalt der Schundromane sicher noch während der Unterrichtsstunden nach Möglichkeit weiterspann, nur geringe Erfolge in den Wissenschaften zeitigen konnte, ist nicht verwunderlich. So kam es denn. daß Wilhelm nicht — wie seine Mitschüler — schon mit dem dreizehnten, beziehentlich vierzehnten, sondern erst mit dem fünfzehnten Jahre imstande war, das Examen abzulegen, das seinen Eintritt in eines der niederen theologischen Seminare


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ermöglichte. Für seine Angehörigen war diese Aufnahme deshalb von besonderer Wichtigkeit, weil die Zöglinge solcher Anstalten außer freiem Unterricht auch Kost und Wohnung unentgeltlich erhielten und nach dreijährigem Besuche die Berechtigung zum Übergange in das Tübinger Stift, ein höheres evangelisches Seminar, erwarben. Gleich bedeutungsvoll ward sie für den jugendlichen Hauff selbst, kam er doch damit in eine völlig andere Sphäre, und der energischen, gleichmäßigen Zucht der folgenden Jahre ist es wohl in der Hauptsache zu danken, daß die Erinnerung an die phantastischen Gedankenkreise früherer Zeit allmählich erblaßte und sich in ihrer Wirkung abschwächte. Freilich war damit zugleich die heitere, sorglose Kindheit für immer vorüber; schon machte sich jetzt des Lebens Ernst bemerkbar, und gar bange mag dem schmächtigen, hochaufgeschossenen Knaben wohl das Herz geklopft haben, als er vor dem Tore des Blaubeurer Klosters von seiner Mutter Abschied nahm, um vor völlig fremden, würdig dreinschauenden Herren davon Zeugnis abzulegen, was er auf der schola anatolica in literis gelernt hatte. Über den Verlauf des Examens ist etwas Genaueres nicht bekannt geworden. Jedenfalls sehen wir den jungen Hauff im Jahre 1817 als Schüler des Blaubeurer theologischen Seminars. In dem aktenmäßig erhaltenen Verzeichnisse der damals eingetretenen 39 Zöglinge, das nicht alphabetisch, auch nicht chronologisch, also wohl nach dem Ausfalle der Aufnahmeprüfung, beziehungsweise nach dem mitgebrachten Zeugnisse angelegt worden sein mag, nimmt Wilhelm Hauff den 31. Platz ein.

Für die bisher skizzierte Jugendperiode unseres Dichters waren wir bis vor wenigen Jahren auf das Material angewiesen, das sein Neffe, Julius Klaiber, in "Nord und Süd" , 5. Band, S. 212ff. und Gustav Schwab in der ersten Biographie zur Gesamtausgabe der Hauffschen Werke bot. Von Hauff selbst rühren die mehrfach herangezogenen biographischen Notizen in den "Memoiren" her, die indessen nur mit Vorsicht benutzt werden dürfen. Zuverlässiger sind gewiß schon die in den Anfang der "Phantasien" eingestreuten Bemerkungen. Aber auch wirklich authentisch-autobiographische Mitteilungen für jene Zeit besitzen wir, wenn sie auch noch so kurz aphoristisch sind, in Gestalt der sogenannten Memorabilien. Sie wurden zum ersten Male in "Meine Eltern, ihre Geschwister und ihre Freunde" (Stuttgart 1897) von Karl Riecke veröffentlicht, der in diesem Buche unserem Dichter, dem vertrauten Freunde seines Vaters, Christian Heinrich Riecke, einen ganzen Abschnitt widmet und außer den erwähnten Memorabilien eine Reihe



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von Briefen Hauffs an Riecke und dessen Antworten darauf mitteilt. Da Karl Rieckes Buch aber nur als Handschrift gedruckt und nicht in den Handel gebracht wurde, auch in den Bibliotheken nur selten zu haben ist, wäre sein Inhalt der Allgemeinheit fast verschlossen geblieben, hätte nicht Dr. Hans Hofmann in "Wilhelm Hauff, eine nach neuen Quellen bearbeitete Darstellung seines Werdeganges mit einer Sammlung seiner Briefe und einer Auswahl aus dem unveröffentlichten Nachlaß des Dichters" , einen Teil davon der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Memorabilien sowohl als die Briefe sind für die Einsicht in die Entwicklung Hauffs von allergrößter Bedeutung, and sie sollen daher auch in unsere Darstellung — nicht in extenso, wohl aber auszugsweise mit Einverständnis der Verwandten des verstorbenen Ministers Riecke —hier und da zur Illustration eingefügt werden. Was sind nun zunächst die Memorabilien? Karl Riecke leitet in seinem Buche S. 114 den betreffenden Passus durch folgende Verse ein: "Memorabilien schrieben viele, oft eine ganze Seite voll, die mahnten an der Jugend Spiele, ans Burschentreiben ernst und toll." Diese Zeilen entstammen dem Werke Gustav Griesingers "Fuimus Trocs, Eine Festgabe zum 400jährigen Jubiläum der Universität Tübingen im August 1877 von einem ehemaligen Musensohn" . Riecke fährt dann fort: " Von demselben Gustav Griesinger findet sich in der Schwäbischen Chronik vom 27. Februar 1881 ein längerer Aufsatz ,über die weiland studentischen Stammbücher' und in diesem der Satz: ,Von vielen wurde außer den Stammbuchsentenzen auch nix!) besondere Symbola, wie sie schon bei ben Alten gebräuchlich waren, beigefügt, und einen besondern Reiz gewährten die sogenannten "Memorabilien" (kurz angedeutete Erinnerungen ian gemeinschaftlich ausgeführte Suiten, an gemeinschaftlich erlebte Begegnisse, Feste, Ausritte, Reiseabenteuer usw.), die gewöhnlich auf die Rückseite des Blattes geschrieben wurden.' So haben sich in dem Nachlasse meines Vaters auch Memorabilien von Wilhelm Hauff erhalten, die, in größerer Ausführlichkeit Breite, als vielleicht sonst üblich, angelegt, hier wenigstens im Suis zuge mitgeteilt werden können." Riecke ordnet sie nach den Rubriken I. Schule, II. Kloster Blaubeuren, III. Tübingen. Unterm J sind zunächst . .Die Schuljahre in Tübingen" unb "Erwachen eines liederlichen Geistes in der Schule" erwähnt. Dann wird des "Heimlichen Rauchens im 13. Jahre" , einer "Suite mit Conz und Riecke nach Rottenburg" , einer "Aufführung des Siegfried von Lindenberg" gedacht . Auch mit . ,Marionettentheater, Sprichwörter- und


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Kartenspiel" hat sich der Knabe offenbar bisweilen unterhalten. Scheinen auch manche der Notizen für uns heute belanglos, insofern wir sie nicht bestimmt zu deuten wissen, ich denke da an "Der Neffe als Onkel" , "Rheinwald" — das war einer seiner Kameraden — " als Balcour" , so bleibt doch die Mehrzahl interessant, weil sie eine Menge von Einzelheiten bietet, die in ihrer Gesamtheit für die Stimmung jener Tage durchaus charakteristisch wird, so namentlich die ersten auf den Blaubeurer Aufenthalt bezüglichen. "Meine Einlieferung ins Kloster" . "Die ersten traurigen Tage in Blaubeuren" heißt es gleich im Anfange. Darnach scheint es unserem Hauff in seinem neuen Wirkungskreise zunächst ,; :r nicht sonderlich behagt zu haben, und das ist verständlich. War es doch das erste Mal, daß er sich für längere Zeit von denen getrennt sah, die ihm bisher als die Liebsten auf Erden galten. Jetzt umgaben ihn nur fremde Gesichter, jede Miene und jedes seiner Worte neugierig belauschend , und es ist fürwahr selbst für stärker besaitete Gemüter in solcher Situation nicht immer leicht, an sich zu halten und die Gedanken des Heimwehs zu unterdrücken. Fremd muteten ihn auch die Räume an, in denen er die nächsten Jahre zubringen sollte; gehörten sie doch einem ehemaligen Benediktinerkloster an und hatten schon dadurch etwas Feierliches, aber auch wenig Anheimelndes, wenngleich sie kurz vor seinem Eintritte einer durchgreifenden Renovation unterzogen worden waren. Recht unbehaglich wird ihm jedenfalls auch die einen Tag wie alle gleichmäßig verlaufende Schul- und Hausordnung vorgekommen sein, ihm, der bis dahin nur der milden mütterlichen Zucht unterstellt gewesen. Frühmorgens um fünf Uhr schellte die Dormentsglocke einen aus dem besten Schlafe" erzählt er selbst. Dann gings ans Waschen und Ankleiden. Nun folgte gemeinsames Gebet, hierauf Arbeitsstunde, bis kurz vor 7 Uhr das Frühstück in Form einer Wassersuppe eingenommen werden durfte. Der Unterricht war, ganz ähnlich wie in den Internaten unserer jetzigen Fürstenschulen und Seminare, auf den Vor- und Nachmittag verteilt und wurde teils durch Musik-, teils durch Turn- oder Privatarbeitsstunden unterbrochen. Abends 9 Uhr konnte jeder sein Lager aufsuchen oder noch bis 10 Uhr sich beschäftigen. Freizeit gab es alltäglich, auch Sonntags, nur von 12 bis 2 Uhr, und so ist Hauffs Klage über die "Eingeschränktheit" ebenso zu verstehen wie die folgende Stelle aus einem Briefe vom 21. Januar 1820: "Es dreht sich alles im alten Kreise, und ich komme mir vor wie ein Färbergaul, der im ewigen Kreislauf immer wieder an den


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oft betrachteten Gegenständen hingetrieben wird. 's ist doch ein verflucht langweiliges Leben, das Klosterleben. Die langen Wintertage, Tag für Tag wird man um 5 bis 6 Uhr aus dem besten Schlaf aufgeschellt, muß schanzen bis 12 Uhr. Dann kommt schlechtes Essen. 1/2 Stündchen im schlechten Wetter auf den wenigen, ost besehenen Spaziergängen sich herumzutreiben, ist auch großes Vergnügen! Die übrige Rekreationszeit hat man Langweile, dann geht das Schaffen wieder an bis 8 Uhr, um am Ende die langweiligste Erholung auf seiner Stube bei einer Pfeife Tabak der Verdauung zu pflegen. Ringsherum fades Geschwätz; zu lesen ist auch nichts da; da kommen oft Deine Briefe wieder aufs Tapet, und es bleibt mir am Ende nichts mehr, als an die seligen Vakanztage zu denken und am Ende — das Heimweh zu bekommen. Conz klagt mir auch dasselbe in den langen Winterabenden, wo er nicht mehr heraus darf. Oft,' schreibt er, ,wünsche ich Dich und Riecke zu mir, nicht daß wir gerade hinter den Bierhumpen säßen, sondern um im vertraulichen Gespräch uns einander mitzuteilen!' Es geht mir gerade so wie ihm, — und wann werden wir wieder beisammen sein? — Acht lange Wochen sinds noch in die Vakanz. Darf man Hoffnung haben, Dich zu sehen? Schreibe mir doch bald wieder, ich kanns brauchen in meiner Einsamkeit 1)!" Bedenkt man, daß dieser Brief dem Anfange des Jahres 1820 entstammt, einer Zeit also, zu der Hauff schon über zwei Jahre dem Verbande des Seminars angehörte, so kommt man allerdings zu der Vermutung, daß er sich durchaus nicht in das Anstaltsleben hat eingewöhnen können. Indessen tut man gut, seine Äußerungen nicht allzu tragisch zu nehmen und die Stimmung, aus der heraus jene Zeilen geschrieben wurden, zu berücksichtigen. Hauff hatte wegen eines Frieselausschlages unmittelbar vorher "8 Tage hindurch das Bett hüten müssen" . Ferner war dei Brief an einen Freund, einen jungen Mann, gerichtet, der nach Wilhelms Meinung ein viel freieres, ungebundenes Leben führen, der im Neckar baden, ins Theater gehen, reiten und abwechslungsreiche Spaziergänge unternehmen konnte. Wie leicht kommt da ein Jüngling in die Versuchung, seine eigne Lage zu schwarz zu malen, und wer heutzutage Zöglinge derartiger Internate fragen wollte, würde gewiß ganz ähnliche Lamentationen zu hören bekommen, ohne dah den betreffenden Anstalten daraus ein Vorwurf erwachsen könnte. Zu anderen Zeiten schreibt Hauff auch weit zuversichtlicher. So heißt es unterm 3. August 
1) Riecke, S. 120.


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1819. "Die klösterliche Bildung hat doch entschieden größere Vorteile als die Lage, die mir in Tübingen geworden wäre, besonders da man im Lyceum nicht ganz ausstudieren kann, und da hätte ich vielleicht noch an euer Gymnasium wandern müssen 1)." Hiernach suchte er sich im Hinblicke auf das Ziel, das ihm gesteckt war, mit seinem Schicksale abzufinden. "Ich bin wirklich sehr gerne hier" , sagt er am 19. Juli 1819 und am 7. November 1819 "doch bin ich schon wieder und gerne hier," fügt aber nach seiner launigen Weise sofort in Klammern hinzu (" wenn man anders in einem solchen Nest im Winter gern sein kann."). Die Art der klösterlichen Zucht freilich, der Druck und Zwang, unter dem er fortwährend stand, haben seinen Beifall nie gefunden. Jedenfalls wurden die Zöglinge an peinliche Pünktlichkeit gewöhnt, darauf deutet die Stelle der Memorabilien "Den 9. Commerell und ich gingen Schwend entgegen. Er kommt nicht. Schnelles Heimjagen, weil es schon geschlagen hat." über seine Lehrer erfahren wir aus seinen Briefen verhältnismäßig wenig. Der Direktor des Seminars führte den Titel Ephorus, und Hauff schreibt — gewiß recht schmeichelhaft für den betreffenden Herrn — am 3. August 1819: "Mit unserem Ephorus sind wir wirklich außerordentlich zufrieden. Er kommt allen unsern Wünschen zuvor. Wenn er mit seiner Milde so fort macht, so kommt er doch in den Himmel 2)." Allerdings gibt es für seine Unterrichtsstunden am meisten zu arbeiten; "muß bei Ephorus schanzen wie ein Vieh anderes liegen lassen," berichten die Memorabilien; doch hing das offenbar damit zusammen, daß Hauff die behördliche Erlaubnis erhielt, ein Jahr früher als die übrigen in das Tübinger Stift einzutreten, "auf den Fall, daß er in angestrengtem Fleiß bis zum Ende des Halbjahrs beharre" . In dem Gutachten vom 19. Mai 1820, das der Ephorus Reuß in dieser Angelegenheit anden Studienrat abzugeben veranlaßt wurde, bemerkt er ausdrücklich, daß er "auf alle Fälle hin den Jüngling durch den Gedanken an die Möglichkeit einer früheren Aufnahme in das Seminar Tübingen zu recht ernstlichem Fleiße (er war bisher nicht unfleißig, war ernst und gesetzt) ermuntern und durch besondere philologische übungen auf seinem Zimmer noch mehr begründen wolle, damit ihm der frühere Übergang die Universität erleichtert und ja nicht schädlich werde 3)." Ohne Zweifel leistete Wilhelm damals, was in seinen Kräften 
1) Riecke, S. 119
 
2) Ebda., S 119.
 
3) H. Hofmann, S. 20.


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stand. Schon im vorhergehenden Winter, am 7. November 1819, berichtet er an Riecke: "Der Gedanke, ein Jahr früher mit den Meinigen und meinen Freunden vereinigt zu werden, auch sobald als möglich der hiesigen Klosterzucht zu entgehen, treibt mich auch zu großer Tätigkeit an, und ich darf mir wenigstens wirklich das Zeugnis geben, daß ich fleißiger sei als in dem vorigen Jahr 1)," und am 20. Juni, als die Genehmigung der obersten Schulbehörde erfolgt war, schreibt er: " Es freut mich recht, daß Du auch teilnimmst an meiner Freude darüber. daß wir in 103 Tagen miteinander den Fuchsenstand antreten. O, wie freue ich mich auf den Winter! Wie manche selige Stunde muß uns dann, wenn wir so eng und brüderlich verbunden leben, wohlgenossen entfliehen! Die Freude, aus diesem Jammertale erlöst zu werden, ist bei mir sehr groß und wächst mit jedem Tage, da ich wirklich außerordentlich geplagt bin. Schaffen muß ich, daß mir der Kopf wehe tut, und habe überhaupt wenig freie Zeit. Ich finde es aber für nötig, noch recht zu arbeiten, indem ich eben doch ein Jahr zu frühe ans Ziel komme und den Kursus nicht ganz durchgemacht habe 2)." Trotz der klösterlichen Absperrung fehlte es unserem Hauff in Blaubeuren keineswegs völlig an Abwechslung und Vergnügen, bei denen es sich namentlich um Tabak, Bier und Suitisieren handelt. So lesen wir in den Memorabilien: "Liederlicher Winter" , "Erstürmung des Mäuerleins, Untersuchung, Manch in Nöten" , ferner "Spielen und Rauchen auf Leipzig" (jedenfalls der Name einer Stube im Kloster), "Fürchterlicher Kommers vor der Vakanz. Ephorus wütet" , oder . ,Bierverbot und Einschwärzung des Biers" , späterhin "Den 11. Rauchen. Lustiger Abend in Weilheim" . In einem Briefe vom 25. Febr. 1820 erzählt er, daß es seinen Pfeifen "neulich scharf an den Kopf" gegangen sei. " Es gab große Untersuchungen. Dein Vetter Hauff (damit meint er sich selbst) saß acht Stunden im Loch. Doch habe ich mich mit 32 anderen gut salviert. Ich habe der großen Gefahr wegen das Rauchen bis in die Vakanz aufgegeben, wo ich mich aber desto reichlicher entschädigen werde 3)." Und nicht Hauff allein war ein Freund von Tabak und Bier, das lehrt folgende Episode. Christian Riecke hatte ihm am 24. Oktober 1819 von den Anstalten berichtet, die man zum Empfange des Königs traf und an denen sich auch die Gymnasiasten, "wie der Retor sagt — in corpore und öffentlich" — 
1) Riecke, S. 120.
 
2 ) Ebda., S. 121.
 
3) Ebda., S. 121.


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beteiligen sollten. Darauf antwortet nun Wilhelm Hauff ziemlich resigniert am 1. November: "Bei uns gings ganz anders her. Es war hier wie an einem andern Tage. Wir saßen hinter den Büchern, der eine oder andere auch abends hinter einem Schöppchen Neuen, sprach wohl auch über die Verfassung und fluchte recht über den kalten, unpatriotischen Ephorus, der an eine Feier nicht denke. Erbat uns zwar versprochen, den Huldigungstag recht feierlich mit uns zu begehen; aber es siehet windig damit aus; denn Wein, Bier, Feuer und Gesang, was uns Jungen das Liebste ist, fürchtet er ärger als den Teufel und seine Lüsten. Und da wird der alte Herr eine von seinen trockenen, gedehnten und mit langen Perioden, worin er gewöhnlich das Schlußverbum vergißt, ausstaffierten Reden preisgeben 1)." Hauff hatte jedoch zu schwarz gesehen. Der Ephorus brachte seine Zöglinge nicht um die versprochene Feier, und zwar sollte diese gemeinsam mit den Uracher Zöglingen in Feldstetten abgehalten werden. Sie verlief aber gar nicht nach dem Sinne Hauffs, noch viel weniger nach dem Geschmacke des Herrn Ephorus, wie Hauffs ausführlicher Bericht an Riecke zeigt. Er sagt darin, schon am Tage zuvor sei ihnen der Wut gesunken, da die Nachricht kam, daß kein Bier genehmigt wäre. Dann beschreibt er den Weg bis Feldstetten. Die Blaubeurer waren vor den Urachern da, hatten Hunger und Durst und setzten sich zum Weine, bis der Ephorus kam, vor dessen Eintritt das Getränke noch rechtzeitig entfernt werden konnte. Darauf folgt die Beschreibung der auf freiem Felde abgehaltenen offiziellen Feier und endlich die Festlichkeit in dem engen und niedrigen Saale des "Rathäuschens" , die nach einer einstündigen Rede des Blaubeurer Ephorus aus einem Festessen bestand . ",Als das Essen vorüber war, erwarteten wir, daß jetzt die Alten sich schieben würden, daß wir kommersieren könnten. Aber daran war nicht zu denken. Finth, Professor in Urach, sagte laut: ,Ich will doch nicht hoffen, daß die Blaubeurer kommersieren werden? In diesem Fall würde ich mit meinen Leuten sofort aufbrechen.' — Unser Ephorus, der alte Ja! Herr stimmte ihm bei, und so wurde uns das handwerk gelegt. Man sang zwar einige Lieder; aber was wars? Einige Lieder. die der Uracher Speismeister mit seinen Leuten probiert hatte: Schütze Gott unsern Herrn usw., lauter alte. durchgepeitschte Sachen. Als wir trotz dem Mißfallen, das es vor jenen hohen herren hätte erregen können. einige Lieder, 
1) Riecke, S. 44.


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z. B. den Landesvater anstimmten, gab man uns keinen Wein mehr. Die meisten gingen nun geradezu aus dem Rathaus ins Wirtshaus und kamen ziemlich betrunken zurück. Des Ephorus Buben, die trotz unserer Mißbilligung mitgenommen worden waren, haben wir so besoffen gemacht, daß der betrübte, niedergeschlagene Mann sie auf ein Bett legen und mit ihnen heimfahren mußte. Unser Rückzug war traurig und unter lauten Verwünschungen 1)." — über die Misere des Klosterlebens half unserem Hauff bis zu einem gewissen Grade wohl auch die schöne Umgebung Blaubeurens hinweg, nennt er selbst doch die Gegend herrlich, " man trifft selten eine solche an, wo so viel Erhabenes gemischt ist. Alte Schlösser auf hohen Felsen, große Höhlen usw. machen das Blautal und die Umgegend sehr interessant 2)." Zwar klagt er an anderer Stelle darüber, daß er jene Schönheiten nicht als freier Mann genießen darf, "Wenn oft morgens die Sonne so herrlich hinter den Bergen aufgeht und die Felsen und Naine im Blautal beleuchtet, da kann ich dieses Schauspiel kaum durch das Fenster meines Käfigs bewundern 3)," doch hat sich auf den in den Memorabilien verzeichneten Suiten nach Hechingen ins Nonnenkloster, nach Schorndorf, Ehingen, bei der Besteigung des Hohenzollern und Ausflügen ähnlicher Art Gelegenheit geboten, Land And Leute der Umgegend genügend kennen zu lernen, und die wiederholten Wanderungen nach Ulm während der Vakanzen vervollständigten und vertieften die erhaltenen Eindrücke. Auch andere Unterbrechungen des ewigen Einerlei melden die Memorabilien, so z. B. ein "Turnfest", "Besuch der Schönthaler" "Fabers Abschied in Feldstetten" , "Den 1. Juni, 17 dürfen nach Ehingen. Nachmittags 1—sin Schelklingen. Lustiger ordentlicher Kommers." — Eine wichtige Rolle spielen während des Jahres 1819 in Hauffs Briefen die politischen Verhältnisse seines Vaterlandes, und es muh uns wunder nehmen, wie ein siebzehnjähriger Jüngling mit so dauerndem Interesse an staatlichen Vorgängen Anteil nimmt, deren Verständnis unsrer Meinung nach ein weit reiferes Alter voraussetzt. Seinem Wunsche gemäß wird er durch Riecke von Zeit zu Zeit über die Sitzungen des damaligen Landtages orientiert, zu denen sich dieser mehrfach Zutritt zu verschaffen verstand. Allerlei Einzelheiten über die Vertreter des Landes sowohl wie über die derzeitigen Minister werden berichtet, und Riecke spricht da 1) 
Riecke, S. 46.
 
2) Ebda., S. 27.
 
3) Ebda., S. 122. ,


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trotz seiner Jugend manch kräftiges Wörtlein. "Denke Dir, was uns der (gemeint ist der Minister Otto, von dem vorher die Rede war) vor einigen Tagen für ein Verbot zuschickte, wir jungen Leute sollten nicht mehr politisieren, es sei gar nicht unsere Sache, über Verfassungsgegenstände abzuurteilen. Noch recht gut erinnere ich mich, wie wir Buben darüber lachten, als der vorige König in Tübingen austrommeln ließ, man dürfe nicht mehr politisieren. Und das war doch noch eine andere Zeit, wo man solchen Befehlen Nachdruck geben konnte. Allein jetzt, in diesen Zeiten, so etwas verbieten zu wollen! Sollte denn wirklich der Herr Minister glauben, daß wir alle verstummen werden, wenn er es befehle? Ja, da hat sich der gute Mann gewaltig geirrt. Denn wie überhaupt jedes Verbot zum Übertreten reizt, so ist dies ganz besonders in diesem Punkte der Fall. Man soll nicht mehr reden! Selbst das Denken hat man uns so halb und halb verboten! Ja! nur zu befohlen! Es tut doch jeder, was er will. Das sind schöne Aussichten auf den kommenden Landtag 1)!" In ähnlicher Weise sehen wir Hauff um die Zukunft seines Vaterlandes besorgt. Was denkst du" , heißt es in einem Briefe vom 3. August 1819, von Tübingen und seinen Stürmen? Wir hören hier beinahe nichts von solchen Sachen. Vor 8 Tagen schrieb mir zwar meine Mutter, Völker und Gräter haben ihre Papiere hergeben müssen, aber in 8 Tagen geschieht so viel Neues! Was wird wohl endlich das Ziel aller dieser Sachen sein? Gott gebe, es sei ein heilsames! . . . . Mit der edlen Turnkunst und der allgemeinen Burschenschaft, diesem so nützlichen Verein, wird es wohl in Tübingen bald auf der Neige sein, und auch uns droht das Ende unseres Turnens. Mögen sie es immer aufheben; wir setzen es dennoch im stillen fort, und Ephorus und Professoren, die unserem Turnen gar nicht abhold sind, ignorieren es und lassen es fortdauern wie zuvor. Oken und einige andere, die dem preußischen Despotismus noch entgangen sind, spürt man scharf nach. Bei uns herum ist man sehr wachsam auf sie 2)." Klingen hier nicht Gedanken an, die wir später in den "Memoiren" ausführlich dargestellt finden? Möglicherweise gehen die allerersten Entwürfe davon noch in die Blaubeurer Zeit zurück. — Recht wohltuend für das im Kloster sehr verwaiste Gemüt" des jungen Hauff war sicher das Bewußtsein , in der Ferne einen guten Freund zu haben, mit dem 
1) Riecke. S. 49.
 
2) Ebda., S. 35.


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man sich während der Vakanzen austauschen und gütlich tun konnte. und Riecke muß in der Tat als ein treuer, aufrichtiger Freund bezeichnet werden, der in vielfacher Beziehung überdies anregend auf Wilhelm wirkte. Von welch offner und herzlicher Art seine Gesinnungen für Hauff waren, läßt folgende Briefstelle von ihm erkennen: "Ob Du mich unbewußt beleidigt habest? Da kennst Du mich schlecht, wenn Du das auch nur vermuten oder als möglich denken kannst. Denn einmal kann mich niemand, den ich liebe, beleidigen, und daß ich Dich mehr als keinen andern liebe, stelle mich auf jede Probe, ich werde es beweisen! Zweitens aber, gesetzt auch, Du hättest mich wirklich beleidigt, hältst Du mich denn für so verschlossen und verstellt, daß ich, anstatt mit ein paar Worten die Sache wieder ins reine zu bringen, den Groll in mich schlucken und im stillen darüber brüten würde ?" —Ziemlich frühzeitig scheint Hauff damit begonnen zu haben, zarte Bande zu flechten, und auch das mag ihm wohl als Trost über die Stunden der Kümmernis hinweggeholfen haben. Wenige Bemerkungen nur deuten darauf hin. Einmal steht in den Memorabilien der Buchstabe " E" und bald darnach "Hoffnungen! !i?," später " Ungewisses Hoffen wegen N. N. Traurige Gedanken." Wahrscheinlich beziehen sich diese Notizen auf eine Verwandte in Ulm ; doch ist etwas Genaueres nicht bekannt.

Alles in allem ergibt sich. Hauff hat nach Möglichkeit versucht, sich die Blaubeurer Jahre erträglich zu gestalten, und es scheint mir ebenso bezeichnend wie ehrend für den reifer denken Dichter, daß er sich später dankbaren Herzens jener Zeit erinnert, wenn er in den "Phantasien" ausruft: "Sei mir gegrüßt, du Felsental der Alb! Du blauer Strom, an welchem ich drei lange Jahre hauste, die Jahre lebte, die den Knaben zum Jüngling Machen. Sei mir gegrüßt, du klösterliches Dach, du Kreuzgang mit den Bildern verstorbener Äbte, du Kirche mit dem wundervollen Hochaltar, ihr Bilder. alle in schönes Gold des Morgenrots getaucht! Seid mir gegrüßt, ihr Schlösser auf den Felsen, ihr Höhlen, ihr Täler, ihr grünen Wälder! Jene Täler, jene Klostermauern waren das enge Nest, das uns aufzog, bis wir flügge waren, und ihrer rauhen Albluft danken wir es, daß wir nicht verweichlichten." Alle die kleinen und früher von ihm vielleicht auch kleinlich kritisierten Unannehmlichkeiten des Klosterlebens sind hier vergessen, nur die Vorzüge und Schönheiten der Rasur, die ihn damals umgab, 

1) Riecke, S. 50.



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leben noch in seinem Geiste, und namentlich eines Vorteils ist gedacht, des Umstandes, daß der Aufenthalt in Blaubeuren für seine Gesundheit von günstigem Einflusse gewesen ist. Aus den Briefen jener Zeit wissen wir, wie der Jüngling Hauff im Winter 1818/19 und auch noch in der ersten Hälfte des folgenden Sommersemesters viel auf der Brust zu leiden hatte; er bezeichnet das als ein "Erbteil noch aus seiner Kindheit " "Autenrieth (ein Tübinger Arzt) hatte, ehe ich hierher kam, immer viel zur Hebung dieses Leidens getan 1)." Die kräftige Luft des Blautals aber scheint im Vereine mit der zwar einfachen, aber streng geregelten Lebensweise das genannte übel völlig behoben zu haben; denn bei seiner Entlassung aus dem Kloster gab man ihm das Zeugnis " valetudo firma" , und Klaiber sagt ausdrücklich, daß die Familie Wilhelm völlig verändert gefunden habe, als er im Herbst 1820 zurückkam. Aus dem schmächtigen Knaben war ein schlanker, wohlgebildeter Jüngling geworden, dem der feine Schnitt des blassen Gesichts, die blauen Augen im Kontrast mit den dunkelfarbigen Haaren einen eigenen Reiz gaben 2)." Aber nicht nur in rein körperlicher, sondern auch — abgesehen von der wissenschaftlichen Ausbildung, die nicht unterschätzt werden darf — in psychologischer und moralischer Beziehung ist Blaubeuren für Wilhelm Hauff von größter Bedeutung geworden. Gerade die Jahre, die ihn "flügge" machten, waren für ihn deshalb doppelt wichtig, weil er ungemein rasch und nachhaltig alles erfaßte, was von außen ihm nahte, und schlechte Gesellschaft hätte in jener Zeit gewiß viel verderblicher gewirkt, als ihn früher die verhängnisvolle Lektüre beeinflußt hat. War auch der Kreis, innerhalb dessen seine Entwicklung sich vollzog, nicht groß und glänzend, so hat doch der beständige Umgang mit der Natur, so langweilig ihm die Spaziergänge auch vorkommen mochten, seinen Blick für das Schöne und Erhabene geschärft, und wenn wir im "Lichtenstein" sehen, mit welcher Farbenpracht er sein liebes Schwabenland zu malen versteht, so verdankt er die größte Zahl der Motive sicherlich den Blaubeurer Jahren. Hier hat er sein Auge geübt, hier lernte er die vielen scheinbaren Kleinigkeiten beobachten, deren es bedarf, um eine Naturszene wahrheitsgetreu wiederzugeben, und viele seiner späteren Schilderungen — man denke an die Beschreibung des Weges über die Alb, oder des Bauernhauses , wo Bärble und deren Mutter den schwerverwundeten 
1) Riecke, S. 118.
 
2) Nord und Süd V. 221.


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Georg pflegen, oder des Eingangskapitels zum "Lichtenstein" mit der plastischen Zeichnung Ulms — sind zweifellos Erinnerungen aus der Blaubeurer Zeit. Durch seinen Freund Riecke, der schon als Jüngling große Kunstliebe an den Tag legte, wurde Hauff eingeladen, die Gemäldesammlung der Boisserée in Stuttgart gelegentlich zu besichtigen und zugleich gefragt, was das für ein Gemälde sei, "welches sich in der Kirche zu Blaubeuren befinden soll. Ich habe schon mehreremal viel Wesens davon machen hören 1)." Ob er dieser Einladung damals gefolgt ist, wissen wir nicht — die Heranziehung der Boisseréeschen Sammlung in der "Bettlerin vom Pont des Arts" kann auch auf späteren Eindrücken beruhen — aber die Auskunft über das Kirchenbild gibt er, wie folgt: "In der Stadtkirche kenne ich keines als einige alte Helfensteinsche Wappen; es muß also wohl im Klosterchor sein, denn die Kirche selbst ist ein Fruchtboden. Im Chor steht ein unermeßlich hoher Hochaltar, der nach dem Zeugnis aller Kenner, ich will mich für keinen solchen ausgeben, sehr viel künstlerischen Wert hat und viel Fremde herbeilockt. Er hat doppelte Türen, die außen und innen bemalt sind . . ." 2) Reminiszenzen aus dieser Beschreibung sind in den "Lichtenstein" übergegangen, auch andere Einzelheiten aus dem Briefwechsel mit Riese, wie die auf das Turnen, die Politik und die Burschenschaft bezüglichen, kehren später in Hauffs Werken wieder (Memoiren S. 71), und es ist wohl möglich, daß jene Stelle der Memorabilien "und anderes liegen lassen" einen Hinweis auf seine ersten schriftstellerisrhen Betätigungen in sich schließen. Ebenso besteht H. Hofmanns Annahme, daß einige Gedichte, wie . ,Der Kranke" (vgl. S. 10) und "Mutterliebe" , infolge der über ihnen liegenden schwermütigen Stimmung, die — wie wir aus seinen Briefen wissen — Hauff bisweilen überkam, in jene Zeit gehören, entschieden zu Recht. Als hervorstechenden Charakterzug, den nach seiner Rückkehr aus Blaubeuren seine Angehörigen an Wilhelm bemerkten, erwähnt Klaiber neben der Bestimmtheit seines Urteils und der Lebhaftigkeit seiner Empfindung" einen "spöttischen Zug, einen ausgesprochnen Hang zur Satire," und auch die Memorabilien und Briefe geben genugsam Proben davon. Wahrscheinlich ist die Veranlagung dazu von Kindheit auf vorhanden gewesen; denn schon als Knabe karikierte er "Figuren aus der bekannten Umgebung" und ahmte, mit alten Kleidungsstücken drapiert, 
1) Wiecke, S. 26.
 
2) Ebda., S.


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die Opfer seines Humors in Stimme und Gebärden nach" . Jedenfalls aber hat dieser Keim in Blaubeuren reichliche Nahrung zur Weiterentwicklung gefunden; vielleicht ist ihm auch einer seiner Mitschüler unbewußt zum Vorbilde geworden, gibt doch an und für sich das Zusammenleben so vieler gleichaltriger Zöglinge oft genug Anlaß zu Wortgefechten und humorvollen Auseinandersetzungen, die nur zu leicht eine satirische Wendung bekommen.

Über die letzten Tage in Blaubeuren geht Hauff in seinen Notizen und Briefen sehr rasch hinweg. Die Präparation auf das Examen forderte viel Zeit. "Erlösung vom Jammertal " nennt er seinen Austritt. "Mittwoch halte ich meine Abschiedsrede," schreibt er am 3. September 1820 an Riecke, fügt aber — natürlich ironisch — in Klammern sofort hinzu sehr rührend" , " abends ist ein Abschiedskommers, Donnerstag ist das Turnfest und Promotionskommers (was sehr erbärmlich ausfallen wird)" . Am Samstag gedenkt er dann gemeinsam mit Riecke, der ihn während der letzten, "der lustigsten Woche" besuchen will, nach Tübingen zu pilgern. Wir fahren zu vier bis fünf bis an die Uracher Steige, und dann gehts zu Fuß über St. Johann nach Reutlingen und Tübingen." Fürsorglich setzt er hinzu: "Im Fall es regnen sollte, so können wir in Urach herrliche Retouren nach Tübingen haben, da die Tübinger am nämlichen Tage in die Vakanz gehen 1)."

So war denn endlich das Blaubeurer "Jammertal" glücklich durchwandert, vor sich sah der hoffnungsvolle Jüngling jetzt ein Land voller Blütenpracht und .frischen, fröhlichen Lebens; mit raschen Schritten ging es jetzt dem Ziele seiner Träume, der Studentenzeit, entgegen. Da tritt ihm noch in der Muluszeit in dem Elternhause der Gebrüder Klaiber, der Söhne des Pfarrers Johann Christan Klaiber in Roßwag, dessen Tochter Nane entgegen, und diese Bekanntschaft ist es, die sein Denken für die nächsten Monate stark beschäftigt, ja völlig in Anspruch nimmt. "Roßwag. Bekanntschaft mit Nane. (Schöne Zeit!) Rückreise" steht in den Memorabilien und bald danach "Sehnsüchtige Gedanken an die schönen Tage in R." . An die erste Begegnung schloß sich von Hauff angeregt — ein Briefwechsel an, der uns interessante Einblicke in den Charakter des Jünglings wie in das Wesen jener Pfarrerstochter gestattet. Nane war ein 

1) Riecke, S. 122.



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feinsinniges, äußerst zartfühlendes Mädchen, das an dem gewandten, lebenslustigen jungen Manne mit seiner herzlichen, offenen Art Wohlgefallen gefunden hatte. Leider scheint sie von Kindheit an kränklich gewesen zu sein, und in Hauffs ersten Briefen bildet die Sorge um ihre Gesundheit das Hauptthema. "Aber wie geht es mit Ihrer Gesundheit? Ist sie noch so gut wie in der Vakanz? Wie Sie oft recht heiter waren, da freute ich mich und dachte, jetzt sei es wieder recht gut! und dennoch klagten Sie so oft; darf ich nicht hoffen, daß es besser sei? . . . Daß ich recht herzlich Teil daran nehme, werden Sie überzeugt sein. O! Daß ich Ihnen eine recht heitere Seelenruhe geben könnte, die gewiß für Sie so heilsam wäre 1)." In der Antwort, die leider fehlt, scheint Nane die Hoffnung ausgesprochen zu haben, daß sich Hauff inzwischen besser in das Tübinger Leben einrichtete; denn er schreibt am 19. November 1820: "Ich habe mich freilich jetzt mehr angewöhnt in meinen neuen Verhältnissen, aber dennoch finde ich oft noch Stoff zum Mißmut . . . Doch aus so düsteren Gedanken richtet mich Ihr freundliches Immergrün auf; denn es ruft mir zu, daß etwas doch dem Menschen geblieben sei, das er aber gläubig bewahre vor des Lebens Stürmen, die Hoffnung 2)!" Zu bald nur sollten auch diese beiden jungen Leute die bittere Wahrheit des bekannten Wortes erfahren, daß Liebe mit Leide gerne lohnt. Nach einem Besuche Hauffs während der Osterferien trat plötzlich eine Trübung des freundschaftlichen Verhältnisses ein. Die noch vorhandenen Briefe lassen nicht recht erkennen, wer die eigentliche Veranlassung dazu gegeben hat. Sicherlich war es für einen jungen Mann von Hauffs kecker, selbstbewußter Art nicht ganz leicht, dem empfindsamen, vielleicht krankhaft empfindlichen Wesen einer Nane, die den nahen Tod im Herzen fühlte, in jeder Beziehung gerecht zu werden. Das Tagebuch gibt gar keinen Anhalt; es berichtet nur: "Roßwag. Annäherung an N. Abschied !?! Eilig heim!!! Der unglückliche Brief an Ne. Rückkehr nach Tübingen." Deutlicher spricht schon ein Schreiben, das Lina Geiger, eine Schwester Nanens, ohne deren Wissen an Hauff richtete. Danach scheint ihn eine Äußerung Nanens gekränkt und zur Abreise bewogen zu haben. "Ich gebe es zwar zu, daß jene Äußerung N. vor Ihrer Abreise Sie befremden, ja kränken konnte, aber daß Sie nicht fühlten. daß sie unmöglich die Absicht haben 
1) H. Hofmann, S. 126.
 
2) Ebda.. S. 127 /128.


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konnte. Sie kränken zu wollen, in dieser Stimmung, in der Sie selbst sie sahen, daß Ihr Stolz so ganz die Stimme des Herzens bemeisterte, das tut mir wehe 1)." Nane selbst hat am 9. August durchaus versöhnlich an Hauff geschrieben, einen Brief, sehr bezeichnend für ihr edles, tiefes Gemüt, ihr ansprechendes, verständiges Wesen, aber auch für ihre gediegene geistige Bildung. Es heißt da: "Mit schwacher Hand ergreife ich die Feder, um an Sie, mein Freund, zu schreiben. Aber — indem ich bedenke, wie lange es ist, daß ich nicht mehr geschrieben habe — ziehen die verschiedenen Bilder der Vergangenheit an meiner Seele vorüber und erfüllen mein Herz mit Wehmut. — Auch zwischen uns beiden ist manches vorgefallen, das niemals hätte geschehen sollen, und die Erfahrung mag uns lehren: daß aus übereilung nichts Gutes hervorgeht . . . Ungern berühre ich das Vergangene — und es ist mir recht leid, wenn ich unangenehme Empfindungen in Ihnen erneuert habe; vielmehr wünsche ich völlige Vergessenheit. Meinem Herzen ist es immer, besonders in Tagen schweren Leidens — eigentlich Bedürfnis, mit jedem in Frieden zu leben; und ich wünsche recht sehnlich: daß auch zwischen uns alles vergeben und vergessen sei; auch Sie, lieber Wilhelm, wünschen dies, und Ihr letzter Brief, der aus unbefangenem Herzen, voll des innigsten Mitgefühls, floß, verbürgt mir Ihre Gesinnung. Glauben Sie, daß meine Freundschaft noch die gleiche ist; denn ich kann das Vergangene nicht auf Rechnung Ihres Herzens schreiben; und in Ihrem letzten Briefe habe ich Sie wieder ganz erkannt und gefunden. Sie waren krank, lieber Wilhelm, sehr krank! und in der Sorge um Sie hatte ich manche bange Stunde. Sind Sie doch wieder ganz wohl? Möge das Gefühl der völligen Gesundheit Ihr Herz erfreuen! Möge künftig die Sorge um Ihre treue, kindlich verehrte Mutter nicht den reinen Himmel Ihrer Jugend trüben 2)!" Im Frühlinge des folgenden Jahres ist Nane abberufen worden zu einem besseren Dasein, und Hauff hat ihr ein ehrendes Gedächtnis bewahrt, ihr, der es vergönnt war, zum ersten Male eine ernste Neigung in ihm zu erwecken und ihm damit manche Stunde freilich nicht ungetrübten Glückes zu bescheren.

Mitten hinein in diese Herzensangelegenheiten fallen nun Ereignisse ganz anderer Art. Wilhelm Hauff ist inzwischen Student geworden und zwar, soweit wir nach seinen 

1) H. Hofmann, S. 130.
 
2) Ebda., S. 132/133.



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Aufzeichnungen ermessen können, ein flotter Student. Anfangs zwar mußte er sich den Regeln des Stifts fügen, in dessen Räumen er wohnte, doch war die Hausordnung "viel leidlicher " als die Blaubeurer. Immerhin fanden auch die Verhältnisse innerhalb der Tübinger Klostermauern seinen Beifall nicht, er klagte Raue gegenüber über die langweiligen Herbst- und Winterabende, und schon im Sommer des Jahres 1821 sehen wir ihn deshalb mit Genehmigung des Ephorus zu seiner Mutter in die Haaggasse übersiedeln. Gab er auch damit nicht das Recht auf, an den gemeinsamen übungen der Stiftler, sowie an ihren Mahlzeiten teilzunehmen, so ermöglichte das Externat doch eine viel größere Bewegungsfreiheit, und danach hatte er ja schon in Blaubeurer Tagen geschmachtet. Einmal ganz sein freier Herr zu sein, das war sein Herzenswunsch schon lange gewesen. Seine Freunde Frisch, Christian, Göriz und Röder, mit denen er bereits im ersten Semester viel verkehrte — "Spaziergänge mit diesen. Arge Graßheit " — melden die Memorabilien, traten schon damals in die Burschenschaft. Er selbst zögerte auch im Sommer noch damit; wahrscheinlich fühlte er sich körperlich nicht ganz wohl, seine Notizen, auch Nanens Brief sprechen von einer Krankheit. Erst im Winter 1821/22 lesen wir "Fideles , und von da ab gab er sich mit Jugendlust und Begeisterung dem fröhlichen Treiben des akademischen Lebens hin. Die Burschenschaft — erst wenige Jahre zuvor, am 12. Juni 1815 in Jena gegründet und beim Wartburgfeste 1817 zum ersten Male als Einheit aller deutschen Studenten hervorgetreten — stellte nach §2 ihrer Verfassungsurkunde " vom 18. Tage des Siegesmondes im Jahre 1818" als Richtschnur ihres Wirkens folgende Grundsätze auf a) Einheit, Freiheit und Gleichheit aller Burschen untereinander , Gleichheit aller Rechte und Pflichten, b) christliche deutsche Ausbildung jeder geistigen und leiblichen Kraft zum Dienste des Vaterlandes oder — wie es in der Leipziger Urkunde heißt,: Volkstümliche Ausbildung für den Dienst dr:: Vaterlandes, Aufrechterhaltung und Beförderung der Gerechtigkeit, , Sittlichkeit, Ruhe und Ordnung sowohl in Beziehung auf die inneren Verhältnisse der Burschenschaft unter sich als auf die Verhältnisse zu den bestehenden Behörden und zu allen Studierenden. Das waren in der Tat hohe, edle und ideale Zwecke, denen man da nachstreben wollte, wohlgeeignet einen jungen Mann von Hauffs Denkweise zu enthusiasmieren. Dazu stand die Tübinger Burschenschaft


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die damals den Namen Germania und die Farben schwarz-rot-gold trug, in hohem Ansehen auch bei älteren und besonnenen Männern, so daß z. B. im Stuttgarter Gymnasium der Religionslehrer, der gestrenge nachmalige Prälat Klaiber noch bis zum Jahre 1822 seinen Schülern den Anschluß an die Burschenschaft empfohlen hat" 1). Gerade der Sommer 1819 wird als eine Zeit mächtigen Aufblühens bezeichnet; die akademischen Behörden behelligten die Verbindung in keiner Weise. Leider wurde das mit der Ermordung Kotzebues durch Georg Sand mit einem Schlage anders. Im August 1819 wurden auf dem Kongreß der Bundesregierung die berüchtigten Karlsbader Beschlüsse gefaßt, die eine Beaufsichtigung der Disziplin und Verbindungen unter den Studierenden durch besondere Kuratoren forderte, und da Sand auch in Tübingen immatrikuliert gewesen war, konnte es nicht ausbleiben, daß die "höchstprmßliche Zentraluntersuchungskommission" 2) natürlich auf die Tübinger Burschenschaft ihr nachdrücklichstes Interesse konzentrierte. Die Professoren bewahrten ihr zwar persönlich ihre Sympathie, aber die Regierung drang allerorten auf Beseitigung des Namens "Burschenschaft" , und auch die Tübinger konnte ihre Existenz nur dadurch retten, daß sie ihn in "Burschenverein" umtaufte. Im Jahre 1825 verschärften die Behörden die Gewaltmaßregeln gegenüber den Verbindungen abermals, viele Studenten wurden auf den Asperg geschickt, und für Hauff, dessen akademische Laufbahn um die Zeit abschloß, waren lene unerquicklichen Verhältnisse so frisch im Gedächtnisse, daß er ihrer in seinen Satansmemoiren ausführlich gedenken mußte. Als Höhepunkt im Leben der Burschenschaft galt das sogenannte Waterloofest, das mit großem Aufwand an Pomp und Glanz alljährlich am 18. Juni auf dem Wörth gefeiert wurde. Drei Jahre hindurch findet sich Hauff in der Liste der Festdichter , und die betreffenden Poeme sind S. 19 ff. dieser Ausgabe abgedruckt. Eine weitere beliebte Festlichkeit bildeten die " Ausritte" ; sie nahmen ihren Anfang stets auf dem Marktplatze, nachdem der im sechsspännigen Wagen sitzende Marschall ein laut tönendes Hoch auf die scheidenden Brüder "in Champagner" gebracht hatte. Für die Philister mögen diese Ausritte ein um so größeres Ereignis gewesen sein, als viele der Burschenschaftler sich damals in altdeutsche Kostüme kleideten, um schon äußerlich das Wiederaufleben des altdeutschen Wesens zu bekunden. Hauff hat wahrscheinlich diese mehr als

1) Riecke. S. 64.

2) Vgl. Memoiren S. 68. 82ff.



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eigentümliche Sitte nicht mitgemacht, wenigstens nicht in dem Umfange, wie er sie mit folgenden Worten selbst beschreibt, beziehungsweise karikiert: ",Die jungen Herren zogen die modischen Fräcke aus, ließen Haar und Bart wachsen, an die Hemden eine halbe Elle Leinwand setzen. Sie hatten wunderbare Mützen auf dem Kopf, die fast anzusehen waren wie Pfannkuchen. Lange wallende Haare fielen in malerischer Unordnung auf Rücken und Schulter; den Hals trugen sie frei und hatten breite, zierlich gestickte Kragen, wie heutzutage die Damen tragen, herausgelegt. Ein Rock, der nach antiker Form gemacht war, kleidete sie nicht übel; er schloß sich eng um den Leib und zeigte überall den schönen Wuchs der jungen Männer. In sonderbarem Kontrast damit standen die weiten Pluderhosen von grober Leinwand. Aus ihren Röcken sahen drohend Dolchgriffe hervor, und in der Hand trugen sie breite Stöcke, ungefähr wie die römischen Liktoren. Gar nicht recht aber wollte zu diesem Kostüm passen, daß sie Brillen auf der Nase hatten und gewaltig Tabak rauchten." In den Memorabilien spielen jetzt Suiten nach Roseck, Hechingen, Niedernau, Reutlingen eine wichtige Rolle. Besonders wanderlustig zeigt sich Hauff während der Ferien. In der Herbstvakanz 1821/22 erwähnt er eine Reise mit Theuren, Riecke 1 und 2, Reyscher über Gmünd nach Ellwangen, eine andere über Aalen nach Ulm mit den übrigen und Pfäfflein. Verfrorene Fahrt von Heidenheim nach Ulm. Tanz und Tanzmusik in Pfuhl. Fahrt ins Steinhäule." Mit dem als Pfäfflein angeführten Freunde ist Moritz Pfaff gemeint, der seit 1851 am Obertribunal in Stuttgart tätig war und 1853 zum Mitgliede des Geheimen Rats und Staatsrats ernannt wurde; denn Gustav Pfaff, gleichfalls zum Bekanntenkreise Hauffs gehörig und später Direktor des Kreisgerichtshofes in Eßlingen, wird gewöhnlich "der Lange" genannt. Außer mit diesen beiden verkehrte der Studiosus Hauff besonders intim mit dem schon oft erwähnten, durch den Briefwechsel mit ihm bekannten Christian Heinrich und mit dessen Bruder Viktor Adolf Riecke, die Jura, beziehentlich Medizin studierten, ferner mit Adolf Christian, genannt Cocles, mit Friedrich Freiherr von Röder, genannt der Reichsbaron, und mit Karl Göriz, vulgo Schnee. Hauff führt den Kneipnamen "Bemperlein" , der Seelenhirtschaft Anbildling. Bemperlein, auch Bemperle oder Pömperle, ist als schwäbische Diminutivform zu "Pumper" oder "Pomper" gedacht. So hatte man einen älteren Hauff, den nachmaligen Oberamtsarzt und Medizinalrat in Kirchheim, als Student genannt. Alle die angeführten


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jungen Leute bildeten innerhalb der Burschenschaft eine kleinere Gruppe, die gewöhnlich "die kleine Kompagnie" , wohl auch die Feuerreiter" heißt, welch letzteren Namen ihnen, so schreibt Griesinger in der schwäbischen Chronik von 1879, "ihr Eifer sowohl in burschenschaftlichen als in allgemein studentischen Angelegenheiten zugezogen hat, der aber von ihnen selbst auch gerne adoptiert worden ist. Es war ein sehr ehrenwerter Kreis strebsamer Jünglinge, die besonders auch zur Aufrechterhaltung und Belebung der burschenschaftlichen Idee wesentlich mitgewirkt und sich nicht geringe Verdienste um die Verbindung erworben haben, wie denn einer von ihnen (Knaus) als staatsgefährlicher Umtriebe bezichtigt, zwei Jahre seiner Jugend als Untersuchungs- und Strafgefangener auf dem Asperg zubringen durfte. Ehre ihrem Andenken 1)!" über die Studentenzeit hinaus haben sich die Feuerreiter die Gesinnungen echter Freundschaft bewahrt, ja auf ihre Kinder und Enkel hat sich in einzelnen Fällen das schöne Verhältnis der ehemaligen Farbenbrüder übertragen. Neben dem von Griesinger als Charakteristikum angeführten ernsten Streben kamen innerhalb der kleinen Kompagnie auch jugendlicher Humor und studentische Keckheit zum Ausdrucke. Davon zeugen mehrfache Episoden, welche des Dichters Freunde berichteten. Eines Tages — es war gerade Markt in Tübingen — kehrte Christian in seine Wohnung zurück. Da stand Bemperlein am Fenster und war im Begriffe, die Garderobe seines Kommilitonen öffentlich zum Verkauf auszubieten. Einen anderen Streich soll Hauff einst nachts ausgeführt haben, indem er auf den Jörgenbrunnen kletterte und der jetzt nicht mehr vorhandenen Statue des St. Georg die Beine rot bemalte. Möglicherweise wollte er — die Feuerreiter trugen damals rote Beinkleider — dadurch die Zugehörigkeit jenes hohen Herrn zu ihrem Bunde dokumentieren. Ein weiteres Zeugnis seines studentisch fröhlichen Lebens und Treibens liefern Hauffs eigne Aufzeichnungen aus der damaligen Zeit. Als umfangreichstes Werk kommt da zunächst "Die Seniade" in Frage, ein teilweise humoristisches Studentenepos in der Art des "Renommisten" von Zachariä. Seni, die Abkürzung von Senior, war der Kneipname für den Mediziner Friedrich Hauff von Marburg gewesen, der mehrere Jahre lang als "das Faktotum der Burschenschaft, als feiner Redner, tüchtiger Schläger, kühner Reiter, gewandter Turner, galanter Tänzer und bester 
1) Riecke. S. 78. Hauff I. c


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Billardspieler galt. Sein Schläger führte den Namen Viktor. Im Jahre 1820 in Tübingen immatrikuliert, mußte er im Herbst 1824 mit andern angeblichen Demagogen den Asperg besteigen; er wurde aber schon im folgenden Jahr als ein schwer Kranker entlassen und starb bald darauf 1)." Zu seinem Gedächtnisse, zugleich der gesamten Burschenschaft zu Ehren, ist die "Seniade" verfaßt, die neben vielen örtlichen und zeitlichen, die Allgemeinheit weniger interessierenden Anspielungen doch auch Strophen enthält, die von ernster, echt jugendlicher, idealer Begeisterung getragen werden. So spricht z. B. Armin, der Genius der Burschenschaft, nachdem er Seni gegenüber Gott, Ehre, Freiheit und Vaterland als die vier Säulen des hohen Domes seiner Verbindung gepriesen hat, am Schlusse des vierten Gesanges:
Dies ist das Heiligtum, so fest gegründet,
Die Säulen dies, auf die es aufgebaut,
Ein Banner auf der Zinne euch verkündet,
Worauf der feste Heldentempel traut.
   Das schwarzgoldrote Zeichen,
Das nimmer wird erbleichen,
Solang' des Tempels hohe Säulen stehn,
Wirst du, Panier, frei durch die Lüfte wehn.
Denn nicht ein Meteor, das, schnell entzündet,
Am schwarzen Himmel wieder untergeht,
Nein, dieses Rot hat Schöneres verkündet,
Nichts Eitles, was die eitle Zeit verweht.
  Die schwarze Nacht muß sinken,
Ein Morgenrot erblinken,
Schon bricht sein goldner Strahl hervor mit Kraft —
Das ist dein Zeichen, deutsche Burschenschaft 2)!"


***
Mehr humoristisch-burschikoser Art sind Hauffs "Briefe eines Mädchens", jedenfalls ursprünglich als Beitrag zu einer Kneipzeitung oder dergleichen gedacht und daher nur flüchtig skizziert Sie sollen den Eindruck des akademischen Lebens in Tübingen auf die Tochter eines Pfarrers wiedergeben, eines einfachen, biederen Landmädchens, das dem ihr völlig neuen sonderbaren Treiben der Studenten natürlich ganz verwundert zuschaut und in ihrem oft genug komisch anmutenden unbeholfenen Stile an eine Freundin berichtet, wie folgende Probe zeigt: "Doch, daß ich 
1) Niecke, S. 96 Anm.
 
2) H. Hofmann, S. 21),



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in der Ordnung bleibe, so will ich Dir auch etwas von dem Studentenfest erzählen. Man heißt es das Waterloofest, und es soll einmal eine schreckliche Schlacht da geliefert worden sein. Deswegen ist auch das Fest und der Ball 1)." Die Briefe sind von Dr. Gustav Wilhelm aus dem Nachlasse seines Großvaters Viktor Adolf Riecke in der Beilage zur "Münchner Allg. Zeitung" vom 17. August 1895 unter dem Titel: " Ein Anfang Hauffs in der Novelle" vollständig zum Abdrucke gebracht. — Recht bezeichnend für den Charakter des jungen Studenten für seine Neigung zur Ironie, die nicht selten zur Selbstironie wird, vielleicht auch für die nicht allzugünstigen äußeren Verhältnisse, unter denen er lebte, die aber seiner frohen Laune keinen Eintrag zu tun vermochten, sind die "Phantasien für den September 1850" , vorgelesen bei einem am 11. Februar 1825 in der Post zu Waldenbuch veranstalteten Feste der Kompagnie. Da sieht sich Hauff im Geiste schon als kinderreichen Dorfpastor. Er steht im Begriffe, seinen ältesten Sohn Wilhelm zum Studium nach Tübingen zu schicken; die vorangehenden Ferien aber soll er im Hause des Professors Christian in Stuttgart, an den der Brief gerichtet ist, verleben. Darin heißt es unter anderem: "Fünfundzwanzig Jahre! Ein langer Abschnitt in dem Leben eines Sterblichen, sie waren doch zu kurz, den Spiegel der Erinnerung mit ihrem Hauche zu trüben. Der Herr hat mir vieles gegeben, er hat mir manches auch genommen, doch ich klage nicht . . . . . Ich sende Dir hier meinen Sohn . . . Wie gerne hätte ich ihn begleitet. Ich hätte Dich wiedergesehen, Du alter, treuer Freund, Dr. Riecke und meinen guten Moritz hätte ich in Stuttgart getroffen, und Frisch hätte die 5 Stündchen wohl auch seinem alten Freunde zulieb gemacht, und so hätten wir ja einen guten Teil unserer Kompagnie beisammen gehabt. Aber Wilhelms Ausstattung auf die Universität kostete viel, die 4 Jahre seines dortigen Aufenthaltes werden auch viel wegnehmen, und Du weißt, wie wenig glänzend meine Verhältnisse sind. So muß ich den lang gehegten Wunsch wieder unterdrücken; transeat cum ceteris! Unser Leben ist ja so reich an Entbehrungen. Ich will dafür Luisen ein neues Kleid und den Kleinen warme Winterschuhe kaufen; sie haben es nötig und sollen nicht darben, wenn auch ihr Vater den Anblick seiner Freunde darüber entbehren muß. Über Wilhelm schreibe ich Dir nichts, Du magst ihn selbst prüfen. Man will große Ähnlichkeit mit mir an ihm finden, Du kannst selbst darüber entscheiden. Wahr ist es, sein lustiger, leichter Sinn, 
1) H. Hofmann, S. 228.


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der hie und da an die Grenzen von Leichtsinn streift, nötigt mir oft ein Lächeln ab. Ich war einst auch so und Du, mein Freund, würdest wohl schwerlich in mir den wieder erkennen, der Dir durch so manchen schlechten Spaß ein Lächeln abzunötigen suchte. . . Beikommendes Säcklein mit Kartoffeln schickt meine Frau Deiner H. zum Gruß. Du weißt, die Weiber haben immer solche liebenswürdige Zeremonien untereinander, daher entschuldige ich mich nicht über diesen Küchengruß 1) . ." Es läßt sich denken, daß die mehr oder minder poetischen Erzeugnisse des jungen Hauff — auch die Soldatenlieder, "Turnerlied" und "Burschentum" gehören nachgewiesenermaßen jener Zeit an — von den Mitgliedern der Kompagnie äußerst beifällig aufgenommen wurden, und das gab dem Autor Veranlassung zu weiterer Betätigung auf diesem Gebiete. Die in Blaubeuren nur an wenig Proben wahrnehmbaren dichterischen Anfänge nehmen durch die mancherlei Anregungen in Tübingen feste, greifbare Gestalt an, und die Perlen der Hauffschen Gedichte entstammen — merkwürdig genug — nicht dem späteren, reiferen Alter, sondern eben der Studentenzeit. — Während des Winters 1821/22 berichten die Memorabilien mehrfach von Kränzchen. "Konstituierung ordentlicher Kränzchen," dann "Musikkranz" und fast unmittelbar darauf "Eintritt in die Fidolia-Kommerze der Fidolia" . Es ist im einzelnen nicht völlig klar, weshalb Hauff als Mitglied der Kompagnie in die Fidolia eintrat. Unter "Allgemeine Bemerkungen über dieses Semester" schreibt er in den Memorabilien: : "In der Allgemeinheit zeigt sich wenig Interesse, deswegen ist auch der Ausschuß nicht gar frisch, ob er gleich Händel mit dem Senat hat und sich endlich auflösen muß. In der Burschenschaft zeigt sich kein großer Eifer. Daher Streitigkeiten der Feuerreiter, Gemäßigten und Fidelen. Die Fidolia bringt einen fideleren Geist in die Kneipe, der aber ausartet. Am Ende größeres Interesse darin" . Darnach läßt sich vermuten, daß er in der Kompagnie nicht das fand, was er suchte, daß ihm die Fidolia mehr Anregung bot, war doch ihr Zweck nach seinen eigenen Worten "rechte Fidelität und Herzlichkeit. Fidelität im Sinn und Geist der Burschenschaft; Fidelität, die dem Burschen die Jahre seiner Jugend erheitert und die er noch ins Geschäftsleben hinübernimmt; Fidelität, die den Burschen nicht schon in der schönen Zeit seines Burschenlebens zum Philister werden lassen will, gleich weit entfernt von roher Kneipenrenommage und Liederlichkeit , als von jenem ernst sein sollenden Wesen, womit sich 
1) Riecke, S. 9?ff.


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jugendliche Philister eine gewisse Grandezza geben wollen 1)." Trotzdem scheint die hier so gerühmte Fidolia nur ein kurzes Dasein gefristet zu haben; denn nachdem das Tagebuch . ,Verdrießlichkeiten mit der Kompagnie, die sich durch meinen Eintritt in die Fidolia beleidigt fühlt" , notiert hat, erzählt es von einem "Auszug der Fidolia auf einen Berg mit biergefüllten Ranzen" , der "Auflösung der Fidolia und den Folgen davon" , von "ihrem Begräbnis" und der "Aussöhnung mit den Kränzchen" . Am 22. Januar 1822 bereits hält Hauff im Kränzchen der Kompagnie eine Rede, worin er sich wegen seines Eintrittes in die Fidolia rechtfertigt. " Eine schöne Frucht unserer geselligen Verbindung ist, daß die Mitglieder, die an Musik Freude haben, sich entschlossen , einen Abend in der Woche sich mit Musik zu vergnügen. Zu diesen Unterhaltungen wurde ich eingeladen. Schon früher bekannt mit den Mitgliedern dieses Kranzes, wurde ich es hier immer mehr, ich lernte hier den traulichen, frohen Geist des Vereins kennen und trug um so weniger Bedenken, mich ganz daran anzuschließen, da ich an ihrer Spitze einige eurer ersten Glieder der Burschenschaft, die auch ich mir zur Richtschnur meines Burschenlebens gemacht habe, stehen sah. Betrachtet ihr meinen individuellen Charakter, der so gerne sich anschließt, wo er Frohsinn, Heiterkeit und Herzlichkeit findet, betrachtet ihr endlich das Bedürfnis der Zeit, das auch ich fühlte, daß auf irgend eine Art mehr Herzlichkeit herbeigeführt werden müsste, betrachtet ihr endlich, was auch ich ernstlich erwog, daß das Anschließen an jene Verbindung mich euch, meine liebsten Freunde, nicht entzieht, so wenig euch euer Beitritt zur Burschenschaft mir entzogen hat, so glaube ich, werdet ihr, wenn ihr das alles ernstlich bedenkt, mir eure Verwunderung darüber, daß ich zur Fidolia trat, nicht mehr so stark zu zeigen brauchen" 2). Auch in einem Vortrage, dessen Motto "Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang" lautete, kommt Hauff beim Beginn des Sommersemesters auf die Angelegenheit zurück. "Ja, auch unter uns gab es Irrungen, unselige Mißverständnisse, die die treuesten Herzen trennen können. Doch, unser Schuldbuch sei zernichtet, ausgesöhnt die ganze Welt. — Und so biete ich auch euch die Hand in dieser geweihten Stunde; hinter uns liegt die Qual des Mißtrauens, vor uns liege Vertrauen und Treue, fest wie der Druck unserer Rechten. Einigkeit und Vertrauen möge uns verbinden zum Kampf für alles Gute. zum Kampf gegen alles Böse . . 3) In einer dritten 
1) H. Hofmann, S. 40.
 
2) Ebda., S. 211.
 
3) Ebda., S. 212


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Rede, die er am 21. Mai 1822 im Kränzchen hält, behandelt er die Frage: Warum steht die Freundschaft in den späteren Tagen nicht mehr auf dem hohen Standpunkt, auf dem sie in den Tagen der Vorzeit stand? Er beantwortet sie dahin, daß er sagt, das Christentum gab dem Weibe die Rechte wieder, die ihm durch verjährte Gewohnheiten genommen waren. Das Christentum schuf für die Liebe eine edlere, reinere Gestalt, und das ist es, was die Freundschaft anders gestalten mußte. — So nahm Hauff an den Veranstaltungen der Kompagnie fortan regen aktiven Anteil, kein Wunder, daß bald alle früheren Mißstimmungen vergessen waren und er die Sympathie aller Mitglieder wieder genoß. überblickt man die Menge von Gelegenheiten , die ihm innerhalb der Studentenschaft sowohl, als durch die wissenschaftlichen Arbeiten an der Universität geboten wurden, um sich geistig zu betätigen und fortzubilden, so ist der damit erzielte Gewinn für ihn ein außerordentlicher gewesen, viel mannigfaltiger , als eine noch so ausführliche Darstellung nachzuweisen, viel höher vor allem. als der zu erwägen vermag, der nur aus der Ferne, vielleicht kopfschüttelnd, dem ungebundenen Wesen studentischen Lebens zuschaut. Nie hat Wilhelm Hauff diesen unsagbaren Zauber jener Jahre vergessen, und bis in die letzten seiner Werke hinein verweben sich Erinnerungen an seine Freunde und die mit ihnen genossenen Stunden sorglosesten, heitersten Glückes. Wie treffend spricht er in den "Phantasien" einige Jahre darnach über seine Burschenzeit: "Ihr duftet auf in herrlicher Schöne, Jahre meiner Jugend, wie das Aroma aufsteigt aus dem Römer ; mein Auge wird wacker, o Seele: denn sie sind um mich, die Freunde meiner Jugend! Wie soll ich dich nennen, du hohes, edles, rohes, liebliches, unharmonisches, gesangvolles, zurückstoßendes und doch so mild erquickendes Leben der Burschenjahre? Wie soll ich euch beschreiben, ihr goldenen Stunden, ihr Feierklänge der Bruderliebe? Welche Töne soll ich euch geben, um mich verständlich zu machen? Welche Farben dir, du nie begriffenes Chaos! Ich soll dich beschreiben? Nie! Deine lächerliche Außenseite liegt offen, die sieht der Laie, die kann man ihm beschreiben , aber deinen innern, lieblichen Schmelz kennt nur der Bergmann, der singend mit seinen Brüdern hinabfuhr in den tiefen Schacht. Gold bringt er herauf, reines, lauteres Gold, viel oder wenig, gilt gleich viel. Aber dies ist nicht seine ganze Ausbeute. Was er geschaut, mag er dem Laien nicht beschreiben, es wäre allzu sonderbar und doch zu köstlich für sein Ohr. Es leben Geister in der Tiefe, die sonst kein Ohr erfaßt, kein Auge schaut. Musik ertönt in jenen Hallen, die dem nüchternen Ohr


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leer und bedeutungslos ertönt. Doch dem, der mit gefühlt und mit gesungen, gibt sie eine eigene Weihe, wenn er auch über das Loch in seiner Mütze lächelt, das er als Symbolum zurückgebracht ."

Ganz besondere Bedeutung für die Zukunft des jungen Hauff sollte ein Ausflug erlangen, den er im Herbste 1823 nach Ulm und von da auf einer " Ulmer Schachtel" nach Donauwörth unternahm. Hier besann er sich plötzlich, daß im nahen Nördlingen eine ihm bisher nur dem Namen nach bekannte Tante — Margarete Barbara Eberhardine Hauff — lebte. Kurz entschlossen, stattete er ihr einen Besuch ab, den er, was keinesfalls vorher beabsichtigt war, auf mehrere Wochen ausdehnte, und zwar lag das ihn fesselnde Moment nicht nur in der Gastfreundlichkeit seiner Verwandten und in dem dort herrschenden heiteren Tone des Umgangs, sondern vor allem in der Tochter des Hauses, seiner Cousine Louise. Von Anfang an mochte der Verkehr der beiden jungen Leute etwas förmlich gewesen sein, wie sich weiterhin ergeben wird, bald aber traten sie sich näher. In Louisens Gesellschaft besucht Wilhelm Hauff die Reimlinger Kirchweih und einen Ball im Kasino, ihr erteilt er Unterricht im Gitarrespiel, und so wird aus Cousin und Cousine ein Liebespaar, das sich Treue schwört für alle Ewigkeit. Zu schnell naht für sie beide die Stunde des Abschiedes. Ins Album der Geliebten schreibt er am 13. Oktober 1823; "Wenn du, I. Louise, an den Herbst 1823 dich erinnern- so denke dabei auch an meine steife Ankunft und an die chinesischen Komplimente, an die Gänge in den Garten. an die Rose in Reimlingen. . . . an die Gitarrestunden und die aufmerksame Schülerin, vor allem aber an den weiß und blauen Ball den 12. Oktober und an den Herrn Rentamtmaun — vor allem aber an deinen treuen Vetter aus Tübingen.

Was wir im Scherz so oft gesungen,
Sei mir ein ernstes Abschiedswort,
Denn, sind die Töne bald verklungen, —
Es lebt der Geist der Töne fort.
"Wenn mir in weiter, weiter Ferne
Dein liebevolles Bild erscheint,
Dann wünsch' ich still, dann möcht' ich gerne,
Daß uns die Liebe wieder eint."

Noch aber ist Louisens Mutter nicht ins Vertrauen gezogen, darum beginnt von Tübingen aus zunächst ein durchaus offizieller,



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in den Formen der landläufigen Galanterien gehaltener Briefwechsel mit der Tante, daneben aber ein geheimer mit Louise. Leider sind aus dieser Zeit keine Briefe Hauffs erhalten. Hans Hofmann, der sich darum bemüht hat, vermutet, daß sie von den Verwandten endgültig vernichtet seien. Auch die Memorabilien werden jetzt merkwürdig kurz; jedenfalls hat der junge Student mit seinen Gedanken mehr in Nördlingen als bei den Veranstaltungen seiner Kommilitonen geweilt. Die Gedichte jener Tage, "Sehnsucht" (S. 28 d. Ausg.), "Stille Liebe" (S 27), "Lied aus der Ferne" (S. 30) und "Ihr Auge" (S. 30), auch Serenade" (S. 31), sind getreue Abbilder seiner Stimmung. Vor allem ließ er sich jetzt, um möglichst bald zum Abschlusse zu kommen, seine Studien ernstlich angelegen sein. Ostern 1824 treibt es ihn natürlich wieder nach Nördlingen, und wenige Tage nach seiner Ankunft entdeckt er sich der Mutter Louisens, die zu seiner großen Freude nichts gegen seine Werbung einwendet. Nun folgen begreiflicherweise "Glückliche Stunden" , und der Abschied mag ihm diesmal noch schwerer geworden sein als im vorjährigen Herbste. Wieder nur wenige Worte füllen in den Memorabilien das letzte Semester aus ; es gilt, für das Examen fleißig zu arbeiten. Jeder der Freunde bringt sein Stammbuch, worein Hauff ein Wort des Abschiedes — meist scherzhafter, aber herzlicher Art — einträgt. Endlich die schweren Tage der Prüfung, und dann ist " der Seelenhirtschaft Anbildung" ein candidatus ministern geworden, der, die Brust voller Hoffnungen für die Zukunft, das Herz voll Liebe zu seiner Louise, den Kopf voller Pläne und Entwürfe —mancherlei Skizzen und Fragmente (vgl. Einleitung zu den "Memoiren" und zum . .Mann im Mond") lagen schon unter seinen Papieren — ins Philisterland zieht. Schon die vorhergehenden Wochen wurden bestimmend für die weitere Zukunft des jungen Hauff; in ihnen lag der wichtigste Wendepunkt seines ganzen Lebens. Ursprünglich war es sein Herzenswunsch, möglichst schnell in Amt und Würden zu kommen, um die geliebte Braut zum Altare führen zu können; er soll auch bereits Aussicht auf Erlangung einer Vatronatsstelle in der Gegend von Nördlingen gehabt haben. Da legte sich der Bruder seiner beiden Schwäger, der Konsistorial-Assessor Christian Friedrich Klaiber , der offenbar die Begabung des früher so gering eingeschätzten Jünglings und vor allem seine rhetorischen Fähigkeiten erkannt hatte, ins Mittel, indem er ihn vor einer übereilten Heirat warnte und zugleich auf ein höheres Ziel, die Erlangung einer Professur in Tübingen, hinwies. Er riet auch


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zu einer größeren Reise und vermittelte ihm endlich eine Hauslehrerstelle im Hause des Kriegsratspräsidenten von Hügel in Stuttgart. Leicht mag es natürlich dem jungen Kandidaten nicht geworden sein, seine früheren Entschlüsse zu ändern; aber schließlich siegte doch die bessere Einsicht, daß der bisher erlangte Grad von Lebenserfahrung nicht die nötigen Qualitäten bot, die das verantwortungsreiche Amt eines Seelsorgers erforderte . Vielleicht wurde er sich auch immer mehr darüber klar, daß ihm das geistliche Amt wohl kaum dauernde Befriedigung gewähren werde. Nach mancherlei schriftlichen Auseinandersetzungen mit seiner Braut erlangte er auch deren Zustimmung zur Annahme der ihm angebotenen Hauslehrerstelle. Ende Oktober trat er in das Hügelsche Haus und damit in eine gesellschaftlich völlig neue Sphäre ein; doch scheint er sich vom ersten Tage an hier wohlgefühlt zu haben. Offenbar kam ihm sein flottes, akkommodationsfähiges Wesen dabei zustatten, das ihn dem General sowohl, als seiner Gemahlin, einer äußerst gebildeten und distinguierten Dame, sympathisch machte. Wie sich der Verkehr mit seinen Schülern gestaltete, wissen wir im einzelnen nicht; jedenfalls hat er nicht allzuviel Zeit und Kraft beansprucht, da wir Hauff noch in demselben Jahre mit den verschiedensten literarischen Arbeiten, mit der Durchsicht, Sammlung, Ordnung und Ergänzung der Entwürfe zu den "Memoiren" , die er seinerzeit in Tübingen möglicherweise ohne bestimmte Absicht flüchtig skizziert hatte, wohl auch schon mit den Vorarbeiten zum "Mann im Mond" beschäftigt sehen. Den Beginn des Jahres 1825 füllten die Vorbereitungen auf die höhere Dienstprüfung aus. An dem entscheidenden Morgen war Hauff vom Fieber und Halsweh geplagt und mußte des schändlichen Tau- Regen- und Schneewetters wegen auf Veranlassung des Generals von Hügel in dessen Wagen nach dem Konsistorium fahren. "Da hättest Du nun" , erzählt er selber, " die Gesichter sehen sollen, die aus dem Konsistorio herausschauten. Ein prachtvoller Stadtwagen mit Glasfenstern, herrliche Pferde mit schönem Geschirr, der Kutscher in voller Livree, ein Bedienter hinten droben! Vor dem Konsistorium schreit der Kutscher: Brrr! die Pferde stehen, der Bediente fliegt heran, öffnet feierlich die Glastüre, schlägt die reichgestickten Tritte auseinander, ein Paar seidene Strümpfe werden sichtbar, ein Arm mit einem prachtvollen Patenthut kommt heraus — Wer mag es wohl sein? — Der Magister Hauff!!! Heißt das geistliche Armut, höre ich die Herren sagen, heißt das christliche Demut 1)?" Den darauf 
1) Klaiber, Nord u. Süd V, S. 225.


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folgenden Sommer verbrachte er mit der Familie! Hügel auf deren Schlosse Guttenberg am Neckar, wo das ohnehin romantisch gestimmte Gemüt des jungen Hofmeisters reichlichen Stoff für spätere literarische Werke, aber auch Muße genug zur Abfassung des 1. Teiles der "Memoiren" und des "Mannes im Mond" fand, die beide fast gleichzeitig Ende August bei Franckh in Stuttgart erschienen. " Es war nicht die Franckhsche Firma" , schreibt er im Frühlinge 1826 an seinen Bruder, "oder seine miserablen Verlagswerke, sondern der Stolz, bei dem kleinsten Krämer zu verlegen und einzig durch mich selbst bekannt zu werden." In den Winterabenden 1824/25 sowohl, als bei den vom Schlosse Guttenberg aus unternommenen Ausflügen hatte Frau von Hügel Gelegenheit, sein Talent im Märchenerzählen zu beobachten, und auf ihr Zureden gab er im November 1825 den ersten Märchenalmanach heraus. Ungemein schnell folgten sonach diese drei Veröffentlichungen aufeinander, die erste, die Herausgabe der "Kriegs- und Volkslieder" , war schon 1824 vorausgegangen; ebenso schnell verbreitete sich nach Bekanntwerden seines Namens sein Ruhm in der Schriftstellerwelt wie unter dem Publikum. Man kann es Hauff kaum nachfühlen, wie glücklich er über diese ersten Erfolge war. "Franckh ist seit gestern" , heißt es in einem Briefe vom 23. September, " wie ein Narr, und es fehlte wenig, so wäre er mir um den Hals gefallen . . . Ich bin doch so glücklich, ein wenig Talent zu besitzen; denn um den Namen und das Geld, das man dadurch bekommt, ist es doch etwas Schönes." 1) Noch aber waren die dichterischen Leistungen des Jahres 1825 nicht erschöpft. Für den 1. Dezember bereits hatte Hauff seinem Verleger den 1. Teil des "Lichtenstein" versprochen. Die Vorstudien dazu mußten notwendigerweise neben der Konzeption der vorher aufgezählten Werke hergehen, die Abfassung des 2. und 3. Teils erfolgt in den ersten Monaten des Jahres 1826. Nimmt man noch hinzu, daß Hauff im Oktober 1825 sein Doktorexamen abgelegt hat, bedenkt man ferner, wie eingehend er damals die Lektüre Clauren's. Hoffmanns, Walter Scotts, Jean Pauls und Tiecks betrieben haben muß; so ergibt sich, daß die Zeit vom Austritte aus der Universität eine an Arbeit fast überreiche gewesen ist. Vielleicht fühlte Hauff selbst, daß in der bisher gewohnten Hast ein Weiterschaffen nur auf Kosten der Gesundheit möglich sei, vielleicht war es auch die alte, schon in der Jugend- und Studienzeit an ihm beobachtete Wanderlust, hauptsächlich aber wohl der Rat seines Verwandten, der ihn bewog, Ende April 1826 seine 
1 H. Hofmann, S. 91.


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Stellung im Hügelschen Hause aufzugeben und die von ihm selbst als "große Tour"1) bezeichnete Bildungsreise zur Vertiefung und Erweiterung seiner Kenntnisse und Erfahrungen anzutreten. Anfang Mai ging er zunächst nach Nördlingen, um sich von Louise zu verabschieden, dann führte ihn die Eilpost nordwärts nach Frankfurt und über Met, Saarlouis, Courcelles nach Paris. Einige Kapitel aus dem 2. Teile der "Memoiren" und die erst nach seinem Tode veröffentlichte Skizze "Ein paar Reisestunden" verdanken stofflich ihre Entstehung jenen Reisetagen. In Paris wohnt er im Hotel garni der Madame J. Floret. Wahrscheinlich wird er die ersten Tage seines Aufenthaltes zu sprachtechnischen Studien, die nächsten Wochen aber dazu benutzt haben, das eigenartige Leben der Stadt, ihre Umgebung, Anlagen, Kunstsammlungen, Theater und Konzerte, vor allem aber auch ihre Bewohner tennen zu lernen. "Die ersten Tage," heißt es in einem Schreiben an seinen Bruder, ging mir das Getümmel sehr im Kopf herum, jetzt habe ich einen klareren Blick gewonnen, auch mich ganz trefflich orientiert und fände mich von St. Lazare bis zum Observatoire, von la Roquette bis zum Place de Louis XV. zurecht 2)." Schon Ende Juni aber kommt ihm allmählich ein Überdruß an den Sehenswürdigkeiten . "Diese Herrlichkeiten fangen an, nachdem ich sie 5 Wochen genossen, zu langweilen," und dabei hatte er — ein Beweis, wie sehr er an geregelte Tätigkeit gewöhnt war — jeden Morgen bis um 11 Uhr gearbeitet. Die Kontrovers-Predigt ist zum Teil in Paris konzipiert, außerdem schrieb er vom 16. Juni an Berichte für die "Abendzeitung" über das Auftreten der deutschen Sängerin Henriette Sonntag an der italienischen Oper. Im Juli unternahm er einen 14 tägigen Ausflug nach der Normandie. die ihm durch die Wunder ihrer Naturszenen besonders imponierte. Ende Juli begab er sich die Rückreise, die ihn über Brüssel, Antwerpen und Gent nach Aachen führt. Dort erhielt er einen Brief des Stuttgarter Verlagsbuchhändlers Cotta, der ihm die Redaktion seines Damenalmanachs, andeutungsweise auch die des Morgenblattes anbot und ihm sogar die Kosten einer eventuellen Fortsetzung seiner Reise nach England zur Verfügung stellte. Hauff nahm vorläufig nur die Redaktion des Damenalmanachs an, bewahrte sich aber im übrigen freie Hand. Daß er nicht nach England ging, lag gewiß zum Teil an der Sehnsucht, die ihn nach Nördlingen rief; vielleicht aber war er sich auch darüber 
1) Phantasien, 24. Z. 34.
 
2) H. Hofmann, S. 141.


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klar, daß ein wirklicher Gewinn aus dem Besuche eines fremden Landes nur dann zu erwarten stand, wenn man der betreffenden Sprache völlig mächtig war, und das bezweifeln wir bezüglich des Englischen bei ihm 1). Von Aachen aus geht nun sein Weg über Köln, Kassel und Göttingen nach Bremen, wo er im Kreise von lieben Freunden und Verwandten fröhliche Stunden verlebt und jedenfalls Studien zu den später verfaßten "Phantasien" unternimmt. Mitte September trifft er in Berlin ein. Welch festlicher Empfang ihm da zu teil wird, lassen die Worte erkennen, die er bald nach seiner Ankunft an seine Angehörigen daheim berichtet: "Ich wurde glänzend, fast wie im Triumph, aufgenommen. Hier wohnt Clauren und wird von den Gebildeten verabscheut; darum war alles neugierig auf den Menschen, der es gewagt, mit ihm anzubinden. Es geht mir wie in einem Märchen: Die berühmtesten Männer, Künstler, Schriftsteller, Buchhändler besuchen mich, Fougué, Rauch, Schadow. Wilibald Alexis, Devrient usw. 2)." Bei dieser Menge neuer Bekanntschaften und literarischer Anregungen ist es kein Wunder, daß er über einen Monat hier verweilt. Noch am 12. Oktober schreibt er: "Gerne bliebe ich bei den lieben Leuten hier noch den ganzen Winter; es ist sehr angenehm, so geehrt und geliebt zu sein." Etwa eine Woche später nimmt er endlich Abschied, besucht Leipzig, wo er in Beziehung zu Brockhaus tritt, und Dresden. wo ihn Tieck "ungemein ehrenvoll " aufnimmt, und am 17. November finden wir ihn in Nördlingen im Kreise seiner Lieben. Sieben Monate War er fern von der Heimat gewesen, und mit berechtigter Genugtuung konnte er auf seine Reise zurückblicken; war es ihm doch möglich gewesen, während derselben nicht nur die "Kontrovers-Predigt" und den "Märchenalamanach auf 1827" , sondern auch den ll. Teil der "Memoiren" und "Die Bettlerin vom Pont des Arts" fertigzustellen. Mancherlei Pläne, die er inzwischen gefaßt, harrten noch der Verwirnichung. Mit der Zahl seiner Werke war auch sein Schriftstellerruhm in Deutschland immer mehr gewachsen , und das erneute Bemühen Cottas, ihn für die Redaktion seiner Morgenzeitung zu gewinnen, nachdem die Verhandlungen mit Heine zu keinem Resultate geführt hatten, ist darum durchaus verständlich. Allem Anscheine nach hat auch Hauff die damit gebotene Gelegenheit, eine Stellung zu erwerben , die ihn in den Stand setzte, einen selbständigen Haushalt zu führen, jetzt nicht ungern ergriffen; sollte doch der 
1) Vgl. Einleitung zum "Lichtenstein" .
 
2) Vgl. H. Hofmann, S. 142/143.


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solange still im Herzen getragene Plan, seine Louise heimzuführen, nun bald zur Wahrheit werden. Am 1. Januar 1827 trat er sein Amt als Leiter des belletristischer Teiles der Morgenzeitung an; aber schon nach einem Monate — wenige Wochen vor der bereits festgesetzten Hochzeit — kam es zu einer Auseinandersetzung mit Cotta, die beinahe zu einer Lösung seines Vertrages geführt hätte. Er berichtet darüber an Theodor Hell "Ich wage zu behaupten, daß unter allen Redaktmren in Teutschland keiner ein so schwieriges Amt habe als ich, nicht allein wegen der ungeheuren Menge mittelmäßiger und schlechter Stoffe, die täglich eingehen, sondern wegen des Charakters des Eigentümers dieses Blattes. Cotta hat es zu verschiedenen Zeiten und namentlich in den letzten vier Jahren allein mil seinem Sohn (einem Stallmeister und Kammerherrn) geführt. Arglos übernahm ich das Blatt. Nachdem ich es aber einmal einen Monat geführt hatte, gab er mir so oft zu verstehen, was er, als Eigentümer, anders haben wollte, daß ich ihm endlich, wiewohl mit blutendem Herzen, da mein Hochzeittag schon bestimmt war, die ganze Geschichte heimschlug und — abtrat. So hatte er es aber auch nicht haben wollen; er knüpfte die Verbindung wieder an, gab nach. Die größte Schwierigkeit machten mir die Rücksichten, die ich wegen ihm zu nehmen hatte; bald war ein Manuskript schon früher bezahlt, bald hatte man eine alte Rechnung an einem andern abzuziehen; bald sollte man auf die Regierungen Rücksicht nehmen, bald wieder nicht. So kam es, daß wir ausmachten, ehe ich die Sache von neuem übernahm: Alle Artikel, die polemischer Natur sind, sollen dem Literaturblatt (der von Wolfgang Menzel geleiteten Beilage zum Morgenblatte — d. Herausg.) übergeben werden . . . Ich bin ein junger, armer Mensch, der sich mit seiner Feder durch die Welt schlagen muß; aber diesen Stolz habe ich mir doch aufbewahrt, daß, wenn auch alle übrige Freiheit verloren ist, diese Freiheit noch in meinem Innern fortlebt und meine Gedanken wie meine Handlungen leitet. Ich gehöre allen, ich gehöre mir selbst, aber keiner Schule gehöre ich an, der Meister möchte sich nennen, wie er wollte. Ich fühle keinen Herrn und Meister über mir, dem ich Gehorsam schuldig wäre, als die ewigen Gesetze des Guten und Schönen, denen ich, wenn auch auf unvollkommene Weise, nachzustreben suche. Es mag sein, daß ich die Form nicht vor dem Einfluß der Zeit bewahren kann, doch soll mir der Geist ungegöthet, ungetieckt 1), ungeschlegelt 
1) Hell hatte ihn in seinem Schreiben v. 12. April (Hauff antwortet an 17. dess. M..) "vertieft"genannt.


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und ungemeistert bleiben 1)." Das sind in der Tat herrliche Worte, ebenso bezeichnend für Hauffs bescheidenes, wie für sein natürliches und freimütiges Wesen, das durch keinerlei Rücksichten , Schranken und Muster eingeengt und gegängelt sein will. — Mitte Februar 1827 ist Wilhelm Hauff in den Hafen der Ehe eingelaufen. Welche hohe Freude und Wonne es für ihn bedeutete, nun für immer mit der Geliebten seines Herzens verbunden zu sein, geben am besten seine eignen Worte wieder, die er drei Tage nach der Hochzeit an Adolf Christian, einen seiner Studienfreunde, schrieb. "Ich habe bis jetzt viele Stände durchlaufen, war Lyceist, Seminarist, Student, Burschenschaftler, Kandidat, Hofmeister, Schriftsteller, Reisender, Rezensent, Redakteur — aber kein Stand, ich versichere Dich, hat mir so wohl gefallen, als der Ehestand! Soll ich Dir von meinem Glück erzählen, wie wir leben, essen, schwatzen, sorgen, schlafen, — wie wir uns freuen? Beschreiben läßt es sich nicht, darum komm bald und sieh selbst; denn die Teilnahme, geliebter Freund, würzt noch das Glück, macht aus einem stillen ein lebhaftes, frohes . . ."2) Eine noch anschaulichere Schilderung seiner behaglichen Häuslichkeit bietet der Anfang eines am 18. Februar an Moritz Pfaff, der gleichfalls mit zur Tübinger Kompagnie gehört hatte, gerichteten Schreibens. "Ich habe viele Bilder in diesem Leben gesehen, gedacht, auch wohl erfunden und niedergeschrieben, aber keines hat mir so gefallen wie ein ,Stillleben', das ich Dir beschreiben will. Denke Dir ein kleines (warmes) Stübchen: es ist tief am Abend und die Kerze auf dem Tisch beinahe abgebrannt . Eine Tür ist geöffnet in ein Schlafzimmer (was an zwei Betten bemerklich), vielleicht um dort ein wenig Warm zu halten. Auf dem Sofa hinter dem Tisch und dem Stümpfchen Licht sitzt ein Mann im Pelzschlafrock; er schreibt. Neben ihm sitzt eine junge Frau; sie hat das Strickzeug in den Schoß sinken lassen. Sie heftet ihr Auge voll Liebe auf den Schreibenden , sie scheint über ihn nachzudenken, und das Licht, das auf ihre angenehmen Züge fällt, zeigt, daß ihre Gedanken ein zufriedenes, glückliches Resultat geben können. — Jetzt sieht der Mann von seiner Arbeit auf, er sieht die Frau voll Freude an, und —Du, wenn zufällig statt des Mondes ins Stübchen schautest, würdest Deinen glücklichen Freund erkennen.

Mein Lieber! ich bin froh, daß ich um zweitausend Jahre nach Polykrates geboren bin und keinem Aberglauben mehr anheimfalle, sonst müßte mich mitten im Glück der furchtbar 

1) Vgl. ;H. Hoffmann S. 154/155
 
2) Vgl. ebda., S. 148/149.



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mahnende Gedanke traurig machen, ,noch keinen sah ich glücklich enden, auf den mit immer vollen Händen die Götter ihre Gaben streun. . . ."1) Scheint es nicht, als ob in diesem letzten Satze eine Ahnung des tragischen Geschickes anklänge, das ihm beschieden sein sollte? — Während der nächsten Zeit sehen wir Hauff stark mit literarischen Arbeiten für das Morgenblatt beschäftigt. Jahrgang 1827 desselben brachte von ihm außer einer Anzahl von Gedichten 2) vor allem die Novelle "Jud Süß" , die Selbstrezension der "Letzten Ritter von Marienburg" und eine übersicht über die Taschenbücher von 1828. Leider gewährte ihm seine Tätigkeit als Redakteur auch jetzt noch nicht die innere Befriedigung, die zu einem gedeihlichen Wirken erforderlich ist. Noch immer hegte er die Hoffnung, der von ihm geleiteten Zeitung ein einheitlicheres Gepräge verleihen, sie auf ein höheres literarisches Niveau heben zu können. An der Person Cottas scheiterten indessen alle diesbezüglichen Versuche, und das mag ihn doch für manche Stunde recht mißmutig gestimmt haben, wie die folgende, einem Briefe an Ludwig Robert vom 7. Juni 1827 entnommene Stelle erkennen läßt. "Sie haben mich aufs Neue mit einem Schreiben erfreut, das um so ehrenvoller für mich ist, als es mir Gelegenheit gibt, über einige Punkte mit Ihnen mich zu unterreden, die für mich selbst von hohem Interesse sind. Ihre Bemerkungen über Form und Inhalt finde ich, wenn ich es sagen darf, um so richtiger, als sie dem größten Teil nach mit dem übereinstimmen, was ich Herrn von C(otta) über das Blatt schrieb, als er mich um Rat darüber fragte und darauf hindeutete, mir die Leitung anzuvertrauen. Ich schmeichelte mir auch, als ich die Sache von ferne sah, daß es mir, soweit es in meinen Kräften stünde, gelingen möchte, dieses schwierige Reformationsgeschäft zu vollbringen . Aber — ich hatte die Rechnung, wie man sagt, ohne den Wirt gemacht, und dieser machte mir einen Strich durch die Rechnung. Nämlich ich stieß auf zweierlei große Hindernisse: einmal sagte mir Herr von C(otta) deutlich, daß sein Blatt kein rein belletristisches, sondern ein allgemein bildendes und unterhaltendes seyn solle, und in diesem Sinne müsse es redigiert werden, daher konnte ich Naturhistorien, sehr spezielle Länderkunde, Reisen . nicht entfernen, unbenommen bleibt es mir freilich (wenn kein anderes Motiv im Spiele ist), allzu abstrakte oder rein speziell wissenschaftliche Arbeiten abzuweisen, dafür darf aber auch in diesen Fächern, die Herr v. C., als ein Mann 
1) il. H. Hofmann, S. 149. 150.
 
2) Vgl. Einleitung zu den Gedichten ds. Ausg.


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von sehr vielseitiger Bildung und so allgemeiner Tendenz, liebt, in keinem Monat eine Lücke eintreten. Die gesetzmäßigen Fächer des Blattes sind — Allgemeine Aufsätze — Naturgeschichte — Reisen —Länder- und Völkerkunde —Biographie — Gedichte — Erzählungen — Correspondenzen. An diese Vielseitigkeit und Allgemeinheit des Instituts hat sich Herr v. C. (der es seit 20 Jahren streng beobachtet) so sehr gewöhnt, daß er, wie ich glaube, nicht mehr davon abgehen wird.

Sehr enge hängt damit ein zweiter Punkt zusammen: das Vielerley, das sich in jedem Blatte findet; leider lassen sich so heterogene Theile nicht wie in einem Calleidoskop täglich zu einem neuen schönen Ganzen zusammen würfeln, und Sie nennen diese Blätter nicht mit Unrecht "Probekarten" . Sie dürfen mir sicher glauben, daß es für den Redakteur nichts Unangenehmeres gibt als das kurze plötzliche Abbrechen, das, wenn es kurz seyn soll, oft nach der Discretion des Setzers sich richten muß

Wenn Sie die Blätter zu Anfang dieses Jahres vergleichen, so werden Sie die einzelnen Theile länger finden. Mit diesem Versuch eines überganges zu noch längeren Stücken habe ich mir übrigens wenig Dank verdient, sey es, daß man Herrn v. C. darüber befragte, warum weniger bunte Abwechslung als früher statt finde, oder daß er das frühere gewöhnt war und solches durch langjährige Erfahrung gut und probat gefunden haben mochte — er ersuchte mich, mehr Abwechslung in die einzelnen Blätter zu bringen, d. h. mehrerley zu geben. Auch wünschte man jeden Monat oder doch von sechs zu sechs Wochen eine Erzählung zu finden; daß auch hier das Gegenteil mir angenehm gewesen wäre, können Sie sich denken, da man von mir mehrere wünscht und es doch für einen Redakteur Von einiger Discretion nicht angenehm ist, sich selbst einen Monat lang zu lesen.

Herr v. C. ist Eigentümer des Blattes und hat es nicht unter meine freie Willkür gestellt, deswegen fürchte ich durch auffallende Einsprüche, besonders wenn sie sich auf das Formelle beziehen, eher Mißtrauen in meine Einsicht, als ein geneigtes Ohr zu finden, und, redlich gestanden, gegenüber Herrn v. Cotta, der soviel älter an Erfahrung in dieser Sache ist, möchte ich auch nicht für unbescheiden gelten. Tröstlich war es daher für mich, zu finden, daß Sie, Verehrter! in der Ansicht dieser Dinge mit mir übereinzustimmen scheinen, und es brachte mich auf den Gedanken, ob Sie, ein vieljähriger Geschäftsfreund Herrn v. C.'s, nicht vielleicht hin und wieder Gelegenheit finden könnten, über eine einfacher gestaltete Form etwas zu sagen? Sodann bleibt



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auch unter dieser Gestalt immer noch ein starker Spielraum in dem Artikel "allgemeine Aufsätze" übrig, nur ist es zu bedauern , daß ich Ihnen hier eine Blöße des Morgenblattes oder vielmehr —Teutschlands aufdecken muß, (die Ihnen übrigens nicht fremd seyn kann.) Wo finden wir denn auch nur ein halb Duzend, die allgemein, gründlich und doch leicht und gefällig, scharf aber elegant ein Thema durchführten? Das leidige Romanschreiben hat die Besten auf Abwege geführt. Es wäre lächerlich, wenn ich Ihnen bey dieser Stelle ein Compliment machen wollte, aber seyen Sie einen Augenblick nicht Dr. Robert und sagen Sie mir, wer etwa ein anderes oder ähnliches Thema mit dieser Schärfe, Eleganz und Consequenz durchführen würde, wie Sie die Sache des guten Geschmacks in Hinsicht auf das Theater in Ihren Aphorismen und in Ihrem Aufsatz über die Hofbühne führten? Sie sind ein Mitarbeiter des Morgenblatts, aber das gerade ist der Fehler der früheren Redaktion, daß sie die regelmäßigen Mitarbeiter nach und nach sich verlieren ließ, daß man nun nach und nach von neuem sammeln und bauen muß! . . ."1)

Einen zweiten hierher gehörigen Brief, der nicht nur Einsicht in Hauffs Tüchtigkeit bei der Erledigung rein technisch geschäftlicher Fragen gewährt, sondern auch zeigt, mit welchem Eifer und Interesse er seinen Verlag vertritt, hat Dr. Max Mendheim unter der Überschrift: "Wilhelm Hauff als Redakteur und Geschäftsmann" in der "Zeitschrift für deutschen Unterricht" 14. Jahrgang S. 532 und 533 veröffentlicht. — Neben Hauffs redaktioneller Tätigkeit her geht während des Sommers die Herausgabe des Cottaschen "Damen-" und des "Frauentaschenbuchs für 1828" , die Abfassung der "Phantasien im Bremer Ratskeller" , der Novelle "Das Bild des Kaisers" , der Skizzen Die Bücher und die Lesewelt" und " Ein paar Reisestunden" , sowie die Vorarbeit für den geplanten " Andreas Hofer" . Gerade dieses Thema scheint ihm besonders am Herzen gelegen zu haben, unternahm er doch im August sogar eine Reise in das Etsch- und Passeiertal, um Land und Leute an Ort und Stelle studieren zu können. Noch in demselben Monate —früher als ursprünglich beabsichtigt —kehrte er nach Stuttgart zurück; die gesundheitlichen Verhältnisse seiner Frau veranlaßten ihn dazu. Einige Wochen darnach finden wir ihn selbst auf dem Krankenlager. Am 8. Oktober 1827 hatte er seinen Freund Frisch zur letzten Ruhe begleitet, und bei dieser Gelegenheit — so nimmt man gewöhnlich an — soll er sich eine Erkältung zugezogen haben. Christian 

1) Vgl. Hans Hofmann. S .158. 159. 160.



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Riecke stellt das in Abrede. Nach ihm begann die Krankheit Hauffs "wenige Tage nach Hermanns Hochzeit, 1) erschien aber lange gar nicht bedeutend oder gefährlich; er war nur ins Haus gesprochen, klagte über schlechten Magen und allgemeines Übelbefinden, sein Bruder suchte ihn durch Vomieren 2) und Laxieren zu heilen, und wirklich fühlte er sich am Sonntag, den 4. vorigen Monats, 3) wieder soweit hergestellt, daß er mittags bei schönem Wetter eine kleine Spazierfahrt machte. Allein wie erstaunte ich, als ich, nachdem ich wegen einer Erkältung selbst Z Tage zu Hause geblieben war, am nächsten Donnerstag zu Hauff kam! Ich dachte nicht anders, als ich werde ihn nun wieder vollkommen gesund finden; da kommt mir aber Louise mit der Nachricht entgegen wie es in der vorhergehenden Nacht mit Hauff schlimmer geworden sei und wie gerade Hermann mit dem nunmehr zugezogenen Dr. Zeller bei ihm seien. Beide wußten aber nicht, was sie aus der Krankheit machen sollten, welche sich jetzt durch Beengungen heim Atmen äußerte; wir waren sogar geneigt, die ganze Sache für Einbildung und Hypochondrie zu halten; wir verargten es dem Hauff, daß er so wenig Rücksicht auf seine Frau nehme, und ich hatte mir schon vorgenommen, ihm seinerzeit darüber die Meinung zu sagen. So wenig wir jedoch in dieser Ansicht von Hauffs Krankheit recht hatten, so sehr rechtfertigten sich unsere Besorgnisse für seine Frau." Sie genas am 10. November, einem Sonnabend, unter schwierigen Umständen eines Töchterleins, und Hauff, "der bereits zu krank war, tat sich an diesem Tage doch zuviel Gewalt an, indem er ungefähr 3 Stunden außer Bett zubrachte. Demungeachtet war er am folgenden Morgen noch imstande, seine Frau einen Augenblick zu besuchen, und dies war das letztemal, daß sie einander sahen. Ich kam an diesem Tage auch hinauf traf ihn ziemlich heiter, er ließ sich sein Kind herüberbringen, nahm es auf die Arme und gab es dann auch mir. So mußte man ihm dasselbe noch die drei folgenden Tage zeigen, das letztemal lag er schon im Fieber. Erst an jenem Montag erhielt die Krankheit den Namen "Schleimfieber" . aber am folgenden Donnerstag hieß es "Nervenfieber". Das Delirium begann zuerst mit langen Unterbrechungen, in den letzten Tagen aber wurde es nur selten durch schnell sich wieder verwischende und nie ganz lichte Momente des Bewusstseins unterbrochen. In 
1) Den 26. Oktober. Hermann Hauff, des Dichters Bruder, geb. 1800, studierte Medizin, übte auch anfangs die ärztliche Praxis aus, trat aber mit Wilhelm H. in die Redaktion des Cottaschen Morgenblattes ein.
 
2) Vomitiv = Brechmittel.
 
3) Der Brief Ist vom 3. Dez. 1828 datiert und an Viktor Adolf Riecke gerichtet


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solchen Augenblicken schwebte ihm der Tod vor ; schon am Montag hatte ihn das Vorgefühl desselben ergriffen; er entdeckte es seiner Mutter und bat sie, ihm die Augen zuzudrücken. Später nahm er mehreremal von ihr und seinen übrigen Verwandten Abschied; dies namentlich am Vorabende seines Todes; er äußerte in seinen letzten Tagen unter anderem: " Er fühle mehr, als er sagen könne" , " er wolle zeigen, wie man sterben müsse" , " er verdanke es dem Gebet seiner Mutter, daß er dem Tod lächelnd entgegensehen könne" , " 22 und 25 Jahre, ein braves, liebes Weib, die schönsten Aussichten und alles dies vorbei." Er betete einmal mit besonders deutlicher Stimme: "Vater, in deine Hände empfehle ich meinen unsterblichen Geist!" Der Todeskampf war hart und lang. Bei der Sektion zeigte sich das Herz zu klein und die Milz zu groß; im Hirn hatte sich durch die Krankheit eine Verhärtung gebildet: sonst fand man aber nichts, so daß man die Gewißheit erhielt, Hauff sei einzig an seiner letzten Krankheit gestorben. Ob aber diese ohne äußere Veranlassung oder durch eine solche entstanden, ist sehr zweifelhaft. Frischs Pflege und Beerdigung kann nicht wohl den Grund dazu gelegt haben; ob ein anderer Arzt, durch den Anfang der Krankheit aufmerksam geworden, ihrem unglücklichen Ausgang hätte vorbeugen können, ist schwer zu entscheiden 1)." — So ist am 19. November Wilhelm Hauff, der Götter Liebling, wie ihn Haug einst nannte, nur allzufrüh für die Seinen von diesem Leben, mitten heraus aus einer reich gesegneten Tätigkeit, abberufen worden zu den lichten Höhen, allzufrüh auch für uns, die wir uns noch heute seiner heiteren, liebenswürdigen und herzlichen Art erfreuen . Er selbst empfand es im Jahre 1827 schmerzlich, als er an zwei Novellen gleichzeitig arbeiten mußte, um übernommenen Verpflichtungen gerecht zu werden, daß die ersehnte Zeit innerer Sammlung und ruhiger Vertiefung wieder um etwas hinausgeschoben sei. Damit hat er zugleich bekundet, was seiner Produktionsweise fehlte, was ihn mit zunehmender Reife der Jahre als abgeklärten Geist sicher befähigt hätte, aus dem Schatze reicherer Erfahrung auch höhere künstlerische Aufgaben zu erfüllen, was vielleicht auch imstande gewesen wäre, seinem Leben eine längere Dauer zu verleihen. Ganz Deutschland nahm teil an der Trauer über seinen Tod. "Die Begräbnisfeier war trotz der ungünstigsten Witterung schön und würdig." Alle bedeutenderen Literaturblätter brachten warmempfundene Nachrufe ; Wilibald Alexis widmete dem Heimgegangenen einen 
1) Diesen Bericht bringt Karl Riecke auf S. 128. 129. 130,


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besonderen Artikel, Friedrich Haug, Ludwig Uhland und Gustav Schwab verfaßten Trauergedichte. Seine Freunde ließen nach der Totenmaske durch Theodor Wagner, einen Schüler Danneckers, eine Büste modellieren, die von allen dem Dichter Näherstehenden als vortrefflich gelungen bezeichnet worden ist. Seine letzte Ruhestätte deckt ein einfaches Felsstück vom Lichtenstein, das nur seinen Namen und die Musenleier als Schmuck trägt und mit Efeu vom Eingange der Nebelhöhe dicht umrankt ist. Das bleibendste Denkmal aber werden seine Werke sein. Mögen sie das Gedächtnis an den "ewig strebenden Jüngling" im Herzen unseres Volkes nie verlöschen lassen!


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Gedichte



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Einleitung des Herausgebers.

Schon in rein quantitativer Beziehung nehmen unter den Werken Hauffs seine Gedichte einen verhältnismäßig geringen Raum ein; aber auch ihrem literarischen Werte nach stehen sie hinter seinen übrigen Produkten zweifellos zurück. Das mag seinen Grund zunächst darin haben, daß die größte Zahl derselben jenen Jahren angehört, in denen er als Zögling der Blaubeurer Klosterschule oder als Schüler des Tübinger Stifts der Muse nur gelegentlich huldigte; zum andern aber werden selbst die glühendsten Verehrer Hauffs zugeben müssen, daß ihm auch in der späteren Zeit, da er auf dem Höhepunkt seines Schaffens stand, eine ausgesprochen lyrische Begabung nicht beschieden war. Für epische und volksliedmäßige Behandlung dagegen hat er einige Proben geliefert, die weit über das Niveau jugendlicher Gelegenheitsreimerei hinausgehen, es sei nur auf "Soldatenliebe " (Nr. 7 unserer Ausgabe, siehe Inhaltsverzeichnis), "Reiters Morgengesang" (Nr. 9), "Prinz Wilhelm" (Nr. 5) und Hans Huttens Ende" (N. 25) hingewiesen. An Phantasie hat es einem Hauff zwar nie gefehlt, ja er ist uns gerade deshalb besonders lieb geworden, weil er die Fähigkeit besaß, auch die nüchterne Alltäglichkeit des wirklichen Lebens "durch den Zauber seiner Darstellung zu adeln" ; jedoch in die tiefsten Tiefen des Herzens einzuführen, die feinsten Fäden des menschlichen Lebens poetisch zu gestalten, dazu mangelte es ihm an Worten. Daraus erklärt sich wohl auch die ziemlich gleichmäßige metrische Form seiner Gedichte, die bisweilen nicht einwandfreie Qualität seiner Reime, sowie die Wiederkehr gewisser Ausdrücke; man vergleiche z. B.

in Nr. 1. Z. 6 "Die Seelen schweben von dem Himmel nieder"
    mit Z. 37. "Das deine milden Züge still umschwebt,"
  Z. 46 "Und segnend schweben wir um deine Tritte,"
Z. 53. 54 "Entschweben wir von deinem stillen Lager,
         Mit deinen Tränen nach den sel'gen Höhn."
Z. 59. 60. "Im milden Strahl des Mondes aufzuschweben
        Nach sel'gen Höhn."

Wir würden indessen dem Verdienste Hauffs wenig gerecht werden, wollten wir uns in eine kleinliche Kritik seiner Gedichte



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verlieren. Er selbst hat ja auch die ihm verliehene Kraft in bezug auf sein poetisches Talent nie überschätzt, und als er seiner Braut einst einige Lieder schickte, schrieb er dazu: "Ich übersende Dir diese dürftigen Versuche, nicht um als Dichter vor Dir zu glänzen, so weit versteigt sich mein Stolz nicht, nein, sondern — verzeih' meiner kleinen Eitelkeit — um einst meine Worte aus Deinem süßen Munde zu hören." Außerdem ist noch nicht einmal die Hälfte seiner Gedichte von ihm selbst veröffentlicht worden, und es erscheint aus mancherlei Gründen fraglich, ob er je seine Einwilligung zum Drucke der nach seinem Tode erschienenen gegeben haben würde; um so mehr geziemt es uns, Gerechtigkeit und Mäßigung bei ihrer Beurteilung walten zu lassen. Die ersten von ihm bekannt gewordenen Gedichte — sechs an der Zahl — nämlich "Prinz Wilhelm" (s. o.), "Soldatentreue" (Nr. 6 ds. Ausg.), "Soldatenliebe" (s. o.), "Soldatenmut" (Nr. 8), "Reiters Morgenlied" (s. o.) und das mit "Ferne in der fremden Erde" beginnende Waterloofestlied (Nr. 11 b) sind enthalten in:

Kriegs- und Volkslieder, herausgegeben von Wilh. Hauff. Stuttgart, in der J. B. Metzlerschen Buchhandlung 1824. Seiner Exzellenz dem Königl. Württembergischen Kriegsminister, Herrn Grafen v. Franquemont, General der Infanterie usw. usw. in tiefster Ehrerbietung zugeeignet.

Ist auch die Zahl der eigenen Produkte Hauffs in dieser 144 Nummern umfassenden Sammlung verhältnismäßig gering, so läßt sich doch nicht leugnen, daß er bei der Auswahl der übrigen aufgenommenen Lieder einen wirklich guten literarischen Geschmack entwickelt hat, indem er gerade solche bevorzugte, die noch heute bei uns in jedermanns Munde sind, wie "Hinaus in die Ferne" , "Heute scheid' ich, heute wandr' ich" , "Morgen muss ich fort von hier" , " Es zogen drei Bursche" , "Ich hatt einen Kameraden" , "Frisch auf, Kameraden!" "Mit dem Pfeil, dem Bogen" , "Die Trommel gerührt, das Pfeifchen gespielt!" , Sah ein Knab' ein Röslein stehn" , " Wenn ich ein Vögleins wär"'. "Soviel Stern' am Himmel stehn" und "Jetzt geh' ich ans Brünnelein" . Wie sehr es ihm das alte deutsche Lied angetan hatte, erhellt zur Genüge daraus, daß er allein 20 Nummern dem "Wunderhorn" entnahm, und bemerkenswert scheint in dieser Beziehung auch der Satz seines Vorwortes: "Schon ist, seit Herder den ersten bedeutenden Anstoß zur Sammlung von Volksliedern gab, so manches herrliche Lied aus dem — besonders frühen reichen Schatze der Volkspoesie zutage



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gefördert worden." Unter den herangezogenen Dichtern sind Uhland und Körner mit je 15 Nummern am stärksten vertreten, dann folgen Arndt mit 11, Goethe, dessen "Sänger" merkwürdigerweise den Volksliedern zugerechnet ist, mit 10, Schiller mit 6, Rückert mit 4, Schenkendorf mit Z; daran reiht sich eine Anzahl weniger bekannter Namen.

Außer den bisher erwähnten sechs eigenen Gedichten ließ Hauff im Jahre 1827 mehrere im "Morgenblatt" erscheinen, dessen Redaktion er damals leitete, und zwar steht der "Schriftsteller " (Nr. 29 ds. Ausg.), in Nr. 124 jener Zeitschrift, "Lehre aus Erfahrung" (Nr. 30) in Nr. 128, "Logogryph" (Nr. 31) in Nr. 228, "Rätsel" (Nr. 32). in Nr. 270, "Entschuldigung" (Nr. 26), "Jesuitenbeichte" (Nr. 27) und "Serenade" (Nr. 22) in Nr. 285. Damit ist die Summe dessen, was Hauff an poetischen Leistungen in Druck gegeben hat, abgeschlossen.

Alle bis zu seinem Tode veröffentlichten Gedichte nun, vermehrt um die Nummern 1., 2., 3., 10., 11 c. d., 12., 14. 16., 18., 19., 21., 23., 28. und 33. (ds. Ausg.), finden wir in dem 1828 durch einige Freunde des Verstorbenen herausgegebenen Büchlein "Phantasien und Skizzen von Wilhelm Hauff, Stuttgart, Gebrüder Franckh, 1828" , wo sie regellos zwischen "Die Bücher und die Lesewelt" , "Freie Stunden am Fenster" , "Hochzeitsgruß an C. Grüneisen" und " Ein paar Reisestunden" eingefügt sind. "Diese kleine Sammlung," heißt es da im Vorworte, "welche aus einem Teile von Wilhelm Hauffs poetischem Nachlasse und aus einigen in verschiedenen Zeitschriften zerstreuten Aufsätzen von seiner Hand zusammengetragen ist, soll denjenigen, die den jungen Dichter liebgewonnen, solange er unter uns lebte, und denen nach seinem zu frühen Tode die frühreifen Früchte seines Talents noch teurer geworden sind, freundlich sein Andenken zurückrufen. Daß wir nicht anstanden , manche seiner frühesten poetischen Versuche, die er selbst nie zum Drucke bestimmt hatte, mitzuteilen, werden uns seine zahlreichen Jugendfreunde Dank wissen, welche sie zum Teil bei dieser oder jener Gelegenheit unter ihren Augen haben entstehen sehen, und dabei mit froher oder wehmütiger Erinnerung dieses oder jenes Tages gedenken werden."

Eine abermals um sieben Gedichte (Nr. 11 a., 13., 15., 17., 24.. 25. und 34.) erweiterte Auswahl bot die im Jahre 1830/31 von Gustav Schwab besorgte Gesamtausgabe der Werke Hauffs, nach der alle späteren sich ausnahmslos gerichtet haben. In der vorliegenden Ausgabe ist der Versuch gemacht worden, an der Hand des inzwischen bedeutend vermehrten biographischen



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Materials eine Neuordnung nach Maßgabe der Entstehungszeiten unter möglichster Berücksichtigung der inhaltlichen Zusammengehörigkeit vorzunehmen. Ferner soll der Satz ein genaues Abbild der ersten von Hauff selbst, beziehungsweise von seinen Freunden vorgenommenen Veröffentlichung sein. Hinzugefügt endlich sind "Hoffe" (Nr. 4), "Lied aus der Ferne" (20) und unter Nr. 15 a, b, c ,Seinige Stammbuchreime. Diese Ergänzungen wurden entnommen dem Werke von Dr. Hans Hofmann , "Wilhelm Hauff. Eine nach neuen Quellen bearbeitete Darlegung seines Werdeganges mit einer Sammlung seiner Briefe und einer Auswahl aus dem unveröffentlichten Nachlaß des Dichters. Frankfurt a. M. Moritz Diesterweg 1902" , Seite 181ff. Dort erfahren wir auch hinsichtlich der noch existierenden handschriftlichen Aufzeichnung der Gedichte, daß die frühesten in einem Konzeptbuch von Wilhelm Hauff (1822)" und in einem "Liederbuch von Wilhelm Hauff 1822. 1823" enthalten sind, andere in einem braunen "Abschriftenbuch von Carl Göriz" .


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Der Schwester Traum.

Sie schläft. — Es ist die letzte Nacht des Jahres,
Und wenn die Morgenglocken wieder tönen,
Grüßt eine neue Zeit das holde Kind.
Man sagt, in dieser letzten Mitternacht
Entsteigen ihren Gräbern manche Schatten,
Die Seelen schweben von dem Himmel nieder,
Die Heimat und die Freunde zu besuchen.
Auch sie gedachte dieser alten Sage,
Als sie im stillen, einsamen Gemach
Die Ruhe suchte, und den schönen Augen
Entströmten Tränen. Doch nicht kind'sche Angst
Vor der geheimnisvollen Wiederkehr
Geschiedner Geister trübte ihre Blicke;
Nein, die Erinnrung an geliebte Schatten,
Die Wehmut um so manches teure Grab
Senkte sich nieder in die stille Seele;
Sie hat für sie gebetet und geweint.
Sie schlummert, und es nahen die Verlornen,
Die schönen Toten, ihrem stillen Lager;
Die Schwestern ihrer Jugend stehen auf
Von einer Welt, wo keine Blüte stirbt.
Erkennst du sie? Du siehst sie nimmer wieder
Als blühende, als irdische Gestalten,
Nicht wie sie Blumen pflückten, Kränze banden,
Nicht wie sie um den trauten Winterherd
Die schaurig schönen Märchen dir erzählten,
Nicht wie du ihnen unter Lust und Scherz
Zum Maientag die schönen Haare flochtest
Dies alles blieb in ihrem frühen Grab.
Sie nahen dir mit geisterhaftem Schimmer,
Umstrahlt von heil'gern, überird'schem Glanz.
Doch sind die Blütenkränze abgestreift,
Ist ihrer Jugend Schmuck im Sarg zerfallen,
Sie bringen doch die alte Liebe mit ;


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und sanfter als in ihrer Erdenschöne
Und weich und zärtlich wie der Lampe Licht,
Das deine milden Züge still umschwebt,
Sind sie genaht, und deinem geist'gen Blick
Begegnen grüßend ihre lichten Augen,
Von Strahlen der Unsterblichkeit gefüllt.
Sie segnen dich; von ihren heil'gen Lippen
Ertönt es wie der Äolsharfe Ton,
Wenn lieblich flüsternd durch die feinen Saiten
Der Hauch des Abends weht: "Geliebte Schwester,
Wir denken deiner, und wir sind dir nah,
Und segnend schweben wir um deine Tritte;
So oft dein Aug' im schönen Morgenrot,
Im heitern Blau des Mittags sich ergeht,
Trifft uns dein Blick; siehst du den Wölkchen nach,
Die in dem Meer der Abendröte segeln,
Dort schiffen wir ; und auf des Mondes Strahl,
Der mild und freundlich in dein Fenster fällt,
Entschweben wir von deinem stillen Lager
Mit deinen Tränen nach den sel'gen Höhn."
So flüstern sie und neigen sich herab,
Die Stirn der teuern Schlafenden zu küssen
Und dann beflügelt. eh' sie schnell erwacht,
Eh' ihre Augen die Erscheinung haschen,
Im milden Strahl des Mondes aufzuschweben
Nach sel'gen Höhn. Ja dort, wo anders fände
Die Schwesterliebe ihre ew'ge Heimat?
So stürmisch nicht, nicht so voll hoher Worte
Wie Bruderliebe, doch nicht minder tief,
Gleicht sie dem Bergsee, der in heil'ger Stille
Den Himmel und die friedlichen Gestade
Getreuer widerspiegelt als der Bergstrom,
Der Bild und Ufer in sein Bett begräbt.
Ja, tief und selig ist die Schwesterliebe,
Und zarter, rührender erscheint sie kaum,
Als wenn sie über Gräbern noch sich findet,
Und Tote leben in der Schwester Traum.


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Mutterliebe.

Mutterliebe!
Allerheiligstes der Liebe!
Ach, die Erdensprache ist so arm,
O, vernähm' ich jener Engel Chöre,
Hört' ich ihrer Töne heilig Klingen,
Worte der Begeistrung wollt ich singen:
   Heilig, heilig ist die Mutterliebe!"
Wie die Sonne geht sie lieblich auf,
Blickt herab den Blick voll süßen Frieden,
Lächelt freundlich ihrer jungen Blüten —
Und die Pflanze sproßt zum Licht hinauf.
Rauhe Stürme ziehen durch die Flur,
Und die junge Pflanze hebet;
Doch die Sonne blickt durch die Natur,
Und die junge Pflanze lebet,
Neu erwärmt von ihrem Blick, und strebet
  Höher noch zu ihrer Sonne auf.
Mutterliebe! Du, du bist die Sonne!
O, wie leuchtest du der Blüte doch so warm!
O, wie heilig ist die Mutterwonne,
Wenn das Kind umschlingt der treue Arm!
So am Abend, so am Morgen,
Nie ermattet sie,
Wacht in Freuden, wacht in Sorgen
Spät und früh
Sie begießt mit Muttertränen
Ihrer Augen Lust,
Wärmet sie mit stillem Sehnen
An der treuen Brust.
Süße Hoffnung schwellt die Mutterbrust,
Daß die Blüte werd' zur Knospe keimen;
Früchte sieht sie in den süßen Träumen.
  Heil'ge reine Mutterliebe,
Daß sich nie dein stiller Himmel trübe!
Mutterliebe! Allerheiligstes der Liebe!
Dir ertönten jener Engel Chöre.
Als der Herr zur Erde niederstieg,


Hauff_Vol_1-010_Gedichte. Flip arpa

Wollt' er an der Mutterlieb' erwarmen
Und erwachte in der Mutter Armen.
Sinket nieder,
Schwestern, Brüder!
Fleht zu dem, der Mutterlieb' gekannt,
Der sie schuf, sein reinstes Seelenband!
Fleht mit uns, ihr Geister unsrer Lieben,
Tragt es aufwärts, unser kindlich Flehn,
Tragt's hinauf zu jenen Sternenhöhn,
Werft euch nieder vor des Vaters Thron,
Fallet nieder vor der Mutter Sohn,
Daß auf uns er seine Gnade senke
Und den süßen Trost uns immer schenke
   Das segensvolle Heiligtum der Liebe,
Der Mutterliebe!


Der Kranke.

Zitternd auf der Berge Säume
Fällt der Sonne letzter Strahl.
Eingewiegt in düstre Träume
Blickt der Kranke in das Tal,
Sieht der Wolken schnelles Jagen
Durch das trübe Dämmerlicht —
Ach, des Busens stille Klagen
Tragen ihn zur Heimat nicht!
Und mit glänzendem Gefieder
Zog die Schwalbe durch die Luft,
Nach der Heimat zog sie wieder.
Wo ein milder Himmel ruft.
Und er hört ihr fröhlich Singen,
Sehnsucht füllt des Armen Blick,
Ach, er sah sie auf sich schwingen,
Und sein Kummer bleibt zurück.
Schöner Fluß mit blauem Spiegel,
Hörst du seine Klagen nicht?
Sag es seiner Heimat Hügel,
Daß des Kranken Busen bricht!
Aber kalt rauscht er vom Strande
Und entrollt ins stille Tal,


Hauff_Vol_1-011_Gedichte. Flip arpa

Schweiget in der Heimat Lande
Von des Kranken stiller Qual.
Und der Arme stützt die Hände
An das müde, trübe Haupt:
Eins ist noch, wohin sich wende
Der, dem aller Trost geraubt;
Schlägt das blaue Auge wieder
Mutig auf zum Horizont,
Immer stieg da Trost hernieder
Dorther, wo die Liebe wohnt.
und es netzt die blassen Wangen
Heil'ger Sehnsucht stiller Quel!,
Und es schweigt das Erdverlangen,
Und das Auge wird ihm hell:
Nach der ew'gen Heimat Lande
Strebt sein Sehnen kühn hinauf,
Sehnsucht sprengt der Erde Bande,
Psyche schwingt zum Licht sich auf.


Hoffe!

Stimme von dem braunen Hügel,
Die du oft ins stille Tal
Wiedertönst die lauten Worte,
Lieben trauten Wiederhall,
Stimme, die du meine Lieder,
Die Akkorde meiner Zither
Wiedertönst, erschalle,
Gib nicht neckend meine Frage wieder,
Gib mir Antwort, Stimm' im stillen aale.
Stiller Strom im grauen Bette,
Eile nicht so schnell davon,
Daß mein Ohr einmal verstände
Deiner Wellen leisen Ton;
Deine schönen Silberquellen
Sollen traulich mir erzählen,
Rausche lauter, rausche,
Sprich zu meinem Ohr aus deinen Wellen,
Daß ich deine Sagen mir erlausche.


Hauff_Vol_1-012_Gedichte. Flip arpa

Die ihr an dem alten Turme
Oft im Mondesschimmer webt
Und in nächtlich-stiller Stunde
Durch den blassen Hain entschwebt,
Nebelschatten alter Helden,
Ach, daß sie mir doch erzählten,
Steht mir Red', ich frage,
Wollt ihr nichts aus euren Tagen melden.
O wie gerne lauscht' ich eurer Sage.
Von den alten, öden Zinnen
Schauen düster sie herab,
Ach, sie blicken von den Türmen
Schweigend in ein ödes Grab,
Alles Edle ist verklungen,
Alles hat die Zeit verschlungen,
Dem Geschlecht hienieden,
Das so tief in seinem Fluch gesunken,
Haben keine Antwort sie beschieden!
Auch des Stromes stille Wellen
Haben schönre Zeit gesehen,
Als noch edlere Geschlechter
Bauten auf der Berge Höhen,
Stolz verachtet er die Frage,
übertönet meine Klage,
Seine blauen Wogen
Denken schweigend jener schönen Tage,
Schweigend sind durchs Tal sie hingezogen.
Und so steh' ich denn alleine
In der stillen Mondesnacht,
Weine um die trüben Zeiten,
Ob kein neu Geschlecht erwacht?
Ach, daß sich mein Volk ermannte,
Daß es sprengte seine Bande!
Ob ich wohl noch hoffe?
Lautlos fließt der Strom vom grauen Strande
Nur das leise Echo ruft mir: Hoffe!


Hauff_Vol_1-013_Gedichte. Flip arpa


Prinz Wilhelm.

(Nach der Weise: Prinz Eugen zc.).

Prinz Wilhelm , der edle Ritter,
Ritt hinaus ins Schlachtgewitter,
  Ritt mit aus in blut'gen Strauß;
Denn als man die Trommel rührte
Und nach Frankreich abmarschierte,
  Blieb der Kronprinz nicht zu haus.
Durch des Rheines wilde Wogen
Ist er schnell hindurchgezogen,
  Ziehet weiter ohne Ruh'.
Auf die Feinde durch die Wälder,
Durch die eisbedeckten Felder,
  Auf die Feinde eilt er zu.
Bei Brienne im dunkeln Walde
Unser Jägerhorn erschallte,
  Unsre Trommeln wirbeln drein;
In den Feind durch Sumpf und Graben
Stürmt der Prinz mit seinen Schwaben,
  Daß der Sieg muß unser sein.
Und bei Montereaus blut'ger Brücken,
Als der Feind wollt' schier erdrücken
  Unsre kleine treue Schar,
hat er gegen Sturmsgewalten
Ritterlich den Paß gehalten,
  Bis sein Volk gerettet war.
An der Aube , am Marnestrande,
An der Seine weitem Lande
  Kennt man Wilhelm und sein Schwert;
Epinal auf blut'gen Wegen,
Troyes' heißer Kugelregen
  Haben seinen Stamm bewährt.
Ja, wo treue Schwaben stritten,
War auch in des Kampfes Mitten
  Unser Kronprinz stets dabei;
Ja, so stritt im Schlachtgewitter
Prinz Wilhelm , der edle Ritter,
  Furchtlos, wie sein Wort, und treu.


Hauff_Vol_1-014_Gedichte. Flip arpa

Schlaget ein, ihr Kameraden!
Wenn zum Krieg die Trommeln laden,
   Strömen freudig wir herber
Denn als König zieht der Ritter
Nun voraus ins Schlachtgewitter,
  Furchtlos, wie sein Wort, und treu.


Soldatentreue.

(Volksweise.)

Wohl dem, der geschworen
Zur Fahne den Eid,
Der sich zum Schmuck erkoren
Des Königs Waffenkleid!
Sei Treue verraten,
Sei Ehre verbannt,
Doch gehn mit dem Soldaten
Sie beide Hand in Hand.
Es grüßt ja zur Seite
Sein Säbel ihm zu
Und ruft ihm aus der Scheide:
  "So treu wie Stahl seist du!"
Die Büchse, sie winket
So freundlich und rein;
So rein, als wie sie blinket,
Soll seine Ehre sein.
Das tönt ihm so süße,
Das schwellt ihm den Arm,
Das macht, wie Liebchens Küsse,
Soldatenherz so warm!
Drum auf! Es ertönen
Trompeten voll Mut!
In Vaterlandes Söhnen
Wallt treues Heldenblut!
Die Welt mag zerreißen
Die Schwüre wie Spreu;
Ich weiß ein Wort wie Eisen,
Es heißt: Soldatentreu.


Hauff_Vol_1-015_Gedichte. Flip arpa


Soldatenliebe.

(Weise: Ich hab' ein kleines Hüttchen nur zc.)

Steh' ich in finstrer Mitternacht
So einsam auf der fernen Wacht,
   So denk' ich an mein fernes Lieb,
Ob mir's auch treu und hold verblieb?
Als ich zur Fahne fortgemüßt,
Hat sie so herzlich mich geküßt,
  Mit Bändern meinen Hut geschmückt
Und weinend mich ans Herz gedrückt!
Sie liebt mich noch, sie ist mir gut,
Drum bin ich froh und wohlgemut;
   Mein Herz schlägt warm in kalter Nacht,
Wenn es ans treue Lieb gedacht.
Jetzt bei der Lampe mildem Schein
Gehst du wohl in dein Kämmerlein
   Und schickst dein Nachtgebet zum Herrn
Auch für den Liebsten in der Fern'!
Doch wenn du traurig bist und weinst,
Mich von Gefahr umrungen meinst —
  Sei ruhig! Bin in Gottes Hut,
Er liebt ein treu Soldatenblut.
Die Glocke schlägt, bald naht die Rund'
Und löst mich ab zu dieser Stund''
  Schlaf wohl im stillen Kämmerlein
und denk' in deinen Träumen mein!


Soldatenmut.

(Weise: Mein Lebenslauf ist Sieb und Lust zc.)

Soldatenmut siegt überall,
Im Frieden und im Krieg,
Bei Flöten und Kanonenschall
Erkämpft er sich den Sieg'
Sei's um ein Küsschen mit der Maid.


Hauff_Vol_1-016_Gedichte. Flip arpa

Sei's mit dem Feind um Blut,
Da ist er schnell zum Kampf bereit,
   Da siegt Soldatenmut!
  Hurra!
Da siegt Soldatenmut!
Wenn sich der Tanz im Wirbel schwingt,
Und Aug' in Auge blickt,
Der Arm sich um die Hüfte schlingt,
Und Hand in Hand sich drückt,
Da ist die Maid in kurzer Frist
Dem schlanken Burschen gut;
Wer lange fragt, hat nie geküßt;
   Da siegt Soldatenmut !
  Hurra!
Da siegt Soldatenmut !
Und wenn am heißen Sommertag
Den Marsch die Hitze drückt,
Und wenn das rasche Roß erlag
Und müd' zur Erd' sich bückt,
Hat der Soldat sich aufgerafft,
Er singet wohlgemut,
Wirbt durch Gesang sich neue Kraft;
  So siegt Soldatenmut !
  Hurra!
So siegt Soldatenmut!
Und wenn im Tal die Banner wehn,
Und Heer an Heer sich schließt,
Und uns von den Battrieenhöhn
Kanonendonner grüßt,
Da reißt uns durch den Waffenplan
Des Kampfes wilde Glut;
Da — mit dem Schwert, Mann gegen Mann
  Da siegt Soldatenmut!
  Hurra!
Da siegt Soldatenmut !
Und wenn mein Stündlein kommen sollt
So bin ich frisch zur Hand ;
Ich sterb' ja nicht für eitles Gold,
Ich fall' fürs Vaterland.
Was ich gesollt, hab' ich getan


Hauff_Vol_1-017_Gedichte. Flip arpa

Und hab's gelöst mit Blut.
So lebt, so stirbt für seine Jahn',
  So siegt Soldatenmut !
  Hurra!
So siegt Soldatenmut!


Reiters Morgenlied.

(Alte Soldatenweise.)

Nach einem schwäbischen Volkslied.

Morgenrot,
Leuchtest mir zum frühen Tod?
Bald wird die Trompete blasen,
Dann muß ich mein Leben lassen,
Ich und mancher Kamerad!
Kaum gedacht,
War der Lust ein End' gemacht,
Gestern noch auf stolzen Rossen,
Heute durch die Brust geschossen,
Morgen in das kühle Grabs
Ach, wie bald
Schwindet Schönheit und Gestalt!
Tust du stolz mit deinen Wangen,
Die mit Milch und Purpur prangen?
Ach, die Rosen welken all !
Darum still
Füg' ich mich, wie Gott es will.
Nun, so will ich wacker streiten,
Und sollt' ich den Tod erleiden,
Stirbt ein braver Reitersmann.


An die Freiheit.

Was mir so leise einst die Brust durchhebte,
Als ich zuerst zum Jüngling war erwacht,
Was sich so hold in meine Träume webte,
Ein lieblich Bild aus mancher Frühlingsnacht,


Hauff_Vol_1-018_Gedichte. Flip arpa

Und was am Morgen klar noch in mir lebte,
Was dann, zur lichten Flamme angefacht,
Mit kühner Ahnung meine Seele füllte —
Es wären nur der Täuschung Luftgebilde?
Was ich geschaut im großen Buch der Zeiten,
Wenn ich der Völker Schicksal überlas,
Was ich erkannt, wenn ich die Sternenweiten
Der Schöpfung mit dem trunknen Auge maß,
Was ich gefühlt bei meines Volkes Leiden,
Wenn sinnend ich am stillen Hügel saß —
Ich fühlte es an meines Herzens Glühen:
Es war kein Traumbild eitler Phantasieen!
Du, stille Nacht, und du, o meine Laute!
Nur euch, ihr Trauten, hab' ich es gesagt;
Ertönt's noch einmal, was ich euch vertraute,
Erzählt's dem Abendhauch, was ich geklagt,
O, sagt's ihm, was ich fühlte, was ich schaute,
Und was mein ahnend Herz zu hoffen wagt!
O Freiheit, Freiheit! dich hab' ich gesungen,
Und meiner Ahnung Lied hat dir geklungen!
Die müde Sonne ist hinabgegangen,
Der Abendschein am Horizont zerrinnt;
Doch du, o Freiheit, spielst um meine Wangen.
Stiegst du hernieder mit dem Abendwind?
Nach dir, nach dir ringt heißer mein Verlangen;
Ich fühl's, du schwebst um mich, so mild, so lind —
O, weile hier, wirf ab die Adlerflügel!
Du schweigst? Du meidest ewig Deutschlands Hügel?
Wohl lange ist's, seit du so gerne wohntest
Bei unsern Ahnen in dem düstern Hain;
Dünkt dir, wie gern du auf den Bergen throntest
Vom eis'gen Belt bis an den alten Rhein?
Mit Eichenkränzen deine Söhne lohntest?
Das schöne Land soll ganz vergessen sein?
Noch denkst du sein; es wird dich wiedersehen,
Wird auch dein Geist dann längst mein Grab umwehen.


Hauff_Vol_1-019_Gedichte. Flip arpa


Zur Feier des 18. Junius.


a.

Seid mir gegrüßt im grünen Lindenhain,
Seid mir gegrüßt, ihr, meine deutschen Brüder!
Auf! sammelt euch in festlich frohen Reihn,
Stimmt fröhlich an des Sieges Jubellieder!
Daß heut der stolze Adler niedersank,
Daß sich mein Volk einlöste mit dem Schwerte
Sein Heldentum, der Freiheit Ruhm, die deutsche Erde,
Trag's zu den Wolken, donnernder Gesang!
Trübt auch die Wolke unsers Festes Glanz,
Sind auch zerschlagen schon des Siegs Altäre,
Die jüngst noch in dem jungen Siegerkranz
Der Deutsche weihte seines Volkes Ehre,
Mög' Arglist auch und Trug mit finstrem Bann
Dem Siegervolke noch die Zunge binden, —
Begeisterung, des Jünglings Dank, soll's laut verkünden:
Wer dort gekämpft, fiel nicht für einen Wahn!"
Denn auferstehen soll ein neu Geschlecht,
Wir fühlen Kraft in uns, uns dran zu wagen,
3u kämpfen für die Freiheit und das Recht,
Um deutsch zu sein wie in der Vorzeit Tagen!
Ein hoher Sinn stieg auf aus blut'gern Streit.
Es kehrt der biedre Geist der Väter wieder,
Und stolzer stehn in deutscher Kraft und frei, o Brüder,
Wir auf den Trümmern der vergangnen Zeit!
Drum tretet mutig in die Kämpferbahn!
Noch gilt es ja, das Ziel uns zu erringen.
Fürs liebe Vaterland hinan, hinan!
Doch nur von innen kann das Werk gelingen,
Und nicht durch Völkerzwist, durch Waffenruhm.
Nein, unser Weg geht durch Minervas Hallen;
Laßt uns vereint zum Ideal, zum höchsten, wallen,
Erschaffen uns ein echtes Bürgertum!
Ja, so ersteht ein freies Vaterland ;
O Bruderbund, dies hast du dir erkoren!
hebt in die Lüfte auf die treue Hand,
Dem Vaterlande sei es fest geschworen!


Hauff_Vol_1-020_Gedichte. Flip arpa

O schöne Saat! Der junge Stamm erblüht, Und schützend ragt er auf wie Deutschlands Eichen. Blüh', schöner Stamm ! Die Sonne kommt, die Schatten weichen, Und fern dahin die dunkle Wolke zieht.


b.

1823.

(Weise: Raste, Scharnhorst! 2c.)

Ferne in der fremden Erde
Ruhet ihr bei euerm Schwerte
In des Todes sichrer Hut;
Heil'ger Frieden
Lohnt euch Müden
Nach des Tages heißer Glut.
Frankreichs Adler saht ihr fallen,
Hörtet Siegesdonner schallen,
Als der Tod das Auge brach.
Heil euch Lieben!
Träumet drüben
Von der Freiheit goldnem Tag!
Selig preis' ich eure Lose
In der Erde kühlem Schoße.
Ach, ihr saht der Freiheit Licht
Saht sie steigen
über Leichen —
Doch sie sinken saht ihr nicht.
Fern von eurem Siegestale
Denken wir beim Todesmahle
Innig eurer Siegerschar,
Und wir gießen,
Euch zu grüßen,
Tränen auf den Festaltar.


Hauff_Vol_1-021_Gedichte. Flip arpa


c.

1824,

So nahst du wieder, holde Siegesfeier,
Die unsre Brust mit süßen Träumen füllt,
Die mit der Freude dichtgewebtem Schleier
Das trübe Bild der Gegenwart verhüllt:
Du nahst — und alle Herzen schlagen freier,
Gesang und Jubel tönet durchs Gefild,
Und meiner Brüder frohe Blicke sagen:
Es war mein Volk, das diese Schlacht geschlagen!
Es war mein Volk, und nicht die frohen Binden
Von Eichlaub sollten schmücken das Gelag;
Wohl sollten wir Zypressenkränze winden
Um mancher Hoffnung frühen Sarkophag;
Doch — den Gefallnen laßt uns Kränze winden,
Und einmal noch am frohen Siegestag,
Weil rings um uns des Sieges Früchte welken,
Laßt uns in der Erinnrung Träumen schwelgen!
Drum grüß' ich dich, du Feld, wo sie gefallen,
Wo froh ihr Aug' im Siegesdonner brach!
Drum grüß' ich euch in euern Wolkenhallen,
Ihr Tapfern, die ihr tilgtet unsre Schmach!
Euch tapfern Sängern, euch, ihr Helden, allen,
Euch tönen unsre Liebesgrüße nach,
Und euch, die ihr dem Auge schnell entschwunden,
Der jungen Freiheit kurze Frühlingsstunden!
Und hätte man den Denkstein euch zerschlagen
Und eure Kränze in den Staub gedrückt:
Die Blumen haben in des Frühlings Tagen
Der Helden Grab mit neuem Grün geschmückt.
So keimt auch unsre Hoffnung unter Klagen;
Denn ob der Sturm sie Blatt für Blatt zerpflückt,
Neu sproßt sie aus dem Hügel eurer Leichen,
Und Gott wird wachen über ihren Zweigen.


Hauff_Vol_1-022_Gedichte. Flip arpa


d.

1824. (?)

Wo eine Glut die Herzen bindet,
Wo Aug' dem Auge nur verkündet,
Was Sehnsucht in dem Herzen spricht;
Wo, wenn der Sturm die Form zerspaltet,
Die Gottheit in den Trümmern waltet,
Kennt man der Liebe Trennung nicht.
Heran, ihr Brüder! Nord und Süden.
Ob euch des Herrschers Wink geschieden,
Laßt uns ein Volk von Brüdern sein!
Schließt ja in Schönbunds weiten Auen,
Von allen Strömen, allen Gauen,
Ein Rasen unsre Brüder ein.
Wohl ist der Siegsgesang verklungen,
Ganz anders wird jetzt vorgesungen,
Ganz andre Weisen spielt man vor ;
Doch tönt, von Wehmut fortgetragen,
Ein Ton noch aus den bessern Tagen
Und schlägt an manch empfänglich Ohr.
Hört ihr auf Frühlings leichten Schwingen
Den alten Ton herüberklingen
Von unsrer Brüder Schlachtgefild?
Der Einklang ist's von tausend Tönen.
Der mächtig in Germanias Söhnen
Zu der Begeistrung Wogen schwillt.


Turnerlust.


(Weise: Es ritt ein Jägersmann zc.)

Was zieht dort unten das Tal entlang?
Eine Schar im weißen Gewand; —
Wie mutig brauset der volle Gesang !
Die Töne sind mir bekannt.
Sie singen von Freiheit und Vaterland.
Ich kenne die Scharen im weißen Gewand.
  hurra! Hurra! Hurra!
Die Turner ziehen aus.


Hauff_Vol_1-023_Gedichte. Flip arpa

Die Turner ziehen ins grünende Feld
Hinaus zur männlichen Lijst,
Daß übung kräftig die Glieder stählt,
Mit Mut sie füllet die Brust.
Drum schreiten die Turner das Tal entlang,
Drum tönet ihr mutiger, froher Gesang:
  hurra! Hurra! Hurra!
Du fröhliche Turnerlust!
O sieh, wie kühn sich der Blick erhebt,
Wenn der Arm den Gegner erfaßt!
Und frei, wie der Aar durch die Lüfte schwebt,
Fliegt auf der Turner am Mast;
Dort schaut er weit in die Täler hinaus,
Dort ruft er's froh in die Lüfte hinaus:
  Hurra! Hurra! Hurra!
Du fröhliche Turnerlust!
Es ist kein Graben zu tief, zu breit,
hinüber mit flüchtigem Fuß!
Und trennt die Ufer der Strom so weit,
Hinein in den tosenden Fluß!
Er teilt mit dem Arm der Fluten Gewalt,
Und aus den Wogen ein Ruf noch schallt:
  Hurra! Hurra! Hurra!
Du fröhliche Turnerlust!
Er schwingt das Schwert in der starken Hand,
Zum Kampfe stählt er den Arm;
O, dürft' er's ziehen fürs Vaterland !
Es wallt das Herz ihm so warm.
Und sollte sie kommen. die herrliche Zeit,
Sie fände den tapfern Turner bereit.
  Hurra! Hurra! Hurra!
Wie ging's dann mutig in Feind!
So wirbt der Turner um Kraft und Mut
Mit Frührots freundlichem Strahl,
Bis spät sich senket der Sonne Glut
Und die Nacht sich bettet im Tal;
Und klingt der Abendglockenklang,
Dann ziehn wir nach Haus mit fröhlichem Sang:
  Hurra! Hurra! Hurra!
Du fröhliche Turnerlust!


Hauff_Vol_1-024_Gedichte. Flip arpa


Das Burschentum.

Wenn die Becher fröhlich kreisen,
Wenn in vollen Sangesweisen
Tönt so manches Helden Ruhm,
Ja, da muß man dich auch singen,
Muß auch dir die Becher schwingen,
Dir, du altes Burschentum!
Fragt ihr, wo die Freiheit wohne?
Auf Europas weiter Zone
Habt ihr nimmer sie gesehn;
Nur bei alter, treuer Sitte,
In der Burschen froher Mitte
Mag ihr Tempel noch bestehn.
Froh und frei, wie's unsre Alten
Einst zu ihrer Zeit gehalten,
Leben wir, so lang es gilt;
Freuen uns — mit leerer Tasche,
Wenn uns nur aus voller Flasche
Klar der braune Nektar quillt.
Nicht in marmornen Trophäen
Kann die späte Nachwelt sehen,
Was wir Brüder hier getan!
Doch zum Denkstein unsern Siegen
Häufen wir aus leeren Krügen
Hohe Pyramiden an.
Mit dem Humpen in der Linken,
Wollen wir dein Wohlsein trinken,
Altes, frohes Burschentum!
Mit dem Hieber in der Rechten
Wollen wir dick kühn verfechten,
Freies, tapfres Burschentum!


Trinklied.

Wer seines Leibes Alter zählet
Nach Nächten, die er froh durchwacht,
Wer, ob ihm auch der Taler fehlet,
Sich um den Groschen lustig macht,


Hauff_Vol_1-025_Gedichte. Flip arpa

Der findet in uns seine Leute,
Der sei uns brüderlich gegrüßt,
Weil ihn. wie uns, der Gott der Freude
In seine sanften Arme schließt!
Wenn von dem Tanze sanft gewieget;
Von Flötentönen sanft berauscht,
Fein Liebchen sich im Arme schmieget,
Und Blick um Liebesblick sich tauscht.
Da haben wir im Flug genossen
Und schnell den Augenblick erhascht
Und Herz an Herzen festgeschlossen,
Der Lippen süßen Gruß genascht.
Den Wein kannst du mit Gold bezahlen;
Doch ist sein Feuer bald verraucht,
Wenn nicht der Gott in seine Strahlen,
In seine Geisterglut dich taucht.
Uns, die wir seine Hymnen singen,
Uns leuchtet seine Flamme vor,
Und auf der Töne freien Schwingen
Steigt unser Geist zum Geist empor.
Drum, die ihr frohe Freundesworte
Zum würdigen Gesang erhebt,
Euch grüß ich, wogende Akkorde,
Daß ihr zu uns herniederschwebt!
Sie tauchen auf — sie schweben nieder,
Im Vollton rauschet der Gesang,
Und lieblich hallt in unsre Lieder
Der vollen Gläser Feierklang.
So haben's immer wir gehalten
Und bleiben fürder auch dabei,
Und mag die Welt um uns veralten,
Wir bleiben ewig jung und neu.
Denn wird einmal der Geist uns trübe,
Wir baden ihn im alten Wein
Und ziehen mit Gesang und Liebe
In unsern Freudenhimmel ein.


Hauff_Vol_1-026_Gedichte. Flip arpa


Stammbuchblätter.


a.

1815.


In das Stammbuch von Christian heinrich Riecke.

Mensch, sei ein Mensch, daß, wenn man deinen Leib begräbt, Dein Werk und dein Gedächtnis lebt!


b.

Freund, die Tage werden gewogen, nicht gezählt!


c.

Glaubt es, ihr Freunde,
Wonnen sind Feinde,
Leiden erheben und stählen zum Gott:
Wer sich verloren, hat alles gewonnen,
Nächte bedürfen kein Feuer der Sonnen.


d.

Nördlingen, 13. Oktober 1823.

Was wir im Scherz so oft gesungen,
Sei mir ein ernstes Abschiedswort,
Denn, sind die Töne bald verklungen, —
Es lebt der Geist der Töne fort:
  Wenn mir in weiter, weiter Ferne
Dein liebevolles Bild erscheint,
Dann wünsch' ich still, dann möcht' ich gerne;
Daß uns die Liebe wieder eint."


e.


Aus dem Stammbuche eines Freundes.

Und wird dir einst die Nachricht zugesandt,
Daß zu den Vätern ich versammelt wäre,
So trink und sprich: "Ich hab' ihn auch gekannt,"
Mach' hier ein Kreuz — und gib mir eine Zähre!


Hauff_Vol_1-027_Gedichte. Flip arpa


Amor der Räuber.


Nach dem Italienischen.

Die Unschuld saß in grüner Laube,
Sie hielt ein Täubchen in dem Schoß;
Und Amor kam: Gib mir die Taube,
Ein Weilchen nur gib deine Taube!
Die Unschuld ließ sie lächelnd los ;
Doch hielt sie Täubchen an dem Band,
Das sich um Täubchens Flügel wand.
Doch kaum hat er die weiße Taube.
So schneidet er den Faden ab;
Und höhnisch lachend mit dem Raube
Entflieht der Räuber aus der Laube,
Und nimmer kehrt der lose Knab' ;
Und als ihr Täubchen nimmer kam.
Ward sie dem Räuber ewig gram.


Stille Liebe.

O, dürft' ich fragen, was aus ihrem Auge
Oft so entzückend mir entgegenstrahlt,
Was, wenn ich schnell mich ihrer Seite nahe,
Die Wangen ihr mit hoher Röte malt !
Ahnt sie, was meine Lippen ihr verschweigen,
Was meine Brust mit stiller Sehnsucht füllt?
Hofft' ich zu kühn? Ist es der Strahl der Liebe,
Der so entzückend ihrem Blick entquillt ?
Warum hat doch ihr Händchen so gezittert,
Als ich ihr gestern guten Abend bot?
Und als ich ihr recht tief ins Auge schaute,
Was machte sie auf einmal doch so rot?
Sie hat die Rose, die ich ihr gegeben,
So sorgsam ins Gebetbuch eingelegt;
Warum wohl? da sie sonst so gerne Rosen
Am Busen und am Sommerhütchen trägt.
Warum schwieg sie auf einmal heute stille
Und wußte nicht mehr, was ich sie gefragt?


Hauff_Vol_1-028_Gedichte. Flip arpa

Hat sie gemerkt, was ich ihr gerne sagte?
Ich hab' ihr's doch mit keinem Wort gesagt?
O, hätt' ich Mut ! Dürft' ich Louisen sagen,
Was mich so still, was mich so tief beglückt!
O, dürft' ich fragen, was aus ihrem Auge
Oft so entzückend mir entgegenblickt!


Trost.

Die Mißgunst lauscht auf allen Wegen,
Daß sie der Liebe Glück verrät ;
Doch treue, zarte Liebe geht
Auf tausend unbewachten Stegen;
Ein Druck der Hand, ein flücht'ger Blick,
Sagt mir der Liebe süßes Glück.
Und zog ich auch in weite Ferne,
Es zog mit mir mein stilles Glück;
Denn schau' ich nicht der Liebe Blick,
So blick' ich auf zum Abendsterne;
Wie ihres Auges stille Glut
Strahlt er ins Herz getrosten Mut.
Und wallen meine Tage trüber,
Und dringt kein Trost von ihr zu mir,
Und dringt mein Sehnen nicht zu ihr,
Kein Wort von ihr zu mir herüber, —
Mein stilles Glück ist nicht getrübt:
Ich weiß ja doch, daß sie mich liebt.
Drum klag' ich nicht in weiter Ferne,
Weil Neid der Liebe Weg belauscht;
Wenn auch nicht Wort mit Wort sich tauscht,
Mir strahlt ein Trost im Abendsterne:
Aus seinen milden Strahlen quillt
Mir meiner Liebe trautes Bild.


Sehnsucht.

Die Sonne grüßt Tubingas Höhn,
Der Berge Morgennebel fallen,
Und leichte Frühlingslüfte wehn;
Im Tal die Herdenglocken schallen,


Hauff_Vol_1-029_Gedichte. Flip arpa

Des Neckars sanfte Welle quillt
An der Gestade Rebenhügel,
Es taucht die alte Burg ihr Bild
In seinen silberreinen Spiegel.
Wie wär' der Morgen doch so schön,
Könnt' ich mit dir mich da ergehn!
Und reger wogt's am Ufer hin,
Wenn Mittag zu den Schatten ladet,
Wenn sich durch frisches Blättergrün
Die Sonne in dem Strome badet;
Der Hirte zieht den Linden zu,
Der Winzer steigt vom Berge nieder,
Und in des kühlen Strandes Ruh'
Erwachen ihre Kräfte wieder;
Am Neckarstrand ruht' ich so gerne,
Wär' nicht Louise in der Ferne.
Der Abend senket seinen Strahl,
Die Herden ziehen von den Weiden,
Und fernhin durch das holde Tal
Die Dörfer zu der Ruhe läuten;
Da kommen Mädchen Hand in Hand
Den Wiesenplan heraufgezogen;
Es wölbt für sie am grünen Strand
Der Lindengang die hohen Bogen;
Doch jenen Linden fehlt das eine:
Ich wandle ohne sie — alleine!
Auf geht des Mondes Silberstrahl,
Er malt den Berg mit falbem Glanze,
Ihr Berge all, von Duft umhüllt,
Er ruft die Geister in das Tal,
Er leuchtet ihrem Reigentänze;
Du Tal am Strome auf und nieder,
Du wärst so hold, du wärst so mild,
Dir weiht' ich meine frohsten Lieder —
Du wärst so schön im Abendscheine,
Schlug' sie ihr Aug' hin in das meine.


Hauff_Vol_1-030_Gedichte. Flip arpa


Lied aus der Ferne.

Ihr Töne meiner Saiten,
Ihr tönt so sanft, so mild,
Mit Träumen ferner Freuden
Habt ihr mein Herz erfüllt.
Des Liebchens Kuß, des Liebchens Blick,
Führt mir der sanfte Ton zurück,
Der eurem Hauch entquillt!
O lispelt leise, leise!
Dann träum' ich schönre Zeiten
Und meiner Liebe Bild.
Wenn auf der Berge Höhen
Der Strahl des Morgens fällt,
Möcht' ich mit Windeswehen
Zu meiner Jugendwelt,
Möcht' eilen mit des Morgens Strahl
Zum blauen Berg, zum fernen Tal,
Das sie umfangen hält.
Vergebens, ach vergebens!
Mir blüht kein Wiedersehen
In meiner Jugendwelt.


Ihr Auge.

Ich weiß wo einen Bronnen
Voll hellem Himmelstau ;
Es glänzt der Strahl der Sonnen
Aus seines Spiegels Blau ;
Er ladet klar und helle
Zu süßer Wonne ein,
Es winkt aus seiner Quelle
Der Sonne milder Schein.
Mir war, als sollte drunten
In seiner klaren Flut
Das arme Herz gesunden
Von seinem bangen Mut.
Ich tauchte freudig nieder
Ins klare Blau hinab;
Mein Herz. das kam nicht wieder.
Fand in dem Quell sein Grab.


Hauff_Vol_1-031_Gedichte. Flip arpa

Kennst du den süßen Bronnen,
So klar und silberhell?
Kennst du den Strahl der Sonnen
Aus seinem blauen Quell?
Das ist des Liebchens Auge,
Jhr süßer Silberblick, —
Aus seiner Tiefe tauche
Ich nie zum Licht zurück.


Serenade.

Wenn vom Berg mit leisem Tritte
Luna wandelt durch die Nacht,
Eil' ich zu des Liebchens Hütte,
Lausche, ob die Holde wacht.
Seh' ich dort die Lampe glühen
In dem stillen Kämmerlein,
Möcht' ich, wie der Lampe milder Schein,
Spielend um die zarten Wangen ziehen.
Mit des Lichtes schönsten Strahlen
Zög' ich um mein liebes Kind;
Farben wollt' ich um sie malen,
Wie sie nur am Himmel sind;
Sänke Schlummer ihr aufs Auge,
Löschte sie des Lämpchens Schein,
Wär' ihr letzter, süßer Blick noch mein,
Und ich stürbe sanft in ihrem Hauche.
Nimmer darf ich um sie weben,
Wie der Lampe milder Schein;
Doch mein Lied darf zu ihr schweben,
Darf der Liebe Bote sein.
Schwebt denn, Töne meiner Laute,
Zu des Liebchens Kämmerlein,
Wieget sie in süße Träume ein,
Und dann flüstert: "Denke mein, du Traute!


Hauff_Vol_1-032_Gedichte. Flip arpa


An Emilie.

Zum Garten ging ich früh hinaus,
Ob ich vielleicht ein Sträußchen finde?
Nach manchem Blümchen schaut' ich aus.
Ich wollt's für dich zum Angebinde;
Umsonst hatt' ich mich hinbemüht,
Vergebens war mein freudig Hoffen,
Das Veilchen war schon abgeblüht,
Von andern Blümchen keines offen.
Und trauernd späht' ich her und hin
Da tönte zu mir leise, leise
Ein Flüstern aus der Zweige Grün,
Gesang nach sel'ger Geister Weise;
Und lieblich, wie des Morgens Licht
Des Tales Nebelhüllen scheidet,
Ein Röschen aus der Knospe bricht,
Das seine Blätter schnell verbreitet.
Du suchst ein Blümchen!" spricht's zu mir,
So nimm mich hin mit meinen Zweigen,
Bring' mich zum Angebinde ihr!
Ich bin der wahren Freude Zeichen.
Ob auch mein Glanz vergänglich sei,
Es treibt aus ihrem treuen Schoße
Die Erde meine Knospen neu;
Drum unvergänglich ist die Rose.
Und wie ein Leben ewig quillt
Und Knosp' um Knospe sich erschließet,
Wenn mich die Sonne sanft und mild
Mit ihrem Feuerkuß begrüßet,
So deine Freundin ewig blüht,
Beseelt vom Geiste ihrer Lieben;
Denn ob der Rose Schmelz verglüht —
Der Rose Leben ist geblieben."


Die Freundinnen an der Freundin Hochzeittage.

In deines Festes fröhliche Gesänge
Mischt sich ein trauter Ton aus alter Zeit,
Es lockt dich aus dem jubelnden Gedränge
Zurück noch einmal zur Vergangenheit;


Hauff_Vol_1-033_Gedichte. Flip arpa

Die Freundschaft ist's, es sind der Schwestern Tritte.
Sie pochen schüchtern an der Pforte an,
Sie nahen dir, sie flüstern ihre Bitte
Und fragen freundlich: "Denkst du noch daran?"
Denkst du daran, wie wir uns einst gefunden
In unsrer Kindheit holder Blumenwelt?
Es waren unsres Lebens Morgenstunden,
Vom Frührot reiner Freuden schön erhellt;
Der Schule Mühen, alle frohen Spiele
Und aller Jubel von der Kindheit Bahn,
Sie steigen auf in freudigem Gewühle
Und fragen mit uns : "Denkst du noch daran?"
Denkst du daran, wie an der Kindheit Grenzen
Uns eine schönre Freudenwelt empfing?
Wie uns ein Leben voll Gesang und Tänzen
Gefaßt in seinen wundervollen Ring?
Und wie auch ernste, deutungsvolle Tage
Des Lebens Ernst und Züge zeigten an?
Es war der Jugend Frühlingstag o sage,
Die Schwestern bitten: ".Denkst du noch daran?"
Wohl trittst du jetzt in ernster Frauen Kreise,
Die Myrte schmückt zum letztenmal dein Haar,
Du tändelst nicht mehr nach der Mädchen Weise,
Du nimmst jetzt Abschied von der Jungfraun Schar;
Doch blickst du künftig ernst in unsern Reigen,
Schilt unsre Freuden dann nicht leeren Wahn!
Denn die Erinnrung wird dir Bilder zeigen
Und lächelnd sagen: "Denkst du noch daran?"
Du denkst daran. Und zum Gedächtnismale,
Als eine reine, jungfräuliche Zier,
Nimm von den Schwestern die kristallne Schale!
Wir reichen sie mit frommen Wünschen dir.
So werden wir in deinem Herzen leben;
Denn siehst du einmal diese Schale an,
Dann wird dich die Erinnerung umschweben,
Und freundlich sagst du: "Ja, ich denk' daran."


Hauff_Vol_1-034_Gedichte. Flip arpa


Hans Huttens Ende.

Laut rufet Herr Ulrich, der Herzog, und sagt:
Hans Hutten, reite mit auf die Jagd!
Im Schönbuch weiß ich ein Mutterschwein,
Wir schießen es für die Liebste mein."
Und im Forst sich der Herzog zum Junker wandt'
Hans Hutten, was flimmert an deiner Hand?" —
Herr Herzog, es ist halt ein Ringelein,
Ich hab' es von meiner Herzliebsten fein."
"Herr Hans, du bist ja ein stattlicher Mann,
Hast gar auch ein güldenes Kettlein an." —
Das hat mir mein herziger Schatz geschenkt
Zum Zeichen, daß sie noch meiner gedenkt."
Und der Herzog blicket ihn schrecklich an:
"So? Das hat alles dein Schatz getan?
Der Trauring ist von meinem Weib,
Das Kettlein hing ich ihr selbst um den Leib."
O Hutten, gib deinem Rappen den Sporn,
Schon rollet des Herzogs Auge im Zorn!
Flieh, Hutten! es ist die höchste Zeit,
Schon reißt er das blinkende Schwert aus der Scheid'!
"Dein Schwert 'raus, Buhler, mich dürstet sehr,
Zu sühnen mit Blut meines Bettes Ehr'!"
Flugs, Junker, ein Stoßgebetlein sprich !
Wenn Ulrich haut, haut er fürchterlich.
Es krachen die Rippen, es bricht das Herz;
Ruhig wischet Ulrich das blutige Erz,
Ruhig nimmt er des ledigen Pferdes Zaum
Und hänget die Leich' an den nächsten Baum.
Es steht eine Eiche im Schönbuchwald,
Gar breit in den Ästen und hochgestalt;
Zum Zeichen wird sie Jahrhunderte stahn,
Hier hing der Herzog den Junker dran.
Und wenn man den Herzog vom Lande jagt,
Sein Nam' bleibt ihm, sein Schwert; er sagt:
"Mein Nam', er verdorret ja nimmermehr,
Und gerächet hab' ich des Hauses Ehr'."


Hauff_Vol_1-035_Gedichte. Flip arpa


Entschuldigung.

Kam einst ein englischer Kapitan Zu Stambul in dem Hafen an. Der wollte nach der langen Fahrt Sich gütlich tun nach seiner Art Und in Stambuls krummen Gassen Vor den Leuten sich sehen lassen. Hatte auch weit und breit gehört, Wie die Türken so schöne Pferd', Reiche Geschirr und Säbel haben; Wollte auch wie ein Türke traben Und bestellt auf abends um vier Ein recht feurig arabisch Tier, Ziehet sich an im höchsten Staat, Rotem Mock mit Gold auf der Naht, Schwärzt den Bart um Wange und Maul lind steigt punkt vier Uhr auf den Gaul. Drauf, als er reitet durch das Tor, Kam es den Türken komisch vor; Hatten noch keinen Reiter gesehn Wie den englischen Kapitän: Die Knie hatt' er hinaufgezogen Und seinen Rücken krumm gebogen, Die Brust mit den Tressen eingedrückt, Auch den Kopf tief herabgebückt; Saß zu Pferd wie ein armer Schneider. Doch der Schiffskapitän ritt weiter, Glaubte getrost, die Türken lachen Aus lauter Bewundrung in ihrer Sprachen. So ritt er bis zum großen Platz. Da macht der Araber einen Satz Und steigt; der englische Kapitän Ergreift des Arabers lange Mahn', Gibt ihm verzweiflungsvoll die Sporen Und schreit ihm aus englisch in die Ohren; Das Roß den Reiter nicht verstand, Setzt wieder und wirft ihn in den Sand. Die Türken den Rotrock sehr beklagen, Haben ihn auch zu Schiff getragen, Und seinem Dragoman, einem Scioten, Haben sie hoch und streng verboten, Er dürf's nimmer wieder leiden,



Hauff_Vol_1-036_Gedichte. Flip arpa

Daß der Herr den Araber tät reiten.
Als sie verlassen den Kapitan,
Befiehlt er gleich dem Dragoman,
Ihm auf englisch auszudeuten,
Was er gehört von diesen Leuten.
Der Grieche spricht. "Es ist nichts weiter ;
Sie glauben, Ihr seid ein schlechter Reiter,
Wollen, Ihr sollt in Stambuls Gassen
Nimmer zu Pferd Euch sehen lassen."
Des hat sich der Kapitän gegrämt
Und vor den Türken sehr geschämt.
Spricht zum Dragoman: "Geh hinein
Und sage den Türken: es kommt vom Wein
Der Herr ist sonst ein guter Reiter,
Aber heut an der Tafel, leider !
Hat er sich ziemlich in Sekt betrunken,
Da ist er im Rausche vom Pferde gesunken."
Der Grieche ging zum Hafentor
Und trug den Türken die Sache vor.
Doch diese hören ihn schaudernd an:
"Wir glaubten Gutes vom roten Mann
Und dachten, er sitze schlecht zu Pferd,
Weil's ihn sein Vater nicht besser gelehrt;
Aber wie? von Wein betrunken,
Ist er im Rausche vom Pferd gesunken?
Pfui dem Giaur und seinem Glas !
Allah tue ihm dies und das !"
Da sprach ein alter Muselmann:
"Glaubt's nicht, Leute, höret mich an!
Nicht, weil der Frank' zuviel getrunken,
Ist er schmählich vom Roß gesunken.
Hab' gleich gedacht, es wird so gehn,
Als ich ihn habe reiten sehn,
Die Knie' hoch hinaufgezogen,
Den Rücken krumm und schief gebogen,
Die Brust mit Tressen eingedrückt,
Kopf und Nacken niedergebückt,
Denk' ich, wenn sein Rößlein scheut,
Ihn sein Reiten gewiß gereut.
Aber nein, ich will euch sagen,
Warum er wollte den Wein verklagen
Und stellte sich lieber als Säufer gar
Denn als ein schlechter Reiter dar:


Hauff_Vol_1-037_Gedichte. Flip arpa

Das macht des Menschen Eitelkeit, Die ihn zu Trug und Lug verleit'. Will mancher lieber ein Laster haben, Hätt' er nur andere glänzende Gaben; Und mancher lieber eine Sünd' gesteht, Eh' er eine Lächerlichkeit verrät; Ein dritter will gar zur Hölle fahren, Um sich ein falsch' Erröten zu sparen. So auch der fränkische Kapitan, Schämt sich und lügt uns lieber an, Will lieber Säufer sich lassen schelten, Als für einen schlechten Reiter gelten."


Jesuitenbeichte.

Nach dem Französischen.

Ich liebte zwanzig Mädchen nach der Reihe,
Und jeder war mein ganzes Herz geweiht,
Und jede schwur mir heute ew'ge Treue
Und brach schon morgen ihren heil'gen Eid.
Da schwur und flucht' ich, keinem Weib zu trauen.
  Mein Sohn, wer flucht, der sündiget! Allein
Die Schuld liegt diesmal wirklich an den Frauen;
Du sollst versöhnet und entschuldigt sein."
Weil ich Bestechung haßte wie die Hölle,
Fand mein Minister mich zu ungeschickt,
Und einem feilen Kerl gab er die Stelle,
Der sich vor seinem Kammerdiener bückt;
Da wünschte ich Herrn C . . . . zum Teufel.
  Mein Sohn, welch rohe Leidenschaft! Allein
Bei kaltem Blut bereust du ohne Zweifel;
Du sollst entschuldigt und versöhnet sein."
Mit schönen Worten, blendendem Versprechen
Hat ein bekannter Herr mich arm gemacht,
Und um mich für die Tausende zu rächen,
Um die mich der Verräter hat gebracht,
Schalt ich Herrn V . . . einen Beutelschneider.
  Mein Sohn, das Wort war freilich grob! Allein
Die Welt nennt ihn mit diesem Namen, leider !
Du sollst entschuldigt und versöhnet sein."


Hauff_Vol_1-038_Gedichte. Flip arpa

Das Sakrileg, ich will's gestehen, nannte
Ich ein Gesetz, für Sklaven nur gemacht,
Der Menschheit Schmach und des Jahrhunderts Schande,
Und P . . . , ihn, der es ausgedacht,
Schalt ich den Mörder aller freien Seelen.
  Mein Sohn, das war ein derber Schimpf! Allein
Du irrtest menschlich, irren heißt nicht fehlen;
Du sollst entschuldigt und versöhnet sein."
Und als ich diese arme Welt bedachte
Und sah, wie alles schief und irrig geht,
Wie man die Tugend und das Recht verlachte
Und wie jetzt Trug und Laster oben steht,
Da — hielt ich Gott für einen leeren Namen.
  Mein Sohn, du hast dich schwer verfehlt! Allein
Gott ist barmherzig gegen Sünder, Amen!
Du sollst entschuldigt und versöhnet sein.."
Ich liebte Eintracht in Palast und Hütten;
Doch als ich schleichend wiederkehren sah
Die Zwietracht an der Hand der Jesuiten,
Da schwur ich ew'gen Haß Sankt Loyola
Und ew'gen Haß und Rache seinen Söhnen!
  Mein Sohn, ich bin die Langmut selbst! Allein
Das heißt fürwahr das Heiligste verhöhnen;
Vor uns und Gott kannst du nicht schuldlos sein!"


Regel für Kranke.

Hast du mit dem Apotheker Streit,
Es dem Arzt zu nagen vermeid'!
Hast du über den Arzt zu klagen,
Sollst du's nicht dem Apotheker sagen;
Denn sind sie auch Feinde immerdar,
So werden sie Freund' am neuen Jahr,
Verkünden: Der hat dies gesagt,
Und mir hat er von dir geklagt.
Wirst du nun krank in den ersten Wochen,
Die Arznei sie zusammenkochen:
"Recipe: Was er uns getan,
Rühren wir ihm jetzt doppelt an;
Zwanzig Drachmen von seinen Klagen
Mit Asa foetida für den Magen.


Hauff_Vol_1-039_Gedichte. Flip arpa

Misceatur, detur, nebst unsrem Groll,
Alle Stunden zwei Löffel voll."
Und stirbst du nicht in der Blütezeit
Ihrer neuen Herzinnigkeit,
Lassen sie dich so lange liegen,
Bis sie selbst wieder Händel kriegen.
Merke: Zweier Gegner Klagen
Mußt du nicht hin- und wiedertragen!
Weißt nicht, ob, die geschieden scheinen,
Sich nachmals gegen dich vereinen.


Schriftsteller.

Es ist kein Autor so gering und klein,
Der nicht dächt', etwas Rechts zu sein;
Und wär' er noch so ein armer Wicht,
Geht er doch stolz und aufgericht't,
Daß man glaubt, der leere Hut
Noch zu dem Kleinen gehören tut.
Auch kein Autor auf den andern baut;
Denn sei ein Paar noch so vertraut,
Darfst heut den einen heruntersetzen,
Willst du den andern höher schätzen,
Und morgen, auf des zweiten Kösten,
Läßt sich der erste nennen den Besten.


Lehre aus Erfahrung.

Hat dir ein Autor Geld geliehn
Und kommt und will den Wechsel ziehn,
Und kannst doch nicht sogleich bezahlen,
Ihm auch keinen andern Trug vormalen,
So sprich getrost: . .Jetzt weiß ich schon,
S war, als die treffliche Rezension,
Wie Euer letztes Werk gelungen,
Stund in den Literaturzeitungen;
Waret gelobt übern Schellenkönig,
Und dennoch, däucht es mir, zu wenig.
Aber könntet Ihr nicht noch borgen
Einige Zeit?" — "Seid ohne Sorgenl" ,


Hauff_Vol_1-040_Gedichte. Flip arpa

Der Autor drauf ganz freundlich spricht, Nach meinem Geld verlangt mich nicht, Bleibet mein Freund! 's hat kein' Gefahr Könnt mich bezahlen bis übers Jahr."


Logogryph.

Kennst du das Wort, das Herzen mächtig bindet
Kennst du der Liebe trauliches Symbols
Das feste Band, das sich um Freunde windet,
Des Fürsten Heil, des Vaterlandes Wohl?
An Stärke muß ihm Stahl und Eisen weichen;
Doch hat es einen macht'gen, stillen Feind.
Streichst du des hohen Wortes erstes Zeichen,
Hast du die finstre Macht, die ich gemeint.
Solang die Welt steht, liegen diese beiden
Im Kampf um höchstes Leid und höchste Lust;
Halt fest am Ganzen , laß sie nimmer streiten
In deiner stillen und zufriednen Brust!


Rätsel.


a.

Es ist ein Wort, dreideutig dem Germanen.
Einst war das Erste furchtbar seinen Ahnen;
Der schwere Zeiger der Geschichte rückt,
Der Deutsche erbt das Zepter; ihr erblickt,
Wie dem erwähnten deutschen Sohne
Im Zweiten die gewicht'ge Krone
Der Bischof auf die Stirne drückt.
Es kreist im hochgewölbten Saale
Das Dritte bei dem Krönungsmahle.


b.

Noch sitzt auf halbverfallnem Throne,
Noch hält die längst bestrittne Krone
Die alte Königin der Welt.
Ob sie wohl je vom Throne fällt?
Vielleicht; doch liest du sie von hinten,


Hauff_Vol_1-041_Gedichte. Flip arpa

So wirst du einen König finden,
Der herrscht, seitdem die Welt besteht,
Des Reich nur mit der Welt vergeht.
sie schießt nicht ewig Donnerkeile;
Doch ewig treffen seine Pfeile.


c.

Einst hieß man mich die schönste aller Frauen:
Selbst Könige entzweite meine Macht,
Zehntausend Krieger aus Europas Gauen,
Von Asiens Landen schlugen manche Schlacht,
Und eher nicht war ihres Kampfes Ziel,
Als bis erschlagen alle Heldensöhne
Und bis ein stolzes Königshaus zerfiel;
Und dennoch pries man die unsel'ge Schöne
Und wieder tönte jüngst mein alter Namen;
Doch bin ich häßlich und verlassen nun,
Von allen, die des Weges zu mir kamen,
Will keiner lang' an meiner Seite ruhn;
Nur einer kam, der erste, dem nicht graut,
An meinem Herd für immer still zu liegen,
Der lange mir ins blasse Antlitz schaut
Und bitter lacht ob meinen düstern Zügen.
"Ach, darum also," sprach er, "läßt du feiern
Dein unheilvoll' Gedächtnis bis auf heut.
Damit du reihtest zu den alten Freiern
Auch einen Heros aus der neuen Zeit?
Doch lockst du mich mit keinem Erdentand ;
Denn Zeus zerschlug d ein Ilium in Scherben.
Wohlan! auch meine Trojer deckt der Sand, —
So laß mich denn in deinen Armen sterben!"


Scharade.

Der ersten Silb' entströmen Wein und Lieder,
Und was du einsam denkst, macht sie bekannt;
Oft geht sie mit dem Zwang auch Hand in Hand,
Schlägt selbst in Fesseln deine freien Glieder !
Doch gibt das zweite Paar dir Hoffnung wieder;
Sein Feueratem weht von Land zu Land,


Hauff_Vol_1-042_Gedichte. Flip arpa

Sprengt deines Kerkers festgetürmte Wand,
Wirft deine Häscher, deine Fesseln nieder.
Scheint Zwei mit Eins sich nimmer zu vertragen,
So ist das Ganze doch ein hohes Wort,
Woran man nur den Widerspruch getadelt;
Doch hat sein Widerspruch manch großen Geist geadelt.
Fürwahr, es starb des Letzten letzter Hort,
Wär' es gestorben jüngst in unsern Tagen.


Grabgesang.

Vor des Friedhofs dunkler Pforte
Bleiben Leid und Schmerzen stehn,
Dringen nicht zum heil'gen Orte,
Wo die sel'gen Geister gehn,
Wo nach heißer Tage Glut
Unser Freund im Frieden ruht.
Zu des Himmels Wolkentoren
Schwang die Seele sich hinan,
Fern von Schmerzen, neu geboren,
Geht sie auf — die Sternenbahn;
Auch vor jenen heil'gen Höhn
Bleiben Leid und Schmerzen stehn.
Sehnsucht gießet ihre Zähren
Auf den Hügel, wo er ruht;
Doch ein Hauch aus jenen Sphären
Füllt das Herz mit neuem Mut;
Nicht zur Gruft hinab, — hinan,
Aufwärts ging des Freundes Bahn.
Drum auf des Gesanges Schwingen
Steigen wir zu ihm empor ;
Unsre Trauertöne dringen
Aufwärts zu der Sel'gen Chor,
Tragen ihm in stille Ruh'
Unsre letzten Grüße zu.


Hauff_Vol_1-043_Maerchen. Flip arpa


Märchen- Almanache



Hauff_Vol_1-045_Maerchen. Flip arpa


Einleitung des Herausgebers.

Am 8. November 1825 erschien bei Metzler in Stuttgart das erste Buch, das Hauffs wirklichen Namen auf dem Titel trug, der "Märchenalmanach auf das Jahr 1826 für Söhne und Töchter gebildeter Stände. Herausgegeben von Wilhelm Hauff. Erster Jahrgang." Streng genommen müßten somit bei einer genau chronologischen Anordnung seiner Werke Hauffs Märchen erst nach den um einige Monate jüngeren "Mitteilungen aus den Memoiren des Satan" und dem "Mann im Monde" folgen. Wenn nun in der vorliegenden Ausgabe trotzdem an der bisher üblichen Stellung der Märchen vor den Memoiren festgehalten wurde, so geschieht dies darum, weil es als unbedingt sicher gelten darf, daß der Inhalt des 1. Märchenalmanachs bereits in viel früherer Zeit, jedenfalls schon in Tübinger Tagen, entstanden und — wenigstens zum Teil — auch schon schriftlich fixiert worden ist, so daß es bei der Herausgabe nur einer kurzen Redaktion und einer Zusammenfassung durch die Rahmenerzählung bedurfte. Schon als Knabe entwickelte Hauff bekanntlich ein ausgesprochenes Erzählertalent. " Abends versammelte er," so erzählt Klaiber in"Nord und Süd" 1878, S. 212ff, "die beiden Schwestern, die, um wenige Jahre jünger, leidenschaftlich an ihm hingen, und einige begünstigte Freundinnen derselben in einer hinteren Kammer, die nur durch ein niedriges Fenster mit bleigefaßten Scheiben ein spärliches Licht empfing: Hier im mystischen Halbdunkel, vom Hausrat einer verschollenen Zeit umgeben, erzählt er die Märchen und Geschichten, die ihm den Tag über auf der Schulbank durch den Kopf gegangen, und freute sich königlich über den Beifall seines Auditoriums, dessen Entzücken auf das höchste stieg, wenn er mit leichter Hand Figuren aus der bekannten Umgebung und — mit alten Kleidungsstücken der Kammer drapiert, die Opfer seines Humors in Stimme und Gebärden nachahmte." Hier sind offenbar die ersten Anfänge seiner Märchendichtung zu suchen, die später namentlich durch jene Erzählungen fortgesetzt und ergänzt wurden,



Hauff_Vol_1-046_Maerchen. Flip arpa

mit denen er im Hause des Kriegsratspräsidenten von Hügel ein gewählteres zugleich kritischeres Publikum erfreute. Wie sehr er damit nicht nur bei seinen Zöglingen, sondern auch bei deren Mutter, der Frau von Hügel, Anklang fand, die ihm bisweilen zuhörte, geht deutlich daraus hervor, daß namentlich diese Dame ihn zur Veröffentlichung veranlaßte und sie somit die Märchen tatsächlich " aus der Taufe hob" . Selbst Kritiker von Beruf sprachen sich durchaus anerkennend über die Hauffschen Märchen aus. Bereits am 28. Dezember 1825, also wenige Wochen nach ihrem Erscheinen, hebt der Rezensent des Literarischen Konversationsblattes die Gewandtheit in der Darstellung, den leichten Humor und die ausgezeichnete Gabe anmutiger und natürlicher Behandlung der Sprache gegenüber der sonstigen Sündflut elender Kinderschriften lobend hervor und trifft damit — ohne übertreibung und überschwengliche Lobhudelei — die Kernpunkte des Hauffschen Talentes. In der Tat muß ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß gerade der erste Märchenalmanach, der in der Rahmenerzählung "Die Karawane" . die Geschichten von "Kalif Storch" , von dem "Gespensterschiff" , von der "abgehauenen Hand" , "Die Errettung Fatmes" , Die Geschichte vom kleinen Muck" und "Das Märchen vom falschen Prinzen" enthält, vor allem im Vergleiche zu dem wahrscheinlich der Hauptsache nach in Paris entstandenen zweiten, aber auch gegenüber dem dritten entschieden den Vorzug verdient. Wie ansprechend wirkt schon die Einleitung, "Märchen als Almanach " überschrieben, worin in kindlich einfacher und doch poetisch anmutiger Weise dargestellt wird, wie die Königin Phantasie ihr ältestes Töchterchen, das Märchen, auf die Erde schickt und wie dieses im Gewande eines Almanachs in der Welt der Kinder Eingang sucht und findet. "Also sprach die Königin Phantasie. Märchen aber stieg herab auf die Erde. Mit pochendem Herzen nahte sie dem Ort, wo die klugen Wächter hauseten; sie senkte das Köpfchen zur Erde, sie zog das schöne Gewand enger um sich her, und mit zagendem Schritt nahte sie dem Tor." In ähnlich schlichter Art sind auch die Märchen selbst erzählt. Man vergleiche z. B. ihre Anfänge: "Es zog einmal eine große Karawane durch die Wüste," "Der Kalif Chasid von Bagdad saß einmal an einem schönen Nachmittag behaglich auf seinem Sofa," Ich bin in Konstantinopel geboren," . Mein Bruder Mustafa und meine Schwester Fatme waren beinahe in gleichem Alter." In Nicea, meiner lieben Vaterstadt, wohnte ein Mann, den man den kleinen Muck hieß," "Es war einmal ein ehrsamer Schneidergeselle, namens Labakan." Das klingt doch wohl einem


Hauff_Vol_1-047_Maerchen. Flip arpa

jeden kindlich und märchenhaft zugleich, es führt ohne Umschweife mitten hinein in die Begebenheiten und ruft darum immer von neuem das Interesse der Kleinen wach. Mit wenig Worten versteht Hauff, den Dingen Märchenzauber zu verleihen und sie so dem kindlichen Gemüte begehrens- und bewundernswert zu machen. In der Karawane läßt er den Fremden ein schönes arabisches Pferd reiten, " mit einer Tigerdecke behängt, an dem hochroten Riemenwerk hingen silberne Glöckchen, und auf dem Kopf des Pferdes wehte ein schöner Reiherbusch" . In der Geschichte von der abgehauenen Hand beschreibt er den Mantel des Unbekannten von der Sonnte vecchio folgendermaßen: " Er war von schwerem genuesischen Samt, Purpurrot, mit astrgchanischem Pelz verbrämt und reich mit Gold gestickt." Der Boden des Saales, in dem der falsche Prinz von seinen Eltern empfangen wird, " war mit einem ungeheuren Teppich bedeckt, die Wände waren mit hellblauem Tuch geschmückt, das in goldenen Quasten und Schnüren an silbernen Haken hing . . . Der Thron stand auf vier Stufen und war von lauterem Golde und mit großen Amethysten ausgelegt." Dabei hütet er sich jedoch vor geschmacklosen übertreibungen und "Schuhe aus Morgenrot, mit Spangen aus Sternengold und Edelsteinen aus flimmernden Tautropfen drauf" , die in Märchen neuester Zeit vorkommen, kennt er zum Glück noch nicht. Aber nicht nur in sprachlicher Hinsicht, sondern auch in bezug auf ihren Inhalt sind die Teile des 1. Almanachs als die gelungensten zu bezeichnen, und selbst Kinder reiferen Alters, denen man die gesamten Hauffschen Märchen in die Hand gibt — für die untersten Stufen empfiehlt sich das nicht — werden nach vollendeter Lektüre mit aufrichtigem Entzücken von Kalif Storch, vom kleinen Muck, gewiß auch noch von Zwerg Nase erzählen, während die meisten Stücke der beiden letzten Almanache nicht mit gleicher Anziehungskraft und Nachhaltigkeit auf sie wirkten. Worin das seinen tieferen Grund hat, wird zum Teil aus der folgenden Beurteilung des 1. Märchenalmanachs durch Gustav Schwab klar, die in durchaus verständnisvoller und eingehender Weise die Persönlichkeit des Dichters zu diesem seinen Werke in Beziehung setzt und die — im Gegensatze zu der sonst von mir geübten Praxis — hier ungekürzt zum Abdrucke kommen soll. Schwab schreibt: "Dieses kleine Buch ist für den Augenblick durch seine späteren glänzenderen Arbeiten verdunkelt worden; doch nehmen wir keinen Anstand, zu behaupten, daß Hauffs eigentliches Dichtertalent in keiner späteren Leistung sich so rein und von Fremdartigem und Zufälligem ungetrübt ausgesprochen hat, daß er nirgends der Poesie mit


Hauff_Vol_1-048_Maerchen. Flip arpa

denjenigen Mitteln, die ihm dazu verliehen waren, so auf die rechte Spur gekommen, wie in diesen Märchen, und wir glauben, daß dieser Almanach in Verbindung mit den zwei späteren Jahrgängen, der zweite zum größeren Teile der dritte ganz von ihm (Augenscheinlich legt Schwab den Nachdruck auf den ersten. Anm. des Herausgebers), in der Folgezeit hauptsächlich seinen Ruf aufrecht erhalten werden.

Das Kindermärchen verlangt nur eine bunte, nicht eine tiefsinnige Erfindung. Es dringt, wie das geistige Auge des Kindes, nicht in das innere Wesen der Dinge, es bleibt auf der Oberfläche der Begebenheiten wie der Person haften; in bezug auf diese beide ist das Hauptaugenmerk des Märchens anmutige Beweglichkeit, lebhafte Farbe, alles, was äußerlich in die Augen fällt, rasches Ineinandergreifen dessen, was geschieht und getan wird. Zeit und Ort, obgleich sie richtig bestimmt und zuversichtlich gezeichnet werden müssen, sind doch nur Nebensache, die so wenig wie das Kostüm, das nur recht bunt und impertinent aufgetragen sein muß, diplomatische Genauigkeit erfordert.

Nun ging aber gerade Wilhelm Hauffs großes Talent, wie ziemlich allgemein anerkannt ist, nicht in die Tiefe, sondern es verbreitete sich mit ungemeiner Leichtigkeit und Anmut über die Breite vieler Erscheinungen auf einmal, es faßte weder die Geschichte pragmatisch noch die Menschenwelt psychologisch auf; aber mit warmem Zauber spiegelte sich die Oberfläche des ihn umgebenden Lebens in seiner die äußere Erscheinung gar zart und geisterhaft auffassenden und darstellenden Phantasie wie in einer Kamera obskura, die uns jede Farbe, jede Bewegung, jeden Wechsel von Licht und Schatten treu aus der Natur in ihr liebliches Helldunkel hereinstellt. Auch seine ausgezeichnete Laune, sein harmloser Witz pflückte nur das Komische, das uns die Außenseite der Situation und der Menschen zukehrt; unglaublich schnell beobachtete hier sein Geist und fand den rechten, den natürlichsten Ausdruck für dieses Lächerliche in der Sprache; wie dasselbe aber mit den versteckten Veranlassungen der Ereignisse, wie es mit dem Gemüte der Menschen zusammenhing, darum war er nicht sehr bekümmert, und in diesen Schacht, aus dem unser Jean Paul seinen Humor zutage förderte, suchte Hauff nicht einzudringen.

Im ganzen offenbaren sich nun zwar jene Eigenschaften von Hauffs Muse in allen seinen Werken, und in den späteren oft recht glänzend, aber in keinem einzigen erscheinen sie ohne fremdartige Zugabe, in keinem noch so wenig influenziert von jenem Roman- und Konversationston des Jahrhunderts, dem er später



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selbst huldigte, wo er ihn zu bekämpfen glaubte. Auch ist die Fabel jener Märchen, obwohl von den meisten der ursprüngliche Stoff nicht ihm selbst angehört, mit so freiem Phantasiespiele behandelt und doch wieder so künstlerisch geschlossen und gerundet, daß sich auch in dieser Beziehung keines seiner späteren Produkte denselben an die Seite stellen kann und man herzlich bedauern muß, daß der Strudel des modernen Lebens ihn aus dieser lieblichen Träumewelt herausgelockt und seine gewissermaßen ideale Phantasie und Darstellungsweise mit soviel irdischer und vergänglicher Masse verquickt hat. Zugleich ist die Sprache in diesen Märchen schon so leicht, so den besten Mustern ohne alle Mühe nachgebildet, daß sie in den letzten seiner Arbeiten nicht klarer, durchsichtiger und dabei reifer und fertiger auftritt als in dieser ersten. (Der letzte Passus lehrt deutlich, daß Schwab bei seiner Kritik in der Hauptsache nur den 1. Almanach im Sinne hatte. Anm. des Herausgebers.) Die Vorrede zu diesem ersten Märchenbande halten wir unbedingt für das Eigentümlichste und Vollendetste, was Wilhelm Hauff geschrieben, wir halten sie für das, was vorzugsweise von ihm gedichtet heißen darf."

Selbstredend bin ich weit entfernt, dieses Urteil Schwabs als in allen seinen Teilen zu Recht bestehend anzusehen, namentlich scheint mir die Behauptung, des Dichters Stil habe sich seit seiner ersten Leistung nicht mehr vervollkommnet, sehr gewagt, wie auch die Stellung der Märchen über seine gesamte übrige Produktion nicht völlig gebilligt werden kann. Die moderne Kritik würde fernerhin gewiß das allzuschaurige, blutrünstige Milieu des "Gespensterschiffes" und der "abgehauenen Hand" als nicht für die Altersstufe des Kindes passend bezeichnen; doch muß man den Maßstab der Hauffschen Zeit anlegen, einer Periode. in der Cramer und Spieß kaum überwunden und die Gemüter nichts weniger als verzärtelt waren. Auch Hauff steht hier wohl noch unter dem Eindrucke seiner Jugendlektüre, es sind Reminiszenzen aus der Ritter- und Räuberromantik. Zweifellos hat unser Dichter — und das halte ich für den Hauptgedanken der Schwabschen Ausführungen, worin jeder objektive Beurteiler selbst der Neuzeit ihm beipflichten muß — mit dem ersten Märchenalmanache sein Bestes, sein Ureigenstes gegeben und sich darin — jene eben erwähnten Reminiszenzen ausgenommen — von allen fremdartigen Zusätzen und Einflüssen freigehalten. Wer den jungen Hauff im ersten Stadium seiner Entwicklung studieren will, dem nicht selten das Märchen zur Wirklichkeit, die Wirklichkeit zum Märchen wurde, der kann das am besten an der Hand des 1. Märchenalmanachs.



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Ein wesentlich anderes Gepräge trägt der Inhalt von dessen Fortsetzung, dem "Märchenalmanach für Söhne und Töchter gebildeter Stände auf das Jahr 1827. Mit 3 Kupfern. Stuttgart bei Gebrüder Franckh." Ihm fehlt vor allem das Moment der Einheitlichkeit und des in sich Abgeschlossenen. Das liegt zum Teil darin begründet, daß er sich nicht nur aus eignen Produkten Hauffs, sondern auch aus Beiträgen anderer zusammensetzt. Gustav Adolf Schöll hat "Der arme Stephan" , James Morier Der gebackene Kopf" und Wilhelm Grimm "Das Fest der Unterirdischen" und "Schneeweißchen und Rosenrot" geliefert. Aber selbst die von Hauff verfaßten vier Stücke "Der Zwerg Nase" , "Abner, der Jude, der nichts gesehen hat" , "Der Affe als Mensch" und "Die Geschichte Almansors" , die er mit den vorhin genannten drei in die Erzählung "Der Scheit von Alessandria und seine Sklaven" eingefügt hat, sind von durchaus verschiedener Art. Offenbar hat der Dichter das selbst gefühlt, und daraus erklärt sich wohl jener längere Exkurs, den er innerhalb der Rahmenerzählung unmittelbar vor "Der Affe als Mensch" über das Wesen des Märchens unternimmt. Als Charakteristika desselben bezeichnet er neben dem Fabelhaften, Ungewöhnlichen und überraschenden, das "oft in fremde Länder oder in ferne, längst vergangene Zeiten verschoben wird" . namentlich das Eingreifen "fremder Mächte, wie Feen und Zauberer, Genien und Geisterfürsten" oder auch wie "Gnomen und Erdgeister" . Von den Märchen im engeren Sinne unterscheidet er nun eine zweite Art von Erzählungen, "die man gemeinhin Geschichten nennt" . "Diese bleiben ganz ordentlich auf der Erde, tragen sich im gewöhnlichen Leben zu, und wunderbar ist an ihnen meist nur die Verkettung der Schicksale eines Menschen, der nicht durch Zauber, Verwünschung oder Feenspuk, wie im Märchen, sondern durch sich selbst oder die sonderbare Fügung der Umstände reich oder arm, glücklich oder unglücklich wird." Ausdrücklich weist er darauf hin, daß "sich auch in den herrlichen Erzählungen der Scheherazade. die man Tausendundeine Nacht' nennt, solche reine Geschichten finden," offenbar zu dem Zwecke, um ihre Aufnahme auch in seinen Almanach damit zu rechtfertigen. Trotzalledem will mir die Geschichte Der Affe als Mensch" , worin er ja — das wird niemand leugnen — das kleinstädtische Wesen seiner Zeit mit wenigen Strichen wirklich treffend zu zeichnen verstanden hat, nicht recht passend für einen Märchenzyklus erscheinen. Die darin vorwaltende Satire und die daraus resultierende Moral lassen sich mit dem Wesen einer dem Märchen auch nur ähnlichen



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Erzählung kaum vereinbaren. In gleicher Weise müssen " Abner" und "Almansor" zu den sogenannten Geschichten gerechnet werden, und es bleibt somit als einziges wirkliches Märchen Hauffs im 2. Almanach nur "Zwerg Nase" übrig, das denn auch — wie schon in anderem Zusammenhange erwähnt wurde —zu den gerngelesensten gehört und bei den Kindern immer und immer wieder Beifall findet. In dem Verhältnisse der einzelnen Geschichten zu der sie umschließenden Haupterzählung besteht zwischen dem 1. und 2. Almanache insofern eine gewisse Ähnlichkeit, als es Hauff beide Male gelungen ist, wenigstens eine Person aus den Märchen in die Umrahmung zu verflechten. So entpuppt sich der Held von "Almansors Geschichte" als Sohn des Scheiks von Alessandria; Selim Baruch, der sich als Fremder der Karawane anschließt, ist der Unbekannte von Ponte vecchio aus der "Geschichte von der abgehauenen Hand" und zugleich Orbasan, der Räuber aus der "Errettung Fatmes" .

In wenig höherem Grade als der 2. Almanach trifft Saids Schicksale" vielleicht ausgenommen — der im Jahre 1828 im gleichen Verlage erschienene dritte mit der Rahmenerzählung "Das Wirtshaus im Spessart" den Märchenton der ersten Sammlung, wenngleich Th. Hell im "Wegweiser" zur Abendzeitung" vom 24. November 1827 den Vortrag "einfach, ja treuherzig, eben dadurch aber namentlich für die Jugend anlockend und fesselnd" nennt und die "Blätter für literarische Unterhaltung" vom 17. Oktober 1828 "die verschiedenen Dichtungen, aus denen diese Sammlung besteht, zu den ausgezeichnetsten ihrer Art rechnen" . Jedenfalls absichtlich überschreibt hauff schon die erste der hier eingeflochtenen Erzählungen mit Sage vom Hirschgulden" , und auch die "Höhle von Steenfoll" ist als eine schottländische Sage von ihm bezeichnet. Mit demselben Rechte hätte "Das kalte Herz" als eine schwäbische Sage angeführt werden können; denn abgesehen davon, daß der Hauptinhalt auf Geschichten zurückgeht, wie sie in den Spinnstuben seines engeren Vaterlandes erzählt wurden, ist das Kolorit ein ausgesprochen schwäbisches, und nicht nur Beschreibungen einzelner Gegenden, sondern auch der Sitten und Trachten ihrer Bewohner finden wir in reichem Maße darin eingestreut. Wie hieraus hervorgeht, hat man es beim 3. Almanache — analog den sogenannten Geschichten des zweiten — wiederum nicht mit eigentlichen Märchen zu tun, sondern mit Sagen, die — wenn auch ihre Darstellungsweise dieser Dichtungsart durchaus angemessen ist — doch keinen vollwertigen Ersatz bieten können. Auch die Rahmenerzählung entspricht dem Geschmacke unserer Zeit nicht



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recht. Sie erinnert zu stark an Vulpius' "Rinaldo Rinaldini" , und ein Räuberhauptmann, der nur deshalb, weil "eine Dame seine vollkommene Achtung hat und er sie deshalb nicht in Gefahr bringen kann" seinen Kameraden entflieht, um sich in Sicherheit zu bringen, ist selbst als deus machina eine bedenkliche Erscheinung.

So mögen die Almanache von 1827 und 1828 als Sammlungen von Geschichten, beziehungsweise von Sagen ihre Berechtigung haben — erzählt sind sie durchweg flott und ansprechend —, als Märchen können ihre Einzelerzählungen nur zum geringsten Teile gelten. Wie ist es wohl zu erklären, daß Hauff so bald verlernte, was ihm zwei Jahre zuvor völlig mühelos gelang? Mit literarischen Arbeiten ganz anderer Tendenz beschäftigt , ja überhäuft, hatte er die Fühlung mit der Jugend verloren, war auch selbst innerlich ein anderer geworden, daher der immer mehr zunehmende Ernst und dementsprechend das allmähliche Verschwinden des Humors, jenes glücklichen Humors, womit er anfangs die Kinderherzen zu entzücken verstand. Von hervorragender Wichtigkeit scheint mir in dieser Beziehung außerdem der Umstand, in wieweit Hauff in den Märchen Selbsterfundenes erzählt und in welchem Maße er anderwärts verarbeitete Stoffe unverändert aufnimmt oder umprägt und für das Gewand des Märchens zurechtstutzt. Das bringt uns auf die Quellenfrage. Deren Erledigung hat insonderheit hinsichtlich des ersten Almanachs bisher allen Literaten ziemliche Schwierigkeiten verursacht, und man ist dabei zu wenig positiven Resultaten gelangt. In der Regel weist man auf "Tausendundeine Nacht" als die hauptsächlichste Quelle hin; doch bleibt die Ausbeute einer diesbezüglichen Untersuchung recht herzlich gering. Ohne allen Zweifel kannte unser Dichter diese Sammlung; er erwähnt ja innerhalb seiner eignen Werke ihren Titel und ihre Bedeutung mehrfach, auch das Vorkommen der Namen " Sindbad" , "Fatme" und "Bassora" deutet darauf hin. Bei seiner Vorliebe für alles Phantastische hat er in seiner Jugend gewiß mit innigem Behagen darin gelesen, diese oder jene Merkwürdigkeit wohl auch im Gedächtnisse behalten, um sie —natürlich völlig unbewußt — ganz und gar umgebildet, in durchaus anderem Zusammenhange und darum in ihrem Ursprunge kaum noch erkennbar, später wieder zu verwerten. So sind denn bezüglich der Motive nur ganz geringfügige Entsprechungen, wirkliche Uebereinstimmungen aber durchaus nicht zu verzeichnen, sodaß man keinesfalls VON"Tausendundeiner Nacht" als Vorlage für Hauff sprechen darf. Ähnlich) verhält es sich mit seiner vermeintlichen Abhängigkeit von den



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Romantikern. Auch hier lassen sich nicht viel mehr als leise Anklänge feststellen, und namentlich die Geschichte von der abgehauenen Hand scheint in ihrer grausigen Tendenz von E. T. A. Hofmann beeinflußt, dem er auch in anderer Beziehung mancherlei verdankt. Gewiß erinnert die Geschichte vom Gespensterschiff an die Sage vom fliegenden Holländer, in der abgehauenen Hand sind zweifellos Othello-Elemente verwertet, bei den Pantoffeln des "kleinen Muck" kann gar wohl an eine Umbildung des Motivs gedacht werden, das den Siebenmeilenstiefeln im Däumling zugrunde liegt, auch das Volksbuch von Fortunat mag dieses Märchen beeinflußt haben, nirgends aber läßt sich von wirklicher Abhängigkeit und direkter Benutzung reden. Der Umstand gerade, daß Hauff motivlich im ersten Almanache durchaus selbständig arbeitet, kommt der Eigenart dieses Büchleins zu gute; es ist — wie wir schon früher konstatierten und jetzt begründen und erklären können — eben spezifisch hauffisch.

Wesentlich andere Quellenverhältnisse liegen für den Inhalt des zweiten Märchenalmanachs vor. Für die Hälfte der darin abgedruckten vier Erzählungen Hauffs läßt sich die Vorlage genau bestimmen. "Der Affe als Mensch" geht zurück auf E. T. A. Hofmanns "Nachrichten ,von einem gebildeten jungen Mann" (Nr. 4 der Kreisleriana im 2. Teile der Phantasiestücke in Callots Manier). Dort heißt es: " Es ist herzerhebend, wie die Kultur immer um sich greift, ja wie aus Geschlechtern, denen sonst eine höhere Bildung verschlossen, sich Talente zu einer seltenen Höhe aufschwingen. In dem Hause des Geheimen Kommerzienrats R. lernte ich einen jungen Mann kennen, der mit den außerordentlichsten Gaben eine liebenswürdige Bonhommie verbindet. . . . . Nicht verhehlen kann ich, daß der seltene junge Mann seiner Geburt und ursprünglichen Profession nach eigentlich ein Affe ist, der im Hause des Kommerzienrats sprechen, lesen, schreiben, musizieren usw. lernte, kurz, es in der Kultur soweit brachte, daß er seiner Kunst und Wissenschaft, sowie der Anmut seiner Sitten wegen sich eine Menge Freunde erwarb und in allen geistreichen Zirkeln gern gesehen wird. Bis auf Kleinigkeiten, z. B. daß er bei den Thés dausauts in den Hops-Angloisen zuweilen etwas sonderbare Sprünge ausführt, daß er ohne gewisse innere Bewegungen nicht wohl mit Nüssen nappern hören kann, sowie daß er, der Handschuhe unerachtet, die Damen beim Handkuß etwas Weniges kratzt, merkt man auch nicht das mindeste von seiner exotischen Herkunft. und alle die kleinen Schelmereien, die er sonst in jüngeren Jahren ausübte, wie z. B. wenn er den ins haus Eintragenden schnell die Hüte vom Kopfe



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riß und hinter ein Zuckerfaß sprang, sind jetzt zu geistreichen Bonmots geworden, welche mit jauchzendem Beifall beklatscht werden." Die übereinstimmung der Hofmannschen Ausführungen mit Hauffs Erzählung ist allzutlar, als daß sie noch weiter bewiesen werden müßte; beachtenswert aber scheint es, daß trotz der Gleichheit der Grundtendenz in "Der Affe als Mensch" völlige Freiheit in der Durchführung der Motive gewahrt, deren Zahl bedeutend vermehrt und ein ganz bestimmter lokaler Hintergrund geschaffen worden ist. Dadurch erhöhte sich die Anschaulichkeit und Wirksamkeit der gesamten Fabel derart, daß sie, wenngleich nicht sein geistiges Eigentum, doch immerhin noch deutlich unseres Dichters Gepräge trägt.

Einen bei ihm ganz ungewohnten Grad der Abhängigkeit von der Quelle zeigt dagegen die Geschichte "Abner, der Jude, der nichts gesehen hat" . Ihren Ursprung hat sie (vgl. Felix Liebrechts Übersetzung von John Dunlops Geschichte der Prosadichtungen oder Geschichte der Romane. Novellen, Märchen usw. Berlin. G. W. F. Müller. 1851) in einem arabischen Werke des 13. Jahrhunderts. betitelt "Nighianistan" , welches geschrieben wurde, um den Scharfsinn des arabischen Volkes zu zeigen. "Hier gehen drei Brüder von der Familie Adnan auf Reisen und begegnen einem Kameltreiber, der sie fragt, ob sie einem ihm entlaufenen Kamele begegnet wären. Der erste von den drei Brüdern nun sagt, das Tier sei auf einem Auge blind gewesen, der zweite sagt, es habe ihm ein Zahn gefehlt, und der dritte führt an, es sei lahm und auf einer Seite mit und auf der anderen mit Honig beladen gewesen. Da sie auf diese Weise den Verdacht erwecken, daß sig das Kamel gestohlen, so werden sie ins Gefängnis geschickt und erklären nachher dem Richter, wie sie alle diese Umstände zu entdecken vermochten, ohne das Tier gesehen zu haben. (Siehe auch die 458. Nacht von 1001 Nacht.)" Später findet sich die Erzählung in der "Aufsuchung des Cygnotoro in den Soirees bretonnes, conten fées von Thomas Simon Geulette (1712), der sie einem italienischen Werke "Peregrinaggio Tre Fifliule de Serendippo" (Reisen der drei Söhne des Königs von Serendippo) entlieh. Von letzterem erschien 1723 eine übertragung ins Deutsche, "Persianischer Robinson" betitelt. Außer dieser und der schon erwähnten 458. Nacht — einem Stücke der Geschichte des Sultans von Yemen und seiner drei Söhne" — könnte als deutsche Quelle für . .Abner" noch der 3. Teil der Palmblätter" (Herder und Liebeskind) "Erlesene morgenländische Erzählungen für die Jugend" (Iena 1796), , .Das verlohrne Kamel und die drey aufmerksamen Brüder" in Betracht kommen



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(vgl. L. Fränkel, Germania, XXXVl. S. 310 u. XXXVII. 38). Es ist indessen erwiesen. daß Hauff keine dieser deutschen Schriften, sondern " Le chien et le cheval" aus "Zadig ou la dedtinée" von Voltaire benutzt hat, der seinerseits wieder auf " Le voyage et les Aventiuren des troia princen Sarendip, traduits persan" fußt. Wilhelm Seele hat in seiner Dissertation (Voltaires Roman Zadig. Eine Quellenforschung. Leipzig 1891) den Nachweis geliefert, daß Voltaire eigentlich nur die Idee, welche der Erzählung zugrunde liegt, für seinen Roman verwertet, die Indizien aber, durch welche Zadig die Eigenschaften der verlorenen Tiere erschließt, selbst erfunden hat. Jene Indizien sind es nun gerade, worin Hauff mit Voltaire auffällig übereinstimmt. Der zierliche, kleine Huf des Pferdes, die silbernen Hufeisen, der drei und einen halben Fuß lange Schwanz, das dreiundzwanzigkarätige Gold des Gebisses, die Furchen zwischen den Zehen des Hündchens, die herabhängenden Zitzen, die langen Ohren, der hinkende Gang desselben, alle diese Einzelheiten sind wortgetreu in den " Abner" übergegangen, wie auch die Berichte und Gespräche der Vorlage fast wörtlich übernommen wurden. Abgesehen von einigen erweiternden Zusätzen, die infolge des eingeführten orientalischen Gewandes nötig waren, einigen Umstellungen und wenig bedeutungsvollen Namensänderungen — Voltaires Eunuche wird zum Oberstallmeister, Zadig zu Abner, dem Juden, dessen Ausdrucksweise dementsprechend variiert werden mußte —macht Hauffs Märchen bei einer Vergleichung mit der Quelle zumeist den Eindruck einer bloßen Übersetzung. Daß bei einer solch engen Anlehnung an die Vorlage die Individualität des Dichters stark zurücktreten mußte, liegt auf der Hand, und damit erklärt sich uns nicht allein die früher nur erwähnte Ungleichartigkeit der einzelnen Stücke des zweiten Almanachs, sondern vor allem auch die Abnahme des Märchentones. der doch in der "Karawane" so deutlich zutage trat.

Wie steht es nun mit den Quellen zum Inhalte des dritten Märchenalmanachs? Die Sagen " vom Hirschgulden" und " vom steinernen Herz" lassen sich in ihren Hauptmotiven wohl auf Erzählungen zurückführen, die der Dichter vielleicht auf der Wanderschaft durch jene Gegenden gehört hat. In der Rahmenerzählung läßt er den Studenten vom Gespenster- und Hexenglauben folgendermaßen sprechen: " Am allerschädlichsten sind diese Geschichten unter dem Landvolke. Dort glaubt man fest und unabweichlich an Torheiten dieser Art, und der Glaube wird in den Spinnstuben und in der Schenke genährt, wo sie sich eng zusammensetzen und mit furchtsamer Stimme die allergreulichsten



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Geschichten erzählen." Noch heute redet man in manchen Gegenden des Erzgebirges, des Harzes und gewiß auch des Schwarzwaldes von sogenannten Moosmännchen, die den guten Menschen Glück, den bösen aber Verderben bringen, und Hauffs Glasmännlein kann wohl mit Recht als poetische Umgestaltung dieses Volksglaubens betrachtet werden. In den "Hirschgulden" spielen neben Anklängen an den Hexenglauben — die alte Feldheimerin ist allgemein als Hexe verschrien —gewisse geschichtliche Momente herein, so namentlich der Verkauf von Hirschberg an Württemberg. Tatsächlich ist zu Anfang des 15. Jahrhunderts wegen Familienzwistigkeiten von zwei Angehörigen der Linie Zollern, nämlich vom Grafen Friedrich zunächst die Herrschaft Schalksburg und Balingen und sodann von Friedrich dem Ottinger, dessen ganzes Besitztum und Hechingen an Württemberg verkauft, beziehungsweise verpfändet worden. Um eine dieser Schenkungen hat Hauff jedenfalls gewußt, genauere Studien darüber aber nicht angestellt; denn in seiner Sage sind sowohl die Namen der betreffenden Fürsten, als auch die geschichtlichen Ereignisse ganz und gar willkürlich verändert, wie es die poetische Gestaltung des Stoffes gerade erforderte, und die Wahrung der dichterischen Freiheit kommt der Gesamtwirkung seines Werkes nur zu statten. Viel enger — fast in demselben Matze wie beim "Abner" — schließt er sich in der "Höhle von Steenfoll" an seine Vorlage, als welche schon Th. Hell in seiner Rezension vom 24. November 1827 im "Wegweiser" die " Sales of a voyager" angab. Erst vor wenigen Jahren gelang es Dr. Hans Hofmann in Verbindung mit Mr. . R. Garnett, als den bis dahin unbekannten anonymen Verfasser der " Sales ot a Voyager to the Arctic Ocean" (London 1826 und 1829), in deren 1. Bande, "The Nikkur Sou" , die Quelle der Hauffschen Sage enthalten ist, den Schriftsteller Robert Pearce Gillies zu ermitteln. Dr. Max Mendheim in Leipzig hat nun (vgl. Mendheims Anmerkungen zum 3. Märchenalmanach im 4. Bd. der von ihm herausgegebenen Werke Hauffs, pag. 449/50) sowohl das englische Original, als auch eine 1827 erschienene Übersetzung desselben von Ed. von Bülow mit der "Höhle von Steenfoll" verglichen und gelangt zu folgendem Resultate: "Ed. von Bülow gibt eine vollständige Übersetzung der ganzen Geschichte mit Beibehaltung der im Original vorkommenden Namen, übersetzte aber zum Teil etwas frei. nicht immer genau dem Wortlaute folgend. Hauffs Wiedergabe der Erzählung ist eine (namentlich am Schluß) verkürzte Fassung mit größtenteils anderen Eigennamen, folgt aber in Einzelheiten, besonders in den direkten Reden. dem Original wortgetreuer."


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So begegnen wir also auch in der "Höhle von Steenfoll " einem Werke, das nicht wirklich aus Hauffs eignem Geiste geboren — wenig mehr als eine Kopie eines englischen Musters darstellt. Damit wird uns auch der düstere und unheimliche Charakter jener Erzählung und die völlig veränderte Darstellungsweise verständlich, die sich mit dem leichten und flüssigen Stile unseres Dichters nicht in Einklang bringen läßt.

Überblicken wir zum Schlusse die Ergebnisse der Quellenuntersuchung, so ergibt sich, daß der erste Märchenalmanach der selbständigste ist, während der dritte in einer und der zweite in doppelter Beziehung ein Beispiel starker Entlehnung bietet, was nicht ohne Einfluß auf den Gesamteindruck und die Beurteilung durch den Leser bleiben konnte.

Die Hauffschen Märchen wurden bei der Gesamtausgabe der Werke ziemlich stark verändert, was bei der Vorliebe Schwabs für gerade diese Dichtungsart besonders wundernehmen muß. Namentlich der 2. Almanach erfuhr starke Verkürzungen, indem Schwab die Teile der Rahmenerzählung zu den nicht von Hauff herrührenden Märchen einfach wegließ. In der vorliegenden Ausgabe ist der Versuch gemacht, die ursprüngliche Form der Märchenalmanachtexte wiederherzustellen. Die Originale, die schon zu den Seltenheiten gehören, hat die Königliche Landesbibliothek zu Stuttgart zur Verfügung gestellt. Wesentlich erschwert wurde die Revision des Textes durch eine Menge von Inkonsequenzen, Druckfehlern und Flüchtigkeiten der Originale in orthographischer und grammatischer Hinsicht, von denen einige als Beispiele in den Anmerkungen verzeichnet sind. Für, "gieng" , hieng" , "erschrack" , "schwazte" , "Pläzchen" , " anisic" , " nemlich", , "Lerm" , "ausser" , "müßen" , ",gespeist" , "bewillkommen" . operrirte" . . ,Innschrift" usw. wurde natürlich die jetzt gebräuchliche Schreibweise eingesetzt.



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Märchen- Almanach auf das Sadr 1826 für Söhne und Töchter gebildeter Stände Erster Jahrgang



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Märchen als Almanach.

In einem schönen, fernen Reiche, von welchem die Sage lebt, daß die Sonne in seinen ewig grünen Gärten niemals untergehe, herrschte von Anfang an bis heute die Königin Phantasie. Mit vollen Händen spendete diese seit vielen Jahrhunderten die Fülle des Segens über die Ihrigen und war geliebt, verehrt von allen, die sie kannten. Das Herz der Königin war aber zu groß, als daß sie mit ihren Wohltaten bei ihrem Lande stehen geblieben wäre; sie selbst, im königlichen Schmuck ihrer ewigen Jugend und Schönheit, stieg herab auf die Erde; denn sie hatte gehört, daß dort Menschen wohnen , die ihr Leben in traurigem Ernst, unter Mühe und Arbeit hinbringen. Diesen hatte sie die schönsten Gaben aus ihrem Reiche mitgebracht, und seit die schöne Königin durch die Fluren der Erde gegangen war, waren die Menschen fröhlich bei der Arbeit, heiter in ihrem Ernst.

Auch ihre Kinder, nicht minder schön und lieblich als die königliche Mutter, sandte sie aus, um die Menschen zu beglücken. Einst kam Märchen, die älteste Tochter der Königin, von der Erde zurück. Die Mutter bemerkte, daß Märchen traurig sei, ja, hie und da wollte es ihr bedünken, als ob sie verweinte Augen hätte.

"Was hast du, liebes Märchen?" sprach die Königin zu ihr. Du bist seit deiner Reise so traurig und niedergeschlagen; willst du deiner Mutter nicht anvertrauen, Was dir fehlt?"

Ach! liebe Mutter," antwortete Märchen, "ich hätte gewiß nicht so lange geschwiegen, wenn ich nicht wüßte, daß mein Kummer auch der deinige ist."

"Sprich immer, meine Tochter," bat die schöne Königin. "Der Gram ist ein Stein, der den einzelnen niederdrückt; aber zwei tragen ihn leicht aus dem Wege."

"Du willst es," antwortete Märchen, "so höre: du weißt, wie gerne ich mit den Menschen umgehe, wie ich freudig auch zu dem Ärmsten vor seine Hütte sitze, um nach der Arbeit ein Stündchen mit ihm zu verplaudern; sie boten mir auch sonst gleich freundlich die Hand zum Gruß, wenn ich kam, und sahen mir lächelnd und zufrieden nach, wenn ich weiterging; aber in diesen Tagen ist es gar nicht mehr so!"



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Armes Märchen!" sprach die Königin und streichelte ihr die Wange, die von einer Träne feucht war. " Aber du bildest dir vielleicht dies alles nur ein?"

"Glaube mir, ich fühle es nur zu gut," entgegnete Märchen, sie lieben mich nicht mehr. überall. wo ich hinkomme, begegnen mir kalte Blicke, nirgends bin ich mehr gern gesehen; selbst die Kinder, die ich doch immer so lieb hatte, lachen über mich und wenden mir altklug den Rücken zu."

Die Königin stützte die Stirne in die Hand und schwieg sinnend.

"Und woher soll es denn," fragte die Königin, "kommen. Märchen , daß sich die Leute da unten so geändert haben?"

"Sieh, die Menschen haben kluge Wächter aufgestellt, die alles, was aus deinem Reich kommt, o Königin Phantasie, mit scharfem Blicke mustern und prüfen. Wenn nun einer kommt. der nicht nach ihrem Sinne ist, so erheben sie ein großes Geschrei, schlagen ihn tot oder verleumden ihn doch so sehr bei den Menschen, die ihnen aufs Wort glauben, daß man gar keine Liebe, kein Fünkchen Zutrauen mehr findet. Ach! wie gut haben es meine Brüder, die Träume. fröhlich und leicht hüpfen sie auf die Erde hinab, fragen nichts nach jenen klugen Männern, besuchen die schlummernden Menschen und weben und malen ihnen, was das Herz beglückt und das Auge erfreut!"

"Deine Brüder sind Leichtfüße," sagte die Königin, " und du, mein Liebling, hast keine Ursache, sie zu beneiden. Jene Grenzwächter kenne ich übrigens wohl; die Menschen haben so unrecht nicht, sie aufzustellen; es kam so mancher windige Geselle und tat, als ob er geraden Wegs aus meinem Reiche käme, und doch hatte er höchstens von einem Berge zu uns herüber geschaut." —

"Aber warum lassen sie dies mich, deine eigene Tochter, entgelten?" weinte Märchen. "Ach! wenn du wüßtest, wie sie es mir gemacht haben; sie schalten mich eine alte Jungfer und drohten, mich das nächstemal gar nicht mehr hereinzulassen." —

"Wie, meine Tochter nicht mehr einzulassen?" rief die Königin , und Zorn erhöhte die Röte ihrer Wangen. "Aber ich sehe schon, woher dies kommt ; die böse Muhme hat uns verleumdet !"

"Die Mode? nicht möglich!" rief Märchen. " Sie tat ja sonst immer so freundlich."

"O! ich kenne sie, die Falsche!" antwortete die Königin, " aber versuche es ihr zum Trotze wieder, meine Tochter, wer Gutes tun will, darf nicht rasten."

"Ach, Mutter ! wenn sie mich dann ganz zurückweisen, oder wenn sie mich verleumden, daß mich die Menschen nicht ansehen, oder einsam und verachtet in der Ecke stehen lassen?"



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Wenn die Alien, von der Mode betört, dich gering schätzen, so wende dich an die Kleinen, wahrlich, sie sind meine Lieblinge, ihnen sende ich meine lieblichsten Bilder durch deine Brüder, die Träume, ja ich bin schon oft selbst zu ihnen hinabgeschwebt, habe sie geheizt und geküßt und schöne Spiele mit ihnen gespielt; sie kennen mich auch wohl; sie wissen zwar meinen Namen nicht, aber ich habe schon oft bemerkt, wie sie nachts zu meinen Sternen herauflächeln und morgens, wenn meine glänzenden Lämmer am Himmel ziehen, vor Freuden die Hände zusammenschlagen. Auch wenn sie größer werden, lieben sie mich noch ; ich helfe dann den lieblichen Mädchen bunte Kränze flechten, und die wilden Knaben werden stiller, wenn ich auf hoher Felsenspitze mich zu ihnen setze, aus der Nebelwelt der fernen, blauen Berge hohe Burgen und glänzende Paläste auftauchen lasse und aus den rötlichen Wolken des Abends kühne Reiterscharen und wunderliche Wallfahrtszüge bilde."

"O die guten Kinder!" rief Märchen bewegt aus. "Ja, es sei ! Mit ihnen will ich es noch einmal versuchen."

"Ja, du gute Tochter," sprach die Königin, "gehe zu ihnen! Aber ich will dich auch ein wenig ordentlich ankleiden, daß du den Kleinen gefällst und die Großen dich nicht zurückstoßen; siehe, das Gewand eines Almanach will ich dir geben."

"Eines Almanach, Mutter? ach! — ich schäme mich, so vor den Leuten zu prangen."

"Die Königin winkte, und die Dienerinnen brachten das zierliche Gewand eines Almanach. Es war von glänzenden Farben, und schöne Figuren eingewoben.

Die Zofen flochten dem schönen Märchen das lange Haar, sie banden ihr goldene Sandalen unter die Füße und hingen ihr dann das Gewand um.

Das bescheidene Märchen wagte nicht aufzublicken; die Mutter aber betrachtete es mit Wohlgefallen und schloß es in ihre Arme. Gehe hin," sprach sie zu der Kleinen, " mein Segen sei mit dir ! Und wenn sie dich verachten und höhnen, so kehre zurück zu mir, vielleicht, daß spätere Geschlechter, getreuer der Natur, ihr Herz dir wieder zuwenden!"

Also sprach die Königin Phantasie. Märchen aber stieg herab auf die Erde. Mit pochendem Herzen nahte sie dem Ort, wo die klugen Wächter hauseten; sie senkte das Köpfchen zur Erde, sie zog das schöne Gewand enger um sich her, und mit zagendem Schritt nahte sie dem Tor.

"Halt!" rief eine tiefe, rauhe Stimme. "Wache heraus! da kommt ein neuer Almanach!"



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Märchen zitterte, als sie dies hörte; viele ältliche Männer von finsterem Aussehen stürzten hervor; sie hatten spitzige Federn in der Faust und hielten sie dem Märchen entgegen. Einer aus der Schar schritt auf sie zu und packte sie mit rauher Hand am Kinn. Nur auch den Kopf aufgerichtet, Herr Almanach !" schrie er, "daß man Ihm in den Augen ansieht, ob Er was Rechtes ist oder nicht."

Errötend richtete Märchen das Köpfchen in die Höhe und schlug das dunkle Auge auf.

"Das Märchen!" riefen die Wächter und lachten aus vollem Hals. "Das Märchen! Haben wunder gemeint, was da käme! Wie kommst du nur in diesen Rock?"

"Die Mutter hat ihn mir angezogen," antwortete Märchen.

"So? sie will dich bei uns einschwärzen? Nichts da! Hebe dich weg, mach' daß du fortkommst!" riefen die Wächter untereinander und erhoben die scharfen Federn.

"Aber ich will ja nur zu den Kindern," bat Märchen; "dies könnt ihr mir ja doch erlauben?"

"Lauft nicht schon genug solches Gesindel im Land umher?" rief einer der Wächter. "Sie schwatzen nur unseren Kindern dummes Zeug vor."

"Laßt uns sehen, was sie diesmal weiß!" sprach ein anderer.

Nun ja," riefen sie, "sag' an, was du weißt; aber beeile dich, denn wir haben nicht viele Zeit für dich."

Märchen streckte die Hand aus und beschrieb mit dem Zeigfinger viele Zeichen in die Luft. Da sah man bunte Gestalten vorüberziehen; Karawanen mit schönen Rossen, geschmückte Reiter. viele Zelte im Sand der Wüste; Vögel und Schiffe auf stürmischen Meeren; stille Wälder und volkreiche Plätze und Straßen; Schlachten und friedliche Nomaden: sie alle schwebten in belebten Bildern. in buntem Gewimmel vorüber.

Märchen hatte in dem Eifer, mit welchem sie die Bilder aufsteigen ließ, nicht bemerkt, wie die Wächter des Tores nach und nach eingeschlafen waren. Eben wollte sie neue Zeichen beschreiben, als ein freundlicher Mann auf sie zutrat und ihre Hand ergriff. "Siehe her, gutes Märchen," sagte er, indem er auf die Schlafenden zeigte, "für diese sind deine bunten Sachen nichts; schlüpfe schnell durch das Tor; sie ahnen dann nicht, daß du im Lande bist, und du kannst friedlich unbemerkt deine Straße ziehen. Ich will dich zu meinen Kindern führen; in meinem Hause geb' ich dir ein stilles, freundliches Plätzchen; dort kannst du wohnen und für dich leben; wenn dann meine Söhne und Töchter gut gelernt haben, dürfen sie mit ihren Gespielen zu dir kommen und dir zuhören. Willst du so?"



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"O, wie gerne folge ich dir zu deinen lieben Kleinen; wie will ich mich befleißen, ihnen zuweilen ein heiteres Stündchen zu machen!"

Der gute Mann nickte ihm freundlich zu und half ihm über die Füße der schlafenden Wächter hinübersteigen. Lächelnd sah sich Märchen um, als es hinüber war, und schlüpfte dann schnell in das Tor.



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Die Karawane.

Es zog einmal eine große Karawane durch die Wüste. Auf der ungeheuren Ebene, wo man nichts als Sand und Himmel sieht, hörte man schon in weiter Ferne die Glocken der Kamele und die silbernen Röllchen der Pferde; eine dichte Staubwolke, die ihr vorherging, verkündete ihre Nähe, und wenn ein Luftzug die Wolke teilte. blendeten funkelnde Waffen und helleuchtende Gewänder das Auge. So stellte sich die Karawane einem Manne dar, welcher von der Seite her auf sie zuritt. Er ritt ein schönes arabisches Pferd, mit einer Tigerdecke behängt; an dem hochroten Riemenwerk hingen silberne Glöckchen, und auf dem Kopf des Pferdes wehte ein schöner Reiherbusch. Der Reiter sah stattlich aus, und sein Anzug entsprach der Pracht seines Rosses; ein weißer Turban, reich mit Gold gestickt, bedeckte das Haupt; der Rock und die weiten Beinkleider waren von brennendem Rot, ein gekrümmtes Schwert mit reichem Griff an seiner Seite. Er hatte den Turban tief ins Gesicht gedrückt; dies und die schwarzen Augen, die unter buschigen Brauen hervorblitzten, der lange Bart, der unter der gebogenen Nase herabhing, gaben ihm ein wildes, kühnes Aussehen. Als der Reiter ungefähr auf fünfzig Schritte dem Vortrab der Karawane nahe war, spornte er sein Pferd an und war in wenigen Augenblicken an der Spitze des Zuges angelangt . Es war ein so ungewöhnliches Ereignis, einen einzelnen Reiter durch die Wüste ziehen zu sehen, daß die Wächter des Zuges , einen Überfall befürchtend, ihm ihre Lanzen entgegenstreckten . "Was wollt ihr?" rief der Reiter, als er sich so kriegerisch empfangen sah. " Glaubt ihr, ein einzelner Mann werde eure Karawane angreifen?" Beschämt schwangen die Wächter ihre Lanzen wieder auf; ihr Anführer aber ritt an den Fremden heran und fragte nach seinem Begehr. "Wer ist der Herr der Karawane? " fragte der Reiter. "Sie gehört nicht einem Herrn," antwortete der Gefragte, "sondern es sind mehrere Kaufleute, die von Mekka in ihre Heimat ziehen, und die wir durch die Wüste geleiten, weil oft allerlei Gesindel die Reisenden beunruhigt." — So führt mich zu den Kaufleuten," begehrte der Fremde. "Das



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kann jetzt nicht geschehen," antwortete der Führer, "weil wir ohne Aufhält weiterziehen müssen und die Kaufleute wenigstens eine Viertelstunde weiter hinten sind; wollt Ihr aber mit mir weiterreiten , bis wir lagern, um Mittagsruhe zu halten, so werde ich Eurem Wunsch willfahren." Der Fremde sagte hierauf nichts; er zog eine lange Pfeife, die er am Sattel festgebunden hatte, hervor und fing an in großen Zügen zu rauchen, indem er neben dem Anführer des Vortrabs weiterritt. Dieser wußte nicht, was er aus dem Fremden machen sollte; er wagte es nicht, ihn geradezu nach seinem Namen zu fragen, und so künstlich er auch ein Gespräch anzuknüpfen suchte, der Fremde hatte auf das . "Ihr raucht da einen guten Tabak," oder ; " Euer Rapp' hat einen braven Schritt," immer nur mit einem kurzen "Ja, ja!" geantwortet. Endlich waren sie auf dem Platz angekommen, wo man Mittagsruhe halten wollte. Der Anführer hatte seine Leute als Wachen ausgestellt; er selbst hielt mit dem Fremden, um die Karawane herankommen zu lassen. Dreißig Kamele, schwer beladen, zogen vorüber. von bewaffneten Führern geleitet. Nach diesen kamen auf schönen Pferden die fünf Kaufleute, denen die Karawane gehörte . Es waren meistens Männer von vorgerücktem Alter, ernst und gesetzt aussehend; nur einer schien viel jünger als die übrigen, wie auch froher und lebhafter. Eine große Anzahl Kamele und Packpferde schloß den Zug.

Man hatte Zelte aufgeschlagen und die Kamele und Pferde rings umhergestellt. In der Mitte war ein großes Zelt von blauem Seidenzeug. Dorthin führte der Anführer der Wache den Fremden. Als sie durch den Vorhang des Zeltes getreten waren, sahen sie die fünf Kaufleute auf goldgewirkten Polstern sitzen; schwarze Sklaven reichten ihnen Speisen und Getränke. " Wen bringt Ihr uns da?" rief der junge Kaufmann dem Führer zu. Ehe noch der Führer antworten konnte, sprach der Fremde: "Ich heiße Selim Baruch und bin aus Bagdad; ich wurde auf einer Reise nach Mekka von einer Räuberhorde gefangen und habe mich vor drei Tagen heimlich aus der Gefangenschaft befreit. Der große Prophet ließ mich die Glocken eurer Karawane in weiter Ferne hören, und so kam ich bei euch an. Erlaubet mir, daß ich in eurer Gesellschaft reise! Ihr werdet euren Schutz keinem Unwürdigen schenken, und so ihr nach Bagdad kommet, werde ich eure Güte reichlich belohnen; denn ich bin der Neffe des Großwesirs ." Der älteste der Kaufleute nahm das Wort: "Selim Baruch," sprach er, "sei willkommen in unserem Schatten! Es macht uns Freude, dir beizustehen; vor allem aber setze dich und iss und trinke mit uns "



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Selim Baruch setzte sich ;u den Kaufleuten und ass und trank mit ihnen. Nach dem Essen räumten die Sklaven die Geschirre hinweg und brachten lange Pfeifen und türkischen Sorbet. Die Kaufleute saßen lange schweigend, indem sie die bläulichen Rauchwolken vor sich hinbliesen und zusahen, wie sie sich ringelten und verzogen und endlich in die Luft verschwebten. Der junge Kaufmann brach endlich das Stillschweigen. "So sitzen wir seit drei Tagen," sprach er, "zu Pferd und am Tisch, ohne uns durch etwas die Zeit zu vertreiben. Ich verspüre gewaltig Langeweile; denn ich bin gewohnt, nach Tisch Tänzer zu sehen oder Gesang und Musik zu hören. Wißt ihr gar nichts, meine Freunde, das uns die Zeit vertreibe?" Die vier älteren Kaufleute rauchten fort und schienen ernsthaft nachzusinnen; der Fremde aber sprach: "Wenn es mir erlaubt ist, will ich euch einen Vorschlag machen. Ich meine, auf jedem Lagerplatz könnte einer von uns den andern etwas erzählen. Dies könnte uns schon die Zeit vertreiben." — Selim Baruch, du hast wahr gesprochen," sagte Achmet, der älteste der Kaufleute; "laßt uns den Vorschlag annehmen!" — Es freut mich, wenn euch der Vorschlag behagt," sprach Selim; damit ihr aber sehet, daß ich nichts Unbilliges verlange, so will ich den Anfang machen."

Vergnügt rückten die fünf Kaufleute näher zusammen und ließen den Fremden in ihre Mitte sitzen. Die Sklaven schenkten die Becher wieder voll, stopften die Pfeifen ihrer Herren frisch und brachten glühende Kohlen zum Anzünden. Selim aber erfrischte seine Stimme mit einem tüchtigen Zuge Sorbet, strich den langen Bart über dem Mund weg und sprach. "So hört denn die Geschichte vom Kalif Storch."


Die Geschichte vom Kalif Storch, I.

Der Kalif Chasid zu Bagdad saß einmal an einem schönen Nachmittag behaglich auf seinem Sofa; er hatte ein wenig geschlafen; denn es war ein heißer Tag, und sah nun nach seinem Schläfchen recht heiter aus. Er rauchte aus einer langen Pfeife von Rosenholz, trank hie und da ein wenig Kaffee, den ihm ein Sklave einschenkte, und strich sich allemal vergnügt den Bart, wenn es ihm geschmeckt hatte. Kurz, man sah dem Kalifen an, daß es ihm recht wohl war. Um diese Stunde konnte man gar gut mit ihm reden, weil er da immer recht mild und leutselig war;



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deswegen besuchte ihn auch sein Großwesir Mansor alle Tage um diese Zeit. An diesem Nachmittage nun kam er auch, sah aber sehr nachdenklich aus, ganz gegen seine Gewohnheit. Der Kalif tat die Pfeife ein wenig aus dem Mund und sprach: "Warum machst du ein so nachdenkliches Gesicht, Großwesir?"

Der Großwesir schlug seine Arme kreuzweis über die Brust, verneigte sich vor seinem Herrn und antwortete: "Herr, ob ich ein nachdenkliches Gesicht mache, weiß ich nicht; aber da drunten am Schloß steht ein Krämer, der hat so schöne Sachen, daß es mich ärgert, nicht viel überflüssiges Geld zu haben."

Der Kalif, der seinem Großwesir schon lange gerne eine Freude gemacht hätte, schickte seinen schwarzen Sklaven hinunter, um den Krämer heraufzuholen. Bald kam der Sklave mit dem Krämer zurück . Dieser war ein kleiner, dicker Mann, schwarzbraun im Gesicht und in zerlumptem Anzug. Er trug einen Kasten, in welchem er allerhand Waren hatte, Perlen und Ringe, reichbeschlagene Pistolen, Becher und Kämme. Der Kalif und sein Wesir musterten alles durch, und der Kalif kaufte endlich für sich und Mansor schöne Pistolen, für die Frau des Wesirs aber einen Kamm. Als der Krämer seinen Kasten schon wieder zumachen wollte, sah der Kalif eine kleine Schublade und fragte, ob da auch noch Waren seien. Der Krämer zog die Schublade heraus und zeigte darin eine Dose mit schwärzlichem Pulver und ein Papier mit sonderbarer Schrift, die weder der Kalif noch Mansor lesen konnte. Ich bekam einmal diese zwei Stücke von einem Kaufmanne, der sie in Mekka auf der Straße fand," sagte der Krämer. "Ich weiß nicht, was sie enthalten; Euch stehen sie um geringen Preis zu Dienst, ich kann doch nichts damit anfangen." Der Kalif, der in seiner Bibliothek gerne alte Manuskripte hatte, wenn er sie auch nicht lesen konnte, kaufte Schrift und Dose und entließ den Krämer. Der Kalif aber dachte, er möchte gerne wissen, was die Schrift enthalte, und fragte den Wesir, ob er keinen kenne, der es entziffern könnte. "Gnädigster Herr und Gebieter," antwortete dieser, " an der großen Moschee wohnt ein Mann, er heißt Selim, der Gelehrte, der versteht alle Sprachen, laß ihn kommen, vielleicht kennt er diese geheimnisvollen Züge."

Der Gelehrte Selim war bald herbeigeholt. "Selim," sprach zu ihm der Kalif, "Selim, man sagt, du seiest sehr gelehrt; guck' einmal ein wenig in diese Schrift, ob du sie lesen kannst; kannst du sie lesen, so bekommst du ein neues Festkleid von mir, kannst du es nicht, so bekommst du zwölf Backenstreiche und fünfundzwanzig auf die Fußsohlen, weil man dich dann umsonst Selim. den Gelehrten, nennt." Selim verneigte sich und sprach: "Dein



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Wille geschehe, o Herr!" Lange betrachtete er die Schrift; plötzlich aber rief er aus: "Das ist lateinisch, o Herr, oder ich laß mich hängen." — "Sag', was drin steht," befahl der Kalif, " wenn es lateinisch ist."

Selim fing an zu übersetzen: "Mensch, der du dieses findest, preise Allah für seine Gnade! Wer von dem Pulver in dieser Dose schnupft und dazu spricht: Mutabor, der kann sich in jedes Tier verwandeln und versteht auch die Sprache der Tiere. Will er wieder in seine menschliche Gestalt zurückkehren, so neige er sich dreimal gen Osten und spreche jenes Wort; aber hüte dich, wenn du verwandelt bist, daß du nicht lachest, sonst verschwindet das Zauberwort gänzlich aus deinem Gedächtnis, und du bleibst ein Tier."

Als Selim, der Gelehrte, also gelesen hatte, war der Kalif über die Maßen vergnügt. Er ließ den Gelehrten schwören, niemand etwas von dem Geheimnis zu sagen, schenkte ihm ein schönes Kleid und entließ ihn. Zu seinem Großwesir aber sagte er: Das heiß' ich gut einkaufen, Mansor! Wie freue ich mich, bis ich ein Tier bin. Morgen früh kommst du zu mir; wir gehen dann miteinander aufs Feld, schnupfen etwas Weniges aus meiner Dose und belauschen dann, was in der Luft und im Wasser, im Wald und Feld gesprochen wird !" II.

Kaum hatte am andern Morgen der Kalif Chasid gefrühstückt und sich angekleidet, als schon der Großwesir erschien, ihn, wie er befohlen, auf dem Spaziergang zu begleiten. Der Kalif steckte die Dose mit dem Zauberpulver in den Gürtel, und nachdem er seinem Gefolge befohlen, zurückzubleiben, machte er sich mit dem Großwesir ganz allein auf den Weg. Sie gingen zuerst durch die weiten Gärten des Kalifen, spähten aber vergebens nach etwas Lebendigem, um ihr Kunststück zu probieren. Der Wesir schlug endlich vor, weiter hinaus an einen Teich zu gehen, wo er schon oft viele Tiere, namentlich Störche, gesehen habe, die durch ihr gravitätisches Wesen und ihr Geklapper immer seine Aufmerksamkeit erregt haben.

Der Kalif billigte den Vorschlag seines Wesirs und ging mit ihm dem Teich zu. Als sie dort angekommen waren, sahen sie einen Storchen ernsthaft auf und ab gehen, Frösche suchend und hie und da etwas vor sich hinklappernd. Zugleich sahen sie auch weit oben in der Luft einen andern Storchen dieser Gegend zuschweben .



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Ich wette meinen Bart, gnädigster Herr," sagte der Großwesir, " wenn nicht diese zwei Langfüßler ein schönes Gespräch miteinander führen werden. Wie wäre es, wenn wir Störche würden ?"

"Wohl gesprochen!" antwortete der Kalif. "Aber vorher wollen wir noch einmal betrachten, wie man wieder Mensch wird. Richtig! Dreimal gen Osten geneigt und Mutabor gesagt, so bin ich wieder Kalif und du Wesir. Aber nur ums Himmelswillen nicht gelacht, sonst sind wir verloren!"

Während der Kalif also sprach, sah er den andern Storchen über ihrem Haupte schweben und langsam sich zur Erde lassen. Schnell zog er die Dose aus dem Gürtel, nahm eine gute Prise, bot sie dem Großwesir dar, der gleichfalls schnupfte, und beide riefen: Mutabor!

Da schrumpften ihre Beine ein und wurden dünn und rot, die schönen gelben Pantoffel des Kalifen und seines Begleiters wurden unförmliche Storchfüße, die Arme wurden zu Flügeln, der Hals fuhr aus den Achseln und ward eine Elle lang, der Bart war verschwunden, und den Körper bedeckten weiche Federn.

"Ihr habt einen hübschen Schnabel, Herr Großwesir," sprach nach langem Erstaunen der Kalif. "Beim Bart des Propheten, so etwas habe ich in meinem Leben nicht gesehen."

"Danke untertänigst," erwiderte der Großwesir, indem er sich bückte; "aber wenn ich es wagen darf, möchte ich behaupten, Eure Hoheit sehen als Storch beinahe noch hübscher aus denn als Kalif. Aber kommt, wenn es Euch gefällig ist, daß wir unsere Kameraden dort belauschen und erfahren, ob wir wirklich Storchisch künnen."

Indem war der andere Storch auf der Erde angekommen; er putzte sich mit dem Schnabel seine Füße, legte seine Federn zurecht und ging auf den ersten Storchen zu. Die beiden neuen Störche aber beeilten sich, in ihre Nähe zu kommen und vernahmen zu ihrem Erstaunen folgendes Gespräch.

"Guten Morgen, Frau Langbein, so früh schon auf der Wiese?"

"Schönen Dank, lieber Klapperschnabel! Ich habe mir nur ain kleines Frühstück geholt. Ist Euch vielleicht ein Viertelchen Eidechs gefällig oder ein Froschschenkelein?

"Danke gehorsamst: habe heute gar keinen Appetit. Ich komme auch wegen etwas ganz anderem auf die Wiese. Ich soll heute vor den Gästen meines Vaters tanzen, und da will ich mich im stillen ein wenig üben.



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Zugleich schritt die junge Störchin in wunderlichen Bewegungen durch das Feld. Der Kalif und Mansor sahen ihr verwundert nach. Als sie aber in malerischer Stellung auf einem Fuß stand und mit den Flügeln anmutig dazu wedelte, da konnten sich die beiden nicht mehr halten; ein unaufhaltsames Gelächter brach aus ihren Schnäbeln hervor, von dem sie sich erst nach langer Zeit erholten. Der Kalif faßte sich zuerst wieder: "Das war einmal ein Spaß," rief er, " der nicht mit Gold zu bezahlen ist. Schade, daß die dummen Tiere durch unser Gelächter sich haben verscheuchen lassen, sonst hätten sie gewiß auch noch gesungen!"

Aber jetzt fiel es dem Großwesir ein, daß das Lachen während der Verwandlung verboten war. Er teilte seine Angst deswegen dem Kalifen mit. "Potz Mekka und Medina! Das wäre ein schlechter Spaß, wenn ich ein Storch bleiben müßte! Besinne dich doch auf das dumme Wort! Ich bring' es nicht heraus."

"Dreimal gen Osten müssen wir uns bücken und dazu sprechen: Mu — Mu — Mu —"

Sie stellten sich gen Osten und buckten sich in einem fort, daß ihre Schnäbel beinahe die Erde berührten. Aber, o Jammer! Das Zauberwort war ihnen entfallen, und so oft sich auch der Kalife bückte, so sehnlich auch sein Wesir — diu dazu rief, jede Erinnerung daran war verschwunden, und der arme Chasid und sein Wesir waren und blieben Störche. III.

Traurig wandelten die Verzauberten durch die Felder; sie wußten gar nicht, was sie in ihrem Elend anfangen sollten. Aus ihrer Storchenhaut konnten sie nicht heraus, in die Stadt zurück konnten sie auch nicht, um sich zu erkennen zu geben; denn wer hätte einem Storchen geglaubt, daß er der Kalif sei, und wenn man es auch geglaubt hätte, würden die Einwohner von Bagdad einen Storchen zum Kalifen gewollt haben?

So schlichen sie mehrere Tage umher und ernährten sich kümmerlich von Feldfrüchten, die sie aber wegen ihrer langen Schnäbel nicht gut verspeisen könnten. Zu Eidechsen und Fröschen hatten sie übrigens keinen Appetit; denn sie befürchteten, mit solchen Leckerbissen sich den Magen zu verderben. Ihr einziges Vergnügen in dieser traurigen Lage war, daß sie fliegen konnten. und so flogen sie oft auf die Dächer von Bagdad, um zu sehen, was darin vorging.

In den ersten Tagen bemerkten sie große Unruhe und Trauer in den Straßen. Aber ungefähr am vierten Tag nach ihrer Verzauberung saßen sie auf dem Palast des Kalifen; da sahen sie



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unten in der Straße einen prächtigen Aufzug; Trommeln und Pfeifen ertönten, ein Mann in einem goldgestickten Scharlachmantel saß auf einem geschmückten Pferd, umgeben von glänzenden Dienern, halb Bagdad sprang ihm nach, und alle schrien: "Heil Mizra, dem Herrscher von Bagdad!" Da sahen die beiden Störche auf dem Dache des Palastes einander an, und der Kalif Chasid sprach: "Ahnst du jetzt, warum ich verzaubert bin, Großwesir? Dieser Mizra ist der Sohn meines Todfeindes, des mächtigen Zauberers Kaschnur, der mir in einer bösen Stunde Rache schwur. Aber noch gebe ich die Hoffnung nicht auf. Komm mit mir, du treuer Gefährte meines Elends, wir wollen zum Grabe des Propheten wandern; vielleicht, daß an heiliger Stätte der Zauber gelöst wird."

Sie erhoben sich vom Dach des Palastes und flogen der Gegend von Medina zu.

Mit dem Fliegen wollte es aber nicht gar gut gehen; denn die beiden Störche hatten noch wenig Übung. "O Herr," ächzte nach ein paar Stunden der Großwesir, "ich halte es mit Eurer Erlaubnis nicht mehr lange aus ; Ihr fliegt gar zu schnell! Auch ist es schon Abend, und wir täten wohl, ein Unterkommen für die Nacht zu suchen."

Chasid gab der Bitte seines Dieners Gehör; und da er unten im Tale eine Ruine erblickte, die ein Obdach zu gewähren schien, so flogen sie dahin. Der Ort, wo sie sich für diese Nacht niedergelassen hatten, schien ehemals ein Schloß gewesen zu sein. Schöne Säulen ragten aus den Trümmern hervor, mehrere Gemächer. die noch ziemlich erhalten waren, zeugten von der ehemaligen Pracht des Hauses. Chasid und sein Begleiter gingen durch die Gänge umher, um sich ein trockenes Plätzchen zu suchen; plötzlich blieb der Storch Mansor stehen. "Herr und Gebieter," flüsterte er leiser, " wenn es nur nicht töricht für einen Großwesir, noch mehr aber für einen Storchen wäre, sich vor Gespenstern zu fürchten! Mir ist ganz unheimlich zumut; denn hier neben hat es ganz vernehmlich geseufzt und gestöhnt." Der Kalif blieb nun auch stehen und hörte ganz deutlich ein leises Weinen, das eher einem Menschen als einem Tiere anzugehören schien. Voll Erwartung wollte er der Gegend zugehen, woher die Klagetöne kamen; der Wesir aber packte ihn mit dem Schnabel am Flügel und bat ihn flehentlich, sich nicht in neue, unbekannte Gefahren zu stürzen. Doch vergebens! Der Kalif, dem auch unter dem Storchenflügel ein tapferes Herz schlug, riß sich mit Verlust einiger Federn los und eilte in einen finstern Gang. Bald war er an einer Tür angelangt, die nur



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angelehnt schien und woraus er deutliche Seufzer mit ein wenig Geheul vernahm. Er stieß mit dem Schnabel die Türe auf, blieb aber überrascht auf der Schwelle stehen. In dem verfallenen Gemach, das nur durch ein kleines Gitterfenster spärlich erleuchtet war, sah er eine große Nachteule am Boden sitzen. Dicke Tränen rollten ihr aus den großen, runden Augen, und mit heiserer Stimme stieß sie ihre Klagen zu dem krummen Schnabel heraus. Als sie aber den Kalifen und seinen Wesir, der indes auch herbeigeschlichen war, erblickte, erhob sie ein lautes Freudengeschrei. Zierlich wischte sie mit dem braungefleckten Flügel die Tränen aus dem Auge, und zu dem größten Erstaunen der beiden rief sie in gutem menschlichem Arabisch: "Willkommen, ihr Störche! Ihr seid mir ein gutes Zeichen meiner Errettung; denn durch Störche werde mir ein großes Glück kommen, ist mir einst prophezeit worden!"

Als sich der Kalif von seinem Erstaunen erholt hatte, bückte er sich mit seinem langen Hals, brachte seine dünnen Füße in eine zierliche Stellung und sprach: "Nachteule! Deinen Worten nach darf ich glauben, eine Leidensgefährtin in dir zu sehen. Aber ach! Deine Hoffnung, daß durch uns deine Rettung kommen werde, ist vergeblich. Du wirst unsere Hilflosigkeit selbst erkennen, wenn du unsere Geschichte hörst." Die Nachteule bat ihn zu erzählen; der Kalif aber hub an und erzählte, was wir bereits wissen. lV.

Als der Kalif der Eule seine Geschichte vorgetragen hatte, dankte sie ihm und sagte: "Vernimm auch meine Geschichte und höre, wie ich nicht weniger unglücklich bin als du. Mein Vater ist der König von Indien, ich, seine einzige unglückliche Tochter, heiße Lusa. Jener Zauberer Kaschnur, der euch verzauberte, hat auch mich ins Unglück gestürzt. Er kam eines Tages zu meinem Vater und begehrte mich zur Frau für seinen Sohn Mizra. Mein Vater aber, der ein hitziger Mann ist, ließ ihn die Treppe hinunterwerfen. Der Elende wußte sich unter einer andern Gestalt wieder in meine Nähe zu schleichen, und als ich einst in meinem Garten Erfrischungen zu mir nehmen wollte, brachte er mir, als Sklave verkleidet, einen Trank bei, der mich in diese abscheuliche Gestalt verwandelte. Vor Schrecken ohnmächtig, brachte er mich hieher und rief mir mit schrecklicher Stimme in die Ohren:

"Da sollst du bleiben, häßlich, selbst von den Tieren verachtet, bis an dein Ende, oder bis einer aus freiem Willen



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dich, selbst in dieser schrecklichen Gestalt, zur Gattin begehrt. So räche ich mich an dir und deinem stolzen Vater."

Seitdem sind viele Monate verflossen. Einsam und traurig lebe ich als Einsiedlerin in diesem Gemäuer, verabscheut von der Welt, selbst den Tieren ein Greuel ; die schöne Natur ist vor mir verschlossen; denn ich bin blind am Tage, und nur, wenn der Mond sein bleiches Licht über dies Gemäuer ausgießt, fällt der verhüllende Schleier von meinem Auge."

Die Eule hatte geendet und wischte sich mit dem Flügel wieder die Augen aus ; denn die Erzählung ihrer Leiden hatte ihr Tränen entlockt.

Der Kalif war bei der Erzählung der Prinzessin in tiefes Nachdenken versunken. "Wenn mich nicht alles täuscht," sprach er, "so findet zwischen unserem Unglück ein geheimer Zusammenhang statt; aber wo finde ich den Schlüssel zu diesem Rätsel?" Die Eule antwortete ihm: "O Herr! auch mir ahnet dies ; denn es ist mir einst in meiner frühesten Jugend von einer weisen Frau prophezeit worden, daß ein Storch mir ein großes Glück bringen werde, und ich wüßte vielleicht, wie wir uns retten könnten." Der Kalif war sehr erstaunt und fragte, auf welchem Wege sie meine. "Der Zauberer, der uns beide unglücklich gemacht hat," sagte sie, " kommt alle Monate einmal in diese Ruinen. Nicht weit von diesem Gemach ist ein Saal. Dort pflegt er dann mit vielen Genossen zu schmausen. Schon oft habe ich sie dort belauscht. Sie erzählen dann einander ihre schändlichen Werke; vielleicht, daß er dann das Zauberwort, das ihr vergessen habt, ausspricht."

"O, teuerste Prinzessin," rief der Kalif, "sag' an, wann kommt er, und wo ist der Saal?"

Die Eule schwieg einen Augenblick und sprach dann: "Nehmet es nicht ungütig, aber nur unter einer Bedingung kann ich Euern Wunsch erfüllen." — "Sprich aus ! Sprich aus !" schrie Chasid. "Befiehl, es ist mir jede recht."

"Nämlich, ich möchte auch gern zugleich frei sein; dies kann aber nur geschehen, wenn einer von euch mir seine Hand reicht."

Die Störche schienen über den Antrag etwas betroffen zu sein, und der Kalif winkte seinem Diener, ein wenig mit ihm hinauszugehen.

"Großwesir," sprach vor der Türe der Kalif, "das ist ein dummer Handel; aber Ihr könntet sie schon nehmen."

"So?" antwortete dieser, "daß mir meine Frau, wenn ich nach Haus komme, die Augen auskratzt? Auch bin ich ein alter



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Mann, und Ihr seid noch jung und unverheiratet und könnet eher einer jungen, schönen Prinzessin die Hand geben."

"Das ist es eben," seufzte der Kalif, indem er traurig die Flügel hängen ließ, " wer sagt dir denn, daß sie jung und schön ist? Das heißt eine Katze im Sack kaufen!"

Sie redeten einander gegenseitig noch lange zu; endlich aber, als der Kalif sah, daß sein Wesir lieber Storch bleiben als die Eule heiraten wollte, entschloß er sich, die Bedingung lieber selbst zu erfüllen. Die Eule war hocherfreut. Sie gestand ihnen, daß sie zu keiner bessern Zeit hätten kommen können, weil wahrscheinlich in dieser Nacht die Zauberer sich versammeln würden.

Sie verließ mit den Störchen das Gemach, um sie in jenen Saal zu führt ; sie gingen lange in einem finstern Gang hin; endlich strahlte ihnen aus einer halb verfallenen Mauer ein heller Schein entgegen. Als sie dort angelangt waren, riet ihnen die Eule, sich ganz ruhig zu verhalten. Sie konnten von der Lücke, an welcher sie standen, einen großen Saal übersehen. Er war ringsum mit Säulen geschmückt und prachtvoll verziert. Viele farbige Lampen ersetzten das Licht des Tages. In der Mitte des Saales stand ein runder Tisch, mit vielen und ausgesuchten Speisen besetzt. Rings um den Tisch zog sich ein Sofa, auf welchem acht Männer saßen. In einem dieser Männer erkannten die Störche jenen Krämer wieder, der ihnen das Zauberpulver verkauft hatte. Sein Nebensitzer forderte ihn auf, ihnen seine neuesten Taten zu erzählen. Er erzählte unter andern auch die Geschichte des Kalifen und seines Wesirs.

"Was für ein Wort hast du ihnen denn aufgegeben?" fragte ihn ein anderer Zauberer. "Ein recht schweres lateinisches, es heißt Mutabor." V.

Als die Störche an ihrer Mauerlücke dieses hörten, kamen sie vor Freuden beinahe außer sich. Sie liefen auf ihren langen Füßen so schnell dem Tore der Ruine zu, daß die Eule kaum folgen konnte. Dort sprach der Kalif gerühmt zu der Eule: Retterin meines Lebens und des Lebens meines Freundes, nimm zum ewigen Dank für das, was du an uns getan, mich zum Gemahl an!" Dann aber wandte er sich nach Osten. Dreimal bückten die Störche ihre langen Hälse der Sonne entgegen, die soeben hinter dem Gebirge heraufstieg. "Mutabor!" riefen sie; im Nu waren sie verwandelt, und in der hohen Freude des neugeschenkten Lebens lagen Herr und Diener lachend und weinend einander in den Armen. Wer beschreibt aber ihr Erstaunen,



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als sie sich umsahen? Eine schöne Dame, herrlich geschmückt, stand vor ihnen. Lächelnd gab sie dem Kalifen die Hand. "Erkennt Ihr Eure Nachteule nicht mehr?" sagte sie. Sie war es ; der Kalif war von ihrer Schönheit und Anmut so entzückt, daß er ausrief, es sei sein größtes Glück, daß er Storch geworden sei.

Die drei zogen nun miteinander auf Bagdad zu. Der Kalif fand in seinen Kleidern nicht nur die Dose mit Zauberpulver, sondern auch seinen Geldbeutel. Er kaufte daher im nächsten Dorfe, was zu ihrer Reise nötig war, und so kamen sie bald an die Tore von Bagdad. Dort aber erregte die Ankunft des Kalifen großes Erstaunen. Man hatte ihn für tot ausgegeben, und das Volk war daher hocherfreut, seinen geliebten Herrscher wieder zu haben.

Um so mehr aber entbrannte ihr Haß gegen den Betrüger Mizra. Sie zogen in den Palast und nahmen den alten Zauberer und seinen Sohn gefangen. Den Alten schickte der Kalif in dasselbe Gemach der Ruine, das die Prinzessin als Eule bewohnt hatte, und ließ ihn dort aufhängen. Dem Sohn aber, welcher nichts von den Künsten des Vaters verstand, ließ der Kalif die Wahl, ob er sterben oder schnupfen wolle. Als er das letztere wählte, bot ihm der Großwesir die Dose. Eine tüchtige Prise, und das Zauberwort des Kalifen verwandelte ihn in einen Storchen. Der Kalif ließ ihn in ein eisernes Käfigt sperren und in seinem Garten aufstellen.

Lange und vergnügt lebte Kalif Chasid mit seiner Frau, der Prinzessin; seine vergnügtesten Stunden waren immer die, wenn ihn der Großwesir nachmittags besuchte; da sprachen sie dann oft von ihrem Storchabenteuer, und wenn der Kalif recht heiter war, ließ er sich herab, den Großwesir nachzuahmen, wie er als Storch aussah. Er stieg dann ernsthaft mit steifen Füßen im Zimmer auf und ab, klapperte, wedelte mit den Armen, wie mit Flügeln und zeigte, wie jener sich vergeblich nach Osten geneigt und Mu—Mu dazu gerufen habe. Für die Frau Kalifin und ihre Kinder war diese Vorstellung allemal eine große Freude; wenn aber der Kalif gar zu lange klapperte und nickte und — — schrie, dann drohte ihm lächelnd der Wesir, er wolle das, was vor der Türe der Prinzessin Nachteule verhandelt worden sei, der Frau Kalifin mitteilen.

Als Selim Baruch seine Geschichte geendet hatte, bezeigten sich die Kaufleute sehr zufrieden damit. "Wahrhaftig, der Nachmittag ist uns vergangen, ohne daß wir merkten wie !" sagte



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einer derselben, indem er die Decke des Zeltes zurückschlug. " Der Abendwind wehet kühl, und wir könnten noch eine gute Strecke Weges zurücklegen." Seine Gefährten waren damit einverstanden; die Zelte wurden abgebrochen, und die Karawane machte sich in der nämlichen Ordnung, in welcher sie herangezogen war, auf den Weg.

Sie ritten beinahe die ganze Nacht hindurch; denn es war schwül am Tage, die Nacht aber war erquicklich und sternhell. Sie kamen endlich an einem bequemen Lagerplatz an, schlugen die Zelte auf und legten sich zur Ruhe. Für den Fremden aber sorgten die Kaufleute, wie wenn er ihr wertester Gastfreund wäre. Der eine gab ihm Polster, der andere Decken, ein dritter gab ihm Sklaven, kurz, er wurde so gut bedient, als ob er zu Hause wäre. Die heißeren Stunden des Tages waren schon heraufgekommen , als sie sich wieder erhoben, und sie beschlossen einmütig , hier den Abend abzuwarten. Nachdem sie miteinander gespeist hatten, rückten sie wieder näher zusammen, und der junge Kaufmann wandte sich an den ältesten und sprach: "Selim Baruch hat uns gestern einen vergnügten Nachmittag bereitet; wie Wäre es, Achmet, wenn Ihr uns auch etwas erzähltet, sei es nun aus Eurem langen Leben, das wohl viele Abenteuer aufzuweisen hat, oder sei es auch ein hübsches Märchen." Achmet schwieg auf diese Anrede eine Zeitlang, wie wenn er bei sich im Zweifel wäre, ob er dies oder jenes sagen sollte oder nicht; endlich fing er an zu sprechen:

"Liebe Freunde! Ihr habt euch auf dieser unserer Reise als treue Gesellen erprobt, und auch Selim verdient mein Vertrauen; daher will ich euch etwas aus meinem Leben mitteilen, das ich sonst ungern und nicht jedem erzähle: die Geschichte von dem Gespensterschiff."


Die Geschichte von dem Gespensterschiff.

"Mein Vater hatte einen kleinen Laden in Balsora. Er war weder arm noch reich und einer von jenen Leuten, die nicht gerne etwas wagen aus Furcht, das Wenige zu verlieren, das sie haben. Er erzog mich schlicht und recht und brachte es bald so weit, daß ich ihm an die Hand gehen konnte. Gerade als ich achtzehn Jahr alt war, als er die erste größere Spekulation machte, starb er, wahrscheinlich aus Gram, tausend Goldstücke dem Meere anvertraut zu haben. Ich mußte ihn bald nachher



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wegen seines Todes glücklich preisen; denn wenige Wochen hernach lief die Nachricht ein, daß das Schiff, dem mein Vater seine Güter mitgegeben hatte, versunken sei. Meinen jugendlichen Mut konnte aber dieser Unfall nicht beugen. Ich machte alles vollends zu Geld, was mein Vater hinterlassen hatte, und zog aus, um in der Fremde mein Glück zu probieren, nur von einem alten Diener meines Vaters begleitet, der sich aus alter Anhänglichkeit nicht von mir und meinem Schicksal trennen wollte.

Im Hafen von Balsora schifften wir uns mit günstigem Winde ein. Das Schiff, auf dem ich mich eingemietet hatte, war nach Indien bestimmt. Wir waren schon fünfzehn Tage auf der gewöhnlichen Straße gefahren, als uns der Kapitän einen Sturm verkündete. Er machte ein bedenkliches Gesicht; denn es schien, er kenne in dieser Gegend das Fahrwasser nicht genug, um einem Sturm mit Ruhe begegnen zu können. Er ließ alle Segel einziehen, und wir trieben ganz langsam hin. Die Nacht war angebrochen, war hell und kalt, und der Kapitän glaubte schon, sich in den Anzeichen des Sturmes getäuscht zu haben. Auf einmal schwebte ein Schiff, das wir vorher nicht gesehen hatten, dicht an dem unsrigen vorbei. Wildes Jauchzen und Geschrei erscholl aus dem Verdeck herüber, worüber ich mich zu dieser angstvollen Stunde vor einem Sturm nicht wenig wunderte . Aber der Kapitän an meiner Seite wurde blaß wie der Tod. "Mein Schiff ist verloren," rief er, "dort segelt der Tod !" Ehe ich ihn noch über diesen sonderbaren Ausruf befragen konnte, stürzten schon heulend und schreiend die Matrosen herein. "Habt ihr ihn gesehn?" schrien sie. "Jetzt ist's mit uns vorbei!"

Der Kapitän aber ließ Trostsprüche aus dem Koran vorlesen und setzte sich selbst ans Steuerruder. Aber vergebens! Zusehends brauste der Sturm auf, und ehe eine Stunde verging , krachte das Schiff und blieb sitzen. Die Boote wurden ausgesetzt , und kaum hatten sich die letzten Matrosen gerettet, so versank das Schiff vor unsern Augen, und als ein Bettler fuhr ich in die See hinaus. Aber der Jammer hatte noch kein Ende. Fürchterlicher tobte der Sturm das Boot war nicht mehr zu regieren. Ich hatte meinen alten Diener fest umschlungen, und wir versprachen uns, nie voneinander zu weichen. Endlich brach der Tag an. Aber mit dem ersten Anblick der Morgenröte faßte der Wind das Boot, in welchem wir saßen, und stürzte es um. Ich habe keinen meiner Schiffsleute mehr gesehen. Der Sturz hatte mich betäubt, und als ich aufwachte, befand ich mich in den Armen meines alten treuen Dieners, der sich auf das umgeschlagene Boot gerettet und mich nachgezogen hatte. Der



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Sturm hatte sich gelegt. Von unserem Schiff war nichts mehr zu sehen; wohl aber entdeckten wir nicht weit von uns ein anderes Schiff, auf das die Wellen uns hintrieben. Als wir näher hinzukamen. erkannte ich das Schiff als dasselbe, das in der Nacht an uns vorbeifuhr und welches den Kapitän so sehr in Schrecken gesetzt hatte. Ich empfand ein sonderbares Grauen vor diesem Schiffe. Die Äußerung des Kapitäns, die sich so furchtbar bestätigt hatte, das öde Aussehen des Schiffes, auf dem sich, so nahe wir auch herankamen, so laut wir schrien, niemand zeigte, erschreckte mich. Doch es war unser einziges Rettungsmittel; darum priesen wir den Propheten, der uns so wundervoll erhalten hatte.

Am Vorderteil des Schiffes hing ein langes Tau herab. Mit Händen und Füßen ruderten wir darauf zu, um es zu erfassen. Endlich glückte es. Noch einmal erhob ich meine Stimme ; aber immer blieb es still auf dem Schiffe. Da klimmten wir an dem Tau hinauf, ich als der Jüngste voran. Aber Entsetzen! Welches Schauspiel stellte sich meinem Auge dar, als ich das Verdeck betrat! Der Boden war mit Blut gerötet, zwanzig bis dreißig Leichname in türkischen Kleidern lagen auf dem Boden, am mittleren Mastbaum stand ein Mann, reich gekleidet. den Säbel in der Hand, aber das Gesicht war blaß und verzerrt, durch die Stirn ging ein großer Nagel, der ihn an den Mastbaum heftete; auch er war tot. Schrecken fesselte meine Schritte, ich wagte kaum zu atmen. Endlich war auch mein Begleiter heraufgekommen. Auch ihn überraschte der Anblick des Verdeckes. das gar nichts Lebendiges, sondern nur so viele schreckliche Tote zeigte. Wir wagten es endlich, nachdem wir in der Seelenangst zum Propheten gefleht hatten, weiter vorzuschreiten. Bei jedem Schritte sahen wir uns um, ob nicht etwas Neues, noch Schrecklicheres sich darbiete; aber alles blieb, wie es war, weit und breit nichts Lebendiges als wir und das Weltmeer. Nicht einmal laut zu sprechen wagten wir aus Furcht, der tote, am Mast angespießte Kapitano möchte seine starren Augen nach uns hindrehen oder einer der Getöteten möchte seinen Kopf umwenden. Endlich waren wir bis an eine Treppe gekommen, die in den Schiffsraum führte. Unwillkürlich machten wir dort halt und sahen einander an; denn keiner wagte es recht, seine Gedanken zu äußern.

"O Herr," urach mein treuer Diener, "hier ist etwas Schreckliches geschehen. Doch wenn auch das Schiff da unten voll Mörder steckt: so will ich mich ihnen doch lieber auf Gnade und Ungnade ergeben, als längere Zeit unter diesen Toten zubringen."



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Ich dachte wie er: wir faßten ein Herz und stiegen voll Erwartung hinunter. Totenstille war aber auch hier, und nur unsere Schritte hallten auf der Treppe. Wir standen an der Türe der Kajüte. Ich legte mein Ohr an die Türe und lauschte; es war nichts zu hören. Ich machte auf. Das Gemach bot einen unordentlichen Anblick dar. Kleider, Waffen und anderes Geräte lagen untereinander. Nichts in Ordnung. Die Mannschaft oder wenigstens der Kapitano mußte vor kurzem gezecht haben; denn es lag alles noch umher. Wir gingen weiter von Raum zu Raum, von Gemach zu Gemach, überall fanden wir herrliche Vorräte in Seide, Perlen, Zucker usw. Ich war vor Freude über diesen Anblick außer mir ; denn da niemand auf dem Schiff war, glaubte ich, alles mir zueignen zu dürfen; Ibrahim aber machte mich aufmerksam darauf, daß wir wahrscheinlich noch sehr weit vom Lande seien, wohin wir allein und ohne menschliche Hilfe nicht kommen könnten.

Wir labten uns an den Speisen und Getränken, die wir in reichlichem Maß vorfanden, und stiegen endlich wieder aufs Verdeck. Aber hier schauderte uns immer die Haut ob dem schrecklichen Anblick der Leichen. Wir beschlossen, uns davon zu befreien und sie über Bord ou werfen; aber wie schauerlich ward uns zu Mut, als wir fanden, daß sich keiner aus seiner Lage bewegen ließ. Wie festgebannt lagen sie am Boden, und man hätte den Soden des Verdecks ausheben müssen, um sie zu entfernen, und dazu gebrach es uns an Werkzeugen. Auch der Kapitano ließ sich nicht von seinem Mast losmachen; nicht einmal seinen Säbel konnten wir der starren Hand entwinden. Wir brachten den Tag in trauriger Betrachtung unserer Lage zu, und als es Nacht zu werden anfing, erlaubte ich dem alten Ibrahim, sich schlafen zu legen; ich selbst aber wollte auf dem Verdeck wachen, um nach Rettung auszuspähen. Als aber der Mond heraufkam und ich nach den Gestirnen berechnete, daß es wohl um die elfte Stunde sei, überfiel mich ein so unwiderstehlicher Schlaf, daß ich unwillkürlich hinter ein Faß, das auf dem Verdeck stand, zurückfiel . Doch war es mehr Betäubung als Schlaf; denn ich hörte deutlich die See an der Seite des Schiffes anschlagen und die Segel im Winde knarren und pfeifen. Auf einmal glaubte ich Stimmen und Männertritte auf dem Verdeck zu hören. Ich wollte mich aufrichten, um darnach zu schauen. Aber eine unsichtbare Gewalt hielt meine Glieder gefesselt; nicht einmal die Augen konnte ich aufschlagen. Aber immer deutlicher wurden die Stimmen ; es war mir, als wenn ein fröhliches Schiffsvolk auf dem Verdrck sich umhertriebe. Mitunter glaubte ich, die



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kräftige Stimme eines Befehlenden zu hören; auch hörte ich Taue und Segel deutlich auf- und abziehen. Nach und nach aber schwanden mir die Sinne, ich verfiel in einen tieferen Schlaf, in dem ich nur noch ein Geräusch von Waffen zu hören glaubte, und erwachte erst, als die Sonne schon hoch stand und mir aufs Gesicht brannte. Verwundert schaute ich mich um, Sturm, Schiff, die Toten und was ich in dieser Nacht gehört hatte, kam mir wie ein Traum vor; aber als ich aufblickte, fand ich alles wie gestern. Unbeweglich lagen die Toten, unbeweglich war der Kapitano an den Mastbaum geheftet. Ich lachte über meinen Traum und stand auf, um meinen Alten zu suchen.

Dieser saß ganz nachdenklich in der Kajüte. "O Herr!" rief er aus, als ich zu ihm hereintrat, "ich wollte lieber im tiefsten Grund des Meeres liegen, als in diesem verhexten Schiff noch eine Nacht zubringen." Ich fragte ihn nach der Ursache seines Kummers, und er antwortete mir : " Als ich einige Stunden geschlafen hatte, wachte ich auf und vernahm, wie man über meinem Haupt hin und her lief. Ich dachte zuerst, Ihr wäret es ; aber es waren wenigstens zwanzig, die oben umherliefen; auch hörte ich rufen und schreien. Endlich kamen schwere Tritte die Treppe herab. Da wußte ich nichts mehr von mir, nur hie und da kehrte auf einige Augenblicke meine Besinnung zurück, und da sah ich dann denselben Mann, der oben am Mast angenagelt ist, an jenem Tisch dort sitzen, singend und trinkend ; aber der, der in einem roten Scharlachkleid nicht weit von ihm am Boden liegt, saß neben ihm und half ihm trinken." Also erzählte mir mein alter Diener.

Ihr könnt mir es glauben, meine Freunde, dass mir gar nicht wohl zu Mut war ; denn es war keine Täuschung, ich hatte ja auch die Toten gar wohl gehört. In solcher Gesellschaft zu schiffen, war mir greulich. Mein Ibrahim aber versank wieder in tiefes Nachdenken. "Jetzt hab' ich's!" rief er endlich aus ; es fiel ihm nämlich ein Sprüchlein ein, das ihn sein Großvater, ein erfahrener, weitgereister Mann, gelehrt hatte und das gegen jeden Geister- und Zauberspuk helfen sollte; auch behauptete er, jenen unnatürlichen Schlaf, der uns befiel, in der nächsten Nacht verhindern zu können, wenn wir nämlich recht eifrig Sprüche aus dem Koran beteten. Der Vorschlag des alten Mannes gefiel mir wohl. In banger Erwartung sahen wir die Nacht herankommen. Neben der Kajüte war ein kleines Kämmerchen; dorthin beschlossen wir uns zurückzuziehen. Wir bohrten mehrere Löcher in die Türe, hinlänglich groß, um durch sie die ganze Kajüte zu überschauen; dann verschlossen wir die



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Türe, so gut es ging, von innen, und Ibrahim schrieb den Namen des Propheten in alle vier Ecken. So erwarteten wir die Schrecken der Nacht. Es mochte wieder ungefähr elf Uhr sein, als es mich gewaltig zu schläfern anfing. Mein Gefährte riet mir daher, einige Sprüche des Korans zu beten, was mir auch half. Mit einem Male schien es oben lebhaft zu werden; die Taue knarrten, Schritte gingen über das Verdeck, und mehrere Stimmen waren deutlich zu unterscheiden. Mehrere Minuten hatten wir so in gespannter Erwartung gesessen; da hörten wir etwas die Treppe der Kajüte herabkommen. Als dies der Alte hörte, fing er an, den Spruch, den ihn sein Großvater gegen Spuk und Zauberei gelehrt hatte, herzusagen.
Kommt ihr herab aus der Luft,
Steigt ihr aus tiefem Meer,
Schlieft ihr in dunkler Gruft,
Stammt ihr vom Feuer her;
Allah ist euer Herr und Meister,
Ihm sind gehorsam alle Geister."

Ich muß gestehen, ich glaubte gar nicht recht an diesen Spruch, und mir stieg das Haar zu Berg, als die Türe aufflog. Herein trat jener große, stattliche Mann, den ich am Mastbaum angenagelt gesehen hatte. Der Nagel ging ihm auch jetzt mitten durchs Hirn; das Schwert aber hatte er in die Scheide gesteckt; hinter ihm trat noch ein anderer herein, weniger kostbar gekleidet; auch ihn hatte ich oben liegen sehen. Der Kapitano, denn dies war er unverkennbar, hatte ein bleiches Gesicht, einen großen, schwarzen Bart, wildrollende Augen, mit denen er sich im ganzen Gemach umsah. Ich konnte ihn ganz deutlich sehen, als er an unserer Türe vorüberging ; er aber schien gar nicht auf die Türe zu achten, die uns verbarg. Beide setzten sich an den Tisch, der in der Mitte der Kajüte stand, und sprachen laut und fast schreiend miteinander in einer unbekannten Sprache. Sie wurden immer lauter und eifriger, bis endlich der Kapitano mit geballter Faust auf den Tisch hineinschlug, daß das Zimmer dröhnte. Mit wildem Gelächter sprang der andere auf und winkte dem Kapitano, ihm zu folgen. Dieser stand auf, riß seinen Säbel aus der Scheide, und beide verließen das Gemach. Wir atmeten freier, als sie weg waren; aber unsere Angst hatte noch lange kein Ende. Immer lauter und lauter ward es auf dem Verdeck. Man hörte eilends hin und her laufen und schreien, lachen und heulen. Endlich ging ein wahrhaft höllischer Lärm los, so daß wir glaubten, das Verdeck mit allen Segeln komme zu uns herab, Waffengeklirr und Geschrei — auf einmal aber



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tiefe Stille. Als wir es nach vielen Stunden wagten hinaufzugehen, trafen wir alles wie sonst; nicht einer lag anders als früher. Alle waren steif wie Holz.

So waren wir mehrere Tage auf dem Schiffe; es ging immer nach Osten, wohin zu, nach meiner Berechnung, Land liegen musste; aber wenn es auch bei Tag viele Meilen zurükgelegt hatte, bei Nacht schien es immer wieder zurückzukehren; denn wir befanden uns immer wieder am nämlichen Fleck, wenn die Sonne aufging. Wir konnten uns dies nicht anders erklären , als daß die Toten jede Nacht mit vollem Winde zurücksegelten. Um nun dies zu verhüten, zogen wir, ehe es Nacht wurde, alle Segel ein und wandten dasselbe Mittel an, wie bei der Türe in der Kajüte; wir schrieben den Namen des Propheten auf Pergament und auch das Sprüchlein des Großvaters dazu und banden es um die eingezogenen Segel. Ängstlich warteten wir in unserem Kämmerchen den Erfolg ab. Der Spuk schien diesmal noch ärger zu toben; aber siehe, am andern Morgen waren die Segel noch aufgerollt, wie wir sie verlassen hatten. Wir spannten den Tag über nur so viele Segel auf, als nötig waren, das Schiff sanft fortzutreiben, und so legten wir in fünf Tagen eine gute Strecke zurück.

Endlich, am Morgen des sechsten Tages, entdeckten wir in geringer Ferne Land, und wir dankten Allah und seinem Propheten für unsere wunderbare Rettung. Diesen Tag und die folgende Nacht trieben wir an einer Küste hin, und am siebenten Morgen glaubten wir in geringer Entfernung eine Stadt zu entdecken,: wir ließen mit vieler Mühe einen Anker in die See, der alsobald Grund faßte, setzten ein kleines Boot, das auf dem Verdeck stand, aus und ruderten mit aller Macht der Stadt zu. Nach einer halben Stunde liefen wir in einen Fluss ein, der sich in die See ergoß, und stiegen ans Ufer. Im Stadttor erkundigten wir uns, wie die Stadt heiße, und erfuhren, daß es eine indische Stadt sei, nicht weit von der Gegend, wohin ich zuerst zu schiffen willens war. Wir begaben uns in eine Karawanserei und erfrischten uns von unserer abenteuerlichen Reise. Ich forschte daselbst auch nach einem weisen und verständigen Manne, indem ich dem Wirt zu verstehen gab, daß ich einen solchen haben möchte, der sich ein wenig auf Zauberei verstehe. Er führte mich in eine abgelegene Straße, an ein unscheinbares Haus, pochte an, und man ließ mich eintreten mit der Weisung, ich solle nur nach Muley fragen.

In dem Hause kam mir ein altes Männlein mit grauem Bart und langer Nase entgegen und fragte nach meinem Begehr.



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sagte ihm, ich suche den weisen Muley, und er antwortete mir, er seie es selbst. Ich fragte ihn nun um Rat, was ich mit den Toten machen solle, und wie ich es angreifen müsse, uni sie aus dem Schiff zu bringen. Er antwortete mir, die Leute des Schiffes seien wahrscheinlich wegen irgendeines Frevels auf das Meer verzaubert; er glaube, der Zauber werde sich lösen, wenn man sie ans Land bringe; dies könne aber nicht geschehen, als wenn man die Bretter, auf denen sie lägen, losmache. Mir gehöre von Gott und Rechts wegen das Schiff samt allen Gütern, weil ich es gleichsam gefunden habe; doch solle ich alles sehr geheim halten und ihm ein kleines Geschenk von meinem Überfluß machen; er wolte dafür mit seinen Sklaven mir behilflich sein, die Toten wegzuschaffen. Ich versprach, ihn reichlich zu belohnen , und wir machten uns mit fünf Sklaven, die mit Sägen und Beilen versehen waren, auf den Weg. Unterwegs konnte der Zauberer Muley unseren glücklichen Einfall, die Segel mit den Sprüchen des Korans zu umwinden, nicht genug loben. Er sagte, es sei dies das einzige Mittel gewesen, uns zu retten.

Es war noch ziemlich früh am Tage, als wir beim Schiff ankamen. Wir machten uns alle sogleich ans Werk, und in einer Stunde lagen schon vier in dem Nachen. Einige der Sklaven mußten sie ans Land rudern, um sie dort zu verscharren. Sie erzählten, als sie zurückkamen, die Toten haben ihnen die Mühe des Begrabens erspart, indem sie, sowie man sie auf die Erde gelegt habe, in Staub zerfallen seien. Wir fuhren fort, die Toten abzusägen, und bis vor Abend waren alle ans Land gebracht. Es war endlich keiner mehr am Bord als der, welcher am Mast angenagelt war. Umsonst suchten wir den Nagel aus dem Holze zu ziehen; keine Gewalt vermochte ihn auch nur ein Haar breit zu verrücken. Ich wußte nicht, was anzufangen war; man konnte doch nicht den Mastbaum abhauen, um ihn ans Land zu führen. Doch aus dieser Verlegenheit half Muley. Er ließ schnell einen Sklaven ans Land rudern, um einen Topf mit Erde zu bringen. Als dieser herbeigeholt war, sprach der Zauberer geheimnisvolle Worte darüber aus und schüttete die Erde auf das Haupt des Toten. Sogleich schlug dieser die Augen auf, holte tief Atem, und die Wunde des Nagels in seiner Stirne fing an zu bluten. Wir zogen den Nagel jetzt leicht heraus, und der Verwundete fiel einem der Sklaven in die Arme.

"Wer hat mich hierher geführt?" sprach er, nachdem er sich ein wenig erholt zu haben schien. Muley zeigte auf mich, und ich trat zu ihm. "Dank dir, unbekannter Fremdling, du hast



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mich von langen Qualen errettet. Seit fünfzig Jahren schifft mein Leib durch diese Wogen, und mein Geist war verdammt, jede Nacht in ihn zurückzukehren. Aber jetzt hat mein Haupt die Erde berührt, und ich kann versöhnt zu meinen Vätern gehen." Ich bat ihn, uns doch zu sagen, wie er zu diesem schrecklichen Zustand gekommen sei, und er sprach: "Vor fünfzig Jahren war ich ein mächtiger, angesehener Mann und wohnte in Algier; die Sucht nach Gewinn trieb mich, ein Schiff auszurüsten und Seeraub zu treiben. Ich hatte dieses Geschäft schon einige Zeit fortgeführt; da nahm ich einmal auf Zante einen Derwisch an Bord, der umsonst reisen wollte. Ich und meine Gesellen waren rohe Leute und achteten nicht auf die Heiligkeit des Mannes ; vielmehr trieb ich mein Gespött mit ihm. Als er aber einst in heiligem Eifer mir meinen sündigen Lebenswandel verwiesen hatte, übermannte mich nachts in meiner Kajüte, als ich mit meinem Steuermann viel getrunken hatte, der Zorn. Wütend über das, was mir ein Derwisch gesagt hatte und was ich mir von keinem Sultan hätte sagen lassen, stürzte ich aufs Verdeck und stieß ihm meinen Dolch in die Brust. Sterbend verwünschte er mich und meine Mannschaft, nicht sterben und nicht leben zu können, bis wir unser Haupt auf die Erde legen. Der Derwisch starb, und wir warfen ihn in die See und verlachten seine Drohungen. Aber noch in derselben Nacht erfüllten sich seine Worte. Ein Teil meiner Mannschaft empörte sich gegen mich. Mit fürchterlicher Wut wurde gestritten, bis meine Anhänger unterlagen und ich an den Mast genagelt wurde. Aber auch die Empörer unterlagen ihren Wunden, und bald war mein Schiff nur ein großes Grab. Auch mir brachen die Augen, mein Atem hielt an, und ich meinte zu sterben. Aber es war nur eine Erstarrung, die mich gefesselt hielt; in der nächsten Nacht, zur nämlichen Stunde, da wir den Derwisch in die See geworfen, erwachte ich und alle meine Genossen; das Leben war zurückgekehrt; aber wir konnten nichts tun und sprechen, als was wir in jener Nacht gesprochen und getan hatten. So segeln wir seit fünfzig Jahren, können nicht leben und nicht sterben ; denn wie konnten wir das Land erreichen? Mit toller Freude segelten wir allemal mit vollen Segeln in den Sturm, weil wir hofften, endlich an einer Klippe zu zerschellen und das müde Haupt auf dem Grund des Meeres zur Ruhe zu legen. Es ist uns nicht gelungen. Jetzt aber werde ich sterben. Noch einmal meinen Dank, unbekannter Retter ! Wenn Schätze dich lohnen können, so nimm mein Schiff als Zeichen meiner Dankbarkeit!"


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Der Kapitano ließ sein Haupt sinken, als er so gesprochen hatte, und verschied. Sogleich zerfiel er auch, wie seine Gefährten, in Staub. Wir sammelten diesen in ein Kästchen und begruben ihn am Lande; aus der Stadt nahm ich aber Arbeiter, die mir mein Schiff in guten Zustand setzten. Nachdem ich die Waren, die ich an Jard hatte, gegen andere mit großem Gewinn eingetauscht hatte, mietete ich Matrosen, beschenkte meinen Freund Muley reichlich und schiffte mich nach meinem Vaterlande ein. Ich machte aber einen Umweg, indem ich an vielen Inseln und Ländern landete und meine Waren zu Markt brachte. Der Prophet segnete mein Unternehmen. Nach dreiviertel Jahren lief ich, noch einmal so reich, als mich der sterbende Kapitän gemacht hatte, in Balsora ein. Meine Mitbürger waren erstaunt über meine Reichtümer und mein Glück und glaubten nicht anders, als ich habe das Diamantental des berühmten Reisenden Sindbad gefunden. Ich ließ sie auf ihrem Glauben; von nun an aber mußten die jungen Leute von Balsora, wenn sie kaum achtzehn Jahre alt waren, in die Welt hinaus, um gleich mir ihr Glück zu machen. Ich aber lebte ruhig und in Frieden, und alle fünf Jahre mache ich eine Reise nach Mekka, um dem Herrn an heiliger Stätte für seinen Segen zu danken und für den Kapitano und seine Leute zu bitten, daß er sie in sein Paradies aufnehme." —

Die Reise der Karawane war den andern Tag ohne Hindernis fürder gegangen, und als man im Lagerplatz sich erholt hatte, begann Selim, der Fremde, zu Muley, dem jüngsten der Kaufleute, also zu sprechen.

"Ihr seid zwar der Jüngste von uns, doch seid Ihr immer fröhlich und wißt für uns gewiß irgendeinen guten Schwank. Tischet ihn auf, daß er uns erquicke nach der Hitze des Tages !" Wohl möchte ich euch etwas erzählen," antwortete Muley, das euch Spaß machen könnte; doch der Jugend ziemt Bescheidenheit in allen Dingen, darum müssen meine älteren Reisegefährten den Vorrang haben. Zaleukos ist immer so ernst und verschlossen; sollte er uns nicht erzählen, was sein Leben so ernst machte? Vielleicht, daß wir seinen Kummer, wenn er solchen hat, lindern können denn gerne dienen wir dem Bruder, wenn er auch anderes Glaubens ist.

Der Aufgerufene war ein griechischer Kaufmann, ein Mann in mittleren Jahren, schön und kräftig, aber sehr ernst. Ob er gleich ein Ungläubiger (nicht Muselmann) war, so liebten ihn



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doch seine Reisegefährten; denn er hatte ihnen durch sein ganzes Wesen Achtung und Zutrauen eingeflößt. Er hatte übrigens nur eine Hand, und einige seiner Gefährten vermuteten, daß vielleicht dieser Verlust ihn so ernst stimme.

Zaleukos antwortete auf die zutrauliche Frage Muleys "Ich bin sehr geehrt durch euer Zutrauen; Kummer habe ich keinen, wenigstens keinen, von welchem ihr auch mit dem besten Willen mir helfen könntet. Doch weil Muley mir meinen Ernst vorzuwerfen scheint, so will ich euch einiges erzählen, was mich rechtfertigen soll, wenn ich ernster bin als andere Leute. Ihr sehet, daß ich meine linke Hand verloren habe. Sie fehlt mir nicht von Geburt an, sondern ich habe sie in den schrecklichsten Tagen meines Lebens eingebüßt. Ob ich die Schuld davon trage, ob ich unrecht habe, seit jenen Tagen ernster, als es meine Lage mit sich bringt, zu sein, , möget ihr beurteilen, wenn ihr vernommen habt die Geschichte von der abgehauenen Hand."


Die Geschichte von der abgehauenen Hand.

"Ich bin in Konstantinopel geboren; mein Vater war ein Dragoman (Dolmetscher) bei der Pforte (dem türkischen Hof) und trieb nebenbei einen ziemlich einträglichen Handel mit wohlriechenden Essenzen und seidenen Stoffen. Er gab mir eine gute Erziehung, indem er mich teils selbst unterrichtete, teils von einem unserer Priester mir Unterricht geben ließ. Er bestimmte mich anfangs, seinen Laden einmal zu übernehmen; als ich aber größere Fähigkeiten zeigte, als er erwartet hatte, bestimmte er mich auf das Anraten seiner Freunde zum Arzt, weil ein Arzt, wenn er etwas mehr gelernt hat als die gewöhnlichen Marktschreier, in Konstantinopel sein Glück machen kann. Es kamen viele Franken in unser Haus, und einer davon überredete meinen Vater, mich in sein Vaterland, nach der Stadt Paris reisen zu lassen, wo man solche Sachen unentgeltlich und am besten lernen könne; er selbst aber wolle mich, wenn er zurückreise, umsonst mitnehmen. Mein Vater, der in seiner Jugend auch gereist war, schlug ein, und der Franke sagte mir, ich könne mich in drei Monaten bereit halten. Ich war außer mir vor Freude, fremde Länder zu sehen, und konnte den Augenblick nicht erwarten, wo wir uns einschiffen würden. Der Franke hatte endlich seine Geschäfte abgemacht und sich zur Reise bereitet; am Vorabend der Reise führte mich mein Vater in



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sein Schlafkämmerlein. Dort sah ich schöne Kleider und Waffen auf dein Tische liegen. Was meine Blicke aber noch mehr anzog, wan ein großer Haufe Goldes ; denn ich hatte noch nie so viel beieinander gesehen. Mein Vater umarmte mich und sagte: "Siehe, mein Sohn, ich habe dir Kleider zu der Reise besorgt. Jene Waffen sind dein; es sind die nämlichen, die mir dein Großvater umhing, als ich in die Fremde auszog. Ich weiß, du kannst sie führen; gebrauche sie aber nie, als wenn du angegriffen wirst; dann aber schlage auch tüchtig drauf! Mein Vermögen ist nicht groß; siehe, ich habe es in drei Teile geteilt, einer davon ist dein, einer davon sei mein Unterhalt und Notpfennig, der dritte aber sei mir ein heiliges, unantastbares Gut, er diene dir in der Stunde der Not!" So sprach mein altre Vater, und Tränen hingen ihm im Auge, vielleicht aus Ahnung; denn ich habe ihn nie wiedergesehen.

Die Reise ging gut von statten; wir waren bald im Lande der Franken angelangt, und sechs Tagreisen nachher kamen wir in die große Stadt Paris. Hier mietete mir mein fränkischer Freund ein Zimmer und riet mir, mein Geld, das in allem zweitausend Taler betrug, vorsichtig anzuwenden. Ich lebte drei Jahre in dieser Stadt und lernte, was ein tüchtiger Arzt wissen muß; ich müßte aber lügen, wenn ich sagte, daß ich gerne dort gewesen sei; denn die Sitten dieses Volkes gefielen mir nicht; auch hatte ich nur wenige gute Freunde dort, diese aber waren edle, junge Männer.

Die Sehnsucht nach der Heimat wurde endlich mächtig in mir ; in der ganzen Zeit hatte ich nichts von meinem Vater gehört, und ich ergriff daher eine günstige Gelegenheit, nach Hause zu kommen.

Es ging nämlich eine Gesandtschaft aus Frankenland nach der Hohen Pforte. Ich verdang mich als Wundarzt in das Gefolge des Gesandten und kam glücklich wieder nach Stambul. Das Haus meines Vaters aber fand ich verschlossen, und die Nachbarn staunten, als sie mich sahen, und sagten mir, mein Vater sei vor zwei Monaten gestorben. Jener Priester, der mich in meiner Jugend unterrichtet hatte, brachte mir den Schlüssel; allein und verlassen zog ich in das verödete Haus ein. Ich fand noch alles, wie es mein Vater verlassen hatte; nur das Gold, das er mir zu hinterlassen versprach, fehlte. Ich fragte den Priester darüber, und dieser verneigte sich und sprach: Euer Vater ist als ein heiliger Mann gestorben; denn er hat sein Gold der Kirche vermacht." Dies war und blieb mir unbegreiflich; doch, was wollte ich machen? Ich hatte keine Zeugen



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gegen den Priester und mußte froh sein, dast er nicht auch da Haus und die Waren meines Vaters als Vermächtnis angesehen hatte. Dies war das erste Unglück, das mich traf. Von jetzt an aber kam es Schlag auf Schlag. Mein Ruf als Arzt wollte sich gar nicht ausbreiten, weil ich mich schämte, den Marktschreier zu machen, und überall fehlte mir die Empfehlung meines Vaters, der mich bei den Reichsten und Vornehmsten eingeführt hätte, die jetzt nicht mehr an den armen Zaleukos dachten. Auch die Waren meines Vaters fanden keinen Abgang; denn die Kunden hatten sich nach seinem Tode verlaufen, und neue bekommt man nur langsam. Als ich einst trostlos über meine Lage nachdachte, fiel mir ein, daß ich oft in Franken Männer meines Volkes gesehen hatte, die das Land durchzogen und ihre Waren auf den Märkten der Städte auslegten; ich erinnerte mich, daß man ihnen gerne abkaufte, weil sie aus der Fremde kamen, und daß man bei solchem Handel das Hundertfache erwerben könne. Sogleich war auch mein Entschluß gefaßt. Ich verkaufte mein väterliches Haus, gab einen Teil des gelösten Geldes einem bewährten Freunde zum Aufbewahren, von dem übrigen aber kaufte ich, was man in Franken selten hat, als Schals, seidene Zeuge, Salben und Öle, mietete einen Platz auf einem Schiff und trat so meine zweite Reise nach Franken an. Es schien, als ob das Glück, sobald ich die Schlösser der Dardanellen im Rücken hatte, mir wieder günstig geworden wäre. Unsere Fahrt war kurz und glücklich. Ich durchzog die großen und kleinen Städte der Franken und fand überall willige Käufer meiner Waren. Mein Freund in Stambul sandte mir immer wieder frische Vorräte, und ich wurde von Tag zu Tag wohlhabender. Als ich endlich so viel erspart hatte, daß ich glaubte, ein größeres Unternehmen wagen zu können, zog ich mit meinen Waren nach Italien. Etwas muß ich aber noch gestehen, was mir auch nicht wenig Geld einbrachte: ich nahm auch meine Arzneikunst zu Hilfe. Wenn ich in eine Stadt kam, ließ ich durch Zettel verkünden, daß ein griechischer Arzt da sei, der schon viele geheilt habe; und wahrlich, mein Balsam und meine Arzneien haben mir manche Zechine eingebracht. So war ich endlich nach der Stadt Florenz in Italien gekommen . Ich nahm mir vor, längere Zeit in dieser Stadt zu bleiben, teils weil sie mir so wohl gefiel, teils auch, weil ich mich von den Strapazen meines Umherziehens erholen wollte. Ich mietete mir ein Gewölbe in dem Stadtviertel St. Croce und nicht weit davon ein paar schöne Zimmer, die auf einen Altan führten, in einem Wirtshaus. Sogleich ließ ich auch


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meine Zettel umhertragen, die mich als Arzt und Kaufmann ankündigten. Ich hatte kaum mein Gewölbe eröffnet, so strömten auch die Käufer herzu, und ob ich gleich ein wenig hohe Preise hatte, so verkaufte ich doch mehr als andere, weil ich gefällig und freundlich gegen meine Kunden war. Ich hatte schon vier Tage vergnügt in Florenz verlebt, als ich eines Abends, da ich schon mein Gewölbe schließen und um die Vorräte in meinen Salbenbüchsen nach meiner Gewohnheit noch einmal mustern wollte, in einer kleinen Büchse einen Zettel fand, den ich mich nicht erinnerte, hineingetan zu haben. Ich öffnete den Zettel und fand darin eine Einladung, diese Nacht Punkt zwölf Uhr auf der Brücke, die man Sante vecchio heißt, mich einzufinden. Ich sann lange darüber nach, wer es wohl sein könnte, der mich dorthin einlud ; da ich aber keine Seele in Florenz kannte, dachte ich, man werde mich vielleicht heimlich zu irgendeinem Kranken führen wollen, was schon öfter geschehen war. Ich beschloß also hinzugehen; doch hing ich zur Vorsicht den Säbel um, den mir einst mein Vater geschenkt hatte.

Als es stark gegen Mitternacht ging, machte ich mich auf den Weg und kam bald auf die Sante vecchio. Ich fand die Brücke verlassen und öde und beschloß zu warten, bis er erscheinen würde, der mich rief. Es war eine kalte Nacht; der Mond schien hell, und ich schaute hinab in die Wellen des Arno, die weithin im Mondlicht schimmerten. Auf den Kirchen der Stadt schlug es jetzt zwölf Uhr; ich richtete mich auf, und vor mir stand ein großer Mann, ganz in einen roten Mantel gehüllt , dessen einen Zipfel er vor das Gesicht hielt.

Ich war von Anfang etwas erschrocken, weil er so plötzlich hinter mir stand, faßte mich aber sogleich wieder und sprach: Wenn Ihr mich habt hieher bestellt, so sagt an, was steht zu Eurem Befehl?" Der Rotmantel wandte sich um und sagte langsam: "Folge!" Da ward mir's doch etwas unheimlich zumut, mit diesem Unbekannten allein zu gehen; ich blieb stehen und sprach : Nicht also, lieber Herr, wollet mir vorerst sagen, wohin; auch könnet Ihr mir Euer Gesicht ein wenig zeigen, daß ich sehe, ob Ihr Gutes mit mir vorhabt." Der Rote aber schien sich nicht darum zu kümmern. "Wenn du nicht willst, Zaleukos, so bleibe !" antwortete er und ging weiter. Da entbrannte mein Zorn. Meinet Ihr," rief ich aus, " ein Mann wie ich lasse sich von jedem Narren foppen, und ich werde in dieser kalten Nacht umsonst gewartet haben?" In drei Sprüngen hatte ich ihn erreicht, packte ihn an seinem Mantel und schrie noch lauter, indem



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ich die andere Hand an den Säbel legte; aber der Mantel blieb mir in der Hand, und der Unbekannte war um die nächste Ecke verschwunden. Mein Zorn legte sich nach und nach; ich hatte doch den Mantel, und dieser sollte mir schon den Schlüssel zu diesem wunderlichen Abenteuer geben. Ich hing ihn um und ging meinen Weg weiter nach Hause. Als ich kaum noch hundert Schritte davon entfernt war, streifte jemand dicht an mir vorüber und flüsterte in fränkischer Sprache. "Nehmt Euch in acht, Graf, heute nacht ist nichts zu machen." Ehe ich mich aber umsehen konnte, war dieser Jemand schon vorbei, und ich sah nur noch einen Schatten an den Häusern hinschweben. Daß dieser Zuruf den Mantel und nicht mich anging, sah ich ein; doch gab er mir kein Licht über die Sache. Am andern Morges überlegte ich, was zu tun sei. Ich war von Anfang gesonnen, den Mantel ausrufen zu lassen, als hätte ich ihn gefunden; doch da konnte der Unbekannte ihn durch einen Dritten holen lassen, und ich hätte dann keinen Aufschluß über die Sache gehabt. Ich besah, indem ich so nachdachte, den Mantel näher. Er war von schwerem genuesischen Samt, Purpurrot, mit astrachanischem Pelz verbrämt und reich mit Gold gestickt. Der prachtvolle Anblick des Mantels brachte mich auf einen Gedanken, den ich auszuführen beschloß. — Ich trug ihn in mein Gewölbe und legte ihn zum Verkauf aus, setzte aber auf ihn einen so hohen Preis, daß ich gewiß war, keinen Käufer zu finden. Mein Zweck dabei war, jeden, der nach dem Pelz fragen würde, scharf ins Auge zu fassen; denn die Gestalt des Unbekannten, die sich mir nach Verlust des Mantels, wenn auch nur flüchtig, doch bestimmt zeigte, wollte ich aus Tausenden erkennen. Es fanden sich viele Kauflustige zu dem Mantel, dessen außerordentliche Schönheit alle Augen auf sich zog ; aber keiner glich entfernt dem Unbekannten , keiner wollte den hohen Preis von zweihundert Zechinen dafür bezahlen. Auffallend war mir dabei, daß, wenn ich einen oder den andern fragte, ob denn sonst kein solcher Mantel in Florenz sei, alle mit "Nein!" antworteten und versicherten, eine so kostbare und geschmackvolle Arbeit nie gesehen zu haben.

Es wollte schon Abend werden, da kam endlich ein junger Mann, der schon oft bei mir gewesen war und auch heute viel auf den Mantel geboten hatte, warf einen Beutel mit Zechinen auf den Tisch und rief: "Bei Gott ! Zaleukos, ich muß deinen Mantel haben, und sollte ich zum Bettler darüber werden." Zugleich begann er, seine Goldstücke aufzuzählen. Ich kam in große Not ; ich hatte den Mantel nur ausgehängt, um vielleicht die Blicke meines Unbekannten darauf zu ziehen, und jetzt kam



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ein junger Tor, um den ungeheuren Preis zu zahlen. Doch was blieb mir übrig? Ich gab nach; denn es tat mir auf der andern Seite der Gedanke wohl, für mein nächtliches Abenteuer so schön entschädigt zu werden. Der Jüngling hing sich den Mantel um und ging; er kehrte aber auf der Schwelle wieder um, indem er ein Papier, das am Mantel befestigt war, losmachte , mir zuwarf und sagte: "Hier, Zaleukos, hängt etwas, das wohl nicht zu dem Mantel gehört." Gleichgültig nahm ich den Zettel; aber siehe da, dort stand geschrieben: "Bringe heute nacht um die bewußte Stunde den Mantel auf die Sante vecchio, vierhundert Zechinen warten deiner !" Ich stand wie niedergedonnert. So hatte ich also mein Glück selbst verscherzt und meinen Zweck gänzlich verfehlt! Doch ich besann mich nicht lange, raffte die zweihundert Zechinen zusammen, sprang dem, der den Mantel gekauft hatte, nach und sprach: "Nehmt Eure Zechinen wieder, guter Freund, und laßt mir den Mantel, ich kann ihn unmöglich hergeben." Dieser hielt die Sache von Anfang für Spaß; als er aber merkte, daß es Ernst war, geriet er in Zorn über meine Forderung, schalt mich einen Narren, und so kam es endlich zu Schlägen. Doch ich war so glücklich, im Handgemeng ihm den Mantel zu entreißen, und wollte schon mit davon eilen, als der junge Mann die Polizei zu Hilfe rief und mich mit sich vor Gericht zog. Der Richter war sehr erstaunt über die Anklage und sprach meinem Gegner den Mantel zu. Ich aber bot dem Jünglinge zwanzig, fünfzig, achtzig, ja hundert Zechinen über seine zweihundert, wenn er mir den Mantel ließe. Was meine Bitten nicht vermochten, bewirkte mein Gold. Er nahm meine guten Zechinen, ich aber zog mit dem Mantel triumphierend ab und mußte mir gefallen lassen, daß man mich in ganz Florenz für einen Wahnsinnigen hielt. Doch die Meinung der Leute war mir gleichgültig; ich wußte es ja besser als sie, daß ich an dem Handel noch gewann.

Mit Ungeduld erwartete ich die Nacht. Um dieselbe Zeit wie gestern ging ich, den Mantel unter dem Arm, auf die Sante vecchio. Mit dem letzten Glockenschlag kam die Gestalt aus der Nacht heraus auf mich zu. Es war unverkennbar der Mann von gestern. "Hast du den Mantel?" wurde ich gefragt. "Ja, Herr," antwortete ich, " aber er kostete mich bar hundert Zechinen." Ich weiß es," entgegnete jener. "Schau auf, hier sind vierhundert ." Er trat mit mir an das breite Geländer der Brücke und zählte die Goldstücke hin. Vierhundert waren es ; prächtig blitzten sie im Mondschein, ihr Glanz erfreute mein Herz, ach ! es ahnete nicht, daß es seine letzte Freude sein werde. Ich steckte



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mein Geld in die Tasche und wollte mir nun auch den gütigen Unbekannten recht betrachten; aber er hatte eine Larve vor dem Gesicht, aus der mich dunkle Augen furchtbar anblitzten. "Ich danke Euch, Herr, für Eure Güte," sprach ich zu ihm, " was Verlangt Ihr jetzt von mir? Das sage ich Euch aber vorher, daß es nichts Unrechtes sein darf." "Unnötige Sorge," antwortete er, indem er den Mantel um die Schultern legte; "ich bedarf Eurer Hilfe als Arzt; doch nicht für einen Lebenden, sondern für einen Toten."

"Wie kann das sein?" rief ich voll Verwunderung.

"Ich kam mit meiner Schwester aus fernen Landen," erzählte er und winkte mir zugleich, ihm zu folgen. "Ich wohnte hier mit ihr bei einem Freund meines Hauses. Meine Schwester starb gestern schnell an einer Krankheit, und die Verwandten wollen sie morgen begraben. Nach einer alten Sitte unserer Familie aber sollen alle in der Gruft der Väter ruhen; viele, die in fremden Landen starben, ruhen dennoch dort einbalsamiert. Meinen Verwandten gönne ich nun ihren Körper; meinem Vater aber muß ich wenigstens den Kopf seiner Tochter bringen, damit er sie noch einmal sehe." Diese Sitte, die Köpfe geliebter Anverwandten abzuschneiden, kam mir zwar etwas schrecklich vor ; doch wagte ich nichts dagegen einzuwenden aus Furcht, den Unbekannten zu beleidigen. Ich sagte ihm daher, daß ich mit dem Einbalsamieren der Toten wohl umgehen könne, und bat ihn, mich zu der Verstorbenen zu führen. Doch konnte ich mich nicht enthalten zu fragen, warum denn dies alles so geheimnisvoll und in der Nacht geschehen müsse. Er antwortete mir, daß seine Verwandten, die seine Absicht für grausam halten, bei Tage ihn abhalten würden; sei aber nur erst einmal der Kopf abgenommen, so könnten sie wenig mehr darüber sagen; er hätte mir zwar den Kopf bringen können; aber ein natürliches Gefühl halte ihn ab, ihn selbst abzunehmen.

Wir waren indes bis an ein großes, prachtvolles Haus gekommen . Mein Begleiter zeigte es mir als das Ziel unseres nächtlichen Spazierganges. Wir gingen an dem Haupttor des Hauses vorbei, traten in eine kleine Pforte, die der Unbekannte sorgfältig hinter sich zumachte, und stiegen nun im Finstern eine enge Wendeltreppe hinan. Sie führte in einen spärlich erleuchteten Gang, aus welchem wir in ein Zimmer gelangten, das eine Lampe, die an der Decke befestigt war, erleuchtete.

In diesem Gemach stand ein Bett, in welchem der Leichnam lag. Der Unbekannte wandte sein Gesickert ab und schien Tränen verbergen zu wollen. Er deutete nach dem Bett, befahl mir, mein



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Geschäft gut und schnell zu verrichten, und ging wieder zur Türe hinaus.

Ich packte meine Messer, die ich als Arzt immer bei mir führte, aus und näherte mich dem Bett. Nur der Kopf war von der Leiche sichtbar; aber dieser war so schön, daß mich unwillkürlich das innigste Mitleiden ergriff. In langen Flechten hing das dunkle Haar herab, das Gesicht war bleich, die Augen geschlossen. Ich machte zuerst einen Einschnitt in die Haut, nach der Weise der Ärzte, wenn sie ein Glied abschneiden. Sodann nahm ich mein schärfstes Messer und schnitt mit einem Zug die Kehle durch. Aber welcher Schrecken! Die Tote schlug die Augen auf, schloß sie aber gleich wieder, und in einem tiefen Seufzer schien sie jetzt erst ihr Leben auszuhauchen. Zugleich schoß mir ein Strahl heißen Blutes aus der Wunde entgegen. Ich überzeugte mich, daß ich erst die Arme getötet hatte; denn daß sie tot sei, war kein Zweifel, da es von dieser Wunde keine Rettung gab. Ich stand einige Minuten in banger Beklommenheit über das, was geschehen war. Hatte der Rotmantel mich betrogen, oder war die Schwester vielleicht nur scheintot gewesen? Das letztere schien mir wahrscheinlicher. Aber ich durfte dem Bruder der Verstorbenen nicht sagen, daß vielleicht ein weniger rascher Schnitt sie erweckt hätte, ohne sie zu töten, darum wollte ich den Kopf vollends ablösen; aber noch einmal stöhnte die Sterbende, streckt sich in schmerzhafter Bewegung aus und starb. Da übermannte mich der Schrecken, und ich stürzte schaudernd aus dem Gemach. Aber draußen im Gang war es finster; denn die Lampe war verlöscht. Keine Spur von meinem Begleiter war zu entdecken, und ich mußte aufs ungefähr mich im Finstern an der Wand fortbewegen, um an die Wendeltreppe zu gelangen. Ich fand sie endlich und kam halb fallend, halb gleitend hinab. Auch unten war kein Mensch. Die Türe fand ich nur angelehnt, und ich atmete freier, als ich auf der Straße war ; denn in dem Hause war mir ganz unheimlich geworden. Von Schrecken gespornt, rannte ich in meine Wohnung und begrub mich in die Polster meines Lagers, um das Schreckliche zu vergessen, das ich getan hatte. Aber der Schlaf floh mich, und erst der Morgen ermahnte mich wieder, mich zu fassen. Es war mir wahrscheinlich, daß der Mann, der mich zu dieser verruchten Tat, wie sie mir jetzt erschien, verführt hatte, mich nicht angeben würde. Ich entschloß mich, gleich in mein Gewölbe an mein Geschäft zu gehen und womöglich eine sorglose Miene anzunehmen. Aber ach ! Ein neuer Umstand, den ich jetzt erst bemerkte, vermehrte noch meinen Kummer. Meine Mütze und mein Gürtel wie auch



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meine Messer fehlten mir, und ich war ungewiß, ob ich sie in dem Zimmer der Getöteten gelassen oder erst auf meiner Flucht verloren hatte. Leider schien das erste wahrscheinlicher, und man konnte mich also als Mörder entdecken.

Ich öffnete zur gewöhnlichen Zeit mein Gewölbe. Mein Nachbar trat zu mir her, wie er alle Morgen zu tun pflegte, denn er war ein gesprächiger Mann. "Ei, was sagt Ihr zu der schrecklichen Geschichte," hub er an, "die heute nacht vorgefallen ist?" Ich tat, als ob ich nichts wüßte. "Wie, solltet Ihr nicht wissen, von was die ganze Stadt erfüllt ist? Nicht wissen, daß die schönste Blume von Florenz, Bianka, die Tochter des Gouverneurs, in dieser Nacht ermordet wurde? Ach ! ich sah sie gestern noch so heiter durch die Straßen fahren mit ihrem Bräutigam, denn heute hätten sie Hochzeit gehabt." Jedes Wort des Nachbars war mir ein Stich ins Herz. Und wie oft kehrte meine Marter wieder; denn jeder meiner Kunden erzählte mir die Geschichte , immer einer schrecklicher als der andere, und doch konnte keiner so Schreckliches sagen, als ich selbst gesehen hatte. Um Mittag ungefähr trat ein Mann vom Gericht in mein Gewölbe und bat mich, die Leute zu entfernen. "Signore Zaleukos," sprach er, indem er die Sachen, die ich vermißt, hervorzog, " gehören diese Sachen Euch zu?" Ich besann mich, ob ich sie nicht gänzlich ableugnen sollte; aber als ich durch die halbgeöffnete Tür meinen Wirt und mehrere Bekannte, die wohl gegen mich zeugen konnten, erblickte, beschloß ich, die Sache nicht noch durch eine Lüge zu verschlimmern. und bekannte mich zu den vorgezeigten Dingen. Der Gerichtsmann bat mich, ihm zu folgen, und führte mich in ein großes Gebäude, das ich bald für das Gefängnis erkannte. Dort wies er mir bis auf weiteres ein Gemach an.

Meine Lage war schrecklich, als ich so in der Einsamkeit darüber nachdachte. Der Gedanke, gemordet zu haben, wenn auch ohne Willen, kehrte immer wieder. Auch konnte ich mir nicht verhehlen, daß der Glanz des Goldes meine Sinne befangen gehalten hatte; sonst hätte ich nicht so blindlings in die Falle gehen können. Zwei Stunden nach meiner Verhaftung wurde ich aus meinem Gemach geführt. Mehrere Treppen ging es hinab, dann kam man in einen großen Saal. Um einen langen , schwarzbehängten Tisch saßen dort zwölf Männer, meistens Greise. An den Seiten des Saales zogen sich Bänke herab, angefüllt mit den Vornehmsten von Florenz; auf den Galerien, die in der Höhe angebracht waren, standen dicht gedrängt die Zuschauer. Als ich bis vor den schwarzen Tisch getreten jaar,



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erhob sich ein Mann mit finsterer, trauriger Miene; es war der Gouverneur. Er sprach zu den Versammelten, daß er als Vater in dieser Sache nicht richten könne und daß er seine Stelle für diesmal an den ältesten der Senatoren abtrete. Der älteste der Senatoren war ein Greis von wenigstens neunzig Jahren. Er stand gebückt, und seine Schläfe waren mit dünnem, weißem Haar umhängt; aber feurig brannten noch seine Augen, und seine Stimme war stark und sicher. Er hub an, mich zu fragen, ob ich den Mord gestehe. Ich bat ihn um Gehör und erzählte unerschrocken und mit vernehmlicher Stimme, was ich getan hatte und was ich wußte. Ich bemerkte, daß der Gouverneur während meiner Erzählung bald blaß, bald rot wurde, und als ich geschlossen, fuhr er wütend auf: "Wie, Elender !" rief er mir zu, "so willst du ein Verbrechen, das du aus Habgier begangen, noch einem andern aufbürden?" Der Senator verwies ihm seine Unterbrechung, da er sich freiwillig seines Rechtes begeben habe; auch sei es gar nicht so erwiesen, daß ich aus Habgier gefrevelt; denn nach seiner eigenen Aussage sei ja der Getöteten nichts gestohlen worden. Ja, er ging noch weiter; er erklärte dem Gouverneur, daß er über das frühere Leben seiner Tochter Rechenschaft geben müsse; denn nur so könne man schließen, ob ich die Wahrheit gesagt habe oder nicht. Zugleich hob er für heute das Gericht auf, um sich, wie er sagte, aus den Papieren der Verstorbenen, die ihm der Gouverneur übergeben werde, Rat zu holen. Ich wurde wieder in mein Gefängnis zurückgeführt, wo ich einen traurigen Tag verlebte, immer mit dem heißen Wunsch beschäftigt, daß man doch irgendeine Verbindung zwischen der Toten und dem Rotmantel entdecken möchte. Voll Hoffnung trat ich den andern Tag in den Gerichtssaal. Es lagen mehrere Briefe auf dem Tisch. Der alte Senator fragte mich, ob sie meine Handschrift seien. Ich sah sie an und fand, daß sie von derselben Hand sein müßten wie jene beiden Zettel, die ich erhalten. Ich äußerte dies den Senatoren; aber man schien nicht darauf zu achten und antwortete, daß ich beides geschrieben haben könne und müsse; denn der Namenszug unter den Briefen sei unverkennbar ein Z, der Anfangsbuchstabe meines Namens. Die Briefe aber enthielten Drohungen an die Verstorbene und Warnungen vor der Hochzeit, die sie zu vollziehen im Begriff war.

Der Gouverneur schien sonderbare Aufschlüsse in Hinsicht auf meine Person gegeben zu haben; denn man behandelte mich an diesem Tage mißtrauischer und strenger. Ich berief mich zu meiner Rechtfertigung auf meine Papiere, die sich in meinem



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Zimmer finden müssen; aber man sagte mir, man habe nachgesucht und nichts gefunden. So schwand mir am Schlusse dieses Gerichts alle Hoffnung, und als ich am dritten Tag wieder in den Saal geführt wurde, las man mir das Urteil vor, daß ich, eines vorsätzlichen Mordes überwiesen, zum Tode verurteilt sei. Dahin also war es mit mir gekommen. Verlassen von allem, was mir auf Erden noch teuer war, fern von meiner Heimat, sollte ich unschuldig in der Blüte meiner Jahre vom Beile sterben.

Ich saß am Abend dieses schrecklichen Tages, der über mein Schicksal entschieden hatte, in meinem einsamen Kerker; meine Hoffnungen waren dahin, meine Gedanken ernsthaft auf den Tod gerichtet. Da tat sich die Türe meines Gefängnisses auf, und ein Mann trat herein, der mich lange schweigend betrachtete. So finde ich dich wieder, Zaleukos?" sagte er ; ich hatte ihn bei dem matten Schein meiner Lampe nicht erkannt; aber der Klang seiner Stimme erweckte alte Erinnerungen in mir, es war Valetty, einer jener wenigen Freunde, die ich in der Stadt Paris während meiner Studien kannte. Er sagte, daß er zufällig nach Florenz gekommen sei, wo sein Vater als angesehener Mann wohne; er habe von meiner Geschichte gehört und seie gekommen , um mich noch einmal zu sehen und von mir selbst zu erfahren , wie ich mich so schwer habe verschulden können. Ich erzählte ihm die ganze Geschichte. Er schien darüber sehr verwundert und beschwor mich, ihm, meinem einzigen Freunde, alles zu sagen, um nicht mit einer Lüge von hinnen zu gehen. Ich schwor ihm mit dem teuersten Eid, daß ich wahr gesprochen, und daß keine andere Schuld mich drücke, als daß ich, von dem Glanze des Goldes geblendet, das Unwahrscheinliche der Erzählung des Unbekannten nicht erkannt habe. "So hast du Bianka nicht gekannt?" fragte jener. Ich beteuerte ihm, sie nie gesehen zu haben. Valetty erzählte mir nun, daß ein tiefes Geheimnis auf der Tat liege, daß der Gouverneur meine Verurteilung sehr hastig betrieben habe, und es sei nun ein Gerücht unter die Leute gekommen, daß ich Bianka schon längst gekannt und aus Rache über ihre Heirat mit einem andern sie ermordet habe. Ich bemerkte ihm, daß dies alles ganz auf den Rotmantel passe, daß ich aber seine Teilnahme an der Tat mit nichts beweisen könne. Valetty umarmte mich weinend und versprach mir, alles zu tun, um wenigstens mein Leben zu retten. Ich hatte wenig Hoffnung; doch wußte ich, daß Valetty ein weiser und der Gesetze kundiger Mann seie und daß er alles tun werde, mich zu retten. Zwei lange Tage war ich in Ungewißheit: endlich erschien auch Valetty. ".Ich bringe Trost, wenn



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auch einen schmerzlichen. Du wirst leben und frei sein; aber mit Verlust einer Hand." Gerührt dankte ich meinem Freunde für mein Leben. Er sagte mir, daß der Gouverneur unerbittlich gewesen sei, die Sache noch einmal untersuchen zu lassen; daß er aber endlich, um nicht ungerecht zu erscheinen, bewilligt habe, wenn man in den Büchern der florentinischen Geschichte einen ähnlichen Fall finde, so solle meine Strafe sich nach der Strafe, die dort ausgesprochen sei, richten. Er und sein Vater haben nun Tag und Nacht in den alten Büchern gelesen und endlich einen ganz dem meinigen ähnlichen Fall gefunden. Dort laute die Strafe: Es soll ihm die linke Hand abgehauen, seine Güter eingezogen, er selbst auf ewig verbannt werden. So laute jetzt auch meine Strafe, und ich solle mich jetzt bereiten zu der schmerzhaften Stunde, die meiner warte. Ich will euch nicht diese schreckliche Stunde vor das Auge führen, wo ich auf offenem Markt meine Hand auf den Block legte, wo mein eigenes Blut in weiten Bogen mich überströmte!

Valetty nahm mich in sein Haus auf, bis ich genesen war, dann versah er mich edelmütig mit Reisegeld; denn alles, was ich mir so mühsam erworben, war eine Beute des Gerichts geworden. Ich reiste von Florenz nach Sizilien und von da mit dem ersten Schiff, das ich fand, nach Konstantinopel. Meine Hoffnung war auf die Summe gerichtet, die ich meinem Freunde übergeben hatte, auch bat ich ihn, bei ihm wohnen zu dürfen; aber wie erstaunte ich, als dieser mich fragte, warum ich denn nicht mein Haus beziehe! Er sagte mir, daß ein fremder Mann unter meinem Namen ein Haus in dem Quartier der Griechen gekauft habe; derselbe habe auch den Nachbarn gesagt, daß ich bald selbst kommen werde. Ich ging sogleich mit meinem Freunde dahin und wurde von allen meinen alten Bekannten freudig empfangen. Ein alter Kaufmann gab mir einen Brief, den der Mann, der für mich gekauft hatte, hier gelassen habe.

Ich las : "Zaleukos! Zwei Hände stehen bereit, rastlos zu schaffen, daß Du nicht fühlest den Verlust der einen. Das Haus, das Du siehest, und alles, was darin ist, ist Dein, und alle Jahre wird man Dir so viel reichen, daß Du zu den Reichen Deines Volkes gehören wirst. Mögest Du dem vergeben, der unglücklicher ist als Du!" Ich konnte ahnen, Wer es geschrieben, und der Kaufmann sagte mir auf meine Frage, es seie ein Mann gewesen, den er für einen Franken gehalten; er habe einen roten Mantel angehabt. Ich wußte genug, um mir zu gestehen, daß der Unbekannte doch nicht ganz von aller edlen Gesinnung entblößt sein müsse. In meinem neuen Haus fand ich alles aufs



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beste eingerichtet, auch ein Gewölbe mit Waren, schöner als ich sie je gehabt. Zehn Jahre sind seitdem verstrichen; mehr aus alter Gewohnheit, als weil ich es nötig habe, setze ich meine Handelsreisen fort; doch habe ich jenes Land, wo ich so unglücklich wurde, nie mehr gesehen. Jedes Jahr erhielt ich seitdem tausend Goldstücke; aber, wenn es mir auch Freude macht, jenen Unglücklichen edel zu wissen, so kann er mir doch den Kummer meiner Seele nicht abkaufen; denn ewig lebt in mir das grauenvolle Bild der ermordeten Bianka."

Zaleukos, der griechische Kaufmann, hatte seine Geschichte geendigt. Mit großer Teilnahme hatten ihm die übrigen zugehört , besonders der Fremde schien sehr davon ergriffen zu sein; er batte einigemal tief geseufzt, und Muley schien es sogar, als habe er einmal Tränen in den Augen gehabt. Sie besprachen sich noch lange Zeit über diese Geschichte.

"Und haßt Ihr den Unbekannten nicht, der Euch so schnöd' um ein so edles Glied Eures Körpers, der selbst Euer Leben in Gefahr brachte?" fragte der Fremde.

"Wohl gab es in früherer Zeit Stunden," antwortete der Grieche, "in denen mein Herz ihn vor Gott angeklagt, daß er diesen Kummer über mich gebracht und mein Leben vergiftet habe; aber ich fand Trost in dem Glauben meiner Väter, und dieser befiehlt mir, meine Feinde zu lieben ; auch ist er wohl noch unglücklicher als ich."

"Ihr seid ein edler Mann!" rief der Fremde und drückte gerührt dem Griechen die Hand.

Der Anführer der Wache unterbrach sie aber in ihrem Gespräch . Er trat mit besorgter Miene in das Zelt und berichtete, daß man sich nicht der Ruhe überlassen dürfe; denn hier sei die Stelle, wo gewöhnlich die Karawanen angegriffen werden , auch glauben seine Wachen, in der Entfernung mehrere Reiter zu sehen.

Die Kaufleute waren schr bestürzt über diese Nachricht; Selim , der Fremde, aber wunderte sich über ihre Bestürzung und meinte, daß sie so gut geschützt wären, daß sie einen Trupp räuberischer Araber nickst zu fürchten brauchten.

"Ja, Herr!" entgegnete ihm der Anführer der Wache. Wenn es nur solches Gesindel wäre, könnte man sich ohne Sorge zur Ruhe legen; aber seit einiger Zeit zeigt sich der furchtbare Orbasan wieder, und da gilt es, auf seiner Hut zu sein."

Der Fremde fragte, wer denn dieser Orbasan sei, und Achmet, der alte Kaufmann, antwortete ihm : "Es gehen allerlei



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Sagen unter dein Volke über diesen wunderbaren Maun. Die einen halten ihn für ein übermenschliches Wesen, weil er oft mit fünf bis sechs Männern zumal einen Kampf besteht; andere halten ihn für einen tapferen Franken, den das Unglück in diese Gegend verschlagen habe; von allem aber ist nur so viel gewiß, daß er ein verruchter Räuber und Dieb ist."

"Das könnt Ihr aber doch nicht behaupten," entgegnete ihm Lezah, einer der Kaufleute. " Wenn er auch ein Räuber ist, so ist er doch ein edler Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, wie ich Euch erzählen könnte. Er hat seinen ganzen Stamm zu geordneten Menschen gemacht, und so lange er die Wüste durchstreift, darf kein anderer Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den Karawanen; und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet ungefährdet weiter; denn Orbasan ist der Herr der Wüste."

Also sprachen unter sich die Reisenden im Zelte; die Wachen aber, die um den Lagerplatz ausgestellt waren, begannen unruhig zu werden. Ein ziemlich bedeutender Haufe bewaffneter Reiter zeigte sich in der Entfernung einer halben Stunde; sie schienen gerade auf das Lager zuzureiten. Einer der Männer von der Wache ging daher in das Zelt, um zu verkünden, daß sie wahrscheinlich angegriffen würden. Die Kaufleute berieten sich untereinander, was zu tun sei, ob man ihnen entgegengehen oder den Angriff abwarten solle. Achmet und die zwei älteren Kaufleute wollten das letztere; der feurige Muley aber und Zaleukos verlangten das erstere und riefen den Fremden zu ihrem Beistand auf. Dieser zog ruhig ein kleines, blaues Tuch mit roten Sternen aus seinem Gürtel hervor, band es an eine Lanze und befahl einem der Sklaven, es auf das Zelt zu stecken; er setze sein Leben zum Pfand, sagte er, die Reiter werden, wenn sie dieses Zeichen sehen, ruhig vorüberziehen. Muley glaubte nicht an den Erfolg; der Sklave aber steckte die Lanze auf das Zelt. Inzwischen hatten alle, die im Lager waren, zu den Waffen gegriffen und sahen in gespannter Erwartung den Reitern entgegen. Doch diese schienen das Zeichen auf dem Zelte erblickt zu haben; sie beugten plötzlich von ihrer Richtung auf das Lager ab und zogen in einem großen Bogen auf der Seite hin.

Verwundert standen einige Augenblicke die Reisenden und sahen bald auf die Reiter, bald auf den Fremden. Dieser stand ganz gleichgültig, wie wenn nichts vorgefallen wäre, vor dem Zelte und blickte über die Ebene hin. Endlich brach Muley das Stillschweigen. . ,Wer bist du, mächtiger Fremdling," rief er aus,



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"der du die wilden Horden der Wüste durch einen Wink bezähmest?" — "Ihr schlagt meine Kunst höher an, als sie ist," antwortete Selim Baruch. "Ich habe mich mit diesem Zeichen versehen, als ich der Gefangenschaft entfloh; was es zu bedeuten hat. weiß ich selbst nicht; nur so viel weiß ich, daß, wer mit diesem Zeichen reiset, unter mächtigem Schutze steht."

Die Kaufleute dankten dem Fremden und nannten ihn ihren Erretter. Wirklich war auch die Anzahl der Reiter so groß gewesen , daß wohl die Karawane nicht lange hätte Widerstand leisten können.

Mit leichterem Herzen begab man sich jetzt zur Ruhe. und als die Sonne zu sinken begann und der Abendwind über die Sandebene hinstrich, brachen sie auf und zogen weiter.

Am nächsten Tage lagerten sie ungefähr nur noch eine Tagreise von dem Ausgang der Wüste entfernt. Als sich die Reisenden wieder in dem großen Zelt versammelt hatten, nahm Lezah, der Kaufmann, das Wort

"Ich habe euch gestern gesagt, daß der gefürchtete Orbasan ein edler Mann seie; erlaubt mir, daß ich es euch heute durch die Erzählung der Schicksale meines Bruders beweise. — Mein Vater war Kadi in Akara. Er hatte drei Kinder. Ich war der Älteste, ein Bruder und eine Schwester waren bei weitem jünger als ich. Als ich zwanzig Jahre alt war, rief mich ein Bruder meines Vaters zu sich. Er setzte mich zum Erben seiner Güter ein, mit der Bedingung, daß ich bis zu seinem Tode bei ihm bleibe. Aber er erreichte ein hohes Alter, so daß ich erst vor zwei Jahren in meine Heimat zurückkehrte und nichts davon wußte, welch schreckliches Schicksal indes mein Haus betroffen und wie gütig Allah es gewendet hatte."


Die Errettung Fatmes.

"Mein Bruder Mustapha und meine Schwester Fatme waren beinahe in gleichem Alter ; jener hatte höchstens zwei Jahre voraus . Sie liebten einander innig und trugen vereint alles bei, was unserem kränklichen Vater die Last seines Alters erleichtern konnte. An Fatmes sechzehntem Geburtstage veranstaltete der Bruder ein Fest. Er ließ alle ihre Gespielinnen einladen, setzte ihnen in dem Garten des Vaters ausgesuchte Speisen vor. und als es Abend wurde, lud er sie ein, auf einer Barke. die er gemietet und festlich geschmückt hatte, ein wenig hinaus in die See zu fahren. Fatme und ihre Gespielinnen willigten mit Freuden



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ein; denn der Abend war schön, und die Stadt gewährte besonders abends, von dem Meere aus betrachtet, einen herrlichen Anblick . Den Mädchen aber gefiel es so gut auf der Barke, daß sie meinen Bruder bewogen. immer weiter in die See hinauszufahren. Mustapha gab aber ungern nach, weil sich vor einigen Tagen ein Korsar hatte sehen lassen. Nicht weit von der Stadt zieht sich ein Vorgebirge in das Meer. Dorthin wollten noch die Mädchen , um von da die Sonne in das Meer sinken zu sehen. Als sie um das Vorgebirg' herumruderten, sahen sie in geringer Entfernung eine Barke, die mit Bewaffneten besetzt war. Nichts Gutes ahnend, befahl mein Bruder den Ruderern, sein Schiff zu drehen und dem Lande zuzurudern. Wirklich schien sich auch seine Besorgnis zu bestätigen; denn jene Barke kam der meines Bruders schnell nach, überholte sie, da sie mehr Ruder hatte, und hielt sich immer zwischen dem Land und unserer Barke. Die Mädchen aber, als sie die Gefahr erkannten, in der sie schwebten, sprangen auf und schrien und klagten; umsonst suchte sie Mustapha zu beruhigen, umsonst stellte er ihnen vor, ruhig zu bleiben, weil sie durch ihr Hin- und Herrennen die Barke in Gefahr bringen umzuschlagen. Es half nichts, und da sie sich endlich bei Annäherung des andern Bootes alle auf die hintere Seite der Barke stürzten, schlug diese um. Indessen aber hatte man vom Land aus die Bewegungen des fremden Bootes beobachtet, und da man schon seit einiger Zeit Besorgnisse wegen Korsaren hegte, hatte dieses Boot Verdacht erregt, und mehrere Barken stießen vom Lande. um den Unsrigen beizustehen. Aber sie kamen nur noch zu rechter Zeit, um die Untersinkenden aufzunehmen. In der Verwirrung war das feindliche Boot entwischt, auf den beiden Barken aber, welche die Geretteten aufgenommen hatten, war man ungewiß, ob alle gerettet seien. Man näherte sich gegenseitig, und ach! es fand sich, daß meine Schwester und eine ihrer Gespielinnen fehlte; zugleich entdeckte man aber einen Fremden in einer der Barken, den niemand kannte. Auf die Drohungen Mustaphas gestand er. daß er zu dem feindlichen Schiff, das zwei Meilen ostwärts vor Anker liege, gehöre, und daß ihn seine Gefährten auf ihrer eiligen Flucht im Stich gelassen haben, indem er im Begriff gewesen sei, die Mädchen auffischen zu helfen; auch sagte er aus, daß er gesehen habe, wie man zwei derselben in das Schiff gezogen.

Der Schmerz meines alten Vaters War grenzenlos; aber auch Mustapha war bis zum Tod betrübt; denn nicht nur, daß seine geliebte Schwester verloren war und daß er sich anklagte, an ihrem Unglück schuld zu sein, — jene Freundin Fatmes, die ihr



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Unglück teilte, war von ihren Eltern ihm zur Gattin zugesagt gewesen, und nur unserem Vater hatte er es noch nicht zu gestehen gewagt, weil ihre Eltern arm und von geringer Abkunft waren. Mein Vater aber war ein strenger Mann. Als sein Schmerz sich ein wenig gelegt hatte, ließ er Mustapha vor sich kommen und sprach zu ihm: "Deine Torheit hat mir den Trost meines Alters und die Freude meiner Augen geraubt. Gehe hin, ich verbanne dich auf ewig von meinem Angesicht, ich fluche dir und deinen Nachkommen, und nur, wenn du mir Fatme wiederbringst, soll dein Haupt rein sein von dem Fluche des Vaters."

Dies hatte mein armer Bruder nicht erwartet; schon vorher hatte er sich entschlossen gehabt, seine Schwester und ihre Freundin aufzusuchen, und wollte sich nur noch den Segen des Vaters dazu erbitten, und jetzt schickte er ihn, mit dem Fluch beladen, in die Welt. Aber hatte ihn jener Jammer vorher gebeugt, so stählte jetzt die Fülle des Unglücks, das er nicht verdient hatte, seinen Mut.

Er ging zu dem gefangenen Seeräuber und befragte ihn, wohin die Fahrt seines Schiffes ginge, und erfuhr, daß sie Sklavenhandel treiben und gewöhnlich in Balsora großen Markt hielten.

Als er wieder nach Hause kam, um sich zur Reise anzuschicken, schien sich der Zorn des Vaters ein wenig gelegt zu haben; denn er sandte ihm einen Beutel mit Gold zur Unterstützung auf der Reise. Mustapha aber nahm weinend von den Eltern Zoraidens, so hieß seine geraubte Braut, Abschied und machte sich auf den Weg nach Balsora.

Mustapha machte die Reise zu Land, weil von unserer kleinen Stadt aus nicht gerade ein Schiff nach Balsora ging. Er mußte daher sehr starke Tagreisen machen, um nicht zu lange nach den Seeräubern nach Balsora zu kommen; doch da er ein gutes Roß und kein Gepäck hatte, konnte er hoffen, diese Stadt am Ende des sechsten Tages zu erreichen. Aber am Abend des vierten Tages, als er ganz allein seines Weges ritt, fielen ihn plötzlich drei Männer an. Da er merkte, daß sie gut bewaffnet und stark seien und daß es mehr auf sein Geld und sein Roß als auf sein Leben abgesehen war, so rief er ihnen zu, daß er sich ihnen ergeben wolle. Sie stiegen von ihren Pferden ab und banden ihm die Füße unter dem Bauch seines Tieres zusammen; ihn selbst aber nahmen sie in die Mitte und trabten, indem einer den Zügel seines Pferdes ergriff, schnell mit ihm davon, ohne jedoch ein Wort zu sprechen.



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Mustapha gab sich einer dumpfen Verzweiflung hin; der Fluch seines Vaters schien schon jetzt an dem Unglücklichen in Erfüllung zu gehen, und wie konnte er hoffen, seine Schwester und Zoraiden zu retten, wenn er, aller Mittel beraubt, nur sein ärmliches Leben zu ihrer Befreiung aufwenden konnte. Mustapha und seine stummen Begleiter mochten wohl eine Stunde geritten sein, als sie in ein kleines Seitental einbogen. Das Tälchen war von hohen Bäumen eingefaßt; ein weicher dunkelgrüner Rasen, ein Bach, der schnell durch seine Mitte hinrollte, luden zur Ruhe ein. Wirtlich sah er auch fünfzehn bis zwanzig Zelte dort aufgeschlagen ; an den Pflöcken der Zelte waren Kamele und schöne Pferde angebunden, aus einem der Zelte hervor tönte die lustige Weise einer Zither und zweier schöner Männerstimmen. Meinem Bruder schien es, als ob Leute, die ein so fröhliches Lagerplätzchen sich erwählt hatten, nichts Böses gegen ihn im Sinne haben könnten, und er folgte also ohne Bangigkeit dem Ruf seiner Führer, die, als sie seine Bande gelöst hatten, ihm winkten, abzusteigen. Man führte ihn in ein Zelt, das größer als die übrigen und im Innern hübsch, fast zierlich aufgeputzt war. Prächtige, goldgestickte Polster, gewirkte Fußteppiche, übergoldete Rauchpfannen hätten anderswo Reichtum und Wohlleben verraten ; hier schienen sie nur kühner Raub. Auf einem der Polster saß ein alter kleiner Mann; sein Gesicht war häßlich, seine Haut schwarzbraun und glänzend, und ein widriger Zug von tückischer Schlauheit um Augen und Mund machte seinen Anblick verhaßt. Obgleich sich dieser Mann einiges Ansehen zu geben suchte, so merkte doch Mustapha bald, daß nicht für ihn das Zelt so reich geschmückt sei, und die Unterredung seiner Führer schien seine Bemerkung zu bestätigen. ,Wo ist der Starke?" fragten sie den Kleinen. "Er ist auf der kleinen Jagd," antwortete jener; "aber er hat mir aufgetragen, seine Stelle zu versehen." "Das hat er nicht gescheit gemacht," entgegnete einer der Räuber ; "denn es muß sich bald entscheiden, ob dieser Hund sterben oder zahlen soll, und das weiß der Starke besser als du."

Der kleine Mann erhob sich im Gefühl seiner Würde, streckte sich lang aus, um mit der Spitze seiner Hand das Ohr seines Gegners zu erreichen; denn er schien Lust zu haben, sich durch einen Schlag zu rächen; als er aber sah, daß seine Bemühung fruchtlos sei, fing er an zu schimpfen (und wahrlich! die andern blieben ihm nichts schuldig), daß das Zelt von ihrem Streit erdröhnte. Da tat sich auf einmal die Türe des Zeltes auf, und herein trat ein hoher, stattlicher Mann, jung und schön wie ein Perserprinz; seine Kleidung und seine Waffen waren, außer einem



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reichbesetzten Dolch und einem glänzenden Säbel, gering und einfach; aber sein ernstes Auge, sein ganzer Anstand gebot Achtung, ohne Furcht einzuflößen.

"Wer ist's, der es wagt, in meinem Zelte Streit zu beginnen ?" rief er den Erschrockenen zu. Eine Zeitlang herrschte tiefe Stille; endlich erzählte einer von denen, die Mustapha hergebracht hatten, wie es gegangen sei. Da schien sich das Gesicht des Starken" , wie sie ihn nannten, vor Zorn zu röten. "Wann hätte ich dich je an meine Stelle gesetzt, Hassan?" schrie er mit furchtbarer Stimme dem Kleinen zu. Dieser zog sich vor Furcht in sich selbst zusammen, daß er noch viel kleiner aussah als zuvor , und schlich sich der Zelttüre zu. Ein hinlänglicher Tritt des Starken machte, daß er in einem großen sonderbaren Sprung zur Zelttüre hinausflog.

Als der Kleine verschwunden war, führten die drei Männer Mustapha vor den Herrn des Zeltes, der sich indes auf die Polster gelegt hatte. "Hier bringen wir den, welchen du uns zu fangen befohlen hast." Jener blickte den Gefangenen lange an und sprach sodann: "Bassa von Sulieika! Dein eigenes Gewissen wird dir sagen, warum du vor Orbasan stehst." Als mein Bruder dies hörte, warf er sich nieder vor jenem und antwortete: "O Herr! Du scheinst im Irrtum zu sein. Ich bin ein armer Unglücklicher, aber nicht der Bassa, den du suchst!" Alle im Zelt waren über diese Rede erstaunt. Der Herr des Zeltes aber sprach: "Es kann dir wenig helfen, dich zu verstellen; denn ich will dir Leute vorführen, die dich wohl kennen." Er befahl, Zuleima vorzuführen. Man brachte ein altes Weib in das Zelt, das auf die Frage, ob sie in meinem Bruder nicht den Bassa von Sulieika erkenne, antwortete: "Jawohl!" Und sie schwöre es beim Grab des Propheten, es sei der Bassa und kein anderer. "Siehst du, Erbärmlicher, wie deine List zu Wasser geworden ist?" begann zürnend der Starke. "Du bist mir zu elend, als daß ich meinen guten Dolch mit deinem Blut besudeln sollte; aber an den Schweif meines Rosses will ich dich binden, morgen, wenn die Sonne aufgeht, und durch die Wälder mit dir jagen, bis sie scheidet hinter die Hügel von Sulieika !" Da sank meinem armen Bruder der Mut. "Das ist der Fluch meines harten Vaters, der mich zum schmachvollen Tode treibt," rief er weinend, " und auch du bist verloren, süße Schwester, auch du, Zoraide!" . .Deine Verstellung hilft dir nichts," sprach einer der Räuber, indem er ihm die Hände auf den Rücken band, "mach', daß du aus dem Zelte kommst! denn der Starke beißt sich in die Lippen und blickt nach seinem Dolch. Wenn du noch eine Nacht leben willst, so komm!"



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Als die Räuber gerade meinen Bruder aus dem Zelt führen wollten, begegneten sie drei andern, die einen Gefangenen vor sich hintrieben. Sie traten mit ihm ein. "Hier bringen wir den Bassa, wie du uns befohlen hast," sprachen sie und führten den Gefangenen vor das Polster des Starken. Als der Gefangene dorthin geführt wurde, hatte mein Bruder Gelegenheit, ihn zu betrachten, und ihm selbst fiel die Ähnlichkeit auf, die dieser Mann mit ihm hatte; nur war er dunkler im Gesicht und hatte einen schwärzern Bart. Der Starke schien sehr erstaunt über die Erscheinung des zweiten Gefangenen. Wer von euch ist denn der Rechte?" sprach er, indem er bald meinen Bruder, bald den andern Mann ansah. "Wenn du den Bassa von Sulieika meinst," antwortete in stolzem Ton der Gefangene, " der bin ich!" Der Starke sah ihn lange mit seinem ernsten, furchtbaren Blick an; dann winkte er schweigend , den Bassa wegzuführen. Als dies geschehen war, ging er auf meinen Bruder zu, zerschnitt seine Bande mit dem Dolch und winkte ihm, sich zu ihm aufs Polster zu setzen. Es tut mir leid, Fremdling," sagte er, "daß ich dich für jenes Ungeheuer hielt; schreibe es aber einer sonderbaren Fügung des Himmels zu, die dich gerade in der Stunde, welche dem Untergang jenes Verruchten geweiht war, in die Hände meiner Brüder führte." Mein Bruder bat ihn um die einzige Gunst, ihn gleich wieder weiterreisen zu lassen, weil jeder Aufschub ihm verderblich werden könne. Der Starke erkundigte sich nach seinen eiligen Geschäften, und als ihm Mustapha alles erzählt hatte, überredete ihn jener, diese Nacht in seinem Zelt zu bleiben, er und sein Roß werden der Ruhe bedürfen; den folgenden Tag aber wolle er ihm einen Weg zeigen, der ihn in anderthalb Tagen nach Balsora bringe. Mein Bruder schlug ein, wurde trefflich bewirtet und schlief sanft bis zum Morgen in dem Zelt des Räubers.

Als er aufgewacht war, sah er sich ganz allein im Zelt; vor dem Vorhang des Zeltes aber hörte er mehrere Stimmen zusammen sprechen, die dem Herrn des Zeltes und dem kleinen schwarzbraunen Mann anzugehören schienen. Er lauschte ein wenig und hörte zu seinem Schrecken, daß der Kleine dringend den andern aufforderte, den Fremden zu töten, weil er, wenn er freigelassen würde, sie alle verraten könnte.

Mustapha merkte gleich, daß der Kleine ihm gram sei, weil er Ursache war. daß er gestern so übel behandelt wurde; der Starke schien sich einige Augenblicke zu besinnen. "Nein," sprach er, " er ist mein Gastfreund, und das Gastrecht ist mir



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heilig ; auch sieht er mir nicht aus, als ob er uns verraten wollte."

Als er so gesprochen, schlug er den Vorhang zurück und trat ein. "Friede sei mit dir, Mustapha!" sprach er, "laß uns den Morgentrunk kosten, und rüste dich dann zum Aufbruch!" Er reicht meinem Bruder einen Becher Sorbet, und als sie getrunken hatten, zäumten sie die Pferde auf, und wahrlich, mit leichterem Herzen, als er gekommen war, schwang sich Mustapha aufs Pferd. Sie hatten bald die Zelte im Rücken und schlugen dann einen breiten Pfad ein, der in den Wald führte. Der Starke erzählte meinem Bruder, daß jener Bassa, den sie auf der Jagd gefangen hätten, ihnen versprochen habe, sie ungefährdet in seinem Gebiete zu dulden; vor einigen Wochen aber habe er einen ihrer tapfersten Männer aufgefangen und nach den schrecklichsten Martern aufhängen lassen. Er habe ihm nun lange auflauern lassen, und heute noch müsse er sterben. Mustapha wagte es nicht, etwas dagegen einzuwenden; denn er war froh, selbst mit heiler Haut davongekommen zu sein.

Am Ausgang des Waldes hielt der Starke sein Pferd an, beschrieb meinem Bruder den Weg, bot ihm die Hand zum Abschied und sprach: "Mustapha, du bist auf sonderbare Weise der Gastfreund des Räubers Orbasan geworden; ich will dich nicht auffordern, nicht zu verraten, was du gesehen und gehört hast. Du hast ungerechterweise Todesangst ausgestanden, und ich bin dir Vergütung schuldig. Nimm diesen Dolch als Andenken, und so du Hilfe brauchst, so sende ihn mir zu, und ich will eilen, dir beizustehen. Diesen Beutel aber kannst du vielleicht zu deiner Reise brauchen." Mein Bruder dankte ihm für seinen Edelmut; er nahm den Dolch, den Beutel aber schlug er aus. Doch Orbasan drückte ihm noch einmal die Hand, ließ den Beutel auf die Erde fallen und sprengte mit Sturmeseile in den Wald. Als Mustapha sah, daß er ihn doch nicht mehr werde einholen können, stieg er ab, um den Beutel aufzuheben, und erschrak über die Größe von seines Gastfreundes Großmut; denn der Beutel enthielt eine Menge Goldes. Er dankte Allah für seine Rettung, empfahl ihm den edlen Räuber in seine Gnade und zog dann heiteren Mutes weiter auf seinem Wege nach Balsora."

Lezah schwieg und sah Achmet, den alten Kaufmann, fragend an. "Nein, wenn es so ist," sprach dieser, "so verbessere ich gern mein Urteil von Orbasan, denn wahrlich, an deinem Bruder hat er schön gehandelt."



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Er hat getan wie ein braver Muselmann," rief Muley; "aber ich hoffe, du hast deine Geschichte damit nicht geschlossen; denn wie mich bedünkt, sind wir alle begierig, weiter zu hören, wie es deinem Bruder erging und ob er Fatme, deine Schwester, und die schöne Zoraide befreit hat."

"Wenn ich euch nicht damit langweile, erzähle ich gerne weiter," entgegnete Lezah; " denn die Geschichte meines Bruders ist allerdings abenteuerlich und wundervoll."

Am Mittag des siebenten Tages nach seiner Abreise zog Mustapha in die Tore von Balsora ein. Sobald er in einer Karawanserei abgestiegen war, fragte er, wann der Sklavenmarkt , der alljährlich hier gehalten werde, anfange. Aber er erhielt die Schreckensantwort, daß er zwei Tage zu spät komme. Man bedauerte seine Verspätung und erzählte ihm, daß er viel verloren habe; denn noch an dem letzten Tage des Marktes seien zwei Sklavinnen angekommen, von so hoher Schönheit, daß sie die Augen aller Käufer auf sich gezogen hätten. Man habe sich ordentlich um sie gerissen und geschlagen, und sie seien freilich auch zu einem so hohen Preise verkauft worden, daß ihn nur ihr jetziger Herr nicht habe scheuen können. Er erkundigte sich näher nach diesen beiden, und es blieb ihm kein Zweifel, daß es die Unglücklichen seien, die er suche. Auch erfuhr er, daß der Mann, der sie beide gekauft habe, vierzig Stunden von Balsora wohne und Thiuli-Ros heiße, ein vornehmer , reicher, aber schon ältlicher Mann, der früher Kapudan-Bassa des Großherrn gewesen, jetzt aber sich mit seinen gesammelten Reichtümern zur Ruhe gesetzt habe.

Mustapha wollte von Anfang sich gleich wieder zu Pferd setzen, um dem Thiuli-Ros, der kaum einen Tag Vorsprung haben konnte, nachzueilen. Als er aber bedachte, daß er als einzelner Mann dem mächtigen Reisenden doch nichts anhaben, noch weniger seine Beute ihm abjagen konnte, sann er auf einen andern Plan und hatte ihn auch bald gefunden. Die Verwechslung mit dem Bassa von Sulieika, die ihm beinahe so gefährlich geworden wäre, brachte ihn auf den Gedanken, unter diesem Namen in das Haus des Thiuli-Ros zu gehen und so einen Versuch zur Rettung der beiden unglücklichen Mädchen zu wagen. Er mietete daher einige Diener und Pferde, wobei ihm Orbasans Geld trefflich zu statten kam, schaffte sich und seinen Dienern prächtige Kleider an und machte sich auf den Weg nach dem Schlosse Thiulis. Nach fünf Tagen war er in die Nähe dieses Schlosses gekommen. Es lag in einer schönen Ebene und war rings von hohen Mauern umschlossen,



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die nur ganz wenig von den Gebäuden überragt wurden. Als Mustapha dort angekommen war, färbte er Haar und Bart schwarz, sein Gesicht aber bestrich er mit dem Saft einer Pflanze, die ihm eine bräunliche Farbe gab, ganz wie sie jener Bassa gehabt hatte. Er schickte hierauf einen seiner Diener in das Schloß und ließ im Namen des Bassa von Sulieika um ein Nachtlager bitten. Der Diener kam bald wieder, und mit ihm vier schöngekleidete Sklaven, die Mustaphas Pferd am Zügel nahmen und in den Schloßhof führten. Dort halfen sie ihm selbst vom Pferd, und vier andere geleiteten ihn eine breite Marmortreppe hinauf zu Thiuli.

Dieser, ein alter, lustiger Geselle, empfing meinen Bruder ehrerbietig und ließ ihm das Beste, was sein Koch zubereiten konnte, aufsetzen. Nach Tisch brachte Mustapha das Gespräch nach und nach auf die neuen Sklavinnen, und Thiuli rühmte ihre Schönheit und beklagte nur, daß sie immer so traurig seien; doch er glaubte, dieses würde sich bald geben. Mein Bruder war sehr vergnügt über diesen Empfang und legte sich mit den schönsten Hoffnungen zur Ruhe nieder.

Er mochte ungefähr eine Stunde geschlafen haben, da weckte ihn der Schein einer Lampe, der blendend auf sein Auge fiel. Als er sich aufrichtete, glaubte er noch zu träumen; denn vor ihm stand jener kleine schwarzbraune Kerl aus Orbasans Zelt, eine Lampe in der Hand, sein breites Maul zu einem widrigen Lächeln verzogen. Mustapha zwickte sich in den Arm, zupfte sich an der Nase, um sich zu überzeugen, ob er denn wache; aber die Erscheinung blieb wie zuvor. " Was willst du an meinem Bette?" rief Mustapha, als er sich von seinem Erstaunen erholt hatte. "Bemühet Euch doch nicht so, Herr!" sprach der Kleine; ich habe wohl erraten, weswegen Ihr hierher kommt. Auch war mir Euer wertes Gesicht noch wohl erinnerlich; doch wahrlich, wenn ich nicht den Bassa mit eigener Hand hätte erhängen helfen, so hättet Ihr mich vielleicht getäuscht. Jetzt aber bin ich da, um eine Frage zu machen."

"Vor allem sage, wie du hieher kommst," entgegnete ihm Mustapha voll Wut, daß er verraten war. "Das will ich Euch sagen," antwortete jener; "ich konnte mich mit dem Starken nicht länger vertragen, deswegen floh ich; aber du, Mustapha, warst eigentlich die Ursache unseres Streites, und dafür mußt du mir deine Schwester zur Frau geben, und ich will Euch zur Flucht behilflich sein; gibst du sie nicht, so gehe ich zu meinem neuen Herrn und erzähle ihm etwas von dem neuen Bassa."



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Mustapha war vor Schrecken und Wut außer sich; jetzt, wo er sich am sicheren Ziel seiner Wünsche glaubte, sollte dieser Elende kommen und sie vereiteln; es war nur ein Mittel, das seinen Plan retten konnte: er mußte das kleine Ungetüm töten. Mit einem Sprung fuhr er daher aus dem Bette auf den Kleinen zu; doch dieser, der etwas Solches geahnt haben mochte, ließ die Lampe fallen, daß sie verlöschte, und entsprang im Dunkeln, indem er mörderisch um Hilfe schrie.

Jetzt war guter Rat teuer; die Mädchen mußte er für den Augenblick aufgeben und nur auf die eigene Rettung denken; daher ging er an das Fenster, um zu sehen, ob er nicht entspringen könnte. Es war eine ziemliche Tiefe bis zum Boden, und auf der andern Seite stand eine hohe Mauer, die zu übersteigen war. Sinnend stand er an dem Fenster; da hörte er viele Stimmen sich seinem Zimmer nähern; schon waren sie an der Türe; da faßte er verzweiflungsvoll seinen Dolch und seine Kleider und schwang sich zum Fenster hinaus. Der Fall war hart; aber er fühlte, daß er kein Glied gebrochen hatte; drum sprang er auf und lief der Mauer zu, die den Hof umschloß, stieg, zum Erstaunen seiner Verfolger, hinauf und befand sich bald im Freien. Er floh, bis er an einen kleinen Wald kam, wo er sich erschöpft niederwarf. Hier überlegte er, was zu tun sei. Seine Pferde und seine Diener hatte er müssen im Stiche lassen; aber sein Geld, das erin dem Gürtel trug, hatte er gerettet.

Sein erfinderischer Kopf zeigte ihm bald einen andern Weg zur Rettung. Er ging in dem Wald weiter, bis er an ein Dorf kam, wo er um geringen Preis ein Pferd kaufte, das ihn in Bälde in eine Stadt trug. Dort forschte er nach einem Arzt, und man riet ihm einen alten, erfahrenen Mann. Diesen bewog er durch einige Goldstücke. daß er ihm eine Arznei mitteilte, die einen todähnlichen Schlaf herbeiführte, der durch ein anderes Mittel augenblicklich wieder gehoben werden könnte. Als er im Besitz dieses Mittels war, kaufte er sich einen langen falschen Bart, einen schwarzen Talar und allerlei Büchsen und Kolben, so daß er füglich einen reisenden Arzt vorstellen konnte, lud seine Sachen auf einen Esel und reiste in das Schloß des Thiuli-Ros zurück. Er durfte gewiß sein, diesmal nicht erkannt zu werden; denn der Bart entstellte ihn so, daß er sich selbst kaum mehr kannte. Bei Thiuli angekommen, ließ er sich als den Arzt Chakamankabudibaba anmelden, und, wie er es gedacht hatte, geschah es ; der prachtvolle Namen empfahl ihn bei dem alten Narren ungemein, so daß er ihn gleich zur Tafel einlud. Chakamankabudibaba erschien vor Thiuli, und als sie sich kaum eine Stunde besprochen



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hatten, beschloß der Alte, alle seine Sklavinnen der Kur des weisen Arztes zu unterwerfen. Dieser konnte seine Freude kaum verbergen, daß er jetzt seine geliebte Schwester wiedersehen solle, und folgte mit klopfendem Herzen Thiuli, der ihn ins Serail führte. Sie waren in ein Zimmer gekommen, das schön ausgeschmückt war, worin sich aber niemand befand. "Chambaba oder wie du heißt, lieber Arzt," sprach Thiuli-Ros, "betrachte einmal jenes Loch dort in der Mauer ! Dort wird jede meiner Sklavinnen einen Arm herausstrecken, und du kannst dann untersuchen, ob der Puls krank oder gesund ist." Mustapha mochte einwenden, was er wollte, zu sehen bekam er sie nicht; doch willigte Thiuli ein, daß er ihm allemal sagen wolle, wie sie sich sonst gewöhnlich befänden . Thiuli zog nun einen langen Zettel aus dem Gürtel, und begann mit lauter Stimme seine Sklavinnen einzeln beim Namen zu rufen, worauf allemal eine Hand aus der Mauer kam und der Arzt den Puls untersuchte. Sechs waren schon abgelesen und sämtlich für gesund erklärt; da las Thiuli als die siebente"Fatme" ab, und eine kleine weiße Hand schlüpfte aus der Mauer. Zitternd vor Freude, ergreift Mustapha diese Hand und erklärt sie mit wichtiger Miene für bedeutend krank. Thiuli ward sehr besorgt und befahl seinem weisen Chakamankabudibaba, schnell eine Arznei für sie zu bereiten. Der Arzt ging hinaus, schrieb auf einen kleinen Zettel: " atme ! Ich will Dich retten, wenn Du Dich entschließen kannst, eine Arznei zu nehmen, die Dich auf zwei Tage tot macht; doch ich besitze das Mittel, Dich wieder zum Leben zu bringen. Willst Du, so sage nur, dieser Trank habe nicht geholfen, und es soll mir ein Zeichen sein, daß Du einwilligst."

Bald kam er in das Zimmer zurück, wo Thiuli seiner harrte. Er brachte ein unschädliches Tränklein mit, fühlte der kranken Fatme einmal den Puls und schob ihr zugleich den Zettel unter ihr Armband ; das Tränklein aber reichte er ihr durch die Öffnung in der Mauer. Thiuli schien in großen Sorgen wegen Fatme zu sein und schob die Untersuchung der übrigen bis auf eine gelegenere Zeit auf. Als er mit Mustapha das Zimmer verlassen hatte, sprach er in traurigem Ton: "Chadibaba, sage aufrichtig , was hältst du von Fatmes Krankheit?" Chakamankabudibaba antwortete mit einem tiefen Seufzer: "Ach Herr, möge der Prophet dir Trost verleihen! Sie hat ein schleichendes Fieber, das ihr wohl den Garaus machen kann." Da entbrannte der Zorn Thiulis: "Was sagst du, verfluchter Hund von einem Arzt? Sie, um die ich zweitausend Goldstücke gab, soll mir sterben wie eine Kuh? Wisse, wenn du sie nicht rettest, so hau' ich dir



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den Kopf ab Da merkte mein Bruder, daß er einen dummen Streich gemacht habe, und gab Thiuli wieder Hoffnung. Als sie noch so sprachen. kam ein schwarzer Sklave aus dem Serail. dem Arzt zu sagen, daß das Tränklein nicht geholfen habe. Biete deine ganze Kunst auf, Chakamdababelba, oder wie du dich schreibst, ich zahle dir, was du willst," schrie Thiuli-Ros, fast heulend vor Angst, so vieles Gold zu verlieren. "Ich will ihr ein Säftlein geben, das sie von aller Not befreit," antwortete der Arzt. "Ja! ja! gib ihr ein Säftlein," schluchzte der alte Thiuli. Frohen Mutes ging Mustapha, seinen Schlaftrunk zu holen, und als er ihn dem schwarzen Sklaven gegeben und gezeigt hatte, wieviel man auf einmal nehmen müsse, ging er zu Thiuli und sagte, er müsse noch einige heilsame Kräuter am See holen, und eilte zum Tor hinaus. An dem See, der nicht weit von dem Schloß entfernt war, zog er seine falschen Kleider aus und warf sie ins Wasser, daß sie lustig umherschwammen; er selbst aber verbarg sich im Gesträuch, wartete die Nacht ab und schlich sich dann in den Begräbnisplatz an dem Schlosse Thiulis.

Als Mustapha kaum eine Stunde lang aus dem Schloß abwesend sein mochte, brachte man Thiuli die schreckliche Nachricht, daß seine Sklavin Fatme im Sterben liege. Er schickte hinaus an den See, um schnell den Arzt zu holen; aber bald kehrten seine Boten allein zurück und erzählten ihm, daß der arme Arzt ins Wasser gefallen und ertrunken sei; seinen schwarzen Talar sehe man im See schwimmen, und hie und da gucke auch sein stattlicher Bart aus den Wellen hervor. Als Thiuli keine Rettung mehr sah, verwünschte er sich und die ganze Welt, raufte sich den Bart aus und rannte mit dem Kopf gegen die Mauer. Aber alles dies konnte nichts helfen; denn Fatme gab bald unter den Händen der übrigen Weiber den Geist auf. Als Thiuli die Nachricht ihres Todes hörte, befahl er, schnell einen Sarg zu machen: denn er konnte keinen Toten im Hause leiden und ließ den Leichnam in das Begräbnishaus tragen. Die Träger brachten den Sarg dorthin, setzten ihn schnell nieder und entflohen; denn sie hatten unter den übrigen Särgen Stöhnen und Seufzen gehört.

Mustapha, der sich hinter den Särgen verborgen und von dort aus die Träger des Sarges in die Flucht gejagt hatte, kam hervor und zündete sich eine Lampe an, die er zu diesem Zweck mitgebracht hatte. Dann zog er ein Glas hervor, das die erweckende Arznei enthielt, und hob dann den Deckel von Fatmes Sarg. Aber welches Entsetzen befiel ihn, als sich ihm beim Scheine der Lampe ganz fremde Züge zeigten! Weder meine



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Schwester, noch Zoraide, sondern eine ganz andere lag in dem Sarg. Er brauchte lange, um sich von dem neuen Schlag des Schicksals zu fassen; endlich überwog doch Mitleid seinen Zorn. Er öffnete sein Glas und flößte ihr die Arznei ein. Sie atmete, sie schlug die Augen auf und schien sich lange zu besinnen, wo sie sei. Endlich erinnerte sie sich des Vorgefallenen; sie stand auf aus dem Sarg und stürzte zu Mustaphas Füßen. "Wie kann ich dir danken, gütiges Wesen," rief sie aus, "daß du mich aus meiner schrecklichen Gefangenschaft befreitest!" Mustapha unterbrach ihre Danksagungen mit der Frage, wie es denn geschehen sei, daß sie und nicht Fatme, seine Schwester, gerettet worden sei? Jene sah ihn staunend an. "Jetzt wird mir meine Rettung erst klar, die mir vorher unbegreiflich war," antwortete sie; "wisse, man hieß mich in jenem Schloß Fatme, und mir hast du deinen Zettel und den Rettungstrank gegeben." Mein Bruder forderte die Gerettete auf, ihm von seiner Schwester und Zoraiden Nachricht zu geben, und erfuhr, daß sie sich beide im Schloß befinden, aber nach der Gewohnheit Thiulis andere Namen bekommen haben; sie heißen jetzt Mirza und Nurmahal.

Als Fatme, die gerettete Sklavin, sah, daß mein Bruder durch diesen Fehlgriff so niedergeschlagen sei, sprach sie ihm Mut ein und versprach ihm ein Mittel zu sagen, wie er jene beiden Mädchen dennoch retten könne. Aufgeweckt durch diesen Gedanken, schöpfte Mustapha von neuem Hoffnung; er bat sie, dieses Mittel ihm zu nennen, und sie sprach:

"Ich bin zwar erst seit fünf Monaten die Sklavin Thiulis; doch habe ich gleich von Anfang auf Rettung gesonnen; aber für mich allein war sie zu schwer. In dem innern Hof des Schlosses wirst du einen Brunnen bemerkt haben, der aus zehn Röhren Wasser speit. Dieser Brunnen fiel mir auf; ich erinnerte mich, in dem Hause meines Vaters einen ähnlichen gesehen zu haben, dessen Wasser durch eine geräumige Wasserleitung herbeiströmt; um nun zu erfahren, ob dieser Brunnen auch so gebaut sei, rühmte ich eines Tages vor Thiuli seine Pracht und fragte nach seinem Baumeister. ,Ich selbst habe ihn gebaut.' antwortete er, ,und das, was du hier siehst, ist noch das Geringste; aber das Wasser dazu kommt wenigstens tausend Schritte weit von einem Bach her und geht durch eine gewölbte Wasserleitung, die wenigstens mannshoch ist; und alles dies habe ich selbst angegeben.' Als ich dies gehört hatte, wünschte ich mir oft, nur auf einen Augenblick die Stärke eines Mannes zu haben, um einen Stein an der Seite des Brunnens ausheben zu können; dann könnte ich fliehen, wohin ich wollte. Die Wasserleitung



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nun will ich dir zeigen; durch sie kannst du nachts in das Schloß gelangen und jene befreien. Aber du mußt wenigstens noch zwei Männer bei dir haben, um die Sklaven, die das Serail bei Nacht bewachen, zu überwältigen."

So sprach sie; mein Bruder Mustapha aber, obgleich schon zweimal in seinen Hoffnungen getäuscht, faßte noch einmal Mut und hoffte mit Allahs Hilfe den Plan der Sklavin auszuführen. versprach ihr, für ihr weiteres Fortkommen in ihre Heimat zu sorgen, wenn sie ihm behilflich sein wollte, ins Schloß zu gelangen. Aber ein Gedanke machte ihm noch Sorge, nämlich der, woher er zwei oder drei treue Gehilfen bekommen könnte. Da fiel ihm Orbasans Dolch ein und das Versprechen, das ihm jener gegeben hatte, ihm, wo er seiner bedürfe, zu Hilfe zu eilen, und er machte sich daher mit Fatme aus dem Begräbnis auf, um den Räuber aufzusuchen.

In der nämlichen Stadt, wo er sich zum Arzt umgewandelt hatte, kaufte er um sein letztes Geld ein Roß und mietete Fatme bei einer armen Frau in der Vorstadt ein. Er selbst aber eilte dem Gebirge zu, wo er Orbasan zum erstenmal getroffen hatte, und gelangte in drei Tagen dahin. Er fand bald wieder jene Zelte und trat unverhofft vor Orbasan, der ihn freundlich bewillkommte . Er erzählte ihm seine mißlungenen Versuche, wobei sich der ernsthafte Orbasan nicht enthalten konnte, hie und da ein wenig zu lachen, besonders, wenn er sich den Arzt Chakamankabudibaba dachte. Über die Verräterei des Kleinen aber war er wütend ; er schwur, ihn mit eigener Hand aufzuhängen, wo er ihn finde. Meinem Bruder aber versprach er, sogleich zur Hilfe bereit zu sein, wenn er sich vorher von der Reise gestärkt haben würde. Mustapha blieb daher diese Nacht wieder in Orbasans Zelt; mit dem ersten Frührot aber brachen sie auf, und Orbasan nahm drei seiner tapfersten Männer, wohl beritten und bewaffnet, mit sich. Sie ritten stark zu und kamen nach zwei Tagen in die kleine Stadt, wo Mustapha die gerettete Fatme zurückgelassen hatte. Von da aus reisten sie mit dieser weiter bis zu dem kleinen Wald. von wo aus man das Schloß Thiulis in geringer Entfernung sehen konnte; dort lagerten sie sich, um die Nacht abzuwarten. Sobald es dunkel wurde, schlichen sie sich, von Fatme geführt, an den Bach, wo die Wasserleitung anfing, und fanden diese bald. Dort ließen sie Fatme und einen Diener mit den Rossen zurück und schickten sich an, hinabzusteigen; ehe sie aber hinabstiegen, wiederholte ihnen Fatme noch einmal alles genau, nämlich: daß sie durch den Brunnen in den innern Schloßhof kämen, dort seien rechts und links in der Ecke zwei



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Türme, in der sechsten Türe, vom Turme rechts gerechnet, befänden sich Fatme und Zoraide, bewacht von zwei schwarzen Sklaven. Mit Waffen und Brecheisen wohl versehen, stiegen Mustapha, Orbasan und zwei andere Männer hinab in die Wasserleitung; sie sanken zwar bis an den Gürtel ins Wasser; aber nichtsdestoweniger gingen sie rüstig vorwärts. Nach einer halben Stunde kamen sie an den Brunnen selbst und setzten sogleich ihre Brecheisen an. Die Mauer war dick und fest; aber den vereinten Kräften der vier Männer konnte sie nicht lange widerstehen; bald hatten sie eine Öffnung eingebrochen, groß genug, um bequem durchschlüpfen zu können. Orbasan schlüpfte zuerst durch und half den andern nach. Als sie alle im Hof waren, betrachteten sie die Seite des Schlosses, die vor ihnen lag, um die beschriebene Türe zu erforschen. Aber sie waren nicht einig, welche es sei; denn als sie von dem rechten Turm zum linken zählten, fanden sie eine Türe, die zugemauert war, und wußten nun nicht. ob Fatme diese übersprungen oder mitgewählt habe. Aber Orbasan besann sich nicht lange. "Mein gutes Schwert wird mir jede Türe öffnen," rief er aus, ging auf die sechste Türe zu, und die andern folgten ihm. Sie öffneten die Türe und fanden sechs schwarze Sklaven auf dem Boden liegend und schlafend; sie wollten schon wieder leise sich zurückziehen, weil sie sahen, daß sie die rechte Türe verfehlt hatten, als eine Gestalt in der Ecke sich aufrichtete und mit wohlbekannter Stimme um Hilfe rief. Es war der Kleine aus Orbasans Lager. Aber ehe noch die Schwarzen recht wußten, wie ihnen geschah, stürzte Orbasan auf den Kleinen zu, riß seinen Gürtel entzwei, verstopfte ihm den Mund und band ihm die Hände auf den Nücken; dann wandte er sich an die Sklaven, wovon schon einige von Mustapha und den zwei andern halb gebunden waren, und half sie vollends überwältigen. Man setzte den Sklaven den Dolch auf die Brust und fragte sie, wo Nurmahal und Mirza wären, und sie gestanden, daß sie im Gemach nebenan seien. Mustapha stürzte in das Gemach und fand Fatme und Zoraiden, die der Lärm erweckt hatte. Schnell rafften diese ihren Schmuck und ihre Kleider zusammen und folgten Mustapha; die beiden Räuber schlugen indes Orbasan vor, zu plündern, was man fände; doch dieser verbot es ihnen und sprach:

Man soll nicht von Orbasan sagen können, daß er nachts in die Häuser steige, um Gold zu stehlen!" Mustapha und die Geretteten schlüpften schnell in die Wasserleitung, wohin ihnen Orbasan sogleich zu folgen versprach. Als jene in die Wasserleitung hinabgestiegen waren, nahm Orbasan und einer der Räuber den Kleinen und führten ihn hinaus in den Hof; dort banden sie ihm



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eine seidene Schnur, die sie deshalb mitgenommen hatten, um den Hals und hingen ihn an der höchsten Spitze des Brunnens auf. Nachdem sie so den Verrat des Elenden bestraft hatten, stiegen sie selbst hinab in die Wasserleitung und folgten Mustapha. Mit Tränen dankten die beiden ihrem edelmütigen Retter Orbasan; doch dieser trieb sie eilends zur Flucht an, denn es war sehr wahrscheinlich, daß sie Thiuli-Ros nach allen Seiten verfolgen ließ. Mit tiefer Rührung trennten sich am andern Tag Mustapha und seine Geretteten von Orbasan; wahrlich, sie werden ihn nie vergessen. Fatme aber, die befreite Sklavin, ging verkleidet nach Balsora, um sich dort in ihre Heimat einzuschiffen.

Nach einer kurzen und vergnügten Reise kamen die Meinigen in die Heimat. Meinen alten Vater tötete beinahe die Freude des Wiedersehens; den andern Tag nach ihrer Ankunft veranstaltete er ein großes Fest, an welchem die ganze Stadt teilnahm . Vor einer großen Versammlung von Verwandten und Freunden mußte mein Bruder seine Geschichte erzählen, und einstimmig priesen sie ihn und den edlen Räuber.

Als aber mein Bruder geschlossen hatte, stand mein Vater auf und führte Zoraiden ihm zu. "So löse ich denn," sprach er mit feierlicher Stimme, " den Fluch von deinem Haupte; nimm diese hin als die Belohnung, die du dir durch deinen rastlosen Eifer erkämpft bast; nimm meinen väterlichen Segen, und möge es nie unserer Stadt an Männern fehlen, die an brüderlicher Liebe, an Klugheit und Eifer dir gleichen!"

Die Karawane hatte das Ende der Wüste erreicht, und fröhlich begrüßten die Reisenden die grünen Matten und die dichtbelaubten Bäume deren lieblichen Anblick sie viele Tage entbehrt hatten. In einem schönen Tale lag eine Karawanserei, die sie sich zum Nachtlager wählten, und obgleich sie wenig Bequemlichkeit und Erfrischung darbot. so war doch die ganze Gesellschaft heiterer und zutraulicher als je; denn der Gedanke, den Gefahren und Beschwerlichkeiten, die eine Reise durch die Wüste mit sich bringt, entronnen zu sein, hatte alle Herzen geöffnet und die Gemüter zu Scherz und Kurzweil gestimmt. Muley, der junge lustige Kaufmann, tanzte einen komischen Tanz und sang Lieder dazu, die selbst dem ernsten Griechen Zaleukos ein Lächeln entlockten . Aber nicht genug, daß er seine Gefährten durch Tanz und Spiel erheitert hatte, er gab ihnen auch noch die Geschichte zum besten, die er ihnen versprochen hatte, und hub, als er von seinen Luftsprüngen sich erholt hatte, also zu erzählen an: Die Geschichte von dem kleinen Muck.



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Die Geschichte von dem kleinen Muck.

"In Nicea, meiner lieben Vaterstadt, wohnte ein Mann, den man den kleinen Muck hieß. Ich kann mir ihn, ob ich gleich damals noch sehr jung war, noch recht wohl denken, besonders weil ich einmal von meinem Vater wegen seiner halbtot geprügelt wurde. Der kleine Muck nämlich war schon ein alter Geselle, als ich ihn kannte; doch war er nur drei bis vier Schuh hoch; dabei hatte er eine sonderbare Gestalt; denn sein Leib, so klein und zierlich er war, mußte einen Kopf tragen, viel größer und dicker als der Kopf anderer Leute; er wohnte ganz allein in einem großen Haus und kochte sich sogar selbst; auch hätte man in der Stadt nicht gewußt, ob erlebe oder gestorben sei, denn er ging nur alle vier Wochen einmal aus, wenn nicht um die Mittagsstunde ein mächtiger Dampf aus dem Hause aufgestiegen wäre; doch sah man ihn oft abends auf seinem Dache auf und ab gehen, von der Straße aus glaubte man aber, nur sein großer Kopf allein laufe auf dem Dache umher. Ich und meine Kameraden waren böse Buben, die jedermann gerne neckten und belachten; daher war es uns allemal ein Festtag, wenn der kleine Muck ausging; wir versammelten uns an dem bestimmten Tage vor seinem Haus und warteten, bis er herauskam; wenn dann die Türe aufging und zuerst der große Kopf mit dem noch größeren Turban herausguckte, wenn das übrige Körperlein nachfolgte, angetan mit einem abgeschabten Mäntelein, weiten Beinkleidern und einem breiten Gürtel, an welchem ein langer Dolch hing, so lang, daß man nicht wußte, ob Muck an dem Dolch, oder der Dolch an Muck stak. Wenn er so heraustrat, da ertönte die Luft von unserem Freudengeschrei, wir warfen unsere Mützen in die Höhe und tanzten wie toll um ihn her. Der kleine Muck aber grüsste uns mit ernsthaftem Kopfnicken und ging mit langsamen Schritten die Straße hinab; dabei schlurfte er mit den Füßen; denn er hatte große, weite Pantoffeln an, wie ich sie noch nie gesehen. Wir Knaben liefen hinter ihm her und schrien immer "Kleiner Muck, kleiner Muck !" Auch hatten wir ein lustiges Verslein, das wir ihm zu Ehren hie und da sangen; es bien:

"Kleiner Muck, kleiner Muck,
Wohnst in einem großen Haus,
Gehst nur all vier Wochen aus,
Bist ein braver, kleiner Zwerg,
Hast ein Köpflein wie ein Berg:
Schau' dich einmal um und guck',
Lauf und fang uns. kleiner Muck !"


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So hatten wir schon oft unsere Kurzweil getrieben, und zu meiner Schande muß ich es gestehen, ich trieb's am ärgsten; denn ich zupfte ihn oft am Mäntelein, und einmal trat ich ihm auch von hinten auf die großen Pantoffel, daß er hinfiel. Dies kam mir nun höchst lächerlich vor; aber das Lachen verging mir, als ich den kleinen Muck auf meines Vaters Haus zugehen sah. Er ging richtig hinein und blieb einige Zeit dort. Ich versteckte mich an der Haustüre und sah den Muck wieder herauskommen, von meinem Vater begleitet, der ihn ehrerbietig an der Hand hielt und an der Türe unter vielen Bücklingen sich von ihm verabschiedete. Mir war gar nicht wohl zu Mut; ich blieb daher lange in meinem Versteck; endlich aber trieb mich der Hunger, den ich ärger fürchtete als Schläge, heraus, und demütig und mit gesenktem Kopf trat ich vor meinen Vater. "Du hast, wie ich höre, den guten Muck geschimpft?" sprach er in sehr ernstem Tone. Ich will dir die Geschichte dieses Muck erzählen, und du wirst ihn gewiß nicht mehr auslachen; vor- und nachher aber bekommst du das Gewöhnliche." Das Gewöhnliche aber waren fünfundzwanzig Hiebe, die er nur allzu richtig aufzuzählen pflegte. Er nahm daher sein langes Pfeifenrohr, schraubte die Bernsteinmundspitze ab und bearbeitete mich ärger als je zuvor.

Als die Fünfundzwanzig voll waren, befahl er mir, aufzumerken und erzählte mir von dem kleinen Muck:

Der Vater des kleinen Muck, der eigentlich Mukrah heißt, war ein angesehener, aber armer Mann hier in Nicea. Er lebte beinahe so einsiedlerisch als jetzt sein Sohn. Diesen konnte er nicht wohl leiden, weil er sich seiner Zwerggestalt schämte, und ließ ihn daher auch in Unwissenheit aufwachsen. Der kleine Muck war noch in seinem sechzehnten Jahr ein lustiges Kind, und der Vater, ein ernster Mann, tadelte ihn immer, daß er, der schon längst die Kinderschuhe zertreten haben sollte, noch so dumm und läppisch sei.

Der Alte tat aber einmal einen bösen Fall, an welchem er auch starb und den kleinen Muck arm und unwissend zurückliess. Die harten Verwandten, denen der Verstorbene mehr schuldig war, als er bezahlen konnte, jagten den armen Kleinen aus dem Hause und rieten ihm, in die Welt hinaus zu gehen und sein Glück zu suchen. Der kleine Muck antwortete, er sei schon reisefertig, bat sich aber nur noch den Anzug seines Vaters aus, und dieser wurde ihm auch bewilligt. Sein Vater war ein großer, starker Mann gewesen; daher paßten die Kleider nicht. Muck aber wußte bald Nat; er schnitt ab, was zu lang war, und zog dann die Kleider an. Er schien aber vergessen zu haben, daß er auch in der



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Weite davon schneiden müsse, daher sein sonderbarer Aufzug, wie er noch heute zu sehen ist; der große Turban, der breite Gürtel, die weiten Hosen, das blaue Mäntelein, alles dies sind Erbstücke seines Vaters, die er seitdem getragen; den langen Damaszenerdolch seines Vaters aber steckte er in den Gürtel, ergriff ein Stöcklein und wanderte zum Tor hinaus.

Fröhlich wanderte er den ganzen Tag; denn er war ja ausgezogen, um sein Glück zu suchen; wenn er einen Scherben auf der Erde im Sonnenschein glänzen sah, so steckte er ihn gewiß zu sich, im Glauben, daß er sich in den schönsten Diamant verwandeln werde; sah er in der Ferne die Kuppel einer Moschee wie Feuer strahlen, sah er einen See wie einen Spiegel blinken, so eilte er voll Freude darauf zu ; denn erdachte, in einem Zauberland angekommen zu sein. Aber ach! Jene Trugbilder verschwanden in der Nähe. und nur allzubald erinnerte ihn seine Müdigkeit und sein vor Hunger knurrender Magen, daß er noch im Lande ber Sterblichen sich befinde. So war er zwei Tage gereist unter Hunger und Kummer und verzweifelte, sein Glück zu finden; die Früchte des Feldes waren seine einzige Nahrung, die harte Erde sein Nachtlager. Am Morgen des dritten Tages erblickte er von einer Anhöhe eine große Stadt. Hell leuchtete der Halbmond auf ihren Zinnen. bunte Fahnen schimmerten auf den Dächern und schienen den kleinen Muck zu sich herzuwinken. überrascht stand er stille und betrachtete Stadt und Gegend. Ja, dort wird Klein-Muck sein Glück finden," sprach er zu sich und machte trotz seiner Müdigkeit einen Luftsprung, "dort oder nirgends." Er raffte alle seine Kräfte zusammen und schritt auf die Stadt zu. Aber obgleich sie ganz nahe schien, konnte er sie doch erst gegen Mittag erreichen; denn seine kleinen Glieder versagten ihm beinahe gänzlich ihren Dienst, und er mußte sich oft in den Schatten einer Palme setzen. um auszuruhen. Endlich war er an dem Tor der Stadt angelangt. Er legte sein Mäntelein zurecht, band den Turban schöner um, zog den Gürtel noch breiter an und steckte den langen Dolch schiefer; dann wischte er den Staub von den Schuhen, ergriff sein Stöcklein und ging mutig zum Tor hinein.

Er war schon einige Straßen durchwandert' aber nirgends öffnete sich ihm die Türe, nirgends rief man, wie er sich vorgestellt hatte: "Kleiner Muck, komm herein und iss und trink und laß deine Füßlein ausruhen!"

Er schaute gerade auch wieder recht sehnsüchtig an einem großen, schönen Haus hinauf; da öffnete sich ein Fenster, eine alte Frau schaute heraus und rief mit singender Stimme:



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"Herbei, herbei!
Gekocht ist der Brei.
Den Tisch ließ ich decken,
Drum laßt es euch schmecken!
Ihr Nachbarn, herbei!
Gekocht ist der Brei."

Die Türe des Hauses öffnete sich, und Muck sah viele Hunde und Katzen hineingehen. Erstand einige Augenblicke in Zweifel, ob er der Einladung folgen solle; endlich aber faßte er sich ein Herz und ging in das Haus. Vor ihm her gingen ein paar junge Kätzlein, und er beschloß, ihnen zu folgen, weil sie vielleicht die Küche besser wüßten als er.

Als Muck die Treppe hinaufgestiegen war, begegnete er jener alten Frau, die zum Fenster herausgeschaut hatte. Sie sah ihn mürrisch an und fragte mach seinem Begehr. "Du hast ja jedermann zu deinem Brei eingeladen," antwortete der kleine Muck, ".und weil ich so gar hungrig bin, bin ich auch gekommen." Die Alte lachte und sprach: "Woher kommst du denn, wunderlicher Gesell? Die ganze Stadt weiß, daß ich für niemand koche als für meine lieben Katzen, und hie und da lade ich ihnen Gesellschaft aus der Nachbarschaft ein, wie du siehest." Der kleine Muck erzählte der alten Frau, wie es ihm nach seines Vaters Tod so hart ergangen sei, und bat sie, ihn heute mit ihren Katzen speisen zu lassen. Die Frau, welcher die treuherzige Erzählung des Kleinen wohl gefiel, erlaubte ihm, ihr Gast zu sein, und gab ihm reichlich zu essen und zu trinken. Als er gesättigt und gestärkt war, betrachtete ihn die Frau lange und sagte Daun: "Kleiner Muck. bleibe bei mir in meinem Dienste! Du hast geringe Mühe und sollst gut gehalten sein." Der kleine Muck, dem der Katzenbrei geschmeckt hatte, willigte ein und wurde also der Bediente der Frau Ahavzi. Er hatte einen leichten, aber sonderbaren Dienst. Frau Ahavzi hatte nämlich zwei Kater und vier Katzen; diesen mußte der kleine Muck alle Morgen den Pelz kämmen und mit köstlichen Salben einreiben; wenn die Frau ausging, mußte er auf die Katzen Achtung geben; wenn sie aßen, mußte er ihnen die Schüsseln vorlegen, und nachts mußte er sie auf seidene Polster legen und sie mit samtenen Decken einhüllen. Auch waren noch einige kleine Hunde im Haus, die er bedienen mußte; doch wurden mit diesen nicht so viele Umstände gemacht wie mit den Katzen, welche Frau Ahavzi wie ihre eigenen Kinder hielt. übrigens führte Muck ein so einsames Leben wie in seines Vaters Haus; denn außer der Frau sah er den ganzen Tag nur hunde und Katzen. Eine Zeitlang ging es dem kleinen Muck



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ganz gut; er hatte immer zu essen und wenig zu arbeiten, und die alte Frau schien recht zufrieden mit ihm zu sein; aber nach und nach wurden die Katzen unartig; wenn die Alte ausgegangen war, sprangen sie wie besessen in den Zimmern umher, warfen alles durcheinander und zerbrachen manches schöne Geschirr, das ihnen im Weg stand. Wenn sie aber die Frau die Treppe heraufkommen hörten, verkrochen sie sich auf ihre Polster und wedelten ihr mit den Schwänzen entgegen, wie wenn nichts geschehen wäre. Die Frau Ahavzi geriet dann in Zorn, wenn sie ihre Zimmer so verwüstet sah, und schob alles auf Muck; er mochte seine Unschuld beteuern, wie er wollte, sie glaubte ihren Katzen, die so unschuldig aussahen, mehr als ihrem Diener.

Der kleine Muck war sehr traurig, daß er also auch hier sein Glück nicht gefunden habe, und beschloß bei sich, den Dienst der Frau Ahavzi zu verlassen. Da er aber auf seiner ersten Reise erfahren hatte, wie schlecht man ohne Geld lebt, so beschloß er, den Lohn, den ihm seine Gebieterin immer versprochen, aber nie gegeben hatte, sich auf irgendeine Art zu verschaffen. Es befand sich in dem Hause der Frau Ahavzi ein Zimmer, das immer verschlossen war und dessen Inneres er nie gesehen hatte. Doch hatte er die Frau oft darin rumoren gehört, und er hätte oft für sein Leben gern gewußt, was sie dort versteckt habe. Als er nun an sein Reisegeld dachte, fiel ihm ein, daß dort die Schätze der Frau versteckt sein könnten. Aber immer war die Türe fest verschlossen, und er konnte daher den Schätzen nie beikommen.

Eines Morgens, als die Frau Ahavzi ausgegangen war, zupfte ihn eines der Hundlein, welches von der Frau immer sehr stiefmütterlich behandelt wurde, dessen Gunst er sich aber durch allerlei Liebesdienste in hohem Grade erworben hatte, an seinen weiten Beinkleidern und gebärdete sich dabei. wie wenn Muck ihm folgen sollte. Muck, welcher gerne mit den Hunden spielte, folgte ihm, und siehe da, das Hundlein führte ihn in die Schlafkammer der Frau Ahavzi vor eine kleine Türe, die er nie zuvor dort bemerkt hatte. Die Türe war halb offen. Das Hundlein ging hinein, und Muck folgte ihm, und wie freudig war er überrascht, als er sah, daß er sich in dem Gemach befinde, das schon lange das Ziel seiner Wünsche war. Er spähte überall umher. ob er kein Geld finden könnte, fand aber nichts. Nur alte Kleider und wunderlich geformte Geschirre standen umher. Eines dieser Geschirre zog seine besondere Aufmerksamkeit auf sich. Es war von Kristall. und schöne Figuren waren darauf ausgeschnitten. Er hob es an und drehte es nach allen Seiten. Aber, o Schrecken! Er batta



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nicht bemerkt, daß es einen Deckel hatte, der nur leicht darauf hingesetzt war. Der Deckel fiel herab und zerbrach in tausend Stücken.

Lange stand der kleine Muck vor Schrecken leblos. Jetzt war sein Schicksal entschieden, jetzt mußte er entfliehen, sonst schlug ihn die Alte tot. Sogleich war auch seine Reise beschlossen, und nur noch einmal wollte er sich umschauen, ob er nichts von den Habseligkeiten der Frau Ahavzi zu seinem Marsch brauchen könnte. Da fielen ihm ein Paar mächtig große Pantoffel ins Auge; sie waren zwar nicht schön; aber seine eigenen konnten keine Reise mehr mitmachen; auch zogen ihn jene wegen ihrer Größe an; denn hatte er diese am Fuß, so mußten ihm hoffentlich alle Leute ansehen, daß er die Kinderschuhe vertreten habe. Er zog also schnell seine Töffelein aus und fuhr in die großen hinein. Ein Spazierstöcklein mit einem schön geschnittenen Löwenkopf schien ihm auch hier allzu müßig in der Ecke zu stehen; er nahm es also mit und eilte zum Zimmer hinaus. Schnell ging er jetzt auf seine Kammer, zog sein Mäntelein an, setzte den väterlichen Turban auf, steckte den Dolch in den Gürtel und lief, so schnell ihn seine Füße trugen, zum Haus und zur Stadt hinaus. Vor der Stadt lief er, aus Angst vor der Alten, immer weiter fort, bis er vor Müdigkeit beinahe nicht mehr konnte. So schnell war er in seinem Leben nicht gegangen; ja, es schien ihm, als könne er gar nicht aufhören zu rennen; denn eine unsichtbare Gewalt schien ihn fortzureißen. Endlich bemerkte er, daß es mit den Pantoffeln eine eigene Bewandtnis haben müsse; denn diese schossen immer fort und führten ihn mit sich. Er versuchte auf allerlei Weise stillzustehen; aber es wollte nicht gelingen; da rief er in der höchsten Not, wie man den Pferden zuruft, sich selbst zu: "Oh — oh, halt, ob!" Da hielten die Pantoffeln, und Muck warf sich erschöpft auf die Erde nieder.

Die Pantoffeln freuten ihn ungemein. So hatte er sich denn doch durch seine Verdienste etwas erworben, das ihm in der Welt auf seinem Weg, das Glück zu suchen, forthelfen konnte. Er schlief trotz seiner Freude vor Erschöpfung ein; denn das Körperlein des kleinen Muck, das einen so schweren K ops zu tragen hatte, konnte nicht viel aushalten. Im Traum erschien ihm das Hundlein, welches ihm im Hause der Frau Ahavzi zu den Pantoffeln verholfen hatte, und sprach zu ihm: Lieber Muck, du verstehst den Gebrauch der Pantoffeln noch nicht recht; wisse, daß wenn du dich in ihnen dreimal auf dem Absatz herumdrehst, so kannst du hinfliegen, wohin du nur



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willst, und mit dem Stöcklein kannst du Schätze finden; denn wo Gold vergraben ist, da wird es dreimal auf die Erde schlagen, bei Silber zweimal." So träumte der kleine Muck. Als er aber aufwachte, dachte er über den wunderbaren Traum nach und beschloß, alsbald einen Versuch zu machen. Er zog die Pantoffel an, lupfte einen Fuß und begann sich auf dem Absatz umzudrehen. Wer es aber jemals versucht hat, in einem ungeheuer weiten Pantoffel dieses Kunststück dreimal hintereinander zu machen, der wird sich nicht wundern, wenn es dem kleinen Muck nicht gleich glückte, besonders wenn man bedenkt, daß ihn sein schwerer Kopf bald auf diese, bald auf jene Seite hinüberzog.

Der arme Kleine fiel einigemal tüchtig auf die Nase; doch ließ er sich nicht abschrecken, den Versuch zu wiederholen, und endlich glückte es. Wie ein Rad fuhr er auf seinem Absatz herum, wünschte sich in die nächste große Stadt, und — die Pantoffeln ruderten hinauf in die Lüfte, liefen mit Windeseile durch die Wolken, und ehe sich der kleine Muck noch besinnen konnte, wie ihm geschah, befand er sich schon auf einem großen Marktplatz, wo viele Buden aufgeschlagen waren und unzählige Menschen geschäftig hin und her liefen. Er ging unter den Leuten hin und her, hielt es aber für ratsamer, sich in eine einsamere Straße zu begeben; denn auf dem Markt trat ihm bald da einer auf die Pantoffeln, daß er beinahe umfiel, bald stieß erinit seinem weithinausstehenden Dolch einen oder den andern an, daß erinit Mühe den Schlägen entging.

Der kleine Muck bedachte nun ernstlich, was er wohl anfangen könnte, uni sich ein Stück Geld zu verdienen. Er hatte zwar ein Stäblein, das ihm verborgene Schätze anzeigte; aber wo sollte er gleich einen Platz finden, wo Gold oder Silber vergraben wäre? Auch hätte er sich zur Not für Geld sehen lassen können ; aber dazu war er doch zu stolz. Endlich fiel ihm die Schnelligkeit seiner Füße ein. Vielleicht, dachte er, können mir meine Pantoffeln Unterhalt gewähren, und er beschloß, sich als Schnelläufer zu verdingen. Da er aber hoffen durfte, dass der König dieser Stadt solche Dienste am besten bezahle, so erfragte er den Palast. Unter dem Tor des Palastes stand eine Wache, die ihn fragte, was er hier zu suchen habe. Auf seine Antwort, daß er einen Dienst suche, wies man ihn zum Aufseher der Sklaven. Diesem trug er sein Anliegen vor und bat ihn, ihm einen Dienst unter den königlichen Boten zu besorgen. Der Aufseher maß ihn mit seinen Augen von Kopf bis zu den Füßen und sprach: "Wie, mit deinen Füßlein, die kaum so



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tang als eine Spanne sind, willst du königlicher Schnelläufer werden? Hebe dich weg ! Ich bin nicht dazu da, mit jedem Narren Kurzweil zu machen." Der kleine Muck versicherte ißn aber, daß es ihm vollkommen ernst sei mit seinem Antrag und daß er es mit dem Schnellsten auf eine Wette ankommen lassen wollte. Dem Aufseher kam die Sache gar lächerlich vor. Er befahl ihm, sid bis auf den Abend zu einem Wettlauf bereit zu halten, führte ihn in die Küche und sorgte dafür, daß ihm gehörig Speis' und Trank gereicht wurde. Er selbst aber begab sich zum König und erzählte ihm vom kleinen Muck und seinem Anerbieten. Der König war ein lustiger Herr; daher gefiel es ihm wohl, daß der Aufseher der Sklaven den kleinen Menschen zu einem Spaß behalten habe. Er befahl ihm, auf einer großen Wiese hinter dem Schloß Anstalten zu treffen, daß das Wettlaufen mit Bequemlichkeit von seinem ganzen Hofstaat könnte gesehen werden, und empfahl ihm nochmals, große Sorgfalt für den Zwerg zu haben. Der König erzählte seinen Prinzen und Prinzessinnen, was sie diesen Abend für ein Schauspiel haben werden; diese erzählten es wieder ihren Dienern, und als der Abend herankam. war man in gespannter Erwartung. und alles, was Füße hatte, strömte hinaus auf die Wiese, wo Gerüste aufgeschlagen waren, um den großsprecherischen Zwerg laufen zu sehen.

Als der König und seine Söhne und Töchter auf dem Gerüst Platz genommen hatten, trat der kleine Muck heraus auf die Wiese und machte vor den hohen Herrschaften eine überaus zierliche Verbeugung. Ein allgemeines Freudengeschrei ertönte, als man den Kleinen ansichtig wurde; eine solche Figur hatte man dort noch nie gesehen. Das Körperlein mit dem mächtigen Kopf. das Mäntelein und die weiten Beinkleider, der lange Dolch in dem breiten Gürtel, die kleinen Füßlein in den weiten Pantoffeln — nein! es war zu drollig anzusehen, als daß man nicht hätte laut lachen sollen. Der kleine Muck ließ sich aber durch das Gelächter nicht irre machen. Erstellte sich stolz, auf sein Stöcklein gestützt, hin und erwartete seinen Gegner . Der Aufseher der Sklaven hatte nach Mucks eigenem Wunsche den besten Läufer ausgesucht. Dieser trat nun heraus, stellte sich neben den Kleinen, und beide harrten auf das Zeichen. Da winkte Prinzessin Amarza, wie es ausgemacht war, mit ihrem Schleier, und wie zwei Pfeile, auf dasseibe Ziel abgeschossen , flogen die beiden Wettläufer über die Wiese hin.

Von Anfang hatte Mucks Gegner einen bedeutenden Vorsprung ; aber dieser jagte ihm auf seinem Pantoffelfuhrwerk



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nach, holte ihn ein, überfing ihn und stand längst am Ziele, als jener noch, nach Luft schnappend, daherlief. Verwunderung und Staunen fesselten einige Augenblicke die Zuschauer: als aber der König zuerst in die Hände klatschte, da jauchzte die Menge, und alle riefen' "Hoch lebe der kleine Muck, der Sieger im Wettlauf!"

Man hatte indes den kleinen Muck herbeigebracht; er warf sich vor dem König nieder und sprach: "Großmächtigster König. ich habe dir hier nur eine kleine Probe meiner Kunst gegeben; wolle nur gestatten, daß man mir eine Stelle unter deinen Läufern gebe!" Der König aber antwortete ihm: "Nein, du sollst mein Leibläufer und immer um meine Person sein, lieber Muck, jährlich sollst du hundert Goldstücke erhalten als Lohn, und an der Tafel meiner ersten Diener sollst du speisen."

So glaubte denn Muck, endlich das Glück gefunden zu haben, das er so lange suchte, und war fröhlich und wohlgemut in seinem Herzen. Auch erfreute er sich der besonderen Gnade des Königs; denn dieser gebrauchte ihn zu seinen schnellsten und geheimsten Sendungen, die er dann mit der größten Genauigkeit und mit unbegreiflicher Schnelle besorgte.

Aber die übrigen Diener des Königs waren ihm gar nicht zugetan, weil sie sich ungern durch einen Zwerg, der nichts verstand als schnell zu laufen, in der Gunst ihres Herrn zurückgesetzt sahen. Sie veranstalteten daher manche Verschwörung gegen ihn, um ihn zu stürzen; aber alle schlugen fehl an dem großen Zutrauen, das der König in seinen geheimen Oberleibläufer (denn zu dieser Würde hatte er es in so kurzer Zeit gebracht) setzte.

Muck, dem diese Bewegungen gegen ihn nicht entgingen, sann nicht auf Rache, dazu hatte er ein zu gutes Herz, nein, auf Mittel dachte er, sich bei seinen Feinden notwendig und beliebt zu machen. Da fiel ihm sein Stäblein, das er in seinem Glück außer acht gelassen hatte, ein; wenn er Schätze finde, dachte er, werden ihm die Herren schon geneigter werden. Er hatte schon oft gehört, daß der Vater des jetzigen Königs viele seiner Schätze vergraben habe, als der Feind sein Land überfallen; man sagte auch, er sei darüber gestorben, ohne daß er sein Geheimnis habe seinem Sohn mitteilen können. Von nun an nahm Muck immer sein Stöcklein mit, in der Hoffnung, einmal an einem Ort vorüberzugehen, wo das Geld des alten Königs vergraben sei Eines Abends führte ihn der Zufall in einen entlegenen Teil des Schloßgartens, den er wenig besuchte, und plötzlich fühlte er das Stöcklein in seiner Hand zucken. und dreimal schlug es gegen



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den Boden. Nun wußte er schon. was dies zu bedeuten hatte. Er zog daher seinen Dolch heraus, machte Zeichen in die umstehenden Bäume und schlich sich wieder in das Schloß; dort verschaffte er sich einen Spaten und wartete die Nacht zu seinem Unternehmen ab.

Das Schatzgraben selbst machte übrigens dem kleinen Muck mehr zu schaffen, als er geglaubt hatte.

Seine Arme waren gar zu schwach, sein Spaten aber groß und schwer; er mochte wohl schon zwei Stunden gearbeitet haben, ehe er ein paar Fuß tief gegraben hatte. Endlich stieß er auf etwas Hartes, das wie Eisen klang. Er grub jetzt emsiger, und bald hatte er einen großen eisernen Deckel zutage gefördert; er stieg selbst in die Grube hinab, um nachzuspähen, was wohl der Deckel könnte bedeckt haben, und fand richtig einen großen Topf, mit Goldstücken angefüllt. Aber seine schwachen Kräfte reichten nicht hin, den Topf zu heben; daher steckte er in seine Beinkleider und seinen Gürtel, so viel er zu tragen vermochte, und auch sein Mäntelein füllte er damit, bedeckte das übrige wieder sorgfältig und lud es auf den Rücken. Aber wahrlich, wenn er die Pantoffel nicht an den Füßen gehabt hätte, er wäre nicht vom Fleck gekommen, so zog ihn die Last des Goldes nieder. Doch unbemerkt kam er auf sein Zimmer und verwahrte dort sein Gold unter den Polstern seines Sofas.

Als der kleine Muck sich im Besitz so vielen Goldes sah, glaubte er, das Blatt werde sich jetzt wenden, und er werde sich unter seinen Feinden am Hofe viele Gönner und warme Anhänger erwerben. Aber schon daran konnte man erkennen, daß der gute Muck keine gar sorgfältige Erziehung genossen haben mußte, sonst hätte er sich wohl nicht einbilden können, durch Gold wahre Freunde zu gewinnen. Ach, daß er damals seine Pantoffel geschmiert und sich mit seinem Mäntelein voll Gold aus dem Staub gemacht hätte!

Das Gold, das der kleine Muck von jetzt an mit vollen Händen austeilte, erweckte den Neid der übrigen Hofbedienten. Der Küchenmeister Ahuli sagte: " Er ist ein Falschmünzer." Der Sklavenaufseher Achmet sagte: " Er hat's dem König abgeschwatzt." Archaz, der Schatzmeister aber, sein ärgster Feind, der selbst hie und da einen Griff in des Königs Kasse tun mochte, sagte geradezu; " Er hat's gestohlen." Um nun ihrer Sache gewiß zu sein, verabredeten sie sich, und der Obermundschenk Korchuz stellte sich eines Tages recht traurig und niedergeschlagen vor den Augen des Königs. Er machte seine traurigen Gebärden so auffallend, daß ihn der König fragte, was ihm fehle.



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Ach," antwortete er, "ich bin traurig, daß ich die Gnade meines Herrn verloren habe." "Was fabelst du, Freund Korchuz?" entgegnete ihm der König. "Seit wann hätte ich die Sonne meiner Gnade nicht über dich leuchten lassen?" Der Obermundschenk antwortete ihm, daß er ja den geheimen Oberleibläufer mit Gold belade, seinen armen, treuen Dienern aber nichts gebe.

Der König war sehr erstaunt über diese Nachricht, ließ sich die Goldausteilungen des kleinen Muck erzählen, und die Verschworenen brachten ihm leicht den Verdacht bei, daß Muck auf irgendeine Art das Geld aus der Schatzkammer gestohlen habe. Sehr lieb war diese Wendung der Sache dem Schatzmeister, der ohnehin nicht gerne Rechnung ablegte. Der König gab daher den Befehl, heimlich auf alle Schritte des kleinen Muck achtzugeben , um ihn womöglich auf der Tat zu ertappen. Als nun in der Nacht, die auf diesen Unglückstag folgte, der kleine Muck, da er durch seine Freigebigkeit seine Kasse sehr erschöpft sah, den Spaten nahm und in den Schloßgarten schlich, um dort von seinem geheimen Schatze neuen Vorrat zu holen, folgten ihm von weitem die Wachen, von dem Küchenmeister Ahuli und Archaz, dem Schatzmeister, angeführt. und in dem Augenblick, da er das Gold aus dem Topf in sein Mäntelein legen wollte, fielen sie über ihn her, banden ihn und führten ihn sogleich vor den König. Dieser, den ohnehin die Unterbrechung seines Schlafes mürrisch gemacht hatte, empfing seinen armen geheimen Oberleibläufer sehr ungnädig und stellte sogleich das Verhör über ihn an. Man hatte den Topf vollends aus der Erde gegraben und mit dem Spaten und mit dem Mäntelein voll Gold vor die Füße des Königs gesetzt. Der Schatzmeister sagte aus, daß er mit seinen Wachen den Muck überrascht habe, wie er diesen Topf mit Gold gerade in die Erde gegraben habe.

Der König befragte hierauf den Angenagten, ob es wahr sei, und woher er das Gold. das er vergraben, bekommen habe ?

Der kleine Muck, im Gefühl seiner Unschuld, sagte aus, daß er diesen Topf im Garten entdeckt habe, daß er ihn habe nicht ein-, sondern ausgraben wollen.

Alle Anwesenden lachten laut über diese Entschuldigung; der König aber, aufs höchste erzürnt über die vermeintliche Frechheit des Kleinen, rief aus : . Wie, Elender ! Du willst deinen König so dumm und schändlich belügen, nachdem du ihn bestohlen hast ? Schatzmeister Archaz! Ich fordere dich auf, zu sagen, ob du diese Summe Goldes für die nämliche erkennst, die in meinem Schatze fehlt ?"



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Der Schatzmeister aber antwortete, er sei seiner Sache ganz gewiß, so viel und noch mehr fehle seit einiger Zeit in dem königlichen Schatz, und er könnte einen Eid darauf ablegen, daß dies das Gestohlene sei.

Da befahl der König, den kleinen Muck in enge Ketten zu legen und in den Turm zu führen; dem Schatzmeister aber übergab er das Gold, um es wieder in den Schatz zu tragen. Vergnügt über den glücklichen Ausgang der Sache, zog dieser ab und zählte zu Haus die blinkenden Goldstücke; aber das hat dieser schlechte Mann niemals angezeigt, daß unten in dem Topf ein Zettel lag, der sagte: "Der Feind hat mein Land überschwemmt, daher verberge ich hier einen Teil meiner Schätze; wer es auch finden mag, den treffe der Fluch seines Königs, wenn er es nicht sogleich meinem Sohne ausliefert! —

König Sadi."

Der kleine Muck stellte in seinem Kerker traurige Betrachtungen an; er wußte, daß auf Diebstahl an königlichen Sachen der Tod gesetzt war, und doch mochte er das Geheimnis mit dem Stäbchen dem König nicht verraten, weil er mit Recht fürchtete, dieses und seiner Pantoffel beraubt zu werden. Seine Pantoffel konnten ihm leider auch keine Hilfe bringen; denn da er in engen Ketten an die Mauer geschlossen war, konnte er, so sehr er sich quälte, sich nicht auf dem Absatz umdrehen. Als ihm aber am andern Tage sein Tod angekündigt wurde, da gedachte er doch, es sei besser, ohne das Zauberstäbchen zu leben, als mit ihm zu sterben, ließ den König um geheimes Gehör bitten und entdeckte ihm das Geheimnis. Der König maß von Anfang an seinem Geständnis keinen Glauben bei ; aber der kleine Muck versprach eine Probe, wenn ihm der König zugestünde, daß er nicht getötet werden solle. Der König gab ihm sein Wort darauf und ließ, von Muck ungesehen, einiges Gold in die Erde graben und befahl diesem, mit seinem Stäbchen zu suchen. In wenigen Augenblicken hatte er es gefunden; denn das Stäbchen schlug deutlich dreimal auf die Erde. Da merkte der König, daß ihn sein Schatzmeister betrogen hatte, und sandte ihm, wie es im Morgenland gebräuchlich ist, eine seidene Schnur, damit er sich selbst erdroßle. Zum kleinen Muck aber sprach er: "Ich habe dir zwar dein Leben versprochen; aber es scheint mir, als ob du nicht allein dieses Geheimnis mit dem Stäbchen besitzest; darum bleibst du in ewiger Gefangenschaft, wenn du nicht gestehst, was für eine Brwandtnis es mit deinem Schnellaufen hat." Der kleine Muck,



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dem die einzige Nacht im Turm alle Lust zu längerer Gefangenschaft benommen hatte, bekannte, daß seine ganze Kunst in den Pantoffeln liege, doch lehrte er den König nicht das Geheimnis von dem dreimaligen Umdrehen auf dem Absatz. Der König schlüpfte selbst in die Pantoffel, um die Probe zu machen, und jagte wie unsinnig im Garten umher; oft wollte er anhalten; aber er wußte nicht, wie man die Pantoffel zum Stehen brachte, und der kleine Muck, der diese kleine Rache sich nicht versagen konnte, ließ ihn laufen, bis er ohnmächtig niederfiel.

Als der König wieder zur Besinnung zurückgekehrt war, war er schrecklich aufgebracht über den kleinen Muck, der ihn so ganz außer Atem hatte laufen lassen. "Ich habe dir mein Wort gegeben, dir Freiheit und Leben zu schenken; aber innerhalb zwölf Stunden musst du mein Land verlassen, sonst lasse ich dich aufknüpfen!" Die Pantoffel und das Stäbchen aber ließ er in seine Schatzkammer legen.

So arm als je wanderte der kleine Muck zum Land hinaus, seine Torheit verwünschend, die ihm vorgespiegelt hatte, er könne eine bedeutende Rolle am Hofe spielen. Das Land, aus dem er gejagt wurde, war zum Glück nicht groß; daher war er schon nach acht Stunden auf der Grenze, obgleich ihm das Gehen, da er an seine lieben Pantoffel gewöhnt war, sehr sauer ankam.

Als er über der Grenze war, verließ er die gewöhnliche Straße, um die dichteste Einöde der Wälder aufzusuchen und dort nur sich zu leben; denn er war allen Menschen gram. In einem dichten Walde traf er auf einen Platz, der ihm zu dem Entschluß, den er gefaßt hatte, ganz tauglich schien. Ein klarer Bach, von großen, schattigen Feigenbäumen umgeben, ein weicher Rasen luden ihn ein ; hier warf er sich nieder mit dem Entschluß, keine Speise mehr zu sich zu nehmen, sondern hier den Tod zu erwarten. Über traurige Todesbetrachtungen schlief er ein; als er aber wieder aufwachte und der Hunger ihn zu quälen anfing, bedachte er doch, daß der Hungertod eine gefährliche Sache sei, und sah sich um, ob er nirgends etwas zu essen bekommen könnte.

Köstliche reife Feigen hingen an dem Baume, unter welchem er geschlafen hatte; er stieg hinauf, um sich einige zu pflücken, ließ es sich trefflich schmecken und ging dann hinunter an den Bach, um seinen Durst zu löschen. Aber wie groß war sein Schrecken, als ihm das Wasser seinen Kopf mit zwei gewaltigen Ohren und einer dicken, langen Nase geschmückt zeigte ! Bestürzt griff er mit den Händen nach den Ohren, und wirklich, sie waren über eine halbe Elle lang.



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Ich verdiene Eselsohren!" rief aus; " denn ich habe mein Glück wie ein Esel mit Füßen getreten." — Er wanderte unter den Bäumen umher, und als er wieder Hunger fühlte, mußte er noch einmal zu den Feigen seine Zuflucht nehmen; denn sonst fand er nichts Eßbares an den Bäumen. Als ihm über der zweiten Portion Feigen einfiel, ob wohl seine Ohren nicht unter seinem großen Turban Platz hätten, damit er doch nicht gar zu lächerlich aussehe, fühlte er, daß seine Ohren verschwunden seien. Er tief gleich an den Bach zurück, um sich davon zu überzeugen , und wirklich, es war so, seine Ohren hatten ihre vorige Gestalt, seine lange, unförmliche Nase war nicht mehr. Jetzt merkte er aber, wie dies gekommen war; von dem ersten Feigenbaum hatte er die lange Nase und Ohren bekommen, der zweite hatte ihn geheilt; freudig erkannte er, daß sein gütiges Geschick ihm noch einmal die Mittel in die Hand gebe, glücklich zu sein. Er pflückte daher von jedem Baum, so viel er tragen konnte, und ging in das Land zurück, das er vor kurzem verlassen hatte. Dort machte er sich in dem ersten Städtchen durch andere Kleider ganz unkenntlich und ging dann weiter auf die Stadt zu, die jener König bewohnte, und kam auch bald dort an.

Es war gerade zu einer Jahreszeit, wo reife Früchte noch ziemlich selten waren; der kleine Muck setzte sich daher unter das Tor des Palastes; denn ihm war von früherer Zeit her wohl bekannt, daß hier solche Seltenheiten von dem Küchenmeister für die königliche Tafel eingekauft wurden. Muck hatte noch nicht lange gesessen, als er den Küchenmeister über den Hof herüberschreiten sah. Er musterte die Waren der Verkäufer, die sich am Tor des Palastes eingefunden hatten; endlich fiel sein Blick auch auf Mucks Körbchen. "Ah, ein seltener Bissen," sagte er, " der Ihro Majestät gewiß behagen wird. Was willst du für den ganzen Korb?" Der kleine Muck bestimmte einen mäßigen Preis, und sie waren bald des Handels einig. Der Küchenmeister übergab den Korb einem Sklaven und ging weiter; der kleine Muck aber machte sich einstweilen aus dem Staub, weil er befürchtete, wenn sich das Unglück an den Köpfen des Hofes zeigte, möchte man ihn als Verkäufer aufsuchen und bestrafen.

Der König war über Tisch sehr heiter gestimmt und sagte seinem Küchenmeister ein Mal über das andere Lobsprüche wegen seiner guten Küche und der Sorgfalt, mit der er immer das Seltenste für ihn aussuche; der Küchenmeister aber, welcher wohl wußte, welchen Leckerbissen er noch im Hintergrund habe, schmunzelte gar freundlich und ließ nur einzelne Worte fallen, als: " Es ist noch nicht aller Tage Abend," oder "Ende gut, alles



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gut" , so daß die Prinzessinnen sehr neugierig wurden, was er wohl noch bringen werde. Als er aber die schönen, einladenden Feigen aufsetzen ließ, da entfloh ein allgemeines Ah! dem Munde der Anwesenden. "Wie reif, wie appetitlich!" rief der König. Küchenmeister, du bist ein ganzer Kerl und verdienst unsere ganz besondere Gnade !" Also sprechend, teilte der König, der mit solchen Leckerbissen sehr sparsam zu sein pflegte, mit eigener Hand die Feigen an seiner Tafel aus. Jeder Prinz und jede Prinzessin bekam zwei, die Hofdamen und die Wesire und Agas eine, die übrigen stellte er vor sich hin und begann mit großem Behagen sie zu verschlingen.

Aber, lieber Gott, wie siehst du so wunderlich aus, Vater?" rief auf einmal die Prinzessin Amarza. Alle sahen den König erstaunt an; ungeheure Ohren hingen ihm am Kopf, eine lange Nase zog sich über sein Kinn herunter; auch sich selbst betrachteten sie untereinander mit Staunen und Schrecken; alle waren mehr oder minder mit dem sonderbaren Kopfputz geschmückt.

Man denke sich den Schrecken des Hofes! Man schickte sogleich nach allen Ärzten der Stadt ; sie kamen haufenweise, verordneten Pillen und Mixturen; aber die Ohren und die Nasen blieben. Man operierte einen der Prinzen; aber die Ohren wuchsen nach.

Muck hatte die ganze Geschichte in seinem Versteck, wohin er sich zurückgezogen hatte, gehört und erkannte, daß es jetzt Zeit sei, zu handeln. Er hatte sich schon vorher von dem aus den Feigen gelösten Geld einen Anzug verschafft, der ihn als Gelehrten darstellen konnte ; ein langer Bart aus Ziegenhaaren vollendete die Täuschung. Mit einem Säckchen voll Feigen wanderte er in den Palast des Königs und bot als fremder Arzt seine Hilfe an. Man war von Anfang sehr ungläubig; als aber der kleine Muck eine Feige einem der Prinzen zu essen gab und Ohren und Nase dadurch in den alten Zustand zurückbrachte, da wollte alles von dem fremden Arzte geheilt sein. Aber der König nahm ihn schweigend bei der Hand und führte ihn in sein Gemach; dort schloß er eine Türe auf, die in die Schatzkammer führte, und winkte Muck, ihm zu folgen. "Hier sind meine Schätze," sprach der König, "wähle dir, was auch sei, es soll dir gewährt werden, wenn du mich von diesem schmachvollen übel befreist." Das war süße Musik in des kleinen Muck Ohren; er hatte gleich beim Eintritt seine Pantoffel auf dem Boden stehen sehen, gleich daneben lag auch sein Stäbchen. Er ging nun umher in dem Saal, wie wenn er die Schätze des Königs bewundern wollte; kaum aber war er an seine Pantoffeln



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gekommen, so schlüpfte er eilends hinein, ergriff sein Stäbchen, riß seinen falschen Bart herab und zeigte dem erstaunten König das wohlbekannte Gesicht seines verstoßenen Muck. . ,Treuloser König," sprach er, " der du treue Dienste mit Undank lohnst, nimm als wohlverdiente Strafe die Mißgestalt, die du trägst. Die Ohren laß ich dir zurück, damit sie dich täglich erinnern an den kleinen Muck." Als er so gesprochen hatte, drehte er sich schnell auf dem Absatz herum, wünschte sich weit hinweg, und ehe mch der König um Hilfe rufen konnte, war der kleine Muck entflohen . Seitdem lebt der kleine Muck hier in großem Wohlstand, aber einsam; denn er verachtet die Menschen. Er ist durch Erfahrung ein weiser Mann geworden, welcher, wenn auch sein Äußeres etwas Auffallendes haben mag, deine Bewunderung mehr als deinen Spott verdient.

So erzählte mir mein Vater. Ich bezeugte ihm meine Reue über mein rohes Betragen gegen den guten kleinen Mann, und mein Vater schenkte mir die andere Hälfte der Strafe, die er mir zugedacht hatte. Ich erzählte meinen Kameraden die wunderbaren Schicksale des Kleinen, und wir gewannen ihn so lieb, daß ihn keiner mehr schimpfte. Im Gegenteil, wir ehrten ihn, solange erlebte, und haben uns vor ihm immer so tief als vor Kadi und Mufti gebückt." —

Die Reisenden beschlossen, einen Rasttag in dieser Karawanserei zu machen, um sich und die Tiere zur weiteren Reise zu stärken. Die gestrige Fröhlichkeit ging auch auf diesen Tag über, und sie ergötzten sich in allerlei Spielen. Nach dem Essen aber riefen sie dem fünften Kaufmann, Ali Sizah, zu, auch seine Schuldigkeit gleich den übrigen zu tun und eine Geschichte zu erzählen. Er antwortete, sein Leben sei zu arm an auffallenden Begebenheiten, als daß er ihnen etwas davon mitteilen möchte; daher wolle er ihnen etwas anderes erzählen, nämlich; Das Märchen vom falschen Prinzen.


Das Märchen vom falschen Prinzen.

Es war einmal ein ehrsamer Schneidergeselle, namens Labakan . der bei einem geschickten Meister in Alessandria sein Handwerk lernte. Man konnte nicht sagen, daß Labakan ungeschickt mit der Nadel war, im Gegenteil, er konnte recht feine Arbeit machen. Auch tat man ihm unrecht, wenn man ihn geradezu



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faul schalt; aber ganz richtig war es doch nicht mit dem Gesellen; denn er konnte oft stundenweis in einem fort nähen, daß ihm die Nadel in der Hand glühend ward und der Faden rauchte; da gab es ihm dann ein Stück wie keinem andern. Ein andermal aber. und dies geschah leider öfters, saß er in tiefen Gedanken, sah mit starren Augen vor sich hin und hatte dabei in Gesicht und Wesen etwas so Eigenes, daß sein Meister und die übrigen Gesellen von diesem Zustand nie anders sprachen als: "Labakan hat wieder sein vornehmes Gesicht."

Am Freitag aber, wenn andere Leute vom Gebet ruhig nach Haus an ihre Arbeit gingen, trat Labakan in einem schönen Kleid, das er sich mit vieler Mühe zusammengespart hatte, aus der Moschee, ging langsam und stolzen Schrittes durch die Plätze und Straßen der Stadt, und wenn ihm einer seiner Kameraden ein Friede sei mit dir" , oder " Wie geht es, Freund Labakan?" bot, so winkte er gnädig mit der Hand oder nickte, wenn es hoch kam, vornehm mit dem Kopf. Wenn dann sein Meister im Spaß zu ihm sagte: " An dir ist ein Prinz verloren gegangen, Labakan," so freute er sich darüber und antwortete: "Habt Ihr das auch bemerkt ?" oder: "Ich habe es schon lange gedacht!"

So trieb es der ehrsame Schneidergeselle Labakan schon eine geraume Zeit; sein Meister aber duldete seine Narrheit, weil er sonst ein guter Mensch und geschickter Arbeiter war. Aber eines Tages schickte Selim. der Bruder des Sultans, der gerade durch Alessandria reiste, ein Festkleid zu dem Meister, um einiges daran verändern zu lassen, und der Meister gab es Labakan, weil dieser die feinste Arbeit machte. Als abends der Meister und die Gesellen sich hinwegbegeben hatten, um nach des Tages Last sich zu erholen, trieb eine unwiderstehliche Sehnsucht Labakan wieder in die Werkstatt zurück, wo das Kleid des kaiserlichen Bruders hing. Er stand lange sinnend davor, bald den Glanz der Stickerei, bald die schillernden Farben des Samts und der Seide an dem Kleide bewundernd. Er konnte nicht anders, er mußte es anziehen, und siehe da, es paßte ihm so trefflich, wie wenn es für ihn wäre gemacht worden. "Bin ich nicht so gut ein Prinz als einer?" fragte er sich, indem er im Zimmer auf und ab schritt. "Hat nicht der Meister selbst schon gesagt, daß ich zum Prinzen geboren sei?" Mit den Kleidern schien der Geselle eine ganz königliche Gesinnung angezogen zu haben; er konnte sich nicht anders denken, als er sei ein unbekannter Königssohn, und als solcher beschloß er, in die Welt zu reisen und einen Ort zu verlassen, wo die Leute bisher so töricht gewesen waren, unter der Hülle seines niedern Standes nicht seine angeborene Würde zu erkennen. Das



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prachtvolle Kleid schien ihm von einer gütigen Fee geschickt; er hütete sich daher wohl, ein so teures Geschenk zu verschmähen, steckte seine geringe Barschaft zu sich und wanderte, begünstigt von dem Dunkel der Nacht, aus Alessandrias Toren.

Der neue Prinz erregte überall auf seiner Wanderschaft Verwunderung; denn das prachtvolle Kleid und sein ernstes, majestätisches Wesen wollte gar nicht passen für einen Fußgänger. Wenn man ihn darüber befragte, pflegte er mit geheimnisvoller Miene zu antworten, daß das seine eigenen Ursachen habe. Als er aber merkte, daß er sich durch seine Fußwanderungen lächerlich mache, kaufte er um geringen Preis ein altes Roß, welches sehr für ihn paßte, da es ihn mit seiner gesetzten Ruhe und Sanftmut nie in Verlegenheit brachte, sich als geschickten Reiter zeigen zu müssen, was gar nicht seine Sache war.

Eines Tages, als er Schritt vor Schritt auf seinem Murva, so hatte er sein Roß genannt, seine Straße zog, schloß sich ein Reiter an ihn an und bat ihn, in seiner Gesellschaft reiten zu dürfen, weil ihm der Weg viel kürzer werde im Gespräch mit einem andern. Der Reiter war ein fröhlicher, junger Mann, schön und angenehm im Umgang. Er hatte mit Labakan bald ein Gespräch angeknüpft über Woher und Wohin, und es traf sich. daß auch er, wie der Schneidergeselle, ohne Plan in die Welt hinauszog. Er sagte, er heiße Omar, sei der Neffe Elfi Beys, des unglücklichen Bassas von Kairo, und reise nun umher, um einen Auftrag, den ihm sein Oheim auf dem Sterbebette erteilt habe, auszurichten. Labakan ließ sich nicht so offenherzig über seine Verhältnisse aus ; er gab ihm zu verstehen, daß er von hoher Abkunft sei und zu seinem Vergnügen reise.

Die beiden jungen Herren fanden Gefallen aneinander und zogen fürder. Am zweiten Tage ihrer gemeinschaftlichen Reise fragte Labakan seinen Gefährten Omar nach den Aufträgen, die er zu besorgen habe, und erfuhr zu seinem Erstaunen folgendes: Elfi Bey, der Bassa von Kairo, hatte den Omar seit seiner frühesten Kindheit erzogen, und dieser hatte seine Eltern nie gekannt. Als nun Elfi Bey von seinen Feinden überfallen worden war und nach drei unglücklichen Schlachten, tödlich verwundet, fliehen mußte, entdeckte er seinem Zögling, daß er nicht sein Neffe sei, sondern der Sohn eines mächtigen Herrschers, welcher aus Furcht vor den Prophezeihungen seiner Sterndeuter den jungen Prinzen von seinem Hofe entfernt habe, mit dem Schwur, ihn erst an seinem zweiundzwanzigsten Geburtstage wiedersehen zu wollen. Elfi Bey habe ihm den Namen seines Vaters nicht genannt, sondern ihm nur aufs bestimmteste aufgetragen, am



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fünften Tage des kommenden Monats Ramadan, an welchem Tage er zweiundzwanzig Jahre alt werde, sich an der berühmten Säule El-Serujah, vier Tagreisen östlich von Alessandria, einzufinden; dort soll er den Männern, die an der Säule stehen werden, einen Dolch, den er ihm gab, überreichen mit den Worten: "Hier bin ich, den ihr suchet;" wenn sie antworten: "Gelobt sei der Prophet, der dich erhielt!" so soll er ihnen folgen, sie werden ihn zu seinem Vater führen."

Der Schneidergeselle Labakan war sehr erstaunt über diese Mitteilung; er betrachtete von jetzt an den Prinzen Omar mit neidischen Augen, erzürnt darüber, daß das Schicksal jenem, obgleich er schon für den Neffen eines mächtigen Bassa galt, noch die Würde eines Fürstensohnes verliehen, ihm aber, den es mit allem, was einem Prinzen nottut, ausgerüstet, gleichsam zum Hohn eine dunkle Geburt und einen gewöhnlichen Lebensweg verliehen habe. Er stellte Vergleichungen zwischen sich und dem Prinzen an. Er mußte sich gestehen, es sei jener ein Mann von sehr vorteilhafter Gesichtsbildung; schöne lebhafte Augen, eine kühngebogene Nase, ein sanftes, zuvorkommendes Benehmen, kurz, so viele Vorzüge des Äußeren, die jemand empfehlen können, waren jenem eigen. Aber so viele Vorzüge er auch an seinem Begleiter fand, so gestand er sich doch bei diesen Beobachtungen, daß ein Labakan dem fürstlichen Vater wohl noch willkommener sein dürfte als der wirkliche Prinz.

Diese Betrachtungen verfolgten Labakan den ganzen Tag, mit ihnen schlief er im nächsten Nachtlager ein; aber als er morgens aufwachte und sein Blick auf den neben ihm schlafenden Omar fiel, der so ruhig schlafen und von seinem gewissen Glücke träumen konnte, da erwachte in ihm der Gedanke, sich durch List oder Gewalt zu erstreben, was ihm das ungünstige Schicksal versagt hatte. Der Dolch, das Erkennungszeichen des heimkehrenden Prinzen, sah aus dem Gürtel des Schlafenden hervor; leise zog er ihn hervor, um ihn in die Brust des Eigentümers zu stoßen. Doch vor dem Gedanken des Mordes entsetzte sich die friedfertige Seele des Gesellen; er begnügte sich, den Dolch zu sich zu stecken. das schnellere Pferd des Prinzen für sich aufzäumen zu lassen, und ehe Omar aufwachte und sich aller seiner Hoffnungen beraubt sah, hatte sein treuloser Gefährte schon einen Vorsprung von mehreren Meilen.

Es war gerade der erste Tag des heiligen Monats Ramadan an welchem Labakan den Raub an dem Prinzen begangen hatte, und er hatte also noch vier Tage, um zu der Säule El-Serujah, welche ihm wohlbekannt war, zu gelangen. Obgleich die Gegend,



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worin sich diese Säule befand, höchstens noch zwei Tagreisen entfernt sein konnte, so beeilte er sich doch, hinzukommen, weil er immer fürchtete, von dem wahren Prinzen eingeholt zu werden.

Am Ende des zweiten Tages erblickte Labakan die Säule El-Serujah. Sie stand auf einer kleinen Anhöhe in einer weiten Ebene und konnte auf zwei bis drei Stunden gesehen werden. Labakans Herz pochte lauter bei diesem Anblick; obgleich er die letzten zwei Tage hindurch Zeit genug gehabt, über die Rolle, die er zu spielen hatte, nachzudenken, so machte ihn doch das böse Gewissen etwas ängstlich; aber der Gedanke, daß er zum Prinzen geboren sei, stärkte ihn wieder, so daß er getrösteter seinem Ziele entgegenging.

Die Gegend um die Säule El-Serujah war unbewohnt und öde, und der neue Prinz wäre wegen seines Unterhalts etwas in Verlegenheit gekommen, wenn er sich nicht auf mehrere Tage versehen hätte. Er lagerte sich also neben seinem Pferd unter einigen Palmen und erwartete dort sein ferneres Schicksal.

Gegen die Mitte des anderen Tages sah er einen großen Zug von Pferden und Kamelen über die Ebene her auf die Säule El-Serujah zuziehen. Der Zug hielt am Fuße des Hügels, auf welchem die Säule stand; man schlug prächtige Zelte auf, und das Ganze sah aus wie der Reisezug eines reichen Bassa oder Scheit. Labakan ahnete, daß die vielen Leute, welche er sah, sich seinetwegen hieher bemüht hatten, und hätte ihnen gerne schon heute ihren künftigen Gebieter gezeigt; aber er mäßigte seine Begierde, als Prinz aufzutreten, da ja doch der nächste Morgen seine kühnsten Wünsche vollkommen befriedigen mußte.

Die Morgensonne weckte den überglücklichen Schneider zu dem wichtigsten Augenblick seines Lebens, welcher ihn aus einem niederen, unbekannten Sterblichen an die Seite eines fürstlichen Vaters erheben sollte; zwar fiel ihm, als er sein Pferd aufzäumte . um zu der Säule hinzureiten, wohl auch das Unrechtmäßige seines Schrittes ein; zwar führten ihm seine Gedanken den Schmerz des in seinen schönen Hoffnungen betrogenen Fürstensohnes vor, aber — der Würfel war geworfen, er konnte nicht mehr ungeschehen machen, was geschehen war, und seine Eigenliebe flüsterte ihm zu, daß er stattlich genug aussehe, um dem mächtigsten König sich als Sohn vorzustellen; ermutigt durch diesen Gedanken, schwang er sich auf sein Roß, nahm alle seine Tapferkeit zusammen, um es in einen ordentlichen Galopp zu bringen, und in weniger als einer Viertelstunde war er am Fuße des Hügels angelangt. Er stieg ab von seinem Pferd und band es an eine Staude, deren mehrere an dem Hügel wuchsen;



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hierauf zog er den Dolch des Prinzen Omar hervor und stieg den Hügel hinan. Am Fuß der Säule standen sechs Männer um einen Greisen von hohem, königlichem Ansehen; ein prachtvoller Kaftan von Goldstoff, mit einem weißen Kaschmirschal umgürtet, der weiße, mit blitzenden Edelsteinen geschmückte Turban bezeichneten ihn als einen Mann von Reichtum und Würde.

Auf ihn ging Labakan zu, neigte sich tief vor ihm und sprach, indem erden Dolch darreichte: "Hier bin ich, den ihr

"Gelobt sei der Prophet, der dich erhielt!" antwortete der Greis mit Freudentränen. " Umarme deinen alten Vater, mein geliebter Sohn Omar !" Der gute Schneider war sehr gerührt durch diese feierlichen Worte und sank mit einem Gemisch von Freude und Scham in die Arme des alten Fürsten.

Aber nur einen Augenblick sollte er ungetrübt die Wonne seines neuen Standes genießen; als er sich aus den Armen des fürstlichen Greisen aufrichtete, sah er einen Reiter über die Ebene her auf den Hügel zueilen. Der Reiter und sein Roß gewährten einen sonderbaren Anblick; das Roß schien aus Eigensinn oder Müdigkeit nicht vorwärts zu wollen; in einem stolpernden Gang, der weder Schritt noch Trab war, zog es daher; der Reiter aber trieb es mit Händen und Füßen zu schnellerem Laufe an. Nur zu bald erkannte Labakan sein ROß Murva und den echten Prinzen Omar; aber der böse Geist der Lüge war einmal in ihn gefahren , und er beschloß, wie es auch kommen möge, mit eiserner Stirne seine angemaßten Rechte zu behaupten.

Schon aus der Ferne hatte man den Reiter winken gesehen; jetzt war er trotz dem schlechten Trab des Rosses Murva am Fuße des Hügels angekommen, warf sich vom Pferd und stürzte den Hügel hinan. "Haltet ein !" rief er. "Wer ihr auch sein möget, haltet ein und laßt euch nicht von dem schändlichen Betrüger täuschen! Ich heiße Omar, und kein Sterblicher wage es, meinen Namen zu mißbrauchen!"

Auf den Gesichtern der Umstehenden malte sich tiefes Erstaunen über diese Wendung der Dinge; besonders schien der Greis sehr betroffen, indem er bald den einen, bald den andern fragend ansah. Labakan aber sprach mit mühsam errungener Ruhe: "Gnädigster Herr und Vater, laßt Euch nicht irre machen durch diesen Menschen dal Es ist, soviel ich weiß, ein wahnsinniger Schneidergeselle aus Alessandria, Labatan geheißen, der mehr unser Mitleid als unsern Zorn verdient."

Bis zur Raserei aber brachten diese Worte den Prinzen. Schäumend vor Wut, wollte er auf Labakan eindringen; aber



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die Umstehenden warfen sich dazwischen und hielten ihn fest, unt der Fürst sprach. "Wahrhaftig, mein lieber Sohn, der arme Mensch ist verrückte Man binde ihn und setze ihn auf eine; unserer Dromedare! Vielleicht, daß wir dem Unglücklichen Hilf schaffen können,"

Die Wut des Prinzen hatte sich gelegt; weinend rief er dem Fürsten zu: "Mein Herz sagt mir, daß Ihr mein Vater seid; bei dem Andenken meiner Mutter beschwöre ich Euch, hört mich an!"

"Ei, Gott bewahre uns!" antwortete dieser, " er fängt schon wieder an, irre zu reden; wie doch der Mensch auf so tolle Gedanken kommen kann!" Damit ergriff er Labakans Arm und ließ sich von ihm den Hügel hinuntergeleiten. Sie setzten sich beide auf schöne, mit reichen Decken behängte Pferde und ritten an der Spitze des Zuges über die Ebene hin. Dem unglücklichen Prinzen aber fesselte man die Hände und band ihn auf ein Dromedar fest, und zwei Reiter waren ihm immer zur Seite, die ein wachsames Auge auf jede seiner Bewegungen hatten.

Der fürstliche Greis war Saaud, der Sultan der Wechabiten . Er hatte lange ohne Kinder gelebt, endlich wurde ihm ein Prinz geboren, nach dem er sich so lange gesehnt hatte. Aber die Sterndeuter, welche er um die Vorbedeutungen des Knaben befragte, taten den Ausspruch, daß er bis ins zweiundzwanzigste Jahr in Gefahr stehe, von einem Feinde verdrängt zu werden. Deswegen, um recht sicher zu gehen, hatte der Sultan den Prinzen seinem alten erprobten Freunde Elfi-Bey zum Erziehen gegeben und zweiundzwanzig schmerzliche Jahre auf seinen Anblick geharrt.

Dieses hatte der Sultan seinem (vermeintlichen) Sohne erzählt und sich ihm außerordentlich zufrieden mit seiner Gestalt und seinem würdevollen Benehmen gezeigt.

Als sie in das Land des Sultans kamen, wurden sie überall von den Einwohnern mit Freudengeschrei empfangen; denn das Gerücht von der Ankunft des Prinzen hatte sich wie ein Lauffeuer durch alle Städte und Dörfer verbreitet. Auf den Straßen, durch welche sie zogen, waren Bögen von Blumen und Zweigen errichtet, glänzende Teppiche von allen Farben schmückten die Häuser. und das Volk pries laut Gott und seinen Propheten, der ihnen einen so schönen Prinzen gesandt habe. Alles dies erfüllte das stolze Herz des Schneiders mit Wonne; desto unglücklicher mußte sich aber der echte Omar fühlen, der, noch immer gefesselt, in stiller Verzweiflung dem Zuge folgte. Niemand kümmerte sich um ihn bei dem allgemeinen Jubel, der doch ihm galt. Den Namen Omar riefen tausend und wieder tausend Stimmen;



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aber ihn, der diesen Namen mit Recht trug, ihn beachtete keiner; höchstens fragte einer oder der andere. wen man denn so fest gebunden mit fortführe, und schrecklich tönte in das Ohr des Prinzen die Antwort seiner Begleiter, es sei ein wahnsinniger Schneider.

Der Zug war endlich in die Hauptstadt des Sultans gekommen , wo alles noch glänzender zu ihrem Empfang bereitet war als in den übrigen Städten. Die Sultanin, eine ältliche ehrwürdige Frau, erwartete sie mit ihrem ganzen Hofstaat in dem prachtvollsten Saal des Schlosses. Der Boden dieses Saales war mit einem ungeheuern Teppich bedeckt, die Wände waren mit hellblauem Tuch geschmückt, das in goldenen Quasten und Schnüren an großen silbernen Haken hing.

Es war schon dunkel, als der Zug anlangte; daher waren im Saale viele kugelrunde, farbige Lampen angezündet, welche die Nacht zum Tag erhellten. Am klarsten und vielfarbigsten strahlten sie aber im Hintergrund des Saales, wo die Sultanin auf einem Throne saß. Der Thron stand auf vier Stufen und war von lauterem Golde und mit großen Amethysten ausgelegt. Die vier vornehmsten Emire hielten einen Baldachin von roter Seide über dem Haupte der Sultanin, und der Scheit von Medina fächelte ihr mit einer Windfuchtel von Pfaufedern Kühlung zu.

So erwartete die Sultanin ihren Gemahl und ihren Sohn; auch sie hatte ihn seit seiner Geburt nicht mehr gesehen; aber bedeutsame Träume hatten ihr den Ersehnten gezeigt, daß sie ihn aus Tausenden erkennen wollte. Jetzt hörte man das Geräusch des nahenden Zuges, Trompeten und Trommeln mischten sich in das Zujauchzen der Menge, der Hufschlag der Rosse tönte im Hof des Palastes, näher und näher rauschten die Tritte der Kommenden , die Türen des Saales flogen auf. und durch die Reihen der niederfallenden Diener eilte der Sultan an der Hand seines Sohnes vor den Thron der Mutter.

"Hier," sprach er, "bringe ich dir den, nach welchem du dich so lange gesehnet."

Die Sultanin aber fiel ihm in die Rede. "Das ist mein Sohn nicht!" rief sie aus, "das sind nicht die Züge, die mir der Prophet im Traume gezeigt hat!"

Gerade, als ihr der Sultan ihren Aberglauben verweisen wollte, sprang die Türe des Saales auf. Prinz Omar stürzte herein, verfolgt von seinen Wächtern, denen er sich mit Anstrengung aller seiner Kraft entrissen hatte; er warf sich atemlos vor dem Throne nieder: .Hier will ich sterben, laßt mich töten, grausamer Vater; denn diese Schmach dulde ich nicht länger!"



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Alles war bestürzt über diese Reden: man drängte sich um den Unglücklichen her, und schon wollten ihn die herbeieilenden Wachen ergreifen und ihm wieder seine Bande anlegen, als die Sultanin, die in sprachlosem Erstaunen dieses alles mit angesehen hatte, von dem Throne aufsprang. ",Haltet einl" rief sie, "dieser und kein anderer ist der rechte! Dieser ist's, den meine Augen nie gesehen und den mein Herz doch gekannt hat!"

Die Wächter hatten unwillkürlich von Omar abgelassen; aber der Sultan, entflammt von wütendem Zorn, rief ihnen zu, den Wahnsinnigen zu hinden. "Ich habe hier zu entscheiden," sprach er mit gebietender Stimme; "und hier richtet man nicht nach den Träumen der Weiber, sondern nach gewissen, untrüglichen Zeichen. Dieser hier (indem er auf Labakan zeigte) ist mein Sohn; denn er hat mir das Wahrzeichen meines Freundes Elfi, den Dolch, gebracht."

"Gestohlen hat er ihn," schrie Omar, "mein argloses Vertrauen hat er zum Verrat mißbraucht!" Der Sultan aber hörte nicht auf die Stimme seines Sohnes; denn er war in allen Dingen gewohnt, eigensinnig nur seinem Urteil zu folgen; daher ließ er den unglücklichen Omar mit Gewalt aus dem Saal schleppen. Er selbst aber begab sich mit Labakan in sein Gemach, voll Wut über die Sultanin, seine Gemahlin, mit der er doch seit fünfundzwanzig Jahren in Frieden gelebt hatte.

Die Sultanin aber war voll Kummer über diese Begebenheiten ; sie war vollkommen überzeugt, daß ein Betrüger sich des Herzens des Sultans bemächtigt hatte; denn jenen Unglücklichen hatten ihr so viele bedeutsame Träume als ihren Sohn gezeigt.

Als sich ihr Schmerz ein wenig gelegt hatte, sann sie auf Mittel, um ihren Gemahl von seinem Unrecht zu überzeugen. Es war dies allerdings schwierig; denn jener, der sich für ihren Sohn ausgab, hatte das Erkennungszeichen, den Dolch, überreicht und hatte auch, wie sie erfuhr, so viel von Omars früherem Leben von diesem selbst sich erzählen lassen, daß er seine Rolle, ohne sich zu verraten, spielte.

Sie berief die Männer zu sich, die den Sultan zu der Säule El-Serujah begleitet hatten, um sich alles genau erzählen zu lassen, und hielt dann mit ihren vertrautesten Sklavinnen Rat. Sie wählten und verwarfen dies und jenes Mittel; endlich sprach Melechsalah, eine alte, kluge Zierkassierin: "Wenn ich recht gehört habe, verehrte Gebieterin, so nannte der Überbringer des Dolches den, welchen du für deinen Sohn hältst, Labakan, einen verwirrten Schneider?" "Ja, so ist es," antwortete die Sultanin; " aber was willst du damit?



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"Was meint Ihr," fuhr jene fort, " wenn dieser Betrüger Eurem Sohn seinen eigenen Namen aufgeheftet hätte? — Und wenn dies ist, so gibt es ein herrliches Mittel, den Betrüger zu fangen, das ich Euch ganz im geheim sagen will." Die Sultanin bot ihrer Sklavin das Ohr, und diese flüsterte ihr einen Nat zu, der ihr zu behagen schien; denn sie schickte sich an, sogleich zum Sultan zu gehen.

Die Sultanin war eine kluge Frau, welche wohl die schwachen Seiten des Sultans kannte und sie zu benützen verstand. Sie schien daher, ihm nachgeben und den Sohn anerkennen zu wollen, und bat sich nur eine Bedingung aus ; der Sultan, dem sein Aufbrausen gegen seine Frau leid tat, gestand die Bedingung zu, und sie sprach: "Ich möchte gerne den beiden eine Probe ihrer Geschicklichkeit auferlegen. Eine andere würde sie vielleicht reiten, fechten und Speere werfen lassen; aber das sind Sachen, die ein jeder kann; nein, ich will ihnen etwas geben, wozu Scharfsinn gehört. Es soll nämlich jeder von ihnen einen Kaftan und ein Paar Beinkleider verfertigen, und da wollen wir einmal sehen, wer die schönsten macht."

Der Sultan lachte und sprach: "Ei, da hast du ja etwas recht Kluges ausgesonnen. Mein Sohn sollte mit deinem wahnsinnigen Schneider wetteifern, wer den besten Kaftan macht? Nein, das ist nichts." —

Die Sultanin aber berief sich darauf, daß er ihr die Bedingung zum voraus zugesagt habe, und der Sultan, welcher ein Mann von Wort war, gab endlich nach, obgleich er schwur, wenn der wahnsinnige Schneider seinen Kaftan auch noch so schön mache, könne er ihn doch nicht für seinen Sohn erkennen.

Der Sultan ging selbst zu seinem Sohn und bat ihn, sich in die Grillen seiner Mutter zu schicken, die nun einmal durchaus einen Kaftan von seiner Hand zu sehen wünsche. Dem guten Labakan lachte das Herz vor Freude; wenn es nur an dem fehlt, dachte er bei sich, da soll die Frau Sultanin bald Freude an mir erleben.

Man hatte zwei Zimmer eingerichtet, eines für den Prinzen , das andere für den Schneider, dort sollten sie ihre Kunst erproben, und man hatte jedem nur ein hinlängliches Stück Seidenzeug, Schere, Nadel und Faden gegeben.

Der Sultan war sehr begierig, was für ein Ding von Kaftan wohl sein Sohn zutage fördern werde; aber auch der Sultanin pochte unruhig das Herz, ob ihre List wohl gelingen werde oder nicht. Man hatte den beiden zwei Tage zu ihrem Geschäft ausgesetzt; am dritten ließ der Sultan seine



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Gemahlin rufen, und als sie erschienen war, schickte er in jene zwei Zimmer, um die beiden Kaftane und ihre Verfertiger holen zu lassen. Triumphierend trat Labakan ein und breitete seinen Kaftan vor den erstaunten Blicken des Sultans aus. Siehe her, Vater," sprach er, "siehe her, verehrte Mutter, ob dies nicht ein Meisterstück von einem Kaftan ist? Da lass' ich es mit dem geschicktesten Hofschneider auf eine Wette ankommen, ob er einen solchen herausbringt." —

Die Sultanin lächelte und wandte sich zu Omar: " Und was hast du herausgebracht, mein Sohn?" Unwillig warf dieser den Seidenstoff und die Schere auf den Boden. "Man hat mich gelehrt, ein Roß zu bändigen und einen Säbel zu schwingen, und meine Lanze trifft auf sechzig Gänge ihr Ziel — aber die Künste der Nadel sind mir fremd! Sie wären auch unwürdig für einen Zögling Elfi Beys, des Beherrschers von Kairo."

"O, du echter Sohn meines Herrn," rief die Sultanin "Ach, daß ich dich umarmen, dich Sohn nennen dürfte! Verzeihet, mein Gemahl und Gebieter," sprach sie dann, indem sie sich zum Sultan wandte, "daß ich diese List gegen Euch gebraucht habe. Sehet Ihr jetzt noch nicht ein, wer Prinz und wer Schneider ist? Fürwahr, der Kaftan ist köstlich, den Euer Herr Sohn gemacht hat, und ich möchte ihn gerne fragen, bei welchem Meister er gelernt habe."

Der Sultan saß in tiefen Gedanken, mißtrauisch bald seine Frau, bald Labakan anschauend, der umsonst sein Erröten und seine Bestürzung, daß er sich so dumm verraten habe, zu bekämpfen suchte. "Auch dieser Beweis genügt nicht," sprach er. "Aber ich weiß, Allah sei es gedankt! ein Mittel, zu erfahren, ob ich betrogen bin oder nicht.

Er befahl, sein schnellstes Pferd vorzuführen, schwang sich auf und ritt in einen Wald, der nicht weit von der Stadt begann. Dort wohnte nach einer alten Sage eine gütige Fee, Adolzaide geheißen, welche oft schon den Königen seines Stammes in der Stunde der Not mit ihrem Rat beigestanden war; dorthin eilte der Sultan.

In der Mitte des Waldes war ein freier Platz, von hohen Zedern umgeben. Dort wohnte nach der Sage die Fee, und selten betrat ein Sterblicher diesen Platz; denn eine gewisse Scheu davor hatte sich aus alten Zeiten vom Vater auf den Sohn vererbt.

Als der Sultan dort angekommen war, stieg er ab, band sein Pferd an einen Baum, stellte sich in die Mitte des Platzes und sprach mit lauter Stimme: " Wenn es wahr ist, daß du



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meinen Vätern gütigen Rat erteiltest in der Stunde der Rot, verschmähe nicht die Bitte ihres Enkels und rate mir, Wo menschlicher Verstand zu kurzsichtig ist!

Er hatte kaum die letzten Worte gesprochen, als sich eine der Zedern öffnete und eine verschleierte Frau in langen weißen Gewändern hervortrat. "Ich weiß, warum du zu mir kommst, Sultan Saaud, dein Wille ist redlich; darum soll dir auch meine Hilfe werden. Nimm diese zwei Kistchen! Laß jene beiden, welche deine Söhne sein wollen, wählen! Ich weiß, daß der, welcher der echte ist, das rechte nicht verfehlen wird." So sprach die Verschleierte und reichte ihm zwei kleine Kistchen von Elfenbein, reich mit Gold und Perlen verziert; auf dem Deckel, welchen der Sultan vergebens zu öffnen versuchte, standen Inschriften von eingesetzten Diamanten.

Der Sultan besann sich, als er nach Hause ritt, hin und her, was wohl in den Kistchen sein könnte, welche er mit aller Mühe nicht zu eröffnen vermochte. Auch die Aufschrift gab ihm kein Licht in der Sache; denn auf dem einen stand: " Ehre und Ruhm" , auf dem andern: " Glück und Reichtum" . Der Sultan dachte bei sich, da würde auch ihm die Wahl schwer werden unter diesen beiden Dingen, die gleich anziehend, gleich lockend seien.

Als er in seinen Palast zurückgekommen war, ließ er die Sultanin rufen und sagte ihr den Ausspruch der Fee, und eine wunderbare Hoffnung erfüllte sie, daß jener, zu dem ihr Herz sie hinzog, das Kistchen wählen würde, welches seine königliche Abkunft beweisen sollte.

Vor dem Throne des Sultans wurden zwei Tische aufgestellt ; auf sie setzte der Sultan mit eigener Hand die beiden Kistchen, bestieg dann den Thron und winkte einem seiner Sklaven, die Pforte des Saales zu öffnen. Eine glänzende Versammlung von Bassas und Emiren des Reiches, die der Sultan berufen hatte, strömte durch die geöffnete Pforte. Sie ließen sich auf prachtvollen Polstern nieder, welche die Wände entlang aufgestellt waren.

Als sie sich alle niedergelassen hatten, winkte der König zum zweitenmal, und Labakan wurde hereingeführt. Mit stolzem Schritte ging er durch den Saal, warf sich vor dem Throne nieder und sprach: "Was befiehlt mein Herr und Vater?"

Der Sultan erhob sich auf seinem Thron und sprach: "Mein Sohn! Es sind Zweifel an der Echtheit deiner Ansprüche auf diesen Namen erhoben worden; eines jener Kistchen enthält die



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Bestätigung deiner echten Geburt! Wähle! Ich zweifle nicht, du wirst das rechte wählen!"

Labakan erhob sich und trat vor die Kistchen; er erwog lange, was er wählen sollte, endlich sprach er: "Verehrter Vater! Was kann es Höheres geben als das Glück, dein Sohn zu sein, was Edleres als den Reichtum deiner Gnade? Ich wähle das Kistchen, das die Aufschrift "Glück und Reichtum" zeigt."

"Wir werden nachher erfahren, ob du recht gewählt hast; einstweilen setze dich dort auf das Polster zum Bassa von Medina !" sagte der Sultan und winkte seinen Sklaven.

Omar wurde hereingeführt; sein Blick war düster, seine Miene traurig, und sein Anblick erregte allgemeine Teilnahme unter den Anwesenden. Er warf sich vor dem Throne nieder und fragte nach dem Willen des Sultans.

Der Sultan deutete ihm an, daß er eines der Kistchen zu wählen habe; er stand auf und trat vor den Tisch.

Er las aufmerksam beide Inschriften und sprach: " letzten Tage haben mich gelehrt, wie unsicher das Glück, wie vergänglich der Reichtum ist; sie haben mich aber auch gelehrt, daß ein unzerstörbares Gut in der Brust des Tapfern wohnt, die Ehre, und daß der leuchtende Stern des Ruhmes nicht mit dem Glück zugleich vergeht. Und sollte ich einer Krone entsagen, der Würfel liegt —Ehre und Ruhm, ich wähle euch !"

Er setzte seine Hand auf das Kistchen, das er erwählt hatte; aber der Sultan befahl ihm, einzuhalten; er winkte Labakan, gleichfalls vor seinen Tisch zu treten, und auch dieser legte seine Hand auf sein Kistchen.

Der Sultan aber ließ sich ein Becken mit Wasser von dem heiligen Brunnen Zemzem in Mekka bringen, wusch seine Hände zum Gebet, wandte sein Gesicht nach Osten, warf sich nieder und betete: "Gott meiner Väter ! Der du seit Jahrhunderten unsern Stamm rein und unverfälscht bewahrtest, gib nicht zu, daß ein Unwürdiger den Namen der Abassiden schände, sei mit deinem Schutze meinem echten Sohne nahe in dieser Stunde der Prüfung !"

Der Sultan erhob sich und bestieg seinen Thron wieder; allgemeine Erwartung fesselte die Anwesenden: man wagte kaum zu atmen; man hätte ein Mäuschen über den Saal gehen hören können, so still und gespannt waren alle ; die hintersten machten lange Hälse, um über die vorderen nach den Kistchen sehen zu können. Jetzt sprach der Sultan: "Öffnet die Kistchen!" und die vorher keine Gewalt zu öffnen vermochte, sprangen selbst auf.



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In dem Kistchen, das Omar gewählt hatte, lag auf einem samtenen Kissen eine kleine goldene Krone und ein Zepter; in Labakans Kistchen — eine große Nadel und ein wenig Zwirn! Der Sultan befahl den beiden, ihre Kistchen vor ihn zu bringen. Er nahm das Krönchen von dem Kissen in seine Hand, und wunderbar war es anzusehen, wie er es nahm, wurde es größer und größer, bis es die Größe einer rechten Krone erreicht hatte. Er setzte die Krone seinem Sohn Omar, der vor ihm kniete, auf das Haupt, küßte ihn auf die Stirne und hieß ihn zu seiner Rechten sich niedersetzen. Zu Labakan aber wandte er sich und sprach: " Es ist ein altes Sprichwort: Der Schuster bleibe bei seinem Leist! Es scheint, als solltest du bei der Nadel bleiben. Zwar hast du meine Gnade nicht verdient ; aber es hat jemand für dich gebeten, dem ich heute nichts abschlagen kann; drum schenke ich dir dein armseliges Leben ; aber wenn ich dir guten Rates bin, so beeile dich, daß du aus meinem Lande kommst!"

Beschämt, vernichtet, wie er war, vermochte der arme Schneidergeselle nichts zu erwidern; er warf sich vor dem Prinzen nieder, und Tränen drangen ihm aus den Augen. "Könnt Ihr mir vergeben, Prinz?" sagte er.

"Treue gegen den Freund, Großmut gegen den Feind! ist des Abassiden Stolz," antwortete der Prinz, indem er ihn aufhob, "gehe hin in Frieden!" — "O, du mein echter Sohn!" rief gerührt der alte Sultan und sank an die Brust des Sohnes ; die Emiren und Bassa und alle Großen des Reiches standen auf von ihren Sitzen und riefen: "Heil dem neuen Königssohn!" und unter dem allgemeinen Jubel schlich sich Labakan, sein Kistchen unter dem Arm, aus dem Saal.

Er ging hinunter in die Ställe des Sultans, zäumte sein Roß Murva auf und ritt zum Tore hinaus, Alessandria zu. Sein ganzes Prinzenleben kam ihm wie ein Traum vor, und nur das prachtvolle Kistchen, reich mit Perlen und Diamanten geschmückt, erinnerte ihn, daß er doch nicht geträumt habe.

Als er endlich wieder nach Alessandria kam, ritt er vor das Hans seines alten Meisters, stieg ab, band sein Rößlein an die Türe und trat in die Werkstatt. Der Meister, der ihn nicht gleich kannte, machte ein großes Wesen und fragte, was ihm zu Dienst stehe ; als er aber den Gast näher ansah und seinen alten Labakan erkannte, rief er seine Gesellen und Lehrlinge herbei, und alle stürzten sich wie wütend auf den armen Labakan, der keines solchen Empfangs gewärtig war, stießen und schlugen ihn mit Bügeleisen und Ellenmeß, stachen ihn mit Nadeln und zwickten



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ihn mit scharfen Scheren, bis er erschöpft auf einen Haufen alter Kleider niedersank.

Als er nun so dalag, hielt ihm der Meister eine Strafrede über das gestohlene Kleid ; vergebens versicherte Labakan, daß er nur deswegen wiedergekommen sei, um ihm alles zu ersetzen, vergebens bot er ihm den dreifachen Schadenersatz; der Meister und seine Gesellen fielen wieder über ihn her, schlugen ihn weidlich und warfen ihn zur Türe hinaus; zerschlagen und zerfetzt stieg er auf das Roß Murva und ritt in eine Karawanserei. Dort legte er sein müdes, zerschlagenes Haupt nieder und stellte Betrachtungen an über die Leiden der Erde, über das so oft verkannte Verdienst und über die Nichtigkeit und Flüchtigkeit aller Güter. Er schlief mit dem Entschluß ein, aller Größe zu entsagen und ein ehrsamer Bürger zu werden.

Und den andern Tag gereute ihn sein Entschluß nicht; denn die schweren Hände des Meisters und seiner Gesellen schienen alle Hoheit aus ihm herausgeprügelt zu haben.

Er verkaufte um einen hohen Preis sein Kistchen an einen Juwelenhändler, kaufte sich ein Haus und richtete sich eine Werkstatt zu seinem Gewerbe ein. Als er alles gut eingerichtet und auch ein Schild mit der Aufschrift "Labakan, Kleidermacher ," vor sein Fenster gehängt hatte, setzte er sich und begann mit jener Nadel und dem Zwirn, die er in dem Kistchen gefunden, den Rock zu flicken, welchen ihm sein Meister so grausam zerfetzt hatte. Er wurde von seinem Geschäft abgerufen , und als er sich wieder an die Arbeit setzen wollte, welch sonderbarer Anblick bot sich ihm dar ! Die Nadel nähte emsig fort, ohne von jemand geführt zu werden; sie machte feine, zierliche Stiche, wie sie selbst Labatan in seinen kunstreichsten Augenblicken nicht gemacht hatte!

Wahrlich, auch das geringste Geschenk einer gütigen Fee ist nützlich und von großem Wert ! Noch einen andern Wert hatte aber dies Geschenk; nämlich, das Stückchen Zwirn ging nie aus. die Nadel mochte so fleißig sein, als sie wollte.

Labakan bekam viele Kunden und war bald der berühmteste Schneider weit und breit ; er schnitt die Gewänder zu und machte den ersten Stich mit der Nadel daran, und flugs arbeitete diese weiter ohne Unterlaß. bis das Gewand fertig war. Meister Labakan hatte bald die ganze Stadt zu Kunden; denn er arbeitete schön und außerordentlich billig, und nur über eines schüttelten die Leute von Allessandria den Kopf, nämlich: daß er ganz ohne Gesellen und bei verschlossenen Türen arbeite.



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So war der Spruch des Kistchens, Glück und Reichtum verheißend, in Erfüllung gegangen; Glück und Reichtum begleiteten, wenn auch in bescheidenem Maße, die Schritte des guten Schneiders, und wenn er von dem Ruhm des jungen Sultans Omar, der in aller Munde lebte, hörte, wenn er hörte, daß dieser Tapfere der Stolz und die Liebe seines Volkes und der Schrecken seiner Feinde sei, da dachte der ehemalige Prinz bei sich: "Es ist doch besser, daß ich ein Schneider geblieben bin; denn um die Ehre und den Ruhm ist es eine gar gefährliche Sache." So lebte Labakan, zufrieden mit sich, geachtet von seinen Mitbürgern, und wenn die Nadel indes nicht ihre Kraft verloren, so näht sie noch jetzt mit dem ewigen Zwirn der gütigen Fee Adolzaide.

Mit Sonnenaufgang brach die Karawane auf und gelangte bald nach Birket el Had oder dem Pilgrimsbrunnen. von wo es nur noch drei Stunden Weges nach Kairo war. Man hatte um diese Zeit die Karawane erwartet, und bald hatten die Kaufleute die Freude, ihre Freunde aus Kairo ihnen entgegenkommen zu sehen. Sie zogen in die Stadt durch das Tor Bebel Falch; denn es wird für eine glückliche Vorbedeutung gehalten, wenn man von Mekka kommt, durch dieses Tor einzuziehen, weil der Prophet hindurchgezogen ist.

Auf dem Markt verabschiedeten sich die vier türkischen Kaufleute von dem Fremden und dem griechischen Kaufmann Zaleukos und gingen mit ihren Freunden nach Haus. Zaleukos aber zeigte dem Fremden eine gute Karawanserei und lud ihn ein, mit ihm das Mittagsmahl zu nehmen. Der Fremde sagte zu und versprach, wenn er nur vorher sich umgekleidet habe, zu erscheinen.

Der Grieche hatte alle Anstalten getroffen, den Fremden, welchen er auf der Reise liebgewonnen hatte, gut zu bewirten, und als die Speisen und Getränke in gehöriger Ordnung aufgestellt waren, setzte er sich, seinen Gast zu erwarten.

Langsam und schweren Schrittes hörte er ihn den Gang, der zu seinem Gemach führte, heraufkommen. Er erhob sich, um ihm freundlich entgegenzugehen und ihn an der Schwelle zu bewillkommnen; aber voll Entsetzen fuhr er zurück, als er die Türe öffnete; denn jener schreckliche Rotmantel trat ihm entgegen; er warf noch einen Blick auf ihn, es war keine Täuschung; dieselbe hohe, gebietende Gestalt, die Larve, aus welcher ihn die dunkeln Augen anblitzten, der rote Mantel mit



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der goldenen Stickerei war ihm nur allzuwohl bekannt aus den schrecklichsten Stunden seines Lebens,

Widerstreitende Gefühle wogten in Zaleukos' Brust; er hatte sich mit diesem Bild seiner Erinnerung längst ausgesöhnt und ihm vergeben, und doch riß sein Anblick alle seine Wunden wieder auf; alle jene qualvollen Stunden der Todesangst, jener Gram, der die Blüte seines Lebens vergiftete, zogen im Flug eines Augenblicks an seiner Seele vorüber.

"Was willst du, Schrecklicher?" rief der Grieche aus, als die Erscheinung noch immer regungslos auf der Schwelle stand. Weiche schnell von hinnen, daß ich dir nicht fluche!"

"Zaleukos!" sprach eine bekannte Stimme unter der Larve hervor. "Zaleukos! So empfängst du deinen Gastfreund?" Der Sprechende nahm die Larve ab, schlug den Mantel zurück; es war Selim Baruch, der Fremde.

Aber Zaleukos schien noch nicht beruhigt, ihm graute vor dem Fremden; denn nur zu deutlich hatte er in ihm den Unbekannten von der Ponte vecchio erkannt; aber die alte Gewohnheit der Gastfreundschaft siegte; er winkte schweigend dem Fremden , sich zu ihm ans Mahl zu setzen.

"Ich errate deine Gedanken," nahm dieser das Wort, als sie sich gesetzt hatten. "Deine Augen sehen fragend auf mich; — ich hätte schweigen und mich deinen Blicken nie mehr zeigen können; aber ich bin dir Rechenschaft schuldig, und darum wagte ich es auch, auf die Gefahr hin, daß du mir fluchtest, vor dir in meiner alten Gestalt zu erscheinen. Du sagtest einst zu mir: Der Glaube meiner Väter befiehlt mir, ihn zu lieben. auch ist er wohl unglücklicher als ich; glaube dieses, mein Freund, und höre meine Rechtfertigung!

Ich muß weit ausholen, um mich dir ganz verständlich zu machen. Ich bin in Alexandrien von christlichen Eltern geboren. Mein Vater, der jüngere Sohn eines alten berühmten französischen hauses, war Konsul seines Landes in Alexandrien. Ich wurde von meinem zehnten Jahre an in Frankreich bei einem Bruder meiner Mutter erzogen und verließ erst einige Jahre nach dem Ausbruch der Revolution mein Vaterland, um mit meinem Oheim, der in dem Lande seiner Ahnen nicht mehr sicher war, über dem Meer bei meinen Eltern eine Zuflucht zu suchen. Voll Hoffnung, die Ruhe und den Frieden, den uns das empörte Volk der Franzosen entrissen, im elterlichen Hause wiederzufinden , landeten wir. Aber ach! ich fand nicht alles in meines Vaters Hause, wie es sein sollte; die äußeren Stürme der bewegten Zeit waren zwar noch nicht bis hieher gelangt, desto



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unerwarteter hatte das Unglück mein Haus im innersten Herzen heimgesucht. Mein Bruder, ein junger, hoffnungsvoller Mann, erster Sekretär meines Vaters, hatte sich erst seit kurzem mit einem jungen Mädchen, der Tochter eines florentinischen Edelmanns , der in unserer Nachbarschaft wohnte, verheiratet; zwei Sage vor unserer Ankunft war diese auf einmal verschwunden, ohne daß weder unsere Familie, noch ihr Vater die geringste Spur von ihr auffinden konnten. Man glaubte endlich, sie habe sich auf einem Spaziergang zu weit gewagt und seie in Räuberhände gefallen. Beinahe tröstlicher wäre dieser Gedanke für meinen armen Bruder gewesen als die Wahrheit, die uns nur zu bald kund wurde. Die Treulose hatte sich mit einem jungen Neapolitaner, den sie im Hause ihres Vaters kennen gelernt hatte, eingeschifft. Mein Bruder, aufs äußerste empört über diesen Schritt, bot alles auf, die Schuldige zur Strafe zu ziehen; doch vergebens; seine Versuche, die in Neapel und Florenz Aufsehen erregt hatten, dienten nur dazu, sein und unser aller Unglück zu vollenden. Der florentinische Edelmann reiste in sein Vaterland zurück, zwar mit dem Vorgeben, meinem Bruder Recht zu verschaffen, der Tat nach aber, um uns zu verderben. Er schlug in Florenz alle jene Untersuchungen, welche mein Bruder angeknüpft hatte, nieder und wußte seinen Einfluß, den er auf alle Art sich verschafft hatte, so gut zu benützen, daß mein Vater und mein Bruder ihrer Regierung verdächtig gemacht und durch die schändlichsten Mittel gefangen, nach Frankreich geführt und dort vom Beil des Henkers getötet wurden. Meine arme Mutter verfiel in Wahnsinn, und erst nach zehn langen Monaten erlöste sie der Tod von ihrem schrecklichen Zustand, der aber in den letzten Tagen zu vollem, klarem Bewußtsein geworden war. So stand ich jetzt ganz allein in der Welt; aber nur ein Gedanke beschäftigte meine Seele, nur ein Gedanke ließ mich meine Trauer vergessen, es war jene mächtige Flamme, die meine Mutter in ihrer letzten Stunde in mir angefacht hatte.

In den letzten Stunden war, wie ich dir sagte, ihr Bewußtsein zurückgekehrt; sie ließ mich rufen und sprach mit Ruhe von unserm Schicksal und ihrem Ende. Dann aber ließ sie alle aus dem Zimmer gehen, richtete sich mit feierlicher Miene von ihrem ärmlichen Lager auf und sagte, ich könne mir ihren Segen erwerben, wenn ich ihr schwöre, etwas auszuführen, das sie mir auftragen würde. Ergriffen von den Worten der sterbenden Mutter, gelobte ich mit einem Eide zu tun, wie sie mir sagen werde. Sie brach nun in Verwünschungen gegen



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den Florentiner und seine Tochter aus und legte mir mit den fürchterlichsten Drohungen ihres Fluches auf, mein unglückliches Haus an ihm zu rächen. Sie starb in meinen Armen. Jener Gedanke der Rache hatte schon lange in meiner Seele geschlummert; jetzt erwachte er mit aller Macht. Ich sammelte den Rest meines väterlichen Vermögens und schwur mir, alles an meine Rache zu setzen oder selbst mit unterzugehen .

Bald war ich in Florenz, wo ich mich so geheim als möglich aufhielt; mein Plan war um viel erschwert worden durch die Lage, in welcher sich meine Feinde befanden. Der alte Florentiner war Gouverneur geworden und hatte so alle Mittel in der Hand, sobald er das geringste ahnete, mich zu verderben. Ein Zufall kam mir zu Hilfe. Eines Abends sah ich einen Menschen in bekannter Livree durch die Straßen gehen; sein unsicherer Gang, sein finsterer Blick und das halblaut herausgestoßene "Santo sacramento" und "Maledetto diavolo" ließ mich den alten Pietro, einen Diener des Florentiners, den ich schon in Alexandria gekannt hatte, erkennen. Ich war nicht in Zweifel, daß er über seinen Herrn in Zorn geraten sei, und beschloß, seine Stimmung zu benützen. Er schien sehr überrascht, mich hier zu sehen, klagte mir sein Leiden, daß er seinem Herrn, seit er Gouverneur geworden, nichts mehr recht machen könne, und mein Gold, unterstützt von seinem Zorn, brachte ihn bald auf meine Seite. Das Schwierigste war jetzt beseitigt; ich hatte einen Mann in meinem Solde, der mir zu jeder Stunde die Türe meines Feindes öffnete, und nun reifte mein Racheplan immer schneller heran. Das Leben des alten Florentiners schien mir ein zu geringes Gewicht, dem Untergang meines Hauses gegenüber , zu haben. Sein Liebstes mußte er gemordet sehen, und dies war Bianka, seine Tochter. Hatte ja sie so schändlich an meinem Bruder gefrevelt, war ja doch sie die Hauptursache unseres Unglücks. Gar erwünscht kam sogar meinem rachedürstenden Herzen die Nachricht, daß gerade in dieser Zeit Bianka zum zweitenmal sich vermählen wollte, es war beschlossen, sie mußte sterben. Aber mir selbst graute vor der Tat, und auch Pietro traute sich zu wenig Kraft zu ; darum spähten wir umher nach einem Mann, der das Geschäft vollbringen könnte. Unter den Florentinern wagte ich keinen zu dingen; denn gegen den Gouverneur würde keiner etwas solches unternommen haben. Da fiel Pietro der Plan ein, den ich nachher ausgeführt habe; zugleich schlug er dich als Fremden und Arzt als den Tauglichsten vor. Den Verlauf der Sache weißt du. Nur an deiner



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übergroßen Vorsicht und Ehrlichkeit schien mein Unternehmen zu scheitern. Daher der Zufall mit dem Mantel.

Pietro öffnete uns das Pförtchen an dem Palast des Gouverneurs ; er hätte uns auch ebenso heimlich wieder hinausgeleitet, wenn wir nicht, durch den schrecklichen Anblick, der sich uns durch die Türspalte darbot, erschreckt, entflohen wären. Von Schrecken und Reue gejagt, war ich über zweihundert Schritte fortgerannt, bis ich auf den Stufen einer Kirche niedersank. Dort erst sammelte ich mich wieder, und mein erster Gedanke warst du und dein schreckliches Schicksal, wenn man dich in dem Hause fände.

Ich schlich an den Palast; aber weder von Pietro noch von dir konnte ich eine Spur entdecken; das Pförtchen aber war offen; so konnte ich wenigstens hoffen, daß du die Gelegenheit zur Flucht benützt haben könntest.

Als aber der Tag anbrach, ließ mich die Angst vor der Entdeckung und ein unabweisbares Gefühl von Reue nicht mehr in den Mauern von Florenz. Ich eilte nach Rom. Aber denke dir meine Bestürzung. als man dort nach einigen Tagen überall diese Geschichte erzählte mit dem Beisatz, man habe den Mörder. einen griechischen Arzt, gefangen. Ich kehrte in banger Besorgnis nach Florenz zurück; denn schien mir meine Rache schon vorher zu stark, so verfluchte ich sie jetzt, denn sie war mir durch dein Leben allzu teuer erkauft. Ich kam an demselben Tage an, der dich der Hand beraubte. Ich schweige von dem. was ich fühlte, als ich dich das Schaffot besteigen und so heldenmütig leiden sah. Aber damals, als dein Blut in Strömen aufspritzte, war der Entschluß fest in mir, dir deine übrigen Lebenstage zu versüßen. Was weiter geschehen ist, weißt du; nur das bleibt mir noch zu sagen übrig, warum ich diese Reise mit dir machte.

Als eine schwere Last drückte mich der Gedanke, daß mir noch immer nicht vergeben habest darum entschloß ich mich, viele Tage mit dir zu leben und dir endlich Rechenschaft abzulegen von dem, was ich mit dir getan."

Schweigend hatte der Grieche seinen )l angehört; mit sanftem Blick bot er ihm, als er geendet hatte, seine Siechte. Ich wußte wohl, daß du unglücklicher sein müßtest als ich; denn jene grausame Tat wird wie eine dunkle Wolke ewig deine Tage verfinstern; ich vergebe die von Herzen. Über er aube mir noch eine Frage. Wie kommst du unter dieser Gestalt in die Wüste ? Was singst du an, nachdem du in Konstantinopel mir das Haus gekauft anr ;i ?"



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"Ich ging nach Alexandria zurück," antwortete der Gefragte ; "Haß gegen alle Menschen tobte in meiner Brust, brennender Haß besonders gegen jene Nationen, die man die gebildeten nennt. Glaube mir, unter meinen Moslemiten war mir wohler! Kaum war ich einige Monate in Alexandria, als jene Landung meiner Landsleute erfolgte.

Ich sah in ihnen nur die Henker meines Vaters und meines Bruders; darum sammelte ich einige gleichgesinnte junge Leute meiner Bekanntschaft und schloß mich jenen tapfern Mamelucken an, die so oft der Schrecken des französischen Heeres wurden. Als der Feldzug beendigt war, konnte ich mich nicht entschließen, zu den Künsten des Friedens zurückzukehren. Ich lebte mit einer kleinen Anzahl gleichdenkender Freunde ein unstätes und flüchtiges, dem Kampf und der Jagd geweihtes Leben; ich lebe zufrieden unter diesen Leuten, die mich wie ihren Fürsten ehren; denn wenn meine Asiaten auch nicht so gebildet sind, wie Eure Europäer, so sind sie doch weit entfernt von Neid und Verleumdung , von Selbstsucht und Ehrgeiz."

Zaleukos dankte dem Fremden für seine Mitteilung; aber er barg ihm nicht, daß er es für seinen Stand, für seine Bildung angemessener fände, wenn er in christlichen, in europäischen Ländern leben und wirken würde. Er faßte seine Hand und bat ihn, mit ihm zu ziehen, bei ihm zu leben und zu sterben.

Gerührt sah ihn der Gastfreund an. "Daraus erkenne ich," sagte er, "daß du mir ganz vergeben hast, daß du mich liebst. Nimm meinen innigsten Dank dafür!" Er sprang auf und stand in seiner ganzen Größe vor dem Griechen, dem vor dem kriegerischen Anstand, den dunkel blitzenden Augen, der tiefen, geheimnisvollen Stimme seines Gastes beinahe graute. "Dein Vorschlag ist schön," sprach jener weiter, " er möchte für jeden andern lockend sein, — ich kann ihn nicht benützen. Schon steht mein Roß gesattelt, schon erwarten mich meine Diener; lebe wohl, Zaleukos!"

Die Freunde. die das Schicksal so wunderbar zusammengeführt, umarmten sich zum Abschied. " Und wie nenne ich dich? Wie heißt mein Gastfreund, der auf ewig in meinem Gedächtnis leben wird?" fragte der Grieche.

Der Fremde sah ihn lange an, drückte ihm noch einmal die Hand und sprach: "Man nennt mich den Herrn der Wüste; ich bin der Räuber Orbasan.



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Märchen- Almanach für Söhne und Töchter gebildeter Stände auf das Jahr 1827



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der scheil von Alessandria und seine Sklaven.

Der Scheik von Alessandria, Ali Banu, war ein sonderbarer Mann; wenn er morgens durch die Straßen der Stadt ging, angetan mit einem Turban, aus den köstlichsten Kaschmirs gewunden, mit dem Festkleide und dem reichen Gürtel, der fünfzig Kamele wert war, wenn er einherging langsamen, gravitätischen Schrittes, seine Stirne in finstere Falten gelegt, seine Augenbrauen zusammengezogen, die Augen niedergeschlagen und alle fünf Schritte gedankenvoll seinen langen, schwarzen Bart streichend, — wenn er so hinging nach der Moschee, um, wie es seine Würde forderte, den Gläubigen Vorlesungen über den Koran zu halten, da blieben die Leute auf der Straße stehen, schauten ihm nach und sprachen zueinander: " Es ist doch ein schöner, stattlicher Mann !" — " Und reich, ein reicher Herr," setzte wohl ein anderer hinzu, "sehr reich; hat er nicht ein Schloß am Hafen von Stambul? Hat er nicht Güter und Felder und viele tausend Stück Vieh und viele Sklaven?" — "Ja, sprach ein dritter, "und der Tatar, der letzthin von Stambul her, vom Großherrn selbst, den der Prophet segnen möge, an ihn geschickt kam, der sagte mir, daß unser Scheit sehr in Ansehen stehe beim Reis-Effendi, beim Kapidschi-Baschi, bei allen, ja beim Sultan selbst." — "Ja," rief ein vierter, "seine Schritte sind gesegnet. Er ist ein reicher, vornehmer Herr; aber — ihr wißt, was ich meine!" — "Ja, ja !" murmelten dann die anderen dazwischen, " es ist wahr, er hat auch ein Teil zu tragen, möchten nicht mit ihm tauschen; ist ein reicher, vornehmer Herr; aber, aber !" —

Ali Banu hatte ein herrliches Haus auf dem schönsten Platz von Alessandria; vor dem Hause war eine weite Terrasse, mit Marmor ummauert, beschattet von Palmbäumen. Dort saß er oft abends und rauchte seine Wasserpfeife. In ehrerbietiger Entfernung harrten dann zwölf reichgekleidete Sklaven seines Winkes; der eine trug seinen Betel, der andere hielt seinen Sonnenschirm, ein dritter hatte Gefäße von gediegenem Golde,



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mit köstlichem Sorbet angefüllt, ein vierter trug einen Wedel oon Pfauenfedern, um die Fliegen aus der Nähe des Herrn zu verscheuchen; andere waren Sänger und trugen Lauten und Blasinstrumente, um ihn zu ergötzen mit Musik, wenn er es verlangte, und der gelehrteste von allen trug mehrere Rollen, um ihm : vorzulesen.

Aber sie harreten vergeblich auf seinen Wink; er verlangte nicht Musik noch Gesang, er wollte keine Spruche oder Gedichte weiser Dichter der Vorzeit hören, er wollte keinen Sorbet zu sich nehmen. noch Betet kauen; ja, selbst der mit dem Fächer aus Pfauenfedern hatte vergebliche Arbeit ; denn der Herr bemerkte es nicht, wenn ihn eine Fliege summend musis) wärmte.

Da blieben oft die Vorübergehenden stehen, staunten über die Pracht des Hauses, über die reichgekleideten Sklaven und über die Bequemlichkeit, womit alles versehen war ; aber wenn sie dann den Scheik ansahen, wie er so ernst und düster unter den Palmen saß, seine Augen nirgend hinwandte als auf die bläulichen Wölkchen seiner Wasserpfeife, da schüttelten sie die Köpfe und sprachen: "Wahrlich, der reiche Mann ist ein armer Mann. Er, der viel hat, ist ärmer, als der nichts hat; denn der Prophet dat ihm den Verstand nicht gegeben, es zu genießen."

So sprachen die Leute, lachten über ihn und gingen weiter.

Sines Abends, als der Scheit wiederum vor der Türe seines Haases urner den Palmen saß, umgeben von allem Glanz der Erde, uns traurig und einsam seine Wasserpfeife rauchte, standen nicht ferne davon einige junge Leute, betrachteten ihn und lachten.

"Wahrlich," sprach der eine, " das ist ein törichter Mann, der Scheit Ali Banu. Hätte ich seine Schütze, ich wollte sie anders anwenden. Alle Tage wollte ich leben herrlich und in Freuden. Meine Freunde müßten bei mir speisen in den großen Gemächern des Hauses, und Jubel und Lachen müßten diese traurigen Hallen füllen."

"Ja," erwiderte ein anderer. "Das wäre nicht so übel; aber viele Freunde zehren ein Gut auf, und wäre es so groß als das des Sultans, den der Prophet segne. Aber säße ich abends so unter den Palmen auf dem schönen Platze hier, da müssten mir die Sklaven dort singen und musizieren, meine Tänzer müßten kommen und tanzen und springen und allerlei wunderliche Stücke aufführen. Dazu rauchte ich recht vornehm die Wasserpfeife, ließe mir den köstlichen Sorbet reichen und ergötzte mich an all diesem wie ein König von Bagdad."

"Der Scheik," sprach ein dritter dieser jungen Leute, der ein Schreiber war, "der Scheik soll ein gelehrter und weiser



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Mann sein, und wirklich, seine Vorlesungen über den Koran zeugen von Belesenheit in allen Dichtern und Schriften der Weisheit. Aber ist auch sein Leben so eingerichtet, wie es einem vernünftigen Manne geziemt? Dort steht ein Sklave mit einem ganzen Arm voll Rollen, ich gäbe mein Festkleid dafür, nur eine davon lesen zu dürfen; denn es sind gewiß seltene Sachen. Aber er? Er sitzt und raucht und läßt Bücher — Bücher sein. Wäre ich der Scheit Ali Banu, der Kerl müßte mir vorlesen, bis er keinen Atem mehr hätte oder bis die Nacht heraufkäme. Und auch dann noch müßte er mir lesen, bis ich entschlummert wäre."

"Ha! Ihr wißt mir recht, wie man sich ein köstliches Leben einrichtet," lachte der vierte. "Essen und trinken, singen und tanzen, Sprüche lesen und Gedichte hören von armseligen Dichtern ! Nein, ich würde es ganz anders machen. Er hat die herrlichsten Pferde und Kamele und Geld die Menge. Da würde ich an seiner Stelle reisen, reisen bis an der Welt Ende und selbst zu den Moskowitern, selbst zu den Franken. Kein Weg Wäre mir zu weit, um die Herrlichkeiten der Welt zu sehen. So würde ich tun, wäre ich jener Mann dort."

"Die Jugend ist eine schöne Zeit und das Alter, wo man fröhlich ist," sprach ein alter Mann von unscheinbarem Aussehen, der neben ihnen stand und ihre Reden gehört hatte; " aber erlaubet mir, daß ich es sage: die Jugend ist auch töricht und schwatzt hie und da in den Tag hinein, ohne zu wissen, was sie tut."

"Was wollt Ihr damit sagen, Alter?" fragten verwundert die jungen Leute. "Meinet Ihr uns damit? Was geht es Euch an, daß wir die Lebensart des Scheit tadeln?"

"Wenn einer etwas besser weiß als der andere, so berichtige er seinen Irrtum, so will es der Prophet," erwiderte der alte Mann. "Der Scheik, es ist wahr, ist gesegnet mit Schätzen und hat alles, wornach das Her; verlangt; aber er hat Ursache, ernst und traurig zu sein. Meinet ihr, er sei immer so gewesen? Nein, ich habe ihn noch vor funfzehn Jahren gesehen, da war er munter und rüstig wie die Gazelle und lebte fröhlich und genoß sein Leben. Damals hatte er einen Sohn, die Freude seiner Tage, schön und gebildet, und wer ihn sah und sprechen hörte, mußte den Scheit beneiden um diesen Schatz; denn er war erst zehn Jahre alt, und doch war er schon so gelehrt wie ein anderer kaum im achtzehnten.

"Und der ist ihm gestorben? Der arme Scheit!" rief der junge Schreiber.



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Es wäre tröstlich für ihn, zu wissen, daß er heimgegangen in die Wohnungen des Propheten, wo er besser lebte als hier in Alessandria. Aber das, was er erfahren mußte, ist viel schlimmer . Es war damals die Zeit, wo die Franken wie hungrige Wölfe herüberkamen in unser Land und Krieg mit uns führten. Sie hatten Alessandria überwältigt und zogen von da aus weiter und immer weiter und bekriegten die Mamelucken. Der Scheik war ein kluger Mann und wußte sich gut mit ihnen zu vertragen; aber, sei es, weil sie lüstern waren nach seinen Schätzen, sei es, weil er sich seiner gläubigen Brüder annahm, ich weiß es nicht genau; kurz, sie kamen eines Tages in sein Haus und beschuldigten ihn, die Mamelucken heimlich mit Waffen, Pferden und Lebensmitteln unterstützt zu haben. Er mochte seine Unschuld beweisen, wie er wollte, es half nichts; denn die Franken sind ein rohes, hartherziges Volk, wenn es darauf ankommt, Geld zu erpressen. Sie nahmen also seinen jungen Sohn, Kairam geheißen, als Geisel in ihr Lager. Er bot ihnen viel Geld für ihn; aber sie gaben ihn nicht los und wollten ihn zu noch höherem Gebot steigern. Da kam ihnen auf einmal von ihrem Bassa, oder was er war, der Befehl, sich einzuschiffen. Niemand in Alessandria wußte ein Wort davon, und — plötzlich waren sie auf der hohen See, und den kleinen Kairam, Ali Banus Sohn, schleppten sie wohl mit sich; denn man hat nie wieder etwas von ihm gehört."

"O der arme Mann, wie hat ihn doch Allah geschlagen!" riefen einmütig die jungen Leute und schauten mitleidig hin nach dem Scheik, der, umgeben von Herrlichkeit. trauernd und einsam unter den Palmen saß.

"Sein Weib, das er sehr geliebt hat, starb ihm aus Kummer uni ihren Sohn. Er selbst aber kaufte sich ein Schiff, rüstete es aus und bewog den fränkischen Arzt, der dort unten am Brunnen wohnt, mit ihm nach Frankistan zu reisen. um den verlorenen Sohn aufzusuchen. Sie schifften sich ein und waren lange Zeit auf dem Meere und kamen endlich in das Land jener Giaurs, jener Ungläubigen, die in Alessandria gewesen waren. Aber dort soll es gerade schrecklich zugegangen sein. Sie hatten ihren Sultan umgebracht, und die Paschas und die Reichen und Armen schlugen einander die Köpfe ab, und es war keine Ordnung im Lande. Vergeblich suchten sie in jeder Stadt nach dem kleinen Kairam ; niemand wollte von ihm wissen, und der fränkische Doktor riet endlich dem Scheik, sich einzuschiffen, weil sie sonst wohl selbst um ihre Köpfe kommen könnten.



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"So kamen sie wieder zurück, und seit seiner Ankunft hat der Scheik gelebt wie an diesem Tag ; denn er trauert um seinen Sohn, und er hat recht. Muß er nicht, wenn er ißt und trinkt, denken, jetzt muß vielleicht mein armer Kairam hungern und dürsten? Und wenn er sich bekleidet mit reichen Schals und Festkleidern, wie es sein Amt und seine Würde will, muß er nicht denken, jetzt hat er wohl nicht, womit er seine Blöße deckt? Und wenn er umgeben ist von Sängern und Tänzern und Vorlesern , seinen Sklaven, denkt er da nicht, jetzt muß wohl mein armer Sohn seinem fränkischen Gebieter Sprünge vormachen und musizieren, wie er es haben will? Und was ihm den größten Kummer macht, er glaubt, der kleine Kairam werde, so weit vom Lande seiner Väter und mitten unter Ungläubigen, die seiner spotten, abtrünnig werden vom Glauben seiner Väter und er werde ihn einst nicht umarmen können in den Gärten des Paradieses!

Darum ist er auch so mild gegen seine Sklaven und gibt große Summen an die Armen; denn er denkt, Allah werde es vergelten und das Herz seiner fränkischen Herren rühren, daß sie seinen Sohn mild behandeln. Auch gibt er jedesmal, wenn der Tag kömmt, an welchem ihm sein Sohn entrissen wurde, zwölf Sklaven frei."

"Davon habe ich auch schon gehört," entgegnete der Schreiber. Aber man trägt sich mit wunderlichen Reden. Von seinem Sohne wurde dabei nichts erwähnt; wohl aber sagte man, er sei ein sonderbarer Mann und ganz besonders erpicht auf Erzählungen. Da soll er jedes Jahr unter seinen Sklaven einen Wettstreit anstellen, und wer am besten erzählt, den gibt er frei."

"Verlasset euch nicht auf das Gerede der Leute" sagte der alte Mann; " es ist so, wie ich es sage, und ich weiß es genau; möglich ist, daß er sich an diesem schweren Tage aufheitern will und sich Geschichten erzählen läßt; doch gibt er sie frei um seines Sohnes willen. Doch der Abend wird kühl, und ich muß weiter gehen. Salem aleikum, Friede sei mit euch, ihr jungen Herren, und denket in Zukunft besser von dem guten Scheit!"

Die jungen Leute dankten dem Alten für seine Nachrichten, schauten noch einmal nach dem trauernden Vater und gingen die Straße hinab, indem sie zueinander sprachen: "Ich möchte doch nicht der Scheik Ali Banu sein.

Nicht lange Zeit, nachdem diese jungen Leute mit dem alten Mann über den Scheik Ali Banu gesprochen hatten, traf es sich, daß sie um die Zeit des Morgengebets wieder diese Straße



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gingen. Da fiel ihnen der alte Mann und seine Erzählung ein, und sie beklagten zusammen den Scheik und blickten nach seinem Hause. Aber wie staunten sie, als sie dort alles aufs herrlichste ausgeschmückt fanden! Von dem Dache, wo geputzte Sklavinnen spazieren gingen, wehten Wimpeln und Fahnen, die Halle des Hauses war mit köstlichen Teppichen belegt, Seidenstoff schloß sich an diese an, der über die breiten Stufen der Treppe gelegt war, und selbst auf der Straße war noch schönes, feines Tuch ausgebreitet, wovon sich mancher wünschen mochte zu einem Festkleid oder zu einer Decke für die Füße.

"Ei, wie hat sich doch der Scheit geändert in den wenigen Tagen!" sprach der junge Schreiber. "Will er ein Fest geben? Will er seine Sänger und Tänzer anstrengen? Seht mir diese Teppiche! Hat sie einer so schön in ganz Alessandria! Und dieses Tuch auf dem gemeinen Boden, wahrlich, es ist schade dafür!"

"Weißt du, was ich denke?" sprach ein anderer. " Er empfängt sicherlich einen hohen Gast; denn das sind Zubereitungen, wie man sie macht, wenn ein Herrscher von großen Ländern oder ein Effendi des Großherrn ein Haus mit seinem Besuch segnet. Wer mag wohl heute hierher kommen?"

Siehe da, geht dort unten nicht unser Alter von letzthin? Ei, der weiß ja alles und muß auch darüber Aufschluß geben können. Heda! Alter Herr! Wollet Ihr nicht ein wenig zu uns treten?" So riefen sie; der alte Mann aber bemerkte ihre Winke und kam zu ihnen; denn er erkannte sie als die jungen Leute, mit welchen er vor einigen Tagen gesprochen. Sie machten ihn aufmerksam auf die Zurüstungen im Hause des Scheit und fragten ihn, ob er nicht wisse, welch hoher Gast wohl erwartet werde.

"Ihr glaubt wohl," erwiderte er, " Ali Banu feiere heute ein großes Freudenfest oder der Besuch eines großen Mannes beehre sein Haus? Dem ist nicht also; aber heute ist der zwölfte Tag de:, Monats Ramadan, wie ihr wisset, und an diesem Tag wurde sein Sohn ins Lager geführt."

"Aber beim Bart des Propheten!" rief einer der jungen Leute, "das sieht ja alles aus wie Hochzeit und Festlichkeiten, und doch ist sein berühmter Trauertag; Wie reimt Ihr das zusammen? Gesteht, der Scheit ist denn doch etwas zerrüttet im Verstand."

"Urteilet Ihr noch immer so schnell, mein junger Freund ?" fragte der Alte lächelnd. "Auch diesmal war Euer P! eil wohl spitzig und scharf, die Sehne Eures Bogens straff angezogen, und



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doch habt Ihr weit ab vom Ziele geschossen. Wisset, daß heute der Scheik seinen Sohn erwartet !"

"So ist er gefunden?" riefen die Jünglinge und freuten sich

"Nein, und er wird sich wohl lange nicht finden; aber wisset Vor acht oder zehen Jahren, als der Scheik auch einmal mit Trauern und Klagen diesen Tag beging, auch Sklaven freigab und viele Arme speisete und tränkte, da traf es sich, daß er auch einem Derwisch, der müde und matt im Schatten jenes Hauses lag, Speise und Trank reichen ließ. Der Derwisch aber war ein heiliger Mann und erfahren in Prophezeiungen und im Sterndeuten . Der trat, als er gestärkt war durch die milde Hand des Scheiks, zu ihm und sprach: ,Ich kenne die Ursache deines Kummers; ist nicht heute der zwölfte Ramadan, und hast du nicht an diesem Tage deinen Sohn verloren? Aber sei getrost, dieser Tag der Trauer wird dir zum Festtag werden; denn wisse: an diesem Tage wird einst dein Sohn zurückkehren!' So sprach der Derwisch. Es wäre Sünde für jeden Muselmann, an der Rede eines solchen Mannes zu zweifeln; der Gram Alis wurde zwar dadurch nicht gemildert, aber doch harrt er an diesem Tage immer auf die Rückkehr seines Sohnes und schmückt sein Haus und seine Halle und die Treppen, als könne jener zu jeder Stunde anlangen."

Wunderbar !" erwiderte der Schreiber. " Aber zusehen möchte ich doch, wie alles so herrlich bereitet ist, wie er selbst in dieser Herrlichkeit trauert, und hauptsächlich möchte ich zuhören , wie er sich von seinen Sklaven erzählen läßt."

"Nichts leichter als dies," antwortete der Alte. "Der Aufseher der Sklaven jenes Hauses ist mein Freund seit langen Jahren und gönnt mir an diesem Tage immer ein Plätzchen in dem Saal, two man unter der Menge der Diener und Freunde des Scheiks den einzelnen nicht bemerkt. Ich will mit ihm reden, daß er euch einläßt; ihr seid ja nur zu vier, und da kann es schon gehen; kommet um die neunte Stunde auf diesen Platz, und ich will euch Antwort geben."

So sprach der Alte; die jungen Leute aber dankten ihm und entfernten sich, voll Begierde zu sehen, wie sich dies alles begeben würde.

Sie kamen zur bestimmten Stunde auf den Platz vor dem Hause des Scheik und trafen da den Alten, der ihnen sagte, daß der Aufseher der Sklaven erlaubt habe, sie einzuführen. Er ging voran, doch nicht durch die reichgeschmückten Treppen und Tore, sondern durch ein Seitenpförtchen, das er sorgfältig wieder verschloß. Dann führte er sie durch mehrere Gänge, bis sie in den



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großen Saal kamen. Hier war ein großes Gedränge von allen Seiten; da waren reichgekleidete Männer, angesehene Herren der Stadt und Freunde des Scheik, die gekommen waren, ihn in seinem Schmerz zu trösten. Da waren Sklaven allerart und aller Nationen. Aber alle sahen kummervoll aus ; denn sie liebten ihren Herrn und trauerten mit ihm. Am Ende des Saales, auf einem reichen Diwan, saßen die vornehmsten Freunde Alis und wurden von den Sklaven bedient. Neben ihnen auf dem Boden saß der Scheik; denn die Trauer um seinen Sohn erlaubte ihm nicht, auf dem Teppich der Freude zu sitzen. Er hatte sein Haupt in die Hand gestützt und schien wenig auf die Tröstungen zu hören, die ihm seine Freunde zuflüsterten. Ihm gegenüber saßen einige alte und junge Männer in Sklaventracht. Der Alte belehrte seine jungen Freunde, daß dies die Sklaven seien, die Ali Banu an diesem Tage freigebe. Es waren unter ihnen auch einige Franken, und der Alte machte besonders auf einen von ihnen aufmerksam, der von ausgezeichneter Schönheit und noch sehr jung war. Der Scheik hatte ihn erst einige Tage zuvor einem Sklavenhändler von Tunis um eine große Summe abgekauft und gab ihn dennoch jetzt schon frei, weil er glaubte, je mehr Franken er in ihr Vaterland zurückschicke, desto früher werde der Prophet seinen Sohn erlösen.

Nachdem man überall Erfrischungen umhergereicht hatte, gab der Scheik dem Aufseher der Sklaven ein Zeichen. Dieser stand auf, und es ward tiefe Stille im Saal. Er trat vor die Sklaven, welche freigelassen werden sollten, und sprach mit vernehmlicher Stimme: "Ihr Männer, die ihr heute frei sein werdet durch die Gnade meines Herrn Ali Banu, des Scheit von Alessandria, tuet nun, wie es Sitte ist an diesem Tage in seinem Hause und hebet an zu erzählen!"

Sie flüsterten untereinander. Dann aber nahm ein alter Sklave das Wort und fing an zu erzählen:


Der Zwerg Nase.

"Herr! Diejenigen tun sehr unrecht, welche glauben, es habe nur zu Zeiten Haruns Al-Raschid, des Beherrschers von Bagdad, Feen und Zauberer gegeben. oder die gar behaupten, jene Berichte von dem Treiben der Genien und ihrer Fürsten, welche man von den Erzählern auf den Märkten der Stadt hört, seien unwahr. Noch heute gibt es Feen, und es ist nicht so lange her,



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daß ich selbst Zeuge einer Begebenheit war, wo offenbar die Genien im Spiele waren, wie ich Euch berichten werde.

In einer bedeutenden Stadt meines lieben Vaterlandes, Deutschlands, lebte vor vielen Jahren ein Schuster mit seiner Frau schlicht und recht. Er saß bei Tag an der Ecke der Straße und flickte Schuhe und Pantoffel und machte wohl auch neue, wenn ihm einer welche anvertrauen mochte; doch mußte er dann das Leder erst einkaufen; denn er war arm und hatte keine Vorräte. Seine Frau verkaufte Gemüse und Früchte, die sie in einem kleinen Gärtchen vor dem Tore pflanzte, und viele Leute kauften gerne bei ihr, weil sie reinlich und sauber gekleidet war und ihr Gemüse auf gefällige Art auszubreiten und zu legen wußte.

Die beiden Leutchen hatten einen schönen Knaben, angenehm von Gesicht, wohlgestaltet, und für das Alter von zwölf Jahren schon ziemlich groß. Er pflegte gewöhnlich bei der Mutter auf dem Gemüsemarkt zu sitzen, und den Weibern oder Köchen, die viel bei der Schustersfrau eingekauft hatten, trug er wohl auch einen Teil der Früchte nach Hause, und selten kam er von einem solchen Gang zurück ohne eine schöne Blume oder ein Stückchen Geld oder Kuchen; denn die Herrschaften dieser Köche sahen es gerne, wenn man den schönen Knaben mit nach Hause brachte, und beschenkten ihn immer reichlich.

Eines Tages saß die Frau des Schusters wieder wie gewöhnlich auf dem Markte ; sie hatte vor sich einige Körbe mit Kohl und anderm Gemüse, allerlei Kräuter und Sämereien, auch in einem kleineren Körbchen frühe Birnen, Äpfel und Aprikosen. Der kleine Jakob, so hieß der Knabe, saß neben ihr und rief mit heller Stimme die Waren aus : "Hieher, ihr Herren, seht, welch schöner Kohl, wie wohlriechend diese Kräuter! Frühe Birnen, ihr Frauen, frühe Äpfel und Aprikosen! Wer kauft? Meine Mutter gibt es wohlfeil." So rief der Knabe. Da kam ein altes Weib über den Markt her; sie sah etwas zerrissen und zerlumpt aus, hatte ein kleines, spitziges Gesicht, vom Alter ganz eingefurcht, rote Augen und eine spitzige, gebogene Nase, die gegen das Kinn hinabstrebte; sie ging an einem langen Stock, und doch konnte man nicht sagen, wie sie ging; denn sie hinkte und rutschte und wankte; es war, als habe sie Räder in den Beinen und könne alle Augenblicke umstülpen und mit der spitzigen Nase aufs Pflaster fallen.

Die Frau des Schusters betrachtete dieses Weib aufmerksam. Es waren jetzt doch schon sechzehn Jahre, daß sie täglich auf dem Markte saß, und nie hatte sie diese sonderbare Gestalt



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bemerkt. Aber sie erschrak unwillkürlich, als die Alte auf sie zuhinkte und an ihren Körben stille stand.

Seid Ihr Hanne, die Gemüsehändlerin?" fragte das alte Weib mit unangenehmer, krächzender Stimme, indem sie beständig den Kopf hin- und herschüttelte.

"Ja, die bin ich," antwortete die Schustersfrau "ist Euch etwas gefällig ?"

"Wollen sehen, wollen sehen! Kräutlein schauen, Kräutlein schauen, ob du hast, was ich brauche," antwortete die Alte, beugte sich nieder vor den Körben und fuhr mit ein Paar dunkelbraunen , häßlichen Händen in den Kräuterkorb hinein, packte die Kräutlein, die so schön und zierlich ausgebreitet waren, mit ihren langen Spinnenfingern, brachte sie dann eins um das andere hinauf an die lange Nase und beroch sie hin und her. Der Frau des Schusters wollte es fast das Herz abdrücken, wie sie das alte Weib also mit ihren seltenen Kräutern hantieren sah; aber sie wagte nichts zu sagen; denn es war das Recht des Käufers, die Ware zu prüfen, und überdies empfand sie ein sonderbares Grauen vor dem Weibe. Als jene den ganzen Korb durchgemustert hatte, murmelte sie: "Schlechtes Zeug, schlechtes Kraut, nichts von allem, was ich will ; war viel besser vor fünfzig Jahren; schlechtes Zeug, schlechtes Zeug !"

Solche Reden verdrossen nun den kleinen Jakob. "Höre, du bist ein unverschämtes, altes Weib," rief er unmutig ; "erst fährst du mit deinen garstigen, braunen Fingern in die schönen Kräuter hinein und drückst sie zusammen, dann hältst du sie an deine lange Nase, daß sie niemand mehr kaufen mag, wer zugesehen, und jetzt schimpfst du noch unsere Ware schlechtes Zeug, und doch kauft selbst der Koch des Herzogs alles bei uns !"

Das alte Weib schielte den mutigen Knaben an, lachte widerlich und sprach mit heiserer Stimme: "Söhnchen, Söhnchen! Also gefällt dir meine Nase, meine schöne lange Nase? Sollst auch eine haben mitten im Gesicht bis übers Kinn herab." Während sie so sprach, rutschte sie an den andern Korb, in welchem Kohl ausgelegt war. Sie nahm die herrlichsten weißen Kohlhäupter in die Hand, drückte sie zusammen, daß sie ächzten, warf sie dann wieder unordentlich in den Korb und sprach auch hier Schlechte Ware, schlechter Kohl!"

"Wackle nur nicht so garstig mit dem Kopf hin und her!" rief der Kleine ängstlich. "Dein Hals ist ja so dünne wie ein Kohlstengel, der könnte leicht abbrechen, und dann fiele dein Kopf hinein in den Korb ; wer wollte dann noch kaufen!"



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"Gefallen sie dir nicht, die dünnen Hälse?" murmelte die Alte lachend. "Sollst gar keinen haben, Kopf muß in den Schultern stecken, daß er nicht herabfällt vom kleinen Körperlein!"

"Schwatzt doch nicht so unnützes Zeug mit dem Kleinen da," sagte endlich die Frau des Schusters im Unmut über das lange Prüfen, Mustern und Beriechen, " wenn Ihr etwas kaufen wollt, so sputet Euch, Ihr verscheucht mir ja die andern Kunden."

"Gut, es sei, wie du sagst," rief die Alte mit grimmigem Blick; "ich will dir diese sechs Kohlhäupter abkaufen; aber siehe, ich muß mich auf den Stab stützen und kann nichts tragen; erlaube deinem Söhnlein, daß es mir die Ware nach Hause bringt; ich will es dafür belohnen."

Der Kleine wollte nicht mitgehen und weinte; denn ihm graute vor der häßlichen Frau; aber die Mutter befahl es ihm ernstlich, weil sie es doch für eine Sünde hielt, der alten, schwächlich en Frau diese Last allein aufzubürden; halb weinend tat er, wie sie befohlen, raffte die Kohlhäupter in ein Tuch zusammen und folgte dem alten Weib über den Markt hin.

Es ging nicht sehr schnell bei ihr, und sie brauchte beinahe drei Viertelstunden, bis sie in einen ganz entlegenen Teil der Stadt kam und endlich vor einem kleinen, baufälligen Hause stillhielt. Dort zog sie einen alten, rostigen Haken aus der Tasche, fuhr damit geschickt in ein kleines Loch in der Türe, und plötzlich sprang diese krachend auf. Aber wie war der kleine Jakob überrascht, als er eintrat ! Das Innere des Hauses war prachtvoll ausgeschmückt, von Marmor waren die Decke und die Wände, die Gerätschaften vom schönsten Ebenholz, mit Gold und geschliffenen Steinen eingelegt, der Boden aber war von Glas und so glatt, daß der Kleine einigemal ausgleitete und umfiel. Die Alte aber zog ein silbernes Pfeifchen aus der Tasche und pfiff eine Weise darauf, die gellend durch das Haus tönte. Da kamen sogleich einige Meerschweinchen die Treppe herab; dem Jakob wollte es aber ganz sonderbar dünken, daß sie aufrecht auf zwei Beinen gingen, Nußschalen statt Schuhen an den Pfoten trugen, menschliche Kleider angelegt und sogar Hüte nach der neuesten Mode auf die Köpfe gesetzt hatten. "Wo habt ihr meine Pantoffeln, schlechtes Gesindel?" rief die Alte und schlug mit dem Stock nach ihnen, daß sie jammernd in die Höhe sprangen; "wie lange soll ich noch so dastehen?

Sie sprangen schnell die Treppe hinauf und kamen wieder mit ein Paar Schalen von Kokosnuß, mit Leder gefüttert, welche sie der Alten geschickt an die Füße steckten



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Jetzt war alles Hinken und Rutschen vorbei. Sie warf den Stab von sich und gleitete mit großer Schnelligkeit über den Glasboden hin, indem sie den kleinen Jakob an der Hand mit fortzog . Endlich hielt sie in einem Zimmer stille, das, mit allerlei Gerätschaften ausgeputzt, beinahe einer Küche glich, obgleich die Tische von Mahagoniholz und die Sofas, mit reichen Teppichen behängt, mehr zu einem Prunkgemach paßten. "Setze dich, Söhnchen ," sagte die Alte recht freundlich, indem sie ihn in die Ecke eines Sofas drückte und einen Tisch also vor ihn hinstellte, daß er nicht mehr hervorkommen konnte. "Setze dich, du hast gar schwer zu tragen gehabt, die Menschenköpfe sind nicht so leicht, nicht so leicht."

"Aber, Frau, was sprechet Ihr so wunderlich?" rief der Kleine. "Müde bin ich zwar, aber es waren ja Kohlköpfe, die ich getragen; Ihr habt sie meiner Mutter abgekauft."

"Ei, das weißt du falsch," lachte das Weib, deckte den Deckel des Korbes auf und brachte einen Menschenkopf hervor, den sie am Schopf gefaßt hatte. Der Kleine war vor Schrecken außer sich; er konnte nicht fassen, wie dies alles zuging; aber er dachte an seine Mutter ; wenn jemand von diesen Menschenköpfen etwas erfahren würde, dachte er bei sich, da würde man gewiß meine Mutter dafür anklagen.

"Muß dir nun auch etwas geben zum Lohn, weil du so artig bist," murmelte die Alte, "gedulde dich nur ein Weilchen, will dir ein Süppchen einbrocken, an das du dein Leben lang denken wirst." So sprach sie und pfiff wieder. Da kamen zuerst viele Meerschweinchen in menschlichen Kleidern; sie hatten Küchenschürzen umgebunden und im Gürtel Rührlöffel und Tranchiermesser; nach diesen kam eine Menge Eichhörnchen hereingehüpft; sie hatten weite türkische Beinkleider an, gingen aufrecht, und auf dem Kopf trugen sie grüne Mützchen von Samt. Diese schienen die Küchenjungen zu sein; denn sie kletterten mit großer Geschwindigkeit an den Wänden hinauf und brachten Pfannen und Schüsseln, Eier und Butter, Kräuter und Mehl herab und trugen es auf den Herd ; dort aber fuhr die alte Frau auf ihren Pantoffeln von Kokosschalen beständig hin und her, und der Kleine sah, daß sie es sich recht angelegen sein lasse, ihm etwas Gutes zu kochen. Jetzt knisterte das Feuer höher empor, jetzt rauchte und sott es in der Pfanne, ein angenehmer Geruch verbreitete sich im Zimmer; die Alte aber rannte auf und ab, die Eichhörnchen und Meerschweine ihr nach, und so oft sie am Herde vorbeikam, guckte sie mit ihrer langen Nase in den Topf Endlich fing es an zu sprudeln und zu zischen, Dampf stieg aus



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dem Topf hervor, und der Schaum floß herab ins Feuer. Da nahm sie ihn weg, goß davon in eine silberne Schale und setzte sie dem kleinen Jakob vor

So, Söhnchen, so," sprach sie, "iss nur dieses Süppchen, dann hast du alles, was dir an mir so gefallen! Sollst auch ein geschickter Koch werden, daß du doch etwas bist; aber Kräutlein, nein, das Kräutlein sollst du nimmer finden. Warum hat es deine Mutter nicht in ihrem Korb gehabt?" Der Kleine verstand nicht recht, was sie sprach, desto aufmerksamer behandelte er die Suppe, die ihm ganz trefflich schmeckte, Seine Mutter hatte ihm manche schmackhafte Speise bereitet; aber so gut war ihm noch nichts geworden. Der Duft von feinen Kräutern und Gewürzen stieg aus der Suppe auf, dabei war sie süß und säuerlich zugleich und sehr stark. Während er noch die letzten Tropfen der köstlichen Speise austrank, zündeten die Meerschweinchen arabischen Weihrauch an, der in bläulichen Wolken durch das Zimmer schwebte; dichter und immer dichter wurden diese Wolken und sanken herab, der Geruch des Weihrauchs wirkte betäubend auf den Kleinen; er mochte sich zurufen, so oft er wollte, daß er zu seiner Mutter zurückkehren müsse; wenn er sich ermannte, sank er immer wieder von neuem in den Schlummer zurück und schlief endlich wirklich auf dem Sofa des alten Weibes ein.

Sonderbare Träume kamen über ihn. Es war ihm, als ziehe ihm die Alte seine Kleider aus und umhülle ihn dafür mit einem Eichhörnchensbalg. Jetzt konnte er Sprünge machen und klettern wie ein Eichhörnchen; er ging mit den übrigen Eichhörnchen und Meerschweinchen, die sehr artige, gesittete Leute waren, um und hatte mit ihnen den Dienst bei der alten Frau. Zuerst wurde er nur zu den Diensten eines Schuhputzers gebraucht, d. h. er mußte die Kokosnüsse, welche die Frau statt der Pantoffeln trug, mit Öl salben und durch Reiben glänzend machen. Da er nun in seines Vaters Hause zu ähnlichen Geschäften oft angehalten worden war, so ging es ihm flink von der Hand; etwa nach einem Jahre, träumte er weiter, wurde er zu einem feineren Geschäft gebraucht; er mußte nämlich mit noch einigen Eichhörnchen Sonnenstäubchen fangen und, wenn sie genug hatten, solche durch das feinste Haarsieb sieben. Die Frau hielt nämlich die Sonnenstäubchen für das Allerfeinste, und weil sie nicht gut beißen konnte, denn sie hatte keinen Zahn mehr, so ließ sie sich ihr Brot aus Sonnenstäubchen zubereiten.

Wiederum nach einem Jahre wurde er zu den Dienern versetzt, die das Trinkwasser für die Alte sammelten. Man denke nicht, daß sie sich hiezu etwa eine Zisterne hätte graben lassen oder



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ein Faß in den Hof stellte, um das Regenwasser darin aufzufangen ; da ging es viel feiner zu die Eichhörnchen, und Jakob mit ihnen, mußten mit Haselnußschalen den Tau aus den Rosen schöpfen, und das war das Trinkwasser der Alten. Da sie nun bedeutend viel trank, so hatten die Wasserträger schwere Arbeit. Nach einem Jahr wurde er zum inneren Dienst des Hauses bestellt; er hatte nämlich das Amt, die Böden rein zu machen; da nun diese von Glas waren, worin man jeden Hauch sah, war es keine geringe Arbeit. Sie mußten sie bürsten und altes Tuch an die Füße schnallen, und auf diesem künstlich im Zimmer umherfahren. Im vierten Jahre ward er endlich zur Küche versetzt . Es war dies ein Ehrenamt, zu welchem man nur nach langer Prüfung gelangen konnte. Jakob diente dort vom Küchenjungen aufwärts bis zum ersten Pastetenmacher und erreichte eine so ungemeine Geschicklichkeit und Erfahrung in allem, was die Küche betrifft, daß er sich oft über sich selbst wundern mußte; die schwierigsten Sachen, Pasteten von zweihunderterlei Essenzen, Kräutersuppen, von allen Kräutlein der Erde zusammengesetzt, alles lernte er, alles verstand er schnell und kräftig zu machen.

So waren etwa sieben Jahre im Dienste des alten Weibes vergangen; da befahl sie ihm eines Tages, indem sie die Kokosschuhe auszog, Korb und Krückenstock zur Hand nahm, um auszugehen , er sollte ein Hühnlein rupfen, mit Kräutern füllen und solches schön bräunlich und gelb rösten, bis sie wiederkäme. Er tat dies nach den Regeln der Kunst. Er drehte dem Hühnlein den Kragen um, brühte es in heißem Wasser, zog ihm geschickt die Federn aus, schabte ihm nachher die Haut, daß sie glatt und fein wurde, und nahm ihm die Eingeweide heraus. Sodann fing er an, die Kräuter zu sammeln. womit er das Hühnlein füllen sollte. In der Kräuterkammer gewahrte er aber diesmal ein Wandschränkchen, dessen Türe halb geöffnet war und das er sonst nie bemerkt hatte. Er ging neugierig näher, um zu sehen, was es enthalte, und siehe da, es standen viele Körbchen darinnen, von welchen ein starker, angenehmer Geruch ausging. Er öffnete eines dieser Körbchen und fand darin Kräutlein von ganz besonderer Gestalt und Farbe. Die Stengel und Blätter waren blaugrün und trugen oben eine kleine Blume von brennendem Rot, mit Gelb verbrämt . er betrachtete sinnend diese Blume, beroch sie, und sie strömte denselben starken Geruch aus, von dem einst jene Suppe, die ihm die Alte gekocht, geduftet hatte. Aber so stark war der Geruch, daß er zu niesen anfing, immer heftiger niesen mußte und — am Ende niesend erwachte.



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Da lag er auf dem Sofa des alten Weibes und blickte verwundert umher. "Nein, wie man aber so lebhaft träumen kann!" sprach er zu sich. "Hätte ich jetzt doch schwören wollen, daß ich ein schnödes Eichhörnchen, ein Kamerade von Meersschweinen und anderem Ungeziefer, dabei aber ein großer Koch geworden sei. Wie wird die Mutter lachen, wenn ich ihr alles erzähle! Aber wird sie nicht auch schmalen, daß ich in einem fremden Hause einschlafe, statt ihr zu helfen auf dem Markte?" Mit diesen Gedanken raffte er sich auf, um hinwegzugehen; noch waren seine Glieder vom Schlafe ganz steif, besonders sein Nacken, denn er konnte den Kopf nicht recht hin und her bewegen; er mußte auch selbst über sich lächeln, daß er so schlaftrunken war ; denn alle Augenblicke, ehe er es sich versah, stieß er mit der Nase an einen Schrank oder an die Wand oder schlug sie, wenn er sich schnell umwandte, an einen Türpfosten. Die Eichhörnchen und Meerschweinchen liefen winselnd um ihn her, als wollten sie ihn begleiten; er lud sie auch wirklich ein, als er auf der Schwelle war, denn es waren niedliche Tierchen; aber sie fuhren auf ihren Nußschalen schnell ins Haus zurück, und er hörte sie nur noch in der gerne heulen.

Es war ein ziemlich entlegener Teil der Stadt, wohin ihn die Alte geführt hatte, und er konnte sich kaum aus den engen Gassen herausfinden, auch war dort ein großes Gedränge; denn es musste sich, wie ihm dünkte, gerade in der Nähe ein Zwerg sehen lassen; überall hörte er rufen: "Ei, sehet den häßlichen Zwerg! Wo kommt der Zwerg her? Ei, was hat er doch für eine lange Nase, und wie ihm der Kopf in den Schultern steckt, und die braunen, häßlichen Hände!" Zu einer andern Zeit wäre er wohl auch nachgelaufen; denn er sah für sein Leben gern Riesen oder Zwerge oder seltsame fremde Trachten; aber so mußte er sich sputen, um zur Mutter zu kommen.

Es war ihm ganz ängstlich zumut, als er auf den Markt kam. Die Mutter saß noch da und hatte noch ziemlich viele Früchte im Korb, lange konnte er also nicht geschlafen haben; aber doch kam es ihm von weitem schon vor, als sei sie sehr traurig; denn sie rief die Vorübergehenden nicht an, einzukaufen, sondern hatte den Kopf in die Hand gestützt, und als er näher kam, glaubte er auch, sie sei bleicher als sonst. Er zauderte. was er tun sollte; endlich faßte er sich ein Herz, schlich sich hinter sie hin, legte traulich seine Hand auf ihren Arm und sprach: "Mütterchen, was fehlt dir? Bist du böse auf mich "

Die Frau wandte sich um nach ihm, fuhr aber mit einem Schrei des Entsetzens zurück. 30



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"Was willst du von mir, häßlicher Zwerg?" rief sie. "Fort, fort! Ich kann dergleichen Possenspiele nicht leiden."

Aber, Mutter, was hast du denn ?" fragte Jakob ganz erschrocken . "Dir ist gewiß nicht wohl; warum willst du denn deinen Sohn von dir jagen?"

"Ich habe dir schon gesagt, gehe deines Weges!" entgegnete Frau Hanne zürnend. "Bei mir verdienst du tein Geld durch deine Gaukeleien, häßliche Mißgeburt!"

"Wahrhaftig, Gott hat ihr das Licht des Verstandes geraubt: !" sprach der Kleine bekümmert zu sich; " was fange ich nur an, um sie nach Haus zu bringen? Lieb' Mütterchen, so sei doch nur vernünftig; sieh mich doch nur recht an; ich Sin ja dein Sohn, dein Jakob."

"Nein, jetzt wird mir der Spaß zu unverschämt," rief Hanne ihrer Nachbarin zu; "seht nur den häßlichen Zwerg da ; da steht er und vertreibt mir gewiß alle Käufer, und mit meinem Unglück wagt er zu spotten. Spricht zu mir : ich bin ja dein Sohn, dein Jakob! Der Unverschämte!"

Da erhoben sich die Nachbarinnen und fingen an zu schimpfen , so arg sie konnten, und Marktweiber, wisset ihr wohl, verstehen es, und schalten ihn, daß er des Unglücks der armen Hanne spotte, der aar sieben Jahren ihr bildschöner Knabe gestohlen worden sei, und drohten, insgesamt über ihn herzufallen und ihn zu zerkratzen, wenn er nicht alsobald ginge.

Der arme Jakob wußte nicht, was er von diesem allem denken sollte. War er doch, wie er glaubte, heute früh wie gewöhnlich mit der Mutter auf den Markt gegangen, hatte ihr die Früchte aufstellen helfen, war nachher mit dem alten Weib in ihr Haus gekommen, hatte ein Süppchen verzehrt. ein kleines Schläfchen gemacht und war jetzt wieder da, und doch sprachen die Mutter und die Nachbarinnen von sieben Jahren! Und sie nannten ihn einen garstigen Zwerg! Was war denn nun mit ihm vorgegangene — Als er sah, daß die Mutter gar nichts mehr von ihm hören wollte, traten ihm die Tränen in die Augen , und er ging trauernd die Straße hinab nach der Bude, wo sein Vater den Tag über Schuhe flickte. "Ich will doch sehen," dachte er bei sich, "ob er mich auch nicht kennen will unter die Türe will ich mich stellen und mit ihm sprechen." Als er an der Bude des Schusters angekommen war, stellte er sich unter die Türe und schaute hinein. Der Meister war so emsig mit seiner Arbeit beschäftigt, daß er ihn gar nicht sah. als er aber zufällig einen Blick nach der Türe warf, ließ er Schuhe, Draht



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und Pfriem auf die Erde fallen und rief mit Entsetzen: "Um Gottes willen, was ist das, was ist das !"

"Guten Abend, Meister!" sprach der Kleine, indem er vollends in den Laden trat. " Wie geht es Euch?"

"Schlecht, schlecht, kleiner Herr!" antwortete der Vater zu Jakobs großer Verwunderung; denn er schien ihn auch nicht zu kennen. "Das Geschäft will mir nicht von der Hand. Bin so allein und werde jetzt alt; doch ist mir ein Geselle zu teuer."

"Aber habt Ihr denn kein Söhnlein, das Euch nach und nach an die Hand gehen könnte bei der Arbeit ?" forschte der Kleine weiter.

"Ich hatte einen, er hieß Jakob und müßte jetzt ein schlanker, gewandter Bursche von zwanzig Jahren sein, der mir tüchtig unter die Arme greifen könnte. Ha, das müßte ein Leben sein! Schon als er zwölf Jahre alt war, zeigte er sich so anstellig und geschickt und verstand schon manches vom Handwerk, und hübsch und angenehm war er auch; der hätte mir eine Kundschaft hergelockt, daß ich bald nicht mehr geflickt, sondern nichts als Neues geliefert hätte! Aber so geht's in der Welt!"

"Wo ist denn aber Euer Sohn?" fragte Jakob mit zitternder Stimme seinen Vater.

"Das weiß Gott," antwortete er; " vor sieben Jahren, ja, so lange ist's jetzt her, wurde er uns vom Markte weg gestohlen."

"Vor sieben Jahren!" rief Jakob mit Entsetzen.

"Ja, kleiner Herr, vor sieben Jahren; ich weiß noch wie heute, wie mein Weib nach Hause kam, heulend und schreiend, das Kind sei den ganzen Tag nicht zurückgekommen, sie habe überall geforscht und gesucht und es nicht gefunden. Ich habe es immer gedacht und gesagt, daß es so kommen würde; der Jakob war ein schönes Kind, das muß man sagen; da war nun meine Frau stolz auf ihn und sah es gerne, wenn ihn die Leute lobten, und schickte ihn oft mit Gemüse und dergleichen in vornehme Häuser. Das war schon recht; er wurde allemal reichlich beschenkt; aber. sagte ich, gib acht! die Stadt ist groß; viele schlechte Leute wohnen da, gib mir auf den Jakob acht! Und so war es, wie ich sagte. Kommt einmal ein altes, häßliches Weib auf den Markt, feilscht um Früchte und Gemüse und kauft am Ende so viel, daß sie es nicht selbst tragen kann. Mein Weib, die mitleidige Seele, gibt ihr den Jungen mit und — hat ihn zur Stunde nicht mehr gesehen.

"Und das ist jetzt sieben Jahre, sagt Ihr?"

"Sieben Jahre wird es im Frühling. Wir ließen ihn ausrufen , wir gingen von Haus zu Haus und fragten; manche hatten



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den hübschen Jungen gekannt und liebgewonnen und suchten jetzt mit uns, alles vergeblich. Auch die Frau, welche das Gemüse gekauft hatte, wollte niemand kennen; aber ein steinaltes Weib, die schon neunzig Jahre gelebt hatte, sagte, es könne wohl die böse Fee Kräuterweis gewesen sein, die alle fünfzig Jahre einmal in die Stadt komme, um sich allerlei einzukaufen."

So sprach Jakobs Vater und klopfte dabei seine Schuhe weidlich und zog den Draht mit beiden Fäusten weit hinaus. Dem Kleinen aber wurde es nach und nach klar, was mit ihm vorgegangen , daß er nämlich nicht geträumt, sondern daß er sieben Jahre bei der bösen Fee als Eichhörnchen gedient habe. Zorn und Gram erfüllten sein Herz so sehr, daß es beinahe zerspringen wollte. Sieben Jahre seiner Jugend hatte ihm die Alte gestohlen , und was hatte er für Ersatz dafür? Daß er Pantoffeln von Kokosnüssen blank putzen, daß er ein Zimmer mit gläsernem Fußboden rein machen konnte? Daß er von den Meerschweinchen alle Geheimnisse der Küche gelernt hatte? Er stand eine gute Weile so da und dachte über sein Schicksal nach; da fragte ihn endlich sein Vater: "Ist Euch vielleicht etwas von meiner Arbeit gefällig, junger Herr? Etwa ein Paar neue Pantoffel oder," setzte er lächelnd hinzu, "vielleicht ein Futteral für Eure

"Was wollt Ihr nur mit meiner Nase?" fragte Jakob, "warum sollte ich denn ein Futteral dazu brauchen?"

"Nun," entgegnete der Schuster, "jeder nach seinem Geschmack! Aber das muß ich Euch sagen, hätte ich diese schreckliche Nase, ein Futteral ließ ich mir darüber machen von rosenfarbigem Glanzleder. Schaut, da habe ich ein schönes Stückchen zur Hand; freilich würde man eine Elle wenigstens dazu brauchen. Aber wie gut wäret Ihr verwahrt, kleiner Herr! So, weiß ich gewiß, stoßt Ihr Euch an jedem Türpfosten, an jedem Wagen, dem Ihr ausweichen wollt."

Der Kleine stand stumm vor Schrecken; er betastete seine Nase, sie war dick und wohl zwei Hände lang! So hatte also die Alte auch seine Gestalt verwandelt darum kannte ihn also die Mutter nicht, darum schalt man ihn einen häßlichen Zwerg! Meister," sprach er halb weinend zu dem Schuster, "habt Ihr keinen Spiegel bei der Hand, worin ich mich beschauen könnte?"

"Junger Herr," erwiderte der Vater mit Ernst, "Ihr habt nicht gerade eine Gestalt empfangen, die Euch eitel machen könnte, und Ihr habt nicht Ursache, alle Stunden in den Spiegel zu gucken. Gewöhnt es Euch ab, es ist besonders bei Euch eine lächerliche Gewohnheit."



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"Ach, so laßt mich doch in den Spiegel schauen," rief der Kleine, "gewiß, es ist nicht aus Eitelkeit!"

"Lasset mich in Ruhe, ich hab' keinen im Vermögen; meine Frau hat ein Spiegelchen, ich weiß aber nicht, wo sie es verborgen . Müßt Ihr aber durchaus in den Spiegel gucken, nun, über der Straße hin wohnt Urban, der Barbier, der hat einen Spiegel, zweimal so groß als Euer Kopf; gucket dort hinein, und indessen guten Morgen f"

Mit diesen Worten schob ihn der Vater ganz gelinde zur Bude hinaus, schloß die Türe hinter ihm zu und setzte sich wieder zur Arbeit. Der Kleine aber ging sehr niedergeschlagen über die Straße zu Urban, dem Barbier, den er noch aus früheren Zeiten wohl kannte. ".Guten Morgen, Urban," sprach er zu ihm, "ich komme, Euch um eine Gefälligkeit zu bitten; seid so gut und lasset mich ein wenig in Euren Spiegel schauen!"

"Mit Vergnügen, dort steht er," rief der Barbier lachend, und seine Kunden, denen er den Bart scheren sollte, lachten weidlich mit. "Ihr seid ein hübsches Bürschchen, schlank und fein, ein Hälschen wie ein Schwan, Händchen wie eine Königin, und ein Stumpfnäschen, man kann es nicht schöner sehen. Ein wenig eitel seid Ihr darauf, das ist wahr; aber beschauet Euch immer ! Man soll nicht von mir sagen, ich habe Euch aus Neid nicht in meinen Spiegel schauen lassen."

So sprach der Barbier, und wieherndes Gelächter füllte die Baderstube. Der Kleine aber war indes vor den Spiegel getreten und hatte sich beschaut. Tränen traten ihm in die Augen. "Ja, so konntest du freilich deinen Jakob nicht wiedererkennen, liebe Mutter," sprach er zu sich, "so war er nicht anzuschauen in den Tagen der Freude, wo du gerne mit ihm prangtest vor den Leuten!" Seine Augen waren klein geworden, wie die der Schweine, seine Nase war ungeheuer und hing über Mund und Kinn herunter, der Hals schien gänzlich weggenommen worden zu sein; denn sein Kopf stak tief in den Schultern, und nur mit den größten Schmerzen konnte er ihn rechts und links bewegen. Sein Körper war noch so groß als vor sieben Jahren, da er zwölf Jahre alt war aber wenn andere vom zwölften bis ins zwanzigste in die Höhe wachsen, so wuchs er in die Breite, der Rücken und die Brust waren weit ausgebogen und waren anzusehen wie ein kleiner, aber sehr dick gefüllter Sack. Dieser dicke Oberleib saß auf kleinen. schwachen Beinchen, die dieser Last nicht gewachsen schienen; aber um so größer waren die Arme, die ihm am Leib herabhingen, sie hatten die Größe wie die eines wohlgewachsenen Mannes ; seine Hände waren grob



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und braungelb, seine Finger lang und spinnenartig, und wenn er sie recht ausstreckte, konnte er damit auf den Boden reichen, ohne daß er sich bückte. So sah er aus, der kleine Jakob, zum mißgestalteten Zwerg war er geworden.

Jetzt gedachte er auch jenes Morgens, an welchem das alte Weib an die Körbe seiner Mutter getreten war. Alles, was er damals an ihr getadelt hatte, die lange Nase, die häßlichen Finger , alles hatte sie ihm angetan, und nur den langen, zitternden Hals hatte sie gänzlich weggelassen.

"Nun, habt Ihr Euch jetzt genug beschaut, mein Prinz?" sagte der Barbier, indem er zu ihm trat und ihn lachend betrachtete. "Wahrlich, wenn man sich dergleichen träumen lassen wollte, so komisch könnte es einem im Traume nicht vorkommen. Doch ich will Euch einen Vorschlag machen, kleiner Mann. Mein Barbierzimmer ist zwar sehr besucht, aber doch seit neuerer Zeit nicht so, wie ich wünsche. Das kommt daher, weil mein Nachbar, der Barbier Schaum, irgendwo einen Riesen aufgefunden hat, der ihm die Kunden ins Haus lockt. Nun, ein Riese zu werden, ist gerade keine Kunst; aber so ein Männchen wie Ihr, ja, das ist schon ein ander Ding. Tretet bei mir in Dienste, kleiner Mann, Ihr sollt Wohnung, Essen, Trinken, Kleider, alles sollt Ihr haben; dafür stellt Ihr Euch morgens unter meine Türe und ladet die Leute ein, hereinzukommen. Ihr schlaget den Seifenschaum, reichet den Kunden das Handtuch und seid versichert, wir stehen uns beide gut dabei ich bekomme mehr Kunden als jener mit dem Riesen, und jeder gibt Euch gerne noch ein Trinkgeld."

Der Kleine war in seinem Innern empört über den Vorschlag, als Lockvogel für einen Barbier zu dienen. Aber mußte er sich nicht diesen Schimpf geduldig gefallen lassen? Er sagte dem Barbier daher ganz ruhig, daß er nicht Zeit habe zu dergleichen Diensten, und ging weiter.

Hatte das böse alte Weib seine Gestalt unterdrückt, so hatte sie doch seinem Geist nichts anhaben können, das fühlte er wohl; denn er dachte und fühlte nicht mehr, wie er vor sieben Jahren getan; nein, er glaubte in diesem Zeitraum weiser, verständiger geworden zu sein; er trauerte nicht um seine verlorne Schönheit, nicht über diese häßliche Gestalt, sondern nur darüber , daß er wie ein Hund von der Türe seines Vaters gejagt werde. Darum beschloß er, noch einen Versuch bei seiner Mutter zu machen.

Er trat zu ihr auf den Markt und bat sie, ihm ruhig zuzuhören. Er erinnerte sie an jenen Tag, an welchem er mit



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dem alten Weibe gegangen, er erinnerte sie an alle einzelnen Vorfälle seiner Kindheit, erzählte ihr dann, wie er sieben Jahre als Eichhörnchen gedient habe bei der Fee, und wie sie ihn verwandelte , weil er sie damals getadelt. Die Frau des Schusters wußte nicht, was sie denken sollte. Alles traf zu, was er ihr von seiner Kindheit erzählte; aber wenn er davon sprach, daß er sieben Jahre lang ein Eichhörnchen gewesen sei, da sprach sie; Es ist unmöglich, und es gibt keine Feen," und wenn sie ihn ansah, so verabscheute sie den häßlichen Zwerg und glaubte nicht, daß dies ihr Sohn sein könne. Endlich hielt sie es fürs beste, mit ihrem Manne darüber zu sprechen. Sie raffte also ihre Körbe zusammen und hieß ihn mitgehen. So kamen sie zu der Bude des Schusters.

"Sieh einmal," sprach sie zu diesem, "der Mensch da will unser verlorner Jakob sein. Er hat mir alles erzählt, wie er uns vor sieben Jahren gestohlen wurde und wie er von einer Fee bezaubert worden sei." —

"So?" unterbrach sie der Schuster mit Zorn; "hat er dir dies erzählt? Warte, du Range! Ich habe ihm alles erzählt noch vor einer Stunde, und jetzt geht er hin, dich so zu foppen! Bezaubert bist du worden, mein Söhnchen? Warte doch, ich will dich wieder entzaubern." Dabei nahm er ein Bündel Riemen, die er eben zugeschnitten hatte, sprang auf den Kleinen zu und schlug ihn auf den hohen Rücken und auf die langen Arme, daß der Kleine vor Schmerz aufschrie und weinend davonlief.

In jener Stadt gibt es, wie überall, wenige mitleidige Seelen, die einen Unglücklichen, der zugleich etwas Lächerliches an sich trägt, unterstützten. Daher kam es, daß der unglückliche Zwerg den ganzen Tag ohne Speise und Trank blieb und abends die Treppen einer Kirche, hart und kalt sie waren, zum Nachtlager wählen mußte.

Als ihn aber am nächsten Morgen die ersten Strahlen der Sonne erweckten, da dachte er ernstlich darüber nach, wie er sein Leben fristen könne, da ihn Vater und Mutter verstoßen. Er fühlte sich zu stolz, um als Aushängeschild eines Barbiers zu dienen, er wollte nicht zu einem Possenreißer sich verdingen und sich um Geld sehen lassen. Was sollte er anfangen? Da fiel ihm mit einemmal bei, daß er als Eichhörnchen große Fortschritte in der Kochkunst gemacht habe; er glaubte nicht mit Unrecht, hoffen zu dürfen, daß er es mit manchem Koch aufnehmen könne; er beschloß, seine Kunst zu benützen.



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Sobald es daher lebhafter wurde auf den Straßen und der Morgen ganz heraufgekommen war, trat er zuerst in die Kirche und verrichtete sein Gebet. Dann trat er seinen Weg an. Der Herzog, der Herr des Landes, o Herr! war ein bekannter Schlemmer und Lecker, der eine gute Tafel liebte und seine Köche in allen Weltteilen aufsuchte. Zu seinem Palast begab sich der Kleine. Als er an die äußerste Pforte kam, fragten die Türhüter nach seinem Begehr und hatten ihren Spott mit ihm; er aber verlangte nach dem Oberküchenmeister. Sie lachten und führten ihn durch die Vorhöfe, und wo er hinkam, blieben die Diener stehen, schauten nach ihm, lachten weidlich und schlossen sich an, so daß nach und nach ein ungeheurer Zug von Dienern aller Art sich die Treppe des Palastes hinaufbewegte; die Stallknechte warfen ihre Striegel weg, die Läufer liefen, was sie konnten, die Teppichbreiter vergaßen, die Teppiche auszuklopfen, alles drängte und trieb sich, es war ein Gewühl, als sei der Feind vor den Toren, und das Geschrei: " Ein Zwerg, ein Zwerg! Habt ihr den Zwerg gesehen?" füllte die Lüfte.

Da erschien der Aufseher des Hauses mit grimmigem Gesicht , eine ungeheure Peitsche in der Hand, in der Türe. " Um des Himmels willen, ihr Hunde, was macht ihr solchen Lärm ! Wisset ihr nicht, daß der Herr noch schläft?" und dabei schwang er die Geißel und ließ sie unsanft auf den Rücken einiger Stallknechte und Türhüter niederfallen. "Ach Herr," riefen sie, seht Ihr denn nicht? Da bringen wir einen Zwerg, einen Zwerg, wie Ihr noch keinen gesehen." Der Aufseher des Palastes zwang sich mit Mühe, nicht laut auszulachen, als er des Kleinen ansichtig wurde; denn er fürchtete, durch Lachen seiner Würde zu schaden. Er trieb daher mit der Peitsche die übrigen hinweg, führte den Kleinen ins Haus und fragte nach seinem Begehr. Als er hörte, jener wolle Küchenmeister, erwiderte er . ".Du irrst dich, mein Söhnchen; zu mir, dem Aufseher des Hauses, willst du; du willst Leibzwerg werden beim Herzog; ist es nicht also?"

"Nein, Herr!" antwortete der Zwerg. "Ich bin ein geschickter Koch und erfahren in allerlei seltenen Speisen; wollet mich zum Oberküchenmeister bringen; vielleicht kann er meine Kunst brauchen."

"Jeder nach seinem Willen, kleiner Mann, übrigens bist du doch ein unbesonnener Junge. In die Küche! Als Leibzwerg hättest du keine Arbeit gehabt und Essen und Trinken nach Herzenslust und schöne Kleider. Doch, wir wollen sehen, deine Kochkunst wird schwerlich so weit reichen, als ein Mundkoch des



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Herren nötig hat, und zum Küchenjungen bist du zu gut." Bei diesen Worten nahm ihn der Aufseher des Palastes bei der Hand und führte ihn in die Gemächer des Oberküchenmeisters .

"Gnädiger Herr," sprach dort der Zwerg und verbeugte sich so tief, daß er mit der Nase den Fußteppich berührte, "brauchet Ihr keinen geschickten Koch?"

Der Oberküchenmeister betrachtete ihn vom Kopf bis zu den Füßen, brach dann in lautes Lachen aus und sprach: "Wie?" rief er, "du ein Koch? Meinst du, unsere Herde seien so niedrig, daß du nur auf einen hinaufschauen kannst, wenn du dich auch auf die Zehen stellst und den Kopf recht aus den Schultern herausarbeitest? O, lieber Kleiner! Wer dich zu mir geschickt hat, um dich als Koch zu verdingen, der hat dich zum Narren gehabt." So sprach der Oberküchenmeister und lachte weidlich, und mit ihm lachte der Aufseher des Palastes und alle Diener, die im Zimmer waren.

Der Zwerg aber ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Was liegt an einem Ei oder zweien, an ein wenig Sirup und Wein, an Mehl und Gewürze in einem Hause, wo man dessen genug hat?" sprach er. " Gebet mir irgendeine leckerhafte Speise zu bereiten auf, schaffet mir, was ich dazu brauche, und sie soll vor Euren Augen schnell bereitet sein, und Ihr sollet sagen müssen: er ist ein Koch nach Regel und Recht." Solche und ähnliche Reden führte der Kleine, und es war wunderlich anzuschauen, wie es dabei aus seinen kleinen Äuglein hervorblitzte, wie seine lange Nase sich hin und her schlängelte und seine dünnen Spinnenfinger seine Rede begleiteten. "Wohlan!" rief der Küchenmeister und nahm den Aufseher des Palastes unter dem Arme, "wohlan, es sei um des Spaßes willen, lasset uns zur Küche gehen!" Sie gingen durch mehrere Säle und Gänge und kamen endlich in die Küche. Es war dies ein großes, weitläufiges Gebäude, herrlich eingerichtet; auf zwanzig Herden brannten beständig Feuer; ein klares Wasser, das zugleich zum Fischbehälter diente. floß mitten durch sie, in Schränken von Marmor und köstlichem Holz waren die Vorräte aufgestellt, die man immer zur Hand haben mußte, und zur Rechten und Linken waren zehn Säle, in welchen alles aufgespeichert war, was man in allen Ländern von Frankistan und selbst im Morgenlande Köstliches und Leckeres für den Gaumen erfunden. Küchenbedienten allerart liefen umher und rasselten und hantierten mit Kesseln und Pfannen, mit Gabeln und Schaumlöffeln; als aber der Oberküchenmeister in die Küche



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eintrat, blieben sie alle regungslos stehen, und nur das Feuer hörte man noch knistern und das Bächlein rieseln.

Was hat der Herr heute zum Frühstück befohlen ?" fragte der Meister den ersten Frühstückmacher, einen alten Koch.

"Herr, die dänische Suppe hat er geruht zu befehlen und rote Hamburger Klößchen."

"Gut," sprach der Küchenmeister weiter, "hast du gehört, was der Herr speisen will? Getraust du dich, diese schwierigen Speisen zu bereiten? Die Klößchen bringst du auf keinen Fall heraus, das ist ein Geheimnis."

"Nichts leichter als dies," erwiderte zu allgemeinem Erstaunen der Zwerg; denn er hatte diese Speisen als Eichhörnchen oft gemacht; "nichts leichter! Man gebe mir zu der Suppe die und die Kräuter, dies und jenes Gewürz, Fett von einem wilden Schwein, Wurzeln und Eier; zu den Klößchen aber," sprach er leiser, daß es nur der Küchenmeister und der Frühstückmacher hören konnten, " zu den Klößchen brauche ich viererlei Fleisch, etwas Wein, Entenschmalz, Ingwer und ein gewisses Kraut, das man Magentrost heißt."

"Ha! Bei St. Benedikt! Bei welchem Zauberer hast du gelernt?" rief der Koch mit Staunen. " Alles bis auf ein Haar hat er gesagt, und das Kräutlein Magentrost haben wir selbst nicht gewußt; ja, das muß es noch angenehmer machen. O du Wunder von einem Koch!"

"Das hätte ich nicht gedacht," sagte der Oberküchenmeister, doch lassen wir ihn die Probe machen! Gebt ihm die Sachen, die er verlangt, Geschirr und alles, und lasset ihn das Frühstück bereiten !"

Man tat, wie er befohlen, und rüstete alles auf dem Herde zu ; aber da fand es sich, daß der Zwerg kaum mit der Nase bis an den Herd reichen konnte. Man setzte daher ein paar Stühle zusammen, legte eine Marmorplatte darüber und lud den kleinen Wundermann ein, sein Kunststück zu beginnen. In einem großen Kreise standen die Köche, Küchenjungen, Diener und allerlei Volk umher und sahen zu und staunten, wie ihm alles so flink und fertig von der Hand ging, wie er alles so reinlich und niedlich bereitete. Als er mit der Zubereitung fertig war, befahl er, beide Schüsseln ans Feuer zu setzen und genau so lange kochen zu lassen, bis er rufen werde ; dann fing er an zu zählen, eins, zwei, drei und so fort, und gerade als er fünfhundert gezählt hatte, rief er: . ,Halt!" Die Töpfe wurden weggesetzt, und der Kleine lud den Küchenmeister ein, si kosten.



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Der Mundkoch ließ sich von einem Küchenjungen einen goldenen Löffel reichen, spülte ihn im Bach und überreichte ihn dem Oberküchenmeister. Dieser trat mit feierlicher Miene an den Herd, nahm von den Speisen. kostete, drückte die Augen zu, schnalzte vor Vergnügen mit der Zunge und sprach dann: Köstlich, bei des Herzogs Leben, köstlich! Wollet Ihr nicht auch ein Löffelchen zu Euch nehmen, Aufseher des Palastes ?" Dieser verbeugte sich, nahm den Löffel, versuchte und war vor Vergnügen und Lust außer sich. " Eure Kunst in Ehren, lieber Frühstückmacher, Ihr seid ein erfahrener Koch; aber so herrlich habt Ihr weder die Suppe noch die Hamburger Klöße machen können!" Auch der Koch kostete jetzt, schüttelte dann dem Zwerg ehrfurchtsvoll die Hand und sagte: "Kleiner! Du bist Meister in der Kunst. Ja, das Kräutlein Magentrost, das gibt allem einen ganz eigenen Reiz."

In diesem Augenblick kam der Kammerdiener des Herzogs in die Küche und berichtete, daß der Herr das Frühstück verlange . Die Speisen wurden nun auf silberne Platten gelegt und dem Herzog zugeschickt; der Oberküchenmeister aber nahm den Kleinen in sein Zimmer und unterhielt sich mit ihm. Kaum waren sie aber halb so lange da, als man ein Paternoster spricht (es ist dies das Gebet der Franken, o Herr, und dauert nicht halb so lange als das Gebet der Gläubigen), so kam schon ein Bote und rief den Oberküchenmeister zum Herrn. Er kleidete sich schnell in sein Festkleid und folgte dem Boten.

Der Herzog sah sehr vergnügt aus. Er hatte alles aufgezehrt , was auf den silbernen Platten gewesen war, und wischte sich eben den Bart ab, als der Oberküchenmeister zu ihm eintrat. "Höre, Küchenmeister," sprach er, "ich bin mit deinen Köchen bisher immer sehr zufrieden gewesen; aber sage mir, wer hat heute mein Frühstück bereitet? So köstlich war es nie, seit ich auf dem Thron meiner Väter sitze; sage an, wie er heißt, der Koch, daß wir ihm einige Dukaten zum Geschenk schicken."

"Herr, das ist eine wunderbare Geschichte." antwortete der Oberküchenmeister und erzählte, wie man ihm heute früh einen Zwerg gebracht, der durchaus Koch werden wollte und wie sich dies alles begeben. Der Herzog verwunderte sich höchlich, ließ den Zwerg vor sich rufen und fragte ihn aus, wer er sei und woher er komme. Da konnte nun der arme Jakob freilich nicht sagen, daß er verzaubert worden sei und früher als Eichhörnchen gedient habe; doch blieb er bei der Wahrheit, indem er erzählte , er sei jetzt ohne Vater und Mutter und habe bei einer alten Frau kochen gelernt. Der Herzog fragte nicht



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weiter, sondern ergötzte sich an der sonderbaren Gestalt seines neuen Kochs.

, . "Willst du bei mir bleiben," sprach er, "so will ich dir jährlich fünfzig Dukaten, ein Festkleid und noch überdies wei Paar Beinkleider reichen lassen. Dafür mußt du aber täglich mein Früstück selbst bereiten, mußt angeben, wie das Mittagessen gemacht werden soll, und überhaupt dich meiner Küche annehmen. Da jeder in meinem Palast seinen eigenen Namen von mir empfängt, so sollst du Nase heißen und die Würde eines Unterküchenmeisters bekleiden."

Der Zwerg Nase fiel nieder vor dem mächtigen Herzog in Frankenland, küßte ihm die Füße und versprach, ihm treu zu dienen.

So war nun der Kleine fürs erste versorgt, und er machte seinem Amt Ehre. Denn man kann sagen, daß der Herzog ein ganz anderer Mann war, während der Zwerg Nase sich in seinem Hause aufhielt. Sonst hatte es ihm oft beliebt, die Schüsseln oder Platten, die man ihm auftrug, den Köchen an den Kopf zu werfen; ja, dem Oberküchenmeister selbst warf er im Zorn einmal einen gebackenen Kalbsfuß, der nicht weich genug geworden war, so heftig an die Stirne, daß er umfiel und drei Tage zu Bette liegen mußte. Der Herzog machte zwar, was er im Zorn getan, durch einige Hände voll Dukaten wieder gut; aber dennoch war nie ein Koch ohne Zittern und Zagen mit den Speisen zu ihm gekommen. Seit der Zwerg im Hause war, schien alles wie durch Zauber umgewandelt. Der Herr ass jetzt statt dreimal des Tages fünfmal, um sich an der Kunst seines kleinsten Dieners recht zu laben, und dennoch verzog er nie eine Miene zum Unmut. Nein, er fand alles neu, trefflich, war leutselig und angenehm und wurde von Tag zu Tag fetter.

Oft ließ er mitten unter der Tafel den Küchenmeister und den Zwerg Nase rufen, setzte den einen rechts, den andern links zu sich und schob ihnen mit seinen eigenen Fingern einige Bissen der köstlichsten Speisen in den Mund, eine Gnade, welche sie beide wohl zu schätzen wußten.

Der Zwerg war das Wunder der Stadt. Man erbat sich flehentlich Erlaubnis vom Oberküchenmeister, den Zwerg kochen zu sehen, und einige der vornehmsten Männer hatten es so weit gebracht beim Herzog, daß ihre Diener in der Küche beim Zwerg Unterrichtsstunden genießen durften, was nicht wenig Geld eintrug; denn jeder zahlte täglich einen halben Dukaten. Und um die übrigen Köche bei guter Laune zu erhalten und sie nicht



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neidisch auf ihn zu machen, überließ ihnen Nase dieses Geld, das die Herren für den Unterricht ihrer Köche zahlen mußten.

So lebte Nase beinahe zwei Jahre in äußerlichem Wohlleben und Ehre, und nur der Gedanke an seine Eltern betrübte ihn. So lebte er, ohne etwas Merkwürdiges zu erfahren, bis sich folgender Vorfall ereignete. Der Zwerg Nase war besonders geschickt und glücklich in seinen Einkäufen. Daher ging er, so oft es ihm die Zeit erlaubte, immer selbst auf den Markt, um Geflügel und Früchte einzukaufen. Eines Morgens ging er auch auf den Gänsemarkt und forschte nach schweren, fetten Gänsen, wie sie der Herr liebte. Er war musternd schon einigemal auf und abgegangen. Seine Gestalt, weit entfernt, hier Lachen und Spott zu erregen, gebot Ehrfurcht; denn man erkannte ihn als den berühmten Mundkoch des Herzogs, und jede Gänsefrau fühlte sich glücklich, wenn er ihr die Nase zuwandte.

Da sah er ganz am Ende einer Reihe in einer Ecke eine Frau sitzen, die auch Gänse feil hatte, aber nicht wie die übrigen ihre Ware anpries und nach Käufern schrie; zu dieser trat er und maß und wog ihre Gänse. Sie waren, wie er sie wünschte, und er kaufte drei samt dem Käfig, lud sie auf seine breiten Schultern und trat den Rückweg an. Da kam es ihm sonderbar vor, daß nur zwei von diesen Gänsen schnatterten und schrien, wie rechte Gänse zu tun pflegen, die dritte aber ganz still und in sich gekehrt da saß und Seufzer ausstieß und ächzte wie ein Mensch. "Die ist halb krank," sprach er vor sich hin, "ich muß eilen, daß ich sie umbringe und zurichte." Aber die Gans antwortete ganz deutlich und laut

"Stichst du mich,
So beiß' ich dich.
Drückst du mir die Kehle ab,
Bring' ich dich ins frühe Grab."

Ganz erschrocken setzte der Zwerg Nase seinen Käfig nieder, und die Gans sah ihn mit schönen, klugen Augen an und seufzte. "EI der Tausend!" rief Nase. "Sie kann sprechen, Jungfer Gans? Das hätte ich nicht gedacht. Na, sei Sie nur nicht ängstlich! Man weiß zu leben und wird einem so seltenen Vogel nicht zu Leibe gehen. Aber ich wollte wetten, Sie ist nicht von jeher in diesen Federn gewesen. War ich ja selbst einmal ein schnödes Eichhörnchen."

"Du hast recht," erwiderte die Gans, " wenn du sagst, ich sei nicht in dieser schmachvollen Hülle geboren worden. Ach, an meiner Wiege wurde es mir nicht gesungen, daß Mimi,



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des großen Wetterbocks Tochter, in der Küche eines Herzogs getötet werden soll!"

"Sei Sie doch ruhig, liebe Jungfer Mimi," tröstete der Zwerg. "So wahr ich ein ehrlicher Kerl und Unterküchenmeister Seiner Durchlaucht bin, es soll Ihr keiner an die Kehle. Ich will Ihr in meinen eigenen Gemächern einen Stall anweisen, Futter soll Sie genug haben, und meine freie Zeit werde ich Ihrer Unterhaltung widmen; den übrigen Küchenmenschen werde ich sagen, daß ich eine Gans mit allerlei besondern Kräutern für den Herzog mäste, sobald sich Gelegenheit findet, setze ich Sie in Freiheit."

Die Gans dankte ihm mit Tränen; der Zwerg aber tat, wie er versprochen, schlachtete die zwei andern Gänse, für Mimi aber baute er einen eigenen Stall unter dem Vorwande, sie für den Herzog ganz besonders zuzurichten. Er gab ihr auch kein gewöhnliches Gänsefutter, sondern versah sie mit Backwerk und süßen Speisen. So oft er freie Zeit hatte, ging er hin, sich mit ihr zu unterhalten und sie zu trösten. Sie erzählten sich auch gegenseitig ihre Geschichten, und Nase erfuhr auf diesem Wege, daß die Gans eine Tochter des Zauberers Wetterbock sei, der auf der Insel Gotland lebe. Er sei in Streit geraten mit einer alten Fee, die ihn durch Ränke und List überwunden und sie zur Rache in eine Gans verwandelt und weit hinweg bis hieher gebracht habe. Als der Zwerg Nase ihr seine Geschichte ebenfalls erzählt hatte, sprach sie: "Ich bin nicht unerfahren in diesen Sachen. Mein Vater hat mir und meinen Schwestern einige Anleitung gegeben, so viel er nämlich davon mitteilen durfte. Die Geschichte mit dem Streit am Kräuterkorb, deine plötzliche Verwandlung, als du an jenem Kräutlein rochst, auch einige Worte der Alten. die du mir sagtest, beweisen mir, daß du auf Kräuter bezaubert bist, das heißt; wenn du das Kraut auffindest, das sich die Fee bei deiner Verzauberung gedacht hat, so kannst du erlöst werden." Es war dies ein geringer Trost für den Kleinen; denn wo sollte er das Kraut auffinden ? Doch dankte er ihr und schöpfte einige Hoffnung.

Um diese Zeit bekam der Herzog einen Besuch von einem benachbarten Fürsten, seinem Freunde. Er ließ daher seinen Zwerg Nase vor sich kommen und sprach zu ihm: "Jetzt ist die Zeit gekommen, wo du mir zeigen mußt, ob du mir treu dienst und Meister deiner Kunst bist. Dieser Fürst, der bei mir zu Besuch ist, speist bekanntlich außer mir am besten und ist ein großer nenner einer feinen Küche und ein weiser Mann. Sorge



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nun dafür, daß meine Tafel täglich also besorgt werde, daß er immer mehr in Erstaunen gerät. Dabei darfst du, bei meiner Ungnade, so lange er da ist, keine Speise zweimal bringen. Dafür kannst du dir von meinem Schatzmeister alles reichen lassen, was du nur brauchst. Und wenn du Gold und Diamanten in Schmalz backen mußt, so tu es ! Ich will lieber ein armer Mann werden, als erröten vor ihm."

So sprach der Herzog. Der Zwerg aber sagte, indem er sich anständig verbeugte: " Es sei, wie du sagst, o Herr! So es Gott gefällt, werde ich alles so machen, daß es diesem Fürsten der Gutschmecker wohlgefällt."

Der kleine Koch suchte nun seine ganze Kunst hervor. Er schonte die Schätze seines Herrn nicht, noch weniger aber sich selbst. Denn man sah ihn den ganzen Tag in eine Wolke von Rauch und Feuer eingehüllt, und seine Stimme hallte beständig durch das Gewölbe der Küche; denn er befahl als Herrscher den Küchenjungen und niederen Köchen. Herr! Ich könnte es machen, wie die Kameltreiber von Aleppo, wenn sie in ihren Geschichten, die sie den Reisenden erzählen, die Menschen herrlich speisen lassen. Sie führen eine ganze Stunde lang alle die Gerichte an, die aufgetragen worden sind, und erwecken dadurch große Sehnsucht und noch größeren Hunger in ihren Zuhörern, so daß dise unwillkürlich die Vorräte öffnen und eine Mahlzeit halten und den Kameltreibern reichlich mitteilen; doch ich nicht alto.

Der fremde Fürst war schon vierzehn Tage beim Herzog und lebte herrlich und in Freuden. Sie speisten des Tages nicht weniger als fünfmal, und der Herzog war zufrieden mit der Kunst des Zwerges; denn er sah Zufriedenheit auf der Stirne seines Gastes. Am funfzehenten Tage aber begab es sich, daß der Herzog den Zwerg zur Tafel rufen ließ, ihn seinem Gast, dem Fürsten, vorstellte und diesen fragte, wie er mit dem Zwerg zufrieden sei.

"Du bist ein wunderbarer Koch," antwortete der fremde Fürst, "und weißt, was anständig essen heißt. Du hast in der ganzen Zeit, daß ich hier bin, nicht eine einzige Speise wiederholt und alles trefflich bereitet. Aber sage mir doch, warum bringst du so lange nicht die Königin der Speisen, die Pastete Souzeraine ?"

Der Zwerg war sehr erschrocken; denn er hatte von dieser Pastetenkönigin nie gehört, doch faßte er sich und antwortete: O Herr ! noch lange, hoffte ich, sollte dein Angesicht leuchten an diesem Hoflager, darum wartete ich mit dieser Speise; denn



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womit sollte dich denn der Koch begrüßen am Tage des Scheidens als mit der Königin der Pasteten?"

So?" entgegnete der Herzog lachend. " Und bei mir wolltest du wohl warten bis an meinen Tod, um mich dann noch zu begrüßen? Denn auch mir hast du die Pastete noch nie vorgesetzt. Doch, denke auf einen andern Scheidegruß, denn morgen mußt du die Pastete auf die Tafel setzen."

"Es sei, wie du sagst, Herr !" antwortete der Zwerg und ging. Aber er ging nicht vergnügt; denn der Tag seiner Schande und seines Unglücks war gekommen. Er wußte nicht, wie er die Pastete machen sollte. Er ging daher in seine Kammer und weinte über sein Schicksal. Da trat die Gans Mimi, die in seinem Gemach umhergehen durfte, zu ihm und fragte ihn nach der Ursache seines Jammers. "Stille deine Tränen," antwortete sie, als sie von der Pastete Souzeraine gehört, "dieses Gericht kam oft auf meines Vaters Tisch, und ich weiß ungefähr, was man dazu braucht; du nimmst dies und jenes, so und so viel, und wenn es auch nicht durchaus alles ist, was eigentlich dazu nötig, die Herren werden keinen so feinen Geschmack haben." So sprach Mimi. Der Zwerg aber sprang auf vor Freuden, segnete den Tag, an welchem er die Gans gekauft hatte, und schickte sich an, die Königin der Pasteten zuzurichten. Er machte zuerst einen kleinen Versuch, und siehe, es schmeckte trefflich, und der Oberküchenmeister, dem er davon zu kosten gab, pries aufs neue seine ausgebreitete Kunst.

Den andern Tag setzte er die Pastete in größerer Form auf und schickte sie warm, wie sie aus dem Ofen kam, nachdem er sie mit Blumenkränzen geschmückt hatte, auf die Tafel. Er selbst aber zog sein bestes Festkleid an und ging in den Speisesaal. Als er eintrat, war der Obervorschneider gerade damit beschäftigt, die Pastete zu zerschneiden und auf einem silbernen Schäufelein dem Herzog und seinem Gaste hinzureichen. Der Herzog tat einen tüchtigen Biß hinein, schlug die Augen auf zur Decke und sprach, nachdem er geschluckt hatte: "Ah! ah! ab! mit Recht nennt man dies die Königin der Pasteten; aber mein Zwerg ist auch der König aller Köche! Nicht also, lieber Freund?"

Der Gast nahm einige kleine Bissen zu sich, kostete und prüfte aufmerksam und lächelte dabei höhnisch und geheimnisvoll. "Das Ding ist recht artig gemacht," antwortete er. indem er den Teller hinwegrückte; "aber die Souzeraine ist es denn doch nicht ganz; das habe ich mir wohl gedacht."

Da runzelte der Herzog vor Unmut die Stirne und errötete vor Beschämung. , Hund von einem Zwerg!" rief er.



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wie wagst du es, deinem Herrn dies anzutun? Soll ich dir deinen großen Kopf abhacken lassen zur Strafe für deine schlechte Kocherei ?"

"Ach Herr! um des Himmels willen, ich habe das Gericht doch zubereitet nach den Regeln der Kunst, es kann gewiß nichts fehlen!" so sprach der Zwerg und zitterte.

"Es ist eine Lüge, du Bube!" erwiderte der Herzog und stieß ihn mit dem Fuße von sich. "Mein Gast würde sonst nicht sagen, es fehlt etwas. Dich selbst will ich zerhacken und backen lassen in eine Pastete !"

Habt Mitleiden !" rief der Kleine und rutschte auf den Knien zu dem Gast, dessen Füße er umfaßte. "Saget, was fehlt in dieser Speise, daß sie Eurem Gaumen nicht zusagt? Lasset mich nicht sterben wegen einer Handvoll Fleisch und Mehl."

"Das wird dir wenig helfen, mein lieber Nase," antwortete der Fremde mit Lachen; " das habe ich mir schon gestern gedacht, daß du diese Speise nicht machen kannst wie mein Koch. Wisse, es fehlt ein Kräutlein, das man hierzulande gar nicht kennt, das Kraut Niesmitlust; ohne dieses bleibt die Pastete ohne Würze, und dein Herr wird sie nie essen wie ich."

Da geriet der Herrscher in Frankistan in Wut. " Und doch werde ich sie essen," rief er mit funkelnden Augen; " denn ich schwöre auf meine fürstliche Ehre: entweder zeige ich Euch morgen die Pastete, wie Ihr sie verlanget — oder den Kopf dieses Burschen, aufgespießt auf dem Tor meines Palastes. Gehe, du Hund, noch einmal gebe ich dir vierundzwanzig Stunden Zeit."

So rief der Herzog; der Zwerg aber ging wieder weinend in sein Kämmerlein und klagte der Gans sein Schicksal und daß er sterben müsse; denn von dem Kraut habe er nie gehört. "Ist es nur dies," sprach sie, "da kann ich dir schon helfen; denn mein Vater lehrte mich alle Kräuter kennen. Wohl wärest du vielleicht zu einer andern Zeit des Todes gewesen; aber glücklicherweise ist es gerade Neumond, und um diese Zeit blüht das Kräutlein. Doch, sage an, sind alte Kastanienbäume in der Nähe des Palastes?"

"O ja!" erwiderte Nase mit leichterem Herzen: " am See, zweihundert Schritte vom Hans, steht eine ganze Gruppe; doch warum diese?"

"Nur am Fuße alter Kastanien blüht das Kräutlein," sagte Mimi. ",Darum laß uns keine Zeit versäumen und suchen, was du brauchst; nimm mich auf deinen Arm und setze mich im Freien nieder; ich will dir suchen.



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Er tat, wie sie gesagt, und ging mit ihr zur Pforte des Palastes. Dort aber streckte der Türhüter das Gewehr vor und sprach: " Mein guter Nase, mit dir ist's vorbei aus dem Hause darfst du nicht, ich habe den strengsten Befehl darüber."

"Aber in den Garten kann ich doch wohl gehen?" erwiderte der Zwerg. "Sei so gut und schicke einen deiner Gesellen zum Aufseher des Palastes und frage, ob ich nicht in den Garten gehen und Kräuter suchen dürfe?" Der Türhüter tat also, und es wurde erlaubt; denn der Garten hatte hohe Mauern, und es war an kein Entkommen daraus zu denken. Als aber Nase mit der Gans Mimi ins Freie gekommen war, setzte er sie behutsam nieder, und sie ging schnell vor ihm her dem See zu, wo die Kastanien standen. Er folgte ihr nur mit beklommenem Herzen; denn es war ja seine letzte, einzige Hoffnung; fand sie das Kräutlein nicht, so stand sein Entschluß fest: er stürzte sich dann lieber in den See, als daß er sich köpfen ließ. Die Gans suchte aber vergebens, sie wandelte unter allen Kastanien. sie wandte mit dem Schnabel jedes Gräschen um, es wollte sich nichts zeigen, und sie fing aus Mitleid und Angst an zu weinen; denn schon wurde der Abend dunkler und die Gegenstände umher schwerer zu erkennen.

Da fielen die Blicke des Zwerges über den See hin, und plötzlich rief er: "Siehe, siehe, dort über dem See steht noch ein großer, alter Baum; laß uns dorthin gehen und suchen, vielleicht blüht dort mein Glück." Die Gans hüpfte und flog voran, und er lief nach, so schnell seine kleinen Beine konnten; der Kastanienbaum warf einen großen Schatten, und es war dunkel umher, fast war nichts mehr zu erkennen; aber da blieb plötzlich die Gans stille stehen, schlug vor Freuden mit den Flügeln, fuhr dann schnell mit dem Kopf ins hohe Gras und pflückte etwas ab, das sie dem erstaunten Nase zierlich mit dem Schnabel überreichte und sprach: "Das ist das Kräutlein, und hier wächst eine Menge davon, so daß es dir nie daran fehlen kann."

Der Zwerg betrachtete das Kraut sinnend; ein süßer Duft strömte ihm daraus entgegen, der ihn unwillkürlich an die Szene seiner Verwandlung erinnerte die Stengel, die Blätter waren bläulichgrün, sie trugen eine brennend rote Blume mit gelbem Rande.

"Gelobt sei Gott !" rief er endlich aus. "Welches Wunder! Wisse, ich glaube, es ist dies dasselbe Kraut, das mich aus einem Eichhörnchen in diese schändliche Gestalt umwandelte; soll ich den Versuch machen?"



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"Noch nicht," bat die Gans. "Nimm von diesem Kraut eine handvoll mit dir, laß uns auf dein Zimmer gehen und dein Geld, und was du sonst hast, zusammenraffen, und dann wollen wir die Kraft des Krautes versuchen!"

Sie taten also und gingen auf seine Kammer zurück, und das Herz des Zwerges pochte hörbar vor Erwartung. Nachdem er fünfzig oder sechzig Dukaten, die er erspart hatte, einige Kleider und Schuhe zusammen in ein Bündel geknüpft hatte, sprach er: "So es Gott gefällig ist, werde ich dieser Bürde los werden," steckte seine Nase tief in die Kräuter und sog ihren Duft ein.

Da zog und knackte es in allen seinen Gliedern, er fühlte, wie sich sein Kopf aus den Schultern hob, er schielte herab auf seine Nase und sah sie kleiner und kleiner werden, sein Rücken und seine Brust fingen an, sich zu ebnen, und seine Beine wurden länger.

Die Gans sah mit Erstaunen diesem allen zu. "Ha! was du groß, was du schön bist!" rief sie. "Gott sei gedankt, es ist nichts mehr an dir von allem, was du vorher warst!" Da freute sich Jakob sehr, und er faltete die Hände und betete. Aber seine Freude ließ ihn nicht vergessen, welchen Dank er der Gans Mimi schuldig sei; zwar drängte ihn sein Herz, zu seinen Eltern zu gehen; doch besiegte er aus Dankbarkeit diesen Wunsch und sprach: "Wem anders als dir habe ich es zu danken, daß ich mir selbst wiedergeschenkt bin ? Ohne dich hätte ich dieses Kraut nimmer gefunden, hätte also ewig in jener Gestalt bleiben oder vielleicht gar unter dem Beile des Henkers sterben müssen. Wohlan, ich will es dir vergelten. Ich will dich zu deinem Vater bringen; er, der so erfahren ist in jedem Zauber, wird dich leicht entzaubern können." Die Gans vergoß Freudentränen und nahm sein Anerbieten an. Jakob kam glücklich und unerkannt mit der Gans aus dem Palast und machte sich auf den Weg nach dem Meeresstrand, Minis Heimat, zu.

Was soll ich noch weiter erzählen, daß sie ihre Reise glücklich vollendeten, daß Wetterbock seine Tochter entzauberte und den Jakob, mit Geschenken beladen, entließ. daß er in seine Vaterstadt zurückkam und daß seine Eltern in dem schönen jungen Mann mit Vergnügen ihren verlorenen Sohn erkannten, daß er von den Geschenken, die er von Wetterbock mitbrachte, sich einen Laden kaufte und reich und glücklich wurde?

Nur so viel will ich noch sagen, daß nach seiner Entfernung aus dem Palaste des Herzogs große Unruhe entstand; denn als am andern Tage der Herzog seinen Schwur erfüllen und dem



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Zwerg, wenn er die Kräuter nicht gefunden hätte, den Kopf abschlagen lassen wollte, war er nirgends zu finden; der Fürst aber behauptete, der Herzog habe ihn heimlich entkommen lassen, um sich nicht seines besten Kochs zu berauben, und klagte ihn an, daß er wortbrüchig sei. Dadurch entstand denn ein großer Krieg zwischen beiden Fürsten, der in der Geschichte unter dem Namen Kräuterkrieg" wohlbekannt ist; es wurde manche Schlacht geschlagen, aber am Ende doch Friede gemacht, und diesen Frieden nennt man bei uns den "Pastetenfrieden" , weil beim Versöhnungsfest durch den Koch des Fürsten die Souzeraine, die Königin der Pasteten, zubereitet wurde, welche sich der Herr Herzog trefflich schmecken ließ.

So führen oft die kleinsten Ursachen zu großen Folgen; und dies, o Herr, ist die Geschichte des Zwerges Nase."



***
So erzählte der Sklave aus Frankistan; nachdem er geendet hatte, ließ der Scheit Ali Banu ihm und den andern Sklaven Früchte reichen, sich zu erfrischen, und unterhielt sich, während sie aßen, mit seinen Freunden. Die jungen Männer aber, die der Alte eingeführt hatte, waren voll Lobes über den Scheik, sein Haus und alle seine Einrichtungen. "Wahrlich," sprach der junge Schreiber, " es gibt keinen angenehmeren Zeitvertreib, als Geschichten anzuhören. Ich könnte tagelang so hinsitzen, die Beine untergeschlagen, einen Arm aufs Kissen gestützt, die Stirne in die Hand gelegt, und, wenn es ginge, des Scheiks große Wasserpfeife in der Hand, und Geschichten anhören, — so ungefähr stelle ich mir das Leben vor in den Gärten Mahomeds."

"So lange Ihr jung seid und arbeiten könnt," sprach der Alte, " kann ein solcher träger Wunsch nicht Euer Ernst sein. Aber das gebe ich Euch zu, daß ein eigener Reiz darin liegt, etwas erzählen zu hören. So alt ich bin, und ich gehe nun ins siebenundsiebenzigste Jahr, so viel ich in meinem Leben schon gehört habe, so verschmähe ich es doch nicht, wenn an der Ecke ein Geschichtserzähler sitzt und um ihn in großem Kreis die Zuhörer, mich ebenfalls hinzusetzen und zuzuhören. Man träumt sich ja in die Begebenheiten hinein, die erzählt werden, man lebt mit diesen Menschen, mit diesen wundervollen Geistern, mit Feen und dergleichen Leuten, die uns nicht alle Tage begegnen, und hat nachher, wenn man einsam ist, Stoff, sich alles zu wiederholen, wie der Wanderer, der sich gut versehen hat, wenn er durch die Wüste reist."



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"Ich habe nie so darüber nachgedacht," erwiderte ein anderer der jungen Leute, ".worin der Reiz solcher Geschichten eigentlich liegt. Aber mir geht es wie euch. Schon als Kind konnte man mich, wenn ich ungeduldig war, durch eine Geschichte zum Schweigen bringen. Es war mir anfangs gleichgiltig, von was es handelte, wenn es nur erzählt war, wenn nur etwas geschah; wie oft habe ich, ohne zu ermüden, jene Fabeln angehört, die weise Männer erfunden und in welche sie einen Kern ihrer Weisheit gelegt haben, vom Fuchs und vom törichten Raben, vom Fuchs und vom Wolf, viele Dutzend Geschichten vom Löwen und den übrigen Tieren. Als ich älter wurde und mehr unter die Menschen kam, genügten mir jene kurzen Geschichten nicht mehr; sie mußten schon länger sein, mußten von Menschen und ihren wunderbaren. Schicksalen handeln."

"Ja, ich entsinne mich noch wohl dieser Zeit," unterbrach ihn einer seiner Freunde. "Du warst es, der uns diesen Drang nach Erzählungen allerart beibrachte. Einer Eurer Sklaven wußte so viel zu erzählen, als ein Kameltreiber von Mekka nach Medina spricht; wann er fertig war mit seiner Arbeit, mußte er sich zu uns setzen auf den Grasboden vor dem Hause, und da baten wir so lange, bis er zu erzählen anfing, und das ging fort und fort, bis die Nacht heraufkam."

"Und erschloß sich uns," entgegnete der Schreiber, "erschloß sich uns da nicht ein neues, niegekanntes Reich, das Land der Genien und Feen, bebaut mit allen Wundern der Pflanzenwelt, mit reichen Palästen von Smaragden und Rubinen, mit riesenhaften Sklaven bevölkert, die erschienen, wenn man einen Ring hin- und widerdreht oder die Wunderlampe reibt oder das Wort Salomos ausspricht, und in goldenen Schalen herrliche Speisen bringen. Wir fühlten uns unwillkürlich in jenes Land versetzt, wir machten mit Sindbad seine wunderbaren Fahrten, wir gingen mit Harun Al Raschid, dem weisen Beherrscher der Gläubigen, abends spazieren, wir kannten Giaffar, seinen Wesir, so gut als uns selbst, kurz, wir lebten in jenen Geschichten, wie man nachts in Träumen lebt, und es gab keine schönere Tageszeit für uns als den Abend. wo wir uns einfanden auf dem Rasenplatz und der alte Sklave uns erzählte. Aber sage uns, Alter, worin liegt es denn eigentlich, daß wir damals so gerne erzählen hörten, daß es noch jetzt für uns keine angenehmere Unterhaltung gibt?"

Die Bewegung, die im Zimmer entstand. und die Aufforderung zur Aufmerksamkeit, die der Sklavenaufseher gab, verhinderte den Alten zu antworten. Die jungen Leute wußten



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nicht, ob sie sich freuen sollten, daß sie eine neue Geschichte anhören durften, oder ungehalten sein darüber, daß ihr anziehendes Gespräch mit dem Alten unterbrochen worden war; aber ein zweiter Sklave erhob sich bereits und begann: —


Abner, der Jude, der nichts gesehen hat.

"Herr! Ich bin aus Mogador am Strande des großen Meers, und als der großmächtigste Kaiser Muley Ismael über Fez und Marokko herrschte, hat sich die Geschichte zugetragen, die du vielleicht nicht ungerne hören wirst. Es ist die Geschichte von Abner, dem Juden, der nichts gesehen hat.

Juden, wie du weißt, gibt es überall, und sie sind überall Juden: pfiffig, mit Falkenaugen für den kleinsten Vorteil begabt, verschlagen, desto verschlagener, je mehr sie mißhandelt werden, ihrer Verschlagenheit sich bewußt und sich etwas darauf einbildend. Daß aber doch zuweilen ein Jude durch seine Pfiffe zu Schaden kommt, bewies Abner, als er eines Abends zum Tore von Marokko hinaus spazieren ging.

Er schreitet einher, mit der spitzen Mütze auf dem Kopf, in den bescheidenen, nicht übermäßig reinlichen Mantel gehüllt, nimmt von Zeit zu Zeit eine verstohlene Prise aus der goldenen Dose, die er nicht gerne sehen läßt, streichelt sich den Knebelbart, und trotz der umherrollenden Augen, welche ewige Furcht und Besorgnis und die Begierde, etwas zu erspähen, womit etwas zu machen wäre, keinen Augenblick ruhen läßt, leuchtet Zufriedenheit aus seiner beweglichen Miene; er muß diesen Tag gute Geschäfte gemacht haben, und so ist es auch. Er ist Arzt, ist Kaufmann, ist alles, was Geld einträgt; er hat heute einen Sklaven mit einem heimlichen Fehler verkauft, wohlfeil eine Kamelladung Gummi gekauft und einem reichen kranken Manne den letzten Trank, nicht vor seiner Genesung, sondern vor seinem Hintritt bereitet.

Eben war er auf seinem Spaziergang aus einem kleinen Gehölz von Palmen und Datteln getreten, da hörte er lautes Geschrei herbeilaufender Menschen hinter sich; es war ein Haufe kaiserlicher Stallknechte, den Oberstallmeister an der Spitze, die nach allen Seiten unruhige Blicke umherwarfen, wie Menschen, die etwas Verlorenes eifrig suchen.

"Philister," rief ihm keuchend der Oberstallmeister zu, "hast du nicht ein kaiserlich Pferd mit Sattel und Zeug vorüberrennen sehen?"



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Abner antwortete: "Der beste Galoppläufer, den es gibt; zierlich nein ist sein Huf, seine Hufeisen sind von vierzehnlötigem Silber, sein Haar leuchtet golden, gleich dem großen Sabbatleuchter in der Schule, fünfzehn Fäuste ist er hoch, sein Schweif ist drei und einen halben Fuß lang, und die Stangen seines Gebisses sind von dreiundzwanzigkarätigem Golde."

"Er ist's!" rief der Oberstallmeister. "Er ist's!" rief der Chor der Stallknechte. "Es ist der Emir," rief ein alter Bereiter, "ich habe es dem Prinzen Abdallah zehnmal gesagt, er solle den Emir in der Trense reiten, ich kenne den Emir, ich habe es vorausgesagt, daß er ihn abwerfen würde, und sollte ich seine Rückenschmerzen mit dem Kopf bezahlen müssen, ich habe es vorausgesagt. — Aber schnell, wohin zu ist er gelaufen?"

"Habe ich doch gar kein Pferd gesehen," erwiderte Abner lächelnd, "wie kann ich sagen, wohin es gelaufen ist, des Kaisers Pferd ?"

Erstaunt über diesen Widerspruch, wollten die Herren vom Stalle eben weiter in Abner dringen; da kam ein anderes Ereignis dazwischen.

Durch einen sonderbaren Zufall, wie es deren so viele gibt, war gerade zu dieser Zeit auch der Leibschoßhund der Kaiserin entlaufen. Ein Haufe schwarzer Sklaven kam herbeigerannt. und sie schrien schon von weitem: "Habt Ihr den Schoßhund der Kaiserin nicht gesehen ?"

"ES ist kein Hund, den ihr suchet, meine Herren," sagte Abner, " es ist eine Hündin."

"Allerdings " rief der erste Eunuch hocherfreut. "Aline, wo bist du ?"

"Ein kleiner Wachtelhund," fuhr Abner fort, "der vor kurzem Junge geworfen, langes Behänge, Federschwanz, hinkt auf dem rechten vordern Bein."

"Sie ist's, wie sie leibt und lebt !" rief der Chor der Schwarzen. " Es ist Aline; die Kaiserin ist in Krämpfe verfallen, sobald sie vermißt wurde; Aline, wo bist du ? Was soll aus uns werden. wenn wir ohne dich ins Harem zurückkehren? Sprich geschwind, wohin hast du sie laufen sehen?"

*Ich habe gar keinen Hund gesehen; weiß ich doch nicht einmal, daß meine Kaiserin, welche Gott erhalte, einen Wachtelhund besitzt."

Da ergrimmten die Leute vom Stalle und vom Harem über Abners Unverschämtheit, wie sie es nannten, über kaiserliches Eigentum seinen Scherz zu treiben, und zweifelten keinen Augenblick , so unwahrscheinlich dies auch war, daß er Hund und Pferd



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gestohlen habe. Während die andern ihre Nachforschungen fortsetzten, packten der Stallmeister und der erste Eunuch den Juden und führten den halb pfiffig, halb ängstlich Lächelnden vor das Angesicht des Kaisers.

Aufgebracht berief Muley Ismael, als er den Hergang vernommen, den gewöhnlichen Rat des Palastes und führte in Betracht der Wichtigkeit des Gegenstandes selbst den Vorsitz. Zur Eröffnung der Sache wurde dem Angeschuldigten ein halbes Hundert Streiche auf die Fußsohlen zuerkannt. Abner mochte schreien und winseln, seine Unschuld beteuern oder versprechen, alles zu erzählen, wie es sich zugetragen, Sprüche aus der Schrift oder dem Talmud anführen, mochte rufen: "Die Ungnade des Königs ist wie das Brüllen eines jungen Löwen, aber seine Gnade ist Tau auf dem Grase" oder: . .Laß nicht zuschlagen deine Hand, wenn dir Augen und Ohren verschlossen sind!" — Muley Ismael winkte und schwur bei des Propheten Bart und seinem eigenen, der Philister solle die Schmerzen des Prinzen Abdallah und die Krämpfe der Kaiserin mit dem Kopfe bezahlen, wenn die Flüchtigen nicht wieder beigebracht würden.

Noch erschallte der Palast des Kaisers von Marokko von dem Schmerzgeschrei des Patienten, als die Nachricht einlief, Hund und Pferd seien wiedergefunden. Alinen überraschte man in der Gesellschaft einiger Möpse, sehr anständiger Leute. die sich aber für sie, als Hofdame, durchaus nicht schickte, und Emir hatte, nachdem er sich müde gelaufen, das duftende Gras auf den grünen Wiesen am Bache Tara wohlschmeckender gefunden als den kaiserlichen Hafer; gleich dem ermüdeten fürstlichen Jäger, der, auf der Parforcejagd verirrt. über dem schwarzen Brot und der Butter in der Hütte des Landmanns alle Leckereien seiner Tafel vergißt.

Muley Ismael verlangte nun von Abner eine Erklärung seines Betragens, und dieser sah sich nun, wiewohl etwas spät, imstande, sich zu verantworten, was er, nachdem er vor Se. Hoheit Thron dreimal die Erde mit der Stirne berührte, in folgenden Worten tat:

"Großmächtigster Kaiser, König der Könige, Herr des Westen, Stern der Gerechtigkeit, Spiegel der Wahrheit, Abgrund der Weisheit, der du so glänzend bist wie Gold, so strahlend wie der Diamant, so hart wie das Eisen, höre mich, weil es deinem Sklaven vergönnt ist, vor deinem strahlenden Angesichte seine Stimme zu erheben! Ich schwöre bei dem Gott meiner Väter. bei Moses und den Propheten, daß ich dein heiliges Pferd und



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meiner gnädigen Kaiserin liebenswürdigen Hund mit meines Leibes Augen nicht gesehen habe. Höre aber, wie sich die Sache begeben:

Ich spazierte, um mich von des Tages Last und Arbeit zu erholen, nichts denkend, in dem kleinen Gehölze, wo ich die Ehre gehabt habe. Sr. Herrlichkeit, dem Oberstallmeister, und Sr. Wachsamkeit, dem schwarzen Aufseher deines gesegneten Harems, zu begegnen; da gewahrte ich im feinen Sande zwischen den Palmen die Spuren eines Tieres; ich, dem die Spuren der Tiere überaus gut bekannt sind. erkenne sie alsbald für die Fußstapfen eines kleinen Hundes; feine, langgezogene Furchen liefen über die kleinen Unebenheiten des Sandbodens zwischen diesen Spuren hin; es ist eine Hündin, sprach ich zu mir selbst, und sie hat hängende Zitzen und hat Junge geworfen vor so und so langer Zeit; andere Spuren neben den Vordertatzen, wo der Sand leicht weggefegt zu sein schien, sagten mir, daß das Tier mit schönen, weit herabhängenden Ohren begabt sei; und da ich bemerkt, wie in längeren Zwischenräumen der Sand bedeutender aufgewühlt war, dachte ich: Einen schönen langbehaarten Schwanz hat die Kleine, und er muß anzusehen sein als ein Federbusch, und es hat ihr beliebt, zuweilen den Sand damit zu peitschen; auch entging mir nicht, daß eine Pfote sich beständig weniger tief in den Sand eindrückte; leider konnte mir da nicht verborgen bleiben, daß die Hündin meiner gnädigsten Frau, wenn es erlaubt ist, es auszusprechen, etwas hinke.

Was das Roß deiner Hoheit betrifft, so wisse, daß ich, als ich in einem Gange des Gebüsches hinwandelte, auf die Spuren eines Pferdes aufmerksam wurde. Kaum hatte ich den edeln kleinen Huf, den feinen und doch starken Strahl bemerkt, so sagte ich in meinem Herzen: Da ist gewesen ein Roß von der Rasse Tschenner, die da ist die vornehmste von allen. Ist es ja noch nicht vier Monate, hat mein gnädigster Kaiser einem Fürsten in Frankenland eine ganze Koppel von dieser Rasse verkauft , und mein Bruder Ruben ist dabei gewesen, wie sie sind Handels einig geworden, und mein gnädigster Kaiser hat dabei gewonnen so und so viel. Als ich sah, wie die Spuren so weit und so gleichmäßig von einander entfernt waren, mußte ich denken: Das galoppiert schön, vornehm, und ist bloß mein Kaiser wert, solch ein Tier zu besitzen; und ich gedachte des Streitrosses , von dem geschrieben steht bei Hiob: ,ES strampfet auf den Boden und ist freudig mit Kraft und zeucht aus, den Geharnischten entgegen; es spottet der Furcht und erschricket nicht und fleucht vor dem Schwert nicht, wenn gleich wieder es erklinget



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der Köcher, und glänzen beide, Spieß und Lanzen.' Und ich bückte mich, da ich etwas glänzen sah auf dem Boden, wie ich immer tue, und siehe, es war ein Marmelstein, darauf hatte das Hufeisen des eilenden Rosses einen Strich gezogen, und ich erkannte, daß es Hufeisen haben mußte von vierzehnlötigem Silber ; muß ich doch den Strich kennen von jeglichem Metall, sei es echt oder unecht. Der Baumgang, in dem ich spazierte, war sieben Fuß weit, und hie und da sah ich den Staub von den Palmen gestreifte Blätter ; Se. Schnelligkeit Rücken mußte sie abgestreift und er ist lang drei und einen halben Fuß; unter Bäumen, deren Krone etwa fünf Fuß vom Boden anfing, sah ich frisch abgestreifte Blätter ; Si. Schnelligkeit Rücken mußte sie abgestreift haben; da haben wir ein Pferd von fünfzehn Fäusten; siehe da, unter denselben Bäumen kleine Büschel goldglänzender Haare, und siehe da, es ist ein Goldfuchs! Eben trat ich aus dem Gebüsche, da fiel an einer Felswand ein Goldstrich in mein Auge; diesen Strich solltest du kennen, sprach ich, und was war ? Ein Probierstein war eingesprengt in dem Gestein und ein haar seiner Goldstrich darauf, wie ihn das Männchen mit dem Pfeilbündel auf den Füchsen der sieben vereinigten Provinzen von Holland nicht feiner, nicht reiner ziehen kann. Der Strich mußte von den Gebißstangen des flüchtigen Rosses rühren, die es im Vorbeispringen gegen dieses Gestein gerieben. Kennt man ja doch deine erhabene Prachtliebe, König der Könige, weiß man ja doch, daß sich das geringste deiner Rosse schämen würde, auf einen andern als einen goldenen Zaum zu beißen.

Also hat es sich begeben, und wenn —"

"Nun, bei Mekka und Medina!" rief Muley Ismael, "das heiße ich Augen; solche Augen könnten dir nicht schaden, Oberjägermeister, sie würden dir eine Koppel Schweißhunde ersparen; du, Polizeiminister, könntest damit weiter sehen als alle deine Schergen und Aufpasser. Nun, Philister, wir wollen dich in Betracht deines ungemeinen Scharfsinns. der uns wohlgefallen hat, gnädig behandeln; die funfzig Prügel, die du richtig erhalten hast, sind funfzig Zechinen wert, sie ersparen dir funfzig; denn du zahlst jetzt bloß noch funfzig bar ; zieh deinen Beutel und enthalte dich für die Zukunft. unseres kaiserlichen Eigentums zu spotten! Wir bleiben dir übrigens in Gnaden gewogen ."

Der ganze Hof bewunderte Abners Scharfsinn, denn Se. Majestät hatte geschworen, er sei ein geschickter Bursche; aber dies bezahlte ihm seine Schmerzen nicht, tröstete ihn nicht für seine teuren Zechinen. Während er stöhnend und seufzend eine



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nach der andern aus dem Beutel führte, jede noch zum Abschiede auf der Fingerspitze wog, höhnte ihn noch Schnuri, der kaiserliche Spaßmacher, fragte ihn, ob seine Zechinen alle auf dem Steine sich bewährten, auf dem der Goldfuchs des Prinzen Abdallah sein Gebiß probiert habe. , .Deine Weisheit hat heute Ruhm geerntet," sprach er; "ich wollte aber noch funfzig Zechinen wetten, es wäre dir lieber, du hättest geschwiegen. Aber wie spricht der Prophet? ,Ein entschlüpftes Wort holt kein Wagen ein, und wenn er mit vier flüchtigen Rossen bespannt wäre. Auch kein Windspiel holt es ein, Herr Abner, auch wenn es nicht hinkt."

Nicht lange nach diesem für Abner schmerzlichen Ereignis ging er wieder einmal in einem der grünen Täler zwischen den Vorbergen des Atlas spazieren. Da wurde er, gerade wie damals, von einem einherstürmenden Haufen Gewaffneter eingeholt , und der Anführer schrie ihn an:

"He, guter Freund, hast du nicht Goro, den schwarzen Leibschützen des Kaisers vorbeilaufen sehen? Er ist entflohen, er muß diesen Weg genommen haben ins Gebirg."

"Kann nicht dienen, Herr General," antwortete Abner.

"Ach, bist du nicht der pfiffige Jude, der den Fuchsen und den Hund nicht gesehen hat? Mach' nur keine Umstände; hier muß der Sklave vorbeigekommen sein; riechst du vielleicht noch den Duft seines Schweißes in der Luft? Siehst du noch die Spuren seines flüchtigen Fußes im hohen Grase? Sprich, der Sklave muß herbei; er ist einzig im Sperlingschießen mit dem Blaserohr, und dies ist Sr. Majestät Lieblingszeitvertreib. Sprich, oder ich lasse dich sogleich krumm fesseln!"

"Kann ich doch nicht sagen, ich habe gesehen, was ich doch nicht hab' gesehen."

"Jude, zum letzten Male: Wohin ist der Sklave gelaufen? Denk' an deine Fußsohlen, denk' an deine Zechinen!"

"O weh geschrien! Nun, wenn Ihr absolut haben wollt, daß ich soll gesehen haben den Sperlingsschützen, so lauft dorthin; ist er dort nicht, so ist er anderswo."

"Du hast ihn also gesehen?" brüllte ihn der Soldat an.

"Ja denn, Herr Offizier, weil Ihr es so haben wollt."

Die Soldaten verfolgten eilig die angewiesene Richtung. Abner aber ging, innerlich über seine List zufrieden, nach Hause. Kaum aber War er vierundzwanzig Stunden älter geworden, so drang ein Haufe von der Wache des Palastes in sein Haus und verunreinigte es ; denn es war Sabbat, und schleppte ihn vor das Angesicht des Kaisers von Marot.



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"Hund von einem Juden," schnaubte ihn der Kaiser an, du wagst es, kaiserliche Bediente, die einen flüchtigen Sklaven verfolgen, auf falsche Spur ins Gebirge zu schicken, während der Flüchtling der Meeresküste zueilt und beinahe auf einem spanischen Schiffe entkommen wäre? Greift ihn, Soldaten! Hundert auf die Sohlen! Hundert Zechinen aus dem Beutel! Um wie viel die Sohlen schwellen unter den Hieben, um so viel soll der Beutel einschnurren."

Du weißt es, o Herr, im Reiche Fez und Marokko liebt man schnelle Gerechtigkeit, und so wurde der arme Abner geprügelt und besteuert, ohne daß man ihn zuvor um seine Einwilligung befragt hätte. Er aber verfluchte sein Geschick, das ihn dazu verdammte, daß seine Sohlen und sein Beutel es hart empfinden sollten, so oft Se. Majestät geruhten, etwas zu verlieren. Als er aber brummend und seufzend unter dem Gelächter des rohen Hofvolks aus dem Saale hinkte, sprach zu ihm Schnuri, der Spaßmacher: " Gib dich zufrieden, Abner, undankbarer Abner ! Ist es nicht Ehre genug für dich, daß jeder Verlust, den unser gnädiger Kaiser, den Gott erhalte, erleidet, auch dir empfindlichen Kummer verursachen muß? Versprichst du mir aber ein gut Trinkgeld, so komme ich jedesmal, eine Stunde bevor der Herr des Westen etwas verliert, an deine Bude in der Judengasse und spreche: ,Gehe nicht aus deiner Hütte, Abner. du weißt schon warum; schließe dich ein in dein Kämmerlein bis zu Sonnenuntergang, beides unter Schloß und Riegel.'"

Dies, o Herr, ist die Geschichte von Abner, der nichts gesehen hat."

Als der Sklave geendet hatte und es wieder stille im Saale geworden war, erinnerte der junge Schreiber den Alten, daß sie den Faden ihrer Unterhaltung abgebrochen hatten, und bat, ihnen zu erklären, worin denn eigentlich der mächtige Reiz des Märchens liege.

"Das will ich Euch jetzt sagen," erwiderte der Alte. "Der menschliche Geist ist noch leichter und beweglicher als das Wasser, das doch in alle Formen sich schmiegt und nach und nach auch die dichtesten Gegenstände durchdringt. Er ist leicht und frei wie die Luft und wird wie diese, je höher er sich von der Erde hebt, desto leichter und reiner. Daher ist ein Drang in jedem Menschen, sich hinauf über das Gewöhnliche zu erheben und sich in höheren Räumen leichter und freier zu bewegen, sei es auch nur in Träumen. Ihr selbst, mein junger Freund, sagtet:



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Wir lebten in jenen Geschichten, wir dachten und fühlten mit jenen Menschen, und daher kommt der Reiz, den sie für Euch hatten. Indem Ihr den Erzählungen des Sklaven zuhörtet. die nur Dichtungen waren, die einst ein anderer erfand, habt Ihr selbst auch mit gedichtet. Ihr bliebet nicht stehen bei den Gegenständen um Euch her, bei Euren gewöhnlichen Gedanken. nein Ihr erlebtet alles mit, Ihr waret es selbst, dem dies und jenes Wunderbare begegnete, so sehr nahmet Ihr teil an dem Manne von dem man Euch erzählte. So erhob sich Euer Geist am Faden einer solchen Geschichte über die Gegenwart, die Euch nicht so schön, nicht so anziehend dünkte; so bewegte sich dieser Geist in fremden, höheren Räumen freier und ungebundener, das Märchen wurde Euch zur Wirklichkeit, oder, wenn Ihr lieber wollet, die Wirklichkeit wurde zum Märchen, weil Euer Dichten und Sein im Märchen lebte,"

"Ganz verstehe ich Euch nicht," erwiderte der junge Kaufmann ; "aber Ihr habt recht mit dem, was Ihr sagtet, wir lebten im Märchen oder das Märchen in uns. Sie ist mir noch wohl erinnerlich, jene schöne Zeit; wenn wir Muße dazu hatten, träumten wir wachend ; wir stellten uns vor, an wüste, unwirtbare Inseln verschlagen zu sein, wir berieten uns, was wir beginnen sollten, um unser Leben zu fristen, und oft haben wir im dichten Weidengebüsch uns Hütten gebaut, haben von elenden Früchten ein kärgliches Mahl gehalten, obgleich wir hundert Schritte weit zu Haus das Beste hätten haben können ; ja, es gab Zeiten, wo wir auf die Erscheinung einer gütigen Fee oder eines wunderbaren Zwerges warteten, die zu uns treten und sagen würden: ,Die Erde wird sich alsobald auftun; wollt dann nur gefälligst herabsteigen in meinen Palast von Bergkristall und euch belieben lassen, was meine Diener, die Meerkatzen, euch auftischen!

Die jungen Leute lachten, gaben aber ihrem Freunde zu, daß er wahr gesprochen habe. "Noch jetzt," fuhr ein anderer fort, "noch jetzt beschleicht mich hie und da dieser Zauber; ich würde mich zum Beispiel nicht wenig ärgern über die dumme Fabel, wenn mein Bruder zur Türe hereingestürzt käme und sagte: ,Weißt du schon das Unglück von unserem Nachbar, dem dicken Bäcker? Er hat Händel gehabt mit einem Zauberer, und dieser hat ihn aus Rache in einen Bären verwandelt, und jetzt liegt er in seiner Kammer und heult entsetzlich;' ich würde mich ärgern und ihn einen Lügner schelten. Aber wie anders. wenn mir erzählt würde, der dicke Nachbar hab' eine weite Reise in ein fernes, unbekanntes Land unternommen, sei dort einem



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Zauberer in die Hände gefallen, der ihn in einen Bären verwandelte . Ich würde mich nach und nach in die Geschichte versetzt fühlen, würde mit dem dicken Nachbar reisen, Wunderbares erleben, und es würde mich nicht sehr überraschen, wenn er in ein Fell gesteckt würde und auf allen vieren gehen müßte."

So sprachen die jungen Leute; da gab der Scheik wiederum das Zeichen, und alle setzten sich nieder. Der Aufseher der Sklaven aber trat zu den Freigelassenen und forderte sie auf, weiter fortzufahren. Einer unter ihnen zeigte sich bereit, stand auf und hub an, folgendermaßen zu erzählen.


Der arme Stephan.

(S. 86 —173 im Original.)

Der Sklave hatte geendet, und seine Erzählung erhielt den Beifall des Scheiks und seiner Freunde. Aber auch durch diese Erzählung wollte sich die Stirne des Scheik nicht entwölken lassen, er war und blieb ernst und tiefsinnig wie zuvor, und die jungen Leute bemitleideten ihn.

"Und doch" , sprach der junge Kaufmann, "und doch kann ich nicht begreifen, wie der Scheik sich an einem solchen Tage Märchen erzählen lassen mag, und zwar von seinen Sklaven. Ich, für meinen Teil, hätte ich einen solchen Kummer, so würde ich lieber hinausreiten in den Wald und mich setzen, wo es recht dunkel und einsam ist, aber auf keinen Fall dieses Geräusch von Bekannten und Unbekannten um mich versammeln."

"Der Weise" , antwortete der alte Mann, " der Weise läßt sich von seinem Kummer nie so überwältigen, daß er ihm völlig unterliegt. Er wird ernst, er wird tiefsinnig sein, er wird aber nicht laut klagen oder verzweifeln. Warum also, wenn es in deinem Innern dunkel und traurig aussieht, warum noch überdies die Schatten dunkler Zedern suchen? Ihr Schatten fällt durch das Auge in dein Herz und macht es noch dunkler. die Sonne mußt du gehen, in den warmen, lichten Tag, für was du trauerst, und mit der Klarheit des Tages. mit der Wärme des Lichtes wird dir die Gewißheit aufgehen, daß Allahs Liebe über dir ist, erwärmend und ewig wie die Sonne" .

"Ihr habt wahrgesprochen" , setzte der Schreiber hinzu, "und geziemt es nicht einem weisen Mann, dem seine Umgebungen zu Gebot stehen, daß er an einem solchen Tage die Schatten des



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Grams so weit als möglich entferne? Soll er zum Getränke seine Zuflucht nehmen oder Opium speisen, um den Schmerz zu vergessen? Ich bleibe dabei, es ist die anständigste Unterhaltung in Leid und Freude, sich erzählen zu lassen, und der Scheit hat ganz recht."

"Gut" , erwiderte der junge Kaufmann, "aber hat er nicht Vorleser, nicht Freunde genug, warum müssen es gerade Sklaven sein, die erzählen ?"

"Diese Sklaven, lieber Herr!" sagte der Alte, "sind vermutlich durch allerlei Unglück in Sklaverei geraten und sind nicht gerade so ungebildete Leute, wie Ihr wohl gesehen habt, von welchen man sich nicht könnte erzählen lassen. überdies stammen sie von allerlei Ländern und Völkern, und es ist zu erwarten, daß sie bei sich zu Hause irgend etwas Merkwürdiges gehört oder gesehen, das sie nun zu erzählen wissen. Einen noch schöneren Grund, den mir einst ein Freund des Scheik sagte, will ich Euch wiedergeben: Diese Leute waren bis jetzt in seinem Hause als Sklaven. Hatten sie auch keine schwere Arbeit zu verrichten, so war es doch immer Arbeit, zu der sie gezwungen waren, und mächtig der Unterschied zwischen ihnen und freien Leuten. Sie durften sich, wie es Sitte ist, dem Scheik nicht anders als mit den Zeichen der Unterwürfigkeit nähern. Sie durften nicht zu ihm reden, außer er fragte sie, und ihre Rede mußte kurz sein. Heute sind sie frei, und ihr erstes Geschäft als freie Leute ist, in großer Gesellschaft und vor ihrem bisherigen Herrn lange und offen sprechen zu dürfen. Sie fühlen sich nicht wenig geehrt dadurch, und ihre unverhoffte Freilassung wird ihnen dadurch nur um so werter."

"Siehe," unterbrach ihn der Schreiber, "dort steht der vierte Sklave auf; der Aufseher hat ihm wohl schon das Zeichen gegeben, lasset uns niedersitzen und hören!"


Der gebackene Kopf.

"Herr!" fing der vierte der Sklaven zu erzählen an, "als ich noch in Stambul verweilte, begab sich daselbst folgende sonderbare Geschichte. (Im Original S. 177 —209.)

Der Scheik äußerte seinen Beifall über diese Erzählung. Er hatte, was in Jahren nicht geschehen war, einigemal gelächelt, und seine Freunde nahmen dies als eine gute Vorbedeutung.



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Dieser Eindruck war den jungen Männern und dem Alten nicht entgangen. Auch sie freuten sich darüber, daß der Scheik, auf eine halbe Stunde wenigstens, zerstreut wurde; denn sie ehrten seinen Kummer und die Trauer um sein Unglück, sie fühlten ihre Brust beengt, wenn sie ihn so ernst und stille seinem Grame nachhängen sahen, und gehobener, freudiger waren sie, als die Wolke seiner Stirne auf Augenblicke vorüberzog.

"Ich kann mir wohl denken," sagte der Schreiber, "daß diese Erzählung günstigen Eindruck auf ihn machen mußte; es liegt soviel Sonderbares, Komisches darin, daß selbst der heilige Derwisch auf dem Berge Libanon, der in seinem Leben noch nie gelacht hat, laut auflachen mußte."

"Und doch," sprach der Alte lächelnd, "und doch ist weder Fee noch Zauberer darin erschienen; kein Schloß von Kristall, keine Genien, die wunderbare Speisen bringen, kein Vogel Rock, noch ein Zauberpferd. —"

Ihr beschämt uns," rief der junge Kaufmann, "weil wir mit so vielem Eifer von jenen Märchen unserer Kindheit sprachen, die uns noch jetzt so wunderbar anziehen, weil wir jene Momente aufzählten, wo uns das Märchen so mit sich hinwegriß, daß wir darin zu leben wähnten, weil wir dies so hoch anschlugen, wolltet Ihr uns beschämen und auf feine Art zurechtweisen; nicht so ?"

"Mitnichten! Es sei ferne von mir, eure Liebe zum Märchen zu tadeln; es zeugt von einem unverdorbenen Gemüt. daß ihr euch noch so recht gemütlich in den Gang des Märchens versetzen konntet, daß ihr nicht wie andere vornehm darauf, als auf ein Kinderspiel, herabsehet, daß ihr euch nicht langweilet und lieber ein Roß zureiten oder auf dem Sofa behaglich einschlummern oder halb träumend die Wasserpfeife rauchen wolltet, statt dergleichen euer Ohr zu schenken. Es sei ferne von mir, euch darum zu tadeln; aber das freut mich, daß auch eine andere Art von Erzählung euch fesselt und ergötzt, eine andere Art als die, welche man gewöhnlich Märchen nennt."

"Wie versteht Ihr dies? Erklärt uns deutlicher, was Ihr meinet. Eine andere Art als das Märchen?" sprachen die Jünglinge unter sich.

"Ich denke, man muß einen gewissen Unterschied machen zwischen Märchen und Erzählungen, die man im gemeinen Leben Geschichten nennt. Wenn ich euch sage, ich will euch ein Märchen erzählen, so werdet ihr zum voraus darauf rechnen, daß es eine Begebenheit ist, die von dem gewöhnlichen Gang des Lebens abschweift und sich in einem Gebiet bewegt, das



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nicht mehr durchaus irdischer Natur ist. Oder, um deutlicher zu sein, ihr werdet bei dem Märchen auf die Erscheinung anderer Wesen als allein sterblicher Menschen rechnen können; es greifen in das Schicksal der Person, von welcher das Märchen handelt, fremde Mächte, wie Feen und Zauberer, Genien und Geisterfürsten ein; die ganze Erzählung nimmt eine außergewöhnliche, wunderbare Gestalt an und ist ungefähr anzuschauen wie die Gewebe unserer Teppiche oder viele Gemälde unserer besten Meister, welche die Franken Arabesken nennen. Es ist dem echten Muselmann verboten, den Menschen, das Geschöpf Allahs, sündigerweise wiederzuschöpfen in Farben und Gemälden; daher sieht man auf jenen Geweben wunderbar verschlungene Bäume und Zweige mit Menschenköpfen, Menschen, die in einen Fisch oder Strauch ausgehen, kurz, Figuren, die an das gewöhnliche Leben erinnern und dennoch ungewöhnlich sind; ihr versteht mich doch ?"

"Ich glaube. Eure Meinung zu erraten," sagte der Schreiber; doch fahret weiter fort!"

"Von dieser Art ist nun das Märchen; fabelhaft, ungewöhnlich, überraschend; weil es dem gewöhnlichen Leben fremd ist, wird es oft in fremde Länder oder in ferne, längst vergangene Zeiten verschoben. Jedes Land, jedes Volk hat solche Märchen, die Türken so gut als die Perser, die Chinesen wie die Mongolen; selbst in Frankenland soll es viele geben, wenigstens erzählte mir einst ein gelehrter Giaur davon; doch sind sie nicht so schön als die unsrigen; denn statt schöner Feien, die in prachtvollen Palästen wohnen, haben sie zauberhafte Weiber, die sie Hexen nennen, heimtückisches, häßliches Volk, das in elenden Hütten wohnt, und statt in einem Muschelwagen, von Greifen gezogen, durch die blauen Lüfte zu fahren, reiten sie auf einem Besen durch den Nebel. Sie haben auch Gnomen und Erdgeister, das sind kleine verwachsene Kerlchen, die allerlei Spuk machen. Das sind nun die Märchen; ganz anders ist es aber mit den Erzählungen, die man gemeinhin Geschichten nennt. Diese bleiben ganz ordentlich auf der Erde, tragen sich im gewöhnlichen Leben zu, und wunderbar ist an ihnen meistens nur die Verkettung der Schicksale eines Menschen, der nicht durch Zauber, Verwünschung oder Feenspuk, wie im Märchen, sondern durch sich selbst oder die sonderbare Fügung der Umstände reich oder arm, glücklich oder unglücklich wird.

"Richtig !" erwiderte einer der jungen Leute. "Solche reine Geschichten finden sich auch in den herrlichen Erzählungen der Scheherazade, die man ,Tausendundeine Nacht' nennt. Die



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meisten Begebenheiten des Königs Harun Al Raschid und seines Wesirs sind dieser Art. Sie gehen verkleidet aus und sehen diesen oder jenen höchst sonderbaren Vorfall, der sich nachher gang natürlich auflöst."

"Und dennoch werdet ihr gestehen müssen," fuhr der Alte : fort, "daß jene Geschichten nicht der schlechteste Teil der ,Tausendundeine Nacht' sind. Und doch, wie verschieden sind sie in ihren Ursachen, in ihrem Gang, in ihrem ganzen Wesen von den Märchen eines Prinzen Biribinker oder der drei Derwische mit einem Auge oder des Fischers, der den Kasten, verschlossen mit dem Siegel Salomos, aus dem Meere zieht! Aber am Ende ist es dennoch eine Grundursache, die beiden ihren eigentümlichen Reiz gibt, nämlich das, daß wir etwas Auffallendes, Außergewöhnliches mit erleben. Bei dem Märchen liegt dieses Außergewöhnliche in jener Einmischung eines fabelhaften Zaubers in das gewöhnliche Menschenleben; bei den Geschichten geschieht etwas zwar nach natürlichen Gesetzen, aber auf überraschende, ungewöhnliche Weise.

"Sonderbar !" rief der Schreiber; "sonderbar, daß uns dann dieser natürliche Gang der Dinge ebenso anzieht wie der übernatürliche im Märchen. Worin mag das wohl liegen?"

"Das liegt in der Schilderung des einzelnen Menschen," antwortete der Alte. "Im Märchen häuft sich das Wunderbare so sehr, der Mensch handelt so wenig mehr aus eigenem Trieb. daß die einzelnen Figuren und ihr Charakter nur flüchtig gezeichnet werden können. Anders bei der gewöhnlichen Erzählung, wo die Art, wie jeder seinem Charakter gemäß spricht und handelt, die Hauptsache und das Anziehende ist. So die Geschichte von dem gebackenen Kopf, die wir soeben gehört haben. Der Gang der Erzählung wäre im ganzen nicht auffallend, nicht überraschend , wäre er nicht verwickelt durch den Charakter der Handelnden. Wie köstlich zum Beispiel ist die Figur des Schneiders. Man glaubt den alten, gekrümmten Mantelflicker vor sich zu sehen. Er soll zum erstenmal in seinem Leben einen tüchtigen Schnitt machen, ihm und seinem Weibe lacht schon zum voraus das Herz, und sie traktieren sich mit recht schwarzem Kaffee. Welches Gegenstück zu dieser behaglichen Ruhe ist dann jene Szene, wo sie den Pack begierig öffnen und den greulichen Kopf erblicken. Und nachher, glaubt man ihn nicht zu sehen und zu hören, wie er auf dem Minarett umherschleicht, die Gläubigen mit meckernder Stimme zum Gebet ruft und bei Erblickung des Sklaven plötzlich, wie vom Donner gerührt, verstummt? Dann der Barbier! Sehet ihr ihn nicht vor euch, den alten Sünder, der, während er



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die Seife anrührt, viel schwatzt und gerne verbotenen Wein trinkt? Sehet ihr ihn nicht, wie er dem sonderbaren Kunden das Barbierschüsselchen unterhält und — den kalten Schädel berührt? Nicht minder gut, wenn auch nur angedeutet, ist der Sohn des Bäckers, der verschmitzte Junge, der Bratenmacher Yanaki! Ist nicht das Ganze eine ununterbrochene Reihe komischer Szenen, scheint nicht der Gang der Geschichte, so ungewöhnlich er ist, sich ganz natürlich zu fügen? Und warum? Weil die einzelnen Figuren richtig gezeichnet sind und aus ihrem ganzen Wesen alles so kommen muß, wie es wirklich geschieht."

"Wahrlich; Ihr habt recht!" erwiderte der junge Kaufmann, "ich habe mir nie Zeit genommen, so recht darüber nachzudenken, habe alles nur so gesehen und an mir vorübergehen lassen, habe mich an dem einen ergötzt. das andere langweilig gefunden, ohne gerade zu wissen, warum. Aber Ihr gebt uns da einen Schlüssel, der uns das Geheimnis öffnet, einen Probierstein, worauf wir die Probe machen und richtig urteilen können."

Tuet das immer," antwortete der Alte, "und euer Genuß wird sich vergrößern, wenn ihr nachdenken lernet über das, was ihr gehört. Doch siehe, dort erhebt sich wieder ein neuer, um zu erzählen."

So war es, und der fünfte Sklave begann:


Der Affe als Mensch.

"Herr! Ich bin ein Deutscher von Geburt und habe mich in Euren Landen zu kurz aufgehalten, als daß ich ein persisches Märchen oder eine ergötzliche Geschichte von Sultanen und Wesiren erzählen könnte. Ihr müßt mir daher schon erlauben, daß ich etwas aus meinem Vaterland erzähle, was Euch vielleicht auch einigen Spaß macht. Leider sind unsere Geschichten nicht immer so vornehm wie die Euern, das heißt, sie handeln nicht von Sultanen ,oder unseren Königen, nicht von Wesiren und Paschas, was man bei uns Justiz- und Finanzminister, auch Geheimeräte und dergleichen nennt, sondern sie leben, wenn sie nicht von Soldaten handeln. gewöhnlich ganz bescheiden und unter den Bürgern.

Im südlichen Teil von Deutschland liegt das Städtchen Grünwiesel, wo ich geboren und erzogen bin. Es ist ein Städtchen , wie sie alle sind. In der Mitte ein kleiner Marktplatz mit einem Brunnen, an der Seite ein kleines altes Rathaus, umher auf dem Markt die Häuser des Friedensrichters und der angesehensten Kaufleute, und in ein Paar engen Straßen wohnen die



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übrigen Menschen. Alles kennt sich, jedermann weiß. wie es da und dort zugeht, und wenn der Oberpfarrer oder der Bürgermeister oder der Arzt ein Gericht mehr auf der Tafel hat, so weiß es schon am Mittagessen die ganze Stadt. Nachmittags kommen dann die Frauen zu einander in die Visite, wie man es nennt, besprechen sich bei starkem Kaffee und süßem Kuchen über diese große Begebenheit, und der Schluß ist, daß der Oberpfarrer wahrscheinlich in die Lotterie gesetzt und unchristlich viel gewonnen habe, daß der Bürgermeister sich "schmieren" lasse oder daß der Doktor vom Apotheker einige Goldstücke bekommen habe, um recht teure Rezepte zu verschreiben. Ihr könnet Euch denken, Herr, wie unangenehm es für eine so wohleingerichtete Stadt, wie Grünwiesel, sein mußte, als ein Mann dorthin zog, von dem niemand wußte, woher er kam, was er wollte. von was er lebte. Der Bürgermeister hatte zwar seinen Paß gesehen, ein Papier, das bei uns jedermann haben muß —"

"Ist es denn so unsicher auf den Straßen," unterbrach den Sklaven der Scheik, "daß Ihr einen Ferman Eures Sultans haben müsset, um die Räuber in Respekt zu setzen?"

"Nein, Herr," entgegnete jener, "diese Papiere halten keinen Dieb von uns ab, sondern es ist nur der Ordnung wegen, daß man überall weiß, wen man vor sich hat. Nun, der Bürgermeister hatte den Paß untersucht und in einer Kaffeegesellschaft bei Doktors geäußert, der Paß sei zwar ganz richtig visiert von Berlin bis Grünwiesel, aber es stecke doch was dahinter; denn der Mann sehe etwas verdächtig aus. Der Bürgermeister hatte das größte Ansehen in der Stadt ; kein Wunder, daß von da an der Fremde als eine verdächtige Person angesehen wurde. Und sein Lebenswandel konnte meine Landsleute nicht von dieser Meinung abbringen. Der fremde Mann mietete sich für einige Goldstücke ein ganzes Haus, das bisher öde gestanden, ließ einen ganzen Wagen voll sonderbarer Gerätschaften, als Öfen, Kunstherde , große Tiegel und dergleichen, hineinschaffen und lebte von da an ganz für sich allein. Ja, er kochte sich sogar selbst, und es kam keine menschliche Seele in sein Haus als ein alter Mann aus Grünwiesel, der ihm seine Einkäufe in Brot, Fleisch und Gemüse besorgen mußte. Doch auch dieser durfte nur in die Flur des Hauses kommen, und dort nahm der fremde Mann das Gekaufte in Empfang.

Ich war ein Knabe von zehen Jahren, als der Mann in meiner Vaterstadt einzog, und ich kann mir noch heute, als wär es gestern geschehen, die Unruhe denken, die dieser Mann in Städtchen verursachte. Er kam nachmittags nicht, wie andere



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Männer, auf die Kegelbahn, er kam abends nicht ins Wirtshaus, um, wie die übrigen, bei einer Pfeife Tabak über die Zeitung zu sprechen. Umsonst luden ihn nach der Reihe der Bürgermeister , der Friedensrichter, der Doktor und der Oberpfarrer zum Essen oder Kaffee ein; er ließ sich immer entschuldigen. Daher hielten ihn einige für verrückt, andere für einen Juden, eine dritte Partie behauptete steif und fest, er sei ein Zauberer oder Hexenmeister . Ich wurde achtzehn, zwanzig Jahre alt, und noch immer hieß der Mann in der Stadt der fremde Herr.

Es begab sich aber eines Tages, daß Leute mit fremden Tieren in die Stadt kamen. Es ist dies hergelaufenes Gesindel, das ein Kamel hat, welches sich verbeugen kann, einen Bären, der tanzt, einige Hunde und Affen, die in menschlichen Kleidern komisch genug aussehen und allerlei Künste machen. Diese Leute durchziehen gewöhnlich die Stadt, halten an den Kreuzstraßen und Plätzen, machen mit einer kleinen Trommel und einer Pfeife eine übeltönende Musik, lassen ihre Truppe tanzen und springen und sammeln dann in den Häusern Geld ein. Die Truppe aber, die diesmal sich in Grünwiesel sehen ließ, zeichnete sich durch einen ungeheueren Orang-Utang aus, der beinahe Menschengröße hatte, auf zwei Beinen ging und allerlei artige Künste zu machen verstand. Diese Hunds- und Affenkomödie kam auch vor das Haus des fremden Herrn. Er erschien, als die Trommel und Pfeife ertönte, von Anfang ganz unwillig hinter den dunkeln, vom Alter angelaufenen Fenstern. Bald aber wurde er freundlicher, schaute zu jedermanns Verwundern zum Fenster heraus und lachte herzlich über die Künste des Orang-Utangs. Ja, er gab für den Spaß ein so großes Silberstück, daß die ganze Stadt davon sprach.

Am andern Morgen zog die Tierbande weiter. Das Kamel mußte viele Körbe tragen, in welchen die Hunde und Affen ganz bequem saßen; die Tiertreiber aber und der große Affe gingen hinter dem Kamel. Kaum aber waren sie einige Stunden zum Tore hinaus, so schickte der fremde Herr auf die Post, verlangte zu großer Verwunderung des Postmeisters einen Wagen und Extrapost und fuhr zu demselben Tor hinaus den Weg hin, den die Tiere genommen hatten. Das ganze Städtchen ärgerte sich, daß man nicht erfahren konnte, wohin er gereist sei. Es war schon Nacht, als der fremde Herr wieder im Wagen vor dem Tor ankam. Es saß aber noch eine Person im Wagen, die den Hut tief ins Gesicht gedrückt und um Mund und Ohren ein seidenes Tuch gebunden hatte. Der Tgrschreiber hielt es für seine Pflicht, den anderen Fremden anzureden und um seinen Paß zu bitten;



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er antwortete aber sehr grob, indem er in einer ganz unverständlichen Sprache brummte.

Es ist mein Neffe," sagte der fremde Mann freundlich zum Torschreiber, indem er ihm einige Silbermünzen in die Hand drückte; " es ist mein Neffe und versteht bis dato noch wenig Deutsch. Er hat soeben in seiner Mundart ein wenig geflucht, daß wir hier aufgehalten werden."

"Ei, wenn es Dero Neffe ist," antwortete der Torschreiber, so kann er wohl ohne Paß hereinkommen. Er wird wohl ohne Zweifel bei Ihnen wohnen?"

"Allerdings," sagte der Fremde, "und hält sich wahrscheinlich längere Zeit hier auf."

Der Torschreiber hatte keine weitere Einwendung mehr, und der fremde Herr und sein Neffe fuhren ins Städtchen. Der Bürgermeister und die ganze Stadt war übrigens nicht sehr zufrieden mit dem Torschreiber. Er hätte doch wenigstens einige Worte von der Sprache des Neffen sich merken sollen. Daraus hätte man dann leicht erfahren, was für ein Landeskind er und der Onkel wäre. Der Torschreiber versicherte aber, daß es weder Französisch oder Italienisch sei, wohl aber habe es so breit geklungen wie Englisch, und wenn nicht irre, so habe der junge Herr gesagt: "Goddam! " So half der Torschreiber sich selbst aus der Not und dem jungen Manne zu einem Namen. Denn man sprach jetzt nur von dem jungen Engländer im Städtchen.

Aber auch der junge Engländer wurde nicht sichtbar, weder auf der Kegelbahn, noch im Bierkeller ; wohl aber gab er den Leuten auf andere Weise viel zu schaffen. — Es begab sich nämlich oft, daß in dem sonst so stillen Hause des Fremden ein schreckliches Geschrei und ein Lärm ausging, daß die Leute haufenweise vor dem Hause stehen blieben und hinaufsahen. Man sah dann den jungen Engländer, angetan mit einem roten Frack und grünen Beinkleidern, mit struppigtem Haar und schrecklicher Miene unglaublich schnell an den Fenstern hin und her, durch alle Zimmer laufen; der alte Fremde lief ihm in einem roten Schlafrock, eine Hetzpeitsche in der Hand, nach, verfehlte ihn oft, aber einigemal kam es doch der Menge auf der Straße vor, als müsse er den Jungen erreicht haben; denn man hörte klägliche Angsttöne und klatschende Peitschenhiebe die Menge. An dieser grausamen Behandlung des fremden jungen Mannes nahmen die Frauen des Städtchens so lebhaften Anteil, daß sie endlich den Bürgermeister bewogen, einen Schritt in der Sache zu tun. Ei schrieb dem fremden Herrn ein Billett, worin er ihm die unglimpf Behandlung seines Neffen in ziemlich derben



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Ausdrücken vorwarf und ihm drohte, wenn noch ferner solche Szenen vorfielen, den jungen Mann unter seinen besonderen Schutz zu nehmen.

Wer war aber mehr erstaunt als der Bürgermeister, wie er den Fremden selbst, zum erstenmal seit zehn Jahren, bei sich eintreten sah! Der alte Herr entschuldigte sein Verfahren mit dem besonderen Auftrag der Eltern des Jünglings, die ihm solchen zu erziehen gegeben; er sei sonst ein kluger, anstelliger Junge, äußerte er, aber die Sprachen erlerne er sehr schwer; er wünsche so sehnlich, seinem Neffen das Deutsche recht geläufig beizubringen, um sich nachher die Freiheit zu nehmen, ihn in die Gesellschaften von Grünwiesel einzuführen, und dennoch gehe demselben diese Sprache so schwer ein, daß man oft nichts Besseres tun könne, als ihn gehörig durchzupeitschen. Der Bürgermeister fand sich durch diese Mitteilung völlig befriedigt, riet dem Alten zur Mäßigung und erzählte abends im Bierkeller, daß er selten einen so unterrichteten, artigen Mann gefunden als den Fremden. Es ist nur schade," setzte er hinzu, "daß er so wenig in Gesellschaft kommt; doch ich denke, wenn der Neffe nur erst ein wenig Deutsch spricht, besucht er meine Cercles öfter."

Durch diesen einzigen Vorfall war die Meinung des Städtchens völlig umgeändert. Man hielt den Fremden für einen artigen Mann, sehnte sich nach seiner nähern Bekanntschaft und fand es ganz in der Ordnung, wenn hie und da in dem öden Hause ein gräßliches Geschrei aufging. " Er gibt dem Neffen Unterricht in der deutschen Sprachlehre," sagten die Grünwieseler und blieben nicht mehr stehen. Nach einem Vierteljahr ungefähr schien der Unterricht im Deutschen beendigt; denn der Alte ging jetzt um eine Stufe weiter vor. Es lebte ein alter gebrechlicher Franzose in der Stadt, der den jungen Leuten Unterricht im Tanzen gab. Diesen ließ der Fremde zu sich rufen und sagte ihm, daß er seinen Neffen im Tanzen unterrichten lassen wolle. Er gab ihm zu verstehen, daß derselbe zwar sehr gelehrig, aber, was das Tanzen betreffe, etwas eigensinnig sei; er habe nämlich früher bei einem andern Meister tanzen gelernt und zwar nach so sonderbaren Touren, daß er sich nicht füglich in der Gesellschaft produzieren könne ; der Neffe halte sich aber eben deswegen für einen großen Tänzer, obgleich sein Tanz nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit Walzer oder Galopp (Tänze, die man in meinem Vaterlande tanzt, o Herr!), nicht einmal Ähnlichkeit mit Ekossaise oder Francaise habe. Er versprach übrigens einen Taler für die Stunde, und der Tanzmeister war mit Vergnügen bereit, den Unterricht des eigensinnigen Zöglings zu übernehmen.



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Es gab, wie der Franzose unter der Hand versicherte, auf der Welt nichts Sonderbares als diese Tanzstunden. Der Neffe, ein ziemlich großer, schlanker junger Mann, der nur etwas sehr kurze Beine hatte, erschien in einem roten Frack, schön frisiert, in grünen, weiten Beinkleidern und glasierten Handschuhen. Er sprach wenig und mit fremdem Akzent, war von Anfang ziemlich artig und anstellig; dann verfiel er aber oft plötzlich in fratzenhafte Sprünge, tanzte die kühnsten Touren, wobei er Entrechats machte, daß dem Tanzmeister Hören und Sehen verging ; wollte er ihn zurechtweisen, so zog er die zierlichen Tanzschuhe von den Füßen, warf sie dem Franzosen an den Kopf und setzte nun auf allen vieren im Zimmer umher. Bei diesem Lärm fuhr dann der alte Herr plötzlich in einem weiten, roten Schlafrock, eine Mütze von Goldpapier auf dem Kopf, aus seinem Zimmer heraus und ließ die Hetzpeitsche ziemlich unsanft auf den Rücken des Nessen niederfallen. Der Neffe fing dann an, schrecklich zu bruten, sprang auf Tische und hohe Kommode, ja selbst an den Kreuzstöcken der Fenster hinauf sprach eine fremde, seltsame Sprache. Der Alte im roten Schlafrock aber ließ sich nicht irremachen , faßte ihn am Bein, riß ihn herab, bläute ihn durch und zog ihm mittels einer Schnalle die Halsbinde fester an, worauf er immer wieder artig und manierlich wurde und die Tanzstunde ohne Störung weiterging.

Als aber der Tanzmeister seinen Zögling so weit gebracht hatte, daß man Musik zu der Stunde nehmen konnte, da war der Neffe wie umgewandelt. Ein Stadtmusikant wurde gemietet, der im Saal des öden Hauses auf einen Tisch sich setzen mußte. Der Tanzmeister stellte dann die Dame vor, indem ihm der alte Herr einen Frauenrock von Seide und einen ostindischen Schal anziehen ließ; der Neffe forderte ihn auf und fing nun an, mit ihm zu tanzen und zu walzen; er aber war ein unermüdlicher, rasender Tänzer, er ließ den Meister nicht aus seinen langen Armen; ob er ächzte und schrie, er mußte tanzen, bis er ermattet umsank oder bis dem Stadtmusikus der Arm lahm wurde an der Geige. Den Tanzmeister brachten diese Unterrichtstunden beinahe unter den Boden; aber der Taler, den er jedesmal richtig ausbezahlt bekam, der gute Wein, den der Alte aufwartete, machten, daß er immer wiederkam, wenn er auch den Tag zuvor sich fest vorgenommen hatte, nicht mehr in das öde Haus zu gehen.

Die Leute in Grünwiesel sahen aber die Sache ganz anders an als der Franzose. Sie fanden, daß der junge Mann viele Anlage zum Gesellschaftlichen habe, und die Frauenzimmer im



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Städtchen freuten sich, bei dem großen Mangel an Herren einen so flinken Tänzer für den nächsten Winter zu bekommen.

Eines Morgens berichteten die Mägde, die vom Markte heimkehrten, ihren Herrschaften ein wunderbares Ereignis. Vor dem öden Hause sei ein prächtiger Glaswagen gestanden, mit schönen Pferden bespannt, und ein Bedienter in reicher Livree habe den Schlag gehalten. Da sei die Türe des öden Hauses aufgegangen und zwei schön gekleidete Herren herausgetreten, wovon der eine der alte Fremde und der andere wahrscheinlich der junge Herr gewesen, der so schwer Deutsch gelernt und so rasend tanze. Die beiden seien in den Wagen gestiegen, der Bediente hinten aufs Brett gesprungen, und der Wagen, man stelle sich vor ! sei geradezu auf Bürgermeisters Haus zu gefahren.

Als die Frauen solches von ihren Mägden erzählen hörten, rissen sie eilends die Küchenschürzen und die etwas unsauberen Hauben ab und versetzten sich in Staat. " Es ist nichts gewisser," sagten sie zu ihrer Familie, indem alles umherrannte, um das Besuchszimmer, das zugleich zu sonstigem Gebrauch diente, aufzuräumen, " es ist nichts gewisser, als daß der Fremde jetzt seinen Neffen in die Welt einführt. Der alte Narr war seit zehen Jahren nicht so artig, einen Fuß in unser Haus zu setzen; aber es sei ihm wegen des Neffen verziehen, der ein scharmanter Mensch sein soll." So sprachen sie und ermahnten ihre Söhne und Töchter, recht manierlich auszusehen, wenn die Fremden kämen, sich gerade zu halten und sich auch einer bessern Aussprache zu bedienen als gewöhnlich. Und die klugen Frauen im Städtchen hatten nicht unrecht geraten; denn nach der Reihe fuhr der alte Herr mit seinem Neffen umher, sich und ihn in die Gewogenheit der Familien zu empfehlen.

Man war überall ganz erfüllt von den beiden Fremden und bedauerte, nicht schon früher diese angenehme Bekanntschaft gemacht zu haben. Der alte Herr zeigte sich als einen würdigen, sehr vernünftigen Mann, der zwar bei allem, was er sagte, ein wenig lächelte, so daß man nicht gewiß war, ob es ihm Ernst sei oder nicht; aber er sprach über das Wetter, über die Gegend, über das Sommervergnügen auf dem Keller am Berge so klug und durchdacht, daß jedermann davon bezaubert war. Aber der Neffe! Er bezauberte alles, er gewann alle Herzen für sich. Man konnte zwar, was sein Äußeres betraf, sein Gesicht nicht schön nennen; der untere Teil, besonders die Kinnlade, stand allzusehr hervor, und der Teint war sehr bräunlich; auch machte er zuweilen allerlei sonderbare Grimassen, drückte die Augen zu und fletschte mit den Zähnen; aber dennoch fand man



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den Schnitt seiner Züge ungemein interessant. Es konnte nichts Beweglicheres, Gewandteres geben als seine Gestalt. Die Kleider hingen ihm zwar etwas sonderbar am Leib, aber es stand ihm alles trefflich; er fuhr mit großer Lebendigkeit im Zimmer umher, warf sich hier in einen Sofa, dort in einen Lehnstuhl und streckte die Beine von sich; aber was man bei einem andern jungen Mann höchst gemein und unschicklich gefunden hätte, galt bei dem Neffen für Genialität. " Er ist ein Engländer," sagte man, so sind sie alle; ein Engländer kann sich aufs Kanapee legen und einschlafen, während zehen Damen keinen Platz haben und umherstehen müssen; einem Engländer kann man so etwas nicht übelnehmen." Segen den alten Herrn, seinen Oheim, war er sehr fügsam; denn wenn er anfing, im Zimmer umherzuhüpfen oder, wie er gerne tat, die Füße auf den Sessel hinaufzuziehen, so reichte ein ernsthafter Blick hin, ihn zur Ordnung zu bringen. Und wie konnte man ihm so etwas übel nehmen, als vollends der Onkel in jedem Haus zu der Dame sagte: "Mein Neffe ist noch ein wenig roh und ungebildet; aber ich verspreche mir viel von der Gesellschaft, die wird ihn gehörig formen und bilden, und ich empfehle ihn namentlich Ihnen aufs angelegentste ."

So war der Neffe also in die Welt eingeführt, und ganz Grünwiesel sprach an diesem und den folgenden Tagen von nichts anderem als von diesem Ereignis. Der alte Herr blieb aber hiebei nicht stehen; er schien seine Denk- und Lebensart gänzlich geändert zu haben. Nachmittags ging er mit dem Neffen hinaus in den Felsenkeller am Berg, wo die vornehmeren Herren von Grünwiesel Bier tranken und sich am Kegelschieben ergötzten. Der Neffe zeigte sich dort als einen flinken Meister im Spiel; denn er warf nie unter fünf oder sechs; hie und da schien zwar ein sonderbarer Geist über ihn zu kommen; es konnte ihm einfallen, daß er pfeilschnell mit der Kugel hinaus- und unter die Kegel hineinfuhr und dort allerhand tollen Rumor anrichtete, oder wenn er den Kranz oder den König geworfen, stand er plötzlich auf seinem schön frisierten Haar und streckte die Beine in die Höhe, oder wenn ein Wagen vorbeifuhr, saß er, ehe man sich dessen versah, oben auf dem Kutschenhimmel und machte Grimassen herab, fuhr ein Stückchen weit mit und kam dann wieder zur Gesellschaft gesprungen.

Der alte Herr pflegte dann bei solchen Szenen den Bürger meister und die anderen Männer sehr um Entschuldigung zu bitten wegen der Ungezogenheit seines Neffen; sie aber lachten schrieben es seiner Jugend zu, behaupteten, in diesem Alter



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selbst so leichtfüßig gewesen zu sein, und liebten den jungen Springinsfeld, wie sie ihn nannten, ungemein,

Es gab aber auch Zeiten, wo sie sich nicht wenig über ihn ärgerten und dennoch nichts zu sagen wagten, weil der junge Engländer allgemein als ein Muster von Bildung und Verstand galt. Der alte Herr pflegte nämlich mit seinem Neffen auch abends in den Goldenen Hirsch, das Wirtshaus des Städtchens, zu kommen. Obgleich der Neffe noch ein ganz junger Mensch war, tat er doch schon ganz wie ein Alter, setzte sich hinter sein Glas, tat eine ungeheure Brille auf, zog eine gewaltige Pfeife heraus, zündete sie an und dampfte unter allen am ärgsten. Wurde nun über die Zeitungen, über Krieg und Frieden gesprochen, gab der Doktor die Meinung, der Bürgermeister jene, waren die anderen Herren ganz erstaunt über so tiefe politische Kenntnisse, so konnte es dem Neffen plötzlich einfallen, ganz anderer Meinung zu sein; er schlug dann mit der Hand, von welcher er nie die Handschuhe ablegte, auf den Tisch und gab dem Bürgermeister und dem Doktor nicht undeutlich zu versehen, , daß sie von diesem allen nichts genau wüßten, daß er diese Sachen ganz anders gehört habe und tiefere Einsicht besitze. Er gab dann in einem sonderbar gebrochenen Deutsch seine Meinung preis, die alle, zum großen Ärgernis des Bürgermeisters, ganz trefflich fanden; denn er mußte als Engländer natürlich alles besser wissen.

Setzten sich dann der Bürgermeister und der Doktor zu ihrem Zorn, den sie nicht laut werden lassen durften, zu einer Partie Schach, so rückte der Neffe hinzu, schaute dem Bürgermeister mit seiner großen Brille über die Schulter herein und tadelte diesen oder jenen Zug, sagte dem Doktor, so und so müsse er ziehen, so daß beide Männer heimlich ganz grimmig wurden. Bot ihm dann der Bürgermeister ärgerlich eine Partie an, um ihn gehörig matt zu machen, denn er hielt sich für einen zweiten Philidor, so schnallte der alte Herr dem Neffen die Halsbinde fester zu, worauf dieser ganz artig manierlich wurde und den Bürgermeister matt machte.

Man hatte bisher in Grünwiesel beinahe jeden Abend Karte gespielt, die Partie um einen halben Kreuzer; das fand nun der Neffe erbärmlich, setzte Kronentaler und Dukaten, behauptete, kein einziger spiele so fein wie er, söhnte aber die beleidigten Herren gewöhnlich dadurch wieder aus, daß er ungeheure Summen an sie verlor. Sie machten sich auch gar kein Gewissen daraus, ihm recht viel Geld abzunemen; denn " er ist ja ein Engländer, also von Hause aus reich" , sagten sie und schoben die Dukaten in die Tasche.



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So kam der Neffe des fremden Herrn in kurzer Zeit bei Stadt und Umgegend in ungemeines Ansehen. Man konnte sich seit Menschengedenken nicht erinnern, einen jungen Mann dieser Art in Grünwiesel gesehen zu haben, und es war die sonderbarste Erscheinung, die man je bemerkt. Man konnte nicht sagen, daß der Neffe irgend etwas gelernt hätte als etwa tanzen. Latein und Griechisch waren ihm, wie man zu sagen pflegt, böhmische Dörfer. Bei einem Gesellschaftsspiel in Bürgermeisters Hause sollte er etwas schreiben, und es fand sich, daß er nicht einmal seinen Namen schreiben konnte ; in der Geographie machte er die auffallendsten Schnitzer; denn es kam ihm nicht darauf an, eine deutsche Stadt nach Frankreich oder eine dänische nach Polen zu versetzen; er hatte nichts gelesen, nichts studiert, und der Oberpfarrer schüttelte oft bedenklich den Kopf über die rohe Unwissenheit des jungen Mannes ; aber dennoch fand man alles trefflich, was er tat oder sagte; denn er war so unverschämt, immer recht haben zu wollen, und das Ende jeder seiner Reden war: Ich verstehe das besser!"

So kam der Winter heran, und jetzt erst trat der Neffe mit noch größerer Glorie auf. Man fand jede Gesellschaft langweilig , wo nicht er zugegen war, man gähnte, wenn ein vernünftiger Mann etwas sagte; wenn aber der Neffe selbst das törichteste Zeug in schlechtem Deutsch vorbrachte, war alles Ohr. Es fand sich jetzt, daß der treffliche junge Mann auch ein Sichter war ; denn nicht leicht verging ein Abend, an welchem er nicht einiges Papier aus der Tasche zog und der Gesellschaft einige Sonette vorlas. Es gab zwar einige Leute, die von dem einen Teil dieser Dichtungen behaupteten, sie seien schlecht und ohne Sinn, einen andern Teil wollten sie schon irgendwo gedruckt gelesen haben; aber der Neffe ließ sich nicht irremachen, er las und las, machte dann auf die Schönheiten seiner Verse aufmerksam, und jedesmal erfolgte rauschender Beifall.

Sein Triumph waren aber die Grünwieseler Bälle. Es konnte niemand anhaltender, schneller tanzen als er ; keiner machte so kühne und ungemein zierliche Sprünge wie er. Dabei kleidete ihn sein Onkel immer aufs prächtigste nach dem neuesten Geschmack, und obgleich ihm die Kleider nicht recht am Leibe sitzen wollten, fand man dennoch, daß ihn alles allerliebst kleide. Die Männer fanden sich zwar bei diesen Tänzen etwas beleidigt durch die neue Art. womit er auftrat. Sonst hatte immer der Bürgermeister in eigener Person den Ball eröffnet, die vornehmsten jungen Leute hatten das Recht, die übrigen Tänze anzuordnen; aber seit der fremde junge Herr erschien, war



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dies alles ganz anders. Ohne viel zu fragen, nahm er die nächste beste Dame bei der Hand, stellte sich mit ihr oben an, machte alles, wie es ihm gefiel, und war Herr und Meister und Ballkönig . Weil aber die Frauen diese Manieren ganz trefflich und angenehm fanden, so durften die Männer nichts dagegen einwenden, und der Neffe blieb bei seiner selbstgewählten Würde.

Das größte Vergnügen schien ein solcher Ball dem alten Herrn zu gewähren; er verwandte kein Auge von seinem Neffen, lächelte immer in sich hinein, und wenn alle Welt herbeiströmte, uni ihm über den anständigen, wohlgezogenen Jüngling Lobsprüche zu erteilen, so konnte er sich vor Freude gar nicht fassen; er brach dann in ein lustiges Gelächter aus und bezeugte sich wie närrisch; die Grünwieseler schrieben diese sonderbaren Ausbrüche der Freude seiner großen Liebe zu dem Neffen zu und fanden es ganz in der Ordnung. Doch hie und da mußte er auch sein väterliches Ansehen gegen den Neffen anwenden; denn mitten in den zierlichsten Tänzen konnte es dem jungen Mann einfallen, mit einem kühnen Sprung auf die Tribüne, wo die Stadtmusikanten saßen, zu setzen, dem Organisten den Kontrabaß aus der Hand zu reißen und schrecklich darauf umherzukratzen; oder er wechselte auf einmal und tanzte auf den Händen, indem er die Beine in die Höhe streckte. Dann pflegte ihn der Onkel auf die Seite zu nehmen, machte ihm dort ernstliche Vorwürfe und zog ihm die Halsbinde fester an, daß er wieder ganz gesittet wurde.

So betrug sich nun der Neffe in Gesellschaft und auf Bällen. Wie es aber mit den Sitten zu geschehen pflegt, die schlechten verbreiten sich immer leichter als die guten, und eine neue, auffallende Mode, wenn sie auch höchst lächerlich sein sollte, hat etwas Ansteckendes an sich für junge Leute, die noch nicht über sich selbst und die Welt nachgedacht haben. So war es auch in Grünwiesel mit dem Neffen und seinen sonderbaren Sitten. Als nämlich die junge Welt sah, wie derselbe mit seinem linkischen Wesen, mit seinem rohen Lachen und Schwatzen, mit seinen groben Antworten gegen Altere eher geschätzt als getadelt werde, daß man dies alles sogar sehr geistreich finde, so dachten sie bei sich: " Es ist mir ein Leichtes, auch solch ein geistreicher Schlingel zu werden." Sie waren sonst fleißige, geschickte junge Leute gewesen; jetzt dachten sie: "Zu was hilft Gelehrsamkeit, wenn man mit Unwissenheit besser fortkommt?" Sie ließen die Bücher liegen und trieben sich überall umher auf Plätzen und Straßen. Sonst waren sie artig gewesen und höflich gegen jedermann, hatten gewartet, bis man sie fragte,



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und anständig und bescheiden geantwortet; jetzt standen sie in die Reihe der Männer, schwatzten mit, gaben ihre Meinung Preis und lachten selbst dem Bürgermeister unter die Nase, wenn er etwas sagte, und behaupteten, alles viel besser zu wissen.

Sonst hatten die jungen Grünwieseler Abscheu gehegt gegen rohes und gemeines Wesen. Jetzt sangen sie allerlei schlechte Lieder, rauchten aus ungeheuren Pfeifen Tabak und trieben sich in gemeinen Kneipen umher; auch kauften sie sich, obgleich sie ganz gut sahen, große Brillen, setzten solche auf die Nase und glaubten nun, gemachte Leute zu sein; denn sie sahen ja aus wie der berühmte Neffe. Zu Hause oder wenn sie auf Besuch, waren, lagen sie mit Stiefel und Sporen aufs Kanapee, schaukelten sich auf dem Stuhl in guter Gesellschaft oder stützten die Wangen in beide Fäuste, die Ellbogen aber auf den Tisch, was nun überaus reizend anzusehen war. Umsonst sagten ihnen ihre Mütter und Freunde, wie töricht, wie unschicklich dies alles sei; sie beriefen sich auf das glänzende Beispiel des Neffen. Umsonst stellte man ihnen vor, daß man dem Neffen, als einem jungen Engländer, eine gewisse Nationalroheit verzeihen müsse; die jungen Grünwieseler behaupteten, ebenso gut als der beste Engländer das Recht zu haben, auf geistreiche Weise ungezogen zu sein; kurz, es war ein Jammer, wie durch das böse Beispiel des Neffen die Sitten und guten Gewohnheiten in Grünwiesel völlig untergingen.

Aber die Freude der jungen Leute an ihrem rohen, ungebundenen Leben dauerte nicht lange; denn folgender Vorfall veränderte auf einmal die ganze Szene. Die Wintervergnügungen sollte ein großes Konzert beschließen, das teils von den Stadtmusikanten , teils von geschickten Musikfreunden in Grünwiesel aufgeführt werden sollte. Der Bürgermeister spielte das Violoncell, der Doktor das Fagott ganz vortrefflich, der Apotheker, obgleich er keinen rechten Ansatz hatte, blies die Flöte, einige Jungfrauen aus Grünwiesel hatten Arien einstudiert, und alles war trefflich vorbereitet. Da äußerte der alte Fremde, daß zwar das Konzert auf diese Art trefflich werden würde, es fehle aber offenbar an einem Duett, und ein Duett müsse in jedem ordentlichen Konzert notwendigerweise vorkommen. Man war etwas betreten über diese Äußerung; die Tochter des Bürgermeisters sang zwar wie eine Nachtigall; aber wo einen Herrn herbekommen , der mit ihr ein Duett singen könnten Man wollte endlich auf den alten Organisten verfallen, der einst einen trefflichen Baß gesungen hatte; der Fremde aber behauptete, dies alles sei nicht nötig, indem sein Neffe ganz ausgezeichnet singe. Man



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war nicht wenig erstaunt über diese neue treffliche Eigenschaft des jungen Mannes; er mußte zur Probe etwas singen, und einige sonderbare Manieren abgerechnet, die man für englisch hielt, sang er wie ein Engel. Man studierte also in der Eile das Duett ein, und der Abend erschien endlich, an welchem die Ohren der Grünwieseler durch das Konzert erquickt werden sollten.

Der alte Fremde konnte leider dem Triumph seines Neffen nicht beiwohnen, weil er krank war; er gab aber dem Bürgerl meister, der ihn eine Stunde zuvor noch besuchte, einige Maßa regeln über seinen Neffen auf. " Es ist eine gute Seele, mein Neffe," sagte er, " aber hie und da verfällt er in allerlei sonderbare Gedanken und fängt dann tolles Zeug an; es ist mir eben deswegen leid, daß ich dem Konzert nicht beiwohnen kann; denn vor mir nimmt er sich gewaltig in acht, er weis wohl, warum Ich muß übrigens zu seiner Ehre sagen, daß dies nicht geistiger Mutwillen ist, sondern es ist körperlich, es liegt in seiner Natur. Wollten Sie nun, Herr Bürgermeister, wenn er etwa in solche Gedanken verfiele, daß er sich auf ein Notenpult setzte oder daß er durchaus den Kontrabaß streichen wollte oder dergleichen, wollten Sie ihm dann nur seine hohe Halsbinde etwas lockerer machen oder, wenn es auch dann nicht besser wird, ihm solche ganz ausziehen? Sie werden sehen, wie artig und manierlich er dann wird."

Der Bürgermeister dankte dem Kranken für sein Zutrauen und versprach, im Fall der Not also zu tun, wie er ihm geraten.

Der Konzertsaal war gedrängt voll; denn ganz Grünwiesel und die Umgegend hatte sich eingefunden. Alle Jäger, Pfarrer, Amtleute, Landwirte und dergleichen aus dem Umkreis von drei Stunden waren mit zahlreicher Familie herbeigeströmt, um den seltenen Genuß mit den Grünwieselern zu teilen. Die Stadtmusikanten hielten sich vortrefflich; nach ihnen trat der Bürgermeister auf, der das Violoncell spielte, begleitet vom Apotheker, der die Flöte blies ; nach diesen sang der Organist eine Baßarie mit allgemeinem Beifall, und auch der Doktor wurde nicht wenig beklatscht, als er auf dem Fagott sich hören ließ.

Die erste Abteilung des Konzertes war vorbei, und jedermann war nun auf die zweite gespannt, in welcher der junge Fremde mit des Bürgermeisters Tochter ein Duett vortragen sollte. Der Neffe war in einem glänzenden Anzug erschienen und hatte schon längst die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gezogen. Er hatte sich nämlich, ohne viel zu fragen, in den prächtigen Lehnstuhl gelegt, der für eine Gräfin aus der



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Nachbarschaft hergesetzt worden war ; er streckte die Beine weit von sich, schaute jedermann durch ein ungeheures Perspektiv an, das er noch außer seiner großen Brille gebrauchte, und spielte mit einem großen Fleischerhund, den er trotz des Verbotes, Hunde mitzunehmen, in die Gesellschaft eingeführt hatte. Die Gräfin, für welche der Lehnstuhl bereitet war, erschien; aber wer keine Miene machte, aufzustehen und ihr den Platz einzuräumen, war der Neffe; er setzte sich im Gegenteil noch bequemer hinein, und niemand wagte es, dem jungen Mann etwas darüber zu sagen; die vornehme Dame aber mußte auf einem ganz gemeinen Strohsessel mitten unter die übrigen Frauen des Städtchens sitzen und soll sich nicht wenig geärgert haben.

Während des herrlichen Spieles des Bürgermeisters, während des Organisten trefflicher Baßarie, ja sogar während der Doktor auf dem Fagott phantasierte und alles den Atem anhielt und lauschte, ließ der Neffe den Hund das Schnupftuch apportieren oder schwatzte ganz laut mit seinen Nachbarn, so daß jedermann , der ihn nicht kannte, über die absonderlichen Sitten des jungen Herrn sich wunderte.

Kein Wunder daher, daß alles sehr begierig war, wie er sein Duett vortragen würde. Die zweite Abteilung begann; die Stadtmusikanten hatten etwas weniges aufgespielt, und nun trat der Bürgermeister mit seiner Tochter zu dem jungen Mann, überreichte ihm ein Notenblatt und sprach: "Mosjöh ! wäre es Ihnen jetzt gefällig, das Duetto zu singen?" Der junge Mann lachte, fletschte mit den Zähnen, sprang auf, und die beiden andern folgten ihm an das Notenpult, und die ganze Gesellschaft war voll Erwartung. Der Organist schlug den Takt und winkte dem Neffen, anzufangen. Dieser schaute durch seine großen Brillengläser in die Noten und stieß greuliche, jämmerliche Töne aus. Der Organist aber schrie ihm zu. . .Zwei Töne tiefer, Wertester, C müssen Sie singen, O !"

Statt aber 0 zu singen, zog der Neffe einen seiner Schuhe ab und warf ihn dem Organisten an den Kopf, daß der Puder weit umherflog. Als dies der Bürgermeister sah, dachte er: "Ha! jetzt hat er wieder seine körperlichen Zufälle," sprang hinzu, packte ihn am Hals und band ihm das Tuch etwas leichter; aber dadurch wurde es nur noch schlimmer mit dem jungen Mann. Er sprach nicht mehr Deutsch, sondern eine ganz sonderbare Sprache, die niemand verstand. und machte große Sprünge. Der Bürgermeister war in Verzweiflung über diese unangenehme Störung; er faßte daher den Entschluß, dem jungen Mann. dem etwas ganz Besonderes zugestoßen sein mußte, das Halstuch



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vollends abzulösen. Aber kaum hatte er dies getan, so blieb er vor Schrecken wie erstarrt stehen; denn statt menschlicher Haut und Farbe umgab den Hals des jungen Menschen ein dunkelbraunes Fell, und alsobald setzte derselbe auch seine Sprünge noch höher und sonderbarer fort, fuhr sich mit den glasierten Handschuhen in die Haare, zog diese ab, und, o Wunder ! diese schönen Haare waren eine Perücke, die er dem Bürgermeister ins Gesicht warf, und sein Kopf erschien jetzt mit demselben braunen Fell bewachsen.

Er setzte über Tische und Bänke, warf die Notenpulte um, zertrat Geigen und Klarinette und erschien wie ein Rasender. "Fangt ihn, fangt ihn!" rief der Bürgermeister ganz außer sich, er ist von Sinnen, saugt ihn!" Das war aber eine schwierige Sache; denn er hatte die Handschuhe abgezogen und zeigte Nägel an den Händen, mit welchen er den Leuten ins Gesicht fuhr und sie jämmerlich kratzte. Endlich gelang es einem mutigen Jäger, seiner habhaft zu werden. Er preßte ihm die langen Arme zusammen , daß er nur noch mit den Füßen zappelte und mit heiserer Stimme lachte und schrie. Die Leute sammelten sich umher und betrachteten den sonderbaren jungen Herrn, der jetzt gar nicht mehr aussah wie ein Mensch. Aber ein gelehrter Herr aus der Nachbarschaft, der ein großes Naturalienkabinett und allerlei ausgestopfte Tiere besaß, trat näher, betrachtete ihn genau und rief dann voll Verwunderung: " Mein Gott, verehrte Herren und Damen, wie bringen Sie nur dies Tier in honnette Gesellschaft? Das ist ja ein Affe, der Homo Troglodytes Linnaei: ich gebe sogleich sechs Taler für ihn, wenn Sie mir ihn ablassen, und balge ihn aus für mein Kabinett."

Wer beschreibt das Erstaunen der Grünwieseler, als sie dies hörten! "Was, ein Affe, ein Orang-Utang in unserer Gesellschaft? Der junge Fremde ein ganz gewöhnlicher Affe!" riefen sie und sahen einander ganz dumm vor Verwunderung an. Man wollte nicht glauben, man traute seinen Ohren nicht, die Männer untersuchten das Tier genauer; aber es war und blieb ein ganz natürlicher Affe.

"Aber. wie ist dies möglich!" rief die Frau Bürgermeisterin. Hat er mir nicht oft seine Gedichte vorgelesen? Hat er nicht wie ein anderer Mensch bei mir zu Mittag gespeist?"

"Was?" eiferte die Frau Doktorin. " Wie? Hat er nicht oft und viel den Kaffee bei mir getrunken und mit Meinem Manne gelehrt gesprochen und geraucht :

"Wie! Ist es möglich!" riefen die Männer. "Hat er nicht mit uns am Felsenkeller Kugeln geschoben und über Politik gestritten wie unsereiner



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"Und wie?" klagten sie alle. "Hat er nicht sogar vorgetanzt auf unsern Bällen? Ein Affe! Ein Affe? Es ist ein Wunder, es ist Zauberei!"

"Ja, es ist Zauberei und teuflischer Spuk," sagte der Bürgermeister, indem er das Halstuch des Neffen oder Affen herbeibrachte. "Seht! In diesem Tuch steckte der ganze Zauber, der ihn in unsern Augen liebenswürdig machte. Da ist ein breiter Streifen elastischen Pergaments, mit allerlei wunderlichen Zeichen beschrieben. Ich glaube gar, es ist Lateinisch; kann es niemand lesen ?"

Der Oberpfarrer, ein gelehrter Mann, der oft an den Affen eine Partie Schach verloren hatte, trat hinzu, betrachtete das Pergament und sprach: "Mitnichten! Es sind nur lateinische Buchstaben, es heißt:

DER- AFFE-SEHR POSSIERLICH-IST —
ZUMAL-WANN-ER-VOM-APFEL-FRISST.

Ja, ja, es ist höllischer Betrug, eine Art von Zauberei," fuhr er fort, "und es muß exemplarisch bestraft werden."

Der Bürgermeister war derselben Meinung und machte sich sogleich auf den Weg zu dem Fremden. der ein Zauberer sein mußte, und sechs Stadtsoldaten trugen den Affen; denn der Fremde sollte sogleich ins Verhör genommen werden.

Sie kamen, umgeben von einer ungeheuren Anzahl Menschen, an das öde Haus; denn jedermann wollte sehen, wie sich die Sache weiter begeben würde. Man pochte an das Haus. man zog die Glocke; aber vergeblich, es zeigte sich niemand. Da ließ der Bürgermeister in seiner Wut die Türe einschlagen und begab sich hierauf in die Zimmer des Fremden. Aber dort war nichts zu sehen als allerlei alter Hausrat. Der fremde Mann war nicht zu finden. Auf seinem Arbeitstisch aber lag ein großer versiegelter Brief, an den Bürgermeister überschrieben, den dieser auch sogleich öffnete. Er las :

Meine lieben Grünwieseler!

Wenn Ihr dies leset, bin ich nicht mehr in Eurem Städtchen , und Ihr werdet dann längst erfahren haben, wes Standes und Vaterlandes mein lieber Neffe ist. Nehmet den Scherz, den ich mir mit Euch erlaubte, als eine gute Lehre auf, einen Fremden , der für sich leben will, nicht in Eure Gesellschaft zu nötigen! Ich selbst fühlte mich zu gut, um Euer ewiges Klatschen, um Eure schlechten Sitten und Euer lächerliches Wesen zu teilen. Darum erzog ich einen jungen Orang-Utang, den Ihr als meinen Stellvertreter so lieb gewonnen habt. Lebet wohl und benützet diese Lehre nach Kräften!"



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Die Grünwieseler schämten sich nicht wenig vor dem ganzen Land. Ihr Trost war, daß dies alles mit unnatürlichen Dingen zugegangen sei. Am meisten schämten sich aber die jungen Leute in Grünwiesel, weil sie die schlechten Gewohnheiten und Sitten des Affen nachgeahmt hatten. Sie stemmten von jetzt an keinen Ellbogen mehr auf, sie schaukelten nicht mit dem Sessel, sie schwiegen, bis sie gefragt wurden, sie legten die Brillen ab und waren artig und gesittet wie zuvor, und wenn je einer wieder in solche schlechte, lächerliche Sitten verfiel, so sagten die Grünwieseler: "Es ist ein Affe." Der Affe aber, welcher so lange die Rolle eines jungen Herrn gespielt hatte, wurde dem gelehrten Mann, der ein Naturalienkabinett besaß, überantwortet. Dieser läßt ihn in seinem Hof umhergehen, füttert ihn und zeigt ihn als Seltenheit jedem Fremden, wo er noch bis auf den heutigen Tag zu sehen ist."

Es entstand ein Gelächter im Saal, als der Sklave geendet hatte, und auch die jungen Männer lachten mit. "Es musa doch sonderbare Leute geben unter diesen Franken, und wahrhaftig, da bin ich lieber beim Scheik und Mufti in Alessandria als in Gesellschaft des Oberpfarrers, des Bürgermeisters und ihrer törichten Frauen in Grünwiesel!"

"Da hast du gewiß recht gesprochen," erwiderte der junge Kaufmann. "In Frankistan möchte ich nicht tot sein. Die Franken sind ein rohes, wildes, barbarisches Volk, und für einen gebildeten Türken oder Perser müßte es schrecklich sein, dort zu leben."

"Das werdet ihr bald hören," versprach der Alte. , .So viel mir der Sklavenaufseher sagte, wird der schöne zunge Mann dort vieles von Frankistan erzählen; denn er war lange dort und ist doch seiner Geburt nach ein Muselmann."

"Wie, jener, der zuletzt sitzt in der Reihen Wahrlich, es ist eine Sünde, daß der Herr Scheik diesen losgibt! Es ist der schönste Sklave im ganzen Land. Schaut nur dieses mutige Gesicht, dieses kühne Auge, diese schöne Gestalt! Er kann ihm ja leichte Geschäfte geben. Er kann ihn zum Fliegenwedler machen oder zum Pfeifenträger. Es ist ein Spaß, ein solches Amt zu versehen, und wahrlich, ein solcher Sklave ist die Zierde von einem ganzen Haus. Und erst drei Tage hat er ihn und gibt ihn weg? Es ist Torheit, es ist Sünde!"

*Tadelt ihn doch nicht, ihn, der weiser ist als ganz Ägypten !" sprach der Alte mit Nachdruck. "Sagte ich euch nicht schon, daß er ihn losläßt, weil er glaubt, den Segen Allahs dadurch



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zu verdienen. Ihr sagt, er ist schön und wohlgebildet, und ihr sprecht die Wahrheit. Aber der Sohn des Scheik, den der Prophet in sein Vaterhaus zurückbringen möge, der Sohn des Scheik !var ein schöner Knabe und muß jetzt auch groß sein und wohlgebildet . Soll er also das Gold sparen und einen wohlfeilen, verwachsenen Sklaven hingeben in der Hoffnung, seinen Sohn dafür zu bekommen? Wer etwas tun will in der Welt, der tue es lieber gar nicht oder —recht!"

Und sehet, des Scheiks Augen sind immer auf diesen Sklaven geheftet. Ich bemerkte es schon den ganzen Abend. Während der Erzählungen streifte oft sein Blick dorthin und verweilte auf den edeln Zügen des Freigelassenen. Es muß ihn doch ein wenig schmerzen, ihn freizugeben."

"Denke gicht also von dem Mann! Meinst du, tausend Tomans schmerzen ihn, der jeden Tag das Dreifache einnimmt?" sagte der alte Mann. " Aber wenn sein Blick mit Kummer auf dem Jüngling weilt, so denkt er wohl an seinen Sohn, der in der Fremde schmachtet; er denkt wohl, ob dort vielleicht ein barmherziger Mann wohne, der ihn loskaufe und zurückschicke zum Vater."

"Ihr mögt recht haben," erwiderte der junge Kaufmann, und ich schäme mich, daß ich von den Leuten nur immer das Gemeinere und Unedle denke, während Ihr lieber eine schöne Gesinnung unterlegt. Und doch sind die Menschen in der Regel schlecht; habt Ihr dies nicht auch gefunden, Alter?"

"Gerade, weil ich dies nicht gefunden habe, denke ich gerne gut von den Menschen," antwortete dieser. " Es ging mir gerade wie euch. Ich lebte so in den Tag hinein, hörte viel Schlimmes von den Menschen, mußte selbst an mir viel Schlechtes erfahren und fing an, die Menschen alle für schlechte Geschöpfe zu halten. Doch, da fiel mir bei, daß Allah, der so gerecht ist als weise, nicht dulden könnte, daß ein so verworfenes Geschlecht auf dieser schönen Erde hause. Ich dachte nach über das, was ich gesehen, was ich erlebt hatte, und siehe — ich hatte nur das Böse gezählt und das Gute vergessen. Ich hatte nicht acht gegeben, wenn einer eine Handlung der Barmherzigkeit übte, ich hatte es natürlich gefunden, wenn ganze Familien tugendhaft lebten und gerecht waren. So oft ich aber Böses, Schlechtes hörte, hatte ich es wohl angemerkt in meinem Gedächtnis. Da fing ich an, mit ganz anderen Augen um mich zu schauen. Es freute mich, wenn ich das Gute nicht so sparsam keimen sah, wie ich anfangs dachte; ich bemerkte das Böse weniger. oder es fiel mir nicht sa sehr auf, und so lernte ich die Menschen lieben, lernte Gutes von



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ihnen denken, und habe mich in langen Jahren seltener geirrt, wenn ich von einem Gutes sprach, als wenn ich ihn für geizig oder gemein oder gottlos hielt,"

Der Alte wurde bei diesen Worten von dem Aufseher der Sklaven unterbrochen, der zu ihm trat und sprach: "Mein Herr, der Scheit von Alessandria, Ali Banu, hat Euch mit Wohlgefallen in seinem Saale bemerkt und ladet Euch ein, zu ihm zu treten und Euch neben ihn zu setzen,"

Die jungen Leute waren nicht wenig erstaunt über die Ehre, die dem Alten widerfahren sollte, den sie für einen Bettler gehalten , und als dieser hingegangen war, sich zu dem Scheik zu setzen, hielten sie den Sklavenaufseher zurück, und der Schreiber fragte ihn: "Beim Bart des Propheten beschwöre ich dich, sage uns, wer ist dieser alte Mann, mit dem wir sprachen und den der Scheit also ehrt?"

"Wie!" rief der Aufseher der Sklaven und schlug vor Verwunderung die Hände zusammen. "Diesen Mann kennet ihr nicht ?"

"Nein, wir wissen nicht, wer er ist."

"Aber ich sah euch doch schon einigemal mit ihm auf der Straße sprechen, und mein Herr, der Scheik, hat dies auch bemerkt und erst letzthin gesagt: "Das müssen wackere junge Leute sein, die dieser Mann eines Gespräches würdigt."

"Aber, so sage doch, wer er ist!" rief der junge Kaufmann in höchster Ungeduld.

"Gehet, ihr wollet mich nur zum Narren haben," antwortete der Sklavenaufseher. "In diesen Saal kommt sonst niemand , wer nicht ausdrücklich eingeladen ist, und heute ließ der Alte dem Scheit sagen, er werde einige junge Männer in seinen Saal mitbringen, wenn es ihm nicht ungelegen sei, und Ali Banu ließ ihm sagen, er habe über sein Haus zu gebieten."

"Lasse uns nicht länger in Ungewißheit! So wahr ich lebe, ich weiß nicht, wer dieser Mann ist. Wir lernten ihn zufällig kennen und sprachen mit ihm."

"Nun, dann dürfet ihr euch glücklich preisen; denn ihr habt mit einem gelehrten, berühmten Mann gesprochen, und alle Anwesenden ehren und bewundern euch deshalb. Es ist niemand anders als Mustapha, der gelehrte Derwisch."

"Mustapha! der weise Mustapha, der den Sohn des Scheik erzogen hat, der viele gelehrte Bücher schrieb, der große Reisen machte in alle Weltteile? Mit Mustapha haben wir gesprochen? Und gesprochen, als wär er unser einer. so ganz ohne alle Ehrerbietung?" So sprachen die jungen Männer unter einander und



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waren sehr beschämt; denn der Derwisch Mustapha galt damals für den weisesten und gelehrtesten Mann im ganzen Morgenland.

"Tröst' euch darüber," antwortete der Sklavenaufseher, "seid froh, daß ihr ihn nicht kanntet ; er kann es nicht leiden, wenn man ihn lobt, und hättet ihr ihn ein einzige: die Sonne der Gelehrsamkeit oder das Gestirn der Weisheit genannt, wie es gebräuchlich ist bei Männern dieser Art, er hätte euch von Stund' an verlassen. Doch, ich muß jetzt zurück zu den Leuten, die heute erzählen. Der, der jetzt kommt, ist tief hinten in Frankistan gebürtig , wollen sehen, was er weiß."

So sprach der Sklavenaufseher; der aber, an welchen jetzt die Reihe zu erzählen kam, stand auf und sprach.


Das Fest der Unterirdischen.

Norwegisches Märchen nach mündlicher Überlieferung. (Im Original S. 253 —253.)

"Herr, ich bin aus einem Lande, das weit gegen Mitternacht liegt, Norwegen genannt, wo die Sonne nicht, wie in deinem gesegneten Lande, Feigen und Zitronen kocht, wo sie nur wenige Monde über die grüne Erde scheint und ihr im Flug sparsame Blüten und Früchte entlockt. Du sollst, wenn es dir angenehm ist, ein paar Märchen hören, wie man sie bei uns in den warmen Stuben erzählt, wenn das Nordlicht über die Schneefelder flimmert."


Schneeweißchen und Rosenrot.

(Im Original S. 269-278).

Noch waren die jungen Männer im Gespräch über diese Märchen und über den Alten, den Derwisch Mustapha. Säe fühlten sich nicht wenig geehrt, daß ein so alter und berühmter Mann sie seiner Aufmerksamkeit gewürdigt und sogar öfters mit ihnen gesprochen und gestritten hatte. Da kam plötzlich der Aufseher der Sklaven zu ihnen und lud sie ein, ihm zum Scheik zu folgen, der sie Sprechen wolle. Den Jünglingen pochte das Herz. Noch nie harten sie mit einem so vornehmen Mann gesprochen, nicht einmal allein, viel weniger in so großer Gesellschaft. Doch sie faßten sich, um nicht als Toren zu erscheinen, und folgten dem Aufseher der Sklaven zum Scheik. Ali Banu saß auf einem



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reichen Polster und nahm Sorbet zu sich. Zu seiner Rechten saß der Alte, sein dürftiges Kleid ruhte auf herrlichen Polstern, seine ärmlichen Sandalen hatte er auf einen reichen Teppich von persischer Arbeit gestellt; aber sein schöner Kopf, sein Auge voll Würde und Weisheit zeigte an, daß er würdig sei, neben einem Mann wie der Scheit zu sitzen.

Der Scheit war sehr ernst. und der Alte schien ihm Trost und Mut zuzusprechen. Die Jünglinge glaubten auch in ihrem Ruf vor das Angesicht des Scheit eine List des Alten zu entdecken, der wahrscheinlich den trauernden Vater durch ein Gespräch mit ihnen zerstreuen wollte.

"Willkommen, ihr jungen Männer," sprach der Scheit, "willkommen in dem Hause Ali Banus ! Mein alter Freund hier hat sich meinen Dank verdient, daß er euch hier einführte; doch zürne ich ihm ein wenig, daß er mich nicht früher mit euch bekannt machte. Wer von euch ist denn der junge Schreiber?"

"Ich, o Herr! und zu Euren Diensten!" sprach der junge Schreiber, indem er die Arme über der Brust kreuzte und sich tief verbeugte.

"Ihr hört also gerne Geschichten und leset gerne Bücher mit schönen Versen und Denksprüchen?"

Der junge Mensch erschrak und errötete; denn ihm fiel bei, wie er damals den Scheik bei dem Alten getadelt und gesagt hatte, an seiner Stelle würde er sich erzählen oder aus Büchern vorlesen lassen. Er war dem schwatzhaften Alten, der dem Scheit gewiß alles verraten hatte, in diesem Augenblicke recht gram, warf ihm einen bösen Blick zu und sprach dann: "O Herr! Allerdings kenne ich für meinen Teil keine angenehmere Beschäftigung, als mit dergleichen den Tag zuzubringen. Es bildet den Geist und vertreibt die Zeit. Aber jeder nach seiner Weise! Ich tadle darum gewiß keinen. der nicht —"

"Schon gut, schon gut," unterbrach ihn der Scheik lachend und winkte den zweiten herbei. " Wer bist denn du?" fragte er ihn.

*Herr, ich bin meines Amtes der Gehilfe eines Arztes und habe selbst schon einige Kranke geheilt.

*Richtig," erwiderte der Scheik, "und Ihr seid es auch, der das Wohlleben liebet ; Ihr möchtet gerne mit guten Freunden hie und da tafeln und guter Dinge sein? Nicht wahr, ich habe es erraten?"

Der junge Mann war beschämt; er fühlte, daß er verraten war und daß der Alte auch von ihm gebeichtet haben mußte. Er faßte sich aber ein Herz und antwortete: " O ja, Herr, ich rechne



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es unter des Lebens Glückseligkeiten, hie und da mit guten Freunden fröhlich sein zu können. Mein Beutel reicht nun zwar nicht weiter hin, als meine Freunde mit Wassermelonen oder dergleichen wohlfeilen Sachen zu bewirten ; doch sind wir auch dabei fröhlich, und es läßt sich denken, daß wir es noch um ein gutes Teil mehr wären, wenn ich mehr Geld hätte."

Dem Scheik gefiel diese beherzte Antwort, und er konnte sich nicht enthalten, darüber zu lachen. "Welcher ist denn der junge Kaufmann ?" fragte er weiter.

Der junge Kaufmann verbeugte sich mit freiem Anstand vor dem Scheik; denn er war ein Mensch von guter Erziehung; der Scheit aber sprach: " Und Ihr? Ihr habt Freude an Musik und Tanz? Ihr höret es gerne, wenn gute Künstler etwas spielen und singen und sehet gerne Tänzer künstliche Tänze ausführen "

Der junge Kaufmann antwortete: "Ich sehe wohl, o Herr, daß jener alte Mann, um Euch zu belustigen, unsere Torheiten insgesamt verraten hat. Wenn es ihm gelang, Euch dadurch aufzuheitern, so habe ich gerne zu Eurem Scherz gedient. Was aber Musik und Tanz betrifft, so gestehe ich, es gibt nicht leicht etwas, was mein Herz also vergnügt. Doch glaubet nicht, daß ich deswegen Euch tadle, o Herr, wenn Ihr nicht ebenfalls —'

"Genug, nicht weiter !" rief der Scheik, lächelnd mit der Hand abwehrend. "Jeder nach seiner Weise, wollet Ihr sagen; aber dort steht ja noch einer ; das ist wohl der, welcher so gerne reisen möchten Wer seid denn Ihr, junger Herr?"

"Ich bin ein Maler, o Herr," antwortete der junge Mann; ich male Landschaften teils an die Wände der Säle, teils auf Leinwand. Fremde Länder zu sehen, ist allerdings mein Wunsch; denn man sieht dort allerlei schöne Gegenden, die man wieder anbringen kann; und was man sieht und abzeichnet, ist doch in der Regel immer schöner, als was man nur so selbst erfindet."

Der Scheit betrachtete jetzt die schönen jungen Leute, und sein Blick wurde ernst und düster. "Ich hatte einst auch einen lieben Sohn," sagte er, "und er müßte nun auch so herangewachsen sein wie ihr. solltet ihr seine Genossen und Begleiter sein, und jeder eurer Wünsche würde von selbst befriedigt werden. Mit jenem würde et lesen, mit diesem Musik hören, mit dem undern würde er gute Freunde einladen und fröhlich und guter Dinge sein, und mit dem Maler ließe ich ihn ausziehen in schöne Gegenden und wäre dann gewiß, daß er immer wieder zu mir zurückkehrte. So hat es aber Allah nicht gewollt, und ich fügt mich in seinen Willen ohne Murren. Doch es steht in meiner Macht, eure Wünsche dennoch zu erfüllen, und ihr sollt freudigen



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Herzens von Ali Banu gehen. Ihr, mein gelehrter Freund," fuhr er fort, indem er sich zu dem Schreiber wandte, "wohnt von jetzt an in meinem Hause und seid über meine Bücher gesetzt. Ihr könnet noch dazu anschaffen, was ihr wollet und für gut haltet, und Euer einziges Geschäft sei, mir, wenn Ihr etwas recht Schönes gelesen habt, zu erzählen. Ihr, der Ihr eine gute Tafel unter Freunden liebet, Ihr sollet der Aufseher über meine Vergnügungen sein. Ich selbst zwar lebe einsam und ohn: Freude; aber es ist meine Pflicht, und mein Amt bringt mit sich, hie und da viele Gäste einzuladen. Dort sollet Ihr an meiner Stelle alles besorgen und könnet von Euren Freunden dazu einladen, wen Ihr nur wollet ; versteht sich, auf etwas Besseres als Wassermelonen. Den jungen Kaufmann da darf ich freilich seinem Geschäft nicht entziehen, das ihm Geld und Ehre bringt; aber alle Abende stehen Euch, mein junger Freund, Tänzer, Sänger und Musikanten zu Dienste, so viel Ihr wollet; lasset Euch aufspielen und tanzen nach Herzenslust! Und Ihr," sprach er zu dem Maler, "Ihr sollet fremde Länder sehen und das Auge durch Erfahrung schärfen. Mein Schatzmeister wird Euch zu der ersten Reise, die Ihr morgen antreten könnet, tausend Goldstücke reichen nebst zwei Pferden und einem Sklaven. Reiset, wohin Euch das Herz treibt. und wenn Ihr etwas Schönes sehet, so malet es für mich!"

Die jungen Leute waren außer sich vor Erstaunen, sprachlos vor Freude und Dank. Sie wollten den Boden vor den Füßen des gütigen Mannes küssen; aber er ließ es nicht zu. "Wenn ihr einem zu danken habt," sprach er, "so ist es diesem weisen Mann hier, der mir von euch erzählte. Auch mir hat er dadurch Vergnügen gemacht, vier so muntere junge Leute eurer Art kennen zu lernen."

Der Derwisch Mustapha aber wehrte den Dank oer Jünglinge ab. "Sehet," sprach er, " wie man nie voreilig urteilen muß; habe ich euch zuviel von diesem edlen Manne gesagt?"

"Lasset uns nun noch den letzten meiner Sklaven, die heute frei sind, erzählen hören," unterbrach ihn "III Banu, und die Jünglinge begaben sich an ihre Plätze.

Jener junge Sklave, der die Aufmerksamkeit aller durch seinen Wuchs, durch seine Schönheit und seinen mutigen Blick in so hohem Grade auf sich gezogen hatte, steirer jetzt auf, verbeugte sich vor dem Scheit und fing mit wohltönender Stimme also zu sprechen an ;



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Die Geschichte Almansors.

"O Herr! Die Männer, die vor mir gesprochen haben, erzählten mancherlei wunderbare Geschichten, die sie gehört hatten in fremden Ländern; ich muß mit Beschämung gestehen, daß ich keine einzige Erzählung weiß, die Eurer Aufmerksamkeit würdig wäre. Doch wenn es Euch nicht langweilt, will ich Euch die wunderbaren Schicksale eines meiner Freunde vortragen.

Auf jenem algierischen Kaperschiff, von welchem mich Eure milde Hand befreit hat, war ein junger Mann in meinem Alter, der mir nicht für das Sklavenkleid geboren schien, das er trug. Die übrigen Unglücklichen auf dem Schiffe waren entweder rohe Menschen, mit denen ich nicht leben mochte, oder Leute, deren Sprache ich nicht verstand; darum fand ich mich zu der Zeit. wo wir ein Stündchen frei hatten, gerne zu dem jungen Mann. Er nannte sich Almansor und war seiner Aussprache nach ein Ägypter. Wir unterhielten uns recht angenehm miteinander und kamen eines Tages auch darauf, uns unsere Geschichte zu erzählen, da dann die meines Freundes allerdings bei weitem merkwürdiger war als die meinige.

Almansors Vater war ein vornehmer Mann in einer ägyptischen Stadt, deren Namen er mir nicht nannte. Er lebte die Tage seiner Kindheit vergnügt und froh und umgeben von allem Glanz und Bequemlichkeit der Erde. Aber er wurde dabei doch nicht weichlich erzogen, und sein Geist wurde frühzeitig ausgebildet; denn sein Vater war ein weiser Mann, der ihm Lehren der Tugend gab, und überdies hatte er zum Lehrer einen beberühmten Gelehrten, der ihn in allem unterrichtete, was ein junger Mensch wissen muß. Almansor war etwa zehn Jahre alt, als die Franken über das Meer her in das Land kamen und Krieg mit seinem Volke führten.

Der Vater des Knaben mußte aber den Franken nicht sehr günstig gewesen sein; denn eines Tages, als er eben zum Morgengebet gehen wollte, kamen sie und verlangten zuerst seine Frau als Geisel seiner treuen Gesinnungen gegen das Frankenvolk, und als er sie nicht geben wollte, schleppten sie seinen Sohn mit Gewalt ins Lager."

Als der junge Sklave also erzählte, verhüllte der Scheil sein Angesicht, und es entstand ein Murren des Unwillens im Saal. "Wie," riefen die Freunde des Scheik, , .wie kann dei junge Mann dort so töricht handeln und durch solche Geschichten die Wunden Ali Banus aufreißen, statt sie zu mildern? Wie kam er ihm seinen Schmerz erneuern, statt ihn zu zerstreuen?" De



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Sklavenaufseher selbst war voll Zorn über den unverschämten Jüngling und gebot ihm zu schweigen. Der junge Sklave aber War sehr erstaunt über dies alles und fragte den Scheik, ob denn in seiner Erzählung etwas liege, das sein Mißfallen erregt habe. Der Scheik richtete sich bei diesen Worten auf und sprach: Seid doch ruhig, ihr Freunde; wie kann denn dieser Jüngling etwas von meinem betrübten Schicksal wissen, da er nur kaum drei Tage unter diesem Dache ist! Kann es denn bei den Greueln, die diese Franken verübten, nicht ein ähnliches Geschick wie das meine geben? Kann nicht vielleicht selbst jener Almansor — doch erzähle immer weiter, mein junger Freund !"

Der junge Sklave verbeugte sich und fuhr fort. "Der junge Almansor wurde also in das fränkische Lager geführt. Es erging ihm dort im ganzen gut; denn einer der Feldherren ließ ihn in sein Zelt kommen und hatte seine Freude an den Antworten des Knaben, die ihm ein Dragoman übersetzen mußte, er sorgte für ihn, daß ihm an Speise und Kleidung nichts abginge; aber die Sehnsucht nach Vater und Mutter machte dennoch den Knaben höchst unglücklich. Er weinte viele Tage lang; aber seine Tränen rührten diese Männer nicht. Das Lager wurde aufgebrochen, und Almansor glaubte jetzt wieder zurückkehren zu dürfen; aber es war nicht so; das Heer zog hin und her, führte Krieg mit den Mamelucken, und den jungen Almansor schleppten sie immer mit sich. Wenn er dann die Hauptleute und Feldherren anflehte, ihn doch wieder heimkehren zu lassen, so verweigerten sie es und sagten, er müsse ein Unterpfand von seines Vaters Treue sein. So war er viele Tage lang auf dem Marsch.

Auf einmal aber entstand eine Bewegung im Heere, die dem Knaben nicht entging; man sprach von Einpacken, von Zurückziehen, vom Einschiffen, und Almansor war außer sich vor Freude; denn jetzt, wenn die Franken in ihr Land zurückkehrten, jetzt mußte er ja frei werden. Man zog mit Roß und Wagen rückwärts gegen die Küste, und endlich war man so weit, daß man die Schiffe vor Anker liegen sah. Die Soldaten schifften sich ein; aber es wurde Nacht, bis nur ein kleiner Teil eingeschifft war. So gerne Almansor gewacht hätte, weil er jede Stunde glaubte, freigelassen zu werden, so verfiel er doch endlich in einen tiefen Schlaf, und er glaubt, die Franken haben ihm etwas unter das Wasser gemischt, um ihn einzuschläfern. Denn als er aufwachte. schien der helle Tag in eine kleine Kammer, worin er nicht gewesen war, als er einschlief. Er sprang auf von seinem Lager, aber als er auf den Boden kam, fiel er um; denn der Boden schwankte hin und wieder, und es schien sich alles zu



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bewegen und im Kreis um ihn her zu tanzen. Er raffte sich auf, hielt sich an den Wänden fest, um aus dem Gemach zu 'kommen, worin er sich befand.

Ein sonderbares Brausen und Zischen war um ihn her; er wußte nicht, ob er träume oder wache; denn er hatte nie Ähnliches gesehen oder gehört. Endlich erreichte er eine kleine Treppe; mit Mühe klemmte er hinauf, und welcher Schrecken befiel ihn! Rings umher war nichts als Himmel und Meer, er befand sich auf einem Schiffe. Da fing er kläglich an zu weinen. Er wollte zurückgebracht werden, er wollte ins Meer sich stürzen und hinüberschwimmen nach seiner Heimat; aber die Franken hielten ihn fest, und einer der Befehlshaber ließ ihn zu sich kommen, versprach ihm, wenn er gehorsam sei, solle er bald wieder in seine Heimat zurück, und stellte ihm vor, daß es nicht mehr möglich gewesen wäre, ihn vom Land aus nach Hause zu bringen; dort aber hätte er, wenn man ihn zurückgelassen, elendiglich umkommen müssen.

Wer aber nicht Wort hielt, waren die Franken; denn das Schiff segelte viele Tage lang weiter, und als es endlich landete, war man nicht an Ägyptens Küste, sondern in Frankistan: Almansor hatte während der langen Fahrt und schon im Lager einiges von der Sprache der Franken verstehen und sprechen gelernt, was ihm in diesem Lande, wo niemand seine Sprache kannte, sehr gut zu statten kam. Er wurde viele Tage lang durch das Land in das Innere geführt, und überall strömte das Volk zusammen, um ihn zu sehen; denn seine Begleiter sagten aus, er wäre der Sohn des Königs von Ägypten, der ihn zu seiner Ausbildung nach Frankistan schicke.

So sagten aber die Soldaten nur, um das Volk glauben zu machen, sie haben Ägypten besiegt und stehen in tiefem Frieden mit diesem Land. Nachdem die Reise zu Land mehrere Tage gedauert hatte, kamen sie in eine große Stadt, dem Ziel ihrer Reise. Dort wurde er einem Arzt übergeben, der ihn in sein Haus nahm und in allen Sitten und Gebräuchen von Frankistan unterwies.

Er mußte vor allem fränkische Kleider anlegen, die sehr enge und knapp waren und bei weitem nicht so schön wie seine ägyptischen. Dann durfte er nicht mehr seine Verbeugung mit gekreuzten Armen machen, sondern wollte er jemand seine Ehrerbietung bezeugen, so mußte er mit der einen Hand die ungeheure Mütze von schwarzem Filz, die alle Männer trugen und die man auch ihm aufgesetzt hatte, vom Kopfe reißen, mit der andern Hand mußte er auf die Seite fahren und mit dem rechten



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Fuß auskratzen. Er durfte auch nicht mehr mit überschlagenen Beinen sitzen, wie es angenehme Sitte ist im Morgenlande, sondern auf hochbeinige Stühle mußte er sich setzen und die Füße herabhängen lassen auf den Boden. Das Essen machte ihm auch nicht geringe Schwierigkeit; denn alles, was er zum Munde bringen wollte, mußte er zuvor auf eine Gabel von Eisen stecken.

Der Doktor aber war ein strenger, böser Mann, der den Knaben plagte; denn wenn er sich jemals vergaß und zu einem Besuch sagte: " Salem aleikum!" so schlug er ihn mit dem Stock ; denn er sollte sagen: " Votre serviteur! Er durfte auch nicht mehr seiner Sprache denken und sprechen oder schreiben, höchstens durfte er darin träumen, und er hätte vielleicht seine Sprache gänzlich verlernt, wenn nicht ein Mann in jener Stadt gelebt hätte, der ihm von großem Nutzen war.

Es war dies ein alter, aber sehr gelehrter Mann, der viele morgenländische Sprachen verstand, Arabisch, Persisch, Koptisch, sogar Chinesisch, von jedem etwas ; er galt in jenem Land für ein Wunder von Gelehrsamkeit, und man gab ihm viel Geld, daß er diese Sprachen andere Leute lehrte. Dieser Mann ließ nun den jungen Almansor alle Wochen einigemal zu sich kommen, bewirtete ihn mit seltenen Früchten und dergleichen, und dem Jüngling war es dann, als wäre er zu Haus; denn der Alte war gar ein sonderbarer Mann. Er hatte Almansor Kleider machen lassen, wie sie vornehme Leute in Ltgypten tragen. Diese Kleider bewahrte er in seinem Hause in einem besonderen Zimmer auf. Kam nun Almansor, so schickte er ihn mit einem Bedienten in jenes Zimmer und ließ ihn ganz nach seiner Landessitte ankleiden. Von da ging er dann nach " Kleinarabien" ; so nannte man einen Saal im Hause des Gelehrten.

Dieser Saal war mit allerlei künstlich aufgezogenen Bäumen, als Palmen, Bambus, jungen Zedern und dergleichen und mit Blumen ausgeschmückt, die nur im Morgenland wachsen. Persische Teppiche lagen auf dem Fußboden, und an den Wänden waren Polster, nirgends aber ein fränkischer Stuhl oder Tisch. Auf einem dieser Polster saß der alte Professor; er sah aber ganz anders aus als gewöhnlich; um den Kopf hatte er einen feinen türkischen Schal als Turban gewunden, er hatte einen grauen Bart umgeknüpft, der ihm bis zum Gürtel reichte und aussah wie ein natürlicher, ehrwürdiger Bart eines gewichtigen Mannes. Dazu trug er einen Talar, den er aus einem brokatnen Schlafrock hatte machen lassen, weite türkische Beinkleider, gelbe Pantoffeln , und so friedlich er sonst war, an diesen Tagen hatte er einen türkischen Säbel umgeschnallt, und im Gürtel stak ein



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Dolch, mit falschen Steinen besetzt. Dazu rauchte er aus einer zwei Ellen langen Pfeife und ließ sich von seinen Leuten bedienen. die ebenfalls persisch gekleidet waren und wovon die Hälfte Gesicht und Hände schwarz gefärbt hatte.

Von Anfang wollte dies alles dem jungen Almansor gar wunderlich bedünken; aber bald sah er ein, daß solche Stunden, wenn er in die Gedanken des Alten sich fügte, sehr nützlich für ihn seien. Durfte er beim Doktor kein ägyptisches Wort sprechen, so war hier die fränkische Sprache sehr verboten. Almansor mußte beim Eintreten den Friedensgruß sprechen, den der alte Perser sehr feierlich erwiderte; dann winkte er dem Jüngling, sich neben ihn zu setzen, und begann Persisch, Arabisch, Koptisch und alle Sprachen untereinander zu sprechen und nannte dies eine gelehrte morgenländische Unterhaltung. Neben ihm stand ein Bedienter oder, was sie an diesem Tage vorstellten, ein Sklave, der ein großes Buch hielt; das Buch war aber ein Wörterbuch, und wenn dem Alten die Worte ausgingen, winkte er dem Sklaven, schlug flugs auf, was er sagen wollte, und fuhr dann zu sprechen fort.

Die Sklaven aber brachten in türkischem Geschirr Sorbet und dergleichen, und wollte Almansor dem Alten ein großes Vergnügen machen, so mußte er sagen, es sei alles bei ihm angeordnet wie im Morgenland. Almansor las sehr schön Persisch, und das war der Hauptvorteil für den Alten. Er hatte viele persische Manuskripte; aus diesen ließ er sich von dem Jüngling vorlesen, las aufmerksam nach und merkte sich auf diese Art die richtige Aussprache.

Das waren die Freudentage des armen Almansor; denn nie entließ ihn der alte Professor unbeschenkt, und oft trug er sogar kostbare Gaben an Geld und Leinenzeug oder andern notwendigen Dingen davon, die ihm der Doktor nicht geben wollte. So lebte Almansor einige Jahre in der Hauptstadt des Frankenlandes, und nie wurde seine Sehnsucht nach der Heimat geringer. Als er aber etwa fünfzehn Jahre alt war, begab sich ein Vorfall, der auf sein Schicksal großen Einfluß hatte.

Die Franken nämlich wählten ihren ersten Feldherrn, denselben , mit welchem Almansor so oft in Ägypten gesprochen hatte, zu ihrem König und Beherrscher; Almansor wußte zwar und erkannte es an den großen Festlichkeiten, daß etwas dergleichen in dieser großen Stadt geschehe; doch konnte er sich nicht denken, daß der König derselbe sei, den er in Agypten gesehen; denn jener Feldherr war noch ein sehr junger Mann. Eines Tages aber ging Almansor über eine jener Brücken. die über den



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breiten Fluß führen, der die Stadt durchströmt; da gewahrte er in dem einfachen Kleid eines Soldaten einen Mann, der am Brückengeländer lehnte und in die Wellen sah. Die Züge des Mannes fielen ihm auf, und er erinnerte sich, ihn schon gesehen zu haben. Er ging also schnell die Kammern seiner Erinnerung durch, und als er an die Pforte der Kammer Von Ägypten kam, da eröffnete sich ihm plötzlich das Verständnis, daß dieser Mann jener Feldherr der Franken sei, mit welchem er oft im Lager gesprochen und der immer gütig für ihn gesorgt hatte. Er wußte seinen rechten Namen nicht genau ; er faßte sich daher ein Herz, trat zu ihm, nannte ihn, wie ihn die Soldaten unter sich nannten, und sprach, indem er nach seiner Landessitte die Arme über der Brust kreuzte: " Salem aleikum, Petit Caporal !"

Der Mann sah sich erstaunt um, blickte den jungen Menschen mit scharfen Augen an, dachte über ihn nach und sagte dann: Himmel, ist es möglich! Du hier, Almansor? Was macht dein Vater? Wie geht es in Ägypten? Was führt dich zu uns hierher ?"

Da konnte sich Almansor nicht länger halten; er fing an, bitterlich zu weinen, und sagte zu dem Mann: "So weißt du also nicht, was die Hunde, deine Landsleute, mit mir gemacht haben, Petit-Caporal? Du weißt nicht, daß ich das Land meiner Väter nicht mehr gesehen habe seit vielen Jahren?"

"Ich will nicht hoffen," sagte der Mann, und seine Stirne wurde finster, "ich will nicht hoffen, daß man dich mit hinwegschleppte."

"Ach, freilich," antwortete Almansor; " an jenem Tage, wo eure Soldaten sich einschifften, sah ich mein Vaterland zum letztenmal; sie nahmen mich mit sich hinweg, und ein Hauptmann , den mein Elend rührte, zahlt ein Kostgeld für mich bei einem verwünschten Doktor, der mich schlägt und halb Hungers sterben läßt. Aber höre, Petit Caporal!," fuhr er ganz treuherzig fort, " es ist gut, daß ich dich hier traf, du mußt mir helfen."

Der Mann, zu welchem er dies sprach, lächelte und fragte, auf welche Weise er denn helfen sollte.

"Siehe," sagte Almansor, " es wäre unbillig, wollte ich von dir etwas verlangen; du warst von jeher so gütig gegen mich ; aber ich weiß, du bist auch ein armer Mensch, und wenn du auch Feldherr warst, gingst du nie so schön gekleidet wie die andern; auch jetzt mußt du, nach deinem Rock und Hut zu urteilen, nicht in den besten Umständen sein. Aber da haben ja die Franken letzthin einen Sultan gewählt, und ohne Zweifel kennst du Leute, die sich ihm nahen dürfen, etwa seinen



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Janitscharen-Aga oder den Reis-Effendi oder seinen Kapudan-Pascha ; nicht?"

"Nun ja," antwortete der Mann, " aber wie weiter?"

"Bei diesen könntest du ein gutes Wort für mich einlegen, Petit-Caporal, daß sie den Sultan der Franken bitten, er möchte mich freilassen; dann brauche ich auch etwas Geld zur Reise übers Meer ; vor allem aber mußt du mir versprechen, weder dem Doktor, noch dem arabischen Professor etwas davon zu sagen."

"Wer ist denn der arabische Professor?" fragte jener.

"Ach, das ist ein sonderbarer Mann; doch von diesem erzähle ich dir ein andermal. Wenn es die beiden hörten, dürfte ich nicht mehr aus Frankistan weg. Aber willst du für mich sprechen bei den Agas? Sage es mir aufrichtig!"

"Komm mit mir," sagte der Mann, "vielleicht kann ich dir jetzt gleich nützlich sein."

"Jetzt?" rief der Jüngling mit Schrecken. "Jetzt um keinen Preis, da würde mich der Doktor prügeln; ich muß eilen, daß ich nach Hause komme."

"Was trägst du denn in diesem Korb ?" fragte jener, indem er ihn zurückhielt. Almansor errötete und wollte es anfangs nicht zeigen; endlich aber sagte er: "Siehe, Petit-Caporal ich muß hier Dienste tun wie der geringste Sklave meines Vaters. Der Doktor ist ein geiziger Mann und schickt mich alle Tage von unserem Hause eine Stunde weit auf den Gemüse- und Fischmarkt; da muß ich dann unter den schmutzigen Marktweibern einkaufen, weil es dort um einige Kupfermünzen wohlfeiler ist als in unserem Stadtteil. Siehe, wegen dieses schlechten Herings, wegen dieser Handvoll Salat, wegen dieses Stückchens Butter muß ich alle Tage zwei Stunden gehen. Ach, wenn es mein Vater wüßte!"

Der Mann, zu welchem Almansor dies sprach, war gerührt über die Not des Knaben und antwortete: "Komm nur mit mir und sei getrost; der Doktor soll dir nichts anhaben dürfen, wenn er auch heute weder Hering, noch Salat verspeist! Sei getrosten Mutes und komm !" Er nahm bei diesen Worten Almansor bei der Hand und führte ihn mit sich, und obgleich diesem das Herz pochte, wenn er an den Doktor dachte, so lag doch so viele Zuversicht in den Worten und Mienen des Mannes, daß er sich entschloß, ihm zu folgen. Er ging also, sein Körbchen am Arm, neben dem Soldaten viele Straßen durch. und wunderbar wollte es ihm bedünken, daß alle Leute die Hüte vor ihnen abnahmen und stehen blieben und ihnen nachschauten. Er äußerte



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dies auch gegen seinen Begleiter; dieser aber lachte und sagte nichts darüber.

Sie gelangten endlich an ein prachtvolles Schloß, auf welches der Mann zuging. "Wohnst du hier, Petit-Caporal?" fragte Almansor.

"Hier ist meine Wohnung," entgegnete jener, "und ich will dich zu meiner Frau führen."

"Ei, da wohnst du schön!" fuhr Almansor fort. "Gewiß hat dir der Sultan hier freie Wohnung gegeben "

"Diese Wohnung habe ich vom Kaiser, du hast recht," antwortete sein Begleiter und führte ihn in das Schloß. Dort stiegen sie eine breite Treppe hinan, und in einem schönen Saal hieß er ihn seinen Korb absetzen und trat dann mit ihm in ein prachtvolles Gemach, wo eine Frau auf einem Divan saß. Der Mann sprach mit ihr in einer fremden Sprache, worauf sie beide nicht wenig lachten, und die Frau fragte dann Almansor in fränkischer Sprache vieles über Ägypten. Endlich sagte Petit-Caporal zu dem Jüngling: "Weißt du, was das beste ist? Ich will dich gleich selbst zum Kaiser führen und bei ihm für dich sprechen."

Almansor erschrak sehr; aber er gedachte an sein Elend und seine Heimat. "Dem Unglücklichen," sprach er zu den beiden, dem Unglücklichen verleiht Allah einen hohen Mut in der Stunde der Not; er wird auch mich armen Knaben nicht verlassen . Ich will es tun, ich will zu ihm gehen. Aber sage, Caporal: muß ich vor ihm niederfallen? Muß ich die Stirne mit dem Boden berühren? Was muß ich tun?"

Die beiden lachten von neuem und versicherten, dies alles sei nicht nötig.

"Sieht er schrecklich und majestätisch aus?" fragte er weiter, "hat er einen langen Bart? Macht er feurige Augen? Sage, wie sieht er aus ?"

Sein Begleiter lachte von neuem und sprach dann: "Ich will dir ihn lieber gar nicht beschreiben, Almansor, du selbst sollst erraten, welcher es ist. Nur das will ich dir als Kennzeichen angeben: Alle im Saale des Kaisers werden, wenn er da ist, die Hüte ehrerbietig abnehmen; der, welcher den Hut auf dem Kopf behält, der ist der Kaiser." Bei diesen Worten nahm er ihn bei der Hand und ging mit ihm nach dem Saal des Kaisers. Je näher er kam, desto lauter pochte ihm das Herz, und die Knie fingen ihm an zu zittern, als sie sich der Türe näherten. Ein Bedienter öffnete die Türe, und da standen in einem Halbkreis wenigstens dreißig Männer, alle prächtig gekleidet und mit



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Gold und Sternen überdeckt, wie es Sitte ist im Lande der Franken bei den vornehmsten Agas und Bassas der Könige; und Almansor dachte, sein Begleiter, der so unscheinbar gekleidet war, müsse der Geringsten einer sein unter diesen. Sie hatten alle das Haupt entblößt, und Almansor fing nun an, nach dem zu suchen, der den Hut auf dem Kopfe hätte; denn dieser mußte der Kaiser sein. Aber vergebens war sein Suchen. Alle hatten den Hut in der Hand. und der Kaiser mußte also nicht unter ihnen sein; da fiel sein Blick zufällig auf seinen Begleiter. und siehe — dieser hatte den Hut auf dem Kopfe sitzen!

Der Jüngling war erstaunt, betroffen. Er sah seinen Begleiter lange an und sagte dann, indem er selbst seinen Hut abnahm: " Salem aleikum, Petit-Caporal! So viel ich weiß, bin ich selbst nicht der Sultan der Franken, also kommt es mir nicht zu, mein Haupt zu bedecken; doch du bist der. der den Hut trägt, — Petit Caporal, bist denn du der Kaiser?"

"Du hast's erraten," antwortete jener, "und überdies bin ich dein Freund. Schreibe dein Unglück nicht mir, sondern einer unglücklichen Verwirrung der Umstände zu, und sei versichert, daß du mit dem ersten Schiff in dein Vaterland zurücksegelst. Gehe jetzt wieder hinein zu meiner Frau, erzähle ihr vom arabischen Professor und was du weißt. Die Heringe und den Salat will ich dem Doktor schicken; du aber bleibst für deinen Aufenthalt in meinem Palast."

So sprach der Mann, der Kaiser war ; Almansor aber fiel vor ihm nieder, küßte seine Hand und bat ihn um Verzeihung, daß er ihn nicht erkannt habe; er habe es ihm gewiß nicht angesehen, daß er Kaiser sei.

"Du hast recht." erwiderte jener lachend. . ,wenn man nur wenige Tage Kaiser ist, kann man es nicht an der Stirne geschrieben haben." So sprach er und winkte ihm, sich zu entfernen.

Seit diesem Tage lebte Almansor glücklich und in Freuden.

Den arabischen Professor, von welchem er dem Kaiser erzählte, durfte er noch einigemal besuchen; den Doktor aber sah er nicht mehr. Nach einigen Wochen lies ihn der Kaiser zu sich rufen und kündigte ihm an, daß ein Schiff vor Anker liege, mit dem er ihn nach, Ägypten senden wolle. Almansor war außer sich vor Freude; wenige Tage reichten hin, um ihn auszurüsten, und mit einem Herzen voll Dankes und mit Schätzen und Geschenken reich beladen, reiste er vom Kaiser ab ans Meer und schiffte sich ein.

Aber Allah wollte ihn noch länger prüfen. wollte seinen Mut im unglück noch länger Stählen und ließ ihn die Küste seiner Heimat noch nicht sehen. Ein anderes fränkisches Volk, die



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Engländer, führten damals Krieg mit dem Kaiser auf der See. Sie nahmen ihm alle Schiffe weg, die sie besiegen konnten, und so kam es, daß am sechsten aage der Reise das Schiff, auf welchem sich Almansor befand, von englischen Schiffen umgeben und beschossen wurde; es mußte sich ergeben, und die ganze Mannschaft wurde auf ein kleineres Schiff gebracht, das mit den andern weitersegelte. Doch auf der See ist es nicht weniger unsicher als in der Wüste, wo unversehens die Räuber auf die Karawanen fallen und totschlagen und plündern. Ein Kaper von Tunis überfiel das kleine Schiff, das der Sturm von den größeren Schiffen getrennt hatte, und — es wurde genommen und alle Mannschaft nach Algier geführt und verkauft.

Almansor kam zwar nicht in so harte Sklaverei als die Christen, weil er ein rechtgläubiger Muselmann war ; aber dennoch war jetzt alle Hoffnung verschwunden, die Heimat und den Vater wiederzusehen. Dort lebte er bei einem reichen Manne fünf Jahre und mußte die Blumen begießen und den Garten bauen. Da starb der reiche Mann ohne nahe Erben, seine Besitzungen wurden zerrissen, seine Sklaven geteilt, und Almansor fiel in die Hände eines Sklavenmäklers. Dieser rüstete um diese Zeit ein Schiff aus, um seine Sklaven anderwärts teurer zu verkaufen. Der Zufall wollte, daß ich selbst ein Sklave dieses Händlers war und auf dasselbe Schiff kam, wo auch Almansor sich befand. Dort lernten wir uns kennen, und dort erzählte er mir seine wunderbaren Schicksale. Doch — als wir landeten, war ich Zeuge der wunderbarsten Fügung Allahs; es war die Küste seines Vaterlandes, an welche wir aus dem Boot stiegen, es war der Markt seiner Vaterstadt, wo wir öffentlich ausgeboten wurden, und, o Herr! daß ich es kurz sage, es war sein eigener, sein teuerer Vater, der ihn kaufte!"

Der Scheik Ali Banu war in tiefes Nachdenken versunken über diese Erzählung; sie hatte ihn unwillkürlich mit sich fortgerissen, seine Brust hob sich, sein Auge glühte, und er war oft nahe daran, seinen jungen Sklaven zu unterbrechen; aber das Ende der Erzählung schien ihn nicht zu befriedigen.

"Er könnte jetzt einundzwanzig Jahre haben, sagst du so fing er an zu fragen.

"Herr, er ist in meinem Alter, ein- bis zweiundzwanzig Jahre."

"Und welche Stadt nannte er seine Geburtsstadt ? Das hast du uns noch nicht gesagt.



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Wenn ich nicht irre," antwortete jener, . .so war es Alessandria!"

"Alessandria!" rief der Scheik. " Es ist mein Sohn; wo ist er geblieben? Sagtest du nicht, daß er Kairam hieß? Hat er dunkle Augen und braunes Haar?"

"Er hat es, und in traulichen Stunden nannte er sich Kairam und nicht Almansor."

"Aber, Allah! Allah! Sage mir doch, sein Vater hätte ihn vor deinen Augen gekauft, sagst du? Sagte er, es sei Sein Vater? Also ist er doch nicht mein Sohn!"

Der Sklave antwortete: " Er sprach zu mir: Allah sei gepriesen nach so langem Unglück; das ist der Marktplatz meiner Vaterstadt. Nach einer Weile aber kam ein vornehmer Mann um die Ecke; da rief er: ,O, was für ein teueres Geschenk des Himmels sind die Augen! Ich sehe noch einmal meinen ehrwürdigen Vater!' Der Mann aber trat zu uns, betrachtet diesen und jenen und kauft endlich den, dem dies alles begegnet ist. Da rief er Allah an, sprach ein heißes Dankgebet und flüsterte mir zu: Jetzt gehe ich wieder ein in die Hallen meines Glückes, es ist mein eigener Vater, der mich gekauft hat.'"

"Es ist also doch nicht mein Sohn, mein Kairam !" sagte der Scheik, von Schmerz bewegt.

"Da konnte sich der Jüngling nicht mehr zurückhalten; Tränen der Freude entstürzten seinen Augen, er warf sich nieder vor dem Scheit und rief: "Und dennoch ist es Euer Sohn, Kairam Almansor; denn Ihr seid es, der ihn gekauft hat."

"Allah, Allah! Ein Wunder, ein großes Wunder !" riefen die Anwesenden und drängten sich herbei; der Scheik aber stand sprachlos und staunte den Jüngling an, der sein schönes Antlitz zu ihm aufhob. "Mein Freund Mustapha!" sprach er zu dem alten Derwisch, " vor meinen Augen hängt ein Schleier von Tränen, daß ich nicht sehen kann. ob die Züge seiner Mutter, die mein Kairam trug, auf seinem Gesicht eingegraben sind. Trete du her und schaue ihn an!"

Der Alte trat herzu, sah ihn lange an, legte seine Hand aus die Stirne des jungen Mannes und sprach: ",Kairam! Wie hieß der Spruch, den ich dir am Tage des Unglücks mitgab ins Lager der Franken?"

"Mein teurer Lehrer!" antwortete der Jüngling, indem er die Hand des Alten an seine Lippen zog ; "er hieß: So einer Allah liebt und ein gutes Gewissen hat ,ist er auch inder Wüste des Elends nicht allein; denn er hat zwei Gefährten, die ihm tröstend zur Seite gehen."



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Da hob der Alte seine Augen dankend auf zum Himmel, zog den Jüngling herauf an seine Brust und gab ihn dem Scheik und sprach: "Nimm ihn hin! So gewiß du zehn Jahre um ihn trauertest, so gewiß ist es dein Sohn Kairam."

Der Scheik war außer vor Freude und Entzücken; er betrachtete immer Von neuem wieder die Züge des Wiedergefundenen , und unleugbar fand er das Bild seines Sohnes wieder, wie er ihn verloren hatte. Und alle Anwesenden teilten seine Freude; denn sie liebten den Scheik, und jedem unter ihnen war es, als wäre ihm heute ein Sohn geschenkt worden.

Jetzt füllte wieder Gesang und Jubel diese Halle wie in den Tagen des Glückes und der Freude. Noch einmal mußte der Jüngling, und noch ausführlicher, seine Geschichte erzählen, und alle priesen den arabischen Professor und den Kaiser und jeden, der sich Kairams angenommen hatte. Man war beisammen bis in die Nacht, und als man aufbrach, beschenkte der Scheik jeden seiner Freunde reichlich, auf daß er immer dieses Freudentages gedenke.

Die vier jungen Männer aber stellte er seinem Sohne vor und lud sie ein, ihn immer zu besuchen, und es war ausgemachte Sache, daß er mit dem Schreiber lesen, mit dem Maler kleine Reisen machen sollte, daß der Kaufmann Gesang und Tanz mit ihm teile und der andere alle Vergnügungen für sie bereiten solle. Auch sie wurden reich beschenkt und traten freudig aus dem Hause des Scheiks.

+Wem haben wir dies alles zu verdanken," sprachen sie untereinander, ",wem anders als dem Alten? Wer hätte dies damals gedacht, als wir vor diesem Hause standen und über den Scheik loszogen ?"

Und wie leicht hätte es uns einfallen können, die Lehren des alten Mannes zu überhören," sagte ein anderer. " oder ihn gar zu verspotten? Denn er sah doch recht zerrissen und ärmlich aus, und wer konnte denken, daß dies der weise Mustapha sei?"

"Und wunderbar ! War es nicht hier, wo wir unsere Wünsche laut werden ließen?" sprach der Schreiber. "Da wollte der eine reisen, der andere singen und tanzen, der dritte gute Gesellschaft haben und ich — Geschichten lesen und hören, und sind nicht alle unsere Wünsche in Erfüllung gegangen? Darf ich nicht alle Bücher des Scheik lesen und kaufen, was ich will?"

"Und darf ich nicht seine Tafel zurichten und seine schönsten Vergnügen anordnen und selbst dabei sein?" sagte der andere.

"Und ich, so oft mich mein Herz gelüstet, Gesang und Saitenspiel zu hören oder einen Tanz zu sehen, darf ich nicht hingehen und mir seine Sklaven ausbitten?"



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"Und ich," rief der Maler, " vor diesem Tage war ich arm und konnte keinen Fuß aus dieser Stadt setzen, und jetzt kann ich reisen, wohin ich will."

"Ja," sprachen sie alle, " es war doch gut, daß wir dem Alten folgten; wer weiß, was aus uns geworden wäre !"

So sprachen sie und gingen freudig und glücklich nach Hause



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Märchen- Almanach für Söhne und Tochter gebildeter Stände auf das Sadr 1828



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Das Wirtshaus im Spessart

Vor vielen Jahren, als im Spessart die Wege noch schlecht und nicht so häufig als jetzt befahren waren, zogen zwei junge Bursche durch diesen Wald. Der eine mochte achtzehn Jahre alt sein und war ein Zirkelschmied; der andere, ein Goldarbeiter, konnte nach seinem Aussehen kaum achtzehn Jahre haben und tat wohl jetzt eben seine erste Reise in die Welt. Der Abend war schon heraufgekommen, und die Schatten der riesengroßen Fichten und Buchen verfinsterten den schmalen Weg, auf dem die beiden wanderten. Der Zirkelschmied schritt wacker vorwärts und pfiff ein Lied, schwatzte auch zuweilen mit Munier, seinem Hund, und schien sich nicht viel darum zu kümmern, daß die Nacht nicht mehr fern, desto ferner aber die nächste Herberge sei. Aber Felix, der Goldarbeiter, sah sich oft ängstlich um. Wenn der Wind durch die Bäume rauschte, so war es ihm. als höre er Tritte hinter sich; wenn das Gesträuch am Wege hin- und herwankte und sich teilte, glaubte er Gesichter hinter den Büschen lauern zu sehen.

Der junge Goldschmied war sonst nicht abergläubisch oder mutlos. In Würzburg, wo er gelernt hatte, galt er unter seinen Kameraden für einen unerschrockenen Burschen, dem das Herz am rechten Fleck sitze; aber heute war ihm doch sonderbar zumut. Man hatte ihm vom Spessart so mancherlei erzählt. Eine große Räuberbande sollte dort ihr Wesen treiben, viele Reisende waren in den letzten Wochen geplündert worden, ja, man sprach sogar von einigen greulichen Mordgeschichten, die vor nicht langer Zeit dort vorgefallen seien. Da war ihm nun doch etwas bange für sein Leben; denn sie waren ja nur zu zwei und konnten gegen bewaffnete Räuber gar wenig ausrichten. Oft gereute es ihn, daß er dem Zirkelschmied gefolgt war, noch eine Station zu gehen, statt am Eingang des Waldes über Nacht zu bleiben.

Und wenn ich heute nacht tot geschlagen werde und um Leben und alles komme, was ich bei mir habe, so ist's nur



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deine Schuld, Zirkelschmied; denn du hast mich in den schrecklichen Wald hereingeschwätzt."

Sei kein Hasenfuß," erwiderte der andere. "ein rechter Handwerksbursche soll sich eigentlich gar nicht fürchten. Und was meinst du denn? Meinst du, die Herren Räuber im Spessart werden uns die Ehre antun, uns zu überfallen und totzuschlagen? Warum sollten sie sich diese Mühe geben? Etwa wegen meines Sonntagsrocks, den ich im Ranzen habe, oder wegen des Zehrpfennigs von einem Taler? Da muß man schon mit vieren fahren, in Gold und Seide gekleidet sein, wenn sie es der Mühe wert finden, einen totzuschlagen."

"Halt! hörst du nicht etwas pfeifen im Wald?" rief Felix ängstlich.

Das war der Wind, der um die Bäume pfeift; geh nur rasch vorwärts, lange kann es nicht mehr dauern."

"Ja, du hast gut reden wegen des Totschlagens," fuhr der Goldarbeiter fort. "Dich fragen sie, was du hast, durchsuchen dich und nehmen dir allenfalls den Sonntagsrock und den Gulden und dreißig Kreuzer; aber mich, mich schlagen sie gleich anfangs tot, nur weil ich Gold und Geschmeide mit mir sichre."

"Ei, warum sollten sie dich totschlagen deswegen? Kämen jetzt vier oder fünf dort aus dem Busch mit geladenen Büchsen, die sie auf uns anlegten, und fragten ganz höflich: ,Ihr Herren, was habt ihr bei euch?' und ,machet es euch bequem, wir wollen's euch tragen helfen,' und was dergleichen anmutige Redensarten sind, da wärest du wohl kein Tor, machtest dein Ränzchen auf und legtest die gelbe Weste, den blauen Rock. zwei Hemden und alle Halsbänder und Armbänder und Kämme, und was du sonst noch hast, höflich auf die Erde und bedanktest dich fürs Leben, das sie dir schenkten."

"So, meinst du?" entgegnete Felix sehr eifrig. "Den Schmuck für meine Frau Pathe, die liebe Frau Gräfin, soll ich hergehens Eher mein Leben; eher laß ich mich in kleine Stücke zerschneiden. Hat sie nicht Mutterstelle an mir vertreten und seit meinem zehnten Jahr mich aufziehen lassen? Hat sie nicht die Lehre für mich bezahlt und Kleider und alles? Und jetzt, da ich sie besuchen darf und etwas mitbringe von meiner eigenen Arbeit, das sie beim Meister bestellt hat, jetzt, da ich ihr an dem schönen Geschmeide zeigen könnte, was ich gelernt habe, jetzt soll ich das alles hergeben und die gelbe Weste dazu, die ich auch von ihr habe? Nein, lieber sterben, als daß ich den schlechten Menschen meiner Frau Pate Geschmeide gebe!"



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"Sei kein Narr !" rief der Zirkelschmied. "Wenn sie dich totschlagen, bekommt die Frau Gräfin den Schmuck dennoch nicht. Drum ist es besser, du gibst ihn her und erhältst dein Leben."

Felix antwortete nicht. Die Nacht war jetzt ganz heraufgekommen , und bei dem ungewissen Schein des Neumonds konnte man kaum auf fünf Schritte vor sich sehen. Er wurde immer ängstlicher, hielt sich näher an seinen Kameraden und war mit sich uneinig, ob er seine Reden und Beweise billigen sollte oder nicht. Noch eine Stunde beinahe waren sie fortgegangen, da erblickten sie in der Ferne ein Licht. Der junge Goldschmied meinte aber, man dürfe nicht trauen, vielleicht könnte es ein Räuberhaus sein; aber der Zirkelschmied belehrte ihn, daß die Räuber ihre Häuser oder Höhlen unter der Erde haben, und dies müsse das Wirtshaus sein, das ihnen ein Mann am Eingang des Waldes beschrieben.

Es war ein langes, aber niedriges Haus, ein Karren stand davor, und nebenan im Stalle hörte man Pferde wiehern. Der Zirkelschmied winkte seinen Gesellen an ein Fenster, dessen Laden geöffnet waren. Sie konnten, wenn sie sich auf die Zehen stellten, die Stube übersehen. Am Ofen in einem Armstuhl schlief ein Mann, der seiner Kleidung nach ein Fuhrmann und wohl auch der Herr des Karrens vor der Türe sein konnte. An der andern Seite des Ofens saß ein Weib und ein Mädchen und spannen. Hinter dem Tisch an der Wand saß ein Mensch, der, ein Glas Wein vor sich, den Kopf in die Hände gestützt hatte, so daß sie sein Gesicht nicht sehen konnten. Der Zirkelschmied aber wollte aus seiner Kleidung bemerken, daß es ein vornehmer Herr sein müsse.

Als sie so noch auf der Lauer standen, schlug ein Hund im Hause an. Munter, des Zirkelschmieds Hund, antwortete, und eine Magd erschien in der Türe und schaute nach den Fremden heraus.

Man versprach, ihnen Nachtessen und Betten geben zu können. Sie traten ein und legten die schweren Bündel, Stock und Hut in die Ecken und setzten sich zu dem Herrn am Tische. Dieser richtete sich bei ihrem Gruße auf, und sie erblickten einen feinen jungen Mann, der ihnen freundlich für ihren Gruß dankte.

"Ihr seid spät auf der Bahn," sagte er. "Habt ihr euch nicht gefürchtet, in so dunkler Nacht durch den Spessart zu reisen? Ich für meinen Teil habe lieber mein Pferd in dieser Schenke eingestellt, als daß ich nur noch eine Stunde weitergeritten wäre."

"Da habt Ihr allerdings recht gehabt, Herr!" erwiderte der Zirkelschmied. "Der hufschlag eines schönen Pferdes ist Musik



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in den Ohren dieses Gesindels und lockt sie auf eine Stunde weit. Aber wenn ein paar arme Bursche wie wir durch den Wald schleichen, Leute, welchen die Räuber eher selbst etwas schenken könnten, da heben sie keinen Fuß auf!"

"Das ist wohl wahr," entgegnete der Fuhrmann, der, durch die Ankunft der Fremden erweckt, auch an den Tisch getreten war; " einem armen Mann können sie nicht viel anhaben seines Geldes willen. Aber man hat Beispiele, daß sie arme Leute nur aus Mordlust niederstießen oder sie zwangen, unter die Bande zu treten und als Räuber zu dienen."

"Nun, wenn es so aussieht mit diesen Leuten im Wald," bemerkte der junge Goldschmied, "so wird uns wahrhaftig auch dieses Haus wenig Schutz gewähren. Wir sind nur zu vier und mit dem Hausknecht fünf; wenn es ihnen einfällt, zu zehn uns zu überfallen, was können wir gegen sie? Und überdies," setzte er leise und flüsternd hinzu, " wer steht uns dafür, daß diese Wirtsleute ehrlich sind ?"

"Da hat es gute Wege," erwiderte der Fuhrmann. . .Ich kenne diese Wirtschaft seit mehr als zehn Jahren und habe nie etwas Unrechtes darin verspürt. Der Mann ist selten zu Hause, man sagt, er treibe Weinhandel; die Frau aber ist eine stille Frau, die niemand Böses will; nein, dieser tut Ihr unrecht, Herr!"

"Und doch," nahm der junge vornehme Herr das Wort. doch möchte ich nicht so ganz verwerfen, was er gesagt. Erinnert euch an die Gerüchte von jenen Leuten, die in diesem Wald auf einmal spurlos verschwunden sind. Mehrere davon hatten vorher gesagt, sie würden in diesem Wirtshaus überdachten , und als man nach zwei oder drei Wochen nichts von ihnen vernahm, ihrem Weg nachforschte und auch hier im Wirtshause nachfragte, da soll nun keiner gesehen worden sein; verdächtig ist es doch."

"Weiß Gott," rief der Zirkelschmied, "da handelten wir ja vernünftiger, wenn wir unter dem nächsten Baum unser Nachtlager nähmen als hier in diesen vier Wänden, wo an kein Entspringen zu denken ist, wenn sie einmal die Türe besetzt haben; denn die Fenster sind vergittert."

Sie waren alle durch diese Reden nachdenklich geworden. Es schien gar nicht unwahrscheinlich, daß die Schenke im Wald, sei es gezwungen oder freiwillig, im Einverständnis mit den Räubern war. Die Nacht schien ihnen daher gefährlich; denn wie manche Sage hatten sie gehört von Wanderern. die man im Schlaf überfallen und gemordet hatte, und sollte es auch nicht an ihr Leben gehen, so war doch ein Teil der Gäste in



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der Waldschenke von so beschränkten Mitteln, daß ihnen ein Raub an einem Teil ihrer Habe sehr empfindlich gewesen wäre. Sie schauten verdrießlich und düster in ihre Gläser. Der junge Herr wünschte, auf seinem Roß durch ein sicheres, offenes Tal zu traben, der Zirkelschmied wünschte sich zwölf seiner handfesten Kameraden, mit Knütteln bewaffnet, als Leibgarde; Felix, der Goldarbeiter, trug bange mehr um den Schmuck seiner Wohltäterin als um sein Leben; der Fuhrmann aber, der einigemal den Rauch seiner Pfeife nachdenklich vor sich hingeblasen, sprach leise: "Ihr Herren, im Schlaf wenigstens sollen sie uns nicht überfallen. Ich für meinen Teil will, wenn nur noch einer mit mir hält, die ganze Nacht wach bleiben."

"Das will ich auch" — "Ich auch," riefen die drei übrigen. "Schlafen könnte ich doch nicht," setzte der junge Herr hinzu.

Nun, so wollen wir etwas treiben, daß wir wach bleiben," sagte der Fuhrmann; "ich denke, weil wir doch gerade zu vier sind, könnten wir Karten spielen; das hält wach und vertreibt die Zeit."

"Ich spiele niemals Karten," erwiderte der junge Herr, darum kann ich wenigstens nicht mithalten.

Und ich kenne die Karten gar nicht," setzte Felix hinzu.

Was können wir denn aber anfangen, wenn wir nicht spielen?" sprach der Zirkelschmied. "Singen? Das geht nicht und würde nur das Gesindel herbeilocken; einander Rätsel und Sprüche aufgeben zum Erraten? Das dauert auch nicht lange. Wißt ihr was? Wie wäre es, wenn wir uns etwas erzählten? Lustig oder ernsthaft, wahr oder erdacht, es hält doch wach und vertreibt die Zeit so gut wie Kartenspiel."

"Ich bin's zufrieden, wenn Ihr anfangen wollet," sagte der junge Herr lächelnd. "Ihr Herren vom Handwerk kommet in allen Ländern herum und könnt schon etwas erzählen; hat doch jede Stadt ihre eigenen Sagen und Geschichten."

"Ja, ja, man hört manches," erwiderte der Zirkelschmied, dafür studieren Herren wie Ihr fleißig in den Büchern, wo gar wundervolle Sachen geschrieben stehen; da wüßtet Ihr noch Klügeres und Schöneres zu erzählen als ein schlichter Handwerksbursche wie unsereiner. Mich müßte alles trügen, oder Ihr seid ein Student, ein Gelehrter.

"Ein Gelehrter nicht," lächelte der junge Herr, "wohl aber ein Student und will in den Ferien nach der Heimat reisen; doch was in unsern Büchern steht, eignet sich weniger zum Erzählen, als was Ihr hie und dort gehöret. Darum hebet immer an, wenn anders diese da gerne zuhören!"



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"Noch höher als Kartenspiel," erwiderte der Fuhrmann, gilt bei mir, wenn einer eine schöne Geschichte erzählt. Oft fahre ich auf der Landstraße lieber im elendesten Schritt und höre einem zu, der nebenhergeht und etwas Schönes erzählt; manchen habe ich schon im schlechten Wetter auf den Karren genommen, unter der Bedingung, daß er etwas erzähle, und einen Kameraden von mir habe ich, glaube ich, nur deswegen so lieb, weil er Geschichten weiß, die sieben Stunden lang und länger dauern."

"So geht es auch mir," setzte der junge Goldarbeiter hinzu, erzählen höre für mein Leben gerne, und mein Meister in Würzburg mußte mir die Bücher ordentlich verbieten. daß ich nicht zu viel Geschichten las und die Arbeit darüber vernachlässigte. Drum gib nur etwas Schönes preis, Zirkelschmied, ich weiß, du könntest erzählen von jetzt an, bis es Tag wird, ehe dein Vorrat ausginge."

Der Zirkelschmied trank, um sich zu seinem Vortrag zu stärken, und hub alsdann also an .


Die Sage vom Hirschgulden.

"In Oberschwaben stehen noch heutzutage die Mauern einer Burg, die einst die stattlichste der Gegend war, Hohenzollern. Sie erhebt sich auf einem runden, steilen Berg, und von ihrer schroffen Höhe sieht man weit und frei ins Land. So weit und noch viel weiter, als man diese Burg im Land umher sehen kann, ward das tapfere Geschlecht der Zollern gefürchtet, und ihren Namen kannte und ehrte man in allen deutschen Landen. Nun lebte vor vielen hundert Jahren, ich glaube, das Schießpulver war noch nicht einmal erfunden, auf dieser Feste ein Zollern, der von Natur ein sonderbarer Mensch war. Man konnte nicht sagen, daß er seine Untertanen hart gedrückt oder mit seinen Nachbarn in Fehde gelebt hätte; aber dennoch traute ihm niemand über den Weg ob seinem finsteren Auge, seiner krausen Stirne und seinem einsilbigen, mürrischen Wesen. Es gab wenige Leute außer dem Schloßgesinde, die ihn je hatten ordentlich sprechen hören wie andere Menschen; denn wenn er durch das Tal ritt, einer ihm begegnete und schnell die Mütze abnahm, sich hinstellte und sagte:

"Guten Abend, Herr Graf, heute ist es schön Wetter," so antwortete er: "Dummes Zeug," oder "Weiß schon." Hatte aber einer etwas nicht recht gemacht für ihn oder seine Rosse, begegnete ihm ein Bauer im Hohlweg mit dem Karren, daß er auf seinem Rappen nicht schnell genug vorüberkommen konnte. so entlud sich sein Ingrimm in einem Donner von Flüchen;



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doch hat man nie gehört, daß er bei solchen Gelegenheiten einen Bauer geschlagen hätte. In der Gegend aber hieß man ihn " das böse Wetter von Zollern" ,

Das böse Wetter von Zollern hatte eine Frau. die der Widerpart von ihm und so mild und freundlich war wie ein Maitag. Oft hat sie Leute, die ihr Eheherr durch harte Reden beleidigt hatte, durch freundliche Worte und ihre gütigen Blicke wieder mit ihm ausgesöhnt; den Armen aber tat sie Gutes. wo sie konnte, und ließ es sich nicht verdrießen, sogar im heißen Sommer oder im schrecklichsten Schneegestöber den steilen Berg herabzugehen, um arme Leute oder kranke Kinder zu besuchen. Begegnete ihr auf solchen Wegen der Graf, so sagte er mürrisch: "Weiß schon, dummes Zeug" und ritt weiter.

Manch andere Frau hätte dieses mürrische Wesen abgeschreckt oder eingeschüchtert; die eine hätte gedacht, was gehen mich die armen Leute an, wenn mein Herr sie für dummes Zeug hält f Die andere hätte vielleicht aus Stolz oder Unmut die Liebe gegen einen so mürrischen Gemahl erkalten lassen; doch nicht also Frau Hedwig von Zollern. Die liebte ihn nach wie vor, suchte mit ihrer schönen weißen Hand die Falten von seiner braunen Stirne zu streichen und liebte und ehrte ihn. Als aber nach Jahr und Tag der Himmel ein junges Gräflein zum Angebinde bescherte, liebte sie ihren Gatten nicht minder, indem sie ihrem Söhnlein dennoch alle Pflichten einer zärtlichen Mutter erzeigte. Drei Jahre lang vergingen, und der Graf von Zollern sah seinen Sohn nur alle Sonntage nach Tische, wo er ihm von der Amme dargereicht wurde. Er blickte ihn dann unverwandt an, brummte etwas in den Bart und gab ihn der Amme zurück. Als jedoch der Kleine "Vater" sagen konnte, schenkte der Graf der Amme einen Gulden, — dem Kinde machte er kein fröhlicher Gesicht.

An seinem dritten Geburtstag aber ließ der Graf seinem Sohn die ersten Höslein anziehen und kleidete ihn prächtig in Samt und Seide; dann befahl er, seinen Rappen und ein anderes schönes Roß vorzuführen, nahm den Kleinen auf den Arm und fing an, mit klirrenden Sporen die Wendeltreppe hinabzusteigen . Frau Hedwig erstaunte, als sie dies sah. Sie war sonst gewohnt, nicht zu fragen, wo aus und wann heim? wenn er ausritt; aber diesmal öffnete die Sorge um ihr Kind ihre Lippen. "Wollet Ihr ausreiten, Herr Graf?" sprach sie. — Er gab keine Antwort. "Wozu denn den Kleinen?" fragte sie weiter, Kuno wird mit mir spazieren gehen."

"Weiß schon," entgegnete das böse Wetter von Zollern und ging weiter, und als er im Hof stand, nahm er den Knaben



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bei einem Füßlein, hob ihn schnell in den Sattel, band ihn mit einem Tuch fest, schwang sich selbst auf den Rappen und trabte zum Burgtore hinaus, indem er den Zügel vom Rosse seines Söhnleins in die Hand nahm.

Dem Kleinen schien es anfangs großes Vergnügen zu gewähren, mit dem Vater den Berg hinabzureiten. Er klopfte in die Hände, er lachte und schüttelte sein Rößlein an den Mähnen, damit es schneller laufen sollte, und der Graf hatte seine Freude daran, rief auch einigemal: "Kannst ein wackerer Bursche werden."

Als sie aber in der Ebene angekommen waren und der Graf statt Schritt Trab anschlug, da vergingen dem Kleinen die Sinne erbat anfangs ganz bescheiden, sein Vater möchte langsamer reiten; als es aber immer schneller ging und der heftige Wind dem armen Kuno beinahe den Atem nahm, da fing er an, still zu weinen, wurde immer ungeduldiger und schrie am Ende aus Leibeskräften.

"Weiß schon, dummes Zeug !" fing jetzt sein Vater an. Heult der Junge beim ersten Ritt ; schweig, oder — — —" Doch den Augenblick. als er mit einem Fluche sein Söhnlein aufmuntern wollte, bäumte sich sein Roß; der Zügel des andern entfiel seiner Hand, er arbeitete sich ab, Meister seines Tieres zu werden. und als er es zur Ruhe gebracht hatte und sich ängstlich nach seinem Kind umsah, erblickte er dessen Pferd, wie es ledig und ohne den kleinen Reiter der Burg zulief.

So ein harter, finsterer Mann der Graf von Zollern sonst war, so überwand doch dieser Anblick sein Herz; er glaubte nicht anders, als sein Kind liege zerschmettert am Weg; er raufte sich den Bart und jammerte. Aber nirgends, so weit er zurückritt, sah er eine Spur von dem Knaben; schon stellte er sich vor, das scheu gewordene Roß habe ihn in einen Wassergraben geschleudert, der neben dem Wege lag. Da hörte er von einer Kinderstimme hinter sich seinen Namen rufen. und als er sich flugs umwandte sieh, da saß ein altes Weib unweit der Straße unter einem Baum und wiegte den Kleinen auf ihren Knien.

"Wie kömmst du zu dem Knaben, alte Hexe ?" schrie der Graf in großem Zorn; "sogleich bringe ihn heran zu mir !"

"Nicht so rasch, nicht so rasch, Euer Gnaden !" lachte die alte, häßliche Frau, " könntet sonst auch ein Unglück nehmen auf Eurem stolzen Roß! Wie ich zu dem Junkerlein kam, fragtet Ihr? Nun, sein Pferd ging durch, und er hing nur noch mit einem Füßchen angebunden, und das Haar streifte fast am Boden; da habe ich ihn aufgefangen in meiner Schürze,"



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"Weiß schon!" rief der Herr von Zollern unmutig, "gib ihn jetzt her; ich kann nicht wohl absteigen; das Roß ist wild und könnte ihn schlagen."

"Schenket mir einen Hirschgulden!" erwiderte die Frau, demütig bittend.

Dummes Zeug!" schrie der Graf und warf ihr einige Pfennige unter den Baum.

"Nein, einen Hirschgulden könnte ich gut brauchen," fuhr sie fort.

Was, Hirschgulden! Bist selbst keinen Hirschgulden wert!" eiferte der Graf. "Schnell das Kind her, oder ich hetze die Hunde auf dich !"

"So? Bin ich keinen Hirschgulden wert?" antwortete jene mit höhnischem Lächeln. "Na, man wird ja sehen, was von Eurem Erbe einen Hirschgulden wert ist; aber da, die Pfennige behaltet für Euch !" Indem sie dies sagte, warf sie die drei kleinen Kupferstücke dem Grafen zu, und so gut konnte die Alte werfen, daß alle drei ganz gerade in den kleinen Lederbeutel fielen, den der Graf noch in der Hand hielt.

Der Graf wußte einige Minuten vor Staunen über diese wunderbare Geschicklichkeit kein Wort hervorzubringen; endlich aber löste sich sein Staunen in Wut auf. Er faßte seine Büchse, spannte den Hahn und zielte dann auf die Alte. Diese herzte und küßte ganz ruhig den kleinen Grafen, indem sie ihn so vor sich hin hielt, daß ihn die Kugel zuerst hätte treffen müssen. "Bist ein guter, frommer Junge," sprach sie, "bleibe nur so, und es wird dir nicht fehlen." Dann ließ sie ihn los, dräute dem Grafen mit dem Finger: "Zollern, Zollern, den Hirschgulden bleibt Ihr mir noch schuldig," rief sie und schlich, unbekümmert um die Schimpfworte des Grafen, an einem Buchsbaumstäbchen in den Wald. Konrad. der Knappe, aber stieg zitternd von seinem Roß, hob das Herrlein in den Sattel, schwang sich hinter ihm auf und ritt seinem Gebieter nach, den Schloßberg hinauf.

Es war dies das erste und letztemal gewesen, daß das böse Wetter von Zollern sein Söhnlein mitnahm zum Spazierenreiten; denn er hielt ihn, weil er geweint und geschrien, als die Pferde im Trab gingen, für einen weichlichen Jungen, aus dem nicht viel Gutes zu machen sei, sah ihn nur mit Unlust an, und so oft der Knabe, der seinen Vater herzlich liebte, schmeichelnd und freundlich zu seinen Knien kam, winkte er ihm, fortzugehen und rief: "Weiß schon, dummes Zeug!" Frau Hedwig hatte alle bösen Launen ihres Gemahls gerne getragen; aber dieses unfreundliche Benehmen gegen das unschuldige Kind kränkte sie tief;



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sie erkrankte mehrere Male aus Schrecken, wenn der finstere Graf den Kleinen wegen irgendeines geringen Fehlers hart abgestraft hatte, und starb endlich in ihren besten Jahren, von ihrem Gesinde und der ganzen Umgegend, am schmerzlichsten aber von ihrem Sohn beweint.

Von jetzt an wandte sich der Sinn des Grafen nur noch mehr von dem Kleinen ab; er gab ihn seiner Amme und dem Hauskaplan zur Erziehung und sah nicht viel nach ihm um, besonders, da er bald darauf wieder ein reiches Fräulein heiratete, die ihm nach Jahresfrist Zwillinge, zwei junge Gräflein, schenkte.

Kunos liebster Spaziergang war zu dem alten Weiblein, die ihm einst das Leben gerettet hatte. Sie erzählte ihm immer vieles von seiner verstorbenen Mutter, und wie viel Gutes diese an ihr getan habe. Die Knechte und Mägde warnten ihn oft, er solle nicht so viel zu der Frau Feldheimerin, so hieß die Alte, gehen, weil sie nichts mehr und nichts weniger als eine Hexe sei; aber der Kleine fürchtete sich nicht; denn der Schloßkaplan hatte ihn gelehrt, daß es keine Hexen gebe, und daß die Sage, daß gewisse Frauen zaubern können und auf der Ofengabel durch die Luft und auf den Brocken reiten, erlogen sei. Zwar sah er bei der Frau Feldheimerin allerlei Dinge, die er nicht begreifen konnte; des Kunststückchens mit den drei Pfennigen, die sie seinem Vater so geschickt in den Beutel geworfen, erinnerte er sich noch ganz wohl, auch konnte sie allerhand künstliche Salben und Tränklein bereiten, womit sie Menschen und Vieh heilte; aber das war nicht wahr, was man ihr nachsagte, daß sie eine Wetterpfanne habe, und wenn sie diese über das Feuer hänge, komme ein schreckliches Donnerwetter. Sie lehrte den kleinen Grafen mancherlei, was ihm nützlich war, zum Beispiel allerlei Mittel für kranke Pferde, einen Trank gegen die Hundswut, eine Lockspeise für Fische und viele andere nützliche Sachen. Die Frau Feldheimerin war auch bald seine einzige Gesellschaft; denn seine Amme starb, und seine Stiefmutter kümmerte sich nicht um ihn.

Als seine Brüder nach und nach heranwuchsen, hatte Kuno ein noch traurigeres Leben als zuvor ; sie hatten das Glück, beim ersten Ritt nicht vom Pferd zu stürzen, und das böse Wetter von Zollern hielt sie daher für ganz vernünftige und taugliche Jungen, liebte sie ausschließlich, ritt alle Tage mit ihnen aus und lehrte sie alles, was er selbst verstand. Da lernten sie aber nicht viel Gutes ; Lesen und Schreiben konnte er selbst nicht, und seine beiden trefflichen Söhne sollten sich auch nicht die Zeit damit verderben ; aber schon in ihrem zehnten Jahre konnten sie so gräßlich fluchen als ihr Vater, fingen mit jedem Händel an, vertrugen



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sich unter sich selbst so schlecht wie ein Hund und Kater, und nur wenn sie gegen Kuno einen Streich verüben wollten, verbanden sie sich und wurden Freunde.

Ihrer Mutter machte dies nicht viel Kummer; denn sie hielt es für gesund und kräftig, wenn sich die Jungen balgten; aber dem alten Grafen sagte es eines Tags ein Diener, und er antwortete zwar: "Weiß schon, dummes Zeug!" nahm sich aber dennoch vor, für die Zukunft auf ein Mittel zu sinnen, daß sich seine Söhne nicht gegenseitig totschlugen; denn die Drohung der Frau Feldheimerin, die er in seinem Herzen für eine ausgemachte Hexe hielt: "Na, man wird ja sehen, was von Eurem Erbe einen Hirschgulden wert ist" , — lag ihm noch immer in seinem Sinn. Eines Tages, da er in der Umgegend seines Schlosses jagte, fielen ihm zwei Berge ins Auge, die ihrer Form wegen wie zu Schlössern geschaffen schienen, und sogleich beschloß er auch, dort zu bauen. Er baute auf dem einen das Schloß Schalksberg, das er nach dem kleinern der Zwillinge so nannte, weil dieser wegen allerlei böser Streiche längst von ihm den Namen "kleiner Schalk" erhalten hatte; das andere Schloß, das er baute, wollte er anfänglich Hirschguldenberg nennen. um die Hexe zu verhöhnen, weil sie sein Erbe nicht einmal eines Hirschguldens wert achtete; er ließ es aber bei dem einfacheren Hirschberg bewenden, und so heißen die beiden Berge noch bis auf den heutigen Tag, und wer die Alb bereist, kann sie sich zeigen lassen.

Das böse Wetter von Zollern Batie anfänglich im Sinn, seinem ältesten Sohn Zollern, dem kleinen Schalk Schalksberg und dem andern Hirschberg im Testament zu vermachen; aber seine Frau ruhte nicht eher, bis er es änderte. "Der dumme Kuno," so nannte sie den armen Knaben, weil er nicht so wild und ausgelassen war wie ihre Söhne, " der dumme Kuno ist ohnedies reich genug durch das, was er von seiner Mutter erbte, und er soll auch noch das schöne, reiche Zollern haben? Und meine Söhne sollen nichts bekommen, als jeder eine Burg, zu welcher nichts gehört als Wald?"

Vergebens stellte ihr der Graf vor, daß man Kuno billigerweise das Erstgeburtsrecht nicht rauben dürfe; sie weinte und zankte so lange, bis das böse Wetter, das sonst niemand sich fügte, des lieben Friedens willen nachgab und im Testament dem kleinen Schalk Schalksberg, Wolf, dem größeren Zwillingsbruder, Zollern und Kuno Hirschberg mit dem Städtchen Balingen verschrieb. Bald darauf, nachdem er also verfügt hatte, fiel er auch in eine schwere Krankheit. Zu dem Arzt, der ihm sagte, daß er sterben müsse, sagte er: "Ich weiß schon," und dem Schloßkaplan, der



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ihn ermahnte, sich zu einem frommen Ende vorzubereiten, antwortete er: "Dummes Zeug," fluchte und raste fort und starb, wie er gelebt hatte, roh und als ein großer Sünder.

Aber sein Leichnam war noch nicht beigesetzt, so kam die Frau Gräfin schon mit dem Testament herbei, sagte zu Kuno, ihrem Stiefsohn, spöttisch, er möchte jetzt seine Gelehrsamkeit beweisen und selbst nachlesen, was im Testament stehe, nämlich, daß er in Zollern nichts mehr zu tun habe, und freute sich mit ihren Söhnen über das schöne Vermögen und die beiden Schlösser, die sie ihm, dem Erstgeborenen, entrissen hatten.

Kuno fügte sich ohne Murren in den Willen des Verstorbenen; aber mit Tränen nahm er Abschied von der Burg, wo er geboren worden, wo seine gute Mutter begraben lag und wo der gute Schloßkaplan und nahe dabei seine einzige alte Freundin, Frau Feldheimerin, wohnte. Das Schloß Hirschberg war zwar ein schönes, stattliches Gebäude, aber es war ihm doch zu einsam und öde; und er wäre bald krank vor Sehnsucht nach Hohenzollern geworden.

Die Gräfin und die Zwillingsbrüder, die jetzt achtzehn Jahre alt waren, saßen eines Abends auf dem Söller und schauten den Schloßberg hinab; da gewahrten sie einen stattlichen Ritter. der zu Pferde heraufritt und dem eine prachtvolle Sänfte, von zwei Maultieren getragen, und mehrere Knechte folgten. Sie rieten lange hin und her, wer es wohl sein möchte; da rief endlich der kleine Schalk: "Si, das ist niemand anders als unser Herr Bruder von Hirschberg."

"Der dumme Kuno?" sprach die Frau Gräfin verwundert. Ei, der wird uns die Ehre antun, uns zu sich einzuladen, und die schöne Sänfte hat er für mich mitgebracht, um mich abzuholen nach Hirschberg; nein, so viel Güte und Lebensart hätte ich meinem Herrn Sohn, dem dummen Kuno, nicht zugetraut; eine Höflichkeit ist der andern wert, lasset uns hinabsteigen an das Schloßtor, ihn zu empfangen; macht auch freundliche Gesichter, vielleicht schenkt er uns in Hirschberg etwas, dir ein Pferd und dir einen Harnisch, und den Schmuck seiner Mutter hätte ich schon lange gerne gehabt."

"Geschenkt mag ich nichts von dem dummen Kuno," antwortete Wolf, "und ein gutes Gesicht mach' ich ihm auch nicht. Aber unserem seligen Herrn Vater könnte er meinetwegen bald folgen; dann würden wir Hirschberg erben und alles, und Euch, Frau Mutter, wollten wir den Schmuck um billigen Preis ablassen."



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"So, du Range!" eiferte die Mutter, "abkaufen soll ich euch den Schmuck? Ist das der Dank dafür, daß ich euch Zollern verschafft habe? Kleiner Schalk, nicht wahr, ich soll den Schmuck umsonst haben?"

Umsonst ist der Tod, Frau Mutter!" erwiderte der Sohn lachend, "und wenn es wahr ist, daß der Schmuck so viel were ist als manches Schloß, so werden wir wohl nicht die Toren sein, ihn Euch um den Hals zu hängen. Sobald Kuno die Augen schließt, reiten wir hinunter, teilen ab, und meinen Part am Schmuck verkaufe ich. Gebt Ihr dann mehr als der Jude, Frau Mutter, so sollt Ihr ihn haben,"

Sie Waren unter diesem Gespräch bis unter das Schloßtor gekommen, und mit Mühe zwang sich die Frau Gräfin, ihren Grimm über den Schmuck zu unterdrücken; denn soeben ritt Graf Kuno über die Zugbrücke. Als er seiner Stiefmutter und seiner Brüder ansichtig wurde, hielt er sein Pferd an, stieg ab und grüßte sie höflich. Denn obgleich sie ihm viel Leids angetan, bedachte er doch, daß es seine Brüder seien und daß diese böse Frau sein Vater geliebt hatte.

"Ei, das ist ja schön, daß der Herr Sohn uns auch besucht," sagte die Frau Gräfin mit süßer Stimme und huldreichem Lächeln. Wie geht es denn auf Hirschberg? Kann man sich dort eingewöhnen? Und gar eine Sänfte hat man sich angeschafft? Ei, und wie prächtig, es dürfte sich keine Kaiserin daran schämen; nun wird wohl auch die Hausfrau nicht mehr lange fehlen, daß sie darin im Lande umherreist."

"Habe bis jetzt noch nicht daran gedacht, gnädige Frau Mutter," erwiderte Kuno, "will mir deswegen andere Gesellschaft zur Unterhaltung ins Haus nehmen und bin deswegen mit der Sänfte hieher gereist."

"EI, Ihr seid gar gütig und besorgt," unterbrach ihn die Dame, indem sie sich verneigte und lächelte.

"Denn er kommt doch nicht mehr gut zu Pferde fort," sprach Kuno ganz ruhig weiter, " der Pater Joseph nämlich, der Schloßkaplan . Ich will ihn zu mir nehmen, er ist mein alter Lehrer, und wir haben es so abgemacht, als ich Zollern verließ. Will auch unten am Berge die alte Frau Feldheimerin mitnehmen. Lieber Gott! sie ist jetzt steinalt und hat mir einst das Leben gerettet, als ich zum erstenmal ausritt mit meinem seligen Vater; habe ja Zimmer genug in Hirschberg, und dort soll sie absterben." Er sprach es und ging durch den Hof, um den Pater Schloßkaplan zu holen.

Aber der Junker Wolf biß vor Grimm die Lippen zusammen, die Frau Gräfin wurde gelb vor Ärger, und der kleine Schalk



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lachte laut auf. "Was gebt Ihr mir für meinen Gaul, den ich von ihm geschenkt kriege?" sagte er. "Bruder Wolf, gib mir deinen Harnisch, den er dir gegeben, dafür! Hal hai ha! den Pater und die alte Hexe will er zu sich nehmen? Das ist ein schönes Paar, da kann er nun vormittags Griechisch lernen beim Kaplan und nachmittags Unterricht im Hexen nehmen bei der Frau Feldheimerin. Ei. was macht doch der dumme Kuno für Streiche!"

"Er ist ein ganz gemeiner Mensch," erwiderte die Frau Gräfin, "und du solltest nicht darüber lachen, kleiner Schalk; das ist eine Schande für die ganze Familie, und man muß sich ja schämen vor der ganzen Umgegend, wenn es heißt, der Graf von Zollern hat die alte Hexe, die Feldheimerin, abgeholt in einer prachtvollen Sänfte und Maulesel dabei und läßt sie bei sich wohnen. Das hat er von seiner Mutter, die war auch immer so gemein mit Kranken und schlechtem Gesindel. Ach, sein Vater würde sich im Sarg wenden, wüßte er es."

"Ja," setzte der kleine Schalk hinzu, "der Vater würde noch in der Gruft sagen: ,Weiß schon, dummes Zeug!"

"Wahrhaftig, da kommt erinit dem alten Manne und schämt sich nicht, ihn selbst unter dem Arm zu führen," rief die Frau Gräfin mit Entsetzen, "kommt, ich will ihm nicht mehr begegnen."

Sie entfernten sich, und Kuno geleitete seinen alten Lehrer bis an die Brücke und half ihm selbst in die Sänfte; unten aber am Berg hielt er vor der Hütte der Frau Feldheimerin und fand sie schon fertig, mit einem Bündel voll Gläschen und Töpfchen und Tränklein und anderem Geräte nebst ihrem Buchsbaumstöcklein, einzusteigen. —

Es kam übrigens nicht also, wie die Frau Gräfin von Zollern in ihrem bösen Sinn hatte voraussehen wollen. In der ganzen Umgegend wunderte man sich nicht über Ritter Kuno. Man fand es schön und löblich, daß er die letzten Tage der alten Frau Feldheimerin aufheitern wollte, man Pries ihn als einen frommen Herrn, weil erden alten Pater Joseph in sein Schloß aufgenommen hatte. Die einzigen, die ihm gram waren und auf ihn schmähten, waren seine Brüder und die Gräfin. Aber nur zu ihrem eigenen Schaden; denn man nahm allgemein ein Ärgernis an so unnatürlichen Brüdern, und zur Wiedervergeltung ging die Sage, daß sie mit ihrer Mutter schlecht und in beständigem Hader leben und unter sich selbst sich alles Mögliche zu leide tun. Graf Kuno von Zollern-Hirschberg machte mehrere Versuche, seine Brüder mit sich auszusöhnen; denn es war ihm unerträglich, wenn sie oft an seiner Feste vorbeiritten, aber nie einsprachen,



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wenn sie ihm in Wald und Feld begegneten und ihn kälter begrüßten als einen Landfremden. Aber seine Versuche schlugen fehl, und er wurde noch überdies von ihnen verhöhnt. Eines Tages fiel ihm noch ein Mittel ein. wie er vielleicht ihre Herzen gewinnen könnte; denn er wußte, sie waren geizig und habgierig. Es lag ein Teich zwischen den drei Schlössern, beinahe in der Mitte, jedoch so, daß er noch in Kunos Revier gehörte. In diesem Teich befanden sich aber die besten Hechte und Karpfen der ganzen Umgegend, und es war für die Brüder, die gerne fischten, ein nicht geringer Verdruß, daß ihr Vater vergessen hatte, den Teich auf ihr Teil zu schreiben. Sie waren zu stolz, um ohne Vorwissen ihres Bruders dort zu fischen, und doch mochten sie ihm auch kein gutes Wort geben, daß er es ihnen erlauben möchte. Nun kannte er aber seine Brüder, daß ihnen der Teich am Herzen liege; er lud sie daher eines Tages ein, mit ihm dort zusammenzukommen.

Es war ein schöner Frühlingsmorgen, als beinahe in demselben Augenblick die drei Brüder von den drei Burgen dort zusammenkamen . "Ei, sieh da !" rief der kleine Schalk, "das trifft sich ordentlich! Ich bin mit Schlag sieben Uhr von Schalksberg weggeritten."

"Ich auch — und ich," — antworteten die Brüder vom Hirschberg und vom Zollern.

Nun, da muß der Teich hier gerade in der Mitte liegen," fuhr der Kleine fort. " Es ist ein schönes Wasser."

"Ja, und eben darum habe euch hieher beschieden. Ich weiß, ihr seid beide große Freunde vom Fischen, und ob ich gleich auch zuweilen gerne die Angel auswerfe, so hat doch der Weiher Fische genug für drei Schlösser, und an seinen Ufern ist Platz genug für drei, selbst wenn wir alle auf einmal zu angeln kämen. Darum will ich von heute an, daß dieses Wasser Gemeingut für uns sei, und jeder von euch soll gleiche Rechte daran haben wie ich."

"Ei, der Herr Bruder ist ja gewaltig gnädig gesinnt," sprach der kleine Schalk mit höhnischem Lächeln, "gibt uns wahrhaftig sechs Morgen Wasser und ein paar hundert Fischlein! Nu — und was werden wir dagegen geben müssen? Denn umsonst ist der Tod !"

"Umsonst sollt ihr ihn haben," sagte Kuno. "Ach ! ich möchte euch ja nur zuweilen an diesem Teich sehen und sprechen. Sind wir doch eines Vaters Söhne.

"Nein!" erwiderte der vom Schalksberg, "das ginge schon nicht; denn es ist nichts Einfältigeres, als in Gesellschaft zu



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usgen, es verjagt immer einer dem andern die Fische. Wollen wir ahn Tage ausmalen, etwa Montag und Donnerstag du, Kuno, Dienstag und Freitag Wolf, Mittwoch und Sonnabend ich — so ist es mir ganz recht."

"Mir nicht einmal dann," rief der finstere Wolf. "Geschenkt will ich nichts haben und will auch mit niemand teilen. Du hast recht, Kuno, daß du uns den Weiher anbietest; denn wir haben eigentlich alle drei gleichen Anteil daran; aber lasset uns darum würfeln, wer ihn in Zukunft besitzen soll; werde ich glücklicher sein als ihr, so könnt ihr immer bei mir anfragen, ob ihr fischen dürfet."

"Ich würfle nie," entgegnete Kuno, traurig über die Verstocktheit seiner Brüder.

Ja, freilich," lachte der kleine Schalk, " er ist ja gar fromm und gottesfürchtig, der Herr Bruder, und hält das Würfelspiel für eine Todsünde. Aber ich will euch was anders vorschlagen, woran sich der frömmste Klausner nicht schämen dürfte. Wir wollen uns Angelschnüre und Haken holen; und wer diesen Morgen, bis die Glocke in Zollern zwölf Uhr schlägt, die meisten Fische angelt, soll den Weiher eigen haben."

"Ich bin eigentlich ein Tor," sagte Kuno, " um das noch zu kämpfen, was mir mit Recht als Erbe zugehört. Aber damit ihr sehet, daß es mir mit der Teilung Ernst war, will ich mein Fischgeräte holen."

Sie ritten heim, jeder nach seinem Schloß. Die Zwillinge schickten in aller Eile ihre Diener aus, ließen alle alten Steine aufheben, um Würmer zur Lockspeise für die Fische im Teich zu finden; Kuno aber nahm sein gewöhnliches Angelzeug und die Speise, die ihn einst Frau Feldheimerin zubereiten gelehrt, und war der erste. der wieder auf dein Platz erschien. Er ließ, als die beiden Zwillinge kamen, diese die besten und bequemsten Stellen auswählen und warf dann selbst eine Angel aus. Da war es, als ob die Fische in ihm den Herrn des Teichs erkannt hätten. Ganze Züge von Karpfen und Hechten zogen heran und wimmelten um seine Angel; die ältesten und größten drängten die kleinen weg, jeden Augenblick zog er einen heraus, und wenn er die Angel wieder ins Wasser warf, sperrten schon zwanzig, dreißig die Mäuler auf, um an den spitzigen Haken anzubeißen. Es hatte noch nicht zwei Stunden gedauert, so lag der Boden um ihn her voll der schönsten Fische. Da hörte er auf zu fischen und ging zu seinen Brüdern, um zu sehen, was für Geschäfte sie machten. Der kleine Schalk hatte einen kleinen Karpfen und zwei elende Weißfische, Wolf drei Barben



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und zwei Seine Gründlinge, und beide schauten trübselig in den Teich; denn sie konnten die ungeheure Menge, die Kuno gefangen, gar wohl von ihrem Platze aus bemerken. Als Kuno an seinen Bruder Wolf herankam, sprang dieser halbwütend auf, zerriß die Angelschnur, brach die Rute in Stücke und warf sie in den Teich. "Ich wollte, es wären tausend Haken, die ich hineinwerfe, statt des einen, und an jedem müßte eine von diesen Kreaturen zappeln," rief er; " aber mit rechten Dingen geht es nimmer zu, es ist ein Zauberspiel und Hexenwerk. Wie solltest du denn, dummer Kuno, mehr Fische fangen in einer Stunde als ich in einem Jahr?"

"Ja, ja, jetzt erinnere ich mich," fuhr der kleine Schalk fort, "bei der Frau Feldheimerin, bei der schnöden Hexe, hat er das Fischen gelernt, und wir waren Toren, mit ihm zu fischen; er wird doch bald Hexenmeister werden."

"Ihr schlechten Menschen!" entgegnete Kuno unmutig. Diesen Morgen habe ich hinlänglich Zeit gehabt, euren Geiz, eure Unverschämtheit und eure Roheit einzusehen. Gehet jetzt und kommet nie wieder hierher und glaubet mir, es wäre für eure Seelen besser, wenn ihr nur halb so fromm und gut wäret als jene Frau, die ihr eine Hexe scheltet."

"Nein, eine eigentliche Hexe ist sie nicht!" sagte der Schalk, spöttisch lachend. "Solche Weiber können wahrsagen; aber Frau Feldheimerin ist so wenig eine Wahrsagerin, als eine Gans ein Schwan werden kann. Hat sie doch dem Vater gesagt, von seinem Erbe werde man einen guten Teil um einen Hirschgulden kaufen können, das heißt, er werde ganz verlumpen, und doch hat bei seinem Tod alles ihm gehört, so weit man von der Zinne von Zollern sehen kann! Geh, geh, Frau Feldheimerin ist nichts als ein törichtes altes Weib, und du — der dumme Kuno."

Nach diesen Worten entfernte sich der Kleine eilig; denn er fürchtete den starken Arm seines Bruders, und Wolf folgte ihm, indem er alle Flüche hersagte, die er von seinem Vater gelernt hatte.

In tiefster Seele betrübt, ging Kuno nach Hause; denn er sah jetzt deutlich, daß seine Brüder nie mehr mit ihm sich vertragen wollten. Er nahm sich auch ihre harten Worte so sehr zu Herzen, daß er des andern Tages sehr krank wurde, und nur der Trost des würdigen Pater Joseph und die kräftigen Tränklein der Frau Feldheimerin retteten ihn vom Tode.

Als aber seine Brüder erfuhren, daß ihr Bruder Kuno schwer darniederliege, hielten sie ein fröhliches Bankett, und im Weinmar sagten sie sich zu, wenn der dumme Kuno sterbe, so



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solle der, welcher es zuerst erfahre, alle Kanonen lösen, um es dem andern anzuzeigen, und wer zuerst kanoniere, solle das beste Faß Wein aus Kunos Keller vorweg nehmen dürfen. Wolf ließ nun von da an immer einen Diener in der Nähe von Hirschberg Wache halten, und der kleine Schalt bestach sogar einen Diener Kunos mit vielem Geld, damit er es ihm schnell anzeige, wenn sein Herr in den letzten Zügen liege.

Dieser Knecht aber war seinem milden und frommen Herrn mehr zugetan als dem bösen Grafen von Schalksberg. Er fragte also eines Abends Frau Feldheimerin teilnehmend nach dem Befinden seines Herrn, und als diese sagte, daß es ganz gut mit ihm stehe, erzählte er ihr den Anschlag der beiden Brüder und daß sie Freudenschüsse tun wollten auf des Grafen Kunos Tod. Darüber ergrimmte die Alte sehr. Sie erzählte es flugs wieder dem Grafen, und als dieser an eine so große Lieblosigkeit seiner Brüder nicht glauben wollte, so riet sie ihm, er solle die Probe machen und aussprengen lassen, er sei tot, so werde man bald hören, ob sie kanonieren, ob nicht. Der Graf ließ den Diener, den sein Bruder bestochen, vor sich kommen, befragte ihn nochmals und befahl ihm, nach Schalksberg zu reiten und sein nahes Ende zu verkünden.

Als nun der Knecht eilends den Hirschberg herabritt, sah ihn der Diener des Grafen Wolf von Zollern, hielt ihn an und fragte, wohin er so eilends zu reiten willens sei. "Ach," sagte dieser, "mein armer Herr wird diesen Abend nicht überleben, sie haben ihn alle aufgegeben."

"So? ist's um diese Zeit?" rief jener, lief nach seinem Pferd, schwang sich auf und jagte so eilends nach Zollern und den Schloßberg hinan, daß sein Pferd am Tore niederfiel und er selbst nur noch "Graf Kuno stirbt!" rufen konnte, ehe er ohnmächtig wurde. Da donnerten die Kanonen von Hohenzollern herab; Graf Wolf freute sich mit seiner Mutter über das gute Faß Wein und das Erbe, den Teich, über den Schmuck und den starken Widerhall, den seine Kanonen gaben. Aber was er für Widerhall gehalten. waren die Kanonen von Schalk berg, und Wolf sagte lächelnd zu seiner Mutter : "So hat der kleine auch einen Spion gehabt, und wir müssen auch den Wein gleich teilen wie das übrige Erbe." Dann aber saß er zu Pferde; denn er argwöhnte, der kleine Schalk möchte ihm zuvorkommen und vielleicht einige Kostbarkeiten des Verstorbenen wegnehmen, ehe er käme.

Aber am Fischteiche begegneten sich die beiden Brüder, und jeder errötete vor dem andern, weil beide zuerst nach Hirschberg



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hatten kommen wollen. Von Kuno sprachen sie kain Wort. als sie zusammen ihren Weg fortsetzten, sondern sie berieten sich, brüderlich, wie man es in Zukunft halten wolle und wem Hirschberg gehören solle. Wie sie aber über die Zugbrücke in den Schloßhof ritten, da schaute ihr Bruder wohlbehalten und gesund zum Fenster heraus; aber Zorn und Unmut sprühten aus seinen Blicken. Die Brüder erschraken sehr, als sie ihn sahen, hielten ihn anfänglich für ein Gespenst und bekreuzten sich; als sie aber sahen, daß er noch Fleisch und Blut habe, rief Wolf: "Ei, so wollt' ich doch! Dummes Zeug, ich glaubte, du wärest gestorben."

"Nun, aufgeschoben ist nicht aufgehoben," sagte der Kleine, der mit giftigen Blicken nach seinem Bruder hinaufschaute.

Dieser aber sprach mit donnernder Stimme: "Von dieser Stunde an sind alle Bande der Verwandtschaft zwischen uns los und ledig. Ich habe eure Freudenschüsse wohl vernommen; aber sehet zu, auch ich habe fünf Feldschlangen hier auf dem Hof stehen und habe sie euch zu Ehren scharf laden lassen. Machet, daß ihr aus dem Bereich meiner Kugeln kommt, oder ihr sollt erfahren, wie man auf Hirschberg schießt." Sie ließen es sich nicht zweimal sagen; denn sie sahen ihm an, wie ernst es ihm war; sie gaben also ihren Pferden die Sporen und hielten einen Wettlauf den Berg hinunter, und ihr Bruder schoß eine Stückkugel hinter ihnen her, die über ihren Köpfen wegsauste, daß sie beide zugleich eine tiefe und höfliche Verbeugung machten; er wollte sie aber nur schrecken und nicht verwunden. "Warum hast du denn geschossen?" fragte der kleine Schalk unmutig. "Du Tor, ich schoß nur, wail ich dich hörte."

"Im Gegenteil, frag' nur die Mutter !" erwiderte Wolf. Du warst es, der zuerst schoß, und du hast diese Schande über uns gebracht, Seiner Dachs."

Der Kleine blieb ihm keinen Ehrentitel schuldig, und als sie am Fischteich angekommen waren, gaben sie sich gegenseitig noch die vom alten Wetter von Zollern geerbten Flüche zum besten und trennten sich in Haß und Unlust.

Tags darauf aber machte Kuno sein Testament, und Frau Feldheimerin sagte zum Pater: "Ich wollte was wetten, er hat keinen guten Brief für die Kanoniere geschrieben." Aber so neugierig sie war und so oft si; in ihren Liebling drang, er sagte ihr nicht, was im Testament stehe, und sie erfuhr es auch nimmer; denn ein Jahr nachher verschied die gute Frau, und ihre Salben und Tränklein halfen ihr nichts; dann sie starb an keiner Krankheit, sondern am achtundneunzigsten Jahr, das



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auch einen ganz gesunden Menschen endlich unter den Boden bringen kann. Graf Kuno ließ sie bestatten, als ob sie nicht eine arme Frau, sondern seine Mutter gewesen wäre, und es kam ihm nachher noch viel einsamer vor auf seinem Schloß, besonders da der Pater Joseph der Frau Feldheimerin bald ; folgte.

Doch diese Einsamkeit fühlte er nicht sehr lange; der gute Kuno starb schon in seinem achtundzwanzigsten Jahr, und böse Leute behaupteten an Gift, das ihm der kleine Schalk beigebracht hatte.

Wie dem aber auch sei, einige Stunden nach seinem Tod vernahm man wieder den Donner der Kanonen, und in Zollern und Schalksberg tat man fünfundzwanzig Schüsse. "Diesmal hat er doch dran glauben müssen," sagte der Schalk, als sie unterwegs zusammentrafen.

"Ja," antwortete Wolf, " und wenn er noch einmal aufersteht und zum Fenster herausschimpft wie damals, so hab' ich eine Büchse bei mir, die ihn höflich und stumm machen soll."

Als sie den Schloßberg hinanritten, gesellte sich ein Reiter mit Gefolge zu ihnen, den sie nicht kannten. Sie glaubten, es sei vielleicht ein Freund ihres Bruders und komme, um ihn beisetzen zu helfen. Daher gebärdeten sie sich kläglich, priesen vor ihm den Verstorbenen, beklagten sein frühes Hinscheiden, und der kleine Schalk preßte sich sogar einige Krokodilstränen aus. Der Ritter antwortete ihnen aber nicht, sondern ritt still und stumm an ihrer Seite den Hirschberg hinauf. "So, jetzt wollen wir es uns bequem machen, und Wein herbei, Kellermeister , vom besten!" rief Wolf, als er abstieg. Sie gingen die Wendeltreppe hinauf und in den Saal; auch dahin folgte ihnen der stumme Reiter, und als sich die Zwillinge ganz breit an den Tisch gesetzt hatten, zog jener ein Silberstück aus dem Wams, warf es auf den Schiefertisch, daß es umherrollte und klingelte, und sprach: "So, und da habt ihr jetzt euer Erbe, und es wird tust recht sein, ein Hirschgulden." Da sahen sich die beiden Brüder verwundert an, lachten und fragten ihn, was er damit sagen wolle.

Der Ritter aber zog ein Pergament hervor, mit hinlänglichen Siegeln; darin hatte der dumme Kuno alle Feindseligkeiten aufgezeichnet, die ihm die Brüder bei seinen Lebzeiten bewiesen, und am Ende hatte er verordnet und bekannt, daß sein ganzes Erbe, Hab und Gut, außer dem Schmuck seiner seligen Frau Mutter, auf den Fall seines Todes an Württemberg verkauft sei, und zwar — um einen elenden Hirschgulden!



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Um den Schmuck aber solle man in der Stadt Balingen ein Armenhaus erbauen.

Da erstaunten nun die Brüder abermals, lachten aber nicht dazu, sondern bissen die Zähne zusammen; denn sie konnten gegen Württemberg nichts ausrichten, und so hatten sie das schöne Gut, Wald, Feld, die Stadt Balingen und selbst — den Fischteich verloren und nichts geerbt als einen schlechten Hirschgulden. Den steckte Wolf trotzig in sein Wams, sagte nicht ja und nicht nein, warf sein Barett auf den Kopf und ging trotzig und ohne Gruß an dem württembergischen Kommissär vorbei, schwang sich auf sein Roß und ritt nach Zollern.

Als ihn aber am andern Morgen seine Mutter mit Vorwürfen plagte, daß sie Gut und Schmuck verscherzt haben, ritt er hinüber zum Schalk auf der Schalksburg. "Wollen wir unser Erbe verspielen oder vertrinken?" fragte er ihn.

"Vertrinken ist besser," sagte der Schalk, "dann haben wir beide gewonnen. Wir wollen nach Balingen reiten und uns den Leuten zum Trotz dort sehen lassen, wenn wir auch gleich das Städtlein schmählich verloren."

Und im Lamm schenkt man Roten, der Kaiser trinkt ihn nicht besser," setzte Wolf hinzu.

So ritten sie miteinander nach Balingen ins Lamm und fragten, was die Maß Roter koste, und tranken sich zu, bis der Hirschgulden voll war. Dann stand Wolf auf, zog das Silberstück mit dem springenden Hirsch aus dem Wams, warf es auf den Tisch und sprach. "Da habt Ihr Euern Gulden, so wird's richtig sein.

Der Wirt aber nahm den Gulden, besah ihn links, besah ihn rechts und sagte lächelnd. "Ja, wenn es kein Hirschgulden wär' ; aber gestern nacht kam der Bote von Stuttgart, und heute früh hat man es ausgetrommelt im Namen des Grafen von Württemberg, dem jetzt das Städtlein eigen; die sind abgeschätzt, und gebt mir nur anderes Geld!

Da sahen sich die beiden Brüder erbleichend an. "Zahl aus !" sagte der eine. "Hast du keine Münze?" sagte der andere, und kurz, sie mußten den Gulden schuldig bleiben im Lamm in Balingen. Sie zogen schweigend und nachdenkend ihren Weg; als sie aber an den Kreuzweg kamen, wo es rechts nach Zollern und links nach Schalksberg ging, da sagte der Schalk: "Wie nun? Jetzt haben wir sogar weniger geerbt als gar nichts, und der Wein war überdies schlecht."

"Jawohl," erwiderte sein Bruder. ",Aber was die Feldheimerin sagte, ist doch eingetroffen: ,Seht zu, wieviel von



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seinem Erbe übrig bleiben wird, um einen Hirschgulden" Jetzt haben wir nicht einmal ein Maß Wein dafür kaufen können."

"Weiß schon!" antwortete der von der Schalksburg.

Dummes Zeug!" sagte der von Zollern und ritt zerfallen mit sich und der Welt seinem Schloß zu. —

"Das ist die Sage von dem Hirschgulden," endete der Zirkelschmied, "und wahr soll sie sein. Der Wirt in Dürrwangen , das nicht weit von den drei Schlössern liegt, hat sie meinem guten Freund erzählt, der oft als Wegweiser über die schwäbische Alb ging und immer in Dürrwangen einkehrte."

Die Gäste .gaben dem Zirkelschmied Beifall. " Was man doch nicht alles hört in der Welt," rief der Fuhrmann. "Wahrhaftig, jetzt erst freut es mich, daß wir die Zeit nicht mit Kartenspielen verderbten; so ist es wahrlich besser, und gemerkt habe ich mir die Geschichte, daß ich sie morgen meinen Kameraden erzählen kann, ohne ein Wort zu fehlen."

"Mir fiel da, während Ihr so erzähltet, etwas ein," sagte der Student.

O erzählet, erzählet!" baten der Zirkelschmied und Felix.

"Gut," antwortete jener, "ob die Reihe jetzt an mich kommt oder später, ist gleichviel; ich muß ja doch heimgehen, was ich gehört. Das, was ich erzählen will, soll sich wirklich einmal begeben haben."

Er setzte sich zurecht und wollte eben anheben zu erzählen, als die Wirtin den Spinnrocken beiseite setzte und zu den Gästen an den Tisch trat. "Jetzt, ihr Herren, ist es Zeit, zu Bette zu gehen," sagte sie. " Es hat neun Uhr geschlagen, und morgen ist auch ein Tag."

"Ei, so gehe zu Bette !" rief der Student, "sege noch eine Flasche Wein für uns hieher, und dann wollen wir dich nicht länger abhalten."

*Mitnichten," entgegnete sie grämlich, "solange noch Gäste in der Wirtsstube sitzen, können Wirtin und Dienstboten nicht weggehen. Und kurz und gut, ihr Herren, machet, daß ihr auf eure Kammern kommet! Mir wird die Zeit lange, und länger als neun Uhr darf in meinem Hause nicht gezecht werden."

"Was fällt Euch ein, Frau Wirtin?" sprach der Zirkelschmied staunend. "Was schadet es denn Euch, ob wir hier sitzen, wenn Ihr auch schon längst schlafet? Wir sind rechtliche Leute und werden Euch nichts hinwegtragen, noch ohne Bezahlung fortgehen. Aber so lasse ich mir in keinem Wirtshaus ausbieten."

Die Frau rollte zornig die Augen: "Meint ihr, ich werde wegen jedem Lumpen von Handwerksburschen, wegen jedem



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Straßenläufer, der mir zwölf Kreuzer zu verdienen gibt, meine Hausordnung ändern? Ich sag' euch jetzt zum letztenmal, daß ich den Unfug nicht leide !"

Noch einmal wollte der Zirkelschmied etwas entgegnen; aber der Student sah ihn bedeutend an und winkte mit den Augen den übrigen. "Gut," sprach er, " Wenn es denn die Frau Wirtin nicht haben will, so laßt uns auf unsere Kammern gehen. Aber Lichter möchten wir gerne haben, um den Weg zu finden."

Damit kann ich nicht dienen," entgegnete sie finster, "die andern werden schon den Weg im Dunkeln finden, und für Euch ist dies Stümpfchen hier hinlänglich; mehr habe ich nicht im Hause."

Schweigend nahm der junge Herr das Licht und stano auf. Die andern folgten ihm, und die Handwerksburschen nahmen ihre Bündel, um sie in der Kammer bei sich niederzulegen. Sie gingen dem Studenten nach, der ihnen die Treppe hinan leuchtete.

Als sie oben angekommen waren, bat sie der Student, leise aufzutreten, schloß sein Zimmer auf und winkte ihnen herein. "Jetzt ist kein Zweifel mehr," sagte er, "sie will uns verraten; ; habt ihr nicht bemerkt, wie ängstlich sie uns zu Bett zu bringen suchte, wie sie uns alle Mittel abschnitt, wach und beisammen zu bleiben? Sie meint wahrscheinlich, wir werden uns jetzt niederlegen und dann werde sie um so leichteres Spiel haben."

"Aber meint Ihr nicht, wir könnten noch entkommen ?" fragte Felix. "Im Wald kann man doch eher auf Rettung denken als hier im Zimmer."

Die Fenster sind auch hier vergittert," rief der Student, indem er vergebens versuchte, einen der Eisenstäbe des Gitters loszumachen. "Uns bleibt nur ein Ausweg, wenn wir entweichen wollen, durch die Haustüre; aber ich glaube nicht, daß sie uns fortlassen werden."

"Es käme auf den Versuch an," sprach der Fuhrmann; "ich will einmal probieren, ob ich bis in den Hof kommen kann. Ist dies möglich, so kehre ich zurück und hole euch nach." Die übrigen billigten diesen Vorschlag, der Fuhrmann legte die Schuhe ab und schlich sich auf den Zehen nach der Treppe; ängstlich lauschten seine Genossen oben im Zimmer; schon war er die eine Hälfte der Treppe glücklich und unbemerkt hinabgestiegen; aber als er sich dort um einen Pfeiler wandte, richtete sich plötzlich eine ungeheure Dogge vor ihm in die Höhe, legte ihre Tatzen auf seine Schultern und wies ihm, gerade seinem Gesicht gegenüber, zwei Reihen langer, scharfer Zähne. Er



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wagte weder vor- noch rückwärts auszuweichen: denn bei der geringsten Bewegung schnappte der entsetzliche Hund nach seiner Kehle. Zugleich fing er an zu heulen und zu bellen, und alsobald erschien der Hausknecht und die Frau mit Lichtern.

"Wohin? was wollt Ihr : rief die Frau.

Ich habe noch etwas in meinem Karren zu holen," antwortete der Fuhrmann, am ganzen Leibe zitternd; denn als die Türe aufgegangen war, hatte er mehrere braune, verdächtige Gesichter, Männer mit Büchsen in der Hand, im Zimmer bemerkt.

"Das hättet Ihr alles auch vorher abmachen können," sagte die Wirtin mürrisch. "Fassan, daher ! Schließ die Hoftüre zu, Jakob, und leuchte dem Mann an seinen Karren!" Der Hund zog seine greuliche Schnauze und seine Tatzen von der Schulter des Fuhrmanns zurück und lagerte sich wieder quer über die Treppe; der Hausknecht aber hatte das Hoftor zugeschlossen und leuchtete dem Fuhrmann. An ein Entkommen war nicht zu denken. Aber als er nachsann, was er denn eigentlich aus dem Karren holen sollte, fiel ihm ein Pfund Wachslichter ein, die ,er in die nächste Stadt überbringen sollte. "Das Stümpfchen Licht oben kann kaum noch eine Viertelstunde dauern," sagte er zu sich, "und Licht müssen wir dennoch haben!" Er nahm also zwei Wachskerzen aus dem Wagen, verbarg sie in dem Ärmel und holte dann zum Schein seinen Mantel aus dem Karren, womit er sich, wie er dem Hausknecht sagte, heute nacht bedecken wolle.

Glücklich kam er wieder auf dem Zimmer an. Er erzählte von dem großen Hund, der als Wache an der Treppe liege, von den Männern, die er flüchtig gesehen, von allen Anstalten , die man gemacht, um sich ihrer zu versichern, und schloß damit, daß erseufzend sagte; " Wir werden diese Nacht nicht überleben."

"Das glaube ich nicht," erwiderte der Student' "für so töricht kann ich diese Leute nicht halten, daß sie wegen des geringen Vorteils, den sie von uns hätten, vier Menschen ans Leben gehen sollten. Aber verteidigen dürfen wir uns nicht. Ich für meinen Teil werde wohl am meisten verlieren; mein Pferd ist schon in ihren Händen, es kostets mich fünfzig Dukaten noch vor vier Wochen; meine Börse, meine Kleider gebe ich willig hin; denn mein Leben ist mir am Ende doch lieber als alles dies."

"Ihr habt gut reden," erwiderte der Fuhrmann; "solche Sachen, wie Ihr sie verlieren könnt, ersetzt Ihr Euch leicht



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wieder ; aber ich bin der Bote von Aschaffenburg und habe allerlei Güter auf meinem Karren, und im Stall zwei schöne Rosse, meinen einzigen Reichtum,"

"Ich kann unmöglich glauben, daß sie Euch ein Leides tun werden," bemerkte der Goldschmied; " einen Boten zu berauben , würde schon viel Geschrei und Lärmen ins Land machen. Aber dafür bin ich auch, was der Herr dort sagt; lieber will III) gleich alles hergeben, was ich habe, und mit einem Eid versprechen , nichts zu sagen, ja niemals zu klagen, als mich gegen Leute, die Büchsen und Pistolen haben, um meine geringe Habe wehren."

Der Fuhrmann hatte während dieser Reden seine Wachskerzen hervorgezogen. Er klebte sie auf den Tisch und zündete sie an. "So laßt uns in Gottes Namen erwarten, was über uns kommen wird," sprach er ; "wir wollen uns wieder zusammen niedersetzen und durch Sprechen den Schlaf abhalten."

"Das wollen wir," antwortete der Student; "und weil vorhin die Reihe an mir stehen geblieben war, will ich euch etwas erzählen."


Das kalte Herz. Ein Märchen. Erste Abteilung.

Wer durch Schwaben reist, der sollte nie vergessen, auch ein wenig in den Schwarzwald hineinzuschauen; nicht der Bäume wegen, obgleich man nicht überall solch unermeßliche 'Menge herrlich aufgeschossener Tannen findet, sondern wegen der Leute, die sich von den andern Menschen ringsumher merkwürdig unterscheiden Sie sind größer als gewöhnliche Menschen, breitschultrig, von starken Gliedern, und es ist, als ob der stärkende Duft, der morgens durch die Tannen strömt, ihnen von Jugend auf einen freieren Atem, ein klareres Auge und einen festeren, wenn auch rauheren Mut als den Bewohnern der Stromtäler und Ebenen gegeben hätte. Und nicht nur durch Haltung und Wuchs, auch durch ihre Sitten und Trachten sondern sie sich von den Leuten, die außerhalb des Waldes wohnen, streng ab. Am schönsten neiden sich die Bewohner des badenschen Schwarzwaldes; die Männer lassen den Bart wachsen, wie er von Natur dem Mann ums Kinn gegeben ist; ihre schwarzen Wämser, ihre ungeheuren, enggefalteten Pluderhosen, ihre roten Strümpfe und die spitzen Hüte, von einer weiten Scheibe umgeben, verleihen ihnen etwas Fremdartiges, aber etwas Ernstes, Ehrwürdiges. Dort beschäftigen sich die Leute gewöhnlich mit



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Glasmachen; auch verfertigen sie uhren und tragen sie in der halben Welt umher.

Auf der andern Seite des Waldes wohnt ein Teil desselben Stammes ; aber ihre Arbeiten haben ihnen andere Sitten und Gewohnheiten gegeben als den Glasmachern. Sie handeln mit ihrem Wald; sie fällen und behauen ihre Tannen, flößen sie durch die Nagold in den Neckar und von dem oberen Neckar den Rhein hinab, bis weit hinein nach Holland, und am Meer kennt man die Schwarzwälder und ihre langen Flöße; sie halten an jeder Stadt, die am Strom liegt, an und erwarten stolz, ob man ihnen Balken und Bretter abkaufen werde; ihre stärksten und längsten Balken aber verhandeln sie um schweres Geld an die Mynheers, welche Schiffe daraus bauen. Diese Menschen nun sind an ein rauhes, wanderndes Leben gewöhnt. Ihre Freude ist, auf ihrem Holz die Ströme hinabzufahren, ihr Leid, am Ufer wieder herauszuwandeln. Darum ist auch ihr Prachtanzug so verschieden von dem der Glasmänner im andern Teil des Schwarzwaldes. Sie tragen Wämser von dunkler Leinwand, einen handbreiten grünen Hosenträger über die breite Brust, Beinkleider von schwarzem Leder, aus deren Tasche ein Zollstab von Messing wie ein Ehrenzeichen hervorschaut; ihr Stolz und ihre Freude aber sind ihre Stiefeln, die größten wahrscheinlich, welche auf irgendeinem Teil der Erde Mode sind; denn sie können zwei Spannen weit über das Knie hinaufgezogen werden, und die "Flözer" können damit in drei Schuh tiefem Wasser umherwandeln, ohne sich die Füße naß zu machen.

Noch vor kurzer Zeit glaubten die Bewohner dieses Waldes an Waldgeister, und erst in neuerer Zeit hat man ihnen diesen törichten Aberglauben benehmen können. Sonderbar ist es aber, daß auch die Waldgeister, die der Sage nach im Schwarzwalde hausen, in diese verschiedenen Trachten sich geteilt haben. So hat man versichert, daß das Glasmännlein, ein gutes Geistchen von dreieinhalb Fuß Höhe, sich nie anders zeige als in einem spitzen Hütlein mit großem Nand, mit Wams und Pluderhöschen und roten Strümpfchen. Der Holländer-Michel aber, der auf der andern Seite des Waldes umgeht, soll ein riesengroßer, breitschultriger Kerl in der Kleidung der Flözer sein, und mehrere, die ihn gesehen haben wollen, versichern, daß sie die Kälber nicht aus ihrem Beutel bezahlen möchten, deren Felle man zu seinen Stiefeln brauchen würde. "So groß, daß ein gewöhnlicher Mann bis an den Hals hineinstehen könnt'," sagten sie und wollten nichts übertrieben haben.



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Mit diesen Waldgeistern soll einmal ein junger Schwarzwälder eine sonderbare Geschichte gehabt haben, die ich erzählen will. Es lebte nämlich im Schwarzwald eine Witwe, Frau Barbara Munkin ; ihr Gatte war Kohlenbrenner gewesen, und nach seinem Tode hielt sie ihren sechzehnjährigen Knaben nach und nach zu demselben Geschäft an.

Der junge Peter Munk, ein schlanker Bursche, ließ es sich gefallen, weil er es bei seinem Vater auch nicht anders gesehen hatte, die ganze Woche über am rauchenden Meiler zu sitzen oder, schwarz und beruht und den Leuten ein Abscheu, hinab in die Städte zu fahren und seine Kohlen zu verkaufen. Aber ein Köhler hat viel Zeit zum Nachdenken über sich und andere, und wenn Peter Munk an seinem Meiler saß, stimmten die dunkeln Bäume umher und die tiefe Waldesstille sein Herz zu Tränen und unbewußter Sehnsucht. Es betrübte ihn etwas, es ärgerte ihn etwas, er wußte nicht recht was. Endlich merkte er sich ab, was ihn ärgerte, und das war — sein Stand. "Ein schwarzer, einsamer Kohlenbrenner!" sagte er sich. " Es ist ein elend Leben. Wie angesehen sind die Glasmänner, die Uhrmacher , selbst die Musikanten am Sonntag abends ! Und wenn Peter Munk, rein gewaschen und geputzt, in des Vaters Ehrenwams mit silbernen Knöpfen und mit nagelneuen roten Strümpfen erscheint, und wenn dann einer hinter mir hergeht uni denkt, wer ist wohl der schlanke Bursche? und lobt bei sich die Strümpfe und meinen stattlichen Gang, — sieh, wenn er vorübergeht und schaut sich um, sagt er gewiß: ,Ach, es ist nur der Kohlenmunk-Peter.'" —

Auch die Flözer auf der andern Seite waren ein Gegenstand seines Neides. Wenn diese Waldriesen herüberkamen, mit stattlichen Kleidern, und an Knöpfen, Schnallen und Ketten einen halben Zentner Silber auf dem Leib trugen, wenn sie mit ausgespreizten Beinen und vornehmen Gesichtern dem Tanz zuschauten, holländisch fluchten und wie die vornehmsten Mynheers aus ellenlangen kölnischen Pfeifen rauchten, da stellte er sich als das vollendetste Bild eines glücklichen Menschen solch einen Flözer vor. Und wenn diese Glücklichen dann erst in die Taschen fuhren, ganze Hände voll großer Taler herauslangten und um Sechsbätzner würfelten, fünf Gulden hin, zehn her, so wollten ihm die Sinne vergehen, und er schlich trüb selig nach seiner Hütte; denn manchem Feiertagabend hatte er einen oder den andern dieser "Holzherren" mehr verspielen sehen, als der arme Vater Munk in einem Jahr verdiente. Es Waren vorzüglich drei dieser Männer, von welchen er nicht



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wußte, welchen er am meisten bewundern sollte. Der eine war ein dicker, großer Mann mit rotem Gesicht und galt für den reichsten Mann in der Runde. Man hieß ihn den dicken Ezechiel. Er reiste alle Jahre zweimal mit Bauholz nach Amsterdam und hatte das Glück, es immer um so viel teurer als andere zu verkaufen, daß er, wenn die übrigen zu Fuß heimgingen, stattlich herauffahren konnte. Der andere war der längste und magerste Mensch im ganzen Wald, man nannte ihn den langen Schlurker, und diesen beneidete Munk wegen seiner ausnehmenden Kühnheit; er widersprach den angesehensten Leuten, brauchte, wenn man noch so gedrängt im Wirtshaus saß, mehr Platz als vier der Dicksten; denn er stützte entweder beide Ellbogen auf den Tisch oder zog eines seiner langen Beine zu sich auf die Bank, und doch wagte ihm keiner zu widersprechen, denn er hatte unmenschlich viel Geld. Der Dritte war ein schöner junger Manu, der am besten tanzte weit und breit, und daher den Namen Tanzbodenkönig hatte. Er war ein armer Mensch gewesen und hatte bei einem Holzherrn als Knecht gedient; da wurde er auf einmal steinreich; die einen sagten, er habe unter einer alten Tanne einen Topf voll Geld gefunden, die andern behaupteten, er habe unweit Bingen im Rhein mit der Stechstange, womit die Flözer zuweilen nach den Fischen stechen, einen Pack mit Goldstücken heraufgefischt, und der Pack gehöre zu dem großen Nibelungenhort , der dort vergraben liegt; kurz, er war auf einmal reich geworden und wurde von jung und alt angesehen wie ein Prinz.

An diese drei Männer dachte Kohlenmunk-Peter oft, wenn er einsam im Tannenwald saß. Zwar hatten alle drei einen Hauptfehler, der sie bei den Leuten verhaßt machte; es war dies ihr unmenschlicher Geiz, ihre Gefühllosigkeit gegen Schuldner und Arme; denn die Schwarzwälder sind ein gutmütiges Völklein. Aber man weiß, wie es mit solchen Dingen geht; waren sie auch wegen ihres Geizes verhaßt, so standen sie doch wegen ihres Geldes in Ansehen; denn wer konnte Taler wegwerfen wie sie, als ob man das Geld von den Tannen schüttelte?

"So geht es nicht mehr weiter," sagte Peter eines Tages schmerzlich betrübt zu sich; denn tags zuvor war Feiertag gewesen und alles Volk in der Schenke; ".wenn ich nicht bald auf den grünen Zweig komme, so tu' ich mir etwas zuleid; wär' ich doch nur so angesehen und reich wie der dicke Ezechiel oder so kühn und so gewaltig wie der lange Schlurter oder so berühmt und könnte den Musikanten Taler statt Kreuzer



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zuwerfen wie oer Tanzbodenkönig! Wo nur der Bursche das Geld her hat?" Allerlei Mittel ging er durch, wie man sich Geld erwerben könne, aber Trines wollte ihm gefallen; endlich fielen ihm auch die Sagen von Leuten bei, die vor alten Zeiten durch den Holländer-Michel und durch das Glasmännlein reich geworden waren. So lang' sein Vater noch lebte, kamen oft andere arme Leute zum Besuch, und da wurde oft lang und breit von reichen Menschen gesprochen, und wie sie reich geworden; da spielte nun oft das Glasmännlein eine Rolle; la, wenn er recht nachsann, konnte er sich beinahe noch des Versleins erinnern, das man am Tannenbühl in der Mitte des Waldes sprechen mußte, wenn es erscheinen sollte. Es fing an:
"Schatzhäuser im grünen Tannenwald,
Bist schon viel hundert Jahre alt;
Dir gehört all Land, wo Tannen stehn —"

Aber er mochte sein Gedächtnis anstrengen, wie er wollte, weiter konnte er sich keines Verses mehr entsinnen. Er dachte oft, ob er nicht diesen oder jenen alten Mann fragen sollte, wie das Sprüchlein heiße; aber immer hielt ihn eine gewisse Scheu, seine Gedanken zu verraten, ab ; auch schloß er, es müsse die Sage vom Glasmännlein nicht sehr bekannt sein und den Spruch müssen nur wenige wissen; denn es gab nicht viele reiche Leute im Wald. und — warum hatten denn nicht sein Vater und die andern armen Leute ihr Glück versucht? Er brachte endlich einmal seine Mutter auf das Männlein zu sprechen, und diese erzählte ihm, was er schon wußte, kannte auch nur noch die erste Zeile von dem Spruch und sagte ihm endlich, nur Leuten, die an einem Sonntag zwischen elf und zwei Uhr geboren seien, zeige sich das Geistchen. Er selbst würde wohl dazu passen, wenn er nur das Sprüchlein wüsste; denn er sei Sonntag mittags zwölf Uhr geboren.

Als dies der Kohlenmunk-Peter hörte, war er vor Freude und vor Begierde, dies Abenteuer zu unternehmen, beinahe außer sich. Es schien ihm hinlänglich, einen Teil des Sprüchleins zu wissen und am Sonntag geboren zu sein, und Glasmännlein mußte sich ihm zeigen. Als er daher eines Tages seine Kohlen verkauft hatte, zündete er keinen neuen Meiler an, sondern zog seines Vaters Staatswams und neue rote Strümpfe an, setzte den Sonntagshut auf, faßte seinen fünf Fuß hohen Schwarzdornstock in die Hand und nahm von der Mutter Abschied. "Ich muß aufs Amt in die Stadt; denn wir werden bald spielen müssen, wer Soldat wird, uns da will



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ich dem Amtmann nur noch einmal einschärfen, daß Ihr Witwe seid und ich Euer einziger Sohn." Die Mutter lobte seinen Entschluß, er aber machte sich auf nach dem Tannenbühl. Der Tannenbühl liegt auf der höchsten Höhe des Schwarzwaldes, und auf zwei Stunden im Umkreis stand damals kein Dorf, ja nicht einmal eine Hütte; denn die abergläubischen Leute meinten, es sei dort unsicher. Man schlug auch, so hoch und prachtvoll dort die Tannen standen, ungern Holz in jenem Revier; denn oft waren den Holzhauern, wenn sie dort arbeiteten, die Äxte vom Stiel gesprungen und in den Fuß gefahren, oder die Bäume waren schnell umgestürzt und hatten die Männer mit umgerissen und beschädigt oder gar getötet ; auch hätte man die schönsten Bäume von dorther nur zu Brennholz brauchen können, denn die Floßherren nahmen nie einen Stamm aus dem Tannenbühl unter ein Floß auf, weil die Sage ging, daß Mann und Holz verunglücke, wenn ein Tannenbühler mit im Wasser sei. Daher kam es, daß im Tannenbühl die Bäume so dicht und so hoch standen, daß es am hellen Tag beinahe Nacht war, und Peter Munk wurde es ganz schaurig dort zumut ; denn er hörte keine Stimme, keinen Tritt als den seinigen, keine Axt; selbst die Vögel schienen diese dichte Tannennacht zu vermeiden.

Kohlenmunk-Peter hatte jetzt den höchsten Punkt des Tannenbühls erreicht und stand vor einer Tanne von ungeheurem Umfang, um die ein holländischer Schiffsherr an Ort und Stelle viele hundert Gulden gegeben hätte. "Hier," dachte er, "wird wohl der Schatzhäuser wohnen," zog seinen großen Sonntagshut , machte vor dem Baum eine tiefe Verbeugung, räusperte sich und sprach mit zitternder Stimme: "Wünsche glückseligen Abend, Herr Glasmann." Aber es erfolgte keine Antwort, und alles umher war so still wie zuvor. "Vielleicht muß ich doch das Verslein sprechen," dachte er weiter und murmelte:

"Schatzhäuser im grünen Tannenwald,
Bist schon viel hundert Jahre alt;
Dir gehört all Land, wo Tannen stehn —"

Indem er diese Worte sprach, sah er zu seinem großen Schrecken eine ganz kleine, sonderbare Gestalt hinter der dicken Tanne hervorschauen; es war ihm, als habe er das Glasmännlein gesehen, wie man es beschrieben, das schwarze Wämschen, die roten Strümpfchen, das Hütchen. alles war so, selbst das blasse, aber feine und kluge Gesichtchen, wovon man erzählte, glaubte er gesehen zu haben. Aber ach, so schnell es hervorgeschaut hatte, das Glasmännlein, so schnell war es auch wieder



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verschwunden! "Herr Glasmann," rief nach einigem Zögern Peter Munk, "seid so gütig und haltet mich nicht für Narren.

Herr Glasmann, wenn Ihr meint, ich habe Euch nicht gesehen , so täuschet Ihr Euch sehr, ich sah Euch wohl hinter dem Baum hervorgucken." — Immer keine Antwort, nur zuweilen glaubte er ein leises, heiseres Kichern hinter dem Baum zu vernehmen . Endlich überwand seine Ungeduld die Furcht, die ihn bis jetzt noch abgehalten hatte. "Warte, du kleiner Bursche," rief er, "dich will ich bald haben!" sprang mit einem Sas hinter die Tanne, aber da war kein Schatzhäuser im grünen Tannenwald, und nur ein kleines, zierliches Eichhörnchen jagte an dem Baum hinauf.

Peter Munk schüttelte den Kopf; er sah ein, daß er die Beschwörung bis auf einen gewissen Grad gebracht habe und daß ihm vielleicht nur noch ein Reim zu dem Sprüchlein fehle, so könne er das Glasmännlein hervorlocken; aber er sann hin, er sann her und fand nichts. Das Eichhörnchen zeigte sich an den untersten Ästen der Tanne und schien ihn aufzumuntern oder zu verspotten. Es putzte sich, es rollte den schönen Schweif, es schaute ihn mit klugen Augen an; aber endlich fürchtete er sich doch beinahe, mit diesem Tier allein zu sein; denn bald schien das Eichhörnchen einen Menschenkopf zu haben und einen dreispitzigen Hut zu tragen, bald war es ganz wie ein anderes Eichhörnchen und hatte nur an den Hinterfüßen rote Strümpfe und schwarze Schuhe. Kurz, es war ein lustiges Tier ; aber dennoch graute Kohlenpeter; denn er meinte, es gehe nicht mit rechten Dingen zu.

Mit schnelleren Schritten, als er gekommen war, zog Peter wieder ab. Das Dunkel des Tannenwaldes schien immer schwärzer zu werden, die Bäume standen immer dichter, und ihm fing an so zu grauen, daß er im Trab davonjagte, und erst, als er in der Ferne Hunde bellen hörte und bald darauf zwischen den Bäumen den Rauch einer Hütte erblickte, wurde er wieder ruhiger. Aber als er näher kam und die Tracht der Leute in der Hütte erblickte, fand er, daß er aus Angst gerade die entgegengesetzte Richtung genommen und statt zu den Glasleuten zu den Flözern gekommen sei. Die Leute, die in der Hütte wohnten, waren Holzfäller, ein alter Mann, sein Sohn, der Hauswirt und einige erwachsene Enkel. Sie nahmen Kohlenmunk-Peter, der um ein Nachtlager bat, gut auf, ohne nach seinem Namen und Wohnort zu fragen, gaben ihm Apfelwein zu trinken, und abends wurde ein großer Auerhahn, die beste Schwarzwaldspeise, aufgesetzt.



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Nach dem Nachtessen setzten sich die Hausfrau und ähre Töchter mit ihren Kunkeln um den großen Lichtspan, den die Jungen mit dem feinsten Tannenharz unterhielten, der Großvater , der Gast und der Hauswirt rauchten und schauten den Weibern zu; die Bursche aber waren beschäftigt, Löffel und Gabeln aus Holz zu schnitzeln. Draußen im Wald heulte der Sturm und raste in den Tannen, man hörte da und dort sehr heftige Schläge, und es schien oft, als ob ganze Bäume abgknickt würden und zusammenkrachten. Die furchtlosen Jungen wollten hinaus in den Wald laufen und dieses furchtbar schöne Schauspiel mit ansehen; ihr Großvater aber hielt sie mit strengem Wort und Blick zurück. "Ich will keinem raten, daß er jetzt vor die Tür geht," rief er ihnen zu, " bei Gott, der kommt nimmermehr wieder; denn der Holländer-Michel haut sich heute nacht ein neues G'stair (Floßgelenke) im Wald."

Die Kleinen staunten ihn an; sie mochten von dem Holländer-Michel schon gehört haben, aber sie baten jetzt den Ehni, einmal recht schön von jenem zu erzählen. Auch Peter Munk, der vom Holländer-Michel auf der andern Seite des Waldes nur undeutlich hatte sprechen hören, stimmte mit ein und fragte den Alten, wer und wo er sei. "Er ist der Herr dieses Waldes, und nach dem zu schließen, daß Ihr in Eurem Alter dies noch nicht erfahren, müßt Ihr drüben über dem Tannenbühl oder wohl gar noch weiter zu Hause sein. Vom Holländer-Michel will ich Euch aber erzählen, was ich weiß, und wie die Sage von ihm geht. Vor etwa hundert Jahren, so erzählte es wenigstens mein Ehni, war weit und breit kein ehrlicheres Volk auf Erden als die Schwarzwälder. Jetzt, seit so viel Geld im Land ist, sind die Menschen unredlich und schlecht. Die jungen Bursche tanzen und sohlen am Sonntag und fluchen, daß es ein Schrecken ist; damals war es aber anders, und wenn er jetzt zum Fenster dort hereinschaute, so sag' ich's und hab' es oft gesagt, der Holländer-Michel ist schuld an all dieser Verderbnis. Es lebte also vor hundert Jahren und drüber ein reicher Holzherr, der viel Gesind hatte; er handelte bis weit in den Rhein hinab, und sein Geschäft war gesegnet; denn er war ein frommer Mann. Kommt eines Abends ein Mann an seine Türe, dergleichen er noch nie gesehen. Seine Kleidung war wie die der Schwarzwälder Burschen, aber er war einen guten Kopf höher als alle, und man hatte noch nie geglaubt, daß es einen solchen Riesen geben könne. Dieser bittet um Arbeit bei dem Holzherrn, und der Holzherr. der ihm ansah, daß er stark und zu großen Lasten tüchtig sei, rechnet mit ihm seinen Lohn, und sie schlagen ein. Der Michel war ein Arbeiter, wie



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selbiger Holzherr noch keinen gehabt. Beim Baumschlagen galt er für drei, und wenn sechs am einen Ende schleppten, trug er allein das andere. Als er aber ein halb Jahr Holz geschlagen, trat er eines Tages vor seinen Herrn und begehrte von ihm: Hab' jetzt lang genug hier Holz gehackt, und so möcht' ich auch sehen, wohin meine Stämme kommen, und wie wär' es, wenn Ihr mich auch 'nmal auf den Floß ließet?'

Der Holzherr antwortete: ,Ich will dir nicht im Weg sein, Michel, wenn du ein wenig hinaus willst in die Welt ; und zwar beim Holzfällen brauche ich starke Leute, wie du bist, auf dem Floß aber kommt es auf Geschicklichkeit an; aber sei für diesmal!

Und so war es ; der Floß, mit dem er abgehen sollte, hatte acht Glaich (Glieder), und waren im letzten von den größten Zimmerbalken. Aber was geschah? Am Abend zuvor bringt der lange Michel noch acht Balken ans Wasser, so dick und lang, als man keinen je sah, und jeden trug er so leicht auf der SCHulter wie eine Flözerstange, so daß sich alles entsetzte. Wo er sie gehauen, weiß bis heute noch niemand. Dem Holzherrn lachte das Herz, als er dies sah; denn er berechnete, was diese Balken kosten könnten; Michel aber sagte: ,So, die sind für mich zum Fahren; auf den kleinen Spänen dort kann ich nicht fortkommen.' Sein Herr wollte ihm zum Dank ein Paar Flözerstiefel schenken; aber er warf sie auf die Seite und brachte ein Paar hervor, wie es sonst keine gab; mein Großvater hat versichert, sie haben hundert Pfund gewogen und seien fünf Fuß lang gewesen.

Der Floß fuhr ab, und hatte der Michel früher die Holzhauer in Verwunderung gesetzt, so staunten jetzt die Flözer; denn statt daß der Floß, wie man wegen der ungeheuern Balken geglaubt hatte, langsamer auf dem Fluß ging, flog er, sobald sie in den Neckar kamen, wie ein Pfeil; machte der Neckar eine Wendung und hatten sonst die Flözer Mühe gehabt, den Floß in der Mitte zu halten, um nicht auf Kies oder Sand zu stoßen, so sprang jetzt Michel allemal ins Wasser, rückte mit einem Zug den Floß links oder rechts, so daß er ohne Gefahr vorüberglitt, und kam dann eine gerade Stelle, so lief er aufs erste G'stair (Gelenk) vor, ließ alle ihre Stangen beisetzen, steckte seinen ungeheuren Weberbaum in den Kies, und mit einem Druck flog der Floß dahin, daß das Land und Bäume und Dörfer vorbeizujagen schienen. So waren sie in der Hälfte der Zeit, die man sonst brauchte, nach Köln am Rhein gekommen, wo sie sonst ihre Ladung verkauft hatten; aber hier sprach Michel; ,Ihr seid mir



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rechte Kaufleute und versteht euren Nutzen! Meinet ihr denn. die Kölner brauchen all dies Holz, das aus dem Schwarzwald kommt. für sich? Nein, um den halben Wert kaufen sie es euch ab und verhandeln es teuer nach Holland. Lasset uns die kleinen Balken hier verkaufen und mit den großen nach Holland gehen; was wir über den gewöhnlichen Preis lösen, ist unser eigener Profit.

So sprach der arglistige Michel, und die andern waren es zufrieden; die einen, weil sie gerne nach Holland gezogen wären, es zu sehen, die andern des Geldes wegen. Nur ein einziger war redlich und mahnte sie ab, das Gut ihres Herrn der Gefahr auszusetzen oder ihn um den höheren Preis zu betrügen; aber sie hörten nicht auf ihn und vergaßen seine Worte, aber der Holländer-Michel vergaß sie nicht. Sie fuhren auch mit dem Holz den Rhein hinab, Michel leitete den Floß und brachte sie schnell bis nach Rotterdam. Dort bot man ihnen das Vierfache von dem früheren Preis, und besonders die ungeheuren Balken des Michel wurden mit schwerem Geld bezahlt. Als die Schwarzwälder so viel Geld sahen, wußten sie sich vor Freude nicht zu fassen. Michel teilte ab, einen Teil dem Holzherrn, die drei andern unter die Männer. Und nun setzten sie sich mit Matrosen und anderem schlechten Gesindel in die Wirtshäuser, verschlemmten und verspielten ihr Geld ; den braven Mann aber, der ihnen abgeraten, verkaufte der Holländer-Michel an einen Seelenverkäufer, und man hat nichts mehr von ihm gehört. Von da an war den Burschen im Schwarzwald Holland das Paradies und Holländer-Michel ihr König; die Holzherren erfuhren lange nichts von dem Handel, und unvermerkt kam Geld, Flüche, schlechte Sitten, Trunk und Spiel aus Holland herauf.

Der Holländer-Michel war, als die Geschichte herauskam, nirgends zu finden, aber tot ist er auch nicht; seit hundert Jahren treibt er seinen Spuk im Wald, und man sagt, daß er schon vielen behilflich gewesen sei, reich zu werden, aber — auf Kosten ihrer armen Seele, und mehr will ich nicht sagen. Aber so viel ist gewiß, daß er noch jetzt in solchen Sturmnächten im Tannenbühl, wo man nicht hauen soll, überall die schönsten Tannen aussucht. und mein Vater hat ihn eine vier Schuh dicke umbrechen sehen wie ein Rohr. Mit diesen beschenkt er die, welche sich vom Rechten abwenden und zu ihm gehen; um Mitternacht bringen sie dann die G'stair ins Wasser, und er rudert mit ihnen nach Holland. Aber wäre ich Herr und König in Holland, ich ließe ihn mit Kartätschen in den Boden schmettern; denn alle Schiffe, die von dem Holländer-Michel auch nur einen Balten haben, müssen untergehen. Daher kommt es, daß man von so vielen Schiffbrüchen :



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hört ; wie könnte denn sonst ein schönes, starkes Schiff, so groß als eine Kirche, zugrund gehen auf dem 'Wassers Aber so oft Holländer-Michel in einer Sturmnacht im Schwarzwald eine Tanne fällt, springt eine seiner alten aus den Fugen des Schiffes; das Wasser dringt ein, und das Schiff ist mit Mann und Maus verloren. Das ist die Sage vom Holländer-Michel, und wahr ist es, alles Böse im Schwarzwald schreibt sich von ihm her; o ! er kann einen reich machen," setzte der Greis geheimnisvoll hinzu; aber ich möchte nichts von ihm haben, ich möchte um keinen Preis in der Haut drs dicken Ezechiel und des langen Schlurkers stecken; auch der Tanzbodenkönig soll sich ihm ergeben haben!"

Der Sturm hatte sich während der Erzählung des Alten gelegt ; die Mädchen zündeten schüchtern die Lampen an und gingen weg ; die Männer aber legten Peter Munk einen Sack voll Laub als Kopfkissen auf die Ofenbank und wünschten ihm gute Nacht.



***
Kohlenmunk-Peter hatte noch nie so schwere Träume gehabt wie in dieser Nacht; bald glaubte er, der finstere, riesige Holländer-Michel reiße die Stubenfenster auf und reiche mit seinem ungeheuer langen Arm einen Beutet voll Goldstücke herein, die er untereinander schüttelte, daß es hell und lieblich klang; bald sah er wieder das kleine, freundliche Glasmännlein auf einer ungeheuren grünen Flasche im Zimmer umherreiten, und er meinte das heisere Lachen wiederzuhören wie im Tannenbühl; dann brummte es ihm wieder ins linke Ohr:
"In Holland gibt's Gold !
Könnet's haben, wenn Ihr wollt
Um geringen Sold
Gold, Gold

Dann hörte er wieder in sein rechtes Ohr das Liedchen vom Schatzhäuser im grünen Tannenwald, und eine zarte Stimme flüsterte: "Dummer Kohlenpeter, dummer Peter Munk, kannst kein Sprüchlein reimen auf stehen, und bist doch am Sonntag geboren Schlag zwölf Uhr. Reime, dummer Peter, reime!"

Er ächzte, er stöhnte im Schlaf, er mühte sich ab, einen Reim zu finden; aber da er in seinem Leben noch keinen gemacht hatte, war seine Mühe im Traume vergebens. Als er aber mit dem ersten Frührot erwachte, kam ihm doch sein Traum sonderbar vor ; ersetzte sich mit verschränkten Armen hinter den Tisch und dachte über die Einflüsterungen nach, die ihm noch immer jni Ohr lagen ; "Reime, dummer Kohlenmunk-Peter, reime," sprach er zu sich und pochte mit dem Finger an seine Stirne; aber



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wollte kein Reim hervorkommen. Als er noch so dasaß und trübe vor sich hinschaute und an den Reim auf stehen dachte, da zogen drei Bursche vor dem Hause vorbei in den Wald, und einer sang im Vorübergehn:
"Am Berge tat ich stehen,
  Und schaute in das Tal,
Da hab' ich sie gesehen
  Zum allerletztenmal."

Das fuhr wie ein leuchtender Blitz durch Peters Ohr. und hastig raffte er sich auf, stürzte aus dem Haus, weil er meinte, nicht recht gehört zu haben, sprang den drei Burschen nach und packte den Sänger hastig und unsanft beim Arm. "Halt, Freund!" rief er, " was habt Ihr da auf stehen gereimt? Tut mir die Liebe und sprecht, was Ihr gesungen"

"Was ficht's dich an, Burschen" entgegnete der Schwarz- wälder. "Ich kann singen, was ich will, und laß gleich meinen Arm los, oder —"

"Nein, sagen sollst du, was du gesungen hast!" schrie Peter beinahe außer sich und packte ihn noch fester an ; die zwei andern aber, als sie dies sahen, zögerten nicht lange, sondern fielen mit derben Fäusten über den armen Peter her und walkten derb, bis er vor Schmerzen das Gewand des dritten ließ und erschöpft in die Knie sank. "Jetzt hast du dein Teil," sprachen sie lachend, "und merk' dir, toller Bursche, daß du Leute, wie wir sind, nimmer anfällst auf offenem Wege."

"Ach, ich will mir es gewißlich merken !" erwiderte Kohlenpeter seufzend. " Aber so ich die Schläge habe, seid so gut und saget deutlich, was jener gesungen!"

Da lachten sie aufs neue und spotteten ihn aus ; aber der das Lied gesungen, sagte es ihm vor, und lachend und singend zogen sie weiter.

"Also sehen," sprach der arnie Geschlagene, indem er sich mühsam aufrichtete, "sehen auf stehen, — jetzt, Glasmännlein, wollen wir wieder ein Wort zusammen sprechen." Er ging in die Hütte, holte seinen Hut und den langen Stock, nahm Abschied von den Bewohnern der Hütte und trat seinen Rückweg nach dem Tannenbühl an. Er ging langsam und sinnend seine Straße, denn er mußte ja einen Vers ersinnen; endlich, als er schon in dem Bereich des Tannenbühls ging und die Tannen höher und dichter wurden, hatte er auch seinen Vers gefunden und machte vor Freuden einen Sprung in die Höhe. Da trat ein riesengroßer Mann in Flözerkleidung und eine Stange so lang wie ein Mastbaum in der Hand hinter den Tannen hervor. Peter



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Munk sank beinahe in die Knie, als er jenen langsamen Schrittes neben sich wandeln sah; denn er dachte, das ist der Holländer-Michel und kein anderer. Noch immer schwieg die furchtbare Gestalt, und Peter schielte zuweilen furchtsam nach ihm hin. Er war wohl einen Kopf größer als der längste Mann, den Peter je gesehen; sein Gesicht war nicht mehr jung, doch auch nicht alt, aber voll Furchen und Falten; er trug ein Wams von Leinwand, und die ungeheuren Stiefeln, über die Lederbeinkleider heraufgezogen, waren Peter aus der Sage wohlbekannt.

"Peter Munk, was tust du im Tannenbühl?" fragte der Waldkönig endlich mit tiefer, dröhnender Stimme.

"Guten Morgen, Landsmann," antwortete Peter, indem er sich unerschrocken zeigen wollte, aber heftig zitterte, "ich will durch den Tannenbühl nach Haus zurück."

"Peter Munk," erwiderte jener und warf einen stechenden, furchtbaren Blick nach ihm herüber, "dein Weg geht nicht durch diesen Hain."

"Nun, so gerade just nicht," sagte jener, "aber es macht heute warm, da dachte ich, es wird hier kühler sein."

"Lüge nicht, du, Kohlenpeter!" rief Holländer-Michel mit donnernder Stimme, "oder ich schlag' dich mit der Stange zu Boden; meinst, ich hab' dich nicht betteln sehen bei dem Kleinen?" setzte er sanft hinzu. "Geh, geh, das war ein dummer Streich, und gut ist es, daß du das Sprüchlein nicht wußtest; er ist ein Knauser, der kleine Kerl, und gibt nicht viel, und wem er gibt, der wird seines Lebens nicht froh. — Peter, du bist ein armer Tropf und dauerst mich in der Seele; so ein munterer, schöner Bursche, der in der Welt was anfangen könnte, und sollst Kohlen brennen ! Wenn andere große Taler oder Dukaten aus dem Ärmel schütteln, kannst du kaum ein paar Sechser aufwenden; 's ist ein ärmlich Leben."

"Wahr ist's, und recht habt Ihr, ein elendes Leben."

"Na, mir soll's nicht drauf ankommen," fuhr der schreckliche Michel fort, "hab' schon manchem braven Kerl aus der Not geholfen. und wärest nicht der erste. Sag' einmal, wieviel hundert Taler brauchst du fürs erste?

Bei diesen Worten schüttelte er das Geld in seiner ungeheuren Tasche untereinander, und es klang wieder wie diese Nacht im Traum. Aber Peters Herz zuckte ängstlich und schmerzhaft bei diesen Worten, es wurde ihm kalt und warm, und der Holländer-Michel sah nicht aus, wie wenn er aus Mitleid Geld wegschenkte, ohne etwas dafür zu verlangen. Es fielen ihm die geheimnisvollen Worte des alten Mannes über die reichen Menschen ein,



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und von unerklärlicher Angst und Bangigkeit gejagt, rief er. "Schön Dank, Herr! Aber mit Euch will ich nichts zu schaffen haben, und ich kenn' Euch schon," und lief, was er laufen konnte. — Aber der Waldgeist schritt mit ungeheuren Schritten neben ihm her und murmelte dumpf und drohend: "Wirst's noch bereuen, , Peter, auf deiner Stirne steht's geschrieben, in deinem Auge ist's zu lesen, du entgehst mir nicht. — Lauf nicht so schnell, höre nur noch ein vernünftiges Wort, dort ist schon meine Grenze!"

Aber als Peter dies hörte und unweit vor ihm einen kleinen Graben sah, beeilte er sich nur noch mehr, über die Grenze zu kommen, so daß Michel am Ende schneller laufen mußte und unter Flüchen und Drohungen ihn verfolgte. Der junge Mann setzte mit einem verzweifelten Sprung über den Graben; denn er sah, wie der Waldgeist mit seiner Stange ausholte und sie auf ihn niederschmettern lassen wollte; er kam glücklich jenseits an, und die Stange zersplitterte in der Luft, wie an einer unsichtbaren Mauer, und ein langes Stück fiel zu Peter herüber.

Triumphierend hob er es auf, um es dem groben Holländer-Michel zuzuwerfen; aber in diesem Augenblick fühlte er das Stück Holz in seiner Hand sich bewegen, und zu seinem Entsetzen sah er, daß es eine ungeheure Schlange sei, was er in der Hand hielt, die sich schon mit geifernder Zunge und mit blitzenden Augen an ihm hinaufbäumte. Er ließ sie los ; aber sie hatte sich schon fest um seinen Arm gewickelt und kam mit schwankendem Kopfe seinem Gesicht immer näher; da rauschte auf einmal ein ungeheurer Auerhahn nieder, packte den Kopf der Schlange mit dem Schnabel, erhob sich mit ihr in die Lüfte, und Holländer-Michel, der dies alles von dem Graben aus gesehen hatte, heulte und schrie und raste, als die Schlange von einem Gewaltigern entführt ward.

Erschöpft und zitternd setzte Peter seinen Weg fort; der Pfad wurde steiler, die Gegend wilder, und bald befand er sich an der ungeheuren Tanne. Er machte wieder wie gestern seine Verben gungen gegen das unsichtbare Glasmännlein und hub dann an:

"Schatzhäuser im grünen Tannenwald,
Bist schon viel hundert Jahre alt:
Dein ist all Land, wo Tannen stehn,
Läßt dich nur Sonntagskindern sehn,"

Hast's zwar nicht ganz getroffen; aber weil du es bist, Kohlenmunk-Peter, so soll es hingehen," sprach eine zarte, feine



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Stimme neben ihm. Erstaunt sah er sich uni, und unter einer schönen Tanne saß ein kleines. altes Männlein in schwarzem Wams und roten Strümpfen und den großen Hut auf dem Kopf. Er hatte ein feines, freundliches Gesichtchen und ein Bärtchen so zart wie aus Spinnweben; er rauchte, was sonderbar anzusehen war, aus einer Pfeife von blauem Glas, und als Peter näher trat, sah er zu seinem Erstaunen, daß auch Kleider, Schuhe und Hut des Kleinen aus gefärbtem Glas bestanden; aber es war geschmeidig, als ob es heiß wäre; denn es schmiegte sich wie Tuch nach jeder Bewegung des Männleins.

"Du hast dem Flegel begegnet, dem Holländer-michel" sagte der Kleine, indem er zwischen jedem Wort sonderbar hüstelte. Er hat dich recht ängstigen wollen, aber seinen Kunstprügel habe ich ihm abgejagt, den soll er nimmer wiederkriegen."

"Ja, Herr Schatzhäuser," erwiderte Peter mit einer tiefen Verbeugung, " es war mir recht bange. Aber Ihr seid wohl der Herr Auerhahn gewesen, der die Schlange totgebissen? Da bedanke ich mich schönstens. - Ich komme aber, um mich Rats zu erholen bei Euch; es geht mir gar schlecht und hinderlich; ein Kohlenbrenner bringt es nicht weit, und da ich noch jung bin, dächte ich doch, es könnte noch was Besseres aus mir werden ; und wenn ich oft andere sehe, wie weit die es in kurzer Zeit gebracht haben - wenn ich nur den Ezechiel nehme und den Tanzbodenkönig, die haben Geld wie Heu."

"Peter," sagte der Kleine sehr ernst und blies den Rauch aus seiner Pfeife weit hinweg, "Peter, sag mir nichts von diesen! Was haben sie davon, wenn sie hier ein paar Jahre dem Schein nach glücklich und dann nachher desto unglücklicher sind? Du mußt dein Handwerk nicht verachten; dein Vater und Großvater waren Ehrenleute und haben es auch getrieben, Peter Munk! Ich will nicht hoffen, daß es Liebe zum Müßigganz ist, was dich zu mir führt."

Peter erschrak vor dem Ernst des Männleins und errötete. Nein," sagte er, "Müßiggang, weiß ich wohl, Herr Schatzhäuser im Tannenwald, Müßiggang ist aller Laster Anfang; aber das könnet Ihr mir nicht übelnehmen, wenn mir ein anderer Stand besser gefällt als der meinige. Ein Kohlenbrenner ist halt so gar etwas Geringes auf der Welt, und die Glasleute und Flözer und Uhrmacher und alle sind angesehener."

"Hochmut kommt oft vor dem Fall," erwiderte der kleine Herr vom Tannenwald etwas freundlicher. "Ihr seid ein sonderbar Geschlecht, ihr Menschen! Selten ist einer mit dem Stand ganz zufrieden, in dem er geboren und erzogen ist, und was



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gilt's, wenn du ein Glasmann wärest, möchtest du gern ein Holzherr sein, und wärest du Holzherr, so stünde dir des Försters Dienst oder des Amtmanns Wohnung an. Aber es sei! Wenn du versprichst, brav zu arbeiten, so will ich dir zu etwas Besserem verhelfen, Peter. Ich pflege jedem Sonntagskind, das sich zu mir zu finden weiß, drei Wünsche zu gewähren. Die ersten zwei sind frei, den dritten kann ich verweigern, wenn er töricht ist. So wünsche dir also seht etwas, aber — Peter, etwas Gutes und Nützliches!"

"Heisa! Ihr seid ein treffliches Glasmännlein, und mit Recht nennt man Euch Schatzhäuser; denn bei Euch sind die Schätze zu Hause. Nu — und also darf ich wünschen, wonach mein Herz begehrt, so will ich denn fürs erste, daß ich noch besser tanzen könne als der Tanzbodenkönig und jedesmal noch einmal so viel Geld ins Wirtshaus bringe als er."

"Du Tor !" erwiderte der Kleine zürnend. "Welch ein erbärmlicher Wunsch ist dies, gut tanzen zu können und Geld zum Spiel zu haben! Schämst du dich nicht, dummer Peter, dich selbst so um dein Glück zu betrügen? Was nützt es dir und deiner armen Mutter, wenn du tanzen kannst? Was nützt dir dein Geld, das nach deinem Wunsch nur für das Wirtshaus ist und wie das des elenden Tanzbodenkönigs dort bleibt? Dann hast du wieder die ganze Woche nichts und darbst wie zuvor. Noch einen Wunsch gebe ich dir frei; aber sieh dich vor, daß du vernünftiger wünschest!"

Peter kratzte sich hinter den Ohren und sprach nach einigem Zögern: "Nun, so wünsche ich mir die schönste und reichste Glashütte jni ganzen Schwarzwald mit allein Zugehör und Geld, sie leiten."

"Sonst nichts?" fragte der Kleine mit besorglicher Miene "Peter, sonst nichts ?"

Nun — Ihr könnet noch ein Pferd dazutun und ein Wägelchen —"

"O, du dummer Kohlenmunk-Peter!" rief der Kleine, und warf seine gläserne Pfeife im Unmut an eine dicke Tanne, daß sie in hundert Stücke sprang. "Pferde? Wägelchen? Verstand, sag' ich dir, Verstand, gesunden Menschenverstand und Einsicht hättest du wünschen sollen, aber nicht ein Pferdchen und Wägelchen. Nun, werde nur nicht so traurig, wir wollen sehen, daß es auch so nicht zu deinem Schaden ist; denn der zweite Wunsch war im ganzen nicht töricht. Eine gute Glashütte nährt auch ihren Mann und Meister; nur hättest du Einsicht und Verstand



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dazu mitnehmen können, Wagen und Pferde wären dann wohl von selbst gekommen."

"Aber, Herr Schatzhäuser," erwiderte Peter, "ich habe ja noch einen Wunsch übrig. Da könnte ich ja Verstand wünschen, wenn er mir so nötig ist, wie Ihr meinet."

"Nichts da! Du wirst noch in manche Verlegenheit kommen, wo du froh sein wirst, wenn du noch einen Wunsch frei hast. Und nun mache dich auf den Weg nach Hause! Hier sind," sprach der kleine Tannengeist, indem er ein kleines Beutelein aus der Tasche zog, "hier sind zweitausend Gulden, und damit genug, und komm mir nicht wieder, um Geld zu fordern; denn dann müsste ich dich an die höchste Tanne aufhängen! So hab' ich's gehalten, seit ich in dem Wald wohne. Vor drei Tagen aber ist der alte Winkfritz gestorben, der die große Glashütte gehabt hat im Unterwald. Dorthin gehe morgen frühe und mach ein Bot auf das Gewerbe, wie es recht ist! Halt dich wohl, sei fleißig, und ich will dich zuweilen besuchen und dir mit Rat und Tat an die Hand gehen, weil du dir doch keinen Verstand erbeten. Aber, das sag' ich dir ernstlich, dein erster Wunsch war böse. Nimm dich in acht vor dem Wirtshauslaufen, Peter! 's hat noch bei keinem lange gut getan." Das Männlein hatte, während es dies sprach, eine neue Pfeife vom schönsten Beinglas hervorgezogen, sie mit gedörrten Tannenzapfen gestopft und in den kleinen, zahnlosen Mund gesteckt. Dann zog es ein ungeheures Brennglas hervor, trat in die Sonne und zündete seine Pfeife an. Als er damit fertig war, bot er dem Peter freundlich die Hand, gab ihm noch ein paar gute Lehren auf den Weg, rauchte und blies immer schneller und verschwand endlich in einer Rauchwolke, die nach echtem holländischen Tabak roch und, langsam sich kräuselnd, in den Tannenwipfeln verschwebte.

Als Peter nach Haus kam, fand er seine Mutter sehr in Sorgen um ihn; denn die gute Frau glaubte nicht anders, als ihr Sohn sei zum Soldaten ausgehoben worden. Er aber war fröhlich und guter Dinge und erzählte ihr, wie er im Walde einen guten Freund getroffen, der ihm Geld vorgeschossen habe, um ein anderes Geschäft als Kohlenbrennen anzufangen. Obgleich seine Mutter schon seit dreißig Jahren in der Köhlerhütte wohnte und an den Anblick berußter Leute so gewöhnt war als jede Müllerin an das Mehlgesicht ihres Mannes, so war sic doch eitel genug, sobald ihr Peter ein glänzenderes Los zeigte, ihren früheren Stand zu verachten und sprach: "Ja, als Mutter eines



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Mannes, der eine Glashütte besitzt, bin ich doch was anderes als Nachbarin Grete und Bete und setze mich in Zukunft vornehin in der Kirche, wo rechte Leute sitzen." Ihr Sohn aber wurde mit den Erben der Glashütte bald handelseinig. Er behielt die Arbeiter, die er vorfand, bei sich und ließ nun Tag und Nacht Glas machen. Anfangs gefiel ihm das Handwerk wohl. Er pflegte gemächlich in die Glashütte hinabzusteigen, ging dort mit vornehmen Schritten, die Hände in die Taschen gesteckt, hin und her, guckte dahin, guckte dorthin, sprach dies und jenes, worüber seine Arbeiter oft nicht wenig lachten, und seine größte Freude war, das Glas blasen zu sehen, und oft machte er sich selbst an die Arbeit und formte aus der noch weichen Masse die sonderbarsten Figuren. Bald aber war ihm die Arbeit entleidet, und er kam zuerst nur noch eine Stunde des Tages in die Hütte, dann nur alle zwei Tage, endlich die Woche nur einmal, und seine Gesellen machten, was sie wollten. Das alles kam aber nur vom Wirtshauslaufen. Den Sonntag, nachdem er vom Tannenbühl zurückgekommen war, ging er ins Wirtshaus, und wer schon auf dem Tanzboden sprang, war der Tanzbodenkönig, und der dicke Ezechiel saß auch schon hinter der Maßkanne und knöchelte um Kronentaler . Da fuhr Peter schnell in die Tasche, zu sehen, ob ihm das Glasmännlein Wort gehalten, und siehe, seine Tasche strotzte von Silber und Gold. Auch in seinen Beinen zuckte und drückte es, wie wenn sie tanzen und springen wollten, und als der erste Tanz zu Ende war, stellte er sich mit feiner Tänzerin oben an neben den Tanzbodenkönig, und sprang dieser drei Schuh hoch, so flog Peter vier, und machte dieser wunderliche und zierliche Schütte, so verschlang und drehte Peter seine Füße, daß alle Zuschauer vor Lust und Verwunderung beinahe außer sich kamen. Als man aber auf dem Tanzboden vernahm, daß Peter eine Glashütte gekauft habe, als man sah, daß er, so oft er an den Musikanten vorbeitanzte, ihnen einen Sechsbätzner zuwarf, da war des Staunens kein Ende. Die einen glaubten, er habe einen Schatz im Walde gefunden, die andern meinten, er habe eine Erbschaft getan, aber alle verehrten ihn jetzt und hielten ihn für einen gemachten Mann, nur weil er Geld hatte. Verspielte er doch noch an demselben Abend zwanzig Gulden, und nichtsdestominder rasselte und klang es in seiner Tasche, wie wenn noch hundert Taler darin wären.

Als Peter sah, wie angesehen er war, wußte er sich vor Freude und Stolz nicht zu fassen. Er warf das Geld mit vollen Händen weg und teilte es den Armen reichlich mit, wußte er doch, wie ihn selbst einst die Armut gedrückt hatte. Des



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Tanzbodenkönigs Künste wurden vor den übernatürlichen Künsten des neuen Tänzers zuschanden, und Peter führte jetzt den Namen Tanzkaiser. Die unternehmendsten Spieler am Sonntag wagten nicht so viel wie er, aber sie verloren auch nicht so viel. Und je mehr er verlor, desto mehr gewann er. Das verhielt sich aber ganz so, wie er es vom kleinen Glasmännlein verlangt hatte. Er hatte sich gewünscht, immer so viel Geld in der Tasche zu haben, wie der dicke Ezechiel, und gerade dieser war es, an welchen er sein Geld verspielte. Und wenn er zwanzig, dreißig Gulden auf einmal verlor, so hatte er sie alsobald wieder in der Tasche, wenn sie Ezechiel einstrich. Nach und nach brachte er es aber im Schlemmen und Spielen weiter als die schlechtesten Gesellen im Schwarzwald, und man nannte ihn öfter Spielpeter als Tanzkaiser; denn er spielte jetzt auch beinahe an allen Werktagen. Darüber kam aber seine Glashütte nach und nach in Verfall, und daran war Peters Unverstand schuld. Glas ließ er machen, so viel man immer machen konnte ; aber er hatte mit der Hütte nicht zugleich das Geheimnis gekauft, wohin man es am besten verschleißen könne. Er wußte am Ende mit der Menge Glas nichts anzufangen und verkaufte es um den halben Preis an herumziehende Händler, nur um seine Arbeiter bezahlen zu können.

Eines Abends ging er auch wieder vom Wirtshaus heim und dachte trotz des vielen Weines, den er getrunken, um sich fröhlich zu machen, mit Schrecken und Gram an den Verfall seines Vermögens. Da bemerkte er auf einmal, daß jemand neben ihm gehe; er sah sich um, und siehe da — es war das Glasmännlein. Da geriet er in Zorn und Eifer, vermaß sich hoch und teuer und schwur, der Kleine sei an all seinem Unglück schuld. "Was tu' ich nun mit Pferd und Wägelchen?" rief er. Was nutzt mich die Hütte und all mein Glas ? Selbst als ich noch ein elender Köhlersbursch war, lebte ich froher und hatte keine Sorgen. Jetzt weiß ich nicht, wann der Amtmann kommt und meine Habe schätzt und mir vergantet der Schulden wegen !"

"So?" entgegnete das Glasmännlein. "So? Ich also soll schuld daran sein, wenn du unglücklich bist? Ist dies der Dank für meine Wohltaten? Wer hieß dich so töricht wünschen? Ein Glasmann wolltest du sein und wußtest nicht, wohin dein Glas verkaufen? Sagte ich dir nicht, du solltest behutsam wünschen? Verstand, Peter, Klugheit hat dir gefehlt."

"Was Verstand und Klugheit !" rief jener. "Ich bin ein so kluger Bursche als irgend einer und will es dir zeigen, Glasmännlein," und hei diesen Worten faßte er das Männlein



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unsanft am Kragen und schrie: "Hab' ich dich jetzt, Schatzhäuser im grünen Tannenwald? Und den dritten Wunsch will ich jetzt tun, den sollst du mir gewähren. Und so will ich hier auf der Stelle zweimalhunderttausend harte Taler und ein Haus und — o weh!"schrie er und schüttelte die Hand; denn das Waldmännlein hatte sich in glühendes Glas verwandelt und brannte in seiner Hand wie sprühendes Feuer. Aber von dem Männlein war nichts mehr zu sehen.

Mehrere Tage lang erinnerte ihn seine geschwollene Hand an seine Undankbarkeit und Torheit. Dann aber übertäubte er sein Gewissen und sprach: " Und wenn sie mir die Glashütte und alles verkaufen, so bleibt mir doch immer der dicke Ezechiel. So lange der Geld hat am Sonntag, kann es mir nicht fehlen."

Ja, Peter! Aber wenn er keines hat? — Und so geschah es eines Tages und war ein wunderliches Rechenexempel. Denn eines Sonntags kam er angefahren ans Wirtshaus, und die Leute streckten die Köpfe durch die Fenster, und der sine sagte, da kommt der Spielpeter, und der andere, ja, der Tanzkaiser, der reiche Glasmann, und ein dritter schüttelte den Kopf und sprach: "Mit dem Reichtum kann man es machen, man sagt allerlei von seinen Schulden, und in der Stadt hat einer gesagt, der Amtmann werde nicht mehr lange säumen zum Auspfänden." Indessen grüßte der reiche Peter die Gäste am Fenster vornehm und gravitätisch, stieg vom Wagen und schrie: "Sonnenwirt, guten Abend, ist der dicke Ezechiel schon da?" Und eine tiefe Stimme rief: "Nur herein, Peter! Dein Platz ist dir aufbehalten, wir sind schon da und bei den Karten." So trat Peter Munk in die Wirtsstube, fuhr gleich in die Tasche und merkte, daß Ezechiel gut versehen sein müsse; denn seine Tasche war bis oben angefüllt.

Er setzte sich hinter den Tisch zu den andern und gewann und verlor hin und her, und so spielten sie, bis andere ehrliche Leute, als es Abend wurde, nach Hause gingen, und spielten bei Licht, bis zwei andere Spieler sagten: "Jetzt ist's genug, und wir müssen heim zu Frau und Kind." Aber Spielpeter forderte den dicken Ezechiel auf zu bleiben. Dieser wollte lange nicht, endlich aber rief er: "Gut, jetzt will ich mein Geld zählen, und dann wollen wir knöcheln, den Satz um fünf Gulden; denn niederer ist es doch nur Kinderspiel." Er zog den Beutel und zählte und fand hundert Gulden bar, und Spielpeter wußte nun, wie viel er selbst habe, und brauchte es nicht erst zu zählen. Aber hatte Ezechiel vorher gewonnen, so verlor er jetzt Satz für Sah und fluchte greulich dabei. Warf er einen Pasch, gleich



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warf Spielpeter auch einen und immer zwei Augen höher. Da setzte er endlich die letzten fünf Gulden auf den Tisch und rief; Noch einmal, und wenn ich auch den noch verliere, so höre ich doch nicht auf; dann leihst du mir von deinem Gewinn, Peter! Ein ehrlicher Kerl hilft dem andern."

"So viel du willst, und wenn es hundert Gulden sein sollten," sprach der Tanzkaiser, fröhlich über seinen Gewinn, und der dicke Ezechiel schüttelte die Würfel und warf fünfzehn. "Pasch !" rief er, "jetzt wollen wir sehen!" Peter aber warf achtzehn, und eine heisere bekannte Stimme hinter ihm sprach: "So, das war der letzte."

Er sah sich um, und riesengroß stand der Holländer-Michel hinter ihm. Erschrocken ließ er das Geld fallen, das er schon eingezogen hatte. Aber der dicke Ezechiel sah den Waldmann nicht, sondern verlangte, der Spielpeter sollte ihm zehn Gulden vorstrecken zum Spiel. Halb im raum fuhr dieser mit der Hand in die Tasche, aber da war kein Geld; er suchte in der andern Tasche, aber auch da fand sich nichts; er kehrte den Rock um, aber es fiel kein roter Heller heraus, und jetzt erst gedachte er seines eigenen ersten Wunsches, immer so viel Geld zu haben als der dicke Ezechiel. Wie Rauch war alles verschwunden.

Der Wirt und Ezechiel sahen ihn staunend an, als er immer suchte und sein Geld nicht finden konnte; sie wollten ihm nicht glauben, daß er keines mehr habe; aber als sie endlich selbst in seinen Taschen suchten, wurden sie zornig und schwuren, der Spielpeter sei ein böser Zauberer und habe all das gewonnene Geld und sein eigenes nach Hause gewünscht. Peter verteidigte sich standhaft; aber der Schein war gegen ihn. Ezechiel sagte, er wolle die schreckliche Geschichte allen Leuten im Schwarzwald erzählen, und der Wirt versprach ihm, morgen mit dem frühesten in die Stadt zu gehen und Peter Munk als Zauberer anzuklagen, und er wolle es erleben, setzte er hinzu, daß man ihn verbrenne. Dann fielen sie wütend über ihn her, rissen ihm das Wams vom Leib und warfen ihn zur Tür hinaus.

Kein Stern schien am Himmel, als Peter trübselig seiner Wohnung zuschlich; aber dennoch konnte er eine dunkle Gestalt erkennen, die neben ihm herschritt und endlich sprach: "Mit dir ist's aus, Peter Munk, all deine Herrlichkeit ist zu Ende, und das hätt' ich dir schon damals sagen können, als du nichts von mir hören wolltest und zu dem dummen Glaszwerg tiefst. Da siehst du jetzt, was man davon hat, wenn man meinen Rat verachtet. Aber versuch es einmal mit mir, ich habe Mitleiden mit deinem Schicksal. Noch keinen hat es gereut, der sich an



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mich wandte, und wenn du den Weg nicht scheust, morgen den ganzen Tag bin ich am Tannenbühl zu sprechen, wenn du mich rufst." Peter merkte wohl, wer so zu ihm spreche; aber es kam ihn ein Grauen an. Er antwortete nichts, sondern lief seinem Haus zu.

Bei diesen Worten wurde der Erzähler durch ein Geräusch vor der Schenke unterbrochen. Man hörte einen Wagen anfahren, mehrere Stimmen riefen nach Licht, es wurde heftig an das Hoftor gepocht, und dazwischen heulten mehrere Hunde. Die Kammer, die man dem Fuhrmann und den Handwerksburschen angewiesen hatte, ging nach der Straße hinaus ; die vier Gäste sprangen auf und liefen dorthin, um zu sehen, was vorgefallen sei. So viel sie bei dem Schein einer Laterne sehen konnten, stand ein großer Reisewagen vor der Schenke; soeben war ein großer Mann beschäftigt, zwei verschleierte Frauen aus dem Wagen zu heben, und einen Kutscher in Livree sah man die Pferde abspannen, ein Bedienter aber schnallte den Koffer los. "Diesen sei Gott gnädig," seufzte der Fuhrmann. "Wenn diese mit heiler Haut aus der Schenke kommen, so ist mir für meinen Karren auch nicht mehr bange."

"Stille!" flüsterte der Student. "Mir ahnet, daß man eigentlich nicht uns, sondern dieser Dame auflauert. Wahrscheinlich waren sie unten schon von ihrer Reise unterrichtet. Wenn man sie nur warnen könnte ! Doch halt! Es ist im ganzen Wirtshaus kein anständiges Zimmer für die Damen als das neben dem meinigen. Dorthin wird man sie führen. Bleibet ihr ruhig in dieser Kammer ; ich will die Bedienten zu unterrichten suchen."

Der junge Mann schlich sich auf sein Zimmer, löschte die Kerzen aus und ließ nur das Licht brennen, das ihm die Wirtin gegeben. Dann lauschte er an der Türe.

Bald kam die Wirtin mit den Damen die Treppe heraus und führte sie mit freundlichen, sanften Worten in das Zimmer nebenan. Sie redete ihren Gästen zu, sich bald niederzulegen, weil sie von der Reise erschöpft sein würden. Dann ging sie wieder hinab. Bald darauf hörte der Student schwere männliche Tritte die Treppe heraufkommen. Er öffnete behutsam die Türe und erblickte durch eine kleine Spalte den großen Mann, welcher die Damen aus dem Wagen gehoben. Er trug ein Jagdkleid und hatte einen Hirschfänger an der Seite und war wohl der Reisestallmeister oder Begleiter der fremden Damen. Als der Student bemerkte, daß dieser allein heraufgekommen war, öffnete er schnell



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die Türe und winkte dem Mann, zu ihm einzutreten. Verwundert trat dieser näher, und ehe er noch fragen konnte, was man von ihm wolle, flüsterte ihm jener zu: "Mein Herr! Sie sind heute nacht in eine Räuberschenke geraten."

Der Mann erschrak. Der Student zog ihn aber vollends in seine Türe und erzählte ihm, wie verdächtig es in diesem Hause aussehe.

Der Jäger wurde sehr besorgt, als er dies hörte. Er belehrte den jungen Mann, daß die Damen, eine Gräfin und ihre Kammerfrau, anfänglich die ganze Nacht durch haben fahren wollen; aber etwa eine halbe Stunde von dieser Schenke sei ihnen ein Reuter begegnet, der sie angerufen und gefragt habe, wohin sie reisen wollten. Als er vernommen, daß sie gesonnen seien, die ganze Nacht durch den Spessart zu reisen, habe er ihnen abgeraten, indem es gegenwärtig sehr unsicher sei. "Wenn Ihnen am Rat eines redlichen Mannes etwas liegt," habe er hinzugesetzt, "so stehen Sie ab von diesem Gedanken ! Es liegt nacht weit von hier eine Schenke; so schlecht und unbequem sie sein mag, so übernachten Sie lieber daselbst, als daß Sie sich in dieser dunkeln Nacht unnötig der Gefahr preisgeben." Der Mann, der ihnen dies geraten, habe sehr ehrlich und rechtlich ausgesehen, und die Gräfin habe in der Angst vor einem Räuberanfall befohlen, an dieser Schenke stille zu halten.

Der Jäger hielt es für seine Pflicht, die Damen von der Gefahr, worin sie schwebten, zu unterrichten. Er ging in das andere Zimmer, und bald darauf öffnete er die Türe, welche von dem Zimmer der Gräfin in das des Studenten führte. Die Gräfin, eine Dame von etwa vierzig Jahren, trat, vor Schrecken bleich, zu dem Studenten heraus und ließ sich alles noch einmal von ihm wiederholen. Dann beriet man sich, was in dieser mißlichen Lage zu tun sei, und beschloß, so behutsam als möglich die zwei Bedienten, den Fuhrmann und die Handwerksbursche herbeizuholen, um im Fall eines Angriffs wenigstens gemeinsame Sache machen zu können.

Als dieses bald darauf geschehen war, wurde das Zimmer der Gräfin gegen die Hausflur hin verschlossen und mit Kommoden und Stühlen verrammelt. Sie setzte sich mit ihrer Kammerfrau aufs Bette, und die zwei Bedienten hielten bei ihr Wache. Die früheren Gäste aber und der Jäger setzten sich im Zimmer des Studenten um den Tisch und beschlossen, die Gefahr zu erwarten. Es mochte jetzt etwa zehn Uhr sein, im Hause war alles ruhig und still, und noch machte man keine Miene, die Gäste zu stören. Da sprach der Zirkelschmied: " Um wach zu bleiben,



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wäre es wohl das beste, wir machten es wieder wie zuvor; wir erzählten nämlich, was wir von allerlei Geschichten wissen, und wenn der Herr Jäger nichts dagegen hat, so könnten wir weiter fortfahren." Der Jäger aber hatte nicht nur nichts dagegen einzuwenden, sondern um seine Bereitwilligkeit zu zeigen, versprach er, selbst etwas zu erzählen. Er hub an.


Saids Schicksale.

Zur Zeit Harun Al-Raschids, des Beherrschers von Bagdad, lebte ein Mann in Balsora, mit Name ;i Benazar. Er hatte gerade soviel Vermögen, um für sich bequem und ruhig leben zu können, ohne ein Geschäft oder einen Handel zu treiben. Auch als ihm ein Sohn geboren wurde, ging er von dieser Weise nicht ab. "Warum soll ich in meinem Alter noch schachern und handeln," sprach er zu seinen Nachbarn, " um vielleicht Said, meinem Sohn, tausend Goldstücke mehr hinterlassen zu können, wenn es gut geht, und geht es schlecht, tausend weniger? Wo zwei speisen, wird auch ein dritter satt, sagt das Sprichwort, und wenn er nur sonst ein guter Junge wird, soll es ihm an nichts fehlen." So sprach Benazar und hielt Wort. Denn er ließ auch seinen Sohn nicht zum Handel oder einem Gewerbe erziehen; doch unterließ er nicht, die Bücher der Weisheit mit ihm zu lesen, und da nach seiner Ansicht einen jungen Mann außer Gelehrsamkeit und Ehrfurcht vor dem Alter nichts mehr zierte als ein gewandter Arm und Mut, so ließ er ihn frühe in den Waffen unterweisen, und Said galt bald unter seinen Altersgenossen, ja selbst unter älteren Jünglingen, für einen gewaltigen Kämpfer, und im Reiten und Schwimmen tat es ihm keiner zuvor.

Als er achtzehn Jahre alt war, schickte ihn sein Vater nach Mekka zum Grab des Propheten, um an Ort und Stelle sein Gebet und seine religiösen Übungen zu verrichten, wie es Sitte und Gebot erfordern. Ehe er abreiste, ließ ihn sein Vater noch einmal vor sich kommen, lobte seine Aufführung, gab ihm gute Lehren, versah ihn mit Geld und sprach dann: "Noch etwas, mein Sohn Said ! Ich bin ein Mann, der über die Vorurteile des Pöbels erhaben ist. Ich höre zwar gerne Geschichten von Feien und Zauberern erzählen, weil mir die Zeit dabei angenehm vergeht; doch bin ich weit entfernt, daran zu glauben, wie so viele unwissende Menschen tun, daß diese Genien, oder wer sie sonst sein mögen, Einfluß auf das Leben und Treiben der Menschen haben. Deine Mutter aber, sie ist jetzt zwölf Jahre tot,



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deine Mutter glaubte so fest daran als an den Koran; ja, sie hat mir in einer einsamen Stunde, nachdem ich ihr geschworen, es niemand als ihrem Kinde zu entdecken, vertraut, daß sie selbst von ihrer Geburt an mit einer Fee in Berührung gestanden habe. Ich habe sie deswegen ausgelacht, und doch muß ich gestehen, Said, daß bei deiner Geburt einige Singe vorfielen, die mich selbst in Erstaunen setzten. Es hatte den ganzen Tag geregnet und gedonnert, und der Himmel war so schwarz, daß man nichts lesen konnte ohne Licht. Aber um vier Uhr nachmittags sagte man mir an, es sei mir ein Knäblein geboren. Ich eilte nach den Gemächern deiner Mutter, um meinen Erstgeborenen zu sehen und zu segnen; aber alle ihre Zofen standen vor der Türe, und auf meine Fragen antworteten sie, daß jetzt niemand in das Zimmer treten dürfe; Zemira, deine Mutter, habe alle hinausgehen heißen, weil sie allein sein wolle. Ich pochte an die Türe, aber umsonst; sie blieb verschlossen.

Während ich so halb unwillig unter den Zofen vor der Türe stand, klärte sich der Himmel so plötzlich auf, wie ich es nie gesehen hatte, und das Wunderbarste war, daß nur über unserer lieben Stadt Balsora eine reine blaue Himmelswölbung erschien; ringsum aber lagen die Wolken schwarz aufgerollt, und Blitze zuckten und schlängelten sich in diesem Umkreis. Während ich noch dieses Schauspiel neugierig betrachtete, flog die Türe meiner Gattin auf; ich aber ließ die Mägde noch außen harren und trat allein in das Gemach, deine Mutter zu fragen, warum sie sich eingeschlossen habe. Als ich eintrat, quoll mir ein so betäubender Geruch von Rosen, Nelken und Hyazinthen entgegen, daß ich beinahe verwirrt wurde. Deine Mutter brachte mir dich dar und deutete zugleich auf ein silbernes Pfeifchen, das du um den Hals an einer goldenen Kette, so fein wie Seide, trugst. Die gütige Frau, von welcher ich dir einst erzählte, ist dagewesen,' sprach deine Mutter, ,sie hat deinem Knaben dieses Angebinde gegeben.' "Das war also die Hexe, die das Wetter schön machte und diesen Rosen und Nelkenduft hinterließ?" sprach ich lachend und ungläubig. "Aber sie hätte etwas Besseres bescheren können als dieses Pfeifchen, etwa einen Beutel voll Gold, ein Pferd oder dergleichen!" Deine Mutter beschwor mich, nicht zu spotten, weil die Feen, leicht erzürnt, ihren Segen in Unsegen verwandeln.

Ich tat es ihr zu Gefallen und schwieg, weil sie krank war ; wir sprachen auch nicht mehr von dem sonderbaren Vorfall bis sechs Jahre nachher, als sie fühlte, daß sie, so jung sie noch war, sterben müsse. Da gab sie mir das Pfeifchen, trug



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mir auf, es einst, wenn du zwanzig Jahre alt seiest, dir zu geben; denn keine Stunde zuvor dürfte ich dich von mit lassen. Sie starb. Hier ist nun das Geschenk," fuhr Benazar fort, indem er ein silbernes Pfeifchen an einer langen goldenen Kette aus einem Kästchen hervorsuchte, "und ich gebe es dir in deinem achtzehnten statt in deinem zwanzigsten Jahre, weil du abreisest und ich vielleicht, ehe du heimkehrst, zu meinen Vätern versammelt werde. Ich sehe keinen vernünftigen Grund ein, warum du noch zwei Jahre hier bleiben sollst, wie es deine besorgte Mutter wünschte. Du bist ein guter und gescheiter Junge; führst die Waffen so gut als einer Von vierundzwanzig Jahren, daher kann ich dich heute ebensogut für mündig erklären, als wärest du schon zwanzig. Und nun ziehe im Frieden und denke im Glück und Unglück, vor welchem der Himmel dich bewahren wolle, an deinen Vater !"

So sprach Benazar von Balsora, als er seinen Sohn entließ. Said nahm bewegt von ihm Abschied, hing die Kette um den Hals, steckte das Pfeifchen in den Gürtel, schwang sich aufs Pferd und ritt nach dem Ort, wo sich die Karawane nach Mekka versammelte. In kurzer Zeit waren an achtzig Kamele und viele hundert Reiter beisammen; die Karawane setzte sich in Marsch, und Said ritt aus dem Tor von Balsora, seiner Vaterstadt, die er in langer Zeit nicht mehr sehen sollte.

Das Neue einer solchen Reife und die mancherlei niegesehenen Gegenstände, die sich ihm aufdrängten, zerstreuten ihn anfangs; als man sich aber der Wüste näherte und die Gegend immer öder und einsamer wurde, da fing er an, über manches nachzudenken und unter anderem auch über die Worte, womit ihn Benazar, sein Vater, entlassen hatte.

Er zog das Pfeifchen hervor, beschaute es hin und her und setzte es endlich an den Mund, um einen Versuch zu machen, ob es vielleicht einen recht hellen und schönen Ton von sich gebe; aber siehe, es tönte nicht; er blähte die Backen auf und blies aus Leibeskräften, aber er konnte keinen Ton hervorbringen, und, unwillig über das nutzlose Geschenk, steckte er das Pfeifchen wieder in den Gürtel. Aber bald richteten sich alle seine Gedanken wieder auf die geheimnisvollen Worte seiner Mutter; er hatte von Feen manches gehört; aber nie hatte er erfahren, daß dieser oder jener Nachbar in Balsora mit einem übernatürlichen Genius in Verbindung gestanden sei, sondern man hatte die Sagen von diesen Geistern immer in weit entfernte Länder und alte Zeiten versetzt, und so glaubte er, es gebe heutzutage keine solche Erscheinungen mehr, oder die Feien haben aufgehört,



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die Menschen zu besuchen und an ihren Schicksalen teilzunehmen. Obgleich er aber also dachte, so war er doch immer wieder von neuem versucht, an irgend etwas Geheimnisvolles und übernatürliches zu glauben, was mit seiner Mutter vorgegangen sein könnte, und so kam es, daß er beinahe einen ganzen Tag wie ein Träumender zu Pferde saß und weder an den Gesprächen der Reisenden teilnahm, noch auf ihren Gesang oder ihr Gelächter achtete.

Said war ein sehr schöner Jüngling; sein Auge war mutig und kühn, sein Mund voll Anmut, und so jung er war, so hatte er doch in seinem ganzen Wesen schon eine gewisse Würde. die man in diesem Alter nicht so oft trifft, und der Anstand. womit er leicht, aber sicher, und in vollem kriegerischen Schmuck zu Pferde saß, zog die Blicke manches der Reisenden auf sich. Ein alter Mann, der an seiner Seite ritt, fand Wohlgefallen an ihm und versuchte, durch manche Fragen auch seinen Geist zu prüfen. Said, welchem Ehrfurcht gegen das Alter eingeprägt worden war, antwortete bescheiden, aber klug und umsichtig, so daß der Alte eine große Freude an ihm hatte. Da aber der Geist des jungen Mannes schon den ganzen Tag nur mit einem Gegenstand beschäftigt war, so geschah es, daß man bald auf das geheimnisvolle Reich der Feen zu sprechen kam, und endlich fragte Said den Alten geradezu, ob er glaube, daß es Feen, gute oder böse Geister geben könne, welche den Menschen beschützen oder verfolgen.

Der alte Mann strich sich den Bart, neigte seinen Kopf hin und her und sprach dann: "Leugnen läßt es sich nicht, daß es solcker Geschichten gegeben hat, obgleich ich bis heute weder einen Geisterzwerg, noch einen Genius als Niesen, weder einen Zauberer, noch eine Fee gesehen habe." Der Alte hub dann an und erzählte dem jungen Mann so viele und wunderbare Geschichten, daß ihm der Kopf schwindelte und er nicht anders dachte, als alles, was bei seiner Geburt vorgegangen, die Änderung des Wetters, der süße Rosen- und Hyazinthenduft, sei von großer und glücklicher Vorbedeutung, er selbst stehe unter dem besonderen Schutz einer mächtigen, gütigen Fee, und das Pfeifchen sei zu nichts Geringerem ihm geschenkt worden, als der Fee im Fall der Not zu pfeifen. Er träumte die ganze Nacht von Schlössern, Zauberpferden, Genien und dergleichen und lebte in einem wahren Feenreich.

Doch leider mußte er schon am folgenden Tag die Erfahrung machen, wie nichtig all seine Träume im Schlafen oder Wachen seien. Die Karawane war schon den größten Teil des



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Tages im gemächlichen Schritt fortgezogen, Said immer an der Seite seines alten Gefährten, als man dunkle Schatten am fernsten Ende der Wüste bemerkte ; die einen hielten sie für Sandhügel, die andern für Wolken, wieder andere für eine neue Karawane; aber der Alte, der schon mehrere Reisen gemacht hatte, rief mit lauter Stimme, sich vorzusehen; denn es sei eine Horde räuberischer Araber im Anzug. Die Männer griffen zu den Waffen, die Weiber und die Waren wurden in die Mitte genommen, und alles war auf einen Angriff gefaßt. Die dunkle Masse bewegte sich langsam über die Ebene her und war anzusehen wie eine große Schar Störche, wenn sie in ferne Länder ausziehen. Nach und nach kamen sie schneller heran, und kaum hatte man Männer und Lanzen unterschieden, als sie auch schon mit Windeseile herangekommen waren und auf die Karawane einstürmten.

Die Männer wehrten sich tapfer; aber die Räuber waren über vierhundert Mann stark, umschwärmten sie von allen Seiten, töteten viele aus der Ferne her und machten dann einen Angriff mit der Lanze. In diesem furchtbaren Augenblick fiel Said, der immer unter den Vordersten wacker gestritten hatte, sein Pfeifchen ein, er zog es schnell hervor, setzte es an den 'Kund, blies und — ließ es schmerzlich wieder sinken; denn gab auch nicht den leisesten Ton von sich. Wütend über diese grausame Enttäuschung, zielte er und schoß einen Araber, der sich durch seine prachtvolle Kleidung auszeichnete, durch die Brust; jener wankte und fiel vom Pferd.

Allah! was habt Ihr gemacht, junger Mensch !" rief der Alte an seiner Seite. "Jetzt sind wir alle verloren." Und so schien es auch; denn kaum sahen die Räuber diesen Mann fallen, als sie ein schreckliches Geschrei erhoben und mit solcher Wut eindrangen, daß die wenigen noch unverwundeten Männer bald zersprengt wurden. Said sah sich in einem Augenblick von fünf oder sechs umschwärmt. Er führte seine Lanze so gewandt, daß keiner sich heranzunahen wagte; endlich hielt einer an, legte einen Pfeil auf, zielte und wollte eben die Sehne schnellen lassen, als ihm ein anderer winkte. Der junge Mann machte sich auf einen neuen Angriff gefaßt; aber ehe er sich dessen versah , hatte ihm einer der Araber eine Schlinge über den Kopf geworfen, und so sehr er sich bemühte, das Seil zu zerreißen, so war doch alles umsonst; die Schlinge wurde fester und immer fester angezogen, und Said war gefangen.

Die Karawane war endlich entweder ganz aufgerieben, oder gefangen worden, und die Araber, welche nicht zu einem Stamm gehörten, teilten jetzt die Gefangenen und die übrige Beute



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und zogen dann, der eine Teil nach Süden, der andere nach Osten. Neben Said ritten vier Bewaffnete, welche ihn oft mit bitterem Grimm anschauten und Verwünschungen über ihn ausstießen ; er merkte, daß es ein vornehmer Mann, vielleicht sogar ein Prinz gewesen sei, welchen er getötet hatte. Die Sklaverei , welcher er entgegensah, war noch härter als der Tod ; darum wünschte er sich im stillen Glück, den Grimm der ganzen Horde auf sich gezogen zu haben; denn er glaubte nicht anders, als in ihrem Lager getötet zu werden. Die Bewaffneten bewachten alle seine Bewegungen, und so oft er sich umschaute, drohten sie ihm mit ihren Spießen; einmal aber, als das Pferd des einen strauchelte, wandte er den Kopf schnell um und erblickte zu seiner Freude den Alten, seinen Reisegefährten, welchen er unter den Toten geglaubt hatte.

Endlich sah man in der Ferne Bäume und Zelte; als sie näher kamen, strömte ein ganzer Schwall von Kindern und Weibern entgegen; aber kaum hatten diese einige Worte mit den Räubern gewechselt, als sie in ein schreckliches Geheul ausbrachen. und alle nach Said hinblickten, die Arme gegen ihn aufhoben und Verwünschungen ausstießen. "Jener ist es," schrien sie, der den großen Almansor erschlagen hat, den tapfersten aller Männer ; er muß sterben, wir wollen sein Fleisch dem Schakal der Wüste zur Beute geben." Dann drangen sie mit Holzstücken, Erdschollen, und was sie zur Hand hatten, so furchtbar auf Said ein, daß sich die Räuber selbst ins Mittel legen mußten. "Hinweg, ihr Unmündigen, fort, ihr Weiber !" riefen sie und trieben die Menge mit den Lanzen auseinander ; " er hat den großen Almansor erschlagen im Gefecht, und er muß sterben, aber nicht von der Hand eines Weibes, sondern vom Schwert der Tapfern."

Als sie unter den Zelten auf einem freien Platz angelangt waren, machten sie Halt; die Gefangenen wurden je zwei und zwei zusammengebunden, die Beute in die Zelte gebracht, Said aber wurde einzeln gefesselt und in ein großes Zelt geführt. Dort saß ein alter, prachtvoll gekleideter Mann, dessen ernste, stolze Miene verkündete, daß er das Oberhaupt dieser Horde sei. Die Männer, welche Said führten, traten traurig und mit gesenktem Hauy, t vor ihn hin. "Das Geheul der Weiber sagt mir, was geschehen ist," sprach der majestätische Mann, indem er die Räuber der Reihe nach anblickte; " eure Mienen bestätigen es — Almansor ist gefallen.

Almansor ist gefallen," antworteten die Männer, " aber hier, Selim, Beherrscher der Wüste, ist sein Mörder, und wir bringen ihn, damit du ihn richtest; welche Todesart soll er



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sterben? Sollen wir ihn aus der Ferne mit Pfeilen erschießen, sollen wir ihn durch eine Gasse von Lanzen jagen, oder willst du, daß er an einem Strick aufgehängt oder von Pferden zerrissen werde ?"

"Wer bist du?" fragte Selim, düster auf den Gefangenen blickend, der zum Tod bereit, aber mutig vor ihm stand.

Said beantwortete seine Frage kurz und offen.

"Hast du meinen Sohn meuchlings umgebracht? Hast du ihn von hinten mit einem Pfeil oder einer Lanze durchbohrt?"

Nein, Herr!" entgegnete Said. "Ich habe ihn in offenem Kampfe beim Angriff auf unsere Reihen von vorne getötet, weil er schon acht meiner Genossen vor meinen Augen erschlagen hatte."

"Ist es also, wie er sprach?" fragte Selim die Männer, die ihn gefangen hatten.

"Ja, Herr, er hat Almansor in offenem Kampfe getötet," sprach einer von den Gefragten.

"Dann hat er nicht mehr und nicht minder getan, als wir selbst getan haben würden," versetzte Selim, " er hat seinen Feind, der ihm Freiheit und Leben rauben wollte, bekämpft und erschlagen; drum löset schnell seine Bande !"

Die Männer sahen ihn staunend an und gingen nur zaudernd und mit Widerwillen ans Werk. "So soll der Mörder deines Sohnes, des tapfern Almansor, nicht sterben?" fragte einer, indem er wütende Blicke auf Said warf. ",Hätten wir ihn lieber gleich umgebracht!"

"Er soll nicht sterben!" rief Selim, "und ich nehme ihn sogar in mein eigenes Zelt auf, ich nehme ihn als meinen gerechten Anteil an der Beute, er sei mein Diener !"

Said fand keine Worte, dem Alten zu danken ; die Männer aber verließen murrend das Zelt, und als sie den Weibern und Kindern, die draußen versammelt waren und auf Saids Hinrichtung warteten, den Entschluß des alten Selim mitteilten, erhoben sie ein schreckliches Geheul und Geschrei und riefen, sie würden Almansors Tod an seinem Mörder rächen, weil sein eigener Vater die Blutrache nicht üben walle,

Die übrigen Gefangenen wurden an die Horden verteilt; einige entließ man, um Lösegeld für die reicheren einzutreiben, andere wurden zu den Herden als Hirten geschickt, und manche, die vorher von zehen Sklaven sich bedienen ließen, mußten die niedrigsten Dienste in diesem Lager versehen. Nicht so Said. War es sein mutiges, heldenmäßiges Aussehen oder der geheimnisvolle Zauber einer gütigen Fee, was den alten Selim für den Jüngling einnahm? Man wußte es nicht zu sagen; aber



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Said lebte in seinen Zelt mehr als Sohn denn als Diener. Aber die unbegreifliche Zuneigung des alten Mannes zog ihm die Feindschaft der übrigen Diener zu. Er begegnete überall nur feindlichen Blicken, und wenn er allein durchs Lager ging, so hörte er ringsumher Schimpfworte und Verwünschungen ausstoßen, ja, einigemal flogen Pfeile an seiner Brust vorüber, die offenbar ihm gegolten hatten, und daß sie ihn nicht trafen, schrieb er nur dem geheimnisvollen Pfeifchen zu, das er noch immer auf der Brust trug und welchem er die en Schutz zuschrieb. Oft beklagte er sich bei Selim über diese Angriffe auf sein Leben, aber vergebens suchte dieser die Meuchelmörder ausfindig zu machen; denn die ganze Horde schien gegen den begünstigten Fremdling verbunden zu sein. Da sprach eines Tages Selim zu ihm: "Ich hatte gehofft, du werdest mir vielleicht den Sohn ersetzen, der durch deine Hand umgekommen ist; an dir und mir liegt nicht die Schuld, daß es nicht sein konnte; galle sind gegen dich erbittert, und ich selbst kann dich in Zukunft nicht mehr schützen; denn was hilft es dir oder mir, wenn sie dich heimlich getötet haben, den Schuldigen zur Strafe zu ziehen? Darum, wenn die Männer von ihrem Streifzug heimkehren, werde ich sagen, dein Vater habe mir Lösegeld geschickt, und ich werde dich durch einige treue Männer durch die Wüste geleiten lassen."

"Aber kann ich irgendeinem außer dir trauen?" fragte Said bestürzt. "Werden sie mich nicht unterwegs töten?"

"Davor schützt dich der Eid, den sie mir schwören müssen und den noch keiner gebrochen hat," erwiderte Selim mit großer Ruhe. Einige Tage nachher kehrten die Männer ins Lager zurück , und Selim hielt sein Versprechen. Er schenkte dem Jüngling Waffen, Kleider ein Pferd, versammelte die streitbaren Männer, wählte fünf zur Begleitung Saids aus, ließ sie einen furchtbaren Eid ablegen, daß sie ihn nicht töten wollten, und entließ ihn dann mit Tränen.

Die fünf Männer ritten finster und schweigend mit Said durch die Wüste; der Jüngling sah, wie ungern sie den Auftrag erfüllten, und es machte ihm nicht wenig Besorgnis, daß zwei von ihnen bei jenem Kampf zugegen waren, wo er Almansor tötete. Als sie etwa acht Stunden zurückgelegt hatten, hörte Said, daß sie untereinander flüsterten, und bemerkte, daß ihre Mienen noch düsterer wurden als vorher. Er strengte sich an, aufzuhorchen, und vernahm, daß sie sich in einer Sprache unterhielten, die nur von dieser Horde, und immer nur bei geheimnisvollen oder gefährlichen Unternehmungen gesprochen wurde; Selim, der den Plan gehabt hatte, den jungen Mann auf immer



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in seinem Zelte zu behalten, hatte sich manche Stunde damit abgegeben, ihn diese geheimnisvollen Worte zu lehren; aber es war nichts Erfreuliches, was er jetzt Vernahm.

"Hier ist die Stelle," sprach einer, "hier griffen wir die Karawane an, und hier fiel der tapferste Mann von der Hand eines Knaben."

"Der Wind hat die Spuren seines Pferdes verweht," fuhr ein anderer fort, " aber ich habe sie nicht vergessen."

Und zu unserer Schande soll der noch leben und frei sein, der Hand an ihn legte? Wann hat man je gehört, daß ein Vater den Tod seines einzigen Sohnes nicht rächte? Aber Selim wird alt und kindisch."

"Und wenn es der Vater unterläßt," sagte ein vierter, . ,so ist es Freundes Pflicht, den gefallnen Freund zu rächen. Hier an dieser Stelle sollten wir ihn niederhauen. So ist es Recht und Brauch seit den ältesten Zeiten."

"Aber wir haben dem Alten geschworen," rief ein fünfter, wir dürfen ihn nicht töten, unser Eid darf nicht gebrochen werden."

"Es ist wahr," sprachen die andern, ".wir haben geschworen, und der Mörder darf frei ausgehen aus den Händen seiner Feinde."

"Halt!" rief einer, der finsterste unter allen. "Der alte Selim ist ein kluger Kopf, aber doch nicht so klug, als man glaubt; haben wir ihm geschworen, diesen Burschen da- oder dorthin zu bringen? Nein, er nahm uns den Schwur auf sein Leben ab, und dieses wollen wir ihm schenken. Aber die brennende Sonne und die scharfen Zähne des Schakals werden unsere Rache übernehmen. Hier an dieser Stelle wollen wir ihn gebunden liegen lassen." So sprach der Räuber ; aber schon seit einigen Minuten hatte sich Said auf das äußerste gefaßt gemacht , und indem jener noch die letzten Worte sprach, riß er sein Pferd auf die Seite, trieb es mit einem tüchtigen Hieb an und flog wie ein Vogel über die Ebene hin. Die fünf Männer staunten einen Augenblick, aber wohlbewandert in solchen Verfolgungen, teilten sie sich, jagten rechts und links nach, und weil sie die Art und Weise, wie man in der Wüste reiten muß, besser kannten. hatten zwei von ihnen den Flüchtling bald überholt wandten sich gegen ihn um, und als er auf die Seite floh, fand er auch dort zwei Gegner und den fünften in seinem Rücken. Der Eid, ihn nicht zu töten, hielt sie ab, ihre Waffen zu gebrauchen; sie warfen ihm auch jetzt wieder oon hirnen eine Schlinge über den Kopf, zogen ihn vom Pferd, schlugen unbarmherzig auf ihn los, banden



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ihn dann an Händen und Füßen und legten ihn in den glühenden Sand der Wüste.

Said flehte sie um Barmherzigkeit an, er versprach ihnen schreiend ein großes Lösegeld; aber lachend schwangen sie sich auf und jagten davon. Noch einige Augenblicke lauschte er auf die leichten Tritte ihrer Rosse, dann aber gab er sich verloren. Er dachte an seinen Vater, an den Gram des alten Mannes, wenn sein Sohn nicht mehr heimkehre. Er dachte an sein eigenes Elend, daß er so frühe sterben müsse; denn nichts war ihm gewisser, als daß er in dem heißen Sand den martervollen Tod des Verschmachtens sterben müsse oder daß er von einem Schakal zerrissen werde. Die Sonne stieg immer höher und brannte glühend auf seiner Stirne. Mit unendlicher Mühe gelang es ihm endlich, sich aufzuwälzen; aber es gab ihm wenig Erleichterung. Das Pfeifchen an der Kette war durch diese Anstrengung aus seinem Kleid gefallen. Er mühte sich so lange, bis er es mit dem Mund fassen konnte; endlich berührten es seine Lippen, er versuchte zu blasen, aber auch in dieser schrecklichen Not versagte es den Dienst. Verzweiflungsvoll ließ er den Kopf zurücksinken, und endlich beraubte ihn die stechende Sonne der Sinne; er fiel in eine tiefe Betäubung.

Nach vielen Stunden erwachte Said von einem Geräusch in seiner Nähe; er fühlte zugleich, daß seine Schulter gepackt wurde, und er stieß einen Schrei des Entsetzens aus ; denn er glaubte nichts anders, als ein Schakal sei herangekommen, ihn zu zerreißen . Jetzt wurde er auch an den Beinen angefaßt, aber er fühlte, daß es nicht die Krallen eines Raubtieres seien, die ihn umfaßten, sondern die Hände eines Mannes, der sich sorgsam mit ihm beschäftigte und mit zwei oder drei andern sprach. "Er lebt," flüsterten sie, " aber er hält uns für Feinde."

Endlich schlug Said die Augen auf und erblickte über sich das Gesicht eines kleinen, dicken Mannes mit kleinen Augen und langem Bart. Dieser sprach ihm freundlich zu, half ihm sich aufrichten, reichte ihm Speise und Trank und erzählte ihm, während er sich stärkte, er sei ein Kaufmann aus Bagdad, heiße Kalum-Beck und handle mit Schals und feinen Schleiern für die Frauen. Er habe eine Handelsreise gemacht, sei jetzt auf der Rückkehr nach Hause begriffen und habe ihn elend und halbtot im Sand liegen sehen. Sein prachtvoller Anzug und die blitzenden Steine seines Dolches hätten ihn aufmerksam gemacht; er habe alles angewandt , ihn zu beleben, und es sei ihm also gelungen. Der



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Jüngling dankte ihm für sein Leben; denn er sah wohl ein, daß er ohne die Dazwischenkunft dieses Mannes elend hätte sterben müssen. und da er weder Mittel hatte, sich selbst fortzuhelfen, noch willens war, zu Fuß und allein durch die Wüste zu wandern, so nahm er dankbar einen Sitz auf einem der schwer beladenen Kamele des Kaufmanns an und beschloß fürs erste, mit nach Bagdad zu ziehen, vielleicht könnte er dort sich an eine Gesellschaft, die nach Balsora reisete, anschließen.

Unterwegs erzählte der Kaufmann seinem Reisegefährten manches von dem trefflichen Beherrscher der Gläubigen, Harun Al-Raschid. Er erzählte ihm von seiner Gerechtigkeitsliebe und seinem Scharfsinn, wie er die wunderbarsten Prozesse auf einfache und bewundernswürdige Weise zu schlichten wisse; unter anderem führte er die Geschichte von dem Seiler, die Geschichte von dem Topf mit Oliven an, Geschichten, die jedes Kind weiß, die aber Said sehr bewunderte. "Unser Herr, der Beherrscher der Gläubigen," fuhr der Kaufmann fort, "unser Herr ist ein wunderbarer Mann. Wenn Ihr meinet er schlafe, wie andere gemeine Leute, so täuschet Ihr Euch sehr. Zwei, drei Stunden in der Morgendämmerung ist alles. Ich muß das wissen, denn Messour, sein erster Kämmerer, ist mein Vetter, und obgleich er so verschwiegen ist wie das Grab, was die Geheimnisse seines Herrn anbelangt, so läßt er doch, der guten Verwandtschaft zulieb, hin und wieder einen Wink fallen, wenn er sieht, daß einer aus Neugierde beinahe vom Verstand kommen könnte. Statt nun wie andere Menschen zu schlafen, schleicht der Kalif nachts durch die Straßen von Bagdad, und selten verstreicht eine Woche, worin er nicht ein Abenteuer aufstößt; denn Ihr müßt wissen, wie ja auch aus der Geschichte mit dem Oliventopf erhellt, die so wahr ist als das Wort des Propheten, daß er nicht mit der Wache und zu Pferd, in vollem Putz und mit hundert Fackelträgern seine Runde macht, wie er wohl tun könnte, wenn er wollte, sondern angezogen bald als Kaufmann, bald als Schiffer, bald als Soldat, bald als Mufti geht er umher und schaut, ob alles recht und in Ordnung sei.

Daher kommt es aber auch, daß inan in keiner Stadt nachts so höflich gegen jeden Narren ist, auf den man stößt, wie in Bagdad; denn es könnte ebensogut der Kalif vie ein schmutziger Araber aus der Wüste sein, und es wächst Holz genug, um allen Menschen in und um Bagdad die Bastonade zu geben."

So sprach der Kaufmann. und Said, so sehr ihn hin und wieder die Sehnsucht nach seinem Vater quälte, freute sich doch, Bagdad und den berühmten Harun Al-Raschid zu sehen.



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Nach zehen Tagen kamen sie in Bagdad an, und Said staunte und bewunderte die Herrlichkeit dieser Stadt, die damals gerade in ihrem höchsten Glanz war. Der Kaufmann lud ihn ein, mit in sein Haus zu kommen, und Said nahm es gerne an; denn jetzt erst unter dem Gewühl der Menschen fiel es ihm ein, daß hier wahrscheinlich außer der Luft und dem Wasser des Tigris und einem Nachtlager auf den Stufen einer Moschee nichts umsonst zu haben sein werde.

Den Tag nach seiner Ankunft, als er sich eben angekleidet hatte und sich gestand, daß er in diesem prachtvollen kriegerischen Aufzug sich in Bagdad wohl sehen lassen könne und vielleicht manchen Blick auf sich ziehe, trat der Kaufmann in sein Zimmer; er betrachtete den schönen Jüngling mit schelmischem Lächeln, strich sich den Bart und sprach dann: "Das ist alles recht schön, junger Herr! Aber was soll denn nun aus Euch werden? Ihr seid, kommt es mir vor, ein großer Träumer und denket nicht an den folgenden Tag; oder habt Ihr so viel Geld bei Euch, um dem Kleid gemäß zu leben, das Ihr traget?"

Lieber Herr Kalum-Beck," sprach der Jüngling verlegen und errötend, "Geld habe ich freilich nicht, aber vielleicht strecket Ihr mir etwas vor, womit ich heimreisen kann; mein Vater wird es gewiß richtig erstatten."

"Dein Vater, Bursche?" rief der Kaufmann laut lachend. Ich glaube, die Sonne hat dir das Hirn verbrannt. Meinst du, ich glaube dir so aufs Wort das ganze Märchen, das du mir in der Wüste erzähltest, daß dein Vater ein reicher Mann in Balsora sei, du sein einziger Sohn, und den Anfall der Araber und dein Leben in ihrer Horde und dies und jenes. Schon damals ärgerte ich mich über deine frechen Lügen und deine Unverschämtheit. Ich weiß, daß in Balsora alle reichen Leute Kaufleute sind, habe schon mit allen gehandelt und müßte von einem Benazar gehört haben, und wenn er nur sechstausend Tomans im Vermögen hätte. Es ist also entweder erlogen, daß du aus Balsora bist, oder dein Vater ist ein armer Schlucker, dessen hergelaufenem Jungen ich keine Kupfermünze leihen mag. Sodann der überfall in der Wüste! Wann hat man gehört, seit der weise Kalif Harun die Handelswege durch die Wüste gesichert hat, daß es Räuber gewagt haben, eine Karawane zu plündern und sogar Menschen hinwegzuführen? Auch müßte es bekannt geworden sein; aber auf meinem ganzen Weg, und auch hier in Bagdad, wo Menschen aus allen Gegenden der Welt zusammenkommen , hat man nichts davon gesprochen. Das ist die zweite Lüge, junger, unverschämter Mensch!"



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Bleich vor Zorn und Unmut wollte Said dem kleinen bösen Mann in die Rede fallen; jener aber schrie stärker als er und focht dazu mit den Armen. " Und die dritte Lüge, du frecher Lügner, ist die Geschichte im Lager Selims. Selims Name ist wohlbekannt unter allen, die jemals einen Araber gesehen haben, aber Selim ist bekannt als der schrecklichste und grausamste Räuber, und du wagst zu erzählen, du habest seinen Sohn getötet und seiest nicht sogleich in Stücke gehauen worden; ja, du treibest die Frechheit so weit, daß du das Unglaubliche sagst, Selim habe dich gegen seine Horde beschützt, in sein eigenes Zelt aufgenommen und ohne Lösegeld entlassen, statt daß er dich aufgehängt hätte an den nächsten besten Baum, er, der oft Reisende gehängt hat, nur uni zu sehen, welche Gesichter sie machen, wenn sie aufgehängt sind. O, du abscheulicher Lügner!"

"Und ich kann nichts weiter sagen," rief der Jüngling, als daß alles wahr ist bei meiner Seele und beim Bart des Propheten!"

"Was, bei deiner Seele willst du schwören?" schrie der Kaufmann, "bei deiner schwarzen, lügenhaften Seele? Wer soll da glauben? Und beim Bart des Propheten, du, der du selbst keinen Bart hast? Wer soll da trauen?"

"Ich habe freilich keinen Zeugen," fuhr Said fort, "aber habt Ihr mich nicht gefesselt und elend gefunden?"

Das beweist mir gar nichts," sprach jener, "du bist gekleidet wie ein stattlicher Räuber, und leicht hast du einen angefallen, der stärker war als du, dich überwand und band."

"Den einzelnen oder sogar zwei möchte ich sehen," entgegnete Said, "die mich niederstrecken und binden, wenn sie mir nicht von hinten eine Schlinge über den Kopf werfen. Ihr mögt in Eurem Basar freilich nicht wissen, was ein einzelner vermag, wenn er in den Waffen geübt ist. Aber Ihr habt mir das Leben gerettet, und ich danke Euch. Was wollt Ihr denn aber jetzt mit mir beginnen? Wenn Ihr mich nicht unterstützet, so muß ich betteln, und ich mag keinen meinesgleichen um eine Gnade anflehen; an den Kalifen will ich mich wenden."

"So?" sprach der Kaufmann, höhnisch lächelnd. "An niemand anders wollt Ihr Euch wenden als an unsern allergnädigsten Herrn? Das heiße ich vornehm betteln ! Ei. ei ! Bedenket aber, junger vornehmer Herr, daß der Weg zum Kalien an meinem Vetter Messour vorbeigeht, und daß es mich ein Wort kostet, den Oberkämmerer darauf aufmerksam zu machen, wie trefflich Ihr lügen könnet. — Aber mich dauert deine Jugend,



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Said. Du kannst dich bessern, es kann noch etwas aus dir werden. Ich will dich in mein Gewölbe im Basar nehmen, dort sollst du mir ein Jahr lang dienen, und ist dies vorbei und willst du nicht bei mir bleiben, so zahle ich dir deinen Lohn aus und lasse dich gehen, wohin du willst, nach Aleppo oder Medina, nach Stambul oder nach Balsora, meinetwegen zu den Ungläubigen. Bis Mittag gebe ich dir Bedenkzeit; willst du, so ist es gut, willst du nicht, so berechne ich dir nach billigem Anschlag die Reisekosten, die du mir machtest, und den Platz auf dem Kamel, mache mich mit deinen Kleidern und allem, was du hast, bezahlt und werfe dich auf die Straße; dann kannst du beim Kalien oder beim Mufti, an der Moschee oder im Basar betteln."

Mit diesen Worten verließ der böse Mann den unglücklichen Jüngling. Said blickte ihm voll Verachtung nach. Er war so empört über die Schlechtigkeit dieses Menschen, der ihn absichtlich mitgenommen und in sein Haus gelockt hatte, damit er ihn in seine Gewalt bekäme. Er versuchte, ob er nicht entfliehen könnte, aber sein Zimmer war vergittert und die Türe verschlossen. Endlich, nachdem sein Sinn sich lange dagegen gesträubt hatte, beschloß er, fürs erste den Vorschlag des Kaufmanns anzunehmen und ihm in seinem Gewölbe zu dienen. Er sah ein, daß ihm nichts Besseres zu tun übrig bleibe ; denn wenn er auch entfloh, so konnte er ohne Geld doch nicht bis Balsora kommen. Aber er nahm sich vor, sobald als möglich den Kalifen selbst um Schutz anzuflehen.

Den folgenden Tag führte Kalum-Beck seinen neuen Diener in sein Gewölbe im Basar. Er zeigte Said alle Schals und Schleier und andere Waren, womit er handelte, und wies ihm seinen besonderen Dienst an. Dieser bestand darin, daß Said, angekleidet wie ein Kaufmanns und nicht mehr im kriegerischen Schmuck, in der einen Hand einen Schal, in der andern einen prachtvollen Schleier, unter der Türe des Gewölbes stand, die vorübergehenden Männer oder Frauen anrief, seine Waren vorzeigte, ihren Preis nannte und die Leute zum Kaufen einlud ; und jetzt konnte sich Said auch erklären, warum ihn Kalum-Beck zu diesem Geschäft bestimmt habe. Er war ein kleiner, häßlicher Alter, und wenn er selbst unter dem Laden stund und anrief, so sagte mancher Nachbar oder auch einer der Vorübergehenden ein witziges Wort über ihn, oder die Knaben spotteten seiner, und die Frauen nannten ihn eine Vogelscheuche; aber



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jedermann sah gerne den jungen schlanken Said, der mit Anstand die Kunden anrief und Schal und Schleier geschickt und zierlich zu halten wußte.

Als Kalum-Beck sah, daß sein Laden im Basar an Kunden zunahm, seitdem Said unter der Türe stand, wurde er freundlicher gegen den jungen Mann, speiste ihn besser als zuvor und war darauf bedacht, ihn in seiner Kleidung immer schön und stattlich zu halten. Aber Said wurde durch solche Beweise der milderen Gesinnungen seines Herrn wenig gerührt und sann den ganzen Tag und selbst in seinen Träumen auf gute Art und Weise, um in seine Vaterstadt zurückzukehren.

Eines Tages war im Gewölbe vieles gekauft worden, und alle Packknechte, welche die Waren nach Hause trugen, waren schon versandt, als eine Frau eintrat und noch einiges kaufte. Sie hatte bald gewählt und verlangte dann jemand, der ihr gegen ein Trinkgeld die Waren nach Hause trage. "In einer halben Stunde kann ich Euch alles schicken," antwortete Kalum-Beck , " nur so lange müßt Ihr Euch gedulden oder irgend einen anderen Packer nehmen."

"Seid Ihr ein Kaufmann und wollet Euren Kunden fremde Packer mitgeben?" rief die Frau. "Kann nicht ein solcher Bursche im Gedräng mit meinem Pack davonlaufen? und an wen soll ich mich dann wenden? Nein, Eure Pflicht ist es nach Marktrecht , mir meinen Pack nach Hause tragen zu lassen, und an Euch kann und will ich mich halten."

"Aber nur eine halbe Stunde wartet, werte Frau!" sprach der Kaufmann, sich immer ängstlicher drehend. "Alle meine Packknechte sind verschickt —"

"Das ist ein schlechtes Gewölbe. das nicht immer einige Knechte übrig hat," entgegnete das böse Weib. "Aber dort steht ja noch solch ein junger Müßiggänger; komm, junger Bursche, nimm meinen Pack und trag ihn mir nach !"

"Halt, halt!" schrie Kalum-Beck. "Das ist mein Aushängeschild , mein Ausrufer, mein Magnet! Der darf die Schwelle nicht verlassen!"

"Was da !" erwiderte die alte Dame und steckte Said ohne weiteres ihren Pack unter den Arm. "Das ist ein schlechter Kaufmann und elende Waren, die sich nicht selbst loben und erst noch solch einen müßigen Bengel zum Schild brauchen. Geh, geh, Bursche, du sollst heute ein Trinkgeld verdienen!"

"So lauf im Namen Arimans und aller bösen Geister," murmelte Kalum-Beck seinem Magnet zu, "und siehe zu, daß du



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bald wiederkommst; die alte Hexe könnte mich ins Geschrei bringen auf dem ganzen Basar, wollte ich mich länger weigern."

Said folgte der Frau, die leichteren Schrittes, als man ihrem Alter zutrauen sollte, durch den Markt und die Straßen eilte. Sie stand endlich vor einem prachtvollen Hause still, pochte an, die Flügeltüren sprangen auf, und sie stieg eine Marmortreppe hinan und winkte Said zu folgen. Sie gelangten endlich in einen hohen, weiten Saal, der mehr Pracht und Herrlichkeit enthielt, als Said jemals geschaut hatte. Dort setzte sich die alte Frau erschöpft auf ein Polster, winkte dem jungen Mann, seinen Pack niederzulegen, reichte ihm ein kleines Silberstück und hieß ihn gehen.

Er war schon an der Türe, als eine helle, feine Stimme Said" rief; verwundert, daß man ihn hier kenne, schaute er sich um, und eine wunderschöne Dame, umgeben von vielen Sklaven und Dienerinnen, saß statt der Alten auf dem Polster. Said, ganz stumm vor Verwunderung, kreuzte seine Arme und machte eine tiefe Verbeugung.

Said, mein lieber Junge," sprach die Dame, "so sehr ich die Unfälle bedaure, die dich nach Bagdad führten, so war doch dies der einzige vom Schicksal bestimmte Ort, wo sich, wenn du vor dem zwanzigsten Jahr dein Vaterhaus verließest, dein Schicksal lösen würde. Said, hast du noch dein Pfeifchen?"

wohl hab' ich es noch," rief er freudig, indem er die goldene Kette hervorzog ; "und Ihr seid vielleicht die gütige Fee, die mir dieses Angebinde gab, als ich geboren wurde?"

"Ich war die Freundin deiner Mutter," antwortete die Fee, und bin auch deine Freundin, so lange du gut bleibst. Ach ! daß dein Vater, der leichtsinnige Mann, meinen Rat befolgt hätte! Du würdest vielen Leiden entgangen sein."

Nun, es hat wohl kommen müssen!" erwiderte Said. Aber gnädigste Fee, lasset einen tüchtigen Nordostwind an Euren Wolkenwagen spannen, nehmet mich auf und führt mich in ein paar Minuten nach Balsora zu meinem Vater; ich will dann die sechs Monate bis zu meinem zwanzigsten Jahre geduldig dort ausharren."

Die Fee lächelte. "Du hast eine gute Weise, mit uns du sprechen," antwortete sie, "aber, armer Said ! es ist nicht möglich; ich vermag jetzt, wo außer deinem Vaterhause bist, nichts Wunderbares für dich zu tun. Nicht einmal aus der Gewalt des elenden Kalum-Beck vermag ich dich zu befreien. Er steht unter dem Schutze deiner mächtigen Feindin."

Also nicht nur eine gütige Freundin habe ich ?" fragte Said, ",auch eine Feindin? Nun, ich glaube ihren Einfluß schon



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öfter erfahren zu haben. Aber mit Rat dürfet Ihr mich doch unterstützen? Soll ich nicht zum Kalifen gehen und ihn um Schutz bitten? Er ist ein weiser Mann, er wird mich gegen Kalum-Beck beschützen."

"Ja, harun ist ein weiser Mann !" erwiderte die Fee. "Aber leider ist er auch nur ein Mensch. Er traut seinem Großkämmerer Messour so viel als sich selbst, und er hat recht; denn er hat Messour erprobt und treu gefunden. Messour aber traut deinem Freund Kalum-Beck auch wie sich selbst, und darin hat er unrecht; denn Kalum ist ein schlechter Mann, wenn er schon Messours Verwandter ist. Kalum ist zugleich ein verschlagener Kopf und hat, sobald er seinem Vetter Großkämmerer eine Fabel über dich erdichtet und angeheftet; und dieser hat sie wieder dem Kalifen erzählt, so daß du, kämest du auch jetzt gleich in den Palast Haruns, schlecht empfangen werden würdest, denn er traute dir nicht. Aber es gibt andere Mittel und Wege, sich ihm zu nahen, und es steht in den Sternen geschrieben, daß du seine Gnade erwerben sollst."

"Das ist freilich schlimm." sagte Said wehmütig. "Da werde ich schon einige Zeit der Ladenhüter des elenden Kalum-Beck sein müssen. Aber eine Gnade, verehrte Frau, tönnet Ihr mir doch gewähren. Ich bin zum Waffenwerk erzogen, und meine höchste Freude ist ein Kampfspiel, wo recht tüchtig gefochten wird mit Lanze, Bogen und stumpfem Schwert. Nun halten die edelsten Jünglinge dieser Stadt alle Wochen ein solches Kampfspiel. Aber nur Leute im höchsten Schmuck und überdies nur freie Männer dürfen in die Schranken reiten, namentlich aber kein Diener aus dem Basar. Wenn Ihr nun bewirken könntet, daß ich alle Wochen ein Pferd, Kleider und Waffen haben könnte und daß man mein Gesicht nicht so leicht erkennte —"

"Das ist ein Wunsch, wie ihn ein edler junger Mann wohl wagen darf," sprach die Fee; "der Vater deiner Mutter war der tapferste Mann in Syrien, und sein Geist scheint sich dich vererbt zu haben. Merke dir dies Haus; du sollst jede Woche hier ein Pferd und zwei berittene Knappen, ferner Waffen und Kleider finden, und ein Waschwasser für dein Gesicht, das dich für alle Augen unkenntlich machen soll. Und nun, Said, lebe wohl! Harre aus und sei klug und tugendhaft! In sechs Monaten wird dein Pfeifchen tönen, und Zulimas Ohr wird für seine Töne offen sein."

Der Jüngling schied von seiner wunderbaren Beschützerin mit Dank und Verehrung; er merkte sich das Haus und die Straße genau und ging dann wieder nach dem Basar.



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Als Said in den Basar zurückkehrte, kam er gerade noch zu rechter Zeit, um seinen Herrn und Meister Kalum-Beck zu unterstützen und zu retten. Ein großes Gedränge war um den Laden, Knaben tanzten um den Kaufmann her und verhöhnten ihn, und die Alten lachten. Er selbst stand vor Wut zitternd und in großer Verlegenheit vor dem Laden, in der einen Hand einen Schal. in der andern den Schleier. Diese sonderbare Szene kam aber von einem Vorfall her, der sich nach Saids Abwesenheit ereignet hatte. Kalum hatte sich statt seines schönen Dieners unter die Türe gestellt und ausgerufen, aber niemand mochte bei dem alten häßlichen Burschen kaufen. Da gingen zwei Männer den Basar herab und wollten für ihre Frauen Geschenke kaufen. Sie waren suchend schon einigemal auf- und niedergegangen, und eben jetzt sah man sie mit umherirrenden Blicken wieder herabgehen.

Kalum-Beck. der dies bemerkte, wollte es sich zu nutzen machen und rief: "Hier, meine Herren, hier! Was suchet ihr? Schöne Schleier, schöne Ware?"

"Guter Alter," erwiderte einer, "deine Waren mögen recht gut sein, aber unsere Frauen sind wunderlich, und es ist Sitte in der Stadt geworden, die Schleier bei niemand zu kaufen als bei dem schönen Ladendiener Said; wir gehen schon eine halbe Stunde umher, ihn zu suchen, und finden ihn nicht; aber kannst du uns sagen, wo wir ihn etwa treffen, so kaufen wir dir ein andermal ab."

"Allahit Allah!" rief Kalum-Beck freundlich grinsend. "Euch hat der Prophet vor die rechte Türe geführt. Zum schönen Ladendiener wollet ihr, um Schleier zu kaufen? Nun, tretet nur ein, hier ist sein Gewölbe."

Der eine dieser Männer lachte über Kalums kleine und häßliche Gestalt und seine Behauptung, daß er der schöne Ladendiener sei; der andere aber glaubte, Kalum wolle sich über ihn lustig machen, blieb ihm nichts schuldig, sondern schimpfte ihn weidlich. Dadurch kam Kalum-Beck außer sich; er rief seine Nachbarn zu Zeugen auf, daß man keinen andern Laden als den seinigen das Gewölbe des schönen Ladendieners nenne; aber die Nachbarn, welche ihn wegen des Zulaufs, den er seit einiger Zeit hatte, beneideten, wollten hievon nichts wissen. und die beiden Männer gingen nun dem alten Lügner, wie sie ihn nannten, ernstlich zu Leib. Kalum verteidigte sich mehr durch Geschrei und Schimpfworte als durch seine Faust, und so lockte er eine Menge Menschen vor sein Gewölbe; die halbe Stadt kannte ihn als einen geizigen, gemeinen Filz, alle Umstehenden gönnten ihm



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die Püffe, die er bekam, und schon packte ihn einer der beiden Männer am Bart, als eben dieser am Arm gefaßt und mit einem einzigen Ruck zu Boden geworfen wurde, so daß sein Turban herabfiel und seine Pantoffeln weit hinwegflogen.

Die Menge, welche es wahrscheinlich gerne gesehen hätte, wenn Kalum-Beck mißhandelt worden wäre, murrte laus der Gefährte des Niedergeworfenen sah sich nach dem um, der es gewagt hatte, seinen Freund niederzuwerfen; als er aber einen hohen, kräftigen Jüngling mit blitzenden Augen und mutiger Miene vor sich stehen sah, wagte er es nicht, ihn anzugreifen, da überdies Kalum, dem seine Rettung wie ein Wunder erschien, auf den jungen Mann deutete und schrie: "Nun ! was wollt ihr denn mehr? Da steht er ja, ihr Herren, das ist Said, der schöne Ladendiener." Die Leute umher lachten, weil sie wußten, daß Kalum-Beck vorhin unrecht geschehen war. Der niedergeworfene Mann stand beschämt auf und hinkte mit seinem Genossen weiter, ohne weder Schal noch Schleier zu kaufen.

O. du Stern aller Ladendiener, du Krone des Basars!" rief Kalum, als er seinen Diener in den Laden führte, "wahrlich, das heiße ich zu rechter Zeit kommen, das nenne ich die Hand ins Mittel legen; lag doch der Bursche auf dem Boden, als ob er nie auf den Beinen gestanden wäre, und ich — ich hätte keinen Barbier mehr gebraucht, um mir den Bart kämmen und salben zu lassen, wenn du nur zwei Minuten später kamst; womit kann ich es dir vergelten?"

Es war nur das schnelle Gefühl des Mitleids gewesen, was Saids Hand und Herz regiert hatte; jetzt, als dieses Gefühl sich legte, reute es ihn fast, daß er die gute Züchtigung dem bösen Manne erspart hatte; ein Dutzend Barthaare weniger, dachte er, hätten ihn auf zwölf Tage sanft und geschmeidig gemacht t; er suchte aber dennoch die günstige Stimmung des Kaufmanns benützen und erbat sich von ihm zum Dank die Gunst, alle Wochen einmal einen Abend für sich benützen zu dürfen zu einem Spaziergang, oder zu was es auch sei. Kalum gab es zu; denn er wußte wohl, daß sein gezwungener Diener zu vernünftig sei, um ohne Geld und gute Kleider zu entfliehen.

Bald hatte Said erreicht, was er wollte. Am nächsten Mittwoch, dem Tag, wo sich die jungen Leute aus den vornehmsten Ständen auf einem öffentlichen Platz der Stadt versammelten, um ihre kriegerischen Übungen zu halten, sagte er zu Kalum. er wolle diesen Abend für sich benützen. und als dieser es erlaubt hatte, ging er in die Straße, wo die Fee wohnte, pochte an, und sogleich sprang die Pforte auf. Die Diener schienen



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auf seine Ankunft schon vorbereitet gewesen zu sein ; denn ohne ihn erst nach seinem Begehren zu fragen, führten sie ihn die Treppe hinan in ein schönes Gemach; dort reichten sie ihm zuerst das Waschwasser, das ihn unkenntlich machen sollte. Er benetzte sein Gesicht damit, schaute dann in einen Metallspiegel und kannte sich beinahe selbst nicht mehr; denn er war jetzt von der Sonne gebräunt, trug einen schönen schwarzen Bart und sah zum mindesten zehen Jahre älter aus, als er in der Tat zählte.

Hierauf führten sie ihn in ein zweites Gemach, wo er eine vollständige und prachtvolle Kleidung fand, in welcher sich der Kalif von Bagdad selbst nicht hätte schämen dürfen an dem Tag, wo er im vollen Glanze seiner Herrlichkeit sein Heer musterte. Außer einem Turban vom feinsten Gewebe mit einer Agraffe von Diamanten und hohen Reiherfedern einem Kleid von schwerem rotem Seidenzeug, mit silbernen Blumen durchwirkt, fand Said einen Brustpanzer von silbernen Ringen, der so fein gearbeitet war, daß er sich nach jeder Bewegung des Körpers schmiegte; und doch zugleich so fest, daß ihn weder die Lanze, noch das Schwert durchdringen konnten. Eine Damaszenerklinge in reich verzierter Scheide mit einem Griff, dessen Steine Said unschätzbar deuchten, vollendete seinen kriegerischen Schmuck. Als er völlig gerüstet wieder aus der Türe trat, überreichte ihm einer der Diener ein seidenes Tuch und sagte ihm, daß die Gebieterin des Hauser ihm dieses Tuch schicke; wenn er damit sein Gesicht abwische , so werde der Bart und die braune Farbe verschwinden.

In dem Hof des Hauses standen drei schöne Pferde; das schönste bestieg Said, die beiden andern seine Diener, und dann trabte er freudig dem Platze zu, wo die Kampfspiele gehalten werden sollten. Durch den Glanz seiner Kleider und die Pracht seiner Waffen zog er aller Augen auf sich, und ein allgemeines Geflüster des Staunens entstand, als er in den Ring, welchen die Menge umgab, einritt. Es war eine glänzende Versammlung der tapfersten und edelsten Jünglinge Bagdads; selbst die Brüder des Kalifen sah man ihre Rosse tummeln und die Lanzen schwingen. Als Said heranritt und niemand ihn zu kennen schien, ritt der Sohn des Großwesirs mit einigen Freunden auf ihn zu, grüßte ihn ehrerbietig, lud ihn ein, an ihren Spielen teilzunehmen, und fragte ihn nach seinem Namen und seinem Vaterland. Said gab vor, er heiße Almansor und komme von Kairo, sei auf einer Reise begriffen und habe von der Tapferkeit und Geschicklichkeit der jungen Edeln von Bagdad so vieles gehört , daß er nicht gesäumt habe, sie zu sehen und kennen zu lernen. Den jungen Leuten gefiel der Anstand und das mutige



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Wesen Said-Almansors; sie ließen ihm eine Lanze reichen und seine Partie wählen; denn die ganze Gesellschaft hatte sich in zwei Partien geteilt, um einzeln und in Scharen gegeneinander zu fechten.

Aber hatte schon Saids Äußeres die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt, so staunte man jetzt noch mehr über seine ungewöhnliche Geschicklichkeit und Behendigkeit. Sein Pferd war schneller als ein Vogel, und sein Schwert schwirrte noch behender umher. Er warf die Lanze so leicht, weit und sicher, als wäre sie ein Pfeil, den er von einem sicheren Bogen abgeschnellt hätte. Die Tapfersten seiner Gegenpartei besiegte er, und am Schluß der Spiele war er so allgemein als Sieger anerkannt, daß einer der Brüder des Kalifen und der Sohn des Großwesirs, die auf Saids Seite gekämpft hatten, ihn baten, auch mit ihnen zu streiten. Ali, der Bruder des Kalifen, wurde von ihm besiegt; aber der Sohn des Großwesirs widerstand ihm so tapfer, daß sie es nach langem Kampfe für besser hielten, die Entscheidung für das nächste Mal aufzusparen.

Den Tag nach diesen Spielen sprach man in ganz Bagdad von nichts als dem schönen, reichen und tapfern Fremdling; alle, die ihn gesehen hatten, ja selbst die von ihm besiegt waren, waren entzückt von seinen edeln Sitten, und sogar vor seinen eigenen Ohren im Gewölbe Kalum-Becks wurde über ihn gesprochen; und man beklagte nur, daß niemand wisse, wo er wohne. Das nächste Mal fand er im Hause der Fee ein noch schöneres Kleid und noch köstlicheren Waffenschmuck. Diesmal hatte sich halb Bagdad zugedrängt, selbst der Kalif sah von einem Balkon herab dem Schauspiel zu; auch er bewunderte den Fremdling Almansor und hing ihm, als die Spiele geendet hatten, eine große Denkmünze von Gold an einer goldenen Kette um den Hals, um ihm seine Bewunderung zu bezeigen. Es konnte nicht anders kommen, als daß dieser zweite, noch glänzendere Sieg den Neid der jungen Leute von Bagdad aufregte. " Ein Fremdling," sprachen sie untereinander, "soll hieher kommen nach Bagdad, uns Ruhm, Ehre und Sieg zu entreißen? Er soll sich an andern Orten damit brüsten können, baß unter der Blüte von Bagdads Jünglingen keiner gewesen sei, der es entfernt hätte mit ihm aufnehmen können?" So sprachen sie und beschlossen, beim nächsten Kampfspiel. als wäre es durch Zufall geschehen, zu fünf oder sechs über ihn herzufallen.

Saids scharfen Blicken entgingen diese Zeichen des Unmuts nicht; er sah, wie sie in der Ecke zusammen standen, flüsterten und mit bösen Mienen auf ihn deuteten; er ahnte, daß außer dem Bruder des Kalifen und dem Sohn des Großwesirs keiner



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sehr freundlich gegen ihn gesinnt sein möchte, und diese selbst wurden ihm durch ihre Fragen lästig, wo sie ihn aufsuchen könnten, womit er sich beschäftige, was ihm in Bagdad wohlgefallen habe und dergleichen.

Es war ein sonderbarer Zufall, daß derjenige der jungen Männer, welcher Said-Almansor mit den grimmigsten Blicken betrachtete und am feindseligsten gegen ihn gesinnt schien, niemand anders war als der Mann. den er vor einiger Zeit bei Kalum-Becks Bude niedergeworfen hatte, als er gerade im Begriff war. dem unglücklichen Kaufmann den Bart auszureißen. Dieser Mann betrachtete ihn immer aufmerksam und neidisch, Said hatte ihn zwar schon einigemal besiegt, aber dies war kein Grund zu solcher Feindseligkeit, und Said fürchtete schon, jener möchte ihn an seinem Wuchs oder an der Stimme als Kalum-Becks Ladendiener erkannt haben, eine Entdeckung, die ihn dem Spott und der Rache dieser Leute aussetzen würde. Der Anschlag, welchen seine Neider auf ihn gemacht hatten, scheiterte sowohl an seiner Vorsicht und Tapferkeit, als auch an der Freundschaft, womit ihm der Bruder des Kalifen und der Sohn des Großwesirs zugetan waren. Als diese sahen, daß er von wenigstens sechs umringt sei, die ihn vom Pferd zu werfen oder zu entwaffnen suchten, sprengten sie herbei, jagten den ganzen Trupp auseinander und drohten den jungen Leuten, welche so verräterisch gehandelt hatten, sie aus der Kampfhahn zu stoßen. Mehr denn vier Monate hatte Said auf diese Weise zum Erstaunen Bagdads seine Tapferkeit erprobt, als er eines Abends beim Nachhausegehen von dem Kampfplatz einige Stimmen vernahm, die ihm bekannt schienen. Vor ihm gingen vier Männer, die sich langsamen Schrittes über etwas zu beraten schienen. Als Said leise näher trat, hörte er, daß sie den Dialekt der Horde Selims in der Wüste sprachen, und ahnte, daß die vier Männer auf irgendeine Räuberei ausgingen. Sein erstes Gefühl war, sich von diesen vieren zurückzuziehen; als er aber bedachte, daß er irgend etwas Böses verhindern könnte, schlich er sich noch näher herzu, diese Männer zu behorchen.

"Der Türsteher hat ausdrücklich gesagt, die Straße rechts vom Basar," sprach der eine, "dort werde und müsse er heute nacht mit dem Großwesir durchkommen.

"Gut," antwortete ein anderer. "Den Großwesir fürchte ich nicht; er ist alt und wohl kein sonderlicher Held, aber der Kalif soll ein gutes Schwert führen; und ich traue ihm nicht; es schleichen ihm gewiß zehen oder zwölf von der Leibwache nach."



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"Keine Seele," entgegnete ihm ein dritter. "Wenn man ihn je gesehen und erkannt hat bei Nacht, war er immer nur allein mit dem Wesir oder mit dem Oberkämmerling. Heute nacht muß er unser sein, aber es darf ihm kein Leid geschehen."

"Ich denke, das beste ist," sprach der erste, "wir werfen ihm eine Schlinge über den Kopf; töten dürfen wir ihn nicht; denn für seinen Leichnam würden sie ein geringes Lösegeld geben, und überdies wären wir nicht sicher, es zu bekommen."

"Also eine Stunde vor Mitternacht!" sagten sie zusammen und schieden, der eine hierhin, der andere dorthin. 1

Said war über diesen Anschlag nicht wenig erschrocken. Er beschloß, sogleich zum Palast des Kalifen zu eilen und ihn von der Gefahr, die ihm drohte, zu unterrichten. Aber als er schon durch mehrere Straßen gelaufen war, fielen ihm die Worte der Fee bei, die ihm gesagt hatte, wie schlecht er bei dem Kalifen 1 angeschrieben sei; er bedachte, daß man vielleicht seine Angabe verlachen oder als einen Versuch, bei dem Beherrscher von Bagdad sich einzuschmeicheln, ansehen könnte, und so hielt er seine Schritte an und achtete es für das beste, sich auf sein gutes Schwert zu verlassen und den Kalifen persönlich aus den Händen der Räuber zu retten.

Er ging daher nicht in Kalum-Becks Haus zurück, sondern setzte sich auf die Stufen einer Moschee und wartete dort, bis die Nacht völlig angebrochen war ; dann ging er am Basar vorbei in jene Straße, welche die Räuber bezeichnet hatten, und verbarg sich hinter dem Vorsprung eines Hauses. Er machte ungefähr eine Stunde dort gestanden sein, als er zwei Männer langsam die Straße herabkommen hörte; anfänglich glaubte er, es sei der Kalif und sein Großwesir, aber einer der Männer klatschte in die Hand, und sogleich eilten zwei andere sehr leise die Straße herauf vom Basar her. Sie flüsterten eine Weile und verteilten sich dann; drei versteckten sich nicht weit von ihm, und einer ging in der Straße auf und ab. Die Nacht war sehr finster, aber stille, und so mußte sich Said auf sein scharfes Ohr beinahe ganz allein verlassen.

Wieder war etwa eine halbe Stunde vergangen, als man gegen den Basar hin Schritte vernahm. Der Räuber mochte sie auch gehört haben; er schlich an Said vorüber dem Basar zu. Die Schritte kamen näher, und schon konnte Said einige dunkle Gestalten erkennen, als der Räuber in die Hand klatschte, und in demselben Augenblicke stürzten die drei aus dem Hinterhalt hervor. Die Angegriffenen mussten übrigens bewaffnet sein; denn er vernahm den Klang von aneinander geschlagenen Schwertern.



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Sogleich zog er seine Damaszenerklinge und stürzte sich mit dem Ruf: "Nieder mit den Feinden des großen Harun!" auf die Räuber, streckte mit dem ersten Hieb einen zu Boden und drang dann auf zwei andere ein, die eben im Begriff waren, einen Mann, um welchen sie einen Strick geworfen hatten, zu entwaffnen . Er hieb blindlings auf den Strick ein, um ihn zu zerschneiden, aber er traf dabei einen der Räuber so heftig über den Arm. daß er ihm die Hand abschlug; der Räuber stürzte mit fürchterlichem Geschrei auf die Knie. Jetzt wandte sich der vierte, der mit einem andern Mann gefochten hatte, gegen Said, der noch mit dem dritten im Kampf war; aber der Mann, um welchen man die Schlinge geworfen hatte, sah sich nicht sobald frei, als er seinen Dolch zog und ihn dem Angreifenden von der Seite in die Brust stieß. Als dies der noch übriggebliebene sah, warf er seinen Säbel weg und floh.

Said blieb nicht lange in Ungewißheit, wen er gerettet habe; denn der größere der beiden Männer trat zu ihm und sprach: Das eine ist so sonderbar wie das andere, dieser Angriff auf mein Leben oder meine Freiheit, wie die unbegreifliche Hilfe und Rettung. Wie wußtet Ihr, wer ich bin? Habt Ihr von dem Anschlag dieser Menschen gewußt?"

"Beherrscher der Gläubigen," antwortete Said; "denn ich zweifle nicht, daß du es bist, ich ging heute abend durch die Straße Et Malek hinter einigen Männern, deren fremden und geheimnisvollen Dialekt ich einst gelernt habe. Sie sprachen davon, dich gefangen zu nehmen und den würdigen Mann, deinen Wesir, zu töten. Weil es nun zu spät war, dich zu warnen, beschloß ich, an den Platz zu gehen, wo sie dir auflauern wollten, um dir beizustehen."

"Danke dir," sprach Harun, " an dieser Stätte ist übrigens nicht gut weilen; nimm diesen Ring und komm damit morgen in meinen Palast; wir wollen dann mehr über dich und deine Hilfe reden und sehen, wie ich dich am besten belohnen kann. Komm, Wesir, hier ist nicht gut bleiben; sie können wiederkommen."

Er sprach es und wollte den Großwesir fortziehen, nachdem er dem Jüngling einen Ring an den Finger gesteckt hatte; dieser aber bat ihn, noch ein wenig zu verweilen, wandte sich um und reichte dem überraschten Jüngling einen schweren Beutel. "Junger Mann," sprach er, " mein Herr. der Kalif, kann dich zu allem machen, wozu er will, selbst zu meinem Nachfolger, ich selbst kann wenig tun, und was ich tun kann, geschieht heute besser als morgen; drum nimm diesen Beutel! Das soll meinen



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Dank übrigens nicht abkaufen. So oft du irgend einen Wunsch hast, komm getrost zu mir !"

Ganz trunken vor Glück eilte Said nach Hause. Aber hier wurde er übel empfangen; Kalum-Beck wurde über sein langes Ausbleiben zuerst unwillig und dann besorgt; denn er dachte, er könnte leicht den schönen Aushängeschild seines Gewölbes verlieren. Er empfing ihn mit Schmähworten und tobte und raste wie ein Wahnsinniger. Aber Said, der einen Blick in den Beutel getan und gefunden hatte, daß er lauter Goldstücke enthalte, bedachte, daß er jetzt nach seiner Heimat reisen könne, auch ohne die Gnade des Kalifen, die gewiß nicht geringer war als der Dank seines Wesirs, und so blieb er ihm kein Wort schuldig, sondern erklärte ihm rund und deutlich, daß er keine Stunde länger bei ihm bleiben werde. Von Anfang erschrak Kalum-Beck hierüber sehr, dann aber lachte er höhnisch und sprach: "Du Lump und Landläufer, du ärmlicher Wicht! Wohin willst du denn deine Zuflucht nehmen, wenn ich meine Hand von dir abziehe? Wo willst du ein Mittagessen bekommen und wo ein Nachtlager ?"

"Das soll Euch nicht bekümmern, Herr Kalum-Beck," antwortete Said trotzig, "gehabt Euch wohl, mich sehet Ihr nicht wieder !"

Er sprach es und lief zur Türe hinaus, und Kalum-Beck schaute ihm sprachlos vor Staunen nach. Den andern Morgen aber, nachdem er sich den Fall recht überlegt hatte, schickte er seine Packknechte aus und ließ überall nach dem Flüchtling spähen. Lange suchten sie umsonst, endlich aber kam einer zurück und sagte, er habe Said, den Ladendiener, aus einer Moschee kommen und in eine Karawanserei gehen sehen. Er sei aber ganz verändert, trage ein schönes Kleid, einen Dolch und Säbel und einen prachtvollen Turban.

Als Kalum-Beck dies hörte, schwur er und rief: "Bestohlen hat er mich und sich dafür geneidet. O, ich geschlagener Mann!" Dann lief er zum Aufseher der Polizei, und da man wußte, daß er ein Verwandter von Messour, dem Oberkämmerling, sei, so wurde es ihm nicht schwer, einige Polizeidiener von ihm zu erlangen, uni Said zu verhaften. Said saß vor einer Karawanserei und besprach sich ganz ruhig mit einem Kaufmann, den er da gefunden, über eine Reise nach Balsora, seiner Vaterstadt; da fielen plötzlich einige Männer über ihn her und banden ihm trotz seiner Gegenwehr die Hände auf den Rücken. Er fragte sie, was sie zu dieser Gewalttat berechtige, und sie antworteten, es geschehe im Namen der Polizei und seines rechtmäßigen



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Gebieters Kalum-Beck. Zugleich trat der kleine, häßliche Mann herzu, verhöhnte und verspottete Said, griff in seine Tasche und zog zum Staunen der Umstehenden und mit Triumphgeschrei einen großen Beutel mit Gold heraus.

"Sehet! Das alles hat er mir nach und nach gestohlen, der schlechte Mensch!" rief er, und die Leute sahen mit Abscheu auf den Gefangenen und riefen: " Wie! Noch so jung, so schön und doch so schlecht! Zum Gericht, zum Gericht, damit er die Bastonade erhalte." So schleppten sie ihn fort, und ein ungeheurer Zug Menschen aus allen Ständen schloß sich an ; sie riefen: Sehet, das ist der schöne Ladendiener vom Basar; er hat seinen Herrn bestohlen und ist entflohen; zweihundert Goldstücke hat er gestohlen."

Der Aufseher der Polizei empfing den Gefangenen mit finsterer Miene; Said wollte sprechen, aber der Beamte gebot ihm zu schweigen und verhörte nur den kleinen Kaufmann. Er zeigte ihm den Beutel und fragte ihn, ob ihm dieses Gold gestohlen worden sei; Kalum-Beck beschwor es ; aber sein Meineid verhalf ihm zwar zu dem Gold, doch nicht zu dem schönen Ladendiener, der ihm tausend Goldstücke wert war; denn der Richter sprach: Nach einem Gesetz, das mein großmächtigster Herr, der Kalif, erst vor wenigen Tagen geschärft hat, wird jeder Diebstahl, der hundert Goldstücke übersteigt und auf dem Basar begangen wird, mit ewiger Verbannung auf eine wüste Insel bestraft. Dieser Dieb kommt gerade zu rechter Zeit, er macht die Zahl von zwanzig solcher Bursche voll; morgen werden sie auf eine Barke gepackt und in die See geführt."

Said war in Verzweiflung; er beschwor den Beamten, ihn anzuhören, ihn nur ein Wort mit dem Kalifen sprechen zu lassen; aber er fand keine Gnade. Kalum-Beck, der jetzt seinen Schwur bereute, sprach ebenfalls für ihn, aber der Richter antwortete: Du hast dein Gold und kannst zufrieden sein, gehe nach Hause und verhalte dich ruhig, sonst strafe ich dich für jeden Widerspruch um zehn Goldstücke." Kalum schwieg bestürzt, der Richter aber winkte, und der unglückliche Said wurde abgeführt.

Man brachte ihn in ein finsteres und feuchtes Gefängnis; neunzehen elende Menschen lagen dort auf Stroh umher und empfingen ihn als ihren Leidensgefährten mit rohem Gelächter und Verwünschungen gegen den Richter und den Kalifen. So schrecklich sein Schicksal vor ihm lag, so fürchterlich der Gedanke war, auf eine wüste Insel verbannt zu werden, so fand er doch noch einigen Trost darin, schon am folgenden Tag aus diesem schrecklichen Gefängnis erlöst zu werden. Aber er täuschte sich sehr, als er



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glaubte, sein Zustand auf dem Schiff würde besser sein. In deir untersten Raum, wo man nicht aufrecht stehen konnte, wurden die zwanzig Verbrecher hinabgeworfen, und dort stießen und schlugen sie sich um die besten Plätze.

Die Anker wurden gelichtet, und Said weinte bittere Tränen, als das Schiff, das ihn von seinem Vaterlande entführen sollte, sich zu bewegen anfing. Nur einmal des Tages teilte man ihnen ein wenig Brot und Früchte und einen Trunk süßen Wassers aus, und so dunkel war es in dem Schiffsraum. daß man immer Lichter herabbringen mußte, wenn die Gefangenen speisen sollten. Beinahe alle zwei, drei Tage fand man einen Toten unter ihnen, so ungesund war die Luft in diesem Wasserkerker, und Said wurde nur durch seine Jugend und seine feste Gesundheit erhalten.

Vierzehn Tage waren sie schon auf dem Wasser, als eines Tages die Wellen heftiger rauschten, und ein ungewöhnliches Treiben und Rennen auf dem Schiffe entstand.

Said ahnete, daß ein Sturm im Anzug sei; es war ihm sogar angenehm, denn er hoffte dann zu sterben.

Heftiger wurde das Schiff hin- und hergeworfen, und endlich saß es mit schrecklichem Krachen fest. Geschrei und Geheul scholl von dem Verdeck herab und mischte sich mit dem Brausen des Sturmes. Endlich wurde es wieder stille, aber zu gleicher Zeit entdeckte auch einer der Gefangenen, daß das Wasser in das Schiff eindringe. Sie pochten an der Falltüre nach oben, aber man antwortete ihnen nicht. Als daher das Wasser immer heftiger eindrang, drängten sie sich mit vereinigten Kräften gegen die Türe und sprengten sie auf.

Sie stiegen die Treppe hinan, aber oben fanden sie keinen Menschen mehr. Die ganze Schiffsmannschaft hatte sich in Böten gerettet. Jetzt gerieten die meisten Gefangenen in Verzweiflung; denn der Sturm wütete immer heftiger, das Schiff krachte und senkte sich. Noch einige Stunden saßen sie auf dem Verdeck und hielten ihre letzte Mahlzeit von den Vorräten, die sie im Schiff gefunden; dann erneuerte sich auf einmal der Sturm, das Schiff wurde von der Klippe, worauf es festsaß, hinweggerissen und brach zusammen.

Said hatte sich am Mast angeklammert und hielt ihn, als das Schiff geborsten war, noch immer fest. Die Wellen warfen ihn hin und her; aber er hielt sich, mit den Füßen rudernd, immer wieder oben. So schwamm er in immerwährender Todesgefahr eine halbe Stunde; da fiel die Kette mit dem Pfeifchen wieder aus seinem Kleid, und noch einmal wollte er versuchen, ob es nicht töne. Mit der einen Hand klammerte er sich fest,



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mit der andern setzte er es an seinen Mund, blies, ein heller, klarer Ton erscholl, und augenblicklich legte sich der Sturm. und die Wellen glätteten sich, als hätte man darauf ausgegossen. Kaum hatte er sich mit leichterem Atem umgesehen, ob er nicht irgendwo Land erspähen könnte, als der Mast unter ihm sich auf eine sonderbare Weise auszudehnen und zu bewegen anfing, und zu seinem nicht geringen Schrecken nahm er wahr, daß er nicht mehr auf Holz, sondern auf einem ungeheuren Delphin reite; nach einigen Augenblicken aber kehrte seine Fassung zurück, und da er sah, daß der Delphin zwar schnell, aber ruhig und gelassen seine Bahn fortschwimme, schrieb er seine wunderbare Rettung dem silbernen Pfeifchen und der gütigen Fee zu und rief seinen feurigsten Dank in die Lüfte.

Pfeilschnell trug ihn sein wunderbares Pferd durch die Wogen, und noch ehe es Abend wurde, sah er Land erkannte einen breiten Fluß, in welchen der Delphin auch sogleich einbog. Stromaufwärts ging es langsamer, und um nicht verschmachten zu müssen, nahm Said, der sich aus alten Zaubergeschichten erinnerte, wie man zaubern müsse, das Pfeifchen heraus, pfiff laut und herzhaft und wünschte sich dann ein gutes Mahl. Sogleich hielt der Fisch stille, und hervor aus dem Wasser tauchte ein Tisch, so wenig naß, als ob er acht Tage an der Sonne gestanden wäre, und reich besetzt mit köstlichen Speisen. Said griff weidlich zu, denn seine Kost während seiner Gefangenschaft war schmal und elend gewesen, und als er sich hinlänglich gesättigt hatte, sagte er Dank; der Tisch tauchte nieder, er aber stauchte den Delphin in die Seite, und sogleich schwamm dieser weiter den Fluß hinauf.

Die Sonne fing schon an zu sinken, als Said in dunkler Ferne eine große Stadt erblickte, deren Minaretts ihm Ähnlichkeit mit denen von Bagdad zu haben schienen. Der Gedanke an Bagdad war ihm nicht sehr angenehm; aber sein Vertrauen auf die gütige Fee war so groß, daß er fest glaubte, sie werde ihn nicht wieder in die Hände des schändlichen Kalum-Beck fallen lassen. Zur Seite, etwa eine Meile von der Stadt und nahe am Fluß, erblickte er ein prachtvolles Landhaus, und zu seiner großen Verwunderung lenkte der Fisch nach diesem Hause hin.

Auf dem Dach des Hauses standen mehrere schön gekleidete Männer, und am Ufer sah Said eine große Menge Diener, und alle schauten nach ihm und schlugen vor Verwunderung die Hände zusammen. An einer Marmortreppe, die vom Wasser nach dem Lustschloß hinaufführte, hielt der Delphin an, und kaum hatte Said einen Fuß auf die Treppe gesetzt, so war auch schon der



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Fisch spurlos verschwunden. Zugleich eilten einige Diener die Treppe hinab und baten im Namen ihres Herrn, zu ihm hinaufzukommen , und boten ihm trockene Kleider an. Er kleidete sich schnell um und folgte dann den Dienern auf das Dach, wo er drei Männer fand, von welchen der größte und schönste ihm freundlich und huldreich entgegenkam. "Wer bist du, wunderbarer Fremdling," sprach er, "der du die Fische des Meeres zähmst und sie links und rechts leitest, wie der beste Reiter sein Streitroß? Bist du ein Zauberer oder ein Mensch wie wir ?"

"Herr!" antwortete Said, "mir ist es in den letzten Wochen schlecht ergangen; wenn Ihr aber Vergnügen daran findet, so will ich Euch erzählen." Und nun hub er an und erzählte den drei Männern seine Geschichte von dem Augenblick an, wo er seines Vaters Haus verlassen hatte, bis zu seiner wunderbaren Rettung. Oft wurde er von ihnen mit Zeichen des Staunens und der Verwunderung unterbrochen; als er aber geendet hatte, sprach der Herr des Hauses, der ihn so freundlich empfangen hatte: ",Ich traue deinen Worten. Said : Aber du erzähltest uns, daß du im Wettkampfe eine Kette gewonnen, und daß dir der Kalif einen Ring geschenkt; kannst du wohl diese uns zeigen?"

"Hier auf meinem Herzen habe ich beide verwahrt," sprach der Jüngling, "und nur mit meinem Leben hätte ich so teure Geschenke hergegeben; denn ich achte es für die ruhmvollste und schönste Tat, daß ich den großen Kalifen aus den Händen seiner Mörder befreite." Zugleich zog er Kette und Ring hervor und übergab beides den Männern.

"Beim Bart des Propheten, er ist's, es ist mein Ring" rief der hohe, schöne Mann. "Großwesir, laß uns ihn umarmen; denn hier steht unser Retter !" Said war es wie ein Traum, als diese zwei ihn umschlangen, aber alsobald warf er sich nieder und sprach: "Verzeihe, Beherrscher der Gläubigen, daß ich so vor dir gesprochen habt; denn du bist kein anderer als Harun Al-Raschid, der große Kalif von Bagdad."

"Der bin ich und dein Freund!" antwortete Harun, "und von dieser Stunde an sollen sich alle deine trüben Schicksale wenden. Folge mir nach Bagdad, bleibe in meiner Umgebung und sei einer meiner vertrautesten Beamten; denn wahrlich, du hast in jener Nacht gezeigt, daß dir Harun nicht gleichgültig sei, und nicht jeden meiner treuesten Diener möchte ich auf gleiche Probe stellen!"

Said dankte dem Kalifen; er versprach ihm, auf immer bei ihm zu bleiben, wenn er zuvor eine Reise zu seinem Vater. der in großen Sorgen um ihn sein müsse, gemacht haben werde, und



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der Kalif fand dies gerecht und billig. Sie setzten sich bald zu Pferd und kamen noch vor Sonnenuntergang in Bagdad an. Der Kalif ließ Said eine lange Reihe prachtvoll geschmückter Zimmer in seinem Palast anweisen und versprach ihm noch überdies, ein eigenes Haus für ihn erbauen zu lassen.

Auf die erste Kunde von diesem Ereignis eilten die alten Waffenbruder Saids, der Bruder des Kalifen und der Sohn des Großwesirs, herbei. Sie umarmten ihn als Retter dieser teuren Männer und baten ihn, er möchte ihr Freund werden. Aber sprachlos wurden sie vor Erstaunen, als er sagte: " Euer Freund bin ich längst," als er die Kette, die er als Kampfpreis erhalten, hervorzog und sie an dieses und jenes erinnerte. Sie hatten ihn immer nur schwärzlichbraun und mit langem Bart gesehen, und erst, als er erzählte, wie und warum er sich entstellt habe, als er zu seiner Rechtfertigung stumpfe Waffen herbeibringen ließ, mit ihnen focht und ihnen den Beweis gab, daß er Almansor der Tapfere sei, erst dann umarmten sie ihn mit Jubel von neuem und priesen sich glücklich, einen solchen Freund zu haben.

Den folgenden Tag, als eben Said mit dem Großwesir bei Harun saß, trat Messour, der Oberkämmerer, herein und sprach: Beherrscher der Gläubigen, so es anders sein kann, möchte ich dich um eine Gnade bitten."

"Ich will zuvor hören," antwortete Harun.

"Draußen steht mein lieber leiblicher Vetter Kalum-Beck, ein berühmter Kaufmann auf dem Basar," sprach er; "der hat einen sonderbaren Handel mit einem Mann aus Balsora, dessen Sohn bei Kalum-Beck diente, nachher gestohlen hat, dann entlaufen ist, und niemand weiß, wohin. Nun will aber der Vater seinen Sohn von Kalum haben, und dieser hat ihn doch nicht. Er wünscht daher und bittet um die Gnade, du möchtest Saft deiner großen Erleuchtung und Weisheit sprechen zwischen dem Mann aus Balsora und ihm."

"Ich will richten," erwiderte der Kalif. "In einer halben Stunde möge dein Herr Vetter mit seinem Gegner in den Gerichtssaal treten

Als Messour dankend gegangen war, sprach Harun: "Das ist niemand anders als dein Vater, Said, und da ich nun glücklicherweise alles, wie es ist, erfahren habe, will ich richten wie Salomo. Du, Said, verbirgst dich hinter den Vorhang meines Thrones, bis ich dich rufe, und du, Großwesir, läßt mir sogleich den schlechten und voreiligen Polizeirichter holen! Ich werde ihn im Verhör brauchen."



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Sie taten beide, wie er befohlen. Saids Herz pochte stärker, als er seinen Vater bleich und abgehärmt, mit wankenden Schritten in den Gerichtssaal treten sah, und Kalum-Becks feines, zuversichtiges Lächeln, womit er zu seinem Vetter Oberkämmerer flüsterte, machte ihn so grimmig, daß er gerne hinter dem Vorhang hervor auf ihn losgestürzt wäre. Denn seine größten Leiden und Kümmernisse hatte er diesem schlechten Menschen zu danken.

Es waren viele Menschen im Saal, die den Kalifen Recht sprechend hören wollten. Der Großwesir gebot, nachdem der Herrscher von Bagdad auf seinem Thron Platz genommen hatte, Stille und fragte, wer hier als Kläger vor seinem Herrn erscheine.

Kalum-Beck trat mit frecher Stirne vor und sprach: "Vor einigen Tagen stand ich unter der Türe meines Gewölbes im Basar, als ein Ausrufer, einen Beutel in der Hand und diesen Mann hier neben sich, durch die Buden schritt und rief: ,Einen Beutet Gold dem, der Auskunft geben kann über Said aus Balsora.' Dieser Said war in meinen Diensten gewesen, und ich rief daher: ,Hierher, Freund ! ich kann den Beutel verdienen. Dieser Mann, der jetzt so feindlich gegen mich ist, kam freundlich und fragte, was ich wüßte. Ich antwortete: ,Ihr seid wohl Benazar, sein Vater?' und als er dies freudig bejahte, erzählte ich ihm, wie ich den jungen Menschen in der Wüste gefunden, gerettet und gepflegt und nach Bagdad gebracht habe. In der Freude seines Herzens schenkte er mir den Beutel. Aber hört diesen unsinnigen Menschen; wie ich ihm nun weiter erzählte, daß sein Sohn bei mir gedient habe, daß er schlechte Streiche gemacht, gestohlen habe und davon gegangen sei, will er es nicht glauben, hadert schon seit einigen Tagen mit mir, fordert seinen Sohn und sein Geld zurück, und beides kann ich nicht geben; denn das Geld gebührt mir für die Nachricht, die ich ihm gab, und seinen ungeratenen Burschen kann ich nicht herbeischaffen."

Jetzt sprach auch Benazar. Er schilderte seinen Sohn, wie edel und tugendhaft er sei, und daß er nie habe so schlecht sein können, zu stehlen. Er forderte den Kalifen auf, streng zu untersuchen.

"Ich hoffe," sprach Harun, " du hast, wie es Pflicht ist, den Diebstahl angezeigt, Kalum-Beck?"

"Ei freilich!" rief jener lächelnd. . Vor den Polizeirichter habe ich ihn geführt."

"Man bringe den Polizeirichter!" befahl der Kalif.

Zum allgemeinen Erstaunen erschien dieser sogleich, wie durch Zauberei herbeigebracht. Der Kalif fragte ihn, ob er sich dieses Handels erinnere, und dieser gestand den Fall zu.



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"Hast du den jungen Mann verhört, hat er den Diebstahl eingestanden?" fragte Harun.

Nein, er war sogar so verstockt, daß er niemand als Euch selbst gestehen wollte !" erwiderte der Richter.

"Aber ich erinnere mich nicht, ihn gesehen zu haben," sagte der Kalif.

"Ei warum auch! da müßte ich alle Tage einen ganzen Pack solches Gesindel zu Euch schicken, die Euch sprechen wollen."

"Du weißt, daß mein Ohr für jeden offen ist," antwortete Harun, "aber wahrscheinlich waren die Beweise über den Diebstahl so klar, daß es nicht nötig war, den jungen Menschen vor Mein Angesicht zu bringen. Du hattest wohl Zeugen, daß das Geld, das dir gestohlen wurde, dein gehörte, Kalum ?"

"Zeugen?" fragte dieser erbleichend, "nein, Zeugen hatte ich nicht, und Ihr wisset ja, Beherrscher der Gläubigen, daß ein Goldstück aussieht wie das andere. Woher konnte ich denn Zeugen nehmen, daß diese hundert Stücke in meiner Kasse fehlen ?"

"An was erkanntest du denn, daß jene Summe gerade dir gehöre?" fragte der Kalif.

"An dem Beutel, in welchem sie war," erwiderte Kalum.

"Hast du den Beutel hier?" forschte jener weiter.

"Hier ist er," sprach der Kaufmann, zog einen Beutel hervor und reichte ihn dem Großwesir, damit er ihn dem Kalifen gebe.

Doch dieser rief mit verstelltem Erstaunen: "Beim Bart des Propheten! Der Beutel soll dein sein, du Hund ? Mein gehörte dieser Beutel, und ich gab ihn, mit hundert Goldstücken gefüllt, einem braven jungen Sann, der mich aus einer großen Gefahr befreite."

"Kannst du darauf schwören?" fragte der Kalife.

"So gewiß, als ich einst ins Paradies kommen will," antwortete der Wesir; "denn meine Tochter hat ihn selbst verfertigt."

"Ei! ei!" rief Harun, "so wurdest du also falsch berichtet, Polizeirichter? Warum hast du denn geglaubt, daß der Beutel diesem Kaufmann gehöre?"

"Er hat geschworen," antwortete der Polizeirichter furchtsam.

"So hast du falsch geschworen!" donnerte der Kalif den Kaufmann an, der erbleichend und zitternd vor ihm stand.

"Allah, Allah !" rief jener. "Ich will gewiß nichts gegen den Herrn Großwesir sagen, er ist ein glaubwürdiger Mann, aber ach ! der Beutel gehörte doch mein, und der nichtswürdige Said hat ihn gestohlen. Tausend Toman wollte ich geben, wenn er jetzt zur Stelle wäre."



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"Was hast du denn mit diesem Said angegangen?" fragte der Kalif. "Sag' an, wohin man schicken muß, damit er vor mir Bekenntnis ablege!"

"Ich habe ihn auf eine wüste Insel geschickt," sprach der Polizeirichter.

O Said ! mein Sohn, mein Sohn!" rief der unglückliche Vater und weinte.

"So hat er also das Verbrechen bekannt?" fragte Harun.

Der Polizeirichter erbleichte. Er rollte seine Augen hin und her, und endlich sprach er: "Wenn ich mich noch recht erinnern kann — ja."

"Du weißt es also nicht gewiß?" fuhr der Kalif mit schrecklicher Stimme fort; "so wollen wir ihn selbst fragen. Tritt hervor, Said, und du, Kalum-Beck, zahlst vor allem tausend Goldstücke, weil er jetzt hier zur Stelle ist!"

Kalum und der Polizeirichter glaubten ein Gespenst zu sehen. Sie stürzten nieder und riefen: "Gnade ! Gnade !" Benazar, vor Freude halb ohnmächtig, eilte in die Arme seines verlorenen Sohnes. Aber mit eiserner Strenge fragte jetzt der Kalif: Polizeirichter, hier steht Said, hat er eingestanden?"

"Nein, nein !" heulte der Polizeirichter, "ich habe nur Kalums Zeugnis gehört, weil er ein angesehener Mann ist."

"Habe ich dich darum als Richter über alle bestellt, daß du nur den Vornehmen hörest?" rief Harun Al-Raschid mit edlem Zorn. "Auf zehen Jahre verbanne ich dich auf eine wüste Insel mitten im Meere, da kannst du über Gerechtigkeit nachdenken , und du, elender Mensch, der du Sterbende erweckst, nicht um sie zu retten, sondern um sie zu deinen Sklaven zu machen, du zahlst, wie schon gesagt, tausend Tomans, weil du sie versprochen, wenn Said käme, um für dich zu zeugen."

Kalum freute sich, so wohlfeil aus dem bösen Handel zu kommen, und wollte eben dem gütigen Kalifen danken. Doch dieser fuhr fort: "Für den falschen Eid wegen der hundert Goldstücke bekommst du hundert Hiebe auf die Fußsohlen. Ferner hat Said zu wählen, ob er dein ganzes Gewölbe und dich als Lastträger nehmen will, oder ob er mit zehn Goldstücken für jeden Tag, welchen er dir diente, zufrieden ist?" Lasset den Elenden laufen, Kalife!" rief der Jüngling, "ich will nichts, das sein gehörte."

"Nein," antwortete Harun, . .ich will, daß du entschädigt werdest. Ich wähle statt deiner die zehn Goldstücke für den Tag, und du magst berechnen, wie viel Tage du in seinen Klauen warst. Jetzt fort mit diesen Elenden !"



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Sie wurden abgeführt, und der Kalife führte Venazar und Said in einen andern Saal ; dort erzählte er ihm selbst seine wunderbare Rettung durch Said und wurde nur zuweilen durch das Geheul Kalum-Becks unterbrochen, dem man soeben im Hof seine hundert vollwichtigen Goldstücke auf die Fußsohlen zählte.

Der Kalif lud Benazar ein, mit Said bei ihm in Bagdad zu leben. Er sagte es zu und reiste nur noch einmal nach Hause, uni sein großes Vermögen abzuholen. Said aber lebte in dem Palast, den ihm der dankbare kalife erbaut hatte, wie ein Fürst. Der Bruder des Kalifen und der Sohn des Großwesirs waren seine Gesellschafter, und es war in Bagdad zum Sprichwort geworden: Ich möchte so gut und so glücklich sein als Said, der Sohn Benazars.



***
"Bei solcher Unterhaltung käme mir kein Schlaf in die Augen, wenn ich auch zwei, drei und mehrere Nächte wach bleiben müßte," sagte der Zirkelschmied, als der Jäger geendigt hatte. Und oft schon habe ich dies bewährt gefunden. So war ich in früherer Zeit als Geselle bei einem Glockengießer. Der Meister war ein reicher Mann und kein Geizhals. Aber eben darum wunderten wir uns nicht wenig, als wir einmal eine große Arbeit hatten, und er, ganz gegen seine Gewohnheit, so knickerig als möglich erschien. Es wurde in die neue Kirche eine Glocke gegossen, und wir Jungen und Gesellen mußten die ganze Nacht am Herd sitzen und das Feuer hüten. Wir glaubten nicht anders, als der Meister werde sein Mutterfäßchen anstechen und uns den besten Wein vorsetzen. Aber nicht also. Er ließ nur alle Stunden einen Umtrank tun und fing an, von seiner Wanderschaft, von seinem Leben allerlei Geschichten zu erzählen; dann kam es an den Obergesellen , und so nach der Reihe, und keiner von uns wurde schläfrig, denn begierig horchten wir alle zu. Ehe wir uns dessen versahen, war es Tag. Da erkannten wir die List des meisters. daß er uns durch Reden habe wach halten wollen. Denn als die Glocke fertig war, schonte er seinen Wein nicht und holte ein, was er weislich in jener Nacht versäumte."

"Das war ein vernünftiger Mann," erwiderte der Student. Gegen den Schlaf, das ist gewiß, hilft nichts als Reden. Darum möchte ich diese Nacht nicht einsam bleiben, weil ich mich gegen elf Uhr hin des Schlafes nicht erwehren könnte."

"Das haben auch die Bauersleute wohlbedacht," sagte der Jäger. "Wenn die Frauen und Mädchen in den langen Winterabenden bei Licht spinnen, so bleiben sie nicht einsam zu Hause, weil sie da wohl mitten unter der Arbeit einschliefen, sondern



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sie kommen zusammen in den sogenannten Lichtstuben, setzen sich in großer Gesellschaft zur Arbeit und erzählen."

"Ja," fiel der Fuhrmann ein, " da geht es oft recht greulich zu, daß man sich ordentlich fürchten möchte; denn sie erzählen von feurigen Geistern, die auf der Wiese gehen, von Kobolden, die nachts in den Kammern poltern, und von Gespenstern, die Menschen und Vieh ängstigen."

"Da haben sie nun freilich nicht die beste Unterhaltung," entgegnete der Student. "Mir, ich gestehe es, ist nichts so verhaßt als Gespenstergeschichten."

Ei, da denke ich gerade das Gegenteil," rief der Zirkelschmied. "Mir ist es recht behaglich bei einer rechten Schauergeschichte . Es ist gerade wie beim Regenwetter, wenn man unter dem Dach schläft. Man hört die Tropfen tick, tack, tick, tack auf die Ziegel herunterrauschen und fühlt sich recht warm im Trockenen. So, wenn man bei Licht und in Gesellschaft von Gespenstern hört, fühlt man sich sicher und behaglich."

"Aber nachher?" sagte der Student. "Wenn einer zugehört hat, der dem lächerlichen Glauben an Gespenster ergeben ist, wird er sich nicht grauen, wenn er allein ist und im Dunkeln? Wird er nicht an alles das Schauerliche denken, was er gehört? Ich kann mich noch heute über diese Gespenstergeschichten ärgern, wenn ich an meine Kindheit denke. Ich war ein munterer, aufgeweckter Junge und mochte vielleicht etwas unruhiger sein, als meiner Amme lieb war. Da wußte sie nun kein anderes Mittel, mich zum Schweigen zu bringen, als sie machte mich fürchten. Sie erzählte mir allerlei schauerliche Geschichten von Hexen und bösen Geistern, die im Hause spuken sollten, und wenn eine Katze auf dem Boden ihr Wesen trieb, flüsterte sie mir ängstlich zu: ,Hörst du, Söhnchen? Jetzt geht er wieder Treppe auf, Treppe ab, der tote Mann. Er trägt seinen Kopf unter dem Arm, aber seine Augen glänzen doch wie Laternen; Krallen hat er statt der Finger, und wenn er einen im Dunkeln erwischt, dreht er ihm den Hals um."'

Die Männer lachten über diese Geschichten. aber der Student fuhr fort: "Ich war zu jung, als daß ich hätte einsehen können. dies alles sei unwahr und erfunden. Ich fürchtete mich nicht vor dem größten Jagdhund, warf jeden meiner Gespielen in den Sand ; aber wenn ich ins Dunkle kam, drückte ich vor Angst die Augen zu; denn ich glaubte, jetzt werde der tote Mann heranschleichen. Es ging so weit, daß ich nicht mehr allein und ohne Licht aus der Türe gehen wollte, wenn es dunkel war, und wie manchmal hat mich mein Vater nachher gezüchtigt, als



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er diese Unart bemerkte! Aber lange Zeit konnte ich diese kindische Furcht nicht los werden, und allein meine törichte Amme trug die Schuld."

"Ja, das ist ein großer Fehler," bemerkte der Jäger, " wenn man die kindlichen Gedanken mit solchem Aberwitz füllt. Ich kann Sie versichern, daß ich brave, beherzte Männer gekannt habe, Jäger, die sich sonst vor drei Feinden nicht fürchteten — wenn sic nachts im Wald aufs Wild lauern sollten oder auf Wilddiebe, da gebrach es ihnen oft plötzlich an Mut; denn sie sahen einen Baum für ein schreckliches Gespenst, einen Busch für eine Hexe und ein paar Glühwürmer für die Augen eines Ungetüms an, das im Dunkeln auf sie laure."

"Und nicht nur für Kinder," entgegnete der Student, "halte ich Unterhaltungen dieser Art für höchst schädlich und töricht, sondern auch für jeden; denn welcher vernünftige Mensch wird sich über das Treiben und Wesen von Dingen unterhalten, die eigentlich nur im Hirn eines Toren wirklich sind? Dort spukt es, sonst nirgends. Doch am allerschädlichsten sind diese Geschichten unter dem Landvolk. Dort glaubt man fest und unabweichlich an Torheiten dieser Art, und dieser Glaube wird in den Spinnstuben und in der Schenke genährt, wo sie sich enge zusammensetzen und mit furchtbarer Stimme die allergreulichsten Geschichten erzählen."

"Ja, Herr!" erwiderte der Fuhrmann, "Ihr möget nicht unrecht haben; schon manches Unglück ist durch solche Geschichten entstanden, ist ja doch sogar meine eigene Schwester dadurch elendiglich ums Leben gekommen."

"Wie das? An solchen Geschichten?" riefen die Männer erstaunt.

"Jawohl, an solchen Geschichten," sprach jener weiter. "In dem Dorf, wo unser Vater wohnte, ist auch die Sitte, daß die Frauen und die Mädchen in den Winterabenden zum Spinnen sich zusammensetzen. Die jungen Bursche kommen dann auch und erzählen mancherlei. So kam es eines Abends, daß man von Gespenstern und Erscheinungen sprach, und die jungen Bursche erzählten von einem alten Krämer. der schon vor zehen Jahren gestorben sei, aber im Grab keine Ruhe finde. Jede Nacht werfe er die Erde von sich ab, steige aus dem Grab, schleiche langsam und hustend, wie er im Leben getan, nach seinem Laden und wäge dort Zucker und Kaffee ab, indem er vor sich hin murmle:

Drei Bierling, drei Bierling um Mitternacht
haben bei Tag ein Pfund gemacht.'


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Viele behaupteten, ihn gesehen zu haben, und die Mädchen und Weiber fingen an, sich zu fürchten. Meine Schwester aber, ein Mädchen von sechzehen Jahren, wollte klüger sein als die andern und sagte: ,Das glaube ich alles nicht; wer einmal tat ist, kommt nicht wieder!' Sie sagte es, aber leider ohne Überzeugung ; denn sie hatte sich oft schon gefürchtet. Da sagte einer von den jungen Leuten: ,Wenn du dies glaubst, so wirst du dich auch nicht vor ihm fürchten; sein Grab ist nur zwei Schritte von Kätchens, die letzthin gestorben. Wage es einmal, gehe hin auf den Kirchhof, brich von Kätchens Grab eine Blume und bringe sie uns, so wollen wir glauben, daß du dich vor dem Krämer nicht fürchtest!

Meine Schwester schämte sich, von den andern verlacht zu werden darum sagte sie: ,O! das ist mir ein Leichtes; was wollt Ihr denn für eine Blume?

Es blüht im ganzen Dorf keine weiße Rose als dort; darum bring' uns einen Strauß von diesen,' antwortete eine ihrer Freundinnen. Sie stand auf und ging, und alle Männer lobten ihren Mut; aber die Frauen schüttelten den Kopf und sagten: ,Wenn es nur gut abläuft!' Meine Schwester ging dem Kirchhof zu; der Mond schien hell, und sie fing an zu schaudern, als es zwölf Uhr schlug und sie die Kirchhofpforte öffnete.

Sie stieg über manchen Grabhügel weg, den sie kannte, und ihr Her; wurde bange und immer banger, je näher sie zu Kätchens weißen Rosen und zum Grab des gespenstigen Krämers kam.

Jetzt war sie da; zitternd kniete sie nieder und knickte die Blumen ab. Da glaubte sie ganz in der Nähe ein Geräusch zu vernehmen; sie sah sich um; zwei Schritte von ihr flog die Erde von einem Grabe hinweg, und langsam richtete sich eine Gestalt daraus empor. Es war ein alter, bleicher Mann mit einer weißen Schlafmütze auf dem Kopf. Meine Schwester erschrak ; sie schaute noch einmal hin, um sich zu überzeugen, ob sie recht gesehen; als aber der im Grabe mit näselnder Stimme anfing zu sprechen: ,Guten Abend, Jungfer; woher so spät? da erfaßte sie ein Grauen des Todes , sie raffte sich auf, sprang über die Gräber hin nach jenem Hause, erzählte beinahe atemlos , was sie gesehen, und wurde so schwach, daß man sie nach Hause tragen mußte. Was nützte es uns, daß wir am andern Tage erfuhren, daß es der Totengräber gewesen sei, der dort ein Grab gemacht und zu meiner armen Schwester gesprochen habe? Sie verfiel, noch ehe sie dies erfahren konnte, in ein



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hitziges Fieber, an welchem sie nach drei Tagen starb. Die Rosen zu ihrem Totenkranz hatte sie sich selbst gebrochen."

Der Fuhrmann schwieg, und eine Träne hing in seinen Augen; die andern aber sahen teilnehmend auf ihn.

"So hat das arme Kind auch an diesem Köhlerglauben sterben müssen." sagte der junge Goldarbeiter; " mir fällt da eine Sage bei, die ich euch wohl erzählen möchte und die leider mit einem solchen Trauerfall zusammenhängt" :


Die Höhle von Steenfoll. Eine schottländische Sage.

"Auf einer der Felseninseln Schottlands lebten vor vielen Jahren zwei Fischer in glücklicher Eintracht. Sie waren beide unverheuratet, hatten auch sonst keine Angehörigen, und ihre gemeinsame Arbeit, obgleich verschieden angewendet, nährte sie beide. In Alter kamen sie einander ziemlich nahe, aber von Person und an Gemütsart glichen sie einander nicht mehr als ein Adler und ein Seekalb.

Kaspar Strump: war ein kurzer, dicker Mensch mit einem breiten, fetten Vollmondsgesicht und gutmütig lachenden Augen, denen Gram und Sorge fremd zu sein schienen. Er war nicht nur fett, sondern auch schläfrig und faul, und ihm fielen daher die Arbeiten des Hauses, Kochen und Backen, das Stricken der Netze zum eigenen Fischfang und zum Verkaufe, auch ein großer Teil der Bestellung ihres kleinen Feldes anheim. Ganz das Gegenteil war sein Gefährte; lang und hager, mit kühner Habichtsnase und Warfen Augen, war er als der tätigste und glücklichste Fischer, der unternehmendste Kletterer nach Vögeln und Daunen, der fleißigste Feldarbeiter auf den Inseln und dabei als der geldgierigste Händler auf dem Markte zu Kirchwall bekannt; aber da seine Waren gut und sein Wandel frei von Betrug war, so handelte jeder gern mit ihm, und Wilm Falke (so nannten ihn seine Landsleute) und Kaspar Strumpf, mit welchem ersterer trotz seiner Habsucht gerne seinen schwer errungenen Gewinn teilte, hatten nicht nur eine gute Nahrung, sondern waren auch auf gutem Wege, einen gewissen Grad von Wohlhabenheit zu erlangen. Aber Wohlhabenheit allein war es nicht, was Falkes habsüchtigem Gemüte zusagte; er wollte reich, sehr reich werden, und da er bald einsehen lernte, daß auf dem gewöhnlichen Wege des Fleißes das Reichwerden nicht sehr schnell vor sich ging, so verfiel er zuletzt auf den Gedanken, er müßte seinen Reichtum durch irgendeinen außerordentlichen Glückszufall



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erlangen, und da nun dieser Gedanke einmal von seinem heftig wallenden Geiste Besitz genommen, fand er für nichts anderes Raum darin, und er fing an, mit Kaspar Strumpf davon als von einer gewissen Sache zu reden. Dieser, dem alles, was Falke sagte, für Evangelium galt, erzählte es seinen Nachbarn, und bald verbreitete sich das Gerücht, Wilm Falke hätte sich entweder wirklich dem Bösen für Gold verschrieben, oder hätte doch ein Anerbieten dazu von dem Fürsten der Unterwelt bekommen .

Anfangs zwar verlachte Falke diese Gerüchte, aber allmählich gefiel er sich in dem Gedanken, daß irgendein Geist ihm einmal einen Schatz verraten könne, und er widersprach nicht länger, wenn ihn seine Landsleute damit aufzogen. Er trieb zwar noch immer sein Geschäft fort, aber mit weniger Eifer, und verlor oft einen großen Teil der Zeit, die er sonst mit Fischfang oder andern nützlichen Arbeiten zuzubringen pflegte, in zwecklosem Suchen irgendeines Abenteuers, wodurch er plötzlich reich werden sollte. Auch wollte es sein Unglück, daß, als er eines Tages am einsamen Ufer stand und in unbestimmter Hoffnung auf das bewegte Meer hinausblickte, als solle ihm von dorther sein großes Glück kommen, eine große Welle unter einer Menge losgerissenen Mooses und Gesteins eine gelbe Kugel — eine Kugel von Gold — zu seinen Füßen rollte.

Wilm stand wie bezaubert; so waren denn seine Hoffnungen nicht leere Träume gewesen, das Meer hatte ihm Gold, schönes, reines Gold geschenkt, wahrscheinlich die überreste einer schweren Barre, welche die Wellen auf dein Meeresgrund bis zur Größe einer Flintenkugel abgerieben. Und nun stand es klar vor seiner Seele, daß einmal irgendwo an dieser Küste ein reich beladenes Schiff gescheitert sein müsse, und daß er dazu ersehen sei, die im Schoße des Meeres begrabenen Schätze zu heben. Dies ward von nun an sein einziges Streben ; seinen Fund sorgfältig, selbst vor seinem Freunde verbergend, damit nicht auch andere seiner Entdeckung auf die Spur kämen, versäumte er alles andere und brachte Tage und Nächte an dieser Küste zu, wo er nicht sein Netz nach Fischen, sondern eine eigens dazu verfertigte Schaufel — nach Gold auswarf. Aber er fand nichts als Armut ; denn er selbst verdiente nichts mehr, und Kaspars schläfrige Bemühungen reichten nicht hin, sie beide zu ernähren. Im Suchen größerer Schätze verschwand nicht nur das gefundene Gold, sondern allmählich auch das ganze Eigentum der Junggesellen. Aber so wie Strumpf früher stillschweigend von Falke den besten Teil seiner Nahrung hatte erwerben lassen, so



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ertrug er es auch jetzt schweigend und ohne Murren, daß die zwecklose Tätigkeit desselben sie ihm jetzt entzog ; und gerade dieses sanftmütige Dulden seines Freundes war es, was jenen nur noch stärker anspornte, sein rastloses Suchen nach Reichtum weiter fortzusetzen. Was ihn aber noch tätiger machte, war, daß, so oft er sich zur Ruhe niederlegte und seine Augen sich zum Schlummer schlossen, etwas ihm ein Wort ins Ohr raunte, das er zwar sehr deutlich zu vernehmen glaubte und das ihm jedesmal dasselbe schien, das er aber niemals behalten konnte. Zwar wußte er nicht, was dieser Umstand, so sonderbar er auch war, mit seinem jetzigen Streben zu tun haben könne; aber auf ein Gemüt wie Wilm Falkes mußte alles wirken, und auch dieses geheimnisvolle Flüstern half ihn in dem Glauben bestärken, daß ihm ein großes Glück bestimmt sei, das er nur in einem Goldhaufen zu finden hoffte.

Eines Tages überraschte ihn ein Sturm am Ufer, wo er den Goldbarren gefunden hatte, und die Heftigkeit desselben trieb ihn an, in einer nahen Höhle Zuflucht zu suchen. Diese Höhle, welche die Einwohner die Höhle von Steenfoll nennen, besteht aus einem langen unterirdischen Gange, welcher sich mit zwei Mündungen gegen das Meer öffnet und den Wellen einen freien Durchgang läßt, die sich beständig mit lautem Brüllen schäumend durch denselben hinarbeiten. Diese Höhle war nur an einer Stelle zugänglich und zwar durch eine Spalte von oben her, welche aber selten von jemand anderem als mutwilligen Knaben betreten ward. indem zu den eigenen Gefahren des Ortes sich noch der Ruf eines Geisterspuks gesellte. Mit Mühe ließ Wilm sich in denselben hinab und nahm ungefähr zwölf Fuß tief von der Oberfläche auf einem vorspringenden Stein und unter einem überhängenden Felsenstück Platz, wo er mit den brausenden Wellen unter seinen Füßen und dem wütenden Sturm über seinem Haupte in seinen gewöhnlichen Gedankenzug verfiel , nämlich von dem gescheiterten Schiff, und was für ein Schiff wohl gewesen sein mochte; denn trotz aller seiner Erkundigungen hatte er selbst von den ältesten Einwohnern von keinem an dieser Stelle gescheiterten Fahrzeuge Nachricht erhalten können. Wie lange er so gesessen, wußte er selbst nicht; als er aber endlich aus seinen Träumereien erwachte, entdeckte er, daß der Sturm vorüber war; und er wollte eben wieder emporsteigen, als eine Stimme sich aus der Tiefe vernehmen ließ, und das Wort Car-mil-han ganz deutlich in sein Ohr drang. Erschrocken fuhr er in die Höhe und blickte in den leeren Abgrund hinab. "Großer Gott!" schrie er, "das ist das Wort, das mich



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in meinem Schlafe verfolgt! Was, ums Himmels willen, mag es bedeuten?" — "Carmilhan!" seufzte es noch einmal aus der Höhle herauf, als er schon mit einem Fuß die Spalte verlassen hatte, und er floh wie ein gescheuchtes Reh seiner Hütte zu.

Wilm war indessen keine Memme; die Sache war ihm nur unerwartet gekommen, und sein Geldgeiz war auch überdies zu mächtig in ihm, als daß ihn irgendein Anschein von Gefahr hätte abschrecken können, auf seinem gefahrvollen Pfade fortzuwandern. Einst, als er spät in der Nacht beim Mondschein der Höhle von Steenfoll gegenüber mit seiner Schaufel nach Schätzen fischte, blieb dieselbe auf einmal an etwas hängen. Er zog aus Leibeskräften, aber die Masse blieb unbeweglich. Inzwischen erhob sich der Wind, dunkle Wolken überzogen den Himmel, heftig schaukelte das Boot und drohte umzuschlagen; aber Wilm ließ sich nichts irren; er zog und zog, bis der Widerstand aufhörte, und da er kein Gewicht fühlte, glaubte er, sein Seil wäre gebrochen. Aber gerade, als die Wolken sich über dem Monde zusammenziehen wollten, erschien eine runde schwarze Masse auf der Oberfläche, und es erklang das ihn verfolgende Wort Carmilhan ! Hastig wollte er nach ihr greifen, aber eben so schnell, als er den Arm darnach ausstreckte, verschwand sie in der Dunkelheit der Nacht, und der eben losbrechende Sturm zwang ihn, unter den nahen Felsen Zuflucht zu suchen. Hier schlief er vor Ermüdung ein, um im Schlafe, von einer ungezügelten Einbildungskraft gepeinigt, aufs neue die Qualen zu erdulden, die ihn sein rastloses Streben nach Reichtum am Tage erleiden ließ. Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne fielen auf den jetzt ruhigen Spiegel des Meeres, als Falke erwachte. Eben wollte er wieder hinaus an die gewohnte Arbeit, als er von ferne etwas auf sich zukommen sah. Er erkannte es bald für ein Boot und in demselben eine menschliche Gestalt; was aber sein größtes Erstaunen erregte, war, daß das Fahrzeug sich ohne Segel oder Ruder fortbewegte, und zwar mit dem Schnabel gegen das Ufer gekehrt, und ohne daß die darin sitzende Gestalt sich im geringsten um das Steuer zu bekümmern schien. wenn es ja eins hatte. Das Boot kam immer näher und hielt endlich neben Wilms Fahrzeug stille. Die Person in demselben zeigte sich jetzt als ein kleines, verschrumpftes, altes Männchen, das in gelbe Leinwand gekleidet war und mit roter in die Höhe stehender Nachtmütze, mit geschlossenen Augen und unbeweglich wie ein getrockneter Leichnam dasaß. Nachdem er es vergebens angerufen und gestoßen hatte, wollte er eben einen Strick an das Boot befestigen und es wegführen, als das Männchen die Augen



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aufschlug und sich zu bewegen anfing auf eine Weise, welche selbst den kühnen Fischer mit Grausen erfüllte.

"Wo bin ich?" fragte es nach einem tiefen Seufzer auf holländisch. Falke, welcher von den holländischen Heringsfängern etwas von ihrer Sprache gelernt hatte, nannte ihm den Namen der Insel und fragte, wer er denn sei und was ihn hierher gebracht.

"Ich komme, um nach dem Carmilhan zu sehen."

Dem Carmilhan? Um Gotteswillen! Was ist das?" rief der begierige Fischer.

"Ich gebe keine Antwort auf Fragen, die man mir auf diese Weise tut," erwiderte das Männchen mit sichtbarer Angst.

Nun," schrie Falke, " was ist der Carmilhan?" —

"Der Carmilhan ist jetzt nichts, aber einst war es ein schönes Schiff, mit mehr Gold beladen, als je ein anderes Fahrzeug getragen."

"Wo ging es zugrunde und wann?"

"Es war vor hundert Jahren; wo, weiß ich nicht genau: ich komme, um die Stelle aufzusuchen und das verlorene Gold aufzufischen; willst du mir helfen, so wollen wir den Fund miteinander teilen."

"Mit ganzem Herzen; sag ' mir nur, was muß ich tun?"

"Was du tun mußt, erfordert Mut ; du mußt dich gerade vor Mitternacht in die wildeste und einsamste Gegend auf der Insel begeben, begleitet von einer Kuh, die du dort schlachten und dich von jemand in ihre frische Haut wickeln lassen mußt. Dein Begleiter muß dich dann niederlegen und allein lassen, und ehe es ein Uhr schlägt, weißt du, wo die Schätze des Carmilhan liegen."

"Auf diese Weise fiel des alten Engrol Sohn mit Leib und Seele ins Verderben!" rief Wilm mit Entsetzen. "Du bist der böse Geist," fuhr er fort, indem er hastig davon ruderte, "geh zur Hölle! Ich imag nichts mit dir zu tun haben."

Das Männchen knirschte, schimpfte und fluchte ihm nach; aber der Fischer, welcher zu beiden Rudern gegriffen hatte, war ihm bald außer Gehör und, nachdem er um einen Felsen gebogen , auch aus dem Gesichte. Aber die Entdeckung, daß der böse Geist sich seinen Geiz zunutze zu machen und mit Gold in seine Schlingen zu locken suchte, heilte den verblendeten Fischer nicht, im Gegenteil, er meinte die Mitteilung des gelben Männchens benützen zu können, ohne sich dem Bösen zu überliefern , und indem er fortfuhr, an der öden Küste nach Gold



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zu fischen, vernachlässigte er den Wohlstand, den ihm die reichen Fischzüge in andern Gegenden des Meeres darboten, sowie alle andern Mittel, auf die er ehemals seinen Fleiß verwendet, und versank von Tag zu Tage nebst seinem Gefährten in tiefere Armut, bis es endlich oft an den notwendigsten Lebensbedürfnissen zu fehlen anfing. Aber obgleich dieser Verfall gänzlich Falkes Halsstarrigkeit und falscher Begierde zugeschrieben werden mußte und die Ernährung beider jetzt Kaspar Strumpf allein anheim jet, so machte ihm doch dieser niemals den geringsten Vorwurf; ja, er bezeugte ihm immer noch dieselbe Unterwürfigkeit, dasselbe Vertrauen in seinen besseren Verstand als zur Zeit, wo ihm seine Unternehmungen allezeit geglückt waren; dieser Umstand vermehrte Falkes Leiden um ein Großes, aber trieb ihn noch mehr, nach Gold zu suchen, weil er dadurch hoffte, auch seinen Freund für sein gegenwärtiges Entbehren schadlos halten zu können. Dabei verfolgte ihn das teuflische Geflüster des Wortes Carmilhan noch immer in seinem Schlummer. Kurz, Not, getäuschte Erwartung und Geiz trieben ihn zuletzt zu einer Art von Wahnsinn, so daß er wirklich beschloß, das zu tun, was ihm das Männchen angeraten, obgleich er nach der alten Sage wohl wußte, daß er sich damit den Mächten der Finsternis übergab.

Alle Gegenvorstellungen Kaspars waren vergebens. Falke ward nur um so heftiger, je mehr jener ihn anflehte, von seinem verzweifelten Vorhaben abzustehen, und der gute, schwache Mensch willigte endlich ein, ihn zu begleiten und ihm seinen Plan ausführen zu helfen. Beider Herzen zogen sich schmerzhaft zusammen, als sie einen Strick um die Hörner einer schönen Kuh, ihr letztes Eigentum, legten, die sie vom Kalbe aufgezogen und die sie sich immer zu verkaufen geweigert hatten, weil sie's nicht übers Herz bringen konnten, sie in fremden Händen zu sehen. Aber der böse Geist, welcher sich Wilms bemeisterte, erstickte jetzt alle besseren Gefühle in ihm, und Kaspar wußte ihm in nichts zu widerstehen. Es war im September, und die langen Nächte des schottländischen Winters hatten angefangen. Die Nachtwolken wälzten sich schwer vor dein rauhen Abendwinde und türmten sich wie Eisberge im Maelstrom; tiefer Schatten füllte die Schluchten zwischen dem Gebirge und den feuchten Torfsümpfen, und die trüben Bette der Ströme blickten schwarz und furchtbar wie Höllenschlunde. Falke ging voran, und Strumpf folgte, schaudernd über seine eigene Kühnheit, und Tränen füllten sein mattes Auge, so oft er das arme Tier ansah, welches so vertrauensvoll und bewußtlos seinem baldigen Tode entgegenging, der ihm



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von der Hand werden sollte, die ihm bisher seine Nahrung gereicht . Mit Mühe kamen sie in das enge, sumpfige Bergtal, welches hier und da mit Moos und Heidekraut bewachsen, mit großen Steinen übersäet war und von einer wilden Gebirgskette umgeben lag, die sich in grauen Nebel verlor und wohin der Fuß eines Menschen sich selten verstieg. Sie näherten sich auf wankendem Boden einem großen Stein, welcher in der Mitte stand und von welchem ein verscheuchter Adler krächzend in die Höhe flog. Die arme Kuh brüllte dumpf, als erkenne sie die Schrecknisse des Ortes und ihr bevorstehendes Schicksal. Kaspar wandte sich weg, um sich die schnellfließenden Tränen abzuwischen. Er blickte hinab durch die Felsenöffnung, durch welche sie heraufgekommen waren, von wo aus man die ferne Brandung des Meeres hörte, und dann hinauf nach den Berggipfeln, auf welche sich ein kohlschwarzes Gewölk gelagert hatte, aus welchem man von Zeit zu Zeit ein dumpfes Murmeln vernahm. Als er sich wieder nach Wilm umsah, hatte dieser bereits die arme Kuh an den Stein gebunden und stand mit aufgehobener Axt im Begriff, das gute Tier zu fällen.

Dies war zu viel für seinen Entschluß, sich in den Willen seines Freundes zu fügen. Mit gerungenen Händen stürzte er sich auf die Knie. " Um Gotteswillen, Wilm Falke!" schrie er mit der Stimme der Verzweiflung, "schone dich, schone die Kuh! Schone dich und mich! Schone deine Seele! — Schone dein Leben! Und mußt du Gott so versuchen, so warte bis morgen und opfere lieber ein anderes Tier als unsere liebe Kuh!"

"Kaspar, bist du toll?" schrie Wilm wie ein Wahnsinniger, indem er noch immer die Azt in die Höhe geschwungen hielt. Soll ich die Kuh schonen und verhungern?"

"Du sollst nicht verhungern," antwortete Kaspar entschlossen. So lange ich Hände habe, sollst du nicht verhungern. Ich, will vom Morgen bis in die Nacht für dich arbeiten. Nur bring' dich nicht um deiner Seele Seligkeit und laß mir das arme Tier leben !"

"Dann nimm die Axt und spalte mir den Kopf," schrie Falke mit verzweifeltem Tone. . ,ich gehe nicht von diesem Fleck, bis ich habe, was ich verlange. — Kannst du die Schätze des Carmilhan für mich heben? Können deine Hände mehr erwerben als die elendesten Bedürfnisse des Lebens? — Aber sie können meinen Jammer enden — komm und laß mich das Opfer sein!"

"Wilm, töte die Kuh, töte mich! Es liegt mir nichts daran. es ist mir ja nur um deine Seligkeit zu tun. Ach!



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dies ist ja der Piktenaltar, und das Opfer, das du bringen willst, gehört der Finsternis.

"Ich weiß von nichts dergleichen," rief Falke, wild lachend wie einer, der entschlossen ist, nichts wissen zu wollen, was ihn von seinem Vorsatz abbringen könnte. "Kaspar, du bist toll und machst mich toll — aber da," fuhr er fort, indem er das Beil von sich warf und das Messer vom Steine aufnahm, wie wenn er sich durchstoßen wollte, "da, behalte die Kuh statt meiner :

Kaspar war in einem Augenblicke bei ihm, riß ihm das Mordwerkzeug aus der Hand, erfaßte das Beil, schwang es hoch in der Luft und ließ es mit solcher Gewalt auf des geliebten Tieres Kopf fallen, daß es ohne zu zucken und tot zu seines Herrn Füßen niederstürzte.

Ein Blitz, begleitet von einem Donnerschläge, folgte dieser raschen Handlung, und Falke starrte seinen Freund mit den Augen an, womit ein Mann ein Kind anstaunen würde, das sich das zu tun getrauet, was er selbst nicht gewagt. Strumpf schien aber weder von dem Donner erschreckt, noch durch das starre Erstaunen seines Gefährten außer Fassung gebracht, sondern fiel, ohne ein Wort zu reden, über die Kuh her und fing an, ihr die Haut abzuziehen. Als Wilm sich ein wenig erholt hatte, half er ihm in diesem Geschäfte, aber mit so sichtbarem Widerwillen, als er vorher begierig gewesen war, das Opfer vollendet zu sehen. Während dieser Arbeit hatte sich das Gewitter zusammengezogen, der Donner brüllte laut im Gebirge, und furchtbare Blitze schlängelten sich um den Stein und über das Moos der Schlucht hin, während der Wind, welcher diese Höhe noch nicht erreicht hatte, die untern Täler und das Gestade mit wildem Heulen erfüllte. Und als die Haut endlich abgezogen war, fanden beide Fischer sich schon bis auf die Haut durchnäßt. Sie breiteten jene auf dem Boden aus, und Kaspar wickelte und band Falken, so wie dieser es ihn geheißen, in derselben fest ein. Dann erst, als dies geschehen war, brach der arme Mensch das lange Stillschweigen, und indem er mitleidig auf seinen betörten Freund hinabblickte, fragte er mit zitternder Stimme: "Kann ich noch etwas für dich tun, Wilm ?"

"Nichts mehr," erwiderte der andere, "lebe wohl!"

"Leb' wohl," erwiderte Kaspar, "Gott sei mit dir und vergebe dir, wie ich es tue!"

Dies waren die letzten Worte, welche Wilm von ihm hörte; denn im nächsten Augenblicke war er in der immer zunehmenden Dunkelheit verschwunden. Und in demselben Augenblicke brach



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auch einer der fürchterlichsten Gewitterstürme, die Wilm nur je gehört hatte, aus. Er fing an mit einem Blitze, welcher Falken nicht nur die Berge und Felsen in seiner unmittelbaren Nähe, sondern auch das Tal unter ihm mit dem schäumenden Meere und den in der Bucht zerstreut liegenden Felseninseln zeigte, zwischen welchen er die Erscheinung eines großen, fremdartigen und entmasteten Schiffes zu erblicken glaubte, welches auch im Augenblicke wieder in der schwärzesten Dunkelheit verschwand. Die Donnerschläge wurden ganz betäubend. Eine Masse Felsenstücke rollte vom Gebirge herab und drohte, ihn zu erschlagen. Der Regen ergoß sich in solcher Menge, daß er in einem Augenblicke das enge Sumpftal mit einer hohen Flut überströmte, welche bald bis zu Wilms Schultern hinaufreichte; denn glücklicherweise hatte ihn Kaspar mit dem obern Teile des Körpers auf eine Erhöhung gelegt, sonst hätte er auf einmal ertrinken müssen. Das Wasser stieg immer höher, und je mehr Wilm sich anstrengte, sich aus seiner gefahrvollen Lage zu befreien, desto fester umgab ihn die Haut. Umsonst rief er nach Kaspar. Kaspar war weit weg. Gott in seiner Not anzurufen, wagte er nicht, und ein Schauder ergriff ihn, wenn er die Mächte anflehen wollte, deren Gewalt er sich hingegeben fühlte.

Schon drang ihm das Wasser in die Ohren, schon berührte es den Rand der Lippen. "Gott, ich bin verloren!" schrie er, indem er einen Strom über sein Gesicht hinstürzen fühlte — aber in demselben Augenblick drang ein Schall wie von einem nahen Wasserfall schwach in sein Gehör, und sogleich war auch sein Mund wieder unbedeckt. Die Flut hatte sich durch das Gestein Bahn gebrochen. Und da zu gleicher Zeit der Regen etwas nachließ und das tiefe Dunkel des Himmels sich etwas verzog, so ließ auch seine Verzweiflung nach, und es schien ihm ein Strahl der Hoffnung zurückzukehren. Aber obgleich er sich wie von einem Todeskampfe erschöpft fühlte und sehnlich wünschte, aus seiner Gefangenschaft erlöst zu sein, so war doch der Zweck seines verzweifelten Strebens noch nicht erreicht, und mit der verschwundenen unmittelbaren Lebensgefahr kam auch die Habsucht mit all ihren Furien in seine Brust zurück. Aber überzeugt, daß er in seiner Lage ausharren müsse, um sein Ziel zu erreichen, hielt er sich ruhig und fiel vor Kälte und Ermüdung in einen festen Schlaf.

Er mochte ungefähr zwei Stunden geschlafen haben, als ihn ein kalter Wind, der ihm übers Gesicht fuhr, und ein Rauschen wie von herannahenden Meereswogen aus seiner glücklichen Selbstvergessenheit aufrüttelte. Der Himmel hatte sich aufs neue



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verfinstert. Ein Blitz wie der, welcher den ersten Sturm herbeigeführt, erhellte noch einmal die Gegend umher, und er glaubte abermals, das fremde Schiff zu erblicken, das jetzt dicht vor der Steenfollklippe auf einer hohen Welle zu hängen und dann jählings in den Abgrund zu schießen schien. Er starrte noch immer nach dem Phantom; denn ein unaufhörliches Blitzen hielt jetzt das Meer erleuchtet, als sich auf einmal eine berghöhe Wasserhose aus dem Tale erhob und ihn mit solcher Gewalt gegen einen Felsen schleuderte, daß ihm alle Sinne vergingen. Als er wieder zu sich selbst kam, hatte sich das Wetter verzogen, der Himmel war heiter; aber das Wetterleuchten dauerte noch immer fort. Er lag dicht am Fuße des Gebirges, welches dieses Tal umschloß, und er fühlte sich so zerschlagen, daß er sich kaum zu rühren vermochte. Er hörte das stillere Brausen der Brandung und mitten drinnen eine feierliche Musik wie Kirchengesang. Diese Töne waren anfangs so schwach, daß er sie für Täuschung hielt. Aber sie ließen sich immer wieder aufs neue vernehmen, und jedesmal deutlicher und näher, und es schien ihm zuletzt, als könne er darin die Melodie eines Psalms unterscheiden, die er im vorigen Sommer an Bord eines holländischen Heringsfängers gehört hatte.

Endlich unterschied er sogar Stimmen, und es deuchte ihm, als vernehme er sogar die Worte jenes Liedes. Die Stimmen waren jetzt in dem Tale, und als er sich mit Mühe zu einem Steine hingeschoben, auf den er den Kopf legte, erblickte er wirklich einen Zug von menschlichen Gestalten, von welchen diese Musik ausging und der sich gerade auf ihn zu bewegte. Kummer und Angst lag auf den Gesichtern der Leute, deren Kleider von Wasser zu triefen schienen. Jetzt waren sie dicht bei ihm, und ihr Gesang schwieg. An ihrer Spitze waren mehrere Musikanten, dann mehrere Seeleute, und hinter diesen kam ein großer, starker Mann in altväterlicher, reich mit Gold besetzter Tracht, mit einem Schwert an der Seite und einem langen, dicken, spanischen Rohr mit goldenem Knopfe in der Hand. Ihm zur Seite ging ,ein Negerknabe, welcher seinem Herrn von Zeit zu Zeit eine lange Pfeife reichte, aus der er einige feierliche Züge tat und dann weiter schritt. Er blieb kerzengerade vor Wilm stehen, und ihm zu beiden Seiten stellten sich andere minder prächtig gekleidete Männer, welche alle Pfeifen in den Händen hatten, die aber nicht so kostbar schienen als die Pfeife, welche dem dicken Manne nachgetragen wurde. Hinter diesen traten andere Personen auf, worunter mehrere Frauenspersonen, von denen einige Kinder in den Armen oder an der Hand hatten. alle in kostbarer aber



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fremdartiger Kleidung. Ein Haufen holländischer Matrosen schloß den Zug, deren jeder den Mund voll Tabak und zwischen den Zähnen ein braunes Pfeifchen hatte, das sie in düsterer Stille rauchten.

Der Fischer blickte mit Grausen auf diese sonderbare Versammlung ; aber die Erwartung dessen, was da kommen werde, hielt seinen Mut aufrecht. Lange standen sie um ihn her, und der Rauch ihrer Pfeifen erhob sich wie eine Wolke über sie, zwischen welcher die Sterne hindurchblinkten. Der Kreis zog sich immer enger um Wilm her, das Rauchen ward immer heftiger und dicker die Wolke, die aus Mund und Pfeifen hervorstieg . Falke war ein kühner, verwegener Mann; er hatte sich auf Außerordentliches vorbereitet — aber als er diese unbegreifliche Menge immer näher auf sich eindringen sah, als wolle sie ihn mit ihrer Masse erdrücken, da entsank ihm der Mut, dicker Schweiß trat ihm vor die Stirne, und er glaubte, vor Angst vergehen zu müssen. Aber man denke sich erst seinen Schrecken, als er von ungefähr die Augen wandte und dicht an seinem Kopfe das gelbe Männchen steif und aufrecht sitzen sah, als wie er es zum erstenmal erblickt, nur daß es jetzt, als wie zum Spotte der ganzen Versammlung, auch eine Pfeife im Munde hatte. In der Todesangst, die ihn jetzt ergriff, rief er, zu der Hauptperson gewendet: "Im Namen dessen, dem Ihr dienet, wer seid Ihr? Und was verlangt Ihr von mir?" Der große Mann rauchte drei Züge, feierlicher als je, gab dann die Pfeife seinem Diener und antwortete mit schreckhafter Kälte: "Ich bin Aldret Franz Van der Swelder, Befehlshaber des Schiffes Carmilhan von Amsterdam, welches auf dem Heimwege von Batavia mit Mann und Maus an dieser Felsenküste zugrunde ging ; dies sind meine Offiziere, dies meine Passagiere und jenes meine braven Seeleute, welche alle mit mir ertranken. Warum hast du uns aus unsern tiefen Wohnungen im Meere hervorgerufen? Warum störtest du unsere Ruhe?"

"Ich möchte wissen, wo die Schätze des Carmilhan liegen."

"Am Boden des Meeres."

"Wo ?

"In der Höhle von Steenfoll."

Wie soll ich sie bekommen?"

Eine Gans taucht in den Schlund nach einem Hering sind die Schätze des Carmilhan nicht ebensoviel wert?"

"Wie viel davon werd' ich bekommen?"

"Mehr, als du je verzehren wirst." Das gelbe Männchen grinste, und die ganze Versammlung lachte laut auf. "Bist du zu Ende?" fragte der Hauptmann weiter.



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"Ich bin's. Gehab dich wohl!"

"Leb' wohl, bis aufs Wiedersehen" , erwiderte der Holländer und wandte sich zum Gehen, die Musikanten traten aufs neue an die Spitze, und der ganze Zug entfernte sich in derselben Ordnung , in welcher er gekommen war, und mit demselben feierlichen Gesang, welcher mit der Entfernung immer leiser und undeutlicher wurde, bis er sich nach einiger Zeit gänzlich im Geräusche der Brandung verlor. Jetzt strengte Wilm seine letzten Kräfte an, sich aus seinen Banden zu befreien, und es gelang ihm endlich, einen Arm loszubekommen. womit er die ihn umwindenden Stricke löste und sich endlich ganz aus der Haut wickelte. Ohne sich umzusehen, eilte er nach seiner Hütte und fand den armen Kaspar Strumpf in starrer Bewußtlosigkeit am Boden liegen. Mit Mühe brachte er ihn wieder zu sich selbst, und der gute Mensch weinte vor Freude, als er den verloren geglaubten Jugendfreund wieder vor sich sah. Aber dieser beglückende Strahl verschwand schnell wieder, als er von diesem vernahm, welch verzweifeltes Unternehmen er jetzt vorhatte.

"Ich wollte mich lieber in die Hölle stürzen als diese nackten Wände und dieses Elend länger ansehen. —Folge mir oder nicht, ich gehe." Mit diesen Worten faßte Wilm eine Fackel, ein Feuerzeug und ein Seil und eilte davon. Kaspar eilte ihm, nach, so schnell er's vermochte, und fand ihn schon auf dem Felsstück stehen, auf welchem er vormals gegen den Sturm Schuh gefunden, und bereit, sich an dem Stricke in den brausenden, schwarzen Schlund hinabzulassen. Als er fand, daß alle seine Vorstellungen nichts über den rasenden Menschen vermochten, bereitete er sich, ihm nachzusteigen; aber Falke befahl ihm, zu bleiben und den Strick zu halten. Mit furchtbarer Anstrengung, wozu nur die blindeste Habsucht den Mut und die Stärke geben konnte. kletterte Falke in die Höhle hinab und kam endlich auf ein vorspringendes Felsenstück zu stehen, unter welchem die Wogen, schwarz und mit weißem Schaum beträufelt, brausend dahineilten. Er blickte begierig umher und sah endlich etwas gerade unter ihm im Wasser schimmern. Er legte die Fackel nieder, stürzte sich hinab und erfaßte etwas Schweres, das er auch heraufbrachte. Es war ein eisernes Kästchen voller Goldstücke. Er verkündigte seinem Gefährten, was er gefunden, wollte aber durchaus nicht auf sein Flehen hören, sich damit zu begnügen und wieder heraufzusteigen. Falke meinte, dies wäre nur die erste Frucht seiner langen Bemühungen. Er stürzte sich noch einmal hinab — es erscholl ein lautes Gelächter aus dem Meere, und Wilm Falke ward nie wieder gesehen. Kaspar ging allein nach Hause. aber als ein anderer



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Mensch. Die seltsamen Erschütterungen, die sein schwacher Kopf und sein empfindsames Herz erlitten, zerrütteten ihm die Sinne. Er ließ alles um sich her verfallen und wanderte Tag und Nacht gedankenlos vor sich starrend umher, von allen seinen vorigen Bekannten bedauert und vermieden. Ein Fischer will Wilm Falke in einer stürmischen Nacht mitten unter der Mannschaft des Carmilhan am Ufer erkannt haben, und in derselben Nacht verschwand auch Kaspar Strumpf.

Man suchte ihn allenthalben, allein nirgends hat man eine Spur von ihm finden Kounen. Aber die Sage geht, daß er oft nebst Falke mitten unter der Mannschaft des Zauberschiffes gesehen worden sei, welches seitdem zu regelmäßigen Zeiten an der Höhle von Steenfoll erschien."

"Mitternacht ist längst vorüber," sagte der Student, als der junge Goldarbeiter seine Erzählung geendigt hatte, "jetzt hat es wohl keine Gefahr mehr, und ich für meinen Teil bin so schläfrig, daß ich allen raten möchte, niederzuliegen und getrost einzuschlafen."

"Vor zwei Uhr morgens möcht' ich doch nicht trauen," entgegnete der Jäger; " das Sprichwort sagt: von elf bis zwei Uhr ist Diebes Zeit."

"Das glaube ich auch," bemerkte der Zirkelschmied; " denn wenn man uns etwas anhaben will, ist wohl keine Zeit gelegener als die nach Mitternacht. Drum meine ich, der Studiosus könnte an seiner Erzählung fortfahren, die er noch nicht ganz vollendet hat."

"Ich sträube mich nicht," sagte dieser, "obgleich unser Nachbar, der Herr Täger, den Anfang nicht gehört hat."

Ich muß ihn mir hinzudeuten; fanget nur an !" rief der Sager.

"Nun denn," wollte eben der Student beginnen, als sie durch das Anschlagen eines Hundes unterbrochen wurden. Alle hielten den Atem an und horchten; zugleich stürzte einer der Bedienten aus dem Zimmer der Gräfin und rief, daß wohl zehen bis zwölf bewaffnete Männer von der Seite her auf die Schenke zukamen.

Der Jäger griff nach seiner Büchse, der Student nach seiner Pistole, die Handwerksbursche nach ihren Stöcken, und der Fuhrmann zog ein langes Messer aus der Tasche. So standen sie und sahen ratlos einander an.

"Laßt uns an die Treppe gehen!" rief der Student, " zwei oder drei dieser Schurken sollen doch Zuvor ihren Tod finden,



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ehe wir überwältigt werden." Zugleich gab er dem Zirkelschmied seine zweite Pistole und riet, daß sie nur einer nach dem andern schießen wollten. Sie stellten sich an die Treppe; der Student und der Jäger nahmen gerade ihre ganze Breite ein; seitwärts neben dem Jäger stand der mutige Zirkelschmied und beugte sich über das Geländer, indem er die Mündung seiner Pistole auf die Mitte der Treppe hielt. Der Goldarbeiter und der Fuhrmann standen hinter ihnen, bereit, wenn es zu einem Kampf Mann gegen Mann kommen sollte, das Ihrige zu tun. So standen sie einige Minuten in stiller Erwartung : endlich hörte man die Haustüre aufgehen, sie glaubten auch das Flüstern mehrerer Stimmen zu vernehmen.

Jetzt hörte man Tritte vieler Menschen der Treppe nahen; man kam die Treppe herauf, und auf der ersten Hälfte zeigten sich drei Männer, die wohl nicht auf den Empfang gefaßt waren, der ihnen bereitet war. Denn als sie sich um die Pfeiler der Treppe wandten, schrie der Jäger mit starker Stimme: "Halt! Noch einen Schritt weiter, und ihr seid des Todes. Spannet die Hahnen, Freunde, und gut gezielt!"

Die Räuber erschraken, zogen sich eilig zurück und berieten sich mit den übrigen. Nach einer Weile kam einer davon zurück und sprach: "Ihr Herren! Es wäre Torheit von euch, umsonst euer Leben aufopfern zu wollen; denn wir sind unserer genug, um euch völlig aufzureiben; aber ziehet euch zurück, es soll keinem das Geringste zuleide geschehen; wir wollen keines Groschen Wert von euch nehmen."

Was wollt ihr denn sonst?" rief der Student. " Meint ihr, wir werden solchem Gesindel trauen? Nimmermehr! Wollt ihr etwas holen, in Gottes Namen, so kommet, aber den ersten, der sich um die Ecke wagt, brenne ich auf die Stirne, daß er auf ewig keine Kopfschmerzen mehr haben soll!"

Gebt uns die Dame heraus, gutwillig !" antwortete der Räuber. " Es soll ihr nichts geschehen; wir wollen sie einen sichern und bequemen Ort führen, ihre Leute können zurückreiten und den Herrn Grafen bitten, er möge sie mit zwanzigtausend Gulden auslösen."

Solche Vorschläge sollen wir uns machen lassen?" entgegnete der Jäger, knirschend vor Wut, und spannte den Hahn. Ich zähle drei, und wenn du da unten nicht bei drei hinweg bist, so drücke ich los, eins, zwei —"

Halt!" schrie der Räuber mit donnernder Stimme. "Ist das Sitte, auf einen wehrlosen Mann zu schießen, der mit euch friedlich unterhandelt? Törichter Bursche, du kannst mich



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totschießen, und dann hast du erst keine große Heldentat getan; aber hier stehen zwanzig meiner Kameraden, die mich rächen werden. Was nützt es dann deiner Frau Gräfin, wenn ihr tot oder verstümmelt auf der Flur lieget? Glaube mir, wenn sie freiwillig mitgeht, soll sie mit Achtung behandelt werden; aber wenn du, bis ich drei zähle, nicht den Hahnen in Ruhe setzest, so soll es ihr übel ergehen. Hahnen in Ruh', eins, zwei, drei!"

"Mit diesen Hunden ist nicht zu spaßen," flüsterte der Jäger, indem er den Befehl des Räubers befolgte; "wahrhaftig, an meinem Leben liegt nichts; aber wenn ich einen niederschieße, könnten sie meine Dame um so härter behandeln. Ich will die Gräfin um Nat fragen. Gebt uns," fuhr er mit lauter Stimme fort, "gebt uns eine halbe Stunde Waffenstillstand, um die Gräfin vorzubereiten; sie würde, wenn sie es so plötzlich erfährt, den Tod davon haben."

"Zugestanden," antwortete der Räuber und ließ zugleich den Ausgang der Treppe mit sechs Männern besetzen.

Bestürzt und verwirrt folgten die unglücklichen Reisenden dem Jäger in das Zimmer der Gräfin; es lag dieses so nahe, und so laut hatte man verhandelt, daß ihr kein Wort entgangen war. Sie war bleich und zitterte heftig; aber dennoch schien sie fest entschlossen, sich in ihr Schicksal zu ergeben. — " Warum soll ich nutzlos das Leben so vieler braver Leute aufs Spiel setzens" sagte sie. " Warum euch zu einer vergeblichen Verteidigung auffordern, euch, die ihr mich gar nicht kennet? Nein, ich sehe, daß keine andere Rettung ist, als den Elenden zu folgen."

Man war allgemein von dem Mut und dem Unglück der Dame ergriffen; der Jäger weinte und schwur, daß er diese Schmach nicht überleben könne. Der Student aber schmähte auf sich und seine Größe von sechs Fuß. "Wäre ich nur um einen halben Kopf kleiner," rief er, "und hätte ich keinen Bart, so wüßte ich wohl, was ich zu tun hätte; ich ließe mir von der Frau Gräfin Kleider geben, und diese Elenden sollten spät genug erfahren, welchen Mißgriff sie getan."

Auch auf Felix hatte das Unglück dieser Frau großen Eindruck gemacht. Ihr ganzes Wesen kam ihm so rührend und bekannt vor ; es war ihm, als sei es seine frühe verstorbene Mutter, die sich in dieser schrecklichen Lage befände. Er fühlte sich so gehoben, so mutig, daß er gerne sein Leben für das ihrige gegeben hätte. Doch als der Student jene Worte sprach, da blitzte auf einmal ein Gedanke in seiner Seele auf; er vergaß alle Angst, alle Rücksichten, und er dachte nur an die Rettung dieser Frau. "Ist es nur dies," sprach er, indem er schüchtern und



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errötend hervortrat, "gehört nur ein kleiner Körper, ein bartloses Kinn und ein mutiges Herz dazu, die gnädige Frau zu retten, so bin ich vielleicht auch nicht zu schlecht dazu; ziehet in Gottes Namen meinen Rock an, setzet meinen Hut auf Euer schönes Haar und nehmet meinen Bündel auf den Rücken und — ziehet als Felix, der Goldarbeiter, Eure Straße!"

Alle waren erstaunt über den Mut des Jünglings, der Jäger aber fiel ihm freudig um den Hals. "Goldjunge," rief er, "das wolltest du tun? Wolltest dich in. meiner gnädigen Frau Kleider steilen lassen und sie retten? Das hat dir Gott eingegeben; aber allein sollst du nicht gehen, ich will mich mit gefangen geben, will bei dir bleiben an deiner Seite als dein bester Freund, und solange ich lebe, sollen sie dir nichts anhaben dürfen." — "Auch ich ziehe mit dir, so wahr ich lebe!" rief der Student.

Es kostete lange überredung, um die Gräfin zu diesem Vorschlag zu überreden. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, daß ein fremder Mensch für sie sich aufopfern sollte; sie dachte sich im Falle einer spätern Entdeckung die Rache der Räuber, die ganz auf den Unglücklichen fallen würde, schrecklich. Aber endlich siegten teils die Bitten des jungen Menschen, teils die Überzeugung, im Falle sie gerettet würde, alles aufbieten zu können, um ihren Retter wieder zu befreien. Sie willigte ein. Der Jäger und die übrigen Reisenden begleiteten Felix in das Zimmer des Studenten, wo er sich schnell einige Kleider der Gräfin überwarf. Der Jäger setzte ihm noch zum Überfluß einige falsche Haarlocken der Kammerfrau und einen Damenhut auf, und alle versicherten, daß man ihn nicht erkennen würde. Selbst der Zirkelschmied schwur, daß, wenn er ihm auf der Straße begegnete , er flink den Hut abziehen und nicht ahnen würde, daß er vor seinem mutigen Kameraden sein Kompliment mache.

Die Gräfin hatte sich indessen mit Hilfe ihrer Kammerfrau aus dem Ränzchen des jungen Goldarbeiters mit Kleidern versehen. Der Hut, tief in die Stirne gedrückt, der Reisestock in der Hand, das etwas leichter gewordene Bündel auf dem Nücken machten sie völlig unkenntlich, und die Reisenden würden zu jeder andern Zeit über diese komische Maskerade nicht wenig gelacht haben. Der neue Handwerksbursche dankte Felix mit Tränen und versprach die schleunigste Hilfe.

"Nur noch eine Bitte habe ich," antwortete Felix, " in diesem Ränzchen, das Sie auf dem Rücken tragen, befindet sich eine kleine Schachtel; verwahren Sie diese sorgfältig! Wenn sie



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verloren ginge, wäre ich auf immer und ewig unglücklich; ich muss sie meiner Pflegmutter bringen und —"

"Gottfried, der Jäger, weiß mein Schloß," entgegnete sie, es soll Euch alles unbeschädigt wieder zurückgestellt werden ; denn ich hoffe, Ihr kommet dann selbst, edler junger Mann, um den Dank meines Gatten und den meinigen zu empfangen."

Ehe noch Felix darauf antworten konnte, ertönten von der Treppe her die rauhen Stimmen der Räuber ; sie riefen, die Frist sei verflossen und alles zur Abfahrt der Gräfin bereit. Der Jäger ging zu ihnen hinab und erklärte ihnen, daß er die Dame nicht verlassen werde und lieber mit ihnen gehe, wohin es auch sei, ehe er ohne seine Gebieterin vor seinem Herrn erschiene. luch der Student erklärte, diese Dame begleiten zu wollen. Sie beratschlagten sich über diesen Fall und gestanden es endlich zu unter der Bedingung, daß der Jäger sogleich seine Waffen abgebe. Zugleich befahlen sie, daß die übrigen Reisenden sich ruhig verhalten sollten, wann die Gräfin hinweggeführt werde.

Felix ließ den Schleier nieder, der über seinen Hut gebreitet war, setzte sich in eine Ecke, die Stirne in die Hand gestützt, und in dieser Stellung eines tief Betrübten erwartete er die Räuber. Die Reisenden hatten sich in das andere Zimmer zurückgezogen, doch so, daß sie, was vorging, überschauen konnten; der Jäger saß anscheinend traurig, aber auf alles lauernd in der andern Ecke des Zimmers, das die Gräfin bewohnt hatte. Nachdem sie einige Minuten so gesessen, ging die Türe auf, und ein schöner, stattlich gekleideter Mann von etwa sechsunddreißig Jahren trat in das Zimmer. Er trug eine Art von militärischer Uniform, einen Orden auf der Brust, einen langen Säbel an der Seite, und in der Hand hielt er einen Hut, von welchem schöne Federn herabwallten. Zwei seiner Leute hatten gleich nach seinem Eintritt die Türe besetzt.

Er ging mit einer tiefen Verbeugung auf Felix zu ; er schien vor einer Dame dieses Ranges etwas in Verlegenheit zu sein, er setzte mehrere Male an, bis es ihm gelang, geordnet zu sprechen. "Gnädige Frau," sagte er, " es gibt Fälle, in die man sich in Geduld schicken muß. Ein solcher ist der Ihrige. Glauben Sie nicht, daß ich den Respekt vor einer so ausgezeichneten Dame auch nur auf einen Augenblick aus den Augen setzen werde; Sie werden alle Bequemlichkeit haben, Sie werden über nichts klagen können als vielleicht über den Schrecken, den Sie diesen Abend gehabt." Hier hielt er inne, als erwartete er eine Antwort ; als aber Felix beharrlich schwieg, fuhr er fort: "Sehen Sie in mir keinen gemeinen Dieb, keinen Kehlenabschneider!



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Ich bin ein unglücklicher Mann, den widrige Verhältnisse zu diesem Leben zwangen. Wir wollen uns auf immer aus dieser Gegend entfernen, aber wir brauchen Reisegeld. Es wäre uns ein leichtes gewesen, Kaufleute oder Postwagen zu überfallen; aber dann hätten wir vielleicht mehrere Leute auf immer ins Unglück gestürzt. Der Herr Graf, Ihr Gemahl, hat vor sechs Wochen eine Erbschaft von fünfmalhunderttausend Talern gemacht. Wir erbitten uns zwanzigtausend Gulden von diesem Überfluß, gewiß eine gerechte und bescheidene Forderung. Sie werden daher die Gnade haben, jetzt sogleich einen offenen Brief an Ihren Gemahl zu schreiben, worin Sie ihm melden, daß wir Sie zurückgehalten, daß er die Zahlung so bald als möglich leisten möge, widrigenfalls — Sie verstehen mich, wir müßten dann etwas härter mit Ihnen selbst ver ähren. Die Zahlung wird nicht angenommen, wenn sie nicht unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit von einem einzelnen Manne hiehergebracht wird."

Diese Szene wurde mit der gespanntesten Aufmerksamkeit von allen Gästen der Waldschenke, am ängstlichsten wohl von dir Gräfin beobachtet. Sie glaubte jeden Augenblick, der Jüngling, der sich für sie geopfert, könnte sich verraten. Sie war fest entschlossen, ihn um einen großen Preis loszukaufen; aber eben so fest stand ihr Gedanke, um keinen Preis der Welt auch nur einen Schritt weit mit den Räubern zu gehen. Sie hatte in der Rocktasche des Goldarbeiters ein Messer gefunden. Sie hielt es geöffnet krampfhaft in der Hand, bereit, sich lieber zu töten als eine solche Schmach zu erdulden. Jedoch nicht minder ängstlich war Felix selbst. Zwar stärkte und tröstete ihn der Gedanke, daß es eine männliche und würdige Tat sei, einer bedrängten, hilflosen Frau auf diese Weise beizustehen; aber er fürchtete, sich durch jede Bewegung, durch seine Stimme zu verraten. Seine Angst steigerte sich, als der Räuber von einem Briefe sprach, den er schreiben sollte.

Wie sollte er schreiben? Welche Titel dem Grafen geben, welche Form dem Briefe, ohne sich zu verraten?

Seine Angst stieg aber aufs höchste, als der Anführer der Räuber Papier und Feder vor ihn hinlegte, ihn bat, den Schleier zurückzuschlagen und zu schreiben.

Felix wußte nicht, wie hübsch ihm die Tracht paßte, in welche er gekleidet war; hätte er es gewußt, er würde sich vor einer Entdeckung nicht im mindesten gefürchtet haben. Denn als er endlich notgedrungen den Schleier zurückschlug, schien der Herr in Uniform, betroffen von der Schönheit der Dame und



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ihren etwas männlichen, mutigen Zügen, sie nur noch ehrfurchtsvoller zu betrachten. Dem klaren Blick des jungen Goldschmieds entging dies nicht; getrost, daß wenigstens in diesem gefährlichen Augenblick keine Entdeckung zu fürchten sei, ergriff er die Feder und schrieb an seinen vermeintlichen Gemahl nach einer Form, wie er sie einst in einem alten Buche gelesen; er schrieb:

*Mein Herr und Gemahl!

Ich unglückliche Frau bin auf meiner Reise mitten in der Nacht plötzlich angehalten worden, und zwar von Leuten, welchen ich keine gute Absicht zutrauen kann. Sie werden mich solange zurückhalten, bis Sie, Herr Graf, die Summe von 20000 Gulden für mich niedergelegt haben.

Die Bedingung ist dabei, daß Sie nicht im mindesten über die Sache sich bei der Obrigkeit beschweren noch ihre Hilfe nachsuchen, daß Sie das Geld durch einen einzelnen Mann in die Waldschenke im Spessart schicken; widrigenfalls ist mir mit längerer und harter Gefangenschaft gedroht.

Es fleht Sie um schleunige Hilfe an

Ihre unglückliche

Gemahlin."

Wr reichte den merkwürdigen Brief dem Anführer der Räuber, der ihn durchlas und billigte. " Es kommt nun ganz auf Ihre Bestimmung an," fuhr er fort, " ob Sie Ihre Kammerfrau oder Ihren Jäger zur Begleitung wählen werden. Die eine dieser Personen werde ich mit dem Briefe an Ihren Herrn Gemahl zurückschicken."

"Der Jäger und dieser Herr hier werden mich begleiten," antwortete Felix.

Gut," entgegnete jener, indem er an die Türe ging und die Kammerfrau herbeirief, "so unterrichten Sie diese Frau, was sie zu tun habe!"

Die Kammerfrau erschien mit Zittern und Beben. Auch Felix erblaßte, wenn er bedachte, wie leicht er sich auch jetzt wieder verraten könnte. Doch ein unbegreiflicher Mut, der ihn in jenen gefährlichen Augenblicken stärkte, gab ihm auch jetzt wieder seine Reden ein. "Ich habe dir nichts weiter aufzutragen," sprach er, "als daß du den Grafen bittest, mich; sobald als möglich aus dieser unglücklichen Lage zu reißen."

"Und," fuhr der Räuber fort, "daß Sie dem Herrn Grafen aufs genaueste und ausdrücklichste empfehlen, daß er alles verschweige und nichts gegen uns unternehme, bis seine Gemahlin



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in Seinen Händen ist. Unsere Kundschafter würden uns bald genug davon unterrichten, und ich möchte dann für nichts stehen."

Die zitternde Kammerfrau versprach alles. Es wurde ihr noch befohlen, einige Kleidungsstücke und Linnenzeug für die Frau Gräfin in einen Bündel zu packen, weil man sich nicht mit vielem Gepäcke beladen könne, und als dies geschehen war, foderte der Anführer der Räuber die Dame mit einer Verbeugung auf, ihm zu folgen. Felix stand auf, der Jäger und der Student folgten ihm, und alle drei stiegen, begleitet von dem Anführer der Räuber, die Treppe hinab.

Vor der Waldschenke standen viele Pferde; eines wurde dem Jäger angewiesen, ein anderes, ein schönes kleines Tier, mit einem Damensattel versehen, stand für die Gräfin bereit, ein drittes gab man dem Studenten. Der Hauptmann hob den jungen Goldschmied in den Sattel, schnallte ihn fest und bestieg dann selbst sein Roß. Er stellte sich zur Rechten der Dame auf, zur Linken hielt einer der Räuber ; auf gleiche Weise waren auch der Jäger und der Student umgeben. Nachdem sich auch die übrige Bande zu Pferde gesetzt hatte, gab der Anführer mit einer helltönenden Pfeife das Zeichen zum Aufbruch, und bald war die ganze Schar im Walde verschwunden.

Die Gesellschaft, die im obern Zimmer versammelt war, erholte sich nach diesem Auftritt allmählich von ihrem Schrecken. Sie wären, wie es nach großem Unglück oder plötzlicher Gefahr zu geschehen pflegt, vielleicht sogar heiter gewesen, hätte sie nicht der Gedanke an ihre drei Gefährten beschäftigt, die man vor ihren Augen hinweggeführt hatte. Sie brachen in Bewunderung des jungen Goldschmieds aus, und die Gräfin vergoß Tränen der Rührung, wenn sie bedachte, daß sie einem Menschen so unendlich viel zu verdanken habe, dem sie nie zuvor Gutes getan, den sie nicht einmal kannte. Ein Trost war es für alle, daß der heldenmütige Jäger und der wackere Student ihn begleitet hatten; konnten sie ihn doch trösten, wenn sich der junge Mann unglücklich fühlte, ja, der Gedanke lag nicht gar zu ferne, daß der verschlagene Weidmann vielleicht Mittel zu ihrer Flucht finden könnte. Sie berieten sich noch miteinander, was zu tun sei. Die Gräfin beschloß, da ja sie kein Schwur gegen den Räuber binde, sogleich zu ihrem Gemahl zurückzureisen und alles aufzubieten , den Aufenthalt der Gefangenen zu entdecken, sie zu befreien; der Fuhrmann versprach, nach Aschaffenburg reiten und die Gerichte zur Verfolgung der Räuber anzurufen. Der Zirkelschmicd aber wollte seine Reise fortsetzen,



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Die Reisenden wurden in der Nacht nicht nicht beunruhigt; Totenstille herrschte in der Waldschenke, die noch vor kurzem der Schauplatz so schrecklicher Szenen gewesen war. Als aber am Morgen die Bedienten der Gräfin zu der Wirtin hinabgingen, uni alles zur Abfahrt fertig zu machen, kehrten sir schnell zurück und berichteten, daß sie die Wirtin und ihr Gesinde in elendem Zustande gefunden hätten; sie ligen gebunden in der Schenke und flehten um Beistand,

Die Reisenden sahen sich bei dieser Nachricht erstaunt an. Wie?" rief der Zirkelschmied, "so sollten diese Leute dennoch unschuldig sein? So hätten wir ihnen unrecht getan, und sic ständen nicht im Einverständnis mit den Räubern?"

"Ich lasse mich aufhängen statt ihrer," erwiderte der Fuhrmann, " wenn wir nicht dennoch recht hatten. Dies alles ist nur Betrug, um nicht überwiesen werden zu können. Erinnert ihr euch nicht der verdächtigen Mienen dieser Wirtschaft? Erinnert ihr euch nicht, als ich hinabgehen wollte, wie mich der abgerichtete Hund nicht losließ, wie die Wirtin und der Hausknecht sogleich erschienen und mürrisch fragten, was ich denn noch zu tun hätte? Doch sie sind unser, wenigstens der Frau Gräfin Glück. Hätte es in der Schenke weniger verdächtig ausgesehen, hätte uns die Wirtin nicht so mißtrauisch gemacht, wir wären nicht zusammengestanden, wären niel) t wach geblieben. Die Räuber hätten uns überfallen im Schlafe, hätten zum wenigsten unsere Türe bewacht, und diese Verwechselung des braven jungen Burschen wäre nimmer möglich geworden."

Sie stimmten mit der Meinung des Fuhrmanns alle überein und beschlossen, auch die Wirtin und ihr Gefinde bei der Obrigkeit anzugeben. Doch um sie desto sicherer zu machen, wollten sie sich jetzt nichts merken lassen. Die Bedienten und der Fuhrmann gingen daher hinab in das Schenkzimmer, lösten die Bande der Diebeshehler auf und bezeugten sich so mitleidig und bedauernd als möglich. ilm ihre Gäste noch mehr zu versöhnen, machte die Wirtin nur eine kleine Rechnung für jeden und lud sie ein, recht bald wiederzukommen.

Der Fuhrmann zahlte seine Zeche, nahm von seinen Leidensgenossen Abschied und fuhr seine Straße. Nach diesem machten sich die beiden Handwerksbursche auf den Weg. leicht der Bündel des Goldschmieds war, so drückte er doch die zarte Dame nicht wenig. Aber noch viel schwerer wurde ihr ums Herz, als unter der Haustüre die Wirtin ihre verbrecherische Hand hinstreckte, um Abschied zu nehmen. "Ei, was seid Ihr doch für ein junges Blut," rief sie beim Anblick des zarten Jungen,



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noch so jung und schon in die Welt hinaus! Ihr seid gewiß ein verdorbenes Kräutlein, das der Meister aus der Werkstatt jagte. Nun, was geht es mich an, schenket mir die Ehre bei der Heimkehr, glückliche Reise!"

Die Gräfin wagte vor Angst und Beben nicht zu antworten, sie fürchtete, sich durch ihre zarte Stimme zu verraten. Der Zirkelschmied merkte es, nahm seinen Gefährten unter den Arni, sagte der Wirtin Ade und stimmte ein lustiges Lied an, während er dem Walde zuschritt.

Jetzt erst bin ich in Sicherheit!" rief die Gräfin, als sie etwa hundert Schritte entfernt waren. "Noch immer glaubte ich, die Frau werde mich erkennen und durch ihre Knechte festnehmen. O, wie will ich euch allen danken! Kommet auch Ihr auf mein Schloß, Ihr müßt doch Euern Reisegenossen bei mir wieder abholen."

Der Zirkelschmied sagte zu, und während sie noch sprachen, kam der Wagen der Gräfin ihnen nachgefahren; schnell wurde die Türe geöffnet, die Dame schlüpfte hinein, grüßte den jungen Handwerksburschen noch einmal, und der Wagen fuhr weiter.

Um dieselbe Zeit hatten die Räuber und ihre Gefangenen den Lagerplatz der Bande erreicht. Sie waren durch eine ungebahnte Waldstraße im schnellsten Trab weggeritten; mit ihren Gefangenen wechselten sie kein Wort, auch unter sich flüsterten sie nur zuweilen, wenn die Richtung des Weges sich veränderte.

Vor einer tiefen Waldschlucht machte man endlich Halt. Die Räuber saßen ab, und ihr Anführer hob den Goldarbeiter vom Pferd, indem er sich über den harten und eiligen Ritt entschuldigte und fragte, ob doch die gnädige Frau nicht gar zu sehr angegriffen sei.

Felix antwortete ihm so zierlich als möglich, daß er sich nach Ruhe sehne, und der Hauptmann bot ihm den Arm, ihn in die Schlucht zu führen. — Es ging einen steilen Abhang hinab; der Fußpfad, welcher hinunterführte, war so schmal und abschüssig, daß der Anführer oft seine Dame unterstützen mußte. um sie vor der Gefahr, hinabzustürzen, zu bewahren. Endlich langte man unten an. Felix sah vor sich beim matten Schein des anbrechenden Morgens ein enges, kleines Tal von höchstens hundert Schritten im Umfang, das tief in einem Kessel hoch hinanstrebender Felsen lag. Etwa sechs bis acht kleine Hütten waren in dieser Schlucht aus Brettern und abgehauenen Bäumen aufgebaut. Einige schmutzige Weiber schauten neugierig aus diesen Höhlen hervor, und ein Rudel von zwölf großen Hunden und ihren unzähligen Jungen umsprang heulend und bellend die



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Ankommenden. Der Hauptmann führte die vermeintliche Gräfin in die beste dieser Hütten und sagte ihr, diese sei ausschließlich zu ihrem Gebrauch bestimmt; auch erlaubte er auf Felix' Verlangen, daß der Jäger und der Student zu ihm gelassen wurden.

Die Hütte war mit Rehsellen und Matten ausgelegt, die zugleich zum Fußboden und Sitze dienen mußten. Einige Krüge und Schüsseln, aus Holz geschnitzt, eine alte Jagdflinte und in der hintersten Ecke ein Lager, aus ein paar Brettern gezimmert und mit wollenen Decken bekleidet, welchem man den Namen eines Bettes nicht geben konnte, waren die einzigen Geräte dieses gräflichen Palastes. Jetzt erst, allein gelassen in dieser elenden Hütte, hatten die drei Gefangenen Zeit, über ihre sonderbare Lage nachzudenken. Felix, der zwar seine edelmütige Handlung keinen Augenblick bereute, aber doch für seine Zukunft im Falle einer Entdeckung bange war, wollte sich in lauten Klagen Luft machen; der Jäger aber rückte ihm schnell näher und flüsterte ihm zu: "Sei um Gotteswillen stille, lieber Junge; glaubst du denn nicht, daß man uns behorchte" — " Aus jedem Wort, aus dem Ton deiner Sprache könnten sie Verdacht schöpfen," setzte der Student hinzu. Dem armen Felix blieb nichts übrig, als stille zu weinen.

"Glaubt mir, Herr Jäger," sagte er, "ich weine nicht aus Angst vor diesen Räubern oder aus Furcht vor dieser elenden Hütte; nein, es ist ein ganz anderer Kummer, der mich drückt. Wie leicht kann die Gräfin vergessen, was ich ihr schnell noch sagte, und dann hält man mich für einen Dieb, und ich bin elend auf immer !"

Aber was ist es denn, was dich so ängstigt?" fragte der Jäger, verwundert über das Benehmen des jungen Menschen, der sich bisher so mutig und stark betragen hatte.

"Höret zu, und ihr werdet mir recht geben," antwortete Felix. "Mein Vater war ein geschickter Goldarbeiter in Nürnberg, und meine Mutter hatte früher bei einer vornehmen Frau gedient als Kammerfrau, und als sie meinen Vater heiratete, wurde sie von der Gräfin, welcher sie gedient hatte, trefflich ausgestattet. Diese blieb meinen Eltern immer gewogen, und als ich auf die Welt kam, wurde sie meine Pate und beschenkte mich reichlich. Aber als meine Eltern bald nacheinander an einer Seuche starben und ich ganz allein und verlassen in der Welt stand und ins Waisenhaus gebracht werden sollte, da vernahm die Frau Pate unser Unglück, nahm sich meiner an und gab mich in ein Erziehungshaus; und als ich alt genug war, schrieb sie mir. ob ich nicht des Vaters Gewerbe lernen wollte. Ich



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war froh darüber und sagte zu, und so gab sie mich meinem Meister in Würzburg in die Lehre. Ich hatte Geschick zur Arbeit und brachte es bald so weit, daß mir der Lehrbrief ausgestellt wurde und ich auf die Wanderschaft mich rüsten konnte. Dies schrieb ich der Frau Pate, und flugs antwortete sie, daß sie das Geld zur Wanderschaft gebe. Dabei schickte sie prachtvolle Steine mit und verlangte, ich solle sie fassen zu einem schönen Geschmeide, ich solle dann solches als Probe meiner Geschicklichkeit selbst überbringen und das Reisegeld in Empfang nehmen. Meine Frau Pate habe ich in meinem Leben nicht gesehen, und ihr könnet deuten, wie ich mich auf sie freute. Tag und Nacht arbeitete ich an dem Schmuck, er wurde so schön und zierlich, daß selbst der Meister darüber erstaunte. Als es fertig war, paste ich alles sorgfältig auf den Boden meines Ränzels, nahm Abschied vom Meister und wanderte meine Straße nach dem Schlosse der Frau Pate. Da kamen," fuhr er in Tränen ausbrechend fort, "diese schändlichen Menschen und zerstörten all meine Hoffnung . Denn wenn Eure Frau Gräfin den Schmus verliert oder vergißt, was ich ihr sagte, und das schlechte Ränzchen wegwirft, wit soll ich dann vor meine gnädige Frau Pate treten ? Mit was soll ich mich ausweisen? Woher die Steine ersetzen? Und das Reisegeld ist dann auch verloren, und ich erscheine als ein undankbarer Mensch, der anvertrautes Gut so leichtfertig weggegeben . Und am Ende — wird man mir glauben, wenn ich den wunderbaren Vorfall erzähle?"

"Über das letztere seid getrost!" erwiderte der Jäger. "Ich glaube nicht, daß bei der Gräfin Euer Schmuck verloren gehen kann; und wenn auch, so wird sie sicherlich ihn ihrem Retter wieder erstatten und ein Zeugnis über diese Vorfälle ausstellen. Wir verlassen Euch jetzt auf einige Stunden; denn wahrhaftig , wir brauchen Schlaf, und nach den Anstrengungen dieser Nacht werdet Ihr ihn auch nötig haben. Nachher laßt uns im Gespräch unser Unglück auf Augenblicke vergessen, oder besser noch, auf unsere Flucht denken!"

Sie gingen; Felix blieb allein zurück und versuchte, dem Rat des Jägers zu folgen.

Als nach einigen Stunden der Jäger mit dem Studenten zurückkam, fand er seinen jungen Freund gestärkter und munterer als zuvor. Si erzählte dem Goldschmied, daß ihm der Hauptman alle Sorgfalt für die Dame empfohlen habe, und in wenigen Minuten werde eines der Weiber, die sie unter den Hütten gesehen hatten, der gnädigen Gräfin Kaffee bringen und ihre Dienste zur Aufwartung anbieten. Sie beschlossen, um



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ungestört zu sein, diese Gefälligkeit nicht anzunehmen, und als das alte, häßliche Zigeunerweib kam, das Frühstück vorsetzte und mit grinsender Freundlichkeit fragte, ob sie nicht sonst noch zu Diensten sein könnte, winkte ihr Felix zu gehen, und als sie noch zauderte, scheuchte sie der Jäger aus der Hütte. Der Student erzählte dann weiter, was sie sonst noch von dem Lager der Räuber gesehen. "Die Hütte, die Ihr bewohnt, schönste Frau Gräfin," sprach er, "scheint ursprünglich für den Hauptmann bestimmt. Sie ist nicht so geräumig, aber schöner als die übrigen. Außer dieser sind noch sechs andere da, in welchen die Weiber und Kinder wohnen; denn von den Räubern sind selten mehr als sechs zu Hause. Einer steht nicht weit von dieser Hütte Wache, der andere unten am Weg in der Höhe, und ein dritter hat den Lauerposten oben am Eingang in die Schlucht. Von zwei zu zwei Stunden werden sie von den drei übrigen abgelöst. Jeder hat überdies zwei große Hunde neben sich liegen, und sie alle sind so wachsam, daß man keinen Fuß aus der Hütte setzen kann, ohne daß sie anschlagen. Ich habe keine Hoffnung, daß wir uns durchstehlen können."

Machet mich nicht traurig, ich bin nach dem Schlummer mutiger geworden." entgegnete Felix; "gebet nicht alle Hoffnung auf, und fürchtet ihr Verrat, so lasset uns lieber jetzt von etwas anderem reden und nicht lange voraus schon kummervoll sein! Herr Student, in der Schenke habt Ihr angefangen, etwas zu erzählen, fahret jetzt fort; denn wir haben Zeit zum Plaudern."

"Kann ich mich doch kaum erinnern, was es war," antwortete der junge Mann.

"Ihr erzähltet die Sage von dem kalten Herz und seid stehen geblieben, wie der Wirt und der andere Spieler den Kohlenpeter aus der Türe werfen.

"Gut, jetzt entsinne ich mich wieder," entgegnete er, " nun, wenn ihr weiter hören wollet, will ich fortfahren":


Das kalte Herz. Zweite Abteilung.

Als Peter am Montag Morgen in seine Glashütte ging, da waren nicht nur seine Arbeiter da, sondern auch andere Leute. die man nicht gerne sieht, nämlich der Amtmann und drei Gerichtsdiener. Der Amtmann wünschte Petern einen guten Morgen, fragte, wie er geschlafen, und zog dann ein langes Register heraus, und darauf waren Peters Gläubiger verzeichnet. "Könnt



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Ihr zahlen oder nicht?" fragte der Amtmann mit strengem Blick. Und macht es nur kurz; denn ich habe nicht viel Zeit zu versäumen , und in den Turm ist es drei gute Stunden." Da verzagte Peter, gestand, daß er nichts mehr habe, und überließ es dem Amtmann, Haus und Hof, Hütte und Stall, Wagen und Pferde zu schätzen; und als die Gerichtsdiener und der Amtmann umhergingen und prüften und schätzten, dachte er, bis zum Tannenbühl ist's nicht weit; hat mir der Kleine nicht geholfen, so will ich es einmal mit dem Großen versuchen. Er lief dem Tannenbühl zu, so schnell, als ob die Gerichtsdiener ihm auf den Fersen wären ; es war ihm, als er an dem Platz vorbeirannte, wo er das Glasmännlein zuerst gesprochen, als halte ihn eine unsichtbare Hand auf; aber er riß sich los und lief weiter bis an die Grenze, die er sich früher wohl gemerkt hatte, und kaum hatte er, beinahe atemlos, "Holländer-Michel! Herr Holländer-Michel!" gerufen, als auch schon der riesengroße Flözer mit seiner Stange vor ihm stand.

"Kommst du?" sprach dieser lachend. "Haben sie dir die Haut abziehen und deinen Gläubigern verkaufen wollen? Nu, sei ruhig ! Dein ganzer Jammer kommt, wie gesagt, von dem kleinen Glasmännlein, von dem Separatisten und Frömmler her. Wenn man schenkt, muß man gleich recht schenken, und nicht wie dieser Knauser. Doch komm," fuhr er fort und wandte sich gegen den Wald, "folge mir in mein Haus; dort wollen wir sehen, ob wir handelseinig werden."

"Handelseinig?" dachte Peter. " Was kann er denn von mir verlangen, was kann ich an ihn verhandeln? Soll ich ihm etwa dienen, oder was will er?" Sie gingen zuerst über einen steilen Waldsteig hinan und standen dann mit einemmal an einer dunkeln, tiefen, abschüssigen Schlucht, Holländer-Michel sprang den Felsen hinab, wie wenn es eine sanfte Marmortreppe wäre; aber bald wäre Peter in Ohnmacht gesunken, denn als jener unten angekommen war, machte er sich so groß wie ein Kirchturm und reichte ihm einen Arm, so lang als ein Weberbaum, und eine Hand daran, so breit als der Tisch im Wirtshaus, und rief mit einer Stimme, die heraufschallte wie eine tiefe Totenglocke: "Setz' dich nur auf meine Hand und halte dich an den Fingern, so wirst du nicht fallen!" Peter tat zitternd, wie jener befohlen, nahm Platz auf der Hand und hielt sich am Daumen des Riesen.

Es ging weit und tief hinab, aber dennoch ward es zu Peters Verwunderung nicht dunkler ; im Gegenteil, die Tageshelle schien sogar zuzunehmen in der Schlucht. aber er konnte



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sie lange in den Augen nicht ertragen. Der Holländer-Michel hatte sich, je weiter Peter herabkam, wieder kleiner gemacht und stand nun in seiner früheren Gestalt vor einem Haus, so gering oder gut, als es reiche Bauern auf dem Schwarzwald haben. Die Stube, worein Peter geführt wurde, unterschied sich durch nichts von den Stuben anderer Leute als dadurch, daß sie einsam schien.

Die hölzerne Wanduhr, der ungeheure Kachelofen, die breiten Bänke, die Gerätschaften auf den Gesimsen waren hier wie überall. Michel wies ihm einen Platz hinter dem großen Tisch an, ging dann hinaus und kam bald mit einem Krug Wein und Gläsern wieder. Er goß ein, und nun schwatzten sie, und Holländer-Michel erzählte von den Freuden der Welt, von fremden Ländern, schönen Städten und Flüssen, daß Peter, am Ende große Sehnsucht darnach bekommend, dies auch offen dem Holländer sagte.

Wenn du im ganzen Körper Mut und Kraft, etwas zu unternehmen, hattest, da konnten ein paar Schläge des dummen Herzens dich zittern machen; und dann die Kränkungen der Ehre, das Unglück, wozu soll sich ein vernünftiger Kerl um dergleichen bekümmern? Hast du's im Kopfe empfunden, als dich letzthin einer einen Betrüger und schlechten Kerl nannte? Hat es dir im Magen wehe getan, als der Amtmann kam, dich aus dem Haus zu werfen? Was, sag' an, was hat dir wehe getan?"

"Mein Herz," sprach Peter, indem er die Hand auf die pochende Brust preßte; denn es war ihm, als ob sein Herz sich ängstlich hin und her wendete.

"Du hast, nimm es mir nicht übel, du hast viele hundert Gulden an schlechte Bettler und anderes Gesindel weggeworfen; was hat es dich genützt? Sie haben dir dafür Segen und einen gesunden Leib gewünscht; ja, bist du deswegen gesünder geworden? Um die Hälfte des verschleuderten Geldes hättest du einen Arzt gehalten. Segen, ja ein schöner Segen, wenn man ausgepfändet und ausgestoßen wird ! Und was war es, das dich getrieben, in die Tasche zu fahren, so osi ein Bettelmann seinen zerlumpten Hut hinstreckte? — Dein Herz, auch wieder dein Herz, und weder deine Augen noch deine Zunge, deine Arme noch deine Beine, sondern dein Herz' du hast dir es, wie man richtig sagt, zu sehr zu Herzen genommen."

"Aber wie kann man sich denn angewöhnen, daß es nicht mehr so ist? Ich gebe mir jetzt alle Mühe, es zu unterdrücken, und dennoch pocht mein Herz und tut mir wehe."



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"Du freilich," rief jener mit Lachen, "du armer Schelm, kannst nichts dagegen tun aber gib mir das kaum pochende Ding, und du wirst sehen, wie gut du dann hast."

"Euch, mein Herz?" schrie Peter mit Entsetzen, " da müsste ich ja sterben auf der Stelle ! Nimmermehr !"

Ja, wenn dir einer Eurer Herren Chirurgen das Herz aus dem Leibe operieren wollte, da müßtest du wohl sterben; bei mir ist dies ein anderes Ding ; doch komm herein und überzeuge dich selbst!" Er stand bei diesen Worten auf, öffnete eine Kammertüre und führte Peter hinein. Sein Herz zog sich krampfhaft zusammen, als er über die Schwelle trat ; aber er achtete es nicht; denn der Anblick, der sich ihm bot, war sonderbar und überraschend. Auf mehreren Gesimsen von Holz standen Gläser, mit durchsichtiger Flüssigkeit gefüllt, und in jedem dieser Gläser lag ein Herz; auch waren an den Gläsern Zettel angeklebt und Namen darauf geschrieben, die Peter neugierig las ; da war das Herz des Amtmanns in F., das Herz de: dicken Ezechiel, das Herz des Tanzbodenkönigs, das Herz des Oberförsters; da waren sechs Herzen von Kornwucherern, acht von Werboffizieren, drei von Geldmäklern — kurz, es war eine Sammlung der angesehensten Herzen in der Umgegend von zwanzig Stunden.

"Schau!" sprach Holländer-Michel, "diese alle haben de: Lebens Ängsten und Sorgen weggeworfen; keines dieser Herzen schlägt mehr ängstlich und besorgt, und ihre ehemaligen Besitzer befinden sich wohl dabei, daß sie den unruhigen Gast aus dem Hause haben."

"Aber was tragen sie denn jetzt dafür in der Brust?" fragte Peter, den dies alles, was er gesehen, beinahe schwindeln machte.

"Dies," antwortete jener und reichte ihm aus einem Schubfach — ein steinernes Herz.

So?" erwiderte er und konnte sich eines Schauers, der ihm über die Haut ging, nicht erwehren. " Ein Herz von Marmelstein? Aber, horch einmal, Herr Holländer-Michel, das muh doch gar kalt sein in der Brust."

"Freilich, aber ganz angenehm kühl. Warum soll denn ein Herz warm sein? Im Winter nützt dir die Wärme nichts, da hilft ein guter Kirschgeist mehr als ein Warmes Herz, und im Sommer, wenn alles schwül und heiß ist, — du glaubst nicht, wie dann ein solches Herz abkühlt. lind wie gesagt, weder Angst, 4 noch Schrecken, weder törichtes Mitleiden, noch anderer Jammer pocht an solch ein Herz."



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"Und das ist alles, was Ihr mir geben könnet?" fragte Peter unmutig ; "ich hoff' auf Geld, und Ihr wollet mir einen Stein geben!"

"Nun, ich denke, an hunderttausend Gulden hättest du fürs erste genug. Wenn du es geschickt umtreibst, kannst du bald ein Millionär werden."

Hunderttausende" rief der arme Köhler freudig. "Nun. so poche doch nicht so ungestüm in meiner Brust! Wir werden bald fertig sein mit einander. Gut, Michel; gebt mir den Stein und das Geld, und die Unruh könnet Ihr aus dem Gehäuse nehmen!"

"Ich dachte es doch, daß du ein vernünftiger Bursche seiest," antwortete der Holländer, freundlich lächelnd: "komm, laß uns noch eins trinken, und Daun will ich das Geld auszahlen."

So setzten sie sich wieder in die Stube zum Wein, tranken und tranken wieder, bis Peter in einen tiefen Schlaf verfiel.



***
Kohlenmunk-Peter erwachte beim fröhlichen Schmettern eines Posthorns, und siehe da, er saß in einem schönen Wagen, fuhr auf einer breiten Straße dahin, und als er sich aus dem Wagen bog, sah er in blauer Ferne hinter sich den Schwarzwald liegen. Anfänglich wollte er gar nicht glauben, daß er es selbst sei, der in diesem Wagen sitze. Denn auch seine Kleider waren gar nicht mehr dieselben, die er gestern getragen; aber er erinnerte sich doch an alles so deutlich, daß er endlich sein Nachsinnen aufgab und rief: "Der Kohlenmunk-Peter bin ich, das ist ausgemacht, und kein anderer."

Er wunderte sich über sich selbst, daß er gar nicht wehmütig werden konnte, als ersetzt um erstenmal aus der stillen Heimat, aus den Wäldern, wo er so lange gelebt, auszog, selbst nicht, als er an seine Mutter dachte, die jetzt wohl hilflos und im Elend saß, konnte er eine Träne aus dem Auge pressen oder nur seufzen; denn es war ihm alles so gleichgültig. "Ach, freilich," sagte er dann, "Tränen und Seufzer, Heimweh und Wehmut kommen ja aus dem Herzen, und Dank dem Holländer-Michel , — das meine ist kalt und von Stein."

Er legte seine Hand auf die Brust, und es war ganz ruhig dort, und rührte sich nichts. " Wenn er mit den Hunderttausenden so gut Wort hielt wie mit dem Herz, so soll es mich freuen," sprach er und fing an, seinen Wagen zu untersuchen. Er fand Kleidungsstücke von aller Art, wie er sie nur wünschen konnte, aber kein Geld. Endlich stieß er auf eine Tasche und fand viele



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tausend Taler in Gold und Scheinen auf Handlungshäuser in allen großen Städten. "Jetzt hab' ich's, wie ich's wollte," dachte er, setzte sich bequem in die Ecke des Wagens und fuhr in die weite Welt.

Er fuhr zwei Jahre in der Welt umher und schaute aus seinem Wagen links und rechts an den Häusern hinauf, schaute, wenn er anhielt, nichts als den Schild seines Wirtshauses an, lief dann in der Stadt umher und ließ sich die schönsten Merkwürdigkeiten zeigen. Aber es freute ihn nichts, kein Bild, kein Haus, keine Musik, kein Tang; sein Herz von Stein nahm an nichts Anteil, und seine Augen, seine Ohren waren abgestumpft für alles Schöne. Nichts war ihm mehr geblieben als die Freude an Essen und Trinken und der Schlaf, und so lebte er, indem er ohne Zweck durch die Welt reiste, zu seiner Unterhaltung speiste und aus Langerweile schlief. Hie und da erinnerte er sich zwar, daß er fröhlicher, glücklicher gewesen sei, als er noch arin war und arbeiten mußte, um sein Leben zu fristen. Da hatte ihn jede schöne Aussicht ins Tal, Musik und Gesang hatten ihn ergötzt, da hatte er sich stundenlang auf die einfache kost, die ihm die Mutter zu dem Meiler bringen sollte, gefreut. Wenn er so über die Vergangenheit nachdachte, sa kam es ihm ganz sonderbar vor, daß er jetzt nicht einmal lachen konnte, und sonst hatte er über den kleinsten Scherz gelacht. Wenn andere lachten, so verzog er nur aus Höflichkeit den Mund, aber sein Herz — lächelte nicht mit. Er fühlte dann, daß er zwar überaus ruhig sei; aber zufrieden fühlte er sich doch nicht. Es war nicht Heimweh oder Wehmut, sondern Öde, Überdruß, freudenloses Leben, was ihn endlich wieder zur Heimat trieb.

Als er von Straßburg herüberfuhr und den dunkeln Wald seiner Heimat erblickte, als er zum erstenmal wieder jene kräftigen Gestalten, jene freundlichen, treuen Gesichter der Schwarzwälder sah, als sein Ohr die heimatlichen Klänge, stark, tief, aber wohltönend, vernahm, da fühlte er schnell an sein Herz; denn sein Blut wallte stärker, und er glaubte, er müsse sich freuen und müsse weinen zugleich, aber — wie konnte er nur sa töricht sein, er hatte ja ein Herz von Stein. Und Steine sind tot und lächeln und weinen nicht.

Sein erster Gang war zum Holländer-Michel, der ihn mit alter Freundlichkeit aufnahm. "Michel," sagte er zu ihm, " gereist bin ich nun und habe alles gesehen, ist aber alles dummes Zeug, und ich hatte nur Langeweile. Überhaupt, Euer steinernes Sing, das ich in der Brust trage, schützt mich zwar vor manchem. Ich erzürne mich nie, bin nie traurig; aber ich freue mich auch



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nie, und es ist mir, als wenn ich nur halb lebte. Könnet Ihr das Steinherz nicht ein wenig beweglicher machen Oder — gebt mir lieber mein altes Herz! Ich hatte mich in fünfundzwanzig Jahren daran gewöhnt, und wenn es zuweilen auch einen dummen Streich machte, so war es doch munter und ein fröhliches Herz."

Der Waldgeist lachte grimmig und bitter. "Wenn du einmal tot bist, Peter Munk," antwortete er, "dann soll es dir nicht fehlen; dann sollst du dein weiches, rührbares Herz wieder haben, und du kannst dann fühlen, was kommt, Freud' oder Leid. Aber hier oben kann es nicht mehr dein warden: Doch, Peter! gereist bist du wohl, aber, so wie du lebtest, konnte es dir nichts nützen. Setze dich jetzt hier irgendwo im Wald, bau' ein Haus, heirate, treibe dein Vermögen um, es hat dir nur an Arbeit gefehlt; weil du müssig warst, hattest du Langeweile und schiebst jetzt alles auf dieses unschuldige Herz." Peter sah ein, daß Michel recht habe, was den Müßiggang beträfe, und nahm sich vor, reich und immer reicher zu werden. Michel schenkte ihm noch einmal hunderttausend Gulden und entließ ihn als seinen guten Freund.

Bald vernahm m an im Schwarzwald die Märe, der Kohlenmunk-Peter oder Spielpeter sei wieder da und noch viel reicher als zuvor. Es ging auch jetzt wie immer; als er am Bettelstab war, wurde er in der Sonne zur Türe hinausgeworfen, und als er jetzt an einem Sonntagnachmittag seinen ersten Einzug dort hielt, schüttelten sie ihm die Hand, lobten sein Pferd, fragten nach seiner Reise, und als er wieder mit dem dicken Ezechiel um harte Taler spielte, stand er in der Achtung so hoch als je. Er trieb jetzt aber nicht mehr das Glashandwerk, sondern den Holzhandel, aber nur zum Schein. Sein Hauptgeschäft war, mit Korn und Geld zu handeln. Der halbe Schwarzwald wurde ihm nach und nach schuldig; aber er lieh Geld nur auf zehen Prozente aus oder verkaufte Korn an die Armen, die nicht gleich zahlen konnten, um den dreifachen Wert. Mit dem Amtmann stand er jetzt in enger Freundschaft, und wenn einer Herrn Peter Munk nicht auf den Tag bezahlte, so ritt der Amtmann mit seinen Schergen hinaus, schätzte Haus und Hof, verkaufte flugs und trieb Vater, Mutter und Kind in den Wald. Anfangs machte dies dem reichen Peter einige Unlust; denn die armen Ausgepfändeten belagerten dann haufenweise seine Türe, die Männer flehten um Nachsicht, die Weiber suchten das steinerne Herz zu erweichen, und die Kinder winselten um ein Stücklein Brot. Aber als er sich ein paar tüchtige Fleischerhunde



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angeschafft hatte, hörte diese Katzenmusik, wie er es nannte, bald auf. Er pfiff und hetzte, und die Bettelleute flogen schreiend auseinander. Am meisten Beschwerde machte ihm das " alte Weib" . Das war aber niemand anders als Frau Munkin. Peters Mutter. Sie war in Not und Elend geraten, als man ihr Haus und Hof verkauft hatte, und ihr Sohn, als er reich zurückgekehrt war, hatte nicht mehr nach ihr umgesehen. Da kam sie nun zuweilen, alt, schwach und gebrechlich, an einem Stock vor das Haus. Hinein wagte sie sich nimmer, denn er hatte sie einmal weggejagt; aber es tat ihr wehe, von den Guttaten anderer Menschen leben zu müssen, da der eigene Sohn ihr ein sorgenloses Alter hätte bereiten können. Aber das kalte Herz wurde nimmer gerührt von dem Anblicke der bleichen, wohlbekannten Züge, von den bittenden Blicken, von der welken, ausgestreckten Hand, von der hinfälligen Gestalt. Mürrisch zog er, wenn sie Sonnabends an die Türe pochte, einen Sechsbätzner hervor, schlug ihn in ein Papier und ließ ihn hinausreichen durch einen Knecht. Er vernahm ihre zitternde Stimme, wenn sie dankte und wünschte, es möge ihm wohlgehen auf Erden; er hörte sie hüstelnd von der Türe schleichen, aber er dachte weiter nicht mehr daran, als daß er wieder sechs Batzen umsonst ausgegeben.

Endlich kam Peter auf den Gedanken, zu heuraten. Er wußte, daß im ganzen Schwarzwald jeder Vater ihm gerne seine Tochter geben werde; aber er war schwierig in seiner Wahl; denn er wollte, daß man auch hierin sein Glück und seinen Verstand preisen sollte; daher ritt er umher im ganzen Wald, schaute hier, schaute dort, und keine der schönen Schwarzwälderinnen deuchte ihm schön genug. Endlich, nachdem er auf allen Tanzböden umsonst nach der Schönsten ausgeschaut hatte, hörte er eines Tages, die Schönste und Tugendsamste im ganzen Wald sei eines armen Holzhauers Tochter. Sie lebe still und für sich, besorge geschickt und emsig ihres Vaters Haus und lasse sich nie auf dem Tanzboden sehen, nicht einmal zu Pfingsten oder Kirmes. Als Peter von diesem Wunder des Schwarzwaldes hörte, beschloß er, um sie zu werben, und ritt nach der Hütte, die man ihm bezeichnet hatte. Der Vater der schönen Lisbeth empfing den vornehmen Herrn mit Staunen und erstaunte noch mehr, als er hörte, es sei dies der reiche Herr Peter und er wolle sein Schwiegersohn werden. Er besann sich auch nicht lange; denn er meinte, all seine Sorge und Armut werde nun ein Ende haben, sagte zu, ohne die schöne Lisbeth zu fragen, und das gute Kind war so folgsam, daß sie ohne Widerrede Frau Peter Munkin wurde.



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Aber es wurde der Armen nicht so gut, als sie sich geträumt hatte. Sie glaubte ihr Hauswesen wohl zu verstehen, aber sie konnte Herrn Peter nichts zu Dank machen; sie hatte Mitleiden mit armen Leuten, und da ihr Eheherr reich war, dachte sie, es sei keine Sünde, einem armen Bettelweib einen Pfennig oder einem alten Mann einen Schnaps zu reichen; aber als Herr Peter dies eines Tages merkte, sprach er mit zürnenden Blicken und rauher Stimme: "Warum verschleuderst du mein Vermögen an Lumpen und Straßenläufer? Hast du was mitgebracht ins Haus, das du wegschenken könntest Mit deines Vaters Bettelstab kann man keine Suppe wärmen, und wirfst das Geld aus wie eine Fürstin? Noch einmal laß dich betreten, so sollst du meine Hand fühlen!" Die schöne Lisbeth weinte in ihrer Kammer über den harten Sinn ihres Mannes, und sie wünschte oft, lieber heini zu sein in ihres Vaters ärmlicher Hütte, als bei dem reichen, aber geizigen, hartherzigen Peter zu hausen. Ach, hätte sie gewußt, daß er ein Herz von Marmor habe und weder sie noch irgend einen Menschen lieben könne, so hätte sie sich wohl nicht gewundert. So oft sie aber jetzt unter der Türe saß, und es ging ein Bettelmann vorüber und zog den Hut und hub an seinen Spruch, so drückte sie die Augen zu, das Elend nicht zu schauen, sie ballte die Hand fester, damit sie nicht unwillkürlich in die Tasche fahre, ein Kreuzerlein herauszulangen. So kam es, daß die schöne Lisbeth im ganzen Wald verschrien wurde und es hieß, sie sei noch geiziger als Peter Munk. Aber eines Tages saß Frau Lisbeth wieder vor dem Haus und spann und murmelte ein Liedchen dazu; denn sie war munter, weil es schönes Wetter und Herr Peter ausgeritten war über Feld. Da kommt ein altes Männlein des Weges daher, das trägt einen großen, schweren Sack, und sie hört es schon von weitem keuchen. Teilnehmend sieht ihm Frau Lisbeth zu und denkt, einem so alten, kleinen Mann sollte man nicht mehr so schwer aufladen.

Indes keucht und wankt das Männlein heran, und als es gegenüber von Frau Lisbeth war, brach es unter dem Sacke beinahe zusammen. "Ach, habt die Barmherzigkeit, Frau, und reichet mir nur einen Trunk Wasser!" sprach das Männlein; ich kann nicht weiter, muß elend verschmachten."

"Aber Ihr solltet in Eurem Alter nicht mehr so schwer tragen," sagte Frau Lisbeth.

"Ja, wenn ich nicht Boten gehen müßte, der Armut halber und um mein Leben zu fristen," antwortete er ; "ach, so eine reiche Frau wie Ihr weiß nicht, wie wehe Armut tut und wie wohl ein frischer Trunk bei solcher Hitze."



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Als sie dies hörte, eilte sie in das Haus, nahm einen Krug vom Gesims und füllte ihn mit Wasser; doch als sie zurückkehrte und nur noch wenige Schritte von ihm war und das Männlein sah, wie es so elend und verkümmert auf dem Sack saß, da fühlte sie inniges Mitleid, bedachte, daß ja ihr Mann nicht zu Hause sei, und so stellte sie den Wasserkrug beiseite, nahm einen Becher und füllte ihn mit Wein, legte ein gutes Roggenbrot darauf und brachte es dem Alten. "So, und ein Schluck Wein mag Euch besser frommen als Wasser, da Ihr schon so gar alt seid," sprach sie; " aber trinket nicht so hastig und esset auch Brot dazu!"

Das Männlein sah sie staunend an, bis große Tränen in seinen alten Augen standen; es trank und sprach dann: "Ich bin alt geworden, aber ich hab' wenige Menschen gesehen, die so mitleidig wären und ihre Gaben so schön und herzlich zu spenden wüßten wie Ihr, Frau Lisbeth. Aber es wird Euch dafür auch recht wohlgehen auf Erden; solch ein Herz bleibt nicht unbelohnt."

"Nein, und den Lohn soll sie zur Stelle haben," schrie eine schreckliche Stimme, und als sie sich umsahen, war es Herr Peter mit blutrotem Gesicht.

"Und sogar meinen Ehrenwein gießest du aus an Bettelleute, und meinen Mundbecher gibst du an die Lippen der Straßenläufer ? Da, nimm deinen Lohn!" Frau Lisbeth stürzte zu seinen Füßen und bat um Verzeihung aber das steinerne Herz kannte kein Mitleid, er drehte die Peitsche um, die er in der Hand hielt, und schlug sie mit dem Handgriff von Ebenholz so heftig vor die schöne Stirne, daß sie leblos dem alten Mann in die Arme sank. Als er dies sah, war es doch, als reute ihn die Tat auf der Stelle; er bückte sich herab, zu schauen, ob noch Leben in ihr sei, aber das Männlein sprach mit wohlbekannter Stimme: "Gib dir keine Mühe, Kohlenpeter; es war die schönste und lieblichste Blume im Schwarzwald, aber du hast sie zertreten , und nie mehr wird sie wieder blühen."

Da wich alles Blut aus Peters Wangen, und er sprach: Also Ihr seid es, Herr Schatzhäuser? Nun, was geschehen ist, ist geschehen, und es hat wohl so kommen müssen. Ich hoffe aber, Ihr werdet mich nicht bei dem Gericht anzeigen als Mörder."

"Elender !" erwiderte das Glasmännlein. " Was würde es mir frommen, wenn ich deine sterbliche Hülle an den Galgen t brächte? Nicht irdische Gerichte sind es, die du zu fürchten hast, sondern andere und strengere; denn du hast deine Seele an den Bösen verkauft."



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"Und hab' ich mein Herz verkauft," schrie Peter, "so ist niemand daran schuld als du und deine betrügerischen Schätze; du tückischer Geist hast mich ins Verderben geführt, mich getrieben, daß ich bei einem andern Hilfe suchte, und auf dir liegt die ganze Verantwortung." Aber kaum hatte er dies gesagt, so wuchs und schwoll das Glasmännlein und wurde hoch und breit, und seine Augen sollen so groß gewesen sein wie Suppenteller , und sein Mund war wie ein geheizter Backofen, und Flammen blitzten daraus hervor. Peter warf sich auf die Knie, und sein steinernes Herz schützte ihn nicht, daß nicht seine Glieder zitterten wie eine Espe. Mit Geierskrallen packte ihn der Waldgeist im Nacken, drehte ihn um, wie ein Wirbelwind dürres Laub, und warf ihn dann zu Boden, daß ihm alle Rippen knackten. Erdenwurm !" rief er mit einer Stimme, die wie der Donner rollte ; "ich könnte dich zerschmettern, wenn ich wollte; denn du hast gegen den Herrn des Waldes gefrevelt. Aber um dieses toten Weibes willen, die mich gespeist und getränkt hat, gebe ich dir acht Tage Frist. Bekehrst du dich nicht zum Guten, so komme ich und zermalme dein Gebein, und du fährst hin in deinen Sünden."

Es war schon Abend, als einige Männer, die vorbeigingen, den reichen Peter Munk an der Erde liegen sahen. Sie wandten ihn hin und her und suchten, ob noch Atem in ihm sei; aber lange war ihr Suchen vergebens. Endlich ging ebner in das Haus und brachte Wasser herbei und besprengte ihn. Da holte Peter tief Atem, stöhnte und schlug die Augen auf, schaute lange um sich her und fragte dann nach Frau Lisbeth; aber keiner hatte sie gesehen. Er dankte den Männern für ihre Hilfe, schlich sich in sein Haus und suchte überall ; aber Frau Lisbeth war weder im Keller noch auf dem Boden, und das, was er für einen schrecklichen Traum gehalten, war bittere Wahrheit. Wie er nun so ganz allein war, da kamen ihm sonderbare Gedanken; er fürchtete sich vor nichts, denn sein Herz war ja kalt ; aber wenn er an den Tod seiner Frau dachte, — kam ihm sein eigenes Hinscheiden in den Sinn, und wie belastet er dahinfahren werde, schwer belastet mit Tränen der Armen, mit tausend ihrer Flüche, die sein Herz nicht erweichen konnten, mit dem Jammer der Elenden, auf die er seine Hunde gehetzt, belastet mit der stillen Verzweiflung seiner Mutter, mit dem Blute der schönen, guten Lisbeth; und konnte er doch nicht einmal dem alten Manne, ihrem Vater, Rechenschaft geben, wenn er käme und fragte;



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"Wo ist meine Tochter, dein Weib?" Wie wollte er einem andern Frage stehen, dem alle Wälder, alle Seen, alle Berge gehören und die Leben der Menschen?

Es quälte ihn auch nachts im Traume, und alle Augenblicke wachte er auf an einer süßen Stimme, die ihm zurief: "Peter, schaff' dir ein wärmeres Herz!" Und wenn er erwacht war, schloß er doch schnell wieder die Augen; denn der Stimme nach mußte es Frau Lisbeth sein, die ihm diese Warnung zurief. Den andern Tag ging er ins Wirtshaus, um seine Gedanken zu zerstreuen, und dort traf erden dicken Ezechiel. Er setzte sich zu ihm, sie sprachen dies und jenes, vom schönen Wetter, vom Krieg, von den Steuern und endlich auch vom Tod und wie da und dort einer so schnell gestorben sei. Da fragte Peter den Dicken, was er denn vom Tod halte, und wie es nachher sein werde. Ezechiel antwortete ihm, daß man den Leib begrabe, die Seele aber fahre entweder auf zum Himmel, oder hinab in die Hölle.

"Also begräbt man das Herz auch " fragte der Peter gespannt .

"Ei freilich, das wird auch begraben."

"Wenn aber einer sein Herz nicht mehr hat?" fuhr Peter fort.

Ezechiel sah ihn bei diesen Worten schrecklich an. "Was willst du damit sagen? Willst du mich foppens Meinst du, ich habe kein ser) "

"O, Herz genug, so fest wie Stein," erwiderte Peter.

Ezechiel sah in verwundert an, schaute sich um, ob es niemand gehört habe, und sprach dann: "Woher weißt du es? Oder pocht vielleicht das deinige auch nicht mehr?"

"Pocht nicht mehr, wenigstens nicht hier in meiner Brust" antwortete Peter Munk. " Aber sag' mir, da du jetzt weißt, was ich meine, wie wird es gehen mit unseren Herzen "

"Was kümmert dich dies, Gesells" fragte Ezechiel lachend. Hast ja auf Erden vollauf zu leben und damit genug. Das ist ja gerade das Bequeme in unsern kalten Herzen, daß uns keine Furcht befällt vor solchen Gedanken."

"Wohl wahr; aber man denkt doch daran, und wenn ich auch jetzt keine Furcht mehr kenne, so weiß ich doch wohl noch, wie sehr ich mich vor der Hölle gefürchtet, als ich noch ein kleiner, unschuldiger Knabe war."

"Nun — gut wird es uns gerade nicht gehen," sagte Ezechiel. "Hab' mal einen Schulmeister darüber gefragt; der sagte mir, dah nach dem Tode die Herzen gewogen werden, wie schwer sie sich versündigt hätten. Die leichten steigen auf, die schweren



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sinken hinab, und ich denke, unsere Steine werden ein gutes Gewicht haben."

"Ach freilich," erwiderte Peter, "und es ist mir oft selbst unbequem, daß mein Herz so teilnahmlos und ganz gleichgültig ist, wenn ich an solche Dinge denke."

So sprachen sie; aber in der nächsten Nacht hörte er fünf- oder sechsmal die bekannte Stimme in sein Ohr lispeln: "Peter, schaff' dir ein wärmeres Herz!" Er empfand keine Reue, daß er sie getötet, aber wenn er dem Gesinde sagte, seine Frau sei verreist, so dachte er immer dabei: "Wohin mag sie wohl gereist sein?" Sechs Tage hatte er es so getrieben, und immer hörte er nachts diese Stimme, und immer dachte er an den Waldgeist und seine schreckliche Drohung ; aber am siebenten Morgen sprang er auf von seinem Lager und rief: "Nun ja, will sehen, ob ich mir ein wärmeres schaffen kann; denn der gleichgültige Stein in meiner Brust macht mir das Leben nur langweilig und öde." Er zog schnell seinen Sonntagsstaat an und setzte sich auf sein Pferd und ritt dem Tannenbühl zu.

Im Tannenbühl, wo die Bäume dichter standen, saß er ab, band sein Pferd an und ging schnellen Schrittes dem Gipfel des Hügels zu, und als er vor der dicken Tanne stand, hub er seinen Spruch an:

"Schatzhäuser im grünen Tannenwald,
Bist viele hundert Jahre alt,
Dein ist all' Land, wo Tannen stehen,
Läßt dich nur Sonntagskindern sehen."

Da kam das Glasmännlein hervor, aber nicht freundlich und traulich wie sonst, sondern düster und traurig ; es hatte ein Röcklein an von schwarzem Glas, und ein langer Trauerflor flatterte herab vom Hut, und Peter wußte wohl, um wen es traure.

"Was willst du von mir, Peter Munk?" fragte es mit dumpfer Stimme.

Ich hab' noch einen Wunsch, Herr Schatzhäuser," antwortete Peter mit niedergeschlagenen Augen.

"Können Steinherzen noch wünschen " sagte jener. "Die hast alles, was du für deinen schlechten Sinn bedarfst, und ich werde schwerlich deinen Wunsch erfüllen."

"Aber Ihr habt mir doch drei Wünsche zugesagt; einen hab' ich immer noch übrig.

Doch kann ich ihn versagen, wenn er töricht ist," fuhr der Waldgeist fort; " aber wohlan, ich will hören, was du willst ?"

"So nehmet mir den toten Stein heraus und gebet mir mein lebendiges Herz!" sprach Peter.



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"Hab' ich den Handel mit dir gemacht?" fragte das Glasmännlein. "Bin ich der Holländer-Michel, der Reichtum und kalte Herzen schenkt? Dort, bei ihm musst du dein Herz suchen."

"Ach, er gibt es nimmer zurück," antwortete Peter.

"Du dauerst mich, so schlecht du auch bist," sprach das Männlein nach einigem Nachdenken. " Aber weil dein Wunsch nicht töricht ist, so kann ich dir wenigstens meine Hilfe nickst versagen. So höre, dein Herz kannst du mit keiner Gewalt mehr bekommen, wohl aber durch List, und es wird vielleicht nicht schwer halten; denn Michel bleibt doch nur der dumme Michel, obgleich er sich ungemein klug dünkt. So gehe denn geraden Weges zu ihm hin und tue, wie ich dir heiße!" Und nun unterrichtete er ihn in allem und gab ihm ein Kreuzlein aus reinem Glas : " Am Leben kann er dir nicht schaden, und er wird dich frei lassen, wenn du ihm dies vorhalten und dazu beten wirst. Und hast du denn, was du verlangt hast, erhalten, so komm wieder zu mir an diesen Ort !"

Peter Munk nahm das Kreuzlein, prägte sich alle Worte ins Gedächtnis und ging weiter nach Holländer-Michels Behausung . Er rief dreimal seinen Namen, und alsobald stand der Riese vor ihm. "Du hast dein Weib erschlagen?" fragte er ihn mit schrecklichem Lachen. "Hätt' es auch so gemacht; sie hat dein Vermögen an das gebracht. Aber du wirst auf einige Zeit außer Landes gehen müssen; denn es wird Lärm machen, wenn man sic nicht findet, und du brauchst wohl Geld und kommst, um es zu holen

"Du hast's erraten," erwiderte Peter, "und nur recht viel diesmal ; denn nach Amerika ist's weit."

Michel ging voran und brachte ihn in seine dort schloß er eine Truhe auf, worin viel Geld lag, und langte ganze Rollen Gold heraus. Während er es so auf den Tisch sprach Peter: "Du bist ein loser Vogel, Michel, daß du mich belogen hast, ich hätte einen Stein in der Brust und du habest mein Herz !"

"Und ist es denn nicht so?" fragte Michel staunend. "Fühlst du denn dein Herz? Ist es nicht kalt wie Eis? Hast du Furcht oder Gram, kann dich etwas reuen?"

"Du hast mein Herz nur stille stehen lassen, aber ich hab' es noch wie sonst in meiner Brust, und Ezechiel auch, der hat es mir gesagt, daß du uns angelogen hast' du bist nicht der Mann dazu, der einem das Herz so unbemerkt und ohne Gefahr aus der Brust reißen könnte; da müßtest du zaubern können." Bettelvolk

Hütte; hinzählte,



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"Aber ich versichere dich," rief Michel unmutig, "du und Ezechiel und alle reichen Leute, die es mit mir gehalten, haben solche kalte Herzen wie du, und ihre rechten Herzen habe ich hier in meiner Kammer."

"Ei, wie dir das Lügen von der Zunge geht!" lachte Peter. Das mach' du einem andern weis ! Meinst du, ich hab' auf meinen Reisen nicht solche Kunststücke zu Dutzenden gesehen? Aus Sachs nachgeahmt sind deine Herzen hier in der Kammer. Du bist ein reicher Kerl, das geb' ich zu; aber zaubern kannst du nicht."

Da ergrimmte der Niese und riß die Kammertüre auf. Komm herein und lies die Zettel alle, und jenes dort, schau, das ist Peter Munks Herz ; siehst du, wie es zuckt? Kann man das auch aus Wachs machen?"

Und doch ist es aus Wachs," antwortete Peter. "So schlägt ein rechtes Herz nicht; ich habe das meinige noch in der Brust. Nein, zaubern kannst du nicht !"

"Aber ich will es dir beweisen!" rief jener ärgerlich. "Du sollst es selbst fühlen, daß dies dein Herz ist." Er nahm es, riß Peters Wams auf und nahm einen Stein aus seiner Brust und zeigte ihn vor. Dann nahm er das Herz, hauchte es an und setzte es behutsam an seine Stelle, und alsobald fühlte Peter, wie es pochte, und er konnte sich wieder darüber freuen.

"Wie ist es dir jetzt?" fragte Michel lächelnd.

Wahrhaftig, du hast doch recht gehabt," antwortete Peter, indem er behutsam sein Kreuzlein aus der Tasche zog. "Hätt' ich doch nicht geglaubt, daß man dergleichen tun könne !"

"Nicht wahr? Und zaubern kann ich, das siehst du ; aber komm, jetzt will ich dir den Stein wieder hineinsetzen."

Gemach, Herr Michel!" rief Peter, trat einen Schritt zurück und hielt ihm das Kreuzlein entgegen. "Mit Speck fängt man Mäuse, und diesmal bist du der Betrogene." Und zugleich fing er an zu beten, was ihm nur beifiel.

Da wurde Michel kleiner und immer kleiner, fiel nieder und wand sich hin und her wie ein Wurm und ächzte und stöhnte, und alle Herzen umher fingen an zu zucken und zu pochen, daß es tönte wie in der Werkstatt eines Uhrmachers. Peter aber fürchtete sich, und es wurde ihm ganz unheimlich zumut, er rannte zur Kammer und zum Haus hinaus und klimmte, von Angst getrieben, die Fetsenwand hinan; denn er hörte, daß Michel sich aufraffte, Stampfte und tobte und ihm schreckliche Flücke e nachschickte. Als er oben war, lies er dem Tannenbühl zu; ein schreckliches Gewitter zog auf, Blitze fielen links und rechts an



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ihm nieder und zerschmetterten die Bäume, aber er kam wohlbehalten in dem Revier des Glasmännleins an.

Sein Herz pochte freudig, und nur darum, weil es pochte. Dann aber sah er mit Entsetzen auf sein Leben zurück wie auf das Gewitter, das hinter ihm rechts und links den schönen Wald zersplitterte. Er dachte an Frau Lisbeth, sein schönes, gutes Weib, das er aus Geiz gemordet; er kam sich selbst wie der Auswurf der Menschen vor, und er weinte heftig, als er an Glasmännleins Hügel kam.

Schatzhäuser saß schon unter dem Tannenbaum und rauchte aus einer kleinen Pfeife; doch sah er munterer aus als zuvor. Warum weinst du, Kohlenpeter?" fragte er. "Hast du dein Herz nicht erhalten? Liegt noch das kalte in deiner Brustop"

"Ach Herr !" seufzte Peter. " Als ich noch das kalte Steinherz trug, da weinte ich nie, meine Augen waren so trocken als das Land im Juli; jetzt aber will es mir beinahe das alte Herz zerbrechen, was ich getan! Meine Schuldner habe ich ins Elend gejagt, auf Arme und Kranke die Hunde gehetzt, und Ihr wißt es ja selbst — wie meine Peitsche auf ihre schöne Stirne fiel!"

"Peter! Du warst ein großer Sünder !" sprach das Männlein . "Das Geld und der Müßiggang haben dich verderbt, bis dein Herz zu Stein wurde, nicht Freud', nicht Leid, keine Neue. kein Mitleid mehr kannte. Aber Reue versöhnt, und wenn ich nur wüßte, daß dir dein Leben recht leid tut, so könnte ich schon noch was für dich tun."

"Will nichts mehr," antwortete Peter und ließ traurig sein Haupt sinken. "Mit mir ist es aus, kann mich mein Lebtag nicht mehr freuen; was soll ich so allein auf der Welt tun? Meine Mutter verzeiht mir nimmer, was ich ihr getan, und vielleicht hab' ich sie unter den Boden gebracht, ich Ungeheuer! Und Lisbeth , meine Frau! Schlaget mich lieber auch tot, Herr Schatzhäuser; dann hat mein elend Leben mit einmal ein Ende."

"Gut," erwiderte das Männlein, , .wenn du nicht anders willst, so kannst du es haben; meine Axt habe ich bei der Hand." Er nahm ganz ruhig sein Pfeiflein aus dem Mund, klopfte es aus und steckte es ein. Dann stand er langsam auf und ging hinter die Tannen. Peter aber setzte sich weinend ins Gras, sein Leben war ihm nichts mehr, und er erwartete geduldig den Todesstreich . Nach einiger Zeit hörte er leise Tritte hinter sich und dachte: "Jetzt wird er kommen."

"Schau dich noch einmal um, Peter Munk!" rief das Männlein . Er wischte sich die Tränen aus den Augen und schaute sich uni und sah — seine Mutter und Lisbeth, seine Frau, die



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ihn freundlich anblickten. Da sprang er freudig auf: "So bist du nicht tot, Lisbeth Und auch Ihr seid da, Mutter, und habt mir vergebens"

"Sie wollen dir verzeihen," sprach das Glasmännlein, " weil du wahre Reue fühlst, und alles soll vergessen sein. Zieh jetzt heim in deines Vaters Hütte und sei ein Köhler wie zuvor ; bist du brav und bieder, so wirst du dein Handwerk ehren, und deine Nachbarn werden dich mehr lieben und achten, als wenn du zehen Tonnen Goldes hättest." So sprach das Glasmännlein und nahm Abschied von ihnen.

Die drei lobten und segneten es und gingen heim.

Das prachtvolle Haus des reichen Peters stand nicht mehr; der Blitz hatte es angezündet und mit all seinen Schätzen niedergebrannt; aber nach der väterlichen Hütte war es nicht weit; dorthin ging jetzt ihr Weg, und der große Verlust bekümmerte sie nicht.

Aber wie staunten sie, als sie an die Hütte kamen! Sie war zu einem schönen Bauernhaus geworden, und alles darin war einfach, aber gut und reinlich.

"Da:, hat das gute Glasmännlein getan !" rief Peter.

"Wie schön!" sagte Frau Lisbeth. " Und hier ist mir viel heimischer als in dem großen Haus mit dem vielen Gesinde."

Von jetzt an wurde Peter Munk ein fleißiger und wackerer Manu. Er war zufrieden mit dem, was er hatte, trieb sein Handwerk unverdrossen, und so kam , daß er durch eigene Kraft wohlhabend wurde und angesehen und beliebt im ganzen Wald. Er zankte nie mehr mit Frau Lisbeth, ehrte seine Mutter und gab den Armen, die an seine Türe pochten. Als nach Jahr und Tag Frau Lisbeth von einem schönen Knaben genas, ging Peter nach dem Tannenbühl und sagte sein Sprüchlein. Aber das Glasmännlein zeigte sich nicht. "Herr Schatzhäuser!" rief er laut. "Hört mich doch ; ich will ja nichts anderes, als Euch zu Gevatter bitten bei meinem Söhnlein :" Aber er gab keine Antwort ; nur ein kurzer Windstoss sauste durch die Tannen und warf einige Tannenzapfen herab ins Gras. "So will ich dies zum Andenken mitnehmen, weil Ihr Euch doch nicht sehen lassen wollet," rief Peter, steckte die Zapfen in die Tasche und ging nach Hause; aber als er zu Hause das Sonntagswams auszog und seine Mutter die Taschen umwandte und das Wams in den Kasten legen wollte, da fielen vier stattliche Geldrollen heraus, und als man sie öffnete, waren es lauter gute, neue badische Taler, und kein einziger falscher darunter. Und das war das Patengeschenk des Männleins im Tannenwald für den kleinen Peter.



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So lebten sie still und unverdrossen fort, und noch oft nachher, als Peter Munk schon graue Haare hatte, sagte er: " Es ist doch besser, zufrieden zu sein mit wenigem, als Gold und Güter haben und ein kaltes Herz.

Es mochten etwa schon fünf Tage vergangen sein, während Felix, der Jäger und der Student noch immer unter den Räubern gefangen saßen. Sie wurden zwar von dem Hauptmann und seinen Untergebenen gut behandelt, aber dennoch sehnten sie sich nach Befreiung; denn je mehr die Zeit fortrückte, desto höher stieg auch ihre Angst vor Entdeckung. Am Abend des fünften Tages erklärte der Jäger seinen Leidensgenossen, daß er entschlossen sei, in dieser Nacht loszubrechen, und wenn es ihm auch das Leben kosten sollte. Er munterte seine Gefährten zum gleichen Entschluß auf und zeigte ihnen, wie sie ihre Flucht ins Werk setzen könnten. "Den, der uns zunächst steht, nehme ich auf mich; es ist Notwehr, und Not kennt kein Gebot, er muß sterben."

"Sterben !" rief Felix entsetzt; "Ihr wollt ihn totschlagen?"

"Das bin ich fest entschlossen, wenn es darauf ankommt, zwei Menschenleben zu retten. Wisset, daß ich die Räuber mit besorglicher Miene habe flüstern hören, im Wald werde nach ihnen gestreift, und die alten Weiber verrieten in ihrem Zorn die böse Absicht der Bande; sie schimpften auf uns und gaben zu verstehen, wenn die Räuber angegriffen würden, so müßten wir ohne Gnade sterben."

"Gott jni Himmel!" schrie der Jüngling entsetzt und verbarg sein Gesicht in die Hände.

"Noch haben sie uns das Messer nicht an die Kehle gesetzt," fuhr der Jäger fort; " drum laßt uns ihnen zuvorkommen! Wenn es dunkel ist, schleiche ich auf die nächste Wache zu; sie wird anrufen; ich werde ihm zuflüstern, die Gräfin sei plötzlich sehr krank geworden, und indem er sich umsieht, stoße ich ihn nieder. Dann hole ich Euch ab, junger Mann, und der zweite kann uns ebensowenig entgehen; und beim dritten haben wir zu zwei leichtes Spiel." —

Der Jäger sah bei diesen Worten so schrecklich aus, daß Felix sich vor ihm fürchtete. Er wollte ihn bereden, von diesem blutigen Gedanken abzustehen, als die Türe der Hütte leise aufging und schnell eine Gestalt hereinschlüpfte. Es war der Hauptmann. Behutsam schloß er wieder zu und winkte den beiden Gefangenen, sich ruhig zu verhalten. Er setzte sich neben Felix nieder sprach:



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"Frau Gräfin, Ihr seid in schlimmer Lage. Erer Herr Gemahl hat nicht Wort gehalten, er hat nicht nur das Lösegeld nicht geschickt, sondern er hat auch die Regierungen umher aufgeboten ; bewaffnete Mannschaft streift von allen Seiten durch den Wald, um mich und meine Leute aufzuheben. Ich habe Eurem Gemahl gedroht, Euch zu töten, wenn er Miene macht, uns anzugreifen; doch es muß ihm entweder an Eurem Leben wenig liegen, oder er traut unsern Schwüren nicht. Euer Leben ist in unserer Hand, ist nach unsern Gesetzen verwirkt. Was wollet Ihr dagegen einwenden?"

Bestürzt sahen die Gefangenen vor sich nieder, sie wußten nicht zu antworten; denn Felix erkannte wohl, daß ihn das Geständnis über seine Verkleidung nur noch mehr in Gefahr setzen könnte.

Es ist mir unmöglich," fuhr der Hauptmann fort, " eine Dame, die meine vollkommene Achtung hat, also in Gefahr zu setzen. Darum will ich Euch einen Vorschlag zur Rettung machen, es ist der einzige Ausweg, der Euch übrig bleibt; Ich will mit Euch entfliehen."

Erstaunt, überrascht blickten ihn beide an; er aber sprach weiter: " Die Mehrzahl meiner Gesellen ist entschlossen, sich nach Italien zu ziehen und unter einer weitverbreiteten Bande Dienste zu nehmen. Mir für meinen Teil behagt es nicht, unter einem andern zu dienen, und darum werde ich keine gemeinschaftliche Sache mit ihnen machen. Wenn Ihr mir nun Euer Wort geben wolltet, Frau Gräfin, für mich gut zu sprechen, Eure mächtigen Verbindungen zu meinem Schutze anzuwenden, so kann ich Euch noch frei machen, ehe es zu spät ist."

Felix schwieg verlegen; sein redliches Herz sträubte sich, den Mann, der ihm das Leben retten wollte, geflissentlich einer Gefahr auszusetzen, vor welcher er ihn nachher nicht schützen könnte. Als er noch immer schwieg, fuhr der Hauptmann fort: "Man sucht gegenwärtig überall Soldaten; ich will mit dem geringsten Dienst zufrieden sein. Ich weiß, daß Ihr viel vermöget; aber ich will ja nichts weiter als Euer Versprechen, etwas für mich in dieser Sache zu tun."

"Nun denn," antwortete Felix mit niedergeschlagenen Augen, ich verspreche Euch, was ich tun kann, was in meinen Kräften steht, anzuwenden, um Euch nützlich zu sein. Liegt doch, wie es Euch auch ergehe, ein Trost für mich darin, daß Ihr diesem Räuberleben Euch selbst freiwillig entzogen habt."

Gerührt küsste der Hauptmann die Hand dieser gütigen Dame, flüsterte ihr noch zu, sich zwei Stunden nach Anbruch der Nacht bereit zu halten, und verließ dann ebenso vorsichtig, wie er



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gekommen war, die Hütte. Die Gefangenen atmeten freier, als er hinweggegangen war. "Wahrlich!" rief der Jäger, " dem hat Gott das Herz gelenkt! Wie wunderbar sollen wir errettet werden! Hätte ich mir träumen lassen, daß in der Welt noch etwas dergleichen geschehen könnte und daß mir ein solches Abenteuer begegnen sollte ?"

Wunderbar, allerdings !" erwiderte Felix. " Aber habe ich auch recht getan, diesen Mann zu betrügen? Was kann ihm mein Schutz frommen? Saget selbst, Jäger, heißt es ihn nicht an den Galgen locken, wenn ich ihm nicht gestehe, wer ich bin?"

"Ei, wie mögt Ihr solche Skrupel haben, lieber Junge!" entgegnete der Student. "Nachdem Ihr Sure Rolle so meisterhaft gespielt! Nein, darüber dürft Ihr Euch nicht ängstigen, das ist nichts anderes als erlaubte Notwehr. Hat er doch den Frevel begangen, eine angesehene Frau schändlicherweise von der Straße hinwegführen zu wollen, und wäret Ihr nicht gewesen, wer weiß, wie es um das Leben der Gräfin stände? Nein, Ihr habt nicht unrecht getan; übrigens glaube ich, er wird bei den Gerichten sich einen Stein im Brett gewinnen, wenn er, das Haupt dieses Gesindels, sich selbst ausliefert."

Dieser letztere Gedanke tröstete den jungen Goldschmied. Freudig bewegt und doch wieder voll banger Besorgnis über das Gelingen des Planes, durchlebten sie die nächsten Stunden. Es war schon dunkel, als der Hauptmann auf einen Augenblick in die Hütte trat, einen Bündel Kleider niederlegte und sprach: Frau Gräfin, um unsere Flucht zu erleichtern, müßt Ihr notwendig diese Männerkleidung anlegen. Machet Euch fertig! In einer Stunde treten wir den Marsch an." Nach diesen Worten verließ er die Gefangenen, und der Jäger hatte Mühe, nicht laut zu lachen. "Das wäre nun die zweite Verkleidung," rief er, "und ich wollte schwören, diese steht Euch noch besser als die erste"

Sie öffneten den Bündel und fanden ein hübsches Jagdkleid mit allem Zubehör, das Felix trefflich paßte. Nachdem er sich gerüstet, wollte der Jäger die Kleider der Gräfin in einen Winkel der Hütte werfen, Felix gab es aber nicht zu; er legte sie zu einem kleinen Bündel zusammen und äußerte, er wolle die Gräfin bitten, sie ihm zu schenken, und sie dann sein ganzes Leben hindurch zum Andenken an diese merkwürdigen Tage aufbewahren.

Endlich kam der Hauptmann. Er war vollständig bewaffnet und brachte dem Jäger die Büchse, die man ihm abgenommen, und ein Pulverhorn. Auch dem Studenten gab er eine Flinte, und Felix reichte er einen Hirschfänger, mit der Bitte, ihn auf den Fall der Not umzuhängen. Es war ein Glück für die drei,



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daß es sehr dunkel war ; denn leicht hätten die leuchtenden Blicke. womit Felix diese Waffe empfing, dem Räuber seinen wahren Stand verraten können. Als sie behutsam aus der Hütte getreten waren, bemerkte der Jäger, daß der gewöhnliche Posten an der Hütte diesmal nicht begeht sei. So war es möglich, daß sie unbemerkt an den Hütten vorbeischleichen konnten; doch schlug der Hauptmann nicht den gewöhnlichen Pfad ein, der aus der Schlucht in den Wald hinaufführte, sondern er näherte sich einem Felsen, der ganz senkrecht und, wie es schien, unzugänglich vor ihnen lag. Als sie dort angekommen waren, machte der Hauptmann auf eine Strickleiter aufmerksam, die an dem Felsen herabgespannt war. Er warf seine Büchse auf den Rücken und stieg zuerst hinan; dann rief er der Gräfin zu, ihm zu folgen, und bot ihr die Hand zur Hilfe, der Jäger stieg zuletzt herauf. Hinter diesem Felsen zeigte sich ein Fußpfad, den sie einschlugen und rasch vorwärts gingen.

Dieser FußPfad," sprach der Hauptmann, "führt nach der Aschaffenburger Straße. Dorthin wollen wir uns begeben; denn ich habe genau erfahren, daß Ihr Gemahl, der Graf, sich gegenwärtig dort aufhält."

Schweigend zogen sie weiter, der Räuber immer voran, die drei andern dicht hinter ihm. Nach drei Stunden hielten sie an; der Hauptmann lud Felix ein, sich auf einen Baumstamm zu setzen, um auszuruhen. Er zog Brot, eine Feldflasche mit altem Wein hervor und bot es den Ermüdeten an. "Ich glaube, wir werden, ehe eine Stunde vergeht, auf den Kordon stoßen, den das Militär durch den Wald gezogen hat. In diesem Fall bitte ich Sie, mit dem Anführer der Soldaten zu sprechen und gute Behandlung für mich zu verlangen."

Felix sagte auch dies zu, obwohl er sich von seiner Verwendung geringen Erfolg versprach. Sie ruhten noch eine halbe Stunde und brachen dann auf. Sie mochten etwa wieder eine Stunde gegangen sein und näherten sich schon der Landstraße; der Tag fing an heraufzukommen, und die Dämmerung verbreitete sich schon im Wald, als ihre Schritte plötzlich durch ein lautes: "Halt! Steht !" gefesselt wurden. Sie hielten, und fünf Soldaten rückten gegen sie vor und bedeuteten ihnen, sie müßten folgen und vor dem kommandierenden Major sich über ihre Reise ausweisen. Als sie noch etwa fünfzig Schritte gegangen waren, sahen sie links und rechts im Gebüsch Gewehre blitzen, eine große Schar schien den Waid besetzt zu haben. Der Major saß mit mehreren Offizieren und andern Männern unter einer Eiche. Als die Gefangenen vor ihn gebracht wurden und er eben



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anfangen wollte, sie zu examinieren über das "Woher" und "Wohin", sprang einer der Männer auf und rief: "Mein Gott, was sehe ich? Das ist ja Gottfried, unser Jäger!" "Jawohl, Herr Amtmann!" antwortete der Jäger mit freudiger Stimme, da bin ich, und wunderbar gerettet aus der Hand des schlechten Gesindels."

Die Offiziere erstaunten, ihn hier zu sehen; der Jäger aber bat den Major und den Amtmann, mit ihm auf die Seite zu treten, und erzählte in kurzen Worten, wie sie errettet worden, und wer der dritte sei, welcher ihn und den jungen Goldschmied begleitete.

Erfreut über diese Nachricht, traf der Maior sogleich seine Maßregeln, den wichtigen Gefangenen weiter transportieren zu lassen; den jungen Goldschmied aber führte er zu seinen Kameraden , stellte ihn als den heldenmütigen Jüngling vor, der die Gräfin durch seinen Mut und seine Geistesgegenwart gerettet habe, und alle schüttelten Felix freudig die Hand, lobten ihn und konnten nicht satt werden, sich von ihm und dem Jäger ihre Schicksale erzählen zu lassen.

Indessen war es völlig Tag geworden. Der Major beschloß, die Befreiten selbst bis in die Stadt zu begleiten; er ging mit ihnen und dem Amtmann der Gräfin in das nächste Dorf, wo sein Wagen stand, und dort mußte sich Felix zu ihm in den Wagen setzen; der Jäger, der Student, der Amtmann und viele andere Leute ritten vor und hinter ihnen, und so zogen sie im Triumph der Stadt zu. Wie ein Lauffeuer hatte sich das Gerücht von dem überfall in der Waldschenke, von der Aufopferung des jungen Goldarbeiters in der Gegend verbreitet, und ebenso reißend ging jetzt die Sage von seiner Befreiung von Mund zu Mund. Es war daher nicht zu verwundern, daß in der Stadt, wohin sie sogen, die Straßen gedrängt voll Menschen standen, die den jungen Helden sehen wollten. Alles drängte sich zu, als der Wagen langsam hereinfuhr. "Das ist er," riefen sie, "seht ihr ihn dort im Wagen neben dem Offizier! Es lebe der brave Goldschmiedsjunge!" und ein tausendstimmiges "Hoch!" füllte die Lüfte.

Felix war beschämt, gerührt von der rauschenden Freude der Menge. Aber noch ein rührenderer Anblick stand ihm auf dem Rathause der Stadt bevor. Ein Mann von mittleren Jahren, in reichen Kleidern, empfing ihn an der Treppe und umarmte ihn mit Tränen in den Augen. "Wie kann ich dir vergelten. mein Sohn!" rief er. "Du hast mir viel gegeben. als ich nahe daran war, unendlich viel zu verlieren! Du hast mir die Gattin,



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meinen Kindern die Mutter gerettet ; denn zartes Leben hätte die Schrecken einer solchen Gefangenschaft nicht ertragen." Es war der Gemahl der Gräfin. der diese Worte sprach. So sehr sich Felix sträuben mochte, einen Lohn für seine Aufopferung zu bestimmen, so unerbittlich schien der Graf darauf bestehen zu wollen. Da fiel dem Jüngling das unglückliche Schicksal des Räuberhauptmanns ein; er erzählte, wie er ihn gerettet, wie diese Rettung eigentlich der Gräfin gegolten habe. Der Graf, gerührt nicht sowohl von der Handlung des Hauptmanns als von dem neuen Beweis einer edlen Uneigennützigkeit, den Felix durch die Wahl seiner Bitte ablegte, versprach, das Seinige zu tun, um den Räuber zu retten.

Noch an demselben Tag aber führte der Graf, begleitet von dem wackern Jäger, den jungen Goldschmied nach seinem Schlosse, wo die Gräfin, noch immer besorgt um das Schicksal des jungen Mannes, der sich für sie geopfert, sehnsuchtsvoll auf Nachrichten wartete. Wer beschreibt ihre Freude, als ihr Gemahl, den Retter an der Hand, in ihr Zimmer trat? Sie fand kein Ende, ihn zu befragen, ihm zu danken; sie ließ ihre Kinder herbeibringen und zeigte ihnen den hochherzigen Jüngling, dem ihre Mutter so unendlich viel verdanke, und die Kleinen faßten seine Hände, und der zarte Sinn ihres kindlichen Dankes, ihre Versicherungen, daß er ihnen nach Vater und Mutter auf der ganzen Erde das Liebste sei, waren ihm die schönste Entschädigung für manchen Kummer, für die schlaflosen Nächte in der Hütte der Räuber.

Als die ersten Momente des frohen Wiedersehens vorüber waren, winkte die Gräfin einem Diener, welcher bald darauf jene Kleider und das wohlbekannte Ränzchen herbeibrachte, welche Felix der Gräfin in der Waldschenke überlassen hatte. "Hier ist alles," sprach sie mit gütigem Lächeln, "was Ihr mir in jenen furchtbaren Augenblicken gegeben; es ist der Zauber, womit Ihr mich umhüllt habt, um meine Verfolger mit Blindheit zu schlagen. Es steht Euch wieder zu Diensten; doch will ich Euch den Vorschlag machen, diese Kleider. die ich zum Andenken an Euch aufbewahren möchte, mir zu überlassen und zum Tausch dafür die Summe anzunehmen, welche die Räuber zum Lösegeld für mich bestimmten."

Felix erschrak über die Größe dieses Geschenkes ; sein edler Sinn sträubte sich, einen Lohn für das anzunehmen, was er aus freiem Willen getan. "Gnädige Frau," sprach er bewegt, "ich kann dies nicht gelten lassen. Die Kleider sollen Euer sein, wie Ihr es befchlet; jedoch die Summe, von der Ihr sprechet, kann



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ich nicht annehmen. Doch, weil ich weiß, daß Ihr mich durch irgend etwas belohnen wollet, so erhaltet mir Eure Gnade statt anderen Lohnes, und sollte ich in den Fall kommen, Eurer Hilfe zu bedürfen, so könnt Ihr darauf rechnen, daß ich Euch darum bitten werde." Noch lange drang man in den jungen Mann; aber nichts konnte seinen Sinn ändern. Die Gräfin und ihr Gemahl gaben endlich nach, und schon wollte der Diener die Kleider und das Ränzchen wieder wegtragen, als Felix sich an das Geschmeide erinnerte, das er im Gefühl so vieler freudigen Szenen ganz vergessen hatte.

"Halt!" rief er. "Nur etwas müßt Ihr mir noch aus meinem Ränzchen zu nehmen erlauben, gnädige Frau; das übrige ist dann ganz und völlig Euer."

"Schaltet nach Belieben," sprach sie; "obgleich ich gerne alles zu Eurem Gedächtnis behalten hätte, so nehmet nur, was Ihr etwa davon nicht entbehren wollet ! Doch, wenn man fragen darf, was liegt Euch denn so sehr am Herzen, daß Ihr es mir nicht überlassen möget?"

Der Jüngling hatte während dieser Worte sein Ränzchen geöffnet und ein Kästchen von rotem Saffian herausgenommen. "Was mein ist, könnet Ihr alles haben," erwiderte er lächelnd, "doch dies gehört meiner lieben Frau Pate; ich habe es selbst gefertigt und muß es ihr bringen. Es ist ein Schmuck, gnädige Frau," fuhr er fort, indem er das Kästchen öffnete und ihr hinbot , "ein Schmuck, an welchem ich mich selbst versucht habe."

Sie nahm das Kästchen; aber nachdem sie kaum einen Blick darauf geworfen, fuhr sie betroffen zurück.

Wie? Diese Steine !" rief sie. "Und für Eure Pate sind sie bestimmt, sagtet Ihr?"

Jawohl," antwortete Felix, "meine Frau Pate hat mir die Steine geschickt; ich habe sie gefaßt und bin auf dem Wege, sie selbst zu überbringen."

Gerührt sah ihn die Gräfin an ; Tränen drangen aus ihren Augen. "So bist du Felix Perner aus Nürnberg?" rief sie.

Jawohl! Aber woher wißt Ihr so schnell meinen Namen? " fragte der Jüngling und sah sie bestürzt an.

O, wundervolle Fügung des Himmels !" sprach sie gerührt zu ihrem staunenden Gemahl. "Das ist ja Felix, unser Patchen, der Sohn unserer Kammerfrau Sabine ! Felix! Ich bin es ja, zu der du kommen wolltest; so hast du deine Pate gerettet, ohne es wissen,"



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Wie? Seid denn Ihr die Gräfin Sandau, die so viel an mir und meiner Mutter getan? Und dies ist das Schloß Mayenburg , wohin ich wandern wollte? Wie danke ich dem gütigen Geschick, das mich so wunderbar mit Euch zusammentreffen ließ; so habe ich Euch doch durch die Tat, wenn auch in geringem Maß, meine große Dankbarkeit bezeugen können!"

Du hast mehr an mir getan," erwiderte sie, " als ich je an dir hätte tun können; doch so lange ich lebe, will ich dir zu zeigen suchen, wie unendlich viel wir alle dir schuldig sind. Mein Gatte soll dein Vater, meine Kinder deine Geschwister, ich selbst will deine treue Mutter sein. und dieser Schmuck, der dich zu mir führte in der Stunde der höchsten Not, soll meine beste Zierde werden ; denn er wird mich immer an dich und deinen Edelmut erinnern."

So sprach die Gräfin und hielt Wort. Sie unterstützte den glücklichen Felix auf seinen Wanderungen reichlich. Als er zurückkam als ein geschickter Arbeiter in seiner Kunst, kaufte sie ihm in Nürnberg ein Haus, richtete es vollständig ein, und ein nicht geringer Schmuck in seinem besten Zimmer waren schön gemalte Bilder, welche die Szenen in der Waldschenke und Felix' Leben unter den Räubern vorstellten.

Dort lebte Felix als ein geschickter Goldarbeiter ; der Ruhm seiner Kunst verband sich mit der wunderbaren Sage von seinem Heldenmut und verschaffte ihm Kunden im ganzen Reiche. Viele Fremde, wenn sie durch die schöne Stadt Nürnberg kamen, ließen sich in die Werkstatt des berühmten Meisters Felix führen, um ihn zu sehen, zu bewundern, wohl auch ein schönes Geschmeide bei ihm zu bestellen. Die angenehmsten Besuche waren ihm aber der Jäger, der Zirkelschmied, der Student und der Fuhrmann. So oft der letztere von Würzburg nach Fürth fuhr, sprach er bei Felix ein; der Jäger brachte ihm beinahe alle Jahre Geschenke von der Gräfin, der Zirkelschmied aber ließ sich, nachdem er in allen Ländern umhergewandert war, bei Meister Felix nieder. Eines Tages besuchte sie auch der Student. Er war indessen ein bedeutender Mann im Staat geworden, schämte sich aber nicht, bei Meister Felix und dem Zirkelschmied ein Abendessen zu verzehren. Sie erinnerten sich an alle Szenen der Waldschenke; und der ehemalige Student erzählte, er habe den Räuberhauptmann in Italien wiedergesehen; er habe sich gänzlich gebessert und diene als braver Soldat dem König von Neapel.

Felix freute sich, als er dies hörte. Ohne diesen Mann wäre er zwar vielleicht niht in jene gefährliche Lage gekommen,



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aber ohne ihn hätte er sich auch nicht aus Räuberhand befreien können. Und so geschah es, daß der wackre Meister Goldschmied nur friedliche und freundliche Erinnerungen hatte, wenn er zurückdachte an

das Wirtshaus im Spessart.