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Die
Deutschen Volksbücher
für jung und alt wiedererzählt
von
Gustav Schwab
Mit 180 Bildern von
Wilhelm Camphausen, Anton Dietrich, Adolf
Ehrhardt, Theodor Grosse, Joseph Manes, Theobald v.
Oer, Oskar Pletsch und Emil Sachse
in Holzschnitt ausgeführt
durch Hugo Bürkner
Erster Band
F. W. Hendel Verlag
Meersburg am Bodensee und Leipzig
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Trau nicht, o Fürst, des Weibes List, Das gegen Dich so freundlich ist! |
Der ehrvergessene Gerhard aber, der das ganze Spiel angefangen hatte, gedachte, nicht eher davon abzulassen, als bis er die Herzogin um Ruf und Gut, ja, um Leib und Leben gebracht hätte. Es wohnte in der Nähe ein Edelmann, der wegen seiner Verworfenheit von allen Menschen gefürchtet und gehaßt wurde, selbst aber so vermessen war, daß er niemand fürchtete und alle Ungerechtigkeiten ohne die mindeste Scheu beging. Zu diesem gottlosen Menschen begab sich Gerhard und versprach ihm eine große Belohnung, wenn er ihm in einer gewissen Sache dienen wollte. Der Edelmann zeigte sich sogleich bereit; nur begehrte er zu wissen, worin er ihm einen Gefallen erweisen könnte. Da sagte ihm der tückische Gerhard, daß sein Bruder, der Herzog, sehr zornig
auf seine Gemahlin sei, weil sie ihm keinen Erben geboren habe; von ihm, dem Edelmanne nun, verlange er, daß er den Zorn seines Bruders noch mehr erhitzen und ihm einflüstern solle, daß die Tochter, welche Hirlanda dem Herzog geboren, eine Frucht der Treulosigkeit sei, und daß der Ritter d'Olive, welcher die Herzogin zuerst auf der normannischen Viehtrift entdeckt habe und eine schändliche Neigung zu der FürstinÜber diese Mitteilung wurde der Herzog so entrüstet, daß er sich vor Zorn kaum zu fassen mußte. Er glaubte festiglich, alles dieses müsse wahr sein, weil der ruchlose Edelmann erklärt hatte, er wolle Gut und Blut an die Verteidigung seiner Wahrheit setzen. So befahl er denn voll Ingrimm , man sollte der Herzogin ihr Kind nehmen und an einem entlegenen Ort einer fremden Säugamme geben. Die tugendhafte Fürstin war auf ihrem Zimmer und hielt ihr liebes Töchterlein auf den Armen, als unversehens eine Rotte grober Kriegsknechte hereintrat, welche mit frechen Worten die Herzogin anfuhren, sie sollte ihren Bastard aus den Händen geben. Bei dieser schimpflichen Anrede erschrak die Fürstin in tiefster Seele und rief Gott und Menschen zu Zeugen des Unrechts, das ihr geschehe. Aber die ruchlosen Menschen hörten auf ihre Klage nicht, sondern rissen ihr das Kind mit Gewalt aus den Armen und verließen das Zimmer mit Lärmen und Gespötte. Die Fürstin jammerte so herzzerreißend, daß es auch hätte wilde Tiere erbarmen sollen; doch konnte sie mit allem ihrem Weinen es nicht so weit bei ihrem Ehegemahl bringen, daß er ihr auch nur gestattet hätte, sich persönlich vor ihm zu entschuldigen . Ja, sein Zorn wurde so groß, daß er ebenjenen Kriegsknechten gebot, die Ehebrecherin zu sahen und in ein schimpfliches Gefängnis zu wer en.
Hofe ausgestoßen, mußte sie wie ein ehrloses Geschöpf sich in einen finstern Kerker einsperren lassen. Ihre Feinde sprengten indessen unter allem Volke aus, als wenn sie eine gemeine Verbrecherin wäre, deren jahrelang getriebene Schande jetzt endlich aufgedeckt worden sei. Inzwischen beratschlagte der verblendete Herzog mit den Seinigen, welchen Todes er sie sterben lassen sollte; denn er nahm sie für überwiesen und überführt an. Und endlich wurde beschlossen, daß sie lebendig auf offenem Marktplatze verbrannt werden sollte; es sei denn, daß sich ein Ritter ihrer annehmen und mit dem Edelmann, ihrem Ankläger, in ehrlichem Kampf um sie streiten wollte. Dieses wurde nach dem Brauche jener alten Zeit in dem ganzen Lande verkündigt und ein Tag anberaumt, an welchem auf dem Kampfplatze erscheinen sollte, wer Lust hätte, sich der schwer verklagten Herzogin anzunehmen. Aber da war niemand im ganzen Lande, der sich gegen den boshaften Edelmann zu wagen getraute, weil er wegen seiner Grausamkeit von allen verabscheut und noch mehr gefürchtet war.
Aber der gerechte Gott sah die Zähren der unschuldigen Gefangenen, und in seinem Rate war ihre Rettung von Anbeginn beschlossen. Und jetzt erschien sein Engel wieder dem frommen Abte Bertrand zu St. Malo, offenbarte ihm, was der Mutter seines Paten bevorstand, und befahl ihm, den jungen Bertrand wohl auszustatten und mit ihm und der gefangenen Säugamme, sowie mit des Abtes Schwester und ihrem Manne, die des Knaben Pflegeltern waren, vor dem Herzog von Bretagne auf einen bestimmten Tag zu erscheinen. Der Knabe sollte sich vor seinem Gegenpart nicht fürchten, sondern herzhaft auf den falschen Ankläger losgehen und seine unschuldige Mutter erretten.
Sobald es Tag geworden, erzählte der Prälat seinem Paten die Erscheinung, worüber beide neben großer Freude bitteres Herzeleid empfanden. Sie wußten jetzt, daß der junge Bertrand ein geborener Herzog sei, aber es machte ihnen auch großen Jammer, daß seine Mutter so unverschuldete Schande und Not zu dulden habe. Um so eifriger rüsteten sie sich zu dem bevorstehenden Kampfe und befahlen die Herzogin dem Beschirmer der Unschuld in ihren Gebeten.
Weib kam ganz traurig ins Gefängnis, und beim Anblick ihrer Herrin entfuhr ihr ein Seufzer. Die Herzogin fragte ihre Magd, warum sie so traurig aussähe, und was der schmerzliche Seufzer Böses bedeute. "Ach, gnädigste Frau", sprach die Alte mit heißen Zähren, "ich habe die ganze Zeit Eurer Gefangenschaft herzliches Mitleid mit Euch getragen; jetzt aber will mir das Herz vor Kummer brechen. Denn ich komme auf Befehl der Richter hieher, Euch anzusagen, daß Ihr morgen des gräßlichsten Todes sterben und lebendig verbrannt werden sollet."
Hirlanda, als sie dieses hörte, schlug ihre Hände über dem Haupte zusammen und tat einen lauten Schrei, daß man es vor dem Kerker hören konnte. "O Gott", rief sie, "womit habe ich mich an dir versündigt, daß du mich so hart heimsuchest? Ist es dir nicht genug gewesen, daß ich sieben Jahre im Elend und in Knechtschaft leben sollte, muß ich auch noch zur Schande meines Namens und Geschlechts als Ehebrecherin lebendig in den Flammentod gehen? Sieh mein Elend an, mildreicher Vaters Du weißest ja, daß es mir unmöglich ist, solche Qualen auszustehen, und wenn du mich nicht auf wunderbare Weise stärkest, so werde ich in der schweren Pein verzagen müssen." Darauf fragte sie die Magd, ob denn keine Gnade für sie zu hoffen wäre. Das Weib antwortete: "Nein, es ist bis diese Stunde kein Kämpfer für Euch erschienen." Da gedachte Hirlanda des Ritters d'Olive. "Dieser ist längst außer Landes", erwiderte die alte Frau, "und Euer Ankläger gibt vor, er habe sich aus dem Staube gemacht, weil er mit Recht fürchte, es werde ihm ergehen wie Euch." Da warf sich die Herzogin weinend auf die Knie und betete so lang und inbrünstig, bis sie Trost vom Himmel in ihrem zerschlagenen herzen empfand. Dann erbat sie sich als letzte Gunst einen Priester, dem sie beichtete. Und als die Beichte vorüber war, sprach sie mit starker Stimme: "Siehe, Herr! Hier ist mein schwacher Leib, der morgen verbrannt werden soll. Ich opfere ihn in deine göttlichen, barmherzigen Hände. Verleih mir Standhaftigkeit in meinem Leiden und nimm meinen entfliehenden Geist aus Gnade zur Seligkeit an!"
war ein Scheiterhaufen aufgeschichtet und über ihn einige Bretter festgelegt und mit schwarzem Trauertuche bedeckt. Auf diesen Brettern stand ein schwarzer samtener Sessel für die arme Hirlanda und rechts und links noch zwei andere, der eine für den Beichtvater, der andere für den Scharfrichter. Vor Hirlandas Sessel befand sich ein schwarzgedeckter Tisch an Altares Statt und auf diesem ein Kruzifix mit schwarzem Flor überwogen. Wer nur von ferne dieses Totengerüste erblickte, wurde im tiefsten Herzen erschüttert.
Alles war fertig; der Herzog, seine Räte und seine obersten Diener saßen auf der hohen Bühne und harreten der verurteilten Herzogin. Da kam ein Trupp Kriegsknechte mit Trommeln und Heerpauken herangezogen, welche die unglückliche Hirlanda zum Richtplatze führten. Sie selbst ging in einem langen, schwarzen Talar, das Angesicht mit einem Schleier bedeckt , der auf beiden Seiten vom Haupt bis auf die Füße herabwallte. Ihre Hände hatte sie kreuzweise über die Brust zusammengelegt, ihr Antlitz schamhaft gegen die Erde gesenkt. Zur rechten Seite ging der Beichtvater , ein Kreuz in der Hand tragend, zur andern sein Gehilfe, aus einem Buch Gebete für das Heil der Sterbenden lesend. Hinter ihr ging der Scharfrichter in stolzem Gewand und um ihn her eine Schar von Henkersknechten. Eine endlose Menge von Zuschauern folgte nach. Alle rührte die klägliche Gestalt der Herzogin, und wer die Zähren durch ihren Schleier schimmern sah, dessen Augen blieben nicht trocken.
So wurde denn das unschuldige Lamm zur Schlachtbank geführt; von dem Beichtvater und Henker auf den Scheiterhaufen begleitet und zwischen beiden niedergesetzt. Da trat ein Herold hervor und rief mit gewaltiger Stimme: "Höret, ihr Adligen und ihr Unadligen! Höret, ihr Alten und ihr Jungen! Es wird euch hiermit angekündigt, daß diese Hirlanda hier wegen vieler begangenen Schandtaten rechtmäßigerweise zum Tode verurteilt und zum Feuer verdammt worden. Dennoch ist ihr nach Gewohnheit des Landes die Gnade vergönnt worden, daß sich ein jeder ihres Lebens annehmen und sie von dem Tod erretten kann, wenn er mit ihrem gegenwärtigen Kläger kämpfen will und sich getraut, ihn zu überwinden. Darum, wer Hirlanda für unschuldig hält und Lust hat, ihr das Leben zu erhalten, der trete hervor und kämpfe mit Gottes Hilfet" Nun waren in dem Kreise wohl viele, die gerne ihre Unschuld verteidigt hätten , aber niemand war so kühn, sich wider den trotzigen Edelmann zu wagen. Dieser war sich zu sicher seiner Kunst und Stärke bewußt und jagte allen Zuschauern einen gewaltigen Schrecken ein. Er ritt einen
mutigen, kohlschwarzen Rappen und war vom Haupte bis zu den Füßen mit einem blinkenden Harnische bedeckt. Auf seinem Sturmhut trug er einen schwarzen Federbusch, einen großen Speer in der rechten, einen starken Schild in der linken Hand. Auf diesem Schilde führte er im Wappen einen goldenen Drachen auf schwarzem Felde, der ein silbernes Schaf im Machen hielt, darunter war der Denkspruch geschrieben: "Ohne Gnade!"Dieser Edelmann ritt ganz hochmütig in dem Kreise auf und ab und rief mit lauter Stimme: "Wer ist's, der diese Ehebrecherin wider mich verteidigen will? Er trete hervor und zeige seine Stärke t" Da war unter der großen Menge niemand, der es wagte.Jetzt gab die erschrockene Fürstin ihr Leben verloren und fing an allen Gliedern ihres Leibes zu zittern an. Sie stand von ihrem Sessel auf, fiel vor dem Kruzifix, das auf dem Tische stand, nieder und befahl weinend ihre Seele Gott. Dann erhub sie sich wieder wandte sich zu dem umstehenden Volk und sprach von dem Scheiterhaufen herab: "Liebe Leute! Ich bezeuge vor Gott; daß ich des Verbrechens, das man mir aufbürdet , nicht schuldig bin. Ich will sterben zu Ehren dessen, der für mich am Kreuz gestorben ist, als arme Sünderin, aber nicht als Ehebrecherin. Ich verzeihe allen denen, die Ursache meines Todes sind; denn sie wissen nicht, was sie tun. Euch allen sage ich von Herzen gute Nacht; betet für meine Seele!" Nachdem sie dies gesprochen, gab ihr der Priester den Segen und verließ mit dem Scharfrichter den Scheiterhaufen. Alsdann fingen die Trompeter an zu blasen und gaben den Henkern das Zeichen, den Holzstoß anzuzünden.
Wie nun die Trompeter mit vollem Atem bliesen und die Henkersknechte geschäftig waren, den Scheiterhaufen anzuzünden, da sah man eine Staubwolke in der Ferne sich erheben und immer näher kommen. Bald erkannte man einen Ritter, der dahergesprengt kam, und dem in einiger Ferne mehrere Personen nachfolgten. Der Reiter drang mit Gewalt durch die dichten Volkshaufen in die Schranken hinein und tummelte sein Roß einigemal aufs schnellste im Kreise herum. Sein Pferd war so weiß wie der Schnee, die Tracht des Ritters lichtgrün mit goldenen Blumen durchsäet, sein Wappen ein silberner Hermelin in grünem Felde; darunter der Denkspruch: "Nichts kann mich beflecken." Die Herzogin, die schon halbtot war, wurde den Ritter nicht gewahr. Wer aber wahres Mitleid mit ihr fühlte, den erfüllte seine frische Erscheinung mit großen Freuden. Einige meinten, es sei der Schutzengel der Fürstin; andere Bielten
ihn für den Ritter d'Olive, der seine eigene Ehre retten wollte. Als sie ihn jedoch näher ins Auge faßten, wurde den Freunden der Herzogin wieder bange, und sie zweifelten sehr an dem glücklichen Ausgange des Kampfes; denn der Jüngling war gar zart und schwach, der Edelmann dagegen ein geübter, beherzter, toller Ritter.Sobald der Jüngling in die Mitte des Planes eingeritten war, grüßte er mit allen Sitten den Herzog und den gesamten Adel und sprach mit heller Stimme: "Durchlauchtigster Fürst und Herr! Weil ich durch wahrhaftigen .
Unterdessen war die Herzogin wieder zu sich selbst gekommen; sie ward inne, daß ein Verteidiger ihrer Unschuld sich eingefunden, und blickte den Ritter mit Verwunderung an; als sie aber sah, daß er noch so gar jung und zart war, wurde ihr todesangst, und sie rief im Grund ihres Herzens Gottes Hilfe für ihn an.
Nun tummelte der junge Kavalier seinen schneeweißen Zelter noch einmal und rief laut, daß alles Volk es hören konnte: "Wo ist der verwegene Bösewicht, der es gewagt hat, die unschuldige Herzogin anzuklagen? Er komme hervor, ich will ihm mit Gottes Hilfe den Hals brechen!" Diese Schmachrede erbitterte den Ankläger, er sprengte hervor und rief: "Du Milchbart, wie darfst du so kühn sein, diese Ehebrecherin zu rechtfertigen? Du sollst deine Vermessenheit teuer bezahlen; es wird mir wenig Mühe machen, dich zum Henker heimzuschicken!" Darauf bliesen die Trompeten zum Kampfe, und beide Ritter spornten ihre Rosse und rannten mit den Speeren gegeneinander. Ihr Ungestüm war so groß, daß der Verräter halb, der junge Ritter aber ganz aus dem Sattel gehoben ward. Da erhub alles Volk seine Stimme, und alle Guten jammerten über das unschuldige Blut; die Herzogin selbst war nahe daran, umzusinken; man sah sie beide Hände zum Himmel erheben und Gottes Beistand anflehen. Als nun der Jüngling auf der Erde lag, wollte der Edelmann vom Pferde springen und ihn mit dem Schwerte durchstoßen. Kaum aber hatte er einen Fuß auf die Erde gesetzt, als man den jungen Ritter ebensoschnell auf sein Pferd springen sah, wie er davon gefallen war. Der Edelmann jedoch faßte einen schnellen Entschluß; er stieß dem Pferde des jungen Helden sein Schwert mit solcher Gewalt und so tief in den Vorderleib, daß er es mit keiner Macht wieder herausziehen konnte. Da sprang der junge Ritter geschwind vom Rosse herab und brachte dem alten Bösewicht einen so gründlichen Schwerlich unter dem Halsringe bei, daß er plötzlich zu Boden fiel.
Jetzt erhoben die Umstehenden vor Freuden ihre Stimmen und riefen mit fröhlichem Mut: "Es lebe, es lebe Hirlanda!" Der Herzog aber fing an vor Freuden zu weinen; er glaubte fest, es sei ein Wunder von Gott, daß ein junges Kind einen geübten Ritter zu Boden werfe. Der Herzogin selbst war nicht anders zumut, als wenn sie aus dem Rachen des Todes hervorkäme und durch ein Wunder aus dem Grab erweckt wäre. "Gepriesen
sei der Gott der Christen, der mich vom Tod erlöset hat!" rief sie und streckte die Hände gen Himmel.Als der alte Sünder den tödlichen Streich empfangen, lästerte er Gott und den jungen Ritter und verfluchte Hirlanda samt Herrn d 'Olive in den Abgrund der Hölle. Der tapfere Held aber stand ihm auf den Leib und drohte, ihn in Stücke zu zerhauen, wenn er die Wahrheit nicht aussagte . Da bekannte der Verräter, daß der Fürst Gerhard ihn angestiftet, seine Schwägerin fälschlich zu verklagen und ihren Ehegemahl wider sie aufzuhetzen. Er widerrief alles feierlich, was er je gegen die Fürstin und gegen den Ritter d'Olive ausgesagt, und mit diesen Worten verschied er. Der Fürst Gerhard, als er das Zeugnis gegen sich vernommen, sprang von der Schaubühne und wollte sich unter dem Volke verkriechen, um sich auf die Flucht zu machen. Aber der Herzog rief, man sollte ihn greifen und festhalten.
Was Hirlanda im Herzen empfand, als sie diese Worte des Ritters vernahm , läßt sich nicht beschreiben. Sie konnte es nicht glauben, weil es ihr gar zu fremd vorkam; sie konnte es nicht leugnen, weil alle Zeichen dafür sprachen. Bertrand aber hieß sie nicht zweifeln, fiel ihr um den Hals und gab ihr einen Sohneskuß. Da umfing ihn die Mutter mit beiden Armen und war von Liebe so durchdrungen, daß sie kein Wort reden konnte. Ihre
Antwort, bestand in lauter Freudentränen, so daß sie durch ihren Zährenschleier den kaum mehr sah, den sie in ihren Armen hielt. Endlich brach sie in die Worte aus: "O herzliebster Sohn, o goldenes Kind! Bist du es, den ich mit Schmerzen geboren, den ich mit so bitterem Herzeleid betrauert habe? Oh, ich glückselige Mutter! Nun will ich gerne sterben, weil meine Augen den gesehen haben, nach dem meine Seele verlangt hat !Der Herzog Artus und der ganze Hof sah diesem Schauspiel mit höchster Verwunderung zu und konnte die Ursache dieser öffentlichen Liebkosungen nicht begreifen, bis Hirlanda ihrem Gemahl den jungen Ritter zeigte und nur die wenigen Worte zurief: "Herr! Sehet da Euren Sohn!" Bei diesen Worten erstarrte Artus Als er aber seine Augen fest auf das Gesicht des Ritters heftete, so mußte er bekennen, daß sein Antlitz dem der Herzogin so ähnlich war, als ob es ihr eigenes wäre. Da konnte er nicht mehr zweifeln, obgleich er es nicht begriff. Inzwischen drang auch der Abt von Sankt Malo durch die Volkshaufen auf den Platz vor, redete den Herzog an und erzählte ihm, was sich mit seinem Sohne zugetragen; er stellte ihm seine Schwester als Erzieherin des Knaben vor und ließ ihm die gebundene Säugamme zum Zeugnis und Bekenntnis herbeiführen. Das armselige Weib warf sich der Herzogin zu Füßen, bekannte alles und flehte um Gnade, indem sie als Hauptschuldigen den Fürsten Gerhard angab.
Nach diesem Zeugnisse konnte der Herzog nicht mehr an der Wahrheit zweifeln; er stieg mit reumütigem Herzen von der Schaubühne herab, hieß seine Gemahlin von dem Scheiterhaufen herunterkommen, ging ihr entgegen und sprach zu ihr demütig: "Durchlauchtige Fürstin, ich wage es kaum, die Augen gegen Euch aufzuschlagen, viel weniger, Euch meine Gemahlin zu nennen. Ich habe wider Gott und Euch gesündigt und bin nicht würdig, von Euch Vergebung zu erlangen. Verzeihet mir um unsers Sohnes willen, den Gott uns heute zur Freude unseres Herzens beschert hat, durch den Euch seine Güte vom Tod erlöst und mich vor einer Mordtat bewahrt hat!" Hirlanda ließ den Herzog nicht ausreden, sondern reichte ihm liebreich ihre Hand und sprach: "Ja, um Gottes und unsers lieben Sohnes willen verzeihe ich Euch alles Übel, das Ihr mir zugefügt habt. Gedenke der gerechte Gott desselben so wenig, als ich daran denken will!" Der Herzog dankte ihr mit erleichtertem Herzen, wandte sich darauf zu seinem Sohn, fiel ihm um den Hals und hieß ihn willkommen. Auch die Mutter neigte sich auf das Haupt ihres Kindes und weinte so süße Zähreu,
daß sie ihm sein weiches Haar durch und durch befeuchtete. Alle Umstehenden, die zu einem ganz andern Schauspiele gekommen waren, weideten sich an diesem Anblicke.Hierauf bewillkommte der Herzog auch den Abt, dankte ihm tausendfach für die Bewahrung seines Sohnes und ließ seine Schwester und ihren Gatten, da der Abt selbst sich jede Vergeltung verbat; seine fürstliche Gnade genießen. Auch der Säugamme wurde auf des Abtes Fürbitte verziehen weil sie vierzehen Jahre in Angst und Buße zugebracht hatte.
Endlich wurde auf Befehl des Herzogs auch der Fürst Gerhard herbeigeführt, der vor Scham seine Augen nicht aufzuschlagen, viel weniger bei seinem Bruder um Gnade zu flehen wagte. Ihn allein sah der Herzog mit zornigen Augen an und hielt ihm mit erbittertem Gemüte alle seine Missetaten vor. "Deine Verbrechen", sprach er, "rufen vor Gott und der Welt um Rache, und es ist keine Pein zu erdenken, die deiner Bosheit gleichkäme! Verstümmelt sollst du werden und auf ewig in demselben Gefängnisse schmachten, in welchem meine unschuldige Gemahlin gelegen!" Die Herzogin suchte dieses strenge Urteil zu mildern und brachte zur Entschuldigung ihres Schwagers vor, was sie konnte. Aber der erzürnte Herzog ließ sich nicht besänftigen und wollte das gefällte Urteil auf keine Weise mildern. Gerhard ward dem Henker, der noch auf der Stelle war, übergeben, vor allem Volk an Händen und Füßen verstümmelt und durch die Henkersknechte schimpflich in den Kerker geschleppt.
Schwager freundlich und bemühte sich aufs äußerste, ihn in den letzten Nöten zu trösten. Sie sagte ihm, daß sie alles Unrecht; das er ihr angetan, ihm von ganzem Herzen verzeihe und größeres Mitleid mit seinen gegenwärtigen Leiden trage, als sie Schmerz über ihr eigenes, jetzt vergangenes Elend empfunden habe. Sie blieb beständig bei ihm, erquickte ihn mit geistlichem Trost in seinen Todesängsten und schied nicht eher von ihm, als bis sie ihm mit eigenen Händen die Augen zugeschlossen und über dem Toten schmerzliche Tränen geweint hatte.
Diese denkwürdige Geschichte ist für arme Frauen geschrieben, die von ihren Männern übels zu leiden haben. So schlimm wird es schwerlich einem Weibe gehen, wie es der frommen Herzogin Hirlanda ergangen ist, und doch sind die meisten Weiber viel ungeduldiger in ihren kleinen Trübsalen , als es Hirlanda in so großem Jammer gewesen ist. Und hier können sie nicht sagen: "Hirlanda war eine Heilige, darum hatte sie es leicht, in ihrem Kreuze geduldig zu sein!" Nein, Hirlanda war nicht heilig, sie war ebensowohl eine arme Sünderin, als es andere Frauen auch sind.
Sondern daß sie in ihren großen Verfolgungen so standhaft geblieben, kam besonders daher, daß sie der Ungeduld großen Widerstand leistete und in ihren vielen Widerwärtigkeiten getreulich die Hilfe Gottes anrief und sich dem Willen des Allerhöchsten vollkommen übergab. Wenn alle unschuldig Verfolgte getreulich diesem Muster nachfolgen wollten, so würden sie auch die göttliche Hilfe ebenso gegenwärtig empfinden wie Hirlanda und durch zeitliches Leiden sich ewige Freude erwerben.
Genoveva
Mit Bildern von Adolf Ehrhardt
Unter die Zahl der Frauen, die von ihren Männern unschuldigerweise verfolgt worden sind, gehört auch die tugendreiche und geduldmütige Genoveva, deren Geschick ebenso traurig als die Erzählung davon anmutig ist. Diese Geschichte hat sich zu den Zeiten des Bischofs Hidulfus von Trier zugetragen . Damals lebte im trierischen Lande ein vornehmer Graf, namens Siegfried, der mit Genoveva, der Tochter des Herzogs von Brabant, einem sehr reichen und tugendhaften Fräulein, vermählt war. Dieses junge Ehepaar lebte in lauter Liebe und Freundlichkeit beisammen, als der Mohrenkönig Aberofam mit großer Macht in Spanien einfiel, und nachdem er das Land verheert hatte, auch in Frankreich einbrechen wollte. Als nun Martellus, der König in Frankreich, die große Gefahr vor Augen sah, befahl er allen ihm untergebenen Fürsten und Grafen, daß sie ihm Hilfe leisten und gegen den Mohrenkönig streiten sollten . Weil aber das Gebiet von Trier damals zum Frankenreiche gehörte, so mußte auch der Graf Siegfried mit zu Felde ziehen. Als er sich nun mit den Seinigen zum Feldzug aufmachte und von seiner Gemahlin Abschied nehmen wollte; da war es recht betrübt anzusehen, von welchem Schmerze die Gräfin ergriffen wurde, so daß sie mit ihren bittern Zähren alle Gegenwärtigen zum Mitleid bewegte. Ja, als ihr der Graf die Hand gab und die letzte gute Nacht sagte, wurde sie von solchem Herzeleid überfallen, daß sie vor Ohnmacht halbtot darnieder sank. Der Graf suchte sie zu trösten, aber alle seine Worte waren traurig. Endlich befahl er sie der Heiligen Jungfrau Maria, sie in seiner Abwesenheit zu beschützen. "Auch hinterlasse ich Euch", fügte er hinzu, "meinen getreuesten Diener, den Golo, dieser wird Euch in meinem Namen auf das eifrigste dienen und für alle Eure Bedürfnisse besorgt sein." Genoveva konnte vor Tränen
kein Wort reden, sondern fiel wieder in den Arm ihrer Dienerinnen. Deswegen wandte sich der Graf Siegfried um ohne weitern Abschied und ritt, bitterlich weinend, von ihr hinweg.Weil der Graf bei seiner Abreise seine geliebte Genoveva dem Hofmeister Golo anempfohlen hatte, der täglich um sie war und ihr aufwartete; siehe, da entzündete der Böse das Herz dieses jungen Dieners mit einer unlautern Liebe gegen seine Gebieterin und erfüllte sein Herz mit solcher Begierlichkeit, daß er endlich nicht länger an sich halten konnte, sondern auf allerlei Weise anfing, der Gräfin seinen bösen Willen merken zu lassen. Sobald die unschuldige Frau dies bemerkte, sprach sie mit zornigen Worten zu ihm: "Schämst du dich nicht, leichtfertiger Diener, dir solche Gedanken kommen zu lassen, und ist dies die Treue, die du deinem Herrn versprochen hast, das der Dank, den du ihm für seine Liebe erweisest? Wenn dich deine Torheit nicht gereuen soll, so wage nicht mehr, von solchen Dingen zu mir zu reden!"
Der gottlose Golo erschrak über diese Antwort und wagte lange kein Wort mehr. Die fromme Genoveva aber glaubte, seine bösen Gedanken seien verschwunden, und fing wieder an, freundlicher mit ihm umzugehen; da wurde seine verkehrte Neigung durch den täglichen Umgang immer
mehr entflammt; als sie nun einst ihr eigenes Bild, das sie kürzlich für den Grafen hatte malen lassen, beschaute, und Golo von ungefähr dazu kam, fragte ihn die Gräfin, ob er meine, daß diesem schönen Gemälde noch etwas fehlte. Da sprach er mit wilder Gier: "Gräfin, diesem Bilde kommt nichts an Schönheit gleich, und doch fehlt ihm eines, nämlich daß es nicht lebend ist und mir, mir eigen gehört!" Bei diesen frechen Worten stieg der Gräfin der rote Zorn ins Angesicht, und sie schalt ihn so streng, daß er ganz beschämt davon ging. Doch vermochte dieser Verweis das Feuer der Leidenschaft in seinem Herzen nicht auszulöschen, und als einst die Gräfin nach dem Abendmahle allein in dem Schloßgarten wandelte, trat er ihr allgemach näher, schmeichelte ihr mit den süßesten Worten und gab ihr endlich nicht undeutlich zu verstehen, wie er von solchem Liebesbrande verzehrt werde, daß er vor der Zeit sterben müßte, wenn seine Glut keine Gegenliebe fände.Über so unumwundene Worte wurde die züchtige Gräfin mehr als je entrüstet und schwur ihm ernstlich zu, wenn er ein einziges Mal mit Worten oder Zeichen Ähnliches verlangen würde, so werde sie unwiderruflich solches ihrem Herrn und Gemahl berichten. Jetzt merkte Golo freilich, daß er keine Hoffnung habe, das Ziel seiner unlautern Wünsche zu erreichen; darum verkehrte sich seine Liebe in grimmigen Haß, und alle seine Gedanken vereinigten sich in dem einzigen, wie er sich an der Gräfin rächen könnte. Er lauerte auf all ihr Tun und Lassen, und endlich entdeckte er, daß sie eine besondere Zuneigung für einen ihrer Köche zeigte, mit Namen Drago, weil dieser in aller seiner Einfalt ein frommer und andächtiger Mann war. Diesem gottseligen Menschen war die Gräfin mehr gewogen als allen anderen Hofdienern: sooft sie vorüberging, redete sie ihn an, und wo sie ihm einen Gefallen tun oder ihn in einer Widerwärtigkeit trösten konnte, da tat sie es mit herzlichem Wohlgefallen. Der unreine Golo aber legte dieses ehrbare Wohlwollen nach seiner wilden Liebe aus und fand darin die rechte Gelegenheit, seine Gebieterin zu verklagen. Zuerst eröffnete er zu wiederholten Malen vertrauten Freunden, daß ihm das liebreiche Betragen der Gräfin gegen den Koch sehr verdächtig vorkomme, und daß er fürchte, es möchte zu einem übeln Ende ausschlagen. Er bat sie auch, etwas genauer Achtung zu geben und die Liebkosungen der Frau zu beobachten; sie würden dann selbst sehen, was von dieser Vertraulichkeit zu denken sei. Mit dergleichen Worten wußte er die Tugend der Gräfin bei einigen Dienern zu verdächtigen und richtete so viel aus, daß er endlich einige auf seine Seite brachte. Einsmals sagte er dem Koch, die
Gräfin, die damals gerade allein auf ihrem Zimmer war; verlange nach ihm. Der ehrliche Mensch glaubte dieses und eilte zu Genoveva. Da kam denn der Golo herbei, überraschte den Koch bei der Gräfin und ging, ohne ein Wort zu sprechen, wieder zu dem Zimmer hinaus. Ihm folgte der Koch auf dem Fuße, sobald er vernommen, daß die Gräfin ihn nicht gerufen hätte. Sogleich berief Golo seine Vertrauten und klagte ihnen mit erheucheltem Zorne, daß der Koch bei der Gräfin im Gemach getroffenDie Freunde erwiderten dem Hofmeister, weil ihm der Graf die Sorge für die Gräfin aufgetragen habe, so solle er tun, was ihm am ratsamften zu sein dünke. Hierauf ließ Golo den Koch rufen, fuhr ihn mit rauhen
Worten an und warf ihm vor, daß er die Gräfin bezaubert und Liebespulver in ihre Speisen gemischt habe; darum verdiene er, in Eisen geschmiedet und in den tiefsten Turm geworfen zu werden. Vergebens schwur der erschrockene Drago, daß er an solcher Sünde ganz unschuldig sei, und nahm Himmel und Erde zu Zeugen, daß ihm niemals in den Sinn gekommen, sich so an seinem Herrn, dem Grafen, zu versündigen: er ward in Bande und Kerker geworfen und ging nicht eher wieder daraus hervor, als bis man ihn tot heraustrug.Mit dieser Grausamkeit war der ruchlose Golo noch nicht zufrieden, sondern er stürmte mit einigen seiner Helfershelfer in das Zimmer der Gräfin und rief ihr zu, daß er ihrer verdächtigen Gemeinschaft mit dem Koche Drago nun genug zugesehen habe und, wenn er vor seinem Herrn bestehen wollte, dieses Ärgernis nicht länger dulden könne. Darum sollte auch sie, die den Bund der Ehe gebrochen, ins Gefängnis gelegt und vor weiterer Verfügung des Grafen nicht aus demselben entlassen werden. So wurde die hohe Gräfin, die im achten Monate schwanger ging, ohne ein Verbrechen begangen zu haben, vielmehr wegen Verteidigung ihrer Unschuld von ihrem eigenen Diener, der ihr zum Schutze beigegeben war, gefangengeführt und in einen festen Turm verriegelt.
wofern sie etwas bei der Gräfin ausrichten könnte, daß das lose Weib, sooft es der Gefangenen Speise brachte, ihr mit Worten anlag, sie sollte dem Hofmeister doch wenigstens freundliche Worte geben, damit sie ihrer Gefangenschaft ledig oder zum mindesten mit besserer Nahrung versorgt würde. Aber die standhafte Frau war entschlossen, lieber im Kerker Hungers zu sterben, als ihren Gott zu erzürnen und ihr Gewissen zu beflecken.
Inmittelst nahte die Zeit ihrer Entbindung heran, und die geängstete Frau bat ihre Aufwärterin, die Säugamme, ihr doch nur ein paar Frauen zu verschaffen, die ihr bei dieser ersten Geburt beistehen könnten Das boshafte Weib verwilligte ihr aber nicht nur dieses nicht, sondern sie gab
Die von Golo aufgestellte Wärterin brachte inzwischen diesem die Nachricht, daß von nun an zwei Gefangene in dem Kerker seien, daß die arme Gräfin vor Herzeleid fast verschmachte, und daß ihr wohl eine bessere Labung zu gönnen wäre, damit sie sich und das schwache Kind ernähren könnte. Aber der unbarmherzige Mann hatte weniger Mitleid mit der trostlosen Kindbetterin, als wenn sein Hund Junge geworfen hätte; denn er hoffte, durch dieses äußerste Elend sie zu seiner Liebe zu zwingen. Doch damit sie nicht gar verschmachtete, ließ er ihr etwas mehr Brot geben als zuvor, sonst aber neben dem Wasser gar nichts weiter, und anstatt des Trostes speiste sie der Unmensch mit Schmähworten.
Diesen Brief erhielt der Graf gerade damals, als er in einer Stadt im Languedoc die Wunde, die er empfangen hatte, heilen ließ. Er ward durch diese Nachricht so entrüstet und verstört, daß seine Wunde nur unheilfarner
und der Schaden größer wurde. Der Diener erzählte ihm nämlich ausführlich, was für verdächtige Gemeinschaft die Gräfin mit dem Koch die ganze Zeit über gehabt, und wie der .Hofmeister sie allein mit ihm in der Kammer überrascht habe. Weil sie nun beide auf öfteres Vermahnen nicht voneinander hätten lassen wollen, so habe sich der Hofmeister genötigt gesehen, sie voneinander zu trennen und in zwei verschiedene Gefängnisse sperren zu lassen. Hier im Kerker habe sie einen Sohn geboren, und alles im Schlosse wisse, wessen das Kind sei. Der Graf fragte, zu welcher Zeit die Gräfin das Kind geboren hätte. Da sprach der Diener fälschlich, es sei erst ein Monat verflossen, wiewohl sie schon vor zwei Monaten geboren hatte. Da fing der Graf an zu rasen, als wenn er wahnsinnig wäre, und lästerte die Gräfin samt dem Koch Drago, als ob sie die schlimmsten Ehebrecher wären. "Du verruchtes Weib", sprach er, "sollst du die versprochene Treue so schändlich brechen? Und stellest dich bei mir an, als wenn du ganz heilig wärest!" In solchen Worten machte sich sein Zorn Luft, und nachdem er sich lange besonnen, auf welche Weise er den begangenen Ehebruch abstrafen wollte, schickte er den Diener mit dem ausdrücklichen Befehle zurück: Golo solle die Gräfin so eng einschließen , daß niemand mit ihr reden noch zu ihr kommen könne. Den ehebrecherischen Koch aber sollte er mit der Marter hinrichten lassen, die seine Missetat verdient habe.Mit diesem ungerechten Befehl eilte der Abgesandte nach Hause, und Golo wußte ihm großen Dank, daß er seinen Auftrag so treulich ausgerichtet habe. Damit nun die Hinrichtung Dragos kein Aufsehen verursachte, ließ er dem armen unschuldigen Koch Gift in seine Speise mengen und, als er daran jämmerlich gestorben, denselben mitsamt den Ketten , in denen er gefangen lag, in einer abgelegenen Grube beerdigen. Die Gräfin aber brauchte nicht enger eingeschlossen zu werden, als sie zuvor war, weil ja von Anfang an niemand als Golo und seine falsche Amme zu ihr gekommen war. Und doch war der Bösewicht mit dieser grausamen Behandlung noch nicht zufrieden; denn er fürchtete immer, seine List und Falschheit möchten durch Genoveva endlich an den Tag kommen. Auch fehlte es nicht an Leuten im Schlosse, welche über die ungerechte Hinrichtung des Koches und das schwere Gefängnis der Gräfin aufgebracht waren; dazu lief die Nachricht ein, daß der Graf Siegfried von dem König in Frankreich seinen Abschied erhalten habe und bereits auf der Rückreise begriffen sei. Den Golo überlief ein kalter Schweiß; er mußte sich kurz besinnen, was in dieser mißlichen Lage anzufangen sei. Deswegen. setzte
er sich eilends zu Pferde und ritt seinem Herrn entgegen; aber er traf ihn nicht eher, bis er schon zu Straßburg angekommen war.In dieser Stadt wohnte eine alte Frau, die einen Schein von Heiligkeit von sich gab und für eine sehr gottselige Matrone gehalten wurde; es war dies die Schwester der Säugamme Golos, daher sie denn auch diesen seit vielen Jahren kannte. Zu ihr begab sich der Bösewicht, ehe er zu seinem
Herrn, dem Grafen, ging, und erzählte ihr den ganzen Verlauf der Sache; zugleich verlangte er von ihr, sie sollte gestatten, daß er den Grafen gegen Abend zu ihr brächte, da sollte sie ihm durch Kunst eine Vorspiegelung machen, daß er glaube, die Gräfin habe mit dem Koch gesündigt. Dafür gab er ihr ein Stück Geld, und dann verfügte er sich zu dem Grafen, ihn zu bewillkommnen. Nach Gruß und Gegengruß nahm ihn sein Herr beiseite und forderte vollständigen Bericht über den bösen Zustand; in welchem sich sein Haus befände. Der listige Golo stellte sich, als könnte er |
Der Graf hörte alles mit tiefem Kummer an und verlangte immer wieder neue Beweise; als nun der Falsche bemerkte, daß seinem Herm Zweifel aufstiegen, und er in seinen eigenen Worten gefangen zu werden fürchtete, sprach er zu demselben: "Gnädiger Herr, solltet Ihr etwa gegen meine Worte ein Mißtrauen hegen, so ist in dieser Stadt eine ehrwürdige Frau, die wegen ihrer Gabe, verborgene Dinge zu offenbaren, berühmt ist; wolltet Ihr dieselbe umständlich befragen, so würdet Ihr durch sie gewiß vollständig vom Verlauf der Sache unterrichtet werden." Siegfried ließ sich den Vorschlag gefallen und ging mit einbrechender Nacht, von
seinem Hofmeister begleitet, zu der Betrügerin. Dieser erzählte er offen, daß er einen Verdacht gegen seine Gemahlin hege, und bat sie, ihm vermöge ihrer Einsicht in die verborgenen Dinge zu entdecken, was sich zwischen der Gräfin und dem Koche zugetragen habe.Die Frau erwiderte mit erheuchelter Demut: sie sei keine Heilige; soviel ihr jedoch Gott in dieser Sache offenbaren würde, wolle sie ihm gern entdecken . Alsdann führte sie beide Männer in einen dunkeln Keller hinab, in welchem ein grünes Licht brannte, das einen blauen Schein von sich gab. Hier beschrieb sie mit einem kleinen Stabe zwei Kreise auf dem Boden und stellte den Grafen in deren Mitte. Hierauf warf sie einen Spiegel in ein Geschirr voll Wasser, murmelte darüber so ungewöhnliche Worte, daß den Grafen ein Schauer ankam und ihm die Haare gen Berg zu stehen anfingen. Nach diesem drehte sie sich dreimal vor dem Geschirre um, hauchte dreimal darein, rührte es mit den Händen um und sprach einen wunderlichen, zauberischen Segen darüber. Auf ihr Geheiß blickte jetzt der Graf in das Wasser. Da glaubte er in dem Spiegel die Gestalten zweier Personen zu entdecken, die zärtlich miteinander sprachen, und je länger er hineinblickte, desto mehr war ihm, als gliche die Frau, die einen Mann mit lächelndem Angesicht liebkoste, seiner Gemahlin Genoveva, und als wäre der Mann sein Koch Drago. Doch sagte der Graf noch mit freundlichen Worten: "Ich sehe nichts Unrechtes." — "Gut", setzte die Zauberin hinzu, "wir wollen nun weiter sehen, ob es Gott vielleicht gefalle, uns ein mehreres zu zeigen." Sie wiederholte dann die vorigen Zeremonien und hieß den Grafen abermals ins Wasser sehen. Da mußte er mit eigenen Augen schauen, wie die Gräfin mit kosenden Händen dem Koch über die Wangen glitt und wiederholt ihm einen zärtlichen Kuß auf die Lippen drückte. Darüber wurde der Graf sehr schamrot und wartete mit Angst, was zum drittenmal in dem Spiegel erscheinen würde. Als er nun nach den alten Zeremonien zum letztenmal in den Spiegel sah, ward er zu seinem Entsetzen gewahr, daß der Koch mit seiner Gemahlin schändlicherweise sündigte.
Da kochte das Herz des Grafen von Rachgier. Er rief seinem Hofmeister zu: "Golo! Reite voran und laß die Ehebrecherin samt dem Bastard eines schimpflichen Todes sterben! Ich will sie nicht mehr am Leben treffen, wenn ich ankommet" Wer war froher als der rachgierige Golo, da er diesen Befehl vernahmt Er flog auf seinem Roß nach Hause, besprach sich schnell mit der Säugamme und teilte ihr im geheimsten Vertrauen das Bluturteil mit. Doch sollte sie keinen Menschen etwas davon
wissen lasen, damit unter den Freunden der Gräfin und im Schlosse kein Aufruhr entstünde. Als Golo dies seiner Amme anvertraute, war niemand in der Stube als die kleine Enkeltochter der Frau, vor welcher sich beide wenig scheuten. Nun war das Mädchen wohl noch ganz klein, aber klug und der Gräfin, die es vom Hörensagen kannte und bemitleidete, mit mehr Neigung zugetan als seiner boshaftigen Großmutter. Dies Mägdlein schlich sich sogleich nach dem Kerker, stellte sich vor das kleine Fenster, durch das der Gräfin das Brot und Wasser hineingereicht wurde, und weinte so bitterlich, daß Genoveva es hörte und darüber erschrocken an das Fenster trat. Sie fragte das Mädchen mit freundlicher Stimme, warum sie denn so weine. Da antwortete das Kind: "Gnädige Frau l Euer großes Elend treibt mir diese Zähren aus den Augen; denn es ist mit Eurem Leben aus; Golo hat von unserm Herrn Befehl, Euch hinzurichten." Die Gräfin dachte nicht an sich, sondern nur an ihren Säugling: "Und wie wird es meinem Kinde gehen?" fragte sie. "Nicht besser als Euch!" erwiderte das Mädchen schluchzend.Jetzt erst erschrak die arme Gräfin so, daß sie fast in Ohnmacht sank. Als sie wieder zu Sinnen gekommen, fing sie an laut zu weinen und zu beten und rief: "Ach, mein Gott, hilf mir! Erlöse mein Kind und mich vom grimmigen Tode!" Dann sprach sie zu dem Mägdlein: "Mein liebes Kind t geh doch schnell in mein Zimmer und bringe mir Papier, Feder und Tinte; für deine Mühe nimm dir von meinen Kleinodien, soviel dir beliebt . Da hast du den Schlüssel zu allem!" Das Mädchen brachte das Verlangte, und nun schrieb Genoveva einen Brief des folgenden Inhalts: "Gnädiger Herr, herzgeliebter Gemahlt Da mir zu Ohren gekommen ist, daß ich auf Euern Befehl sterben soll, so wollte ich Euch mit diesen Zeilen noch gute Nacht sagen und einen freundlichen Abschied von Euch nehmen. Ich will gerne sterben, wenn Ihr es befehlt, obgleich es mich bitter kränkt, daß Ihr mich, die Unschuldige, zum Tode verurteilet. Die Ursache, warum ich sterbe, ist die, daß ich meine Euch gelobte Treue nicht brechen und dem schändlichen Golo, Eurem Hofmeister; nicht willfahren wollte. Doch messe ich Euch, meinem Herrn, keine andere Schuld zu, als daß Ihr meinen Anklägern zu leichten Glauben geschenkt und mir zur Verantwortung keine Gelegenheit gegönnt habt. So kann ich nur vor Gott bezeugen, vor dessen strengem Gericht ich morgen schon erscheinen werde, daß ich mein Leben lang an keinen Mann gedacht habe als an Euch. Mein Trost bleibt, daß dereinst ein Tag aufgehen wird, an dem meine Unschuld hervorkommen und meiner Ankläger Falschheit offenbar werden wird. Gute Nacht,
gnädiger Herr! liebster Freund! Ich verzeihe Euch von Herzen; ja noch nach meinem Tode will ich Gott bitten, daß mein unschuldiges Blut keine Rache über Euch noch über meine Ankläger schreie. Dies schreibe ich mit zitternden Händen und fließenden Augen; denn in meinem Herzen wohnt der Tod und erfüllt mich mit Schrecken. Eure bis in den Tod getreue und um der Treue willen zum Tode verdammte Genoveva."Dies Briefchen gab sie dem Mägdlein, daß es dasselbe heimlich in das Gemach der Gräfin legen und keinem Menschen ein Wort davon offenbaren sollte. Die ganze folgende Nacht verlebte sie in eifrigem Gebet und befahl Gott ihren schweren Kampf und bevorstehenden Tod.
Nachdem sie nun den Wald und einen gelegenen Ort in demselben erreicht hatten, da sagten sie der Gräfin, ihr Herr habe verordnet, sie wegen vollbrachten Ehebruchs hinzurichten, und der Hofmeister Golo habe ihnen anbefohlen, dieses Gebot zu vollbringen. Darum sollte sie dieses grausame Schicksal nicht ihnen, den Dienern, zuschreiben und sich zu einem seligen Tode bereiten. Genoveva, dem Befehl ihres Herrn gehorsam,
kniete demütig nieder und betete zu Gott aus dem Innersten ihres Herzens . Inmittelst ergriffen die Diener das unschuldige Kind, zogen ihre Messer hervor und wollten ihm den Hals abschneiden. Als die erschrockene Mutter dies sah, sprang sie von ihrem Gebet auf, fiel den Dienern in die Arme und rief mit gebrochener Stimme: "Haltet ein, haltet ein, o lieben Leute, schonet doch des unschuldigen Blutes, und wenn ihr das arme Kind töten wollt, so bringet mich zuvor um, damit ich nicht gezwungen werde, zweimal zu sterben!" Die Diener erhörten diese Bitte und hießen sie ihren Hals entblößen und zum Streiche darstrecken. Genoveva schauerte bei diesenDurch diese Worte wurden die Herzen der Diener so bewegt, daß es ihnen unmöglich war, der Gräfin ein Leid anzutun; sie sprachen deswegen
beide auf einmal mit freundlichen Worten ihr: "Gnädige Frau l Uns ist zwar bei Lebensgefahr befohlen, Euch hinzurichten; dennoch, wenn Ihr uns versprechen wollet, nimmermehr unter die Menschen gehen, sondern Euch in dieser oder einer andern Wildnis verborgen aufzuhalten, so möget Ihr in Gottes Namen hingehen und unser in Eurem Gebet eingedenk sein!" Die Gräfin hob ihre Augen gen Himmel, erhub sich freudig, versprach den Dienern, was sie verlangten, mit allem Ernste und dankte ihnen von ganzer Seele für die erzeigte Barmherzigkeit. Die Diener stachen nun einem Windspiel, das mit ihnen gelaufen war, die Augen aus und überbrachten dieselben ihrem Herrn als Beweis ihrer betrübten Mordtat. Den Golo grauste jedoch, die Augen der Frau zu sehen, die er geliebt hatte; er sprach daher abgewendet, sie sollten die Augen voll Ehebruchs den Hunden vorwerfen.so tief ins Herz, daß auch sie vor Leid sterben zu müssen meinte. Sie legte das Kind verzweifelnd unter einen Baum und ging weit davon, wo sie es nicht hören und sehen konnte. Dort kniete sie mit aufgehobenen Händen nieder und rief den gütigen Gott so inbrünstig an, daß er sie erhören mußte. "Mein Gott und Erlöser", sprach sie, "können deine gnädigen Augen ohne Mitleiden ansehen, wie dieses unschuldige Kind verschmachten muß? Siehe doch an, barmherziger Gott, wie das arme Lamm vor deinen Augen liegt und mit seinem milden Weinen dich so innig um die nötige Nahrung anruft l Ach, erbarme dich über die Waise, der ihr Vater so hart ist, und die Mutter nicht helfen kann. Ich habe ja keinen Trost mehr auf Erden als dies mein einziges Söhnlein. Nimmst du es mir, so muß ich gar vertrauren in dieser öden Wildnis. Darum gib es mir wieder, barmherziger Gott, gewiß, ich will es dir zur Ehre und zu deinem Dienste aufziehen."
Kaum hatte die weinende Mutter dieses Gebet geendigt, da lief eine Hirschkuh auf sie zu, die sich wie ein zahmes Tier anstellte und freundlich um sie herstrich, gleich als wollte sie sagen: "Siehe, mich hat Gott gesendet , dein Kindlein zu ernähren." Genoveva erkannte mit freudigem Staunen die Fürsehung Gottes, sie eilte zurück zu ihrem Kinde, und da die Hirschkuh ihr nachlief, so legte sie das Kind an die Zitzen des Wildes und ließ es so lange saugen, bis es gesättigt war. Durch diese himmlische Wohltat wurde die gute Gräfin so erfreut, daß sie sich auf die Knie niederwarf und mit vielen süßen Tränen dem Stigen Gott Dank sagte und in Demut um Fortsetzung seiner Hilfe flehte. Ihr Gebet wurde erhört; die Hirschkuh kam täglich, solange beide in der Wüste waren, zweimal, das Kind zu säugen. Dies war die einzige Hilfe, welche das schuldlose Kind sieben ganzer Jahre lang von den Kreaturen empfing, während seine Mutter von Wurzeln und Kräutern leben mußte. Ihre Grafenwohnung hatte sie mit der wilden Einöde vertauscht, ihr schönes Zimmer mit einer finstern Kluft, ihre reichbeladene Tafel mit wilden Kräutern, ihre Kammerjungfrauen waren die unvernünftigen Tiere; statt auf ihr weiches Ruhebett legte sie sich des Nachts in Laub und harte Reiser; anstatt ihrer kostbaren Perlen hatte sie bittere Zähren, und für Lust und Kurzweil nichts als Leid und Traurigkeit. Im Sommer war zwar ihr Elend noch erträglich, im Winter aber quälte sie die Kälte; die Nahrung aus der Erde war kaum aufzutreiben; wenn sie trinken wollte, mußte sie das gefrorene EIS so lange im Munde halten, bis es schmolz; wenn sie Wurzeln suchen wollte, mußte sie den tiefen Schnee hinwegräumen und gar mühselig
mit einem Holz in die gefrorene Erde hineingraben; wollte sie sich erwärmen, so mußte sie die eiskalten Hände so lange zusammenschlagen und reiben, bis das Blut wieder kam. Und die langen Winternächte, dieDieses fing allmählich an, heranzuwachsen und sein eigenes Elend zu
empfinden. Wie oft drückte die Mutter ihren Schah an die Brust, seine kleinen von Kälte erstarrten Glieder zu wärmen! Und wenn sie dann sah, wie sein ganzer Leib von Kälte bebte, so wußte sie vor Trauer sich nicht zu halten und mußte unaufhörlich weinen, und das arme Kind weinte mit, als es seine Mutter so traurig sah. Allmählich jedoch gewöhnte sie sich an so große Mühseligkeiten, und auch der Knabe ward abgehärtet und stark. Da dankte sie Gott, daß er sie mit ihm aus der Gefahr der Welt errettet und in die Wüste geführt hatte. Die meiste Zeit brachte sie mit heiligem Gebete zu und übte sich, je länger; je mehr; in der Andacht und der himmlischen Liebe.Einst nun, als sie vor ihrer Höhle kniend ihre Augen betend gen Himmel gerichtet hatte, da sah sie staunend ein Wunder sich ereignen. Ein Engel flog herab aus der Höhe, der trug ein gar schönes Kreuz in seinen Händen, an welchem der sterbende Heiland aus Elfenbein abgebildet war, künstlicher, als Menschenhände es vermögen. Dies Kruzifix reichte ihr der Engel und sprach mit holdseligen Worten ihr: "Nimm dieses heilige Kreuz, Genoveva, welches dein Erlöser dir zum Trost vom Himmel herabsendet . In ihm sollst du dich beschauen und spiegeln, vor ihm dein Gebet verrichten. Tröste dich mit diesem Kreuz, wenn du betrübt bist: fliehe zu ihm, wenn du angefochten bist; wenn dich Ungeduld überfällt, so erinnere dich an die Geduld dessen, der an diesem Kreuze hangt." Als der Engel dies gesprochen, stellte er das Kreuz vor ihr nieder und verschwand vor ihren Augen. Das Kreuz aber blieb leibhaftig stehen; Genoveva nahm es und entdeckte bald in ihrer Höhle einen natürlichen Altar, aus Felsen geformt. Dort stellte sie es auf und warf sich mit andächtiger Demut davor nieder, betrachtete ihren gekreuzigten Erlöser vom Haupt bis zu den Füßen, vergaß so ihr eigenes Leid und wurde von so großem Mitleid verwundet, daß ihr das Herz im Leibe zerspringen wollte. An dem Kreuze hatte sie ihren höchsten Trost, dem Kreuze klagte sie ihr Leid. Im Sommer zierte sie es mit grünen Maien und feinen Waldblümlein, im Winter umschlang sie es mit Tannenreisern und immergrünen Wacholderstauden .
Inzwischen erstarkte ihr lieber Sohn Schmerzenreich und lernte allgemach gehen und reden. Genoveva unterrichtete ihn, so gut sie in der Einsamkeit konnte, und hatte mancherlei Kurzweil mit ihm und herzlichen Trost durch das Kind. Gott und die Natur hatten den Knaben mit besonderem Verstand ausgerüstet, daß er vor der Zeit klug zu werden anfing und alles leicht begriff, was die Mutter ihm sagte. Nur war es jammer voll
anzusehen, wie das arme Kind zuletzt ganz nackt und barfuß ging; denn die schlechten Tücher, in welche die Mutter es von Kindheit an eingewickelt, waren bald zerrissen, und auch die Stücke Tuch, welche die Mutter von ihren eigenen Kleidern abschnitt, wurden bald zu Fetzen. Am Ende kam es so weit, daß Mutter und Kind ihre Blöße mit Moos und Zweigen decken mußten. Da erbarmte sich Gott und sandte einen Wolf daher, der die Haut eines zerrissenen Schafes im Machen trug und sie dicht vor dem Kinde niederwarf. Die Mutter nahm dieses Geschenk mit großem Danke von Gott an, trocknete die Haut und warf sie ihrem Schmerzenreich um.Von dieser Zeit fingen auch die wilden Tiere an, zutraulich gegen die Waldbewohnerin zu werden. Sie kamen täglich vor die Höhle und spielten mit dem Kinde. Der Wolf, der ihm das Schafsfell gebracht hatte, ließ den Knaben auf sich reiten, und oft speiste der Kleine mitten unter den Hasen und anderem Wild, das um ihn herumlief. Die Vögel flogen ihm auf die Hand und auf das kleine Haupt und erfreuten Mutter und Kind mit ihrem lieblichen Gesang. Wenn das Kind ausging, Kräuter für die Mutter zu suchen, so liefen verschiedene Tierchen mit ihm und zeigten ihm, mit den Füßen scharrend, wo die besten Kräuter wären. Die fromme Mutter hatte auch große Freude an dem Gespräche des Knaben und verwunderte sich oft über seine klugen Fragen und Antworten. Sie lehrte ihn auch das Vaterunser und andere Gebete; niemals aber sagte sie ihm, von welchem Geschlecht er geboren wäre, damit sie nicht sein Leid noch vermehre oder die Weltlust in ihm erwecke.
Einst; als sie ein freundliches Gespräch mit ihm hielt, sagte Schmerzenreich zu ihr: "Mutter, du befahlst mir oft zu sagen: ,Vater unser, der du bist im Himmel! ' So sage mir doch, wer ist denn mein Vater?" — "Liebes Kind", sprach die Mutter, "dein Vater ist der Gott, welcher droben wohnt, wo Sonne und Mond scheint." Das Kind sprach: "Kennt mich denn mein Vater auch?" —"Freilich", antwortete die Mutter, "kennt er dich und hat dich auch herzlich lieb." —"Wie kommt es denn", sagte das Kind, "daß er mir nichts Gutes tut und mich in der Not schmachten läßt?" — "Lieber Sohn", erwiderte Genoveva, "wir sind hier auf der Erde alle in einem Jammertale und müssen vieles leiden; wenn wir aber in den Himmel kommen, alsdann werden wir alle Freude haben." Der Schmerzenreich fragte weiter: "Liebe Mutter, hat mein Vater noch mehr Söhne neben mir?" —"Ja freilich", sprach sie. — Er aber sagte: "Wo sind sie denn? Ich meinte, du und ich, wir seien nur allein in der Welt." Genoveva
antwortete: "Obwohl du in deinem Leben nie aus diesem Walde hinausgekommen bist, so sollst du doch wissen, daß außerhalb desselben noch viele Menschenwohnungen sind, darin wohnen allerhand Leute; etliche von ihnen tun Gutes, etliche Böses; und die Böses tun, die kommen in die Hölle, darin sie ewige Pein leiden." — Der Knabe sprach endlich: "Mutter, warum gehen wir nicht zu den andern Leuten; was tun wir denn in diesem Walde allein?" — "Wir tun es", erwiderte Genoveva, "damit wir unserem himmlischen Vater desto besser dienen und um so gewisser in den Himmel kommen mögen." Dergleichen Reden führte das kluge Kind gar viele mit seiner Mutter und lernte durch seine vorwitzigen Fragen mancherlei.Im siebenten Jahre ihres Einsiedlerlebens wurde die fromme Gräfin tödlich krank und glaubte nicht anders, als daß sie sterben müsse; denn die Not und der Mangel an allen Dingen hatten ihren Leib so abgezehrt, daß sie nicht mehr sich selbst gleich sah, sondern ein Schatten des Todes zu sein schien. Ein heftiges Fieber entzündete das Blut in ihren Adern, an allen Gliedern wurde sie kraftlos und voller Schmerzen. Als nun der arme, verlassene Schmerzenreich seine Mutter allmählich dahinsterben sah, da warf er sich über ihren kranken Leib und rief in Verzweiflung aus: "Was fange ich an, geliebte Mutter, wo soll ich hin, wenn du stirbst? In dieser Wildnis bin ich allein, und in der Welt kenne ich keinen Menschen. Mutter, bitte doch den lieben Gott, daß er dich länger leben lasse, denn ohne dich muß dein Sohn verkümmern!" Die sterbende Genoveva suchte nach einem Troste für ihr Kind. Darum sagte sie ihm, was sie bisher
verschwiegen hatte, und sprach: "Betrübe dich nicht wegen meines Todes und klage nicht so sehr über deine Verlassenheit! Wisse, daß du neben dem himmlischen Vater auch noch einen Vater auf Erden hast; dieser wohnt nicht ferne von diesem wilden Walde, in der Stadt Trier. Zu dem geh nach meinem Tode und sag ihm, daß du sein Kind seiest. Er wird dich leicht erkennen; denn du siehest ihm ganz ähnlich; ja, alle Leute dort werden dich erkennen." Und dann erzählte sie ihm ihr ganzes Unglück, soweit es der Knabe erfahren durfte und fassen konnte. Dennoch ließ sie sich von ihm versprechen, ihre Unbilde nicht rächen zu wollen. Alsdann legte die müde Genoveva ihr Haupt zum Schlummer auf die Seite und erwartete den Tod. Da war ihr, als träten zwei glänzende Engel in die Höhle, und einer beugte sich über ihre Lagerstatt, rührte ihr die Hand an und sprach: "Du sollst leben, Genoveva, und jetzt nicht sterben; denn das ist der Wille deines Gottes." Mit diesem Wort verschwanden die Engel, und die Kranke erwachte gestärkt und mit neuer Lebenskraft. Der kleine Schmerzenreich sah dies, er fuhr fort, seine Mutter zu pflegen, und sah mit seliger Freude, wie sie von Stunde zu Stunde neue Kräfte gewann und endlich völlig gesundete.zu sein, die Gräfin samt dem Koch hätten wohl noch einen übleren Tod verdient. Um den Grafen zu zerstreuen, veranstaltete Golo auch mancherlei Gastereien, Tänze, Besuche bei Freunden, und was er sonst wußte, das den Grafen erlustigen konnte. Alle diese Dinge erfreuten nun freilich seine äußerlichen Sinne, aber die Wunden seines angsthaften Herzens konnten sie nicht heilen; diese wurden immer größer und unheilbarer.
Eines Tages kam der Graf in das Zimmer seiner Gemahlin, da fand er unter anderen Schriften den Brief, den Genoveva im Kerker geschrieben, und den das kluge Kind dort wohl versteckt hatte. Er las diesen Brief in der höchsten Spannung seiner Seele und konnte keinen Augenblick länger an der gänzlichen Unschuld seiner lieben Genoveva zweifeln. Da wurde er von solcher Reue und solchem Mitleiden bewegt, daß er bitterlich zu weinen anfing und vor Herzeleid sterben zu müssen meinte. Den Golo aber schalt er einen falschen Verräter und gottlosen Mörder und verfluchte ihn in den Abgrund der Hölle; ja, wenn er gegenwärtig gewesen wäre, er hätte ihn auf der Stelle durchstochen. Aber der Arglistige sah von ferne an der Miene seines Herrn, was ihn erwarte. Er floh deswegen den Hof für einige Tage, bis der Zorn des Grafen sich gelegt hatte. Dann kam er wieder und wußte dem Grafen so scheinbare Gründe entgegenzuhalten und den Brief der Gräfin so lügenhaft zu verdrehen, daß jener seinen Worten mehr als dem Briefe glaubte. "Genoveva", sprach er, "bezeugt in ihrem Schreiben, sie sei unschuldig und habe nimmermehr so arge Tat begangen. Ei, eine schöne Verantwortung! Wenn das Leugnen genug ist, nun dann sind alle Diebe und Ehebrecher unschuldig." So wiegte er das Gewissen seines Herrn in den Schlaf und brachte sich selbst wieder in Gnaden. Aber die innerliche Ruhe des Grafen dauerte nicht lange; die alten Zweifel kamen bald wieder und nagten, je länger, je mehr, an seinem schuldigen Gewissen. Es war ihm immer, als raunte ihm eine Stimme in die Ohren: "Du hast dein Weib Genoveva umbringen lassen; du hast das unschuldige Kind lassen töten; du hast den frommen Koch hinrichten lassen!" So lief er umher wie einer, der keine Ruhe hat.
Golo merkte dies alles wohl; er sah, daß der Gemütszustand des Grafen immer bedenklicher wurde, und glaubte sich bald nicht mehr sicher. In aller Stille verließ er den Hof und das Land; denn er fürchtete, sein Herr möchte ihn zuletzt ergreifen lassen. Einige Zeit darauf ereignete es sich, daß man an einem entlegenen Ort im Felde Spuren eines verscharrten Leichnams entdeckte; man öffnete die Erde, grub tiefer und stieß endlich auf den Körper des hier vergrabenen Koches, den Golo hatte vergiften
und dorthin schaffen lassen, und den man an veschiedenen Merkzeichen erkannte. Der Graf sah den Leichnam selbst, und von nun an nahmen seine Zweifel über den unverschuldeten Tod des Koches zu. Nach einigen Jahren wurde die Frau zu Straßburg, die den Grafen durch ihre Vorspiegelungen betrogen hatte, eingezogen und als schändliche Betrügerin vom Gerichte zum Feuer verurteilt. Vor ihrem Tode bekannte sie auch diesen Betrug und erklärte, daß die Gräfin samt dem Koch unschuldig sei. Auch bat sie, dem Grafen zu berichten, daß sie auf Anstiften des Hofmeisters Golo jenes Gaukelspiel angestellt habe.Dies wurde dem Grafen Siegfried in aller Eile gemeldet, und jetzt erst erkannte er ganz klar, wie er von Golo umstrickt und umnebelt worden und seine arme Gemahlin mit ihrem Kind unschuldig dem Tod überliefert hatte. Zorn, Mitleiden, Neue, Verzweiflung durchwühlten ihm sein Herz, und sein ganzes Trachten ging fortan dahin, den Verräter Golo zu suchen. Zwei Jahre war dieser von Hofe weg, und der Graf wußte nicht, wie er den Fuchs fangen sollte; da entschloß er sich endlich zu einer List. Er schrieb dem Bösewicht einen freundlichen Brief, in welchem er sich scheinbar darüber verwunderte, warum er den Hof verlassen habe, wo er doch nichts als Liebe und Ehre genossen. Golo antwortete ausweichend und entschuldigte seine Abwesenheit mit unvermeidlichen Abhaltungen und Familiengeschäften. Der Graf wiederholte seine Briefe, verbarg allen Widerwillen und gab zu erkennen, wie sehr er seines freundlichen Umgangs bedürfe. Dieser Briefwechsel dauerte eine geraume Zeit, bis endlich Golo wirklich glaubte, der Graf sei ihm wieder in Gnaden gewogen.
Endlich stellte der Graf Siegfried gegen den Heiligen Dreikönigstag eine herrliche Jagd und festliche Mahlzeit an, wozu er alle seine Freunde einlud. Unter diesem Vorwande erging auch an Golo eine Einladung, und dieser rannte freiwillig in das zubereitete Netz. Der Graf hieß ihn willkommen , und wirklich freute er sich höchlich über seine Ankunft; Golo war vor den übrigen Gästen eingetroffen, und sie führten in Erwartung dieser einige Tage lang die freundlichsten Gespräche, als wäre gar nichts zwischen ihnen beiden vorgefallen.
auch den Golo mit sich. Da rannten sie in der Wildnis umher, der eine da, der andere dorthin, und jeder befleißigte sich, ein Stück Wild einzurreiben. Von ungefähr wurde der Graf eine schöne Hirschkuh gewahr; er setzt ihr zu Rosse durch Hecken und Gesträuch nach, und verfolgt sie so lange, bis sie sich in eine Höhle rettet, die sich dem Auge des Grafen zwischen Strauch und Gestein auftut. Er wirft einen Blick hinein und erblickt neben dem Wild eine unbekleidete Frau stehend. Er erschrak von ganzem Herzen und meinte nicht anders, als es sei ein Gespenst oder ein Spuk der Hölle. Deswegen bezeichnete er sich mit dem Kreuz und sprach mit Entsetzen: "Wenn du von Gott hifi, so komm zu mir heraus und sage mir, wer du seiest." Genoveva —denn ihre Höhle war es —erkannte den Grafen auf den ersten Blick und sprach mit zitternder Stimme: "Ja, ich bin von Gott her, ich bin ein unglückliches, nacktes Weib. Wollt Ihr, daß ich zu Euch herauskomme, so werfet mir ein Kleid um, meine Blöße zu decken!" Der Graf zog den Mantel vom Leibe und warf ihn in die Höhle. Sie umwickelte sich nun mit dem zugeworfenen Tuche und trat aus der Höhle hervor, die unerschrockene Hindin an ihrer Seite; Schmerzenreich aber war gerade nicht gegenwärtig, sondern hinaus in den Wald gegangen, Kräuter und Wurzeln zu suchen.
Der Graf wunderte sich über die abgemagerte Gestalt des Weibes, das er vor sich sah, und fragte, wer und von wannen sie doch sei. "Mein Herr", sprach Genoveva, . ,ich bin ein armes Weib und aus Brabant gebürtig; ; aus Not bin ich hierher geflohen; denn man hat mich, die ich nichts verschulder hatte, mit meinem armen Kind umbringen wollen." Der Graf zuckte zusammen, doch fragte er weiter, wie lang es her sei, und wie es zugegangen. Genoveva faßte Mut und sprach: "Ich war mit einem edlen Herrn vermählt, der faßte einen Argwohn gegen mich und übergab mich seinem Hofmeister, daß er mich samt dem Kinde, das ich meinem Herrn geboren hatte, umbringen lassen sollte; die Diener aber schenkten mir aus Erbarmen das Leben, und ich versprach ihnen, daß ich nimmermehr vor meinen Herrn kommen, sondern in diesem Walde Gott dienen wolle, und das sind nun schon sieben Jahr." Siegfried zitterte am ganzen Leibe; denn Genovevas Bild stieg vor seiner Seele auf, aber in dieser abgekehrten Gestalt konnte er sie nicht erkennen. Darum sprach er weiter zu ihr: "Liebe Freundin, ich bitte Euch um Gottes willen, sagt mir, wie ist Euer Name, und wie der Name Eures Eheherrn? Da sprach sie seufzend: "Mein Eheherr hieß Siegfried; ich Armselige aber nenne mich Genoveva!"
Diese wenigen Worte durchzuckten den Grafen mächtiger, als wenn ihn
ein Donnerschlag getroffen hätte. Er bäumte sich in seinen Bügeln und stürzte vom Pferde herab auf den Boden. Da lag er auf der Erde auf seinem Angesicht und atmete lange nicht. Als er aber wieder zur Besinnung kam, richtete er sein Haupt auf und sprach, noch in den Knien liegend: "Genoveva, ach, Genoveva! seid Ihr es?" Sie sprach: "Lieber Herr Siegfried! ja, ich bin die arme Genoveva!" Dem Grafen rollten die Zähren über das Gesicht, er fiel wieder in Erstarrung und konnte lange kein einziges Wort vorbringen. Nach vielem heißen Weinen sprach er endlich, noch immer kniend: "Oh, daß Gott im Himmel erbarmet In solchem Elend muß ich Euch antreffen! Ich gottloser Bösewicht, ich bin nicht wert;Die Gräfin hielt den Strom ihrer Tränen ein und sprach mit halbgebrochenen Worten: "Betrübet Euch nicht, mein Herr Siegfried, betrübet Euch nicht so sehr! Nicht durch Eure Schuld, sondern nach Gottes.
Anordnung ist es geschehen, daß ich in diese Wüste versetzt worden bin. Ich verzeihe Euch von Herzen und habe Euch schon von Anfang verziehen. Der barmherzige Gott wolle uns beiden unsere Sünden verzeihen und uns seiner Gnade würdig machen!" Darauf reichte sie dem Grafen die Hand und hob ihn von der Erde auf. Hier stand nun der betrübte Graf, in das abgezehrte Angesicht seiner Gemahlin schauend; er meinte, das Herz im Leibe müßte ihm vor Mitleiden zerspringen, als er das holdselige Antlitz, das einst den Engeln glich, jetzt so gar grausam entstellt sah. Er fühlte eine solche Ehrerbietung gegen Genoveva, als ob er vor einer Heiligen aus dem Himmel stünde, und wiewohl sie ihm alle Freundlichkeit erzeigte, so wagte er doch kaum mit ihr zu reden. Nach einigen tiefen Seufzern sprach er endlich: "Und wo ist denn das arme Kind, das Ihr im Kerker geboren habt? Ist es denn nicht mehr am Leben?" —"Freilich ist es ein großes Wunder von Gott, daß es noch lebt", erwiderte Genoveva, "ich allein hätte es nicht ernähren können; aber Gott hat mir diese Hindin geschickt, und das treue Tier hat mein Kind zweimal des Tages gesäugt"'Sie redete noch, als der kleine Schmerzenreich, mit seiner Schafhaut bekleidet , barfuß dahergelaufen kam, seine beiden Hände voll wilder Wurzeln . Als er aber den Grafen bei seiner Mutter sah, erschrak er sehr und rief: "Mutter, was ist das für ein wilder Mensch, der bei dir steht? fürchte mich vor ihm!" Die Mutter sprach: "Fürchte dich nicht, lieber Sohn! komm nur kecklich her; der Mann tut dir nichts!" Da war bei dem Grafen Leid und Freud so groß, daß er nicht wußte, welches mächtiger war. Als nun das Kind näher trat, nahm es die Mutter bei der Hand und sagte zu ihm: "Siehe, mein Sohn, das ist dein Vater, geh hin, fasse seine Hand und küsse siel" Das Kind gehorchte, der Graf aber nahm es auf seine Arme, drückte es an sein entzücktes Herz und küßte es süßiglich ohne Unterlaß und brachte nichts weiter vor als: "O mein herzliebster Sohn, o mein herzgüldenes Kind!"
sie sagen oder denken sollten. Einer nach dem andern ging hinzu, hieß sie freundlich willkommen und erfreute sich von Herzen, daß diejenige noch lebte, die alles im Schlosse schon sieben Jahre lang beseufzet hatte. Zwei von ihnen ritten eilig nach Hause und kamen mit einer Sänfte samt Gewändern zurück, die Gräfin ehrbarlich zu schmücken und heimzutragen.
Unter allen Dienern, die auf den Jagdruf des Grafen herbeikamen, war Golo der letzte, als ahnete es ihm, daß nichts Gutes für ihn vorgegangen sei. Der Graf hatte ihm zwei Diener entgegengeschickt mit dem Befehl, er solle eilen, es sei ein wunderseltsames Wild gefangen worden. Wie er nun hinzukam, da sprach Herr Siegfried: "Golo, kennest du dieses Weib?" Er schreckte zusammen, doch sagte er: "Nein, ich kenne sie nicht." Weiter sprach der Graf: "Du ruchlosester Bösewicht, der unter der Sonne wandelt , kennst du Genoveva nicht, die du fälschlich bei mir verklagt und um schuldig in den Tod geschickt hast? Du Mörder, wie soll ich dich genug strafen, welche Qualen soll ich ersinnen, mit denen ich dich genug martern kannt" Golo lag indessen auf der Erde und wälzte sich und batum Barmherzigkeit. Der ergrimmte Graf aber befahl, ihn hart zu binden und als den größten Übeltäter gefangen abzuführen.
Hierauf bat Siegfried, Genoveva möchte sich gefallen lassen, mit ihm in das Schloß zurückzugehen, aber sie betrat noch einmal zuvor ihre Höhle und fiel vor dem Kruzifixe nieder, Gott für alle an diesem Orte empfangene Wohltaten zu danken. Alsdann nahm sie der Graf bei der Hand, ein edler Ritter trug den jungen Grafen nach. Muntere Vögelein flogen über Genovevas Haupte und zeigten mit dem Flattern ihrer Flügel an, wie ungerne sie die Frau und das Kind von sich ließen. Die Hirschkuh folgte der Gräfin wie ein sanftmütiges Lamm und wollte keinen Schritt von ihr weichen. Endlich kam man zur Sänfte, in welche sie gesetzt ward, und nun bewegte sich der Zug dem Schlosse zu.
Hier war das große Wunder schon zur lauten Märe geworden, jeder wollte die Wiedergefundene sehen, Freunde und geladene Gäste kamen scharenweise auf das Schloß, wo sie große Ursache zu frohlocken antrafen, da sie die teure Verwandte wie von den Toten auferstanden fanden und die wunderbare Weise vernahmen, durch welche Gott ihre Unschuld geoffenbart hatte. Als das Ehepaar angekommen und begrüßt war, begannen die Feste und dauerten die ganze Woche. Mahl folgte auf Mahl; aber Genoveva konnte von keiner Speise genießen und den Freudenwein nicht kosten; aus Wurzeln und Kräutern mußte man ihr die Speise bereiten, die sie allein essen konnte.
Als die Freudenwoche vorüber war, wurde auch über Golo Gericht gehalten . Der Graf ließ ihn aus seinem Gefängnisse holen und sämtlichen Gästen vorführen. Er erzählte ihnen alle seine Frevel und ließ sie urteilen, welche Strafe ein so teuflischer Bösewicht verdient habe. Die ganze Verwandtschaft schrie Rache über den boshaften Verräter und verurteilte ihn zum grausamsten Tode. Da warf sich der Bösewicht zu Genovevas Füßen, und diese bat ihren Herrn inständig, dem armen gedemütigten Sünder zu
Die Feste waren zu Ende, und die Gäste hatten das Schloß des Grafen verlassen. Fortan lebte Genoveva mit ihrem Gemahl in großer Heiligkeit, und er wußte nicht, wie er ihr genug dienen und aufwarten sollte, er liebte sie, wie die Engel im Himmel sich lieben, und ließ ihr alle Ehre erweisen, die man einer durchlauchtigsten Fürstin erweist. Aber die Gräfin freute sich irdischer Ehre nicht mehr, und ihr Körper war von dem langen Elend so schwach, daß ihr keine Pflege mehr frommen mochte. Kaum mochte sie drei Monate aufs neue mit ihrem lieben Herrn verlebt haben, so wurde sie eines Tages über dem Gebete entzückt und sah eine herrliche Erscheinung . Eine Schar heiliger Frauen und Jungfrauen nahte sich ihr; und mitten unter ihnen ging die Mutter Gottes glorwürdig einher. Jede von diesen Heiligen reichte der Gräfin eine himmlische Blume; die Himmelskönigin aber hielt eine mit köstlichen Edelsteinen besetzte Krone in der Hand und sprach: "Geliebte Tochter, betrachte diese Krone; du hast sie erworben durch die Dornenkrone, die du in der Wildnis getragen hast. Empfange sie von meinen Händen; denn es ist Zeit, daß sich bei dir die Ewigkeit deiner Freuden anhebe!" Mit diesen Worten setzte sie ihr die Krone auf das Haupt und fuhr mit ihrer Begleitung wieder gen Himmel.
Über diese Erscheinung war Genoveva sehr froh; denn sie war dadurch versichert, daß ihr Elend nun bald ein Ende nehmen werde. Doch sagte sie ihrem Gemahl nichts davon, damit er sich nicht vor der Zeit betrüben möchte. Aber die Erfüllung zögerte nicht lange. Denn bald darauf wandelte die fromme Gräfin ein Fieber an, das sie zuletzt aufs Krankenbette warf. Und gegen diese Krankheit fruchtete kein Mittel, so daß Siegfried und sein Sohn Schmerzenreich bald in trostloses Leid versanken. "Ach, geliebte Genoveva", rief der Graf an ihrem Lager aus, "wollt Ihr denn, kaum gefunden, so bald von mir scheiden und mein ganzes Herz wieder betrübend Habt Mitleid mit meinem Jammer und bittet den lieben Gott, daß er Euch noch eine Weile bei mir lassen wolle!" Genoveva sprach freundlich darauf: "Betrübet Euch nicht so sehr wegen meines Todes, lieber Gemahl; Ihr richtet damit nichts andres aus, als daß Ihr mich mit Euch betrübet. Ihr seht ja wohl, daß es nicht anders sein kann; darum gebet Euch von freien Stücken in den göttlichen Willen. Was mich in meinem Tod am meisten bekümmert, ist, daß ich Euch und meinen lieben Schmerzenreich in solcher Bekümmernis sehen muß; wenn ihr beide getrost wäret, so wollte ich freudig sterben und dies elende Leben mit einem bessern vertauschen."
Von da an brachte die Gräfin ihre ganze Zeit in lauter Andacht zu; sie
ließ alles, was im Schlosse war, zu sich rufen und gab allen ihren Muttersegen , besonders segnete und tröstete sie ihren geliebten Schmerzenreich, dessen Verlassenheit ihr am meisten zu Herzen ging. Und so entMit der heiligen Genoveva war dem Grafen alle Lust und Freude begraben , und kein Ding auf der Welt gewährte ihm ferner ein Genügen. In der Kirche lag er allezeit kniend auf ihrem Grab, und in dem Schlosse verriegelte er sich täglich in ihrer Kammer, da war ihm, als hätte er sie vor Augen, und führte ein klagendes Zwiegespräch mit ihr und bat ihr unter Tränen ab, daß er sie im Leben so hart verfolgt habe. Auch zu der Höhle, in der Genoveva gelebt hatte, ging er hinaus, und als er vor dem Kruzifix auf den Knien lag, da sprach er bei sich selbst: "Dies ist die Höhle, die mit den Seufzern der verlassenen Unschuld angefüllt ward; hier hat deine treue Gemahlin fremde Sünden abgebüßt, warum solltest du hier nicht deine eigene Sünde abbüssend" Als er dies bei sich selbst gesprochen, entstand in seiner Seele wie durch Eingebung der Vorsatz, in jener Höhle ein Einsiedlerleben zu führen. Er kehrte auf der Stelle nach Trier zurück und begehrte und erhielt vom Bischof Hidulf die Erlaubnis, eine Kapelle an dem Ort zu erbauen.
Als nun eine schöne Kirche in der Wildnis fertig war mit zwei oder drei Einsiedeleien für solche, die daselbst Buße tun wollten, wurde der Leichnam der frommen Genoveva dorthin gebracht, damit sie da ruhen möchte, wo sie so lange ein strenges und ruheloses Leben geführt hatte. Da mochte man Wunder sehen. Denn obgleich der Leichnam in einem marmornen Sarge lag, den kaum sechs Stiere hätten fortbewegen können, so zogen ihn doch zwei Pferde so leicht, als wenn sie gar keine Last hätten. Und wo der Trauerwagen vorübergeführt wurde, da neigten sich die Hecken des Waldes , als schwankten sie vom Winde bewegt; ja selbst die höchsten Bäume bogen ihre Aste tief gegen ihn herunter. So wurde der Leichnam der heiligen Frau beigesetzt und das himmlische Kreuz auf den hohen Altar gestellt.
Der Graf bestellte nun seine Sachen im Schlosse und ordnete alles an, wie er es vor seinem Ende hätte verordnen müssen. Dann berief er seinen Bruder und sprach in Gegenwart seines Sohns: "Lieber Bruder, Ihr habt schon seit geraumer Zeit an mir bemerken können, daß ich nirgends Genügen haben kann als in der Trauer um meine geliebte Genoveva. Darum
habe ich mich entschlossen, die Welt gänzlich zu verlassen und an dem Orte, wo meine Gemahlin gelebt hat, zu leben und zu sterben; deswegen setze ich Euch zum Vormunde meines Sohnes Schmerzenreich und bitte Euch, Ihr wollet an ihm tun, als wenn es Euer leiblicher Sohn wäre; ich bin gewiß, auch er wird Euch Gehorsam und Ehrerbietung bezeigen, wie ein Kind seinem Vater schuldig ist." Dann sprach er zu seinem Sohne: "Hörst du es, mein her liebstes Kind, daß ich die Welt zu verlassen begehre und dir meine ganze Grafschaft übergeben Dein Herr Vetter soll hinfort dein Vater sein." Da sprach Schmerzenreich: "Ei, lieber Vater, meinet Ihr auch, daß es recht sei, daß Ihr für Euren Teil den Himmel erwählen wollet und mir für meinen Teil nur ein wenig Erde hinterlassend Nein, Vater, das tue ich nicht; ich will ebensowohl den Himmel haben als Ihr. Wo Ihr leben wollt, will ich auch leben; wo Ihr sterben wollt, will ich auch sterben." Alle verwunderten sich über die Sprache des Knaben. Der Graf mahnte ihn mit weinenden Augen ab: "Mein lieber Sohn", sprach er, "das strenge Leben dort wird dir schwer fallen, dein zärtlicher Leib wird es nicht aushalten können!" - "Ei, besser als Ihr, mein Vater", sprach der junge Schmerzenreich, "habe ich doch sieben Jahre lang die Probe ausgestanden!"So überließ Schmerzenreich die Grafschaft seinem Ohme, und dieser und der Vater umfingen beide das Kind mit herzlicher Liebe. Vater und Sohn legten Pilgerkleider an, nahmen mit vielen Tränen Abschied von der Verwandtschaft
und zogen in die rauhe Wildnis, daselbst Gott bis an ihr Ende zu dienen. Sobald der kleine Schmerzenreich hier ankam, erkannten ihn seine alten Gespielen, die wilden Tiere, wieder, kamen in großer Menge herbei und freuten sich seiner Ankunft. Da bezogen Vater und Sohn die Einsiedeleien, brachten darin ihr Leben im Andenken an die fromme Genoveva heilig zu und sind auch daselbst gottselig im Herm entschlafen.
Das Schloß in der Höhle Xa Xa
Mit Bildern von Oskar Pletsch
Es lebte einst in Europa ein jüdischer Zauberer, namens Mattetai, der es in seiner Kunst so weit gebracht hatte, daß er alle verborgenen Schätze ergründen und sie nach Belieben gebrauchen konnte. Doch hatte er daran noch nicht genug, sondern da er in einem alten Buche gelesen hatte, daß in der afrikanischen Höhle Xa Xa ein Schlüsselschloß versteckt liege, welches die Eigenschaft habe, daß sein Besitzer der glückseligste Mensch werden und alles erlangen könne, weil die Erdgeister daran gebunden wären und demjenigen zu Willen sein müßten, der das Schloß in seiner Gewalt hätte: so wässerte ihm der Mund schon lange auch nach diesem seltenen Schatz. Da aber, um dieses Schloß abzuholen, allerlei Förmlichkeiten beobachtet werden mußten, die Mattetai noch nicht kannte, so wollte er darüber erst den rechten Bericht einziehen. Weil er nun unter andern Dingen auch einen Ring besaß, an welchen die Luftgeister gefesselt waren, so berief er diese, indem er den Ring um seinen Finger drehte. Alsobald kamen drei Luftgeister herangeflogen und fragten Mattetai, was sein Begehren wäre. Dieser antwortete: "Ich möchte gerne das unschätzbare Schloß in der Höhle Xa Xa haben und berufe euch zu dem Ende, daß ihr mir zu Hilfe kommen sollt." Die Luftgeister antworteten: "Mit Gewalt, Herr, können wir Euch in dieser Sache nicht dienen; denn das Schloß wird von Erdgeistern bewacht, welche stärker sind als wir, und gegen die wir wenig ausrichten können. Bedienet Euch aber einer List, so werdet Ihr vielleicht von selbst obsiegen und das Schloß in Eure Gewalt bekommen!"—"Wohl gut", erwiderte Mattetai, "wie muß ich's aber angreifen?" —"Ganz so", sagten sie, "wie es in Eurem großen Buche geschrieben steht! Vor allen Dingen müßt Ihr einen türkischen Knaben dazu haben, der noch ein unschuldiges Kind ist und Euch in allem folgt, was Ihr ihm nach Anzeige des Buches befehlen werdet." Mattetai griff nach dem Buche, sah sich genau darin um, sprang endlich auf und sagte zu den Luftgeistern: "Gut, bringt mich nach Konstantinopel; dort hoffe ich anzutreffen, was ich suche."
Flugs ergriffen ihn die willigen Luftgeister und führten ihn durch die Luft in ein paar Augenblicken nach Asien hinüber, wo sie ihn nahe bei der Stadt Konstantinopel auf den Erdboden niedersetzten. Hier entließ er die
Geister; ging hinein in die Stadt und durchwanderte viele Straßen, bis er endlich einen Knaben antraf, der ihm diejenigen Eigenschaften zu haben deuchte, die dazu nötig waren, das Werk, das er vorhatte, glücklich auszuführen . Es war ein armer mutterloser Taglöhnerssohn, namens Lameth; diesem nahte sich Mattetai, während er gerade mit andern Jungen seinesgleichen auf der Straße spielte, grüßte ihn freundlich und fragte: "Wo wohnt dein Vater?" —"Nicht weit von hier", antwortete Lameth. MattetaiMattetai bedankte sich für den guten Rat, schenkte dem Taglöhner einen
Dukaten, bestimmte des Knaben Lohn und erklärte sich noch überdies bereit, für seinen Unterhalt sorgen zu wollen, wenn er ihm getreu dienen würde. Achim, als er von soviel Geld hörte, das er durch seine harte Arbeit in Monatsfrist nicht zu verdienen wußte, und das der Knabe alle Tage für so geringe Mühe bekommen sollte, dankte dem Gott Mahomets in seinem Herzen und wünschte nur, daß Mattetai recht lang in Konstantinopel verweilen möchte. Er übergab ihm seinen Sohn und prägte demselben ernstlich ein, seinem neuen Herrn in allem gehorsam zu sein und treulich zu dienen. Mattetai dankte noch einmal und begab sich mit Lameth in das angewiesene Haus, ließ sich dort ein gutes Mahl zurichten, das der Knabe mit ihm teilen und noch dazu die Brocken in seines Vaters Haus tragen durfte. Gleich für den ersten Tag gab ihm der Zauberer einen Dukaten Lohn, obgleich er ihm noch wenig gedient und nur etliche Stunden bei ihm geblieben war. Er schickte ihn damit beizeiten fort, weil er vorgab, reisemüde zu sein, und nicht mehr ausgehen möge, sondern ruhen wolle.Lameth überbrachte seinem Vater alles mit Freuden, und dieser kam ganz außer sich, als er auf einmal soviel Geld vor sich sah; er befahl seinem Sohn, dem Herrn zu tun, was er ihm an den Augen absehen könnte, und schickte ihn am Morgen in aller Frühe zu dem Fremden. Mattetai ließ nun sogleich einen Kleiderhändler rufen, der ein sauberes Kleid für den Knaben bringen mußte; darauf befahl er ihm, zwei gute Pferde zu mieten. Auf diese setzten sie sich und ritten so in Konstantinopel herum, alle Seltenheiten zu besehen. Des Abends kehrten sie wieder heim, speisten zu Nacht, und Lameth erhielt wieder den versprochenen Taglohn und wurde mit den übriggebliebenen Speisen beladen zum Vater heimgesandt. So hatte auch Achim rechte Herrentage, dachte fast an kein Arbeiten mehr und wünschte nur, daß Mattetai sein Lebenlang dableiben möchte. Vierzehn ganzer Tage währte es so, und Vater und Sohn hätten dem Fremden gerne die Hände unter die Füße gebreitet; allein Mattetai mußte sich ganz wider seinen Willen so lang in Konstantinopel aufhalten, um den rechten Tag abzuwarten, an dem das große Geschäft unternommen werden könnte.
Den Abend, ehe dieser Tag erschien, befahl der Zauberer dem Lameth, die besten Pferde, die er bekommen könnte, zu mieten und gleich bei Anbruch des Tages mit denselben zu ihm zu kommen; denn er sei willens, nachdem er alles Schöne in der Stadt eingesehen, morgen auf das Land zu gehen, die Gegend außerhalb der Stadt zu besichtigen und ihre Annehmlichkeiten
zu genießen. Lameth tat mit Freuden, was ihm Mattetai befohlen , und kam am andern Tag in aller Frühe mit zwei der besten Pferde, die er hatte bekommen können. Auf das eine setzte sich Mattetai, Lameth folgte ihm auf dem andern willig nach. Als sie ein paar Meilen von der Stadt entfernt waren, verließ der sauberer auf einmal die ordentliche Straße und ritt in das Gebüsch hinein. "Herr", sagte Lameth, "wir wollen der Landstraße folgen, sonst könnten wir uns verirren." Aber Mattetai sagte: "Folge mir nur nach; weil die Sonne so heiß scheint, will ich lieber im Waldesschatten retten; nachher werde ich den Weg auf die Landstraße schon wieder zu finden wissen." Er gab mit diesen Worten seinem Pferde die Sporen und ritt so scharf zu, daß Lameth ihm fast nicht nachfolgen konnte, da Mattetai durch Hecken und Stauden, über dick und dünn dahinsprengte. Endlich vermochte der Knabe nicht länger es auszuhalten; er rief deswegen dem Zauberer nach und bat ihn innezuhalten. Dies tat jener endlich; an einer öden Stelle angekommen, stieg er vom Pferde, band dasselbe an einen Baum und befahl dem Lameth, ein gleiches zu tun und mit ihm ein wenig auszuruhen. Lameth war recht froh darüber; sobald er sein Pferd auch angebunden, lagerte er sich und verschnaubte ein wenig.Indessen zog Mattetai ein großes Buch aus seiner Manteltasche, schlug es im Grase auf und las eine Weile darin. Nachher drehte er seinen Ring am Finger um und murmelte etwas in seinen Bart; und siehe da, im Augenblick standen drei Luftgeister vor ihm, die fragten, was er zu befehlen hätte. Lameth, der dergleichen noch niemals gesehen hatte, erschrak darüber so sehr, daß er fast vor Schrecken gestorben wäre. Aber Mattetai richtete ihn bald wieder auf, und sagte: "Fürchte dich nicht, mein Sohn, es soll dir kein Haar gekrümmt werden! Folge mir nur; ich versichere dich, es soll dich nicht gereuen; ich will dich so reich machen, daß du mir's dein Lebtag danken wirst." Mit diesen und andern Worten beruhigte er den Knaben; dann wendete er sich zu seinen Luftgeistern und sagte zu dem einen: "Da, nimm diese zwei Pferde und überbring sie ihrem Herrn wieder! Ihr aber" —sagte er zu den zwei andern —"ihr bringet mich und meinen getreuen Diener hier unversehrt nach Afrika, zu der berühmten Höhle Xa Xa."
Im Augenblick wurden beide von den Geistern ergriffen, durch die Luft entrückt und in einem Nu nach Afrika hinübergebracht, wo die Geister sie vor einem großen Hügel niedersetzten. Mattetai verabschiedete hier seine Luftgeister, zog sein Buch wieder heraus und las darin. Dann holte
ein Feuerzeug, das er mit sich trug, hervor, zündete ein Feuer an und beschrieb einen Kreis darum. Hernach streute er Weihrauch ins Feuer und murmelte einige unverständliche Worte. Während er dies tat, entstand in dem Hügel ein großes Getöse, wie wenn es donnerte; alsdann geschah ein entsetzlicher Knall, mit dem sich der Hügel öffnete und viel feurige Flammen aus der Höhle herausführen. Als dies geschehen war, ging Mattetai aus dem Kreise und auf Lameth zu, der vor Furcht und SchreckenLameth entsetzte sich über des Fremden Worte; er war blöde und konnte sich nicht entschließen, ein so gefährliches Werk zu unternehmen. Mattetai redete ihm indessen aufs ernstlichste zu und ließ ihn einen Blick in das glänzende Leben tun, das er ihm bereiten wolle. Als aber Lameth noch immerfort zitterte und bebte und sich zu nichts willig zeigte, da fürchtete der Zauberer, wenn die rechte Stunde verlaufen sei, so möchte er mit aller Welt Hilfe das, was er suchte, nicht mehr erlangen. Er wurde daher zornig, ergriff Lameth beim Kragen, warf ihn zu Boden und sagte: bringe dich um, wenn du nicht vollführst; was ich dir befehle!" Da bat ihn Lameth um Gnade und versprach tun zu wollen, was er verlange. Jetzt wurde der Zauberer wieder ganz freundlich, wischte ihm den Staub ab, stärkte ihn mit kräftigen Arzneien, die er bei sich hatte, und begleitete ihn bis an den Hügel. Hier hieß er ihn in die gespaltene Höhle hineingehen, und als der Knabe den Eingang überschritten, setzte er sich an demselben nieder und erwartete vor der Höhle mit Schmerzen seine Zurückkunft.
Wie Lameth sich im Eingang der Höhle befand, folgte er der Angabe seines Meisters; er ging emsig, doch mit Furcht und Behutsamkeit vorwärts , denn es war so finster, daß er gar nichts um sich gewahren konnte; jedoch, eingedenk der Warnungen seines Meisters, ließ er sich nicht hindern sondern ging seines geraden Weges fort. Da wurde es denn plötzlich hell, und er kam in ein Zimmer, in dem lauter silberne Gefäße standen, mit Blumen schön geziert. Doch verstand Lameth ihre Kostbarkeit
nicht; er hielt sie nicht für besser als gewöhnliches Metall, sah sie mit Verwunderung an, berührte jedoch nicht das Geringste davon, sondern ging vorwärts. Da kam er in ein anderes Zimmer, wo Körbe und Schalen aus lauterem Golde gefertigt standen, darin nichts als Edelsteine, Perlen und andere Kleinodien waren. Diese Dinge kannte Lameth noch weniger; er hielt sie für schöne Spielsachen und achtete ihrer nicht, sondern ging seines Weges fort. So kam er in ein drittes Zimmer, das mit silbernen und goldenen Münzen ganz gefüllt war; denn sie waren in Haufen aufgeschüttet, als wäre es Korn. Was Münzen sind, wußte Lameth wohl: fast hätte ihn die Lust überwunden, seine Taschen damit anzufüllen; doch noch zu rechter Zeit fielen ihm Mattetais Drohungen ein; er fürchtete, sein Gelüste mit dem Tode bezahlen zu müssen, und so eilte er weiter fort. Jetzt kam er in den schönen lachenden Garten, von dem ihm gesagt war; da standen viele Bäume, alle mit weißen, gelben, grünen , roten Früchten, die wie durchsichtig schimmerten, geziert. Er sah sie mit Erstaunen an und mit Verlangen. Wußte er doch, daß er von ihnen zu sich nehmen durfte, wieviel er wollte. Doch hielt er es für keine rechte Früchte, sondern glaubte, es seien bunte, schön geschliffene Gläser: nun begann er, seine Taschen damit zu füllen; da fiel ihm plötzlich ein, daß der Fremde ihn gewarnt hatte, nicht viel Zeit damit zu versäumen, damit die Höhle nicht geschlossen werden möchte. So eilte er weiter und erblickte bald eine marmorne Säule; an dieser hing an einer Perlenschnur das wunderbare Schloß. Sowie er dieses ersah, lief er darauf zu, schnitt es geschwind ab und wollte es in die Tasche stecken. Aber seine breiten Taschen waren voll von den Wunderfrüchten, die er gepflückt hatte. Da besann er sich nicht lange, nahm seinen Turban ab, rollte ihn auf und verbarg das Schloß samt Perlenschnur sorgfältig darin; dann wand er ihn wieder fest um seinen Kopf und rannte schneller, als er hineingegangen war, den geraden Weg wieder zurück. Da umtönte ihn in dem Garten und den Zimmern, welche er zu durchlaufen hatte, ein solches Geheul, Gepolter und Geprassel, daß ihm alle Haare gen Berg standen und er meinte, die Höhle würde zusammenstürzen und das Firmament darüber. Er war deswegen froh, als er den engen Gang wieder erreichte; aber dieser, der vorhin stockfinster gewesen war, gab jetzt einen ganz feurigen Widerschein von sich, und Lameth getraute sich deswegen lange nicht, dem Feuer zu nahen; als er sich aber fürchtete, länger zu zögern, lief er mitten in die Flammen; da empfand er, daß sie nicht brannten, sondern ganz kühlend waren, und so freute er sich sehr; denn schon leuchtete ihm durch die Öffnung das Tageslicht entgegen, und in wenigen Minuten hoffte er aus seinem Jammer befreit und wieder bei seinem Meister zu sein. Da ließ sich plötzlich ein großer Knall hören, wie ein mächtiger Donnerschlag, und mit diesem verschloß sich die Höhle, und es wurde so finster; daß man gar nichts mehr sehen konnte. Lameth tappte herum und seinem Pfade nach. Endlich kam er an die Stelle, wo zuvor die Öffnung gewesen war. Allein jetzt fand er keine Spur mehr von ihr, und bald mußte er sich sagen, daß er lebendig in der Erde begraben sei.Während Lameth in der Höhle war, wartete Mattetai draußen mit Verlangen , bis er wiederkommen und ihm das Schloß aus der Höhle bringen würde. Allein schon war die meiste Zeit verflossen, nach der die Höhle sich wieder schließen mußte, und als er den Knaben nicht wiederkommen sah, geriet er fast in Verzweiflung, weil er wohl wußte, daß in wenigen Augenblicken alle seine Hoffnung verloren sein würde. Darum jammerte er kläglich und schrie immer: "Lameth, o Lameth, komm, eile, erfreue den unglücklichen Mattetai mit deiner Gegenwart!" Aber dieser wollte nicht kommen, und der Zauberer gab sich seiner Trostlosigkeit hin; er hatte nicht nur das Schloß von Xa Xa, sondern seinen herrlichen Ring dazu verloren und damit seine ganze zeitliche Glückseligkeit verschenkt. Noch rief er: "Lameth, Lameth", als plötzlich jener entsetzliche Knall sich hören ließ und eine feurige Flamme aus der Höhle herausfuhr, mit welcher
sie sich schloß. Die Flamme ergriff den Zauberer, schleifte ihn eine Meile Weges von dannen und warf ihn in einen großen Wassersumpf, in dem er wie ein Frosch ausgestreckt lag, ohne Besinnung und Empfindung , bis die Sonne unterging und er an der Kühle erwachte, wie aus einem Traume. Aber noch wußte er nicht, wo er war, noch wie er dahin gekommen. Nach und nach fiel ihm sein unglückseliges Schicksal wieder ein, und er bejammerte aufs neue den Verlust seines Ringes, denn mit dessen Hilfe hätte er sich leicht durch den Dienst der Luftgeister aus diesem Elende gerettet und nach Europa zurückbringen lassen können. Jetzt aber war ihm Hoffnung und Besitz entschwunden. Aus dem Sumpf hatte er sich zwar emporgearbeitet, aber in der tiefsten Finsternis lag er, und um ihn brüllten die wilden Tiere, daß ihm die Haut schauerte. Doch schlug er mit seinem Feuerzeug ein Licht, und da er zu seinem einzigen Troste das Buch bei sich hatte, in dem noch große Geheimnisse standen, so durchblätterte er es. Da stieß er denn zu seiner Freude auf eine Anweisung, wie man die Wassergeister berufen könnte. Keinen Augenblick zögerte er, sie zu zitieren. Und siehe, auf der Stelle erschienen zwei dienstbare Geister der Art vor ihm, pudelnaß; sie schüttelten sich heftig und fragten, was er verlange. "Sagt mir", rief sie Mattetai an, "in welchem Teile der Welt ich mich dermal befindet" — "In Afrika", erwiderten sie. — "Nun, so befehle ich, daß ihr mich auf der Stelle unbeschädigt nach Europa hinüberbringet!" Die Geister setzten Mattetai auf ihre Achseln, fuhren mit ihm wie der Blitz durch das Meer und setzten ihn in Europa auf das Trockene.Mattetai war froh, daß er wieder in den Teil der Welt gebracht worden, in welchem er geboren war, und wo er seinen bleibenden Aufenthalt hatte. Er verfolgte also, unter schweren Gedanken seinem Verluste nachhängend , mit vieler Unbequemlichkeit seine Reise, bis er wieder in sein Vaterland gelangte. Hier wandte er alle seine Kräfte an, den erlittenen Verlust seines Ringes mit Geduld zu verschmerzen. Auch konnte er sich wirklich darüber wohl trösten, denn seine große Kunst machte ihn zum Herrn über alle Schätze; er konnte sich ihrer nach Belieben bedienen und sich dabei wohl sein lassen.
gefunden. Darüber machte sich Achim ängstliche Grillen; er ging nach Mattetais Wohnung, traf aber weder Herrn noch Diener. Noch hoffte er, sie würden sich am Abend einstellen; als aber der zweite und dritte Tag verflossen war, ahne daß er von seinem Sohn etwas erfahren hatte, da wurde er ganz kleinmütig, schalt den Mattetai einen Betrüger und Verführer und wünschte ihm die Pest auf den Hals. —
Lameth war noch immer in der Höhle Xa Xa verschlossen und wehklagte laut als ein lebendig Begrabener, der nicht wußte, wie er aus seiner Gruft herauskommen sollte. Er lief endlich in die Höhle zurück; denn er hoffte wieder in die schönen Zimmer und in den Garten zu gelangen, um dort vielleicht einen andern Ausweg zu finden; allein er betrog sich sehr: die Türen waren fest zugeriegelt, und er mußte unverrichteter Dinge wieder zurückkehren. Weil er von dem Hinundherrennen ganz müde geworden war, setzte er sich nun auf einen Stein in der Höhle; es begann ihn zu hungern und zu dürsten, darüber wurde er sehr kleinmütig, bis ihm einfiel, daß er noch etwas von den Labungen bei sich hatte, die ihm Mattetai mitgegeben. Er langte sie aus seiner Rocktasche hervor und erquickte sich damit, und da ihn sehr schläferte, so suchte er sich einen geschickteren Ort zum Schlummern aus, fand auch bald einen höheren Stein, der ihm zum Kopfkissen diente, legte sich zu Boden und sein Haupt darauf nieder. So schlief er sanft ein und hatte einen süßen Traum, als wäre er seinem Grab entronnen und wieder daheim bei seinem Vater. Wie er erwachte, hatte er keine Ahnung davon, daß er dreimal vierundzwanzig Stunden verschlafen. Er weinte nur um so lauter, als er sich noch in seinem finstern Kerker eingeschlossen fand, rief nach seinem Vater und rang die Hände. Ohne es zu wollen und zu ahnen, drehte er dabei den Ring um, den ihm Mattetai an den Finger gesteckt hatte. Im Augenblicke wurde die Höhle ganz hell, und zwei Lustgeister, die vorher in des Zauberers Dienste gewesen waren, standen vor Lameths Augen. Dieser erschrak zwar ein wenig; doch weil er früher schon die Unschädlichkeit jener Geister erfahren hatte, so ermannte er sich bald wieder, zumal als er die Geister zu sich sprechen hörte: "Was verlangst du von uns? Womit können wir dir dienen?" — "Ach", seufzte Lameth, "aus meinem Gefängnis wäre ich gerne und bei meinem Vater!" —"Lameth, Lameth", antwortete da einer der Geister, "wenn du das Glück kenntest, das in deinen Händen ist; du schätzetest dich höher als der türkische Kaisers Aber sei zufrieden; da du jetzt die Erdgeister gebunden hast, so können wir dir zu Diensten sein, und dein Wille soll erfüllt werden." Darauf öffnete sich in einem Nu und mit
großem Krachen die Höhle; die Luftgeister erfaßten den Knaben und führten ihn wie der Wind nach Konstantinopel hinüber, wo sie ihn vor seines Vaters Hause niedersetzten. Er dankte den dienstbaren Geistern herzlich und ging getrost in das Haus hinein.Hier saß der alte Achim sehr traurig über den Verlust seines Sohnes. Als dieser nun plötzlich vor ihm stand, da war seine Freude unbeschreiblich, er fiel ihm um den Hals und rief das einemal um das andere: "Lameth, ach lieber Lameth, wo bist du so lange geblieben, und wo ist dem guter Herr hingekommen?" — "Lieber Vater", sprach der Sohn, "sagt mir von dem Schelmen und Zauberer Mattetai nichts mehr, sondern schafft mir etwas zu essen; denn mich hungert sehr. Seit ich von Euch gekommen bin, habe ich nichts als ein paar Zuckerstengel über meine Zunge genommen!" Achim, der noch Geld von Mattetais Lohn im Vorrate hatte, lief in die Wirtsküche und brachte zu essen und zu trinken. Nachdem sich nun Lameth gütlich getan, erzählte er seinem Vater die ganze Geschichte umständlich; aber Achim wollte ihm keinen Glauben schenken: er meinte vielmehr, sein Sohn fable, oder es habe ihm geträumt. Als aber Lameth seinen Turban auflöste und aus demselben das Schloß nebst der schönen Perlenschnur hervorbrachte, überdies seine Taschen ausleerte und die schönen durchsichtigen Früchte zeigte, die er in dem unterirdischen Zaubergarten von den Bäumen gepflückt hatte: da mußte Achim wohl glauben, daß es seinem Sohne nicht geträumt habe, sondern daß ihm alles so widerfahren sei, wie er es erzählt hatte.
Indessen achteten sie die schönen Früchte nicht höher als bunte Gläser, schätzten auch das Schloß nicht höher als ein anderes gemeines Vorlegeschloß, so daß Lameth alles zusammen in seine Kammer legte und wenig Sorge dafür trug. Weil aber Vater und Sohn von dem vielen Gelde her, das ihnen Mattetai gegeben hatte, an gute Tage gewöhnt waren, so dachten sie auch ferner an kein Arbeiten und zehrten so lange, als es währen mochte. Als jedoch alles aufgezehrt war, da kam sie das Arbeiten blutsauer an. Eines Tages holte Lameth sein Schloß hervor, zeigte es seinem Vater und sagte: "Mattetai muß doch ein rechter Tor gewesen sein, daß er um eines solchen Quarks willen sich so viele Mühe gegeben und mich darum so großer Gefahr ausgesetzt hat!"Auch der Vater lachte und sagte: "Ja, um des rostigen Schlosses willen ist es wohl auch der Mühe wert gewesen, soviel Lärm zu machen!" Er nahm das Schloß dem Sohn aus der Hand, wischte den Staub davon ab und drehte den Schlüssel herum. Es war aber so stark verschlossen, daß er seine gange Kraft
anstrengen mußte, es zu eröffnen. Wie es nun endlich mit einem lauten Schnapper aufging, siehe, da stand augenblicks ein riesenmäßiger Geist vor ihnen, der fragte: "Was verlanget ihr von mir?"Achim erschrak über diesen Anblick so, daß er rücklings in Ohnmacht zu Boden fiel. Lameth aber hatte zu seinem Glück das unschätzbare Schloß zur Hand genommen, und weil er Geister zu sehen schon vorher gewohnt
Der erschrockene Achim lag indessen immer noch in tiefer Ohnmacht darnieder . Da griff Lameth zu einer der Weinflaschen und spritzte ihm damit über das Gesicht. Dadurch brachte er ihn wieder zur Besinnung; als Achim nun die Augen öffnete, fiel sein erster Blick auf die silbernen Becken mit Essen und Trinken, und er konnte nicht begreifen, wie sie hergekommen, bis sein Sohn ihn belehrte, daß der erschienene Geist alles gebracht habe. Achim, dem das Ding nicht natürlich vorkam, wollte nichts davon anrühren; Lameth aber, den hungerte, fragte nichts darnach, sondern ließ es sich wohlschmecken und machte dadurch seinem Vater auch Appetit. Dieser kostete anfangs nur wenig; da er aber fand, daß es gar nicht so schlimm war, griff er zu und bediente sich namentlich mit dem guten Weine reichlich. So lebten Vater und Sohn von dem, was der Geist gebracht hatte, bis es aufgezehrt war. Weil sie aber das Arbeiten ganz und gar verlernt hatten, so sagte der Vater: "Lameth, weißt du was, gehe hin und verkaufe eine von den Schalen, die wir ja doch nicht mit aufspeisen können." Lameth war dazu willig, steckte die Schale in sein Oberkleid und wollte damit zu einem Zinngießer gehen, indem er meinte, daß dieselbe von so geringem Metalle sei. Allein unterwegs begegnete ihm ein Jude: der fragte ihn, wo er mit der Schale hin wolle. Lameth antwortete: "Ich will sie verkaufen." Der Jude führte ihn in einen offenen Durchgang, ließ sich die Schale vorzeigen und fragte, wie hoch er sie hielte. "Ihr werdet selbst am besten wissen, was sie wert ist; sagt mir, was Ihr mir dafür geben wollt !" Der Jude besah die Schale von vorn und von hinten, endlich bot er ihm zwölf Löwentaler dafür. "Sie ist eigentlich nicht so viel wert", setzte er hinzu, "aber die Arbeit daran gefällt mir!" Lameth lief ganz vergnügt mit dem vielen Gelde zu seinem Vater zurück, und Achim, der so wenig wie sein Sohn den wahren Wert der Schale kannte, freute sich ebenfalls über den so guten Verkauf. Nun schmeckte ihnen beiden der Müßiggang immer besser, bald kam die zweite Schale dran, und der Jude, der aus der vorigen so guten Nutzen gezogen hatte, lauerte schon wieder auf Lameth und fragte ihn, ob er noch eine Schale zu verkaufen hätte. Lameth war schlau genug, zu sagen: "Ja, aber die vorige habe ich Euch zu wohlfeil gegeben; mein Vater hat mich darüber hart gescholten; Ihr sollt mir mehr darum geben, sonst muß ich die Schale weitertragen t" Der Jud ' erwiderte: "Junge, sie ist nicht mehr wert gewesen; aber weil mir eine Schale ohne die andere nichts nütz ist
und ich deren zwei haben muß, wenn ich sie wieder verkaufen will, so komm her, ich will dir zwanzig Taler um diese da geben." Lameth war sehr froh, solches zu hören, gab ihm die Schale, lief mit dem Gelde zu seinem Vater und rief ihm freudig entgegen: "Dieser Jude muß wohl ein ehrlicher Jude sein, daß er mir soviel Geld für die Schale gegeben hat!" Achim bejahte und war froh, wieder einige Zeit ohne Arbeit sich wohl sein lassen zu können. Aber das Geld währte nicht lange, und so sollte endlich auch der große Kessel, in welchem der Geist die Weinflaschen gebrachtDies alles konnte Lameth mitansehen; die Schönheit der Prinzessin Bellafira war so nahe vor seinen Augen, daß er alles um sich her vergaß; er streckte beständig den Kopf aus dem Baume heraus, und hätten nicht diejenigen, die der Prinzessin zu Hilfe geeilt waren, genug mit ihr selbst zu tun gehabt, so wäre er gewiß entdeckt worden und verloren gewesen. So aber fügte es das Glück, daß, nachdem Bellafira sich erholt hatte, der ganze Zug zurückging, um die Prinzessin wieder in ihres Vaters Palast zu bringen. Lameth saß noch immer in seinem hohlen Baum und sah der Prinzessin nach, solange er nachsehen konnte. Als er sie aus den Augen verloren hatte, rang er die Hände und rief: "Bellastra, Bellasira, mein Leitstern! Wohin entschwindest du? Ohne dich muß ich sterben!" wer diesem Händeringen drehte sich der Ring an seinem Finger wieder; auf der Stelle erschien ein Luftgeist und fragte: "Lameth, was ist dein Begehrens " So verwundert Lameth über diese Erscheinung war, so faßte er sich doch bald und sagte freimütig: "Ach, ich bin sterblich verliebt in die Prinzessin Bellastra! Kannst du mir nicht zu ihrem Besitze verhelfen?" — "Nein", antwortete der Luftgeist, "das steht nicht in meinen und meiner Gesellen Kräften. Aber verzage deswegen nicht, Lameth! Du besitzest ja das herrliche Schloß aus der Höhle Xa Xa durch welches du des Dienstes der Erdgeister sicher hifi; diese können dir dazu behilflich sein, wenn du die Sache recht anzugreifen weißest."
Bei diesen Worten des Geistes erwachte Lameth wie aus einem Traum; jetzt erst begriff er, was für einen herrlichen Schatz er an dem Schloß besitze, das er bisher so wenig geachtet hatte. Auch merkte er jetzt erst, daß sein Ring über die Luftgeister eine Herrschaft übe. Er verabschiedete daher den Geist ganz wohlgemut und ging um ein vieles vergnügter nach der Stadt zurück. Doch dachte er immer darüber nach, wie er seine Sachen klüglich angreifen wollte; deswegen wurde er wider seine Gewohnheit ganz stille, so daß sein Vater eines Tages ihn befragte, was ihm denn
fehle. Da gestand Lameth, daß er in Bellastra, die Tochter des Sultans, verliebt sei und nun darüber nachdenke, wie er dieselbe erlangen könnte. Achim meinte, sein Sohn sei hirnwund geworden, und redete ihm zu, sich solche Narrheiten aus dem Sinne zu schlagen und auf etwas anderes zu denken; aber Lameth ließ sich nicht abwendig machen und verlangte von seinem Vater, er sollte bei dem Großsultan eine Audienz zu erhalten suchen und für ihn um die Prinzessin werben. "Du Tor", antwortete ihm sein Vater ganz aufgebracht, "wie sollte ich vor Seiner Hoheit erscheinen und ein so lächerliches Begehren vorbringen l Zudem weißest du, daß man vor dem Sultan nicht ohne ein Geschenk erscheinen darf; und wenn wir auch all unser Geld darauf verwenden wollten, so würde es doch für nichts geachtet werden. Was hätten wir dann davon?" — "Vater", erwiderte Lameth, "kümmert Euch darüber nicht; ich bin jetzt älter und klüger geworden und weiß, daß ich derlei Dinge in meiner Gewalt habe. Die Steine, die ich besitze, und die ich vorhin so gering geachtet habe, sind keine Gläser; es sind die Edelsteine, die von großen Herren wertgeschätzt werden; denn aller Schmuck, den die Prinzessin Bellastra in den Haaren und an der Brust trug, kam mir wie Kindersteine vor gegen die meinigen! Drum, lieber Vater, wenn Ihr nicht wollt, daß ich sterben soll, so tut mir den Gefallen und bringt meine Bitte für mich an und laßt mich für das Weitere sorgen!"Achim, der seinen Sohn lieb hatte, gab ihm endlich nach, verwahrte sich aber zum voraus, daß Lameth ihm keine Schuld geben dürfe, wenn die Sache, wie er vorauszusehen glaubte, ein unglückliches Ende nähme. Doch Lameth war voll guten Mutes und trieb nur immer an seinem Vater. Dieser machte sich auch wirklich am folgenden Morgen auf, zu dem Sultan zu gehen, und sein Sohn übergab ihm zu dem Ende zwölf von den mittlern Sorten seiner Steine von allerlei Farben. Er legte sie in schöner Ordnung in ein Körbchen, deckte ein sauberes Tuch darauf und bändigte sie seinem Vater ein. Dabei unterrichtete er ihn, was er reden und auf des Sultans mutmaßliche Fragen antworten sollte. Außerdem gab er ihm noch einen schönen roten Stein mit, den sollte er dem in die Hände drücken, der die Leute bei dem Großsultan zur Audienz zu führen hätte. Der alte Vater ging voll Bekümmernis hin; er bildete es sich zum voraus recht lebhaft ein, wie übel er empfangen werden würde, wenn er nun Lameths törichtes Vorbringen an den Tag zu legen hätte; aber die Liebe zu seinem Sohn überwand alles. So gelangte er in den Audienzsaal; hier stand er lange und sah, wie andere in die Audienz geführt wurden; bei ihm aber
ging man vorüber, gerade als ob er nicht da wäre. Endlich erwischte er einen der Hofbedienten, welche die Leute vor den Sultan riefen, beim Ärmel und drückte ihm geschwind den Stein in die Hand und bat um Audienz. Der Diener betrachtete den Stein in seiner hohlen Hand heimlich und erkannte bald, daß es ein Rubin von großem Werte war. Gleich sah er den alten Achim viel freundlicher an, ließ alle andere Vornehme stehen und brachte den Taglöhner vor den Großsultan. Dieser warf sich vor dessen Füßen nieder und sagte: "Großmächtigster Sultan, hier überDa hub Achim an: "Großer Monarch! Die äußerste Not zwingt mich dazu, daß ich Euer Majestät bekennen muß, daß mein Sohn, Lameth mit Namen, in Eurer Hoheit älteste Tochter, die Prinzessin Bellastra, verliebt ist und bei ihrem hohen Vater durch mich untertänigste Anwerbung tun läßt, mit seiner Versicherung, daß derselbe sich angelegen sein lassen wird, einen Brautschatz herbeizuschaffen, wie sich ihn Ihre Hoheit nur wünschen kann." Die anwesenden Hofleute konnten sich des Lachens bei dieser Freiwerbung nicht enthalten, und der Großwesir, dessen Sohn schon lange die gewisse Hoffnung hegte, die Hand der Prinzessin zu erhalten, flüsterte seinem Herrn ins Ohr: "Großmächtigster Monarch, das ist doch eine schöne Zumutung, daß Eure Hoheit Ihre erstgeborne Tochter dem nächsten besten Landläufer zur Ehe geben soll!" Aber der Sultan warf einen Blick auf das Körbchen und antwortete: "Achim, sage deinem Sohn, daß er sich nach sechs Monaten bei mir wieder anmelden lassen soll." Mit dieser huldreichen Antwort war Achim sehr zufrieden; Lameth begnügte sich auch damit und beschloß, die vorgeschriebene Zeit ruhig abzuwarten. —
Es läßt sich denken, daß der Großwesir auch nicht feierte; er wußte es so anzulegen, daß der Großsultan, der an den seltsamen Achim und das ihm gegebene Wort nicht mehr dachte, in die Vermählung seiner Tochter mit dem Sohne des Wesirs willigte, und nun wurden große Vorbereitungen zu Bellastras baldigem Verlöbnisse gemacht. Das hörte Achim und wurde sehr betrübt, doch Lameth blieb unbekümmert und flößte seinem Vater Mut ein. Indessen rückte der Tag heran, an welchem Bellastra mit dem Sohne des Großwesirs nach türkischer Weise getraut werden sollte. Lameth erfuhr dieses auch; er blieb aber so sorglos, daß sein Vater nicht anders dachte, als sein Sohn sei von der närrischen Einbindung,
die Prinzessin heiraten zu wollen, genesen und habe es sich gänzlich aus dem Sinne geschlagen.Lameth aber hatte ganz andere Gedanken. Er wartete bis zum Abend; da verschloß er sich in seine Kammer, berief mit Hilfe seines Ringes einen Luftgeist und sprach zu dem augenblicks erschienenen: "Ich will, daß du in des Großsultans Palast gehest, und wenn der Sohn des Großwesirs in das Gemach seiner Braut treten will, so nimm ihn und entführe ihn nach Damaskus. Dort sollst du ihn in den Lorbeerwald niedersetzen und so lange verwahren, bis ich es anders befehlen werde." Der Geist richtete aus, was ihm Lameth befohlen hatte. Bellastra erwartete vergebens ihren Bräutigam; am Morgen fand sie der Sultan allein, und Bellastra schwur bei Mahomet, daß sie den Sohn des Großwesirs seit gestern abend nicht gesehen habe. Der Großsultan war hierüber höchst aufgebracht, beschickte den Großwesir und redete ihn zornig an: "Wie, achtet Euer Sohn, der Sklave, meine Tochter so unwert, daß er sie in der ersten Stunde verläßt? " Der Großwesir begriff nichts von diesen Vorwürfen; er versicherte, daß sein Sohn ihn verlassen habe, um zu seiner vermählten Braut zu gehen, und daß er ihn, seit er Abschied genommen, mit keinem Auge wieder gesehen habe. Traurig verließ der Wesir den Sultan und erkundigte sich allerorten nach seinem Sohne; aber er konnte keine Spur von ihm entdecken, und so ging der Tag nach der Hochzeit in allgemeinem Mißvergnügen und großer Stille hin, und Bellastras Verlöbnis wurde für nichtig erklärt.
Ein Vierteljahr war vergangen, ohne daß man etwas von des Großwesirs Sohne hätte erfahren können; da erkühnte sich des Großadmirals Sohn, um Bellastra zu werben, und erhielt das Jawort des Sultans, und neue Anstalten zum Beilager wurden getroffen. Lameth, der von allem sichere Nachrichten hatte, war wieder ganz unbekümmert und ließ die Trauung vorübergehen. Abends berief er abermals einen Luftgeist, und als dieser erschien, befahl er ihm, wenn der Bräutigam sich zu seiner Braut verfügen wollte, so sollte er ihn ergreifen, ihn gen Ägypten nach Kairo führen, dort in einen Orangenwald niedersetzen und gleich dem Sohne des Großwesirs dort lassen, bis er ihm andern Befehl geben würde. Der Geist war gehorsam, faßte den Bräutigam und trug ihn davon. Bellastra aber wartete wieder vergebens und härmte sich ab. Am andern Morgen fand sie der Großsultan ganz in Tränen schwimmend auf ihrem Ruhebette liegen, , und auf seine Frage, wie es ihr gehe, antwortete sie mit Seufzen: "Ich Unglückselige muß wohl von jedermann verspottet sein, da mich nun
an der das Schloß gehangen, hinzu: diese sandte er der schönen Bellastra zum Geschenk. "Und nun gehet", sprach er, "lieber Vater, und erfreuet mich bald mit einer vergnüglichen Antwort!" Der Alte ging getrost fort; und, sowie ihn der Sultan im Audienzsaal erblickte, gedachte er sogleich seines früher getanen Versprechens, befahl allen außer Achim abzutreten, ließ ihn vor sich kommen und fragte ihn, was sein Anbringen wäre. Achim warf sich vor dem Großsultan nieder und sagte: "Großer Monarch, mein Sohn Lameth empfiehlt sich Eurer Hoheit besonderer Gnade, und da die sechs Monate vorbei sind, nach welchen unser Herr versprochen, eine beliebige Antwort auf sein untertäniges Ansuchen zu erteilen, so sendet er mich deswegen hierher und überschickt Eurer Hoheit das Mitfolgende als geringes Geschenk; zugleich wagt er es, der Prinzessin Bellastra diese Perlenschnur zu Füßen zu legen."
Der Sultan ließ sich das Körbchen übergeben, und als er die köstlichen Steine sah, fuhr er auf und rief: "Welcher König kann mir solche Dinge senden?" Darauf berief er seine Räte und beratschlagte mit ihnen, was in der Sache zu tun sei. Er stellte ihnen vor, obgleich er den Menschen nicht kenne, von welchem die herrlichen Geschenke herrührten, so ersehe er doch aus ihnen, daß derselbe der Reichste in seinem ganzen Lande sein müsse. Der Großwesir aber, der noch immer unzufrieden war, daß die Prinzessin Bellastra seinem Sohne nicht zuteil geworden, sagte: "Großmächtigster Monarch, es steht in Eurer Willkür, in dieser Sache nach Belieben zu verfahren; doch, weil der Menschen Tun so gar betrüglich ist, so wäre ich der Meinung, Eure Hoheit täte nicht übel, wenn Sie denjenigen, dem Sie Ihre Tochter zu geben entschlossen ist, vorher recht auf die Probe stellte; zumal da er sich erboten hat, alles mögliche, was zu einem Brautschatz gehöre, herbeizuschaffen. So werdet Ihr bald erfahren, was hinter ihm ist!" Dem Sultan gefiel dieser Vorschlag; er kehrte in den Audienzsaal zurück, wandte sich zu Achim und sagte zu ihm: "Gehe hin und sage deinem Sohne, daß ich mir seine Geschenke in Gnaden gefallen lasse; und wenn er mir zum Brautschatze für meine Tochter sechs Kamele mit Gold und sechs mit Silber beladen, dann sechs weiße Sklaven, jeden mit einem Sack der schönsten persischen Stoffe, und sechs schwarze Sklaven, jeden mit einem Korb voll solcher Juwelen, übersenden wird, so soll er mein Eidam werden."
sich zu Bellastra, und indem er ihr die herrliche Perlenschnur übergab, sprach er: "Ein unbekannter Mensch läßt um dich werben; er hat mir die kostbarsten Geschenke gemacht, wie ich deren nie gesehen habe, und heute überschickt er mir diese Perlenschnur, was dünkt dir davon?" Bellastra nahm die Perlen und betrachtete sie; die Schnur fand sich so groß, daß sie ihr sechsmal um den Hals ging und noch dazu sechsmal um beide Hände; jede Perle war schön, groß, rund und ohne Tadel. Da sagte die Prinzessin zu ihrem Vater: "Ich möchte den Menschen wohl kennen, der solche Kleinodien hat; ich glaube, es gibt eine gleiche Perlenschnur auf der Welt nicht." Der Sultan bejahte dies und sagte zugleich: "Es reut mich, daß ich ihm eine Antwort erteilt habe, die ihn im Grunde abweist; denn ich habe ihm Dinge zum Brautschatze zugemutet, die er unmöglich herbeischaffen kann." Als die Prinzessin hörte, was gefordert worden war, wurde sie ganz traurig und sagte: "Nun werde ich wohl mein Leben lang unvermählt bleiben müssen!"
Spitzen, alles aus der Höhle M herbeischaffet!" - "Alsobald!" antworteten die Erdgeister freudig, und noch vor dem völligen Anbruche des Tages waren sie wieder da und brachten alles mit, wie es Lameth verlangt hatte. der noch schlief, wurde durch das Getümmel der Sklaven und Kamele aufgeweckt, öffnete das Fenster und erstaunte nicht wenig, wie er alles, was der Sul tan verlangt hatte, vor sich sah. Atemlos lief Sohne die Stiege hin auf und verkündigte ihm solches mit Freuden. Lameth lachte und sprach: "Nun, Achim, er zu seinem sagt, ob es mich viel Mühe gekostet hat, das Verlangen des Großsultans zu erfüllen? Macht Euch darum nur auf, überliefert dem Sultan das Verlangte und sagt ihm, daß ich alles das viel geringer schätze als das Glück, die schöne Bellastra zu besitzen!" Achim meinte immer, es träume ihm. Als er aber auf die Straße hinabging und alles noch vorhanden traf, so machte er sich eilig auf die Beine und ließ den Zug nachfolgen. Alles Volk erstaunte über diesen Anblick und jagte den beladenen Tieren und Sklaven nach. Als sie daher nahe an dem Palaste des Sultans waren und die Wache das Laufen der vielen Leute gewahr wurde, glaubte diese, es sei ein Aufruhr, schloß das Tor zu und sorgte, daß dem Großsultan Meldung von dem Auflaufe getan ward. Dieser blickte mit Besorgnis zu einem Fenster seines Palastes hinaus, da sah er, wie der versprochene Brautschatz, den er für seine Tochter verlangt hatte, Sogleich ließ er den Achim vor sich kommen; der stellte ihm in seines Sohnes Lameth Namen alles vor und empfahl sich in seine hohe Huld und Gnade.
kostbaren Stoffe, die zum größten Teil ihm unbekannt und alle von unbegrenztem Werte waren, und sprach endlich zu seiner Tochter: "Nun, was dünkt dir von deinem Bräutigam, meinst du, daß er diesmal deiner würdig sei?" Bellastra antwortete: "Nach dem zu urteilen, was ich hier vor mir sehe, muß er der reichste und glücklichste Mann von der Welt sein!" Und nun versammelte der Großsultan auch seine Räte und zeigte ihnen den Brautschatz. Sie verstummten alle, und keiner, selbst der Großwesir nicht, getraute sich, ein Wort zu reden. Da brach der Sultan das Stillschweigen, ging zu Achim hin und sprach: "Macht Euch auf und saget Eurem Sohn, ich lasse dem künftigen Bräutigam meiner Tochter meinen Gruß vermelden; er soll nicht säumen und, je eher, je lieber, kommen und mich mit seiner Gegenwart erfreuen."
Achim kam vor Freude ganz außer sich, er verbeugte sich zum Abschied; der alte Mann lief wie ein junges Reh nach Hause und verkündigte seinem Sohne die Botschaft. Dieser konnte sich auch kaum fassen vor Freude. "Vater", sagte er, "jetzt müssen wir uns vor allen Dingen standesmäßig ausrüsten, dem Großsultan aufzuwarten." So ging er in seine Kammer, rief mit Hilfe seines Schlosses die Erdgeister und sprach: "Schafft mir vor allem ein schönes englisches Pferd, darauf zu reiten; dann so schmucke Kleider, wie sie dem Schwiegersohn eines Sultans ziemen; hernach eine vornehme Begleitung, daß ich unter Pauken- und Trompetenschall meinen Einzug halten kann."
Sätzen gefiel, wie der ansehnlichste Ritter daher, so daß aller Augen sich auf ihn richteten und gestehen mußten, daß sie dergleichen noch nicht gesehen . Hinter ihm beschloß den Zug eine Menge von Dienern, welche Stirnbänder von Gold und Silberblech hatten, darein der Name Lameths gegraben war, und auf denen sich die Sonne spiegelte, daß die Blicke wegwenden mußte, wer sie ansah.
Der Sultan hörte von ferne den Schall der Pauken und Trompeten; endlich sah er auch den Zug sich nahen, konnte jedoch den alten Taglöhner Achim in seiner verwandelten Kleidung nicht erkennen, bis derselbe vom Pferde stieg, vor dem Großsultan sich niederwarf und seines Sohnes Ankunft verkündigte. Jetzt hub der Sultan ihn auf und hieß ihn freundlich willkommen sein. Lameth näherte sich indessen dem Schloß und wollte vor dem Tore absteigen; aber zwei Hofbediente, die sich ihm ehrfurchtsvoll nahten, duldeten dies nicht, sondern führten ihn zu Pferde in den Schloßhof und halfen ihm hier vom Rosse. Als er die Treppe hinaufgestiegen war, empfing ihn der Großsultan mit einer Umarmung und führte ihn in ein Zimmer, wo er die von Schönheit strahlende Prinzessin Bellastra fand. Lameth warf sich ihr zu Füßen und sprach: "Auf Eures großmächtigsten Vaters Erlaubnis untersteht sich ein Sklave, sich vor Eure Füße zu werfen, anbetungswürdige Schönheit, Euch die demütigen Dienste seiner Liebe anzubieten und um Eure Gegenliebe zu flehen!"Bellastra reichte ihm verschämt ihre Hand und sprach: "Was mein Vater zugesagt hat, bin ich zu erfüllen schuldig. Doch versichere ich, daß es ohne Zwang geschieht, und wünsche Euch, daß Ihr glücklicher sein möget als meine früheren Bewerber." Lameth verstand diese letzten Worte nur allzuwohl und war daher ein wenig bestürzt, doch behielt er die Fassung, sich in Bellastras Huld und Gnade zu empfehlen.
Nun wurde zur Tafel geblasen. Der Sultan und der Taglöhner saßen auf der einen, Lameth und Bellastra auf der andern Seite; die Großen des Hofes bedienten sie. Lameth hatte unter seiner Bedienung allerlei Musikanten, die bald afrikanische, bald indische, bald europäische Weisen aufspielen mußten, worüber sich der Sultan und Bellastra so ergötzten, daß sie Essen und Trinken darüber vergaßen. Lameth selbst betrug sich gegen seine Geliebte und gegen den Sultan aufs feinste und wußte auf alle Fragen des letztern so klug zu antworten, daß dieser ihm recht wogen wurde. Bellasira aber seufzte öfters in ihrem Herzen: "Möge es doch meinem Bräutigam nicht so ergehen wie meinen beiden vorigen!" Während der Tafel besprach sich der Sultan auch mit Lameth über den
Tag der Vermählung; da erbat sich Lameth zuvor die Erlaubnis, einen anständigen Wohnsitz für sich und seine Gemahlin erbauen zu dürfen. Als darauf der Sultan seinem Eidam eine Wohnung in seinem eigenen Palaste anbot, bis diesem gegenüber ein gleicher für Lameth gebaut sein würde, dankte dieser für ein so gütiges Anerbieten und erklärte, er werde mit seinem Bau nicht viel Zeit verlieren; denn alle Materialien seien schon beisammen; er bitte deswegen, so lange mit der Vermählung zu warten.Die Geister gingen hin und taten, wie ihnen Lameth befohlen hatte. Ein herrlicher Palast aus weiß, blau, rot und grün gestreiften Marmelsteinen stieg empor; was sonst von Eisen ist, war daran aus Gold und Silber künstlich gearbeitet zu sehen. Inwendig die Zimmer waren mit köstlichem Geräte versehen, wie sonst nirgends zu erblicken ist. Und dieser ganze große Palast wurde mit solcher Stille erbaut, daß die Schildwache, die vor des Sultans Palasttore stand und so zunächst dabei war, nicht das geringste davon sah oder verspürte, und weil eben eine sehr finstere Nacht war, auch nichts davon sehen konnte,
Nun war der Sultan schon ein alter Herr, der wenig schlafen konnte und deswegen die Gewohnheit hatte, wenn er morgens in der Frühe erwachte, sich sogleich an das Fenster zu begeben, um die kühle Morgenluft und die schöne Aussicht zu genießen; denn er konnte von seinem Schloß aus ganz Konstantinopel übersehen. So erhob er sich auch an diesem Morgen, als es noch halbdunkel war, und sah |
Der Sultan staunte darüber, zumal da, wie es allmählich heller wurde, die Pracht des Palastes ihm in die Augen drang. Er ließ deswegen seine Tochter Bellastra rufen und sagte ihr: "Du wirst gewiß nicht lange mehr auf deine Vermählung warten dürfen; denn siehe, hier steht das Haus schon, das für dich und deinen Gemahl in dieser einen Nacht erbaut
worden ist." Indem warf die aufgegangene Sonne ihre ersten Strahlen auf den Palast, und man konnte ihn vor Glanz kaum ansehen. Bellastra staunte nicht wenig über diesen Anblick, doch war sie auch von Herzen froh darüber, daß sie nun so bald mit ihrem Geliebten vereinigt werden sollte. Indessen kam auch Lameth mit seiner prächtigen Begleitung angezogen, quartierte sich in seinem neuerbauten Palaste ein und fand darin alles so wohlgeordnet, als er es nur irgend wünschen konnte. Deswegen war er auch mit allem vergnügt und lobte seine dienstbaren Geister . Dann schickte er seinen Haushofmeister zu dem Sultan, ließ ihm seinen untertänigen Morgengruß vermelden und ihn ersuchen, da sein neues Schloß fertig und in demselben alles in Bereitschaft sei, so möchte es sich Seine Hoheit gefallen lassen, daß jetzt die Zeremonie der Trauung in dem neuen Gebäude verrichtet werde. Um weiteres sollte sich der Sultan nicht bekümmern und sich die geringe Aufwartung, mit welcher er ihn bedienen werde, gefallen lassen.Der Sultan gab seinen vergnügten Gegengruß zurück und befahl, alles zur Vollziehung des Trauungsaktes bereit zu machen. Als Lameth erfuhr, daß Bellastra gerüstet sei, holte er sie mit einem weit prächtigeren Zug, als der frühere war, ab und führte sie mit dem Großsultan und seinem ganzen Hofstaate in den neuen Palast, dessen Herrlichkeit sie nicht genug bewundern konnten. Hier wurde die Trauung vollzogen und ein kostbares Mahl abgehalten, bei welchem des Sultans Tafel in lauterem Golde, der Hofstaat aber in Silber bedient wurde. Hierüber erstaunte der Sultan hoch und gestand sich, daß er solches nachzutun nicht imstande sei. Die anmutigsten Musikchöre ließen sich abwechslungsweise vernehmen, und ein eigner Sängerchor sang zu Saitenspielen von Bellastras Tugenden und Schönheit. So verstrich der Tag unter lauter Ergötzlichkeiten. Lameth war glückselig an der Seite seiner engelschönen Braut, und diese wäre es auch gewesen, wenn sie nicht die geheime Sorge gequält hätte, daß ihr Bräutigam ihr am Abend des Tages geraubt werden könnte. Aber nichts dergleichen ereignete sich. Ihr Gemahl kam nicht von ihrer Seite, und das junge Ehepaar begann ein glückliches und ungetrübtes Leben. Bellastra liebte ihren Freund wie sich selbst, und er liebte und ehrte sie als die hohe Fürstentochter und tat, was er ihr an den Augen absehen konnte. Der Sultan war Lameths bester Freund; Große und Kleine am Hofe gewann er für sich durch sein gütiges Bezeigen; Armen und Notleidenden half er, und niemand tat bei ihm je eine Fehlbitte, daher denn auch Lameths Palast nur schlechtweg die Burg der Hilfe genannt wurde.
Aber mit allem dem war Lameth in seinem Glücke doch nicht so befestigt , daß ihm dasselbe nicht noch einen harten Streich versetzt hätte. Es lebte nämlich der böse Zauberer Mattetai noch immer in Europa nach Herzenslust und übte täglich viele Bosheiten aus. Am Ende brachte er es so weit in seiner Kunst, daß er, wie ihm früher Luft- und Erdgeister untertänig gewesen waren und die Wassergeister ihm noch dienten, so nun die Feuergeister zu seinem Dienste zwingen konnte. Als ihm nun einmal auch wieder sein verlorner herrlicher Ring in den Sinn kam und er auch wissen wollte, wie es mit dem Schloß in der Höhle beschaffen wäre, und ob er solches nicht noch bekommen könnte, so berief er die Feuergeister zu sich, die in ziemlich zorniger Gestalt erschienen, und sich ungebärdig darüber stellten, daß man sie beunruhige. Sie schüttelten sich, daß die Funken stoben, und schrien den Zauberer mit gräßlicher Stimme an: "Was willst du von uns?" Mattetai sprach: "Sagt mir, ob es nicht möglich ist, daß ich meinen verlorenen köstlichen Ring wiedererhalte und das treffliche Schloß in der Höhle Xa Xa in meine Gewalt bekomme." Die Geister antworteten: "Das kann nicht wohl sein; wir sind nicht mächtig genug dazu. Beide besitzt Lameth und mißbraucht sie auch nicht. Und weil er Erd- und Luftgeister in seinen Diensten hat, so können wir ihm öffentlich nichts abgewinnen."
Als Mattetai dies hörte, staunte er nicht wenig. Er hatte schon lange nicht mehr an Lameth gedacht und gemeint, dieser werde längst zu Staub und Asche vermodert sein. Deswegen rief er: "Wie? Lameth lebt noch? Und er besitzt die zwei größten Schätze der Welt? Was muß ich hören! Ich Unglückseliger, ich habe mit aller meiner Kunst, Mühe und Arbeit nicht so viel zuwege bringen können! Der Lotterbube hat mich hintergangen und um beide Schätze gebracht!"So gebärdete er sich wie ein Rasender, daß selbst die Feuergeister Mitleid mit ihm hatten und zu ihm sagten: "Mattetai, dem Lameth hat sich das Glück zugewendet, das du mit aller deiner Kunst nicht hast erlangen können. Doch verzweifle darum nicht; vielleicht kannst du mit List gewinnen, was du so sehnlich wünschest. Lameth lebt nun dem Vergnügen in aller Sicherheit, er denkt wenig mehr an sein Schloß und läßt es in einem Winkel in guter Ruhe liegen. Versuch es daher, ihm dasselbe zu entwenden: was wir dazu beitragen können, wollen wir gerne tun."Mattetai war froh, verabschiedete die Feuergeister und dachte darüber nach, wie er den herrlichen Schatz erlangen könnte. Er berief die Wassergeister, die ihm auch noch dienstbar waren, und ließ sich von ihnen durch das Meer schnell nach Konstantinopel tragen. Hier suchte
er sich eine bequeme Wohnung aus und erkundigte sich nach Lameths Zustande . Jedermann sagte Gutes von ihm, lobte seine Gütigkeit und übrige Tugend, erzählte, daß er von seiner Gemahlin Bellafira geliebt, von dem Großsultan, seinem Schwäher, und allen Großen des Hofes hochgeachtet, von aller Welt in Konstantinopel geehrt werde. Mattetai biß die Zähne über diese Nachricht zusammen; doch überwand er seinen Kummer und ließ sich nach dem Platze führen, wo Lameths schöner Palast stand.Zu ihrem Unglücke sah Bellasira gerade zum Fenster heraus, und der alte Zauberer wurde von ihrer Schönheit so entzückt, daß er jetzt nicht mehr bloß daran dachte, wie er den armen Lameth seines Rings und Schlosses berauben, sondern mehr als an alles, wie er ihm seine engelgleiche Gemahlin entführen wolle. Doch freilich, ebendazu hatte er das Schloß nötig. Mit diesen Gedanken eilte er in sein Quartier zurück, genoß das Abendessen und schloß sich frühzeitig, als wäre er von der weiten Reise schläfrig, in seine Kammer ein. Hier berief er die Feuergeister und bat sie dringender, ihm zur Erlangung des Schlosses behilflich zu sein. Da sie sich willig zeigten, sandte er sie auf Kundschaft in das Schloß, und bald brachten sie die gelegene Botschaft, daß Lameth nicht zu Hause, sondern auf einer Jagd abwesend sei und vor mehreren Tagen nicht heimkommen werde. Auch berichteten sie ihm, daß das treffliche Schloß in der Schlafkammer auf einem Sammetkissen liege. Mattetai schalt seine Geister, daß sie ihm das Kleinod nicht sogleich mitgebracht hätten. Die Geister antworteten, das sei nicht in ihrer Macht gestanden, denn sie dürften sich dem Schlosse nicht nähern. Da legte er den Kopf in beide Hände und sann lange nach; endlich sprach er zu den Geistern: "Höret, morgen früh verschaffet mir eine schmucke Begleitung von Dienern und für mich selbst ein herrliches persisches Kleid mit einem guten Reitpferde; dann will ich mein Glück versuchen."
sich aber der Gesandte ein paar Tage gedulden wollte, so werde sie ihrem Gemahle Boten senden, damit er einem alten Freunde seine Ergebenheit bezeigen könnte. Der abgeordnete Diener, ein wohlunterrichteter Feuergeist; erwiderte, so unlieb diese Botschaft seinem Herrn zu vernehmen sein werde, so habe derselbe, auf der Durchreise begriffen, doch zu sehr Eile, um sich länger als bis zum Abende verweilen zu können; jedoch bäte er sich die Ehre aus, den herrlichen Palast seines Freundes, dessen Ruf bis nach Persien erschollen sei, betrachten zu dürfen; es habe ihm nämlich der König, sein Herr, aufgetragen, Augenschein davon zu nehmen und eine genaue Beschreibung und Zeichnung davon mitzubringen.
Bellastra glaubte, nichts Unrechtes zu tun, wenn sie dem Fremden dieses Ansuchen bewilligte, sandte ihm also ihren Haushofmeister entgegen und ließ ihn abholen und im ganzen Palaste herumführen. Als Mattetai in das Zimmer kam, in welchem Bellastra war, bezeigte er derselben alle mögliche Ehrerbietung, küßte den Saum ihres Kleides und entschuldigte sich, daß er so viele Unruhe verursache. Bellafira begegnete ihm hinwiederum freundlich, und da sich Mattetai als ein rechter Hofmann zu benehmen wußte, so ließ sie ihn alle Zimmer nach seinem Wunsche sehen; als sie aber vor Lameths Schlafgemach kamen, scheuten sich die Diener des Palastes, ihm auch dieses zu eröffnen, und entschuldigten sich damit, daß dieses Zimmer nicht ganz in Ordnung sei. Aber Mattetai bestand darauf, auch dieses Gemach sehen zu wollen, weil er einen Abriß des ganzen Palastes mit allen seinen Teilen für seinen Herrn zu fertigen habe, wie er denn zum Schein immer die Schreibtafel in der Hand hatte und bei jedem Zimmer seine Anmerkungen darein zeichnete. Er würde, sprach er, wenig Ehre einlegen, wenn er das Werk unvollendet überlieferte. So wurde ihm endlich auch dieses Zimmer aufgeschlossen, auf welches er freilich wenig Aufmerksamkeit richtete; denn seine Augen schweiften nur umher , das Schloß zu entdecken. Sobald er desselben ansichtig wurde, gab er mit einem starken Husten seinen Geistern das verabredete Zeichen, und in dem Augenblick entstand im Hof unten ein Geschrei: "Feuer, Feuer!" Und wirklich sah man allerorten die Flammen in die Höhe flackern, denn obgleich der Palast von lauter Steinen erbaut war, so schienen doch dieselben über und über zu brennen, als wenn es Holz oder andere feuerfangende Materie wäre. Jedermann lief hinab, das Feuer zu löschen: in dieser allgemeinen Verwirrung ergriff Mattetai das treffliche Schloß aus der Höhle Xa Xa und steckte es geschwind in die Tasche; dann lief er mit seinen dienstbaren Geistern dem Feuer zu und half löschen, so daß man nach
Stillung des Brandes dem persischen Gesandten und seinen Leuten den höflichsten Dank für ihre wirksame Hilfe abstattete. Nun verzog der Zauberer nicht mehr lange: er nahm ehrerbietigen Abschied und ging vergnügt seines Weges; denn er hatte den ersehnten Schatz in der Tasche. Er ritt in seine Behausung, bezahlte, was er verzehrt hatte, eilte mit seinem Zuge wieder zum Tore hinaus und verabschiedete, sobald er in einem Walde war, seine verkappte Geisterschar. Dann nahm er seine Einkehr im nächsten Dorfe und erwartete da mit Schmerzen die Nacht. Sowie es MitternachtEs erschienen deren viere; sie stellten sich aber sehr unwillig, brummten wie die Bären und sprachen: "Unwürdiger Besitzer des vortrefflichen Schlosses, was willst du von uns?" Mattetai antwortete: "Geschwind, nehmet Lameths herrlichen Palast mit Bellastra und allem, was darinnen ist, und traget ihn mit mir unversehrt nach Amerika; dort setzet ihn in einer lustigen Gegend niederl" Als die Geister dies hörten, schäumten sie vor Zorn, stampften mit den Füßen auf die Erde, daß alles erzitterte, und antworteten: "Unwürdiger Besitzer des trefflichen Schlosses, wisse,
daß wir dir zwar dermalen gehorchen müssen; aber glaube sicherlich, deine Bosheit wird zu rechter Zeit gestraft werden!" Trotz dieser unwilligen Rede faßte ein Erdgeist den Zauberer am Schopf und führte ihn seinem Willen gemäß nach Amerika. Die andern Geister entrückten Lameths schönen Palast nebst Bellafira und ihrem Gesinde ebenfalls dahin und setzten ihn in einer schönen Ebene neben einem grünenden Palmwalde nieder. Mattetai entließ nun seine Erdgeister, dagegen rief er die Feuergeister und befahl ihnen, alle diejenigen, die mit Bellastra hergekommen waren, zu nehmen und in eine wohnungslose Einöde zu tragen, was auch im Augenblicke geschah. Nur Bellastra und ihre Kammerfrau blieben nach des Zauberers Willen zurück.Der Morgen brach an, und als Bellastra erwachte und in ihrem Palaste alles so stille fand, als wenn er ausgestorben wäre, wußte sie nicht, was dies bedeuten sollte; als sie aufstand und einen Blick ins Freie warf, zweifelte sie lang, ob sie schlafe oder wache. Sie sah wohl, daß sie in ihrem Palaste war, aber anstatt wie sonst die rauschende Stadt Konstantinopel zu übersehen, blickte sie in eine fremde, ihr ganz unbekannte Gegend, in eine stille, grüne Einöde hinaus. Sie rief angstvoll ihrer Kammerfrau, aber diese antwortete ihr ebenso erschrocken: im gangen Schlosse sei kein Mensch anzutreffen, und alle Türen seien versperrt. Bellastra betrübte sich nicht wenig. Noch während sie miteinander redeten, trat der Zauberer Mattetai ins Zimmer, machte eine tiefe Verbeugung und wollte eine Entschuldigung gegen die Fürstin vorbringen. Allein diese war über sein Erscheinen so verwirrt, daß sie mit ihrer Kammerfrau in ein anderes Zimmer eilte und den Riegel hinter sich zuschob, um der widerwärtigen Erscheinung überhoben zu sein.
Himmel, ich sehe kein Schloß mehr; ich weiß nicht, ist es unter die Erde versunken, oder wo ist's hingekommen!" Nun ließ der Sultan Lärm schlagen; der Großwesir und die übrigen Minister wurden gerufen, und er fragte sie, wie sich das Verschwinden des Palastes mit seiner Tochter erklären lasse. Der Wesir, der, obgleich er sich äußerlich immer ganz anders gezeigt hatte, in seinem Herzen dem Lameth doch gram war und ihn im Verdacht hatte, daß er seinen Sohn entführen lassen, sagte: "Gewiß, dieser Lameth muß ein Erzzauberer gewesen sein, der sich verstellen konnte, wie er mochte, um die weisesten und schönsten Personen in der Welt zu betrügen und, wenn er ihrer satt ist, sie aus dem Wege zu räumen!"
Der Sultan entbrannte in Zorn; er gab seinem Gardehauptmann Befehl , den Fürsten Lameth aufzusuchen, wo er der Jagd nachzugehen pflegte, ihn gefangenzunehmen und unter sicherer Begleitung nach Hofe zu liefern. Der Hauptmann tat dieses ungerne; denn Lameth war ihm sehr lieb, doch konnte er nicht umhin, den Befehl zu vollziehen; er ritt daher mit seinen Leuten aus, denselben aufzusuchen. Er durfte nicht lange suchen, so traf er ihn: denn Lameth war von einer ihm selbst unerklärlichen Schwermut befallen worden, hatte sich viel eher, als er willens gewesen war, der Jagdlust entschlagen und eilte gerade nach Konstantinopel zurück. Als er den Hauptmann der Garde gewahr wurde, fragte er ihn, was es gutes Neue in Konstantinopel gebe. Dieser aber zuckte die Achseln und antwortete: "Wenig, o Herr! Ich habe den Befehl, Euch gefangenzunehmen, und wollte, der Auftrag hätte einen andern betroffen." Lameth, der sich nichts Böses bewußt war, fragte nach dem Grund seiner Ungnade. Der Hauptmann aber sagte, solches würde er von dem Sultan selbst erfahren. Da überreichte ihm Lameth willig seinen Degen. "Freund", sagte er dabei, "ich habe ein gutes Gewissen und fürchte mich vor nichts!" So ritt er mit dem Hauptmann und van dessen Leuten umringt in die Stadt zurück und von der Hinterseite her in die Burg des Großsultans hinein.
Dieser blickte Lameth mit zornigen Augen an, ergriff ihn bei der Hand, führte ihn zum Fenster und sprach: "Nun sage mir, wo ist dein zauberischer Palast, wo hast du meine Tochter Bellastra hingebracht?" Lameth sah zum Fenster hinaus, und als er seinen Palast nicht mehr erblickte, erschrak er so sehr, daß er, ohne ein Wort zu sprechen, rücklings in Ohnmacht fiel. Man brachte ihn durch allerlei Mittel wieder zur Besinnung, und nun brach er in Klagen um den Verlust seiner geliebten Bellastra aus, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen. Aber der Großsultan blieb ungerührt und war so erbittert, daß er ihm nur drei Tage Frist vergönnte, in
welcher er seine Tochter wiederschaffen oder des Todes sterben sollte. Lameth war durch sein Unglück von Sinnen gekommen; er wünschte sich selbst recht bald die Stunde, in welcher er das verdrießliche Sehen enden könnte. Indessen kamen des Großwesirs und Großadmirals Söhne unvermutet wieder zum Vorschein. Sie berichteten, wie sie von unsichtbaren Kreaturen hinweggeführt und bis auf diese Stunde gleichsam in Verhaft gehalten worden und, übrigens wohl versorgt, der eine in einem Olivenwald , der andere in einem Pomeranzenham bleiben mußten, bis sie sich beide wieder zugleich hierher gebracht sahen. Weil nämlich die Erdgeister nicht mehr unter Lameths Gewalt waren, so hatte auch sein Befehl ein Ende, und die Geister mußten dem dienen, der das Wunderschloß in seinen Händen hatte. Die ehrlichen Geister aber glaubten, Lameth selbst zu dienen, wenn sie jene beiden nicht in der Einsamkeit zurückließen, sondern wieder an den Ort brachten, wo sie dieselben genommen hatten. Nun schrien aber der Wesir und der Admiral über Lameth und sagten, daß kein anderer es sei, der ihre Söhne bezaubert habe. Sie ließen daher dem Sultan keine Ruhe, bis dieser, als nun der dritte Tag erschien und Lameth unter Seufzern und Tränen schweigend vor ihm stand, befahl, daß man denselben im Hofe des Schlosses aufhängen solle.Aber die Soldaten, die dem Lameth sehr gewogen waren, widersetzten sich diesem grausamen Befehl. Einige rannten hinaus aus der Hofburg und machten es dem Volke kund. Da entstand ein gewaltiger Auflauf, die Schloßtore wurden eingeschlagen, die Masse drang mit Wut herein und schrie: wenn Lameth sterben sollte, so wollten sie mitsterben oder aber allen die Hälse brechen, die an seinem Tode schuld wären. Da besannen sich der Sultan und die Großen des Hofes anders; der Sultan rief in den Hof hinab, das Volk sollte sich zufrieden geben; Lameths Leben sollte ihm geschenkt sein; er befahl auch auf der Stelle, ihn freizulassen. Und wirklich führten einige Vornehme, von vielem Volke begleitet, den trauernden Lameth zum Tore hinaus. Dieser ging ohne Freude über seine Rettung wie ein Trunkener taumelnd fort, bis er, vom Volk entlassen, in einen tiefen Wald kam, wo er sich im Gebüsche niedersetzte und sein unglückseliges Schicksal überlegte. Da fiel ihm auf einmal ein, daß er den trefflichen Ring noch am Finger trage, durch dessen Kraft er die Luftgeister in seiner Gewalt hatte. Schnell drehte erden Ring herum, und ein Luftgeist erschien. "Treuer Nebendiener", sprach Lameth zu ihm, "dir wird bekannt sein, daß mir ein Bösewicht das unvergleichliche Schloß geraubt und dadurch bewirkt hat, daß mein neugebauter Palast nebst meiner
geliebten Bellastra hinweggeführt worden ist. Gewiß weißest du, wo beide sich derzeit befinden. Ich bitte dich, sage mir, wo ich sie antreffen und ob ich meine teure Gemahlin nicht wiederbekommen kann?" Der Luftgeist antwortete: "ES ist der Verräter Mattetai, der dich durch List um das Schloß gebracht und sofort Bellastra in ihrem Palaste nach Amerika entführt hat; dort hat sie viel Verfolgung von diesem Bösewicht auszustehen . Dennoch sei guten Mutes, Lameth! Die Erdgeister dienen dem Zauberer nur aus Zwang und werden selbst froh sein, wenn sie von seinem Dienst erlöst werden. Wenn du daher willst, so bringe ich dich nach Amerika und dahin, wo Mattetai deine Gemahlin eingeschlossen hält, dann mußt du ihn wieder mit List hintergehen, wie er dich hintergangen hat!"Lameth war wieder lebendiger geworden, weil er nun wußte, wo seine Bellastra anzutreffen sei. Er bat den Geist, ihn auf der Stelle nach Amerika zu bringen; dieser ergriff ihn, führte ihn dahin und setzte ihn in dem Palmenhaine nieder, von wo aus er seinen wohlbekannten herrlichen Palast erblicken konnte. Nun befahl Lameth seinem Luftgeist, ihm Bettlerkleider zu bringen und ihn so zu entstellen, daß ihn niemand erkennen möchte. Der Geist gehorchte, und bald war Lameth in einen armen, abgezehrten, hinkenden Bettler verwandelt, so daß sein leiblicher Vater ihn nicht wiedererkannt haben würde. In dieser Jammergestalt wankte er
aus dem Walde heraus und dem Palaste zu. Sein Herz hätte ihm brechen mögen, als er Bellastra erblickte, wie sie ganz traurig zum Fenster hinaussah, den Kopf in beide Hände gestützt, in tiefe Gedanken versunken; so daß sie den Bettler nicht eher gewahr wurde, als bis er vor ihr stand und sie um ein Almosen anflehte. Bellafira warf ihm eine Silbermünze hinunter und sagte dabei: "Betet für mich, Alter, daß ich aus meinem Elend endlich erlöst werden möge!" Der verstellte Lameth erwiderte: "Ja, schöne Frau, das will ich tun; ich versichere Euch, es soll nicht lange anstehen, soLameth machte eine hinkende Verbeugung und sagte: Ja, ja, es soll dich nicht gereuen; die Tat soll meine Worte erfüllen!" Er hinkte seinen Weg in den Palmenwald zurück und wartete, bis es recht finster wurde. Unterdessen berief er seinen Luftgeist und verabredete mit ihm das Nötige. Dieser entdeckte ihm, daß Mattetai das Schloß aus der Höhle allezeit an einer starken goldenen Kette am Halse hangen habe; solange er dieses besitze, sei er nicht mit Schwert, Gift, Feuer und Strick ums Leben zu bringen; ja, wenn er zwischen zwei Mühlsteine geworfen würde, müßten eher diese in Stücke springen, als daß sie ihm einen Schaden zufügen könnten. Lameth müßte sich daher nach einer Lisi umsehen und den alten Zauberer durch ein starkes Getränk berauscht zu machen suchen, damit er alsdann, wenn er besinnungslos wäre, das Schloß von seinem Halse lösen und über sein Leben verfügen könnte. Weil nun Mattetai den Wein aus Kalabrien am meisten liebe, so versprach der Geist, ihm dergleichen zu verschaffen; zugleich wolle er ein Gegenmittel bringen, das für den, welcher sich desselben bediente, denselben Wein unschädlich machen sollte, er möchte davon trinken, soviel er wollte. Dieses alles sollte Lameth in Bettlersgestalt seiner Gemahlin Bellastra überbringen und ihr anzeigen, wie sie sich dabei klüglich zu verhalten hätte, um den Zauberer in die Falle zu locken.
Hocherfreut über des dienenden Geistes guten Rat ging Lameth, sobald jener sechs Flaschen kalabrischen Weines und das wirksame Gegenmittel herbeigeschafft hatte, in der Dunkelheit, beides in einem Korbe verborgen, nach Bellastras Palaste zu, die auf ein verabredetes Zeichen die Kammerfrau hinabschickte, ihn heraufzugeleiten. Dies konnte um so leichter geschehen da der jüdische Bösewicht auf einige Tage verreist war. Als der geheuchelte Bettler in Bellastras Zimmer trat, fand er sie traurig auf ihrem Ruhepolster sitzen. Sie redete ihn also an: "Wie ist's, guter Alter, kommt Ihr, Euer Wort zu erfüllen und mir ein Mittel an die Hand zu geben, wie ich von meinem Elende loskommen mögen" —"Tut, was ich Euch sage", erwiderte Lameth; "wenn morgen Mattetai zurückkehrt, so trachtet dahin, daß er sich in diesem Weine berausche, welchen ich hier mitbringe . Seht, da sind sechs Flaschen des besten kalabrischen Weines; den trinkt er am liebsten; sprecht ihm zu, ja, muntert ihn durch Euer eigenes Beispiel auf, zu trinken, bis seine Sinne ihn verlassen; ihr selbst, ehe Ihr zu trinken anfanget, nehmet dieses Gegenmittel ein, das ich Euch hier übergebe und das Euch vor den Wirkungen des Weines beschützen soll. Ist Mattetai betrunken, so gebet mir mit einem weißen Tuche ein Zeichen
zum Fenster hinaus; dann will ich kommen und Eurem Elend ein Ende machen." Bellastra hörte dem allem mit Freuden zu und versprach, allen Verstand zusammenzunehmen, um den Anschlag glücklich auszuführen. Der Bettler stellte die Flaschen Weines und das Fläschchen mit dem Gegenmittel auf den Tisch, wünschte ihr Glück zu ihrem Vorhaben und ging seines Weges."Nun so kommet her und setzt Euch zu mir", sagte Bellafira, indem
sie aufstand und die sechs Flaschen, eine nach der andern, aus einem Schranke nahm. "Laßt uns in die Wette zechen! Aber es fehlt an einem Glase." Mattetai erhub sich, warf einen zärtlichen Blick auf die Fürstin und ging, schöne Becher zu holen. Diesen Augenblick hatte sich Bellastra ersehen, nahm das Fläschchen mit dem Gegenmittel aus dem Schranke und tat geschwind einen Zug daraus. Gleich darauf kam der Zauberer mit den Pokalen, und Bellastra schenkte ihm ein. "Dies auf mein Wohlsein getrunken, Freund!"sprach sie, und Mattetai ließ sich nicht lange bitten. So leerten sie eine Flasche nach der andern, und der Zauberer konnte sich über die Ausdauer seiner Geliebten nicht genug wundern; denn als sie an die vierte Flasche kamen, wurde ihm bereits taumelig im Kopfe. Bellastra schien zu bedauern, daß sie nur noch zwei Flaschen übrig habe, sprach und trank ihm dabei wacker zu. Die letzte Flasche goß sie gar nicht in den Pokal, sondern setzte dieselbe an den Mund und trank sie zur Hälfte auf Mattetais Gesundheit aus, stellte ihm den Rest zu und sprach: "Trinkt das auf meine Gesundheit, Lieber! Dann wollen wir schlafen gehen!" Mattetai, von Liebe und Wein trunken, ergriff die Flasche; ehe er sie jedoch an den Mund setzen konnte, fiel er im Rausche zu Boden und ließ auch die Flasche fallen, daß sie in tausend Stücke zersprang.Bellastra rüttelte den Liegenden, als wollte sie ihm helfen, eigentlich aber nur um zu sehen, ob er auch tief genug berauscht sei, und als sie gar keine Empfindung an ihm spürte, öffnete sie das Fenster und gab das Zeichen mit dem Tuche. Der lahme Bettler flog die Treppe hinauf und wurde von der Kammerfrau in das Gemach geführt, wo der böse Mattetai wie ein Stein auf dem Boden lag. Lameth ließ nun seine Gemahlin und ihre Kammerfrau abtreten, fiel über den Zauberer her, riß ihm das Oberkleid ab und suchte das Schloß, das er auch sogleich an seinem Busen fand. Er zog ihm dasselbe samt der Kette ab und drehte den Schlüssel schnell um; die Erdgeister erschienen und fragten tanzend und springend vor Freuden: "Würdiger Besitzer des unschätzbaren Schlosses, was befehlet Ihr?" Lameth sagte: "Nehmet hier dem boshaften Zauberer das Leben!" Keinen angenehmeren Befehl hätte Lameth seinen dienstbaren Geistern geben können. Zwei ergriffen ihn bei den Händen, zwei bei den Füßen und zerrissen ihn in vier Stücke. Schnell drehte Lameth seinen Ring um; die Luftgeister kamen und trugen auf seinen Befehl die zerrissenen Glieder des Zauberers hinaus in alle vier Teile der Welt. Dann mußten sie das Zimmer reinigen, ihm selbst seine vorige Gestalt wiedergeben und die früher getragenen Fürstenkleider wiederanlegen; dann den
Palast mit allem, was darin war, auf der Stelle wieder nach Konstantinopel versetzen und die von Mattetai verbannte Dienerschaft wieder herbeischaffen.Nachdem alles geschehen und die Diener wieder zur Stelle waren, berief Lameth seine geliebte Bellastra. Als diese in das Zimmer trat, erwartete sie den hinkenden Bettler wiederzufinden, da erblickte sie ihren schönen Gemahl und warf sich ihm in die Arme. Lameth erzählte ihr, daß er den Bettler vorgestellt, und wie alles ergangen sei. Die Diener stürzten herbei , ihren Herrn zu grüßen; ein gutes Nachtmahl ward bereitet, alle waren guter Dinge.
Als Bellastra in der Frühe erwachte, fiel ihr erster Blick zum Fenster hinaus wieder auf die Stadt Konstantinopel. Der Sultan aber, der nach seiner Gewohnheit früh aufstand und an das Fenster trat, sah den Palast wieder an der alten Stelle stehen. Außer sich vor Freuden, kleidete er sich eiligst an und begab sich mit seiner Leibwache nach dem Ort. Hier flog ihm seine Tochter Bellafira entgegen, bewillkommte ihren Vater mit kindlicher Freude und reinigte ihren Gemahl von aller Schuld, indem sie die Begebenheit nach der Wahrheit berichtete. Der Großsultan schämte sich seiner Übereilung und empfing den zu seiner Begrüßung herbeigeeilten Lameth aufs zärtlichste. Großwesir und Admiral, die ihn hatten töten wollen, warfen sich dem Wiedergekehrten zu Füßen und erhielten Verzeihung . Lameth und Bellasira lebten viele Jahre in Glück und Frieden. Das Schloß aus der afrikanischen Höhle Xa Xa aber wurde von Lameth in besserer Verwahrung gehalten als zuvor, und er blieb des unschätzbaren Kleinods ruhiger Besitzer bis an sein Ende.
Griseldis
Mit Bildern von Anton Dietrich
In Piemont, am Fuße eines hohen Berges, liegt eine herrliche Herrschaft, welche blühende Städte und viele schöne Dörfer in sich begreift. Der erste Markgraf, dem diese Landschaft eigentümlich zugehörte, hieß Walter. Er war ein Mann schön von Gestalt, ehrbar von Sitten, jung von Jahren, reich begabt mit Verstand. Aber alle seine Neigung war so sehr der Jagd und dem Vogelfange zugekehrt, daß er das andere darüber vergaß und sich der Regierung seines Landes gänzlich entschlug. So hatte er auch keine Lust zum Heiraten, nicht als ob ein Gelübde ihn abgehalten hätte, sondern die gepriesene Freiheit und die Liebe zum unabhängigen Leben und zur Selbstherrschaft ließ ihn an keine eheliche Verbindung denken. Wenn daher gute Freunde zu ihm von seiner Vermählung sprachen, so pflegte er wohl zu erwidern: "Ich mag meine Freiheit nicht verkaufen und nicht ein Weib zur Mitregentin annehmen. Solange ich ledig bin, tue ich, was ich will: wenn ich aber verheiratet bin, so muß ich vielmals tun, was meine Frau will. Tue ich dieses nicht, so habe ich eine widerwillige Frau und zugleich sank und Hader im Hause!" Die Untergebenen verdroß dieses
Verfahren ihres Herrn; sie hätten es gar zu gerne gesehen, wenn ihr Herr eine glückliche Ehe eingegangen und Erben seiner Güter hinterlassen hätte. Die Vornehmsten der Grafschaft beratschlagten daher, wie sie die Sache anstellen und ihren Herrn zum Heiraten vermögen könnten. Deswegen erschienen sie eines Tages insgesamt vor dem Markgrafen, und der Vornehmste unter ihnen redete ihn mit folgenden Worten an:"Gnädiger Herr und Markgraf! Die Freundlichkeit Euer Gnaden gibt uns den Mut, frei heraus zu reden, was wir in unserem Sinne gefaßt haben. Wir hoffen nicht, daß Ihr solches übel aufnehmen werdet, weil Eure Güte und Euer väterliches Gemüt uns allen genugsam bekannt sind. Wir schätzen uns glücklich, einen so lieben Herrn zu haben und von ihm beschützt zu werden. Wir würden uns aber noch viel glücklicher achten, wenn wir Eure markgraf Gnaden für ewig bei uns behalten könnten. Nun wissen wir, daß dies nicht möglich ist. Das Nächste aber wäre, wenn wir Eurem ehelichen Erben in Liebe dienen und untertänig sein dürften. Unser Herr ist zwar jetzt noch tung von Jahren und stark an Kräften; er weiß aber, daß die nachkommenden Jahre diese Kraft verzehren werden. Deswegen ist unsere untertänige Bitte, daß Eure Gnaden geruhen mögen, durch eine Vermählung Bedacht darauf zu nehmen, daß Sie in erwünschten Erben fortleben und dereinst Ihr Land fortregieren. Wird unser billiges Begehren erhört und uns ein Auftrag gnädigst gegeben, so wollen wir ein Fräulein für Euer Gnaden aussuchen, das an Geblüt, Schönheit und tugendlichen Sitten unserem Herrn am ähnlichsten sein wird."
Auf diese Worte schwieg der Graf eine Zeitlang still und dachte dem Vorschlage nach. So schwer es ihn ankam, so überwand ihn doch am Ende die Liebe zu seinen Untertanen, und er entschloß sich, ihrem Begehren zu willfahren. So sprach er denn zu ihnen: "Meine lieben Freunde! Eure demütige Bitte nötigt mich, euch zu willfahren und zu tun, was ich nie im Sinne gehabt habe. Denn ich hatte mir allezeit vorgenommen, meine Freiheit völlig zu behalten, die im Ehestande wohl schwerlich mag erhalten werden; nun aber unterwerfe ich mich freiwillig dem Willen meiner Untertanen , damit sie erkennen, daß ich sie liebe, und daß ich als ein Vater ihnen vorzustehen begehre. Jedoch bedanke ich mich für euer Anerbieten, mir eine Gemahlin zu erlesen, die meinesgleichen sein soll. Diese Mühe will ich selbst auf mich nehmen, und ich vertraue hierin auf die Hilfe des Allerhöchsten, der in seine Hände das Glück des Ehestandes gelegt hat. Er wird mir ein Weib zuführen, welches mein Heil und meine Ruhe nicht hindern und zugleich eurem Verlangen, die Regierung in meinem Hause
gesichert zu sehen, Genüge tun wird. Eines aber sollt ihr mir versprechen und halten: daß ihr diejenige, die ich zu meinem Eheweib auserlesen werde, als Markgräfin und als eure Herrin ehren und ihr untertan sein wollet. Es soll auch keiner unter euch sein, welcher über meine Wahl eines Weibes jemals klage, sondern diejenige, die mein Ehegemahl werden wird, die sollt ihr, als wäre sie die Tochter eines römischen Fürsten, ehren und für eure gebietende Frau erkennen."Über diese Antwort des Grafen erfreuten sich die versammelten Diener höchlich und waren ganz bereitwillig, dem Begehren ihres Herrn zu willfahren . Sie versprachen deswegen mit einem feierlichen Gelübde, der Frau, die er erwählen würde, untertänig zu sein und, welcher Art sie auch sein sollte, im geringsten nicht wider sie zu klagen. Darauf schieden sie getrost von dem Markgrafen und erwarteten mit Verlangen, was für eine Dame er zu seiner Braut erwählen würde.
Der Graf aber brachte einige Tage in tiefem Nachsinnen darüber hin, was für eine Frau er nehmen sollte. Endlich entschloß er sich, keine stolze Erbin, sondern ein demütiges Mädchen zu erkiesen, das ihm in allem willfahren würde. Als daher einige Wochen verflossen waren und er sich in seinem Entschlusse festgesetzt hatte, da befahl er seinem Haushofmeister, alles zu der nächstkünftigen Hochzeit fertigzumachen. Noch wußte niemand, welche Jungfrau die Braut sein sollte, und der Graf wollte es auch niemand offenbaren, sooft er darum befragt wurde.
Inzwischen ward alles auf fürstliche Weise vorbereitet, und viele hohe Gäste wurden geladen. Der hochzeitliche Tag nahte heran, ohne daß jemand mußte, von wannen die Braut kommen sollte. Der Graf rüstete goldene Ringe und Ohrengehänge, die er einem andern Mädchen, welche seiner Braut an Wuchse gleich war, hatte anmessen lassen. Wie nun der bestimmte Tag herbeigekommen und die geladenen Gäste in großer Menge gegenwärtig waren, so fehlte niemand mehr als die markgraf Braut. Da entstand eine große Verwunderung unter allen Anwesenden, ja, es erwuchs sogar der Zweifel, ob es nicht mit der gangen Hochzeit nur auf einen mutwilligen Scherz abgesehen sei. Die Stunde des Mittagsmahles war gekommen; Zimmer und Tische waren geziert, die festlichen Speisen bereit; dennoch wurde kein Wort vernommen, welches Fräulein für die Braut des Grafen erklärt sei. Zuletzt sahen sich die Gäste genötigt, den Grafen fragen, warum sie denn eigentlich zur Hochzeit geladen seien. Er aber gab ihnen zur Antwort, sie sollten ohne Sorgen sein; die Braut sei schon auf dem Wege; alle möchten sich fertig machen, ihr entgegen
zugehen und sie mit gebührenden Ehren zu empfangen. So sammelten sich denn alle geladenen Herren und Frauen und begaben sich insgesamt zum Schlosse hinaus. Vor ihnen her ritt der Markgraf, mit hochzeitlichen Kleidern angetan; neben ihm fuhren in festlichen Wagen einige Edelfrauen, welche die Brautkleider nebst allem weiblichen Zierat verschlossen mit sich führten. Der hochzeitliche Festzug war auf diese Weise in das nächste Dorf gekommen, und niemand wußte, wohin er weitergehen sollte. Gleichwohl verbreitete sich ein dunkles Gerücht unter den Gästen, daß hier der Ort sei, wo der Graf sich seine Braut erwählen würde, und, obgleich sich niemand einbilden konnte, auf welche Weise dies geschehen sollte, so hatten sich doch alle Bauernmädchen des Dorfes, zu welchen die Sage gleichfalls gedrungen war; aus Neugierde versammelt und harrten auf die abenteuerliche Brautwahl des Markgrafen.Nun lebte in diesem Dorfe, in dem nur wenige und lauter arme Bauern wohnten, ein Mann, namens Janicula, der ärmste unter allen, der eine einzige Tochter hatte, welche Griseldis hieß; so arm sie war, so schön war sie von Gestalt, tugendsam von Sitten und mit vielen Gaben der Natur geschmückt. Sie hütete die wenigen Schafe ihres Vaters und brachte die meiste Zeit auf dem Felde zu; dennoch kochte sie alle Speisen für die Hausgenossen, , und die halbe Nacht verbrachte sie allezeit mit Spinnen. Ihren Eltern war sie in allen Dingen gehorsam und den Werken der Andacht sehr ergeben. Dieses Bauernmädchen hatte der Markgraf im Vorüberreiten vielmal mit Augen gesehen und ihre Sitten wohl beobachtet. Schon lange trug er zu ihr eine aufrichtige Neigung im Herzen und war entschlossen , sich mit ihr zu vermählen.
Zu der Zeit nun, da die Hochzeitsgäste in das Dorf kamen, war die gute Griseldis am Brunnen gewesen und eilte jetzt eben mit ihrem Kruge nach Haus, um zugleich mit den andern Mädchen zu sehen, woher denn die Braut kommen sollte. Als sie aber ihrem Hause nahete, trat ihr der Graf entgegen und sprach zu ihr: "Griseldis, wo ist dein Vater?" Das Mädchen neigte sich gar tief und sprach mit großer Ehrerbietung: "Er ist zu Hause, gnädiger Herr." "Laß ihn zu mir herauskommen", sagte der Graf. Als dies geschehen war, nahm der Markgraf den Bauern bei der Hand, führte ihn ein wenig beiseite und sprach mit heller Stimme zu ihm also:
"Ich weiß, mein lieber Janicula, daß du ein frommer und aufrichtiger Mann bist und daß du mir als deinem Herrn in allen Dingen gehorsam sein wirst. Deswegen frage ich dich: Willst du mir deine Tochter Griseldis zur Ehe geben und mich, deinen Herrn, zu einem Eidam haben?"' Der
gute, alte Mann erstarrte über dieser Rede und wußte nicht, was er darüber denken oder sagen sollte. Erst als ihn der Graf zu einer Antwort nötigte, sprach er mit Zittern: "Gnädiger Herr, ich finde vor Schrecken keine Antwort; aber weil Ihr mein Herr seid, so darf ich nichts anderes wollen, als was Euch gefällig ist. Und so es denn Euer Ernst ist, meine arme Tochter zur Ehe zu nehmen, so bin ich viel zu gering, Euch hierin zu widersprechen." Der Graf erwiderte: "Gut! so laß uns zwei allein in Euer Haus gehen. Ich muß den Willen deiner Tochter erkennen und sie über einige Dinge befragen."So blieben alle Hochzeitsgäste draußen in höchster Verwunderung stehen; der Graf aber ging mit dem Vater in das Haus, nahm die Tochter bei der Hand und sprach: "Weil es sowohl deinem Vater als mir gefällt, daß du mein Weib sein sollest, Griseldis, so hoffe ich, es werde dir nicht mißfallen, mich zur Ehe zu nehmen." Die verstörte Jungfrau erschrak, als wenn der Himmel über sie herabfiele und die Erde drehte sich mit ihr. Der Graf aber sprach ihr mit freundlichen Worten zu: "Fürchte dich nicht, meine liebe Griseldis; denn du hifi es, die ich vor allen Weibern der Erde zu meiner Braut auserkoren habe; und wenn du darein willigest, so werde ich mich noch heute mit dir vermählen." Griseldis neigte sich in Demut und antwortete: "Gnädiger Herr l Ich erkenne mich zwar so großer Ehren ganz und gar unwürdig; gleichwohl, wenn es Euer ernstlicher Wille und Eures Herzens Meinung ist, mich armes Bauernmädchen zu Eurer Dienerin anzunehmen, so darf ich mich meinem Herren nicht widersetzen." Darauf sprach der Graf mit ernster Miene: "Ehe ich dich denn zur Ehe nehme, frage ich dich, Griseldis, ob du mit freiwilligem Herzen bereit seiest, mir in allem gehorsam zu sein, in keinem Dinge meinem Willen zu widerstreben ; so daß du alles, was ich mit dir tun werde, ohne ein saures Gesicht und ohne ein rauhes Wort tragen wollest?" — "Gnädiger Herr Graf", erwiderte die Jungfrau, "wenn ich die große Ehre, die mir nicht gebühret, haben soll, Eure Gemahlin zu sein, so verspreche ich, nichts wissentlich zu tun oder zu denken, was wider Euer Herz wäre; Ihr werdet mir nichts tun und nichts befehlen, was ich übel aufnehme, und solltet Ihr mich auch sterben heißen." Diese Worte gefielen dem Grafen wohl, und er sprach freudig: "ES ist genug! Wenn du dieses tun willst, so begehre ich weiter nichts von dir!"
Damit nahm er sie an der Hand, führte sie zum Hause hinaus und zeigte sie allen Anwesenden, sprach auch dazu mit lauter Stimme: "Diese Jungfrau hier ist meine Braut, diese ist eure gnädige Frau; sie ehret, sie
liebet und, wofern ihr mich wert habt, so habet sie noch viel mehr wert." Und nun befahl er den bestellten Edelfrauen, daß sie die Magd alsbald ihrer Bauernkleider berauben und sie mit herrlichen Brautgewanden zierenin sein Zimmer. Hier stellte er sich keineswegs freundlich gegen sie an, sondern begann mit ernsthaften Worten so zu sprechen: "Du weißest, o Griseldis, in welchem Stande du früher gelebt hast, und auf welche Weise du in mein Haus gekommen bist. Nun bist du mir zwar lieb und angenehm; ; aber meine adeligen Freunde haben ein großes Mißfallen an dir, und meine Untertanen wollen dir, als einer armen Bäurin, auch nicht unterworfen sein, zumal da du mir eine Tochter geboren hast; während doch alle vielmehr einen Sohn verlangt hätten. Ja, selbst wenn es ein Sohn wäre, so möchten sie ihm dennoch nicht untertan sein, darum daß er von einer schlechten Bäurin geboren worden. Und weil ich gerne mit meinen Freunden und Untertanen in Frieden leben möchte, so sehe ich mich genötigt, vielmehr ihrem als meinem eigenen Urteile zu folgen und dasjenige zu tun, was meiner Natur ganz zuwider ist. Jedoch wollte ich nichts ohne dein Vorwissen unternehmen, sondern dir alles zuvor offenbaren. Zugleich frage ich dich, ob du noch desselben Sinnes seiest, wie du von Anfang unsers Ehestandes an gewesen hifi, als du mir versprachest, nichts zu tun noch zu denken, was wider meinen Willen wäre, und nichts übel aufzunehmen, was ich dir befehlen oder mit dir beginnen würde."
Man hätte meinen sollen, auch das allerstandhafteste Gemüt müsse sich über eine so unverhoffte Rede billig entsetzen. Griseldis aber sprach mit unerschrockenen Worten: "Du bist mein gnädiger Herr, und ich mit meinem kleinen Töchterlein sind in deiner Gewalt; tue deswegen mit uns, als deinen Leibeigenen, was dir gefällt. Dir kann nichts gefallen, was mir mißfallen möge; denn ich habe nichts anderes zu begehren und fürchte nichts zu verlieren als eben dich; ich habe dich so tief in mein Herz eingedrückt; daß du zu keiner Zeit, auch nicht durch den Tod, aus demselben gerissen werden kannst. Eher wird alles geschehen, als daß dieses mein Gemüt könnte verändert werden." über diese Antwort wurde der Graf innerlich so bewegt, daß sein Herz im Leibe sich umwendete und er sich der Tränen kaum erwehren konnte. Dennoch blieb er äußerlich ganz ernst und sprach zu ihr mit strengen Worten: "Ob dir diese Antwort von Herzen gehe, wird sich bald zeigen!" Mit diesem kurzen Worte ging er davon und ließ sich nichts von seinem innern Schmerze merken. Alsobald berief er einen seiner getreuesten Diener und wendete sich an ihn mit dem Befehle: "Gehe hin zu meiner Gemahlin und fordere von ihr das kleine Töchterlein. Wenn sie es dir nicht gutwillig gibt, so nimm es mit Gewalt aus ihren Händen. Sag ihr ohne Scheu, ich habe befohlen, daß du es nehmen sollest; damit es hinweggetragen und umgebracht werde. Dabei
gib genau Achtung, wie sich die Mutter benimmt, und berichte mir sofort gründlich, wie sie sich angestellt habe." Der Diener erschrak über diesen Befehl heftig und sprach mit beweglichen Worten: "O Herr, was hat denn das unschuldige Kind getan, daß Ihr es hinrichten wollet, oder womit hat seine Mutter sich versündiget, daß Ihr sie so schwer betrüben wollet? Schonet doch des unschuldigen Lammes und vergießet nicht das edle Blut,Dennoch wollte er nicht aufhören, ihren Gehorsam auf die Probe zu stellen und in dem vorgenommenen Werke fortzufahren. Er hatte nämlich keineswegs im Sinne, dem Kind ein Leid zuzufügen, vielmehr wollte er dasselbe anderswo heimlich erziehen lassen. Er hatte eine leibliche Schwester zu Bologna in Italien, welche mit einem dortigen Grafen vermählt und ihrem Bruder herzlich zugetan war. Ihr gedachte er das Kind zu schicken, daß sie es ihm in der Stille standesgemäß erzöge: deswegen hieß er dasselbe sanft einwickeln, wohl in einer Wiege verwahren und durch ebenjenen Diener, dem er es zu rauben befohlen hatte, seiner Schwester zutragen. Zu dem Ende schrieb er an sie einen Brief, in welchem der ganze Verlauf der Sachen ausführlich erklärt war und sie um Erziehung des Kindes freundlich ersucht wurde, mit beigefügter Bitte, daß sie das edle Fräulein nach seinem gräflichen Stande aufziehen und unterrichten, zugleich aber allen Fleiß anwenden möchte, daß niemand erführe, welchen Eltern das Kind zugehöre. Die Gräfin nahm das Kind ihres Bruders mit bestem Willen aus des Dieners Armen und antwortete jenem durch diesen, wie sie allen möglichen Fleiß anwenden werde, daß das Fräulein aufs sorgfältigste erzogen und seine Abkunft geheimgehalten werde. Und was
sie schriftlich versprochen, das setzte sie treulich ins Werk: denn sie verhielt sich gegen das Kind nicht anders, als wenn sie seine leibliche Mutter wäre.Inzwischen konnte Griseldis nicht erfahren, wo ihr liebes Töchterlein hingekommen, weil außer dem Diener niemand Kunde davon hatte; sie glaubte deswegen nichts anders, als daß das unschuldige Kind getötet worden sei. So unsäglich sie dieses schmerzte, so ließ sie doch ihr inneres Herzeleid äußerlich gar nicht merken: sie zeigte gegen ihren Herrn allezeit ein freundliches Angesicht und erwies ihm so treue Liebe, als wenn sie gar nichts Widerwärtiges von ihm erfahren hätte, so daß sich der Graf nicht genugsam verwundern konnte, wie es möglich sei, daß sie den Schmerz um ihr eingeborenes Kind also niederzuhalten vermöge, daß ihr auch kein Seufzer über die zugefügte Unbild entschlüpfe. Er fing an, ihre Tugend; je länger, je höher, zu schätzen und sie, je länger, je mehr, zu lieben.
Unterdessen vergingen vier Jahre, während welcher der Graf und seine Gemahlin in ehelicher Liebe beständig verharrten und des entführten Kindes niemals Meldung getan wurde. Da ward die Gräfin abermals von Gott gesegnet und gebar einen überaus schönen Sohn, worüber nicht nur die Eltern des Kindes, sondern auch alle ihre Gefreundte und Untertanen sich höchlich erfreuten und dieses glückliche Ereignis mit einem Feste feierten . Besonders freute sich der gute alte Janicula und seine liebe Tochter Griseldis; beide zweifelten nicht, daß der Graf diese jetzt mit beständigerer Neigung lieben werde. Es geschah aber gerade das Gegenteil, und die fromme Gräfin geriet in größeres Leid als zuvor. Als nämlich das Kind zwei Jahre alt geworden und schon entwöhnt war, auch jedermann, wer es sah, über seine Schönheit eine besondere Freude hatte, da trat der Graf, der das beständige Gemüt seiner Gemahlin noch weiter auf die Probe setzen und sie noch schärfer in der Geduld prüfen wollte, abermal zu ihr in das Zimmer und erzeigte sich zwar diesmal ganz freundlich gegen sie; zuletzt aber sprach er mit betrübten Worten: "Mein liebes Weib, ich habe geglaubt , wir würden nun mit Freuden beieinander leben können, und unsere Untertanen würden sich wegen des neugebornen Sohnes völlig vergnügen . Leider aber sind sie jetzt übler zufrieden als zuvor; sie machen mir große Unlust, erheben sich wider mich und sagen mir rundheraus: sie wollen den Enkel des Bauern Janicula nicht zum Herrn haben und ihm nach meinem Tode keineswegs unterworfen sein. So nötigten sie mich, dasjenige zu tun, was mir wider mein Herz und Gemüt ist. Denn weil ich, solange das Kind lebt, keine Ruhe und keinen Frieden mit ihnen haben werde, so muß ich das unschuldige Blut hinwegnehmen und es heimlich
um sein Leben bringen lassen. Ich wollte es dir aber zuvor ansagen, damit dich nicht nachher der Schmerz allzu stark überfalle."Von diesem harten Streiche hätte das Herz der Gräfin tödlich getroffen sein sollen. Gleichwohl äußerte sie nicht die geringste Traurigkeit, sondern sprach mit unerschrockenem Gemüte zu dem Grafen also: "Mein Herr! habe es Euch gesagt und wiederhole es, daß ich nichts anderes wollen oder nicht wollen kann, als was Ihr, mein Herr, mir befehlen werdet; denn gleichwie ich beim Eingehen in Euren Palast meine schlechten Kleider ausgezogen und gräfliche Gewande angelegt habe, also habe ich auch meinen eigenen Willen und alle Neigungen abgelegt und die Eurigen angezogen. Was Ihr deswegen mit mir und meinem Söhnlein zu tun gesonnen seid, das möget Ihr ohne Hindernis frei vollbringen; denn ich werde Euch nicht im geringsten widersprechen."
Der Graf konnte sich über diese unglaubliche Standhaftigkeit seiner Gemahlin nicht genugsam verwundern, vermochte auch aus Betrübnis seines Herzens kein weiteres Wort zu ihr zu reden, sondern ging ganz bewegt von ihr hinaus und vergoß, als er allein war, mildiglich viel bittere Zähren. Damit gleichwohl die hohe Tugend seines Ehegemahls allen Frauen zum Vorbild an den Tag kommen möchte, fuhr er fort, sein Vorhaben ins Werk zu richten. Der Diener ward gerufen und wieder zur Gräfin geschickt, um abermals ihr das Kind abzunehmen. Diesmal aber richtete dieser den Befehl mit viel leichterem Hergen aus; denn er wußte ja, daß dem Kinde kein Leid widerfahren werde. Er ging hinein zur Gräfin und sprach: "Gnädige Frau, Ihr werdet ohne Zweifel schon wissen, warum ich zu Euch komme; es ist unsers Herrn Wille, daß das junge Herrlein hingerichtet werde. Darum sollt Ihr mir es gutwillig geben, damit ich es demjenigen überliefere, welchem ich vor sechs Jahren auch das Fräulein übergeben habe. Ich bitte Euch aber, Ihr wollet Euch hierüber nicht allzusehr verstören und mir selbst mein Begehren nicht verdenken; denn mein Herr wird genötigt, diese Untat gegen seines Herzens Neigung zu verrichten, und mir liegt ob, ihm in allem treulich zu gehorsamen."
Die fromme Gräfin wurde über diese Worte nicht bestürzt, sondern, ohne ein Wort zu sprechen, trat sie zu der Wiege, nahm das liebe Söhnlein in ihre Arme, sah es eine Weile freundlich an, drückte es innig an ihr Herz, küßte es wiederholt auf den roten Mund und bezeichnete es mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes; dann übergab sie es in die Hände des Dieners und sagte: "Nimm hin dieses unschuldige liebe Kind und trage es zu seinem Vater. Ich hoffe, sein väterliches Herz werde sich über das
selbe erbarmen, und er werde vielleicht noch Mittel finden, es vor dem Tode zu bewahren. Kann aber das nicht sein, so opfere ich auch diesen Schatz dem höchsten Gott, von dem ich ihn aus Gnaden empfangen habe." Mit betrübtem Herzen nahm der Diener das Kind von ihr, und als er das Zimmer verlassen hatte, fing er an, bitterlich zu weinen, und so kam er weinend und seufzend zu seinem Herrn und erzählte ihm voll Mitleid, wie starkmütig die Gräfin sich bei übergabe ihres Kindes betragen habe. Der Graf vernahm dieses mit großer Verwunderung und konnte es kaum über sein Herz bringen, seine Gemahlin weiter zu betrüben. Dennoch, weil er ihre Tugend kundbar machen wollte, tat er seinem Herzen Gewalt an: er küßte sein liebes Söhnchen voll väterlicher Liebe; dann befahl er dem Diener, es wohlverwahrt zu seiner Schwester nach Bologna zu tragen. Dieser schrieb er aufs neue einen freundlichen Brief, in welchem er ihr die Ursache meldete, warum er seiner Frau beide Kinder abgenommen habe, und bat sie dringend, dieselben so zu erziehen, wie sich für Grafenkinder schicke. Seine Schwester leistete ihm auch treulich Folge; jedoch verwunderte sie sich oft im stillen, was wohl ihr Bruder mit den Kindern weiter vorzunehmen gedenke. Der Graf aber sprach jetzt nicht selten mit seinem Weibe von ihren zwei lieben Kindern, doch konnte er nicht so viel damit erwirken, daß sie einen einzigen Seufzer hätte hören lassen oder auf ihrem Angesicht einige Betrübnis sichtbar geworden wäre. Wenn er anfing, die unschuldigen Kinder zu bedauern, so bedauerte sie dieselben mit ihm; und so in allem: wie er sich verhielt, also verhielt sie sich auch.Je mehr nun der Graf sie in allen Dingen beständig erfand und in der Tat inneward, daß ihr Wille mit dem seinigen vereiniget sei, desto mehr kam ihn die Begierde an, sie weiter auf die Probe zu sehen und sich so gegen sie zu gebärden, daß sie sich betrüben mußte. Daher fing er an, sich äußerlich so gegen sie zu erzeigen, als ob er ihrer müde wäre, und als ob es ihn sehr gereue, daß er eine arme Bäurin geheiratet habe; und dies tat er nicht heimlich, sondern so öffentlich, daß jedermann es leicht abnehmen konnte. So verbreitete sich denn bald ein übles Gerücht in der ganzen Markgrafschaft, als wolle der Graf sich von seinem Weibe scheiden und eine andere heiraten, die ihm an Stand und Reichtümern gleich sei. Beim gemeinen Volk aber entstand ein großes Murren wegen der beiden verlorenen Kinder, weil niemand wußte, wohin sie gekommen, oder wer sie hinweggeführt. Der meiste Argwohn fiel auf den Grafen selbst, als ob er die Kinder mit Gewalt der Mutter genommen hätte, weil er sie nicht als rechtmäßige Erben anerkennen möge. Dieses Gerücht konnte vor der
Gräfin nicht verborgen bleiben; vielmehr wurde ihr gerade auf Anstiftung des Grafen sein ganzes Vorhaben genau erzählt. Sie aber ließ sich dadurch gar nicht irremachen, sondern litt alles mit großer Geduld, indem sie es der Fürsehung des allmächtigen Gottes empfahl.Weil nun alles dieses die fromme Gräfin nicht aus ihrer heiligen Gemütsruhe aufzustören vermochte, so sann der Graf auf eine andere List. Er ließ aussprengen, als wenn er einen Gesandten nach Rom abzuschicken im Sinne hätte und bei dem Heiligen Vater selbst anhalten lassen wollte, daß ihm wegen hochwichtiger Ursachen, und um die Aufregung seiner Untertanen zu stillen, gestattet werden möchte, seine jetzige Ehefrau zu entlassen und standesgemäß eine andere zu heiraten. Diese Sage zu befördern , sandte er einen seiner vornehmsten Diener aus: freilich nicht nach Rom, sondern anderswohin; nachdem aber dieser ein Vierteljahr aus gewesen war, kam er zurück und verbreitete allerorten die Sage; als wenn durch ihn die begehrte Dispensation zu Rom ausgewirkt worden wäre. Dies wurde auch bald im ganzen Lande ruchbar und verursachte vieles Gerede bei großen Herren und gemeinen Leuten. Auch der frommen Griseldis kam es zu Ohren. Diese seufzte zwar darüber aus dem innersten Grund ihres Herzens; dennoch ergab sie sich alsbald in den Willen Gottes und befahl ihm ihr ganzes Anliegen. Doch erwartete sie nicht ohne Angst, was der Markgraf über sie beschließen würde.
Bald darauf berief der Graf die vornehmsten Hofleute zu sich, bewirtete sie herrlich und setzte ihnen unter der Mahlzeit die ganze Angelegenheit auseinander, indem er vorgab, daß ihm von Rom die Erlaubnis zugekommen sei, seine Gemahlin fortzuschicken und eine andere zu heiraten; er habe sie deswegen rufen lassen, dieser Verabschiedung beizuwohnen und sie mit ihrem Ansehen zu bekräftigen. Die hochadeligen Herren waren damit wohl zufrieden; daher befahl der Graf einigen Dienern, seiner Gemahlin solches anzusagen und sie vor die versammelten Herren zu führen. Die arme Griseldis ward über diese Nachricht tief betrübt und beklagte bei sich selbst ihr Unglück mit herzlichen Seufzern. Äußerlich aber ließ sie kein Zeichen der Traurigkeit merken, sondern zeigte großen Starkmut und ein unverstörtes Gemüt. Als sie nun in den Saal geführt worden und voll Schamhaftigkeit vor sämtlichen Herren stand, da redete sie der Graf Walter auf folgende Weise an: "Meine liebe Griseldis, ich bin bis hieher deiner treuen Liebe gegen mich wohl innegeworden und habe dich als meine wahre Gemahlin geliebt. Dennoch gebietet mir eine besondere Schickung Gottes, diese meine Liebe von dir abzuwenden und einer andern zuzukehren.
Dazu nötigen mich diese meine Freunde und Untertanen, dies bewilligt mir der Papst selbst. Sie wollen, weil du meinesgleichen nicht bist, so soll ich dich verabschieden und an deiner Stelle eine andere mir ebenbürtige Gemahlin an meine Seite nehmen, damit meine Grafschaft von rechtmäßigen Erben nach meinem Tode besessen und regiert werden möge. Ich habe dir deswegen solches in Gegenwart dieser hochadeligen Herren ansagen wollen, und hiermit kündige ich dir unsere bisher bestandene Ehe auf. So sollst du denn von dieser Stunde an meinen markgraf Hof meiden und nicht mehr mit dir wegnehmen, als du mir zugebracht hast."Diese Worte waren ein Donnerkeil, der auch das allerstärkste Weib hätte zu Boden schlagen sollen. Was meint ihr nun, daß die geduldige Griseldis auf das Vorbringen des Grafen geantwortet, und wie sie sich äußerlich vor den hohen Herren gezeigt habe? In ihrem Antlitz wurde gar keine Verstörung sichtbar, sondern sie sprach mit demütigen Worten also zu ihm: "Gnädiger Herr ! Ich habe immer erkannt, daß zwischen Eurer Hoheit und meiner Niedrigkeit keine Vergleichung stattfinden könne; deswegen habe ich mich nie für Euer Ehegemahl, sondern immer nur für Eure Dienerin geachtet. Und wiewohl Ihr mich in diesem gräflichen Hause zu einer gnädigen Frau eingesetzt habt, so bezeuge ich es dennoch vor Gott, daß ich allezeit eine Magd gewesen bin. Darum sage ich Gott und Euch Dank für die große Ehre, die mir in diesem Hause ohne mein eigenes Verdienst widerfahren ist; im übrigen bin ich bereit mit ruhigem Herzen in das arme Haus meines Vaters zurückzukehren und da meine späten Tage hinzubringen, wo ich meine Jugend verlebt habe. Gleichwohl achte ich mich als eine glückselige, ehrwürdige Witwe, weil ich gewürdigt worden bin, eines so hohen Grafen Eheweib zu sein. Eurer künftigen Gemahlin will ich von Herzen gerne meinen Platz einräumen und ich wünsche, daß mein Herr mit derselben in größerer Zufriedenheit lebe, als er mit mir gelebt hat. Wenn Ihr mir aber befehlet, daß ich nicht mehr mit mir hinausnehmen soll, als was ich hergebracht habe, so nehme ich daraus leichtlich ab, daß ich nichts mit mir tragen soll als meine Treue und meine Blöße. Wenn dies Euer gebieterischer Wille ist, so bin ich bereit, zu folgen und alles, was ich habe, Euch zu hinterlassen."
Nach solchem Worte zog sie in Gegenwart aller der Herren ihre köstlichen Kleider; eins um das andere, aus, beraubte sich aller Zieraten und behielt nur das letzte Gewand. Endlich zog sie auch ihren Trauring von dem Finger und reichte ihn dem Grafen zugleich mit allen anda Kostbarkeiten dar und sprach: "Nackt bin ich aus meines Vaters Hause gegangen,
ich will auch nackt wieder dahin zurückkehren. Das allein bitte ich, Ihr wollet mir dieses leinene Gewand zur Bedeckung des Leibes, der Eure Kinder geboren hat, überlassen, damit ich in Ehrbarkeit von dannen ziehen könne."Dieser klägliche Anblick nötigte allen Gegenwärtigen Tränen ab; auch das harte Herz des Grafen bewegte er so sehr, daß er vor überfließenden Tränen kein Wort mit ihr reden und sie vor Mitleid in solcher Armseligkeit nicht ansehen konnte. Dennoch hielt er sich mit Gewalt zurück; daß er ihr kein weiteres Erbarmen zeigte, sondern sie in solchem Aufzug von sich gehen ließ. Alle Anwesenden wunderten sich über diese Hartherzigkeit und schalten den Grafen in ihrem Innern einen Tyrannen. Mit der Frau aber trugen sie großes Erbarmen und konnten diesem Schauspiele nicht länger zusehen, sondern verließen das Schloß des Grafen mit weinenden Augen.
So ging die arme Griseldis fast ganz entkleidet; barfuß mit bloßem Haupte zum Schloßtor hinaus, und alles Gesinde im Schlosse folgte ihr trauernd und weinend nach; denn allen war sie wegen ihrer Demut und ihres tugendsamen Wesens lieb und wert, und darum konnten sie sich nicht getrösten, daß sie eine so liebreiche Herrin und treue Landesmutter verlieren sollten. Und jetzt konnte die standhafte Griseldis, die sich wegen ihres eigenen Unglückes nie betrübte, aus Mitleid mit den Ihrigen sich des Weinens nicht enthalten. Ihr Vater und alle Nachbarn ihres Dorfes wurden auch dieses Elend bald gewahr und gingen ihr laut klagend entgegen. Der betrübte Janicula fiel seiner Tochter um den Hals und konnte vor Weinen kein Wort mit ihr sprechen; sie aber, nachdem sie ihren eigenen Zähren Einhalt getan, sagte
ganz freundlich zu ihm: "Betrübet Euch doch nicht so sehr um mein Unglück , Vater t Vergesset nicht, daß das alles nicht ohne Gottes besondere Schickung geschehen sein kann." Der Alte aber sprach: "Wie sollte mein Herz nicht vor Leid zerspringen, Tochter, wenn ich deinen elenden Zustand ansehe und weiß, daß du ohne deine Schuld darein gekommen hifi! Oh,Nun wohnte Griseldis wieder bei ihrem Vater in Geduld und Demut; mit keinem Worte klagte sie über den Grafen und ihr eigenes Unglück. Der Graf aber hatte sein geliebtes Weib hinreichend geprüft und konnte ihre Abwesenheit nicht länger ertragen. Er schickte daher alsbald einen Diener nach Bologna ab mit der Meldung an seinen Schwager, daß es ihm gefallen möge, eilend mit seiner Schwester zu ihm nach Piemont zu kommen und ihm seine, des Grafen, leibliche Kinder zurückzubringen. Inzwischen
Jetzt ließ Graf Walter seine vorige Frau, Griseldis, aus ihrem Dorfe holen, und als sie bereitwillig erschienen, redete erste also an: "Griseldis! Wisse, daß meine Braut morgen schon ankommt, und daß ich sofort mit ihr Hochzeit halten werde. Niemand kennt mein Haus so gut wie du; reinige daher mein Schloß und schmücke es aus und bereite alles, was nötig ist, hohe Gäste zu beherbergen." Griseldis verneigte sich vor ihrem
früheren Gemahl und sprach: "Gar gerne, gnädiger Herr, will ich dieses verrichten; ich achte es für eine besondere Ehre, daß ich Euch aufwarten darf; ja, solange ich lebe, werde ich nicht unterlassen, Euch zu dienen; denn ich erkenne mich dazu verpflichtet, um der vielen Wohltaten willen, die ich von Euch empfangen habe." Sobald sie dies geredet, ergriff sie einen Besen, scheuerte das ganze Schloß von oben bis unten, rüstete das Lager zu, schmückte die Zimmer aus und gebärdete sich in allem als eine treue und eifrige Magd des Hauses.Am andern Nachmittage langte der Graf mit seiner Frau und mit der vermeintlichen neuen Braut aus Bologna an, und Markgraf Walter ritt ihnen mit allen geladenen Gästen feierlich entgegen. Sie empfingen einander mit großen Freuden; jedermann wünschte der neuen Braut Glück und Heil. Diese war ein Fräulein von überaus schöner Gestalt und großer Sittsamkeit, aber noch ganz jung von Jahren und gar zartem Gliederbau ; denn sie war kaum zwölf Jahre alt und schien zum Heiraten noch viel zu jung. Indessen, weil sie dem Grafen gefiel, so mußte sie auch allen
Gästen gefallen und wurde von ihnen als eine Grafenbraut gepriesen und geehrt, mit großer Festlichkeit in das Schloß geleitet und von allen Bewohnern desselben bewillkommt. Jeder Diener und jede Magd mußten hinzutreten und ihrer künftigen Gebieterin Glück und Heil wünschen. Weil denn Griseldis noch in dem Schlosse war, so kam auch sie herzu, die letzte unter allen, und warf sich in ihren Bauernkleidern demütig auf die Knie, küßte der Braut die Hand und wünschte ihr zu ihrer künftigen Ehe Glück und Segen. Darauf setzten sich sämtliche Gäste zu Tische; Griseldis aber trat in die Reihe der Mägde zurück und war emsig beschäftigt mit Auftragen und Aufwarten.Lange verwunderte sich der Graf über die unbegreifliche Demut und Geduld seiner Gemahlin; da beschloß er, ihrem Elend ein Ende zu machen und sie nach ihrer langen Betrübnis völlig zu erfreuen. Wie sie nun gleich einer sorglichen Martha hin und her lief, rief er sie herbei und sprach zu ihr: "Was dünket dich, Griseldis, von meiner neuen Braut; ist sie schön und ehrbar genug?" —"Ja, freilich", erwiderte sie, "ich meine, eine schönere und sittsamere könne nicht gefunden werden. Darum wünsche ich Euch von Herzen die größte Wohlfahrt, hoffe auch, daß es dem Fräulein nicht so übel ergehen soll, als es Eurer ersten Braut ergangen ist. Denn diese war gar zu bäurisch, das Fräulein aber ist gar zart und von edlem Geblüt. Daher wird sie keine Gefahr laufen, jemals von Euch verstoßen zu werden."
Jetzt vermochte der Graf sich nicht länger zu halten und sprach: "Sieh aber doch diese meine Braut auch recht an, Griseldis, und besinne dich, ob du sie nicht kennest." Griseldis tat ihre Augen weit auf und blickte das Fräulein lange an, vermochte jedoch nicht, sich ihrer zu entsinnen. Da sprach der Graf: "Griseldis, kennst du denn deine Tochter nicht mehr, welche du mir vor zwölf Jahren geboren hast?" über diese Rede erstarrte Griseldis und wußte nicht, was sie dazu denken sollte. Und als sie lange in Verwunderung dagestanden, sprach der Graf weiter: "Meine herzgeliebte Griseldis! Nicht verstöre dich diese meine Rede; denn jene vermeinte Braut ist deine und meine Tochter, und dieser junge Herr ist dein und mein geliebter Sohn; du aber bist meine einzige auserwählte und geliebteste Gemahlin, außer welcher ich keine andere je gehabt habe, noch zu haben begehre."
Mit diesen Worten erhub er sich vom Tische, fiel zuerst seiner Griseldis und dann seinen beiden Kindern um den Hals und küßte ein jedes unter vielen Zähren. Griseldis aber ward vor innerer Wonne von ihren Sinnen
verlassen. Als sie wieder zu sich selbst gekommen war, fiel sie zuerst ihrer Tochter, hernach ihrem Söhnchen um den Hals und sprach unter Freudentränen: "Nun will ich gerne sterben, seit ich meine geliebten Kinder wieder lebendig gesehen! Gebenedeit sei die göttliche Gnade, die mir euch, die ich längst für tot beweinet, gesund erhalten und jetzt wieder in Fröhlichkeit zugeführt hat." Während sie sich so mit dem Umfangen ihrer Kinder erlustigte , hatte der Graf ihre besten Gewande herbeibringen lassen. Die
Robert der Teufel
Mit Bildern von W. Camphausen
In alter Zeit lebte in der Normandie ein Herzog, namens Hubert, tapfer und edel, liebreich und milde, der federmann sein gutes Recht widerfahren ließ. Er hatte mit Beirat seiner Barone die schöne, fromme und sittsame Tochter des Herzogs von Burgund geheiratet und seinen fürstlichen |
Von Stund an geschah es, daß der Herzogin Leibesfrucht bescheret ward. Als nun die Zeit kam, daß sie gebären sollte, da begab sich Wunderbares. Einen ganzen Monat lag sie in bittern Wehen, und es zeigte sich, daß sie
ohne große Pein entbunden werden konnte. Ja, ohne die Gebete, ernstliche Buße und guten Werke der Ihrigen wäre sie an dem Kinde gestorben . Ihre Frauen, die zugegen waren, gerieten in große Furcht über die wundersamen Zeichen, die sie bei der Geburt des Kindes sahen und hörten. Denn als das Kind geboren wurde, da erhob sich eine Wolke so dunkel, als wäre es Nacht; aus der donnerte es erschrecklich, und ein Blitz folgte dem andern, als wäre das Ende der Welt gekommen und stände das Firmament offen. Die vier Winde bliesen aus allen Ecken und stießen an das Haus, daß es zitterte und Stücke davon auf die Erde zu fallen anfingen. Die Herren und Frauen, die zugegen waren, als sie diese schrecklichen Stürme sahen, glaubten, mit dem Hause und allem versinken zu müssen. Da wollte Gott endlich, daß das Gewitter aufhörte und die Luft wieder heiter ward. Das Kind aber, das mittlerweilen geboren worden, war ein Knabe. Der war, als er auf die Welt gekommen, von so großer Gestalt; als wenn er schon ein Jahr alt gewesen wäre; alle, die ihn sahen, wunderten sich darüber. Nun wurde das Kind in die Kirche gebracht und erhielt in der heiligen Taufe den Namen Robert. Als man ihn in die Kirche trug und zurück, hörte er nicht auf zu heulen und zu schreien; sofort bekam er große Zähne und biß die Ammen, so daß ihn keine mehr säugen wollte, und man genötigt war, ihn aus einem Horne, das ihm in den Mund gesteckt wurde, zu tränken. Ehe ein Jahr um war, ging er frisch auf den Beinen und sprach so geläufig, wie sonst nur Kinder von fünf Jahren sprechen. Und je mehr er wuchs, je mehr erwies er sich als ein Übeltäter. Kein Weib und kein Mann vermochte ihn zurückzuhalten, und wenn er andern kleinen Kindern begegnete, so schlug er sie mit der Faust oder warf Steine nach ihnen oder kratzte ihnen die Augen aus. Oft rotteten sich die Knaben auf der Straße zusammen, um gegen ihn zu kämpfen, aber wenn sie ihn sahen, wagten sie nicht, ihm standzuhalten, sondern unter dem Rufe: "Robert der Teufel kommt!"liefen sie wie die Schafe vor dem Wolf. Und bald nannten ihn alle Kinder, die ihn kannten, Robert den Teufel, und dieser Name blieb ihm.So lebte Robert von Kindheit an, und die Barone des Landes, die solches mitansahen, freuten sich darüber; sie nannten es Jugend und glaubten , daß es vorübergehen werde; aber endlich fanden sie es doch zu schlimm. Denn weil Unkraut nicht verdirbt, so wuchs auch Robert an Mut und Bosheit, rannte durch die Straßen, schlug und warf nieder, wem er begegnete, und gebärdete sich wie ein Rasender. Als er sechs oder sieben Jahre alt war, rief ihn der Herzog, der die übeln Gewohnheiten seines
Sohnes sah und erkannte, und sprach zu ihm: "Mein Kind, es ist Zeit, man dir einen Lehrmeister gebe, der dich gute Sitten lehre und dir Unterricht erteile; denn du hifi nun alt genug dazu." Darein fügte sich Robert und nun ward er einem guten, weisen Schulmeister übergeben, der ihn lenken und lehren sollte. Es begab sich aber eines Tages, daß der Lehrer den Knaben Robert um einiger Bosheiten willen bestrafen wollte und verlangte, er sollte seine verkehrten Streiche lassen. Da zog Robert ein Messer aus der Tasche und stieß es dem Lehrmeister in den Leib, daß das Blut zu seinen Füßen herabrann und er tot zur Erde niederfiel. Robert warf das Buch auf den Toten und schrie: "Da hast du deine Weisheit ! Kein Priester und kein Mönch soll je mein Lehrer sein!" Und von da an konnte man keinen Meister finden, der sich unterfangen hätte, ihn zu ziehen und zu unterrichten: man war genötigt, ihn sich selbst zu überlassen, daß er seinen eigenen Weg ginge. Er aber ergab sich allem Bösen, wollte von keinem Menschen in der Welt lernen und spottete Gottes und seiner heiligen Kirche. Im Tempel, wenn die Geistlichen beim Hochamte standen und singen wollten, warf er ihnen Asche oder Staub in den Mund; sah er jemand eifrig in der Kirche beten, so gab er ihm einen Stoß inden Nacken, daß sein Kopf den Boden küßte; so daß ihn jedermann seiner Bosheit wegen verfluchte.Als nun der Herzog die böswillige Sinnesart und das fluchwürdige Leben seines Sohnes sah, so wünschte er, daß derselbe nicht geboren wäre; auch die Herzogin war in tiefer Kümmernis um ihn, und eines Tages sagte sie zum Herzog: "Unser Sohn ist nun schon alt und tüchtig von Leibe; es deucht mir, das beste wäre, ihn zum Ritter zu schlagen; vielleicht daß er dann seine schlimmen Sitten ändert!" Damit war der Herzog zufrieden ; Robert aber war damals nicht mehr denn achtzehn Jahre alt. Eines Pfingsttages nun versammelte der Herzog die vornehmsten Barone und Edeln des Landes und berief seinen Sohn Robert vor diese Versammlung. Nachdem er sodann die Meinung der Anwesenden eingeholt, sprach er zu ihm: "Robert, mein Sohn, höre, was ich dir auf den Rat meiner guten Freunde hier sagen will. Ich bin entschlossen, dich zum Ritter zu schlagen, damit du hinfort Umgang mit edeln Männern pflegest; ritterlicher Tugenden dich befleißest und deine Sitten wandelst, die aller Welt mißfallen!" Darauf erwiderte Robert: "Mein Vater, Ihr möget tun, was Ihr wollet! Was mich betrifft, so ist es mir einerlei, ob ich hoch oder niedrig bin; ich bin entschlossen, fernerhin zu treiben, was ich mag, und ich will nicht besser tun, als ich bisher getan habe; mich kümmert
es wenig, ein Ritter zu sein." Mit diesen Worten ging er von dannen , und weil es eben Pfingsten und die Kirche mit Gläubigen angefüllt war, so rannte er geradenweges dorthin wie ein Toller und warf alle, welche dieses Weges kamen, zu Boden. Am andern Morgen nach Pfingstentag ward er zum Ritter geschlagen. Darauf ließ der Herzog ein Turnier ausrufen, und diesem wohnte auch der Ritter Robert bei, der niemand fürchtete , weder Gott noch Teufel. Als nun das Spiel begonnen hatte; da sah man Ritter um Ritter zur Erde fallen; denn Robert der Teufel kämpfteDa war unter den Dienstmannen des Herzogs ein Ritter; als dieser sah, daß sein Herr in so tiefer Traurigkeit befangen war, so wagte er es, ihn folgendermaßen anzureden: "Mein hoher Gebieter, ich wollte Euch wohl raten, nach Eurem Sohne Robert auszuschicken und ihn wieder an den Hof zurückkommen zu lassen. Wenn Ihr ihm dann in Gegenwart Eurer Edeln und Freunde heilsame Vorwürfe über seinen Wandel gemacht, so befehlet ihm, von seinem verfluchten Leben abzulassen; will er aber nicht, so handelt mit ihm wie mit einem fremden Manne. Lasset ihn ins Gefängnis legen und übet an ihm die Gerechtigkeit, die ihm gebührt!" Der Herzog willigte hierein und dankte dem Ritter für seinen guten Rat. Er schickte ungesäumt Männer aus, welche seinen Sohn aufsuchen und, wo sie ihn fänden, mit sich führen sollten, um denselben vor seinen Vater zu bringen. Robert war gerade auf offenem Felde, als die Nachricht kam, daß das Volk sich zusammengetan und Klagen über ihn bei dem Herzoge geführt habe. Bald darauf kamen auch die Boten, die der Herzog an ihn ausgesendet hatte. Diese nahm Robert übel in Empfang; er stach ihnen die Augen aus und sprach dabei: "Jetzt werdet ihr um so ungestörter
schlafen können, meine Herren! Geht und saget meinem Vater, daß ich euch, seinem Auftrage zum Trotz, geblendet babel" Darüber erschrak jedermänniglich. Die Geblendeten kehrten weinend zum Herzoge zurück und sagten ihm: "Herr! sehet, wie uns Euer Sohn Robert zugerichtet hat!" Der Herzog aber wurde sehr zornig hierüber und sann darauf, wie er der Bosheit seines Sohnes ein Ziel setzen möchte.Er versammelte daher seinen geheimen Rat, und auf die Vorstellungen eines der weisesten Edelleute schickte er in Hast Boten in alle Städte und zu allen Baronen und befahl in seinem ganzen Herzogtume allen Amtleuten und Landrichtern, die möglichste Sorgfalt anzuwenden, daß sie seinen Sohn Robert in ihre Gewalt bekämen. Als Robert und seine Gesellen von dieser Bekanntmachung des Herzogs hörten, erschraken sie gewaltig; er selber knirschte als ein Verzweifelter mit den Zähnen und schwur einen grausigen Eid, daß er Krieg mit seinem Vater führen und das ganze Land verderben wolle. Sofort ließ sich Robert in einem dichten, dunkeln Forste ein festes Haus bauen, um hier seine Wohnung aufzuschlagen. Der Ort war unheimlich und entsetzlich, von starren Felsen umgeben, mehr für wilde Tiere als für Menschen zur Wohnung geeignet. Hier versammelte er die lasterhaftesten Gesellen um sich her, Diebe, Mörder, Straßenräuber und Kirchenschänder, was es Abscheuliches unter der Sonne gab. Der Hauptmann dieses Gesindels ward Robert selber, und nun verübten sie in diesem Holze die schändlichsten Taten; den Kaufleuten und allen, die des Weges kamen, schnitten sie die Gurgel ab, so daß niemand es wagte, auch nur auf die Straße hinauszugehen, aus Furcht vor Robert dem Teufel und seiner Bande. Denn sie waren wie die reißenden Wölfe. Und wenn sie in ihre Feste heimkamen, so ergaben sie sich wieder der Sünde und lebten herrlich und in Freuden; denn bei ihnen wurde das ganze Jahr kein Fasttag gehalten.
Einmal begab es sich, daß Robert, der nur darauf dachte, wie er Böses tun könnte, seine Feste verließ, sich in dem Walde zu ergehen. Da mußte es sich treffen, daß er mitten in dem Holze sieben Einsiedlern begegnete, frommen Leuten von heiligem Leben, welche sorglos ihres Weges gingen. Auf diese ritt er los und schlug unter sie mit seinem Schwerte. Obwohl es nun kühne und wackere Männer waren, die sich seiner wohl hätten erwehren mögen, so leisteten sie ihm doch keinen Widerstand, sondern duldeten aus Liebe zu Gott, was er mit ihnen anfangen wollte. Er aber brachte sie alle sieben um und sagte spottend: "Da habe ich ein schönes Vogelnest von Heiligen ausgenommen und habe ihnen allen 'Märtyrer
kronen ausgesetzt!" Nach dieser abscheulichen Tat verließ erden Wald, schlüter als zuvor und wie ein Teufel aus der Hölle anzusehen. Alle seine Kleider waren mit Blut befleckt; ja, er sah greulicher aus als ein Fleischer, der von der Schlachtbank kommt. In solchem Aufzuge ritt er über die Felder: Rock, Hemde und Antlitz von Blute rot. Nachdem er weit und lange geritten, kam er in die Gegend des Schlosses Darques; denn er war einem Schäfer begegnet; der ihm erzählte, daß seine Mutter, die Herzogin selbigen Tages auf dieses Schloß zu Mittage kommen werde. Und ebendarum ritt er dorthin, von einem dunkeln Gefühle fortgezogen. Aber als er sich dem Schlosse näherte und das Volk seiner ansichtig wurde, lief alles vor ihm davon wie der Hase vor den Hunden. Die einen schlossen sich in ihre Häuser ein, die anderen flüchteten in die Kirche. Zum erstem mal bemerkte Robert, daß alles vor ihm floh, zum erstenmal begann er, an sich selber zu denken. Er seufzte in seinem Herzen und begann bitterlich zu weinen. "O allmächtiger Gott", sprach er, "wie mag das kommen , daß alle Welt vor mir flieht? Ich bin wohl ein unglückseliger und verkehrter Mensch; mir ist, als wäre ich ein Pestkranker oder ein Jude! Mein Leben muß wohl ein verfluchtes und hassenswürdiges sein; denn ich sehe wohl, daß ich von Gott und der Welt verlassen bin." In diesen Gedanken kam er unter bittern Schmerzen bis zum Tore des Schlosses und sprang von seinem Pferde herunter. Da war aber kein Mensch, der es gewagt hätte, ihm nahezukommen und sein Roß abzunehmen; daher mußte er selbst sich bequemen und es an der Pforte anbinden. So schlug er denn, das blutige Schwert noch in der Hand, seinen Weg nach der Halle ein, wo seine Mutter, die Herzogin, sich eben aufhielt.Als die Herzogin ihren Sohn Robert, dessen große Grausamkeit ihr bekannt war, mit bloßem Schwerte herankommen sah, entsetzte sie sich und wollte entfliehen. Robert aber rief ihr von weitem zu: "Süße Mutter, fürchtet Euch nicht vor mir; um der Barmherzigkeit Gottes willen, stehet still; denn ich muß Euch sprechen." Dann näherte er sich ihr unterwürfig, senkte sein Schwert und sprach: "Frau Mutter, saget mir doch, ich bitte Euch darum, wie kommt es, daß ich so gottlos und so grausam bin? Denn von Euch oder von meinem Vater muß das doch herkommen. Deshalb bitte ich Euch, saget mir hierüber die Wahrheit!" Die Herzogin war erschrocken, ihren Sohn also sprechen zu hören. Sie weinte bitterlich, warf sich ihm zu Füßen und rief: "Mein Sohn, ich will und flehe, daß du mir auf der Stelle das Haupt abschlagest!" Das sagte die Herzogin aus großem Kummer, den sie über ihr Kind empfand, weil sie sich der Ursache
seiner Bosheit gar wohl bewußt war. Robert jedoch erwiderte voll Traurigkeit: "Ach, meine Mutter, warum soll ich Euch umbringen? Habe ich nicht genug übels getan? Wenn ich aber dieses zu tun imstande wäre, so wäre ich noch viel schlimmer, als ich schon bin. Vielmehr bitte ich Euch nur, saget mir, was ich wissen willt" Als ihn die Herzogin so herzlich flehen hörte, da erzählte sie ihm Punkt für Punkt, wie alles gekommen sei, und wie sie ihn dem Teufel, noch ehe er gezuget worden, geweiht habe. Sie sagte es unter großer Neue und vieler Selbstanklage und schloß ihre Rede mit den Worten: "O mein Sohn, ich bin die unseligste vonRobert war in seine Waldfeste zurückgekommen, wo er seine Schandgesellen über der Tafel traf. Als sie ihn ansichtig wurden, erhoben sie sich und bezeigten ihm ihre Ehrerbietung. Da begann Robert ihnen ive- gen ihres verkehrten Lebens Vorstellungen zu machen und sprach: "Meine Genossen, höret, was ich euch sagen willt Ihr wisset, daß das abscheuliche Leben, das wir bisher geführt haben, Leib und Seele verderblich ist; ihr wisset, wieviel wir Kirchen zerstört, Mönche und Nonnen bestohlen und umgebracht, Weiber und Mädchen entführt, Kaufleute geplündert, andere Menschen ohne Zahl beraubt und gemordet haben. Wir sind auf dem Wege zur ewigen Verdammnis, wenn wir nicht in uns gehen und Gott nicht Erbarmen mit uns hat. Deshalb flehe ich euch an, bekehret mit mir euren Sinn und entsagt euren abscheulichen Sünden! Was mich betrifft,
so will ich nach Rom gehen, meine Missetaten bekennen, Buße tun und, so Gott, der Allmächtige, will, von ihm Verzeihung erlangen." — Kaum hatte Robert ausgesprochen, da erhob sich einer von den Dieben und sagte hohnlachend zu seinen Gesellen: "Gebt acht, ihr Herren, der Teufel will ein Einsiedler werden! Robert treibt seinen Spott mit uns; ist er doch unser Hauptmann und macht es ärger als wir andern alle." Robert aber rief: "Liebe Gesellen, ich bitte euch um Gottes willen, lasset von euren Torheiten und denket an das Heil eurer Seele!" Ein anderer Dieb antwortete: "Herr und Meister, denket nicht mehr daran; Ihr sprechet in den Wind! Weder ich noch meine Brüder werden uns auf Euer oder eines andern Wort bekehren; der Friede schmeckt uns nicht; er hindert uns am Übeltun, und daran sind wir einmal gewohnt!" Die ganze Gesellschaft lobte seine Worte, und alle schrien mit einer Stimme: "Er hat recht, und sollten wir sterben müssen! Sind wir bis hieher schlimm gewesen, so wollen wir in Zukunft noch viel schlimmer sein!"Als Robert ihre schönen Vorsätze vernommen, sprach er weiter kein Wort mit ihnen. Er ging nach der Haustüre, schob den Riegel vor, ergriff dann einen Knotenstock und schlug einen der Diebe nach dem andern auf den Kopf; denn ihre Gegenwehr vermochte nichts gegen seine übermenschliche Kraft. Als er sie alle tot darniedergestreckt hatte, sprach er: "Ich habe euch nach eurem Verdienste belohnt, ihr Bursche; wie der Herr, so der Lohn!"Als Robert dies vollbracht, wollte er erst auch das Sündenhaus verbrennen; doch überlegte er, daß darin großes Gut wäre, das noch zu besseren Dingen dienen könnte. Deswegen ließ er es stehen, schloß nur die Türe wohl zu und nahm den Schlüssel mit sich.
Zum erstenmal in seinem Leben machte jetzt Robert das Zeichen des Kreuzes, ritt in den Wald hinaus und suchte den Weg nach Rom. Lange war er so fortgeritten, bis die Nacht hereinkam und der Hunger ihn gewaltig quälte. Da kam er zufällig vorüber an einer Abtei, der er viel wels getan hatte, und die er oft geplündert, obwohl der Abt sein Vetter war. Und jetzt ritt er in das Kloster hinein und sprach kein Wort. Die Mönche haßten Robert auf den Tod und fürchteten ihn wie den bösen Feind. Als sie ihn kommen sahen, rannten sie davon und riefen: "Robert kommt, den hat der Teufel hergebracht!" Solche Worte erneuerten Roberts Kummer. "Wohl muß ich mich selbst hassen", seufzte er, "da alle Welt mich haßt um meines verdammten Lebens willen!" Nun ritt er geradenweges an die Pforte, sprang vom Pferde und betete brünstig zu Gott. Sodann trat er vor den Abt und die Klosterbruder und sprach so
freundlich und so erbarmenswert, daß, die ihn noch eben wie ein wildes Tier geflohen, heranzugehen und ihm ein williges Ohr zu leihen wagten. "Herr Abt", sagte er, "ich weiß, daß ich Euch und Eurem Hause viel Leid zugefügt habe. Ich bitte Euch demütig um Verzeihung, ich flehe Euch um Mitleid an." Und auf die Knie niedergeworfen, fuhr er weiter fort: "Empfehlet mich meinem Vater und gebet ihm diesen Schlüssel: er führt zu dem Hause, das ich mit meinen Räubern seither bewohnte; ich habe sie alle mit eigener Hand umgebracht, in diesem Hause sind alle Schätze, die ich geraubt. Der Herzog wolle sie, wo es möglich ist, den Eigentümern wieder zustellen." Diese Nacht blieb Robert in der Abtei: am andern Morgen früh brach er auf, nachdem er sein Roß und sein Schwert mit welchem er so viele Missetaten verübt hatte, den Mönchen zurückgelassen. Und jetzt ging er allein und zu Fuße, in Tiefsinn versunken, die Straße nach Rom.Noch an demselbigen Tage ritt der Abt, gerührt und froh, zum Herzoge der Normandie, übergab ihm den Schlüssel und meldete Roberts Bußfahrt. Da gab der Herzog allen Leuten das geraubte Gut wieder, das sie früher verloren hatten; was übrigblieb, ward unter die Armen ausgeteilt .
Robert wanderte inzwischen lang über Berg und Hügel, mit großer Beschwerde und unter lauter Entbehrungen, bis er endlich am Kardonnerstag zu Rom eintraf. Es war dies gerade der rechte Tag, zu beichten und für das Heil seiner Seele zu sorgen. Denn der Heilige Vater selbst stand zu dieser Stunde mitten in der Peterskirche und hielt das Hochamt, als Robert die Kirchentüre öffnete und unter die Versammlung der Gläubigen eintrat. Er drängte sich, um zu dem Heiligen Vater hindurchzukommen. Als aber die Diener des Papstes dieses sahen, schlugen sie ihn und hießen ihn zurückweichen. Aber je mehr sie ihn schlugen, je mehr drückte er sich vorwärts; endlich gelangte er in die Nähe des Papstes, fiel ihm zu Füßen und rief mit lauter Stimme: "O Heiliger Vater, habt Mitleid mit mir!" und diese Worte wiederholte er zu mehreren Malen. Diejenigen, welche zunächst am Papste standen, ärgerten sich über den Lärm, den Robert machte, und wollten ihn vertreiben. Da er aber so unbeweglich dalag und der Papst seines heißen Verlangens inneward, erbarmte ihn seiner, und er sagte zu dem Volke: "Lasset ihn machen; denn soviel ich erkennen kann, hat er wahre Demut!" Hierauf gebot der Papst Stille, und Robert sprach zu ihm: "Heiliger Vater, ich bin der größte Sünder von der Welt." Der Papst ergriff Roberts Hand und sagte: "Mein Freund, was begehrst du,
und was schreiest du so laut?" "O Heiliger Vater", erwiderte Robert, "ich bitte Euch, lasset mich beichten; denn wenn Ihr mich von den großen Sünden, die ich begangen habe, nicht lossprechet, so bin ich auf ewig verdammt , und ich fürchte gar sehr, daß mich der Teufel mit Leib und Seele davonführe um der ungeheuren Verbrechen willen, mit denen ich beladen bin. Und da Ihr derjenige seid; der denen Trost und Hilfe zu bringen berufen ist, die dessen bedürfen: so bitte ich Euch um Gottes willen, höret mich und reiniget mich von allen meinen Sünden!" Als der Papst dieses hörte, da ahnete er im Geiste, daß es Robert der Teufel sei, und fragte ihn: "Sohn, bist du vielleicht der Robert, von dem ich so viel habe sprechen hören, und den man für den schlimmsten hält; der auf der Erde wandelt?"Da antwortete Robert und sagte: "Ja, ich bin's!" Der Papst erwiderte: "Du sollst Absolution haben; aber ich beschwöre dich beim allmächtigen Gott, daß du niemanden Leides zufügst!" Denn der Papst und alle Umstehenden waren entsetzt, als sie so unerwartet Robert den Teufel vor sich stehen sahen. Dieser aber fiel auf die Knie vor dem Papst, bezeigte sich voll Demut und Reue über seine Sünden und sprach: "Heiliger Vater! Da sei Gott vor; daß ich jemanden Leides tue; ich habe des Bösen nur zuviel getan. Solange ich lebe, will ich kein christliches Geschöpf mehr verletzen!" Da nahm der Papst ihn beiseite, und Robert beichtete ihm reuevoll und erzählte; wie ihn, ehe denn er ward, seine Mutter dem Teufel übergeben habe. Als der Papst ihn so reden hörte, erschrak er heftig, bekreuzte sich und sagte zu Robert: "Mein Freund; gehe hin nach Montalto, drei Meilen von dieser Stadt. Dort wirst du einen Einsiedler finden, der mein eigener Beichtiger ist. Ihm sollst du sagen, daß ich dich schicke, und sollst ihm alle deine Sünden bekennen; er wird dir die Buße auferlegen, die du verdient hast; der, den ich dir nenne, ist ein heiliger Mann; ich bin gewiß, daß er dir Absolution erteilen wird." Da erwiderte Robert: "Ja, ich will recht gerne gehen; gebe nur Gott mir Gnade, daß es zum Heil meiner Seele gedeihe!" Und somit nahm er Abschied vom Papste. Diesen Tag blieb Robert in Rom; am andern Morgen frühe verließ er die Stadt und ging über Tal und Hügel mit großer Begierde, seiner Sünden loszuwerden, dem Orte zu, wo der Eremit wohnte. Als er endlich vor ihn kam, erzählte er dem Einsiedler, wie der Papst ihn sende, damit er ihm beichten solle. Der Eremit hieß ihn herzlich willkommen. Als sie eine Weile beieinander gesessen, begann Robert zu beichten und erzählte , wie seine Mutter ihn im Zorn dem Teufel gelobt; und wie dieses zum schweren Unheil ausgeschlagen, —wie er von Jugend auf alle Kinder
gequält, seinen Lehrmeister erstochen; erwachsen, viele Ritter im Turnier erschlagen; in seines Vaters Lande hin und her geraubt, gestohlen und auf alle Weise gefrevelt habe; wie er seines Vaters Dienern die Augen ausgestochen und sieben Eremiten umgebracht. Kurz, er erzählte ihm alle Missetaten, die er jemals begangen, von der Stunde seiner Geburt an bis auf die jetzige Zeit. Wohl entsetzte sich der Einsiedler über alles dieses; zugleich aber freute es ihn inniglich, daß Robert mit solcher Zerknirschung seine Sünden bekannte. Er lud ihn daher freundlich ein, diese Nacht bei ihm zu bleiben, und versprach, am andern Morgen die feierliche Beichte mit ihm vorzunehmen und ihm über alles, was er zu tun hätte, guten Rat zu erteilen. Robert, der bisher der gottloseste und lasterhafteste, grausamste und schrecklichste Mensch gewesen war, zeigte sich jetzt so sanft und fromm, so liebreich in Worten und in Taten wie nur je der feinste Fürst auf der Welt. Und doch war er von den großen Mühseligkeiten seiner langen Wanderung so müde, daß er nicht essen und nicht trinken mochte. Daher zog er sich bald zurück und betete zu dem allmächtigen Gott, daß er ihm durch seine Gnade den Sieg über den höllischen Feind verschaffen möchte, der bei ihm seine Wohnung aufgeschlagen. Als es Nacht geworden, bereitete der Eremit ein Lager für Robert in einer kleinen Kapelle, die neben seiner Zelle stand; er selbst betete die gange Nacht zu Gott für den Armen, bis er endlich unter solchen Gebeten einschlief. Da erschien dem Einsiedler im Traum ein Engel des Herrn und sprach: "Mann Gottes, höre auf die Botschaft, die ich dir überbringe. Wenn dieser Robert Verzeihung seiner Sünden erhalten will, so muß er den Narren und den Stummen nachahmen, darf keine andere Speise zu sich nehmen, als die er den Hunden abjagen kann, und soll so lange in diesem Leben verharren, bis es Gott gefällt, ihm zu offenbaren, daß seine Sünden vergeben sind." Ganz erschrocken wachte der Eremit aus diesem Traume auf und fing an, über denselben nachzudenken. Als er sich lange darüber besonnen dankte er in seinem Gebete Gott für diese Botschaft; denn, als der Tag anbrach, fühlte er sich bewegt von Liebe zu Robert; er rief ihn herbei und sagte zu ihm die tröstenden Worte: "Mein Sohn, komm her zur Beichtet" Mit großer Demut kam Robert und wiederholte das Bekenntnis seiner Sünden. Als er die Beichte vollendet, sagte der Eremit zu ihm: "Ich weiß jetzt, welche Buße dir auferlegt ist, mein Freund l Du sollst dich als einen Narren und einen Stummen gebärden, keine Speise essen als von den Hunden, und bei den Hunden liegen; alles, solang es Gott gefallen wird. Solches hat mir der Herr diese Nacht durch einen Engel verkündet; diese Buße soll währen, bis es Gott gefällt, dir die Vergebung deiner Sünden anzukündigen." Als Robert dieses hörte, ward er ganz vergnügt und froh; er dankte Gott, daß ihm so gnädige Buße auferlegt werden sollte, verabschiedete sich von dem Eremiten und ging hin, die schwere Probe zu bestehen, die ihn erwartete, und die ihm nur klein schien, weil seine Untaten so übergroß waren. Und nun war durch Gottes Wunder der lasterhafte, wütende, unbiegsame Sünder zahm wie ein Lamm und frommer Gesinnungen voll geworden.Kaum hatte er die Stadt Rom wieder betreten, so fing er an, dem Befehl des Einsiedlers gemäß sich wie ein Narr zu stellen; ersprang und rannte durch die Straßen und tat, wie ein Verrückter zu tun pflegt. Die Kinder waren bald zischend und schreiend hinter ihm her und warfen ihn mit Kot und allem, was sie auf der Straße auflesen konnten. Auch die Bürger in der Stadt legten sich bei diesem Schauspiele in die Fenster, spotteten und lachten über ihn. Als er so einige Tage lang in der Stadt Rom herumgelaufen war, geschah es, daß er an dem Palaste des römischen Kaisers vorbeiging, und da er sah, daß die Türe offenstand, so ging er geradenwegs auf die Halle zu; dabei sprang er von der einen Seite zur andern, ging bald langsam, bald schnell, und blieb nie lang auf demselben Flecke. Als nun der Kaiser im Saale seiner ansichtig ward, wie er sich gebärdete, da sprach er: "Sehet ihr dort den hübschen jungen Mann, er sieht aus wie ein Ritter; aber, wie es scheint, ist er närrisch! Es ist schade um ihn; heißt ihn sitzen und gebt ihm zu essen und zu trinken!" Des Kaisers Junker rief Robert herbei, der aber antwortete kein Wort, und als man ihn nötigte, sich an einen Tisch zu setzen, so wollte er nichts genießen, obgleich ihm Wein, Brot und Fleisch dargereicht ward, so daß sich alles an der Tafel verwunderte. Während nun der Kaiser speiste, warf er einem Hunde, der unter dem Tische lag, einen Knochen zu. Kaum hatte Robert dies gesehen, so sprang er von dem Tische auf und verfolgte den Hund, um ihm das Bein wegzunehmen; der Hund aber wollte seinen Raub nicht fahren lassen, und so zerrten sie daran, jeder von seiner Seite: Robert, auf die Erde niedergekauert, nagte an einem Ende des Knochens, der Hund am andern. Der Kaiser und alle, die es sahen, lachten laut auf. Zuletzt bekam Robert die Oberhand und behielt den Knochen allein für sich, legte sich hin und zernagte ihn; denn sein Hunger war groß, da er sich lange keine Speise gegönnt hatte. Als der Kaiser ihn so hungrig sah, warf er einem andern Hund einen ganzen Brotlaib hin; auch diesen nahm Robert weg, brach ihn in zwei Teile und gab der Dogge redlich die Hälfte.
Es entstand ein neues Gelächter, und der Kaiser sprach zu seinen Leuten: "Das ist der lustigste Narr, den ich jemals gesehen habe; nimmt er doch den Hunden ihr Brot, um es zu essen; und wenn er an der Tafel sitzt, so hungert er; daraus kann man erkennen, daß es ein recht natürlicher Narr ist!" Nun gaben die Diener des Kaisers, die in der Halle waren, den Hunden im Überfluß zu fressen, damit Robert seinen Magen anfüllen möchte und sie ihre Freude an ihm haben könnten. Endlich stand dieser vom Boden auf und fing an, im Saale herumzulaufen, seinen Stecken in der Hand, mit dem er Hunde, Mauern, Stühle und Bänke schlug, ganz als wäre er nicht bei Sinnen. Auf diesem Gange fand er eine PforteSo hatte Robert, der gewohnt war, als ein Herzogssohn auf einem guten Bette in einem herrlich ausgeschmückten Gemache zu schlafen und von den köstlichsten Gerichten speisen, freiwillig alle Herrlichkeit verlassen , ass mit den Hunden unter dem Tisch, schlief bei den Hunden im In
Stall, alles in williger Demut; um
seine Seele zu retten. In solcher
Buße lebte er sieben Jahre; der
Hund, mit dem er gewöhnlich schlief;
hatte bald gemerkt, daß er es besser
habe als die andern und um Roberts
willen mehr zu fressen bekomme:
deshalb faßte er allmählich
eine solche Liebe zu Robert; daß er
sich eher hätte töten als von diesem
seinem Schlafgesellen wegtreiben
lassen. |
Denn an demselben Tage, da der Kaiser gegen die Sarazenen zu streiten ging, geschah es, daß Robert der Teufel an den Springquell ging in des Kaisers Garten, wie dies seine Gewohnheit war. Da hörte ereine Stimme vom Himmel, welche sagte: "Robert eile dich! Gott befiehlt dir auf der Stelle, daß du dich mit den weißen Waffen, die ich hier an deine Seite lege, waffnest und dieses Roß, das ich dir zuführe, besteigeft und ohne Aufschub dem Kaiser zu Hilfe fliegest!" Robert erschrak im Geiste sehr, aber er wagte kein Wort zu erwidern. Waffen und Roß fand er neben sich; so waffnete er sich in Eile mit dem weißen Harnisch, den der unsichtbare Engel gebracht hatte, und bestieg das Roß.
Oben aber im Palaste am Fenster stand die schöne stumme Tochter des Kaisers und blickte gerade herab auf den Garten und den Brunnquell; da sah sie, wie Robert sich umkleidete und waffnete. Hätte sie sprechen können, sie würde es wohl auf der Stelle erzählt haben; so war sie stumm und mußte in sich verschließen, was sie gesehen hatte: doch merkte sie sich alles wohl und hielt es fest in ihrem Herzen.
Robert, gerüstet und zu Rosse, ritt zu des Kaisers Lager. Dieses war von den Sarazenen so sehr bedrängt, daß, hätten nicht Gott und Robert ihnen geholfen, der Kaiser mit allen seinen Leuten zugrunde gegangen wäre. Als aber Robert zu dem Heere gekommen war, warf er sich in das
dichteste Schlachtgedränge der Sarazenen und focht und schlug rechts und links auf die verruchten Heiden los. Da hättet ihr sehen sollen, wie Arme, Beine, Köpfe wegflogen und zu Boden fielen, wie Männer stürzten und nicht wieder aufstanden. Kein Schlag, der einem Sarazenen galt; war verloren . Auf diese Weise flößte der kühne Ritter auch dem Heere des Kaisers wieder Mut ein, so daß es den Sieg behauptete und das Feld behielt.Robert eilte inzwischen, auf seinem Rosse fliegend, in voller Rüstung nach dem Garten des Kaisers zu seiner Springquelle zurück. Hier stieg er von dem Rosse, das sogleich verschwand, löste seinen Harnisch und seine übrigen Waffen und fand seine alten Kleider, wie er sie verlassen hatte, so daß er bald wieder in seiner Narrentracht vor dem Springbrunnen stand. Alles das sah des Kaisers Tochter von ihrem Fenster an, und verwunderte
sich sehr darüber; gerne hätte sie gesprochen, wenn ihr die Zunge gelöst gewesen wäre. Robert hatte von dem Kampfe nur eine Schmarre im Gesicht sonst war er unbeschädigt.Mittlerweile war auch der Kaiser zurückgekehrt, hoch erfreut über seinen Sieg, für welchen er dem Himmel inbrünstig dankte. Als die Stunde des Abendmahles gekommen war, stellte sich auch Robert dem Kaiser vor, wie er zu tun gewohnt war, und machte seine alten Narrenstreiche, indem er sich, wie seitdem immer, stumm und wahnwitzig stellte. Der Kaiser freute sich, als er seinen Narren sah; denn er mochte ihn wohl leiden. Als er aber die Schmarre in seinem Gesichte wahrnahm, wunderte er sich, dachte jedoch, daß einer seiner Diener ihn verwundet haben werde, was ihm sehr leid tat. "Es gibt doch neidische Leute an diesem Hof", sagte er, "haben sie nicht, während wir in der Schlacht waren, diesen unschuldigen Menschen da geschlagen! Es ist wahr, er ist ein Narr; aber er fügt doch keinem Menschen Übels zu!" Und nun verbot der Kaiser, daß hinfort jemand Hand an Robert lege. Bald aber vergaß er den Narren und fing an, mit großem Eifer seine Ritter darüber zu befragen, ob einer von ihnen sagen könnte, wer der Fremde auf dem weißen Rosse gewesen, der so heimlich in das Lager gekommen sei, ohne den sie verloren gewesen wären. "Ich weiß nicht, wer er ist", sagte der Kaiser "aber ich weiß, daß es einer der kühnsten und edelsten Ritter war, die ich je gesehen habe, und daß ich keinen kenne, der gleiche Tapferkeit bewiesen." Die Tochter des Kaisers war zugegen, als er diese Worte sprach. Sie näherte sich ihrem Vater und wollte ihm durch Zeichen zu verstehen geben, daß Robert esset, mit dessen Hilfe sie die Schlacht gewonnen hätten. Der Kaiser verstand jedoch nicht, was seine stumme Tochter ihm anzeigen wollte. Er ließ die Frau rufen, die sie auferzogen hatte, um zu erfahren, was sie sagte. Diese, die alles Gebärdenspiel der Jungfrau gar wohl verstand, legte es dem Kaiser aus und erklärte ihm, daß sein Kind sagen wolle, der Narr da habe alles ausgerichtet, und ohne ihn wäre das Heer des Kaisers besiegt worden . Der Kaiser mußte über das lachen, was die Frau sagte, und sprach zu ihr, sie sei keine kleinere Närrin als der Narr selber. Dann aber wurde er ärgerlich und sprach: "Anstatt meine Tochter zu unterrichten, verderbet Ihr siel Ihr ziehet sie in Torheit und Unverstand auf. Wenn Ihr es nicht besser machet, soll es Euch gereuen!" Als die Tochter des Kaisers dieses hörte, machte sie keine Zeichen mehr, obwohl sie wußte, daß alles wahr sei, was sie sagen wollte; sondern sie ging betrübt von dannen.
Bald nachher zog der Seneschall, der ein zweites Sarazenenheer aufgerafft hatte, von neuem heran und lagerte sich abermals vor der Stadt Rom; und wiederum hätten die Römer das Feld geräumt, wenn nicht der weiße Ritter auf des Engels Befehl im Harnisch und auf dem weißen Rosse herbeigeritten wäre und die Heiden hilfreich bekriegt hätte. Auch diesmal vollbrachte er der Wunder soviel, daß die Sarazenen in die Flucht geschlagen wurden und des Kaisers Heer den Sieg behielt. Als aber das Treffen zu Ende war, da wußte niemand, wohin der weiße Ritter gekommen sei. Denn obwohl der Kaiser Leute genug abgeschickt hatte, welche auf ihn harrten, so war er doch unversehens verschwunden, und niemand außer der stummen Kaiserstochter hätte sagen können, wo er sich verborgen.
Als nun die Schlacht vorbei war und ein jeder sich freudig nach Hause begab, wollte sich auch Robert zu seinem Springquelle zurückwenden, um dort, wie bisher, seine Waffen auszuziehen. Aber die genannten Ritter waren wieder in den Wald zurückgekehrt und warteten dort auf ihn. Als sie ihn nun nach Hause reiten sahen, sprengten sie alle zusammen aus dem Walde hervor und riefen ihn mit lauter Stimme an: "Edler Ritter! Sprich mit uns und sage uns, wer du bist und von welchem Volke; denn wir wollen es unserm Kaiser melden, der sehr begierig ist, es zu wissen!" Als Robert dieses hörte, wurde er sehr beschämt; er gab seinem weißen Rosse die Sporen und flog über Berg und Tal; denn er wußte, daß er ein Büßender war, und wollte nicht erkannt sein. Einer der Verwegensten aber setzte ihm auf einem guten Pferde nach; dieser warf seinen Speer nach ihm, nicht um ihn selbst zu töten, sondern er hoffte, das weiße Roß
zu treffen; doch verfehlte er das Tier, dagegen wurde Robert selbst von dem Speer getroffen; die Lanzenspitze brach jedoch ab und blieb im Schenkel stecken, und Robert ritt, seine Verwundung nicht achtend, davon. So erfuhr der Ritter nicht, wer er war, und brachte nur den abgebrochenen Speer zu seinen Genossen zurück, worüber alle sehr betrübt waren. Robert eilte indessen, zu dem Brunnen zu gelangen; dort stieg er wieder vom Rosse und legte seine Waffen ab, und beides verschwand sofort; er aber zog die Lanzenspitze aus seinem Schenkel und verbarg sie zwischen zwei großen Steinen am Springbrunnen. Der arme Robert wußte nicht, wo und von wem er sich verbinden lassen sollte; er sah sich genötiget, Gras und Moos zu nehmen und es aufzulegen; dann zerriß er das Futter seines Kleides und verband damit die Wunde. Und wieder stand die Tochter des Kaisers an ihrem Fenster, sah alles und merkte es sich wohl, und da Robert ein so gar edler und würdiger Ritter war, so fing sie an, ihn mit zärtlicher Neigung zu betrachten.Als Robert seine Wunde verbunden hatte, ging er nach des Kaisers Halle, um sich etwas zu essen zu holen; aber er hinkte von der Wunde, die er durch den Ritter erhalten hatte; doch zwang er sich, so gut er konnte. Kurze Zeit darauf kam der Ritter, der ihn verwundet hatte, und erzählte dem Kaiser, wie der Fremde auf dem weißen Rosse ihm entgangen sei, und wie er ihn wider Willen verwundet habe. "Das beste ist, Herr Kaiser", sprach er, "Ihr lasset durch Euer ganzes Reich öffentlich verkünden, wo es einen Ritter mit weißem Roß und Harnisch gebe, der soll zu Euch gebracht werden und die Lanzenspitze, mit der er in die Seite verwundet worden ist, mit sich bringen und seine Wunde vonveisen. Dann wollet ihr ihm Eure Tochter zur Frau und das halbe Reich zur Mitgift geben." Der Kaiser war über diesen Rat sehr froh; er ließ ihn ohne Verweilen bekanntmachen, ganz so, wie der Ritter vorgeschlagen hatte.
Dieser öffentliche Aufruf drang auch zu den Ohren des Seneschalls, der immer noch von einer heftigen Liebe zu des Kaisers Tochter entflammt war, Tag und Nacht nicht schlafen konnte und immer nur darauf dachte, wie er sich an dem Kaiser rächen und die Jungfrau gewinnen möchte. Sowie er nun von den Anerbietungen des Kaisers Kunde erhielt, sann er auf eine große List und hoffte sicher, dadurch zu seinem Ziele zu gelangen. Er ließ nach einem weißen Roß, weißer Lanze und weißem Harnisch suchen, dann nahm er eine abgebrochene Lanzenspitze und stieß sie sich in den Schenkel; dadurch hoffte er den Kaiser zu täuschen und seine Tochter zum Weibe zu bekommen. Als dies geschehen war, hieß er seine nächsten Leute
sich waffnen und reisete mit ihnen, so schnell er konnte, bis er mit großer Fürstenpracht und herrlichem Gefolge zu Rom anlangte. Hier begab er sich ohne einiges Zögern zum Kaiser und sprach so zu ihm: "Mein Gebieter, ich bin derjenige, der Euch dreimal so tapfer beigestanden ist, der aus Liebe zu Euch soviel Feinde niedergehauen hat. Dreimal war ich Ursache, daß Ihr über die verfluchten Sarazenen den Sieg davongetragen habt!" Der Kaiser, der an keinen Betrug noch Verrat dachte und seinen alten Diener und Feind, der seine Gestalt wohl zu verstellen gewußt hatte, nicht wiedererkannte, sprach gnädig zu ihm: "Ihr seid fürwahr ein tapferer Ritter l Doch habe ich Mühe zu glauben, was Ihr saget!" Da erwiderte der Seneschall: "Herr, ich habe mehr Mut, als Ihr glaubet; und um Euch zu beweisen, daß es wahr ist; was ich sage: so sehet hier die Lanzenspitze, die ich aufgefangen habe." Damit entblößte er die Stelle, wo er sich selbst die Wunde beigebracht hatte. Aber der Ritter, von dem Robert verwundet worden, war auch zugegen und fing an, nachdenklich zu werden, und als er die Lanzenspitze näher ins Auge gefaßt hatte, da mußte er lächeln; denn er sah wohl, daß es nicht die Spitze seines Speers war. Doch um nicht in Streit zu geraten, wollte er das Gegenteil jetzt nicht behaupten, sondern eine günstigere Gelegenheit abwarten.An demselben Morgen in aller Frühe stand zu Rom auch der Seneschall auf und trat abermals vor den Kaiser, ihn seiner öffentlichen Bekanntmachung gemäß um die Hand seiner Tochter zu bitten, was ihm der Kaiser nach der Probe, die er von ihm erhalten zu haben wähnte, ohne lange Überlegung bewilligte. Als nun des Kaisers Tochter vernahm, daß
sie dem Seneschall gegeben werden sollte, da geriet sie, die den Feind wohl erkannt hatte und seinen ganzen Betrug durchschaute, außer sich, zerriß ihre Kleider und raufte sich die Haare aus. Aber weil die Stimme ihr fehlte, so war dies alles vergebens. Sie ward gezwungen, sich wie eine Braut zu schmücken, und der Kaiser selbst führte sie an der Hand in die Kirche, in kaiserlicher Pracht; begleitet von Grafen, Rittern und Edelfrauen. Die Tochter aber war im Innersten betrübt, und niemand vermochte, ihr Gemüt zu besänftigen.Der Kaiser mit seinem ganzen Hofstaate war in der Kirche angekommen, und die stumme Tochter sollte dem Seneschall angetraut werden. Da geschah ein großes Wunder vom Himmel, um den frommen Robert zu verherrlichen, welcher der Teufel hieß, und an den niemand mehr dachte. Denn als der Priester das Hochamt zu halten anfing und die Trauung nun eben vollziehen wollte, da riß der Jungfrau das Band ihrer Zunge, und sie hub an, also zu ihrem Vater, dem Kaiser, zu sprechen: "Vater, seid Ihr von allen Sinnen, daß Ihr glaubet, was dieser hochmütige , törichte Verräter Euch vorerzählt hat? Alles, was er sagte, ist Lüge. Vielmehr lebt hier in dieser Stadt ein heiliger und frommer Mann, dem ich und wir alle unser Leben verdanken, dessen seltene Tugenden ich schon lange kenne; aber niemand wollte meinen Zeichen glauben!" Da war der Kaiser hocherfreut über das, was er hörte und sah; es fiel ihm wie Schuppen von den Augen, daß er seinen Feind, den Seneschall, erkannte. Dieser ward grimmig und voller Scham, floh aus der Kirche, schwang sich auf sein Roß und ritt mit seiner ganzen Begleitung davon. Der Papst aber, der zugegen war, fragte die Jungfrau, wer der Mann wäre, von welchem sie gesprochen hätte. Das Mägdlein aber sprach kein Wort, sondern sie nahm den Kaiser, ihren Vater, und den Papst, jeden an einer Hand, und führte sie nach dem Garten und dem Springbrunnen, wo Robert seine Engelswaffen jedesmal genommen und abgelegt hatte. Hier zog sie die Lanzenspitze zwischen den beiden Steinen hervor, unter denen Robert sie verborgen hatte. Und der Ritter, von dem Robert verwundet worden war, hatte sie aus der Ferne begleitet; der trat jetzt auch hervor mit seinem abgebrochenen Speere; da fügten sich Schaft und Spitze aneinander, als wenn sie nie entzwei gewesen wären. Dann sagte das Mägdlein zu dem Papste: "Dreimal haben wir durch die Tapferkeit des edeln Ritters gegen die Ungläubigen den Sieg errungen, dreimal habe ich sein Pferd und seinen Harnisch gesehen, die er dreimal wieder von sich getan hat. Aber wohin sie gekommen sind, vermag ich Euch nicht zu sagen.
Das aber weiß ich, daß der Ritter selbst, nachdem er dieses getan, jedesmal hinging, sich zu den Hunden zu legen, wo seine Stätte war." Und zu ihrem Vater sprach sie: "Er ist es, der Euch Ehre und Land gerettet hat; an Euch ist es, ihn zu belohnen. Lasset uns zu ihm gehen und die Wahrheit aus seinem Munde vernehmen!"Da begaben sie sich alle nach dem Winkel, wo Robert bei den Hunden lag, der Kaiser und der Papst; die Tochter und alle Ritter und Frauen, und fingen an, ihm große Ehrerbietung zu erweisen. Aber Robert antwortete ihnen nicht. Da sprach endlich der Kaiser zu ihm: "Ich bitte dich, komm hieher, mein Freund, und zeige mir deinen Schenkel! Denn ich muß ihn notwendig sehen." Jetzt merkte Robert wohl, warum er dies zu ihm sagte; er stellte sich aber, als wenn er ihn nicht verstanden hätte, nahm einen Strohhalm und zerbrach ihn mit den Händen und spielte damit; auch viele andere alberne Streiche machte er, um den Kaiser und den Papst lachen und glauben zu machen, sie sprechen mit einem Narren. Dann wandte sich der Papst zu Robert und sagte zu ihm: "Ich befehle dir im Namen Gottes und der Erlösung am Kreuze, daß du mit uns sprechen sollst!" Aber Robert, der sich seiner Buße noch nicht entbunden glaubte, sprang auf wie ein Narr und gab, als wäre er selbst der Papst, dem Papste mit lächerlichen Gebärden den Segen. Dann sah er hinter sich; siehe, da erblickte er den Eremiten, der ihm die Buße aufgelegt hatte. Sobald dieser seines Beichtkindes ansichtig geworden, das er so lange gesucht hatte, so rief er ihm mit lauter Stimme zu, daß es jedermann, der dabei war, vernehmen mochte: "Höre, mein Freund, ich weiß recht gut, daß du Robert bist, den die Menschen den Teufel nennen; von Stunde an aber sollst du ein Mann Gottes heißen: denn du bist's, der dieses Land von den Sarazenen errettet hat. Diene und ehre Gott, wie du bisher getan hast; dein und mein Herr schickt mich zu dir und befiehlt dir, zu reden und nicht mehr den Narren zu spielen! Denn du hast hinlänglich gebüßt; und alle deine Sünden sind dir vergeben!"
hatte er jedoch die Stadt nicht lange hinter sich, da erschien ihm Gottes Engel und befahl ihm, nach Rom umzukehren, wo ihn ein großes Glück erwarte. Als er zurückgekehrt war, da führte ihm der Kaiser seine eigene Tochter, die so schön und so lieblich und deren Herz schon lange sein eigen war, entgegen und gab sie ihm zum Ehegemahl. Dieser Tag war ein Triumph- und Freudentag für ganz Rom. Keiner, der bei dem Feste zugegen war, konnte Robert ansehen, ohne zu sagen: "Diesem Manne verdanken wir alles; er hat uns von unsern Todfeinden befreit."
Nachdem die Hochzeit vierzehn Tage lang gedauert, verabschiedete sich Robert von dem Kaiser, um Vater und Mutter in der Normandie zu besuchen und seine Gemahlin ihnen zuzuführen. Der Kaiser gab ihm ein herrliches Geleite, auch köstliche Geschenke die Fülle, an Silber, Gold und Edelsteinen. So reisten Robert und seine Gemahlin, bis sie in die Normandie und zu der edeln Stadt Rouen kamen. Dort wurden sie mit großem Triumphe empfangen; das Volk war doppelt froh, den Herrn, den es an Leib und Seele verloren glaubte, an beiden herrlich wiederzufinden; denn sie waren in großer Sorge und Betrübnis, weil ihr Herzog, Roberts Vater, gestorben war. Zur Seite des Landes wohnte ein böser Ritter, welcher der Herzogin, Roberts Mutter, schon vieles Leid angetan
hatte. Kein Baron und Ritter des Landes wagte, sich ihm zu widersetzen, so gewaltig war er. Als nun Robert dies alles erfahren, erklärte er auf der Stelle dem Ritter den Krieg, rüstete Bewaffnete aus, besiegte und fing ihn und ließ den Übeltäter hinrichten.weniges, als er ihnen erzählte; wie er den Kaiser an dem Seneschall gerächt und die Römer von ihren Feinden befreit habe.
Seitdem lebte Herzog Robert lang in Liebe und Ehrbarkeit mit seiner edeln Gemahlin, war gefürchtet von seinen Feinden und geliebt von seinen Freunden und Untertanen. Er ward zweiundsechzig Jahre alt und hinterließ einen schönen Sohn, mit Namen Richard, der viel herrliche Waffentaten mit dem Frankenkönige Karl verrichtete, mächtige Kriege mit den Sarazenen führte und den Christenglauben in aller Welt befestigen half.
Die Schildbürger
Mit Bildern von Oskar Pletsch
In dem großmächtigen Königreich Utopien, hinter Kalekutta, liegt ein Dorf oder Bauernstädtchen, Schilda genannt, von welchem mit allem Fug das alte Sprichwort gerühmt werden konnte:
Wie die Eltern geartet sind, So sind gemeiniglich die Kind '. |
Der erste Schildbürger war ein hochweiser und verständiger Mann, und es ist wohl zu erachten, daß er seine Kinder nicht wie die unvernünftigen Tiere herumlaufen ließ. Ohne Zweifel war er ein strenger Vater, der ihnen nichts Arges nachsah; vielmehr unterwies er sie als ein getreuer Lehrer, und sie wurden mit allen Tugenden aufs höchste geziert, ja überschüttet , so daß ihnen in der ganzen weiten Welt niemand vorzusetzen oder auch nur zu vergleichen war. Denn zu derselben Zeit waren die weisen Leute noch gar dünn gesäet und war es ein seltenes Ding, wenn einer derselben sich hervortat. Sie waren gar nicht so gewöhnlich, wie sie jetzt unter uns sind, wo ein jeder Narr für weise gehalten werden will. Deswegen verbreitete sich der Ruhm von ihrem hohen Verstand und ihrer seltenen Weisheit über alle Lande und ward Fürsten und Herren bekannt, wie sich denn ein so herrliches Licht nicht leicht verbergen läßt, sondern, wo es sich finden mag, seine Strahlen von sich wirft.
So kam es oft, daß aus ferne gelegenen Orten von Kaisern und Königen Botschaften an die Schildbürger abgefertigt wurden, um sich in zweifelhaften Sachen Rats zu erholen, der immer überflüssig bei ihnen zu finden war, da sie voll von Weisheit steckten. Auch fand man immer, daß die treuen Ratschläge, die sie gaben, nicht ohne besonderen Nutzen abgegangen . Dadurch schufen sie sich in der ganzen Welt einen großen Namen und wurden mit viel Silber, Gold, Edelstein und anderen Kleinodien begabt, weil Geistesgaben damals viel höher geschätzt wurden als dieser Zeit. Endlich kam es gar so weit, daß Fürsten und Herren, die ihrer keineswegs entbehren konnten, es viel zu weitläufig fanden, Botschaften zu
ihnen zu schicken, sondern jeder begehrte, einen der Schildbürger in Person bei sich am Hofe und an seiner Tafel zu haben, damit er sich desselben täglich in allen Vorkommenheiten bedienen und aus seinen Reden, als aus einem unerschöpflichen Brunnen des frischesten Wassers, Weisheit schöpfen und lernen könnte.Daher wurde täglich aus der Zahl der Schildbürger jetzt einer, bald wieder einer, beschickt und in entlegene Länder von Hause abgefordert. In kurzem kam es dahin, daß fast keiner mehr in der Heimat blieb, sondern alle von. Hause abwesend waren. Darum sahen sich die Weiber genötigt, der Männer Stelle zu vertreten und alles zu versehen, das Vieh, den Feldbau, und was sonst einem Manne zusteht; jedoch behauptet man, sie hätten dieses nicht ungerne getan. Wie es aber noch heutigentags zu gehen pflegt, daß Weiberarbeit und Weibergewinn gegen das, was Man- ner erwerben, soviel sie sich bemühen, dennoch sehr gering ist, so ging es auch zu Schilda. Darunter ist freilich nur Männerarbeit zu verstehen. Im übrigen ist die eigentümliche Arbeit der Männer und der Weiber wohl unterschieden; wie denn alle Männer nicht könnten ein einziges Kindlein, wie klein es wäre, zur Welt bringen, sie wollten es denn ausbrüten wie jener Narr den Käse voll Milben, aus welchem er Kälber aushecken zu können hoffte. So wie man im Gegenteile viel Weiber haben müßte, wenn man die feste Stadt Wien in Österreich (welche der Gott der Christenheit lange Zeit in seinen Schutz nehmen möge) oder die namhafte Stadt Straßburg mit Gewalt gewinnen wollte.
So fingen zu Schilda aus Mängel an Bebauung die Güter des Feldes an abzunehmen; denn die Fußtritte des Herrn, die den Acker allein gehörig düngen, wurden nicht darauf gespürt. Das Vieh, das sonst durch des Herren Auge fett wird, wurde mager, verwildert und unnütz; alle Werkzeuge und Geschirre wurden schadhaft, nichts verbessert und zurechtegemacht; und, was das Ärgste war, Kinder, Knechte und Mägde wurden ungehorsam und wollten nichts Rechtes mehr leisten. Sie beredeten sich selbst, weil ihre Herren und Meister nicht einheimisch seien und man doch Herren und Meister brauche, so stände es wohl ihnen selbst zu, Meister zu sein. Kurzum, während die frommen Schildbürger jedermann zu dienen begehrten, und richtig machen wollten, was irgendwo in der Welt unrichtig war, nicht um des lieben Geldes willen und aus Geiz, sondern der allgemeinen Wohlfahrt wegen, so gerieten sie dadurch in verderblichen Schaden, und es ging ihnen gerade wie dem, der zwei Leute, die sich prügeln, scheiden will; zuletzt ist er es, der alle Schläge davonträgt.
Weil denn das Weib nicht ohne den Mann, und dieser nicht ohne jenes bestehen kann, so trat zu Schilda die ganze weibliche Gemeinde, die indessen das Regiment führen und der Männer Amt verwalten mußte, zusammen , um das gemeine Beste zu bedenken und dem drohenden Verderben zu steuern. Nach langem Geschnatter und Gerede wurden endlich die Frauen einig, daß sie ihre Männer abfordern und heimrufen wollten. Um dieses ins Werk zu richten, ließen sie einen Brief aufsetzen und durch eigene Boten nach allen Orten und Enden abschicken, wo sie wußten, daß ihre Männer sich aufhielten. Der Brief lautete folgendermaßen:
"Wir, die ganze weibliche Gemeinde zu Schilda, entbieten Euch, unsern getreuen, herzliebsten Ehemännern samt und sonders unsern Gruß und fügen Euch zu wissen: Da, Gott sei Dank, unser ganzer Stamm mit Weisheit und Verstand so hoch begabt und vor andern gesegnet ist, daß auch ferne gelegene Fürsten und Herren, solche zu hören und zu allen Geschäften zu gebrauchen, eine besondere Lust haben, auch deswegen Euch alle zu sich von Haus und Hof, von Weib und Kindern abfordern und so lange Zeit bei sich behalten, daß zu besorgen ist, sie möchten Euch irgend mit Gaben und Verheißungen ganz und gar anfesseln und verstricken: so sind wir darum in großen Sorgen. Unseren Sachen zu Hause ist dabei weder geraten noch geholfen; das Feld verdirbt, das Vieh verwildert, das Gesinde wird ungehorsam, und die Kinder; die wir armen Mütter gemeiniglich mehr lieben, als gut ist, geraten in Mutwillen, andern vielen Unwesens zu geschweigen. In Betracht dieser Ursachen können wir nicht unterlassen, Euch hiermit an Amt und Beruf zu erinnern und zur Heimkehr aufzufordern. Bedenket, wie so lange Zeit wir von Euch verlassen gewesen; denket an die Kinder, Euer Fleisch und Blut, welche nun allbereits zu fragen anfangen, wo doch ihre Väter seien. Welchen Dank meinet Ihr, werden sie Euch sagen, wenn sie nun erwachsen sind und von uns vernehmen, daß sie ohne Trost und Hilfe von Euch verlassen worden und dem Untergange preisgegeben sind? Und vermeint Ihr, der Fürsten und Herren Gunst gegen Euch werde allezeit beständig sein? Die alten Hunde, wenn sie sich mit Jagen abgearbeitet und ausgedient haben, so daß sie mit ihren stumpfen Zähnen die Hasen nicht mehr packen können pflegt der Jäger an den nächsten besten Baum aufzuhängen und belohnt so ihre getreuen Dienste. Wieviel löblicher und nützlicher wäre es daher, wenn Ihr daheim und zu Hause, Eure eigenen Händel auswartend, in guter Freiheit und Ruhe leben und Euch mit Weib und Kind, Freunden und Verwandten erfreuen wolltet. Auch könnet Ihr fremden Leuten die
nen und doch in der Heimat bleiben. Wer Euer bedarf, der wird Euch wohl suchen und finden, oder es tut ihm nicht sonderlich not. Solches alles, liebe Männer, werdet Ihr viel besser erwägen als wir schreiben können. Deswegen hoffen wir, daß Ihr Euch unverzüglich aufmachen und heimkehren werdet, wenn Ihr nicht bald fremde Vögel in Eurem eigenen Neste sehen wollet und hören, daß sie zu Euch sprechen: ,Vor der Tür ist draußen! ' Darum seid vor Schaden gewarnt. Beschlossen und gegeben zu Schilda mit Eurem eigenen Siegel, das Eurer wartet."Sobald den Männern dieses Schreiben eingehändigt worden und sie den Inhalt eingesehen, wurde ihr Herz gerührt, und sie fanden es höchst notwendig, sogleich heimzukehren. Sie nahmen daher von ihren Herren gnädigen Urlaub und kamen nach Hause. Hier trafen sie eine solche Verwirrung in allen Sachen, daß sie, so weise sie waren, sich nicht genug verwundern konnten, wie in der kurzen Zeit ihrer Abwesenheit so vieles sich hatte verkehren können. Aber freilich, Rom, das in so vielen Jahren mit Mühe gebauet worden ist, kann an einem Tage gebrochen und zerstört werden! Die Weiber der Schildbürger wurden über die Zurückkunft ihrer Männer sehr froh; doch empfing nicht jede ihren Mann gleich, wie sie
denn gar verschiedener Komplexion waren. Die einen nahmen ihre Männer ganz freundlich und liebevoll auf, wie eine ehrliche Frau billig tun soll, vermöge der Tugenden, mit welchen das weibliche Geschlecht absonderlich geziert ist; andere aber fuhren die ihrigen mit rauhen und zweigespitzten Worten an und hießen sie in alles Bösen Namen willkommen; wie dies denn auch in unsern Tagen viele Weiber gegen die Natur im Brauche haben; so daß diesen Männern besser gewesen, sie wären mit dem Vieh hereingekommen und heimlich in die Ställe geschlüpft. Im übrigen waren sie allzumal fröhlich und begingen ein Freudenfest; dann aber setzten sie ihren Männern auseinander, wie notwendig es gewesen, daß sie wieder heimgekommen, und baten sie, das Versäumte hereinzubringen und fernerhin des Hauswesens und Gewerbes besser wahrzunehmen, , welches die Männer ihnen auch bei Treu und Ehren zusagten.Am folgenden Tage verfügten sich meine Herren, Rat zu halten, unter die Linde. Denn dort pflegten sie sich von alters her zu versammeln, solang es Sommer war. Winters über war das Rathaus der Versammlungssaal, und der Richterstuhl stand hinter dem Ofen. Als sie nun zuvörderst den großen Schaden, der ihrem Hauswesen erwachsen war, erwogen und mit dem Nutzen verglichen, der ihnen aus dem Dienste bei den fremden Herren erwuchs, so fanden sie, daß der Nutzen den Schaden bei weitem nicht ersetzen konnte. Es wurde daher eine Umfrage getan, wie doch den Sachen zu helfen wäre. Da hätte einer sollen die weisen und hochverständigen Ratschläge hören, die so gar vernünftig vorgebracht wurden! Einige meinten, man sollte sich der auswärtigen Herren gar nicht mehr annehmen; andere, man sollte sie nicht ganz abtun, sondern nur ihnen so kalte Ratschläge geben, daß sie von selbst abständen und die Schildbürger unbekümmert ließen. Zuletzt trat ein alter Schildbürger auf und brachte seine Bedenken vor, dieses Inhalts: Da doch ihrer aller hohe Weisheit und großer Verstand die einzige Ursache sei, warum sie von Hause abgefordert und da und dorthin beschickt würden, so dünke ihm,
das beste zu sein, wenn sie sich durch Torheit und Aberwitz vor künftiger Zudringlichkeit beschirmten. Wie man sie früher ihrer Klugheit wegen in fremde Lande berufen hätte, so würde man sie jetzt ihrer Dummheit halber zu Hause lassen. Deswegen sei er der Meinung, daß sie alle einhellig, niemand ausgeschlossen, Weiber und Kinder, Junge und Alte, die abenteuerlichsten und seltsamsten Sachen anfangen sollten, die nur zu ersinnen wären; ja, was jedem Närrisches in den Sinn käme, das sollte er tun. Dazu brauche man aber gerade die Weisesten und Geschicktesten; denn es sei keine geringe Kunst; Narrenamt recht zu verwesen. Wenn nämlich einer die rechten Griffe nicht misse und es ihm so mißlinge, daß er gar zum Toren werde, der bleibe sein Leben lang ein Narr; wie der Kuckuck seinen Gesang, die Glocke ihren Klang, der Krebs seinen Gang behält.Dieses Bedenken wurde von allen Schildbürgern mit dem höchsten Ernst erwogen, und weil der Handel gar schwer und wichtig war, noch manche Umfrage darüber getan. Am Ende beschlossen sie, daß ebenjene Meinung in allen Punkten aufs genaueste aufzusetzen und dann ins Werk zu richten sei. Hiermit ging die Gemeinde auseinander mit der Abrede, daß jeder sich besinnen sollte, bei welchem Zipfel die neue Narrenkappe anzufassen wäre. Freilich hatte gar mancher ein heimliches Bedauern, daß er, nachdem er so viele Jahre voll Weisheit gewesen, jetzt erst in seinen alten Tagen ein Narr werden sollte. Denn die Narren selbst können es am wenigsten vertragen, daß ihnen ihre Torheit, über der es ihnen selbst ekelt, durch einen Narren vorgeworfen werde.
Jedoch um des gemeinen Nutzens willen, für den jeder ja selbst sein Leben mit Lust aufopfern soll, waren sie allzumal willig, sich ihrer Weisheit zu begeben: und damit hat in unserer Geschichte die Weisheit der Schildbürger ein Ende.
immerhin das Dringlichste zu sein. Sie nahmen sich dabei ihren eigenen Pfaffen zum Exempel. Dieser war so eifrig, daß er, sooft er läuten hörte, allezeit meinte, er müßte mit seiner Postille auf die Kanzel rumpeln. Deswegen begehrte er, als er zuerst von den Schildbürgern angenommen wurde, daß sie ihm, noch ehe er predigte, eine neue Kanzel von guten, starken, eichenen Brettern, mit Eisen wohlbeschlagen, machen lassen sollten die seine gewichtigen Worte, so er jederzeit vorbringen wolle, auch recht dulden könne. Ebenso nun dachten die Schildbürger vor allen Dingen an ein geduldiges Rathaus.
Und wie nun alles verabredet war, was zu einem so wichtigen Werke notwendig erfordert wird, fand sich's, daß nichts mehr mangelte als ein Pfeifer oder Geiger, der mit seinem lieblichen Sang und Klang wie ein Orpheus oder Amphion Holz und Steine herbeigeholt hätte, um sie in feiner Ordnung zu diesem Bau aufeinanderzulegen. Da aber ein solcher nirgends zu finden war, so vereinigten sie sich, gemeinschaftlich das Werk anzugreifen, jeder dem andern zu helfen und nicht eher aufzuhören, als bis der ganze Bau aufgeführt und vollendet wäre. Offenbar waren die Schildbürger, deren Weisheit nur allmählich wie ein Licht ausgehen sollte, noch viel zu weitsichtig, da sie wußten, daß man zuvor Bauholz und andere Sachen mehr haben müsse, ehe man mit Bauen anfangen könne. Denn rechte Narren würden wohl ohne Holz, Stein und Kalk zu bauen sich unterstanden haben. Deswegen zogen sie samt und sonders einmütig miteinander ins Holz, das jenseits des Berges in einem Tale gelegen war, und fingen an nach dem Rate ihres Baumeisters das Bauholz zu fällen. Als es von den Asien gesäubert und ordentlich zugerichtet war, da wünschten
sie nichts anderes zu haben als eine Armbrust, auf der sie es heimschießen könnten; durch solches Mittel, meinten sie, würden sie unsäglicher Mühe und Arbeit überhoben sein. So aber mußten sie die Arbeit selbst verrichten und schleppten die Bauhölzer nicht ohne viel Schnaufen und Atemholen den Berg hinauf und jenseits wieder mit vieler Mühe hinab; alle bis auf eines, das nach ihrer Ansicht das letzte war. Dieses fesselten sie gleich den andern auch an, brachten es mit Heben, Schieben und Stoßen vor und hinter sich, rechts und links den Berg hinauf und auf der andern Seite zur Hälfte hinab. Sei es nun aber, daß sie es übersehen hatten, oder daß Stricke und Seile zu schwach waren: kurz, das Holz entging ihnen und fing an, von selbst fein allgemach den Berg hinabzurollen, bis es zu den andern Hölzern kam, wo es wie ein anderer Stock stille liegen blieb. Solchem Verstande dieses groben Holzes sahen die Schildbürger bis zu Ende zu und verwunderten sich höchlich darüber. "Sind wir doch alle", sprach endlich einer unter ihnen, "rechte Narren, daß wir uns solche Mühe gegeben, bis wir die Bäume den Berg hinabgebracht, und erst dieser Klotz mußte uns lehren, daß sie von selbst besser hätten hinuntergehen können!" "Nun, dem ist Rat zu schaffen", sagte ein anderer; "wer sie hinabgetan hat, der soll sie auch wieder hinauftun! Darum, wer mit mir dran ist, spute sich! Wenn wir erst die Hölzer wieder hinaufgeschoben, so können wir sie alle miteinander wieder hinunterrollen lassen; dann haben wir mit Zusehen unsere Lust und werden für unsere Mühe ergötzt!"Dieser Rat gefiel allen Schildbürgern über die Maßen wohl; sie schämten sich einer vor dem andern, daß er nicht selbst so witzig gewesen, und wenn sie zuvor, als sie das Holz den Berg hinabgebracht, unsägliche Mühe gehabt hatten, so hatten sie gewiß jetzt dreifache Arbeit, bis sie dasselbe wieder hinaufbrachten. Nur das eine Holz, das von selbst die Hälfte des Berges hinabgerollt war, zogen sie nicht wieder hinauf, um seiner Klugheit willen. Nachdem sie sich so überschafft hatten und alle Höher wieder oben waren, ließen sie dieselben allmählich, eins nach dem andern, den Berg hinabtaumeln, standen droben und ließen sich den Anblick wohlgefallen. Ja, sie waren ganz stolz auf die erste Probe ihrer Narrheit; zogen fröhlich heim und saßen ins Wirtshaus, wo sie kein kleines Loch in den Beutel der Stadt hineinzehrten.
Ernst gewesen. In wenig Tagen hatten sie die drei Hauptmauern von Grund aus aufgeführt; denn weil sie etwas Besonderes haben wollten, so sollte das Haus dreieckig werden. Auch aller Einbau ward wohl vollendet doch ließen sie nebenzu an einer Seite ein großes Tor in der Mauer offen, um, wie sie dachten, das Heu, das der Gemeinde zuständig wäre, und dessen Erlös sie miteinander vertrinken durften, hineinzubringen . Dies Tor kam denn auch — woran sie nicht gedacht — ihrem Herrn Schultheißen wohl zustatten, sonst hätte dieser, samt Gerichts- und Ratsherrn, wenn sie in den Rat gehen wollten, über das Dach hineinsteigen müssen, was zwar ihrer Narrheit ganz angemessen, aber doch allzu unbequem und dazu halsbrechend gewesen wäre.
Hierauf machten sie sich an das Dach. Dieses wurde nach den drei Ecken des Baues dreifach abgeteilt, der Dachstuhl auf die Mauer gesetzt und so das ganze Werk, nach ihrer Meinung, bis auf den Giebel um tadelig hinausgeführt. Das Dach zu decken, verschoben sie auf den folgenden Tag und eilten dem Hause zu, wo der Wirt den Reif aufgesteckt. Am andern Morgen wurde mit der Glocke das Zeichen gegeben, vor welchem bei Strafe niemand arbeiten durfte. Da strömten alle Schildbürger zusammen, stiegen auf den Dachstuhl und fingen an, ihr Rathaus zu decken. So standen sie alle hintereinander, die einen zuoberst auf dem Dache, die andern unten, wo sie an den Latten besserten; etliche noch auf der Leiter, wieder andere auf der Erde zunächst der Leiter, und so fort bis zu dem Ziegelhaufen, der einen guten Steinwurf vom Rathause entfernt war. Auf diese Weise ging jeder Ziegel durch aller Schildbürger Hände, vom esen, der ihn aufhob, bis auf den letzten, der ihn auf seine Statt legte, daß ein Dach daraus würde. Wie man aber willige Rosse nicht übertreiben soll, so hatten sie die Anordnung gemacht, daß zu einer gewissen Stunde die Glocke geläutet würde zum Zeichen des Ausruhens . Sowie nun derjenige, der zunächst am Ziegelhaufen war, den ersten Streich der Glocke hörte, ließ er den Ziegel, den er eben aufgehoben hatte, fallen und lief dem Wirtshause zu. So geschah es, daß diejenigen, die zuletzt ans Werk gekommen waren, die esen im Wirtshause und die Obersten hinter dem Tische wurden. Dasselbe taten auch die Zimmerleute. So wie ihrer einer den ersten Glockenstreich gehört, ließ er die Axt, die er schon zum Streich aufgehoben, fallen und lief dem Trunke zu, welches alles zur Narrheit der Schildbürger vortrefflich paßte.
Endlich, nach vollendetem Werke, wollten sie in ihr Rathaus gehen, um dasselbe zu aller Narren Ehre einzuweihen, und in aller Narren
Namen zu versuchen, wie es sich darin raten lasse. Kaum aber waren sie in Ehrbarkeit hineingetreten — siehe, da war es ganz finster, so finster, daß einer den andern kaum hören, geschweige denn sehen konnte. Darüber erschraken sie nicht wenig und konnten sich nicht genugsam verwundern , was doch die Ursache sein möchte; ob vielleicht irgendwo ein Fehler beim Bauen gemacht worden, wodurch das Licht aufgehalten würde. So gingen sie denn zu ihrem Heutor wieder hinaus, um zu sehen, wo sich der Mangel befinde. Da standen alle drei Mauern gar vollkommen da, das Dach saß ordentlich darauf, auch an Licht mangelte es draußen nicht. Sobald sie aber wieder hereinkamen, zu forschen, ob der Fehler drinnen liege, da war es wieder finster wie zuvor. Die wahre Ursache aber war, daß sie die Fenster an ihrem Rathause vergessen hatten; die konnten sie nicht finden noch erraten, sosehr sie sich auch ihre närrischen Köpfe darob zerbrachen.könne er doch nicht haben. Sie aber, die besser wußte als er, was der Butterhafen vermöge, entschuldigte sich, sie könne ihm diesmal keine Küchlein backen, weil ihr die Butter oder das Schmalz ausgegangen. Sie bat ihn deshalb, er möchte mit den Küchlein bis auf eine andere Zeit sich gedulden. Damit hatte aber meiner Großmutter Großvaters Bruderssohn keine Küchlein gegessen und sein Gelüste nicht gebüßt. Er wollte sich mit einem so trockenen Bescheide ohne Salz und Schmalz nicht abweisen lassen und bestand darauf, die Frau sollte ihm Küchlein backen, und hätte sie nicht Butter oder Schmalz, so sollte sie es mit Wasser versuchen. Es tut's nicht ', sagte die Frau, ,sonst wäre ich selbst nicht so lang ohne Küchlein geblieben, weil ich mich das Wasser nicht hätte dauern lassen. Er aber sprach: ,Du weißest es nicht, weil du es noch nie probiert hast. Versuch es einmal, und erst, wenn es nicht geraten will, kannst du sagen, es tu' es nicht. ' Wollte die Frau Ruhe haben und zufrieden sein, so mußte sie dem Mann willfahren; sie rührte also einen Kuchenteig an, ganz dünn, als wollte sie Sträublein backen, setzte eine Pfanne Wasser über das Feuer, und nun mit dem Teig darein. Der Teig zerfloß im Wasser, und es wurde ein Brei daraus, darüber die Frau zornig, der Mann leidig ward. Denn jene sah Arbeit, Holz und Mehl verloren; meiner Großmutter Großvaters (seligen) Bruderssohn aber stand dabei, hielt den Teller hin und wollte die erstgebackenen Küchlein, so warm sie aus der Pfanne kamen, essen, ward aber betrogen. Seine Frau verwünschte das Kuchenbacken mit Wasser; er jedoch sagte langmütig: ,Laß dich's nicht gereuen, man versucht ein Ding auf soviel Weise, bis es zuletzt gelingen muß. Ist es diesmal nicht geraten, so gerät's ein andermal. Es wäre ja doch eine feine nützliche Kunst gewesen, wenn es von ungefähr geglückt wäre! ' ,Ich meine ja wohl ', sagte meiner Großmutter Großvaters Bruderssohn Frau; ,dann wollt' ich selbst alle Tage Küchlein essen!
Und nun" — so schloß der Schildbürger —"diese Geschichte auf unser Vorhaben zu beziehen: wer weiß, ob das Licht oder der Tag sich nicht in einem Sack tragen läßt, gleichwie das Wasser in einem Eimer getragen wird. Unser keiner hat es jemals versucht; darum, wenn es euch gefällt, so wollen wir dran gehen; gerät's, so haben wir's um so besser und werden als Erfinder dieser Kunst großes Lob damit erlagen l Geht es aber nicht, so ist es doch unserem Vorhaben der Narrheit halber ganz willkommen und bequem!"
Dieser Rat gefiel allen Schildbürgern dermaßen, daß sie beschlossen, demselben in aller Eile nachzuleben. Deswegen kamen sie nach Mittag,
wo die Sonne am besten scheint, bei ihrem Eide gemahnt, alle vor das neue Rathaus, ein jeder mit einem Geschirr, in das er den Tag zu fassen gedachte, um ihn hineinzutragen. Einige brachten auch Schaufeln, Karste, Gabeln mit aus Fürsorge, daß ja nichts verabsäumt werde.Sobald nun die Glocke eins geschlagen, da konnte man Wunder sehen, wie sie zu arbeiten anfingen. Viele hatten lange Säcke, darein ließen sie die Sonne scheinen bis auf den Boden; dann knüpften sie den Sack eilends zu und rannten damit in das Rathaus, den Tag auszuschütten. Andere
Der fremde Geselle war ein rechter Vogel, genetzt und geschoren, wie es sein sollte, nur daß er weder Federn noch Wolle hatte. Er war nicht gesinnt, den Raub, der sich ihm hier anbot, aus den Händen zu lassen: deswegen fragte er sie ernsthaft, ob sie mit ihrer Arbeit etwas ausgerichtet hätten. Da sie mit Kopfschütteln antworteten, so sagte der Geselle: "Das macht, daß ihr die Sache nicht so angegriffen habt, wie ich euch wohl möchte geraten haben!"Dieser Tagesschimmer von Hoffnung machte die Schildbürger sehr froh, und sie verhießen ihm von seiten des ganzen Fleckens eine namhafte Belohnung, wenn er ihnen seinen Rat mitteilen wollte. Dem Wirt befahlen sie, ihm tapfer aufzutragen und vorzusetzen, so daß der gute Geselle diese Nacht ihr Gast war und redlich ohne Geld zechte; wie das billig war, da er forthin ihr Baumeister sein sollte.
Am folgenden Tag, als die liebe Sonne den Schildbürgern ihren Schein wieder gönnte, führten sie den fremden Künstler zum Rathaus und besahen es mit allem Fleiße von oben und unten, vorn und hinten, innen und außen. Da heißt sie der Geselle, der indessen mit der Schalkheit Rat gepflogen, das Dach besteigen und die Dachziegel hinwegnehmen, welches auch alsogleich geschah. "Nun habt ihr", sprach er, "den Tag in eurem Rathause; ihr mögt ihn darin lassen, solang es euch gefällig ist. Wenn er euch beschwerlich wird, so könnet ihr ihn wohl wieder hinaustagen." Aber die Schildbürger verstanden nicht, daß er damit meinte, sie sollten das Dach nicht wieder daraufdecken, sonst würde es wieder so finster werden
wie zuvor; sondern sie ließen die Sache gut sein, saßen in dem Hause zusammen und hielten den ganzen Sommer über Rat. Der Geselle nahm die Verehrung, zählte das Geld nicht lange, sondern zog hinweg und schaute oft hinter sich, ob ihm niemand nacheile, den Raub wieder von ihm zu nehmen . Er kam auch nie wieder und noch heutigestages weiß niemand, woher er gewesen, und wohin er gekommen; nur dies sagten die Schildbürger von ihm aus, daß sie ihn am Rücken das letztemal gesehen hätten.Nun hatten sie mit ihrem Rathause solches Glück, daß es den ganzen Sommer über, sooft sie zu Rate saßen, nie regnete. Inzwischen aber begann der liebliche Sommer sein lustiges Antlitz zu verbergen, und der leidige Winter streckte seinen rauhen Schnabel hervor. Da merkten die Schildbürger bald, daß, wie einer unter einem großen Wetterhut, wie die sind, welche junge Lappen gewöhnlich aus fremden Landen mitbringen, sich vor dem Regen sicherstellt, so auch sie sich mit dem Dache, wie einem Hute, gegen Schnee und Ungewitter schirmen müßten. Sie hatten daher nichts Eiligeres zu tun, als das Dach mit gemeinschaftlicher Handreichung wieder zu decken. Aber, siehe da, wie das Dach wieder eingedeckt war und sie ins
Rathaus gehen wollten, da war es leider wieder ebenso dunkel darin, als es zuvor gewesen war, ehe sie von der Ersparungskunft des Wanderers die Erfindung gelernt hatten, Tag in dem Hause zu machen, ohne ihn hineinzutragen. Und jetzt erst merkten sie, daß er sie häßlich hinter das Licht geführt habe. Sie mußten aber zu der geschehenen Sache das Beste reden, setzten sich wieder mit ihren Lichtspänen auf den Hüten zusammen und hielten geschwind einen Rat darüber, der sich weit in den Tag hineinzog . Endlich kam die Umfrage auch an einen, der sich nicht den Ungeschicktesten dünkte. Dieser stand auf und sagte, er rate ebendas, was sein Vater raten werde. Nach diesem weisen Rate trat er aus der Versammlung , sich zu räuspern, wie denn die Bauern oft einen so bösen Husten haben, daß niemand um sie bleiben kann. Wie er nun in der Finsternis (denn sein Lichtspan war ihm erloschen) an der Wand hin und her krabbelte , wird er von ungefähr eines kleinen Risses in der Mauer gewahr. Auf einmal erinnert er sich mit großem Seufzen seiner ersten Weisheit, deren sich alle verziehen hatten; daher tritt er wieder hinein und spricht: "Erlaubet mir, ein Wort zu reden, liebe Nachbarn!" Als ihm dies vergönnt wurde, sprach er weiter: "Nun, ich frage euch alle darum, sind wir nicht alle doppeltgebohrte Narren? Wir haben so ängstliche und üble Zeit mit unserem Rathaus, wenden Unkosten dran und geraten noch dazu in große Verachtung. Und dennoch ist keiner von uns so gescheit gewesen, daß er gesehen hätte, daß wir in das Haus keine Fenster gemacht haben, durch die das Licht hereinfallen konnte. Das ist doch gar zu grob, zumal im Anfange unserer Torheit; da sollten wir nicht so auf einmal und mit einem Satz hineinplumpen, so daß es auch ein rechter, geborner Narr merken könnte!"Über diese Rede erschraken und verstummten die andern alle. Sie sahen einander an und schämten sich einer vor dem andern wegen der gar zu plumpen Narrheit. Ohne die Umfrage abzuwarten, fingen sie darauf miteinander an, allerorten die Mauern des Rathauses durchzubrechen, und da war kein Schildbürger unter allen, der nicht sein eigenes Fenster hätte haben wollen. Also wurde das Rathaus vollführt bis auf den Einbau, von welchem sogleich Meldung getan werden soll.
eine Schwitz-stube und eine Baderstube; diese mußten vor allen Dingen fertig gemacht werden, damit die Schildbürger, wenn sie über wichtige Sachen ratschlagen sollten, nicht behindert wären. Nun meinten sie, sei das ganze dreieckigte Rathaus aufs vortrefflichste fertiggemacht, und weihten es zu aller Narren Ehre feierlich ein.
Inzwischen war der Winter ganz hereingebrochen, und es war kalt geworden . Nun sollten sie an einem Ratstage Gericht halten, und der Kuhhirt hatte mit seinem Horn den Ratsherren die Losung gegeben. Da brachte denn jeder, damit das gemeine Wesen nicht beschwert würde, sein eigenes Scheit Holz mit, um die Stube zu wärmen. Aber als sie sich nach der Heizung umsahen, siehe, da fand sich's, daß sie den Ofen vergessen hatten, ja, nicht einmal Raum gelassen, wo man einen hinstellen könnte. Darüber erschraken sie abermals heftig bei sich selbst und schalten sich über ihre Torheit. Als sie nun anfingen, den Handel zu erwägen, da fielen gar mancherlei Meinungen. Einige waren der Ansicht, man sollte ihn hinter die Türe setzen. Da es aber herkömmlich war, daß der Schultheiß den Winter über hinter dem Ofen seinen Sitz haben mußte, so schien es schmählich zu sein, wenn er hinter der Türe säße. Zuletzt riet endlich einer, man sollte den Ofen vors Fenster hinaussetzen und ihn nur zur Stube hereingucken lassen. Zuzeiten dann, wenn es not täte, könnte er bei Abzahlung der Stimmen auch mitgerechnet werden; denn riete er schon nicht zur Sache, so sei er doch auch nicht dawider. Dem Schultheiß sollte man den nächsten Ort dabei einräumen. Diesem Rate ward von allen Bänken her einhelliger Beifall zugerufen. Doch sagte ein Alter unter ihnen, welcher schon länger Narr war als die andern: "Aber, lieber Freund, die Hitze, die sonst in die Stube gehört, wird zum Ofen hinausgehen! Was hilft uns dann der Ofen?" —"Dafür weiß ich ein Mittel", rief ein dritter. "Ich habe ein altes Hasengarn, das will ich der Gemeinde zum besten geben. Wir wollen es vor die Ofentüre hängen, daß es die Hitze im Ofen beschließet Dann haben wir nichts Arges zu besorgen, nicht wahr, lieber Nachbar? Dann wollen wir tüchtig sieden und braten und die Apfel in der Kachel umkehren!" Dieser Schildbürger wurde wegen seines so weisen Rates hochgepriesen und ihm mit allen seinen Nachkommen der allernächste Sitz hinter dem Ofen zunächst bei der Apfelkachel vergönnt.
könnte, dessen man sich bedienen dürfte, wenn einmal eine Teuerung einfiele. Besonders aber hörten sie vom Salze, dessen Kauf ihnen wegen der obwaltenden Kriege abgeschnitten war, und an dem sie ebendarum großen Mangel litten; man riet ihnen, sie sollten es doch so weit bringen, daß sie eigenes Salz hätten, das sie in der Küche so wenig entbehren könnten als den Dünger auf dem Acker. Da faßten sie nach langer Ratschlagung den Beschluß: "Weil es doch offenbar sei, daß der Zucker, der ja dem Salz ganz ähnlich sehe, erwachse, so müsse wohl daraus folgen, daß das Salz gleichermaßen aus dem Felde hervorwachse; wie denn das Salz so gut Körnlein habe als der Weizen, und man ebensowohl sage: ein Salz
Der Acker ward gepflügt und nach dem Beschlusse Ihrer Wohlweisen mit Salz besäet. Sie selbst und alle Schildbürger waren in bester Hoffnung und zweifelten nicht, Gott werde seinen Segen im überfluß zu der Arbeit geben, weil sie ja in seinem Namen gesäet hätten; auch wäre ein solcher Gewinn, als ein Erdwucher, nicht schändlich, sondern von jedermann gebilligt. In diesem Vertrauen stellten sie auch Hüter und Bannwarte auf, die, mit einem langen Vogelrohr in der Hand, die Vögel schießen
sollten, wenn sie etwa das ausgesäete Salz wie andern Samen auffressen oder auflecken wollten.Es währte nicht lange, so fing der Acker an, aufs allerschönste zu grünen und die frechsten Kräuter heraufzuschicken. Die Schildbürger hatten eine unsägliche Freude darüber und meinten, diesmal wäre ihnen die Sache wohl geraten. Sie gingen alle Tage hinaus, zu sehen, wie das Salz wüchse; ja, sie beredeten sich selbst, sie hörten das Salz wachsen wie jener das Gras. Und je mehr es wuchs, desto mehr wuchs in ihnen die Hoffnung, und da war keiner unter ihnen, der nicht im Geiste schon ein ganzes Simri (Scheffel) Salz gegessen hätte. Deswegen befahlen sie den Bannwarten, wenn etwa eine Kuh, ein Pferd, ein Schaf oder eine Geiß auf den Salzacker sich verirrte, so sollten sie diese Tiere auf alle Weise und ohne Schonung fortjagen. Dessenungeachtet kam das unvernünftige Vieh auf den wohl bebauten und besäeten Salzacker und fraß nicht nur die herrliche Aussaat von Salz, sondern auch das, was noch hätte wachsen sollen. Der Hüter, der dieses sah, wußte wohl, was ihm auferlegt sei. Aber er verlor den Kopf; denn er war ein Schildbürger, und anstatt das Vieh hinauszutreiben, lief er in die Stadt und meldete das Unheil dem Schultheißen und Rat. Dieser sah auch bald ein, daß dem Bannwart sein Vogelrohr gegen die vierfüßigen Tiere nichts helfen konnte; sie faßten daher, nachdem sie sich lang die Köpfe zerbrochen hatten, den weisen Beschluß: ihrer viere des edeln Rates, vor denen die Tiere sich vielleicht mehr als vor schlechten Leuten scheuen würden, sollten den Bannwart auf eine geflochtene Truhe setzen, ihm eine lange Rute in die Hand geben und ihn so auf dem Salzacker herumtragen, bis er das lose Vieh herausgetrieben hätte. Dies geschah, der Bannwart hielt seinen Umzug, als wäre er der Papst zu Rom, und die vier Ratsherren wußten mit ihren breiten Füßen so subtil einherzugehen, daß durch sie dem kostbaren Acker kein allzu großer Schaden widerfuhr.
Wirklich blühte und zeitigte das Salzkraut nicht anders, als ob es Um kraut gewesen wäre, auf das eher ein fruchtbarer Regen fällt, ehe denn es verdirbt. Wie nun ein ehrlicher Schildbürger über den herrlich grünenden Acker ging, konnte er es nicht lassen, ein weniges von dem edeln Salzkraut auszuraufen und es, bescheiden kostend, an den Mund zu führen. Nun ist es wahr, es bissen ihn die Brennesseln auf die Zunge, daß er hätte schreien mögen; aber ebendas machte ihn ausnehmend fröhlich; er rannte, als wäre er ein rechter Narr, vor Schmerz und Freuden auf und ab und schrie mit heller Stimme: "ES ist Leckerwerk, Leckerwerk ist es!"
Darauf lief er recht eilig, damit ihm niemand das Botenbrot abgewänne; nach dem Flecken Schilda und stürmte mit der großen Glocke, damit alle Schildbürger zusammenkämen und die gute Mär vernahmen. Als sie versammelt waren, zeigte er ihnen vor Freude zitternd an, sie sollten fröhlich und guten Mutes sein; das Kraut sei schon so scharf, daß es ihn auf der Zunge gebissen habe; es sei hieraus abzunehmen, daß ein recht gutes Salz daraus werden werde.Dadurch veranlaßte er die Schildbürger, alle miteinander auf den Acker zu gehen, den Schultheiß an der Spitze. Dieser raufte ein Krautblatt heraus , reckte die Zunge und kostete es; und ihm taten es alle nach, und alle fanden es so, wie der Bote ihnen verkündet hatte. Sie waren sehr froh, und jeder dachte sich in seinem Sinne schon als einen mächtigen Salzherren. Und als endlich die seit der Ernte gekommen war, da kamen sie herbei mit Roß und Wagen, um mit Sicheln das Salz abzuschneiden und heimzuführen. Etliche hatten gar ihre Dreschflegel gerüstet, um es gleich an Ort und Stelle auszudreschen. Als sie aber Hand anlegen und ihr gewachsenes Salz abschneiden wollten, da war es so herb und hitzig, daß es ihnen allen die Hände verbrannte. Dies hatten sie auch, von der großen Kraft des Salzkrautes unterrichtet, wohl überlegt; jedoch es nicht gewagt, sich mit Handschuhen zu versehen, weil der Sommer so gar heiß war und sie fürchteten, man möchte ihrer spotten. Nun meinten einige, man sollte es abmähen wie das Gras; andere, weil es so gar hitzig wäre, so sollte man es mit der Armbrust niederschießen wie einen tollen Hund. Das letzte gefiel ihnen am allerbesten. Weil sie aber keinen Schützen unter sich
hatten und befürchteten, wenn sie nach einem fremden schickten, möchte ihre Kunst verraten werden, so ließen sie es bleiben. Kurzum, die Schildbürger mußten das edle Salzkraut auf dem Felde stehen lassen, bis sie einen besseren Rat fänden. Und hatten sie zuvor wenig Salz gehabt, so hatten sie jetzt noch weniger: denn was sie nicht verbraucht hatten, das hatten sie ausgesäet. Deswegen litten sie großen Mangel an Salz, zumal am Salze der Weisheit, das bei ihnen ganz dünn geworden war. Daher zerbrachen sie sich auch den Kopf darüber und sannen nach, ob etwa der Acker nicht recht gebaut worden, und hielten viele Ratssitzungen darüber, wie man es ein andermal besser machen könnte.So geschah es, daß dem Kaiser des großen Reiches Utopia, als er wegen Reichsgeschäften in diejenige Gegend seines Landes kam, in welcher der Flecken Schilda lag, vieles von den abenteuerlichen Schildbürgern erzählt wurde. Darüber wunderte sich der Kaiser um so mehr, weil er sich früher auch in wichtigen Sachen ihrer Weisheit bedient und sich Rates bei ihnen erholt hatte. Weil er nun doch in jener Gegend verziehen mußte, bis sich die Stände des Reiches, die er dorthin beschrieben, versammelt hätten, so verlangte ihn, einen persönlichen Besuch in Schilda zu machen, um mit eigenen Augen zu sehen, wie es sich mit der Torheit seiner dortigen Untertanen verhielte. Er fertigte daher einen Gesandten ab, um ihnen seine Ankunft zu verkündigen, damit sie ihre Zurüstungen treffen könnten. Dabei ließ er ihnen anzeigen, daß er sie bei allen ihren althergebrachten Privilegien und Freiheiten schirmen, auch mit weiteren begnaden wolle, unter der Bedingung, daß sie ihm auf die erste Rede, die er an sie richten werde, so antworten könnten, daß sein Gruß und ihre Antwort sich reime.
Die armen Schildbürger erschraken über diese Botschaft wie eine Katze, wenn sie sich unversehens vor dem Kürchner, oder eine Ziege, wenn sie sich vor einem Schneider findet. Obwohl sie nur Bauersleute waren, welche, wie man meint, das Recht haben, einfältig zu sein, so fürchteten sie doch, der Kaiser — der mit seinen Augen, obschon sie nicht größer sind als anderer Leute Augen, doch viel weiter sehe und mit seinen Händen länger reiche
—möchte merken, daß ihre Narrheit nur eine angelegte sei, und sie selbst möchten nicht nur seine allerhöchste Ungnade erfahren müssen, sondern vielleicht gar gezwungen werden, wieder witzig und verständig zu sein. Denn es ist freilich nicht ein Geringes, sich selbst zum Narren zu machen und seinen Verstand mutwillig dem allgemeinen Nutzen zu entziehen. Man sollte wenigstens warten, bis man entweder von selbst ein Narr oder durch andere zu einem Narren gezimmert wird. Dann kann man sich mit gutem Gewissen einen Narren schelten lassen von jedermann, und wäre dieser auch gleich ein zehnmal größerer Narr. Die Schildbürger nun suchten inIhr lieben Herrn, ich tret' herein, Mein feines Weib, die heißt Kathrein, Ist schöner als mein schönstes Schwein Und trinkt gern guten, kühlen Wein. |
Als nun der angesetzte Tag erschien, an welchem ein weiser Rat zusammentrat, um zur Wahl eines Schultheißen zu schreiten, da hätte man wunder hören können, welch zierliche, wohlgeschlossene Reime von ihnen vorgebracht wurden. Freilich war es schade, daß die edlen Ratsherren samt und sonders in langer Ausübung ihrer verstellten Narrheit zu einem so schwachen Gedächtnisse gekommen waren, daß ihnen allemal das rechte Schlagwort des Reimes beim Hersagen ausging, so daß zum Beispiel der fünfte (denn der ersten vier vortreffliche Reime sind verlorengegangen) seinen Reim also vorbrachte:
Ich heiße Meister Hildebrand Und lehne mein 'n Spieß an die — Mau 'r. |
Worüber denn jedesmal die andern alle lachten, jeder, bis das Reimen an ihn selber kam. Der Schweinehirt stand weit hinten und wegen seines niedrigen Standes kam die Reihe unter den letzten an ihn. Er war in tausend Ängsten; denn er fürchtete immer, es möchte ein anderer seinen Reim vorbringen und dadurch Schultheiß werden. Und so oft ein anderer nur ein einziges Wörtchen sagte, das auch in seinem Reime vorkam, so erschrak er, daß ihm das Herz hätte mögen entfallen. Da nun die Ordnung endlich auch an ihn kam, stand er auf und sprach mit kühner Stimme:
Ihr lieben Herrn, ich tret' —hieher, Mein feines Weib, das heißt Kathrein, Ist schöner als mein schönstes —Ferk'l Und trinkt gern guten, kühlen —Most! |
Also zog unser Herr; der Schultheiß, fort und kam in das Bad. Hier stellte er sich gar weise, saß in schweren, tiefen Gedanken, zählte von Zeit zu Zeit seine Finger ab, so daß alle, die ihn zuvor kannten, sich über diese Veränderung verwunderten und ihn für melancholisch hielten. Indessen fragte er einen, der neben ihm saß, ob dies die Bank sei, auf welcher die Herren zu sitzen pflegen. "Ja!" ward ihm geantwortet. "Ei, wie fein habe ich es getroffen", dachte da der Schultheiß, "ist es doch, als habe mir's die Bank angerochen, daß ich Schultheiß zu Schilda seil" Wie er
nun lange so sitzt und vor lauter Nachdenken tüchtig schwitzt, kommt der Bader, sieht, daß sein Kopf naß ist, und meint, er habe schon gebadet. "Guter Freund", sprach er, "Ihr habt den Kopf gewaschen, aber Ihr habt Euch noch nicht reiben und kratzen lassen! Ist dies nicht geschehen, so will ich Lauge herlangen und Euch ausreiben!" Der Schultheiß, der in tiefen Gedanken geschwitzt, antwortete: "Lieber Bader! Ich weiß wahrlich eigentlich nicht, ob ich gebadet habe, aber gerieben bin ich noch nicht! Unsereiner hat gar viel zu sinnen und zu denken, sonderlich ich, der ich trachtenAls er wieder nach Hause kam, vergaß unsere gnädige Frau, die Schule , nicht, den verheißenen Pelz, den sie wohl verdient hatte, recht ost zu fordern, und als der Schultheiß wieder einmal wichtiger Geschäfte halber in die Nachbarstadt gehen wollte, unterließ sie nicht, ihn an den Pelz zu mahnen. Ehe noch der Schultheiß die Stadt betrat, fragte er schon
den Torwart nach dem Hause des Kürschners; als dieser ihm solches wies, fragte er ferner, ob es auch der sei, bei welchem die Schultheißenfrauen ihre Pelze kaufen. Da merkte der Torwart erst, daß der Mann verrückt sein müsse, deswegen wies er ihn nun zu einem Kübler, einem lustigen Gesellen, bei diesem sollte er nach Schultheißenpelzen fragen. Der gute Schultheiß geht in aller Ehrbarkeit, wohin er gewiesen war, sagt dem Kübler, er sei der Schultheiß von Schilda und wolle Schultheißenpelze kaufen. Der Kübler merkt bald, woran er ist, und erwidert, es sei ihm sehr leid, seine Wohledeln nicht fördern zu können, wie er wollte; aber gestern sei Markttag gewesen, da habe er alle vorrätigen Pelze abgegeben. Damit ihm aber geholfen würde, so weiset er ihn in eine andere Vorstadt zu einem Wagner; dort werde er Pelze finden nach seinem Begehren. Nun brachte er sein Anliegen bei Wagner vor. Dieser aber; der auch ein Spottvogel war, weiset ihn zu einem Schreiner, der Schreiner zu einem Sporer, der Sporer zu einem Sattler, der Sattler zu einem Orgelmacher, der zu einem Studenten, der zu einem Buchbinder, der zu einem Druckergesellen, der zu einem Buchhändler, der Buchhändler endlich zu einem Lebküchner: dort finde er sie, wie er's nur haben wollte, zum Fressen schön.Als nun der Schultheiß auch hier nach Pelzen fragte, da antwortete ihm der Lebküchner, er habe diesmal keine; wenn er aber eine kleine Zeit Geduld haben wolle, so werde er ihm einen feinen Pelz von Lebkuchen anmessen, anschneiden und backen; den könnte er, wenn er seinem Weibe nicht gefiele, selber essen, alle Morgen einen Mundvoll. Der Herr Schultheiß bedankte sich aufs höchste, erklärte aber, daß er nun so lange nach einem Pelz herumgelaufen sei und keine Zeit mehr habe zu warten: er müsse heim, seinem Amte wieder obzuliegen; denn er sei Schultheiß zu Schilda. Der Lebküchner, der etwas gutmütiger war als die andern, dachte, der Herr Schultheiß sei genug zum Narren gehalten, und wies ihn deswegen recht, zu einem Kürschner, wo er nun Pelze aller Gattung fand, wie er nur begehrte. Und hier kaufte er endlich einen prächtigen Pelz, dessen sich eine Schultheißin auch in der Stadt nicht hätte schämen dürfen. Als er heimkam, empfing die Frau den Pelz mit Freuden, bekleidete sich mit ihm auf der Stelle, drehte sich nach allen Seiten und ließ sich sagen, wie er ihr stehe. Der Schultheiß aber verlangte, jetzt sollte sie für seinen Dienst ihm auch Küchlein backen; er wollte eine Wurst, die er aus der Stadt mitgebracht, dazu geben und eine Maß Wein bezahlen. Da begann seine Frau, wie vorzeiten grobe, dicke Schnitten zu backen; er aber
stieß die ersten, die aus der Pfanne kamen, voll Unmuts zurück. "Wofür hast du mich angesehen", sagte er, "meinst du nicht gar, ich sei ein Schweinehirt? Weißest du nicht, daß ich der Herr Schultheiß allhier zu Schilda bin?" Da mußte die Frau ihm Sträublein backen, die zehrten sie miteinander auf und tranken einen guten Schluck Weins dazu.Die folgende ganze lange Nacht lag die neue Frau Schultheißin in tiefsinnigen Gedanken, auf welche Weise sie doch den neuen Pelz anlegen und in demselben ihrem Mann und seinem Amte zu Ehren vor den Schild bürgern prangen möchte. Deswegen stand sie früh auf, und weil es eben Sonntag war, fing sie mit allem Eifer an, sich zu putzen, um sich von allen Nachbarn beschauen zu lassen. In diese Gedanken war sie so verirrt, daß sie sogar das Läuten in die Predigt überhörte. Ihr Herr, der Schultheiß, stand vor ihr und mußte ihr den Spiegel halten, und wohl hundertmal fragte sie ihn, ob sie auch von vorn und von der Seite recht wie eine Frau Schultheißin aussehe; und als er dies bejaht, ging sie endlich aus dem Hause der Kirche zu. War sie nun aber zu lang vor dem Spiegel gestanden, oder hatte der Mesner zu frühe geläutet: —siehe, als sie mit ihrem neuen Pelz zur Kirche hineinrauschte, war eben die Predigt aus, so daß jedermann aufstand. Die gute Frau aber legte dieses ganz
anders aus: sie beredete sich selbst, weil ihr Mann Schultheiß und sie Frau Schultheißen sei, zudem weil sie einen nagelneuen Pelz anhabe, so stehen die Nachbarn ihr und ihrem Kleide zu Ehren auf. Sie sprach deswegen so sittig und tugendlich, als sie es in der kurzen Zeit gelernt haben konnte, indem sie sich gar gnädig nach beiden Seiten mit Verneigung kehrte: "Liebe Nachbarn, ich bitte euch, wollet doch stillesitzen; denn ich denke wohl noch an den Tag, wo ich ebenso arm und zerlumpt zur Kirche hineingegangen bin wie ihr; darum so setzet euch doch wieder!" Bald darauf kam auch der Herr Schultheiß, welcher bis auf diesen Augenblick an seinem Barette gestriegelt hatte, in die Kirche hineingetreten; als er aber die andern Schildbürger alle die Kirche verlassen sah und nur seine Frau, die Schultheißin, noch in Erwartung der Predigt in ihrem Stuhle sitzen, nahm er sie an dem Arm und führte sie heim.Als nun der festgesetzte Tag herbeigekommen und der Kaiser mit seinem
Gefolge heranrückte, sprengten die Schildbürger hinaus mit ihren Steckenpferden , ihm entgegen. Wie der Schultheiß den Kaiser gewahr wurde, sprang er im Eifer von seinem Gaul auf einen Misthaufen und band sein hölzernes Roß vorsichtig an einen daneben stehenden Baum. Und weil er dazu beide Hände brauchte, nahm er den Hut zwischen die Zähne, behielt ihn auch darin, nachdem das Steckenpferd angebunden war; und murmelte zwischen den Zähnen: "Nun seid uns willkommen auf unserm Grund und Boden, fester Junker Kaiserl" Der Kaiser erkannte zwar auf den ersten Blick und auf das erste Wort, wie es mit den Schildbürgern beschaffen sei, und hatte Mühe, den Gruß zu verstehen, doch merkte er, was der Schultheiß sagen wollte, und erwiderte: "Hab Dank, mein lieber Schultheiß , und du auch -!" Aber der Schultheiß hatte seinen Hut, den er halb losgelassen, wieder fest mit den Zähnen gefaßt und konnte nicht antworten . Schnell besann sich sein Nebenmann, warf den verabredeten ReimIm übrigen blieb der Kaiser länger bei den Schildbürgern, als er sonst willens gewesen war; denn ihre Narrheit gefiel ihm über die Maßen. Als aber die Reichsgeschäfte ihn nötigten heimzukehren, erbot er sich zur Abhilfe aller Beschwerden, die sie etwa vorzubringen hätten, und wollte sich ihnen als einen recht gnädigen Herm erweisen. Da war ihre einzige Bitte, daß es ihnen vergönnt sein möge, ihrer schädlichen Weisheit fernerhin überhoben bleiben zu dürfen, dagegen in ihrer heilsamen Narrheit durch ein kaiserliches Privilegium für ewige Zeiten gesichert zu werden, so daß niemand sie hinfort darin hindern oder darüber anfechten dürfte. Diese Bitte gewährte ihnen der Kaiser willig und unter vielem Lachen, und es wurde ihnen ein förmlicher Freiheitsbrief für ihre Narrheit mit des Kaisers Unterschrift und Siegel ausgestellt und eingehändigt. Und so zog der Kaiser von dannen, nachdem er den Schildbürgern eine gute Mahlzeit; sich zu letzen, hinterlassen.
Diesen war es jetzt erst, nachdem der Kaiser fort war und sie im sichern Besitz ihrer Narrheit belassen hatte, recht wohl in ihrer Haut. Sie sprengten mit ihren Steckenpferden in das nächste Dorf, wo ihnen das kaiserliche Mahl angerichtet war. Als sie satt und trunken waren, kam sie das Verlangen an, auf eine grüne, schöne Aue hinauszuspazieren wie andere Junker, hier sich zu erlustigen und der Verdauung zu pflegen; doch vergaßen sie einige gute Flaschen Weines nicht und fuhren fort, im grünen Grase gelagert, bis in den Abend hinein zu zechen. Nun hatten sie aber alle Beinkleider von einerlei Farbe an und im Zechen die Beine durcheinander geschränkt. Wie es nun an dem war, daß sie heimgehen sollten: siehe, da war eine große Not: keiner konnte mehr seine Füße oder Beine erkennen, weil sie alle gleichgefärbt waren; saßen da, guckte einer den andern an, und fürchtete jeder, ein anderer möchte ihm seine Füße nehmen, oder er einem andern seine Beine: waren deswegen in großer Angst. Während sie einander so angafften, ritt von ungefähr ein Fremder vorüber ; den riefen sie und klagten ihm ihren Jammer mit der flehentlichen Bitte, wenn er ein Mittel wüßte, einem jeden wieder zu seinen eigenen Beinen zu verhelfen, möchte er es um des Himmels willen anwenden, sie wollten sich gewiß mit guter Bezahlung dankbar erweisen. Der Fremde sprach, das könne wohl sein, stieg ab, und nachdem er sich vom nächsten Baum einen guten Prügel gehauen, fuhr er unter die Bauern und fing an, die nächsten, die besten auf die Beine zu schlagen; und welchen es traf, der sprang schnell auf, und mit den Streichen hatte ein jeder auch seine Füße wieder; denn der Geselle hatte sie ihm gefunden. Zulegt blieb
einer ganz allein sitzen, der sprach: "Lieber Herr, soll ich meine Beine nicht ausg haben? Wollt Ihr das Geld nicht auch an mir verdienen? Oder sind vielleicht diese Beine mein?" Der Fremde sprach: "Das wollen wir gleich sehen!" und zog ihm einen Streich darüber daß es flammte. So sprang auch dieser letzte auf, und alle waren froh, daß sie ihre Beine wiederhatten. Sie schenkten dem Reiter ein gutes Trinkgeld und nahmen sich vor, ein andermal fürsichtiger mit ihren Füßen zu sein.So waren zwei unter ihnen, die hatten einmal gehört, daß die Leute zuzeiten durch Tauschhandel viel gewonnen hätten, und dies bewog sie, auch gegeneinander ihr Heil zu versuchen. Sie wurden deswegen einig, ihre Häuser miteinander zu tauschen. Und dieses geschah beim Wein, als sie des Kaisers Letze verzechten. Denn solche Sachen pflegen gerne zu geschehen , wenn der Wein eingeschlichen und der Witz ausgewichen ist.
Als nun jeder dem andern sein Haus einräumen sollte, ließ der eine, der zuoberst im Dorfe wohnte, sein Haus abbrechen, und führte dasselbe stückweise in das Dorf hinab; der andere aber, der bisher zuunterst im Dorfe gewohnt hatte, tat dasselbe und führte das seinige dagegen hinauf. Auf diese Weise hatten sie redlich gegeneinander getauscht.
Ein andermal gingen die Schildbürger, die gar ernstlich auf den allgemeinen Nutzen bedacht waren, hinaus, eine Mauer zu besehen, die noch von einem alten Bau übriggeblieben war, ob sie nicht die Steine mit Vorteil anwenden könnten. Nun war auf der Mauer schönes, langes Gras gewachsen, das dauerte die Bauern, wenn es verloren sein sollte, deswegen hielten sie Rat, wie man es etwa benutzen könnte. Die einen waren der Meinung, man sollte es abmähen; aber niemand wollte sich dem unterziehen und auf die hohe Mauer wagen; andere meinten, wenn Schützen unter ihnen wären, so dürfte es das beste sein, wenn man es mit einem Pfeile herabschösse. Endlich trat der Schultheiß hervor und riet, man sollte das Vieh auf der Mauer weiden lassen, das würde mit dem Gras wohl fertig werden; so dürfe man es weder abmähen noch abschießen. Diesem Rate neigte sich die ganze Gemeinde zu, und zur Danksagung wurde erkannt, daß des Schultheißen Kuh die erste sein sollte, die den
guten Rat zu genießen hätte. Darein willigte der Schultheiß mit Freuden. So schlangen sie denn der Kuh ein starkes Seil um den Hals, warfen dasselbe über die Mauer und fingen auf der andern Seite an zuaufheben kannst. Darnach kaufst du noch mehr Güter; denn es kann dir nicht fehlen; du hast ja den Nutzen von Hühnern, von Gänsen, von Eiern, von Geißmilch, von Wolle, von Zicklein, von Milchlamm, von Spanferkel, von Kühen — denen kannst du noch dazu die Hörner absägen und sie an den Messerschmied verkaufen; — du hast ferner den Nutzen von Kälbern, von Ackern, von Wiesen, von Hauszins und anderem. Darnach willst du einen jungen Mann nehmen, mit dem kannst du in Freuden leben und eine reiche, stolze Frau sein l Oh, wie wohl willst es du dir sein lassen und niemand ein gutes Wörtchen geben! Juchhe, juchheisa, hopsassa!" So jubelte die junge Witwe, warf dazu einen Arm in die Höhe und tat einen Sprung. Aber als sie sich so aufschwang und dazu jauchzte, da stieß sie von ungefähr mit ihrem Ann an den Eierkorb, daß dieser ganz ungestüm zu Boden fiel und die Eier alle zerbrachen. Da waren alle ihre Wünsche mitzerbrochen, nur der Junggesell nicht, den sie sich zum Manne erkoren hatte. Der konnte ja noch immer kommen. So stand sie nun auf dem Wege zum Markte und wartete sein. —
Die Schildbürger hatten eine Mühle gebaut, zu der sie auf einem hohen Berge in einer Steingrube einen Stein ausgehauen; dieser war von ihnen
mit großer Mühe und Arbeit den Berg herabgebracht worden. Als sie ihn drunten hatten, fiel ihnen ein, wie sie vorzeiten die Bauhölzer, welche sie zu ihrem Rathause brauchten, mit so geringer Mühe den Berg hinuntergebracht, indem sie dieselben von selbst hinablaufen ließen. "Sind wir doch große Narren", riefen sie, "daß wir uns abermals so viele Mühe gegeben haben!" Und nun trugen sie auch den Mühlstein mit größester Anstrengung den Berg wieder hinauf. Wie sie ihn aber eben wieder abstoßen wollten, fiel es einem Schildbürger ein zu fragen: "Wie wollen wir aber wissen, wo er hingelaufen sei? Wer da drunten kann uns das sagen?" — "Ei", sagte der Schultheiß, welcher den Rat gegeben hatte, "diesem ist leicht zu helfen; es muß einer von uns sich in das Loch stecken und mithinablaufen." Das war gut, und alsobald ward einer ausgewählt, welcher den Kopf in das Loch stoßen und mit dem Stein hinunterrollen mußte. Nun war zuunterst an dem Berge ein Fischweiher; in diesen fiel der Stein mitsamt dem Schildbürger, und beide sanken zu Grunde, so daß die Schildbürger Mann und Stein verloren und nicht wußten, wo beide hingekommen seien. Da fiel ihr Verdacht auf den armen Gesellen, der mit und in dem Stein gelaufen war, als wäre derselbe mit dem Mühlstein davongegangen. Sie ließen daher in allen umliegenden Städten, Dörfern und Flecken offene Briefe anschlagen, wo einer kommen würde mit einem Mühlstein am Halse, den sollte man einziehen und über ihn als einen Gemeindedieb Recht ergehen lassen. Der anne Narr aber lag tief im Weiher und hatte zuviel Wasser getrunken, daher er sich nicht verteidigen und rechtfertigen konnte. —Nicht ferne von Schilda floß ein Wasser vorüber, an dessen Gestade ein mächtiger Nußbaum Haus hielt. Von diesem hing ein großer Ast hinab bis über das Wasser, und es fehlte wenig, so hätte er es berührt. Die Schildbürger sahen solches, und weil sie einfältige, fromme Leute waren, wie man heutzutage der Bauern wenige mehr findet, so hatten sie herzliches Erbarmen mit dem guten Baum und gingen darüber zu Rate, was denn dem armen Nußbaum fehlen möge, daß er sich so schwermütig zum Wasser neige. Als darüber mancherlei Meinungen laut wurden, sagte letztlich der Schultheiß, ob sie nicht närrische Leute wären. Sie sähen doch wohl, daß der Baum an einem dürren Orte stünde und sich deshalb nach dem Wasser beuge, weil er gerne trinken möchte. Er denke auch gar nicht anders, als daß der niedrigste Ast der Schnabel des Baumes sei, den er nach dem Trunke ausstrecke. Die Schildbürger saßen ganz kurz zu Rate; sie dachten, ein Werk der Barmherzigkeit zu tun, wenn sie ihm zu trinken
gäben; deswegen legten sie ein großes Seil oben um den Baum, stellten sich jenseits des Wassers und zogen den Baum mit Gewalt herunter, indem sie glaubten, ihn auf diese Weise tränken zu können. Als sie ihn ganz nahe bei dem Wasser hatten, befahlen sie einem ihrer Mitbürger, auf den Baum zu steigen und ihm den Schnabel vollends ins Wasser zu tunken. Indem nun der Mann hinaufsteigt und den Asi hinunterzwängt, so bricht den andern Bauern das Seil; der Baum schnellt wieder über sich, und ein harter Asi schlägt dem Bauern den Kopf ab, daß er ins Wasser fällt; der Körper aber purzelt vom Baume herab und hat keinen Kopf mehr.Darüber erschraken die Schildbürger und hielten auf der Stelle eine Umfrage, ob er denn auch einen Kopf gehabt habe, als er auf den Baum gestiegen sei. Aber da wollte keiner etwas wissen. Endlich sagte der Schultheiß, er sei so ziemlich überzeugt, daß derselbe keinen gehabt habe. Denn er habe ihm drei- oder viermal gerufen, aber nie eine Antwort von ihm gehört. Mithin müsse er keine Ohren gehabt haben, folglich auch keinen Kopf. Doch wisse er es nicht so ganz eigentlich. Darum sei sein Rat, man sollte jemand heim zu seinem Weibe schicken und sie fragen lassen, ob ihr Mann auch heute morgen den Kopf gehabt hätte, als er aufgestanden und mit ihnen hinausgegangen sei. Die Frau erwiderte, sie wisse es nicht, nur soviel sei sie sich bewußt, daß sie ihn noch letzten Sonnabend gestriegelt; da habe er den Kopf noch gehabt. Seitdem habe sie nie so recht Achtung auf ihn gegeben. "Dort an der Wand", sagte sie, "hängt sein alter Hut; wenn der Kopf nicht darin steckt, so wird er ihn ja wohl mit sich genommen haben, oder hat er ihn anderswohin gelegt, was ich nicht wissen kann." So sahen sie unter den Hut an der Wand, aber da war nichts. Und im ganzen Flecken konnte niemand sagen, wie es dem Schildbürger mit seinem Kopf ergangen sei. —
Auf eine Zeit verbreitete sich im Lande die Sage von einem großen Kriege. Die Schildbürger wurden für ihre Hab und Güter besorgt, es möchten ihnen dieselben von den Feinden weggeführt werden; besonders angst war ihnen für eine Glocke, die auf dem Rathause hing. Auf diese, dachten sie, könnte das Kriegsvolk ein besonderes Auge haben und Büchsen daraus gießen wollen. So wurden sie denn nach langem Ratschlagen eins, dieselbe bis zu Ende des Krieges in den See zu versenken und sie, wenn der Feind abgezogen wäre, wieder herauszuziehen und aufzuhängen. Sie bestiegen also ein Schiff und fuhren mit der Glocke auf den See. Als sie aber die Glocke hineinwerfen wollten, da fiel es einem unter ihnen
ein, wie sie den Ort denn auch wiederfinden könnten, wo sie die Glocke nusgeworfen hätten. "Da laß dir keine grauen Haare darüber wachsen", sagte der Schultheiß und schnitt mit dem Messer einen Kerf in das Schiff, an dem Ort, wo sie die Glocke in den See versenkten: "Hier; bei dem Schnitt", sprach er, "wollen wir sie wiedererkennen." So ward die Glocke hinausgeworfen und versenkt. Lange nachher, als der Krieg vorüber war, fuhren sie wieder auf den See, ihre Glocke zu holen. Den Kerfschnitt an dem Schiffe fanden sie richtig wieder, aber den Ort, wo die Glocke war; zeigte er ihnen nicht an. So mangelten sie forthin ihrer guten Glocke. —In dieser gefährlichen Zeit hatte sich ein unschuldiger armer Krebs verirrt, und als er vermeinte, in ein Loch zu kriechen, kam er zu allem Unglücke gen Schilda ins Dorf. Als ihn hier einige Bürger gesehen hatten, daß er so viele Füße habe, daß er hinter und für sich gehen könne, und was ein ehrlicher Krebs dergleichen Tugenden mehr an sich hat, gerieten sie in großen Schrecken; denn sie hatten noch nie zuvor einen Krebs gesehen . Sie schlugen deswegen Sturm, kamen alle über das ungeheure Tier zusammen und zerquälten sich mit Nachsinnen, was es denn wohl sein möge. Niemand konnte es wissen, bis zuletzt der gelahrte Schultheiß sagte, es müsse wohl ein Schneider sein, dieweil er zwei Scheren bei sich habe. Um dies herauszubringen, legten die Schildbürger den Krebs auf ein Stück niederländisch Tuch, und wo der Krebs hin und her kroch, da schnitt ihm einer mit der Schere hintennach; denn sie dachten nichts anders, denn der Krebs als ein rechtschaffener Meisterschneider entwerfe das Muster eines neuen Kleides, welches sie dann sofort nachäffen wollten. So zerschnitten sie am Ende das Tuch ganz, daß es zu nichts mehr nütze war, und merkten endlich den Betrug. Da trat einer unter ihnen auf und sagte, daß er einen erfahrenen Sohn habe, der sei drei Tage lang auf der Wanderschaft gewesen und auf zwei Meilen Weges weit und breit gereiset, habe viel gesehen und erfahren; er zweifle nicht daran, dieser werde dergleichen Tiere mehr gesehen haben und wissen, was es sei. So wurde der Sohn in den Rat berufen. Dieser besah das Tier lang von hinten und von vorn: er wußte gar nicht, wo er es anfassen sollte, und wo es den Kopf hätte; denn weil der Krebs hinter sich kroch, so meinte er, der Kopf wäre, wo der Schwanz ist. Endlich sprach er: "Nun, habe ich doch meine Tage viel Wunders hin und her gesehen, so etwas ist mir aber noch nicht vorgekommen! Wenn ich aber sagen soll, was es für ein Tier sei, so spreche ich nach meiner Einsicht: wenn es nicht eine Taube ist oder ein Storch, so ist es gewiß ein Hirsch; denn er scheint ein Geweih zu haben.
Aber unter diesen dreien muß es eines sein." Jetzt wußten die Schildbürger so viel wie zuvor, und als ihn einer anfassen wollte, erwischte ihn der Krebs mit der Schere dermaßen, daß dieser um Hilfe zu rufen undDemzufolge ward einem Schildbürger der gefährliche Auftrag gegeben, den Krebs zu fassen und auf ein Brett zu legen; dieser trug ihn dem Wasser zu, und die ganze Gemeinde von Schilda ging mit; da ward er in Beisein und Zusehen jedermänniglichs ins Wasser geworfen. Als der Krebs sich wieder in seinem Elemente fühlte, da zappelte er und kroch hinter sich. Die Schildbürger aber sahen dies nicht ohne großes Mitleid an. Einige buben an zu weinen und sprachen: "Schauet doch, wie tut der Tod so wehet"
Das Geschrei von einem Kriege, weswegen die Schildbürger ihre Glocke in den tiefen See versenkt hatten, war nicht so nichtig, daß sie nicht selbst in der Tat etwas davon empfunden hätten. Denn innerhalb wenigen Tagen kam ihnen der Befehl zu, eine Anzahl Knechte zur Besatzung in die Stadt zu schicken, dem sie auch nachlebten. Einer dieser abgeordneten
Schildbürger, nicht der Geringste, begegnete, als er in die Stadt einzog, dem Kuhhirten, der eben seine Untertanen, Ochsen, Kühe und Kälber, austreiben wollte; und eine der Kühe berührte den Kriegsmann aus Schilda ein wenig mit ihrem Horn. Erzürnt und mutig zog der Schildbürger den Dolch aus seinem Gürtel, trat gegen die Kuh und sprach: "Bist du eine ehrliche und redliche Kuh, so stoße noch einmal!" Womit er diesen Feind glücklich aus dem Felde schlug.Einige Zeit darauf taten die Städter einen Ausfall, um auf den Feind zu streifen und den Bauern Hühner und Gänse abzunehmen. Nun hatte jener Schildbürger kurz zuvor ein Panzerstück, einer Hand breit, gefunden, und weil er sich gerade eine neue Kleidung machen ließ, so befahl er dem Schneider, dieses Blech unter das Futter ins Wams zu vernähen und gerade vor das Herz zu setzen, damit er desto sicherer wäre und auch einen tüchtigen Puff aushalten könnte; denn schon früher sei ihm ein solches Glück widerfahren, daß, als er ein halbes Hufeisen gefunden und dasselbe unter den Gürtel gesteckt, er damit einen Schuß aufgefangen, welcher ihm sonst das Leben gekostet hätte. Der Schneider versprach, es ihm nach Willen zu machen; setzte lächelnd hinzu, er wolle den rechten Fleck mit dem Panzerstück schon treffen. Wie die Kleidung fertig war, lief der Schildbürger getrost unter den andern hinaus, gute Beute zu erjagen;;
aber ehe er sich's versah, waren die Bauern über ihn hergefallen und jagten ihn. In der Angst wollte er über einen Zaun setzen, blieb aber mit den Hosen, welche hinten einen Zug hatten, an einem Zaunstecken hängen . Da stach einer der Bauern nach ihm, so daß er vollends über den Zaun hinüberflog. So lag er drüben lange in Todesangst und seiner Meinung nach schwer verwundet. Als aber die Feinde vorübergezogen waren und er nichts von einer Wunde spürte, verwunderte er sich sehr und beschaute sich seine Hosen, ob nicht wenigstens diese durch und durch gestoßen seien. Da befand sich's, daß der Schneider den rechten Fleck für das Panzerstück ausersehen und es hinten in die Hosen gesetzt und hier ins Futter vernäht hatte. "Ei, nun danke ich Gott", sprach der Kriegsknecht; "und dem klugen Manne, der mir dieses Kleid gemacht hat. Wie fein hat er gewußt, wo einem braven Schildbürger das Herz sitzen muß!"sich, der Kauf möchte sie gereuen, und sie möchten ihm das Geld wieder abnehmen. Gehen aber sah er oft hinter sich, ob ihm nicht jemand nacheile.
Nun hatten die Bauern vergessen zu fragen, was der Maushund esse. Darum schickten sie dem Wandersmann in Eile einen nach, der ihn deshalb fragen sollte. Als nun der mit dem Gelde sah, daß ihm jemand nachlaufe , eilte er nur desto mehr. Der Bauer aber rief ihm von ferne zu: "Was isset er? Was isset er?" Jener antwortete: "Wie man's beut! Wie man's beut!" Der Bauer aber verstand: "Vieh und Leut'! Vieh und Leut l" Er kehrte in großem Unmut heim und zeigte das dem Rate, seinen gnädigen Herren, an. Diese erschraken sehr darüber und sprachen: "Wenn er keine Mäuse mehr hat, so wird er unser Vieh fressen und endlich uns selber, ob wir schon ihn mit unserem guten Gelde an uns gekauft haben!" Sie hielten deswegen Rat über die Katze und wollten sie töten. Es hatte aber keiner das Herz, sie anzugreifen. Endlich beschlossen sie einmütig, die Burg, in welcher die Katze sich befand, mit Feuer zu vertilgen; denn ein geringer Schaden wäre besser, als daß sie alle um Leib und Leben kommen sollten. Und somit zündeten sie ihr eigenes Schloß an.
Als aber die Katze das Feuer roch, sprang sie zu einem Fenster hinaus, kam davon und floh in ein anderes Haus. Das Schloß aber brannte vom Boden hinweg. Niemand war in größerer Angst als die Schildbürger, da sie des Maushundes nicht loswerden konnten. Sie hielten aufs neue Rat, kauften das Haus, in dem die Katze jetzt war, und zündeten es auch an. Aber die Katze entsprang auf ein Dach; da saß sie eine Weile und putzte sich nach ihrer Gewohnheit mit der Tatze den Kopf; die Schildbürger aber meinten, der Maushund hebe die Hand auf und schwöre, daß er solches nicht ungerächt lassen wolle. Da nahm einer einen langen Spieß, um damit nach der Katze zu stechen. Sie aber ergriff den Spieß und fing an, an demselben herabzulaufen. Darüber entsetzten sich die Bürger und die ganze Gemeinde, liefen davon und ließen das Feuer brennen. Dieses verzehrte das ganze Dorf bis auf ein einziges Haus; die Katze aber kam gleichwohl davon.
großer Not: Habe und Gut waren dahin; dazu fürchteten sie den Eid und die Rache des Maushundes. Sie fanden deswegen nichts Besseres, als andere Wohnungen zu suchen, wo sie vor dem Untier sicher bleiben könnten . So verließen sie ihr Vaterland mit Weib und Kind und zogen voneinander, der eine da, der andere dort hinaus, ließen sich an vielen Orten nieder und pflanzten ihre Zucht weit und breit fort. Und seit dieser Zeit gibt es Schildbürger in der ganzen Welt.
Die vier Haimonskinder
In den alten Geschichten finden wir beschrieben, wie Kaiser Karolus mit großer Feierlichkeit als König von Frankreich gekrönet wurde; es kamen dazu die vornehmsten Fürsten der ganzen Welt, sowohl geistliche als weltliche, die päpstliche Heiligkeit, der Patriarch von Jerusalem: alle Kardinäle, Bischöfe und andere Prälaten, dazu zwölf gekrönte Könige, einundzwanzig Herzoge, viele Grafen, tausend Ritter und fünftausend Edelleute, samt vielen Frauen und Jungfrauen hohen und niedern Standes, Adel und Unadel, auf das allerstattlichste, und waren in allerlei Farben gekleidet. Nachdem dieses Königsfest viele Tage angehalten, so entfernten sich die hohen Herrschaften nach und nach wieder in ihr Heimwesen.
Weil nun also Kaiser Karl im Brauch hatte, daß er alle Jahr auf das Fest der Pfingsten ein stattliches Bankett hielt, hat er es auch nach seiner Krönung nicht unterlassen wollen, sondern ein gleiches in der Stadt Paris aufgestellt, auf welchem allerdings, was man nur erdenken konnte und was dazu gehörig, in Fülle zu finden war. Nun befand sich zu dieser Zeit daselbst ein hochgeborner Fürst, von dem Geschlechte Bourbon, mit Namen Haimon von Dordone, der dem Könige viel treue Dienste gegen die Heiden geleistet. Dieser war sehr reich an Ländern, Schlössern und Städten, dazu ein strenger Mann, wohl erfahren im Krieg und andern ritterlichen Taten, also daß fast seinesgleichen nicht gefunden wurde. Darum wurde er nicht allein von seinen Untertanen gefürchtet, sondern auch der Kaiser und die Herren von Frankreich scheueten ihn wegen seines Ernstes und seiner Ritterlichkeit. Kaiser Karl der Große, der nun König von Frankreich war, saß mit seiner Krone in aller Majestät und Herrlichkeit zu Tische, die Königin an seiner Seite; an einem andern Tische saßen viele vornehme Fürsten und Herren, samt dem ganzen Adel und
der Ritterschaft von Frankreich, und zwischen zweien Herren allemal eine schöne Dame, alles herrlich und fein anzusehen. Auch waren daselbst viele junge Edelleute, welche aufwarten mußten, und ein jeglicher befleißigte sich, damit an Essen und Trinken nichts mangelte. An einem der Tische befand sich Haimon von Dordone mit seinen Freunden und Rittern, desgleichen Haimerin von Bourbon und Hugo von Bourbon, welcher Haimons Schwestersohn und ein außerordentlich schöner Jüngling war; er hatte ein goldgelbes Haar und war gar wohl beredt und in allerlei fremden Sprachen erfahren. Hugo nun stand von seinem Tisch auf, ging zu dem König und sprach mit freundlichen Worten und mit gebührender Ehrerbietung: "Allergnädigster Herr und König, es ist ohne Zweifel Euer Majestät wohl bewußt, daß allhier meine lieben Vettern, Haimon von Dordone und Haimerin von Bourbon, erschienen sind, welche alle beide Eurer Majestät ritterlich und getreulich gedient haben gegen die Heiden, haben beinahe ganz Hispanien bezwungen und viel Gefahren ihres Lebens ausgestanden, welches sie Eurer Majestät gerne getan, und wofür sie noch keine Belobung empfangen haben. Deswegen begehren sie, es wolle sie Eure Majestät doch einer Gnade würdigen oder aufs wenigste mit ihren eigenen Gütern belehnen, damit sie ihre Standeswürde desto besser wahren mögen." Als König Karl diese Rede des Jünglings angehört, sprach er mit zornigem Gemüte zu Hugo von Bourbon: "Deine Forderung ist vergebens; sie hatten solches oftmals von mir begehrt, aber ich habe ihnen nichts geben wollen, wie ich ihnen auch nichts geben will, sie mögen anfangen, was sie wollen." Als der König ausgeredet hatte, sprach Hugo von Bourbon gar ernsthaft zu dem König: "Gnädigster Herr König, so Eure Majestät meine Vettern für ihre treue Dienste unbelohnt lässet, wird solches Eurer Majestät eine geringe Ehre und Gunst bei andern Herren und Fürsten zuwege bringen!" Als König Karl solche Rede vernahm, ward er im Zorn ergrimmet , ergriff sein Schwert und schlug den Hugo so, daß er zur Erde fiel und alsbald starb; und der Saal ward mit Blut erfüllet, worüber ein groß Geschrei unter den Edeln und Herren entstand, daß alle Tische über den Haufen geworfen wurden mit allem, was darauf war. Und daraus entspann sich eine große Fehde.und man sollte davon zu sagen wissen, solang die Welt stehe. Darauf rüstete sich Haimon alsbald und brachte dreihundert auserlesene Ritter, die er in seinem Lande aufbringen konnte; desgleichen tat König Karl mit allen seinen Freunden, versammelte sein Volk in der Eil und ließ sein Fähnlein fliegen, darunter hatte er tausend Mann, wohl gerüstet und gewappnet. Noch bekam er Hilfe von Mailand; denn das war unter seiner Herrschaft; zudem hatte er etliche Flaminger, Brabanter, Deutsche und Friesen, brachte also manchen tapfern Mann zu Felde. Mit solchem Volk zog nun König Karl aus, den Haimon mit seinen Freunden und seinem Kriegsheer zu erschlagen, ihr Land zu verbrennen und zu verwüsten. Haimon aber hatte nur jene dreihundert Mann, und diese waren meistenteils große Herren, Herzoge, Grafen, Ritter und Edelleute, mit denen ritt er mit aufgestecktem Fähnlein zum Tor hinaus. Sie bliesen dermaßen ihre Trompeten, daß man vermeinte, es hätte gedonnert; dann rief er mit voller Stimme: "Bourbon, Bourbon!" Als Haimon mit seinem Volk bei König Karls Lager ankam, wo dieser sein Heer in Schlachtordnung gestellt hatte, fiel er ihn mit Gewalt an, schlug tapfer drein, daß den Rittern zu beiden Seiten ihre Speere zersprangen; und von des Königs Volk stürzten viel von den Pferden und blieben tot. Da Haimon solches merkte; rief er sein Volk an, machte ihnen Herz und sprach: "Ihr Herrn Herzoge, Grafen, Barone und Edelleute, wehret euch ritterlich, wir haben den Streit schier gewonnen; helfet mir den Tod meines Vetters Hugo rächen, ich frage nicht darnach, ob ich auch auf der Walstatt bleiben" Und Haimerin von Bourbon sagte: "Das will ich auch tun; Leib, Gut und Leben will ich wagen und aufs Spiel setzen!"
Da versammelte sich Haimons Volk wiederum und wehreten sich so ritterlich, daß die Speere samt ihren Wehren meist alle zersprangen, und schlugen König Karls Leute zur Erden, also daß man da viel Volk erschlagen sah, von Grafen und Herren, und die Pferde bei zwanzig oder dreißig auf dem Felde ledig liefen.
Die von Bourbon stritten so tapfer, als wenn Haimon ihr Vater gewesen wäre, und der Kampf währte in die Nacht hinein, bis sie nicht mehr konnten. König Karl verlor von den Seinigen tausend Mann, der Graf Haimon nur etwa dreißig. Also kostete Hugos Tod manchen Herren und Edelmann, und manches schöne Schloß war deshalb verheert und eingerissen und alles verbrannt. Da sprach König Karl mit zornigem Mut: "Ich gelobe Gott und seiner Macht, ich will sie allhie nicht länger bleiben lassen; ich will sie aus dem Lande vertreiben und sie verbannen
samt ihren Freunden!" Und also nahm er ihnen ihre Güter. Darauf ließ er alle Obersten, Herzoge, Grafen, Barone und Ratsherren zusammenfordern und zu Rat sitzen wider Haimon und seine Freunde. Diese wurden für Räuber erklärt durch das ganze Land. Als solches ruchbar ward, mußte Haimon samt seinen Freunden und Mithelfern das Land räumen und solches in höchster Eile. Da nahm er mit sich achthundert Ritter, die allerbesten und auserlesensten Männer: die packten soviel Gut auf, als sie fortbringen konnten; denn sie wußten wohl, daß sie König Karls Macht nicht widerstreben könnten. Als nun Haimon mit den Seinigen aus dem Lande war, nahm der König alle ihre Güter und gab sie, wem er wollte. Solches verdroß Haimons Volk sehr, daß sie als vertriebene Leute sich mußten in den Wäldern aufhalten; sie fielen deswegen des Nachts heraus, raubten, plünderten und verbrannten alles, was sie außerhalb verschlossener Mauern fanden, und verschonten nichts, die Klöster so wenig als andere Häuser, schlugen Mönche und Nonnen bis gen Paris zu Tode. Haimon hatte einen Vetter bei sich, genannt Malegys, einen stolzen Ritter, wohl erfahren als Schwarzkünstler, der großen Schaden tat. Was sie von Gold und Silber erbeuteten, damit ließen sie ihre Pferde beschlagen, und der Krieg währte sieben Jahre.seltsam zu sein, und er sprach zu dem Gesandten mit zornigem Gemüt: "Saget eurem König, ich begehre, durchaus keinen Frieden mit ihm einzugehen, sondern will den Krieg mit ihm führen, solang es mir möglich ist; denn ich kann Hugos, meines Vetters, Tod nicht also leicht vergessen !"
Wie die Gesandten diese Antwort von Haimon erhalten, kamen sie wieder zu König Karl und meldeten ihm solches; worauf er sie alsbald wieder mit einem andern Schreiben zu Haimon abfertigte mit dem Erbieten, wenn Haimon mit ihm einen Frieden eingehen würde, so wollte er ihm seine Schwester Aja zur Gemahlin geben mit allen den Gütern, die er ihm und seinen Freunden genommen hätte, und solches los und frei, als ein Erbgut ohne einiges Lehen denn allein von Gott.
Da nun Haimon diese Meinung des Königs hörte, hieß er die Gesandten abtreten: er wolle sich mit seinen Freunden beratschlagen und ihnen gute Antwort geben. Er ließ darauf alsbald seine Verwandte rufen, nämlich Haimerin von Bourbon, Wilhelm von Orleans und alle andere Barone und Edelleute seines Landes, verkündigte ihnen, was ihm König Karl vorgeschlagen hätte, und begehrte, daß sie ihm hierin raten sollten, was ihnen gut dünkte und dem Lande nützlich wäre. Sie antworteten, wenn König Karl das alles halten wollte, was er ihm in dem Schreiben versprochen hätte, so wären sie des also zufrieden. Darauf sandte Haimon den Adelhart und Malegys, seinen Vetter, an König Karl, und ließ ihn fragen, ob er dasjenige alles halten wolle, was er ihm geschrieben hätte, nämlich, daß er ihm seine Schwester Ata zur Gemahlin geben wolle, und was sonst in dem Briefe gemeldet war. So wollte er einen Frieden mit ihm eingehen. Wie Adelhart und Malegys nun zu Paris anlangten, erschienen sie sofort vor dem König und erwiesen ihm gebührende Ehrfurcht; dann richteten sie ihren Auftrag aus, der Tod Hugos könnte nicht vergessen noch der Friede geschlossen werden, der König bewillige denn, was in dem Schreiben gemeldet sei.
Als der König Karl den Brief empfangen, ließ er denselben öffentlich vor seinen Räten lesen; sobald diese den Inhalt vernommen, waren sie dessen wohl zufrieden und begehrten, der König solle darin willfahren, wie er denn auch gerne tat: er ließ Adelhart und Malegys vor sich kommen und sprach zu ihnen, sie sollten wieder nach Hause gehen und Haimon verkündigen, er möge zu Senlis erscheinen, da wolle er mit ihm Frieden schließen; denn er begehre keinen Krieg mehr gegen ihn zu führen.
Mit diesem Bescheide zogen sie wieder nach Pierlamont und zeigten dem
Haimon des Königs Meinung an. Da rüstete und bekleidete sich alsbald Haimon mit seinen Freunden auf das zierlichste und zogen nach Senlis. Als er nun bei dieser Stadt angelangt war, kam zu ihm König Karl mit seinen Verwandten, samt fünfhundert Rittern. "Mein Freund Haimon", sprach er, "ich habe übel daran getan, daß ich deinen Vetter Hugo er
schlagen habe; ich bitte,
du wollest mir solches
um Gottes und seines
lieben Sohnes willen
verzeihen; ich will dir ihn
neunmal mit Gold auswägen
, meine Schwester
Aja will ich dir zur
Gemahlin geben, samt
allen den Gütern, die
ich dir genommen, und
alles, was du von den
Heiden erobern wirst."
Als Haimon die Verheißung
angehört, ward
er mit dem König
einig, und sie wurden
Freunde. |
Auf denselben Tag, als Haimon wieder zu Hause kam, war Frau Aja auch heimgekommen und hatte sich in der Kirche (nach altem Herkommen) dem Priester gezeigt, und wieder lebten sie in Liebe zusammen. Und Aja ward abermal mit einem jungen Sohne schwanger und hielt es auch gar heimlich wie zuvor und genas des Kindes wieder im Kloster, so daß es niemand erfuhr. Das Kind ward auch in der Stille erzogen und Writsart geheißen. Darnach empfing sie den dritten Sohn, und mit demselben ward eben getan wie mit dem andern, und dieser Adelhart genannt.
Wie nun dieses alles geschehen war, zog Haimon wieder in den Krieg und blieb wohl sieben ganzer Jahre aus; dies machte Frau Aja sehr
traurig; denn ihr war Botschaft gekommen, daß ihr Gemahl tot wäre. Indem sie nun so traurig war; kam Haimon wieder zu Hause und hatte sieben große Wunden im Krieg empfangen, saß gleichwohl auf seinem Pferd mit Harnisch und Schild am Hals; denn er hatte viel Land und Leute gewonnen , dazu die Dornenkrone unsers lieben Herrn und die Nägel, damit Christus ans Kreuz geheftet war.Sobald nun Frau Aja vernahm, daß Haimon unterwegs sei, ging sie ihm entgegen, empfing ihn ganz freundlich, umhalsete und küssete ihn und hieß ihn also willkommen sein. Auch er war von Herzen froh, stieg von seinem Pferd und ging mit ihr in seine Burg. Darauf bekam Aja den vierten Sohn, welchen sie Reinold nennen und ihn, wie die vorigen, auch heimlich auferziehen ließ.
Also hatte Haimon vier Söhne, von welchen allen er nichts wußte. Der vierte Sohn war ein schöner junger Held, groß und stark über die andern, gleichwie ein Falk über einen Sperber. Zu dieser Zeit hatte König Karl auch einen Sohn, der hieß Ludwig; dieser Reinold und Ludwig waren gleichen Alters und in einer Größe; als er aber fünfundzwanzig Jahr alt war, überwuchs Reinold den Ludwig schier um einen Fuß, und Ludwig ward nach Hause berufen.
"Wer mangelt denn noch allhier? Ich meinte, ich hätte die Edelgesteine vom ganzen Lande, dazu die größten Herren, sowohl geistliche als weltliche, der ganzen Christenheit!"Darauf antwortete der Bischof: "Allhier mangelt der allertapferste und kühneste Held der Welt, von hohem Geschlecht und Herkommen, welcher unbezwungen und frei ist und seine Güter von keinem Menschen zu Lehen hat denn allein von Gott."
Da sprach der König: "Das ist Haimon von Dordone, derselbe hat mir große Bedrängnis angetan in meinem Königreich mit Rauben und Brennen , er schlug alles tot, was ihm vorkam und mir zugehörig war, geistliches wie weltliches, er nahm das Gold aus den Kirchen und beschlug damit sein Pferd. Gleichwohl bekenne ich, daß ich keinen tapferern Helden weiß als ihn; hat er doch die Krone und die Nägel unsers Herrn Jesu Christi, womit er gekrönet und an das Kreuz geheftet worden, von den Heiden und Juden erobert. Ich weiß, daß er mir auch den Tod geschworen hat; wenn es aber euch ratsam dünket, daß ich ihn wieder hieher berufen lasse, so will ich nach ihm schicken!" Darauf antwortete Turpin: "Gnädigster Herr König, ich samt diesen Herren allen sehen für gut an, daß Ihr solche Krönung noch vierzig Tage wollt ausstellen und mittlerweile nach Haimon schicken, daß er allhie erscheinen möge; dafür müsset Ihr ihm gut Geleite zusagen auf St. Dionysii Leichnam, und wenn er aus Furcht nicht wollte kommen, so stellet ihm zu Geiseln oder Bürgen die einundzwanzig besten Herren Eures Königreichs." Diesen Rat fand der König gut und fragte den Bischof, wen er am besten zu Haimon schicken möchte, daß er ihm solches ausrichtete. Da hieß der Bischof die Grafen Roland, Wilhelm von Orleans, Bertram und Bernhart vor den König kommen. Die fragte der König, ob sie nach Pierlamont reisen wollten, dem Haimon anzuzeigen, daß er gen Hof käme nach Paris und seinen Sohn Ludwig zum König helfe krönen. Sie bedachten sich und willigten darein; zum Zeichen, daß sie es tun sollten, beschenkte sie der König alle vier je mit einem schönen Pferd, mit allem Zeug von Gold und köstlicher Seide, dazu schenkte er einem jeden auch einen schönen Hut, mit herrlichen Edelsteinen geziert. Wie sie nun alle aufs schönste geschmückt und zu reisen fertig waren, saßen sie auf ihre Pferde; da kam der König, hängte ihnen einen köstlichen Mantel um und gab jedem einen Ölzweig in die Hand. So ritten sie hinweg nach Pierlamont und säumten sich auf dem Wege nicht lange.
Als sie nun nahe zu der Burg kamen, stand Frau Ata von ungefähr an einem Fenster, blickte hinaus ins Feld und sah da die vier Ritter nahen
und gewahrte bald, wer sie wären. Sie dachte bei sich selbst: "Was mögen die vier Herren hier wollen, ich fürchte, sie eilen in ihren Tod!" Alsobald rief sie dem Torhüter, gab ihm vier schöne Hutschnüre und sagte: "Gehe hin und bringe sie den vier Herren, die da geritten kommen, und gib meinem Vetter Grafen Roland die beste; sage zu ihm: ,Die hat Euch Frau Aja, Eure Base, überschickt."' Als nun diese vier Ritter vor Haimon kamen, hatte er damals bei dreihundert Ritter an seinem Hof und ungefähr hundertunddreißig Mann Fußvolk. Wohlgewaffnet fielen ihm nun die Grafen zu Fuß und bewiesen ihm Ehre, und Graf Roland sprach mit freundlichen Worten: "Gnädigster Herr Haimon, wir kommen als Gesandte von König Karl dem Großen von Frankreich, der begehrt freundlich, es wollen Euer Gnaden nach Paris kommen und seinen Sohn Ludwig zum Könige von Frankreich helfen krönen. Er will allzeit willig sein, Euch diesen Dienst zu vergelten; denn er hat die Krönung wohl gegen vierzig Tage um Euretwillen aufgeschoben."Haimon, als er diese Botschaft empfangen, veränderte die Farbe und ward zornig, schwieg aber still und sprach kein Wort. Wie er nun keine Antwort von sich gab, redeten sie ihn zum andernmal an, er möge sich erklären, ob er Ludwig wollte helfen krönen oder nicht. Er antwortete abermal nichts. Da sahen die vier Gesandten einander traurig an. Frau Aja wurde auch sehr betrübt, nahm einen silbernen Becher voll Weines und sprach: "Lieber Vetter Roland, nehmet diesen und tut einen Trunk, ich will jetzt Euer Schenk sein." Da nahm Roland den Becher und trank, gab ihn darnach den andern dreien, daß sie auch trinken sollten. Also hieß sie Frau Aja willkommen sein. Darnach sprach sie zu ihrem Gemahl Haimon: "Gnädiger Herr, ich bitte Euch freundlich, wollet diesen vier Herren Antwort geben; denn es sind Eure eigene Verwandte und die Vornehmsten des Königreichs."
Sobald Haimon dieses von seiner Hausfrau hörte, schlug er sie ins Angesicht daß sie darniederfiel. Dies sahen die Herren mit zornigem Gemüt an und halfen der Frau auf. Als sie nun wieder zu sich selbst kam, wischte sie sich den Staub ab, trat wieder zu ihrem Gemahl Haimon, küßte ihn freundlich und sprach: "Gnädiger Herr, ich bitte Euch noch einmal, wollet diesen meinen Vettern Antwort geben."
Haimons Zorn ward etwas gelinder, und er sprach zu seiner Hausfrau: "Herzliebste Hausfrau, wenn ich ja Antwort geben soll, so mag ich wohl sagen, daß ich der unseligste Mann bin auf Erden und Ihr das unseligste Weib, so jemals geboren ist." Da fragte sie: "Warum saget Ihr das, lieber
Herr?" — "Darum", sagte er, "daß uns Gott nicht so wohl gewollt hat, daß er uns in zwanzig Jahren, die wir beieinander gewesen sind, Leibeserben gegeben hätte, die unser Land und unsre Güter nach unserem Tode besitzen, damit dieselben nicht in unserer Feinde Hände kommen; nun weiß ich gewiß, daß Ludwig nach meinem Tode meine Güter einnehmen wird, und denselben soll ich helfen krönen? Nein, ich begehre nicht, es zu tun; denn ich bin ihm mehr Feind als dem Vater. Ich weiß, und jedermann ist es kundig, wenn sie mich hätten bekommen können, sie ließen mich nicht lange leben!" Da sprach Frau Aja: "Gnädiger Herr, wenn Ihr nun Kinder hättet, wenig oder viele, wolltet Ihr dieselben umbringen?" Darauf sprach Haimon: "Geliebte Hausfrau, ich sage Euch, wenn ich Kinder hätte, ich wollte sie nicht töten, sondern wollte mehr an ihnen tun, als ein Vater schuldig ist, seinen Kindern zu tun." Alsbald sprach Aja: "Fürwahr, gnädiger Herr, dann sind die Worte vergeblich, so Ihr geredet, als Ihr erstmals das Beilager bei mir gehalten: daß Ihr alles töten wollet, was von mir käme! Da antwortete Haimon: "Liebe Hausfrau, böse gezwungene Eide kann man wohl lassen; hätte ich Kinder, so wollte ich fröhlicher sein, als ich jetzo hint" Darauf sprach Frau Aja: "Wollt Ihr mich versichern, gnädiger Herr, daß Ihr ihnen nichts tun werdet , so möchte ich ihrer etliche finden und Euch geben!"Als Haimon diese Worte gehört kam ihm solches fremd vor, und er sprach: "Ich will dasselbe gern tun, wenn mir Gott die Gnade verleihen wollte; aber ich kann's nicht wohl glauben, daß ich jemals Kinder mit Euch gehabt habe." Da nahm Frau Aja den Grafen bei der Hand und sagte: "Gehet mit mir, ich will sie Euch sehen lassen!" Darüber war Haimon sehr erfreut, und ehe er ging, sprach er zu den vier Rittern und hieß sie willkommen sein; gab ihnen die Hand und begehrte, sie sollten etwas verziehen, er wollte ihnen gute Antwort geben; er müßte erstlich mit seiner Hausfrau hingehen, seine Kinder zu besehen. Er nahm nun Abschied von den vier Grafen und ging mit seiner Gemahlin vor ein schön herrlich Zimmer, da die Söhne beieinander waren. Als Haimon vor das Gemach kam, blieb er ein wenig vor der Türe stehen, ehe er hinzuging; da hörte er, daß Reinold aus verzagtem Mut zu seinem Bruder sagte: "Ich sage dem Hofmeister keinen Dank, der uns allhie zu essen und zu trinken bringt; denn alle Gerichte, die er uns schafft, sind auf eines andern Herrn Tisch übriggeblieben als Brosamen; dazu gibt er uns auch keinen guten Wein; hätte ich den Speisemeister hie, ich wollte ihn so zurichten, er sollte vor meinen Füßen liegenbleiben." Da antwortete Adelhart
seinem Bruder und sprach: "Bruder, ich bitte, laß ab von solcher Rede, wir können wohl reden untereinander, was wir wollen, aber du weißt, wie unsre Mutter uns befohlen hat, daß wir still sollten sein und nicht viel Wesens machen; denn wir wissen wohl, wer unsere Mutter ist, aber unsern Vater kennen wir nicht; und ich sage Euch, schlüget Ihr des Haimons Speisemeister: er ist so frech und mutig, er ließe Euch in aller Eile umbringen; denn er hat allezeit gewaffnet Volk bei sich; darum laßt solche Worte bleiben; denn Ihr habt unrecht." Da sprach Reinold mit zornigem Mute zu seinem Bruder: "Soll mich Haimon, der graue Hund, töten lassen, das soll ihm der Teufel danken; ich sehe ihn mit seinen gewaffneten Leuten nicht an, ich wollt' ihn mit Fäusten schlagen, daß er sollte liegenbleiben!"Haimon hörte diese Worte und war dessen froh; er sprach zu seiner Hausfrau: "Das ist gewiß mein Sohn, da zweifle ich gar nicht, aber von den andern weiß ich nichts; will sie einmal probieren, ob sie auch so beherzt sind, als sie scheinen!" und stieß mit einem Fuß an die Tür, daß sie zersprang. Da sprang Reinold auf; ergriff den Haimon, warf ihn über eine Bank zur Erde und sprach: "Was hast du hier zu schaffen, du alter Grauert Ich sage dir; wir haben jetzt Mahlzeit gehalten; wärest du hier gewesen, so hättest du es so gut gehabt als wir."
Da kamen die andern Brüder herzugelaufen, worüber Haimon sehr erschrak und sprach: "Oh, ihr jungen Helden, schlaget mich nicht; ich bin Haimon, euer lieber Vater, und will euch auf den Abend zu Rittern schlagen!" Als das Reinold hörte, sprach er: "O Gott! seid Ihr mein Vater, so wäre es mir von Herzen leid, wenn ich Euch geschlagen hätte", und ließ ihn alsobald aufstehen. Als Haimon auf war, tat er sich höflich bedanken gegen seine Kinder und küßte erstlich den Writsart, darnach den Adelhart und Nittsart. Und als er Reinold küßte, drückte er denselben so freundlich an seine Brust und Wangen, daß dem die Nase blutete; worüber Reinold sehr ergrimmte und sprach: "So wahr mir Gott helfe, wenn Ihr mein Vater nicht wäret, ich wollte Euch dermaßen schlagen, daß Ihr müßtet liegenbleiben!" Darauf redete Haimon: "Mein Sohn, ich erfreue mich jetzt höchlich in meinem Alter, daß dir Gott die Gnade gegeben und dich so lange erhalten hat, daß du magst ein Ritter werden!" Da sprach Frau Aja: "Gnädiger Herr, was unsere Söhne zum ritterlichen Stande bedürfen, als Kleider, Wehr und Waffen, hab ' ich alles machen lassen; darum möget Ihr frei zu meinem Bruder zu Hofe reiten, denn er hat Euch Fried ' und Freiheit zugesagt und geschworen; dessen zum Zeugnis hat
er die Besten seines Reichs zu
Geiseln gesetzt und verbürgt."
Aber Haimon antwortete nichts
darauf, sondern befahl, man solle
den Saal stattlich zurichten, er
wolle seine Söhne zu Rittern
schlagen. |
Als Reinold das Pferd ansah, deuchte es ihm schwach, er schlug es mit der Faust vor den Kopf und sprach: "Das Pferd ist viel zu gering, mich zu tragen!"
Frau Aja, seine Mutter, die das mitansah, verwunderte sich dessen und sagte: "Auf diese Weise wirst du wohl alle Pferde totschlagen, die man für dich brächte!" Darnach holte man ihm ein anderes aus der Stadt; das höher und stärker war als das vorige; das schlug er auch vor den Kopf, daß es niederfiel. Zum dritten brachte man ihm noch ein anderes, das war noch stärker und höher als die vorigen; da sprang er darauf, daß ihm Lenden und Rücken zu Stücken brachen und es bald darnach starb.
Als Haimon, sein Väter, dieses sah, erfreute er sich dessen, daß sein Sohn eine solche Kraft und Stärke hatte, und sprach: "Sohn Reinold, sei nicht traurig, sondern wohlgemut, ich weiß noch ein Pferd, heißt Beyart, hat Pferdsstärke von zehn und ist verwahrt in einem starken Turm; es darf niemand dazu gehen wegen seines Zorns, das hat ein Kamelführer gewonnen; es ist so geschwind im Laufen wie ein Pfeil vom Bogen, schwarz wie ein Rabe, hat Augen wie ein Leopard, keine Mähnen."
Als Reinold seinen Vater das Pferd so sehr preisen hörte, sprach er lachend zu ihm: "Vater, das wäre wohl ein Pferd für mich: ich wollte, es wäre mein." Da sprach Haimon: "Ziehe deine Rüstung an, das rate ich dir, und versuche, ob du es zwingen kannst; aber siehe dich wohl für, denn es ist über die Maßen böse und läßt niemand zu sich kommen: es zerbeißt Steine gleichwie andere Pferde Heu." Als Reinold das hörte, sprach er: "Soll ich mich gegen ein Pferd waffnend Das wäre mir eine große Schande"; doch folgte er seinem Vater und waffnete sich, als ob er in den Krieg oder Streit ziehen wollte, nahm einen Stock in seine Hand und ging zum Stalle hin, wo das Roß stand; und außer Vater und Mutter folgten ihm viel edle Ritter und Frauen, zu sehen, was für Wunder Reinold mit dem Rosse treiben würde.
Als er nun in den Stall kam, sah er das Tier an; alsbald schlug ihn aber das Pferd vor seinen Kopf, daß er ohnmächtig zur Erde fiel. Sobald Frau Aja dies gesehen, rief sie zu Gott und schrie: "O Gott im Himmel,
mein Sohn Reinold ist tot!" Dagegen rief Haimon den Reinold an und sasse: "Mein Sohn Reinold, stehe auf und zwinge das Roß; ich schenke es dir, denn ich gönne es niemand besser als dir!" Da rief die Mutter wiederum: "Ach, lieber Gott, wie soll er das Roß zwingen, er ist tot!" Haimon aber sprach: "Hausfrau, schweiget still, er ist meines Geblüts ; darum zweifelt nicht, er wird wohl wieder aufstehen."Indessen kam Reinold wieder zu sich, stand auf und nahm seinen Stock wieder zur Hand in der Absicht, das Roß damit zu zwingen; aber Beyart faßte ihn beim Hals und warf ihn vor sich in die Krippe; da wehrte sich Reinold aufs möglichste, nahm Beyart bei dem Hals und hielt sich männlich daran, schlug mit seinem Bengel gewaltig darauf und wehrte sich so tapfer, daß er ihm das Gebiß in das Maul brachte; so zäumte er das Roß, sprang in aller Eil darauf und ritt aus dem Stall; da floh ein jeder und fürchtete sich vor dem großen Roß Beyart. Als Reinold und Beyart auf den Plan kamen, gab er ihm die Sporen und ließ ihm den Zaum schießen; denn er saß so fest; als wenn er darauf gewachsen oder gemauert gewesen wäre, und sprengte ihn über zween weite Gräben, deren jeglicher über vierzig Fuß breit war. So bezwang er das Roß, bis es ganz müde worden; da ritt er es wieder in den Stall, stieg ab, putzte und wischte es. Als er es nun wohl gereinigt hatte, sprach er: "Dies Roß wollte ich jetzund um kein Geld noch Gut verkaufen!" Denn er zwang es, daß es vor ihm stand und zitterte; es neigte und beugte sich gegen ihn, wann er aufsitzen wollte, und er hatte es dermaßen gezähmt, daß ein Kind darauf sitzen konnte. Da es nun also abgerichtet war, ließ er gar köstliches Gezeug dazu machen, Sattel und Zaum und alles, was hieher gehört. Und nun machte er sich fertig, mit seinem Vater nach des Königs Hofe zu reiten.
Als Ludwig, der junge König, solches gehört, sprach er zu seinem Vater:
"Ei, Vater, wollt Ihr dem entgegen gehen und ihn empfangen, der Eurer Majestät und den Eurigen so todfeind ist und dieselbe verfolget hat; wo er konnte und mochte?" Da sprach König Karl: "Mein Sohn, ich will, man soll den Zank und Streit ruhen lassen und fortan guten Frieden halten, es hat lang genug gewähret: darum mache dich fertig, du mußt mit mir ziehen und deine Vettern helfen freundlich empfangen." Zu solchem Ende ließ König Karl seine ganze Ritterschaft ausrüsten, dazu alle Frauen und Jungfrauen, so schön als ihm möglich. Als sie nun zusammentrafen, empfing König Karl den Haimon samt den Seinigen ganz liebreich und in aller Herrlichkeit, wie sich's geziemte; denn das war das erstemal in dreißig Jahren, daß er den Haimon gewaffnet gesehen. Aber Ludwig, der junge König, nahm sich Haimons nicht an, sondern schmieg ganz still. Als Graf Roland solches gesehen, trat er zu ihm und begehrte von ihm, er sollte den Haimon samt seinen vier Söhnen auch freundlich begrüßem Ludwig jedoch antwortete ihm, er habe mit dem Haimon und seinen vier Söhnen nichts zu schaffen.Ritter und Frauen, welche den Reinold samt seinem Roß Beyart gesehen , verwunderten sich und sprachen eines nach dem andern: "Ist dieses der Ritter Reinold, des Haimons Sohn? Er ist fürwahr der trefflichste und schönste Fürst von ganz Frankreich!" Das hörte der junge König Ludwig, er zürnte heftig über diese Rede; denn er ließ sich dünken, es wäre keiner schöner an Leib und Gliedern, keiner trefflicher in ritterlichen Taten und keiner so beredt als er. Deswegen antwortete er auf jene Rede: "Wo hat man wohl gehört, daß Haimon Kinder mit Frau Aja gehabt hat? Es können seine Söhne nicht sein, sondern er muß sie für seine Kinder angenommen und dazu erkauft haben! Ich will in kurzer Zeit erfahren, ob der Reinold mein Vetter ist oder nicht!" Darauf ging er Reinold, bot ihm die Hand und hieß ihn willkommen sein. Dieser dankte ihm höchlich; alsbald sprach König Ludwig zu Reinold: "Vetter, Ihr habt ein schön Pferd; wäre es nicht ratsam, daß Ihr mir das Pferd verehrtet? Ich wollte Euch viel dagegen geben!" Darauf antwortete Reinold: "Fürwahr , mein lieber Vetter, wenn ich es jemand gebe, so sollt Ihr der nächste sein: ich will Euch wohl gerne mit Leib und Gut dienen, wo ich kann und mag, aber das Pferd Euch geben — das kann ich jetzt nicht tun, weil kein anderes Tier mich tragen kann als dies, und ich kann mit keinem andern dasselbe ausrichten, was dies vermag." Da König Ludwig das vernahm, sprach er mit zornigem Mut: "Jetzt sehe ich, er ist von keinem geringen Geschlecht! Wenn ich aber gekrönet bin und in meiner Majestät
sitze und die Lehen austeile, so will ich ihm auch nichts geben!" Als dies vor Reinold kam, ward er auch zornig, ging zu König Ludwig und sprach: "Ich habe vernommen, daß Eure Majestät mir keine Lehen geben will. Darnach frag ' ich gar nichts, ich bedarf es gottlob auch nicht; mein Vater hat mir so viel gelassen, daß ich von Eurer Majestät zu leben nicht benötigt bin, weiß derohalb Eurer Majestät keinen Dankt"Nach diesem gingen sie miteinander in einen lustigen Garten, wo der König Karl gern verweilte; hier ward allerhand Kurzweil getrieben mit Musik und Turnierspiel im Beisein vieler Frauen. Als nun Zeit war, daß man Tafel halten sollte, befahl der König Ludwig, daß man den vier Haimonskindern kein Essen und Trinken vorsetzen sollte, viel weniger ihren Rossen. Da gab man Wasser, die Hände zu waschen, erstlich dem Papst, darnach den Patriarchen, sodann dem König und der Königin, und so fort allen Edeln und Rittern, die da zugegen waren, und man setzte einen jeglichen nach seinem Stand zu Tische; aber der vier Haimonskinder war
nicht gedacht. Und ward also vortrefflich Tafel gehalten. Als Reinold sah, daß man ihnen nichts geben wollte, gedachte er, er müßte zu essen haben, es wäre dem König lieb oder leid; deswegen erhub er sich, stieß die Küchentür mit einem Fußtritt auf, daß sie in viel Stücke sprang, und lief zur Küche hinein, nahm daselbst etliche Schüsseln mit Essen und trug sie seinen Brüdern zu. Da der Koch solches sah, wollt' er dem Reinold die Schüsseln nicht verabfolgen lassen und sprach: "Laß die Schüsseln stehen, du loser Vogel, oder ich muß etwas anders vornehmen!" Darüber ergrimmte Reinold, schlug den Koch mit der Faust, daß er zur Erde fiel, und ging mit den Speisen fort zu seinen Brüdern.Wie solches vor den König kam, daß der Koch totgeschlagen wäre, da fragte er, wer es getan hätte. Sie sprachen: "Reinold, des Haimons Sohn, hat es getan, weil ihm der Koch nicht wollte zu essen geben." Da sprach der König: "Ihm ist recht geschehen, wenn er meinem Vetter solches weigerte, da doch so mancher Fremdling hier gespeiset wird!" Von Stund an bekam Reinold alles, was sein Herz begehrte, worüber König Ludwig gar heftig erzürnt war. Nun kam der Marschall zu Reinold und sprach: "Junger Herr, Ihr habt dem Koch groß unrecht getan, daß Ihr ihn totgeschlagen; wenn er mir verwandt wäre, ich wollte seinen Tod an Euch rächen!" Da antwortete Reinold: "Ihr seid nicht kühn genug, solches zu rächen." Da ward der Marschall zornig und schlug nach Reinold, der aber erwiderte den Streich und schlug den Marschall zur Erden und stieß ihn mit dem Fuß, daß er weit in den Saal rollte und es König Karl sah. Da sagte König Ludwig zu seinem Vater: "Gnädigster Herr Vater! Wenn Ihr solchen Mutwillen an Eurem Hofe ungestraft laßt, so wird es Eurer Majestät schlechte Ehren bringen!"
Bald hernach ließ Karl gebieten, obgleich der Marschall an dem Streiche gestorben war, daß niemand so verwegen sein sollte, sich dem Reinold zu widersetzen. Als es nun wieder still geworden, ließ man alle Musiken klingen, und die Kurzweil nahm ihren Fortgang, bis es Nacht war. Da ließ König Ludwig wieder gebieten, man solle des Haimons vier Söhnen kein Bett anweisen, daß sie nicht mit Ruhe schlafen könnten. Als Reinold dies gesehen, ward er abermal zornig und sprach zu seinen Brüdern: "Was soll es gelten, wir bekommen über Nacht noch das beste Lager?" Als nun jedermann zu Bett und im ersten Schlafe war, da nahm Reinold seine Wehr in die Hand und machte einen großen Tumult unter Freunden und Verwandten, Edeln und Unedeln: welcher zuerst davonkam, war der beste; er trieb sie alle aus den Betten, daß er ihrer an dreißig ledig fand. Dann
legte er sich samt seinen Brüdern in die besten, die er am Hofe traf, und schlief im guten Frieden bis an den hellen Tag.Frühmorgens liefen die Vertriebenen zum König Karl und klagten ihm, wie es ihnen ergangen wäre, und wer solches getan hätte: begehrten zugleich , er solle über solche Gewalt Gericht halten und den Reinold strafen . Da schalt sie der König, daß sie alle über einen Mann klagten, und sprach: "Wie, lasset ihr euch alle vertreiben von einem einzigen? Darüber kann ich keine Strafe erkennen; denn er hat eine ritterliche Tat getan Als Reinold samt seinen Brüdern sich angezogen, gingen sie nach des Königs Hof; da begegnete ihnen der König mit den Bischöfen und Herzogen. Diese wollten nach des jungen Königs Ludwig Wohnung gehen, da gingen auch die Haimonskinder mit. Als sie nun vor Ludwigs Zimmer kamen, sprach König Karl: "Sohn, stehe auf, denn heut ist der Tag, da du zu hohen Ehren kommen wirst; ich will dir heute meine Krone von Frankreich samt allen zugehörigen Ländern übergeben und dich zum Könige krönen!"
König Ludwig dankte seinem Vater samt allen Herren, so zugegen waren , höchlich und mit Ehrerbietung, bot ihnen allen die Hände und empfing sie gar freundlich. Dann befahl der König Karl, Haimon sollte seinen vier Söhnen sagen: was sie für Ämter an seinem Hofe versehen wollten, die wollte er ihnen geben; machte also den Reinold zum Haushofmeister , Adelhart ward Schultheiß, Rittsart mußte dem König aufwarten , und Writsart den Bischöfen. Als nun der König Ludwig gänzlich zu der Krönung fertig war, führte man ihn zur Kirche, da gingen Adelhart und Writsart vor ihm her und neben ihm Reinold, hinter ihm folgte Rittsart und Haimon, der Vater. Diese Gebrüder trugen einen Thronhimmel über dem neuen Herrscher, daß es auf ihn nicht regnen konnte. Wie nun König Ludwig in die Kirche kam, führte man ihn auf das Chor, welches gar herrlich gezieret war; da stand König Karl neben seinem Sohne, die andern Herrn ein jeder nach seiner Ordnung. Haimon aber mit seinen Söhnen begab sich dahin, wo er am besten Platz fand.
So ward König Ludwig in die Kirche geführt vor St. Mariens Altar: da sang der Bischof Turpin das Amt der Messe, und der Patriarch von Jerusalem diente ihm dazu, und alles geschah mit großem Triumph und Frohlocken. Als es nun dazu kam, daß man zum Opfer gehen sollte, da opferte König Ludwig einen goldenen Byzantiner, darnach kam Reinold und opferte deren zwei. Als solches der junge König sah, meinte er, sein Opfer wäre zu ring gegen Reinolds, und opferte auch noch zwei Goldstücke.
Da nun der Reinold merkte, daß König Ludwig noch mehr geopfert habe als er, opferte er noch drei Byzantiner. Als Haimon dieses sah, sagte er: "Zu guter Zeit und glücklicher Stunde bist du geboren; ich wollte, daß ich alle meine Güter verkauft hätte um lauter Byzantiner und hätte sie hier: du solltest sie opfern."Auf dem Altar fehlten aber noch Öl und Kerzen. Darum winkte Ludwig seinem Vater, König Karl. Da bat der König Gott, den Allmächtigen , daß er seinem Sohn wollte zukommen lassen, was zu solchen Ehren gehöre. Alsbald kamen zwo Tauben und brachten Ölkerzen und Feuer. Als das da war, erzeigte man Ludwig große Ehre und opferte dies heilige Sakrament. Wie nun die Messe so weit gekommen war, daß man das Paternoster singen sollte, brachte man eine schöne königliche Krone; mit vielen köstlichen Edelsteinen geziert und sonderlich mit drei gelben Rubinen, die setzte man ihm auf sein Haupt; dann wünschten ihm alle Ritter und Edelleute, die zugegen waren, Glück, und solches zum Zeichen, daß sie ihm untertänig und gehorsam sein wollten als einem Könige von Frankreich. Auch war herrliche Musik von vielerlei Instrumenten zugerichtet, wie man vormals nie bei einer Krönung gehört hatte. Und als König Ludwig also gekrönt war, gürtete man ihm ein bloßes Schwert an seine Seite zum Zeichen, daß er die Gerechtigkeit erkennen, dieselbige verteidigen und das Königreich beschützen und beschirmen solle. Sobald dies geschehen, führte man ihn zum Palaste; der Papst ging an der rechten, der Patriarch an der linken Seite, darnach König Karl mit den zwölf Genossen von Frankreich, dann viel Bischöfe und Kardinäle; zuletzt kam Graf Haimon mit seinen vier Söhnen und den Edeln. Als sie nun zum Palaste gelangten, waren die Tafeln alle bereit, und sollte sich ein jeder nach seinem Stand und Herkommen setzen und Mahlzeit halten. Da nahm Reinold samt seinen Brüdern ihrer auferlegten Ämter wahr, Rittsart diente mit zwei Bischöfen an des Königs Karl Tafel, wo auch sein Vater Graf Haimon saß. Adelhart wartete im Saal gar höflich auf, Writsart diente zweien Fürsten und andern Grafen; Reinold tat auch, was ihm befohlen war: kurz, ein jeglicher war sorgfältig für sein Amt.
Als die Mahlzeit vollbracht und alles überflüssig satt war; da fing man an zu tanzen und zu springen mit schönen Frauen, und war große Freude daselbst mit Musik und Saitenspielen; ein jeglicher zeigte seine Kunst auf das allerzierlichste. Dann legte sich König Karl zur Ruhe, und König Ludwig ließ öffentlich mit Trompeten ausrufen, wer das Lehen von ihm empfangen wolle, der solle ihm folgen, und also ging er in einen schönen,
Baumgarten, darin ein Lusthaus aufgerichtet war, ließ daselbst alle Edle vor sich kommen, einen jeden nach seinem Stand und Herkommen, und teilte Lehen und große Geschenke aus, je nachdem ein jeglicher würdig war. Nur Haimons Kindern, denen wollte er nichts geben. Als diese innewurden, daß die Lehen alle ausgeteilt waren und ihnen nichts zuteil worden, liefen sie hin und klagten es ihrem Vater. Der eilte mit zornigem Gemüte zu König Karl mit diesen Worten: "Allergnädigster Herr König! Es hat Eurer Majestät Sohn, König Ludwig, Lehen samt allen Geschenken unter die Edelleute, die am königlichen Hofe sind, ausgeteilt, ausgenommen meine Kinder; dieselben hat er nicht begabt, obwohl sie Euch und ihm allezeit und mehr Gehorsam geleistet als alle andere, und ich wüßte nicht; daß sie sich je ungebührlich gegen Seine Majestät verhalten hätten."König Karl, als er solches von Haimon vernommen, sprach zu ihm: "Lasset Eure Kinder, meine Vettern, zu mir kommen, ich will sie durchaus nicht verworfen haben, ich will sie mit stattlichen und herrlichen Lehen belehnen wie wenige Herren an meinem Hofe!" Graf Haimon, dies hörend, lief eilends hin, rief seinen Kindern und brachte sie vor den König Karl. Als sie nun vor ihn kamen, fielen sie auf ihre Knie und grüßten ihn mit gebührender Ehrfurcht. Da hieß sie der König aufstehen, bot ihnen die Hand und sprach: "Dieweil ich vernehme, daß mein Sohn Ludwig, jetziger König von Frankreich, euch nicht begabt hat, so sollet ihr wissen , daß ich euch um eurer treuen Dienste willen, die ihr mir und meinem Sohn erwiesen, mit Ämtern belehnen will wie keinen in meinem Reich. Dich, Rittsart, setze ich zu einem Markgrafen in Spanien ein, weil du der älteste unter deinen Brüdern hifi; dies Amt sollst du mit Fleiß und Ruhe besitzen und verwalten. Dich, Adelhart mache ich zu einem Markgrafen in Polen, das Amt sollst du zu verwalten haben; und, Writsart, dir gebe ich eine Landschaft zwischen Paris und Löwen, da kannst du ehrlich hofhalten und leben. Du aber, Reinold, ich muß deiner auch eingedenk sein, ich gebe dir ganz Artois, Hennegau, Angers und Valois."
Die Brüder fielen auf ihre Knie und dankten dem Könige höchlich, ein jeder empfing seine Lehen mit Freuden; darnach gingen sie in den Baumgarten zu den andern Herren, die bei König Ludwig waren. Als dieser vernahm, daß Haimons Kinder also beehrt worden, ward er zornig und mißgönnte ihnen das. Da ging Haimon mit seinen Kindern zu König Ludwig und sprach: "Gnädiger Herr König, ich sage Eurer Majestät höchlichen Dank für die Ehre, die Ihr meinen Söhnen angetan habt; wenn
ich's heut oder morgen mit meinem geringen Dienst wiederersetzen kann, werde ich allezeit mich willig finden lassen." Darauf antwortete König Ludwig: "Ich habe wohl vernommen, daß mein Vater, König Karl, Eure Kinder stattlich begabt hat; aber ich bin damit nicht zufrieden, denn es ist wohl der halbe Teil meines Reichs; das will ich nicht lassen, sondern will es zu gelegener Zeit wieder zu mir nehmen." Damit verließ er den Grafen Haimon und sprach: "Ich muß einmal sehen, ob meine Edelleute auch stark und mächtig genug sind, die Waffen zu führen, und will's an einem Steinwürfe probieren; ich vermesse mich, daß ich der stärkste und edelste bin im ganzen Königreich."Da schwiegen alle Herren und Edelleute stille und antworteten ihm nichts. Darauf redete er die Worte noch einmal. Nun wurde Haimon zornig, konnte die Vermessenheit Ludwigs nicht länger dulden und sprach: "Herr Königl Seid Ihr so stark und hochgeboren, so danket Gott darum: das kann sich mit der Tat offenbaren, was darf Euer Majestät sich des viel rühmen? Ich weiß einen Jüngling von zwanzig Jahren, wenn der seine Stärke wollte gebrauchen, er würfe den Stein weiter als Ihr, und gebrauchtet Ihr Eure ganze Kraft dazu!" Da ward König Ludwig sehr zornig und sprach zu Haimon: "Du alter Grieshart! Gott strafe dich, ich sage dir fürwahr, wenn ich nicht die Gewalt Gottes scheute, ich wollte dich so zurichten, daß du es nicht leicht vergessen würdest! Laß deine Kinder herkommen und ihre Macht an diesem Stein versuchen!" Da tat König Ludwig seinen Mantel von sich, nahm den Stein und warf ihn dreißig Fuß Wegs weit im Angesicht vieler Edelleute; darnach warfen die Edelleute einer nach dem andern, und zwar die vornehmsten und stärksten von Frankreich; aber es war keiner so mächtig im Werfen als König Ludwig, der behielt den Preis über die andern alle. Als er nun sah, daß er vor andern Edelleuten Meister war, sprach er zu Haimon mit stolzen Worten: "Was saget Ihr nun, Alter? Wo ist Euer Sohn Reinold ? Warum kommt er nicht und wirft gegen mich und berechtigt Euch, solche Worte zu reden, wie Ihr vor dieser Zeit geredet habt: es wäre keiner so mächtig als Euer Sohn Reinold? Wo bleibt er? Eure eignen Worte sollen Euch jetzt schamrot machen." Als Haimon diese schimpfliche Rede hörte, sprach er: "König Ludwig! Für so stolz halte ich Eure Majestät nicht, daß sie eine Hand an mich legen dürfte; und ob solches geschehe, wurde es Euch nicht wohl bekommen!" Da anwortete ihm König Ludwig und sprach: "O Alter! Laufe nun hin und rufe deinen Sohn Reinold, daß er gegen mich werfe!"
Solche Rede verdroß den Haimon so sehr, daß ihm die Augen über liefen; gleichwohl ging er hin und rief seinem Sohn, der im Garten war samt seinen Brüdern, wo sie sich lustig machten mit Springen und anderer Kurzweil mehr mit schönen Frauen und Jungfrauen. Als nun Reinold seinen Vater also zornig sah und ihm die Tränen über die Wangen liefen, verließ er seine Gesellschaft, wiewohl ungern, kam seinem Vater und sprach: "Allerliebster Vater! Was ist Euch widerfahren, daß Ihr so bitterlich weinet und so traurig seid ? Ich will's rächen, und sollt ' es mich mein Leben kosten!" Graf Haimon mit zornigem Gemüt antwortete seinem Sohn, was König Ludwig zu ihm gesprochen, und daß er ihn einen alten Grieshart gescholten. "Nun aber, mein Sohn, wirst du des Königs Übermut nicht rächen, so muß ich sterben; ich bitte dich, nimm den Stein und wirf mit ihm in die Wette, damit er sieht, daß andere auch etwas gelernt haben und als Männer bestehen können, damit ich nicht als Lügner erscheine!" Reinold sprach: "Vater, es geziemt sich nicht, daß ich solches tue; denn Ludwig ist nun einmal unser König; seine Reden entspringen nur aus seiner Jugend, darum seid zufrieden, ich will gar keine Gemeinschaft mit ihm halten." Als Haimon diese Worte von Reinold hörte, ward er zornig und sprach: "Mein Sohn, wenn du mich in dieser Schande stecken lässest und wirs nicht gegen König Ludwig, so muß ich sterben." Da sprach Reinold: "Ja, Vater, ich will ihn überwinden mit Werfen, wenn er gleich der Teufel wäre!" Stand alsobald auf und ging mit seinem Vater in den Garten, wo König Ludwig mit seiner Gesellschaft war; seine Brüder samt andern Edelleuten folgten ihm nach, dazu viel schöne Frauen, die wollten das Werfen mit dem Stein auch sehen. Als sie nun an den Ort kamen, wo König Ludwig den Stein geworfen , nahm Reinold denselben auf und warf ihn um einen Fuß Wegs weiter als König Ludwig. Darüber erzürnte der König heftig, weil ihn vorhin keiner hatte überwinden können. Er hieß sich den Stein bringen, warf seinen Mantel von sich, setzte die Krone vom Haupt, nahm den Stein und warf ihn noch weiter, als Reinold getan hatte. Wie Reinold sah, daß der König ihn überwunden, nahm auch er den Stein wieder und warf denselben noch viel weiter als König Ludwig, also daß er vermeinte, der König sollte ihn nicht weiter werfen können; wie auch geschah. Da nahm der König den Stein und warf ihn noch einmal mit solcher Kraft, daß ihm das Blut zu Mund und Nase auslief; aber Reinold blieb Überwinder im Werfen, und jedermann gab ihm das Lob und mußte erkennen, daß er gewonnen hatte.
Als Haimon dieses sah, daß sein Sohn den Preis erhalten, sprang er vor Freuden auf und dankte Gott für solche Wohltat.
König Ludwig mußte nun hören, daß Reinold von allen Edlen und Frauen also gepriesen wurde; da ward er sehr zornig und sprach zum Volk: "Es ist doch ein Wunderding, daß Ihr diesen so lobet um seines Werfens halber; wer weiß, ob es Haimons Sohn ist; vielleicht ist er dazu erkauft und ist etwa ein Bauernknecht; deren findet man noch mehr, die so stark sind wie der Beste von Adel; darum ist er desto weniger lobenswürdig."
Da sprach Haimon zu Reinold: "Nun wohlan, mein Sohn! Weil du dich so ritterlich gegen König Ludwig gehalten, darum ist dir jetzt mein Roß Beyart zum Eigentum geschenket: mich nimmt groß wunder daß du deine Macht bis hierher hast können verhalten; hättest du gewollt, du hättest den Stein noch weiter geworfen!" Reinold fing an zu lachen, dankte seinem Vater für das Geschenk und war wohl zufrieden. Als nun König Ludwig diese Worte hörte, ging er von dannen und schämte sich. Da begegneten ihm Guillon, Herr von Rades, und Makarius, Foukon; diese waren alle drei Verräter und König Ludwigs nächste Räte. Sie grüßten den König und fragten ihn, wer das Spiel gewonnen hätte mit dem Steinwerfen. Aber der König schwieg still und gab ihnen keine Antwort; da sprach Makarius: "Ich sehe wohl, gnädiger Herr König, daß Reinold Euch überwunden; aber ich weiß Rat damit Euer Majestät bei Ehren bleibe und ein jeglicher Euch lobe. Ihr sollt wieder in den Garten gehen und Haimon in die Arme nehmen, daß es jedermann sieht, und sprechen (jedoch aus einem falschen Herzen): ,Haimon! Ihr möget Gott im hohen Himmel danken, daß er Euch solchen schönen und starken Sohn gegeben hat; der aller Edelleute Meister sowohl in der Schönheit als in der Stärke und Geschwindigkeit ist, wie der, welcher öffentlich über mich gesiegt hat.' Darnach sollet Ihr zu Adelhart seinem andern Sohne, sagen, daß er mit Euch in die Kammer gehe und spiele das Schachspiel; und so er sich des weigert, so saget zu ihm, er habe sich vermessen, er könne das Spiel besser als Ihr. Wenn er das nicht gestehen will, so saget zu ihm, daß wir drei es gehört haben; dann wollen wir ihn überweisen, und wenn es nötig sein wird, ihrer noch mehr zu uns nehmen, die solches auch sagen sollen. Wenn er alsdann mit Euch zu spielen einwilligt, so sagt zu ihm und bekräftigt das mit einem Eide, wer fünf Spiele nacheinander gewinne , der soll des andern Haupt gewinnen und solches mit keinem Geld oder Gut bezahlen. Sobald Ihr nun die Spiele alle gewonnen habt sollt ,
Ihr dem Adelhart den Kopf herunterschlagen; solchergestalt kann Eure Majestät des Reinold Übermut an seinem Bruder Adelhart rächen."Als König Ludwig diesen Rat von Makarius angehört, gefiel er ihm auch wohl; denn er ließ sich dünken, es sei keiner im ganzen Königreiche, der über ihn wäre im Schachspiel; deshalb ließ er den Adelhart zu sich kommen; Adelhart aber, als Schenk, vermeinte, der König wollte trinken, lief hin zum Keller, holte ein goldenes Trinkgeschirr voll Weins und brachte es dem König Ludwig. Aber dieser schüttelte den Kopf und sprach mit zornigem Gemüt: "Ich begehre nicht zu trinken." Da fragte Adelhart den König, was ihm wäre, ob ihm irgend jemand Leids getan hätte; das wollte er an demselbigen rächen. Da schlug der König alsbald nach dem Adelhart, daß ihm das Geschirr mit dem Wein aus der Hand fiel, und sprach: "Ich habe vermeint, ich hätte Blutsverwandte zu Freunden an meinem Hof, die mich verteidigen sollten; so hab ' ich meine größten Feinde bei mir! Es war nicht genug, daß mich Reinold mit dem Steinwurf überwunden hat, sondern du, Adelhart, hast dich vermessen, du wollest mein Meister sein im Schachspiel. Solches stehet mir nicht an zu leiden; denn ihr suchet mich zu erniedrigen!"
Als der König ausgeredet hatte, antwortete ihm Adelhart und sprach: "Herr König, das wird sich nicht so befinden: von solcher Vermessenheit weiß ich nichts; dieser Worte hab ' ich keines gesprochen; so jemand mir solches nachredet, der tut mir unrecht, und ich will mich, das Schwert in der Hand, verteidigen!" Da sprach der König wiederum: "Das hilft dir nicht, du mußt mit mir spielen, ich will es nicht also beruhen lassen!" Da nahm Makarius den Adelbert bei der Hand, und sie gingen mit dem König in ein Zimmer, darin war Guillon, der Herr von Rodes, mit sechs oder sieben Herren, die sprachen alle, daß sich der Adelhart vermessen hätte, er könnte besser Schachbrett spielen als der König. Als Adelhart dieses angehöret; sprach er ganz sanftmütig: "Wenn es denn nicht anders sein kann, so muß ich es geschehen lassen."
Da brachte man zur Stund ein schönes Spielbrett, und König Ludwig sprach zu Adelhart: "Ich will mit dir spielen, und wer fünf Spiele hintereinander gewinnt, der soll dem andern das Haupt abschlagen." Darauf sprach Adelhart: "Gnädigster Herr König, ich spiele nicht um ein so großes Kleinod; auch wäre es eine Schande, daß Eure Majestät ihr Haupt gegen das meine setzen sollte: aber um Städte und Schlösser will ich mit Euch spielen." Da schwur der König einen Eid bei seiner Krone, er wolle um nichts anders spielen als um ihre beiden Häupter. Darauf sprach
Adelhart: "Wohl, in Gottes Namen, wenn es nicht anders sein kann, so muß ich zufrieden sein." Da gedachte Guillon bei sich selbst: "Dies wird gut werden: der Spaß wird angenehm; wäre der König tot, so wollt ' ich noch die Krone in Paris tragen."Als sie nun zusammen spielten, ließ Adelhart dem König Ludwig den Vorzug: da gewann dieser drei Spiele nacheinander, worüber er gar vermessen ward und sagte zu dem Adelhart: "Wenn ich gleich gegen deinen Bruder im Steinwerfen verloren habe, so will ich doch dir den Kopf abschlagen !" Als Adelhart diese vermessenen Worte angehört, sprach er zu dem König: "Gnädigster Herr König, ob es Sache wäre, daß ich das Spiel gegen Eure Majestät verlöre: wollt Ihr mir nicht dasselbige mit Geld oder Gut lassen bezahlen?" Da sprach der König: "Nein, Adelhart! Ich nehme nicht all dein Geld und Gut für deinen Kopf." Da gedachte dieser in seinem Herzen, seufzete zu Gott und sprach: "Oh, du mein Gott und Herr! Ich bitte dich bei dem bittern Leiden und Sterben deines lieben Sohnes Jesu Christi, du wollest mir die Gnade geben, daß ich mit Ehren komme aus diesem Spiel." Unterdessen spielten sie immerfort: ein jeder tat sein Bestes, um zu gewinnen. Als sie nun lange gespielt hatten, da erhörete Gott, der den Gerechten niemals verlassen hat, des Adelharts Gebet und ließ zu, daß er im Spiele gewann; darüber erzürnte der König gar heftig; bald darnach gewann Adelhart das andere, das dritte, das vierte und das fünfte. Als er nun alle fünf Spiele gewonnen hatte, war er gar fröhlich, dankte Gott und sprach zum König: "Mein lieber Vetter und gnädigster Herr König! Nun ist Eurer Majestät bewußt, daß ich Euer Haupt gewonnen habe, Eurem Begehren nach; aber ich will solches nicht: jedoch bitte ich, Ihr wollet ein andermal um solch köstlich Pfand nicht mehr spielen; der Euch den Rat gegeben, den hat Euer Leben gedauert!"
Über solche Worte ergrimmete der König sehr, ergriff das Spielbrett und schlug damit den Adelhart ins Angesicht, daß das Blut lief; Adelhart war traurig, durfte sich nicht wehren und lief nach dem Stall, da das Roß Beyart stand. Da kam sein Bruder Reinold und sah, daß er blutete; fragte, wer ihn geschlagen hätte. Adelhart durfte nicht sagen, daß es der König Ludwig getan, sondern antwortete: "Niemand." Da sprach Reinold: "Mich dünkt, du lügest; du sollst mir sagen, wer es getan hat, so lieb ich dir bin." Da sprach Adelhart: "Ich habe mich gestoßen." Reinold glaubte es nicht, zog seine Wehr und bedrohte den Adelhart , daß er's ihm sagen mußte. Da begehrte er seines Leibes Gnade und
sprach: "Bruder, sei ruhig, ich will dir alles sagen!" und nun erzählte er ihm den ganzen Verlauf der Sache. Da sprach Reinold zu dem Adelhart: "Ein solch gewonnenes teures Pfand will ich nicht dahintenlassen, insonderheit eines Königs Haupt!"Als sie dort ankamen, stand König Ludwig da und teilte Lehen aus, und sein Vater, König Karl, war bei ihm; Reinold und Adelhart grüßten König Karl, den Ludwig aber nicht. Und jetzt ergriff Reinold den jungen König bei dem Haar, schlug ihm das Haupt ab und nahm den Kopf und warf ihn gegen die Mauer, daß das Blut dem König Karl ins Angesicht spritzte; darnach nahm er den Kopf wieder, gab ihn Adelhart und sprach: "Siehe, da hast du, was du im Schachspiel gewonnen bast!"
Da König Karl den Leichnam seines Sohnes vor seinen Augen sah, ward er ergrimmt und sprach zu seinen Räten: "Oh, ihr edlen Herren und Grafen, die ihr mich liebhabt, helfet mir den Tod meines Sohnes rächen, der so jämmerlich durch Reinold umgekommen ist!" Von Stund an bewehrten sich bei zweihundert Ritter, so gut sie konnten, und verfolgten Reinold, der sogleich mit seinem Bruder die Flucht ergriff und zu ihrem Vater eilte, welcher draußen auf dem Feld mit dreihundert Mann wohlgerüstet lag. Als Reinold bei seinem Vater ankam, rief er: "Vater, lasset uns fliehen und gebt mir Beyart; denn ich habe dem König Ludwig sein Haupt abgeschlagen und es meinem Bruder Adelhart gegeben. König Karl ist jetzt unser Feind." Da sprach Haimon: "Das will ich durchaus nicht tun; die von Bourbon haben es niemals getan, sondern allezeit ihren Feind erwartet: also will ich auch tun und den König Karl erwarten, und wenn jemand von den Meinigen flieht, den will ich zur Stunde aufhenken lassen." Da Reinold das von seinem Vater hörte, ward er gar fröhlich und wohlgemut und sprang auf sein Roß Beyart; auf welches er sich verlassen konnte; die andern Brüder saßen auf ihren Pferden ganz wohl bewaffnet:
so zogen sie mit Freuden dem König unter die Augen. Als Reinold nun den König in eigener Person ins Gesicht bekam, ritt er stracks auf ihn zu, gab seinem Pferde Beyart die Sporen und stieß ihn mit Gewalt durch Schild und Halsband, so daß er von seinem Pferde fiel. Reinolds Brüder aber ritten unter den größten Haufen und taten großenHaimons Volk wehrte sich darauf so lange, bis sie fast alle erschlagen
und ihre Pferde unter ihnen erstochen waren; aber Reinold und seine Brüder taten ihr Bestes, und zuletzt blieben der Brüder Pferde auch tot. Doch Reinold tat mit seinem Roß gar großen Schaden. Als er sah, daß seine Brüder ihrer Pferde ledig waren, hieß er sie hinter ihn auf den Beyart springen, und also rannten sie davon. Als König Karl sah, daß Reinold und seine Brüder also mit dem Roß Beyart davonkamen und ihr Vater Haimon sich noch tapfer zu Fuß wehrte, ward er traurig, fürchtete sich vor dem Reinold, er möchte sich einen Anhang machen und ihn noch mehr überfallen. Als nun der Bischof Turpin merkte, daß Haimon dastand, sich so tapfer zu Fuß wehrte und sich nicht gefangengeben wollte, rief er ihm zu und sprach: "Haimon, gib dich gefangen!" Da antwortete ihm Haimon und sprach: "Ja, Herr Bischof, in Euer Geleit und in Eure Hand will ich mich gefangengeben!"Der Bischof ritt sogleich zum König und fragte ihn, ob er den Haimon gefangennehmen sollte. Da sprach der König: "Hätte ich ihn gefangen, ich ließ ' ihn zur Stunde aufhenken." Da nahm der Bischof den Haimon zum Gefangenen an; der König aber verbannte seine vier Söhne aus dem Land und schwur bei seiner Krone, er wollte Haimon henken und seine Schwester, Frau Aja, des Haimons Hausfrau, verbrennen lassen, weil sie solche Kinder geboren, die seinen Sohn Ludwig ums Leben gebracht hätten.
Darum befahl der König dem Erzbischof Turpin, er solle den Haimon hinrichten lassen; dieser aber sprach: "Gnädigster Herr König, das wäre eine große Schande; da ich ihn gefangennahm, hab ' ich ihm verheißen; ihn unter meinen Schutz zu nehmen; und ehe ich solches zuließe, will ich ihm lieber beifallen und ihm helfen mit meiner Macht!" Ebenso sprach der stolze Roland und andere mehr: "Herr König, es wäre nicht recht, daß man ihn hinrichten ließe, dieweil man ihm sicher Geleit zugesagt hat; zudem hat er sich auch ritterlich gewehrt, daß Wunder davon zu sagen wären." Karl aber sagte zu ihnen allen: "Ich will gleichwohl, daß er sterben soll, und Frau Aja, seine Hausfrau, will ich verbrennen lassen, es koste, was es wolle!"
Hierauf antwortete ihm Graf Roland und sprach: "Allergnädigster Herr König, das wäre die größte Schande, und ich weiß, es wird niemand von Euren Genossen und Herren solches zugeben." Der König aber fragte Roland: "Stellest du dich gegen mich, Roland?" — "Nein", sprach Roland, "aber ich sage, es wird von Euren Edelleuten nicht zugelassen werden, daß man den Haimon umbringe und Eure Schwester, Frau Aja, verbrenne;
sie würden viel lieber alle darum sterben oder gegen Eure Majestät streiten und sich auflehnen." Als der Ritter Foukon dieses hörte, sprach er zum König: "Gnädiger Herr, allhie ist Bertram, mein Sohn, denselben hab ' ich auch sehr lieb, und ob er etwas wels täte gegen Eure Majestät, so soll ich das entgelten müssen! Darum, ob Reinold mit seinen Brüdern etwas gegen Euch gehandelt habe, was können die Eltern dafür?" Da sprach der König zu Foukon: "Sofern mir Haimon angeloben will, daß er mir seine Kinder in meine Hand liefere, will ich ihn und seine Hausfrau ledig lassen." Dieses hörte Bischof Turpig und gab Haimon den Rat, er sollte solches dem König verheißen. Da schwur Haimon und Frau Aja einen Eid bei St. Dionysii Haupt im Beisein vieler Herren von Adel, daß sie, sofern es ihnen möglich wäre, dem König ihre Kinder liefern wollten, nach seinem Gefallen mit ihnen zu handeln.Sobald nun alles fertig war, ratschlagten sie, wo sie ihren Weg hinausnehmen wollten; endlich wurden sie des Mats, daß sie nach Spanien reisen wollten und den König Saforet besuchen; denn sie wußten wohl, daß sie bei ihm angenehm sein würden, weil ihr Vater vorzeiten bei jenem König sieben Jahre gewesen. Als dieser nun die vier Brüder von weitem kommen sah, kannte er sie an ihren Waffen und sprach zu den Seinigen: "Die da kommen, das sind des Haimons von Dordone Kinder, das sehe ich wohl, und so die bei mir bleiben wollten, will ich sie bei mir behalten; denn sie scheinen tapfer und männlich zu sein, und wenn sie die Art von .
ihrem Vater haben, so dürfen sie ihrem Feind unter die Augen ziehen!" Indes ließ der König die Brücken nieder, um die Herren willkommen zu heißen, die ihm mit großer Ehrerbietung entgegengingen und ihn Grin . Und er grüsste sie wiederum und fragte, wo sie hinwollten und was sie begehrten. Da sprach Reinold: "Gnädigster König, ich und meineHierauf sprach der König Saforet: "Ich schwöre bei meinem Gott Mahomet,
ich will euch Unterhalt geben, und ihr sollt keinen Mangel haben, wenn ihr mir treulich dienen wollt! Gehet hin in das Kastell und behaltet das zu eurer Wohnung und gebet mir euren Schatz aufzubewahren! Wann es euch gefällt und ihr euch weiterbegeben wollet, so will ich ihn euch wiedergeben; wollet ihr aber euer Leben lang bei mir bleiben, so sollet Ihr alles genug haben, und ich will euch reichlich besolden!" Als Reinold dies hörte, ward er froh, gab dem König seinen Schatz zu bewahren und ritt mit seinen Brüdern auf das Kastell, auf welchem sie alle Notdurft fanden. Dasselbige war stark und schön, und sie blieben bei dem König Saforet mehrere Jahre in Hispanien und dienten ihm getreulich in drei Kriegen, die er führte. Als sie nun viel ritterliche Taten vor dem Könige getan hatten, fing der Mangel bei ihnen an, und sie wurden von dem ganzen Volk wenig geachtet. Da begehrte Reinold vom König, er sollte ihm sein Gut wiedergeben, er müßte sich rüsten mit seinen Brüdern . Darauf sagte Saforet, ja, er wollte es tun; aber es folgte nichts darauf. Als Reinold sah, daß nichts erfolgte, ward er sehr zornig und sprach zu seinen Brüdern: "Ich gelobe Gott, so uns der König unser Gut nicht wiedergibt, so will ich ihm tun, wie ich König Ludwig getan habe." Darauf sagte Adelhart: "Brüder, wenn ihr diesen König schlaget, so wüßten wir nicht; wo wir bleiben sollten." Da sprach Reinold wieder: "Was ist's, daß wir länger bleiben! Hätten wir viel Goldes, es würde hie zu Kupfer werden; man gibt uns ja nichts zum Lohne!" und rief einen Diener, genannt Wendel, und befahl ihm, er sollte zum König gehen und ihn fragen, ob er ihnen Unterhalt und Kleider geben wollte oder den Schatz, den sie ihm aufzuheben gegeben hätten: "Und Ihr sollt", sprach er; "fleißig achtgeben auf die Worte, die er antworten wird; und so er sich weigert, so sollt Ihr sagen, es würde ihn über kurz oder lang gereuen!"Als der Diener zum Könige kam. begrüßte er denselben nach alter Gewohnheit und sprach: "Gnädigster König, meine Herren lassen Euch bitten , es wollen Eure Majestät sie mit Kleidern und anderm Unterhalt versehen oder ihnen ihren eigenen Schatz wiedergeben, den sie Euch anvertraut haben; denn sie sind dessen benötigt." Der König gab ihm harte Antwort und sprach: "Gehe aus meinen Augen und sage deinen Herren: wo sie mir viel Wesens machen, so will ich sie henken lassen!" Da sprach der Diener: "Gnädigster Herr t Das wäre nicht recht, daß Ihr sie solltet henken für die treuen Dienste, die sie Euch geleistet haben."Alsbald befahl der König, den Jüngling zu fassen und zu strafen um der Worte willen, die er geredet hatte. Da schlug man ihn tapfer, und er wurde zum Palast
hinausgestoßen und entrann. Als er nun so übel zugerichtet zu Reinold kam, 'fragte dieser den Knaben, wer ihm wels getan hätte. Da sprach dieser: "Das hat mir des Königs Marschall auf Befehl seines Herrn getan." Reinold fragte: "Warum hat er dich geschlagene" Da antwortete der Knabe: "Weil ich dem König sagte, was Ihr mir befohlen habt! Der König sprach, ihr wäret Fremdlinge und hättet euren Vater ermordet, er gedenke euch nicht eines Hellers Wert wiederzugeben!" Als Reinold dies hörte, ward er zornig, rief seinen Brüdern Rittsart und Writsart und sprach: "Ich befehle euch, daß ihr nun das Toß Beyart aus der Stadt führet und euch heimlich waffnet, und du, Adelhart, sollst mit mir gehen; wir wollen uns auch waffnen und unser Gewehr mit uns nehmen und unsern Harnisch unter dem Mantel anlegen, dann zum König gehen und ihn selbst fragen, ob er uns das wiedergeben will, was wir ihm aufzuheben gegeben haben. So er das verweigert; so verspreche ich dir, daß ich sein Haupt nehme für unsern Schatz und das mit über Land führe!"Adelhart sprach: "Das ist ein bös Pfand, ich nähme wohl etwas Besseres!" Da entgegnete Reinold: "ES ist nicht viel wert; aber ich kühle doch meinen Mut damit!"Darnach gingen Reinold und Adelhart miteinander nach Hof, mittlerweile Rittsart und Writsart das Roß Beyart und sich selbst auch rüsteten. Als jene zu Hofe kamen, saß der König mit allen seinen Edeln über der Tafel. Vor den Herren angekommen, fielen beide auf ihre Knie und segneten ihnen die Mahlzeit mit einem freundlichen Gruß. Der König sah sie an, aber er redete nicht mit ihnen. Wie Reinold das merkte, sprach er mit trotzigem Gemüte: "Gnädigster König, es ist ungefähr drei Jahr, daß ich und meine Brüder Eurer Majestät getreulich gedienet haben und unsern Leib und Leben für Euch dargestreckt; für welches alles wir von Eurer Majestät nicht einen einzigen Sporn an unsere Füße bekommen haben, geschweige unsere Belohnung; bitte derohalben, Ihr wollet Mitleiden mit uns haben und helfen, daß wir Unterhalt bekommen; es ist uns nicht möglich, länger so zu leben!" Aber der König schlug sein Angesicht nieder und wollte sie nicht ansehen. Als nun Reinold merkte, daß der König sich an nichts kehren wollte, liefen ihm die Augen über; er seufzete heftig und sprach abermal: "Herr König, so Ihr uns keinen Unterhalt reichen wollet, so gebet uns zum wenigsten unsern Schatz wieder, den wir Euch aufzubewahren gegeben haben, und lasset uns unsern Weg hinziehen! Zudem sollt Ihr wissen, Herr, daß ich noch nicht zufrieden bin, daß man mir meinen Knecht also jämmerlich geschlagen; und der das getan hat, denselben
wird es noch gereuen!" Jetzt rief der König mit zornigem Mut und schwur bei Mahomet: "Es ist genug, und stündet ihr mit diesen Worten allhier bis in alle Ewigkeit: ich gebe euch nicht eines Pfennigs Wert; denn ihr seid Fremdlinge allhie!" Da fiel ein Markgraf dem König in die Rede und sprach: "Warum soll man euch etwas geben? Es ist noch nicht lang, daß du deines Vetters Sohn, welcher euer Herr und König war, totgeschlagen; darum, so gehet hin: ich gebe euch nichts!" Reinold aber ward zornig und sagte: "Ich will es gleichwohl wiederhaben, es koste, was es wolle!" zog seine Wehr und sprach: "Nun sollet Ihr mit dem Leibe zahlen!"Da bat der König um Gnade und rief: "Ich will euch Unterhalt samt eurem Schatz, den ihr geliefert, wiedergeben; verschont nur meiner." Aber Reinold sprach: "Nein, Ihr habt mir es schon verweigert , als ich Euch darum gebeten habe: es hilft nichts; dazu heißet Ihr mich und meine Brüder Fremdlinge; ich will dasselbe nun rächen, oder es muß mir an meiner Macht und Wehr mangeln!" Dann holte er aus und hieb dem König den Kopf ab, gab den seinem Bruder Adelhart und sprach: "Binde denselben an unser Pferd, denn wir müssen leider ihn für unsern Schatz annehmen!"Alsbald ward großer Aufruhr in der Stadt Aquitania: ein jeder waffnete sich, um den Tod des Königs zu rächen. Unterdessen floh Reinold mit seinem Bruder Adelhart nach dem Rosse Beyart, und alle v er sprangen darauf. Da kam des Königs Bruder Aunt mit einem Haufen Volks und wollte den Reinold samt seinen Brüdern bestreiten; er stieß mit Gewalt auf Reinold, und dieser wieder auf ihn dergestalt, daß Riant getroffen ward, vom Pferde fiel und starb. Alsbald gab jener dem Roß Beyart die Sporen und sagte zu dem Tier: Du mußt uns heute aus der Not helfen!" Die Worte verstund Beyart, tat nicht anders, als ob es unsinnig wäre, schlug und zerriß alles, was es erreichen konnte, und brachte viel Volk um. Darnach kam noch ein heidnischer Ritter mit vielem Volk und hoffte, Reinold zu erschlagen. Der ward aber auf seinen Schild getroffen, daß ein Stück davonsprang. Unterdessen kam der Ritter neben den Adelhart hergeritten, doch dieser schlug ihm den Kopf in zwei Stücke, daß er tot von seinem Pferd fiel. Und nun begaben sich die Brüder mit ihrem Roß Beyart unter das Volk, zerschlugen alles, was da war, und kamen also durch des Feindes Heer. Als sie zuletzt an einen Ort gelangten, wo sie vor ihrem Feinde sicher waren, verband einer dem andern seine Wunden.
Indem versammelte sich das Heer wiederum und folgte dem Reinold .
nach. Adelhart sprach: "Ich weiß nicht, Bruder, wo wir hinaus sollen, daß wir unsers Lebens gesichert sind." Desgleichen sagte Reinold auch. Da ließ sich Writsart vernehmen: "Es müßte ein wunderliches Ding sein; soll uns denn die ganze Welt zu klein sein, daß wir nirgends bleiben können?"Rittsart verwunderte sich über diese Reden und sprach: "Wenn ihr denn nicht wisset; wo wir bleiben können, so weiß ich uns einen Aufenthalt " — "Was ist das, Bruder?"fragte Reinold. Rittsart sprach: "Lasset uns ziehen nach Tarragona zu dem König Yvo; der ist dem KönigeAls die vier Ritter nun ausgeschlafen hatten, saßen sie wieder auf ihr Roß Beyart und eilten auf das Kastell zu, wo der König hofhielt, nahmen Saforets Haupt mitsamt der Krone, steckten es auf Reinolds Speer und ritten also nach dem königlichen Hof. Der König stand in eigener Person auf der Zinne und sah sie hereinkommen; er sagte zu denen, die bei ihm waren: "Stehet auf, meine Freunde, da kommen vier vornehme Leute auf einem Roß; was mögen die uns Gutes bringen wollen? Es ist das größte Roß, das ich in meinem ganzen Leben gesehen habe!" Alsbald eilte er mit seinem ganzen Adel hinunter, um zu vernehmen, wo sie herkamen, und was ihr Anliegen oder Vorhaben wäre. Als Reinold samt seinen Brüdern den König sahen, stiegen sie von ihrem Roß Beyart, fielen ihm zu Fuß und bewiesen ihm große Ehrfurcht; sie reichten ihm das Haupt Saforets dar und sprachen zu ihm: "Gnädigster Herr und König, dies ist das Haupt Eures abgesagten, größten Feindes Saforet, das wollen wir Eurer Majestät als ein geringes Geschenk verehrt haben; wo wir Euch in irgend etwas dienen können, wollen wir jederzeit dazu bereit und willig sein!"
Der König Yvo nahm das Haupt mit höchstem Dank an, hieß sie willkommen und versprach ihnen guten Unterhalt; er befahl, in aller Eile ein köstliches Mahl zuzurichten, das Reinold und seine Brüder mit ihm verzehren sollten. Als sie nun zur Tafel saßen, fragte der König, wer sie wären, und wo sie den König Saforet erschlagen hätten. Da antwortete Reinold und sprach: "Gnädiger Herr, unser Vater heißt Graf Haimon von Dordone, von dem Geschlecht Bourbon; mein ältester Bruder ist Rittsart genannt, der andere Adelhart, der dritte Writsart; ich bin der jüngste und heiße Reinold." Als der König dieses hörte, empfing er sie, als wenn sic seine Kinder gewesen, und ließ sie herrlich kleiden und wehrhaft machen. Bald darnach rüstete er sich zum Krieg. Er wollte sich nämlich an Saforets Landschaft rächen und versammelte ein groß Volk. Reinold befahl, das Roß Bei) art zu satteln, und so setzten sie sich wieder alle vier darauf und fielen mit aller Gewalt in Saforets Land ein und erschlugen jegliches, das ihnen vorkam, was männlich war. Dieser Krieg dauerte fast drei Jahre. Unterdessen ließ der König Yvo starke Festen und Kastelle bauen, das Land damit im Zwang zu halten. Alles, was sie anfingen,
das schlug zum Glück aus, und die vier Gebrüder taten ihr möglichstes. Also dienten sie dem König Yvo vier ganzer Jahre und erhielten große Ehren, Geschenke und Kleinodien.Wie nun der König von Frankreich vernommen, daß Reinold mit seinen Brüdern in Tarragona bei dem Könige war, so schickte er einen Gesandten zu ihm mit freundlichen Worten und dem Begehren, er möchte ihm die vier Brüder gefänglich abliefern; denn sie hätten ihm seinen Sohn Ludwig erschlagen. Sobald dieses der König vernommen, versammelte er heimlich seinen Rat und legte ihnen des Gesandten Auftrag vor: wie daß König Karl von Frankreich begehre, er solle ihm die vier Brüder gefänglich zuschicken, wenn er sein Freund bleiben wolle. "Was dünket euch aber, ihr Herrn? Scheint euch solches ratsam zu sein? Ratet mir hierin das Beste, damit ich in meiner Ehre bleibe; denn durch die vier Brüder habe ich meine Feinde überwunden!" Da sprach der Herzog von Ripemont zu dem Könige: "Gnädigster Herr König, ich habe vor dieser Zeit wohl vernommen, daß jene dem Könige von Frankreich großen Trutz und Übermut getan haben und ihm seinen Sohn Ludwig erschlagen. Damit nun Eure Majestät nicht in des Königs von Frankreich Ungnade komme, so rate ich, daß man sie ihm gefänglich zuschicke." Eben so sprach auch Herr Andell. Als ein anderer Edler; Herr Hugo von Averna, diesen Vorschlag hörte, ward er zornig und sprach: "Vermaledeit sei dieser Rat: so Euer Majestät das tut und überliefert sie dem König von Frankreich, so wird man Euch über tausend Jahr einen Verräter schelten. Es wäre nicht weislich gehandelt ; denn sie haben manchen Heiden erlegt und Euch in dem ganzen Heidenlande berühmt gemacht." Darauf sprach der König zu einem Edelmann , genannt Israel, und fragte ihn, was er dazu sage: "Gnädiger Herr und König", antwortete dieser, "es wäre Eurer Ehre zuwider, daß Ihr die vier Ritter solltet nach Frankreich schicken, daß sie ums Leben kämen. Wenn Ihr des Königs Ungnade fürchtet, lasset sie in ein ander Land ziehen, wo sie sich vor ihm nicht fürchten."
Dem Könige gefiel dieser Gedanke am besten; er hatte ein groß Mitleid mit Reinold und seinen Brüdern, daß er sie verlassen müsse, wegen der treuen Dienste, die sie ihm geleistet hatten, aber auf Begehren wollte er diesem Rat nachkommen. Darauf sprach Herr Hugo zum König: "Es ist nicht ratsam, daß man Andells und des Herzogs von Ripemont Vorschlag befolge; denn sie sind beide von einem Geschlechte, das keinem wohl rät. Dieweil nun Eure Majestät den Reinold samt seinen Brüdern so ungern verliert, und sie Euch allezeit gar getreu und hold gewesen sind, so tatet
Ihr uns auch einen großen Gefallen, und es wäre dem Lande nützlich, wenn Ihr dem Reinold Eure Tochter Klarissa zur Gemahlin gäbet, hernach die Steinklippen in den Grund risset und ließet ihm darauf ein ansehnliches und festes Schloß aufbauen; und wenn es Gott gefiele, daß er junge Erben mit ihr bekäme, so würde er seine Sache gegen König Karl wohl selbst verantworten; denn er ist von einem so gewaltigen Herkommen , daß er dessen Gewalt nicht fürchten darf; darum mag Eure Majestät in guter Ruhe leben." Sobald König Yvo diesen Rat angehört, war er wohl zufrieden und gedachte: "Möchte es nur so weit geraten, daß Reinold und seine Brüder bei mir blieben, so wollte ich keinen König noch Fürsten fürchten." Darauf ließ er alle vier zu sich fordern.Als sie nun vor ihn kamen, fielen sie auf die Knie nieder und erzeigten dem König alle gebührende Ehre. Reinold fragte Yvo, was sein Begehren wäre. Darauf antwortete ihm dieser: "Allhier habe ich ein Schreiben vom König Karl aus Frankreich, dessen Inhalt ist, daß ich Euch und Eure Brüder ihm ausliefern solle, damit er nach Gefallen über euch verfügen könne; aber das will ich durchaus nicht tun, ich will kein Verräter sein. So ihr wollt nach Polen oder nach Kalabrien oder anderswohin in der Welt ziehen, so will ich euch mit einem schönen Geschenke begaben und verspreche auch, euch nimmer in der Not zu lassen." Da antwortete ihm Reinold und sprach: "Allergnädigster Herr und König, gegen die Gewalt König Karls können wir allein nicht bestehen; aber Eure Majestät hat dort noch eine starke und hohe Steinklippe, die wollet mir schenken: so will ich darauf eine große Festung bauen, daß ich des Königs Karl Gewalt nicht fürchten darf." König Yvo antwortete: "Reinold, wenn ich dir die Steinklippe gebe, und du bauest eine Festung darauf: du zwingst mein ganzes Königreich, zudem auch die Landschaft Gaskognel" Da sagte Reinold: "Ach nein, gnädiger Herr und König, das begehre ich nicht zu tun; vielmehr will ich angeloben, wenn jemand Euch würde mit Krieg angreifen , so will ich Euch verteidigen, als wenn Ihr unser Vater wäret." Darauf sagte der König: "Ich will mich bedenken und beraten und dir eine gute Antwort geben."
Sogleich ließ Yvo seinen Rat zusammenfordern und trug ihnen Reinolds Begehren vor; darauf sollten sie sich entschließen und Antwort geben. Da sagte Herr Israel zuerst seine Meinung und sprach: "Ich rate; Herr König, daß Ihr ihm die Tochter samt der Steinklippe gebet unb lasset ihn darauf bauen, was er begehret, das wird Euer Majestät große Ehre bringen, und man wird Euch allenthalben desto mehr fürchten."
Andell aber sagte: "Was ist das? Wollt Ihr denn König Karl beleidigend Wenn er solches vernähme, so fiele er mit Gewalt ins Land und nähme unsern König, Reinold und seine Brüder gefangen und ließe sie alle henken und verheerte das ganze Land; das wäre für immer eine Schande."Diese Worte verdrossen den Herrn Andernell, er schlug den Andell in das Gesicht, daß er tot zur Erde fiel, und sagte: "Da hast du den Lohn für deinen guten Rat." Als der König das sah, sprach er: "Lasset das bleiben, meine lieben Herren; denn ich will Reinold meine Tochter geben und die Steinklippe; dafür soll er samt seinen Brüdern zu jeder seit mir beistehen, wo ich sie vonnöten haben werde, als wenn ich ihr Vater wäre." Da ließ der König den Reinold vor sich kommen und sagte: "Reinold, mein lieber Sohn, ich weiß, du bist von gräflichem Stamm; so du und deine Brüder mir wollen getreu sein, so will ich dir meine liebste Tochter zur Gemahlin geben, dazu die Steinklippe und den halben Teil meiner Güter, und magst du darauf ein Kastell bauen lassen, so stark und fest du immer willst, damit du sicher seiest vor dem König Karl in Frankreich; er kann dir darauf kein Leid tun, und läg ' er hundert Jahre davor." Dafür dankte Reinold dem König Yvo sehr höflich und ließ sich alsbald nach christlichem Gebrauch einsegnen, die Hochzeit aber ward auf eine andere Zeit gehalten. Als nun das Hochzeitmahl vorüber und alle Kurzweil vollbracht war, ließ Reinold Zimmerleute, Steinmetzen und andere Meister zusammen berufen und da ein schönes und festes Kastell bauen, von lauterm Marmorstein, gar hoch und mit vier Mauern umfangen; das nannte er Montalban. Darnach ließ er allenthalben ausrufen, wer daselbsthin wollte kommen zu wohnen, den wolle er beschützen und beschirmen und jeglichen freilassen von allen Beschwernissen. Als dies Gerücht unter das Volk kam, sammelten sich an fünfzehnhundert Mann, welche da zu wohnen begehrten. Hierauf verlangte er vom König Yvo, er sollte auch einmal dahin kommen und ihn besuchen. Als der König nun zu ihm kam, besah er das Kastell und sprach: "Sohn, du hast allhier ein schön und mächtig Stück Werks gemacht. Gott gebe dir Glück und Heil damit, wie ist sein Name?"Da antwortete Reinold: "Weil es auf einer weißen Marmorklippe steht; so habe ich es Montalban oder Weißenstein genannt."So schieden sie voneinander.
Nun geschah es, daß König Karl mit seinem Neffen Roland und andern Rittern sich rüstete und wollte nach St. Jakob in Galicien reisen; und als sie in König Yvos Land kamen, sah Karl das schöne und gewaltige Kastell an und merkte, daß es fast unüberwindlich war. Sie fuhren eben übers Wasser in das Land, das König Yvo dem Reinold mit seiner Tochter gegeben hatte. Da fragte er, wer das Schloß erbaut hätte, und wessen es sei. Roland ging zu einem Ackersmann und sprach denselben an, wem das Kastell zugehöre. Da sagte der Mann: "Ein Graf hat es bauen lassen, um sich zu wehren gegen seine Feinde." Nun fragte Roland, wie er heiße. "Reinold", antwortete jener, "er hat auch drei herrliche Brüder , und die Stadt ist sein." Als Roland diesen Bescheid eingenommen, eilte er wieder zum König und sagte ihm, wie er vernommen, daß Reinold es gebaut hätte. Darüber ward der König zornig und gebot Roland, er sollte hingehen und Reinold sagen, daß er ihm das Kastell, die Stadt und auch seine Brüder ausliefern solle; dann werde er ihnen alle ihre Missetat verzeihen; wenn er sich dessen weigerte, so werde es ihm übel gehen. "Dann will ich", sprach er, "mit meiner ganzen Macht kommen, das Land verderben und ihn samt seinen Brüdern aufhenken lassen."
Roland merkte sich des Königs Meinung, ritt nach Montawan, grüßte Reinold samt seinen Brüdern und seinem ganzen Hausgesinde freundlich und sprach: "ES ist des Königs Wille und Meinung, und hat derselbe mich zu dem Ende hergeschickt, daß Ihr ihm das Kastell Montalban samt der Stadt überantworten und kommen sollet mit allen Euern Edelleuten, ihm zu Fuß fallen und um Verzeihung Eurer Missetat bitten: so will er euch alle zu Gnaden annehmen." Da antwortete Reinold und sprach:
"Ich gebe nicht eine Kirsche um den König Karl, er liegt mir lieber sieben Jahre in meinem Lande." Als Roland dies hörte, sprach er: "Vetter, wieso? Wollet Ihr Euch gegen König Karl aufweckend Ihr habt seinen Sohn Ludwig erschlagen!" Da sprach Reinold: "Ich frage nichts darnach , es gehe mir darüber, wie Gott willt" Roland zog wieder zum König Karl und meldete ihm Reinolds Antwort. Als der König diese vernommen, ward er zornig und schickte dem Yvo einen scharfen Brief mit dem Inhalte, daß er sein Todfeind wäre darum, daß er seine Feinde in seinem Lande beherberge. Als aber König Karl wieder nach Frankreich kam, versammelte er viel Volks, zog dem Reinold in sein Land und belagerte Montalban. Da Reinold das sah, versammelte er auch sein Volk, um es zu entsetzen. Und König Karl blieb ein ganz Jahr im Land und verderbte es mit Brennen und Sengen, verlor aber viel Volk, so daß er zuletzt wieder abziehen mußte.Wie sie nun daselbst waren, kamen nach einer Weile vier Pilgrime von dem Heiligen Lande und hatten Palmzweige in ihren Händen. Als sie mit diesen zusammenkamen, hieß Reinold sie willkommen und begehrte, daß sie mit ihnen die Kleider tauschen sollten. Da die Pilger das hörten, waren sie erschrocken, verstanden Reinolds Meinung nicht, und einer aus ihnen sprach zu ihm: "Wie, Reinold, bist du nun ein Räuber worden? Wie geht dies zu, wie lang hast du dies getrieben? Gewiß, wenn ich lebendig wieder nach Frankreich komme, so will ich bei dem König über dich klagen!" Als der Pilger dies sagte, zog Reinold sein Schwert aus
und wollte den Pilger schlagen; da fiel ein anderer dazwischen und sprach: "Gnädiger Herr, wir begehren Gnade von Euch; wir sind arme Pilgrime und kommen von Jerusalem, nehmet unsere Kleider und tut damit nach Eurem Gefallen." Da sagte Reinold: "Freund, du tust wohl daran, und wenn du das nicht getan hättest, so wäre dein Mitbruder tot." Da zogen sie ihre Kleider aus und gaben sie Reinold und seinen Brüdern; darnach ließ jener die Pilgrime ihre Straße gehen. Nachdem sie die Kleider angelegt , machten sie sich zu Fuß auf den Weg nach Pierlamont, und als sie dahin kamen, fanden sie, daß das Tor verschlossen war. Da klopften sie an; der Torhüter kam und fragte, wer da wäre, und was sie begehrten. Da antwortete Reinold: "Mein lieber Freund, lasset uns arme Pilgrime durch, wir kommen von Rom und andern Städten mehr; nun haben wir Hunger und Durst, deshalb bitten wir; Ihr wollet uns zu essen geben und uns hernach ruhen lassen um Gottes willen!" Der Torhüter sagte zu ihnen: "Und bittet Ihr noch so sehr, so darf ich Euch doch nicht einlassen ." "Warum?" fragte Reinold. "Das will ich Euch sagen", sprach jener, "weil unsere vier Söhne gefangen sein sollen, nämlich Rittsart, Writsart, Adelhart und Reinold. Aber ich sage Euch, Freund, Ihr sehet dem Reinold so gar ähnlich, und wenn Euer Bart nicht so lang wäre, so sagte ich für gewiß, Ihr wäret der stolze Reinold!" Da sprach dieser wiederum: "Freund, ich bitte Euch um Gottes willen, lasset uns ein; der liebe Gott wolle die Brüder erretten von der Hand König Karls, so er sie gefangen hat; oder, sind sie anderswo, so wolle sie Gott bewahren!"Als Reinold diese Worte geredet, gefiel das dem Pförtner so wohl, daß er sprach: "Ich will euch einlassen zu unserer Frau, die euch ersättigen wird um unserer vier Herren willen." Da öffnete der Pförtner das Tor, und sie gingen ein und fanden ihre Mutter im Saal sitzen; sie grüßten sie nach Schuldigkeit, das dankte ihnen ihre Frau Mutter. Da sagte Reinold: "Frau, wir kommen von Rom und von St. Jakob in Galicien und von andern Städten mehr; wir haben noch niemals solchen Hunger gehabt wie jetzt, darum gebet uns etwas zu essen, auf daß Ihr des Segens unserer Pilgerfahrt auch teilhaftig werdet!" Da sagte die Frau: "Seid zufrieden und wohlgemut, ich will euch gewiß geben", setzte sie dann an eine Tafel und brachte ihnen zu essen und zu trinken genugsam. Als sie sich satt getrunken hatten, sprach Reinold: "Frau, gebet mir des Weins noch einen Trunk, so will ich König Karl, meinen Vetter, nicht mehr fürchten ." Als Adelhart das hörte, erschrak er von Herzen sehr und stieß den Reinold mit der Hand auf die Brust, daß er darniederfiel; denn er war
ganz trunken. Als Frau Aja das von Reinold hörte und sah, wie Adelhart in um der Worte willen strafe, und sehr erschrocken war, fiel sie dem Reinold um den Hals mit großen Freuden und konnte von ihm nicht ablassen, bis sie Adelhart aufnahm. Dieses alles sah einer der Edlen an ihrem Hofe, der König Karl gar günstig war; der sprach zu der Fürstin: "Frau, ich sehe wohl, daß es Reinold, Euer Sohn, und seine Brüder sind, die den König Ludwig erschlagen haben. Nun sage ich Euch, kommt Eurem Eide nach, den Ihr geschworen, lasset sie gefangennehmen und schicket sie dem König Karl von Frankreich. So Ihr das nicht tut, so willÜber diese Rede ward die Frau Aja voll Zorns und sprach: "Pfui, du Treuloser, willt du mein Verräter sein und hast mein Brot so lang gegessen? Und wenn mein Bruder noch tausendmal mehr über mich zürnte; und ich müßte ihm noch einen Eid schwören: so begehre ich ihm meine Kinder doch nicht zu schicken, daß er sie ums Leben bringen sollte !" Als der
Treulose sah, daß er bei der Frau nichts ausrichtete, lief er eilends zu Haimon, redete ebenso mit ihm und stieß noch mehr andere Drohworte aus, als er zuvor gegen die Frau gebraucht. Da ward Haimon zornig, ergriff in aller Eile einen Prügel, schlug den Verräter, daß er starb, und sprach: "Nun weiß ich gewiß, du wirst dem König nichts sagen!" Dann rief er seinen Edelleuten und befahl, sie sollten sich waffnen und ihm seinen Sohn Reinold samt den Brüdern helfen fangen, auf daß er sie dem König Karl mit seinem Eid zuschicken möchte. Da zogen sie ihre Waffen an und gingen mit Haimon vor den Saal in der Meinung, er wolle sie ergreifen. Als Adelhart das inneward, seufzte er zu Gott und sprach: "Nun wolle uns der Herr und seine liebe Mutter beistehen; denn wir sind in großen Sorgen: ich sehe meinen Vater kommen mit einer Menge Volks, um uns zu fangen!" Und nun lief er zur Mutter und sagte: "Mutter, wißt Ihr uns keinen Rat zu geben, daß wir unserm Vater möchten entrinnens Reinold liegt fast tot in Ohnmacht!" Da sagte die Mutter: "Ich weiß keinen Rat, sondern traget Reinold hinein und verwahret die Tür, daß niemand zu Euch kann; denn es ist das beste Gemach im Kastell." Sie folgten ihrem Rat und trugen Reinold in das Gemach; die drei Brüder blieben mit ihrer Wehr vor der Tür stehen und verwahrten dieselbe sehr wohl; unterdessen kam Haimon mit seinem Volk heran, um die vier jungen Helden zu fangen. Da sagte Adelhart: "Ihr Herren, weichet und kommet mir nicht zu nah, oder ich wehre mich, so gut ich kann", und schlug dermaßen mit seinen Brüdern auf sie zu, daß alles tot darniederfiel, was sie nur erreichen konnten. Dieser Streit währte wohl zwei Tage lang, so daß Haimon nichts ausrichtete. Als es nun an den dritten Tag kam, ward Reinold wieder wohlauf und erwachte von seinem Schlaf. Da fand er seine Brüder gegen ihren Vater streiten, als ob sie unsinnig wären.Jetzt nahm Reinold sein Schwert; sah, daß seine Brüder müde waren, hieß sie hinter ihn springen und sprach: "Nun soll mich Gott strafen, wo ich jemand verschonen will, und wenn es gleich mein Vater selbst wäre!" sprang mit den Worten in das Volk hinein, da es am dicksten stand, und schlug so tapfer unter sie, daß sie es alle fühlen mußten, wie stark sie auch waren.
Als Haimon dies sah, sprach er: "Ich sehe wohl, meine Kinder bleiben diesmal ungefangen; denn Reinold beweist jetzt mehr Tapferkeit als all mein Volk; er hat das beste Schwert, das zu finden ist, und was er trifft, das muß fallen; deswegen laßt uns weichen." Reinold aber folgte seinem
Vater mit großer Gewalt durch das Heer, worüber seine Brüder sehr traurig wurden und ihm deswegen nachgingen.Er kam auch wirklich bis zu seinem Vater nahm sein Schwert und wollte ihn erschlagen; da sprang Adelhart herbei und rief: "Bruder, was willt du tun? Willst du unsern Vater totschlagen? Das wäre uns vor Gott und der Welt eine Schande; wir dürften auch unsere Augen an keines Fürsten Hof mehr emporheben; darum bitte ich dich, laß es bleiben sonst erlangen wir unser Leben lang keinen Frieden mit König Karl, und wir können es vor Gott nimmermehr verantworten." Reinold aber sprach: "Bruder, ich sage dir für gewiß, ich will ihm seine Kinder lehren fangen!" nahm den Vater und band ihn auf sein Pferd, verschaffte sich einen Knappen und befahl ihm, er solle das Roß mit dem Gefangenen zum König Karl führen. Der Junge schlug ihm solches ab und sagte: "Warum soll ich das tun? Er ist mein rechter Herr. Wenn Ihr wollt, so tut es selber!" Als Reinold das hörte, ward er zornig und wollte den Knaben totschlagen; der bat aber um Gnade, er wolle sein Begehren gerne tun. Da sagte Reinold, er solle das Pferd mit dem gefangenen Haimon nehmen, es König Karl bringen und sprechen, das Geschenk habe ihm Reinold geschickt; er solle nun mit dem Manne handeln, wie er mit ihm handeln wollte, wenn er ihn gefangen hätte.
Der Knabe kam vor des Königs Palast: aber da war das Tor noch verschlossen; da klopfte er an, bis es der Torhüter hörte; der kam und fragte, von wannen er mit dem Gefangenen käme. Der Knabe sprach: "ES ist Graf Haimon." Als der Torhüter das hörte, sprach er zu Haimon: "Wie geht das zu, gnädiger Herr, wer ist so kühn, der Euch also hieher an unsern königlichen Hof schicken darf?" Haimon antwortete: "Das haben meine Kinder getan; eröffne das Tor und laß mich durchreiten zu dem Könige, auf daß ich ihm kann klagen, wie es mir ergangen ist!" Als er nun zum König kam, wurde er von dem Pferde abgebunden und Hand und Füße ihm aufgelöst. Da fragte ihn Karl: "Haimon, wer hat Euch das getane" Haimon aber antwortete: "Gnädigster Herr und König, das haben mir meine Kinder getan; denn als ich vernahm, daß sie wieder ins Land gekommen waren, machte ich mich samt meinem Volk auf, dieweil ich solches Euer Majestät verheißen, und wollte sie gefangennehmen und sie Euch schicken, daß sie ihren Verbrechen nach sollten gestraft werden; aber sie wollten sich nicht gefangengeben und wehrten sich so ritterlich, daß ich an fünfhundert Mann dadurch verloren."
Als der König das hörte, ward er traurig und befahl, daß sein Volk
sich rüsten sollte, Adel und Unadel, und sollten mit ihm nach Dordone gehen; er wolle Reinold samt seinen Brüdern gefangennehmen.Wie sie nun daselbst anlangten, stand Reinold oben auf den Zinnen, sah, daß der König das Kastell belagern wollte und allbereits seine Sturmleitern anlegte; da lief er eilends zu seiner Mutter und sprach: "Ach hört, liebe Mutter, jetzt steht es übel; denn König Karl hat uns belagert , und wofern wir unter seine Hand kommen, so müssen wir alle sterben! Was Mats wisset Ihr uns?"
Da sprach Frau Aja zu Reinold: "Ziehe deine Pilgrimskleider wieder an, so will ich dich gern zum Tor hinauslassen; also magst du davonkommen !"
Reinold folgte seiner Mutter, nahm Urlaub von seinen Brüdern und machte sich wieder auf, nach Montalban zu ziehen, wo er das Roß Beyart gelassen hatte. Aber da ward eine große Traurigkeit zwischen der Mutter und den vier Söhnen. Reinold war voll Leids, daß er seine Mutter und seine Brüder also verlassen mußte, desgleichen die Mutter und seine Brüder wiederum, und einer bat Gott für den andern.
Wie nun Reinold aus dem Kastell und aus der Hand des Königs war, weinte die Mutter bitterlich und sprach zu Adelhart: "Ach! Wie ist mir jetzt so leid, meine Söhne, daß ihr in meinem Hause belagert seidl Ich weiß keinen bessern Rat als daß ihr euch demütiget und gehet willig und barfüßig zu dem König, fallet ihm zu Fuß und bittet ihn um Schonung eures Lebens; ich glaube, er wird euch auf Fürbitte eurer Verwandten zu Gnaden annehmen!" Die drei Brüder folgten der Mutter Rat und gingen zu König Karl willig und barfuß, fielen ihm zu Fuß und baten ihn, er solle ihnen ihre Missetat, so sie wider ihn getan hätten, um Gottes willen vergeben; sie wollten ihm ihr Leben lang mit Leib und Gut dienen. Da fragte der König nach Reinold, wo sie den gelassen hätten. Sie antworteten ihm, sie wüßten nicht, wo er wäre. Da befahl er, man solle ihnen Hände und Füße binden und sie gefangenlegen, er wolle sie so lang behalten, bis er den Reinold dabei hätte: alsdann sollten sie sterben. Als Frau Aja dies hörte, fiel sie in Ohnmacht vor dem König nieder und begehrte , er solle ihre Söhne losgeben. König Karl aber sprach: "Wenn ich Reinold dabeihabe, will ich sie zu Paris an den höchsten Galgen henken lassen." Und so zog er nach Paris und hielt sie gefangen.
Sobald Reinold zu Montalban ankam, erzählte er sein Unglück, daß seine Brüder gefangen seien und der König wolle sie henken lassen; worüber alles zu Montalban traurig war. Reinold aber rüstete sich mit seinein
Roß Beyart und ritt nach Paris. Er dachte, man würde seine Brüder herausführen, um sie zu henken; dann würde er Leib und Leben für sie eingesetzt haben. Indem kam ein Jüngling dahergelaufen, den fragte Reinold, ob er seinethalben also liefe, um ihn zu verraten; wenn es so wäre, das möchte er ihm sagen, so wolle er ihm sein Roß dazu leihen. Der Jüngling sprach: "Gnädigster Herr l Sollte ich Euch in einer bösen Absicht nachfolgen, der Ihr doch meines Vaterlandes Herr seid, und der ich Euer Hintersaß bin und empfange alle Jahre von Eurer Frau Mutter meinen Unterhalt?" Da fragte Reinold, wie sein Name wäre. Der Jüngling antwortete: "Ich bin Rigant von Napels genannt." Da sprach Reinold: "Mein Freund, wollet Ihr mir eine Botschaft ausrichten an König Karl von Frankreich? Ich will Euch gut dafür belohnen; aber Ihr müsset von ihm sicher Geleit Eures Leibs begehren, daß Ihr hingehen könnt, wohin Ihr wollet!"Da antwortete ihm der Jüngling: "Ich will die Botschaft gern besorgen; denn ich bin doch Euer Diener; und im Fall mir jemand etwas wird sagen, so will ich ihn mit meinem Stock schlagen, daß er niederfallen soll!" Da sprach Reinold: "Du sollt dem König öffentlich sagen im Beisein des Adels, ich lasse ihn bitten, daß er meiner Brüder Leben verschone, ich will ihm auch willig und barfüßig zu Füßen fallen und ihn um Verzeihung bitten; dazu will ich ihm seinen Sohn Ludwig neunmal mit Gold bezahlen und ein goldenes Standbild machen lassen, so groß, als Ludwig gewesen ist, und will eine Kirche bauen lassen zu Ehren Marias , der Mutter unsers Herrn, und stiften, daß man alle Tag darin soll singen die sieben Worte; zudem will ich ihm mein Roß Beyart samt meinem Kastell Montalban frei und eigen geben, daß ich es als ein Lehen von ihm habe, wenn er nur mich und meine Brüder zu Gnaden annehmen will. Und wenn er mich in seinem Königreich nicht leiden mag, so will ich mit meinen Brüdern über See fahren, damit ich ihm aus den Augen komme; wo er aber mich und meine Brüder in irgend etwas gebrauchen kann, so wollen wir ihm allezeit willig sein und das dergestalt, daß an seinem Hof unsersgleichen nicht sein soll. Wenn sie dagegen der König mit Gewalt wollte hinrichten lassen, so will ich meine ganze Macht darauf verwenden und sie losmachen und alles zerschlagen, was ich daselbst finde!"
Mit diesen Aufträgen nahm der Diener seinen Abschied von Reinold und eilte auf Paris zu. Und als er dahinkam, sah er den König aus seiner Kammer treten; da schämte er sich, daß er den König sollte anreden, und
hatte seinen Stab in der Hand; jedoch faßte er sich ein Herz und fiel vor Karl nieder auf seine Knie und bewies ihm höchste Ehrfurcht; stand dann wieder auf und sprach: "Gnädigster Herr und König, ich bringe Eurer Majestät gute Botschaft." Da sagte der König: "Gute Botschaft ist mir lieb, was bringest du für Botschaft?" "Ehe daß ich meinen Auftrag vollbringe" , sprach er, "bitte ich, Eure Majestät wollen mir sicher Geleit zusagen, damit ich ungehindert mag von einem Ort zu dem andern gehen und reisen ohne Gefahr meines Lebens. Sollte man dem Boten Leid tun, so würde manche Botschaft unausgerichtet bleiben." Als der König diese Worte von dem Diener hörte, sprach er: "ES ist wahr, ich sage dir sicher Geleit zu, daß dir kein Leid widerfahren soll."Hierauf brachte der Diener seine Botschaft vor und sprach: "Gnädigster Herr! Es läßt Eure Majestät mit höchster Demut grüßen der allertraurigste Mann auf Erden und der beste Ritter, den die Sonne bescheint." Da fragte der König, wer das wäre. Und der Bote sprach: "Eurer Majestät Schwestersohn, Reinold, bittet Euch demütig um Gnade für ihn und seine drei Brüder; was sie Euch Mißfälliges getan haben, wollen sie wiedererstatten. Erstlich will Reinold Euern Sohn Ludwig neunmal mit Gold bezahlen; dann will er eine Kirche zu Ehren Marias, der Mutter Gottes, bauen lassen und ein Bild von Gold machen, das so groß, als Ludwig gewesen, und die Priester mit Unterhalt begaben, die alle Tage in der Kirche das Amt der heiligen Messe verrichten und die Tagzeiten singen lassen sollen; in allen Klöstern und Kirchen will er Messe singen lassen für die Seele Ludwigs; sein Roß Beyart will er Euch auch verehren, und so Ihr ihn nicht dulden wollt in seinem Königreich, so will er samt seinen Brüdern daraus weichen, oder wo er und seine Brüder Eurer Majestät dienen können, da wollen sie jederzeit geneigt sein, es zu tun; und somit bitten sie, Eure Majestät wolle ihnen hierin willfahren und sie zu Gnaden annehmen." Da sagte der König: "Was weiter?" Da sprach der Bote: "Gnädigster Herr, Reinold sagte: so Ihr nicht wollet Gnade erzeigen, so will er Eurer Majestät ins Land fallen, brennen und rauben, alle Kirchen und Klöster zerstören, und alles Gold und Silber, das er darin findet, will er nehmen und sein Volk damit bezahlen." Da fragte der König noch einmal: "Entbeut mir mein Vetter Reinold nichts weiter?" Der Bote antwortete: ''Ja, gnädigster Herr! Er sagte: Wenn Eure Majestät durchaus nicht will den Zorn fallen lassen, so wird er Euch allenthalben nachtrachten, daß er Euch in seine Hand bekomme und Euch tue, wie er dem Ludwig getan hat."
Als der König diese Worte von dem Boten hörte, entfiel ihm der Mut; er ward traurig und sprach: "Wahrlich, diese Botschaft ist mir nicht anständig; ich hätte viel lieber etwas anderes gehöret. Aber du bist klug, daß du erst sicher Geleit begehret hast und das von mir selbst; denn wenn ich solches nicht versprochen hätte, so müßtest du jetzt gleich sterben."
Da fragte der König zum drittenmal den Boten, ob er nichts mehr ihm anzuzeigen hätte. Der antwortete: "Nein! Er lässet aber die zwölf Genossen von Frankreich grüßen und empfiehlt dem Bischof Turpin, er wolle seine Brüder in seinen Schutz nehmen, und bittet neben dem auch seine Verwandten und Freunde, daß keiner Rat noch Tat dazu geben wollte; daß man seine Brüder hinrichte. und gnädiger Herr und König, wenn sie mit Gewalt hingerichtet werden, so will er seine ganze Macht daran- strecken und sie erretten, und wenn er schon wissen sollte, daß er sein Leben dabei verlieren würde." Als König Karl dieses auch von dem Boten gehört hatte, sagte er: "Entbeut mir mein Vetter Reinold das, so will ich sehen, wer so kühn sein wird, der sich seiner anzunehmen wagte: denselben will ich in drei Tagen henken lassen." Wie der Diener diese Worte vom König hörte, ward er traurig und nahm seinen Stab, ging zu Roland , fragte den, ob er mit Reinold verwandt wäre oder nicht. Da antwortete Roland dem Diener: "Ja, ich will um keines Dings willen ihn verleugnen; denn er ist mein Vetter!" Da sagte der Jüngling: "Das ist recht, und wenn Ihr den jungen Helden verleugnet hättet, solltet Ihr von meiner Hand gestorben sein." Desgleichen fragte er auch Bischof Turpin, ob Reinold ihm verwandt wäre, das sollte er ihm sagen. Der Bischof antwortete auch: "Ja, ich will sein Freund immer bleiben." Wie der König dieses merkte, fragte er: "Wer hat diesen Boten hieher gebracht, der seine Botschaft so wohl ausrichten kann? Er ist ein verständiger Mensch, stolz und mutig, und handelt in seinem Geschäft, wie sich's gebühret!" sagte darneben: "Wann habt Ihr den Reinold zum letztenmal gesehen?" Der Diener antwortete dem König: "Herr und König, wenn ich die Wahrheit bekenne, so bin ich gestern bei ihm gewesen." Da fragte Karl: "War er dann zu Fuß oder zu Pferde" Der Jüngling sagte: "Ich habe ihn auf seinem Roß Beyart gesehen." Der König sagte zu dem Jüngling: "Willst du mir weisen, wo Reinold, dein Vetter, ist: ich will dir tausend Gulden in Gold schenken, und dich freihalten vor aller Gefahr und vor seinen Verwandten." Da sprach der Bote wieder zu Karl: "Herr und König, das wollte ich nicht tun, und wenn Eure Majestät mir noch achthundertmal mehr geben wollte. Soll ich meinen eigenen Herrn verraten? Und dies
solltet Ihr wissen: wenn ich bei Reinold wäre, und Eure Majestät wollte ihn gefangennehmen, ich würde ihm mit Gut und Blut beistehen, und ihn aufs beste verteidigen!" Der König antwortete wieder dem Boten: "Auf
dein Wort noch viel weniger
denn auf Reinolds
Stolz achte ich, und
wenn ich dir nicht so fest
Geleit zugesagt hätte,
wollte ich dich um solcher
vermessenen Worte
willen henken lassen." |
Über das kamen an fünfundzwanzig Bauernknechte, wollten auch Fütterung haben für ihr Vieh und sahen das Roß weiden gehen; die sagten untereinander: "Siehe, ist das nicht das große Roß Beyart, auf welchem Reinold geritten, der unsern König Ludwig erschlagen hat? Lasset uns das auffangen und unserem König Karl bringen, der wird uns unsere Mühe wohl belohnen; denn ich weiß, daß wir ihm einen angenehmen Dienst tun, und wo wir das vollbringen, so werden wir alle reich genug." Darauf machten sie alsbald ein Netz von Weiden und andern Zweigen, umringten das Roß damit und brachten es dem König nach Paris. Da gab's zur Stunde ein solch Geschrei in der Stadt, daß das Roß Beyart gefangen wäre, daß jedermann zulief und wollte es sehen. Zu selbiger Zeit war der König auf seinem Schloß und Roland bei ihm; die sahen zum Fenster heraus und erblickten sehr viel Volks und vermeinten, sie
hätten sich geschlagen; deswegen ging Karl mit seinem Vetter Roland herunter, zugleich aber kamen die Bauernknechte, brachten das Roß Beyart und verehrten es dem König. Der nahm es freundlich an und befahl, man sollte den Knechten Essen und Trinken geben und dazu ein Geschenk, dadurch sie ihr Leben lang glücklich würden; denn er schätzte das Roß so hoch, daß es mit keinem Gold zu bezahlen wäre. Darnach nahm er das Roß und schenkte es seinem Vetter Roland; dieser dankte gar höflich dafür, gedachte jedoch bei sich: "Ich wollte, daß es mein Vetter, Graf Reinold , wiederhatte, und daß die Diebe alle gehangen wären, die es ihm gestohlen haben; auch will ich dazu raten, daß es geschehen solle!"Wie die Knechte gegessen hatten, ließ sie der König wieder zu sich kommen und fragte sie, wo sie das Pferd bekommen hätten. Da antworteten sie dem König: "Gnädigster Herr, wir haben es bei Vordel in dem Walde gefunden, da ging es im Gras weiden." Da fragte Karl, ob sie den Reinold nicht gesehen hätten. Sie sprachen, nein, sie hätten von ihm nichts gehöret.
Als nun der König das Roß dem Roland geschenkt hatte, daß er damit tun möchte, was ihm gelüste, da begehrte dieser vom König, er sollte den Knechten, die es gefangen hätten, befehlen, daß sie es wohl in der Fütterung hielten und fleißig acht darauf hätten, damit es nicht verloren würde, und wenn sie es versäumten, daß sie alle dafür sterben sollten. Der König tat nach Rolands Begehren und übergab das Roß den Knechten, daß sie es wohl halten und ihm gut Futter geben sollten: denn er wolle lieber viel Geld verlieren als das Pferd. Indem der König mit den Knechten redete, ward es an dem ganzen Hofe kund, daß dem Roland das Roß geschenkt war; da kamen die Frauen zu Roland und begehrten, er sollte das Tier reiten, auf daß sie sähen, wie geschwind es im Laufen und Springen wäre; denn sie hätten Wunder von demselben gehört. Roland sagte, er müßte erst Erlaubnis von dem König haben; kehrte deshalb um, ging zum König und fragte, ob er den Frauen zu Gefallen das Roß reiten solle; denn sie begehrten das von ihm. Da antwortete Karl: "Ich hab ' Euch das Roß freieigen gegeben, Ihr möget Eurem Gutdünken nach damit leben!" Dafür dankte Roland dem König und sagte: "Ich will das Pferd satteln und damit aus der Stadt reiten an den Ort, wo man die Pferde zu schulen pflegt, und die Frauen sehen lassen, was Beyart kann." Der König sagte: "Das tut, Roland; denn von ihnen erlangt Ihr alle Ehr' und Tugend; was Wunders, daß man ihnen etwas zu Gefallen tut!" Roland ging alsbald in den Saal, wo die Frauen beieinander waren, und
sagte mit gebührender Ehrerbietung, er wolle am nächsten Sonntag das Roß reiten, sie sollten da an dem Ort erscheinen.Wie inzwischen Reinold wieder erwachte, sah er nach seinem Roß Beyart; und als er das nicht gewahr wurde, sprang er auf, gebärdete sich, als wenn er sinnlos wäre, und sagte: "Oh, unglückliche Stunde, in der ich geboren bin, wie ist mir das Glück zuwider ! O Tod, warum verschonest du meiner so lang und nimmst mir nicht das Leben, da du siehest, daß kein so kläglicher Mann unter der Sonne ist, wie ich bins Ich sehe nun, daß das Sprichwort wahr ist: ein Unglück kommt nicht allein; denn meine Brüder sind gefangen, und ich habe jetzt auch mein Roß verloren; ich, der ich mich so stolz vermessen, ich wollte meine Brüder aus König Karls Hand erretten ; aber ich weiß jetzt, daß es Gottes Wille nicht ist; denn er liebt den König mehr als mich; darum kann ihm niemand schädlich sein!"
So ward sein Leid immer größer, erzog seinen Harnisch und seine Sporen ab und sprach: "Was soll mir dies nun, weil ich mein Roß Beyart verloren habe?" Indem er also stand und seine Not wehklagte, kam ein Mann aus einer Hecke, der konnte sich in eine andere Gestalt verwandeln durch die Macht der Schwarzkunst: jetzt jung, jetzt alt; bald krumm, bald wohlgestalt. Der war Malegys genannt und verließ sich auf seine Kunst, brauchte dazu Kräuter und Steine, die er allezeit bei sich in den Kleidern trug. Wenn er wollte, war er ungestalt, daß sich einer vor ihm fürchtete, hatte einen langen Bart bis auf die Brust, Augbrauen, daß sie ihm in die Augen hingen und er also durch die Haare sehen mußte, schien auch über zweihundert Jahr alt zu sein und ging an einem Stock. Derselbige kam zu Reinold, grüßte ihn und bot ihm einen guten Tag. Reinold dankte ihm und sprach: "Ich habe keinen guten Tag gehabt dieweil ich lebe oder geboren bin!" Da sagte Malegys: "Herr Reinold, Ihr müßt nicht verzweifeln, Gott wird alle Dinge zum besten kehren; denn wenn ein Mensch in höchster Not, so ist Gott am nächsten und hilft ihm aus dem Elend." Reinold antwortete: "Freund, ich glaube nicht, daß mir jemand aus meinem Elend helfen kann; denn es ist viel zu groß: ich habe erstlich meine Brüder verloren, die hat König Karl von Frankreich gefangen und will sie henken lassen. Dann vermeinte ich, dieselben mit meinem Roß Beyart zu erretten; während ich nun ein wenig geschlafen habe, ist mir das auch gestohlen worden. Nun weiß ich keinen Trost mehr, bin deshalb in einem so großen Elend, daß mir kein Mensch daraus helfen kann!" Malegys sprach: "Junger Herr, seid nicht traurig, sondern fasset ein Herz und bittet Gott um Gnade, er wird sich erbarmen und Euch aus Euren Nöten
helfen und Eure Brüder von dem Tod erretten! Glaubt mir, ich bin meiner Lebtage so weit in fremden Ländern gewesen als ein Pilgrim zu Rom, zu St. Jakob und zu Jerusalem, aber ich hab ' Euresgleichen noch nirgends gefunden in solcher Traurigkeit." Da sprach Reinold: "Ja, Freund l Mein Leid ist unaussprechlich, ich wollte lieber tot sein denn länger in solchem Elend bleiben." Darauf sagte Malegys: "Herr; ich bin ein armer Mann; so Ihr mir etwas zu geben habt, so will ich Euer und Eurer Brüder eingedenk sein in meinem Gebet zu Gott dem Allmächtigen, daß der sie wolleMalegys nahm die Sporen, dankte ihm, steckte sie in einen Sack und sprach: "Herr, ich bitte, habt Ihr einige Gabe mehr, die Ihr mir geben
könnet; sollt Ihr des Gebets desto mehr teilhaftig werden!" Da fragte Reinold den Pilgrim: "Treibet Ihr Spott mit mir? Ich sage Euch in der Wahrheit, wär' es mir keine Schande, ich wollte Euch lehren betteln, Ihr solltet noch eine Weile daran denken!" Darauf sagte Malegys: "Fürwahr , Herr, wenn Ihr das tatet, so tatet Ihr Sünde. Wenn mich alle die geschlagen hätten, von denen ich Almosen begehrt habe, ich wäre vor hundert Jahren tot gewesen; denn ich bitte um Almosen in Kirchen und Klöstern , wo ich kann." — "Das ist wahr", sagte Reinold, "wenn Ihr nicht bittet, wer wird Euch was gebens In der Not muß man beten!" Malegys aber sprach: "Herr, jetzt saget Ihr recht, gebt mir noch etwas, so will ich Gott bitten, daß er Eure Brüder aus dem Gefängnis und Euch von Eurem Leid erretten soll." Als Reinold das hörte, gab er ihm seinen Nachtrock und sprach: "Siehe, Pilgrim, da könnet Ihr lang davon zehren ; den gebe ich Euch um Gottes und seiner lieben Mutter willen, daß Gott meine Brüder behüten wolle vor dem schmählichen Henkerstod, und daß mir auch kein Leid widerfahre und ich der Gewalt König Karls mög ' entfliehen!"Auf diese Worte nahm Malegys den Nachtrock, schlug ihn zusammen und steckte ihn in einen Sack; dann bat er den Reinold noch einmal und sprach: "Herr, habt Ihr noch etwas zu geben, ich bitte um Gottes willen, so gebt es mir, ich will es in meinem Gebet wiedererstatten." Als Reinold dies hörte, ward er sehr zornig und sprach: "Du Unflat, spottest du meiner? Hab ' ich dir nicht genug gegeben?" zog sein Schwert aus und schlug nach ihm. Malegys aber entsprang dem Schlag, hielt ihn ab mit seinem Stab und sprach: "Schlagt Ihr mich mehr; so wird es Euch reuen; ich werde mich wehren!" —"Wolltest du dich wehren?"sprach Reinold, "ich sage dir, fürwahr, wenn deiner so viel als Bäume im Wald wären, so solltest du mir nicht entgehen!" Da fing Malegys an: "Reinold! Ich sage Euch für gewiß, Ihr wisset wenig, was ich kann, und wenn Ihr mich mehr schlaget; so werdet Ihr Wunder sehen!" Darüber wurde Reinold sehr zornig und schlug wieder nach dem Malegys; aber der wehrte den Streich abermals ab, brauchte seine Kunst und verwandelte sich in einen Jüngling von zwanzig Jahren. Darüber verwunderte sich Reinold über die Maßen und erschrak heftig. Er gedachte bei sich selbst: "Was will das werden, wie wird mir das Glück jetzt so widerwärtig; denn ein Unglück kommt mir über das andere: meine Brüder sind gefangen, mein Roß ist dahin — König Karl will mich hängen; jetzt kommt der Teufel gar und will mich zu necken anfangen!" Indem zog er sein Schwert;
schlug wieder nach dem Malegys und vermeinte, ihn totzuschlagen; Malegys aber entwich dem Streich und rief mit heller Stimme: "Vetter Reinold! Was tut Ihr? Kennet Ihr mich nicht?" Reinold sprach: "Nein, wer seid Ihr denn?" Da sagte Malegys: "Ich bin Euer Vetter Malegys ." Als Reinold das hörte, fiel er ihm zu Fuß und sprach: "Lieber Vetter! Nächst Gott stehet all mein Vertrauen auf Euch: ich bitte, Ihr wollet mir das nicht für übel halten; ich habe Euch nicht gekannt; bitte; Ihr wollet doch meinen Brüdern behilflich sein, daß sie von ihrem Gefängnis erlöst werden mögen. Ich habe mein Roß verloren und kann ihnen nicht mehr beistehen t" Malegys erwiderte: "Höret, Vetter Reinold, was ich tun will: ich will mit meiner Kunst Euch das Roß herbeibringen. Indessen müsset Ihr tun, was ich Euch sage."Reinold, wie er das hörte, ward sehr erfreut und sprach: "Vetter, was Ihr gebieten werdet, das will ich tun, sollt' ich darum sterben." Malegys nahm nun einen Frauenmantel, gab ihn dem Reinold, denselben über den Harnisch zu ziehen, dazu einen Hut; der voll Löcher war und ein altes Paar Hosen, die sollt' er antun. Er selbst hing auch einen Frauenmantel um, setzte einen Hut auf sein Haupt und brauchte seine Kunst. Er veränderte Reinold in die Gestalt eines Mannes von hundert Jahren, sehr krank, ungestalt von Leib, mit langem Haar. Darnach gingen sie fort; wer sie sah, der meinte, es wären die zwei ärmsten Pilgrime, die man jemals gesehen: aber wann sie unter sich allein waren und niemand bei ihnen, so waren sie in voriger Gestalt und zwei tapfere Ritter. So gingen sie bis an den Wald Bordole und errichteten nahe an demselben eine Hütte, unter welche sie sich setzten. Über eim kleine Weile sah Malegys vier Mönche reitend kommen, da sagte er zu Reinold: "Bleibet hier und wartet meiner, ich will den Mönchen entgegengehen; denn ich will beichten."
Als Reinold dies hörte; sagte er: "Vetter; macht, daß es uns möge besser gehen!" Hiermit schieden sie voneinander. Als nun Malegys zu den Geistlichen kam, grüßte er sie; die dankten ihm und sprachen: "O Gottl Pilgrim, wieviel Leute habt Ihr überlebt; bis Ihr seid so alt worden? " Er sagte: "Ich bitte Gott, daß er mich so lang leben lasse, bis ich meine Sünde gebeichtet hab '; ich bitte, Ihr Herren, es woll' einer unter euch meine Beichte hören!" Da sagte einer von ihnen: "Freund, geht hin zu einem Pfarrherrn; denn wir haben nicht Zeit, sondern müssen unsere Reise beschleunigen." Der Pilgrim aber sprach: "Herr, Ihr sehet wohl, daß ich ein armer, kranker Mann bin: soll ich denn in meinen Sünden
sterben, so muß ich ewig verloren sein! Aber ich hoffe, Ihr werdet mir das nicht abschlagen!"Dann fing er an: "Herr, ich muß Euch klagen, wie es mir ergangen ist; ich hatte wohl in die zwanzig Pfund gesammelt, und als ich in den Wald kam, begegnete mir Reinold, nahm mir mein Geld und schlug mich schier tot; aber ich habe noch vier Byzantiner von Gold in meine Kleider versteckt, die konnte er nicht finden, die blieben bei mir, sonst wär ' ich derselben auch quitt l Nun weiß ich nicht, was ich tun soll: ich bitt' Euch aber, Herr l hört meine Beichte und sprecht mir die Absolution ." Da sagte der Mönch zu den andern auf Latein: "Ihr Herren, lasset uns die Byzantiner von dem Pilgrime nehmen, wir wollen seine Beichte hören; die sind hernach gut auf dem Weg zu verzehren!"Der Rat gefiel den andern Mönchen auch wohl, sie riefen den Pilgrim zu sich, hörten seine Beichte und absolvierten ihn. Darnach fragte sie der Pilger, was sie Neues wüßten; ob nicht bald der Adel zusammenkommen würde. Die Klosterbruder sagten: "Ja, sie hätten gehört, daß am nächsten Sonntag zu Paris viel unter den Edelleuten sollte zu tun sein; denn Roland würde den Frauenzimmern zu Gefallen das Roß Beyart reiten, damit die Frauen sähen, was das Pferd vermöge mit Laufen und Springen ; denn sie hätten viel davon gehört, als es Reinold noch gehabt." Der Pilgrim fragte: "Soll das wahr sein, ist Beyart da?" — "Ja", sagte ein Mönch, "der König hat Roland das Roß geschenkt, und wann Roland das Pferd geritten hat, so will der König Gericht halten über Haimons Kinder und sie zu Paris an den Galgen henken!" Da sprach der Pilgrim: "Herr! Ich sage Euch, sie sind noch nicht gehangen; noch möchten sie mit dem Leben davonkommen und errettet werden!" Der Mönch aber sagte: "Sie leben noch, aber sie sind in großer Gefahr; auch will Karl noch Gericht halten über Reinold und hat uns befohlen, wir sollen ihn in den Bann tun: niemand soll ihn beherbergen noch ihm Essen und Trinken zukommen lassen; und so sich jemand unterstehen würde, solches zu tun, den sollen wir auch in den Bann tun."
Der Pilgrim, dies von den Mönchen hörend, wurde zornig und gedachte bei sich selbst: "Du hättest gute Lust und schlugest diese vier Schwarze tot!" Dann sprach er mit falschem Herzen zu ihnen: "Oh, ihr Herren, ich bitte euch um Gottes willen, fallet mit mir auf die Knie und bittet für mich, daß meine Beichte mir selig sei, daß ich vollkommene Neu und Leid über meine begangenen Sünden habe und standhaft in meiner Buße bleibe, damit ihr der guten Werke, die ich getan und noch tun werde, mit teilhaftig werdet!" Als die Mönche des Pilgrims Reden hörten, sieken
sie aus Mitleiden auf ihre Knie und baten Gott, er wolle dem Pilger Standhaftigkeit zu seinem Vorsatz und Besserung seines Lebens geben, weil er lang in Sünden gesteckt.Unterdessen übte Malegys seine schwarze Kunst und wurde wieder jung und stark, nahm seinen Pilgrimsstab, der wohl mit Eisen beschlagen war, und schlug einen Pfaffen, daß er zur Erde fiel. Als die andern dies sahen, wurden sie sehr bestürzt und wollten entrinnen, aber wegen der langen Kleidung konnten sie nicht fortkommen; also schlug er sie alle tot. Als Reinold dies sah, sagte er zu Malegys: "Ach, Vetter! Was habt Ihr getan? Ihr habt die Mönche alle totgeschlagen, die Euch absolvieren sollten von Euern Sünden!" Malegys antwortete: "Vetter Reinold, die Pönitenz, die sie mir auferlegt haben, war zu schwer, darum hab ' ich sie totgeschlagen." Reinold sprach wiederum zu seinem Vetter: "Sollte ich alle die getötet haben, die mir schwere Buße auferlegt, ich hätte müssen in einem Kloster über hundert Geistliche von diesem Orden erschlagen!" Da antwortete Malegys: "Vetter Reinold, lasset diese Worte bleiben und kommt mir zu Hilfe, daß wir sie ausziehen, ihre Kleider auf die Pferde binden und diese ins Kloster führen!" Reinold ward zornig, daß die Mönche tot waren, und sagte: "Vetter, ich will das nicht tun; wenn Ihr wollt, so tut es selber!"
Da Malegys sah, daß Reinold ihm nicht helfen wollte, zog er die Mönche aus, band ihre Kleider zusammen, machte sie fest auf die Pferde und ließ die Körper am Wege liegen; dann ging er nach dem Kloster, das vor Paris lag, und fragte nach dem Abt. Der Pförtner meldete ihn. Als Malegys zu dem Abt kam, neigte er sich und sagte: "Würdiger Herr t Graf Reinold läßt Euch freundlich grüßen und schickt Euch diese Pferde und Kleider, er begehrt, Ihr möchtet für ihn und seine Brüder bitten, daß sie bei König Karl zu Gnaden möchten kommen!" Der Abt fragte: "Wie kommt Ihr zu den Pferden und Kleidern ?"Malegys sprach: "Würdiger Herr! Reinold hat vier Geistliche erschlagen im Walde Bordole und zwang uns, daß wir die Rosse hieher bringen sollten!"
Sowie Malegys seine Rede vollendet hatte, sagte Reinold gar heimlich zu ihm: "Vetter, Ihr habt sie erschlagen!" Malegys stieß den Reinold an, der merkte gar bald, daß er das täte um seines Besten willen. Der Abt aber fragte den Zauberer: "Freund, hat Reinold alle vier erschlagen, das wird Gott an ihm wohl rächen; ich will das Geschenk von ihm nicht annehmen ; denn er ist im ganzen Königreich in die Acht getan, dergestalt, daß man ihm kein Essen und Trinken geben soll, vielweniger etwas verkaufen;
und wir werden ihn auch in unserer Kirche in die Acht erklären!" Da sprach Malegys zum Abt: "Wenn Ihr denn das Geschenk nicht annehmen möget, so wollen wir wieder zu Reinold ziehen und ihm solches anzeigen. Wenn er es erfährt; so weiß ich gewiß, daß er kommt und brennt Euer Kloster auf den Grund abl" Als der Abt das von Malegys hörte, entsetzte er sich und sprach: "Freund, ich habe mich anders bedacht; ich will das Geschenk behalten, und wir wollen Reinolds und auch seiner Brüder eingedenk sein in unserm Gebet, auf daß Gott ihnen allen wolle Gnade verleihen, daß sie von ihrem schweren Gefängnis erlöset werden und einen guten Frieden mit König Karl schließen. Wir bitten zugleich, Ihr wollet uns bei Reinold kein böses Spiel machen!" Malegys anwortete: "Nun wohlan, würdiger Herr, auf Eure vorgebrachten Worte wollen wir alles hier lassen, was wir hergebracht haben t"Also schieden Reinold und Malegys von dem Abt und beide zogen nach Paris.Sonntag morgens, als der Gottesdienst verrichtet war, ging ein jeder zu Tisch; indem kam Reinold und Malegys nach Paris vor die Brücke und sahen da eine Scheuer stehen, in der viel Stroh war; davon nahm Malegys einen großen Armvoll, trug es auf die Brücke, und sagte: "Reinold , ach, lieber Gesell! Wie kommst du auf dies Stroh? Ich weiß, daß dir das Stehen schwer ankommt; denn du bist weit gegangen, so gut als ich!" Mittlerweil kam ein Mann daher aus der Kirche, den beschwor Malegys , daß er seinem Gesellen helfen wolle, daß er auf das Stroh käme, damit er sich nicht wehe täte und ausruhete. Der gute Mann tat es gar gerne und half ihm, daß er zu sitzen kam; denn er sah ihn für den Ärmsten an, den er jemals getroffen hätte, gab ihm auch einen Pfennig; denn es dünkte ihm, daß er wohl bedürftig wäre; den gab er dem Malegys aufzubewahren.
Darnach sagte der gute Mann zu Malegys: "Freund, habt Ihr keine Herberge, so gehet mit mir!" Da antwortete ihm Malegys: "Ja, Herr, dessen weiß ich Euch Dank; wo soll ich Euch finden?" Der Mann sagte: "Allernächst unter dem Baum findet Ihr ein Wirtshaus, da gehet ein, die Wirtin wird Euch freundlich aufnehmen!" Malegys dankte dem Mann für seine Güte und sagte: "Freund, wir wollen Gott wieder für Euch bitten." Als darauf Malegys sich mit seinem Gesellen auf der Brücke setzte, hatte er auf einmal eine goldene Schüssel mit Edelgesteinen, hell wie die Sonne. In diese zauberte Malegys einen köstlichen Trank, von dem allerköstlichsten Wein und allerlei Kräutern und Spezereien, daß wer des Tranks genoß, in allen Sachen dem Malegys untertänig
und gehorsam sein mußte. Darauf gab er dem Reinold seine goldenen Sporen wieder und sprach zu ihm: "Vetter, bindet Eure Sporen wiederum an Eure Füße." Da sagte Reinold: "Was sollen mir die Sporen an meinen Füßen, da ich meines Rosses Beyart quitt bin!" Da entgegnete Malegys: "Vetter Reinold ! Ziehet sie an und Eure Hosen darüber; ich will das Roß mit meiner Kunst Euch wieder zur Stelle bringen und werde Euch auch zweimal wieder daraufheben, aber Ihr werdet allemal wieder auf der andern Seite hinabfallen; doch das drittemal, wenn sie Euch wieder daraufhelfen, so bleibet fest daraufsitzen!"Als Malegys den Reinold so unterrichtet hatte, wie er sich verhalten sollte, kamen die Herren von Hof mit einer großen Menge von Adel und Unadel, groß und klein, samt vielen Frauen; darnach die Ritter, einer nach dem andern, gar herrlich geziert auf ihren Pferden, auch standen da viele ehrbare Leute und besahen die Ritterschaft. Da sagte einer zu dem andern: "Saget mir doch, welcher ist der schönste und trefflichste unter den Rittern, die Ihr jetzt habt sehen über die Brücke reiten, oder der noch darüber reiten wird?" — "Das ist Roland, der den Ferragu erschlagen hat!" Da sagte eine der Frauen: "Nein, der schönste ist Olivier!" — "Ach nein", sagte eine dritte, "es ist der Herzog von Bayerland." Diese Worte hörte eine andere, die neben stand und nicht von der Gesellschaft war, die sprach: sage Euch in der Wahrheit, ich weiß noch einen andern, wenn der hier wäre! Der übertrifft die übrigen alle an Schönheit und ritterlichen Taten!" Da fragten die andern Damen, wer das wäre. Darauf antwortete jene: "Ach! Den kennet Ihr nicht, er ist Reinold genannt; der darf nicht ins Königreich kommen, und wenn er auch hieher kommen dürfte, ich sage Euch gewiß, er wäre der schönste und vortrefflichste; der heut über die Brücke geritten ist und noch reiten wird."
Dies ganze Gespräch der Frauen hörte Reinold an und mußte lachen. Das erzürnte Malegys, er stieß den Reinold und sagte: "Vetter, Ihr müßt nicht lachen." Da sagte Reinold: "Ach, Vetter, verzeihet mir, das Frauenzimmer macht mich lachen!"Als nun die Ritter alle über die Brücke waren, kam der König auch; neben dem Roland ward das Roß Beyart geführt von den Knechten, denen es bei hoher Strafe anbefohlen war, darüber zu wachen. Als König Karl nun auf die Brücke kam, sah er den Malegys und Reinold und zwischen ihnen eine schöne goldene Schüssel, da sagte er zu Roland: "Sehet, Vetter, da zwischen den zween Pilgrimen steht eine goldene Schüssel, die über die Maßen wohl gefertigt ist, eine solche ließe ich nicht für tausend Dukaten machen!" — "Das ist wahr",
sagte Roland, "wir wollen fragen, wo sie die Schüssel her haben"; ritten also zu dem Pilgrim, und Beyart ward vor ihnen hergeführt, das Roß schnoberte den Pilgrim an und erkannte den Reinold, daß er sein Herr war, stellte sich auch gar freundlich gegen ihn. Da fragte der König den Malegys: "Freund, woher kommt Euch die schöne Schüssel, das möchte ich wissen!" Da antwortete Malegys: "Gnädiger Herr! Fürwahr, man findet überall Gutes genug. Wenn ich gewußt hätte, daß ich meine Schüssel unter diesem Volke sollte verlieren, ich würde sie nicht vorgesetzt haben ; ich hoffe, in Euer Majestät Lande wird der Arme beschützet wie der Reiche mit seinem großen Gut." Der König fragte abermal, wie er zu der Schüssel käme; denn er wolle es wissen. Da antwortete alsobald Malegys: "Gnädiger Herr, das Geld, welches ich darum gegeben habe, das ist vor eilf Jahren in Kirchen und Klöstern von mir zusammengebettelt worden; dann hab ' ich sie weihen lassen; sie heißt der Heilige Gral und ist dazu gebraucht worden an dem Grünen Donnerstag, als der Herr das Abendmahl mit seinen Jüngern genossen; der Papst zu Rom hat die Messe darüber gelesen und gab ihr die Macht, wer aus derselben ein Süpplein isset, der wird aller seiner Sünden los, und wenn er schon bis über die Ohren darin steckte wie Maria Magdalena, als sie die Füße unsers Herrn mit ihren Zähren benetzte und mit ihrem Haar trocknete." Darauf sagte der König zu Roland: "Vetter Roland, dies sind gewiß zween Engel, von Gott gesandt; denn das stumme unverständige Tier erzeigt ihnen Ehre!" Malegys verstand diese Worte, nahm einen Bengel und schlug auf das Roß Beyart, daß es aufsprang.Da fragte der König den Pilgrim: "Warum schlaget Ihr das Roß?" Malegys antwortete: "Es kam uns zu nah, und wenn ich's nicht geschlagen hätte, es hätte meinem Gesellen Leid getan; ich bitte deshalb, wollt es ein wenig hinter sich führen; denn wir fürchten uns davor." Da ließ der König das Roß Beyart auf die Seite führen und begehrte, daß Malegys ihm selbst ein Schnittlein aus der Schüssel gebe, auf daß er seiner Sünden entledigt würde. Er bot ihm dafür einen güldenen Pfennig. Da sagte Malegys: "Das stehet nicht in meiner Macht, es sei denn, daß Ihr mir den König weiset." Der König antwortete: "Man sagt, daß ich's bin." Da sagte Malegys: "Gnädigster Herr, so bitt ' ich um Verzeihung, daß ich so ungeschickt gegen Eure Majestät geredet habe; denn ich habe Euch nicht gekannt." Der König sprach: "Mein Freund, warum sollt' ich Euch das übel deuten, ich begehre allein von Euch ein Schnittlein aus der Schüssel, ich will Euch das mit einem güldenen Pfennig vergüten." Darauf
antwortete Malegys: "Gnädiger Herr und Königl Das darf ich nicht tun, sei denn, daß Ihr denen allen verzeihet, die Euch jemals erzürnt oder Leids getan haben. Ihr wisset wohl, daß Christus allen denen vergeben hat, die ihm den Tod angetan haben am Stamm des Kreuzes!" Der König sprach: "Freund, das ist wahr, aber Reinold hat mir so viel übels getan, daß ich's ihm nicht vergeben kann; und sonst noch ein einiger Mann, Malegys genannt welcher als Schwarzkünstler umhergeht, denselben kann ich noch viel weniger in meinem Königreich leiden; ich wollte, daß ich sie alle beide gefangen hätte, ich ließe sie henken. Nun saget mir Pilgrim: was ist das für einer, der da bei Euch isi?"Malegys antwortete: "Er ist taub, stumm und blind." Da sagte der König: "Gib mir ein Süpplein aus der Schüssel zur Vergebung meiner Sünden!" Jener sprach aber zu Karl: "Herr König, hier liegt mein armer Bruder, der in fünfzig Tagen nicht gesehen, gehört noch geredet hat; solch Unglück bekam er in einer Nacht in einem Hause, darin wir zur Herberge lagen, und vorgestern kamen wir zu einer Wahrsagerin, die sagte zu ihm, sie wüßte keinen bessern Nat, der ihm helfen könnte, denn allein, wann er an den Ort käme, wo man das Roß Beyart reiten sollte, daß er dasselbige auch reiten möchte; das sollte ihm helfen von allem seinem Elend." Da sagte der König: "Freund, da wäret Ihr zur rechten Stunde hieher gekommen; denn Beyart wird hier geritten werden: aber ich sage Euch noch einmal, gebt mir ein Süpplein aus der Schüssel, so will ich Euern Gesellen das Roß Beyart reiten lassen."Malegys, diese Worte hörend, sprach: "Herr König, es soll geschehen. Eure Majestät weiß wohl, daß Christus zu Bethlehem geboren ist in armer Gestalt und in schlechte Leinwand gebunden ward; solches tat seine Demut; denn Gott wollte haben, daß der Mensch allen Hochmut und alle Pracht meiden und demütig sein solle." Der König antwortete: "Freund, das ist wahr"; da sagte Malegys wiederum zum König: "Gnädigster Herr ! Lasset auch die Knechte, die dahinten stehen, einen Löffelvoll nehmen, das will ich Euch zu Gefallen tun." Der König sagte: "Pilgrim, ich bin's zufrieden", und befahl gleich, daß die Knechte vor ihm nehmen sollten ; das taten sie auch, sie kamen alle zu Malegys mit gefalteten Händen und begehrten, daß er ihnen solches reichte, aber sie wußten nicht; was sie taten. Darnach kam der König selbst in großer Andacht und empfing ein Süpplein in der Meinung, daß ihm seine Sünden dadurch sollten vergeben sein.
Als dies geschehen war, ließ der König das Roß Beyart vor Paris hinaus
an den Ort bringen, wo man es reiten sollte, und da kamen auch die Pilger mit großer Müh und Arbeit hin. Während sie nun auf dem Wege waren, sagte der König zu Roland: "Lieber Vetter, ich bitte, Ihr wollet diesen kranken Pilgrim auf Euer Roß sitzen lassen, daß er das reite, so wird er durch Gottes Hilfe gesund werden; Ihr verdient Gottes Lohn daran!" Roland sprach: "Ja, gnädiger Herr König, das will ich gerne tun", nahm zur Stunde den Pilger in seinen Ann und hob ihn auf das Roß, aber der fiel von der andern Seite wieder ab; das war Roland von Herzen leid, er half ihm wieder darauf; aber er fiel an der andern Seite wieder ab. Als Malegys dies sah, sagte er: "Ach Herr! Ihr tut große Sünde, daß Ihr den armen Mann so hart fallen lasset und mit ihm Kurzweil treibet, das Roß ist hoch, fällt er noch einmal davon, so ist er tot!" Als der König hörte, daß er so oft von dem Pferd gefallen sei, sprach er zu Roland: "Ich bitte Euch, Vetter Roland, haltet den Pilgrim doch fest; daß er nicht mehr falle; er möchte sonst sterben!" Da nahm ihn Roland auf und setzte ihn wieder auf das Roß, da blieb er darauf sitzen.Sowie Reinold auf dem Beyart war, setzte er seine Füße in die Stegreife, damit er fest sitzen konnte, und sprach zu den Knechten, welchen das Roß befohlen war: "Ich wollte gern einmal allein reiten." Da befahl der König, man sollte den Pilgrim allein reiten lassen. Als Malegys hörte, daß sein Gesell wieder reden konnte, dankte er Gott, und fragte ihn, ob er auch sehen und hören könnte. "Ja", sagte er "ich bin von aller meiner Krankheit gesund worden!" Als der König das hörte, sagte er zu dem Bischof Turpin: "Herr Bischof, laßt uns Gott zu Lob eine Prozession mit Kreuz und Fahnen halten, daß Gott der Herr diesen elenden Menschen durch Reitung des Pferdes hat lassen gesund werden; denn es ist ein groß Wunderwerk."
Nun brauchte Malegys seine Kunst daß Reinold wieder zu seinen vorigen Kräften kam. Reinold merkte, daß man nicht besonders Achtung auf ihn gab, und stieß das Roß mit den Sporen; wie dieses merkte, daß sein Herr wieder auf ihm saß, schickte es sich zum Laufen an und sprang eine gute Strecke weit. Als das die Knechte sahen, denen das Roß befohlen war, erschraken sie sehr und fürchteten, sie müßten es mit dem Hals bezahlen . Malegys aber, der dies mitansah, stellte sich gar übel, schlug sich mit Fäusten, raufte sich die Haare aus und rief: "O gnädiger Herr und König! Mein Gesell ist auf Euer Roß gesessen, ich fürchte, er möchte den Hals brechen; denn es stellt sich so wunderlich mit ihm an!"
Wie der König sah, daß Malegys sich so übel gebärdete, befahl er in
der Eile den zwölf Genossen, sie sollten das Roß mit dem Pilgrim einholen und ihm davon helfen. Da ritten sie alle dem Pilger nach, Roland und Ogier waren die ersten, darnach der Herzog von Bayerland mit Samson, und so fort die andern Herren; sie vermeinten alle, den Pilgrim zu erlangen, wußten aber nicht, daß es Reinold war. Reinold, dies merkend, sah sich öfter um, ob sie ihm folgten, und redete bei sich selbst: "Ach, daß ich wüßte, ob meine Verwandten mir in guter oder böser Absicht folgten; ich tue wohl besser, mich entgegenzusetzen wie gegen Fremde!" Daher zogDa erkannten sie ihn nicht und sagten: "Nein!"Endlich gingen Roland die Augen auf: "Vetter Reinold", sprach er, "wir haben nicht gedacht, daß wir Euch allhier finden sollten!" Der Bischof Turpin verwunderte sich auch und sagte: "Seid mir willkommen, lieber Reinold, wie kommt Ihr hieher?" Reinold dankte ihm und sprach: "Dies ist Gott gefällig gewesen." M kam auch Olivier, verwunderte sich und sagte: "Vetter Reinold , ich bin wohl zufrieden und danke Gott, daß ich Euch noch gesund
findet" Letztlich kam Ogier und sprach: "Lieber Vetter, nun saget mir doch, wer ist der andere Pilgrim, der bei dem König geblieben ist?" Reinold antwortete ihm, und sagte: "Es ist mein Vetter Malegys; es ist eben der rechte, der es sollte sein; denn er treibt nur seinen Spott mit dem Könige!" Da rief Reinold die Herren zusammen und bat vor allem Roland, daß er den Malegys bei dem Könige nicht verraten sollte; darnach begehrte er von Bischof Turpin und den andern Herren, daß sie wollten seine Brüder, die noch in des Königs Hand seien, in ihren Schutz nehmen und nicht zulassen, daß sie umkamen oder nach dem Galgen geführt würden. Als Folcos Sohn dies hörte, sagte er: "Reinold, ich will dich jetzt unserm König gefangen liefern, der soll dich und deine Brüder morgen henken lassen!" Reinold rief: "Dafür behüte mich Gott!" zog sein Schwert aus und schlug ihm seinen Kopf ab; darüber lachte Roland und sagte: "Habt Dank, Vetter; Ihr habt ihm recht getan, er hat seinen rechten Lohn bekommen!"Nach diesem nahm Reinold Urlaub von den Herren, befahl sie dem lieben Gott, stellte seine Brüder in Gottes und ihre Gewalt: "Meinen Vetter Malegys", sprach er, "befehle ich Maria, des Herrn Mutter; denn ich darf hier nicht länger bleiben!" Also schied er von ihnen und ritt nach Montalban.
hinweg, als wenn es unsinnig wäre; also verloren wir es zwischen zweien Wäldern und einem Ackerland; darum erzürnete ich und schlug ihn tot." Als der König das hörte, sagte er: "Vetter Roland, Ihr habt nicht unrecht daran getan; es war gar eine Vermessenheit, daß er vor euch allen das Pferd allein fangen wollte; doch wäre es mir lieber, es wäre nicht geschehen!" Als der König ausgeredet hatte, sagte Roland zu ihm: "Herr König, ich begehre, Euer Majestät wolle die Knechte alle, denen das Roß anbefohlen ward, aufhenken lassen; denn sie sind Ursache, daß es uns entkommen Da ließ der König die Knechte zur Stund aufhenken. Darnach ging Malegys zum König und sprach: "Ach, wie ist mir geschehen, mein Gesell ist auf das Roß gesessen; ich fürchte, er wird davon gefallen sein und sterben; dieses bekümmert mich gar sehr, ich will eine Wallfahrt über See tun und für seine Seele bitten, daß Gott der Herr der wolle gnädig sein", und stellte sich gar traurig. Als der König des Malegys Elend und Jammer ansah, tröstete er ihn und sprach: "Freund, seid zufrieden, ich will Euch in ein Kloster tun, wo Ihr Euer Leben lang sollt unterhalten werden, und so ich vernehme, daß Euer Genosse tot geblieben ist, so will ich alle Tage zu Ehren der Mutter Gottes eine Messe für seine Seele lesen lassen." Malegys dankte dem König und sagte: "Ich kann nicht länger bleiben", und nahm also Urlaub vom Könige. Dann befahl Karl seinem Schaffner, er sollte dem Malegys hundert Dukaten in Gold geben; die nahm Malegys und zog also von Paris. Als nun dies sich so zugetragen hatte, ließ der König seine Edelleute und alle seine Räte zusammenkommen und sprach: "Ihr Herren, ich schwöre bei meiner Krone, ich will Gericht halten über die, welche meinen Sohn so mörderischerweise erschlagen haben!" Und alsobald ließ er des Neinolds Brüder aus dem Gefängnis bringen, und hieß ihnen ihr Angesicht bedecken und ihre Hände binden, als ob es Diebe gewesen wären, und wollte sie hinrichten lassen.
Wie nun der Bischof Turpin dies sah, erbarmete er sich über sie und sagte: "Herr König, ich bitte, wollet unsere Vettern erstlich vor Gericht und vor die Schöffen kommen lassen; denn es ist ja Euer eigen Fleisch und Blut." Da antwortete der König: "Herr Bischof, durchaus nicht; ich will, daß sie heute sterben sollen; denn sie haben mir meinen Sohn erschlagen und müssen nach ihren Werken den Lohn empfangen." Der Bischof sagte: "Herr König, dieser Herren hier ist schier keiner, der nicht mit ihnen verwandt wäre; darum zweifle ich nicht, sie werden es ungerne sehen, daß man sie henkt, und wo Ihr solches zulasset, werdet Ihr wenig
Dank davon haben." Da fragte der König: "Herr Bischof, wollet Ihr Euch gegen mich aufwerfend" — "Nein", sagte der Bischof, "aber wir wollen nicht verwilligen, daß sie sollen gehangen werden." Der König entgegnete: "Ich will sie doch hängen lassen und gern sehen, wer mir's wehren wird." Der Bischof sprach wieder: "Ich glaube nicht; daß es die Herren werden zulassen; denn sie sind ihnen schier alle verwandt." Da rief der König den Folco von Paris zu sich und sagte: "Was ratet Ihr, soll ich meine Vettern hängen, oder soll ich sie leben lassen?"Folco sagte zu dem König: "Großmütigster König, da ist Eure Majestät selbst klug und verständig genug dazu; wenn aber Bischof Turpin sich Eurer Majestät widersetzt und Ihr sie nicht hängen laßt, so wird man sagen: der König hat es nicht tun dürfen."Da der König dieses hörte, ergrimmte er noch mehr, schwur noch einmal bei seiner Krone, und sagte: "Nun sollen sie sterben, es koste auch, was es wolle", aber der Schwur war ihm hernach von Herzen leid. Der Bischof, diese Worte des Königs hörend, ward zornig und sprach: "Nun, wohlan, gnädiger Herr und König, es ist unser Wille und Meinung sämtlich, daß Ihr sollt den drei Gebrüdern, unsern Vettern, das Leben lassen; es sei Euer Majestät lieb oder leid!" Der König versetzte dem Bischof: "Wie, wollet Ihr Euch gegen mich auflehnen?" und schlug nach dem Bischof. Der Bischof, dies ersehend, nahm den König bei dem Hals und hätte ihn fast erwürgt, aber die andern fielen dazwischen und brachten sie wieder voneinander. Der König ward gar zornig und sagte: "Nun will ich sehen, wer diejenigen sind, die mich absetzen und auf Eurer Seite leben und sterben wollen!" Als der Bischof das hörte, sprang er auf die Seite und rief: "Oh, ihr Herren und Freunde, die mich mit Treue meinen und nicht von mir weichen wollen, stehet mir in meiner Not bei; denn in der Zeit der Not kennet man einen Freund!" Als der Bischof diese Worte geredet, trat von dem König zu ihm Graf Aymerich, Arnolds Sohn von Mailand, nach ihm Herr Arnold, ein stolzer und gewaltiger Ritter, nach diesem der Herzog von Burgund, der sagte: "Herr Bischof, wir wollen Euch helfen und beistehen mit Leib und Gut gegen alle, die Euch anfechten werden, seid darum nicht traurig!"Auf ihn folgte Richard von der Normandie, Ogier, auch ein gewaltiger Ritter, der Herzog von Balmon und seine zween Söhne, Bertram und Richard, Graf Olivier von Genua und der stolze Roland, darnach noch etliche andere mehr. Als die Herren nun an des Bischofs Seite standen, sagten sie alle mit lauter Stimme: "Seid nicht traurig, Herr Bischof, wer Euch jetzt Leid tut, der
soll es uns tun, und sollt' es unser Leben kosten." Als der König das sah, sprach er zu Roland: "Vetter Roland, was tut Ihr? Ich meinte, wer auch von mir abgefallen, so wäret Ihr doch bei mir blieben? Ich sehe wohl, ich habe Euch vergebens so lang an meinem Hof behalten, habe Euch umsonst allen andern Herren vorgezogen und mein Vertrauen auf Euch gesetzt; Ihr lasset mich in der Not stecken; das hätte ich Euch nicht zugetraut !" Da sagte Graf Roland: "Gnädigster Herr! Ich achte dies nicht; Eure Majestät sollte sich schämen vor der ganzen Welt, daß Ihr diese drei Herren hinrichten wollet, die doch von königlichem Geblüt und Eure Verwandten sind." Da rief der König abermals den Folco von Paris und sprach: "Folco, was saget Ihr hierzu, soll ich meine Vettern losgeben oder nicht?" — "Eure Majestät ist klug und verständig genug", sprach dieser, "sehet Ihr nicht, daß Eure besten Freunde sich gegen Euch waffnen , und dem Bischof zufallend Wenn Ihr die drei Herren losgeht, so wird man sagen, Ihr habt sie nicht richten dürfen nach dem Willen Eurer Räte und habt sie also müssen laufen lassen!" — "Das ist wahr", sagte der König.Als Ogier dies Wort von Folco hörte, ward er zornig, sprang hervor und schlug demselben ins Gesicht, daß er vor des Königs Füße fiel, als ob er tot wäre, und sprach: "Ei, du falscher Ratgeber und böser Tyrann, willst du das Blut dieser drei Herren und siehest, daß wir's nicht begehren? Du sollst des Tages Ende nicht erleben!" Dann ging er zu den drei Brüdern, lösete ihnen ihre Hände, entblößte ihnen das Gesicht und wollte sie nicht also länger gebunden sehen. Da fragte der Bischof: "Wer will nun diese drei Herren hängen? glaube, es wird niemand so kühn sein!" Der König sprach: "Herr Bischof, Ihr seid sehr trutzig gegen inicht" Der Bischof antwortete: "Herr König, ich hab ' Eurer Majestät zuvor gesagt und sag ' es noch: wenn ich mich gegen Euch sperren wollte, so wollt ' ich durch die Gunst, die ich genieße, Euch Land und Leute und die Krone abzwingen!" Als der König das hörte, ward er zornig und beklagte sich vor seinem ganzen Rat.
Der Bischof, welcher sah, daß sich der König so sehr grämte, ließ die Herren wieder binden, wie sie zuvor gebunden waren, lieferte sie in des Königs Hand und sagte: "Gnädiger Herr und König, da habt Ihr Eure Gefangene wiederum, tut nach Eurem Gefallen, aber ich rate Eurer Majestät; laßt sie los um das Entgelt, welches Reinold für sie geboten hatt" Da sagte der König: "Ach, die Allerliebsten, auf welche ich mich verlassen, weichen nun von mir, wie ist mir also geschehen?" Da sprach Roland:
"Fürwahr, Herr König, ich tue das nicht, daß ich von Euch abwiche. Wollet Ihr gegen die Türken und Heiden streiten, so will ich Euch nicht verlassen, werd ' auch noch getreuer sein als vorhin; ich will allezeit vorn und nie der Hinterste sein und Euch allweg dienen t"Hierauf bedachte sich der König und sagte: "Habt Ihr's gehört, Herr Bischof, heute sollen meiner Schwester Kinder sterben; denn ich will meinen Sohn rächen, ich kann solche Schmach nicht vergessen! Ach, ihr Herren, wie tut ihr so übel; ich verwundre mich, daß ihr euch wider mich also betraget Soll ich den Eid, so ich geschworen habe, nicht vollführen können, daß ich meiner Schwester Söhne töte und mich also räche an Blut meines Sohnes, den sie so jämmerlich erschlagen haben?"
Über diese Rede war er selbst ein wenig bestürzt, doch sagte er weiter: "Ich hätte wahrlich gemeint, ihr solltet mir in solchem Fall beigestanden haben!" Hierauf sprach der Bischof: "Gnädiger Herr und Königl Eure Majestät erzürne sich nicht über uns, daß der Eid, den Sie geschworen, nicht erfüllt wird; es ist schon zweimal geschehen, daß Sie einen Eid gebrochen hat, darum achten wir es nicht hoch, ob er für diesmal auch gebrochen wirdt" Da sprach der König: "Habt Ihr das getan, so ist's mir leid, da weiß ich nichts davon." Der Bischof sagte: "Ich will es Euch wohl sagen: denkt Ihr nicht mehr daran, daß Ihr im zornigen Mut bei Eurer königlichen Krone schwuret Ihr wollet Amalis von Olinde hängen lassen, weil er Eure Tochter entführt hat; und nun ist er Euer allerliebster Sohn, Ihr habt ihm Eure Tochter zum Gemahl gegeben und dazu noch Land und Leute!" Als der König dies hörte, sagte er zu dem Bischof: "Herr Bischof, ich verbiete Euch bei meiner Krone, lasset die Worte sein und streitet nicht länger gegen meine Person; denn ich sehe wohl, Ihr gewinnet mir Land und Leute abl" Da sagte Roland: "Herr König, ich rate Eurer Majestät als ein Freund, haltet die Herren alle drei noch ein wenig gefangen. Ihr werdet Euch dann etwas bedenken, so daß sich alles zum besten wenden kann!" — "Das will ich tun, Roland", sprach der König.
Darauf wurden die Brüder, welche in großer Gefahr gestanden, wieder ins Gefängnis geführt und also schied der Nat voneinander; der König ging in seine Kammer, und alle Dinge wurden für diesmal beigelegt. Als dies sich also zugetragen hatte, kam Malegys wieder gen Paris, um des Reinolds Brüder auch zu erretten; denn sie meinten alle Stund, sie müßten sterben. Er ging deshalb nach dem Palast in das Gefängnis und erwies daselbst seine Kunst, daß die Fallbrücke niederfiel und das Tor sich
öffnete; also begab er sich zu den Gefangenen und brauchte seine Kunst abermals, daß die Schlösser des Turms zersprangen, die Tür entzweiging und er zu ihnen hineinkam. Da nahm er Adelhart Rittsart und Writsart bei der Hand und schüttelte ihnen ihre Schlösser ab, mit welchen sie geschlossen waren: aber die Brüder wußten nicht, daß es Malegys, ihr Vetter, war, sondern sie meinten, daß es des Königs Diener wäre und wollte sie heimlich umbringen. Sie waren deswegen sehr traurig und fingen an, bitterlich zu weinen. "Acht"riefen sie, "es ist nun um unser Leben getan Malegys hörte dies jämmerliche Grämen, erbarmte sich ihrer und sagte: "Liebe Herren, seid zufrieden und erschrecket nicht, es hat keine Not: ich bin Malegys, euer Vetter, ich will euch aus dem Gefängnis führen."Wie die Brüder dieses hörten, waren sie von Herzen froh. Hierauf sagte Adelhart: "Lieber Vetter, ohne Eure Hilfe stehet unser Leben in der Hand des Herrn und König Karls: wir bitten, Ihr wollet uns helfen." Darauf nahm sie Malegys bei der Hand, führte sie aus dem Gefängnis bis an die Brücke der Stadt Paris, sagte aber dabei: "Ich hab ' übel getan, daß ich euch aus dem Gefängnis geführet habe ohne Wissen des Königs; ich will hingehen und es ihm anzeigen und Erlaubnis von ihm begehren." Da sprach Adelhart: "Vetter, ich bitte Euch, lasset uns gehen; denn ich weiß, er wird Euch keine Erlaubnis geben." Malegys aber ließ die Herren allein daselbst stehen, ging zum König bis vor sein Bett und sagte: "Herr König, Gott gebe Euch einen guten Tag, und Gott wolle Eurer Seele Geleitsmann sein, wenn sie aus diesem Jammertal scheiden wird. Ich kann nicht unterlassen, Herr König, Euch kundzutun, daß ich meine Vettern aus dem Gefängnis geholet habe und hinweggeführt bis an die Brücke vor Paris, es gehe wohl oder übel. Nun bitte ich, gnädigster Herr und König, Ihr wollet mir erlauben, daß ich sie wieder möge hinwegführen nach Montalban; daselbst werden sie Euch keinen Schaden mehr zufügen, viel weniger Eure Majestät daselbst fürchten!" Als der König dies im Schlaf hörte, antwortete er: "Nehmet Eure Vettern und tut mit ihnen, was Euch gefällt!" wußte aber selbst nicht, was er geredet hatte.
Als Malegys solche Worte von dem Könige gehört; war er wohlzufrieden, sah sich um nach des Königs Krone und nahm sie samt Karls Schwert mit sich, ließ diesen zusehen und brachte die drei Herren samt der Krone nach Montalban. Wie Reinold seine Brüder sah, sprang er vor Freuden auf und dankte seinem Vetter herzlich. Sie blieben nun samt Malegys zu Montalban beieinander. Nachdem Malegys fort von dem König war,
schlief dieser wieder ein, und als er erwachte, wußte er nicht, ob er dieses alles gesehen und gehört hätte, oder ob es ihm in einem Traum so vorgekommen; er ging deswegen, sobald er sich gekleidet hatte, nach dem Gefängnis, um zu sehen, ob solches wahr oder ob es ein Traum gewesen wäre. Als er dahinkam, fand er das Gefängnis offen, und die Gefangenen waren heraus; da ward er sehr zornig und ging wieder nach seinem Gemach. Unterwegs kam ihm Roland entgegen und begrüßte ihn. "Herr und Königl"sprach er, "zu guter Stunde seid Ihr also früh aufgestanden!" Da sagte der König zu Roland: "Liebster Vetter Roland, gehet mit mir; ich muß Euch mein Unglück klagen, das mir diese Nacht widerfahren. Vergangene Nacht, als ich im Schlaf war, kam der Betrüger Malegys zu mir, so mir recht ist, und sagte mir, er hätte Reinolds Brüder aus dem Gefängnis genommen, und bat mich um Urlaub, daß er sie nach Montalban führen möchte, damit sie mich nicht fürchten sollten; ich meinte, er stünde vor mir, und ich gab ihm Urlaub, sie hinwegzuführen, sah auch, daß er meine königliche Krone samt dem Schwerte zu sich nahm; ich fürchte, ich werde es nimmer bekommen!" Roland antwortete dem König und sagte: "Herr König, habt Ihr Malegys Urlaub gegeben und nehmt es ihm nun für übel: was ist das?" Der König aber sprach: "Roland, treibet Ihr Euern Scherz mit mir? Das muß mich verdrießen!" So gingen sie miteinander in des Königs Kammer; Karl aber war sehr übel zufrieden wegen seiner Gefangenen, seiner geraubten Krone und seines entführten Schwertes.Dieser Rat gefiel dem König wohl; er gedachte, auf diesem Weg dürfte er das beste Pferd bekommen, das im ganzen Königreich wäre, und mit welchem Roland der Gewalt, die Reinold üben möchte widerstehen und ihn fern von Frankreich halten könnte. Er setzte daher die Krone; die er
erst hatte machen lassen, als Kleinod aus, daneben befahl er, es solle sich ein jeder mit den besten Pferden versehen, die er bekommen könnte.Solches erfuhr Reinold von einem guten Freunde, den erin Frankreich hatte, der kam in aller Eile zu ihm nach Montalban und sagte: "Herr Reinold, ich tue Euch zu wissen, daß der König seine Krone zum Kleinod zwischen Montalban und der Seine aufgesetzet dazu alle Ritter berufen, mit den edelsten Pferden zu Paris zu erscheinen und ihr Bestes tun mit Rennen, um die Krone zu gewinnen, in der Hoffnung, daß er auf diesem Wege das beste Pferd bekäme, um Euch damit zu bezwingen und fern vom Lande zu halten." Reinold erwiderte: "Freund, schweige davon still; wenn es meinem Vetter Malegys ratsam zu sein dünket, so will ich nach Paris reiten und das Kleinod gewinnen; denn ich weiß, er findet kein Roß, das meinem gleich ist im Laufen und Springen." Dieweil er mit diesem redete, kam Malegys dazu, und Reinold erzählte ihm, was er gehört. Da sprach Malegys: "Wo meint der König ein solch Roß finden, das dem Beyart gleichkommt mit Laufen und Springen? Das ist ihm nicht möglich; derhalben rate ich Euch, Vetter Reinold, daß Ihr dahin ziehet und nehmet Eure Brüder samt Eurem Volk mit Euch, damit Ihr desto besser verwahrt seid, und sehet, daß Ihr die Krone davonbringet: ich selber will auch mitreiten."
Da ließ Reinold das Roß Beyart satteln, rüstete sich in aller Eile, und sie zogen aus. Als sie gen Orleans kamen, fragte Malegys nach der besten Herberge; sie stiegen von ihren Pferden und gingen hinein. Als es nun Zeit war zu essen, wuschen sie ihre Hände, setzten sich zu Tisch und befahlen , daß man den Pferden ihre Gebühr auch geben sollte, saßen also und waren fröhlich; denn es war allda kein Mangel.
Als die Mahlzeit ein Ende hatte, ging ein jeglicher lustwandeln, wie es ihm wohlgefiel; aber Malegys und Reinold begaben sich in einen Garten, darin allerlei Kräuter und Blumen standen; da suchte Malegys etliche davon, die ihm nötig waren, und stieß sie zusammen in einem Mörser; den Saft nahm er und bestrich Reinolds ganzen Körper damit.
Dadurch veränderte Reinold die Farbe und sah viel jünger aus, als er war, also daß man ihn nicht erkennen konnte. Als Adelhart, des Reinolds Bruder dies sah, lachte er und sagte zu den andern Brüdern: "Sehet, Brüder! Was hat unser Vetter getan durch seine Zauberkunst!" Darauf ging Malegys in den Stall und veränderte dem Roß Beyart auch seine Farbe; es war vorhin schwarz, darnach wurde es so weiß wie Schnee, daß man es nicht erkennen konnte.
Wie dieses die Brüder sahen, mußten sie lachen und sagten wieder zueinander: "Wenn ich nicht wüßte, daß es Beyart wäre, so könnte ich es jetzt nicht erkennen, so sehr ist es nun entstellt; und ich weiß gewiß, daß niemand unter der Sonne ist, der es erkennen kann." Als dies geschehen, fing Malegys an: "Nun lasset uns fort gen Paris reiten; denn niemand kennet jetzt Reinold, noch das Roß Beyart, wie genau man es besieht!"
Reinold, der tapfere Held, ließ sein Pferd satteln und rüstete sich samt seinen Brüdern, und sein Vetter Malegys desgleichen, doch keiner war so herrlich als Reinold. Aber die Worte, die Reinold und Malegys mit den Brüdern gewechselt hatten, hörte ein Verräter; derselbe lief eilends nach Paris, meldete alles dem König und sagte, daß Reinold sich gerüstet hätte und nach Paris reiten wolle, um die Krone zu gewinnen; denn er habe es von ihm sagen hören. Als der König dieses vernahm, entfiel ihm der Mut, und er sprach: "Freund, was sagt Ihrs Ich weiß, daß Reinold nicht hieher kommen darf, und wenn er die Stadt Paris damit gewinnen könnte!" Da antwortete der Verräter: "Herr, ich sage Euch, fürwahr, es geschieht, denn ich habe ihn samt seinen Brüdern und Malegys zu Orleans gesehen ." Als der König das hörte, ward er zornig, rief Folco von Morlin und sagte zu ihm: "Ich will dir dreißigtausend Mann geben, darüber sollt du Obrister sein und mit ihnen nach Orleans ziehen, daß du meinen Vetter Reinold bekommest und bringst ihn gefangen hieher. Wenn er sich gegen dich zur Wehr stellt, so haue ihn samt seinen Brüdern und Malegys in Stücke und bringe mir ihre Häupter, dafür will ich dir schwer Gold geben." Folco willigte ein, zog hinweg mit seinem Volk, besetzte alle Pässe und Straßen und sprach: "Nun ist Reinold samt seinen Brüdern mein Gefangener , Gott wollte es denn anders; ich will nun fleißig Achtung geben, daß er mir nicht entkomme."
Unterdessen kam Reinold auf vier Meilen Wegs nahe bei Paris auf ein schönes Feld, wo er einen guten Brunnen fand. Da verließen Reinold und Malegys das Volk, das sie bei sich hatten, und befahlen es dem Adelhart, daß er darüber gebieten solle als ihr Oberster; so ritten sie gen Paris und sprachen zu Adelhart: "Wenn man uns mit Gewalt überfallen würde, so wollen wir eine Trompete blasen: alsdann komme du uns mit dem Volk ohne langen Verzug zu Hilfe." Als sie nun zu Paris angekommen waren, sagte Malegys zu Reinold: "Wenn man Euch etwas fragen wird, so antwortet sanftmütig auf Bretagnisch und lasset Euch nicht merken, daß Ihr Französisch reden könnet."
Jetzt nahte Folco mit seiner Schar und sah Reinold herankommen. Da
sagte Reinold zu dem Malegys: "Vetter, was sollen wir tun? Lasset uns wieder umkehren zu unserm Volk; denn sehet, da kommt Folco von Morlin." Darauf antwortete Malegys: "O Reinold, ich merke wohl, Ihr habt kein Herz mehr; reitet fort und fürchtet Euch nicht; denn niemand kennt Euch und das Roß!" Inzwischen ritt Folco tapfer auf Reinold zu und hatte ein Schwert in seiner Hand; als er bei ihm ankam, vermeinte er, das wäre ein junger Knabe, und sah, daß er nicht gewaffnet war; dessen schämte er sich, senkte sein Schwert, nahm den Reinold bei der Hand und fragte ihn: "Jüngling, wo kommst du her, und wo bist du geborene"Da antwortete Reinold ihm auf Bretagnisch mit gelinden Worten. Folco aber sprach: "Rede Französisch; denn ich verstehe dich sonst nicht. Fürwahr, Jüngling", sagte er, "ein solch groß Pferd habe ich noch niemalen gesehen ; es ist schier dem Roß Beyart gleich, das der Reinold hatte, und wenn es schwarz wäre, so spräche ich, es wäre das Roß Beyart."Und also ließ er den Reinold seine Straße reiten. Darnach kam der Ritter Dunay zu Folco, fragte ihn: "Wie, Folco, habt Ihr den Reinold nicht erschlagen? " — "Nein", sagte dieser, "es ist Reinold nicht 'gewesen, es ist ein junger Held von vierzehn oder fünfzehn Jahren er kommt aus Bretagne!" Als Dunay dies hörte, steckte er sein Schwert ein und ritt ihm in aller Eile nach; und als er zu Reinold kam, nahm er seinen saum in die Hand und fragte ihn auch, wo er geboren wäre. Reinold antwortete ihm gar demütig: "In Bretagne, in Brevie bin ich geboren." Dunay sagte: "Sprecht Französisch, ich verstehe Euch sonst nicht." Als Dunay aber hörte, daß er sonst keine Sprache reden konnte, sagte er: "Nun, so reitet hin in Gottes Namen!"Darnach nahm Dunay Malegys Pferd bei dem Zaum und fragte ihn auch, wo der junge Held geboren wäre. Malegys antwortete auf Französisch und sagte: "In Bretagne; er ist eines Grafen Sohn, aber sein Land und Leut' hat er versetzt." Da fragte Dunay: "Wie ist er denn zu dem Pferd gekommen? Das ist ein schön, groß und geschwindes Roß, desgleichen hab ' ich niemals gesehen. Es ist fast dem Roß Beyart gleich, und wenn es von Haaren wäre, wie jenes ist, so sagte ich, es wäre Beyart selbst; denn es hat eben seinen Gang und Gestalt, nur nicht die Haare!" — "Das ist kein Wunder", sagte Malegys, "daß es groß ist, es hat niemals nichts anders gefressen als Kom und Brot, und das allein darum, weil der König hat verkündigen lassen, er wollte seine Krone zum Kleinod aussetzen auf das beste Pferd, welches am geschwindesten und am mächtigsten wäre im Turnieren und Rennen; dasselbe wollte er kaufen, der
Meinung, daß man den Reinold bezwingen und gus dem Lande halten sollte; derhalben hat der Jüngling sein !Pferd allein mit Korn und Brot füttern lassen; denn er hofft, die Krone zu gewinnen und den Preis davonzutragen Da sprach Dunay zu Malegys: "Habt Ihr nichts von Reinold vernommene" Malegys erwiderte: "Ich glaube, er ist noch dahinten und trachtet sehr nach des Königs Unglück." Dann nahm er Urlaub von dem Ritter Dunay und ritt Reinold nach. Dunay aber ritt zu Folco von Morlin und sagte zu ihm: "Mich dünkt, daß wir vergeblich auf Reinold warten; denn ich weiß, daß er nicht nach Paris kommt, und wenn er schon die Stadt Senlis, Orleans und Amiens damit verdienen könnte!" Folco antwortete dem Ritter Dunay und sprach: "Fürwahr, Hem, das dünkt mich auch; und wenn es der Ritter Reinold erfährt, daß wir sein allhier warten, so wird er lachen, seinen Spott mit uns haben und sagen: Jetzt sehe ich, daß man mich sehr fürchtet, da sie mit solcher Gewalt auf mich warten! ' Mit diesen Worten kehrten sie wieder nach Paris zu dem König.Als Folco vor den König kam, fragte ihn dieser, ob er Reinold bekommen hätte. Er antwortete seinem Herrn: "Nein, Herr König." Der Ritter Dunay aber sagte zu Karl: "Gnädigster Herr König, es wäre gar unweislich getan, wenn wir den stolzen Ritter Reinold daselbst sollten erwarten; denn er wird sich wohl besser besinnen, denn daß er gen Paris kommt; und ich weiß, wenn er schon Senlis, Orleans und Amiens damit gewinnen könnte, so kommt er doch nicht hieher." Der König antwortete: "Das ist wohl wahr, was Ihr saget, Herr Dunay, aber er ist von Eurer Verwandtschaft; darum habt Ihr dem Folco davon abgeraten; aber fürwahr, ich sage Euch, wenn mir der Reinold entkommt, so will ich Euch an seiner Statt henken lassen!" Darauf erwiderte Dunay: "Gnädiger Herr, nicht also, ich will Eurer Majestät einen andern Rat geben; Ihr sollet alle Tore der Stadt zusperren lassen und an jegliches Tor ungefähr drei oder vier gewaffnete Mann stellen und alle die fremden Ritter und Herren draußen lassen; und wenn nun Reinold mit einigen Pferden käme und gern herein sein wollte, so könnte man ihn alsobald ergreifen und Eurer Majestät gefangen ausliefern!"
Der König hielt den Rat für annehmlich und befahl, ihn ins Werk zu setzen; er ließ die Stadt Paris bewachen, auf daß er den Ritter Reinold möchte bekommen. Reinold und Malegys kamen. Aber niemand war da, der ihnen aufmachte. Als Malegys dies sah, steckte er sein Haupt durch ein Loch des Tors und sah einen gewaffneten Mann dasitzen; denselben
sprach er mit guten Worten an und sagte: "Freund, warum läßt der König die Tore alle verschließen? Dessen verwundere ich mich sehr, daß alle diese Ritter und Herren hieraußen bleiben müssen. Oder meinte der König , daß er alle gute Pferde darin hat? Ach, nein! Es ist noch eines hieraußen, das ist das beste, des wird er wohl innewerden!"Der gute Mann sagte zu ihnen: "Meine Freunde, es ist nicht darum geschehen; es ist nur um den Ritter Reinold zu tun." —"Ist's sonst anders nichts als um Reinold ?"sprach Malegys, "ich hab ' gehört; er ist noch dahinten, aber er trachtet gewaltig nach des Königs Schad ' und Unehr!" Indem nun Malegys also redete mit dem Wächter, stand da ein Verräter neben Reinold, der sagte: "Hab ' ich Reinold jemals gesehen, so ist es der, welcher auf dem großen Roß sitzt, und das Pferd ist Beyart!" Malegys, dies hörend, veränderte den Reinold noch mehr, und Beyart verstand die Worte auch, die der Verräter redete: er schlug mit seinen Füßen hinten aus und traf jenen vor die Brust; daß er zurückfiel und starb.
Hierauf sagte Malegys zu den Herren, die dabeiwaren: "Das Pferd hat den Knecht totgeschlagen." Die Herren aber sprachen: "Das Pferd hat recht getan, warum hat er gelogen? Wie sollte das Beyart sein können; denn Beyart ist kohlschwarz, und dies Roß ist weiß wie der Schnee; auch kennen wir Reinold wohl, der hat eine Gestalt von zweiundzwanzig Jahren, dieser Jüngling scheinet nicht über fünfzehn Jahre alt zu sein!" Als diese Rede ein Ende genommen, tat man das Tor auf und ließ die Reiter alle hineinziehen.
Als sie nun darin waren, fragte Malegys nach der besten Herberge; die zeigte man ihm, da stiegen sie von ihren Pferden, welche in den Stall geführt wurden, und die Ritter gingen zum Morgenessen. Wie nun die Zeit herannahte, daß man um die Krone reiten sollte, ging Malegys mit Reinold in den Stall, und Malegys machte durch seine Zauberei, daß Beyart ganz mager und unansehnlich ward.
Reinold und Malegys sattelten darauf ihre Pferde, ritten wieder zu der Stadt hinaus auf einen grünen Platz und erwarteten daselbst den König. Als nun die Mahlzeit vorbei war, ritt dieser mit seinem Adel hinaus, und es folgten ihm alle Ritter, die um das Kleinod werben wollten. Sie kamen an den Ort, wo die Krone aufgehängt war; da begab sich Reinold und Malegys mit ihren Pferden unter die andern Ritter und Herren; als die Reinold sahen, trieben sie ihren Spott mit ihm und sagten untereinander: "Dieser wird das Kleinod gewinnen, und das Roß wird ihm der König abkaufen!" und dergleichen Spottreden mehr. Darauf sprach
Reinold mit ganz demütigen Worten: "Scherzet nicht zu sehr, Freunde! Wer weiß, was Gott mir jungen Helden auf diesen Tag noch für Glück bescheren wird? Er möchte mir vielleicht soviel Gnade erzeigen, daß ich die Krone mit meinem unansehnlichen Roß gewänne!" Dies hörte ein Bürger, welcher dabeistand, lachte dessen und sagte: "Freund, Ihr redet die Wahrheit, aber ich rate Euch, daß Ihr wieder zurück in die Stadt reitet und entlehnet einen Esel und brauchet den statt dieses Pferds; oder eine Kuh, die kann fein weit schreiten, so kommet Ihr bald zu der Krone!" Und also ward der gute Reinold mit seinem Pferd verspottet.Indes befahl der König, man solle das Nennen anfangen, und ein jeglicher rüstete sich und verhoffte, die Krone zu gewinnen. Da sprach Malegys zu Reinold: "Nun, Vetter, tut Euer Bestes, daß Ihr das Kleinod mit Ehren erlangen möget, ich will wieder durch Paris reiten und an der andern Seite der Seine warten." Während Malegys und Reinold also zusammen redeten, waren die andern Ritter ein gut Stück Wegs voran geritten. Reinold, der dies sah, sagte zu seinem Roß: "Wie nun, Beyart, willst du so träg sein? Sollte ein anderer die Krone gewinnen? Das wäre mir und dir eine große Schande!" Beyart verstand diese Worte und fing an zu laufen, daß sich jedermann verwundern mußte, ja, so geschwind , als wäre es ein Pfeil gewesen, der von einem Bogen geschossen worden. Als die Herren, die dabeiwaren, dies ansahen, sagten sie wieder zueinander: "Wir hatten unsern Schimpf und Spott an diesem Jüngling, aber mich dünkt, er könnte die Wahrheit gesagt haben!"
Indem ward der König Beyart auch gewahr, rief dem Roland und sagte: "Vetter, sehet das Roß an, auf dem der Jüngling sitzt; das läuft so geschwind und ist so groß und stark, daß es dem Beyart fast gleich ist; wenn es schwarz und nicht weiß wäre, so würde ich sagen, es sei Beyart selbst; das will ich Euch kaufen, auf daß Ihr Reinold damit bezwinget und ihn uns fernehaltet!" Roland sagte: "Herr König, das ist wahr, wenn es schwarz wäre, es wäre Beyart selbst!" Unterdessen kam Reinold den andern Pferden weit zuvor, also daß er der erste bei der Krone war; die nahm er von dem Ziele ab, da sie aufgesetzt war, jagte durch die Seine und brachte so die Krone hinweg. Als der König sah, daß Reinold mit der Krone hinwegreite, ward er traurig, rief ihm und sagte: "Freund, hierher mit der Kronen Gebt sie mir wieder, ich will sie Euch viermal mit Gold bezahlen; will Euch das Roß, mit dem Ihr die Krone gewonnen, abkaufen und Euch dafür geben, was Ihr von mir begehret!" Als Reinold dies vom König hörte, rief er: "Herr König, dies Roß ist mein, ich
will es auch behalten; wollet Ihr ein schön Pferd haben, so sehet, wo Ihr's bekommet: denn ich weiß, Ihr findet keines, wenn Ihr schon die ganze Welt durchsuchen ließet, das dem Beyart gleich wäre; ich sage Euch fürwahr, Herr König, habt Ihr Reinold je gesehen oder erkannt, so bin ich es selbst mit meinem Roß Beyart. Was die Krone betrifft, Herr König, die hab ' ich durch Gott und das Glück gewonnen; die will ich behalten und die Edelsteine davon nehmen und sie zu Montalban zu einem Gedächtnis meines Sieges aufbewahren; denn Kaufleute dürfen keine Kronen tragen; es ist besser, daß mein Roß sie trägt! Mich dünkt nämlich, Ihr wollet ein Roßtäuscher werden!" Hierüber wurde der König betrübt und rief: "Ei, lieber Vetter; lasset mir die Krone wieder zukommen, ich will Euch zum Rentmeister machen über alle meine Güter. Adelhart soll Marschall, Rittsart soll Speisemeister und Writsart soll mein Schultheiß sein!" Reinold aber sprach zum König: "Herr Königl Gott weiß, wenn wir Euch dienten, sollten wir für unser Wohl übel gesorgt haben; heut; als Ihr die Krone aussetztet, meintet Ihr, ein Pferd zu finden, das Beyart gleich oder über dasselbe wäre, das ist aber weit gefehlt. Es isi in der Welt kein besseres; ich bin weit herumgezogen, doch seinesgleichen ist mir nicht vorgekommen, geschweige daß Ihr eines finden solltet, so über das meine wäre; ich will es auch nicht lassen, und wenn Ihr mir soviel Gold dafür geben wolltet; als es groß und schwer ist; denn es ist die Blume von allen Pferden!"Als Reinold mit dem König also redete, kam Malegys mit seinem Pferde gerannt, was er rennen konnte, und fragte Reinold: "Vetter, wie ist es mit der Krone, wer hat sie gewonnen, habt Ihr sie oder nicht?" Reinold sagte: "Ja, ich hab ' sie bekommen, ich danke es Gott und Euch, Vetter Malegys!" Da sprang Malegys vom Pferd und küßte Reinold samt Beyart. Als der König dieses sah, fragte er den Zauberer und fing an: "Seid Ihr es, Vetter Malegys, oder täusche ich mich? Ich bitte, wollet meinen Vetter Reinold bereden, daß er mir die Krone wiederzukommen lasse, ich will sie ihm vierfach bezahlen; dazu will ich ihm vier Monat lang Frieden geben, um nach Dordone zu reisen und seine Mutter zu besuchen; denn ich weiß, daß sie ihn liebhat und nach ihm sehr verlanget." Als Malegys dies hörte, sagte er zu dem König: "Herr König, kommet über die Seine; wir wollen Euch die Krone geben!" Der König aber wurde zornig und sprach zu den Rittern, die bei ihm waren, vornehmlich zu Roland und Olivier: "Ich bitte euch, ihr Herren, folget mir nach und trauet Malegys nicht wegen seiner Zauberkunst!" Da sagte dieser:
"Ich rate der Herren keinem, daß sie sich auf die Seine begeben! Kommen sie darauf, so kommt keiner mit dem Leben davon: ich mache, daß sie alle ertrinken." Indem sprang Reinold auf Beyart und Malegys auf sein Pferd; so schieden sie vom König und eileten zu Reinolds Brüdern, welche ein groß Verlangen nach seiner Wiederkunft hatten wie auch nach der Krone. Reinold und seine Brüder blieben nun mit ihrem Vetter Malegys zu Montalban beieinander.Wie der König den Olivier sah, empfing er ihn freundlich und fragte: "Wie? Olivier, bringet Ihr mir Malegys gefangen?" Er antwortete: "Ja, Herr König! Eure Majestät mag nun mit ihm handeln, wie Ihr beliebt." Da fing der König an: "Malegys, du falscher Dieb, weißt du wohl, daß du mir letztmals, als Rittsart hier gefangen war, fast meinen Daumen abgebissen hast?" Da antwortete ihm Malegys und sagte: "Herr König, das wird das letztemal sein, daß ich Euch schaden werde." Der König aber sprach: "Du sollst heute noch hangen." Malegys erwiderte: "Herr König, ich bitte, lasset mich leben bis morgen."—"Nein", sagte der König, "du möchtest mir entlaufen." Malegys redete wieder: "Herr König, ich will Euch dafür Bürgen stellen." Der König sprach: "Wer will denn dein Bürge sein?" Malegys sagte: "Ich versehe mich dessen zu Olivier." Da fragte Karl den Olivier: "Wollet Ihr Bürge sein für Malegys, daß er mir zwischen heut und morgen nicht entläuft?" Olivier sprach: "Ja, Herr König!" Da sagte Karl zu Malegys: "Er kann nicht allein Bürge sein; es müssen ihrer noch mehr sein!" Und nun fragte Malegys den Roland, ob er auch Bürge wollte sein. Roland sprach: "Gnädiger Herr Königl Eure Majestät darf nicht sorgen, Olivier und ich wollen uns verbürgen, daß er nicht entweichen soll." Unterdessen wurde es Essenszeit; da ließ der König zur Tafel blasen, und je zwei und zwei von den Herren und Genossen setzten sich zusammen; aber der König saß allein, und sie aßen und waren fröhlich.
Als Malegys dies sah, sagte er zum König: "Gnädiger Herr König, alle Eure Herren sind gesessen, aber ich bin vergessen worden; ich denke, ich komme und setze mich zu Eurer Majestät." Als der König diese Schimpfrede von Malegys hörte, wurde er zornig und sprach: "Du ehrloser Schelm, wie darfst du noch reden und sollst doch morgen hangen? Wenn ich an deiner Statt wäre, das Essen und das Lachen sollte mir wohl vergehen!" — "Je nun", sagte Malegys, "Herr König, ich bin heute abend noch frei; was morgen geschieht, das weiß ich nicht." Als Roland das hörte, sagte er: "Malegys, schweiget still, kommet und esset mit mir!" — "Das will ich tun", antwortete Malegys, "ich muß heute noch fröhlich sein und ein schönes Liedlein singen"; ging also und setzte sich zu Roland.
Sobald nun das erste Gericht auf die Tafel kam, fing er an zu singen; da sagte der König: "Wie, Malegys, gelüstet Euch noch zu singen, und sollt morgen hangen?" Malegys sprach: "Herr Königl Ihr habt keinen
lustigern Menschen gesehen, als ich bin, dieweil ich noch Zeit habe, bis morgen zu leben!" Der König sagte: "Du gedenkest vielleicht, mit deinem Gesange dich vom Galgen zu erlösen; aber deine Hoffnung ist umsonst!" Dann ließ er ihn alsbald in das Gefängnis führen und ihm fünf Zentner Eisen anlegen. Als Malegys sah, daß es dem König Ernst war, sprach er: "Herr König, wo Ihr mich nicht losgebet und bestellet mir eine Herberge , so will ich Euch mit Gewalt entlaufen." Der König erwiderte: "Wenn du mir entlaufen kannst, will ich dir es freistellen." Da sagte Malegys: "Herr König, erlasset meine Bürgen der Bürgschaft; ich will versuchen, was ich kann." Der König aber sprach: "Ich begehre die Bürgschaft nicht." Als Roland das hörte, sagte er: "Herr König, mir ist es auch recht; erlasset mich und Olivier der Bürgschaft, weil Malegys in den Kerker geworfen liegen muß." Der König antwortete: "Ihr Herren, ich entlasse euch der Bürgschaft: er wird mir nicht entlaufen; ich befehle euch Gott, ich will mich zu Bette legen." Als Malegys dies hörte, sagte er: "Ich will mich losmachen, ehe es Mitternacht ist!" — ''Ei, du loser Schelm", sprach der König, "wie wolltest du das zuwege bringen? Du bist ja fest genug geschlossen, hast auch Eisen genug am Leibe; auch will ich dir das Gefängnis noch dazu verwahren lassen durch einen Diener." Aber um Mitternacht brauchte Malegys seine Kunst, daß alle Schlösser abfielen und das Tor des Gefängnisses sich öffnete; die Herren, welche Wache hielten, sanken in Schlaf; so daß er sie alle aufeinander legte und ihnen ihre Wehren nahm; dann ging er in des Königs Schlafkammer, schleppte Silbergeschirr mit sich, soviel als er tragen konnte, und ging damit nach Montalban.Reinold lag ruhig in selbiger Nacht und schlief; er wußte nicht, was sich mit seinem Vetter Malegys zugetragen hatte. Da kam ihm im Traum vor, daß Malegys an einem Baum gehangen wäre; über diesem Traum erwachte er, zog seine Kleider an, waffnete sich und sprach: "O gütiger Gott; ich bitte dich, du wollest meinen Vetter vor einem solchen schändlichen Tode behüten!" Dann setzte er sich auf Beyart, ritt nach des Malegys Kastell und klopfte allda an. Der Pförtner fragte ihn, was er begehrte . Da sprach Reinold: "Wo ist der Herr?" Der Pförtner erwiderte: "Herr, das weiß ich nicht." Reinold wurde traurig und ritt nach Paris; als er nach Montfalcon kam, fand er, daß niemand da gehenkt war, und er freute sich dessen. Darnach schaute er sich etwas um und sah einen Mann daherkommen, beladen mit einer schweren Last; der härmte sich, als ob er augenblicklich sterben wollte.
Reinold erschrak heftig, meinte, es wäre der Teufel selbst, und sprach: "Bist du von Gott, so sag mir's, wer du bist!" Der Fremde sprach: "Ich bin Malegys, kennet Ihr mich nicht?" Da sagte Reinold: "Jetzt kenne ich Euch wohl, Vetter! Ich bitte, saget mir, was traget Ihr so schwer?" "Das will ich Euch sagen", erwiderte Malegys und erzählte nun Reinold den ganzen Vorfall. Da fragte dieser: "Vetter; habt Ihr Oliviers Schwert auch genommene""Ja", antwortete Malegys, "hätte ich es ihm gelassen, so wäre er bei dem König in Verdacht gewesen, als ob er etwas davon gewußt hätte, daß ich entkommen wäre." Da ließ Reinold Malegys auf Beyart sitzen, und sie ritten vergnüglich nach Montalban. König Karl, der den Kerker zu bewahren befohlen hatte, auf daß Malegys nicht entkäme, ging des Morgens, als er sich angekleidet hatte, nach dem Gefängnis und wollte den Malegys in aller Früh henken lassen. Als er vor das Gefängnis kam, fand er's offen, die Genossen auf einem Haufen liegen und die Stätte leer; er wurde deshalb sehr traurig und rief mit lauter Stimme: "Roland, stehe auf, wir haben Malegys verloren." Als der König ein solch Geschrei machte, wurden die Genossen alle wachend: da fing Roland an: "O Gott; wer mag uns alle so auf einen Haufen gelegt haben?" wollte alsbald nach seinem Schwert greifen, ingleichen auch die andern Herren, da waren aber alle Waffen hinweg. Als König Karl dies hörte, ward er gar zornig über die Genossen, daß sie nicht besser Wacht gehalten hatten. Ogier aber antwortete dem König und sagte: "Herr König , wann Ihr ihn schon bei dem Galgen hättet, so entkäme er doch und nähme mit sich, was er begehrte." Da schwur Karl, er sollte ihm nicht mehr entgehen, wann er schon zu Montalban wäre, er wollte ihn henken lassen und die Schwerter der Genossen in eigner Person wiederholen.
Roland aber zeigte den Genossen Reinolds Begehren an, welche solches alsbald bewilligten. Ogier sagte: "Möchten wir ihre Gnade bei dem Könige erlangen, ich wollte kein Gut daran sparen." Es ward aber verabredet,
der Bischof Turpin sollte es dem Könige vortragen; so gingen sie sämtlich zu Karl, und der Bischof fing an und sprach: "Gnädiger Herr König! Ihr wisset wohl, wie Montalban so fest ist, daß die, so darinnen sind, sich nicht zu fürchten haben. Derhalb bitten wir, Eure Majestät wolle Reinold und seine Brüder zu Gnaden aufnehmen und Frieden mit ihnen machen; was hilft es Euch, daß das ganze Land mitsamt der Stadt und Burg verdorben wird? Es wäre besser, Eure Majestät nähme sie wieder an und ließe sie mit uns gegen die Heiden ziehen und die Feinde Gottes helfen vertilgen!" König Karl aber sprach mit zornigem Gemüt: "Solches soll nicht geschehen; ich will sie einmal fragen lassen, ob sie das Kastell Montalban übergeben und sich gebunden in meine Hände liefern wollen!" Da fragte der Bischof: "Herr König, wer soll der Bote sein, der das ausrichten soll?" Roland sagte darauf: "ES ist niemand so stolz oder keck allhier, der den Mut dazu hätte."Als der König dies hörte, sagte er: "Roland, ich weiß keinen Bessern oder Bequemern dazu als eben Euch. Deshalb sollt Ihr zu Reinold gehen und ihm sagen, wo er mir das Kastell zu Montawan nicht übergeben will, und was ich sonst noch mehr von ihm begehren werde, so will ich in seinem Lande keinen Stein auf dem andern lassen, sondern alles verheeren und verderben, was ich finde!"
Roland bedachte sich bald und sagte: "Gnädiger Herr und König, ich will es gerne tun!"rüstete sich und zog nach Montalban. Als er zu Reinold kam, grüßte er ihn samt seiner Gesellschaft ganz freundlich und begann: "Vetter Reinold, ich bin hieher zu Euch geschickt vom König Karl und soll Euch anzeigen, daß Ihr ihm das Kastell Montalban übergeben sollt und mit allen denen kommen, die in Montalban sind, einen Strick um den Hals, willig und barfuß, und ihm zu Fuß fallen; so Ihr solches nicht tun wollet, so will er Euer ganzes Land verheeren und verbrennen; und wo er Euch samt Euren Brüdern kann bekommen, so will er Euch henken lassen." Reinold hörte diese Botschaft an. Als Roland ausgeredet hatte, sagte er zu ihm: "Derselbe, der mir als einem Landesherrn so darf drohen und verlangt, ich sollte ihm Land und Leut', Leib und Gut übergeben, der ist selbst des Todes würdig; aber, Freund Roland t ich begehre von Euch, daß Ihr dem König wieder sollet anzeigen: Ich erbiete mich und meine Brüder in seine Gnade und will ihm geben Land und Leute, Dörfer und Städte zu einem Eigentum, ich will ihm auch lassen das Kastell Montalban, daß er es mir als ein Lehen gebe; verspreche auch für mich und meine Brüder, ihm allenthalben zu dienen mit Leib und Blut, wo er unserer
nötig hat, sobald er uns will zu Gnaden annehmen, daß wir mögen bei Eltern, Weib und Kind bleiben: jedoch, wenn er uns in seinem Land und Königreich nicht leiden will, so wollen wir uns in andere Länder begeben, das Kreuz mit Geduld ertragen und daselbst sieben Jahre lang bleiben. Wenn er aber diese Vorschläge nicht eingehen will, so sagt ihm frei, daß er sich hüte, wo er kann: denn ich will ihm allen Schaden tun, der mir möglich ist, und will so lang Krieg gegen ihn führen, als ich Volk aufbringen kann." Roland erwiderte: "Freund, das soll also geschehen ; ich will es dem Könige so hinterbringen und hören, was er dazu sagen wird." So ging er wieder zu Karl und machte demselben kund, was ihm Reinold aufgetragen hatte.Nachdem der König durch Roland die Meinung Reinolds vernommen, ward er zornig, ließ überall die Wachen verstärken, auch alles wohl mit Volk versehen und brachte eine große Menge zu Roß und zu Fuß zusammen. Als aber Reinold das hörte, ließ er all sein Volk ebenfalls waffnen und die Pferde rüsten und begab sich also ins Feld.
Reinold zog mit Beyart voraus, seine Brüder folgten ihm nach, und sie erschlugen eine große Menge Volks. Reinold stieß auf einen französischen Edelmann so hart, daß er von seinem Pferde tot auf die Erde fiel. Als der König sah, daß Reinold unter seinem Volk so großen Schaden tat, rief er zu seinen Genossen: "Ihr Herren, stellet Euch zur Wehr; denn Reinold tut samt seinen Brüdern großen Schaden." Da die Franzosen das hörten, daß der König so ernstlich war, gingen wohl tausend Mann auf Reinolds Volk los; die wehrten sich aber ritterlich.
Endlich sagte der König zu Roland und Olivier und zu den Genossen: "Folget mir alle nach, so ihr euer Leben behalten wollt", und so ritt er auf Reinold und sein Volk zu. Als dieser sah, daß der König so stracks auf ihn zukam, floh er vor ihm, der König aber rief ihm und sagte: "Reinold , hierher und stich auf mich!" Reinold antwortete dem König und sprach: "Herr König, das soll unverzüglich geschehen", gab seinem Pferde die Sporen und ritt so stark auf ihn ein, daß er vom Pferde fallen mußte: er wäre wohl geblieben, wenn Roland nicht Hilfe geleistet hätte; alsbald rief Reinold seinem Volk und schrie: "O ihr Gaskogner, jetzt brauchet euch und setzet tapfer unter die Franzosen; denn wir sind jetzt Meistert" Als der König dies hörte, rief er: "Reinold, ich hoffe, du wirst daran lügen", und sprang alsbald auf Malegys: der wehrte sich tapfer, also daß ihm das Pferd unter dem Leibe totblieb; zur Stund schwang er sich wieder auf ein ander Roß und focht mit dem Schwert und fällte damit
manchen Franzosen, dessen sich Reinold sehr erfreute. Dann zogen sie wieder ab und begaben sich nach Montalban.Als der König sah, daß seines Volks soviel tot geblieben und Reinold ihm entronnen war, wurde er sehr betrübt und sagte zu seinen Genossen: "Nun hat mir Reinold soviel Schaden getan, daß ich es ihm nimmer vergeben kann."
Dieser Streit zwischen dem König Karl und Reinold währte wohl sieben Jahre. Die Genossen kamen immer wieder mit der Bitte vor den König, daß er ein Parlament halten sollte, um dem Krieg ein Ende zu machen. Und endlich willigte Karl darein.
Reinold aber, als er hörte, daß ein Parlament ausgeschrieben war, erschien er daselbst, kam in eigner Person vor den König, grüßte ihn und sagte: "Gnädigster Herr König, der große König des Himmels und der Erde müsse Euer Majestät Beschützer sein." Karl erwiderte: "Was grüßest du mich noch, und hast mir so großen Schaden getan?" Reinold sagte: "Herr König, den Schaden will ich wiedergutmachen und für meine Missetat begehre ich Strafe zu leiden und mich nach Vermögen zu bessern. Und so es Euer Majestät gefällig ist, so wollen wir uns ergeben mit Leib und Gut." Auf solches hieß der König sie abtreten, er wolle sich mit seinen Herren und Freunden beraten. Dies waren Griffon, Alloret und Forcier; denn die andern Genossen waren zu Montalban geblieben. Forcier
sagte zu dem König: "Gnädiger Herr t Reinold ist nun allhier erschienen, und gedenkt Euer Majestät nicht, daß er Ludwig, unsern jungen König, erschlagen hat? Und den solltet Ihr zu Gnaden annehmen?" Als Ogier das hörte, fürchtete er sich, Forcier würde etwas mehr gegen Reinold sagen, lief eilend dazu und sprach: "Schweiget still, Forcier, lasset mich reden; Ihr solltet billig auf kein Parlament kommen!"Da sagte der Bischof Turpin: "Das ist wahr, Ogier, sie raten dem Könige, daß er allezeit zu streiten hat, also daß Land und Untertanen verdorben werden. Ich aber, Herr König, rate, Eure Majestät wolle Reinold mit seinen Brüdern zu Gnaden aufnehmen und sich mit ihnen versöhnen ; dann mögen sie gegen die Heiden ziehen und uns das Land helfen gewinnen: denn sie sind die besten Kriegshelden, die ich im ganzen Reiche weiß." Da sprach der König: "Nein, ich will das nicht tun; soll ich mich mit dem versöhnen, der mir meinen Sohn und soviel andere, Ritter und Volk, erschlagen hat?" Als das Parlament sah, daß sie nichts erhalten konnten, schieden sie voneinander, und der König schwur, er wolle Reinold henken lassen. Da sagte Reinold: "Herr König, weil ich denn sehe, daß ich von Euch keine Gnade erlangen kann, so wisset, daß ich mit meinen Brüdern mein Äußerstes tun werde; und wenn wir Eure Person bekommen können, ob es über kurz oder lang sei, so wollen wir Euch das Haupt abschlagen ! Darum möget Ihr Euch vorsehen!" Als der König das hörte, daß Reinold noch so mutig war, sprach er: "Pfui, du loser Lecker, willst du dich mit Gewalt gegen mich auflehnen und bedrohest mich?" Reinold aber erwiderte: "Ja, Herr König, das will ich tun; warum wollet Ihr Euch mit uns nicht versöhnen?" Also schieden sie im Unfrieden voneinander.
getrost, er sah, wie er am besten wieder auf sein Tier käme, und wehrte sich tapfer. Salomon von Bretagne ritt auf den Adelhart, der wehrte sich männlich, daß ihnen beiden ihre Speere zersprangen, und schlug den Salomon auch von seinem Pferd mit der Wehre. Forcier ersah dieses bald, schwang sich auf sein Roß und ritt auf Writsart. Der wehrte sich aber tapfer und durchstach den Forcier. Darüber zürnte der König und rief Monoy zu sich, und die Herren ritten alle in der Ordnung hinter dem König. Dieses sah Reinold und gedachte: "Was soll das werden?" Indem ritt der König wieder auf Writsart; der aber, es merkend, ging auf ihn mit solcher Stärke los, daß er vom Pferde fiel. Reinold kam auch in den Streit, rief sein Volk an und sagte: "Ihr Herren von Montalban, nun wehret euch ritterlich; denn fürwahr, wir werden den König erschlagen und obsiegen!" Karl hörte dies und rief: "Reinold, ich hoffe, du wirst gelogen haben", saß alsbald wieder zu Pferd und ging auf Reinold los. Der aber sah sich wohl vor und eilte von dannen. Indem kamen die Genossen und setzten mit Gewalt unter Reinolds Volk, so daß sie in kurzer Zeit an die dreihundert Mann erschlugen. Als Reinold das sah, rief er all sein Volk zusammen und sagte: "Ihr Herren von Montalban, folget mir nach und laßt uns fliehen; denn der König ist uns zu mächtig!"
Nun zog Reinolds Volk wieder in das Kastell, und ihr Gebieter ritt hinter ihnen und beschützte sie, aber Malegys blieb gefangen. Als Reinold auf die Burg kam, sah er seinen Freund nicht; erfragte nach ihm; da ward ihm gesagt, wie er gegen den König gefochten und alle beide von den Pferden gefallen wären: aber die Genossen hätten dem König wieder auf sein Roß geholfen, Roland hingegen den Malegys gefangen. Da ward Reinold traurig, seufzte gen Himmel und sprach: "O allmächtiger Gott, sollte ich denn meinen Vetter so jämmerlich verlieren? O widerwärtiges Schicksal, wie drehest du dich!" Inzwischen gingen ihnen die Lebensmittel aus. Adelhart, der es zuerst inneward, sagte: "Bruder, ich bitte, sei nicht hartnäckig; denn du siehest, daß wir keine Speise mehr haben; darum lasset uns das Kastell aufgeben!" Mittlerweile besuchte König Karl mit seinem Gefolge das Lager und hörte daselbst jedermann klagen, daß sie soviel Volks auf dem Platze gelassen hätten und sonderlich viel von seinen Freunden erschlagen wären. Da sprach König Karl: "Das will ich euch rächen an dem Reinold über kurz oder lang, so wahr ich König bin!" Malegys, der dies hörte, fing an und sagte: "Herr König, ich bitte, Ihr wollet Euch mit dem Reinold versöhnen; er soll Euch beistehen bei Tag und Nacht und verteidigen helfen, wo er kann und mag!"
Da schnur der König und erwiderte: "Hätte ich ihn hie, ich wollte ihn neben dich henken lassen"; rief dem Griffon und Alloret und befahl ihnen, sie sollten an dem Berg einen Galgen aufrichten; denn er wolle Malegys noch henken lassen, ehe es zum Essen gehe. Da dieser aber hörte, daß er heute noch gehenkt werden sollte, bat er den König und sagte: "Herr König, lasset mich noch leben bis morgen, daß ich meine Sünden überlegen und dieselben bereuen kann; ich will Eurer Majestät Bürgen stellen, daß ich nicht entfliehen soll." Der König aber sprach: "Nein, Malegys, so ging es zu Paris auch, da du den Genossen ihre Schwerter mitnahmest." Malegys antwortete: "Fürwahr, Herr König, so wahr ich Malegys heiße, ich will nicht entlaufen, es sei denn, daß Eure Majestät mit mir gehe." — "Was?"sagte der König, "du falscher Bube, ich soll mit dir gehen?" — "Ja", erwiderte Malegys, "ich will Eure Majestät nach Montalban führen zu Reinold, und daselbst sollet Ihr freundlich und wohl empfangen werden, und ich bitte Euch, gnädiger Herr König, Ihr wollet Euch daselbst mit dem kühnen Helden versöhnen und ihn zu Gnaden annehmen; wo aber nicht, so wollen alle Eure Herren und Freunde von Euch weichen und dem Reinold zufallen." — "Was?"sagte der König, "willst du nun vom Frieden reden, weil du siehst, daß du hangen mußt?" Malegys sprach: "Herr König, ich will Euch meinen Vetter Roland zum Geisel setzen, daß ich Euch nicht entweichen werde!" Der König fragte Roland, ob er das tun wollte. Roland sagte: "Ja, Herr König!" Der König wußte aber nicht, was Malegys im Sinn hatte.
Ungefähr um die halbe Nacht brauchte Malegys seine Kunst daß er vom Gefängnis erledigt ward, ging vor des Königs Bett und fing an: "Herr Königl Reinold hat entboten, wir sollen nach Montalban kommen, er will das Kastell aufgeben."Der König erwachte aus dem Schlaf, sah den Malegys vor seinem Bette stehen und wußte nicht was er antworten sollte; denn Malegys hatte ihn bezaubert; jedoch sagte er: "Ich wollte, daß wir schon auf dem Wege wären." Malegys fuhr fort: "Herr König, stehet denn auf, und lasset uns gehen!" — "Nein", sagte der König, "ich muß noch schlafen"; da nahm Malegys Karl um seinen Hals und trug ihn also schlafend nach Montalban; daselbst legte er ihn in ein schönes Bett, ging zu Reinold und sagte zu ihm: "Vetter Reinold, ich bringe den König in Euer Kastell und gebe ihn Euch gefangen."
Reinold verwunderte sich sehr und sagte: "Vetter, wie geht das zu, daß Ihr den König gefangen bringet? Seid Ihr doch sein Gefangener gewesen." — "Ja", antwortete Malegys, "es ist jetzt nicht anders: er ist
Euer Gefangener." Reinold stand auf und fand es so, wie ihm Malegys gesagt hatte.Inmittelst ging der Zauberer zu Reinolds Brüdern und zeigte ihnen auch an, was sich mit dem König zugetragen hatte. Bald darauf erwachte dieser, blickte um sich und sah Reinold samt seinen Brüdern vor sich stehen. Da wurde er sehr traurig und sagte: "Dies hat Malegys mit Hilfe seiner Kunst getan; Gott wird ihn auch darum strafen!" Reinold fiel auf die Knie und bat den König um Gnade: der schlug sie ihm aber ab und wollte nicht. Rittsart, als er dies hörte, ward zornig und sprach: "Herr König, wo Ihr uns nicht zu Gnaden aufnehmen wollet, so müsset Ihr allhier sterben." —"Wie", sagte der König, "willst du, loser Schalk, dich gegen mich aufwerfen und Gewalt an mir üben?" Da ging Rittsart zu dem König und zog sein Schwert wider ihn aus. Reinold aber sagte sanftmütig: "Was willst du tun, Bruder, willst du den König erschlagen? Er ist unser Herr und soll es sein Lebtag bleiben!" Da sprach der König zu Reinold: "Wollt Ihr mich ziehen lassen in mein Lager?" Reinold antwortete: "Wollet Ihr Euch mit uns versöhnen und uns zu Gnaden aufnehmens" —"Nein!"sprach der König. Da antwortete Reinold: "Tut Ihr's nicht; Herr König, so müsset Ihr allhier sterben." Als Malegys hörte, daß der König so hart war, da sprach er: "Herr König, versöhnet Euch mit Eurem Vetter, das rate ich!" Der König aber erwiderte: "Ich will's aber nicht tun, und sollt ' ich gleich sterben: und verflucht mußt du sein, du loser Schelm, mit deiner teuflischen Kunst hast du mich hierhergebracht!" Malegys fuhr fort: "Herr König, bedenkt Euch wohl und machet mit Euren Vettern Frieden, oder es wird übel ablaufen." Adelhart aber sprach: "Vetter, ich sage Euch fürwahr, er muß Frieden mit uns machen, oder er kommt nicht mehr nach Frankreich."
Als nun Malegys sah, daß der König so hartnäckig war, sprach er: "Ich sehe, es ist vergebens; ich befehl ' euch Gott, nun will ich keine Hand mehr gegen die Krone von Frankreich aufheben!" Und alsobald ging er fort, wurde Eremit und blieb es wohl vier Jahre. Der König aber hub wieder an: "Reinold, lasset mich in mein Lager gehen, ich will Euch gute Antwort geben!" Reinold sagte: "Das ist uns lieb, Herr König, gehet hin, wenn's Euch gefällt. Wir haben Euch nicht gefangen!" Mit diesen Worten nahm Karl Abschied von Reinold und seinen Brüdern und kam in sein Lager.
Als die Herren den König wiedersahen, waren sie froh und empfingen ihn freundlich; denn sie waren der Meinung, Malegys hätte ihn umgebracht.
Der König aber erzählte ihnen, wie ihn Malegys dem Reinold zu Montalban ausgeliefert, wie ihn Rittsart bald erschlagen hätte, wenn ihn Reinold nicht beschützt und ihm das Geleite gegeben. Alsbald ließ er den Herzog von Bayerland zu sich fordern und befahl ihm, er solle nach Montalban reiten und Reinold sagen, daß er käme und gebe sich in die Hand des Königs. Der Herzog tat solches und ritt nach Montalban. Reinold stand eben auf den Zinnen, sah den Herzog kommen, ging ihm entgegen und empfing ihn sehr freundlich. Der Herzog legte seine Botschaft ab, wie sie ihm der König befohlen hatte. "Das will ich nicht tun", antwortete Reinold, "will er aber uns das Leben schenken, so wollen wir in Gehorsam und Freundschaft zu ihm kommen und alles bessern, was wir gegen Seine Majestät verübt haben." Darauf sagte der Herzog: "Reinold , wenn Euch der König auf gut Geleit ließe zu sich kommen, wollet Ihr ihm die Schlüssel von dem Kastell überantworten?" Reinold erwiderte: "Ja, sofern er uns kein Leid will tun und sich mit uns versöhnen So schied der Herzog von Reinold, ritt zu dem König und zeigte ihm an, was Reinold geantwortet hatte. König Karl wurde zornig, als er dies hörte, und sprach: "Wollen sie nicht gern, so will ich sie mit Gewalt zwingen; denn ich weiß, sie haben keine Zufuhr mehr." Und nun ließ er zur Stunde das Kastell von allen Seiten bestürmen.Als Reinold dies sah, wurde er betrübt und sprach zu Klarissa, seiner Hausfrau: "Beyart muß nun sterben; denn wir haben sonst nichts zu essen", ging also in den Stall, wollte Beyart umbringen, um das Pferd zu essen; denn sie hatten alle andern Pferde schon aufgezehrt. Rittsart aber sagte: "Bruder, lasset Beyart beim Leben und tut ihm nichts; wer weiß, was uns Gott geben wird!"
Diese Worte hörte das Roß, verstand sie wie ein Mensch und fiel auf seine Knie, als wenn es wollte um Gnade bitten. Als Reinold die Demut des Pferdes ansah, jammerte ihn desselben, und er ließ es leben. Adelhart aber sprach: "Brüder, ich hab ' einen andern Rat gefunden, daß wir uns noch eine Zeitlang erhalten können: wir wollen Beyart alle Tage, solange er das vertragen kann, zur Ader lassen und von seinem Blute leben, bis es besser wird!"
Dunay, Herzog von Bayerland, hatte erfahren, daß Reinold mit seiner Mannschaft nichts mehr zu essen hatte, indem ihre Pferde schon alle bis auf Beyart aufgezehrt waren. Er sprach daher zu seinen Genossen: "Ihr Herren, Reinold muß gewiß noch Hungers sterben; denn sie haben ihre Pferde schon alle gegessen bis auf Beyart." Roland und Turpin aber
waren mitleidig, und dieser sagte: "Wahrlich, es ist eine Schande vor der Welt und eine Sünde vor Gott, daß wir unsere Verwandten vor Hunger vergehen lassen; wir wollen den König bitten, weil er will, daß man das Kastell bestürmen soll, er möge Roland mit seinem Volk den Vorzug lassen, alsdann soll dieser die Burg ohne des Königs Wissen mit Zufuhr versehen." Die Herren sahen den Rat für gut an, gingen zum König und begehrten, er solle Roland den Vorzug beim Sturme gönnen. Der König bewilligte es gerne, und die Herren rüsteten sich und kamen vor Montalban.Als Reinold dies merkte, faßte er ein Herz zu streiten; denn er hatte immer noch eintausendfünfhundert Söldner bei sich: König Yvo und ein anderer Herr schickten ihm auch jeder eintausendfünfhundert Mann; gleichwohl ward er traurig und sagte zu seinen Brüdern: "Jetzt stehen wir in großer Gefahr; denn Roland, Dunay, Ogier, Olivier und der Bischof Turpin kommen und wollen uns besuchen; und wenn sie Ernst gebrauchen, können wir ihnen nicht lange widerstehen." Als sie aber alles fertig hatten und ihr Lager befestiget war, brachte ihnen der Bischof Turpin allerlei Proviant zu, also daß Reinold mit seiner Mannschaft schier wieder auf ein Jahr genug zu essen hatte; sie waren auch mehr dem Reinold als dem König zugetan. Darnach zog Turpin heim zum König und zeigte ihm an, daß sie nichts hätten ausrichten können.
Reinold und seine Mannschaft erfreuten sich, daß sie soviel Zufuhr bekommen hatten: dem Roß Beyart gab er nun so viel zu essen, daß es innerhalb vierzehn Tagen wieder so stark ward, als es jemals gewesen. Nach diesem versammelte er seine Brüder und sprach: "Lieben Brüder, was sollen wir jetzt tun? Bleiben wir länger hier, so möchte die Speise wieder aufgehen; ich rate, daß wir nach dem Kastell Ardane ziehen, da können wir uns besser erhalten als hier." Als Frau Klarissa das hörte, wurde sie betrübt und sagte: "Allerliebsten Freunde, warum wollet Ihr in solcher Gefahr von mir ziehen?" Reinold antwortete: "ES ist allein um unser Leben zu tun, darum wollen wir uns nach Ardane begeben, da möchten wir sicherer sein als hier; und zudem tun wir's darum, daß Ihr Euch desto besser erhalten könnet mit dem, was Ihr noch habt!"So nahm er Urlaub von seiner Frau und ritt mit seinen Brüdern auf Roß Beyart zu einer Wasserpforte hinaus, auf daß sie nicht verraten würden.
Als sie ein wenig von dem Kastell entfernt waren, wurde es dem König Karl zu wissen getan, daß Reinold mit seinen Brüdern auf dem Roß Beyart entweichen und sich nach Ardane begeben wollten; zur Stunde
ließ er sein Volk waffnen und ritt ihnen nach. Alloret war am besten beritten, der war der Vorderste und sprengte in aller Eile auf Reinold zu; er stieß denselben mit seinem Speer durch den Schild, daß der Speer vorn absprang und in dem Schild steckenblieb; Reinold fehlte seiner auch nicht; rannte wieder auf ihn zu, stieß ihn mit dem Speer durch seinen SchildBald nach diesem bekam der König Zeitung, daß seine Schwester, Frau Aja, im Lager mit noch dreien Königinnen und dreien Grafen und anderen Herren mehr angekommen wäre. Da verließ der König den Reinold und begab sich zu seiner Schwester, um zu vernehmen, was ihr Begehr wäre.
Sowie nun Frau Aja zum Könige kam, fiel sie ihm mit den andern Königinnen zu Fuß und bat ihn freundlich, daß er Reinold samt seinen Brüdern wolle zu Gnaden annehmen; denn der Krieg hätte nun in die sieben Jahre gewähret. Desgleichen taten die Genossen von Frankreich und andere Herren mehr. Als der König die Demut seiner Schwester sah, wie sie ihm zu Füßen lag, wurde er durch ihr bitterlich Weinen bewegt und sagte: "Liebe Schwester, du tust jetzt wie eine fromme Mutter: darum will ich dein demütiges Herz und freundliches Bitten ansehen: so mir Reinold sein Roß Beyart geben will, meines Gefallens damit zu leben, so will ich ihn und seine Gesellen gnädig annehmen." Als Frau Aja diese Worte von dem König, ihrem Bruder, hörte, wurde sie höchlich erfreut, lobte und dankte Gott heimlich in ihrem Herzen und sprach: "Gnädiger Herr Bruder, ich bitte, so es Eurer Majestät beliebt, so will ich zu meinen Kindern auf die Burg gehen und ihnen Eure Meinung anzeigen und sie fragen, ob sie das Schloß aufgeben und sich Eurer Majestät Gnade überlassen wollen." Der König erwiderte: "Ja, Schwester, gehet hin und verkündet ihnen, was ich Euch gesagt habe, denn es ist kein ander Mittel, mich zu versöhnen." Frau Aja war hiermit wohl zufrieden, ging in das Schloß zu ihren Kindern: die empfingen sie sehr freundlich, und sie erzählte
ihnen des Königs Begehren. Als Reinold und seine Brüder dies durch ihre liebe Mutter vernommen, sprach Adelhart: "Bruder, ich wollte lieber tausendmal Feindschaft gegen den König haben, als daß ich das bewilligen sollte, was ich jetzt höre!" Das gleiche sagten die andern Brüder auch. Als Reinold ihre Meinung angehört, sprach er: "Lieben Brüder, können wir unsere Versöhnung durch das Roß erwerben, das lasset uns tun; so kommen wir aus der Gefahr; denn wir können des Königs Gewalt nicht widerstehen!" Damit ging er zu seiner Mutter und sagte ihr, sie wollten dem König das Roß gerne geben und noch viel mehr, wenn sich der König mit ihnen wollte versöhnen, sie zu Gnaden annehmen und alles verzeihen und vergeben, was sie gegen Seine Majestät gehandelt hätten. Frau Aja, als eine getreue Mutter, ging wieder zu Karl hin und zeigte ihm die Antwort an, die sie von ihren Kindern erhalten hatte.Als Adelhart dies sah, lief er zu Beyart und liebkoste es; der König und die andern Herren verwunderten sich über des Rosses Stärke und
begehrten von Reinold zum drittenmal seinen Tod. Da sagte Adelhart: "Verflucht mußt du sein, Bruder, so du das Roß wieder von dir gibst." Reinold aber sprach: "Bruder, schweig still, soll ich um des Rosses willen des Königs Zorn wieder erregen? Da sagte Adelhart: "Ach, Beyart, wie wird dir jetzt für deine treuen Dienste gelohnt, die du meinem Bruder und uns allen erzeiget hast!" Reinold aber gab dem König das Roß wider seiner Brüder Willen und sagte: "Herr König, so das Roß nun abermals herauskommt, fange ich es nicht wieder: denn es tut meinem Herzen zu wehe!" Da ließ der König ihm an den Hals zwei Mühlsteine binden undReinold, da er an den Jammer des Rosses gedachte, verschwur sich, sein Lebtag kein Pferd mehr zu reiten noch Sporen an seine Füße zu bringen, noch ein Schwert an seine Seite zu gürten, und gelobte Gott, er
wollte ein Einsiedler werden. Er beschloß, sich in einen wilden Wald zu begeben: doch gedachte er, vorher nach Hause zu ziehen, seine Kinder zu sehen und zu bestimmen, wenn sie aufgewachsen, was ein jedes haben sollte.Also nahm er Urlaub vom König und seinen Brüdern und ging nach Montalban, und seine Brüder blieben bei Karl. Als er dahinkam, ward er freundlich von seiner Hausfrau und seinen Kindern empfangen. Die Frau fragte ihn: "Wo sind Eure Brüder, Herr? Und wo habt Ihr Beyart?" Reinold antwortete: "Liebe Frau, meine Brüder sind bei dem König blieben, und Beyart ist ins Wasser geworfen und ertränkt worden." Als die gute Frau das hörte, wurde sie traurig und fiel in Ohnmacht. Reinold hub sie auf, half ihr ins Bett und küßte sie freundlich. Die Frau kam wieder zu sich selbst und weinte bitterlich; Reinold tröstete sie und sprach: "Liebe Frau, seid zufrieden, ich will es Euch erzählen, wie es uns ergangen ist. Als wir von hinnen geflohen, wurden wir ausgekundschaftet, und der König verfolgte uns bis gen Ardane, belagerte dasselbe und fragte, ob ich den Ort aufgeben wollte. Ich begehrte, er sollte mich und meine Brüder zu Gnaden annehmen. Unterdessen kam meine Mutter mit noch drei Königinnen und etlichen Herren, die fielen dem König zu Fuß und begehrten, daß er uns zu Gnaden annehmen sollte: sie brachten es auch so weit, daß ich ihm meinen Beyart gehen mußte, und er ließ ihn ins Wasser werfen und ertränken." Da antwortete die Frau: "Das ist mir leid, daß Ihr das gute Roß habt verlassen müssen; jedoch ist mir des Königs Huld noch viel lieber; denn wir können seiner Macht doch nicht länger widerstehen." Als diese Rede ein Ende hatte, ließ Reinold seine Kinder zu sich fordern und schlug seinen ältesten Sohn Aymerich zum Ritter; er machte ihn auch zum Herrn über das gange Land und gab ihm das Kastell Montalban; den andern schenkte er soviel Städte und Schlösser, daß sie sich darauf erhalten konnten, ließ seiner Frau auch genug, küßte sie alle, befahl sie dem lieben Gott und zog in der Nacht heimlich fort mit betrübtem Herzen.
wäre, und was er begehre. Reinold antwortete ihm und sagte: "Herr, ich bin jetzt der traurigste Mensch, der jemals unter der Sonne gewesen ist; denn ich bin in zwanzig Jahren nicht fröhlich gewesen, dieweil ich den Ludwig, des Königs Sohn aus Frankreich, erschlagen habe; nun wollte ich meine Sünden gerne beichten und Buße dafür tun; denn sie reuen mich von Herzen." Der Eremit sprach zu ihm: "Freund, ich höre wohl, Ihr seid in grobe Laster gefallen und habt wider die Gebote Gottes gehandelt; das ist nicht gut. Nun wohlan, weil Euch Eure Sünden leid sind und Euch von Herzen reuen, so sollt Ihr auf Eure Knie fallen und Gott, den Allmächtigen, bitten, daß er's Euch wolle verzeihen; denn seine Barmherzigkeit erstreckt sich viel weiter als Eure Sünden." Wie Reinold also getröstet ward, war er etwas besser zufrieden und sprach: "Herr, ich will bei Euch bleiben, und was Ihr mir gebietet, will ich gerne tun." Da sagte der Eremit: "Wurzel und Kräuter soll Eure Speise sein, ohne Hemd und Schuh müßt Ihr gehen und also Armut und Elend leiden!" Reinold erwiderte: "Ja, Herr, das will ich alles gern tun, und wenn es noch mehr wäret" und blieb also drei ganzer Jahre bei dem Eremiten in der Wüste; lernte manches schöne Gebet von ihm, tat wahre Buße und kasteite seinen Leib mit Fasten, Frost und Kälte dermaßen, daß er endlich krank davon wurde.
Wie sich Reinold also übel befand, klagte er's dem Eremiten und sagte: "Herr, ich bin sehr schwach, meine Kleider werden zu Lumpen; ich leide große Kälte; ich fürchte, ich werde es nicht länger aushalten können." Der Eremit tröstete ihn und sprach: "Bruder, seid zufrieden und vertrauet auf Gott, der wird Euch nicht verlassen." Da Reinold anders keinen Trost bekam, seufzete er zu Gott und sprach: "Ach, Gott vom Himmel , sieh herab und sei mir gnädig in meiner Strafe, ich muß vor Kälte und Hunger jetzo sterben"; der Eremit schickte auch sein Gebet zu Gott, weil er ein großes Mitleiden mit Reinold hatte. Indem hörte ereine Stimme vom Himmel, die sprach, daß er seinem Mitgesellen sagen sollte, er müsse ohne Verzug in das Heilige Land ziehen und wider die Heiden streiten.
Der Einsiedler, als er dies hörte, ward froh, rief Reinold und sprach: "Freund, es ist mir von Gott durch einen Engel befohlen, daß ich Euch sagen soll, Ihr müsset ohne Verzug in das Heilige Land nach Jerusalem ziehen und unsern Mitchristen helfen, daß sie das Land unter den christlichen Glauben bringen." Da sagte Reinold: "Ach, Herr, wie sollte ich das tun, es ist über fünf Jahr, daß ich mich verschworen habe, kein Pferd
mehr zu reiten, auch keine Wehr oder Waffen in meine Hand zu nehmen; und wenn ich den Eid brechen würde, so möchte mich Gott darum strafen." Da sprach der Eremit: "Lieber Freund, seid Gott gehorsam und tut, was mir der Engel befohlen hat, ziehet in seinem Namen!" — "So begehr ' ich", antwortete Reinold, "freundlich von Euch, Herr, Ihr wollet Gott für mich bitten, daß er mich beschützer" Darauf schied er mit weinenden Augen von ihm und begab sich auf den Weg: er kam nach Gratz, wo St. Georg begraben liegt, daselbst fand er Schiffe, da fuhr er mit bis nach Slawonien und kam fort bis an den Hafen vor Tripoli in Syrien.ganze Heer. Wie Reinold sah, daß der Feind floh, eilte er ihnen nach und erschlug alles, was ihm unter die Hände kam. Darnach kehrte er wieder zu seinem Haufen zurück und sah, wieviel ihrer geblieben waren: da fand er nicht mehr als zwanzig Mann tot und fünfzehn verwundet; darauf führte er sie alle nach Akers.
Um dieselbe Zeit war Malegys auch viele Jahre in der Wüste gewesen. Darnach, als er hörte, daß die Sarazenen den Christen so große Drangsale antaten, fiel er auf seine Knie und schickte sein Gebet zu Gott, daß er das Christentum beschützen wolle. Da vernahm er eine Stimme vom Himmel, die ihm befahl, daß er ohne Verzug nach Akers hingehen sollte und daselbst der Christen Unfällen wehren helfen: da werde er seinen Vetter Reinold finden, der Gott getreulich diene und dem Christentum mit Gewalt beistehe. Als Malegys das hörte, erfreute er sich dessen und eilte desto mehr, bis er nach Akers kam. Mittlerzeit war der Feind in der Christenheit eingefallen und hatte sein Lager daselbst aufgeschlagen.
Als Malegys nun bis gen Akers gekommen war; fand er seinen Vetter daselbst, welcher ihn gar freundlich empfing; sie grüßten einander und bewiesen sich gegenseitig große Ehre. Als Reinolds Mitgesellen das sahen, fragten sie, was das für einer wäre. Reinold antwortete: "Ich sage euch, wäre Gott und dieser Mann nicht gewesen, ich wäre schon lange tot; denn er hat mich und meine Brüder mit seiner Kunst oftmals aus großer Gefahr errettet; er ist Malegys genannt und ist mein Vetter." Unterdessen rüsteten sich die Sarazenen zum Streit und wollten die Christen überfallen . Dessen wurden diese inne und teilten sich in drei Teile. Malegys und Reinold stellten sich in den Vorderzug und gingen also dem Feind entgegen. Damals erschlug Malegys viel Türken samt ihren Pferden. Als Reinold sah, daß sich Malegys so ritterlich hielt, schlug er mit seinem Pilgrimstab tapfer auf die Heiden und zertrennte ihre Ordnung. Wie die Christen merkten, daß Reinold und Malegys so wacker auf den Feind eim hieben, da verwunderten sie sich und fielen die Heiden so heftig an, daß die Christenschar beinahe allein auf dem Platze blieb. dem Treffen sah Malegys den Sultan, ritt mit seinem Speer auf ihn zu, tat ihm aber keinen Schaden; der Sultan stach vielmehr mit Gewalt auf den Malegys, so daß er von seinem Pferd fallen mußte. Reinold, wie er sah, daß sein Vetter unten war, überfiel den Sultan und schlug ihn mit seinem Pilgerstab , daß er vom Pferde fiel und starb; da nahm Reinold das Pferd beim Zaum und gab es dem Malegys, welcher sich sogleich wieder darauf setzte, sich unter die Feinde warf und ihnen großen Schaden tat.
Wie Reinold und Malegys wieder nach Akers zurückgekehrt; kam ihnen Zeitung, daß die Türken die Stadt Jerusalem eingenommen hätten, worüber sich die Christen in der Stadt sehr betrübten. Diese hielten deswegen Rat mit jenen beiden Rittern, wie sie dem Feind widerstehen möchten . Da sagte Malegys und bekräftigte es mit einem Eid, er wollte dahinziehen und die Stadt wieder belagern und nicht davon abweichen, bis der Feind daraus getrieben und vertilgt wäre, oder er selbst wolle davor sterben. Dann sammelten die zwei tapfern Ritter all ihr Volk, zogen vor die Stadt Jerusalem und belagerten sie ringsum, daß nichts aus- oder einkommen konnte. Als die Türken sahen, daß sie also eingeschlossen waren, fielen sie mit ganzer Macht heraus und wollten die Christen hinwegtreiben ; aber die wurden solches gewahr, stellten sich in eine gute Ordnung und erwarteten den Feind. Malegys zog mit Reinold voran; sie fielen in der Heiden Lager und erschlugen derselben soviel, daß sich jedermann darüber verwunderte. Nach diesem kam das ganze Heer der Christen und trieb die Türken nach der Stadt, und sie blieben da bei sechs Monate liegen; mittlerweile lieferten sie manches Scharmützel, die Christen schossen täglich auf die Stadt, so daß schier kein Stein auf dem andern blieb; desgleichen schossen auch die aus der Stadt und beschädigten viel Christen.
In einem solchen Gefechte wurde der fromme und mannhafte Ritter Malegys mit einem Pfeil geschossen, daß er totblieb. Als nun unter den Christen kundbar wurde, daß Jerusalem von den Ihrigen belagert sei, kam ihnen eine Anzahl von dreißigtausend Mann von Ungarn, Armenien und Syrien zu Hilfe. Sobald dies Volk angekommen war, begab sich Reinold zur Wehr und begann zu stürmen. Er wollte den Tod seines Vetters Malegys rächen; die Feinde fielen heraus mit ganzer Gewalt, aber Reinold, der keine andere Wehr als seinen Pilgerstab hatte, erschlug deren soviel, daß wenig zurück zur Stadt kamen. Darauf gingen alle Hauptleute zu dem Sultan und sagten: "Wir wollen lieber im Streit als vor Hunger sterben, darum lasset uns ausfallen und versuchen, ob wir davonkommen mögen; lasset uns Widerstand tun, solang wir können, zu Ehren unsers Mahomets." Als der Sultan seines Volks Begehren gehört bewilligte er ihnen das und befahl ihnen, sie sollten sich dazu rüsten; darnach merkten sie sich, vor welchen Pforten Reinold lag, und taten diese nicht auf, sondern öffneten ein anderes Tor und fielen zu diesem heraus. Als die Christen, die stets in guter Ordnung waren und fleißig Wache hielten, dies innewurden, taten sie tapfern Widerstand und
hausten dermaßen unter den Feinden, daß ihrer eine große Zahl totblieb und eine Menge sich gefangengab.Reinold, wie er vernahm, daß der Feind an jenem Orte ausgefallen war, schickte das Volk, das er bei sich hatte, auch dahin, blieb allein mit seinem Stab vor der Pforte liegen und wollte nicht von dannen weichen. Als der Sultan sah, daß Reinold allein daselbst und das Volk nach den andern Pforten geschickt war, waffnete er sich, setzte sich zu Pferd und wollte sich hinausbegeben. Da griff Reinold das Pferd bei dem Zaum, hieß ihn stillhalten und fragte ihn, ob er ein Christ oder Türke wäre. Der Sultan schwieg und wollte nicht stillehalten, sondern stieß das Pferd mit dem Sporn, daß es sollte fortlaufen. Reinold aber schlug das Tier mit seinem Stab, daß es zur Erde fiel. Als die Sarazenen dieses sahen, riefen sie überlaut: "Unser Sultan ist tot!" Wie Reinold hörte, daß es der Sultan war, sprach er zu ihm: "Sultan, gib dich gefangen, wo nicht, so mußt du sterben." Der Sultan erwiderte: "Ja, Herr, ich begehre nicht wider Euch zu streiten, ich gebe mich gefangen!" Und befahl auch dem Volk, das er bei sich hatte, daß sie sich dem Reinold ergeben sollten. Darnach ging dieser mit dem Sultan auf die andere Seite der Stadt, wo die Christen noch heftig gegen die Türken stritten, und der Sultan befahl seinem Volk, daß sie sollten innehalten und nicht mehr streiten und Reinold die Stadt übergeben. Darauf ließ dieser seine Kriegsobersten versammeln und überlieferte ihnen den Sultan samt den andern Gefangenen; dieselbigen führten sie alle in die Stadt.
Als sie nun den Sultan in die Stadt gebracht hatten, begehrte er von den Christen, sie sollten die Gefangenen alle wieder losgeben und sein Volk nach Hause ziehen lassen, er wolle für sie gefangenbleiben und allen Schaden wiederum ersetzen. Diese Bedingung trugen die Obersten dem Reinold vor und fragten ihn, was ihn davon dünke. Reinold war ganz mitleidig und gab ihnen zur Antwort, sie sollten tun, was ihnen gut dünke; er stelle es ihnen frei. Als die Obersten diese Antwort von Reinold hörten, ließen sie alle Gefangene los und einen jeden wieder nach Hause ziehen und behielten den Sultan allein in Haft.
So war der Friede zwischen den Christen und Türken gemacht. Die Christen, welche die Stadt Jerusalem, nachdem sie ein Jahr davor gelegen, wieder in ihrer Gewalt hatten, wollten den Reinold daselbst krönen . Aber dieser weigerte sich dessen sehr und bedankte sich gar höflich. Er dachte daran, wie ihm der Eremit befohlen hatte, daß er, sobald sie die Stadt gewonnen hätten, wieder zurückkommen sollte, ging deshalb zum
Patriarchen von Jerusalem, fiel ihm zu Fuß und begehrte Absolution für seine Sünden, dazu einen freundlichen Abschied, der ihm auch sogleich mit großer Feierlichkeit gegeben wurde. Dann nahm er Urlaub und ging zu Schiffe.Die Patriarchen samt den andern Herren begleiteten ihn bis an das Schiff und reichten ihm große Geschenke und Kleinodien; aber Reinold wollte sie nicht annehmen, sondern sagte, er hätte versprochen, die Tage seines Lebens in Armut zu bleiben, begehrte also mehr nicht, als ihm nötig wäre, nach Marseille zu kommen. Darnach fuhr er in Gottes Namen vom Lande und war vierzig Tage und Nächte auf dem Wasser, ehe er nach Marseille kam. Als er nun daselbst war, hörte er, daß der König zu Paris einen Streit bekommen hätte zwischen Guillon und des Reinolds Sohn Aymerich, und solches aus der Ursache, weil Reinold mit dem Könige versöhnet und das Roß Beyart ertränkt wäre. Da nämlich Reinold geschworen, er wolle sein Lebtag kein Roß mehr besteigen und keine Wehr noch Waffen an seinem Leib tragen, und heimlich hinweggezogen war, betrübte sich der König damals sehr darüber, ließ deswegen Reinolds ältesten Sohn Aymerich zu sich kommen und belehnte ihn mit allen Gütern, die sein Vater vorher gehabt, wiewohl er dieselben vor dessen Abschied schon von ihm erhalten hatte; dann führte er ihn mit sich nach Frankreich, behielt ihn an seinem Hof, und zog ihn allen andern Herren vor. Das verdroß die Räte sehr; weil er noch tung und nicht über sechzehn Jahre alt war; sonderlich verdroß es die, welche Fuchsschwänzer waren und dem König Ludwig geraten hatten, daß er mit dem Adelhart um seinen Kopf spielen sollte, aus welchem Spiel so groß Elend und Jammer entstanden war. Darum versuchten sie, dem König den Aymerich verhaßt zu machen, erfanden einen lügenhaften Anschlag und sagten zu Karl, Aymerich hätte geschworen, er wollte den Schimpf und die Gewalt; welche man seinem Vater samt dessen Brüdern angetan hatte, ingleichen auch den Tod des Rosses Beyart noch rächen; daran doch Aymerich niemals gedacht hatte. Und dies war die Ursache, warum der Kampf angefangen ward.
Als Reinold dies vernahm, zog er nach Paris und kam zu dem König wie ein armer Pilgrim. Dieser aber fragte ihn, ob er nichts Neues gehöret hätte von jenseits des Meeres und von der Stadt Jerusalem. Reinold sprach: "Gnädiger Herr Königl Ich komme jetzt davon her; die Christen haben die Stadt Jerusalem erobert, dazu das ganze Land, und solches ist vornehmlich geschehen durch Hilfe zweier Männer, die früher hier gewesen sind." Der König fragte, wer sie gewesen wären. Da sagte
er: "ES ist Malegys und Reinold gewesen, die haben den Türken solchen tapfern Widerstand getan und der Feinde so viel erschlagen, daß es unmöglich zu erzählen ist: zuletzt wurde Malegys erschossen." Da fragte ihn der König wieder, ob er nicht wüßte, wo Reinold wäre. Da antwortete er: "Gnädiger Herr und Königl Er stehet jetzt vor Eurer Majestät als ein armer Mann."Da der König das hörte, empfing er ihn gar freundlich, und Federmann freute sich über Reinolds Wiederkunft, sonderlich die Genossen von Frankreich , und vor allen erfreute sich sein Sohn über die Maßen, aber die Verräter betrübten sich. Der König ließ Reinold zur Stunde köstlich kleiden und erzeigte ihm große Ehre.
Nach diesem ging Reinold mit seinem Sohne Aymerich lustwandeln und fragte ihn, wo Haimon, sein Vater, und seine Brüder samt seiner Mutter wären. Da antwortete der: "Vater, sie ziehen herum und suchen Euch und haben geschworen, sie begehrten nicht wiederzukommen, sie hätten Euch denn gefunden." Als Reinold das hörte, weinte er bitterlich und war betrübt, daß er seinen Vater, seine Mutter und auch seine Brüder nicht fand. Aymerich aber tröstete ihn und erzählte ihm, warum er den Kampf gegen Guillon nicht abgewiesen hatte. Da sprach Reinold wieder zu Aymerich: "Mein lieber Sohn, fürchte dich nicht; denn Gott, der die Gerechten niemals verlassen hat, der wird dich in der Not auch nicht verlassen." Also stärkte Reinold seinen Sohn und blieb so lange bei ihm, bis die Zeit herankam, daß sie kämpfen sollten. Da waffnete sich der junge Ritter Aymerich zum Streite und setzte sich zu Pferd. Indem kam Guillon auch gewaffnet daher und rannte dem Aymerich mit seinem Speer durch den Schild. Aymerich aber, als ein junger, unverzagter und herzhafter Held, setzte wieder auf ihn zu, daß sie alle beide von den Pferden fielen. Da machte sich Aymerich in aller Eile wieder auf und fiel mit seiner Wehr auf Guillon. Guillon war auch nicht faul, wehrte sich tapfer, zuletzt aber gab Gott dem Aymerich Gnade und Sieg, daß er den Guillon überwand und ihn totschlug.
Wie Reinold sah, daß Guillon tot war, fiel er auf seine Knie, lobte und pries Gott für die erlangte Siegesehre.
Darnach ließ der König den toten Körper auf den Galgen schleifen und jagte die Verräter vom Hofe fort mit ihrem ganzen Geschlecht, aber Aymerich blieb bei ihm in hohen Ehren und wurde allen Herren und Edelleuten vorgezogen: der König gab ihm Land und Leute, Städte und Schlösser zu regieren und machte ihn zum Herm darüber.
Nachdem also Aymerich im Kampfe den Sieg erhalten und Reinold Gott um solche Wohltaten gedankt hatte, gedachte er, hinfüro sein Leben in freiwilliger Armut und Einsamkeit zu endigen, und begehrte, sein Brot im Schweiß seines Angesichts zu genießen. Er zog seine köstlichen Gewänder aus und legte gar schlechte Bauernkleider an, begab sich heimlich aus des Königs Palast und ging auf das Land zum Ackervolk, wo er unbekannt war, tat da allerhand Bauernarbeit und nährte sich von Milch und Brot, trank Wasser und war damit wohlzufrieden. Inmittelst hörte er, daß die Stadt Köln die heiligste und vortrefflichste Stadt in ganz Deutschland wäre wegen der Reliquien und der heiligen Leiber, die da ihr Blut um des christlichen Glaubens willen vergossen hätten. Dies bewog ihn, dahinzuziehen . Als der fromme und gottesfürchtige Mann nun nach Köln kam, begab er sich in das St. Peters-Kloster, allda lebte er heilig und war Tag und Nacht emsig in seinem Gebet. Gott, der Allmächtige, erhörte auch sein Flehen und gab ihm Macht, daß er die Lahmen und Krüppel konnte gerade, die Tauben hörend und die Blinden sehend machen. In dem nächsten Fürstentum wie auch dem Stift Köln selbst herrschte damals die abscheuliche Pest sehr heftig. Da kamen zu Reinold mancherlei Personen und begehrten von ihm, er sollte Gott für sie bitten, daß er die greuliche Krankheit wolle von ihnen nehmen und seinen Zorn lindern. Reinold, der fromme und heilige Mann, fiel auf Eingebung des Geistes auf seine Knie, rief Gott getreulich an und bat ihn mit großer Andacht für das Volk. Gott der Herr erhörte auch dieses sein Gebet und bewies seine Barmherzigkeit an dem Volk; er nahm die Strafe der Pestilenz von ihnen, und sie dankten, lobten und priesen Gott.
trug er noch soviel Steine und Kalk zu, daß sie schier einen ganzen Tag genug hatten. Er schleppte ihnen Steine herbei, daß ihrer fünf an einem genug zu tragen gehabt. Wenn andere zu Bette gingen, so blieb er auf den Steinen liegen; er ass des Tages nur ein Gerstenbrot und trank Wasser; begehrte auch für den Tag nur einen Weißpfennig zum Lohne. Der Werkmeister fragte ihn, wie er heiße, und wo er zu Hause wäre; das wollte er ihnen nicht sagen, blieb also verschwiegen und tat allein seine Arbeit. Da nannten sie ihn St. Peters Werkmann, weil er so gar fleißig in seinem Vorhaben war.
Als die Meister den Fleiß dieses heiligen Mannes sahen, warfen sie den andern Knechten ihre Trägheit vor und sagten, sie nähmen viel mehr Lohn als dieser fromme Mann und täten nicht den vierten Teil seiner Arbeit. Um solcher Ursache willen wurden die andern Handwerksleute ihm feind, mochten ihn nicht länger dulden und machten einen heimlichen Anschlag, ihn zu töten. Nun wußten sie, daß der heilige Reinold eine Gewohnheit hatte, die Kirchen zu Köln zu besuchen, und schickte da sein Gebet zu Gott in allen Kirchen und gab Almosen aus. Sie wurden daher einig, daß sie an dem Ort; wo jetzt St. Reinolds Kapelle oder Kloster steht auf ihn warten wollten und ihn umbringen; und also geschah es auch.
Dieses wurde dem heiligen Mann geoffenbart durch ein Gesicht. Er aber eilte desto mehr zu der bestellten Marter, als wenn er zu einer Hochzeit hätte gehen sollen, befahl sich Gott dem Herrn und Christo, seinem lieben Sohn, und gab sich den Mördern in ihre Hände, auf daß er ein Märtyrer würde und seine Seele in Gottes Reich käme. Als die Mörder ihn sahen, zerschlugen sie ihm sein Haupt, daß ihm das Hirn davonfloß. Darnach steckten sie Reinolds Leichnam in einen Sack, füllten denselben vollends mit Steinen an und warfen ihn in den Rhein in der Hoffnung, der Sack sollte unter dem Wasser bleiben, daß es verschwiegen bliebe. Aber Gott ließ es nicht zu, sondern gab Gnade, daß der Sack wieder emporkam und blieb auf dem Ufer liegen, obgleich der Rhein so stark ging. Da ward die Seele des heiligen Märtyrers Reinold mit großem Lobgesang von den Engeln vor Gottes Thron geführet.
Dortmund für einen Heiligen geben sollte, der ihnen am nützlichsten wäre. Da sie also Rat hielten, zeigte Gott ihnen an, daß der heilige Reinold ihnen am bequemsten sei.
Wie nun sein Leib mit dem Kasten auf dem Wagen stand, fing dieser an zu laufen bis nach Dortmund, ohne Pferde, ohne menschliche Hilfe, und blieb an dem Orte stehen, wo die Kirche von St. Reinold hingebauet steht, wie noch heutzutag allda zu sehen ist. Als der Bischof samt seinen Geistlichen dieses sah, folgten sie dem heiligen Manne zu Ehren mit einer Prozession und unter Lobgesängen nach und begleiteten den Kasten wohl drei Meilen Weges.
Also ist der heilige Reinold ein Beschützer der Stadt Dortmund, und man hat öffentlich gesehen, wie er dort auf der Stadtmauer gestanden und den Feind, der den Ort belagert hatte, abgetrieben; und dergleichen Wunderwerke hat Gott mehr durch ihn gewirket, wie in den Legenden zu lesen ist.