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Inhalt des zweiten Bandes Seite
Kaiser Oktavianus. Mit Bildern von Adolf Ehrhardt . 7
Die schöne Melusina. Mit Bildern von Adolf Ehrhardt . 85
Herzog Ernst. Mit Bildern von Theobald von Oer . 169
Doktor Faustus. Mit Bildern von Joseph Manes . 217
Fortunat und seine Söhne. Mit Bildern von Oskar Pletsch 291
Nachwort . 399


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Die deutschen Volks-Bücher

wiedererzählt von Gustav Schwab II



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Kaiser Oktavianus

Mit Bildern von Adolf Ehrhardt



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Es war, als der König Dagobert in Frankreich regierte, zu Rom ein gewaltiger und unüberwindlicher Kaiser, Oktavianus genannt. Dieser hatte eine Gemahlin, welche zu ihrer Zeit als die allerschönste und klügste Frau gepriesen wurde; in aller Menschen Augen erschien sie lieblich und tugendsam , und das ganze römische Volk war ihres Lobes voll. Der Kaiser und seine Gemahlin wohnten glücklich und freundlich beieinander; lange Zeit jedoch war ihre Ehe mit keinen Kindern gesegnet. Endlich aber gebar die Kaiserin zwei Söhne auf einmal; schönere und lieblichere Knaben konnte man nicht sehen. Solches war niemand leid als des Kaisers Mutter; denn diese war ihrer Schwiegertochter sehr feind. Darum dachte sie darauf, in die schöne Saat Gift zu säen. Und nachdem sie vergebens versucht hatte, dem Kaiser Zweifel gegen die Treue seines Weibes einzuflößen, bestach sie einen unehrlichen Diener, daß er sich in das Gemach der schlummernden Kaiserin schlich und dort von dem Kaiser, den das tückische Weib gerufen hatte, betreffen ließ. Der Kaiser, in großem Zorn, zog sein Schwert aus; doch bedachte er sich und wollte sie nicht im Schlaf ermorden. "Warum ertötet ihr sie nicht eilig?" sprach die alte Mutter zu ihrem Sohne. "Ist sie Euch nicht überwiesen genug? Folget meinem Rat und bringet beide eilends um." Dem Knechte aber hatte das falsche Weib verheißen, es sollte ihm kein Leid widerfahren. Oktavianus antwortete seiner Mutter: "Es will sich nicht geziemen, daß ein Kaiser jemand unverhört im Schlafe hinrichte." Er sah dabei seine fromme Gemahlin, welche so sanft schlief wie eine, die nichts Arges im Herzen hat, lang und unverwandt an. Indem nun der Kaiser vor ihr stand, kam ihr ein schwerer Traum vor die Seele. Ihr deuchte, ein starker Löwe nahe sich, werfe sie auf die Erde nieder, reiße ihren schneeweißen Schleier ab und zerre ihn in Stücke. Alsdann fasse er ihre beiden Kinder an, sie wegzutragen. Da fing sie laut an zu schreien: "Ach Gott, meine lieben Kinder l Wer will mich an dem starken Löwen rächen?"Indem sie so schrie, gingen ihr die Augen auf, und sie sah den Kaiser mit dem bloßen Schwerte vor sich stehen. Doch nicht dieses machte ihr Not, sondern sie suchte nur nach ihren



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Kindern, ob die noch da wären. Indem erblickte sie den Diener neben sich und schrie mit lauter Stimme: "Ewiger Gottl Wer hat mir eine solche Verräterei zugerichtet? Wer ist dieser Menschl Ich habe ihn nie gesehen!" — "Ach, liebe Frau", sprach da des Kaisers falsche Mutter, "es ist ja der, den Ihr so lange liebgehabt habt, und den Ihr jetzt in des Kaisers Abwesenheit habt rufen lassen. Aber der Kaiser", fuhr sie fort, "mein Herr und Sohn, ist solches längst gewahr worden, und du, Schälkin, magst es immerhin verhehlen wollen. Schändliche Metze, deine Sache ist endlich an den Tag gekommen!" Die arme Kaiserin rechtfertigte sich unter Seufzen und Weinen, und der Kaiser selbst war so betrübt, daß er lieber hätte tot sein wollen. Doch sprach er: "Wer ist, der seine Frau mit einem Buben findet und nicht glauben wollte, daß sie an ihm treubrüchig geworden?" Die Kaiserin konnte nicht mehr sprechen, sondern fuhr nur fort zu weinen. Der Kaiser aber ward ergrimmt und sprach: "Frau, Euer Weinen hilft Euch nichts; denn ich habe die Sache mit meinen eigenen Augen gesehen!" Und von Stund an rief er Ritterschaft und Diener herbei und sprach zu ihnen: "Ihr sehet, liebe Herren, die ehrlose Tat, deren sich meine Frau wider mich schuldig gemacht hat. Darum nehmet sie mitsamt ihren Kindern gefangen und werfet sie in das tiefste Gefängnis!" Als die Kaiserin nach ihres Gemahles Befehl von den Dienern weggeführt worden war und der Kaiser sich mit dem falschen Knecht allein sah, kam ihn ein solcher Grimm an, daß er demselben, ohne Verhör und Verantwortung sein Haupt mit dem Schwerte spaltete. Am andern Morgen ward der Leichnam hinausgeschleift und an den Galgen gehenkt. Hierauf ging der Kaiser weiter zu Rate, was mit der Kaiserin und ihren zwei Kindern, die er nicht mehr für die seinigen hielt, zu tun wäre; denn er gedachte, sie alle drei verbrennen zu lassen. Als nun die Herren zu Rate saßen, stellte ihnen der Kaiser die große Schmach vor, welche seine Gemahlin an ihm begangen hätte, und verkündigte ihnen seinen Entschluß. Wie er seine lange Rede geendet, sahen die Herrn und Räte einander an, und keiner wollte zuerst das Wort nehmen. Endlich wagte es der Älteste, welcher sich immer mehr um das Tun und Lassen der Kaiser bekümmert hatte als die andern, und sprach: "Gnädiger Herr! Ihr begehret, wir sollen die Kaiserin verurteilen, und doch ist die Tat noch nicht bezeugt. Auch stehet die Beklagte nicht vor uns, daß wir ihre Verantwortung anhören könnten; denn es wäre möglich, daß diese Sache durch Verräterei veranstaltet worden." Jetzt wagte es auch ein anderer und sprach: "Gedenket, Herr, an den Eid, den Ihr der Kaiserin geschworen, als Ihr sie zur Ehe begehrtet:


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daß Ihr ihren Leib schirmen und bewahren wollet wie Euern eigenen. Nun ist diese Tat nicht bezeugt, und wissen wir nicht, ob nicht Neid und Verrat im Spiele sind. Darum sehet zu, daß Ihr nicht treulos an Eurer Frau werdet und Euren Eid an ihr nicht brechet!" Alle Räte miteinander traten dieser Meinung bei, so daß niemand mehr auf der Seite des Kaisers war als seine alte Mutter, die ihm stets anlag, er sollte die fromme Kaiserin, die mit ihren wimmernden Kindern hart gefangen- verbrennen. Die arme Frau im Kerker gab den Kindern manchen Kuß und sprach: "Liebe Kinder, was haben wir unserem Gott getan, daß wir so unschuldig sterben müssen?" Solche Klage führte sie Tag und Nacht. Endlich, als drei Tage umwaren, versammelte der Kaiser seine Räte wieder und begehrte, daß sie das Urteil wider die Kaiserin sprechen sollten. Da die Räte des Kaisers Ernst sahen, sprachen sie einmütig: "Allergnädigster Herr! Sehet wohl zu, was Ihr tut. Wir können die fromme Kaiserin auf keine Weise verurteilen und haben nichts wider sie gefunden; sehet und werdet nicht meineidig an ihr. Unser Rat wäre, Ihr solltet die Unschuldige zufrieden lassen und die beiden Knaben aufziehen, bis sie den Harnisch tragen könnten und man sähe, was aus ihnen werden soll." Der Kaiser besann sich lang über diesen Worten; denn er hatte sie sehr liebgehabt. Doch fiel ihm der Diener wieder ein, von dem er meinte, daß sie lange mit ihm gebuhlt hätte, so daß er seine eigenen Kinder nicht für solche anerkennen mochte. Da ging er zu seiner Mutter und erholte sich Rats bei ihr. Diese schalt die Räte meineidige Bösewichter und drang fortwährend in ihn, Mutter und Kinder verbrennen zu lassen. Nun fügten sich endlich die Obersten und Räte, als sie sahen, daß der Kaiser unerbittlich war.

Jetzt wurde ein großes Feuer vor der Stadt Rom aufgemacht, und dreißig Stadtknechte erhielten den Befehl, die Kaiserin samt ihren zwei Kindern aus dem Gefängnis zu holen und vor die Stadt hinauszuführen. Reich und arm, jung und alt, wer es mitansah, hatte ein großes Mitleiden mit der hohen Frau und den zwei unmündigen, unschuldigen Kindern. "Lieben Männer", sprach die Kaiserin zu den Dienern, als sie das Feuer von ferne auflodern sah, ,saget mir um Gottes willen, was wird man mit mir und meinen Kindern anfangens" Da erhub sich einer unter den Stadtknechten und sprach: "Weh mir, daß ich es Euch sagen sollt Aber da es Euch doch nicht verborgen bleiben kann, so wisset, daß der Kaiser jetzt ein großes Feuer vor der Stadt hat anzünden lassen und uns befohlen, Euch und Eure zwei Kinder darin zu verbrennen." Da das die Kaiserin



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hörte, erschrak sie von Herzen, doch wandte sie sich zum Gebet und sprach: "Allmächtiger Gott! Wer weiß, womit ich es verdient habe; wenn es dein Wille ist, so mag ich ihm nicht widerstreben!" So kam sie unter Weinen und Beten vor den Kaiser und die andern Herrn, die ein großes Erbarmen mit ihr hatten. Der Kaiser aber, sobald er ihrer ansichtig wurde, hieß sie samt ihren Kindern ins Feuer werfen, weil sie so schändlich an ihm wortbrüchig geworden. Und doch war es ihm, als wollte ihm sein Herz vor Leid zerspringen; denn er hatte sie sehr liebgehabt. Die arme, gefangene Frau fiel vor dem Kaiser aufs Knie, und mahnte ihn an seinen Eid. Alle Menschen, die zugegen waren, fingen an zu weinen, besonders die Armen, denen sie täglich viel Almosen ausgeteilt hatte. Der Kaiser sah seine Frau ganz traurig an, als er sie so kläglich weinen und doch so willig zum Tode sah. Auch die unschuldigen Kinder dauerten ihn, so daß er sehr bestürzt wurde und lange nicht wußte, was er tun sollte; denn es stieg in ihm der Gedanke auf, daß er ihr doch vielleicht unrecht tue. Seine Mutter aber schrie mit lauter Stimme: "Sohn und Kaiser; was zögert Ihr lange? Lasset sie mitten ins Feuer werfen in Gegenwart des Volks; denn sie hat es längst wohl verdient Da antwortete ihr der Kaiser und sprach: "Mutter, Ihr habt unrecht; denn als ich sie zur Ehe begehrte, da schwur ich einen teuern Eid, ihr Leib und Leben zu beschirmen. Den Schwur muß ich halten, darum wird sie nicht verbrannt." So rettete die Frau des Kaisers Eid. "Stehet auf", sprach er, "ich habe mich über Euch erbarmt; verlasset mein Reich mit Euren beiden Kindern. Wo Ihr weiter in meinem Lande gefunden werdet, werde ich Euch alsbald verbrennen lassen!" Die fromme Kaiserin erholte sich bei diesen Worten von ihrer großen Angst und sprach: "Herr, wenn es denn so sein muß, so bitte ich Euch, Ihr wollet mir einen frommen Mann zum Begleiter verordnen , damit ich auf der Straße nicht verunehrt werde. Aber wahrlich, Herr, sei mir diese Sache, durch welchen Verrat sie wolle, zugerichtet; so weiß ich doch, daß durch mich weder Eure noch meine Ehre befleckt worden ist!" Aber da half keine Verantwortung mehr. Der Kaiser kehrte sich um, er konnte vor Weinen kein Wort mehr reden. Seine Gemahlin fiel ohnmächtig zur Erde, wurde jedoch von den edeln Frauen bald wieder aufgehoben, und als sie wieder zu sich kam, nahm sie ihre zwei Kinder auf die Arme und rüstete sich zu wandern. Von seiten des Kaisers wurde ihr ein starkes, wohlgesatteltes Pferd vorgeführt und hundert Kronen zur Zehrung mitgegeben. Fünf frommen und mitleidigen Rittern ward der Auftrag erteilt, sie aus dem Lande zu führen und sie, wie sie eidlich versprechen


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mußten, in einem öden Wald an der Reichsgrenze, der voll wilder Tiere und Mörder war, sich selbst zu überlassen.

Als sie hier angekommen waren, schieden die Ritter von ihr und befahlen sie Gott. Die Kaiserin dankte ihnen herzlich für ihr gutes Geleit und sprach: "Grüßet mir meinen lieben Herrn, den Kaiser, noch einmal zuletzt; saget ihm, er werde mich nun nimmer wiedersehen, und meldet ihm, daß ich seine zwei Söhne, welche wahrlich sein Fleisch und Blut sind, mit mir trage. Wenn mich Gott behütet, so will ich sie tugendlich erziehen." —

Die Ritter hatten sie verlassen, und die Kaiserin bedachte sich hin und her, welchen Weg sie einschlagen sollte. So zog sie in Gedanken fort und verlor bald die rechte Straße. Als sie lang und weit geritten war, kam sie auf einen Fußpfad, der jedoch wenig betreten war: dieser führte sie zu einem hohen Felsen; unten an dem fand sie einen schönen Brunnen, lauter wie Kristall; über dem Brunnen stand ein Baum, der duftete so lieblich wie Balsam. Sowie die Kaiserin den Born erblickt hatte, stieg sie von ihrem Pferd und nahm ihm das Gebiß aus dem Maul, daß es von den Kräutern, die dicht im Walde standen, weiden konnte; denn Heu und Haber war nicht vorhanden. Die Verirrte sah um sich, und da sie keines Menschen gewahr wurde, verfiel sie in tiefe Kümmernis; doch erfreute sie wieder ein Blick auf ihre zwei Kinder, die küßte sie und legte sie nieder in die schönen Blumen und in das Gras. Dann labte sie sich mit einem Trunk des köstlichen Wassers aus dem Brunnen und ass von den Speisen , die ihr aus des Kaisers Küche mitgegeben waren. Und jetzt setzte sie sich nieder und überdachte ihr großes Leid; aber sie war so müde von Reisen und von Trauern, daß sie bald einzuschlafen begann. Nun hielten sich in jenem Walde viel wilde Tiere auf. Als daher die Kaiserin mit ihren beiden Kindern eingeschlafen war, kam von ungefähr ein großer und starker Affe, der sah die Kinder so lieblich schlummern. Da bekam er große Lust, das eine Kind zu stehlen, schlich deswegen ganz heimlich und still zu den Kleinen heran und erwischte behend das eine: mit dem eilte er durch den Wald, so lange, bis er zu einem grünen Platze kam; daselbst setzte der Affe es nieder und wollte das Kind nackt sehen, deswegen legte er es sanft auf die Erde und entband es von den Windeln, mit denen es umwickelt war, bis es ganz bloß vor ihm lag. So saß er vor dem Kinde, fing an, freundlich zu grinsen, und bleckte die Zähne, kurz, er gebärdete sich, wie eine Mutter gegen ihr Kind tut, und meinte, das Kind sollte auch gegen ihn lachen. Aber das Kind wollte es nicht tun, sondern fing an zu weinen und laut zu schreien.



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Nun fügte es Gott, der das Kind behüten wollte, daß ein mannlicher Ritter mit seinen Dienern sich auch in dem Walde verirrt hatte. Der Ritter kam getrabt, seine Knechte voran, die ihm allenthalben Bahn machen und ihn vor dem Angriff der Mörder und der Bestien schirmen sollten. Als nun der Ritter den Affen gewahr wurde, der ein nacktes Kind mit seinen Tatzen handhabte, sprengte er mit seinem Pferde hinzu, zog sein Schwert aus und schrie mit lauter Stimme: "Ei, Meister Affe, laß das Kind liegen; denn du darfst es nicht mit dir tragen!" Sobald der Affe



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den Ritter sah, verließ er das Kind, machte einen grausigen Satz auf den Ritter zu und wollte ihn vom Pferde zerren, ja, er riß ihm ein großes Stück aus seinem Rock. Der Ritter aber, der ein starker und beherzter Mann war, führte einen so sichern Streich, daß er dem Affen seinen rechten Arm vom Leibe hieb. Als der Affe diese Verstümmlung empfand, sprang er vor Schmerz und Zorn wohl zehn Schuh hoch auf wie ein unsinniges Tier. Zugleich schlug das Pferd des Ritters hintenaus so ungestüm , daß es ein Greuel anzusehen war; es traf den Affen so hart an die Seite, daß er zur Erde fiel. Jetzt sprang der Ritter behend auf seine Füße, hieb dem Affen den Kopf ab, nahm das Kind, und nachdem er es, so gut er gekonnt, in seinen Mantel gewickelt, setzte er sich wieder auf sein Pferd. Bald hatte er seine Diener eingeholt; er erzählte ihnen zu ihrer Verwunderung die Geschichte, und so ritten sie miteinander durch den Wald, obwohl sie Straße und Fußpfad verloren hatten. Endlich gerieten sie unter eine Rotte Mörder, die daselbst schon manchen braven Mann beraubt und getötet hatten. Der Ritter, als er sich von den Räubern dicht umringt sah, rief Gott um Beistand an und sparte sein Schwert nicht, auf ihre harten Stöße zu antworten; einem schlug er sein Haupt ab, daß es zur Erde fiel, drei andere verwundete er so, daß sie ihre Waffen fallen lassen mußten. Als die übrigen Mörder, deren noch sechse waren, dies sahen, schrien sie dem Ritter zu, er sollte stillehalten und das Kind liegenlassen; denn er habe es gewiß einem mächtigen Fürsten gestohlen. Der Ritter aber sprach: "Nein, ihr Bösewichter; wollt ihr die Wahrheit hören, so wisset, daß ich das Kind einem Affen abgenommen habe; ich kann euch die Stelle zeigen, wo ich das Tier erlegt habe!" Jetzt meinten die Mörder erst recht, es müsse eines großen Herren Kind sein, weil der Ritter so albern lüge; sprengten von neuem auf ihn ein und wollten eher sterben als das Kind dahinten lassen, so daß am Ende der Ritter und seine Diener, obwohl sie einige verwundet und umgebracht, sich genötigt sahen, das Kind zu verlassen, ihren Pferden die Sporen zu geben und davonzureiten. Nachdem die Mörder sie vergebens verfolgt hatten, kehrten sie zu dem Kinde zurück und warfen das Los, welcher unter ihnen es tragen sollte. Das Los fiel auf den Vornehmsten der Räuber. Dieser trug das Kind, bis es ihm zu schwer wurde. Dann sprach er zu seinen Gesellen: "Lieben Freunde, gebt mir einen Rat, was wollen wir mit dem Kinde anfangen? Seine Schönheit zeigt, daß es nicht von niedriger Geburt ist. Ich meine, wir sollten es bis an das Gestade des Meeres bringen und dort verkaufen; denn da finden sich Kaufleute aus Frankreich und andern Ländern, die


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vielleicht das Kind in Betracht seiner Schönheit uns wohl bezahlen werden."

Indem nun die Mörder dem Meeresufer zugehen, finden sie unterwegs den Affen tot liegen, wie ihnen der Ritter gesagt hatte. "Fürwahr", sprach einer zu dem andern, "der Ritter hat die Wahrheit gesagt; er hat das Kind ritterlich erlöst und erobert." Dessenungeachtet behielten sie das Kind; denn was sollten sie jetzt anderes tun, und eilten ans Gestade zu den Kaufleuten, die sie bald fragten, ob ihnen das Kind feil sei. Die Mörder sprachen: "Ja, ebendarum bringen wir es hierher." — "Nun sagt", fragte ein Kaufmann, "wie hoch schlagt ihr das Kind an?" Die Mörder sprachen: "Es kann kein schöneres Kind auf der Erde gefunden werden; wenn es Euch Ernst ist, so wollen wir es Euch um vierzig Pfund geben." Die Kaufleute fanden das Kind zu teuer. "Behaltet es nur", sagten sie, "ihr habt es doch aus eines Biedermanns Hause gestohlen." — "Nein", erwiderten die Räuber, "wir haben es einem Ritter abgejagt, der hat es von einem Affen erlöst, den er totgeschlagen." — "Liebe Herren", sprachen da die Kaufleute, "wollt ihr zehn Pfund, damit ist es unser Ernst. Bedenkt's, der erste Kauf ist der befiel" Da wollten die Mörder um so geringes Geld das Kind nicht geben. Nun war in diesem Kaufmannsschiffe ein frommer Pilger, Klemens genannt, der sah sich das Kleine an und fand es gar schön; dachte, es werde wohl adliger Abkunft sein. Er faßte auch eine solche Liebe zu dem Kinde, daß er nach kurzen Worten mit den Räubern eins wurde und ihnen dreißig Kronen für dasselbe gab. Als die andern Kaufleute dies sahen, spotteten sie des Klemens und sagten: "Fürwahr, Ihr scheint Gelds und Goldes genug zu haben, daß Ihr so teuer einkaufet!" Klemens achtete aber nicht darauf. Erst als das Schiff sein Ziel erreicht hatte, wo Klemens und die andern Pilger dann zu Fuße gehen mußten, wollte den Pilger, als er den Knaben auf dem Rücken hatte, sein Geld auch reuen. "Was bin ich für ein närrischer Mann", sagte er zu sich selbst, "daß ich mir solche Mühe aufgeladen und ein Kind erkauft habe, das ich an meinem Halse tragen muß." Doch dachte er wieder: "Gott hat mir das Kind beschert, so will ich's annehmen; hab ' ich doch daheim nur einen einzigen Sohn bei meinem Weibe gelassen und weiß nicht einmal, ob er noch am Leben ist oder nicht. Das Kind ist so hübsch; daheim habe ich Geld genug, es zu erziehen. Drum sei es!" Und so nahm er den Knaben, gab ihm einen Kuß, hängte ihn wieder auf seinen Rücken und zog seines Weges durch Frankreich. Als das Kind ihm gar zu beschwerlich wurde, kaufte er ihm einen Esel und mietete eine Wärterin



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die er, mit dem Knaben im Arm, auf das Tier setzte, und so wanderte er den nächsten Weg auf Paris zu wie ein Zigeuner. Tag und Nacht hatte er keine Ruhe, bis er in diese Stadt kam. Dort wurde er von allen, die ihn kannten, und namentlich von seinen besten Freunden aufs herzlichste empfangen. Als er aber gefragt wurde, woher er denn das schöne Kind bringe, da antwortete er: "Ich habe es jenseits des Meeres erobert: seine Mutter ist auf dem Wege gesiorben; deswegen mußte ich diese Frau bestellen, obgleich sie aus einem andern Lande ist als das Kind; wäre seine Mutter gesund geblieben, die hätte ich lieber mit mir gebracht als diese alte Frau!" So sprach der ehrliche Klemens mit lachendem Munde und zog mit diesen Worten weiter nach der Vorstadt St. Germain , wo seine rechte Wohnung war. Hier wurde ihm von seiner Hausfrau große Ehre bewiesen. Die gute Frau meinte, das Kind gehöre einem großen Herrn in Frankreich, welcher es ihrem Manne zur Erziehung anbefohlen habe. Sie fragte auch nicht weiter darnach, wie weise Frauen zu tun pflegen, sondern sie lebten freundlich miteinander, ließen das Kind taufen und Florens nennen und zogen es in Zucht und Tugend auf. Florens aber war schön und holdselig, wuchs lustig heran und wurde in kurzer seit stark und männlich. Doch von ihm sei für jetzt genug gesagt!


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Wir haben gehört, wie die Kaiserin bei dem Brunnen eingeschlafen war und das eine Kind ihr von dem Affen gestohlen wurde. Sie schlief noch, als bald darauf eine Löwin durch den Wald gelaufen kam und das andere Kindlein sanft bei seiner Mutter schlummern sah; sie schlich alsbald hinzu , nahm das Kind in den Rachen und wollte es ihren jungen Löwen zu essen bringen. Indem sie nun das Kind mit den Zähnen faßte, erwachte die Kaiserin und sah, wie das reißende Tier das eine ihrer Kinder von dannen trug und ihr anderes nicht mehr da war. Sie meinte nicht anders, als dieses hätte die Löwin schon gefressen, und das andere werde sie auch zerreißen. Deswegen fing sie an, jämmerlich zu weinen und nach Gott zu schreien, nahm das weidende Pferd, legte sein Gebiß ihm wieder ins Maul, setzte sich darauf und tat einen Schwur, daß sie nicht aufhören wollte zu reiten, bis sie die Löwin eingeholt und sich an ihr gerächt hätte. Die Löwin aber rannte vor ihr her und hörte nicht auf zu laufen, bis der Wald zu Ende war, so schnell, daß die Kaiserin nicht nachfolgen konnte und das Tier aus den Augen verlor. Doch bekam diesem seine Beute auch nicht gut; denn sowie die Löwin den Wald verließ, ward sie von einem gewaltigen Greifen erblickt, der mit aller Stärke auf sie zuflog und sie mitsamt dem Kinde so heftig mit seinen Klauen packte, daß die Löwin sich nicht zu regen vermochte und große Schmerzen empfand. Der Greif schwang sein Gefieder mächtig, flog über Berg und Tal, Wald und Wasser , und endlich eilte er einer Insel zu. Die Löwin aber wollte nicht von dem Kinde lassen; denn Gutt hütete es, und so behielt sie es in ihrem Rachen, bis sich der Greif auf einem meerumflossenen Eilande zur Erde niederließ . Als die Löwin sich auf der Erde fühlte, legte sie das Kind in den Sand und ergriff den Vogel Greif im grimmigen Zorn so stark und grausam beim Hinterfüße, daß dieser ihm entzweibrach. Der Greif fiel zur Erde nieder vor Schmerz; doch wehrte er sich, so gut er konnte: er schlug auf die Löwin mit Flügeln und Klauen wie ein erbittertes Tier, aber es half nichts; die Löwin stürzte mit Hast auf den Vogel und zerriß ihn; so wurde er der Stärkeren Speise. Nachdem die Löwin satt war von des Greifen Fleisch, legte sie sich neben dem Kinde nieder, als ob sie bei ihren jungen Löwen wäre. Das Kindlein aber erreichte das Euter der Löwin, und als es spürte, daß dasselbe voller Milch war, hub es an zu saugen; als dies die Löwin empfand, bot sie ihm die Brust erst recht in sein Mündlein daß es desto sanfter saugen möchte. So ward das Kind gespeist; denn Gott der Herr wollte dasselbe nicht verderben lassen. Hierauf grub die Löwin eine tiefe Grube in der Insel mit ihren spitzen Klauen, nahm das



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Kind, .trug es in die Grube und blieb bei ihm acht Tage und Nächte. Sie leckte es mit der Zunge, damit es gesäubert würde, und von ihrer langen Mähne machte sie ihm ein Bett oder Nest, darin es sanft und warm lag. Trinken konnte es, wann es wollte, und war die Löwin hungrig, so ass sie von des Greifen Fleisch.

Nun begab es sich durch Gottes Veranstaltung, daß Schiffsleute, denen der Wind ungünstig war, genötigt wurden, mit ihrem Fahrzeug an der Meeresküste zu landen, wo eben die Kaiserin ihr Kind und die Löwin suchte. Sie hörte das Geschrei, eilte herbei und sah, wie die Pilger mit ihrer Galeere ans Land gefahren waren. Die Seefahrer kamen ihr vor wie Christenleute; daher nahte sie ihnen und sprach: "Liebe ,Herren, wo wollet Ihr hinreisen? Ich komme aus fernen Landen und bin eine arme verirrte Frau, ich weiß nicht, wo in der Welt ich bin, und wohinaus ich soll!" — "Frau", antworteten ihr die Schiffsleute, "wir wollen in das Heilige Land fahren, wo unser Herr Christus erstanden ist; wenn der Wind uns nicht zuwider ist, so hören wir nicht auf zu schiffen, bis wir nach Jerusalem kommen." Da bat die Frau aufs inständigste, sie doch mitzunehmen, bis der Patron und die Schiffsleute ihr gestatteten, sich zu ihnen in die Galeere zu setzen; und als der Ungestüm des Meeres sich gelegt hatte, fuhren sie weiter. Die Pilger wurden der schönen Frau bald geneigt, und als sie in sie drangen, ihnen zu sagen, wie sie an diese wilde Stätte gekommen wäre, fing sie an, ihnen ohne Hehl zu berichten, wer sie sei und wie es ihr ergangen. Die Erzählung währte mehrere Stunden, und da war keiner, der nicht über ihre wunderbaren Schicksale gestaunt hätte.

Sie waren wieder eine gute Weile geschifft und eben der Insel gegenüber , auf welche die Löwin samt dem Kinde von dem Greifen getragen worden war, als der ungünstige Wind sie wieder ergriff und am Eiland ihre Anker auszuwerfen nötigte. Es warm unter den Pilgern einige kühne Leute, die betraten das Land, sich zu ergehen. Als sie nun so hin und her wandelten, kamen sie vor die Höhle, worin jene Löwin lag und eben schlief. Die Pilger sahen das schöne Kind in der Grotte liegen und hatten sich von ihrem Staunen noch nicht erholt, als die Löwin erwachte und mit einem gräßlichen Satze aufsprang, so daß die Pilger kaum noch zu fliehen Zeit hatten und außer Atem wie gejagte Tiere auf dem Schiffe ankamen. Die andern Pilger, die sie so atemlos daherkommen sahen, fragten sie nach der Ursache, und nun meldeten jene, was sie erblickt hatten, und bejammerten es, daß sie das Kind nicht erretten konnten. "Denn wenn auch die alte Löwin sein schont", sprachen sie, "so werden doch die jungen Löwen,



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sobald sie welche bekommt, dasselbe auffressen!" Wie nun so die Sage im Schiffe umging, hörte es auch die Kaiserin, drang hervor und sprach: "Ach, lieben Männer, Gott sei gelobt, daß ich diese Mär höre; denn es ist fürwahr mein Kind, das die Löwin hinweggetragen hatt Lasset mich zu ihm!" Die Pilger stellten der Frau das gewisse Verderben vor, das ihrer bei der Löwin warte. "Was wollet Ihr von uns ziehen", sprachen sie, "erbarmet Euch über Euch selbst und laßt das Kind fahren. Es ist besser; ein Mensch sterbe als zwei!" Da sie sich aber nicht wehren ließ, so sagten die Pilger: "Nun, wenn es Euch so hart im Sinne liegt —sehet, dort sitzt ein Priester, beichtet ihm; denn Ihr gehet dem Tod in den Nachen, und bittet Gott, daß er Euch helfen möge!" Die Kaiserin kniete vor dem Priester nieder, beichtete und empfing den Segen; dann bat sie die frommen Pilger, eine kleine Zeit zu warten, und trat ans Land.

Es währte nicht lange, so kam sie zu der Grube. Da erblickte sie ihr Kind, welches mit der Löwin spielte und fröhlich war. Als die Frau dieses sah, erschrak sie, fiel nieder auf die Knie, fing an die Löwin zu beschwören



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und zu sprechen: "Ich sage dir bei Gott; dem Allmächtigen, bei seinem Sohn und seinem Tod am Kreuz, daß du keine Macht und Gewalt über mich habest." Kaum hatte die Kaiserin diese Worte gesprochen, als die Löwin den Schweif zu sich zog, sich wie ein gehorsames Haustier gebärdete und das Kind vor sich auf den Boden legte. Nun ging die Kaiserin ohne Furcht in die Höhle, umarmte das Kind, küßte es wieder und wieder und trug es auf den Armen von dannen nach dem Schiffe. Die Löwin, die sich ihres Kindes beraubt sah, folgte traurig nach und wollte mit in die Galeere; die Pilger aber fürchteten sich sehr und wollten sich zur Wehre setzen und auch die Kaiserin nicht einlassen. Diese gab jedoch so guten Bericht über das Tier, daß wenigstens sie selbst auf das Schiff zugelassen wurde. Und so stießen sie schnell von dem Lande; die Löwin wollte auch in das Schiff hineinspringen, aber der Sprung fehlte; denn die Schiffsleute waren zu behend. Doch wollte das Tier nicht nachlassen, sondern schwamm neben dem Schiffe her. Die Pilger spannten eilig die Segel auf, um zu entfliehen; aber es half nichts: die Löwin klammerte sich mit ihren spitzigen Klauen und scharfen Zähnen an das Schiff und versuchte von Zeit zu Zeit den Sprung, bis es ihr endlich gelang. Die Pilger schrien vor Entsetzen; ein jeder meinte, er müßte sterben. "Beschirmet uns vor der Löwin", riefen sie die Frau an, "sonst werfen wir Euch mitsamt dem Kind über Bord." —"Seid unerschrocken", sprach die Kaiserin, "sie wird keinen von euch verletzen!" Und wirklich ging die Löwin mitten durch alle Pilger hindurch wie ein zahmer Hund, bis sie zu der Kaiserin kam. Und als sie das Kind auf der Fürstin Arm erblickte, hob sie den Kopf über sich zum Zeichen, daß sie dem Kinde wohlwolle. Hierauf legte sie sich der Kaiserin zu Füßen und wollte sie gar nicht verlassen. Diese hatte das Tier auch sehr lieb, trug große Sorge für dasselbe und ließ ihm an Essen und Trinken nichts mangeln; denn sie teilte ihre Zehrung mit ihm. Die Löwin aber beschirmte sie, daß ihr auf dem ganzen Wege von dem Schiffsvolke kein Leid geschah; denn es waren auch einige schlechte Leute darunter; und als nur einmal einer es wagte, der Herrin auf unziemliche Weise zu nahen, so sprang die Löwin auf, ergriff den frechen Schiffsmann mit ihren Klauen und scharfen Zähnen und zerriß ihn in vier Stücke. Als die Schiffsmannschaft dieses Wunderwerk sah, sprachen sie alle, ihm wäre recht geschehen, und warfen seinen zerrissenen Leichnam in die See. Der Kaiserin geschah kein Leid mehr; von allen im Schiffe wurde ihr die größte Ehre erwiesen. Endlich kam das Fahrzeug beim Gelobten Lande an. Die Kaiserin trat mit ihrem Kind


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aus dem Schiffe, die Löwin sprang ihr nach. Dann segnete sie Pilger und Schiffsleute und gab ihnen reichlichen Lohn. Diese dankten ihr hinwider, führten ihr das Pferd aus dem Schiff und halfen ihr hinauf. So ritt sie, das Kind im Arme, noch dieselbe Nacht weiter und in die nächste Stadt; die andern Pilger folgten von ferne. Am nächsten Morgen reisten alle zusammen und kamen in die Stadt Jerusalem.

Hier ging die Kaiserin alsbald zu Gottes Tempel und betete am Heiligen Grabe, darein der Leichnam Jesu von Nikodemus gelegt worden, und daraus er erstanden war. Auch legte sie ihr Kind auf den Altar, nahm etwas Geld aus ihrem Säckel und warf es auf den Altar, als wollte sie sprechen: "Gott sei gelobt; ich habe mein Kind wieder erkauft und erlöset ." Dann betete sie gar fleißig, daß Gott ihren lieben Herrn, den Kaiser Oktavianus, friedsam, glücklich und in Gesundheit wolle leben lassen; ; denn sie hoffte nicht mehr, ihn jemals wiederzusehen. Hierauf verließ sie den Tempel, setzte sich mit ihrem Kind auf das Pferd und ritt durch die Stadt Jerusalem. Die Löwin aber wollte keinen Tritt von ihr weichen; mochte sie durch Paläste, Kirchen oder Höfe gehen, überall ging sie mit, so daß die Leute, die solches sahen, große Furcht ankam. Während nun die Kaiserin so durch die Stadt ritt, begegnete ihr ein fremder Edelmann , den redete sie freundlich um Herberge an; denn sie sah wohl, daß er fromm, tugendreich und aus edlem Stamm entsprossen war. Der Edelmann empfing sie würdig in seinem Hause und befahl, man sollte sie pflegen und ihr dienen wie ihm selbst und seiner Hausfrau. Dies nahm die Kaiserin mit großem Danke an und blieb eine Zeitlang bei dem Edelmann mit ihrem Kind und der Löwin, die so zahm war, daß sie niemand etwas zuleide tat.



***
Ihr habt gehört, wie Florens dem Affen abgenommen, übers Meer verkauft und von dem frommen Pilger Klemens nach Paris getragen worden. Nun folgt, wie es weiter mit ihm ergangen ist. Das Kind ward tugendlich erzogen, so daß es jedermann gefiel. Klemens kleidete und hielt ihn wie seinen eigenen Sohn, welcher Klaudius hieß. Wenn diese beiden Knaben in ihrem schmucken Aufzug über die Straße gingen, so sagten die Bürger: "Selig ist der Vater, der so wohlgezogene Kinder hat!" Auch meinte Florens nicht anders; denn daß Klaudius sein leiblicher Bruder sei und Klemens sein rechter Vater; denn als der Affe ihn seiner Mutter stahl, war er erst sechs bis sieben Wochen alt. Allmählich wurde er stattlicher und größer als sein Bruder Klaudius, und auch unter den Nachbarkindern


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war keines, das sich mit Florens vergleichen konnte. Jedermann wunderte sich über seine Schönheit und Stärke; denn an Gebärde und Gestalt glich er seinem Vater, dem Kaiser. Oft sagten auch die Nachbarn: "Fürwahr, der Knabe ist des Klemens natürlicher Sohn nicht; sondern er hat ihn irgend von einem großen Herrn heimlich entführt." Klemens ' Frau mußte dieses nicht selten hören, aber sie schwieg stille dazu; denn sie hatte den Florens so lieb wie ihren eigenen Sohn.

Nun wuchsen die zween Knaben miteinander auf, so daß sie beide tüchtig wurden, Handwerke zu erlernen, wiewohl Florens in allwege stärker war als Klaudius. Klemens beriet sich deswegen mit seiner Hausfrau, was er aus den beiden Knaben machen sollte, daß, wenn sie ins Mannesalter kämen, sie sich auch ehrlich nähren könnten. Da sprach seine Frau: "Lieber Hauswirth Unser Sohn Klaudius ist von wenig Stärke und deswegen zu keinem groben Geschäfte zu gebrauchen; darum ist mein Rat; wir sollten ihn zu einem Wechsler tun, und Ihr sollt ihm Euer Gut geben, daß er es im Handel umtreibe; dadurch könnte er reich, berühmt, ja, zu einem Herren werden. Der andere Sohn, Florens, nun der wird recht zum Fleischerhandwerk sein; denn er ist stark; Rinder und anderes Vieh zu schlachten, wird ihm nicht schwer werden. So wären unsere beiden Söhne versorgt." —"Wahrlich, Frau, du hast mir recht geraten", sprach Klemens, "ich will deinem Rate folgen." Zur Stund rief er seinen beiden Söhnen und sagte zu ihnen: "Lieben Söhne, ihr sollt meinem Rat folgen und tun, wie gehorsamen Kindern geziemt." Dann nahm er zuerst seinen Sohn Klaudius vor und sprach zu ihm: "Lieber Sohn, höre mein Wort; geh morgen früh zu dem Wechsler, da mußt du Gold und Münze wechseln lernen, auf daß du ein rechter Handelsmann werdest." — "Von Herzen gern, Herr Vater", sprach Klaudius, "ich will nach Eurem Willen leben; auch wäre es mir lieb, wenn Ihr mir meinen Bruder Florens mitgäbet, und er würde ein Wechsler wie ich." —"Ach, lieber Sohn Klaudius, laß den Florens zufrieden", sagte der Vater, "der soll eine andere Hantierung treiben, bei welcher ihm der Mund manchmal mit guten Bissen gespeist werden wird; du siehst ja, wie stark er ist; ich denke, er wird die gemästeten Schweine wohl auf dem Rücken tragen können." So stellte er den Klaudius zufrieden und rief den guten Florens auch vor sich. "Florens, mein lieber Sohn", sprach er zu ihm, "sei unerschrocken; du weißest; daß ich dir günstig bin und dich sehr liebhabe; ich will dich deswegen zu einem guten Handwerk tun; denn morgen, wenn du aufgestanden bist, gebe ich dir Geld, damit gehst du zu einem Fleischer und gibst es ihm, daß er dich



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seine Hantierung lehre. Das wird etwas für dich sein; denn du bist stark; ich glaube, wenn du einen Ochsen, wie stark er auch ist, bei den Hörnern erwischen könntest, du würdest ihn nicht gehen lassen! Auch haben wir dahinten im Stalle zwei gute, feiste Rinder, die mußt du mit dir in das Schlachthaus treiben, da wird dein Lehrmeister dir zeigen, wie du sie schlachten sollst. Dann nimm sie auf deinen Hals und trage sie an den rechten Ort, wo du sie verhauen und verkaufen mußt. Siehe zu, sei fleißig und geschickt mit der Waage und tue niemand unrecht; so wirst du aus einem Pfennige drei machen und Geld genug bekommen."

Als Florens die Lehren seines Vaters Klemens vernommen hatte, erklärte er, alles gerne tun zu wollen, was ihm gefällig wäre. Mit Tagesanbruch nun stand der alte Klemens auf, weckte seinen Sohn Klaudius, schickte ihn auf die Wechselbank mit großem Gut an Geld und Gold, daß er damit wechseln und gewinnen sollte. Dann weckte er auch seinen andern Sohn Florens, half ihm, zwei fette Ochsen an den Hörnern zusammenbinden, und schickte ihn mit denselben fort auf die Fleischerbank. Hier fand der neue Fleischerjunge einen Knecht, den er nach dem Fleischer Gumbrecht fragte. Als der Knecht den Florens mit den zwei feisten Ochsen vor sich stehen sah, so fragte er ihn: "Was ist dein Begehren an den Meister? Ich meine, du möchtest auch gern ein Fleischer werden?" Florens antwortete und sprach: "Ja, warum nicht? Mein Vater ist wohl reich, so daß er mich gut versorgen wird, und ich soll immer Minder, Schweine, Hammel und Schafe genug zu schlachten haben. Darum will ich das Handwerk lernen; denn mein Vater sagt mir, daß ich drei Pfennige mit einem gewinnen könne und gute Bissen essen, wie die Fleischer gewöhnlich essen, auch guten weißen und roten Wein trinken. So hat mich mein Vater unterwiesen." Als der Fleischerknecht dies hörte, schlug er ein Gelächter auf, spottete des Jünglings und sprach: "Der Teufel hat dich hergetragen, willst du auch ein Fleischer werden? Wahrlich, du sollst mir die Schlachtbank nicht mehr sehen! Packe dich hinweg in aller bösen Geister Namen; willst du mit dem Handwerk dein Spiel treiben? Nimm deine Minder mit dir, ehe ich dir den Kopf zerschlage!" Da gedachte Florens bei sich selbst: "Auf diese Weise komme ich nicht in das Schlachthaus; ich will gehen und meinen Vater mit mir bringen, der wird mir wohl einen Meister zu schaffen wissen." So trieb er die Rinder wieder nach seines Vaters Hause. Aber auf halbem Wege begegnete ihm eine andere Sache. Denn er sah einen Edelmann gegen sich herreiten, der auf seiner Hand einen gar schönen Sperber trug, welcher an den Füßen glänzende; hellklingende



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Schellen hatte. Der Vogel gefiel dem Florens so überaus wohl, daß er den Edelmann anredete und fragte, ob ihm der Sperber nicht feil sei; er wolle ihm darum geben, was er begehre. Der Edelmann wurde zornig auf Florens; denn er wußte nicht, ob er seiner spottete, oder was er damit meinte. Der Junge sah ihm gar nicht darnach aus, als ob er ihm den Vogel bezahlen könnte. Darum sprach er: "Ja, du Bettlerbube, es tut mir not, ihn an dich zu verkaufen! Führe du deine Rinder in die Metzing und schinde sie, dann verkaufe das Fleisch; das wird dir nutzer sein als Sperber kaufen!" — "Ach, mein guter Herr", erwiderte Florens, "Rinder schlachten ist nun einmal meine Hantierung nicht; damit kann ich mich nicht ernähren. Drum lasset Euch den Sperber feil sein, lieber Herr l Was er wert ist, will und kann ich Euch darum geben!"Der Edelmann sah Florens an und dachte: "Laß sehen, was der Junge machen will. —Ich will dir den Sperber zu kaufen geben", sprach er, "aber nicht anders als um die zwei Rinder, und auch so nicht gerne; denn ich möchte ihn viel lieber selbst behalten!" Florens war in seinem Herzen sehr erfreut und dachte: "Wenn er nicht mehr als die zwei Rinder kostet, was ist das viel? Der Sperber muß mein werden!" So machten sie den Kauf; und Florens nahm den Vogel; der Edelmann aber trieb die Rinder vor sich her in sein Haus, lachte bei sich selbst und sagte: "Nun ist aus dem Weidmann ein Viehtreiber geworden!" Florens hingegen trug den Sperber auf seiner Hand und sprach zu sich selbst: "Fürwahr, heute bin ich zu einer glückseligen Stunde aufgestanden, daß mir ein so trefflicher Tausch geraten ist; denn der Vogel ist doch gewiß seine hundert Mark Silbers wert! Ei, wie wird mein Vater fröhlich werden, wenn er mich mit dem Vogel kommen sieht, den ich auf den Händen trage, als wenn ich ein Edelmann wäre!" Die Bürger, die den Tausch gesehen hatten, lachten und spotteten über Florens; doch dies kümmerte ihn nicht; denn der Vogel gefiel ihm, und als er in seines Vaters Haus kam, jauchzte er vor Freuden. Klemens saß auf einer Bank vor der Tür, auf einen Stecken gestützt und dachte über das Schicksal seiner beiden Söhne nach. "Mein Sohn Florens", dachte er, "hat nun wohl die zwei Rinder geschlachtet, diesen Nachmittag wird er sie verkaufen und Geld lösen; hoffentlich schickt er sich in sein Handwerk und lernt brav." Wie er so in Gedanken sitzt; blickt er von ungefähr auf und sieht seinen Sohn Florens mit dem Vogel daherziehen. "Was ist das für ein Vogel", rief er ihm entgegen, "wo kommt er her? Wo sind deine zwei Rinder?" — "Mein lieber Vater", antwortete Florens, "ich habe die zwei Minder um den Vogel gegeben; so


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einen schönen habt Ihr Euer Lebtage nicht gesehen! Freuet Euch, daß ich Eure Ochsen so wohl angelegt habe!" — "Wie?" sagte Klemens, "ich glaube, du bist unsinnig." "Bei Gott", sprach Florens, "ich habe sie um den Vogel gegeben und spotte Euer gar nicht! Darum ratet mir, lieber Vater, wo soll ich den Sperber aufheben? Ich denke, in Eurer Kammer wäre er am besten versorgt; da sollte ihm kein Leid widerfahren." Als nun Klemens hörte, daß es wirklich so geschehen war, hätte er mögen von Sinnen kommen und sagte zu Florens: "Bei Gott, wenn ich meiner nicht schonte, so wollte ich dir jetzt mit diesem Stecken hier Rippen und Kopf entzweischlagen! Du Narr! Mir einen solchen Kaufmannsschatz ins Haus zu bringen; da du doch weißest; daß ich kein Weidmann bin!" —"Ach, lieber Vater", sagte Florens ganz betrübt, "seht Ihr denn nicht an seinen Federn, daß es ein hübscher Vogel isi? Wahrlich, Ihr habt unrecht und seid ohne Ursach zornig; gewiß, der Vogel ist großen Schatzes wert!" Klemens hätte vor Ingrimm lachen mögen, doch faßte er sich und sprach: "So geh denn hin und versorge den Vogel wohl; wenn du seiner recht wartest, wird er dich schnell reich machen. Iss nur nicht mehr; als er dir einträgt, so wirst du seinen Nutzen bald innewerden!" Dann mußte ihm


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Florens noch weiter berichten, wie es ihm auf der Fleischerbank ergangen sei. Als nun Klemens seine gute, einfältige Erzählung hörte, konnte er ihm nicht länger zürnen. Er dachte: "Ich will den Burschen nicht mehr auf die Schlachtbank, sondern auf die Wechselbank schicken; dort gehen vielleicht seine Sachen besser!"

Indem kam sein andrer Sohn Klaudius von dem Wechsler; er hatte sein Geschäft an diesem Tage gut gemacht, und von dem Vogel wußte er auch gar nichts. Klemens aber, als er seinen Schaden ein wenig verschmerzt hatte, sprach zu seinem Sohn Klaudius: "Sei so gut, lieber Sohn, und nimm deinen Bruder Florens mit zum Wechsler; denn ich fürchte, auf dem Schlachthause wird er nicht guttun!" —"Gerne", sprach Klaudius, "lieber Vater! Folgt er mir, so will ich mein Bestes an ihm tum" — "Ich hoffe, er soll dir folgen", antwortete Klemens, "er ist stark und mag dir den Geldsack morgens und abends leicht nachtragen."

Nun hielt sich anfangs Florens auf der Wechselbank recht gut, und sein Bruder Klaudius lehrte ihn zuerst mit Zahlpfennigen rechnen und die Münze kennen. So trieb er es einen Monat lang, und Klemens meinte, die Sache könnte gut werden. Jetzt teilten sie sich so in das Geschäft: des Morgens ging Klaudius auf die Börse, bestellte die Bank und bereitete den Sitz zu. Wenn der Tag ganz heraufgekommen, so brachte Florens den Sack mit dem Gelde nach; und dieser Brauch währte einige Zeit. Nun stand es aber nicht lange an, als Florens auch einmal wieder den Sack mit dem Gelde trug, in welchem wohl sechshundert Pfund Münze waren, daß ihm bei der Brücke ein überaus schöner Hengst begegnete, welcher aufgezäumt war und zum Verkaufe geritten werden sollte. Florens wandelte eben auf den Kaufmann zu und trug seinen Geldsack auf dem Rücken; ; und da er sah, wie der Hengst so stark war und so überaus schön trabte; dachte er bei sich selbst: "Wie selig ist, wer ein solches Pferd hat und es zu brauchen versieht! Du hafi Münze genug in dem Sack. Wem ist sie nützet Mein Vater Klemens hat sie ohnedies lange genug in der Truhe liegen gehabt, und niemand ist ihrer froh geworden: ich wollte; daß mir der Kaufmann das Roß darum gäbet" Gedacht; getan; er grüßte den Kaufmann und sagte: "Herr, ist Euch das Tier feil? Ich trage Gelds genug in diesem Sacke hier; darum sagt mir mit einem Worte, wie Ihr es geben wollt!" Der Kaufmann sprach: "Willst du das Roß haben, so wirst du es nicht unter dreißig Pfund Münze von mir bekommen; es ist noch tung und stark und läuft vortrefflich." Florens war froh, daß ihm der Mann das Pferd so wohlfeil gönne, und sagte treuherzig: "Ich meine,



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Ihr seid nicht bei Sinnen, daß Ihr mir ein so schönes Tier um dreißig Pfund überlassen wollt; ich gebe Euch vierzig drum; ich will nicht, daß Ihr Verlust an mir haben sollt!" —"Großen Dank, Junker", sagte der Kaufmann und mußte heimlich lachen. Florens tat seinen Sack auf, der Kaufmann zählte die Münze heraus; dann gab er dem Jüngling das Pferd mit dem Zügel in die Hand, segnete ihn und kehrte sich seiner Wohnung zu. Florens eilte mit dem Roß nach Hause; er fürchtete immer, der Kaufmann möchte ihm nacheilen und das Pferd zurückfordern, weil er es so guten Kaufs gegeben. So ritt er denn geradenwegs nach St. Germain.

Klemens saß über Tisch mit seiner Hausfrau, die in allen Dingen gerecht und fromm war und den Florens so liebhatte wie ihren eigenen Sohn Klaudius. Auch war sie von allen Nachbarn als klug und vorsichtig wohl gelitten. Nun kam Florens vor das Haus gesprengt. Klemens hörte ihn reiten, rief ihn und sprach verwundert: "EI, Sohn, wer hat dir das große Roß gegeben?" —"Vater", antwortete er, "das Roß hab ' ich gekauft; ich habe vierzig Pfund von dem Gelde drum gegeben, das ich auf die Wechselbank tragen sollte; ich hoffe, ich habe recht damit getan, und das Geld sei wohl angelegt; besehet es nur; es hat gute Augen und kann recht laufen; es wäre um hundert Pfund Münze nicht zu teuer!" Als Klemens das hörte, sank er vor Zorn vom Tische zurück und verwünschte sich, daß er den bösen Buben, der ihn noch an den Bettelstab bringen werde, mit sich übers Meer genommen. Dann erhub er sich vom Tische, nahm den Florens mit beiden Händen beim Haar, warf ihn zur Erde und trat ihn mit Füßen. Ja, er hätte ihn totgeschlagen, wenn nicht seine gute Hausfrau die Streiche unterlaufen und so dringend gebeten hätte, daß er ihr den Sohn ließ. Dann machte sie dem Vater sanfte Vorwürfe und sprach: "Euer Sohn hat doch noch nichts getan, das nicht adelig wäre; wer weiß", setzte sie leise hinzu, "von welcher Geburt er ist." Da reuete es den Vater, ihn so hart geschlagen zu haben. Florens aber sprach: "Lieber Vater, ich bin Euer Kind; darum schlaget mich, sooft Ihr wollt, aber besehet mir nur den Hengst; ist es nicht ein starkes Pferd? Ich hoffe, er soll mir noch gute Dienste tun!"

Da Klemens sah, daß sein Pflegsohn von dem Pferde zu reden nicht aufhören wollte, dachte er an die Worte seiner Hausfrau, verschmerzte den Verlust und hieß Florens an den Tisch sitzen und essen; indem kam sein Bruder Klaudius, der den ganzen Morgen auf der Börse das Geld erwartet hatte, und wie er den Bruder tafeln sieht, wird er zornig und spricht zu seinem Vater: "Wie möget Ihr doch solches tun und mich ,so



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lange auf der Wechselbank sitzen lassen? Wie kommt es, daß Ihr mir das Geld nicht schicket und bei dem Burschen da sitzet, der Euch mit den zwei feisten Rindern so großen Schaden getan hats" Wie er nun auch das Pferd in dem Hofe stehen sah, da fragte er verdrießlich: "Wo kommt denn das grausame Tier her?" Der Vater erzählte ihm die ganze Geschichte mit Seufzen und fügte hinzu: "Ich will nichts von dem Roß, will auch sein nicht warten, und sollte es Hungers sterben !" "Es geschieht Euch recht", sprach der Sohn Klaudius, "er wird Euch gar verderben; es wäre besser, wenn er gar nicht geboren wäre! Ich will sein Pferd auch nicht warten; wenn es seinen Kopf aufhebt, meine ich, es wolle mich fressen !" — "Tut, was ihr wollt", sagte Florens, "ich will schon für das Tier sorgenl" Damit nahm er das Roß am Zügel, zog es in den Stall, gab ihm Heu und Haber genug und machte ihm eine gute Streu. Am andern Morgen frühe eilte er in den Stall, sattelte und zäumte sein Pferd, sah es mit Freuden an und dachte: "ES ist doch viel mehr wert, als es kostet!" Dann sprang er drauf und gab ihm die Sporen, daß es einen Sprung nach dem andern machte und seine ganze Stärke zeigte. Das Reiten stand Florens so wohl und adelig, daß, wer ihn sah, ihn darum lobte. Als das Pferd müde war, ritt er es wieder nach Hause, ließ es sich allgemach erkühlen und an Haber, Heu und Stroh keinen Mangel leiden. Dabei sah er es immer an und dachte in seinem Herzen: "Könnte mir nicht vielleicht das Roß einmal zustatten kommen? Denn ich habe große Lust; Waffen zu tragen. Da würde mir ein Reitpferd nicht übel anstehen Und nun wollen wir den Florens mit seinem Rosse eine Weile ruhen lassen.

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Zu der Zeit, als König Dagobert in Frankreich wohl und löblich regierte, waren die Heiden noch nicht lang aus dem Lande abgezogen, das sie eine Weile innegehabt und im Kriege wieder verloren hatten. Die Stadt Paris lag an vielen Stellen öde; aber jetzt fing das Volk an, sich wieder zu vermehren, und die Hauptstadt des Landes wurde unter Dagoberts Regierung groß und herrlich, dazu sicher und fest gebaut, und wo zuvor ein wüster Platz gewesen, da ließ der König das herrliche Münster zu St. Denis bauen, nicht weit von Paris.

Nun entspann sich wieder ein Krieg zwischen dem König von Frankreich und den Ungläubigen, welche gewohnt waren, sich noch als Herren dieses Landes zu betrachten. Die Obersten der Heiden und der Türken saßen miteinander zu Rat und beklagten sich bei dem Sultan zu Babylonien



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über die französische Nation, daß sie sich nämlich zu Paris unterstünden, einen Tempel zu bauen wider den wahren Gott Mahomets, wie sie denn überhaupt meineidigerweise vom heidnischen Glauben abgefallen seien. Als der Sultan diese Rede vernahm, sprach er zu ihnen: "Wohlan, meine lieben Herrn, ich will Frankreich mit meiner Gewalt von Grund aus zerstören, seinen König aber an den Galgen hängen und verbrennen lassen!" Auf diese Zusage ließ er in alle heidnischen Königreiche eine Aufforderung ergehen, sie sollten ihm zu Hilfe kommen und mit ihm Frankreich verderben. Da kamen zusammen die Könige aus Arabien und Persien mit großer Macht, dann der König der Riesen mit dreißigtausend Mann, dann der König aus Aethiopien, aus Merach und Krypte. Diese miteinander brachten an zwanzigtausend Mann; da war kein Heide oder Türke, der nicht gerne vor dem Sultan erschienen wäre. So kam auch der Admiral oder Emir aus Persien, des Sultans Bruder, und brachte einen großen Haufen mit sich, so daß auf das Aufgebot des Sultans in dreißig Tagen an hunderttausend Mann zu Roß und zu Fuß beisammen waren. Diesen allen zog der Sultan entgegen, empfing einen um den andern aufs freundlichste und hieß sie willkommen.

Der Riesenkönig, welcher der mächtigste unter ihnen war, begehrte darauf, mit dem Sultan zu reden, und als es ihm gestattet war, da sprach er: "Herr und König von Babylon, unser Begehren ist, daß Ihr Euer Vorhaben so schnell als Möglich ausführet. Lasset Schiffe und Galeeren wohl beschlagen, daß man alles Volk dareinsetze und nach Venedig schicke. Denn, beim Gott Mahomets und meiner Treue, komme ich glücklich übers Meer und finde den König Dagobert, so will ich ihn mit meinen eigenen Händen erwürgen und mich nicht eher schlafen legen, bis ich mit meinem Heerhaufen in die Stadt Paris eingezogen bin, daselbst Haus und Hof gehalten und das ganze Frankreich bezwungen habe. Und dann soll Euch das Land geschenkt sein, König von Babylon!" Dies zu hören, war dem Sultan sehr tröstlich, und er dankte dem Riesenkönige wegen seines hohen Anerbietens. Jetzt hatte er keine Ruhe mehr, bis die Schiffe zugerüstet und mit Erz beschlagen waren, zweitausend an der Zahl. Dann besetzte er sein Land mit Wachen und bereitete sich zur Abfahrt.

Der Sultan hatte von seinen vielen Weibern dreißig starke Söhne und einige Töchter. Unter den letztern befand sich eine schöne Jungfrau, die ihm vor den andern Kindern lieb war; denn sie war so schön, daß man meinte, in der ganzen Heidenschaft wäre kein schöneres Mädchen geboren. Ihr Leib war zierlich und edel gestaltet; ihr Mündlein rot wie Rubin, ihr



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Hals weiß wie Milch, ihr Angesicht prangte wie eine Rose; ihre Augen waren durchsichtig und klar wie Falkenaugen: ja, es war nichts an ihrem ganzen Leibe vergessen, und wäre sie wohl der schönen Helena aus Griechenland zu vergleichen gewesen. Ihr Haar, dessen Farbe dem gelben Dukatengolde glich, wußte sie gar zierlich aufzubinden. Köstlicher Schmuck glänzte ihr von Haupt und Hals, und ihre Gebärden waren überaus holdselig. Diese Tochter trat vor ihren Vater, den König von Babylonien, und bat ihn freundlich, sie mit über das Meer fahren zu lassen; denn sie hätte ein großes Verlangen, Frankreich zu sehen. Auch sprach sie: "Da Ihr willens seid, mich zu vermählen, so kann ich nun sehen, welcher König streitbar ist; denn fürwahr dem, der am ritterlichsten ficht, dem will ich meine Liebe und Gunst zuwenden und ihn zur Ehe nehmen. Dann rächet den Schaden, den Euch Frankreich angetan hat, als Ihr aus dem Lande vertrieben worden seid, und wenn es Euch gefällig ist, so schenket mir das Haupt des Königs Dagobert." — "Ja, bei Mahomet, das sollst du haben" , sprach der Sultan, und darauf gingen die Fürsten und Herrn alle zu Schiff. Der Sultan mit den dreißig gekrönten Fürsten nahm seinen Sitz auf keiner gewöhnlichen Galeere, sondern er bestieg mit ihnen und seiner Tochter einen herrlichen Dreimafter, auf welchem vier Adler aus klarem, lautrem arabischen Golde ihre Köpfe und Schnäbel gegen Frankreich kehrten. Auf diesem Schiffe saß der König von Babylon und seine Tochter ihm zur Seite. Der Wind wehte günstig, die Segel waren seiner voll, unablässig arbeiteten die Ruderer, und in wenigen Tagen gingen


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sie bei Venedig vor Anker. Auch hatten die Türken den Plan des ganzen Kriegs zum voraus entworfen. Demzufolge schlugen sie ihr Lager in Venedig auf und verwüsteten einen ganzen Monat das Land mit Sengen und Brennen. Sie jagten durch die Stadt und ihre Dörfer wie Drachen, schonten nicht Weib und Kind, nicht alt und jung, und auf ihrem ganzen Wege ließen sie an Häusern und Kirchen keinen Stein auf dem andern stehen.

Die Fürsten und Herren der Christenheit, soviel ihrer in der Umgegend hausten, kamen in große Not und begaben sich alle in den Schirm des Königes von Frankreich. Durch diese Flucht erfuhr der König Dagobert zuallererst von dem Einfalle der Heiden; denn sie trafen ihn gerade über dem Bau des schönen Münsters zu St. Denis. Da sprachen die Fürsten zu ihm: "Seid von uns gewarnt, Herr König, versehet Euch wohl mit Kriegsvorräten; denn der heidnischen und türkischen Hunde sind sehr viele. Wenn Eure Wacht nicht gut bestellt ist, so sind wir alle verraten und verloren !" Und nun erzählten sie ihm von all den Streitkräften, die gegen Frankreich aufgeboten worden. Der König Dagobert war darauf nicht vorbereitet. Er wandte sich aber mit Zuversicht an seinen Schutzpatron und sprach: "Heiliger Dionys! Beschirme Frankreich vor allem Unglück! Wenn die Türken und Heiden überhandnehmen, so wird dein Münster nimmermehr ausgebaut; die Ungläubigen werden es zerstören oder nach ihrem Belieben einen heidnischen Tempel daraus machen. Darum, heiliger Dionys, beschirme deine Stadt Paris!" Darauf fertigte er Boten ab an die Heere der Christenheit; und vor allen an den Kaiser Oktavianus zu Rom, die überbrachten an alle Fürsten die Bitte, mit ihrer Heeresmacht zu kommen, damit ihm und ihnen geholfen werde. Von allen diesen erhielt er gute Botschaft, und während er sich selbst rüstete, trafen seine Bundesgenossen schon allmählich ein. Der König von Holland kam über Meer her und brachte vierzehntausend Mann; der König aus Irland brachte fünfzehntausend Mann, lauter beherzte Leute, und der König von England kam mit einer Macht, die nicht zu beschreiben ist. Der König Dagobert ritt ihnen mit großer Pracht entgegen und dankte ihnen aufs freundlichste für ihre Hilfe.

Jeder König lagerte sich vor einem andern Tor, und da die Heiden schon herangekommen waren und nicht ferne von der Stadt ihr Lager hatten, so fiel, noch ehe der König seine Erlaubnis dazu erteilt hatte, hier und dort ein Scharmützel vor. Und einer sprach zu dem andern: "Wollte Gott, der König Dagobert gestattete es uns, so wollten wir bald unsern Mut an den Türkenhunden kühlen!"



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Endlich kam auch der mächtige Kaiser Oktavianus mit seinen Römern auf einem andern Weg gar stark herangezogen bis an die Stadt Paris. Aber beinahe kam er zu spät; denn der Sultan war schon zu weit ins Land hereingekommen. Jedoch den Heiden erschien er immer noch frühe genug. Der Kaiser hatte seine Gemahlin und seine Kinder noch nicht vergessen, und sooft er an sie dachte, konnte er sich des Weinens nicht enthalten. Dieses seines Leides sich zu entschlagen, war er nach der Stadt Paris aufgebrochen. Da er aber sah, daß alle Fürsten und Heere ihr Lager außerhalb der Stadt aufgeschlagen hatten und vor den Toren selbst kein Platz mehr war, so lagerte er sich mit den Seinigen in der Vorstadt St. Germain. Als nun der König von Frankreich vernommen, daß Kaiser Oktavianus wohlgerüstet mit dreizehntausend Mann herangekommen und mit seinem Volke vor St. Germain sein Lager genommen hatte, so ritt er ihm mit großer Pracht in sein Zelt und bat ihn freundlich, bei ihm selbst in seinem Palaste Herberge zu machen. Der Kaiser bedankte sich aufs höflichste und erklärte, die erste Nacht mit seinem Volke hierbleiben zu wollen. "Doch eines muß ich Euch sagen, Herr König", sprach er, "wes ist denn das schöne und große Haus, das da vor uns stehet? Die Mauern sind hoch und stark; der, der es gebaut, hat sich's keine Arbeit kosten lassen , sondern viel Fleiß und Kunst angewendet. Ohne Zweifel ist auch der Hausherr, der darin wohnt, sehr angesehen!" —"Nein, das ist er wahrlich nicht", sprach der König, "es ist einer meiner Bürger, Klemens mit Namen; aber er ist verständig, und durch seine Klugheit, durch viel Sorgen und Mühen ist er endlich zu solcher Wohlhabenheit gediehen! Auch ist er vor Jahren über Meer gekommen, da hat er ein fremdes Kind mit sich gebracht, so schön und adelig, als man in Paris kaum eines sehen kann!"

Als der Kaiser Oktavianus dieses hörte, da entfuhr ihm ein Seufzer um den andern, und er konnte sich des Weinens kaum enthalten. König Dagobert, der seine Bekümmernis merkte, fragte ihn freundlich, was sein Anliegen wäre. Da hielt sich Kaiser Oktavianus nicht länger zurück, sondern erzählte Stück für Stück, wie es ihm mit Frau und Kindern ergangen. Der König Dagobert schüttelte sein Haupt und strafte den Kaiser mit weisen Worten, daß er so rasch verfahren sei und sich nicht besser nach der Sache erkundigt hätte. Auch verschwieg er nicht den Verdacht; den er hege; daß nämlich die Mutter des Kaisers die Urheberin alles dieses wels sei. "Wenn jedoch Eure Frau und Kinder noch leben", fügte er hinzu, "so getröstet Euch Gottes, der stark und mächtig genug ist, sie zu



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schirmen, und Eure Unlust wohl noch in Freude zu kehren vermag!" Damit beurlaubte sich der König Dagobert von dem Kaiser und ritt nach seiner Stadt Paris zurück. Der Kaiser Oktavianus aber blieb mit großem Kummer in St. Germain.

Inzwischen verstärkten sich die Türken und Heiden und verderbten während ihres Durchmarsches das ganze Land. Vor der großen Heerschar zog ein verlorener Haufe von zehntausend Mann, die gar kein Erbarmen mit den Christen hatten, sondern Mann und Weib, auch die unschuldigen Kinder zu Tode schlugen. So erhub sich Heulen und Jammern im ganzen Lande, und endlich kam diese Vorschar in den ersten Tagen des Aprilmonats vor den Mauern von Paris an und schlug davor ihr Lager auf. Bald nach ihnen kam der Sultan von Babylon, mit lauter Gold bekleidet . Vorn an der Brust seines Pferdes hing ein güldenes Kleinod, mit Diamanten und Rubinen besetzt. Sein Bart war so lang, daß er bis an den Sattelknopf reichte, dazu weiß wie Schnee. Sein Helm saß mächtig hoch und war mit goldnen Knöpfen geziert; er hatte große Augen und war von stattlichem Wuchse, so daß man nicht leicht seinesgleichen finden mochte. Sein Pferd hatte auf der Stirn ein gekrümmtes Horn aus lautrem Golde geschmiedet. Neben dem Sultan ritt Marcebylla, seine Tochter , aufs köstlichste gekleidet und mit Kleinodien geschmückt. An der Stirn ihres Pferdes hing eine goldene Sonne, mit einem Rubin, einem Smaragd , einem Diamant und vielen Perlen des Morgenlands schön verziert. Vor und nach ihr ritten Jungfrauen, Königs- und Herrentöchter, dreihundert an der Zahl, die wären manches guten Gesellen Freude gewesen. Auch den Gott Mahomets ließ der Sultan auf einem vergoldeten Wagen führen, und täglich betete er ihn auf den Knien an. So ritt er Tag und Nacht mit seiner Ritterschaft, daß er den König von Frankreich um so eher grüßen möchte.

Auf diese Weise kam er endlich vor Paris und ließ sein Zelt so köstlich aufschlagen, daß es höher zu achten war als manches Fürstentum. In demselben übernachtete er mit seiner vornehmsten Ritterschaft; doch stellte er sorgfältig Wachen aus und schickte Kundschafter ab, das französische Heerlager zu besehen. Diese kamen zurück und berichteten dem Sultan, wie sie die Franzosen alle in guter Ordnung gefunden, die Tore und Mauern wohlbesetzt, der Christen Kriegsheer so groß, daß es ihnen unmöglich gewesen, die Menge zu erkunden. Diese Kundschaft brachten sie dem Sultan in Gegenwart des Riesenkönigs, der sehr zornig ward und zu dem Sultan sprach: "Ich will keine Ruhe haben, bis diese Stadt mitsamt



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,dem Lande zerstört ist, daß kein Stein auf dem anderen bleibt!" Aber viele Türken, welche die Botschaft auch vernommen hatten, entsetzten sich vor den Christen und dachten heimlich bei sich, wenn sie nur zu Hause geblieben wären. Als die Boten abgehört waren, kam die Jungfrau Marcebylla vor ihren Vater und bat ihn mit holdseligen Worten, daß er ihr vergönnen wolle, vor die Stadt Paris zu reiten, weil sie große Lust hätte, dieselbe von nahem zu sehen. Dies gestattete auch ihr Vater, doch befahl er sie in den Schutz des Riesenkönigs, was diesem keine kleine Freude machte; denn er fand dadurch Gelegenheit, sich bei dem Sultan in Gunst zu setzen, und überdies war er der Jungfrau von Herzen hold.

Die Franzosen und ihre Verbündeten ihrerseits, als sie die Ungläubigen so nahe an die Stadt Paris gerückt sahen, schwuren zusammen, sich sobald als möglich zu schlagen. "Ich will den ersten Angriff tun", sprach der König von Spanien. — "Ich will", sprach der Kaiser Oktavianus, "Mann für Mann gegen den Sultan kämpfen." — Die Könige aus Schottland und England sprachen: "Desgleichen wollen auch wir tun!" Und so wappneten und rüsteten sie sich, ein jeglicher zur Schlachtordnung.



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Als sich Dagobert mit den Königen und allem Volke zur Schlacht gegen die Heiden vorbereitete, kam ein ungestalter Bote mit einem großen Höcker auf dem Rücken; seine Augen standen handbreit voneinander, er hatte krumme Schenkel, eine breitgedrückte Nase, einen dicken Kopf: kurz, er war sehr häßlich anzusehen. In seiner Hand trug er anstatt der Peitsche ein Seil mit scharfen Knöpfen, damit schlug er seinem Pferde zwischen die Rippen. Als diesen einige Franzosen gewahr wurden, machten sie sich in seine Nähe; denn sie meinten, es wäre ein Meerwunder. Dieser ungestalte Bote ritt durch die französischen Heerhaufen und rief mit heller Stimme: "Wo ist Dagobert, König von Frankreich, welcher Ehre und Ruhm in der Stadt Paris behauptet? Ich bringe ihm Botschaft von meiner gnädigen Frau, der Tochter des Königs von Babylon, und habe mit ihm zu reden." Als die Franzosen dies hörten, verwunderten sich alle über den haarigen, häßlichen Kerl, der zum Boten gewählt worden; doch führten sie ihn vor den König, zu hören, was sein Anbringen wäre. Wie nun der mißgeftalte Mann vor den König kam, kniete er nieder und sprach mit heller Stimme zum König und allen anwesenden Herren: "Merket auf, Herr König in Frankreich 1 Meine gnädigste Herrin Marcebylla, Prinzessin von Babylon" entbeut Euch, daß sie gekommen sei, Euch und die Eurigen zu verderben. Zu dem Ende hat sie das Land zum größten Teile verwüstet und jetzt ihr


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Lager vor dem Tore von Paris auf dem Montmartre aufgeschlagen. Deswegen läßt sie Euch fragen, ob Ihr Euch getrauet, die Stadt Paris zu beschützen, oder ob Ihr nicht vorzieht, Euch gutwillig zu ergeben. Weiter entbeut sie, daß morgen zur rechten Tagszeit ihr Geliebter vor der Stadt Paris erscheinen wird im Panzer und mit Schild und Speer, wie es einem Streiter gebührt, und mit dem mannlichsten Ritter, den Ihr unter den Eurigen finden möget, zu fechten bereit ist. Findet Ihr unter Eurer Ritterschaft keinen, so wird der Kämpfer meiner gnädigen Frau doch nicht ungestritten von Paris abziehen. Vielmehr wird von ihm morgenden Tages die Stadt Paris bestürmt werden. Darum, Herr König, bedenket Euch kurz, was zu tun ist." Der König erwiderte: "Lieber Freund, hat deiner Gebieterin Liebhaber Lust zu streiten, so soll ihm dieses gewährt sein, und er mag sich zur rechten Stunde auf dem Kampfplatze einfinden." Da sagte der Bote dem König großen Dank. "Aber wahrlich", fügte er hinzu, "es wird Euch gereuen; denn ehe ein Monat vergeht, trägt meiner Herrin Liebster Eure königliche Krone auf dem Haupt, und Euer Volk hat er getilgt und ausgerottet." Mit diesen Worten schied er von dem Könige, ritt aufs schnellste zurück zu des Königs von Babylonien Tochter und meldete ihr den günstigen Erfolg seiner Botschaft. Der Riesenkönig, als er dieses hörte, wurde halbunsinnig vor Freuden. Er verhieß der Jungfrau , daß er am andern Morgen sicher vor der Stadt Paris erscheinen und allen Franzosen Fehde verkünden wolle. Ja, alle, die er in seine Gewalt bekäme, die wolle er mit seinen Händen in Stücke reißen. Dies gefiel der Jungfrau wohl, und sie bedankte sich für seinen guten Willen.

Am andern Tage vor Sonnenaufgang wappnete sich der Riesenkönig vom Kopf bis zu den Füßen; er begehrte jedoch weder Spieß noch Speer, noch Hellebarde, sondern einzig und allein sein Heidenschwert. Ebenso wollte er auch auf kein Roß sitzen, sondern frei und ledig zu Fuße gehen; denn er war bei zwölf Fuß lang. Als er nun gerüstet und angetan war; begab er sich zu der Jungfrau, beurlaubte sich von ihr und schlug den geraden Weg nach Paris ein. Wie er vor die Stadt gekommen war, zog er sein Schwert aus und schrie mit lauter Stimme: "Ich streite, ich streite für meine Herzallerliebste. Wer da Lust hat, komme, so will ich sein nicht fehlen!" Die Einwohner der Stadt Paris hatten dieses Geschrei gehört, liefen eilig auf ihre Mauern, und als sie den entsetzlichen Riesenkönig sahen, erschraken sie vor ihm über alle Maßen, so daß sich keiner vor die Mauern hinauswagte. Auch König Dagobert empfand keine sonderliche Freude, als ihm der Riesenkönig gezeigt ward. "Heiliger Dionysius", rief



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er, "beschirme dein Münster und bitte Gott für uns, daß wir nicht von den Widerspenstigen vertrieben werden!" Aber kein Fürst noch Herr wollte es wagen, mit dem Riesen zu streiten, bis sich endlich ein junger, edler Ritter aus Frankreich fand, der sprach: "Wahrhaftig, wir sind nicht eines faulen Apfels wert, wenn keiner unter uns ist, der das Herz hätte, diesen Feind zu bestehen! Darum bringet mir meinen Harnisch, Schild und Speer, Stiefel und Sporen, vor allem aber mein Pferd und mein Schwert; denn ich habe große Lust, mit diesem Riesen zu streiten!" So wurde der Ritter in Eile gewaffnet. Er hatte ein gutes Roß, auf das er sich verlassen konnte; dieses bestieg er, nahm den Speer in seine Hand, und nachdem er, sich versuchend, eine gute Weile die Gasse gerüstet auf und ab geritten, nahm er Urlaub von dem Könige, der eine große Freude an ihm hatte, und das Stadttor öffnete sich ihm.

***
Als der junge Ritter im freien Felde war, ritt er auf dem nächsten Wege nach dem Riesen zu. Die Franzosen aber lagen auf den Mauerzinnen, zu sehen, wie er sich helfen würde. Beim Anblick des christlichen Ritters wurde der Riese zornig; er achtete es für einen Spott, mit einem so kleinen Männlein zu streiten. Der Ritter aber rannte mutig auf den Riesen los, so daß ihm sein Panzer durchstochen ward, doch drang der Speer nicht in den Leib, und der Riese stand unerschütterlich wie ein Turm. Dabei war er nicht säumig, sondern lauerte auf seinen Vorteil, und eh' sich's der Ritter versah, geriet dem Riesen ein Griff, daß er seinen Feind erwischte, aus dem Sattel hob und, ihn wie eine Feder auf seine Achsel nehmend, mit ins Lager trug. Der Ritter saß auf der Schulter des Riesen und rief Gott und alle Heiligen zu Hilfe; denn ihm war's, als wär ' es der lebendige Teufel und wollte er ihn geradezu in die Hölle tragen. Der Riese eilte zu seiner Jungfrau, und nach gar freundlichem Gruß und Gegengruß setzte er seinen Gefangenen auf die Erde und schenkte ihn seiner Geliebten. Der junge Ritter aber meinte nicht anders, als daß er auf der Stelle sterben müßte. Aber die Königstochter erbarmte sich seiner; denn sie war den Christen im Herzen nicht feind. Doch wollte sie wissen, wie es gekommen, daß gerade dieser kleine Ritter ausgezogen, mit dem Riesenkönige zu kämpfen, und drang mit strengen Worten in ihn, die Wahrheit zu gestehen. Den Ritter kam aufs neue Furcht an; er erzählte alles, wie es ergangen war, und kniete dann in seinem Panzer vor der Prinzessin nieder. Diese wunderte sich über seine Kühnheit; hieß ihn den Panzer ablegen und sich gütlich tun. Der Ritter meinte, jetzt gehe es


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ihm an den Hals; aber es ward ein gutes Mahl aufgetragen, und seinen ritterlichen Mut zu ehren, hieß die Fürstin ihn zu Tische sitzen und fröhlich sein. Nun sah er wohl, daß ihm sein Leben geschenkt war, und dankte der Jungfrau mit weinenden Augen. Das Nachtmahl wurde prächtig gefeiert mit großer Freude und Frohlocken des Sieges halber, den der Riesenkönig im Felde erhalten hatte.

Am andern Morgen begrüßte die Jungfrau ihren Buhlen, und der Riesenkönig bat sie mit sanften Worten um einen Kuß. Aber die Königstochter wehrte ihm und sagte: "Ja, wenn Ihr mir den König von Frankreich bringet; wie Ihr mir diesen Ritter gebracht habt, dann will ich Euch einen freundlichen Kuß geben." Darüber ward der Riese hoch erfreut; neigte sich tief vor seiner Geliebten und waffnete sich abermals zum Streite. Bald darauf hörte man ihn hart am Tore von Paris mit lauter Stimme gräßlich schreien: "Hier steh ' ich allemand zum Streite bereit, von meiner Geliebten Marcebylla gesandt! Oh, König Dagobert, dir soll es übel ergehen, wenn du die Stadt Paris nicht übergeben willst; denn du wirst keinen Ritter mehr finden, der mit mir streiten mag!" Und wirklich waren alle Fürsten und Herren erschrocken, und keiner von ihnen empfand eine Lust, mit dem Riesen zu kämpfen. Der fromme König Dagobert



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schaute um sich und sprach: "Wohl denn, wappnet mich behende; denn ich selbst will Leib und Leben gegen diesen Teufelsriesen wagen und ihn mit Gottes Hilfe umbringen, wo nicht, so mag er mich totschlagen! Heiliger Dionys, du wirst nicht dulden, daß ich dein Münster unausgebaut lasse, komme du mir zu Hilfe!"

Als dies Oktavianus, der römische Kaiser, hörte, sprach er zu Dagobert: "Das wolle Gott nicht, mein Herr Bruder, daß Ihr selbst mit dem Riesen streitet; vielmehr lasset mich hingehen und den Kampf wagen!" Aber der König von Frankreich wollte es nicht gestatten, und so stritten sie miteinander um die Ehre des Kampfes.



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Während nun die Fürsten und die Herren so miteinander sprachen, spazierte der Bürger Klemens durch die Straßen von Paris, und sein Sohn Florens trat ihm an Dieners Statt nach. Wie sie nun sahen, daß die Herren auf dem Balkon des Schlosses so traurig beieinander standen, fragte Florens seinen Vater nach der Ursache. "Ach lieber Sohn", sagte Klemens, "du weißest ja, daß die Ungläubigen vor Paris sind. Nun ist da ein mächtiger Riesenkönig, ein Liebhaber der Tochter des Königs von Babylon, an den will sich kein Herr, kein Ritter oder Knecht wagen; denn er hat ganz plötzlich einen jungen mannlichen Ritter überwunden. Darum sind die Fürsten so erschrocken; denn wäre der Riese besiegt, so würden die übrigen Heiden bald aus dem Lande geschlagen sein." "Wie?" sprach Florens, "hat der Riese den Ritter denn gefressen?" "O nein", erwiderte Klemens, "er hob ihn mitsamt seinem Panzer auf die Achsel und trug ihn in das Zelt der Jungfrau." — "Oh, wenn mir solches widerführe", rief Florens, "ich wollte unerschrocken sein! Mit Jungfrauen ist gut handeln!" — "Lieber Sohn", erwiderte ihm Klemens, "du hifi wohl ein frischer Junge; aber bedenke, wie groß und stark der Riese ist; es ist kein Wunder, wenn sich die Fürsten bekümmernd"

Da fing Florens an, seinen Vater inständig zu bitten, daß er ihn mit dem Riesen streiten und seine Stärke versuchen lasse. "Ich habe ja", sprach er, "ohnedies ein Pferd, das mich teuer genug zu stehen kommt!" Als Klemens lange vergebens seinen Sohn abgemahnt und dieser endlich gedroht hatte, so wie er da stünde, ohne alle Waffen zu dem Riesen zu gehen, so wurde der Vater zornig und sprach: "So fahre hin und lebe nach deinem Willen l Wolltest du aber meinem Rate folgen, so bliebest du daheim und ließest den Riesen zufrieden. Ich habe auch keinen doppelten Harnisch für dich, mein Krebs ist nichts mehr nütze, sondern rostig, die



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Armschienen sind ganz schmutzig; seit dreißig Jahren hab ' ich kein Stück mehr von allem am Leibe gehabt; auch mein Spieß ist ganz krumm und schwarz vom Rauche. Du weißest ja, ich bin lieber hinter dem Ofen gesessen als zu Felde gezogen. Harnisch tragen bringt selten Nutzen, wohl aber viel Schläge auf den Rückens" — "Vater", sagte Florens, "das schadet all nichts, gebt mir nur die Stücke, von denen Ihr gesprochen; so rostig sic sind, so will ich doch Ehre damit einlegen. Ja, ich möchte sie nicht mit andern vertauschen, die noch so schön glänzen!" — "Nun, so will ich dir meine rostige Rüstung holen", sprach Klemens verdrießlich, "weiß ich doch wohl, daß du damit wirst ausgelacht werden. Aber sei dem Allmächtigen befohlen, der wolle deine Seele bewahren!" Jetzt war Florens vergnügt, und bald hatte er sich mit dem rostigen Hamisch gewaffnet . Sein Vater Klemens setzte ihm den alten Helm auf, der inwendig voll Spinnweben und von außen ganz schwarz war; Mäuse und Ratten hatten lange darin genistet; dann gab er ihm sein Schwert, das wohl dreißig Jahre nicht aus der Scheide gekommen war und vor lauter Rost sich nicht ausziehen lassen wollte. Klemens nahm es beim Kreuz, der andere Sohn Klaudius bei der Scheide; sie zogen so hart, daß beide rückwärts fielen, Klemens mit dem Schwert in der Hand, Klaudius mit der Scheide. Da hätten beide lieber geweint als gelacht. Doch gefiel es dem Florens, und er sagte scherzend zu seinem Vater Klemens: "Fürwahr, Vater, Ihr müßt schon lang keinen Zückfrevel mehr gezahlt haben, das sieht man Eurem Schwerte wohl ant" Klemens erwiderte: "Weißt du was, mein Sohn, hänge das Schwert lieber ohne Scheide um, dann brauchst du beim Ausziehen nicht mehr auf den Rücken zu fallen!" So scherzten sie miteinander Endlich brachte ihm Klemens auch das Roß, das er mit des Vaters Münze und Schätzen erworben hatte; es war stattlich anzuschauen und nach französischer Sitte wohlaufgezäumt, der Sattel hübsch durchbrochen, der Zaum an drei oder vier Orten mit Nesteln wohlgeziert. Das gefiel Florens gar wohl; er schwang sich hinauf und rief: "Wo ist der Riesenkönig? Nun gebt mir nur noch den Sperr! ' Der Vater reichte ihm auch den, der sah aber gar dürr aus; denn er hatte lang als Hühnerstange gedient.

"Nun fahr hin, lieber Sohn", sprach Klemens, "Gott wolle dir Gnade verleihen, daß du an diesem Tage Ehre einlegest. Ich will dir das Geleite geben bis zur Pforte der Stadt und auf der Zinne achthaben, wie es dir geht. Je größere Streiche du dem Riesen versetzest, je lieber wirst du mir sein!" — "Vater", sagte Florens, "vermag ich's, so will ich Euern



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Willen, tun. Ja, ich hoffe, dem König Dagobert noch am heutigen Tage das Haupt des Riesen in die Hände zu liefern!" Mit diesen Worten nahm Florens Urlaub von seiner Pflegemutter, die sehr um ihn weinte, und von seinem Bruder Klaudius. Er ritt in seiner rostigen Rüstung durch die Gassen von Paris, von Klemens begleitet, von allen andern Bürgern aber verspottet. "Sehet doch", sprach einer, "was da für ein glänzender, wohlaufgeputzter Ritter kommt!" Ein anderer sprach: "Laßt ihn nur reiten , der wird uns großen Nutzen schaffen. Wenn den die Heiden erblicken, werden sie an ihm so erschrecken, daß alle die Flucht ergreifen!" —"Gewiß , der will mit dem Riesen streiten", sagte ein dritter, "und will des Königs von Babylon Tochter freien!" Auch unter den Fürsten und Herren wurde er so zum Gespötte. Er tat aber, als ob er es nicht hörte, und ritt so fort bis ans Tor.

Zur selben Stunde erschien auch der Riesenkönig vor den Toren und



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hub abermal zu schreien an: "Ihr Pariser, ihr Bastarde, wollet ihr nicht das Tor auftun? Es wird euch übel gehen, ihr müßt alle von meinen Händen sterben, dawider vermag euer Gott nichts. Euren König Dagobert hänge ich an den Galgen; was nicht umkommt, soll schmählich aus Stadt und Land verjagt werden und nimmermehr zurückkommen." Die Wächter auf den Mauern hörten das Geschrei, und als es den Fürsten und Herren angezeigt wurde, erschraken sie nicht wenig. Florens aber, als er den Riesen so schreien hörte, hatte keine Ruhe mehr. Man mußte ihm das Tor auftun und ihn hinauslassen. Da lief in Paris alles auf die Mauern; denn jetzt merkten sie, daß der rostige Ritter mit dem Riesen streiten wolle. Der gute alte Klemens, um besser zusehen zu können, saß rittlings auf die Mauerzinne und rief seinem Sohne den Segen hinab. Indem sprengte Florens auf den Riesen zu. Als dieser ihn kommen sah, rief er ihm entgegen: "Wahrlich, du glänzender Ritter, du magst dem wohl billig danksagen, der dich gewappnet hat. Beim Gott Mahomets, dein Hamisch und deine Rüstung sind gar zu lustig; ich meine, du hast ihn in einer Pfütze aufbewahrt. Was ist dein Begehr? Warum bist du hier? Du wirst doch gar nicht mit mir streiten wollen? Kehr um und sage deinem König Dagobert, er soll selber kommen, mit mir zu kämpfen. Mit einem so rostigen Ritter zu fechten, wäre mir Schande!" Bei diesen schimpflichen Worten zitterte Florens vor Zorn und sprach zum Riesen: "Ich merke wohl, daß du mein spottest, aber ich will dich bald besser reden lehren! Denn mit deinem Haupte will ich meinen gnädigen König Dagobert begaben. Ein anderes Geschenk verlange ich nicht von dir!"

Mit diesen Worten rannte Florens gegen den Riesen und sprach ein leises Gebet. Da stand ihm Gott in seinem ersten Ritte bei, also daß er den Riesen mit dem Speer auf den Boden rannte. Er hatte ihm den Rücken so durchstochen, daß der Spieß ein Klafter lang herausragte. Das Blut floß auf die Erde wie das Wasser aus einem Röhrbrunnen; der Riese war mit seinem eigenen Blute besudelt bis an die Fersen. Als der alte Klemens auf der Mauer jenen Stoß sah, dankte er Gott mit großen Freuden und sprach: "Gesegnet sei die Stunde, in der ich dich übers Meer getragen habel" Der Riesenkönig war durch den Stoß schwer erzürnt und holte, auf der Erde liegend, mit seinem gewaltigen Schwert aus. Aber Florens, der sorgte, er möchte ihn hinwegtragen, wie er es mit dem jungen Ritter gemacht, sprang mit dem Pferd ein wenig beiseite und faßte den Streich mit dem rostigen Schwert auf, das er nicht zu ziehen brauchte; denn er hatte es nach des Vaters lustigem Rat ohne Scheide an



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sich hangen. Dann holte er selbst zum Streiche aus, so sicher und stark, daß er dem Riesen den linken Arm abschlug, so daß dieser vor ihm nieder auf die Erde fiel. Den Streich sah Klemens abermals und schrie: "Gott stärke dich! Ich bin fröhlich, wenn ich dich ansehe! Glückselige Stunde, wo ich dich kaufte l Noch glücklichere, wo ich dich nach Paris brachte! Fürwahr; du hast mein Geld um das Pferd wohl angelegt! Auch werden die Franzosen deines rostigen Harnisches nimmer spotten! Schlag ihm den andern Arm auch entzwei, mein Sohn, daß er sich in den Tod geben mußt" Dies Geschrei hörte Florens und sah, wie sich alle, die auf den Mauern waren, mit seinem Vater Klemens für ihn freuten.

Der Riese aber trauerte um seinen Arm und sprach in großem Zorn: "Du Bösewicht; mit deinem rostigen Schwert hast du mir manchen Schlag gegeben und mich schwer beschädigt! Meinst du aber, du habest mich damit überwunden? Nein, beim Gotte Mahomets, und wenn du fünfzehn der stärksten Ritter bei dir hättest, so müßten sie alle mit dir sterben!" — Florens antwortete: "Du lügst, mit mir ist der lebendige Gott!" Damit faßte er sein rostiges Schwert mit beiden Händen und tat einen so harten Streich auf den Riesen, daß er ihm den Helm vom Kopfe schlug. Der Riese aber war auch nicht unbehende; er erwischte den Florens bei seinem Schild und gedachte, ihn dadurch unter sich zu zerren. Aber Florens ließ den Schild in der Hand des Riesen. Dieser schleuderte ihn hoch in die Luft; daß ihn Florens nimmer zu sehen bekäme, dann schlug er ernstlich auf diesen zu und traf ihn mit seiner Faust auf den rechten Schenkel, so daß Florens beinahe rücklings vom Pferd gefallen wäre, doch kam er bald wieder in den Steigbügel. Klemens hatte alles von der Mauer herab gesehen. "Ach, lieber Florens", rief er, "ich glaube, du schläfst; erwache von deinem Schlummer; denn wenn du von dem Riesen überwunden wirst, so ist ganz Frankreich verdorben!" Florens hörte das Geschrei seines Vaters und machte sich mit seinem rostigen Schwert wieder an den Riesen; er gab ihm einen solchen Streich auf die Schultern, daß ein großes Stück des harten Leders, welches in Kappadozien gefertiget worden, und womit der Riese bekleidet war, mitsamt seinem Fleisch zur Erde fiel. Das Blut floß auf den Boden, als hätte man einen Ochsen geschlachtet. Als der Riesenkönig sein Blut so rinnen sah, hätte er lieber gewollt, er wäre bei dem Sultan oder bei der Jungfrau Marcebylla, denn er empfand über sich einen, der sein Meister war, und ein solcher war ihm noch nie unter die Augen gekommen. Doch erholte er sich von seinem Entsetzen und eilte mit großem Grimm auf Florens zu. Dieser wich vier oder



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fünf Schritte hinter sich; doch der Riese verfolgte ihn und traf sein Roß auf den Kopf, daß es zur Erde fiel. Florens, der dem Tier auf dem Rücken lag, säumte nicht lang, sondern schwang sich herab auf seine Füße, doch mit großen Sorgen; denn er fürchtete, den Fußkampf mit dem Riesen nicht auszuhalten. Die Ritter, die auf der Mauer standen und zusahen, schrien alle mit lauter Stimme: "Oh, du starker Gott, komm unsrem jungen Ritter zu Hilfe, daß er den grimmigen Verfolger deiner Christenheit überwinden möge!" Den Riesen machte dieser Zuruf wieder mutig, er trat auf Florens zu und sagte zu ihm: "Nun hast du deinen letzten Tag erlebt; nun will ich Frankreich in dir überwinden! Und wiewohl du mir einen Arm abgehauen hast, so soll es mir doch nicht viel schaden; denn ich habe einen Arzt; der mir meine Wunden bald heilen kann." Florens aber sprach: "Ich aber habe noch viel bessere Hilfe bei mir, ich habe den lebendigen Gott mit seiner Gnade. Und obwohl du mir den Schild genommen hast, so hast du mich doch nicht überwunden!" — "Laß sehen", sprach der Riese, "wir wollen es bald innewerden, wie stark dein Gott ist!" Und nun schlug er mit seinem Schwert so gräßlich auf Florens los, als wollte er ihn mit einem Streich voneinander baun Florens aber war ihm viel zu geschwind, sprang aus dem Streich und wehrte sich so ritterlich, daß ihm der Riese keinen Schaden zu tun vermochte. Da wurde


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sein Feind immer wilder, aber in der Hitze übersah er die Schanze an der sie fochten, strauchelte über einen Stock und tat einen Fall, von dem der ganze Platz erzitterte. Jetzt nahm Florens seinen Vorteil wahr, sprang mit seinem alten Schwert hinzu und gab dem Riesen so manchen harten Streich, daß er sterbend seinen Sieger um Gnade anflehen mußte. Aber Florens sprach: "Gott allein sei die Ehre, ihm, der mir geholfen hat; darum, du falscher Heide, mußt du sterben!" und mit diesen Worten hieb er dem Riesen sein Haupt ab und sagte: "Dies Haupt soll ein Ehrengeschenk für meinen König Dagobert sein." Das Haupt war aber so groß, daß es Florens mit aller seiner Stärke kaum an seinen Sattel zu binden vermochte ; denn sein Roß war während des Fußkampfes von dem Stoße wiedergenesen und hatte sich neben seinem Herrn aufgestellt.

Nun dankten Klemens und alle, die auf der Mauer waren, Gott mit lauter Freude, daß er dem Florens soviel Gnade verliehen; sie sprangen hinab von der Mauer und rannten zum Tor hinaus, ihm entgegenzugehen; denn sie glaubten nicht anders, als der Ritter würde von Stund an mit ihnen in die Stadt reiten. Aber Florens hatte ein anderes Anliegen. Er gab ihnen das ungeheure Haupt des Riesen und befahl ihnen, dasselbe dem Könige Dagobert zum Geschenk zu bringern Ihn selbst mußten sie des Wegs reiten lassen. Und so begab sich denn sein Vater Klemens mit den andern Franzosen in die Stadt zurück und brachte dem König Dagobert das Haupt des Riesen; dieser aber konnte des Staunens und der Freude kein Ende finden.



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Florens war nicht sobald allein auf freiem Felde, als er sich selbst einen Schwur tat, nimmermehr nach Paris zurückzukommen, er hätte denn zuvor des Königs Tochter aus Babylonien gesehen. Denn er hatte so viel von ihrer Schönheit gehört, daß er keine Ruhe hatte, ehe er ihres Anblicks teilhaftig geworden. So hörte er denn nicht auf zu reiten, bis er nach dem Berge Montmartre kam, wo der Jungfrauen Lager in Zelten aufgeschlagen stand. Wie nun Florens so den Heiden entgegenritt, da sprachen sie zueinander: "Sehet doch zu, was will dieser trefflich gerüstete, rostige Ritters Beim Gott Mahomets, sein Harnisch glänzet sehr, obwohl meistenteils von Rost; so sehet auch, wie sein Speer so schön bemalt ist; freilich hat es nur der Rauch getan! Auf gleiche Weise ist auch sein Schild (denn diesen hatte Florens wieder zu sich genommen) trefflich aufgeputzt. Sein Schwert bedarf keiner Scheide; denn der Rost ist sein genügender Überzug! seine ganze Rüstung zeigt etwas Seltsames an; laßt uns


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ihn gefangennehmen und ihn mitsamt seiner Bekleidung dem Riesenkönig übergeben, der macht ihn gewiß zu unserem Hauptmann; denn seine Rüstung zeigt uns an, daß er etwas Vortreffliches ist!" So redeten die Heiden die Wahrheit, ohne es zu wissen. Florens ritt inzwischen auf das Zelt der Jungfrau Marcebylla zu, die sich gerade mit ihren Jungfrauen vor dem Zelt im Grünen erging; denn sie hatte es an einem lustigen Ort aufgeschlagen. Auf der einen Seite des Lagers war ein kleines dichtbelaubtes Wäldchen, in welchem die Nachtigallen Tag und Nacht lieblich sangen; auch waren grünende Matten da, mit bunten Blumen schön verziert: hier brachen die Jungfrauen Blümlein und wanden manchen Kranz daraus. Einen solchen hatte auch die Prinzessin Marcebylla selbst gewunden und gedachte, ihn dem Riesenkönige zu übergeben, wenn er vom siegreichen Streit nach Hause käme. Auf der andern Seite des Lagers floß das rasche Wasser, die Seine, so daß man keinen anmutigeren Ort, sich zu lagern, hätte wählen können. Die Jungfrau Marcebylla selbst war köstlich geziert, sie hatte ein grünes Seidenkleid an, das zu Alexandrien gefertigt und mit lautrem, klarem Golde verbrämt war. Ihr Haar war nach heidnischer Sitte mit edlen Steinen geschmückt, in denen sich die Sonne hell spiegelte, und die einen solchen Glanz von sich gaben, daß Florens von ferne dachte, es seien gewaffnete Heiden, die zur Hut der Jungfrau dahin abgeordnet wären. Deswegen erschrak er anfangs ein wenig. Aber das brennende Verlangen, das er nach der unbekannten Jungfrau trug, gab ihm wieder Mut, daß er vorwärts und auf der Fürstin Lager zu eilte. Als die Jungfrau aufblickte und einen Ritter von ferne so ernstlich auf ihr Zelt zureiten sah, verwunderte sie sich über diesen unerwarteten Anblick, und mit ihr zugleich alle ihre Jungfrauen. Diese trieben großes Gespötte mit der rostigen Rüstung des Fremden; am meisten aber spottete seiner die Jungfrau Marcebylla selbst, und endlich sagte sie lachend: "Ich glaube gar, er hat unser Oberhaupt, den Riesenkönig getötet; denn sein Schwert ist noch voll Bluts, wenn es anders nicht auch Rost ist." — Eine andere Jungfrau, die erste nach der Fürstin, um ihr zu Gefallen zu sein und den Spott zu vermehren, hub ganz feierlich an: "Fürwahr, Prinzessin, Ihr habt unrecht, den rostigen Ritter so zu verspotten So wahr mir der Gott Mahomets helfe, mein Sinn fängt seinethalben an sich zu bewegen; es ist auch kein Wunder, er ist so schmuck und schön! Ich wollte, ich könnte ihn mit meinen Armen umfangen; wie wollte ich seine rostige Schönheit herzen!" — Und noch war es des Spottens nicht genug; denn eine andere Jungfrau erhob sich und sprach: "Laßt


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ihn doch zufrieden mit Eurem Spotten, der rostige Ritter ist mein Trost, sobald ich mit ihm reden kann, soll er mein Buhle werden!"

So spotteten sie in die Wette. Aber Florens wußte von allem dem nichts, sondern trabte nur sehr ernstlich auf das Zelt der Jungfrau zu und dachte: "Ich will auf dieser Reise Leib und Leben wagen; bekomme ich nur einen freundlichen Kuß von des Sultans Tochter, so gehe ich nimmermehr nach Paris zurück." Marcebylla stand vor ihrem Zelte still und war begierig, was der rostige Ritter begehren würde. Florens aber gebärdete sich wie einer, der sich auf solche Händel wohl versteht; er tat; als ob er ihrer nicht achtete, bis erste überraschen zu können hoffte. Da wandte er plötzlich sein wohlabgerichtetes Pferd, faßte sie beim Arm und schwang sie mit aller Geschicklichkeit zu sich auf den Sattel. Als er sie einmal auf dem Roß hatte, drückte er sie an seine Brust und gab ihr manchen Kuß; denn der Pfeil der Liebe hatte sein Herz getroffen. So ritt er mit ihr davon. Der Fürstin Marcebylla aber war kläglich zumute. Sie wußte nicht, wer ihr Räuber war, ob Christ oder Heide, darum rief sie jammernd: "O Gott Mahomets, ist denn kein frommer Held da, der mir zu Hilfe kommen Ach, mein Vater, ich werde dich nimmer sehen!" Auf diesen ihren Hilfeschrei eilten Heiden und Türken herbei, schwangen sich auf ihre schnellen Pferde und rannten dem Florens mit ihren Spießen und krummen Säbeln eilig nach, des Willens, ihm die Jungfrau wiederabzunehmen . Florens indessen gab die Hoffnung nicht auf, ihnen mit Hilfe seines schnellen Rosses zu entgehen: er setzte die Jungfrau vor sich auf den Sattel zur Rechten, und indem er sie vielmal küßte, rief er: "Billig sollte der fröhlich sein, der einen solchen Schatz erbeutet hat. Aber bekümmert Euch nicht so schwer, schöne Jungfrau! Seid fröhlich mit mir; denn Ihr seid der Trost und das Leben meines Lebens! Und in kurzer Zeit werdet Ihr mein Ehegemahl sein!" Die Jungfrau schwieg stille und seufzte nur manchmal auf. Jetzt waren ihm die Heiden auf die Fersen gekommen; er mußte sich zur Wehre setzen; denn die Ungläubigen schrien ihm überlaut zu: "Ei, du Bösewicht, so halte still und laß des Sultans Tochter zurück, wenn du nicht von unsern Händen sterben willst!" Florens merkte wohl, daß er die Jungfrau nicht behalten konnte. Drum wurde er gar traurig, küßte sie noch zweimal inbrünstig, und da sie sich sträubte, so blieb ein Armel ihres schönen Gewandes in seinen Händen; dann ließ er sie vom Sattel mit großem Unmut auf die Erde gleiten. "Lieber wollte ich", sprach er, "alles andere verlieren, was ich habe, denn Euch; das aber sei Euch verheißen: in kurzer Zeit will ich wieder bei Euch



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sein, und mein ganzes Leben lang sollt Ihr dann meine Herzgeliebte bleiben . Denn wisset, daß ich Euch ritterlich dem Riesenkönig, Eurem Buhlen, abgefochten habel Von mir liegt er erlegt, und sein Haupt habe ich dem Könige Dagobert geschenkt. Vor seiner Werbung dürfet Ihr hinfort sicher sein!" Die Jungfrau hörte die freundlichen Worte wohl, aber sie schrie unaufhörlich um Hilfe, und mehr denn hundert Heiden hielten den tapfern Florens umringt und schlugen alle mit großem Geschrei grimmig auf ihn zu. Da feierte er auch nicht und fuhr unter sie mit seinem rostigen Schwerte, daß mancher zu Boden fiel und viele riefen: "Das ist kein Mensch, sondern ein lebendiger Teufel aus der Hölle!" Diese Worte hörten zwei Könige aus der Heidenschaft und fragten: "Wo ist der grausame Teufel, daß wir ihm seinen Sold bezahlen!" — "Hier bin ich", sprach Florens, und nun schlug er sich mit ihnen, bis sie beide zu Boden fielen und ein Jammern unter den Heiden entstand. Der Admiral aus Persien wollte den Schaden rächen und rannte mit seinem Speer gegen Florens, ihn zu durchbohren. Aber Florens traf ihn mit seinem rauchichten Spieße eher, so daß er seine Waffen fallen ließ. Schnell warf Florens den Spieß von sich, ergriff sein Schwert ohne Scheide und hieb auf einige Streiche dem Admiral die Hirnschale entzwei, daß er zu Boden fiel und tot auf der Erde lag. Zwölf Heiden hatte Florens so erschlagen; als aber ihrer immer mehr und sie immer grimmiger wurden, da mußte er endlich die Flucht ergreifen. Auf seinem Wege sah er seinen Vater Klemens mit zweihundert wohlgerüsteten Franzosen, die der König Dagobert ihm zur Hilfe ausgeschickt hatte, sich entgegenreiten. Und gewiß hätten die Heiden den Fliehenden erreicht und umgebracht, wenn sein Vater nicht erschienen wäre. Nun kehrte Florens um, und sie alle miteinander schlugen die Feinde und jagten sie in die Flucht; die Jungfrau Marcebylla aber rettete sich nach ihren selten, sonst wäre sie gen Paris geführt worden; die andern Türken und Heiden mußten ihre Hälse hergeben bis auf zwei, welche sie übrigließen, um dem Sultan die Niederlage zu verkündigen. Klemens aber, so alt er war, hatte dennoch das Beste getan, und wenn man ihm gefolgt wäre, so würden sie bis Montmartre gerückt sein, wo die Jungfrau Marcebylla ihr Lager hatte. Aber Florens wollte dies seinem Vater nicht zugeben, weil die Heiden dort ihrer dreitausend wären: "Und doch", sprach er, "wenn ich meinem Pferde trauen dürfte, so wollten wir die Sache versuchen!" Denn sie waren alle freudig und beherzt. Während sie sich so besprachen, kam ihnen Kundschaft, daß die Feinde durch den unerwarteten Angriff in großer Bestürzung seien und scheil auf


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die Flucht dächten. Da berieten sich Florens und sein Vater nicht lange mehr, sondern rannten auf die Türken los und nötigten sie, Panzer und Gewehr im Stiche zu lassen und nach Dampmartin in das Hauptlager des Sultans zu flüchten. Auf dieser Flucht erschlugen die Franzosen an zweitausend Mann, plünderten das Vorlager der Heiden und führten bei sechstausend Mark Goldes als Beute nach Paris. Das reisige Volk wußte nicht, wie es dem Florens genug Ehre erweisen sollte; die Ungläubigen aber sprachen: "Jetzt hat uns der Gott Mahomets ganz und gar verlassen; wenn er uns nicht besseres Glück gibt, so müssen wir mitten im Christenlande sterben!" In diesem Schrecken kamen sie nach Dampmartin vor den Sultan und klagten ihm ihre Not. Der Sultan sprach: "Seid unerschrocken: ich habe in meinem Lager noch fünfundzwanzig Könige und Geld und Mundvorrat auf volle vier Jahre." Als sie ihm aber von dem Tode des Riesenkönigs und von seiner Tochter Marcebylla erzählten, wie sie von dem rostigen Ritter Florens, der den Riesen umgebracht, beinahe geraubt worden wäre: da fiel der Sultan von Babylon vor Zorn und Kummer auf den Boden. Und als er wieder zu sich selbst kam, schwur er bei seiner königlichen Krone, er wolle das ganze Land Frankreich verwüsten , alle Franzosen niedermachen und den König Dagobert elendiglich umbringen.

Noch sprach er, als seine Tochter Marcebylla mit allen ihren Jungfrauen auf der Flucht dahergeritten kam. Sie ward vom Pferde gehoben, kniete mit weinenden Augen vor ihrem Vater nieder und grüßte ihn mit klagenden Worten. Der Sultan hob sie empor und fing an, sie zu trösten: "Liebe Tochter", sagte er, "laß ab von deiner Bekümmernis; es soll gewiß nach deinem Willen geschehen: der Ritter, der deinen Liebhaber getötet hat, soll eines bösen Todes sterben; ich will ihn zu Asche verbrennen lassen! Jetzt aber gehe mit deinen Jungfrauen in dein Zelt, erhole dich und pflege des Schlafest" — "Euer Wille geschehe, mein Vater!"sprach die Jungfrau, "aber mein Verlangen steht nach den Christen; ohne Mache darf ihr Mutwill nicht bleiben, und wäre es nur, weil der rostige Ritter unter ihnen ist, der mich fast eine Meile Weges entführt hat und mich ohne Erbarmen nach Paris gebracht hätte, wenn nicht große Macht unterwegs gewesen wäre." So nahm sie Urlaub von ihrem Vater und ging mit ihren Gespielen in ihr Zelt. Hier war der Jungfrau sanft gebettet, doch lag sie hart und übel auf ihren weichen Kissen und hatte die gange Nacht keine Ruhe. Den lieblichen Kuß, den ihr Florens gegeben hatte, den konnte sie nicht vergessen. Ihr ganzes Herz war von Liebe gegen ihn entzündet.



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Und wenn sie vor Einschlafen mit ihren Jungfrauen von einer andern Sache reden wollte, so nannte sie unversehens den rostigen Ritter. "O Gott Mahomets", sprach sie zu sich selbst, "wie ist mir zu helfen, ich bin krank, und Leid habe ich in Fülle. Unglückhaft war die Stunde, wo ich den rostigen Ritter das erstemal angesehen habe, noch viel unglücklicher der Augenblick, wo er mir den ersten Kuß gab! Es war ein Kuß, der brannte, als wollte er mich töten. Seine Gebärde, als er mich zu Rosse hub, war fürstlich, männlich und mächtig. Gott Mahomets, warum hast du ihn nicht in deinem Glauben geboren werden lassen! Und ach, wenn er zugegen wäre, meine Liebe könnte ich ihm nicht versagen. Kein anderer Christenmann soll je in meine Nähe kommen; aber dieser Ritter, wenn er dich anbeten lernt, Gott Mahomets, muß mir zuteil werden!"

Am andern Morgen, als sie vom Lager erstanden war, fühlte sie sich so schwach, daß sie die Dienerin rief und sich das Bett noch einmal bereiten ließ; dann legte sie sich wieder nieder, wandte sich von einer Seite auf die andere und gebärdete sich, daß es zum Erbarmen war. Sie konnte es auch nicht lang im Bette aushalten, erhub sich wieder und hatte keine Ruhe. Die Jungfrauen, die dies mit ansahen, konnten nicht mehr dazu schweigen. "Herrin, was liegt Euch so schwer auf der Seele", sprachen sie, "mit welcher Krankheit seid Ihr beladene" —"Ach, ich weiß es selbst nicht", erwiderte Marcebylla, "und wenn ich es wüßte, so darf ich es euch doch nicht eröffnen." Da drangen die Gespielinnen nur um so mehr in sie, und endlich, nach langem Bitten, erzählte sie ihnen die Ursachen ihrer Krankheit.

"Liebe Freundinnen", sagte sie, "wisset, der rostige Ritter, der so häßlich gewaffnet nach Montmartre kam, der hat mich in solche Pein gebracht , die mich Tag und Nacht betrübt; denn er hat den Pfeil der Liebe mir mitten durchs Herz geschossen, so daß ich sein nicht mehr vergessen kann: auch werde ich nimmermehr erfreut, bis ich ihn mit meinen Armen umfangen habe. Wenn dies geschehen ist, so darf er nicht von mir weichen , bis er meinen Willen vollbracht und den Gott Mahomets angebetet hat. Tut er dieses nicht, so mag man ihn verbrennen oder schimpflich an den Galgen hängen!"

Auf diese Rede antwortete ihr eine von den Jungfrauen, Atymedes ', des Königes aus Asia, Tochter: "Edle Jungfrau, was bekümmert sich Euer Herz um eines solchen armen, vielleicht unedeln Ritters; könnt Ihr doch an seiner rostigen Rüstung abnehmen, wes Adels und Standes er sein mag! Überdies ist er ein Christ und unserm Glauben aussätzig. Darum



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ist mein Rat: schlaget es Euch aus dem Sinn; Euer Vater hat noch manchen Königssohn am Hofe, so daß er Euch wohl Eurer Würde gemäß vermählen kann. Wollet deswegen des Ritters vergessen!" — "Ach", erwiderte Marcebylla, "wie kann man das sich aus dem Sinn schlagen, was das Herz am liebsten hat! Auch kann er nicht von niedriger Geburt sein; seine adelige Gebärde, sein freundliches Gespräch zeigen an, daß er von hohem Stamm entsprossen ist, so rostig er einhergeritten kam. Und wisset nur, wenn er mir nicht zuteil wird, so steht mein Leben in Gefahr!" So führte sie seufzend ihre Klagen fort, und ihre Jungfrauen vermochten nicht, sie zu trösten.

Nach dem Siege über die Heiden zog nun Klemens mit den Franzosen freudig und reich an Beute in der Stadt Paris ein. Dem Florens ward sein rostiges Schwert vorangetragen. Die Fürsten und Herren ritten ihm mit großen Ehren entgegen, alle Welt begehrte, ihn zu sehen, und gab ihm das Geleite bis in König Dagoberts Palast. Und als Florens und die Ritter von ihren Pferden abzusitzen begonnen, eilte ihnen Kaiser Oktavianus entgegen und half dem Helden Florens aus den Steigbügeln. Und er wußte nicht, daß es sein leiblicher Sohn war, dem er dieses tat. Als Florens abgestiegen war, nahm er sein rostiges Schwert und wurde von sämtlichen Fürsten in den Palast des Königs geleitet. Hier trat er vor den



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König Dagobert, kniete nieder und sprach: "Allergnädigster Herr, mein Vater Klemens hat Euch des Riesen Haupt überreicht; hier bringe ich das rostige Schwert, womit ich die Gabe erobert habe. Es gehört Euch, wie Euch des Gefallenen Haupt gehört! Wenn Ihr möget, so sei es mir vergolten!" Der König Dagobert sah dem Florens mit Ernst ins Angesicht, dankte ihm mit lauter Stimme und hieß ihn aufstehen und an seine Seite sitzen. Dies schlug Florens dem König in aller Ehrerbietung ab und sprach: "Nein, das ziemt mir nicht, neben einem Könige zu sitzen!" Aber Dagobert nötigte ihn dazu. "Du hast es verdient", sprach er, "und morgen zur rechten Zeit will ich dich zum Ritter schlagen. Dann sollst du bei mir wohnen und großes Gut von mir bekommen; wenn ich in der Schlacht bin, mußt du bei mir stehen und meinen Königsstab vor mir hertragen!"

Als Klemens den König so reden hörte, tat er Einsprache und rief dazwischen: "Oh, Herr König, laßt meinen Sohn Florens zufrieden, es ist nicht mein Wille, daß er zum Ritter geschlagen werde; denn alsdann bleibt er nicht mehr bei mir daheim: er wird in alle Scharmützel reiten, vielleicht wird er auch erschlagen werden; dann kümmert sich mein Herz um ihn. Mein Wunsch und Wohlgefallen ist, daß er ein Wechsler werde, das ist eine Hantierung, die auch Nutzen und Gewinn bringt!" Darauf sprach Florens: "Lieber Vater, wenn es des Königes Wille ist, daß ich ein Ritter werden soll, so sperrt Euch nicht dagegen, lasset es Euch gefallen, und saget dem Könige Dank dafür!" Da warf sich Klemens auf die Knie und sprach: "Herr König, meinem Sohn geschehe nach Eurer Majestät Gefallen. Doch daß nicht zuviel Unkosten daraufgehen; denn, ach, Ihr wisset nicht, was dieser Sohn mich bis auf diesen Tag gekostet hat!" Der König Dagobert mußte lachen und sagte: "Florens, es ist mein königlicher Wille, daß du morgen zum Ritter geschlagen werdest!"

Hierauf ließ der König das Haupt des Riesen auf eine Stange stecken mitten in der Stadt auf einen weiten Plan, daß alle Menschen das Wunder sehen könnten, das geschehen war. Und als es Morgen ward, wurden die Herren und Fürsten zusammenberufen, um dem Ritterschlage anzuwohnen . Da kam zuerst Kaiser Oktavianus, den eine besondere Zuneigung zu Florens trieb. Er wußte nicht, wie ihm war, aber er mußte an Weib und Kinder denken; er konnte sich nicht enthalten, sondern er gab Florens einen Kuß. Nächst ihm waren auch der König von Spanien und der Herzog aus Irland beflissen, dem Florens gar eifrig zu dienen; auch der Fürst von Östreich und sonst viele Herren erwiesen ihm große Ehre. Nun wurden ihm Rücken- und Brustharnisch mit goldenen Spangen köstlich



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geziert. Der Kaiser Oktavianus legte ihm Armzeug und Beinschienen an, der Fürst aus Östreich setzte ihm den Helm auf, der mit goldenen Knöpfen herrlich geschmückt war. Zuletzt steckte ihm der König von Frankreich einen goldenen Ring an den Finger und sprach: "Der Gott, der alle Dinge erschaffen hat, der wolle Euch erleuchten und beschirmen, daß Ihr im ritterlichen Stande mit Ehren und Gesundheit verharren möget!"

Klemens hatte ruhig gewartet; bis diese Dinge zu Ende sein würden; als er aber sah, daß sein Sohn noch keine Sporen hatte, sagte er in seiner Einfalt: "Fürwahr, gnädiger Herr Königl Ich will meinem Sohn Florens die Sporen anlegen!" Der Kaiser sprach mit lachendem Munde: "Klemens, wenn das Euer natürlicher Wille ist, so muß ich mir es auch wohl gefallen lassen!" Da kniete Klemens nieder und wollte seinem Sohne die Sporen, die aus gutem Golde waren, anziehen; aber der gute Klemens hatte vergessen, wie man sie anlegen müsse, und zog sie ihm verkehrt an. Und wie es lange nicht gehen wollte, da wurde er zornig und sprach: "Ich weiß nicht; welcher an den rechten Fuß gehört; denn sie sind beide auf eine Form gemacht. Auch hab' ich in dreißig Jahren, ja, noch drüber, keinen Sporn angelegt; und den Heiden gestern bin ich ohne Sporen entgegengeritten. Der Böse hat es mir eingegeben, was ich jetzt eben versucht habel" Darüber mußten die Fürsten und Herren, auch der neue Ritter Florens, herzlich lachen. Klemens bemühte sich so lange, bis es ihm endlich gelang. Und nun mußte Florens sich erheben und ward von allen Fürsten und Herren beschauet und gelobt.

Hierauf ließ der König Dagobert in einem schönen Garten einen Pfahl aufrichten, auf dem zwei starke Panzer und zwei mächtige Schilde angeknüpft wurden, und dorthin wurde Florens in großem Triumphe geführt. Mancher Fürst und Herr, Ritter und Knecht ritt ihm nach. Der König aber sprach zu ihm: "Guter Freund Florens, Ihr sollt den alten Brauch Frankreichs halten und als ein Ritter mit Eurem Speer wider den Pfahl rennen!" Aber der alte Klemens, der nahe dabeistand, sprach: "Gnädiger König, mit Verlaub, das ist ein närrischer Brauch in Frankreich; es wäre viel nutzer, der Stich wäre auf einen Heiden gerichtet als auf einen Panzer!" Fürsten und Herren lachten über diese einfältige Rede, und sein Sohn Florens sprach: "Lieber Vater, seid zufrieden, zu einer andern Zeit wollen wir auch nach den Heiden stechen; diesmal aber will ich des Königs Willen vollbringen; denn ich soll sein Ritter sein." — "So gebe dir Gott Glück und Heil", erwiderte Klemens, "daß du den Panzer erlegest!" Florens tummelte sein Roß und rannte so ritterlich gegen den Pfahl, daß



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er die zwei alten Panzer und die zwei neuen Schilde durchrannte, so daß Panzer und Schilde zu Boden fielen. "Gott gebe dem Ritter Glück und Heil!"rief das zuschauende Volk, "gewiß ist er aus königlichem Stamme geboren! Vor allen auf Erden soll ihn der König Dagobert am Hofe haben; lebt er nur noch kurze Zeit, so jagt er uns alle Heiden aus dem Lande!"

Das glückliche Rennen des neuen Ritters machte dem König Dagobert große Freude. Er ging auf Florens zu und reichte ihm aus herzlicher Liebe die Hand. Dasselbe tat auch Kaiser Oktavianus; denn dem war niemand lieber als Florens. Und nun führte ihn der König wieder in seinen Palast zurück, und Klemens, der sich seines Sohnes überall erfreuen wollte; folgte nach. Im Schlosse war ein köstliches Mahl bereitet; und Fürsten und Herren waren zum Schmause gebeten. Saitenspieler, Geiger und Lautenschläger, Trommler und Trompeter waren aufgestellt und spielten um einen guten Lohn köstliche Stücke auf. Da ward es dem alten Klemens bange und zu viel; denn er dachte an die Rinder und an das Roß und meinte, am Ende für seinen Sohn die Zeche zahlen zu müssen. Und weil er nicht wußte, wie es am Hofe Brauch war, so holte er sich einen Stecken und schlug auf die Spielleute zu, indem er rief: "Ihr Lotterbuben, wollt ihr auch schmarotzen? Sehet ihr nicht, daß mein Sohn ohnedies genug aufgehen läßt, und daß er mich zum Bettler macht?" Da die Musikanten sahen, wie ungebärdig sich Klemens stellte, fürchteten sie, es möchten noch mehrere mit Prügeln nachfolgen. Sie flohen deswegen mit leerem Magen zum königlichen Schlosse hinaus und waren übel zufrieden. Als Florens von diesem Handel Kunde erhielt, schämte er sich für seinen



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Vater"rief ihn zu sich und sprach: "Vater, was denket Ihr, daß Ihr so eine grobe Unvernunft begebt; und die Spielleute, die mir zu Ehren erschienen sind und den Fürsten und Herren und allen Jungfrauen Freude und Kurzweil bereiten sollten, so schmählich vom Hofe gejagt, und ihnen ihre Instrumente zerschlagen habt? Wahrhaftig, sie müssen ihnen doppelt wiederbezahlt werden!" Klemens erschrak und sagte: "Ach, mein lieber Sohn, ich hab ' es nicht recht verstanden, sondern ich meinte, sie hätten Euer gespottet. Wenn es aber Euer Wille ist, so werde ich sie eilends wiederholen." Und so lief der Alte zum Palaste hinaus und den Spielleuten nach. Doch diese, als sie den alten Klemens mit seinem Stecken in der Hand daherrennen sahen, liefen noch viel mehr, und je gewaltiger ihnen Klemens nachschrie, je eifriger flohen sie, so daß er sie nicht mehr einholen konnte. Im Saale war darüber ein großes Gelächter, und die schönen Jungfrauen mußten ungetanzt nach Hause kehren.

Jetzt nahm Kaiser Oktavianus des Augenblickes wahr, nahm den Ritter an der Hand, hieß ihn neben sich sitzen und sprach zu ihm: "Lieber Florens, saget mir die lautre Wahrheit. Ist der alte Klemens Euer rechter Vater von Geburt?" — "Erhabener Kaiser", erwiderte Florens, "das kann ich Euch nicht sagen, sondern nur, daß er mir so lieb ist, als ob er mein leiblicher Vater wäre. Aber das ist wahr, seine Hausfrau hat andern Leuten gesagt, er habe mich am Gestade des Meeres gefunden und einen guten Teil des Weges auf seinem Rücken getragen und dann auf einem Esel vollends nach Paris gebracht und in St. Germain als sein Kind auferzogen bis auf diese Stunde. Ob sie recht hat oder mich damit verleugnen will, das weiß ich nicht. Mir aber wird es bei Euch, Herr Kaiser, so wohl zumut, als ob Ihr mein rechter Vater wäret; denn ich weiß keinen Menschen auf Erden, den ich lieber sehe als Eure Kaiserliche Majestät." "Habt Ihr Eure rechte Mutter gekannt?" sprach der Kaiser. "Ich habe sie mit Wissen nie gesehen", erwiderte Florens. Da erkannte der Kaiser Oktavianus, daß Florens sein leiblicher Sohn sei. Das Herz im Leibe wollte ihm zerspringen, und doch wollte er seine eigene Sünde nicht offenbaren, aber beinahe wäre ihm das Wort entfahren: " , du bist mein rechter Sohn, die Natur spricht aus dir!" Aber er schluckte die Rede wieder hinter sich, und so blieb die Sache stehen. wischen wurde das Mahl aufgetragen, jedermann setzte sich zu Tische, und der köstlichen Speisen wollte kein Ende werden.

Der alte Klemens war bestellt; die Pforte zu hüten. Ihm war aber noch immer bange, daß er für alles die Zeche bezahlen müßte. Er dachte



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daher darauf, wie er sich eines Unterpfandes versichern wollte. Und als das Mahl vorüber war und die Fürsten vom Tische aufstanden und jeder sein Oberkleid suchte, es anzulegen und Abschied zu nehmen, fand keiner das seinige. Die Diener wurden darum gefragt, aber keiner konnte Bescheid geben; denn Klemens hatte die Kleider ohne der Leute Wissen verborgen . Die Fürsten lachten und sagten: "Merket wohl auf, solches ist uns noch nie geschehen!" Klemens aber stand nicht ferne und hörte das Gemurmel. Er lachte in die Faust und dachte bei sich selbst: "So fängt man die Mäuse; hätte ich die Kleider nicht aufgehoben, sie wären wahrhaftig unbezahlt weggegangen!" Endlich aber, als die Herren laut zu klagen anfingen, sprach er mit lauter Stimme: "Liebe Herren, seid unbesorgt, ich habe die Kleider aufgehoben, sie sind unverloren. Aber das sage ich euch, ihr werdet sie nimmermehr überkommen, ihr habet denn die Zeche bezahlt! Meinet ihr, ich werde euch so heimschleichen lassen?" Als Florens dieses hörte, wurde er zornig und wußte doch nicht, wie er die Sache zurechtsetzen sollte; er schämte sich vor den Fürsten und wollte doch seinen Pflegvater nicht beleidigen; denn er hatte ihn sehr lieb. So zornig er war, so sprach er darum doch mit lachendem Munde: "Lieber Vater, gebt uns die Kleider wieder!" —"Nein, fürwahr", sprach Klemens, "sie haben denn zuvor alles bezahlt, was an Unkosten aufgegangen ist!" — Da mußten alle Umstehenden lachen, und Florens stellte den Alten zufrieden ; denn er verbürgte sich bei ihm mit seinem Pferde. Nun erhielten die Herren jeder das Seinige und schieden unter fröhlichem Gelächter.

***
Der Tag war verflossen und die Nacht herbeigekommen. Aber Florens konnte nicht schlafen; er dachte nur stets daran, wie er den Sultan in seinem Feldlager sehen könnte, und nicht den Sultan allein, sondern auch sein schönes Töchterlein Marcebylla; denn das brennende Feuer der Liebe flammte in seinem Herzen. Nach langem ,Hin- und Herdenken konnte er nicht länger im Bette bleiben. Er stand mitten in der Nacht auf, rief seinem Kämmerling und hieß ihn Harnisch, Armzeug, Kragen, Helm und Schwert; und was zur Rüstung sonst gehört, bringen, wappnete sich und befahl dem Diener, ihm sein Roß zu satteln. Während Florens sich wappnete, fragte der Kämmerling, wohin er denn zu reiten willens sei. Aber Florens gab keine andre Antwort; als er sollte sich wegen des Reitens nicht kümmern; er selbst würde bald wiederkommen. So setzte er sich zu Pferd und ritt um Mitternacht davon durch die langen Gassen von Paris bis ans Tor. Als er an die Pforte kam, weckte er den Torhüter und


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sprach: "Guter Freund, öffne mir die Pforte; denn ich habe ein Geschäft zu verrichten, das dir und allen Franzosen zugute kommen soll." Der Torhüter sprach: "Lieber Junker, es kann nicht sein; es ist mir von unserm Herrn, dem Könige, bei Verlust meines Lebens verboten!"—"Ach", sprach Florens, "es soll dir kein Ungemach daraus erwachsen; glaube mir, es wird dir vom Könige wohlbelohnt werden." Und nun redete er dem Wächter so freundlich mit Gelde zu, daß dieser ihm endlich heimlich das Tor aufschloß und ihn hinausließ.

Also ritt Florens fröhlich fort und machte noch vor Tage die fünf Meilen bis in das Feldlager des Sultans. Und als der helle Tag anbrach, war er nicht mehr weit von den heidnischen selten. Diese waren alle köstlich zubereitet, und das Zelt des Sultans übertraf alle andern; denn es war mit Gold und Edelsteinen bedeckt und gab einen hellen Schein von sich. Aus den Heidenzelten ertönten Pfeifen, Trompeten und Posaunen und ein greuliches Geschrei, so daß sich Florens einen Augenblick entsetzte. Doch bald wieder seiner vorigen Taten und des Kampfes mit dem Riesenkönige eingedenk, ermannte sich der Held und sprach zu sich selbst: "Es gehe, wie es will, noch heute muß ich den Sultan in seinem Lager sehen und mit ihm reden und ihm sagen, was mein Vorhaben gegen ihn ist." Als er jedoch die große Menge der Heiden sah, wurde er wieder unschlüssig . "Soll ich mit ihnen streiten", dachte er, "so sind ihrer so viel, daß ich nicht davonkommen kann; soll ich meinem Roß die Sporen geben, so haben sie so rasche Pferde, daß ich nicht entrinne." Inzwischen stieg er von dem Pferde, hieb einen Zweig von einem Ölbaum und hing sich den vor seine Brust. Dann bestieg er das Roß wieder und dachte, sich für einen Boten auszugeben, der mit dem Sultan zu verhandeln hätte. So befahl er sich dem Allmächtigen und ritt auf das feindliche Lager zu. Dies hatten einige gewaffnete Heiden gesehen, und da sie in ihm einen Christen erkannten, so rannten sie auf ihn zu in der Absicht, ihn niederzuhauen. Als sie jedoch den Ölzweig an seiner Brust gewahr wurden, der auch bei den Heiden ein Zeichen des Friedens ist, wagten sie nicht, ihm ein Leid zuzufügen; denn sie hielten ihn für einen Abgesandten und dachten, er habe vielleicht dem Sultan Gutes vom Könige von Frankreich zu überbringen . Also ritt Florens ungekränkt fort bis an das Zelt des Sultans; da stieg er ab, band sein Pferd an einen Baum und trat ritterlich hinein.

Er fand den Sultan in großer Majestät auf dem Stuhle sitzen, der köstlich und mit golddurchwirkten Tüchern umhängt und geziert war, so daß man mit dem Zeltschmucke ein ganzes Fürstentum hätte bezahlen können.



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Um ihn saßen im Kreise sechzehn Könige gelagert. Florens staunte über all der Macht; doch faßte er sich bald, zog den Helm ab, um verständlicher reden zu können, und sprach mit männlichem Stolze zu dem Sultan: "Der Gott, der von dem Himmel herabgekommen ist und an dem Kreuz den Tod für die Menschen gelitten hat, der ist's, der dem frommen König Dagobert täglich mehr Stärke gibt und alle seine Feinde zerstören will, zuvörderst dich, Sultan und König von Babylon; es sei denn, daß du den Befehl des Königes von Frankreich hören wollest, welcher also lautet: du sollst vor allen Dingen vor seiner königlichen Krone erscheinen und von ihr Gnade begehren, weil du den Frevel gewagt hast, übers in unser Land zu kommen. Tust du dieses nicht, so kommst du mit deinem Volke nimmermehr in die Heimat; dein Haupt muß dir von den Achseln gehauen werden, danach kannst du dich richten; und was du für eine Antwort zu geben hast, das weißt du jetzt!" Der Sultan war über dieser trotzigen Rede fast von Sinnen gekommen. Er ergriff ein scharfes Messer und warf es nach Florens; dieser aber wich behende dem Wurf aus, und das Messer fuhr drei Finger tief in einen Pfosten, daran das Zelt gespannt war. Florens war über diesen Wurf nicht wenig verdrossen; aber auch den Sultan reute, was er getan hatte, weil Florens ein Bote vor seinen Augen war. Daher sagte er: "Bei dem Gotte Mahomets, der die Welt geschaffen hat, wenn du kein Bote wärest, so müßte dein Leib in Stücke gehauen werden. So aber soll dir nichts geschehen, und mit dem Wurf habe ich mich übereilt: es soll auch dein Schaden nicht sein; nimm diesen Beutel mit vierhundert Dukaten, kehre zurück zu deinem Könige Dagobert und sag ihm meine Antwort: Wenn er unsern Gott Mahomets nicht anbeten und ihm dienen will, so werde ich nimmermehr übers Meer zurückkehren, und mein Herz wird keine Ruhe haben, ehe denn ich ihn getötet und mir das Land unterwürfig gemacht habe."

Der Sultan hatte eben diese Rede vollendet, als seine Tochter Marcebylla , von schmucken Jungfrauen begleitet, eintrat und ihren Vater mit tiefer Beugung freundlich grüßte. Der Sultan, samt den Königen, die bei ihm saßen, stand auf und empfing seine Tochter mit ihrer Begleitung gar gnädig. Dann mußte sie zu ihrem Vater auf das Polster sitzen, und er mit allen Fürsten erfreute sich ihres holden Gespräches und ihrer um aussprechlichen Schönheit. Sie war in roten Karmoisin gekleidet, der von goldenen Blumen durchsäet und mit Perlen und Edelsteinen herrlich gestickt war, so daß ihre Gestalt durch das ganze Gezelt einen klaren Schein gab. Als Florens sie sah, verlor er Kraft und Besinnung; und als Marceabyllas



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Blick auf ihn fiel, da wich alle Farbe von ihr; denn sie hatte ihn auf der Stelle wiedererkannt. Doch blickte sie den Florens mit lieblichen Augen an und fing an, mit verstellten Worten zu ihm zu sprechen: "Sag an, du Christenmann, kennest du nicht einen Ritter am Hofe des Königs von Frankreich, der in einem rostigen Hamisch den Riesenkönig vor den Mauern von Paris zu Tode geschlagen hat? Mein Verlangen, ihn zu sehen, ist groß; nicht aus Liebe, die ich zu ihm trage; sondern wenn ich ihn in meiner Gewalt hätte, von Stund an müßt' er verbrannt werden, weil er mir meinen Buhlen, den Riesenkönig, erschlagen hat." Unter diesen Reden warf sie dem Ritter Florens heimlich manchen zärtlichen Blick zu und fuhr unter großem Seufzen fort: "Oh, daß ich jenen Ritter, der mein Räuber ist, hier hätte; er müßte mein tägliches Seufzen zufriedenstellen. Ich leide große Qual von dem Kuß, den er mir gegeben hat. Daß ich mich nicht an ihm rächen kann, das bringt mir schwere Peinl" Der Sultan und die Könige bei ihm verstanden diese Rede nicht recht, aber Florens ward ihre Bedeutung bald inne. Daher erwiderte er mit Ehrerbietung und sprach: "Ja, gnädigste Fürstin, ich kenne jenen Ritter sehr gut; er ist meiner Länge und hat meinen Gang; im Rennen und Stechen kann man uns nicht unterscheiden, so gleich sind unsere Gebärden. Auch ist er ein getreuer Mehrer der Christenheit und Zerstörer der Abgötterei. Und wenn ihm Leids von Euch geschähe, so tatet Ihr großes Unrecht; denn ich weiß, daß er Euch von Herzen hold ist. Zum Zeichen führt er auf seinem Helm den rechten Armel, den er Euch entrissen hat, als Ihr mit ihm zu Pferde saßet, damit Ihr stets an ihn gedenket, wo Ihr ihn in der Schlachtordnung erblicken werdet!"

Jetzt erkannte die Jungfrau Marcebylla erst recht gewiß, daß es der Ritter Florens sei, der mit ihr sprach, und gern hätte sie noch lange mit ihm geredet, wenn sie sich nicht vor ihrem Vater gefürchtet hätte.



***
Florens aber setzte sich wieder auf sein Roß und rief ins Zelt hinein dem Sultan zu: fahre diesmal wieder davon; aber du hast unredlich nach mir mit dem Messer geworfen; darum sei dir gesagt, in kurzer Zeit soll es dich reuen; dein Leben steht auf der Spitze meines Speeres!" — "Was sagst du, schändlicher Bube", rief der Sultan, "du gibst dich für einen Boten aus und verrätst dich doch durch schnöde Drohworte?" Und mit lauterer Stimme schrie er: "Lieben Könige und Herren, schlagt mir den Schelmen tot!" Als das die Türken und Heiden hörten, rannten sie dem Florens mit Bogen und Pfeilen nach, schossen nach ihm und wollten


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ihn umbringen. Doch Florens wendete sein Pferd, zog sein Schwert und schlug unter sie, daß bald zwei Könige tot auf dem Boden lagen und drei andere Heiden lahmgehauen waren. Aber sein Roß wurde ihm hart verwundet , und nur mit Mühe erwehrte er sich ihrer. Dreihundert waren auf ihm; der Vorderste war der König von Alamphatin, der hoffte, den Ritter gewiß zu treffen, und rief: "Halt stille, du Bastard; denn von meiner Hand mußt du sterben !" Als Florens dies hörte, kehrte er sich auf seinem Heimritt um und sah, daß dieser König ihm allein nachgefolgt war. Da säumte er nicht, sondern legte seinen Speer ein; sein Gegner war auch gerüstet, so machten sie nicht viel Worte, sondern rannten ritterlich aufeinander und trafen alle beide so gut, daß beider Speere in Stücke und himmelauf sprangen. Florens war betrübt, daß er keinen Speer mehr hatte. Doch zückten jetzt beide ihre Schwerter und fochten ritterlich. Und endlich geriet dem Florens ein Streich, daß er dem König durch den Helm in die Hirnschale hieb und ihm sein Haupt zerspaltete, so daß er vor Ohnmacht vom Rosse fiel. Florens hielt sich nicht lange mit ihm auf, er war zufrieden, seiner los zu sein, und tauschte nur des Königs gesundes Pferd gegen sein verwundetes ein; auf jenem rannte er, so schnell er konnte, der Stadt Paris zu. Aber sein verwundetes Roß wollte ihn dennoch nicht verlassen und lief ihm unausgesetzt nach bis an die Tore.

***
Als die Heiden auf den Platz kamen, wo der König Alamphatin tot in seinem Blute lag, mochte vor dem großen Leide, das sie um ihn trugen, keiner mehr dem Florens nachrennen; denn er hatte ihnen einen großen Vorsprung abgewonnen. Sie nahmen den toten König und trugen ihn nach heidnischer Sitte unter lautem Wehklagen in das Lager. Dann meldeten sie dem Sultan alles, was mit dem Boten geschehen war, auch daß er auf des erschlagenen Königs Pferd davongeritten, das mehr Pfund Silbers wert sei, als es wäge. Der Sultan, wie er dies hörte, wurde ganz rasend, lief mit einem Prügel nach seinem Götzen, schlug ihm auf den Kopf vier harte Streiche und schrie: "Oh, du böser Gott Mahomets, du bist keines toten Hundes wert, daß du den Bastard entrinnen und den König, meinen Freund und Bruder, hast erschlagen lassen!" Und nun versammelte er alles Volk, tat kund, wieviel Schaden Florens angerichtet, und sprach: "Liebe Herren und gute Freunde, rüstet euch alle zur Wehr; denn die Stadt Paris muß zerstört werden. Achtzigtausend Mann will ich davorschicken, und kommt der König Dagobert und sein Bote in meine Gewalt, so müssen sie eines grausamen Todes sterben."


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Die Jungfrau Marcebylla vernahm aus den Reden ihres Vaters, daß der König Alamphatin umgekommen und Florens kein Leid widerfahren sei; darüber freute sie sich und bat den Gott Mahomets, daß er ihn schirmen möge.

Während nun die Heiden sich rüsteten, war Florens glücklich an das Stadttor von Paris gelangt, und als er hineinritt, grüßte er den Torwärter freundlich, schenkte ihm das verwundete Roß und sprach: "ES schadet nicht, daß es wund ist; es wird bald wieder heilen; dann ist es immer noch fünfzig Kronen wert." Der Torwärter bog seine Knie und dankte ihm mit demütigen Worten. "Sooft Ihr kommt, lieber Herr", sagte er, "soll Euch das Tor von mir willig aufgeschlossen werden!" Und von Stund an verbreitete sich die Kunde in der Stadt, daß Florens wiedergekommen sei, darüber jung und alt höchlich erfreut waren. Florens aber ritt wieder durch die langen Gassen zurück bis an Dagoberts Palast und wurde von dem König so freundlich empfangen, wie er es verdiente.



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Der Sultan tat, wie er geschworen hatte. Er schickte all sein Kriegsvolk vor Paris, es aufs härteste zu belagern. Die Heiden lagen auf drei Seiten vor der Stadt, sie hatten den Bauern alles Vieh weggenommen, die


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Dörfer verbrannt; die armen Leute totgeschlagen. Aber auch König Dagobert hatte alle seine Leute zur Schlachtordnung aufgeboten, und Florens war der erste, der, trefflich bewaffnet, auf des Königs Alamphatin Rosse sitzend, sich einstellte. So zogen die Franzosen mutig aus der Stadt und hatten zusammen einen Eid geschworen, daß keiner von des andern Seite weichen wolle. Und nun griffen sie die Heiden im Sturme an, und kein Christenfürst war, der nicht ritterlich in den Kampf gegangen wäre. Der mutigste Kämpfer war der König von Frankreich; alle Streiche, die er schlug, saßen fest, sei es auf Roß oder Mann. Auch Kaiser Oktavianus wollte nicht säumen, er rannte mit seinem Speer durch die Heiden hin und her, machte großen Raum und leerte manchen Sattel. Der Herzog von Östreich, der König von Spanien und andere Fürsten brachten unzählige Feinde ums Leben. Aber keiner war über Florens; vor dem konnte kein feindlicher Held standhalten; sie flohen, sowie er nur gegen sie rannte. Dennoch wollten die Heiden nicht abziehen, sie schlugen sich noch so männlich um den Sieg, daß zuletzt der König Dagobert von ihnen umringt wurde. Manch harter Streich traf ihn; doch war sein Harnisch gut, und er selbst fehlte ihrer auch nicht. Zuletzt wurde sein Roß unter ihm erstochen , und wie er auf der Erde war, schlug er noch wie ein Löwe um sich. wurde er müde und rief zuletzt in der Not: "Ach, Gott, und du, heiliger Dionysius!" Diesen Ruf hörte Florens, der nicht weit von dem Könige war. Er kannte des Königs Stimme und drang, so gut er vermochte, zu ihm, indem er eine lange Gasse vor sich her machte. Der erste, den er zugrunde stach, war der König von Persien. Dessen Roß nahm er, setzte den König von Frankreich darauf und sprach zu ihm: "Seid unerschrocken, Herr, wir wollen unsere Feinde bald dämpfen t" Jetzt aber fing die Schlacht erst recht von neuem an, und auf beiden Seiten wurde viel Blut vergossen. Endlich aber hielten die Heiden den Anlauf nicht länger aus, sondern fingen an zu fliehen, und Florens samt dem Kaiser Oktavianus und dem König von Spanien setzte ihnen nach auf zwei Meilen Weges, und auf der Flucht erstachen sie über fünftausend Heiden. Mancher lag lahm gehauen, mancher halbtot vor der Stadt Paris; Acker und Wiesen waren von Toten bedeckt, das Blut floß wie ein Bach. Am Ende waren der Heiden auf dreißigtausend erschlagen. Der König mit seinem Volke zog wieder ein in Paris und lobte Gott. Die Heiden aber flohen in das Lager von Dampmartin zu ihrem Sultan und klagten ihm, was geschehen . Da sprach der Sultan: "Bei unserm Gott, der Tod unsers Volkes darf nicht ohne Rache bleiben; seid zum Streite gerüstet; vierzigtausend


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tapfere Streiter vermag ich noch; die müssen zum zweitenmal die Stadt belagern!" Dann rief er sieben Könige, die ihm übrig waren, und übergab ihnen dieses Heer. Auch schwur er, wenn er den Boten bekäme, so wolle er ihn durch vier starke Pferde in Stücke zerreißen lassen. Diese Drohungen hörte die Jungfrau Marcebylla wohl und betete heimlich zu ihrem Gotte, daß er den Ritter aus den Händen ihres Vaters reißen wolle. Aber zum Sultan sprach sie: "Möchte uns doch der Lotterbube zur Beute werden; denn er hat mir den Riesenkönig umgebracht! Darum, Vater; wenn Ihr meinem Rate folgen wollet, ich glaube, ich wollte das Wagnis unternehmen und ihn in Eure Gewalt bringen." — "Wie sollte das möglich sein, liebe Tochter?" fragte der Sultan. — "Ich will es Euch sagen", erwiderte die Jungfrau. "Mit meinen Gespielinnen samt Zelten und Rüstung will ich mit den sieben Königen zu Felde ziehen; auf der grünen Matte vor der Stadt Paris am Gestade des Seineflusses will ich mein Lager ausschlagen. Sobald der Schändliche meine Ankunft erfahren hat; wird er zu mir kommen, das weiß ich gewiß. Dann sollen ihn meine Ritter in Stücke reißen und sein Haupt Euch zum Geschenke bringen." —"Wohlgeredet; schöne Tochter", sprach der Sultan, "Eurem Rate soll in allen Stücken gefolgt werden!"

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So zogen die Heiden noch einmal mit vierzigtausend Mann vor die Stadt Paris. Sie schrien und heulten, daß die ganze Gegend zitterte. Aber in der Stadt war man auch gefaßt, alles lief auf die Mauern, schoß Pfeile und warf Steine auf die heranstürmenden Heiden. Am Gestade des Seinewassers war Marcebylla gelagert und schärfte ihren Blick auf Florens. Dieser wußte gar nichts von ihr; er war zu Hause, rüstete sich eilends und wollte aus der Stadt unter die Heiden fahren. Da kam ein edler ihm vertrauter Ritter zu ihm und sprach: "Wisset, edler Ritter Florens, die Jungfrau, die Euch so wohlgefällt und Euch so hold ist, hat ihr Lager samt ihren Jungfrauen am Gestade des Stromes errichtet." Florens wurde von Liebe entzündet; als er dieses hörte und sprach: "Morgen erhaltet Ihr eine Rüstung für diese Nachricht zum Lohn, lieber Ritter!" und so entließ er ihn. Am andern Tage ließ Florens den Ritter waffnen und rüstete sich selbst. Unverweilt machten sie, sich auf den Weg nach der Seine. Da sah Florens von weitem seine geliebte Marcebylla, und auch sie erkannte ihren Ritter von ferne; denn um den Helm trug er den Armel geknüpft, den er ihr einst abgenommen hatte. Blut und Farbe verließ sie bei diesem Anblick, und ihre Jungfrauen fragten sie ängstlich,


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was ihr wäre. Da gestand sie ihnen die Ursache abermals. Ihre Gespielinnen riefen einstimmig: "Wir wollen Euch nicht verraten; rufet ihn nur getrost herbei; wir alle sind so gesinnt, daß wir Leib und Leben für Euch lassen wollen! Darum seid guter Dinge: seid Ihr noch in des Ritters Huld, so wird er von selbst herankommen; ist aber Eure Liebe in ihm verblichen, so hilft all Euer Trauren nicht dazu."

Lange bedachte sich die Jungfrau Marcebylla, endlich aber sandte sie dem edeln Florens eine Freundin entgegen, die ihn von ihrer Nähe benachrichtigen sollte. Als Florens die Botin nur von weitem erblickte, da hatte er keine Ruhe mehr. Mit Helm und Harnisch angetan, sprang er zu Roß in den Seinefluß, durchschwamm ihn und war bald auf der andern Seite des Wassers, wo der Jungfrauen Zelte standen. Hier ging Marcebylla am Gestade auf und ab wandeln; sobald sie ihren Geliebten sah, begrüßte sie ihn mit holdseliger Gebärde und sprach: "Gelobt sei mein Gott, daß er Euch zu mir hieher geführt hat! Welche Gefahr habt Ihr ausgestanden! Den Wellen habt Ihr mir zuliebe getrotzt!" —"Schöne Jungfrau", erwiderte Florens, "die Liebe zu Euch hat mich über das Wasser getragen; wenn Euer Angesicht mich bescheint, kann mir nichts mißlingen" — "Lieber Ritter", sprach Marcebylla, "wie große Schmerzen habe ich um unserer Liebe willen erduldet; jetzt aber, wo Euer Licht mir leuchtet, bin ich gesund geworden." Darauf nahm die Jungfrau den Ritter an der Hand und führte ihn in ihr eigenes Zelt; hier löste er Helm und Harnisch, umfing die Jungfrau und gab ihr einen Kuß um den andern . Da schwur sie dem Gott Mahomets ab, und der Ritter bekehrte sie zum wahren Glauben; auch mußte er ihr versprechen, sie von hinnen zu bringen. Darauf sagte Florens: "Hierzu weiß ich keinen andern Weg, geliebte Jungfrau, als daß ich Euren Vater, den König von Babylon, zum Gefangenen mache. Alsdann könnt Ihr selbst mir auch nicht entgehen." — "Geliebter Ritter Florens", sprach Marcebylla, "kein Mensch auf Erden vermag meinen Vater zu fangen; er müßte denn von seinem guten Rosse Pontifex verlassen werden, das er nicht um die halbe Welt gäbe; dieses ist schnell wie der Wind und so stark, daß darauf zwei Reiter im vollen Harnische auf einmal in den Streit reiten und sich wehren können. Es läuft so geschwind mit ihnen, als ob es nichts auf sich trüge. Durch das Wasser schwimmt es wie ein Fisch durchs Meer: seinesgleichen ist nie gesehen worden." Florens ward von Verlangen nach dem Roß entzündet und fragte eilig: "Was für eine Farbe hat das Roß Pontifex? Es ist ganz weiß", erwiderte die Jungfrau, "den Kopf trägt es allezeit auf



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recht wie ein Löwe, mitten auf seiner Stirne aber hat es ein scharfes, spitzes Horn, wie ein Schermesser so scharf: was es damit trifft, das muß alles zugrunde gehen."

Nun war fast eine Stunde vergangen mit beider Gespräch, und Florens sagte: "Die Zeit ist hie, Geliebte, daß ich von Euch scheiden muß. Aber mich verlangt zu wissen, wann ich Euch nach Paris bringen darf." — "Ich will Euch eine List angeben", sprach Marcebylla, "vielleicht dient sie, mich fortzuschaffen. Wenn es dazu kommt, daß mein Vater dem Könige von Frankreich eine Schlacht liefert, was nicht mehr lange anstehen kann, und wenn sich nun alles Volk im Kampfe vermischt, dann verlieret Euch, wenn Ihr meinen Vater am ernstlichsten kämpfen sehet, aus dem Streite und begebet Euch so, daß ja niemand es merke, zu mir. Mein Vater ahnet wohl unsere Liebe, aber er glaubt nicht daran, weil wir zweierlei Götter haben. Würde er sie gewiß inne: glaubet mir, vierundfünfzigtausend Mann würden ihm nicht zuviel sein, mich zu hüten. Gebet also wohl acht; daß Ihr von niemand gesehen werdet. Ehe Ihr aber in die Schlacht reitet; bestellt ein Schiff, und sobald die Schlacht anfängt, soll der Fährmann nicht säumen, das Schiff zu mir heraufzuführen; dorthin will ich meinen Schatz und alle meine Kleinodien tragen lassen, dann will ich mit meinen Jungfrauen und mit Euch mich auf das Schiff setzen, und so wollen wir nach Paris fahren. Dies ist das Mittel, wie Ihr mich hinwegbringen könnet." Florens freute sich über den sinnreichen Einfall seiner Geliebten. "Ihr habt den rechten Weg gefunden", rief er, "ich will ihm nachkommen!" Und so drückten sie Lippe an Lippe und Herz an Herz; dann legte Florens den Panzer wieder an und befahl seine Jungfrau in den Schutz des allmächtigen Gottes. "Oh, du Leben meines jungen Lebens" , antwortete ihm Marcebylla, "ich weiß nicht, wann ich dich wiedersehen werde, aber laß mein Herz in dem deinen beschlossen sein. Keinem Manne will ich untertänig sein als dir!"



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So schied Florens, schwamm wieder über das Wasser und fand dort den Ritter, der mit ihm gezogen war und seiner wartete. Kaum waren sie zusammengekommen , als Florens einen Türken dahertraben sah, der unter großem Geschrei begehrte, mit ihm zu kämpfen. Florens war nicht säumig; er legte den Speer ein und rannte auf den Türken, daß er zu Boden fiel und ein Bein entzweibrach. "Geschwind", sprach Florens zu seinem Begleiter, "setzet Euch auf des Heiden Pferd; es ist viel stärker als das Eure; so kommen wir schneller davon." Aber kaum war dies geschehen,


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so sahen sich die .beiden von einer wilden Heidenschar umgeben. Doch schlugen sie sich ritterlich mit ihren scharfen Schwertern, daß die Heiden wie der Schnee niederfallen mußten. Da erstach auch der andre Ritter den Admiral von Persien, daß ihm das Eingeweide, als er vom Pferde sank, auf die Erde fiel. Und so schlugen sie sich endlich durch und gelangten fröhlich nach Paris. Dem König Dagobert aber war bald hinterbracht worden, was der Ritter Florens unternommen hatte. Da beschickte er ihn und fragte ihn: "Nun, Florens, saget an, was macht die Jungfrau Marcebylla? Wahrlich, Ihr traget eine große Gunst zu ihr, daß Euch das Seinewasser nicht zu kalt zum Bade war. Um ihretwillen werdet Ihr; deucht mir, noch manchen Heiden darniederstrecken!" Da sprach Florens mit lachendem Munde: "Ja, es möchte so geschehen, mein Herr und König; denn meine Hoffnung auf Erden stehet allein zu ihr!" Und nun beurlaubte sich Florens mit gebogenen Knien von dem König Dagobert und ritt zu seinem Pflegevater Klemens. Diesem erzählte er als ein gutes Kind alles, was sich begeben hatte, und verschwieg ihm seine Liebe zu Marcebylla nicht, und wie er sie mit ihrem Willen bald nach Paris bringen werde. Auch berichtete er ihm von dem köstlichen Pferde, Pontife genannt. "Was hat das Roß für Farbe?" fragte Klemens. — "ES ist ganz weiß wie ein Schwan", sagte Florens, "und an der Stirn hat es ein langes Horn, scharf wie ein Schermesser." — "Um Gott", sprach Klemens , "da ist es wohl ungezäumt und furchtbar anzufassen? Doch getraue ich mich, seiner Meister zu werden." Florens mußte lachen und hielt des alten Mannes Rede für einen Scherz. Aber Klemens ließ sich von seinem Weibe den Pilgermantel und Hut reichen, womit er am Heiligen Grabe gewesen. Er warf den Mantel zur Hälfte über sich und machte sein Angesicht mit einer Salbe schwarz wie eine Kohle; einen kohlschwarzen langen Bart hatte er schon vorher. So entstellt sah er einem Heiden nicht unähnlich, und wer es sah, dem kam das Lachen. Darnach nahm Klemens seinen Pilgerstab in die Hand und sprach zu Florens und zu seiner Hausfrau: "Nun gehabet Euch wohl miteinander; ich will nicht wiederkehren, ich habe denn das köstliche Roß Pontifex gewonnen!" Das ganze Hausgesinde hatte seine Freude darüber, daß der alte Mann noch so leichtsinnig war. Doch glaubten sie nicht, daß es ihm geraten würde. Und so hinkte er davon.

Es dauerte nicht lange, so kam der alte Klemens unter die Heiden, und er grüßte jeden, dem er begegnete, treuherzig bei dem Gotte Mahomets. Klemens verstand nämlich die heidnische Sprache ganz gut; weil er lang



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über Meer gewesen war; und die Heiden dankten ihm wieder bei Mahomets Gott; denn sie dachten, er sei ein heidnischer Pilgersmann.

So kam er ungefährdet bis Dampmartin, wo der Sultan sein Lager hatte. Er aber hatte zuvor wohl bedacht, was er mit dem Sultan reden wollte. Wie er nun in das königliche Zelt trat, zog er seinen Hut demütiglich ab, grüßte ihn und sprach: "Der Gott Mahomets, welcher Tag und Nacht geschaffen hat und den Bäumen und allen Kräutern Blüten gibt, wolle den großmütigen Sultan von Babylonien segnen! Großmütiger König , um Euer Majestät willen bin ich diesen weiten Weg gereist und mit großer Mühe in Euer Lager aus der fernen Heimat gekommen, etwas zu schaffen, das meinem Herrn angenehm wäre." Der Sultan dankte dem alten Klemens und sprach: "Sag an, mein Pilger, wie lebt man in unserm Lande? Sagt man davon, welch großen Schaden ich erlitten habe? Ich habe manchen Heiden verloren, vor allen den Riesenkönig; darüber werde ich noch zornig! Aber es soll gerächt werden, bei Mahomet! Nun sprich, Pilger, was bringst du Neues?" —"Allergnädigster Herr", sagte Klemens, "ich will es Euch nicht vorenthalten: als ich aus unsrem Lande zog, betete jedermann zum Gotte Mahomets, daß er es Euch nicht mißlingen lassen möge, sondern Euch Macht gebe, Frankreich zu verderben, und Euch glücklich wieder heimbringe." Der Sultan sprach: "Wohl, ich will nicht weichen, Frankreich sei denn zuvor verloren. Aber sage mir, Pilger, was ist deine Hantierungen" Klemens antwortete ihm: "Herr, ich bin ein erfahrener Meister über alle Pferde; kein Pferd ist so groß oder wild, von dem ich nicht sagen könnte, wie alt es ist, und wie lang es noch leben wird; es wäre denn, daß ich nicht darauf zu sitzen käme; aber sobald ich darauf sitze, so kann ich es Euch sagen." — "Du hifi wahrlich ein geschickter Meister", sagte der Sultan darauf, "und ich freue mich deiner Ankunft; denn ich habe ein Roß, das mir sehr lieb ist; das sollst du mir besehen; denn es gibt seinesgleichen nicht auf Erden." —"Großmächtiger König", sagte Klemens, "so gewiß ich Euch täglich gehorsam bin, so gewiß will ich Euch die Wahrheit über des Rosses Leben sagen, sobald ich auf seinem Rücken sitze."

Jetzt gebot der Sultan, daß man eilig sein Pferd vor ihn bringen sollte; dieses war mit zwei silbernen Ketten angelegt und mit einem Zaum von schönem roten Samt aufgezäumt, darin lag ein Gebiß von reinem Silber, und silberne Spangen daran. Auf der Seite war das Gebiß köstlich mit Gold eingelegt und mit manchem edlen Stein besetzt. So wurde das Roß Pontifex vor den Sultan geführt und von ihm und allem Volke



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mit Lust betrachtet. Als Klemens das Roß ansah, ward er im Herzen betrübt ; besonders das spitzige Horn an der Stirne wollte ihm gar nicht gefallen , und überhaupt war das Pferd übermächtig und furchtbar anzusehen . Da kehrte sich Klemens um, neigte sein Haupt und den Pilgerstab und rief den wahren Gott ernstlich an, daß er ihm sein Vorhaben gelingen lassen möge. "Nun, alter Vater", sprach der Sultan vergnügt; "wie gefällt dir das Pferd? Sage mir etwas von seiner Art und Tugend t" — "Ja, Herr Sultan", sagte Klemens, "sobald ich daraufsitze; eher kann ich es nicht anzeigen!" — Der Sultan sprach: "Nun, so lege Sporen an, und man sattle dir das Roß!" So wurde das Pferd Pontifex gesattelt, die Steigbügel sorgfältig umgehängt und das Tier in seiner köstlichen Ausrüstung vor den Sultan geführt. Je länger dieser das Pferd ansah , desto größere Freude hatte er daran und sagte zu seinen Fürsten: "Habt ihr auch euer Lebtage so ein schönes und starkes Tier gesehen? Es ist wohl wert, daß es der Alte beschauen" Und nun befahl er dem Klemens aufzusitzen. Dieser warf Pilgermantel und Hut vor dem Sultan auf die Erde, legte sich die Sporen an und wollte, seinen Pilgerstab in Hand, das Roß besteigen; dieses aber stellte sich sehr ungebärdig, als es einen fremden Reiter auf den Rücken nehmen sollte; es schlug ihn mit den Hinterfüßen so hart, daß er zwei Ellen weit rückwärts gestreckt ward. Da hätte einer den Sultan und sein Volk sollen lachen sehen! Man mußte dem Alten wiederaufhelfen; als er nun wieder auf seinen Füßen stand, lachte auch er unter Weinen, gab dem Roß ein paar Streiche mit seinem Stab, nahm es am Zaum und führte es so lang im Kreise um, bis es ihm gelang, sich hinaufzuschwingen. Sowie er die Füße im Bügel, den Zaum fest in den Händen hielt; sprach er vom Pferde herab zum Sultan: "Fürsichtiger Sultan von Babylon, Euch sei mein Pilgermantel und Hut um das Roß Pontifex geschenkt, und damit Gott befohlen; denn ich will den nächsten Weg nach Paris reiten!"

Mit diesen Worten gab Klemens dem Roß beide Sporen; da hub es an zu laufen, nicht anders, als wie ein Vogel durch die Lüfte zieht. Jetzt erst merkte der Sultan, daß er schmählich um sein Pferd betrogen sei, und fiel vor Zorn und Schrecken wie tot zu Boden. Als er wieder zur Besinnung kam, versprach er dem, der es ereilen würde, hundert Mark Silbers. Da tagten ihm viele nach, aber es war vergebens: ehe sie auf die Pferde kamen, war Klemens weit davon und pries seinen Gott, daß er ihm so glücklich davongeholfen. Zuletzt kamen sie ihm aber näher, und er sah von weitem den Staub in den Lüften. Da eilte er nur um so mehr und wäre noch



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zu rechter Zeit in die Stadt gekommen, wenn das Tor nicht verschlossen gewesen wäre. Nun waren die Heiden so nahe, daß er schon ihre Flüche vernehmen konnte. Klemens schrie kläglich nach dem Torwärter: "Ach, tut mir doch das Tor auf, ich habe des Sultans gutes Roß. Wenn Ihr mich nicht gleich einlasset, muß ich sterben!" Zum Glück hörte Florens, der eben auf der Mauer war, seines Vaters Stimme und ließ ihm das Tor öffnen. Nun schlüpfte er hinein, aber die Türken waren so nahe, daß sie ihn um ein kleines noch erwischt hätten. Das Tor aber ward hinter ihm zugeschlossen; Klemens ritt vor seinen Sohn, stieg ab und sprach: "Hier ist das köstliche Roß, das meine Kunst dem Sultan abgewonnen; dir sei es geschenkt, mein Sohn Florens!" Darüber verwunderte sich Florens und dankte seinem Vater von Herzen. Er schwang sich auf das herrliche Roß und tummelte es auf einem offenen Platze der Stadt vor vielen Zuschauern, darunter mancher Herr und Edler war. König Dagobert und Kaiser Oktavianus kamen auch herbei und hatten ihre Lust an dem Rosse Pontifex. Als Florens sah, daß dem Könige das Pferd besonders in die Augen leuchtete, stieg er ab, faßte es beim Zaum und führte es dem König als ein Geschenk zu. Dafür schenkte der König Dagobert dem Ritter Florens zwei Herrschaften mit schönen Schlössern in seinem Lande, und Klemens ging auch nicht leer aus für seine Arbeit. In Paris wurde ein herrliches Fest gehalten; aber der Sultan zerschlug seine Götzen im Grimm und beschloß, Paris zum drittenmal zu belagern.

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Bald lagen die Heiden Zelt an Zelt vor der Stadt. Auf des Sultans hohem Gezelte stand ein Adler vom feinsten Gold, seinen Schnabel der Stadt Paris zugekehrt, als wollte der Sultan damit ihre Zerstörung andeuten. Auch diesmal rüsteten sich die Feinde zum Sturm, und mehr denn zwölftausend Heiden zogen mit Äxten, Hellebarden und langen Spießen heran. Aber auch Ritterschaft und Volk in Paris waren wohl gerüstet; und das Tor tat sich auf, das Christenheer hinauszulassen. Das erste, was der Sultan erblickte, war sein gutes Roß Pontifex, auf dem der König Dagobert vor allem Volke ritt. Darüber kam er vor Wut fast von Sinnen und rannte mit solchem Grimm auf den König ein, daß er ihn fast durchbohrte. Doch führte Gott den guten König; denn das Speereisen haftete nicht auf seinem Harnisch, so daß der Sultan voll Zornes wurde. Nun legte auch Dagobert seinen Speer ein und rannte gegen den Sultan mit solcher Stärke, daß dieser wohl empfand, mit wem er es zu tun hatte. Ehe es aber zum vollen Zweikampfe kam, verwundete des Sul


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taus eigenes Roß diesen mit seinem scharfen Horne so schwer, daß er von seinem Pferde herab und zu Boden sank. Dagobert zog sein Schwert und wollte dem Gefallenen das Haupt abschlagen, aber fünfhundert Heiden kamen ihrem Sultan zu Hilfe, wehrten die Streiche von ihm ab und halfen ihm wieder auf das Pferd. Nun wurde das Schlachtgetümmel erst recht allgemein.

Da gedachte Florens an Marcebyllas Rat, schlich sich, nachdem er aufs tapferste gestritten, heimlich aus der Schlachtordnung und begab sich in den Rücken der Stadt Paris, wo ein trefflich bestelltes Schiff seiner wartete, so daß er bald zu der Geliebten kam, welche sein sehnlich harrte. Sie fielen sich um den Hals und küßten sich mehr denn hundertmal. Derweil wurde alles Gut und Kleinod der Fürstin auf das Schiff gebracht, und Florens und Marcebylla samt allen ihren Jungfrauen säumten nicht lange, sondern traten auf das Schiff und fuhren auf Paris zu. Gar froh und kurzweilig saßen die zwei beieinander, und eins erzählte dem andern



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die Schmerzen, die sie erduldet hatten, bis sie zusammengekommen. Auch unterrichtete Florens die Jungfrau im christlichen Glauben. Die Zeit verflog ihnen, und es fuhren die Schiffsleute eilig, so daß sie bald in der Stadt ankamen. Dort führte Florens seine Geliebte mit ihren Jungfrauen in das Haus seines Vaters Klemens und bestellte zwanzig Edelknaben, die ihrer warten sollten; dann führte er sie in ihre Kammer und nahm Urlaub von ihr, um die Schlacht zu vollbringen. Marcebylla aber befahl ihn mit großem Seufzen dem wahren allmächtigen Gott; denn von Mahomets Gott wollte sie nichts mehr hören.

Florens ritt indessen mit großen Freuden wieder in die Schlacht und war leichten Sinnes als einer, der seine Beute schon empfangen und in der Kammer geborgen hatte. Im Treffen begegnete er bald einem Könige, der auch damals bei dem Sultan gesessen, als Florens die Botschaft ausrichtete; den rannte er mitsamt seinem Pferde zu Boden, daß er das Genick brach. Dann stürzte er sich immer tiefer in die Haufen und brachte viele Heiden um, bis er zu tief unter sie kam und zuletzt umringt wurde. Da vergalt ihm König Dagobert und kam ihm zu Hilfe. Auf einer andern Seite des Schlachtfeldes rannten der Kaiser Oktavianus und der Sultan gegeneinander; der Speer des Kaisers prallte an dem Harnisch des Sultans ab, und dieser schrie seinem Heidenvolk zu: "Wird der schändliche Verräter nicht von Euch gefangen, so bin ich Euch nimmermehr günstig!" Nun schlugen alle Heiden auf den Kaiser zu, und sein Pferd wurde ihm unter dem Leibe erstochen; da wurde er erst traurig; dennoch wollte er sich nicht gefangengeben, sondern brachte noch manchen Heiden um. Aber jetzt konnte er sich nicht länger mehr wehren; sein Helm war zerschlagen, sein Leib verwundet, uno all sein Volk war ferne von ihm. Nur Florens ersah des Kaisers Not im wüsten Getümmel, eilte zu ihm und verließ ihn nicht, auch fehlte keiner seiner Streiche. Als die Heiden den Schaden empfanden, da wollte jeder den Todesstreich auf Florens führen; sein Roß ward unter ihm erstochen, so daß er auf die Erde fiel. Doch erhob er sich bald wieder und focht wie ein grimmiger Löwe.

Zuletzt aber wurden sie doch müde und mußten sich beide, der Kaiser und Florens, den Heiden gefangengeben, und so wurden die zwei vor den Sultan geführt und seiner Gewalt überantwortet. Der grimmige Heide gebot, sie hart zu binden und abzuführen in sein Gezelt. Florens war sehr betrübt; er dachte nur an die schöne Marcebylla, und wiewohl er sich des Lebens ganz verzieh, so betete er doch heimlich zu Gott um Errettung. Ebenso tat auch der Kaiser Oktavianus. Die Heiden aber schnürten sie so



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fest, daß die Stricke hart in das Fleisch gingen. So kamen sie in Banden zu des Sultans Zelt.

Vergebens suchte der König Dagobert in der Schlacht nach seinen beiden Freunden; niemand wußte von ihnen zu sagen. Da ward er traurig und ergrimmt und schwur, die Heiden zu verderben. Aber ihrer waren zehn gegen einen Christen, so daß die Franzosen immer härter ins Gedränge kamen und es nahe an der Flucht war. Dagobert stellte sich an die Spitze der Seinigen; die Krone Frankreichs funkelte auf seinem Haupt, und er betete und schrie gen Himmel: "Heiliger Dionys! Schirme die Krone Frankreichs, daß sie nicht vertilget werde!" In dieser Not sandte Gott den Christen eine wunderbare Hilfe; denn er stellte den Heiden ein Blendwerk vor die Augen, als wenn bei Montmartre in das Lager der Christen ein fremdes Volk den Franzosen zu Hilfe gekommen wäre, alle mit weißen Kleidern angetan, ihrer mehr denn zwanzigtausend. Der König Dagobert aber hörte eine Stimme vom Himmel: "König von Frankreich , sei unverzagt, die weißen Ritter werden dir zu Hilfe kommen."Jetzt faßte sich Dagobert wieder ein Herz und rief den Seinen zu, sie sollten tapfer auf die Heiden schlagen, damit sie des Streites müde würden. Zugleich rückten die weißen Ritter, die Gott gesandt hatte, von hinten gegen die Schlachtordnung der Feinde an, und der Anblick dieser neuen Heerscharen verwirrte deren Reihen, daß sie sich in Unordnung zusammendrängten und an zweitausend von den Heiden erschlagen wurden. Dieser Streit gefiel dem Sultan nicht wohl: "Verwünscht sei die Stunde", sagte er zu seinem Volke, "wo ich nach Frankreich gekommen bin! Laßt uns fliehen, die weißen Ritter werden uns alle umbringen!" So kehrten die Türken um und ergriffen die Flucht. Da schlugen die Franzosen unter sie, daß Acker und Matten mit Leichnamen bedeckt wurden und ein gleiches Gemetzel in Frankreich noch nicht gesehen worden war. Noch auf der Flucht erhielt der Sultan die Nachricht, daß seine Tochter Marcebylla gen Paris geführt worden sei. Da brach er in ein lautes Jammergeschrei aus. Und als er in sein Zelt gekommen war, trat er mit dem Schwert vor seinen Götzen, der dastand, herrlich mit Gold und Silber geschmückt, hieb ihm alsogleich das Haupt ab und steckte es in einen Sack. Man wußte nicht, ob es aus Zorn geschah, oder um es vor den verfolgenden Christen zu retten. Zugleich sprach er: "Liebe Herren und gute Freunde, es wird wahrlich not tun, daß wir uns bald von hinnen machen; sehet zu, daß die zwei gefangenen Bösewichter wohl verwahrt seien, führet sie über das Meer mit in unser Land. Kein Silber und kein Gold, ja, nicht das Gut



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aller Welt nähme ich für sie. Vier Pferde sollen sie unter den Galgen schleifen, dort will ich sie selbst in Stücke hauen." Oktavianus und Florens wurden bald inne, was man mit ihnen vorhabe. Schimpflich mit Seilen und Stricken gebunden, wurden sie von dem fliehenden Heere der Heiden hinweggeführt. Bei Dagobert und seinen Scharen war laute Klage um sie; denn niemand wußte, wo sie hingekommen waren.

***
Nun lassen wir Florens, seine wunderbaren Taten und mannigfaltigen Geschicke ruhen und kehren uns zu seinem Bruder Lion und der Kaiserin, seiner Mutter. Als diese zu Jerusalem bei dem redlichen Edelmann Herberge machte, nahm derselbe sich des kleinen Kindes an und erzog es ritterlich. Alle Welt hatte den Knaben lieb, er wurde mannlich und stark und war schön und wohlgezogen. Seiner Mutter erwies er große Ehre und treuen Gehorsam; darum ward er von jedermann gepriesen.

Es geschah aber um diese Zeit, daß der türkische Kaiser wider den König von Akron Krieg führte und mächtig zu Felde lag. Von ungefähr kam der junge Fürst Lion an den Hof dieses Königes und begehrte, in seine Dienste zu treten. Der schöne und starke Jüngling gefiel dem Könige, ward willig angenommen und erhielt einen guten Hamisch samt voller Rüstung zum Geschenke. Lion war ein Christ; denn die Kaiserin hatte ihn zu Jerusalem taufen und seinen Namen nach der treuen Löwin, die immer ihre Hausgenossin war, nennen lassen. Auch wich die Löwin von dem Knaben nimmer, und so zog sie auch mit ihm in diesen Krieg. Als die beiden Heerhaufen zusammenkamen, schlugen sie sich ritterlich. Lion focht mitten unter den Heiden, und seine Löwin half ihm streiten; er erschlug, sie erwürgte viele Feinde. Zuletzt, es kurz zu sagen, flohen die Feinde. Der türkische Kaiser wurde gefangen und ihm das Haupt abgeschlagen. Der König von Akron, der die Heldentaten des jungen Lion mit angesehen hatte, ließ ihn rufen und fragte nach seiner Geburt. Der Jüngling erzählte dem Könige, was er von seiner Mutter gehört hatte. Sogleich wurde nach der Mutter gesandt, welche bald vor des Königes Angesicht erschien. Da sprach der König zu ihr: "Würdige Frau, ist's Euch nicht zuwider, so sagt mir, von welchem Geschlecht Ihr seid." Da sprach die Kaiserin: "Herr König, mein Gemahl ist Oktavianus, der Kaiser zu Rom." Und damit erzählte sie ihre Verfolgung und ihr ganzes Geschick. Als der König dieses vernahm, ward er erstaunt und betrübt und sprach: "Wahrlich, erlauchte Frau, Ihr habt unrecht getan, daß Ihr so manches Jahr in meinem Lande gewohnt habt; ohne es mir zu wissen zu tun. Gewiß, ich hätte



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Euch nicht so lang im Elende gelassen. Nun aber seid fröhlich; was ich habe und vermag, das will ich mit Euch teilen!" Die Kaiserin dankte dem Könige von Herzen, und während sie miteinander redeten, kam Lion zu dem Könige und sprach zu ihm: "Unüberwindlicher Herrscher, meine Bitte an Euch lautet, daß Ihr Euch meiner erbarmen und mich aus Euren Diensten entlassen wollet. Ihr wisset durch mich und meine Mutter, wie unschuldig ich enterbt worden bin. Darum ist mein Vorhaben, zu dem Könige von Frankreich über Meer zu fahren. Er ist ein Freund des Kaisers, und ich habe das Zutrauen zu ihm, daß er seinen Einfluß darauf verwenden wird, meine Mutter in ihre Würde und Ehre wiedereinzusetzen ." Der König antwortete dem Jünglinge Lion: "Eure Bitte ist ganz billig und soll Euch gewährt werden, schon um der großen Hilfe willen, die Ihr mir gegen die Türken geleistet habt. Deswegen sollt Ihr auch von mir eine ehrliche Summe Goldes zum Geschenk erhalten und tausend gewappnete und wohlgerüstete Ritter, die Ihr von dem Gelde ernähren möget."

Die Kaiserin und ihr Sohn dankten dem Könige von Akron aus gerührtem Herzen, machten sich mit ihren Rittern auf, zogen durch das Land und fuhren über das Meer. Sie langten in kurzer Zeit in der Lombardei an. Dort begegnete ihnen ein junger Ritter, der aus Frankreich gebürtig war. Diesen grüßte der Jüngling Lion und sprach: "Lieber Freund, zürnet nicht; ich muß Euch eins fragen. Aus Eurer Kleidung ersehe ich, daß Ihr aus Frankreich gebürtig seid." Der Ritter antwortete: "Wahrlich, Ihr habt recht gesehen. Es sind noch nicht vier Tage vergangen, daß ich in der Stadt Paris bei dem Könige war." Als Lion dies hörte, fragte er ihn, ob der König Dagobert zu Paris hofhalte, wie es ihm gehe, ob er frisch und gesund sei. Der Ritter sah den Lion an und sprach: "Fürwahr, Herr, ich glaube, Ihr spottet mein mit Eurer Frage! Wißt Ihr denn nicht, daß die Heiden in Frankreich eingefallen sind und fast das ganze Land verwüstet haben? Obgleich große Fürsten und Herren dem Könige zu Hilfe kamen, so konnten sie den Heiden doch nicht genug widerstehen; denn die waren mehr als zweimalhunderttausend Mann stark. Ich glaube deswegen, eine gute Belohnung könnte Euch nicht fehlen, wenn Ihr dem bedrängten Könige mit Euren Reisigen zu Hilfe ziehen wolltet; denn alle seine Bundesgenossen müssen vor den Heiden weichen." Die Kaiserin und ihr Sohn dankten dem Ritter für seine Nachricht, und Lion sprach zu seinen Rittern: "Seid wohlgemut, liebe Freunde! das Glück trifft uns, daß wir in den Sold des Königes von Frankreich kommen!" Und zu seiner



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Mutter: "Seid fröhlich, liebe Frau Mutter, in kurzer Zeit sollt Ihr zu Rom als gewaltige Kaiserin gekrönt werden."

Sie waren noch nicht lange unterwegs, als die Kaiserin von ferne eine große Staubwolke sich erheben sah, wie sie von Kriegsleuten und Rossen kommt. "Lieben Freunde", sprach sie zu ihrem Sohn und seinen Rittern, "das dürften wohl die Heiden sein, von denen uns gesagt ist, daß sie das ganze Frankreich verderbt haben. Laßt uns schnell eine Schlachtordnung bilden, damit ihr, wenn es vonnöten ist, ritterlich wider sie streiten möget ." Dies taten die Ritter, und noch waren sie nicht weit geritten, als sie auf viele tausend Türken und Heiden zu Roß und zu Fuße stießen Unter ihnen befand sich auch der Sultan; er war mit seinem gang Volke nach jener dritten Schlacht vor Paris auf der Flucht und im Begriffe; nach Babylon zurückzukehren. Auch führten sie zwei Gefangene harb gebunden mit sich, der eine war der Kaiser Oktavianus, der andere der Ritter Florens; sie waren wie Jagdhunde mit Stricken zusammengeknebelt und wurden schimpflich mit Prügeln getrieben. Beide sprachen klagend einer zu dem andern: "O frommer König Dagobert, Gott wolle deiner pflegen; denn du und wir werden einander nimmer sehen; aber doch sei Gott gelobt, daß die Heiden von uns Christen überwunden sind!"Auf der andern Seite führte der Sultan große Klage wegen seiner Tochter Marcebylla, die von den Franzosen nach Paris entführt worden war.

Inzwischen rückte Lion mit seinen Rittern so nahe auf die Heiden, daß er erkannte, welch ein Volk es wäre, und sah, daß sie auf der Flucht und noch ganz müde und atemlos waren. Auch gewahrte er den Sultan, der zwar das königliche Diadem auf dem Haupte trug, aber so traurig aussah, nicht als ob er von einem Schmause aus Frankreich käme. Darum sprach Lion zu den Seinigen: "Seid unerschrocken! Es sind die Heiden, die gegen das Christenblut toben! Seht, dort führen sie zwei vornehme Gefangene: die werden hart von ihnen geschlagene Es sind Fürsten. Laßt sehen, was das alles ist!" Seine Genossen erklärten sich bereit, in allem seinem Willen zu folgen. Die Löwin aber, die immer bei dem edlen Jüngling Lion war, begann, mit ihren Klauen in der Erde zu scharren, als wollte sie andeuten, daß sie bereit sei, zu kämpfen und unter den Heiden zu wüten. Davon gewann die ganze Ritterschaft ein fröhliches Herz. "Seid getrost", rief der Jüngling seiner Mutter zu, "wir wollen sie so empfangen, daß ihrer keiner am Leben bleibe außer ihren zwei Gefangenen !" Mit diesen Worten führte er sie an einen sichern Platz, bis Treffen vorüber wäre. Dann fiel er mit seinen Rittern unter die Heiden,



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die nichts dergleichen erwarteten, und erwürgte ihrer in kurzer Zeit die Hälfte. Auch die ungeheure Löwin machte eine weite Gasse um sich und zerriß manchen Türken und Heiden. Und als sie gar von einem Feinde wundgeschlagen worden war, wurde sie noch viel grimmiger und stürzte so tief unter sie, daß sie endlich den Sultan erreichte, ihn mit grostem Ungestüm anfiel und zu Boden warf. Ja, sie hätte ihn in Stücke gerissen, wenn nicht Lion dazugekommen wäre. Dieser merkte bald an seiner Tracht und Haltung, daß der Sultan ein Oberster der Heiden sei, und wehrte der Wut des Tieres. Doch stellte er sich, als wollte er dem zu Boden Liegenden das Haupt abschlagen, bis der Sultan um Gnade flehte, sein Schwert als Gefangener darreichte, großen Tribut zu bezahlen versprach und am Ende gar seinen heidnischen Glauben abschwur. Darüber war Lion sehr erfreut und sagte ihm sein Leben zu. Doch wurde er hartgebunden und so an einem Strick vor die Kaiserin geführt. Inzwischen hatten die edlen Ritter und die Löwin auch die übrigen Heiden vollends erlegt.

***
Die Schlacht war vorüber, und alle ruhten vom heißen Kampfe aus. Da trat Lion zu den beiden Gefangenen, dem Kaiser und Florens, und sprach: "Liebe Herren, sagt mir die Wahrheit, von wannen ihr stammt; denn ich bin's, der euch erlösen will." — Der erfreute Oktavianus erwiderte: "Wir wollen Euch die Wahrheit nicht verhehlen, werter Ritter: ich bin der römische Kaiser und werde Oktavianus genannt, und dieser mein Genosse hier heißt Florens und ist wahrlich ein rechter Held. Wir sind von den Heiden während der Schlacht gefangen worden, und jetzt wollen wir gern Eure Gefangenen sein und ganz nach Eurem Willen tun. Aber, wenn es Euch gefällt, so überliefert uns nur dem Könige Dagobert von Frankreich; der wird Euch so begaben, daß Ihr nimmermehr in Armut kommen möget." Als der Jüngling Lion diese Rede hörte, konnte er vor großer Freude nicht mehr reden; denn er erkannte in dem Reden- den seinen leiblichen Vater, obwohl er ihn in seinem Leben noch nicht gesehen hatte. Darum lobte er Gott, daß er ihn auf diese Weise seinen Vater hatte fangen lassen, und fragte den Kaiser: "Mein lieber Herr, saget mir, habt Ihr jemals eine Gemahlin gehabt?" — "Ja, lieber Freund", erwiderte Oktavianus, "von ihretwegen bin ich der allertraurigste Mensch auf Erden. Ich glaube gewiß, daß alles übel und alle Schande, die ich bis auf diesen Tag erlitten habe, meiner Sünden Schuld ist weil ich an meiner unschuldigen Gemahlin so freventlich gehandelt


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habe." —"Was habt Ihr denn Unbilliges an ihr getan?"fragte Lion, als wüßte er von nichts. —"Ach", erwiderte der Kaiser, "die Frau war fromm gegen mich und jedermann, und ich hatte sie auch lieb. Aber durch eine große Verräterei, welche gegen sie erdacht wurde, habe ich sie aus meinem Lande verbannt und ins Elend geschickt. Und die Bosheit kam von meiner Mutter her. Die Kaiserin hatte mir zwei Söhne geboren: da überredete mich meine Mutter, sie wären nicht meine Kinder; darum wollte ich Mutter und Söhne verbrennen lassen, und nur mit Mühe begnadigte ich sie. Aber wahrlich, es hat mich seitdem bitter gereut, und ich habe keine gute Stunde mehr gehabt von jenem Augenblick an." So erzählte der Kaiser dem Jünglinge Lion alles Stück für Stück, was sich mit seiner Gemahlin begeben; da fragte dieser noch weiter: "Lieber Herr und Kaiser, wie heißt denn Euer Genosse ?" — "Dieser", sprach Oktavianus , "wird Florens genannt, wie ich Euch schon gesagt habe; aber es ist wunderbar, meiner Lebtage habe ich keine zwei Männer getroffen, die einander von Antlitz und Gebärde so ähnlich sehen wie Ihr. Man sollte meinen, daß Ihr leibliche Brüder wäret!"

Kaum konnte sich Lion länger halten. "Herr Kaiser", sprach er, "wenn Eurer Majestät Gemahlin Euch vor die Augen gestellt würde, vermeintet Ihr, sie zu erkennen?" — "Fürwahr, sehr wohl", erwiderte der Kaiser, "aber, Gott erbarm's, ich bin wohl sicher, daß ich sie nie mehr sehen werde." Da nahm Lion den Kaiser bei der Hand und sprach zu ihm: "Folget mir nach, beide Herren!" Und nun führte er sie dem Orte zu, wo er seine Mutter vor der Schlacht geborgen hatte. Sobald die Kaiserin von ferne ihren Gemahl sah, erkannte sie ihn, und als sie ihn ansah, mußte sie vor Freuden weinen. Wie nun alle drei vor sie gekommen waren , sprach Lion zu dem Kaiser: "Lieber Herr, sehet diese Frau an, ob es nicht die sei, die Ihr, wie Ihr mir gesagt habt, aus Eurem Lande verbannt und verstoßen habet."

Oktavianus durfte die edle Frau nicht lange ansehen; er erkannte sie alsbald, empfing sie mit weinenden Augen und nahm sie in seinen Arm. Sie selbst fiel dem Kaiser, ihrem Herrn und lieben Gemahl, dessen sie so lange beraubt gewesen war, unter lautem Schluchzen um den Hals und küßte ihn mit liebevollem Seufzen mehr denn hundertmal. Da mochte man große Freude sehen. Der Kaiser bat sie voll Scham um Verzeihung; er erzählte ihr alles, was sich mit seiner Mutter begeben, und sagte ihr feierlich zu, daß er in kurzem zu Rom ihr die Kaiserkrone auf das Haupt setzen wolle. Dann fragte der Kaiser die fromme Frau weiter, ob der



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Jüngling Lion, der ihn gefangen und erlöst habe, ihr Sohn sei. "So wahr wir hier beisammenstehen, ist er Euer und mein Sohn", sagte sie, "Gott hat es gefügt, daß er ein so beherzter Mann geworden ist. Aber wegen meines andern Sohnes hin ich sehr bekümmert; denn ihn habe ich elendiglich verloren!" Der Kaiser fiel seinem Sohne Lion um den Hals und gab ihm vor großer Liebe einen Kuß um den andern. Die Kaiserin aber sah nur immer den Ritter Florens an und fragte ihn: "Lieber, junger Ritter, sagt mir, von wannen seid Ihr? Denn wahrlich, Ihr und mein lieber Sohn Lion seid einander gang ähnlich von Angesicht und Gebärden!" Florens sprach: "Gnädige Frau, wo ich geboren bin, weiß ich nicht; das aber weiß ich wohl, daß mich ein Bürger von Paris gütig erzogen hat. Dieser sprach bald zu mir, er habe mich gezeugt, bald, er habe mich am Meeresgestade gekauft." Die Kaiserin fing an zu erkennen, daß Florens ihr anderer Sohn sein müsse; ihr Blut kam in heiße Regung, und sie sprach schnell: "Junger Ritter, ich glaube, daß ich Euch unter dem Herzen


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getragen habe, daß ich Eure Mutter und der Kaiser Euer Vater sei. Gott gebe, daß der Bürger von Paris Euch gekauft oder gefunden habe. Doch, um die Wahrheit zu erfahren, laßt uns miteinander zu König Dagobert nach Paris ziehen!"

Alle waren in großer Freude und Erwartung, und so rückte der ganze Heerhaufe, Kaiser Oktavianus und die Kaiserin, Florens und Lion, samt allen Rittern nach Paris. Doch war die glückliche Botschaft von der Erlösung des Kaisers und des Ritters noch vorher bei König Dagobert angelangt . Der dankte Gott mit heller Stimme; denn er hatte sie für tot verlorengegeben. Auch Marcebylla erhielt einen Brief von ihrem Geliebten und wußte nicht, wie sie vor Freuden sich gebärden sollte. Und bald darauf kamen alle miteinander an, und der König mit allen Rittern und Edeln war ihnen vor das Tor entgegengezogen. Da mußte vor allen Dingen Marcebylla ihren Florens umhalsen und küssen, aber reden konnte sie nicht zu ihm. Alles Blut war ihr vor großer Freude zu dem Herzen gelaufen. Als sie wieder zu sich kam, sprach sie: "Ach, du Trost meines Lebens, sei willkommen; warum hast du mich so lange verlassen?" Florens aber sprach nichts, sondern küßte sie nur. Und nun ritten sie alle, Kaiser Oktavianus und seine Söhne Florens und Lion und die fromme Kaiserin mit dem ganzen Gefolge, ein in Paris.

Hier wurde der Sultan von dem jungen Fürsten Lion sogleich dem König Dagobert ausgeliefert. Aber ihm geschah kein Leid. An einem und demselben Tage wurde er und seine Tochter Marcebylla durch den Bischof von Paris getauft und der edle Florens mit seiner Geliebten zur Kirche geführt und vermählt. Es war eine gute Ehe; denn die Geschichte meldet, daß sie mit keinem Worte je gegeneinander gezürnt haben. Dem Sultan wies der König von Frankreich eine eigene Landschaft an, doch mußte er seine Wohnung an dem Hofe des Königs haben. Der Christenglaube machte ihn fromm und sanft, und durch seinen hohen Geist wurde er des Königs oberster Rat in allen wichtigen Dingen.

Jetzt schickte König Dagobert auch zu dem Bürger Klemens, welcher den Florens so lange erzogen hatte. Dieser war gar wohlgemut, daß sein Pflegesohn wieder erlöst worden war. Und als König Dagobert die drei, den Kaiser Oktavianus, den Ritter Florens und den jungen Lion ernstlich ins Auge faßte, da konnte er nach langem Anschauen nicht mehr zweifeln, daß beide Jünglinge Brüder seien und Oktavianus beider Brüder Vater. Daher rief er den guten Klemens nahe zu sich und sprach: "Klemens,. höret mir zu, ich habe etwas mit Euch zu reden. Bei dem Eide, den Ihr



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mir als guter Untertan zugeschworen habt; sagt mir, ist der Jüngling Eures Geschlechtes?" Klemens erschrak vor dem Ernste des Königs und erzählte, wie er den Knaben erkauft habe, ohne einen einzigen Umstand zu verschweigen. Sobald die Kaiserin die Rede vernahm, rief sie: "Ja, es ist wahrlich mein Sohn; er ist mir in dem wilden Walde gestohlen worden!" —lief auf Florens zu und küßte ihn mit klopfendem Herzen. Dem Kaiser, als er seine liebe Gemahlin und die Kinder wiedergefunden hatte, gingen die Augen über. Der König von Frankreich nahte sich ihm und bezeigte ihm seine große Freude. Da sprach Kaiser Oktavianus: "Ja, es ist eine große Gottesgabe, die mir armen Sünder zuteil geworden ist. Darum nehmet es nicht übel auf, lieber König und Bruder, wenn ich mit meinem Weib und meinen Söhnen wieder nach Rom ziehe." Aber Dagobert bat ernstlich, ihm doch seinen lieben Sohn Florens zu lassen, damit er ihn mit einer Landschaft in Frankreich begaben möge, so daß der Kaiser es nicht abschlagen konnte. Doch blieb die Reise wohl noch zehn Tage anstehen , während welcher der König mit seinen Großen allerlei Festbarkeiten anstellte. Am eilften Tage verließ der Kaiser die Stadt Paris, und der König, Florens und sämtliche Ritter gaben ihm das Geleite. Die Römer empfingen ihren Kaiser köstlich, und als Oktavianus in seiner Stadt angekommen war, setzte er der Kaiserin eine köstliche Krone auf das Haupt, und die fromme Frau vergaß ihres vorigen Leides und wurde hoch erfreut.

Darnach fragte der Kaiser, wo seine Mutter sei. Das Hofgesinde sprach: "Eure Mutter ist vor langer Zeit gestorben, aber fast unchristlich. Vor ihrem Ende ist sie taub und wahnsinnig geworden und wollte alle Leute lebendig auffressen. Zuletzt mußte man sie an eine starke Kette legen; so trug sie die Schuld ihrer Sünden, bis sie ihren Geist aufgab." Der Kaiser war froh, daß er seine Mutter nicht bestrafen durfte. Er wandte sich nun zu fröhlicherem Dinge, schlug seinen lieben Sohn Lion zum Ritter, und alles Volk hatte große Freude.



***
Da begab es sich, daß der König von Spanien ein Turnier ausschrieb an alle Könige und Fürstenhöfe, also daß, wo ein tapferer Ritter wäre, der seine Kraft und Mannheit versuchen wollte, derselbe sich in der spanischen Stadt Valencia einfinden sollte: da würde ein jeder seinesgleichen finden. Als dies vor die Ohren des edlen Ritters Lion kam, säumte er nicht lange. Er gebot einigen seiner Ritter, sich auf das Turnier zu rüsten, erbat sich von seinem Vater die Erlaubnis zu reisen und zog mit zweihundert


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wohlgewaffneten Rittern nach Valencia. Hier blieben sie acht Tage stilleliegen und ruhten, bis alle Ritterschaft zusammengekommen. Dann ließ der König von Spanien einen schönen Turnierplatz zurichten und öffentlich ausrufen, wo ein Ritter wäre, der turnieren möchte um einen Kranz, den des Königs Tochter Rosamunde selbst gewunden, der solle sich des andern Tags zu guter Zeit auf den Platz verfügen.

Als der Ritter Lion dieses hörte, konnte er kaum erwarten, bis die Sonne aufging, und ließ sich schon vor Tag seine Rüstung bringen. Diese war gut und schön gefertigt: vorn auf der Brust war sie mit feinem arabischen Golde zusammengeschmelzt und mit viel köstlichen Edelsteinen besetzt . Auf seinem Helm führte er einen Löwen aus klarem Golde, der trug ein Wickelkind im Nachen. Sobald er nebst allen seinen Begleitern fertig war, begab er sich den nächsten Weg auf den Kampfplatz. Hier fand er manchen kühnen Ritter; doch war keiner so wohl gerüstet wie er, daher wurde er auch von allen Anwesenden mit Neugierde betrachtet. Wie nun die Zeit kam, daß man zusammentreffen sollte, teilten sich die Ritter in zwei Haufen; aber Lions Begleiter trennten sich nicht von ihrem Herrn; sie legten ihre Lanzen ein und rannten allweg mit ihm, und das so gewaltig, daß mancher von den Gegnern den Sattel räumen mußte. Auch Lion säumte nicht und warf alle zu Boden, die ihm vorkamen.

Die Königstochter Rosamunde lag auf den Zinnen mit ihren Jungfrauen und schaute dem Kampfe zu. Wie sie nun den Jüngling so ritterlich streiten sah, hätte sie gerne gewußt, wer der Ritter sei, der einen goldenen Löwen auf dem Helm hatte. Als das Turnier vorüber war, das bei fünf Stunden gewährt hatte, und jedermann wieder in seine Herberge gezogen war, auch Lion sich entwaffnet hatte, begab er sich mit seiner Gesellschaft sofort zu dem Könige von Spanien und wurde von diesem gar höflich empfangen. Und als es Zeit war, zu Tische zu sitzen, und alle Ritterschaft zugegen war, siehe, da trat Rosamunde mit ihren Jungfrauen in den Saal, köstlich geziert. Auf dem Haupte trug sie eine goldene Krone und auf der Krone das Kränzlein. Und als sie in dem Königssaale vor ihrem Vater stand, hub dieser an und sprach: "Liebe Herren und Ritter, der Kranz, der dem Tapfersten unter euch gehört, ist hier vor euch. Fragt ihr aber, wer der sei, so ist mein Bedenken, daß der Ritter; der einen goldenen Löwen auf dem Helme führt, der würdigste sei, ihn zu tragen. Welcher nun derselbe ist, der melde sich, daß ihm hie gebührende Ehre geschehe." Lion stand hinten in der Tiefe unter den andern Rittern und. scheute sich, seinen eigenen Namen zu nennen. Als aber der König immer



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ernstlicher nach dem Ritter fragte, trat einer von Lions Genossen hervor; deutete auf den Fürsten und sprach: "Hier stehet der, nach dem Ihr fraget ." So mußte Lion hervortreten und sich dem Könige zeigen. Die schöne Rosamunde nahm den Kranz von ihrem Haupte und setzte ihn dem Jüngling Lion mit den Worten auf: "Edler Ritter, dieses Kränzlein möget Ihr wohl in Ehren tragen; denn Ihr habt wahrlich ritterlich gefochten Lion dankte ihr mit einer tiefen Verbeugung und trat wieder zurück zu seinen Kampfgenossen. Alsdann begann das Mahl, und der Jüngling wurde neben Rosamunde gesetzt. Die beiden vergaßen aber das Essen und vertrieben sich die ganze Zeit mit freundlichem Gespräche. Und unter ihren Worten entzündete sich das unauslöschliche Feuer der Liebe, so daß sie am Ende verstummten und keines mit dem andern mehr reden konnte, sondern daß sie nur Seufzer ausstießen. Der alte König von Spanien merkte dieses ; er fragte deswegen heimlich, wer denn der Ritter Lion wäre. Als ihm darauf die Antwort geworden, daß er des römischen Kaisers Oktavianus Sohn sei, verwunderte sich der König dessen und ward im Herzen sehr darüber erfreut. Sowie man von der Tafel aufgestanden war, führte er seine Tochter Rosamunde und den Ritter Lion in seine Kammer und sprach zu diesem: "Lieber Herr und guter Freund, wir haben wohl vermerkt, daß Ihr und meine Tochter große Liebe zusammen traget. Wenn es Euch nun beliebt, so will ich Euch meine Tochter zum ehelichen Gemahl geben." Jener antwortete: "Gnädigster Herr, ich bin allezeit bereit, Euren königlichen Willen zu tun, bevorab diesmal!" Auf solches zog der König seinen eigenen Ring von der Hand und verlobte Lion mit Rosamunde , und bald darauf wurde eine köstliche Hochzeit gehalten; worauf der Ritter Urlaub nahm und mit seiner jungen Gemahlin und den zweihundert Rittern wieder nach Rom fuhr, wo er von seinem Vater, dem Kaiser, gar wohl empfangen wurde.

Florens hatte dem Könige von Frankreich drei Jahre lang gedient und war nun schon ein Jahr darüber bei ihm, seitdem sein Vater wieder zu Rom hauste. Da kamen im vierten Jahre die Großen von England zu dem Könige Dagobert und beklagten sich, daß ihr König gestorben sei und keinen Erben hinterlassen hätte, der die Krone antreten könnte. Sie baten ihn mit Ernst, er möchte ihnen einen König wählen, der sie regiere und wider ihre Feinde beschirme. Darauf sprach Dagobert: "Bei der Treue, die ich Gott schuldig bin, ich wüßte keinen auf Erden, der dies füglicher sein könnte als Florens, ein Sohn des römischen Kaisers Oktavianus. Denn wenn nicht erstlich Gott und dann er gewesen wäre, so wäre mein



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Land von den Ungläubigen erobert worden. Darum, einen bessern Rat kann ich Euch nicht geben." Die englischen Fürsten waren dieses Rats sehr zufrieden; denn sie hatten von Florens, seinen Tugenden und männlichen Taten schon vieles reden hören. Dagobert meldete seinem Freunde Florens die Sache, und dieser nahm das Königreich mit gutem Willen an. So ward er im Triumph in das Münster St. Denis geführt und vom Könige Dagobert zu einem König in England gekrönt.

Als er nun nach England zog, wollte er seinen lieben Pflegvater Klemens , dessen Hausfrau und seinen vermeinten Bruder Klaudius nicht hinter sich lassen, sondern sie mußten alle drei mit ihm nach England ziehen. So saßen sie auf, zogen durch Brabant, setzten sich auf das Meer und schifften gen England, und bald waren sie in der Haupstadt London. Hier wurden Florens und Marcebylla samt dem König Dagobert, der sie begleitet hatte, feierlich empfangen. Dem Florens wurde das Gesetz von England vorgelesen, dasselbe zu halten, wie es einem frommen Könige gebührt. Und Florens tat einen willigen Schwur.

Darauf segnete König Dagobert sie alle und schied von dannen. Der König Florens, dem Gott allezeit beistand, regierte sein Volk weislich, und es gehorchte ihm in Ehrfurcht und Liebe. Auch wurde ihm und seiner Gemahlin Marcebylla ein schöner Sohn beschert, welchen sie Wilhelm nannten. Dieser wuchs in allen Tugenden auf und wurde von allen Menschen in Ehren gehalten. Nach langen Jahren starben Florens und seine geliebte Marcebylla kurz nacheinander, und Wilhelm ward zum König in England gekrönt. Auch dieser hielt gut Recht, achtete den Armen wie den Reichen und war seinem Volke sehr lieb.

Dies ist die Geschichte vom Kaiser Oktavianus und seinen zwei Söhnen.



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Die schöne Melusina

Mit Bildern von Adolf Ehrhardt



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Zu Poitiers in Frankreich war ein Graf, namens Emmerich, ein gelehrter Herr, und besonders in der Wissenschaft des Himmelslaufes und zukünftiger Dinge vielerfahren. Derselbe war auch gar reich an Gütern und pflog großer Ergötzlichkeit mit Jagen. Er hatte nur einen Sohn und eine einzige Tochter, die er beide inniglich liebte. Der Sohn hieß Bertram, die Tochter Blaniferte. Die letztere war eine sehr schöne und züchtige Jungfrau und in allem mit Tugend wohlgeziert. Nun gab es in dieser Landschaft überaus große Wälder, und namentlich fand sich in der Gegend, wo Graf Emmerich lebte, ein Holz, welches der Kürbisforst hieß. In diesem lebte zu der nämlichen Zeit ein berühmter Graf von gutem Geschlechte, aber arm an Habe und mit vielen Kindern gesegnet. Doch ersetzte er solchen Abgang an zeitlichen Gütern durch viele andre seinem Stande wohlgeziemende Tugend; denn er war ein weiser, verständiger Herr von gar redlichem Gemüte, der mit seinem jährlichen Auskommen bescheiden und ohne Pracht haushielt und mit guter Zucht seiner Kinder pflegte, weswegen er denn auch von jedermann geehrt und wertgehalten wurde. Dieser Graf war auch aus dem Geschlechte derer von Poitiers, führte in seinem Wappen gleichen Schild und Helm wie jener und war mithin dessen leiblicher Vetter.



***
Der Graf Emmerich von Poitiers nun erwog bei sich, daß sein Vetter, der Graf von dem Forste, sehr arm und mit vielen Kindern beladen sei; er dachte deswegen darauf, ihn teilweise zu erleichtern und ihm unter die Arme zu greifen, damit er seine zeitliche Nahrung besser haben und seine Kinder dereinst standesmäßiger aussteuern könnte. Es fügte sich darauf, daß der reiche Graf von Poitiers in seiner Residenz einst ein großes Bankett zurichtete und seinen Vetter, den armen Grafen von dem Forst, dazu berufen ließ. Dieser fand sich zu der Festlichkeit mitsamt seinen drei Söhnen , welches junge wohlgezogene Herren waren, mit aller Höflichkeit ein. Hier wurde ihnen alle nur ersinnliche Ehre und Freundlichkeit erwiesen; da erhub sich in dem Herzen des Grafen Emmerich eine solche Flamme der Liebe und Zuneigung gegen diese drei Jünglinge, am allermeisten aber


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gegen den Jüngsten, welcher Raimund hieß, daß er sich nicht länger mehr bergen konnte, sondern dieses Gefühl seinem Vetter, dem Grafen von dem Forst, eröffnete mit der herzfreundlichen Anrede: "Lieber Vetter, ich sehe wohl, daß Ihr mit Kindern sehr überhäuft seid. Darum ist mein Wunsch, Ihr wollet geruhen, mir einen Eurer Söhne an Kindes Statt zu überlassen, welcher zu allem Guten erzogen und wohlversorgt werden soll." Der redliche alte Herr stellte ihm auf ein so geneigtes Anerbieten frei, welchen von den dreien er sich auswählen wollte. Also erbat sich Graf Emmerich den Jüngsten, Raimund, der ihm am allerbesten gefiel. Dafür bedankte sich der Graf vom Forste aus ganzem Gemüt und übergab ihm den schönen, jungen, wohlgestalteten Herrn, seinen jüngsten Sohn, mit höchstem Vergnügen.

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Nachdem das herrliche Bankett geendet war, welches drei Tage lang gewährt hatte, nahm der alte Graf wieder Abschied von seinem Vetter; willens, sich wieder nach Hause zu begeben, seinen jüngsten Sohn Raimund also zurücklassend, wiewohl es nicht ohne nasse Augen und heimliche Betrübnis bei dem alten Vater ablief. Das junge Herrlein aber hätte sich keine bessere Aufnahme wünschen können; auch erwies er sich in seinem Dienste vor allen andern angenehm und wußte sich höchst beliebt zu machen; daher wurde er nicht nur von seinem Vetter als ein Freund recht innig geliebt, sondern dieser befahl auch allen Haus- und Hofgenossen, ihn aufs achtsamste zu behandeln, damit ihm ja von niemand Leid zugefügt würde.


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Als nun einmal Graf Emmerich seiner Gewohnheit nach auf der Jagd war und die Seinigen einem wilden Schweine nachjagten, da ritt auch Raimund demselben nach; das Schwein aber eilte, sich vor den Hunden zu retten, und zog so den ganzen Schwarm der Jäger nach sich. Auch Raimund war darunter, da er seinen Herrn nicht verlassen wollte, zumal es später Abend und verführerisches Mondlicht war. Solange das Schwein verfolgt wurde, hielt er aufs getreueste aus. Dieses hatte inzwischen viel Hunde teils getötet, teils verwundet; und nach und nach hatten sich alle Diener von dem Grafen verloren, so daß keiner von ihnen wußte, wo derselbe hingekommen wäre, außer Raimund, der bei ihm war. Als nun dieser solches bemerkte und sich beide in der äußersten Verlassenheit fanden, begann Raimund endlich, seinen Herrn Vetter wohlmeinend also anzureden: "Gnädiger Vetter, wir sind von allem unsrem Volke abgekommen, haben Hunde und Jäger verloren; es will sich wegen eingebrochener


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Nacht nicht wohl tun lassen, so weit zurückzureiten; auch können wir unser Gefolge nicht wohl wiederfinden. Darum rate ich, daß wir in dem nächsten Bauernhof einkehren, wo wir diese Nacht Herberge haben können." Der Graf antwortete ihm: "Du redest recht und rätst sehr wohl, getreuer Raimund; denn die Sterne stehen bereits am Himmel, und der Mond scheint gar helle!" Also fingen sie an, quer durch das Holz zu reiten, und fanden zuletzt nach vieler Mühe einen schönen Weg, von welchem dem Raimund deuchte, daß er sie nach Poitiers leiten werde. Der Graf, welcher hoffte, einige seines Volkes wiederzutreffen, sprach: "Laß uns eilen, unser Poitiers wird uns auch noch bei später Nachtzeit unversperrt aufnehmen!" So ritten sie den Weg, Graf Emmerich voran, Raimund als sein Diener hinter ihm drein.

***
Indem nun diese beiden also dahinritten, fügte sich's, daß der Graf, dem als einem guten Himmelskundigen der Lauf der Gestirne ziemlich bekannt war, unter den andern Sternen einen ganz fremden Stern gewahr wurde. Darüber seufzte er aus Herzensgrund und brach in folgende, tief heraufgeholte Worte aus: "Ach, Gott, wie sind doch deine Wunder so mannigfaltig, wie kann die Natur ein so widerwärtig Spiel mit sich selbst treiben, daß sie einen Menschen entstehen läßt; der durch Übeltun zu so großen zeitlichen Ehren erhöht werden soll, während es doch sonst unziemlich ist, wenn sich jemand um der Missetat willen hoch ehren lassen will." In solcher Verwunderung über den seltsamen Himmelsaspekt sagte er zu Raimund abermal tief seufzend: "Komm herzu, Sohn, ich will dir groß Wunder und eine bedenkliche Vorbedeutung am Himmel zeigen, dergleichen nicht leicht gesehen wird!" Raimund, als ein lernbegieriger Jüngling, fragte, was denn das wäre. "Siehe", sagte Graf Emmerich, "ich sehe am Himmel, daß in dieser Stunde einer seinen Herrn töten und ein gewaltiger Herr werden wird, mächtiger, als je einer seines Geschlechts gewesen ist!"


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Raimund schwieg still und redete kein Wort; indessen fand er ein Feuer, das hatten die Herren, die im Gefolge des Grafen gewesen, im Holze gelassen; deswegen stieg er vom Pferde und klaubte kleines Holz zusammen, womit er das Feuer unterhielt; denn es war kalt. Der Graf, sein Vetter, stieg auch ab und wärmte sich, aber es war ihm zum Tode. Denn in diesem Augenblick hörten sie durchs Holz etwas daherbrechen: Raimund griff schnell zu seinem Schwerte, desgleichen der Graf zu seinem Spieße. Kaum


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hatten sie sich zur Wehr gefaßt gemacht, da kam ein großes Schwein auf sie daher mit wildem Grunzen; das rückte knirschend und schnaubend in voller Wut immer näher auf sie zu. Raimund bat seinen Vetter inständig , daß er doch, um sein Leben zu retten, sich auf einen Baum flüchten und ihn allein mit dem Schweine kämpfen lassen möchte. Aber den Grafen , als einen entschlossenen Helden, verdroß solches, daß er so wider seine Gewohnheit vor einer Bestie fliehen und ihr furchtsam ausweichen sollte; er beschloß bei sich und schwur, standzuhalten und des Himmels Willen über sich ergehen lassen. Er sagte auch seinem Raimund, daß er ihn ferner mit solchen Zumutungen verschonen möchte; zugleich setzte er seinen Spieß an und ging dem Schwein entgegen, sich ihm widersetzen; er versetzte dem Tier auch wirklich einen Fang, aber das Schwein schlug den Stoß, der zu schwach war, mit einem Satze ab und warf seinen Feind ergrimmt zur Erde hin. Nun rückte geschwind auch Raimund mit seinem Spieße hervor, um der Bestie den Refi zu geben und seinen Vetter zu erretten; allein er fehlte zu allem Unglück, und im großen Eifer glitt ihm der Spieß an dem Schweine ab, und während er in Hitze nachdruckte, fuhr der Speer dem auf dem Boden liegenden Grafen tief in den Leib hinein . Raimund zog ihn zwar gleich wieder heraus, verfolgte das Schwein und fällete es auch: bis er aber zurückkehrte, fand er den Grafen schon in


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seinem Blute schwimmend und tot. Mit höchster Betrübnis floh er von dem Orte und machte sich auf weitere Flucht gefaßt.

So hatte Raimund ohne Vorsatz seinen allerbesten Freund, den Beförderer seines Glückes, ums Leben gebracht. Er wehklagte, rang die Hände, kehrte die Augen gen Himmel, welche nicht anders flossen als wie zwei Tränenquellen, ritt jedoch mittlerweile allgemach fort und führte mit sich selbst ein her leidiges Jammergespräch. Bald klagte er über die Mißgunst seines widrigen Geschickes, bald über den unseligen Stoß seines Speeres; bald verfluchte er die Stunde, darin er zu seinem Herrn gebracht worden, und bald hub er an, über seine unglückschwangere Geburtsstunde zu klagen. Solche Gedanken halfen ihm seine Betrübnis noch mehr vergrößern. "Du unbarmherziges Glück", seufzte er, "hast du denn alle Herzensplagen auf einmal über mich ausgeschüttet? Warum habe ich doch alle meine Hoffnung so ganz auf dich vielmehr als auf den gütigen Himmel selbst gesetzt? Du Betrügerin aller Menschen, du reichest für ein Quentchen Wohlfahrt und ergötzlicher Freude, damit du uns alberne Jünglinge köderst, einen ganzen Zentner Herzeleid hernach; du lässest uns nach dem Schatten der Reichtümer und der eiteln Wollust schnappen und hernach das Wesen unsers Wohlstandes selbst verlieren! Nun hast du mich zu einem armen Bettler gemacht, der gedachte, ein begüterter, reicher Herr zu werden! Dem, der mir sein Herz gegeben, habe ich sein Leben und mir selbst alle Hoffnung und zugleich die Freudigkeit meines Gewissens genommen. Ach Vetter, lieber Vetter! Warum hast du so oft die Hände deines Mörders geküßt? Warum durfte ich nicht vor dir sterbens Nun wird mich die Rache und der Argwohn aller Leute verfolgen! Alle Bäume im Walde werden mich anfeinden und ihre Aste von mir abkehren, die Luft wird mich nicht mehr anhauchen, die Sonne ihr fröhliches Licht mir mißgönnen , und nimmer werde ich solche Tat an meinem Wohltäter dem gerechten Himmel abbitten können."



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Mit solchen und vielen andern Klagen ließ er sein Pferd gehen, wohin es selbst wollte und ihn das Verhängnis führen würde. So kam er zu einem Brunnen, der Durstbrunnen genannt. Bei diesem standen drei Jungfrauen von überaus schöner Gestalt, die er vor Leid und Jammer ganz übersehen hatte. Von diesen trat die schönste und jüngste zu ihm an den Weg hervor und sprach: "Mein Freund, Ihr seid ziemlich unbescheiden für einen Ritter, daß Ihr den Frauen keine Höflichkeit zu erzeigen wisset, sondern ohne Gruß und Anrede vorbeireitet!" Raimund antwortete


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hierauf gar nicht und trieb seine Klage fort wie vorher, bis die Jungfrau endlich das Pferd beim Zügel ergriff und zu ihm sprach: "Fürwahr , Ihr wisset nicht; was Euer Stand erfordert; wenn Ihr, so stillschweigend vorüberzueilen, gedenket."

Da nun Raimund die wunderschönen Nymphen mehr ins Auge faßte, erschrak er und wußte nicht, ob er lebendig oder tot sei, oder ob ein Gespenst mit ihm rede. Indem nun die Nymphe Melusina — denn so hieß die Jüngste von ihnen, die sein Pferd hielt —bemerkte, daß er wie von einem tödlichen Gesicht überrascht und aus Schrecken ganz verfärbt und gar erblaßt war, fing sie an, ihn noch mehr zu versuchen, und beschuldigte ihn noch heftiger großer Unfreundlichkeit, weil er nicht mit ihr redete. Dem Raimund aber, obwohl er noch voll betrübter Gedanken war, fiel die unvergleichliche Schönheit der Nymphe immer mehr und mehr ins Angesicht; und die Augen begannen ihm bereits recht aufzugehen. Er sprang daher schnell vom Pferde zur Erde und sprach: "Ach, erhabene Göttin, ich bitte in tiefster Demut, daß Eure Wohlgewogenheit mir meinen Fehler vergessen und Eure holden Blicke deswegen nicht entziehen wolle. Ich bin ohnedem in solcher Betrübnis wie in einem Labyrinthe verfangen, daß ich nicht weiß, wie ich mich aus demselben herauswinden soll. Deswegen war ich mit sehenden Augen blind, dazu von solcher Schönheit entzückt und entgeistet und zugleich von meinem innerlichen Unmute ganz betäubt. Damit ich aber auch wegen meiner Unhöflichkeit Buße tun und die schuldige Strafe dafür erleiden möge, so befehlet Eurem Diener, Allerschönste, was er zu vollbringen hat, daß er Ihrer holden Blicke wiedergenieße!" — "Nicht also, mein Raimund", hub die holdselige Nymphe an, "stehet zuvor von der Erde auf: ein so edler Ritter hat nicht Ursache, so gebogen auf derselben zu liegen! Die Reue über einen so kleinen Fehler und die Ursache desselben ist schon Strafe genug! Wir sind Euch alle insgesamt gewogen, tapferer Gallier!" Raimund, solches hörend und, daß sie seinen Namen nannte, erstaunte noch mehr; denn er wußte nicht, wie dieses zuging. "Göttergleiche Jungfrau", sprach er",nun merke ich recht, daß Ihr von dem gütigen Himmel abgeschickt seid, mich aus meiner Unruhe zu erlösen und aufs neue zu erquicken. Denn kein Mensch ist in der Gegend, der meinen Namen weiß, und auch der Eurige ist mir unbekannt; auch halte ich Euch viel mehr für ein Engelsbild in menschlicher Gestalt als für einen natürlichen Menschen. Könnt Ihr deswegen , schöner Engel, dieses Gemüt mit einigem Trost erfrischen, so wie ich von Eurer Lieblichkeit schon einige Erquickung spüre, oh, so fahret fart,



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meine halberstorbenen Kräfte durch solche Anmut neu zu beseelen und Euren Diener glückselig zu machen."

"Stillet Euren Kummer, betrübter Raimund!" — fing die liebliche Nymphe wieder an —"lasset Euer liebes Herz solchen Unfall nicht allzusehr kränken: ich kenne Eure Not und Klage; wollet Ihr aber meiner Lehre folgen, so will ich dafür sorgen, daß Eure Wohlfahrt wieder neu grüne und Ihr an Gut, Ehre und Glück nimmermehr Mangel leidet! Lieber Raimund, alles, was Euch Euer Vetter aus dem Stand der Sterne geweissaget hat, das muß durch die Gnade des Himmels an Euch vollbracht werden, der alle Dinge leitet." Als nun Raimund hörte, daß sie von der Gnade Gottes sprach, gewann er allgemach wieder neuen Trost in seinem bekümmerten Hergen, daß die Nymphe doch kein Gespenst und keine ungläubige Heidin war, sondern von christlichem Stamme sein mußte. Er sprach demnach zu ihr: "Schönste Gebieterin! Ich werde mit aufmerksamem Ohr und gehorsamem Herzen Euren getreuen Beirat anhören, und mein ganzes Gemüt soll Eurem Willen demütig unterworfen sein: nur lasset mich zuvor Eure Neigung und Euer Wohlwollen verspüren dadurch, daß Ihr mir eröffnet, woher Ihr meinen Namen und das unselige Ereignis kennet, damit ich, aus allem Zweifel gehoben, die mildselige Schickung des Himmels um so mehr zu erkennen und zu loben, Ursache habe, da sich derselbe zu meinem Troste eines so wunderbaren Werkzeuges bedienen wollte."

Hierauf begegnete die Nymphe ihm aufs neue mit tröstlichem Zuspruch: "Zweifle nicht, lieber Raimund", sprach sie, "daß ich dein Glück und deine Ehre erneuern werde; frage nicht mehr so inständig nach meinem Wissen, und woher mir dein Name bekannt sei, sondern glaube vielmehr, daß der Himmel es also füget. Sieh mich demnach für kein verstelltes Engelsbild, sondern vielmehr für eine gute Christin an; was ich bin, bin ich durch die Gnade des Himmels; ich glaube alles, was einem Christen zu glauben zusteht: daß ein Wunderkind von einer keuschen Jungfrau geboren worden und der Sohn Gottes genannt wird, daß er in der Zeitlichkeit für alle Menschen gelitten, als Gott und Mensch wahrhaftig auferstanden und wieder gen Himmel gefahren sei. Dies alles weiß und glaube ich. So verbanne denn allen Kleinmut und alle Traurigkeit aus deiner geängsteten Brust und gib nicht zu, daß ferner ein Zweifel dein Gemüt besitze. Betrachte das Glück, das bereits vor deinen Augen schwebt!"

Durch solchen Zuspruch fingen die muntern Lebensgeister dem guten Raimund wieder aufzusteigen an, und der lebhafte Purpur seines Gesichtes



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schimmerte aufs neue durch seine Wangen. "Schönste, liebenswürdigste Nymphe", sprach er laut, "alle meine Kräfte, all mein Wollen soll nach Euren Befehlen wie der Schatten nach der Sonne gerichtet sein. Ich vergehe fast vor Verlangen, den Inhalt meines Glückes von Euren klugen Lippen anzuhören. Wenn Ihr mir denselben nicht bald eröffnet, so sterbe ich!" "Wohl denn, begieriger Raimund, so höret", sprach sie, "was Euch zu leisten obliegt; wenn Ihr Eures Glückes teilhaftig werden wollt. Ich verlange ernstlich, daß Ihr mir beim Himmel schwöret und bei dem Heiligsten, das er enthält, daß Ihr mich zu Eurer ehelichen Gemahlin erkieset An jedem Sonnabend sollt Ihr mich in Ruhe lassen und nichts von mir zu fragen begehren, mir auch an selbigem Tage nichts befehlen; ja, ganz und gar nicht mit mir reden, mich nicht sehen, auch nicht durch jemand anders sehen lassen, sondern mich gänzlich in Ruhe lassen, so daß ich den ganzen Sonnabend frei und unbekümmert bleiben mag. Dagegen gelobe ich Euch hinwider, daß ich die ganze Zeit meines Lebens, besonders aber am gedachten Tage nirgends hingehen will, wo es Euch nicht lieb


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und angenehm wäre, sondern mich an demselben in meinem Frauengemache ganz stille, züchtig und verschlossen halten werde."

Alles das gelobte und schwur sofort Raimund, ihr getreu und unverbrüchlich zu halten. Der Nymphe kam inzwischen sein leichtsinniges Erbieten und sein schneller Eid noch ziemlich verdächtig vor; denn sie glaubte, er verspreche mehr, als er halten würde; doch gab sie ihm dies nur ganz gelinde zu verstehen: "Ihr leistet zwar", sprach sie, "meinem Willen vergnüglichen Gehorsam, wiewohl Ihr noch nicht alles vernommen. Gleichwohl sehe ich aus Euren Mienen, daß Ihr mehr gelobet, als Ihr zu halten gedenket; sollte es aber je geschehen, daß Ihr mir untreu würdet, davor Euch der Himmel behüte, so wisset, daß Ihr selbst der einzige Urheber wäret, der einzige Schlüssel, welcher die Türe zu seinem Unglück eröffnet; denn nicht nur würdet Ihr mich unfehlbar von Stund an verlieren und nimmermehr zu Gesichte bekommen, sondern auch Euch und Euren Erben schaden und Unglück bis auf Kindeskinder zuziehen."

Als Raimund solches vernahm, schwur er ihr vermessentlich noch einmal und wollte nicht für den angesehen sein, den sie in ihm argwöhnte. "Wohlan", versetzte die Nymphe, "ich nehme die gute Meinung an, die Ihr mir von Euch machen wollt. Reiset hin, mein Geliebter, nach Poitiers, der Himmel begleite Euch mit seinem Schutze! Wenn Euch aber jemand fragt, wo Euer Vetter, der Graf, hingekommen, so antwortet nicht anders, als daß Ihr ihn im Wald verloren und er vielleicht irregeritten sei, wie denn auch seine andern Diener sagen und Euch beistimmen werden. Dann werden sie ihn eiligst suchen und endlich auch finden und mit großer Klage nach Poitiers bringen; der Himmel weiß, mit welcher Betrübnis ihn die Gräfin, seine Gemahlin, mit ihren Kindern samt allen Untertanen beweinen wird. Diese alle sollt Ihr dann trösten und ihren Kummer mildern helfen, dann wird ihre Neigung und ihr Dank wie ein reicher Strom auf Euch wallen, und jedes wird Euch anstatt des toten Grafen Emmerich zu seinem Herrn wünschen. Nach seiner Beerdigung werden sich seine Verwandten und die Edeln des Landes einfinden, um von seinem Sohne als ihrem jetzigen Herrn die Lehen zu empfangen. Dann sollt Ihr Euch auch in Demut melden und bitten, daß er Euch für Eure treu geleisteten Dienste ein Stück Landes bei dem Durstbrunnen schenken wolle, wäre es auch nur soviel Land und Wald, als Ihr mit einer Hirschhaut umschließen könnet. Diese ehrerbietige Bitte wird des Grafen Herz dermaßen bewegen, daß er sie Euch gewähren wird." Dann sagte die Listige weiter voll Freuden: "Eilet, mein teuerster Raimund, und säumet nicht, Brief und Siegel



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darüber zu bekommen, welche von des Grafen Hand unterzeichnet sein müssen, und trachtet ja, daß selbige schleunig ausgefertigt werden, des Inhalts, was die Gabe sei, wann und warum sie Euch verliehen sei, samt dem Jahr und Tage, an dem das alles geschehen und vollzogen ward. Nach allem dem wird Euch ein Mann begegnen, der eine Hirschhaut zu Hause trägt. Diesem handelt sie ab ohne vieles Wortemachen, lasset sie zerschneiden zu einem schmalen Niemen, so dünn er nur sein mag, jedoch an einem Stücke, bis die ganze Haut aufgebraucht ist. Alsdann gehet hin und lasset Euch das Versprechen vollziehen und fanget von dem Brunnen an. Solches wird Euch eine ganze Tagreise Landes im Umkreise bis wieder an die Stelle verschaffen, von welcher Ihr ausgegangen seid, und niemand wird Euch dies streitig machen können."

So entließ die schlaue Nymphe ihren Liebling mit listigem Rat und hieß ihn in des Himmels Geleite gehen.



***
Raimund hatte nun mit tausend Küssen von seiner liebsten Melusina zärtlichen Abschied genommen. Er ritt Poitiers zu und gedachte auszuführen, was sie ihm zu tun geraten hatte. Auch handelte er ganz nach ihrem Sinne und kam am frühen Morgen in der Stadt an. Während er hereinging fragte ein Mann: "Wie kommt es, Raimund, daß Ihr so ohne Euren Herrn erscheinet?" Raimund antwortete: "Ich habe ihn wahrhaftig seit verwichenen Abend nicht gesehen; denn er entritt mir im Wald dem Gejage nach, so daß ich ihn nicht ereilen konnte. Ich habe ihn dann verloren und bin später seiner nicht mehr ansichtig geworden." Bei dieser Verantwortung ließen sie es bleiben, und niemand war da, der an ein Unglück dachte oder etwas Widriges geargwohnt hätte. Raimund aber wußte nach der klugen Art, die ihm seine Geliebte angeraten hatte, alles auf das beste zu verbergen; nur seufzete er zuweilen bei sich, durfte es jedoch nicht merken lassen.

Inzwischen kamen alle Diener des Grafen von dem Jagen einer um den andern nach Hause geritten bis auf zwei, welche noch aus waren. Ihrer keiner aber wußte zu sagen, an welchem Orte ihr Herr sich von ihnen verloren, und wo sie ihn am vorigen Abend zuletzt gesehen hätten. Dies verursachte bei Hof ein großes Klagen, besonders bei der Gräfin und ihren Kindern. Als sie nun im uutesten Jammer begriffen waren, da kamen auch die zwei letzten Diener aus dem Gefolge herbeigeeilt und brachten ihren Herrn, den Grafen, tot mit sich, was sehr kläglich anzuschauen war und das Weinen aller Anwesenden noch vermehrte. ?luch



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dem unwuldigen Täter Raimund wurden die Augen gang naß, und das Herz klopfte ihm heimlich mit schnellen Schlägen. Die Diener erzählten, wie sie den Grafen in seinem Blute ganz blaß und entseelt bei dem wilden Schwein auf der Erde liegend gefunden; da sah man im ganzen Schlosse nichts als verzweifeltes Händeringen, besonders von seiten der vaterlosen Kinder und der Witwe. Ihre Augen ergossen gange Ströme von Tränenbächen, und ihre Gestalten sahen Leichen nicht unähnlich. Dennoch eilte man, damit der endlosen Klage in etwas gesteuert würde und der Leichnam ihnen aus dem Gesichte käme, gleich des folgenden Tages zum Begräbnis, das unter großer Trauer, jedoch in schönster Ordnung angestellt ward. Raimund, welcher nicht der am wenigsten Betrübte war und auf das heftigste mitklagte, wurde wegen seiner treu geleisteten Dienste von allen Anwesenden höchlich gelobt; besonders daß er nach seines Herrn Tode ihm noch die letzte Ehre mit vielen Tränen erweisen wollte. Dies alles aber hatte er niemand anders zu danken als seiner geliebten Melusina, die er bei dem Durstbrunnen angetroffen.

Als Graf Emmerich auf diese Weise bestattet war, fanden sich die Edeln des Landes alle bei seinem Sohne, Grafen Bertram, ein und empfingen von ihm ihre Lehen, wie dies bei einem neuen Herrn zu geschehen pflegt. Da trat auch Raimund hervor und brachte seine Bitte vor, wie er von Melusina unterrichtet war. Der Graf aber ließ sich diese demütige Bitte von Raimund wohlgefallen und versprach ihm auf der Stelle, solches zu gewähren; auch alle Räte desselben gaben einmütig ihre Zustimmung. Nach dieser allseitigen Einwilligung bat Raimund um die Ausfertigung eines versiegelten Lehensbriefes, von des Grafen Hand unterzeichnet der ihm sofort ohne Widerspruch gewährt und eingehändigt wurde.

Kaum hatte Raimund den gesiegelten und unterschriebenen Brief empfangen, so fügte sich zu seinem Glücke die erwünschte Gelegenheit, daß ein Mann eine schöne gegerbte Hirschhaut feiltrug, die er denn unverzüglich ankaufte und in ganz schmale und dünne Riemen zerschneiden ließ, soviel man immer daraus machen konnte. Nachdem auch dieses geschehen war, meldete er sich abermals bei dem Grafen und stellte die fernere geduldige Bitte, daß man ihm dasjenige Stücklein Lands, das er um die Gegend des Durstbrunnens auserlesen würde, als Lehen übergeben wollte. Der Graf bestellte sofort einige Amtleute und Räte, die mit Raimund nach dem Brunnen ritten. Da fanden sie, daß Raimund eine Hirschhaut zu den allerschmalsten Riemen zerschnitten hatte, und verwunderten sich



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höchlich über die List. Sie wußten nicht, was sie in diesem Falle zu tun hätten; denn sie dachten wohl, daß die lederne Schnur ein gut Teil Feld, Wald und Felsen umspannen würde, wie dies auch in der Tat sich zeigte. Auch erschienen von Stund an zwei hierzu bestellte unbekannte Männer; welche die zerschnittene Hirschhaut nahmen und sie beim Anfang des Riemens an einen Pfahl banden. Sie umspannten so ein großes Stück Landes von dem Durstbrunnen an bis wieder zu demselben, und in diesem großen Umkreise fand sich eingeschlossen, was man nur wünschen mochte; insonderheit floß ein schönes, reichliches Wasser durch das umfangene Land. Die Amtleute selbst konnten dem Raimund über die Klugheit seines Anschlages, von dem sie nicht wußten, woher er ihm kam, ihr Lob nicht versagen. Obgleich sie gestanden, daß sie es mit der Hirschhaut ganz anders gemeint hätten, ließen sie es doch, weil der Graf sein Wort einmal gegeben hatte, bei der Schenkung bewenden, kehrten um und ritten auf einen Ort zu, der die Kartause genannt war und nicht ferne von dem Brunnen lag. Von dannen reisten sie weiter und nach Poitiers zurück. Hier erzählten sie ihrem Herrn, dem jungen Grafen, alles, was sich begeben . Als dieser die seltsame Begebenheit vernommen, konnte er sich nicht genugsam verwundern; doch mußte er es auch geschehen lassen, zumal er sich einbildete, es müßte bei diesem Brunnen gespenstisch und geisterhaft zugehen, weil es dort der Abenteuer schon mehrere gegeben habe; woraus er schloß, daß auch dem Raimund dort etwas Wunderbares zugestoßen sei. Doch gönnte er ihm als seinem lieben Vetter und Freund, der sich auch um seinen Vater wohl verdient gemacht hatte, alles Gute mit dem Wunsch, daß es ihm dabei glücklich ergehen und kein ferneres Ubel daraus entstehen möchte. So treumeinend ist die heutige Welt nicht gesinnt.

Mittlerweile hatte sich auch Raimund selbst bei Hofe mit gar fröhlicher Miene eingestellt; er dankte seinem Vetter, dem Grafen, aufs höflichste für seine Gnade, wodurch die Verwunderung und Bestürzung aller Anwesenden nur noch vermehrt wurden, wenn sie bedachten, daß Graf Bertram so gütig und Raimund so kühn sein könnte. Raimund aber hatte seinem Herrn und Vetter mitten im höchsten Leidwesen anstatt einer ungnädigen Miene ein verwundertes Lachen abgewonnen, weil er sich mit seiner listigen Tat so wohl geholfen.

Jener, nachdem ihm sein Hofritt besser ausgeschlagen, als jemand geglaubt hätte, setzte sich nun wieder auf sein Roß und ritt mit frühem Morgen dem Durstbrunnen zu. Hier traf er seine liebe Verlobte, die unvergleichlich schöne Melusina, welche seiner Ankunft mit höchstem Verlangen



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gewartet Hatte und ihn auf das allerherzfreundlichste mit tausend holden Blicken und Grüßen bewillkommte. "Seid mir gegrüßt", rief sie, "mein Beherrscher, mein liebster Raimund! Ihr habt aufs weislichste vollzogen, was Euch zu tun oblag; dafür statte ich Euch als meinem einzigen Geliebten auf Erden den innigsten Dank ab. Folget mir nun und lasset uns dem gütigen Himmel für das gnädige Gedeihen unsers Vornehmens demütigsten Dank sagen!"Mit diesen Worten faßte sie ihn bei der Hand und führte ihn zu einer abgelegenen Waldkapelle. Als sie in diese eingetreten, erblickte Raimund einen Haufen des schönsten Volkes, Ritter und Bürgersleute , Frauen und Jungfrauen, Alte und Junge, auch Priester, die alle ihren Gottesdienst verrichteten. Er wußte nicht, ob er unter Menschen oder Geistern sich befinde; denn nachdem er sich lange umgesehen, hatte er auch nicht einen einzigen bekannten Menschen entdeckt, den er irgend anderswo gesehen hätte. So, in der höchsten Verwunderung, fragte er seine Geliebte und sprach: "Mein Kind, was für ein mir unbekanntes Volk ist dieses? Wes sind die Leute, die ich also geschmückt vor mir sehe?" — "Wundert Euch nicht, mein Geliebter", versetzte die Schöne, "es sind lauter Leute, denen Ihr zu gebieten habt, und die Euch künftig ihren Herrn heißen sollen, kurz, mein Volk und meine Untertanen sind es!" Und nun wandte sie sich zu dem Volk und gebot ihnen allen mit vernehmlicher Stimme, daß sie ihrem Geliebten Raimund hinfort gehorsam und untertan sein sollten als ihrem rechtmäßigen Herrn und Gebieter. Alle verneigten sich tief und gaben ihre Untertänigkeit sogleich zu erkennen; aller Augen waren ehrfurchtsvoll auf Raimund gerichtet, solange der Gottesdienst währte.

Da Raimund solches alles nicht ohne Staunen und Schrecken ansah, mußte er den seltenen Gehorsam heimlich, aber mit Zittern und Entsetzen, bewundern, schwieg jedoch ganz still und wußte nicht, was er hier denken oder sagen sollte. Melusina merkte, daß er in schweren Gedanken begriffen sei, und hub daher an, ihm mit leisem Zusprüche zu begegnen: "Lieber Raimund, entsetzet Euch nicht ob dem, was Euch so seltsam und fremd vorkommt. Es ist ganz kein Zweifel, daß Ihr mein eigentliches Wesen noch nicht vollständig erkennen vermöget; es wird Euch aber nicht eher möglich werden, als bis Ihr mich zum ehelichen Gemahl ordentlich angenommen habt. Ihr habt mir zwar, in allem getreu zu sein und in der Ehe mit mir zu leben, gelobt und geschworen; aber vollzogen ist unsere priesterliche Einsegnung noch nicht; ohne diese aber wird Euch die völlige Erkenntnis meiner Person immer fehlen."



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Raimund fühlte sich durch diese Worte Melusinens wieder etwas getröstet und sagte zu ihr: "Ich bin ja bereit, meine Schöne, jederzeit Euren Willen zu tun." — "Es ist wahr, mein Raimund", erwiderte sie, "und ich kann es nicht leugnen, daß Ihr mir alle Treue und Ehre erwiesen: aber nur noch dieses eine ist not; alsdann werdet Ihr aller Glückseligkeit vollkommen genießen. Ihr müsset eine förmliche Hochzeit anstellen, ansehnliche Gäste dazu einladen, die Trauung vollziehen lassen, das Mahl abhalten und jeden Anwesenden fröhlich machen. Alsdann wird es eine ganz andere Gestalt mit unsrer Liebe gewinnen; dies muß aber, wenn Ihr anders glückselig sein wollt, ehester acht Tage, und zwar mit dem frühen Morgen geschehen."

Raimund bewilligte Melusinen all ihr Begehren, damit er doch einmal den rechten Grund dessen, was ihm noch unbekannt war, bald erfahren möchte. Er schwang sich abermals ungesäumt und mit höchster Begierde auf sein mutiges Roß und begab sich wieder nach Poitiers zu seinem Herrn Vetter. Jedermann besann sich, was diese baldige Rückkehr Raimunds an den Hof wohl bedeuten möge. Dieser wurde aber bald vorgelassen, und der Graf war begierig, sein Anliegen zu vernehmen. Siehe, da war er sein eigener Hochzeitbitter selbst und brachte seine Bitte mit folgender höflicher Rede vor: "Gnädiger Herr Vetter, geruhet, nicht unwillig dar



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über zu sein, daß ich mich so bald und unverhofft wieder bei Hofe einfinde, Euch aus besonderer Zuneigung etwas Neues zu entdecken; denn ich halte es für Schuldigkeit, Euch alle meine Heimlichkeiten zu offenbaren. Wisset denn, ich bin ein Bräutigam und komme deswegen her, Euch und Eure geliebte Frau Mutter ehrerbietig zu meinem Hochzeitfeste einzuladen , das bei dem Euch wohlbekannten Durstbrunnen begangen werden soll. Wofern ich nun die Ehre von eurer beider Gegenwart nächstkünftigen Montag früh genießen könnte, so würde ich und meine Liebste solches für ein ganz besonderes Glück halten und in steter Dankbarkeit niemals vergessen ."

Diese höfliche Einladung hatte Raimund kaum ausgesprochen, als der Graf höchst neugierig die Frage fallen ließ, wer denn wohl seine Liebste sei. "Sie ist eine edle, reiche und mächtige Dame", versetzte Raimund, "deren Herkunft ich übrigens selbst noch nicht eigentlich weiß und auch nicht eher als bis nach der Trauung erfahren werde." Graf Bertram konnte sich der Verwunderung und des Lachens kaum enthalten. Doch gab er ihm diesen höflichen Bescheid: "Liebster Vetter, wir vernehmen mit größtem Vergnügen und Wohlgefallen Euer Glück und sind entschlossen, auf Euer freundliches Ersuchen an Eurem Hochzeitfeste, wozu der Himmel sein Gedeihen geben wolle, uns einzufinden; aber sehet zu, ob Euch diese Heirat nicht übel ausschlage. Denn wenn Eure Liebste vielleicht von unedlem Geschlechte geboren wäre, so könnte sie Eurer edlen Herkunft einen Schandfleck anhängen." Raimund antwortete sogleich: "Edler Vetter, obschon ich meiner Geliebten Abkunft selbst noch nicht eigentlich weiß, so bin ich doch dessen gewiß versichert, daß sie meinem Stande gleich, wo nicht gar überlegen sei, und verlange daher nichts mehreres, als daß Ihr sie mit ihren vortrefflichen Eigenschaften persönlich kennen lernen möget." — "ES sei so, wie wir Euch schon vorhin versprochen, geliebter Vetter!" antwortete der Graf noch einmal lächelnd; "wir werden gewiß kommen und die unbekannte Braut einsehen, ob Ihr Euch auch etwas Schönes ausgelesen!" — "Zweifelt daran nicht, Vetter", versetzte Raimund, "ihre Schönheit und Sitten lassen sie wie eine Königin erscheinen; wohl möchte sie auch vielleicht eines Herzogs oder Markgrafen Tochter sein!" — "Der Himmel bestätige Euren Glauben, daß Ihr nicht betrogen seid!" sprach der Graf, "das Verlangen, diese Göttin zu sehen, macht uns die Zeit recht lang!"

So schied Raimund mit der Zusage des Grafen und höflichem Danke; er ritt davon und zu seiner Geliebten. Der gewünschte Montag kam herbei,



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und mit dem frühesten Morgen machte sich Graf Bertram samt seiner verwitweten Mutter und allem Hofgesinde von Poitiers auf, ihrem Versprechen nachzukommen und seines Vetters Ehrenfest mitbegehen zu helfen.

Unterwegs hatten sie immer die kurzweilige Sorge, daß bei dem verrufenen Durstbrunnen ein gespenstisches Gaukelspiel und Blendwerk vorgehen könnte, worüber sie dann genug lachen und den Bräutigam zu necken nicht vergessen wollten. Nun ging die Reise dem Walde zu nach Colombiers, und von da gegen den Felsen, welcher auf einer Höhe gelegen war. Kaum aber waren sie bei jenem Felsgestein angelangt, da erblickten sie schon in dem Grunde auf einer schönen, grünen, lustigen Ebene verschiedene anmutige Bäume und zwischen ihnen eine Menge trefflicher Zelte aufgepflanzt; aus denen hier und dort ein Rauch aufstieg, woran zu erkennen war, daß daselbst ein Sieden und Braten vor sich ging. Auch wurden sie sehr viel Volks ansichtig, lauter unbekannte Leute, die um die Zelte herumwandelten. Dies bestätigte sie in der Meinung, daß das alles nichts anders sein könne als eine Gespenstererscheinung, besonders auf einer solchen Einöde, wo sonst kein Mensch anzutreffen war.

In diesen Gedanken wurden sie durch die Ankunft einer Menge von jungen Rittern und Edelleuten unterbrochen, die bei sechzig Menschen, alle landfremd, aber in schönstem Schmucke und auf das beste bewaffnet, daherritten. Diese empfingen den Grafen, seine Mutter und alles, was bei ihnen war, auf das allerhöflichste im Namen ihres Herrn Raimund und begleiteten sie in zierlichern Auftritte bis vor die Gezelte. Diese gar artige Aufnahme, die sorgfältige Verteilung der Gäste in die Gezelte und die treffliche Herberge machten den Grafen Bertram nicht wenig bestürzt und brachten ihn auf ganz andere Gedanken, als die er sich eingebildet hatte. Nicht nur schön und kostbar waren die Zelte und an einem lieblichen Platz aufgeschlagen, sondern selbst die Krippen für die Pferde waren so schön eingerichtet, daß es den lustigsten Anblick gewährte. Auch hatten sich die fremden Gäste kaum in den Gezlten niedergelassen, da fand sich schon eine Anzahl schön geschmückter Frauen und Jungfrauen ein, welche im Namen der Braut die Gräfin Mutter samt allen den Ihrigen aufs artigste begrüßten. Alle Gemächer fanden sie mit Bequemlichkeiten und Zieraten auf das kostbarste eingerichtet, wie man es in dieser Einöde nimmermehr hätte erwarten sollen.

Indem kam auch Raimund mit einem Gefolge von Kavalieren daher, den Grafen, seinen Herrn Vetter, zu bewillkommen und ihn in seine Wohnung zu begleiten. Da es nun bereits Zeit zu der Trauung war und



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in die Kirche geläutet wurde, verfügten sich alle Herrschaften, in einem zierlichen Ring in bester Ordnung gestellt, nach der Kapelle, und es wurde zwischen ihnen ein mit den größten Kostbarkeiten gezierter Altar aufgerichtet . Auch die Kapelle selbst war mit Tapeten und Kleinodien auf das prächtigste geschmückt. Die Braut endlich war so wohlgetan an Schönheit wie an Kleiderschmuck, daß sie mehr einem Engelsbildnis als einem Menschen zu vergleichen war. Die Gewande schimmerten und spielten von Gold, Perlen und Edelsteinen wie der gestirnte Himmel, kurz, alles war schön und köstlich anzuschauen.

Der Graf von Poitiers samt seinem ganzen Gefolge, sobald erin die Kapelle hineintrat; wandte sich zu der Braut, umfing sie und beglückwünschte sie mit aller Ehrerbietung. Melusina und ihre Jungfrauen erwiderten diesen Gruß mit tiefer Verneigung. Nachdem nun alle in der rechten Ordnung sich gesetzt hatten, ließ sich eine vortreffliche Musik von allerlei lieblich klingenden Saitenstücken, Flöten und Posaunen hören, und die Fremden hatten mit höchstem Staunen nur genug zu hören und zu sehen, solange sie sich in der Kapelle befanden, so daß sie selbst unter sich bekennen mußten, dergleichen Hochzeitaufzüge niemals gesehen zu haben.

Nach geendigter Messe wurde zur Trauung geschritten und die Braut in ihrem Schmucke von zwo Jungfrauen, sowie Raimund von zween Rittern zu dem Altar begleitet und allda beide eingesegnet. Da stand die Braut mit Raimund unter einem köstlichen Thronhimmel. Nach verrichteter Trauung führte sie der Graf von Poitiers und ein anderer vornehmer Herr zur besondern Ehre dem Gezelte zu. Hier wurde das Handwasser in goldenen Schalen herumgetragen und jedem Gaste auf die Hände gegossen , dann setzte man sich zu Tische; die gräflichen Gäste wurden zuoberst; nächst dem Brautpaare, in goldene Sessel gesetzt. Die köstlichsten Gerichte wurden aufgetragen und bei allem eine Pracht angewendet; daß es fast königlich anzusehen war.

Nachdem die Vorgerichte genossen waren, stand Raimund mit einigen seiner vornehmsten Ritter von der Tafel auf, und indem man eben die andern Trachten aufs herrlichste daherbrachte, fing er selbst mit ihnen an, bei Tische zu dienen. Der Gerichte waren so viele, daß man nicht wußte; wo man sie hinsetzen sollte; in eitel goldenen Pokalen wurden Weine von der köstlichsten Gattung kredenzt und mit diesen so vertraulich umgegangen, als wäre es bloßes Bier; ja, selbst Diener und Knechte hatten nichts als edle Weine zu trinken, an denen sie sich vergnüglich abweiden konnten. Auf die Tafel folgte ein ergötzliches Turnier. Die Ritter in herrlichem



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Putz und Geschmeide stellten sich, in zwei Partien geteilt; auf den zubereiteten Plan; der eine Haufen wollte für Melusina, der andere für Raimund, beiden zu besondern Ehren streiten. Die Frauen im köstlichsten Schmucke von Edelsteinen (wiewohl keine schöner und geschmückter war als die Braut) schauten bei diesen herrlichen Ritterspielen zu. Jedermann erwartete voll Neugier, wer siegen würde. Jedermann tat sein Bestes, aber Raimund selbst trug das Allerbeste davon, und dies war ein ganz herrliches Kleinod von Diamanten. Darüber wurde ihm zur großen Freude seiner Geliebten ein munteres Lebehoch zugerufen.

Am späten Abende, nach gänzlicher Beendigung des Ehrenfestes, wurde das Brautpaar mit vielen Fackeln und Windlichtern zu seinem Zelte begleitet . Dieses war von lauterer Seide, mit dichten Goldstreifen und bunten Vogelgestalten herrlich durchwirkt; das Lager und die Decken von Seide, mit lauter goldenen Lilien gestickt, so daß der Glanz die Augen blendete. Die Priester segneten das Paar noch einmal, und alle Hochzeitsgäste



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verabschiedeten sich. Um das Zelt herum aber ertönte eine liebliche Musik von allerlei Instrumenten wie mit halben Stimmen, so daß die Töne noch anmutiger ins Gehör fielen. Die jungen Diener und Bursche blieben wach während der ganzen Nacht und bezeigten sich dem getrauten Paare zu Ehren mit Singen und Springen gar lustig. Melusina aber sprach zu ihrem Gemahl: "Ich bin jetzt deine Hälfte, wie du die meinige zu nennen bist. Und das laß uns bleiben, bis uns der Tod trennen wird. Nur sei nicht lüstern, nach meiner Herkunft zu forschen oder dein Gelübde , mich Sonnabends nicht zu sehen, an mir zu brechen, wenn du nicht selbst der Urheber deines äußersten Verderbens sein und mich selbst von Stund an verlieren willst." Raimund umarmte seine Gemahlin und schwur ihr alles, wie er es schon zweimal gelobt hatte, auch zum dritten Male. Dann kehrte der stille Schlafgott bei ihnen ein und schloß unter der Bedachung des Augenlides die kristallenen Fenster ihres Angesichts.

***
Am andern Morgen sammelten sich die Gäste wieder, und sie empfingen von allen den freundlichsten Gruß. Darauf ging die Fröhlichkeit wieder an, und so währten die Hochzeitfreuden fünfzehn Tage lang. Zuletzt kam auch der Abschiedstag herbei, an welchem sämtliche Gäste aufbrachen. Anstatt aber, daß sie für die genossene Ehre die Braut beschenken sollten, siehe, da eröffnete Melusina einen mit Elfenbein ausgelegten großen Schrein, in welchem die allerkostbarsten Kleinodien von Gold, Perlen und Edelsteinen in unzählbarer Menge verwahrt waren, die man zuvor nie gesehen hatte. Damit beschenkte sie die meisten ihrer Gäste, vor allen den Grafen, seine Mutter und ihre Hoffrauen. Darüber brach ihrer aller Bewunderung immer mehr und mehr aus. Welch ein wunderglückseliger Herr doch Raimund sein müsse, dachten sie, daß er eine so gute Heirat getroffen habe. Hierauf verabschiedeten sich die Gäste mit dem höflichsten Danke, besonders von der schönen Melusina, und diese mit Raimund tat ein gleiches. Zwar hätte Graf Bertram gar gerne gefragt, welchen Ursprungs die junge Frau doch sei, weil er sie immer noch nicht für etwas recht Natürliches halten wollte. Allein er fürchtete den Zorn, in welchen Raimund über solchen Verdacht geraten könnte; deswegen unterließ er es, und so schieden alle in Liebe voneinander, jedoch ohne daß die aus Poitiers wußten, bei wem sie gewesen und woher Raimunds reiche Staut wäre. Von Raimund und seinen Rittern wurden sie bis vor den Saum des Waldes begleitet. Dann ritt dieser wieder zurück und erzählte seiner Gemahlin vom letzten Abschiede. Diese empfing ihn mit tausend Küssen und


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vertröstete ihren Geliebten, weil nun diese Unruhe vorbei wäre, wollte sie nächstens einen denkwürdigen Bau und durch diesen ihres Gemahles Gedächtnis susten, was Raimund sich ganz wohl gefallen ließ.

Acht Tage waren verflossen, da kamen eine Menge Werkleute von allerlei Handwerken bei dem Durstbrunnen an, die fällten alles Holz ringsumher, soviel innerhalb des Hirschriemens begriffen war, und schlugen es zu kleinen Trümmern mit Ausnahme dessen, was zum Bauholze nützlich schien. Dann machten sie gar tiefe Gräben um die hohen Felsen herum; auch bezahlte sie Melusina alle Tage mit barem Gelde, daher sie ihr Werk um so williger vollbrachten. Sie legten ein tiefes und starkes Fundament und setzten die ersten Grundsteine auf den harten Fels. Durch solchen Fleiß hatten sie in kurzer Zeit großmächtige Türme und dabei eine über die Maßen hohe und dicke Ringmauer gesetzt. Innerhalb derselben bauten sie zwei gute und starke Schlösser. Um das unterste machte man einen hohen Zwinger, welcher sehr fest war.

Als nun die Leute des Landes ein so unsäglich großes und starkes Werk in so gar kurzer Zeit aufgeführt sahen, konnten sie sich nicht genug darüber verwundern. Und weil das Schloß zu aller Gegenwehr hinlänglich gerüstet war, so nannte es Melusina nach ihrem Taufnamen und sprach: "Lus inta soll dies Schloß heißen und hoffentlich ewig diesen Namen führen."

Nun fügte sich's, daß Melusina mit der Zeit eines jungen Herrleins genas, gar eines muntern Söhnleins, den nannte sie Uriens, und er kam in der Folge zu großen Ehren. Doch war er keineswegs schön von Angesicht, sondern hatte eine seltsame Gestalt; er war gar kurz und breit, flach unter den Augen, überdies war das eine Auge rot, das andere grün; er hatte dabei einen weiten Mund und lang hängende Ohren; aber an Armen, Beinen und allen andern Gliedern war er sonst gerade und wohlgewachsen , auch zierlicher Gebärden.

Hierauf ließ Melusina das gange Schloß einrichten. Die Gänge, die Erker, alles wurde unter Dach gebracht. Dann ward es mit Leuten und Kriegszeug also besetzt, daß es schwer zu gewinnen oder zu stürmen war. Die Gräben waren ungeheuer tief, Mauern und Türme sehr hoch und stark; die Tore waren mit mächtigen Riegeln und einem starken Schloßturm versehen. Daneben ließ sie heidnische Türmer dareinlegen, die des Schlosses Tagwächter waren und die ankommenden Fremden mit einer bestimmten Losung verkündigen mußten.

Noch dasselbe Jahr gebar Melusina einen zweiten Sohn, der Gedes genannt wurde und eine so brennende Röte unter seinem Angesicht hatte,



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daß sie gleichsam einen Widerschein gab, sonst aber war er ganz schön und von wohlgestaltem Leibe. Darnach baute sie wieder ein Schloß, das sie Favent nannte, und den Turm Mervent. Dann erbaute sie der Mutter Gottes zu Ehren ein schönes Kloster, welches sie Mallières nannte. Zuletzt endlich ließ sie das Schloß und die Stadt Portenach ausbessern und erneuen.

Alle diese Gebäude waren fertig; da gebar Melusina abermals einen Sohn, welcher gar schön war: nur stand ihm das eine Auge um ein weniges höher als das andere. Dieser Sohn hieß Gyot. Selbiges Jahr baute Melusina wieder ein Schloß, Larochelle genannt, und zu Soniets ließ sie eine herrliche Brücke anlegen. Dann gebar sie wiederum einen Sehn, Antonius geheißen, welcher einen Löwengriff an seiner Wange mit auf die Welt brachte, auch sehr behaart war und lange scharfe Nägel an den Fingern hatte. Dieser war nun so scheußlich, daß wer ihn nur ansah, sich schon vor ihm fürchten mußte. Doch vollbrachte er nachgehends zu Luxemburg große Taten, so daß alle Welt darüber staunte. Hierauf gebar sie wieder einen Sohn; selbiger hatte nur ein Auge, welches ihm mitten auf der Stirne stand; dieser wurde Reinhard genannt. Doch sah er mit dem einen Auge viel besser, als wenn er deren zwei gehabt hätte. Als derselbe wuchs und zu seinen Jahren kam, vollführte er, nicht weniger als die andern, herrliche Taten.

Es folgte nun auch der sechste Sohn, den man Geoffroy mit dem Zahne hieß, weil er einen großen Zahn mit auf die Welt brachte, der ihm wie ein Eberzahn aus dem Munde hing. Dieser wurde überaus starken Leibes und zeigte auch mehr als seine andern Brüder fremde und wilde Sitten.

Es blieb aber auch bei diesem sechsten Sohne nicht, sondern ein siebenter folgte, welcher Freimund geheißen ward; dieser war sehr schön von Leib und Angesicht, hatte jedoch auf der Nase ein haariges Mal, als wäre ihm ein Stück von einer Wolfshaut eingesetzt. Der wurde vernünftig und weise, aber lebte nicht lang. Bald aber nach diesem kam der achte Sohn, welcher drei Augen hatte, von denen eins ihm auf der Stirne stand. Er wurde um seines abscheulichen Aussehens willen Horribil genannt und zeigte schon in zarter Kindheit böse Sitten; sein ganzes Gemüt war auf nichts anderes bedacht, als Arges zu stiften. Diesem folgte der neunte Sohn, den man Dietrich nannte; an dem war nichts Besonderes zu sehen, und er wurde ein sehr tapferer und kühner Ritter. Der zehnte Sohn beschloß die Reihe, er hieß nach seinem Vater Raimund und wurde in der Folge auch Graf vom Forst.



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Der älteste Sohn, Uriens genannt, war indessen herangewachsen und ins männliche Alter getreten; ihm stand sein Herz und Gemüt nach nichts sehnlicher als nach hoher Kriegsehre. Deswegen nahm er einige Segel- und Ruderschiffe und ließ sie mit allem Nötigen ausrüsten, so daß sie wohl den Namen Galeeren führen durften. Auch bestellte er zu dieser Fahrt viel Volkes, und zwar die Besten und Wehrhaftesten aus dem Lande seiner Mutter. Als sein jüngerer Bruder Gyot dieses sah, bekam er Lust; mit ihm fahren, wiewohl er noch jünger als sein Bruder Gedes war, welcher auch an dieser Reise ein Belieben gefunden hatte. Der mutige Uriens aber hatte größere Neigung zu seinem Bruder Gyot, so daß er sich diesen zum Reisegefährten wählte und den Bruder Gedes für diesmal zurückließ . Melusina freuete sich über den löblichen Vorsatz ihrer Söhne und hoffte auch, daß es ihnen auf dieser Reise glücklich ergehen würde. Sie rüstete sie deswegen mit Habe, Geld und Zubehör reichlich aus und ließ sie also in des Himmels Geleite dahin fahren.



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So steckten sie ihre Segel mit Freuden auf und stießen vom Strand, kamen aber in kurzem wieder zu Lande, und dies war das Königreich Zypern . Daselbst trafen sie die beste Gelegenheit, ritterliche Taten zu erweisen; denn der König von Zypern war in seiner Stadt Famagusta von dem mächtigen Heidensultan selbst mit mehr als hunderttausend Mann belagert. In der Stadt herrschte große Hungersnot, und der König sah nichts anders vor sich, als den Heiden unterwürfig und vom christlichen Glauben hinweggedrungen zu werden, und dies verursachte großes Jammern und Wehklagen in der Stadt. Aber der Schutz des Himmels, der die Seinigen nicht hilflos läßt, ließ sich plötzlich spüren; denn kaum hatte Uriens die Kunde vernommen, als er sich mit seiner Flotte nach der Stadt hinwendete und sein köstlich in Seide gesticktes Panier flattern ließ.


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Die Heiden wurden die Ankunft dieser neuen Gäste bald gewahr; auch die in der Stadt vernahmen, daß fremdes Volk herbeikomme; sie konnten aber so schnell nicht wissen, ob es Christen oder Heiden wären. Der Sultan aber, sowie er die mächtige Herankunft der christlichen Schiffe inneward, begann, sein Volk zusammenzuziehen. Da glaubte der König von Zypern, die Heiden wollten die Flucht ergreifen, befahl den Seinigen, sich zum Streite zu rüsten, und steckte die rote Blutfahne aus. Die Trompeter fingen an, fröhlich zu blasen, die Tore wurden aufgeschlossen, und zog also das ganze Volk mutig gegen die Heiden hinaus. Nur die Prinzessin Herminia, seine schöne Tochter, ließ der König in der Stadt zurück.


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Da erhub sich ein strenger Kampf: die Heiden widerstanden mit großer Macht; viel fromme Christen wurden erschlagen; ja, der König von Zypern selbst wurde durch das vergiftete Geschoß eines Heiden tödlich verwundet, so daß man kaum hoffte, ihn lebendig von dem Schlachtfelde hinwegzubringen. Daher mußten die Zyprier, gedrängt von den Heiden, zwar mit bewehrter Hand, aber doch nicht ohne großen Verlust wiederabziehen . In der Stadt Famagusta erhub sich eine große Klage um die Toten und Verwundeten. Die Kinder weinten und schrien um ihre Väter, die Weiber rauften sich mit großem Geheul die Haare aus. Viele liefen in der Stadt herum und schlugen die Hände zusammen; am kläglichsten aber gebärdete sich die Prinzessin Herminia, des verwundeten Königes Tochter; denn sie hatte aus dem Berichte der Arzte schon geschlossen, daß das Leben ihres Vaters nicht mehr lange dauern würde und seine Wunden unheilbar seien.

Unterdessen war Uriens mit seinem Bruder Gyot und der Heerschar, die mit ihnen auf den Schiffen war, gelandet und jählings auf die Heiden losgerückt. Sie fielen in die Reihen derselben voll Heldenmut, und Uriens selbst verwundete und erlegte deren mehrere mit eigener Hand; auch Gyot focht nicht weniger männlich, so daß die Heiden endlich ein großer Schrecken ankam und sie auf den Rückzug zu denken anfingen. Doch wurde auch dieser von ihnen nur unter hitziger Gegenwehr angetreten. Da sah man mit Erstaunen, wie ritterlich der Sultan von Babylon noch stritt und einen Christen um den andern zu Boden warf. Solches ersah nun Uriens, drang auf ihn ein und versetzte ihm einen so mächtigen Streich mit dem Schwerte, daß ihm das Haupt bis auf die Zähne gespalten wurde und er vom Rosse elendiglich in den Staub dahinsank. Als dies seine Völker, die Heiden, gewahr wurden, entsetzten sie sich über die Maßen und nahmen von Stund an die Flucht. Der tapfere Uriens und sein Bruder eilten ihnen nach, erlegten ihrer ohne Erbarmen eine unglaubliche Menge und trugen so den Sieg davon.

Wie die Schlacht zu Ende war, nahmen Uriens und Gyot samt all ihrem Volk von der Heiden Lager und Gezelten Besitz und ruhten daselbst vergnüglich aus. Hierauf fertigte der todkranke König von Zypern durch einen mächtigen Landesfürsten und etliche seiner Räte eine Gesandtschaft an Uriens ab mit dem höflichen Ersuchen, doch zu ihm in seine Stadt Famagusta und an seinen Hof zu kommen; läge er nicht an einer tödlichen Wunde darnieder, so würde er selbst ihm, als dem Obsieger seiner Feinde, einen Besuch in seinem Lager abgestattet haben. Uris nahm solches Anerbieten



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mit vielem Danke auf und entließ die Gesandtschaft mit dem Versprechen , sich einzufinden und Seiner Majestät aufzuwarten. Auch machte er sich alsobald mit seinem Bruder Gyot auf und langte an dem Hofe des Königs an. Aber das Volk in der Stadt Famagusta empfing ihn anfangs nicht sehr freundlich, sondern sah ihn wegen seines unförmlichen Gesichts recht mit Verwunderung und Erstaunen an. Ein jeder sagte, nie hätte er ein so fremdes und seltsames Antlitz gesehen. Ja, sie kreuzten sich vor Wunder und sprachen: "Der hat wohl die Gestalt, viel Land und Leute zu überwinden und zu bekommen, weil man sich vor ihm fürchten mußt"

Indessen kamen sie in des Königs Palast und fanden diesen, geschwollen und ohnmächtig von den Wunden des vergifteten Geschosses, in seinem Bette liegen. Uriens grüßte den König mit höflicher Verneigung und beklagte ihn sehr. Jener hingegen versetzte: "Mein Freund, Ihr habt gar tapfer gefochten und mit Eurer ritterlichen Hand große Ehre eingelegt, auch uns und der ganzen Christenheit damit gedient, so daß Ihr vor aller Welt billig Preis und Ehre davontraget und Eure Nachkommen um solcher Heldentat willen noch gepriesen werden sollen. Doch eins wünschen wir von Euch zu wissen, wer Ihr von Geschlecht, von wannen Ihr gebürtig seid." Uriens antwortete ihm mit tiefster Verbeugung: "Allergnädigster König und Herr! Eure Majestät beliebe zu vernehmen, daß ich von dem Stammhaus zu Lusinia geboren bin. Ich verhehle meinen Namen nicht." Der König sprach: "Von Eurem Geschlecht haben wir viel vernommen, daß alle, die daraus geboren, gar tapfere, heldenmütige Leute seien. Anjetzt aber ist unser gnädiges Verlangen, daß Ihr, tapferer Ritter, uns in einer Sache zu Willen seid und einen besondern Gefallen tun wollet. Es soll dies zu Eurer eigenen großen Ehre gereichen. Wisset demnach", fuhr der König mit einem lauten Seufzer und tiefem Atemholen fort, "daß unsere Tochter Herminia, die einzige Erbin dieses Königreichs, welches nun auch bald nach unserm bevorstehenden Hinscheid auf sie gelangen wird, weil das Gift des empfangenen Geschosses uns schon fühlbar zum Herzen eilt — daß unsere Tochter Herminia eines Schutzes und dies Reich selbst eines tapfern und heldenmütigen Thronfolgers bedarf, indem es den heidnischen Grenzen gar zu nahe liegt. Darum begehren wir von Euch, daß Ihr unsere Tochter und dieses Reich zusammen übernehmet und vor allem Anfall der Feinde beschützen wollet; denn derzeit ist in allen Landen unter allen Rittern der Welt kein glückseligerer Held als Ihr, keiner, der an Klugheit und tapfern Taten Euch gleich, keiner, mit dem unsere Tochter und unser Reich besser versehen wäre, zu finden.".



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Uriels erschrak vor großer Freude hierüber nicht wenig. Er antwortete dem König in tiefster Demut also: "Großmächtigster König, ich sage für diese hohe und unverdiente Gnade meinen untertänigen Dank und erkenne mich viel zu gering, die Erbin einer Königskrone als Gemahlin heimzuführen; noch geringer aber, ein so mächtiges Reich zu beherrschen. Jedoch eine so unvergleichliche Gnade auszuschlagen und den Schluß des Himmels zu verwerfen, würde vielmehr Vermessenheit als Demut heißen. Deswegen kann ich nicht anders als folgen und Gehorsam leisten, wenn Ihr anders mit Eurem Knechte nicht scherzet, daß ich die jetzt so betrübte Fürstin hinfüro meine Geliebte und mich selbst ihren Diener nenne." Der König, über diese kluge Antwort des Fremdlings von Herzen erfreut, versetzte: "Nun preise ich den gütigen Himmel, daß ich noch vor meinem Ende Tochter und Reich nach meinem Wunsche versorgt habet"

Hierauf hieß er den Helden Uriens abtreten, bis er den Hof- und Reichsständen seinen Willen vorgetragen hätte. Auch gebot er zur Stunde, daß alle seine Räte, insonders aber seine Tochter, die Prinzessin, herbeikommen sollten. Zu jenen sprach er alsdann: "Sehet, wir haben unser Reich mit bewehrter Hand gegen die Heiden bisher beschirmt. Nun aber sind wir durch ein vergiftetes Geschoß dermaßen verwundet, daß wir wohl fühlen, unser Leben sei dem Ende nahe. Nun bedürfet ihr sehr eines tapfern Helden zum Herrn; denn ihr seid den Ungläubigen gar zu nahe gelegen . Es fällt aber das Reich auf niemand anders als auf unsere einzige Erbin Herminia. Demnach fordern und begehren wir, daß ihr erstens von ihr eure Lehen empfahet, ihr auch als eurer gnädigen Königin und Beherrscherin des Reichs huldigt und schwöret."

Das alles geschah von Hof und Ständen nach dem Willen des Königs. Dann fuhr der todschwache Fürst fort und sprach: "Ihr wisset ferner, Liebe und Getreue, daß einem schwachen und jungen Weibe, Reiche und Länder zu regieren und vor feindlichen Anfällen zu beschützen, fast unmöglich sei. Weil wir sie nun gerne solcher Last entbürdeten und doch als Königin gewürdigt wissen möchten, in unserm ganzen Reich und allen Nachbarländern aber keinen tauglichern Ritter finden, welcher ihr Gemahl und königlicher Herrscher zu sein verdiente, außer dem Helden Uriens von Lusinia, der sich, an unsern Hof berufen, allhier befindet und diese Stadt aus der Heiden Händen mit seiner tapfern Faust errettet; auch den Sultan und sein mächtiges Kriegsvolk aufs Haupt geschlagen hat:- darum so sind wir entschlossen, mit eurer Bewilligung ihm unser einziges Kind, die Prinzessin Herminia, zu vermählen und somit ihm das



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Zepter des Reichs einzuhändigen. Erinnert euch also der schuldigen Treue, ein solches wohl zu erwägen und ihn zu ersuchen, daß er die angebotene Gnade erkennen und annehmen wolle, weil ihr wisset, daß ihr mit des gütigen Himmels Hilfe vor den Heiden durch ihn wohl gesichert sein werdet!"

Die Landesherren kamen dem königlichen Befehle freudig nach und bedeuteten dem tapfern Uriens, daß er sich mit der Prinzessin Herminia vermählen sollte; dann wollten sie ihm auf der Stelle schwören und ihn zu ihrem Könige krönen. Dies nahm der edle Ritter dankbar und mit Freimut an und entließ die Abgeordneten mit dem besten Bescheid an den todkranken König zu seinem und des Landes Vergnügen. Der König ließ den Uriens nun wieder vor sich rufen und wiederholte ihm seinen Entschluß. "Ihr seid würdig", sprach er, "das Zepter zu tragen und dieses ganze Königreich zu beherrschen; ja, alles Volk jauchzet schon vor Freuden, Euch als seinem künftigen Gebieter zu huldigen!" Uriens dankte noch einmal mit tiefer Verneigung und versprach seine willigsten Dienste. Zur Stunde wurden sodann die zwei im Angesichte des sterbenden Königs vermählt, und alsobald verschied der König.

So ward die Hochzeit mit vielem Leid und Jammer begangen, kein Tanz wurde gehalten, kein Saitenspiel ertönte; der verstorbene König aber wurde mit großem Gepränge zur Erde bestattet. Übrigens lebten Uriens und Herminia in zärtlicher Liebe miteinander, und ihrer Zeit genas ,die



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junge Königin eines Prinzen, den man den Greif nannte. Dieser Greif ward nachmals so tapfer und kühn, daß er in einem fremden Lande viel Städte und Leute und große Herrschaften gewann; den Palast zu Colliers , der sehr stark war, eroberte er, dazu eine Insel in dem Meere, wo ein großer Schatz verborgen war, nebst dem goldenen Vlies, welches Jason vorzeiten gewonnen hatte. Auch eroberte er eine Stadt im Mohrenlande und steckte auf ihren Zinnen sein Panier auf.

Nun erkrankte auch der König von Armenien, Herminiens naher Verwandter , der leibliche Bruder ihres Vaters, und es mehrte sich mit seiner Krankheit dermaßen, daß sein Ende bevorstand und die Kunde davon nach Zypern kam. Er starb und hinterließ eine einzige schöne Tochter, welche Floria hieß und noch ohne Gemahl war. Da traten die Landesherren zusammen und hielten Rat, was zu tun wäre, und infolge ihrer Beratung sandten sie eine Gesandtschaft an den König von Zypern ab und baten, weil die verstorbenen Könige von Zypern und Armenien leibliche Brüder gewesen wären, so möchte der neue König, Herr Uriens, seinen Bruder Gyot zu ihnen abschicken und ihn der Prinzessin Floria zum Gemahl gönnen; dann wollten sie ihm huldigen und ihn zum König krönen. Uriens hielt deswegen einen geheimen Rat; die Stimmen lauteten aber einhellig, er sollte seinen Bruder dahin abschicken. Darauf machte sich Gyot schnell auf die Reise und kam nach Armenien, wo er die schöne Floria antraf. Man ritt ihm mit allen Ehren entgegen und empfing ihn auf das trefflichste . Ohne vielen Verzug wurde er unter den größten Festlichkeiten zu ihrem Könige gekrönt. Von dieser Zeit an waren die zwei berühmten Königreiche wieder in zweier Brüder Händen, und beide regierten gar klug und mächtig und taten dem Heidenvolke kräftigen Widerstand. Auch zeugten die zwei königlichen Brüder viel tapfere und schöne Söhne, welche noch zu ihrer Väter Lebzeiten erwuchsen und ebenfalls den Heiden nicht wenig Abbruch taten.



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Als inzwischen Raimund und Melusina durch sichere Botschaft in Erfahrung gebracht hatten, daß ihre beiden Söhne durch so tapfere Taten zu hohen Ehren gekommen und sogar auf Throne erhoben worden wären, wurden sie sehr fröhlich und voll inniglicher Herzensfreude. Zum andachtsvollen Danke gegen diese Fügung des Himmels ließ Melusina eine herrliche Kirche aufbauen, welche der Tempel zu Unserer Lieben Frauen in Portenach genannt wurde; auch ließ sie noch viel andere Kirchlein und Kapellen errichten.


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Nach diesem vermählte sie ihren zweiten Sohn, den Gedes, an eine Tochter des Grafen von der Mark. Indessen wurde auch ihr Sohn Reinhard, welcher nur ein Auge hatte, sehr stark, wuchs gar frisch heran und entschloß sich, mit seinem Bruder Antonius, gleich seinen beiden ältern Brüdern, in die Fremde zu gehen und daselbst durch ritterliche Taten Ehre einzuholen. So zogen sie miteinander in Begleitung eines sehr schönen Gefolges und mit dem trefflichsten Kriegszeug von Lusinia ab und gingen nach Luxemburg, welches eben der Fürst von Elsaß mit großer Macht belagert hielt. Auch hätte er diese Stadt ohne Zweifel genommen, wenn ihr nicht die unerwartete Hilfe von jenen beiden jungen Helden zugekommen wäre. Jener Fürst von Elsaß war von Herkunft ein König von Böhmen, daher man ihn auch insgemein den König von Elsaß hieß. Nun wußte jedermann wohl, daß jener Angriff ein Mutwille und freventliche Gewalt war, mit welcher der Fürst von Elsaß die Herzogin von Luxemburg, die eine betrübte und hilflose Waise war, zu erschrecken sich aufgemacht hatte. Er wollte nämlich entweder sie zur Gemahlin oder Schloß und Stadt mit Gewalt von ihr haben.

Auf die Nachricht von dieser Gewalttätigkeit sandten die Brüder, von großem Mitleid bewogen, eilend einen Herold zu dem König von Elsaß, kündigten ihm wegen so ungerechten Verfahrens ernstlich den Krieg an und steckten zum Beweise dessen ihr Banner auf. Ungesäumt rückten sie gegen das feindliche Lager an, fanden aber dort alles in bester Ordnung und den Feind mit Schwertern, Spießen und Hellebarden wohlversehen. Darauf stellten sie ihre Mannschaft in Schlachtreihen, zogen mit ritterlicher Unverzagtheit auf den Feind los und griffen ihn männlich an. Aber auch die Elsasser unterließen nicht, auf das fremde Volk mit großer Gewalt einzudringen. Der Kampf hielt heftig an, doch erlegten die Lusinier die meisten Feinde, und man sah, wie sich der Sieg ihnen zuneigte. In diesem Streite hielten sich die zwei Brüder höchst ritterlich und verrichteten mit ihren streitbaren Armen die herrlichsten Taten. So wurde der Schrecken auf seiten des rheinischen Volkes überaus groß, ihre anfänglichen Siegesblicke und prahlerischen Mienen verwandelten sich merklich; die Lusinier hingegen triumphierten und sprachen einander mit lautem Rufen zu.



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Inzwischen geriet der jungmütige Held Antonius ganz in die Nähe des Königs von Elsaß und focht ritterlich mit ihm, so daß zuletzt der König sich gefangengeben mußte und ihm sein Schwert williglich darbot, .und


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wenn er das nicht bald getan hätte, würde es ihm wohl das Leben gekostet haben. Doch nahm ihn Antonius noch zu Gnaden an. Als nun das rheinische Volk seinen Herrn gefangengenommen sah und ihn nicht mehr zu Gesichte bekam, da ergriff es die Flucht. Die Lusinier aber eilten ihnen nach, und besonders Reinhard tat großen Schaden, indem er den Feinden nachjagte.

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Nachdem nun der Streit zu Ende und der Feind völlig aus dem Felde geschlagen war, schickten die zwei Brüder den König von Elsaß, ihren Gefangenen , nach Luxemburg in die Stadt und ließen ihn durch sechs ihrer Ritter der Erbin von Luxemburg zum Zeichen des Sieges überantworten. Die Prinzessin, solche königliche Beute erblickend, erinnerte sich der Drangsale , die ihr der Gefangene zugefügt, und des Übermuts, den er an ihr verübt hatte. Kein Wunder, wenn ihr die Rache, welche der Himmel an ihm genommen, und ihre eigene Errettung tief zu Herzen ging! Sie sprach daher zu den Rittern, die ihr den König brachten: "Tapfre Ritter, sehr werte Freunde! Ihr habt mir hier meinen Feind und mächtigen Verfolger in die Hände geliefert, und ich kann an ihm den Wankelmut des Glücks und die Nichtigkeit alles Menschenhochmuts erkennen. Der Himmel , welcher alle gerechte Sache zu einem erwünschten Ende führt, hat mir, einer verwaisten Fürstin, starke Geduld, euch aber heldenmütige Kräfte, solches Werk auszuführen, verliehen. So saget mir denn", fuhr die erfreute Prinzessin weichherzig fort, "wer sind die siegreichen Helden, welche unsere und des Landes Not angesehen und uns mit des Himmels Hilfe aus den Händen dieses Tyrannen errettet haben!" Da antwortete ihr ein alter Ritter: "Durchlauchtigste Fürstin, es wäre unhöflich, den Namen so tapferer Überwinder und ihre Herkunft so würdiger Bitte zu verschweigen. Wisset denn, sie stammen aus Lusinia in Frankreich und sind zwei Brüder, der eine heißt Antonius, der andere Reinhard. Ihre Losung und ihr Feldgeschrei war das Wort Lusinia."

Die Prinzessin antwortete hierauf: "So danken wir denn dem gütigen Gott und jenen zugleich, daß sie solch Erbarmen an uns erwiesen, und weil wir durch diese mutigen Helden uns angstfrei und siegreich fühlen, so soll inskünftige nichts ohne ihren Willen und klugen Beirat von uns unternommen werden. Ja, alles, was der Himmel in meine Hände gegeben hat, soll zu ihren Diensten stehen." Dann befahl sie sofort, daß man beiden Siegern die besten Herbergen in der Stadt aufs reichlichste auszieren lasse, überdies für all ihr streitbares Volk Unterkunft bei den



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Bürgern bereitet werden sollte, damit, wenn sie eingezogen kämen, alles schon zu ihren Diensten in bester Bereitschaft stünde. So wurden die sechs Ritter von ihr in Gnaden entlassen, kamen in des gefangenen Königs Gezelt zurück, wo die zwei Brüder ihr Quartier genommen hatten, und erzählten, was ihnen begegnet. Kaum hatten sie den Bericht abgestattet; als schon Abgeordnete der Herzogin in dem Zelt ankamen, um die Brüder im Namen ihrer Gebieterin zu begrüßen und zum Aufbruch in die Stadt zu vermögen. Hier sahen sie das ganze Gezelt mit einer Menge der reichsten Beute von Silber, Gold, Kleinodien angefüllt; dies ließen jedoch die beiden Sieger meist unter ihr tapferes Volk austeilen und behielten das wenigste für sich selber.

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Auf der Abgeordneten inständige Einladung wurde hierauf zum Aufbruch geblasen und der Einzug in die Stadt angeordnet. Man bestellte Führer und Vorreiter, denen sofort fünfzehnhundert andere in schönem Ritte nachfolgten. Dann kamen die beiden Sieger nebeneinander auf buntgezierten Pferden und hinter ihnen die ganze Zahl ihres Volkes mit fliegenden Sanieren in schönster Ordnung. So ging der Zug nach der Stadt. Vor dieser wurden sie mit lieblicher Musik und allerlei Saitenspiel empfangen und ihnen für die Erlösung von der Macht der Feinde sogleich bei ihrer ersten Ankunft anstatt des Dankes ein lautschallendes Lebehoch von der ganzen Bürgerschaft zugerufen. Hierauf fanden sich zwei Abgeordnete, hohe Landesfürsten, ein, welche Reinhard und Antonius mit demütiger Verneigung freundlich empfingen, sie auf die Burg begleiteten und bei der Herzogin einführten.

"Seid willkommen, ihr meine sieghaften Erlöser!" rief die denselben entgegengehende Fürstin ihnen mit den liebreichsten Mienen zu, "und auch ihr, tapfere Mitstreiter dieser heldenmütigen Anführer, seid alle aufs herzlichste aufgenommen! Seid willkommen, rastet aus von eurer Mühe und seid fröhlich; ihr sollt bei einem Ehrenmahle alle eure Beschwerden mit einem Meere der Freuden abspülen!"

Unter allerlei Unterredungen und Glückwünschen wurden allgemach die Zurüstungen zu dem Bankette fertig. Man brachte das Handwasser in einem goldenen Becken. Die Speisen wurden reichlich aufgetragen und die werten Gäste zur Tafel geführt. Obenan gesetzt wurde der gefangene König, seine beiden Sieger kamen in die Mitte der Tafel zu sitzen, ihnen gerade gegenüber saß die Herzogin selbst. Nach ihr folgten abermals drei hohe Landesfürsten und verschiedene andere Kavaliere und Edle. Da gab



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es allerlei Freudengespräche und Gesundheitstrünke. Ein jeder erzeigte sich fröhlich, vor allen die beiden überwinder des gefangenen Königs. Dieser allein untermengte seine Reden zum öftern mit einem tiefgeholten Seufzer, ohne daß es, wie er meinte, jemand merken sollte; denn es ging ihm der Verlust seiner Leute und die kostbare Beute, die er dahintenlassen mußte, noch immer zwischen aller Fröhlichkeit zu Herzen.

Als nun endlich nach lang gehaltener Tafel die Tische wieder aufgehoben wurden und das Dankgebet gesprochen war, redete der König von Elsaß folgendermaßen zu seinen beiden Obsiegern: "Meine Herren! Nachdem ich heute durch des Himmels Fügung und meines widrigen Glücksterns Verhängnis euer Gefangener geworden und in eurer Gewalt bin, so werdet ihr auf die Bitte eines Königs nicht saumselig sein, mir anzuzeigen, welches Lösegeld ihr für mich verlanget, und zugleich dieses so bestimmen,



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daß es nicht über die Kräfte meines Reiches geht, wofür ich mich meinerseits auch gegen euch auf alle Weise erkenntlich beweisen werde." Die beiden Brüder gaben ihm in aller Höflichkeit folgende Antwort: "Zwar sei der König ihr Gefangener; doch hätten sie die freie Verfügung über ihn ganz der Herzogin eigenem Belieben anheimgestellt. Wie diese nun in solch wichtiger Sache beschließen und handeln möchte, das werde auch ihnen wohlgetan heißen. Anders gedächten sie sich nicht weiter darin zu verflechten." Kaum war diese höfliche Rede beendigt, als des Königs Angesicht erbleichte, wie wenn er von einem großen Schreck befallen wäre; denn er konnte sich wohl einbilden, daß er bei der Fürstin durch seine allzuharte Beängstigung und seine Gewalttätigkeiten wenig Gnade oder gütliche Milderung des schwersten Lösegeldes verdient hätte, obschon sie mit Worten sich anscheinend ziemlich freundlich gegen ihn erzeigte.

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Aber die kluge Herzogin, welche selbst zugegen war und alle solche Gespräche zur Seite mit anhörte, brach ganz entschlossen und großmütig mit dieser sehr gnädigen Rede hervor: "Ihr meine werten Erretter, ich danke euch nicht nur für eure getreue Hilfe, sondern überlasse euch auch, nach Willkür mit eurem Gefangenen als seine Überwinder zu verfahren." Wie der König dies hörte, bekam er seine natürliche Farbe wieder. Die Brüder aber erwiderten voll Edelmut und mit lauter Stimme: "Durchlauchtigste Fürstin, wir nehmen zwar das großmütige Geschenk einer Siegesbeute , die ganz und gar Euer ist, mit ehrfurchtsvollem Danke an, erklären aber, daß wir kein Lösegeld verlangen, sondern beiderseits auch unserem Gefangenen die Freiheit zum Geschenke machen, nur mit diesem einzigen Vorbehalte, daß der König Euch kniend seinen Dank sage, für alle Beleidigungen und Bedrängnisse, die er der erhabenen Herzogin zugefügt, ernstliche Abbitte tue, und künftig solches zu unterlassen, mit einem Eidschwur und schriftlicher Versicherung samt Unterschrift und Insiegel am gelobe."


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Nicht nur der Herzogin, sondern auch dem gefangenen König selbst schien diese Forderung gang billig und annehmlich, und er tat es auf der Stelle mit Freudigkeit und zum Vergnügen aller Anwesenden, indem er mit tiefer Verbeugung und demütigem Danke Abbitte leistete. Als er sich von der Erde erhoben hatte, ging der König erst noch mehr in sich und erwog die huldvolle Behandlung, die er von den zween tapfern Helden erfahren hatte, in deren Banden er sonst hätte verbleiben müssen. Er versprach ihnen deswegen treue Freundschaft und königliches Wohlwollen,


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um für keinen Undankbaren gehalten zu werden. Dann wandte er sich an die Herzogin, dankte auch dieser und riet ihr, sich mit dem Helden Antonius zu vermählen. Diese schöne Rede nahmen nicht nur die Räte und Landesfürsten mit großem Wohlgefallen auf, sondern auch die Herzogin selbst wies sie nicht ab; sie bedankte sich und gab durch eine Liebe lächelnde Miene zu verstehen, daß sie diesen wohlwollenden Rat in reiferes Bedenken ziehen wolle.

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Nicht mit Unrecht wird die Liebe einem Feuer verglichen. Jenes Wort des Königs von Elsaß bewährte genugsam diese Vergleichung. Kaum war es gesprochen, so fing das Fünklein schon an, in dem Herzen der schönen Herzogin Feuer zu fangen und wie in der Asche dermaßen zu glimmen, daß es mehr und mehr um sich griff und endlich in volle Flammen ausbrach. Die kluge Fürstin erwog reiflich, daß des Königs Wunsch, wenn er erfüllt würde, ihrem eigenen Lande nur gedeihlich und von großem Nutzen sein könnte. Daher ließ sie, als inzwischen der Held Antonius selbst um sie geworben hatte, die Vermählung ohne weiteren Aufschub vor sich gehen, um so mehr, weil dies ihren Räten selbst willkommen war und sie es dem Lande selbst für höchst zuträglich hielten. Daher wurden eiligst alle Vorbereitungen zu der Hochzeit gemacht und diese selbst gefeiert. Der König von Elsaß mußte dabei die Stelle eines hohen Ehrengastes bekleiden, und das Fest lief mit aller Vergnüglichkeit ab, nachdem eine große Zahl hochansehnlicher Gäste acht Tage lang es hatten feiern helfen und der König von Elsaß in den zur Hochzeitsfeier angestellten Turnieren sich aufs ritterlichste gehalten, auch einen Preis davongetragen hatte.

Es waren aber kaum die Tage der Fröhlichkeit zu Ende, da folgte auf die Freude schon wieder eine Schreckenspost; denn als sich bereits alles verabschiedete und die Gäste voneinander zogen, da kam ein eilender Bote aus Böhmen bei Hofe an. Dieser fragte nach dem Könige von Elsaß und begehrte, auf der Stelle vorgelassen zu werden. Nun übergab er dem König einen schriftlichen Bericht von seinen Brüdern und bekräftigte denselben mündlich dahin, daß die Stadt Prag von dein türkischen Großsultan mit einer gewaltigen Heeresmacht belagert und von allen Seiten eng eingeschlossen sei, auch keinen Ersatz zu hoffen habe. Der jetzt regierende König in Böhmen ersuchte daher seinen Bruder um schleunige Hilfe. Der König von Elsaß erschrak heftig über diesem Schreiben; er ließ es noch einmal laut ablesen und bat die beiden Heldenbrüder, Antonius und Reinhard, Mitleiden mit diesem Jammer zu tragen und zum Kennzeichen der



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neugeschlossenen Freundschaft seinem bedrängten Bruder, ihm zur Seite, mit vereinigter Heeresmacht zuzuziehen, damit das Land Böhmen vom Ruin errettet und dem allgemeinen Chrisienfeinde gesteuert würde. Dadurch würden sie ihren Heldennamen noch weiter kundmachen und sich Ruhm in aller Welt erwerben.

Nun wollte freilich den tapfern Helden Antonius seine Gemahlin in der ersten Flitterwoche aus glühender Liebe nicht von sich lassen, doch wirkte die dringende Bitte des Königs bei ihm so viel, daß er, von innerlichem Mitleiden getrieben, ihm versprach, sein treuer Bruder Reinhard müsse auf der Stelle mit einer stattlichen Anzahl tapferer Streiter aufbrechen: sollte es dann die höchste Not erfordern, und die vereinigte Macht des Königs und seines Bruders noch nicht hinreichen, so wollte auch er auf die Kunde davon ihnen mit seiner eigenen Person und einem neuen Heere eilends kräftigen Beistand leisten, damit sie sobald als möglich Sieg und Ehre wider die ungläubigen Heiden erhalten möchten.

Da brach vor großer Freude der getröstete König von Elsaß in das Versprechen aus: sein Bruder in Böhmen, sonst ein sehr mächtiger König, habe eine einzige Tochter; weil nun derselbe ein reicher und gar alter Herr sei, so wolle er selbst es vermitteln, daß Reinhard durch seine Hilfleistung die königliche Prinzessin und nach ihres Vaters Tode die Krone von Böhmen als ein ehrwürdiger Regent aus den Händen der Stände davontrage. Die Herren von Lusinia sagten ihm dafür ehrerbietigen Dank und waren um so begieriger, Sieg und Ehre einzulegen. Von Stund an boten sie allem Volke auf, der König mit Reinhard eilte über den Rhein und hatte keine Ruhe, bis er auf böhmischem Boden war. Aber da standen die Feinde in unglaublicher Menge, so mächtig und stark, daß sie allein sie nicht bekämpfen zu dürfen glaubten. Deswegen sandten sie einen Eilboten an den Herzog Antonius ab mit der dringenden Bitte, sich auch an die Spitze seiner Heeresmacht zu stellen und den Sieg befördern zu helfen.

Infolge dieser Nachricht traf Antonius alle Anstalten, verabschiedete sich von seiner geliebten Gemahlin und brach zur Rettung der Christenheit, und besonders des Königs von Böhmen, mit einem Gefolge von mehreren tausend Streitern auf. Er hatte viele mutige Bretagner und einen guten Teil tapferer Luxemburger bei sich, so daß die beiden Brüder ohne das wehrhafte Volk des Königes allein über vierzigtausend Mann stark waren. Als nun Antonius bei den andern Hilfsvölkern anlangte, da begann den Türken etwas bänglich zu werden; sie erwarteten keinen geringen Kampf.

Indessen betete die fromme Herzogin Christina von Luxemburg fleißig



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für das Wohlergehen ihres Herrn, und in dem ganzen Lande bat alles Volk in den Kirchen um Glück für seines Königs Waffen. Auch hatte die Fürstin ihren Gemahl gebeten, ihres seligen Vaters, einst eines tapfern und siegreichen Helden, Schild, Helm und Panzerkleid nie von sich zu lassen, dabei auch sein Wappen zu führen. Sie hatte aber von Antonius hierüber den Bescheid erhalten, sie sollte ihr liebes Herz unbekümmert lassen ; denn er habe schon von seinem Vater ein angeerbtes Wappen, welches ihm nicht zu verlassen gebühre. Auch habe ihn die gütige Natur selbst gleichsam mit einem Wappen und besondern Kennzeichen, nämlich mit einem Löwengriff in seiner Wange, von der Geburt an bezeichnet, wodurch er schon von viel Tausenden unterschieden und mit Verwunderung erkannt worden. Deswegen wolle er auf seinem Helm einen Löwen zur Losung führen und auch ihrer beiden Wappen zum Andenken einen Löwen beifügen lassen.

So vertröstete beim Abschied Antonius seine Geliebte und war willens, eine schöne Palmenernte unter den Feinden abzuhalten. Sobald er sich nun auf böhmischer Grenze befand und dem Lager nahekam, auch das Gerücht von so trefflicher Mannschaft, die heranziehe, unter den Feinden erscholl , da vergrößerte sich ihr Schrecken noch mehr, und sie dachten wohl, daß es nunmehr scharf hergehen würde. Der König von Elsaß aber, als er sah, daß seine Fürbitte einen so guten Erfolg habe, war vor Freuden außer sich und eilte dem Helden Antonius auf etliche Meilen weit entgegen. Er dankte beiden Brüdern für ihre Nothilfe aufs herzlichste und äußerte alle Zuversicht auf einen glücklichen Ausgang. Nun wurden herrliche Zelte bereitet und den umliegenden Ortschaften der ernstliche Befehl erteilt, beide Herren und all ihr Volk aufs beste zu bewirten. Alles stand ihnen offen, in allen Städten, wo sie durch- oder einzogen, wurden sie mit höchster Freundlichkeit bewillkommt, und bei ihrer Ankunft jubelte das Volk ihnen zu: "Hier kommen unsere Erlöser. Seid willkommen, ihr tapfern Erretter des Reiches Böhmen ! Helfet uns, daß wir nicht in der Ungläubigen Hände geraten!"

Endlich langten sie vor Prag und im Angesichte der Feinde an. Zu allem Unglück aber waren die Ungläubigen zwei Tage vorher durch Eilmärsche der Stadt, die sie schon lange berennt hatten, noch viel näher gerückt und hatten sich den besten Platz zum Sturme ausersehen. Der König von Böhmen nun, welcher in der Stadt Prag eingeschlossen war, als er sich einerseits von so mächtigen Feinden, ja dem türkischen Sultan selbst mit einem so gewaltigen Kriegsheere beängstigt andererseits mit schutzfertigen



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Freunden —dem König von Elsaß und den zwei Herren von Lusinia, deren gesamte Macht den Türken wenig nachzustehen schien — umgeben und getröstet sah, fühlte seinen Mut wieder etwas wachsen; auch wollte er zeigen, daß er von Gemüt und Geblüt ein tapferer König sei und sich noch wohl getraue, eine Heldentat auszurichten, wie sie Königen gezieme. Als daher der türkische Kaiser einst mit großem Prahlen vor die Stadt ritt, die Belagerten herausforderte und ihnen zum Schimpf sein Panier aufsteckte, wollte der König solchem Hochmut nicht länger mehr zusehen, sondern nahm eine Anzahl seiner Reiter und streitbarsten Männer, sowohl edle als unedle, zu sich; die wappneten sich mit Schild und Helm, ließen sich das Tor öffnen und zogen, der König an der Spitze, auf des Himmels Schutz vertrauend, den Türken zum Trotz hinaus.

Alsbald entspann sich ein lebhaftes Scharmützel; sehr viele Türken stürzten zu Boden; es war eine rechte Lust, wie die Christenschwerter unter den Ungläubigen obsiegten und deren Köpfe gleich Krauthäuptern von ihren Rümpfen abhieben, als wären sie nie festgestanden. Die Türken wehrten sich aber verzweifelt, und am Ende fand es sich doch, daß die Christen zu einem solchen Ausfalle zu schwach waren. Sie zogen sich daher in guter Ordnung, nach errungenen Vorteilen, sieghaft zurück und ließen, ohne einen Mann verloren zu haben, der Türken Leichen auf der Walstatt liegen. Der König selbst, welcher bisher wie ein mutiger Löwe unter lauter Tigern und Panthertieren gefochten hatte, wollte unerachtet der Einsprache seiner Leute mit diesem Siege nicht zufrieden sein, sondern hieb, wie einem tapfern Helden zusteht, noch immer auf dem Rückzuge um sich, erlegte mehrere Feinde mit eigener Hand, wurde aber zuletzt mit einem sehr spitzen Pfeil, der vergiftet war, von einem türkischen Schützen, die man Janitscharen nennt, zwischen den Panzer getroffen und so verwundet, daß das Gift durch die Wunde in das Herz drang und er daher seines Lebens verlustig werden mußte.

So ward bei den Böhmen die Freude jählings in Leid verkehrt; und sobald sie alle es gewahr wurden, erhub sich von klein und groß eine jammervolle Klage. Die Türken aber, als sie solches sahen, wurden darüber nur noch mehr hochmütig und bildeten sich gewaltige Taten ein, die sie getan hätten und noch verrichten wollten, gedachten auch, den Belagerten alles mögliche Leid und allen Schimpf anzutun. Aber es gedieh ihnen schlecht, es begann damit nur ihr größeres Unglück; denn die Rache Gottes brach über die wütenden Hunde aus. Inzwischen zogen die Böhmen aus der Stadt, ihren erlegten König hereinzubringen, und die Barbaren streckten



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in solchem Leidwesen gar viel streitbare Ritter darnieder. Immer mehr wuchs der Verlust so tapferer Helden und machte die in der Stadt eingeschlossene Prinzessin, die der Tod ihres Vaters aufs tiefste gebeugt hatte, noch wehmütiger und herzleidsvoller, besonders als sie und alles Volk in der Stadt sehen mußten, wie die Türken vor den Toren ein großes Feuer anschürten, die Leichname der Christenhelden darauf warfen und unter Jubelgeschrei von der Flamme verzehren ließen. "Ach, trostlose Eglantina", sprach sie zu sich selbst unter Tränen und Seufzen, "wie kannst du solchen Jammer ansehen, ohne dich von der Mauer hinabzustürzen und so deinen toten Vater ins Schattenreich zu begleiten? Bekränzet man also die sieghaften Helden? Geht man so mit Kron- und Zepterträgern um? Brecht hervor, ihr Tränen, löschet, wenn es möglich ist, die mörderische


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Flamme mit eurem heißen Strome aus! Soll ich nun zur verlassenen Waise gemacht und der Thron meines Reichs seines vortrefflichen Herrschers beraubt sein? Sollen die Ungläubigen ihr Siegesbanner auf meinen Mauern aufpflanzen und ihre Waffen unter den Stadttoren anlehnend Ach, höre mich, gütiger Himmel, und laß nicht zu, daß dieses verkehrte türkische Volk über das Häuflein starkmütiger Christen herrsche!"

Also seufzte die Betrübte und mit ihr alle Einwohner der Stadt, so daß man die Wehklage weithin erschallen und im türkischen Lager selbst hören konnte.

Inzwischen hatten sich die mutigen Christen jenseits der Hauptstadt, bewogen durch das klägliche Jammergeschrei, das aus der Stadt herübertönte , endlich mit ihrer großen Heeresmacht in völlige Schlachtordnung gestellt; auch ihr ganzes Volk in drei Heerhaufen eingeteilt und kamen nun mit hitzigen Schritten auf die Feinde losgezogen. Alles war mutig und munter vor Begierde, die Stadt nur recht bald von ihren grausamen Stürmern befreien. Vorher hatten sie einen Eilboten abgefertigt, der sich mit kluger List nach Prag hereinschlich und den Bürgern die angenehme Kunde der herannahenden Errettung brachte. Sobald dieser Bote die Stadt betreten, fing er überlaut an auszurufen: "Getrost, ihr beängstigten Bürger, seid männlich und gutes Muts; ich bin ein Bote der Freuden. Der Himmel hat euer Elend angesehen, und eure tapfern Erretter gehen bereits auf den Feind los. Der König von Elsaß und der Herzog von Luxemburg mit Meinhard von Lusinia werden in kurzem die siegreichen Überwinder und eure Rächer an den Feinden genannt werden."

Diese angenehme Zeitung machte die Einwohner mitten in ihrer Betrübnis wieder fröhlichen Mutes. Der Bote erzählte ihnen auch alles, was sich Denkwürdiges vor Luxemburg begeben, wie der König von Elsaß seiner Bande erledigt worden und der tapfere Antonius nunmehr Herzog von Luxemburg sei. Hierauf begaben sie sich auf die Mauer, ein jeder mit guter Wehr versehen, und fochten so mannlich von den Zinnen herab, daß die staunenden Türken selbst den Rückzug von den Mauern nahmen, indem sie untereinander sprachen: "ES ist nicht möglich! Der Böhmen Gott streitet selbst für sie, oder sie haben einen großen Entsatz bekommen!" Während sie sich noch so untereinander wunderten, siehe, da kam ganz schnell aus der Heiden Gezelten einer dahergerannt voll Entsetzen und großen Geschreis: sie sollten auf der Stelle von dem Stürmen ablassen und sich in ihr Lager zurückziehen, wenn sie nicht alle des Todes sein wollten.



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Dazu rief er: "Ich sehe, dicht wie eine Nebelwolke, fremdes Volk zum Entsatz der Christen auf uns daherrücken. Sie werden uns gewiß wie eine Flut überfallen!"

Auf dieses Geschrei zogen die Türken eilig zurück und stellten sich in Schlachtordnung. Von beiden Seiten hörte man die Trompeter blasen. Die tapfern Christen gingen wie Löwen auf die Türken los, zertrennten ihre Reihen, fällten eine große Menge derselben, durchstachen ihnen Schild und Helme; besonders ließ sich der edle Held Reinhard von Lusinia als ein tapferer Vaterlandsverfechter vor allen andern Kämpfern sehen, und sein Bruder Antonius gab ihm an Heldenmut nichts nach. Auf solche Weise fingen die Ungläubigen an, sehr schwach, die Christen aber, immer mutiger zu werden, so sehr, daß sie einander zuriefen: "Seid Männer und erleget eure Feinde! Auf, ihr Brüder, der Sieg ist in unsern Händen!"Der Sultan, der dies hörte und die Niederlage seines Volkes anschaute, gebärdete sich wie unsinnig, griff nach den Waffen, erhob sich aus seinem Zelte und rasete selbst unter die Christen, deren er auch in seiner Wut sehr viele erlegte.

Reinhard aber, der muntere Held, als er den Sultan erblickte, griff zum Schwert und rannte auf ihn mit gesporntem Rosse los. Es geriet ihm auch so glücklich, daß er dem türkischen Kaiser den Kopf in der Mitte voneinander spaltete und so den wütenden Heidenhund in den Staub streckte. Da die Türken gewahr wurden, daß ihr Oberhaupt gefällt sei, ergriffen sie die Flucht in unordentlicher Hast. Aber Reinhard, Antonius und der König von Elsaß setzten ihnen nach, erlegten ihrer viele ritterlich auf der Flucht und erjagten den Sieg mit höchstem Ruhme. Nach ihrer glorreichen Zurückkunft erfuhr der König vom Elsaß erst, daß der Sultan seinen Bruder getötet und vieler Helden Leiber habe verbrennen lassen. Da ließ er auf der Stelle einen großen Holzstoß zusammentragen und also seine Rache vollziehen. Die Leichen sämtlicher gefallenen Türken, und darunter der Sultan selbst, wurden auf den Scheiterhaufen geworfen, auf daß sie ebenso von der Flamme verzehrt und zu Asche verbrannt würden. So endete die Türkenniederlage und wurde Prag von der feindlichen Belagerung erledigt.

Nach diesem rühmlichen Siege, als die Türken bereits fern waren, faßten die beiden Heldenbrüder festen Fuß in dem feindlichen Lager und bedienten sich, den Ungläubigen zum Spott, ihrer hinterlassenen Gezelte. Der König vom Elsaß aber begab sich in die Stadt Prag hinein und besuchte die verwaiste Königstochter, seine Nichte. Diese ging ihrem königlichen



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Oheim entgegen und bedankte sich, wiewohl in gar tiefer Betrübnis, bei dem Könige selbst und den zahlreichen Helden, die in seinem Gefolge waren. Der König dagegen sprach ihr freundlichen Trost ein und klagte zugleich mit ihr um den Verlust desjenigen, der sein Bruder und ihr und des ganzen Landes Vater gewesen war.

Hierauf wurde die Leiche des Königs mit feierlichem Glanze begraben. Alle Feldhauptleute, und was sich in dem von den Feinden verlassenen Lager befand, erschienen in gewohnter Trauerkleidung; die beiden Brüder von Lusinia wurden von allem Volke der Stadt mit Verwunderung betrachtet als zwei so löwenmutige Helden, besonders aber Antonius, der den Löwengriff auf der Wange zum Wahrzeichen mit auf die Welt gebracht hatte. An Reinhard aber wurde seine königliche Haltung und Miene bewundert und daher von dem Volke geschlossen, daß diesem majestätischen Manne wohl noch eine Krone blühen könnte. Während sie nun so die Helden anstaunten, nahm das Trauergeleite ein Ende.

Dann ließ der König vom Elsaß alle Großen des Landes und den gesamten Adel von Böhmen vor sich rufen und stellte ihnen in einer beweglichen Rede vor, was dem Vaterlande not täte. "Geliebte Herren und Edle", sprach er, "treue Freunde meines in Gott ruhenden Bruders, euch allen ist der leidige Trauerfall, der dieses Königreich zur Waise gemacht hat, wohlbekannt. Deswegen ist vonnöten, damit das Reich nicht ohne Vater sei und der Thron seines Königes beraubt stehe, auf die Wiederbesetzung bedacht zu sein. Weil nun mein glorwürdiger Bruder eine einzige Erbin als eure Gebieterin hinterlassen hat, so siehet zu raten, was ihr für das Beste des böhmischen Reiches und der Krone halten werdet."

Die Ritterschaften und der ganze Reichsadel dankten in Untertänigkeit dem Könige für diese getreue Vorsorge, mit dem Beisatze, daß sie keinen bessern Rat wüßten, als es Seiner Majestät zur eigenen freien Verfügung anheimzustellen und die Sorge für des Landes Wohlfahrt zu überlassen . Sie versicherten dies alle einstimmig und bekräftigten ihre Willfährigkeit mit einer tiefen Verneigung. "Gut", versetzte darauf der König, "weil ihr denn dies Vertrauen zu uns gefaßt habt, so finden und wissen wir keinen Tauglichern, diese Thronschwelle zu betreten und das Zepter des Reiches zu tragen, zugleich als Versorger der königlichen Erbin einzustehen , als den großmütigen und um das Reich durch erfochtene Siegesehre unsterblich verdienten jungen Helden, Grafen Reinhard von Lusinia. . Er ist es, welchen wir als neuen Zepterträger und sorgsamen Landesvater,



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wenn eure Einwilligung ihm zuteil wird, erkennen und hiermit empfohlen haben wollen."

Jauchzen und Frohlocken ertönte aus der Mitte der Landesstände auf diese willkommene Erklärung des Königs, und auch das gemeine Volk jubelte über einen so männlichen Beschluß. Die ganze Stadt erscholl von einem Freudenrufe, daß sie einen so schönen und großmütigen König haben sollten. Auch die vortreffliche Prinzessin war außer sich vor Freude, so sehr hatte die Liebe ihr Herz eingenommen. Herzog Antonius dankte hierauf zuerst für die Ehre, die seinem Bruder Reinhard widerfuhr. Dieser aber stattete ganz fröhlich seinen eigenen Dank ab und versprach feierlich , daß er jederzeit als ein sorgender Vater des Reiches sich erweisen und mit Maß und Gelindigkeit regieren wolle. Er wurde auch von jedermann wegen der Krone beglückwünscht, die sein Haupt zieren sollte, und alles wünschte, daß er nur recht bald die Regierung antreten möchte. Und so wurde nach Gottes wunderbarer Schickung Reinhard mit einem Königreich und einer schönen Königstochter als Gemahlin, das Reich aber mit einem zepterwürdigen Helden begabt.

Als alle hochzeitlichen Freuden zu Ende waren, trat Reinhard seine Regierung an, tat sich von Tag zu Tag immer mehr hervor mit liebreicher Vatertreue und Beglückung seines Landes und erwies sich als einen recht großmütigen Regenten; brachte auch eine Menge Landschaften, dazu das ferne Königreich Dänemark, in seine Gewalt, so daß jedermann von diesem heldenmütigen Fürsten nicht genug zu rühmen wußte.

Herzog Antonius von Luxemburg aber begab sich nach beendigten Hochzeitsfeierlichkeiten , als auch der König vom Elsaß Urlaub nahm und sein Kriegsvolk mehrenteils verabschiedete, zurück in seine neue Heimat, nach Luxemburg. Hier blieb er bei seiner geliebten Gemahlin, welche ihm zwei schöne Prinzen zur Welt gebar, von welchen der eine Bertram, der andere Loyers genannt wurde. Eine lange Zeit lebten sie so in Liebe miteinander. Dann unternahm der Herzog einen Krieg gegen den mächtigen Grafen von Freiburg und zog in der Folge auch gegen Östreich, wo er sich verschiedener Orte und Landschaften bemächtigte. Das alles ging ihm aufs glücklichste vonstatten. Sein älterer Sohn Bertram tat sich mit den mannbaren Jahren auch hervor und erhielt des Königs von Elsaß eine Tochter zur Gemahlin, wodurch er nach ihres Vaters Tode zum Throne gelangte. Der andere Sohn Loyers wurde auch ein wackerer Held; er ward als Mann groß in der Dordogne, baute das Schloß von Jaly und später die schöne Brücke von Mallières und verrichtete allerlei ritterliche Taten.



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Nun wollen wir uns zu Raimund und Melusina zurückwenden und von dem Schicksal ihrer übrigen Kinder Meldung tun. Jene beiden gingen ihren Söhnen mit den schönsten Tugenden als leuchtende Nuhmfackeln voran, und der Vater eroberte fast das ganze französische Land nach der einen Seite bis gegen Bretagne hin. Sein Sohn Geoffroy, der den großen Zahn mit auf die Welt gebracht hatte, erwies sich ebenfalls sehr tapfer . Denn als ein schreckliches Gerücht erscholl, daß in dem Land Garande sich ein entsetzlicher Riese aufhalte, der Land und Gegend bis an die Stadt Rochelle, die von Melusina erobert war, verwüste; da erbot sich der frischmutige Ritter Geoffroy, Lande Heil und Rettung zu verschaffen. Sein Vater hörte dies nicht gern: er fürchtete, der Riese möchte ihm zu stark sein und ihn überwältigen. Aber der junge Held beharrte auf seinem Entschlusse, ließ sein mutiges Roß satteln und zäumen und ritt in die Landschaft Garande, dem ungeheuren Riesen den Hals zu brechen.

Inzwischen war auch der jüngste Sohn Melusinens, Freimund, herangewachsen, ein Jüngling von stillem Gemüte und andächtigen Sinnen, gelehrt und ein Liebhaber des geistlichen Standes. Dieser besuchte aus freier Lust öfters das Kloster zu Mallières und empfand endlich ein lebhaftes Verlangen, in den Orden der Mönche aufgenommen werden, auch sein Leben in gedachtem Gotteshause zu beschließen. Er entdeckte diese Neigung seines Gemütes beiden Eltern, die ihm die Heldentaten seiner Brüder und die Ehrenstufen, welche diese erreicht hätten, zu bedenken gaben, und das junge Blut auf andere Gedanken zu bringen bemüht waren, daß er auch nach dergleichen Weltwürden streben sollte. Aber keinerlei Weltlust noch Liebe zu Heldentaten vermochte das junge Herz von seiner stillen Liebe zu Gott und seinem heiligen Dienste abwendig zu machen.

Da nun weder Vater noch Mutter ihren jungen Sohn Freimund bewegen konnten, von seinem Vorhaben abzustehen, ließen sie ihm endlich seinen Willen und stellten verschiedene geistliche Orte in seine Wahl, auch Domherrnstellen und Bistümer in Aussicht. Aber Freimund blieb bei seiner ersten Erklärung: er wollte nichts anders als ein Mönch im Kloster zu Mallières werden und Gott lieber in Demut als in hohen Würden dienen. Darauf folgte bald sein Eintritt in den Orden, worüber die Mönche sich sehr erfreuten, wiewohl ihnen diese Aufnahme des Grafen in ihre Mitte nicht so gedeihlich war, als sie vermeinten, sondern zu ihrem großen Herzeleid ausschlug.

Mittlerweile, während sich die beiden sonst glückseligen Eltern so heimlicherweise



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betrübten, kam ihnen, als sie gerade Favent Hof hielten, durch einen Eilboten die frohe Nachricht von dem Sieg ihrer beiden Söhne, Antonius und Reinhard, vor Luxemburg und Prag, wie der erste das Herzogtum, der andere die böhmische Krone und beide so schöne und reiche Fürstentöchter zu Gemahlinnen davongetragen. Es läßt sich kaum denken, welche Freude und Sänftigung ihrer Betrübnis diese Botschaft beiden Eltern verursachte. Sie dankten Gott von ganzem Herzen für diese Wunderschickung und waren es nun auch zufrieden, bei drei gekrönten Königen und einem Herzog einen Mönch in ihrem Geschlechte zu haben, der für sie alle beten könnte, damit die übrigen Kinder ebenfalls wohl geraten und zu so hohen Würden sprossen möchten.

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Gleichwie aber das Leid die Freude auf der Welt gemeiniglich zu begleiten oder ihr doch auf dem Fuße zu folgen pflegt, so geschah es auch hier. Und wie vorher das wunderbare Glück, so fing auch das Unglück diesmal zuerst von den Eltern an. Es hatte nämlich eines Sonnabends ganz von ungefähr der Vater Raimund seine Melusina aus den Augen verloren. Weil er ihr aber durch ein teures Gelübde versprochen hatte, an keinem Sonnabend ein Wort mit ihr zu wechseln oder auch nur nach ihr zu fragen, so machte er sich keine argen Gedanken darüber, daß er nicht wußte, wo sie war. Nun fügte es sich aber in der gedachten Zeit, daß eben der alte Graf vom Forst, Raimunds Vater, mit Tode abgegangen und der ältere Bruder Raimunds nach Lusinia kam, um diese Trauerpost zu überbringen . Der mit vielen hohen Herren ankommende Freund wurde nach Würden empfangen und ihm alle Ehre angetan.


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Weil es aber eben ein Sonnabend war, so vermißte der Graf vom Forst seine Schwägerin Melusina und bat seinen Bruder mit freundlichen Worten: "Lasset mir nach Belieben auch Eure Gemahlin erscheinen, lieber Bruder, daß wir ihr die gebührende Ehre erzeigen können!" Nun erwiderte ihm zwar Raimund mit aller Höflichkeit und aufs bescheidenste, daß es diesmal nicht möglich wäre, aber morgenden Tages geschehen solle. Der Graf wollte sich jedoch so schlechtweg damit nicht begnügen, sondern führte während der Mahlzeit seinen Bruder beiseite und sagte ihm leise ins Ohr: "Lieber Bruder, mich dünkt, Ihr seid verzaubert! Das ganze Land hegt auch diese Meinung von Euch. Wie könnet Ihr so geduldig sein und gar nicht nach dem Tun und Lassen Eurer Gemahlin fragen! Meinet Ihr, daß Ihr Ehre davon habt und nicht allmählich bei dem Volke ein Verdacht entstehe über einen so seltsamen Lebenswandel? Es ist ja bekannt


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genug, daß Eure Frau ein offenbares Gespenst ist, das nur Abenteuer mit Euch spielt!"

Zorn und Ingrimm erfüllten die Seele Raimunds bei diesen Worten, er ward blaß und wieder rot: der Schimpf, den er erfuhr, machte, daß er seine Besinnung verlor; voll Rachwut ergriff er das beste und größte

Schwert und drang damit in das Geheimzimmer seiner Gemahlin. Hier Süess er aber auf eine wohlverwahrte, mit Eisen beschlagene Türe, die sich gleichsam seinem Grimme zu widersetzen und ihn zum Bewußtsein zurückzurufen schien. Aber der rasende Verdacht kehrte immer wieder, und wenn er auch nicht an das Gerede glaubte, dessen sein Bruder erwähnt hatte, so vermutete er dafür nichts Besseres und gab böslichen Gedanken an die



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Untreue seiner Gattin Raum. Er bohrte daher mit seinem spitzen Schwert ein Loch durch die Türe von Eichenholz und blickte mit finsterem Auge hinein, um sein eigenes Unglück zu schauen.

Zu seinem ungeheuern Schrecken sah er seine Gemahlin mit ganz verwandelter Gestalt in einem Wasserbecken sitzen. Das Gesicht und die obere Hälfte des Leibes war wunderbar schön, aber von der Hälfte abwärts ging sie in einen langen und mißgestalten, recht schlangenartigen Schweif aus: der glänzte wie Lasurblau, mit Silber vermengt. Raimund stand vor der Türe, ihn überlief der kalte Schweiß, die Bangigkeit wollte ihm das Herz sprengen, er konnte nichts sagen und nichts denken. Doch fiel ihm endlich das teure Versprechen ein, das er seiner Gemahlin getan und jetzt im Zorn so kaltsinnig gebrochen hatte. Er verklebte daher das Loch, das er mit seinem Schwerte gebohrt, mit Wachs und schmeichelte sich mit der Hoffnung, Melusina werde seinen Treubruch nicht wahrgenommen haben. Dann verließ er mit heimlichem Grimm und in tiefer Schwermut ganz stillschweigend das Vorgemach und verfügte sich wieder zu seinem Bruder. Aber er konnte sich nicht so verstellen, daß dieser an Miene und Farbe keine Veränderung an ihm bemerkt hätte und nicht der Gedanke in ihm aufgestiegen wäre, Raimund müsse seine Gemahlin auf irgendeiner bösen Tat ergriffen haben. Er sprach deswegen ohne Scheu zu ihm: "Lieber Bruder, ich merke wohl, daß Ihr mit Eurer Gemahlin betrogen seid!" Raimund aber, um seinen Kummer noch mehr zu verbergen, erwiderte darauf ganz entrüstet: "Ihr irret Euch; man versuche nicht, die Ehre meiner Gemahlin zu beflecken, es sei denn, daß einer Lust habe, sich eine unglückselige Stunde auf den Hals zu hürden! Ihre Frömmigkeit leidet keine solche Beschimpfung, wie Ihr Euch deren schon zuviel gegen sie erlaubt habt! Darum eilt aus meinem Angesicht und reizet nicht ferner meinen Zorn, so lieb Euch Euer Leben ist! Denn Eure Gegenwart ist mir verdrießlich und ein Pfeil in meinem Herzen!"

Der Graf, der den Raimund in seinem Gemüt so berückt sah, schwang sich in höchster Bestürzung eilends wieder zu Pferd, indem es ihm sehr leid tat, durch ein einziges Wort solchen Zorn auf sich geladen zu haben. Indessen nahm bei Raimund die schmerzliche Betrübnis darüber, daß er seinem Gelübde entgegengehandelt hatte, innerlich immer mehr überhand; denn er konnte leicht bei sich die Rechnung schließen, daß seine Melusina sich ihrer Drohung gemäß nun gänzlich von ihm verlieren und er ihrer nicht mehr ansichtig werden würde. Dies alles ging ihm sehr zu Herzen, und er brach in seiner Einsamkeit in bittere Klagereden aus: "Unglück



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seliger Raimund", sprach er zu sich selber, "warum verfluchst du nicht die Stunde deiner Geburts Nur darum bist du zu solchem Glück erhoben worden, damit du jetzt desto tiefer fallest! So soll ich mir denn durch meine eigene Schuld die größte Freude meines Lebens für die Zukunft entzogen sehen, sie, die ich wie meine Seele geliebt?" So warf er sich im äußersten Unmut auf sein Lager. Aber die Zährenflut die er vergoß, verschaffte seinem geängsteten Herzen keine Ruhe. Von Liebe und Ungeduld gepeinigt; rief er aufs neue aus: "Melusina, mein einziges Ergötzen, einziger Trost meines Lebens, du Schöpferin meines Glücks, wenn ich dich verliere, so verliert sich auch meine Freude. Soll ich aber ohne dich so einsam leben, so will ich mich lieber in die Einöde verbergen!" Und so währten seine Klagen den ganzen Tag und die schlaflose Nacht hindurch; doch, sooft er sein schon ausgeweintes Haupt umkehrte, so wollte immer die Trauer aus dem betrübten Herzen nicht weichen, bis endlich der erwünschte Sonntag zu seinem Troste wiederanbrach.

Nun ging ihm die Freudensonne wieder auf, und der Stern seines Glückes begann wieder heller zu werden; denn die Kammertüre öffnete sich, und Melusina trat mit dem gewohnten freundlichen Herzgruße vor ihn in aller ihrer menschlichen Schönheit. "Mein Geliebter", sprach sie, "welche Schwermut hält Euer Herz befangene Was ruht für eine Wolke auf Eurer Stirne? Entdecket mir Euer Anliegen, damit ich Euch helfen kann!" Wer war fröhlicher als Raimund, da er solches hörte! Er glaubte, Melusina habe keine Ahnung davon, daß er die Türe durchbohrt und sie in ihrem unnatürlichen Zustande gesehen habe. Er erwiderte daher: "Nur Eure Abwesenheit hat eine so große Sehnsucht nach Euch in mir erregt, so daß ich mich noch matt und schlaflos befinde. Aber Eure liebe Gegenwart, mein bester Arzt, wird diese Betrübnis schon von mir verscheuchen! Ich fühle gar nichts mehr, und mir ist sehr wohl!" Melusina aber wußte alles, was geschehen war. Sie mußte bei sich selber lächeln, daß Raimund seinen Fehler so gut zu beschönigen und sich anzustellen wußte, als wenn er nicht das geringste wahrgenommen hätte.



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Während dieses in Lusinia vorging, war Geoffroy auf der Fahrt nach dem Niesen und fragte allerorten seinem Aufenthalte nach, bis er endlich erfuhr, daß sich derselbe auf einem sehr festen Schloß aufhalte und sein Name Gedeon sei. Es fügte sich auch so glücklich, daß Geoffroy ohne allen Anstoß durch fleißiges Nachforschen in die Nähe des Platzes gelangte . Da sprang er vom Pferde, waffnete sich mit Harnisch, Helm,


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Schwed und herrlichem Goldschild, nahm einen trefflichen Speer zur Sand, schwang sich wieder auf sein mutiges Roß und ritt so dahin. Alle Umstehenden, welche die freudige Zurüstung des jungen Herrn mit ansahen, gönnten ihm zwar von Herzen den Sieg und sahen seinen Feuergeist genugsam aus seinen Mienen hervorblicken; doch waren sie von Herzen betrübt; und jedermann sah ganz traurig aus; denn das Erkühnen kam ihnen sehr zweifelhaft vor, wenn sie bedachten, daß der junge Ritter seiner Größe und Stärke nach nur wie ein Kind jenem Ungeheuer gegenüber anzusehen sei. Weil er sich aber nicht abhalten ließ, so hießen sie ihn unter vielen Glücks- und Segenswünschen seinem Vorhaben nachziehen . Er aber, statt durch den Jammer des Volks weich und verzagt zu werden, tröstete noch die Betrübten und sprach sie mit munterer Rede an: "Seid getrost und bekümmert euch nicht! Ich reite dahin, Ehre einzulegen , dem Lande Heil zu verschaffen, eure Furcht und euren Schrecken auszutilgen und mit des Himmels Hilfe das Ungeheuer zu besiegen." Damit rief ihm alles Volk ein segnendes Lebehoch unter des Himmels Geleite zu und sah ihm zwischen Hoffnung und Kummer geteilt nach.

So ritt Geoffroy in mutigem Verlangen bis vor die Brücke des Schlosses, in welchem der Riese war. Er sah sich zuerst vorsichtig um, wo er sich befände, dann fing er mit heller Stimme zu rufen an: "Wo hifi du, schändlicher Bösewicht, welcher mein Land also verwüstete Hier steht dein Bestrafer und der Rächer deiner Verbrechen, welcher dich mit Gottes Hilfe dem Tode auszuliefern entschlossen ist. Heute, du Bluthund, sollen dein Blut die Hunde lecken, deine ganze Macht soll sich zur Erde strecken!" Kaum hatte er diese Aufforderung beendigt, als der grausame Riese schon zuoberst im Schlosse das Fenster öffnete. Sein Haupt übertraf an Größe bei weitem den größten Büffelskopf; er sah den jungen Ritter und verwunderte sich, daß er so ganz allein und ohne Begleitung zu ihm käme; darüber begann er zu lachen, schüttelte mit spöttischen Mienen seinen Dickkopf und rief aus dem Fenster herab: "Woher so allein, du Kleiner? Suchest du deinen Tod und bist du deines Lebens müde? Fast schäme ich mich, dich aus der Welt zu fördern; doch weil du es also haben willst, so bin ich bereit, deine Vermessenheit zu strafen!"

Hierauf nun zog der Riese schnell seinen Hamisch an und stellte sich mit einem stählernen Schilde, drei eisernen Stangen und drei Hämmern, die er an die Brust steckte, vor das Schloß heraus. Seine Länge war fünfzehn Schuh; dennoch vermochte sie nicht, dem unverzagten Geoffroy nur das geringste Entsetzen einzuflößen, sondern er verwunderte sich nur, daß



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ein so ungeheures Menschenbild auf Erden leben könne; indessen machte er sich alles Ernstes, aber auch freudig auf den Streitplatz. Da fragte ihn der Riese, wer er sei. "Ich bin Geoffroy mit dem Zahn", erwiderte jener, "und bin gekommen, dich noch heute zu töten."

Gedeon, hierüber lächelnd, antwortete: "Mich jammert deines Persönchens, du Kleiner, daß ich dich mit einem einzigen Streiche töten soll. Besinne dich auf einen ansehnlicheren Menschen, mit mir zu kämpfen. Du aber rette wieder nach Haus und freue dich deiner Jugend; denn für diesmal ist dir dein Leben geschenkt." Dem Geoffroy kam diese Rede schimpflich vor; ganz entrüstet versetzte er ihm: "Es ist gar nicht nötig, daß du so ein Mitleiden mit mir habest; denn ich bin nicht hiehergekommen, daß du Erbarmen mit mir zeigest, sondern daß ich dein grausames Leben von dir fordere!" Der Riese, der solches noch immer für einen Scherz hielt, unterließ, sich in Positur zu stellen; nachdem nun Geoffroy ihn alles Ernstes hierzu wiederholt ermahnt hatte, rannte er mit einem Satze auf ihn zu und stieß dem Riesen mit dem Speer auf die Brust so heftig, daß er alsbald auf den Boden stürzte und die Erde von dem Falle erzitterte.

Als der Riese auf diese Weise den Ernst sah, wurde er vor Scham und Zorn ganz wütend, daß ihn der kleine Ritter auf einen einzigen Stoß darniederwerfen sollte. Behend richtete er sich wieder auf, ergriff eine von seinen stählernen Stangen und holte aus zu einem Streiche auf Geoffroy, der bereits zum zweitenmal gegen ihn anrannte. Der Streich traf Geoffroys Pferd und schlug diesem mitten im Laufe die beiden Vorderbeine ab, davon das Roß zur Erde fiel und liegenblieb. Geoffroy aber achtete dies nicht, sprang behende vom Roß, ergriff mit Hast sein Schwert, eilte damit auf den Riesen zu und versetzte diesem, ehe er es sich recht versah, wieder einen so tapfern Streich, daß ihm davon die Tartsche aus der Hand fiel. Sogleich aber griff jener nach seiner stählernen Stange und versetzte dem Ritter damit einen so kräftigen Schlag auf den Helm, daß Geoffroy von dem Schalle des Schlags beinahe taub geworden und von der Wucht desselben zur Erde gezogen worden wäre. Doch erholte er sich gleich wieder, , steckte das Schwert schnell ein, eilte mit einem Sprung auf das Pferd zu, das auf dem Boden lag, und riß seinen stählernen Kolben mit solcher Geschwindigkeit vom Sattelknopf herab, daß es jener kaum gewahr wurde. Mit diesem prellte er dem Niesen unversehens auf einen Schlag die eiserne Stange aus der Hand. Solchem Anfall zu begegnen, ergriff der Riese einen von den Hämmern, welche er an der Brust stecken hatte, und warf



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ihn nach dem Ritter; der traf und schleuderte diesem gleichfalls den Kolben aus der Hand. Der Riese Gedeon, als er solches sah, bückte sich vor großer Freude, den Kolben selbst aufzuheben. Geoffroy aber, während jener sich bückte, ergriff sein Schwert wieder und hieb ihm sogleich einen Arm von der Schulter hinweg; Gedeon, darüber sehr in Schrecken, wollte sich doch den Schmerz nicht so geschwind merken lassen, sondern griff mit der andern Hand nach der einen Stange. Der hurtige Geoffroy aber entwich ihm, so daß jener vom starken Schwung auf die Knie darniederfiel und seine Götter um Hilfe zu rufen anfing. Der Ritter fürchtete sich jedoch davor nicht, nahm die Gelegenheit wahr, führte einen tüchtigen Hieb auf des Riesen Helm und spaltete Helm und Kopf zugleich. Da nahm er sich gute Weile und hieb dem Riesen das Haupt ganz ab. So wurde derselbe überwunden und das Land von seinem Verderber errettet.

Nun begann der Sieger zum ermunternden Zusammenruf in des Besiegten eignes Horn zu stoßen. Darauf eilte alsobald alles Volk zum Wiesengründe hinab, um das traurige Schauspiel zu betrachten. Denn sie meinten bereits alle, der kleine, junge Ritter werde seine Kampflust mit dem Leben bezahlt haben. Aber die Hinzueilenden fanden es ganz anders, als sie sich eingebildet hatten. Das tote Ungeheuer lag in seinem Blute hingestreckt, der Rumpf vom Haupte abgesondert. Der junge Ritter hingegen, ohne einen Blutstropfen verloren zu haben, wandelte frisch und gesund auf dem Kampfplatze herum. Alles war voll Freuden und Glückwünschens,



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man hörte keine andern Worte als nur immer: "Sehet den tapfern Helden, unseren Erretter! Dem hat der Himmel diesen Sieg verliehen ! Sehet sehet, wie frisch und mutig er umhergehet; merket ihr nicht, welch ein Feuergeist und großmütiger Sinn aus seinen Blicken und Gebärden hervorleuchtete Der ist es, den ihr dort vor euch sehet! Kommt, laßt uns dem Helden Glück wünschen!" So währte es eine lange Zeit unter dem Volk, und sogar von des Riesen eigenen Leuten erscholl ein Freudenruf über dem Anblick seiner Niederlage.

Indem nun also die Menge sich zudrängte und viele gerne wissen wollten, wie wunderbar es doch bei diesem Kampf zugegangen sei, und doch nicht so kühn waren, den jungen Obsieger mit zudringlichen Fragen anzusprechen, merkte Geoffroy dieses und sprach endlich zu ihnen: "Geliebte Freunde, ihr seht hier den Prahler und verderblichen Landesfeind, welcher mit großer Gewalt auf mich zudrang und mir sehr viel zu schaffen machte. Der Himmel war auf meiner Seite: ohne seine gnädige Beihilfe würde mir der Sieg entgangen sein. Umsonst rief er seine Götzen an; denn sie waren viel zu ohnmächtig gegen den einigen Gott. Danket anjetzo demselben mit mir, welcher mir also Fäuste und Arme gestärket, daß sie wider solche Macht bestehen konnten!" Hiermit verfügte er sich in das gewonnene Schloß. Der Siegesruf und das Freudengeschrei aber erschallte durch das ganze Land.

Das erste, was Geoffroy in dem Schlosse vornahm, war dieses, daß er einen Eilboten abfertigte, welcher seinen Eltern nach Favent die gute Botschaft von der Besiegung des Riesen überbringen mußte. Welche innerliche Freude diese Siegesnachricht in dem Vaters und Mutterherzen erregte, läßt sich mit Worten und Feder nicht beschreiben. Der Bote mußte nach reichlichem Botenlohn sogleich wieder ein Schreiben Raimunds an seinen Sohn Geoffroy mitnehmen, in welchem er ihm den elterlichen Gruß meldete, zu seinem Siege Glück wünschte und zugleich berichtete, daß sein Bruder Freimund in dem Kloster 'Mallières Mönch geworden sei. Aber diesen Brief hätte der gute Raimund besser unterlassen; denn er schmiedete mit demselben sein eigenes Unglück, wie wir hören werden.

Mittlerweile, während dem Geoffroy zu Garande alle mögliche Ehre angetan wurde, fügte sich's, daß ein eilender Bote dahergeritten kam, welcher Briefe an Geoffroy mit der Nachricht brachte daß auch im fernen Lande Norwegen in der Landschaft Norheim sich ein ungeheurer Riese aufhalte, der fast das ganze Land verheere und großen Schaden in der Gegend anrichte, weswegen er, der berühmte Riesentöter, von sämtlichen



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Landesherren daselbst ersucht würde, sich unverzüglich aufzumachen und ihnen wider jenes Ungeheuer Schutz und Hilfe zu leisten. Dafür wollten sie ihm statt des schuldigen Dankes huldigen und ihn für ihren von Gott gesandten Herrn erkennen.

Dieser Brief war für den heldenmütigen Geoffroy lustig zu lesen; er förderte den Boten mit dem mündlichen Bescheide ab, er sollte seinen Herren sagen: daß er ihnen alles Gute wünsche und nicht um großen Gutes willen, auch nicht; um Land und Leute zu gewinnen, sondern von Mitleid bewogen, sich bald bei ihnen einfinden und Leib und Leben wagen werde, auch mit Gottes Hilfe, wie zuvor, den Sieg davontragen.



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Als der Ritter so in voller Zurüstung begriffen war und eben zu Schiffe sitzen und sich den wilden Meereswellen vertrauen wollte, siehe, da kam der Bote seiner Eltern mit Raimunds Briefe, in welchem ihm seines Bruders Freimund Eintritt ins Mönchsleben gemeldet ward, auch in dieser Sache noch guter Rat von ihm begehrt wurde. Darüber ergrimmte Geoffroy dermaßen, daß ihn der Zorn nicht nur bleich machte, sondern er auch mit den Füßen zu stampfen, ja sogar sein Mund zu schäumen anfing. Alle, die um ihn herstanden, zitterten bei dieser jähen Entstellung vor Schrecken, und doch durfte sich niemand .unterstehen, ihm nur im geringsten zu widersprechen. "Ich will", schrie er voll Wut; "dieses verführerische Volk, die Mönche zu Mallières, züchtigen, und es rächen, daß sie aus einem so jungen Ritter einen faulen und zaghaften Stubenbuben gemacht haben. Sollte er seinen Ritterorden um eine Kutte und einen Kahlkopf vertauschen und das Feuer seiner Jugend also in Trägheit verdampfen lassen? Ich schwöre, daß dieser Frevel an dem ganzen Kloster mit Feuer bestraft werden soll."

Der Norweger Bote, der noch zugegen war und alles mit anhörte, zitterte vor Furcht über solches Vorhaben, weil es die Abreise des Ritters nach Norheim verhindern könnte. Aber Geoffroy, der diese Besorgnis wohl merkte, redete ihn so an: "Ihr, Bote, ziehet nicht von hier, bis ich zuvor eine gewisse Rache genommen haben werde; alsdann will ich, den Verderber Eures Landes auszutilgen, mit Euch ziehen!" Mit diesem Trost mußte sich der Fremde zufrieden geben. Hierauf ließ sich Geoffroy in aller Eile die Pferde rüsten und ritt mit wenigen seiner Diener unverzüglich dem Kloster Mallières zu. Es war eines Dienstags, als er daselbst anlangte; der Abt samt dem gangen Konvent ging ihm demütig mit großer Freude und Ehrenbezeugung entgegen, um den Ankommenden zu bewillkommnen.



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Allein gar bald verwandelte sich das Schauspiel. Geoffroy redete sie nämlich voll Zornes also an: "Ihr Verführer und Verlocker eines jungen Ritterblutes, wer zum Henker hat euch befohlen, meinen Bruder Freimund auf die faule Klosterhaut zu legen und sein edles Gemüt der trägen Ruhe ergeben zu machen, daß er die härene Kutte gegen den blanken Degen vertauschte ? Wisset ihr auch, daß ihr für solches Verbrechen alle miteinander den Feuertod verdient habt? Und der soll augenblicklich durch diese meine Hand an euch Vermessenen vollzogen werden, an euch, die ihr so freventlich die alten Stämme der jungen Aste beraubet

Der Abt und der ganze Konvent zitterte und stand in äußersten Sorgen; denn keiner wußte vor Schrecken, was er auf die schnaubenden Worte des ergrimmten Geoffroy antworten sollte. Zuletzt erholte sich der Abt ein wenig und hub zu beteuern an, daß nur die eigene Andacht und die Begierde des Herzens seinen Bruder Freimund bewogen habe, den Orden anzunehmen, und daß Freimund dieses selbst bezeugen könne. "Dem ist so, mein Bruder", sprach dieser hervortretend, "nicht dieser Konvent, sondern mein freier Wille ist schuldig daran, daß ich auf den Gedanken geraten bin, Gott zu dienen und ein Mönch zu werden. Warum sollen die Unschuldigen die Strafe des Schuldigen leiden? Bin ich straffällig, so mag mich der Himmel bestrafen, den allein mein Verbrechen oder mein Rechttun angeht. Vergreife dich nicht an dem geweihten Orte und seinen Zugehörigen, die wir doch unablässig begriffen sind, für die Wohlfahrt des ganzen Lusinischen Hauses, und somit auch für die deinige, zu beten!"

Diese Rede machte den zornigen Geoffroy noch grimmiger: er stieg eilends vom Pferde, ließ zur Stund ' einen großen Haufen von Holz, Heu und Stroh zusammenbringen und zündete diesen mit eigener Hand an, daß der Wind die Flamme nach dem Kloster zutrieb. Alle Mönche waren in die Kirche geflohen und mußten hier unter Flammen, Dampf und Rauch jämmerlich ihr Leben enden. So hatten die mordbrennerischen Hände eines tyrannischen Bruders über hundert Mönche; den Abt und seinen Bruder Freimund nicht eingewählt, dem Feuer geopfert und der Eltern eigenen Besitz nicht verschont.

Allein auch die Reue blieb nicht aus; sie folgte vielmehr der bösen Tat auf dem Fuße. Als der Mörder den Aschenhaufen ansah und die vielen unschuldigen Leichen und nach dem Ablodern der Flammen und dem Verhallen des Wehgeschreis Gottes brennenden Zorn erwog, da erwachte, wiewohl zu spät, sein Gewissen. Er ritt in der größten Bestürzung maeder



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nach Garande zurück, wo der Bote von Norheim sein wartete. Der Bote freute sich seines Anblicks; Geoffroy selbst aber schickte sich unverweilt zur Meise an und segelte schnell Norwegen zu, um seine böse Tat desto eher zu vergessen.

Als inzwischen Geoffroys Eltern einst zu Favent in den besten Gesprächen und in herzlicher Vertraulichkeit über Tische saßen, siehe, da kam ein Bote von Mallières an, welcher gar wenig Worte machte und dadurch bald zu verstehen gab, daß sein Anbringen etwas Besonderes wäre. Er wurde vorgelassen und gefragt, was er mitbrächte. "Wenig Gutes", antwortete er und schwieg wieder stille. Ein tiefer Seufzer; den er aus der Brust hervorholte, zeigte an, daß er vor Betrübnis kaum reden könne. Endlich mußte er das Schweigen doch brechen und, was er zu melden hatte, ausrichten. "Gnädiger Herr", sagte er, "Euer Sohn Freimund ist tot; samt allen Mönchen; das ganze Kloster ist verbrannt: ich bin zum Glücke entronnen, daß ich Euch den Jammer anzeigen kann; denn weder Abt noch Mönch ist mehr übrig; das alles hat der Ritter Geoffroy verübt, der im grimmigen Zorn das Kloster vorsätzlich angezündet hat." Dann hub er an, den ganzen Verlauf der Sache umständlich zu erzählen.

Als nun Raimund den Jammerbericht zur Genüge vernommen, setzte er sich mit betrübtem Herzen zu Pferde und ritt eilig nach Mallières, um mit eigenen Augen zu sehen. Hier aber fand er nichts als Trümmer und klagendes Landvolk, das sich in Verwünschungen über seinen Sohn Geoffroy ergoß. Da drang ihm der Zorn so tief in das Herz, daß er vor innerer Herzensunruhe den Aschenhaufen nicht mehr ansehen konnte. Er setzte sich wieder zu Pferd und ritt nach Favent heim, wohin er noch am nämlichen Tage gelangte. Da verschloß er sich in seine Kammer und beweinte in der Einsamkeit das Herzeleid, das ihm sein Sohn Geoffroy angetan. Zugleich fiel ihm das Unrecht wieder ein, das er in der Übereilung des Zorns an seinem Bruder, dem Grafen von Poitiers, begangen; denn er erkannte jetzt, daß jener darin recht gehabt habe, was er ihm vorgeworfen, indem er doch an Melusina ein wahrhaftes Meerwunder und halbes Gespenst und nicht ein natürliches Weib habe, obschon er zehn Söhne mit ihr gezeuget , davon der eine jetzt so jämmerlich um sein Leben gekommen war, und zwar von des eigenen Bruders Hand.



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In solchem Unmut traf ihn seine Gemahlin Melusina, die eben die Türe des Kammergemachs aufschloß und in Begleitung vieler Ritter und Frauen eintrat, um ihren betrübten Herrn, welcher noch immer, mit den Reisekleidern


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angetan, auf dem Bette lag, in seinem gedoppelten Herzeleid zu trösten. Sie schien aber gar nicht willkommen zu sein; denn Raimund gab mit seiner finstern Miene ihr genugsam zu verstehen, daß ihre Gegenwart nicht sonderlich erwünscht war. Dessenungeachtet fuhr die tugendhafte und getreue Frau fort, ihm weiter mit herzlichem Troste zuzusprechen , und stellte ihm vor, daß man dem Willen und der Schickung des Himmels ja nicht widerstehen und seinen Schluß nicht hindern oder aufhalten könne.

Aber Raimund sah sie sehr trotzig und mit grimmigen Gebärden an, wie sie sonst von ihm nicht gewohnt war. Und zuletzt brach er in die ungestümen und unglückseligen Worte aus: "Hebe dich von mir, du böse Schlange und schändlicher Wurm; siehst du nicht, was dein Sohn Geoffroy mit dem Zahn für einen saubern Lasteranfang seines Manneslebens gemacht hat? Ach, mein Sohn, mein Sohn Freimund ist dahin, von Brudermördershand in den Tod geschickt!" Und nun warf er sich unter einem Strom von Tränen und mit Händeringen auf die andere Seite seines Lagers und würdigte seine getreue Melusina nicht mehr des Anschauens. Diese sprach ihm in tiefster Betrübnis, aber doch ganz bescheidentlich zu und erinnerte ihn an den Fehler, den er begangen, und der nicht wiedergutgemacht werden könne. "Ach, unbesonnener, ungeduldiger Naimund", sprach sie, "welche Blödigkeit hält deine Vernunft gefangen, daß du über all unser Unglück auch an mir Unschuldigen noch eidbrüchig wirst l Habe ich nicht deine Wohlfahrt gesucht, dich geliebt, getröstet und vor allem Unglück gewarnt? Und dieses will nun gleichsam zum Dache herein; denn in kurzem wirst du mich verlieren. Unglücklicher, keines Erbarmens würdiger Mensch, warum hast du dich nicht eines Besseren bedacht und mich so vor allen Umstehenden beschimpfte"

Dann wurde sie ganz stille und sank vom Eifer ihrer Rede in einer tiefen Ohnmacht auf die Erde. So lag sie bei einer halben Stunde ohne Empfindung da und wurde fast für tot gehalten. Alle Hofherren und Diener erschraken über die bedenklichen Reden, von deren Inhalt bisher niemand etwas gewußt hatte; jeder konnte gar leicht denken, daß dieses Gespräch große Erbitterung bei beiden nach sich ziehen würde, und es war ihnen gar nicht lieb, diese Geheimnisreden und Offenbarungen eines jähen Zornes mit anhören zu müssen; auch ahnten sie wohl, daß am Ende zu späte Reue bei beiden nachfolgen würde. Indessen eilte man ungesäumt der ohnmächtigen Melusina zu und bespritzte sie mit frischem Wasser, um nur zu sehen, ob auch noch Leben in ihr wäre. Dann eilte man mit andern



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Mitteln, sie zu stärken, bis sie endlich wieder zu sich selbst kam, sich aufrichtete und mit gar langsamer, doch deutlicher und nachdrucksvoller, klagender Stimme die Worte sprach:

"Ach, Raimund, was hast du getane Oh, ich Törichte, die ich mich von deinem eiteln Gesichte blenden ließ und deinen verführerischen Gebärden und einschmeichelnden Worten getraut habe! Zu welcher unglückseligen Stunde habe ich dich an dem Brunnen angetroffen und diese falsche Brust umhalset! Ist dies Pflicht und Treue gehalten, dies Wohltat mit Dank bezahlte Habe ich dich darum so mächtig und begütert gemacht, daß ich durch dich ins Unglück versinken sollten Undankbarer! Nicht ich, du bist eine Schlange, die ich mir selbst, mir zum Falle, an meinem Busen großgezogen habe. War es dir nicht genug, Treuloser, mich heimlich belauscht zu haben, ohne daß ich ein Zeichen der Mißgunst oder Rachgier vermerken ließ, wenn nur dein bundbrüchiges Herz sich bescheiden, dein falscher Mund hätte schweigen wollens Nun hast du mir und dir geschadet und uns beide mutwillig um unsere Wohlfahrt gebracht; denn ich wäre nicht von dir gewichen, bis mein natürlicher Tod mich von dieser Welt abgefordert hätte; so aber bringst du mir Leib und Seele bis an den Jüngsten Tag in Pein und Trübsal. Wie eine zergliederte Kette wird dein Land von dir gerissen und nach deinem Tode da und dorthin verteilt werden. Ich sehe schon das Unglück deines Geschlechts vor meinen Augen schweben; nichts als Zwietracht und Uneinigkeit wird in demselben herrschen, weil mit mir all dein Glücksstern verschwindet. Und ich selbst, wie gern ich es wollte, wie wehe es mir tut, ich selbst vermag das alles nicht mehr zu ändern!"

Nachdem sie solche Klage- und Strafworte gesprochen, ergriff sie drei Große des Landes, die zugegen waren, bei der Hand, trat mit ihnen gegen Raimund und hob noch einmal nachdrücklich zu reden an: "Falscher Raimund! Die Stunde meines Abscheidens rückt immer näher herbei. So merke dir denn, was ich vor diesen Zeugen, dir zum Besten, aus Mitleiden (das du freilich nicht verdient hast) hinterlasse. Horribil, unsern jüngsten Sohn, der drei Augen mit auf die Welt gebracht hat, diesen mußt du nicht leben lassen, sondern gleich in der ersten Stunde meines Hinscheidens ertöten, wenn du anders nicht großem Unglück die Hand bieten willst. Bliebe er am Leben, so würde der Krieg dein ganzes fruchtbares Land in eine elende Wüstenei verwandeln. In ihm erblickst du den Verderber aller seiner Brüder, den Schänder deines gagen Geschlechts. Darum vertilge diese Schlange, wenn du nicht noch mehr Herzeleid beweinen willst! Den Unmut aber, welchen dir Geoffroys Missetaten verursacht haben, den



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tilge; denn wisse, daß jenes Jammergeschick vom Himmel über die Mönche wegen sündhafter Ausschweifungen verhängt war, dem Ärgernis zu wehren. Und wisse, daß ebendieser, dein Sohn, jenes Kloster weit herrlicher aufbauen und versorgen wird, als es bisher gewesen. Endlich sage ich dir, was ich nicht vergebens geredet haben will, ehe ich dich ganz verlasse: wenn man mich einst in der Luft über Lusima daherschweben sieht; dann sollt ihr wissen, daß das Schloß in selbigem Jahr einen andern herm bekommen wird; ja, sollte ich in der Luft nicht wahrgenommen werden können, so wird man doch meine Gegenwart bei dem Durstbrunnen verspüren können, weil dort das Schloß zu meinen Ehren gebaut und meines Namens Gedächtnis daran geknüpft worden ist. Ich werde aber den Freitag zuvor gesehen werden, ehe das Schloß seinen Herrn ändert. Und dies ist es, was am meisten an meinem Herzen nagt. Die Zeit meines Abscheidens ist nun da, und bald werde ich dahin müssen, wo mein Kummerlied sich erst recht anhebt."

Diese Rede fuhr dem Raimund wie ein Dolch durch das Herz, und er brach in Tränen und Händeringen aus. Er wünschte sich nichts anders, als im Augenblick sterben zu dürfen. Er blickte seine treue Melusina lange und beweglich an, konnte sich nicht mehr halten, fiel ihr um den Hals und küßte sie mit klagenden Gebärden, so daß allen Anwesenden die heißen Tränen hervorquollen und selbst die Hofdiener sich nicht halten konnten. Es war ein Jammer anzusehen; denn alle beide lagen ohnmächtig auf der Erde. "Verzeihe mir, Geliebte, und bleib bei mirl"hub endlich der seufzende Raimund an. — "Ich kann nicht", sprach Melusina, "denn das Verhängnis hat es also beschlossen. Darum vergiß deines armen Sohnes Freimund und laß dir dagegen nichts aus dem Gedächtnis kommen, was ich dir gesagt habe; sorge auch besonders für deinen Sohn Raimund; denn dieser wird an deines Bruders Stelle Graf vom Forst werden."

"Erinnere dich auch öfter", fuhr sie fort, "deines jüngsten Sohnes Dietrich, welchen die Amme noch sanget, und wisse, daß selbiger dereinst zu Portenach und Rochelle ein gebietender Herr sein und große Rittertaten verrichten wird, auch alle seine Söhne sollen heldenmütige, berühmte Leute werden. So viel sei dir, kaltsinniger Raimund, noch aus Mitleid und Wohlmeinung zur Nachricht hinterlassen. Aber laß dir befohlen sein, künftig den Himmel für mich zu bitten; denn auch ich will bedacht sein, deiner nicht zu vergessen, sondern dir noch viel Trost und Förderung in allen deinen Anliegen verschaffen, obschon du mich in weiblicher Gestalt von nun an nimmer zu sehen bekommen wirst."



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Als diese Worte gesprochen waren, verwandelte sie im Augenblicke ihre Gestalt, nahm zur Hälfte die einer Sirene oder eines Fisches an und sprang mit einem Satze auf das Fenster, um sich hinauszuschwingen. Doch kehrte sie sich noch einmal um und wollte nicht ohne allerletzten Abschied von ihrem Raimund und den Herren des Landes scheiden. Daher sprach sie zum Beschlusse: "Lebe wohl, mein Raimund, ich vergesse, was du mir zuleid getan Basil Lebe wohl, du bisheriger Besitzer meiner treuen Liebe, du, selbst eine Zeitlang mein einziger treuer Freund! Ich verlasse dich mit Schmerzen; ob du mich schon bitter betrübt hast, so habe ich dich dennoch geliebt. Lebt auch ihr wohl, getreue Herren des Landes und Diener des Hofes, ihr werdet mich nun nimmermehr bedienen; der Himmel segne euch und auch mein Volk, dessen Gebieterin ich war. Lebet wohl, glücklich und gehorsam unter meinem Raimund, solange ihr in seinen Diensten stehen werdet! Der Himmel streue Glück auf dich, du mein herrliches Schloß Lusinia, und seine Güte bedecke dich auch noch, wenn ich, deine Stifterin, in leiblicher Gestalt ferne von dir bin!"



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Indem sie solches sagte, verwandelte sie sich noch entsetzlicher, sprang vom Fenster auf und fuhr zu aller Entsetzen zu demselben hinaus, in Gestalt eines abscheulichen Wurmes vom Gürtel an, wie sie Raimund früher allein gesehen hatte. So war dies eine recht unglückselige Stunde, als Raimund über seinen Sohn Geoffroy Streit mit Melusinen angefangen hatte. Jenes Hinscheiden aus dem Fenster geschah mit einem Rauschen in der Luft, das sich dreimal um das ganze Schloß hören ließ, jedesmal mit einem vernehmlichen Klagegeschrei, und so verlor sie sich aus dem Gesicht und wurde hernach nicht wiedergesehen.

Raimund stand mit weit offenen Augen staunend und sprachlos da; dann fing er bitterlich zu weinen und zu klagen an und sich sein Haar auszuraufen und rief ihr mit wehmütiger Stimme viel tausend Abschiedsgrüße nach. Seitdem sah man ihn nicht mehr fröhlich, solange er lebte. Doch fanden sich noch gute Leute, die ihm mit Trost und Zuspruch nahten.

Einer aber von seinen Räten erinnerte ihn noch in selbiger Stunde, als Melusina so kläglichen Abschied genommen, der Lehre, die sie ihm vor ihrem Scheiden in betreff ihres Sohnes Horribil anempfohlen hatte. "ES ist wahr", sagte Raimund, "aber meine Wehmut läßt mir nicht zu, jetzt solches zu tun. Gehet ihr zur Stunde hin und vollbringet augenblicklich ihren Willen, wenn ihr solches für gut befindet; weil ihr so getreulich mich daran erinnert habt. Es sterbe die Natter, welche solches Blutbad mit der Zeit anrichten soll, damit der Ruhestand des Landes erhalten und befördert werde." Mit diesen Worten sonderte sich Raimund von ihnen ab, verschloß sich in ein einsames Gemach und lag seinen Kummergedanken seufzend ob. Die Diener aber, denen er die Tötung Horribils aufgetragen hatte, nahmen den Knaben und führten ihn, dem Unglück vorzubeugen, in einen Keller, verstopften hier alle Türen und Fenster, trugen nasses Heu und Stroh herzu und zündeten es an, um nur nicht selbst Hand an ihn legen zu müssen. So erstickte der Knabe im Rauch und Dampf. Hernach richteten sie einen Sarg zu und beerdigten ihn ganz still in der Kirche, womit Melusinas und Raimunds Wille vollzogen ward. Von Raimund aber sah man noch geraume Zeit nichts; denn er hielt sich immer ganz still in seinem Gemach verschlossen.

Melusina hatte ihrem verlassenen Gemahl zwei junge Söhne in der Wiege zurückgelassen, die einer Säugamme übergeben waren. Diese hießen Dietrich und Raimund. Deren Amme und Wärterin nahm zu verschiedenen Malen wahr, daß Melusina in gespenstischer Gestalt bei später Nachtzeit in die Schlafkammer kam, eins der Kinder nach dem andern aus



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dem Bette hub, es an dem Feuer wärmte, sie an ihre Brust legte, säugte und sodann wieder sanft in das Bett hineinlegte. Obwohl die Amme ein solches Schauspiel nicht ohne Entsetzen ansah, unterstand sie sich doch nicht, dem Geiste selbiges zu wehren oder einen Lärm darüber zu machen, sam dern weil den Kindern dadurch kein Leid widerfuhr, ließ sie es mit Erstaunen so geschehen. Doch wurde es als eine nicht zu verschweigende Sache dem Raimund mit Betrübnis gemeldet und aller Verlauf berichtet. Dieser hörte es mit innigem Vergnügen, tröstete sich damit in seinem Kummer und labte sich an der nichtigen Hoffnung, seine geliebte Gemahlin einst doch wiederzubekommen. Er befahl mit großem Eifer, daß man auf keine Weise den Geist, sooft er komme, beschreien noch weniger ihn verhindern oder ihm irgend zuwider sein sollte; denn er hielt es für ein gutes Anzeichen und fühlte sich seitdem in seiner Betrübnis ein Merkliches erleichtert.

Indessen nahmen die beiden Kinder, besonders das Herrlein Dietrich, in kurzer Zeit gar trefflich zu, so daß man an ihren Kräften und ihrer Gesundheit gar keinen Mangel verspürte, sondern sich vielmehr höchlich darob verwundern mußte, wie sie in einem Monat fast mehr als andere Kinder in einem halben Jahre wuchsen, so daß man solches Wachstum der mütterlichen Milch zuschrieb, weil sie von dem Geiste gesäugt wurden; obgleich niemand begreifen konnte, wie es damit zuging.



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Nun vernehmen wir wieder, wie es Geoffroy in dem Lande Norheim ergangen ist. Dieser war glücklich angelangt, und zugleich erschallte in dem ganzen Lande das Freudengeschrei, der junge, tapfere Ritter sei angekommen,



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der im Lande Garande den ungeheuren Riesen erlegt hätte. Jedermann eilte, denselben zu sehen, ja, es kamen alle Herren des Landes, ihm Glück zu wünschen und ihm alle mögliche Ehre zu erweisen, wobei ihm dann zugleich von einem der Vornehmsten erzählt wurde, wie grausam der in ihrem Lande sich aufhaltende Riese bisher gehaust, und wie er schon manchen tapfern Ritter erwürgt, ja, noch vor kurzem ihrer wohl hundert auf einmal erschlagen hätte, das gemeine Volk gar nicht gerechnet. Das ganze Land sei verwüstet und ausgeraubt.

"Das muß ein Teufel und kein Mensch sein", antwortete Geoffroy hierauf, "doch seid getrost, ihr Herren, und helfet mir nur, daß ich ihn treffe; dann verhoffe ich, mit Hilfe des Himmels gleichwohl Sieg und Ehre einzulegen, und euch von diesem Ungeheuer zu befreien, wofür mir das ganze Land danken möge!" Kaum hatte Geoffroy diese Worte ausgeredet; da wurde ihm von den Landesherren ein erfahrener Wegweiser zugeordnet; dem die Gegend des Landes, wo der Riese seine Wohnung hatte, wohlbekannt war. Geschwind mußte nun alles zur Reise fertiggemacht werden; dann beurlaubte er sich aufs höflichste von allen Herren des Landes und ritt immer getrost dem Berge zu, wo der Riese am meisten sich aufzuhalten pflegte. Als sie bereits den Berg hinanritten, hub der Wegweiser zu Geoffroy an: "Gnädiger Herr! Auf diesem Berge, Avelon genannt, und in dieser Gegend hat der Riese seine Wohnung." Geoffroy schaute auf; denn sie waren gerade neben einem Felsen, in dessen Höhle der Riese zum öftern zu sitzen pflegte. Der Wegweiser selbst zitterte, und es war ihm nicht wohl bei der Sache zumut; er sah sich hier und da um, ob er ihnen nicht von irgendeiner Seite her auf den Nacken käme. Unter Umschauen ward er gewahr, daß unweit von einem gewaltigen Felsen der große Valand oder Teufel, — wie ihn insgemein das Volk des Landes nannte —sich unter einem lieblichen, schattenreichen Baum auf eine marmorne Ruhebank niedergesetzt hatte. "Herr, wir sind des Todes", schrie der erschrockene Wegweiser, "wenn wir nicht eilends zurückgehen! Ich bitte, entlasset mich, dort oben auf der Anhöhe sehe ich das Ungeheuer sitzen!"

"Verzagter, was entsetzet Ihr Euch", sprach Geoffroy, "bleibet bei mir, ich werde Euch und dem ganzen Lande Rettung verschaffen!" —"Immerhin" , sprach dieser, "aber laßt mich unten! habe Euch nun den Weg gewiesen, wo Ihr Euren Tod finden könnet; kommen wir weiter hinauf, so treten wir schon auf Totenbeine." — "Blöder Mensch, ich werde dich nicht entlassen", sprach Geoffroy, "wenn ich auch deine Hilfe nicht verlange , so sollst du doch meinen Sieg mit anschauen." Und so nötigte er



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ihn, unwillig und in höchster Angst den Berg mit hinaufzureiten. Geoffroy mußte über den Zitternden lachen, der sich gebärdete, als hätte er das dreitägige Fieber. Sie wurden auch bereits von dem Riesen Grymold (denn dies war sein rechter Name) wahrgenommen, welcher aber aus Verachtung ganz regungslos sitzenblieb.

Endlich, als sie ganz in der Nähe waren, hieß Geoffroy lachend und mitleidig den Wegweiser mit seinem Pferd stillehalten, und dem Spiele ruhig zusehen. Der Wegweiser versprach ihm zu bleiben, wenn der Kampf nicht zu lange dauern würde. "Sonst", sprach er, "ehe mich der Schwindel gar ankommt, werde ich das Weite suchen. Darum wagt Euer Leben nicht allzu verwegen; denn dieser Wüterich hat schon viele tapfere Helden aufgerieben." —"Sorget nicht, mein Freund", sprach Geoffroy und ritt noch ein kleines weiter aufwärts, bis er den Riesen erreichte. Dieser wunderte sich über des Ritters Kühnheit, der so allein bei ihm erschien; doch dachte er, es könnte vielleicht ein vom Lande Abgefertigter sein, der etwas bei ihm anzubringen hätte. Er stand deswegen von seinem Sitze auf, nahm eine große, dicke Stange von Holderholz und ging dem ankommenden Ritter auf einer schönen Bergwiese entgegen. Wenige Schritte von Geoffroy hielt er still und schrie: "Wer und von wannen hifi du, Vermessener, daß du so freventlich allein gegen mich zu reiten dich erkühnst?" — "Ich komme", erwiderte Geoffroy, "mit dir zu streiten, du Ungeheuer, und ohne weitere Worte dich herauszufordern!" — "So, hifi du deines Lebens müde?"sprach der Riese. "Komm", sagte darauf Geoffroy, "und mache nicht viel Worte! Ertöte mich, wenn du kannst!" — "Ei nicht so", versetzte der Riese spottend, "schone meines Lebens, du Ohnmächtiger, und bring mich nicht so eilends um!"

Dem tapfern Geoffroy griff diese Hohnrede ins Herz, er zückte seinen Schild, ritt ohne ein Wort auf den Prahler mit seinem Speer los und traf diesen so empfindlich auf die Brust, daß, wäre er nicht mit einem stählernen Harnisch bedeckt gewesen, Geoffroy ihn auf den ersten Stoß durchrannt haben würde. Aber auch so fiel er auf die Erde und kehrte die Beine in die Höhe; doch raffte er sich geschwind wieder auf, so heftig er den Stoß empfand. Der Ritter, welcher merkte, daß der Riese einen Streich auf sein Roß zu führen beabsichtigte, sprang behend vom Pferde. Da rief der Riese: "Du hast mir einen empfindlichen Bruststoß beigebracht, kühner Ritter; bist du redlich und guten Herkommens, so nenne mir deinen Namen!" —"Ich bin weltbekannt", sprach der Ritter, "und heiße Geoffroy mit dem Zahn!" — "Sol" erwiderte der Riese; "habe ich



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doch von dir gehört, daß du meinen Oheim, den Riesen Gedeon von Garande, gefällt hast! Dafür soll dir bald dein Lohn werden!"Ungeduldig griff der Riese zu seiner Stange und führte damit, weil er links war, einen furchtbaren Streich auf Geoffroys rechte Hand. Aber dieser entwich dem Hieb, so daß die Stange gegen den Felsen schlug und man den Streich einen Schuh tief darin sehen konnte.

Unterdessen ergriff Geoffroy sein Schwert, und schlug dem Riesen auf den Harnisch, daß Splitter davonsprangen und das Blut aus den Ritzen hervordrang. Der Riese führte nun ganz grimmig einen zweiten und dritten Streich, denen Geoffroy immer auswich, so daß die Stange, am Felsen zerspaltet, in der Mitte zerbrach und der Arm des Riesen ganz müde ward. Jetzt versetzte der Ritter dem Riesen einen Schwerthieb auf den Helm, daß ihm Hören und Sehen verging; aber noch war dessen Faust so kräftig, daß ein Schlag des Unbewehrten auf Geoffroys Helm diesen wie einen Trunkenen taumeln machte. Doch faßte der Ritter wieder neuen Mut und traf mit einem Streiche glücklich des Riesen Achsel, tief durch den Panzer, so daß das Blut Strömen von ihm floß. Jetzt warf sich der Riese rasend auf Geoffroy und begann, mit demselben zu ringen. Sie faßten sich auch so gut, daß jedem der Atem ausgehen wollte. Aber der große Blutverlust machte den Riesen kraftlos, so daß er abstehen mußte. Dadurch kam Geoffroy abermals zum Schwerte, versetzte ihm einen neuen Streich und zwang das Ungetüm, nach seiner Felsenhöhle zu eilen und sich dort zu verbergen.

Dieser Fels, in den der Riese sprang, war ein düsteres Loch, wie ein tiefer Keller anzuschauen, und der Held konnte ihn hier nicht mehr erreichen. Der muntre Ritter schwang sich indessen fröhlich auf sein Pferd, ritt zu dem Wegweiser, der noch zagend auf seiner Stelle stand, zurück, erzählte ihm den ganzen Vorfall, den jener aus Angst nicht so genau beobachtet hatte, und zeigte ihm seinen von den Fehlhieben des Riesen getroffenen Harnisch, auch den Helm voll Beulen.

Während Geoffroy mit dem Wegweiser sprach, kamen die Herren des Landes in Begleitung vielen Volkes. Sie meinten, der völlige Sieg sei vollzogen, und fingen an, den Obsieger mit Glückwünschen zu überschütten. Sie hörten aber bald, daß es ganz anders stand. Da fragten sie den Ritter, ob der Riese sich nicht nach seinem Namen erkundigt habe. "Ja", antwortete Geoffroy, "und ich habe es ihm auch ohne alles Bedenken frei herausgesagt!" —"Nun", fing einer von den Herren an, "dann wird er auch nicht mehr aus seiner Höhle herauskommen, solange der tapfere



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Geoffroi im Lande ist; denn er hat eine sichere Weissagung, daß er von diesem abgetötet werden soll." — "Wenn er auch sich nicht herauswagen ', antwortete der Ritter, "so will ich ihn dennoch töten, um den Sieg vollzumachen. . Ich mag aus diesem Lande nicht scheiden, ehe meine Faust dieses Ungeheuer erlegt hat!"

Ein anderer Landesherr, der Mitleid mit dem jungen Helden empfand, fing an, ihn zu warnen; denn in dem Berge gebe es Gespenster und seltsame Abenteuer: der alte Beherrscher des Landes Norheim, König Helmas, sei von seinen drei Töchtern in diesem Berge verschlossen worden und habe bis zu seinem Tode dort bleiben müssen, einzig darum, weil er Persona, seine Gemahlin, im Wochenbette besucht und daher ihre Geheimnisse erkundigt hätte. Auch wisse man nicht, wohin hernach die drei Töchter des Königs mitsamt ihrer Mutter gekommen seien. Einen Riesen habe es an diesem Ort immer gegeben, und der habe den Berg gehütet; der jetzige sei bereits der fünfte oder der sechste, und alle hätten das Land verwüstet und mit Feuer verheert. Insonderheit habe dieser alle Helden, die gegen ihn ausgezogen, bezwungen und getötet. Geoffroy sei glücklicher gewesen als alle Könige ihres Landes, die nicht hätten wagen dürfen, was er gewagt. Jedoch sollte erden Riesen nicht anders bestehen, als wenn derselbe außerhalb des Berges zu treffen wäre.

Geoffroy, durch diese Rede bewogen, versprach ihnen, jedenfalls den Riesen zu erlegen, und nun ritten sie, weil die Nacht herbeirückte, den Ritter aufs ehrerbietigste begleitend, mit ihm zur Abendtafel nach ihrer Stadt zurück.



***
Als der frühe Morgen anbrach, machte sich der Held Geoffroy auf den Weg und ritt wieder dem Berge zu. Dort angekommen, hatte er eine gute Zeit zu suchen, bis er unter so vielen Löchern und Klüften das rechte und den Eingang zu der Riesenhöhle traf. Geschwind, als er solchen gefunden , sprang er vom Pferde, ergriff seinen Speer, bezeichnete sich mit dem Kreuz und ließ sich in das Felsenloch hinab, nachdem er sich von dem ihn begleitenden Ritter verabschiedet hatte, und es ward ihm unter tausend Wünschen Glück nachgerufen. Als er Grund spürte, stieß er mit vorgehaltenem Speer überall herum, ob er nicht den Riesen in irgendeinem Winkel der Höhle auffinden möchte. So kam er immer tiefer hinein, bis er einen Lichtschimmer sah, dem er nachging, und der ihn in eine helle Kammer führte, die nur eine Türe hatte, aber mit Gold, Silber und Edelgesteinen sehr herrlich angefüllt war.


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Er sah sich verwundert in dem Gemach um: in der Mitte der Kammer stand ein erhabenes Grabmal auf sechs zierlichen Pfeilern mit Edelsteinen, die in diesem Berge häufig wuchsen, reich geziert; auf dem Male war ein bewaffnetes gekröntes Königsbild, aus milchblauem durchsichtigem Chalzedon, liegend abgebildet; zu dessen Füßen war ein Frauenbild zu sehen, das eine Tafel von etlichen Blättern in den Händen hielt; auf der war folgende Schrift ganz deutlich zu lesen: "Dies ist der König Helmas, mein liebster Gemahl, der hier begraben liegt; ein mächtiger König von Nordland, der mir geschworen, mich zur Gemahlin zu erkiesen, doch nie mich im Wochenbette zu besuchen noch besuchen zu lassen. Weil er treubrüchig geworden, verlor er mich. Die drei schönen Töchter; die ich im selben Jahre geboren, nahm ich mit mir; säugte, ernährte, erzog sie bis ins fünfzehnte Jahr; er wußte nicht, wo. Dann entdeckte ich ihnen des Vaters Untreue, darüber wurden sie eifernd, und insonderheit beschloß die jüngste, Melusina, solch Verbrechen an ihrem Vater statt meiner selbst zu rächen. So sperrten sie ihn in diesen Felsen ein bis ans Ende seines Lebens. Ich selbst begrub ihn unter diesen Stein: und daß sein Grab vor Dieben, Räubern und Schatzgräbern sicher wäre, habe ich den Riesen hieher gelegt, Grab und Felsenhöhle zu hüten. Meine drei Töchter haben drei besondere Merkzeichen: die jüngste, Melusina, die sehr klug und scharfen Verstandes ist, das, daß sie alle Sonnabende vom Gürtel an



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zur Schlange wird. Wer sie freit, soll ihr geloben, sie an selbigem Tage weder zu besuchen noch zu sehen, noch nach ihr zu fragen, auch keinem Menschen solch Geheimnis entdecken. Melora, meiner zweiten, wunderschönen Tochter legte ich auf, daß sie als Geist eines herrlichen Bergschlosses in Armenien hüten, daneben unablässig einen Sperber auf dem Haupte haben soll. Wer sich ihr nahen will, der muß von adeligem Ritterblute sein, ohne Entsetzen drei Tag ' und drei Nächte des Sperbers schlaflos hüten, keine Furcht und Scheu tragen: dann soll ihm vergönnt sein, von dem jungfräulichen Geist eine Gnade, welche er will, außer ihrer Person und Liebe zu erbitten. Wer sich aber vom Schlaf überwinden läßt, der soll sein Lebenlang, bis zum Jüngsten Tage, des Geistes Gefangener sein. Meiner dritten Tochter, Plantina, gab ich auf dem hohen Berge Roniche in Arragonien ihres Vaters unendliche Schätze zu hüten, bis sich einer unseres Geschlechtes findet, der Burg und Schatz mit wehrhafter Hand erobert und König zu Jerusalem werden wird. Solches habe ich, ihre Mutter Persina, ihnen auferlegt. Damit begnüge sich, wem diese Tafel zu Gesichte kommt!"

Geoffroy, der den Inhalt dieser Blätter bedächtlich gelesen, geriet in großes Staunen. Er merkte jetzt, daß seine Mutter die Nymphe Melusina war, und König Helmas sein Großvater, Persina seine Ahnfrau gewesen. Aber völlig wollte er es erst glauben, wenn er glücklich den Riesen erlegt hätte; dann erst wollte er sich für jenen wahren Erben und vom Schicksal dazu ersehen halten. Mit neuem Eifer verließ er das Zimmer, allenthalben mit dem Speere umherfühlend. In solchem Fortgehen geriet er auf einen weiten Platz, auf dem sich sogar ein hoher Turm befand, so daß er ganz aufrecht gehen konnte. Er nahm daher seinen Speer bequem auf die Achsel und ging unter scharfem Umschauen auf den Turm los, den er offen und darin herrliche Gemälde fand.

Im Hingehen jedoch bemerkte er unter dem Gebäude einen abscheulichen Kerker, in welchem sich viele Gefangene befanden, die sich alle höchlich verwunderten, woher er käme, uno welcher entschlossene Mut ihn so weit gebracht. Einige warnten ihn mitleidig vor dem Niesen, dagegen riefen andere: "Schweigt, ihr redet zu unser aller Schaden; laßt den jungen Helden doch ziehen, er dürfte vielleicht unser Erlöser werden! Gott der Herr, der ihn hiehergeleitet hat, wird ihn auch noch weiter bewahren können Diese Rede gefiel Geoffroy wohl, er wurde noch mutiger in seinem Sinn und hub lächelnd zu fragen an: "Wo ist das Ungeheuer, das euch also quält? Zeiget mir den Ort, daß ich meinen ritterlichen Mut an ihm



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üben möge!" Darauf hub einer von den Gefangenen an: "Nehmet Euer Leben in acht, Herr Ritter; Ihr werdet ihn bald zu sehen bekommen!"

Kaum waren diese Worte gesprochen, so kam der Riese dahergetreten. Aber statt daß Geoffroy vor ihm hätte fliehen sollen, erschrak der Riese, als er den Ritter erblickte, und verkroch sich vor ihm in ein Gemach, dessen Türe er eilig hinter sich zuschloß. Geoffroy, dadurch ganz kühn gemacht, sprang ihm schnell nach und pochte an die Türe so mächtig, daß sie in Stücke sprang, so gut sie das Ungeheuer von innen verriegelt hatte. Nun hatte aber der Riese einen großen viereckichten Hammer aus Stahl, mit dem gab er dem Ritter einen Streich aufs Haupt; aber der Helm hielt ihn aus und blieb unbeschädigt. "Dieser Streich soll dir gedoppelt auf deinen verfluchten Schädel fallen", rief Geoffroy, und nun zog er sein Schwert und stach den Riesen durch und durch, so daß er auf die Erde fiel. Dies geschah mit einem solchen Schrei, daß der ganze Turm davon zu zittern schien. Damit blies er zugleich seinen Atem aus, und die Leiche lag ausgestreckt auf der Erde.

Da dankte Geoffroy dem Höchsten für den verliehenen Sieg, steckte das Schwert in die Scheide, eilte zu den Gefangenen in dem Turme und fragte sie, ob sie aus dem Lande der Norheimer wären, und als sie dies bejahten: was denn ihr Verbrechen sei. Darauf sagten sie ihm, daß sie den Tribut nicht bezahlen konnten, den der Riese von ihnen forderte. "Nun so sei euch derselbe mitsamt eurer Freiheit geschenkt!" sprach Geoffroy und versprach ihnen, unter Jauchzen und Frohlocken, ihren Kerker zu öffnen. "Aber", fragte er, "ihr müßt mir auch sagen, wo die Schlüssel des Gefängnisses aufbehalten werden." Das wußte keiner; Geoffroy selbst mußte lange Zeit suchen, bis er endlich den Schlüssel fand und über zweihundert Gefangene befreite. Diese führte er alle in das Zimmer, wo er den Riesen erlegt hatte; sie betrachteten die Leiche des Ungeheuers mit Entsetzen und weideten sich mit Staunen an der Heldentat des jungen Ritters.

Dann sprach dieser zu ihnen: "Höret, lieben Freunde und erledigte Gefangene , womit ich euch erfreuen will. Es liegt in diesem Berge und seinen verschiedenen Höhlen ein großer Schatz an Gold, Silber und Edelsteinen verborgen. Das alles schenke ich euch; denn ich will von dem übel gesparten Gute nichts haben!" Die armen Leute konnten nicht aufhören danken; sie wollten auch das Geschlecht des edlen Ritters wissen; denn seit König Helmas ' Tode sei kein Mann lebendig aus diesem Felsen gekommen.



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Der Ritter willfahrte und sagte ihnen, daß er Geoffroy mit dem Zahne heiße: dann erzählte er ihnen von seiner Herkunft weitläufig. Hierauf begleiteten ihn die Befreiten zum schuldigen Dank aus der Höhle. Vorher hatten sie noch einen Karren zubereitet, auf den der ungeheure Riese geworfen und aus dem Berge hervorgesogen wurde. Die Leiche saß auf dem Karren, mit Ketten gebunden, aufrecht, als lebe das Ungeheuer noch; so führten sie das Scheusal im Lande herum, jedermann zur Verwunderung und zum Abscheu. Alles Volk lief herzu und dankte Gott und lobte den Sieger Geoffroy, der zur rechten Stunde gekommen sei.

Mittlerweile kam Geoffroy wieder zu den Herren des Landes, von welchen er vor kurzer Zeit geschieden war, und die mit großer Betrübnis und unter vielen Zweifeln seiner gewartet hatten. Da ward ihm und den befreiten Gefangenen alle ersinnliche Ehre angetan. Und weil gerade der König von ganz Norheim ohne Leibeserben mit Tod abgegangen war, so wurde ihm nicht nur großes Geld und Gut, sondern die königliche Krone selbst angeboten, wenn er bei ihnen bleiben wollte. Dies alles aber schlug Geoffroy mit großer Höflichkeit ab, und nach kurzer Zeit machte er sich, von ihnen allen gesegnet, wieder reisefertig auf den Weg, nachdem er zuvor den Landesfürsten die Verwesung des Reiches und seine Wohlfahrt sorgsam anbefohlen hatte. Und nun reiste er mit großem Verlangen, seinen Vater und seine Mutter nur recht bald ansichtig zu werden, von dannen, bis er an das Meer kam, wo er zu Schiffe saß und nach seinem Vaterlande, der Herrschaft Garande, zu segelte. Als das Volk seine Ankunft gewahr wurde, lief ihm alles voll Freuden zu, ihren Erretter wiederzusehen und zu bewillkommen, weil es noch nicht so lange her war, daß er sie von dem Riesen Gedeon erlöset hatte.



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Nun kam die Kunde von seiner Rückkehr auch zu seinem Vater Raimund. Er ritt, seinen Sohn Geoffroy zu empfangen, ihm entgegen und hielt auf der Straße, wo er vorbei mußte, zumal da ihm schon hinterbracht worden war, wie viel Ruhm und Ehre jener im ganzen Reich Norheim erlangt hätte. Diese neue Freude hatte den guten Raimund wieder ein wenig seines schweren Kummers entledigt. Er wartete deswegen nicht länger, sondern ritt in seines Herzens Fröhlichkeit gar bis an das Gestade des Meeres, wo sein Sohn bei seiner Ankunft unfehlbar landen mußte. Dies geschah, und es war ein rechter Freudenempfang von beiden, der gar beweglich anzuschauen war, so daß vielen die heißen Tränen darüber ausbrachen . Endlich nahm der Vater Raimund seinen Sohn bei der Hand,


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führte ihn beiseite und entdeckte ihm sein ganzes Herzeleid, den Verlust seiner Mutter und alles, was sich bisher zugetragen.

Geoffroy erschrak darüber heftig; er merkte wohl, daß auch sein böses Beginnen hierzu nicht wenig geholfen und das Öl zum Feuer gegossen hatte. Von innerlicher Reue und Bewegung des Herzens brach ihm der Angstschweiß aus, und er sprach: "Sei es dem Himmel geklagt, in welchen Jammer ich mich durch mich selbst gesetzt sehet" Unter so kleinmütigen Seufzern stand er eine gute Weile in sich gekehrt; dann fing er an, und erzählte dem Vater von der Tafel und Schrift, die er in dem Gespensterberge im Norheimerlande gefunden und gelesen habe, und von dem ganzen Begräbnis. Raimund vernahm zu seinem Troste, was er vorher selbst nicht gewußt, wer nämlich Melusina, seine Gemahlin und Geoffroys Mutter, gewesen, und daß sie aus königlichem Geschlechte entsprungen war. Dagegen hatte auch sein Sohn hinwider von seinem Vater erfahren, was er noch nie gewußt, wie nämlich des Vaters Bruder ihn gereizt, seine Melusina an einem Sonnabend zu besuchen und am Ende gar ihren Zustand ihr vorzuwerfen und sie damit zu beschämen.

Darüber schwur Geoffroy dem Grafen den Tod. Er setzte sich zu Pferde und ritt in Begleitung seines jungen Bruders Raimund Tag und Nacht auf den Forst zu, worüber denn Raimund, sein Vater, in neuen Kummer fiel; denn es reute ihn, daß er seinem Sohn alles so klar geoffenbaret hatte, und nun vielleicht auch dieses zu einem bösen Ende ausschlagen möchte.

Geoffroy aber gelangte von niemand erkannt und in aller Stille in die Grafschaft vom Forst und bis dicht an das Schloß des Grafen. Dies fand er offen, stieg alsbald von dem Pferd ab und kam unversehens in den Saal, wo sein Oheim sich aufhielt. Geschwind griff er nach der Wehre, rannte auf ihn zu und fuhr ihn mit ungestümer Rede also an: "Ha, Verräter, du bist derjenige, durch welchen wir alle unsere Mutter verloren haben. Aufrührer, Verführer, Bösewicht, du mußt des Todes sterben." Der Graf vom Forst, von dieser Überraschung ganz bestürzt, wußte nichts anders zu tun, als sich zu retten und sein Heil in der Flucht zu suchen. Er verschloß sich in einen Turm, dessen hohe Treppen er hinaneilte, und war froh, als er sich vor dem Zorn des Ritters geborgen sah.

Weil nun Geoffroy diesmal nichts ausrichten konnte, hub er an, aufs heftigste in Worten gegen des Grafen Diener zu toben, die ihm aber alle entliefen. Dadurch fand er freie Bahn, den Grafen noch weiter zu verfolgen , so daß dieser endlich zu einem Fenster des Turms hinausspringen



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mußte um sich auf ein gegenüberstehendes Dach zu flüchten; er verfehlte es aber mit seinem Sprunge und fiel zu Tode. Nun ließ ihn Geoffroy begraben, und die Seinen, die ihn an dem grimmigen Ritter nicht zu rächen wagten, bejammerten ihn alle. Dann befahl Geoffroy den Dienern, daß sie nunmehr seinem Bruder Raimund ohne alle Widerrede huldigen sollten; dies taten sie mehr aus Furcht als aus gutem Willen; denn alles Land scheute seinen Namen.

Der schwermütige Vater Raimund war inzwischen auch nach Lusinia zurückgekehrt, aber voll Unmut und Betrübnis; denn die Tötung seines leiblichen Bruders durch seinen Sohn Geoffroy war ihm berichtet worden. Aber er konnte nicht ändern, was geschehen war. Er versank nun aufs neue in die tiefste Reue und beschloß, nach Rom zu ziehen, dort ernstliche Buße zu tun und nimmermehr nach Hause zu kommen, sondern sein Leben in einem Kloster mit Weinen und Beten zu beschließen. Während er sich mit so traurigen Gedanken abquälte, siehe, da kam sein Sohn Geoffroy in den Schloßhof eingeritten, stieg vom Pferde, ging zu seinem betrübten Vater hinauf und fiel vor ihm alsobald auf die Knie. Da bat er um Gnade wegen aller seiner Missetaten und gestand ganz freimütig, daß er die einzige Ursache aller schmerzhaften Verluste sei, die seinen Vater betroffen.

"ES ist so, mein Sohn, wie du sagst", hub Raimund seinem Sohn zum Troste an, "allein wir können die Toten mit allen unsern Klagen nicht erwecken. Doch sei dir hiermit zur väterlichen Strafe auferlegt, das verbrannte Kloster Mallières wieder aufzubauen und andere Mönche zu Dienst und Ehren Gottes darein zu stiften." Geoffroy ließ sich dieses gar gerne gefallen und versprach, dasselbe herrlicher und reicher zu bauen, als es zuvor gewesen. Dies tröstete den alten Raimund nicht wenig. "Wohlan", sprach er, "die Vollziehung deines Versprechens wird deinen Gehorsam betätigen, mein Sohn Geoffroy! Doch vernimm das, was ich dir jetzt entdecken will. Ich habe mir zur Buße eine Reise in fernes Land vorgesetzt und will dies jetzt als ein Gelübde vollbringen. Demnach befehle ich dir, das Land löblich zu regieren, daß du dich als ein Vater und nicht als ein Tyrann, wie du bisher gepflogen, gegen die Untertanen erweisest, deinen jüngsten Bruder aber, meinen Sohn Dietrich, in aller Frömmigkeit und Tugendübung getreulich anstatt meiner auferziehest und, wenn er erwachsen ist, ihm die Herrschaft Portenach, Favent und Rochelle zum Besitze einräumest. So hat es mir deine selige Mutter anempfohlen, und ich will es auch dir ans Herz gelegt haben; denn es scheinet ein gar sonderliches Licht aus dem Knaben, welches wohl zu pflegen ist."



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Geoffroy versprach ihm reumütig unverbrüchlichen Gehorsam, und dem Raimund rannen über seinen treugemeinten Worten die Freudentränen über die Wangen. Dann berief er alle Untertanen zusammen, stellte ihnen seinen Sohn als künftigen Regenten vor, ließ die Huldigung vor sich gehen und trat die Reise an. Seine Söhne Geoffroy und Dietrich gaben ihm mit einem kleinen Gefolge zu Roß das Ehrengeleit. Am andern Tag umhalsten sie den Vater und nahmen einen tränenvollen Abschied.



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Der junge Dietrich wuchs gerade und herrlich heran und hatte die Mannsjahre erreicht. Da tat er dem väterlichen Befehle gemäß einen schönen Ritt nach Portenach und nahm daselbst Besitz von seinem Erbteil mit den andern ihm zugehörigen Orten. Er regierte klug und glücklich und galt für einen weisen Regenten des ganzen Landes. An Tugend, Tapferkeit und Heldentaten nahm er alle Tage zu; sein Vater Raimund aber, obgleich er lebte, war dem Lande längst gestorben. Inder Folge heiratete Dietrich eine schöne Dame aus der Bretagne, und es stammet bis auf diesen Tag von ihm das hohe Geschlecht derer von Portenach.

Geoffroy hatte nach halber Jahresfrist das Kloster Mallières schöner und größer, als es zuvor gewesen, wieder aufgebaut. Der vorher so wilde und grausame Mann zeigte bei diesem Bau einen solchen Bekehrungseifer , daß in dem ganzen Lande das Sprichwort von ihm erscholl: "Geoffroy ist ein Mönch, der Wolf ist ein Schaf geworden."Obwohl ihm nun dieser Spott zu Ohren kam, fuhr er doch in dem guten Werke fort und ruhte nicht, bis es fertig dastand.

Inzwischen war Raimund zu Rom angelangt und hatte vor dem Papst seine Beichte wehmütig abgelegt, Absolution empfangen und die auferlegte Buße mit demütigem Gehorsam angenommen. Auf die Frage des Papstes, was jetzt sein Vorsatz wäre, erwiderte er: "Allerheiligster Vater, ich gedenke, mein Leben an einem Orte zu schließen, wo nicht viele Leute um mich sind; denn ich möchte mich von der Welt absondern." Und als der Papst diesen Vorsatz lobte und ihn um den Ort befragte, den er sich ausersehen hätte, da sagte er, daß er nach Montserrat in Aragonien, zu Unserer Lieben Frauen Kloster, Belieben trüge; denn der schöne, reine Gottesdienst , der dort gepflogen werde, gefalle ihm vor allen andern.

Da wurde ihm vom Papst ein Priester und ein Schüler zugeordnet, die ihn sein Leben lang bedienen sollten. So nahm er seinen Abschied, und sie ritten zusammen mit einem schönen Gefolge von Rom weg. Als er zu Tolosa ankam, wurde er wider seinen Willen dort aufs herrlichste empfangen



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und ihm alle mögliche Ehre angetan. Nun entließ Raimund alle andern Diener und behielt niemand als den Priester und Schüler bei sich. Und sowie er an dem erwünschten Orte angekommen war, ließ er sich und dem Priester Einsiedlerskleider machen und begab sich in das Gotteshaus, dem Herrn dort zu dienen, solang er lebte.

Als seinem Sohne Geoffroy die Ankunft Raimunds zu Rom berichtet wurde, beschloß er bei sich, seinen Vater auch noch einmal zu sehen und in Rom aufzusuchen. Er übergab seinem Bruder Dietrich die Regierung für einige Zeit und machte sich auf. Zu Rom angelangt, beichtete auch er dem Papste und erfuhr von diesem, daß sein Vater ein Einsiedler zu Montserrat geworden wäre. Dem Geoffroy wurde aber eine weit härtere Buße auferlegt, insbesondere, daß er darauf bedacht sein sollte, vor allen Dim gen das Kloster Mallières wieder aufzubauen und hundertundzwanzig Mönche darein zu stiften. Der Ritter erklärte dem Papst, daß bereits das Gebäude weit größer und herrlicher, als es zuvor war, wieder aufgerichtet stünde; da lobte der Papst diese rühmliche Tat und nahm sie für hin- reichende Buße an. "Euer Vorsatz ist gut", sagte der Heilige Vater zu ihm, "und der Himmel vermehre seine Gnade an Euch noch ferner l Wenn Ihr Euren Vater am Orte seiner Andacht besuchen wollet, so begleitet Euch mein väterlicher Segen!"

Der Ritter zog weiter und traf seinen Vater zu Montserrat. Des Halsens und Küssens war kein Ende. Aber vergebens bemühte sich Geoffroy, den alten Raimund zu bewegen, daß er mit ihm zurückkehren und sein Leben zu Lusinia in gleichmäßiger Ruhe beschließen möchte. Er machte sich



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daher nach fünftägigem Aufenthalte bei ihm wieder auf den Heimweg, nachdem er vergnügte Unterhaltung mit ihm gepflogen und von allem Bericht eingenommen hatte. Beim Abschied aber vergossen Vater und Sohn bittere Tränen. Kaum war Geoffroy wieder zu Mallières angelangt, so besetzte er das Kloster mit der verlangten Anzahl von Mönchen und sorgte in allem für ihren Unterhalt.

Als nun auch er gealtert war und mit seinem hochbejahrten Vater dem Ende entgegenging, verfügte er sich noch einmal nach Aragonien zu diesem , den er, wiewohl schwach und hinfällig, noch beim Leben traf. Er empfing von ihm den Segen, drückte dem lebenssatten Greise die Augen zu und bestattete ihn ehrlich. An dem Freitag aber, ehe Raimund starb, drei Tage vor dessen Tode, hörte man zu Lusinia über dem Schlosse ein Rauschen; das war der Geist Melusinas, der das Schloß dreimal umkreiste , und, wie sie einst ihrem Gemahl verkündet hatte, allem Volk seinen Tod weissagte.

Der alte Raimund hinterließ sein Geschlecht in hohen Ehren blühend. — Sein ältester Sohn Reinhard regierte in Böhmen und tat den Ungläubigen großen Widerstand; Antonius führte das fürstliche Regiment als Herzog von Luxemburg; der jüngere Raimund war Graf vom Forst; Uriens regierte in Zypern, tat auch den Heiden große Drangsale an und stand den Rittern auf der Insel Rhodus getreulich in ihren Nöten bei. Gyot aber war König von Armenien und verfuhr auch streng gegen die Heiden; Gedes war frühzeitig gestorben, Horribil im Keller erstickt, Freimund mit dem Kloster verbrannt. Geoffroy, der tapfere Riesenwürger, war Herr in Mallières und Lusinia, und Dietrich, auch ein berühmter Held und Ritter, hielt zu Portenach Hof.



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Das alles aber lassen wir jetzt beiseite und melden von einer sonderbaren Begebenheit in Armenien, wo Gyot als König regiert hatte. In diesem Königreiche nämlich war ein Schloß, in welchem ein Gespenst hauste; genau nach der Beschreibung, die Geoffroy auf dem Denkmal im Riesenberge zu Norheim von dem Geist auf dem Berge Avelon gelesen hatte. Ebendaselbst fand sich auch ein Sperber von sonderbarer Art. Wer bei diesem Gespenst Gnade finden und seines Lebens sicher sein wollte, der mußte sein Geschlecht vom lusinischen Stamme erweisen, dann drei Tage und Nächte ohne Schlaf dem Sperber wachen und ihn hüten kön- nen; anders vermochte er ohne Lebensgefahr nicht, sich diesem Schlosse zu nahen. Hatte er aber dies ohne Anstoß verrichtet, so durfte er eine


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Gabe fordern, nur die Person und Liebe der Jungfrau Melora nicht. So nämlich hieß das Gespenst, wie wir oben aus der Grabtafel schon vernommen haben.

Nun war nach Gyots Zeit ein König in Armenien, der wollte sich unterstehen, , dem Sperber zu wachen, aber begehrte, sich die verzauberte Jungfrau selbst als Gnade auszubitten und sie unter dieser Bedingung zu erlösen. Doch hielt er es in seinen Gedanken nur für ein Gaukelspiel und eine Posse. Aber endlich machte er sich wie zum Spaße dahin auf; die Sache in Augenschein zu nehmen. Als er nun unfern von dem Orte auf eine Wiese gerade unterhalb des Schlosses gelangte, ließ er ein Gezelt daselbst aufschlagen, verfügte sich aber in voller Rüstung den Berg hinan bis an das Tor des Schlosses, darin sich der Geist und der Sperber befand . Er hatte deswegen auch einen Köder in der Hand, um den Sperber damit zu ätzen. Indem er nun solches Vorhabens war, begegnete ihm auf dem Wege vor dem Schloß ein alter Mann, ganz bleich und mager von Gestalt; weiß gekleidet. Der fragte ihn, was er hier suche. "Ich will den Bedingungen, die für dieses Schloß festgesetzt sind, ein Genüge leisten und dem Sperber wachen", sagte der muntere König. "Wohlan", versetzte der Alte, "so kommet denn mit mir; ich will Euch hierzu anweisen und an den Ort führen, Ihr leisten könnt, was Ihr schuldig seidl"

Hierauf führte der Alte ihn in einen herrlichen Palast und Saal, welcher des Königs Bedünken nach zuoberst in dem Schlosse zu sein schien. Alles sah so majestätisch und prächtig darin aus, daß sich jener nicht genug verwundern konnte. In diesem schönen Gemache nun zeigte sich auch ein Sperber, auf einer Stange sitzend, der gar schön und wohlgestaltet anzuschauen war. "Hier ist der Ort", hub der Alte an, "wo Ihr drei Tage und drei Nächte wachen müsset, und wenn dies vorüber ist, habt Ihr die Freiheit, um alles zu bitten, was Ihr wollt, nur nicht um die Person und die Liebe der Jungfrau. Wenn Ihr aber Eure Wache schläfrig und also zum Unglücke verrichtet, so sollt Ihr wissen, daß Ihr bis an den Jüngsten Tag in diesem Schlosse bleiben müsset!" — "Wohl", sagte der allzufreche König, "ich werde meine Schuldigkeit aufs beste tun, hernach aber auch die gebührende Gabe zu fordern wissen!" Damit zielte er aber in seinen Gedanken einzig und allein auf die Jungfrau. Er hätte aber viel klüger getan, wenn er dem Alten gefolgt wäre.

Nun vollzog er einen Tag und eine Nacht seine Wache mit Freuden und ätzte den Sperber auf das beste, so daß es schien, als ob einer mit dem andern gar wohl zufrieden wäre. An köstlichem Essen und Trinken zu bestimmten



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Zeiten war kein Mangel, und dies stand dem König in einem Augenblicke vor dem Gesicht, so daß er sich auf das niedlichste pflegen konnte, als ob er an seiner königlichen Tafel selbst säße. Des andern Tags am Morgen ätzte er wieder den Sperber und verrichtete seine Wache vortrefflich . Indem erblickte er eine überaus schöne Kammer, deren Türe offenstand. In diese trat er ein und betrachtete mit Verwunderung, wie kunstvoll sie mit Abbildungen von Vögeln aller Art bemalt war; die Felder waren mit Gold aufs feinste ausgefüllt; dazwischen aber waren allerlei Rittergebilde, mit Schild und Helmen gewappnet, in Lebensgröße mit beigeschriebenen Namen zu sehen. Diese alle hatten dem Sperber gewacht und in dem Schlosse geschlafen, waren aber nachlässig gewesen, und es war nun unter den Bildern ihre ewige Sklaverei bis an den Jüngsten Tag, mit Beifügung des Jahres und Tages, wo es ihnen mißlungen, zugleich angedeutet. Nicht minder standen an drei besonderen Enden noch drei andere Ritter abgebildet, ebenfalls gewaffnet, welche ihre Wache sehr wohl verrichtet, wie nebst Jahr und Tag die Inschrift meldet; unter ihnen stand eingeätzt der Name, wie auch das Land, aus dem sie stammten.

Aber der König wollte sich auch in diesem Gemache nicht lange verweilen, sondern kehrte zum Sperber zurück, um nicht Unlust für sein getreues Wachen zu verdienen. So erreichte er mit seinem Fleiße auch den dritten Morgen. Siehe, da kam die gespenstische Jungfrau, in grünem Kleide aufs prächtigste angetan, mit ganz freundlichen Mienen auf ihn daher in das Gemach gegangen, grüßte und empfing den König und redete ihn mit den höflichsten Worten also an: "Ihr habt Euer Vorhaben gar klug und glücklich geendet und der Sache ein Genüge getan; so fordert denn nun auch Eure Gabe, damit solche Euch gereicht werde."

Der König, sich ein wenig rüstend, dankte für das gute Anerbieten und fing ganz hochmütig an: "Ich will keine andre Gabe als Euch selbst und Eure Liebe davontragen." Die Jungfrau, als sie dies hörte, erwies sich etwas zornig, erwiderte ihm jedoch also: "Ihr müsset eine andre Gabe fordern, Freund; denn ich selbst kann Euch nicht werden!" Der König aber wollte von solcher Forderung nicht abstehen, sondern beharrte auf seiner Rede, worüber die Jungfrau, noch zorniger, ihm folgende Antwort gab: "Ihr strebet nach Unglück; ich warne Sneh vor solchem und rate Euch, alsbald von Eurem Verlangen abzustehen, wenn Ihr anders wollet; daß Euer Königreich nicht aus Euern Händen gerissen werde."

"Sei es töricht oder klug gehandelt", hub der vermessene König wieder an, "so werde ich doch nicht ablassen, Eure Person zur Belohnung zu fordern,



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und mich mit keiner andern Gabe befriedigen lassen, so wahr ich König von Armenien heiße!" Die Jungfrau, darüber noch mehr entrüstet; antwortete dem Ritter: "Du handelst so töricht als dein Großvater Raimund, welcher in beharrlicher Torheit den weisen Rat verwarf und sein Gelübde brach, worüber er alles verlor, was er gehabt hatte. Auch du hast nun all deine vermeintlichen Gaben, nach welchen du getrachtet hast, verloren . Von nun an ist nichts als Unglück und Trübsal dein Teil, wie es deinem Großvater ergangen ist, als er seine Gemahlin Melusina, welche meine Schwester war, verlor." Dann erzählte sie ihm die ganze Geschichte von Helmas und Persina, und daß sein Vater Gyot ihrer Schwester Sohn gewesen.

"Du siehest also", schloß sie, "wie töricht deine Forderung und dein verstocktes Beharren ist, daß du dadurch dein Reich verloren, welches nicht nur von dir genommen werden, sondern auf ein ganz anderes Geschlecht übergehen wird. Alles Glück und alle Ehre hast du mit deiner Torheit verscherzt. So weiche denn, du armseliger Gyot, Gyots Sohn; denn du hast übelgehandelt und sofort wird dein Unglück beginnen!"

Der junge Gyot aber, von Verlangen geblendet, gedachte, die Sache zu erzwingen, vergaß, was ihm der Alte vor dem Tore gesagt hatte, und mit Bitten und Flehen ihre Gunst zu gewinnen, eilte er in ihre Arme. Aber er fand sich betrogen. Das schöne Bild verrann unter seinen Armen, und er hatte nichts als einen Schatten gehalten: mit diesem Schatten aber schwand auch sein Glück und sein Heil. Doch war der junge König nicht lange allein; denn ein anderer abscheulicher Geist zeigte sich, den er nicht sehen, wohl aber hören und fühlen konnte. Dieser schlug ihn zur Erde und spielte ihm so übel mit, daß er, Arme und Beine von sich streckend, auf dem Boden lag. Wie er erbärmlich zu schreien anfing, so wurde er nur noch ärger von dem Geiste geschlagen. "Wehe mir", rief er, "wenn diese Geisterplage nicht von mir abläßt, so bin ich des Todes und muß mein junges Leben lassen! Ich Armseliger, daß ich ohne Gegenwehr Streiche erdulden muß! Erscheinst du mir nicht mit Hilfe, o gütiger Gott, so muß ich in Schmach und Schande verderben!"

Er hatte diesen Seufzer noch nicht ganz ausgestoßen, als er in einem Augenblicke von dem Gespenst aus dem Schlosse geworfen ward, so daß er halbtot auf der Erde lag und mehr einem kriechenden Wurm als einem Könige gleichsah. Doch zwang er sich empor und schwankte mit schwachen Kräften den Schloßberg hinab, seinem Gezelte wieder zu, welches auf dem Wiesengründe stand. Dort konnte er vor Mattigkeit und Zittern kaum mit



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den Seinigen reden, und auch diese waren über den Zustand ihres Herren ganz bestürzt. Endlich unterstanden sich einige zu fragen, ob der König bei dem Sperber gewacht und die Gaben gewonnen habe. "Elender Gewinn!"versetzte er ihnen ganz wehmütig. "Mich hat ein unglückliches Gestirn hiehergeleitet! Geschwind, sattelt mir die Pferde und schicket euch zum Aufbruch an, daß ich nicht auf dem Wege sterbe."

Alsobald wurde alles zugerüstet, der todschwache König selbst zu Pferde gebracht und mit ihm an das Gestade des Meeres geeilt; hier nahmen sie ihm den Harnisch ab, brachten ihn zu Schiffe und segelten der Heimat zu. Unterwegs gingen ihm erst die Augen seines Verstandes auf, und er sah ein, wie guten Rat und treue Warnung er in den Wind geschlagen und in welches Elend er sich gebracht habe. Auf der Reise verfolgte ihn ein Sturm mit ungeheuren Meereswellen, was ihm so sehr zusetzte, daß er abermals in Todesgefahr stand und Wasser und Erde durch des Himmels Verhängnis seine Feinde zu sein schienen. Endlich, nach vielen Trübsalen, kam er nach Hause und regierte mit schwachen Kräften. Diese nahmen von Tag zu Tag mehr ab. Und so ging es, wie der jungfräuliche Geist angekündigt hatte, mit ihm auf die Neige. Bald starb er an gänzlicher Auszehrung, und nach ihm wurde ein andrer König, aus ganz andrem Geschlecht,



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erwählt und auf den Thron gesetzt. Dieser aber hatte gar schlechtes Glück in seinem Regiment; so daß das Königreich gleichsam mit seinen Herrschern erkrankte und fast augenscheinlich in ein elendes Schwinden geriet. Und so währte es von diesem Gyot an gerechnet bis ins neunte Glied und auf den neunten Kronenträser.

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Die dritte Tochter des Königes Helmas, Plantina, war von ihrer Mutter Persina als Hüterin des väterlichen Schatzes auf einen Berg in Aragonien abgeordnet. Sie war von Gestalt eine wunderschöne Jungfrau. Dieser Schatz nun sollte von niemand erhoben werden können, als wer aus dem Geschlechte des Königs Helmas stammte. An jenem Berge aber hielten sich viel grausame Drachen mit andern wilden Tieren in unglaublicher Menge auf, so daß man ohne große Arbeit und augenscheinliche Lebensgefahr sich diesem Berge nicht wohl nahen durfte; denn viel tapfere Ritter hatten da schon ihr Leben gelassen, so daß keiner von denen, die dahingelangt waren, zurückgekehrt war.

Nun fügte es sich einst, daß ein frischmutiger junger Ritter, aus England gebürtig, dahinkam, mit dem kühnen Unterwinden, zuvörderst den verborgenen Schatz daselbst und dann auch das Heilige Land zu erobern. Wie er nun in Aragonien anlangte, war sein erster Schritt der, daß er nach dem verzauberten Berge, wo sich der Schatz befinden sollte, genaue Nachfrage hielt. Da wurde ihm denn alles bedeutet und urkundlich gezeigt . Die Herkunft des frischen Ritters war keine gemeine; er stammte vielmehr von einer gar hohen Geschlechtslinie; denn er war einer von den Rittern der Tafelrunde des Königs Artus und ein naher Freund des Helden Tristan.

Dieser Ritter wurde endlich durch seine Begierde bis an den Fuß des gedachten Berges getrieben und traf hier sogleich ein ungestaltes und abscheuliches Tier, vor welchem der ganzen Natur hätte grauen sollen. Sein Bauch war wie ein Weinfaß gestaltet; es hatte nur ein einziges Ohr und nur ein einziges Auge, welches ihm auf der Stirne stand; die Nase selbst war drei Schuh breit und ebenso lang, aber es war kein Nasenloch darin, sondern sein Atem ging zu dem Ohr aus und ein. So abscheulich nun dieses Ungeheuer aussah, so wild und grausam war auch seine Natur, so daß es dem Ritter genug zu schaffen machte.

Die rechte Höhle, in welcher der Schatz verborgen war, befand sich in der Mitte des Berges, wo schon mancher tapfere Held sein Leben hatte



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lassen müssen. Rings um die Höhle waren kleinere Löcher, in welchen allerlei abscheuliche Lindwürmer und wilde Tiere hausten, und an allen diesen vorbei mußte derjenige, der zu der Höhle mitten auf dem Berge gelangen wollte. Der Berg selbst war drei aragonische Meilen lang, und es führte nur ein einziger schmaler Weg hinauf; wer dahin wollte, mußte schnell reiten oder gehen, ohne sich viel zu säumen oder lang umzusehen; denn man hatte weder Weile noch Raum, lange auszuruhen, da der Weg so weit war und die vielen Schlangen und das Ungeziefer jeden Schritt umlagerten.

Dessenungeachtet war der kühne Ritter, nur von einem einzigen Wegweiser begleitet, immer getrost dem Berge zugeritten, indem der Führer voranging und der Ritter zu Pferde folgte. Endlich kehrte auch der Wegweiser um, nachdem er mit großer Gefahr seine Schuldigkeit getan hatte; aber der Ritter hieß ihn stillehalten, stieg vom Pferde ab und gab ihm dasselbe an die Hand. "Bleibe über ein kleines hier", sagte er, "und weiche nicht von der Stelle, bis ich komme!" Aber der gute Führer würde leider eine lange seit haben warten müssen, wenn er sich nicht endlich aus dem Staube gemacht hätte.

Indessen betrat der Ritter den schmalen Steig, welcher so mühselig zu gehen war, daß er seinesgleichen noch niemals gegangen war. Er war wohlgewaffnet und trug sein Schwert in der Hand. Da begegnete ihm bald ein großer Drache, der mit offenem Machen auf ihn zuschoß. Als der Ritter dieses Untier in Wut auf sich zueilen sah, zog er alsbald sein Schwert und hieb ihm mit einem einzigen Streich den Kopf ab; als er ihn aber, wie derselbe tot auf der Erde lag, abmaß, so erwies sich der Kopf nicht weniger als zwanzig Schuh lang. Hierauf ging der Ritter auf dem schmalen Stege gutes Mutes vorwärts. Da begegnete ihm ein ungeheuer großer Bär, welcher auch ganz grimmig auf ihn zulief und ihm so nahe kam, daß er ihm sogar seinen Schild aus der Hand zu zerren suchte und den Harnisch an mehreren Orten beschädigte. Als der gute Ritter auch dieser Bestie grimmigen Zorn sah, nahm er sich einen sichern, unverzagten Hieb vor und traf den Bären glücklich mit dem Schwert auf die Schnauze, so daß derselbe augenblicklich zur Erde fiel. Hierüber wurde der Bär noch grimmiger, schlug nach dem Ritter und ging ihm immer näher auf den Leib. Der Ritter aber wich mit einem Sprung auf die Seite und hieb zugleich dem Tier eine Tatze ab. Nun wich das Ungetüm etwas rückwärts, setzte sich auf die Hinterfüße und tat vorwärts auf den Ritter einen vorteilhaften Schlag, welcher so stark war, daß er seinem



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Harnische Löcher schlug. Und durch die heftige Bewegung gerieten der Bär wie der Ritter zu Falle, so daß beide miteinander sich nicht mehr halten konnten, sondern den Berg herabrollten.

Der tapfere Ritter verlor zwar hierüber sein Schwert, griff jedoch nach seinem Dolche, den er neben der Brust an seiner Seite stecken hatte, zückte diesen und gab dem Bären hinterwärts so seinen Teil, daß er ein schreckliches Gebrüll ausstieß und damit bezeugte, daß er jetzt endlich wohl getroffen sei. Der Ritter kam nun den Berg abermals hinan, suchte sein Schwert, fand auch solches und erlegte noch viel scheußliche Gewürme und andere wilde Tiere mehr, die ihm alle den Weg streitig machten, und womit er sich ziemlich abmattete. Zuletzt gelangte er doch an die eiserne Türe, vor der, schon überwölbt von der Höhle, ein entsetzliches Ungeheuer lag, das die Kluft hütete, in welcher der große Schatz und die gespenstische Jungfrau seit langen Jahren verborgen waren. Der mutige Jüngling trat beherzt in die Höhlung, um das gräßliche Tier dort aufzusuchen. Er traf dasselbe nur allzufrühe an; denn sobald ihn das Ungeheuer erblickte , richtete es sich mit solchem Ungestüm wider ihn auf, daß, wer es sonst gesehen hätte, vor Schrecken umgesunken sein würde. Und so lief es im höchsten Grimme mit offenem Rachen auf ihn zu. Obwohl nun der Ritter ganz flink der Bestie den Fang zu geben versuchte, indem er sein Schwert behend auszog und mit demselben auf solche stieß und zuschlug, auch ihr gar damit in den Rachen hinabrannte, so wollte es doch auf keine Weise bei durch Zauberkünste festgemachten Untier verfangen; der Ritter aber wurde immer müder und entkräfteter, weil Stahl und Eisen nicht tüchtig genug waren, es zu verwunden. Endlich, als er das Schwert mitteninne in der halben Tiefe des Rachens stecken hatte, ergriff das Tier dasselbe mit seinen Zähnen, biß es in zwei Stücke, ließ voll Grimm ein schreckliches Gebrüll hören und verschlang plötzlich den armen Ritter, welcher so große Taten verrichtet und es weiter gebracht hatte als irgendeiner vor ihm. Und jedermann bedauerte und beklagte ihn hernachmals.

Der Wegweiser hatte sich zwei Tage und Nächte lang müde gewartet und war des Harrens samt dem Pferd ganz überdrüssig geworden; er setzte sich endlich auf das Roß und kehrte ohne seinen Herrn nach England zurück, um daselbst zu erzählen, daß sein Herr nicht aus dem Berge zurückgekehrt und ohne allen Zweifel verloren sei, ohne daß er den Hergang der Sache selbst recht gewußt hatte.

Es fügte sich aber, daß er von ungefähr zu einem weltweisen Manne,



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der Melisa Jünger hieß, geriet. Dieser hatte lang bei dem Berge in Aragonien gesessen und kannte alle Lage und Örtlichkeit daselbst. Weil dieser unter anderem Wissen auch in der schwarzen Kunst wohlerfahren war und sie vollkommen erlernt hatte, entdeckte er dem Wegweiser in Kraft seiner Wissenschaft alles klar: daß nämlich sein Herr, der Ritter von England, mit welchem er nach Aragonien gereist, mit verschiedenen wilden Tieren gestritten und sie überwältiget, zuletzt aber von einem ganz ungeheuern und wunderbaren Tier auf jenem Berge verschlungen worden sei. Der Führer glaubte dem Weisen als einem geborenen Spanier, der über zwanzig Jahre jener Wissenschaft obgelegen, und machte die ganze Sache kund, wo er immer hinkam, so daß das Gerücht davon in ganz England erscholl.

Ein anderer kühner Ritter, aus Ungarn gebürtig, nahm sich nun ebenfalls vor, den Kampf zu vollziehen und den Schatz zu erobern. Allein ehe er noch zwanzig Schritt den Berg hinangestiegen, siehe, da war der eingebildete Sieger schon besiegt und von einem abscheulichen Lindwurm umgebracht; wo nicht gar auch verschlungen worden. Er hatte es also mit seinem Siege lange nicht so weit gebracht als der englische Ritter; diesem freilich war vor und nach keiner gleichgekommen, und er würde unfehlbar den verborgenen Schatz erreicht haben, wenn er nur dem Geschlechte des norheimischen Königs Helmas angehört hätte.



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Als sich nun einstens auch Geoffroy, der allertapferste Held und Riesenstreiter zu Lusinia, in seines Schlosses Lustgarten bei einem Bankett in guter Gesellschaft fröhlich erzeigte, da geschah es, daß ein Bote herangeeilt kam, welcher gewiß sonderliche Neuigkeiten oder wichtige Sachen zu überbringen haben mußte. Als dieser dem Schlosse näher kam, ließ Geoffroy ihm alsobald entgegengehen und ihn befragen, was für einen wichtigen Auftrag er auszurichten hätte, daß ihn der Weg an diesen abgelegenen Ort führe.

"Ich soll", sprach der Bote, "einen Ritter und beherzten Mann aufsuchen, welcher das Land Aragonien von einem unruhigen Verggeiste, um welchen herum sich auch noch giftige Würmer und grausame Bestien aufhalten, worüber schon viele tapfere Ritter ihr Leben eingebüßt haben, zu erlösen imstande ist!" Das berichtete der Diener dem Grafen, wie es der Bote ihm gemeldet; darauf ließ Geoffroy diesen auf der Stelle rufen und vernahm dieselbe Kunde genauer aus seinem Munde. Namentlich fügte er die Nachricht von dem Unglücke bei, welches die beiden Ritter aus



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England und Ungarn betroffen hätte, und daß den Schatz niemand heben könne, der nicht aus dem Geschlechte des Königes Helmas entsprungen sei.

Auf diesen Bericht, der dem Geoffroy schon genug war, hieß er alsobald alle Fröhlichkeit einstellen, befahl, dem Boten Speise und Trank zu reichen, ließ viel Volk seines Landes die Pferde rüsten und sich fertighalten und schickte ein Schreiben an seinen Bruder Dietrich ab mit dem Berichte, daß er unverzüglich zu ihm kommen und auf kurze Zeit die Regierung des Landes anstatt seiner übernehmen möchte, bis er von einer notwendigen Reise glücklich zurückgekehrt sein würde.

Dietrich fand sich auf diesen Ruf in aller Schnelligkeit ein, und es wurde ihm von Geoffroy das Regiment übergeben. Zu dem Boten aber sagte der Graf: "Verziehet, Ihr Laufer, und scheidet nicht von hier, bis ich selbst aufbreche; denn ich bin gesonnen, Euer Land mit Gottes Hilfe von jenem Übel zu erlösen!" Darüber freute sich der Bote heimlich in seinem Herzen.

Aber wie eitel und nichtig sind doch aller Menschen Anschläge gegen den verborgenen Ratschluß Gottes! Dies mußte Geoffroy an seinem eigenen Beispiel innewerden. Denn als alles zum Aufbruch fertig und bereit stand, siehe, da kam ein anderer Bote, welcher sein Anbringen und seine Abfertigung noch vor dem aus Aragonien beschleunigt wissen wollte.

Dieser Bote war der Tod; denn Geoffroy erkrankte jählings, und weil er schon ziemlich bei Jahren war, auch sich durch viele ritterliche Taten sehr abgemattet hatte, so nahm seine Krankheit immer mehr und mehr zu, so daß er in kurzem starb und die aragonische Vergreise mit einer am dern, mit der Reise zum Grab, vertauschte. Er wurde wegen seiner löblichen Taten von jedermann höchlich beklagt, und alle Welt meinte, er sei noch zu frühe gestorben, weil er besonders in der Grafschaft Poitiers mehrere Kirchen und Kapellen zu bauen angefangen hatte und dieselben noch nicht in vollkommenem Stande waren. Auch hatte er noch vorher viel anderes Rühmliche getan und gestiftet. Das alles blieb jetzt abgestellt und unausgebaut.

Nach Geoffroys seligem Ende war sein Bruder Dietrich der einzige Erbe aller seiner Güter; dieser regierte sehr löblich und klug, teilte das Erbe, das ihm zugefallen, in vier Teile und gab sie nachmals seinen Kindern zur Morgengabe; denn er zeugte vier Söhne, die alle gar tapfre und berühmte Helden wurden.



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Diese Geschichte hat einer aus dem Lusinischen Geschlechte, Wilhelm von Portenach mit Namen, vor vielen hundert Jahren zuerst in welscher Sprache geschrieben; und damals war dies edle Geschlecht in vielen Stämmen über viele Lande ausgebreitet und mit Königen und Fürsten und uralten Geschlechtern befreundet und verwandt.



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Herzog Ernst

Mit Bildern von Theobald von Oer



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Es regierte in dem Herzogtum von Bayern und Östreich vorzeiten ein hochgeborner Fürst, mit Namen Herzog Ernst, der sein väterliches Erbe friedsam, in Gerechtigkeit und Einigkeit, beisammenhielt. Dieser ließ sich, nach seiner adeligen Frömmigkeit, eine hochgeborne und schöne Jungfrau vermählen, Adelheid genannt, eines Königs Tochter, der Lotharius hieß. Dieselbe gebar ihm einen überaus schönen Sohn, dem er in der heiligen Taufe seinen eigenen Namen Ernst beilegte. Über kurze Zeit jedoch wurde nach des allmächtigen Gottes Schickung dem Kind sein Vater durch den bittern Tod hinweggenommen und seine Mutter Adelheid dadurch in großen Kummer versetzt.

Die einzige Freude, die ihr blieb, war der nachgelassene adelige Sohn, der auf ihre Veranstaltung, als er heranwuchs, bald in vielen Sprachen unterrichtet und in Latein, Griechisch und Welsch wohlbewandert wurde, auch ein männliches Gemüt zu entfalten begann und in allen guten Tugenden aufwuchs. Das Hofgesinde gehorchte ihm gern, und sein ganzes Land, das er von seinem Vater ererbt hatte, war ihm in Liebe untertänig. Als er anfing, Ritterspiel zu treiben, erwarb er sich auch bei den Rittern und Grafen gutes Lob; insonderheit war ein Graf bei ihm, der Wetzel hieß und ihm nahe verwandt war. Diese beiden Herrn hielten stets zueinander, und die Mutter des jungen Herzogs hatte ihre große Freude daran, doch setzte sie ihre Hoffnung auf Gott und nicht auf Menschen, hielt Tag und Nacht in der Andacht ihres Gebetes an und bestrebte sich, durch Werke der Barmherzigkeit ein christliches Leben zu führen, um dereinst ein Kind des ewigen Lebens zu werden.

Aber die Ritter und Herren des Landes lagen ihrem Sohne, dem Herzog Ernst, unaufhörlich an und baten ihn, er sollte seiner Mutter Adelheid doch raten, daß sie wieder zu einer Ehe schreiten möchte. Auch an die Herzogin selbst richteten sie dies ihr Begehren. Sie aber schlug es ihnen immer ab; doch wurde sie von ihrem geliebten Sohn so heftig mit Bitten bestürmt, daß sie ihm endlich angelobte, wenn es etwas wäre, was ihrem



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Geschlechte keinen Schaden brächte, so wollte sie sich willig dareinergeben.

Nun herrschte zu denselbigen Zeiten im Römischen Reich mit ganzer Gewalt Kaiser Otto, der erste Kaiser desselben Namens, der war geboren zu Braunschweig und gekrönt zu Aachen; sein Ahnherr hieß Altherzog Otto von Sachsen, der hatte die Schwester des letzten Königs Karl, welcher von des großen Kaisers Karls Geschlechte war. Desselben Herzogs Sohn, der Kaiser Ottens Vater war, den nannte man den ersten Kaiser Heinrich, den Vogler; denn da ihn die Kurfürsten suchten, ihm die Krone aufzusetzen, da fanden sie ihn bei seinem lieben Kind, mit einem Netze Vögel fahend. Dieser hatte eine Frau, die war Mechtilde genannt, des Kaisers Otto Mutter. Dieser Kaiser nun gewann die Stadt Straßburg und zerstörte sie mit Gewalt und gab ihr den Namen, den sie jetzt führt; denn vorher hieß sie, wie sie noch in Latein heißt, Silbertal. Er überwand auch die Ungarn, die, ehe er Kaiser ward, von Augsburg aus alles Land verdarben und großen Schaden anrichteten. Er unterwarf dem Römischen Reiche viele Länder, war ein Freund der Gerechtigkeit und hieß darum des Landes Vater. Als er noch in der grünenden Blüte seiner Jugend war, wurde ihm eine überaus schöne Hausfrau angetraut, mit Namen Ottogeba, die voll Zucht und Tugend war und aus dem erlauchten Hause der Könige von England stammte. Aber nur kurze Zeit hatte Kaiser Otto in süßem Glücke mit ihr gelebt; da kam die Stunde, in welcher Gott sie aus diesem Erdenleben forderte.

Als die fromme Kaiserin Ottogeba nach fürstlichem Brauche feierlich zur Erde bestattet war, lebte der Kaiser Otto einige Zeit in Trauer und Einsamkeit. Dann aber betrachtete er in seinem Gemüte die Worte des heiligen Apostels Paulus, daß es besser wäre, sich ehrlich zu vermählen, als allerlei Anfechtung zu leiden, forderte seinen Rat zusammen und trug ihm die Sache vor. Da beschlossen seine Räte allesamt daß sie einen Boten an die Herzogin Adelheid in Bayern senden wollten und sie befragen lassen, ob sie den gewaltigen Kaiser Otto zum ehelichen Gemahl haben wollte. Hierzu wählten sie einen ansehnlichen Herrn und geboten ihm, alle Sachen aufs treulichste auszurichten, wie es ihm vom Kaiser und seinen Räten befohlen würde.

Diese Botschaft kam vor die Herzogin; sie aber erschrak im Herzensgrunde , da sie solche neue Mär hören mußte; denn sie hatte lange Zeit in stillem und ehrbarem Wesen ihren Witwenstand tugendhaft gehalten und , sich vorgesetzt, darin zu verharren. Darum berief sie von Stund an die



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Edeln ihres Landes samt dem Herzog Ernst, ihrem lieben Sohn, legte ihnen den Antrag vor und bat sie, dem Kaiser eine höfliche Antwort zu geben. Dies versprachen die Herren und gingen darüber zu Rat; und allesamt waren für die Einwilligung in die Heirat. Sie baten daher den Herren Ernst, den Sohn der Herzogin, und den Grafen Wetzel, seinen vertrauten Freund, sie möchten der Herzogin anzeigen, was der Rat ihrer Edeln beschlossen habe. Jene beiden taten dies. Die Herzogin erschrak von ganzem Herzen und sprach: "Mein lieber Sohn! Ich fürchte sehr, wenn ich nach dem Nate der Gewaltigen dieses Landes und deinem eigenen mit dem Kaiser mich vermähle, so dürfte zwischen ihm und dir Zwietracht und Uneinigkeit entstehen, wodurch ich in großem Jammern vor dem Tode meine Zeit verzehren würde." Dawider sprach Herzog Ernst: "Herzallerliebste Frau Mutter, eine so sorgliche Furcht sollte Euch nicht von der Vereinigung mit dem allerwürdigsten Fürsten abhalten. Ich selbst will mich mit Hilfe des barmherzigen Gottes, der unser aller oberster Kaiser ist, jenem meinem irdischen Kaiser in glücksamen wie in widerwärtigen Sachen dienstbar erzeigen und ihm allezeit gehorsam sein, will ihn und die Seinen mit meinen Armen umfahen, so daß ich stets die Gnade Seiner Kaiserlichen Majestät zu genießen habe."

Von so mannlichen Worten des jungen Fürsten, ihres geliebten Sohnes, wurde die Frau gestärkt; sie faßte alle Worte, die ihr Sohn geredet, in ihr Herz und tat dem Römischen Kaiser Otto durch seinen Boten ihres Herzens Willfährigkeit zu wissen, bestimmte auch Zeit und Tag der Vermählung. Kaiser Otto ward über die Maßen froh, als sein Bote mit so fröhlicher Nachricht wiederkehrte; sofort versammelte er alle seine Fürsten und Lehensherren zu einem gemeinsamen Hofgelage; dann machte er sich samt ihnen allen mit großer Macht und Herrlichkeit auf und ritt nach Bayern, wo die Herzogin wohnte. Diese ward ihm hinwiederum von ihrem Sohne, Herzog Ernst, und andern Herrn ihres Landes würdiglich und mit großem Gefolge entgegengeführt und überantwortet. Der Kaiser aber führte sie mit all seinem Volk unter lautem Jubel nach der Stadt Mainz. Daselbst hielt er eine große Hochzeit, wie einem so mächtigen Kaiser wohl gebührte. Dann ritten die Gäste alle wieder heim, ein jeglicher in seinen Ort, woher er gekommen war.

Als der Kaiser Otto dies hochzeitliche Fest wohl vollbracht hatte, zog er um etlicher wichtigen Ursachen willen mit seiner kaiserlichen Gemahlin in manche Stadt des Reiches. Nach diesem zögerten sie nicht lange, sondern schickten einen angesehenen Herrn zu dem jungen Herzog Ernst; und nun



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kam dieser mit großem Zeuge, gar lustig anzusehen, zu dem Kaiser. Dieser empfing ihn mit hoher Freundlichkeit, und der junge Herr erwies dem Kaiser alle Ehrfurcht, fiel ihm zu Fuß und erwies sich in allem gegen ihn als ein gutwilliger Sohn, der ihm gerne untertänig und gehorsam sein wollte. Wie sie in solchen Freuden beieinander waren, kam Frau Adelheid , die Kaiserin, Herzog Ernsts Mutter, mit vielen Jungfrauen gegangen und empfing ihren lieben Sohn mit großen Freuden; er aber dankte ihr und allen Jungfrauen mit tiefer Verneigung. Dann nahm ihn der Kaiser bei der Hand, führte ihn in den Saal und sprach zu ihm: "Wisse, mein geliebter Sohn, daß ich deine Mutter von ganzem Herzen liebe. Auch dir möchte ich gerne mehr dienen, denn ich vermag. Doch auch so will ich darauf denken, daß ich dir dein Land vergrößere; denn ich habe ein herzliches Wohlgefallen an dir um deiner Frömmigkeit und Mannheit willen." Während sie im Gespräche waren, kam die Kaiserin dazu und redete also zu ihrem Sohne: "Geliebtester Sohn, ich bitte dich flehentlich, du wollest deinen Vater in allen Ehren halten und ihm immer gehorsam sein."Zugleich schenkte sie ihm herrliche Kleinodien und begabte alle seine Herren und Diener, jeden nach seinem Stande. Und darauf schieden sie gar liebreich voneinander.

Aber dieses friedliche Leben währte nicht lange; denn es war einer am



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Hofe, der Pfalzgraf Heinrich genannt, ein ungetreuer, falscher Mann, der die Einigkeit und das ruhige Leben, das der Kaiser und die Kaiserin mit ihrem Sohne führten, nicht mit ansehen konnte. Darum dachte er oft, wie er doch bösen Samen darein säen könnte, damit der junge Fürst, Herzog Ernst, des Vaters Huld verliere; und endlich ersann er eine falsche List, von der ihr bald hören sollet, die ihm aber doch zuletzt allzusauer wurde. Sonst hielt das ganze Hofgesinde den jungen Fürsten in großen Ehren, und auch er vertrug sich gut mit jedermann, und wenn dem Lande eine Widerwärtigkeit zustieß, so beschirmte er dasselbe im Namen seines Vaters , so daß der Kaiser eine Zeitlang ganz ruhig bei seiner Gemahlin leben konnte. Jetzt aber geschah es, daß der Pfalzgraf Heinrich die Esse seines Herzens mit dem Feuer des Neides in Flammen setzte. Dieser verklagte den jungen Fürsten fälschlich bei seinem Stiefvater, Kaiser Otto, und sprach einsmals, als er vor ihn kam, zu dem Herrscher: "Oh, wie ein getreuer Vater des Kaiserreichs seid Ihr, allergnädigster Herr! Aber ich habe einige wunderliche, ja boshafte Reden vor Eure Kaiserliche Majestät zu bringen von Eurem Sohne, Herzog Ernst, den Ihr so liebhabt; den Ihr vor andern Räten ehret. Dieser Fürst trachtet früh und spät, Eurem alten Leben ein Ende zu machen, um das ganze Reich allein besitzen zu können. Darum sehet Euch vor, daß Ihr das abwehret, ehe er seinem bösen, begierigen Herzen, das zu solcher Bosheit nur allzugeneigt ist, Raum gibt, sonst ist Euer Leben ohne allen Zweifel verloren!"

Da der Kaiser solche Worte von Heinrich, dem Pfalzgrafen, vernommen hatte, ward er ganz zornig über ihn und sprach: "Was sagst du, Heinrich? Von wem kommt dir solche Nachricht? Fürwahr, wenn mir das ein anderer sagte, ich wollte ihm den Kopf abhauen lassen! Und wenn ich wüßte, daß du solches aus Haß gegen meinen Sohn tust; so sollte auch dir das gleiche widerfahren; denn ich habe noch nie Unrechtes von Herzog Ernst gesehen noch gehört, so wenig als von seiner Mutter, der Kaiserin; er schützet mich in allen meinen Angelegenheiten, worin es immer sein mag, mit Kriegen oder Verträgen; darum kann ich es nun und nimmer glauben. Doch sage mir, von wem du solches gehört hast, damit ich der Sache auf den rechten Grund komme!" Da sprach Pfalzgraf Heinrich: "Das kann ich Eurer Majestät wohl sagen, wenn es nötig ist; denn nicht von einem allein habe ich es gehört, sondern von zweien und dreien; dazu habe ich auch an ihm selbst gemerkt, daß er auf Bübereien sinnt. Darum, gnädigster Herr und Kaiser, wollte ich Eure Majestät treulich vor solchem Schaden gewarnt haben; denn das bin ich schuldig und verpflichtet zu tun."



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Nun fing der Kaiser mit traurigem Mute an und sprach zu dem Verleumder: "Oh, mein lieber Heinrich, wenn dem also ist, wie du mir von meinem Sohne angezeigt hast, so bitte ich dich weiter um guten Rat; wie ich ihn aus dem Lande vertreiben kann, ehe er sich untersteht, sein Vorhaben auszuführen." — "Das will ich meinem kaiserlichen Herrn wohl anzeigen", erwiderte der Falsche, "während Euer Sohn gen Regensburg geritten ist, so sammelt Ihr ingeheim und ohne der Kaiserin Wissen viel Kriegsvolkes, schicket die hin und lasset ihn aus dem ganzen Lande verjagen Der Kaiser tat also. Er brachte durch Herrn Heinrich in kurzer Zeit einen großen Haufen mannlicher Ritter zusammen, an deren Spitze der Pfalzgraf selbst gestellt wurde, und das geschah alles ohne Wissen der Kaiserin. Dann zog der Arge wider den frommen Herzog Ernst, verwüstete Östreich, schlug viel Volkes zu Tode, hauste grimmig mit Sengen und Brennen und zog dann nach dem Bistum Würzburg, wo er gleichen Schaden verübte. Auch schickte er heimlich Kriegsvolk gen Bamberg und befahl ihnen, daß sie eine Zeitlang stilleliegen und sich nicht merken lassen sollten, was sie im Sinne hätten, bis er selbst mit dem ganzen Zuge käme; alsdann sollten sie sich plötzlich in ihre Rüstung stecken und die Bürger in aller Schnelligkeit überfallen. Das geschah auch; doch wehrten sich die Bürger und schlugen ihrer vielhundert zu Tode. Erst als sie sahen, daß sie überwältigt waren und solches Blutvergießen auf des Kaisers Befehl durch den Pfalzgrafen Heinrich angerichtet worden, ergaben sie sich. Nichtsdestoweniger schickten sie eilends einen Boten an ihren Schutzherrn, den Herzog Ernst, nach Regensburg und ließen ihm alles anzeigen, was sich mit ihnen begeben hatte. Als der Bote mit dieser Zeitung vor den Herzog kam, erschrak dieser sehr, ging zu seinem Freunde Wetzel und erzählte es ihm unter bitteren Tränen. "O allmächtiger Gott", rief er, "welche Verleumdung mag zu meines Vaters, des Kaisers, Ohren gekommen sein, daß er es über sich vermocht hat, mich also zu verderben!"

So ging er mit bekümmertem Herzen und in schweren Gedanken auf und nieder. Endlich befahl er seinen Räten, sich zu versammeln; denn er habe ihnen Ernsthaftes anzuzeigen. Und sie versammelten sich auf sein Geheiß. Da trat der junge Fürst mit seinem Freunde, Grafen Wetzel, unter sie und gab den Räten den Brief, den die Bürger von Bamberg an ihn abgeschickt hatten. Als diese ihn gelesen und das Blutvergießen daraus ersehen hatten, das der Pfalzgraf angerichtet, wurden sie ganz traurig, doch beschlossen sie schnell, daß Herzog Ernst sein bestes Kriegsvolk, das er im Lande hätte, an sich ziehen und den Feind aus dem Lande schlagen



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sollte., Aber sie wußten noch nichts von der Verleumdung, die ihnen zugerichtet worden war. Also sammelte der kühne Herzog Ernst seine Ritter, wohl an viertausend streitbarer Männer, und zog mit dem Volke Bamberg zu. Wie das Heinrich, der Pfalzgraf, vernahm, besetzte er die Stadt Bamberg mit Kriegsvolk und zog mit seiner übrigen Macht dem Herzog Ernst entgegen; und das Ziehen währte nicht lang, da trafen ihre Scharen zusammen und schlugen einander auf beiden Seiten viel Volkes zu Tod. Zuletzt behielt Herzog Ernst das Feld, und der Pfalzgraf entkam nur mit wenigen Reitern.

Dieser ritt geradenwegs zum Kaiser und meldete ihm, wie es gekommen sei, daß ihm sein Sohn Ernst fast all sein Volk erschlagen habe, und wie er ihm mit seinen Scharen zu mächtig gewesen sei. Als der Kaiser alles gehört, wurde er ergrimmt über den guten Herzog Ernst und sprach: "Das will ich nicht ungerächet lassen; von aller seiner Habe soll mein Sohn verjagt werden." Und jetzt nahm er viel Kriegsvolk und eroberte eine Stadt nach der andern. Wie das der junge Fürst sah, wurde er hartbekümmert, schickte einen Boten zu seinem Vater, dem Kaiser, und ließ ihn bitten, daß er doch sein Land nicht also verwüsten möchte; denn er habe doch Seiner Majestät sein Leben lang nichts Böses zugefügt, weder mit Worten noch mit der Tat; wisse sich in allem unschuldig und könne daher nicht begreifen, warum er von dem Kaiser mit Krieg heimgesucht werde. Der Bote brachte dem Kaiser den Brief in Beisein der Kaiserin, und diese verbot demselben heimlich, wider ihren Willen heimzuziehen, sondern er sollte sie wiederum aufsuchen, ehe er ginge; und dazu verstand sich auch der Bote.

Der Kaiser hatte den Brief durch und durch gelesen; er ging hin und wider in dem Saal mit zornigem Mute wie ein grimmiger Löwe. Die Kaiserin aber merkte wohl, daß es ihrem Sohne galt, näherte sich ihrem Herrn, dem Kaiser, und sprach: "Allergnädigster Herr, ich bitte Euch um Gottes Barmherzigkeit willen, daß Ihr in dem Zorne, den Ihr gegen unsern Sohn tragt, nicht beharret!" Da sprach der Kaiser ihr: "Liebe Frau! lasse mich nicht überreden; darum entfernet Euch nur und gehet Euren Geschäften nach; die Übeltat, die er an mir verübt hat, ist zu groß, als daß ich sie vergessen könnte." Aber die Kaiserin sprach nur noch kläglicher: "So bitte ich um Gottes willen, Ihr wollet wenigstens eine Versammlung und Zusammenkunft beider Teile anstellen, damit man doch auf einen sichern Grund der Verfolgung komme, die gegen meinen unschuldigen Sohn angezettelt worden ist!"



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Aber bei dem Kaiser war keine Barmherzigkeit zu finden. Als dies die Kaiserin sah, ging sie mit betrübtem Hergen in ihre Kammer und schrie im Gebete zu Gott. Da war es, als käme ihr eine Stimme vom Himmel, die ihr sagte: "An all diesen Dingen ist der Pfalzgraf schuldig." Wie die Frau die Stimme vernommen hatte, sprach sie weiter im Gebet: "O allmächtiger Gott, wie ist es möglich? Was hat den Pfalzgrafen veranlaßt, meinen lieben Sohn bei meinem Herrn so verleumdens O Gott; erbarme dich meinert" In diesem Elend schickte sie einen Diener nach dem Boten ihres Sohnes Ernst und befahl ihm, diesen über alles zu unterrichten, wie es um ihn bei seinem Vater, dem Kaiser, stünde; insonderheit gab sie dem Boten auf, daß er ihrem Sohne sagen sollte, all das Unglück habe der Pfalzgraf Heinrich angerichtet, und er allein sei der Urheber dieser Verräterei. Wie der Bote seinen Bescheid hatte, ritt er in E. le Regensburg zu und hinterbrachte alles getreulich seinem Herrn, dem Herzog, wie ihm von des Fürsten Mutter befohlen war. Nachdem Herzog Ernst alles vernommen hatte, gab er dem Boten reichen Lohn für seine Bemühung, eilte zu seinem Gesellen, dem Grafen Wetzel, und teilte ihm alles mit, was er erfahren hatte. Und dieser geriet in große Verwunderung.



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Seitdem war der junge Fürst stets von schwermütigen Gedanken gequält und mußte nicht, ob er wieder Gnade bei seinem Vater finden werde. Endlich wandte er sich abermals an seinen Freund Wetzel und bat ihn, daß er ihm einen Zug vollbringen helfen möge, auf welchem sie sich nur von einem einzigen Diener begleiten lassen wollten. Das verhieß ihm Wetzel. Damals nämlich hielt der Kaiser gerade mit seinen Kurfürsten einen Reichstag zu Speyer, und war dort eine große Versammlung von Fürsten und Herren. Dieser Gelegenheit nahm Herzog Ernst wahr und ritt mit seinem Freund und dem Diener gen Speyer. Dort stiegen sie in des Kaisers Hofe von ihren Rossen, hießen den Diener die Pferde halten und gingen hinauf in den Palast. Da fanden sie den Kaiser mit dem Pfalzgrafen allein in der Kammer sitzen, und Herzog Ernst ging zu letzterem hin und sprach: "Du meineidiger, treuloser Pfalzgraf, warum $verleumdest du mich so bei meinem Vater?" Mit diesen Worten zog er sein Schwert aus und durchstach im wilden Zorne seinen Feind.


***
Als der Kaiser dies sah, fürchtete er sich vor seinem Sohn und sprang wohl vier Klafter tief hinab in eine Kapelle, deren Wölbung an die Kammer grenzte, wo sie waren; darein verbarg er sich aus Furcht vor seinem


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Sohne. Herzog Ernst, wie er sah, daß sein Vater entronnen war und der Pfalzgraf tot vor seinen Füßen lag, lief mit seinem Gesellen Wetzel die Treppe wieder hinab zu den Rossen, bei denen sie den Diener fanden. Da saßen alle drei wieder auf, ritten in Eile durch die Stadt und nahmen ihren Weg einem unbekannten Orte zu.

Der Kaiser blieb eine gute Weile in der Kapelle und hatte große Angst. Erst wie er kein Getümmel mehr hörte, kam er heraus und sagte den Herren, was sich Unerhörtes begeben habe. Auf die Kunde von diesem großen, unsühnbaren Morde entstand in der gangen Stadt ein Aufruhr; Reiter wurden auf allen Straßen hin und wider abgeschickt, mit dem Befehl , wo sie Herzog Ernst mit seinem Gesellen, dem Grafen Wetzel, und einem Diener begegneten, da sollten sie alle drei ohne Gnade totschlagen. Aber Gott, wiewohl er dem Fürsten den Mord nicht verzieh, nahm die Verfolgten doch in seinen Schirm und führte sie auf eine sichere Straße, so daß sie nicht ereilt wurden. Die Reiter und Knechte kamen zurück und sagten dem Kaiser, daß sie niemand hätten finden können. Darüber wurde der Kaiser grimmig und schwur bei seinem Reiche, daß er es nicht ungerächt lassen wolle.

Durch das große Geschrei, das hin und her in der Stadt ertönte, und das viele Volk, welches zusammenlief, wurde endlich auch die Kaiserin



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aufmerksam, suchte ihren Gemahl auf und fragte ihn: "Lieber Herr, saget mir an, was dieses ungestüme Hin- und Herrennen bedeutete" Da erzählte ihr der Kaiser Wort für Wort, daß ihr Sohn den Pfalzgrafen erstochen habe, und wenn ihm der Kaiser nicht entronnen wäre, auch seinen Vater umgebracht haben würde. Die Kaiserin dankte ihrem Gemahl für diese Mitteilung, eilte aber sogleich in ihr Kämmerlein und betete zu Gott mit allem Ernste, daß er ihren Sohn doch behüten und nicht in des Vaters Hände fallen lassen wolle.

Inzwischen war der Leichnam des Pfalzgrafen mit großer Feierlichkeit begraben worden; dann ging der Kaiser mit seinen Fürsten und Herren zu Rate, und es wurde beschlossen, daß Herzog Ernst, der junge Fürst, aus seinem Lande ganz und gar vertrieben werden sollte; auch wollte ihn der Kaiser nimmermehr zu Gnaden annehmen; denn er war ihm von Herzen feind geworden. Er sammelte daher ein Heer von zwölftausend Mann und ritt selbst den nächsten Weg. auf Regensburg zu; denn er meinte, sein Sohn wäre dort. Als sie aber nahe vor der Stadt waren, machten die Bürger einen Ausfall, und es wurde auf beiden Seiten viel Blut vergossen. Die Belagerung währte lange Zeit, und die Einwohner wurden sehr betrübt, weil ihr Herr, der Herzog Ernst, nicht zum Entsatze kam. Doch hielten sie sich, wie frommen Bürgern und Untertanen zusteht; und wollten an ihm nicht treulos werden. Auch versammelten sie einen Rat und beschlossen, ihrem Herrn und Herzog einen Boten zu schicken (denn sie kannten seinen Aufenthalt), um ihm die große Not zu klagen, in der sie durch seinen Vater schwebten; auch ihm zu melden, daß, wenn ihnen nicht bald Hilfe käme, sie sich dem Kaiser ergeben müßten.

Die Botschaft gelangte glücklich zu dem jungen Fürsten, und dieser sprach gar betrübt zu seinem Freunde Wetzel: "Mein allerliebster Freund, was soll ich Unglücklicher anfangen? Des Lands und der Leute bin ich beraubt, niemanden hab ' ich, auf den ich mich verlassen könnte; hilft Gott meinen Untertanen nicht, so sind sie verloren" Doch schickte er den Boten eilig wieder nach Regensburg zurück und ließ sie treulich bitten, sie sollten sich nur noch eine kleine Weile halten; er verhoffe, bald bei ihnen zu sein. Der Bote eilte heim und zeigte dies den Bürgern an.

Herzog Ernst aber ritt ohne Verzug zu dem Herzog Heinrich von Sachsen und wurde von ihm mit seinen Dienern so gut und schön empfangen, als billig war. Nach der ersten Begrüßung klagte der gebeugte Fürst dem Sachsenherzog seine Not, erzählte ihm alles, was ihm widerfahren war, und was er begangen hatte, und wie er jetzt ein Vertriebener sei und seine



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Hauptstadt Regensburg belagert würde. "Darum, gnädigster Fürst", schloß er, "bitte ich Euch, Ihr wollet mir eine Anzahl Kriegsleute geben, daß ich in Sicherheit gen Regensburg kommen möge, damit ich meine kostbarsten Kleinode wegschaffen und meine getreuen Bürger trösten und kräftigen kann. Dann will ich in ein anderes Land ziehen, wohin mich Gott führet. Solche Bitte hoffe ich, Herr Herzog, wollet Ihr mir nicht abschlagen in diesem meinem Elend!"

Der Herzog antwortete gar freundlich: "Lieber junger Herr und Fürst! Eure Bitte soll Euch nicht abgeschlagen sein!" Und von Stund an gebot er, daß sich fünftausend Pferde rüsten sollten, was auch alsbald geschah. Der Herzog von Sachsen ritt selbst mit dem Heerhaufen, und als sie gen Regensburg kamen, sahen sie den Kaiser mit seinem Heere davor gelagert . Doch ritten die Herzöge mit ihren Reitern bis dicht vor das Lager. Als der Kaiser soviel Volks kommen sah, gebot er seinem Heer, auf der Stelle sich zu rüsten und die Feinde von dannen zu schlagen. Aber der Herzog von Sachsen begehrte mit dem Kaiser zu unterhandeln, und so vernahm dieser aus des Herzogs eignem Munde, daß es seine Absicht sei, den Fürsten Ernst in seine Stadt Regensburg zu bringen. Da sprach Herr Otto: "Ist es auch recht, daß Ihr meinen Feind beschützen helfen wollet; der meinen guten Freund Heinrich, den Pfalzgrafen, an meiner Seite erstochen hat und mir dasselbe getan hätte, wenn ich nicht entsprungen wäre? Sollte ich dem ungetreuen Sohn meine Treue beweisen? Nein, fürwahr, er hat es nicht um mich verdient!"

Der gute Herzog von Sachsen wurde solcher Klage nicht froh, sondern er sprach mit demütigen Worten: "Allergnädigster Herr und Kaiser, wollet diese meine Weise nicht für übel nehmen, ich habe solches um des gemeinen Besten willen getan. Ich wollt' Euch aufs untertänigste bitten, daß Ihr Euerm Sohn gnädig sein möget und ihm vergeben; wer weiß, ob er an den Dingen wirklich schuld hat, wegen deren er bei Euch angeschwärzt worden ist." Aber der Kaiser, als er solche Worte vernahm, hieß den Herzog von sich gehen. Dieser gehorchte und ritt zu seinem Freunde zurück.

Unterdessen begannen die Bürger der Stadt zu merken, daß Ernst, ihr Herzog, in der Nähe sei. Von Stund an schickten sie ihm Boten, daß er doch sollte in die Stadt kommen; sie wollten Leib und Leben für ihn lassen und ihm in Liebe untertänig sein. Auf dieses rüstete sich Herzog Ernst, ging zu dem Fürsten von Sachsen, sagte ihm großen Dank für seine Begleitung und bat ihn um einige Reiter und Knechte; der aber gab ihm



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mit gutem Willen viele von seinem Volk. So machte sich Herzog Ernst auf und ritt unangefochten in die Stadt; denn der Kaiser fürchtete die Sachsen. Nachdem jener hinter den Toren der Stadt Regensburg wohlbehalten angekommen war, ging der Herzog von Sachsen wieder vor den Kaiser und sprach: "Allergnädigster Herr, mein Dank sei Euch gesagt, und wollet Eurem Sohne gnädig sein!" So schieden sie traurig voneinander, und der Sachsenherzog ritt wieder in seine Heimat.

Große Freude war bei den Bürgern, als sie ihren Herrn wieder in der Stadt hatten; sie empfingen ihn mit seinem wohlgerüsteten Volk aufs beste und hofften, er würde jetzt bei ihnen bleiben. Aber es geschah ganz anders; denn Herzog Ernst befahl, alle Bürger sollten zusammen kommen, und wie sie alle beieinander waren, redete er sie also an: "Liebste Bürger und gute Freunde! Ihr sehet den großen Trotz meines Vaters, des Kaisers, der sich unterfängt, mich von Land und Leuten zu vertreiben Er hat auch wohl die Gewalt dazu, und ich will mich dessen nicht mehr wehren, wie ich vor getan habe. Darum, liebe Brüder, bin ich zu euch hergekommen, euch aufs dringendste zu bitten, daß ihr meinen Vater, den Kaiser, beschicken wollet und ihn um Gnade bitten, daß er einem jeden von euch erlaube, soviel von dem Seinigen mitzunehmen, als er tragen kann, und euch so aus der Stadt gsehen lasse; die andre Habe wollet ihr dahintenlassen! " Dieser Rat gefiel einem Bürger wohl, dem andern nicht. Endlich beschlossen sie und zeigten es ihrem Herrn an, sie wollten bleiben und bei Weib und Kind sterben und genesen. Also nahm ihr Herr unter Tränen Abschied von ihnen, nahm aus seinem Schlosse zu Regensburg die besten Kleinode und ritt mit dem ihm zugegebenen Sachsenvolke wieder aus der Stadt durch das Lager des Kaisers ohn' Gefährde und fort in das Land Sachsen zu seinem Bundesgenossen, dem Herzog Heinrich. Seine Untertanen aber mußte er im Elend belagert zurücklassen, ohne daß er seinem Vater, dem Kaiser, weil er ihm zu mächtig war, Widerstand zu leisten gewagt hätte.

So sahen sich die Bürger allein: ihr Herr war von ihnen geritten; sie wußten nicht, was sie tun sollten. Der Kaiser wurde dies wohl gewahr und befahl jetzt seinen Söldnern, sie sollten die Bäume abhauen; er wolle nun die Stadt mit Gewalt stürmen, um weiter zu ziehen und das übrige Land auch einnehmen zu können; denn der große Zorn über seinen Sohn, Herzog Ernst, wollte kein Ende bei ihm nehmen. Die Bürger sahen dies ganz traurig mit an; sie meinten, wenn sie dem Kaiser die Stadt öffneten, würde er sie alle töten lassen und alsdann die Stadt auf den Grund hinwegbrennen,



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wie er ihnen gedroht hatte; doch ermannten sich einige, trösteten die andern und gaben ihnen den Rat, sie sollten dem Kaiser die Schlüssel ihrer Stadt überbringen und ihn um Gnade flehen. Er würde doch nicht so unbarmherzig sein, als er im Zorn gesprochen hätte.

Des Kaisers Volk bereitete sich zum Sturm, und eben wollten sie anlaufen, als die Bürger den Kaiser um eine kleine Frist bitten ließen, die ihnen auch bewilligt ward. Nun bedachten sie sich nicht mehr lange, taten ihre Tore weit auf, und die Ratsherren alle gingen vor die Stadt dem Kaiser entgegen, fielen ihm zu Fuß und begehrten Gnade, indem sie ihm in aller Demut die Schlüssel der Stadt überreichten. Kaiser Otto war von Natur großmütig; als er ihre Trauer sah, jammerte ihn ihrer, und er sprach: "Wohl, weil ihr euch so gutwillig erzeiget, so will ich euch erhalten und bei euren Gerechtigkeiten bleiben lassen." So schwuren sie ihm aufs neue und hielten sich, wie ehrlichen Bürgern geziemt.



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Darauf zog der Kaiser von der Stadt ab und schickte sein Volk in zween Haufen aus. Dem einen befahl er, die Donau hinabzuziehen und alle Städte und Flecken einzunehmen. Sie taten dies und verderbten viel Volks. Doch wurden auch ihnen mieder viel Leute erschlagen; denn Herzog Ernst hatte noch mehr Sachsenvolk an sich gezogen und leistete mit demselben seinem Feinde Widerstand. Aber sein Vater, der Kaiser, besaß viel mehr tapfere Kriegsleute; denn er hatte an achttausend Mann die Donau hinabgeschickt, und Herzog Ernst befehligte kaum zweitausend. Gleichwohl hielt er sich lange in Östreich. Sein Vater, der Kaiser, aber war mit dem andern Heerhaufen an den Lech gezogen und nahm die Städte ein, die einst dem Herzog gehörten. Was sich nicht bald ergeben wollte, ward mit Sturm überwältigt, und alles totgeschlagen, was Waffen stand. Nachdem er dort das ganze Land erobert; schickte er das übrige Kriegsvolk auch zu dem Haufen an der Donau. Als das Herzog Ernst erfuhr, daß seinem Feinde neuer Zuwachs an Heeresmacht komme, da sandte er dem Herzog von Sachsen die geliehenen Kriegsleute wieder zurück, nachdem er ihnen reichlichen Sold gegeben, ließ dem Herzog Dank sagen und warf sich mit seinem Gesellen, Grafen Wetzel, und weniger Ritterschaft in eine starke Feste. Dort schickte er sich an, das Land verlassen. Und nun nahm des Kaisers Volk ohne Mühe alles Land ein, das Herzog Ernst zuvor mit den Sachsen beschützt hatte, und alle Städte wurden mit des Kaisers Söldnern besetzt.

Herzog Ernst aber, der von der Burg aus, auf die er sich zurückgezogen,



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sein Land in Flammen stehen sah, forderte fünfzig der allerbesten Ritter zusammen und sprach zu ihnen: "Liebe Herren, ich bitte euch getreulich, daß ihr mir wollet einen Zug vollbringen helfen nach dem Heiligen Grabe. Ihr sehet ja meines Vaters Zorn; dazu habe ich kein Schloß und keine Stadt mehr, darin ich sicher wäre; ich bin gang elend: darum will ich das Land verlassen, vielleicht, daß sich der Kaiser indessen eines andern bedenkt und sein großer Grimm sich legt. Meinethalben soll kein unschuldiges Blut mehr vergossen werden, es ist dessen schon jetzt zuviel!" Den Rittern gefiel die Rede des jungen Fürsten, sie gelobten, ihm die Reise vollbringen zu helfen, wofür er ihnen sehr dankbar war. Er sorgte sogleich dafür, daß den edeln Rittern gans neue Rüstung und Wehr verfertigt wurde, damit sie mit allem, was zur Reise gehörte, wohlversehen waren.

Auch die Kaiserin erfuhr, daß ihr Sohn aus Deutschland hinwegziehen wollte; sie schickte ihm daher ohne Wissen seines Vaters und gang im geheimen hundert Mark Silbers, dazu viel andere Kleinode und entbot ihm vieltausend gute Nacht. Dieses Gut teilte der junge Fürst alles unter seine Ritter aus und besoldete sie damit; denn sonst hatte er nicht mehr viel Guts und Geldes, weil er so elendiglich von seinem Vater aus allen seinen Landen vertrieben war. Und wie er nun mit seinen Rittern vom Lande schied, da hub er an zu weinen und sprach: "Nun erbarme es Gott, daß ich so elendiglich aus meiner Väter Lande ziehen muß!" Doch getröstete



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er sich seiner mannlichen Ritter, die alle so gutwillig mit ihm gingen . Darauf zogen sie die nächste Straße nach Ungarn. Alldort wurden sie gut empfangen von dem König und blieben acht Tage da. Darnach schickte der König dem Herzog und seiner löblichen Ritterschaft etliche Boten, die ihm den rechten Weg durch den Wald nach der Bulgarei weisen sollten. Als sie glücklich hindurchgekommen waren, schickten sie die ungarischen Wegweiser zurück, nachdem sie sie reichlich beschenkt und ihnen aufgegeben hatten, dem König ihren großen Dank zu vermelden.

Wie sie sich nun im Kaiserreich der Griechen befanden, ritten sie den nächsten Weg auf Konstantinopel zu. Als sie dort angelangt waren, empfing sie der Kaiser gar schön und tat ihnen große Ehre an. Besonders empfand er große Liebe für Herzog Ernst, weil dieser sich gegen seinen Vater, den Römischen Kaiser, so mutig zur Wehre gestellt hatte. An diesem Hofe blieb Herzog Ernst mit seiner Gesellschaft wohl drei Wochen lang, bis daß ein überaus großes Schiff kam, welches der Kaiser mit allen Lebensbedürfnissen versehen ließ. Dann befahl derselbe den besten Schiffsleuten , die er hatte, den jungen Fürsten mit allem Fleiße zu fahren, damit derselbe keinen Schiffbruch zu befürchten hätte. Als nun das Fahrzeug mit allem Vorrat wohlversehen, auch mit Segelstangen, Stricken, Segeltüchern und allem, was zu einem solchen Schiffe gehört, vollkommen ausgerüstet war, segnete Herzog Ernst mit seiner Ritterschaft den Kaiser und fuhr in Gottes Namen dahin und mit ihm viel Griechen, die ihm Gesellschaft leisteten und ihn in zwölf Schiffen begleiteten, weil sie die heilige Fahrt nach Jerusalem auch gerne vollbracht hätten. Sechs Wochen waren sie mit gutem Winde gefahren; da erhub sich in der Nacht ein starkes Ungewitter auf dem Meere, so daß die Fahrzeuge große Not von den Wellen litten. Der Sturmwind war so heftig, daß die zwölf Schiffe mit den Griechen von den grausamen Stößen des Orkanes alle entzweigingen und versanken, weil es keine so wohlerbaute, starke Fahrzeuge waren als die Herzog Ernsts; denn nur sein Schiff war so gut mit Eisen beschlagen, daß die Wellen es nicht so bald auseinander zu reißen vermochten. Jedoch, hätte es länger gedauert, so würde es das Ungestüm der Wogen auch nicht mehr ertragen haben können, sondern in Stücke gegangen sein.

Als der Herzog seine Begleiter so jämmerlich ertrinken sah, weinte er mit allen seinen Genossen und bat Gott, daß er doch ihnen selbst möge gnädig und barmherzig sein. Nun wußten die Schiffsleute nicht, in welcher Gegend oder in welcher Landesnähe sie waren; auch fing der Vorrat an, ihnen auszugehen; denn sie waren wohl schon vierzig Wochen auf dem



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Meere gefahren und hatten nichts gesehen als Himmel und Wasser: deswegen flehten sie brünstig zu Gott, daß er sie dem Lande zuführen wolle; sie litten großen Mangel, und wären sie noch einen halben Monat auf dem Wasser gefahren, so würden sie Hungers gestorben sein.

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Endlich erblickten sie eine Küste, steuerten mutig zu und erreichten in kurzer Zeit das Land. Sobald sie aus dem Schiffe gestiegen, setzten sie sich auf ihre Rosse, ließen das Fahrzeug am Strande und mit den Schiffleuten einige Knappen darin; die Ritter selbst gingen mit dem Herzog und besichtigten von ferne eine Stadt, die sie vor sich sahen. In ihre Nähe sich zu begeben, wagten sie nicht, weil niemand wußte, in welcher Landschaft sie waren, und welche Leute da wohnten. Die Stadt war sehr schön gebaut , hatte eine hohe und dicke Mauer und einen breiten Wassergraben, auch gewaltige Basteien und einen schönen Wall. Nachdem sie lange hinund hergeritten, entschlossen sie sich, zu ihrem Schiffe zurückzukehren, und aßen und tranken dort, so gut sie es hatten; denn es war nicht viel mehr übrig bei ihnen. Nach dem Essen warfen sie sich in ihre Rüstung, und Herzog Ernst gab dem Grafen Wetzel die Fahnen, auf welchen ein goldenes Kruzifix gestickt und der Spruch darunter geschrieben war: "Gottes Wort bleibet ewiglich."

Die Völker, die in diesem Lande wohnten, hießen die Agrippiner. Ihr König war eben mit seinen Untertanen ausgezogen, weil er gehört hatte, daß eines Königs Tochter aus Indien durch sein Land reisen werde, welche sich mit einem fremden Königssohne vermählen wollte: dieser Braut wollten sie die Straße verlegen, und als die Herren kamen, welche sie Königssohne zuführen sollten, erschlugen sie alle und nahmen die Jungfrau mit sich. Da ritt Herzog Ernst mit seiner Ritterschaft um die Stadt, zweifelte jedoch, ob er hineingehen sollte, und fürchtete sich sehr.

So hielten sie vier Tage still und wußten immer nicht, in welcher Leute Land sie waren. Endlich ritten sie wieder landeinwärts und betraten die Stadt. Aber kein Mensch war darin. Lange ritten sie hin und her in den Gassen, gelangten endlich vor ein schönes Schloß, stiegen von ihren Rossen , gingen hinein und kamen bald in einen hohen Saal. Da fanden sie schön zugerüstete Tische, die mit Essen und Trinken reichlich verses waren, wie wenn Hochzeit gehalten werden sollte. Das geschah denn auch insoweit, als Herzog Ernst mit seiner ganzen Ritterschaft sich niedersetzte und sich alle recht satt aßen und tranken. Dann schickten sie auch den Schiffsleuten Essens genug, sich daran zu erlaben. Und darauf befahl



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Herzog Ernst, daß man das Schiff mit Lebensmitteln versehen solle. Da trugen die Diener von den Speisen, soviel sie konnten, zu Schiffe, so daß sie wohl für ein halbes Jahr genug hatten. Jetzt ging Herzog Ernst und Graf Wetzel im Schlosse herum; sie betrachteten sich alle Gebäude, die sehr köstlich waren. Dann begaben sie sich wieder auf das Schiff und blieben die ganze Nacht auf demselben. Wie der andre Tag anbrach, ging Herzog Ernst zu seinem Freunde Wetzel und bat ihn, wieder mit ihm in die Stadt zu gehen. Das tat der willig. Als sie die Stadt wiederbetreten hatten, gingen sie aufs neue durch die Straßen lustwandeln und sahen manchen schönen Bau, über den sie sich verwunderten. Dann betraten sie wieder den Saal, aßen und tranken vom Besten, das vorhanden war, und besahen sich auch sonst den Palast. Da fanden sie eine Kammer, in der standen zwei herrlich bereitete Betten mit Decken von Goldstoff, und auch die Bettstellen waren von lauterem Golde; mitten in der Kammer stand ein Tisch, mit einem köstlichen Teppiche gedeckt, und auf diesem die lieblichsten Gerichte. Zunächst an diese Kammer stieß ein kleiner Saal, und an diesen ein Garten mit einem gar schönen Brunnen, der sprang in zwei goldene Tröge.

Da sprach Herzog Ernst: "Lieber Freund Wetzel, wir wollen uns ausziehen und baden"; das taten sie und wuschen sich zum besten. Dann gingen sie in die Kammer, legten sich in die zwei köstlichen Betten und ließen sich den Schlaf eine gute Zeit behagen. Nachdem sie genug gerastet hatten, gingen sie abermal in dem Schlosse herum und betrachteten sich alle seine Herrlichkeiten; dann besahen sie mit Gemächlichkeit alle angenehmen Plätze der Stadt. Auf einmal sieht Graf Wetzel ein großes Heer daherziehen, und wie er es sich näher betrachtet, was muß er sehen? Alle Leute desselben waren so gestaltet, daß sie von unten bis an den Hals ganz schön waren; oben aber hatten sie Kranichshälse. "Liebster Herr", sprach Wetzel zu seinem Freund Ernst, "sehet Ihr nicht dieses ungeheure Volk, das dort herzieht?" Da ward es auch Herzog Ernst gewahr und sprach: "Was sollen wir tun? Ich denke, wir verbergen uns, damit wir sehen, was sie anfangen!" So verbargen sich die zwei Helden hinter der Türe in einem Winkel und sahen da zu, was die Agrippiner taten.



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Diese zogen feierlich in die Stadt, und ihr König betrat das Schloß: er hatte eine schöne Jungfrau bei sich, die von königlichem Stamme war; es war ebendie, welche der König mit seinen Untertanen den Brautfahrern abgenommen hatte. Nun setzte sich der beschnabelte König mit seinen


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Bürgern zu Tische; aber sie merkten bald, daß mehrere Speisen ihnen entrückt waren, und konnten sich nicht denken, wie das zugegangen. Doch aßen und tranken sie sich voll und fingen an schnattern und zu singen; auch war unter ihnen mancherlei Saitenspiel, und sie trieben gar wunderliche Abenteuer mit Springen, Tangen und Gaukeln. Der König saß bei der schönen Jungfrau am Tisch und bot ihr öfters den Schnabel, damit sie ihn küssen sollte. Aber die gute Jungfrau war voll Traurigkeit; wandte den Mund stets seitwärts und dachte: "Oh, allmächtiger Gott; wäre ich weit weg von diesen scheußlichen Geschöpfen! Ja, wenn ich in einem Walde wäre, wo die wilden Tiere wohnen: ich wollte mich nicht hieherwünschen!"

Solche Trübseligkeit der Jungfrau sahen die beiden Herren hinter der Türe in ihrem Winkel und sprachen zueinander: "Wie könnten wir doch die Jungfrau erretten!" —"Ich will", sprach Herzog Ernst, "mein Leben daransetzen und die schöne Magd befreien!" So sprachen sie leise miteinander, wie sie es anfangen wollten. Doch ließen sie die Sache eine Weile auf sich beruhen; endlich sagten sie, einer zum andern: "Wenn es nur unsern Rittern im Schiffe gut geht, und sie nicht von diesen Halbmenschen erschlagen werden!" Und Herzog Ernst sprach: "Ich wollte, sie wären bei uns im Saale, wir wollten hier unter sie fahren!" Dagegen dachten die Ritter im Schiffe: "Wollte Gott, daß wir unsern Herzog Ernst und seinen Freund, den Grafen Wetzel, wieder bei uns hätten; wir glauben nicht anders, als daß sie tot sind." Und so gingen die Ritter traurig im Schiffe auf und ab.



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Die Mahlzeit der Agrippiner hatte inzwischen lange gewährt, und sie hatten groß Geschnatter zu Hauf getrieben. Da kam die Zeit, daß jedermann nach Hause gehen sollte. "Mein liebster Freund", flüsterte der Herzog Ernst seinem Gesellen Wetzel zu, "wie wollen wir es anfangen, daß uns die Jungfrau zuteil wird? Ich denke, wir springen hervor und stechen den König tot!" —"Nein", sprach Wetzel, "wir wollen achtgeben, wenn der König zu Bette geht, dann wollen wir ihm die Jungfrau nehmen." Dieser Rat gefiel dem Herzog. Wie nun das Mahl ein Ende hatte, ging alles nach Hause; das schnablichte Gesinde war trunken und schnalzte wie die Enten, der König aber begab sich in die schön geschmückte Kammer , die allerorten mit lauterem Golde geziert war. Dann fertigte er zwei Diener ab, welche die Jungfrau holen sollten: als nun diese mit ihr unterwegs waren, kamen Ernst und Wetzel aus ihrem Schlupfwinkel ihnen


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nachgefolgt; sprangen hervor und schlugen dem einen Diener den Kopf ab; der andre entrann ihnen, kam in des Königs Kammer und schrie: "Die Indianer sind da und wollen die Jungfrau wiedernehmen!" Da schnalzte der König, sprang auf und der Jungfrau entgegen: diese stach er mit seinem spitzigen Schnabel in beide Seiten, so daß ihr das Blut herunterfloß und sie zur Erde fiel. Als die Helden dies sahen, wurden sie grimmig wie Löwen: Herzog Ernst sprang auf den König zu und durchstach ihn mit dem Schwert, daß er zu Boden stürzte. Nun wurden die Herren von den Agrippinern umringt, daß sie sich ihrer kaum erwehren


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konnten. Doch trieben sie diese zur Kammer hinaus, verschlossen dieselbe fest und gingen dann zu der Jungfrau, die sie von der Erde aufhoben und trösteten. Aber sie war von des Königs Schnabel so verwundet, daß sie vor Sterbensangst fast nicht reden konnte. Endlich sprach sie: "Oh, ihr kühnen Helden, hättet ihr mich meinem Vater lebendig heimgebracht, so wäre ich einem von euch zuteil geworden; jetzt aber kann das nicht sein, die Zeit meines Verscheidens ist da; Gott wolle meiner Seele barmherzig sein!" So gab sie ihren Geist in Herzogs Ernsts Armen auf und starb. Wie die Helden sahen, daß die Jungfrau tot war, sprachen sie zueinander: "Sinn wollen wir uns wehren, oder wir sind des Todes!" Damit tat Herzog Ernst die Kammertür auf; da stand es voll von Agrippinern, die schlugen und stachen gegen die beiden. Die wehrten sich jedoch gar männlich, schlugen ihrer viele zu Tode und machten sich endlich eine Bahn bis zum Stadttore, aber dies war zugeschlossen. Jetzt standen sie erst recht in Ängsten und riefen Gott und den Heiland um Hilfe an.

Da schickte es Gott, daß ihre Ritter das Schiff verließen, auf die Pferde saßen und nach ihren Herren sehen wollten. Sie ritten bis ans Tor und fanden es zu. Nun hörten sie großes Rauschen und Schlagen in der Stadt; da erschraken sie, rannten wieder nach den Schiffen, rüsteten sich mit ihren besten Wehren und eilten zurück nach dem Tor. Aber sie konnten es nicht öffnen. Endlich schlugen sie es mit Streitäxten entzwei und kamen so zu ihren Herren hinein. Da schöpften diese wieder Mut und zerarbeiteten sich so lang an den Agrippinern, bis sie mit dem Leichnam der Jungfrau vor das Tor kamen. Dort erhub sich ein neuer Streit, und sie wurden so hart bedrängt, daß sie die Jungfrau unter den Feinden liegen lassen mußten; denn jetzt zogen diese mit großer Macht in das Feld und gedachten, den Herzog Ernst und seine Ritterschaft zu erschlagen. Diese aber hielten sich, wie mannlichen Leuten geziemt, zogen in guter Ordnung nach dem Schiff, schlugen um sich, stachen und hieben tapfer in die Feinde; aber die Agrippiner schossen mit vergifteten Pfeilen nach ihnen: da wichen die Helden allgemach in ihr Schiff zurück und hatten große Arbeit, bis sie die vielen Verwundeten ins Schiff gebracht. Dann segelten sie davon. Die Agrippiner hatten auch Schiffe, in die warfen sie sich, fuhren ihnen nach und schossen mit ihren Giftpfeilen, als ob es schneiete.

Nun hatte Herzog Ernst in seinem Schiff ein Wurfzeug, mit dem warf er drei bis vier Schiffe in den Grund, so daß alle Kranichsleute, die darauf waren, ertranken. Wie die übrigen sahen, daß sie den Helden nichts



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abgewinnen konnten, kehrten sie wieder heim und beklagten ihren König, der in der Stadt umgekommen war.

Aber Herzog Ernst und seine Ritterschaft schifften auf dem ungestümen Meere dahin und dankten Gott von ganzem Hergen, daß er sie von den Kranichsköpfen erlöst hatte. Doch lagen mehrere Ritter hartverwundet von der Feinde Geschoß; denn diese hatten große Pfeile, deren Spitzen alle vorn vergiftet waren; wen sie damit getroffen, und war auch nur die Haut geritzt, der mußte sterben. Mit solchem Geschoß waren wohl an acht tapfere Ritter verletzt worden; diese lagen gans elend auf ihrem Lager; denn niemand konnte ihnen helfen, und keiner war im Schiff, der ihnen ihre Schmerzen wenden konnte. Das Meer selbst wollte die kranken Ritter nicht länger auf seinem Rücken dulden, es wurde wild und warf das Schiff hoch auf den Wellen empor. Wären sie nicht bald gestorben, so hätten der Herzog und seine Ritter sie über Vord werfen müssen; aber Gott schickte ihnen den Tod. Als sie nun christlich verschieden, band man sie auf einige Dielen und heftete wohl verwahrtes Geld daran, daß sie ehrlich begraben werden konnten, wo man sie am Ufer fände. Dann wurden sie unter großem Weinen der Üergebliebenen ins Meer geworfen.



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Vier Tage fuhren jetzt die Ritter ganz still und mit gutem Winde dahin, aber ihrer wartete das Unglück. Denn am fünften Tage fing der Wind an, aus Süden zu blasen, und erregte ein großes Ungewitter, so daß Herzog Ernst meinte, das Schiff müsste untergehen. Der Steuermann wußte nicht, in welcher Gegend sie wären; denn es war finstere Nacht. Als der Tag anzubrechen begann, ging der oberste Schiffsmann hinaus aufs Verdeck und sah sich um. Da erschrak er gewaltig und rief mit lauter Stimme: "O allmächtiger Gott, komm uns am heutigen Tage zu Hilfe, sonst müssen wir verderben!" — "Schiffsmann, was ist's, daß du so schreiest?" sprach drunten im Schiffe der Herzog Ernst. "Herr, bittet Gott mit allen den Eurigen um Gnade", antwortete der Schiffsmann, "wir sind gant nahe beim Magnetenberg und können nicht mehr davonkommen. Alle diese Schiffe, die Ihr da sehet, sind schon verdorben!" — Herzog Ernst rief ihm zu: "Steig herunter und versuche, ob wir das Schiff nicht mit Gottes Hilfe wenden können!" Aber der Schiffer sprach: "Das unmöglich , wir müssten wider Gottes Gewalt handeln. Darum bittet ihn, daß er Euch gnädig und barmherzig sein melle!" Wie nun der Herzog sah, daß der Schiffsmann so verzagt war, wußte er nicht, was er tun sollte, und sprach zu seinen Rittern: "Liebe Freunde, weil es Gott so


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haben will, daß wir unser Leben in dem wilden Meere lassen sollen, so falle ein jeder auf seine Knie, bitte Gott den Herrn um Gnade, daß er jedem seine Sünden verzeihen wolle." Alle fielen auf die Knie. Nun fing Herzog Ernst an und sprach: "O allmächtiger Gott, der du mich armen Sünder mit meinem Volke beschützet hast, wenn jetzt unsere Stunde gekommen ist, in der wir unser Leben enden sollen, so bitten wir dich, du wollest uns deinen Heiland senden, daß er unsere Seelen in seine Hände nehme!" Bei solchen Worten ergab sich ein jeder Ritter in Gottes Willen.

Da begann die Kraft des Berges das Schiff an sich zu ziehen, daß es in Stücke ging. Jetzt fing erst ein rechter Jammer an; einige von ihnen faßten die Trümmer des zerbrochenen Schiffs und arbeiteten ängstlich, wie sic sich auf die am Berge liegenden zertrümmerten Schiffe retten könnten. Nun trafen hier Herzog Ernst und sein Freund Wetzel mit noch einigen Rittern zusammen, ihrer sieben auf einem solchen Schiff. In diesem fanden sie viele Tote; dieselben legten sie oben auf das Schiff. Da kamen die Greifen geflogen, nahmen die Leichname hinweg und brachten sie ihren Jungen zum Fraße. Nun erscholl ein jämmerlich Geschrei; die Ritter und Herren, die sich hin und mieder noch auf die Schiffe flüchteten, schrien und weinten, und riefen zu Gott, daß er ihnen gnaden wolle. Diese Klagen hörte Herzog Ernst, und die bei ihm waren; das jammerte sie sehr, aber sie konnten ihnen nicht zu Hilfe kommen, sondern baten nur stets Gott unter Tränen, daß er sich ihrer erbarmen wolle. So irrten sie traurig auf dem Schiffe hin und her; da kam Wetzel von ungefähr in eins Kammer, in der er viel Ochsenhäute beieinander liegen sah. Er ging zurück zu Ernst und sprach: "Allerliebster Herr, wir müssen unser Leben doch wagen; sollen wir hier so elendiglich unsern Tod abwarten? Es wäre viel besser, Ihr folgtet mir diesesmal; eine andere Zeit will ich wieder Euch folgen." — "Mein lieber Freund", antwortete Ernst, "wohl kommt die Zeit, wo ein guter Geselle dem andern folgen soll! Je nachdem du Rat gibst, je nachdem folge ich!" Da sprach Graf Wetzel: "Weil wir unser Leben einsetzen müssen, so wäre das meine Meinung: es sind hier im Schiffe viele Ochsenhäute, darein wollen wir uns nähen lassen, und dann sollen uns die Diener auf das Schiff legen. Wann nun die Greifen kommen, so meinen sie, es sei irgendein Leichnam; alsdann führen sie uns in ihr Nest, den Jungen zur Speise. So möchte dann Gott ein weiteres Mittel schicken, daß wir mit dem Leben davonkamen, und so gelangen wir wenigstens glücklich über das Meer!" Herzog Ernst war dies zufrieden. "Aber es dünkt mich", sprach er, "daß wir uns mit unserer Rüstung versehen



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müssen; denn der Greif wird uns sonst mit seinen spitzigen Klauen häßlich durchgreifen!"

So, nachdem sie alles im Schiffe gemustert; kamen sie in einen Winkel, da fanden sie viel Edelsteine; von diesen nahmen beide ein gutes Teil zu sich, legten ihre Rüstung an, versorgten sich aufs beste und ließen sich zusammen in zwei Ochsenhäute nähen, worüber sich die guten Diener sehr betrübten; sie taten es gar ungern, mußten sie nach ihres Herren Geheiß handeln. So wurden sie fest eingenäht und oben auf das Schiff gelegt . Kaum lagen sie eine Stunde da, so kam ein grausam großer Greif, der nahm beide mit und führte sie in die Luft, als wenn ein Habicht eine Lerche dahintrüge. Die Diener sahen ihren Herrn mitsamt Wetzel hinfahren und wurden sehr traurig. Auch die zwei waren betrübt; denn der Greif hatte sie so hart gefaßt, daß sie sich nicht rühren konnten, und wenn sie nicht in ihrer Rüstung so wohlverwahrt gewesen wären, so würden sie nicht davongekommen sein; denn sie meinten, der Atem würde ihnen ausbleiben.

Da nun der Greif in seinem Neste war, legte er sie nieder, schwang sich wieder in die Luft und ließ die zwei Herren bei den jungen Greifen liegen . Als diese sich allein fanden, sprach Herzog Ernst zu Wetzel: "O lieber Geselle, lebst du noch?"Dieser konnte vor Müdigkeit und Ohnmacht kaum antworten und sprach: "Wenn uns Gott nicht hilft, so können wir nicht von hinnen kommen. Denn ich habe in meinen Armen keine Stärke mehr, daß ich mich aus der Ochsenhaut schneiden könntet" Da sprach Herzog Ernst: "Verziehe noch eine kleine Weile, bis wir besser zu Kräften kommen!" So lagen die beiden eine Stunde und fürchteten sich sehr vor dem alten Greifen, daß er wiederkommen würde. Doch fing Herzog Ernst an, sich aus der Ochsenhaut zu schneiden, und als er aufgestanden, schnitt er seinen Freund Wetzel auch heraus. Da alle beide los waren, sahen sie die jungen Greifen an: die waren so groß als Kälber. Aber sie durften den Rittern nichts tun; doch stiegen die bald aus dem Nest und Sahen sich um; da wurden sie gewahr, daß sie der Greif über das große Meer geführt hatte; sie wußten nicht, an welchem Orte sie sich befanden. Es war ihnen aber auch einerlei; sie dachten nur an ihren Hunger und aßen Wurzeln aus den Steinen; dann fielen sie wieder auf ihre Knie, lobeten und preiseten Gottes Allmacht. Nur wußten sie nicht, wo sie heruntersteigen sollten; denn wenn der alte Greif sie ereilt hätte, wären sie von ihm umgebracht worden. Wie sie nun merkten, daß die alten Greifen hinweggeflogen waren, stiegen sie mit großem Kummer von dem hohen



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Berge hinab, und wie sie hinuntergekommen waren, liefen sie in einen großen Wald und beklagten ihre fünf Diener sehr, die sie in dem Schiffe verlassen hatten.

Nun aber berieten sich eben in dieser Zeit die Diener in dem Schiff, und zwei von ihnen ließen sich von den drei andern auch in eine Ochsenhaut nähen; und diese wurden von dem vorigen Greifen ebenfalls geholt und in sein Nest geführt. Auch diese schnitten sich mit vieler Mühe aus der Ochsenhaut. Als sie merkten, daß der Greif hinweggeflogen war, stiegen sie mit großer Sorge aus dein Nest und gingen in den Wald; sie hofften, hier ihren Herrn und seinen Freund aufsuchen zu können. Da nun die übrigen drei Diener noch allein im Schiffe waren, wußten sie nicht, was sie tun sollten. Zuletzt sprach einer von ihnen: "Meine Meinung wäre, daß ihr euch beide auch in eine Ochsenhaut nähen ließet, und das wollte ich tun, so ich hoffe auf Gott den Allmächtigen; hat er unseren Herren, Herzog Ernst und dem Grafen Wetzel, davongeholfen und darnach den andern zwei Dienern, die der Greif hinweggeführt hat, so wird euch Gott auch helfen. Dann will ich allein in dem Schiff bleiben, solang mir Gott das Leben vergönnt!"Diesem Rat folgten die zwei und zogen ihre Rüstung an, da nähte sie der eine Genosse in zwei Ochsenhäute. Dann mühte er sich lange mit ihnen ab, bis er sie auf das Verdeck brachte; wie sie nun bereits vier Stunden gelegen waren, kam der Greif in schnellem Fluge; nahm sie in seine Klauen und trug sie über das Meer zu seinem .



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Als nun der eine Diener sah, daß er ganz allein in dein Schiffe war, fing er an, ganz traurig zu werden, aber mehr um seiner Genossen und seines Herrn als um seiner selbst willen. Bald hatte er nichts mehr zu essen als ein halbes Brot, dies genoß er ohne einen Trunk; wie nun alles verzehrt war und er sich so ganz allein sah und von keiner Seele mehr Trost empfangen konnte, mußte er in Hunger und Durst elendiglich in dem Schiffe sterben und allda den großen Tag der Zukunft Jesu Christi erwarten. Inzwischen waren die zwei andern Gesellen in großer Furcht und Müdigkeit eine Zeitlang im Neste des Greifen gelegen, bis sie wieder zum Bewußtsein kamen. Auch sie schnitten sich mit vieler Mühe und Arbeit aus der Ochsenhaut und kamen aus dem Nest in den Wald, wohin die zwei vorigen gegangen waren, ihren Herrn zu suchen; aber sie konnten ihn nicht finden. Alle vier liefen zerstreut hin und her wie die Schafe, die ihren Hirten verloren haben, und hatten nichts zu essen als die Wurzeln aus der Erde. Die zwei letzten Diener gingen und suchten einen Brunnen; denn sie hatten sich gar müde an dem Berge gestiegen. Wie sie nun so durstig in dem Walde umliefen, dabei über ihren Herrn und ihre Gesellen klagten, so siehet der eine einen Hirsch daherspringen, der am Brunnen trinken wollte. Als der Hirsch sich dem Brunnen näherte, ward er scheu und lief, als wenn man ihn zagte: da merkten die zween, daß jemand in derselben Gegend wäre, und gingen hinzu. Dort fanden sie die zwei andern Gesellen beim Brunnen sitzend, wodurch alle vier nicht wenig erfreut wurden. Sie erquickten sich an dem fließenden Wasser: dann beratschlagten sie, wie sie ihren Herrn in dem dicken Walde suchen wollten, und stiegen durch manche tiefe Kluft; zuletzt schwang sich einer der Genossen auf einen hohen Baum und sah ihrer zween Leute in dem Walde gehen; da fing er an zu pfeifen und zu rufen. Als Herzog Ernst und der Graf das Geschrei und Pfeifen hörte, standen sie stille und wußten nicht, was das für Laute waren. Indem siehet Ernst vier seiner Diener daherkommen. Des wurden sie von Hergen froh und empfingen einander mit lauter Freude. Ein jeder erzählte, wie es ihm ergangen war; dann gingen sie eine Weile in dem Walde fort: da sahen sie einen tiefen Grund, in dem ein reißendes Wasser floß; hier stiegen sie mit großer Mühe über die Felsen, bis sie zu dem Wasser kamen. Denselben Weg, von wo sie gekommen waren, konnten sie nicht wieder hinauf; denn er war voll großer Steinklippen; es wunderte sie, wie sie, ohne zu fallen, heruntersteigen konnten. Nun gingen sie längs dem Wasser hinunter in der Hoffnung, irgendeinen Weg zu finden, aber es war vergebens; denn



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je länger sie gingen, je schlimmer begann der Pfad zu werden, und je höher die Berge waren, desto breiter wurde das Wasser und verlor sich zuletzt in eine tiefe Kluft, da brauste es so abscheulich, daß es ein Schrecken zu hören war. Nun wußten sie nicht, was sie tun sollten, standen beieinander und ratschlagten.

Da befahl Herzog Ernst seinen Rittern, sie sollten große Bäume abhauen: das taten sie und halfen einander getreulich, daß sie die Stämme mit aller Macht zuhauf trugen, Weiden und anderes junges Gesträuch; dann banden sie ihre Harnische darauf. Nun sprach Herzog Ernst: "Meine lieben Freunde, welcher mit durch diesen Berg fahren will, der befehle sich Gott, dem Allmächtigen, und bitte ihn um Gnade, daß er uns den Heiland zum Geleitsmann schicken wolle durch diesen ungeheuren Berg, damit wir glücklich mögen durchkommen!" Die Diener taten dieses alle und baten den Allmächtigen um Sicherung ihres Lebens. Dann bestiegen sie den Floß, den sie verfertigt hatten, und stießen ihn in das Wasser, da schoß er hin wie ein Pfeil. Als sie nun in das Loch hineingekommen waren, wurde es stockfinster, so daß keiner den andern auf dem Floße sehen konnte. Da ging das Fahrzeug schwankend von einer Seite zur andern, so daß sie meinten, es würde in Stücken gehen. Eine Weile ging es quer, dann wieder der Länge nach: das Wasser brauste so sehr daß keiner hören konnte, was der andere sprach. Dies ungestüme Fahren trieb sie wohl einen halben Tag, während welcher Zeit keiner etwas sah; da kamen sie wieder an einen Berg, der leuchtete so hell, daß es schimmerte wie Feuer. Als sie ganz nahe waren, schlug Herzog Ernst ein Stück davon; und diesen Stein heißt man auf Latein Unio und zu Deutsch Karfunkel. Ihn hat Herzog Ernst seinem Vater mitgebracht; und dieser ließ ihn in seine Krone setzen.



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Nachdem nun Herzog Ernst mit dem Grafen Wetzel und seinen Rittern durch den dunkeln Berg gefahren war, kamen sie an einen großen Wald, und als sie vor denselben fuhren, arbeiteten sie sich mit dem Floß an das Land: da sahen sie viel schöner Städte und Schlösser, worüber sie von Herzen froh waren, wiewohl sie der Hunger sehr hart quälte. Nun taten sie alle ihre Harnische an, gingen miteinander nach einer großen Stadt und stellten sich zueinander unter das Tor. Da kamen Völker gegangen mit einem Auge, das hatten sie über der Nase; diese heißt man zu Latein Zyklopen, und sie wohnen in Indien, sonst nennt man das Volk auch Arimasper. Viele derselben kamen herbeigelaufen, besahen Herzog Ernst


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mit seinen Leuten und verwunderten sich sehr, daß es Menschen gebe, die zwei Augen hätten; denn sie meinten, das wären Wilde; damm gingen sie fort und zeigten dem Herrn der Stadt an, es seien Leute vor dem Tore mit zwei Augen. Als der Beherrscher das vernahm, wunderte er sich sehr mit allen seinen Bürgern, schickte nach ihnen und ließ sie zu sich rufen. Alsbald ging der oberste Statthalter hin zu dem Tor und fragte sie, aus welchem Lande sie gekommen wären. Da antwortete ihm Herzog Ernst, sie kämen aus dem Königreiche der Agrippiner. Nun führte sie jener zu dem Herrn der Stadt und glaubte, es seien Satyrn oder Waldmenschen , das heißt, halb Menschen und halb Böcke, und sie seien etwa durch Verirrung aus dem Walde gekommen. Der Herr aber empfing sie aufs freundlichste, und sie dankten ihm mit großer Ehrerbietung. Als er sah, daß sie sich so höflich erzeigten, gewann er sie sehr lieb, da sprach Herzog Ernst: "Lieber Herr, machet doch, daß Eure Diener uns etwas zu essen bringen, damit wir uns des Hungers erwehren mögen; denn wir haben seit sechs Tagen nichts als Wurzeln gegessen." Da befahl der Herr, daß man ihnen zu essen brächte. Dies geschah auf der Stelle. Herzog Ernst und Graf Wetzel setzten sich mit den vier dienenden Rittern zu Tische und aßen und tranken sich recht satt. Nach vollbrachter Mahlzeit führte der Herr der Stadt den Herzog Ernst und seinen Freund in die Kammer und fragte sie, von wannen sie denn wären. Da sprach der Herzog zu ihm: "Ich und meine Gesellen sind aus Deutschland, und mein Vater ist der allgewaltigste Kaiser in der Christenheit. Ich wollte eine Wallfahrt vollbringen nach dem Heiligen Grabe gen Jerusalem, da habe ich auf dem Meere vor großem Ungewitter viel Gesindes verloren." Und nun erzählte Ernst seinem Wirte alle Abenteuer, die ihn und seine Genossen betroffen hatten, und dieser verwunderte sich nicht wenig über solche Rede.

Am Ende erfuhr der König der Arimasper selbst, daß Herzog Ernst in seinem Reiche wäre. Von Stund an sandte er einen Boten an den Herrn der Stadt, der ihm diese Fremden schicken sollte, wiewohl derselbe sie nur ungern von sich ließ. Wie nun Ernst mit seinen Rittern vor den König kam, wurde er von ihm aufs beste empfangen, und dieser gewann sie in der Folge gar lieb, besonders den Herzog Ernst und den Grafen Wetzel. Sie waren eine gute Zeit bei dem Könige gewesen, als dieser einmal um Mitternacht auf die Jagd ritt und seine beiden neuen Freunde mit ihm. Wie sie eine kleine Weile geritten waren, sieht der König mit den Seinen, daß die Sciapoden wieder ins Land gefallen waren; denn sie hatten eine



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Stadt abgebrannt. Ernst fragte ihn, was das für Feinde wären, da sprach der König: "ES sind unüberwindliche Feinde, Leute, die aus Morgenland kommen; man nennt sie Sciapoden oder Monokolen, das heißt auf Deutsch Einfüßler; denn sie haben nur einen einzigen Fuß, und überdies bedecken sie sich damit, wenn die Sonne heiß scheint, und hüpfen so geschwind, daß sie niemand erreichen kann, zumal wenn sie auf das Meer kommen, da springen sie noch viel geschwinder als auf dem trockenen Lande." Da antwortete Herzog Ernst Könige: "Gnädiger Herr, ich bitte Euch ernstlich , daß Ihr mir einige streitbare, tapfere Männer gebet; dann will ich es mit Gottes Hilfe wagen und sie zurück oder gar zu Tode schlagen." Das ward dem Herzog Ernst vom Könige zugesagt, und so ritt er mit seinen Gesellen und dem ihm zugegebenen Volk an das Meergestade und schickte ihnen einige entgegen, die sie bis an das Meer trieben. Nun meinten die Einfüßler, auf dem Wasser entfliehen zu können; aber Herzog Ernst brach mit seinem verborgenen Volk hervor und schlug fast alle zu Tode; nur einen fing er, und diesen führte er zum Könige. Wie sie nun heimkamen, wurden sie mit Jubel empfangen von allen Leuten, und besonders von dem Könige, wegen des großen Siegs, den sie gewonnen hatten.

Bald nach diesem Streite kamen andere Völker, Panochen genannt, und forderten auch Zins von dem Könige der Arimasper. Diese Völker haben so große Ohren, daß die Lappen bis auf die Erde hangen. So wurde der König von seinen Feinden aufs neue betrübt; denn kaum hatte er einen Teil aue dem Lande gebracht, so waren andere da. Da fragte er den Herzog Ernst um Rat, wie er es mit ihnen machen sollte, ob er ihnen den gewohnten Zins zuschicken sollte oder nicht. Der kühne Held sprach: "Nein! Sondern mahnet das Kriegsvolk wieder auf, das ich vorhin gehabt; dann will ich sie wohl mit List abtreiben!" Da der König solchen Trost von Herzog Ernst hörte, wunderte er sich sehr über seine Kühnheit und befahl dem Volk aufzubrechen. Dies geschah, und so zog Ernst den Feinden mit Macht entgegen. Als er merkte, daß sie in einem Wald ihre Versammlung hatten, umlegte er den Ort mit seinem Volke und zündete ihn auf der einen Seite an. Als die Feinde nun den Wald brennen sahen, liefen sie zerstreut und wollten entfliehen; aber Herzog Ernst hatte ihnen den Weg verlegt und schlug sie fast alle zu Tod, außer zweien, die nahm er gefangen und führte sie mit sich in das Königreich der Arimasper zurück. Hier wurde er nach errungenem Siege vom König und allem Volk wieder aufs feierlichste empfangen.



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Aber das Königreich der Arimasper hatte großes Unglück; denn es war von vielen Völkern hart angefochten. Es kamen die Riesen, die in der Gegend der Kananeer wohnten, und forderten ebenfalls Tribut von dem König. Der Riesenbote, welcher vor ihn kam, war so groß, daß er nahezu das Maß von zwölf Schuhen hatte, und das Volk, das ihn sah, entsetzte sich vor seiner Größe. Dieser sprach mit trotzigen Worten zu dem Könige: "König, du sollst wissen, daß du meinem Herrn, dem Riesenkönige, den Zins zu geben schuldig bist; wenn du dies nicht bald tust, so werden wir dein Land bis auf den Grund verderben!" Über solch frecher Rede erschrak der König sehr und wußte dem Boten keine Antwort darauf zu geben; er ließ denselben warten, und schickte unterdessen nach dem Herzog Ernst, der in dem Lande war, das ihm der König eingeräumt hatte. Als dieser kam, fragte ihn der König um Rat; wie er es mit den Niesen machen sollte, die so starke Leute wären: er wolle ihnen den Zins schicken. Aber Herzog Ernst widerriet das dem König und sprach zu dem Riesenboten, er solle wieder heimziehen und seinem Herrn sagen, wenn ihnen die Haut juckte, so sollten sie kommen, sie werde ihnen gekratzt werden. Diese Rede verdroß den Boten , er ging wieder heim zu seinen Riesen und zeigte ihnen die schnöde Botschaft an. Da wurden diese zornig, machten sich in schnellem Grimm auf und fielen in das Gebiet der Arimasper ein. Als der König dies gewahr wurde, rief er viel Volks auf und befahl ihnen, Herzog Ernst gehorsam zu sein. Diese waren willig dazu. Nun zog der Herzog den Riesen entgegen; wie sie nahe aneinander kamen, hielten sich jene in einem Wald und beabsichtigten, den Feind bei Nacht zu überfallen. Aber Herzog Ernst hielt gute Wache, so daß sie es nicht vollbringen konnten. So lagen sie wohl einen Monat lang einander gegenüber und scharmützelten alle Tage. Der Herzog verlor viel Volks und dachte auf etwas anderes; er achtete sorgfältig darauf, wann die Riesen sich zum Mittagsmahle anschickten: da wollte er sie in großer Eile überfallen. So brach er heimlich mit seinem Volke auf und fiel in der Mittagsstunde in das Holz, da sich die Riesen dessen nicht versehen hatten; ihrer viele wurden zu Tod gestochen; ; doch blieb auch auf des Herzogs Seite mancher im Walde liegen, von den Riesen mit Bäumen erschlagen. Dennoch arbeitete Herzog Ernst unter ihnen so, daß sie am Ende weichen mußten. Einige Riesen, die sahen, daß es so übel stand, flohen aus dem Walde in ein weites Feld, aber der Herzog, der dies gewahr wurde, ritt ihnen eilends mit seinem Volke nach, doch waren sie ihm entronnen bis auf einen. Derselbe war gar hart verwundet: da nahm ihn Herzog Ernst mit sich, ließ ihm einen



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Arzt holen und die Wunden verbinden. Als er wiederaufgekommen war, ritt der Herzog mit seinem Kriegsvolk zu dem Könige zurück und wurde von diesem vor allem Volke seiner Mannheit halber gelobt; denn seinesgleichen war nie einer in das Land der Zyklopen gekommen. Aber Herzog Ernst wollte nicht daheimbleiben, sondern nahm seine Genossen mit einigem andern Gefolge und zog weiter.

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Da er nun mancherlei Leute beieinander hatte, gefiel es ihm wohl; er sprach zu seinem Freunde Wetzel: "Lieber Geselle, rate mir nun; ich habe von den Leuten gehört, daß es in Indien ganz kleine Menschen gibt, die in stetem Streite mit den Kranichen liegen. Nun habe ich Lust, solche Menschen auch zu sehen. Darum ziehe mit mir, dann wollen wir noch einige tapfere Männer mit uns nehmen." Graf Wetzel war dies wohl zufrieden. Sie bestiegen alsbald ein Schiff mit Speise und aller Notdurft und fuhren den nächsten Weg nach Indien. Wie sie in das Land gekommen waren, nahmen sie ihre Straße nach den Pygmäen oder dem Zwergvolke. Als diese den Herzog mit seinem Gefolge sahen, erschraken sie vor den großen Leuten, gingen ihnen entgegen und baten sie um Frieden. Da sprach Herzog Ernst: "Wir sind nicht gekommen, den Frieden zu brechen; wir wollen euch vielmehr Frieden machen!"

Darüber wurden die Zwergenvölker froh, und einer fing an und sprach zu dem Herzog: "Wisset, gnädiger Herr, daß uns die Vögel großen Schaden tun; denn wir können vor ihnen am Tage gar nichts arbeiten, sondern müssen es bei Nacht tun!"Indem kam ihr König gegangen, fiel dem Herzoge zu Fuß und empfing ihn mit seiner Ritterschaft gar tugendlich, ließ ihm auch ein gutes Nachtlager bereiten. Mit Tagesanbruch ging Herzog Ernst nebst einigen der Zwerge aus und ließ sie einen Streit mit den Kranichen anfangen. Die Vögel kamen geflogen und stachen mit ihren spitzen Schnäbeln der Kleinen viel zu Tod. Herzog Ernst aber ritt mit etlichen Dienern hinzu, schlug und schoß der Vögel eine solche Menge zusammen, daß das Feld voller Kraniche lag und die Bewohner ein ganzes Jahr von ihrem Fleisch zu essen hatten.

Als Herzog Ernst wieder bei dem Könige war, nach gewonnenem Siege, ließ dieser ihm viel Golds und allerlei Edelsteine vortragen und bat ihn sehr, er möchte nehmen, was ihm gefiele; aber der Herzog wollte nichts davon, sondern bat den König nur, daß er ihm zwei kleine Männlein gebe. Das tat der König mit Freuden und gab ihm zwei Zwerge zu Knechten . Nun beurlaubte sich Herzog Ernst von dem König und fuhr mit seinein



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Volke wieder zu den Arimaspern und hatte die wunderlichen Leute, die er gefangen, die Zwerge und den ungefügen Riesen bei sich. Wenn er sich dann eine Kurzweil machen wollte, ließ er sie miteinander streiten. So hatte er es gut in dem Lande; denn der Zyklopenkönig hatte ihm fünf große Städte und Schlösser geschenkt.

Einmal, als er das Mittagsmahl genommen hatte, ging er zu seiner Lust ein wenig am Meeresgestade mit seinen Dienern spazieren. Wie er sich nun so in der Gegend umsah, da siehet er ein Schiff ans Land kommen. Neugierig ging er hinzu und fragte die Leute, von wannen sie wären. Der Patron sprach: "Wir kommen aus Indien und sind vom Winde hergetrieben worden!" Herzog Ernst fragte sie weiter, welches Glaubens sie wären. Der Patron antwortete, sie glaubten an den eingebornen Sohn Gottes, den Erlöser, und wollten ihn nicht verleugnen; wenn sie auch darüber sterben müßten. Diese Rede gefiel dem Herzog Ernst sehr wohl. Er sprach zu dem Schiffsherrn: "Lieber Schiffsmann, sage mir, hat jenes Land auch Krieg mit einem Könige?"—"Ja", sprach der Patron, "es hat eine Zeitlang schweren Krieg mit dem Sultan in Babylonien gehabt; dieser hat sie des christlichen Glaubens halber bekriegt und so angegriffen, daß er über das halbe Land mit Feuer verwüstet hat; aber jetzt seit einem Jahre hat es mit diesem Könige guten Frieden; doch fürchte ich, er werde bald wiederanfangen, denn ehe wir aus unsrem Lande zogen, ging die Sage, er schicke sich wieder an, in unser Königreich einzufallen!"



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Da sprach Herzog Ernst zu dem Patron, er sollte ohne sein Wissen nicht hinwegfahren; denn er hoffe, wenn es nach seinem Wunsche gehe, auch mitfahren zu können. Dann lud er den Schiffsherrn mit allen den Seinigen zu sich auf das Schloß ein und ließ sie dort aufs beste verpflegen. Als er nun von diesen Mohren alles erfahren hatte, rief er seinen Freund Wetzel samt seinem Kämmerer zu sich und sprach zu ihnen: "Lieben Freunde, was ratet ihr dazu? Sollen wir uns aufmachen und zu diesen Mohren nach Indien ziehen? Denn der dortige Mohrenkönig hat die Christen sehr lieb. Auch wisset ihr wohl, daß wir uns hier nicht recht regen dürfen, obwohl mir der König etliche Landschaften geschenkt hat; soll ich aber deswegen unter den Heiden mein Leben enden? Das will ich nicht tun, selbst nicht, wenn ich wüsste, daß es mir übler gehen sollte, als es mir gegangen ist. Darum, liebe Herren, was ratet ihr dazu?" Sie sprachen, das gefalle ihnen gar wohl, und zeigten sich willig, ihm auf die Reise zu folgen. Jetzt befahl Herzog Ernst seinen Dienern, das Mohrenschiff mit Speise zu versehen; dann nahm er seine wunderbaren Leute, bestieg das Schiff mit Wetzel und seinen andern Rittern samt den Mohren, fuhr ohne Urlaub aus dem Königreiche der Arimasper weg und ließ die Städte, die ihm geschenkt waren, dem Könige liegen.

Ein guter Wind trieb ihr Schiff nach Indien. Wie sie dort angekommen waren, gingen die Mohren sofort zu ihrem König und zeigten ihm an, daß ein mannlicher Held mit ihnen gefahren, ein christgläubiger Mensch; der König ging gleich hinaus an das Meeresgestade und empfing den Herzog Ernst mit großer Achtung; er führte ihn heim und hielt ihn gar herrlich mit seinen Rittern und Dienern. Sie aber blieben eine Zeitlang in gutem Frieden bei dem König. Da kam eines Tags ein Bote von dem Sultan in Babylon, während sie über der Mittagstafel saßen; der sprach zum Könige: "Du, König der Mohren, wisse, daß ich von meinem Herrn zu dir geschickt bin und dir sagen soll: wenn du von deinem Glauben nicht abstehen wirst, so will er dich mit deinem ganzen Lande verderben; darnach richte dich!" Der König hinter dem Tisch erschrak über solche Worte und wußte nicht, was er dem Boten antworten sollte. Aber Herzog Ernst, als ein mutiger Held, sprach zu dem Boten: "Sage deinem König, er solle kommen; wir wollen seiner warten als Kriegsleute!" Und dann sprach er zum Könige: "Gnädiger Herr, was denket Ihr, daß Ihr ein so betrübtes Herz habt? Wisset Ihr nicht, daß Ihr ein Herr und Sultan in Eurem Lande seid? Und wenn Ihr nur zehn Männer hättet, so solltet Ihr Euch nicht fürchten! Tut Ihr ja doch solches um des Worts Gottes



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willen! Er hat durch seinen Sohn gesprochen: ,Was ihr tut und leidet um meines Namens willen, das soll euch tausendfältig vergolten werden!" ' Diese Rede gefiel dem König, er sprach zu Herzog Ernst: "Lieber, Eure Worte, die haben mir mein Herz erquickt; nun will ich es wagen, und sollte mein Königreich darum zu Scheitern gehen; denn der König von Babylon hat mir früher mein Land mit Raub und Brand verwüstet, auch zur See mir großen Schaden getan!"

Der Bote kehrte also zu dem Sultan von Babylonien wieder heim und zeigte ihm an, was er von Herzog Ernst gehört hatte: "Allergnädigster Herr König", sagte er, "ich darf Euch die Worte nicht vorenthalten, die einer der Herren des Königs von Indien, der neben ihm stand, an mich gerichtet hat. Dieser sprach also: ,Sage deinem König, er soll kommen, wir wollen ihm Kriegsleute genug sein! ' und noch mehr schnöder Worte fügte er bei, die ich Euch nicht sagen mag; denn ich fürchte meines Königs Zorn." Diese Botschaft verdroß den Sultan sehr. Von Stund an rief er an hunderttausend Heiden zusammen, fiel dem Könige von Indien in sein Land, verwüstete, was er fand, schlug Männer, Weiber und Kinder tot und vergoß viel unschuldig Blut. Nun zog auch der König von Indien notgedrungen zu Feld und ließ sein Gezelt aufschlagen. Am am dem Tage hieß er sein Volk in aller Frühe aufsein und sich zur Feldschlacht anschicken. Er selbst durchritt seine Heerhaufen, tröstete sie und sprach, sie sollten tapfer wider die Heiden streiten; wenn sie dies nicht täten, so wären sie auf ewig aus ihrem Lande gestoßen. Dazu würde es ihren Weibern und Kindern übel ergehen. Während der König solche Rede hielt, kam Herzog Ernst geritten, den bat der König dringend, das Panier zu tragen, wozu sich Ernst gerne bequemte; denn er hatte sich mit Graf Wetzel wohl gerüstet; ebenso hatte er auch den großen Riesen stets bei sich.

Als nun beide Heere eine gute Zeit in Schlachtordnung einander gegenübergestanden hatten, ritt der König von Babylon auch um seinen Heerhaufen , tröstete sie mit Mahomet und hieß sie beherzt dreinschlagen; denn sie sähen ja, daß der König von Indien nicht viel Volks hätte; darum sollten sie mit Eifer nach dem Panier trachten. Er wußte aber nicht, daß es ein kühner Held trug. Wie man nun zum ersten und andern Mal geblasen hatte, schickte sich ein jeder mit seiner Wehr aufs beste. Als man zum drittenmal zum Angriffe blies, da hub sich ein Spießkrachen an und ein Geschrei, daß man es auf eine Meile hätte hören können. Die Heiden wagten es, dem Herzog das Panier streitig zu machen, aber das wurde



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ihnen übel gelohnt: denn Graf Wetzel stand mit seinen Rittern nahe an demselben und schlug so tapfer unter die Heiden, daß es um ihn her voll von Toten lag. Besonders der Riese, den Herzog Ernst aus Arimaspien mit sich gebracht hatte, der schlug mit seiner Keule so tapfer um sich, daß ihm kein Heide mehr standhalten wollte. Mitten unter diesem grausamen Schlagen von beiden Seiten ritt der König von Indien hinter seine Schlachtreihen, stieg von seinem Pferd und kniete auf die Erde nieder, hub seine Hände gen Himmel auf und flehte zu Gott, daß er ihm den Erlöser zu Hilfe senden, und sein glaubig Volk gegen die Heiden beschirmen möge.

Indessen dauerte das Blutvergießen fort; es floß unter den Toten das Blut dahin wie ein Bach, darin mancher Heide und mancher Mohr ertrinken mußte. Der König von Babylon sah das große Gemetzel um Herzog Ernsts Banner; er jagte in Eile auf ihn zu, als wollte er ihn niederreiten , aber Graf Wetzel unterlief ihn und versetzte ihm mit seinem guten Schwert einen so harten Schlag, daß der Sultan mitsamt dem Rosse zu Boden fiel. Als die andern Heiden das sahen, wollten sie ihrem Könige zu Hilfe kommen, aber der Riese stand mit seiner Keule dabei und schlug unsäglich viele Heiden nieder, so daß ihrer keiner zu dem Könige kommen konnte. Und so nahm diesen Graf Wetzel gefangen. Da



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wurden die Heiden verzagt und fingen an, die Flucht zu ergreifen. Jetzt bekamen die Mohren erst ein Herz, rannten ihnen mit aller Gewalt nach und erstachen ihrer viele auf der Flucht, so daß der Heidenhunde nur wenige davonkamen. Eine ganze Meile Wegs sah man nichts denn Leichname . Als die Mohren sahen, daß sie das Feld behielten, ritten sie zurück nach dem Walplatz, und nun suchte jeder seinen Freund; da fand mancher den seinen tot liegen, ein andrer ihn ohnmächtig. Herzog Ernst aber berief seine Ritter zusammen. Es kamen ihrer nur drei, der vierte blieb aus. Alsbald ließ er unter den Toten suchen so lang, bis sie ihn fanden, und der Leichnam wurde vor Ernst und Wetzel gebracht. Als ihn Herzog Ernst so tot vor sich liegen sah, fing er mit seinem Freund und seinen Dienern bitterlich zu weinen an und sprach: "Oh, du lieber Diener, soll ich dich jetzt so tot vor mir sehen; Gott hatte dich so wunderbar in deinem Leben erhalten, aber weil er dich nicht mehr darin haben will, nun, so nehme er deine Seele in seine Hände!" Also ließ er ihn nach christlicher Ordnung zur Erde bestatten. Dann ritt er mit traurigem Herzen zu dem König von Indien zurück und klagte ihm den Tod seines Dieners; diesen jammerte es auch.

Darauf ging Ernst mit seinem Freunde Wetzel zum König von Babylon und sprach: "Du König der Heiden, warum unterstehest du dich, die Christenheit also zu schwächen, und willst sie von ihrem Glauben abbringen ; das doch der einzig richtige Weg ist, der vor Gott gilts" Der König von Babylonien sprach darauf zu Herzog Ernst: "Du mannlicher Held l Wer magst du doch sein? Fürwahr, großer Schaden ist von deiner Hand meinem Volke geschehen; und wenn du mit deinem Gesellen, der mich gefangen hat, nicht gewesen wärest, so würde ich den Mohrenkönig wohl überwunden haben. Nun aber bin ich ein gefangener Mann."

Da fing Herzog Ernst an und erzählte dem König von Babylon seine ganze Reise, die er vollbracht hatte. Dann ließ er seine wunderlichen Leute vor sich bringen, stellte sie vor den König und sprach: "Diese Menschen habe ich mit meinen Genossen in seltsamen Landen überwunden. Daran, Herr König aus Babylonien, könnet Ihr wohl abnehmen, wie es mir ergangen ist." Und nun meldete er ihm alles von seiner Ausfahrt bis auf diesen Tag. Da sprach der König von Babylon: "Lieber Herr, wenn Ihr mir nicht aus dieser Gefangenschaft helfet, so muß ich all mein Lebtag hier gefangenbleiben. Und komme ich los, so will ich Euch bis nach der Stadt Jerusalem mit meinem Volke begleiten, und Ihr sollt für keine Zehrung zu sorgen haben!"



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Diese Verheißung gefiel Herzog Ernst gar nicht übel, er ging sofort zu dem Mohrenkönig und sprach zu ihm: "Gnädiger König, weil ich Euren großen Feind gefangen habe, deucht es mir, das beste zu sein, daß Ihr von ihm Euch eine Versicherung geben laßt und gebet ihn gegen selbige ledig!" Da sprach der König von Indien: "Nein, der Sultan von Babylon wird nicht so bald ledig aus meinen Banden, sondern er muß den christlichen Glauben annehmen!" über diese Worte erschrak Herzog Ernst und sprach: "Wie wollt Ihr einen dazu zwingend Wisset Ihr nicht, daß man niemand zum Glauben zwingen soll? Wer ihn nicht aus eigenem Willen annehmen mag, den soll man in Ruhe lassen; wie er dann glaubt, so wird er's am Gerichte Gottes empfinden! So wollen wir den König der Heiden darum fragen; Ihr wisset wohl, daß beißige Hunde nicht leicht zu bändigen sind!" Alsbald schickte der König von Indien zu dem von Babylon und hieß ihn zu sich kommen. Dieser gehorchte auf der Stelle. Wie ihn nun die Mohren, die ihn verwahren mußten, brachten, da fragte ihn der König von Indien: "Ihr König von Babylon, Ihr wisset, daß Ihr mein Gefangener seidl Wollt Ihr Euch nun taufen lassen und den Christenglauben annehmen, so möget Ihr Eurer Bande ledig werden. Tut Ihr aber dies nicht, so müßt Ihr Euer Leben lang mein Gefangener bleiben. Darnach habt Ihr Euch zu richten."

Darauf erwiderte der König von Babylonien: "Ich weiß wohl, daß ich Euer Gefangener bin, aber Euren Glauben nehme ich nicht an. Wenn ich mich sonst loskaufen kann, sei es mit Gold oder Silber, soviel Ihr immer verlangen möget, das will ich gerne tun, dazu Euch verheißen, daß Ihr nimmermehr von mir sollt bekriegt werden, solang ich lebe; was ich Euch vom Lande genommen habe, will ich Euch auch zurückgeben." So willige Worte des Heidenkönigs hörte der Mohr nicht ungern, er nahm den Herzog Ernst beiseite und sprach zu ihm: "Was meinet Ihr von solchen Verheißungen?" Herzog Ernst sagte: "Habt Ihr meine vorige Rede nicht behaltens Mein Rat wäre, daß Ihr ihn losgebet und Euch einen Eid schwören lasset, daß er seine Zusage halten wolle; dann will ich mich mit ihm aufmachen und den nächsten Weg nach Jerusalem mit ihm ziehen; denn er hat mir sicher Geleit durch sein ganzes Land zugesagt." Nun traten sie miteinander wieder zum König von Babylon, und der König von Indien zeigte diesem seine Meinung an. Da schwur er vor Gott und den Menschen für sich und seine Nachkommen, alle seine Zusage halten und das Königreich der Mohren nimmermehr mit Krieg anzufechten.

Das alles gefiel dem König von Indien gar wohl, doch war er sehr betrübt;



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daß Herzog Ernst von ihm scheiden wollte; er redete ihm auf das allerfreundlichste zu, daß er doch bei ihm bleiben möchte; er wollte ihm sein halbes Königreich geben. Aber der Herzog schlug es ihm ab. Der babylonische König, nachdem er dem Könige von Indien geschworen hatte, nahm nun mit Herzog Ernst Urlaub von dem Mohrenfürsten. Dieser segnete den Herzog und sprach: "Liebster Freund, ich bitte Euch aufs ernstlichste, wann Ihr ja nicht bleiben wollet, daß Ihr doch wenigstens Eurer Diener einen bei mir lasset." Aber auch diese Bitte schlug ihm Herzog Ernst unter vielem Dank ab und ritt mit großen Freuden samt dem Sultan von Babylon in sein Land.

Wie sie nun zwei bis drei Tagreisen landeinwärts gekommen waren, wurden viele heidnische Herren die Wiederkunft ihres Königs gewahr, ritten ihm mit viel Volks entgegen und empfingen ihn herrlich samt Herzog Ernst und Graf Wetzel: auch verwunderten sie sich über die seltsamen Geschöpfe Gottes, die Herzog Ernst mit sich aus den Ländern genommen. Nun zogen sie weiter unter mancherlei Kurzweil, bis sie in die schöne Stadt Babylon kamen. Daselbst blieb Herzog Ernst drei Wochen und besah die Stadt mit aller Aufmerksamkeit; dann beauftragte er seinen Freund Wetzel, alles zur Reise vorzubereiten; denn er wollte aufbrechen und seinen Weg gen Jerusalem nehmen. Und nun ging er zum Sultan und verabschiedete



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sich von ihm, was diesem gar leid tat; denn wiewohl er kein Christ war, so gefiel ihm doch Herzog Ernsts Tapferkeit wohl, und er sprach zu ihm: "Weil Euer Bleiben nicht länger bei mir sein soll, so danke ich Euch aufs höflichste; denn wenn Ihr nicht gewesen wäret, so hätte ich müssen ein gefangener Mann bleiben, solange mein Leben gewährt hätte. Nun aber bin ich durch Eure Bitte losgeworden. Dagegen habe ich Euch verheißen, Euch mit meinem Volke bis zur Stadt Jerusalem zu geleiten." Hiermit ließ er ihm viel Gold und Silber bringen und schenkte ihm mancherlei Kleinode. Diese Schenkung nahm Herzog Ernst mit großem Dank an und bat den König um zweitausend Heiden mit ihren besten Wehren. Als dies geschehen, nahm Herzog Ernst Urlaub von seinem Wirte und ritt mit seinen Dienern auf Jerusalem zu. Aber der König befahl insonderheit seinen Kriegsleuten, daß sie auf Herzog Ernst Achtung haben sollten. Dies taten sie und ritten eine lange Zeit, bis sie nahe bei Jerusalem waren ; da sprachen die Heiden zu ihm: "Ihr wisset, liebster Herr, daß wir jetzt von Euch scheiden müssen; denn nun seid Ihr in der Christenheit, da dürfen wir nicht hinein; denn sonst schlügen sie uns alle tot. Darum begehren wir jetzt einen freundlichen Abschied von Euch!"

Da Herzog Ernst sah, daß sie nicht länger mitziehen durften, dankte er ihnen herzlich für die Ehre, die sie ihm erwiesen hatten. So schieden sie voneinander, dann ritt Herzog Ernst der Stadt zu. Als er nun hart davor war, schickte er seine wunderlichen Leute mit einem Diener vor ihm her und behielt nur den Riesen mit seiner großen Stange bei sich. Wie der Diener mit den seltsamen Geschöpfen durch die Stadt Jerusalem zog, erschrak das Volk sehr, lief dem Diener zu und besah die wunderlichen Leute. Nun wurde die Straße so voll von Pilgern, daß niemand zu dem Hause kommen konnte, in das der Diener zur Herberge gezogen war. Indem ritt Herzog Ernst mit seinem Freunde herrlich in die Stadt ein, nebst dem Riesen und zwei Dienern. Als er nun in die Straße kam, sah er viel Volks stehen, so daß er nicht wohl zur Herberge gelangen konnte. Da bat er den Riesen, Platz zu machen mit seiner Keule, was dieser auch unverzüglich tat, indem er durch das Volk mit vieler Mühe drang, bis sie in die Herberge kamen. Herzog Ernst hieß das Volk unter die Fenster stehen, damit er und seine Gesellen genug von jedermann gesehen würden. Als nun die Pilger hörten, daß es Herzog Ernst sei, zeigten sie das ihrem Könige an, der solcher Märe froh war und ihn mit großer Freude empfing.

Nachdem sich das Getümmel des Volks ein wenig verlaufen hatte, gingen einige vornehme Pilger, die Herzog Ernst kannten, dem König



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von Jerusalem und zeigten ihm an, wie dieser Herr mit seltsamen Menschen gekommen wäre, und wie er eine so große Wallfahrt vollbracht habe, auch seine Genossen fast alle auf dem ungestümen Meer umgekommen seien, bis auf sein eigen Schiff, auf dem er allein mit wenigen Dienern davongekommen. Der König hörte diese Kunde ausnehmend gern, ging alsobald zu Herzog Ernst in die Stadt, empfing ihn voll Hochachtung und führte ihn mit sich heim in seinen königlichen Palast. Hier fragte er den Helden nach allem, was ihm widerfahren sei. Herzog Ernst erzählte ihm seine ganze Geschichte, und der König verwunderte sich über die Maßen.

Nun kam die Zeit, daß sie mit großen Freuden das Mittagsmahl nahmen; darauf gingen sie zum Heiligen Grab, darin unser Herr Christus geruht hat. Daselbst fiel Herzog Ernst auf seine Knie, dankte Gott und sprach: "Oh, du barmherziger Gott, du hast mich wunderbar erhalten und mir deinen lieben Sohn mehr als einmal geschickt, der mich gestärkt und erhalten hat bis auf diese Stunde. Darum sage ich dir Lob, Ehre und Dank bis in Ewigkeit!" Nach diesem Gebete zog er mit dem Könige wieder in seinen Palast und blieb eine lange Zeit zu Jerusalem.



***
Wie nun Herzog Ernst ein halbes Jahr zu Jerusalem gewesen war; kamen dahin zween Pilger, die kannten den Herzog wohl, und als sie die Fahrt vollbracht hatten und wieder heimkamen, gingen sie zu dem Kaiser Otto und zeigten ihm an, daß sein Sohn, Herzog Ernst, zu Jerusalem sei und viele wunderliche Leute aus seltsamen Ländern mit sich gebracht habe. Darüber wunderte sich der Kaiser sehr und gab den Pilgern große Geschenke . Dann ging er zu seinem Gemahl, der Kaiserin, und sprach: "Liebe Frau, ich will Euch eine Märe sagen! Euer Sohn, Herzog Ernst; ist zu Jerusalem und ist ganz grau geworden." Vor solchen Worten erschrak die Kaiserin vor Freuden und sprach zu dem Kaiser: "Fürwahr, mein gnädiger Herr, die grauen Haare, die er hat, die kommen ihm nicht von kleinem Unglück; denn er hat manchen großen Schaden in seinem Leben leiden müssen!"

Herzog Ernst hatte nun ein ganzes Jahr zu Jerusalem verweilt, da sprach er einsmals zu dem König: "Gnädiger Herr, ich begehre einen freundlichen Abschied von Euch; denn es ist nunmehr Zeit, mein Vaterland zu besuchen." Der König erschrak über dieser Rede; denn er meinte, der gute Herzog sollte sein Leben zu Jerusalem endigen. Doch weil das nicht sein konnte, ließ er ihm zwei große Schiffe mit aller Beigehör zubereiten. Darauf verabschiedete sich Herzog Ernst von dem König zu



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Jerusalem, und fuhr mit seinem Volk nach Frankreich; auch viele andere fuhren mit ihm. Sie kamen mit gutem Wind an die Küste und von da glücklich in Paris an. Nachdem sie zwei Tage in der Stadt gewesen, wurde einer seiner wunderlichen Männer, den er aus dem Arimasperlande mitgebracht hatte, krank. Es war einer der Sciapoden, der einen so großen Fuß hatte, daß er sich vor den Sonnenstrahlen damit bedecken konnte. Dieser starb zu Paris. Herzog Ernst war darüber sehr bekümmert und sprach zu Graf Wetzel: "Mich dünkt's, lieber Freund, wir wollen wieder auf die See und nach Rom schiffen und diese Stadt auch besuchen. Dann wollen wir zusehen, wie wir nach Deutschland kommen!"

So fuhren sie nach Rom in kurzer Zeit und wurden hier mit ihrem Gefolge schön empfangen. Alle Leute verwunderten sich über die seltsamen Menschen, die der Herzog mit sich führte und die er alle Tage auf den Straßen herumführen ließ, damit sie jedermann genau besehen konnte. Dann ging er zum Papst und bat ihn, da er mit etlichen hohen Herren seinen Vater, den Kaiser Otto, besuchen möchte, er für ihn bitten möge ob der Kaiser ihn doch wieder zu Gnaden annehmen wollte. Aber der Papst schlug ihm diese Bitte ab, weil er eben nicht in Einigkeit mit dem König lebte.

Nun war Herzog Ernst wohl acht Tage zu Rom gewesen, und nachdem er alle Merkwürdigkeiten der Stadt genau besehen hatte, ging er mit dem Grafen Wetzel zu Rat und sprach zu ihm: "Oh, mein allerliebster Freund, wir wollen uns aufmachen und nach unserem Vaterlande ziehen; denn du weißt ja, daß wir mancherlei Gefahren hin und wieder ausgestanden haben und in großen Ängsten um Leib und Leben gewesen sind. Dennoch sind wir durch Gottes Hilfe daraus gekommen. Jetzt aber will es mich bedünken, daß ich allererst in das größte Elend kommen werde; denn mein Vater wird von seinem grimmigen Zorne wider mich noch nicht gelassen haben, obwohl ich unschuldig daran bin. Darum bitte ich dich, lieber Freund, um einen getreuen Rat; wie ich mich hierin verhalten soll." Da sprach Graf Wetzel: "Lieber Herr und Freund, ich sehe wohl, daß es uns jetzt übler gehen dürfte, als es uns bisher auf unsrer gangen Fahrt gegangen ist. Doch bitte ich Euch, Ihr wollet mir diesmal folgen. Ihr habt doch von unserm Wirte gehört, daß der Kaiser Otto einen Reichstag zu Nürnberg mit seinen Fürsten und Herren halten will. Darum lasset uns aufsitzen, daß wir bald dahinkommen; dann wollen wir unsere Leute heimlich auf einem Wagen hinaufführen lassen, damit der Kaiser unsere Ankunft nicht gewahr wird. Wer weiß, was für ein Mittel uns Gott inzwischen schickt! Ihr sehet ja, daß wir vom Papst keine Hilfe haben!"



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Dies gefiel Herzog Ernst, und er sprach zu ihm: "Noch den heutigen Tag wollen wir uns hinwegmachen!" Und das taten sie auch. Nach dem Mittagessen ließ Herzog Ernst zwei große gedeckte Wagen zurichten und kaufte für jeden derselben vier Pferde; nahm noch zwei Knechte an, verbot ihnen aber, jemand zu sagen, was auf den Wagen sei: und nun ritt Herzog Ernst mit seinem Freunde Wetzel aus der Stadt Rom, und sie ließen die Diener hinter sich nachreiten, die soviel Unglück mit ihnen erlitten hatten; die zwei Wagen fuhren hintennach. Wo sie in eine Herberge kamen, gebot Herzog Ernst dem Wirt, daß er niemand etwas von den wunderlichen Leuten sagen sollte, die er mit sich führte. Aber der Riese lief stets neben ihm her; wo er in eine Stadt kam. wer dessen Größe staunten die Leute sehr. Und so ritt Herzog Ernst mit den Seinigen in die Stadt Nürnberg, wo sie kein Mensch kannte; auch hielten sie sich mit ihrem Gefolge ganz heimlich in der Stadt auf.

Später kam auch der Kaiser mit seiner Gemahlin und allen seinen Herren in die Stadt. Nun war es an einem Christtage zu Morgen, daß jedermann in die Kirche ging. Die Kaiserin war auch hineingefahren mit etlichen Jungfrauen; das wurde Herzog Ernst gewahr, er sprach deswegen zu seinem Gesellen, Grafen Wetzel: "Was rätst du mir? Jetzt ist meine Mutter die Kaiserin, in der Kirche; ich dürfte wohl hineingehen und mich ihr zu erkennen geben; dann will ich mich gegen sie anstellen wie ein Bettler, der ein Almosen begehrt." Das billigte Wetzel, und nun begaben sie sich miteinander zu der Kirche. Da ging Herzog Ernst von Stund an durch das Volk zu der Kaiserin, seiner Mutter, und als er vor sie kam, grüßte er sie freundlich und sprach: "Gebet mir doch ein Almosen um Christi willen, von wegen Eures Sohnes Ernst!" Da sprach die Kaiserin: "Ach, lieber Freund, meinen Sohn hab ' ich lange Zeit nicht gesehen. Wollte Gott; daß er noch am Leben wäre, ich würde Euch ein gutes Botenbrot geben!" Schnell sprach Herzog Ernst: "Gnädige Frau, gebt mir das Botenbrot; dann will ich mich wieder von hinnen machen; denn ich bin einmal in Ungnade bei meinem Vater und kann nicht wieder zu Gnaden kommen!" Die Kaiserin sagte: "So seid Ihr selbst mein Sohn Ernst!" Da entgegnete Herzog Ernst: "Mutter, ich bin Euer Sohn; darum helfet mir, daß ich wieder zu Gnaden kommen möget" Wie nun die Kaiserin inneward, daß ihr Sohn wieder in das Land gekommen war, so sprach sie zu ihm: "Oh, du mein geliebter Sohn, da wir nicht Zeit haben, jetzt miteinander zu reden, so will ich dir einen Weg anzeigen, wie du bei deinem Vater Gnade erwerben kannst. Ich rate dir, daß du morgen kommest,



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wann der Bischof von Bamberg das Evangelium gesungen hat, und mit deinem Freunde, Grafen Wetzel, dem Kaiser zu Fuße fallest und ihn bittest , dir um Christi willen zu verzeihen; dann will ich heute den Bischof und andere Herren ersuchen, daß sie sich bei deinem Vater für dich mit einem Fußfall verwenden. So hoffe ich, daß sich des Kaisers Herz erweichen werde."

Herzog Ernst nahm mit großem Trost im Herzen Abschied von seiner Mutter, ging wieder zu seinem Genossen Wetzel und erzählte ihm alles. Der ward von Herzen erfreut, und nun gingen sie zusammen in die Herberge und harrten auf den andern Tag. Als aber die Kaiserin aus der Kirche heimgekommen war, schickte sie sogleich nach dem Bischof von Bamberg . Dieser kam, und sie führte ihn in ihr Kämmerlein und bat ihn mit weinenden Augen, daß er ihr doch eine Bitte gewähren wollte. Das verhieß er ihr gerne, und sie sprach zu ihm: "Wisset; lieber Herr daß mein Sohn Ernst bei mir in der Kirche gewesen ist und hat sich gegen mich wegen des Kaisers Ungnade beklagt, wie Ihr ja selber wisset, daß er unschuldig ist. Darum bitte ich Euch, wenn Ihr morgen das Evangelium gesungen habt; so wollet hernach ein klein wenig stillhalten; dann wird mein Sohn kommen und einen Fußfall vor dem Kaiser tun und ihn um Gnade bitten: nun seid treulich gebeten, solches etlichen Fürsten und Herren anzuzeigen, damit auch sie ihm Gnade erwerben helfen." Diese klägliche Rede der Kaiserin erbarmte den Bischof sehr; er versprach ihr, alles zu tun, und beurlaubte sich. Dann ging er zu vielen Fürsten und Herren und meldete ihnen der Kaiserin Begehren; die verhießen ihm willig, das Ihrige zu tun.

Herzog Ernst hatte mit großem Verlangen auf den andern Tag gewartet ; endlich war der Kaiser mit seinen Herren in die Kirche gegangen. Da machten sich Ernst und Wetzel auf, zogen miteinander in die Kirche und ließen ihre Diener von feme nachgehen. Als sie eingetreten, stand Herzog Ernst bei der Türe still; Graf Wetzel trat hinter den Altar und wartete der Zeit; denn wenn der Kaiser seinen Sohn nicht begnadigt haben würde und ihn wieder zum Gefängnis verurteilt, so hätte er ihn erstochen.

Da saß der Kaiser auf seinem Stuhl ganz herrlich und die Kaiserin neben ihm. Der Bischof von Bamberg fing an, das Evangelium mit lauter Stimme zu singen. Wie das Amt aus war, verzog er mit der Predigt, wie es alles von der Kaiserin verabredet war. Nun ging Herzog Ernst mit großem Mut vor den Kaiser, seinen Vater, hatte seinen Mantel um sein Angesicht geschlagen, fiel vor ihm nieder auf seine Knie, neigte sein



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Haupt dreimal gegen ihn und sprach: "Allergnädigster Herr und Kaiser, bitte Eure Majestät, daß Ihr einem Sünder verzeihen wollet; der vor langer Zeit sich wider Euch vergangen hat, aber Gott weiß doch wohl, daß er in der Hauptsache unschuldig ist!"

Der Kaiser hörte die Bitte an und sprach zu ihm: "Je nachdem die Üeltat ist, wegen der du dich entschuldigst, so kann ich dir verzeihen!" Da stund die Kaiserin von ihrem Stuhle auf und sprach: "Gnädiger Herr, vergebet diesem Menschen, weil er Euch an einem hohen Feste so inständig bittet!" Desgleichen kam der Bischof von Bamberg mit vielen Fürsten und Herren; der bat auch und sprach: "Liebster Herr und Kaiser!



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Ihr sollt diesem annen Menschen vergeben; denn Ihr wisset wohl, es ist vor Gott kein Sünder so groß: wenn er rechte Reue über seine Sünden hat; so werden sie ihm verziehen!" Da sprach der Kaiser: "Sie sollen ihm verziehen sein; doch will ich wissen, wer er ist!"

Nun warf Herzog Ernst den Mantel von seinem Angesicht zurück, und der Kaiser erkannte ihn erst und entfärbte sich in seinem Angesicht vor Zorn. Herzog Ernst sah das, erschrak sehr und winkte seinem Gesellen Wetzel am Altar, daß er Achtung haben sollte, wenn er ihn gefangenführen lassen wollte. Aber der Kaiser, der sah, daß alle Herren so eifrige Bitte für seinen Sohn einlegten, sprach: "Lieber Sohn, wo ist denn dein Freund, Graf Wetzel, hingekommen?" Da sprach Herzog Ernst: "Dort bei dem Altar steht erl" Damit rief er ihn, und Wetzel kam mit großen Freuden gegangen, und der Kaiser gab ihnen den Kuß des Friedens. Darüber war die Kaiserin sehr erfreut. So blieben sie in der Kirche, bis das Evangelium von dem Bischof von Bamberg ausgelegt war. Dann gingen sie mit großen Freuden heim, und jedermänniglich verwunderte sich.

Hierauf wurde das Mittagsmahl unter vieler Ergötzung und allerhand erfreulichen Gesprächen eingenommen. Herzog Ernst fing unter anderm an und sprach: "Lieber Vater, ich bitte in Untertänigkeit, daß Ihr mir doch sagen wollet; warum Ihr mich also aus meinem Lande vertrieben habt; und ich habe Euch doch in keiner Sache etwas zum Verdruß getan!" Da sprach der Kaiser: "Lieber Sohn, ich will dir nicht verhehlen, warum ich dieses getan habe. Der Pfalzgraf Heinrich kam einmal zu mir in meinen Saal und sprach zu mir: ,Wisset, gnädiger Herr, es ist meine Schuldigkeit; Euch vor Schaden zu warnen; denn Euer Sohn Ernst hat sich bet mehreren Herren vernehmen lassen, wenn er allein zu seinem Vater käme, wolle er ihn erstechen, damit er das Reich allein bekäme. ' Der Pfalzgraf beteuerte, er selbst habe dieses aus deinem Munde gehört; er überredete mich dermaßen, daß kein Mensch den Zorn, den ich über dich hatte mir hätte ausreden können; darum schickte ich Kriegsleute gegen dich und wollte dich vertreiben lassen: die schlugest du alle tot; dann, wie ich auf dem Reichstage zu Speyer war, kamst du in meine Kammer und stachest den Pfalzgrafen an meiner Seite tot, und wenn ich nicht in meine Kapelle entflohen wäre, ich glaube, du hättest mich auch erstochen! Da ward ich noch mehr von Zorn gegen dich bewegt und vertrieb dich ganz aus dem Lande." Darauf sprach Herzog Ernst: "So wahr Gott lebt, gnädiger Herr Vater, ich habe nie mit einem Wort wider Euch geredet; sondern als ich erfuhr, daß Euch der Pfalzgraf so schändlich belogen hatte, da had ' ich



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ihn getötet." Der Kaiser verwunderte sich nicht wenig über des Pfalzgrafen Verräterei. Dann schickte Herzog Ernst, als die Mahlzeit vorüber war, einen seiner Diener in die Herberge und sprach zu ihm: "Bring das wunderliche Volk hieher, das ich mitgebracht habe!" Das tat der Diener. Wie er sie aber über die Straße brachte, lief alles Volk ihnen nach, und der Riese hatte sich genug zu wehren. Als sie in dem Saal waren, schob man die Riegel vor, sonst wäre das Volk nachgedrungen; so neugierig war es, sie zu schauen.

Dann sagte Herzog Ernst: "Lieber Vater; diese Leute hier habe ich dem Könige der Arimasper ganz untertan gemacht; der Mensch mit dem einen Auge aber ist in jenem Königreiche zu Hause. Nun möget Ihr wohl schließen, wie mancherlei Gefahr ich ausgestanden habe. Einer von den Leuten, der nur einen einzigen gar breiten Fuß hatte, ist mir in Paris gestorben. Einen Agrippiner konnte ich nicht mitbringen, deren König habe ich erstochen; diese Leute haben Kopf und Hals wie Kraniche und besitzen ein großes Königreich. Von diesen schifften wir weiter und kamen an den Magnetberg, da ging unser Schiff zu Stücken, und sieben von uns retteten sich auf ein anderes Schiff. Dort nähten wir uns in Ochsenhäute, und der Greif trug uns ans Land in sein Nest. Gott half uns in einem Walde zueinander, da befuhren wir auf einem Floß im tiefen Grund ein Wasser und fuhren durch einen großen Berg und kamen an leuchtendem Gesteine vorüber; von dem hab ' ich dies Stück abgeschlagen." Damit zog Herzog Ernst den Karfunkel heraus und gab ihn seinem Vater. Dann erzählte er noch weiter alle seine Abenteuer.

Der Kaiser konnte des Staunens gar nicht müde werden. Endlich sprach er zu Herzog Ernst: "Mein lieber Sohn, weil du so vielfältig versucht worden bist, so verheiße ich dir hier vor allen diesen Herren, daß du all dein Land wiederhaben sollst; und noch mehr Städte will ich dir dazu schenken!" Das tat der Kaiser auch. Alles schied fröhlich voneinander. Die Kaiserin lobte Gott in ihrem Herzen; Herzog Ernst mit seinem treuen Freunde, dem Grafen Wetzel, ritt in sein Land, und ließ das Volk, das ihn mit Freuden empfing, sich huldigen. So saß und regierte er dort in guter Nuh. Der Kaiser aber zog gen Speyer auf den Reichstag, blieb lange Zeit daselbst und hielt einen köstlichen Hof, weil sein Sohn in das Land gekommen war. Die Kaiserin aber, Herzog Ernsts Mutter, bestellte Bauleute zu Salza und ließ Gott zu Danke ein herrlich Münster aufrichten, in welchem sie auch nach ihrem Tode begraben worden ist.



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Doktor Faustus

Mit Bildern von Joseph Manes



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I.

Johannes Faustus, der weitberühmte Schwarzkünstler, ward geboren in der Grafschaft Anhalt; und haben seine Eltern gewohnt in dem Markt oder Flecken Sondwedel: die waren arme fromme Bauersleute. Er hatte aber einen reichen Vetter zu Wittenberg, welcher seines Vaters Bruder war; derselbe hatte keine Leibeserben, darum er denn diesen jungen Faustus , welchen er wegen seines fähigen Geistes herzlich liebgewonnen hatte, an Kindes Statt auferzog und zur Schule fleißig anhielt; worauf dieser mit zunehmendem Alter von ihm auf die Hohe Schule zu Ingolstadt geschickt worden. Hier tat sich der junge Faustus in Künsten und Wissenschaften trefflich hervor, so daß er in der Prüfung eilf andern Meistern der freien Künste vorangesetzt und selbst mit dem Magisterkäppchen geschmückt wurde.

Damals aber, da das alte päpstliche Wesen noch überall im Schwange ging, und man hin und wieder viel Segensprechen; Geisterbeschwören, Teufelsbannen und ander abergläubisches Tun trieb, beliebte auch solches dem Faustus überaus. Weil er denn zu böser und gleichgesinnter Gesellschaft , ja unter solche Bursche geriet, welche mit dergleichen abergläubischen Zeichenschriften umgingen, die Studien aber auf die Seite setzten, ward er gar bald und leicht verführt. Zu diesem kam noch, daß er sich zu den damals umschweifenden Zigeunern fleißig hielt und von ihnen die Chiromantie, wie man nämlich aus den Händen wahrsagen möge, erlernte: dazu in allerlei Zauberkünste, wo er nur Gelegenheit fand, sich einweihen ließ.

Als er nun in diese Dinge ganz versunken war und sich also den Teufel gar einnehmen ließ, fiel er von der Theologie ab, legte sich mit Fleiß auf die Arzneikunst, erforschte den Himmelslauf, lernte den Leuten, was sie von ihrer Geburtszeit an für Glück und Unglück erleben sollen, verkündigen und wußte mit Kalenders und Almanach -Rechnung wohl umzugehen. Endlich kam er gar auf die Beschwörungen der Geister, welchen er dergestalt nachgrübelte und darin dermaßen zunahm, daß er zuletzt ein ausgemachter Teufelsbeschwörer wurde. Bei seinen Eltern und seinem Vetter wußte er sich indessen recht schlau zu rechtfertigen, brachte auch von



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der Universität zu Ingolstadt ein gutes Zeugnis mit, und so war ihm denn der wohlhabende und gutmütige Vetter selbst behilflich, daß er nach dreien Jahren Doktor in der Medizin werden konnte.

***
Seit nun Doktor Faustus solchem teufelischen Wesen sich so gar ergeben, vergaß er dabei Gottes und seines Worts: und weil er durch den Tod seines Vetters zu Wittenberg zu einem schönen Erbe gelangte, so fand er daselbst bald Gesellschaft seinesgleichen, war nicht mehr viel nüchtern, wurde vielmehr zu allem unlustig und verdrießig. Und obwohl, weil die Barschaft des Vetters bei täglichem Fressen, Saufen und Spielen in Abnahme geriet, er sich in etwas der Gesellschaft entschlug, so ward er doch darum bei solchem Müßiggang nicht viel besser, sondern trachtete nur stets, wie er andere Gesellschaft, nämlich der Teufel und bösen Geister Kundschaft und durch solcher Hilfe zeitliche Freude und tägliches Wohlleben möchte überkommen; weswegen er hin und wieder bei leichtfertigen Leuten allerhand teuflische Bücher, abergläubische Charaktere, gottesvergessene Beschwörungen zusammenraffte, zum öftern abschrieb und sich vorsätzlich darin übte. Unter solchem Studium fand er denn nicht nur, daß er selbst mit einem hochfliegenden und herrlichen Geiste begabt sei, sondern auch, daß die Geister eine besondere Zuneigung zu ihm hatten. In dieser Meinung wurde er noch mehr bekräftigt, als er etlichemal nacheinander in seiner Stube einen seltsamen Schatten an der Wand vorüberfahren, auch darauf oftmals, wenn er aus seiner Schlafkammer bei Nacht blickte, viel Lichter hin und wider bis an seine Bettstatt gleichsam fliegen sah und zugleich dabei Laute vernahm, als ob Menschen miteinander leise redeten; dessen er sich denn höchlich erfreuete und in den Stimmen Geister und Gespenster erkannte, jedoch noch nicht soviel Mut hatte, dieselben anzusprechen.


***
Als nun Doktor Faustus in seiner teuflischen Kunst erlernt und studieret, soviel ihm dienlich sein würde, dasjenige zu überkommen, was er lang zuvor begehret hatte: siehe, da geht er einst an einem heitern Tage aus der Stadt Wittenberg, um einen bequemen und gelegenen Ort zu finden, wo er füglich seine Teufelsbeschwörungen ins Werk setzen möchte, und findet auch endlich, ungefähr einer halben Meile Wegs von der Stadt gelegen, einen Wegscheid, welcher fünf Ausfahrten hatte, dabei auch groß und breit und also ein erwünschter Ort war. Hier verblieb er den ganzen Nachmittag, und nachdem der Abend herbeigekommen und er gesehen, dast keine


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Fuhre mehr oder jemand anders durchging, nahm er einen Reif, wie die Küfer oder Büttner haben, machte daran viel wunderseltsame Charaktere und setzte daneben noch zween andere Zirkel oder Kreise. Und da er solches alles nach Ausweisung der Nekromantie bestermaßen angestellt hatte, ging er in den Wald, der allernächst dabei gelegen war, der Spessartwald genannt , und erwartete mit Verlangen die Mitternachtszeit, wo der Mond sein volles Licht haben würde: kaum aber ist die Zeit herbeigekommen, so beschwört er gleich zum Anfang, in den mittlern Reif tretend, unter Verlästerung des göttlichen Namens, den Teufel zum ersten und andern und dritten Mal.

Kaum waren die Worte recht ausgeredet, da sah er alsobald, während der Mond schon hell schien, eine feurige Kugel anherkommen, die ging dem Kreise zu mit solchem Knallen, gleich als ob eine Muskete wäre losgebrannt worden, fuhr aber gleich darauf mit einem feurigen Strahl in die Luft, ob welchem allen denn der Doktor Faustus sehr erschrak, so daß er auch aus dem Kreise laufen wollte. Weil er jedoch, dem Reif entwichen, nicht mehr lebendig heimzukommen hoffte, so faßte er sich wieder einen Mut und beschwur den Teufel von neuem auf obige Weise; aber da wollte sich nichts mehr regen noch ein Teufel sehen lassen. Er nahm derhalb eine härtere Beschwörung zur Hand. Alsbald entstand im Wald ein



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solcher ungestümer Wind und solches Brausen, daß es das Ansehen hatte, als ob alles zugrunde gehen wollte: kurz darauf rannten etliche Wagen, mit Rossen bespannt, bei dem Reif in einem Nasen vorbei und machten einen solchen Staub, daß Faustus, bei dem hellen Mondenscheine, nichts sehen konnte. Da endlich, obwohl Doktor Faust, wie leicht zu glauben, so erschrocken und verzagt war, daß er schier auf seinen Füßen nicht mehr stehen konnte und wohl mehr als hundertmal wünschte, daß er hundert Meilen Wegs von da wäre, sah er wider alles Verhoffen, gleich als unter einem Schatten, ein Gespenst oder einen Geist um den Kreis herumwandern. Mutig beschwor er den Geist, er sollte sich erklären, ob er ihm dienen wollte oder nicht; er sollte nur frei reden. Der Geist gab bald zur Antwort, er wolle ihm dienen, jedoch mit diesem Bedinge, daß, so er anders etlichen Artikeln nachkommen wolle, welche er ihm vorhalten werde, er die Zeit seines Lebens nicht von ihm scheiden werde. Doktor Faustus vergaß auf dieses all seines vorigen Leides und empfundenen Schreckens und war in seinem Gemüte recht fröhlich und zufrieden, daß er endlich nach so vielen Sorgen dasjenige überkommen sollte, wornach sein Herz so lange Zeit verlanget hatte; daher sprach er getrost zu dem Geist: "Wohlan, dieweil du mir dienen willst, so beschwöre ich dich nochmals zum ersten, andern und dritten Mal, daß du morgen in meiner Behausung erscheinen sollest; allwo wir denn von allem dem, was ich und du zu tun haben, zur Genüge reden und handeln wollen." Dieses sagte der Geist dem Doktor Faustus zu: alsobald zertrat dieser den Zirkel mit Füßen, ging mit Freuden heraus, eilte der Stadtpforte zu und erwartete mit sehnlichem Verlangen den bald ankommenden Tag.

***
Nun saß er unter tausenderlei verwirrten Gedanken in seinem Stüblein. Eine, zwei und mehr Stunden laufen vorbei, der Geist will doch nicht erscheinen; hinter, vor und neben sich forschet ohne Unterlaß Doktor Faustus , ob er noch nichts erblicken möge; aber alles vergebens, so daß er sich schon des Geistes und seiner Erscheinung vezeihen wollte: endlich, da ersiehet er zur Mittagszeit etwas nahe bei dem Ofen gleich als einen Schatten hergehen, und dünkte ihm doch, es wäre ein Mensch; bald aber sieht er denselben auf eine andere Weise; daher er denn zur Stunde seine Beschwörung aufs neue anfing und den Geist beschwor, er sollte sich recht sehen lassen. Da ist alsobald der Geist hinter den Ofen gewandert und hat den Kopf als ein Mensch hervorgesteckt, sich sichtbarlich sehen lassen und vor dem Doktor Faustus sich wieder und wieder gebücket und seine Reverenz


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gemacht. Nach einigem Bedenken begehrte Faust, der Geist sollte hervorgehen und ihm, seinem Versprechen nach, die Punkte vorhalten, unter deren Beding er ihm dienen wolle. Der Geist schlug ihm solches anfangs ab und meinte, er sei so gar weit nicht von ihm, er könne dennoch mit ihm von allerhand nötigen Dingen Unterredung pflegen. Da ereiferte sich Faustus und wollte aufs neue seine Verschwörung anfangen und ihm noch härter zusetzen; das aber war dem Geist nicht gelegen, und so ging er hinter dem Ofen hervor. Da sah nun Faust mehr, als ihm lieb war; denn die Stube ward in einem Augenblick voller Feuerflammen, die sich hin und wieder ausbreiteten; der Geist hatte zwar einen natürlichen Menschenkopf, aber sein ganzer Leib war gar zotticht, gleich als eines Bären, und mit feurigen Augen blickte er Faustum an, worüber dieser sehr erschrak und ihm befahl, er sollte sich wieder hinter den Ofen ducken, wie er auch tat. Darauf fragte ihn Doktor Faustus, ob er sich nicht anders denn in einer so abscheulichen und greulichen Gestalt zeigen könnte. Der Geist antwortete: "Nein"; denn, sagte er, er wäre kein Diener, sondern ein Fürst unter den Geistern; wenn er ihm dasjenige leisten und halten wolle, was er ihm vorhalten werde, so wolle er ihm einen Geist zuschicken, der ihm bis an sein Ende dienen werde und nicht von ihm weichen, ja in allem und jedem willfahren, was nur seinem Herzen würde belieben zu wünschen und zu begehren.

Auf solchen Vorschlag des Satans antwortete Faust; er solle ihm nur sein Verlangen eröffnen und vorhalten. Der Teufel spricht: "So schreibe sie denn von Wort zu Worten auf und gib alsdann richtigen Bescheid, es wird dich nicht gereuen! Ich will dir hiermit fünf Artikel vorschreiben: nimmst du sie an, wohl und gut; wo aber nicht, sollst du mich hinfüro nicht mehr zwingen zu erscheinen, wenn du auch gleich alle deine Kunst zu Rate ziehen würdest." Also nahm Doktor Faustus seine Feder zur Hand und verzeichnete, wie folgt:

1. Er soll Gott und allem himmlischen Heer absagen.

2. Er soll aller Menschen Feind sein, und sonderlich derjenigen, so ihn seines bösen Lebens wegen würden strafen wollen.

3. Den Pfaffen und geistlichen Personen soll er nicht gehorchen, sondern sie anfeinden.

4. Zu keiner Kirche gehen, die Predigten nicht besuchen, auch die Sakramente nicht gebrauchen.

5. Den Ehestand hassen, sich in denselben nicht einlassen, nie verehelichen.



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Wenn er diese fünf Artikel wolle annehmen, so solle er sie zur Bestätigung mit seinem eigenen Blute bekräftigen und ihm einen Schuldbrief, von seiner eigenen Hand geschrieben, übergeben; alsdann wolle er ihn zu einem Mann machen, der nicht allein alle erdenkliche Lust und Freude haben und die Zeit seines Lebens über genießen solle, sondern es sollte auch seinesgleichen in der Kunst nicht sein.

Doktor Faustus saß hierüber in sehr tiefen Gedanken, und je mehr und öfter er diese greuliche und gottsvergessene Artikel übersah und überlas, je schwerer sie ihm zu halten fallen wollten: doch bedachte er sich endlich und meinte, weil doch der Teufel ein Lügner sei, und ihm schwerlich alles dasjenige, wonach etwa sein Herz verlangen würde, seiner Zusage nach schaffen und zuwege bringen würde, so wolle er auch alsdann noch wohl andern Sinnes werden. Und wenn es ja mit der Zeit dahinkäme, daß er ihn, als sein wahres Unterpfand, haben und hinnehmen wollte, so könnte er wohl beizeiten ausreißen und sich wiederum mit der christlichen Kirche versöhnen; würde ihm denn über alles Verhoffen Zeit und Raum zu kurz, sich zu bekehren, so habe er gleichwohl nach seines Herzens Lust und Begierde in dieser Welt gelebt: halte der Geist etwa in einem und anderm keinen Glauben, trotz seiner Zusage, so sei er ihm auch hinwiederum nicht Glauben zu halten schuldig.

So sagte er endlich in Leichtsinn und Gottesvergessenheit zu einem Artikel um den andern laut und unumwunden ja. Der Geist aber, auf des Doktors deutliche Erklärung, wendete nichts weiter ein und sprach: "So komm denn, soviel dir immer möglich ist, diesen Forderungen nach; aber deine eigene Handschrift, mit deinem Blut gezeichnet, wirst du mir geben; stelle es also an und lege sie auf den Tisch, so will ich sie holen." Doktor Faustus antwortete: "Wohlan, es ist so gut: aber eines bitte ich dich zum letzten, daß du mir nicht mehr so greulich und in deiner jetzigen Gestalt erscheinen wollest; sondern etwa in eines Mönchs oder eines andern bekleideten Menschen Gestalt", welches denn der Geist dem Faustus zusagte und also verschwand.



***
Nachdem nun der höllische Geist gewichen, vielleicht die Zeit zu gewinnen, um die versprochene Handschrift zu fertigen, hätte Faust wohl noch Zeit gehabt, seinen Abfall von Gott mit reuigem, bußfertigem Herzen gutzumachen: allein er trachtete nur dahin, wie er seine Wollust und sein Mütlein in dieser Welt recht abkühlen möchte, und war eben auch der Meinung, welcher jener vornehme Herr gewesen, der unter andern auf


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dem Reichstage zu etlichen gesagt hat: "Himmel hin, Himmel her, ich nehme hier das Meinige, mit dem ich mich auch erlustige, und lasse Himmel Himmel sein; wer weiß, ob die Auferstehung der Toten wahr sei?"

So nahm denn Faustus ein spitziges Schreibmesser und öffnete sich an der linken Hand ein Äderlein; das ausfließende Blut faßte er in ein Glas, setzte sich nieder und schrieb mit seinem Blut und eigener Hand nachfolgenden Schuldbrief:

"Ich, Johannes Faustus, Doktor, bekenne hier öffentlich am Tag, nachdem ich jederzeit zu Gemüt gefasset, wie diese Welt mit allerlei Weisheit; Geschicklichkeit, Hoheit begabet und allezeit mit hochverständigen Leuten geblühet hat; dieweil ich denn von Gott dem Schöpfer nicht also erleuchtet und doch der Magie fähig bin, auch dazu meine Natur himmlischen Einflüssen geneigt, zudem auch gewiß und am Tage ist, daß der irdische Gott; den die Welt den Teufel pflegt zu nennen, so erfahren, gewaltig und geschickt ist, daß ihm nichts unmöglich ist; so wende ich mich nun zu ihm, und nach seinem Versprechen soll er mir alles leisten und erfüllen, was mein Herz, Gemüt und Sinn begehret und haben will, und soll an nichts ein Mangel sichtbar werden; und so denn dem also sein wird, so verschreibe ich mich hiermit mit meinem eigenen Blut, welches ich, obwohl ich bekennen muß, daß ich's von dem Gott des Himmels empfangen



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habe, samt Leib und Gliedmaßen, so mir durch meine Eltern gegeben sind, mit allem, was an mir ist, samt meiner Seele hiemit diesem irdischen Gott zu Kaufe gebe und verspreche mich ihm mit Leib und Seele.

Dagegen sage ich vermöge der mir vorgehaltenen Artikel ab allem himmlischen Heer und allem, was Gottes Freund sein mag. Zur Bekräftigung meiner Verheißung will ich diesem allen treulich nachkommen, und dieweil unser aufgerichtetes Bündnis vierundzwanzig Jahr währen soll, so soll denn der Satan, wenn diese Jahre verflossen sind, dieses sein Unterpfand, Leib und Seele, angreifen und darüber zu schalten und walten Macht haben: soll auch kein Wort Gottes, auch nicht, die solches predigen und vortragen, hierin einige Verhinderung tun, ob sie mich schon bekehren wollten.

Zu Urkund dieser Handschrift habe ich solche mit meinem
eigenen Blute bekräftiget und eigenhändig geschrieben.
Faustus, Doktor."


***
Als er nun solche gräßliche Verschreibung verfertigt hatte, erschien bald darauf der Teufel in eines grauen Mönchs Gestalt und trat zu ihm, da denn Doktor Faustus ihm seine Handschrift eingehändigt; darauf dieser gesagt: "Fauste, dieweil du denn mir dich also verschrieben hast, so sollst du wissen, daß dir auch soll treulich gedienet werden. Ich jedoch, als der Fürst dieser Welt; diene persönlich keinem Menschen; alles, was unter dem Himmel ist; das ist mein, darum diene ich niemand: aber morgenden Tags will ich dir einen gelehrten und erfahrnen Geist senden, der soll dir die Zeit deines Lebens dienen und gehorsam sein; sollst dich auch vor ihm nicht fürchten noch entsetzen, er soll dir in der Gestalt eines grauen Mönchs, wie ich anjetzo, erscheinen und dienen. Hiermit nehme ich diese deine Handschrift und gehabe dich wohl!" Also verschwand er.


***
Gleich abends, als Doktor Faustus nun zu Nacht gegessen hatte und kaum in seine Studierstube gekommen war, siehe, da klopft jemand sittiglich an der Stubentüre, dessen Faustus sonst nicht gewohnt war, zumal die Haustüren allbereits verschlossen waren. Er merkte aber bald, was es bedeute, und öffnete die Türe: da stand ihm gegenüber eine lange in grauen Mönchshabit gekleidete Person, dem Ansehen nach eines ziemlichen Alters: denn der Fremde hatte ein ganz graues Bärtlein; den hieß er alsbald in die Stube gehen und sich zu ihm auf die Bank niedersetzen, welches , der Geist auch getan. Auf das Befragen des Doktors, was denn des


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Geistes Geschäft sei, antwortete dieser: "O Fauste, wie hast du mir meine Herrlichkeit genommen, daß ich nun eines Menschen Diener sein mußt Dieweil ich aber von unserm Obersten dazu gezwungen worden, muß ich es wohl lassen geschehen. Wenn aber das Ziel wird erreichet sein, so wird es mir eine kurze Zeit gewesen dünken, dir aber wird es ein Anfang sein einer unseligen, unendlichen seit! So will ich mich nun von jetzo dir ganz unterwürfig machen, sollst auch keinen Mangel bei mir haben, ich will dir treulich dienen; so sollst du dich auch vor mir nicht entsetzen; denn ich bin kein scheußlicher Teufel, sondern ein Spiritus familiaris. d. i. ein vertraulicher Geist, der gerne bei den Menschen wohnet."

"Wohlan denn", sagte hierauf Doktor Faustus, "so gelobe mir im Namen deines Herrn Luzifer, daß du allem fleißig nachkommen wollest; was ich dir werde zumuten und von dir begehren." Der Geist beantwortete solches mit Ja. "Du sollst zugleich wissen", sagte er, "daß ich werde Mephistopheles genennet: und bei diesem Namen sollst du mich hinfort jederzeit rufen, wenn du etwas von mir begehren willst; denn also heiße ich." Doktor Faustus erfreute sich hierüber in seinem Gemüte, daß nun sein Begehren einmal zu einem erwünschten Ende gekommen sei, und sprach: "Nun, Mephistopheles, mein getreuer Diener, wie ich verhoffe, so wirst du dich allezeit gehorsamlich finden lassen und in dieser Gestalt wie du jetzund erschienen bist. Ziehe nun für diesesmal wiederum hin, bis auf mein ferneres Berufen." Auf diesen Bescheid bückte sich der Geist und verschwand.



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Obwohl nun Doktor Faustus vermeinte, es könne ihm hinfüro nichts mehr mangeln, weil er einen so getreuen Diener an dem Geist habe, wollte es doch gleichwohl nach und nach an einem und dem andern fehlen. Denn die baren Mittel von der Verlassenschaft seines vor etlichen Jahren verstorbenen Vetters hatten nunmehr ein Ende, und war von diesem allen außer der Behausung, in welcher er wohnte, und etlichen Wiesen und Feldern weniges mehr übrig, wegen des vielen Spielens und Bankettierens, zu dem der Erbe sehr geneigt war. Daher hielt er mit seinem Mephistopheles Rat, wie er doch andere Mittel anstatt der verlornen erlangen möchte, damit er eine bessere Haushaltung führen könnte. Der Geist sagte: "Mein Herr Fauste, gib dich zufrieden und beschwere dein Gemüt nicht mit dergleichen kummerhaften Gedanken; sorge doch hinfüro für nichts mehr, ich bin dein Diener, dein getreuer Diener, und solang du mich haben wirst, sollst du keinen Mangel an irgend etwas haben: darum


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sollst du nicht sorgen noch trachten, wie deine Haushaltung möge fortgeführet werden, weil du weniges Einkommen hast und das andere fast aufgezehret ist. Denn wenn du nur Schüsseln, Teller, Kannen und Krüge hast; so hast du schon übrig genug; für Essen und Trinken aber darfst du nicht sorgen, ich will dein Koch und Keller sein: dinge nur keine Magd, die es vielleicht verraten möchte; aber einen Famulus oder Jungen magst du wohl haben: ingleichen auch Gäste und gute Freunde, die dir Gutes gönnen und des Deinigen bisher leidlich genossen: die magst du immerhin einladen und berufen und mit ihnen fröhlichen und guten Mutes sein."

Daß nun dieses Anerbieten des Geistes dem Doktor Faustus erfreulich müsse zu hören gewesen sein, ist wohl zu glauben: allein er wollte fast darob zweifeln, weswegen er auch zum Geist sprach: "Mein lieber Mephistopheles , ich muß doch gleichwohl fragen, wie und woher willst du solches alles überkommen?" Der Geist lächelte hierüber und sprach: "Dafür sorge du nur nicht; aus aller Könige, Fürsten und großer Herren Höfen kann ich dich sattsamlich versehen; an Kleidern, Schuhen und anderm Gewand sollst du auch keinen Mangel leiden. Nur, Getränk ' und Speise zu bekommen, dazu mußt du freilich auch das Deinige tun; denn ich weiß nicht, was du am liebsten issest und trinkest: darum was du abends und morgens verlangest und haben willst, das verzeichne und lege das Verzeichnis auf den Tisch, daß ich es hole und alles dir zu rechter Zeit verschaffe." Dessen erfreute sich Faustus gar sehr und tat dem also, verzeichnete zur Stunde die Kost neben einem guten Trunk zweier oder dreierlei Weingewächse, um zu sehen, ob ihm der Geist auch das getane Versprechen erfüllen würde.

Abends um sieben Uhr wurde ihm hierauf zum erstenmal der Tisch gedeckt , auf welchen denn der Geist ein zierlich vergoldetes Trinkgeschirr setzte. Auf die Frage, woher denn der schöne Becher stamme, antwortete der Geist, er solle danach nicht fragen; er habe ihm dieses in das Haus verehrt, dessen sollte er sich inskünftige bedienen: worauf Faustus schwieg und zugleich sah, daß Semmeln und andere Dinge mehr auf dem Tische lagen, ja nicht lang hernach fanden sich da sechs oder acht Gerichte, welche alle warm und auf das beste zugerichtet waren, wie denn auch die Weine nacheinander auf den Tisch gestellt wurden.



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Da nun Faustus für nichts mehr zu sorgen hatte, woher er Essen, Trinken, Geld und anderes überkäme, brachte er Tag und Nacht im Saus und


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Brause hin, spielte, fraß und soff mit seinen Zechbrüdern, Goldmachern, etlichen Studiosen so, daß nach einiger Zeit fast jedermann in der Stadt, sonderlich die Nachbarschaft, weil Doktor Faustus sich um nichts mehr bekümmerte, weder um die Praxis noch um seine "lasar und Wiesen, die er von seinem Vetter ererbt hatte, zu zweifeln anfing, ob dieses recht zugehe , weil Faustus nicht von der Luft leben könne, dazu er ohnedem schon wegen Zauberei in ziemlichem Verdacht bei jedermänniglich stand. Diesen Argwohn den Leuten zu benehmen, ermahnte der Geist seinen Herrn, eine bessere Haushaltung zu führen, selbst die Acker zu besämen, das Heu und


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Grummet von seinen Wiesen abzumähen und einzubringen, die Frucht zu schneiden und einzuernten: legte sofort in Fausts Namen Hand an und brachte diesen wieder in ehrlicheren Ruf. Es war damals aber eine unbequeme Zeit und die Frucht nicht wohl geraten; dennoch schnitt Faustus dreifach soviel von seinen geerbten Gütern, als sein nächster Nachbar tat.

Allein dem Doktor Faust wollte in die Länge dieses eingezogene ehrbare Leben nicht gefallen, er sprach deshalb mit allem Ernst zu seinem Geiste: "Schaffe mir, o Mephistopheles, Geld, woher du es gleich nehmen solltest; denn ich bin gar geneigt zum Spielen, welches ich auch für meine liebste Beschäftigung halte; damit will ich nicht allein meine Zeit vertreiben, sondern auch außerhalb dieses meines Hauses meine Lust in guten Gesellschaften recht büßen. Meinest du, Mephistopheles, ich habe mich deinem Fürsten, dem Luzifer, so hoch verpflichtet, daß ich ein mönchisches eingezogenes Leben führen wolle? O nein, es ist viel anders gemeint. Schaffe du mir, nach deines Herrn Versprechen, ein gutes Leben auf dieser Welt und verrichte darneben das Meinige wie bisher, um den Leuten den Argwohn zu benehmen."Mephistopheles antwortete hierauf: "Mein Herr Fauste, was habe ich dir jemals versagte Habe ich nicht durch Wartung der Felder und Wiesen, durch Einsammlung der Früchte so viel zuwege gebracht; daß du deine Haushaltung hast führen mögen, sondern auch dadurch den Leuten ziemlich aus den Mäulern hifi kommen?" Doktor Faustus bejahte solches und sprach: "ES ist wahr, und ich danke dir wegen deines Fleißes und deiner Vorsorge; allein, mein Diener, es wird mir, solches zu halten, in die Länge beschwerlich fallen, darum will ich nun hiermit mein ganzes Herz vor dir ausschütten; willst du nicht alles dasjenige tun und verrichten, was ich haben will, und mir meine übrige Lebenszeit alle gehörige Notdurft und ersinnliche Ergötzlichkeit verschaffen, so sage ja oder nein."

Mephistopheles sah wohl, daß sich Doktor Faustus ereifert hatte, und antwortete demnach: "Wohlan, mein Herr, ich bekenne es, daß ich dein Diener und also schuldig bin, dir allen gebührenden Gehorsam zu leisten. Damit du mich nun nicht für einen Lügengeist halten mögest, so sollst du sehen und in der Tat erfahren, daß keine Unwahrheit an mir sei, ich will dir Geld und alles, was du vonnöten hast, zur Genüge verschaffen: aber eines bitte ich dich, dieweil etliche dich ebendarum werden anfeinden, daß es dir so wohl ergehet, so halte auch deine mit deinem Blut geschriebene Zusage, daß du alle diejenigen wollest verfolgen, die dich etwa deines Lebens wegen strafen werden, dessen erinnere ich dich nochmals." '



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Doktor Faustus gab dem Geist wiederum gute Worte, und dieser erfüllte nun in allem und jedem seinen Willen; Geld ward ihm zugetragen, er wurde mit Kleidung, Schuhen, Bettgewand versehen, an allerhand Speisen und Getränken mangelte es nie, kein Holz kaufte er je und hatte doch dessen einen großen Vorrat. Hernach aber wollte es der Geist auch nicht mehr schaffen, sondern Doktor Faustus mußte das Seinige dabei tun und mit seiner Kunst etwas zuwege bringen, wie wir bald hören werden.



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Doktor Faustus hatte nun gute Tage und tägliches Wohlleben, weil ihm an nichts gemangelt, wonach sein Herz gelüstete; jedoch konnte es unter solcher Zeit nicht wohl fehlen, daß nicht etwa ein einiger guter Gedanke in seinem Herzen hätte sollen aufstehen, der ihm von der Allmacht, Güte und Treue des Gottes, den er ja so schändlich wider besser Wissen und Gewissen verleugnet, hätte sollen heimlich predigen und sein Gewissen rühren; zumalen ihm solches sonst, wegen verbotener Besuchung des Gottesdiensts und verwehrten Genusses des Heiligen Sakraments, nicht gerühret werden mochte. So sprach er denn einsmals zu sich selber: "Ich habe gleichwohl bei mir die Heilige Bibel und noch andere christliche Bücher mehr; ich kann in diesen wohl lesen, ob mir gleich die Kirche und der Gottesdienst verboten ; mit diesen will ich zu Hause meine Kirche anstellen; es muß mein böses Gewissen dem Teufel nicht allezeit offenstehen; ist doch noch bei mir ein kleines Fünklein einiger Zuversicht und eines Andenkens an Gott! Wer weiß, Gott möchte sich meiner dermaleins noch erbarmen!"

Hierauf ist der Geist Mephistopheles zu ihm getreten und hat ihm diese seine Gedanken vorgehalten, sprechend: "Mein Herr Fauste, ich will dir deines jetzigen Vorhabens halber ganz und gar nicht zuwider oder daran hinderlich sein; allein eins bitte ich dich, betrachte wohl, was du in dem vierten Artikel deiner Verschreibung zugesagt und versprochen; das halte, willst du nicht in Unglück geraten. Das Bibelbuch belangend (denn die andern achte ich nicht), soll dir wohl darin zu lesen vergünstiget sein; jedoch nicht mehr als das erste, andere und fünfte Buch Mosis; der andern Bücher aller, ohne den Hiob, sollst du müßig gehen. Den Psalter Davids lasse ich nicht zu; desgleichen im Neuen Testament magst du drei Jünger, so von den Taten Christi geschrieben haben, als den Zöllner, Maler und Arzt lesen (der Geist meinte den Matthäus, Markus und Lukas); den Johannes meide; den Schwätzer Paulus und andere, so Episteln geschrieben



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haben, lasse ich auch nicht zu! Darnach wisse dich zu richten. Darum wäre mein Rat, gleichwie du anfänglich in der Theologia studieret, nämlich in den Schriften der Kirchenväter, daß du darin fortfahren möchtest; diese will ich dir nicht verwehren; so hast du dich auch verschworen, du wollest der Dreifaltigkeit absagen, wollest auch davon nichts reden oder viel disputieren, wie ingleichen von den Sakramenten und andern Glaubenspunkten: so du aber je mit Disputieren dich willst erlustigen, so nimm dazu Anlaß, von den Konzilien, Zeremonien, Messe, Fegfeuer und andern dergleichen Glaubenssachen mehr zu reden !"

Doktor Faustus ereiferte sich und sagte: "Ja, lieber Gesell, du wirst mir nicht allzeit Maß und Ordnung vorschreiben, was ich hierin tun oder lassen soll!" Mephistopheles, ganz erzürnt, gab ihm diese Antwort: "So sage und schwöre ich bei meinem höchsten Herrn, der unter dem Himmel ein Fürst, ja ein mächtiger und gewaltiger Fürst regieret, du mußt dieses meiden und die Bücher, die ich dir verboten habe, verfolgen und darin nicht lesen, oder dir soll etwas begegnen, das dir nicht lieb sein wird!"

Faustus antwortete: "Nun leider sehe ich, wie hoch ich mich an Gott vergriffen, und wie vermessentlich ich mich durch jene Artikel verpflichtet habe, daß ich nicht mehr lesen und reden darf, was doch andere frei und ungehindert tun dürfen; ach, was hab ' ich getan! — Wohlan", sagte er weiter, "besagte Bücher der Heiligen Schrift will ich nicht lesen, dazu von Glaubenssachen nicht disputieren; das aber verlange ich von dir, du tuest es gern oder nicht; daß du mir verheißest, mein Prädikant zu sein und mir alles dasjenige, wovon ich gerne einen Unterricht und Wissenschaft haben möchte, kurz und deutlich zu berichten und als ein hocherfahrener Geist zu lehren": welches ihm denn der Geist treulich zusagte.

Da berichtete ihm denn der Geist ausführlich, zu welcher Klasse von Geistern er selbst gehöre, wieviel der bösen Geister seien, warum der Teufel aus dem Himmel verstoßen worden; er erzählte ihm, wiewohl widerwillig und voll Ingrimm, vom Himmel und den himmlischen Heerscharen, von den Engeln vor Gottes Thron, vom Paradies; dann wieder von der Ordnung der Teufel, von ihrer Hoffnung, dereinst noch selig zu werden, und von der Hölle. Da denn der Geist seine Rede mit den nachdenklichen Worten beschloß: "Wenn ich aber ein Mensch geboren worden wäre wie du, o Fauste, so wollte ich Tag und Nacht meine Hände mit Danksagung gegen Gott im Himmel aufheben, daß er seinen Sohn mit dem menschlichen Fleisch und Blut bekleidet hat; sich des menschlichen Geschlechtes . annimmt, daß er es von des Teufels Gewalt erlöse; der Teufel ärgster



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Feind worden und dem Menschen das ewige Leben gibt; dagegen muß der Teufel in der Hölle wiederum büßen, was er verderbet hat: solcher Erlösung , mein Herr Fauste, bist auch du teilhaftig gewesen, aber nun, wegen deiner zeitlichen Pracht, Ehrgeizes und Hoffart, hast du solche verscherzt und mußt ohne allen Zweifel gleicher Verdammnis mit dem Teufel, den du hiezu gleichwohl herbeigerufen hafi, in der Höllen gewärtig sein."Auf diese ungescheute Aussage des Geistes schwieg Doktor Faust und entließ den Geist.

Als er aber des Nachts zu Bette gegangen, klangen ihm die Reden des Geistes unaufhörlich in den Ohren wie ein ferner Sturmwind, worüber er seufzte und also mit sich selbst sprach: "Ach, du elender und verfluchter Mensch, dir hat Gott Leib und Seele gegeben, diese solltest du besser verwahret haben! Zudem, wie hätte doch Gott, der Herr, seine Güte, Gnade und Barmherzigkeit reichlicher gegen dich ausschütten oder dir zueignen können , denn daß er seinen einigen Sohn in diese West gesendet, auf daß er das verderbte menschliche Geschlecht wiederum zurechtbrachte und die Menschen das ewige Leben hiedurch im Glauben erlangen möchten? Dafür sollte ich ja billig, wie der Geist ganz recht gesagt, mein Leben lang dankbar gewesen sein! Ach, daß ich um eines so kurzen und zeitlichen wollüstigen Lebens willen mich mit dem Teufel also böslich verbunden habe! Nunmehr aber ist es mit meiner Buße und Reue ohne allen Zweifel zu spät. Ach, daß ich nur noch ein kleines Fünklein eines rechten Glaubens hätte zu Christo: oder daß ich Macht und Erlaubnis hätte, mich mit einem Geistlichen zu unterreden, auf daß ich von ihm einigen Trost oder wohl gar die Vergebung meiner schweren Sünde empfinge! Aber von nun an wird es leider viel zu spät sein!"



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So saß denn einmal Doktor Faust, den Kopf in der Hand haltend, daheim in großem Unmut und dachte seinem künftigen bösen Zustande nach, wie er sich so leichtfertig dem Teufel ergeben hätte, der ihn nun nach seinem Gefallen regiere und führe: daher er seinen Geist ob der Mittagsmahlzeit, da er niemand um sich gehabt, fragte, ob ihn denn der Teufel wie andere sichere und gottlose Menschen schon vorlängst auch regiert und besessen hätte. Dem gab Mephistopheles zur Antwort: "Ja, dein Herz oder vielmehr dein ganzes Leben war von Jugend auf nicht recht beschaffen noch richtig nach Gottes Wort, daher ward es bald eingenommen; denn wir sahen deine Gedanken, womit du umgingst, und wie du niemand sonst zu deinem Vorhaben möchtest gebrauchen können denn den Teufel;


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siehe, so machten wir deine Gedanken, womit du umgingest, noch frecher und kecker, auch so begehrlich, daß du Tag und Nacht nicht Ruhe hattest, sondern daß dein Dichten und Trachten nur dahin stand, wie du Zauberei zuwege bringen möchtest: auch da du hernach uns beschwurest, machten wir dich erst so frech und verwegen, daß du dich eher dem Teufel hättest hinführen lassen, ehe du von solchem Zauberwerk wärest abgestanden: hernach verhärteten wir dein Herz noch mehr, bis wir es so weit gebracht, daß du nunmehr von deinem Vornehmen nimmer würdest abstehen, allezeit dahin trachtend, wie du einen Geist möchtest herbeilocken, bis es uns endlich gelungen, daß du dich mit Leib und Seel unserm Fürsten Luzifer ergeben; was alles dir denn, mein Herr Faust, nicht unbekannt sein kann!"

"ES ist wahr", sagte hierauf Doktor Faustus, "nun kann ich aber nicht mehr anders tun, auch habe ich mich selbst gefangen; hätte ich gottseligere Gedanken gehabt, mit dem Gebet zu Gott gehalten und den Teufel nicht so sehr bei mir einwurzeln lassen, so wäre mir solches alles nicht begegnet ; ei, was habe ich getan!" Da antwortete der Geist: "Da siehe du zu."Also stand Doktor Faustus zur Stunde vom Tisch auf und ging traurig aus dem Haus hin zu guter Gesellschaft; damit er daselbst seine Schwermut und Melancholie besser vertriebe und die Zeit anders zubrachte.

In Wahrheit hatte aber Faust auch ein herrliches Leben voll zeitlicher Macht und Wollust. In einem schönen, stattlichen Hause bewohnte er zwei Säle, dort vernahm man mitten in der Winterszeit den Zusammenklang eines lieblichen Vogelgesanges; die Amsel, die Wachtel schlug fröhlich, die Nachtigall tirilierte unvergleichlich; der Papagei, gegenüber hängend, redete aufs zierlichste: die Zimmer waren mit den schönsten Tapeten behangen mit herrlichen Gemälden geziert und mit Kostbarkeiten aller Art ausgestattet. Im Vorhofe des anstoßenden Zaubergartens sah man mit Lust indianische Hähne und Hennen, Rebhühner und Haselhühner, Kraniche, Reiger, Schwäne und Störche ohne alle Scheu lustwandeln. Der Garten selbst war nicht sonderlich groß, aber ausbündig herrlich; denn da, wiewohl sonst zur Winterszeit in der Stadt alles mit Schnee bedeckt war, sah man nie Winter, sondern immer nur lustigen, fröhlichen Sommer mit Gewächsen, Laub und Gras und den buntesten Blumen; dazu waren schöne Weinstöcke zu sehen, mit mancherlei Trauben behängt, alle schon reif; bunte Tulpen, gefüllte Josephsstäbe; Narzissen und Mosen blühten und flammten dazwischen. An den Mauern des Gartens der



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Länge nach waren Granaten-, Pomeranzen-, Limonien- und Zitronenbäume in schnurgeraden Reihen aufgestellt; Kirschen-, Birna und Apfelbäume standen bunt durcheinander wie ein Wald, und alle hingen immer voll Früchte. Ja, da mochte man erst Wunder sehen; denn da waren Birnbäume, die trugen Datteln, uno junge Kirschbaume, daran hingen Feigen; und wiederum an dichten Apfelbäumen waren zeitige schwarze Kastanien zu sehen. Zuoberst im Hause, da stand ein schmuckes Taubenhaus , darin flogen Tauben aller Art und von den seltensten Farben und nicht nur zahme, sondern auch wilde Feldtauben aus und ein. Unten aber im Hause, vor einem Stall an der Einfahrt, lag des Doktor Faustus großer Zauberhund, der ihm, wenn er aus dem Hause ging, nicht von der Seite wich. Sein Name war Prästigiar oder Hexenmeister; der hatte Augen ganz feuerrot und graulich, und schwarzes zottiges Haar; wenn ihm aber Faust über den Rücken fuhr, verwandelte sich seine Farbe und wurde bald grau, bald weiß, bald gelblich oder braun, und das Tier machte gar seltsame Sprünge und Gaukeleien, wenn es mit seinem wunderlichen Herrn, der auch seinen eigenen Schritt hatte, dahinpudelte.

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Nun lasset euch aber auch eins um das andere von den lustigen Stücken und Teufeleien erzählen, die der Erzschwarzkünstler Doktor Faustus mit Hilfe seines Geistes Mephistopheles da und dort in der Welt ausübte.

Es studierten zu der Zeit, nämlich Anno 1525, drei junge Freiherren zu Wittenberg samt ihrem Hofmeister. Diese, als sie erfahren, daß das Kurfürstlich Bayerische Beilager mit nächstem sollte zu München vollzogen werden, wie denn bereits dazu allerhand erdenkliche kostbare Zubereitung mit großer Pracht wäre gemacht worden, ging ihnen dieses alles mächtig zu Herzen, und sie waren sehr begierig, etwas von solchem zu sehen, weil allda auf einmal viel zu schauen wäre. Redeten demnach miteinander und wußten doch nicht, wie sie die Sache angreifen sollten; der eine wollte, sie sollten mit ihm ziehen, weil übermorgen der Hofmeister auf eines Freundes Hochzeit, wiewohl nicht weit von der Stadt, verreisen würde; er wollte schon Rosse zu reiten bekommen, bei dem Hofmeister wollten sie sich wohl entschuldigen usw. Der andere war mit diesem wohl zufrieden und verlangte nur die Zeit der Abreise, wiewohl ihm des Hofmeisters Abwesenheit im Wege stand. Der dritte aber sprach: "Ihr lieben Herren Vetter, wenn ihr mir folgen wolltet, so wüßte ich wohl zu diesem Handel einen guten Rat, wobei wir weder Sattel noch Pferde dazu bedürften ; könnten nichtsdestoweniger bald, ehe man es auch allhier unter



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andern wahrnähme, wiederum zu Hause sein. Euch ist allensamt wohl bewußt; wie Doktor Faustus allhier als ein sonderlicher Freund und guter Gönner der Studenten uns, die wir viel Kurzweil und Ergötzlichkeit zu verschiedenen Malen in seiner Behausung genossen haben, geneigt und gewogen sei, auch was er zuwege bringen und vermittelst seiner, wiewohl in stiller Heimlichkeit gehaltenen, Schwarzkunst verrichten möge. Dieses nun unser Verlangen, das fürstliche Beilager zu sehen, wollen wir ihm vortragen, ihn deswegen beschicken und freundlich darum ansprechen, unter dem Versprechen einer stattlichen Verehrung, so er uns in diesem Stücke zu Willen sein würde."Solcher Rat mißfiel den zweien andern nicht; es wurde beschlossen, eine stattliche Zusammenkunft zu veranstalten, , zu der sie auch den Doktor Faustus beriefen. Nach einem kleinen Umtrunke gaben sie ihm ihr Verlangen und die Ursache seines Beschikkens zu verstehen; darein er denn alsobald willigte und ihnen aufs möglichste zu dienen zusagte, nur daß sie solches in der Stille halten möchten.

Den Abend nun zuvor, als morgenden Tags darauf das fürstliche Beilager seinen Anfang nehmen sollte, beruft Faustus die drei Freiherren in seine Behausung, befiehlt ihnen, sie sollen sich aufs schönste ankleiden, was denn zur Stunde geschah; bedeutet ihnen zugleich, er wolle gern ihres Willen sein und sie in gar kurzer Zeit nach München bringen; aber sie sollten ihm treulich verheißen und zusagen, daß keiner unter ihnen während dieser Fahrt ein Wort reden, auch, ob sie schon in den fürstlichen Palast kämen und man mit ihnen reden würde, daß sie ja keine Antwort geben sollten; wenn sie solches leisten würden, so wolle er sie sicher und ohne Gefahr dahinführen und von da wiederum nach Hause bringen; wo sie aber dem nicht würden nachkommen, sondern während der Zeit etwas reden und sich versehen, so wollte er außer der Schuld sein, und solle alle Gefahr alsdann auf ihrem Halse liegen. Darauf sie denn solches ihm zu tun zusagten und mit aller Pünktlichkeit einhalten zu wollen versprachen .

Vor Tages nun richtete Doktor Faustus seine Fahrt also zu: er legte seinen Nachtmantel ausgebreitet auf ein Beet im Garten seines Hauses, setzte die drei jungen Baronen darauf, sprach noch einmal ihnen tröstlich zu, sie sollten unerschrocken sein und sich nicht fürchten und nur ihres Versprechens eingedenk sein, nicht zu reden; sie würden bald an verlangten Ort sein; und siehe, da erhob sich bald ein Wind, der schlug den Mantel zu, daß sie zusamt dem Faustus darin wohlgeborgen lagen, und so hob der Wind den Mantel empor und fuhren sie miteinander in des



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M Namen, den Doktor Faustus beschworen, fort, erschienen auch nach Verfluß etlicher Stunden, bei schon hellem Tage, in dem Vorhofe des fürstlichen Palasts zu München, ohne daß jemand ihrer gewahr geworden, wie und welchergestalt sie dahingekommen. Nachdem sie sich aber dem Palaste genähert und der Hofmarschall ihrer ansichtig geworden, empfing dieser sie gar höflich und ließ sie, als Fremde, durch andere, weil erselbst sehr beschäftiget war, in den obern Saal begleiten. Es kam aber zuerst dem Hofmarschall und nachmals dem Hofjunker, der sie begleitete, wunderseltsam vor, daß sie so gar auf keine Frage, woher und von wannen sie wären und kämen, etwas antworteten, sondern, gleich als ob sie stumm wären, mit tiefster Reverenz ihre Gegenehrerbietung zu verstehen gaben. Und weil mehr zu tun und nicht Zeit war, der Sache ferner nachzudenken, wurden die Freiherrn dagelassen, bis die Trauung geschehen und es nun an dem war, daß man bei herannahendem Abend zur Tafel sitzen wollte. Nachdem nun die fürstlichen Personen ihre Stelle an der Tafel genommen und man auch mit dem Handwasser auf Befehl des Kurfürsten (dem indessen der Hofmarschall von diesen drei stummen Herren einige Meldung getan, daß sie sich nicht zu erkennen geben wollten) bis zu ihnen gelangt war, spricht der eine von ihnen, seines Versprechens vergessend,


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er bedanke sich wegen solcher hohen Ehren zum allerhöchsten. Nun muß man wissen, daß Doktor Faustus, wie oben gedacht ihnen ausdrücklich befohlen, sie sollten nicht ein Wort reden, und wenn er würde zweimal sprechen: "Wohlauf, wohlauf", so sollten sie alsobald nach seinem Mantel greifen, sodann würden sie alsbald wieder den Weg unsichtbar fahren, den sie hergekommen; diesem zufolge hatten nun sofort die beiden auf das an sie ergangene Wort des Faustus den Mantel ergriffen und fuhren miteinander unsichtbar dahin; der dritte aber, der sich wegen des gereichten Handwassers und der Berufung zur Tafel bedankt, ist ganz erschrocken dahintengelassen worden.

Es ist leicht zu ermessen, wie diesem Hinterlassenen müsse zumut gewesen sein, zumal es ja nicht lang verschwiegen bleiben mochte, und einer dem andern von dem Handel etwas in die Ohren lispelte, bis es endlich vor die Ohren des Kurfürsten selbst gelangte, der denn bald Nachfrage halten ließ, wie es mit solchem allen eigentlich beschaffen wäre. Wie sollte aber dieser Halbgefangene auf ein und anderes Ausfragen besser antworten als mit Verschwiegenheit; weil er leichtlich erachten konnte, wenn er seine Herren Vetter verraten und den gangen Verlauf entdecken würde, dieses gar bald ihren Eltern und ihnen selbst zu großer Beschimpfung kundgetan werden dürfte? Er getröstete sich dabei, als er auf Befehl des Kurfürsten sofort an einen wohlverwahrten Ort, gleich als in Gefangenschaft; geführt wurde, daß seine Vettern ihn nicht lassen würden , sondern den Doktor Faust vermögen, daß er aus seiner Gefangenschaft wiederbefreiet werden möchte. Welches denn auch nicht lange nachher geschehen: denn ehe der folgende Tag recht angebrochen, machte sich Doktor Faustus auf, kam an den Ort, wo der junge Freiherr gefangenlag, und als er sah, daß das Gemach mit etlichen von der Leibwache des Fürsten verwahrt war, bezauberte er sie als mit einem süßen Schlaf, eröffnete mit seiner Kunst Schloß und Türe, schlug seinen Mantel um den Freiherrn, der noch gar sanft schlief, und brachte ihn also unvermerkt zu seinen beiden Vettern nach Wittenberg. Darüber waren sie denn sehr erfreuet; , bedankten sich aufs höchste und beschenkten den Doktor mit einer ansehnlichen Verehrung.

Wahr ist es, daß der Geist Mephistopheles eben genug zu tun hatte, Geld und Mittel zu verschaffen, daß sein wollüstiger und verschwenderischer Herr genug zu bankettieren und zu verschlemmen hatte; er wollte daher dieses so sehr nicht mehr tun, sondern warf ihm einst mit allem, Ernst vor, er wäre nun schon eine lange Zeit her mit aller Kunst und Geschicklichkeit



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versehen und begabt worden, daß er sich deren wohl bedienen und sich wohl selbst ernähren könnte, ohne daß er, der Geist, hinfort etwas mehr dabei täte; dawider denn Doktor Faustus sich nicht wohl setzen durfte, weil er bei sich bedachte: "ES ist wahr, was soll mir meine Kunst und Geschicklichkeit, wenn ich deren nicht gebrauche? Wie will denn mein Name ausgebreitet werden?" Er ließ es demnach dabei beruhen. Damit er nun beizeiten Geld überkommen möchte auch solches mit guten Gesellen zu verspielen hätte, wollte er ein Stücklein seiner Kunst seine guten Freunde sehen lassen; er verfügte sich daher mit ihnen zu einem sehr reichen Juden, um bei ihm Geld aufzubringen, obwohl er nicht im Sinn hatte, dasselbe wiederzugeben: er begehrte deswegen von dem Juden sechzig Taler auf einen Monat lang, die wolle er ihm alsdann mit Dank wiederum bezahlen, oder aber sollte er ihm ein Bein statt des Unterpfands abnehmen (welches er selbst nur scherzweise redete, der Jud ' aber für Ernst aufnahm); und so leihet ihm denn der Jud ' — nachdem er die andern Anwesenden zu Zeugen angerufen — die Summe.

Als nun die Zeit bereits verflossen, und der Jude, der nichts Gutes ahnte, sich in Doktor Fausts Behausung verfügte, allda sein Geld samt den Zinsen zu holen, empfing dieser ihn aufs freundlichste und sprach zu ihm: "Lieber Jud ', ich weiß mich gar wohl zu entsinnen, daß ich dir nach Verfluß dieser Zeit dein Geld samt dem Interesse wiederzugeben versprochen , allein wer kann dafür, daß ich anjetzo nicht bei Geld bin? Willst du nicht länger borgen, so magst du laufen, ich gönne dir eher keine Bratwurst Leicht ist zu erachten, daß dieses dem Juden die Galle überlaufen machte, und weil noch zwei andere Juden mit ihm erschienen waren, brach er ganz entrüstet in Drohworte gegen Doktor Faustus aus: er sollte ein für allemal anderen Sinnes werden, oder er wollte sich mit Gewalt an sein versprochenes Unterpfand halten, und das sei einer von seinen Füßen l Doktor Faust stellte sich, als wüßte er nichts hievon, und begehrte von ihm, solches auf seiner Obligation zu lesen, weil er's nicht glauben könnte; als er's nun gelesen, sagte er: "Mein Mausche, es ist wahr, ich hab ' verloren, weiß dich auch so bald nicht zu bezahlen, deswegen magst du dich an dein Unterpfand halten, und hiermit hast du deinen Bescheid." Der Jude, ganz rasend, dachte: "Ich habe wohl schon ein mehrers als sechzig Taler auf einmal verloren!" wollte sich auch kurzweg an sein Unterpfand halten und den Fuß haben; er stellte sich aber nur so, um dem Doktor Faust einen nicht geringen Schrecken einzujagen.

Aber was geschieht? Doktor Faustus tut, als sei ihm bei der Sache



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ganz wohl, nimmt eine Säge, legt sich auf das Faulbett, gab jene dem Juden und sprach, er sollte nun in aller Henker Namen sein Unterpfand hinnehmen, jedoch mit dieser ausdrücklichen Bedingung, daß ihm der Fuß innerhalb solcher seit, und sobald er die ganze Summe würde entrichten wollen, wiederum alsobald zuhanden möchte gestellt werden: welches nicht allein der Jude ihm zusagte, sondern stracks darauf als ein rechter Christenfeind über den Schenkel herfuhr, den Fuß mit jüdischer Begierde absägte, das Blut mit einer aufgelegten Salbe stopfte, den guten Faustus aber, seiner Meinung nach halbtot, hinter sich ließ. Der Jude zog samt seinen Gesellen mit dem Fuß fort, dachte unterwegs und sagte zu den andern, was ihm jetzt dieser Stümmel frommen möchte. Der Fuß könnte ihn noch teuer genug zu stehen kommen, wenn Doktor Faust deswegen sterben sollte; deswegen warf er ihn, weil die andern gleiches sagten, als er über eine Brücke nach Hause ging, in ein fließendes Wasser und zog seinen Weg, an nichts anders denkend, als daß er nimmermehr bezahlt wäre.

Mittlerweile, als es dem Doktor Faust Zeit dünkte, sein Unterpfand zu lösen, beruft dieser seinen Gläubiger, den Juden, durch etliche Studenten, seine vertrauten Freunde, wie auch zween Gerichtsbediente, in seine Behausung auf einen bestimmten Tag, wo er dem Juden gegen Zurückgabe seines Unterpfands seine Schuld abstatten wollte. Wer erschrak mehr als der Jude, da er diese unverhoffte Post überkam, und noch viel mehr, da er mit Gewalt mitzugehen gezwungen ward l Faustus aber stellte sich auf des Juden Ankunft sehr verdrießlich und dabei recht ungeduldig, daß der Jude mit dem Fuß so lange ausgeblieben wäre, da er doch schon vor etlichen Tagen das Geld beisammengehabt und nun nichts anders zu erhalten verlange als sein Unterpfand. Der Jude, weil er's nicht mehr beihanden hatte, konnte dieses (wie dem Faustus keineswegs verborgen war) nicht mehr herbeischaffen; er stand deswegen in nicht geringen Sorgen und erbot sich, er wolle die Schuldverschreibung wiedereinhändigen und hinfüro der Schuldforderung nicht mehr gedenken, sondern sie als bezahlt unterschreiben, nur sollten sie ihm das Unterpfand erlassen. Das war eine angenehme Zeitung für unsern Faustus; der Jude aber machte sich hierauf bald zur Türe hinaus und war froh, daß er so gut davongekommen: Faust indessen stand wohlbehalten und mit beiden Beinen vom Bett auf, machte sich mit den Studenten nach seiner Weise mit des Juden Geld recht lustig, und alle konnten über den Possen, den Doktor Faust dem Juden angetan, nicht genug lachen.



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Gleicherweise spielte er auch einem Roßtäuscher bald nachher auf einem Jahrmarkte mit, der zu Pfeiffering gehalten wurde. Denn Faust richtete sich durch seine Kunst ein schönes lichtbraunes Pferd zu, mit welchem er auf den Markt geritten kam, eben zu der Zeit, da es am meisten Käufer gab. Er fand ihrer viel, die das Pferd feilmachten, und weil es von schöner Höhe, dazu hübsch proportioniert aussah, trieben die Käufer einander hinauf, bis letzlich Doktor Faust mit einem übereinkam, der ihm vierzig Gulden bar bezahlte, dazu sich nicht anders einbildete, als er hätte einen sehr guten Kauf gemacht. Ehe nun Faustus das Geld zu sich zog, bittet er den Roßtäuscher; er sollte das Pferd unter zweien Tagen nicht in die Schwemme reiten, welches ihm der Roßtäuscher versprach und so groß eben nicht auf dies Versprechen achtete, also davonritt und voller Hoffnung war, ein Ansehnliches dabei zu gewinnen. Dem Roßtäuscher fällt unterwegs, da er an ein fließendes Wasser kam, ein, was doch sein Verkäufer damit möchte gemeint haben, daß er das Pferd unter zweien Tagen nicht in die Schwemme reiten solle; wollte es demnach versuchen und also den nächsten Weg durchs Wasser fortreiten: als er nun aber fast in die Mitte des Wassers kam, siehe, da verschwand das Pferd, der Roßtäuscher aber saß auf einem Büschel Stroh, und hätte es leicht geschehen können, er wäre in Gefahr geraten.



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Der Mann, der vor Erstaunen und Schrecken nicht gewußt, was er tat, nachdem er aus dem Wasser gewatet, lauft spornstreichs zurück in den Flecken, wo der Markt gewesen, gleich dem Wirtshause zu, wo vorher sein Verkäufer gesessen, zur Zeit aber eben auf der Bank lag und tat; als ob er fest schliefe. Der Roßtäuscher; ganz ergrimmt, da er Fausten also liegen und schlafen sieht, erwischt ihn beim Fuß und wollt' ihn von der Bank herabziehen, damit er ihm sein Geld wiedergebe; aber da ging jenem der Schenkel gar aus, und fiel der Roßtäuscher mit demselben rücklings in die Stube, darauf denn Doktor Faustus zetermordio zu schreien anhub, daß die Leute herbeiliefen; der Roßtäuscher aber lief über Hals und Kopf davon, nicht anders meinend, als er hätte dem Faustus den Fuß ausgerissen .



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Es studierten damals zu Wittenberg einige vornehme polnische Herren von Adel, welche mit Doktor Faust viel umgingen und gute Kundschaft bei ihm hatten. Nun war eben zu dieser Zeit die Leipziger Messe; sie verlangten daher sehr, dieselbe einmal zu besuchen, teils weil sie von ihr oft und viel gehört, teils weil etliche gedachten, allda von ihren Landsleuten Geld zu erheben. So baten sie denn den Doktor, er wollte doch, wie sie wohl wüßten, daß er's könnte, mit seiner Kunst so viel zuwegen bringen, daß sie dahingelangen möchten. Doktor Faustus wollte sie keine Fehlbitte tun lassen und schaffte durch seine Kunst, daß des andern Tages vor der Stadt draußen ein mit vier Pferden bespannter Landwagen stand, auf welchen sie getrost aufsaßen und in schnellem Laufe fortfuhren. Kaum aber waren sie etwa bei einer Viertelstunde fortgerückt, da sahen sie sämtlich quer über das Feld einen Hasen laufen, was sie für ein böses Reisezeichen hielten , wie sie denn mit diesen und andern Gesprächen etliche Stunden zubrachten , so daß sie noch vor abends zu ihrer großen Verwunderung in Leipzig ankamen.

Folgenden Tages besahen sie die Stadt, verwunderten sich über die Kostbarkeiten der Kaufmannschaft, verrichteten ihre Geschäfte, und als sie wieder nahe zu ihrem Wirtshaus kamen, nahmen sie wahr, daß gegenüber in einem Weinkeller die sogenannten Wein- und Vierschröter allda ein Faß Wein, sieben oder acht Eimer haltend, aus dem Keller schroten oder bringen wollten, vermochten aber doch solches nicht, wie sehr sie sich auch deswegen bemühten, bis etwa ihrer noch mehr dazukämen. Doktor Faustus und seine Gesellen standen da still und sahen zu; da sprach Faust (der auch hier seiner Kunst wegen wollte bekanntwerden) fast höhnisch zu den



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Schrötern: "Wie stellet ihr euch doch so läppisch dazu, seid eurer so viel und könnet ein solches Faß nicht zwingen, sollte es doch einer wohl allein verrichten können, wenn er sich recht dazu schicken wollte! ' Die Schröter waren über solcher Rede recht unwillig und warfen, dieweil sie ihn nicht kannten, mit herben Worten um sich, unter andern: "Wenn er denn besser als sie wüßte, solch Faß zu heben und aus dem Keller zu bringen, so sollte er's in aller Teufel Namen tun, was er sie viel zu vexieren hätte?" Unter diesem Handel kommt der Herr des Weinkellers herzu, vernimmt die Sache, und sonderlich, daß der eine gesagt, es könnte das Faß einer wohl allein aus dem Keller bringen; deswegen spricht er halbzornig zu ihm: "Wohlan, weil ihr denn so starke Riesen seid, welcher unter euch das Faß allein wird herauf und aus dem Keller bringen, dessen soll es sein!"


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Doktor Faustus aber war nicht faul, und weil eben etliche Studenten dazugekommen, ruft er diese an zu Zeugen dessen, das vom Weinherrn versprochen worden, ging also hinab in den Keller; setzte sich recht breit auf das Faß, gleich als auf einen Bock, und ritt, so zu reden, das Faß nicht ohne jedermanns Verwundern herauf: darüber denn der Weinherr sehr erschrak; und ob er wohl vorwandte, daß dieses nicht natürlich zuginge, mußte er doch sein Versprechen halten, wollte er anders nicht den Schimpf zusamt dem Schaden haben. Also ließ er das Faß mit Wein dem Doktor Faustus verabfolgen, der es denn seinen Gesellen, zugleich auch den Zeugen, den Studenten, zum besten gegeben, welche alsbald Anstalt machten , daß das Faß in das Wirtshaus geliefert wurde, wohin sie noch mehr andere gute Freunde baten, und sich etliche Tage davon lustig machten, solang ein Tropfen Wein darin war.

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Einst wurde zu Wittenberg bei einer fröhlichen Gesellschaft von einem Studenten des vortrefflichen Poeten Homer Meldung getan, der ebenselbiger Zeit auf der Hohen Schule gelesen wurde, welcher von vielen berühmten griechischen Helden handelt und deren rühmliche Taten erzählt, namentlich von Menelaus, Achilles, Hektor, Priamus, Paris, Ulysses, Agamemnon, Ajax; und lobte einer des Poeten zierliche Redeweise, der andere, daß er darin jene Personen so schön vorgemalt, als wenn sie zugegen wären, und so rühmte der eine dies, der andre ein andres. Alsbald erbot sich Doktor Faustus, die oben aufgeführten Helden morgenden Tags im Hörsaal in ihrer eigenen Person vorstellig zu machen: welches denn mit höchster Danksagung von allen angenommen wurde. Und da sie deswegen Doktor Faust des andern Tags mit sich in den Hörsaal führten, fing dieser also an zu reden: "Ihr lieben Herren und gute Freunde, weil ihr ein großes Verlangen traget, die trojanischen Kriegshelden und etwa noch andere, deren der Poet Homer sonderlich gedenket, in der Person, wie sie damals gelebet und einhergegangen sind, anzuschauen, so soll euch solches anjetzt gewähret werden; nur daß keiner ein Wort rede oder jemand zu fragen begehre"; welches sie ihm auch sofort zusagten. Darauf klopfte Doktor Faust mit dem Finger an die Wand, alsobald traten jene griechischen Helden in ihrer grauen zu jener Zeit üblichen Rüstung einer nach dem andern in den Hörsaal herein, sahen sich zur Rechten und Linken mit halbzornigen und strahlenden Augen um, schüttelten die Köpfe und gingen wiederum wie zuvor nacheinander zur Türe hinaus.

Doktor Faust wollte es dabei nicht bewenden lassen, sondern noch einen



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kleinen Schrecken hinzufügen, klopfte deshalb noch einmal; bald tat sich die Tür auf, zu welcher halbgebückt der ungeheure greuliche Riese Polyphemus eintrat, der an der Stirne nur ein Auge hatte, mit einem langen zottigen feuerroten Bart, der hatte ein Kleinkind, das er gefressen, noch mit dem Schenkel am Maul hangen und war so grausam und schrecklich anzusehen, daß ihnen allen miteinander die Haare zu Berge standen: worüber denn Doktor Faustus genug lachte; auch wollte er seine Zuschauer noch mehr ängstigen und schaffte, daß, als Polyphemus wiederum wollte zur Tür hinausgehen, er sich zuvor noch einmal umsah mit seinem erschrecklichen Gesichte und sich nicht anders gebärdete, als wollte er nach etlichen greifen; stieß zugleich mit seinem großen ungeheuren Spieß wider den Erdboden, daß das gange Gemach zu schüttern begann. Doktor Faustus aber winkte ihm mit dem Finger, da trat auch er hinaus, und so hatte denn Doktor Faustus seine Zusage erfüllt. Die Studenten waren es alle wohl zufrieden, doch hatten sie genug und begehrten hinfüro keine solche Vorstellung mehr von ihm.

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In der Schlossergasse Erfurt stand ein Haus, zum Anker genannt; darin wohnte damals ein Stadtjunker, bei welchem als einem Liebhaber der Schwarzkunst sich Doktor Faustus oftmals aufhielt; welchen auch dieser Junker stets hochachtete. Es begab sich aber auf einen Tag, daß Doktor Faust, der auch auf der Hohen Schule zu Erfurt in großem Ansehen stand, einem andern zu Gefallen nach Prag verreist war; der Junker aber beging eben seinen Namenstag, wozu er denn etliche gute Freunde, allesamt Gönner Doktor Fausts, berufen: diese nun waren bis in die späte Nacht recht lustig und wünschten sämtlich nichts mehr, als daß nur ihr guter Freund Faustus dabei und gegenwärtig wäre, sie wollten noch viel fröhlicher sein.

Einer aber unter ihnen, der bereits einen guten Rausch hatte, nahm ein Glas mit Wein, streckte das in die Höhe und sprach: "O guter Gesell Fauste, wo steckest du jetzund, daß wir deiner also entbehren müssen? Wärest du allhier, wir würden ohne Zweifel etwas von dir sehen, das unsere Fröhlichkeit vermehren sollte; weil es aber für diesmal nicht sein kann, so will ich dir dies zur Gesundheit gebracht haben: kann es aber sein, so komm zu uns und säume dich nicht!" darauf tat er einen Jauchzer und trank das Glas aus.

Nach etwa einer Viertelstunde aber pocht jemand an die Haustüre gar stark; ein Diener laust an das Fenster schauen, wer da wäre; da stieg



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eben Doktor Faustus von seinem Pferd ab, führte solches bei dem Zügel und gab sich dem Diener, der die Türe öffnen wollte, zu erkennen mit der Bitte, dem Junker und gesamten Gästen zu sagen, wie der zur Stelle und gegenwärtig wäre, nach dem sie allesamt so sehr verlanget hätten. Der Diener, voll Erstaunens, lauft eilends und zeiget solches dem Junker und gesamter Gesellschaft an; diese lachen und sagen, ob er ein Tor oder voll Weins wäre. Doktor Faust sei ja verreist und könne nicht über die Mauern herfliegen, nicht er werde es, sondern ein anderer sein. Indessen klopfte Faustus noch einmal stark an, daß also der Junker genötigt ward, von der Tafel aufzustehen; er sah aber kaum zum Fenster hinaus, da ward er den Doktor Faust beim Mondschein gewahr und schenkte also des Dieners Anbringen Glauben; alsbald ward die Tür eröffnet Doktor Faustus aber von allen freundlich empfangen und sein Pferd durch den Knecht in den Stall geführt und gefüttert. Die erste Frage war, daß die gesamten Gäste zu wissen verlangten, wie er doch so bald; und ehe sie sich dessen versehen hätten, von Prag wiederkäme. Er antwortete kurz hierauf: "Da ist mein Pferd gut dazu. Weil mich die sämtlichen Herren so sehr herbeigewünscht, mir auch zum öftern mit Namen gerufen, hab ' ich ihnen willfahren und bei ihnen allhier erscheinen wollen, wiewohl ich nicht lang verbleiben kann, sondern bei anbrechendem Tag, der angefangenen Geschäfte wegen, wiederum zu Prag sein muß!" Darüber wunderten sich alle nicht wenig, fingen inzwischen das Spiel wieder an, wo sie es gelassen, waren fröhlich und guten Mutes, dabei nun auch Doktor Faustus das Seinige tun wollte; deswegen spricht er zu den Gästen, ob sie nicht auch einmal von fremden und ausländischen Weinen einen Trunk versuchen möchten: es wäre gleich, Rheinwein, Malvasier, spanischer oder Franzwein. Worauf sie bald mit lachendem Munde sprachen: "Ja, ja, sie sind alle gut."Zur Stund fordert Doktor Faustus von dem Diener einen Bohrer; fängt an, auf die Seiten des Tischblatts vier Löcher nacheinander zu bohren, verstopft solche mit vier Zäpflein und hieß alsdann ein paar schöne Gläser schwenken und herbringen; da diese gebracht waren, ziehet er ein Zäpflein nach dem andern aus: da sprangen die genannten Weine heraus in die Gläser, dessen sich die Gäste höchlich verwunderten , lachten und waren recht guter Dinge, versuchten auch die Weine und genossen derer auf Zusprechen und Versichern Fausts, daß es natürliche Weine wären, mit großer Begierde.

Während solcher Kurzweil, nach Verfluß von drei Stunden, kommt des Junkers Sohn, der spricht zum Doktor Faust: "Herr Doktor, wie muß



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man das verstehen? Euer Pferd frißt so unersättlich, daß der Stallknecht beteuert, er wollte wohl zwanzig Pferde mit dem, das es bereits gefressen hat, füttern; gleichwohl will dieses alles nicht flecken, ich glaube, der Teufel frißt aus ihm, es stehet noch immer und siehet sich um, wo mehr sei." Über diese recht ernstlichen Worte, wie sie der junge Mensch vorbrachte, lachten sie alle, Faust aber am meisten, der darauf antwortete: er sollte es nur dabei verbleiben lassen, das Pferd hätte diese Art; es hätte für diesmal genug gefressen; denn sonst würde es wohl allen Haber auf dem Boden hinwegfressen, wenn man seinen unersättlichen Magen füllen wollte. Es war aber dieses unersättliche Pferd sein Geist Mephistopheles. Mit solchen und dergleichen andern Kurzweil brachten sie die Nacht hin, daß der frühe Morgen bald begann anzubrechen, da tat Fausts Pferd einen hellen lauten Schrei, daß man es in dem ganzen Haus hören mochte. "Nun", sagte alsbald Doktor Faustus, "bin ich zitiert; ich muß fort!" und wollte also Abschied nehmen: aber die Gäste hielten ihn auf; da machte er an seinen Gürtel einen Knoten, den Aufbruch nicht zu vergessen, und sagte ihnen noch ein Stündlein zu; nach Verfluß dessen aber fing das Pferd an zu wiehern, da wollte er wieder kurzweg fort doch ließ er sich erbitten, weil er von einem magischen Stück zu erzählen angefangen, noch ein halbes Stündlein zu verbleiben. Jetzt tat das Pferd aber den dritten Schrei, da wollte sich Faust nicht länger aufhalten lassen und nahm seinen Abschied von ihnen allen; diese bedankten sich bei ihm der unverhofften Einsprache wegen und gaben ihm das Geleite bis zur Haustüre, da er sich denn auf sein Pferd setzte und immer die Schlossergasse hinaufritt bis zum Stadttor, das noch nicht geöffnet war; dessenungeachtet schwang sich sein Pferd mit ihm in die Luft, daß, die ihm nachsahen, ihn bald aus dem Gesicht verloren: Faust aber kam noch bei frühem Tage in sein voriges Haus, in der Stadt Prag.

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Einst reisten einige Kaufleute mit Doktor Faust hinab gen Frankfurt auf die Messe und kamen im Odenwald abends in ein Städtlein, Vorberg; nun lag auf einem Berge daselbst ein Schloß, auf welchem ein Vogt hauste, der der Verwandte eines Kaufmanns unter der Gesellschaft war; dieser, da er gerne seinem Vetter eine Ehre erweisen wollte, berief die ganze Gesellschaft folgenden Tags zu sich auf das Schloß, das hoch lag, und traktierte sie nach bestem Vermögen. Da sie nun einander mit dem Trunk ziemlich zugesetzt und allbereits Abschied nehmen wollten, weil es aussah, als ob ein ander Wetter kommen wollte, spricht einer unter


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der Gesellschaft der indessen zum Fenster hinausgesehen: "Nein, nein, es hat keine Not des Regenwetters halber, es stehet ein schöner Regenbogen am Simmel!" Da Doktor Faustus das vernahm, stand er vom Tisch auf, ging zum Fenster, sah hinaus und sagte: "Was soll es gelten, ich will mit meiner Hand diesen Regenbogen ergreifen?" Die andern, denen die Kunst Doktor Fausts nicht so gar bekannt war liefen sämtlich vom Tisch, diesem unmöglichen Ding zuzusehen; denn der Regenbogen stand noch weit von da, um die Gegend Boxbergs herum. Bald aber strecket Doktor Faustus seine Hand aus, und siehe, da ging der Regenbogen über dem Städtlein her, gegen dem Schloß zu, bis an das Fenster, so daß er den Regenbogen mit der Hand augenscheinlich faßte und gleichsam hielt. Er sagte auch darauf, so die Herren möchten zusehen, so wollte er auf diesen Regenbogen sitzen und davonfahren: aber sie wollten nicht und verbaten sich's. Zur Stund zog Faust die Hand ab, da schnellte der Regenbogen hinweg und stand wiederum wie zuvor an seinem Ort.

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In der Stadt Braunschweig wohnte ein Vornehmer von Adel, der an der Schwindsucht lange Zeit krank darniedergelegen; und ob er wohl alle in und außer der Stadt befindliche Arzte zu sich gefordert, so wollte doch nichts helfen. Weil denn alle natürlichen Mittel vergebens waren, wollte er sich endlich auch der magischen Kur des damals in der Nähe auf einem Schlosse sich aufhaltenden Doktors Faust, auf den Rat eines guten Freundes, unterwerfen, berief daher diesen schriftlich und unter dem Versprechen einer reichlichen Belohnung, wo er ihm helfen werde, zu sich. Doktor Faustus sandte den Boten gleich wiederum zurück und versichert den Herrn, daß er bald kommen und nicht säumen wollte: und ob er wohl gute Gelegenheit von dem Herrn des Schlosses sowohl zu reiten als zu fahren hatte, wollte er doch lieber, weil es auch sonst seine Gewohnheit war, zu Fuß gehen. Als er nun von ferne die Stadt erblickte, ward er gleich hinter sich eines Bauern gewahr, der mit einem leeren wagen, mit vier Rossen bespannt, gerade der Stadt zufahren wollte; diesen sprach Doktor Faust mit guten Worten an, er sollt' ihn auf den Wagen sitzen lassen und ihn, weil er sehr müde wäre, führen bis an das Stadttor . Der Bauer aber schlug es rund ab und meinte, er würde ohne das genug aus der Stadt zu führen haben, könnte nicht erst sich mit ihm verweilen und ihn aufsetzen; wiewohl es dem Doktor Faust nicht Ernst war; sondern er machte nur einen Versuch, ob der Bauer so dienstwillig sein würde. Nun tat ihm die grobe Weise und unbillige Antwort des Bauern


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sehr weh, und er gedachte bei sich selbst: "Wart, du grober Esel, du mußt mir herhalten, ich will dich mit gleicher Münze bezahlen; tust du solches einem Fremden, was wirst du sonst tun?" Alsobald spricht er etliche Worte, da sprangen die vier Räder zugleich vom Wagen und fuhren zusehend in die Luft hinweg; gleichermaßen fielen auch die Pferde nieder , als wären sie vom Hagel getroffen worden, und regten sich nicht mehr. Als der Bauer dies sah, erschrak er, wie leicht zu glauben, von Herzen, weinte und bat mit aufgehobenen Händen den Doktor Faust, er solle ihm Gnade erweisen; er wisse wohl, daß er sich grob an ihm, als einem Fremden, versündigt hätte; er wolle es gewiß nicht mehr tun! Was sollte nun Doktor gauss machen? Er sagte: "Ja, du grober Gesell, tue es hinfüro keinem mehr, was du mir getan hast; ich will diesmal deiner verschonen: damit du aber nicht gar leer ausgehst und zugleich ein Andenken haben mögest, andere Fremde nicht solcher Gestalt zu traktieren: so nimm immerhin das Erdreich unter deinen Rossen und wirf es auf sie!" Der Bauer gehorcht dem Faust und wirft die Erde auf sie; alsobald richteten sie sich wieder auf. "Aber", fuhr Doktor Faustus fort, "deine Räder wiederum zu bekommen, gehe der Stadt zu; bei den vier Toren wirst du ein jegliches Rad finden und antreffen!" Der Bauer brachte also den halben Tag zu, bis er seine Räder wiederbekam.

Als nun Doktor Faust mit obgedachten Kaufleuten gen Frankfurt gekommen, wurde er — wie bei solcher Meßzeit allerhand Gaukler und Abenteurer gemeiniglich erscheinen und zusammenkommen, — von seinem Geist Mephistopheles berichtet, daß in einem Wirtshaus bei der Judengasse vier verwegene Gaukler und Schwarzkünstler seien, darunter der eine der Meister; die andern seine Knechte. Diese hieben einander die Köpfe ab, ließen den abgeschlagenen Kopf durch einen dazu bestellten Barbier waschen und säubern und setzten den dem Leibe wieder auf, zu jedermanns Verwundern, welches denn auch diesen Schwarzkünstlern ein großes Geld eintrug, weil viel Herren und reiche Kaufleute der Stadt sich dahin verfügten und zuschauten. Solches verdroß den Doktor Faust nicht wenig; denn er meinte, er wäre allein des Teufels Hahn im Korb; deswegen nahm er sich gleich vor, seine Kunst auch hier sehen zu lassen, und ging dahin, nebst andern dem Handel zuzuschauen. Er sah aber daselbst bald eine rote Decke auf der Erde ausgebreitet liegen, auf der Seite des Zimmers stand ein Tisch und auf demselben ein verglaster Hafen, darin, wie sie vorgaben, ein destilliertes Wasser wäre, in welchem Wasser vier grüne Lilienstengel standen: die nannten sie die Wurzeln des Lebens.



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Nun war es mit dem Handel also beschaffen, daß, wenn einer von den Gauklern niederkniete auf die rote Decke, ging bald der andere her- bei und hieb mit einem breiten Schwert diesem den Kopf ab und gab ihn dem Barbier, der ihn zwagen 1 und sogar barbieren mußte. Wenn dieses verrichtet war, gab alsdann der Barbier dem Meister den Kopf, der solchen den Anwesenden zu beschauen darreichte: inzwischen setzte man den Körper auf einen Stuhl, und wenn es Zeit war; so setzte je einer nach dem andern den Kopf mit vielen seltsamen Worten und Zeremonien wieder auf: sobald aber dieses geschehen, sprang eine Lilie aus den vieren in dem Hafen auf dem Tisch in die Höhe, und wurde sobald auch der Leib wiederum ganz; und dieses trieben sie immer so fort, bis es auch an den Meister kam. Diesem nun, ob ihn schon vorher Doktor Faustus sein Leben lang nicht gesehen hatte, wollte er eines versetzen und solchem Gaukelwerk ein Ende machen. Daher, als sie zum andernmal das Kopfabhauen anhuben und die Reihe nun an dem Meister war, beobachtete er genau, welcher Lilienstengel in dem Hafen dem Meister zugehörte, und als dieser eben niederknien wollte, geht Doktor Faustus unsichtbar hin zu dem Tisch, auf welchem der Hafen mit dem Lilienstengel stand, und schlitzte mit einem Messer des Meisters Lilienstengel voneinander, machte sich hierauf wieder unsichtbar von dannen und zur Türe hinaus, welches auch die Anwesenden nicht gewahr wurden. Der Knecht schlägt indessen dem Meister; wie vorhin mehr geschehen, das Haupt ab, läßt es waschen und barbieren und will es nun wieder auf den Körper setzen; aber sieht, da fiel es wieder herab. Alle Anwesenden, besonders aber die Knechte des Schwarzkünstlers , erschraken in ihre Seele hinein, und noch mehr entsetzten sie sich, als sie entdeckten, daß des Menschen Lilie oder Wurzel des Lebens in dem Hafen voneinander geschlitzt war und der Meister tot auf der Erde lag.



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Doktor Faustus kam auf eine Zeit Geschäfte halber, die er für andere dort zu verrichten hatte, in die Stadt Gotha, etwa um die Zeit des Brachmonats wo man allenthalben mit dem Heumachen und Einführen beschäftiget war. Eines Tags nun war er seiner Gewohnheit nach ziemlich bezecht und ging abends mit etlichen seiner Zechgenossen spazieren vor das Tor hinaus; indem begegnet ihm ein Wagen, wohlbeladen mit Heu; Doktor Faustus aber ging mitten im Fuhnwege, daß ihn also der Bauer, der das Heu einführte, notwendig ansprechen mußte, er solle ihm aus dem Weg weichen und seinen Weg nebenhin nehmen. Faust aber zögerte


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mit der Antwort nicht: "Ich will bald sehen", sprach er, "ob ich dir, oder du mir weichen müssest; höre, Bruder, hast du niemals gehört, daß einem vollen Mann ein geladener Wagen ausweichen solle?" Der Bauer war über die Verzögerung recht unwillig, gab dem Faust viel unnütze Worte, und wenn er nicht gehen wolle, werde er ihm den Weg weisen; Faust aber erwiderte ihm auf der Stelle: "Wie, Bauer, wolltest du erst noch pochens Mache mir nicht viel Umstände; oder ich fresse dir beim Element deinen Wagen samt dem Heu und den Pferden!" Der Bauer sagte darauf: "Ei, so friß auch noch etwas anders dazu!" Doktor Faustus , nicht unbehende, rückt mit seiner Kunst hervor, verblendet den Bauern dergestalt, daß er nicht anders meinte, denn jener habe ein Maul groß wie ein Zuber, und daß er bereits seine Pferde samt dem Wagen und Heu verschlungen und gefressen hätte. Der Bauer erschrak heftig hierüber und entlief eilends; denn er meinte, wenn er lang allda verharren würde, möchte es letztlich auch an ihn selber kommen; eilet deswegen der Stadt und dem Bürgermeister zu, klagt ihm seine Not, wie ihm ein ungeheurer und doch dem Ansehen nach nicht großer Mann begegnet sei, der hab ' ihm nicht aus dem Fuhrwege wollen weichen, da er ihn doch darum gütlich angesprochen; darauf habe er ihm bald gedroht, er wolle ihm den Wagen mitsamt den Pferden fressen, wenn er ihm, als einem Trunkenen, nicht ausweichen wolle: wie denn alsdann auch geschehen ; er bitte um Rat und um Hilfe.

Der Bürgermeister, als erdas vernahm, lachte und spottete noch des Bauern dazu, sagte, das wäre ja nicht möglich: er sei entweder trunken oder nicht bei sich selbst. Der Bauer beteuerte hoch, daß dem also sei, wie er erzähle, berief sich auf seine Nachbarn und andere, die hinter ihm hergefahren wären. Wollte anders der Bürgermeister Ruhe haben, mußte er sich mit dem Bauern dahin verfügen und dieses Wunder anschauen: als sie beide aber etwa einen Bogenschuß fern von da ankamen, siehe, da standen wie zuvor Rosse, Heu und Wagen unverletzt und unverrückt allda; Faust aber hatte indessen einen andern Weg genommen. —



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Als aber Doktor Faust einst wieder auf Wittenberg zu reiste kam er auf den Abend unterwegs in ein Wirtshaus; darinnen traf er Kaufleute und andere Reisende an; da sie nun Nacht miteinander gespeiset hatten und mit dem Trunk einer dem andern ziemlich zugesprochen, dastand der Wirtsjunge jederzeit hinter Doktor Faust, und weil er ihn für einen Abenteurer (das er auch war) ansah, schenkte der Junge ihm allemal das


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Glas ganz voll ein, womit denn Doktor Faustus nicht zufrieden war; drohete ihm auch, wenn er's noch einmal tun würde, so wollte er ihn mit Haut und Haar fressen. Da nun der Junge seiner spottet und sagte: "Jawohl, fressent" und ihm darauf abermal zu voll einschenkte, sperrte Doktor Faustus sein Maul auf und schluckte ihn zum Erstaunen aller, die an dem Tisch waren, hinunter, erwischte darauf den Schwenkkessel mit dem Kühlwasser und sagte: "Auf einen guten Bissen gehöret ein guter Trunk", und soff den rein aus. Der Wirt, der indessen abwesend gewesen und nichts von allem, was geschehen war, wußte, aber mit Schrecken solches vernahm, redete deswegen dem Doktor Faust ernstlich zu, er solle ihm seinen Jungen wiederherschaffen, oder er wolle etwas anderes mit ihm anfangen. Da sagte Faustus ganz ruhig: "Herr Wirt, gebt Euch zufrieden und sehet hinter den Ofen!" Da fand man dort in dem Schwenknapf den Jungen tropfnaß, voller Schrecken und Zittern, worüber denn die ganze Gesellschaft herzlich lachen mußte.


II.

Doktor Faustus war jetzt nicht allein in der Stadt Wittenberg, sondern auch im ganzen Land wegen Schwarzkunst und Zauberei verrufen. Deswegen ließen ihn gottesfürchtige und gelehrte Leute durch andere zu unterschiedenen Malen erinnern und warnen, von solchem teuflischen Leben und Wandel abzustehen; unter andern ließ sich eines Tags ein Nachbar desselben, ein frommer alter Mann, die Mühe nicht dauern, sein Heil zu versuchen, ob er diesen elenden Menschen bekehren möchte, zumal er fast täglich wahrnehmen mußte, wie die jungen Bursche und fürwitzigen Studenten in seiner Behausung aus- und eingingen, da sie ja nichts Gutes sehen und lernen würden. Er verfügte sich deswegen an einem Nachmittag zu Doktor Faust, und als er ihm mit freundlichen Worten die Ursache seines Einkehrens zu erkennen gegeben, wurde er auch von diesem gütig empfangen; und es gehet die Sage, als sei dieser alte Warner der getreue Eckhard gewesen, der schon seit vielhundert Jahren zum Wächter am Venusberge bestellt ist und die unwissenden Menschen warnt und abmahnt, daß sie nicht zu den teuflischen Unholdinnen in den Berg hineingehen: wie denn ein Sprichwort ist, daß man zu einem, der andere getreulich warnet und hütet, gemeiniglich spricht: "Du bist der getreue Eckhard, du warnest jedermann."

Leicht ist zu glauben, daß jener dem Doktor Faust allerhand Lehren



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und Ermahnungen aus Gottes Wort werde vorgebracht und recht unter Augen gestellt haben, welche auf Abmahnung von seinem bisher so ärgerlich geführten Leben und Anweisung zu einem bessern Wandel werden gerichtet gewesen sein; wie denn dieser fromme Alte dem Ansehen nach auch wirklich so viel ausrichtete, daß ihm bei seinem Abschied Doktor Faustus gelobte, er wolle seiner heilsamen Lehre und Ermahnung nachkommen . Auch ist es ihm denn, da er jetzt allein war, solchergestalt zu Herzen gegangen, daß, indem er bei sich selbst erwog, was er doch gedacht habe, daß er sich um nichtiger Wollust willen dem leidigen Teufel ergeben habe, er sich entschloß, Buße zu tun, weil noch Zeit vorhanden, und sein Versprechen dem Teufel wieder zurückzuziehn. Unter solchem Vorhaben erscheint ihm der Teufel, tappt nach ihm, stellt sich nicht anders, als ob er ihm den Kopf umdrehen wollte, warf ihm bald vor, was ihn so ernstlich dazu bewogen hätte, daß er sich dem Teufel ergeben, nämlich sein frecher, stolzer und sicherer Mutwille. Er, Faustus, sei ihm, dem Teufel, nachgegangen, und nicht er, der Teufel, ihm; er habe ihn zu vielen und unterschiedlichen Malen mit Charakteren, Beschwörungen und andern Sachen angerufen und seiner eifrigst begehrt. Zudem so hab ' er ja ungezwungen und freiwillig die fünf Artikel angenommen, sich auch hernach mit seinem eigenen Blut verschrieben und verpflichtet, daß er Gott und Menschen feind sein wolle. Diesem Versprechen nun komme er nicht nach, wolle eigenmächtig umkehren, da es doch schon allzuspät und er nunmehr des Teufels eigen sei, der ihn zu holen und anzugreifen gute Macht habe. So wolle denn der Satan Hand an ihn legen, oder aber er soll sich wieder von neuem verschreiben und solches mit seinem Blut bekräftigen, daß er sich hinfüro von keinem Menschen mehr wolle abmahnen und verführen lassen: wo nicht, so wolle er ihn in Stücke zerreißen. Doktor Faustus, ganz voll Erstaunens bei Anhörung dieser schrecklichen Drohworte, bewilligte alles mit bebenden Lippen von neuem, setzte sich nieder und schrieb mit seinem Blute die zweite Teufelzverschreibung, welche nach seinem Tode in seiner Behausung gefunden wurde. —

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Nachdem er sich also dem Teufel aufs neue mit seinem Blute verschrieben, schlug er alle treue, wohlgemeinte und seiner armen Seele ersprießliche Warnung jenes gottesfürchtigen Nachbarn in den Wind und geriet, auf Anstiften des verbosten Geistes, gegen diesen alten, ehrlichen Mann in einen solchen Haß, daß er auch nicht ruhen und rasten wollte, bis er sein Mütlein an ihm gekühlet und ihn womöglich an Leib und Leben gefährdet hätte.


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Wie nun dem Sprichwort nach ehrlicher Leute wohlgemeinte Straf' und Ermahnung gemeiniglich schlechten Lohn erwirbt, also erging es auch dem ehrlichen Nachbarn: denn etwa nach zweien Tagen, als er nach dem Nachtessen zu Bette gegangen und sich allbereit nach gesprochenem Abendgebet schlafen gelegt: siehe, da rüstet ihm Doktor Faustus ein solch Poltern und Rumpeln vor der Kammer an, als ob alles über einen Haufen fallen wollte, welches der gute Mann vorher niemal gehört; jedoch ermunterte er sich bald und gedachte bei sich, dies werde gewiß eine Versuchung des Teufels sein, vielleicht, weil er Nachbar Faust gutherziger Meinung seiner Seelen Wohlfahrt zu bedenken ermahnt habe. In diesen Gedanken kommt das Teufelsgespenst gar zu ihm in die Kammer hinein, grunzt wie ein Schwein und treibt es so lang, daß dem guten Mann angst und bang darüber wird. Allein er erholt sich endlich, gedenkt bei sich selbst: "Ich werde doch solch Gespenst nicht leicht von mir treiben als mit Verspotten und Verachten", fängt deswegen an und sagt herzhaft: "Ei, eine solche schöne Musik ist mir mein Lebtag nicht vorgekommen, die lieblicher zu hören gewesen denn diese; ich glaube, du hast sie in einem Wirtshaus bei den vollen Bauern und Zechbrüdem oder, welches glaublicher, bei dem Schweinehirten gelernet; wie ist sie doch so trefflich angestellt, ist sie vielleicht ein höllisches Konzerts Nun wohlan, sing du die Noten, so will ich den Text dazu singen!"

Und so fing der fromme Mann an, mit heller Stimme ein geistliches Lied zu singen. Auf der Stelle schwieg der Teufelsspuk. Jener aber sagte: "Meister Satan, wie gefällt dir dieses Lied? Ich hätte vermeint, du solltest dich mit deiner lieblichen Musik etwa an einen fürstlichen Hof begeben haben, da man vielleicht mehr darauf würde geachtet haben als bei mir! Packe dich von hier und spare solchen Gesang bis zur Auferstehung der Toten und Erscheinung des allgemeinen Richters; wo du alsdann ohne Zweifel in einen Himmel kommen wirst, wo die Flammen zum Loch ausschlagen!" Mit solchem Gespötte hat der Nachbar das Gespenst vertrieben, und es ist hinfort nicht mehr gehöret worden.

Des andern Morgens fragte Faust seinen Geist, was er bei dem Alten ausgerichtet habe. Da gab ihm der Geist die Antwort: er hätte ihm nicht beikommen können; denn er wäre geharnischt gewesen.



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Um diese Zeit geschah es, daß Doktor Faust zu besserer Betreibung seines Zauberhandwerks sich einen Famulus beigesellte. Es kam nämlich zur rauhen Winterszeit eines Tags ein junger Schüler vor Fausts Behausung,


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der sang, selbiger seit Gebrauch nach, das Responsorium; diesem hörte eine Weile Doktor Faustus zu, und weil er sah, daß der arme Mensch übelgekleidet und fast erfroren war, erbarmte er sich seiner, forderte ihn hinauf in seine Stube, sich zu wärmen, besprach sich mit ihm, fragte, woher er wäre, und wer seine Eltern seien. Worauf der Junge bald antwortete, er wäre eines Priesters Sohn zu Wasserburg, hätte seines Vaters täglichen ungestüm nicht länger ertragen können usw. Als nun Doktor Faust aus seinen Reden und allen Anzeichen abnahm, daß er eines gelernigen und zugleich verschmitzten Kopfes sei, nahm er ihn zu einem Famulus an und hatte ihn hernach sehr lieb, hauptsächlich da er nach und nach an ihm wahrgenommen, wie er ganz verschwiegen war und keine Schalkheit seines Herrn offenbarte, ja selbst voll böser Lüste steckte. Darum eröffnete er ihm einst alle seine Heimlichkeit und ließ ihn überdies eines Tags seinen Geist in der gewöhnlichen Mönchsgestalt sehen, worüber jener nicht erschrak, sondern die Erscheinung bald gewohnt


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wurde. Ja, er verrichtete hernach alle Sachen, wie ihm der Geist befahl , so wohl und mit solchem Fleiß; daß ihn sein Herr, Doktor Faustus, so liebgewann, daß er ihm vor seinem Tod in seinem Testament alle seine Verlassenschaft vermachte.

Nun Faust einen menschlichen Aufwärter bekommen, konnte er seinen schwarzen Zauberhund Präsitgiar; der auch ein Geist war, entbehren und schenkte ihn einem Abte zu Halberstadt; der selber ein Kristallseher war. Dieser Hund war nun in allem dem Abt gehorsam, deswegen er ihn auch sehr liebhatte; nach Verfluß eines Jahrs aber verfiel er in ein großes Winseln und Seufzen, wollte sich nicht sehen lassen und verbarg sich, wo er nur konnte; der Abt fragte ihn deswegen, wie es doch käme, und wie er's meine. Da gab ihm der Geisterhund zur Antwort: "Ach, lieber Abt; ich habe vermeinet, ich wolle sehr lang in deinem Dienst verharren, aber ich sehe es leider und weiß es, daß es nicht sein kann und ich also vor der bestimmten Zeit von dir scheiden werde, das wirst du bald und in kurzem erfahren, die Ursach ' aber verschweig ' ich für dieses Mal!"Wie dem allen sein mochte: ehe acht Tage um waren, fiel der Abt in eine hitzige Krankheit und starb im Aberwitz.



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Einsmals besuchte Doktor Faustus wieder mit einigen Studenten, seinen vertrauten, guten Freunden, die Leipziger Messe. Es kam aber ebendamals auch daselbst ein vornehmer Kardinal, namens Campegius, an, dem erwies der Magistrat der Stadt alle Ehre. Dieser fuhr des andern Tags aus der Stadt mit seinen Leuten an einen nahe gelegenen lustigen Ort, frische Luft zu schöpfen; weil nun Faust solches erfuhr, und er ihn auch gerne sehen wollte, ging er mit seiner Gesellschaft zu Fuß hin an denselbigen Ort.

Doktor Faustus gedachte bald bei sich, wie er auch hier sich mit seiner Kunst zeigen und diesem Herrn etwas zu Gefallen tun möchte, damit er von ihm bei seiner Heimkunft zu Rom etwas zu sagen hätte. So sprach er denn zu seinen Gesellen: "Liebe Herren und Freunde, in Ermanglung anderer Kurzweil will ich diesem Fürsten zu Ehren eine sonderbare Jagd anstellen, die doch dem Landesfürsten in seinem Gebiet und den daran haftenden Rechten nicht nachteilig sein soll; ihr aber bleibet allhier stehen und sehet zu."

Bald darauf zog daher sein Mephistopheles, mit vielen Hunden begleitet , und auch er ging einher wie ein Jäger; Doktor Faustus setzte sein Hörnlein an und blies: zur Stunde sah man in der Luft daherfahren bald



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einen Fuchs, bald einen furchtsamen Hasen, welche denn, beide gleichfalls in der Luft, Mephistopheles mit den Hunden, Doktor Faust aber mit seinem Hörnlein immer nachfolgten. Die Hunde ängstigten und trieben die Füchse und Hasen bald so weit in die Höhe, daß man sie kaum mehr sehen konnte, bald kamen sie wieder herab, und hatte der Kardinal, der ohnedies dem Jagen sehr ergeben war, darob eine sonderliche Freude; dies währte fast eine Stunde, alsdann verschwanden die Jäger, die Hunde, die Füchse, die Hasen, und Doktor Faust fuhr wie aus der Luft herab an den Ort, wo seine Gesellen standen und zuschaueten Dies sah auch der Kardinal, ließ seiner Diener einen dahineilen, um zu fragen, wer doch diese Person wäre. Da ihm nun hinterbracht wurde, daß es der Doktor Faustus wäre, von welchem er bereits viele wunderliche Abenteuer erzählen gehört, erfreute er sich uno ließ ihn durch einen Edelmann bitten, daß er auf den Abend sein Gast sein und mit seiner Tafel fürliebnehmen wolle.

Als Doktor Faust erschienen, erzeigte ihm der Kardinal allen geneigten Willen, versprach ihm, wenn er mit ihm nach Rom kommen wolle, daß er ihn allda zu einer hohen Würde befördern wollte; denn er gedachte sich seiner als Wahrsagers zu bedienen. Faust aber bedankte sich höflich und setzte stolz hinzu, er habe Guts und Hoheit genug; denn ihm sei der höchste Fürst der Welt untertänig. Und damit nahm er unter vielen Reverenzen Abschied von dem Kardinal.



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Der löbliche Kaiser Maximilian kam auf einige Zeit mit seiner gan- zen Hofhaltung nach Innsbruck, willens, eine Zeitlang da zu verharren und frische Luft zu schöpfen. Weil nun Doktor Faustus auch dazumal seiner Kunst wegen bei Hof sich aufhielt und ein anderer Probe halber bei Ihrer Kaiserlichen Majestät in besonderen Gnaden war, geschah es einst im Sommer nach Jakobitag, da der Kaiser das Nachtessen eingenommen hatte und in seinem Zimmer auf und ab spazierte, daß erden Doktor Faust allein zu sich kommen ließ und begehrte er soll ihm vermittels seiner Kunst etwas zu Gefallen ausrichten, es werde ihm, bei seinem Kaiserlichen Wort, nichts Arges deswegen widerfahren, sondern er wolle es noch mit allen Gnaden erkennen.

Doktor Faustus konnte und wollte ein solches Ihrer Kaiserlichen Majestät nicht abschlagen, und der Kaiser sprach hierauf weiter: "Ich saß neulich in meinen Gedanken und betrachtete in meinem Gemüte, wie meine Vorfahren so hoch in der kaiserlichen Würde und Hoheit gestiegen



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und zu einem solchen Ansehen bei der Nachwelt gelangt sind, daß ich billig Sorge trage, ob die nachfolgenden Kaiser gleicher Ehre möchten teilhaftig werden; aber was ist dieses alles gewesen gegen die Hoheit und das Glück Alexanders des Großen, der fast die ganze Welt in so kurzer Zeit unter sich gebracht hat? Nun möchte ich herzlich gern den Geist dieses unüberwindlichen Helden, wie auch seiner schönen Gemahlin, wie sie in dem Leben gewesen, sehen und kennen." Doktor Faust antwortete nach einem kleinem Bedacht; er wolle dieses alles bewerkstelligen ohne einen Betrug, nur dieses bäte er Ihre Kaiserliche Majestät, daß sie ja während der Zeit dieser Vorstellung nichts reden sollten, welches jener auch versprach. Faustus gehet indessen vor das Gemach hinaus , erteilt seinem Mephistopheles Befehl, diese Personen vorstellig zu machen, und geht wiederum hinein. Bald klopfet er an die Türe, da tat sich diese von selbst auf, und herein schritt der Große Alexander, wiewohl nicht groß von Person, jedoch strengen Ansehens; dazu hatte er einen falben Bart; er trat herein in einem ganz vollkommenen köstlichen Harnisch und machte dem Kaiser Reverenz, dieser aber wollte sofort dem Herrn Bruder die Hand bieten und sprang deswegen von seinem Stuhl auf. Faust aber trat eilig dazwischen und verhinderte es.

Als nun Alexanders Geist wieder von dannen gegangen, kam alsobald der Geist der Königin, seiner Gemahlin, herein. Diese machte ebenfalls vor dem Kaiser eine tiefe Reverenz, war angetan mit himmelblauem Samt, über und über mit orientalischen Perlen besetzt; sie war dabei eine über alle Maßen schöne Frau, lieblichen Ansehens und holdseliger Gebärden, daß sich der Kaiser recht über solcher Schönheit verwunderte. Zugleich fiel ihm ein, wie er öfters von dieser schönen Königin gelesen, daß sie hinten an dem Nacken eine Warze gehabt haben sollte. Er stand daher auf, die Wahrheit dessen zu erfahren, und ging hin zu ihr, und als er die Warze gefunden, ist auch der Geist hinausgegangen: also ist dem Kaiser hierin ein völliges Genüge geschehen, und er bedachte den Schwarzkünstler mit einem recht kaiserlichen Geschenke. Dieses nun wollte Doktor Faust mit Dankbarkeit erwidern und Ihrer Majestät noch eine besondere Ergötzlichkeit verschaffen. Nachdem kurz hierauf eines Abends der Kaiser Maximilian zur Ruhe gegangen und sich in sein gewöhnliches Schlafgemach verfüget, konnte er sich frühmorgens, da er erwachte, nicht besinnen, wo er doch wäre: denn das Schlafgemach war durch Doktor Fausts Kunst zugerichtet als ein schöner Saal. in welchem viel schöne lustige Bäume von grünen Maien zu beiden Seiten standen, neben andern,



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die behängt waren mit zeitigen Kirchen und anderem Obst; der Boden des Saals war anzusehen als eine grüne Wiese von allerlei bunten Blümlein; um des Kaisers Bettstatt aber standen noch edlere Bäume, als Pomeranzen, Granaten, Feigen und Limonien, mit ihren Früchten: auf dem Gesims waren zu sehen die allerwohlriechendsten Blumen, und an den Wänden hingen bereits zeitige Trauben.

Leicht ist zu glauben, daß solche unverhoffte Veränderung seines Schlafzimmers den löblichen Kaiser werde haben recht verwundern gemacht, welches denn auch Ursache war, daß er etwas länger als sonst in Bette verharret. Er stand aber hernach auf, tat seinen Nachtpelz um sich und setzte sich nahe bei dem Bett auf einen Sessel: indem hörte er lieblichen Gesang der Nachtigall, den anmutigen Zusammenklang anderer singenden Vögel, die denn immer von einem Baum auf den andern hüpften; auch sah er von ferne zu Ende des Saals schneeweiße Kaninchen und junge Hasen laufen, und bald darauf überzog das obere Tafelwerk ein Gewölk. Als nun der Kaiser diesem allem begierig zusah und solchergestalt im Saal sich verweilete, gedachten die Kammerdiener, wie es doch kommen möge, daß ihr allergnädigster Herr vom Bett nicht aufstehe; es müsse ihm etwa eine Unpäßlichkeit zugestoßen sein; sie erkühnten sich deswegen und öffneten sittiglich die Türe des Schlafgemachs: allwo sie denn nicht allein ihren Herrn, den Kaiser; bei guter Gesundheit antrafen, sondern aus der herrlichen Luft allda abnehmen mußten, was die Ursache des Verweilens gewesen: der Kaiser aber ließ alsobald die Vornehmsten am Hof zu sich berufen, die sich denn ebenfalls ob der Zierlichkeit und Lustbarkeit des Saals nicht genugsam verwundern konnten Allein nach etwa einer Stunde, und ehe sie sich dessen versahen, fingen die Blätter an den Bäumen an welk zu werden und zu verdorren, wie auch die Früchte und Blumen; bald aber kam ein Wind zum Gemach herein, der wehete alles ab so gar; daß der ganze Zauber in einem Augenblick vor ihren Augen verschwunden und ihnen nicht anders war, als hätte es ihnen geträumt. Dem Kaiser hatte die Lustbarkeit dieses zugerichteten Saals so wohlgefallen, daß er eine gute Weile in Gedanken sitzend nachdachte, wer doch solche zugerichtet haben möge, und als, wie natürlich, sein Verdacht auf Doktor Faustus fiel, ließ er ihn zu sich berufen, und. fragte ihn, ob er der Meister dieses Werkes gewesen. Doktor Faust demütigte sich und sprach: allergnädigster , Euer Kaiserliche Majestät hat mich kürzlich wegen eines erwiesenen Kunststücks mit einer ansehnlichen Verehrung begnadigt, dagegen ich mich denn auch, wiewohl



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schlecht genug, habe müssen dankbar erweisen" Darob der Kaiser ein gnädiges Wohlgefallen getragen.

Nun ward eines Tages Doktor Faust inne, daß der Kaiser einigen fremden Gesandten und andern Herrn zu Ehren ein kostbares Bankett auf den Abend zugerichtet hatte, wobei auch das Frauenzimmer zugegen sein mußte. Es wollte aber bei solcher Fröhlichkeit Doktor Faustus seine Kurzweil auch miteinmengen, wohl wissend, daß es hoher Orten nicht mißliebig sein würde. Er brachte es deswegen durch seine Kunst dahin, daß in dem großen Saal, wo das Mahl gehalten wurde, dem Ansehen nach ein Gewölk hineinrauschte, etwas trüb, gleich als wenn es bald regnen wollte; bald aber darauf trennte sich dieses Gewölk, mit Weiß und Blau gemischt, also daß es herrlich anzusehen war; der Himmel stund da ganz blau, und ließen sich die Sterne daran in voller Klarheit sehen, auch nahm man den Mond in vollem Scheine wahr: etwa eine Viertelsende hernach überlief das Gewölk wieder, und die Sonne tat einen starken Blitz, daß sich alle versammelten Gäste kreuzigten, bald aber einen schönfarbigen Regenbogen der kaiserlichen Tafel zugehen sahen, der jedoch bald wieder verging. Als nun Doktor Faustus vermerkt; daß bereits der Kaiser und mit ihm die vornehmsten Herren von der Tafel aufgestanden, die Damen aber, und die sie bedient und ihnen aufgewartet, sich noch etwas aufhielten, siehe, da überlief das Gewölk durch einen starken Wind abermal und erschien sehr trübe, da es denn bald anfing zu blitzen und zu donnern, ja zu kieseln ' und stark zu regnen, so daß alle, die in dem Saal zugegen waren, davonlaufen mußten; welches denn dem Kaiser alsobald angedeutet wurde, der nach einigem Schrecken wohl inneward, daß das Wetter ohne Schaden abgegangen und nur ein durch Kunst des Doktor Faust zugerichtetes Gewitter gewesen. Und so hatte er ein besonderes Wohlgefallen auch an dieser Kurzweil.



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Einst kam einer von Adel nach Leipzig, und als ihm in dem Wirtshaus über der Tafel von andern erzählt wurde, wie Doktor Faustus, der berühmte Schwarzkünstler, verstorben, und zwar ein erbärmliches Ende genommen hätte, da erschrak hierüber dieser Edelmann von Herzen und sprach: "Ach, das ist mir sehr leid, er war dennoch ein guter dienstfertiger Mann, und mir hat er eine Wohltat erzeigt, deren ich die Zeit meines Lebens nimmermehr vergessen kann. Es war dazumal mit mir so


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beschaffen: als ich vor sieben Jahren noch ledigen Standes und unverheiratet war, auch zur selbigen Zeit zu Wittenberg Studierens wegen mich aufhielt, lernte ich unter andern Freunden auch Doktor zaust kennen; und zwar so, daß er mich, ohne Ruhm zu reden, vor andern recht liebte und mir wohlwollte. Nicht lang hernach wurde ich auf den Ehrentag eines Verwandten nach Dresden eingeladen, auf welchem ich auch erschien, aber ich weiß nicht, zu meinem Glück oder Unglück; denn ich kam in ein Verhältnis mit einer adeligen, schönen, tugendbegabten Jungfrau, die mich auch in Züchten ihre Gegenliebe merken ließ, so daß nach der Einwilligung unserer beiderseitigen Verwandten in kurzem daraus eine Heirat ward. Als ich nun etwa ein Jahr in aller Vergnüglichkeit, in friedsamer Ehe lebte, da ward ich einst von zweien meiner Vetter verführt; die Lust hatten, das Heilige Land zu besehen, daß ich trunkenerweise, jedoch bei Edelmannswort zusagte, daß ich mit ihnen und anderen Gesellen dahinreisen wollte; ich hielt auch dies Versprechen unverbrüchlich, und meine Hausfrau, wie sehr sie sich auch dawidersetzte, mußte solches endlich geschehen lassen.

Es starben aber nach kaum halb vollbrachter Reise etliche von uns, und kamen, kurz zu sagen, mit Mühe und Arbeit nur unser drei an den verlangten Ort; um nun in der Welt auch noch mehr zu sehen, wurden wir darüber einig, unsern Weg über Griechenland nach Konstantinopel zu nehmen, um des Türken Wesen desto besser einzusehen; allein bei einem Engpaß, durch den wir reisen mußten, wurden wir für Kundschafter angesehen, darüber gefangen, und mit einem Wort: wir mußten unser hartseliges Leben in schwerer Dienstbarkeit fünf ganze Jahre zubringen. Der eine meiner Vettern starb hierüber, und kam über Venedig die Sage nach Deutschland zu den Ohren meiner Freunde, wie auch meiner frau, daß ich gewiß gestorben wäre. Nun fanden sich, wie leicht zu glauben, bald Freier, die sich um meine Frau bewarben, und ließ sich auch diese nach halb geendigter Trauer von einem wackern Edelmann aus der Nachbarschaft bereden, daß sie das Jawort gab und also zur andern Ehe schreiten wollte, wie denn bereits zur hochzeitlichen Feier Anstalt gemacht wurde. Allein was geschiehet?

Diesem meinem alten guten Freund und Bekannten, dem Doktor Faust, kommt beides zu Ohren, daß ich nämlich wäre in der Türkei verstorben, und daß daher meine Ehefrau sich wieder in ein anderes Eheverlöbnis mit einem von Adel eingelassen hätte; er hatte nun meines vermeinten Todes wegen mit mir ein großes Mitleiden, zumal daß ich



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in so schwerer Dienstbarkeit solle verstorben sein: fordert deswegen seinen Geist zu sich, fragt ihn, ob dem also wäre, wie die Sage von mir ginge; ob ich tot oder noch am Leben wäre. Und als er von dem Geist vernommen, daß ich nicht tot sei, jedoch noch immer in harter Dienstbarkeit lebe, daraus ich ohne Zweifel so bald nicht würde erlöst werden, befahl er von Stund an diesem seinem Geist; daß er sich aufmachen, mich von da erlösen und wieder in mein Vaterland bringen sollte; melches alsobald Mephistopheles zu leisten zusagte und auch redlich gehalten. Denn er kam in Fausts Gestalt, eben um die Mitternachtsstunde, da ich wachend auf der Erde (denn dieses war mein Bett) gelagert war und mein Elend betrachtete, zu mir hinein, und es war um ihn gar helle; ich erschrak und fürchtete mich, den Mann recht anzusehen, erkühnte mich doch dessen einmal, und es dünkte mich, ich sollte diesen Mann zuvor mehr gesehen haben. Er fing aber mit mir an zu reden, darüber ich mich erfreute, weil ich ihn für ein Gespenst hielt, und sprach: ,Kennest du deinen alten Freund, den Doktor Faust, nicht mehr? Wohlauf, du mußt mit mir und dich nach ausgestandenem Leid wiederum ergötzen. ' Ich kam also von da schlafend getragen in des Doktor Fausts Behausung nach Wittenberg, der empfing mich mit Freuden, zeigte mir zugleich an, wie sich meine Ehefrau bereits vor einem halben Jahr mit einem andern Edelmann verlobet und am dritten Tage die Hochzeit sein sollte; es wäre demnach große Zeit, mich eilig bei derselben einzustellen, wie ich denn auch folgenden Tags getan. Meine Ehefrau erschrak nun zwar bei meiner Am kunst nicht wenig und wußte nicht, ob ich ihr leibhaftiger Mann oder aber sein Geist wäre, weil jedermann glaubte, daß ich vorlängst schon der Würmer Speise worden. Weil ich aber meiner Liebsten genugsame Anzeichen sehen ließ, obschon die Menge der Trübsale meine Gestalt um ein Merkliches verändert; ihr auch den ganzen Verlauf meiner fünfjährigen Gefangenschaft sowie die erfreuliche Erlösung aus derselben erzählte, so fiel sie mir zu Füßen, bat demütig um Verzeihung, ließ alsbald unser beider Verwandtschaft berufen und entdeckte ihr meine Wiederankunft, erklärte auch darauf selbst, daß sie das zweite Verlöbnis für nichtig und ungültig erkenne. Diesem Ausspruche fiel die ganze Sippschaft bei, und weil der Edelmann an das Gericht appellierte, so bestätigte denselben auch der Richter. Eine solche Wohltat nun, ihr Herren, hat mir der gute Doktor Faustus erzeigt, welche ich ihm die Zeit meines Lebens nicht werde genugsam verdanken noch rühmen können."


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Als einst die erfreuliche Fastnachtszeit herbeigekommen, berief Doktor Faust etliche Studenten, seine vertrauten Brüder und Freunde, traktierte sie aufs beste, und dieses währte bis in die Nacht hinein. Obwohl nun für diesesmal kein Mangel an irgendeinem Getränk erschien, gelüstete doch den Doktor Faust, eine kurzweilige Fahrt anzustellen, und weil ihm nicht unbewußt war, daß zu jener Zeit der Keller des Bischofs zu Salzburg mit den besten und delikatesten Weinen vor andern versehen wär', richtete er seine Gedanken gleich dahin und eröffnete deswegen solch Vorhaben den andern mit der Bitte, sie sollten mit ihm in jenen Keller fahren und allda nur die besten Weine, gleichsam zu einer Ablöschung und Abkühlung, versuchen: er wolle ihnen für alle Gefahr gutstehen.

Den Herren Studenten ging dieses, weil sie Doktor Faust schon lange kannten, daß er's nicht bös mit ihnen meinte, desto eher ein; sie ließen sich leichtlich bereden und waren damit zufrieden. Alsobald führte sie Doktor Faustus hinab in seinen Garten am Hause, nimmt eine Leiter, setzt einen jeglichen auf einen Sprossen und fuhr also mit ihnen davon; und sie kamen gleich nach Mitternacht in dem bischöflichen Keller zu Salzburg an; da sie denn bald ein Licht schlugen und also ungehindert die besten und herrlichen Weine auszapften und versuchten. Als sie nun sämtlich fast bei einer Stunde gutes Mutes waren, lustig einer dem andern auf die Gesundheit des Bischofs ein Glas nach dem andern zubrachte, siehe da kommt der Kellermeister und eröffnet ohne an etwas anders zu denken, die Türe des Kellers; will, weil ihn und seine Gesellen der Durst nicht schlafen ließ, noch einen Schlaftrunk holen: findet also die nassen Bursche allda zechen, die an nichts wenigers gedachten, als wie sie einen guten Rausch so wohlfeilen Kaufs möchten mit sich nehmen. Es war nun beiderseits Entsetzen und Furcht; der Kellermeister erkühnte sich jedoch letztlich und schalt sie Diebe, denen ihr Lohn bald werden sollte: wollte auch gleich zurücklaufen und ein Geschrei machen, daß Diebe vorhanden wären. Dieses verdroß nun den Doktor Faust gar sehr, und noch mehr, da er sah, daß seine Mitgesellen gar kleinmütig zu werden begannen wegen der ihnen drohenden Strafe; er ermahnte sie daher zum eiligen Aufbruch und befahl, es sollte ein jeder seine Flasche, die er vorher schon mit gutem Wein gefüllt hatte, mit sich nehmen und die Leiter ergreifen, er aber nahm den Kellermeister bei dem Haar und fuhr mit allen zugleich davon. Sie zogen aber (wie nachmals der Kellermeister ausgesagt) aus dem Keller in die Höhe, und da sie kurz hierauf über einen Wald hinführen, ersah Doktor Faust einen hohen Tannenbaum; auf diesen nun wurde der vor



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Furcht und Schrecken halbtote Kellermeister gesetzt; Faust aber kam mit seinen Burschen und dem Wein wieder nach Hause, da sie denn erst recht herumzechten, bis der Tag anbrach.

Wie dem guten Kellermeister indessen, bis der Tag angebrochen, auf seinem Baum müsse zumut gewesen sein, ist leichtlich zu erachten, zumal er nicht gewußt, wo und in welcher Gegend er wäre, dazu schier erfroren war: als aber der sehnlich verlangte Morgen anbrach und er nun augen- scheinlich sah, daß er ohne Lebensgefahr nicht von dem hohen Baum kommen würde, rief er ohne Unterlaß mit heller Stimme so lang und viel, bis zwei vorübergehende Bauern, welche in die Stadt gehen und etwas von Schmalz und Käse verkaufen wollten, solches vernahmen und also mit höchster Verwunderung diesen Vogel in den Tannenzweigen pfeifen hörten . Die Bauern, weil der Kellermeister ihnen eine gute Verehrung zu geben versprach, eilten desto mehr der Stadt zu, wo sie solches verkündigten , bis sie letztlich gar nach Hofe kamen, allwo sie denn zuerst keinen Glauben fanden, bis man ihnen wegen der Abwesenheit des Kellermeisters , auch der noch halb geschlossenen Tür im Keller, Glauben geben mußte; weswegen eine große Menge Volks sich aus der Stadt mit den Bauern dorthin verfügte, wo der Kellermeister saß, welcher denn mit großer Mühe und Arbeit herabgebracht werden mußte. Sosehr man aber mit Fragen ihm zusetzte, so vermochte er doch nicht zu sagen, wer die Diebe gewesen, so er im Keller angetroffen, noch denjenigen zu nennen, der ihn auf den Baum geführt und in solcher Gefahr daselbst gelassen hatte.

Es verfügten sich auch genannte Studenten in der Fastnacht am Dienstag in des Doktor Faust Behausung und hatten sämtlich sich vorgenommen, der Zeit das Recht zu tun und die Fastnacht in aller erdenklichen Lust und Freude zu halten; wozu denn ihnen ohne allen Zweifel Doktor Faustus jeglichen Vorschub tun würde; denn sie wußten wohl, daß er gar freigebig war, wenn er nur selbst hatte, und sich freute, wenn jemand in solchem Vorhaben zu ihm kam: allein sie wurden in ihrer Meinung gar sehr betrogen, weil sie bei dem Nachtessen nichts anders als eine Schüssel mit gesottenem Rindfleisch, auch keinen Wein sahen, ja gar nichts, was man sonst bei solcher Fastnachtszeit Gutes zu speisen und den Gästen aufzutragen pflegte. Es sah immer einer den andern an und konnten nicht begreifen, wie solches gemeint wäre, gedachten aber wohl, daß es Doktor Faust auf eine Schalkheit abgesehen habe, welches auch bald sich auswies. Denn er ließ kurz hierauf den Tisch aufheben, einen neuen bereiten und sprach zu ihnen: "Ihr, meine lieben Herren und angenehmen



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Gäste, ich bitte, ihr wollet mir zugut halten, daß ich euch zum Nachtessen nicht bessere Gerichte hab ' lassen vortragen, nichts anders als ein Stück Rindfleisch und einen schlechten Trunk; das ist aber die Ursache gewesen, daß dieses von dem Meinigen und aus meinem Beutel gegangen. Nun aber wollen wir erst recht lustig sein und die liebe Fastnacht einweihen und der Gebühr nach halten, und dieses soll nicht aus meinem Beutel gehen, sondern, weil jetzund zu dieser Zeit große Potentaten und Herren Gastereien und herrliche Mahle halten, also will ich meinen Teil auch dabei haben, es sei ihnen lieb oder leid." Darauf stellte Doktor gauss drei Flaschen, eine zu fünf, die zwei andern jede zu acht Maß in seinen Garten und befahl seinem Geist Mephistopheles, daß er darein ungarischen, welschen und spanischen Wein füllen solle; desgleichen setzte er fünf platte Schüsseln hinaus, darin brachte der Geist nach etwa einer halben Stunde Wildbret und Gebratenes noch fein warm herein: also setzten sie sich sämtlich zu Tische, und sprach ihnen Doktor Faustus zu, sie sollten fröhlich und guter Dinge sein; denn es sei keine Verblendung, sondern seien recht natürliche Speisen und Getränke, wie sie es denn auch gefunden haben; denn sie verfuhren mit Wein und Speisen dergestalt, daß nicht viel von allem übergelassen wurde und sie ganz toll und voll fast gegen den Tag erst nach Hause gegangen.

Am folgenden Aschermitwoch, als der rechten Fastnacht, kamen diese guten Brüder abermal zu Doktor Faust, gaben vor, sie müßten der Zeit ihr Recht tun und also wiederanfangen, wo sie es gestern gelassen hätten; und weil Doktor Faust sich recht fröhlich noch einmal erzeigen wollte, ließ er den Tisch decken, mit Bitte vorliebzunehmen, was man auftragen würde. Nebst zwei Braten wurde auch in die Mitte ein schöner, großer gebratener Kalbskopf aufgesetzt und der Studenten einer gebeten, solchen zu zerlegen. Als aber dieser das Messer ansetzte, fing der Kalbskopf mit lauter Stimme an zu rufen: "Mordio, Helfio, Auweh, was hab ' ich dir getan!"daß die Studenten recht von Herzen darüber erschraken; weil sie aber sahen, daß Doktor Faust schier vor Lachen ersticken wollte, konnten sie bald erraten, wie es damit beschaffen sein müsse, und lachten deswegen auch mit.

Indessen fing Doktor Faust sein Gaukelspiel an, die Gemüter seiner Gäste zu erlustigen: erstlich hörten sie in der Stube allerhand musikalische Instrumente, da man doch nicht sehen noch wahrnehmen konnte, wo es herkäme; ja, sobald ein Instrument aufgehört; kam ein anderes; wenn dann die Violin' etwa einen lustigen Tanz machte, da sprangen und



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hüpften die Gläser und Becher auf dem Tisch, und so einer oder der andere den Becher, damit der Wein, seiner Meinung nach, nicht verschüttet würde, mit der Hand festhalten wollte, mußte er auch mithüpfen, so daß ein großes Gelächter entstand. Nach solcher Kurzweil nahm Doktor Faustus zehn irdene Häfen, die stellte er mitten in die Stube: da buben die an zu tanzen und aneinander zu stoßen, daß sie in Stücke verbrachen. Zum dritten ließ er einen Haushahn im Hofe fangen, den stellte er auf den Tisch; als er ihm aber zu trinken gab, hub er an, ganz natürlich zu pfeifen und Tänze zu machen. Darnach richtete Doktor Faust wieder eine Kurzweil an und legte eine Harfe auf den Tisch; da kam ein alter Aff ' in die Stube herein, der machte viel gute Possen darauf und tanzte dazu sehr zierlich.

Weil nun mit solchen und andern Späßen etliche Stunden von dem Mittag an verlaufen, die Zeit aber zum Abendessen bereits vorhanden war, so wurden sie zu solchem berufen, da doch der Gäste keinen hungerte, außer daß zwei oder drei nach einem Gerichte Vögel gelüstete: da nahm Doktor Faust eine Stange, die reichte er zum Fenster hinaus, pfiff zugleich aus einem Pfeiflein; alsbald kamen viele Trofteln und Krammetsvögel hergeflogen, welche auf die Stange saßen, und die mußten bleiben; ; diese nahm er denn herein, und die Studenten halfen solche würgen



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und rupfen, der Famulus aber briet sie. Nach dem Nachtessen, und als die Küchlein aufgetragen, beschlossen sie, daß sie miteinander in die Mummerei gehen wollten, wie denn gebräuchlich war, und zog ein jeder auf Geheiß Doktor Fausts ein weißes Hemd an: als aber die Studenten einander ansahen, bedünkte einen jeden, er habe keinen Kopf; gingen also miteinander in etliche vornehme Häuser, Fastnachtküchlein zu holen; darob denn die Leute sehr erschraken: nachdem man aber solche Gäste, der Gewohnheit nach, zu Tische gesetzet, hatten sie ihre erste Gestalt wieder , und man kannte sie; bald aber wurden sie abermal verändert und bekamen rechte Eselsohren, großmächtige Nasen u. s. f. Das trieben sie bis in die Mitternacht hinein, da sie dann voll und toll nach Hause zogen.

Als am Donnerstag, den folgenden Tag, Doktor Faust noch immer seine Fastnacht hielt und die Studenten wieder beieinander versammelt waren, traktierte er sie wie des vorigen Tags, fing auch seine Gaukelei wieder an, und so kamen in die Stube herein dreizehn Affen; diese gaukelten so wunderbarlich, daß dergleichen nie gesehen worden: denn sie sprangen immer einer auf den andern und tanzten darnach in einer Reihe um den Tisch herum, dann sprangen sie zum Fenster hinaus und verschwanden.

Weil es aber damals fast den ganzen Tag über geschneit hatte und also ein dicker Schnee lag, rüstete Doktor Faust mit Zauberei einen schönen, großen Schlitten zu; der hatte eine Gestalt wie ein Drache, auf dessen Haupt saß Faust selber und mitteninnen die Studenten; dabei waren vier Affen, auf dem Schwanz des Drachen sitzend, die gaukelten aufeinander, ganz lustig zu sehen, unter welchen einer auf der Schalmei pfiff; der Schlitten aber lief von sich selbst, wohin sie wollten; dies währte lang in die Nacht hinein mit solchem Klappern, daß einer vor dem andern nicht hören konnte, und sie gedachten sämtlich, sie hätten in der Luft gewandelt.



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Doktor Faustus verbrachte indessen, je näher das Ende seines Bündnisses herzunahete, je mehr und mehr nach Sankt Epikurs Regel ein rohes, sicheres und wüstes Leben, daß er das tägliche Vollsaufen, Spielen und Buhlen für seine höchste Ergötzlichkeit hielt. Er sah aber zu dieser Zeit in seiner Nachbarschaft eine schöne, doch arme Dirne, welche vom Land herein in die Stadt gekommen und sich in Dienste bei einem Krämer begeben hatte; diese gefiel nun Doktor Faust über die Maßen wohl, daß


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er nach ihr auf allerlei Weise und Wege trachtete und sie zu eigen haben wollte. Die Jungfrau aber wollte niemals, was man ihr auch versprechen mochte, in seinen sündlichen Willen sich fügen, sondern sie blieb ehrlich und wollte nur von der Ehe hören. Dazu rieten dem verliebten Faustus denn endlich auch seine guten Brüder und Freunde: der Geist Mephistopheles aber, als er dieses vermerkte, sprach unverzüglich zu Doktor Faust, was er nunmehr, da die versprochenen Jahre bald zu Ende sein würden, aus sich selbst machen wolle. Er solle gedenken an seine Zusage und sein Versprechen, zudem, so könne er sich in keinen Ehestand einlassen, dieweil er nicht zwei Herren zugleich dienen könne: "Denn der Ehestand ist ein Werk des Höchsten, den wir Teufel aufs höchste hassen und verfolgen. Derohalben, Fauste, siehe dich vor: wirst du dich versprechen zu verehelichen, so sollst du gewiß von uns zu kleinen Stücken zerrissen werden. Denke doch bei dir selbst, wie der Ehestand eine so große und schwere Last auf sich hat, und was jederzeit für Unlust daraus ist entstanden,


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Unruhe, Widerwillen, Zorn, Neid, Uneinigkeit, Sorge, Zerstörung der fröhlichen Herzen und Gemüter, und was dessen mehr ist."

Dem allen gedachte zwar Doktor Faustus eine Weile nach, er wollte aber doch auf seiner Meinung verharren, wendete auch das Rauhe heraus und sagte dem Geist: "Kurzum, ich will mich verehelichen, es folge gleich daraus, was da wolle", gehet damit hinweg und in seine obere Stube. Was folgte aber hierauf? Alsbald gehet ein großer Sturmwind seinem Hause zu, als wollte er's zugrunde werfen; es sprangen inwendig alle Angel der Türen auf, und ward das Haus voller Feuer. Doktor Faust lief die Stiege hinab, wollte die Haustüre suchen und davonlaufen, da erhaschet ihn ein Mann, der warf ihn zurück wie ein' Ballen in die Stube hinein, daß er weder Hände noch Füße regen konnte; um ihn her ging allenthalben Feuer auf, gleich als ob er jetzt verbrennen sollte; er schrie in diesen Nöten zu seinem Geist um Hilfe, er sollte die Gefahr nur diesmal von ihm abwenden; dann wolle er versprechen, hinfort in allem nach seinem Willen zu leben.

Da erschien ihm der Fürst Luzifer ganz schrecklich und leibhaftig, so grausam anzusehen, daß Faust auch seine Augen vor ihm zuhielt und seines elenden Endes gewärtig war. Darauf ließ sich Luzifer also vernehmen: "Sage nun an, wes Sinnes bist du?" Doktor Faustus, ganz kleinmütig und erschrocken, auch mit zugetanen Augen, antwortet: "Oh, du gewaltiger Fürst dieser Welt, verlängere mir meine Taget Du siehest, daß ich ein verkehrtes, wankelmütiges Menschenherz habe, daß ich auf andere Gedanken, welche dir zuwider sind, gefallen bin, hab ' aber das Werk noch nicht erfüllt; deswegen bitte ich dich, du wollest noch zur Zeit nicht Hand an mich legen; ich kann bald andern Sinnes werden." Der Satan gab hierauf die Antwort mit kurzen Worten: "Wohlan, siehe zu, daß dem also sein möge, und beharre darauf, das sage ich dir bei meiner Gewalt", und also verschwand er samt dem Feuer.



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Damit nun der elende Doktor gauss seinen Lüsten genugsamen Raum sehen und er also des Verheiratens ganz und gar vergessen möchte, gibt ihm der Satan den Gedanken ein, wie er doch die schöne Helena aus Griechenland, von welcher noch heutigestags die Welt so viel zu sagen weiß, nicht allein sehen, sondern gar zu einer Liebsten bekommen möchte. Eines Morgens frühe forderte er deswegen seinen Geist zu sich und entdeckte ihm sein Vorhaben mit der Bitte, es dahin zu bringen, daß hinfüro die schöne Helena, Königs Menelaus ' Gemahlin, um welcher willen


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die herrliche Stadt Troja zugrunde gegangen, in ebender Gestalt, wie sie im Leben gewesen, sein eigen werden möchte: welches denn der Geist zu tun versprach.

Des andern Tags meldet Mephistopheles dem Doktor Faust an, daß er nun seinem Begehren ein Genüge zu tun bereit wäre und ihm die schönste Griechin selbiger Zeit herbeischaffen wollte, mit welcher er die folgende Zeit seines Lebens in aller Ergötzlichkeit zubringen möchte: und folgte ihm also die Königin auf dem Fuße nach, so wunderschön, daß Doktor Faust nicht wußte, ob er bei sich selbst wäre oder nicht. Diese Helena erschien denn in einem köstlichen Purpurkleid, ihr Haar hatte sie herab hängen, welches herrlich goldfarb schien, auch so lang war, daß es ihr bis in die Kniebeuge herabhing, mit schönen, kohlschwarzen Augen, holdseligem Angesicht und lieblichen Wangen; sie war eine schöne, länglichte, gerade Gestalt; und war kein Tadel an ihr zu finden. Als nun Doktor Faustus solches alles sah und wohl betrachtete, hat diese verzauberte Helena ihm das Herz dermaßen eingenommen und gefangen, daß er zur Stunde in heftiger Liebe gegen sie entzündet wurde und mit ihr bald anfing zu scherzen, ja nachgehends sie wie sein eigenes Weib hielt und sie so liebgewann, daß er schier keinen Augenblick von ihr sein konnte noch wollte und also dabei alles Verehelichens vergaß. Etliche Monate strichen indessen vorbei, als ihm einst von ihr berichtet wurde, daß sie ihm ein Kind gebären würde. Faust hielt dieses für unmöglich; denn er wußte ja, daß sie keine natürliche leibhafte Person wäre.



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Nachdem er aber gesehen, daß sie fast zu Ende des Jahrs von Geburtsschmerzen überfallen wurde, auch bald darauf eines Sohns genesen, erfreute er sich höchlich darüber und nannte ihn Justus Faust. Welcher aber hernach, nach seines Vaters elendem Tode, zugleich mit seiner vermeinten Mutter verschwunden.


III.

Oben ist erzählt worden, wie Doktor Faustus einen jungen Menschen der damals um Brot sang, jedoch eines fähigen, verschmitzten Kopfes war, mit Namen Christoph Wagner, zu einem Famulus angenommen, dem er auch, weil er seine Verschwiegenheit mehr als einmal erfahren, seine meisten heimlichen Sachen, Schriften und Bücher nach der Zeit anvertraute; und weil jener sich allewege wohl in seines Herrn Kopf zu schicken wußte, ja zu dieser und jener Schalkheit seinem Herrn treulich half, hat ihn dieser sein Herr sehr geliebt und ihn als seinen Sohn gehalten .

Als sich nun die Zeit mit dem Doktor Faust ändern wollte, weil bald das vierundzwanzigste Jahr seiner Verschreibung zu Ende ging, berief er einen bekannten Notarius, daneben etliche gute Freunde aus den Herrn Studenten und vermachte in deren Gegenwart seinem Famulus Wagner Haus und Garten bei dem Eisentor in der Schergasse an der Ringmauer: item, was an Barschaft, liegender und fahrender, an Hausrat, silbernen Bechern, Büchern u. s. f. da war. Nachdem nun das Testament aufgerichtet und bekräftiget worden, berief er nochmal seinen Famulus zu sich, hielt ihm vor, wie er ihn in seinem Testament wohlbedacht hätte, dieweil er sich, solang er nun bei ihm gewesen, wohlverhalten und sonderlich seine Heimlichkeit nicht geoffenbaret hätte. Jedoch solle er noch überdies von ihm etwas bitten, er wolle ihm's gewiß nicht abschlagen. Da begehrte der Famulus seines Herrn Kunst und Geschicklichkeit, und daß er ein solches Leben, wie Doktor Faustus geführt, auch zu führen möchte in den Stand gesetzt werden. Darauf antwortete ihm Doktor Faustus: "Wohlan, lieber Sohn, ich habe viel Bücher und Schriften, die ich mit Mühe und großem Fleiß zusammengebracht, diese nimm in acht, doch behalte sie bei dir und schaffe damit deinen Nutzen, studiere fleißig darin, so wirst du außer allem Zweifel das lernen und bekommen, was ich habe gekonnt und zuwege gebracht. Denn diese nekromantischen Bücher und Schriften sind nicht zu verwerfen, sondern in hohem Wert zu halten,



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obschon die Geistlichen solche verwerfen und nennen sie die Schwarzkunst und Zauberei, ein Teufelswerk: daran kehre du dich nicht, mein Sohn, brauche dich der Welt und laß die Schrift fahren. Denn die Nekromantie ist eine hohe Weisheit und ist im Anfang der Welt aufgekommen, ja, nur von den Allergelehrtesten getrieben und geübt worden, die auch dadurch bei aller Welt in großes Ansehen gekommen sind; forsche nur fleißig darin, die werden dich schon unterrichten, wie du auch zu solcher Kunst kommen und gelangen mögest. Darnach sollst du, mein lieber Sohn, wissen, weil meine versprochene vierundzwanzig Jahre nach weniger Zeit werden zu Ende gelaufen sein, daß alsdann mein Geist Mephistopheles mir weiter zu dienen nicht schuldig ist; derohalben kann ich auch dir solchen nicht verschaffen, wie gern ich's gleich täte; jedoch will ich dir einen andern Geist, so du einen verlangest, zuordnen: halte dich nur nach meinem Tod fein bescheiden, sei verschwiegen und still, und ob man schon bei dir meine hinterlassene Zauberbücher und Schriften von Obrigkeits wegen suchen wollte, so werden doch alle diejenigen, die solche zu suchen gesendet werden, also verblendet werden, daß sie deren keines nimmer finden."

Nach dreien Tagen fragte Doktor Faust seinen Famulus, den Wagner, ob er noch willens wäre, einen Geist zu haben, der um und bei ihm wohnen sollte, und in welcher Gestalt er ihn gern haben möchte. Wagner antwortet hierauf mit Ja: "Mein Verlangen", spricht er, "ist nach einem sittsamen und unbetrüglichen Geist; auch daß er die Gestalt eines Affen an sich haben möchte.""Wohlan", sprach Doktor Faustus, "so sollst du den bald sehen."

Zur Stund erschien ein Affe mittlerer Größe, der sprang behende zur Stube herein; da sprach Doktor Faust zu dem Famulus: "Siehe, da hast du ihn, nimm ihn hin, doch wird er dir noch zur Zeit nicht zu Willen werden, bis erst nach meinem Tod, und diesem gib den Namen Auerhahn; denn also heißet er. Daneben bitte ich dich, daß du meine Kunst, Taten und wunderliche Abenteuer, die ich bisher getrieben, wollest fleißig aufzeichnen, sie zusammenschreiben und in eine Historie bringen, dazu denn dir dein Geist Auerhahn treulich helfen wird: was du etwa vergessen haben möchtest, dessen wird er dich fleißig erinnern und in allem dir behilfliche Hand leisten. Allein offenbare solches eher nicht denn nach meinem Tod; ich weiß gar wohl, daß man meine Geschichten und Taten von dir allerortenher wird haben wollen."

Doktor Faustus konnte leichtlich erachten, daß seine Abenteuer nach



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seinem Tod beschrieben und der Nachwelt überlassen würden, wodurch er denn einigermaßen in seiner Betrübnis wegen seines herannahenden erbärmlichen Endes getröstet wurde, daß er also doch einen Namen möchte überkommen. Solchen noch ansehnlicher zu machen, berief er seine Freunde, etliche Studenten: denen prophezeite er in Kraft seines Geistes von allerlei Veränderungen in geist- und weltlichen Ständen, welche inskünftig, nach seinem Tode, geschehen würden.

Solche Prophezeiung haben sie fleißig und mit Verwunderung angehöret, auch durch den Famulus Doktor Fausti von Wort zu Wort aufschreiben lassen, wie sie dieselbe denn auch hernach unter sich ausgeteilt und an andere Orte verschickt haben.



***
Die Glocke war nun einmal gegossen, und das Stundenglas Doktor Fausts lief nunmehr aus; denn er hatte nur noch einen Monat vor sich, nach welchem seine vierundzwanzig Jahre zu Ende waren. Über dieser Rechnung brach ihm der bittere Angstchweiß aus, und war ihm alle Stund und Augenblick gleich als einem Mörder, der der Strafe des Todes, die ihm bereits in dem Gefängnis ist angekündigt worden, gewärtig sein muß: indem er nun solches beherzigte, gehet seine Stubentür auf, und tritt herein Luzifer in selbsteigner Person, so ganz schwarz und zottig,



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gleich als ein Bär, der erhub seine gräßliche Stimme und sprach zu ihm: "Fauste; du weißt dich noch wohl zu erinnern, wie verstockt, ehrgeizig, auch gottesvergessen du im Anfang gewesen, und hast dich an Gottes Gaben nicht lassen begnügen, sondern hifi oben hinausgefahren, hast mir auch keine Ruhe gelassen, bis du mich beschworest; dir in allem zu Willen zu sein; da mußt du nun selbst sagen und bekennen, daß solches dein Begehren dir durch mich ganz reichlich sei erfüllet worden, ja, daß ich dir ganz keinen Mangel gelassen, alle Wollust nach deines Herzens Begierde dir verschafft habe; ich bin dir in aller Gefährlichkeit beigestanden, du hast mehr gesehen und erfahren, denn je einer erfahren hat: ich habe dich hervorgezogen bei männiglich, hohen und niedern Standes, daß du allenthalben wert und angenehm warest, das alles mußt du selbst sagen und bekennen. Weil nun aber deine bestimmte Zeit der vierundzwanzig Jahre bald wird aus sein, wo ich mein Pfand nehmen und holen will, also kündige ich anjetzo dir meinen Dienst auf, den ich dir doch jederzeit treulich habe geleistet; so halte du mir auch treulich, was du mir versprochen hast. Dein Leib und Seele ist nun mein, darein gib dich nur willig; und ob du schon wolltest hierüber unwillig werden, so beschwerest und kränkest du nur dein Herz desto mehr. Und so lade ich dich denn vor das Gericht Gottes, da gib du Rede und Antwort; weil ich an deiner Verdammnis nicht schuld habe; und wenn die bestimmte Zeit sich wird verlaufen haben, will ich mein Pfand hinwegnehmen und holen."

Doktor Faustus konnte vor Schrecken und Herzensbangigkeit nicht wissen , wo er daheim wäre; und als er wieder zu sich kam, hub er mit leiser Stimme, als ein verzweifelter Mensch, an zu reden und sprach: "Ich hab ' solches alles gefürchtet, also wird es mir auch gehen; ach, ich bin verloren, meine Sünden sind größer, denn daß sie mir könnten vergeben werden." Als nun inzwischen der Teufel verschwunden und sein Famulus, der Wagner, solches alles gesehen und mit angehört hatte, sagte dieser zu seinem Herrn, er sollte nicht so kleinmütig sein und verzagen, es wäre noch wohl Hilfe da; er sollte seine vertrauten Freunde, die um ihn schon eine geraume Zeit gewesen, beschicken, ihnen die Sache, wie sie wäre, entdecken, damit er von ihnen, oder so sie nach Bedarf in der Stille einen gelehrten Magister mitbrächten, Trost aus der Heiligen Schrift haben und nehmen möchte, und, ob ja der Leib müßte eingebüßt werden, die Seele wenigstens erhalten würde. Dem antwortete der geängstigte Doktor Faustus bitterlich weinend und sprach: "Ach, was hab ' ich getan, wohin hab ' ich gedacht, daß ich wegen einer so kurzen Zeit, gleich als wegen eines



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Augenblicks, die Seligkeit habe verscherzt, da ich doch vielleicht auch mit adern Auserwählten der Himmelsfreude hätte genießen können! Wie hab ' ich doch so schändlich von wegen einer so kurzwährenden Wollust der Welt die unaussprechliche Herrlichkeit der ewigen Freude verscherzte Es ist nunmit aus." Und so wollte der elende Mensch verzweifeln, jedoch richtete ihn aufs möglichste sein Famulus auf und getröstete sich des bald ankommenden Beistandes der Studenten.

Als nun der Famulus zu einem und andern von den Studenten gegangen, ihnen in höchster Stille den ganzen Handel erzählt, sind sie darüber von Herzen erschrocken, und hat keiner sich mehr zu Doktor Faust verfügen wollen, damit ihnen nicht auch ein Abenteuer begegne; denn sie wußten wohl, daß mit dem Teufel nicht zu scherzen wäre. Der Famulus aber hielt inständig an; damit nun der trostlose Doktor Faustus nicht gar ohne Trost gelassen würde, nahmen sie zu sich einen gelehrten Geistlichen, dem sie alles offenbarten, und baten ihn, daß er dem Doktor Faust, von welchem sie etliche Jahre her viel Freundschaft genossen hätten, recht gründlich aus der Heiligen Schrift zusprechen und also dem Teufel begegnen möchte. Da diese nun, miteinander kommend, den Doktor Faust in der Stube auf seinem Sessel sitzend sahen, wo er wie ein wilder Stier sie ansah, die Hände zusammendrückte und oft seufzte, hatten sie alle ein herzliches Mitleiden mit ihm, und nachdem sie Sitze genommen, sprach der Magister zu ihm, er solle solche Schwermüthigkeit seines Herzens ablegen, es wäre ihm noch wohl zu helfen und zu raten; er solle nur mit festem Glauben und Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit und Christi teures Verdienst hoffen und also dem Satan Widerstand tun, weil Gott ja niemand ausschließe, sondern wolle, daß eben allen Menschen geholfen werde. Und sprach ferner zu ihm, er solle sich fein vor Gottes Angesicht demütigen , sich für einen armen, großen Sünder bekennen und herzliche wahre Reue über die begangenen Sünden zeigen, und wenn denn gleich der Teufel käme: "Wie er gewißlich nicht lang außenbleiben wird, und Euch, Herr Doktor, anklaget und spricht: ,Siehe, Fauste, du bist ein gar großer Sünder, du hast es mit deinen mutwilligen Sünden gar zu grob gemacht, darum mußt du verdammt sein und bleiben '; so begegnet ihm und antwortet getrost: Ja Satan, ebendarum daß du mich für einen so großen Sünder anklagest und kurzum verdammen willst, will ich nicht verdammt, sondern vielmehr selig werden; denn ich halte mich an Christum, der sich selbs für meine und der Welt Sünde dargeboten hat; darum wirst du, Satan, hier nichts ausrichten, wenn du mir die Menge und Größe meiner



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Sünden so genau vorhältst, mich damit zu schrecken und in Verzweiflung zu stürzen. Denn eben mit dem, was du sagst, wie ich ein allzugroßer Sünder sei, gibst du mir Waffen und Schwert in die Hand, womit ich dich gewaltig überwinden und alle deine Streiche vernichten will. Denn kannst du mir vorhalten, daß ich ein großer Sünder bin und Gott schwer und hoch beleidiget habe, so kann ich dir hinwiederum sagen, daß Christus für die Sünder gestorben ist, ja, der ganzen Welt Sünde, also auch die meinige; auf sich geladen hat: denn der Herr hat alle unsere Sünden und Ungerechtigkeit auf ihn gelegt und um der Sünde willen, die sein Volk getan, hat er ihn geschlagen; wie geschrieben stehet bei dem Propheten Esaja im dreiundfünfzigsten Kapitel.'"

Diese und andere Tröstungen mehr hielt der Geistliche dem Doktor Faust fleißig vor, mit Anführung anderer Sprüche mehr, aus dem Alten und Neuen Testament; sonderlich stellte er ihm die Eggel der verrufensten Sünder, welche doch auf ihre Reue wieder bei Gott zu Gnaden gekommen , beweglichst vor: wofür ihm denn Doktor Faust fleißig dankte, mit der Zusage, daß er dem allen wolle nachkommen, sich damit zu trösten; zugleich bat er, daß der Magister und die andern Herren öfters einkehren möchten, ihn zu trösten, wo es anders bei ihm noch möglich wäre.



***
Als Doktor Faustus also wiederum in seinem Herzen Trost gefunden in Erwägung der treuherzigen Vermahnung aus Gottes Wort, legte er sich damit zur Ruhe nieder, und sein Famulus blieb bei ihm in der Kammer. Indem kommt der Teufel zu ihm vor das Bett, schlug gleich anfangs ein großes Gelächter auf und sagte mit lauter Stimme: "Mein Fauste; bist du einmal fromm geworden, ei, so beharre darauf, schaue nur zu, was deine Frömmigkeit dir helfen werde! Lieber, ziehe zu solcher deiner Frömmigkeit eine Mönchskappe an und tue stets Buße, es wird dir wohl not sein; denn du hast es zu grob gemacht, und deiner Sünden sind mehr als der Sandkörnlein am Meer. Lieber, wie magst du dich der Seligkeit trösten, der du aller Sünden, Büberei und Schalkheit voll bist? Willst dich trösten der Zuversicht auf Christum, so du doch jederzeit diesen gelästert hast: stelle gleich alle Zuversicht zu Gott, so wirst du dennoch verdammt und fährst hinunter in die Hölle, das ist dein rechter Lohn, und warten bereits viel Teufel auf dich; wo bleibet deine Hoffnung auf Gott? Du heuchelst dir selber und dichtest dir eine nichtige Hoffnung; während doch alles umsonst und vergebens ist, es wird nichts daraus, hoffe, solang du willst. Kannst du dich auch deiner guten Werke rühmen? Linksum, es ist


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zu spät mit deiner Buße. —Noch eines, Fauste, sage mir die Wahrheit: was gilt s, es ficht dich deine Seligkeit nicht so viel an, als wenn du bedenkest, daß du bald sterben mußt und mußt die angenehme Wohnung der Welt verlassen und mußt verlassen gute Freunde und Gesellen: sollte es dich nicht betrüben und bekümmern, daß du von hinnen scheiden sollst? Sage, ist dem nicht also?"

Doktor Faustus schwieg still und gab darauf keine Antwort, brachte die Nacht zu mit schwermütigen Gedanken, und als es Tag ward, befahl er seinem Famulus, daß er den Geistlichen wieder mit sich brächte, welcher denn bald mit zwei Studenten kam. Als ihm nun Doktor Faustus, nachdem sie Sitze genommen, angesagt, was der Teufel in der vergangenen Nacht für ein Gespräch mit ihm gehabt, antwortete der Geistliche: "Ja, es ist wahr, der Teufel kann solche Stücke hervorbringen und will sich helfen. Wenn er denn wieder zu Euch kommt, so sprecht getrost: ,Hörest du, Satan, diese und jene Beschwerungen, meiner Seligkeit halber, hast du mir vorgehalten; ich bekenne, daß ich ein armer Sünder bin, daß ich ein schwer gefallener Sünder bin, aber die Barmherzigkeit Gottes, so er durch die Liebe seines Sohnes über alle hat reichlich ausgeschüttet, ist weit größer. Gott hat nie einen Sünder verstoßen, der ernstliche Buße getan hat, auch in der Stunde seines Todes nicht, wie den Schächer am Kreuz. So hab ' ich auch einen guten Herrn, einen solchen Richter, dem wohl abzubitten ist, einen getreuen Fürsprecher, Jesum Christum, den Seligmacher, der wird mich vertreten bei seinem himmlischen Vater. Und daß du mir die Verdammnis vorwirfst, das ist bei dir nichts Neues, das ist dein altes Liedlein; du hifi ein Lästermaul und kein Richter, ein Verdammter und kein Verdammer. Du wirfst mir auch meine bösen Werke vor: das bekenne ich, daß nichts Gutes um und an mir ist, aber von meiner Ungerechtigkeit fliehe ich zu meinem Gerechtmacher Jesu Christo, ja zu meinem Gnadenthron; in seine Hände und Barmherzigkeit befehle ich meine Seele. ' Und darum, mein Herr Doktor Faust", sagte endlich der Geistliche, "seid ohne Sorge, und wenn der Teufel mit Disputieren wieder an Euch will, so haltet ihm mit dem Wort Gottes diese Streiche auf."

Doktor Faustus hatte nun etliche Tage lang Ruhe vor dem Teufel; einst aber zur Nachtzeit kam ihn in dem Bette eine Angst an, daß er nicht wußte, wo er bleiben sollte: es kamen ihm allerhand verzweifelte Gedanken in das Herz (ohne Zweifel aus Eingeben des bösen Geistes) als: "Es wird doch damit nichts sein, daß Gott mir sollte barmherzig und gnädig werden , ich hab ' es allzugrob gemacht mit meinen Sünden: Gott kann nicht



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gleich Sünde vergeben, wie wir meinen, es ist zu spät mit meiner Buße und Bekehrung; komme ich zur Vergebung meiner Sünde und zur Gnade Gottes, so werden gewiß auch die Teufel selig, zumal ich ja nicht geringere Stücke getan, denn was die Teufel selbst tun: zudem so ist das Büßen ja nicht wohl möglich, weil ich Gott meinen Schöpfer hab ' aufgegeben und alles himmlische Heer; denen habe ich abgesagt, dagegen mich versprochen, daß ich dem Teufel eigen sein wolle mit Leib und Seel; dies ist nun eine Sünde gegen den Heiligen Geist, die nimmermehr kann und mag vergeben werden; darum kann ich nicht glauben, daß ich bei Gott wieder zu Gnaden könne kommen."

Mit solchen verzweifelten Gedanken schleppte er sich die ganze Nacht, und als er früh aufstand, schickte er zum drittenmal nach dem Geistlichen, meldete ihm, sobald er in die Stube getreten, die Ursache solches frühen Berufene und sprach: "ES ist mir leid, daß ich Euch, Herr Magister, so viel bemühe; denn ich besorge, daß keine Hilfe noch Rat bei mir wird statthaben , daß ich doch verdammt sein und bleiben werde." Der Geistliche, von Herzen erschrocken, erinnerte ihn viel aus der Heiligen Schrift, legte ihm nochmals die Exempel derer vor die Augen, welche Gott, obgleich sie sich schon schwer versündiget, wieder zu Gnaden angenommen; solche verzweifelte Gedanken, sagte er, wären lauter giftige Pfeile des leidigen Teufels: "Solchergestalt hat er Euch gleichsam Tür und Tor zur Verzweiflung aufgetan; wo Ihr nun diesen unseligen Gedanken Raum gebet, so stehet die ewige Verdammnis und Hölle für Euch schon offen. Darum beileibe nicht also, verbannet vielmehr solche Gedanken aus Eurem Herzen und lasset solche bei Euch nicht einwurzeln; denn sie rühren vom Teufel her, der machet Euer Herz betrübt und ängstiget es, gleich als hättet Ihr einen unerbittlichen Gott. Demnach, wenn solche Gedanken bei Euch aufsteigen, , als wolle sich Gott Euer nimmer erbarmen, so sprecht: ,Teufel, siehe, kommst du abermals Ich hab ' forthin nichts mehr mit dir zu schaffen; ; denn Gott betrübet nicht, schrecket nicht, tötet nicht, sondern ist ein Gott der Lebendigen, hat auch seinen eingebornen Sohn in diese Welt gesandt , daß er die Sünder nicht schrecken, sondern trösten solle; auch ist Christus darum gestorben und wiederauferstanden, daß er des Teufels Werk zerstörete, ein Herr darüber würde und uns lebendig machte. ' Derohalben sollet Ihr in solcher Schwermut und Anfechtung einen Mut fassen und gedenken: ,Ich bin forthin nicht mehr eines Menschen, viel weniger des Teufels, sondern Gottes Kind durch den Glauben an Christum, in welches Namen ich mich meiner heiligen Taufe erinnere: ich hab ' mir gicht



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Leib und Seele gegeben, sondern der allmächtige Schöpfer hat sie mir gegeben; darum hab ' ich auch nicht Macht, mich des Bundes meiner heiligen Taufe zu verzeihen. ' Auf diese tröstliche Erinnerung pochet, Herr Doktor, unverzagt, denket nicht zurück, was Ihr getan, sondern nehmet Euch vor, wie Ihr dem Teufel und seinem Eingeben möget kräftigen Widerstand tun mit dem Wort Gottes; und wenn Ihr zu Bette gehet; so sprecht: ,Ach, lieber Gott, ich bin freilich ein armer großer Sünder und finde nichts denn Ungerechtigkeit bei mir; aber dein lieber Sohn hat mehr Gerechtigkeit mir und allen bußfertigen Sündern mitzuteilen, als wir alle von ihm nehmen und begehren können, um welches willen du, getreuer Gott und Vater; mir wollest gnädig und barmherzig sein, Amen!"'

***
Doktor Faustus legte sich nun von der Zeit an ziemlich wider den Teufel ; denn ihm ward von einem seiner guten Freunde, der ein großes Mitleiden mit ihm hatte, die Heilige Bibel in die Hand gegeben, ja darin die vornehmsten Machtsprüche bemerkt, daß er sie bald aufschlagen und daraus Trost schöpfen möchte. Dieses nun war dem Teufel nicht angenehm, und weil er ihm nicht anders beikommen konnte, versuchte er, ihn davon abwendig zu machen; kommt deswegen nach etlichen Tagen auf einen Abend zu ihm und spricht: "ES ist nicht zu leugnen, daß dein Herz jetzt anders gerichtet ist, als es je gewesen; es fehlet auch nicht weit, du möchtest die Barmherzigkeit Gottes, und was sein Wille ist; ergreifen und zu solcher Erkenntnis kommen, aber eines fehlt dir noch sehr, dahin du nimmer denken wirst. Denn Gott hat Gute und Böse erschaffen, also bleibet es vom Anfang bis zum Ende der Welt. Denn du hifi nicht erwählet zur Seligkeit, sondern bist ein Stück vom bösen Baum, und wenn du gleich alle Tugend und Frömmigkeit dieser Welt an dir hättest; so bist du doch nicht zum ewigen Leben versehen. Dagegen die, so auserwählet sind, ob sie schon Sünde getan und also sterben, so sind sie doch gute Bäume und im Anfang zu dem ewigen Leben versehen. Denn Gott hat Gute mit den Bösen erschaffen, dabei lässet er's auch bleiben und nimmt sich der Menschen weiter nicht an, wie sie auch leben und sterben, bis zu dem allgemeinen Gerichte: wer denn zu dem ewigen Leben erkoren ist, der kommt darein, also ist es auch mit den Verdammten; darum ist es nichts mit deinem Vorhaben, daß du allererst um dich sehen willst, wie du möchtest in das ewige Leben kommen, so du doch von Anfang nicht dazu versehen bist." Dieses war nun dem Doktor Faust eine seltsame Predigt und dachte solchem eine gute Weile nach, so daß er auch endlich sagte: "Es mag wahrlich wohl also


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sein. Ich werde zu dem ewigen Leben nicht geboren sein, dieweil doch Firmament und Gestirn des Himmels ausweiset, was dem Menschen Gutes und Böses begegnen solle, und solche Exempel ereignen sich täglich, daraus geschlossen werden kann, wie Gott im Anfang sein Werk, alle Kreaturen, hat verordnet, daß solcher Lauf werde fortgehen bis an der Welt Ende. Nun ist der Mensch auch Gottes Kreatur, zum Bösen und Guten geneigt; wie ihn Gott dazu hat erschaffen, darüber ich jetzt nicht weiter reden will. Bin ich zum ewigen Leben versehen, so wird es sein müssen; wo nicht, so muß ich wohl, wie andere, dahinfahren."

Als nun gleich des andern Tags, vielleicht aus Gottes Schickung, der Geistliche samt drei andern Studenten Doktor Faust besuchte, fand er denselben etwas freudiger in seinem Mut als früher, vermeinte demnach, der Trost aus dem Wort Gottes habe ein solches verursacht; allein er fand sich in seinem Wahn betrogen, da er vernahm, daß solches aus dem Gespräche, so der Teufel mit dem armseligen Faust von der ewigen Versehung gehalten, herrührte: daher der gute Geistliche wohl einsah, daß es fast mißlich sein würde mit dem Doktor Faust seiner Bekehrung halber; denn er gebe seiner Vernunft zuviel Raum und Statt, daß ihn daher der Teufel leichtlich gefangennehmen könnte. Darum sagte er, nachdem er Sitz genommen, zu Doktor Faust, er sollte seine Vernunft in solchen hohen Artikeln der Vorsehung Gottes nicht urteilen lassen, sondern sie unter den Glauben gefangennehmen und alles das aus seinem Sinne verbannen, was ihm der Teufel vorgeschwätzet habe. "Denn", fährt er fort, "menschliche Vernunft und Natur kann Gott in seiner Majestät nicht begreifen; darum sollen wir nicht weiter suchen noch erforschen, was Gottes Wille in diesem sei. Sein Wort hat er uns gegeben, darin er reichlich geoffenbaret hat, was wir von ihm wissen, halten, glauben und uns zu ihm versehen sollen; nach demselben sollen wir uns richten, so werden wir nicht irren; wer aber von Gottes Willen, Natur und Wesen Gedanken hat außer dem Wort will mit menschlicher Vernunft und Wissenschaft aussinnen, der macht sich viel vergebliche Unruhe und Arbeit und fehlet sehr weit. ,Denn die Welt', spricht St. Paulus, ,erkennet durch ihre Weisheit Gott nicht in seiner Weisheit'; auch werden diese nimmermehr lernen noch erkennen, wie Gott gegen sie gesinnet sei, die sich darüber vergeblich bekümmern, ob sie versehen oder auserwählet seien. Welche in diese Gedanken geraten, denen gehet ein Feuer im Herzen an, das sie nicht löschen können, also daß ihr Gewissen nicht zufrieden wird, und müssen endlich verzweifeln. Wer nun diesem Unglück und ewiger Gefahr entgehen will, der halte sich an



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das Wort, so wird er finden, daß unser lieber Gott einen starken, festen Grund geleget, darauf wir sicher und gewiß fußen mögen, nämlich Jesum Christum, unsern Herrn, durch welchen allein und sonst durch kein anderes Mittel wir in das Himmelreich gelangen mögen: denn er und sonst niemand ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Sollten wir nun Gott in seinem Wesen, und wie er gegen uns gesinnet sei, recht und wahrhaftig erkennen, so muß es durch sein Wort geschehen; und eben darum hat Gott der Vater seinen eingebornen Sohn in die Welt gesandt, daß er sollte Mensch werden, allerdings uns gleich, doch ohne Sünde, unter uns zu wohnen und des Vaters Herz und Willen uns zu offenbaren."

Dieser Trost des Magisters, nachdem er mit den andern Abschied von Doktor Faust genommen, wollte ebensowenig bei dem Armen fruchten als die vorigen, und mit bekümmerten Gedanken legte er sich damals auf den Abend ungegessen und ungetrunken zu Bette. Er hatte zwar bei sich in der Kammer seinen getreuen Famulus, den Wagner, aber tausenderlei Gedanken betrübten seine Seele, die ihn denn so bald, ob er's schon wünschte, nicht einschlafen ließen, noch ihm Ruhe gönnten. "Ach", sprach er ganz wehmütig, "du armseliger Mensch, du hifi wohl mit allem Recht mit unter den Unseligen, da du alle Stunden den Tod erwarten



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mußt; während du doch noch viel gute Zeit und Stunden hättest erleben können t Ach, Vernunft Mutwill, Vermessenheit und freier Will'! Oh, du Blinder und Unverständiger, der du deine Glieder, Leib und Seele so blind machest, blinder als blind ! O zeitliche Wollust, in was Verderben hast du mich geführt daß du mir meine Augen so gar verdunkelt Bastl Ach, schwaches Gemüt, betrübte Seele, wo ist, wo bleibet deine Erkenntnis? O verzweifelte Hoffnung, da deiner nimmermehr gedacht wird! Ach Leid über Leid, Jammer über Jammer, wer wird mich daraus erlösens Wo soll ich mich verbergend Wohin soll ich mich verkriechen oder fliehen? Ja ja, ich sei gleich, wo ich wolle, so bin ich gefangen."

In solchen bekümmerten Herzensgedanken und Klagen genoß Doktor Faustus doch die Gnade, daß er einschlummerte und endlich recht einschlief; er schlief aber nicht so gar lange, als er von einem bösen Traum beunruhiget und wieder aus dem Schlaf gebracht wurde. Es träumte ihm, als sähe er in seine Kammer einhertreten mehr denn tausend böse Geister , welche sämtlich feurige Schwerter in den Händen hatten und ihn zu schlagen droheten, unter denen aber einer als der vornehmste sich hervortat und mit erschrecklicher Stimme zu ihm sprach: "Nun, Fauste, sind wir bereit dich einmal an den Ort zu bringen, von welchem du oft mehrere Wissenschaft zu haben verlangt hast, wir aber haben solches bis anher versparen wollen. Nun wirst du selbst sehen, was für ein mächtiger, großer Unterschied sein wird unter den Verdammten und den Auserwählten, welches dir etwa vor diesem ist gleich einer Fabel und einem Märlein gewesen." Doktor Faust erwachte darob zur Stund und grämte sich heftig ob diesem Gesicht; denn er konnte sich leicht die Rechnung machen, was des Traumes Bedeutung sein werde.

Indessen vermehrte sein herannahendes elendes Ende von Stund zu Stunde seine Herzensbangigkeit, daß er ganz still und einsam blieb, und war ihm nichts lieber als solche Einsamkeit, so daß er auch nicht mehr zugeben wollte, daß der Magister mit den andern Studenten, die alle ein herzliches Mitleiden mit ihm hatten und aufs wenigste seine Seele zu erhalten suchten, zu ihm kommen und ihn trösten sollten: und ob er schon zu unterschiedlichen Malen Trostsprüche aus dem Alten und Neuen Testament; welche der Geistliche vor etlichen Tagen ihm bemerkt hatte, aufschlug , so konnte er sich doch damit nicht trösten, noch darauf ein einiges Wörtlein sich zu Herzen führen, sich damit zu stärken; sondern wenn ihm gleich ein Blick eines Trostspruchs vorleuchtete, so sagte er denn bei sich selbst: "Ach, ach, das gehet mich nicht an." Nun begegnete ihm, auch



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etlichemal, weil er sich in die Einsamkeit zu sehr vertieft, voller Schwermut und Herzensbangigkeit war, auch keines Trostes fähig werden konnte, daß er nach Messern griff, sich damit zu entleiben; allein der Teufel ließ es nicht zu, und wenn Doktor Faust den Selbstmord ins Werk richten wollte, so war er an den Händen gleich als lahm, daß er nichts vollführen konnte: und war ihm also in solcher seiner Einsamkeit wie einem Übeltäter oder Mörder, der in dem Gefängnis alle Stunden und Augenblicke erwarten muß, wann und zu welcher Zeit er seiner Übeltat Endurteil ausstehen solle.

***
Doktor Faustus hatte nur noch zehen Tage zu seinem erschrecklichen Ende, weswegen er an einem Morgen seinen Famulus, weil er bisher andere Gesellschaft nicht leiden mochte, zu sich vor sein Bett berief, gleich als wenn er nur von ihm Trost und Erquickung haben könnte, und ganz zaghaft und erschrocken zu ihm sprach: "Ach, lieber Sohn, was hab ' ich mir bereitet, daß ich so roh gelebt und mein gottloses Leben bisher also geführet habel Was habe ich jetzt davon? Ich bringe nicht allein einen bösen Namen davon, sondern auch einen nagenden Wurm und böses Gewissen ; ach, ich sollte zeitiger an das Ende, an mein Ende gedacht haben! Und wenn ich an solches gedenke, das nun nicht mehr ferne ist, so überläuft meinen Leib ein eiskalter Schweiß, ein Zittern und Zagen meines Herzens ist da, und wenn ich nun bald davon muß, und mein Leib und Seele den Teufeln zuteil werden, so sehe ich alsdann vor mir das strenge Gericht Gottes, ich weiß nicht, wo ich aus oder ein soll: es wäre mir tausendmal besser, daß ich als ein unvernünftiges Tier wäre geboren worden oder doch in meiner zarten Kindheit gestorben! Nun aber, ach, nun ist's aus, Leib und Seele, die fahren dahin, wohin sie geordnet sind.

Auf solches Wehklagen und Seufzen sprach sein Famulus, den seines Herrn jammerte: "Ach, Herr Doktor, warum seid Ihr doch fort und fort so schwermütig und kränket Euer Herz stets? Schaffet Euch einmal Ruhe, tut dem Satan Widerstand; denn dieser peiniget und martert Euch also: ich will's nicht mehr zugeben, daß Ihr so allein seid, sondern Ihr müsset entweder Leute um Euch haben, daß Ihr Euch mit ihnen ergötzet und sie Euch die melancholischen Gedanken vertreiben, oder Ihr müsset den Magister wieder zu Euch berufen, damit Ihr völligen Trost bekommet. Denn es ist ja kein Sünder so groß, er kann durch seinen Widerruf, herzliche Reue, Bekehrung und Buße zur Gnade Gottes kommen." Doktor Faustus



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antwortete: "Mein lieber Christoph, schweige nur, ich bin nicht wert, daß gute, ehrliche Leute mehr zu mir kommen sollen, ich, der ich ein Leibeigner des Teufels bin; so will ich auch von keinem Trost aus der Schrift mehr hören noch wissen, sintemal es doch damit alles vergebens und verloren ist; mich zu bekehren: ich will mein Leben vollends mit Trauern, Seufzen und Wehklagen zubringen."

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Das Stundenglas hatte sich nunmehr umgewendet; war ausgelaufen, die bestimmten vierundzwanzig Jahre Doktor Fausts oder die Endschaft seiner Verschreibung war nun am nächsten: deswegen erschien ihm der Teufel abermal, und zwar in ebendieser Gestalt; wie er damals den verdammlichen Bund mit ihm aufgerichtet hatte, zeigte ihm seine Handschrift ; darin er ihm mit seinem eigenen Blut seinen Leib und seine Seele verschrieben hatte, mit der Weisung, daß er auf folgende Nacht sein verschriebenes Unterpfand holen und ihn hinwegführen wollte, dessen er sich denn gänzlich versehen sollte: darauf der Teufel verschwand.

Wie dem Doktor Faust hierüber müsse zumut gewesen sein, läßt sich leichtlich denken; es kam das Bereuen, Zittern, Zagen und seines Herzens Bangigkeit mit aller Macht an ihn; er wandte sich hin und wider, klagte sich selbst an ohne Unterlaß wegen seines abscheulichen und greulichen Falls, weinte, zappelte, focht, schrie und grämete sich die ganze Nacht über. In solchem erbärmlichen Zustand erschien ihm sein bisheriger Hausgeist Mephistopheles zur Mitternachtszeit, sprach ihm freundlich zu, tröstete ihn und sprach: "Mein Fauste, sei doch nicht so kleinmütig , daß du von hinnen fahren mußt, gedenke doch, ob du gleich deinen Leib verlierest, ist's doch noch lang dahin, daß du vor dem Gericht Gottes erscheinen wirst; du mußt doch ohnedas sterben, es sei über kurz oder über lang, obschon du etliche hundert Jahr, so es möglich wäre, lebtest: und ob du schon als ein Verdammter stirbst, so hifi du es doch nicht allein, bist auch der erste nicht; gedenke an die Heiden, Türken und alle Gottlosen, die in gleicher Verdammnis mit dir sind und zu dir kommen werden. Sei beherzt und unverzagt, denke doch an die Verheißung unsers Obersten, der dir versprochen hat, daß du nicht leiden sollest in der Hölle wie die andern Verdammten." Mit solchen und andern Worten wollte der Geist ihn beherzt machen und ihn etwas aufrichten.

Da nun Doktor Faustus sah, daß dem ja nicht anders sein konnte, und daß der Teufel sicher sein Unterpfand nicht würde dahintenlassen, sondern auf die folgende Nacht es gewiß holen, stehet er frühmorgens auf, spaziert



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etwas vor die Stadt hinaus, und nach Verfluß von etwa anderthalb Stunden, nachdem er wieder nach Haus gekommen, befiehlt er seinem Famulus, daß er die Studenten, ehedessen seine vertrauten Freunde, noch einmal zu ihm in das Haus berufen sollte: er hätte ihnen etwas Notwendiges anzukünden.

Weil nun diese vermeinten, Doktor Faust würde sich vollends bekehren, nahmen sie den Magister mit sich. Als sie aber angekommen, bat er sie, daß sie sich doch sämtlich wollten gefallen lassen, mit ihm noch einmal in das Dorf Rimlich zu spazieren; denn daselbst wolle er sich mit ihnen lustig erzeigen, welches er etliche Zeit bisher unterlassen hätte.

Der Geistliche verließ auf diese Worte die Behausung des Doktors; denn es hatte ihn ein Schauder bei seiner Rede ergriffen. Die Studenten aber waren dessen zufrieden und spazierten miteinander dahin, hatten unterwegs allerlei Gespräche, und nachdem sie daselbst angelanget; ließ Doktor Faust ein gutes Mahl zurichten und stellte sich auf das möglichste mit ihnen fröhlich, daß sie also beisammen recht lustig waren bis auf den Abend, da sie alle, ausgenommen Faustus, wieder nach Hause begehrten. Doktor Faustus aber bat sie gar freundlich, daß sie doch wollten nur noch dieses einzige Mal die Nacht über in dem Wirtshaus bei ihm verharren; es wäre doch schon die Zeit zur Heimkunft zu spät, er müsse ihnen nach dem Nachtessen etwas Besonderes vorhalten. Welches sie denn, weil es doch nicht anders sein können, ihm zusagten.



***
Als nun das Mahl und der Schlaftrunk vorbei waren, bezahlte Doktor Faustus den Wirt und bat die Gäste, sie sollten ein kleines mit ihm in die nächste Stube gehen; er hätte ihnen etwas Wichtiges zu sagen, welches er bisher hätte verborgen gehalten, das betreffe sein Heil und seine Seligkeit; mit solcher Vorrede, ohne ferneren Umschweif, fing er an und sprach: "Wohlgelehrte, ihr meine liebe, vertraute Herren, daß ich euch heute morgen durch meinen Famulus habe ersuchen lassen, einen Spaziergang hieher zu machen, und ihr mit einer schlechten Mittagmahlzeit vorliebgenommen, auch auf mein Anhalten bei mir als auf die Nacht anjetzo verharret, dafür sage ich euch schuldigen Dank; wisset aber zugleich, daß es um keiner andern Ursache willen geschehen, als euch zu verkündigen, daß ich mich von meiner Jugend an, während ich von Gott mit einem guten Verstand bin begabt gewesen, jedoch mit solcher Gabe nicht zufrieden war, sondern viel höher steigen und über andere hinauskommen


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wollte, mit allein Fleiß und Ernst auf die Schwarzkunst gelegt, in welcher ich mit der Zeit so hoch bin gekommen, daß ich einen unter den allergelehrtesten Geistern, namens Mephistopheles, erlangt: jedoch solche Vermessenheit geriet mir bald zum Bösen und zu einem solchen Fall, wie er dem Luzifer selber widerfahren, da er um seiner Hoffart aus dem Himmel verstoßen worden. Denn als der Satan mir willig in allem meinem Vorhaben war, setzte er zuletzt mir zu, daß, so ich würde einen Bund mit ihm aufrichten und mich mit meinem eigenen Blut verschreiben, ich nach Verfluß von vierundzwanzig Jahren sein wollte sein mit Leib und Seele, dazu Gott, der Heiligen Dreifaltigkeit und allem himmlischem Heer absagen, denselben nimmermehr in Nöten und Anliegen anrufen, auch alle diejenigen anfeinden, so mich von meinem Vorhaben abwendig machen und bekehren wollten: daß ich alsdann nicht allein mit hohen trefflichen Künsten begabt sein, sondern auch Geister um und neben mir haben sollte, die mich in aller Gefährlichkeit schützen und meinen Widerwärtigen zuwider sein müßten; dazu, und welches eben das meiste war, was ich auch in diesem Leben verlangte, Geld, gutes Essen und Trinken und tägliches Wohlleben, das sollte mir nimmermehr mangeln, ja er wollte mich so hoch ergötzen nach allen meines Herzens Begierden, daß ich das Ewige nicht für das Zeitliche nehmen würde. Mit solchen übergroßen Verheißungen erfüllte er mir das Herz, daß ich bei mir gedachte: dieses Freudenleben ist gleichwohl nicht zu verwerfen, obschon der Bund gottlos und verdammlich ist; so darf ich auch den Satan nicht länger aufhalten; denn sonst möchte ich um alle meine Kunst kommen, und er möchte von mir weichen: dazu so bin ich vorhin geneigt zum müßigen Leben; Fressen, Saufen und Spielen ist meine Lust, allein die Mittel dazu hab ' ich nicht: allhie könnte ich alles ohne Mühe überkommen . Käme es denn einmal dahin, daß der Teufel sein Unterpfand holen und haben wollte, müßte ich's wohl geschehen lassen; ich würde doch über die bestimmte Zeit nicht viel länger leben können. ,Zudem, so kann doch wohl die Zeit kommen', dachte ich, ,daß ich mich möchte bekehren, Buße tun und also die Barmherzigkeit Gottes ergreifen. ' Da denn ohne Zweifel der Teufel nicht wird gefeiert haben, sondern mich regieret und getrieben, , daß ich also den Bund mit ihm aufgerichtet; Gott und der Heiligen Dreifaltigkeit abgesagt und mich ihm mit Leib und Seele verschrieben habe.

Es hat aber der Teufel, wie ich's bekennen muß, anfänglich mir eine . geraume Zeit Glauben gehalten, mir alles dasjenige erfüllt und geleistet;



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was mein Herz begehrt hat; doch aber hat er zuweilen gefehlt und mich in etlichen Sachen stecken lassen, mit Vorwänden, ich sollte selbst durch meine Kunst mich fortbringen; und da ich mich darüber beklagte; so hat er nur ein Gespött mit mir getrieben: bin also aus Vermessenheit und Wollust in solchen Jammer geraten zum ewigen Schaden meiner armen Seele, daraus mir nimmermehr kann geholfen werden. Nun aber sind solche Jahre auf diese Nacht aus und verlaufen; da wird denn der Teufel sein Unterpfand holen und mit mir ganz erschrecklich umgehen; das alles wollte ich doch gerne ausstehen, wenn nur die Seele erhalten würde. Ich bitte euch nun, günstige liebe Herren, ihr wollet nach meinem Tod alle diejenigen, so mich geliebet und wegen meiner Kunst im Wert gehalten haben, freundlich grüßen und von meinetwegen ihnen viel Gutes wünschen: was ich auch diese vierundzwanzig Jahr über für Abenteuer getrieben, und meine anderen Geschichten, die werdet ihr in meiner Behausung aufgeschrieben finden, und mein Famulus soll sie euch nicht vorenthalten. Ihr wollet euch anjetzt miteinander zur Ruhe begeben, sicher schlafen und euch nichts anfechten lassen, auch so ihr ein Gepolter und ungestümes Wesen im Haus hören und vernehmen werdet, wollet ihr euch darob nicht entsetzen noch euch fürchten; denn euch soll kein Leid widerfahren, wollet auch vom Bette nicht aufstehen; allein dieses möchte ich zu guter Letzt von euch erbeten haben, daß, so ihr meinen Leib findet; ihr solchen zur Erde bestatten lasset. Gehabt euch ewig wohl, ihr Herren, und nehmet ein Exempel an meinem Verderben. Gute Nacht, es muß geschieden sein!"Auf solches Lebewohl traten die Gäste, einer nach dem andern, zu Doktor Faust, hatten ein herzliches Mitleiden und sprachen mit erschrockenen Herzen: "Herr Doktor, hiermit wünschen wir Euch auch eine gute Nacht, und zwar eine bessere, als Ihr vermeinet; wir bitten sämtlich nochmals, Ihr wollet Eures Heils und Eurer Seelen Wohlfahrt bei jetziger letzten Zeit wahrnehmen; und weil Ihr nicht anders glaubet, denn der Teufel werde diese Nacht Euren Leib hinwegnehmen, so rufet den Heiligen Geist um Beistand an, damit er Eure Seele möge regieren und zu einem unzweifelhaften Glauben an Christum bringen: diesem befehlet alsdann, wenn es je nicht anders wird sein können, Euren Geist in seine barmherzige Hände mit reuigem Herzen, sprecht mit dem König David: ,Ich harre des Herrn, meine Seele harret; und ich hoffe auf sein Wort; denn bei dem Herrn ist die Gnade, und viel Erlösung ist bei ihm."' Darauf sagte Doktor Faustus ganz weinend: "Ach, liebe Herren, ich will in meinem Herzen seufzen und ächzen, ob etwa mich Verlornen Gott


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wieder möchte zu Gnaden aufnehmen; aber ich besorge leider, daß nichts daraus werden dürfte; denn meiner Sünden sind zuviel." Unter solchen Reden sank er gleich einem Ohnmächtigen hin auf die nächste Bank, darüber sie alle erschraken und sich bemüheten, ihn aufzurichten. In solchem Schrecken hörten sie im Haus ein großes Poltern, darob sie sich noch mehr entsetzten und zueinander sprachen: "Laßt uns von dannen weichen, damit uns nicht etwas Arges widerfahre l Lasset uns zu Bette gehen", wie sie denn auch solches taten. Da sie nun dahin gegangen waren, konnte keiner aus Furcht und Entsetzen einschlafen, zudem, so wollten sie doch vernehmen, was es für einen Ausgang mit dem Doktor Faust nehmen würde.

***
Als nun die Mitternachtsstunde erschienen, da erhub sich plötzlich ein großer ungestümer Wind, der riß und tobte, als ob er das Haus zugrund stoßen wollte. Wem war nun ängster und hänger als den Studenten? Sie wünschten zehn Meilen von da zu sein und sprangen aus den Betten mit großer Furcht; da sie denn kurz darauf in der Stube, in welcher Doktor Faustus liegengeblieben, ein greuliches Zischen und Pfeifen , als ob lauter Schlangen und Nattern zugegen wären, vernommen: noch mehr aber wurden sie bestürzt, da sie das Stoßen und Herumwerfen in der Stube hörten, den armseligen Faust zetermordio schreien, bald aber nichts mehr. Und es verging der Wind und legte sich, und ward alles wieder ganz still. Kaum hatte es recht getagt und das Tageslicht in alle Gemächer des Hauses geleuchtet, da waren die Studenten auf, gingen miteinander ganz erschrocken in die Stube, um zu sehen, wo Doktor Faustus wäre, und was es für eine Bewandtnis diese Nacht über mit ihm gehabt hätte. Sie kamen aber kaum dahin, so sahen sie bei Eröffnung der Stube, daß die Wände, Tisch und Stühle voll Blutes waren; ja, sie sahen mit Erstaunen, daß das Hirn Doktor Fausts an den Wänden anklebte, die Zähne lagen auf dem Boden; und also mußten sie augenscheinlich abnehmen, wie ihn der Teufel von einer Wand zu der andern müsse geschleudert und daran zerschmettert haben. Den Körper suchten sie allenthalben im Hause, fanden ihn zuletzt außerhalb des Hauses auf einem nahe gelegenen Misthaufen liegen: er war aber ganz abscheulich anzusehen; denn es war kein Glied an dem Leichnam ganz, alles schlotterte und war ab; der Kopf war mitten voneinander, und das Hirn war ausgeschüttet. Sie trugen also den Leichnam in aller Stille in das Haus. und beratschlagten sich, was ferner anzufangen sei.


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Als die Studenten des Doktor Fausts Leichnam gefunden und beiseits gelegt hätten, gingen sie zu Rat; wie es nun anzugreifen wäre, daß seiner letzten Bitte ein Genügen getan und sein Leichnam zur Erde möchte bestattet werden, und beschlossen zuletzt; daß sie dem Wirt ein Geschenk machen wollten, damit er schwiege und mit ihnen übereinstimmte, daß Doktor Faustus eines schnellen Todes wäre verstorben. Demnach naheten sie mit Beihilfe des Wirts den zerstümmelten Leichnam in ein Leintuch ein und meldeten dem Pfarrherrn des Orts, wie sie einem fremden Studenten hätten das Geleite gegeben, welchen diese Nacht ein schneller Schlagfluß getroffen, der ihn auf der Stelle seines Lebens beraubt; sie bäten den Herrn Pfarrer er wolle es bei dem Schultheißen anbringen und um die Erlaubnis bitten, solchen allhier zu begraben, sie wollten alle Unkosten auslegen: wie sie denn auch dem Pfarrherrn einen Goldgulden gaben, die Sache zu befördern, weil sie sich allda nicht lang aufzuhalten hätten. Dieses wurde denn auch am selbigen Nachmittag ins Werk gesetzt. Es hat aber der Wind damals, als man den Leichnam begrub, sich so ungestüm erzeigt, als ob er alles zu Boden reißen wollte, da doch weder vor noch nach dergleichen verspürt worden. Woraus denn die Studenten schließen mochten, welch ein verzweifeltes Ende Doktor Faust müsse genommen haben.

Aber nachdem Doktor Faustus tot und begraben war hatte seine arme Seele auf Erden noch keine Ruhe. Sein Geist regte sich, erschien zum öfteren seinem Diener Christoph Wagner und hielt mancherlei Gespräche mit ihm. demselben kam auch Justus Faustus, des Doktor Faust und der schönen Helena Sohn, der selbst ein bildschöner Mensch war, der sprach ganz freundlich zu dem Famulus: "Nun, ich gesegne dich, lieber Diener, ich fahre dahin, weil mein Vater tot ist; so hat meine Mutter auch hie kein Bleibens mehr, sie will auch davon; darum so sei du Erbe an meiner Statt, und wenn du die Kunst meines Vaters hast recht ergriffen, so mache dich von hinnen, halte die Kunst in Ehren; du wirst dadurch ein hohes Ansehen überkommen." Als er solches geredet trat auch die schöne Helena herein, nahm ihren Sohn bei der Hand, und beide verschwanden also vor des Wagners Augen, der nicht wußte, was er dazu sagen sollte; so daß man sie hernach nimmer gesehen hat. Die Nachbarn aber gewahrten den Geist des Doktor Faustus bei Nacht oftmals in seiner Behausung im Fenster liegend, sonderlich wenn der Mond schien. Er ging auch in dem Hause herum, ganz leibhaftig, in Gestalt und Kleidung, wie er auf Erden gegangen war; denn Doktor Faustus war ein höckerige



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Männchen, von dürrer Gestalt und hatte ein kleines, graues Bärtlein. Zuzeiten fing sein Geist im Hause ganz ungestüm an zu poltern, was viele Nachbarn mit erschrockenem Herzen hörten. Sein Famulus Wagner aber beschwur den Geist und verhalf ihm auf Erden zu seiner Ruhe. Und jetzt ist es in diesem Hause ganz friedlich und still.


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Fortunat und seine Söhne

Mit Bildern von Oskar Pletsch



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Auf der Insel Zypern liegt eine Stadt, Famagusta genannt. In dieser war ein edler Bürger, namens Theodor, ansässig, von alter löblicher Herkunft, dem seine Eltern großes Gut hinterlassen hatten. So war er reich und gewaltig, dazu jung und freien Mutes; dachte nicht viel daran, wie seine Eltern zuzeiten das Ihrige gespart und gemehrt hatten; denn sein Gemüt war ganz und gar auf zeitliche Ehre und irdische Lust gerichtet. Er führte deswegen auch ein köstliches Leben mit Stechen, Turnieren, den Königen Zuhofereiten und vertat damit viele Habe. Dies verdroß seine Freunde, und er wurde ihnen unwert. Deswegen dachten sie darauf, ihm ein Weib zu geben, weil sie hofften, ihn dadurch von seiner unordentlichen Lebensweise abziehen zu können. Sie machten ihm diesen Vorschlag, der ihm wohlgefiel, und er verhieß wirklich, ihnen in dieser Hinsicht Folge zu leisten. Die Freunde sahen sich um und stellten allenthalben Nachfrage an; auch fanden sie endlich in Nikosia, der Hauptstadt der Insel, wo die Könige gewöhnlich hofhielten, einen Edelmann, der eine schöne Tochter hatte, mit Namen Gratiana: diese wurde ihm vermählt, ohne daß weiter darnach gefragt worden wäre, was für ein Mann Theodor sei; sondern nur auf den Ruf hin, daß er so groß und mächtig wäre, wurde ihm vergönnt, , die Jungfrau heimzuführen. Es ward eine köstliche Hochzeit gefeiert, wie es denn gewöhnlich ist, daß reiche Leute ihre Herrlichkeit besonders bei solchen Gelegenheiten beweisen. Als nun das Fest vorüber war und jedermann sich wieder zur Ruhe begab, da fing Herr Theodor an, tugendlich mit seiner Frau zu leben, so daß es den Freunden der Braut gar wohlgefiel; denn sie meinten ein gutes Werk vollbracht zu haben, weil sie den Theodor, der so wild gewesen, mit einem Weibe so zahm gemacht hätten. Leider aber wußten sie nicht, daß, was die Natur einmal getan hätte, nicht leicht zu wenden sei.

Inzwischen gebar Gratiana, noch ehe das erste Jahr nach ihrer Vermählung umwar, dem Herrn Theodor einen Sohn, über dessen Geburt die beiderseitigen Verwandten und Freunde hocherfreut wurden, und der in der Taufe den Namen Fortunatus erhielt. Theodor war hierüber auch in großen Freuden; doch fing er bald darauf sein altes Wesen mit Stechen



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und Turnieren aufs neue an, hielt viel Knechte und köstliche Rosse, ritt dem Könige zu Hof, ließ Weib und Kind daheim und fragte nicht, wie es zu Hause gehe. Heute verkaufte er einen Zins, morgen den andern, und das trieb er so lange, bis er nichts mehr zu verkaufen und zu versehen hatte. So kam er bald in Armut, hatte seine jungen Tage unnütz verzehrt und ward am Ende so arm, daß er weder Knechte noch Mägde zu halten vermochte und die gute Frau Gratiana zuletzt selber kochen und waschen mußte wie die ärmste Taglöhnerin. Als sie nun einmal zu Tische saßen und essen wollten, hätten sie sich gerne gütlich getan und gut gelebt, wenn sie es nur gehabt hätten. Der Vater sah seinen Sohn gar ernstlich an und seufzte von Herzens Grund. Fortunatus, sein Sohn, sah dieses. Er war nun achtzehn Jahre alt; dennoch konnte er noch nichts als seinen Namen schreiben und lesen; aber aufs Weidwerk und Federspiel verstand er sich trefflich: denn das war sein Kurzweil. Dieser nun fing an und sprach zu seinem Vater: "Lieber Vater, sage mir, was liegt dir doch auf dem Herzen? Ich habe gar wohl an dir gemerkt, wenn du mich ansiehst, daß du da betrübt wirst; so bitte ich dich, sage mir, habe ich dich denn auf irgendeine Weise erzürnt? Laß es mich wissen; denn ich bin ja doch willens, ganz und gar nach deinem Gefallen zu leben!" Der Vater antwortete: "D lieber Sohn, um was ich traure, daran hast du keine Schuld; auch sonst niemand kann ich darum beschuldigen; denn die Angst und Not, in der ich schwebe, die habe ich mir selbst gemacht. Wenn ich daran denke, wieviel Ehre ich genossen, wie viele Güter ich besessen habe, und auf wie unnütze Weise ich dessen losgeworden bin, was mir meine Voreltern so treulich erspart haben; was ich von Rechts wegen auch hätte tun und meiner Vorfahren Würde hierin bewahren sollen: wenn ich alsdann dich ansehe und daran denke, wie ich dir weder raten noch helfen kann: so empfinde ich großes Herzeleid und habe Tag und Nacht keine Ruhe. Auch schmerzt es mich, daß alle diejenigen mich verlassen haben, mit denen ich einst mein Gut so mildiglich teilte, und denen ich jetzt ein unwerter Gast bin."

Fortunat antwortete auf diese Klagen: "Liebster Vater, laß ab von deinem Trauern und sorge nur gar nicht für mich; ich bin tung, stark und gesund, ich will in fremde Lande gehen und dienen; es ist noch viel Glück in dieser Welt; ich hoffe zu Gott, mir werde auch noch ein gutes Teil davon. Auch hast du ja einen gnädigen Herrn an unserem König; gib dich untertänig in seine Dienste; er verläßt gewiß dich und meine Mutter nicht bis an euer Ende. Wegen meiner aber sei unbekümmert, ich bin erzogen



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und sage euch dafür großen Dank!" Damit stand er auf und ging mit seinem Federspiel, das ihm auf der Faust saß, aus dem Hause dem Meergestade zu, indem er daran dachte, was er anfangen sollte, damit er seinem Vater nicht mehr vor die Augen käme und dieser durch seinen Anblick nicht länger beschwert würde. Als er nun so am Meere hin und her ging, da sah er im Hafen eine venezianische Galeere liegen, die von Jerusalem gefahren kam. Auf dieser befand sich ein Graf von Flandern, dem zwei Knechte gestorben waren, und weil nun der Graf kein Geschäft mehr beim König hatte und der Schiffspatron auch fertig war, so blies man eben, daß alles zu Schiffe gehen sollte, damit man die Anker lichten könnte: und der Graf mit vielen andern Edelleuten kam, das Schiff zu besteigen. Fortunat sah dem allen mit großer Betrübnis zu. "Ach", dachte er, "dürfte ich doch ein Knecht des Herrn werden und mit ihm fahren , so weit weg, daß ich gar nie mehr nach Zypern käme!" Mit diesen Gedanken trat er dem Grafen unter den Weg und machte ihm eine tiefe Reverenz. Der Graf merkte bei seinem Gruße wohl, daß er nicht eines Bauern Sohn war; Fortunat aber hub an und sprach: "Gnädiger Herr, wenn ich recht gehört habe, so sind Euer Gnaden Knechte mit Tod abgegangen , und könnten dieselben wohl eines andern bedürfen." — "Was


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kannst du denn?"fragte der Graf. Er antwortete: "Ich kann jagen, beizen und was zum Weidwerke gehört; dazu, wenn es nötig ist, die Dienste eines reisigen Knappen versehen." Der Graf erwiderte hierauf: "Du wärest mir eben gefüge: aber ich bin von fernen Landen, und ich fürchte, du ziehest nicht gerne mit mir so weit von dannen!" — "Oh, gnädiger Herr", antwortete Fortunat, "und wenn Ihr noch so ferne zöget, ich wollte viermal so weit mit Euch fahren!" — "Was muß ich dir zu Lohne geben?" sprach darauf der Graf. Fortunat sagte: "Ich begehre keinen Lohn, gnädiger Herr! Je nachdem ich diene, so lohnet mir!" Dem Grafen gefielen die Worte des Jungen wohl, er sagte: "Aber die Galeere will gleich abfahren! Bist du fertig?" — "Ja Herr", erwiderte jener, warf das Federspiel, das er auf der Hand trug, in die Lüfte, ließ es fliegen und ging ungesegnet, und ohne Urlaub von Vater und Mutter genommen zu haben, mit dem Grafen in die Galeere als sein Knecht. So fuhren sie vom Lande, ohne daß Fortunat viel Geld in der Tasche gehabt hätte, und kamen glücklich nach Venedig.

***
Als sie in Venedig angekommen waren, hatte der Graf kein Gelüste, länger da zu verweilen; denn er hatte die Herrlichkeit dieser Stadt schon zuvor gesehen; seine Begierde stand wieder nach seinem Lande und seinen guten Freunden. Denn er war entschlossen, wenn ihm Gott aus Heiligen Lande wieder heim helfe, eine Gemahlin zu nehmen. Dies war die Tochter eines Herzogs von Kleve, eine junge und gar schöne Fürstin; auch war alles verabredet bis auf seine Zurückkunft. Um so sehnlicher begehrte er nach Hause, ließ sich kostbare Pferde kaufen und rüstete sie sich zu, erstand zu Venedig Kleinodien und herrliche Gewande von Gold und Seide, und was sonst zu einer köstlichen Hochzeit gehört. Wiewohl er nun viel Knechte hatte, so verstand doch keiner die welsche Sprache außer Fortunat; der war denn gar geschickt zu reden und einzuhandeln, weswegen der Graf ein großes Wohlgefallen an ihm hatte und ihn liebgewann . Das merkte Fortunat und befleißigte sich, je länger; je besser seinem Herrn zu dienen. Immer war er abends der Letzte und morgens der Erste bei ihm; und dies merkte sein Herr wohl. Als man nun dem Grafen viel Rosse gekauft hatte, worunter auch etliche Schelmen waren, wie man sagt, -wie dies nicht fehlen kann, wo viele Rosse beieinander stehen, da mußte man dem Grafen alle mustern, und er teilte sie unter seine Diener; Fortunat aber erhielt eines der besten. Dies verdroß die andern Knechte, und sie fingen gleich an, ihn zu hassen. "Sehet", sagte


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einer zu dem andern, "hat uns nicht der Teufel mit dem Welschen betrogen? " Nichtsdestoweniger mußten sie es geschehen lassen, daß er mit seinem Herrn ritt, und keiner durfte ihn bei dem Grafen verlästern oder verunglimpfen.

So kam der Graf von Flandern mit Freuden heim und wurde von all seinem Volke gar herrlich empfangen: denn sie hatten ihn lieb; es war ein frommer Herr, der seine Untertanen auch wert hielt. Als er angekommen war, versammelten sich die Umfassen und seine guten Freunde und begrüßten ihn aufs beste. Sie lobten Gott, daß er seine Reise so glücklich vollbracht hätte, und fingen auch an, sich mit ihm von seiner Vermählung zu unterreden; das gefiel dem Grafen gar wohl; er bat sie deswegen, die Sache schnell zu Ende zu führen. Dies geschah auch, und in wenigen Tagen hielt er Hochzeit mit der Tochter des Herzogs von Kleve. Diese Festlichkeit wurde sehr herrlich begangen; es ward scharf gerannt, turniert, Ritterspiel aller Art getrieben, alles unter den Augen der schönen und edeln Frauen. Soviel Fürsten und Herren aber Edelknechte oder sonstige Diener mit auf die Hochzeit gebracht hatten, so war doch keiner unter ihnen, dessen Dienst und ganzes )Wesen Frauen und Männern besser gefallen hätte als Fortunats. Alle fragten den Grafen, von wannen ihm denn der höfliche Diener käme. Er sagte ihnen, wie er zu demselben gekommen wäre auf der Rückfahrt von Jerusalem, und wie derselbe ein so trefflicher Jäger sei; kein Vogel in der Luft und kein Tier im Walde sei vor ihm sicher; auch verstehe er sonst wohl zu dienen und wisse, jedermann zu behandeln, je nachdem er wäre. Weil ihn nun sein Herr so sehr liebte, so erhielt Fortunat viel Geschenke von Fürsten und Herren, auch von den edeln Frauen.

Als nun die Herren und Edeln gestochen hatten, wurden der Herzog von Kleve und der Graf sein Tochtermann, einig, auch den Dienern der Herren, die aus der Hochzeit zugegen waren, zwei Kleinode, die bei zweihundert Kronen wert, vorzusetzen; um die sollten sie siechen, und wer es am besten machte, der sollte eines der Kleinode davontragen. Darüber waren die Diener alle froh; denn jeder gedachte sich am ritterlichsten zu halten. Wie sie nun den ersten Tag stachen, da gewann auf der einen Seite der Diener des Herzogs von Brabant den Preis, auf der andern Seite gewann ihn Fortunat. Dem größern Teile der Diener mißfiel dieses; alle baten den Knecht des Herzogs von Brabant, der Timotheus hieß und das eine Kleinod gewonnen hatte, daß er den Welschen herausfordern möchte, mit ihm zu siechen, und sein Kleinod an das seine setzen sollte; das wollten



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sie ihm alle und jeder insonderheit danken. Timotheus konnte die Bitte, die an ihn gerichtet war, um so vieler guten Gesellen willen nicht wohl ausschlagen und bot Fortunat den Kampf an. Der bedachte sich nicht lange, obwohl er noch wenig gestochen hatte. Die Herren, vor welche die Märe kam, vernahmen es auch gerne. So rüsteten sich denn beide, kamen auf den Plan und ritten mannlich gegeneinander; jeder hätte gern das Beste getan; aber beim vierten Ritt rannte Fortunat den Timotheus eine ganze Lanzenlänge hinter sich vom Gaule und gewann so die zwei Kleinodien, die wohl zweihundert Kronen wert waren. Jetzt erhob sich erst recht großer Neid und Haß, am allermeisten unter den Dienern des Grafen von Flandern. Dieser aber sah es sehr gerne, daß einer seiner Diener die Kleinodien gewonnen hatte mit den zweihundert Kronen an Wert. Von dem Unwillen jedoch, den seine Knechte gegen Fortunat gefaßt hatten, wußte er nichts, und es wagte auch kein Diener, ihm davon zu sagen.

Nun war ein alter listiger Reiter unter ihnen, der sich Rupert nannte; der sprach, hätte er zehn Kronen bar, so getraute er sich, den Welschen dahin zu bringen, daß er, ohne Urlaub von seinem Herrn und sonst jemand zu nehmen, eilends von hinnen ritte; dies wolle er so zustande bringen daß keiner unter ihnen dadurch beargwöhnt werden könne. Alle sagten zu ihm: "O lieber Rupert, wenn du das kannst, warum feierst du denn?" —"Ohne Geld", erwiderte er, "kann ich nichts zuwege bringen; gebe jeder eine halbe Krone: und wenn ich ihn nicht vom Hofe wegbringe, so will ich jedem eine ganze Krone dafür geben." Alle zeigten sich willig; wer das Geld nicht bar hatte, dem liehen die andern; so brachten sie fünfzehn Kronen zusammen, die gaben sie dem Rupert, und dieser sprach: "Nun rede mir niemand in meine Sache, und tue jedermann in allen Dingen wie zuvor!"Hierauf gesellte sich Rupert zu Fortunaten und tat freundlich gegen ihn; er erzählte ihm von den alten Geschichten, die sich in dem Lande ereignet hatten; das hörte Fortunat gar gerne. Da sandte Rupert auf der Stelle nach Wein und köstlichen Speisen aus; denn er wußte wohl, was zu solchem Leben gehört; auch lobte er den Jüngling sehr, pries seine Schönheit und edle Geburt: dem Fortunat behagte solches ganz gut, doch wollte er zuweilen auch etwas auftischen, aber Rupert ließ es nie zu; er versicherte ihm, daß er ihm lieber sei als ein Bruder; was er ihm tue, das würde er keinem andern tun; und solcher guten Worte gab er ihm viel.

Dies lustige Leben trieben sie so lange, bis es die übrigen Diener verdroß und sie endlich sprachen: "Meint Rupert, den Fortunat mit solchem



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Leben wegzubringen? Fürwahr, wenn er noch jenseits des Meeres wäre Zypern und wüßte solches Leben hier: er dächte darauf so bald als möglich herzukommen l Rupert hat nicht vollbracht, was er uns verheißen hat; er muß uns dreißig Kronen geben, und sollte er nichts weiter auf Erden besitzen!" Rupert erfuhr das, spottete seiner Gesellen und sprach: "Ich versichere euch, ich weiß sonst keinen guten Mut zu haben als mit eurem Geld!" Als sie aber das Geld ganz verbraucht hatten, an einem Abende ganz spät, da der Graf mit seiner Gemahlin sich zur Ruhe begeben und niemand mehr auf den Dienst warten durfte, kam Rupert zu Fortunat
auf sein Zimmer und sprach: "Ach, lieber Fortunat, mir ist von meines Herrn Kanzler, der mein insonders guter Freund ist, ingeheim etwas gesagt worden; wiewohl er mir aufs ernstlichste verboten hat, so lieb mir seine Freundschaft sei, es wieder zu sagen, so mag ich es doch dir, meinem guten Gönner, nicht verbergen: denn es ist ein Handel, der dich besonders betrifft. Du weißest doch, daß der Herr, unser Graf, von der Eifersucht geplagt ist; und daß dich unsere Gräfin nicht haßt, das ist auch ausgemacht. Hat sie doch eine besondere Freude an deinem hellen Gesang und hat dir manchmal deswegen freundlich zugenickt. So hat nun der Graf geschworen, und der Kanzler hat es gehört, er wolle dir einen eisernen Vogelbauer machen lassen, da sollst du drin gefangen sitzen wie ein Kanarienvogel oder eine Nachtigall und sollst nichts als Zuckerbrot


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zu essen kriegen; auch wird er es schon zu machen wissen, das deine Stimme hübsch fein bleibt; und da will er dich aufhängen lassen, zuoberst auf dem Boden des Schlosses, und sollst da singen dürfen Tag und Nacht und sollst im übrigen es herrlich haben! Und das soll morgen in aller Frühe geschehen. Denn der Käfig ist fertig; heute mittag hat der Kanzler, mein Freund, ihn gesehen!"

Als Fortunat diese Worte hörte, zitterte er am ganzen Leibe und fragte ihn, ohne sich lange zu besinnen, ob er nirgends einen Ausgang aus der Stadt wüßte; wüßte er einen, so wollte er ihn bitten, ihm den zu weisen. "Von Stund an will ich hinweg", sagte er, "und meines Herrn Vorhaben nicht warten, und gäbe er mir all sein Gut, und könnte er mich zum König von England machen, und ich sollte dabei ein Vogel sein, im Käfig gefangen, so will ich ihm keinen Tag mehr dienen! Darum, lieber Rupert, hilf und rate mir, daß ich hinwegkomme!" — "Lieber Fortunat", sprach Rupert, "wisse, daß die Stadt an allen Orten beschlossen ist und niemand weder aus noch ein kommen kann bis morgens frühe, wenn man zur Mette läutet: da schließt man zuerst das Törlein, das die Kuha pforte heißt, auf. Aber bedenke, Fortunat, wenn es so um dein Schicksal steht, so hast du es am Ende doch gut, du wirst besser gehalten als alles Gesinde im ganzen Haus. Der Vogelbauer ist so hoch und lang, daß du bequem darin stehen, sitzen und liegen kannst; es ist dir auch, der Kanzler hat mir's anvertraut, ein feines Bett von Eiderdunen drin zugerichtet, und ein schönes Gewand bekommst du auch, aus lauter gelben und blauen Vogelfedern niedlich zusammengeleimt!" — "Eher wollte ich betteln gehen", rief Fortunat, "und eine Nacht nicht liegen da, wo ich die andere gelegen!" —Rupert sprach: "Mir ist leid, daß ich dir diese Dinge geoffenbart habe; denn ich sehe wohl, daß du von hinnen willst l Hatte ich doch all mein Hoffen auf dich gesetzt, daß wir wie Brüder miteinander leben wollten! Ja, der Kanzler hatte mir schon heimlich versprochen, daß dir niemand anders dein Essen und Trinken in dein Vogelhaus sollte bringen dürfen denn ich. Wenn du aber durchaus von hinnen willst, so darf ich dich nicht halten!" —"Freilich will ich", sprach Fortunat ganz ängstlich, "und versprich mir nur, Rupert, daß du meine Abreise nicht offenbaren willst, bis ich drei Tage hinweggeritten bin!" Rupert verhieß ihm dies und nahm einen ganz kläglichen Abschied von ihm, küßte und segnete ihn und wünschte ihm das ganze himmlische Heer zum Schutz. Judas war ein frommer Mann gegen diesen Rupert.

Inzwischen war es Mitternacht geworden, wo gewöhnlich jedermann



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schläft. Nur unserm Fortunat kam kein Schlaf in den Sinn; tede Stunde deuchte ihm von Tageslänge; immer besorgte er, der Graf möchte nach ihm schicken und ihn noch vor Tagesanbruch in den Vogelbauer stecken. Mit Angst und Not wartete er, bis der Himmel sich rötete. Ehe die Sonne aufging, war er gestiefelt und gespornt, nahm sein Federspiel und seinen Hund, als ob er auf die Jagd gehen wollte, und ritt so spornstreichs hinweg: wäre ihm ein Auge entfallen, er hätte sich nicht die Zeit genommen, es aufzuheben.

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Als Fortunat bei zehn Meilen Weges geritten war; kaufte er ein anderes Pferd, setzte sich darauf und ritt eilends weiter. Jedoch sandte er dem Grafen sein Roß, seinen Hund und sein Federspiel alles wieder heim, damit dieser keine Ursache hätte, nach ihm zu senden. Als der Graf erfuhr, daß Fortunat ohne Urlaub fortgegangen war, während er selbst ihm doch weder einigen Unwillen bewiesen noch ihm seinen Sold ausbezahlt hatte, befremdete ihn dies sehr; er fragte alle seine Diener und jeden insbesondere, ob keiner wüßte, was doch die Ursache seines Entweichens sei. Aber alle sagten, sie wüßten es nicht, und schwuren, daß sie ihm kein Leid getan hätten. Der Graf ging selbst zu seiner Gemahlin in die Frauengemächer und fragte sie und alle andere Hoffrauen, ob ihm jemand irgendeinen Verdruß gemacht. Die Gräfin und andere sagten: "Sie wüßten , daß ihm nie ein Leid geschehen wäre, weder mit Worten noch mit Werken; nie sei er fröhlicher gewesen, als wenn er am Abend von ihnen gegangen; er habe ihnen von seinem Lande erzählt, wie da die Frauen bekleidet gingen, und von andern Sitten und Gewohnheiten. Das alles", erzählten sie, "sagte er in so bösem Deutsch, daß wir das Lachen nicht verhalten konnten; und da er uns lachen sah, fing er auch an zu lachen, und so ist er mit lachendem Munde von uns geschieden." Darauf sprach der Graf: "Kann ich's jetzt nicht innewerden, warum Fortunat so heimlich entflohen ist, so erfahre ich es doch später; und fürwahr, wird mir kund, daß einer der Meinen schuld an seiner Entfernung der soll es mir entgelten. Ich weiß, daß er bei fünfhundert Kronen gutstehen hatte, solang er hier gewesen; und hätte ich geglaubt, er würde sein Leben lang nicht von mir wegbegehren. Ich merke aber wohl, daß er den Mut nicht gehabt hat wiederzukommen, wenn er seine Kleinode, und was er sonst Guts hat, mit sich genommen."

Da nun Rupert merkte, daß es seinem Herrn so leid um Fortunat sei, befiel ihn eine Furcht, und er besorgte, einer seiner Gesellen möchte verraten,



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wie er denselben hinweggeschafft hätte: er ging daher zu jedem besonders und bat sie alle, daß sie doch nirgends melden sollten, wie er der eigentliche Urheber seiner Entweichung sei; sie gelobten ihm auch, das getreulich zu tun. Doch hätten sie gerne gewußt, mit was für List er ihn dazu gebracht habe, daß er so eilig und ohne Urlaub — als hätte er ein Verbrechen begangen — davongeflohen sei. Da war einer unter ihnen, der vor allen andern gut mit Rupert stand; dieser lag ihm mit Fragen an und hätte gerne erfahren, wie er ihn hinweggebracht hätte. Wie nun dieser mit Fragen nicht ablassen wollte, sagte ihm Rupert, Fortunat habe ihm das Schicksal seines Vaters anvertraut, wie dieser in Armut gekommen sei und an dem Hofe des Königs von Zypern diente: "Dann", sprach Rupert, "hab ' ich ihm gesagt, daß ein reitender Bote zum König von England eile, ihm zu sagen, wie der König von Zypern tot sei; denn sie wären Geschlechtsfreunde; der habe mir gesagt, daß der König, solang er noch bei Leben und gesundem Leib gewesen, seinen Vater Theodor zum Grafen gemacht und ihm die Herrschaft eines andern ohne Leibeserben verstorbenen Grafen geschenkt habe. Als ich das sagte, schenkte mir jener Fortunat nicht viel Glauben; nur sprach er: ,Ich wollte wohl, daß es meinem Vater wohl erginge', und damit ist er weggeritten." Als die andern Diener diese Worte vernahmen, sprach einer zu dem andern: "Wie ist doch Fortunat so unweise gewesen, wenn ihm wirklich ein solches Glück zugefallen, daß er es unserm Herrn nicht gesagt hat! Der hätte ihn wohl ehrlich ausgerüstet und unser drei oder vier mit ihm gesandt; so wäre er mit großen Ehren von hinnen gekommen und hätte sein Leben lang einen gnädigen Herrn gehabt!"

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Wir lassen nun den Grafen mit seinen Dienern, der nicht ahnte, mit welchen Lügen Rupert umgegangen war, und vernehmen, wie es Fortunat weiter ergangen ist. Als er ein anderes Roß kaufte und seinem Herrn das alte wiedersandte, hatte er immerdar noch Sorge, man möchte ihm nachreiten, und sputete sich daher, so gut er konnte, bis er nach Calais kam. Hier fand er ein Schiff, mit dem er nach England fuhr; denn er fürchtete den Verlust seiner Freiheit so sehr, daß er nirgends sicher zu sein glaubte als jenseits des Meeres, und erst, als er auf englischem Boden war, fing er an, wieder guten Mutes zu werden. So kam er gen London, in die Hauptstadt Englands, wo Kaufleute aus allen Gegenden der Welt am gesessen sind und ihr Gewerbe treiben. Da war denn auch eine Galeere aus Zypern angekommen mit köstlichem Kaufmannsgut und viel Hanselsleuten;


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darunter waren zwei Jungen, die reiche Väter in Zypern hatten, und denen viel treffliche Waren anbefohlen waren. Dieselben waren früher nie außer Lands gewesen und wußten nicht viel, wie man sich in fremden Landen zu verhalten hätte, außer soviel sie von ihren Vätern gehört. Als nun die Galeere die Güter ausgeladen hatte und dem Könige der soll entrichtet war, damit jeder kaufen und verkaufen könnte, fingen die zwei Jungen an, ihr Gut zu verkaufen, und lösten viel Geld, was ihnen große Freude machte; denn sie waren nicht gewohnt, mit barem Geld umzugehen. Zu denen kam Fortunat, und sie empfingen einander
gegenseitig als Landsleute gar herzlich in dem fremden Lande und wurden gute Freunde. Leider aber fanden sie auch gleich eine Rotte unnützer Buben, zu welchen sie sich gesellten, und die ehrliche Leute in schlechte Gesellschaft zu locken und mit Wohlleben und Spielen zu körnen wußten, und wenn einer etwas Schönes überkam, so wollte der andere noch Schöneres haben, es koste, was es wolle. Das trieben sie bis zu einem halben Jahr; da kam es allmählich so weit, daß sie nicht mehr viel Bargeld hatten. Doch war einer desselben mehr entblößt worden als der andere.

Fortunat, der hatte am wenigsten und ward auch am ersten fertig; ebenso geschah es den andern; was sie in London gelöst hatten, war alles bald vertan; als sie nun nichts mehr hatten, war auch die Liebe ihrer englischen Freunde aus, ja, sie spotteten ihrer und sprachen: "Fahret hin und holet mehr!" Die andern Kaufleute von Zypern waren auch mit



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Kaufen und Verkaufen fertig, und der Patron schickte sich an, wiederabzufahren . So gingen auch die zwei jungen Kaufleute in ihre Herberge und fanden wohl, daß sie viel Geldes gelöst hätten, aber nicht viel darum gekauft , wie ihr Vater doch vorgeschrieben. Vielmehr war alles, wie man sagt, um nassen Zucker gegeben; und wär ' es auch noch mehr gewesen, es wäre alles davongegangen. Doch setzten sie sich auf die Galeere und fuhren ohne Kaufmannsgut wieder heim. Wie sie aber von ihren Vätern empfangen worden, dafür lassen wir sie sorgen.

Als Fortunat wieder allein war ohne Geld, dachte er bei sich selber: "Hätte ich nur zwei, drei Kronen, so wollte ich wohl in Frankreich einen Herrn finden!" So ging er zu einem seiner alten englischen Kumpane und bat, daß er ihm zwei oder drei Kronen leihen möchte er wolle nach Flandern gehen zu einem Vetter, der vierhundert Kronen für ihn aufbewahre; die wolle er holen. Der Geselle aber sprach: "Weißest du Geld zu holen, das magst du immerhin tun, nur mir ohne Schaden!" Fortunat merkte wohl, daß er hier kein Geld zu erwarten hätte. Da dachte er: "Ich muß wohl dienen, so lange, bis ich zwei oder drei Kronen überkomme!" So ging er des Morgens auf den Platz, den man die Lombarderstraße nennt, wo alles Volk sich versammelt, und fragte da, ob jemand einen Knecht bedürfte. Da war ein steinreicher Kaufmann von Venedig, der sich einen köstlichen Hof von Knechten hielt; denn er brauchte sie alle in seinem Gewerbe und Handel, der dingte unsern Fortunat und verhieß ihm je für einen Monat zwei Kronen und führte ihn mit sich heim. Hier fing er früh über Tisch zu dienen an. Der Herr des Hauses, Geronimo Roberto, sah ihm wohl an, daß er schon mehr bei ehrsamen Leuten gewesen war; er verwandte ihn daher dazu, das Gut auf die Schiffe zu führen und ebenso es, wenn die Schiffe ankamen, zu entladen; denn die großen Schiffe konnten bis auf eine Entfernung von zwanzig Meilen nicht zu der Stadt kommen. Was nun sein neuer Herr Fortunaten befahl, das richtete er wohl aus.



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Nun gab es damals einen Florentiner, eines reichen Mannes Sohn, mit Namen Andreas, dem sein Vater großes Gut gegeben und ihn damit nach Brügge in Flandern gesandt hatte. Der junge Mann verschleuderte dieses in kurzer Zeit und begnügte sich nicht damit, sondern nahm Wechsel auf seinen Vater auf, indem er demselben schrieb, er wolle ihm großes Gut senden. Der gute Vater glaubte das und bezahlte also für den Sohn so lange, bis er nichts mehr hatte, indem er fest auf die Kaufmannsgüter


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wartete, die ihm sein Sohn schicken sollte. Als nun der Bube gar nichts mehr hatte, sein Kredit bei den Kaufleuten verloren war und ihm niemand mehr borgen wollte, da gedachte er, nach Florenz heimzugehen, ob er nicht etwa eine alte reiche Witwe fände, die ihn aus der Not reißen und ehelichen wollte. Auf dem Heimwege kommt er in eine Stadt in Welschland, Turin genannt; hier lag ein reicher Edelmann gefangen, der aus England und gerade aus London war, das hörte Andreas von seinem Wirt. "Mein Lieber", sprach er zu diesem, "könnte ich nicht zu dem gefangenen Mann kommen?" — "Ich kann Euch wohl zu ihm führen", sagte der Wirt, "er liegt aber gar hart eingeschmiedet, daß es Euch erbarmen wird!" Als Andreas zu dem Gefangenen kam, redete er ihn auf Englisch an. Des ward dieser froh und fragte jenen, ob er nicht zu London den Geronimo Roberto kenne. — Ja, den kenne ich gar wohl", sprach Andreas, "er ist mein guter Freund." — "Lieber Andreas", erwiderte der Gefangene, "tut mir den Gefallen, ziehet hin gen London zu Roberto und sagt ihm, er soll helfen und raten, daß ich ledig werde; er kennt mich und weiß wohl, was ich vermag; ich will ihm das Geld, das er für mich anwenden wird, dreifältig wiedergeben. Darum, lieber Andreas, befleißige dich und sei mir hilfreich in meiner Lage; ich will dir für deine Mühe fünfzehn Kronen geben, die Reise bezahlen und noch überdies dir ein gutes Amt schaffen; sag auch meinen Freunden, daß du hier bei mir gewesen seiest, und daß sie Bürge für mich bei Geronimo werden sollen."

Andreas versprach dem Gefangenen, getreulich in seiner Sache zu arbeiten, zog nach London und brachte seinen Auftrag vor Roberto. Dem Kaufmann hätte die Sache ganz wohl gefallen, wenn er nur gewiß gewußt hätte, daß er drei Kronen für eine erhalten werde. Aber den Andreas kannte er als einen bösen Buben. Nichtsdestoweniger sagte er zu ihm: "Gehe hin zu seinen Freunden und an des Königs Hof; findest du Mittel und Wege, mir Bürgschaft zu verschaffen, so will ich das Geld darleihen." Andreas fragte nach des Gefangenen Freunden und sagte ihnen, wie es um ihn stehe, wie er so hart in Banden liege. Ihnen aber machte das wenig Kummer; sie wiesen ihn an den König oder dessen Räte: diesen sollte er es vorhalten; denn der Engländer sei in seines Königs Dienste versendet gewesen. Als Andreas an den Hof kam und mit seiner Sache nicht gleich vorkommen konnte, hörte er sagen, daß der König von England seine Schwester an den Herzog von Burgund verheiratet habe und diesem noch schuldig sei, die Brautkleinodien zu senden; selbige habe er



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auch mit Mühe zusammengebracht; denn es seien gar köstliche Kleinode, und sie einem frommen Edelmann aufzubewahren und zu überbringen gegeben, der zu London mit Weib und Kind ansässig sei.

Dieses ließ sich Andreas nicht zweimal sagen; er eilte hin zu dem Edelmann , den er am Hofe antraf, und sagte, wie er vernommen hätte, daß der König dem Herzog von Burgund durch ihn köstliche Kleinode senden wollte; er bäte ihn daher gar freundlich, daß er ihn, wo es möglich wäre, die Kostbarkeiten sehen ließe; denn er sei ein Goldschmied, der mit solchen Kleinodien umgehe, und habe schon zu Florenz gehört, daß der König solchen Köstlichkeiten nachfrage. Deswegen sei er aus so großer Ferne hergekommen in der Hoffnung, der König werde ihm auch einige Stücke abkaufen. Der fromme Edelmann erwiderte: "Wartet nur, lieber Herr, bis ich gerichtet bin; dann kommet mit mir, ich will sie Euch sehen lassen." Und als er fertig war zu gehen, führte er den Andreas mit sich heim. Es war eben Mittag, daher sagte der Edelmann: "Laßt uns zuvor speisen, so wird meine Frau nicht unwillig!" So aßen sie zusammen; der Edelmann tischte dem Florentiner tapfer auf, und sie saßen lange miteinander über der Tafel. Als sie satt gegessen hatten und fröhlich gewesen waren, führte der Edelmann den Gast in seine Schlafkammer und schloß einen schönen Kasten auf; daraus zog er eine Lade mit den Kleinodien hervor und hieß ihn dieselbe zu Genüge sich beschauen. Es waren fünf Kleinode, fünfzigtausend Kronen an Wert; je länger man sie besah, desto besser gefielen sie einem. Andreas lobte sie nicht wenig und sprach: Ich habe wohl auch einige Stücke; wären sie so gefaßt, sie sollten etliche von diesen hier beschämen!" — Der Edelmann hörte dies gar gerne. "Hat der Welsche", dachte er, "so köstliche Kleinode, so muß unser Herr König noch mehr kaufens " So gingen beide wieder gen Hof. Andreas aber sprach: "Morgen zu Mittag, edler Herr, sollet Ihr mit mir essen im Hause des Geronimo Roberto; dann will ich Euch meine Kleinode sehen lassen." Das gefiel dem Edelmann wohl.

Nun ging Andreas zu Geronimo Roberto und sprach zu diesem: "Ich habe meinen Mann gefunden an des Königs Hof, der wird mir helfen, daß wir den Gefangenen ledig machen, und wird Euch für gute und gewisse Bürgschaft sorgen auf des Königs Zölle." Geronimo Roberto war damit zufrieden. Da sprach Andreas weiter: "Bereitet morgen nur eine stattliche Mahlzeit, so bringe ich ihn, daß er mit uns ißt!" Dies geschah, und zur Mittagszeit brachte Andreas den Mann; ehe sie jedoch zu Tische saßen, flüsterte Andreas dem Roberto ins Ohr, man sollte nicht viel pou



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dem gefangenen Manne reden; denn die Sache müßte geheimbleiben. So aßen sie und waren fröhlich, waren lang über Tische, und als die Mahlzeit vorüber war, ging Geronimo wieder auf seine Schreibstube. Jetzt sagte Andreas zu dem Edelmann: "Kommt mit mir hinauf in meine Kammer, , so will ich Euch meine Kleinode auch sehen lassen." So gingen sie miteinander in eine Kammer, die war gerade über dem Saal, in dem sie gesessen hatten; und als sie in die Kammer eingetreten, stellte sich Andreas an, als wollte er eine große Truhe aufschließen, zückte ein Messer und stach nach dem Edelmann mit solcher Macht, daß dieser zu Boden fiel; dann schnitt er ihm die Gurgel ab, zog ihm den goldenen Siegelring, den er am Daumen hatte, vom Finger, nahm die Schlüssel aus seinem Gürtel, ging eilends in des Edelmanns Haus und zu seiner Frau und sprach zu ihr: "Edle Frau, Euer Gemahl sendet mich zu Euch, daß Ihr ihm die Kleinodien schicket, die er mich gestern sehen ließ; zum Wahrzeichen sendet er Euch hiebei Ring und Siegel und die Schlüssel zu dem Kästchen, darin die Kleinode liegen." Die Frau glaubte diesen Worten und schloß das Kämmerlein auf, in welchem das Kästchen sich sonst befand. Sie fanden jedoch die Kleinode nicht. Der Schlüssel waren drei, aber an diesem Bunde fanden sie auch keinen, der für das Kästchen bestimmt war. Die


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Frau gab dem Welschen alles wieder und sagte: "Gehet hin, Herr, und saget meinem Mann, wir können Schlüssel und Kasten nicht finden, er solle selbst kommen und sehen, wo beide seien."

Während nun Andreas in des Edelmanns Haus gegangen war, floß das Blut durch die Dielen in den Saal und von da hinunter in Robertos Schreibstube. Das sah der Herr, rufi auf der Stelle seinen Knechten und spricht: "Von wannen kommt das Blut?" Diese liefen und sahen nach und fanden endlich den frommen Edelmann zuoberst in der Kammer tot liegen. Da erschraken sie sehr und wußten vor großem Schrecken nicht, was sie anfangen sollten. Wie sie nun so dastanden, kommt der Schalk Andreas daher. "Was hast du getan", schrien sie auf ihn zu, "daß du diesen Mann ermordet hast?"Er sprach kaltblütig: "Der Bösewicht wollte mich ermorden; denn er glaubte, Kostbarkeiten bei mir zu finden; so ist es mir lieber, daß ich ihn ermordet habe als er mich! Darum schweiget still und macht kein Geschrei, so will ich den Mann in den Hausbrunnen werfen, und wenn jemand nach ihm fragt, so saget: ,Als die Herren gegessen hatten, gingen sie hinweg; seither haben wir keinen gesehen. ' Damit warf er den Leichnam in den Brunnen und eilte Tag und Nacht, daß er aus dem Lande kam; an keinem Orte durfte er bleiben; denn immer meinte er, es wären Boten nach ihm geschickt und die Strafe seines Mordes werde ihn ereilen. So kam er nach Venedig, verdingte sich dort als Ruderknecht auf eine Galeere und fuhr nach Alerandrien. Kaum dort angekommen, verleugnete er den christlichen Glauben; dafür wurde der Schalk gut gehalten und war auch sicher vor der Missetat, die er getan; ja, hätte er hundert Christen ermordet, so wäre er geborgen gewesen.



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Der Tag, an dem der Mord geschehen, ging zu Ende, als Fortunat von der Stätte, wo er seines Herrn Gut in ein Schiff geladen hatte, nach London zurückkam. Als er auch hier das ihm anbefohlene Geschäft wohl verrichtet hatte und in seines Herren Haus kam, da wurde er nicht so schön begrüßt und empfangen als die andern Male, die er ausgewesen war. Auch dünkte ihm, Herr, Gesellen, Knechte und Mägde seien nicht so fröhlich, wie er sie verlassen hatte. Es bekümmerte ihn dieses nicht wenig, und er fragte die Kellnerin des Hauses, was sich denn während seiner Abwesenheit begeben hätte, daß sie alle so traurig wären. Die gute alte Haushälterin , die auch dem Herrn sehr lieb war, sagte zu ihm: "Fortunat, laß dich's nicht bekümmern; denn unserm Herrn ist ein Brief aus Florenz gekommen, daß ihm ein so gar guter Freund dort gestorben sei; darüber ist


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er sehr ,betrübt; doch ist derselbe ihm nicht so nahe verwandt, daß er sich deswegen schwarz tragen dürfte; es wäre ihm aber lieber ein Bruder gestorben als jener werte Freund." Dabei ließ es Fortunat bewenden, fragte nicht weiter und half seinem Herm auch traurig sein.

Aber der fromme Edelmann kam des Nachts nicht in sein Haus zurück und ließ auch seiner Frau nichts sagen; denn er war tot und lag im Brunnen. Die Frau nahm es wunder, daß er nicht kam; doch schwieg sie stille. Als er aber am andern Morgen noch immer nicht zurückkehrte, schickte sie Anverwandte an des Königs Hof; ihrem Manne nachzufragen, ob etwa der König ihn in seinem Dienste ausgesandt hätte oder er sonst irgendwo wäre. Sobald man nun am Hofe hörte, daß nach ihm gefragt werde, da wunderten sich die Räte des Königs erst, daß der Mann nicht nach Hofe gekommen war. So kam die Kunde vor den König, und dieser sagte: "Gehet doch alsbald in sein Haus und sehet, ob er die Kleinodien nicht hinweggebracht habel"Denn dem Herrn kam ein Argwohn, er möchte sich mit den Kostbarkeiten entfernt haben, wiewohl er ihn für einen Biedermann hielt; dennoch dachte er, das große Gut und die Versuchung könnten ihn zu einem Bösewicht gemacht haben. So kam es, daß je einer den andern fragte, ob er nicht wüßte, wo der Edelmann hingekommen wäre; niemand aber wußte etwas von ihm zu sagen. Der König sendet gar eilends in das Haus der Frau, daß man fragte und nachsähe, wo die Kleinode wären. Wiewohl ihm der Edelmann lieb war, so ließ er doch den Kleinodien viel eifriger nachfragen als dem frommen Mann; woraus man wohl erkennen kann, daß, wenn es an Hab und Gut geht, bei vielen Menschen alle Liebe aus ist. Als man die Frau fragte, wo ihr Mann wäre und die Kostbarkeiten, sprach sie: "ES ist heute der dritte Tag, daß ich ihn nicht gesehen habe." — "Was sagte er aber", fragten die Leute, "als er zuletzt von Euch ging?"Sie sprach: "Er wollte mit den Florentinern essen und schickte mir einen mit seinem Siegel und den Schlüsseln, ich sollte ihm die Kleinode senden; er wäre in Geronimo Robertos Hause, dort habe man auch viele Kostbarkeiten, die wollten sie gegeneinander schätzen. So führte ich denn jenen in meine Kammer und tat ihm den Behälter auf, zu dem er auch den Schlüssel hatte; aber die Kleinode fanden wir nicht, und so ging der Mann ohne dieselben hinweg, was er sehr ungerne tat. Auch ließ er mich recht ernstlich darnach suchen, wir konnten sie aber nicht finden den." Die Männer fragten, ob der Edelmann denn nicht seinen besondern Verschluß dafür hätte. "Nein", sagte sie, "er hatte keinen andern; was er Gutes hatte, Brief und Siegel, das legte er alles in diesen Kasten, und da



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standen auch die Kleinodien; sie waren aber nicht mehr da. Wären sie dagewesen , ich hätte sie ihm gewiß durch den Fremden gesandt!"

Als die Boten dies hörten, ließen sie alle Kisten, Behälter und Truhen aufbrechen, fanden aber die Kostbarkeiten nirgends. Die Frau erschrak sehr, daß man in ihrem eigenen Hause solche Gewalttätigkeiten sich erlaubte ; die Boten aber erschraken ebenfalls, als sie nichts fanden. Der König, dem dies gemeldet wurde, ward traurig, mehr um die schönen Kleinode als um das Geld, das sie gekostet; denn solche Dinge findet man nicht leicht zu kaufen; man mag soviel Geld haben, als man will. Weder der König noch seine Räte wußten, was in der Sache zu tun wäre. Nur so viel beschloß man, den Roberto und all sein Gesinde zu verhaften, damit sie Rechenschaft ablegten wegen des Edelmanns. Es geschah dies am fünften Tage, nachdem der Mann ermordet worden war. Die Knechte des Richters warteten die Zeit ab, wo bei Roberto alles am Mahle saß; dann fielen sie ins Haus und fanden alle beieinander, den Herren, zween Schreiber , einen Koch, einen Stallknecht, zwo Mägde und — Fortunat, so daß ihrer acht Personen waren; die führte man ins Gefängnis, jeden besonders, und fragte auch jeden insbesondere, wo die zwei Männer hingekommen wären. Alle sagten einstimmig aus, nachdem sie gegessen hätten, seien sic hinweggegangen, und nachher hätten sie sie nicht mehr gesehen noch von ihnen gehört. Doch begnügten sich die Richter damit nicht: sie nahmen dem Herrn und den andern allen ihre Schlüssel, gingen in das Haus und durchsuchten alle Ställe, Keller und Gewölbe, wo Roberto seine Kaufmannsgüter aufbewahrt hatte, kurz allerorten, ob der Edelmann nicht irgendwo begraben läge; aber sie fanden nichts. Eben wollten sie hinweggehen, als einem, der eine große brennende Kerze oder ein Windlicht in der Hand hatte, womit er alle Winkel durchsuchte, der Brunnen hinter dem Hause ins Auge fiel. Dieser eilt ins Haus zurück, zieht aus einer Bettstatt eine Handvoll dürres Stroh, geht hinaus, zündet's an seinem Licht an und wirft es in den tiefen Schöpfbrunnen. Schnell blickt er nach und sieht den Fuß eines Mannes aus der Tiefe emporragen. Mit lauter Stimme rief der Knecht: "Mord und wieder Mord, hier im Brunnen liegt der Mann." Sofort ward der Brunnen gebrochen und der Mann, dem die Kehle durchstochen und der schon halb verwest war, herausgezogen, auf die offene Straße vor Robertos Haus gebracht und dort niedergelegt. Als die Engländer den großen Mord innewurden, entstand Entrüstung gegen die Florentiner und alle Lombarden, so daß sie sich verbergen und einsperren mußten; denn hätte man sie auf offener Straße gefunden, so



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wären sie von dem Volke alle erschlagen worden. Die Geschichte kam schnee vor den König und den Oberrichter. Da ward befohlen, daß man Herrn und Knechte martern solle, damit man den rechten Hergang der Sache erführe; besonders aber solle den Kleinodien nachgefragt werden.

So kam denn der Henker, nahm zuerst den Herrn, legte ihm Daumenschrauben an und peinigte ihn, daß er bekennen sollte, wer den Edelmann ermordet hätte, und wo die Kostbarkeiten des Königs wären. Wohl konnte der gute Geronimo an dem großen Ungestüm und der furchtbaren Marter merken, daß der Mord kundbar geworden war, wiewohl derselbe in seinem Hause ohne sein Wissen verübt worden und ihm selbst am meisten leid tat. Doch konnte er es nicht ändern und erzählte seinen Peinigern, wie alles gegangen war; wie Andreas ihn gebeten, ein gutes Mahl zuzubereiten; er wollte einen Edelmann mitbringen, der ihm einen andern englischen Edeln, der zu Turin gefangenliege, der Bande zu erledigen helfen wolle. "Dies tat ich", sprach Roberto, "in allem Guten, meinem gnädigen Herrn, dem König, und dem ganzen Land zulieb, und dachte nichts anders. Als die Mahlzeit vollbracht und schon von mir vergessen war, auch ich in meiner Schreibstube saß, schrieb und unter dem Schreiben aufblickte, da sah ich, wie durch die Decke meiner Kammer ein Schweiß herabfloß. Ich erschrak und sandte meine Knechte, daß sie sehen sollten, was es wäre. Die sagten mir, wie die Sachen stehen. Ich konnte mir nicht denken, wie es zugegangen war: indem kam der Schalk Andreas gelaufen, und ich setzte ihm hart wegen des Mordes zu. Er aber sagte, der Mann habe ihn ermorden wollen, nahm den Leichnam und warf ihn in den Brunnen; dann ging er weg; wo er hingekommen, weiß ich nicht." Wie Roberto sagte, so sagten die andern alle, so arg man sie peinigte; nur Fortunat; der auch gemartert wurde, bekannte nichts; denn er war nicht zu Hause gewesen, als der Mord sich ereignete.

Da man auf diese Weise nichts erfuhr und die Kleinode nicht zum Vorschein kamen, wurde der König sehr zornig und befahl, daß man sie alle miteinander an einen neuen Galgen hängen und mit Ketten wohl anschmieden solle, damit sie niemand herabnehme und sie nicht so bald herabfallen, sondern jedermänniglich zur Warnung hängen bleiben sollten. So wurden sie nacheinander gehenkt, bis nur noch der Koch und Fortunat übrig waren. "Ach", dachte dieser, "wäre ich bei meinem frommen Herrn und Grafen geblieben und hätte mich lieber zum Sangvögel machen lassen, so wär' ich doch jetzt nicht in diese Angst und Not gekommen t" Als man aber den Koch, der ein Engländer war, henken wollte, schrie dieser



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mit lauter Stimme, daß es jedermann hören konnte, Fortunat wisse nichts von all diesen Dingen. Der Richter glaubte selbst an seine Unschuld, doch wollte er ihn mit hängen lassen, gleichsam aus Mitleid, weil er doch als Welscher zu Tod geschlagen werden würde. Dennoch handelte man mit dem Richter, weil Fortunat kein Florentiner und überdies unschuldig sei, so daß dieser endlich zu dem Jüngling sprach: "Nun mach dich auf der Stelle aus dem Lande; denn die Weiber auf der Straße würden dich zu Tode schlagen!" Damit gab er ihm zwei Knechte bei, die ihn bis an die Themse führten. Fortunat schiffte sich ein, so geschwind er konnte, fuhr den Strom hinab und war froh, als er auf der offenen See war und das englische Land hinter sich hatte, wo man so schnell mit dem Henken bei der Hand ist.

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Nachdem Geronimo Roberto mit seinem Gesinde gehenkt war, gab der König sein Haus der Plünderung preis, doch hatten des Königes Räte vorher das Beste wegbringen lassen. Die Florentiner und alle Lombarden aber, als sie dies hörten, trugen Sorge um Leib und Gut und sandten dem Könige eine große Summe Geldes, damit er ihnen frei Geleite gäbe, weil sie ja doch keine Schuld an dem Morde hätten. Der König gewährte ihnen dieses von Rechts wegen. Aber wo seine Kleinodien hingekommen, wußte er immer noch nicht; daher ließ er öffentlich ausrufen, wer Nachricht darüber zu erteilen vermöchte, dem sollte man tausend Nobel geben; auch wurde an vieler Könige, Fürsten und Herren Höfe geschrieben, ebenso an mächtige und reiche Städte: wenn jemand käme, der dergleichen Kostbarkeiten feilböte, so sollte man Beschlag darauf legen. Dennoch konnte man nichts davon erfahren, so gern jedermann das Geld gewonnen hätte.

Dies stand so lange an, bis des Edelmanns Frau dreißig Tage um ihren Eheherrn getrauert hatte; dann legte sie das Leid von Tag zu Tag mehr beiseite und lud ihre Gespielen und Nachbarinnen zu Gaste. Unter diesen fand sich eine, die auch erst kürzlich zur Witwe geworden war; diese sprach: "Wenn Ihr mir folgen wollet, so will ich Euch lehren, wie Ihr den übermäßigen Kummer um Euren toten Eheherrn bald loswerden könnet. Schlaget nur Euer Bett in einer andern Kammer auf oder, wenn Ihr das nicht möget, so rücket wenigstens die Bettstatt an einen andern Ort, und wenn Ihr Euch zu Bette leget, so denkt fein hübsch an die Lebendigen und sprechet: ,Die Toten zu den Toten, und die Lebenden zu den Lebenden! Also tat ich auch, als mir mein Ehegemahl gestorben war." Die Frau aber erwiderte: "O liebe Gespiele, mein Mann ist mir so recht lieb gewesen,



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ich kann seiner so bald nicht vergessen!" Doch hatte sie sich die Worte der Freundin gemerkt, und als sie wieder allein war, dachte sie: "Das kann ja dem Andenken an den Seligen nichts schaden!" und fing gleich an, ihre Schlafkammer aufzuräumen, ihres Mannes Kisten und Geräte aus dem Zimmer zu tragen, die ihrigen an deren Stelle zu setzen, endlich auch die Bettstatt zu verrücken. Als aber dieses geschah, siehe da stand die Lade mit den Kleinodien unter dem Bette an einem der Bettstollen. Gleich erkannte die Frau das Lädchen, griff mit Hast darnach und nahm es zu sich. Im übrigen ließ sie die Kammer scheuern und ausrüsten; dann berief sie ihre nächsten Verwandten, erzählte ihnen alles und begehrte ihren Rat, wie sie es mit den Kleinodien halten sollte. Als ihr ältester Verwandter sich von dem Staunen über den herrlichen Fund erholt hatte, sprach er zu ihr: "Wenn Ihr meines Rates begehrt, so sage ich Euch, daß mir das beste scheint, auf der Stelle mit den Kleinodien vor den König zu gehen, ihm die ganze Wahrheit zu sagen und ihm dieselben zu überantworten. Überlässet seinem Edelmut, ob er Euch etwas davon schenken will. Wolltet Ihr so große Kostbarkeiten verheimlichen oder in ein fremdes Land verkaufen, so wäre das übelgetan und könnte doch nicht verborgen bleiben; denn dieselben sind nach des Königs Ausschreiben in allen Orten bekannt. Würde man es inne, so kämen alle, die damit umgegangen sind, und zuerst Ihr selber um Leib und Gut, und der König erhielte doch wieder sein Eigentum."


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Dieser Rat gefiel der ehrlichen Frau ganz wohl; sie legte ihre schönsten Kleider an, doch waren es Trauergewande, wie sie es ihrem Manne schuldig war; ihr Verwandter begleitete sie, und so kam sie mit diesem in des Königs Palast und begehrte vorgelassen zu werden. Der König vergönnte ihr dieses, und so trat sie in den Audienzsaal, und als sie vor den König kam, kniete sie nieder, bewies ihm alle Ehrfurcht und sprach: "Gnädigster König und Harrt Ich komme vor Eure Majestät, um Euch kundzutun, daß ich die Kleinode, die Ihr meinem seligen Ehemann der Frau Hezogin von Burgund zu überantworten anbefohlen habt, dieses Tages in meiner Schlafkammer hinter einem Bettstollen gefunden habe, als ich meine Lagerstatt verändern wollte. Darum habe ich mich beeilt, dieselben Euch, als dem rechtmäßigen Herm, zuhanden zu geben." Damit reichte sie ihm die Lade, die sie in den Armen trug, dar. Der König nahm das Kistchen, öffnete es und fand zu seiner großen Freude die fünf köstlichen Kleinode darin unversehrt. Er betrachtete sie mit vielem Wohlgefallen; auch freute es ihn, daß die Edelfrau so ehrlich war, und er fand es billig, sie zu begaben, weil ihr armer Mann um dieser Kleinode willen sein Leben hatte lassen müssen. Er rief daher einen jungen Edelmann seines Hofes, der recht hübsch und wohlgestaltet war, und sprach: "Lieber Sohn, ich will eine Bitte an dein Herz legen, die sollst du mir nicht versagen." Der Jüngling sprach: "Herr, Ihr sollt nicht bitten, sondern gebieten, und ich muß allen Euren Geboten gehorsam sein."

Sofort ließ der König einen Priester kommen, und sogleich in seiner Gegenwart gab er der Witwe den Jüngling zum Gemahl und begabte sie reichlich. Beide lebten auch wirklich in Frieden und Freuden miteinander; die Frau ging zu ihrer Gespiele und dankte ihr herzlich für den Rat, den sie ihr gegeben, und auf den sie ihre Bettstätte verändert hatte: "Denn", sprach sie, "wäre ich Eurem Rate nicht gefolgt; so hätte unser Herr König seine Kleinode nicht, und ich nicht einen hübschen, jungen Mann. Darum ist es gut, wenn man weiser Leute Rat befolgt."



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Nun höret, wie es Fortunaten weiter ergangen ist, als er des Galgens erledigt war! Er hatte gar kein Geld mehr, als er in französischen Landen in der Pikardie ankam. Gern hätte er gedient, aber er wußte nicht; wie an einen Herrn kommen. So ging er weiter nach der Bretagne. Dort kam er in einen wilden Wald, in welchem er den ganzen Tag fortwandelte und als es Nacht wurde, kam er zu einer alten Glashütte, in welcher


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man vor vielen Jahren Glas gemacht hatte. Da wurde er froh; er meinte, hier Leute zu finden, aber da war keine Seele. Die Nacht über blieb er jedoch in der ärmlichen Hütte unter großem Hunger und sehr bekümmert, denn die wilden Tiere durchstreiften den Wald. Ihn verlangte sehr nach dem Tag; da, hoffte er, sollte Gott ihm aus dem Walde helfen, daß er nicht Hungers stürbe. Am andern Morgen nahm er seinen Weg quer durch den Wald; aber je mehr er ging, je weniger konnte er aus dem Holze kommen, und so verstrich auch der Tag zu seinem großen Herzeleid. Als es Nacht zu werden anfing, wurde er ganz kraftlos; denn er hatte in zweien Tagen nichts gegessen. Von ungefähr kam er an einen Brunnen, aus dem er mit großer Begierde trank. Dies gab ihm wieder Kraft, er setzte sich bei dem Brunnen nieder und ließ den hellen Mond auf sich niederscheinen. Auf einmal vernimmt er ein Prasseln im Walde und hört einen Bären brummen. "Das lange Sitzen", dachte er, "ist aus, das Fliehen frommt auch nichts mehr; denn die wilden Tiere überholen die Menschen bald." So bestieg er einen großen vielästigen Baum zunächst an dem Brunnen; von dem herab sah er zu, wie mancherlei Geschlechte wilder Tiere kamen zu trinken, einander stießen und bissen und wilden Lärm untereinander verführten. Unter diesen war auch ein halberwachsener Bär, der bekam Fortunats Spur auf dem Baum und fing an, an diesem hinaufzuklettern. Fortunat, in großer Furcht, stieg je länger, je höher auf den Baum hinauf; der Bär ihm immer nach. Auf dem letzten Ast blieb Fortunat reiten, zog seinen Degen und stach dem Bären verzweifelt zu wiederholten Malen in den Kopf. Der Bär wurde zornig, ließ seine Vordertatzen vom Baume los und schlug nach Fortunat so hitzig, daß ihm auch die Hinterbeine entwischten und er mit großem Gerassel hinter sich vom Baume herabfiel, daß es durch den Wald erschallte und die andern Tiere, so schnell sie konnten, davonflohen. Fortunat aber saß noch immer auf dem Baume und wagte sich nicht herab; endlich aber, da es ihn so gar schläferte und er unversehens von dem Baume herabzustürzen und zu Tode zu fallen fürchtete, stieg er mit großer Angst leise herunter, durchstach den Bären, der noch immer halbtot unter dem Baume lag, legte seinen Mund auf die Wunde und sog etwas von dem warmen Bärenblut in sich, wodurch er wieder zu Kräften kam. Doch bedurfte er so sehr des Schlafes, daß er sich ohne Bedenken neben dem toten Bären hinlegte und bis gegen Morgen einen guten Schlaf tat.

Als Fortunat erwachte, staunte er nicht wenig; denn er sah ein gar



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schönes Weibsbild vor sich stehen. Er fing an, Gott recht inniglich zu loben. "Oh, wie danke ich dir, allmächtiger Gott", sprach er, "daß ich vor meinem Tode doch noch einen Menschen zu sehen bekommet Liebe Jungfrau, ich bitte Euch, wollet mir helfen und raten, daß ich aus diesem Walde komme; denn heute ist der dritte Tag, daß ich durch denselben gehe ohne alle Speise!" Darauf erzählte er, was ihm widerfahren war. "Von wannen bist du denn ?" hub die Jungfrau an zu sprechen. "Ich bin aus Zypern!"sagte Fortunat. "Was gehest du denn hier in der Irre um?"fragte sie weiter. "Mich zwingt Armut dazu", antwortete er, "ich gehe um und suche, ob mir Gott soviel Glücks verleihen wolle, daß ich meine tägliche Notdurft habel" — Da sprach die Jungfrau: "Fortunat; erschrick nicht! Ich bin Fortuna, die Herrin des Glückes, und unter Einfluß des Himmels, der Sterne und der Planeten sind mir sechs Tugenden verliehen, die ich forthin wieder verleihen kann, eine oder mehr oder alle miteinander; diese sind: Weisheit, Reichtum, Stärke, Gesundheit , Schönheit und langes Leben. Wähle dir eins unter den sechsen und bedenke dich nicht lange; denn die Stunde, wo das Glück dir geben kann, ist nächstens abgelaufen!"

Fortunat bedachte sich nicht lange, er sprach: "Nun, wenn es sein muß, so begehre ich Reichtum, damit ich immerdar Geldes genug habe." Von Stund an zog jene einen Säckel heraus, gab ihn dem Jüngling und sprach: "Nimm diesen Säckel; sooft du dareingreifest, in welchem Lande du immer sein magst, und was für Geld in demselben landläufig sein mag, so findest du darin zehn Goldstücke nach des Landes Währung. Dieser Beutel soll solche Tugend haben für dich und deine Kinder und für jeden andern, der ihn besitzt, solange du und deine Kinder leben; aber wenn ihr gestorben seid, hat seine Tugend und Eigenschaft ein Ende. Darum laß dir ihn lieb sein und trage Sorge dafür!"Obgleich Fortunat in seinem Hunger nach nichts anderem verlangte als nach Speise; so gab ihm doch der Säckel und die Hoffnung, die sich daran knüpfte, einige Kraft, und er sprach: "O tugendreichste Jungfrau, da Ihr mich mit einer so trefflichen Gabe erfreut habt; so ist es doch billig, daß ich auch um Euretwillen etwas tue und der Wohltat nicht vergesse, die Ihr mir erwiesen habt!" Die Jungfrau sprach gar gütig zu Fortunat: "Weil du so willig bist; mir meine Guttat zu vergelten, so befehle ich dir folgendes, das du auf den heutigen Tag, solange du lebest, um meinetwillen leisten sollst: du wirst diesen Lag jährlich feiern, mit nichts an demselben dich verunreinigen, und wo in der Welt du dich befinden magst, darnach forschen,



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wo etwa ein armer Mann eine erwachsene Tochter habe, der er gern einen Mann gäbe und dies doch vor Armut nicht vermöchte. Diese sollst du samt Vater und Mutter schmuck bekleiden und mit vierhundert Goldstücken erfreuen; zum Gedächtnis dessen, daß du heute von mir erfreut worden hifi, erfreue du alle Jahre eine arme Jungfrau!" —"Ja", rief Fortunat voll Freuden, "edle Jungfrau, ich will diese Dinge unvergeßlich in meinem Herzen bewahren und redlich halten; denn ich habe sie demselben zu ewigem Gedächtnis eingedrückt!"Bei alledem jedoch war es Fortunat sehr angelegen, aus dem Walde zu kommen, und er sprach weiter: "Schöne Jungfrau, ratet und helfet mir nun auch, wie ich aus diesem Walde kommet" —"Diese Irrfahrt war dein Glück", erwiderte das Glück, "folge nur mir nach!" Mit diesen Worten führte ihn Fortuna mitten durch den Wald auf einen angetriebenen Weg und sprach weiter: "Geh nur hier gerade fort und kehre dich nicht um; sieh mir auch nicht nach, wohin ich gehe! Wenn du dieses tust, so wirst du bald aus dem Walde kommen."


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Fortunat befolgte den Rat der Jungfrau, eilte auf dem Wege hin, kam an des Waldes Ende und sah da ein großes Haus vor sich stehen, das eine Herberge war, wo die Leute, die durch den Wald reiseten, gewöhnlich Mittag zu halten pflegten. Als er in die Nähe des Hauses gekommen war, zog er den Geldsäckel aus dem Busen und griff darein, ihn zu probieren. Alsbald zog er zehn blanke Goldkronen hervor. Darum ward er gar froh, ging mit großen Freuden in das Wirtshaus und sagte zu dem Wirte: "Gib mir zu essen, Freund; denn mich hungert sehr; ich will dir alles gut bezahlen!" Diese Sprache gefiel dem Wirte sehr wohl, und er trug ihm das Beste auf, das im Hause zu finden war.

Da ergötzte sich Fortunat; sättigte seinen Hunger und blieb zwei Tage lang in der Herberge. Dann kaufte er dem Wirt einen Reiterharnisch ab, damit er desto eher zu einem Herrn käme, bezahlte den Wirt nach Wunsche und machte sich weiter auf den Weg. Zwo Meilen von der Straße befand sich ein kleines Städtchen mit einem Schlosse, auf dem ein Waldgraf wohnte, dessen Amt war, den Forst zu beschirmen, und der diesen Auftrag von dem Herzog in Bretagne erhalten hatte. In dieser Stadt ging Fortunat zu dem besten Wirt und fragte ihn, ob es nicht hübsche Rosse zu kaufen gäbe. Der Wirt sprach: "Ja, erst gestern ist ein fremder Kaufmann hier angekommen, wohl mit fünfzehn hübschen Pferden; er geht auf die Hochzeit; die der Herzog mit der Tochter des Königs von Aragonien halten will; der hat unter diesen fünfzehen drei Rosse, für die ihm unser Herr Waldgraf dreihundert Kronen geben wollte; er aber verlangt dreihundertundzwanzig; so stößt es sich nur um zwanzig Kronen." Fortunat verließ den Wirt, ging in aller Stille in seine Kammer, zog da aus seinem Säckel auf sechzig Griffe sechshundert Kronen und steckte sie in seinen alten Beutel. Dann ging er getrost zu dem Wirt und sagte: "Wo ist der Mann mit den Rossen? Hat er deren wirklich so hübsche, so möchte ich sie gerne besehens" —"Ich fürchte, er läßt sie Euch nicht sehen", sprach der Wirt, "denn kaum hat unser Herr, der Graf, ihn dahin vermocht, sie ihm zu zeigen."Fortunat aber sagte: "Nun, wenn mir die Rosse gefallen, ich kann sie eher kaufen als der Graf!" Dem Wirt kam es spöttisch vor, daß er so großsprecherisch redete und doch nicht Kleider darnach anhatte, auch zu Fuße ging. Doch führte er ihn zu dem Roßtäuscher und redete diesem so lange zu, bis er ihn die Rosse sehen ließ. Fortunat musterte sie, und alle gefielen ihm wohl. Doch wählte er nur die drei, die der Graf gerne gehabt hätte, zog seinen Beutel und zählte die dreihundertundzwanzig Kronen, um die es sich handelte, auf



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der Stelle hin. Dann hieß er die Rosse ins Wirtshaus führen, schickte nach einem Sattler und hieß ihn Sattel und Zeug aufs köstlichste verfertigen; dem Wirt aber gab er den Auftrag, ihm zu zween reisigen Knechten zu verhelfen, denen er guten Sold bezahlen wollte.

Während Fortunat diesen Handel abschloß, erfuhr der Graf den Kauf und wurde darüber nicht wenig griesgrämlich; denn er hatte im Sinne gehabt, die Rosse um armer zwanzig Kronen willen am Ende doch nicht dahintenzulassen; er hatte mit ihnen auf der Hochzeit prunken wollen und sollte sie jetzt in eines andern Händen sehen! Im Zorn sendet er einen Diener zu dem Wirt und läßt ihn fragen, was denn das für ein Mann sei, der die Rosse ihm aus den Händen weggekauft habe. Der Wirt antwortet, er kenne ihn nicht; denn er sei zu Fuß in seine Herberge gekommen, jedoch als reisige Knecht und mit einem Harnisch. "Dem Ansehen nach", sprach er, "hätte ich ihm nicht auf eine einzige Mahlzeit trauen mögen, aus Furcht, er möchte ohne Bezahlung davonlaufen." Der Knecht des Grafen wurde zornig und fragte, warum er denn mit ihm gegangen sei, die Pferde zu kaufen. — "Ei', sprach der Wirt, "ich habe getan, was jeder brave Wirt seinem Gaste tun soll. Er bat mich, mit ihm zu gehen. Aber, redlich gesagt, ich meinte, er wäre nicht imstande, auch nur einen Esel zu bezahlen!"

Der Knecht kam zu seinem Herm zurück und sagte ihm, was er vernommen hatte. Als nun vollends der Graf hörte, daß der Käufer kein geborner Edelmann sei, sprach er voll Zorn zu seinen Dienern: "Gehet hin und sahet mir den Mann! Gewiß hat er das Geld gestohlen oder gar geraubt und den rechtmäßigen Besitzer ermordet!" So griffen sie den Fortunat und führten ihn in ein böses Gefängnis. Dann fragten sie ihn erst, von wannen er wäre. "Er sei von der Insel Zypern", erwiderte Fortunat , "aus einer Stadt, Famagusta genannt."Auf die Frage, wer sein Vater sei, antwortete er: "Ein armer Edelmann!" Das hörte der Graf gerne, daß er aus so fernen Landen war, und fragte ihn weiter, woher er denn das bare Geld hätte, daß er so reich wäre. Zuversichtlich sagte da Fortunat: "Er glaubte, nicht schuldig zu sein, zu sagen, woher sein Geld komme. Wenn jemand aufstände und ihn eines Unrechts oder einer Gewalttat zeihete, dem wollte er vor jedermann zu Rechte stehen!" — Der Graf aber sprach: "Dich hilft dein Schwatzen nicht; du wirst mir bald sagen, woher du dein Geld hast!" Und nun befahl er, ihn auf die Stätte zu führen, wo die Verbrecher gefoltert werden. Da erschrak Fortunat; doch setzte er sich vor, eher zu sterben, als die Eigenschaft des Säckels zu



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verraten. Wie er nun auf der Folterbank hing, mit schwerem Gewichte beladen, rief er, man sollte ihn ablösen, so wolle er sagen, wonach man ihn frage. Als er herabkam, sprach der Graf: "Nun sage mir, woher kommen dir soviel guter Kronen?" Da erzählte Fortunat, wie er im Walde verirrt wäre, ungegessen bis an den dritten Tag. "Wie mir nun", schloß er, "Gott die Gnade erwies, daß ich aus dem Walde entkam, da fand ich einen Säckel, in dem sechshundertundzehn Kronen waren." — "Wo ist der Säckel?" rief der Graf. "Eh' ich das Geld gezählt", sprach jener, "tat ich's in meinen eigenen Beutel und warf den leeren Säckel in das Wasser, das an dem Wald vorüberfließt." — Da sprach der Graf: "Et, du Schalk, wolltest du mir entfremden, was mein ist? Wisse, daß mir dein Leib und Gut verfallen ist; denn was sich in dem Walde findet, das gehört mir zu und ist mein eigent" —"Gnädiger Herr", antwortete Fortunat, "ich wußte von diesem Eurem Rechte ganz und gar nichts; ich lobte Gott um das Geld und hielt es für eine Gottesgabe!" —"Hast du nicht gehört", schrie der Graf, "wer nicht weiß, der soll fragen! Und kurzum, richte dich darnach: heute nehme ich dir dein Gut und morgen dein Leben!" —"Ich Armer", dachte Fortunat bei sich, "da ich die Wahl hatte unter den sechs Gaben, warum erwählte ich nicht die Weisheit für den Reichtum; so wäre ich jetzt nicht in der großen Angst und Not!"

Da fing er an, Gnade zu begehren, und rief: "Gnädiger Herr, habt Barmherzigkeit mit mir! Was würde Euch mein Tod nützen? Nehmet das gefundene Gut, wenn es Euer ist, und laßt mir nur das Leben; so will ich Gott getreulich für Euch bitten alle Tage meines Lebens!" Es wurde dem Grafen schwer, ihn leben zu lassen; denn er fürchtete, der Fremde würde das Vorgefallene erzählen, wo er hinkäme, und es dürfte dies ihm selbst von frommen Fürsten und Herren übel verdacht werden. Doch ließ er sich von seinen Dienern erbitten, nahm ihm nur das Geld und die Rosse und gab ihm seine Rüstung wieder und noch überdies ein paar Kronen zur Zehrung. Aber morgens in aller Frühe ließ er ihn aus der Stadt führen und allda schwören, sein Lebtag nicht mehr des Grafen Gebiet zu betreten.



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Fortunat war froh, so davongekommen zu sein, aber er wagte nicht, über seinen Säckel zu gehen; denn er fürchtete, wenn man Geld bei ihm fände, so möchte man ihn abermals sahen. So ging er wei Tagereisen mit geringer Zehrung, bis er in die große bretagnische Stadt Andegavis


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kam, die am Meere liegt; hier war viel Volks von Fürsten und Herren versammelt; denn alle warteten auf die Königin, bei deren hochzeitlichem Ehrenfeste jeder mit Stechen, Tanzen und andern Lustbarkeiten das Beste tun wollte. Fortunat sah dieses wohl gerne, doch dachte er bei sich: "Soll ich das auch mitmachen, wie ich es denn wohl vermag, so möchte es mir ergehen wie bei dem Waldgrafen!"Doch kaufte er sich zwei schöne Rosse und dingte einen Knecht; kleidete diesen und sich aufs schönste, ließ auch die Pferde trefflich zurichten und ritt in die beste Herberge, die es in der Stadt gab, und so wollte er die Festlichkeiten daselbst abwarten.

Die Königin kam über das Meer her, und man sandte ihr viel köstliche Schiffe entgegen, sie würdig zu empfahen. Noch herrlicher war der Empfang, als sie ans Land stieg und ihr Gemahl nebst vielen Fürsten und Herren ihr entgegenging. So währte die königliche Hochzeit sechs Wochen und drei Tage. Fortunat sah alles und hatte daran sein Wohlgefallen;



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er ging und ritt gen Hof und ließ nie Geld und Geräte in der Herberge liegen. Dem Wirte gefiel dieses nicht; denn er kannte ihn nicht und fürchtete, der Fremde möchte ohne Bezahlung von dannen reiten, wie ihm schon früher geschehen war und auf solchen Hochzeiten manchmal noch geschieht. Darum sprach er zu Fortunat: "Mein lieber Freund, ich kenne Euer nicht; seid so gut und bezahlt mich alle Taget" Jener aber lachte und sprach zu ihm: "Lieber Wirt, ich will nicht unbezahlt hinwegreiten Damit zog er aus seinem Säckel hundert guter Kronen, gab sie dem Wirt und sprach: "Nehmet dies Geld, und wenn Euch bedünkt, daß ich, oder wer mit mir kömmt, mehr verzehrt habe, so will ich Euch mehr geben, und Ihr dürft mir keine Rechnung darüber stellen." Der Wirt griff mit beiden Händen nach dem Geld und fing an, Fortunat in großen Ehren zu halten; sooft er vor ihn trat, griff er an die Mütze, setzte ihn zu den Vornehmsten oben an die Tafel und gab ihm ein besseres simmer zu bewohnen, als er bisher eingenommen hatte.

Wie nun einmal Fortunat bei andern Herren zu Tische saß, kamen mancherlei Sprecher und Spielleute vor der Herren Tisch, den Leuten Kurzweil zu machen, damit sie Geld verdienten. Unter andern erschien auch ein armer Edelmann, der klagte den Herren seine Armut und sagte, er sei aus Hibernien, sei sieben Jahre in der Welt herumgezogen, habe zwei Kaisertume und zwanzig Königreiche durchfahren, soviel ihrer in der Christenheit wären; auf diesen Fahrten habe er sich aufgezehrt und begehre eine Beisteuer, um wieder heimzukommen. Ein Graf, der längeres Gespräch mit dem Alten pflegte, und dem dieser alle Länder nannte, wo er gewesen war, reichte ihm über den Tisch vier Kronen und sagte: "Wenn es sein Belieben wäre, so könnte er dableiben, solange die Feste dauerten; er wollte für ihn bezahlen." Jener aber dankte und sprach: "Mich verlanget heim nach meinen Freunden; ich bin gar zu lang ausgewesen!"

Fortunat, der auch auf die Reden des alten Edelmanns gemerkt hatte, dachte in seinem Herzen: "Möchte es mir doch so gut werden, daß mich der Alte durch alle die Länder führte; ich wollt' ihn reichlich begaben!" Als nun die Mahlzeit aus war, sandte er nach ihm und fragte, wie er mit Namen heiße. "Leopold", erwiderte der Edelmann. "Hab ' ich recht gehört", sprach Fortunat, "so seid Ihr weit gewandert und an vielen Königshofen gewesen! Nun bin ich jung und möchte gern in meinen rüstigen Tagen wandern. Wolltest du mich führen, so würde ich dir ein Pferd untergeben und einen eigenen Knecht dingen, dich wie meisen



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Bruder halten und dir einen guten Sold geben." Auf dieses sagte der alte Leopold: "Ich für mein Teil möcht ' es wohl leiden, daß ich so ehrlich gehalten würde; aber ich bin alt, habe Weib und Kind, die wissen nichts von mir, und die herzliche Liebe zwingt mich, wieder zu ihnen zu kommen." — "Höre, Leopold", sprach Fortunat, "tu mir meinen Willen! Dann will ich mit dir nach Hibernien gehen, dir Weib und Kind, wenn sie am Leben sind, reichlich beschenken, und wann die Reise vollbracht ist, und wir nach Famagusta auf die Insel Zypern kommen, so will ich dich, wenn du dort wohnen magst, mit Knechten und Mägden versehen dein Leben lang!" Leopold dachte: "Der junge Mann verheißt mir viel; wäre die Sache gewiß, so wäre es ein rechtes Glück für mein Altert"Daher sagte er zu ihm: "Herr, ich will Euch zu Willen werden, doch nur insoferne Ihr Euer Vorhaben nicht eher ins Werk setzet, als bis Ihr mit barem Gelde versehen seid. Denn ohne Geld vollführet Ihr es nicht!" — "Sorge nicht", sprach Fortunat, "Geld weiß ich in jedem Lande genug aufzubringen. Drum versprich du mir, bei mir zu bleiben und die Reise mit mir zu vollendens" So gelobten sie sich einer dem andern gute Treue, und daß sie einander in keinen Nöten verlassen wollten. Alsobald zog Fortunat zweihundert Kronen heraus und gab sie dem Ritter Leopold. "Gehe hin", sprach er, "und kaufe davon zwei hübsche Pferde! Spare kein Geld; dinge dir einen eigenen Knecht, und wenn er dir nicht gefällt, so dinge einen anderen. Wenn du kein Geld mehr hast; will ich dir mehr geben. Du sollst nie ohne Geld sein!"

Das gefiel dem Leopold wohl. Er dachte: "Das ist ein guter Anfang", und rüstete sich nach Herzenslust. Dasselbe tat Fortunatus; doch nahm er nicht mehr als zween Knechte und einen Knaben, so daß ihrer sechse waren. Dann wurden sie miteinander einig, in welcher Ordnung sie Länder und Königreiche durchfahren, und daß sie zuvörderst das Heilige Römische Reich besehen wollten. So ritten sie zuerst gen Nürnberg, von da nach Donauwörth und Augsburg, dann auf Nördlingen und nach Ulm; gen Kostnitz, Basel, Straßburg, Mainz und Köln. Von Köln zogen sie gen Brügge in Flandern, von da über die See nach London; dann gen Edinburg in die Hauptstadt Schottlands, das da neun Tagreisen von London liegt.



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Als sie dahingekommen waren, hatten sie nur noch sechs Tagreisen nach Hibernien und in die Stadt, die Leopolds Heimat war. Da erinnerte Leopold seinen Herrn an dessen Versprechen, und Fortunat war willig,


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mit ihm nach Hibernien zu reiten. So kamen sie endlich in die Stadt Baldric, wo Leopold zu Hause war. Dieser fand Weib und Kind, wie er sie gelassen hatte: nur hatte einer seiner Söhne ein Weib genommen und eine der Töchter einen Mann; die alle waren seiner Heimkunft froh. Weil nun Fortunat wußte, daß in der Haushaltung nicht viel übrig war, so gab er dem Leopold hundert Nobel, um damit alles reichlich und gut einzurichten, dann wollte er zu ihm kommen und sein Gast sein. Leopold machte die nötigen Vorbereitungen, lud seine Kinder mit Mann und und Weib, auch andere gute Freunde und hielt eine so köstliche Mahlzeit, daß die ganze Stadt einen Genuß davon hatte. Fortunat war fröhlich mit ihm, nach dem Mahle jedoch nahm er seinen Freund beiseite und sprach zu ihm: "Leopold, jetzt nimm Urlaub von Weib und Kind, empfange hier diese drei Beutel; in jedem sind fünfhundert Nobel, deren jeder mehr gilt als dritthalb Gulden rheinisch; von diesen Beuteln laß den einen deinem Weibe, den andern deinem ältesten Sohn, den dritten deiner ältesten Tochter zur Letze, damit sie Zehrung haben!" Leopold war dessen sehr froh, dankte ihm und erfreute damit Weib und Kinder.

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Nun hatte Fortunat gehört, daß es nur noch zwei Tagreisen bis nach der Stadt sei, wo Sankt Patricius ' Fegfeuer ist, die auch in Hibernien liegt. Das wollte er auch schauen; sie ritten daher mit Freuden nach der Stadt Bernie. In dieser ist eine große Abtei, und hinten in der Kirche hinter dem Fronaltar befindet sich eine Türe, durch die man in die finstere Höhle geht, die des Sankt Patricius ' Fegfeuer genannt wird. In dieses wird niemand eingelassen ohne des Abts Erlaubnis. Von dem ließ sich Leopold Urlaub geben; und als der Abt von ihm erfuhr, daß sein Herr und Begleiter ein Edelmann aus Zypern sei, lud er die beiden zu Gaste. Fortunat wußte diese große Ehre wohl zu schätzen; er kaufte aus seinem Säckel ein Faß mit dem besten Weine, den er dort finden konnte; und schickte dasselbe dem Abt. Denn der Wein ist dort sehr teuer, und es wurde sonst wenig Wein im Kloster verbraucht, außer zum Gottesdienste , daher der Abt das Geschenk mit großem Dank aufnahm. Als die Mahlzeit vollbracht war, fing Fortunat an und sprach: "Gnädiger Herr, wenn es nicht wider Eure Würde ist, so möchte ich wohl von Euch erfahren, warum gesagt wird, daß hier des Sankt Patricius ' Fegfeuer sei." Der Abt sprach: "Das will ich Euch gerne sagen. Es ist vor vielhundert Jahren da, wo jetzt diese Stadt und dieses Gotteshaus steht, eine wilde Wüste gewesen. Nicht ferne von hier lebte damals ein Abt, Patricius .


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genannt, ein gar andächtiger Mann, der oft in diese Wüste ging, um der Buße zu leben; da fand er einmal unerwartet diese Höhle, die sehr lang und tief ist. Er ging in sie hinein so weit, daß er sich in ihren Gängen verirrte und nicht mehr herauszukommen wußte. Da fiel er auf die Knie nieder und flehte zu Gott wenn es nicht wider seinen heiligen Willen wäre, ihm aus dieser Höhle zu helfen. Während er so betete, hörte er aus der Tiefe der Höhle ein klägliches Geschrei. Ihm aber half Gott, daß er wieder aus der Höhle kam. Nun dankte er Gott, wurde noch frömmer als zuvor und seitdem ist durch andächtige Leute an dieser Stelle das Kloster erbaut worden." — "Was sagen denn die Pilger, die aus der Höhle kommen?" sprach Fortunat. — Der Abt erwiderte: "Ich frage ihrer keinen; doch sagen einige, sie haben ein jämmerliches Rufen gehört; andere erzählen, sie haben nichts gesehen und nichts gehört, nur daß es ihnen sehr gegrauset habe." Hierauf sprach Fortunat: "Ich komme aus weiter Ferne; ginge ich nicht in diese Höhle, von der man soviel erzählt, so wäre es mir ein Schimpf. Daher will ich nicht von hinnen, ehe ich in dem Fegfeuer gewesen bin."

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Der Abt wollte seinem Verlangen nichts in den Weg legen; nur warnte er ihn, nicht zu weit in die Höhle hineinzugehen, weil viel Abwege in derselben seien, wie denn seit seinem eigenen Gedenken es mehreren Besuchern widerfahren sei, daß sie sich verirrt hätten, deren einige erst am vierten Tage wiedergefunden werden konnten. Fortunat blieb jedoch bei seinem Entschluß und fragte seinen Freund Leopold; ob er mit ihm wolle. "Ja", sprach dieser, "ich gehe mit Euch und will bei Euch bleiben, solang mir Gott das Leben verleiht." So schickten sie sich des andern Morgens früh, empfingen das heilige Sakrament und ließen sich die Höhlentüre aufschließen, die hinter dem Fronaltar im Kloster befindlich ist. Durch diese traten sie ein, der Priester segnete sie und schloß hinter ihnen ab. Dann gingen sie hinein in die Finsternis und wußten nicht; wo aus, noch ein; denn bald waren sie verirrt; sie hörten gegen Morgen nur das Rufen der Priester bei der Türe, darauf verließen sie sich und gingen desto kecker hinein. Zuletzt aber wußten sich die beiden nicht mehr zu helfen, Stunden um Stunden gingen vorüber; sie waren sehr hungrig und fingen an, ganz zu verzagen, und begaben sich schon ihres Lebens. "Oh, komm du uns zur Hilfe, allmächtiger Gottl" rief Fortunat in seiner Herzensangst, "denn hier hilft weder Gold noch Silber, und ganz umsonst trage ich den Säckel Fortunas in der Tasche!" Und so


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saßen sie nieder als aufgegebene Leute, hörten und sahen nichts. Die Priester, nachdem sie lange gewartet, gingen zu dem Abt und sagten ihm, daß die Pilger noch nicht herausgekommen. Das war ihm leid, besonders uni Fortunat, der ihm so guten Wein geschenkt hatte. Auch liefen die Knechte der Fremden herbei und gebärdeten sich ganz trostlos um ihre Herren.

Nun kannte der Abt einen alten Mann, der vor vielen Jahren die Höhle mit Schnüren abgemessen hatte. Nach diesem schickte er und gab ihm auf, dazu behilflich zu sein, die Männer wieder herauszubringen. Die Knechte aber verhießen ihm aus ihrer Herren Beutel hundert Nobel. "Sind sie noch bei Leben", sprach der Alte, "so bringe ich sie heraus", rüstete sein Zeug und ging hinein. Hier legte er seine Instrumente an und durchsuchte einen Höhlengang um den andern, bis er sie endlich fand. Beide waren ganz ohnmächtig und schwach; er befahl ihnen, sich an ihm zu halten wie ein Blinder an einem Sehenden; dann ging er seinem Instrumente nach, und so kamen sie mit Gottes und des alten Mannes Hilfe wieder zu den Menschen. Darüber war der Abt gar fröhlich; denn er hatte gefürchtet, wenn die Fremden verlorengingen, so möchten keine Pilger mehr kommen und seinem Kloster dadurch großer Gewinn entgehen. Der Alte erhielt seine hundert Nobel aus Fortunats Säckel, und



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dieser richtete in der Herberge ein köstliches Mahl an, zu welchem er den Abt und alle Brüder einlud. Er lobte Gott um seine Rettung und hinterließ dem Abt und Konvent zu guter Letzt hundert Nobel, daß sie Gott für ihn bitten sollten.

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Nachdem sie sich von dem Abte beurlaubt, ritten Fortunat und seine Begleiter wieder rückwärts, bis sie über Meer nach Calais kamen, um die übrige Reise zu vollbringen. Nun zogen sie durch die Pikardie nach Paris und durch ganz Frankreich, durch Spanien, durch Neapel, durch Rom bis gen Venedig. Daselbst hörten sie, daß der griechische Kaiser zu Konstantinopel einen Sohn habe, den er zum Kaiser krönen lassen wolle, weil er selbst schon bei Jahren war. Davon hatten die Venezianer gewisse Kunde und hatten deswegen eine Galeere zugerichtet und eine ehrwürdige Botschaft mit viel köstlichen Kleinodien, die sie dem neuen Kaiser senden wollten. Nun mietete sich Fortunat mit seinen Begleitern auf der Galeere ein und fuhr mit den Venezianern nach Konstantinopel. Dort war soviel fremdes Volk zusammengekommen, daß man nicht Herbergen genug auftreiben konnte. Den Venezianern wurde daher ein eigenes Haus eingeräumt; diese aber wollten niemand Fremdes unter sich haben. So suchte Fortunat mit seinem Gefolge lange eine Herberge und fand auch zuletzt eine, die freilich keine gute war; denn der Wirt war ein Dieb.

Fortunat ging nun alle Tage mit den Seinigen den Festlichkeiten nach. Sie hatten ihre eigene Kammer, welche sie sorgfältig verschlossen; dadurch glaubten sie ihre Habseligkeiten hinlänglich gesichert. Der Wirt aber hatte einen heimlichen Eingang in diese Stube; denn da, wo die größeste Bettstatt an einer hölzernen Wand stand, konnte er ein Brett herausnehmen und wiedereinsetzen, ohne daß es jemand merkte. Dadurch ging er ab und zu, während sie bei dem Feste waren, und untersuchte alle ihre Säcke und Felleisen, aber er fand kein Geld darin; es wunderte ihn dieses, und er meinte, die Fremden trügen das Geld in ihre Wämser eingenäht.

Als sie aber einige Tage bei ihm gezehrt hatten, rechneten sie mit dem Wirt; da wurde dieser erst gewahr, daß Fortunat das Geld unter dem Tisch hervorbrachte und es seinem Freunde Leopold gab, der alsdann den Wirt bezahlte. Dieser war auch mit der Bezahlung ganz zufrieden; denn Fortunat hatte den Ritter angewiesen, keinem Wirte etwas abzubrechen, sondern immer gerade soviel zu geben, als er verlangte. Doch war es



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dem Wirte noch nicht genug, sondern weil er ein Dieb war, hätte er lieber alles, ja den Säckel selbst zu dem Gelde gehabt.

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Indessen nahte der Tag heran, an dem Fortunat versprochen hatte, einer armen Tochter für einen Mann besorgt zu sein und sie mit vierhundert Goldstücken nach Landeswährung zu begaben. Er wandte sich daher an den Wirt mit der Frage ob er nicht einen armen Mann wüßte, der eine fromme mannbare Tochter hätte, die er nicht auszusteuern vermöchte ; diesem wollte er die Tochter recht ehrlich begaben. Der Wirt sprach: "Ja! Ich weiß mehr als eine! Morgen will ich Euch einen braven, ehrbaren Mann bringen, der seine Tochter mit sich führen soll!" Dies gefiel unserm Fortunat gar wohl. Was dachte aber der Wirts "Noch diese Nacht", sprach er zu sich selbst, "will ich das Geld stehlen, solange sie es noch haben; warte ich länger, so geben sie es aus!" Und in der Nacht stieg er durch das Loch, als sie in bestem Schlaf lagen, durchsuchte alle ihre Kleider und hoffte, große Flecke mit Gulden unter ihren Wämsern zu finden; hier aber fand er nichts; da griff er nach Leopolds Gürtel und schnitt den Beutel ab, der daran festgenäht war; darin waren bei fünfzig Dukaten; dann ging er hinter Fortunats Wams und fand da den Zaubersäckel und schnitt diesen auch ab; als er ihn aber angegriffen und leer fand, schmiß er den Säckel unwillig unter die Bettstätte . Dann ging er zu den drei Knechten und schnitt ihnen allen die Beutel ab, darin er nur wenig Geld fand; alsdann öffnete er Türe und Fenster, als ob Diebe von der Straße hereingestiegen wären.


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Wie nun Leopold erwachte und Tür und Fenster offen sah, fing er an, die Knechte zu schelten, und fragte sie, warum sie heimlich bei Nacht ausgingen und ihren Herrn auf diese Weise beunruhigten. Die Knechte aber, die schliefen, fuhren halb im Schlafe auf, und jeder versicherte, daß er es nicht getan habe. Da erschrak Leopold und sah sogleich nach seinem Beutel, der war ihm abgeschnitten, und der Rumpf hing noch an dem Gürtel. Jetzt erweckte er auch den Fortunat und rief: "Herr, unsere Kammer steht an allen Orten offen; Euer Geld, soviel ich noch hatte, ist mir gestohlen!" Als die Knechte dies hörten, schauten sie nach ihren Beuteln: da war es ihnen nicht besser gegangen. Schnell schlüpfte Fortunat in sein Wams, an welchem er den Glückssäckel trug, und fand, daß er ihm auch abgeschnitten war. Da erschrak er so sehr, daß er niedersank, ihm die Sinne schwanden und er für tot da lag. Leopold und die Knechte wußten von der Ursache seines großen Schreckens nichts, sie rieben und labten


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ihn, bis sie ihn wieder zur Vernunft brachten. Während sie noch in der Angst waren, kam der Wirt, stellte sich sehr verwundert, fragte, was sie denn für ein Leben hätten. Sie sagten ihm, all ihr Geld sei ihnen gestohlen Da sprach der Wirt: "Was seid ihr nicht für Leute? Habt ihr nicht eine wohlversperrte Kammer: warum habt ihr euch nicht besser vorgesehene" — "Wir haben", erwiderten sie, "Fenster und Türen beim Schlafengehen versperrt, und doch haben wir alles offen gefunden!" Der Wirt sprach ganz barsch: "Sehet zu, ob ihr es nicht untereinander selbst euch gestohlen habt! Es ist so viel fremdes Volk hier, ich kann für niemand stehen!"

Da sich aber so gar übel gebärdeten, ging er auch zu Fortunat; und als er dessen Gestalt ganz verwandelt sah, fragte er: "Ist des Geldes denn soviel, das Ihr verloren habt?" Sie sagten ihm, es wäre nicht so gar viel. "Wie möget Ihr denn so jämmerlich tun um ein weniges Geld", sagte der Wirt, "gestern noch wolltet Ihr einer armen Tochter einen Mann geben! Sparet das Geld und verzehret es!" Halbohnmächtig antwortete Fortunat dem Wirte: "Mir ist mehr um den Säckel leid als um das Geld, das ich verloren habe. Es ist ein kleiner Wechselbrief darin, der niemand einen Pfennig nütz ist als mirl" Wiewohl nun der Wirt ein Schalk war, so wurde er doch durch die Betrübnis Fortunats zur Barmherzigkeit bewegt und sprach: "Laßt uns doch suchen, ob man den Säckel nicht wiederfinden kann!"und hieß die Knechte suchen. Da schlüpfte einer unter das Bett, fand ihn und rief: "Hier liegt ein leerer Säckel!"brachte ihn auch seinem Herrn vor und fragte ihn, ob das der rechte wäre. — "Laß mich ihn besehen", sprach Fortunat hastig; da fand er, daß es wirklich sein Glückssäckel war, der ihm abgeschnitten worden. Nun fürchtete Fortunat, durch das Abschneiden möchte er seine Kraft verloren haben, und doch durfte er vor den Leuten nicht darein greifen; denn es wäre ihm leid gewesen, wenn eine Seele von den Eigenschaften des Säckels gewußt hätte; auch fürchtete er sich, er möchte mit dem Säckel um das Leben kommen. Da man wohl sah, daß er vom Schrecken noch ganz blöde war, so legte er sich wieder zu Bette; hier, unter der Decke tat er endlich seinen Säckel auf und einen Griff darein. Seine Hand füllte sich mit Gold, und so ward er zu seiner großen Freude inne, daß der Säckel noch in vollen Kräften stand wie zuvor. Die Angst hatte ihn aber so mitgenommen, daß er den ganzen Tag zu Bette bleiben mußte. Leopold wollte ihn trösten und sagte: "Ach, Herr, gebärdet Euch doch nicht so jämmerlich; wir haben noch schöne Rosse, silberne Ketten, goldene Ringe und andere Kleinode.



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Und wenn wir auch kein Geld mehr haben, so wollen wir Euch doch mit Gottes Hilfe in die Heimat bringen; bin ich doch auch durch manches Königreich gezogen ohne Geld!" Leopold meinte nämlich, sein Herr und Freund besitze in der Heimat große Reichtümer, so daß kein Verlust ihm etwas schaden könne. "Ach", seufzte Fortunat mit schwacher Stimme, "wer das Gut verliert, der verliert die Vernunft! Weisheit hätte ich erwählen sollen, mehr als Reichtum, Stärke, Gesundheit, Schönheit und langes Leben! Das kann man keinem stehlen!" Und damit schwieg er. Leopold verstand die Worte nicht, konnte sich auch nicht denken, wie sein Herr die Wahl unter diesen Stücken allen sollte gehabt haben. Er fragte ihn auch nicht weiter; denn er glaubte, Fortunat rede im Fieber und wisse nicht, was er sage. Doch gaben sie sich alle Mühe, bis er ganz wieder zu sich selbst kam, ass, seine rechte Farbe wiedergewann und anfing, fröhlich zu werden. Aber weil die Nacht einbrach, befahl er seinen Knechten, Lichter zu kaufen und die ganze Nacht Kerzen zu brennen, und ein jeder sollte sein bloßes Schwert zu sich nehmen, daß sie nicht mehr so beraubt werden könnten. Und sie taten dies.

Am selben Tage noch machte Fortunat, was an dem Glückssäckel aufgetrennt worden war, aufs sorgfältigste wieder zurecht und ließ denselben, solang er lebte, nicht mehr an dem Wamse hängen, sondern verwahrte ihn alle Zeit so gut, daß ihm niemand mehr ihn stehlen konnte. Des andern Morgens stand er mit seinem Gefolge auf und ging in die Sophienkirche. In dieser ist eine schöne Kapelle, die zu Unsrer Lieben Frauen heißt. Hier gab er den Priestern zwei Goldstücke, daß sie Gott, dem Allmächtigen, zu Ehren eine Predigt halten und den Lobgesang absingen sollten. Als beides vollbracht war und Fortunat mit seinen Dienern sich in Andacht erbauet hatte, besuchten sie den Platz, wo die Käufer und Wechsler waren; als Fortunat da stand, hieß er die Knechte heimgehen, um die Mahlzeit zu rüsten und die Rosse zu versehen. Seinem Freunde Leopold gab er Geld und sagte: "Siehe zu, kauf uns fünf gute neue Beutel; inzwischen will ich zu meinem Wechsler gehen und Geld bringen; ich habe keine Freude, solang wir ohne Geld sind!" Der Alte tat, wie ihm befohlen war, und brachte fünf leere Beutel; inzwischen hatte Fortunat, sooft er mochte, in seinen Säckel gegriffen und tat in einen der Beutel hundert Dukaten; diesen reichte er dem alten Leopold für alle nötigen Ausgaben; er sollte auch sich versehen und niemand Mangel leiden lassen; wenn er nichts mehr hätte, so wollte er ihm mehr geben. Auch jedem der Knechte gab er einen neuen Beutel und zehn Dukaten darein. Sie sollten fröhlich sein, sagte er



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zu ihnen, jedoch Sorge tragen, daß ihnen kein Schaden mehr widerführe. Sie aber dankten voll Freuden und versprachen es. In den fünften Beutel tat Fortunat vierhundert Dukaten und sandte nach dem Wirte, damit er sein Versprechen hielte, ihm eine arme Tochter zum Aussteuern herbeizuschaffen.

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Der Wirt hatte bald eine solche gefunden. Der Tochter Vater war ein Schreiner, ein frommer, aber grober Mann. Der sagte: "Ich will meine Tochter nicht hinführen, wer weiß, ob Euer Herr nicht Unehrliches mit ihr vorhat. Wenn er ihr auch einen Rock kauft, damit ist weder mir noch ihr gedient! Will er ihr etwas Gutes tun, so komme er zu uns!" Den Wirt verdroß das; er hinterbrachte es Fortunaten wieder und meinte, den müßte es auch verdrießen. Diesem aber gefiel die Sprache des Mannes gerade wohl, und er sagte: "Führet mich zu dem Mannel" Sie gingen in des Schreiners Haus, und Fortunat sprach zu ihm: "Ich habe vernommen, daß du eine großgewachsene Tochter hast; laß sie herkommen und ihre Mutter mit ihr." "Was soll sies"fragte der Mann. "Heiß sie kommen", sprach Fortunat, "es ist ihr Glück!" Der Mann ruft Mutter und Tochter; diese kamen beide, aber sie schämten sich sehr; denn sie hatten so schlechte Kleider an, und die Tochter stellte sich hinter die Mutter, damit man ihren zerlumpten Anzug weniger bemerken sollte. Da sprach Fortunat: "Jungfrau, tretet hervor!" Sie war schön und gerade. Er fragte den Vater nach ihrem Alter. "Zwanzig Jahre", sagten die Eltern. "Wie habt ihr sie so alt werden lassen, ohne ihr einen Mann zu geben?"fragte er weiter. Die Mutter konnte nicht warten, bis der Vater sich auf eine Antwort besonnen. "Sie wäre vor sechs Jahren schon groß genug gewesen, aber wir haben nichts gehabt, sie auszusteuern!" Darauf sprach Fortunat: "Wenn ich ihr eine gute Aussteuer gebe, wisset ihr dann einen braven Mann für sie?" —"Genug ihrer weiß ich", rief die Mutter, "unser Nachbar hat einen Sohn, der ist ihr hold; hätte sie etwas Geld, er nähme sie gern!" — "Wie gefiele Euch Eures Nachbars Sohn?" fragte Fortunat die Jungfrau. "Ich will nicht wählen", sagte diese, "welchen mir Vater und Mutter geben, den will ich haben; eher wollte ich ohne Mann sterben als selbst einen nehmen!" Die Mutter konnte nicht schweigen; "Herr, sie lügt", sagte sie. "Ich weiß, daß sie ihm ganz hold ist, und daß sie ihn von ganzem Herzen gern haben möchte!"

Jetzt sandte Fortunat nach dem Jüngling, und als dieser kam, gefiel er ihm sehr wohl. Er nahm deswegen den Beutel, in den er die vierhundert



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Dukaten getan hatte, und schüttete sie auf den Tisch. Dann sagte er zu dem Jungen, der auch nicht viel über zwanzig Jahre zählen mochte: "Willst du diese Jungfrau zur Ehe? — Und Ihr; Jungfrau, wollet Ihr den Jüngling zur Ehe? So will ich euch dies wenige Geld zu einer Mitgift geben!" Der Jüngling sagte: "Wenn Euch die Sache ernst ist, meinethalben ist sie recht!" Die Mutter aber antwortete schnell: "So ist es meiner Tochter auch halbrechts" Da sandte Fortunat nach dem Priester und ließ sie vor Vater und Mutter zusammentrauen. Dann händigte er ihnen das Geld ein und gab außerdem der Braut Vater noch zehn Dukaten zu einem Festkleide für sich und sein Weib und ebensoviel, Hochzeit zu halten. Da war nichts als Freude und Dank. Sie lobten Gott und sprachen: "Er hat uns den Mann vom Himmel gesandt!"

Jene gingen wieder in ihre Herberge. Leopold verwunderte sich im stillen , daß sein Herr so freigebig war und das Geld zu Haufen wegwarf, sich aber doch vor kurzem noch so kläglich angestellt hatte über das wenige, das ihm gestohlen worden war; dem Wirte machte es großen Kummer, daß er den Beutel mit den vierhundert Dukaten nicht gefunden, während er doch alle Säcke und Taschen ausgesucht hatte. "Wenn der Mann so viel auszugeben



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hat", murrte er bei sich selbst, "so werde ich ihm doch auch noch die Taschen leeren können!" Nun wußte er, daß sie des Nachts ein großes Kerzenlicht brennen ließen, das sie eigens zu diesem Gebrauche hatten machen lassen. Als sie nun einmal wieder bei des Kaisers Festen waren, schlich sich der Wirt abermals in ihre Kammer, bohrte Löcher in die Kerze, tat Wasser hinein und überklebte sie wieder, so daß die Kerze, wenn sie zwei Stunden gebrannt hatte, von selber wiedererlöschen mußte. Um die Zeit aber, wo die Feste des Kaisers beinahe zu Ende waren, dachte der Wirt, Fortunat würde nicht länger zu Konstantinopel bleiben, glaubte, nicht mehr säumen zu dürfen, und gab seinen Gästen daher beim Nachtessen den besten Wein, den er bekommen konnte, zu trinken; er selbst war auch fröhlich mit ihnen und meinte, sie sollten tüchtig darauf schlafen. Sie aber, als sie zu Bette gingen, ihr Nachtlicht geordnet hatten, und jeder sein bloßes Schwert an der Seite liegen hatte, glaubten, ohne alle Sorge einschlafen zu können, und taten es auch.

Aber der Wirt schlief nicht; sondern da er das Licht erlöschen sah, kroch er wieder durch das Loch, kam vor Leopolds Bett und fing an, ihm unter dem Kopf zu knistern. Nun schlief aber Leopold in diesem Augenblicke nicht; er hatte sein scharf schneidendes Schwert bei sich auf der Decke liegen; schnell erwischte er es und hieb nach dem Wirte; dieser aber bückte sich nicht tief genug, und so verwundete ihn Leopold so tief in den Hals, daß er weder ach noch wehe sprach, sondern tot dalag. Leopold rief den Knechten voll Zorn: "Warum habt ihr das Licht ausgelöschte" Aber alle und jeder sagten, daß sie es nicht getan. "Geh ' einer", sprach er, "und zünde ein Licht an, die andern aber sollen mit bloßen Schwertern unter die Türe stehen und niemand hinauslassen; denn es ist ein Dieb in der Kammer." Der eine Knecht lief alsbald und brachte ein Licht. "Verschließet die Türe wohl", rief er seinen Kameraden, "daß der Dieb nicht entrinne Nun fingen sie an zu suchen; da fanden sie den Wirt mit dem verwundeten Halse tot liegen bei Leopolds Bettstatt.

Als Fortunat das hörte, erschrak er, wie er sein Leben lang kaum erschrocken war. "O Gott", sprach er, "bin ich nur nach Konstantinopel gekommen , daß ich um ein kleines all mein Gut verloren hätte und jetzt gewiß mit allen den Meinigen das Leben verlieren O Leopold, hättest du ihn doch nur verwundet und nicht gar zu Tode geschlagen, dann könnten wir mit Gottes Hilfe und barem Gelde doch noch unser Leben fristen!" — "Es ist ja Nacht gewesen", erwiderte der alte Ritter, "ich wußte nicht, wieviel ich tun darf, ich schlug eben nach dem Dieb, der mir unter dem Kopfe knisterte



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und uns schon früher bestohlen hatte; den hab ' ich getroffen. Wollte Gott, man wüßte, über welcher Untat er zu Tode geschlagen worden ist, so dürften wir gewiß nicht besorgt sein, weder um Leib noch um Gut." — "Nein", sprach Fortunat, "wir bringen es ewig nicht dahin, daß wir den Wirt zu einem Diebe stempeln; das lassen seine Freunde nicht geschehen; da hilft weder Rede noch Geld!" — Fortunat dachte in seiner Angst: "Wenn ich nur einen Freund hätte, dem ich meinen Säckel anvertrauen könnte und ihm seine Kraft kundtun. Wenn wir dann gefangensäßen und sagten, wie es gegangen ist, vielleicht nähmen doch die Richter eine Summe Geldes von dem guten Freunde für uns!" Dann dachte er wieder: "Aber wem ich den Säckel gebe, dem wird er so lieb, daß er mir ihn nicht wiedergibt Deswegen wird er dem Richter raten, daß er den großen Mord nicht ungerächt lassen solle; er wird sagen: Schande und Schimpf wäre es, daß man in Konstantinopel sagte: ,Gäste haben ihren Wirt umgebracht, und sollen nicht geradebrecht werden!"' So wurde er zuletzt bei sich einig, daß es nicht tunlich wäre, den Säckel aus den Händen zu lassen; nichtsdestoweniger zitterte sein ganzer Leib, und er war zum Tod erschrocken.

Der alte Leopold allein behielt noch einige Fassung. "Wie seid Ihr so verzagt", sprach er, "da hilft kein Trauern; die Sache ist geschehen; wir können den Dieb nicht wieder lebendig machen; laßt uns Vernunft brauchen, wie wir uns aus der Sache helfen könnens" Fortunat antwortete ihm, daß er nicht zu raten wüßte; nur dachte er wieder, warum er doch nicht Weisheit statt Reichtum erwählt habe; dann könnte er jetzt wohl seine Vernunft brauchen l Leopold aber sprach er: "Weißest du, etwas Gutes zu raten, so tue es jetzt; denn es ist Notwerk!" —"So folget mir", erwiderte Leopold, "und tut, was ich heiße; ich denke, Euch mit Gottes Hilfe ohne alles Hindernis mit Leib und Gut von hinnen zu bringen." Diese Worte des alten Leopold machten alle froh. Er aber sprach weiter: "Nur seid fein still! Niemand rede! Verberget auch das Licht!" Und jetzt nahm er den toten Wirt auf seinen Rücken, trug ihn hinter die Herberge an einen Stall, wo ein tiefer Ziehbrunnen war, und warf ihn kopfüberwärts hinein, so tief, daß ihn niemand sehen konnte. Dann kam er wieder zu Fortunat und sagte: "Nun habe ich uns den Dieb vom Halse geschafft, so daß man eine gute Weil' nicht wissen wird, wo er hingekommen. Auch wird er's ja niemand gesagt haben, daß er uns bestehlen wolle; daher kann auch niemand wissen, daß ihm von uns ein Leid geschehen sei. Darum seid fröhlich!" Zu den Knechten sprach er: "Gehet ihr zu den Rossen, rüstet die zu, fanget an zu singen, sprechet von lustigen Dingen, sehet



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daß keiner eine traurige Gebärde habe; so wollen wir es auch machen: sobald es aber Tag werden will, lasset uns sechs Stunden weit reiten."

Diese Worte hörte Fortunat gerne; er fing an, fröhlich zu tun, mehr als ihm zu Sinne war. Auch die Knechte stellten sich heiter an, und als sie die Rosse zugerüstet hatten, riefen sie den Hausknechten und Hausmägden, schickten nach Malvasier, den man da leicht haben konnte, sagten, jedermann müsse voll sein, ließen den Knechten einen Dukaten zu guter Letzt und den Mägden auch einen und waren guter Dinge. "Ich hoffe, wir kommen in einem Monat wieder", sagte Leopold, "dann wollen wir erst guten Mut haben." Fortunat sprach zu den Knechten und Mägden: "Grüßet mir den Wirt und die Frau Wirtin; sagt ihnen, ich hätte ihnen Malvasier an das Bett gebracht, aber ich dachte: ,Ruhe tut ihnen bessert"' Mit so glimpflichen Reden saßen sie auf und ritten hinweg von Konstantinopel , dem Lande des Türkensultans zu. So kamen sie in eine türkische Stadt, die Karofa heißt, wo der Sultan einen Amtmann hatte, dem befohlen war, den christlichen Kaufleuten und Pilgern frei Geleite durch das Land zu geben. Leopold wußte das wohl; sobald sie angekommen waren, ging er zu dem Amtmann und sagte, ihrer seien sechs Waldbruder, die begehrten Geleite und einen Dolmetscher, der mit ihnen ritte. "Geleits mögt ihr haben genug", sprach der Amtmann, "doch will ich vier Dukaten von jedem haben, und dem Dolmetscher sollt ihr alle Tage einen Dukaten geben und die Zehrung." Leopold wehrte sich ein wenig, doch machte er nicht viel Worte und gab ihm das Geld. Der Türke schrieb ihm darauf einen Geleitsbrief und schickte sie zu einem wegekundigen Manne, damit sie wohlversorgt wären. Und so ritten sie durch die Türkei.

Erst als Fortunat sah, daß er keine Furcht mehr zu haben brauche, und der Schrecken, der ihn zu Konstantinopel überfallen hatte, vergangen war, fing er an, wieder lustig zu werden und Scherzreden zu treiben. Und nun ritten sie an des türkischen Sultans Hof, sahen seinen großen Reichtum und die Menge seines Kriegsvolkes; nur das gefiel ihnen übel, daß so viele Christen unter dem Volke waren, die ihren Glauben verleugnet hatten. Fortunat blieb nicht lange an diesem Hof: er zog durch die große und kleine Walachei, durch Kroatien, Dalmatien, Ungarn und Polen, dann gen Dänemark, Norwegen und Schweden; dann wieder durch Deutschland nach Böhmen und von da durch Sachsen-, Franken- und Schwabenland, und von Augsburg aus mit einigen Kaufleuten, denen er große Freundschaft erwies, durch die welschen Lande bis Venedig. Als er zu Venedig war, freute er sich; er dachte: "Hier sind viel reiche Leute; hier darfst du



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dich's endlich auch merken lassen, daß du Geld hast." Er fragte nach allen möglichen Kostbarkeiten und ließ sie sich zeigen. Viele waren darunter, die ihm gefielen; und so hoch der Preis war, um welchen man sie ihm bot, nie ging er ungekauft von dannen. Weil die Venezianer dadurch keine kleine Summe baren Geldes lösten, so wurde er überall in hohen Ehren . gehalten.


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Bri allem dem hatte Fortunat nicht vergessen, in welcher Armut er zu Famagusta seinen Vater Theodor und seine Mutter Gratiana zurückgelassen hatte. Darum ließ er schöne Gewande anfertigen, Hausrat kaufen, alles gedoppelt, verdingte sich auf eine Galeere, fuhr nach Zypern und kam in seine Heimat nach Famagusta. Es waren nun fünfzehn Jahre, daß er ausgewesen war, und als er in die Stadt kam, erfuhr er gleich zum Empfang, daß sein Vater und seine Mutter gesiorben seien. Dies betrübte ihn von Herzen. Doch mietete er ein großes Haus, ließ alle seine Habe dorthin führen, dingte noch mehr Knechte und Mägde und fing an, herrlich zu hausen. Jedermann wurde aufs beste von ihm empfangen und behandelt , doch wunderten sich die Leute, woher sein großer Reichtum komme; denn noch viele von ihnen wußten, daß er in großer Armut von hinnen gegangen war.

Zu Famagusta war Fortunats nächste Sorge, das Haus seines Vaters nebst andern Nebenhäusern zu kaufen; dann brach er die alten ab und baute an deren Stelle einen köstlichen Palast, den er aufs zierlichste herstellen ließ; denn er hatte auf seinen weiten Reisen gar viele herrliche Gebäude gesehen. der Nähe des Palastes ließ er eine schöne Kirche bauen und in derselben zwei kostbare Gräber für seine Eltern errichten. Als alles fertig, sprach er zu sich selbst: "Zu einem solchen Palaste ziemt auch ein ehrsames Leben!" Und von Stunde an nahm sich Fortunat vor; ein Gemahl zu nehmen. Als die Einwohner davon Kunde erhielten, daß er willens sei, ein Weib zu nehmen, waren sie alle froh: ein jeder putzte seine Tochter aufs schönste und dachte bei sich: "Wer weiß, ob meiner Tochter nicht das Glück vor einer andern wird?"So wurden manche Töchter schön bekleidet, die sonst noch lange ohne gute Kleider geblieben wären.

Aber nicht weit von Famagufta war ein Graf, Nimian mit Namen, der drei Töchter hatte, die schöner waren als andere Mädchen. Diesem riet der König von Zypern selbst, daß er suchen sollte, Fortunat zum Eidam zu erhalten, und er selber bot sich an, für ihn den Freiwerber zu machen. Der Graf war nicht reich, gleichwohl sagte er: "Herr Königl Wenn er eine meiner Töchter begehrt, könnt Ihr dieser dazu raten? Er hat ja weder Land noch Leute; mag er immerhin viel baren Geldes gehabt haben: so sehet Ihr ja, wieviel er verbaut hat, was keine Zinsen trägt. Ebenso kann er es auch mit dem andern machen, und wie sein Vater in Armut geraten ist, so kann es auch ihm ergehen; bar Geld ist geschwind vertan!" Der König sprach zu dem Grafen: "Ich habe von Leuten, die es gesehen haben, vernommen, daß er viel köstliche Kleinode hat, so daß man eine



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ganze Grafschaft damit kaufen könnte, und dennoch ist ihm keines feil; und weil er so viele Länder durchreiset hat, wird auch seine Klugheit und Erfahrung nicht gering sein; wenn er seine Sachen nicht zu gutem Ende zu bringen wüßte, hätte er gewiß keinen so herrlichen Palast samt Kirche erbauen lassen, sie nicht so reichlich begabt und auf ewige Zeiten mit Zinsen versehen. Mein Rat ist noch immer: gefällt es ihm, so gibst du ihm eine deiner Töchter, und wenn es dir recht ist, so will ich ins Mittel treten Fortunat gefällt mir, und ich würde es lieber sehen, er hätte ein edles Gemahl als eine Bäurin; ja, es würde mich verdrießen, wenn ich ein unadeliges Weibsbild diesen Palast besitzen und bewohnen sehen müßte!"

Sobald der Graf merkte, daß dem Könige das Wesen Fortunats so wohl gefiel, fing er an und sprach: "Gnädiger Herr König, ich kann an Eurer Rede wohl abnehmen, daß Ihr ein Gefallen daran hättet, wenn ich dem Herrn Fortunat eine meiner Töchter gäbe. So sei Euch denn die Sache völlig überlassen!" Wie der König dies hörte, sagte er zu dem Grafen Nimian: "Gut, schicke deine Töchter meiner Gemahlin, der Königin , so will ich sie ausrüsten lassen, in Hoffnung, es werde ihm eine davon gefallen; die Wahl will ich ihm lassen; ein Heiratgut darfst du nicht geben, und wenn je eins erfordert würde, so will ich es bestreiten, weil du mir in der ganzen Sache freie Gewalt gegeben hast." Der Graf dankte dem König und beurlaubte sich; er ritt nach Hause zu seiner Gemahlin und erzählte ihr alles, was sich zwischen ihm und dem Könige zugetragen habe. Der Gräfin gefiel dieses wohl; nur deuchte ihr Fortunat nicht edel genug; auch das wollte ihr nicht gefallen, daß Fortunat die Wahl unter den drei Jungfrauen haben sollte; denn eine der drei Töchter war ihr gar lieb. Der Graf fragte, welche dieses wäre; sie wollte es ihm aber nicht sagen. Doch folgte sie seinem Willen und rüstete die Töchter zu, gab ihnen eine Hofmeisterin, Diener und Dienerinnen, wie es solchem Adel ziemt, und so kamen sie an den Hof des Königs von Zypern. Hier wurden alle drei, und wer mit ihnen gekommen war, von dem König und der Königin mit Ehren empfangen und wurden in aller Hofzucht, und was sonst zu adeligem Wesen gehörte, unterwiesen, nachdem sie auch zuvor schon guten Unterricht genossen hatten. So schön sie waren, so nahmen sie doch von Tag zu Tage noch zu und wurden immer lieblicher, und als dem König die rechte Zeit zu sein schien, schickte er eine ehrsame Botschaft zu Fortunat, welche ihn an den Hof bescheiden mußte. Doch wurde demselben nicht bedeutet, warum der König nach ihm frage. Weil er inzwischen wußte, daß



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er bisher einen gnädigen Herrn an dem König gehabt, so rüstete er sich in aller Eile und ritt ganz fröhlich zu Hofe, wo er aufs beste empfangen ward.

Nun trat der König zu ihm und sprach: "Fortunat; du hifi mein Hintersaß ; ich meine, du solltest mir in dem folgen, was ich dir rate; denn ich gönne dir alles Gute! Mir ist nicht entgangen, wie du einen köstlichen Palast und eine Kirche bauen lassen und nun im Sinne hast, eine Frau zu nehmen. Ich sorge aber, du möchtest eine wählen, die mir nicht gefällig wäre, deswegen möchte dir gern ein Gemahl geben, das deiner würdig wäre, und durch das du und deine Erben geehrt werden sollen." Hierauf erwiderte Fortunat: "Gnädiger Herr, es ist wahr: ich bin willens, eine Gemahlin zu nehmen; da ich aber merke, daß Eure Majestät selbst so herablassend ist, mir mit Rat und hoher Vorsorge entgegenzukommen, so will ich auch ferner ohne Sorgen bleiben und mein ganzes Vertrauen auf die Gnade meines Herrn setzen." —"Nun", dachte der König bei sich selber, "hier habe ich gut eine Ehe schließen!" Und laut sprach er zu Fortunat: weiß drei schöne Töchter, alle drei von Vater und Mutter her Gräfinnen: die älteste ist achtzehn Jahr alt und heißt Gemiana; die andre siebzehnjährig, und ihr Name ist Marsepia; die dritte, die dreizehn Jahre alt ist, heißt Kassandra. Unter diesen dreien will ich dir die Wahl lassen; zu dem Ende sollst du eine nach der andern sehen, oder willst du sie lieber alle drei auf einmal schauens"Fortunat bedachte sich nicht lange. "Großmächtiger König", sagte er, "wenn Ihr mir die Wahl gebet, so begehre ich, sie alle drei nebeneinander stehen zu sehen und eine tede reden zu hören."

Alsbald ließ der König seiner Gemahlin entbieten, sie sollte ihr ganzes Frauenzimmer bereit halten: er selbst werde unter ihnen erscheinen und einen Gast mitbringen. Die Königin tat dies alles mit Eifer; denn sie wußte wohl, warum es geschah. Wie es Zeit war, nahm der König Fortunaten zu sich und wollte mit ihm gehen. Dieser aber bat sich die Gnade aus, seinen alten Freund und Diener Leopold mit sich nehmen zu dürfen, und so gingen alle drei miteinander und betraten das Frauengemach. Die Königin mit allen ihren Jungfrauen erhub sich und empfing den König mit allen Ehren, ebenso die Gäste, die er mitbrachte. Dann setzte sich der König nieder, und Fortunat trat neben ihn. Der König sprach: "Stellet mir die drei Jungfrauen Gemiana, Marsepia und Kassandra vor!" Alle drei standen auf, gingen durch den Saal und neigten sich dreimal, ehe sie vor den König traten; endlich knieten sie nieder, und stand ihnen dieses



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gar wohl an. Der König hieß sie aufstehen, wandte sich zu der ältesten Jungfrau und fragte sie: "Gemiana, sage mir, hifi du lieber bei der Königin oder bei Graf Nimian, deinem Vater, oder bei der Gräfin, deiner Mutter?" Sie sprach: "Gnädiger König und .Herr! Auf diese Frage ziemet mir nicht zu antworten; ich habe keinen eigenen Willen; was Eure Majestät und mein Vater mir befehlen, dem werde ich gehorsam nachkommen !"

Hierauf richtete der König seine Frage an die zweite Jungfrau und sprach: "Marsepia, sage du mir die Wahrheit! Wer ist dir am liebsten, der Graf, dein Herr und Vater, oder die Gräfin, deine Frau Mutter?" Sie antwortete: "O gnädiger Herr, mir ziemt keine Entscheidung; ich habe beide von ganzem Herzen lieb; wenn ich aber auch eins lieber hätte als das andere, so wäre es mir doch leid, daß mein Herz es wissen und mein Mund verkünden sollte; denn ich genieße von beiden gleich viel Treue und Liebe!"

Endlich sprach der König zu der dritten und jüngsten: "Sage du mir, Kassandra, wenn jetzt ein schöner Tang wäre auf unserer Hofburg, von Fürsten und Herren, von viel edlen Frauen und Jungfrauen, und es wäre hier der Graf und die Gräfin, dein Vater und deine Mutter, und das eine spräche: ,Gehe zum Tanzt 'und das andere: ,Gehe nicht! ' welchem Geste



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wolltest du folgen?" — "Allergnädigster Herr König", sprach sie, "Ihr wisset ja, daß ich noch jung bin; Vernunft kommt vor den Jahren nicht; ermesse Eure hohe königliche Vernunft die Liebe der Kinder! Ich weiß nicht zu wählen; wenn ich je wählte, so würde ich ja eins von beiden erzürnen " — "Wenn aber eines sein müßte?"fragte der König. — "So begehrte ich Jahr und Tag Bedenkzeit, um weiser Leute Rat zu vernehmen, ehe ich eine Antwort gäbet" Hiermit ließ der König Kassandra frei und fragte sie nicht weiter. Er beurlaubte sich von der Königin und den übrigen Frauenzimmern und ging, gefolgt von Fortunat und Leopold, in seinen Palast. Als sie in des Königs Zimmer zurückgekommen waren, sprach der König zu Fortunat: "Dein Wunsch ist erfüllt worden; du hast alle drei stehen, gehen, lang und langsam reden gesehen und gehört; ich habe dir mehr getan, als du begehrt hast; nun erwäge bei dir selbst: welche gefällt dir zum ehelichen Gemahl?" — "Ach, gnädigster Herr", sprach Fortunat, "sie gefallen mir alle drei so wohl, daß ich nicht weiß, welche ich erkiesen soll; gönnet mir eine kleine Weile, mich mit meinem alten Diener Leopold zu bedenken!" Der König beurlaubte ihn gern, und beide traten ab, sich an einem heimlichen Platze zu bedenken.

Hier sagte Fortunat zu Leopold: "Du hast die drei Töchter so gut als ich gesehen und gehört! Nun weißest du wohl, niemand ist in seinen eigenen Sachen so weise, daß er nicht immerhin gut täte, fremden Rat zu hören. So rate denn du mir hierin so getreulich, als ob es deine eigene Seele beträfe." Leopold erschrak über diese feierliche Ermahnung: "Herr", sagte er, "in dieser Sache ist nicht gut raten; denn dem einen gefällt oft ein Ding gar sehr, und seinem leiblichen Bruder gefällt es nicht. Der eine ißt gern Fleisch, der andere Fisch. Drum kann in dieser Sache Euch niemand gerne raten als Ihr selber. Seid doch Ihr es auch, der die Bürde tragen muß!" — "Das alles weiß ich wohl", erwiderte Fortunat, "auch daß nur ich mir das Gemahl nehme und sonst niemand. Da wollte ich, du erschlössest mir deines Herzens Heimlichkeit, weil du so viele Menschen kennengelernt hast und gewiß schon an ihrer Gestalt merken kannst, was getreu ist; und was ungetreu!" Leopold riet ungerne zu der Sache: er fürchtete, Fortunats Huld zu verlieren, wenn er zu einer riete, die ihm nicht gefiele. Er sprach: "Herr, auch mir gefallen sie alle drei wohl, ich habe eine um die andere sorgfältig betrachtet; ihrer Gestalt nach sind es gewiß Schwestern oder Geschwisterkinder; auch kann ich an ihrem Aussehen durchaus keine Untreue merken!" — Fortunat drang weiter in ihn und fragte: "Zu welcher rätst du mir denn aber?" — "Ich mag nicht



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zuerst raten", sprach Leopold, "es wäre Euch unleidlich, wenn mir wohlgefiele, was Euch mißfiele!" — mag auch nicht", sagte Fortunat. Endlich sprach Leopold: "Nun, so nehmet eine Kreide und schreibet auf den Tisch an Eurer Ecke; so will ich auf der andern Ecke meine Meinung hinschreiben!"

Fortunat war es zufrieden; jeder schrieb seine Meinung, und als sie es getan, und jeder des andern Schrift las, da hatten sie beide Kassandra geschrieben. Nun war Fortunat erst froh, daß seinem Leopold gefallen hatte, was ihm gefiel, und noch fröhlicher war Leopold, daß Gott ihm in den Sinn gegeben, gerade auf diejenige zu raten, die seinem Herrn am allerbesten gefallen hatte. Jetzt eilte Fortunat wieder zu dem Könige und sprach: "Gnädiger Herr Königl Mein untertäniges Begehren ist; daß Ihr mir Kassandra gebet!" — "Dir geschehe nach deinem Willen", sprach der König und sandte von Stund an zu der Königin, daß sie zu ihm käme und die Jungfrau auch mit sich brächte.



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Also kam die Königin und brachte Kassandra mit. Der König aber schickte auf der Stelle nach seinem Kaplan und ließ das Paar zusammen; trauen. Kassandra war wohl ein wenig unmutig darüber, daß sie so ohne Wissen ihres Vaters und ihrer Mutter vermählt werden sollte, und daß dieselben nicht gegenwärtig sein dürften; doch wollte es der König so haben. Als die Trauung vorüber war, kamen alle Frauen und Jungfrauen , auch der Braut Schwestern, und legten die zwo letzteren unter herzlichem Weinen ihre Glückwünsche ab. Durch diese Tränen erfuhr Fortunat erst, daß es leibliche Schwestern der Braut seien; er ging daher zu ihnen hin und tröstete sie freundlich, indem er sagte: "Trauert nicht so sehr um eure Schwester; ich habe etwas, das euch ergötzen soll!" Und sogleich schickte er in die Stadt Famagusta nach den Herrlichkeiten, die er von Venedig mitgebracht hatte; davon schenkte er die zwei besten Kleinode dem König und der Königin, dann beschenkte er Braut und Schwestern, zuletzt begabte er alle Frauen und Jungfrauen der Königin aufs köstlichste und erntete großen Dank ein.

Darauf sandte der König nach dem Grafen Nimian und seiner Gemahlin . Fortunat, der dieses hörte, sprach mit seinem Freund, ordnete ihn ab und übergab ihm tausend Dukaten; diese sollte er der Gräfin in den Schoß schütten und sprechen, es sei ein kleines Geschenk von ihrem neuen Tochtermann, daß sie fröhlich zur Hochzeit kommen möchte. Aber die Gräfin war nicht vergnügt darüber, daß Fortunat die jüngste ihrer



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Töchter, die ihr gerade die liebste war, zur Frau erwählt hatte. Als jedoch Leopold ihr die tausend Dukaten in den Schoß schüttete, ließ sie ihren Unmut fahren, rüstete sich mit dem Grafen aufs beste mit Wagen, Hofgesinde und allem Nötigen, und so kamen sie zu dem König, der sie mit allen Ehren empfing und sich bereit erklärte, die Hochzeit auf seine Kosten abzuhalten. Aber Fortunat bat sich die Ehre aus, dieselbe zu Famagufta in seinem neuen Palaste, den er noch nicht eingeweiht hatte, feiern zu dürfen. Ja, er wagte es, den König und die ganze königliche Familie zu dem Feste in aller Bescheidenheit einzuladen. Der König erfüllte seinen Willen, und Fortunat ritt eilends nach Famagusta, dort alles zuzurichten.

Nach acht Tagen kam der König, und brachte ihm Gemahlin Schwäher und Schwäger und Volks genug. Die Freude, die sie hatten mit Tangen, Singen und köstlichem Saitenspiel, war groß, bis endlich die schöne Jungfrau Kassandra bei ihrem Gemahl in dem neuen Palaste zurückgelassen wurde, der so herrlich erbaut war, daß sich jedermann über seine Zierde verwunderte. Obwohl nun der Braut Mutter sah, daß alles köstlich zuging, wollte es ihr doch nicht recht gefallen, daß Fortunat kein Land und Leute habe; der Graf beruhigte sie, und am andern Morgen früh stellte sich der König, sein Schwiegervater und seine Schwiegermutter bei Fortunat ein und forderten die Morgengabe für die Braut. Da sagte Fortunat: "Land und Leute habe ich nicht, aber fünftausend bare Dukaten will ich ihr geben: dafür mag sie eine Burg mit Gebiet kaufen, darauf sie dereinst versorgt ist." — "Hier ist leicht Nat zu schaffen", sprach der König. "Weiß ich doch, daß der Graf von Ligorna des Geldes sehr benötigt ist und Schloß und Flecken Lorgano, drei Meilen von hier; verkaufen muß mit Leuten, Land und allen Liegenschaften." Bald wurde auch der Kauf richtig gemacht, und Fortunat erhielt Schloß, Flecken und Land um siebentausend Dukaten. Er gab Leopold den Schlüssel, der das Geld aus einem Kasten holte, und Fortunat machte seine Gemahlin zur einigen Besitzerin der Herrschaft. Jetzt fing der Braut Mutter erst an fröhlich zu werden und rüstete sich, zur Kirche zu gehen, die neben dem Palaste herrlich erbaut stand. Nachdem das Hochamt vollbracht war, setzte sich der König, die Königin, das junge Paar und die ganze Gesellschaft ans Mahl, das recht königlich zubereitet worden.

Wie man am fröhlichsten war, stellte Fortunat eine Kurzweil an und gab drei Kleinodien heraus. Das erste war sechshundert Dukaten wert; um das sollten die Herren, Ritter und Edelleute drei Tage stechen; wer



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das Beste täte und den Prels erhielte, sollte auch das Kleinod davontragen Weiter gab er ein Kleinod aus, das vierhundert Dukaten wert war, um das auch drei Tage lang die Bürger und ihre Genossen stechen sollten; endlich eines von zweihundert Dukaten, um das sollten die Knechte stechen.

Solches Freudenspiel trieb man vierzehn Tage; immer wurde zwei oder drei Stunden gestochen, dann wieder getanzt und dann ebensolange geschmaust. Endlich zog der König und alles mit ihm hinweg. Fortunat hätte gerne gesehen, daß sie länger geblieben wären, besonders der Graf und die Gräfin; sie willigten aber nicht ein; denn sie sahen den großen Aufwand und fürchteten, er möchte dadurch in Armut geraten, worüber Fortunat in seinem Herzen lachen mußte.

Nachdem er nun dem Könige das Geleit gegeben und sich demütig für die Ehre seines Besuchs bedankt hatte, ritt er wieder heim zu seiner schönen Kassandra und stellte für die Bürger von Famagitfia ein zweites Hochzeitfest an. Und als endlich auch dieses Wohlleben ein Ende hatte, sehnte sich Fortunat nach Ruhe. Er ließ seinem alten Reisegefährten Leopold eine dreifache Wahl: "Willt du heim, lieber Freund", sprach er zu ihm, "so will ich dir vier Knechte zugeben, die dich redlich geleiten und dich dazu mit soviel Geld versehen, daß du zeitlebens dein Auskommen hast. Oder willst du hier zu Famagufta bleiben, so kaufe dir ein eigenes Haus und gebe dir so viel, daß du drei Knechte und zwo Mägde halten kannst und nie keinen Mangel leiden darfst. Oder endlich: willst du bei mir in meinem Palaste sein und an allem überfluß haben, so gut wie ich selber — welches von diesen dreien du ewählest, das soll dir zugesagt und redlich gehalten werden."

Der alte Leopold dankte ihm mit Rührung; er meinte, er habe weder um Gott noch um Fortunat verdient, daß ihm in seinen alten Tagen soviel Ehre und Glück widerfahre. "Mir ziemt", sprach er, "nicht heimzureiten; ich bin alt und schwach und möchte unterwegs sterben. Käme ich aber auch heim: Hibernia ist ein rauhes Land, wo weder Wein noch edle Früchte wachsen; die bin ich jetzt schon gewöhnt. Vielleicht würde ich drum dort bald sterben! Daß ich meine Wohnung bei Euch nehmen soll, darf mir auch nicht in den Sinn kommen. Ich bin alt und ungestalt; Ihr aber habt ein junges schönes Gemahl, viel hübsche Jungfrauen und schmucke Knechte, die Euch alle viel Kurzweil machen können. Diesen allen würde ich unwert; denn alten Leuten gefällt nicht immerdar dag Wesen der Jungen. Darum, sowenig ich an Eurer tugendreichen Güte



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zweifle, so erwähle ich doch, wenn es Euch nicht zuwider ist; das zweite, nämlich daß Ihr mir mein eigen Wesen bestimmen möget, darin ich mein Leben beschließen kann. Doch bitte und begehre ich, daß ich damit nicht ganz aus Eurem Rate entfernt werde, solange uns Gott miteinander das Leben gönnt." Fortunat sagte dem Alten dies gerne zu und nahm auch wirklich seinen Rat an, solange er lebte; er kaufte ihm ein eigenes Haus, gab ihm Knechte und Mägde, dazu alle Monate hundert Dukaten. Dem Leopold tat es auch wohl, daß er des Dienstes nicht mehr zu warten hatte. Er ging jetzt zu Bette und stand auf, ass und trank, früh oder spät, wie es ihm beliebte. Nichtsdestoweniger ging er alle Tage zur selben Stunde in die Kirche wie Fortunat und erschien fleißig bei seinem jungen Freunde. So trieb er es ein halbes Jahr; dann wurde er krank, und es ging mit ihm dem Tode zu. Wohl wurde von Fortunat nach vielen Ärzten gesendet, aber niemand konnte ihm helfen. Und also starb der gute Leopold. Das tat Fortunat gar leid; er ließ ihn mit vielen Ehren in seine eigene Kirche begraben, die von ihm gebaut und gestiftet worden war.

***
Fortunat, der mit seiner Gemahlin Kassandra in großer Freude und Genüge lebte, bat Gott inbrünstig um einen Erben. Er wußte wohl, daß die Tugenden seines Glücksäckels ein Ende hätten, wenn er keine Kinder bekäme. Doch sagte er dies Kassandra nicht. Weil aber Gott alle ziemlichen Gebete erhört, so wurde auch Fortunat bald mit einem Sohne erfreut und das ganze Haus mit ihm. Dieser wurde in der heiligen Taufe Ampedo geheißen. Und nach Jahresfrist gebar ihm Kassandra einen zweiten Sohn, der auch mit Freuden getauft und Andolosia genannt wurde; so daß Fortunat jetzt zwei wohlgeschaffene, hübsche Knaben hatte; die er und seine liebe Kassandra mit großem Fleiß erzogen; doch war Andolosia kecker als sein Bruder Ampedo, und dies wird sich nachher zeigen. Fortunat hätte gerne noch weitere Leibeserben gehabt, aber Kassandra gebar ihm nicht mehr; was ihm sehr leid war; denn er hätte gar gerne eine Tochter dazu gehabt oder zwei.

Zwölf Jahre hatte Fortunat mit seiner Gemahlin Kassandra in Liebe und Ruhe verlebt; eines weitern Erben versah er sich nicht mehr; da fing ihn der Aufenthalt in Famagusta an zu verdrießen, wiewohl er alle Kurzweil hatte mit Spazierengehen, Reiten, schönen Rossen, Federspiel, Jagd; Hetze und Beize. Er nahm sich vor, nachdem er alle christlichen Königreiche durchzogen, auch vor seinem Tode die Heidenschaft, das Land



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des Priesters Johannes und alle drei Indien zu beschauen. Daher sprach er zu seinem Weibe Kassandra: "Ich habe eine Bitte an dich, die sollst du mir nicht abschlagen. Ich wollte, du erlaubtest mir hinwegzureisen." Sie fragte ihn, wonach ihm doch sein Gemüt stände. Da entdeckte er ihr sein ganzes Vorhaben; weil er den halben Teil der Welt gesehen, so wollte er den andern Teil auch durchfahren: "Und sollte ich mein Leben darum verlieren", setzte er hinzu.

Als Kassandra merkte, daß es ihm Ernst sei, erschrak sie zuerst sehr und suchte ihn von seinem Vorsatz abzubringen. Es würde ihn gereuen, meinte sie; wo er bisher umhergezogen, das wäre alles durch Christenlande gegangen; auch er selbst sei noch jung und stark gewesen und hätte vieles ertragen können; das sei jetzt nicht mehr so; das Alter vermöge nicht mehr, was der Jugend leicht zu tun sei. "Jetzt habt Ihr Euch gewöhnt, ein ruhiges Leben zu führen; und höret Ihr denn nicht alle Tage, daß die Heiden einem Christen weder treu noch hold sind, daß sie von Natur nur darauf denken, wie sie dieselben um Gut und Leib bringen mögend" Dazu fiel sie ihm um den Hals, bat ihn gar freundlich und sprach: "O allerliebster Fortunat, teuerster und getreuester Gemahl,



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auf den ich meine ganze Hoffnung gebaut habe; ich bitte Euch um Gottes willen, ehret mich armes Weib und Eure lieben Kinder, schlaget die vorgesetzte Reise aus Eurem Herzen und bleibet hier bei uns l Habe ich Euch denn mit irgend etwas erzürnt oder etwas getan, das Euch mißfallen hätte? Saget mir's doch, es soll hinfort gewiß vermieden bleiben und nicht mehr geschehen." Kassandra weinte zu diesen Worten inniglich und war sehr betrübt. Fortunat hing am Halse seiner Gemahlin und sprach: "O liebes Weib, verzweifle nur nicht! Es ist ja nur von einer ganz kleinen Zeit die Rede; dann komme ich wieder heim; und ich verheiße dir jetzt feierlich, daß ich alsdann nimmermehr von dir scheiden will, solang uns Gott das Leben verleiht!" — "Ach ja", sagte Kassandra , "wenn ich deines Wiederkommens gewiß wäre, so wollte ich deine Zurückkunft mit Freuden erwarten, wohin du dann ziehen wolltest: nur müßte es unter gläubige Christen sein und nicht zu den Heiden, dem treulosen Geschlechte, das nichts als Christenblut begehrt; ja, dann sollte es mir nicht schwer werden!" Aber Fortunat blieb bei seinem Entschlusse. "Diese Reise", sprach er, "kann niemand wenden als Gott und der Tod allein. Sollte ich aber von hinnen scheiden, so will ich dir so viel Barschaft hinterlassen, daß du, wenn ich auch nicht mehr wiederkehrte, mit deinen Kindern dein Leben in Ruhe zubringen kannst!"

Kassandra merkte wohl, daß hier kein Bitten helfen mochte. Sie nahm daher ihre Kräfte zusammen und sprach: "O geliebter Herr, wenn es nicht anders sein kann, so kommet desto eher wieder, und die Liebe und Treue, die Ihr uns bisher erwiesen habt, die lasset aus Eurem Hergen nicht entschwinden! Dann wollen wir Gott Tag und Nacht für Euch bitten , daß er Euch Gesundheit, Frieden und günstiges Wetter verleihe und Euch vor allen behüte, in deren Hand und Gewalt Ihr kommen könntet!" — "Wolle Gott, daß dies Gebet an mir vollbracht werde", sagte Fortunat , "ich hoffe aber zu ihm, daß ich früher wiederheimkomme, als ich mir vorgenommen habe!"



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Mit diesen Worten segnete Fortunat Weib und Kind und fuhr, als ein reicher Mann, in seiner eigenen Galeere davon, die er sich zu diesem Zwecke hatte bauen lassen. Nach einer glücklichen Fahrt kam er zu Ale andria in Ägypten an. Sobald er sicher Geleite hatte, ans Land zu fahren, stieg man aus dem Schiffe. Die Heiden wollten wissen, wer der Herr der Galeere sei. Fortunat, hieß es, von Famagusta aus Zypern sei Besitzer des Schiffs. Zugleich bat er, daß man ihm Zutritt zu dem Heidenkönige


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verschaffte, damit er ihm sein Geschenk überreichen könnte; jeder Kaufmann nämlich pflegt dem Sultan eine Verehrung zu bringen. Als nun Fortunat in des Königs Palast kam, hieß er sogleich, einen Kredenztisch aufzuschlagen, und stellte seine Kleinodien aus, die gar schön und köstlich anzusehen waren, und die er auch sofort dem Sultan anbieten ließ. Der Sultan kam in Person herbei und nahm die Kostbarkeiten in Augenschein. Er wunderte sich und glaubte, der Fremde habe sie ihm gebracht , um sie sich abkaufen zu lassen; er ließ ihn daher fragen, wie hoch er den Kredenztisch voll Kleinodien schätze. Darauf fragte Fortunat nur, ob die Kleinode des Sultans Beifall hätten, und als dies bejaht wurde; zeigte er sich ausnehmend froh und ließ den Sultan bitten, sie nicht zu verschmähen, sondern als ein Geschenk gnädig aufzunehmen. Den König von Ägypten befremdete es nicht wenig, daß ein einziger Kaufmann ihm so viel verehren wollte; denn er schätzte das ganze Geschenk wohl auf fünftausend Dukaten und meinte, es wäre wohl für eine ganze Stadt wie Venedig, Florenz oder Genua viel zuviel. Doch nahm er es auf, wie es war, glaubte jedoch, für eine so große Schenkung dem Darbringer eine Gegengabe zusenden zu müssen. Daher schickte er hundert Zentner Pfeffer, die so viel wert waren als Fortunats sämtliche Kleinode.

Als die Lagerherren aus Venedig, Florenz, Genua und Katalonien, die sich dazumal in Alexandrien aufhielten, von der großen Gegengabe des Königs vernommen, dabei daran dachten, daß sie selbst, die stets in seinen Landen lägen, des Jahrs zwei-; dreimal Geschenke darbrachten und dazu ihm und dem Lande von großem Nutzen wären, und daß sie gleichwohl noch nie eines solchen Geschenkes gewürdigt worden seien: da empfanden sie großen Verdruß über das Betragen Fortunats. Überdies kaufte dieser immer mehr Waren an sich; sie fürchteten daher, er möchte ihnen auch noch in ihrer Kaufmannschaft Schaden tun und das Land mit Waren überführen, so daß sie genötigt wären, das Ihrige wohlfeiler zu geben; daher waren sie beständig darauf bedacht, wie sie ihm Verdruß bei dem Sultan anrichten könnten. Sie machten daher zu dem Ende dem Admiral, welcher der Oberste nach dem König im Lande war, ein großes Geschenk, damit er Fortunat und den Seinigen nicht so günstig wäre. Aber Fortunat wußte es und schenkte noch einmal soviel. Dem Admiral war das eben recht; er nahm das Geld von beiden Parteien und tat, was er mochte. Er erwies nämlich dem Fortunat nun um so mehr Dienste; denn sein Wunsch war, daß nur recht viele, wie er, nach Alexandrien kommen möchten.



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Sa war Fortunat schon einige Tage daselbst, als er gar von dem Sul tan zu Gaste gebeten wurde und mehrere Kaufleute von der Galeere mit ihm. Dies verdroß die andern Kaufherren noch mehr, besonders da ihn bald darauf auch der Admiral zum Essen einlud und sie sahen, daß ihre Schenkung so übel angelegt war. Inzwischen erschien die Zeit, wo die Galeere von Alexandria wegfahren mußte; denn es war gebräuchlich, daß kein Schiff mit Kaufmannswaren länger als sechs Wochen daselbst verweilen durfte, mochte es nun verkauft haben oder nicht. Fortunat wußte dieses wohl. Er richtete sich darnach und setzte an seiner Statt einen andern Schiffspatron ein, dem er befahl, mit der Galeere, den Kaufleuten und allem Gute in Gottes Namen nach Spanien, Portugal, zuletzt nach England und dann nach Flandern zu fahren, da zu kaufen und zu verkaufen , von einem Lande zum andern, und ihren Gewinn zu mehren, was nicht fehlen könne, weil sie bedeutende Güter mit sich führten. Nach zwei Jahren sollte der Patron gewiß mit seiner Galeere wieder in Alexandria sein und diesen Zeitpunkt ja nicht versäumen. Er selbst sei willens, noch zwei Jahre in der Fremde zu bleiben und seine Sachen darnach einzurichten, damit er auf die bestimmte Zeit auch wieder in Alexandria sein könnte. Träfen sie ihn da nicht, so sollten sie sich nur keine Rechnung auf ihn machen, sondern annehmen, daß er nicht mehr am Leben sei. Dann sollte der Patron die Galeere samt dem Gute seiner Gemahlin Kassandra und seinen Söhnen nach Famagusta liefern. Dies versprach ihm der neue Schiffskapitän. Und so traten diese in Gottes Namen ihre Reise an.

Sobald sich Fortunat allein sah, besuchte er den Admiral und bat ihn, daß er ihm zu einem sicheren Geleite durch des Sultans Land behilflich sein möchte, und dann zu einem Empfehlungsschreiben an die Fürsten und Herren der Länder, die er zu sehen begehrte. Das verschaffte ihm der Admiral ohne Mühe vom Sultan, alles auf Kosten Fortunats, was diesem große Freude machte, weil er das Geld nicht sparen durfte. Er rüstete sich daher mit seinen Begleitern aufs allerbeste und trat dann seine weite Reise an.

Zuerst durchwanderten sie das Land des Königs von Persien, dann das Gebiet des großen Khans von Chaltei; von da ging es durch die indischen Wüsten in das Land des Priesters Johannes, der über viel Inseln und feste Lande regiert und in allem zweiundsiebzig Königreiche beherrscht. Diesem schenkte Fortunat die seltensten Kleinode, ebenso allen denjenigen, die ihm auf seiner Reise förderlich gewesen. Dann kam er nach Kalekut, in das Land, wo der Pfeffer wächst wie kleine grüne Trauben. Dort regierte



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ein mächtiger König, das Land aber ist von großer Hitze geplagt. Als Fortunat dies alles gesehen, jammerte ihn endlich seiner Gemahlin Kassandra und seiner beiden Söhne, und es kam ihn eine zärtliche Lust an, sie wiederzusehen. Er richtete daher seinen Lauf heimwärts und kam zur See nach der Stadt Lamecha. Dort kaufte er sich ein Kamel und ritt auf demselben durch die Wüste gen Jerusalem, in die Heilige Stadt. Nun hatte er noch zween Monate Frist bis zu dem Zeitpunkt wo er versprochen hatte, zu Hause einzutreffen. Deswegen eilte er auf Alexandria zu, dem Sultan für alle Beförderung Dank zu sagen, besuchte den Admiral wieder, freute sich des Wiedersehens, und überall ward ihm große Ehre angetan. Acht Tage blieb er zu Alexandria stilleliegen; siehe, da kam auch seine Galeere dahergefahren, mit köstlichen Waren beladen, dreimal so voll, als da sie Fortunat von sich ausgesandt hatte. Er freute sich über die Maßen, als er alle seine Leute wieder frisch und gesund sah, vor allem aber, daß sie ihm Briefe von seiner geliebten Gemahlin Kassandra mitbrachten .

Fortunat hatte nun keine Ruhe mehr; er ermunterte seine Leute, fein wohlfeil zu verkaufen, um recht bald mit ihren Gütern aufzuräumen; "denn", sagt man, "wer wohlfeil gibt, dem hilft Sankt Niklas verkaufen , und wer kauft, wie man ihm ein Ding beut, der ist auch bald fertig." Während daher andre Kauffahrteischiffe sechs Wochen lang zu Alexandria lagen, schafften sie alles in drei Wochen fort nach ihres Herrn Willen . Aber der Sultan, der von ihrer Eile hörte, wollte nicht haben, daß Fortunat hinwegreise, er speise denn vorher mit ihm. Er lud ihn daher noch am letzten Abend ein, bevor er am andern Morgen absegeln wollte. Dies konnte Fortunat nicht abschlagen; jedoch befahl er, daß sich jedermann auf die Galeere begeben sollte: sobald die Mahlzeit vorbei wäre, wollte er sich noch am selben Abende bei ihnen einfinden. Indem kam sein Freund, der Admiral, nahm ihn beim Arm, und beide gingen miteinander auf des Königs Palast zu.



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Der Sultan von Ägypten empfing Fortunaten aufs beste. Dieser stattete ihm seinen ehrfurchtsvollen Dank für den Geleitsbrief ab und unterhielt ihn von allen Merkwürdigkeiten, die er in den fremden Landen gesehen hatte. Nach der Mahlzeit wünschte Fortunat, das Hofgesinde beschenken zu dürfen, und der König vergönnte es ihm. Da tat er unter dem Tische seinen Glückssäckel auf, daß es niemand sähe, und niemand die Kraft des Säckels erführe. Und nachdem er jedermann schwer Geld gegeben, so


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der Sultan sich wunderte, wie er soviel nur tragen könnte, sagte dieser, ver sich besonders freute, daß sein Leibmameluck so reichlich beschenkt worden war, zu Fortunat: "Ihr seid ein wackerer Mann; es ziemt sich wohl, daß man Euch eine Ehre antut: kommt mit mir; ich will Euch etwas sehen lassen, was ich habe."Mit diesen Worten führte er ihn durch einen Turm, der ganz von Stein und rundum gewölbt war, zuerst in ein Gemach, in welchem sich viele Juwelen und Silbergeräte befanden, auch große Haufen silberner Münzen, wie Korn aufgeschüttet. Dann öffnete er ihm ein zweites Gewölbe, das voll goldener Kleinode war; in diesem stand auch eine große Truhe voll gemünzter Goldgulden. Dann betraten sie ein drittes, gar sorgfältig verwahrtes Gewölbe, in welchem gewaltige Kästen voll kostbarer Kleider und Leibleinwand standen, was der Sultan antat wenn er sich in seiner königlichen Majestät zeigen wollte. Alles ohne Zahl; so hatte er namentlich auch zwei goldene Leuchter, auf welchen zwei große Karfunkel prangten. Als nun Fortunat diese beiden Kleinode zu bewundern nicht aufhörte, sprach zu ihm der Sultan: "Ich habe noch eine Seltenheit in meiner Schlafkammer; die ist mir lieber als alles, was Ihr bisher bei mir gesehen habt." — "Was mag das sein", fragte Fortunat, "das so köstlich wäre?" —"Ich will es dich sehen lassen" , erwiderte der König und führte ihn in sein Schlafzimmer, das groß, hell und freundlich war; und alle Fenster sahen in das weite Meer. Hier ging der Sultan an einen Kasten, langte ein unscheinbares Filzhütchen, dem die Haare schon ausgegangen waren, hervor und sprach zu Fortunat: "Dieser Hut ist mir lieber als alle Kleinode, die Ihr gesehen habt, darum: wenn einer jene Kostbarkeiten auch nicht besitzt, so gibt es doch Mittel, sich dieselben zu verschaffen; aber einen solchen Hut kann sich kein Menschenkind zuwege bringen."Fortunat fragte recht neugierig: "Oh, gnädigster Herr König, wenn es nicht wider die Ehrfurcht ist, die ich Euch schuldig bin, so möchte ich gerne erfahren, was das Hütlein vermag, das Ihr so hoch schätzet." — "Das will ich dir sagen", sprach der König. "Das Hütlein hat die Tugend, wenn ich oder ein anderer es aufsetzt , wo er alsdann begehrt zu sein, da ist er. Damit habe ich viel Kurzweil, mehr als mit meinem ganzen Schatze; denn wenn ich meine Diener auf die Jagd sende, und mich verlangt, auch bei ihnen zu sein, so setze ich nur mein Hütchen auf und wünsche mich zu ihnen: so bin ich auf der Stelle bei ihnen. Und wo ein Tier in dem Walde ist, und ich möchte dabei sein, so bin ich's und kann es den Jägern in die Hände treiben. Habe ich einen Krieg, und meine Söldner sind im Felde, so kann ich wieder


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bei ihnen sein, sobald ich will. Und wenn ich genug habe, so bin ich wieder in meinem Palast, wohin mich alle meine Kleinode nicht hinzubringen vermöchten." — "Lebt der Meister noch, der es gefertigt hat?" fragte Fortunat. Der König antwortete: "Das weiß ich nicht." — "Oh, möchte mir der Hut werden!" dachte Fortunat; "er paßte gar zu gut zu meinem Säckel!" Da sprach er weiter zu dem König: "Ich halte dafür, da der Hut eine so große Kraft hat, so muß er auch recht schwer sein und den, der ihn auf dem Kopfe hat, nicht übel drücken!" — "Nein", antwortete der König, "er ist nicht schwerer denn ein anderer Hutl" Der Sultan hieß ihn sein Barett abziehen, setzte ihm das Hütchen selbst aufs Haupt und sagte: "Nicht wahr, es ist nicht schwerer als ein anderer Hut?" — "Wahrlich", antwortete Fortunat, "ich hätte nicht geglaubt, daß der Hut so leicht sei, und Ihr so töricht, ihn mir aufzusetzenl" — Und in diesem Augenblick wünschte er sich auf seine Galeere, darin er auch auf der Stelle saß. Kaum war er darin, so ließ er die Segel aufziehen; denn sie hatten starken Nordwind, so daß sie schnell von hinnen fuhren.

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Als der König merkte, daß ihm Fortunat sein allerliebstes Kleinod abgeführt, und er zugleich, am Fenster stehend, die Galeere wegfahren sah, wußte er im Zorne nicht, was er tun sollte; doch bot er all sein Volk auf, Fortunaten nachzueilen und ihn gefangen zu bringen; denn der Räuber



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sollte sein Leben verlieren. Seine Leute fuhren ihm auch auf der Stelle nach, aber die Galeere war schon so ferne, daß sie kein Auge mehr erreichen konnte. Nachdem sie ihr einige Tage nachgefahren, kam sie eine Furcht an, sie möchten auf katalonische Seeräuber stoßen, und da sie nicht gerüstet waren zu streiten, kehrten sie wieder um und sagten dem Sultan, es sei nicht möglich gewesen, die Galeere zu erreichen. Da wurde dieser sehr traurig. Aber die Venezianer, Florentiner und Genuesen, die freuten sich, als sie erfuhren, daß Fortunat mit des Sultans liebstem Kleinod davongefahren sei. "Recht so", sprachen sie untereinander, "der König und der Admiral wußten nicht, wie sie diesen Fortunat genug ehren sollten: nun hat er ihnen den rechten Lohn gegeben, und jetzt sind wir sicher vor ihm; er wird nicht wiederkommen und uns nicht noch einmal so großen Schaden mit Kaufen und Verkaufen zufügen!"

Der Sultan hätte sein Kleinod gar zu gerne wiedergehabt, und doch wußte er nicht, wie er es angreifen sollte. "Wenn ich auch", dachte er, "den Admiral oder einen meiner Fürsten zu ihm sende, so sind sie den Christen nicht angenehm; auch könnten sie unterwegs gefangen werden." So entschloß er sich am Ende, eine feierliche Botschaft an Fortunat nach Zypern zu schicken, und bat den Vorsteher der Christen, daß er ihm zu Willen würde und sich zu dieser Reise verstünde, teilte ihm auch die Ursache mit. Dieser sagte es ihm zu und erklärte bereit zu sein, in des Sultans Dienst zu fahren, wohin er wollte. Alsbald ließ ihm der Sultan ein Schiff zurüsten und es mit Christenschiffleuten bemannen; dann befahl er ihm, nach Famagusta in Zypern zu segeln und Fortunat anzugehen, daß er dem Sultan sein Hütlein wiederschicke. Denn er hätte es ihn in treuem sehen lassen; wollte es auch von ihm zu Danke wiederannehmen und ihm dafür eine Galeere voll edlen Gewürzes senden. Wenn er es aber nicht tun wollte, so sollte der Schiffshauptmann es dem Könige von Zypern klagen, der ja sein Oberherr wäre, und diesen bitten, daß er den Fortunat zwinge, dem Sultan sein geraubtes Kleinod zurückzuschicken. — Der Hauptmann war ein Venezianer und hieß Marcholandi; dieser sagte dem Sultan zu, die Botschaft treulich auszurichten und allen Fleiß darauf zu verwenden. Dazu gab ihm jener großes Gut, rüstete ihn herrlich aus und verhieß ihm noch mehreres, wenn er ihm sein Hütlein wiederbrächte. Denn der Herr war so betrübt über seinen Verlust, daß er keine Ruhe hatte; alle seine Mamelucken mußten auch traurig sein. Vorher hatten sie alle den Fortunat gelobt; nun er aber ihren König betrübt hatte, erklärten sie ihn für den größten Bösewicht, den das Erdreich trüge.



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So fuhr Marcholandi gen Zypern und kam zu Famagusta in den Hafen, aber Fortunat war wohl zehn Tage vor ihm eingetroffen. Wie zärtlich Fortunat von seiner liebsten Gemahlin Kassandra empfangen wurde, möget ihr leicht denken; auch wie große Freude er selbst empfand, als er so glücklich wiederheimgekommen war. Die ganze Stadt war froh mit ihm; denn es war viel Volks dort, die alle viel Freunde hatten, welche mit Fortunat wiedergekommen waren, und über deren glückliche Rückkehr jetzt alles fröhlich war.

Marcholandi wunderte sich nicht wenig, als er mit seiner Galeere ans Land kam und die gange Stadt in solchem Vergnügen sah. Fortunat aber, sowie er hörte, daß eine Botschaft des Königs von Alexandrien nach Famagusta gekommen sei, versah sich ihres Inhalts wohl. Er ließ daher sogleich für den Schiffshauptmann eine gute Herberge bestellen, ihm alles in dieselbe führen, was er bedurfte; und was er sonst verbrauchte; das bezahlte alles Fortunat. So hatte Marcholandi wohl drei Tage zu Famagusta gelegen; da schickte er endlich zu Fortunat mit der Erklärung, er habe ihm eine Botschaft auszurichten. Jener zeigte sich ganz bereitwillig , ihn anzuhören, und nun kam der Schiffshauptmann zu ihm in seinen schönen Palast und richtete den Inhalt seiner Sendung aus. "Der König, Sultan von Babylon, zu Alkairo und Alexandria", sprach er, "mein allergnädigster Herr, entbeut dir, Fortunat, seinen Gruß durch mich, den Hauptmann der Christen zu Alerandrien, Marcholandi; er verlangt von dir, du wollest so gutwillig sein und mich als gütlichen Boten betrachten, ihm selbst aber sein bewußtes Kleinod durch mich zurücksenden."

Auf diese Anrede antwortete Fortunat und sprach: "Mich nimmt wunder, daß der König und Sultan nicht weiser war, als er mir sagte, was für eine Eigenschaft das Hütchen habe, und daß er mir dasselbe so unbedenklich auf mein Haupt setzte. übrigens bin ich durch jenes Kleinod in große Angst und Not gekommen, die ich mein Lebtag nicht vergessen will; denn meine Galeere stand auf der offenen See, in diese wünschte ich mich hinein; hätte ich dieselbe nur eines Fußes breit verfehlt, so wäre ich um mein Leben gekommen, und dies ist für mich doch noch ein köstlicherer Schatz als des Sultans ganzes Königreich. Und darum bin ich gesonnen, das Wünschhütlein zu einer geringen Vergütung für die ausgestandene Todesangst zu behalten und nicht von mir zu lassen, solange ich lebe." Marcholandi gab auf diese Rede die Hoffnung, ihn in Güte zur Herausgabe zu bewegen, noch nicht auf. Er sprach: "Fortunat; lasset Euch raten! Wozu kann Euch dies Kleinod nutzens Ich will Euch etwas dafür schaffen,



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.das Euch und Euren Kindern viel nützlicher sein soll als das abgeschabte Hütlein. Ja, hätte ich einen Sack voll solcher Hüte, und jeder Hut hätte die Tugend, die jenes Hütlein hat; so wollte ich sie alle um das Dritteil des Guts geben, das ich Euch schaffen will. Darum laßt mich einen guten Boten sein, so will ich Euch versprechen, daß der Sultan Eure Galeeren mit dem besten Gewürz, Pfeffer, Ingwer, Muskatnüssen und Zimmetrinden beladen muß, bis auf hunderttausend Dukaten an Wert. Auch sollt Ihr das Hütchen nicht aus den Händen geben bis die Galeere mitsamt dem Gut Euch in sichere Hand überantwortet ist. Behagt dies Eurem Sinne, so will ich selbst auf Eurer Galeere nach Alerandrien fahren und sie Euch geladen wiederbringen, und dann erst gebet mir meines gnädigen Sultans Kleinod wieder zurück. Gewiß gilt dasselbe in der ganzen Welt kein Dritteil von dem, was Euch der Sultan darum geben will. Er würde auch nicht so sehr darnach verlangen, wenn es nicht zuvor sein gewesen wäre."

Auf diese lange Rede antwortete Fortunat ganz kurz: "Mir ist nichts werter als des Sultans Freundschaft und die Eure; aber das Hütlein hoffe niemand aus meiner Gewalt zu bringen. Ich habe auch sonst noch ein Kleinod, das mir sehr lieb ist, und beide müssen mein bleiben, solange ich lebel" Mit dieser Antwort verfügte sich Marcholandi zum Könige von Zypern, der Fortunats Oberherr war, und bat ihn, mit diesem zu unterhandeln; denn er sorge, wenn Fortunat das Wünschhütlein nicht herausgebe , so möchte daraus ein ernstlicher Krieg entspringen. Der König antwortete dem Schiffshauptmann: "Ich habe Fürsten und Herren unter mir, die, so ich gebiete, tun, was sie sollen. Hat nun der Sultan etwas gegen Fortunat zu klagen, so mag er ihn vor Gericht belangen; alsdann soll ihm alle Genugtuung widerfahren." Marcholandi merkte wohl, daß die Heiden hier nicht viel Rechts gewinnen würden, rüstete seine Galeere wieder zu und wollte davon. Aber Fortunat erzeigte sich sehr gütig gegen ihn, lud ihn noch einmal zu Gaste und beschenkte ihn mit vielen Kostbarkeiten, ließ auch seine Galeere mit Speise und Trank reichlich versehen . Dann sprach er: "Saget Eurem Herrn, dem Sultan, wenn das Hütlein mein gewesen wäre, und er hätte mir's entführt, so sendete er mir es gewiß nicht wieder, und es würde ihm auch von den Seinigen nicht geraten werden, mir dasselbe wiederzuschicken." Marcholandi versprach, solches dem Sultan wörtlich zu hinterbringen, dankte für alle Ehre, die ihm Fortunat erwiesen, und fuhr so unverrichteterdinge wieder hinweg.



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Nachdem Fortunat auf oben erzählte Weise die ganze Welt durchfahren und der Welt Glück in Fülle gewonnen hatte, begann er, ein ruhiges Leben zu führen, ließ seine zwei Söhne erziehen mit Ehren und großem Aufwand und hielt ihnen Edelknechte, welche sie in allem Ritterspiel unterrichteten, wozu besonders der jüngere Sohn, Andolosia, große Neigung zeigte. Denn Fortunat gab ihnen manches Kleinod auszuspielen, und wenn um dieselben zu Famagufta gestochen wurde, so tat jedesmal dieser jüngste Sohn das Beste und gewann den Preis, so daß jedermann sprach: "Andolosia bringt das ganze Land zu Ehren!" Darüber empfand Fortunat große Freude, auch machte ihm sein Säckel und Wünschhütlein, sein Federspiel und der Umgang mit seinen Söhnen und seiner Gemahlin alles mögliche Vergnügen.

Viele Jahre lebten sie in solcher Eintracht; da verfiel endlich die schöne Kassandra in eine solche Krankheit, daß sie trotz aller ärztlichen Hilfe sterben mußte. Fortunat bekümmerte sich hierüber so sehr, daß auch er in eine tödliche Krankheit verfiel und ein solches Siechtum empfand, daß von Tag zu Tag seine Kräfte abnahmen. Vergebens suchte man die besten Arzte in der Welt auf und versprach ihnen die herrlichste Belohnung, wenn sie helfen könnten. Sie gaben keinen Trost, ihn je wieder ganz gesund zu machen, aber sie wollten wenigstens ihr Bestes tun, sein Leben so lange wie möglich zu fristen. Sowenig aber Fortunat auch sein Geld sparte, so empfand er doch keine Besserung. Daraus schloß er, daß das Ende seines Lebens nicht mehr ferne sei. Er ließ daher seine beiden Söhne Ampedo und Andolosia vor sich kommen und sprach zu ihnen: "Ihr wisset, lieben Söhne, daß eure Mutter, die euch mit großem Fleiß erzogen, mit Tod abgegangen ist. Ich selbst empfinde, daß ich diese Zeitlichkeit verlassen muß. Darum will ich euch sagen, wie ihr euch nach meinem Tode verhalten sollt, damit ihr bei Ehre und Gut bleibet, wie ich auch bis an mein Ende geblieben bin." Dann offenbarte er ihnen den Besitz seiner zwei Kleinode und erzählte ihnen von dem Glückssäckel und der Eigenschaft, die er hätte, nicht länger, als solange sie beide lebten; ebenso teilte er ihnen das Geheimnis von der Tugend des Wünschhütleins mit, sagte ihnen, wie großes Gut der Sultan ihm dafür geben wollte, und befahl, diese Kleinode nicht voneinander zu trennen, auch niemand etwas von dem Säckel zu sagen, er wäre ihnen so lieb, als er wollte. "Denn also", sprach er, "habe ich den Säckel sechzig Jahre lang gehabt und keinem Menschen davon je ein Wörtlein gesagt denn jetzt euch. Noch will ich euch eines befehlen, lieben Söhne; ihr sollt zu Ehren einer Jungfrau,



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von welcher ich mit diesem glückhaften Säckel begabt worden bin, hinfüro alle Jahr auf den ersten Tag des Brachmonats einer annen Tochter, welcher Vater und Mutter nicht helfen können, vierhundert Goldstücke nach des Landes Währung zur Brautgabe schenken, an dem Orte, wo sich der eine von euch gerade mit dem Säckel befindet. Denn dies habe auch ich getan, solange ich denselben besessen habe." Dieses waren die letzten Worte Fortunats, nach welchen er seinen Geist aufgab. Die Söhne bestatteten ihn mit großen Ehren in der Kirche, die er selbst gebaut hatte, und ließen viele Messen zum Heil seiner Seele lesen.

Während Fortunats jüngerer Sohn Andolosia das Trauerjahr über stilleliegen mußte, und sich nicht mit Stechen und anderem adeligen Zeitvertreib erlustigen durfte, war er über seines Vaters Büchern gesessen und hatte darin gelesen, wie dieser so viele christliche Königreiche durchzogen hatte, und durch wie vieler Heiden Länder er gefahren war. Das gefiel ihm auch wohl und erweckte in ihm eine solche Begierde, daß er sich ernstlich vornahm, ebenfalls auf die Wanderung zu gehen. Er sprach daher zu seinem Bruder Ampedo: "Mein liebster Bruder, was wollen wir anfahen? Laß uns wandern und nach Ehren trachten, wie unser Herr Vater auch getan hat. Oder hast du nicht gelesen, wie er so weite Lande



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durchfahren? Wenn du es noch nicht gelesen, so lies es jetzt!" Ampedo erwiderte seinem Bruder ganz gütlich: "Wer wandern will, der wandre! Mich lüstet es gar nicht darnach; ich könnte leicht an einen Ort kommen, wo mir nicht so wohl wäre wie hier. Laß mich nur hier in Famagusta bleiben und mein Leben in dem schönen väterlichen Palaste beschließen!" Andolosia sprach: "Wenn du dieses Sinnes bist, so laß uns die Kleinode teilen." "Willst du jetzt schon das Gebot unsers Vaters übertreten?" fragte Ampedo betrübt. "Weißt du nicht, daß sein letzter ernstlicher Wille gewesen ist; daß wir die Kleinode nicht voneinander trennen sollen?" Andolosia erwiderte: "Was kehre ich mich an diese Redel Er ist tot, ich aber lebe noch und will teilen." Ampedo sprach: "So nimm du das Hütlein und ziehe, wohin du willst!" — "Nein, nimm du es selbst", sprach Andolosia, "und bleib hier!" So konnten sie nicht einig über die Sache werden; denn jeder wollte den Säckel haben. Endlich sagte Andolosia: "Jetzt weiß ich, wie wir das Ding machen wollen, daß des Vaters Wille doch erfüllt wird. Laß uns aus dem Säckel zwei Truhen mit Goldgulden füllen, die behalte du hier für dich; du magst leben, so herrlich du willst; so kannst du sie dein Leben lang nicht verzehren. Dazu behalte auch das Hütlein bei dir, damit du Kurzweil haben magst. Mir aber laß den Säckel ; ich will wandern und nach Ehren trachten. Wenn ich sechs Jahr ausgewesen bin und wiederkomme, so will ich dir den Säckel auch sechs Jahre lassen. Auf diese Weise haben wir ihn ja doch gemeinschaftlich und benützen ihn miteinander."

Ampedo war ein gütiger Mensch; er ließ sich den Vorschlag seines Bruders gefallen. Als nun Andolosia den Säckel hatte, war er von ganzem Herzen froh und wohlgemut; er rüstete sich mit guten Knechten und hübschen Pferden stattlich aus, nahm Urlaub von seinem Bruder und verließ Famagusta mit vierzig wohlgerüsteten Mannen und auf seiner eigenen Galeere. Als er in dem Hafen von Aiguesmortes angekommen war, stieg er dort ans Land und ritt zuallererst an den Hof des Königs von Frankreich . Hier gesellte er sich zu den Edeln des Landes, den Grafen und Freiherrn; denn er war freigebig und ließ seinen Reichtum jedermann genießen, deswegen er auch bei aller Welt beliebt war. Und zugleich diente er dem König so eifrig, als wäre er sein besoldeter Diener. Indem begab es sich, daß ein scharfes Stechen, Ringen, Nennen und Springen angestellt werden sollte. In diesem tat er es auch allen andern insgesamt zuvor. Nach dem Stechen wurden gewöhnlich große Tänze mit den edeln Frauen gehalten. Auch zu diesen wurde er berufen und überall herangezogen. ,Die



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Frauen fragten, wer denn der mutige Ritter sei. Da ward ihnen gesagt, er heiße Andolosia, sei aus Famagusta in Zypern und von edelm Geschlecht. So gefiel er auch den Weibern sehr wohl; sie unterhielten sich gern mit ihm, und er ließ sich solches auch gefallen. Der König lud ihn zu Gast, und den Edeln war seine Gesellschaft angenehm. Er selbst lud auch die Edeln und ihre Frauen zu Gast und gab ihnen ein gar köstliches Mahl; dadurch wurde er beiden wohlgefällig, und sie glaubten ihm jetzt erst recht, daß er von edlem Geschlechte sei.

Hier erfuhr Andolosia von einer schönen, aber falschen Frau viel Liebe und zuletzt große Untreue, so daß er mit Unlust vom Hofe des Königes von Frankreich hinwegritt und sich nur damit tröstete, daß er dachte: "Es ist noch gut, daß mich die falschen Weiber nicht auch um den Glückssäckel betrogen haben t" Und damit schlug er sich die Sache aus dem Herzen und sann darauf, wie er jetzt anheben wollte, recht fröhlich zu sein und immer einen guten Mut zu haben. Er ritt deswegen in einem fort, bis er an den Hof des Königs von Aragonien kam. Dann zog er zu dem Könige von Navarra, dann zu dem von Kastilien, dann gen Portugal, darnach zu dem Könige von Hispanien. Allda gefielen ihm Volk und Sitten so wohl, daß er sich und seine Knechte nach des Landes Art kleidete. Auch hier wurde er des Königs Diener und gesellte sich zu den Edeln, trieb alle möglichen Ritterspiele, gab Kleinode zu Preisen her und lud die edeln Frauen mit ihren Männern zu Gaste. Wenn der König wider seine Feinde auszog, bestellte er zu seinem Gefolge noch hundert weitere Söldner, alles auf eigene Kosten, und mit diesen diente er dem Könige so gut, daß dieser ihn ganz liebgewann. Und da er in allen Kämpfen vorn an der Spitze sein wollte und viel männlicher Taten verrichtete, so schlug ihn zuletzt der König zum Ritter. An dem Hofe war auch ein alter Graf vom edelsten Stamme, der hatte einige Töchter. Der König von Hispanien wünschte, daß Andolosia eine Tochter dieses Grafen zur Ehe nehmen sollte, und er war bereit, den Ritter in den Grafenstand zu erheben. Aber dem Andolosia gefiel des Grafen Tochter nicht, auch achtete er keines Reichtums und keiner Grafschaft; denn sein Glückssäckel war mehr als beides. Als er nun etliche Jahre bei dem Könige von Hispanien gewesen war beurlaubte er sich im guten, mietete sich mit seinem ganzen Gefolge auf ein Schiff ein und fuhr nach England. Einige Herren am hispanischen Hofe waren über seine Abreise ganz froh, darum, daß sie jetzt doch nicht mehr das köstliche Leben sehen müßten, das er führte; dagegen waren viele andere sehr traurig, die von ihm Gutes genossen hatten.



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Andolosia kam inzwischen glücklich nach England in die große Stadt London, wohin vor vielen Jahren sein Vater aus Flandern geflohen war. Hier bestellte er ein großes schönes Haus, ließ darein kaufen, was er zum Hauswesen bedurfte, in allem überfluß und fing an hofzuhalten, als ob er ein Herzog wäre. Er lud die Edeln an des Königs Hof zu Gast und machte ihnen die köstlichsten Geschenke. Diesen gefiel sein Umgang ausnehmend wohl, und alle turnierten mit ihm; aber so ritterlich sie waren, so wurde doch immer von Männern und Frauen dem Andolosia der Preis zuerkannt. Als dem Könige von England dieses zu Ohren kam, fragte er ihn, ob er denn nicht auch an seinem Hofe zu sein begehrte. —Andolosia erwiderte, er wollte solches mit Freuden tun und dem Könige gern mit Leib und Gute dienen. Nun begab es sich gerade jener Zeit, daß der König von England einen Krieg mit dem Könige von Schottland führte. Da zog Andolosia auf seine eigene Kosten mit ihm nebst einem großen Gefolge und verrichtete so manche ritterliche Tat, daß er vor allen andern gepriesen ward, obgleich er kein englischer Mann war.



***
Der Krieg war zu Ende; Andolosia kam wieder nach London zurück und wurde überall von dem Könige, von den Edeln, dem Frauenzimmer und allem Volk aufs glänzendste empfangen. Der König selbst lud ihn zu Gaste an seinen Tisch, zu der Königin, seiner Gemahlin, und zu seiner Tochter Agrippina, welche die schönste Jungfrau in ganz England war. Da wurde Andolosia von so inbrünstiger Liebe zu der Königstochter entzündet , daß er weder essen noch trinken mehr mochte. Als die Mahlzeit vollbracht und er wieder zu Hause war, sprach er zu sich in schwermütigen Gedanken: "Oh, wollte Gott; daß ich von königlichem Stamme geboren wäre; wie wollte ich da dem Könige von England so treulich dienen, bis er mir die schöne Agrippina vermählte. Was könnte ich dann noch mehreres wünschen?" Nun fing er erst recht an zu stechen, der Königin und ihrer Tochter zu Ehren. Alsdann lud er auf einmal die Königin, ihre Tochter und alle edle Frauen, die an dem Hofe waren, in seinen Palast und gab ihnen ein so herrliches Mahl, daß sich jedermann darüber verwunderte. Überdies schenkte er der Königin und der Prinzessin Agrippina jeder ein köstliches Juwel, und auch die Obersthofmeisterin der Königin und alle die Hoffräulein und Kammerfrauen bedachte er aufs reichlichste; um desto besser empfangen zu werden, wenn er zu ihnen käme.

Solches alles erfuhr der König. Als nun Andolosia wieder einmal an den Hof kam, sprach der König zu ihm: "Mir sagt die Königin, daß du



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ihr ein so köstliches Mahl gegeben habest. Warum ludest du mich nicht auch dazu ein?" — "O allergnädigster Herr König, wenn Eure Königliche Majestät mich, Euren Diener, nicht verschmähen wollte, wie eine große Freude müßte mir das sein!" — "So will ich morgen kommen", sprach der König, "und zehn mit mir bringen." Darüber war Andolosia gar froh, eilte heim und rüstete sich aufs kostbarste. Und als der König mit Grafen und Herren kam, da war die Mahlzeit so reichlich und prachtvoll, daß der König und alle andern, die mit ihm gekommen waren, sich nicht genug verwundern konnten. Der König aber dachte: "Ich muß doch diesem Andolosia seine Pracht ein wenig niederlegen und ihn zuschanden machen." Deswegen ließ er heimlich verbieten, daß den Leuten Andolosias ferner Holz zum Kochen verkauft werde. Alsdann lud er sich wieder bei ihm zu Gaste. Andolosia war darüber sehr vergnügt; als aber alles an Speisen und Getränken eingekauft war, erschrak er nicht wenig; denn es mangelte an Holz. Er wußte nicht, was das für ein Handel wäre, und womit er kochen sollte. Endlich kam ihm ein guter Einfall. Er schickte eilig zu den venezianischen Kaufleuten zu London und ließ ihnen Nägelein, Muskaten, Sandelholz und Zimmetrinden die Hülle und Fülle abkaufen; das alles ward auf die Erde geschüttet und angezündet, und über dem herrlich dampfenden Feuer kochte und bereitete man die Speisen, als ob es gemeines Holz wäre.

Die seit des Mahles war herbeigekommen, und der König, obwohl er darauf gefaßt war zu hungern, freute sich nicht wenig darauf, saß auf, nahm die Herren, die schon das erstemal mit ihm gewesen waren, wieder mit sich und ritt nach Andolosias Herberge. Als sie nun in der Nähe des Hauses waren, duftete ihnen ein so köstlicher Wohlgeruch entgegen, daß sie gar nicht begreifen konnten, woher das käme; und je näher sie dem Hause ritten, lieblicher und stärker wurde der Duft. Der König ließ fragen, ob das Essen bereitet wäre. Man sagte ihm: "Ja, und zwar mit lauter Spezerei gar gekocht." Da wunderte sich der König über die Maßen. Die Mahlzeit selbst aber war noch viel herrlicher, als die erste gewesen war. Und als nach vollbrachtem Mahle die Diener ankamen, ihren Herrn, den König, abzuholen, beschenkte Andolosia sie alle, jeden mit zehn Kronen, und machte sie gar fröhlich mit dem Gelde. Wie nun alles vorüber war, ritt der König wiederum heim. Als er in seinen Palast trat, kam ihm die Königin entgegen. Der erzählte er, wie ihm Andolosia ein so herrliches Mahl gegeben hätte, bei dem mit eitel Gewürz statt des Holzes gekocht worden sei, und wie freigebig er seine Diener beschenkt



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habe. Ihn wunderte, von wannen ihm soviel Geld käme; denn da würde an kein Sparen gedacht; länger es währe, je köstlicher sei es. Die Königin sprach: "Ich wüßte niemand, der das besser erfahren könnte als unsere Tochter Agrippina. Der ist er so hold, und ich bin überzeugt; was sie ihn auch fragen mag: er versagt es ihr nicht." — "Nun, so wende Fleiß darauf, daß es geschieht!"sagte der König. Sobald nun die Königin in ihre Frauengemächer kam, beruft sie ihre Tochter allein zu sich, schilderte ihr das kostbare Leben, das Andolosia führe: "Des verwundert sich der König", sprach sie, "und ich mich selber, von wannen ihm so großes Gut komme, da er doch weder Land noch Leute hat. Nun ist er dir gar hold, das spüre ich an seinem ganzen Wesen; wenn er das nächstemal zu uns kommt; so will ich ihm mehr Weile als sonst lassen, mit dir zu reden. Vielleicht könntest du von ihm erfahren, woher ihm das viele Geld komme." Agrippina erwiderte: "Ja, Mutter, ich will es versuchen!"

Sowie nun Andolosia wieder zu Hofe kam, wurde er gar schön empfangen und bald in die Frauengemächer gelassen. Er empfand darüber große Freude, und die Sache war so eingeleitet, daß er allein mit der schönen Agrippina zu reden kam. Da fing Agrippina an und sprach: "Andolosia, man rühmt überall von Euch, daß Ihr dem Könige eine so köstliche Mahlzeit gegeben, auch alle seine Diener mit großen Gaben beehrt habt: nun saget mir doch, habt Ihr nicht Sorge, daß Euch das Geld gebrechen möchte?" Er antwortete: "Gnädigste Frau, mir kann kein Geld zerrinnen, solange ich lebe." —"Nun", sagte Agrippina, "da dürftet Ihr billig den Himmel für Euren Vater bitten, der Euch solche Genüge gönnet!" —Andolosia sprach: bin so reich als mein Vater, und mein Vater war nie reicher, als ich jetzt bin. Aber er hatte ein anderes Gemüt als ich; ihn freute es nur, fremde Lande zu sehen, mich aber erfreuet nichts, als schöne Frauen und Jungfrauen, wenn ich deren Liebe und Gunst erlangen könnte." — "Soviel ich höre", sagte Agrippina, "seid Ihr an der Könige Höfen gewesen; habt Ihr denn nichts gesehen, das Euch gefallen hätte?" — "Ja", sprach er, "ich habe an sechs Königshofen gedient, habe manche schöne Frauen und Jungfrauen gesehen, aber; gnädigste Prinzessin, Ihr übertreffet sie alle weit an Schönheit, würdigem Wandel und lieblichen Gebärden, womit Ihr mein Herz also in Liebe entzündet habt, daß ich Euch nicht lassen kann. Ja, ich muß Euch die große unselige Liebe, die ich zu Euch trage, bekennen. Ich weiß, es ist ein Unsinn, Eure Liebe zu begehren da ich von Adel nicht so hoch geboren bin wie Ihr. Aber eine übermenschliche



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Gewalt zwingt mich, Euch doch darum zu bitten; ja, ich flehe, wollet sie mir nicht versagen; was Ihr alsdann von mir bitten möget, das soll Euch auch gewähret werden."

Darauf sprach Agrippina: "Andolosia, so sage mir die lautre Wahrheit , daß ich wissen möge, woher dir dieser Reichtum und das viele bare Geld komme. Wenn du mir dieses sagst, so wird sich dir mein Herz zuneigen!" Andolosia war unbeschreiblich froh; mit frohem Mute und aus freudenreichem Herzen sprach er ihr: "Allerliebste Agrippina, ich will Euch mit ganzen Treuen die Wahrheit berichten; aber gelobet mir auch, das, was Ihr mir zugesagt, mit aller Treue zu halten!" —"Oh, du liebster Andolosia", antwortete sie, "du sollst an meiner Liebe nicht zweifeln; was ich dir mit dem Munde verhieß, soll alles mit der Tat gehalten werden ." Auf diese gütigen Worte der Jungfrau zögerte Andolosia nicht länger mit seiner Entdeckung. "Macht einen Schoß mit Eurem Kleide",



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sprach er, zog seinen glückhaften Säckel heraus, ließ ihn Agrippinen sehen und sagte: "Solange ich diesen Säckel habe, gebricht es mir an Gelde nicht!" Und unter diesen Worten fing er an, ihr tausend Kronen in den Schoß zu zählen, und sprach: "Die seien Euch geschenkt, und wollt Ihr mehr haben, so zähle ich noch weiter." Agrippina rief: "Ja, ich sehe und erkenne die Wahrheit. Jetzt wundert mich Euer kostbares Leben nicht mehrt Und nun soll Euch mein Wort gehalten sein. Der König und die Königin sind diesen Abend nicht im Schlosse. So will ich es mit meiner Kämmrerin, ohne welche ich nichts tun kann, verabreden, daß ich Euch bei mir in meinem Gemache empfange, da wollen wir eine Stunde in lieblichen Gesprächen verbringen. Aber der Kämmrerin müßt Ihr auch ein schönes Geschenk machen, damit es fein verschwiegen bleibt."

Andolosia versprach dies unter dem Jauchzen seines Herzens und entfernte sich. Sobald er hinweggegangen war, lief Agrippina zu der Königin, ihrer Mutter, und sagte ihr mit großem Jubel, was sie erfahren hatte. Sie erzählte ihr auch, wie sie dem Andolosia verheißen hätte, ihn diesen Abend zu empfangen. Das alles gefiel der Königin wohl; sie fragte ihre Tochter: "Weißest du wohl noch, Kind, was für eine Gestalt, Farbe und Größe der Säckel hat?" Sie sprach: "O ja." Und auf der Stelle schickte die Königin nach einem Säckler und ließ einen Säckel verfertigen ganz nach ihrer Tochter Beschreibung; das Leder machten sie recht linde, wie wenn der Beutel schon alt wäre. Alsdann sandte die Königin auch nach einem Doktor der Arzneikunde und hieß ihn ein starkes Getränke bereiten, dessen Genuß in einen so tiefen Schlaf versenkte, als ob der Mensch, der es getrunken, tot wäre. Als der Trunk bereitet war, trugen sie ihn in das Frauengemach Agrippinas und unterwiesen die Kammermeisterin, wenn des Abends Andolosia vor die Pforte käme, ihn aufs schönste zu empfangen und in der Prinzessin Zimmer einzuführen. Hier sollte ihm köstliche Speise vorgesetzt und zuletzt der Trank in seinen Becher geschüttet werden.

Andolosia kam in der Abenddämmerung aufs heimlichste herbeigeschlichen und wurde sofort in Agrippinas Zimmer geführt. Diese kam, grüßte ihn holdselig und setzte sich neben ihn. Da sprachen sie die liebreichsten Worte miteinander; süsse Speisen in Fülle wurden aufgetragen und ein goldener Pokal voll eingeschenkt. Diesen ergriff Agrippina, hub ihn auf, neigte sich gegen Andolosia und sprach zu ihm: "Andolosia, ich bringe Euch einen freundlichen Trunk." Er erhub sich, faßte den Becher mit Begierde und trank nach Herzenslust, um der Geliebten recht zu Willen zu sein. So



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brachte sie ihm einen Trunk nach dem andern dar, bis er den ganzen Trank des Doktors ausgetrunken hatte; sobald er aber fertig war, mußte er sich niedersetzen und verfiel in einen so tiefen Schlaf, daß er gar keine Empfindung mehr hatte, wie man mit ihm umging. Als Agrippina dieses sah, ergriff sic ihn ohne Bedenken, riß ihm das Wams vom Leibe, trennte ihm seinen glückhaften Säckel ab und nähte den andern, nachgemachten an seine Stelle hin.

Am andern Morgen frühe brachte Agrippina den Säckel der Königin, und sie versuchten ihn, ob er auch der rechte wäre. Mit dem ersten Griffe zogen sie zehn Goldkronen aus dem Ledersack, und nun zählten sie soviel Goldgulden heraus, als sie wollten; da war kein Mangel. Die Königin brachte dem König einen Schoß voll Gulden und erzählte ihm, wie sie mit Andolosia verfahren seien. Der König hatte ein großes Verlangen nach dem Säckel und bat seine Gemahlin, die Tochter dahin zu bewegen, daß sie denselben ihrem Vater einhändige, auf daß er nicht verlorengehe. Die Königen tat dies, aber Agrippina wollte ihn ihrem Vater nicht geben. Da bat die Mutter sie, wenigstens ihr den Säckel anzuvertrauen. Aber Agrippina wollte auch dieses nicht tun. Sie habe ihr Leben daran gewagt, erklärte sie; denn wenn er erwacht wäre, so würde er sie erschlagen haben. Darum gehöre der Glückssäckel auch billig ihr selber.



***
Als Andolosia ausgeschlafen hatte und erwachte, war es heller Morgen. Er sah niemand um sich als die alte Kammermeisterin. Diese fragte er, wo denn Agrippina hingekommen wäre. "Sie ist eben erst aufgestanden", erwiderte die Alte, "meine gnädige Frau, die Königin, hat nach ihr gesendet . Aber, mein Herr, wie habt Ihr so hart geschlafen? Ich habe lange an Euch geweckt, damit Agrippina sich noch Eures holden Gespräches erfreuen könnte, aber ich konnte Euch nicht aufwecken. Wahrhaftig, Ihr habt so fest geschlafen, daß ich gar nicht empfand, ob Euch der Atem noch ging. Mir war ganz bange, Ihr möchtet gar tot sein!" Als Andolosia hörte, daß er die Gegenwart der schönen Agrippina verschlafen, fing er an zu schwören und sich selbst zu fluchen. Die Kammermeisterin wollte ihn beruhigen und sprach zu ihm: "Gebärdet Euch doch nicht so trostlos; es ist ja der letzte Abend nicht gewesen, und es wird wohl wieder eine ruhige Stunde kommen, wo Ihr Eure Geliebte sprechen könnet!" Aber Andolosia verwünschte sie. "Ich schlafe niemals so fest", sagte er, "wenn man mich nur mit dem Ellbogen anstößt, so wache ich auf." Sie aber schwur ihm, daß sie ihn nicht habe erwecken können, und gab ihm die besten


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Worte; denn er hatte ihr am Abende zweihundert Kronen geschenkt. Und so führte sie ihn besänftigend aus Agrippinas Zimmer und aus des Königs Palaste.

Nun hätte der König auch gerne einen solchen Säckel gehabt; denn er meinte, Andolosia müßte deren mehrere besitzen; er wäre sonst doch ein gar zu großer Narr gewesen, wenn er ihn nicht besser verwahrt hätte. Er wollte daher wieder bei Andolosia speisen und lud sich bei demselben zu Gaste. Als dieser es vernahm, gab er seinem Diener von dem vorhandenen Gelde drei- oder vierhundert Kronen, um das Haus mit dem Notwendigen zu versehen, und befahl ihm, ein köstliches Mahl zuzubereiten; denn der König wolle abermals mit ihm essen. Der Diener sagte: "Herr, ich sehe voraus, daß ich nicht Geldes genug haben werde; denn es kostet viel." Andolosia, der nicht guten Mutes war, riß sein Wams auf und zog seinen Säckel heraus, wollte seinem Diener noch vierhundert weitere Kronen geben. Aber als er nach seiner alten Gewohnheit in den Säckel griff, spürte er nichts in seiner Hand. Er sah gen Himmel auf, dann von einer Wand zu der andern; er kehrte dem Geldsäckel das Innere nach außen: da war kein Geld mehr. Nun kam er in Angst und Not und gedachte an die Lehre, die sein Vater Fortunat ihm und seinem Bruder so treulich auf dem Todbette gegeben hatte, daß sie, solange sie lebten, niemand von dem Säckel sagen sollten. Aber es war versäumt; alle seine Hoffart war jetzt aus.

Da berief er alle seine Knechte, gab ihnen Urlaub und sprach: "Es ist wohl nun bald zehn Jahr, daß ich euer Herr bin; ich habe euch auch alle ehrlich gehalten und keinem je mangeln lassen, bin keinem etwas schuldig; ihr seid ja alle vorausbezahlt. Nun ist die Zeit gekommen, daß ich nicht mehr hofhalten kann, wie ich bisher getan habe; ich sage euch deswegen des Gelübdes, das ihr mir getan, ledig und los; tue ein jeder, was ihm das beste dünkt; ich kann hier nicht mehr bleiben, ich habe kein Geld mehr außer hundertundsechzig Kronen! Davon schenke ich jedem von euch zwei; überdies mag jeder Roß und Hamisch zu eigen behalten!" Über diese Rede erschraken die Diener allzumal sehr; einer sah den andern an; es nahm sie groß wunder, wohin die Pracht ihres Herrn auf einmal gekommen wäre. Doch sagte einer: "Getreuer, lieber Herr! Hat jemand Euch etwas Widriges getan, so gebt es uns zu erkennen. Wer es getan hat, der müsse sterben, und wäre es der König selbst, und sollten wir unser Leben darüber verlieren!" —"Nein", sprach Andolosia, "um meinetwillen soll niemand fechten!" — "So wollen wir nicht von Euch scheiden; sondern wir wollen Rosse, Harnische und alles, was wir haben, verkaufen und Euch



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nicht verlassen, lieber Herr!" —"Ich danke euch allen für eure Anerbietungen, ihr frommen Diener", antwortete Andolosia; "wenn sich das Glück wieder zu mir kehrt, soll euch das alles reichlich vergolten werden. Jetzt aber tut, wie ich euch gesagt habe, und sattelt mir von Stund an mein Pferd; ich will nicht, daß einer von euch mit mir reite oder gehe!" Die Knechte waren traurig, es war ihnen leid um ihren braven Herrn, bei dem sie soviel guten Mut eingenommen hatten. Doch brachten sie ihm sein Pferd, und er nahm von ihnen allen Urlaub, saß auf und ritt fürbaß und reiste über Land und Meer den nächsten Weg nach Famagusta zu seinem Bruder Ampedo.


***
Als er vor den schönen Palast zu Famagusta kam, klopfte er an und ward auf der Stelle eingelassen. Und wie Ampedo vernahm, daß sein Bruder Andolosia gekommen sei, so wurde er froh; meinte nicht anders, als er dürfe nun auch seine Freude an dem Säckel haben und brauche forthin nicht mehr zu sparen, wie er zehn Jahre lang getan hatte. Er ging deswegen dem Bruder entgegen und empfing ihn mit herzlicher Freude; fragte ihn jedoch, warum er so allein käme, und wo er sein Volk gelassen habe. Er sagte: "Ich habe sie alle entlassen, und gott
lob, daß ich selbst wiederheimgekommen bin!" — "Lieber Bruder", sprach Ampedo, "wie ist es dir doch ergangen? Sage mir; denn das gefällt mir übel, daß du so allein gekommen biss!" — "Laß uns vorher essen", antwortete Andolosia. Nachdem sie nun die Mahlzeit vollbracht hatten, gingen sie miteinander in eine Kammer; da blickte Andolosia seinen Bruder Ampedo mit trauriger Gebärde an und sprach: "Oh, allerliebster Bruder, ich muß dir leider viel böse Mär verkünden; ich bin übel gefahren; ich bin um den Glückssäckel gekommen. Ach Gott, jetzt ist mir's herzlich leid; aber ich kann es nicht anders machen!"

Ampedo erschrak aus dem ganzen Grunde seines Herzens und fragte mit großem Jammer: "Ist er dir mit Gewalt genommen worden, oder hast



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du ihn verloren?" Er antwortete: "Ich habe das Gebot, das uns unser treuer Vater als Vermächtnis hinterließ, übergangen und einer geliebten Frau davon gesagt; und sobald ich ihr's geoffenbart, so hat sie mich darum gebracht; dessen ich mich doch nicht zu ihr versehen hatte!" —"Ach, hätten wir das Gebot unsers Vaters gehalten!" sprach Ampedo, "so wären die Kleinode nicht voneinander gekommen. Du aber wolltest durchaus fremde Lande versuchen; sieh nur, wie gut du es mit dir selber gemeint hast, und wie sie dir bekommen sind!" Andolosia aber seufzte und sprach: "O lieber Bruder, es ist mir ein so großes Herzeleid, daß ich meines Lebens überdrüssig bin!" Als Ampedo diese Worte hörte, wollte er ihn trösten und sagte: "Lieber Bruder, laß es dir nicht so hart zu Herzen gehen; wir haben noch zwei Truhen voller Dukaten; dann haben wir ja auch das Hütlein. Laß uns darum dem Sultan schreiben; er gibt uns gewiß noch immer großes Gut dafür; dann haben wir genug, solange wir leben; darum, Bruder, schlage dir den Säckel aus dem Sinn!" Aber Andolosia sprach: "Von gewonnenem Gut ist schwer scheiden; mein Begehren wäre, du gäbest mir das Hütlein; dann lebte ich der Hoffnung, den Säckel auch damit wiederzugewinnen!" — Ampedo machte große Augen zu diesem Vorschlag und sagte: "Im Sprichwort heißt's: ,Wer sein Gut verliert; der verliert den Sinn. ' Das spüre ich an dir wohl, Bruder! Denn nachdem du uns um das Gut gebracht hast; möchtest du uns auch gern um das Hütlein bringen. Wiewohl, mit meinem Willen laß ich es dich nicht hinwegführen. Kurzweil magst du immerhin damit haben!" — "Gut", dachte Andolosia, "ich sehe schon, daß ich es anders angreifen muß!" — "Nun, mein getreuer, lieber Bruder", sprach er, "habe ich auch vorhin übelgetan, so will ich doch von nun an deinem Willen leben!"

Darauf schickte er des Bruders Knechte in den Forst, ein Jagen anzurichten ; er selbst wollte ihnen bald nachkommen. Als sie weg waren, sagte Andolosia: "Lieber Bruder, leih mir das Hütlein; ich will in den Forst." Der Bruder war willig und brachte das Hütlein. Aber sobald Andolosia dieses auf dem Kopf hatte, ließ er Forst Forst und Jäger Jäger sein und wünschte sich stracks nach Genua. Hier fragte er nach den besten und köstlichsten Kleinoden, die zu finden waren, und hieß sie in seine Herberge bringen. Da man ihm nun deren viele brachte, marktete er lang darum; endlich legte er sie in ein Tuch zusammen, als wollte er proben, wie schwer sie wären. Dann setzte er sein Hütlein auf und fuhr mit ihnen davon, unbezahlt . "Ich will sie schon bezahlen, wenn ich den Säckel wiederhabe", , dachte er. Und wie er es in Genua gemacht hatte, so machte er es zu Florenz



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und nachher zu Venedig. So brachte er die köstlichsten Kleinode der drei Städte zusammen ohne Geld. Und als er sie alle hatte, zog er gen London in England.

Andolosia wußte, von welcher Seite her die Prinzessin Agrippina zur Kirche kam. Er bestellte daher eine Bude an derselben Straße und legte da seine Kostbarkeiten aus. Auch währte es nicht lange, so erschien die Prinzessin und viele Mägde und Knechte vor und hinter ihr, auch die alte Kammermeisterin, die ihm den Schlaftrunk gereicht hatte. Andolosia erkannte die wohl, sie aber nicht ihn; das machte: er hatte eine andere Nase auf die seinige gesetzt, die war so abenteuerlich gemacht, daß ihn niemand erkennen konnte. Als nun Agrippina vorüber war, nahm Andolosia zwei schöne Ringe und beschenkte die alten Kammermeisterinnen, die stets um Agrippina waren, und bei denen sie sich Rats erholte. Er bat sie, es doch zuwege zu bringen, daß man nach ihm sende; dann wolle er so köstliche Kleinode mitbringen, wie sie gewiß noch keine gesehen hätten. Sie sagten ihm zu, solches zu vermitteln. Und wie die Prinzessin aus der Kirche kam, zeigten sie ihr die zwei hübschen Ringe und erzählten ihr, der Edelsteinkrämer, , der vor der Kirche gestanden, habe sie ihnen geschenkt, mit der Bitte, ihn zu beschicken; denn er habe eine Auswahl der köstlichsten Juwelen. "Das will ich wohl glauben", sagte die Prinzessin, "wenn er euch zwei so gute Ringe umsonst gegeben hat! Heißet ihn nur herkommen; mich verlanget sehr, seine Schätze zu schauen."



***
Auf der Stelle wurde Andolosia beschieden, kam und legte seine Kleinode in einem Saale vor Agrippinas Zimmer aus. Sie gefielen der Prinzessin gar sehr, und sie fing an, um diejenigen zu feilschen, die ihr am meisten in die Augen leuchteten. Nun waren Juwelen darunter; die tausend Kronen wert waren und noch viel mehr. Sie bot ihm aber nicht das halbe Geld darum. Der verkappte Juwelier sprach: "Gnädige Prinzessin, ich habe oft gehört, daß Ihr die reichste Königstochter auf der ganzen Erde seid, und darum habe ich die schönsten Kleinode ausgesucht; die man finden mag, um sie Eurer Königlichen Hoheit bringen; aber Ihr bietet mir viel zu wenig darum; sie kosten mich sicher mehr; ich bin Euch mit denselben so lange nachgereist mit großen Sorgen; denn ich fürchtete wegen der Schätze, die ich bei mir trug, ermordet zu werden! Leget doch zusammen , was Euch gefällt, gnädigste Frau, ich will es dann so billig machen, als ich es erleiden kann." So las sie denn aus, was ihr am besten gefiel, große und kleine, wohl zehn Stück. Der Juwelier rechnete zusammen;


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es machte bei fünftausend Kronen; aber so viel wollte sie ihm nicht geben. Andolosia dachte: "Nun, ich will mich nicht mit ihr herumstreiten , brächte sie nur den Säckel!" und so wurden sie des Kaufes eins um viertausend Kronen.

Die Prinzessin nahm die Kleinode in ihren Schoß, ging in ihre Kammer über ihren Kasten, wo der Glückssäckel aufgehoben war, und steckte ihn vorsichtig in ihren Gürtel; dann kam sie heraus und wollte die Edelsteine bezahlen: da wußte es der falsche Juwelier so einzurichten, daß sie neben ihn zu stehen kam, und als sie anhub zu zählen, umfing er sie und faßte sie mit starkem Arm; das Wünschhütlein hatte er auf dem Kopf; so wünschte er sich mit ihr in eine wilde Wüste, wo gar keine Wohnung wäre.

aum hatte er den Wunsch gedacht; so waren sie durch die Luft geflogen und kamen auf einer armseligen Insel, die am hibernischen Gestade liegt, unter einem Baume an, der voll schöner Apfel hing. Und als die Fürstin unter dem Baume saß, und die Kleinode, die sie gekauft hatte, noch in ihrem Schoße lagen und der Glückssäkkel in ihrem Gürtel, so sieht sie über sich und sieht so viele schöne Apfel zu ihren Häupten. Da sprach sie zu dem Juwelier: "Ach Gott, sage mir, wo sind wir, und wie sind wir hierhergekommen? Ich bin so schwach; gäbest du mir doch einen von diesen Äpfeln, daß ich mich erlaben möchte!" Sie wußte aber noch immer nicht; daß es Andolosia sei, mit dem sie sprach. Nun legte dieser auch die Kleinode,
die er selbst bei sich hatte, ihr in den Schoß, und das Wünschhütlein setzte er ihr auf den Kopf, damit es ihn am Besteigen des Baumes nicht hindern sollte. Während er den Baum hinaufkletterte, um zu sehen, wo


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.besten Apfel hingen, saß Agrippina unter dem Baume und wußte nicht, wo sie war, noch was ihr geschehen; sie fing an zu seufzen und sprach: "Ach, wollte Gott; daß ich wieder in meiner Schlafkammer wäre!" Sobald sie dieses Wort gesprochen, fuhr sie durch die Lüfte und kam ohne allen Schaden wieder in ihre Schlafkammer. Der König und die Königin samt allem Hofgesinde wurden froh und fragten, wo sie denn gewesen, und wo der Juwelier sei, der sie entführt habe. Sie antwortete: "Ich habe ihn unter einem Baume gelassen; fraget mich nicht mehr; ich muß ruhen; denn ich bin ganz blöd und müde geworden."

Als Andolosia auf dem Baume saß und sehen mußte, wie Agrippina mit dem Hütlein und allen Kleinodien dazu, die er in den großen Städten aufgebracht, durch die Lüfte dahinfuhr, verfluchte er den Baum, die Früchte darauf und den, der ihn gepflanzt; und sprach weiter: "Verwünscht sei die Stunde, darin ich geboren ward, ja alle Tage und Stunden, die ich gelebt habe! O grimmer Tod, warum hast du mich nicht erwürgt, ehe ich in diese Angst und Not gekommen bin? Verflucht der Tag und die Stunde, wo ich Agrippina zuerst gesehen habe. Wollte Gott, daß mein Bruder in dieser Wildnis bei mir wäre: so wollte ich ihn erwürgen, und mich selbst an einen Baum hängen. Wenn wir dann beide tot wären, so hätte doch der Säckel keine Kraft mehr, und die Königin, die alte Unholdin, und das falsche und ungetreue Herz, Agrippina, könnte keine Freude mehr daran haben." Als er nun hin und her ging, wurde es so finster, daß er nicht mehr sah; da legte er sich unter den Baum und ruhte eine kleine Weile; er konnte aber vor Angst nicht schlafen und erwartete nichts anderes, als daß er in der Wildnis würde sterben müssen. So lag er da wie ein Verzweifelter, der lieber tot gewesen wäre, als länger gelebt hätte.



***
Sowie es Tag wurde, stand er auf und ging notdürftig vorwärts, konnte aber niemand sehen noch hören. Da kam er an einen Baum, auf welchem schöne rote Apfel hingen. Nun hungerte ihn sehr und in der Not warf er einen Stein nach dem Baum, daß zwei große Apfel herabfielen , die ass er behende. Aber kaum hatte er sie gegessen, siehe, da wuchsen ihm zwei große Hörner; wie eine Ziege hat. Er lief mit den Hörnern wider die Bäume und wollte sie abstoßen, aber es war alles vergebens. Deswegen schrie er mit lauter Stimme: "Oh, ich armer, elender Mensch, wie kommt's, daß so viele Leute auf der Welt sind, und doch niemand hier ist der mir helfe, daß ich wieder zu Menschen kommen könnte! O allmächtiger Gott, komm du mir in meinen großen Nöten zu Hilfe !"


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Wie er so jämmerlich schrie, hörte ihn ein Einsiedler, der wohl schon dreißig Jahre in dieser Wildnis gewohnt und seither keinen Menschen gesehen hatte. Der ging dem Geschrei nach, kam zu Andolosia und sprach: "Du armer Mensch, wer hat dich hergebracht, oder was suchst du in dieser Einsamkeit?" — "Lieber Bruder", antwortete jener, "mir ist wohl leid, daß ich hergekommen bin!" Der Bruder aber sprach: habe in dreißig Jahren keinen Menschen gesehen noch gehört; ich wollte, du wärest auch nicht hiehergekommen." Andolosia war halb ohnmächtig; er fragte den Waldbruder, ob er nichts zu essen hätte. Der Einsiedler führte ihn in seine Klause, aber da war weder Brot noch Wein; er hatte gar nichts als Obst und Wasser, davon lebte er. Das war keine Speise für Andolosia . Jener aber sprach zu ihm: "Ich will dich an einen Ort weisen, wo ou Speise und Trank genug findest." Bald darauf fragte Andolosia: "Lieber Bruder; was soll ich denn mit den Hörnern anfangen, die ich habe? Man wird mich für ein Meerwunder ansehen!" Der Einsiedler aber führte ihn wenige Schritte Wegs von seiner Klause, brach von einem andern Baum zwei Apfel und sprach: "Lieber Sohn, nimm hin und iss diese!" Sobald Andolosia die Apfel gegessen, waren die Hörner gänzlich verschwunden. Als er dies sah, fragte er, wie es denn gekommen, daß



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er so schnell Hörner gekriegt und ihrer so schnell wieder losgeworden sei. Da sprach der Bruder: "Der Schöpfer, welcher Himmel und Erde geschaffen, und alles, was darin ist, hat auch diese Bäume gemacht und ihnen die Natur gegeben, daß sie solche Frucht bringen müssen, und ihresgleichen ist auf der ganzen Erde nicht; sie wachsen nur in dieser Wildnis." "O lieber Bruder", sagte Andolosia, "erlaubt mir, daß ich einen und den andern von diesen Äpfeln mit mir nehmen und hinwegtragen darf!" Der Waldbruder erwiderte: "Lieber Sohn, nimm dir, soviel dir beliebig ist; frage mich nicht; sie sind nicht mein, ich habe gar nichts Eigenes denn meine arme Seele; wenn ich diese dem Schöpfer, der sie mir gegeben hat; wieder überantworten kann, so habe ich wohl gestritten in dieser Welt. Ich kann an dir wohl merken, daß dein Sinn und Gemüt schwer beladen und mit zeitlichen und vergänglichen Sachen umfangen ist; schlage sie aus und kehre dich zu Gott; es ist ein großer Verlust um eine kleine Wollust, die einer an diesem vergänglichen Leben hat!"

Diese Worte des heiligen Mannes gingen Andolosia gar nicht zu Herzen ; er dachte nur an seinen großen Schaden und pflückte mehrere Apfel, welche Hörner wachsen machten, und auch etliche, von welchen sie vergingen. Dann sprach er zu dem Bruder: "Jetzt weiset mich auf den Weg zu Menschenkindern." Da führte ihn der Einsiedler auf einen Pfad und sagte: "Gehet gerade vorwärts, so kommt Ihr zu einem Dorfe, wo Ihr zu essen und zu trinken findet!" Er dankte dem Bruder von Herzen, beurlaubte sich von ihm und kam zu dem Dorfe. Dort ass und trank er und gelangte wieder zu Kräften. Dann fragte er nach dem Wege gen London in England, aber es wurde ihm gesagt, daß er noch in Hibernien oder Irland sei; er müßte erst nach Schottland hinüber, dann weit zu Lande reisen, dann käme erst England, und es sei noch gar weit von der Grenze bis London.

Als Andolosia hörte, daß er so fern von der Stadt London war, wurde er unmutig, daß er so lang unterwegs sein sollte; er fürchtete, die Apfel möchten Schaden leiden. Da nun die Leute merkten, daß er gern bald nach London gekommen wäre, zeigten sie ihm eine große Stadt, die ein Seehäfen war, wohin Schiffe aus England, Flandern und Schottland kämen. Er machte sich auf der Stelle nach der Stadt auf; daselbst fand er ein Schiff, das nach London fuhr, und kam schnell und mit gutem Glücke hin. Zu London ließ er sich ein Auge verkleistern und setzte falsches Haar auf, so daß er ganz unkenntlich ward. Dann nahm er ein Tischchen und setzte sich vor die Kirche, wieder an die Seite, von der er wußte, daß



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Agrippina, die junge Fürstin, vorbeikommen würde. Da legte er die Apfel auf ein schönes weißes Tuch und rief: "Wer kauft Apfel aus Damaskus?" und wenn ihn jemand fragte, wie teuer er einen gebe, so sagte er: "Um drei Kronen!" Da ging jedermann vorüber, und es wäre ihm auch leid gewesen, wenn sie jemand gekauft hätte. Indem kommt die Königin mit ihren Jungfrauen und Dienern, auch ihrer Kammermeisterin Da ruft er abermals: "Kauft Apfel aus Damaskust" Die Prinzessin fragte: "Wie gibst du einen?" Er sagte: "Um drei Kronen!" — "Was haben sie doch für eine Kraft, daß du sie so teuer bietest?" fragte sie. "Sie geben einem Menschen Schönheit", sagte er, "und helle Vernunft!" Als die junge Königstochter dies hörte, befahl sie ihrer Kammermeisierin , zwei zu kaufen. Darauf legte Andolosia seinen Kram wieder zusammen; denn niemand wollte ihm mehr abkaufen.

Sobald die Prinzessin heimgekommen war, wartete sie nicht lange, sondern ass die zwei Apfel. Aber sobald sie sie gegessen hatte, von Stund an wuchsen ihr zwei große Hörner unter heftigem Kopfweh, so daß sie sich auf ihr Bett legen mußte. Als die Hörner geschossen waren, ließ der Schmerz nach; sie stand auf und trat vor einen Spiegel. Da sie nun sah, daß sie so ungestalt war und zwei hohe Hörner hatte, faßte sie dieselben mit beiden Händen und wollte sie herunterreißen. Da dies aber nicht ging, rief sie zwei edle Jungfrauen vom Hofe. Wie diese ihre Herrin so sahen, entfernten sie sich und gesegneten sich, als ob sie der böse Geist wäre. Die Prinzessin aber war so erschrocken, daß sie nicht reden konnte. Jene sprachen: "O gnädigste Frau, wie ist das ergangen, daß Eure adelige Person solche Mißgestalt empfangen hat?" Sie antwortete ihnen, daß sie es nicht wüßte; es sei wohl eine Plage von Gott. "Oder aber", sagte sie, "es kommt von den Äpfeln aus Damaskus, die mir der ungetreue Krämer zu kaufen gegeben hat. Nun helfet und ratet, ob ihr mich nicht der Hörner entledigen könnt!" Die jungen Mägdlein zogen nach Leibeskräften daran, und Agrippina litt es geduldig; es half aber nichts. Darüber wurde sie, je länger, je mehr bekümmert und sprach: "Ich elende Kreatur, was nützt es mir nun, daß ich eine Königstochter bin und die reichste Jungfrau, die auf Erden lebt; daß ich den Preis der Schönheit vor andern Weibern habe? Sehe ich doch jetzt einem unvernünftigen Tiere gleich. Wehe, daß ich geboren ward! Kann mir niemand von meiner Mißgestalt helfen, so will ich mich selbst in der Themse ertränken!" Eine ihrer obersen Jungfrauen tröstete sie und sprach: "Gnädigste Prinzessin, Ihr sollt nicht so verzagen. Habt Ihr die Hörner können bekommen,



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so müssen sie auch wieder verschwinden können! Schicket darum nach hochgelehrten Ärzten; es kann sein, die wissen und finden es geschrieben, aus welcher Ursache solches Gewächs entspringe, und womit es vertrieben werden mag."

Diese Rede gefiel der Prinzessin wohl, und sie sprach: "Saget nur niemand davon, und wenn jemand nach mir fragt, so saget, ich sei nicht wohl. Auch sollt ihr niemand zu mir lassen als die alte Kammermagd." Dann ließ sie eine besondere Umfrage bei den Ärzten tun und legte ihnen den Fall vor, daß einer Verwandten und Freundin der Prinzessin zwei Hörner gewachsen seien; ob diese zu vertreiben wären oder nicht. Die Arzte, die dies hörten, nahm es groß wunder, daß einem Menschen Hörner wachsen sollten; ein jeder begehrte mit großer Neugierde, die Person zu sehen. Die alte Kammermeisterin aber, die zu den Ärzten gesendet war, sprach: "Ihr könnet die Frau nicht sehen, es wäre denn, daß Ihr zu helfen wisset. Wer das kann, dem soll wohl gelohnet werden." Aber ihrer keiner war so beherzt, daß er es unternommen hätte, die Hörner zu vertreiben; denn sie hatten nie etwas der Art gehört, gelesen oder gesehen . Als die Arzte auf diese Weise die Sache ganz abschlugen, wurde die Botin verdrießlich und machte sich auf den Rückweg nach dem

Unterwegs begegnet ihr Andolosia, der hatte sich als einen Doktor angekleidet mit einem roten Scharlachrocke und einem großen roten Barett; auch hatte er sich durch eine große Nase entstellt. "Liebe Schaffnerin", sprach er zu ihr, "ich sehe, daß Ihr in drei Doktorshäuser gegangen seid. Habt Ihr ein Anliegen, so gebt mir's zu erkennen ; denn ich bin auch ein Doktor in der Arzneikunde; es müßte gar ein fremdes, großes Gebrechen sein, daß ich es mit Gottes Hilfe nicht zu vertreiben und den Menschen wieder gesund zu machen wüßte." Die Hofmeisterin dachte, Gott sei es, der ihr den Doktor zugewiesen habe, fing an und sagte ihm, daß einer namhaften Person das Unglück begegnet sei, zwei lange Hörner zu bekommen, die ihr aus dem Kopf herausgewachsen, Ziegenhörnem gleich. "Wisset Ihr der Person zu helfen", sprach sie, "so wird Euch wohl gelohnt werden; denn sie hat an Geld und Gut keinen Mangel." Der Doktor fing an, ganz freundlich zu lächeln, und sprach: "Die Sache kenne ich, verstehe auch die Kunst, Hörner ohne alles Weh zu vertreiben; — aber Geld kostet es. Ich weiß nämlich auch die Ursache, woher diese Hörner entspringen." — "Lieber herr Doktor", fragte die alte Kämmrerin, "woher kommt dies wunderliche Gewächs ?"



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Der Doktor antwortete: "Es kommt daher, wenn ein Mensch dem andern große Untreue tut und sich solcher Bosheit erfreut, diese Freude aber nicht öffentlich äußern darf. Dann muß es auf einem andern Wege ausbrechen, und ein solcher Mensch hat von Glück zu sagen, wenn es sich auf diese Weise nach oben ausstößt. Wäre es der Frau nicht ausgebrochen, so hätte sie sterben müssen; die Hörner wären nach innen gewachsen und hätten ihr das Herz abgestoßen. Es ist noch nicht zwei Jahre, daß ich an des Königs von Hispanien Hofe war; da hatte ein mächtiger Graf eine schöne Tochter von ganz zarter Komplexion, der waren zwei große Hörner geschossen, die ich ihr gänzlich vertrieben habe."

Als die Hofmeisterin die Rede von dem Doktor vernommen hatte, fragte sie ihn, wo er wohne; sie wolle bald wieder ihm kommen. "Ich habe noch kein Haus bestanden", erwiderte er, "ich bin erst seit drei Tagen hergekommen und wohne in der Herberge zum Schwan, dort möget Ihr nachfragen. Man nennt mich nur den Doktor mit der langen Nase, und wiewohl ich einen andern Namen habe, so kennt man mich doch am besten unter diesem." —



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Mit unaussprechlicher Freude ging die Hofmeisterin zu ihrer betrübten Fürstin nach Hause. "Gnädigste Frau", rief sie ihr entgegen, "seid fröhlich und wohlgemut; Eure Sache wird sich bald zum besten wenden!" Dann erzählte sie ihr, wie die drei Doktores sie ungetröstet hätten gehen lassen; darnach aber hätte sie einen gefunden, der habe sie wohl getröstet. Damit sagte sie ihr alle Dinge, die der Doktor mit ihr geredet, und wie er ihr zu helfen wisse, und wie er auch einer Gräfin geholfen habe. "Er hat mir auch gesagt", sprach die alte Kammermeisierin, "aus welcher Ursache solche Hörner entspringen, und ich mag's ihm wohl glauben!"

Die traurige Prinzessin lag auf dem Bett und sprach zu der hofmeisterin: "Warum hast du den Doktor nicht gleich mit dir hergebracht? Du weißt ja, daß ich, je eher, je lieber der Hörner loswäre! Geh wieder bald und führ mir ihn her; sag ihm, daß er alles mitbringen soll, was zur Sache gehört, und ja nichts spare; bring ihm auch die hundert Kronen da, und bedarf er mehr, so gib ihm, soviel er von dir begehrt!" Die Hofmeisterin tat alles dies, ging hin zu dem Doktor und sprach zu ihm: "Nun brauchet Euren Fleiß l Denn zu der Person, zu der ich Euch führen will, könnet Ihr nur bei nächtlicher Weile kommen und dürfet auch niemand davon sagen; denn ihre eigenen Eltern wissen es nicht." Der Doktor sprach: "Was dies betrifft, so seid ruhig; von mir soll es nicht auskommen; ich will mit Euch gehen, nur muß ich vorher in die Apotheke und kaufen, was zu der Operation vonnöten sein wird. Darum möget Ihr meiner hier harren oder in zwei Stunden wiederkommen." So ging der Doktor mit der großen ungestalten Nase in eine Apotheke; dort ließ er sich einen halben Apfel mit Zucker und Rhabarber überziehen, fügte wohlschmeckende Dinge hinzu, kaufte auch in eine Büchse ein wenig wohlschmeckender Salbe, nahm guten Bisam zu sich und kam wieder zu der Hofmeisterin, die sein auf der Straße wartete. Diese führte ihn bei Nacht zu der Prinzessin.

Agrippina lag auf ihrem Bette hinter den Umhängen und empfing ihn gar ohnmächtiglich, als ob sie nicht bei Kräften wäre. Der Doktor sprach: "Gnädige Frau, seid getrost, mit Gottes und meiner Kunst Hilfe soll Eure Sache bald gut werden. Nur richtet Euch auf und lasset mich Euren Schaden sehen und anfühlen, so kann ich Euch um so besser helfen!" Agrippina schämte sich sehr, daß sie die Hörner sehen lassen sollte. Doch setzte sie sich aufrecht im Bette hin. Der Doktor rührte die Hörner keck an und sprach: "Man muß um jedes Horn ein Säcklein aus einem warmen



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Pelz von einer Affenhaut binden, die will ich dann salben, und so muß man die Hörner fein warm halten." Alsbald bestellte die Kammermeisterin , daß ein alter Affe am Hof abgeschlachtet und die Haut gebracht würde; da wurden die zwei Säcklein nach des Arztes Rat gemacht. Dann fing dieser an, die Hörner mit dem Affenschmalz zu salben, zog ihr die pelzenen Säcklein über und sprach: "Gnädige Frau, was ich jetzo den Hörnern getan habe, das wird sie bald lind machen; sie müssen aber auch durch innerliche Mittel vertrieben werden; deswegen habe ich eine Latwerge mitgebracht, die werdet Ihr essen und ein Schläflein darauf tun; so werdet Ihr gewahr werden, daß die Sache sich gar bald zur Besserung schicken wird."Agrippina tat wie eine Kranke, die gerne genesen wäre. Was ihr der Doktor gab, war jener halbe Apfel, der die Kraft hatte, die Hörner zu vertreiben. Die Beimischung aber wirkte in ihrem Leibe wie bei andern Kranken. Als sie nun wieder in ihrem Bette war, sprach der Doktor: "Lasset uns sehen, ob die Arznei schon gearbeitet habe", und griff nach dem Ende der Hörner, an die Pelzsäcklein; da waren jene um ein Vierteil geschwunden. Agrippina war den Hörnern so feind, daß sie dieselben nicht angreifen mochte; doch als man ihr sagte, wie sie geschwunden wären, griff sie daran und fand wirklich, daß sie kleiner geworden waren. Darüber freute sie sich sehr und bat den Doktor, eifrig fortzufahren. "Noch heute nacht komme ich wieder", sagte er, "und bringe, was not tut." Er beurlaubte sich und ging in die Apotheke, ließ wieder einen halben Apfel überziehen und ihm einen andern Geschmack geben; diesen brachte er bei Nacht der Prinzessin, salbte ihr die Hörner, ließ die Säcklein kleiner machen, daß sie recht anliegend wurden, und gab ihr den Apfel, worauf sie einschlief. Als sie wieder aufwachte; wurden die Hörner besehen; da waren sie abermals geschwunden und beinahe hinweggegangen. Hatte sie sich vorher gefreut, so war sie jetzt noch viel froher und bat den Doktor, nicht abzulassen, sie wollte ihm seine Arbeit gut belohnen. Er versicherte, das Beste tun zu wollen, und wie er die zwei Nächte getan hatte, so tat er auch die dritte.

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Während sie nun schlief und er bei ihr saß, da dachte er: "Zwei- oder dreitausend Kronen wären für einen andern Arzt ein großer Lohn, und doch ist es für gar nichts zu schätzen gegen das, was sie von mir hat. Darum, ehe ich ihr die Hörner vertreibe, will ich anders mit ihr reden und ihr meine Meinung ehrlich sagen; will sie es nicht tun, so irret sie sich, wenn sie glaubt, ich werde ihr die Hörner vertreiben. Dann will


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ich ihr eine Latwerge machen, daß sie ihr wieder so lang werden wie zuvor; und alsdann will ich gen Flandern fahren und ihr entbieten, wenn sie die Hörner loswerden wolle, so soll sie zu mir kommen und mitbringen, was ich von ihr verlange, nämlich mein Wünschhütlein, und überdies mir alle Jahre so viel geben, daß ich einem Herren gleich leben kann." Während er dies dachte, kam die Hofmeisterin mit einem Licht und wollte sehen, was die Prinzessin mache. Da schlief sie. Der Doktor hatte sein Barett abgezogen, da entfiel es ihm. Wie er sich nun bückte und dasselbe aufheben will, sieht er vorn unter der Bettstatt das Wünschhütlein auf der Erde liegen, auf das niemand achthatte, weil niemand seine Tugend kannte. Die Fürstin wußte auch nicht, daß sie durch die Kraft des Hütleins wiederheimgekommen sei, sonst würde sie es an einen andern Nagel gehenkt haben. Auf der Stelle schickte der Doktor die Kammermeisterin nach einer Arzneibüchse, und während sie diese holte, hub er das Hütlein im Augenblick auf, behielt es unter seinem Rock und dachte: "Nun könnte mir der Säckel auch werden!"Indem erwachte die Prinzessin und richtete sich auf. Der Doktor zog ihr die Säcklein von den Hörnern, da waren sie ganz klein, worüber die Prinzessin große Freude empfand. Die Kammermeisterin sagte: "ES ist noch um eine Nacht zu tun, so seid Ihr genesen; dann werden wir auch den mißgeschaffenen Doktor los mit seiner häßlichen Nase; der könnte einem alle Männer entleiden!"

Weil nun der Doktor das Hütlein hatte, dachte er, es wäre Zeit; mit Agrippina zu reden, und ließ die Worte fallen: "Gnädige Frau, Ihr sehet wohl, wie sehr sich Eure Sache gebessert hat. Nun kommt es hauptsächlich darauf an, die Hörner aus der Hirnschale zu treiben; dazu gehören köstliche Sachen, und wenn ich diese hier nicht finde, so muß ich selbst reisen oder einen Doktor darnach senden, der sich auf die Sache versteht ; darauf geht aber viel Geld, auch möchte ich gerne wissen, was Ihr mir zu Lohne geben wollet, wenn Ihr der Hörner ganz ledig werdet und Euer Kopf so glatt wird, als er je gewesen ist."Die Prinzessin sprach: "Ich finde wohl, daß Eure Kunst die rechte ist; ich bitte Euch, helfet mir und sparet kein Geld!" Der Doktor sprach: "Ihr sagt mir wohl, ich soll kein Geld sparen! Wenn ich aber keins habe?"Agrippina war karg, wiewohl sie den Säckel hatte, der nicht zu erschöpfen war; sie ging gemachsam über die Truhe, die bei ihrer Bettlade stand, und in der ihre liebsten Kleinode und auch der Säckel war, an einen starken Gürtel gebunden; den gürtete sie um den Leib, und ging zuvor zu einem Tische, der an einem schönen Fenster stand. Hier fing sie an zu zählen, und als sie bei dreihundert



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Kronen gezählt hatte, suchte der Doktor unter seinem Rock, als wenn er einen Beutel hervorholen wollte, darein er das Geld tun könnte, tat mit der einen Hand, als wenn er das Geld fassen wollte, mit der andern aber, die er im Rock hatte, erwischte er das Hütlein, warf das Barett von sich und setzte das Wünschhütlein auf den Kopf. Dann faßte er die Prinzessin und wünschte sich mit ihr in einen wilden Wald, wo keine Leute wären, und wie er solches wünschte, so geschah es von Stund an durch die Kraft des Hütleins.

Als Agrippina hinweggeführt war, lief die alte Kammermeisterin zu der Königin und erzählte ihr den Vorfall. Die Königin erschrak, doch dachte sie: "Wie meine Tochter das letztemal bald wiedergekommen, so wird es wohl jetzt auch geschehen. Überdies hat sie ja den Säckel mit sich genommen, so daß sie jedermann genug lohnen kann, daß man ihr wieder heimhilft!" So warteten sie den Tag und die Nacht. Als sie aber nicht wiederkam, fiel es der Königin auf ihr Mutterherz, daß sie um ihre schöne Tochter sollte so elendiglich gekommen sein; sie ging daher mit trauriger Gebärde zu ihrem Gemahl und erzählte ihm, wie alles ergangen, und wie der Doktor die Jungfrau hinweggeführt habe. Der König sprach: "Ja, freilich, das ist ein weiser Doktor; der kann mehr als andere Doktores;



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es ist niemand anders als Andolosia, welchen ihr so fälschlich betrogen habt! Ich hätte mir wohl denken können, wenn ihm der Himmel solches Glück verliehen hat, daß er ihm auch Weisheit verliehen haben werde. Das Glück will einmal, daß er den Säckel habe und sonst niemand; hätte das Glück es anders gewollt, so hätte ich oder sonst einer auch einen solchen Säckel. Viele Leute sind in England, und ist nur ein König darunter, das bin ich, weil solches mir von Gott und dem Glücke verliehen ist. Und ebenso ist es dem Andolosia allein verliehen, einen solchen Säckel zu haben, und sonst niemand. Hätten wir nur unsere Tochter wieder!" Die Königin sagte: "Herr, sende doch Boten aus, ob man sie nicht irgendwo erhaschen möchte, damit sie nicht in Armut und Elend komme." — "Boten sende ich keine aus", erwiderte der König, "denn es wäre eine Schande für uns, wenn es ruchbar würde daß wir sie nicht besser versorgt hätten"

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Als Andolosia mit Agrippina in der wilden Wüste allein war warf er den Doktorsrock gar untugendlich vor sich nieder, zog die häßliche Nase ab und trat gleich vor die schöne Agrippina. Diese erkannte ihn auf der Stelle und von ganzem Herzen, so daß sie kein Wort vorbringen konnte; denn er hatte die Augen im Kopfe verdreht, machte ein zornig Gesicht und gebärdete sich, als würde er sie alsbald umbringen. Auch zog er ein Messer hervor und schnitt ihr den Gürtel vom Leib, riß sein Wams auf und steckte den Säckel an den Ort, wo er ihn vorher gehabt hatte. Das alles sah die arme Jungfrau; vor Not und Angst erzitterte ihr schöner Leib wie ein Lindenlaub, mit dem der Wind spielt. Andolosia aber fing aus großem Zorn zu reden an und sprach: "Du falsches, ungetreues Weib, jetzt bist du mir zuteil geworden; jetzt will ich mit dir die Treue teilen, wie du sie mit mir geteilt hast, als du mir den Säckel abtrenntest und einen tugendlosen an die alte Stelle setzest. Du siehst, daß ich jetzt den rechten wieder an der alten Stelle habe. Jetzt helfe und rate dir deine Mutter und deine alte Kammermeisterin und heiße dich mir ein gut Getränke geben, damit du mich betrügest. Ja, und wären jene Unholdinnen beide bei dir, all ihre Kunst verhälfe ihnen doch nicht zu dem Säckel. O Agrippina, wie konntest du es übers Herz bringen, mir solche Untreue zu erzeigen, da ich dir so treu war! Ich hätte mein Herz und meine Seele, Leib und Gut mit dir geteilte Wie mochtest du einen so tapfern Ritter; der alle Tage dir zu Ehren turnierte und alles männliche Ritterspiel trieb, in so großes Elend bringen, ohne Erbarmen mit ihm zu haben!


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Ja, der König und die Königin haben mit mir ihren Fastnachtsschimpf getrieben; das hat mein Herz noch nicht vergessen. Hätte ich mich aus Verzweiflung erhenkt, so wärest du die Ursache gewesen, daß ich um Seele und Leib gekommen wäre. Nun sprich dir selbst dein Urteil; ist es nicht billig, daß ich mit dir dasselbe Erbarmen habe, das du mit mir gehabt hast?"

Agrippina war voll Schrecken und wußte nicht, was sie sagen sollte; sie sah gen Himmel auf und fing endlich mit bangem Herzen zu reden an: "O tugendreicher, strenger Ritter Andolosia! Ich bekenne, daß ich übel und unedel an Euch gehandelt habe; ich bitte Euch, wollet den Um verstand und Leichtsinn ansehen, der von Natur mehr den Weibern, jungen und alten, als dem männlichen Geschlechte eigen ist; wollet mir die Sache nicht zum schlimmsten kehren und Euren Zorn nicht an einer armen Tochter auslassen; tut Gutes für übels, wie sich für einen ehrsamen Ritter geziemt."Doch jener sprach: "Nein, der Schaden ist noch zu frisch in meinem Herzen, als daß ich dich ungewitzigt lassen könnte." Sit antwortete: "Ach, Andolosia, bedenket doch, was würde man von Euch sagen, wenn Ihr ein armes Weib, die mit Euch als Eure Gefangene in der Wildnis ist, bestrafen wolltet; das würde ein Flecken an Eurer strengen Ritterschaft sein!" Andolosia sprach: "Wohlan, ich will meinem Zorne widerstehen und gebe dir mein Ritterort; daß ich dich nicht verletzen will; aber ein Zeichen hast du noch von mir, das mußt du, soviel an mir liegt, bis in dein Grab behalten, damit du meiner eingedenk seiest!"Agrippina hatte bisher in solcher Angst um ihr Leben geschwebt, daß sie die Hörner, die ihr noch auf dem Kopfe standen, ganz vergessen hatte. Jetzt, als Andolosia sie der Sorge für ihr Leben enthoben hatte; kam sie wieder zu sich und sprach: "Oh, wollte Gott; daß ich meiner Hörner ledig und in meines Vaters Palast wäre!" Als Andolosia sie so wünschen hörte, lief er heran und zog das Wünschhütlein an sich, das nicht ferne von ihr auf der Erde lag; denn hätte sie es aufgehabt so wäre sie abermals heimgekommen. Er nahm das Hütlein und knüpfte es fest an seinen Gürtel. So konnte Agrippina wohl merken, daß sie das erstemal durch die Kraft des Hütchens gerettet worden war. Mit Seufzen dachte sie: "Nun hast du die beiden Kleinode in deiner Gewalt gehabt und nicht behalten können!" Doch durfte sie Andolosia ihren Zorn nicht merken lassen, sondern sie fing wieder an, ihn freundlich zu bitten, daß er sie der Hörner ganz entledigen und zu ihrem Vater bringen möchte. Er sprach aber kurzweg: "Du mußt die Hörner haben, dieweil du lebest! Aber ich will dich gerne



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so ,nahe an deines Vaters Palast führen, daß du ihn sehen kannst. Hinein jedoch komme ich nicht mehr!" Sie bat ihn zum andern und zum dritten Mal; es half aber alles nicht.

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Als Agrippina sah, daß kein Bitten bei Andolosia fruchtete, sprach sie: "Muß ich denn meine Hörner haben und so mißgestaltet bleiben, so begehre ich auch nicht, wieder nach England zurückzukehren, sondern ich wünsche, daß mich kein Mensch wiedersehe, selbst Vater und Mutter nicht. Darum führet mich an einen fremden Ort, wo mich kein Mensch erkenne ." — Andolosia aber sagte: "Dir wäre nirgends besser denn bei Vater und Mutter." Aber dies wollte sie nicht und sprach: "Führet mich



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in ein Kloster, daß ich von der Welt geschieden seil" Da fragte er: "Begehrest du das, und ist dir die Rede Ernst?" Sie antwortete: "Ja!" So rüstete er sich und führte sie gen Hibernien, ganz nah ans Ende der Welt; nicht weit von Sankt Patricius ' Fegfeuer, in ein großes und schönes Frauenkloster, in welchem nichts als Edelfrauen sind; hier ließ er sie auf offenem Felde sitzen, ging ins Kloster zu der Äbtissin und sagte zu ihr, er habe eine edle und ehrsame Tochter mitgebracht, die schön und gesund sei, außer daß ihr etwas an dem Kopfe angewachsen sei, dessen sie sich schäme, und weswegen sie nicht bei ihren Freunden bleiben wolle. "Sie begehrte an einem Orte zu sein", sprach er, "wo sie nicht bekannt wäre; wolltet Ihr sie aufnehmen, so würde ich Euch die Pfründe dreifach bezahlen."Hierauf erwiderte die Äbtissin: "Wer die Pfründe haben will, der muß zweihundert Kronen darum geben; denn ich halte einer jeden Pfründnerin eine Magd und gebe ihnen, was sie bedürfen. Wolltet Ihr nun wirklich die Pfründe dreifach bezahlen, so bringet mir die Tochter her!"

Andolosia ging hin und brachte Agrippina herbei. Die Äbtissin empfing sie, und die Fürstin dankte ihr gar züchtiglich; sie neigte sich so schön, daß die Äbtissin wohl sah, daß sie von edlem Stamm geboren wäre; auch ihre Gestalt gefiel ihr wohl; es erbarmte sie, daß eine so wohlgestaltete Tochter so verfluchte Hörner auf dem Haupte haben sollte. Sie sprach daher: "Agrippina, begehrest du hier in diesem Kloster deine Wohnung aufzuschlagen?" Sie antwortete gar demütig: "Ja, gnädige Frau Äbtissin!" Darauf sprach diese: "So wirst du mir gehorsam sein zur Mette und zu allen Zeiten in das Chor gehen und lernen, was du kannst?" Agrippina antwortete: "Was Eures ehrsamen Klosters Sitte, Gewohnheit und altes Herkommen ist, soll von mir alles gewissenhaft beobachtet werden." So zählte Andolosia der Äbtissin sechshundert Kronen dar und bat sie, sich die Jungfrau anempfohlen sein zu lassen. Diese sagte willig zu; denn sie war froh, soviel baren Geldes empfangen zu haben.

Andolosia nahm alsbald Urlaub von der Äbtissin, und diese sprach zu Agrippina: "Gehe, Kind, und gib deinem Freunde das Geleit." So ging sie mit ihm hinaus, und als sie an die Pforte kamen, sagte er zu ihr: "Nun segne dich Gottl Er erhalte dich gesund und lasse dich in diesem Kloster die ewige Freude erwerben!" Sie sprach amen; dann aber fing sie jämmerlich an zu weinen und sagte unter Schluchzen: "O strenger Ritter, denket doch mein in kurzer Zeit und erlediget mich; denn so



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lange ich die Hörner habe, bin ich weder tauglich der Welt noch Gott zu dienen!" Dem Andolosia gingen die Worte wohl zu Herzen; doch gab er ihr keine Antwort, als daß er sagte: "Was Gott will, das geschehe!" und ging damit seine Straße. Agrippina schloß betrübt die Pforte zu und kehrte zu der Äbtissin zurück; diese räumte ihr eine Kammer ein und eine Magd, ihr zu dienen. In dieser Zelle war die Jungfrau fast immer allein und diente Gott, so gut sie konnte, wiewohl ihr Gemüt nicht bei dem Gebete war.

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Als der Ritter von Agrippina geschieden war, fühlte er sich gar fröhlich, setzte sein Hütlein auf und wünschte sich von einem Lande zum andern , bis er gen Brügge in Flandern kam. Hier erholte er sich in fröhlicher Gesellschaft von seinen Drangsalen und rüstete sich wieder recht kostbar zu; er kaufte vierzig schöne Pferde, dingte viel guter Knechte, kleidete die alle in eine Farbe und fing wieder an, Ritterspiel zu treiben; er fuhr durch Deutschland und besah die schönen Städte, die im Römischen Reiche liegen. Dann eilte er nach Venedig, Florenz und Genua. In allen drei Städten sandte er nach den Kaufleuten, denen er die Kleinode weggenommen hatte, und bezahlte sie alle bar. Darnach setzte er sich mit Pferden und Knechten in ein Schiff und fuhr mit Freuden wieder nach Hause gen Famagusta zu seinem Bruder.

Wie Ampedo seinen Bruder so herrlich daherreiten sah, gefiel es ihm gar wohl. Und als sie miteinander in Freude getafelt hatten, nahm er seinen Bruder Andolosia, führte ihn in eine Kammer und fragte ihn, wie es gegangen wäre. Da erzählte ihm dieser alle Umstände, wie er zu dem Verluste des Säckels auch noch um das Hütlein gekommen sei. Ampedo erschrak so sehr, daß ihm die Sinne schwanden, ehe sein Bruder ausgesprochen hatte. Dieser brachte ihn aber wieder zur Besinnung und erzählte ihm dann weiter, wie er durch List wieder in den Besitz beider Kleinode gekommen sei. "Darum sei nicht traurig, Bruder", sagte er und band den Säckel vom Wamse ab, zog das Hütlein aus seinem Kleidersack legte ihm beide vor und sprach: "Lieber Bruder, nun nimm die Kleinode beide und laß dir damit wohl sein; habe deine Freude damit nach Herzenslust; ich will es dir von ganzem Herzen gönnen und nichts darein reden." Ampedo aber sprach: "Den Säckel begehre ich ganz und gar nicht. Ich sehe wohl: wer ihn hat, der muß zu aller Zeit Angst und Not haben; auch habe ich wohl gelesen, wie es unserm Vater löblichen Gedächtnisses gegangen ist." Als Andolosia diese Worte hörte, war er



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des Säckels gar froh und dachte: "Ich will ihm von meinem andern Unglück lieber gar nichts sagen, sonst möchte er gar zu Tode erschrecken!"

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Und nun fing er an, einen guten Mut zu zeigen mit Stechen, Rennen und Tanzen. Als er sich aber eine Weile zu Famagusta aufgehalten, ritt er mit seinem Zeug zu dem Könige von Zypern, um auch hier Kurzweil zu haben. Daselbst wurde er von dem Fürsten und seinem Hofe gar wohl empfangen. Der König fragte ihn, wo er so lange gewesen wäre. Er erzählte ihm, wie viele Königreiche er durchfahren. Da erkundigte sich der König, ob er nicht auch kürzlich in England gewesen sei. " , gnädigster König", sagte er. — "Der König von England", sprach der König von Zypern weiter, "hat eine schöne Tochter (ein einziges Kind, sie heißt Agrippina), die möchte ich meinem Sohne zur Gemahlin gönnen. Aber nun ist mir die Märe gekommen, daß die Tochter verlorengegangen sei. Sage mir, hast du nichts von ihr gehört, ob das wahr sei, oder ob sie wieder gefunden worden ist?" — "Gnädigster Herr", sagte Andolosia, "davon weiß ich Euer Gnaden wohl zu sagen. Es ist wahr, er hat eine schöne Tochter, eine sehr schöne Tochter. Aber durch Schwarzkunst ist sie nach Hibernien versetzt worden; dort lebt sie in einem Frauenkloster, und ich habe mit ihr geredet vor kurzer Zeit." —"Wäre es nicht möglich, daß sie wieder zu ihrem Vater käme?" fragte der König, "ich bin alt und möchte meinen Sohn und mein Königreich gerne versehen, ehe denn ich sterbe." Darauf antwortete Andolosia: "Gnädiger Herr König, Euch und Eurem Sohn zuliebe, der aller Ehren wohl wert ist, will ich in der Sache arbeiten und mit Gottes Hilfe die Königstochter bald wieder in ihres Vaters Palast schaffen." Der König bat ihn dringend, es zu tun und es sich Geld kosten zu lassen. Er wollte ihm und den Seinigen allen königlichen Dank zu erkennen geben. "Nun, gnädigster König", sagte Andolosia, "so rüstet eine ehrsame Botschaft aus und sendet sie vierzehn Tage nach mir ab. Gewiß findet diese die Jungfrau zu London in ihres Vaters Palast. Hat er sie Euch dann verheißen, so sendet er sie Euch redlich." Der König sprach: "Andolosia, guter Freund, so vollende deine Sache, daß kein Fehl daran sei; ich will eine prächtige Gesandtschaft abschicken; mache du nur; daß sie nicht vergebens seil" "Habt keine Sorge", sprach Andolosia, "aber lasset Euren Sohn abkonterfeien und sendet das Bild mit der Botschaft dahin! Ihr werdet sehen, der König und die Königin haben daran eine große Freude und werden um so begieriger sein, ihre schöne Tochter einem so schmucken Jünglinge zu geben!"


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Als der junge König vernahm, daß Andolosia ausgesendet werden sollte, für ihn um eine Gemahlin zu werben, verfügte er sich zu ihm und bat ihn aufs inständigste, recht ernstlich in der Sache zu wirken, damit er keine abschlägige Antwort erhielte; denn er hatte viel von der Schönheit und Vollkommenheit gehört, die an Agrippinen zu schauen wäre. Andolosia versprach es ihm willig, nahm Urlaub, ritt nach Famagusta zurück und bat seinen Bruder, ihm das Hütlein noch einmal leihen zu wollen; er werde bald wieder da sein. Ampedo war willig und ließ sich das Hütlein wieder nehmen. Seinem Zahlmeister aber befahl Andolosia, allen seinen Knechten gütlich zu tun; er selbst reise in die Fremde; wolle aber bald wiederkommen. Also nahm er das Hütlein und wünschte sich in die Wildnis, wo die Apfel standen, von denen die Hörner wuchsen und wieder verschwanden. Augenblicks war er dort und fand die Bäume voll schöner Apfel stehen. Nun wußte er nicht mehr, welches der schädliche, welches der heilsame Baum war; er kam ungerne daran, einen zu essen, und doch wollte er auch nicht ohne die Apfel wieder davon. Endlich nahm und ass er einen Apfel von dem einen Baume, da wuchs ihm ein Horn; dann einen vom andern, da verschwand es wieder. Von diesem nun nahm er etliche und fuhr mit ihnen hinweg nach Irland vor das Kloster. Hier klopfte er an, ward eingelassen, ließ sich vor die Äbtissin führen und fragte nach Agrippina ; denn er hätte etwas Heimliches mit ihr zu reden.

Die Äbtissin erkannte Andolosia beim ersten Gruße und sendete nach Agrippinen. Als diese kam, empfing sie den Ritter schlecht; denn sie wußte nicht, warum er gekommen war, und erschrak über seiner Erscheinung. Andolosia aber sagte: "Erlaubet, gnädige Frau, daß die Jungfrau ein weniges allein mit mir rede." Jene erlaubte es gerne; so ging er mit ihr an eine einsame Stelle und sagte zu ihr: "Agrippina, sind dir die Hörner noch ebenso zuwider, wie da ich von dir schied?-—"Ja", sprach sie, "und je länger, je mehr." —"Wohin stünde dir dein Sinn", fragte er, "wenn du ihrer quitt und ledig wärest?" — Sie sprach: "Wo sollte ich anders hin begehren als nach London zu meinen herzlieben Eltern?" — Darauf sprach Andolosia freundlich zu ihr: "Agrippina, Gott hat dein Gebet erhört; ; was du begehrst, wird dir gewähren'; damit gab er ihr einen Apfel zu essen, hieß sie ein wenig ruhen und dann wiederaufstehen; da ward sie der Hörner ganz ledig.



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Die Magd, die ihr zugegeben war, konnte ihr nun zum erstenmal die Locken flechten und das Haupt zieren; so geschmückt kam sie vor die Äbtissin, und da diese die Jungfrau so schön und schmuck sahe, rief sie den Frauen allen im Kloster, daß sie wundershalber die Novize sehen sollten, wie sie in kurzer Zeit also schön geworden und ihr die leidigen Hörner vergangen seien. Jedermann verwunderte sich. Da sprach Andolosia, der zugegen war: "Laßt es Euch nicht so groß wundernehmen; Gott vermag alle Dinge; wem er wohl will, wider den mag niemand sein. Wisset, Agrippina ist eine Fürstin und von königlichem Stamme geboren. Ich werde sie jetzt ihrem Vater und ihrer Mutter wieder überantworten. Ehe ein Monat vergeht; wird sie an einen Königssohn vermählt, und zwar an einen so schönen Jüngling, wie einer jetzt auf Erden nur leben mag."
Hierauf zahlte Andolosia der Äbtissin hundert Kronen aus, die er ihr und ihren Klosterfrauen zu guter Letzt hinterließ, dankte ihnen, daß sie Agrippinen so ehrlich gehalten; so dankte auch Agrippina gar züchtiglich; dann beurlaubten sie sich und verließen das Kloster. Sobald Andolosia ins Feld , rüstete er sich mit seinem Hütchen und führte die Prinzessin nach London vor des Königs Palast. Dann fuhr er selber wieder seiner Straße; denn er scheuete den Palast, in welchem ihm so große Untreue widerfahren war, und kehrte nach Famagusta zu seinem Bruder und seinen Dienern zurück.

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Der König und die Königin waren unglaublich froh, als sie Agrippinen wieder vor sich sahen, auch alle andere im Schlosse freuten sich mit großer Freude; es wurde ein herrliches Fest gegeben, daß die verlorene Tochter wiedergefunden war; und sie zierten die Prinzessin auf das allerköstlichste. Während sie nun so in Fröhlichkeit lebten, wurde dem Könige gemeldet; daß Boten kämen, vom Könige von Zypern ausgesendet; mit


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großem Gefolge, ihn um die Hand der jungen Fürstin Agrippina für seinen Sohn zu bitten. Diese wurden aufs schönste empfangen, und als sie vier Tage in der Stadt gewesen, sandte der König nach ihnen. Da erschienen sie, köstlich angetan feder nach seinem Stande, ein Herzog, zween Grafen und viele Ritter und Knechte; die fingen an, von der Heirat zu handeln. Als die Königin vernahm, daß man wegen Agrippinens fragte, fiel es ihr schwer aufs Herz, daß sie ihre Tochter so fern vom Lande entlassen sollte und noch dazu sie einem geben, von dem man nicht wüßte, ob er hübsch oder häßlich wäre. Da langte eben die Botschaft wieder am Hofe an; sie kamen vor den König und begehrten, auch bei der Königin vorgelassen zu werden. Und als sie vor sie kamen, zogen sie das Konterfei ihres jungen Königssohns hervor und zeigten seine Gestalt. Wie der König seine Schönheit sah, fragte er, ob er auch wirklich so wäre. Da schwuren sie dem König und der Königin einen Eid, daß er noch viel schöner gestaltet sei, recht schlank und gerade und nicht älter denn vierundzwanzig Jahre. Das gefiel ihnen beiden gar wohl. Die Königin nahm das Bild und brachte es ihrer Tochter Agrippina; sie sagte ihr, wie man sie einem jungen Königssohn geben wolle, der noch viel hübscher sei, als sie hier seine Gestalt sehe, wie sie es ja auch früher von Andolosia gehört hätte. Agrippina glaubte dieser Versicherung und willigte ein. Als ihre Eltern dies vernommen, redeten sie mit den Boten aus Zypern weiter, und so wurde die Heirat ganz abgeschlossen.

Hierauf ließ der König viel Schiffe zurichten mit Leuten, Speise, und was dazu gehöret; die junge Prinzessin wurde mit köstlichen Gewanden und Kleinoden nach allen Ehren ausgerüstet; auch ihr ein schönes Gefolge von Frauen und Jungfrauen beigegeben, und als die Schiffe ganz bereit und geladen waren, nahm die junge Fürstin Abschied von dem König, ihrem Herrn Vater, und der Königin, ihrer Frau Mutter, kniete vor ihnen mit großem Seufzen und weinenden Augen nieder und begehrte ihren Segen, da sie jetzt scheiden mußte. Da segnete sie der König und empfahl sie der ewigen Dreifaltigkeit, die sie vor allem Herzleid behüten und ihr alle Genüge verleihen wolle. Die Königin, ihre Mutter, konnte gar nicht mehreres sprechen als nur weinend ihr Amen zu dem Wunsche sagen.

So erhub sich Agrippina und ging mit all ihrem Volk zu Schiffe. Jedermann war es leid, daß die schöne junge Prinzessin von ihnen scheiden sollte; sie aber fuhr in Gottes Namen dahin, und dieser verlieh ihr günstiges Wetter, so daß die Fahrt glücklich vonstatten ging und sie mit all ihrem Gefolge frisch und gesund nach Famagusta in Zypern gelangte. Dort hatte



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der König von Zypern eine Herzogin, vier Gräfinnen und viele edle Frauen aufgestellt; welche die junge Königin gar ehrenvoll empfingen. Köstliche Speisen und Getränke waren bereitet; man gab jedermann genug, Fremden wie Heimischen, und jung und alt war froh, daß ihrem jungen König eine so schöne Gemahlin gekommen war. Da standen viel Rosse und Wagen in Bereitschaft, und jedermann wurde nach Ehren befördert. So kamen sie nach Medusia, wo der König hofhielt, und wie köstlich der Empfang zu Famagusta auch gewesen war, so wurden sie doch daselbst noch zehnmal prächtiger aufgenommen. Denn der König hatte die Edelsten und Besten aus seinem ganzen Königreich hier versammelt, die alte Königin mit ihrem ganzen Frauenzimmer harrte ihrer auch, und endlich kam der junge König mit seinem Gefolge. Diesem dankte Agrippina inniglich mit fröhlichem Angesicht und holdseligen Gebärden für den köstlichen Empfang . So ritten sie herrlich bis an den königlichen Palast, der aufs schönste gerüstet war. Hier begann erst recht das köstliche Leben. Alle Fürsten und Herren, die dem Zepter des Königs von Zypern gehorchten, kamen zierlich geritten und brachten köstliche Gaben dar, jeder nach seinem Vermögen Die Hochzeit wurde begonnen und dauerte sechs Wochen und drei Tage, und jedermann hatte während dieser Zeit genug. Unter anderm schenkte Andolosia dem jungen Könige ein ganzes Schiff mit Malvasier und Muskatellerwein, der wurde getrunken, als ob es Apfelmost gewesen wäre; da war kein Mangel, solange die Hochzeit währte.

Die Herren und Fürsten aber hielten während all dieser Zeit nichts denn Rennen und Turnier und andere derlei Kurzweil, und alle Abende gab man dem den Preis, der am Tage das Beste getan hatte, und geschah dieses beim Tanze, da setzte die junge Königin jedesmal dem Sieger ein Kränzlein auf. Um das warben alle, damit sie Ehre von der schönen Königin Agrippina erjageten. In diesem Turniere warb auch Andolosia und tat in allen ritterlichen Spielen allweg das Beste, so daß Frauen und Männer ihm oft den Preis zuerkannten. Als aber zuletzt derselbe wirklich erteilt werden und ihn billigerweise Andolosia davontragen sollte, da wurde er ehrenhalber dem Grafen Theodor von England gegeben. Andolosia achtete jedoch nicht darauf, sondern gönnte ihm die Ehre wohl. Doch sprach alles Volk: "Andolosia hätte es besser verdient." Das hörte auch Graf Theodor, und es verdroß ihn nicht wenig; ihn plagte der Neid; deswegen schloß er einen Bund mit dem Grafen von Limosi, der ein Raubschloß auf einer kleinen Insel hatte, nicht fern von Famagusta. Beide dachten darauf, wie sie dem Andolosia Schande zufügen oder gar ihn umbringen



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könnten, damit sie ihn vom Hofe los wären und er nicht mehr den Grafen und Edelleuten gegenüber pochen könnte. Jeder verstand die Absicht des andern; sie machten einen gemeinschaftlichen Anschlag auf ihn und warteten nur, bis die Hochzeit zu Ende wäre.


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Als nun die ganze Festlichkeit vorüber war und Andolosia heim gen Famagusta reiten wollte, hatten die beiden Grafen eine Schar bestellt; diese fing den Andolosia aus einem Hinterhalt, erstach ihm seine Diener alle und führte ihn selbst auf die Insel nach Limosi in ein festes Schloß, wo er wohl gehütet
wurde, so daß er nicht hoffen durfte zu entkommen. Zwar bot er seinen Wächtern großes Gut, wenn sie ihm von dannen hälfen; aber sie trauten ihm nicht und meinten, wenn er davonkäme, so würde er ihnen nichts geben. Andolosia aber durfte ihnen den Säckel nicht zeigen; denn er fürchtete, sie nähmen ihn und hälfen ihm doch nicht. So war er in großen Nöten.

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Inzwischen kam die Märe vor den König, daß Andolosias Diener alle erstochen seien und von ihm selbst niemand wisse, ob er tot oder lebendig sei, auch den Täter nicht erraten könne. Denn die zwei Grafen, die es getan hatten, ritten wieder an des Königs Hof und hielten sich stille, als ob sie nichts darum wüssten.

Jetzt kam auch zu Ampedo die Kunde, daß sein Bruder verlorengegangen sei. Auf der Stelle sandte er Boten zu dem König und ließ ihn bitten, ihm doch wieder zu seinem Bruder zu verhelfen. Der König versprach, alles anzuwenden, um seinen Aufenthalt zu erfahren; werde er es inne, wo Andolosia festgehalten werde, so wolle er es sich kein Geld dauern lassen; ja, sollte es sein halbes Reich kosten, so müßte er ledig werden. Ampedo aber dachte, er sei um seinen Bruder gekommen wegen des Säckels,



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und nun würde auch er gemartert werden, damit er von dem Hütlein, das er besäße, Kunde geben müßte. "Nein, das soll nimmermehr geschehen!"sprach er bei sich selbst, und im Zorne nahm er das köstliche Hütlein, zerhackte es in Stücke, warf es in das Feuer und blieb dabeistehen, bis es zu Asche verbrannte, daß niemand seine Freude mehr damit haben sollte. Er hatte stets Boten auf den Beinen zu dem Könige, aber soviel ihrer zurückkamen, so brachte doch keiner gute Botschaft, und er konnte nichts vom Schicksal seines Bruders erfahren; das machte ihm großes Herzeleid, er verfiel in tiefen Kummer und endlich in eine tödliche Krankheit, so daß ihm kein Arzt helfen konnte, und also starb er.

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Etliche Tage waren verflossen, da hörten die Grafen, daß es dem König so leid tue um seinen wackern Ritter Andolosia; sie stellten sich daher, als trauerten auch sie um ihn. Der König ließ ausrufen, wer gewisse Kundschaft brächte, wo Andolosia hingekommen wäre, dem wolle er tausend Dukaten bar geben, möchte jener lebendig sein oder tot. Aber jedermann hielt reinen Mund. Inzwischen nahm der Graf von Limosi Urlaub von dem König und kam in sein Schloß, wo Andolosia gefangensaß, und fand diesen in einem tiefen Turme sitzen. Andolosia freute sich, als er den Grafen sah; denn er hoffte auf Barmherzigkeit. Er bat denselben, ihn des Gefängnisses zu entledigen; wußte aber dabei nicht wessen Gefangener er wäre, oder warum er in so harter Haft gehalten würde; wenn er jemand ein Unrecht getan hätte, so wollte er ihm gern Genüge tun mit Leib und Gut. Aber der Graf sprach: "Andolosia, du bist nicht darum hergeführt; daß man dich wiederhinwegläßt; du hifi mein Gefangener und wirst mir sagen, von wannen dir das viele Geld komme, das du das ganze Jahr über ausgibst; und mach deine Aussage nur kurz, sonst will ich dich also martern, daß du froh wirst, wenn du es mir nur sagen darfst!" Da Andolosia das hörte, erschrak er sehr, und aller Trost entfiel ihm; er wußte nicht, was er sagen sollte; endlich gab er an: "Zu Famagusta in seinem Hause, da wäre eine heimliche Grube, die habe ihm sein Vater gezeigt; als er am Sterben gewesen; wieviel Gelds er daraus nehme, so sei immer noch mehr darin. Wollte der Graf ihn also gefangen gen Famagusta führen, so sei er bereit, ihm die Grube zu zeigen." Dem Grafen wollte dieses nicht genügen; er nahm ihn aus dem Kerker und marterte ihn. Andolosia erduldete es lange und blieb auf seiner Aussage. Wie der Graf merkte, daß er nicht bekennen wollte, fuhr er mit der Folter fort und ließ ihn so grausam peinigen, daß Andolosia vor großen Schmerzen


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nicht länger schweigen konnte, sondern von der Kraft des tugendreichen Säckels zu bekennen anfing. Als der Graf dieses hörte, nahm er den Säckel von ihm, versuchte ihn und fand ihn ergiebig. Nun ließ er den armen Andolosia wieder in den Kerker setzen und befahl ihn seinen vertrautesten Dienern; dann versah er sein Schloß und kam ganz vergnügt wieder an des Königs Hof zu seinem Gesellen, dem Grafen Theodor. Dieser empfing ihn mit Freuden, und sie hielten viel Gesprächs untereinander, wie er mit Andolosia umgegangen, wie er ihm den Säckel mit so großer Marter abgezwungen, und wie hart er ihn gefangenhielte. Da sprach Graf Theodor: "Es gefällt mir so nicht, er wäre besser tot denn lebendig; ich habe an des Königs Hof vernommen, er sei ein Schwarzkünstler und könne durch die Lüfte fahren. Wenn er ledig wird, so ist zu besorgen, man vernehme von ihm, wie wir mit ihm gehandelt; dann gewinnen wir die Ungnade des Königs, oder jener nimmt uns gar das Leben." —Darauf erwiderte der Graf von Limosi: "Er liegt so hart gefangen, daß er uns keinen Schaden zufügen kann." Dann traten sie zusammen und nahmen aus dem Säckel, soviel sie wollten, und jeder hätte gerne den Säckel in seiner Gewalt gehabt. Endlich wurden sie darüber eins, daß ihn jeder ein halbes Jahr haben sollte; der aber, der den Säckel hätte, sollte dem andern an Geld nichts mangeln lassen. Nun war Graf Limosi der Altere, der sollte den Säckel das erste halbe Jahr haben. Soviel die beiden Grafen jetzt Gelds hatten, so durften sie es doch nicht brauchen, damit kein Argwohn auf sie fiele; und wiewohl sie herrlich und in Freuden lebten, so lag doch Graf Theodor seinem Gesellen immer im Ohr und meinte, Andolosia wäre besser tot denn lebendig. Seine Furcht war immer, er möchte um den Säckel kommen. Auch hatte er die Absicht wenn er von dem Grafen von Limosi denselben überantwortet bekäme, sich mit dem Säckel davonzumachen , so weit weg, daß er sowohl vor dem König als vor seinem Raubgenossen sicher wäre. Deswegen bewog er jenen, ihm einen seiner Knechte beizugeben und ihn mit einer schriftlichen Ermächtigung zu versehen, das Gefängnis Andolosias öffnen zu dürfen.

Nun beurlaubte sich Graf Theodor von dem König unter dem Vorgeben , er wolle fremde Länder besehen, was ihm auch von dem Könige gestattet wurde. Er aber zog von dannen und nach der Insel Limosin; hier ließ er sich in das Schloß führen und in den Kerker, in welchem Andolosia gefangen lag. Dieser saß elendiglich und trostlos im Stock: Arme und Beine waren ihm abgefault; als er aber den Grafen Theodor erblickte, empfing er einen starken Trost und vermeinte, der Graf von Limosi habe



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den Grafen Theodor damm gesandt, daß er ihn ledig lassen solle. Er dachte: "Weil sie den Säckel haben, so fragen sie nicht mehr viel nach mir." Da fing aber der Graf an und sprach: "Sag an, Andolosia, hast du nicht noch so einen Säckel, wie du meinem Gesellen einen gegeben hast? Auf, gib mir auch einen!" —"Gnädiger Herr Graf", sagte er, "ich habe keinen mehr; hätte ich aber noch einen, er wäre Euch unversagt." Jener sprach: "Man sagt, du seist in der Schwarzkunst erfahren und könnest in den Lüften fahren, und den Teufel beschwören, daß er mit dir von dannen fahre. Warum beschwörest du ihn denn nicht jetzt, daß er dir von dannen helfe ?" Da sprach jener: "Ach, gnädiger Graf, das kann ich nicht und habe ich noch nie gekonnt; nur allein mit dem Säckel, den Ihr jetzt in Händen habet, habe ich Kurzweil gehabt: der sei Euch und Eurem Gesellen vor Gott und der Welt geschenkt; ich will nimmermehr keinen Anspruch daran machen. Aber um Gottes willen bitte ich Euch, laßt mich armen Mann aus diesem Gefängnis los, daß ich nicht so elendiglich hier umkomme Der Graf sprach höhnisch: "Willst du jetzt an deiner Seele Heil denken, warum hast du es nicht getan, solange du Hochmut und Hoffart vor dem König und der Königin triebest und uns alle Unehre beweisest? Wo sind nun die schönen Frauen, denen du so wohl gedienet hast? Die, welche dir alle den Preis gaben, die laß dir jetzt helfen! Ich merke wohl, daß du gern aus dem Gefängnis wärest; laß dich's nicht bekümmern, ich will dir bald davonhelfen!"

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Mit diesen Worten führte er den Knecht, der des Gefangenen Hüter war, beiseite und wollte ihm fünfzig Dukaten geben, daß er Andolosia erwürgte. Aber der Hüter wollte dies nicht tun: "ES istein braver Mann", sagte er, "und gar schwach; er stirbt von selbst bald: ich will die Sünde nicht auf mich laden!" Der Graf sprach: "So gib mir einen Strick, ich will ihn selbst erwürgen und will nicht von hinnen, er sei denn tot."Aber auch das wollte der redliche Knecht nicht tun. So nahm der Graf Theodor seinen Gürtel, den er umhatte, legte ihn dem Andolosia um den Hals und wirbelte den Gürtel mit seinem Dolche zu: so erwürgte er den Armen sitzend und gab dem Knechte Geld, daß er den Leichnam hinwegschaffte. Dann weilte er nicht lange mehr im Schlosse, sondern ging den nächsten Tag nach Zypern an des Königs Hof. Hier kam er zu seinem Gesellen, dem Grafen von Limosi. Der empfing ihn öffentlich und fragte ganz lustig, wie ihm die Insel und die fremden Länder gefallen hätten. "Gar wohl", erwiderte dieser. Dann fragte ihn der Graf heimlich, wie es um


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Andolosia stehe. "So steht es um ihn", sprach Theodor, "daß wir keinen Schaden mehr von ihm zu gewarten haben. Ich habe ihn mit meinen eigenen Händen umgebracht; ich hatte keine Ruhe, bis ich wußte, daß er gewiß tot sei, wie ich es jetzo weiß."

So sprach der Bösewicht und meinte, er habe alles gut ausgerichtet. Er wußte aber nicht, wie übel er getan hatte. Drei Tage stand es an, daß sie nicht über den Säckel gingen; mit ihnen war auch das halbe Jahr aus, und der Säckel sollte auf den Grafen Theodor übergehen. Daher ging



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dieser ganz vergnügt zu dem Grafen Limosi und bat ihn, ihm den Säckel zu überreichen; vorher könne er Geld herausnehmen, soviel er wolle, damit er das halbe Jahr über zu zehren hätte. Der andere zeigte sich willig dazu. Doch sprach er: "Ich weiß nicht, wie mir geschieht, aber wenn ich den Säckel in die Hand nehme, so erbarmt mich Andolosia; ich wollte, du hättest ihn nicht getötet; er wäre selbst bald gesiorben!" Graf Theodor sprach: "Ein Toter macht keinen Krieg!"Also gingen beide miteinander in die Kammer, wo jener den Säckel hatte; den holte er aus einer Truhe hervor und legte ihn auf einen Tisch. Theodor nahm den Säckel in die Hand und wollte zu zählen anfangen, wie er früher oft getan hatte. Beide wußten nicht, daß der Säckel die Kraft verloren hatte, weil beide Brüder, Ampedo und Andolosia, gestorben waren. Da sie aber kein Geld aus dem Säckel zu bringen vermochten, sah einer den andern an.

Endlich sprach Graf Theodor mit grimmigem Zorn: "Oh, du falscher Graf, wolltest du mich also betrügen und mir für den tugendreichen Säckel einen andern armen geben? Das leide ich keineswegs von dir! Darum zögere nur nicht lang und bring mir den reichen Säckel!" Der andere versicherte ihn, daß dies der rechte sei und er keinen andern habe. Wie es zuginge, daß er nicht mehr täte wie vor, das begreife er nicht. Aber diese Antwort genügte dem Theodor nicht; er wurde, je länger, je zorniger und warf jenem vor, er wolle als Bösewicht an ihm handeln, das solle ihm nimmer guttun! und zückte vom Leder. Der Graf von Limosi, als er das sah, war auch bei der Hand. Beide machten ein Gepolter, daß die Knechte zusammenliefen, die Kammer aufstießen und, als sie ihre Herren im Gefechte miteinander trafen, diese voneinander schieden.

Aber der Graf Limosi war bis auf den Tod verwundet, dies sahen seine Diener und griffen den Gegner.



***
Auf diese Weise kam die Märe vor den König und den Hof, daß die zwei Grafen, die sonst immer innig miteinander gewesen waren, sich auf Leben und Tod geschlagen hätten. Der König befahl, man solle beide unverzüglich gefangen vor ihn bringen. Er wolle den Ursprung ihrer Uneinigkeit kennenlernen. Als man des Königs Gebote gehorsam sein wollte und ihm die beiden Grafen bringen, da war es nicht mehr möglich, den todwunden Limosi von der Stelle zu schaffen. So wurde allein Graf Theodor vor den König gebracht.

Als man diesen fragte, warum sie beide, sonst so innig, sich auf den Tod geschlagen hätten, so wollte er anfangs nicht mit der Wahrheit heraus.



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Bald aber zwang ihn die Folter dazu, und so gestand er den ganzen Handel, wie sie mit Andolosia umgegangen waren. Da der König hörte, wie übel sie mit dem armen Andolosia gefahren, ward er von Herzen betrübt und erzürnt über die Mörder. Und sonder langes Bedenken fällte er das Urteil, man sollte sie mit dem Made hinrichten. Und wenngleich der Graf von Limosi auf den Tod krank liege, so solle man ihn doch auf die Richtstatt tragen; wäre er tot, so sollte man ihn tot noch rädern und auf das Mad flechten.

Dieses Urteil ward an den beiden Mördern vollzogen, und war es ihr gerechter Lohn; denn sie hatten es an dem guten Andolosia verschuldet. Nachdem nun jene Verbrecher um des Säckels willen, mit dem sie doch nur kurze Zeit ihre Lust gehabt hatten, hingerichtet und aufs Rad gelegt waren, schickte der König von Stund an in die Insel Limosi all sein Volk und ließ Schloß, Städte, Dörfer und die ganze Insel einnehmen und sonderlich in dem Schlosse, in welchem der arme Andolosia gefangengesessen, ließ er Mann und Weib sahen; und alle, die um den Mord gewußt schuld daran gehabt oder ihn verschwiegen hatten, ließ er ohne alle Barmherzigkeit zu dem Schlosse heraushenken. Er erfuhr auch, daß sie den Leichnam Andolosias in eine Wassergrube nicht fern von dem Schlosse geworfen hatten. Den befahl er herauszuziehen und gen Famagusta zu führen, wo er ihn mit großer Feierlichkeit begraben ließ, in die schöne Domkirche, die sein Vater Fortunat gestiftet und gebaut hatte. Es war dem alten König und seiner Gemahlin, auch dem jungen König und der jungen Königin Agrippina gar leid um den getreuen Andolosia. Weil sie aber alle beide, Ampedo und Andolosia, keine Erben hinter ihnen gelassen, so nahm der König den köstlichen Palast selbst ein und fand darin großes Gut und kostbaren Hausrat, Kleinode und Barschaft. In diesen Palast zog der junge König selbst mit seiner Gemahlin Agrippina und hielt daselbst so lange Hof, bis sein Vater, der alte Konig von Zypern, mit Tod abgegangen war. Alsdann nahm er das Königreich ganz zuhanden.



Schwab Bd 2-399. Flip


Nachwort



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Gustav Schwabs Deutsche Volksbücher erschienen zuerst 1836 und 1837 unter dem Titel "Buch der schönsten Geschichten und Sagen, für jung und alt wiedererzählt". den nächsten drei Jahren folgten die "Schönsten Sagen des klassischen Altertums". Beide Werke stellen die eigentliche Leistung Schwabs dar. Jede gerechte Darstellung seines Schaffens muß sie in den Mittelpunkt rücken. Alles andere, was Schwab gedichtet, übersetzt, besprochen und herausgegeben hat, erscheint nur als eine Vorbereitung zu diesen glänzenden Nacherzählungen, in denen seine Veranlagung des Sicheinfühlens und Nachschaffens auf den Gipfel gelangte. Während das Genie plötzlich in einer Familie auftaucht und von der Lebensstellung der Eltern vollkommen unabhängig zu sein scheint, entstammen fast alle großen Umwandler und Übersetzer einer geistig gehobenen Schicht. So ist auch Gustav Benjamin Schwab, wie sein voller Name lautet, ein Professorensohn Sein Vater, Johann Christoph Schwab, lehrte an der Hohen Karlsschule, die Schiller besucht hat, Logik und Metaphysik. Daher empfängt Gustav Schwab von Jugend auf reiche Anregungen, arbeitet unermüdlich an seiner eigenen Ausbildung, begeistert sich für jeden Großen, mit dem er zusammentrifft, und versucht, Ähnliches zu leisten wie dieser. Wenn ihm das nicht ganz gelingt, dann ist er aber, im Unterschiede z. B. von August Wilhelm Schlegel und selbst von Herder, völlig frei von Arger und Verbitterung. Er ist durchaus nicht ohne Selbstbewußtsein, aber er hat die glückliche Gabe, mit der Adjutantenrolle zufrieden zu sein. Er weiß, daß er vieles kann, was andere nicht können, und sieht nicht ein, warum er sich darüber grämen soll, daß es Aufgaben gibt, die andere besser lösen als er. Man hat Schwab bisweilen einen Vorwurf daraus gemacht, daß er sich nicht in seelischen Kämpfen aufgerieben hat. Man sollte sich lieber über seine geistige Gesundheit freuen und seine Neidlosigkeit bewundern. Gerade bei Schriftstellern findet sie sich selten. Schwabs stete Bereitschaft, die Leistungen anderer anzuerkennen und zu rühmen, erinnert unmittelbar an die des alten Gleim, der im achtzehnten Jahrhundert so viele Dichter freundlich gefördert hat, und ist menschlich



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eine außerordentlich wertvolle Eigenschaft. Sie ist aber auch den Volksbüchern zugute gekommen, weil sie Schwab das Sicheinfühlen in die Schöpfungen anderer gewaltig erleichterte. Er hatte außerdem den Drang, andern seine Begeisterung mitzuteilen, sie liebevoll in die von ihm entdeckten Schönheiten einzuführen, namentlich die Jüngeren freundlich an der Hand zu nehmen und zu leiten. Man findet diese Neigung nicht selten bei Söhnen von Lehrern und Pastoren. Schwab hat diese ererbte Fähigkeit in eigener Tätigkeit als Lehrer und Seelsorger weiter entwickelt und daher in seinen Hauptwerken echte Jugendbücher geschaffen.

In Stuttgart am 19. Juni 1792 geboren, besuchte Schwab das dortige Gymnasium und studierte von 1809 bis 1814 in Tübingen Philologie, Philosophie und Theologie. Die Altertumswissenschaft und das Christentum sind ihm immer gleich teuer geblieben; die Philosophie, die seinem Vater die Hauptsache gewesen war, lag ihm dagegen weniger und spielte in seiner Entwicklung keine entscheidende Rolle. Schwab blieb aber auch dem gesellschaftlichen Leben nicht fremd. Seine Mitstudenten nannten ihn den Abbe, weil er einem gewandten Weltabt des achtzehnten Jahrhunderts in Kleidung und Auftreten ähnlicher war als einem schwäbischen Theologen. Freundschaft schloß er mit Justinus Kerner (1786 —1862), dem Lyriker, Arzte und Geisterseher, der zwanzig Jahre später das Spiritisienbuch "Die Seherin von Prevorst" veröffentlichte, und mit Ludwig Uhland, der 181s mit den "Gedichten"seinen Ruhm begründete. Schwab bewunderte Uhlands Balladen rückhaltlos und betrachtete sich zeitlebens als den Gefolgsmann des Dichters, der nur sechs Jahre älter war als er. Zu der Entstehung des Namens der "Schwäbischen Schule"hat die Bereitwilligkeit, mit der sich Schwab unterordnete, sehr wesentlich beigetragen . Er rief Uhland zu:

Mich laß immer froh gestehen,
Daß ich dein ält'ster Schüler bin:
Will den in mir die Nachwelt sehen,
So zieht mein Schatten aufrecht hin.


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Das Leben Schwabs verlief nach dem Abschluß seiner Studien in geregelten Bahnen. Nachdem er ein halbes Jahr als Vikar in Bernhausen gewirkt hatte, unternahm er 181S eine Reise nach Norddeutschland. Er wurde in Weimar von Goethe freundlich aufgenommen und lernte in Berlin Schleiermacher, Chamisso und E. T. A. Hoffmann, in Kassel die Brüder Grimm kennen. Nach der Rückkehr wurde er Repetent am Tübinger


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Stift und 1817 Professor am Obern Gymnasium in Stuttgart. Im nächsten Jahre heiratete er Sophie Karoline Gmelin, mit der er sich in Tübingen verlobt hatte. Sie war eine ebenso gesellige Natur wie er und übte eine ausgedehnte Gastfreundschaft. Als Lehrer gewann Schwab rasch die Zuneigung seiner Schüler, weil er außerordentlich lebendig vortrug und namentlich auf die Begabten anregend wirkte. Die Hauptsache war ihm aber doch das literarische Schaffen, das ihn bereits von Zeit zu Zeit auf das Gebiet der Volksbücher führte. Uhland hatte 1810 Robert den Teufel zum Helden eines Balladenzyklus machen wollen, ließ den Plan aber bald fallen. Schwab nahm ihn 1820 auf mit der Erklärung:
Und was der Meister nicht schaffen will,
Das schaffet der Gesell.


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Er benutzte Uhlands Aufsatz "wer das altfranzösische Epos" und lieh sich von ihm auch das französische Volksbuch von Limoges "Das schreckliche und entsetzliche Leben Roberts des Teufels", das er damals seinen Romanzen und später seiner Prosaerzählung zugrunde legte. Ebenso trat ihm Uhland den Stoff für die "Griseldis"(1829) in zehn Romanzen ab. Schwabs Quelle war Martinus von Kochem, dessen Erzählung er in den Romanzen mit sentimentalen Zusätzen ausschmückte. Als Schwab denselben Stoff 183s für die Volksbücher behandelte, tilgte er gerade diese Zutaten wieder und hielt sich viel enger an Kochem. Man sieht hier ganz deutlich, wie die Romanzen, in denen Schwab so viele Stoffe behandelt hat, nur erste Versuche sind, denen dann die endgültige Gestaltung in den Volksbüchern folgt.

Ihrem Stoffkreis gehört auch die Legende von den Heiligen Drei Königen an, durch die Schwab in engere Beziehungen zu dem greisen Goethe kam. Der Vermittler war Sulpiz Boisserée (1783 —1854), der Erforscher der Gotik, und besonders der Geschichte des Kölner Doms, der Gatte Mathilde Rapps, einer Kusine Schwabs. Boisserée war eng mit Goethe befreundet und hat sich viel Mühe gegeben, den Olympier in einen Verehrer der altdeutschen Kunst zu verwandeln. Zu seiner Betrübnis ging Goethe aber immer nur eine Weile mit ihm und kehrte dann hartnäckig zum Kultus der antiken Baukunst zurück. Goethe besaß eine lateinische Handschrift der Legende von den Heiligen Drei Königen von Johannes von Hildesheim. Er schrieb 1819 an Boisserée: wüßte kein Volksbuch, neben dem dieses Büchlein nicht stehen könnte." Zu seiner Freude übernahm, wie er in seinen "Annalen" unter dem Jahre 1821 berichtet,



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"ein geistreicher junger Mann, Dr. Schwab", die Üersetzung. Sie erschien 1822, und Goethe steuerte das Motto bei:
Wenn was irgend ist geschehen,
Hört man's noch in späten Tagen;
Immer klingend wird es wehen,
Wenn die Glock ' ist angeschlagen.
Und so laßt von diesem Schalle
Euch erheitern, viele, viele!
Denn am Ende sind wir alle
Pilgernd' Könige zum Ziele.


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Goethe erkannte damals bereits Schwabs Fähigkeit, sich dem Erzählerton einer Vorlage aufs glücklichste anzupassen. Er schrieb an Boisserée: "Herrn Schwab grüßen Sie zum allerschönsten; der frühere Eindruck sowohl des Originals als seiner Übersetzung bleibt immer ebenderselbige. Der Ton ist ihm glücklich gelungen, worauf bei solchen Dingen immer alles ankommt ." In seiner Zeitschrift"Sunst und Altertum"rühmte Goethe 1822 die der Übersetzung beigefügten zwölf Romanzen, in denen Schwab den Stoff dichterisch geformt hatte, als "ein angenehmes Geschenk". Vom Stile des jungen Dichters sagte Goethe, er sei, "obgleich einige Jahrhunderte rückwärts gebildet, doch ohne Zwang und Unnatur; das Vorgetragene liest sich gut und leicht". Dieses Urteil würde Goethe auch über die Deutschen Volksbücher gefällt haben, wenn er ihr Erscheinen erlebt hätte.

Seine Besprechung lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit auf Schwab, der nun erst berühmt zu werden anfing. 1823 veröffentlichte er die lateinische Übersetzung der vaterländischen Gedichte seines Meisters Uhland in Horazischen Versmaßen und das Reisebuch "Die Neckarseite der Schwäbischen Alb". Man hielt damals die Dichter für die berufenen Landschaftskünder und ließ mit Vorliebe die Reiseführer von ihnen verfassen . Schwabs Wanderbücher sind von besonderer Bedeutung, weil er die Mehrzahl seiner Balladen als Einlagen für sie gedichtet hat. Die Stoffe entnahm er teils den alten Chroniken, aus denen er sich über die örtliche Geschichte unterrichtete; teils fing er sie aus der mündlichen Überlieferung auf. Als Schwab sich 182s zu solchen Studien an den Bodensee begab, empfahl ihn Uhland dem Freiherrn Joseph von Laßberg (1770 bis 1855), der damals noch zu Eppishausen im Thurgau lebte und dort, wie später auf der Meersburg, deutsche Altertümer und Handschriften



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sammelte. Laßberg schrieb an Uhland: "Ich betrachte den Tag, an dem ich mit diesem wackern Manne zusammentraf, als einen, den man mit einem weißen Steine bezeichnen muß." Schwab und der romantische Germanist blieben Freunde. Durch die vielen Mitteilungen, die ihm der Freiherr von Laßberg machte, wurde der geschichtliche Teil in Schwabs Reisebuch "Bodensee nebst dem Rheintale von St. Luziensteig bis Rheinegg" (1827) die Hauptsache. In ihm finden wir Schwabs bedeutendste Ballade "Der Reiter und der Bodensee". Die mündliche Mitteilung, die Schwab als Quelle angibt, kam sicher aus Laßbergs Munde.

Ein Jahr vor diesem Reisewerk veröffentlichte Schwab seine Übersetzung der "Poetischen Gedanken" des französischen Romantikers Alphonse de Lamartine (1790 —1869). Daher fand er in Paris, wohin er 1827 reiste, sofort Fühlung mit allen berühmten Zeitgenossen. Er leitete von 1827 bis 1837 den poetischen Teil von Cottas Morgenblatt, half Chamisso bei der Redaktion seines Musenalmanachs, entdeckte und förderte junge Dichter und schrieb unermüdlich, ohne daß seine Lehrtätigkeit, die ein anderer längst aufgegeben hätte, darunter litt. Sein Haus in Stuttgart wurde nicht leer von Besuchern. Es war das literarische Zentrum Süddeutschlands. Man könnte von einem Schwabschen Salon reden, aber der gemütvolle und herzliche Ton, der dort herrschte, war viel zu echt schwäbisch, um diese Pariser Bezeichnung zuzulassen. Ein packendes Bild von dem Leben des Schwabschen Hauses gibt der Brief, den der sonst so schwermütige Dichter Nikolaus Lenau am s. Oktober 1831 an seinen Schwager Schurz schrieb: "Ich lebe jetzt in Stuttgart im Hause meines innigen Freundes, Professors Schwab, und meiner innigen Freundin, dessen Gemahlin. Vielbereichert an schönen Erfahrungen über den wahren Menschenwert, reicher an manchem Freunde und an Lebensmut und an Selbstvertrauen bin ich geworden seit unserer Trennung. Bruder l Ich habe eine poetische Wallfahrt gemacht zu Uhland, Mayer, Justinus Kerner, habe Ebert hier getroffen, mein ganzes Leben war ein höchst poetisches . Die lebhafteste Teilnahme, die feurigste Ermunterung wurde mir zuteil von allen, die ich hier genannt habe. Aber enthusiastisch war schon bei unserer ersten Begegnung Schwab von meiner Poesie ergriffen. Ich muß Dir gestehen, daß es mir unendlich behaglich war, zu sehen, wie jeder Gedanke sogleich zündete in dem empfänglichen Gemüte dieses Mannes; eine solche Wirksamkeit hätte ich meinen Leistungen nicht zugetraut, ist auch vieles davon auf die große Lebhaftigkeit Schwabs zu sehen. Am ersten Tage meines Hierseins führte mich Schwab abends in einen Leseverein



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und trug hier mehrere meiner Gedichte selbst vor mit großem Feuer. Als sich die Gesellschaft getrennt hatte, blieben nur Schwab, ich und ein junger Dichter, Gustav Pfizer, zurück. Da wurde noch gelesen, getrunken, Bruderschaft getrunken, geraset auf mancherlei Art bis spät nach Mitternacht ."

Die gesunde Lebensfreude Schwabs muß sehr groß gewesen sein, wenn sie einen solchen Melancholiker ohne weiteres mitriß. Im übrigen sehen wir ihn wieder in der Rolle des Bannerträgers, obwohl Lenau zwölf Jahre jünger ist und seinen Ruhm erst noch erwerben soll. Er hat Schwab dann die erste Ausgabe seiner "Gedichte" (1832) gewidmet. Auch Ferdinand Freiligrath ist erst durch Schwab der Öffentlichkeit bekanntgeworden. Und das alles leistet ein Mann, der zugleich Schriftleiter und Gymnasialprofessor ist

Schwab führte dieses an Anregungen und Arbeiten überreiche Leben bis zum Jahre 1837, also bis zum Erscheinen der Deutschen Volksbücher. Dann erst machte sich bei dem Fünfundvierzigjährigen eine gewisse Ermüdung bemerkbar. Er machte ganz unvermittelt einen Kopfsprung in die Einsamkeit, indem er sich die Landpfarre zu Gomaringen, südlich von Tübingen, übertragen ließ. Sein Amt ließ ihm zwar die ersehnte Muße zu literarischen Arbeiten, aber auf die Dauer genügte die beschauliche Tätigkeit seinem rastlosen Temperament nicht. Schon 1841 kehrte er als Pfarrer und Amtsdekan nach Stuttgart zurück und hielt dort Vorlesungen über deutsche Literatur. 1845 wurde er Oberkonsifiorialrat und Oberstudienrat . Ohne vorher krank gewesen zu sein, wurde Schwab am 4. November 1850 durch einen Schlaganfall aus seinem arbeitsreichen Leben gerissen, das sicher glücklicher gewesen ist als das manches genialer Veranlagten.

Seine Deutschen Volksbücher sind zwar zeitlich durch mehrere Jahrzehnte vom "Wunderhorn" (1806 —1808) und den "Kinder- und Hausmärchen "(1812 —1815) der Brüder Grimm getrennt, gehören aber mit ihnen zu den bleibenden Schöpfungen der deutschen Romantik, die dem Worte Volk überhaupt erst die Bedeutung, in der wir es heute gebrauchen, verliehen hat. Schwab gab seiner Ausgabe die ganz im Sinne Arnims, Brentanos und der Brüder Grimm geschriebenen Worte mit: "Die Sagen unserer Volksbücher sind Ausfluß und Quelle der reichsten Poesie. Entsprungen großenteils aus dem alten Born germanischer Nationaldichtung , blieben sie dem Volke teuer, auch als die Verbildung der höhern Stände in späteren Jahrhunderten ihrer spottete." In der Tat hat man



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jahrhundertelang überhaupt nicht gewußt, daß die Volksbücher Kulturwerte sind, sondern sie gewissermaßen zum Unterholz im Walde der Dichtung gerechnet. Die ersten Volksbücher entstanden im fünfzehnten Jahrhundert, als das ritterliche Epos in Versen aus der Mode kam. Während die alten Dichtungen vorher viel häufiger vorgetragen und angehört als gelesen wurden, löste man sie damals in Prosa auf, damit sie jeder lesen könne. Zunächst bedeutete das eine gewaltige Erweiterung des Kreises der Genießenden. Die Volksbücher waren für das gange Volk, für alle, die lesen konnten, gedacht. Der Vorgang beschränkt sich auch keineswegs auf Deutschland. Vielmehr sind gerade unter den deutschen Volksbüchern anfangs die übersetzungen aus dem Italienischen und dem Französischen besonders zahlreich. Es ist aber dann eine gründliche Eindeutschung erfolgt, so daß man beispielsweise in der "Schönen Melusina" nur mit einiger Mühe die Stammessage der französischen Grafen von Lusignan erkennt. Um einen verhältnismäßig widerstandsfähigen Handlungskern haben sich allmählich die verschiedenartigsten Bestandteile gelagert. Karl der Große wird in den "Vier Haimonskindern" der ohnmächtige Herrscher des späten Mittelalters, der weniger zu sagen hat als seine mächtigen Vasallen. Die alten Kreuzzüge verschmelzen mit den noch im Gange befindlichen Türkenkriegen zu einer Einheit. Zu dieser Angleichung und Vereinfachung historischer Geschehnisse treten Wandlungen der Sprache. Sie wird nicht etwa naiver und einfacher, sondern prunkvoll und geziert, weil das im Zeitalter des Barocks für vornehm gilt. Namentlich die Reden der Personen von hoher Abkunft nehmen den komplimentreichen und bisweilen schwülstigen Stil der "Haupt- und Staatsaktion" an. Andrerseits aber treten den vom ritterlichen Epos abstammenden Volksbüchern solche zur Seite, die ihren derben Charakter bewahren, weil sie einer ganz andern Welt entstammen, nämlich dem Denken der Bürger und Bauern des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts. Nach der komischen Seite vertreten diese Gattung die "Schildbürger", nach der tragischen der "Doktor Faustus".

Der verbildete Geschmack der Leser wandte sich aber im siebzehnten Jahrhundert überhaupt von den Volksbüchern ab und bevorzugte eine an den Fürstenhöfen gepflegte, von ausländischen Vorbildern abhängige Kunstpoesie. So trat der sonderbare Zustand ein, daß die Volksbücher, in denen die ritterliche Überlieferung fortlebte, nicht mehr von den Adligen gelesen wurden, sondern nur vom Volke, d. h. von den Schichten, die an der höheren Bildung keinen Anteil hatten, und allenfalls noch von Kindern Dem entsprach, wie Goethe berichtet, die äußere Ausstattung der



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Volksbücher: "Sie wurden wegen des großen Abgangs mit stehenden Lettern auf das schrecklichste Löschpapier fast unleserlich gedruckt. Wir Kinder hatten also das Glück, diese schätzbaren Überreste der Mittelzeit auf einem Tischchen vor der Haustüre eines Büchertrödlers täglich zu finden und sie uns für ein paar Kreuzer zuzueignen... Der größte Vorteil dabei war, daß, wenn wir ein solches Heft zerlesen oder sonst beschädigt hatten, es bald wieder angeschafft und aufs neue verschlungen werden konnte."

Die Erlösung aus diesem Aschenbrödeldasein erfolgte erst im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts. Sieht man von Goethes Erneuerung und gewaltiger Ausgestaltung des Faust-stoffes ab, dann war Ludwig Tieck der erste, der die deutschen Volksbücher wieder erstehen ließ. Er verwandelte die "Schildbürger" in eine Satire auf die Aufklärung, spann die "Genoveva" und den "Kaiser Oktavianus" zu endlosen Dramen aus und dichtete einige seiner schönsten Lieder als Einlagen zu der "Wundersamen Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter aus der Provence" . Aber hier wie überall waren Tieck seine eigenen Zusätze die Hauptsache und das alte Werk nur eine Art von Anregungsmittel, das Stimmungen und Einfälle auslöste. Daher sind von seiner Erneuerung, überladung und Verzerrung der Volksbücher nur die Magelone-Lieder, die Brahms komponiert hat, lebendig geblieben. Im übrigen versanken seine Schnörkel mit dem Geschmack für die romantische Ironie, die mit allem nur spielt und nichts ernst nimmt. Viel näher kam die Heidelberger Romantik, die das deutsche Volkstum über alles schätzte, dem wirklichen Geiste der Volksbücher. Joseph Görres, der mit Achim von Arnim und Clemens Brentano die "Einsiedlerzeitung"herausgab, veröffentlichte 1807 sein Buch "Die teutschen Volksbücher", das als Grundlage der Forschung auf diesem Gebiete gilt. Als Gustav Schwab 1836 seine Nacherzählungen herausgab, nannte er Görres "seinen Führer zu diesen alten Schätzen".

Die sachliche Bescheidenheit, mit der er — im Gegensatze zu Tieck — völlig in den Hintergrund tritt, und die warme Herzlichkeit, mit der Schwab jede Erzählung durchdringt, sind hundertmal wertvoller als eine geistreiche Willkür, die fortwährend zu sagen scheint: "Seht, was ich daraus mache!" Schwab trifft den Märchenton im "Gehörnten Siegfried" und im "Schloß in der Höhle Xa Xa'' ebenso sicher wie den des ritterlichen Epos im "Armen Heinrich", den der Chronik in der "Schönen Melusina" und den der frommen Legende in der "Genoveva", in "Robert



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dem Teufel" und im "Kaiser Oktavianus". Beim "Doktor Faustus"liegt die Versuchung, sich an Goethe zu halten, außerordentlich nahe, aber Schwab überwindet sie und folgt dem Widmannschen und dem Pfizerschen Faustbuche Er behält aber nicht die den Leser nur verwirrende Namensform Mephostophiles bei, sondern setzt an ihre Stelle das durch Goethe in der Weltliteratur eingebürgerte Mephistopheles. In solchen Einzelheiten zeigt sich eben ein sicherer Takt, der genau fühlt, wann das Alte und wann das Neue am Platze ist.

Wirklich vollendet wurde Schwabs Werk aber erst 1859, also fast ein Jahrzehnt nach seinem Tode. Damals erschien die vierte Auflage, illustriert von einer Gruppe von Zeichnern, die zur Düsseldorfer Historienmalerei gerechnet werden und sich um Eduard Bendemann, den Illustrator der Nibelungen scharten. Die Führung haben unter diesen Künstlern Adolf Ehrhardt und Oskar Pletsch, die zusammen über hundert Zeichnungen für die "Deutschen Volksbücher" geliefert haben. Vor den unzähligen Melusinen, die uns die deutschen Maler geschenkt haben, zeichnet sich die Ehrhardts durch Schwung und leidenschaftliche Bewegtheit glänzend aus. Im "Kaiser Oktavianus"hat Ehrhardt die grotesken Episoden besonders liebevoll behandelt und namentlich den Gegensatz zwischen ängstlichen Bürgern und kriegerischen Adligen famos herausgearbeitet. Dazu gesellt sich Theodor Grosses Turnierbild, das sofort ahnen läßt, wie viele Schlösser dieser Maler mit seinen Fresken geschmückt hat. Die gestaltenreichen Bilder Anton Dietrichs zeigen, daß er auch hier mit seinem Meister, Schnorr von Carolsfeld, wetteifert. Dagegen ist Wilhelm Camphausen , der so gern kämpfende Ritter und stolze Rosse gemalt hat, der berufene Zeichner für die nie endenden Raufhandel der "Vier Haimonskinder" und für "Robert den Teufel". Sogar wenn der gewalttätige Robert reuig vor seiner Mutter steht und sein Schicksal hört; blickt sein treues Roß verwundert zum Fenster herein. Camphausen fühlt sich aber auch in das Legendarische ein und stellt prachtvoll den Erzengel Michael mit dem Flammenschwerte über den besiegt in den Abgrund stürzenden Satan. Man hebt heute gern hervor; daß die Düsseldorfer Historienmaler ihr Bestes nicht in Wandgemälden, sondern in der Buchillustration geleistet haben. Dann ist es aber an der Zeit, diese Leistungen wieder zugänglich zu machen, wie das in dieser Ausgabe der "Deutschen Volksbücher" geschieht. In ihr finden sich nicht nur Bilder von Festen und Turnieren, Kämpfen und Schlachten, sondern der bürgerlich-bäuerliche Teil der Erzählungen kommt genau so schön zur Darstellung. Der Humor,



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über den Oskar Pletsch verfügte, zeigt sich in gleicher Drolligkeit im Bilde des alten Zauberers, der sich des Schlosses aus der Höhle Xa Xa wieder bemächtigt hat, wie in der Begegnung der beiden Schweinehirten in den "Schildbürgern". Man merkt hier und in den amüsanten Bildern zum "Fortunat"besonders deutlich, wie nahe Pletsch der Kunst Ludwig Richters , den er verehrte, in seinen besten Leistungen gekommen ist. Besonders begabt als Jugendzeichner war Theobald von Oer, der Freund Robert Reinicks. Er hat die Kämpfe Herzog Ernsts gegen Riesen und Kranichköpfe kindlich gemütvoll illustriert.

So macht das Gesamtwerk durchaus den Eindruck, als ob es die Künstler unter sich aufgeteilt hätten, damit jeder das ihm Zusagende schaffen könne. Trotz aller Verschiedenheiten im einzelnen ist aber doch ein einheitlicher Stil da, der eben in der allen Romantikern gemeinsamen liebevollen Achtung vor der Vorstellungswelt des ausgehenden Mittelalters wurzelt. In dieser warmherzigen Auffassung sind sie völlig einig mit Gustav Schwab, so daß nichts in den Volksbüchern störend oder erzwumgen wirkt. Unsere Ausgabe folgt daher im Text und in den Illustrationen genau der Ausgabe von 1859, die als die klassische Gestalt der Deutschen Volksbücher gelten muß.