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Inhalt des ersten Bandes
Der gehörnte Siegfried. Mit Bildern von Oskar Pletsch . 7
Die schöne Magelone. Mit Bildern von Theodor Grosse . 45
Der arme Heinrich. Mit Bildern von Adolf Ehrhardt . 87
Hirlanda. Mit Bildern von Emil Sachse . 105
Genoveva. Mit Bildern von Adolf Ehrhardt . 137
Das Schloß in der Höhle Xa Xa . Mit Bildern von Oskar Pletsch . 171
Griseldis. Mit Bildern von Anton Dietrich . 217
Robert der Teufel. Mit Bildern von W. Camphausen . 241
Die Schildbürger. Mit Bildern von Oskar Pletsch . 271
Die vier Haimonskinder. Mit Bildern von W. Camphausen 317


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Die Deutschen Volksbücher für jung und alt wiedererzählt von Gustav Schwab Mit 180 Bildern von Wilhelm Camphausen, Anton Dietrich, Adolf Ehrhardt, Theodor Grosse, Joseph Manes, Theobald v. Oer, Oskar Pletsch und Emil Sachse in Holzschnitt ausgeführt durch Hugo Bürkner Erster Band F. W. Hendel Verlag Meersburg am Bodensee und Leipzig


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Die deutschen Volks-Bücher


wiedererzählt von Gustav Schwab



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Der gehörnte Siegfried

Mit Bildern von Oskar Pletsch



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In jener alten Heldenzeit, da König Artus in Britannien mit seinen edlen Rittern Tafelrunde hielt, wohnte in den Niederlanden ein König, mit Namen Sieghard, dessen Gemahlin einen einzigen Sohn, Siegfried, hatte. Was dieser getan und ausgestanden, will die nachfolgende Geschichte erzählen.

Der Knabe Siegfried war groß und stark, gab nichts auf Vater und Mutter, sondern dachte nur darauf, wie er ein freier Mann werden möchte. Er machte damit seinen Eltern große Sorge, und der König pflog mit seinen Vertrauten Rat, wie man den Knaben in die Fremde ziehen lassen könnte, wo er etwas zu erstehen hätte; ob nicht vielleicht noch ein tapferer Held aus ihm werden könnte. Aber Siegfried konnte die Zeit nicht erwarten, , bis ihn der Vater ausgestattet hätte, sondern er ging ohne Urlaub davon, seine Abenteuer zu versuchen. Indem er nun durch Gehölz und



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Wildnis zog und der Hunger ihn allmählich zu quälen anfing, sah er vor einem dichten Walde ein Dorf liegen und richtete seine Schritte nach demselben. Zunächst vor dem Dorfe wohnte ein Schmied; ihn sprach Siegfried an, ob er einen Jungen oder Knecht nötig habe; denn er hatte zwei Tage nichts gegessen und war zu Fuß eine große Strecke gegangen; nach Hause zurückzukehren, schämte er sich, und der Weg war auch sehr weit. Als der Schmied sah, daß Siegfried ein wackeres und gesundes Aussehen hatte, ließ er sich's gefallen und gab dem Knaben zu essen und zu trinken, dessen Siegfried wohl bedurfte. Weil es nun spät am Tage war, ließ er ihn zu Bette weisen, und am andern Morgen stellte er ihn als seinen Jungen an und führte ihn zur Arbeit; denn er wollte sehen, ob er sich auch zum Handwerk schicke. Als er ihm aber den Hammer in die Hand gegeben, da schlug Siegfried mit so grausamer Stärke auf das Eisen, daß dieses entzweiging und der Amboß beinahe in die Erde sank. Der Meister erschrak darüber und wurde ärgerlich; er nahm den jungen Siegfried beim Haare und zausete ihn ein wenig. Dieser aber, der solchen Dinges nicht gewohnt und erst kürzlich deshalb seinen Eltern entlaufen war, weil er auch den kleinsten Zwang nicht leiden konnte, nahm den Meister beim Kragen und warf ihn auf Gottes Erdboden nieder, daß er sich geraume Zeit nicht besinnen konnte. Sowie er aber zu sich selber kam, rief er seinem Knecht, daß er ihm zu Hilfe kommen sollte. Diesen empfing jedoch Siegfried wie seinen Herrn; so daß der Meister nur auf Mittel und Wege sann, wie er den ungefügen Jungen wieder loswerden möchte.

Deswegen berief er am nächsten Morgen den Siegfried zu sich und sprach zu ihm: "Da ich gerade jetzt der Kohlen sehr benötigt bin, so mußt du in den Wald gehen und mir einen Sack voll holen; denn es wohnt dort ein Köhler, mit dem ich allezeit Geschäfte habe." Des Schmiedes heimliche Meinung aber war, der furchtbare Drache, der sich in dem Wald bei einer Linde aufhielt, — eben an der Stelle, wohin Siegfried von ihm gewiesen wurde — sollte ihn töten. Siegfried geht ohne alle Sorge in den Wald, denkt nichts anders, als daß er Kohlen holen soll. Wie er aber zu der Linde kommt, schießt der ungeheure Drache auf ihn daher und sperrt den Rachen auf, ihn zu verschlingen. Siegfried bedenkt sich nicht lange; den ersten Baum, der ihm zu Händen kommt, reißt er aus der Erde und wirft denselben auf den Drachen. Dieser verwickelte sich mit seinem Schweif in die Aste und Zweige des Baumes und verstrickte sich so, daß er nicht ledig werden konnte. Siegfried riß nun einen Baum nach dem andern heraus und warf sie auf den Drachen; dann lief er schnell in



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des Köhlers Hütte und holte sich Feuer; mit diesem zündete er die Bäume über dem Untier an, daß sie alle mitsamt dem Drachen verbrannten. Da floß unter den brennenden Stämmen und Ästen das Fett wie ein Bächlein dahin. Siegfried tauchte den Finger in das Fett; und wie es erkaltet war, da wurde es hartes Horn. Als er solches gewahr wurde, zog er sich sogleich aus und überstrich mit dem Drachenfett seinen ganzen Leib, mit Ausnahme zweier Flecke an der Schulter, wohin er nicht gelangen konnte. Und dies ist die Ursache, warum er später der gehörnte Siegfried genannt ward.

Wie nun Siegfried allenthalben sich mit Horn gewaffnet fühlte, so dachte er: "Jetzt bist du gepanzert, jetzt kannst du wie ein anderer Ritter



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hingehen, wohin dich gelüstet." So begab er sich denn an den Hof eines weitberühmten Königes, der hieß Gilbald und hielt Hof zu Worms am Rheine. Dieser König hatte drei Söhne und eine überaus schöne Tochter, mit Namen Florigunde. Nun begab es sich einmal an einem heißen Mittage , daß die Jungfrau sich an ein Fenster stellte, um frische Luft zu schöpfen. Da kam ein ungeheurer Drache herangeflogen, der verbreitete einen solchen Flammenschein, daß es nicht anders aussah, denn als ob die Burg in Feuer stünde. Dieser faßte die schöne Jungfrau und führte sie mit sich in die Luft, hoch über das nahe Gebirge hinweg, daß man seinen Schatten eine halbe Stunde lang auf den Bergen sehen konnte. Der Vater und die Mutter der Jungfrau vergingen in Ängsten; die Mutter weinte Tag und Nacht, bis ihre Augen blöde wurden. Derweil hatte das Ungeheuer die Jungfrau auf den Drachenstein gebracht, und da er von dem Flug müde war, so legte er sein Haupt in ihren Schoß und entschlief. Er fing an zu schnarchen, und über seinem Atemholen erzitterte der Drachenstein . Da könnet ihr denken, wie der Jungfrau zumute sein mußte, die nichts anders vor sich sah, als von diesem Ungetüm zerrissen zu werden oder, da sie aller Wege in diesem Gebirge unkundig war, bei dem scheußlichen Drachen hausen zu müssen.

Inzwischen kam das Fest der Ostern heran, und an dem heiligen Ostertage verwandelte sich der Drache in eine gewaltige Menschengestalt. Die Jungfrau wußte nicht, ob sie hoffen oder noch Ärgeres erwarten sollte. Sie sprach daher zu dem Unbekannten: "Werter Herr! Wie übel habt Ihr an mir, meinem Vater, meiner herzlieben Mutter und allen den Meinigen getan! So viele Tage sind es, daß Ihr mich hergeführt habt und ich mit Wurzeln und Kräutern mein Leben fristen mußte. Wolltet Ihr mir nun vergönnen, mit meinen Eltern und Geschwistern zu sprechen und mich zu Ihnen führen, so will ich Euch hier unverbrüchlich angeloben, daß ich wieder auf diesen Stein und an diese Stelle zu Euch kommen will, auch Euch gerne folgen, wohin Ihr sonst mich führen wollet." Aber das Ungeheuer sprach zu der Jungfrau: "Du bittest vergeblich; du wirst nicht allein Vater, Mutter und Brüder nicht wiedersehen, sondern auch keinen einzigen Menschen jemals wieder." Dies war der Jungfrau ein Donnerschlag in Seele und Herz. Als sie nun in Todesschrecken niedergesunken saß und kein Wort mehr reden konnte, da sprach der Mensch, der ein Drache gewesen war, zu ihr: "Du darfst dich nicht so sehr kümmern, noch viel weniger hast du dich meiner zu schämen. Ich verwandle mich zwar jetzt wieder in einen Drachen, und du mußt harren bei mir fünf Jahre



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und einen Tag; dann aber werde ich wieder zu einem Manne, und wirst meine Frau. Am Ende wirst du freilich mit mir zur Hölle fahren, und da wird ein einziger Tag sein wie ein ganzes Jahr." Als die Jungfrau diese erschrecklichen Worte hörte, so erzitterte sie an Leib und Seele. Bald betete
sie zu Gott, bald schrie sie zu ihren Eltern und Geschwistern hinaus in die leere Luft, Tag und Nacht, daß sie oft kraftlos in tiefe Ohnmacht darniedersank. Der Mann aber war wieder zum Drachen geworden und hütete sie.

Der König und die Königin zu Worms, nachdem sie sich genug gehärmt und Leid getragen, besannen sich endlich und schickten Boten in alle Lande



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hinaus, die ihre Tochter Florigunde aufsuchen sollten. Da erlangten sie zuletzt eine unsichere Kunde, daß sie auf dem Drachenstein von einem Drachen verwahrt gehalten werde; zugleich brachten die Boten einen Spruch von frommen Leuten, die der Zukunft kundig waren, daß niemand als ein einziger Ritter die Jungfrau unter unerhörten Abenteuern und Gefahren erlösen könne.

Indessen verliefen bei vier Jahre, während welcher die Jungfrau hilflos auf dem Steine verharren mußte. Und wäre das fünfte Jahr hinzugeschlichen, so wäre es für sie nicht zum besten gegangen. Siegfried aber war nunmehr zu seinen männlichen Jahren gekommen. Er ging in das Land hinaus, fing Bären und Löwen und hing sie zum Gespötte an die Bäume auf, worüber sich jedermann verwunderte. Eines Tages war König Gilbald mit seinem Hofgesinde auf die Jagd geritten, sich seine trübseligen Gedanken etwas zu vertreiben. Er hatte sich im Dickicht des Waldes von seiner Gesellschaft verloren, so daß niemand mehr bei ihm war als Siegfried, , der ihn nie verließ. Da begab sich's, daß ein großmächtiger Eber auf den König zugerannt kam. Dieser wollte mit seinem Spieße nach dem Tiere stechen, Siegfried aber kam ihm zuvor und schlug dem Eber mit seinem Schwerte den Kopf voneinander, daß er tot zur Erde fiel. Der König wunderte sich nicht wenig über seine seltene Stärke und wurde ihm immer mehr gewogen, auch verbreitete sich sein Ruhm durch alle Lande.

Nicht lange darnach kamen Könige von allen Enden der Welt nach Worms, den König Gilbald und seine Gemahlin wegen ihrer verlornen Tochter zu trösten. Da ließ der König ein Turnier und Lanzenstechen ausschreiben , damit er sähe, wie sich Siegfried dazu schickte; denn er setzte alle seine Hoffnung auf den Jüngling. Als nun der festgesetzte Tag herannahte , kam ein jeder wohlbewaffnet und gerüstet auf den Kampfplatz; da wurde die Bahn gleichgeteilt, damit keiner vor dem andern einen Vorteil hätte. Dann wurde so wacker gestochen, daß mancher Ritter den Sattel räumen mußte. Siegfried aber war nie im Sattel bewegt worden, so daß nach vollendetem Turnier ihm der Preis zuerkannt wurde und er eine schöne, güldene Kette erhielt, an der ein köstliches Kleinod von sehr großem Werte hing. Da dies die anwesenden Könige, Fürsten und Herren sahen, wurde der edle Siegfried hoch geehrt und mit aller Einwilligung feierlich zum Ritter geschlagen. Und als die ganze werte Ritterschaft Urlaub nahm, ward ihm die Ehre zuteil, den Herren auf mehrere Meilen Weges das Geleite zu geben.

Als er zurückgekehrt war, fand er den König und die Königin in großer



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Traurigkeit; denn sie hatten sich wieder von ihrer Tochter Florigunde unterhalten und ihr Herz war darüber in große Ängste geraten. Da tröstete sie Siegfried aufs beste, hieß sie ihre Betrübnis mäßigen und sprach mit Zuversicht die Hoffnung aus, daß es ihm beschieden sei, mit Gottes Hilfe ihre Tochter zu erlösen. Wie sie nun wieder ein wenig bessern Muts waren, genossen sie zusammen die Abendmahlzeit und legten sich dann schlafen. Zu Nacht aber hatte Siegfried einen hellen Traum. Die schöne Jungfrau Florigunde stand, wie sie leibte und lebte, vor ihm, worüber
er sehr erfreut war. Als er erwacht und der Tag angebrochen, kommt ihn eine Lust zu tagen an: er nimmt seine Hunde und reitet mit ihnen hinaus. So gelangen sie in einen dichten Wald, wo sich kein Wild blicken ließ. Siehe, da läuft seiner besten Spürhunde einer in das Gehölz, dem eilet Siegfried mit Begierde nach, und so bringt ihn das Ungefähr auf die Spur, die zu dem Orte führte, wo der Drache mit der Jungfrau sich aufhielt . Bis in den vierten Tag verfolgte er mit seinem Hunde diese Spur, ohne an Essen und Trinken zu denken; denn stets schwebte ihm die schöne Florigunde vor Augen.

Wie er nun merkte, daß sein Pferd matt wurde, ließ er es ein wenig grasen, weil nichts Besseres zur Stelle war; er selbst fühlte sich auch er



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müdet und wollte ein wenig ruhen; da lief aus dem Walde ein großer Löwe auf ihn zu. "Hier ist nicht lange Zeit zu spaßen", dachte Siegfried; er griff, wie einst Simson, dem wilden Tiere beherzt in den Rachen und riß ihn voneinander, so daß der Löwe tot vor ihm dalag. Dann nahm er den Erlegten, hängte ihn an einem Baume auf, sattelte sein Pferd und eilte seinem Hunde nach, der ein getreuer Wegweiser war.

Er war noch nicht weit geritten, als ihm ein gewappneter Ritter begegnete , der ihn ganz barsch anredete: "Junger Mann, wer du auch seist, ich sage dir, du kommst ohne Schwertstreich nicht von hier, du gehest dich mir denn gefangen. Wo nicht, so mußt du von meinen Händen sterben!" Mit diesen Worten zog er sein Schwert. Aber Siegfried bedachte sich nicht lange, auch er griff zu seinem guten Schwerte und sprach: "Du viel kühner Ritter, wer du auch seiest, wehre dich männlich, denn dies wird not sein, da ich dich bald zu lehren gedenke, daß man einen beherzten Ritter nicht ungestraft auf freier Straße anfällt." Damit schlugen sie kräftig zusammen, daß die Funken stoben. Da sprach der gewappnete Ritter zu Siegfried: "Ich sage dir, Held, gib dich mir gefangen; du bist ja nicht gewappnet, so kannst du mich nicht bestehen!" Siegfried erwiderte: "Ich will dir deine Waffen bald auflösen!" Dazu führte er einen solchen Streich auf den Ritter, daß er ihm sein Visier wegschlug. "Das soll dir übel bekommen!" schrie der Ritter, "denn bisher habe ich dich nur aus gutem Willen verschont!" Er holte zugleich zu einem gewaltigen Streiche aus, um Siegfried das Haupt zu spalten. Dieser aber fing den Hieb behende auf und traf seinen Gegner in den Hals, daß er vom Pferd in die Erde sank; dann schwang sich auch Siegfried von seinem Roß, neigte sich über den Ritter und betrachtete seine Wunden. Als er sah, daß sie tödlich seien, gereuete es ihn, seinen Feind so hart getroffen zu haben; er zog ihm deswegen den Harnisch ab und hoffte, wenn er nur frische Luft schöpfte, so würde er wieder zu sich kommen. Es fruchtete aber nur so viel, daß der sterbende Ritter noch einige Worte sprechen konnte. So fragte ihn denn Siegfried: "Sage mir, edler Ritter, von wannen hifi du? Wie ist dein Name? Was ist die Ursache, daß du mich so freventlich angerannt hast?" Der Ritter antwortete: "Ich wollte dir gern auf alles Bescheid geben, wenn ich nur noch Kraft genug besäße; so aber sage mir, wer du bist." "Sie heißen mich den gehörnten Siegfried", erwiderte Siegfried. Als der Ritter dieses hörte, richtete er sich auf und sprach: "Wenn du der bist, mein edler Ritter, so bin ich von eines berühmten Mannes hand gefallen . Aber es geht aus mit mir, darum vermache ich dir meinen Harnisch



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und meinen Schild, denn du wirst sie nötig haben. Hier in diesem Walde wohnt nämlich ein gewaltiger Riese, Wolfgrambär genannt; dieser hat auch mich bezwungen und zu seinem Gefangenen gemacht, als ich in diesen Wald kam. Denn ich bin aus Sizilien gebürtig und in die Fremde gegangen, Abenteuer zu suchen. Da überwand mich der Riese und wollte mich behalten, bis ich ihm fünf Ritter unterwürfig gemacht hätte; dann sollte ich meine Freiheit wiedererhalten. Nun habe ich aber nur einen zu Falle gebracht, und der bin ich selber, und hinfort wird kein anderer Kämpe mehr durch mich fallen. Gerne möchte ich dir, gestrenger Ritter Siegfried, noch von einem andern Abenteuer erzählen, das dieser Wald verbirgt, von einem Drachen, der eine schöne Jungfrau gefangenhält, aber ach —- ich muß scheiden!" Er winkte ihm Abschied mit der Hand zu, da
brach sein Auge, und er gab den Geist auf. Als Siegfried ihn so dahinsinken sah, beklagte er ihn schmerzlich und jammerte auch, daß ihm die Nachricht von der schönen Florigunde so nahe gewesen und jetzt zunichte geworden. Aber er konnte es nicht mehr ändern. Darum nahm er von


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dem toten Ritter den Schild und die Sturmhaube. Den Panzer, der ihm auch vermacht war, zog er dem Toten nicht ab; denn seine gehörnte Haut bedurfte keines Harnisches; auch war er vom langen Fasten und Wachen so matt, daß er die Last nicht hätte tragen mögen.

So setzte sich Siegfried wieder auf sein Roß und ritt aufs ungewisse fürbaß in den Wald. Da kam mit einemmal ein Zwerglein auf einem kohlschwarzen Rosse dahergeritten, mit köstlichen Kleidern angetan, wie ihm dies auch wohl geziemte. Denn der Zwerg Egwald war ein König von großem Reichtum. Als dieser des gehörnten Siegfrieds ansichtig ward, grüßte er ihn ganz tugendlich. Siegfried bedankte sich mit allen Sitten und staunte die kostbare Kleidung, die überaus köstliche Krone und das herrliche Gefolge des Königs lange an. Denn derselbe hatte nicht weniger denn tausend Zwerge bei sich, alle wohl geputzt und bewaffnet, die sich sofort mitsamt dem Könige zu seinen Diensten erboten. Der König Egwald hatte nämlich den Ritter Siegfried sogleich erkannt. Er konnte sich nicht genugsam verwundern, wie und warum er doch an diesen abwegsamen Ort gekommen, zumal es hier der Gefahren so mancherlei gebe. Siegfried dankte Gott, daß er ihm Mittel und Wege zugeschickt, sein Vorhaben weiter ins Werk zu setzen; er bat den König, ihn doch seiner Treue und Tugend genießen zu lassen, und ihm zu sagen, wie er am füglichsten nach dem Sitze des Drachen gelangen könnte. Daß aber der Zwerg Siegfried mit Namen genannt und so zutraulich mit ihm, wie mit einem alten Bekannten, geredet, darüber verwunderte sich dieser und sagte zu dem Zwergenkönig: "Wenn du mich so gut kennst, so mußt du auch wohl wissen, wie mein Vater und meine Mutter heißen, und ob sie noch am Leben sind." Der Zwerg antwortete und sprach: "Dein Vater heißt Sieghard und ist König in den Niederlanden, deine Mutter heißt Adelgunde, und beide leben noch." Wie Siegfried vernahm, daß der Zwerg von allem so gut Bescheid wußte, dachte er: "Meine Sache wird noch gut werden", und verließ sich auf seine Stärke. Er bat daher den König, daß er ihm den Weg nach dem Drachenstein zeigen möchte. Darüber erschrak der König Egwald sehr und sagte zu ihm: "Wolle doch solches nicht begehren; denn es wohnt dort ein entsetzlicher Drache, der hält eine schöne Jungfrau, eines Königs Tochter, gefangen, welche kein Mensch erlösen kann! Ihr Vater heißt Gilbald, und die Jungfrau Florigunde." So erschrocken der Zwerg war, so froh ward Siegfried über seine Worte. "Es genügt mir", sprach er, "und nun bedarf es weiter nichts, als daß ich die schöne Jungfrau von dem Drachen errette." Als der König vernahm, daß Siegfried



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von seinem Vorhaben nicht lassen wolle, entsetzte er sich und bat ihn dringend, nicht das furchtbare Wagstück zu unternehmen, sondern ungefährdet von hinnen zu scheiden. Da stieß Siegfried sein Schwert in die Erde und schwur einen dreifachen Eid: er wolle nicht von dannen weichen, er habe denn die schöne Jungfrau erlöset. "Und wenn du noch drei Eide schwören", sagte der Zwerg, "so ist doch alles vergebens; dein Leben ist verloren, wenn du dich nicht von hinnen begibst!" Siegfried aber sprach: "Ach, lieber König Egwald, das geschieht nimmermehr; und anstatt mich abzuschrecken , solltest du mir viel lieber die Jungfrau erretten helfen!" Aber das Zwerglein fürchtete sich sehr vor dem Abenteuer und dachte darauf, wie es entfliehen möchte. Da ergriff Siegfried den Kleinen bei den Haaren und schmiß ihn an eine Felswand, daß ihm seine schöne Krone in Stücken brach. Jetzt sprach der Zwerg mit Flehen: "Lieber Ritter Siegfried , stille deinen Zorn und schone meines Lebens; ich will dir raten und helfen, so gut ich kann!" "Das danke dir der Satan, daß du jetzt erst so sprichst", erwiderte Siegfried. Aber der Zwergenkönig sagte: "Hier ganz in unsrer Nähe wohnt der Riese Wolfgrambär, dem gehört die ganze Gegend , der hat tausend Mann unter sich, die ihm alle zu Gebote stehen. Der hat den Schlüssel zum Drachenstein!"

Als Siegfried dieses hörte, freute er sich über die Maßen und sprach: "Nun, Zwerg, so zeige mir alsbald den Weg zu ihm, damit ich der Jungfrau zu Hilfe komme und sie errettet Wo nicht, so mußt du sterben!"Der Zwerg zitterte vor Angst und wies den Ritter vorwärts nach einem Berge bei einer steinernen Wand, wo der Riese seine Wohnung hatte. Nachdem Siegfried dahin gelangt, pochte er an die Türe des Felsenhauses, rief dem Riesen mit Namen und hieß ihn zu sich herauskommen. Sobald der Riese das vernahm, sprang er mit Zorn und Grimm heraus, mit einer eisernen Stange in der Hand, und als er Siegfrieds ansichtig wurde, sprach er: "Welcher Teufel hat dich hierher gebracht? Gedenke nur nicht; daß dich deine Füße wieder hinwegtragen werden!"Siegfried sprach: "ES ist nun schon vier Jahre, daß du die schöne Jungfrau Florigunde auf dem Drachenstein in so großer Trübsal verschlossen hältst; darum begehre ich von dir, daß du mir die Jungfrau herausgebestl" Als der Riese diese Worte hörte, wurde er noch grimmiger, schwang die eiserne Stange und führte einen so ungeheuren Streich nach Siegfried, daß die Aste von den Bäumen umherflogen und die Stange tief in die Erde fuhr. Aber der Schlag hatte gefehlt, so daß er dem Helden nicht schadete; denn Siegfried war ihm aus dem Wege gesprungen. Der Riese aber, als er sah, daß erden



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Ritter verfehlt hatte, wurde immer wilder und schlug so mächtig auf den Helden, als ob er ihn zerscheitern wollte. Siegfried jedoch, hurtig und gelenk, sprang wohl drei Klafter hinter sich und faßte sein gutes Schwert zur Hand. Und weil der Riese von dem ungeheuren Schlag die Stange fallen ließ, so sprang Siegfried wieder vorwärts und schlug dem Riesen eine so tiefe Wunde, daß das Blut stromweise von ihm lief. Da sprach der Verwundete voll Ingrimm: "Du junger Fant, darfst du dich erkühnen, wider den zu streiten, vor dem sich ein ganzes Heer gefürchtet? Du sollst dich tausend Meilen von dannen wünschen!" Und damit tat er aufs neue einen so kräftigen Schlag nach dem Helden, daß die Stange in die Erde fuhr und jenen ohne Zweifel zu Boden geschlagen hätte, wenn ihm nicht seine Behendigkeit abermals zu Hilfe gekommen wäre. Das verdroß den Riesen über die Maßen, und er entfloh in seine steinerne Wand. Dort verband er seine Wunden, so gut er konnte. Da stand nun Siegfried allein und besann sich, wie er die Jungfrau erretten könnte. Demnach pochte er aufs neue an des Riesen Haus. Dieser gab ihm zur Antwort:


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"Werde nur nicht ungeduldige Bald will ich wieder bei dir sein und dir den Garaus machen!" Inzwischen hatte sich der Riese mit einem vergoldeten Harnisch bewaffnet, der mit Drachenblut gehärtet war. Auch sein Helm war überaus stark und künstlich ausgearbeitet. Sein Schild war von blankem Stahl, schuhesdick; auch trug er eine andere Stange, als die vorige war, in der Hand, die war an allen vier Ecken so scharf, daß er damit ein Wagenrad, wie stark es auch mit Eisen beschlagen war, auf einen Streich entzweischlagen konnte. überdem hatte er ein großes, starkes Schwert an seiner Seite. So ausgerüstet, sprang er wieder hervor aus der steinernen Wand, voll Zorn und Grimm und auch voll Zuversicht: denn wenn der Riese diese Waffen angelegt, so getraute er sich, einem ganzen Heere zu widerstehen. Und jetzt sprach er zum Ritter Siegfried: "Nun sage mir, du kleiner Bösewicht, welcher Teufel dich hieher geführt hat, daß du mich in meinem eigenen Hause ermorden willst?"Siegfried sprach: "Das leugst du in deinen Hals; ich habe dich nur heißen zu mir herausgehen!" — "Was?"sagte der Riese, "du willst noch pochen? Du sollst wünschen, niemals hierher gekommen zu sein! An einen Baum will ich dich henken!" — "Du Ungeheuer", sagte Siegfried, "meinst du, ich sei hergekommen, mich henken zu lassen? Nein, das wird dir Gott verbieten t Und ich sage dir: fürwahr, wofern du mir nicht die Jungfrau vom Drachenstein gewinnen hilfst, so will ich dir dein Leben nehmen, und wenn du der Teufel selber wärst. Gott ist doch stärker als du; der wird mich nicht in deine Hände geben." —"Ich sollte dir die Magd gewinnen helfen? Nimmermehr geschiehet das l Es scheint, du kennest meine Kraft und Stärke nicht! Ich will dich lehren, daß du dich nicht nach Jungfrauen gelüsten lassen sollst!" — "Du Schnarcher", sprach Siegfried, "ich sage dir, hilf mir die Jungfrau gewinnen, oder ich will dir zeigen, wer ich bin, und was ich vermag!" Damit schlugen beide so grimmig aufeinander, daß das wilde Feuer aus ihren Helmen und Schilden fuhr. Siegfrieden war es nicht anders zumut, denn als ob er noch bei seinem Meister Schmied auf den Amboß schlüge, und es fehlte wenig, so hätte er den Riesen in die Erde hineingeschlagen. Als er ihn nun zu Boden geworfen, so schwang er sich auf sein Pferd, weil er sonst gegen seinen Feind zu klein war, und stach und schlug den Riesen bis auf den Tod; so daß er sich auf den Boden streckte und das Blut in Strömen von ihm floß.

Wie nun der Riese sechzehn tiefe Wunden empfangen hatte, da begann er, um sein Leben zu bitten, und mußte dem kühnen Ritter wider seinen Willen den Preis geben. Daher sprach er: "Du magst wohl mit allen



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Ehren den Ritternamen führen; denn du bist ein kleiner Mann und gegen mich für ein Kind zu rechnen, und gleichwohl hast du mich überwunden! Wenn du mir aber mein Leben schenken wirst, so will ich dir alle meine Rüstung und mich selbst zum Pfand meiner Treue übergeben!" Da sprach Siegfried: "Ja, es soll dir gewährt sein, daferne du mir die Jungfrau Florigunde vom Drachenstein gewinnen helfen willst!"

***
Da schwur der Riese Wolfgrambär dem Ritter Siegfried einen teuren Eid, er wolle ihm die Jungfrau gewinnen helfen. "So schwöre ich dir auch", sagte Siegfried, "dein Leben zu erhalten"; verband dem Riesen seine Wunden und sprach dabei: "Der Wunden hättest du können wohl überhoben sein; denn mit dem, was wir beide in unserm Streit von Kräften aufgewendet haben, hätten wir die Jungfrau gewinnen können! Nun aber sage mir, Gesell", fuhr Siegfried weiter fort, "wie kommen wir am füglichsten auf den Drachenstein?" — "Das will ich dir sogleich sagen", antwortete der meineidige Riese und wies den Ritter in ein finsteres Tal, durch das ein wildes Bergwasser dahinfloß, dessen Geräusch und häßliches Geheul den Widerhall zwischen dem Gebirge und dem Drachenstein aufweckte. Wie sie nun einhergingen und Siegfried sich keines wels versah, sondern nur mit Verlangen auf den Augenblick wartete, wo er der schönen Jungfrau und des Drachens ansichtig werden sollte; und daher in tiefen Gedanken dahinschritt, da dachte der Riese bei sich selbst: "Jetzt wird es Zeit sein, deine Scharten auszuwetzen!" und gab dem edlen Ritter von hinten einen so ungeheuren Schlag, daß er davon zur Erde sank und ihm das Blut aus Mund und Nase floß, so daß es auch einen Heiden hätte erbarmen mögen. Nie hatte Siegfried einen so harten Streich von einer Mannesfaust bekommen, wie dieser Schelm ihm einen versetzte. Und ohne Zweifel wäre er unter des Riesen Hand verloren gewesen, wenn nicht das Zwerglein Egwald dazwischengekommen wäre und mit seinen Künsten dem Siegfried das Leben gerettet hätte; denn dieser war von dem Schlage zur Erde niedergefallen und konnte nur noch seinen Schild über sich decken, um sich vor mehreren Schlägen zu behüten; dann verlor er die Besinnung und lag in Ohnmacht darnieder.

Wie er nun so unter seinem Schilde auf der Erde lag, da kam der Zwerg Egwald herbei und setzte ihm eine Nebelkappe auf, die ihn sofort dem Anblick des Riesen entzog. Der Riese aber dreht sich rechts und links wie toll und unsinnig herum und weiß nicht, wie es zugeht, daß er seinen Gegner, den er doch zu Boden geschlagen, nicht mehr erblickt. "Hat dich



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denn der Böse von hinnen geführt", sprach er, "oder hat es Gott getan? Erst lagst du vor mir ausgestreckt auf der Erde, und jetzt bist du nicht mehr da!" Darüber mußte das Zwerglein heimlich lachen, richtete Siegfrieden auf und setzte ihn neben sich. Als dieser wieder zu sich gekommen war, dankte er dem Zwerg von ganzem Herzen: "Gott", sprach er "wird dir's vergelten, daß du so treulich an mir gehandelt hast, da ich es doch nicht um dich verdient habe." "Ja", sagte das Zwerglein, "wohl hast du Ursache , Gott zu danken, edler Ritter; denn wenn ich dir nicht zu Hilfe gekommen wäre, so wärest du verloren gewesen. Jetzt aber bitte ich dich, du wollest dich um die Jungfrau nicht mehr bekümmern noch bemühen, damit dir nicht noch Schlimmeres widerfahre. Denn jetzo kannst du noch ohne alle Gefahr unter dieser meiner Nebelkappe von hinnen kommen." Da sprach Siegfried: "Zwerg, deine Bitten sind vergebens! Wie sollt' ich Arbeit und Mühe umsonst aufgewendet haben? Das sei ferne; und hätte ich tausend Leben, ich wollte sie gerne alle daran wagen, und sollte mir auch kein einziges übrigbleiben!" Und mit diesen Worten riß er die Nebelkappe von sich, daß er wieder sichtbar wurde, nahm sein Schwert in die beiden Hände, lief voll Grimm den Riesen mannlich an und hieb ihm noch acht weitere tiefe Wunden. Da schrie der Riese laut auf: "Du bist ein so kleiner Mann und schlägst so kräftiglich auf mich! Was nützet dich denn mein Tod, da ja nach mir doch kein Mensch auf der Welt vorhanden ist, der dir kann die Jungfrau gewinnen helfen!" Jetzt gedachte Siegfried an die große Liebe, die er zu der Jungfrau trug; er ließ daher den Riesen beim Leben und sprach: "So hebe dich von dannen und gehe immerhin voran, mir den Weg zur Jungfrau zu zeigen. Tust du dies nicht, so schlage ich dir dein Haupt ab, und sollte zugleich die ganze Welt untergehen."

Da nun der Riese den Ernst an dem Ritter sah, so nahm er seinen Schlüssel in die Hand, ging voran, bis sie zu einer Türe kamen, die acht Klafter tief unter der Erde verborgen und verschlossen war. Diese schloß der Riese auf, und wie sie aufgesperrt war, riß Siegfried den Schlüssel an sich und sprach: "Jetzt hebe dich fort, du nichtswürdiger, treuloser Bösewicht, und zeige mir den Weg zu der Jungfrau, oder ich will dir deine Untreue auf deinen Kopf vergelten!"

Als sie nun beide die ungeheure Tiefe des Gesteines hinabstiegen, wurden sie sehr müde, zumal der Riese, der wäre gern niedergesessen, weil er seine Wunden wohl empfand; aber Siegfried trieb ihn mit Gewalt fort. Und jetzt endlich wurde der edle Ritter die Jungfrau gewahr, und dessen freute sich sein Herz. Auch Florigunde brach vor Freude in Tränen aus,



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als sie den tapfern Siegfried sah, und sprach: "Diesen Ritter habe ich öfters bei meinem Vater gesehen!" Sie hieß ihn willkommen und wollte wissen, wie es ihrem Vater, ihrer Mutter und ihren drei Brüdern zu Worms ginge. Siegfried berichtete ihr mit wenigen Worten, daß er sie bei seiner Abreise vor vier Tagen alle in guter Gesundheit verlassen habe. Dann sprach er: "Viel tugendreiche Jungfrau! Laßt von Eurem Trauern ab und schicket Euch zur Reise an; denn unseres Bleibens wird hier nicht lange sein." —"Ach, mein edler Ritter", sprach die Jungfrau, "ich habe große Sorge um Euch: Ihr werdet mich nicht ohne Streit von hinnen bringen; und ich fürchte sehr, Ihr möchtet, so tapfer Ihr seid, dem ungeheuren Drachen nicht Widerstand leisten können; denn er ist der leibhaftige Satan." — "Und wenn er auch der Satan wäre", sprach Siegfried , "tugendsame Jungfrau, sollte ich darum meine Arbeit und Mühe umsonst aufgewendet haben? Nein, entweder muß ich Euch erretten, oder will ich mein Leben verlieren. Helfet mir Gott im Himmel mit Herz und Mund anrufen, daß er mir Stärke verleihe t"

Die Jungfrau betete darauf von Herzen recht inniglich zu Gott, daß er dem Ritter Kraft und Stärke verleihen wolle, damit sie doch einmal von dem gräßlichen Drachen erlöset würde. Sie sagte auch dem Ritter aus dem Grund ihres Herzens Dank, daß er so große Gefahr um ihretwillen bestanden und bestehen wolle; endlich gelobte sie ihm ewige Treue, wenn er sie erretten würde, wie denn dies nicht mehr als billig war. Da wurde Siegfried hoch erfreut und hieß die Jungfrau guten Mutes sein; er werde, so Gott wolle, den Drachen wohl bestehen oder sein Leben für sie lassen.

Darauf sagte der Riese Wolfgrambär zu Siegfried: "Siehe da vor dich; dort in der steinernen Wand wirst du eine überaus schöne Klinge finden, die der berühmteste Meister in der Welt mit Künsten zugerichtet hat; außer ihr ist keine zu finden, mit welcher der Drache überwunden werden könnte." Siegfried, sehr begierig, griff gleich nach dem Schwerte, ohne ein Übel zu besorgen. Da schlägt der treulose Bube, der nicht wert ist, daß man ihn nenne, dem edeln Siegfried eine tiefe Wunde, so daß er kaum auf einem Fuße in dem Drachenstein zu stehen vermochte. Doch ermannte er sich und kehrte sich dem Ungetreuen mit Ingrimm und Entrüstung zu. Nun fing von neuem ein solches Ringen an, daß der Drachenstein davon erzitterte. Die Jungfrau rang ihre Hände und raufte ihr goldenes Haar aus dem Haupt; sie schrie flehentlich zu Gott, daß er doch dem Gerechten beistehen wolle. Dem Ritter aber rief sie zu: "Du vielkühner Held l streite männlich für dein Leben und rette mich armes Magdlein!



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Gedenke der großen Arbeit, die du bereits um meinetwillen ausgestanden hast!" Als Siegfried sie so klagen hörte, sprach er: "Sei getrost , meine Schöne, es hat keine Not!" Der Riese aber dachte: "Jetzt muß es gewonnen oder verloren sein!" Doch Siegfried faßte den Riesen in seine Wunden und riß sie ihm voneinander, daß das Blut vom Steine hinabfloß. Da sank der Riese zur Erde und bat flehentlich mit bebender Stimme, der Ritter wolle ihn doch seines Edelmutes genießen lassen und ihm das Leben schenken. Er bekannte dabei, daß er nun zu dreien Malen treulos an ihm geworden sei. "Weil Ihr denn sehet", sagte er, "daß ich so kraftlos daliege, so werdet Ihr Euch desto weniger vor mir zu fürchten haben!" Siegfried aber, der nunmehr die Jungfrau in seiner Gewalt


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sah und den Schlüssel zu dem Drachenstein bei sich hatte, achtete seiner Bitten nicht, sondern er packte den ungeheuren Riesen und stürzte ihn vom Drachenstein hinab, daß sein Gebein in der Felsenkluft zerschmettert ward.

***
Als Florigunde dieses sah, brach sie in ein lautes Freudengeschrei aus und dankte Gott, daß er dem Ritter so große Stärke gegeben. Siegfried aber nahte sich der Jungfrau, umfing sie züchtiglich und sprach zu ihr: "Nur guten Mutes, meine Geliebte! Euer Leid soll bald in Freude verwandelt werden." Die Jungfrau dankte dem Ritter von Herzen mit vielen beweglichen Worten; sie erinnerte ihn jedoch, daß dies alles noch nicht genug sei; denn sie dachte an den Drachen und fürchtete, daß ihm dieser noch größeres Ungemach antun möchte als der Riese. "Dies ist mein geringster Kummer", sagte der Ritter lächelnd, "jetzt bekümmert mich nur eines: nämlich, daß ich seit vier Tagen und Nächten weder gegessen noch getrunken, viel weniger der Ruhe gepflogen habe."

Das hörte das Zwerglein Egwald, das dem Ritter gefolgt war, und erschrak mit der Jungfrau nicht wenig; sorgte auch alsbald dafür; daß seine Vasallen, die Zwerge, dem Helden zu essen brachten, und erbot sich, ihn und seine Geliebte zum wenigsten zwei Wochen lang mit Speise und Trank wohl zu versorgen und mit allen seinen Zwergen ihnen dienstbar zu sein und aufzuwarten. Als nun das Essen, so gut es in der Eile zubereitet werden konnte, aufgetragen war, setzte sich Siegfried mit der Jungfrau zu Tische, sich mit Speisen zu erlaben, damit er wieder zu Kräften käme. Ehe sie aber noch angefangen, siehe, da kam der ungeheure Drache über die Berge dahergeflogen und neun junge Drachen mit ihm. Von ihrem Fluge wurde das Gebirge erschüttert, als wenn es zusammenstürzen wollte, so daß es kein Wunder gewesen wäre, wenn ein Mensch vor Schrecken gestorben wäre. Auch entsetzte sich die Jungfrau so, daß ihr der kalte Angstschweiß über das Angesicht lief, und alle Zwerge, die den Tisch bedienten, liefen davon. Siegfried aber nahm, in Ermanglung eines Trockentüchleins, sein seidenes Gewand und wischte der Jungfrau sorglich den Schweiß ab; dann sprach er zu ihr: "Verzage nicht, meine Geliebte, Gott wird schon helfen!" —"Ach, mein lieber Herr", erwiderte die Jungfrau, "wenn Euch auch die ganze Welt betstunde, so wäre es jetzt doch um Euch geschehen!" — "Nein", sagte der Held, "so pflegen wohl die Frauen zu reden, aber ein Rittersmann denkt anders. Solange Gott und ich bei dir sind, hat es keine Not. Wenn Gott es nicht will, wer will uns das Leben nehmen, das uns Gott gegeben hat?"



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Während die zwei Liebenden noch in solchem Gespräche waren, siehe, da kam der Drache dahergefahren, und das Feuer flog dreier brennenden Riesenspieße lang vor ihm her, so daß ringsum davon der Fels erhitzt und in Flammen gesetzt wurde. In seinem Fluge stieß der Drache mit solcher Wut an einen Stein, daß dieser borst und zitterte, als wollte er ganz zerbröckeln, so daß Siegfried und die Jungfrau, die unter dem Felsen in der Kluft saßen, meinten, er würde zusammenfallen und sie bedecken; denn sie hatten sich vor der großen Hitze tief unter die Höhle begeben, bis das höllische Feuer des Drachen ein wenig verglommen und verdampft wäre.

Dieser Drache war vorzeiten ein schmucker Jüngling gewesen und von einem Zauberweibe verwünscht worden, so daß der leibhaftige Satan in ihm war, dem er auch mit Leib und Seele dienen mußte. Doch hatte er menschlichen Verstand behalten und besaß seltene Fähigkeiten des Geistes. Die Jungfrau hatte er geraubt in der Absicht, sie nach fünf Jahren, wo seine Verzauberung vorüber und er wieder ein Mensch geworden wäre, zu heiraten. Nun lebte zwar Florigunde der Hoffnung, daß er endlich seine gräßliche Drachengestalt verlieren würde; dennoch graute ihr vor ihm wie vor dem Bösen selbst, und sie hätte ihm in Ewigkeit nicht hold werden können. Der Drache aber erhob sich in ungeheurem Grimm, daß er seiner schönen Jungfrau beraubt werden sollte, die er nun über vier Jahre ernährt hatte, und die er Winters mit seiner Hitze so sorglich erwähnte; denn alsdann legte er sich von fern in die Steinkluft und hielt Wind, Frost und Kälte auf. Diesen Platz verließ er nur, wenn er ihr Speise zu holen hinausging. Kurz, er zeigte sich in allein als ein zärtlicher Liebhaber und aufmerksamer Bräutigam. Daher er auch jetzt vor Zorn hätte sterben mögen.

Siegfried konnte in der Höhle nun nicht länger mehr verharren; er waffnete sich aufs beste, nahm das Schwert sich, das ihm der Riese auf dem Drachenstein gezeigt hatte, und ging damit den Felsen hinan. Als der Drache Siegfried gewahr wurde, griff er ihn mit solcher Gewalt an, daß der Stein davon erzitterte, als ob er zerfallen wollte. Siegfried wehrte sich, so gut er immer mochte, doch konnte er es nicht verhindern, daß ihm der Drache mit seinen ungeheuren Klauen den Schild aus der Hand riß. Zudem verursachte er eine solche Hitze, daß die ganze Felsenkluft wie eine Schmiedesse anzusehen war und dem Ritter der Schweiß über den ganzen Leib floß. Bei dem Tosen dieses Kampfes machten sich alle Zwerge auf, tief in die Wälder zu fliehen; denn sie fürchteten, der Fels möchte einfallen und sie alle zerschmettern. Nun hatten sich in dem



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Gebirge auch zwei Brüder des Zwergenkönigs Egwald aufgehalten, welche den großen Schatz ihres Vaters daselbst hüteten. Als nun die Zwerge alle davonflohen, versteckten sie den Schatz in ein hohles Gestein, dicht
an der steinernen Wand, unter dem Drachenstein. Der Zwergenkönig Egwald aber wußte ebensowenig, daß das Zwergenvolk geflohen war, als daß seine Brüder den Schatz versteckt hätten; denn er hatte sich schon früher verborgen, um abzuwarten, wie der erschreckliche Kampf ablaufen würde, um im Falle der Not Siegfrieden mit seiner Kunst dienen zu können. Denn wenn der Held überwunden worden wäre, so wären auch die Zwerge alle des Todes gewesen, weil der Drache wußte, daß sie Kundschaft von seinem Steine hatten.

Wie nun Siegfried die große Hitze, die von dem Drachen ausging, nicht länger ausstehen konnte, weil ihm sein Hornüberzug am Leibe weich zu werden anfing, da floh er zu der Jungfrau in die Tiefe des Geklüstes, bis sein Horn wieder erhartet war und sich die große Glut auf dem Stein etwas vermindert hatte. In der Zeit nun entdeckte er den überaus reichen Schatz, den die Zwerge da versteckt hatten. Er war aber der Meinung, der Lindwurm oder Drache werde denselben hier verborgen haben, um ihn zu sich zu nehmen, wenn er wieder zum Menschen geworden wäre; oder aber, der Schatz könnte dem erschlagenen Riesen zugehört haben; daß die Herrlichkeiten des Zwergenkönigs Egwald Eigentum seien, das kam ihm nicht in den Sinn.



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Inzwischen trat die Jungfrau Florigunde zu ihrem Geliebten und brachte ihm die entsetzliche Botschaft, die ihr Egwald, der Zwerg, gemeldet hatte: daß nämlich der Drache noch sechzig junge Drachen an sich gezogen habe, und daß es um sie geschehen sein würde. Siegfried dachte: "Ich muß dennoch mein Heil versuchen: wer weiß, wenn die Not am allergrößten, ist oft Gottes Hilfe am allernächsten!" Mit diesem Gedanken warf er sich aufs Knie und betete kurz, aber brünstig. Dann erhub er sich und stieg den Drachenstein unverzagt abermals hinan. Nachdem er den Drachen mit seinen Jungen ins Auge gefaßt, nahm er sein Schwert mit beiden Händen und hieb mit allen seinen Kräften so grimmig auf den Drachen ein, als ob er ihn in Splitter schlagen wollte. Während des Gefechts flogen die jungen Drachen alle wieder davon, woher sie gekommen waren; nur der alte Drache blieb und spie aus seinem abscheulichen Rachen die Flammen blau und rot über Siegfried hinab in solcher Menge, daß er ihn damit einigemale beinahe zu Boden geworfen. Überdies bediente er sich seines Schweifes mit solcher List, daß er den Ritter mehr als einmal darein verflocht, um ihn mit demselben vom Drachenstein hinunterzuschleudern. Siegfried aber, der sich Gott anbefohlen hatte, sprang aus der Schlinge und trachtete, wie er den Lindwurm des Schweifes berauben wollte. Er faßte deswegen sein Schwert und führte einen so glücklichen Streich auf den Drachen, daß er seinen Schweif vom Leibe absonderte, als wäre derselbe nie dagewesen. Der Drache, seines Schweifes beraubt, geriet in fürchterlichen Zorn und überschüttete den Ritter mit soviel Glut; als ob ein ganzes Fuder Kohlen auf den Stein geworfen würde. Siegfried jedoch, der die Entdeckung gemacht hatte, daß sein Schwert im Leibe des Drachen zu haften vermögend war, faßte sich ein mutiges Herz und neue Kraft und führte einen so harten Streich, daß er mit demselben den Drachen in zwei Stücke mitten voneinander hieb, daß die eine Hälfte von dem Steine hinabfiel. Die andere Hälfte faßte Siegfried und Süess sie auch hinab.



***
Die Jungfrau, die sich in der Tiefe der Felsenhöhle verborgen hielt, schloß aus dem fürchterlichen Getöse und dem Fall des Drachen, daß derselbe überwunden sein müsse; daher lief sie voll Freude, Furcht und Schrecken den Stein hinan. Aber weh ihr! da lag ihr Erretter; von der großen Anstrengung ganz erbleicht, auf dem Boden ausgestreckt. Seine Lippen waren kohlschwarz von der Hitze, und kein Zeichen des Lebens war an ihm zu entdecken. Nun hielt sich Florigunde aufs neue für verloren;


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sie meinte, die jungen Drachen würden zurückkommen, den alten Lindwurm zu rächen. Da fiel ihr noch als einzige Hoffnung das Zwerglein Egwald ein. Diesen zu rufen, wollte sie davonfliehen. Aber die erschöpfte und geängstete Jungfrau fiel auch in Ohnmacht, nachdem sie nur wenige Schritte getan hatte.

Der edle Ritter, nachdem er eine gute Weile besinnungslos gelegen hatte, sammelte seine Lebensgeister wieder und schöpfte neuen Atem. Er richtete sich allmählich auf, erhob seine Augen und begann sich umzusehen. Da fiel sein Blick auf die schöne Jungfrau, die nicht ferne von ihm auf der Erde lag. Von Herzen erschrocken, raffte er sich auf und eilte hin zu ihr; er faßte sie in seine Anne, rüttelte und schüttelte sie, ob sie nicht

ein Lebenszeichen von sich geben möchte, und rief endlich voll Verzweiflung aus: "Ach, daß es Gott im Himmel erbarme! So soll ich für alle meine Mühsal und Gefahr nichts davontragen als eine tote Jungfrau? Oh, welche schlechte Freude werde ich ihren Eltern bereiten! Wehe mir, daß ich hieher gekommen bin!"

Während er so jammerte, kam zu allem Glücke der Zwerg Egwald dahergelaufen und brachte eine Wurzel mit sich; die gab er Siegfrieden, daß er sie der Jungfrau in den Mund steckte. Von Stunde an erholte sich Florigunde; sie schlug die Augen auf, richtete sich empor und umfing den Helden mit freundlichen Gebärden und unter Zähren des Dankes.



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Jetzt sprach der Zwergenkönig Egwald zu dem Helden: "Der böse Riese Wolfgrambär hatte uns Zwerge, deren über tausend sind, in diesem Berge bezwungen, daß wir unser eigen Land ihm verzinsen mußten. Davon habt Ihr uns freigemacht, tapferer Ritter! Des wissen wir Euch viel großen Dank und erbieten uns, Euch zu dienen, soviel unser sind. Wir wollen Euch bis gen Worms am Rhein begleiten; denn wir sind der Wege gar wohl kundig." Siegfried bedankte sich höchlich für diese Freundschaft. Unterdessen bat ihn der Zwerg, sich mit der Jungfrau zu ihnen tiefer hinein in den Berg zu begeben und sich bei ihnen mit Speise und Trank zu erlaben , dessen sie beide sehr bedürftig waren. Dort fanden sie alles aufs beste zugerichtet und erquickten sich nicht wenig. Die Zwerge waren sehr geschäftig, sie trugen das Köstlichste herbei, was sie in der Eile zuwege bringen konnten. Der König Egwald veranstaltete auch eine schöne Zwergenmusik, , die recht lustig anzuhören war. Und als die Mahlzeit vollendet war, da trug man allerlei Backwerk in vergoldeten Schüsseln auf, und die Gesundheit des edlen Ritters Siegfried und seiner Geliebten wurde von den Zwergen weidlich herumgetrunken. Die kleinen Kreaturen waren recht fröhlich, tanzten und sprangen nach Herzenslust. Aber Siegfried war von Herzen müde; denn er hatte in vier Tagen und drei Nächten nicht geruhet; darum bat er, daß man sowohl der Jungfrau als ihm ihre Ruhe zubereiten möchte. Wie das der König Egwald hörte, sorgte er dafür, daß die köstlichsten Betten zugerichtet würden.

Mittlerweile nahm Siegfried die schöne Florigunde bei der Hand und sprach zu ihr: "Allerschönste Jungfrau, nun saget mir, wie war es Euch möglich, so lange bei dem ungeheuren Drachen zu leben?" Die Jungfrau aber sprach: "Und Ihr; mein edler Ritter, saget mir, wie seid Ihr auf diese Reise gekommen, daß Ihr Euer Leben so frisch für mich gewagt habt?" Da erzählten sie eines dem andern nach Herzenslust ihre Abenteuer, und als die Jungfrau erfuhr, daß es einzig und allein ihr junges Leben gewesen sei, das den Helden zu dieser gefährlichen Reise bewogen, da flossen ihr die Zähren über die Wangen; sie zog einen schönen Ring mit köstlichen Diamanten von ihrer Hand und steckte ihn dem Ritter an seinen Finger. Er aber, der eine so edle Gabe nicht unvergolten lassen wollte, nahm die goldene Kette, die ihm an König Gilbalds Hofe im Turnier zuteil geworden war, von seinem Halse und hing sie der Jungfrau um. Mit diesen Geschenken ward ihrer beider Liebe bestätigt.

Unter den Gesprächen war bereits die Sonne hinter dem Gebirge untergegangen ; die schwarzen Nachtwolken überzogen den blauen Himmel,



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und Siegfrieds Augen fingen an zuzufallen. Wie die schöne Florigunde dieses sah, wendete sie sich an den Zwerg Egwald und bat ihn, dafür zu sorgen, daß der Ritter zur Ruhe kommen möchte. Da wurde Siegfried vor ein köstliches Bett geführt, das mit einer schönen samtenen Decke zugedeckt war, auf der sich die Gestirne des Himmels kunstreich eingewirkt befanden. Der Ritter lächelte und sprach: "Bisher habe ich unter dem gestirnten Himmel geschlafen, wie wohl wird es mir nun unter diesem samtenen Himmel schmecken!" An einer andern Stelle war Florigunden ein ebenso köstliches Lager bereitet. Da sagten sich die beiden gute Nacht, und als jedes sein Gebet getan und sich Gott befohlen, schliefen sie ruhig bis an den Morgen. Als nun der herannahte und die Sonne ihre Strahlen über das Gebirge zu strecken begann, erwachte Florigunde zuerst, stund auf, schmückte sich, betete und dankte Gott, und als sie sah, daß der Ritter noch ruhig schlief, setzte sie sich abseits von ihm und sang einen gar lieblichen Morgenpsalm. Von ihrem Singen erwachte der Held, und obwohl er sich ein gutes Recht auf lange Nachtruhe erworben hatte, so schämte er sich doch, so lange geschlafen zu haben; er legte daher eilig seine Rüstung an und ging, die Jungfrau in Züchten zu grüßen. Bald stellte sich auch der Zwergenkönig ein und fragte seine Gäste freundlich, wie sie geschlafen hätten. Dann bat er sie recht dringend, doch länger bei ihm verweilen zu wollen. Aber Siegfried hatte keine Ruhe mehr, sondern bat um Urlaub. Sogleich ließ der Zwerg ein Frühstück bereiten, und nachdem sie sich ein wenig mit Speise gestärkt hatten, nahm Siegfried höflichen Abschied vom König Egwald und seinen Brüdern. Die aber erwiderten den Abschied nicht, sondern um ihr dankbares Gemüt zu beweisen, erklärten sie sich bereit, ihrer hundert den edlen Gästen das Geleite nach Worms zu geben, damit ihnen unterwegs kein Unfall zustieße. Aber Siegfried nahm keines andern Zwerges Begleitung an denn allein des Königs Egwald. Dieser setzte sich auf sein prächtiges Pferd und ritt vor ihnen her. Wie sie nun so des Weges ritten, da sagte Siegfried zu dem Zwerge: "Ich habe auf dem Drachenstein gesehen, daß du auch in der Sternkunde wohl erfahren bist! So bitte ich dich, du wollest mir sagen, wie es mir denn auch künftig im Leben ergehen wird." Da wollte der Zwerg lange nicht antworten, aber Siegfried drang so lange in ihn, bis er in sein Begehren willigte. "Ich fürchte sehr, es wird dir nicht zum besten gefallen, was ich dir zu sagen habe", sprach Egwald. "Wisse, daß du das schöne Weib, welches du da heimführest, nur acht Jahre besitzen wirst; alsdann wird dir auf mörderische Weise dein Leben genommen werden. Aber dein Weib .


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wird deinen Tod rächen, und wird mancher tapfere Held darüber das Leben verlieren! Zuletzt wird auch dein Weib im Kampfe verscheiden.""Was Gott will, das geschehe!"sagte Siegfried. "Da mein Tod so wohl gerächt werden soll, so begehre ich auch den Täter nicht zu erfahren und frage dich nicht weiter." Dieses Gespräch hatte die schöne Florigunde nicht gehört ; denn sie ritt vor ihnen eine gute Strecke. Als sie aber die Jungfrau eingeholt hatten, da duldete Siegfried nicht, daß ihn der Zwerg länger begleite, sondern beurlaubte sich von ihm, der dann mit weinenden Augen Abschied nahm und zurück in seinen Berg ging.

Siegfried aber gedachte jetzt des Schatzes, den er im hohlen Gestein entdeckt hatte, und von dem er glaubte, daß er des Drachen oder des Riesen sei, daher er ihn als einen guten Fund betrachtete. Denn an die Zwerge dachte er dabei gar nicht. Er kehrte daher mit der Jungfrau um und sagte: "Den Schatz wollen wir doch nicht dahinten lassen; habe ich den Drachenstein mit Gefahr meines Lebens gewonnen, so kann auch der Schatz niemand füglicher zukommen als mir." So nahm er denselben und legte ihn vorn auf sein Pferd, trieb dieses vor sich hin und zog die Straße, auf der er am vorigen Tage den Ritter erschlagen hatte. Da sah er des Toten Pferd dort auf der Weide gehen; nun band er sein eigenes Roß an einen Baum, legte sich ein wenig ins Grüne, und die Jungfrau hielt Wache über ihm. Als er wieder aufgewacht war, fing er des toten Ritters grasendes Pferd ein, legte ihm den Schatz auf, bestieg sein eigenes Pferd wieder und führte jenes mit dem Schatze neben sich und Florigunden her.

Sie buben an, Gottes Fürsehung, deren sie sich auch hier wieder erfreuen durften, zu preisen, und kamen unter solchem Gespräch aus dem offenen Walde bald in ein dichtes Gesträuch. Hier waren sie nicht lange geritten, als unversehens aus dem Dickicht eine Rotte Mörder hervorbrach und sie umringte. "O mein edler Ritter", rief Florigunde, "wie wird es uns ergehen!" Aber Siegfried blieb ganz ruhig und sprach: "Sei zufrieden, Geliebte, die beißen uns nicht." Indem umgaben ihn sechs derselben, denn im ganzen waren ihrer dreizehn. Der Ritter aber lachte dazu. "Wir wollen ihnen den Schatz geben", sagte die Jungfrau, "so werden sie uns wohl ziehen lassen!" "Ich achte des Schatzes wenig", sagte Siegfried, "aber den Schimpf möchte ich um aller Welt Schätze nicht nehmen, daß ich mich vor solchen Burschen fürchten sollte!" Indessen umringten sechs andere Mörder die Jungfrau; der dreizehnte nahm das Saumroß am Zaum und wollte mit dem Schatze davon. Bisher hatte der Ritter nicht geglaubt, daß es ihr Ernst sei; als er sich aber nun



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eines andern überzeugte, da sprach er mit strengen Worten zu ihnen: "Ihr leichtfertigen Straßenräuber, was habt ihr im Sinne?" "Da hast du die Antwort auf deine Frage", schrie einer der Räuber und schlug damit gewaltig auf den Ritter los. Siegfried säumte nicht lange und schlug dem trotzigsten der Wegelagerer mit dem ersten Streiche des Schwertes, mit welchem er den Drachen getötet hatte, den Kopf ab. Mit einem andern Hiebe spaltete er dem zweiten den Kopf bis auf die Zähne. Als sie so den großen Ernst des Ritters sahen, wichen ihrer viere zurück. Die andern sechse, welche die Jungfrau umringt hielten, wollten nun ihren Gesellen zu Hilfe kommen; aber sie wurden auch so empfangen, daß ihrer drei auf dem Platze blieben. Inzwischen war der Räuber, der das Pferd mit dem Schatz führte, weit vorangekommen; aber Siegfried mit seinem guten Pferde holte ihn bald wieder ein und, diesen niederzuhauen, machte ihm gar keine Mühe. Als er sich darauf wieder umwendete, um zu seiner Geliebten, die er seiner wartend hinter sich gelassen hatte, wieder zurückzukehren, da hatten die Räuber, die indessen flüchtig geworden waren, die Jungfrau mit sich geführt. Als der Ritter dieses wahrnahm, säumte er nicht lange, ließ das Pferd mit dem Schatze laufen und eilte der Stätte zu, wo er die schöne Florigunde gelassen hatte, um auf den Hufschlag ihres Pferdes zu kommen; denn die Zwerge hatten das Pferd so künstlich beschlagen, daß er den Hufschlag wohl kennen konnte. Sobald er nun denselben entdeckte, eilte er ihm nach und traf auch wirklich die Mörder in einem dichten Gesträuche an. Er setzte unter sie mit grimmigem Zorn und machte sie alle nieder bis auf einen einzigen; denn dieser lief in einen nahen Sumpf bis an den Hals. Siegfried hielt es nicht für der Mühe wert, um dieses einen willen nur noch einen Schritt zu tun, sondern rief ihm zu: "Wenn du einem Wandrer begegnest, Geselle, so sage ihm, daß du den gehörnten Siegfried gesehen, der die schöne Florigunde vom Drachenstein errettet hat, und daß er deine zwölf Helfershelfer gesäubert, daß ihnen der Bart nicht mehr wachsen wird!" Und so ritt er mit seiner schönen Florigunde davon. Als sie den Sumpf im Rücken hatten, sprach er zu ihr: "Schönste; wie hat Euch diese Kurzweil gefallen?" "Werter Ritter", erwiderte sie, "wenn das Eure Kurzweil ist, wer möchte dann im Ernste mit Euch fechten?" Nun kamen sie an den Ort, wo der Streit zuerst angefangen hatte, da fiel der Jungfrau das Pferd mit dem Schatze ein, und sie fragte ihren Geliebten, , ob er das Saumroß nicht wieder angetroffen habe. "Freilich", erwiderte der Ritter, "habe ich es dem Bösewicht, der es gestohlen, wieder.


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abgesagt und ihm so viel dafür gegeben, daß er keines Geldes weiter bedarf. Als ich aber wieder zurückkam und Euch, schönste Jungfrau, nicht mehr auf der Stelle traf, da merkte ich bald, daß es schlimm stehe; ich vergaß des Schatzes, und meine Liebe zu Euch zwang mich, dem Hufschlag Eures Pferdes nachzugehen und Euch vor allem zu retten. Was fragte ich nach dem Schatze; Ihr, Allerschönste, habt mich doch viel mehr gekostet!" "Nun", sagte Florigunde zärtlich, "dann sollt Ihr auch nicht weiter des Schatzes wegen Euch in Gefahr begeben und das Pferd nicht länger aufsuchen."Darein ergab sich Siegfried; "denn", dachte er, "wenn
ich nur noch acht Jahre leben soll, was nützet mich dann der Schatz?" Und nun ritten beide fort und fort, bis ihnen der Rhein mit seinem grünen Wasser entgegenschimmerte. —

Jetzt kam zu König Gilbald und seiner Gemahlin die freudige Botschaft, daß ihre geliebte Tochter Florigunde von dem Drachenstein erlöst und auf der Heimreise mit dem kühnen Ritter Siegfried nicht mehr weit entfernt sei. Der König ließ deswegen seine ganze Ritterschaft aufbieten, damit sie seiner Tochter und dem Helden alle gebührende Ehre antaten, ihnen entgegenzögen und sie mit großem Gepränge einholten. Zugleich lud er sie alle auf die bevorstehende Hochzeit ein; denn er wußte wohl, daß er seine Tochter dem Ritter Siegfried, welcher sie mit Gefahr seines Heldenlebens so teuer erworben hatte, nicht abschlagen durfte. Nachdem



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sie nun mit Freuden eingeholt und mit Jubel empfangen worden, da wurde mit der Vermählung nicht lange gezögert. Sieghard, Siegfrieds alter Vater, kam geladen zu seines lieben Sohnes Hochzeit. Kaiser, Könige und fünfzehn Fürsten, dazu Ritterschaft und Adel ohne Zahl, fanden sich zusammen. Alle wurden wohl empfangen und herrlich gehalten und bewirtet, wie dies an Königshofen Sitte ist. Siegfried und die schöne Florigunde wurden in das Münster geführt und mit vielem Gepränge in Gegenwart aller Fürsten und Großen getraut.

Unter der mannigfaltigen Kurzweil, die auf dieser Hochzeit getrieben wurde, kam auch ein gar feines Stückchen vor, welches wohl wert ist, erwähnt zu werden. Es wohnte nämlich zunächst an des Königs Palast ein Bauer mit Namen Jorcus; dieser hatte einst dem Könige Gilbald, als er auf einer Jagd irregegangen war, den rechten Weg gezeigt und war von dem Könige dafür zum Verwalter über seine Viehherden gesetzt worden. Dieser Jorcus war so verzagt und so blöder Natur, daß er wohl vor einem bloßen Degen, wenn es möglich gewesen, in die Erde gekrochen wäre. Nun lebte an des Königs Hofe ein Edelmann, ein verschlagener, listiger Schalk, der manchen Scherz zu veranstalten wußte; dieser redete mit dem Bauer und machte ihn glauben, daß jetzt eine so gute Gelegenheit vorhanden sei, sich bei dem Könige beliebt zu machen, als er seine Lebtage eine wünschen möchte. "ES ist", sagte er zu ihm, "unter den fremden Fürsten einer, der hat einen Soldknecht; namens Zivilles, bei sich; dieser ist so verzagt, daß man ihn mit einem Erbsenrohr verjagen könnte. Den sollst du zum Kampf um Leib und Leben herausfordern! Wenn er dieses hört, glaube mir, so wird er vor Schrecken nicht erscheinen; alsdann hast du schon Ehre genug! Oder, wenn er je käme, so wird er doch, sobald er dich gewappnet sieht, vor Furcht die Flucht ergreifen, und dann kommst du zu hohen Ehren bei dem König." Der Bauer ließ sich betören und sagte dem Edelmann zu, daß er den Soldknecht fordern lassen wolle. Als der Edelmann sah, daß Jorcus in die Falle gegangen sei, meldete er dem Könige alles und bat Seine Majestät , doch ja diese Kurzweil zu gestatten; er selbst wolle schon dafür sorgen, daß keiner der beiden Kämpen Schaden nehme. Der König aber dachte, weil seine Tochter doch so viele Jahre lang Ungemach geduldet, so wolle er ihr, ihrem Gemahl und allen Anwesenden eine solche Ergötzlichkeit immerhin gönnen. So erlaubte er es denn Edelmann. Dieser ging hin zu dem Könige Sieghard und erbat sich von ihm seinen Söldner Zivilles, indem er ihm vortrug, welchen Scherz,



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er mit demselben vorhatte. Der König Sieghard willigte gern in die Bitte, und der Edelmann suchte den fremden Kriegsmann auf und sagte ihm nach langen Umschweifen, daß er zu keinem andern Ende gekommen sei, als ihm anzukündigen, daß Jorcus, der Verwalter des Königs Gilbald, ihn auf den morgenden Tag auf Leib und Leben zum Kampfe herausfördere . Zivilles erschrak über alle Maßen, fing an zu zittern und gab mit stammelnder Zunge die Antwort: "Ich habe mit diesem Jorcus nichts zu tun; wie kommt er denn dazu, daß er mich fordern läßt?""Dem sei, wie ihm wolle", erwiderte der Edelmann, "er hält Euch einmal für keinen redlichen Kerl; deswegen verlangt er von Euch, Ihr sollet mit guter Rüstung versehen, morgen zu der und der Stunde auf dem Kampfplatz erscheinen; dort will er Euer warten." Damit ging der Edelmann seiner Wege. Der König Sieghard und seine Leute, welche den Schrecken des Söldlings sahen, redeten ihm Mut ein und munterten ihn zum Kampfe auf. Da rief Zivilles den Edelmann endlich zurück, und sagte zu ihm: "Mein Freund, ich will mich bis morgen bedenken!" Mit dieser Antwort ging der Edelmann zu dem Bauern, der sehr erfreut darüber war; denn er schloß daraus, daß der Kriegsknecht nimmermehr kommen würde, weil ihm der Edelmann noch dazu erzählt hatte, wie erschrocken Zivilles über seine Forderung gewesen sei.

Am andern Morgen aber redeten des Königs Leute ernstlich mit Zivilles und sagten, es wäre ihm eine ewige Schande, wenn er den Kampf ausschlüge; denn sie hätten wohl gehört, daß Jorcus ein verzagter Bursche wäre; sobald dieser einen bloßen Degen sehe, so würde er die Flucht ergreifen . Dadurch ließ sich Zivilles überreden, schickte früh morgens zu dem Bauern und ließ ihm sagen, daß er um ein Uhr des Nachmittags auf dem Kampfplatze in guter Rüstung zu Pferd erscheinen werde; da wollte er ihn lehren, was es hieße, einen redlichen Reitersmann ohne vorangegangene Beleidigung zum Kampfe herausfordern! "Und wiewohl es mir, als einem versuchten Kriegsmann, nicht wohl ansteht, mich mit einem groben Bauernlümmel zu balgen, so will ich dich dennoch lehren, daß du ein andermal dich nicht unterstehen sollst t"

So wurden denn beide mit Rüstung wohl versehen und kamen zur bestimmten Zeit auf den Kampfplatz. Da hätten alle, die dieses lesen, selbst sollen zugegen sein und die Kurzweil mitansehen! Denn sobald Jorcus, der Bauer, auf den Kampfplatz kam, sah er sich nach allen Seiten um, wo er am füglichsten Reißaus nehmen konnte, und verwünschte den Ort; weil er ihn so wohl verwahrt sah. Er war nämlich an drei Seiten mit



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hohen Brettern umgeben, an der vierten Seite floß ein Wasser, und die Pforten wurden alle versperrt, so daß ein jeder ausharren mußte. Als nun Zivilles, der Kriegsknecht, des Jorcus ansichtig wurde und sah, daß er ein so mutiges Pferd hatte, da fehlte wenig, daß er davongeritten wäre, wenn er nur gekonnt hätte. Und schon war er willens, sich dem Feinde zu ergeben. Aber mit demselben Entschlusse ging auch Jorcus um. Indem teilten die Ritter den Kampfplatz, und die Trompeten bliesen. Als nun des Jorcus Pferd die Trompeten schmettern hörte, ließ es sich nicht länger halten; denn es war Siegfrieds Roß und des Turnierens wohl gewohnt; sondern es begann den Lauf und schoß dahin wie ein Pfeil. Gerne hätte es Jorcus aufgehalten, aber es war vergebens; denn es durchlief die wohlbekannte Bahn in vollem Laufe bis zu Ende. Seine Eile zwang den Reiter, die Lanze fallen zu lassen und sich mit beiden Händen an der Mähne des Pferdes zu halten, daß er nicht herunterfiel. Dagegen mußte des Zivilles Pferd mit Spießruten ermuntert werden, bis es in Gang kam. Der Kriegsknecht aber legte seine Lanze alsbald ein, noch ehe es Zeit war: diese trieb der Wind immer auf die eine Seite, so daß er, ohne es zu wissen und zu wollen, den Jorcus damit berührte. Und weil dieser ohnedem nur kümmerlich im Sattel hing, so fiel er herunter auf die Erde. Zivilles, der dessen nicht inne ward, ließ sein Pferd bis ans Ende der Rennbahn auslaufen. Erst als er sein Roß umwendete, sah er den Jorcus dort auf dem Boden liegen; da dachte er: "Nun ist es Zeit, daß du deinem Feinde den Rest gibst und ihm mit dem Pferde den Kopf zerknirschest und ihn mit der Lanze durchstoßest." Während er sich ihm jedoch allgemach näherte, hatte der Bauer sich wieder auf die Beine gemacht: bis aber Zivilles zu ihm kam, strauchelte sein eigenes Pferd, dem er mit der Lanze, welche er alle Zeit sehr niedrig hielt, zwischen die Vorderbeine gekommen war, und fiel unter ihm nieder.

Da dachte Jorcus: "Jetzt ist es Zeit; ein Ritter an dem Feinde zu werden", und hieb so grimmig von ferne auf ihn ein, als ob er ihn in Stücke hauen wollte. Aber das Pferd zappelte so grausam mit den Füßen, daß er ihm nicht beizukommen vermochte; und wie es sich endlich emporarbeitete und auf seine Füße zu stehen kam, da schnaubte es und schlug so zornig um sich, daß der Bauer besorgte, es möchte ihn treffen, und in aller Furcht von dannen floh. Indessen hatte Zivilles Zeit gefunden, sich wieder aufzurichten und auf seine Füße zu stehen; sein Leib war aber so zertreten und so bebend, daß er ernstlich darauf dachte, sich dem Gegner zu ergeben. Er zog daher sein Schwert aus der Scheide, in der



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Absicht es an der Spitze zu fassen und so dem Feinde darzureichen. Aber Jorcus ging mit demselben Entschlusse um. Wie Zivilles mit bloßem Schwerte daherkommt, sich zu ergeben, da dachte er: "Das wird übel ablaufen!" und floh so schnell und weit, als sein gutes Pferd ihn trug. Nun Zivilles dies gewahr wird, will er an seiner Viktorie nicht gänzlich verzweifeln, faßt wieder ein Herz und verfolgt den Gegner so gut, als dies ein verzagter Mann auf einem schlechten Klepper zu tun vermag. Er erreichte ihn auch und schlug mit vollem Grimm auf ihn ein. Als Jorcus den ersten Streich fühlte, schrie er überlaut und bat ihn, einzuhalten, sonst würde er es dem Könige Gilbald und dem Ritter Siegfried klagen. Da aber jener nicht nachließ, so wich er zurück, soweit er nur konnte. So war er bis an das Wasser gekommen, daß er nicht weiter rückwärts konnte; da war seine Furcht gedoppelt. "Weichst du weiter", dachte er, "so mußt du im Wasser ersaufen; gehst du vorwärts, so mußt du unter deines Feindes Waffen sterben." Dem Feinde sich zu ergeben, schämte er sich auch, da er seiner Meinung nach eben noch den Sieg in den Händen gehabt. Diese vielfache Angst brachte ihn endlich zur Verzweiflung, so daß er beschloß, festen Fuß zu fassen, weil es ja nicht anders sein könnte. Darum nahm er sein Schwert in beide Hände, drückte die Augen fest zu und fing an, grimmig um sich zu hauen, so daß Zivilles mit Schrecken die Flucht nahm und überlaut schrie: "Laß mich leben, laß mich leben, so will ich mich dir ergeben!" Er bildete sich nämlich ein, schon viele Wunden empfangen zu haben, obgleich er noch keine einzige bekommen hatte.

Als Jorcus dieses Geschrei hörte, wagte er es, die Augen wieder aufzuschlagen, und sah, wie sein Gegner weit von ihm gewichen war. Da faßte er wieder Mut und verfolgte seinen Feind, so gut er konnte. Da schrie Zivilles noch viel lauter: "Schenke mir doch das Leben, ich will mein Lebtage nicht daran denken, mich zu rächen!" — "So wirf deine Wehr von dir!" rief Jorcus. Der arme Tropf tat, wie ihm befohlen war. Obwohl nun Jorcus seinen Feind ganz wehrlos sah und nichts mehr von ihm zu fürchten hatte, traute er dennoch nicht, sondern sagte zu ihm: "Hebe dich weit von mir und lege dich auf die Erde nieder!" Zivilles gehorchte abermals der Stimme seines Feindes, lief weit zurück, legte sich ganz ausgestreckt auf den Boden und erwartete wie ein Lämmlein sein Ende. Jorcus aber besann sich noch immer; wie er sich gang vor seinem Feinde sicher stellen könnte, und meinte, daß dies nicht möglich wäre, wenn er ihn am Leben ließe. "Aber wie sollst du ihm beikommen?"



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sprach er zu sich selber. "Gehst du mit dem Schwert auf ihn los, so möchte er sich aufrichten und es dir aus der Hand reißen!" So beschloß er, ohne das Schwert auf ihn loszugehen, suchte ein großes Messer, mit dem er seine Kühe abzustechen gewohnt war, unter der Rüstung hervor und schickte sich an, ihm damit die Gurgel abzuschneiden. Als die Richter dieses sein Beginnen wahrnahmen, traten sie ins Mittel und hießen den
Jorcus einhalten und sich mit seinem Siege begnügen. Denn so mit einem überwundenen Feinde zu verfahren, wäre der Waffenordnung schnurstracks zuwider. Jorcus ließ seinen Feind, weil er ihn überwunden hatte, ungern aus den Händen. Doch mußte er ihren vernünftigen Reden nachgeben, weil sie ihm überdies zusagten, daß Zivilles sich nimmermehr wider ihn auflehnen sollte. So hieß der Bauer den Soldknecht aufstehen und ein andermal besser bedenken, mit wem er es zu tun hätte. Auf solche Weise endete der Kampf dieser beiden Hasen, und jeder war froh, daß er mit dem Leben davongekommen. Kein lustigeres Stück war auf Siegfrieds Hochzeit vorgekommen.


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Nun war Ritterspiel und Kurzweil vorüber; und alle Gäste kehrten wieder heim. Siegfried gab ihnen so sicheres Geleite, daß man ohne alle Gefahr Gold hätte mögen auf dem Haupte tragen. —

Zu Hause hatten indessen die drei Brüder der schönen Florigunde, die Könige Ehrenbert, Hagenwald und Walter einen Haß auf ihren Schwager Siegfried geworfen, weil er in allen Kämpfen den Preis davongetragen hatte. "Alle Tage trägt er Siegeszeichen, Ringe und Waffen", sprachen sie zueinander, "damit prangt er, als wäre er allein der Held; so macht er uns im ganzen Lande verächtlich, das soll ihm übel bekommen!" Seitdem trachteten sie heimlich darnach, wie sie ihn töten könnten; lange aber konnten sie keine Gelegenheit finden, bis die acht Jahre um waren, von welchen der Zwerg Egwald dem Helden Siegfried vorzeiten geweissagt. Siegfried aber merkte nichts und lebte mit seiner schönen Florigunde in Frieden und guter Ruhe. Sie bekamen einen Sohn, den nannte er Löwhard. Der führte später mächtige Kriege mit dem Sultan und dem Könige von Babylon und bekam endlich die Tochter des Königs von Sizilien zur Frau, wie dies in andern Büchern beschrieben ist.

So hatten sie acht Jahre lang in stolzem Frieden gelebt, da geschah es eines Tages, daß Siegfried und seine Schwäger miteinander auf die Jagd ritten; denn Siegfried war der Jagdlust sehr ergeben. Weil aber der Tag gar heiß und Siegfried müde und durstig war, so begab er sich an einen Brunnen im Walde und legte sein Angesicht in denselben, sich zu erkühlen. Diesen Augenblick ersah sich sein Schwager, der grimmige Hagenwald, und gedachte bei sich selber: "Eine solche Gelegenheit kommt nicht alle Tage, jetzt versäume es nicht, dich an deinem Feinde zu rächen!" So nimmt er sein Seitenschwert und stößt es dem Siegfried zwischen die beiden Schultern, da wo sein Fleisch bloß und nicht mit Horn überzogen war. Er rannte ihm aber das Schwert so tief in den Leib, daß die Spitze bis an die Brust hineinging und er auf der Stelle tot war. So mußte der unvergleichliche Held auf eine schändliche und meuchelmörderische Weise sein junges Leben verlieren.

Als Siegfrieds Gemahlin den Tod ihres Herrn, des königlichen Helden, erfuhr, fiel sie vor Kummer in eine schwere Krankheit, so daß die Arzte an ihrem Aufkommen verzweifelten, der König Gilbald aber starb vor Jammer, und auch die Königin unterlag schon nach vier Tagen einem tödlichen Fieber. Da war Leid über Leid in dem Königspalaste zu Worms. Es wäre kein Wunder gewesen, wenn die schöne Florigunde auch gestorben wäre; aber es war Gottes Wille, daß Siegfrieds Tod zuvor durch sie gerächt



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würde. Ihre drei Brüder hielten dem König Gilbald, ihrem Vater, und ihrer Mutter, der Königin, eine herrliche Leichenfeier. Darauf wollten sie das Reich in Besitz nehmen und gemeinschaftlich beherrschen. Aber inzwischen war ihre Schwester; Siegfrieds Witwe, wieder so weit genesen und erstarkt, daß sie an ihren Vorsatz denken konnte, sich an den Mördern ihres lieben Gemahles zu rächen. Sie brach daher in aller Stille auf mit ihrem Sohne Löwhard und zog in die Niederlande zu
König Sieghard, ihrem Schwiegervater, dem sie die Ermordung seines Sohnes meldete und ihre Not klagte. König Sieghard, der dies mit großen Schmerzen vernahm, ergrimmte im Geist und ließ Adel und Ritterschaft in seinem ganzen Lande aufbieten, sammelte in Eile eine unzählbare Menge Kriegsvolkes, und ehe sich die drei Könige dessen versahen, waren sie mit blutigem Krieg überzogen. Vieltausend Helden fielen in diesem Kampfe, und auch der Verräter Hagenwald kam schimpflich um sein Leben. Denn als er sich lange gewehrt und zuletzt unfähig zum Kampfe geworden war, las er sich unter allen Kriegsleuten des Königs Sieghard den verzagten Soldknecht Zivilles aus; diesem ergab er sich im Wahne, von ihm am ehesten Barmherzigkeit zu erlangen und


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bei ihm viel sicherer zu sein als bei einem andern beherzten Krieger. Und als er sein Gefangener war, legte er sich kampfesmatt nieder und schlief ein. Zivilles aber besann sich nicht lange, sondern zog sein Schwert und stieß es dem Schlafenden durch den Leib, daß er zur Stunde tot blieb. "So hab ' ich dir vergolten", sprach er, "was du meines gnädigen Königes Sohn Siegfried getan, und dir ist mit dem Maße gemessen, mit welchem du gemessen hast."

Die andern zwei Brüder Ehrenbert und Walter zogen ins Elend. Der verzagte Zivilles ward seinerseits erschlagen; Jorcus, der Bauer, fiel auch in diesem Kriege. Zuletzt mußte auch die schöne Florigunde sterben. Aber ihr und Siegfrieds Sohn Löwhard blieb am Hofe seines Großvaters in den Niederlanden, wurde dort in Gottesfurcht und ritterlichen Tugenden erzogen und gedieh zu einem herrlichen Helden.



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Die schöne Magelone

Mit Bildern von Theodor Grosse



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In der Zeit, da die Provence mit andern Landen Frankreichs schon dem christlichen Glauben zugekehrt war, herrschte dort ein edler Graf, der von seiner Frau einen einzigen Sohn hatte, mit Namen Peter. Dieser Jüngling übertraf alle seines Alters in Waffenübung. Ritterspiel und andern Dingen. Er war nicht nur dem Adel wert, sondern auch dem ganzen Lande; ja, die Untertanen dankten dem allmächtigen Gott, daß sie einst einen solchen Oberherrn bekommen sollten. Auch hatten der Graf, sein Vater, und die Gräfin keine andere Freude denn ihren Sohn, und ihm zulieb wurde mancherlei Kurzweil am Hofe angestellt. So hielten auch eines Tags die Freiherrn und Edlen des Landes ein Turnier, in welchem Peter vor allen andern den Preis erlangte, wiewohl viel fremde und geübte Ritter auch dabei waren. Sein Gerücht erscholl weit umher, als ob es seinesgleichen nimmer gäbe. Nach dem Turniere wurden die Ritter festlich von dem Grafen bewirtet und redeten mancherlei untereinander. Insonderheit ließ sich einer vernehmen von der schönen Magelone, der Tochter des Königs von Neapolis, derengleichen an Schönheit und Tugend nicht gefunden werden sollte, und der zu Gefallen sich viele Jünglinge in Ritterspielen übten. und ein anderer Ritter sagte zu Peter: "Junger Herr Graf, Ihr solltet wandern und die Welt suchen und Euch in ritterlichen Spielen üben. Gewiß, Ihr



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würdet weit und breit bekannt werden und am Ende eine schöne Buhle heimführen!"

Dem Grafen Peter gefiel dies wohl, zumal da er soviel von der schönen Magelone gehört hatte; er setzte sich im Herzen vor, Urlaub von seinen Eltern zu begehren und in die Welt hinauszureiten. Als daher das Festspiel vorüber war und er Vater und Mutter eines Tages allein beieinander sitzen fand, ließ er sich vor ihnen auf sein Knie nieder und sprach: "Gnädige Eltern, höret mich als euren gehorsamen Sohn: ich weiß und erkenne es mit Dank, wie ihr mich bisher erzogen, wieviel Freude ihr mir gemacht, wieviel Ehre ihr mir angetan habt. Daran aber habt ihr noch nicht gedacht, wie es anzufangen wäre, daß ich der Welt auch bekannt würde wie andere Herren und Ritter. Seid mir daher nicht entgegen, wenn ich euch demütig bitte, mir zu erlauben, daß ich reisen und der Welt Lauf erfahren darf. Ich glaube gewiß, es würde eure Ehre und mein großer Nutzen sein." Als Peters Eltern den Wunsch ihres Sohnes vernahmen, fiel es ihnen schwer aufs Herz, und sie wurden traurig: "Peter, lieber Sohn", antwortete ihm der Vater, "du weißest ja wohl, daß wir kein anderes Kind mehr haben als dich allein, keinen Erben im Hause denn dich. Alle unsere Hoffnung und unser Trost beruht auf dir. Wenn es dir mißlänge, wovor dich Gott behüten wolle, so wäre unsere Herrschaft für unser Haus verloren!" Seine Mutter sagte ihm: "Liebster Sohn, was hast du nötig, die Welt zu suchen? Diejenigen, die darnach verlangen, tun es, um Geld oder Herrengunst zu erwerben. Du aber hast an Reichtum, Waffenehre, Wissenschaft, Adel, Schönheit und Anmut so viel als irgendein Fürst in dieser Welt. Berühmt bist du auch schon allenthalben; die Landschaft, die du erben wirst, ist so schön; was begehrst du denn, anderes Gut zu erwerbens Welche Ursache kannst du haben, uns zu verlassen? Sieh doch deines Vaters Alter ja, selbst das meine an; bedenke, daß du unsere einzige Freude bist; sieh, ich bitte dich wie eine Mutter ihr Kind, daß du nicht ferner des Wegscheide erwähnest."Peter erschrak über diese Einwendung nicht wenig, doch fing er, noch immer auf den Knien liegend und mit niedergeschlagenen Augen, von neuem an und sprach: "Liebe Eltern, ich will euch in allen Dingen gehorsam sein. Aber bedenket doch, daß ein junger Mensch nichts Besseres tun kann als sich im Leben versuchen und die Welt beschauen! Darum wiederhole ich mein flehentliches Begehren und bitte euch, es nicht übel aufzunehmen und mir nicht abzuschlagen!"

Der Graf und die Gräfin sahen wohl, daß der Vorsatz in der Seele .



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ihres Sohnes feste Wurzel gefaßt hatte; sie wußten nicht, was sie tun sollten ; denn Peter lag noch immer auf den Knien, ihre Antwort zu vernehmen. Da sie nun so lange still schwiegen, fing er noch einmal so dringend an zu bitten, daß Vater und Mutter endlich ihre Einwilligung gaben. "Nur denke darauf", schloß der Vater seine Rede, "daß du nichts tust, was deinem Adel entgegen sei: und vor allen Dingen habe Gott, den Allmächtigen, lieb und diene ihm. Endlich mach auch, daß du zeitlich wieder zurückkommest. Nimm dir Pferde, Harnisch, Gold und Silber von dem Meinen, soviel dir vonnöten ist."

Peter dankte seinen Eltern aufs gerührteste. Dann nahm ihn seine Mutter beiseite und gab ihm drei köstliche Ringe, welche vom höchsten Werte waren. "Suche gute Gesellschaft", sprach sie weinend, "fliehe die böse; gedenke unser." So bereitete sich Peter auf die Fahrt, beurlaubte sich und nahm Adelige und Unadelige mit, ihm zu dienen. Seinen Zug richtete er so heimlich ein als möglich, so daß er ganz unerwartet nach der Stadt Neapolis kam, wo der Vater der schönen Magelone, der König von Neapel, mit Gemahlin und Tochter Hof hielt. In dieser Stadt bezog der Graf Peter eine Herberge auf dem Fürstenplatz; erfragte alsbald seinen Wirt nach den Gewohnheiten des königlichen Hofes, und ob sonst auch fremde und namhafte Ritter am Hofe wären. Der Wirt zeigte ihm



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an, daß vor kurzem ein angesehener Ritter, Herr Heinrich von Carpona, an den Hof gekommen sei, dem zu Gefallen der König ein Nennen und Turnier auf den Sonntag anstellen wolle. Zugleich sagte ihm der Wirt, daß auch fremde Ritter, wenn sie gerüstet auf die Bahn kämen, Zutritt zu dem Turniere erhalten könnte

Als der Sonntag angebrochen war, stand Peter frühe auf, ließ sein Pferd mit aller Zubehör versehen und legte seine schönsten Kleider an; denn er gedachte, Ehre an diesem Tage einzulegen, und brannte vor Begierde, die schöne Magelone zu sehen und sich vor ihr zu zeigen. Auf seinen Helm hatte er sich zwei kostbare silberne Schlüssel machen lassen, um daran kenntlich zu sein, zu Ehren des Himmelsfürsten, St. Peters, des Apostels, dessen Namen er trug. Auch alle Decken seiner Pferde ließ er mit Schlüsseln zieren.

Die Bahn ward eröffnet, und der König mit seiner Gemahlin und Tochter, auch vielen andern Frauen und Jungfrauen, betraten das Schaugerüste . Da kam auch Peter mit einem Knecht und einem Knaben auf die Bahn gezogen: er stellte sich aber an dem niedrigsten Orte auf, denn er war fremd und unbekannt; niemand war auf ihn aufmerksam, der ihn hervorgezogen und obenangestellt hätte. Nun kam die Zeit, in voller Rüstung den Jungfrauen und Frauen Ehre zu erzeigen; ein Herold trat auf und rief auf Befehl des Königs: Wer da willens wäre, um der Jungfrauen und Frauen willen eine Lanze zu brechen, der solle auf die Bahn ziehen. Da trat zuerst Herr Heinrich von Carpona in die Schranken , und gegen ihn zog ein Diener des Königs; diesen traf Herr Heinrich so gut, daß er bügellos im Sattel hing und vor Schrecken und von der Erschütterung den Spieß von sich warf. Dieser kam zufällig dem Rosse des Herrn Heinrich vor die Füße, daß es strauchelte und mitsamt seinem Herrn zu Boden fiel. Da buben die Freunde des Hofdieners zu sagen an, daß Herr Heinrich redlich gefallen wäre, und so wurde dem königlichen Ritter der Sieg zugesprochen. Dies verdroß den Herrn Heinrich von Carpona, daß er nicht mehr rennen wollte, und war auch dem Grafen Peter leid, der wohl sah, welch ein tapferer Ritter Herr Heinrich war. Als nun der Herold zum zweitenmal auf Befehl des Königs rief: Wenn ein anderer wäre, der eine Lanze zu brechen Lust hätte, der sollte auf die Bahn ziehen; da trat Peter in die Schranken gegen den Königlichen und traf ihn bald so, daß Mann und Roß zu Boden fielen und alle Zuschauer staunten. Auch der König lobte den Ritter mit den silbernen Schlüsseln und hätte gern erfahren, wer und von wannen er sei. Des



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wegen schickte er einen Herold zu ihm mit diesen Fragen. Peter antwortete dem Herold: "Sage dem Herrn, deinem König, daß er kein Mißfallen darüber haben möge, wenn ich ihm meinen Namen vorenthalte; denn ich
habe ein Gelübde getan, keinem Menschen zu bekennen, wie ich heiße. Doch soviel kannst du deinem Könige sagen, ich sei ein armer Edelmann aus Frankreich und suche in der Welt bei Jungfrauen und Frauen Preis und Lob zu erlangen."Der König begnügte sich mit dieser Antwort und schrieb sie auf Rechnung der Bescheidenheit.


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Jetzt fing Peter erst recht an, seine Kunst zu zeigen; denn jeder Ritter wollte sein Bestes tun und sich mit ihm messen, aber der Peter rannte die Fremden alle schmählich ab. Der König und alle erkannten, daß er das Beste getan, und Peter erhielt den Preis. Unter den Jungfrauen und Frauen ging ein Flüstern über den Ritter mit den silbernen Schlüsseln, und die schöne Magelone, die Peter in der großen Ferne nicht recht gesehen hatte, konnte seine Taten und seine Gestalt nicht vergessen. Herr Heinrich von Carpona, der tapfere Ritter, begleitete den Sieger mit einigen andern in die Herberge, um ihn recht zu ehren.

Bald darauf lag die schöne Magelone ihrem Vater gar sehr an, wieder ein Turnier zu halten. Sie tat dies aber, ohne es selbst zu wissen, aus verborgener Liebe zu dem Ritter mit den silbernen Schlüsseln. Denn sie freute sich, bis sie seiner wieder ansichtig werden möchte, und als Peter in seiner kenntlichen Waffenrüstung in die Schranken trat, die Trompeten schmetterten und die Spieße an den Schilden krachten, wurde sie ganz rot. Unverwandt blickte sie auf Peter, obgleich sie sein Angesicht noch nicht erkennen konnte, so wie er selbst auch die schöne Magelone nur aus der Ferne sah und von ihren Frauen noch nicht zu unterscheiden vermochte . Auch dem König, sooft er den Ritter mit den silbernen Schlüsseln erblickte, gefiel er in jeder Beziehung wohl, besonders von seiten seiner Jugend und seines edlen und höflichen Benehmens. Zuweilen sprach er zu sich selbst: "Dieser Ritter kann von keinem niedern Geschlechte sein; all sein Wesen spricht vom Gegenteil, er ist auch würdig, daß wir ihm mehr Ehre erzeigen, als ihm bisher von uns widerfahren ist."

Sowie nun die Feierlichkeit zu Ende war, ließ ihn der König an seine Tafel laden, worüber Peter sehr erfreut war; denn nun durfte er doch hoffen, die schöne Magelone einmal in der Nähe zu sehen. Der Ritter erschien zur bestimmten Stunde, und als der König, seine Gemahlin und seine Tochter sich zu Tische setzten, wurde er der Prinzessin gegenübergesetzt . Die Mahlzeit war mit fremden Gerichten auf das beste bestellt; aber der Ritter achtete des Essens wenig. Die unübertreffliche Schönheit der Jungfrau beschäftigte ihn so ganz, daß er nichts tun konnte als sie anschauen. Da sättigte er denn seinen Geist mit Blicken und mußte sich gestehen, daß es auf Erden kein schöneres Weib gebe als die schöne Magelone . Diese aber blickte immer freundlich nach ihm hin, und so wurde er in Liebe entzündet und sprach zu sich selbst: "Der ist glückselig, der ihrer Liebe teilhaftig werden möchte."Doch dachte er dabei nicht an sich selbst; er hielt es für unmöglich, daß ihm ein solches Glück begegnen könnte,



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Auch zwang er sich, munter und klug mit dem Könige zu reden, was diesem wohl gefiel; wie denn sein edler und kräftiger Anstand das ganze Hofgesinde in Staunen setzte. Als sie gegessen hatten, ward allerlei Spiel in dem königlichen Saale angestellt, und als der König die Gesellschaft verließ, gab er seiner Tochter die Erlaubnis, noch länger mit dem Ritter in dem Saale zu reden.

Die schöne Magelone rief dem Ritter mit den silbernen Schlüsseln gar freundlich, und er eilte auf den süßen Laut ihrer Stimme schnell ihr entgegen. "Edler Ritter", sprach sie zu ihm, "mein Vater und wir andern alle, die hier sind, haben an Eurem bescheidenen Wesen, Euren ritterlichen Taten und Eurem redlichen Gemüt großen Gefallen; ich soll Euch darum bitten, daß Ihr, sooft Ihr möget, zu uns kommet und Euch im Hause meines Vaters Kurzweil schaffet."Peter dankte ihr in ehrerbietigen Worten, und sein Herz war voll Freuden. Indem rief die Königin ihre Tochter, mit ihr den Saal zu verlassen, und Magelone nahm, wiewohl ungern, von dem Ritter Abschied; doch sagte sie noch beim Scheiden: "Kommet ja oft, Euch zu kurzweilen, edler Ritter! Ich hätte noch gar zu gerne von Ritterspielen und anderem, was in Eurer Heimat vorgehen mag, mit Euch gesprochen. Es beschwert mich, daß ich diesmal nicht Zeit habe, mit Euch zu reden." So nahm sie von ihm Urlaub und sah ihn so freundlich an, daß er noch tiefer in seinem Herzen verwundet wurde, als er zuvor schon gewesen.

Die Fürstin war mit ihren andern Jungfrauen in ihre Kammer gegangen, als der König wieder in den Saal trat und mancherlei mit den Herren sprach, die am Hofe zugegen waren. Da trat er auch zu .dem Ritter mit den silbernen Schlüsseln und bat ihn freundlich, wenn es ihm nicht entgegen wäre, so sollte er ihm seinen Namen und seinen Stand anzeigen. Aber er konnte von Peter nichts anderes erfahren, als daß er ein armer Edelmann sei und die Welt durchziehe, um sie zu beschauen und Ritterspiele zu üben. Der König erkundigte sich auch nicht weiter, er bewunderte vielmehr die Bescheidenheit und Standhaftigkeit des Jünglings und beurlaubte ihn sehr gütig. So verließ der Ritter den Hof mit andern Herren und wandelte nach seiner Herberge.



***
Sobald er sich allein sah, ging Peter an den verborgensten Ort; seine Gedanken vertieften sich in die unvergleichliche Schönheit der Jungfrau Magelone, und sein Herz wiederholte alle freundlichen Reden und jeden huldvollen Blick der Geliebten. Und sobald die schöne Magelone in ihre


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Kammer gekommen war, dachte sie an niemand anders mehr als an den Ritter und müdete sich in ihrem Innern ab, woher er wohl stammte, und wie er hieße; denn sie konnte nicht glauben, daß er so geringen Geschlechts sei, als er vorgab. Endlich nahm sie sich vor; ihre Zuneigung zu dem Ritter, die sie allein nicht mehr zu tragen vermochte, ihrer Amme zu offenbaren, die sie besonders lieb hatte, und von deren Treue sie überzeugt war. Eines Tags nahm sie dieselbe heimlich in ihr Gemach und sagte zu ihr: "Liebe Amme, du hast mir in meinem ganzen Leben solche Treue bewiesen, daß ich auf keinen Menschen in der Welt ein so großes Vertrauen setze als auf dich. So will ich dir denn auch etwas sagen, das du keiner Seele mitteilen darfst, aber wenn du es geheimhältst und mir deinen getreuen Rat mitteilst, so will ich dir's nimmermehr vergessen." Die Amme antwortete: "Liebe Tochter, ich weiß in der Welt nichts, das ich nicht gerne täte, wenn du es begehrest, und sollte ich darum sterben; öffne mir daher dein Gemüt ohne alle Furcht!" Da sprach die schöne Magelone voll Zutrauen zu ihr: "Hast du den jungen Ritter gesehen, der vor wenigen Tagen den Preis im Turnier erlangt hat? Sieh, an diesem hängt mein Herz, und ich kann davor nicht essen, trinken und schlafen. Ja, erführe ich, daß er von hohem Geschlechte ist, so wollte ich alle meine Hoffnung auf ihn setzen und ihn zu meinem Gemahl machen. Nun rate mir, liebe Amme, und wenn du kannst, so erfahre mir, woher er stammt, und wer er ist."

Die Amme erschrak nicht wenig, als sie diese Rede vernommen hatte; sie wußte nicht, was sie antworten sollte; doch erwiderte sie endlich: "Liebes Sind, was sagest du? Mir ist dein hoher Stand wohl bewußt. Und wenn der mächtigste Herr der Welt dich bekäme, so müßte er sich freuen! Dennoch setzest du deine Hoffnung auf einen jungen, fremden Ritter, der dir mitsamt den Seinen unbekannt ist; der, wenn er nach dir begehrt, vielleicht nur deinen Spott und deine Schande begehrt! Liebe Tochter, schlage dir doch solche Gedanken aus deinem Herzen!"Magelone verstand die Alte wohl und wurde ganz traurig in ihrem Gemüt. Die Neigung zu dem Fremden hatte sie umstrickt, daß sie ihrer selbst nicht mehr mächtig war. "Amme, ist das die Liebe, die du zu mir getragen hafis Willst du, daß ich elendiglich sterbe! Und was verlange ich denn von dir! Ist denn die Arzenei, die du mir holen sollst, so ferne? Schicke ich dich denn weit fort von mir? Braucht dir denn über dem, was ich dich heiße, vor meinem Vater und meiner Mutter oder vor mir zu bangens Siehe, wenn du tust, um was ich dich bitte, so ist mir geholfen; folgst du mir nicht,



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so wirst du mich in kurzer Zeit vor deinen Augen an Kummer und Schmerzen sterben sehen." Mit diesen Worten fiel sie ohnmächtig auf ihr Lager, und als sie endlich wieder zu sich kam, fuhr sie fort: "Liebe Amme, wisse nur, daß er von hohem Geschlechte ist; wie wäre es auch anders möglich bei solchen Tugenden? Und ebendarum will er seinen Namen nicht nennen. Ich bin aber gewiß, wenn du ihn wolltest in meinem Auftrage nach seinem Namen und Stande fragen, er würde ihn dir nicht vorenthalten." Als die Amme sah, wie groß die Liebe der schönen Magelone zu dem jungen Ritter war, brachte sie es nicht über ihr Herz, der Jungfrau ihre Bitte abzuschlagen; sie tröstete sie und versprach ihr, erfahren zu wollen, was sie zu wissen begehre.

Sowie der Morgen kam, ging die Amme in die Kirche, den Ritter zu suchen. Denn kein frommer Ritter versäumte damals sein Morgengebet. Sie fand ihn auch dort allein und betend, kniete neben ihm nieder und verrichtete auch ihr Gebet. Als beide fertig waren, begrüßte sie der Ritter; er hatte sie schon am Hofe gesehen. Und nun nahm die Amme des Augenblicks wahr und sprach: "Herr Ritter, ich muß mich wundern, daß Ihr Euern Stand und Euer Herkommen so heimlich haltet: ich weiß gewiß, daß der König und die Königin, besonders aber die schöne Magelone eine große Freude hätten, wenn sie erfahren könnten, von mannen und wer Ihr seid. Ja, wäret Ihr geneigt, der Prinzessin dieses zu bekennen, ich versichere Euch, Ihr tatet ihr einen großen Gefallen." Als der Ritter die Frau so reden hörte, verlor er sich in Gedanken; doch deuchte ihm, solche Reden verrieten wirklich den Wunsch Magelonens, und das Herz schlug ihm höher, weil er daraus schloß, daß sie ihn liebe. Daher antwortete er: "Liebe Frau, seit ich von Hause weg bin, habe ich mich keinem Menschen zu erkennen gegeben; aber weil niemand auf der ganzen Welt ist, dem ich Besseres gönnte und lieber gehorsam sein möchte als Eurer schönen Gebieterin, so saget Ihr, wenn sie ja herzlich meinen Namen zu wissen begehrt, daß mein Geschlecht groß und hochgeadelt ist; bittet sie aber in meinem Namen freundlich, sie wolle sich an dem genügen lassen; auch bitte ich Euch, nehmet von meiner kleinen Habe dieses Angedenken mit!" Er übergab hierauf der Amme einen von den drei Ringen, welche ihm seine Mutter, die Herzogin von Provence, mit auf die Reise gegeben hatte. Dann schieden beide voneinander.

Die Amme ging fröhlich dem Schlosse zu. "Er muß wohl, wie Magelone sagt, hohen Geschlechtes sein", sprach sie zu sich selbst, "denn er ist aller sucht und Ehren voll." Magelone harrte auf ihre Zurückkunft



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mit großem Verlangen. Die Eintretende zog den Ring hervor, hielt ihn ihr entgegen und berichtete ihr alles, was der Ritter geredet hatte. Magelone griff freudig nach dem Ringe, betrachtete ihn und rief: "Siehest du nun, Amme! Habe ich dir nicht vorlängst gesagt, er müßte hohen Geschlechtes sein? Meinst du, ein so kostbarer Ring könne einem Armen und Niedrigen gehören? Ja, diese Liebe wird mein Glück sein! Ich will ihn besitzen, und kein Gedanke soll je in mein Herz steigen, einen andern zu lieben und zu begehren! Als ich ihn das erstemal gesehen, ergab sich ihm mein Herz, und ich erkenne wohl, daß er mir zu Gefallen hieher gekommen ist. Ich bitte dich aber, laß mir diesen Ring, der von ihm kommt, und nimm ein anderes Kleinod dafür!" Hierein willigte die Amme gern; als aber Magelone verlangte, sie solle gehen und dem Ritter ihr ganges Gemüt und ihren Willen entdecken, da erschrak jene und bat sie, diesen Vorsatz in ihrem edeln Herzen nicht länger zu hegen und ihre Liebe doch nicht so schnell auf einen fremden, unbekannten Ritter zu werfen. Das Wort konnte die schöne Magelone nicht dulden, sie sprach mit bewegter Stimme: "Du sollst mir ihn hinfort keinen Fremden nennen; ich habe auf der ganzen Erde niemand, der mir lieber wäre!" Die Amme sah die große Bewegung in der Jungfrau Gemüt und mochte nicht mehr dawider reden. "Teures Kind", sagte sie, "alles, was ich tue, tu' ich ja um deinetwillen und dir zu Ehren. Glaube mir aber, alles, was auf unordentliche und unbedächtliche Weise geschieht, kann dir nicht zur Ehre gereichen. Ich zweifle nicht daran, daß du ihn liebhast, und er ist es auch wohl wert, nur muß es auf züchtige und anständige Weise geschehen, dann will ich dir gewiß guten Rat geben und getreulich helfen. Auch hoffe ich ja zu Gott, daß er noch alles wohl geraten lassen werdet" Durch diese Reden wurde die schöne Magelone ein wenig beruhigt. Sie legte sich, ihren Ring am Finger, zu Bette, küßte diesen zum öftern, dachte mit herzlichen Seufzern an ihren Freund und schlief endlich ganz sanft ein.

Da kam es ihr im Traume vor, als wären der Ritter und sie beide allein beieinander in einem lustigen Garten, und sie sagte zu ihm: "Ich bitte Euch freundlich, Herr Ritter, um der Liebe willen, die ich zu Euch trage, sagt mir, von wannen Ihr seid und welchen Geschlechtes." Aber der Ritter bäte sie, nicht weiter zu fragen, und sagte ihr, sie sollte es in kurzem erfahren; und dann schenkte er ihr einen Ring, der noch köstlicher war als der erste, den er der Amme geschenkt hatte; und sie waren in großen Freuden beieinander. So lag die schöne Magelone schlafend in süßen Träumen bis zur andern Frühe. Als sie erwachte, erzählte sie den



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Traum .ihrer Amme, und diese sah jetzt, daß sie ihr ganzes Herz auf den Ritter geworfen, und dachte nicht länger darauf, sie von ihm abzubringen.

Indessen wandte der Ritter allen Fleiß an, wie er die Amme der schönen Magelone wiedersehen könnte, und da auch sie alle Lust hatte, ihm zu begegnen, so stand es nicht lange an, daß beide einander in der Kirche trafen. Dort machte ihr Peter ein Zeichen, daß er etwas heimlich mit ihr

reden wolle. Die Amme, die dies gleich verstand, ging hin zu ihm und erzählte ihm leise, welche Freude Magelone an dem Ringe gehabt, den der Ritter der Amme geschenkt, und den sie ihr hätte abtreten müssen. "Liebe Frau", antwortete da der Ritter, "ich habe den Ring Euch gegeben, nicht der schönen Magelone; denn ich weiß wohl, daß eine solche kleine Gabe nicht würdig ist, einer so mächtigen Fürstin übersandt zu werden. Aber alles, mein Leib und mein Gut gehört ihr. Wisset, ihre Schönheit hat mein Herz so verwundet, daß ich Euch anvertrauen muß, wie ich ohne ihre Gunst nicht leben kann und mich für den unglücklichsten Ritter auf der Welt halte. Meldet Ihr dieses, ich bitte Euch; denn ich weiß, daß die



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Fürstin keine vertrautere Freundin hat als Euch!" Die Amme sagte zu ihm: "Ich will alles tun, was Ihr befehlet, und es meiner Gebieterin treulich anzeigen; auch hoffe ich, Euch eine günstige Antwort zurückzubringen ; nur möchte ich wissen, wie Ihr es mit Eurer Liebe meinet; denn verstündet Ihr darunter eine törichte und unreine Liebe, so schweiget nur hinfort und redet mir nichts mehr davon." Da sprach der edle Ritter: "Ich will eines unglücklichen, bösen Todes sterben, wenn ich je an eine solche Liebe oder vielmehr Schande gedacht habe; eine ehrliche, treue, aufrichtige Herzensliebe ist es, mit der ich die Jungfrau liebe und ihr bescheidentlich dienen will."

Mit dieser Erklärung war die Amme sehr zufrieden, doch fragte sie: "Weil Ihr mir nun beteuret, daß Ihr sie mit getreuer Liebe lieben wollet, warum verberget Ihr doch immer noch Euren Namen und Euer Geschlecht vor ihr? Denn wenn Ihr nachweisen könnet, daß Ihr von hohem Adel entsprossen seid, so dürfte mit Gottes Hilfe wohl die Ehe zwischen Euch beiden zustande kommen; denn es ist wahr, Ihr liebet einander von Herzen!" Bei diesen Worten flammte die Liebe Peters hoch auf. "Ich bitte Euch, Amme", rief er, "helfet mir dazu, daß ich mich mit der Jungfrau unterreden kann: dann will ich ihr mein Geschlecht anvertrauen und alles, was sie von mir zu wissen begehrt." Die Amme sagte ihm auch dieses zu, und nun gab er ihr den zweiten Ring für Magelone mit und verabschiedete sich von ihr vergnügten Herzens. Die Amme verließ die Kirche und ging den nächsten Weg nach den Gemächern der schönen Magelone, die sehr krank vor großer Liebe war und auf ihrem Ruhebette lag. Sobald sie aber die Amme erblickte, sprang sie auf und lief ihr entgegen. "Sei mir willkommen, liebe Freundin", rief sie. "Wehe mir, bringst du mir nicht gute Botschaft von ihm, den meine Seele liebt? Ach, liebe Amme, wenn du mir nicht einen Rat gibst; wie ich ihn sehen und sprechen könne, so muß ich sterben!" — "Sei getrost, liebes Kind, ich bringe dir günstige Zeitung", sprach die Amme; da fiel ihr Magelone an den Hals und herzte sie und erfuhr nun alles, was der Ritter gesagt hatte. "Glaubet mir", sagte die Alte, "wenn Ihr seinetwegen große Schmerzen duldet, so trägt er um Euretwillen nicht kleinere, und alle seine Liebe ist getreu, züchtig und ehrbar; worüber ich sehr erfreut bin. Ja, ich kann Euch sagen, Tochter, daß ich nie einen jungen Ritter gekannt habe, der so weise geredet hätte. Und nun begehrt er, heimlich mit Euch zu sprechen, und will Euch seine Geburt und seinen Stand entdecken. Auch bittet er Euch, diesen Ring aus seiner Hand anzunehmen." Bei dieser



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guten Nachricht färbte sich das schöne Gesicht Magelonens mit noch höherer Röte, sie betrachtete den Ring und sagte zu der Amme: "Ach, das ist ja ganz derselbe Ring, den ich heute nacht im Traume gesehen habe. Ja, mein Herz sagt mir alles, was geschehen wird. Nun glaube ich auch, daß dieser Ritter mein Gemahl werden soll! Darum, Amme, suche nur immerhin Mittel, wie ich ihn sehen und mit ihm reden kann." Die Amme versprach ihr, keine Mühe zu sparen, daß ihr Verlangen erfüllt werde. Und nun war Magelone den ganzen Tag fröhlich wie ein Kind, sah den einen Ring an und dann wieder den andern, spielte mit ihnen, steckte sie jetzt an diesen Finger; jetzt an jenen, küßte sie und dankte im Herzen ihrem Freunde vielhundertmal für diese Gaben seiner Liebe.

Am andern Tage fand die Amme den Ritter in einer Kapelle, in welche er zu gehen pflegte; sowie er sie ersah, eilte auf sie zu und fragte, was die schöne Magelone beginne, und ob er in ihrer Gnade stünde. Die Amme antwortete ihm: "Edler Herr, glaubet mir, daß kein Ritter jetzt in der Welt ist, der den Harnisch führt und Ritterspiel übt, welcher so glücklich sei wie Ihr. Zur guten Stunde seid Ihr in dieses Land gekommen, durch Eure Tapferkeit erlanget Ihr die schönste Jungfrau auf der Erde. Wisset nur, sie begehrt herzlich, Euch zu sehen und freundlich mit Euch zu reden, und ich will mich ihr nicht widersetzen. Nur müßt Ihr mir bei Edelmanns Treue und Glauben verheißen, daß, wie es Eurem Bohin Stande ziemt, Eure Liebe nichts anderes sei denn Zucht und Ehre." Der Ritter kniete vor der Amme auf die Erde nieder und schwur ihr vor seinem Schöpfer, daß er nichts anderes zu erlangen begehre als das heilige Sakrament der Ehe, daß sonst Gott in dieser Welt ihm nicht helfen möge. Da gab ihm das Weib die Hand, erhub ihn und sprach: "So schicket Euch an und kommt morgen nachmittags durch das kleine Pförtchen unsers Gartens zu meiner schönen Herrin in ihre Kammer, welche mit mir allein darin sein wird. Dann will auch ich die Kammer verlassen, daß Ihr beide allein miteinander seid; da mögt Ihr reden und einander Euer Anliegen nach Herzenswunsch erzählen." Mit dieser Hoffnung schied der Ritter von der Amme.

Tags darauf, als Zeit und Stunde vorhanden war, fand er das Pförtlein offen, eilte durch den Garten und hinauf zur Kammer der schönen Magelone mit großer Begierde seines Herzens. Hier fand er die Jungfrau mit der Amme allein; als sie ihn erblickte, verwandelte sich all ihre Farbe, und sie ward im Antlitz so rot wie eine Rose; hätte sie der Vernunft , welche jedes adelige Herz regieren soll, nicht gefolgt, so hätte die



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Liebe sie ihm in die Arme geführt; so ließ nur ihr holdes Antlitz und ihr liebliches, freundliches Auge die Neigung durchschimmern, die sie für den Ritter im Herzen trug, das ihr vor Freude im Leibe hüpfte. Auch der Ritter wandelte seine Farbe, als er so plötzlich die Geliebte seines Herzens vor sich stehen sah; er wußte nicht, wie er zu reden anfangen sollte, wußte auch nicht, ob er in den Lüften oder auf dem Erdboden sei. Endlich kniete er ganz verschämt vor ihr nieder und sprach: "Hochgeborne Fürstin, der allmächtige Gott verleihe Euch Ehre und alles, was Euer Herz begehrt." Da faßte ihn Magelone bei der Hand und sagte mit leiser Stimme zu ihm: "Seid mir willkommen, edler Ritters" setzte sich und hieß ihn neben ihr seinen Sitz nehmen. Und nun ging die Amme in die Nebenkammer. Darauf fing die schöne Magelone also zu reden an: "Wohl ziemte es sich für ein so junges Mädchen, wie ich bin, nicht; mit einem Ritter heimlich zu reden, wie ich mich nun solches unterstehe; doch als ich wieder Euer adeliges Gemüt bedachte, wurde ich sicher und keck, mein Verlangen zu erfüllen. Wisset auch, als ich Euch den ersten Tag gesehen, hat Euch mein Herz alsbald Gutes gegönnt; ja, es ist kein Mensch auf der Erde, dem ich wohler wollte als Euch. Darum möchte ich gerne erfahren, wer Ihr seid und welcher Landesart; und warum Ihr hierher gekommen seid." Da stand der Ritter in Freuden auf und sprach: "Dank sei Euch, gnädigste Fürstin, für die Freundlichkeit Eures Gemütes, wiewohl in mir keine Tugend ist, die solches um Euch verdient hätte. Ja, es ist billig, daß Ihr erfahret, wer ich sei, und warum ich hieher gekommen; doch war mein Vorsatz, es niemand zu offenbaren, und ich bitte Euch daher, es vor jedermann geheimzuhalten. Wisset; edle Fürstin, ich bin der einzige Sohn des Grafen von Provence, der ein Oheim des Königs von Frankreich ist. Ich bin allein darum von Vater und Mutter weggezogen, um Eure Liebe zu erlangen; denn ich hörte sagen, daß keine schönere Fürstin sein sollte denn Ihr, welches auch wahr ist: Eure Schöne ist unaussprechlich. So bin ich denn nicht hieher gekommen, edler Ritter Gesellschaft zu suchen und mit ihnen um den Preis zu werben; denn ich weiß, daß sie in allen Dingen geschickter sind als ich: sondern, wiewohl ich unter ihnen der Geringste bin, habe ich mir in meinem Herzen vorgesetzt, ob ich Eure Gunst und Liebe erlangen könnte. Das ist die ganze Wahrheit, wie Ihr sie von mir zu erfahren begehret. In meinem Herzen ist beschlossen, niemand lieber zu haben denn Euch bis an meinen Tod." Auf diese Worte des Ritters erwiderte Magelone: "Mein edler Ritter und Herr, ich danke dem gütigen Gott, daß er uns einen so glücklichen Tag verliehen hat; denn ich schätze


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mich für das glücklichste Wesen der Welt, daß ich einen so edlen Menschen gefunden habe, der an Hoheit des Geschlechts, an Tapferkeit, Zucht und Weisheit seinesgleichen nicht hat. Nein, Ihr sollt Eure Mühe nicht verlieren, die Ihr so treulich an mich gesetzt habt. Und weil Ihr mir Euer Herz und Gemüt aufgedeckt, so ist es billig, daß ich vor Euch das gleiche tue. Darum sehet hier Eure Magelone; sie ist ganz und gar Euer. Ich setze Euch zum Meister und Herrn meines Herzens: nur bitte ich Euch, solches bis zur Zeit unseres Verlöbnisses geheimzuhalten; meinesteils seid versichert, daß ich lieber den Tod sehen wollte als mich und mein Herz einem andern bewilligen."

Magelone nahm nun eine goldene Kette, daran ein köstliches Schloß war, von ihrem Hals. "Mit dieser Kette", sprach sie, "geliebter Freund und Bräutigam, setze ich Euch in den Besitz meines Lebens und verheiße Euch treulich, wie einem Königskinde geziemt, keinen andern zu ehelichen denn Euch." Mit diesen Worten schloß sie ihn freundlich in die Arme. Peter senkte sich vor seiner Geliebten ins Knie, dankte ihr, versprach sich ihr ganz zu eigen und steckte ihr den dritten und köstlichsten Ring, den er von seiner Mutter empfangen, an den Finger; sie neigte sich gegen ihn, und er gab ihr den ersten Kuß als seiner Braut. Dann riefen sie die Amme zurück in die Kammer.

Hierauf beurlaubte sich Peter von seiner schönen Freundin und ging zurück in die Herberge viel fröhlicher, als er gewohnt war. Magelone aber



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ließ sich gegen niemand merken, was vorgegangen. Nur mit der Amme sprach sie von nichts anderem als ihrem Ritter. Die Amme aber sagte: "ES ist alles wahr, was Ihr Gutes und Liebes von ihm sagt. Nur, liebstes Fräulein, bitte ich Euch, seid nicht leichtsinnig in der Liebe. Wenn Ihr zu Hofe bei andern Jungfrauen oder in der Ritter Gesellschaft sein werdet, so laßt Euch nichts merken. Würden Vater oder Mutter es inne, so würde daraus dreierlei übel entstehen. Erstens würdet Ihr schamrot werden und die Gunst Eurer Eltern verlieren; zum andern möchte der Ritter getötet werden, und Ihr wäret die Ursache am Tode dessen, der Euch lieber hat denn sich selbst; und drittens endlich würde auch ich gestraft werden, was Ihr gewiß nicht haben wollt." Magelone versprach, der Amme in allem treulich zu folgen. "Siehst du an mir etwas, das mir zu tun nicht geziemt" , sagte sie, "so sage mir's oder mach mir ein Zeichen. Aber wenn wir zwei allein beieinander sind, dann bitte ich, du wollest mir vergönnen , von dem liebsten Menschen zu reden; so wird die lange Zeit, bis wir uns wiedersehen, etwas schneller verfließen."

Als der Ritter wieder zu Hause war, dachte er an nichts anders als an Magelonens Freundlichkeit und Schöne: es trieb ihn, eher wieder an den Hof zu gehen, als er sich vorgenommen hatte. Doch hielt er sich weislich ganz stille vor dem König und allen andern, wodurch ihn um seiner Bescheidenheit willen jedermann um so lieber gewann, nicht nur die großen Herren, sondern auch das gemeine Hofgesinde. Wenn er aber den Augenblick erhaschen konnte, wo er unvermerkt seine Augen speisen mochte, warf er der schönen Magelone einen freundlichen Blick zu; doch geschah das immer vorsichtig und ganz verborgen. Nur wenn er von dem König oder der Königin Befehl erhielt, mit der Fürstin zu reden, nahte er sich ihr. Und dann vertrieben sie mit holdem Gespräch ihre Zeit.

Zu dieser Zeit lebte in der Normandie ein reicher und edler Ritter, der wegen seiner Macht und Redlichkeit überall gepriesen und beliebt war, der hieß Friedrich von der Krone. Dieser gewann die schöne Magelone auch lieb; denn er hatte sie vorzeiten gesehen, sie aber seiner nicht geachtet. Nun nahm er sich einsmals vor, Ritterspiel in der Stadt Neapolis zu treiben: er vertraute dabei auf seine Stärke, die ihm den Preis und damit vielleicht die Huld der schönen Magelone gewinnen könnte. Daher tat er die Bitte an den König von Frankreich, in Neapel turnieren zu dürfen. Und nun wurde in Frankreich und allen Landen ausgerufen: Welche Ritter, Lanzen zu brechen, willens wären aus Liebe zu Jungfrauen oder Frauen,



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sie sollten am Tage von Mariens Geburt in der Stadt Neapel erscheinen; da würde man sehen, wen sie liebhätten.

Dies bewog viele Fürsten und Herren zu erscheinen, aus Savoyen, aus England, aus Böhmen und Rußland. Auch Jakob, der Bruder des Grafen von Provence, der Oheim des Ritters mit den silbernen Schlüsseln, kam, wiewohl er diesmal seinen Neffen nicht erkannte. Herr Friedrich von der Krone, Herr Heinrich von Carpona und andre Edle hatten sich auch eingefunden, und der Ritter mit den silbernen Schlüsseln war ohnehin auf dem Platze.

Sechs Tage lagen die zusammengekommenen Fürsten und Herren in der Stadt stille, bis der anberaumte Tag erschien. Da standen sie frühe auf und hörten alle die Messe, dann rüsteten sie sich, ein jeglicher, so herrlich er mochte, und zogen auf den Ritterplatz, wo der König und die Königin mit ihrer Tochter, der schönen Magelone, und andern Jungfrauen und Frauen auf einer Schaubühne saßen, dem Stechen zuzusehen. Es war ein gar lustiger Kranz; aber unter soviel schönen Frauen leuchtete Magelone wie der Morgenstern im Aufgang des Tages hervor. Die Ritter alle warteten auf den königlichen Befehl. Der erste, der sich mit aller Pracht sehen ließ, war Herr Friedrich von der Krone, und nach ihm viele andere, jeder in seiner Ordnung; aber die schöne Magelone wandte ihr Auge nur nach Peter, der zu allerletzt kam. Dann befahl der König seinem Herold, auszurufen daß das Turnier geschehen solle freundlich und mit Liebe, aber auch ohne Scheu des andern. Darauf rief Herr Friedrich von der Krone laut: "Auf den heutigen Tag will ich meine Stärke und Mannheit beweisen , der edeln und allerschönsten Magelone zu Ehren." Und nun zog er als der erste auf die Bahn. Wider ihn trat Herr Heinrich auf, des Königs von England Sohn, ein schöner Ritter; und sie trafen sich so gut, daß beider Spieße brachen. Nach ihm kam der Ritter Lancelot von Valois, der stach gleich im ersten Zusammentreffen Herrn Friedrich aus dem Sattel.

Nun ritt Peter von Provence in die Schranken wider Lancelot; denn sein mutiges Herz konnte nicht länger verziehen. Diese trafen so heftig aufeinander, daß die Pferde mit ihnen beiden fielen und sie auf Befehl des Königs mit den Pferden wechseln und noch einmal rennen mußten. Die schöne Magelone war schon ganz traurig geworden, als sie das Roß ihres Geliebten fallen sah. Nun aber zogen sie abermals auf die Bahn, und Peter rannte mit solcher Gewalt wider seinen Gegner, daß er ihm einen Arm entzweibrach und Lancelot wie tot auf die Erde fiel und



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durch die Seinen von der Bahn weg in seine Herberge getragen werden mußte.

Darauf trat Herr Jakob von Provence gegen Peter hervor; dieser erkannte ihn sogleich, wurde aber von jenem nicht erkannt. Wie nun der edle Peter seines Vaters Bruder sich zum Streite gegen ihn rüsten sah, sandte er den Herold zu ihm und sprach: "Saget jenem Ritter, daß er nicht wider mich auftrete; denn er habe mir einsmals einen Dienst in der Ritterschaft erwiesen, daher sei ich schuldig, ihm wieder zu dienen. Sagt ihm auch, ich lasse ihn bitten, meiner zu schonen, so wolle ich willig bekennen , daß er ein besserer Ritter sei denn ich." Als Herr Jakob dies hörte, wurde er zornig; denn er war ein tüchtiger Ritter; und er war es, der mit eigener Hand seinen Neffen Peter einst zum Ritter geschlagen hatte, daher Peter jetzt aus Ehrerbietung sich scheute, mit ihm zu kämpfen. Davon ahnete aber Herr Jakob von Provence jetzt nichts. "Saget dem Ritter", sprach er, "wenn ich ihm Liebes erwiesen habe, so sollte er um so mehr wider mich rennen, um auch mir zu Gefallen zu leben; denn er wird hier für einen tapfern Ritter geachtet. Ich fürchte aber, daß dem nicht so sei, und daß er nicht genug Kraft in sich fühle, sich gegen mich zu wehren!" Der Herold hinterbrachte das Herrn Peter wieder, und so schwer es diesem fiel, gegen seinen Ohm zu kämpfen, mußte er es doch tun, um von den Leuten nicht verkannt zu werden. Als es nun ans Treffen kam, da hielt Peter seinen Speer querüber; denn er mochte seinen Vetter nicht treffen; dieser hingegen schonte seiner nicht, sondern er traf seine Brust; der Stoß war aber so heftig, daß Herrn Jakobs Speer davon zerbrach und er selbst aus dem Sattel seines Rosses gehoben ward. Peter jedoch rührte sich nicht: es war ihm nur, wie wenn eine Flamme an ihm vorübergegangen wäre und ihn kaum berührt hätte. Der König, der dies gewahr wurde, sah wohl, daß der Ritter mit den silbernen Schlüsseln nur aus Höflichkeit so handelte, begriff jedoch nicht, warum es geschah. Die schöne Magelone aber wußte wohl, warum es Peter tat. Indessen schickten sich beide zu einem zweiten Kampfe, und Peter machte es wieder wie das erstemal. Sein Vetter hingegen sparte keine Kraft und stach so heftig, daß er selbst über dem Stoße vom Pferde fiel. Peter aber hatte sich nicht im Steigbügel gerührt und war zu keinem Gegenstoß zu bewegen. Hierüber verwunderte sich jedermann, und Herr Jakob selbst, der seine Stärke empfunden hatte und doch sah, daß der Ritter sich nicht Mühe gab, ihn zu treffen, verwunderte sich sehr und wollte nicht wiederkommen. So zog er ab und wußte nicht, daß sein Gegner Peter sein edler Neffe gewesen



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war. Es kamen nun noch viele andere Herren, die alle schonte der Ritter mit den silbernen Schlüsseln nicht, sondern hub einen um den andern aus dem Sattel.

Als nun niemand mehr vorhanden war, der es mit ihm wagen wollte, schlug er sein Visier auf und ritt zum König. Dieser ließ ihn durch den Herold als Sieger ausrufen, und die Königin, die schöne Magelone und alle übrigen Frauen und Jungfrauen sagten ihm großen Dank.' Der König erwies den Rittern noch große Ehre, dem mit den silbernen Schlüsseln aber ging er entgegen, umarmte ihn und sprach: "Lieber Freund, ich danke Euch für die Ehre, die Ihr mir heute bewiesen habt; ich darf mich wohl rühmen, daß kein Fürst auf Erden ist, der einen so guten Ritter an seinem Hofe hätte, als ich an Euch einen habe, so voll Zucht, Ehre und Tapferkeit. Eure Werke loben Euch mehr, als ich selbst es kann. Gott lasse Euch finden, was Euer Herz begehrt; denn Ihr seid es würdig!" Von diesem Tag an wurde der Ritter von dem König und allen andern hochgeschätzt; wer mit ihm in ein Gespräch kommen konnte, freute sich seiner Gesellschaft; je mehr man ihn sah, je lieber hatte man ihn. Er war aber auch ein schöner, holdseliger; junger Geselle, war weiß wie eine Lilie, hatte freundliche Augen, Haar wie Gold, und jedermann sagte, Gott habe ihm besondere Tugenden und Gaben verliehen. Und obgleich auch der Verwundeten nicht vergessen wurde, und besonders Herr Lancelot von einem Arzte des Königs besucht und sorgfältig geheilt ward, auch alle andern Fürsten und Herren sünfzen Tage lang köstlich am Hofe gehalten wurden, so wurde doch von nichts als von dem Ritter mit den silbernen Schlüsseln gesprochen. Und sooft es die schöne Magelone hörte, war sie hocherfreut, doch ließ sie sich nicht das Kleinste merken.

Die andern Fürsten und Edlen zogen endlich heim, wiewohl ziemlich ärgerlich, weniger, weil sie besiegt worden waren, als weil sie durchaus nicht erfahren konnten, wer der siegreiche Ritter sei, der bei dem Turnier unter so vielen Tapfern das Beste getan hatte. Als alles vorüber war, kam der Ritter auch wieder mit seiner schönen Magelone zusammen; und als sie genug miteinander geredet hatten, wollte Peter sie versuchen und sprach zu ihr: "Edelste, schönste, liebste Magelone! Ihr wißt, wie lange ich Euretwegen von Eltern und Heimat ferne bin; darum, allerliebste Liebe, weil Ihr die einzige Ursache seid, so bitte ich Euch, erlaubet mir, nach Hause zu reiten; denn ich bin gewiß, daß Vater und Mutter große Sorge um mich tragen, und das beschwert mein Gewissen." Als dies Magelone hörte, standen ihr sogleich die Augen voll Wasser, und bald rannen heiße



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Tränen über ihr schönes Angesicht, und sie schwieg lange ganz schwermütig. Endlich begann sie unter Seufzen: "Ja, gehet nur, ich weiß ja, daß ein Sohn Vater und Mutter gehorsam sein soll! Aber das schmerzt mich, daß Ihr Eure Geliebte zurücklassen wollt, die doch ohne Euch weder Rast noch Ruhe in dieser Welt haben kann. Glaubet nur, wenn Ihr von mir hinwegziehet, so werdet Ihr bald von meinem Tode hörens" Diese Klagen gingen dem Grafen Peter sehr zu Herzen und er sagte zu ihr: "Ach, Magelone, geliebte Liebel Weinet nicht und bekümmert Euch nicht mehr; glaubet, daß ich lieber den Tod leiden will als Euch lassen; wollet Ihr aber mit mir ziehen, so seid versichert, daß ich Euch in Zucht und Ehren führen werde und meinem Versprechen in allem Genüge tun!"

Als Magelone diese Worte ihres Geliebten hörte, wurde sie voll Freuden und machte ihm selbst den Vorschlag, so bald und so heimlich als möglich von dannen zu ziehen. "Höret, was ich Euch bisher verschwiegen habe", sagte sie, "mein Vater hat mir seinen Willen angezeigt, mich nächstens mit Herrn Heinrich von Carpona zu vermählen. Mir aber ward nicht anders, denn als ob er mir den Tod drohete." —Darauf beschlossen sie, am dritten Tage, wenn die Welt im ersten Schlafe läge, miteinander zu ziehen. Peter sollte sich mit allem Nötigen versehen, und mit den Pferden zu dem kleinen Pförtchen bei dem Garten kommen. Magelone bat ihn inständig, doch gute und starke Pferde mitzubringen, damit sie aufs geschwindeste aus dem Lande kämen. "Denn wenn mein Vater uns einholte", sprach sie, "so würde er uns beide töten."

Von diesem Entschlusse sagte die schöne Magelone sogar ihrer Amme nichts; sie fürchtete doch, daß sie diesen Schritt verhindern oder gar anzeigen möchte. So harrte sie allein mit ihrem Geheimnis, als Peter sie verlassen hatte, den Tag und den Anfang der Nacht hindurch. Nach dem ersten Schlafe kam Peter vor das Gartenpförtchen mit drei wohlbeschlagenen Pferden, wovon eines mit Brot und anderer Speise auf zwei Tage beladen war, damit sie nicht Essen und Trinken der Herberge suchen dürften. Die schöne Magelone hatte inzwischen Gold, Silber, und was ihr sonst vonnöten war, zu sich genommen und setzte sich auf einen schmucken englischen Zelter, der sehr sanft ging; Peter saß auch auf einem herrlichen Roß, und so ritten sie die ganze stille Nacht über, bis der Tag anbrach. Peter suchte die dichtesten Hölzer aus, gegen das Meer zu, damit sie von niemand gesehen würden. Als sie tief genug in den Wald hineingekommen waren, hub er die schöne Magelone vom Pferd, wies den Rossen eine Stelle an und ließ sie grasen. Sie selbst saßen ins grüne Gras unter den



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Schatten eines Baumes, redeten von ihrer Liebe und baten Gott, sie zu beschirmen. Als sie so beide lange miteinander zärtlich geredet, überkam Müdigkeit und Schlaf die schöne Magelone, weil sie die ganze Nacht nicht geruht hatte. So legte sie denn ihr Haupt in Peters Schoß und schlief bald recht sanft ein, und Peter hütete sie.

Inzwischen kam zu Neapel, als es Tag geworden war, die Amme in die Kammer der schönen Magelone und blieb eine gute Weile da; denn sie meinte, ihre Herrin schliefe noch; als aber die Zeit, wo sie aufzustehen pflegte, vorüberging und sich immer nichts rührte, trat die Amme vor das Bett und entsetzte sich. Denn sie fand es leer, und die Linnen und Kissen frisch und unberührt, als wenn niemand darin gelegen wäre. Ihr erster Gedanke war, daß Peter die schöne Magelone entführt habe. Sie eilte in die Herberge des Ritters und fragte dort nach ihm, und da erfuhr sie, daß er mit allen seinen Rossen fortgeritten sei. Jetzt hub die Amme an zu jammern, als wollte sie sterben; sogleich ging sie in das Gemach der Königin und meldete derselben, daß sie ihre Tochter im Bette gesucht und nicht gefunden habe. Die Königin erschrak sehr und wurde zornig; sie ließ überall suchen, bis auch der König aufmerksam wurde und endlich sich das Gerücht verbreitete, der Ritter mit den silbernen Schlüsseln sei verschwunden. Da dachte der König sogleich, dieser werde seine Tochter entführt



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haben. Nun ließ er eine große Macht aufbieten, ihr nachzufolgen und sie aufzusuchen; wenn man den Ritter fänge, so sollte man ihn lebendig einliefern; er wolle ihn bestrafen, daß die Welt davon zu sagen wisse. Während nun Geharnischte sich auf dem ganzen Weg verteilten, blieben der König und die Königin in großem Unmut beieinander; besonders meinte die Königin verzweifeln zu müssen. Als sie nun so gar jammerte, schickte der König nach der Amme, und als sie herbeieilte, rief er ihr zornig zu: "ES ist nicht anders möglich; wenn sonst kein Mensch, so mußt du etwas davon wissen Da warf sich die arme Amme dem Könige zu Füßen und sprach: "Gnädigster Herr! wenn Ihr in dieser Sache an mir eine Schuld findet, so bin ich bereit, des grausamsten Todes zu sterben, der über mich erkannt werden mag. Vielmehr habe ich, sobald ich die Flucht erfahren, dieselbe der Königin gemeldet." Der König glaubte ihr, ging in sein Zimmer; ass und trank nichts den ganzen Tag vor Trauer. Die Königin, alle Jungfrauen des Hofes, die Stadt Neapel selbst, alles war ein Anblick des Jammers.

Die Bewaffneten, die ausgesandt waren, kamen, die einen nach sechs, die andern nach mehreren, einige erst nach fünfzehn Tagen wieder; alle hatten nichts gefunden und nichts erfahren, so daß der König von neuem ergrimmt wurde, bis er mit der Königin und allen in die vorige stumme Trauer versank.



***
Die schöne Magelone schlief im tiefen Wald im Schoße Peters, der keine größere Lust kannte, als seine Geliebte anzuschauen, und am Anblick ihres roten Mundes und rosenfarbigen Angesichts sich nicht ersättigen konnte. Als sie nun im Traume ängstlich und schwer atmete, schnürte er sie etwas auf, daß ihr Hals frei ward. Peter war über ihre unaussprechliche Schönheit entzückt, er glaubte, im Himmel zu sein, und alle seine Sinne wandten sich um. Er meinte, durch diesen Anblick sei er gefeit, und kein Unglück könne ihm fürder schaden. Nun bemerkte er erst auf ihrer Herzgrube einen roten Zindel. Darüber bekam er große Lust zu erfahren, was es wäre, nahm den Zindel heraus und wickelte ihn auseinander. Da fand er die drei kostbaren Ringe, die er seiner Geliebten geschenkt hatte, und freute sich innig darüber, daß sie dieselben so wert hielt und seinetwegen so gut bewahrte. Er wickelte sie wieder ein und legte sie neben sich auf das moosichte Gestein; dann begann er die schöne Magelone wieder anzusehen, und ward in Liebe so entzückt, daß er nicht wußte, wo er war, und auch die Ringe ganz vergaß. Da zeigte ihm Gott, daß in der Welt mehr Traurigkeit sei denn Freude. Denn es schoß ein Raubvogel herab, der den


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Zindel erblickt hatte und für ein Stück Fleisch halten mochte; dieser faßte den Zindel mit dem Schnabel und trug ihn in den Lüften davon. Bei diesem Anblick erwachte Peter aus seinem Traum: erschreckt fuhr er auf;
er fürchtete, Magelone möchte zürnen, wenn ihr beim Erwachen die Ringe fehlten. Er legte daher seiner Geliebten sorglich den Mantel unter das Haupt, damit sie ruhig fortschlafen könnte; dann verfolgte er den Vogel und warf mit Steinen nach ihm, aber keiner wollte ihn treffen. So war


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ihm Peter eine Weile nachgegangen und kam endlich ans Meeresufer; hier setzte sich der Raubvogel auf eine kleine spitze Klippe am Meer; da warf Peter einen Stein so wohlgezielt nach ihm, daß der Vogel erschrak und im Auffliegen die Ringe ins Meer fallen ließ. Da sah Peter den Zindel auf dem Wasser hinschwimmen, weit vom Ufer hinaus. Er konnte nicht hoffen, ihm durch Schwimmen beizukommen; vergebens suchte er am Ufer hin und her, ob er etwas finden möchte, das ihm anstatt eines Fahrzeugs dienen könnte. Ihn peinigte der Gedanke, daß die Ringe nicht verlorengegangen wären, wenn er sie an dem Orte, wo sie so wohl bewahrt und sicher ruhten, liegengelassen hätte. Endlich fand er ein kleines altes Schifflein, das die Fischer verlassen hatten, und wurde wieder erfreut. Aber diese Freude währte nicht lange; denn kaum war er eingestiegen und hatte mit einem Waldstecken, den er sich unterwegs geschnitten, zu rudern angefangen, um nach der Klippe, wo der Zindel schwamm, den kleinen Nachen hinzuleiten, so erhub sich ein großer Wind, der den Schiffer mit Gewalt und wider seinen Willen auf das hohe Meer führte. Derselbe Wind hatte auch den Zindel fortgenommen, so daß er dem Nachschiffenden bald aus den Augen verschwand. Peter war in Verzweiflung; er sah den eigenen Tod vor Augen, und dann dachte er wieder an die schöne Magelone, die er im Walde schlafend verlassen und doch mehr liebte als sich selbst, und die nun, wie er fürchten mußte, in Verzweiflung sterben würde. Ohne Hilfe und Rat dachte er einen Augenblick daran, sich selbst ins Meer zu stürzen; bald aber kam er wieder zu sich selbst und sagte bei sich: "Ach, wie töricht bin ich! Warum wollte ich mich denn selbst töten, da ich doch dem Tode so gar nahe bin; er läuft mir ja nach, mich zu sahen; ich darf ihn nicht suchen. Vergib mir meine Sünde, gnädiger Gott! Ich will ja gerne alles leiden, wenn nur meine geliebte Magelone der Gefahr entgeht! Ach, was wird sie zu dulden haben, die Tochter des mächtigen Königes, wenn sie sich auf einmal so allein in der Wüste findet! —Welch ein falscher, ungetreuer Mensch bin ich, daß ich dich aus dem Lande deines Vaters und deiner Mutter geführt habe, wo du in Herrlichkeit und zärtlicher Pflege auferzogen worden bist l Jetzt erst bin ich des Todes und kann ihm nicht entgehen. Doch um mich ist es ein kleiner Schade, aber daß Magelone sterben soll, die allerschönste Jungfrau auf Erden! Oh, gütiger Gott, bewahre sie vor allem Ubel. Du weißt ja, daß keine unordentliche Liebe zwischen uns beiden gewesen ist; darum erbarme dich doch nur ihrer, denn sie ist unschuldig!"

So sprach Peter zu sich selbst. Er saß in der Mitte des lecken Schiff:



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leins und erwartete, wo ihn das Meer hinwürfe, oder den Augenblick, wo der Sachen untersänke; denn er hatte Wassers genug darinnen. In solcher Todesangst mußte er ausharren vom Morgen bis zum Mittage. Da kam ein Schiff herangesegelt, es war ein Raubschiff der Mohren; die sahen ihn so allein dahertreiben, wie der Wind ihn führte, nahmen ihn aus Mitleid auf und setzten ihn in ihr Schiff. Peter aber war vor Liebesschmerz halbtot und wußte nicht, wie ihm geschah. Als der Patron des Schiffs Petern recht ansah, gefiel dieser ihm wohl, denn er war gut gekleidet und schön; da dachte der Seeräuber bei sich selbst, er wolle ihn dem Sultan schenken. Darauf segelten sie weiter, viele Tage, bis sie gen Alexandrien kamen. Und dort machte der Schiffspatron wirklich den Peter dem Sultan von Babylon zum Geschenk. Auch diesem gefiel der junge Mann, und er dankte dem Geber. Und weil Peter immer die goldene Kette um den Hals trug, die Magelone ihm gegeben hatte, so schloß der Sultan daraus, daß er eines hohen Geschlechtes sein müsse. Er ließ ihn deswegen durch seinen Dolmetscher fragen: ob er verstünde, zu Tische aufzuwarten; ; und als Peter die Frage bejahte, so ließ der Sultan ihm in der türkischen Weise Unterricht erteilen, und er lernte es so gut, daß er es bald allen andern darin zuvortat. Ja, der Sultan gewann ihn so lieb, als wäre es sein eigener Sohn. In kurzem erlernte Peter die griechische und türkische Sprache und bezeigte sich gegen jedermann so höflich und freundlich, daß alle Leute am Hofe ihn so gerne sahen, als wäre er ihr eigener Sohn oder Bruder gewesen. Er selbst schickte sich auch in seine Lage: was ihm bei dem Sultan zu tun und auszurichten befohlen war, das tat er mit ganzem Fleiße; und dies war der Grund, warum er hervorgezogen wurde. Doch konnte alle diese Ehre den armen Peter nicht fröhlich machen ; sein Herz war ihm immer schwer, es mußte beständig an seine unglückliche Magelone denken; ja, er wünschte, lieber im Meer ertrunken zu sein, weil er dann seines Schmerzes los wäre. Doch ließ er sich nichts merken, so betrübt er war. Er bat nur Gott, daß er ihn als einen Christenmenschen sterben lassen und ihm den Genuß des heiligen Sakramentes vor dem Tode nicht entziehen wolle.

***
Als die schöne Magelone im grünen Walde nach Lust geschlafen hatte, weil sie müde gewesen und die ganze Nacht ohne Schlummer verblieben war, so wachte sie endlich auf, erhub ihr Haupt und meinte, sie sei noch bei ihrem geliebten Peter, in dessen Schoß sie es niedergelegt hatte. "Mein liebster Freund", rief sie emporschauend, "ich habe recht gut geschlafen,


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aber Ihr schweiget; ich glaube, ich habe Euch verdrießlich gemacht! " Und nun sah sie um sich und gewahrte niemand; sie erschrak und sprang auf. Mit lauter Stimme fing sie an durch den Wald zu rufen: "Peter; Peter!" aber niemand wollte ihr antworten. Es wäre kein Wunder gewesen, wenn sie von Sinnen gekommen wäre, als sie so gar niemand hörte und sah. Endlich fing sie an zu weinen und ging rufend und jammernd durch den Wald, bis ihr der Schmerz und das Weh in das Haupt stieg und sie ohnmächtig niedersank. Als sie nach langer Zeit wieder zu sich kam und sich erhoben hatte, fing sie kläglich zu jammern an und rief: "Peter, ach geliebter Peter, du meine Liebe und Hoffnung, hab ' ich dich denn verloren? Oh, warum bist du von deiner treuen Genossin geschieden? Du wußtest ja, daß ich ohne dich in meines Vaters Hause nicht leben wollte; meinst du denn, ich könne leben ohne dich, in dieser Wildnis und Wüstenei, in diesen rauhen Büschen, wo ich eines jämmerlichen Todes sterben muß? Was habe ich dir zuleide getan, daß du mich so ängstest Ach, ich habe mich dir nur zu viel entdeckt; aber wenn es auch so ist, so habe ich es ja nur aus allzugroßer Liebe getan. Denn nie ist mir ein Mensch so tief ins Herz gekommen wie du. O Peter; wo ist deine Treue und dein Wort? Fürwahr, du bist der elendeste Mann auf Erden, der je von einer Mutter geboren worden ist — und doch weiß und vermag mein Herz nichts Böses von dir zu sagen! Gewiß, du bist nicht mit deinem Willen von mir geschieden; du bist der Getreue, und ich bin untreu, daß ich dich so geschmäht habe. Ach, darüber ist mein Herz in den Tod betrübt! Welch Abenteuer hat uns voneinander geschiedene Peter, bist du tot? Warum bin ich nicht mit dir tot? Ach, keinem Menschen ist je ein so großes Unglück widerfahren als mir O Gott, behüte mir nur meine Sinne und meinen Verstand, damit ich nicht Leib und Seele verliere ; und laß mich meinen Bräutigam sehen, ehe denn ich sterbet"

So sprach die schöne Magelone zu sich selbst und lief verzweifelnd in dem Holze hin und her, horchte, ob sie nicht etwas hören könnte, stieg auf einen Baum, um in die Ferne zu sehen; aber sie sah nichts um sich als Einöde und Wüstenei und in der Ferne das große, tiefe Meer. So blieb sie den ganzen Tag traurig, ohne Essen und Trinken. Als die Nacht herbeikam , suchte sie sich einen starken, hohen Baum aus, den bestieg sie mit vieler Mühe und blieb die ganze Nacht auf seinen breiten Ästen sitzen, doch schlief und ruhte sie wenig; denn sie hatte große Furcht vor den wilden Tieren. Da hatte sie Zeit, über ihr Schicksal nachzudenken. Daß sie nicht mehr nach Hause zu ihren Eltern zurückgehen könne, sah sie klar ein; denn



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sie fürchtete den Zorn ihres strengen Vaters. Endlich beschloß sie bei sich selbst, ihren Geliebten in der weiten Welt suchen zu gehen. Sobald daher der Tag anbrach, stieg sie von dem Baume herab und ging an den Ort, wo sie die Pferde noch angebunden fand. Unter Tränen löste sie ihnen die Fesseln und sagte zu ihnen, indem sie sie streichelte: "Weil euer Herr verloren ist und mich in der Welt sucht, so möget auch ihr hinlaufen, wohin ihr wollet." Mit diesem Wort zog sie ihnen die säume ab und ließ sie laufen, wohin sie wollten. Dann ging sie selbst zu Fuße lang im Walde fort und fand endlich die Landstraße, die nach Rom führte; in der Nähe war eine steile Anhöhe, die bestieg sie, um zu sehen, ob sie nicht aus der Ferne einen Wanderer gewahr werden könnte. Endlich nach langer Zeit erblickte sie eine arme Pilgerin. Diese rief sie herbei und bat sie um ihren Pilgerrock und ihre übrigen Kleider. Die Frau meinte, eine so schön gekleidete Jungfrau könne nicht allein im Walde sein und nichts dergleichen begehren. Sie glaubte also, die schöne Magelone spotte ihrer, und sagte: "Gnädige Frau, Ihr seid freilich köstlich geschmückt, aber deswegen solltet Ihr die Leute Christi nicht verhöhnen; ein so schöner Rock, wie Ihr ihn traget, ziert nur den Leib; aber mein Rock, hoffe ich, soll meine Seele zieren!" — "Liebe Schwester", sprach darauf die schöne Magelone, "ich bitte dich, laß dich meine Rede nicht verdrießen; ich rede aus gutem Herzen und will frei mit dir tauschen." Die Pilgerin überzeugte sich bald, daß die schöne Jungfrau von Herzensgrunde rede. Voll Verwunderung zog sie ihre Pilgerkleider aus, und Magelone tat dasselbe mit den ihrigen. Sie bekleidete sich dann mit den Gewanden der Pilgerin so, daß man ihr nicht recht ins Gesicht sehen konnte, und machte sich auch sonst auf mancherlei Weise unkenntlich.

In dieser Kleidung nahm die schöne Magelone ihren Weg nach Rom und ging so lange, bis sie diese Stadt erreicht hatte. Ihr erster Gang dort war in Sankt Peters Kirche. Hier kniete sie vor dem Hochaltare nieder und verrichtete ihr Gebet für sich und Peter unter bitteren Zähren. Als sie nun eben den Dom verlassen wollte, um nach einer Herberge zu gehen, sah sie zu ihrem großen Schrecken ihrer Mutter Bruder mit großem Gepränge und vielem Gefolge in die Kirche treten. Dieser war auch ausgezogen, seine entflohene Nichte zu suchen. Aber in den schlechten Pilgerkleidern erkannte er sie nicht; ja, weder er noch seine Begleiter bemerkten auch nur die Gegenwart der armen Pilgerin. Magelone aber meldete sich als Pilgersfrau in dem Spitale, blieb dort fünfzehn Tage in großer Niedrigkeit und Demut, besuchte nun alltäglich die Kirche in St. Peter; wo



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sie in tiefer Trauer zum Allmächtigen um Erhörung flehte. Dann gedachte sie, nach Frankreich in die Grafschaft Provence zu wandern, weil sie dort am ehesten etwas von ihrem Geliebten zu erfahren hoffte. So machte sie sich denn auf den Weg, und als sie in die Stadt Genua kam, erfragte sie den nächsten Pfad nach dem Meere. Hier fand sie zum Glück ein Schiff segelfertig, das nach Aiguesmortes segeln wollte, und mit welchem sie dorthin fahren konnte. In dieser Stadt wurde sie von einer frommen Frau aus Mitleiden ins Haus aufgenommen; die gab ihr zu essen
und zu trinken und legte sie in ein gutes Bett. Sie mußte der alten Frau viel von Rom und ihrer Wallfahrt erzählen und fragte dagegen sie wieder nach der Beschaffenheit der Länder, durch welche sie zu reisen hatte, und nach der Grafschaft Provence. Da erzählte ihr die Frau viel Gutes von dem alten Grafen von Provence, wie mächtig er sei, wie er sein Land im Frieden halte, wie nie ein Mensch gehört habe, daß jemand ein Leid widerfahren sei. So seien er und die Gräfin auch besonders freundlich gegen arme Leute. Aber sie seien auch sehr betrübt und traurig um ihres Sohnes willen, der Peter heiße und der edelste Ritter in der Welt sei; denn er sei vor zwei Jahren weggezogen dem Ritterspiele nach und nicht mehr heimgekommen ; ja, niemand wisse, was aus ihm geworden sei. Da mußte Magelone


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laut aufschluchzen, als sie die fromme Frau von Peter erzählen hörte. und weil diese glaubte, sie weine aus Mitleiden mit den alten Eltern des Grafen, so hatte sie die fremde Pilgerin nur um so mehr lieb.

Gleich in jener ersten Nacht nahm sich jedoch die schöne Magelone vor; einen Ort zu suchen, wo sie Gott täglich dienen und in sicherer Zucht leben könnte. Am andern Morgen erkundigte sie sich bei ihrer Wirtin und erfuhr von dieser, daß in der Nähe in dem Hafen, der der Heiden Port heiße, eine kleine Insel sei, wohin aus allen Landen die Kaufleute mit ihren Waren kämen, und wo sich auch viele arme und kranke Leute befänden . Diesen Ort besuchte Magelone, und da er ihr wohl gefiel, ließ sie von den Schätzen, die sie aus Neapel mitgenommen und sorgfältig verborgen hatte, ein kleines Kirchlein zu St. Peters Ehren und ihrem geliebten Peter zu Gefallen nebst einem Spitale bauen, in welchem sie der Armen mit großer Treue pflegte und ein so strenges Leben führte; daß alle Leute der Insel und Umgegend sie nur die heilige Pilgerin nannten. Von allen Seiten her bekam das Kirchlein Opfer und Schenkungen und wurde weit und breit bekannt, so daß zuletzt auch Peters Eltern, der Graf und die Gräfin von Provence; kamen, ihre Andacht dort zu halten. Diesen ging die fremde Pilgerin entgegen und erzeigte ihnen große Ehrerbietung , ward auch von beiden als eine heilige Frau wohl aufgenommen. Die Gräfin redete mit ihr von mancherlei und endlich auch, wie betrübt sie um ihren verlorenen Sohn sei; und da fing sie an, herzlich zu weinen. Die schöne Magelone versuchte, sie zu trösten, obwohl ihr die Tränen ebenso nahe waren und der Trost noch nötiger gewesen wäre. Doch stillten ihre sanften Worte das Gemüt der Gräfin; sie hatte großes Gefallen an ihren Reden und sagte ihr, was sie für ihren Spital bedürfte, das sollte sie doch begehren; nichts solle ihr versagt werden. Auch bat sie die Pilgerin beim Abschied, für die Heimkehr ihres Sohnes Peter fleißig zu Gott zu beten, und das versprach Magelone gern und wurde ihr nicht schwer zu halten.



***
Eines Tages aber begab es sich, daß die Fischer der Insel im Meere fischten und einen schönen Fisch fingen, den man Meerwolf nennt; den brachten sie dem Grafen von Provence zum Geschenk. Als nun der Fisch durch die Diener in die Küche getragen wurde, um ihn zu bereiten, da fand man in dem Bauch des Fisches einen roten Zindel, und der Köche einer eilte, das wunderliche Ding der Gräfin zu bringen. Wie die Gräfin den Zindel aufwickelt, findet sie darin die drei Ringe, die sie ihrem Sohn mit


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gegeben, als er in die Ferne zog. Sobald sie dieselben erkannt, fing sie an bitterlich zu weinen und rief: "Allmächtiger Gott; was will ich weiter Zeugnis, daß mein geliebter Sohn tot ist! Nun bin ich aller Hoffnung beraubt." Auf ihr Jammern kam der Graf herbei, erkannte die Ringe auch, legte sein Haupt in den Pfühl und weinte. Dann befahl er seinen Dienern, die köstlichen Teppiche seines Palastes hinwegzunehmen und das ganze Haus mit schwarzen Tüchern zu behängen. Seine Untertanen, die dies sahen, trauerten mit ihm; denn sie hatten ibn sehr lieb.

Die Gräfin aber suchte Trost bei der frommen Pilgerin. Sie kam auf die Insel, und nachdem sie ihr Gebet in der Kirche vollbracht, ging sie in den Spital, nahm die schöne Magelone bei der Hand, führte sie in einen Betstuhl und erzählte ihr mit großen Schmerzen, wie es ihr ergangen und sie jetzt gar keine Hoffnung mehr habe, ihren Sohn zu sehen. Magelone; die über Peters Verschwinden ihre Ringe vergessen und nicht mehr an sie gedacht hatte, fing inniglich mit ihr weinen an und bat sie, wenn sie die Ringe mit sich führte, sie ihr zu zeigen. Die Gräfin holte die Ringe mit Seufzen hervor und gab ihr sie zu besehen. Da erkannte die schöne Magelone freilich, daß es Peters Ringe waren, und kein Wunder wäre gewesen, wenn ihr das Herz im Leibe gebrochen wäre. Aber ihr frommer Wandel im Spital hatte sie im Dulden gestärkt, und so sprach sie mit Fassung: "Gnädige Frau, kümmert Euch nicht über Dinge, die noch ungewiß sind. Seien es immerhin die Ringe, die Ihr Eurem lieben Sohn



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Peter gegeben habt; er kann sie ja wohl verloren oder einer andern Person gegeben haben. Darum lindert Eure Schmerzen, tut es Eurem Gemahl zuliebe; denn wenn er Euch so betrübt sieht, so wird er auch traurig; darum kehret Euch zu Gott dem Allmächtigen und bittet ihn um Hilfe!"

So tröstete Magelone die Gräfin; aber als sie allein war in der Kirche, fiel sie vor dem Altare nieder, und die Tränen strömten ihr über das Angesicht. Da bat sie Gott, wenn Peter lebendig wäre, so möge er ihn wohlbewahrt und glücklich seinen Freunden zuführen; wäre er aber tot, so wolle er sich seiner Seele erbarmen und sie selbst bald im Tode mit ihm vereinigen.



***
Während dieses mit der schönen Magelone vorging, blieb Peter am Hofe des Sultans zu Babylon und wurde von ihm geliebt, als wäre es sein eigener Sohn. Der Sultan hatte keine Freude, wenn sie Peter nicht mitgenoß, aber Peters Herz und Sinn war bei seiner armen Magelone, von welcher er nichts erfahren konnte, und bei seinen Eltern, von welchen er auch nichts hörte. Nun gab einst der Sultan ein großes Fest; war fröhlich und teilte große Gaben aus. Jetzt gedachte Peter, sich auch seinen Anteil zu holen, fiel vor dem Sultan auf die Knie und sprach: "Herr, ich bin lange Zeit an Eurem Hofe gewesen, habe Euch die wichtigsten Sachen vortragen dürfen, habe vieler andern Leute Angelegenheiten betrieben, für mich selbst aber noch nie etwas begehrt oder erbeten. Jetzt wag ' ich, von Euch etwas zu erbitten, was Ihr mir nicht abschlagen wollet!" Als der Sultan ihn so demütig bitten sah, sprach er freundlich: "Lieber Peter, habe ich dir gewährt, was du von mir für andere gebeten hast, wieviel mehr werde ich dir mit fröhlichem Herzen gewähren, was du für dich begehrst !" Wie ihm aber Peter sein Gesuch vortrug, Vater und Mutter in Frankreich besuchen zu dürfen, da wurde der Sultan unwillig und sagte: "Guter Freund, an dein Hinwegziehen denke nicht mehr; wo du auch hinkommen magst; so gut bekommst du es nirgends mehr, und einen Freund, der dir soviel Gutes erweise wie ich, findest du auch nicht; denn ich will dich zu dem gewaltigsten Mann im ganzen Lande machen." Peter aber ließ nicht nach, zu bitten, bis der Sultan sprach: "Nun, weil ich dir's zugesagt habe, so will ich es auch halten; du aber versprich mir, wieder zu mir zu kommen, wenn du deine Eltern besucht hast." Peter versprach ihm dieses, und nun ließ der Sultan in seinem ganzen Land einen Befehl ausgehen, wohin Peter im Mohrenreiche käme, da solle man ihn halten wie den Sultan selbst und ihm in allem, was er begehre, behilflich


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sein. Auch gab ihm der Sultan eine Menge Golds, Silbers und anderer Kleinode zum Geschenke mit.

So zog Peter fort, und viele weinten, die ihn liebhatten. Er kam in kurzer Zeit nach Alexandria, wo er seinen Brief dem Statthalter des Sultans zeigte. Dieser erwies ihm große Ehre und führte ihn in eine köstliche Herberge. Peter versah sich mit allem Nötigen und ließ vierzehn Fässer machen, die er oben und unten mit Salz füllte, in der Mitte aber war sein Schatz. Als alles zugerüstet war, ging er an das Meer und war so glücklich, ein Schiff zu finden, das eben nach der Provence fahren wollte. Er wurde bald mit dem Schiffsherrn einig, nur lachte dieser; als er die vierzehn Salzfässer herbeibringen sah. "Die könntet Ihr zu Hause lassen", sprach er, "denn wenn Ihr in die Provence kommet, so findet Ihr dort überall Salz zu gutem Kaufe und werdet wenig Gewinn davon haben." Aber Peter erklärte, die Fracht gut bezahlen zu wollen, und so war der Patron auch zufrieden. Noch in der Nacht stellte sich guter Wind ein, die Segel wurden aufgezogen, die Anker gelichtet, und sie fuhren fröhlich dahin. Unterwegs legten sie bei einer Insel namens Sagona an, um süßes Wasser einzunehmen. Peter stieg ans Land und durchwandelte die Insel, er fand die schönsten Brünnlein, lagerte sich ins grüne Gras unter den Baumschatten, und vergaß einen Teil seiner Leiden , nur die schöne Magelone nicht, der er mit großen Schmerzen gedachte Wie er so sann, überkam ihn der Schlaf, dem er sich sorglos überließ . Mittlerweile hatte sich ein frischer Wind erhoben, und der Schiffsherr ließ ausrufen, man solle zu Schiffe gehen. Als er sah, daß Peter nicht zugegen war, hieß er ihn am Strande suchen. Die Leute fanden ihn nicht; sie riefen laut ins Gebüsch hinein, aber er hörte es nicht; denn er schlief zu fest. Der Schiffspatron mochte den Wind nicht versäumen, ließ die Segel ausspannen und fuhr davon; Peter aber blieb schlafend liegen.

Jene schifften so lange, bis sie in den Heidenport in der Provence gelangten. Hier gingen sie vor Anker und luden aus. Als sie die vierzehn Fässer fanden, sprach der Schiffsherr: "Was sollen wir nun mit dem Salz des Edelmanns tun, der auf der Insel Sagona zurückgeblieben ist und sein Schiffsgeld so gut bezahlt hat?" Ein Ende wurden sie einig darüber, das Gut dem Spital St. Peters zu übergeben; besser dachten sie, könne es nicht angewendet werden. Der Patron ging zu der Vorsteherin, welches die schöne Magelone war, und sagte ihr: der Herr der Fässer sei verloren gegangen; er übergebe sein Gut dem Hospital; sie möge für seine Seele Gott um Gnade bitten. — Nun fehlte es eines



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Tages in dem Spital an Salz, und Magelone eröffnete eines der Fässer . Da fand sie in der Mitte des Fasses einen großen Schatz, worüber sie gewaltig erschrak; sie nahm die andern Fässer, erbrach sie und fand alle wie das erste. Da sagte sie bei sich selbst: "Ach, du armer Menschl Wer bist du gewesen? Gott der Allmächtige erbarme sich über deine Seele!"

Auf diese Weise war die Pilgerin in den Besitz eines großen Schatzes gekommen. Sie ließ sogleich Maurer und andere Werkleute berufen, um die Kirche und den Hospital größer zu bauen. Das Volk, das zum Schauspiel herbeiströmte, verwunderte sich über die Zurüstungen und konnte sich nicht denken, wer das Geld dazu herschieße. Auch der Graf und die Gräfin kamen, die Kirche mit großer Andacht zu besuchen; dann holten sie wieder Trost bei der frommen Pilgerin, die ihnen Hoffnung einsprach, während sie selbst um Bräutigam, Vater Mutter und Königreich hoffnungslos trauerte.



***
Peter hatte auf der grünen Insel eine gute Zeit geschlafen; als er erwachte , war es Nacht. Erschrocken eilte er nach dem Meere und an die Stelle, wo er das Schiff verlassen hatte. Anfangs glaubte er nur, vor der Dunkelheit es nicht zu erkennen, und fing daher an, laut zu rufen; aber kein Mensch antwortete ihm. Da warf er sich vor großem Kummer auf die Erde und schrie: "O barmherziger Gott, wann werde ich denn endlich meiner bösen Tage ledig? Kann ich denn nicht sterben? Ist es nicht genug gewesen, daß ich meine Geliebte, die schöne Magelone, verloren habe? Daß ich der Dienstbarkeit eines Heiden unterworfen worden bin? Jetzt hatte ich wenigstens gehofft, Vater und Mutter trösten zu können, und nun bin ich in eine Wüstenei verbannt, wo ich selbst keinen menschlichen Trost finde, wo mir der Tod nützlicher wäre als das Leben!" Unter seinen Klagen wurde es Tag und wieder Nacht. Er lief hin und her und blickte auf allen Seiten nach dem Meere hinaus, ob er nicht irgendwo ein Schiff erspähen könnte, das ihn von der Insel wegtrüge; aber seine Mühe war vergebens. Endlich fiel er vor Müdigkeit und Hunger ohnmächtig auf den Boden nieder.

Da fügte es Gott, daß ein kleiner Fischerkahn an der Insel beilegte, um frisches Wasser einzunehmen. Einige der Fischer betraten zu dem Ende die Insel und fanden Peter ausgestreckt auf der Erde liegen. Sie hatten großes Mitleiden mit ihm, erquickten ihn mit stärkendem Trank und brachten ihn so wieder zu sich selbst mit großer Mühe. Dann trugen



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sie ihn in das Schifflein und fuhren nach einer Stadt mit Namen Cragona; dort übergaben sie den Kranken dem Spitalmeister zur Pflege und gingen fort. Peter blieb hier neun Monate liegen, wohl gewartet. Aber er konnte nicht gesunden; denn der Kummer nagte an seinem Herzen. Als er wieder so weit hergestellt war, daß er langsam am Meere auf und ab zu wandeln vermochte, erblickte er einsmals ein Schiff im Hafen, und als er näher ging, hörte er die Schiffsleute die Sprache seines Vaterlandes reden. Peter zitterte vor Freuden bei diesen Lauten. Er fragte sie, wann sie wieder gen Frankreich fahren wollten. "Spätestens in zwei Tagen", erwiderten sie. Da ging Peter zu dem Schiffsherrn und bat
ihn um Gottes willen, er solle ihn doch mitnehmen; denn er sei aus diesem Lande und lange Zeit hier in der Fremde krank gelegen. Der Patron erklärte sich bereit, ihm, weil er sein Landsmann wäre, diesen Dienst zu erweisen; nur müßte er mit ihm fahren, wohin er steure, nach Aiguesmortes in den Heidenport.

Peter war dies wohl zufrieden und saß in das Schiff. Unterwegs sprachen die Schiffsgesellen von allerlei und einmal auch von der schönen Kirche St. Peters, von Magelone und ihrem Spital. Als Peter diesen Namen hörte, fuhr er wie aus dem Schlafe auf und fragte verwundert, wo in der Welt eine Kirche wäre, die diesen Namen hätte. Da sagten ihm die Schiffer: "In dem Heidenport, dahin wir fahren, auf der Insel, da liegt eine schöne Kirche und ein Spital, gar köstlich gebaut;



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die führen diesen Namen, und Gott tut dort viel Zeichen an den Kram ken. Auch Euch raten wir, daß Ihr dahin wallfahret und dort für Eure Genesung ein Gelübde tut!" Da gelobte Peter bei sich selbst, in dem Spital, das denselben Namen trage wie seine Geliebte, einen ganzen Monat zu bleiben, ehe er sich Vater und Mutter zu erkennen gäbe, bis er wieder gesund würde und vielleicht etwas von seiner schönen Magelone hören könnte, wiewohl er glaubte, sie sei schon lange tot. So schifften sie dahin und kamen in den Heidenport.

Sobald Peter sich auf dem Lande fand, eilte er in die Kirche und dankte dem allmächtigen Gott, daß er ihm sicher in die Heimat geholfen. Dann

begab er sich als ein Kranker in das Spital, daselbst auszuruhen und sein Gelübde zu erfüllen. Als nun die Pilgerin nach ihrer Gewohnheit herumging, die Kranken zu besuchen, sah sie auch den neuen Ankömmling, hieß ihn aufstehen und wusch ihm das müde Haupt, gab ihm den Schwesterkuß , wie sie gewohnt war, und brachte ihm zu essen; dann legte sie ihm schöne, weiße Tücher unter und versprach, ihm alles zu geben, was er bedürfe und begehre, damit er recht bald wieder gesunden möchte. Aber Magelone hatte ihn nicht genauer angesehen als alle andere Kranke und ihn nicht wieder erkannt. So war auch sein Auge von Mattigkeit und Krankheit verdunkelt, daß er sie, zumal in ihrer Pilgertracht und Verschleierung , nicht zu erkennen vermochte. Nun ruhte er eine gute Zeit im Spitale aus und kam bald wieder zu Kräften; denn Magelone



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pflegte ihn so gut, daß er sich oft darüber verwunderte und bei sich selbst sprach: "Diese Vorsteherin muß eine recht heilige Frau sein!" Einmal dachte er recht sehnlich an seine schöne Geliebte und seufzte im Verlangen nach ihr laut auf, als eben Magelone nach ihrer Gewohnheit von einem Kranken zum andern ging; sie hörte sein lautes Seufzen, und weil sie meinte, er habe ein leibliches Anliegen, so trat sie zu seinem Bette und sprach zu ihm: "Lieber, guter Mann, was fehlt Euch? Sagt mir, wenn Ihr einen Wunsch habt: er soll Euch werden, und ich will kein Geld sparen." Peter dankte ihr und sagte: "Es fehlt mir gar nichts, ich tue nur wie alle Kranken und Betrübten: wenn sie an ihr Unglück denken, so wird es ihnen schwer um das Herz, und sie seufzen." Als die Pilgerin ihn von Unglück reden hörte, wurde sie aufmerksam und sprach ihm freundlich zu, ihr seine Trübsal zu entdecken. Ihre Bitte lautete so süß, daß Peter sein Anliegen nicht länger vor ihr verbergen konnte; doch nannte er niemand, sondern erzählte nur so:

"Es ist ein reicher Sohn gewesen, der hörte von einer schönen Jungfrau in fremden Landen reden; deswegen verließ er Vater und Mutter und zog weg, dieselbe zu sehen. Gott gab ihm das Glück, daß er ihre Liebe erlangte, doch ganz heimlich, daß es niemand merkte; sie versprachen sich miteinander, er führte sie ohne der Eltern Wissen hinweg; dann ließ er sie in einem großen Walde schlafend liegen, um einer verlorenen Sache nachzugehen." Und so erzählte er weiter seine ganze Geschichte bis auf die Zeit, da er in den Spital gekommen war. Die schöne Magelone merkte bald, mit wem sie sprach; ja, sie erkannte ihn nicht nur an seinen Worten, sondern an allen seinen Gebärden, und die Tränen stürzten ihr aus den Augen. Doch verbarg sie dieses, sammelte sich und sprach aufs freundlichste zu ihm: "Lieber, guter Freund! Tröstet Euch, wendet Euch zu Gott dem Allmächtigen. Glaubt es, wenn Ihr ihn anrufet, seid Ihr nicht verlassen. Ihr werdet erhört werden und erlangen, was Ihr begehret; gewiß, Ihr werdet Eure Braut, die Ihr so treu und herzlich geliebt habt, wiederbekommen!" Als Peter solche Tröstungen hörte, stand er vom Lager auf und dankte ihr. Sie aber floh aus der Stube und in die Kirche und warf sich vor den Altar und weinte sich da in großen Freuden satt. Als sie ihr stilles Gebet vollendet hatte, ließ sie sich königliche Kleider machen; denn sie hatte des Geldes genug. Dann befahl sie, ihr Frauengemach aufs herrlichste und köstlichste zuzurichten und auszuschmücken.

Und als alles dies zubereitet war, ging sie zu Peter und sagte zu ihm:



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"Mein lieber Freund, kommt mit mir; ich habe Euch ein Bad bestellt, Eure Hände und Füße zu waschen; das wird Euch wohltun; denn ich habe die Zuversicht zu Gott, er werde Euch erhören und frisch und gesund machen." Da ging er mit ihr in die Kammer, und sie hieß ihn niedersitzen und verziehen, bis sie wieder zu ihm käme. Magelone ging nun in ihr Gemach und kleidete sich in die herrlichen Gewande; vor das Gesicht aber hängte sie den Schleier wieder, damit er sie nicht sogleich erkennen sollte; unter dem Schleier aber hatte sie ihr goldgelbes langes Haar schön in Locken gelegt. So ging sie zu Peter und sprach: "Edler Ritter, seid fröhlich! Eure Freundin steht vor Euch, Eure treue Magelone, um welcher willen Ihr so vieles gelitten habt! Aber ich habe nicht weniger gelitten um Euch; ich bin diejenige, die Ihr allein im wilden Holze schlafend liegengelassen habt; Ihr seid der, der mich aus dem Hause des Königs von Neapolis, meines Vaters, geführt hat. Hier sehet Ihr die, der Ihr Zucht und Ehre bis zum Abschluß unserer Ehe verheißen habt; ich bin es, die Euch diese goldene Kette um den Hals gehängt, und der Ihr drei kostbare Ringe geschenkt habt. Ja, sehet zu, ob ich es bin oder nicht, nach der Ihr so von Herzen begehret!"

Und ehe sich Peter besinnen konnte, warf sie ihren Schleier zurück; da fiel ihr schönes Haar herab wie wallendes Gold. Als nun Peter von Provence die schöne Magelone ohne Schleier sah, da erkannte er erst recht, daß sie die war, die er so lange gesucht; er stand auf, fiel ihr um den Hals und küßte sie wieder und wieder aus inniger Liebe; und beide weinten und konnten lange kein Wort vorbringen; endlich aber setzten sie sich noch einmal zusammen und erzählten einander ihr Unglück und konnten sich nicht ersättigen mit Klagen und mit Küssen.



***
Vier Tage fehlten noch, da hatte Peters Gelübde, vermöge dessen er einen Monat in St. Peters Spital bleiben wollte, ein Ende. Als der letzte Tag gekommen war, bekleidete sich die schöne Magelone wieder mit den Kleidern, die sie im Spital zu tragen gewohnt war, und an denen sie Peter wohl als die fromme Vorsteherin erkannte: so beurlaubte sie sich von ihrem Freunde und zog zu dem Grafen und der Gräfin von Provence. Diese empfingen ihre liebe Pilgerin gar freundlich und erwiesen ihr große Ehre, weil sie dieselbe gar liebhatten. Da fing denn Magelone also zu reden an: "Gnädiger Herr, gnädige Frau! Ich bin zu euch gekommen, euch eine Geschichte zu eröffnen, welche ich die vergangne Nacht im Gesichte geschaut habe. Mir ist ein Engel vom Himmel er


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schienen, der führte einen schönen jungen Ritter an seiner Hand und sprach zu mir: ,Siehe hier denjenigen, um den dein Herr und deine Frau, sowie du selber, Gott so lange gebeten haben. ' Solches habe ich euch nicht verschweigen wollen; denn ich weiß ja, wie sehr ihr um euren geliebten Sohn betrübt seid; glaubet es aber, ihr werdet ihn sicherlich in kurzer Zeit frisch und gesund wiedersehent Darum bitte ich euch, lasset die schwarzen Trauerteppiche hinwegnehmen und hänget eurem Hause Freudentücher um!"

So schwer es dem Grafen und der Gräfin zu glauben schien, was die Pilgerin berichtete, so befahlen sie doch, ihr zu Gefallen die schwarze Trauerbekleidung hinwegzunehmen, und baten sie, das Frühstück mit ihnen zu genießen, aber ihr liebendes Herz vermochte nicht über sich, ihnen dieses zuzusagen; sie schützte deswegen Verrichtungen vor und bat dagegen den Grafen und seine Gemahlin freundlich, auf nächsten Sonntag bei ihr in St. Peters Kirche zu erscheinen; denn sie hege gutes Vertrauen auf den allmächtigen Gott, daß sie erfreut werden würden, ehe sie wieder von ihr schieden. Und sie verhießen ihr zu kommen.

Peter wartete indessen auf Magelone mit großer Begierde. Als sie zurückkam, erzählte sie ihm ganz, wie sie die Sache veranstaltet habe; und versprach ihm einen baldigen Besuch seiner Eltern. Und wirklich, sowie der Sonntag kam, brach das gräfliche Paar mit seinem Gesinde auf und zog nach St. Peter zu Magelone. Dort hörten sie vor allen Dingen die Messe in der Kirche. Als diese zu Ende war nahm die Pilgerin den Grafen und die Gräfin beiseite, erklärte ihnen, etwas Geheimes mit ihnen sprechen zu müssen, und bat sie, mit ihr in die Kammer zu kommen, worein sie auch gerne willigten. Als sie hier waren, sprach die Pilgerin zu ihnen: "Wenn ihr euren Sohn vor Augen sehet, würdet ihr ihn wohl kennen?" "Ja!" sprachen sie; da trat plötzlich Herr Peter in die Kammer und kniete vor Vater und Mutter nieder. Da sahen und erkannten sie ihn und fielen ihm mit einem Freudenschrei um den Hals. Und unbegreiflich schnell verbreitete sich das Gerücht, des Grafen Sohn sei wiedergekommen. Edle und Unedle strömten herbei und erwiesen ihm große Ehre. Jedermann war fröhlich, und Peter konnte seinen Eltern nicht genug erzählen.

Inzwischen war die schöne Magelone in ihre Kammer gegangen und hatte sich aufs kostbarste bekleidet. So königlich angetan, trat sie wieder zu ihnen ein. Der Graf und die Gräfin verwunderten sich, woher die wunderschöne Jungfrau käme, deren Angesicht sie nie zuvor in ihrem



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Leben gesehen hätten. Aber Peter ging auf sie zu als auf eine Altbekannte , grüßte sie, ja, küßte die Jungfrau vor seiner Eltern Augen. Als das die Leute sahen, waren alle voll Staunens. Dann nahm sie Peter bei der Hand und sprach: "Gnädige Eltern! Diese Jungfrau ist diejenige, um derenwillen ich von euch gezogen bin, und wisset, daß sie eine Tochter des Königs von Neapolis ist." Da ging der Graf und die Gräfin auf die schöne Magelone zu, umarmten sie zärtlich und dankten Gott für alles, was geschehen war.

Zu Roß und zu Fuß kam auf das immer weiter sich verbreitende Gerücht von Peters Zurückkunft alles aus dem ganzen Lande herbei. Der Adel turnierte, die andern tanzten und waren fröhlich. Und als die Eltern die ganze Geschichte seiner Liebe vernommen hatten, da nahm der Graf seinen Sohn bei der Hand und führte ihn in die Kirche St. Peters vor den Altar; dasselbe tat die Gräfin mit der schönen Magelone. Dort knieten alle nieder und dankten Gott dem Allmächtigen. Dann sprach der Graf unerbeten: "Sohn, ich will, daß du die Jungfrau, die um deinetwillen so viel gelitten, zur Ehe nehmest!" — "Ach, liebster Vater", fiel Peter ein, "das war auch mein Wille, schon als ich sie aus dem



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Hause ihres Vaters führte; urteilet, welche Freude mir Euer Befehl macht!" So zogen sie in die Kirche, und der Bischof vollzog die Trauung. Und die Gräfin gab dem Peter den schönsten Ring von den dreien, die in dem Bauche des Fisches gefunden worden waren. Peter nahm ihn mit Verwunderung und steckte ihn der nicht minder staunenden Braut an den Finger.

Vierzehn Tage dauerte die Hochzeit und Fröhlichkeit; dann verloren sich die Gäste, und der Graf und die Gräfin lebten noch viele Jahre in Frieden und Wonne mit dem jungen Paare. Einmal aber machte Peter mit seiner Frau eine weite Reise nach Babylon zu dem Sultan, der schalt ihn freundlich und verzieh ihm und ließ ihn heimziehen mit reichlichen Geschenken.

Peter und Magelone führten ein langes und glückliches Leben miteinander Sie zeugten einen schönen Sohn, der wurde König von Neapolis und Graf von Provence. Sie selber liegen in St. Peter auf der Insel begraben, und die schöne Kirche und das Spital, die Magelone gegründet , schauen noch heute vom Heidenport weit in das Meer hinaus.



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Der arme Heinrich

Mit Bildern von Adolf Ehrhardt



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In Schwaben war ein Herr ansässig, dem keine Tugend fehlte, die ein junger Ritter, der nach vollem Lobe strebet, haben soll; so daß im ganzen Lande von niemand soviel Gutes gesagt ward. Er war reich und von edler Geburt, aber noch viel größer war seine Ehre und sein Mut. Sein Herz hatte Falschheit und Schande verschworen, und er hielt auch seinen Eid treulich bis an sein Ende; denn sein Leben stand ohne Flecken da, und er wußte weltliche Ehre zum rechten Heil anzuwenden, so daß sie sich in jeder reinen Tugend mehrte. Er war eine Blume der Jugend ein Demant der Treue, eine Krone der Zucht, ein Schirm der Bedrängten, ein Schild seiner Freunde. Nichts war zuviel, nichts zu wenig bei ihm. Sein Name war wohlbekannt, er hieß Heinrich und sein Geschlecht war von der Aue genannt.

Wie nun dieser Mann, gepriesen und geehrt, sich Reichtums und fröhlichen Sinnes erfreute, da ward auf einmal sein hoher Mut in ein gar armes Leben herabgebeugt; denn wer in der höchsten Weltseligkeit lebt, der ist vor Gott gering. Darum fiel auch Herr Heinrich mit Gottes Willeu



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aus seinem besten Glücke in ein gar schmähliches Leid, und ihn ergriff der Aussatz. Als nun diese Heimsuchung an seinem Leibe sichtbar ward, da wendeten sich Mann und Weib von ihm ab, und wie angenehm er der Welt zuvor war, so unerträglich ward er ihr jetzt, so daß ihn, wie den geschlagenen Hiob, niemand mehr ansehen wollte. Als der arme Heinrich sah, daß er gleich allen Aussätzigen der Welt widerwärtig war, da unterschied ihn jedoch sein bitterer Schmerz von Hiobs Geduld; denn er ward unfroh und traurig, sein hochsteigendes Herz sank, sein Honig ward zur Galle, eine schwarze Wolke bedeckte den Glanz seiner Sonne, und ein harter Donnerschlag zerschlug ihm seinen hellen Himmel. Er trauerte, daß er soviel Glück hinter sich lassen mußte, ja, oft verwünschte und verfluchte er den Tag, an welchem er zur Welt geboren war.

Doch empfand er wieder ein wenig Freude, als ihm zum Troste gesagt wurde, daß diese Krankheit gar verschieden sei und zuweilen heilbar. Da dachte er hin und her, wie er wohl genesen könnte, zog gen Montpellier und fragte die Arzte um Rat; aber es wurde ihm geantwortet, er sei nicht zu heilen und werde nimmer vom Aussatze rein. Traurig hörte er dies an und zog weiter gen Salerno, die weisen Arzte auch dort zu fragen. Nun sagte ihm der beste Meister, der dort war, eine wunderbare Sache, nämlich: daß er zwar heilbar wäre, aber doch nimmermehr werde geheilt werden. "Wie mag das zugehen", sprach Heinrich, "du redest gar unverständlich l Bin ich heilbar, so werde ich auch geheilt; denn was an Geld oder Zurüstung verlangt ward, das getraue ich mir beizuschaffen!" —"Lasset das Dingen", antwortete der Meister; "Eure Krankheit ist nun einmal derart! Was frommt's, daß ich's Euch sage? Es gibt wohl eine Arznei dafür, die Euch heilt: aber kein Mensch ist so mächtig oder klug, daß er sie gewinnen könnte; darum werdet Ihr nimmer geheilt , Gott wolle denn Euer Arzt sein." — Da sprach der arme Heinrich: "Was nehmet Ihr mir meinen Trost hinwegs habe doch so großes Gut; ich kann Euch mir gewiß geneigt machen, daß Ihr mir gerne helfet!" "Mir fehlet nicht der Wille", antwortete der Meister. "Wär ' es eine Arznei, die man feil fände oder sonst auf irgendeine Art erlangen könnte, so ließe ich Euch gewiß nicht verderben! Aber es ist leider nicht so, und wäre Eure Not noch größer, so müßte Euch doch meine Hilfe versagt bleiben! Höret an: Ihr müßt eine reine Jungfrau haben, die aus freiem Willen den Tod für Euch leidet. Nun ist's aber nicht der Menschen Art, daß jemand so etwas freiwillig tut. Und doch, wie ich Euch gesagt habe; dies allein ist die rechte Arznei für Eure Krankheit!"



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Nun erkannte der arme Heinrich wohl, wie es unmöglich sei, daß jemand gern für ihn stürbe, und aller Trost, auf den er ausgezogen war ihm hinweggenommen. Fernerhin hatte er keinen Gedanken mehr an seine Genesung und war des Lebens überdrüssig. Er zog heim und fing an, sein Erbe, wie es ihm am besten schien, auszuteilen. Im stillen machte er seine armen Verwandten reich und linderte auch das Elend Fremder; das übrige gab er Gotteshäusern, damit sich der Herr seiner Seele erbarme. Von aller seiner Habe behielt er nur ein neuangebautes Land, wohin er vor den Menschen floh. Aber nicht er selbst nur klagte über dieses traurige Verhängnis, sondern er wurde auch von allen, die ihn selbst oder nach anderer Sage kannten, bejammert. Jenes Neuland aber baute ein freier Meier, der hier in Ruhe und Friede lebte, während andere Bauern unter böser Herrschaft nicht einmal mit Steuer und Gabe großes Ungemach meiden konnten. Was dieser Meier tat, das war dem armen Heinrich recht, der ihn auch von aller fremden Last befreit hatte; so daß keiner im ganzen Lande so wohlhabend war.

Zu diesem Manne zog der arme Heinrich; der vergalt ihm alle seine Milde, und nichts verdroß ihn, was er um des Kranken willen leiden mußte; er war so treu gesinnt, daß er Sorgen und Mühe willig ertrug und seinem Herrn alles gemächlich einrichtete. Gott hatte dem Meier ein glückliches Leben beschieden; denn er hatte einen gesunden, frischen Leib, eine fleißige, sittsame Frau, dazu schöne Kinder, recht, wie sie des Man- nes Freude sind. Darunter war ein Mägdlein von zwölf Jahren, von gar freundlichen Sitten, das wollte von dem Herrn nicht fußbreit weichen, um seine Huld und seinen Gruß zu verdienen. Sie war so lieblich, daß sie nach ihrer schönen Gestalt dem Alleredelsten im Reiche als Kind wohl angestanden hätte. Die andern Hausgenossen waren solchen Sinnes, daß sie den Kranken wohl zuzeiten, wie es sich schickte, mieden; sie aber eilte in jeder Stunde zu ihm und wollte nirgend anderswohin; mit reiner Kindesgüte hatte sie ihm ihr Herz so ganz zugewendet, daß man das süße Mädchen allezeit zu seinen Füßen sitzend fand. Dagegen liebte auch er sie wiederum vor allen, und was ihr Freude machte, was Kindern bei ihren Spielen gefällt und ihr Herz so leicht gewinnt, das schenkte er ihr oft; bald einen kleinen Spiegel, bald ein Haarband, oder was sonst zu kaufen war. Durch solche Freundlichkeit machte er sie so zutraulich und heimlich, daß er sie seine Frau zu nennen pflegte.

So diente sie ihm drei Jahre, welche der arme Heinrich bei dem Meier zubrachte. Nun trug es sich zu, daß dieser mit seinem Weib und seiner



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Tochter, von der Arbeit ruhend, bei ihm saß und sie sein Leid beklagten. Denn es tat ihnen weh; auch mußten sie fürchten, daß sie sein Tod schwer treffen und ein neuer hartgesinnter Herr sie um ihr Glück bringen würde. So saßen sie in Sorgen beisammen, bis endlich der Meier anfing: "Lieber Herr, wenn es mit Euren Huldern sein kann, so fragte ich gerne: da zu Salerno so viele Meister in der Heilkunst sind, wie kommt es, daß keiner
so weise ist und für Eure Krankheit einen Rat findet? Herr, das wundert mich!" Da holte der arme Heinrich mit bitterlichem Schmerz einen Seufzer aus dem Herzensgrund und antwortete so traurig, daß das Seufzen ihm die Worte im Munde zerbrach: "Ich habe diese schimpfliche und verspottete Krankheit wohl verdient; du hast ja gesehen, daß mein Tor weltlicher Lust weit offenstand, und daß niemand von meinem Geschlecht so nach Wunsche lebte. Da achtete ich wenig darauf, daß Gott mir dieses Wunschleben nur nach seiner Gnade verliehen; ich dachte in meinein


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Sinne, wie alle Weltkinder, daß ich solche Ehre und Freude auch ohne Gott haben könnte. Über diesem Hochmut wurde der hohe Himmelspförtner zornig, er schloß mir die Pforten des leiblichen Heiles, und mein törichter Sinn hat es verwirkt, daß ich nun leider nimmermehr durch sie eingehe . Gott hat eine Krankheit auf mich gelegt, von der mich niemand befreien kann. Die Guten fliehen mich, die Bösen verschmähen mich; ja keiner ist so schlecht, der mir nicht seine Verachtung zeigt und die Augen von mir abwendet. Nun leuchtet deine Treue erst recht an mir, daß du mich Siechen bei dir duldest und nicht fliesst. Und dennoch, sowenig du mich scheuest — so wie die Sachen mit mir stehen, ertrügest du doch wohl leicht meinen Todt Nun sage, wessen Unwert, wessen Not war je größer in der Welt? Vorher war ich dein Herr, nun bin ich dein bedürftig, lieber Freund; und du, dein Weib und meine Frau hier, ihr drei verdient das ewige Leben, daß ihr mich Kranken also pfleget. — Was du mich aber gefragt hast, darauf will ich dir antworten: ich ging nach Salerno und konnte dort keinen Meister finden, der sich meiner Heilung unterwinden durfte oder wollte; denn ich sollte ein Mittel herbeischaffen, wie es niemand auf Erden mit irgend etwas gewinnen kann. Mir ward nichts andres gesagt; als daß ich eine mannbare Jungfrau haben müßte, die entschlossen wäre, für mich den Tod zu leiden. Würde ihr ins Herz geschnitten und ihr Herzblut gewonnen, das allein könnte mir helfen. Aber das ist ganz unmöglich, daß für mich jemand gerne den Tod leide; darum muß ich diese schwere Schande bis an mein Ende tragen das mir Gott bald gewähre!"

Was der arme Heinrich dem Vater sagte, das hörte die reine Jungfrau mit an; denn die Holdselige hatte ihres Herrn Füße in ihrem Schoße stehen. Sie achtete auf seine Worte und merkte sie wohl, und sie blieben in ihrem Herzen bis zur Nacht eingeschlossen. Als sie sich aber nach ihrer Gewohnheit zu Füßen ihres Vaters und ihrer Mutter niedergelegt hatte und beide eingeschlafen waren, da holte sie über das Unglück ihres Herrn manchen tiefen Seufzer, und ihre Betrübnis war so schmerzlich, daß der Negen ihrer Augen die Füße der Schlafenden begoß. Als diese die Tränen fühlten, erwachten sie und fragten, was ihr wäre und welch Unglück sie so heimlich beklagte. Sie wollte es aber lange nicht sagen, bis endlich ihr Vater durch sanfte und strenge Worte es dahin brachte, daß sie sprach: "Ihr möget immerhin auch mit mir klagen; denn was kann uns leider sein als das Unglück unsers Herrn, den wir verlieren sollen, und mit ihm Gut und Ehre! Nimmermehr bekommen wir einen



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so guten Herrn, der an uns tut wie dieser!" Sie antworteten: "Du sprichst wahr. Doch frommt uns leider unsere herbe Trauer und Klage nicht haarbreit. Liebes Kind, wende deine Gedanken davon ab; es tut uns gewiß so weh wie dir, aber leider steht es nicht in unserer Macht; ihm zu helfen. Gott hat es getan; wär ' es ein anderer, so müßten wir ihm fluchen." So geschweigten sie das Kind; aber sie schlief nicht und blieb traurig die ganze Nacht und den folgenden Tag; was man auch vorbrachte, es kam nicht aus ihrem Herzen. Als sie die andere Nacht wieder nach Gewohnheit schlafen gingen und sie selbst sich in ihre alte Bettstelle gelegt hatte, da beschloß sie festiglich bei sich, wenn sie den morgenden Tag erlebte, so wollte sie ihr Leben für ihren Herrn dahingeben. Von diesem Entschlusse ward sie froh und leichten Mutes; ihre einzige Sorge war, daß Herr Heinrich, wenn sie es ihm verkündigte, daran verzagen, und daß alle drei es ihr nicht zugeben möchten. Darüber wurde ihre Unruhe so groß, daß Vater und Mutter, wie in voriger Nacht; davon erwachten. Sie richteten sich auf und sprachen: "Was nimmt dir die Ruhe? Du bist recht albern, daß du mit solcher Klage die doch niemand enden kann, dir dein Herz schwer machst l Warum lässest du uns nicht schlafen?" So verwiesen sie ihr die unnütze Sorge und meinten, sie beschwichtigt zu haben, aber ihr Entschluß war ihnen noch nicht kund. Da antwortete sie: "Und doch hat mein Herr gesagt, daß er wohl erhalten werden könnte. Bei Gott! Wenn ihr mir es nicht wehret, so bin ich zu seiner Arznei gut; denn ich bin eine Jungfrau und fest entschlossen, ehe ich ihn verderben sehe, den Tod für ihn zu leiden."

Über diese Rede wurden Vater und Mutter sehr betrübt. Der Vater sprach: "Von solchen Dingen laß ab und verheiße unserem Herrn nicht mehr, als du vollbringen kannst; denn dies geht über deine Kräfte. Du bist ein Kind, du hast den Tod noch nicht gesehen; kommt es dann dazu, und du sollst sterben, so möchtest du gerne noch leben, und dann ist es zu spät; du hast noch nie in den finstern Abgrund geblickt. Darum schließe deinen Mund, oder es soll dir übel gehen!" So meinte er, sie mit Bitten und Drohungen zum Schweigen zu bringen, aber er vermochte es nicht. "Lieber Vater", sprach sie, "so dumm ich bin, so wohnt mir doch soviel Verstand bei, daß ich die Not des Todes aus der Sage kenne und weiß, daß es etwas Herbes ist. Aber wer sein Leben mit mühsamer Arbeit hochbringt, dem ist auch nicht allzuwohl; denn wenn er mit großer Not seinen Leib bis ins Alter fristet, so muß er doch den Tod leiden, und vielleicht ist alsdann seine Seele dahin, und es wäre ihm besser, er wäre;



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niemals zur Welt geboren. Mir aber ist's zuteil geworden, daß ich noch in jungen Jahren für das ewige Leben meinen Leib hingeben mag. Ihr sollt mir's nicht verleiden; ich tue uns allen damit wohl; denn solange unser Herr lebt, steht auch Eure Sache wohl. Darum wollen wir ihn mit so schöner Kunst erhalten, auf daß wir alle genesen. Gönnet mir's; denn es muß sein." Die Mutter, als sie ihres Kindes Ernst sah, sprach
weinend: "Gedenke, liebste Tochter, wie groß die Beschwerden sind, die ich deinetwillen erlitten, und laß mich bessern Lohn empfangen, als von dem ich dich sprechen höre. Du willst mir das Herz brechen! Und willst du denn auch bei Gott dein Heil verwirken? Denkst du nicht an sein Wort, daß man Vater und Mutter ehren soll, und daß er uns zum Lohn dort der Seele Wohlfahrt, und hier auf Erden ein langes Leben verheißen hat? Du sprichst, du wollest dein Leben für unser beider Wohl hingeben; nein, du willst uns das Leben verleiden: denn wenn wir, dein Vater und ich, gerne leben, so geschieht es für dich. Du solltest ein Stab unseres Alters


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sein und willst schuld werden, daß wir weinend über deinem Grabe stehen?" Die Jungfrau antwortete: "Ich glaube wohl, Mutter; daß du und der Vater mir mit Liebe zugetan sind wie Eltern ihrem Kinde, und finde es auch täglich. Von eurer Liebe habe ich Seele und einen schönen Leib, um den mich jedermann preiset. Wem sollte ich also nächst Gott mehr Gnade verdanken als euch zweien? Aber ebenweil ich Leib und Seele durch eure Liebe habe, so gönnet mir, daß ich beides vom Teufel erlöse und mich Gott ergebe. Ich fürchte, würde ich älter, daß die Süßigkeit der Welt mich unter ihre Füße brächte, wie sie so manchen zur Hölle hinabgezogen hat. Auch ist unsre Jugend und unser Leben nichts als Nebel und Staub; ein Tor, wer diesen Rauch gern in sich faßt! wer faules Stroh ist ein schimmernder Teppich gebreitet; wen sein Glanz verlockt, der hat beides hingegeben, Leib und Seele. Und bedenket noch weiter: stirbt mein Herr, so kommet ihr in große Arbeit und Not; lebt er aber in seiner Krankeit noch so lange fort, bis man mich einem reichen und ehrenwerten Mann gebe, so denkt ihr freilich, mir sei Heil widerfahren, und es ist geschehen, was ihr nur immer hoffen könnet. Aber ganz anders sagt es mir mein Herz: wird mir mein Mann lieb, das ist eine Not; denn ich habe meinen leidenden Herrn vor Augen; wird er mir verhaßt, so ist es gar der Tod. Setzet mich lieber in das volle Glück, das nimmer vergeht! Mein begehret ein Freier, dem ich mich wohl gönne. Ihm geht sein Pflug leicht und wohl, sein Haus ist aller Habe voll, da stirbt nicht Roß noch Rind, da quälen nicht weinende Kind, da ist nicht zu heiß nicht zu kalt, da wird niemand an Jahren alt, der Alte wird ein Junger, da ist kein Durst noch Hunger; da ist keiner Art Leid, da ist volle Freud ohn' Arbeit l — Ihr habt noch mehr Kinder, die laßt eure weltliche Freude sein und tröstet euch über meinen Tod t Auch sollst du nicht über meinem Grabe stehen, Mutter, denn wo mir der Tod gegeben wird, da läßt dich niemand zusehen. Zu Salerno geschieht's; da genesen wir alle, und ich noch viel mehr als ihr!"

Als die Eltern sahen, daß ihr Kind so fest zum Tode entschlossen war, so weise redete und menschlichen Rechtes Schranke zerbrach: da dachten sie, der heilige Geist müsse der Urquell ihrer Rede sein, und wagten nicht länger, sie von dem abzuwenden, was sie so fest ergriffen hatte, und wozu ihr der Entschluß von Gott gekommen war. Doch als sie dann wieder nur der Liebe zu ihrem Kinde gedachten, saßen sie beide still in ihrem Bett, frierend vor Jammer, und keines sprach ein Wort, und die Mutter hatte zuerst ihre Rede vor Leid abgebrochen. Am Ende dachte sie doch, es wäre



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das beste, sie gönnten ihr's, weil sie doch ihr Kind nie herrlicher verlören. Da sprachen sie zu ihr, es möge geschehen, was sie erbeten hätte.

Nun freute sich das reine Mägdlein, und kaum als der Tag angebrochen war, ging sie in das Schlafgemach ihres Herrn und rief ihn an: "Herr, schlafet Ihr?" — "Nein, liebe Frau, aber sage, warum bist du heute so früh auf?" —"Ach, Herr, dazu zwingt mich der Jammer über

Eure Krankheit t" Er antwortete: "Liebe Frau, damit zeigst du ein gutes Gemüt gegen mich. Gott vergelte dir's! Aber Rat für dieses Übel gibt es nicht!" — "Ei gewiß, lieber Herr, es wird dafür guter Rat. Ihr habt uns doch gesagt, wenn Ihr eine Jungfrau hättet, die gerne für Euch den Tod leide, so könntet Ihr wohl durch sie geheilt werden. Nun, weiß Gott, die will ich selber sein; denn Euer Leben ist besser und edler als das meine." Da dankte ihr der Herr für ihren guten Willen, und seine Augen füllten sich mit heimlichen Tränen. "Liebe Frau", sprach er, "Sterben ist nicht



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eine sanfte Not, wie du dir vielleicht gedacht. Ich bin überzeugt, daß du mir gerne hülfest. Ich erkenne deinen guten und reinen Willen; das genügt mir. Deine Treue wolle dir Gott vergelten; aber alle, die davon höreten, würden spotten, daß ich, nachdem meine Krankheit so weit gekommen und alle Mittel nichts halfen, noch zu einem neuen greife. Liebe Frau, du tust, wie Kinder tun, die ein Gelüste haben, und hernach reut sie es wieder. Bedenke doch, Vater und Mutter können dich nicht entbehren; auch ich kann nicht dessen Unglück verlangen, der mir allezeit Liebe erzeigt hat; was die beiden dir raten werden, liebe Frau, das tue!" So redete er zu der Guten, lächelte und versah sich dessen wenig, was hernach geschah. Denn Vater und Mutter sprachen: "Herr, Ihr habt uns geliebt und geehret, es wäre nicht recht von uns gehandelt, wenn wir es Euch nicht mit Gutem vergelten wollten. Unsere Tochter ist des Willens, den Tod für Euch zu leiden, und wir gönnen's ihr wohl. Heute ist der dritte Tag, daß sie uns um Gewährung ihrer Bitte anlag, und nun hat sie es von uns erhalten. Gott lasse Euch genesen; denn wir wollen sie für Euch hingeben."

Als dem armen Heinrich auf diese Weise die Jungfrau für seine Krankheit den Tod anbot und er ihren Ernst sah, da erhub sich großes Leid unter den vieren. Vater und Mutter konnten nicht anders, sie mußten um ihr Kind bitterlich weinen. Aber auch den Kranken ergriff ein Schmerz, daß er zu weinen anhub, und nicht wußte, was besser wäre: getan oder gelassen. Vor Furcht weinte auch das Mägdlein; denn es meinte, er verzage an ihrem Entschlusse. Zuletzt bedachte sich der arme Heinrich, dankte allen für ihre Treue und willigte ein. Da wurde das Mägdlein fröhlichen Mutes, und nun bereitete sie sich aufs beste zur Fahrt nach Salerno. Was sie nur bedurfte, das ward ihr gegeben: schöne Pferde und reiche Kleidung, wie sie vorher nie getragen, von Hermelin, Samt und dem köstlichsten Zobel. Wer könnte das Herzeleid ihrer Eltern beschreibens Gewiß wäre das Scheiden jämmerlich gewesen, als sie ihr liebes Kind so schön und frisch in den Tod fortschickten und nimmermehr sehen sollten, wenn nicht Gottes Güte ihre Not gesänftigt hätte, desselben Gottes, von dem auch dem jungen Mägdlein der Mut erwuchs, daß es den Tod willig hinnahm. Aus Liebe war ihr Leid gekommen, darum litten sie keine Not um ihres Kindes Dahinscheiden.

So fuhr denn die Jungfrau mit ihrem Herrn fröhlich und zufrieden nach Salerno. Was konnte sie nun noch betrüben, als daß der Weg so weit war und sie nicht eher ihn erlöste? Sobald sie dort angelangt waren,



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ging Herr Heinrich zu seinem Meister und sagte ihm: "Hier bringe ich eine Jungfrau, wie du sie verlangt hast! Mit diesen Worten zeigte er sie ihm. Dem Meister deuchte das unglaublich und er sprach: "Kind, hast du solchen Entschluß selbst gefaßt, oder haben Bitten und Drohungen deines Herrn bewirkt, daß du so sprichst?" —"Nein", antwortete sie, "dieser Entschluß ist aus meinem eigenen Herzen gekommen." Darüber verwunderte sich der Arzt, führte sie beiseite und beschwor sie, ihm zu sagen, ob etwa ihr Herr solche Worte von ihr mit Drohen erzwungen habe. "Kind", sprach er, "dir ist not, daß du dich besser berätst; ich will dir recht sagen, wie es ist: wenn du den Tod nicht ganz freiwillig leidest, und was du tust, nicht gerne tust, so ist dein junges Leben dahin und hilft uns nicht so viel als ein Brosamen. Auch will ich dir sagen, wie dir geschehen wird; ich entkleide dich, daß du dich vor mir schämen mußt, binde dir Hände und Füße, und dann — bedenke den großen Schmerz, ich schneide dir gerade nach dem Herzen und breche es noch lebend heraus. Mägdlein, nun sage mir, wie steht dir dein Muts Es geschah nie einem Kinde so weh, wie dir geschehen wird; nur daß ich es tun und ansehen soll, macht mir schon große Angst. Und bedenke weiter, gereuet es dich eines Haares breit, so habe ich meine Mühe, und du hast dein Leben verloren." So beschwor er sie noch einmal. Sie aber fühlte sich zu standhaft, als daß sie abgelassen hätte. Daher sprach sie mit Lachen: "Gott lohne Euch, lieber Herr, daß Ihr mir so die Wahrheit herausgesagt habt; ja, wahrhaftig, ich fange an, ein wenig zu verzagen, und es ist in mir ein Zweifel aufgekommen, den ich Euch vorlegen will: ich fürchte nämlich, daß unser Vorhaben durch Eure Zaghaftigkeit unterwegs bleibt; Eure Rede geziemte einem Weibe, Ihr seid eines Hasen Geselle; Eure Angst ist etwas zu groß, und Ihr stellet Euch schlecht an zu Eurer gewaltigen Meisterschaft! Ich bin ein Weib und habe doch die Kraft. Getrauet Ihr; mich zu schneiden: ich getraue mir wohl zu leiden! Die Angst und Not, von der Ihr mir da vorgesprochen habt, die habe ich schon vorher auch ohne Euch gewußt. Gewiß, ich wäre nicht hieher gekommen, wenn nicht mein Entschluß so fest und sicher gewesen wäre, daß ich wußte, ich würde nimmermehr schwanken. Mir ist die schwache, bleiche Farbe verschwunden und so fester Mut gekommen, daß ich so ängstlich dastehe, als sollte ich zum Tanze gehen! Es ist Zeit, laßt Eure Meisterschaft sehen, was zaudert Ihr länger? Versucht's und fürchtet Euch nicht, meinem Herrn seine Gesundheit wiederzugeben, mir aber das ewige Leben."

Als der Meister sie so gar unwandelbar fand, brachte er sie zu dem



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Siechen zurück und sprach zu ihm: "Uns irrt kein Zweifel mehr, ob Eure Jungfrau vollkommen tüchtig sei. Wohlan, freut Euch, ich mache Euch bald gesund!" Hierauf führte er das Mägdlein in eine verborgene Kammer und schloß den armen Heinrich zur Türe hinaus, damit er ihr Ende nicht mitansehen sollte. In dieser Kammer, die mit mancherlei Arzneien verstellt war, hieß er das Mägdlein die Kleider ablegen. Das tat sie gern und willig, ja, sie riß sie mit Hast in der Naht entzwei, bis sie gewandlos dastand; aber sie schämte sich dessen nicht. Als sie der alte Meister ansah, dachte er, daß in der ganzen Welt keine schönere Kreatur gefunden werden könnte, und es erbarmte ihn so sehr, daß ihm das Herz fast verzagte . Es stand da ein hoher Tisch, auf den hieß er sie steigen und sich niederlegen, und band sie fest. Dann nahm er ein Messer in die Hand, das für solche Dinge bereitlag und lang und breit war, das versuchte er, aber es schnitt nicht so gut, als ihm lieb gewesen wäre. Und da sie nun doch einmal nicht leben sollte, so erbarmte ihn ihre Not, und er wollte ihr den Tod sanft antun. Daher faßte er einen guten Wetzstein, der dabei lag, und fing an, das Messer langsam auf und ab zu streichen, zu schärfen und zu wetzen. Das hörte draußen der, für den sie sterben sollte, der arme Heinrich, und es jammerte ihn unsäglich, daß er sie nimmermehr lebendig mit den Augen erblicken sollte. Da suchte er, ob er nicht eine Öffnung in der Wand fände, und sah durch einen Ritz, wie sie gebunden dalag und ihre Gestalt so gar schön und lieblich war. Er schaute sie an und wieder sich: da wandte sich sein Sinn; ihm deuchte nicht mehr gut, was er gedacht hatte, und der alte, finstere Entschluß machte milder Güte Platz. "Du Tor", sprach er zu sich selber, "begehrst du zu leben ohne das Wohlgefallen dessen, gegen den niemand etwas vermag? Fürwahr, du weißt nicht, was du tust, wenn du dieses schmähliche Leben, das Gott über dich hat kommen lassen, nicht willig und demütig erträgst. Und weißt du denn, ob dich dieses Kindes Tod sicher heilte Was dir Gott beschieden hat, das laß dir widerfahren! Nein, ich will dieses Kindes Tod nicht sehen!"

Da hielt er nicht länger zurück, klopfte an die Wand und rief: "Laß mich hinein! ' Der Meister antwortete: "Ich habe jetzt nicht Zeit, Euch einzulassen!" —"Nein, Meister; redet mit mir!" —"Herr, jetzt kann ich nicht, wartet, bis ich fertig bin!"—"Nein, Meister; redet zuvor mit mir!" — "So sagt mir's durch die Türe!" — "Es läßt sich so nicht sagen!" — Da ließ ihn der Meister ein, und Heinrich ging zu dem Mägdlein, wo es gebunden lag, und sprach: "Dies Kind ist so wonniglich, daß ich wahrhaftig seinen Tod nicht zu sehen vermag. Es geschehe Gottes Wille an



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mir! Wir wollen sie wieder aufstehen lassen. Wie ich mit Euch gedingt habe, Silber und Gold gebe ich Euch; aber die Jungfrau sollt Ihr leben lassen!" Da das Mägdlein nun erst recht sah, daß es nicht sterben und ihren Herrn erlösen sollte, da ward ihr das Herz schwer; sie brach Zucht und Sitte, raufte zornig ihre Haare und gebärdete sich zum Erbarmen.
Bitterlich weinte sie und rief: "Wehe mir Armen, wehe! Wie soll es mir nun ergehen? Soll ich die reiche Himmels, die mir um diese kurze Not geschenkt worden wäre, verlieren? Jetzt bin ich erst tot! Nun entbehrt mein Herr und entbehre ich die Ehre, die uns zugedacht war!" Umsonst bat sie um den Tod, der sie glücklich machen sollte. Dann wandte sie sich zu dem armen Heinrich, hub an, ihn zu schelten, und sprach: "Ich muß


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leiden für meines Herrn Zaghaftigkeit; ich sehe wohl, die Menschen haben mich getäuscht; ich hörte sie allezeit sagen, Ihr wäret bieder und hättet festen Mannesmut l Gott helfe mir, sie haben gelogen, die Welt war mit Euch hintergangen; denn Ihr waret und seid der feigste Mann! Ihr getrauet Euch nicht einmal geschehen zu lassen, was ich doch mir zu leiden getraue! Warum erschraket Ihr denn, als ich gebunden ward? Es stand ja eine dicke Wand zwischen uns beiden! Ich versichere Euch, es soll Euch niemand etwas zuleide tun! Was geschehen soll, ist für Euch nur nützlich und gesund!" So bat und schalt sie ihn, aber umsonst. Sie mußte ihr Leben behalten. Der arme Heinrich nahm Vorwurf und Spott tugendlich hin, wie einem frommen Ritter geziemte. Als er die unglückliche Jungfrau wieder angekleidet und den Arzt bezahlt hatte, wie ausgemacht war, fuhr er zurück in die Heimat, obgleich er wußte, daß er dort in aller Mund nur Hohn und Schmähung finden würde. Aber alles dieses stellte er Gott anheim.

Das gute Mägdlein aber hatte sich so verweint und verklagt, daß sie dem Tode nahe war. Da erkannte ihre Not der, der die Nieren prüft, vor dem kein Herzenstor verschlossen ist. Er hatte beide nach seiner Liebe und Macht recht aus dem Grunde versuchen wollen, wie er es bei reichen Hiob getan: Da zeigte der Herr, wie lieb ihm Treue und Erbarmung ist; er schied beide von ihrem Elend und machte ihn zur Stunde rein und gesund. So schnell besserte es sich mit dem guten Heinrich, daß er noch unterwegs wieder frisch und schön wurde, ja, er genas durch Gottes Pflege so, daß er tung ward wie vor zwanzig Jahren. Dieses Heil, das ihm widerfahren war; ließ er allen ansagen, von denen er wußte, daß sie Liebe und Güte gegen ihn im Herzen trugen. Da mußten alle billig froh sein über die Gnade, die Gott an ihm erzeigt hatte. Als nun seine besten Freunde von seiner Ankunft hörten, ritten und gingen sie ihm drei Tagreisen entgegen, ihn wohl zu empfangen. Sie wollten keiner Sage, nur ihren eigenen Augen glauben, bis sie selbst die Wunder Gottes an seinem Leibe gesehen hätten. Der Meier und sein Weib blieben auch nicht still zu Hause sitzen. Die Freude, die sie empfanden, ist unbeschreiblich; ihre Herzen waren so bewegt, daß den lachenden Mund der Augen Regen begoß; ihr Gruß war seltsam gemischt, ihr Mund wollte nicht mehr los werden vom Mund ihrer Tochter. Auch wer die Schwaben je in ihrem Lande sah, der muß sagen, daß von ihnen nie größere Liebe erzeigt wurde, als da sie Herrn Heinrich bei seiner Heimfahrt empfingen. Dieser ward reicher, als er vorher war, an Gut und Ehren. Nun aber wendete er sich .



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stets an Gott und hielt seine Gebote strenger als zuvor und deswegen war seine Ehre unvergänglich. Dem Meier und seinem Weib, denen er so großen Dank schuldig war, gab er das Neubruchland, wo er krank gelegen hatte, zum Eigentum. Seiner lieben Frau aber, des Mägdleins, pflegte er mit sanftem Lieben in allen Dingen, als wäre sie seine angetraute Frau.

Als nun seine Freunde in ihn drangen, sich zu verehelichen, da sprach er: "Ich bin entschlossen und will nach meinen Verwandten senden, damit

ich ihrem Rate folge." Als dies geschehen und alle beisammen waren, Männer und Frauen, so sagten alle aus einem Munde, es wäre recht und Zeit, daß er sich vermähle. Nun aber erhob sich ein großer Streit im Rate seiner Verwandten, wen er sich wählen sollte: der eine riet hin, der andere her; wie Leute pflegen, wenn sie Rat geben sollen. Als sie sich nun nicht vereinigen konnten, sprach der arme Heinrich: "Ihr Herren und Frauen, es ist euch allen wohl bekannt, daß ich vor kurzer Zeit in schmählicher Krankheit lag und allen Menschen widerwärtig war; jetzt scheut mich niemand mehr, und durch Gottes Gnade habe ich wieder einen gesunden Leib. Jetzt ratet mir alle, wie soll ich es dem vergelten, durch den



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ich wieder gesund worden bin?" Sie antworteten: "Fasset den Entschluß, daß Euer Leib und Gut ihm untertänig seil" —

Das Mägdlein, seine liebe Frau, stand neben ihm, als sie dieses sagten. Da sah er sie liebreich an, umfing sie und sprach: "Ihr Herrn und Frauen, ich sage euch allen, daß ich durch diese gute Jungfrau, die ihr hier bei mir stehen seht, mich meiner Gesundheit wieder erfreue. Nun ist sie ledig und frei, wie ich es bin, und mein Herz rät mir, daß ich sie zum Weibe nehme. Wenn dies Gott und euch gefällt, so soll es geschehen. Ist es aber nicht möglich, so will ich unverehelicht sterben; denn Ehre und Leben habe ich von ihr allein! Bei Gottes Hulden aber will euch insgesamt bitten, daß es euch wohl gefalle!" Da antworteten alle, die zugegen waren: "Ja, so ist es ziemlich und recht!" Und da auch geistliche Herren darunter waren, so stand es nicht weiter an, daß sie zusammen getraut wurden.

Nach süßem, langem Leben kamen sie zusammen ins ewige Reich der Liebe.



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Hirlanda

Mit Bildern von Emil Sachse



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I.

Daß die unschuld, solange die Welt gestanden hat und stehen wird, mit Gottes Zulassung von der Bosheit gedrückt, aber auch, wenn die Prüfungszeit vorüber ist, mit größerer Ehre aus dem Abgrunde des Elends emporgehoben werde, das haben in alter und neuer Zeit viele Beispiele gelehrt. Auch aus der Geschichte, die hier erzählt werden soll, leuchtet diese Wahrheit hervor. Vor vielhundert Jahren lebte in England ein Herzog , namens Artus, der, als er ins Mannesalter getreten war, sich mit einer Herzogin von Bretagne vermählte , einer Landschaft, die, obwohl in Frankreich gelegen, doch damals der Krone England als Lehen angehörte. Dieser Herzog verbrachte mit seiner jungen Gemahlin Hirlanda in dem Erblande derselben die ersten fünf Monate seiner Ehe in großer Liebe und Einigkeit. Da wurde er genötigt, von ihr zu scheiden, um in den Diensten seines Königes einen Ritterzug in das Feld zu wagen. Wie bitter diese unverhoffte Trennung den jungen Eheleuten vorkommen mußte, mögen diejenigen erwägen, die durch zarter Liebe



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Bande stark und innig verknüpft sind. Zwar tröstete der Herzog seine geliebte Gemahlin beim Abschied aufs herzlichste, aber je freundlicher sich ihr Eheherr gegen sie erzeigte, desto schmerzlicher erschien ihr selbst diese unzeitige Scheidung. Nach dem traurigen Abschied war der Herzog immer in schweren Gedanken, und es ahnete ihm, als wenn seiner Gemahlin ein großes Unglück bevorstünde. Diese Furcht wurde noch gewaltig durch einen Traum vermehrt, der ihn bald darauf im Schlaf heimsuchte, und den er einem vertrauten Diener mit großer Bekümmernis erzählte:

"Ich war kaum eingeschlummert", sagte er, "da kam mir vor, als sähe ich meine geliebte Hirlanda ohnmächtig im Bette liegen, und auf ihrem Leibe saß ein grausamer Geier, der ihr das innerste Eingeweide mit Gewalt herauszerrte. Ich sah mich schmerzlich um, ob dem halbtoten Weibe nicht irgend jemand zu Hilfe käme; bald aber wurde ich gewahr, daß noch zwei andere Raubvögel herzuflogen und mit ihren spitzigen Schnäbeln ihr das Herz aus dem Leibe reißen wollten. Dieser Traum verstört mich so, daß ich mir nicht anders denken kann, als es schwebe meine geliebte Gemahlin in irgendeinem Unglück oder sei, was Gott verhüten wolle, gar schon gestorben."

Der Herzog hatte keine Ruhe, bis er einen Diener nach Hause abgeschickt und durch diesen über das Wohlbefinden seiner Frau günstige Nachrichten eingezogen hatte. Während nun der Herzog zu Felde lag, ereignete es sich, daß Richard, der König in England, von einer abscheulichen Krankheit heimgesucht wurde, die zu einem häßlichen Aussatz ward, und von der kein Arzt im ganzen Königreich ihn heilen konnte. Endlich ließ der elende König einen Juden rufen, dessen Kunst und Name im ganzen Lande sehr berühmt war. Diesem entdeckte er sein Anliegen und bat ihn freundlich, allen seinen Fleiß anzuwenden, daß er von der entsetzlichen Plaze befreit würde. Der Jude tat dem Könige zuliebe sein Bestes; dennoch wurde die Krankheit je länger, je ärger. Am Ende kam der Hebräer auf einen gräßlichen Gedanken, den der Satan selbst nicht teuflischer hätte ausdenken können. "Jetzt weiß ich ein kräftiges Mittel", sprach er zu dem Könige, "wenn anders Eure Majestät Herz genug haben, es zu gebrauchen." Der König, der in seinem verzweifelten Zustand sich nicht gescheut hätte, Gift zu schlucken, erwiderte dem Juden: "Du weißest, Hebräer , daß ich dir bisher in allem gefolgt habe; zweifle nicht, daß, falls du einen guten Vorschlag hast, ich mich auch in diesen willig fügen werde." Da sprach der Schalksknecht: "Allergnädigster Königl Wisset, daß Ihr wieder zu Eurer völligen Gesundheit gelangen würdet, sobald ,



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Ihr Euch entschließen könntet; in dem Blute eines jungen Kindes zu baden . Ich beteure Euch, daß nichts in der Welt so kräftig gegen die Fäulnis ist; die sich an Eurem Leibe angesetzt hat, als das frische Blut eines neugebornen Kindes. Nur muß man diesem äußerlichen Mittel mit einer Zugabe nachhelfen, die auch die innerliche Wurzel der Krankheit heilt. Es muß nämlich das Herz des Kindes dazukommen, welches Eure Majestät ganz warm und roh, wie es aus dem Leibe genommen wird, essen und ganz aufzehren soll."

Über diesem Vorschlag kam den König ein Grausen an, aber aus Liebe zur Gesundheit und Hoffnung eines längeren Lebens entschloß er sich endlich , das unnatürliche Mittel zu gebrauchen. Und um sich sein Gewissen freizumachen, schloß er in seinem Sinne also: "Es muß dem gemeinen Wesen mehr an der Wohlfahrt eines Königes liegen als an dem Leben eines kleinen Kindes in seinem Reiche. Darum tue ich nicht unrecht; wenn ich in meiner großen Not zu dem verzweifelten Mittel greife, vor dem mir selber graut."

Wie der Jude merkte, daß der König bereit sei, in allem zu folgen, so sprach er weiter: "Mein König muß auch wissen, daß das Kind von hohem, ja fürstlichem Geblüte sein muß, dazu darf es auch noch nicht getauft sein." Der König entsetzte sich abermals, wenn er bedachte, daß um seinetwillen ein unschuldiges Kind an Leib und Seele verderbt werden sollte; doch nachdem er sich eine Weile besonnen hatte, sprach er die Worte: "Not bricht Eisen; warum sollte sie nicht auch rechtfertigen können, was nicht ziemlich ist!"

Kaum war der Schluß des Königes gefaßt, so entzündete der böse Geist in dem Fürsten Gerhard, dem leiblichen Bruder des Herzogs Artus, Mißgunst, Neid und Haß, auch Begierde, seines Bruders Güter einst ungeteilt zu besitzen, so daß der Vorsatz in ihm reifte, an dem glücklichen Paare zum Verräter zu werden. Sobald er nämlich von dem schelmischen Vorschlage des Juden Nachricht erhielt, verfügte er sich ingeheim zu dem Könige und erklärte: weil es schwer wäre, ein fürstliches Kind zu finden, das ohne Geräusch und Widerstreben der Eltern hinweggenommen werden könnte, so sei er bereit, falls der König ihm die Sache anheimstellen wollte, allen Fleiß anzuwenden, ihm das Kind seines Bruders, das die Herzogin unter dem Herzen trage, ohne alles Aufsehen in die Hände zu spielen." Über dieses Anerbieten war der König hocherfreut und gelobte dem Fürsten eine königliche Vergeltung, wenn er sein Versprechen ins Werk setzen könnte.



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Gottes Langmut läßt den Gottlosen zuweilen eine Zeitlang den Zügel ihrer Bosheit schießen und die Prüfung der Unschuldigen auf Erden walten. Aufgemuntert durch das Versprechen des Königs, beurlaubte sich der Fürst Gerhard ohne Säumen vom englischen Hofe und fuhr über Meer nach der Bretagne, wo die Herzogin während der Abwesenheit ihres Gemahls Hof hielt und ihrer Niederkunft harrte. Hirlanda wurde durch die Ankunft ihres fürstlichen Schwagers aufrichtig erfreut und erzeigte ihm alle Liebe und Freundlichkeit. Äußerlich stellte sich auch der Fürst an, als wenn er ihr bester Freund wäre; aber im Herzen suchte er nach allen Mitteln und Wegen, sein böses Vorhaben auszuführen. Inmittelst kam die Zeit der Geburt heran, und man machte alle Anstalten, das erstgeborne Herzogskind würdig zu empfangen. Der schlimme Gerhard aber suchte die Hebamme und die Säugamme auf seine Seite zu bringen und teils mit schmeichlerischen Worten, teils mit reichen Geschenken zu bestechen. Damit aber niemand Argwohn schöpfen möchte, so bat er sie öffentlich ohne Aufhören, der Herzogin in ihrem Wochenbette doch ja getreulich beizustehen und allen Fleiß anzuwenden, daß die Gefahr glücklich vorüberginge. Nachdem er diese beiden ganz gewonnen und auch die vornehmsten Frauen der Herzogin durch die kühnsten Versprechungen auf seine Seite gebracht hatte, verlangte er nichts anderes von ihnen, als daß sie zur Zeit der Geburt aussprengen sollten, das Kind der Herzogin sei während der Geburtswehen gestorben. Die Amme sollte sich dann mit dem Kind an denjenigen Ort begeben, wo er es zu erziehen gesonnen wäre, und dies um ganz besonders wichtiger Ursachen willen, die ihn nötigten, das Kind der Mutter zu entwenden

Die Stunde der Niederkunft war da; die Kindesnöten dauerten einen ganzen Tag und einen guten Teil der folgenden Nacht und waren so hart, daß man sehr fürchtete, die Mutter würde mit dem Kinde zugrunde gehen. Endlich wurde das Kind geboren, die Herzogin aber von solchen Schmerzen befallen, daß sie eine gute Weile ohnmächtig dalag. Die boshaften Weiber, die der meineidige Gerhard bestochen hatte, bekamen also Zeit genug, mit dem Kind aus dem Schlosse zu fliehen und der See zuzueilen. Dort wartete ihrer ein segelfertiges Rennschiff. Kaum aber waren sie mit gutem Geleite eingeschifft, als eine Menge bewaffneter Knechte daherkam, die von dem Fürsten Gerhard bestellt waren und den neugebornen Prinzen nach England hinübertragen und, wie sie vorgaben, vor den Seeräubern beschützen sollten.

Während nun diese glücklich davonsegelten, erschien der Engel des Herrn



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einem frommen Abte des Klosters Sankt Malo, mit Namen Bertrand, und brachte ihm den Befehl Gottes, alsbald einige Mannschaft zusammenzubringen und nach dem Hafen Aleth zu schicken; dort sollten sie am Ufer einige Flüchtlinge anhalten, die ein fürstliches Kind, das noch nicht getauft sei, bei sich hätten. Dieses Kind sollte er taufen und erziehen lassen , die Säugamme aber so lange im Gefängnisse halten, bis Gott ihm neue Befehle zusenden würde.

Der Abt beeilte sich, dem Befehle Gottes zu gehorchen; er schickte Mannschaft nach dem Hafen, welche die Flüchtlinge bei ihrer Landung überraschte und die Kriegsknechte teils niedermachte, teils in der See ertränkte. Die Amme mit dem Kinde allein ward in Gewahrsam genommen und vor den Abt geführt. Auf seine Fragen gab sie lügenhafterweise vor, als sie am Ufer des Meeres sich mit dem Kinde ergangen, sei ein Trupp Seeräuber dahergekommen, habe das Kind seinen Eltern entwendet, sie selbst mit sich geschleppt und ihr das Kleine zu erziehen gegeben. Das Söhnchen übrigens sei gemeiner Eltern Kind. Der Abt strafte mit ernsten Worten



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die Falschheit des lügnerischen Weibes und bewies ihr aus der kostbaren Seide, in welche das Kind eingewickelt war, daß es nicht nur kein gemeines Kind sein könne, sondern daß es Fürsten zu Eltern haben müsse. Hierauf warf er die boshafte Amme ins Gefängnis, ließ das Kind taufen und gab ihm seinen eigenen Namen Bertrand. Er selbst und seine Schwester buben das Kind aus der Taufe, und die letztere, der vor wenigen Tagen ihr Töchterlein von der Brust weg gestorben war, nährte das Findelkind mit ihrer eigenen Milch.

***
Nachdem der junge Bertrand durch Gottes wunderbare Schickung dem Messer des Schlachters entzogen und in Sicherheit gebracht ist, wenden wir uns wieder zu der betrogenen Wöchnerin, der armen Herzogin Hirlanda. Sobald diese nach der Geburt von ihrer schweren Ohnmacht wieder zu sich gekommen war, fragte sie zuerst nach ihrem lieben Kinde und begehrte , zu sehen, was sie geboren hätte. Sogleich sagte eine der bestochenen Frauen seufzend zu ihr: "Ach, durchlauchtigste Frau, wollet doch nicht begehren, Eure Leibesfrucht mit Augen zu sehen; denn sie ist so gestaltet , daß sie Euch mehr Schrecken als Trost verursachen würde." Hierüber wurde die kranke Mutter sehr bestürzt, doch siegte in ihr die Begierde; ihr Kind zu sehen. "Es liegt nichts daran", sagte sie, "wie es gestaltet sei; ich will, daß man mir das Kind zeige!" Da sprach die Lügnerin weiter: "Lasset doch Euren verderblichen Vorwitz fahren, gnädige Herzogin; denn Ihr habt gar kein natürliches Kind geboren, es hatte keinen wohlformierten Leib, sondern war nur ein Klumpen Fleisch, und kaum hatte es einige Zeichen des Lebens gegeben, so ist es alsbald gestorben." Die Herzogin ließ sich noch nicht beruhigen; sie sprach unter bitteren Zähren: "So sage nur, liebe Tochter, ob doch das arme Kind getauft worden ist, und wohin man seinen Leichnam gebracht hat." Das böse Weib antwortete: "Wie sollte man eine Frucht taufen dürfen, die keine menschliche Gestalt an sich hat? Man hat es ohne Taufe unter die Erde gescharrt!"

Diese Worte durchstachen das Herz der betrübten Hirlanda, und man glaubte, sie würde sich vertrauern und bei lebendigem Leibe dahinsterben. Sie klagte Gott ihren Jammer so schmerzlich und beweinte ihr Kind so kläglich, daß selbst die feindlichen Herzen der Weiber zum Mitleiden bewegt und zur Vergießung von Tränen getrieben wurden. Aber ihr großes Herzeleid wurde von Tag zu Tag vermehrt durch ihren falschen Schwager. Dieser gottvergessene Mensch redete die bedrängte Frau mit vielen Schmähworten an, nannte sie eine Mörderin ihres Kindes und behauptete,



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die Mißgeburt müsse eine Frucht des Ehebruchs öder noch größerer Greuel sein. So mußte sich die bedrängte Fürstin in ihrem eigenen Palaste, während sie ohnedem in der tiefsten Betrübnis war, ihr unschuldiges Herz von einem Bösewicht zerfleischen lassen, der auf nichts anderes dachte, als wie er sie unter die Erde bringen könnte.

Unter den Frauenzimmern der Herzogin befand sich ein Edelfräulein, auf welches sie immer ein besonderes Vertrauen gesetzt hatte; aber ebendie war es, welche zu ihrem Unglück am meisten helfen sollte. Denn auch diese hatte der trügerische Gerhard mit Geld bestochen und durch schmeichelnde Liebkosungen auf seine Seite gebracht. Auf seine Anstiftung ängstete sie ihre gnädige Frau unaufhörlich, hinterbrachte ihr, wie schlimm ihre Sache stehe, und wie sie in gewisser Lebensgefahr schwebe. So ging sie einsmals zu ihr und sprach mit erheuchelter großer Betrübnis: "Ach, Herrin, wie wird es Euch ergehen! Was hat der Himmel in seinem Zorne mit Euch vor! Wie wollet Ihr der großen Gefahr, in der Ihr schwebet, entfliehend" Die Fürstin wurde bei diesen Worten so niedergeschlagen, daß sie nicht wußte, was sie sagen sollte. Doch trieb sie die große Angst zu fragen, was diese Worte bedeuten sollten. Das lose Fräulein holte einen tiefen Seufzer und sprach: "Unglückseligste Frau, laßt Euch anvertrauen, was ich mit List aus dem Fürsten, Eurem falschen Schwager, herausgelockt habe. Wisset, daß dieser Euch fälschlich angeklagt hat, Euer Kind sei die Frucht eines unaussprechlichen Greuels. Und deswegen hat er den bestimmten Befehl von dem Herzog erhalten, Euch heimlich hinrichten zu lassen, bevor er selbst wieder zurückkäme." Auf diese Rede kam die Herzogin eine tödliche Angst an, und sie ward von ihren Sinnen verlassen. Als sie wieder zu sich selbst gekommen war, sprach sie schluchzend und wehklagend zu dem Fräulein: "Mein liebes Kind, Ihr wisset, wie ich Euch immer vertraut habe; darum ratet mir auch in dieser fürchterlichen Not; wo ich mir selbst vor Schrecken nicht zu raten weiß." — "Liebe Frau", antwortete die Falsche, "ich weiß Euch keinen bessern Rat, als daß Ihr Euch heimlich auf die Flucht begebet; denn seid gewiß, wenn Ihr dieses nicht tut, so müßt Ihr schon in der folgenden Nacht sterben."

Die Herzogin fand keinen besseren Rat, nahm von Kostbarkeiten zu sich, was sie konnte, und verließ mit anbrechender Nacht heimlich das Schloß. Die erste Nacht blieb sie unter großer Angst in einem dunkeln Walde liegen; vor Tag stand sie wieder auf und floh so weiter Tage und Nächte durch lauter Heiden und unbewohnte Gegenden. Endlich nach langem Umherirren kam sie auf einen Edelsitz, der ihr gänzlich unbekannt war.



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Hier hoffte sie sicher zu sein und trug den Bewohnern als eine arme Magd ihre Dienste an; sie wurde aber zu nichts anderem angenommen, als den Tag über das Vieh zu hüten und des Abends den Viehmägden zu helfen. Diesen verächtlichen Dienst nahm sie demütig an und war in dem
selben getrosteren Mutes als in ihren früheren fürstlichen Ehren. Nur wenn sie manchmal des Tages ganz einsam im offenen Walde war, weinte sie über ihr unaussprechliches Unglück mit so viel heißen Zähren, daß ihre Kleider ganz naß wurden. Dennoch sagte sie dem gnädigen Gott herzlichen Dank, daß er sie der schnöden Welt so wunderbar entrückt und sie in diesen niedrigen Stand versetzt habe, in welchem sie ihm wohlgefälliger dienen und für ihr Seelenheil besser besorgt sein könne. Vielmals kniete sie unter den grünen Bäumen, erhob Herz und Augen gen Himmel und betete mit tiefer Inbrunst. So führte sie mitten im Elend ein frommes und gottseliges Leben und nahm an allen Tugenden zu, andern, wenn sie es hätten anblicken können, zu einem erwecklichen Muster.


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Sobald Hirlanda das Schloß verlassen hatte, sprang dem falschen Gerhard das Herz vor Freuden auf. Ihre unbesonnene Flucht schien ihm eine kräftige Anklage wider ihre Unschuld an die Hand zu geben. Es war ihm tausendmal lieber, daß die Fürstin noch am Leben war, als wenn sie gestorben wäre: so durfte ja sein Bruder nicht mehr heiraten, und er hoffte, unfehlbar das Herzogtum zu erben. Damit jedoch sein Bruder keinen Argwohn gegen ihn schöpfen möchte, als hätte er dessen Gemahlin durch böse Ränke vertrieben, so stellte sich der arglistige Fuchs, als wäre er über die Flucht seiner Schwägerin trostlos und klagte vor allen Hofbedienten schmerzlich über ihre Entfernung; auch ließ er im ganzen Schlosse fleißig suchen und fragen, ob sie nicht irgendwo erforscht werden möchte, und schickte zu Roß und zu Fuß Leute aus, wenn sie einer treffen könnte, unter Versprechung großer Belohnungen. Diese Boten kamen begreiflich alle unverrichteter Dinge wieder zurück, und jetzt befahl er dem obersten Hofmeister das ganze Hauswesen und verfügte sich persönlich ins Feldlager des Königs zu seinem Bruder, um mündlichen Bericht über den ganzen Verlauf der Sache abzustatten.

Als er nun nach langer Reise bei dem Herzog angekommen war, stellte er sich so traurig, als könnte er alle Tage seines Lebens nicht mehr fröhlich werden. Sein Bruder erschrak über diese verstellte Traurigkeit sehr und fragte ihn eifrig darüber aus, was doch dieselbe zu bedeuten hätte. Hierauf sprach der Schalk: "Herzliebster Bruder, ich bringe dir eine so schlechte Zeitung, daß ich sie dir lieber verschweigen als mitteilen möchte!" In vollem Schrecken fragte der Herzog: "Ist doch nicht meine Hirlanda gestorbene" — "Wollte Gott, sie wäre gestorben", erwiderte Gerhard mit gesenktem Haupte, "dann wäre das Leid noch zu verschmerzen. Nun aber sollst du wissen, daß sie in ihrem letzten Wochenbette eine solche Mißgeburt geboren hat, daß ihre Weiber sie auf der Stelle begraben mußten und einhellig sagten, eine solche Frucht könne von keinem Menschen herrühren. Als die Sünderin merkte, daß der Greuel an den Tag kommen würde, hat sie bei Nacht ihr Heil in der Flucht gesucht; und wiewohl ich zu Roß und zu Fuß Leute nach ihr ausgesandt, habe ich doch keine Spur von ihr entdecken können."

Wer wollte beschreiben, welche Wirkung diese Botschaft in dem Gemüte des Herzogs verursacht habe. Auf die erste Bestürzung folgte in seinem leichtgläubigen Herzen eine grausame Erbitterung über die Missetat seiner Gemahlin. Die Wut wurde bei ihm immer heftiger und raubte ihm zuletzt alle Besinnung. Er machte seinem Feldzug ein kurzes Ende



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und eilte mit Gerhard in vollem Grimme nach Haus. Dort durchforschte und befragte er alle Vornehmen seines Hofes, was sich, solange er von der Heimat ferne gewesen, mit Hirlanda zugetragen habe. Weil aber alle von dem Fürsten Gerhard mit Geld bestochen waren, so stimmten sie meisterlich in seine Lügen ein. Dadurch wurde der Herzog in seinem falschen Wahne bekräftigt und verschwur sich hoch und teuer, wo er Hirlanda auskundschaftete, wollte er ihrer nicht schonen, sondern sie ums Leben bringen. Nachdem auf diese Weise der boshafte Gerhard sein schlechtes Vorhaben nach Wunsch ausgerichtet hatte, nahm er Abschied von seinem Bruder und verfügte sich wieder nach England. Dort hoffte er den versprochenen Lohn in Empfang zu nehmen; denn er dachte nicht anders, als daß Hirlandas Sohn dem Könige ausgeliefert und geschlachtet worden sei. Wie er aber dort angekommen war, mußte er wider all sein Verhoffen erfahren, daß kein Kind in England angekommen sei, sondern daß dasselbe noch an der bretagnischen Küste zu Aleth von gewaffneter Mannschaft aufgefangen worden. So hatte es ein Bootsknecht, der mit dem Kind auf dem Schiffe gewesen und durch die Flucht sich gerettet , zu London erzählt. Dies brachte den Bösewicht ganz aus der Fassung ; er getraute sich nicht, bei dem Könige sich anmelden zu lassen, sondern floh zurück auf seinen Herrensitz, und hier quälten ihn immer schwere Gedanken und Sorgen, was sich wohl mit dem Kinde zugetragen haben möchte, und daß es, großgewachsen, sich dereinst wohl an ihm rächen könnte.

***
Sieben ganze Jahre waren verflossen. Herzog Artus hatte als ein Witwer gelebt und zuerst die Falschheit seines ungetreuen Weibes, später aber seine eigene Unbesonnenheit angeklagt; denn es stiegen ihm von Zeit zu Zeit Zweifel gegen die Ehrlichkeit seines Bruders auf, und er konnte über nichts mehr in der Welt eine rechte Freude empfinden. Da trug es sich zu, daß eine große Schar benachbarter Edelleute bei ihm um die Erlaubnis anhielt, eine Wallfahrt nach dem Sankt Michaelsberge anzustellen, welcher Berg weit im Süden an der Grenze von Frankreich und Spanien liegt und durch großen Zulauf vielen Volkes verherrlicht wird. Der Herzog erlaubte es, und die große Wallfahrt ging vonstatten. Nachdem nun die Edelleute ihre Andacht bei dem heiligen Michael verrichtet hatten, nahm einer von den Vornehmsten, Herr d'Olive genannt; Abschied von der Gesellschaft, um eine Verwandte, welche weiter hineinwärts nach der Normandie zu wohnte, zu besuchen. Nach langer Reise


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kam er an das gewünschte Schloß, das in einer tiefen Wildnis lag. Hier fänd er auf einer Trift eine Hirtin bei den Kühen, die er anfangs nicht erkannte. Sie sah wohl feiner aus als sonst Bauernweiber, aber ihre Schönheit war ganz verblichen. Als sie jedoch auf seine Bitte ihre Herde ließ, ihn, der irregegangen war, auf den rechten Pfad geleitete und unterwegs mit ihm in ein Gespräch geriet, da erkannte er sie an der
Sprache und argwöhnte alsbald, es möchte die flüchtige Herzogin Hirlanda von Bretagne sein. Als er nun von seiner Verwandtin auf dem Schlosse freundlichst empfangen und zu Abend herrlich bewirtet worden war, erblickte er zufällig unter den Dienstmägden abermals jene Hirtin, welche in dem Speisezimmer irgend etwas zu verrichten hatte. Er faßte sie aufmerksam ins Auge, erinnerte sich ihrer früheren Gestalt und erkannte endlich mit Sicherheit, daß es Hirlanda sei. Er fragte darauf die Frau des Hauses, welche neben ihm am Mahle saß, was das für eine


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Magd sei, und woher sie dieselbe erhalten habe. Diese antwortete: "Woher sie sei, kann ich Euch nicht sagen: ich weiß nur, daß sie vor sieben Jahren irgend auf mein Schloß gekommen ist und um einen Dienst bei mir angehalten hat. So habe ich sie als ein verlassenes, armes Weibsbild zu mir genommen und ihr das Vieh zu hüten aufgetragen." Der Ritter erstaunte und sprach: "Liebe Base, glaubet mir, daß diese Magd niemand anderes ist als die Herzogin Hirlanda von Bretagne, die ihren Adel unter diesen schlechten Kleidern verbirgt!" Die Edelfrau ward bei diesen Worten ganz nachdenklich und gestand endlich, daß diese ihre Magd ihr oft seltsam vorgekommen sei, und wie sie ihr oft an Sitten und Gebärden abgemerkt, daß sie keine Bauersmagd, sondern edleren Standes sei.

Nach gehaltenem Mahle, als die Gäste voneinander gingen, berief die Edelfrau in Beisein des Herrn d'Olive jene Magd auf ihr Zimmer und forschte aus ihr, wer sie sei, und von wannen sie auf das Schloß gekommen Hirlanda, die nicht erkannt sein wollte, erzählte darauf, sie sei eines Bauern Tochter und wegen Armut von ihrem Dorfe hinweggelaufen, um einen Dienst zu suchen. Der Bretagner aber sprach: "Frau, Eure Gestalt und Gebärde zeigt etwas ganz anderes an, und wenn ich irgend meinen Augen trauen darf, so sage ich, daß Ihr der Herzogin von Bretagne ganz ähnlich sehet!" Als Hirlanda diesen Namen nennen hörte, wurde sie ganz schamrot und wußte kein einziges Wort zu erwidern. Um so ernstlicher drang der Edelmann in sie; er wollte es erzwangen, daß sie aufrichtig die Wahrheit bekennen sollte. Endlich kam er so weit, daß Hirlanda nach vielen Ausreden in ihren eigenen Reden gefangen wurde und nicht umhinkonnte, sich ihm zu erkennen zu geben. Auf dieses Bekenntnis wollten sowohl die Edelfrau als der Ritter ihr zu Füßen fallen und ihr die tiefste Ehrerbietung beweisen. Die Herzogin gestattete es aber nicht, sondern bat inständig, sie doch ja nicht zu verraten. Dann erzählte sie den beiden ihre ganze Geschichte und überzeugte sie von ihrer Unschuld.

Als der Ritter d 'Olive dieses vernommen, erbot er sich auf der Stelle, sie nach ihrem Schloß in Bretagne zurückzubringen und mit ihrem herzoglichen Gemahl zu versöhnen. Die demütige Fürstin bat ihn jedoch inständig , ihr Geschick nicht zu offenbaren, sondern sie in ihrem niedrigen Stande bis ans Ende verharren zu lassen. So machte er sich allein auf die Reise, doch mit dem festen Entschluß, seinem Herrn, dem Herzog, sobald er könnte, die frohe Botschaft mitzuteilen. Dazu zeigte sich auch



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bald günstige Gelegenheit auf einer Jagd, die der Herzog veranstaltet hatte. Da stellte der Edelmann, der neben ihm ritt, dem Herzoge vor, wie glücklich er sei; denn er besitze alles, was er auf Erden nur wünschen möge. Der Herzog dagegen sagte, nichts von allem, was er besitze, sei vermögend ihn zu vergnügen, da er in der Ehe so unglücklich gewesen sei und keinen Erben seines Gutes hinterlassen würde. "Wie aber", fiel da der Ritter ein, "wenn Eure heimlich von Euch betrauerte und sehnlich vermißte Hirlanda noch am Leben wäre? Wolltet Ihr, durchlauchtiger Herzog, Euch auch alsdann nicht mehr glücklich preisend" — "Ja freilich", sprach der Fürst, "dann wüßte ich nicht, was mir auf Erden zu wünschen übrigbliebe. Und wenn mir sie einer lebendig in die Arme führen wollte, ich weiß nicht, wie ich mich ihm dankbar genug zeigen könnte!" Als der Edelmann diese Worte hörte, wollte er nicht länger verziehen, sondern fing an, dem Herzog alles, was sich zwischen ihm und Hirlanda zugetragen, zu erzählen: wie er sie in gemeiner Bauerntracht, das Vieh hütend, angetroffen und an nichts als an ihrer Sprache erkannt habe, und wie er so lange in sie gedrungen, bis sie ihm endlich bekennen mußte, daß sie die unglückliche Hirlanda sei.

***
Über diese unerwartete Botschaft wurde das Herz des Herzogs mit Leid und Freude so ganz angefüllt, daß ihm süße und bittere Zähren mit Macht aus den Augen hervordrangen. Er beschenkte den Edelmann fürstlich und hieß ihn sich aufs geschwindeste aufmachen und seine vielgeliebte Hirlanda abholen. Pferd und Wagen, Diener und Geld wurden seiner Verfügung gestellt; nirgends auf dem Wege sollte er sich aufhalten, sondern sobald als möglich die Ersehnte ihrem Gemahl in die Arnie führen. Eilends machte sich der Ritter d'Olive auf den Weg, und in wenigen Tagen war er auf dem Schlosse der Normandie, begrüßte seine Verwandte, richtete der Herzogin den Auftrag ihres reumütigen Gemahls aus und brachte durch dringende Vorstellungen die frohe und erschrockene Fürstin so weit, daß sie sich entschloß, nach der Bretagne zurückzukehren. In dem Edelsitze wurde es indessen unter allen Bewohnern ruchbar, daß die arme Hirtin, die sieben Jahre lang das Vieh gehütet, eine gewaltige Herzogsfrau sei, und alles eilte herbei, ihr die tiefste Verehrung zu bezeigen und nachzuholen, was bisher an Ehrerbietung versäumt worden war. Dies tat besonders die adelige Besitzerin des Schlosses, die sich zwar glücklich pries, eine so hohe Fürstin so lange beherbergt, aber auch höchst unglücklich achtete, sie nicht eher erkannt und besser bewirtet zu


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haben. Aber Hirlanda dankte ihr, als wenn sie das Beste bei ihr genossen hätte, und nahm unter vielen Tränen einen wehmütigen Abschied .

Sobald der Herzog vernommen, daß seine sehnlich erwartete Gemahlin nur noch eine Tagreise von seinem Schloß entfernt sei, kam er ihr mit allem seinem Adel und seiner ganzen Dienerschaft entgegen, um sie mit möglichster Ehre und Liebe zu empfangen und heimzuführen. Sobald er an den Wagen kam, in welchem sie saß, fiel er ihr mit großer Inbrunst um den Hals, und Liebe und Leid schloß ihm den Mund, so daß er kein Wort mit ihr reden konnte. Ebenso erging es der Herzogin, als sie

denjenigen wiedersah, dessen Abwesenheit ihr so viele tausend Zähren ausgetrieben hatte. Lange lagen sie in dem süßen Umfangen sprachlos, bis ihre stummen Zungen endlich wieder gelöst wurden und sie einander aufs freundlichste willkommen hießen. Der Herzog hat sie wohl tausendmal um Verzeihung, wenn er sie auf irgendeine Weise erzürnt hätte, wiewohl seine Schuld an ihrem Unheil keine andere war, als daß er seinem falschen Bruder so leicht geglaubt hatte. Aber auch Hirlanda bat ihren Gemahl demütig um Vergebung, daß sie ihn durch ihre unbesonnene Flucht betrübt hätte, wiewohl sie dies aus keiner andern Ursache getan als aus Furcht vor dem ihr angedrohten Tode. Und wie sie nun zusammen in dem Wagen heimführen, da erzählte die Herzogin, was sich mit ihr in den sieben Jahren zugetragen. Durch diese Erwähnung ihres ausgestandenen Elends bewegte sie ihren Ehegemahl zu solchem Mitleiden, daß er sich anließ, als wenn er nimmer zu trösten wäre.



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Als sie, in die Hofburg und Hauptstadt des Landes kamen, zog ihnen der ganze Rat und alle Bürgerschaft entgegen und empfing die geliebte Fürstin, als wenn sie von den Toten erstanden wäre. Was zur Freudebezeugung Festliches angestellt werden konnte, wurde nicht gespart, und der Tag der glücklichen Wiedervereinigung schien viel fröhlicher zu sein, als der erste Tag des herzoglichen Beilagers gewesen war.


II.

Wenn die Sonne am hellsten scheint, pflegen erfahrene Seeleute am ersten einen Sturm zu befürchten. So sind alle menschlichen Dinge der Veränderlichkeit unterworfen, und oft, wenn man meint, dem Glück im Schoß zu sitzen, kommt unvermutet wieder ein neues Ungewitter, das uns in den vorigen Abgrund, ja, in einen noch weit tieferen zurückwirft. Hirlanda hat dies erfahren. Denn während noch alles in Lust und Freuden schwebte und wegen Wiederkunft der verlorenen Landesmutter jubelte, siehe, da schmiedete der gottlose Gerhard neue Anschläge, die Unschuld zu stürzen; denn es war ihm, als müßte er vor Zorn und Grimm wütend werden, als er hörte, daß seine Schwägerin wieder heimgekommen sei. Er war damals, als Hirlanda in der Bretagne anlangte, nicht im Lande. Damit nun niemand seinen Widerwillen merken sollte, schickte er schleunig einen von seinen Hofjunkern ab, welcher seiner Schwägerin versichern sollte, wenn er nicht bettlägerig wäre, so würde er selbst gekommen sein, ihr wegen ihrer Wiederkunft Glück zu wünschen. Der Herzog und seine Gemahlin empfingen den Abgesandten aufs freundlichste und ließen mit keinem Worte ihren Widerwillen gegen den tückischen Gerhard merken. Dies veranlaßte den Falschen, daß er hernachmals einen ganz freundlichen Brief an die Herzogin schrieb, in welchem er bei Himmel und Erde beteuerte, daß ihre Wiederkehr niemand mehr zu Herzen gehen könne als ihm. Er schwur auch sieben schwere Eide, daß er an ihrem früheren Unheil keine Schuld habe: vielmehr sei die Säugamme, die gleich nach der Geburt heimlich mit dem Kinde davongeflohen war, die erste Anstifterin jenes Unglücks gewesen. Kurz, er wußte so natürlich zu lügen, so freundlich zu schmeicheln, daß der Herzog und die Herzogin seinen Worten glaubten und ihn wieder an den Hof beriefen. So kam der falsche Judas wieder heim und wurde mit besonders großen Freuden empfangen. Er stellte sich auch äußerlich an, als wenn er ein wahres, brüderliches



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Herz hätte; innerlich ging er mit keinem andern Gedanken um, als wie er neues Unheil anstiften könnte.

Unterdessen lebten die beiden neuen Eheleute in solcher Herzlichkeit zusammen, daß es schien, ihr Glück könne hinfort durch kein Leid mehr unterbrochen werden. Was der Herzog seiner geliebten Hirlanda Freundliches erweisen konnte, tat er um so beflissener, je mehr er die Pflicht erkannte, ihr das siebenjährige Elend durch Beweise seiner innigen Liebe zu vergüten. Auch war da nichts, was die fromme Fürstin ferner betrübte, als allein, daß ihr in den ersten Jahren des neuen Zusammenseins kein Erbe geschenkt wurde; und das erste Kind, das sie so zu Schmerzen geboren, konnte sie nicht vergessen. Im übrigen stand alles am Hofe wohl, und jedermann bemühte sich, der lieben Gebieterin nach Schuldigkeit dienstbar zu sein. Auch der Fürst Gerhard ließ es seinerseits an nichts fehlen, was ihm den Ruhm eines bescheidenen Bruders und den Namen eines getreuen Freundes verschaffen konnte, so daß jene beiden, durch seine List hintergangen, nichts als Gutes von ihm glaubten und seines begangenen Unrechtes ganz vergaßen.



***
Sieben Jahre hatte die erneute, glückliche Ehe gedauert; zu Ende dieser Zeit wurde die Herzogin Hirlanda mit einem Mägdlein gesegnet. Als nun der falsche Gerhard sah, daß durch die Geburt dieser Erbin der Anspruch auf seines Bruders Erbschaft ihm wieder aus den Händen schlüpfte, so dachte er darauf, durch falsche Klagen seinen Bruder aufs neue gegen die Herzogin aufzubringen. Als daher am Tage der Niederkunft seiner Gemahlin der Herzog in dem Schloßgarten sich erging und mit einiger Schwermut darüber grübelte, daß die Herzogin keinen männlichen Erben zur Welt gebracht hatte, trat der Bösewicht allein zu ihm und stellte sich, als ob des Bruders Kummer ihm sehr zu Herzen ginge. Dann wünschte er ihm Glück zu der gebornen Herzogstochter, weil er nun doch eine Erbin seiner Güter habe, worauf er so lange geharrt hätte. Der Herzog aber sprach; "Du hast keine Ursache, Bruder, mir Glück zu wünschen und dich mit mir zu erfreuen; Hirlanda hat mir eine Tochter geboren, und ich hatte nach einem Sohne geseufzt."Auf diese Antwort hatte Gerhard gewartet ; mit Begierde griff er nach der Gelegenheit, die Herzogin ihrem Gemahle verhaßt machen. Darum sprach er weiter: "Es steht freilich nicht in unserer Gewalt, Erben ganz nach unserem Wunsche zu erwerben. Doch meine ich, an der Geburt dieser unverlangten Tochter sei Hirlanda zum großen Teile selbst schuld. Durch übermässige Buße und übertriebenes


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Fasten hat sie die Gesundheit ihres Leibes so geschwächt, daß sie für immer untauglich werden wird, einen männlichen kräftigen Erben zu gebären!" Dies und anderes sagte Gerhard zu seinem Bruder und versenkte ihn in immer tiefere Schwermut.

Einige Tage nachher, als er merkte, daß sein Bruder in seiner Kaltsinnigkeit nicht nachließ, machte er bei seiner Schwägerin unter dem Scheine der Freundschaft einen Besuch, und nachdem er ihr insgeheim geoffenbart hatte, warum ihr Gemahl sich nicht mehr so freundlich gegen sie erzeige, gab er ihr den Rat, durch größere Zärtlichkeit das Herz des Herzogs zu gewinnen. Warum er ihr dieses riet, wird sich bald zeigen. Die unschuldige Fürstin befolgte den scheinbar gutgemeinten Rat; der Herzog aber, von Natur wild und mißtrauisch, wurde hierdurch nicht nur nicht zur Freundlichkeit bewegt, sondern fing auch an zu argwohnen, ob nicht unter dieser Liebkosung irgendein Trug verborgen sein könnte. Der böse Gerhard, welcher seinen Bruder in diesem Argwohn bestärken wollte, ließ nun durch einen Vertrauten ein kleines Briefchen schreiben, und es dem Herzoge zu Tisch unter sein Handtuch legen. Es waren folgende Zeilen:

Trau nicht, o Fürst, des Weibes List,
Das gegen Dich so freundlich ist!


***
Diese wenigen Worte machten den Herzog so verstört, daß er von demselbigen Tag an nie mehr ein freundliches Wort zu der Fürstin redete. Ja, sooft er ihr begegnete, tat er ihr mit spitzigen Worten wehe oder erwies ihr mit spöttischen Gebärden eine Unehre. Der armen ,Hirlanda machte dies so bittere Schmerzen, daß sie in Tränen zerfloß und niemand sie zu trösten vermochte.

Der ehrvergessene Gerhard aber, der das ganze Spiel angefangen hatte, gedachte, nicht eher davon abzulassen, als bis er die Herzogin um Ruf und Gut, ja, um Leib und Leben gebracht hätte. Es wohnte in der Nähe ein Edelmann, der wegen seiner Verworfenheit von allen Menschen gefürchtet und gehaßt wurde, selbst aber so vermessen war, daß er niemand fürchtete und alle Ungerechtigkeiten ohne die mindeste Scheu beging. Zu diesem gottlosen Menschen begab sich Gerhard und versprach ihm eine große Belohnung, wenn er ihm in einer gewissen Sache dienen wollte. Der Edelmann zeigte sich sogleich bereit; nur begehrte er zu wissen, worin er ihm einen Gefallen erweisen könnte. Da sagte ihm der tückische Gerhard, daß sein Bruder, der Herzog, sehr zornig



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auf seine Gemahlin sei, weil sie ihm keinen Erben geboren habe; von ihm, dem Edelmanne nun, verlange er, daß er den Zorn seines Bruders noch mehr erhitzen und ihm einflüstern solle, daß die Tochter, welche Hirlanda dem Herzog geboren, eine Frucht der Treulosigkeit sei, und daß der Ritter d'Olive, welcher die Herzogin zuerst auf der normannischen Viehtrift entdeckt habe und eine schändliche Neigung zu der Fürstin
trage, von dieser ehebrecherischerweise begünstigt worden sei. Dieser Vorschlag gefiel dem schlechten Mann außerordentlich wohl; sobald es daher Gelegenheit gab, verfügte er sich zu dem Herzog und redete ihn also an: "Gnädigster Fürst und Herr! Stets war ich von einem besondern Eifer beseelt, für das hohe Ansehen Euer Durchlaucht, meines Landesfürsten, mich zu wehren; so werde ich auch jetzt von meinem Gewissen getrieben, meinem Herrn eine Sache, die seine Person betrifft, vertraulich zu offenbaren . Und wenn Euer Durchlaucht das, wovon ich sichere Kenntnis habe, sich anzuhören entschließen können, so werde ich nichts vorbringen,


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wofür ich nicht mein eigenes Leben verpfänden könnte. Ich kann mir freilich ,kaum denken, daß nicht auch meinem gnädigsten Herrn etwas von der Sage zu Ohren gekommen sein sollte, die sich ganz öffentlich über den genauen Umgang verbreitet, welchen der Ritter d 'Olive mit der Herzogin pflegt. Denn dieser Edelmann ist unablässig bemüht, sie in Unehre zu stürzen. Schon solange mein Herr abwesend war, ist er nicht von ihrer Seite gekommen, und wenn er sich nicht füglich zu ihr begeben konnte, so hat er sie durch eine seiner Freundinnen in sein eigenes Haus gelockt. Ist es ein Wunder, wenn jedermann die neugeborne Tochter der Fürstin mit verdächtigem Auge betrachtet? Glaubet mir, gnädigster Herr, ich würde von allem diesem nicht sprechen, wenn ich nicht mit Augen gesehen hätte, was für verbotene Händel jene beiden miteinander getrieben haben!"

Über diese Mitteilung wurde der Herzog so entrüstet, daß er sich vor Zorn kaum zu fassen mußte. Er glaubte festiglich, alles dieses müsse wahr sein, weil der ruchlose Edelmann erklärt hatte, er wolle Gut und Blut an die Verteidigung seiner Wahrheit setzen. So befahl er denn voll Ingrimm , man sollte der Herzogin ihr Kind nehmen und an einem entlegenen Ort einer fremden Säugamme geben. Die tugendhafte Fürstin war auf ihrem Zimmer und hielt ihr liebes Töchterlein auf den Armen, als unversehens eine Rotte grober Kriegsknechte hereintrat, welche mit frechen Worten die Herzogin anfuhren, sie sollte ihren Bastard aus den Händen geben. Bei dieser schimpflichen Anrede erschrak die Fürstin in tiefster Seele und rief Gott und Menschen zu Zeugen des Unrechts, das ihr geschehe. Aber die ruchlosen Menschen hörten auf ihre Klage nicht, sondern rissen ihr das Kind mit Gewalt aus den Armen und verließen das Zimmer mit Lärmen und Gespötte. Die Fürstin jammerte so herzzerreißend, daß es auch hätte wilde Tiere erbarmen sollen; doch konnte sie mit allem ihrem Weinen es nicht so weit bei ihrem Ehegemahl bringen, daß er ihr auch nur gestattet hätte, sich persönlich vor ihm zu entschuldigen . Ja, sein Zorn wurde so groß, daß er ebenjenen Kriegsknechten gebot, die Ehebrecherin zu sahen und in ein schimpfliches Gefängnis zu wer en.



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Wie war doch der gütige Gott so streng gegen diese unschuldige Seele, und wie hart suchte sein Zorn sie heim l Sie hatte sich alle Tage ihres Lebens beflissen, ihm zu gefallen und zu dienen, und doch schien ihrer keine andere Vergeltung zu warten als Not und Tod. Mit Schimpf vom


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Hofe ausgestoßen, mußte sie wie ein ehrloses Geschöpf sich in einen finstern Kerker einsperren lassen. Ihre Feinde sprengten indessen unter allem Volke aus, als wenn sie eine gemeine Verbrecherin wäre, deren jahrelang getriebene Schande jetzt endlich aufgedeckt worden sei. Inzwischen beratschlagte der verblendete Herzog mit den Seinigen, welchen Todes er sie sterben lassen sollte; denn er nahm sie für überwiesen und überführt an. Und endlich wurde beschlossen, daß sie lebendig auf offenem Marktplatze verbrannt werden sollte; es sei denn, daß sich ein Ritter ihrer annehmen und mit dem Edelmann, ihrem Ankläger, in ehrlichem Kampf um sie streiten wollte. Dieses wurde nach dem Brauche jener alten Zeit in dem ganzen Lande verkündigt und ein Tag anberaumt, an welchem auf dem Kampfplatze erscheinen sollte, wer Lust hätte, sich der schwer verklagten Herzogin anzunehmen. Aber da war niemand im ganzen Lande, der sich gegen den boshaften Edelmann zu wagen getraute, weil er wegen seiner Grausamkeit von allen verabscheut und noch mehr gefürchtet war.

Aber der gerechte Gott sah die Zähren der unschuldigen Gefangenen, und in seinem Rate war ihre Rettung von Anbeginn beschlossen. Und jetzt erschien sein Engel wieder dem frommen Abte Bertrand zu St. Malo, offenbarte ihm, was der Mutter seines Paten bevorstand, und befahl ihm, den jungen Bertrand wohl auszustatten und mit ihm und der gefangenen Säugamme, sowie mit des Abtes Schwester und ihrem Manne, die des Knaben Pflegeltern waren, vor dem Herzog von Bretagne auf einen bestimmten Tag zu erscheinen. Der Knabe sollte sich vor seinem Gegenpart nicht fürchten, sondern herzhaft auf den falschen Ankläger losgehen und seine unschuldige Mutter erretten.

Sobald es Tag geworden, erzählte der Prälat seinem Paten die Erscheinung, worüber beide neben großer Freude bitteres Herzeleid empfanden. Sie wußten jetzt, daß der junge Bertrand ein geborener Herzog sei, aber es machte ihnen auch großen Jammer, daß seine Mutter so unverschuldete Schande und Not zu dulden habe. Um so eifriger rüsteten sie sich zu dem bevorstehenden Kampfe und befahlen die Herzogin dem Beschirmer der Unschuld in ihren Gebeten.



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Allgemach kam der bestimmte Tag herbei, und in der Bretagne fand sich niemand, der sich gemeldet hätte, für die Herzogin zu kämpfen. Den Abend zuvor schickten daher die Richter ein altes Weib, das bisher der Gefangenen aufgewartet hatte, zu Hirlanda in den Kerker mit dem Befehl, ihr anzusagen, daß sie am andern Tage sterben müsse. Das alte


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Weib kam ganz traurig ins Gefängnis, und beim Anblick ihrer Herrin entfuhr ihr ein Seufzer. Die Herzogin fragte ihre Magd, warum sie so traurig aussähe, und was der schmerzliche Seufzer Böses bedeute. "Ach, gnädigste Frau", sprach die Alte mit heißen Zähren, "ich habe die ganze Zeit Eurer Gefangenschaft herzliches Mitleid mit Euch getragen; jetzt aber will mir das Herz vor Kummer brechen. Denn ich komme auf Befehl der Richter hieher, Euch anzusagen, daß Ihr morgen des gräßlichsten Todes sterben und lebendig verbrannt werden sollet."

Hirlanda, als sie dieses hörte, schlug ihre Hände über dem Haupte zusammen und tat einen lauten Schrei, daß man es vor dem Kerker hören konnte. "O Gott", rief sie, "womit habe ich mich an dir versündigt, daß du mich so hart heimsuchest? Ist es dir nicht genug gewesen, daß ich sieben Jahre im Elend und in Knechtschaft leben sollte, muß ich auch noch zur Schande meines Namens und Geschlechts als Ehebrecherin lebendig in den Flammentod gehen? Sieh mein Elend an, mildreicher Vaters Du weißest ja, daß es mir unmöglich ist, solche Qualen auszustehen, und wenn du mich nicht auf wunderbare Weise stärkest, so werde ich in der schweren Pein verzagen müssen." Darauf fragte sie die Magd, ob denn keine Gnade für sie zu hoffen wäre. Das Weib antwortete: "Nein, es ist bis diese Stunde kein Kämpfer für Euch erschienen." Da gedachte Hirlanda des Ritters d'Olive. "Dieser ist längst außer Landes", erwiderte die alte Frau, "und Euer Ankläger gibt vor, er habe sich aus dem Staube gemacht, weil er mit Recht fürchte, es werde ihm ergehen wie Euch." Da warf sich die Herzogin weinend auf die Knie und betete so lang und inbrünstig, bis sie Trost vom Himmel in ihrem zerschlagenen herzen empfand. Dann erbat sie sich als letzte Gunst einen Priester, dem sie beichtete. Und als die Beichte vorüber war, sprach sie mit starker Stimme: "Siehe, Herr! Hier ist mein schwacher Leib, der morgen verbrannt werden soll. Ich opfere ihn in deine göttlichen, barmherzigen Hände. Verleih mir Standhaftigkeit in meinem Leiden und nimm meinen entfliehenden Geist aus Gnade zur Seligkeit an!"



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Kaum war der Tag angebrochen, so bereitete man sich von allen Seiten zu dem traurigen Schauspiel, das der Herzog den Bretagnern geben wollte. Die Stadt Rennes war zu diesem Jammer ausersehen, und eine unzählige Menge Volkes strömte dahin. Vor der Stadt auf einem ebenen Platze war eine große erhöhte Schaubühne errichtet, auf welcher der betörte Herzog und sein ganzer Hof zuschauen wollte. Nicht ferne davon


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war ein Scheiterhaufen aufgeschichtet und über ihn einige Bretter festgelegt und mit schwarzem Trauertuche bedeckt. Auf diesen Brettern stand ein schwarzer samtener Sessel für die arme Hirlanda und rechts und links noch zwei andere, der eine für den Beichtvater, der andere für den Scharfrichter. Vor Hirlandas Sessel befand sich ein schwarzgedeckter Tisch an Altares Statt und auf diesem ein Kruzifix mit schwarzem Flor überwogen. Wer nur von ferne dieses Totengerüste erblickte, wurde im tiefsten Herzen erschüttert.

Alles war fertig; der Herzog, seine Räte und seine obersten Diener saßen auf der hohen Bühne und harreten der verurteilten Herzogin. Da kam ein Trupp Kriegsknechte mit Trommeln und Heerpauken herangezogen, welche die unglückliche Hirlanda zum Richtplatze führten. Sie selbst ging in einem langen, schwarzen Talar, das Angesicht mit einem Schleier bedeckt , der auf beiden Seiten vom Haupt bis auf die Füße herabwallte. Ihre Hände hatte sie kreuzweise über die Brust zusammengelegt, ihr Antlitz schamhaft gegen die Erde gesenkt. Zur rechten Seite ging der Beichtvater , ein Kreuz in der Hand tragend, zur andern sein Gehilfe, aus einem Buch Gebete für das Heil der Sterbenden lesend. Hinter ihr ging der Scharfrichter in stolzem Gewand und um ihn her eine Schar von Henkersknechten. Eine endlose Menge von Zuschauern folgte nach. Alle rührte die klägliche Gestalt der Herzogin, und wer die Zähren durch ihren Schleier schimmern sah, dessen Augen blieben nicht trocken.

So wurde denn das unschuldige Lamm zur Schlachtbank geführt; von dem Beichtvater und Henker auf den Scheiterhaufen begleitet und zwischen beiden niedergesetzt. Da trat ein Herold hervor und rief mit gewaltiger Stimme: "Höret, ihr Adligen und ihr Unadligen! Höret, ihr Alten und ihr Jungen! Es wird euch hiermit angekündigt, daß diese Hirlanda hier wegen vieler begangenen Schandtaten rechtmäßigerweise zum Tode verurteilt und zum Feuer verdammt worden. Dennoch ist ihr nach Gewohnheit des Landes die Gnade vergönnt worden, daß sich ein jeder ihres Lebens annehmen und sie von dem Tod erretten kann, wenn er mit ihrem gegenwärtigen Kläger kämpfen will und sich getraut, ihn zu überwinden. Darum, wer Hirlanda für unschuldig hält und Lust hat, ihr das Leben zu erhalten, der trete hervor und kämpfe mit Gottes Hilfet" Nun waren in dem Kreise wohl viele, die gerne ihre Unschuld verteidigt hätten , aber niemand war so kühn, sich wider den trotzigen Edelmann zu wagen. Dieser war sich zu sicher seiner Kunst und Stärke bewußt und jagte allen Zuschauern einen gewaltigen Schrecken ein. Er ritt einen



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mutigen, kohlschwarzen Rappen und war vom Haupte bis zu den Füßen mit einem blinkenden Harnische bedeckt. Auf seinem Sturmhut trug er einen schwarzen Federbusch, einen großen Speer in der rechten, einen starken Schild in der linken Hand. Auf diesem Schilde führte er im Wappen einen goldenen Drachen auf schwarzem Felde, der ein silbernes Schaf im Machen hielt, darunter war der Denkspruch geschrieben: "Ohne Gnade!"Dieser Edelmann ritt ganz hochmütig in dem Kreise auf und ab und rief mit lauter Stimme: "Wer ist's, der diese Ehebrecherin wider mich verteidigen will? Er trete hervor und zeige seine Stärke t" Da war unter der großen Menge niemand, der es wagte.

Jetzt gab die erschrockene Fürstin ihr Leben verloren und fing an allen Gliedern ihres Leibes zu zittern an. Sie stand von ihrem Sessel auf, fiel vor dem Kruzifix, das auf dem Tische stand, nieder und befahl weinend ihre Seele Gott. Dann erhub sie sich wieder wandte sich zu dem umstehenden Volk und sprach von dem Scheiterhaufen herab: "Liebe Leute! Ich bezeuge vor Gott; daß ich des Verbrechens, das man mir aufbürdet , nicht schuldig bin. Ich will sterben zu Ehren dessen, der für mich am Kreuz gestorben ist, als arme Sünderin, aber nicht als Ehebrecherin. Ich verzeihe allen denen, die Ursache meines Todes sind; denn sie wissen nicht, was sie tun. Euch allen sage ich von Herzen gute Nacht; betet für meine Seele!" Nachdem sie dies gesprochen, gab ihr der Priester den Segen und verließ mit dem Scharfrichter den Scheiterhaufen. Alsdann fingen die Trompeter an zu blasen und gaben den Henkern das Zeichen, den Holzstoß anzuzünden.

Wie nun die Trompeter mit vollem Atem bliesen und die Henkersknechte geschäftig waren, den Scheiterhaufen anzuzünden, da sah man eine Staubwolke in der Ferne sich erheben und immer näher kommen. Bald erkannte man einen Ritter, der dahergesprengt kam, und dem in einiger Ferne mehrere Personen nachfolgten. Der Reiter drang mit Gewalt durch die dichten Volkshaufen in die Schranken hinein und tummelte sein Roß einigemal aufs schnellste im Kreise herum. Sein Pferd war so weiß wie der Schnee, die Tracht des Ritters lichtgrün mit goldenen Blumen durchsäet, sein Wappen ein silberner Hermelin in grünem Felde; darunter der Denkspruch: "Nichts kann mich beflecken." Die Herzogin, die schon halbtot war, wurde den Ritter nicht gewahr. Wer aber wahres Mitleid mit ihr fühlte, den erfüllte seine frische Erscheinung mit großen Freuden. Einige meinten, es sei der Schutzengel der Fürstin; andere Bielten



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ihn für den Ritter d'Olive, der seine eigene Ehre retten wollte. Als sie ihn jedoch näher ins Auge faßten, wurde den Freunden der Herzogin wieder bange, und sie zweifelten sehr an dem glücklichen Ausgange des Kampfes; denn der Jüngling war gar zart und schwach, der Edelmann dagegen ein geübter, beherzter, toller Ritter.

Sobald der Jüngling in die Mitte des Planes eingeritten war, grüßte er mit allen Sitten den Herzog und den gesamten Adel und sprach mit heller Stimme: "Durchlauchtigster Fürst und Herr! Weil ich durch wahrhaftigen .

Bericht erfahren habe, daß Eure liebe Gemahlin fälschlich angeklagt und unschuldigerweise zum Tode verurteilt worden, so fühle ich mich verbunden, Leib und Leben zum Schutz ihrer Unschuld einzusetzen und wider ihren Verleumder den Ritterkampf zu wagen. Ich hoffe, dadurch Gott und der Wahrheit zu dienen und Euer eigenes Fürstenhaus von einer Schmach zu befreien." Der Herzog ließ sich dieses Anerbieten gefallen und sprach: "Dein Entschluß, junger Held, gefällt mir. Zeige dich tapfer und strebe nach dem Sieg! Aber siehe zu, was du tust: du bist jung und schwach, und dein Widersacher ist stark und wohlgeübt!" Der



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Ritter antwortete: "Was meine Kräfte nicht vermögen, wird die Gerechtigkeit meiner Sache ersetzen; denn ich bin gewiß, daß die Fürstin fälschlich verklagt worden ist."

Unterdessen war die Herzogin wieder zu sich selbst gekommen; sie ward inne, daß ein Verteidiger ihrer Unschuld sich eingefunden, und blickte den Ritter mit Verwunderung an; als sie aber sah, daß er noch so gar jung und zart war, wurde ihr todesangst, und sie rief im Grund ihres Herzens Gottes Hilfe für ihn an.

Nun tummelte der junge Kavalier seinen schneeweißen Zelter noch einmal und rief laut, daß alles Volk es hören konnte: "Wo ist der verwegene Bösewicht, der es gewagt hat, die unschuldige Herzogin anzuklagen? Er komme hervor, ich will ihm mit Gottes Hilfe den Hals brechen!" Diese Schmachrede erbitterte den Ankläger, er sprengte hervor und rief: "Du Milchbart, wie darfst du so kühn sein, diese Ehebrecherin zu rechtfertigen? Du sollst deine Vermessenheit teuer bezahlen; es wird mir wenig Mühe machen, dich zum Henker heimzuschicken!" Darauf bliesen die Trompeten zum Kampfe, und beide Ritter spornten ihre Rosse und rannten mit den Speeren gegeneinander. Ihr Ungestüm war so groß, daß der Verräter halb, der junge Ritter aber ganz aus dem Sattel gehoben ward. Da erhub alles Volk seine Stimme, und alle Guten jammerten über das unschuldige Blut; die Herzogin selbst war nahe daran, umzusinken; man sah sie beide Hände zum Himmel erheben und Gottes Beistand anflehen. Als nun der Jüngling auf der Erde lag, wollte der Edelmann vom Pferde springen und ihn mit dem Schwerte durchstoßen. Kaum aber hatte er einen Fuß auf die Erde gesetzt, als man den jungen Ritter ebensoschnell auf sein Pferd springen sah, wie er davon gefallen war. Der Edelmann jedoch faßte einen schnellen Entschluß; er stieß dem Pferde des jungen Helden sein Schwert mit solcher Gewalt und so tief in den Vorderleib, daß er es mit keiner Macht wieder herausziehen konnte. Da sprang der junge Ritter geschwind vom Rosse herab und brachte dem alten Bösewicht einen so gründlichen Schwerlich unter dem Halsringe bei, daß er plötzlich zu Boden fiel.

Jetzt erhoben die Umstehenden vor Freuden ihre Stimmen und riefen mit fröhlichem Mut: "Es lebe, es lebe Hirlanda!" Der Herzog aber fing an vor Freuden zu weinen; er glaubte fest, es sei ein Wunder von Gott, daß ein junges Kind einen geübten Ritter zu Boden werfe. Der Herzogin selbst war nicht anders zumut, als wenn sie aus dem Rachen des Todes hervorkäme und durch ein Wunder aus dem Grab erweckt wäre. "Gepriesen



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sei der Gott der Christen, der mich vom Tod erlöset hat!" rief sie und streckte die Hände gen Himmel.

Als der alte Sünder den tödlichen Streich empfangen, lästerte er Gott und den jungen Ritter und verfluchte Hirlanda samt Herrn d 'Olive in den Abgrund der Hölle. Der tapfere Held aber stand ihm auf den Leib und drohte, ihn in Stücke zu zerhauen, wenn er die Wahrheit nicht aussagte . Da bekannte der Verräter, daß der Fürst Gerhard ihn angestiftet, seine Schwägerin fälschlich zu verklagen und ihren Ehegemahl wider sie aufzuhetzen. Er widerrief alles feierlich, was er je gegen die Fürstin und gegen den Ritter d'Olive ausgesagt, und mit diesen Worten verschied er. Der Fürst Gerhard, als er das Zeugnis gegen sich vernommen, sprang von der Schaubühne und wollte sich unter dem Volke verkriechen, um sich auf die Flucht zu machen. Aber der Herzog rief, man sollte ihn greifen und festhalten.



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Als der Bösewicht seinen Geist ausgehaucht, waren die Herolde alsbald beschäftigt, den glorreichen Sieger ihrer Fürsten mit großem Gepränge zuzuführen. Die vom Tod Erstandene hatte ein großes Verlangen, ihren Erretter zu sprechen und seinen Namen und Stamm kennenzulernen. Während nun der junge Ritter dem Scheiterhaufen nahte und das Gerüst hinaufstieg, wollte es Hirlanda dünken, der Hermelin des Helden sei eine Kunstarbeit ihrer Hände, ja, seinen ganzen Wappenzeug verglich sie mit den Windeln, die sie für die Geburt ihres ersten Kindes gemacht hatte. Ehe sie sich jedoch weiter besinnen konnte, lag der Ritter vor ihr auf den Knien und sprach: "Durchlauchtige Fürstin, wenn ich Euch zu Diensten mein Leben gewagt, so war dies nur meine heiligste Pflicht; denn ich habe es von Euch empfangen. Ich bin Euer unglücklicher Sohn, der Euch so viel Schmerzen und Leid bereitet hat, jetzt aber halte ich mich für das glücklichste Kind unter der Sonne, weil mir Gott die Gnade verliehen hat, Euch das Leben zu erhalten. Ja, herzliebste Mutter, ich bin Euer erstgeborner Sohn Bertrand, durch Feinde Euch am Tage meiner Geburt entrissen, am heutigen Tage durch Gottes Schickung Euch wieder zugestellt!"

Was Hirlanda im Herzen empfand, als sie diese Worte des Ritters vernahm , läßt sich nicht beschreiben. Sie konnte es nicht glauben, weil es ihr gar zu fremd vorkam; sie konnte es nicht leugnen, weil alle Zeichen dafür sprachen. Bertrand aber hieß sie nicht zweifeln, fiel ihr um den Hals und gab ihr einen Sohneskuß. Da umfing ihn die Mutter mit beiden Armen und war von Liebe so durchdrungen, daß sie kein Wort reden konnte. Ihre



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Antwort, bestand in lauter Freudentränen, so daß sie durch ihren Zährenschleier den kaum mehr sah, den sie in ihren Armen hielt. Endlich brach sie in die Worte aus: "O herzliebster Sohn, o goldenes Kind! Bist du es, den ich mit Schmerzen geboren, den ich mit so bitterem Herzeleid betrauert habe? Oh, ich glückselige Mutter! Nun will ich gerne sterben, weil meine Augen den gesehen haben, nach dem meine Seele verlangt hat !

Der Herzog Artus und der ganze Hof sah diesem Schauspiel mit höchster Verwunderung zu und konnte die Ursache dieser öffentlichen Liebkosungen nicht begreifen, bis Hirlanda ihrem Gemahl den jungen Ritter zeigte und nur die wenigen Worte zurief: "Herr! Sehet da Euren Sohn!" Bei diesen Worten erstarrte Artus Als er aber seine Augen fest auf das Gesicht des Ritters heftete, so mußte er bekennen, daß sein Antlitz dem der Herzogin so ähnlich war, als ob es ihr eigenes wäre. Da konnte er nicht mehr zweifeln, obgleich er es nicht begriff. Inzwischen drang auch der Abt von Sankt Malo durch die Volkshaufen auf den Platz vor, redete den Herzog an und erzählte ihm, was sich mit seinem Sohne zugetragen; er stellte ihm seine Schwester als Erzieherin des Knaben vor und ließ ihm die gebundene Säugamme zum Zeugnis und Bekenntnis herbeiführen. Das armselige Weib warf sich der Herzogin zu Füßen, bekannte alles und flehte um Gnade, indem sie als Hauptschuldigen den Fürsten Gerhard angab.

Nach diesem Zeugnisse konnte der Herzog nicht mehr an der Wahrheit zweifeln; er stieg mit reumütigem Herzen von der Schaubühne herab, hieß seine Gemahlin von dem Scheiterhaufen herunterkommen, ging ihr entgegen und sprach zu ihr demütig: "Durchlauchtige Fürstin, ich wage es kaum, die Augen gegen Euch aufzuschlagen, viel weniger, Euch meine Gemahlin zu nennen. Ich habe wider Gott und Euch gesündigt und bin nicht würdig, von Euch Vergebung zu erlangen. Verzeihet mir um unsers Sohnes willen, den Gott uns heute zur Freude unseres Herzens beschert hat, durch den Euch seine Güte vom Tod erlöst und mich vor einer Mordtat bewahrt hat!" Hirlanda ließ den Herzog nicht ausreden, sondern reichte ihm liebreich ihre Hand und sprach: "Ja, um Gottes und unsers lieben Sohnes willen verzeihe ich Euch alles Übel, das Ihr mir zugefügt habt. Gedenke der gerechte Gott desselben so wenig, als ich daran denken will!" Der Herzog dankte ihr mit erleichtertem Herzen, wandte sich darauf zu seinem Sohn, fiel ihm um den Hals und hieß ihn willkommen. Auch die Mutter neigte sich auf das Haupt ihres Kindes und weinte so süße Zähreu,



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daß sie ihm sein weiches Haar durch und durch befeuchtete. Alle Umstehenden, die zu einem ganz andern Schauspiele gekommen waren, weideten sich an diesem Anblicke.

Hierauf bewillkommte der Herzog auch den Abt, dankte ihm tausendfach für die Bewahrung seines Sohnes und ließ seine Schwester und ihren Gatten, da der Abt selbst sich jede Vergeltung verbat; seine fürstliche Gnade genießen. Auch der Säugamme wurde auf des Abtes Fürbitte verziehen weil sie vierzehen Jahre in Angst und Buße zugebracht hatte.

Endlich wurde auf Befehl des Herzogs auch der Fürst Gerhard herbeigeführt, der vor Scham seine Augen nicht aufzuschlagen, viel weniger bei seinem Bruder um Gnade zu flehen wagte. Ihn allein sah der Herzog mit zornigen Augen an und hielt ihm mit erbittertem Gemüte alle seine Missetaten vor. "Deine Verbrechen", sprach er, "rufen vor Gott und der Welt um Rache, und es ist keine Pein zu erdenken, die deiner Bosheit gleichkäme! Verstümmelt sollst du werden und auf ewig in demselben Gefängnisse schmachten, in welchem meine unschuldige Gemahlin gelegen!" Die Herzogin suchte dieses strenge Urteil zu mildern und brachte zur Entschuldigung ihres Schwagers vor, was sie konnte. Aber der erzürnte Herzog ließ sich nicht besänftigen und wollte das gefällte Urteil auf keine Weise mildern. Gerhard ward dem Henker, der noch auf der Stelle war, übergeben, vor allem Volk an Händen und Füßen verstümmelt und durch die Henkersknechte schimpflich in den Kerker geschleppt.



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In dem ganzen Lande war Freude, und ein allgemeines Fest wurde gefeiert . Der Herzog und Hirlanda, der junge Fürst Bertrand und der ganze Adel zogen in voller Pracht und Herrlichkeit in die Hauptstadt des Landes ein. Aber der Herzog ward still im Gemüte, zog sich vom Regimente des Landes zurück und führte, nachdem er seinem jungen Sohn Bertrand die Grafschaft übergeben, mit seiner Gemahlin ein einsames, doch glückliches Leben. Im ganzen Lande trauerte niemand als der boshafte Gerhard, welcher der allgemeinen Freude beraubt, in bittern Schmerzen in seinem Gefängnisse lag und Zeit hatte, seine schweren Missetaten einzusehen und zu bereuen. Doch währte seine peinliche Gefangenschaft nicht lange mehr. Leibliche Qualen, Hunger und Kummer zehrten an ihm, und in kurzem geriet er in Sterbensgefahr. Wie ihm nun sein Ende bevorstand, ließ er die fromme Herzogin flehentlich ersuchen, sie möchte ihm um des gekreuzigten Jesu willen seine große Mißhandlung verzeihen. Auf diese Bitte begab sich die fromme Fürstin selbst in den Kerker, begrüßte ihren sterbenden


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Schwager freundlich und bemühte sich aufs äußerste, ihn in den letzten Nöten zu trösten. Sie sagte ihm, daß sie alles Unrecht; das er ihr angetan, ihm von ganzem Herzen verzeihe und größeres Mitleid mit seinen gegenwärtigen Leiden trage, als sie Schmerz über ihr eigenes, jetzt vergangenes Elend empfunden habe. Sie blieb beständig bei ihm, erquickte ihn mit geistlichem Trost in seinen Todesängsten und schied nicht eher von ihm, als bis sie ihm mit eigenen Händen die Augen zugeschlossen und über dem Toten schmerzliche Tränen geweint hatte.

Diese denkwürdige Geschichte ist für arme Frauen geschrieben, die von ihren Männern übels zu leiden haben. So schlimm wird es schwerlich einem Weibe gehen, wie es der frommen Herzogin Hirlanda ergangen ist, und doch sind die meisten Weiber viel ungeduldiger in ihren kleinen Trübsalen , als es Hirlanda in so großem Jammer gewesen ist. Und hier können sie nicht sagen: "Hirlanda war eine Heilige, darum hatte sie es leicht, in ihrem Kreuze geduldig zu sein!" Nein, Hirlanda war nicht heilig, sie war ebensowohl eine arme Sünderin, als es andere Frauen auch sind.



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Sondern daß sie in ihren großen Verfolgungen so standhaft geblieben, kam besonders daher, daß sie der Ungeduld großen Widerstand leistete und in ihren vielen Widerwärtigkeiten getreulich die Hilfe Gottes anrief und sich dem Willen des Allerhöchsten vollkommen übergab. Wenn alle unschuldig Verfolgte getreulich diesem Muster nachfolgen wollten, so würden sie auch die göttliche Hilfe ebenso gegenwärtig empfinden wie Hirlanda und durch zeitliches Leiden sich ewige Freude erwerben.


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Genoveva

Mit Bildern von Adolf Ehrhardt



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Unter die Zahl der Frauen, die von ihren Männern unschuldigerweise verfolgt worden sind, gehört auch die tugendreiche und geduldmütige Genoveva, deren Geschick ebenso traurig als die Erzählung davon anmutig ist. Diese Geschichte hat sich zu den Zeiten des Bischofs Hidulfus von Trier zugetragen . Damals lebte im trierischen Lande ein vornehmer Graf, namens Siegfried, der mit Genoveva, der Tochter des Herzogs von Brabant, einem sehr reichen und tugendhaften Fräulein, vermählt war. Dieses junge Ehepaar lebte in lauter Liebe und Freundlichkeit beisammen, als der Mohrenkönig Aberofam mit großer Macht in Spanien einfiel, und nachdem er das Land verheert hatte, auch in Frankreich einbrechen wollte. Als nun Martellus, der König in Frankreich, die große Gefahr vor Augen sah, befahl er allen ihm untergebenen Fürsten und Grafen, daß sie ihm Hilfe leisten und gegen den Mohrenkönig streiten sollten . Weil aber das Gebiet von Trier damals zum Frankenreiche gehörte, so mußte auch der Graf Siegfried mit zu Felde ziehen. Als er sich nun mit den Seinigen zum Feldzug aufmachte und von seiner Gemahlin Abschied nehmen wollte; da war es recht betrübt anzusehen, von welchem Schmerze die Gräfin ergriffen wurde, so daß sie mit ihren bittern Zähren alle Gegenwärtigen zum Mitleid bewegte. Ja, als ihr der Graf die Hand gab und die letzte gute Nacht sagte, wurde sie von solchem Herzeleid überfallen, daß sie vor Ohnmacht halbtot darnieder sank. Der Graf suchte sie zu trösten, aber alle seine Worte waren traurig. Endlich befahl er sie der Heiligen Jungfrau Maria, sie in seiner Abwesenheit zu beschützen. "Auch hinterlasse ich Euch", fügte er hinzu, "meinen getreuesten Diener, den Golo, dieser wird Euch in meinem Namen auf das eifrigste dienen und für alle Eure Bedürfnisse besorgt sein." Genoveva konnte vor Tränen



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kein Wort reden, sondern fiel wieder in den Arm ihrer Dienerinnen. Deswegen wandte sich der Graf Siegfried um ohne weitern Abschied und ritt, bitterlich weinend, von ihr hinweg.

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Der Graf war mit den Seinigen im königlichen Lager angekommen, und alle Fürsten und Herren hatten sich allmählich versammelt. Dazog König Martellus mit sechzigtausend Mann Fußvolks und zwölftausend Reitern gegen das Lager der Barbaren, welche wohl viermal stärker waren. Dennoch verlieh ihm Gott großes Glück, und seine Krieger schlugen so tapfer auf den Feind, daß an die hunderttausend Mohren auf dem Platze blieben, während die Christen nur wenig Tausende verloren. Die übriggebliebenen Feinde samt ihrem Könige flohen in die Stadt Agion und wehrten sich darin so tapfer, daß die Christen sie dort lange belagern mußten. Dadurch geschah es, daß auch Graf Siegfried länger ausbleiben mußte, als er vermeint hatte, indem sich seine Rückreise über ein ganzes Jahr verschob. Die Gräfin wurde über dieses lange Ausbleiben immer betrübter und hatte keinen andern Trost in der Welt als in Gott und im heiligen Gebet. Sie führte ein ganz frommes und tugendseliges Leben und hielt auch alle ihre Diener zur Andacht an. Aber der leidige Satan, dem ihre Tugend ganz zuwider war, sann auf alle Weise, wie er sie stürzen und wenigstens vor der Welt in Schande bringen könnte. Dies suchte er durch folgendes Mittel ins Werk zu richten.

Weil der Graf bei seiner Abreise seine geliebte Genoveva dem Hofmeister Golo anempfohlen hatte, der täglich um sie war und ihr aufwartete; siehe, da entzündete der Böse das Herz dieses jungen Dieners mit einer unlautern Liebe gegen seine Gebieterin und erfüllte sein Herz mit solcher Begierlichkeit, daß er endlich nicht länger an sich halten konnte, sondern auf allerlei Weise anfing, der Gräfin seinen bösen Willen merken zu lassen. Sobald die unschuldige Frau dies bemerkte, sprach sie mit zornigen Worten zu ihm: "Schämst du dich nicht, leichtfertiger Diener, dir solche Gedanken kommen zu lassen, und ist dies die Treue, die du deinem Herrn versprochen hast, das der Dank, den du ihm für seine Liebe erweisest? Wenn dich deine Torheit nicht gereuen soll, so wage nicht mehr, von solchen Dingen zu mir zu reden!"

Der gottlose Golo erschrak über diese Antwort und wagte lange kein Wort mehr. Die fromme Genoveva aber glaubte, seine bösen Gedanken seien verschwunden, und fing wieder an, freundlicher mit ihm umzugehen; da wurde seine verkehrte Neigung durch den täglichen Umgang immer



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mehr entflammt; als sie nun einst ihr eigenes Bild, das sie kürzlich für den Grafen hatte malen lassen, beschaute, und Golo von ungefähr dazu kam, fragte ihn die Gräfin, ob er meine, daß diesem schönen Gemälde noch etwas fehlte. Da sprach er mit wilder Gier: "Gräfin, diesem Bilde kommt nichts an Schönheit gleich, und doch fehlt ihm eines, nämlich daß es nicht lebend ist und mir, mir eigen gehört!" Bei diesen frechen Worten stieg der Gräfin der rote Zorn ins Angesicht, und sie schalt ihn so streng, daß er ganz beschämt davon ging. Doch vermochte dieser Verweis das Feuer der Leidenschaft in seinem Herzen nicht auszulöschen, und als einst die Gräfin nach dem Abendmahle allein in dem Schloßgarten wandelte, trat er ihr allgemach näher, schmeichelte ihr mit den süßesten Worten und gab ihr endlich nicht undeutlich zu verstehen, wie er von solchem Liebesbrande verzehrt werde, daß er vor der Zeit sterben müßte, wenn seine Glut keine Gegenliebe fände.

Über so unumwundene Worte wurde die züchtige Gräfin mehr als je entrüstet und schwur ihm ernstlich zu, wenn er ein einziges Mal mit Worten oder Zeichen Ähnliches verlangen würde, so werde sie unwiderruflich solches ihrem Herrn und Gemahl berichten. Jetzt merkte Golo freilich, daß er keine Hoffnung habe, das Ziel seiner unlautern Wünsche zu erreichen; darum verkehrte sich seine Liebe in grimmigen Haß, und alle seine Gedanken vereinigten sich in dem einzigen, wie er sich an der Gräfin rächen könnte. Er lauerte auf all ihr Tun und Lassen, und endlich entdeckte er, daß sie eine besondere Zuneigung für einen ihrer Köche zeigte, mit Namen Drago, weil dieser in aller seiner Einfalt ein frommer und andächtiger Mann war. Diesem gottseligen Menschen war die Gräfin mehr gewogen als allen anderen Hofdienern: sooft sie vorüberging, redete sie ihn an, und wo sie ihm einen Gefallen tun oder ihn in einer Widerwärtigkeit trösten konnte, da tat sie es mit herzlichem Wohlgefallen. Der unreine Golo aber legte dieses ehrbare Wohlwollen nach seiner wilden Liebe aus und fand darin die rechte Gelegenheit, seine Gebieterin zu verklagen. Zuerst eröffnete er zu wiederholten Malen vertrauten Freunden, daß ihm das liebreiche Betragen der Gräfin gegen den Koch sehr verdächtig vorkomme, und daß er fürchte, es möchte zu einem übeln Ende ausschlagen. Er bat sie auch, etwas genauer Achtung zu geben und die Liebkosungen der Frau zu beobachten; sie würden dann selbst sehen, was von dieser Vertraulichkeit zu denken sei. Mit dergleichen Worten wußte er die Tugend der Gräfin bei einigen Dienern zu verdächtigen und richtete so viel aus, daß er endlich einige auf seine Seite brachte. Einsmals sagte er dem Koch, die



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Gräfin, die damals gerade allein auf ihrem Zimmer war; verlange nach ihm. Der ehrliche Mensch glaubte dieses und eilte zu Genoveva. Da kam denn der Golo herbei, überraschte den Koch bei der Gräfin und ging, ohne ein Wort zu sprechen, wieder zu dem Zimmer hinaus. Ihm folgte der Koch auf dem Fuße, sobald er vernommen, daß die Gräfin ihn nicht gerufen hätte. Sogleich berief Golo seine Vertrauten und klagte ihnen mit erheucheltem Zorne, daß der Koch bei der Gräfin im Gemach getroffen
worden sei. "Was ist hier Rates, meine lieben Freunde", sagte er, "was Rates? Wenn wir dem übel nicht abhelfen, wird ein größeres daraus werden, und wir werden bei der Zurückkunft unseres Herrn nicht bestehen können. Ich bin gewiß, der elende Koch hat unsere Herrin verzaubert und ihr einen Liebestrank unter die Speisen gemischt, und deswegen kann sie nicht von ihm lassen, wenn es ihr auch Ehre und Leben kosten sollte. Darum ist es wohl ratsam, daß man den Koch ins Gefängnis werfe, die Gräfin aber insoweit beaufsichtige, daß ihr der Zugang zu dem Menschen versperrt sei."

Die Freunde erwiderten dem Hofmeister, weil ihm der Graf die Sorge für die Gräfin aufgetragen habe, so solle er tun, was ihm am ratsamften zu sein dünke. Hierauf ließ Golo den Koch rufen, fuhr ihn mit rauhen



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Worten an und warf ihm vor, daß er die Gräfin bezaubert und Liebespulver in ihre Speisen gemischt habe; darum verdiene er, in Eisen geschmiedet und in den tiefsten Turm geworfen zu werden. Vergebens schwur der erschrockene Drago, daß er an solcher Sünde ganz unschuldig sei, und nahm Himmel und Erde zu Zeugen, daß ihm niemals in den Sinn gekommen, sich so an seinem Herrn, dem Grafen, zu versündigen: er ward in Bande und Kerker geworfen und ging nicht eher wieder daraus hervor, als bis man ihn tot heraustrug.

Mit dieser Grausamkeit war der ruchlose Golo noch nicht zufrieden, sondern er stürmte mit einigen seiner Helfershelfer in das Zimmer der Gräfin und rief ihr zu, daß er ihrer verdächtigen Gemeinschaft mit dem Koche Drago nun genug zugesehen habe und, wenn er vor seinem Herrn bestehen wollte, dieses Ärgernis nicht länger dulden könne. Darum sollte auch sie, die den Bund der Ehe gebrochen, ins Gefängnis gelegt und vor weiterer Verfügung des Grafen nicht aus demselben entlassen werden. So wurde die hohe Gräfin, die im achten Monate schwanger ging, ohne ein Verbrechen begangen zu haben, vielmehr wegen Verteidigung ihrer Unschuld von ihrem eigenen Diener, der ihr zum Schutze beigegeben war, gefangengeführt und in einen festen Turm verriegelt.



***
Genoveva erzählte den einsamen Kerkerwänden ihre Unschuld, und die heiligen Engel trugen ihre Klage vor Gottes Thron. Niemand besuchte sie in dem finstern Turm als die Säugamme des bösen Hofmeisters, welche der gefangenen Gräfin täglich eine geringe Nahrung brachte. Endlich erschien auch Golo selbst zu wiederholten Malen und wandte alle Mittel an, das reine Herz seiner unlautern Liebe geneigter zu machen. Er drang mit guten und bösen Worten in sie; er lockte mit Verheißungen und schreckte mit Drohungen; er schmeichelte ihr, als ein erfahrener Buhler, und doch richtete er mit allem diesem nichts weiter aus, als die Gräfin immer standhafter zu machen. Als er nun einst gar seinen Arm um sie schlingen wollte, da stieß sie ihn mit starker Hand von sich und sprach zu ihm: "Du Bösewicht! ist es dir nicht genug, daß du mich Unschuldige in den Kerker geworfen hast, willst du mich auch noch um meine Ehre und meine Seligkeit bringen? Doch sei versichert, daß du dich betrogen findest; denn ich bin bereit, lieber tausendmal zu sterben, als das geringste wider meine Ehre und meine Frauenunschuld zu begehen!" Durch diese Sprache hätte Golo billig abgeschreckt werden sollen; dennoch gab er seine Hoffnungen nicht auf, sondern bestach seine Amme durch das Versprechen großer Vergeltung,


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wofern sie etwas bei der Gräfin ausrichten könnte, daß das lose Weib, sooft es der Gefangenen Speise brachte, ihr mit Worten anlag, sie sollte dem Hofmeister doch wenigstens freundliche Worte geben, damit sie ihrer Gefangenschaft ledig oder zum mindesten mit besserer Nahrung versorgt würde. Aber die standhafte Frau war entschlossen, lieber im Kerker Hungers zu sterben, als ihren Gott zu erzürnen und ihr Gewissen zu beflecken.

Inmittelst nahte die Zeit ihrer Entbindung heran, und die geängstete Frau bat ihre Aufwärterin, die Säugamme, ihr doch nur ein paar Frauen zu verschaffen, die ihr bei dieser ersten Geburt beistehen könnten Das boshafte Weib verwilligte ihr aber nicht nur dieses nicht, sondern sie gab

ihr nicht einmal eine Windel, das Kind, dessen sie genesen sollte, dareinzuwickeln . So war Genoveva in der Stunde der Geburt ganz verlassen; doch gebar sie leicht und ohne Gefahr einen feinen, kräftigen Sohn, den sie, weil sie keine Windeln hatte, in ein Handtuch, das man ihr gelassen, einzuwickeln genötigt war. Nun bat sie inständig, daß man das arme Kind zur heiligen Taufe tragen möchte; weil ihr aber auch dieses verweigert wurde, taufte sie es selbst und gab ihm den Namen Schmerzen- Darnach nahm sie es auf ihre Arme, drückte es an ihr Herz, begoß es mit ihren Zähren und sprach mit großem Mitleiden: Ach, du mein armes Kind, du mein einziger Schatz! Mit Recht nenne ich dich Schmerzenreich ; denn mit Schmerzen habe ich dich unter dem Herzen getragen und mit Schmerzen geboren; aber mit noch größeren Schmerzen werde ich dich erziehen; mit unsäglichem Schmerz werde ich dich verschmachten sehen;



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denn aus Mangel an Nahrung werde ich dich nicht sättigen können; habe ich doch kaum selbst so viel, mein Leben erhalten! Du armer Schmerzenreich , du unglückseliges Kind!"

Die von Golo aufgestellte Wärterin brachte inzwischen diesem die Nachricht, daß von nun an zwei Gefangene in dem Kerker seien, daß die arme Gräfin vor Herzeleid fast verschmachte, und daß ihr wohl eine bessere Labung zu gönnen wäre, damit sie sich und das schwache Kind ernähren könnte. Aber der unbarmherzige Mann hatte weniger Mitleid mit der trostlosen Kindbetterin, als wenn sein Hund Junge geworfen hätte; denn er hoffte, durch dieses äußerste Elend sie zu seiner Liebe zu zwingen. Doch damit sie nicht gar verschmachtete, ließ er ihr etwas mehr Brot geben als zuvor, sonst aber neben dem Wasser gar nichts weiter, und anstatt des Trostes speiste sie der Unmensch mit Schmähworten.



***
Von allem dem, was vorgegangen war, hatte der Graf Siegfried noch nichts vernommen; denn aus Furcht vor dem Hofmeister wagte niemand aus dem Schlosse, ihm etwas davon zu schreiben. Seine Abwesenheit verzögerte sich auch noch länger, als er gehofft hatte, weil er vor Agion eine Wunde bekommen, die gar langsam zu heilen war. Golo aber, damit er die Mißhandlung der Gräfin bei ihm rechtfertigen möchte, fertigte zwei Monate nach Genovevas Niederkunft einen Diener ab, der dem Grafen die Botschaft von allem, was sich ereignet hatte, überbringen sollte. Der Inhalt des Briefs, den er an den Grafen schrieb, war dieser: "Gnädiger Herr! Wenn ich nicht fürchtete, Euch zu betrüben, so wollte ich Euer Gnaden eine Sache, welche ich mit allem Fleiß zu verhehlen suche, in diesem Brieflein offenbaren. Alle Hausgenossen, und sonderlich der überbringer dieses, haben sich mit mir die äußerste Mühe gegeben, ein großes Unheil zu verhüten; dennoch ist alle meine Aufsicht durch die List der Boshaftigen hintergangen worden, dafür bedarf ich kein anderes Zeugnis, als das mir alle Schloßbewohner geben können, wodurch hoffentlich meine Treue außer Argwohn gesetzt und mein Diensteifer beglaubigt werden wird. Belieben dafür Euer Gnaden, von dem Boten, den ich sende, ausführlichen Bericht anzunehmen und seinen Erzählungen vollen Glauben zu schenken und mir durch denselben Diener Eure Befehle kundzutun, wie ich mich in dieser schweren Sache verhalten soll."

Diesen Brief erhielt der Graf gerade damals, als er in einer Stadt im Languedoc die Wunde, die er empfangen hatte, heilen ließ. Er ward durch diese Nachricht so entrüstet und verstört, daß seine Wunde nur unheilfarner



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und der Schaden größer wurde. Der Diener erzählte ihm nämlich ausführlich, was für verdächtige Gemeinschaft die Gräfin mit dem Koch die ganze Zeit über gehabt, und wie der .Hofmeister sie allein mit ihm in der Kammer überrascht habe. Weil sie nun beide auf öfteres Vermahnen nicht voneinander hätten lassen wollen, so habe sich der Hofmeister genötigt gesehen, sie voneinander zu trennen und in zwei verschiedene Gefängnisse sperren zu lassen. Hier im Kerker habe sie einen Sohn geboren, und alles im Schlosse wisse, wessen das Kind sei. Der Graf fragte, zu welcher Zeit die Gräfin das Kind geboren hätte. Da sprach der Diener fälschlich, es sei erst ein Monat verflossen, wiewohl sie schon vor zwei Monaten geboren hatte. Da fing der Graf an zu rasen, als wenn er wahnsinnig wäre, und lästerte die Gräfin samt dem Koch Drago, als ob sie die schlimmsten Ehebrecher wären. "Du verruchtes Weib", sprach er, "sollst du die versprochene Treue so schändlich brechen? Und stellest dich bei mir an, als wenn du ganz heilig wärest!" In solchen Worten machte sich sein Zorn Luft, und nachdem er sich lange besonnen, auf welche Weise er den begangenen Ehebruch abstrafen wollte, schickte er den Diener mit dem ausdrücklichen Befehle zurück: Golo solle die Gräfin so eng einschließen , daß niemand mit ihr reden noch zu ihr kommen könne. Den ehebrecherischen Koch aber sollte er mit der Marter hinrichten lassen, die seine Missetat verdient habe.

Mit diesem ungerechten Befehl eilte der Abgesandte nach Hause, und Golo wußte ihm großen Dank, daß er seinen Auftrag so treulich ausgerichtet habe. Damit nun die Hinrichtung Dragos kein Aufsehen verursachte, ließ er dem armen unschuldigen Koch Gift in seine Speise mengen und, als er daran jämmerlich gestorben, denselben mitsamt den Ketten , in denen er gefangen lag, in einer abgelegenen Grube beerdigen. Die Gräfin aber brauchte nicht enger eingeschlossen zu werden, als sie zuvor war, weil ja von Anfang an niemand als Golo und seine falsche Amme zu ihr gekommen war. Und doch war der Bösewicht mit dieser grausamen Behandlung noch nicht zufrieden; denn er fürchtete immer, seine List und Falschheit möchten durch Genoveva endlich an den Tag kommen. Auch fehlte es nicht an Leuten im Schlosse, welche über die ungerechte Hinrichtung des Koches und das schwere Gefängnis der Gräfin aufgebracht waren; dazu lief die Nachricht ein, daß der Graf Siegfried von dem König in Frankreich seinen Abschied erhalten habe und bereits auf der Rückreise begriffen sei. Den Golo überlief ein kalter Schweiß; er mußte sich kurz besinnen, was in dieser mißlichen Lage anzufangen sei. Deswegen. setzte



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er sich eilends zu Pferde und ritt seinem Herrn entgegen; aber er traf ihn nicht eher, bis er schon zu Straßburg angekommen war.

In dieser Stadt wohnte eine alte Frau, die einen Schein von Heiligkeit von sich gab und für eine sehr gottselige Matrone gehalten wurde; es war dies die Schwester der Säugamme Golos, daher sie denn auch diesen seit vielen Jahren kannte. Zu ihr begab sich der Bösewicht, ehe er zu seinem

Herrn, dem Grafen, ging, und erzählte ihr den ganzen Verlauf der Sache; zugleich verlangte er von ihr, sie sollte gestatten, daß er den Grafen gegen Abend zu ihr brächte, da sollte sie ihm durch Kunst eine Vorspiegelung machen, daß er glaube, die Gräfin habe mit dem Koch gesündigt. Dafür gab er ihr ein Stück Geld, und dann verfügte er sich zu dem Grafen, ihn zu bewillkommnen. Nach Gruß und Gegengruß nahm ihn sein Herr beiseite und forderte vollständigen Bericht über den bösen Zustand; in welchem sich sein Haus befände. Der listige Golo stellte sich, als könnte er
vor Leid kaum reden, und falsche Tränen gaben seinen Lügen einen Schein der Wahrheit. Er erzählte der Länge nach, nicht was die fromme Gräfin begangen, sondern was seine Bosheit ihr angedichtet hatte, und das mit so wohlausgesonnenen Beweisen, daß der gute Graf allmählich glaubte, es müsse alles wahr sein. Golo unterließ auch nicht hinzuzufügen, daß er den Koch ohne öffentlichen Prozeß habe hinrichten lassen, damit die Schande der Gräfin desto mehr bedeckt bleiben möchte.

Der Graf hörte alles mit tiefem Kummer an und verlangte immer wieder neue Beweise; als nun der Falsche bemerkte, daß seinem Herm Zweifel aufstiegen, und er in seinen eigenen Worten gefangen zu werden fürchtete, sprach er zu demselben: "Gnädiger Herr, solltet Ihr etwa gegen meine Worte ein Mißtrauen hegen, so ist in dieser Stadt eine ehrwürdige Frau, die wegen ihrer Gabe, verborgene Dinge zu offenbaren, berühmt ist; wolltet Ihr dieselbe umständlich befragen, so würdet Ihr durch sie gewiß vollständig vom Verlauf der Sache unterrichtet werden." Siegfried ließ sich den Vorschlag gefallen und ging mit einbrechender Nacht, von



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seinem Hofmeister begleitet, zu der Betrügerin. Dieser erzählte er offen, daß er einen Verdacht gegen seine Gemahlin hege, und bat sie, ihm vermöge ihrer Einsicht in die verborgenen Dinge zu entdecken, was sich zwischen der Gräfin und dem Koche zugetragen habe.

Die Frau erwiderte mit erheuchelter Demut: sie sei keine Heilige; soviel ihr jedoch Gott in dieser Sache offenbaren würde, wolle sie ihm gern entdecken . Alsdann führte sie beide Männer in einen dunkeln Keller hinab, in welchem ein grünes Licht brannte, das einen blauen Schein von sich gab. Hier beschrieb sie mit einem kleinen Stabe zwei Kreise auf dem Boden und stellte den Grafen in deren Mitte. Hierauf warf sie einen Spiegel in ein Geschirr voll Wasser, murmelte darüber so ungewöhnliche Worte, daß den Grafen ein Schauer ankam und ihm die Haare gen Berg zu stehen anfingen. Nach diesem drehte sie sich dreimal vor dem Geschirre um, hauchte dreimal darein, rührte es mit den Händen um und sprach einen wunderlichen, zauberischen Segen darüber. Auf ihr Geheiß blickte jetzt der Graf in das Wasser. Da glaubte er in dem Spiegel die Gestalten zweier Personen zu entdecken, die zärtlich miteinander sprachen, und je länger er hineinblickte, desto mehr war ihm, als gliche die Frau, die einen Mann mit lächelndem Angesicht liebkoste, seiner Gemahlin Genoveva, und als wäre der Mann sein Koch Drago. Doch sagte der Graf noch mit freundlichen Worten: "Ich sehe nichts Unrechtes." — "Gut", setzte die Zauberin hinzu, "wir wollen nun weiter sehen, ob es Gott vielleicht gefalle, uns ein mehreres zu zeigen." Sie wiederholte dann die vorigen Zeremonien und hieß den Grafen abermals ins Wasser sehen. Da mußte er mit eigenen Augen schauen, wie die Gräfin mit kosenden Händen dem Koch über die Wangen glitt und wiederholt ihm einen zärtlichen Kuß auf die Lippen drückte. Darüber wurde der Graf sehr schamrot und wartete mit Angst, was zum drittenmal in dem Spiegel erscheinen würde. Als er nun nach den alten Zeremonien zum letztenmal in den Spiegel sah, ward er zu seinem Entsetzen gewahr, daß der Koch mit seiner Gemahlin schändlicherweise sündigte.

Da kochte das Herz des Grafen von Rachgier. Er rief seinem Hofmeister zu: "Golo! Reite voran und laß die Ehebrecherin samt dem Bastard eines schimpflichen Todes sterben! Ich will sie nicht mehr am Leben treffen, wenn ich ankommet" Wer war froher als der rachgierige Golo, da er diesen Befehl vernahmt Er flog auf seinem Roß nach Hause, besprach sich schnell mit der Säugamme und teilte ihr im geheimsten Vertrauen das Bluturteil mit. Doch sollte sie keinen Menschen etwas davon



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wissen lasen, damit unter den Freunden der Gräfin und im Schlosse kein Aufruhr entstünde. Als Golo dies seiner Amme anvertraute, war niemand in der Stube als die kleine Enkeltochter der Frau, vor welcher sich beide wenig scheuten. Nun war das Mädchen wohl noch ganz klein, aber klug und der Gräfin, die es vom Hörensagen kannte und bemitleidete, mit mehr Neigung zugetan als seiner boshaftigen Großmutter. Dies Mägdlein schlich sich sogleich nach dem Kerker, stellte sich vor das kleine Fenster, durch das der Gräfin das Brot und Wasser hineingereicht wurde, und weinte so bitterlich, daß Genoveva es hörte und darüber erschrocken an das Fenster trat. Sie fragte das Mädchen mit freundlicher Stimme, warum sie denn so weine. Da antwortete das Kind: "Gnädige Frau l Euer großes Elend treibt mir diese Zähren aus den Augen; denn es ist mit Eurem Leben aus; Golo hat von unserm Herrn Befehl, Euch hinzurichten." Die Gräfin dachte nicht an sich, sondern nur an ihren Säugling: "Und wie wird es meinem Kinde gehen?" fragte sie. "Nicht besser als Euch!" erwiderte das Mädchen schluchzend.

Jetzt erst erschrak die arme Gräfin so, daß sie fast in Ohnmacht sank. Als sie wieder zu Sinnen gekommen, fing sie an laut zu weinen und zu beten und rief: "Ach, mein Gott, hilf mir! Erlöse mein Kind und mich vom grimmigen Tode!" Dann sprach sie zu dem Mägdlein: "Mein liebes Kind t geh doch schnell in mein Zimmer und bringe mir Papier, Feder und Tinte; für deine Mühe nimm dir von meinen Kleinodien, soviel dir beliebt . Da hast du den Schlüssel zu allem!" Das Mädchen brachte das Verlangte, und nun schrieb Genoveva einen Brief des folgenden Inhalts: "Gnädiger Herr, herzgeliebter Gemahlt Da mir zu Ohren gekommen ist, daß ich auf Euern Befehl sterben soll, so wollte ich Euch mit diesen Zeilen noch gute Nacht sagen und einen freundlichen Abschied von Euch nehmen. Ich will gerne sterben, wenn Ihr es befehlt, obgleich es mich bitter kränkt, daß Ihr mich, die Unschuldige, zum Tode verurteilet. Die Ursache, warum ich sterbe, ist die, daß ich meine Euch gelobte Treue nicht brechen und dem schändlichen Golo, Eurem Hofmeister; nicht willfahren wollte. Doch messe ich Euch, meinem Herrn, keine andere Schuld zu, als daß Ihr meinen Anklägern zu leichten Glauben geschenkt und mir zur Verantwortung keine Gelegenheit gegönnt habt. So kann ich nur vor Gott bezeugen, vor dessen strengem Gericht ich morgen schon erscheinen werde, daß ich mein Leben lang an keinen Mann gedacht habe als an Euch. Mein Trost bleibt, daß dereinst ein Tag aufgehen wird, an dem meine Unschuld hervorkommen und meiner Ankläger Falschheit offenbar werden wird. Gute Nacht,



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gnädiger Herr! liebster Freund! Ich verzeihe Euch von Herzen; ja noch nach meinem Tode will ich Gott bitten, daß mein unschuldiges Blut keine Rache über Euch noch über meine Ankläger schreie. Dies schreibe ich mit zitternden Händen und fließenden Augen; denn in meinem Herzen wohnt der Tod und erfüllt mich mit Schrecken. Eure bis in den Tod getreue und um der Treue willen zum Tode verdammte Genoveva."

Dies Briefchen gab sie dem Mägdlein, daß es dasselbe heimlich in das Gemach der Gräfin legen und keinem Menschen ein Wort davon offenbaren sollte. Die ganze folgende Nacht verlebte sie in eifrigem Gebet und befahl Gott ihren schweren Kampf und bevorstehenden Tod.



***
Am andern Morgen in aller Frühe berief Golo zwei von seinen getreusten Dienern und eröffnete ihnen den ernstlichen Befehl seines Herrn. Er hieß sie deshalb die Gräfin samt dem Kind in einen Wald hinausführen, daselbst umbringen und zum Wahrzeichen vollbrachten Befehls ihre ausgestochenen Augen mitbringen. Wenn sie dies tun würden, wollte er ihre Treue reichlich belohnen, widrigenfalls mit Weib und Kindern sie umbringen lassen. Die Diener unterwarfen sich dem Befehl und gingen alsbald zu der Gräfin Genoveva ins Gefängnis. Hier legten sie ihr ein schlechtes Kleid an, bedeckten ihr Angesicht, damit man sie nicht erkennen sollte, und befahlen ihr, in tiefster Stille ihnen folgen. Da ging die arme Genoveva wie ein unschuldiges Schaf zur Schlachtbank und tat ihren Mund nicht auf, sich mit einem einzigen Wörtlein zu beklagen, sie trug ihr kleines Lamm, ihr Söhnlein, auf den Armen und drückte es ohne Unterlaß an ihr Herz und flüsterte über demselben: "Ach, du mein herzliebstes Engelein, dürfte ich dich nur so lang noch auf meinen Armen tragen, als ich dich unter meinem Herzen getragen habe; nun aber mußt du sterben, ehe du weißest, was schuldig sein heißt, und mußt als schuldig leiden, da du doch niemals eine Schuld begangen hast!" Die Diener hörten diese leisen Worte, und ihr Herz wurde weich, so daß sie ein wahres Mitleiden mit beiden hatten, und es ihnen sehr schwer fiel, den Befehl ihres Herrn zu vollstrecken.

Nachdem sie nun den Wald und einen gelegenen Ort in demselben erreicht hatten, da sagten sie der Gräfin, ihr Herr habe verordnet, sie wegen vollbrachten Ehebruchs hinzurichten, und der Hofmeister Golo habe ihnen anbefohlen, dieses Gebot zu vollbringen. Darum sollte sie dieses grausame Schicksal nicht ihnen, den Dienern, zuschreiben und sich zu einem seligen Tode bereiten. Genoveva, dem Befehl ihres Herrn gehorsam,



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kniete demütig nieder und betete zu Gott aus dem Innersten ihres Herzens . Inmittelst ergriffen die Diener das unschuldige Kind, zogen ihre Messer hervor und wollten ihm den Hals abschneiden. Als die erschrockene Mutter dies sah, sprang sie von ihrem Gebet auf, fiel den Dienern in die Arme und rief mit gebrochener Stimme: "Haltet ein, haltet ein, o lieben Leute, schonet doch des unschuldigen Blutes, und wenn ihr das arme Kind töten wollt, so bringet mich zuvor um, damit ich nicht gezwungen werde, zweimal zu sterben!" Die Diener erhörten diese Bitte und hießen sie ihren Hals entblößen und zum Streiche darstrecken. Genoveva schauerte bei diesen
Worten zusammen, sie zitterte an allen Gliedern; doch sprach sie mit tränenden Augen: "Ich bin bereit zu sterben, aber glaubet mir, gute Männer, daß ihr euch gröblich an mir versündiget; denn ich bezeuge vor Gott, daß ich unschuldig bin, daß ich fälschlich von dem Hofmeister verklagt worden bin, weil ich seinen bösen Willen nicht tun wollte. Glaubet mir auch: wenn ihr mich schonet, so wird es Gott euch und euren Kindern vergelten; bringet ihr mich aber um, so wird mein unschuldiges Blut über euch und eure Kinder Mache schreien."

Durch diese Worte wurden die Herzen der Diener so bewegt, daß es ihnen unmöglich war, der Gräfin ein Leid anzutun; sie sprachen deswegen



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beide auf einmal mit freundlichen Worten ihr: "Gnädige Frau l Uns ist zwar bei Lebensgefahr befohlen, Euch hinzurichten; dennoch, wenn Ihr uns versprechen wollet, nimmermehr unter die Menschen gehen, sondern Euch in dieser oder einer andern Wildnis verborgen aufzuhalten, so möget Ihr in Gottes Namen hingehen und unser in Eurem Gebet eingedenk sein!" Die Gräfin hob ihre Augen gen Himmel, erhub sich freudig, versprach den Dienern, was sie verlangten, mit allem Ernste und dankte ihnen von ganzer Seele für die erzeigte Barmherzigkeit. Die Diener stachen nun einem Windspiel, das mit ihnen gelaufen war, die Augen aus und überbrachten dieselben ihrem Herrn als Beweis ihrer betrübten Mordtat. Den Golo grauste jedoch, die Augen der Frau zu sehen, die er geliebt hatte; er sprach daher abgewendet, sie sollten die Augen voll Ehebruchs den Hunden vorwerfen.

***
Die gerettete Genoveva, verlassen von allen Menschen, ging in dem wilden Wald umher und suchte einen Ort, wo sie vor dem Unwetter geschirmt sich aufhalten könnte; sie fand aber den ganzen, langen Tag keinen , sondern wurde genötigt, unter einem Baume ihre Nachtherberge zu nehmen. So brachte sie die kalte Nacht unter Frost und vieler Furcht hin, ohne allen Schlaf, die weinenden Augen und zitternden Hände gen Himmel gewendet. Als der Morgen anbrach, stand sie auf und nahm ihr Kind, das auf ihrem Schoße geruht hatte, auf den Arm; dann ging sie abermals den ganzen Tag im Walde umher, eine gelegene Höhle oder auch nur einen hohlen Baum zu suchen, um darin zu wohnen. Aber es war wieder vergebens. Da sie nun zwei Tage nichts gegessen und getrunken, so war ihr Hunger und Durst so groß, daß sie die rohen Wurzeln der Kräuter auszuraufen anfing, sich daran zu erfrischen. Die zweite Nacht brachte sie wieder ohne Schlummer und voll Angst unter einem Baume zu. Endlich den dritten Tag, als sie noch tiefer in die Wildnis hineingegangen war, fand sie im Felsgestein eine Höhle und nächst dabei ein kleines Ouellbrünnlein. Die Gräfin nahm diese Wohnung an, als von Gott beschert, und setzte sich vor, ihr übriges Leben in der Höhle zuzubringen . Sie machte sich ein Bett aus Baumzweigen und Laub und suchte sich von Tag zu Tag frische Wurzeln zur Nahrung. Weil sie aber ein so gar kümmerliches Leben führen mußte, so ging ihr bald die Muttermilch aus, und ihr armes Kind trank an der leeren Brust so lange, bis endlich Blut statt der Milch floß; und weil es keine Nahrung mehr bekam, so fing es an zu verschmachten. Sein klägliches Wimmern ging der Mutter


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so tief ins Herz, daß auch sie vor Leid sterben zu müssen meinte. Sie legte das Kind verzweifelnd unter einen Baum und ging weit davon, wo sie es nicht hören und sehen konnte. Dort kniete sie mit aufgehobenen Händen nieder und rief den gütigen Gott so inbrünstig an, daß er sie erhören mußte. "Mein Gott und Erlöser", sprach sie, "können deine gnädigen Augen ohne Mitleiden ansehen, wie dieses unschuldige Kind verschmachten muß? Siehe doch an, barmherziger Gott, wie das arme Lamm vor deinen Augen liegt und mit seinem milden Weinen dich so innig um die nötige Nahrung anruft l Ach, erbarme dich über die Waise, der ihr Vater so hart ist, und die Mutter nicht helfen kann. Ich habe ja keinen Trost mehr auf Erden als dies mein einziges Söhnlein. Nimmst du es mir, so muß ich gar vertrauren in dieser öden Wildnis. Darum gib es mir wieder, barmherziger Gott, gewiß, ich will es dir zur Ehre und zu deinem Dienste aufziehen."

Kaum hatte die weinende Mutter dieses Gebet geendigt, da lief eine Hirschkuh auf sie zu, die sich wie ein zahmes Tier anstellte und freundlich um sie herstrich, gleich als wollte sie sagen: "Siehe, mich hat Gott gesendet , dein Kindlein zu ernähren." Genoveva erkannte mit freudigem Staunen die Fürsehung Gottes, sie eilte zurück zu ihrem Kinde, und da die Hirschkuh ihr nachlief, so legte sie das Kind an die Zitzen des Wildes und ließ es so lange saugen, bis es gesättigt war. Durch diese himmlische Wohltat wurde die gute Gräfin so erfreut, daß sie sich auf die Knie niederwarf und mit vielen süßen Tränen dem Stigen Gott Dank sagte und in Demut um Fortsetzung seiner Hilfe flehte. Ihr Gebet wurde erhört; die Hirschkuh kam täglich, solange beide in der Wüste waren, zweimal, das Kind zu säugen. Dies war die einzige Hilfe, welche das schuldlose Kind sieben ganzer Jahre lang von den Kreaturen empfing, während seine Mutter von Wurzeln und Kräutern leben mußte. Ihre Grafenwohnung hatte sie mit der wilden Einöde vertauscht, ihr schönes Zimmer mit einer finstern Kluft, ihre reichbeladene Tafel mit wilden Kräutern, ihre Kammerjungfrauen waren die unvernünftigen Tiere; statt auf ihr weiches Ruhebett legte sie sich des Nachts in Laub und harte Reiser; anstatt ihrer kostbaren Perlen hatte sie bittere Zähren, und für Lust und Kurzweil nichts als Leid und Traurigkeit. Im Sommer war zwar ihr Elend noch erträglich, im Winter aber quälte sie die Kälte; die Nahrung aus der Erde war kaum aufzutreiben; wenn sie trinken wollte, mußte sie das gefrorene EIS so lange im Munde halten, bis es schmolz; wenn sie Wurzeln suchen wollte, mußte sie den tiefen Schnee hinwegräumen und gar mühselig



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mit einem Holz in die gefrorene Erde hineingraben; wollte sie sich erwärmen, so mußte sie die eiskalten Hände so lange zusammenschlagen und reiben, bis das Blut wieder kam. Und die langen Winternächte, die
kein Ende nehmen wollten, mußte sie mit ihrem kleinen Knaben in der schwarzen Höhle durchleben. Doch waren alle Schmerzen, welche die Gräfin aus eigener Bedrängnis litt, gering gegen den Kummer, den ihr mütterliches Herz über dem Elend ihres Kindes empfand.

Dieses fing allmählich an, heranzuwachsen und sein eigenes Elend zu



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empfinden. Wie oft drückte die Mutter ihren Schah an die Brust, seine kleinen von Kälte erstarrten Glieder zu wärmen! Und wenn sie dann sah, wie sein ganzer Leib von Kälte bebte, so wußte sie vor Trauer sich nicht zu halten und mußte unaufhörlich weinen, und das arme Kind weinte mit, als es seine Mutter so traurig sah. Allmählich jedoch gewöhnte sie sich an so große Mühseligkeiten, und auch der Knabe ward abgehärtet und stark. Da dankte sie Gott, daß er sie mit ihm aus der Gefahr der Welt errettet und in die Wüste geführt hatte. Die meiste Zeit brachte sie mit heiligem Gebete zu und übte sich, je länger; je mehr; in der Andacht und der himmlischen Liebe.

Einst nun, als sie vor ihrer Höhle kniend ihre Augen betend gen Himmel gerichtet hatte, da sah sie staunend ein Wunder sich ereignen. Ein Engel flog herab aus der Höhe, der trug ein gar schönes Kreuz in seinen Händen, an welchem der sterbende Heiland aus Elfenbein abgebildet war, künstlicher, als Menschenhände es vermögen. Dies Kruzifix reichte ihr der Engel und sprach mit holdseligen Worten ihr: "Nimm dieses heilige Kreuz, Genoveva, welches dein Erlöser dir zum Trost vom Himmel herabsendet . In ihm sollst du dich beschauen und spiegeln, vor ihm dein Gebet verrichten. Tröste dich mit diesem Kreuz, wenn du betrübt bist: fliehe zu ihm, wenn du angefochten bist; wenn dich Ungeduld überfällt, so erinnere dich an die Geduld dessen, der an diesem Kreuze hangt." Als der Engel dies gesprochen, stellte er das Kreuz vor ihr nieder und verschwand vor ihren Augen. Das Kreuz aber blieb leibhaftig stehen; Genoveva nahm es und entdeckte bald in ihrer Höhle einen natürlichen Altar, aus Felsen geformt. Dort stellte sie es auf und warf sich mit andächtiger Demut davor nieder, betrachtete ihren gekreuzigten Erlöser vom Haupt bis zu den Füßen, vergaß so ihr eigenes Leid und wurde von so großem Mitleid verwundet, daß ihr das Herz im Leibe zerspringen wollte. An dem Kreuze hatte sie ihren höchsten Trost, dem Kreuze klagte sie ihr Leid. Im Sommer zierte sie es mit grünen Maien und feinen Waldblümlein, im Winter umschlang sie es mit Tannenreisern und immergrünen Wacholderstauden .

Inzwischen erstarkte ihr lieber Sohn Schmerzenreich und lernte allgemach gehen und reden. Genoveva unterrichtete ihn, so gut sie in der Einsamkeit konnte, und hatte mancherlei Kurzweil mit ihm und herzlichen Trost durch das Kind. Gott und die Natur hatten den Knaben mit besonderem Verstand ausgerüstet, daß er vor der Zeit klug zu werden anfing und alles leicht begriff, was die Mutter ihm sagte. Nur war es jammer voll



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anzusehen, wie das arme Kind zuletzt ganz nackt und barfuß ging; denn die schlechten Tücher, in welche die Mutter es von Kindheit an eingewickelt, waren bald zerrissen, und auch die Stücke Tuch, welche die Mutter von ihren eigenen Kleidern abschnitt, wurden bald zu Fetzen. Am Ende kam es so weit, daß Mutter und Kind ihre Blöße mit Moos und Zweigen decken mußten. Da erbarmte sich Gott und sandte einen Wolf daher, der die Haut eines zerrissenen Schafes im Machen trug und sie dicht vor dem Kinde niederwarf. Die Mutter nahm dieses Geschenk mit großem Danke von Gott an, trocknete die Haut und warf sie ihrem Schmerzenreich um.

Von dieser Zeit fingen auch die wilden Tiere an, zutraulich gegen die Waldbewohnerin zu werden. Sie kamen täglich vor die Höhle und spielten mit dem Kinde. Der Wolf, der ihm das Schafsfell gebracht hatte, ließ den Knaben auf sich reiten, und oft speiste der Kleine mitten unter den Hasen und anderem Wild, das um ihn herumlief. Die Vögel flogen ihm auf die Hand und auf das kleine Haupt und erfreuten Mutter und Kind mit ihrem lieblichen Gesang. Wenn das Kind ausging, Kräuter für die Mutter zu suchen, so liefen verschiedene Tierchen mit ihm und zeigten ihm, mit den Füßen scharrend, wo die besten Kräuter wären. Die fromme Mutter hatte auch große Freude an dem Gespräche des Knaben und verwunderte sich oft über seine klugen Fragen und Antworten. Sie lehrte ihn auch das Vaterunser und andere Gebete; niemals aber sagte sie ihm, von welchem Geschlecht er geboren wäre, damit sie nicht sein Leid noch vermehre oder die Weltlust in ihm erwecke.

Einst; als sie ein freundliches Gespräch mit ihm hielt, sagte Schmerzenreich zu ihr: "Mutter, du befahlst mir oft zu sagen: ,Vater unser, der du bist im Himmel! ' So sage mir doch, wer ist denn mein Vater?" — "Liebes Kind", sprach die Mutter, "dein Vater ist der Gott, welcher droben wohnt, wo Sonne und Mond scheint." Das Kind sprach: "Kennt mich denn mein Vater auch?" —"Freilich", antwortete die Mutter, "kennt er dich und hat dich auch herzlich lieb." —"Wie kommt es denn", sagte das Kind, "daß er mir nichts Gutes tut und mich in der Not schmachten läßt?" — "Lieber Sohn", erwiderte Genoveva, "wir sind hier auf der Erde alle in einem Jammertale und müssen vieles leiden; wenn wir aber in den Himmel kommen, alsdann werden wir alle Freude haben." Der Schmerzenreich fragte weiter: "Liebe Mutter, hat mein Vater noch mehr Söhne neben mir?" —"Ja freilich", sprach sie. — Er aber sagte: "Wo sind sie denn? Ich meinte, du und ich, wir seien nur allein in der Welt." Genoveva



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antwortete: "Obwohl du in deinem Leben nie aus diesem Walde hinausgekommen bist, so sollst du doch wissen, daß außerhalb desselben noch viele Menschenwohnungen sind, darin wohnen allerhand Leute; etliche von ihnen tun Gutes, etliche Böses; und die Böses tun, die kommen in die Hölle, darin sie ewige Pein leiden." — Der Knabe sprach endlich: "Mutter, warum gehen wir nicht zu den andern Leuten; was tun wir denn in diesem Walde allein?" — "Wir tun es", erwiderte Genoveva, "damit wir unserem himmlischen Vater desto besser dienen und um so gewisser in den Himmel kommen mögen." Dergleichen Reden führte das kluge Kind gar viele mit seiner Mutter und lernte durch seine vorwitzigen Fragen mancherlei.

Im siebenten Jahre ihres Einsiedlerlebens wurde die fromme Gräfin tödlich krank und glaubte nicht anders, als daß sie sterben müsse; denn die Not und der Mangel an allen Dingen hatten ihren Leib so abgezehrt, daß sie nicht mehr sich selbst gleich sah, sondern ein Schatten des Todes zu sein schien. Ein heftiges Fieber entzündete das Blut in ihren Adern, an allen Gliedern wurde sie kraftlos und voller Schmerzen. Als nun der arme, verlassene Schmerzenreich seine Mutter allmählich dahinsterben sah, da warf er sich über ihren kranken Leib und rief in Verzweiflung aus: "Was fange ich an, geliebte Mutter, wo soll ich hin, wenn du stirbst? In dieser Wildnis bin ich allein, und in der Welt kenne ich keinen Menschen. Mutter, bitte doch den lieben Gott, daß er dich länger leben lasse, denn ohne dich muß dein Sohn verkümmern!" Die sterbende Genoveva suchte nach einem Troste für ihr Kind. Darum sagte sie ihm, was sie bisher



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verschwiegen hatte, und sprach: "Betrübe dich nicht wegen meines Todes und klage nicht so sehr über deine Verlassenheit! Wisse, daß du neben dem himmlischen Vater auch noch einen Vater auf Erden hast; dieser wohnt nicht ferne von diesem wilden Walde, in der Stadt Trier. Zu dem geh nach meinem Tode und sag ihm, daß du sein Kind seiest. Er wird dich leicht erkennen; denn du siehest ihm ganz ähnlich; ja, alle Leute dort werden dich erkennen." Und dann erzählte sie ihm ihr ganzes Unglück, soweit es der Knabe erfahren durfte und fassen konnte. Dennoch ließ sie sich von ihm versprechen, ihre Unbilde nicht rächen zu wollen. Alsdann legte die müde Genoveva ihr Haupt zum Schlummer auf die Seite und erwartete den Tod. Da war ihr, als träten zwei glänzende Engel in die Höhle, und einer beugte sich über ihre Lagerstatt, rührte ihr die Hand an und sprach: "Du sollst leben, Genoveva, und jetzt nicht sterben; denn das ist der Wille deines Gottes." Mit diesem Wort verschwanden die Engel, und die Kranke erwachte gestärkt und mit neuer Lebenskraft. Der kleine Schmerzenreich sah dies, er fuhr fort, seine Mutter zu pflegen, und sah mit seliger Freude, wie sie von Stunde zu Stunde neue Kräfte gewann und endlich völlig gesundete.

***
Nun kehren wir zum Grafen Siegfried zurück. Als dieser von Straßburg wieder in seinem Schlosse zu Trier angekommen war; erzählte ihm sein Hofmeister Golo, daß er die Ehebrecherin samt dem Bastard in einem Walde heimlich habe umbringen lassen. Der Graf war damit wohl zufrieden , lobte die Vorsicht seines Dieners und kehrte zu seiner frühern Lebensgewohnheit zurück. Aber nach wenigen Tagen fing sein Gewissen an, ihn zu ängstigen, und die Erinnerung an Genoveva, ihn mit bitterer Sehnsucht zu betrüben. Er dachte es sich doch als möglich, daß ihr Unrecht geschehen sein könnte; er sah ein, daß er sich sehr versündigt habe, weil er ihre Sache nicht auf gerichtlichem Wege untersuchen lassen. In der folgenden Nacht hatte er einen schweren Traum. Ihm war; als risse ein Drache seine geliebte Gemahlin hinweg, und niemand war, der ihm in dieser Not Hilfe leistete. Dieser Traum vermehrte seine Angst, und er erzählte ihn am andern Morgen seinem Schloßhofmeister Golo. Der war aber arglistig genug, ihn sogleich auszulegen. "Herr", erwiderte er, "der Drache bedeutet den Koch, der ja Drago geheißen, das ist gedolmetscht Drache; der hat seiner Treue vergessen und die Gräfin ihrem rechtmäßigen Herrn entrissen." Golo beredete auch seinen Herm, solchen melancholischen Träumen fernerhin keine Aufmerksamkeit zu schenken, sondern fest überzeugt


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zu sein, die Gräfin samt dem Koch hätten wohl noch einen übleren Tod verdient. Um den Grafen zu zerstreuen, veranstaltete Golo auch mancherlei Gastereien, Tänze, Besuche bei Freunden, und was er sonst wußte, das den Grafen erlustigen konnte. Alle diese Dinge erfreuten nun freilich seine äußerlichen Sinne, aber die Wunden seines angsthaften Herzens konnten sie nicht heilen; diese wurden immer größer und unheilbarer.

Eines Tages kam der Graf in das Zimmer seiner Gemahlin, da fand er unter anderen Schriften den Brief, den Genoveva im Kerker geschrieben, und den das kluge Kind dort wohl versteckt hatte. Er las diesen Brief in der höchsten Spannung seiner Seele und konnte keinen Augenblick länger an der gänzlichen Unschuld seiner lieben Genoveva zweifeln. Da wurde er von solcher Reue und solchem Mitleiden bewegt, daß er bitterlich zu weinen anfing und vor Herzeleid sterben zu müssen meinte. Den Golo aber schalt er einen falschen Verräter und gottlosen Mörder und verfluchte ihn in den Abgrund der Hölle; ja, wenn er gegenwärtig gewesen wäre, er hätte ihn auf der Stelle durchstochen. Aber der Arglistige sah von ferne an der Miene seines Herrn, was ihn erwarte. Er floh deswegen den Hof für einige Tage, bis der Zorn des Grafen sich gelegt hatte. Dann kam er wieder und wußte dem Grafen so scheinbare Gründe entgegenzuhalten und den Brief der Gräfin so lügenhaft zu verdrehen, daß jener seinen Worten mehr als dem Briefe glaubte. "Genoveva", sprach er, "bezeugt in ihrem Schreiben, sie sei unschuldig und habe nimmermehr so arge Tat begangen. Ei, eine schöne Verantwortung! Wenn das Leugnen genug ist, nun dann sind alle Diebe und Ehebrecher unschuldig." So wiegte er das Gewissen seines Herrn in den Schlaf und brachte sich selbst wieder in Gnaden. Aber die innerliche Ruhe des Grafen dauerte nicht lange; die alten Zweifel kamen bald wieder und nagten, je länger, je mehr, an seinem schuldigen Gewissen. Es war ihm immer, als raunte ihm eine Stimme in die Ohren: "Du hast dein Weib Genoveva umbringen lassen; du hast das unschuldige Kind lassen töten; du hast den frommen Koch hinrichten lassen!" So lief er umher wie einer, der keine Ruhe hat.

Golo merkte dies alles wohl; er sah, daß der Gemütszustand des Grafen immer bedenklicher wurde, und glaubte sich bald nicht mehr sicher. In aller Stille verließ er den Hof und das Land; denn er fürchtete, sein Herr möchte ihn zuletzt ergreifen lassen. Einige Zeit darauf ereignete es sich, daß man an einem entlegenen Ort im Felde Spuren eines verscharrten Leichnams entdeckte; man öffnete die Erde, grub tiefer und stieß endlich auf den Körper des hier vergrabenen Koches, den Golo hatte vergiften



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und dorthin schaffen lassen, und den man an veschiedenen Merkzeichen erkannte. Der Graf sah den Leichnam selbst, und von nun an nahmen seine Zweifel über den unverschuldeten Tod des Koches zu. Nach einigen Jahren wurde die Frau zu Straßburg, die den Grafen durch ihre Vorspiegelungen betrogen hatte, eingezogen und als schändliche Betrügerin vom Gerichte zum Feuer verurteilt. Vor ihrem Tode bekannte sie auch diesen Betrug und erklärte, daß die Gräfin samt dem Koch unschuldig sei. Auch bat sie, dem Grafen zu berichten, daß sie auf Anstiften des Hofmeisters Golo jenes Gaukelspiel angestellt habe.

Dies wurde dem Grafen Siegfried in aller Eile gemeldet, und jetzt erst erkannte er ganz klar, wie er von Golo umstrickt und umnebelt worden und seine arme Gemahlin mit ihrem Kind unschuldig dem Tod überliefert hatte. Zorn, Mitleiden, Neue, Verzweiflung durchwühlten ihm sein Herz, und sein ganzes Trachten ging fortan dahin, den Verräter Golo zu suchen. Zwei Jahre war dieser von Hofe weg, und der Graf wußte nicht, wie er den Fuchs fangen sollte; da entschloß er sich endlich zu einer List. Er schrieb dem Bösewicht einen freundlichen Brief, in welchem er sich scheinbar darüber verwunderte, warum er den Hof verlassen habe, wo er doch nichts als Liebe und Ehre genossen. Golo antwortete ausweichend und entschuldigte seine Abwesenheit mit unvermeidlichen Abhaltungen und Familiengeschäften. Der Graf wiederholte seine Briefe, verbarg allen Widerwillen und gab zu erkennen, wie sehr er seines freundlichen Umgangs bedürfe. Dieser Briefwechsel dauerte eine geraume Zeit, bis endlich Golo wirklich glaubte, der Graf sei ihm wieder in Gnaden gewogen.

Endlich stellte der Graf Siegfried gegen den Heiligen Dreikönigstag eine herrliche Jagd und festliche Mahlzeit an, wozu er alle seine Freunde einlud. Unter diesem Vorwande erging auch an Golo eine Einladung, und dieser rannte freiwillig in das zubereitete Netz. Der Graf hieß ihn willkommen , und wirklich freute er sich höchlich über seine Ankunft; Golo war vor den übrigen Gästen eingetroffen, und sie führten in Erwartung dieser einige Tage lang die freundlichsten Gespräche, als wäre gar nichts zwischen ihnen beiden vorgefallen.



***
Sieben ganzer Jahre waren verflossen, die Genoveva in der Wüste zugebracht hatte und von aller Welt für tot gehalten worden war. Der Dreikönigstag und die Feste des Grafen kamen nun auch herbei; damit denn die geladenen Gäste um so bessere Tafel finden möchten, ritt Herr Siegfried selbst zuvor hinaus, um zu jagen, und nahm unter andern Dienern


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auch den Golo mit sich. Da rannten sie in der Wildnis umher, der eine da, der andere dorthin, und jeder befleißigte sich, ein Stück Wild einzurreiben. Von ungefähr wurde der Graf eine schöne Hirschkuh gewahr; er setzt ihr zu Rosse durch Hecken und Gesträuch nach, und verfolgt sie so lange, bis sie sich in eine Höhle rettet, die sich dem Auge des Grafen zwischen Strauch und Gestein auftut. Er wirft einen Blick hinein und erblickt neben dem Wild eine unbekleidete Frau stehend. Er erschrak von ganzem Herzen und meinte nicht anders, als es sei ein Gespenst oder ein Spuk der Hölle. Deswegen bezeichnete er sich mit dem Kreuz und sprach mit Entsetzen: "Wenn du von Gott hifi, so komm zu mir heraus und sage mir, wer du seiest." Genoveva —denn ihre Höhle war es —erkannte den Grafen auf den ersten Blick und sprach mit zitternder Stimme: "Ja, ich bin von Gott her, ich bin ein unglückliches, nacktes Weib. Wollt Ihr, daß ich zu Euch herauskomme, so werfet mir ein Kleid um, meine Blöße zu decken!" Der Graf zog den Mantel vom Leibe und warf ihn in die Höhle. Sie umwickelte sich nun mit dem zugeworfenen Tuche und trat aus der Höhle hervor, die unerschrockene Hindin an ihrer Seite; Schmerzenreich aber war gerade nicht gegenwärtig, sondern hinaus in den Wald gegangen, Kräuter und Wurzeln zu suchen.

Der Graf wunderte sich über die abgemagerte Gestalt des Weibes, das er vor sich sah, und fragte, wer und von wannen sie doch sei. "Mein Herr", sprach Genoveva, . ,ich bin ein armes Weib und aus Brabant gebürtig; ; aus Not bin ich hierher geflohen; denn man hat mich, die ich nichts verschulder hatte, mit meinem armen Kind umbringen wollen." Der Graf zuckte zusammen, doch fragte er weiter, wie lang es her sei, und wie es zugegangen. Genoveva faßte Mut und sprach: "Ich war mit einem edlen Herrn vermählt, der faßte einen Argwohn gegen mich und übergab mich seinem Hofmeister, daß er mich samt dem Kinde, das ich meinem Herrn geboren hatte, umbringen lassen sollte; die Diener aber schenkten mir aus Erbarmen das Leben, und ich versprach ihnen, daß ich nimmermehr vor meinen Herrn kommen, sondern in diesem Walde Gott dienen wolle, und das sind nun schon sieben Jahr." Siegfried zitterte am ganzen Leibe; denn Genovevas Bild stieg vor seiner Seele auf, aber in dieser abgekehrten Gestalt konnte er sie nicht erkennen. Darum sprach er weiter zu ihr: "Liebe Freundin, ich bitte Euch um Gottes willen, sagt mir, wie ist Euer Name, und wie der Name Eures Eheherrn? Da sprach sie seufzend: "Mein Eheherr hieß Siegfried; ich Armselige aber nenne mich Genoveva!"

Diese wenigen Worte durchzuckten den Grafen mächtiger, als wenn ihn



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ein Donnerschlag getroffen hätte. Er bäumte sich in seinen Bügeln und stürzte vom Pferde herab auf den Boden. Da lag er auf der Erde auf seinem Angesicht und atmete lange nicht. Als er aber wieder zur Besinnung kam, richtete er sein Haupt auf und sprach, noch in den Knien liegend: "Genoveva, ach, Genoveva! seid Ihr es?" Sie sprach: "Lieber Herr Siegfried! ja, ich bin die arme Genoveva!" Dem Grafen rollten die Zähren über das Gesicht, er fiel wieder in Erstarrung und konnte lange kein einziges Wort vorbringen. Nach vielem heißen Weinen sprach er endlich, noch immer kniend: "Oh, daß Gott im Himmel erbarmet In solchem Elend muß ich Euch antreffen! Ich gottloser Bösewicht, ich bin nicht wert;
daß mich die Erde trage, ja, ich verdiene, daß sie sich mir auftue und mich der Abgrund der Hölle verschlinge! Bin doch ich die einzige Ursache alles Euren Unheils, ich, der boshafte Mann, der sein unschuldiges Weib falschen Argwohnes wegen umbringen hieß! Verzeihet mir, geliebte Genoveva, nicht um meinetwillen, nein, um des Gekreuzigten willen, der dort auf Eurem Felsen sieht! Ich stehe nicht auf vor Euren Füßen, bis daß ich Gnade erlangt habe t"

Die Gräfin hielt den Strom ihrer Tränen ein und sprach mit halbgebrochenen Worten: "Betrübet Euch nicht, mein Herr Siegfried, betrübet Euch nicht so sehr! Nicht durch Eure Schuld, sondern nach Gottes.



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Anordnung ist es geschehen, daß ich in diese Wüste versetzt worden bin. Ich verzeihe Euch von Herzen und habe Euch schon von Anfang verziehen. Der barmherzige Gott wolle uns beiden unsere Sünden verzeihen und uns seiner Gnade würdig machen!" Darauf reichte sie dem Grafen die Hand und hob ihn von der Erde auf. Hier stand nun der betrübte Graf, in das abgezehrte Angesicht seiner Gemahlin schauend; er meinte, das Herz im Leibe müßte ihm vor Mitleiden zerspringen, als er das holdselige Antlitz, das einst den Engeln glich, jetzt so gar grausam entstellt sah. Er fühlte eine solche Ehrerbietung gegen Genoveva, als ob er vor einer Heiligen aus dem Himmel stünde, und wiewohl sie ihm alle Freundlichkeit erzeigte, so wagte er doch kaum mit ihr zu reden. Nach einigen tiefen Seufzern sprach er endlich: "Und wo ist denn das arme Kind, das Ihr im Kerker geboren habt? Ist es denn nicht mehr am Leben?" —"Freilich ist es ein großes Wunder von Gott, daß es noch lebt", erwiderte Genoveva, "ich allein hätte es nicht ernähren können; aber Gott hat mir diese Hindin geschickt, und das treue Tier hat mein Kind zweimal des Tages gesäugt"'

Sie redete noch, als der kleine Schmerzenreich, mit seiner Schafhaut bekleidet , barfuß dahergelaufen kam, seine beiden Hände voll wilder Wurzeln . Als er aber den Grafen bei seiner Mutter sah, erschrak er sehr und rief: "Mutter, was ist das für ein wilder Mensch, der bei dir steht? fürchte mich vor ihm!" Die Mutter sprach: "Fürchte dich nicht, lieber Sohn! komm nur kecklich her; der Mann tut dir nichts!" Da war bei dem Grafen Leid und Freud so groß, daß er nicht wußte, welches mächtiger war. Als nun das Kind näher trat, nahm es die Mutter bei der Hand und sagte zu ihm: "Siehe, mein Sohn, das ist dein Vater, geh hin, fasse seine Hand und küsse siel" Das Kind gehorchte, der Graf aber nahm es auf seine Arme, drückte es an sein entzücktes Herz und küßte es süßiglich ohne Unterlaß und brachte nichts weiter vor als: "O mein herzliebster Sohn, o mein herzgüldenes Kind!"



***
Als der Graf sich mit Umarmung seines Sohnes ersättigt hatte, blies er stark in sein Jägerhorn und rief die Jäger und die Knechte zusammen. Eilfertig kam einer um den andern, und alle verwunderten sich, als sie die wilde Frau bei dem Herrn und das Kind auf seinen Armen sahen. Der Graf sprach: "Was dünkt euch von diesem Weibe, solltet ihr es wohl kennen?" Da sie nach einigem Beschauen alle nein sagten, so sprach er weiter: "Kennet ihr denn meine Gemahlin Genoveva nicht mehr?" Auf diese Worte überfiel sie eine solche Verwunderung, daß sie nicht wußten, was


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sie sagen oder denken sollten. Einer nach dem andern ging hinzu, hieß sie freundlich willkommen und erfreute sich von Herzen, daß diejenige noch lebte, die alles im Schlosse schon sieben Jahre lang beseufzet hatte. Zwei von ihnen ritten eilig nach Hause und kamen mit einer Sänfte samt Gewändern zurück, die Gräfin ehrbarlich zu schmücken und heimzutragen.

Unter allen Dienern, die auf den Jagdruf des Grafen herbeikamen, war Golo der letzte, als ahnete es ihm, daß nichts Gutes für ihn vorgegangen sei. Der Graf hatte ihm zwei Diener entgegengeschickt mit dem Befehl, er solle eilen, es sei ein wunderseltsames Wild gefangen worden. Wie er nun hinzukam, da sprach Herr Siegfried: "Golo, kennest du dieses Weib?" Er schreckte zusammen, doch sagte er: "Nein, ich kenne sie nicht." Weiter sprach der Graf: "Du ruchlosester Bösewicht, der unter der Sonne wandelt , kennst du Genoveva nicht, die du fälschlich bei mir verklagt und um schuldig in den Tod geschickt hast? Du Mörder, wie soll ich dich genug strafen, welche Qualen soll ich ersinnen, mit denen ich dich genug martern kannt" Golo lag indessen auf der Erde und wälzte sich und batum Barmherzigkeit. Der ergrimmte Graf aber befahl, ihn hart zu binden und als den größten Übeltäter gefangen abzuführen.

Hierauf bat Siegfried, Genoveva möchte sich gefallen lassen, mit ihm in das Schloß zurückzugehen, aber sie betrat noch einmal zuvor ihre Höhle und fiel vor dem Kruzifixe nieder, Gott für alle an diesem Orte empfangene Wohltaten zu danken. Alsdann nahm sie der Graf bei der Hand, ein edler Ritter trug den jungen Grafen nach. Muntere Vögelein flogen über Genovevas Haupte und zeigten mit dem Flattern ihrer Flügel an, wie ungerne sie die Frau und das Kind von sich ließen. Die Hirschkuh folgte der Gräfin wie ein sanftmütiges Lamm und wollte keinen Schritt von ihr weichen. Endlich kam man zur Sänfte, in welche sie gesetzt ward, und nun bewegte sich der Zug dem Schlosse zu.

Hier war das große Wunder schon zur lauten Märe geworden, jeder wollte die Wiedergefundene sehen, Freunde und geladene Gäste kamen scharenweise auf das Schloß, wo sie große Ursache zu frohlocken antrafen, da sie die teure Verwandte wie von den Toten auferstanden fanden und die wunderbare Weise vernahmen, durch welche Gott ihre Unschuld geoffenbart hatte. Als das Ehepaar angekommen und begrüßt war, begannen die Feste und dauerten die ganze Woche. Mahl folgte auf Mahl; aber Genoveva konnte von keiner Speise genießen und den Freudenwein nicht kosten; aus Wurzeln und Kräutern mußte man ihr die Speise bereiten, die sie allein essen konnte.



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Als die Freudenwoche vorüber war, wurde auch über Golo Gericht gehalten . Der Graf ließ ihn aus seinem Gefängnisse holen und sämtlichen Gästen vorführen. Er erzählte ihnen alle seine Frevel und ließ sie urteilen, welche Strafe ein so teuflischer Bösewicht verdient habe. Die ganze Verwandtschaft schrie Rache über den boshaften Verräter und verurteilte ihn zum grausamsten Tode. Da warf sich der Bösewicht zu Genovevas Füßen, und diese bat ihren Herrn inständig, dem armen gedemütigten Sünder zu

verzeihen. Der Graf hätte ihr zwar wohl diese Gunst bewilligt, er wagte aber nichts ohne seine versammelten Verwandten zu tun. Diese willigten jedoch in keine Gnade, damit nicht in künftigen Zeiten gesagt werden könnte, Golo sei unschuldig gewesen, und darum habe man ihm das Leben nicht nehmen können. So wurde er abgeführt und litt, was er verschuldet hatte. Auch alle diejenigen, die es mit Golo gehalten, wurden mit dem Schwerte gerichtet; alle dagegen, die der Gräfin treu geblieben waren oder ihr einen Dienst erwiesen hatten, wurden reichlich belohnt, darunter auch das Mägdlein, die der Gräfin Feder und Tinte in das Gefängnis gebracht, sowie einer von den Dienern, die ihr das Leben geschenkt hatten; der andre war schon gestorben, dafür erhielten seine Kinder die Wohltat.



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Die Feste waren zu Ende, und die Gäste hatten das Schloß des Grafen verlassen. Fortan lebte Genoveva mit ihrem Gemahl in großer Heiligkeit, und er wußte nicht, wie er ihr genug dienen und aufwarten sollte, er liebte sie, wie die Engel im Himmel sich lieben, und ließ ihr alle Ehre erweisen, die man einer durchlauchtigsten Fürstin erweist. Aber die Gräfin freute sich irdischer Ehre nicht mehr, und ihr Körper war von dem langen Elend so schwach, daß ihr keine Pflege mehr frommen mochte. Kaum mochte sie drei Monate aufs neue mit ihrem lieben Herrn verlebt haben, so wurde sie eines Tages über dem Gebete entzückt und sah eine herrliche Erscheinung . Eine Schar heiliger Frauen und Jungfrauen nahte sich ihr; und mitten unter ihnen ging die Mutter Gottes glorwürdig einher. Jede von diesen Heiligen reichte der Gräfin eine himmlische Blume; die Himmelskönigin aber hielt eine mit köstlichen Edelsteinen besetzte Krone in der Hand und sprach: "Geliebte Tochter, betrachte diese Krone; du hast sie erworben durch die Dornenkrone, die du in der Wildnis getragen hast. Empfange sie von meinen Händen; denn es ist Zeit, daß sich bei dir die Ewigkeit deiner Freuden anhebe!" Mit diesen Worten setzte sie ihr die Krone auf das Haupt und fuhr mit ihrer Begleitung wieder gen Himmel.

Über diese Erscheinung war Genoveva sehr froh; denn sie war dadurch versichert, daß ihr Elend nun bald ein Ende nehmen werde. Doch sagte sie ihrem Gemahl nichts davon, damit er sich nicht vor der Zeit betrüben möchte. Aber die Erfüllung zögerte nicht lange. Denn bald darauf wandelte die fromme Gräfin ein Fieber an, das sie zuletzt aufs Krankenbette warf. Und gegen diese Krankheit fruchtete kein Mittel, so daß Siegfried und sein Sohn Schmerzenreich bald in trostloses Leid versanken. "Ach, geliebte Genoveva", rief der Graf an ihrem Lager aus, "wollt Ihr denn, kaum gefunden, so bald von mir scheiden und mein ganzes Herz wieder betrübend Habt Mitleid mit meinem Jammer und bittet den lieben Gott, daß er Euch noch eine Weile bei mir lassen wolle!" Genoveva sprach freundlich darauf: "Betrübet Euch nicht so sehr wegen meines Todes, lieber Gemahl; Ihr richtet damit nichts andres aus, als daß Ihr mich mit Euch betrübet. Ihr seht ja wohl, daß es nicht anders sein kann; darum gebet Euch von freien Stücken in den göttlichen Willen. Was mich in meinem Tod am meisten bekümmert, ist, daß ich Euch und meinen lieben Schmerzenreich in solcher Bekümmernis sehen muß; wenn ihr beide getrost wäret, so wollte ich freudig sterben und dies elende Leben mit einem bessern vertauschen."

Von da an brachte die Gräfin ihre ganze Zeit in lauter Andacht zu; sie



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ließ alles, was im Schlosse war, zu sich rufen und gab allen ihren Muttersegen , besonders segnete und tröstete sie ihren geliebten Schmerzenreich, dessen Verlassenheit ihr am meisten zu Herzen ging. Und so ent
floh endlich ihr seliger Geist dem schwachen Leib und ging ein in das ewige Leben. Siegfried mit seinem Söhnlein warf sich jammernd über den Leichnam seiner geliebten Genoveva. Alle Diener und Frauen im Schlosse wehklagten; der Graf lag Tag und Nacht auf den Knien vor der Leiche und weinte mit zusammengeschlossenen Händen so beweglich, daß


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man meinte, er müsse die Gestorbene mit seinen heißen Zähren wieder lebendig machen. Die arme Hirschkuh, die der Gräfin aus der Wildnis in das Schloß gefolgt war und hier zahm herumging, fing an zu trauern, sobald ihre Herrin gestorben war; und als man endlich den Leichnam bestattete, ging sie mit gesenktem Kopfe der Leiche nach und schrie so beweglich, daß es die Menschen erbarmte; nach dem Begräbnis legte sie sich auf das Grab und wich nicht mehr, bis sie vor lauter Trauern gestorben war.

Mit der heiligen Genoveva war dem Grafen alle Lust und Freude begraben , und kein Ding auf der Welt gewährte ihm ferner ein Genügen. In der Kirche lag er allezeit kniend auf ihrem Grab, und in dem Schlosse verriegelte er sich täglich in ihrer Kammer, da war ihm, als hätte er sie vor Augen, und führte ein klagendes Zwiegespräch mit ihr und bat ihr unter Tränen ab, daß er sie im Leben so hart verfolgt habe. Auch zu der Höhle, in der Genoveva gelebt hatte, ging er hinaus, und als er vor dem Kruzifix auf den Knien lag, da sprach er bei sich selbst: "Dies ist die Höhle, die mit den Seufzern der verlassenen Unschuld angefüllt ward; hier hat deine treue Gemahlin fremde Sünden abgebüßt, warum solltest du hier nicht deine eigene Sünde abbüssend" Als er dies bei sich selbst gesprochen, entstand in seiner Seele wie durch Eingebung der Vorsatz, in jener Höhle ein Einsiedlerleben zu führen. Er kehrte auf der Stelle nach Trier zurück und begehrte und erhielt vom Bischof Hidulf die Erlaubnis, eine Kapelle an dem Ort zu erbauen.

Als nun eine schöne Kirche in der Wildnis fertig war mit zwei oder drei Einsiedeleien für solche, die daselbst Buße tun wollten, wurde der Leichnam der frommen Genoveva dorthin gebracht, damit sie da ruhen möchte, wo sie so lange ein strenges und ruheloses Leben geführt hatte. Da mochte man Wunder sehen. Denn obgleich der Leichnam in einem marmornen Sarge lag, den kaum sechs Stiere hätten fortbewegen können, so zogen ihn doch zwei Pferde so leicht, als wenn sie gar keine Last hätten. Und wo der Trauerwagen vorübergeführt wurde, da neigten sich die Hecken des Waldes , als schwankten sie vom Winde bewegt; ja selbst die höchsten Bäume bogen ihre Aste tief gegen ihn herunter. So wurde der Leichnam der heiligen Frau beigesetzt und das himmlische Kreuz auf den hohen Altar gestellt.

Der Graf bestellte nun seine Sachen im Schlosse und ordnete alles an, wie er es vor seinem Ende hätte verordnen müssen. Dann berief er seinen Bruder und sprach in Gegenwart seines Sohns: "Lieber Bruder, Ihr habt schon seit geraumer Zeit an mir bemerken können, daß ich nirgends Genügen haben kann als in der Trauer um meine geliebte Genoveva. Darum



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habe ich mich entschlossen, die Welt gänzlich zu verlassen und an dem Orte, wo meine Gemahlin gelebt hat, zu leben und zu sterben; deswegen setze ich Euch zum Vormunde meines Sohnes Schmerzenreich und bitte Euch, Ihr wollet an ihm tun, als wenn es Euer leiblicher Sohn wäre; ich bin gewiß, auch er wird Euch Gehorsam und Ehrerbietung bezeigen, wie ein Kind seinem Vater schuldig ist." Dann sprach er zu seinem Sohne: "Hörst du es, mein her liebstes Kind, daß ich die Welt zu verlassen begehre und dir meine ganze Grafschaft übergeben Dein Herr Vetter soll hinfort dein Vater sein." Da sprach Schmerzenreich: "Ei, lieber Vater, meinet Ihr auch, daß es recht sei, daß Ihr für Euren Teil den Himmel erwählen wollet und mir für meinen Teil nur ein wenig Erde hinterlassend Nein, Vater, das tue ich nicht; ich will ebensowohl den Himmel haben als Ihr. Wo Ihr leben wollt, will ich auch leben; wo Ihr sterben wollt, will ich auch sterben." Alle verwunderten sich über die Sprache des Knaben. Der Graf mahnte ihn mit weinenden Augen ab: "Mein lieber Sohn", sprach er, "das strenge Leben dort wird dir schwer fallen, dein zärtlicher Leib wird es nicht aushalten können!" - "Ei, besser als Ihr, mein Vater", sprach der junge Schmerzenreich, "habe ich doch sieben Jahre lang die Probe ausgestanden!"

So überließ Schmerzenreich die Grafschaft seinem Ohme, und dieser und der Vater umfingen beide das Kind mit herzlicher Liebe. Vater und Sohn legten Pilgerkleider an, nahmen mit vielen Tränen Abschied von der Verwandtschaft



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und zogen in die rauhe Wildnis, daselbst Gott bis an ihr Ende zu dienen. Sobald der kleine Schmerzenreich hier ankam, erkannten ihn seine alten Gespielen, die wilden Tiere, wieder, kamen in großer Menge herbei und freuten sich seiner Ankunft. Da bezogen Vater und Sohn die Einsiedeleien, brachten darin ihr Leben im Andenken an die fromme Genoveva heilig zu und sind auch daselbst gottselig im Herm entschlafen.


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Das Schloß in der Höhle Xa Xa

Mit Bildern von Oskar Pletsch



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Es lebte einst in Europa ein jüdischer Zauberer, namens Mattetai, der es in seiner Kunst so weit gebracht hatte, daß er alle verborgenen Schätze ergründen und sie nach Belieben gebrauchen konnte. Doch hatte er daran noch nicht genug, sondern da er in einem alten Buche gelesen hatte, daß in der afrikanischen Höhle Xa Xa ein Schlüsselschloß versteckt liege, welches die Eigenschaft habe, daß sein Besitzer der glückseligste Mensch werden und alles erlangen könne, weil die Erdgeister daran gebunden wären und demjenigen zu Willen sein müßten, der das Schloß in seiner Gewalt hätte: so wässerte ihm der Mund schon lange auch nach diesem seltenen Schatz. Da aber, um dieses Schloß abzuholen, allerlei Förmlichkeiten beobachtet werden mußten, die Mattetai noch nicht kannte, so wollte er darüber erst den rechten Bericht einziehen. Weil er nun unter andern Dingen auch einen Ring besaß, an welchen die Luftgeister gefesselt waren, so berief er diese, indem er den Ring um seinen Finger drehte. Alsobald kamen drei Luftgeister herangeflogen und fragten Mattetai, was sein Begehren wäre. Dieser antwortete: "Ich möchte gerne das unschätzbare Schloß in der Höhle Xa Xa haben und berufe euch zu dem Ende, daß ihr mir zu Hilfe kommen sollt." Die Luftgeister antworteten: "Mit Gewalt, Herr, können wir Euch in dieser Sache nicht dienen; denn das Schloß wird von Erdgeistern bewacht, welche stärker sind als wir, und gegen die wir wenig ausrichten können. Bedienet Euch aber einer List, so werdet Ihr vielleicht von selbst obsiegen und das Schloß in Eure Gewalt bekommen!"—"Wohl gut", erwiderte Mattetai, "wie muß ich's aber angreifen?" —"Ganz so", sagten sie, "wie es in Eurem großen Buche geschrieben steht! Vor allen Dingen müßt Ihr einen türkischen Knaben dazu haben, der noch ein unschuldiges Kind ist und Euch in allem folgt, was Ihr ihm nach Anzeige des Buches befehlen werdet." Mattetai griff nach dem Buche, sah sich genau darin um, sprang endlich auf und sagte zu den Luftgeistern: "Gut, bringt mich nach Konstantinopel; dort hoffe ich anzutreffen, was ich suche."

Flugs ergriffen ihn die willigen Luftgeister und führten ihn durch die Luft in ein paar Augenblicken nach Asien hinüber, wo sie ihn nahe bei der Stadt Konstantinopel auf den Erdboden niedersetzten. Hier entließ er die



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Geister; ging hinein in die Stadt und durchwanderte viele Straßen, bis er endlich einen Knaben antraf, der ihm diejenigen Eigenschaften zu haben deuchte, die dazu nötig waren, das Werk, das er vorhatte, glücklich auszuführen . Es war ein armer mutterloser Taglöhnerssohn, namens Lameth; diesem nahte sich Mattetai, während er gerade mit andern Jungen seinesgleichen auf der Straße spielte, grüßte ihn freundlich und fragte: "Wo wohnt dein Vater?" —"Nicht weit von hier", antwortete Lameth. Mattetai
bat, ihn zu seinem Vater zu führen; das tat Lameth und brachte ihn zu seinem Vater, welcher Achim hieß. Diesen redete Mattetai ganz höflich an und richtete die Bitte an ihn, ob er ihm nicht seinen Sohn, solang er hierbleiben würde, um ein bestimmtes Geld des Tages zur Bedienung überlassen wolle, damit er ihm die Straßen zeige, die er in seinen Geschäften zu gehen hätte; denn als ein Fremder wisse er gar keinen Bescheid in dieser ungeheuren Stadt. Auf die Frage Achims, wo denn der Fremde wohne, gab dieser zur Antwort: "Ich komme eben zum Tore herein und will gerade von Euch vernehmen, wo ich wohl unterkommen könnte."Achim zeigte ihm ein Haus in der Nachbarschaft und sagte: "Hier werdet Ihr in allem wohlbedient werden, und weil es in unserer Nähe ist, kann auch mein Sohn um so besser zu Euren Diensten sein."

Mattetai bedankte sich für den guten Rat, schenkte dem Taglöhner einen



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Dukaten, bestimmte des Knaben Lohn und erklärte sich noch überdies bereit, für seinen Unterhalt sorgen zu wollen, wenn er ihm getreu dienen würde. Achim, als er von soviel Geld hörte, das er durch seine harte Arbeit in Monatsfrist nicht zu verdienen wußte, und das der Knabe alle Tage für so geringe Mühe bekommen sollte, dankte dem Gott Mahomets in seinem Herzen und wünschte nur, daß Mattetai recht lang in Konstantinopel verweilen möchte. Er übergab ihm seinen Sohn und prägte demselben ernstlich ein, seinem neuen Herrn in allem gehorsam zu sein und treulich zu dienen. Mattetai dankte noch einmal und begab sich mit Lameth in das angewiesene Haus, ließ sich dort ein gutes Mahl zurichten, das der Knabe mit ihm teilen und noch dazu die Brocken in seines Vaters Haus tragen durfte. Gleich für den ersten Tag gab ihm der Zauberer einen Dukaten Lohn, obgleich er ihm noch wenig gedient und nur etliche Stunden bei ihm geblieben war. Er schickte ihn damit beizeiten fort, weil er vorgab, reisemüde zu sein, und nicht mehr ausgehen möge, sondern ruhen wolle.

Lameth überbrachte seinem Vater alles mit Freuden, und dieser kam ganz außer sich, als er auf einmal soviel Geld vor sich sah; er befahl seinem Sohn, dem Herrn zu tun, was er ihm an den Augen absehen könnte, und schickte ihn am Morgen in aller Frühe zu dem Fremden. Mattetai ließ nun sogleich einen Kleiderhändler rufen, der ein sauberes Kleid für den Knaben bringen mußte; darauf befahl er ihm, zwei gute Pferde zu mieten. Auf diese setzten sie sich und ritten so in Konstantinopel herum, alle Seltenheiten zu besehen. Des Abends kehrten sie wieder heim, speisten zu Nacht, und Lameth erhielt wieder den versprochenen Taglohn und wurde mit den übriggebliebenen Speisen beladen zum Vater heimgesandt. So hatte auch Achim rechte Herrentage, dachte fast an kein Arbeiten mehr und wünschte nur, daß Mattetai sein Lebenlang dableiben möchte. Vierzehn ganzer Tage währte es so, und Vater und Sohn hätten dem Fremden gerne die Hände unter die Füße gebreitet; allein Mattetai mußte sich ganz wider seinen Willen so lang in Konstantinopel aufhalten, um den rechten Tag abzuwarten, an dem das große Geschäft unternommen werden könnte.

Den Abend, ehe dieser Tag erschien, befahl der Zauberer dem Lameth, die besten Pferde, die er bekommen könnte, zu mieten und gleich bei Anbruch des Tages mit denselben zu ihm zu kommen; denn er sei willens, nachdem er alles Schöne in der Stadt eingesehen, morgen auf das Land zu gehen, die Gegend außerhalb der Stadt zu besichtigen und ihre Annehmlichkeiten



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zu genießen. Lameth tat mit Freuden, was ihm Mattetai befohlen , und kam am andern Tag in aller Frühe mit zwei der besten Pferde, die er hatte bekommen können. Auf das eine setzte sich Mattetai, Lameth folgte ihm auf dem andern willig nach. Als sie ein paar Meilen von der Stadt entfernt waren, verließ der sauberer auf einmal die ordentliche Straße und ritt in das Gebüsch hinein. "Herr", sagte Lameth, "wir wollen der Landstraße folgen, sonst könnten wir uns verirren." Aber Mattetai sagte: "Folge mir nur nach; weil die Sonne so heiß scheint, will ich lieber im Waldesschatten retten; nachher werde ich den Weg auf die Landstraße schon wieder zu finden wissen." Er gab mit diesen Worten seinem Pferde die Sporen und ritt so scharf zu, daß Lameth ihm fast nicht nachfolgen konnte, da Mattetai durch Hecken und Stauden, über dick und dünn dahinsprengte. Endlich vermochte der Knabe nicht länger es auszuhalten; er rief deswegen dem Zauberer nach und bat ihn innezuhalten. Dies tat jener endlich; an einer öden Stelle angekommen, stieg er vom Pferde, band dasselbe an einen Baum und befahl dem Lameth, ein gleiches zu tun und mit ihm ein wenig auszuruhen. Lameth war recht froh darüber; sobald er sein Pferd auch angebunden, lagerte er sich und verschnaubte ein wenig.

Indessen zog Mattetai ein großes Buch aus seiner Manteltasche, schlug es im Grase auf und las eine Weile darin. Nachher drehte er seinen Ring am Finger um und murmelte etwas in seinen Bart; und siehe da, im Augenblick standen drei Luftgeister vor ihm, die fragten, was er zu befehlen hätte. Lameth, der dergleichen noch niemals gesehen hatte, erschrak darüber so sehr, daß er fast vor Schrecken gestorben wäre. Aber Mattetai richtete ihn bald wieder auf, und sagte: "Fürchte dich nicht, mein Sohn, es soll dir kein Haar gekrümmt werden! Folge mir nur; ich versichere dich, es soll dich nicht gereuen; ich will dich so reich machen, daß du mir's dein Lebtag danken wirst." Mit diesen und andern Worten beruhigte er den Knaben; dann wendete er sich zu seinen Luftgeistern und sagte zu dem einen: "Da, nimm diese zwei Pferde und überbring sie ihrem Herrn wieder! Ihr aber" —sagte er zu den zwei andern —"ihr bringet mich und meinen getreuen Diener hier unversehrt nach Afrika, zu der berühmten Höhle Xa Xa."

Im Augenblick wurden beide von den Geistern ergriffen, durch die Luft entrückt und in einem Nu nach Afrika hinübergebracht, wo die Geister sie vor einem großen Hügel niedersetzten. Mattetai verabschiedete hier seine Luftgeister, zog sein Buch wieder heraus und las darin. Dann holte



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ein Feuerzeug, das er mit sich trug, hervor, zündete ein Feuer an und beschrieb einen Kreis darum. Hernach streute er Weihrauch ins Feuer und murmelte einige unverständliche Worte. Während er dies tat, entstand in dem Hügel ein großes Getöse, wie wenn es donnerte; alsdann geschah ein entsetzlicher Knall, mit dem sich der Hügel öffnete und viel feurige Flammen aus der Höhle herausführen. Als dies geschehen war, ging Mattetai aus dem Kreise und auf Lameth zu, der vor Furcht und Schrecken
nicht wußte, ob er noch lebe oder gestorben sei. Mattetai aber ergriff ihn beim Arm, richtete den Zusammengesunkenen empor und sagte zu ihm: "Lieber Lameth, jetzt ist die Stunde gekommen, wo du mich und dich auf unser ganzes Leben glücklich machen kannst. Merke deswegen genau auf alles, was ich dir sagen will: du siehst hier die Öffnung dieses Hügels; in ihn hinein mußt du dich begeben; fürchte dich nicht, es wird dir, wenn du mir in allem folgst, nichts Widriges begegnen. Erstlich nimm hier diesen Ring (mit diesen Worten steckte er ihm einen Ring an den Finger) und gib acht, so lieb dir dein Leben ist, daß du ihn nicht verlierest, noch ihn dir von jemand nehmen lassest; denn solang du ihn am Finger trägst, wird dir niemand etwas anhaben können. Darauf geh nur freudig in die


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Höhle; wandere den langen, finstern Gang gerade durch; kehre dich weder zur rechten noch zur linken Hand; und wenn man dir ruft, so sieh nicht einmal hinter dich. Wenn du aus dem finstern Gang herausgetreten bist, wirst du durch drei Zimmer kommen, die alle voll von Gold, Silber, Edelgestein und andern köstlichen Sachen sind. Rühre beileibe nichts davon an, sondern gehe geradenweges fort, dann kommst du in einen schönen Garten , der voll Bäume mit süßen Früchten ist; von denen kannst du, wenn es dich nach etwas lüstet, pflücken, soviel du willst; doch halte dich nicht zu lange auf, denn sonst würde die Zeit vergehen, während welcher die Kluft offen bleibt; eile deshalb nur weiter vorwärts; dann wirst du endlich an einer marmornen Säule ein großes Schloß mit einem Schlüssel an einer Perlenschnur angehängt finden. Schneide die Schnur entzwei, schiebe sie mit Schloß und Schlüssel geschwind in die Tasche und laufe geradenweges wieder zu mir heraus; laß dich durch nichts, was in der Welt es auch sein mag, an deiner Rückkehr hindern, sondern eile den Weg, den du gekommen bist, zurück, ohne ein Wort zu reden."

Lameth entsetzte sich über des Fremden Worte; er war blöde und konnte sich nicht entschließen, ein so gefährliches Werk zu unternehmen. Mattetai redete ihm indessen aufs ernstlichste zu und ließ ihn einen Blick in das glänzende Leben tun, das er ihm bereiten wolle. Als aber Lameth noch immerfort zitterte und bebte und sich zu nichts willig zeigte, da fürchtete der Zauberer, wenn die rechte Stunde verlaufen sei, so möchte er mit aller Welt Hilfe das, was er suchte, nicht mehr erlangen. Er wurde daher zornig, ergriff Lameth beim Kragen, warf ihn zu Boden und sagte: bringe dich um, wenn du nicht vollführst; was ich dir befehle!" Da bat ihn Lameth um Gnade und versprach tun zu wollen, was er verlange. Jetzt wurde der Zauberer wieder ganz freundlich, wischte ihm den Staub ab, stärkte ihn mit kräftigen Arzneien, die er bei sich hatte, und begleitete ihn bis an den Hügel. Hier hieß er ihn in die gespaltene Höhle hineingehen, und als der Knabe den Eingang überschritten, setzte er sich an demselben nieder und erwartete vor der Höhle mit Schmerzen seine Zurückkunft.

Wie Lameth sich im Eingang der Höhle befand, folgte er der Angabe seines Meisters; er ging emsig, doch mit Furcht und Behutsamkeit vorwärts , denn es war so finster, daß er gar nichts um sich gewahren konnte; jedoch, eingedenk der Warnungen seines Meisters, ließ er sich nicht hindern sondern ging seines geraden Weges fort. Da wurde es denn plötzlich hell, und er kam in ein Zimmer, in dem lauter silberne Gefäße standen, mit Blumen schön geziert. Doch verstand Lameth ihre Kostbarkeit



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nicht; er hielt sie nicht für besser als gewöhnliches Metall, sah sie mit Verwunderung an, berührte jedoch nicht das Geringste davon, sondern ging vorwärts. Da kam er in ein anderes Zimmer, wo Körbe und Schalen aus lauterem Golde gefertigt standen, darin nichts als Edelsteine, Perlen und andere Kleinodien waren. Diese Dinge kannte Lameth noch weniger; er hielt sie für schöne Spielsachen und achtete ihrer nicht, sondern ging seines Weges fort. So kam er in ein drittes Zimmer, das mit silbernen und goldenen Münzen ganz gefüllt war; denn sie waren in Haufen aufgeschüttet, als wäre es Korn. Was Münzen sind, wußte Lameth wohl: fast hätte ihn die Lust überwunden, seine Taschen damit anzufüllen; doch noch zu rechter Zeit fielen ihm Mattetais Drohungen ein; er fürchtete, sein Gelüste mit dem Tode bezahlen zu müssen, und so eilte er weiter fort. Jetzt kam er in den schönen lachenden Garten, von dem ihm gesagt war; da standen viele Bäume, alle mit weißen, gelben, grünen , roten Früchten, die wie durchsichtig schimmerten, geziert. Er sah sie mit Erstaunen an und mit Verlangen. Wußte er doch, daß er von ihnen zu sich nehmen durfte, wieviel er wollte. Doch hielt er es für keine rechte Früchte, sondern glaubte, es seien bunte, schön geschliffene Gläser: nun begann er, seine Taschen damit zu füllen; da fiel ihm plötzlich ein, daß der Fremde ihn gewarnt hatte, nicht viel Zeit damit zu versäumen, damit die Höhle nicht geschlossen werden möchte. So eilte er weiter und erblickte bald eine marmorne Säule; an dieser hing an einer Perlenschnur das wunderbare Schloß. Sowie er dieses ersah, lief er darauf zu, schnitt es geschwind ab und wollte es in die Tasche stecken. Aber seine breiten Taschen waren voll von den Wunderfrüchten, die er gepflückt hatte. Da besann er sich nicht lange, nahm seinen Turban ab, rollte ihn auf und verbarg das Schloß samt Perlenschnur sorgfältig darin; dann wand er ihn wieder fest um seinen Kopf und rannte schneller, als er hineingegangen war, den geraden Weg wieder zurück. Da umtönte ihn in dem Garten und den Zimmern, welche er zu durchlaufen hatte, ein solches Geheul, Gepolter und Geprassel, daß ihm alle Haare gen Berg standen und er meinte, die Höhle würde zusammenstürzen und das Firmament darüber. Er war deswegen froh, als er den engen Gang wieder erreichte; aber dieser, der vorhin stockfinster gewesen war, gab jetzt einen ganz feurigen Widerschein von sich, und Lameth getraute sich deswegen lange nicht, dem Feuer zu nahen; als er sich aber fürchtete, länger zu zögern, lief er mitten in die Flammen; da empfand er, daß sie nicht brannten, sondern ganz kühlend waren, und so freute er sich sehr; denn schon leuchtete ihm durch


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die Öffnung das Tageslicht entgegen, und in wenigen Minuten hoffte er aus seinem Jammer befreit und wieder bei seinem Meister zu sein. Da ließ sich plötzlich ein großer Knall hören, wie ein mächtiger Donnerschlag, und mit diesem verschloß sich die Höhle, und es wurde so finster; daß man gar nichts mehr sehen konnte. Lameth tappte herum und seinem Pfade nach. Endlich kam er an die Stelle, wo zuvor die Öffnung gewesen war. Allein jetzt fand er keine Spur mehr von ihr, und bald mußte er sich sagen, daß er lebendig in der Erde begraben sei.

Während Lameth in der Höhle war, wartete Mattetai draußen mit Verlangen , bis er wiederkommen und ihm das Schloß aus der Höhle bringen würde. Allein schon war die meiste Zeit verflossen, nach der die Höhle sich wieder schließen mußte, und als er den Knaben nicht wiederkommen sah, geriet er fast in Verzweiflung, weil er wohl wußte, daß in wenigen Augenblicken alle seine Hoffnung verloren sein würde. Darum jammerte er kläglich und schrie immer: "Lameth, o Lameth, komm, eile, erfreue den unglücklichen Mattetai mit deiner Gegenwart!" Aber dieser wollte nicht kommen, und der Zauberer gab sich seiner Trostlosigkeit hin; er hatte nicht nur das Schloß von Xa Xa, sondern seinen herrlichen Ring dazu verloren und damit seine ganze zeitliche Glückseligkeit verschenkt. Noch rief er: "Lameth, Lameth", als plötzlich jener entsetzliche Knall sich hören ließ und eine feurige Flamme aus der Höhle herausfuhr, mit welcher



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sie sich schloß. Die Flamme ergriff den Zauberer, schleifte ihn eine Meile Weges von dannen und warf ihn in einen großen Wassersumpf, in dem er wie ein Frosch ausgestreckt lag, ohne Besinnung und Empfindung , bis die Sonne unterging und er an der Kühle erwachte, wie aus einem Traume. Aber noch wußte er nicht, wo er war, noch wie er dahin gekommen. Nach und nach fiel ihm sein unglückseliges Schicksal wieder ein, und er bejammerte aufs neue den Verlust seines Ringes, denn mit dessen Hilfe hätte er sich leicht durch den Dienst der Luftgeister aus diesem Elende gerettet und nach Europa zurückbringen lassen können. Jetzt aber war ihm Hoffnung und Besitz entschwunden. Aus dem Sumpf hatte er sich zwar emporgearbeitet, aber in der tiefsten Finsternis lag er, und um ihn brüllten die wilden Tiere, daß ihm die Haut schauerte. Doch schlug er mit seinem Feuerzeug ein Licht, und da er zu seinem einzigen Troste das Buch bei sich hatte, in dem noch große Geheimnisse standen, so durchblätterte er es. Da stieß er denn zu seiner Freude auf eine Anweisung, wie man die Wassergeister berufen könnte. Keinen Augenblick zögerte er, sie zu zitieren. Und siehe, auf der Stelle erschienen zwei dienstbare Geister der Art vor ihm, pudelnaß; sie schüttelten sich heftig und fragten, was er verlange. "Sagt mir", rief sie Mattetai an, "in welchem Teile der Welt ich mich dermal befindet" — "In Afrika", erwiderten sie. — "Nun, so befehle ich, daß ihr mich auf der Stelle unbeschädigt nach Europa hinüberbringet!" Die Geister setzten Mattetai auf ihre Achseln, fuhren mit ihm wie der Blitz durch das Meer und setzten ihn in Europa auf das Trockene.

Mattetai war froh, daß er wieder in den Teil der Welt gebracht worden, in welchem er geboren war, und wo er seinen bleibenden Aufenthalt hatte. Er verfolgte also, unter schweren Gedanken seinem Verluste nachhängend , mit vieler Unbequemlichkeit seine Reise, bis er wieder in sein Vaterland gelangte. Hier wandte er alle seine Kräfte an, den erlittenen Verlust seines Ringes mit Geduld zu verschmerzen. Auch konnte er sich wirklich darüber wohl trösten, denn seine große Kunst machte ihn zum Herrn über alle Schätze; er konnte sich ihrer nach Belieben bedienen und sich dabei wohl sein lassen.



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Zu Konstantinopel war der ehrliche Taglöhner Achim in großer Not. Er forschte allerorten nach seinem Sohne Lameth, und niemand konnte ihm etwas von ihm sagen. Er ging zu dem Manne, wo Lameth die Pferde gemietet; hier erfuhr er nur so viel, daß die Pferde wieder gekommen, ohne daß jemand darauf gesessen. Man habe sie ledig an das Haus angebunden


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gefunden. Darüber machte sich Achim ängstliche Grillen; er ging nach Mattetais Wohnung, traf aber weder Herrn noch Diener. Noch hoffte er, sie würden sich am Abend einstellen; als aber der zweite und dritte Tag verflossen war, ahne daß er von seinem Sohn etwas erfahren hatte, da wurde er ganz kleinmütig, schalt den Mattetai einen Betrüger und Verführer und wünschte ihm die Pest auf den Hals. —

Lameth war noch immer in der Höhle Xa Xa verschlossen und wehklagte laut als ein lebendig Begrabener, der nicht wußte, wie er aus seiner Gruft herauskommen sollte. Er lief endlich in die Höhle zurück; denn er hoffte wieder in die schönen Zimmer und in den Garten zu gelangen, um dort vielleicht einen andern Ausweg zu finden; allein er betrog sich sehr: die Türen waren fest zugeriegelt, und er mußte unverrichteter Dinge wieder zurückkehren. Weil er von dem Hinundherrennen ganz müde geworden war, setzte er sich nun auf einen Stein in der Höhle; es begann ihn zu hungern und zu dürsten, darüber wurde er sehr kleinmütig, bis ihm einfiel, daß er noch etwas von den Labungen bei sich hatte, die ihm Mattetai mitgegeben. Er langte sie aus seiner Rocktasche hervor und erquickte sich damit, und da ihn sehr schläferte, so suchte er sich einen geschickteren Ort zum Schlummern aus, fand auch bald einen höheren Stein, der ihm zum Kopfkissen diente, legte sich zu Boden und sein Haupt darauf nieder. So schlief er sanft ein und hatte einen süßen Traum, als wäre er seinem Grab entronnen und wieder daheim bei seinem Vater. Wie er erwachte, hatte er keine Ahnung davon, daß er dreimal vierundzwanzig Stunden verschlafen. Er weinte nur um so lauter, als er sich noch in seinem finstern Kerker eingeschlossen fand, rief nach seinem Vater und rang die Hände. Ohne es zu wollen und zu ahnen, drehte er dabei den Ring um, den ihm Mattetai an den Finger gesteckt hatte. Im Augenblicke wurde die Höhle ganz hell, und zwei Lustgeister, die vorher in des Zauberers Dienste gewesen waren, standen vor Lameths Augen. Dieser erschrak zwar ein wenig; doch weil er früher schon die Unschädlichkeit jener Geister erfahren hatte, so ermannte er sich bald wieder, zumal als er die Geister zu sich sprechen hörte: "Was verlangst du von uns? Womit können wir dir dienen?" — "Ach", seufzte Lameth, "aus meinem Gefängnis wäre ich gerne und bei meinem Vater!" —"Lameth, Lameth", antwortete da einer der Geister, "wenn du das Glück kenntest, das in deinen Händen ist; du schätzetest dich höher als der türkische Kaisers Aber sei zufrieden; da du jetzt die Erdgeister gebunden hast, so können wir dir zu Diensten sein, und dein Wille soll erfüllt werden." Darauf öffnete sich in einem Nu und mit



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großem Krachen die Höhle; die Luftgeister erfaßten den Knaben und führten ihn wie der Wind nach Konstantinopel hinüber, wo sie ihn vor seines Vaters Hause niedersetzten. Er dankte den dienstbaren Geistern herzlich und ging getrost in das Haus hinein.

Hier saß der alte Achim sehr traurig über den Verlust seines Sohnes. Als dieser nun plötzlich vor ihm stand, da war seine Freude unbeschreiblich, er fiel ihm um den Hals und rief das einemal um das andere: "Lameth, ach lieber Lameth, wo bist du so lange geblieben, und wo ist dem guter Herr hingekommen?" — "Lieber Vater", sprach der Sohn, "sagt mir von dem Schelmen und Zauberer Mattetai nichts mehr, sondern schafft mir etwas zu essen; denn mich hungert sehr. Seit ich von Euch gekommen bin, habe ich nichts als ein paar Zuckerstengel über meine Zunge genommen!" Achim, der noch Geld von Mattetais Lohn im Vorrate hatte, lief in die Wirtsküche und brachte zu essen und zu trinken. Nachdem sich nun Lameth gütlich getan, erzählte er seinem Vater die ganze Geschichte umständlich; aber Achim wollte ihm keinen Glauben schenken: er meinte vielmehr, sein Sohn fable, oder es habe ihm geträumt. Als aber Lameth seinen Turban auflöste und aus demselben das Schloß nebst der schönen Perlenschnur hervorbrachte, überdies seine Taschen ausleerte und die schönen durchsichtigen Früchte zeigte, die er in dem unterirdischen Zaubergarten von den Bäumen gepflückt hatte: da mußte Achim wohl glauben, daß es seinem Sohne nicht geträumt habe, sondern daß ihm alles so widerfahren sei, wie er es erzählt hatte.

Indessen achteten sie die schönen Früchte nicht höher als bunte Gläser, schätzten auch das Schloß nicht höher als ein anderes gemeines Vorlegeschloß, so daß Lameth alles zusammen in seine Kammer legte und wenig Sorge dafür trug. Weil aber Vater und Sohn von dem vielen Gelde her, das ihnen Mattetai gegeben hatte, an gute Tage gewöhnt waren, so dachten sie auch ferner an kein Arbeiten und zehrten so lange, als es währen mochte. Als jedoch alles aufgezehrt war, da kam sie das Arbeiten blutsauer an. Eines Tages holte Lameth sein Schloß hervor, zeigte es seinem Vater und sagte: "Mattetai muß doch ein rechter Tor gewesen sein, daß er um eines solchen Quarks willen sich so viele Mühe gegeben und mich darum so großer Gefahr ausgesetzt hat!"Auch der Vater lachte und sagte: "Ja, um des rostigen Schlosses willen ist es wohl auch der Mühe wert gewesen, soviel Lärm zu machen!" Er nahm das Schloß dem Sohn aus der Hand, wischte den Staub davon ab und drehte den Schlüssel herum. Es war aber so stark verschlossen, daß er seine gange Kraft



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anstrengen mußte, es zu eröffnen. Wie es nun endlich mit einem lauten Schnapper aufging, siehe, da stand augenblicks ein riesenmäßiger Geist vor ihnen, der fragte: "Was verlanget ihr von mir?"

Achim erschrak über diesen Anblick so, daß er rücklings in Ohnmacht zu Boden fiel. Lameth aber hatte zu seinem Glück das unschätzbare Schloß zur Hand genommen, und weil er Geister zu sehen schon vorher gewohnt

war, erschrak er nicht so sehr, sondern sagte zu dem Riesengeist: "Mich hungert, bring mir etwas zu essen!" Der Geist verschwand im Augenblick und gleich darauf brachte er zwei große silberne Schalen mit frischen und eingemachten Früchten, setzte sie vor Lameth nieder und sagte: "Steht nichts mehr zu Diensten?" — so", antwortete der Knabe, "zu trinken möchte ich auch etwas haben!" Im Nu brachte der Geist ein Dutzend Flaschen des besten Weines in einem großen silbernen Kessel und fragte, was er weiteres verlange. Lameth sagte: "Für jetzt nichts mehr"; er machte sein Schloß wieder zu und legte es wieder an seinen Ort. Doch machte



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er sich allerlei Gedanken über dasselbe, konnte jedoch in der Einfalt seines Geistes 'nicht auf den rechten Grund der Sache kommen.

Der erschrockene Achim lag indessen immer noch in tiefer Ohnmacht darnieder . Da griff Lameth zu einer der Weinflaschen und spritzte ihm damit über das Gesicht. Dadurch brachte er ihn wieder zur Besinnung; als Achim nun die Augen öffnete, fiel sein erster Blick auf die silbernen Becken mit Essen und Trinken, und er konnte nicht begreifen, wie sie hergekommen, bis sein Sohn ihn belehrte, daß der erschienene Geist alles gebracht habe. Achim, dem das Ding nicht natürlich vorkam, wollte nichts davon anrühren; Lameth aber, den hungerte, fragte nichts darnach, sondern ließ es sich wohlschmecken und machte dadurch seinem Vater auch Appetit. Dieser kostete anfangs nur wenig; da er aber fand, daß es gar nicht so schlimm war, griff er zu und bediente sich namentlich mit dem guten Weine reichlich. So lebten Vater und Sohn von dem, was der Geist gebracht hatte, bis es aufgezehrt war. Weil sie aber das Arbeiten ganz und gar verlernt hatten, so sagte der Vater: "Lameth, weißt du was, gehe hin und verkaufe eine von den Schalen, die wir ja doch nicht mit aufspeisen können." Lameth war dazu willig, steckte die Schale in sein Oberkleid und wollte damit zu einem Zinngießer gehen, indem er meinte, daß dieselbe von so geringem Metalle sei. Allein unterwegs begegnete ihm ein Jude: der fragte ihn, wo er mit der Schale hin wolle. Lameth antwortete: "Ich will sie verkaufen." Der Jude führte ihn in einen offenen Durchgang, ließ sich die Schale vorzeigen und fragte, wie hoch er sie hielte. "Ihr werdet selbst am besten wissen, was sie wert ist; sagt mir, was Ihr mir dafür geben wollt !" Der Jude besah die Schale von vorn und von hinten, endlich bot er ihm zwölf Löwentaler dafür. "Sie ist eigentlich nicht so viel wert", setzte er hinzu, "aber die Arbeit daran gefällt mir!" Lameth lief ganz vergnügt mit dem vielen Gelde zu seinem Vater zurück, und Achim, der so wenig wie sein Sohn den wahren Wert der Schale kannte, freute sich ebenfalls über den so guten Verkauf. Nun schmeckte ihnen beiden der Müßiggang immer besser, bald kam die zweite Schale dran, und der Jude, der aus der vorigen so guten Nutzen gezogen hatte, lauerte schon wieder auf Lameth und fragte ihn, ob er noch eine Schale zu verkaufen hätte. Lameth war schlau genug, zu sagen: "Ja, aber die vorige habe ich Euch zu wohlfeil gegeben; mein Vater hat mich darüber hart gescholten; Ihr sollt mir mehr darum geben, sonst muß ich die Schale weitertragen t" Der Jud ' erwiderte: "Junge, sie ist nicht mehr wert gewesen; aber weil mir eine Schale ohne die andere nichts nütz ist



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und ich deren zwei haben muß, wenn ich sie wieder verkaufen will, so komm her, ich will dir zwanzig Taler um diese da geben." Lameth war sehr froh, solches zu hören, gab ihm die Schale, lief mit dem Gelde zu seinem Vater und rief ihm freudig entgegen: "Dieser Jude muß wohl ein ehrlicher Jude sein, daß er mir soviel Geld für die Schale gegeben hat!" Achim bejahte und war froh, wieder einige Zeit ohne Arbeit sich wohl sein lassen zu können. Aber das Geld währte nicht lange, und so sollte endlich auch der große Kessel, in welchem der Geist die Weinflaschen gebracht
hatte, zum Juden wandern. Weil aber der Kessel so schwer war, nahm ihn Lameth auf den Kopf und trug ihn öffentlich davon. Da begegnete ihm ein Goldschmied und fragte ihn, wohin er mit dem Kessel wolle. "Ich will einen Juden suchen, der ihn mir abkauft", sagte Lameth. "Ja", erwiderte der Goldschmied, "ein solcher Schelm wird dir viel dafür geben; ich habe dich schon zweimal mit einer Schale bei mir vorbeigehen sehen. Was hat dir denn der Jude jedesmal dafür gegeben?"Lameth gestand in seiner Einfalt, was er empfangen hatte; da versetzte der Goldschmied: "Nun, siehst du wohl, wie der schelmische Jude dich betrogen hat? Jede dieser Schalen war wenigstens hundert Löwentaler wert!"Lameth meinte,


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der Goldschmied treibe seinen Spott mit ihm, und fragte: "Ei nun, wieviel ist denn alsdann dieser Kessel wert? Der Goldschmied wiegte ihn in den Händen, untersuchte ihn genau und sagte endlich: "Ich will dir fünfhundert Löwentaler dafür geben!" Lameth wußte nicht, ob er noch in seiner Haut stecke, da er von der großen Summe hörte, und als der Goldschmied sagte, er sollte den Kessel noch einen andern Goldschmied sehen lassen; wenn der ihm mehr dafür geben wollte, so sei er es auch bereit; da mochte Lameth keinen Schritt weiter tun, sondern übergab ihm den Kessel, stopfte die fünfhundert Löwentaler in einen Sack, trug das Geld in aller Eile auf dem Kopf nach Hause und jagte davon wie ein Windspiel . Als er zu seinem Vater kam, konnte er vor Atem kaum reden. Er warf den Geldsack auf den Tisch, daß er entzwei borst und die Taler im Zimmer herumrollten. "Vater, sehet nur, was ich für einen Fang getan habe", rief er, "der schelmische Jude hat uns recht betrogen; wäre ich nur gleich zu dem ehrlichen Manne, dem Goldschmied, gegangen, da hätte ich für meine zwei Schalen weit mehr bekommen!" Aber der alte Achim sagte: "Erzürne dich nicht, mein Sohn; sei froh, daß du das größte Stück so gut angebracht hast l Jetzt wollen wir klüger mit dem Geld umgehen; denn ein solches Glück wird uns wohl nimmermehr zuteil werden." Lameth war zufrieden damit, nur bat er sich von dem Gelde so viel aus, um sich etwas besser zu kleiden; vierhundert Löwentaler aber legte er davon zurück, damit er in Zukunft etwas davon kaufen könnte; was übrigblieb, gebrauchten sie für ihre nächsten Bedürfnisse und ließen sich's dabei wohl sein.


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Einst kam Lameth die Lust an, ein wenig aufs Land zu gehen. Während er nun vor der Stadt Konstantinopel draußen die Lusthäuser des türkischen Kaisers beschaute, hörte er von ferne die Kanonen donnern. Dies war das Zeichen, daß sich alle Männer zurückziehen sollten, weil die Frauen des Großsultans auf dem Wege nach den Lustgärten begriffen seien. Lameth, der wohl wußte, daß auf Übertretung dieses Befehls Todesstrafe stehe, fühlte sich doch vom Vorwitz getrieben, diesen Zug unvermerkt zu beobachten. Und weil er gerade einen hohlen Baum am Wege erblickte, in dem er sich verbergen


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kannte, stieg er hinein und erwartete daselbst den Zug so wohlverborgen , daß ihn niemand in seinem Versteck gewahr wurde und er deswegen alles miteinander an sich vorübergehen sehen konnte. Da mußte wider alles Vermuten zunächst an jenem Baume die Sänfte der älteren Prinzessin des Sultans, Bellastra, zerbrechen, so daß sie mit dem Tragstuhl zur Erde stürzte und in Ohnmacht fiel. Sogleich umringten Diener und Frauen die Sänfte und beschäftigten sich mit der Fürstin; der Schleier wurde ihr abgenommen, man träufelte ihr köstliche Wasser auf die Schläfe, und so wurde sie endlich wieder zur Besinnung gebracht.

Dies alles konnte Lameth mitansehen; die Schönheit der Prinzessin Bellafira war so nahe vor seinen Augen, daß er alles um sich her vergaß; er streckte beständig den Kopf aus dem Baume heraus, und hätten nicht diejenigen, die der Prinzessin zu Hilfe geeilt waren, genug mit ihr selbst zu tun gehabt, so wäre er gewiß entdeckt worden und verloren gewesen. So aber fügte es das Glück, daß, nachdem Bellafira sich erholt hatte, der ganze Zug zurückging, um die Prinzessin wieder in ihres Vaters Palast zu bringen. Lameth saß noch immer in seinem hohlen Baum und sah der Prinzessin nach, solange er nachsehen konnte. Als er sie aus den Augen verloren hatte, rang er die Hände und rief: "Bellastra, Bellasira, mein Leitstern! Wohin entschwindest du? Ohne dich muß ich sterben!" wer diesem Händeringen drehte sich der Ring an seinem Finger wieder; auf der Stelle erschien ein Luftgeist und fragte: "Lameth, was ist dein Begehrens " So verwundert Lameth über diese Erscheinung war, so faßte er sich doch bald und sagte freimütig: "Ach, ich bin sterblich verliebt in die Prinzessin Bellastra! Kannst du mir nicht zu ihrem Besitze verhelfen?" — "Nein", antwortete der Luftgeist, "das steht nicht in meinen und meiner Gesellen Kräften. Aber verzage deswegen nicht, Lameth! Du besitzest ja das herrliche Schloß aus der Höhle Xa Xa durch welches du des Dienstes der Erdgeister sicher hifi; diese können dir dazu behilflich sein, wenn du die Sache recht anzugreifen weißest."

Bei diesen Worten des Geistes erwachte Lameth wie aus einem Traum; jetzt erst begriff er, was für einen herrlichen Schatz er an dem Schloß besitze, das er bisher so wenig geachtet hatte. Auch merkte er jetzt erst, daß sein Ring über die Luftgeister eine Herrschaft übe. Er verabschiedete daher den Geist ganz wohlgemut und ging um ein vieles vergnügter nach der Stadt zurück. Doch dachte er immer darüber nach, wie er seine Sachen klüglich angreifen wollte; deswegen wurde er wider seine Gewohnheit ganz stille, so daß sein Vater eines Tages ihn befragte, was ihm denn



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fehle. Da gestand Lameth, daß er in Bellastra, die Tochter des Sultans, verliebt sei und nun darüber nachdenke, wie er dieselbe erlangen könnte. Achim meinte, sein Sohn sei hirnwund geworden, und redete ihm zu, sich solche Narrheiten aus dem Sinne zu schlagen und auf etwas anderes zu denken; aber Lameth ließ sich nicht abwendig machen und verlangte von seinem Vater, er sollte bei dem Großsultan eine Audienz zu erhalten suchen und für ihn um die Prinzessin werben. "Du Tor", antwortete ihm sein Vater ganz aufgebracht, "wie sollte ich vor Seiner Hoheit erscheinen und ein so lächerliches Begehren vorbringen l Zudem weißest du, daß man vor dem Sultan nicht ohne ein Geschenk erscheinen darf; und wenn wir auch all unser Geld darauf verwenden wollten, so würde es doch für nichts geachtet werden. Was hätten wir dann davon?" — "Vater", erwiderte Lameth, "kümmert Euch darüber nicht; ich bin jetzt älter und klüger geworden und weiß, daß ich derlei Dinge in meiner Gewalt habe. Die Steine, die ich besitze, und die ich vorhin so gering geachtet habe, sind keine Gläser; es sind die Edelsteine, die von großen Herren wertgeschätzt werden; denn aller Schmuck, den die Prinzessin Bellastra in den Haaren und an der Brust trug, kam mir wie Kindersteine vor gegen die meinigen! Drum, lieber Vater, wenn Ihr nicht wollt, daß ich sterben soll, so tut mir den Gefallen und bringt meine Bitte für mich an und laßt mich für das Weitere sorgen!"

Achim, der seinen Sohn lieb hatte, gab ihm endlich nach, verwahrte sich aber zum voraus, daß Lameth ihm keine Schuld geben dürfe, wenn die Sache, wie er vorauszusehen glaubte, ein unglückliches Ende nähme. Doch Lameth war voll guten Mutes und trieb nur immer an seinem Vater. Dieser machte sich auch wirklich am folgenden Morgen auf, zu dem Sultan zu gehen, und sein Sohn übergab ihm zu dem Ende zwölf von den mittlern Sorten seiner Steine von allerlei Farben. Er legte sie in schöner Ordnung in ein Körbchen, deckte ein sauberes Tuch darauf und bändigte sie seinem Vater ein. Dabei unterrichtete er ihn, was er reden und auf des Sultans mutmaßliche Fragen antworten sollte. Außerdem gab er ihm noch einen schönen roten Stein mit, den sollte er dem in die Hände drücken, der die Leute bei dem Großsultan zur Audienz zu führen hätte. Der alte Vater ging voll Bekümmernis hin; er bildete es sich zum voraus recht lebhaft ein, wie übel er empfangen werden würde, wenn er nun Lameths törichtes Vorbringen an den Tag zu legen hätte; aber die Liebe zu seinem Sohn überwand alles. So gelangte er in den Audienzsaal; hier stand er lange und sah, wie andere in die Audienz geführt wurden; bei ihm aber



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ging man vorüber, gerade als ob er nicht da wäre. Endlich erwischte er einen der Hofbedienten, welche die Leute vor den Sultan riefen, beim Ärmel und drückte ihm geschwind den Stein in die Hand und bat um Audienz. Der Diener betrachtete den Stein in seiner hohlen Hand heimlich und erkannte bald, daß es ein Rubin von großem Werte war. Gleich sah er den alten Achim viel freundlicher an, ließ alle andere Vornehme stehen und brachte den Taglöhner vor den Großsultan. Dieser warf sich vor dessen Füßen nieder und sagte: "Großmächtigster Sultan, hier über
bringe ich Euer Hoheit ein kleines Geschenk von meinem Sohn, der sich in seines Herren Huld empfehlen möchte." Der Großsultan ließ sich das Körbchen zeigen, und als das Tuch hinweggenommen war, funkelten ihm zwölf herrliche Kleinodien entgegen. Er wußte vor Verwunderung nicht, was er sagen sollte; denn obgleich er den größten Schatz in der Welt hatte, so besaß er doch solche Herrlichkeiten nicht; ja, er hatte so vollkommene Edelsteine nie gesehen. Er hieß daher jedermann abtreten und fragte seinen Großwesir, indem er ihm das Körbchen zeigte: "Was hältst du von diesem Geschenk?" Der Großwesir verstummte, als er die Herrlichkeit sah; er mußte nur immer den Mann ansehen, der die Gabe überliefert hatte,


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und endlich sagte er zu dem Sultan leise: "Herr, ich kann mich nicht darein finden, wie dieser Mann zu solchen Schätzen gekommen ist." Darauf fragte der Sultan den Achim, wer denn sein Sohn wäre. "Mein Sohn", erwiderte dieser, "hat seine Schätze aus Afrika geholt; er besitzt deren so viel, daß Euer Majestät nur befehlen dürfen, was Ihr Begehr ist." — "Hast du nichts weiter anzubringen", fragte der Großsultan mit sichtbarem Staunen. Achim zuckte die Achseln und sagte mit stammelnder Zunge: "Großmächtigster Monarch! Wenn Eure Hoheit das, was ich vortragen will, nicht ungnädig aufnehmen wollte, so möchte ich wohl in Untertänigkeit eine Bitte meines Sohnes vortragen." —"Sage", sprach der Sultan, "was er von mir verlangt, es soll dir darum nichts Widriges widerfahren. Rede deswegen mit aller Freiheit!"

Da hub Achim an: "Großer Monarch! Die äußerste Not zwingt mich dazu, daß ich Euer Majestät bekennen muß, daß mein Sohn, Lameth mit Namen, in Eurer Hoheit älteste Tochter, die Prinzessin Bellastra, verliebt ist und bei ihrem hohen Vater durch mich untertänigste Anwerbung tun läßt, mit seiner Versicherung, daß derselbe sich angelegen sein lassen wird, einen Brautschatz herbeizuschaffen, wie sich ihn Ihre Hoheit nur wünschen kann." Die anwesenden Hofleute konnten sich des Lachens bei dieser Freiwerbung nicht enthalten, und der Großwesir, dessen Sohn schon lange die gewisse Hoffnung hegte, die Hand der Prinzessin zu erhalten, flüsterte seinem Herrn ins Ohr: "Großmächtigster Monarch, das ist doch eine schöne Zumutung, daß Eure Hoheit Ihre erstgeborne Tochter dem nächsten besten Landläufer zur Ehe geben soll!" Aber der Sultan warf einen Blick auf das Körbchen und antwortete: "Achim, sage deinem Sohn, daß er sich nach sechs Monaten bei mir wieder anmelden lassen soll." Mit dieser huldreichen Antwort war Achim sehr zufrieden; Lameth begnügte sich auch damit und beschloß, die vorgeschriebene Zeit ruhig abzuwarten. —

Es läßt sich denken, daß der Großwesir auch nicht feierte; er wußte es so anzulegen, daß der Großsultan, der an den seltsamen Achim und das ihm gegebene Wort nicht mehr dachte, in die Vermählung seiner Tochter mit dem Sohne des Wesirs willigte, und nun wurden große Vorbereitungen zu Bellastras baldigem Verlöbnisse gemacht. Das hörte Achim und wurde sehr betrübt, doch Lameth blieb unbekümmert und flößte seinem Vater Mut ein. Indessen rückte der Tag heran, an welchem Bellastra mit dem Sohne des Großwesirs nach türkischer Weise getraut werden sollte. Lameth erfuhr dieses auch; er blieb aber so sorglos, daß sein Vater nicht anders dachte, als sein Sohn sei von der närrischen Einbindung,



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die Prinzessin heiraten zu wollen, genesen und habe es sich gänzlich aus dem Sinne geschlagen.

Lameth aber hatte ganz andere Gedanken. Er wartete bis zum Abend; da verschloß er sich in seine Kammer, berief mit Hilfe seines Ringes einen Luftgeist und sprach zu dem augenblicks erschienenen: "Ich will, daß du in des Großsultans Palast gehest, und wenn der Sohn des Großwesirs in das Gemach seiner Braut treten will, so nimm ihn und entführe ihn nach Damaskus. Dort sollst du ihn in den Lorbeerwald niedersetzen und so lange verwahren, bis ich es anders befehlen werde." Der Geist richtete aus, was ihm Lameth befohlen hatte. Bellastra erwartete vergebens ihren Bräutigam; am Morgen fand sie der Sultan allein, und Bellastra schwur bei Mahomet, daß sie den Sohn des Großwesirs seit gestern abend nicht gesehen habe. Der Großsultan war hierüber höchst aufgebracht, beschickte den Großwesir und redete ihn zornig an: "Wie, achtet Euer Sohn, der Sklave, meine Tochter so unwert, daß er sie in der ersten Stunde verläßt? " Der Großwesir begriff nichts von diesen Vorwürfen; er versicherte, daß sein Sohn ihn verlassen habe, um zu seiner vermählten Braut zu gehen, und daß er ihn, seit er Abschied genommen, mit keinem Auge wieder gesehen habe. Traurig verließ der Wesir den Sultan und erkundigte sich allerorten nach seinem Sohne; aber er konnte keine Spur von ihm entdecken, und so ging der Tag nach der Hochzeit in allgemeinem Mißvergnügen und großer Stille hin, und Bellastras Verlöbnis wurde für nichtig erklärt.

Ein Vierteljahr war vergangen, ohne daß man etwas von des Großwesirs Sohne hätte erfahren können; da erkühnte sich des Großadmirals Sohn, um Bellastra zu werben, und erhielt das Jawort des Sultans, und neue Anstalten zum Beilager wurden getroffen. Lameth, der von allem sichere Nachrichten hatte, war wieder ganz unbekümmert und ließ die Trauung vorübergehen. Abends berief er abermals einen Luftgeist, und als dieser erschien, befahl er ihm, wenn der Bräutigam sich zu seiner Braut verfügen wollte, so sollte er ihn ergreifen, ihn gen Ägypten nach Kairo führen, dort in einen Orangenwald niedersetzen und gleich dem Sohne des Großwesirs dort lassen, bis er ihm andern Befehl geben würde. Der Geist war gehorsam, faßte den Bräutigam und trug ihn davon. Bellastra aber wartete wieder vergebens und härmte sich ab. Am andern Morgen fand sie der Großsultan ganz in Tränen schwimmend auf ihrem Ruhebette liegen, , und auf seine Frage, wie es ihr gehe, antwortete sie mit Seufzen: "Ich Unglückselige muß wohl von jedermann verspottet sein, da mich nun



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schon der zweite Bräutigam wie der erste verhöhnt hat und allein läßt." Der Großsultan schüttelte den Kopf und sprach: "Liebe Tochter, hierunter muß etwas verborgen liegen; denn eben jetzt ist der Großadmiral bei mir gewesen und hat mir berichtet, daß er aus Vorsicht einige bewährte Diener seinem Sohne zu Aufsehern bestellt und von weitem hinter ihm hergeschickt habe. Diese hätten ihm hinterbracht, wie der Bräutigam glücklich bis vor Eure Kammertüre gekommen sei, dort aber sei er vor ihrer aller Augen verschwunden; und noch wisse er nichts von seinem Sohn, indem er ihn bis auf diese Stunde allerorten vergebens habe suchen lassen." Diese Worte gaben der Prinzessin wenig Trost, und es wagte auch fortan niemand mehr, sich um sie zu bewerben.

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Nachdem aber die sechs Monate verstrichen waren, sagte Lameth zu seinem Vater: "Jetzt ist es Zeit, daß Ihr den Großsultan an sein Wort erinnert , um zu vernehmen, zu was er sich meinetwegen entschlossen hat." Und nun legte ihm Lameth wieder in ein Körbchen zwölf andere Steine, die schönsten und größten, die er hatte; zugleich fügte er die Perlenschnur,


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an der das Schloß gehangen, hinzu: diese sandte er der schönen Bellastra zum Geschenk. "Und nun gehet", sprach er, "lieber Vater, und erfreuet mich bald mit einer vergnüglichen Antwort!" Der Alte ging getrost fort; und, sowie ihn der Sultan im Audienzsaal erblickte, gedachte er sogleich seines früher getanen Versprechens, befahl allen außer Achim abzutreten, ließ ihn vor sich kommen und fragte ihn, was sein Anbringen wäre. Achim warf sich vor dem Großsultan nieder und sagte: "Großer Monarch, mein Sohn Lameth empfiehlt sich Eurer Hoheit besonderer Gnade, und da die sechs Monate vorbei sind, nach welchen unser Herr versprochen, eine beliebige Antwort auf sein untertäniges Ansuchen zu erteilen, so sendet er mich deswegen hierher und überschickt Eurer Hoheit das Mitfolgende als geringes Geschenk; zugleich wagt er es, der Prinzessin Bellastra diese Perlenschnur zu Füßen zu legen."

Der Sultan ließ sich das Körbchen übergeben, und als er die köstlichen Steine sah, fuhr er auf und rief: "Welcher König kann mir solche Dinge senden?" Darauf berief er seine Räte und beratschlagte mit ihnen, was in der Sache zu tun sei. Er stellte ihnen vor, obgleich er den Menschen nicht kenne, von welchem die herrlichen Geschenke herrührten, so ersehe er doch aus ihnen, daß derselbe der Reichste in seinem ganzen Lande sein müsse. Der Großwesir aber, der noch immer unzufrieden war, daß die Prinzessin Bellastra seinem Sohne nicht zuteil geworden, sagte: "Großmächtigster Monarch, es steht in Eurer Willkür, in dieser Sache nach Belieben zu verfahren; doch, weil der Menschen Tun so gar betrüglich ist, so wäre ich der Meinung, Eure Hoheit täte nicht übel, wenn Sie denjenigen, dem Sie Ihre Tochter zu geben entschlossen ist, vorher recht auf die Probe stellte; zumal da er sich erboten hat, alles mögliche, was zu einem Brautschatz gehöre, herbeizuschaffen. So werdet Ihr bald erfahren, was hinter ihm ist!" Dem Sultan gefiel dieser Vorschlag; er kehrte in den Audienzsaal zurück, wandte sich zu Achim und sagte zu ihm: "Gehe hin und sage deinem Sohne, daß ich mir seine Geschenke in Gnaden gefallen lasse; und wenn er mir zum Brautschatze für meine Tochter sechs Kamele mit Gold und sechs mit Silber beladen, dann sechs weiße Sklaven, jeden mit einem Sack der schönsten persischen Stoffe, und sechs schwarze Sklaven, jeden mit einem Korb voll solcher Juwelen, übersenden wird, so soll er mein Eidam werden."



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Als Achim dieses hörte, machte er eine traurige Verbeugung und ging in schwermütigen Gedanken nach Hause; der Großsultan aber verfügte


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sich zu Bellastra, und indem er ihr die herrliche Perlenschnur übergab, sprach er: "Ein unbekannter Mensch läßt um dich werben; er hat mir die kostbarsten Geschenke gemacht, wie ich deren nie gesehen habe, und heute überschickt er mir diese Perlenschnur, was dünkt dir davon?" Bellastra nahm die Perlen und betrachtete sie; die Schnur fand sich so groß, daß sie ihr sechsmal um den Hals ging und noch dazu sechsmal um beide Hände; jede Perle war schön, groß, rund und ohne Tadel. Da sagte die Prinzessin zu ihrem Vater: "Ich möchte den Menschen wohl kennen, der solche Kleinodien hat; ich glaube, es gibt eine gleiche Perlenschnur auf der Welt nicht." Der Sultan bejahte dies und sagte zugleich: "Es reut mich, daß ich ihm eine Antwort erteilt habe, die ihn im Grunde abweist; denn ich habe ihm Dinge zum Brautschatze zugemutet, die er unmöglich herbeischaffen kann." Als die Prinzessin hörte, was gefordert worden war, wurde sie ganz traurig und sagte: "Nun werde ich wohl mein Leben lang unvermählt bleiben müssen!"

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Lameth wartete inzwischen mit Verlangen auf seines Vaters Zurückkunft , und als er ihn erblickte, fragte er mit großer Begierde: "Vater, habt Ihr Gutes ausgerichtet?" Achim antwortete: "Sohn, laß dir doch die Grillen wegen Bellastra vergehen; sowenig du die Sterne am Himmel mit deinen Händen langen kannst, so wenig wirst du die Prinzessin zur Braut erhalten!" Darauf erzählte er ihm, was der Sultan zum Brautschatz verlange. Lameth hörte ganz geduldig zu, und als sein Vater ausgeredet hatte, fragte er ihn: "Verlangt der Sultan sonst nichts mehr als dieses?" — "Ich glaube, du bist von Sinnen gekommen", erwiderte Achim, "und wenn du alle Pflastersteine von Konstantinopel zu Gold, Silber und Juwelen machen würdest, so hättest du nicht genug, des Sultans Bedingungen zu erfüllen!" Lameth aber lachte nur darüber und sagte: "Geduldet Euch nur ein klein wenig; morgen werdet Ihr gewiß anders reden!" Und nun legte er sich, da der Tag zu Ende ging, ruhig schlafen und hieß seinen Vater morgen recht frühe aufstehen. Er selbst erhob sich vor Tagesanbruch, nahm sein treffliches Schloß zur Hand, drehte den Schlüssel um und rief dadurch die Erdgeister zu sich, die ganz willig erschienen. "Würdiger Besitzer des vortrefflichen Schlosses", sagten sie, "was ist dein Verlangen?" Lameth antwortete schnell: "Daß ihr alsbald sechs Kamele mit Silber, sechs mit Gold beladen, dann sechs schwarze Sklaven, jeden mit einem silbernen Becken voll Kleinodien, und sechs weiße Sklaven, jeden mit einem Sack voll persischer Stoffe, Decken, europäischer


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Spitzen, alles aus der Höhle M herbeischaffet!" - "Alsobald!" antworteten die Erdgeister freudig, und noch vor dem völligen Anbruche des Tages waren sie wieder da und brachten alles mit, wie es Lameth verlangt hatte. der noch schlief, wurde durch das Getümmel der Sklaven und Kamele aufgeweckt, öffnete das Fenster und erstaunte nicht wenig, wie er alles, was der Sul tan verlangt hatte, vor sich sah. Atemlos lief Sohne die Stiege hin auf und verkündigte ihm solches mit Freuden. Lameth lachte und sprach: "Nun, Achim, er zu seinem sagt, ob es mich viel Mühe gekostet hat, das Verlangen des Großsultans zu erfüllen? Macht Euch darum nur auf, überliefert dem Sultan das Verlangte und sagt ihm, daß ich alles das viel geringer schätze als das Glück, die schöne Bellastra zu besitzen!" Achim meinte immer, es träume ihm. Als er aber auf die Straße hinabging und alles noch vorhanden traf, so machte er sich eilig auf die Beine und ließ den Zug nachfolgen. Alles Volk erstaunte über diesen Anblick und jagte den beladenen Tieren und Sklaven nach. Als sie daher nahe an dem Palaste des Sultans waren und die Wache das Laufen der vielen Leute gewahr wurde, glaubte diese, es sei ein Aufruhr, schloß das Tor zu und sorgte, daß dem Großsultan Meldung von dem Auflaufe getan ward. Dieser blickte mit Besorgnis zu einem Fenster seines Palastes hinaus, da sah er, wie der versprochene Brautschatz, den er für seine Tochter verlangt hatte, Sogleich ließ er den Achim vor sich kommen; der stellte ihm in seines Sohnes Lameth Namen alles vor und empfahl sich in seine hohe Huld und Gnade.

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Der Sultan ließ seine Tochter Bellastra rufen, und nun traten die Sklaven hervor und legten alles zu seinen Füßen nieder. Die mit Gold und Silber gefüllten Kisten waren zu schwer, um alsbald vor dem König abgeladen zu werden, sie wurden daher von den Kamelen fortgetragen und der Schatzkammer übersendet. Der Sultan besah die edeln Steine und daherzog.


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kostbaren Stoffe, die zum größten Teil ihm unbekannt und alle von unbegrenztem Werte waren, und sprach endlich zu seiner Tochter: "Nun, was dünkt dir von deinem Bräutigam, meinst du, daß er diesmal deiner würdig sei?" Bellastra antwortete: "Nach dem zu urteilen, was ich hier vor mir sehe, muß er der reichste und glücklichste Mann von der Welt sein!" Und nun versammelte der Großsultan auch seine Räte und zeigte ihnen den Brautschatz. Sie verstummten alle, und keiner, selbst der Großwesir nicht, getraute sich, ein Wort zu reden. Da brach der Sultan das Stillschweigen, ging zu Achim hin und sprach: "Macht Euch auf und saget Eurem Sohn, ich lasse dem künftigen Bräutigam meiner Tochter meinen Gruß vermelden; er soll nicht säumen und, je eher, je lieber, kommen und mich mit seiner Gegenwart erfreuen."

Achim kam vor Freude ganz außer sich, er verbeugte sich zum Abschied; der alte Mann lief wie ein junges Reh nach Hause und verkündigte seinem Sohne die Botschaft. Dieser konnte sich auch kaum fassen vor Freude. "Vater", sagte er, "jetzt müssen wir uns vor allen Dingen standesmäßig ausrüsten, dem Großsultan aufzuwarten." So ging er in seine Kammer, rief mit Hilfe seines Schlosses die Erdgeister und sprach: "Schafft mir vor allem ein schönes englisches Pferd, darauf zu reiten; dann so schmucke Kleider, wie sie dem Schwiegersohn eines Sultans ziemen; hernach eine vornehme Begleitung, daß ich unter Pauken- und Trompetenschall meinen Einzug halten kann."



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Die Erdgeister taten solches mit Eifer. Vor allem aber führten sie den Herrn des Schlosses unaufgefordert in das Bad der Weisheit. Hier untergetaucht , wurde er alsbald so verändert, daß er an Gestalt, Sitte, Tugend und Weisheit nicht mehr einer seinesgleichen war und auf einmal alle Eigenschaften an sich hatte, die ein großer Herr von Rechts wegen an sich haben soll. Dann führten sie ihn wieder nach Hause, da schon alles zubereitet war, womit Lameth und Achim sich schmücken konnten, und, von den dienstbaren Geistern bedient, waren sie in gang kurzer Zeit fertig. Lameth hatte einen herrlichen Kaftan mit Hermelinfutter und Diamantknöpfen an, wie ihn der Sultan selbst noch nicht getragen hatte; er setzte sich mit vielem Anstand auf das treffliche englische Pferd, das seiner wartete ; eine Menge Sklaven zu Roß und zu Fuß umgaben ihn, und mit solchem Gefolge ritt er an des Sultans Hof. Achim mußte mit einigen Vorreitern den Zug eröffnen. Gans in der Mitte desselben befand sich Lameth und tanzte auf seinem englischen Pferde, das sich in den schönste


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Sätzen gefiel, wie der ansehnlichste Ritter daher, so daß aller Augen sich auf ihn richteten und gestehen mußten, daß sie dergleichen noch nicht gesehen . Hinter ihm beschloß den Zug eine Menge von Dienern, welche Stirnbänder von Gold und Silberblech hatten, darein der Name Lameths gegraben war, und auf denen sich die Sonne spiegelte, daß die Blicke wegwenden mußte, wer sie ansah.

Der Sultan hörte von ferne den Schall der Pauken und Trompeten; endlich sah er auch den Zug sich nahen, konnte jedoch den alten Taglöhner Achim in seiner verwandelten Kleidung nicht erkennen, bis derselbe vom Pferde stieg, vor dem Großsultan sich niederwarf und seines Sohnes Ankunft verkündigte. Jetzt hub der Sultan ihn auf und hieß ihn freundlich willkommen sein. Lameth näherte sich indessen dem Schloß und wollte vor dem Tore absteigen; aber zwei Hofbediente, die sich ihm ehrfurchtsvoll nahten, duldeten dies nicht, sondern führten ihn zu Pferde in den Schloßhof und halfen ihm hier vom Rosse. Als er die Treppe hinaufgestiegen war, empfing ihn der Großsultan mit einer Umarmung und führte ihn in ein Zimmer, wo er die von Schönheit strahlende Prinzessin Bellastra fand. Lameth warf sich ihr zu Füßen und sprach: "Auf Eures großmächtigsten Vaters Erlaubnis untersteht sich ein Sklave, sich vor Eure Füße zu werfen, anbetungswürdige Schönheit, Euch die demütigen Dienste seiner Liebe anzubieten und um Eure Gegenliebe zu flehen!"Bellastra reichte ihm verschämt ihre Hand und sprach: "Was mein Vater zugesagt hat, bin ich zu erfüllen schuldig. Doch versichere ich, daß es ohne Zwang geschieht, und wünsche Euch, daß Ihr glücklicher sein möget als meine früheren Bewerber." Lameth verstand diese letzten Worte nur allzuwohl und war daher ein wenig bestürzt, doch behielt er die Fassung, sich in Bellastras Huld und Gnade zu empfehlen.

Nun wurde zur Tafel geblasen. Der Sultan und der Taglöhner saßen auf der einen, Lameth und Bellastra auf der andern Seite; die Großen des Hofes bedienten sie. Lameth hatte unter seiner Bedienung allerlei Musikanten, die bald afrikanische, bald indische, bald europäische Weisen aufspielen mußten, worüber sich der Sultan und Bellastra so ergötzten, daß sie Essen und Trinken darüber vergaßen. Lameth selbst betrug sich gegen seine Geliebte und gegen den Sultan aufs feinste und wußte auf alle Fragen des letztern so klug zu antworten, daß dieser ihm recht wogen wurde. Bellasira aber seufzte öfters in ihrem Herzen: "Möge es doch meinem Bräutigam nicht so ergehen wie meinen beiden vorigen!" Während der Tafel besprach sich der Sultan auch mit Lameth über den



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Tag der Vermählung; da erbat sich Lameth zuvor die Erlaubnis, einen anständigen Wohnsitz für sich und seine Gemahlin erbauen zu dürfen. Als darauf der Sultan seinem Eidam eine Wohnung in seinem eigenen Palaste anbot, bis diesem gegenüber ein gleicher für Lameth gebaut sein würde, dankte dieser für ein so gütiges Anerbieten und erklärte, er werde mit seinem Bau nicht viel Zeit verlieren; denn alle Materialien seien schon beisammen; er bitte deswegen, so lange mit der Vermählung zu warten.

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Der Sultan stellte alles seinem Willen anheim, und Lameth verabschiedete sich mit seiner ganzen Begleitung, als es Abend geworden war. Der Zug setzte sich, mit Windlichtern versehen, in Bewegung und verteilte sich bald in der Nachbarschaft, wo ihnen allen vom Sultan Quartiere angewiesen waren. Ehe Lameth zu Bette ging, hielt er kraft seines Schlosses und Ringes eine Versammlung von Erd- und Luftgeistern bei sich und sagte zu ihnen: "Ich befehle euch hiermit, daß Ihr ohne alles Geräusch, ganz in der Stille, heute nacht, dem Palaste des Sultans gegenüber mir einen neuen Palast erbauet, der an Herrlichkeit seinesgleichen nicht haben soll. Er muß mit vier Toren und inwendig mit einem geräumigen Hofe versehen sein; die Zimmer und Säle sollen alle regelmäßig und wohlausgestattet , die Ställe mit schönen und guten Pferden, Küche und Keller mit allem erforderlichen Geräte, mit Speisen und Weinen, die Schatzkammer mit hinreichendem Gelde versehen sein. Was zu einem königlichen Hofstaate gehört, muß darin im überfluß angetroffen werden. Wenn Ihr dieses tut, werde ich ein besonderes Wohlgefallen daran haben."

Die Geister gingen hin und taten, wie ihnen Lameth befohlen hatte. Ein herrlicher Palast aus weiß, blau, rot und grün gestreiften Marmelsteinen stieg empor; was sonst von Eisen ist, war daran aus Gold und Silber künstlich gearbeitet zu sehen. Inwendig die Zimmer waren mit köstlichem Geräte versehen, wie sonst nirgends zu erblicken ist. Und dieser ganze große Palast wurde mit solcher Stille erbaut, daß die Schildwache, die vor des Sultans Palasttore stand und so zunächst dabei war, nicht das geringste davon sah oder verspürte, und weil eben eine sehr finstere Nacht war, auch nichts davon sehen konnte,



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Nun war der Sultan schon ein alter Herr, der wenig schlafen konnte und deswegen die Gewohnheit hatte, wenn er morgens in der Frühe erwachte, sich sogleich an das Fenster zu begeben, um die kühle Morgenluft und die schöne Aussicht zu genießen; denn er konnte von seinem Schloß aus ganz Konstantinopel übersehen. So erhob er sich auch an diesem Morgen, als es noch halbdunkel war, und sah
zum Fenster hinaus. Da erblickte er in der Dämmerung etwas, das ihm gegenüberstand und die gewohnte Fernsicht benahm. Er wischte sich die Augen und meinte, der Nachtnebel schwimme ihm noch vor denselben. Als er aber wieder stark nach jener Stelle sah, so dünkte ihm, als ob ein großes Haus oder ein Schloß vor seinen Augen stehe. Da nun am vorigen Abende noch nichts daselbst gewesen war, so rief er der unten stehenden Schildwache fragend zu, was da gegenüber auf dem großen Platze stehe. Diese antwortete, es scheine ein großer und herrlicher Palast da zu sein. Voll Verwunderung schickte der Sultan einen seiner Trabanten an Ort und Stelle, und dieser kam bald zurück und erzählte, daß wirklich ein so prächtiges Schloß dastehe , als Menschenaugen nie gesehen hätten. Aber niemand hatte ihm sagen können, wie es hergekommen wäre; denn die Nacht über sei alles stille gewesen. Doch konnte der Trabant nicht genug rühmen, wie alles von Marmor, Jaspis, Porphyr und anderen schön polierten Steinen glänze, alle Rahmen und Fenstereinfassungen von Silber, alle Fenstergläser von Kristall seien.

Der Sultan staunte darüber, zumal da, wie es allmählich heller wurde, die Pracht des Palastes ihm in die Augen drang. Er ließ deswegen seine Tochter Bellastra rufen und sagte ihr: "Du wirst gewiß nicht lange mehr auf deine Vermählung warten dürfen; denn siehe, hier steht das Haus schon, das für dich und deinen Gemahl in dieser einen Nacht erbaut



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worden ist." Indem warf die aufgegangene Sonne ihre ersten Strahlen auf den Palast, und man konnte ihn vor Glanz kaum ansehen. Bellastra staunte nicht wenig über diesen Anblick, doch war sie auch von Herzen froh darüber, daß sie nun so bald mit ihrem Geliebten vereinigt werden sollte. Indessen kam auch Lameth mit seiner prächtigen Begleitung angezogen, quartierte sich in seinem neuerbauten Palaste ein und fand darin alles so wohlgeordnet, als er es nur irgend wünschen konnte. Deswegen war er auch mit allem vergnügt und lobte seine dienstbaren Geister . Dann schickte er seinen Haushofmeister zu dem Sultan, ließ ihm seinen untertänigen Morgengruß vermelden und ihn ersuchen, da sein neues Schloß fertig und in demselben alles in Bereitschaft sei, so möchte es sich Seine Hoheit gefallen lassen, daß jetzt die Zeremonie der Trauung in dem neuen Gebäude verrichtet werde. Um weiteres sollte sich der Sultan nicht bekümmern und sich die geringe Aufwartung, mit welcher er ihn bedienen werde, gefallen lassen.

Der Sultan gab seinen vergnügten Gegengruß zurück und befahl, alles zur Vollziehung des Trauungsaktes bereit zu machen. Als Lameth erfuhr, daß Bellastra gerüstet sei, holte er sie mit einem weit prächtigeren Zug, als der frühere war, ab und führte sie mit dem Großsultan und seinem ganzen Hofstaate in den neuen Palast, dessen Herrlichkeit sie nicht genug bewundern konnten. Hier wurde die Trauung vollzogen und ein kostbares Mahl abgehalten, bei welchem des Sultans Tafel in lauterem Golde, der Hofstaat aber in Silber bedient wurde. Hierüber erstaunte der Sultan hoch und gestand sich, daß er solches nachzutun nicht imstande sei. Die anmutigsten Musikchöre ließen sich abwechslungsweise vernehmen, und ein eigner Sängerchor sang zu Saitenspielen von Bellastras Tugenden und Schönheit. So verstrich der Tag unter lauter Ergötzlichkeiten. Lameth war glückselig an der Seite seiner engelschönen Braut, und diese wäre es auch gewesen, wenn sie nicht die geheime Sorge gequält hätte, daß ihr Bräutigam ihr am Abend des Tages geraubt werden könnte. Aber nichts dergleichen ereignete sich. Ihr Gemahl kam nicht von ihrer Seite, und das junge Ehepaar begann ein glückliches und ungetrübtes Leben. Bellastra liebte ihren Freund wie sich selbst, und er liebte und ehrte sie als die hohe Fürstentochter und tat, was er ihr an den Augen absehen konnte. Der Sultan war Lameths bester Freund; Große und Kleine am Hofe gewann er für sich durch sein gütiges Bezeigen; Armen und Notleidenden half er, und niemand tat bei ihm je eine Fehlbitte, daher denn auch Lameths Palast nur schlechtweg die Burg der Hilfe genannt wurde.



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Aber mit allem dem war Lameth in seinem Glücke doch nicht so befestigt , daß ihm dasselbe nicht noch einen harten Streich versetzt hätte. Es lebte nämlich der böse Zauberer Mattetai noch immer in Europa nach Herzenslust und übte täglich viele Bosheiten aus. Am Ende brachte er es so weit in seiner Kunst, daß er, wie ihm früher Luft- und Erdgeister untertänig gewesen waren und die Wassergeister ihm noch dienten, so nun die Feuergeister zu seinem Dienste zwingen konnte. Als ihm nun einmal auch wieder sein verlorner herrlicher Ring in den Sinn kam und er auch wissen wollte, wie es mit dem Schloß in der Höhle beschaffen wäre, und ob er solches nicht noch bekommen könnte, so berief er die Feuergeister zu sich, die in ziemlich zorniger Gestalt erschienen, und sich ungebärdig darüber stellten, daß man sie beunruhige. Sie schüttelten sich, daß die Funken stoben, und schrien den Zauberer mit gräßlicher Stimme an: "Was willst du von uns?" Mattetai sprach: "Sagt mir, ob es nicht möglich ist, daß ich meinen verlorenen köstlichen Ring wiedererhalte und das treffliche Schloß in der Höhle Xa Xa in meine Gewalt bekomme." Die Geister antworteten: "Das kann nicht wohl sein; wir sind nicht mächtig genug dazu. Beide besitzt Lameth und mißbraucht sie auch nicht. Und weil er Erd- und Luftgeister in seinen Diensten hat, so können wir ihm öffentlich nichts abgewinnen."

Als Mattetai dies hörte, staunte er nicht wenig. Er hatte schon lange nicht mehr an Lameth gedacht und gemeint, dieser werde längst zu Staub und Asche vermodert sein. Deswegen rief er: "Wie? Lameth lebt noch? Und er besitzt die zwei größten Schätze der Welt? Was muß ich hören! Ich Unglückseliger, ich habe mit aller meiner Kunst, Mühe und Arbeit nicht so viel zuwege bringen können! Der Lotterbube hat mich hintergangen und um beide Schätze gebracht!"So gebärdete er sich wie ein Rasender, daß selbst die Feuergeister Mitleid mit ihm hatten und zu ihm sagten: "Mattetai, dem Lameth hat sich das Glück zugewendet, das du mit aller deiner Kunst nicht hast erlangen können. Doch verzweifle darum nicht; vielleicht kannst du mit List gewinnen, was du so sehnlich wünschest. Lameth lebt nun dem Vergnügen in aller Sicherheit, er denkt wenig mehr an sein Schloß und läßt es in einem Winkel in guter Ruhe liegen. Versuch es daher, ihm dasselbe zu entwenden: was wir dazu beitragen können, wollen wir gerne tun."Mattetai war froh, verabschiedete die Feuergeister und dachte darüber nach, wie er den herrlichen Schatz erlangen könnte. Er berief die Wassergeister, die ihm auch noch dienstbar waren, und ließ sich von ihnen durch das Meer schnell nach Konstantinopel tragen. Hier suchte



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er sich eine bequeme Wohnung aus und erkundigte sich nach Lameths Zustande . Jedermann sagte Gutes von ihm, lobte seine Gütigkeit und übrige Tugend, erzählte, daß er von seiner Gemahlin Bellafira geliebt, von dem Großsultan, seinem Schwäher, und allen Großen des Hofes hochgeachtet, von aller Welt in Konstantinopel geehrt werde. Mattetai biß die Zähne über diese Nachricht zusammen; doch überwand er seinen Kummer und ließ sich nach dem Platze führen, wo Lameths schöner Palast stand.

Zu ihrem Unglücke sah Bellasira gerade zum Fenster heraus, und der alte Zauberer wurde von ihrer Schönheit so entzückt, daß er jetzt nicht mehr bloß daran dachte, wie er den armen Lameth seines Rings und Schlosses berauben, sondern mehr als an alles, wie er ihm seine engelgleiche Gemahlin entführen wolle. Doch freilich, ebendazu hatte er das Schloß nötig. Mit diesen Gedanken eilte er in sein Quartier zurück, genoß das Abendessen und schloß sich frühzeitig, als wäre er von der weiten Reise schläfrig, in seine Kammer ein. Hier berief er die Feuergeister und bat sie dringender, ihm zur Erlangung des Schlosses behilflich zu sein. Da sie sich willig zeigten, sandte er sie auf Kundschaft in das Schloß, und bald brachten sie die gelegene Botschaft, daß Lameth nicht zu Hause, sondern auf einer Jagd abwesend sei und vor mehreren Tagen nicht heimkommen werde. Auch berichteten sie ihm, daß das treffliche Schloß in der Schlafkammer auf einem Sammetkissen liege. Mattetai schalt seine Geister, daß sie ihm das Kleinod nicht sogleich mitgebracht hätten. Die Geister antworteten, das sei nicht in ihrer Macht gestanden, denn sie dürften sich dem Schlosse nicht nähern. Da legte er den Kopf in beide Hände und sann lange nach; endlich sprach er zu den Geistern: "Höret, morgen früh verschaffet mir eine schmucke Begleitung von Dienern und für mich selbst ein herrliches persisches Kleid mit einem guten Reitpferde; dann will ich mein Glück versuchen."



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Die Geister versprachen, alles beizuschaffen, und am andern Morgen erschienen zehn persische Trabanten, die ein prächtiges Kleid und ein treffliches Roß für Mattetai brachten. Mattetai rüstete sich nun aus, und nachdem er seinen dienstbaren Geistern das Nötige aufgetragen, ritt er auf den Palast zu. Davor angekommen, sandte Mattetai einen Diener voraus und ließ sich als persischer Gesandter anmelden, der mit Lameth, als seinem alten Bekannten, sich unterreden begehre. Bellastra ließ dem Fremden bedeuten, wie leid es ihr tue, daß ihr Gemahl abwesend sei und das Glück nicht haben sollte, seinen Besuch anzunehmen; wenn


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sich aber der Gesandte ein paar Tage gedulden wollte, so werde sie ihrem Gemahle Boten senden, damit er einem alten Freunde seine Ergebenheit bezeigen könnte. Der abgeordnete Diener, ein wohlunterrichteter Feuergeist; erwiderte, so unlieb diese Botschaft seinem Herrn zu vernehmen sein werde, so habe derselbe, auf der Durchreise begriffen, doch zu sehr Eile, um sich länger als bis zum Abende verweilen zu können; jedoch bäte er sich die Ehre aus, den herrlichen Palast seines Freundes, dessen Ruf bis nach Persien erschollen sei, betrachten zu dürfen; es habe ihm nämlich der König, sein Herr, aufgetragen, Augenschein davon zu nehmen und eine genaue Beschreibung und Zeichnung davon mitzubringen.

Bellastra glaubte, nichts Unrechtes zu tun, wenn sie dem Fremden dieses Ansuchen bewilligte, sandte ihm also ihren Haushofmeister entgegen und ließ ihn abholen und im ganzen Palaste herumführen. Als Mattetai in das Zimmer kam, in welchem Bellastra war, bezeigte er derselben alle mögliche Ehrerbietung, küßte den Saum ihres Kleides und entschuldigte sich, daß er so viele Unruhe verursache. Bellafira begegnete ihm hinwiederum freundlich, und da sich Mattetai als ein rechter Hofmann zu benehmen wußte, so ließ sie ihn alle Zimmer nach seinem Wunsche sehen; als sie aber vor Lameths Schlafgemach kamen, scheuten sich die Diener des Palastes, ihm auch dieses zu eröffnen, und entschuldigten sich damit, daß dieses Zimmer nicht ganz in Ordnung sei. Aber Mattetai bestand darauf, auch dieses Gemach sehen zu wollen, weil er einen Abriß des ganzen Palastes mit allen seinen Teilen für seinen Herrn zu fertigen habe, wie er denn zum Schein immer die Schreibtafel in der Hand hatte und bei jedem Zimmer seine Anmerkungen darein zeichnete. Er würde, sprach er, wenig Ehre einlegen, wenn er das Werk unvollendet überlieferte. So wurde ihm endlich auch dieses Zimmer aufgeschlossen, auf welches er freilich wenig Aufmerksamkeit richtete; denn seine Augen schweiften nur umher , das Schloß zu entdecken. Sobald er desselben ansichtig wurde, gab er mit einem starken Husten seinen Geistern das verabredete Zeichen, und in dem Augenblick entstand im Hof unten ein Geschrei: "Feuer, Feuer!" Und wirklich sah man allerorten die Flammen in die Höhe flackern, denn obgleich der Palast von lauter Steinen erbaut war, so schienen doch dieselben über und über zu brennen, als wenn es Holz oder andere feuerfangende Materie wäre. Jedermann lief hinab, das Feuer zu löschen: in dieser allgemeinen Verwirrung ergriff Mattetai das treffliche Schloß aus der Höhle Xa Xa und steckte es geschwind in die Tasche; dann lief er mit seinen dienstbaren Geistern dem Feuer zu und half löschen, so daß man nach



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Stillung des Brandes dem persischen Gesandten und seinen Leuten den höflichsten Dank für ihre wirksame Hilfe abstattete. Nun verzog der Zauberer nicht mehr lange: er nahm ehrerbietigen Abschied und ging vergnügt seines Weges; denn er hatte den ersehnten Schatz in der Tasche. Er ritt in seine Behausung, bezahlte, was er verzehrt hatte, eilte mit seinem Zuge wieder zum Tore hinaus und verabschiedete, sobald er in einem Walde war, seine verkappte Geisterschar. Dann nahm er seine Einkehr im nächsten Dorfe und erwartete da mit Schmerzen die Nacht. Sowie es Mitternacht
war, verschloß er sich in seinem Zimmer, zog sein liebes Schloß heraus und küßte es vor Freuden. Darauf drehte er den Schlüssel um und rief die daran gebundenen Erdgeister.

Es erschienen deren viere; sie stellten sich aber sehr unwillig, brummten wie die Bären und sprachen: "Unwürdiger Besitzer des vortrefflichen Schlosses, was willst du von uns?" Mattetai antwortete: "Geschwind, nehmet Lameths herrlichen Palast mit Bellastra und allem, was darinnen ist, und traget ihn mit mir unversehrt nach Amerika; dort setzet ihn in einer lustigen Gegend niederl" Als die Geister dies hörten, schäumten sie vor Zorn, stampften mit den Füßen auf die Erde, daß alles erzitterte, und antworteten: "Unwürdiger Besitzer des trefflichen Schlosses, wisse,



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daß wir dir zwar dermalen gehorchen müssen; aber glaube sicherlich, deine Bosheit wird zu rechter Zeit gestraft werden!" Trotz dieser unwilligen Rede faßte ein Erdgeist den Zauberer am Schopf und führte ihn seinem Willen gemäß nach Amerika. Die andern Geister entrückten Lameths schönen Palast nebst Bellafira und ihrem Gesinde ebenfalls dahin und setzten ihn in einer schönen Ebene neben einem grünenden Palmwalde nieder. Mattetai entließ nun seine Erdgeister, dagegen rief er die Feuergeister und befahl ihnen, alle diejenigen, die mit Bellastra hergekommen waren, zu nehmen und in eine wohnungslose Einöde zu tragen, was auch im Augenblicke geschah. Nur Bellastra und ihre Kammerfrau blieben nach des Zauberers Willen zurück.

Der Morgen brach an, und als Bellastra erwachte und in ihrem Palaste alles so stille fand, als wenn er ausgestorben wäre, wußte sie nicht, was dies bedeuten sollte; als sie aufstand und einen Blick ins Freie warf, zweifelte sie lang, ob sie schlafe oder wache. Sie sah wohl, daß sie in ihrem Palaste war, aber anstatt wie sonst die rauschende Stadt Konstantinopel zu übersehen, blickte sie in eine fremde, ihr ganz unbekannte Gegend, in eine stille, grüne Einöde hinaus. Sie rief angstvoll ihrer Kammerfrau, aber diese antwortete ihr ebenso erschrocken: im gangen Schlosse sei kein Mensch anzutreffen, und alle Türen seien versperrt. Bellastra betrübte sich nicht wenig. Noch während sie miteinander redeten, trat der Zauberer Mattetai ins Zimmer, machte eine tiefe Verbeugung und wollte eine Entschuldigung gegen die Fürstin vorbringen. Allein diese war über sein Erscheinen so verwirrt, daß sie mit ihrer Kammerfrau in ein anderes Zimmer eilte und den Riegel hinter sich zuschob, um der widerwärtigen Erscheinung überhoben zu sein.



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In Konstantinopel konnte in jener Nacht, da der Palast seiner Tochter entführt wurde, der Sultan auch einmal wieder nicht schlafen. Er warf sich hin und her, und es wurde ihm verdrießlich, länger zu liegen; weil denn der Mond so klar schien, so stand er auf und sah zum Fenster hinaus , in der Richtung von Lameths Palaste. Wie riß er nun die Augen auf; als er keinen Palast mehr auf jener Stelle, sondern den Platz leer sah! Anfangs meinte er, ihm träume nur so; als er aber das Fenster öffnete und genauer hinsah und den Palast immer noch nicht erblicken konnte, rief er dem Leibdiener, der in dem nächsten Zimmer die Wache hatte, und befahl ihm, zum Fenster hinauszuschauen und zu sagen, was er gesehen hätte. Sobald dieser einen Blick hinausgetan, rief er: "Hilf


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Himmel, ich sehe kein Schloß mehr; ich weiß nicht, ist es unter die Erde versunken, oder wo ist's hingekommen!" Nun ließ der Sultan Lärm schlagen; der Großwesir und die übrigen Minister wurden gerufen, und er fragte sie, wie sich das Verschwinden des Palastes mit seiner Tochter erklären lasse. Der Wesir, der, obgleich er sich äußerlich immer ganz anders gezeigt hatte, in seinem Herzen dem Lameth doch gram war und ihn im Verdacht hatte, daß er seinen Sohn entführen lassen, sagte: "Gewiß, dieser Lameth muß ein Erzzauberer gewesen sein, der sich verstellen konnte, wie er mochte, um die weisesten und schönsten Personen in der Welt zu betrügen und, wenn er ihrer satt ist, sie aus dem Wege zu räumen!"

Der Sultan entbrannte in Zorn; er gab seinem Gardehauptmann Befehl , den Fürsten Lameth aufzusuchen, wo er der Jagd nachzugehen pflegte, ihn gefangenzunehmen und unter sicherer Begleitung nach Hofe zu liefern. Der Hauptmann tat dieses ungerne; denn Lameth war ihm sehr lieb, doch konnte er nicht umhin, den Befehl zu vollziehen; er ritt daher mit seinen Leuten aus, denselben aufzusuchen. Er durfte nicht lange suchen, so traf er ihn: denn Lameth war von einer ihm selbst unerklärlichen Schwermut befallen worden, hatte sich viel eher, als er willens gewesen war, der Jagdlust entschlagen und eilte gerade nach Konstantinopel zurück. Als er den Hauptmann der Garde gewahr wurde, fragte er ihn, was es gutes Neue in Konstantinopel gebe. Dieser aber zuckte die Achseln und antwortete: "Wenig, o Herr! Ich habe den Befehl, Euch gefangenzunehmen, und wollte, der Auftrag hätte einen andern betroffen." Lameth, der sich nichts Böses bewußt war, fragte nach dem Grund seiner Ungnade. Der Hauptmann aber sagte, solches würde er von dem Sultan selbst erfahren. Da überreichte ihm Lameth willig seinen Degen. "Freund", sagte er dabei, "ich habe ein gutes Gewissen und fürchte mich vor nichts!" So ritt er mit dem Hauptmann und van dessen Leuten umringt in die Stadt zurück und von der Hinterseite her in die Burg des Großsultans hinein.

Dieser blickte Lameth mit zornigen Augen an, ergriff ihn bei der Hand, führte ihn zum Fenster und sprach: "Nun sage mir, wo ist dein zauberischer Palast, wo hast du meine Tochter Bellastra hingebracht?" Lameth sah zum Fenster hinaus, und als er seinen Palast nicht mehr erblickte, erschrak er so sehr, daß er, ohne ein Wort zu sprechen, rücklings in Ohnmacht fiel. Man brachte ihn durch allerlei Mittel wieder zur Besinnung, und nun brach er in Klagen um den Verlust seiner geliebten Bellastra aus, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen. Aber der Großsultan blieb ungerührt und war so erbittert, daß er ihm nur drei Tage Frist vergönnte, in



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welcher er seine Tochter wiederschaffen oder des Todes sterben sollte. Lameth war durch sein Unglück von Sinnen gekommen; er wünschte sich selbst recht bald die Stunde, in welcher er das verdrießliche Sehen enden könnte. Indessen kamen des Großwesirs und Großadmirals Söhne unvermutet wieder zum Vorschein. Sie berichteten, wie sie von unsichtbaren Kreaturen hinweggeführt und bis auf diese Stunde gleichsam in Verhaft gehalten worden und, übrigens wohl versorgt, der eine in einem Olivenwald , der andere in einem Pomeranzenham bleiben mußten, bis sie sich beide wieder zugleich hierher gebracht sahen. Weil nämlich die Erdgeister nicht mehr unter Lameths Gewalt waren, so hatte auch sein Befehl ein Ende, und die Geister mußten dem dienen, der das Wunderschloß in seinen Händen hatte. Die ehrlichen Geister aber glaubten, Lameth selbst zu dienen, wenn sie jene beiden nicht in der Einsamkeit zurückließen, sondern wieder an den Ort brachten, wo sie dieselben genommen hatten. Nun schrien aber der Wesir und der Admiral über Lameth und sagten, daß kein anderer es sei, der ihre Söhne bezaubert habe. Sie ließen daher dem Sultan keine Ruhe, bis dieser, als nun der dritte Tag erschien und Lameth unter Seufzern und Tränen schweigend vor ihm stand, befahl, daß man denselben im Hofe des Schlosses aufhängen solle.

Aber die Soldaten, die dem Lameth sehr gewogen waren, widersetzten sich diesem grausamen Befehl. Einige rannten hinaus aus der Hofburg und machten es dem Volke kund. Da entstand ein gewaltiger Auflauf, die Schloßtore wurden eingeschlagen, die Masse drang mit Wut herein und schrie: wenn Lameth sterben sollte, so wollten sie mitsterben oder aber allen die Hälse brechen, die an seinem Tode schuld wären. Da besannen sich der Sultan und die Großen des Hofes anders; der Sultan rief in den Hof hinab, das Volk sollte sich zufrieden geben; Lameths Leben sollte ihm geschenkt sein; er befahl auch auf der Stelle, ihn freizulassen. Und wirklich führten einige Vornehme, von vielem Volke begleitet, den trauernden Lameth zum Tore hinaus. Dieser ging ohne Freude über seine Rettung wie ein Trunkener taumelnd fort, bis er, vom Volk entlassen, in einen tiefen Wald kam, wo er sich im Gebüsche niedersetzte und sein unglückseliges Schicksal überlegte. Da fiel ihm auf einmal ein, daß er den trefflichen Ring noch am Finger trage, durch dessen Kraft er die Luftgeister in seiner Gewalt hatte. Schnell drehte erden Ring herum, und ein Luftgeist erschien. "Treuer Nebendiener", sprach Lameth zu ihm, "dir wird bekannt sein, daß mir ein Bösewicht das unvergleichliche Schloß geraubt und dadurch bewirkt hat, daß mein neugebauter Palast nebst meiner



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geliebten Bellastra hinweggeführt worden ist. Gewiß weißest du, wo beide sich derzeit befinden. Ich bitte dich, sage mir, wo ich sie antreffen und ob ich meine teure Gemahlin nicht wiederbekommen kann?" Der Luftgeist antwortete: "ES ist der Verräter Mattetai, der dich durch List um das Schloß gebracht und sofort Bellastra in ihrem Palaste nach Amerika entführt hat; dort hat sie viel Verfolgung von diesem Bösewicht auszustehen . Dennoch sei guten Mutes, Lameth! Die Erdgeister dienen dem Zauberer nur aus Zwang und werden selbst froh sein, wenn sie von seinem Dienst erlöst werden. Wenn du daher willst, so bringe ich dich nach Amerika und dahin, wo Mattetai deine Gemahlin eingeschlossen hält, dann mußt du ihn wieder mit List hintergehen, wie er dich hintergangen hat!"

Lameth war wieder lebendiger geworden, weil er nun wußte, wo seine Bellastra anzutreffen sei. Er bat den Geist, ihn auf der Stelle nach Amerika zu bringen; dieser ergriff ihn, führte ihn dahin und setzte ihn in dem Palmenhaine nieder, von wo aus er seinen wohlbekannten herrlichen Palast erblicken konnte. Nun befahl Lameth seinem Luftgeist, ihm Bettlerkleider zu bringen und ihn so zu entstellen, daß ihn niemand erkennen möchte. Der Geist gehorchte, und bald war Lameth in einen armen, abgezehrten, hinkenden Bettler verwandelt, so daß sein leiblicher Vater ihn nicht wiedererkannt haben würde. In dieser Jammergestalt wankte er



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aus dem Walde heraus und dem Palaste zu. Sein Herz hätte ihm brechen mögen, als er Bellastra erblickte, wie sie ganz traurig zum Fenster hinaussah, den Kopf in beide Hände gestützt, in tiefe Gedanken versunken; so daß sie den Bettler nicht eher gewahr wurde, als bis er vor ihr stand und sie um ein Almosen anflehte. Bellafira warf ihm eine Silbermünze hinunter und sagte dabei: "Betet für mich, Alter, daß ich aus meinem Elend endlich erlöst werden möge!" Der verstellte Lameth erwiderte: "Ja, schöne Frau, das will ich tun; ich versichere Euch, es soll nicht lange anstehen, so
wird Euer Wunsch in Erfüllung gehen!" Bellastra sah den Alten vom Kopfe bis zu den Füßen an, seufzte und sprach: Ach wenn du recht hättest, ich wollte für dich sorgen, daß du nimmermehr betteln solltest!" — "Ja", antwortete der verwandelte Lameth, "wenn Ihr mir erlauben wollt, ein paar Minuten mit Euch allein zu sprechen, so könnte ich Euch gewiß dienen; denn ich weiß Euer ganzes Geheimnis." Bellasira betrachtete den alten Bettler immer aufmerksamer, und da ihr seine Reden so bedeutsam vorkamen, sagte sie zu ihm: "Komm heute abend, wenn es dunkel ist, meine Kammerfrau soll dich zu mir geleiten!"


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Lameth machte eine hinkende Verbeugung und sagte: Ja, ja, es soll dich nicht gereuen; die Tat soll meine Worte erfüllen!" Er hinkte seinen Weg in den Palmenwald zurück und wartete, bis es recht finster wurde. Unterdessen berief er seinen Luftgeist und verabredete mit ihm das Nötige. Dieser entdeckte ihm, daß Mattetai das Schloß aus der Höhle allezeit an einer starken goldenen Kette am Halse hangen habe; solange er dieses besitze, sei er nicht mit Schwert, Gift, Feuer und Strick ums Leben zu bringen; ja, wenn er zwischen zwei Mühlsteine geworfen würde, müßten eher diese in Stücke springen, als daß sie ihm einen Schaden zufügen könnten. Lameth müßte sich daher nach einer Lisi umsehen und den alten Zauberer durch ein starkes Getränk berauscht zu machen suchen, damit er alsdann, wenn er besinnungslos wäre, das Schloß von seinem Halse lösen und über sein Leben verfügen könnte. Weil nun Mattetai den Wein aus Kalabrien am meisten liebe, so versprach der Geist, ihm dergleichen zu verschaffen; zugleich wolle er ein Gegenmittel bringen, das für den, welcher sich desselben bediente, denselben Wein unschädlich machen sollte, er möchte davon trinken, soviel er wollte. Dieses alles sollte Lameth in Bettlersgestalt seiner Gemahlin Bellastra überbringen und ihr anzeigen, wie sie sich dabei klüglich zu verhalten hätte, um den Zauberer in die Falle zu locken.

Hocherfreut über des dienenden Geistes guten Rat ging Lameth, sobald jener sechs Flaschen kalabrischen Weines und das wirksame Gegenmittel herbeigeschafft hatte, in der Dunkelheit, beides in einem Korbe verborgen, nach Bellastras Palaste zu, die auf ein verabredetes Zeichen die Kammerfrau hinabschickte, ihn heraufzugeleiten. Dies konnte um so leichter geschehen da der jüdische Bösewicht auf einige Tage verreist war. Als der geheuchelte Bettler in Bellastras Zimmer trat, fand er sie traurig auf ihrem Ruhepolster sitzen. Sie redete ihn also an: "Wie ist's, guter Alter, kommt Ihr, Euer Wort zu erfüllen und mir ein Mittel an die Hand zu geben, wie ich von meinem Elende loskommen mögen" —"Tut, was ich Euch sage", erwiderte Lameth; "wenn morgen Mattetai zurückkehrt, so trachtet dahin, daß er sich in diesem Weine berausche, welchen ich hier mitbringe . Seht, da sind sechs Flaschen des besten kalabrischen Weines; den trinkt er am liebsten; sprecht ihm zu, ja, muntert ihn durch Euer eigenes Beispiel auf, zu trinken, bis seine Sinne ihn verlassen; ihr selbst, ehe Ihr zu trinken anfanget, nehmet dieses Gegenmittel ein, das ich Euch hier übergebe und das Euch vor den Wirkungen des Weines beschützen soll. Ist Mattetai betrunken, so gebet mir mit einem weißen Tuche ein Zeichen



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zum Fenster hinaus; dann will ich kommen und Eurem Elend ein Ende machen." Bellastra hörte dem allem mit Freuden zu und versprach, allen Verstand zusammenzunehmen, um den Anschlag glücklich auszuführen. Der Bettler stellte die Flaschen Weines und das Fläschchen mit dem Gegenmittel auf den Tisch, wünschte ihr Glück zu ihrem Vorhaben und ging seines Weges.

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Bellastra sann die ganze Nacht über das Spiel nach, das sie vorhatte. Als es Tag ward, legte sie ihre schönsten Kleider an und erwartete die Ankunft des Zauberers, welche bald erfolgte. Sie ließ ihn sogleich durch ihre Kammerfrau rufen und redete ihn bei seinem Eintritte ganz freundlich so an: "Mein Freund l Da ich mich so lange vergeblich gegrämt habe und doch nicht zu den Meinigen zurückgelangen kann, so habe ich mich nun entschlossen, mein übriges Leben nicht in gleicher Traurigkeit hinzubringen. Wenn Ihr Euch daher künftig in meine Launen schicken und meine gewohnte Lebensart annehmen wollet, so erbiete ich mich, Euch zu meinem Gemahl anzunehmen." Mattetai wallte das Herz im Leibe vor Freuden, als er die Prinzessin so sprechen hörte; denn früher war sie allezeit vor ihm geflohen und hatte mit Wort und Tat auf alle Weise ihren Widerwillen gegen den Bösewicht ausgedrückt. Er konnte nicht Worte genug finden, Bellastra zu versichern, daß er sich in allem ihrem Befehl unterwerfen werde, und brachte dabei einen närrischen Haufen von Worten untereinander her, so daß sie sich kaum des Lachens enthalten konnte. Sie unterbrach ihn daher und sprach: "Ich glaube alles, was Ihr mir sagt; nur eines macht mir Zweifel. Ihr wisset, daß ich am türkischen Hof auferzogen worden bin, wo man heimlich allezeit wacker zu trinken pflegt. Da möchte ich denn wissen, ob Ihr mir solches auch zulassen und, wenn mich die Lust ankommen wird, mir wacker Bescheid tun werdet." — "Oho", antwortete Mattetai lachend, "wenn es nichts weiter ist als dieses, so werden wir bald miteinander einig werden. Ich hasse den Trunk auch nicht, und Euch zuliebe wollte ich einen ganzen Becher voll Gift austrinken , warum sollte ich Euch nicht bei einem guten Glase Weins Bescheid tun; denn Schlechtes werde ich bei Euch doch nicht zu trinken bekommen!" —"Nein, schlechte Weine mag ich auch nicht", erwiderte Bellastra , "aber der Wein aus Kalabrien ist mein Leibtrunk." Da lachte Mattetai wieder und sprach: "Beim Element, da taugen wir gut zusammen; den Wein aus Kalabrien liebe ich mehr als alle andere!"

"Nun so kommet her und setzt Euch zu mir", sagte Bellafira, indem



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sie aufstand und die sechs Flaschen, eine nach der andern, aus einem Schranke nahm. "Laßt uns in die Wette zechen! Aber es fehlt an einem Glase." Mattetai erhub sich, warf einen zärtlichen Blick auf die Fürstin und ging, schöne Becher zu holen. Diesen Augenblick hatte sich Bellastra ersehen, nahm das Fläschchen mit dem Gegenmittel aus dem Schranke und tat geschwind einen Zug daraus. Gleich darauf kam der Zauberer mit den Pokalen, und Bellastra schenkte ihm ein. "Dies auf mein Wohlsein getrunken, Freund!"sprach sie, und Mattetai ließ sich nicht lange bitten. So leerten sie eine Flasche nach der andern, und der Zauberer konnte sich über die Ausdauer seiner Geliebten nicht genug wundern; denn als sie an die vierte Flasche kamen, wurde ihm bereits taumelig im Kopfe. Bellastra schien zu bedauern, daß sie nur noch zwei Flaschen übrig habe, sprach und trank ihm dabei wacker zu. Die letzte Flasche goß sie gar nicht in den Pokal, sondern setzte dieselbe an den Mund und trank sie zur Hälfte auf Mattetais Gesundheit aus, stellte ihm den Rest zu und sprach: "Trinkt das auf meine Gesundheit, Lieber! Dann wollen wir schlafen gehen!" Mattetai, von Liebe und Wein trunken, ergriff die Flasche; ehe er sie jedoch an den Mund setzen konnte, fiel er im Rausche zu Boden und ließ auch die Flasche fallen, daß sie in tausend Stücke zersprang.

Bellastra rüttelte den Liegenden, als wollte sie ihm helfen, eigentlich aber nur um zu sehen, ob er auch tief genug berauscht sei, und als sie gar keine Empfindung an ihm spürte, öffnete sie das Fenster und gab das Zeichen mit dem Tuche. Der lahme Bettler flog die Treppe hinauf und wurde von der Kammerfrau in das Gemach geführt, wo der böse Mattetai wie ein Stein auf dem Boden lag. Lameth ließ nun seine Gemahlin und ihre Kammerfrau abtreten, fiel über den Zauberer her, riß ihm das Oberkleid ab und suchte das Schloß, das er auch sogleich an seinem Busen fand. Er zog ihm dasselbe samt der Kette ab und drehte den Schlüssel schnell um; die Erdgeister erschienen und fragten tanzend und springend vor Freuden: "Würdiger Besitzer des unschätzbaren Schlosses, was befehlet Ihr?" Lameth sagte: "Nehmet hier dem boshaften Zauberer das Leben!" Keinen angenehmeren Befehl hätte Lameth seinen dienstbaren Geistern geben können. Zwei ergriffen ihn bei den Händen, zwei bei den Füßen und zerrissen ihn in vier Stücke. Schnell drehte Lameth seinen Ring um; die Luftgeister kamen und trugen auf seinen Befehl die zerrissenen Glieder des Zauberers hinaus in alle vier Teile der Welt. Dann mußten sie das Zimmer reinigen, ihm selbst seine vorige Gestalt wiedergeben und die früher getragenen Fürstenkleider wiederanlegen; dann den



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Palast mit allem, was darin war, auf der Stelle wieder nach Konstantinopel versetzen und die von Mattetai verbannte Dienerschaft wieder herbeischaffen.

Nachdem alles geschehen und die Diener wieder zur Stelle waren, berief Lameth seine geliebte Bellastra. Als diese in das Zimmer trat, erwartete sie den hinkenden Bettler wiederzufinden, da erblickte sie ihren schönen Gemahl und warf sich ihm in die Arme. Lameth erzählte ihr, daß er den Bettler vorgestellt, und wie alles ergangen sei. Die Diener stürzten herbei , ihren Herrn zu grüßen; ein gutes Nachtmahl ward bereitet, alle waren guter Dinge.

Als Bellastra in der Frühe erwachte, fiel ihr erster Blick zum Fenster hinaus wieder auf die Stadt Konstantinopel. Der Sultan aber, der nach seiner Gewohnheit früh aufstand und an das Fenster trat, sah den Palast wieder an der alten Stelle stehen. Außer sich vor Freuden, kleidete er sich eiligst an und begab sich mit seiner Leibwache nach dem Ort. Hier flog ihm seine Tochter Bellafira entgegen, bewillkommte ihren Vater mit kindlicher Freude und reinigte ihren Gemahl von aller Schuld, indem sie die Begebenheit nach der Wahrheit berichtete. Der Großsultan schämte sich seiner Übereilung und empfing den zu seiner Begrüßung herbeigeeilten Lameth aufs zärtlichste. Großwesir und Admiral, die ihn hatten töten wollen, warfen sich dem Wiedergekehrten zu Füßen und erhielten Verzeihung . Lameth und Bellasira lebten viele Jahre in Glück und Frieden. Das Schloß aus der afrikanischen Höhle Xa Xa aber wurde von Lameth in besserer Verwahrung gehalten als zuvor, und er blieb des unschätzbaren Kleinods ruhiger Besitzer bis an sein Ende.



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Griseldis

Mit Bildern von Anton Dietrich



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In Piemont, am Fuße eines hohen Berges, liegt eine herrliche Herrschaft, welche blühende Städte und viele schöne Dörfer in sich begreift. Der erste Markgraf, dem diese Landschaft eigentümlich zugehörte, hieß Walter. Er war ein Mann schön von Gestalt, ehrbar von Sitten, jung von Jahren, reich begabt mit Verstand. Aber alle seine Neigung war so sehr der Jagd und dem Vogelfange zugekehrt, daß er das andere darüber vergaß und sich der Regierung seines Landes gänzlich entschlug. So hatte er auch keine Lust zum Heiraten, nicht als ob ein Gelübde ihn abgehalten hätte, sondern die gepriesene Freiheit und die Liebe zum unabhängigen Leben und zur Selbstherrschaft ließ ihn an keine eheliche Verbindung denken. Wenn daher gute Freunde zu ihm von seiner Vermählung sprachen, so pflegte er wohl zu erwidern: "Ich mag meine Freiheit nicht verkaufen und nicht ein Weib zur Mitregentin annehmen. Solange ich ledig bin, tue ich, was ich will: wenn ich aber verheiratet bin, so muß ich vielmals tun, was meine Frau will. Tue ich dieses nicht, so habe ich eine widerwillige Frau und zugleich sank und Hader im Hause!" Die Untergebenen verdroß dieses



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Verfahren ihres Herrn; sie hätten es gar zu gerne gesehen, wenn ihr Herr eine glückliche Ehe eingegangen und Erben seiner Güter hinterlassen hätte. Die Vornehmsten der Grafschaft beratschlagten daher, wie sie die Sache anstellen und ihren Herrn zum Heiraten vermögen könnten. Deswegen erschienen sie eines Tages insgesamt vor dem Markgrafen, und der Vornehmste unter ihnen redete ihn mit folgenden Worten an:

"Gnädiger Herr und Markgraf! Die Freundlichkeit Euer Gnaden gibt uns den Mut, frei heraus zu reden, was wir in unserem Sinne gefaßt haben. Wir hoffen nicht, daß Ihr solches übel aufnehmen werdet, weil Eure Güte und Euer väterliches Gemüt uns allen genugsam bekannt sind. Wir schätzen uns glücklich, einen so lieben Herrn zu haben und von ihm beschützt zu werden. Wir würden uns aber noch viel glücklicher achten, wenn wir Eure markgraf Gnaden für ewig bei uns behalten könnten. Nun wissen wir, daß dies nicht möglich ist. Das Nächste aber wäre, wenn wir Eurem ehelichen Erben in Liebe dienen und untertänig sein dürften. Unser Herr ist zwar jetzt noch tung von Jahren und stark an Kräften; er weiß aber, daß die nachkommenden Jahre diese Kraft verzehren werden. Deswegen ist unsere untertänige Bitte, daß Eure Gnaden geruhen mögen, durch eine Vermählung Bedacht darauf zu nehmen, daß Sie in erwünschten Erben fortleben und dereinst Ihr Land fortregieren. Wird unser billiges Begehren erhört und uns ein Auftrag gnädigst gegeben, so wollen wir ein Fräulein für Euer Gnaden aussuchen, das an Geblüt, Schönheit und tugendlichen Sitten unserem Herrn am ähnlichsten sein wird."

Auf diese Worte schwieg der Graf eine Zeitlang still und dachte dem Vorschlage nach. So schwer es ihn ankam, so überwand ihn doch am Ende die Liebe zu seinen Untertanen, und er entschloß sich, ihrem Begehren zu willfahren. So sprach er denn zu ihnen: "Meine lieben Freunde! Eure demütige Bitte nötigt mich, euch zu willfahren und zu tun, was ich nie im Sinne gehabt habe. Denn ich hatte mir allezeit vorgenommen, meine Freiheit völlig zu behalten, die im Ehestande wohl schwerlich mag erhalten werden; nun aber unterwerfe ich mich freiwillig dem Willen meiner Untertanen , damit sie erkennen, daß ich sie liebe, und daß ich als ein Vater ihnen vorzustehen begehre. Jedoch bedanke ich mich für euer Anerbieten, mir eine Gemahlin zu erlesen, die meinesgleichen sein soll. Diese Mühe will ich selbst auf mich nehmen, und ich vertraue hierin auf die Hilfe des Allerhöchsten, der in seine Hände das Glück des Ehestandes gelegt hat. Er wird mir ein Weib zuführen, welches mein Heil und meine Ruhe nicht hindern und zugleich eurem Verlangen, die Regierung in meinem Hause



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gesichert zu sehen, Genüge tun wird. Eines aber sollt ihr mir versprechen und halten: daß ihr diejenige, die ich zu meinem Eheweib auserlesen werde, als Markgräfin und als eure Herrin ehren und ihr untertan sein wollet. Es soll auch keiner unter euch sein, welcher über meine Wahl eines Weibes jemals klage, sondern diejenige, die mein Ehegemahl werden wird, die sollt ihr, als wäre sie die Tochter eines römischen Fürsten, ehren und für eure gebietende Frau erkennen."

Über diese Antwort des Grafen erfreuten sich die versammelten Diener höchlich und waren ganz bereitwillig, dem Begehren ihres Herrn zu willfahren . Sie versprachen deswegen mit einem feierlichen Gelübde, der Frau, die er erwählen würde, untertänig zu sein und, welcher Art sie auch sein sollte, im geringsten nicht wider sie zu klagen. Darauf schieden sie getrost von dem Markgrafen und erwarteten mit Verlangen, was für eine Dame er zu seiner Braut erwählen würde.

Der Graf aber brachte einige Tage in tiefem Nachsinnen darüber hin, was für eine Frau er nehmen sollte. Endlich entschloß er sich, keine stolze Erbin, sondern ein demütiges Mädchen zu erkiesen, das ihm in allem willfahren würde. Als daher einige Wochen verflossen waren und er sich in seinem Entschlusse festgesetzt hatte, da befahl er seinem Haushofmeister, alles zu der nächstkünftigen Hochzeit fertigzumachen. Noch wußte niemand, welche Jungfrau die Braut sein sollte, und der Graf wollte es auch niemand offenbaren, sooft er darum befragt wurde.

Inzwischen ward alles auf fürstliche Weise vorbereitet, und viele hohe Gäste wurden geladen. Der hochzeitliche Tag nahte heran, ohne daß jemand mußte, von wannen die Braut kommen sollte. Der Graf rüstete goldene Ringe und Ohrengehänge, die er einem andern Mädchen, welche seiner Braut an Wuchse gleich war, hatte anmessen lassen. Wie nun der bestimmte Tag herbeigekommen und die geladenen Gäste in großer Menge gegenwärtig waren, so fehlte niemand mehr als die markgraf Braut. Da entstand eine große Verwunderung unter allen Anwesenden, ja, es erwuchs sogar der Zweifel, ob es nicht mit der gangen Hochzeit nur auf einen mutwilligen Scherz abgesehen sei. Die Stunde des Mittagsmahles war gekommen; Zimmer und Tische waren geziert, die festlichen Speisen bereit; dennoch wurde kein Wort vernommen, welches Fräulein für die Braut des Grafen erklärt sei. Zuletzt sahen sich die Gäste genötigt, den Grafen fragen, warum sie denn eigentlich zur Hochzeit geladen seien. Er aber gab ihnen zur Antwort, sie sollten ohne Sorgen sein; die Braut sei schon auf dem Wege; alle möchten sich fertig machen, ihr entgegen



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zugehen und sie mit gebührenden Ehren zu empfangen. So sammelten sich denn alle geladenen Herren und Frauen und begaben sich insgesamt zum Schlosse hinaus. Vor ihnen her ritt der Markgraf, mit hochzeitlichen Kleidern angetan; neben ihm fuhren in festlichen Wagen einige Edelfrauen, welche die Brautkleider nebst allem weiblichen Zierat verschlossen mit sich führten. Der hochzeitliche Festzug war auf diese Weise in das nächste Dorf gekommen, und niemand wußte, wohin er weitergehen sollte. Gleichwohl verbreitete sich ein dunkles Gerücht unter den Gästen, daß hier der Ort sei, wo der Graf sich seine Braut erwählen würde, und, obgleich sich niemand einbilden konnte, auf welche Weise dies geschehen sollte, so hatten sich doch alle Bauernmädchen des Dorfes, zu welchen die Sage gleichfalls gedrungen war; aus Neugierde versammelt und harrten auf die abenteuerliche Brautwahl des Markgrafen.

Nun lebte in diesem Dorfe, in dem nur wenige und lauter arme Bauern wohnten, ein Mann, namens Janicula, der ärmste unter allen, der eine einzige Tochter hatte, welche Griseldis hieß; so arm sie war, so schön war sie von Gestalt, tugendsam von Sitten und mit vielen Gaben der Natur geschmückt. Sie hütete die wenigen Schafe ihres Vaters und brachte die meiste Zeit auf dem Felde zu; dennoch kochte sie alle Speisen für die Hausgenossen, , und die halbe Nacht verbrachte sie allezeit mit Spinnen. Ihren Eltern war sie in allen Dingen gehorsam und den Werken der Andacht sehr ergeben. Dieses Bauernmädchen hatte der Markgraf im Vorüberreiten vielmal mit Augen gesehen und ihre Sitten wohl beobachtet. Schon lange trug er zu ihr eine aufrichtige Neigung im Herzen und war entschlossen , sich mit ihr zu vermählen.

Zu der Zeit nun, da die Hochzeitsgäste in das Dorf kamen, war die gute Griseldis am Brunnen gewesen und eilte jetzt eben mit ihrem Kruge nach Haus, um zugleich mit den andern Mädchen zu sehen, woher denn die Braut kommen sollte. Als sie aber ihrem Hause nahete, trat ihr der Graf entgegen und sprach zu ihr: "Griseldis, wo ist dein Vater?" Das Mädchen neigte sich gar tief und sprach mit großer Ehrerbietung: "Er ist zu Hause, gnädiger Herr." "Laß ihn zu mir herauskommen", sagte der Graf. Als dies geschehen war, nahm der Markgraf den Bauern bei der Hand, führte ihn ein wenig beiseite und sprach mit heller Stimme zu ihm also:

"Ich weiß, mein lieber Janicula, daß du ein frommer und aufrichtiger Mann bist und daß du mir als deinem Herrn in allen Dingen gehorsam sein wirst. Deswegen frage ich dich: Willst du mir deine Tochter Griseldis zur Ehe geben und mich, deinen Herrn, zu einem Eidam haben?"' Der



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gute, alte Mann erstarrte über dieser Rede und wußte nicht, was er darüber denken oder sagen sollte. Erst als ihn der Graf zu einer Antwort nötigte, sprach er mit Zittern: "Gnädiger Herr, ich finde vor Schrecken keine Antwort; aber weil Ihr mein Herr seid, so darf ich nichts anderes wollen, als was Euch gefällig ist. Und so es denn Euer Ernst ist, meine arme Tochter zur Ehe zu nehmen, so bin ich viel zu gering, Euch hierin zu widersprechen." Der Graf erwiderte: "Gut! so laß uns zwei allein in Euer Haus gehen. Ich muß den Willen deiner Tochter erkennen und sie über einige Dinge befragen."

So blieben alle Hochzeitsgäste draußen in höchster Verwunderung stehen; der Graf aber ging mit dem Vater in das Haus, nahm die Tochter bei der Hand und sprach: "Weil es sowohl deinem Vater als mir gefällt, daß du mein Weib sein sollest, Griseldis, so hoffe ich, es werde dir nicht mißfallen, mich zur Ehe zu nehmen." Die verstörte Jungfrau erschrak, als wenn der Himmel über sie herabfiele und die Erde drehte sich mit ihr. Der Graf aber sprach ihr mit freundlichen Worten zu: "Fürchte dich nicht, meine liebe Griseldis; denn du hifi es, die ich vor allen Weibern der Erde zu meiner Braut auserkoren habe; und wenn du darein willigest, so werde ich mich noch heute mit dir vermählen." Griseldis neigte sich in Demut und antwortete: "Gnädiger Herr l Ich erkenne mich zwar so großer Ehren ganz und gar unwürdig; gleichwohl, wenn es Euer ernstlicher Wille und Eures Herzens Meinung ist, mich armes Bauernmädchen zu Eurer Dienerin anzunehmen, so darf ich mich meinem Herren nicht widersetzen." Darauf sprach der Graf mit ernster Miene: "Ehe ich dich denn zur Ehe nehme, frage ich dich, Griseldis, ob du mit freiwilligem Herzen bereit seiest, mir in allem gehorsam zu sein, in keinem Dinge meinem Willen zu widerstreben ; so daß du alles, was ich mit dir tun werde, ohne ein saures Gesicht und ohne ein rauhes Wort tragen wollest?" — "Gnädiger Herr Graf", erwiderte die Jungfrau, "wenn ich die große Ehre, die mir nicht gebühret, haben soll, Eure Gemahlin zu sein, so verspreche ich, nichts wissentlich zu tun oder zu denken, was wider Euer Herz wäre; Ihr werdet mir nichts tun und nichts befehlen, was ich übel aufnehme, und solltet Ihr mich auch sterben heißen." Diese Worte gefielen dem Grafen wohl, und er sprach freudig: "ES ist genug! Wenn du dieses tun willst, so begehre ich weiter nichts von dir!"

Damit nahm er sie an der Hand, führte sie zum Hause hinaus und zeigte sie allen Anwesenden, sprach auch dazu mit lauter Stimme: "Diese Jungfrau hier ist meine Braut, diese ist eure gnädige Frau; sie ehret, sie



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liebet und, wofern ihr mich wert habt, so habet sie noch viel mehr wert." Und nun befahl er den bestellten Edelfrauen, daß sie die Magd alsbald ihrer Bauernkleider berauben und sie mit herrlichen Brautgewanden zieren
sollten, daß sie ihrem neuen Stande gemäß in des Grafen Haus einziehen könnte. Die Frauen nahmen das Mädchen auf offener Straße unter sich und schlossen einen dichten Kreis um sie, so daß niemand sehen konnte, ' was sich mit ihr begab. Da entkleideten sie die Jungfrau ihrer bäurischen


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Kleider und zierten sie so schön, daß man sie kaum wiedererkennen konnte. Als sie nun so in aller Eile aufgeschmückt war, daß sie einer Gräfin und nicht mehr einer Bäurin glich, wurde sie von den Frauen dem Grafen zugeführt und als seine würdige Braut vorgestellt. Der Markgraf zog den bereitgehaltenen Trauring hervor, steckte ihr denselben an den Finger und versprach sich öffentlich mit ihr vor allem Volke. Hierauf ließ er die Braut auf ein schneeweißes Pferd setzen und führte sie mit Ehren und Freuden nach seinem gräflichen Schlosse. Das Volk lief scharenweise nach und rief mit jubelnder Stimme: "Es lebe Griseldis t" indem es zugleich der Jungfrau Glück und Heil zu dieser unverhofften Ehre wünschte. Die Trauung wurde noch an demselben Tage mit großer Feierlichkeit auf dem Schlosse vollzogen und die Hochzeit in allen Freuden abgehalten, und da war niemand, der sich nicht über diese seltene Heirat aufs höchste verwundert, aber auch erfreut hätte. Denn es schien, als hätte Gott diese Heirat im Himmel selbst geschlossen und der frommen Griseldis so besondere Gnadengaben herabgeschickt, daß man meinte, sie sei nicht in einem Bauernhause, sondern an einem adeligen Hof erzogen worden, mit so zierlichen Sitten, mit soviel Klugheit und Verstand, mit solcher Freundlichkeit zeigte sie sich begabt; daher sie denn auch von allen höchlich verehrt und geliebt wurde. Ja, diejenigen, die sie von Jugend auf gekannt hatten, konnten sich jetzt kaum mehr vorstellen, daß sie des armen Janiculas Tochter war. Auch lebte das Ehepaar in solcher Liebe und Einigkeit, daß keines das andere mit dem geringsten Wort erzürnte, und beide gaben ihren Untertanen das schönste Vorbild der Tugend und der Frömmigkeit.

***
Ehe ein Jahr zu Ende gegangen war; gebar Griseldis zur höchsten Freude aller adeligen Dienstmannen des Grafen, ihres eigenen Vaters und des gesamten Landes ein gar schönes Fräulein. Nur mit ihrem Eheherrn selbst schien eine Veränderung vorgegangen zu sein. Er bezeigte über diese Geburt keine sonderliche Freude, vielmehr einen Verdruß und Widerwillen, so daß es schien, als wäre ihm ein junger Sohn viel lieber gewesen als eine Tochter. Nun merkte zwar die gute Gräfin, daß ihr Herr sich nicht mehr so gütig gegen sie erwies, als er bisher zu tun gewohnt war; dennoch litt sie dieses mit großer Geduld und befleißigte sich, durch doppelte Freundlichkeit sein Gemüt zu gewinnen. Der Graf aber ließ sich dadurch nicht bewegen; er gedachte vielmehr, durch seine Handlungsweise die Treue seines Weibes auf die Probe zu stellen. Als das Kind von der Mutterbrust entwöhnt war, berief er Griseldis allein zu sich


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in sein Zimmer. Hier stellte er sich keineswegs freundlich gegen sie an, sondern begann mit ernsthaften Worten so zu sprechen: "Du weißest, o Griseldis, in welchem Stande du früher gelebt hast, und auf welche Weise du in mein Haus gekommen bist. Nun bist du mir zwar lieb und angenehm; ; aber meine adeligen Freunde haben ein großes Mißfallen an dir, und meine Untertanen wollen dir, als einer armen Bäurin, auch nicht unterworfen sein, zumal da du mir eine Tochter geboren hast; während doch alle vielmehr einen Sohn verlangt hätten. Ja, selbst wenn es ein Sohn wäre, so möchten sie ihm dennoch nicht untertan sein, darum daß er von einer schlechten Bäurin geboren worden. Und weil ich gerne mit meinen Freunden und Untertanen in Frieden leben möchte, so sehe ich mich genötigt, vielmehr ihrem als meinem eigenen Urteile zu folgen und dasjenige zu tun, was meiner Natur ganz zuwider ist. Jedoch wollte ich nichts ohne dein Vorwissen unternehmen, sondern dir alles zuvor offenbaren. Zugleich frage ich dich, ob du noch desselben Sinnes seiest, wie du von Anfang unsers Ehestandes an gewesen hifi, als du mir versprachest, nichts zu tun noch zu denken, was wider meinen Willen wäre, und nichts übel aufzunehmen, was ich dir befehlen oder mit dir beginnen würde."

Man hätte meinen sollen, auch das allerstandhafteste Gemüt müsse sich über eine so unverhoffte Rede billig entsetzen. Griseldis aber sprach mit unerschrockenen Worten: "Du bist mein gnädiger Herr, und ich mit meinem kleinen Töchterlein sind in deiner Gewalt; tue deswegen mit uns, als deinen Leibeigenen, was dir gefällt. Dir kann nichts gefallen, was mir mißfallen möge; denn ich habe nichts anderes zu begehren und fürchte nichts zu verlieren als eben dich; ich habe dich so tief in mein Herz eingedrückt; daß du zu keiner Zeit, auch nicht durch den Tod, aus demselben gerissen werden kannst. Eher wird alles geschehen, als daß dieses mein Gemüt könnte verändert werden." über diese Antwort wurde der Graf innerlich so bewegt, daß sein Herz im Leibe sich umwendete und er sich der Tränen kaum erwehren konnte. Dennoch blieb er äußerlich ganz ernst und sprach zu ihr mit strengen Worten: "Ob dir diese Antwort von Herzen gehe, wird sich bald zeigen!" Mit diesem kurzen Worte ging er davon und ließ sich nichts von seinem innern Schmerze merken. Alsobald berief er einen seiner getreuesten Diener und wendete sich an ihn mit dem Befehle: "Gehe hin zu meiner Gemahlin und fordere von ihr das kleine Töchterlein. Wenn sie es dir nicht gutwillig gibt, so nimm es mit Gewalt aus ihren Händen. Sag ihr ohne Scheu, ich habe befohlen, daß du es nehmen sollest; damit es hinweggetragen und umgebracht werde. Dabei



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gib genau Achtung, wie sich die Mutter benimmt, und berichte mir sofort gründlich, wie sie sich angestellt habe." Der Diener erschrak über diesen Befehl heftig und sprach mit beweglichen Worten: "O Herr, was hat denn das unschuldige Kind getan, daß Ihr es hinrichten wollet, oder womit hat seine Mutter sich versündiget, daß Ihr sie so schwer betrüben wollet? Schonet doch des unschuldigen Lammes und vergießet nicht das edle Blut,
das Ihr selbst gezeugt habt!" Aber der Graf ergrimmte und hieß ihn mit zornigen Worten tun, wie er befohlen. So ging der Diener denn zu dem Gemache der Gräfin und sprach traurig zu ihr: "Gnädige Frau! Ich bin leider der Träger einer gar schlechten Botschaft. Unser Herr muß sehr erzürnt über Euch sein; denn er hat mir ernstlich befohlen, Euer Kind von Euch zu nehmen und es zum Scharfrichter zu tragen, damit es umgebracht werde. habe zwar für Euch und das arme Töchterlein gebeten, aber


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seinen Zorn dadurch nur größer gemacht. Gebet mir darum Euer Kind!" Wer hätte nicht erwartet, Griseldis werde über diesen grausamen Befehl in lauten Jammer ausbrechen? Sie aber tat gerade das Widerspiel und bewies in diesem schweren Augenblicke die übernatürliche Stärke ihres Gemütes . Deswegen sprach sie zum Diener ganz unerschrocken: "Das kleine Geschöpf ist unseres Herrn, mache er damit, was ihm gefällig ist; nimm es hin und trag es ihm zu; ich will mich seinem Befehl nicht im geringsten widersetzen." Hierauf nahm sie ihr liebes Töchterlein aus der Wiege, sah es eine Weile freundlich an, küßte es recht herziglich, bezeichnete es mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes und gab es dann dem Diener mit freundlicher Gebärde und ohne eine Zähre zu vergießen. Der Diener selbst konnte sich des Weinens nicht enthalten und fing an, das unschuldige Kind so schmerzlich zu beklagen, daß endlich der standhaften Mutter das Herz selbst weich wurde. "Trage das liebe Engelein nur eilig hinweg", sprach sie, "ich befehle es mit Leib und Seele dem höchsten Gott, der mag nach seinem Willen darüber verfügen." Also verabschiedete sich der Diener und trug das Kind zu seinem Vater, dem er genau erzählte, wie bereitwillig Griseldis ihr Kind hergegeben; daher sich der Graf nicht wenig verwunderte und bei sich selbst bekennen mußte, daß sein Weib noch viel tugendsamer sei, als er es selbst vermeint hatte.

Dennoch wollte er nicht aufhören, ihren Gehorsam auf die Probe zu stellen und in dem vorgenommenen Werke fortzufahren. Er hatte nämlich keineswegs im Sinne, dem Kind ein Leid zuzufügen, vielmehr wollte er dasselbe anderswo heimlich erziehen lassen. Er hatte eine leibliche Schwester zu Bologna in Italien, welche mit einem dortigen Grafen vermählt und ihrem Bruder herzlich zugetan war. Ihr gedachte er das Kind zu schicken, daß sie es ihm in der Stille standesgemäß erzöge: deswegen hieß er dasselbe sanft einwickeln, wohl in einer Wiege verwahren und durch ebenjenen Diener, dem er es zu rauben befohlen hatte, seiner Schwester zutragen. Zu dem Ende schrieb er an sie einen Brief, in welchem der ganze Verlauf der Sachen ausführlich erklärt war und sie um Erziehung des Kindes freundlich ersucht wurde, mit beigefügter Bitte, daß sie das edle Fräulein nach seinem gräflichen Stande aufziehen und unterrichten, zugleich aber allen Fleiß anwenden möchte, daß niemand erführe, welchen Eltern das Kind zugehöre. Die Gräfin nahm das Kind ihres Bruders mit bestem Willen aus des Dieners Armen und antwortete jenem durch diesen, wie sie allen möglichen Fleiß anwenden werde, daß das Fräulein aufs sorgfältigste erzogen und seine Abkunft geheimgehalten werde. Und was



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sie schriftlich versprochen, das setzte sie treulich ins Werk: denn sie verhielt sich gegen das Kind nicht anders, als wenn sie seine leibliche Mutter wäre.

Inzwischen konnte Griseldis nicht erfahren, wo ihr liebes Töchterlein hingekommen, weil außer dem Diener niemand Kunde davon hatte; sie glaubte deswegen nichts anders, als daß das unschuldige Kind getötet worden sei. So unsäglich sie dieses schmerzte, so ließ sie doch ihr inneres Herzeleid äußerlich gar nicht merken: sie zeigte gegen ihren Herrn allezeit ein freundliches Angesicht und erwies ihm so treue Liebe, als wenn sie gar nichts Widerwärtiges von ihm erfahren hätte, so daß sich der Graf nicht genugsam verwundern konnte, wie es möglich sei, daß sie den Schmerz um ihr eingeborenes Kind also niederzuhalten vermöge, daß ihr auch kein Seufzer über die zugefügte Unbild entschlüpfe. Er fing an, ihre Tugend; je länger, je höher, zu schätzen und sie, je länger, je mehr, zu lieben.

Unterdessen vergingen vier Jahre, während welcher der Graf und seine Gemahlin in ehelicher Liebe beständig verharrten und des entführten Kindes niemals Meldung getan wurde. Da ward die Gräfin abermals von Gott gesegnet und gebar einen überaus schönen Sohn, worüber nicht nur die Eltern des Kindes, sondern auch alle ihre Gefreundte und Untertanen sich höchlich erfreuten und dieses glückliche Ereignis mit einem Feste feierten . Besonders freute sich der gute alte Janicula und seine liebe Tochter Griseldis; beide zweifelten nicht, daß der Graf diese jetzt mit beständigerer Neigung lieben werde. Es geschah aber gerade das Gegenteil, und die fromme Gräfin geriet in größeres Leid als zuvor. Als nämlich das Kind zwei Jahre alt geworden und schon entwöhnt war, auch jedermann, wer es sah, über seine Schönheit eine besondere Freude hatte, da trat der Graf, der das beständige Gemüt seiner Gemahlin noch weiter auf die Probe setzen und sie noch schärfer in der Geduld prüfen wollte, abermal zu ihr in das Zimmer und erzeigte sich zwar diesmal ganz freundlich gegen sie; zuletzt aber sprach er mit betrübten Worten: "Mein liebes Weib, ich habe geglaubt , wir würden nun mit Freuden beieinander leben können, und unsere Untertanen würden sich wegen des neugebornen Sohnes völlig vergnügen . Leider aber sind sie jetzt übler zufrieden als zuvor; sie machen mir große Unlust, erheben sich wider mich und sagen mir rundheraus: sie wollen den Enkel des Bauern Janicula nicht zum Herrn haben und ihm nach meinem Tode keineswegs unterworfen sein. So nötigten sie mich, dasjenige zu tun, was mir wider mein Herz und Gemüt ist. Denn weil ich, solange das Kind lebt, keine Ruhe und keinen Frieden mit ihnen haben werde, so muß ich das unschuldige Blut hinwegnehmen und es heimlich



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um sein Leben bringen lassen. Ich wollte es dir aber zuvor ansagen, damit dich nicht nachher der Schmerz allzu stark überfalle."

Von diesem harten Streiche hätte das Herz der Gräfin tödlich getroffen sein sollen. Gleichwohl äußerte sie nicht die geringste Traurigkeit, sondern sprach mit unerschrockenem Gemüte zu dem Grafen also: "Mein Herr! habe es Euch gesagt und wiederhole es, daß ich nichts anderes wollen oder nicht wollen kann, als was Ihr, mein Herr, mir befehlen werdet; denn gleichwie ich beim Eingehen in Euren Palast meine schlechten Kleider ausgezogen und gräfliche Gewande angelegt habe, also habe ich auch meinen eigenen Willen und alle Neigungen abgelegt und die Eurigen angezogen. Was Ihr deswegen mit mir und meinem Söhnlein zu tun gesonnen seid, das möget Ihr ohne Hindernis frei vollbringen; denn ich werde Euch nicht im geringsten widersprechen."

Der Graf konnte sich über diese unglaubliche Standhaftigkeit seiner Gemahlin nicht genugsam verwundern, vermochte auch aus Betrübnis seines Herzens kein weiteres Wort zu ihr zu reden, sondern ging ganz bewegt von ihr hinaus und vergoß, als er allein war, mildiglich viel bittere Zähren. Damit gleichwohl die hohe Tugend seines Ehegemahls allen Frauen zum Vorbild an den Tag kommen möchte, fuhr er fort, sein Vorhaben ins Werk zu richten. Der Diener ward gerufen und wieder zur Gräfin geschickt, um abermals ihr das Kind abzunehmen. Diesmal aber richtete dieser den Befehl mit viel leichterem Hergen aus; denn er wußte ja, daß dem Kinde kein Leid widerfahren werde. Er ging hinein zur Gräfin und sprach: "Gnädige Frau, Ihr werdet ohne Zweifel schon wissen, warum ich zu Euch komme; es ist unsers Herrn Wille, daß das junge Herrlein hingerichtet werde. Darum sollt Ihr mir es gutwillig geben, damit ich es demjenigen überliefere, welchem ich vor sechs Jahren auch das Fräulein übergeben habe. Ich bitte Euch aber, Ihr wollet Euch hierüber nicht allzusehr verstören und mir selbst mein Begehren nicht verdenken; denn mein Herr wird genötigt, diese Untat gegen seines Herzens Neigung zu verrichten, und mir liegt ob, ihm in allem treulich zu gehorsamen."

Die fromme Gräfin wurde über diese Worte nicht bestürzt, sondern, ohne ein Wort zu sprechen, trat sie zu der Wiege, nahm das liebe Söhnlein in ihre Arme, sah es eine Weile freundlich an, drückte es innig an ihr Herz, küßte es wiederholt auf den roten Mund und bezeichnete es mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes; dann übergab sie es in die Hände des Dieners und sagte: "Nimm hin dieses unschuldige liebe Kind und trage es zu seinem Vater. Ich hoffe, sein väterliches Herz werde sich über das



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selbe erbarmen, und er werde vielleicht noch Mittel finden, es vor dem Tode zu bewahren. Kann aber das nicht sein, so opfere ich auch diesen Schatz dem höchsten Gott, von dem ich ihn aus Gnaden empfangen habe." Mit betrübtem Herzen nahm der Diener das Kind von ihr, und als er das Zimmer verlassen hatte, fing er an, bitterlich zu weinen, und so kam er weinend und seufzend zu seinem Herrn und erzählte ihm voll Mitleid, wie starkmütig die Gräfin sich bei übergabe ihres Kindes betragen habe. Der Graf vernahm dieses mit großer Verwunderung und konnte es kaum über sein Herz bringen, seine Gemahlin weiter zu betrüben. Dennoch, weil er ihre Tugend kundbar machen wollte, tat er seinem Herzen Gewalt an: er küßte sein liebes Söhnchen voll väterlicher Liebe; dann befahl er dem Diener, es wohlverwahrt zu seiner Schwester nach Bologna zu tragen. Dieser schrieb er aufs neue einen freundlichen Brief, in welchem er ihr die Ursache meldete, warum er seiner Frau beide Kinder abgenommen habe, und bat sie dringend, dieselben so zu erziehen, wie sich für Grafenkinder schicke. Seine Schwester leistete ihm auch treulich Folge; jedoch verwunderte sie sich oft im stillen, was wohl ihr Bruder mit den Kindern weiter vorzunehmen gedenke. Der Graf aber sprach jetzt nicht selten mit seinem Weibe von ihren zwei lieben Kindern, doch konnte er nicht so viel damit erwirken, daß sie einen einzigen Seufzer hätte hören lassen oder auf ihrem Angesicht einige Betrübnis sichtbar geworden wäre. Wenn er anfing, die unschuldigen Kinder zu bedauern, so bedauerte sie dieselben mit ihm; und so in allem: wie er sich verhielt, also verhielt sie sich auch.

Je mehr nun der Graf sie in allen Dingen beständig erfand und in der Tat inneward, daß ihr Wille mit dem seinigen vereiniget sei, desto mehr kam ihn die Begierde an, sie weiter auf die Probe zu sehen und sich so gegen sie zu gebärden, daß sie sich betrüben mußte. Daher fing er an, sich äußerlich so gegen sie zu erzeigen, als ob er ihrer müde wäre, und als ob es ihn sehr gereue, daß er eine arme Bäurin geheiratet habe; und dies tat er nicht heimlich, sondern so öffentlich, daß jedermann es leicht abnehmen konnte. So verbreitete sich denn bald ein übles Gerücht in der ganzen Markgrafschaft, als wolle der Graf sich von seinem Weibe scheiden und eine andere heiraten, die ihm an Stand und Reichtümern gleich sei. Beim gemeinen Volk aber entstand ein großes Murren wegen der beiden verlorenen Kinder, weil niemand wußte, wohin sie gekommen, oder wer sie hinweggeführt. Der meiste Argwohn fiel auf den Grafen selbst, als ob er die Kinder mit Gewalt der Mutter genommen hätte, weil er sie nicht als rechtmäßige Erben anerkennen möge. Dieses Gerücht konnte vor der



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Gräfin nicht verborgen bleiben; vielmehr wurde ihr gerade auf Anstiftung des Grafen sein ganzes Vorhaben genau erzählt. Sie aber ließ sich dadurch gar nicht irremachen, sondern litt alles mit großer Geduld, indem sie es der Fürsehung des allmächtigen Gottes empfahl.

Weil nun alles dieses die fromme Gräfin nicht aus ihrer heiligen Gemütsruhe aufzustören vermochte, so sann der Graf auf eine andere List. Er ließ aussprengen, als wenn er einen Gesandten nach Rom abzuschicken im Sinne hätte und bei dem Heiligen Vater selbst anhalten lassen wollte, daß ihm wegen hochwichtiger Ursachen, und um die Aufregung seiner Untertanen zu stillen, gestattet werden möchte, seine jetzige Ehefrau zu entlassen und standesgemäß eine andere zu heiraten. Diese Sage zu befördern , sandte er einen seiner vornehmsten Diener aus: freilich nicht nach Rom, sondern anderswohin; nachdem aber dieser ein Vierteljahr aus gewesen war, kam er zurück und verbreitete allerorten die Sage; als wenn durch ihn die begehrte Dispensation zu Rom ausgewirkt worden wäre. Dies wurde auch bald im ganzen Lande ruchbar und verursachte vieles Gerede bei großen Herren und gemeinen Leuten. Auch der frommen Griseldis kam es zu Ohren. Diese seufzte zwar darüber aus dem innersten Grund ihres Herzens; dennoch ergab sie sich alsbald in den Willen Gottes und befahl ihm ihr ganzes Anliegen. Doch erwartete sie nicht ohne Angst, was der Markgraf über sie beschließen würde.

Bald darauf berief der Graf die vornehmsten Hofleute zu sich, bewirtete sie herrlich und setzte ihnen unter der Mahlzeit die ganze Angelegenheit auseinander, indem er vorgab, daß ihm von Rom die Erlaubnis zugekommen sei, seine Gemahlin fortzuschicken und eine andere zu heiraten; er habe sie deswegen rufen lassen, dieser Verabschiedung beizuwohnen und sie mit ihrem Ansehen zu bekräftigen. Die hochadeligen Herren waren damit wohl zufrieden; daher befahl der Graf einigen Dienern, seiner Gemahlin solches anzusagen und sie vor die versammelten Herren zu führen. Die arme Griseldis ward über diese Nachricht tief betrübt und beklagte bei sich selbst ihr Unglück mit herzlichen Seufzern. Äußerlich aber ließ sie kein Zeichen der Traurigkeit merken, sondern zeigte großen Starkmut und ein unverstörtes Gemüt. Als sie nun in den Saal geführt worden und voll Schamhaftigkeit vor sämtlichen Herren stand, da redete sie der Graf Walter auf folgende Weise an: "Meine liebe Griseldis, ich bin bis hieher deiner treuen Liebe gegen mich wohl innegeworden und habe dich als meine wahre Gemahlin geliebt. Dennoch gebietet mir eine besondere Schickung Gottes, diese meine Liebe von dir abzuwenden und einer andern zuzukehren.



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Dazu nötigen mich diese meine Freunde und Untertanen, dies bewilligt mir der Papst selbst. Sie wollen, weil du meinesgleichen nicht bist, so soll ich dich verabschieden und an deiner Stelle eine andere mir ebenbürtige Gemahlin an meine Seite nehmen, damit meine Grafschaft von rechtmäßigen Erben nach meinem Tode besessen und regiert werden möge. Ich habe dir deswegen solches in Gegenwart dieser hochadeligen Herren ansagen wollen, und hiermit kündige ich dir unsere bisher bestandene Ehe auf. So sollst du denn von dieser Stunde an meinen markgraf Hof meiden und nicht mehr mit dir wegnehmen, als du mir zugebracht hast."

Diese Worte waren ein Donnerkeil, der auch das allerstärkste Weib hätte zu Boden schlagen sollen. Was meint ihr nun, daß die geduldige Griseldis auf das Vorbringen des Grafen geantwortet, und wie sie sich äußerlich vor den hohen Herren gezeigt habe? In ihrem Antlitz wurde gar keine Verstörung sichtbar, sondern sie sprach mit demütigen Worten also zu ihm: "Gnädiger Herr ! Ich habe immer erkannt, daß zwischen Eurer Hoheit und meiner Niedrigkeit keine Vergleichung stattfinden könne; deswegen habe ich mich nie für Euer Ehegemahl, sondern immer nur für Eure Dienerin geachtet. Und wiewohl Ihr mich in diesem gräflichen Hause zu einer gnädigen Frau eingesetzt habt, so bezeuge ich es dennoch vor Gott, daß ich allezeit eine Magd gewesen bin. Darum sage ich Gott und Euch Dank für die große Ehre, die mir in diesem Hause ohne mein eigenes Verdienst widerfahren ist; im übrigen bin ich bereit mit ruhigem Herzen in das arme Haus meines Vaters zurückzukehren und da meine späten Tage hinzubringen, wo ich meine Jugend verlebt habe. Gleichwohl achte ich mich als eine glückselige, ehrwürdige Witwe, weil ich gewürdigt worden bin, eines so hohen Grafen Eheweib zu sein. Eurer künftigen Gemahlin will ich von Herzen gerne meinen Platz einräumen und ich wünsche, daß mein Herr mit derselben in größerer Zufriedenheit lebe, als er mit mir gelebt hat. Wenn Ihr mir aber befehlet, daß ich nicht mehr mit mir hinausnehmen soll, als was ich hergebracht habe, so nehme ich daraus leichtlich ab, daß ich nichts mit mir tragen soll als meine Treue und meine Blöße. Wenn dies Euer gebieterischer Wille ist, so bin ich bereit, zu folgen und alles, was ich habe, Euch zu hinterlassen."

Nach solchem Worte zog sie in Gegenwart aller der Herren ihre köstlichen Kleider; eins um das andere, aus, beraubte sich aller Zieraten und behielt nur das letzte Gewand. Endlich zog sie auch ihren Trauring von dem Finger und reichte ihn dem Grafen zugleich mit allen anda Kostbarkeiten dar und sprach: "Nackt bin ich aus meines Vaters Hause gegangen,



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ich will auch nackt wieder dahin zurückkehren. Das allein bitte ich, Ihr wollet mir dieses leinene Gewand zur Bedeckung des Leibes, der Eure Kinder geboren hat, überlassen, damit ich in Ehrbarkeit von dannen ziehen könne."

Dieser klägliche Anblick nötigte allen Gegenwärtigen Tränen ab; auch das harte Herz des Grafen bewegte er so sehr, daß er vor überfließenden Tränen kein Wort mit ihr reden und sie vor Mitleid in solcher Armseligkeit nicht ansehen konnte. Dennoch hielt er sich mit Gewalt zurück; daß er ihr kein weiteres Erbarmen zeigte, sondern sie in solchem Aufzug von sich gehen ließ. Alle Anwesenden wunderten sich über diese Hartherzigkeit und schalten den Grafen in ihrem Innern einen Tyrannen. Mit der Frau aber trugen sie großes Erbarmen und konnten diesem Schauspiele nicht länger zusehen, sondern verließen das Schloß des Grafen mit weinenden Augen.

So ging die arme Griseldis fast ganz entkleidet; barfuß mit bloßem Haupte zum Schloßtor hinaus, und alles Gesinde im Schlosse folgte ihr trauernd und weinend nach; denn allen war sie wegen ihrer Demut und ihres tugendsamen Wesens lieb und wert, und darum konnten sie sich nicht getrösten, daß sie eine so liebreiche Herrin und treue Landesmutter verlieren sollten. Und jetzt konnte die standhafte Griseldis, die sich wegen ihres eigenen Unglückes nie betrübte, aus Mitleid mit den Ihrigen sich des Weinens nicht enthalten. Ihr Vater und alle Nachbarn ihres Dorfes wurden auch dieses Elend bald gewahr und gingen ihr laut klagend entgegen. Der betrübte Janicula fiel seiner Tochter um den Hals und konnte vor Weinen kein Wort mit ihr sprechen; sie aber, nachdem sie ihren eigenen Zähren Einhalt getan, sagte



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ganz freundlich zu ihm: "Betrübet Euch doch nicht so sehr um mein Unglück , Vater t Vergesset nicht, daß das alles nicht ohne Gottes besondere Schickung geschehen sein kann." Der Alte aber sprach: "Wie sollte mein Herz nicht vor Leid zerspringen, Tochter, wenn ich deinen elenden Zustand ansehe und weiß, daß du ohne deine Schuld darein gekommen hifi! Oh,
wie falsch ist die Liebe des Grafen, der dich nur ehelichen wollte, um dich zu betrüben! Mir hat diese Heirat nie recht gefallen; immer habe ich das gefürchtet, was ich jetzt zu meinem tiefen Leid erfahren muß. Dennoch, meine liebe Tochter, wollen wir uns freuen, weil wir diese große Kränkung nicht wegen unseres Übelverhaltens, sondern nur wegen unserer Armut und Niedrigkeit erdulden müssen!" So führte der alte Vater seine verstoßene Tochter an der Hand seiner Strohhütte zu. Dort öffnete er


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einen Schrank; wo die Bauernkleider, die Griseldis am Tage ihrer Vermählung ausgezogen hatte, noch wohlverwahrt lagen; diese nahm er heraus und bekleidete seine Tochter damit ganz nach ihrem vorigen Stande.

Nun wohnte Griseldis wieder bei ihrem Vater in Geduld und Demut; mit keinem Worte klagte sie über den Grafen und ihr eigenes Unglück. Der Graf aber hatte sein geliebtes Weib hinreichend geprüft und konnte ihre Abwesenheit nicht länger ertragen. Er schickte daher alsbald einen Diener nach Bologna ab mit der Meldung an seinen Schwager, daß es ihm gefallen möge, eilend mit seiner Schwester zu ihm nach Piemont zu kommen und ihm seine, des Grafen, leibliche Kinder zurückzubringen. Inzwischen

ließ er das Gerücht verbreiten, als wenn seine neue Braut schon unterwegs wäre, und es durchlief diese Sage die ganze Grafschaft, daher denn alles zur neuen Hochzeit aufs beste bereitet wurde. Die Hochzeitgäste waren auch schon geladen und einen Tag zuvor ehe der Schwager des Grafen aus Bologna ankam, auf dem Schlosse versammelt.

Jetzt ließ Graf Walter seine vorige Frau, Griseldis, aus ihrem Dorfe holen, und als sie bereitwillig erschienen, redete erste also an: "Griseldis! Wisse, daß meine Braut morgen schon ankommt, und daß ich sofort mit ihr Hochzeit halten werde. Niemand kennt mein Haus so gut wie du; reinige daher mein Schloß und schmücke es aus und bereite alles, was nötig ist, hohe Gäste zu beherbergen." Griseldis verneigte sich vor ihrem



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früheren Gemahl und sprach: "Gar gerne, gnädiger Herr, will ich dieses verrichten; ich achte es für eine besondere Ehre, daß ich Euch aufwarten darf; ja, solange ich lebe, werde ich nicht unterlassen, Euch zu dienen; denn ich erkenne mich dazu verpflichtet, um der vielen Wohltaten willen, die ich von Euch empfangen habe." Sobald sie dies geredet, ergriff sie einen Besen, scheuerte das ganze Schloß von oben bis unten, rüstete das Lager zu, schmückte die Zimmer aus und gebärdete sich in allem als eine treue und eifrige Magd des Hauses.

Am andern Nachmittage langte der Graf mit seiner Frau und mit der vermeintlichen neuen Braut aus Bologna an, und Markgraf Walter ritt ihnen mit allen geladenen Gästen feierlich entgegen. Sie empfingen einander mit großen Freuden; jedermann wünschte der neuen Braut Glück und Heil. Diese war ein Fräulein von überaus schöner Gestalt und großer Sittsamkeit, aber noch ganz jung von Jahren und gar zartem Gliederbau ; denn sie war kaum zwölf Jahre alt und schien zum Heiraten noch viel zu jung. Indessen, weil sie dem Grafen gefiel, so mußte sie auch allen



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Gästen gefallen und wurde von ihnen als eine Grafenbraut gepriesen und geehrt, mit großer Festlichkeit in das Schloß geleitet und von allen Bewohnern desselben bewillkommt. Jeder Diener und jede Magd mußten hinzutreten und ihrer künftigen Gebieterin Glück und Heil wünschen. Weil denn Griseldis noch in dem Schlosse war, so kam auch sie herzu, die letzte unter allen, und warf sich in ihren Bauernkleidern demütig auf die Knie, küßte der Braut die Hand und wünschte ihr zu ihrer künftigen Ehe Glück und Segen. Darauf setzten sich sämtliche Gäste zu Tische; Griseldis aber trat in die Reihe der Mägde zurück und war emsig beschäftigt mit Auftragen und Aufwarten.

Lange verwunderte sich der Graf über die unbegreifliche Demut und Geduld seiner Gemahlin; da beschloß er, ihrem Elend ein Ende zu machen und sie nach ihrer langen Betrübnis völlig zu erfreuen. Wie sie nun gleich einer sorglichen Martha hin und her lief, rief er sie herbei und sprach zu ihr: "Was dünket dich, Griseldis, von meiner neuen Braut; ist sie schön und ehrbar genug?" —"Ja, freilich", erwiderte sie, "ich meine, eine schönere und sittsamere könne nicht gefunden werden. Darum wünsche ich Euch von Herzen die größte Wohlfahrt, hoffe auch, daß es dem Fräulein nicht so übel ergehen soll, als es Eurer ersten Braut ergangen ist. Denn diese war gar zu bäurisch, das Fräulein aber ist gar zart und von edlem Geblüt. Daher wird sie keine Gefahr laufen, jemals von Euch verstoßen zu werden."

Jetzt vermochte der Graf sich nicht länger zu halten und sprach: "Sieh aber doch diese meine Braut auch recht an, Griseldis, und besinne dich, ob du sie nicht kennest." Griseldis tat ihre Augen weit auf und blickte das Fräulein lange an, vermochte jedoch nicht, sich ihrer zu entsinnen. Da sprach der Graf: "Griseldis, kennst du denn deine Tochter nicht mehr, welche du mir vor zwölf Jahren geboren hast?" über diese Rede erstarrte Griseldis und wußte nicht, was sie dazu denken sollte. Und als sie lange in Verwunderung dagestanden, sprach der Graf weiter: "Meine herzgeliebte Griseldis! Nicht verstöre dich diese meine Rede; denn jene vermeinte Braut ist deine und meine Tochter, und dieser junge Herr ist dein und mein geliebter Sohn; du aber bist meine einzige auserwählte und geliebteste Gemahlin, außer welcher ich keine andere je gehabt habe, noch zu haben begehre."

Mit diesen Worten erhub er sich vom Tische, fiel zuerst seiner Griseldis und dann seinen beiden Kindern um den Hals und küßte ein jedes unter vielen Zähren. Griseldis aber ward vor innerer Wonne von ihren Sinnen



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verlassen. Als sie wieder zu sich selbst gekommen war, fiel sie zuerst ihrer Tochter, hernach ihrem Söhnchen um den Hals und sprach unter Freudentränen: "Nun will ich gerne sterben, seit ich meine geliebten Kinder wieder lebendig gesehen! Gebenedeit sei die göttliche Gnade, die mir euch, die ich längst für tot beweinet, gesund erhalten und jetzt wieder in Fröhlichkeit zugeführt hat." Während sie sich so mit dem Umfangen ihrer Kinder erlustigte , hatte der Graf ihre besten Gewande herbeibringen lassen. Die
Edelfrauen umringten sie wieder wie einst in ihrem Dorfe, beraubten sie der Bauernkleider und zierten sie aufs herrlichste. So trat sie wie einst aus dem Kreise hervor, mit unverwelkter Schönheit geschmückt, und wurde von den Frauen dem Grafen zugeführt. Die Hochzeitgäste standen um diese beiden herum, der Graf Walter aber hielt seine Gemahlin an der Hand und sprach vor allen Anwesenden feierlich also: "Meine geliebteste Griseldis! Ich bezeuge hier vor Gott und allen Gegenwärtigen, daß das, was ich mit Euch vorgenommen, nicht aus bösem Willen geschehen ist, sondern


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aus guter Meinung, um Eure große Geduld zu erproben und Eure hohen Tugenden der Welt kundbar zu machen. Nun aber habe ich an Euch mehr Frömmigkeit befunden, als ich mir einzubilden wagte; ja, ich glaube, daß im ganzen Lande Euresgleichen nicht gefunden werden könne. Darum will ich Euch hinfort nicht mehr auf die Probe stellen, vielmehr will ich von nun an Euer treuer Gatte, ja, Euer demütiger Diener bleiben . Eure lieben Kinder, welche ich eine Zeitlang von Euch genommen habe, stelle ich Euch hier wohlerzogen wieder zu, damit Ihr Euch ihrer vollkommen erfreuen möget. Weil aber alles zu einem Hochzeitfeste bereitet ist, begehre ich, mich aufs neue mit Euch zu vermählen und durch das Band einer ewigen Liebe zu verknüpfen." Hiermit steckte er ihr den Trauring wieder an den Finger und gelobte ihr aufs neue eheliche Treue. Der Priester sprach den Segen über das Paar, alle Anwesenden wünschten ihnen Glück und waren noch fröhlicher als auf der ersten Hochzeit. Der Graf ließ auch den Vater der Neuvermählten, Salten Zanicula, aus seinem Dorfe holen und ihn als seinen werten Schwiegervater mit köstlichen Kleidern zieren und von Stunde an in seinem gräflichen Schlosse wohnen; er zog ihn an die Tafel und ehrte ihn wie einen leiblichen Vater. Die Tochter, die ihm Griseldis geboren hatte, heiratete einen angesehenen Grafen; er selbst lebte mit seiner Gemahlin in großer Liebe und Einigkeit noch viele Jahre und hinterließ seinem Sohn das ganze Erbe von stattlichen Gütern und Herrschaften.


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Robert der Teufel

Mit Bildern von W. Camphausen



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In alter Zeit lebte in der Normandie ein Herzog, namens Hubert, tapfer und edel, liebreich und milde, der federmann sein gutes Recht widerfahren ließ. Er hatte mit Beirat seiner Barone die schöne, fromme und sittsame Tochter des Herzogs von Burgund geheiratet und seinen fürstlichen

Sitz mit ihr in der Stadt Rouen genommen; hier wohnten beide verehrt und geliebt von ihren Untertanen, und nichts hätte zu ihrem Glücke gefehlt, wenn ihnen Gott hätte Kinder bescheren wollen. Sie hatten dieses Los durch keinen Frevel verschuldet; sie liebten und fürchteten Gott, gingen fleißig zur Kirche, spendeten reiches Almosen, waren sanft und menschlich gegen jedermann und reich an allerlei Tugenden und Gaben des Geistes. Dennoch lebten sie achtzehn Jahre miteinander, ohne daß ihre Ehe mit einem Erben gesegnet worden wäre. Da ritt eines Tages der Herzog nachdenklich und in großer Kümmernis auf die Jagd. "Ich sehe doch", sagte er zu sich selbst, "so viele Frauen feine Kinder haben und sich an ihnen erfreuen; deshalb erkenne ich wohl, daß ich von Gott gehaßt werde, und es ist ein Wunder; wenn ich nicht in Verzweiflung gerate!" So versuchte der Böse, der stets bereit ist, die Menschen zu überlisten, den Herzog, daß er in großer Bewegung von der Jagd nach Hause ritt. Als er nun seiner Gemahlin den Kummer klagte, von dem er gequält war, da geriet der Frau Gemüt in so heftige Verwirrung, daß sie in der Torheit bei sich selbst sprach: "Ei, so mag es in des Teufels Namen geschehen, da Gott die Macht nicht hat, daß ich Kinder bekomme! Und wird mir ein Kind geschenkt, so soll es mit Leib und Seele dem Bösen übergeben sein!"

Von Stund an geschah es, daß der Herzogin Leibesfrucht bescheret ward. Als nun die Zeit kam, daß sie gebären sollte, da begab sich Wunderbares. Einen ganzen Monat lag sie in bittern Wehen, und es zeigte sich, daß sie



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ohne große Pein entbunden werden konnte. Ja, ohne die Gebete, ernstliche Buße und guten Werke der Ihrigen wäre sie an dem Kinde gestorben . Ihre Frauen, die zugegen waren, gerieten in große Furcht über die wundersamen Zeichen, die sie bei der Geburt des Kindes sahen und hörten. Denn als das Kind geboren wurde, da erhob sich eine Wolke so dunkel, als wäre es Nacht; aus der donnerte es erschrecklich, und ein Blitz folgte dem andern, als wäre das Ende der Welt gekommen und stände das Firmament offen. Die vier Winde bliesen aus allen Ecken und stießen an das Haus, daß es zitterte und Stücke davon auf die Erde zu fallen anfingen. Die Herren und Frauen, die zugegen waren, als sie diese schrecklichen Stürme sahen, glaubten, mit dem Hause und allem versinken zu müssen. Da wollte Gott endlich, daß das Gewitter aufhörte und die Luft wieder heiter ward. Das Kind aber, das mittlerweilen geboren worden, war ein Knabe. Der war, als er auf die Welt gekommen, von so großer Gestalt; als wenn er schon ein Jahr alt gewesen wäre; alle, die ihn sahen, wunderten sich darüber. Nun wurde das Kind in die Kirche gebracht und erhielt in der heiligen Taufe den Namen Robert. Als man ihn in die Kirche trug und zurück, hörte er nicht auf zu heulen und zu schreien; sofort bekam er große Zähne und biß die Ammen, so daß ihn keine mehr säugen wollte, und man genötigt war, ihn aus einem Horne, das ihm in den Mund gesteckt wurde, zu tränken. Ehe ein Jahr um war, ging er frisch auf den Beinen und sprach so geläufig, wie sonst nur Kinder von fünf Jahren sprechen. Und je mehr er wuchs, je mehr erwies er sich als ein Übeltäter. Kein Weib und kein Mann vermochte ihn zurückzuhalten, und wenn er andern kleinen Kindern begegnete, so schlug er sie mit der Faust oder warf Steine nach ihnen oder kratzte ihnen die Augen aus. Oft rotteten sich die Knaben auf der Straße zusammen, um gegen ihn zu kämpfen, aber wenn sie ihn sahen, wagten sie nicht, ihm standzuhalten, sondern unter dem Rufe: "Robert der Teufel kommt!"liefen sie wie die Schafe vor dem Wolf. Und bald nannten ihn alle Kinder, die ihn kannten, Robert den Teufel, und dieser Name blieb ihm.

So lebte Robert von Kindheit an, und die Barone des Landes, die solches mitansahen, freuten sich darüber; sie nannten es Jugend und glaubten , daß es vorübergehen werde; aber endlich fanden sie es doch zu schlimm. Denn weil Unkraut nicht verdirbt, so wuchs auch Robert an Mut und Bosheit, rannte durch die Straßen, schlug und warf nieder, wem er begegnete, und gebärdete sich wie ein Rasender. Als er sechs oder sieben Jahre alt war, rief ihn der Herzog, der die übeln Gewohnheiten seines



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Sohnes sah und erkannte, und sprach zu ihm: "Mein Kind, es ist Zeit, man dir einen Lehrmeister gebe, der dich gute Sitten lehre und dir Unterricht erteile; denn du hifi nun alt genug dazu." Darein fügte sich Robert und nun ward er einem guten, weisen Schulmeister übergeben, der ihn lenken und lehren sollte. Es begab sich aber eines Tages, daß der Lehrer den Knaben Robert um einiger Bosheiten willen bestrafen wollte und verlangte, er sollte seine verkehrten Streiche lassen. Da zog Robert ein Messer aus der Tasche und stieß es dem Lehrmeister in den Leib, daß das Blut zu seinen Füßen herabrann und er tot zur Erde niederfiel. Robert warf das Buch auf den Toten und schrie: "Da hast du deine Weisheit ! Kein Priester und kein Mönch soll je mein Lehrer sein!" Und von da an konnte man keinen Meister finden, der sich unterfangen hätte, ihn zu ziehen und zu unterrichten: man war genötigt, ihn sich selbst zu überlassen, daß er seinen eigenen Weg ginge. Er aber ergab sich allem Bösen, wollte von keinem Menschen in der Welt lernen und spottete Gottes und seiner heiligen Kirche. Im Tempel, wenn die Geistlichen beim Hochamte standen und singen wollten, warf er ihnen Asche oder Staub in den Mund; sah er jemand eifrig in der Kirche beten, so gab er ihm einen Stoß inden Nacken, daß sein Kopf den Boden küßte; so daß ihn jedermann seiner Bosheit wegen verfluchte.

Als nun der Herzog die böswillige Sinnesart und das fluchwürdige Leben seines Sohnes sah, so wünschte er, daß derselbe nicht geboren wäre; auch die Herzogin war in tiefer Kümmernis um ihn, und eines Tages sagte sie zum Herzog: "Unser Sohn ist nun schon alt und tüchtig von Leibe; es deucht mir, das beste wäre, ihn zum Ritter zu schlagen; vielleicht daß er dann seine schlimmen Sitten ändert!" Damit war der Herzog zufrieden ; Robert aber war damals nicht mehr denn achtzehn Jahre alt. Eines Pfingsttages nun versammelte der Herzog die vornehmsten Barone und Edeln des Landes und berief seinen Sohn Robert vor diese Versammlung. Nachdem er sodann die Meinung der Anwesenden eingeholt, sprach er zu ihm: "Robert, mein Sohn, höre, was ich dir auf den Rat meiner guten Freunde hier sagen will. Ich bin entschlossen, dich zum Ritter zu schlagen, damit du hinfort Umgang mit edeln Männern pflegest; ritterlicher Tugenden dich befleißest und deine Sitten wandelst, die aller Welt mißfallen!" Darauf erwiderte Robert: "Mein Vater, Ihr möget tun, was Ihr wollet! Was mich betrifft, so ist es mir einerlei, ob ich hoch oder niedrig bin; ich bin entschlossen, fernerhin zu treiben, was ich mag, und ich will nicht besser tun, als ich bisher getan habe; mich kümmert



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es wenig, ein Ritter zu sein." Mit diesen Worten ging er von dannen , und weil es eben Pfingsten und die Kirche mit Gläubigen angefüllt war, so rannte er geradenweges dorthin wie ein Toller und warf alle, welche dieses Weges kamen, zu Boden. Am andern Morgen nach Pfingstentag ward er zum Ritter geschlagen. Darauf ließ der Herzog ein Turnier ausrufen, und diesem wohnte auch der Ritter Robert bei, der niemand fürchtete , weder Gott noch Teufel. Als nun das Spiel begonnen hatte; da sah man Ritter um Ritter zur Erde fallen; denn Robert der Teufel kämpfte
wie ein Löwe, schonte keinen und warf nieder, wer ihm in den Weg kam. Dem einen brach er die Arme, dem andern die Beine; einem dritten gar das Genick. Ja, keiner, der mit ihm zu turnieren hatte, kam ungezeichnet davon, und zehn Pferde ritt er bei diesem Spiele zu Tod. Als man dem Herzog die Kunde meldete, ward er sehr erbost; begab sich selbst in die Schranken und befahl bei großer Strafe, einzuhalten und nicht mehr zu rennen. Aber Robert, der wütend und wie von Sinnen war, wollte seinem Vater nicht gehorchen, fuhr fort, rechts und links Streiche auszuteilen, Rosse und Reiter niederzuschmettern, so daß er an diesem einzigen Tage drei der tapfersten Ritter des Landes tötete. Alle, die zugegen waren,


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riefen ihm zu, einzuhalten. Aber es war vergebens. Erst als ersah, daß in 'den Schranken kein Mensch mehr übrig war, und daß es hier keine Missetat mehr zu begehen gebe, spornte er sein Roß und ritt hinaus in das Land, Abenteuer aufzusuchen. Dort sammelte er allerlei Bösewichter um sich und hauste schlimmer als zuvor am Hofe; er raubte Frauen und Mädchen, die Männer brachte er um: so daß bald kein Mensch im gangen Normannenlande war, den er nicht mißhandelt hätte. Alle Kirchen leerte er aus, kein Kloster war, das er nicht plünderte und zerstörte. Dem Herzoge kam eine Botschaft um die andere zu von dem Leben, das Robert in der Nonnandie führe. Der eine sagte: "Euer Sohn hat mein Weib entehrt"; der andere: "Er hat meine Tochter geraubt"; ein dritter: "Er hat mein Gut gestohlen"; der vierte: "Er hat mich bis auf den Tod verwundet det." Da rottete sich das Volk zusammen und klagte dem Landesherren seine Not. Dem Herzog wurde bei solchen Nachrichten sein Herz in großer Bekümmernis sehr schwer; er meinte, die salzigen Tränen sollten seine Augen ganz trocken weinen, und betete unter Schluchzen: "Du weiser Gottl Ich habe so manches Mal zu dir gebetet, mir ein Kind zu schenken; nun habe ich einen Sohn, der tut meinem Herzen soviel Gram an, daß ich nicht weiß, was ich beginnen soll. Darum rufe ich zu dir, guter Gott, sende mir ein Heilmittel, das mich in meinen Schmerzen aufzurichten und meinen Sohn vom Verderben zu retten kräftig sei!"

Da war unter den Dienstmannen des Herzogs ein Ritter; als dieser sah, daß sein Herr in so tiefer Traurigkeit befangen war, so wagte er es, ihn folgendermaßen anzureden: "Mein hoher Gebieter, ich wollte Euch wohl raten, nach Eurem Sohne Robert auszuschicken und ihn wieder an den Hof zurückkommen zu lassen. Wenn Ihr ihm dann in Gegenwart Eurer Edeln und Freunde heilsame Vorwürfe über seinen Wandel gemacht, so befehlet ihm, von seinem verfluchten Leben abzulassen; will er aber nicht, so handelt mit ihm wie mit einem fremden Manne. Lasset ihn ins Gefängnis legen und übet an ihm die Gerechtigkeit, die ihm gebührt!" Der Herzog willigte hierein und dankte dem Ritter für seinen guten Rat. Er schickte ungesäumt Männer aus, welche seinen Sohn aufsuchen und, wo sie ihn fänden, mit sich führen sollten, um denselben vor seinen Vater zu bringen. Robert war gerade auf offenem Felde, als die Nachricht kam, daß das Volk sich zusammengetan und Klagen über ihn bei dem Herzoge geführt habe. Bald darauf kamen auch die Boten, die der Herzog an ihn ausgesendet hatte. Diese nahm Robert übel in Empfang; er stach ihnen die Augen aus und sprach dabei: "Jetzt werdet ihr um so ungestörter



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schlafen können, meine Herren! Geht und saget meinem Vater, daß ich euch, seinem Auftrage zum Trotz, geblendet babel" Darüber erschrak jedermänniglich. Die Geblendeten kehrten weinend zum Herzoge zurück und sagten ihm: "Herr! sehet, wie uns Euer Sohn Robert zugerichtet hat!" Der Herzog aber wurde sehr zornig hierüber und sann darauf, wie er der Bosheit seines Sohnes ein Ziel setzen möchte.

Er versammelte daher seinen geheimen Rat, und auf die Vorstellungen eines der weisesten Edelleute schickte er in Hast Boten in alle Städte und zu allen Baronen und befahl in seinem ganzen Herzogtume allen Amtleuten und Landrichtern, die möglichste Sorgfalt anzuwenden, daß sie seinen Sohn Robert in ihre Gewalt bekämen. Als Robert und seine Gesellen von dieser Bekanntmachung des Herzogs hörten, erschraken sie gewaltig; er selber knirschte als ein Verzweifelter mit den Zähnen und schwur einen grausigen Eid, daß er Krieg mit seinem Vater führen und das ganze Land verderben wolle. Sofort ließ sich Robert in einem dichten, dunkeln Forste ein festes Haus bauen, um hier seine Wohnung aufzuschlagen. Der Ort war unheimlich und entsetzlich, von starren Felsen umgeben, mehr für wilde Tiere als für Menschen zur Wohnung geeignet. Hier versammelte er die lasterhaftesten Gesellen um sich her, Diebe, Mörder, Straßenräuber und Kirchenschänder, was es Abscheuliches unter der Sonne gab. Der Hauptmann dieses Gesindels ward Robert selber, und nun verübten sie in diesem Holze die schändlichsten Taten; den Kaufleuten und allen, die des Weges kamen, schnitten sie die Gurgel ab, so daß niemand es wagte, auch nur auf die Straße hinauszugehen, aus Furcht vor Robert dem Teufel und seiner Bande. Denn sie waren wie die reißenden Wölfe. Und wenn sie in ihre Feste heimkamen, so ergaben sie sich wieder der Sünde und lebten herrlich und in Freuden; denn bei ihnen wurde das ganze Jahr kein Fasttag gehalten.

Einmal begab es sich, daß Robert, der nur darauf dachte, wie er Böses tun könnte, seine Feste verließ, sich in dem Walde zu ergehen. Da mußte es sich treffen, daß er mitten in dem Holze sieben Einsiedlern begegnete, frommen Leuten von heiligem Leben, welche sorglos ihres Weges gingen. Auf diese ritt er los und schlug unter sie mit seinem Schwerte. Obwohl es nun kühne und wackere Männer waren, die sich seiner wohl hätten erwehren mögen, so leisteten sie ihm doch keinen Widerstand, sondern duldeten aus Liebe zu Gott, was er mit ihnen anfangen wollte. Er aber brachte sie alle sieben um und sagte spottend: "Da habe ich ein schönes Vogelnest von Heiligen ausgenommen und habe ihnen allen 'Märtyrer



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kronen ausgesetzt!" Nach dieser abscheulichen Tat verließ erden Wald, schlüter als zuvor und wie ein Teufel aus der Hölle anzusehen. Alle seine Kleider waren mit Blut befleckt; ja, er sah greulicher aus als ein Fleischer, der von der Schlachtbank kommt. In solchem Aufzuge ritt er über die Felder: Rock, Hemde und Antlitz von Blute rot. Nachdem er weit und lange geritten, kam er in die Gegend des Schlosses Darques; denn er war einem Schäfer begegnet; der ihm erzählte, daß seine Mutter, die Herzogin selbigen Tages auf dieses Schloß zu Mittage kommen werde. Und ebendarum ritt er dorthin, von einem dunkeln Gefühle fortgezogen. Aber als er sich dem Schlosse näherte und das Volk seiner ansichtig wurde, lief alles vor ihm davon wie der Hase vor den Hunden. Die einen schlossen sich in ihre Häuser ein, die anderen flüchteten in die Kirche. Zum erstem mal bemerkte Robert, daß alles vor ihm floh, zum erstenmal begann er, an sich selber zu denken. Er seufzte in seinem Herzen und begann bitterlich zu weinen. "O allmächtiger Gott", sprach er, "wie mag das kommen , daß alle Welt vor mir flieht? Ich bin wohl ein unglückseliger und verkehrter Mensch; mir ist, als wäre ich ein Pestkranker oder ein Jude! Mein Leben muß wohl ein verfluchtes und hassenswürdiges sein; denn ich sehe wohl, daß ich von Gott und der Welt verlassen bin." In diesen Gedanken kam er unter bittern Schmerzen bis zum Tore des Schlosses und sprang von seinem Pferde herunter. Da war aber kein Mensch, der es gewagt hätte, ihm nahezukommen und sein Roß abzunehmen; daher mußte er selbst sich bequemen und es an der Pforte anbinden. So schlug er denn, das blutige Schwert noch in der Hand, seinen Weg nach der Halle ein, wo seine Mutter, die Herzogin, sich eben aufhielt.

Als die Herzogin ihren Sohn Robert, dessen große Grausamkeit ihr bekannt war, mit bloßem Schwerte herankommen sah, entsetzte sie sich und wollte entfliehen. Robert aber rief ihr von weitem zu: "Süße Mutter, fürchtet Euch nicht vor mir; um der Barmherzigkeit Gottes willen, stehet still; denn ich muß Euch sprechen." Dann näherte er sich ihr unterwürfig, senkte sein Schwert und sprach: "Frau Mutter, saget mir doch, ich bitte Euch darum, wie kommt es, daß ich so gottlos und so grausam bin? Denn von Euch oder von meinem Vater muß das doch herkommen. Deshalb bitte ich Euch, saget mir hierüber die Wahrheit!" Die Herzogin war erschrocken, ihren Sohn also sprechen zu hören. Sie weinte bitterlich, warf sich ihm zu Füßen und rief: "Mein Sohn, ich will und flehe, daß du mir auf der Stelle das Haupt abschlagest!" Das sagte die Herzogin aus großem Kummer, den sie über ihr Kind empfand, weil sie sich der Ursache



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seiner Bosheit gar wohl bewußt war. Robert jedoch erwiderte voll Traurigkeit: "Ach, meine Mutter, warum soll ich Euch umbringen? Habe ich nicht genug übels getan? Wenn ich aber dieses zu tun imstande wäre, so wäre ich noch viel schlimmer, als ich schon bin. Vielmehr bitte ich Euch nur, saget mir, was ich wissen willt" Als ihn die Herzogin so herzlich flehen hörte, da erzählte sie ihm Punkt für Punkt, wie alles gekommen sei, und wie sie ihn dem Teufel, noch ehe er gezuget worden, geweiht habe. Sie sagte es unter großer Neue und vieler Selbstanklage und schloß ihre Rede mit den Worten: "O mein Sohn, ich bin die unseligste von
allen Weibern; wenn du gottlos und verdammt hifi, so bin ich allein schuld daran!" Da fiel Robert von großem Herzweh, so lang er war, auf die Erde, und vermochte sich lange nicht zu erheben. Er weinte bitterlich, bejammerte sich selbst und sprach: "Die Teufel rütteln an meiner Seele und an meinem Leibe; aber von Stunde an will ich ihren höllischen Werken entsagen und aufhören, Übels zu tun." Dann sprach er zu seiner Mutter, die sehr bekümmert und schweren Herzens war: "Oh, du ehrwürdige Herrin und Mutter, ich bitte dich demütig, mich dem Herzoge, meinem Vater, zu empfehlen; denn ich will nach Rom pilgern und meine abscheulichen Verbrechen beichten. Nicht kann ich zur Ruhe kommen, ehe denn ich dort gewesen bin." So verließ Robert seine Mutter, bestieg sein


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Pferd in großer Hast und ritt seinem Walde wieder zu. Die Herzogin blieb ohne Trost und Hoffnung in ihrem Schlosse; während sie sich und ihren Sohn beklagte, kam der Herzog an; als sie ihn sah, brach sie in neue Tränen aus und meldete ihrem Gemahl getreulich, wie Robert gekommen sei, und was er ihr gesagt habe. Der Herzog fragte, ob Robert sich reumütig bewiesen über die vielen Frevel, die er begangen. "Ja", sagte sie ihm, "und er will zur Vergebung seiner Sünden nach Rom gehen!" "Ach", sprach der Herzog seufzend, "das ist alles vergebens; wie soll er den Schaden vergüten, den er dem Lande getan hat! Dennoch bitte ich den allmächtigen Gott, sein Vorhaben zu Ende zu führen. Denn ich glaube nicht, daß er jemals umkehren kann, wenn Gott nicht Erbarmen mit ihm trägt."

Robert war in seine Waldfeste zurückgekommen, wo er seine Schandgesellen über der Tafel traf. Als sie ihn ansichtig wurden, erhoben sie sich und bezeigten ihm ihre Ehrerbietung. Da begann Robert ihnen ive- gen ihres verkehrten Lebens Vorstellungen zu machen und sprach: "Meine Genossen, höret, was ich euch sagen willt Ihr wisset, daß das abscheuliche Leben, das wir bisher geführt haben, Leib und Seele verderblich ist; ihr wisset, wieviel wir Kirchen zerstört, Mönche und Nonnen bestohlen und umgebracht, Weiber und Mädchen entführt, Kaufleute geplündert, andere Menschen ohne Zahl beraubt und gemordet haben. Wir sind auf dem Wege zur ewigen Verdammnis, wenn wir nicht in uns gehen und Gott nicht Erbarmen mit uns hat. Deshalb flehe ich euch an, bekehret mit mir euren Sinn und entsagt euren abscheulichen Sünden! Was mich betrifft,



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so will ich nach Rom gehen, meine Missetaten bekennen, Buße tun und, so Gott, der Allmächtige, will, von ihm Verzeihung erlangen." — Kaum hatte Robert ausgesprochen, da erhob sich einer von den Dieben und sagte hohnlachend zu seinen Gesellen: "Gebt acht, ihr Herren, der Teufel will ein Einsiedler werden! Robert treibt seinen Spott mit uns; ist er doch unser Hauptmann und macht es ärger als wir andern alle." Robert aber rief: "Liebe Gesellen, ich bitte euch um Gottes willen, lasset von euren Torheiten und denket an das Heil eurer Seele!" Ein anderer Dieb antwortete: "Herr und Meister, denket nicht mehr daran; Ihr sprechet in den Wind! Weder ich noch meine Brüder werden uns auf Euer oder eines andern Wort bekehren; der Friede schmeckt uns nicht; er hindert uns am Übeltun, und daran sind wir einmal gewohnt!" Die ganze Gesellschaft lobte seine Worte, und alle schrien mit einer Stimme: "Er hat recht, und sollten wir sterben müssen! Sind wir bis hieher schlimm gewesen, so wollen wir in Zukunft noch viel schlimmer sein!"

Als Robert ihre schönen Vorsätze vernommen, sprach er weiter kein Wort mit ihnen. Er ging nach der Haustüre, schob den Riegel vor, ergriff dann einen Knotenstock und schlug einen der Diebe nach dem andern auf den Kopf; denn ihre Gegenwehr vermochte nichts gegen seine übermenschliche Kraft. Als er sie alle tot darniedergestreckt hatte, sprach er: "Ich habe euch nach eurem Verdienste belohnt, ihr Bursche; wie der Herr, so der Lohn!"Als Robert dies vollbracht, wollte er erst auch das Sündenhaus verbrennen; doch überlegte er, daß darin großes Gut wäre, das noch zu besseren Dingen dienen könnte. Deswegen ließ er es stehen, schloß nur die Türe wohl zu und nahm den Schlüssel mit sich.

Zum erstenmal in seinem Leben machte jetzt Robert das Zeichen des Kreuzes, ritt in den Wald hinaus und suchte den Weg nach Rom. Lange war er so fortgeritten, bis die Nacht hereinkam und der Hunger ihn gewaltig quälte. Da kam er zufällig vorüber an einer Abtei, der er viel wels getan hatte, und die er oft geplündert, obwohl der Abt sein Vetter war. Und jetzt ritt er in das Kloster hinein und sprach kein Wort. Die Mönche haßten Robert auf den Tod und fürchteten ihn wie den bösen Feind. Als sie ihn kommen sahen, rannten sie davon und riefen: "Robert kommt, den hat der Teufel hergebracht!" Solche Worte erneuerten Roberts Kummer. "Wohl muß ich mich selbst hassen", seufzte er, "da alle Welt mich haßt um meines verdammten Lebens willen!" Nun ritt er geradenweges an die Pforte, sprang vom Pferde und betete brünstig zu Gott. Sodann trat er vor den Abt und die Klosterbruder und sprach so



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freundlich und so erbarmenswert, daß, die ihn noch eben wie ein wildes Tier geflohen, heranzugehen und ihm ein williges Ohr zu leihen wagten. "Herr Abt", sagte er, "ich weiß, daß ich Euch und Eurem Hause viel Leid zugefügt habe. Ich bitte Euch demütig um Verzeihung, ich flehe Euch um Mitleid an." Und auf die Knie niedergeworfen, fuhr er weiter fort: "Empfehlet mich meinem Vater und gebet ihm diesen Schlüssel: er führt zu dem Hause, das ich mit meinen Räubern seither bewohnte; ich habe sie alle mit eigener Hand umgebracht, in diesem Hause sind alle Schätze, die ich geraubt. Der Herzog wolle sie, wo es möglich ist, den Eigentümern wieder zustellen." Diese Nacht blieb Robert in der Abtei: am andern Morgen früh brach er auf, nachdem er sein Roß und sein Schwert mit welchem er so viele Missetaten verübt hatte, den Mönchen zurückgelassen. Und jetzt ging er allein und zu Fuße, in Tiefsinn versunken, die Straße nach Rom.

Noch an demselbigen Tage ritt der Abt, gerührt und froh, zum Herzoge der Normandie, übergab ihm den Schlüssel und meldete Roberts Bußfahrt. Da gab der Herzog allen Leuten das geraubte Gut wieder, das sie früher verloren hatten; was übrigblieb, ward unter die Armen ausgeteilt .

Robert wanderte inzwischen lang über Berg und Hügel, mit großer Beschwerde und unter lauter Entbehrungen, bis er endlich am Kardonnerstag zu Rom eintraf. Es war dies gerade der rechte Tag, zu beichten und für das Heil seiner Seele zu sorgen. Denn der Heilige Vater selbst stand zu dieser Stunde mitten in der Peterskirche und hielt das Hochamt, als Robert die Kirchentüre öffnete und unter die Versammlung der Gläubigen eintrat. Er drängte sich, um zu dem Heiligen Vater hindurchzukommen. Als aber die Diener des Papstes dieses sahen, schlugen sie ihn und hießen ihn zurückweichen. Aber je mehr sie ihn schlugen, je mehr drückte er sich vorwärts; endlich gelangte er in die Nähe des Papstes, fiel ihm zu Füßen und rief mit lauter Stimme: "O Heiliger Vater, habt Mitleid mit mir!" und diese Worte wiederholte er zu mehreren Malen. Diejenigen, welche zunächst am Papste standen, ärgerten sich über den Lärm, den Robert machte, und wollten ihn vertreiben. Da er aber so unbeweglich dalag und der Papst seines heißen Verlangens inneward, erbarmte ihn seiner, und er sagte zu dem Volke: "Lasset ihn machen; denn soviel ich erkennen kann, hat er wahre Demut!" Hierauf gebot der Papst Stille, und Robert sprach zu ihm: "Heiliger Vater, ich bin der größte Sünder von der Welt." Der Papst ergriff Roberts Hand und sagte: "Mein Freund, was begehrst du,



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und was schreiest du so laut?" "O Heiliger Vater", erwiderte Robert, "ich bitte Euch, lasset mich beichten; denn wenn Ihr mich von den großen Sünden, die ich begangen habe, nicht lossprechet, so bin ich auf ewig verdammt , und ich fürchte gar sehr, daß mich der Teufel mit Leib und Seele davonführe um der ungeheuren Verbrechen willen, mit denen ich beladen bin. Und da Ihr derjenige seid; der denen Trost und Hilfe zu bringen berufen ist, die dessen bedürfen: so bitte ich Euch um Gottes willen, höret mich und reiniget mich von allen meinen Sünden!" Als der Papst dieses hörte, da ahnete er im Geiste, daß es Robert der Teufel sei, und fragte ihn: "Sohn, bist du vielleicht der Robert, von dem ich so viel habe sprechen hören, und den man für den schlimmsten hält; der auf der Erde wandelt?"

Da antwortete Robert und sagte: "Ja, ich bin's!" Der Papst erwiderte: "Du sollst Absolution haben; aber ich beschwöre dich beim allmächtigen Gott, daß du niemanden Leides zufügst!" Denn der Papst und alle Umstehenden waren entsetzt, als sie so unerwartet Robert den Teufel vor sich stehen sahen. Dieser aber fiel auf die Knie vor dem Papst, bezeigte sich voll Demut und Reue über seine Sünden und sprach: "Heiliger Vater! Da sei Gott vor; daß ich jemanden Leides tue; ich habe des Bösen nur zuviel getan. Solange ich lebe, will ich kein christliches Geschöpf mehr verletzen!" Da nahm der Papst ihn beiseite, und Robert beichtete ihm reuevoll und erzählte; wie ihn, ehe denn er ward, seine Mutter dem Teufel übergeben habe. Als der Papst ihn so reden hörte, erschrak er heftig, bekreuzte sich und sagte zu Robert: "Mein Freund; gehe hin nach Montalto, drei Meilen von dieser Stadt. Dort wirst du einen Einsiedler finden, der mein eigener Beichtiger ist. Ihm sollst du sagen, daß ich dich schicke, und sollst ihm alle deine Sünden bekennen; er wird dir die Buße auferlegen, die du verdient hast; der, den ich dir nenne, ist ein heiliger Mann; ich bin gewiß, daß er dir Absolution erteilen wird." Da erwiderte Robert: "Ja, ich will recht gerne gehen; gebe nur Gott mir Gnade, daß es zum Heil meiner Seele gedeihe!" Und somit nahm er Abschied vom Papste. Diesen Tag blieb Robert in Rom; am andern Morgen frühe verließ er die Stadt und ging über Tal und Hügel mit großer Begierde, seiner Sünden loszuwerden, dem Orte zu, wo der Eremit wohnte. Als er endlich vor ihn kam, erzählte er dem Einsiedler, wie der Papst ihn sende, damit er ihm beichten solle. Der Eremit hieß ihn herzlich willkommen. Als sie eine Weile beieinander gesessen, begann Robert zu beichten und erzählte , wie seine Mutter ihn im Zorn dem Teufel gelobt; und wie dieses zum schweren Unheil ausgeschlagen, —wie er von Jugend auf alle Kinder



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gequält, seinen Lehrmeister erstochen; erwachsen, viele Ritter im Turnier erschlagen; in seines Vaters Lande hin und her geraubt, gestohlen und auf alle Weise gefrevelt habe; wie er seines Vaters Dienern die Augen ausgestochen und sieben Eremiten umgebracht. Kurz, er erzählte ihm alle Missetaten, die er jemals begangen, von der Stunde seiner Geburt an bis auf die jetzige Zeit. Wohl entsetzte sich der Einsiedler über alles dieses; zugleich aber freute es ihn inniglich, daß Robert mit solcher Zerknirschung seine Sünden bekannte. Er lud ihn daher freundlich ein, diese Nacht bei ihm zu bleiben, und versprach, am andern Morgen die feierliche Beichte mit ihm vorzunehmen und ihm über alles, was er zu tun hätte, guten Rat zu erteilen. Robert, der bisher der gottloseste und lasterhafteste, grausamste und schrecklichste Mensch gewesen war, zeigte sich jetzt so sanft und fromm, so liebreich in Worten und in Taten wie nur je der feinste Fürst auf der Welt. Und doch war er von den großen Mühseligkeiten seiner langen Wanderung so müde, daß er nicht essen und nicht trinken mochte. Daher zog er sich bald zurück und betete zu dem allmächtigen Gott, daß er ihm durch seine Gnade den Sieg über den höllischen Feind verschaffen möchte, der bei ihm seine Wohnung aufgeschlagen. Als es Nacht geworden, bereitete der Eremit ein Lager für Robert in einer kleinen Kapelle, die neben seiner Zelle stand; er selbst betete die gange Nacht zu Gott für den Armen, bis er endlich unter solchen Gebeten einschlief. Da erschien dem Einsiedler im Traum ein Engel des Herrn und sprach: "Mann Gottes, höre auf die Botschaft, die ich dir überbringe. Wenn dieser Robert Verzeihung seiner Sünden erhalten will, so muß er den Narren und den Stummen nachahmen, darf keine andere Speise zu sich nehmen, als die er den Hunden abjagen kann, und soll so lange in diesem Leben verharren, bis es Gott gefällt, ihm zu offenbaren, daß seine Sünden vergeben sind." Ganz erschrocken wachte der Eremit aus diesem Traume auf und fing an, über denselben nachzudenken. Als er sich lange darüber besonnen dankte er in seinem Gebete Gott für diese Botschaft; denn, als der Tag anbrach, fühlte er sich bewegt von Liebe zu Robert; er rief ihn herbei und sagte zu ihm die tröstenden Worte: "Mein Sohn, komm her zur Beichtet" Mit großer Demut kam Robert und wiederholte das Bekenntnis seiner Sünden. Als er die Beichte vollendet, sagte der Eremit zu ihm: "Ich weiß jetzt, welche Buße dir auferlegt ist, mein Freund l Du sollst dich als einen Narren und einen Stummen gebärden, keine Speise essen als von den Hunden, und bei den Hunden liegen; alles, solang es Gott gefallen wird. Solches hat mir der Herr diese Nacht durch einen Engel


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verkündet; diese Buße soll währen, bis es Gott gefällt, dir die Vergebung deiner Sünden anzukündigen." Als Robert dieses hörte, ward er ganz vergnügt und froh; er dankte Gott, daß ihm so gnädige Buße auferlegt werden sollte, verabschiedete sich von dem Eremiten und ging hin, die schwere Probe zu bestehen, die ihn erwartete, und die ihm nur klein schien, weil seine Untaten so übergroß waren. Und nun war durch Gottes Wunder der lasterhafte, wütende, unbiegsame Sünder zahm wie ein Lamm und frommer Gesinnungen voll geworden.

Kaum hatte er die Stadt Rom wieder betreten, so fing er an, dem Befehl des Einsiedlers gemäß sich wie ein Narr zu stellen; ersprang und rannte durch die Straßen und tat, wie ein Verrückter zu tun pflegt. Die Kinder waren bald zischend und schreiend hinter ihm her und warfen ihn mit Kot und allem, was sie auf der Straße auflesen konnten. Auch die Bürger in der Stadt legten sich bei diesem Schauspiele in die Fenster, spotteten und lachten über ihn. Als er so einige Tage lang in der Stadt Rom herumgelaufen war, geschah es, daß er an dem Palaste des römischen Kaisers vorbeiging, und da er sah, daß die Türe offenstand, so ging er geradenwegs auf die Halle zu; dabei sprang er von der einen Seite zur andern, ging bald langsam, bald schnell, und blieb nie lang auf demselben Flecke. Als nun der Kaiser im Saale seiner ansichtig ward, wie er sich gebärdete, da sprach er: "Sehet ihr dort den hübschen jungen Mann, er sieht aus wie ein Ritter; aber, wie es scheint, ist er närrisch! Es ist schade um ihn; heißt ihn sitzen und gebt ihm zu essen und zu trinken!" Des Kaisers Junker rief Robert herbei, der aber antwortete kein Wort, und als man ihn nötigte, sich an einen Tisch zu setzen, so wollte er nichts genießen, obgleich ihm Wein, Brot und Fleisch dargereicht ward, so daß sich alles an der Tafel verwunderte. Während nun der Kaiser speiste, warf er einem Hunde, der unter dem Tische lag, einen Knochen zu. Kaum hatte Robert dies gesehen, so sprang er von dem Tische auf und verfolgte den Hund, um ihm das Bein wegzunehmen; der Hund aber wollte seinen Raub nicht fahren lassen, und so zerrten sie daran, jeder von seiner Seite: Robert, auf die Erde niedergekauert, nagte an einem Ende des Knochens, der Hund am andern. Der Kaiser und alle, die es sahen, lachten laut auf. Zuletzt bekam Robert die Oberhand und behielt den Knochen allein für sich, legte sich hin und zernagte ihn; denn sein Hunger war groß, da er sich lange keine Speise gegönnt hatte. Als der Kaiser ihn so hungrig sah, warf er einem andern Hund einen ganzen Brotlaib hin; auch diesen nahm Robert weg, brach ihn in zwei Teile und gab der Dogge redlich die Hälfte.



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Es entstand ein neues Gelächter, und der Kaiser sprach zu seinen Leuten: "Das ist der lustigste Narr, den ich jemals gesehen habe; nimmt er doch den Hunden ihr Brot, um es zu essen; und wenn er an der Tafel sitzt, so hungert er; daraus kann man erkennen, daß es ein recht natürlicher Narr ist!" Nun gaben die Diener des Kaisers, die in der Halle waren, den Hunden im Überfluß zu fressen, damit Robert seinen Magen anfüllen möchte und sie ihre Freude an ihm haben könnten. Endlich stand dieser vom Boden auf und fing an, im Saale herumzulaufen, seinen Stecken in der Hand, mit dem er Hunde, Mauern, Stühle und Bänke schlug, ganz als wäre er nicht bei Sinnen. Auf diesem Gange fand er eine Pforte
offen, die in einen lieblichen Garten führte; dort sprudelte ein schöner Springbrunnen. Robert legte sich über den Rand, und, weil er sehr durstig war, trank er sein gutes Teil. Darauf, als die Nacht herankam, ging er den erwähnten Hunden nach, wohin sie laufen mochten; und weil diese gewohnt waren, die Nacht über unter einer Treppe und in einem Stalle zu liegen, so folgte ihnen Robert auch dorthin und legte sich zu ihnen nieder Der Kaiser erfuhr dies und empfand großes Mitleiden mit Robert; er befahl daher, ihm ein Bett zu bringen, damit er sich darauf schlafen legen könnte. Aber Robert wollte es nicht, er machte den Dienern, die es brachten, ein Zeichen, daß er lieber auf hartem Boden schlafen wollte als im weichen Bette, Der Kaiser wunderte sich nicht wenig, als er die Diener


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das Bett wiederbringen sah, und hieß sie wenigstens Stroh in den Hundestall tragen. Auf dieses warf sich endlich der Müde und Erschöpfte nieder und schlief allmählich ein.

So hatte Robert, der gewohnt war, als ein Herzogssohn auf einem guten Bette in einem herrlich ausgeschmückten Gemache zu schlafen und von den köstlichsten Gerichten speisen, freiwillig alle Herrlichkeit verlassen , ass mit den Hunden unter dem Tisch, schlief bei den Hunden im In

Stall, alles in williger Demut; um seine Seele zu retten. In solcher Buße lebte er sieben Jahre; der Hund, mit dem er gewöhnlich schlief; hatte bald gemerkt, daß er es besser habe als die andern und um Roberts willen mehr zu fressen bekomme: deshalb faßte er allmählich eine solche Liebe zu Robert; daß er sich eher hätte töten als von diesem seinem Schlafgesellen wegtreiben lassen.



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der Zeit; daß Robert seine Buße zu Rom tat; wuchs dem Kaiser eine schöne Tochter heran, die war stumm. Des Kaisers Seneschall, ein gewaltiger
Mann, hatte sie von seinem Herrn schon mehrere Male zur Gemahlin begehrt ; der Kaiser aber, der von seiner Hoheit nichts vergeben wollte, erklärte, daß er darein nicht willigen könne. Darüber ergrimmte der Seneschall und dachte darauf; wie er den Kaiser seines Thrones und Reiches mit Gewalt berauben könnte. Er verließ den Hof; begab sich zu den Sarazenen und sammelte ein großes heer von Ungläubigen; mit diesen landete er in Italien und rückte gegen die Stadt Rom an. Ehe der Kaiser eine Macht gegen diesen unerwarteten Feind zusammenbringen gen konnte, und bevor er sich von seinem Staunen erholt hatte, stand der Seneschall mit seinem ganzen Heere vor der Stadt und hub an, sie zu belagern. Jetzt berief der Kaiser seinen Adel, alle Barone und Ritter und hielt eine bewegliche Anrede an sie. "Edle Herren", sprach er, "gebt mir guten Rat, wie wir den Heidenhunden, die .unsere Stadt belagert


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halten, widerstehen mögen. Wenn uns Gottes endlose Gnade nicht Hilfe sendet, so werden sie, die das Land ringsumher unterdrücken, auch uns selbst in Verwirrung bringen. Deshalb bitte ich einen jeden von euch, rüstet euch mit aller Kraft, sie zu bekämpfen und sie fortzutreiben. Vor allem aber trachtet, daß wir den verräterischen Seneschall in unsere Gewalt bekommen, auf daß er seinen Lohn davontrage." Da antworteten alle Ritter und Herren einstimmig: "Gebieter, Euer Rat ist gut; wir alle sind bereit, mit Euch zu gehen und Eure wie unsere Rechte zu verteidigen. Sie sollen mit Gottes Hilfe alle sterben und die Stunde ihrer Geburt verfluchen." Der Kaiser dankte ihnen und ward fröhlichen Mutes. Er ließ durch die ganze Stadt Rom ausrufen, daß jedermann, alt oder jung, wer da fähig wäre, die Waffen zu tragen, sich bereit halten sollte, gegen die grausamen Feinde zu fechten. Auf diesen Aufruf rüstete sich alles, die Heimat zu verteidigen. Man sammelte sich um den Kaiser, und er selbst stellte sich an die Spitze des Heeres. Aber obschon die Streitkräfte des Kaisers groß waren, und größer als die des Seneschalls, so wären sie seiner Gewalt und Kriegskunst doch unterlegen, wenn Gott den Römern nicht auf eine wunderbare Weise zu Hilfe gekommen wäre.

Denn an demselben Tage, da der Kaiser gegen die Sarazenen zu streiten ging, geschah es, daß Robert der Teufel an den Springquell ging in des Kaisers Garten, wie dies seine Gewohnheit war. Da hörte ereine Stimme vom Himmel, welche sagte: "Robert eile dich! Gott befiehlt dir auf der Stelle, daß du dich mit den weißen Waffen, die ich hier an deine Seite lege, waffnest und dieses Roß, das ich dir zuführe, besteigeft und ohne Aufschub dem Kaiser zu Hilfe fliegest!" Robert erschrak im Geiste sehr, aber er wagte kein Wort zu erwidern. Waffen und Roß fand er neben sich; so waffnete er sich in Eile mit dem weißen Harnisch, den der unsichtbare Engel gebracht hatte, und bestieg das Roß.

Oben aber im Palaste am Fenster stand die schöne stumme Tochter des Kaisers und blickte gerade herab auf den Garten und den Brunnquell; da sah sie, wie Robert sich umkleidete und waffnete. Hätte sie sprechen können, sie würde es wohl auf der Stelle erzählt haben; so war sie stumm und mußte in sich verschließen, was sie gesehen hatte: doch merkte sie sich alles wohl und hielt es fest in ihrem Herzen.

Robert, gerüstet und zu Rosse, ritt zu des Kaisers Lager. Dieses war von den Sarazenen so sehr bedrängt, daß, hätten nicht Gott und Robert ihnen geholfen, der Kaiser mit allen seinen Leuten zugrunde gegangen wäre. Als aber Robert zu dem Heere gekommen war, warf er sich in das



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dichteste Schlachtgedränge der Sarazenen und focht und schlug rechts und links auf die verruchten Heiden los. Da hättet ihr sehen sollen, wie Arme, Beine, Köpfe wegflogen und zu Boden fielen, wie Männer stürzten und nicht wieder aufstanden. Kein Schlag, der einem Sarazenen galt; war verloren . Auf diese Weise flößte der kühne Ritter auch dem Heere des Kaisers wieder Mut ein, so daß es den Sieg behauptete und das Feld behielt.

Robert eilte inzwischen, auf seinem Rosse fliegend, in voller Rüstung nach dem Garten des Kaisers zu seiner Springquelle zurück. Hier stieg er von dem Rosse, das sogleich verschwand, löste seinen Harnisch und seine übrigen Waffen und fand seine alten Kleider, wie er sie verlassen hatte, so daß er bald wieder in seiner Narrentracht vor dem Springbrunnen stand. Alles das sah des Kaisers Tochter von ihrem Fenster an, und verwunderte



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sich sehr darüber; gerne hätte sie gesprochen, wenn ihr die Zunge gelöst gewesen wäre. Robert hatte von dem Kampfe nur eine Schmarre im Gesicht sonst war er unbeschädigt.

Mittlerweile war auch der Kaiser zurückgekehrt, hoch erfreut über seinen Sieg, für welchen er dem Himmel inbrünstig dankte. Als die Stunde des Abendmahles gekommen war, stellte sich auch Robert dem Kaiser vor, wie er zu tun gewohnt war, und machte seine alten Narrenstreiche, indem er sich, wie seitdem immer, stumm und wahnwitzig stellte. Der Kaiser freute sich, als er seinen Narren sah; denn er mochte ihn wohl leiden. Als er aber die Schmarre in seinem Gesichte wahrnahm, wunderte er sich, dachte jedoch, daß einer seiner Diener ihn verwundet haben werde, was ihm sehr leid tat. "Es gibt doch neidische Leute an diesem Hof", sagte er, "haben sie nicht, während wir in der Schlacht waren, diesen unschuldigen Menschen da geschlagen! Es ist wahr, er ist ein Narr; aber er fügt doch keinem Menschen Übels zu!" Und nun verbot der Kaiser, daß hinfort jemand Hand an Robert lege. Bald aber vergaß er den Narren und fing an, mit großem Eifer seine Ritter darüber zu befragen, ob einer von ihnen sagen könnte, wer der Fremde auf dem weißen Rosse gewesen, der so heimlich in das Lager gekommen sei, ohne den sie verloren gewesen wären. "Ich weiß nicht, wer er ist", sagte der Kaiser "aber ich weiß, daß es einer der kühnsten und edelsten Ritter war, die ich je gesehen habe, und daß ich keinen kenne, der gleiche Tapferkeit bewiesen." Die Tochter des Kaisers war zugegen, als er diese Worte sprach. Sie näherte sich ihrem Vater und wollte ihm durch Zeichen zu verstehen geben, daß Robert esset, mit dessen Hilfe sie die Schlacht gewonnen hätten. Der Kaiser verstand jedoch nicht, was seine stumme Tochter ihm anzeigen wollte. Er ließ die Frau rufen, die sie auferzogen hatte, um zu erfahren, was sie sagte. Diese, die alles Gebärdenspiel der Jungfrau gar wohl verstand, legte es dem Kaiser aus und erklärte ihm, daß sein Kind sagen wolle, der Narr da habe alles ausgerichtet, und ohne ihn wäre das Heer des Kaisers besiegt worden . Der Kaiser mußte über das lachen, was die Frau sagte, und sprach zu ihr, sie sei keine kleinere Närrin als der Narr selber. Dann aber wurde er ärgerlich und sprach: "Anstatt meine Tochter zu unterrichten, verderbet Ihr siel Ihr ziehet sie in Torheit und Unverstand auf. Wenn Ihr es nicht besser machet, soll es Euch gereuen!" Als die Tochter des Kaisers dieses hörte, machte sie keine Zeichen mehr, obwohl sie wußte, daß alles wahr sei, was sie sagen wollte; sondern sie ging betrübt von dannen.



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Bald nachher zog der Seneschall, der ein zweites Sarazenenheer aufgerafft hatte, von neuem heran und lagerte sich abermals vor der Stadt Rom; und wiederum hätten die Römer das Feld geräumt, wenn nicht der weiße Ritter auf des Engels Befehl im Harnisch und auf dem weißen Rosse herbeigeritten wäre und die Heiden hilfreich bekriegt hätte. Auch diesmal vollbrachte er der Wunder soviel, daß die Sarazenen in die Flucht geschlagen wurden und des Kaisers Heer den Sieg behielt. Als aber das Treffen zu Ende war, da wußte niemand, wohin der weiße Ritter gekommen sei. Denn obwohl der Kaiser Leute genug abgeschickt hatte, welche auf ihn harrten, so war er doch unversehens verschwunden, und niemand außer der stummen Kaiserstochter hätte sagen können, wo er sich verborgen.



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Kurze Zeit darauf kehrte der Seneschall mit noch viel größerer Macht zurück als zuvor und belagerte Rom zum dritten Male. Bevor nun der Kaiser zu kämpfen auszog, befahl er allen seinen Edeln, wenn der Ritter auf dem weißen Rosse wiederkäme, sollten sie suchen, ihn zu sahen, wo sie seiner ansichtig würden. Die Ritter versprachen, es zu tun, und als der Tag der Schlacht gekommen war, ritten einige der Tapfersten heimlich in einen nahe gelegenen Wald und warteten hier, welchen Weg der weiße Ritter zur Schlacht kommen würde. Aber es war vergebens. Ehe sich's einer der Ritter versah, befand sich Robert mitten in der Schlacht: sie stürzten ihm nach und teilten mit ihm Streiche aus, rechts und links, er selbst aber die gewaltigsten, so daß kein Feind standhalten konnte und die Sarazenen schimpflicher flohen als beidemal zuvor.

Als nun die Schlacht vorbei war und ein jeder sich freudig nach Hause begab, wollte sich auch Robert zu seinem Springquelle zurückwenden, um dort, wie bisher, seine Waffen auszuziehen. Aber die genannten Ritter waren wieder in den Wald zurückgekehrt und warteten dort auf ihn. Als sie ihn nun nach Hause reiten sahen, sprengten sie alle zusammen aus dem Walde hervor und riefen ihn mit lauter Stimme an: "Edler Ritter! Sprich mit uns und sage uns, wer du bist und von welchem Volke; denn wir wollen es unserm Kaiser melden, der sehr begierig ist, es zu wissen!" Als Robert dieses hörte, wurde er sehr beschämt; er gab seinem weißen Rosse die Sporen und flog über Berg und Tal; denn er wußte, daß er ein Büßender war, und wollte nicht erkannt sein. Einer der Verwegensten aber setzte ihm auf einem guten Pferde nach; dieser warf seinen Speer nach ihm, nicht um ihn selbst zu töten, sondern er hoffte, das weiße Roß



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zu treffen; doch verfehlte er das Tier, dagegen wurde Robert selbst von dem Speer getroffen; die Lanzenspitze brach jedoch ab und blieb im Schenkel stecken, und Robert ritt, seine Verwundung nicht achtend, davon. So erfuhr der Ritter nicht, wer er war, und brachte nur den abgebrochenen Speer zu seinen Genossen zurück, worüber alle sehr betrübt waren. Robert eilte indessen, zu dem Brunnen zu gelangen; dort stieg er wieder vom Rosse und legte seine Waffen ab, und beides verschwand sofort; er aber zog die Lanzenspitze aus seinem Schenkel und verbarg sie zwischen zwei großen Steinen am Springbrunnen. Der arme Robert wußte nicht, wo und von wem er sich verbinden lassen sollte; er sah sich genötiget, Gras und Moos zu nehmen und es aufzulegen; dann zerriß er das Futter seines Kleides und verband damit die Wunde. Und wieder stand die Tochter des Kaisers an ihrem Fenster, sah alles und merkte es sich wohl, und da Robert ein so gar edler und würdiger Ritter war, so fing sie an, ihn mit zärtlicher Neigung zu betrachten.

Als Robert seine Wunde verbunden hatte, ging er nach des Kaisers Halle, um sich etwas zu essen zu holen; aber er hinkte von der Wunde, die er durch den Ritter erhalten hatte; doch zwang er sich, so gut er konnte. Kurze Zeit darauf kam der Ritter, der ihn verwundet hatte, und erzählte dem Kaiser, wie der Fremde auf dem weißen Rosse ihm entgangen sei, und wie er ihn wider Willen verwundet habe. "Das beste ist, Herr Kaiser", sprach er, "Ihr lasset durch Euer ganzes Reich öffentlich verkünden, wo es einen Ritter mit weißem Roß und Harnisch gebe, der soll zu Euch gebracht werden und die Lanzenspitze, mit der er in die Seite verwundet worden ist, mit sich bringen und seine Wunde vonveisen. Dann wollet ihr ihm Eure Tochter zur Frau und das halbe Reich zur Mitgift geben." Der Kaiser war über diesen Rat sehr froh; er ließ ihn ohne Verweilen bekanntmachen, ganz so, wie der Ritter vorgeschlagen hatte.

Dieser öffentliche Aufruf drang auch zu den Ohren des Seneschalls, der immer noch von einer heftigen Liebe zu des Kaisers Tochter entflammt war, Tag und Nacht nicht schlafen konnte und immer nur darauf dachte, wie er sich an dem Kaiser rächen und die Jungfrau gewinnen möchte. Sowie er nun von den Anerbietungen des Kaisers Kunde erhielt, sann er auf eine große List und hoffte sicher, dadurch zu seinem Ziele zu gelangen. Er ließ nach einem weißen Roß, weißer Lanze und weißem Harnisch suchen, dann nahm er eine abgebrochene Lanzenspitze und stieß sie sich in den Schenkel; dadurch hoffte er den Kaiser zu täuschen und seine Tochter zum Weibe zu bekommen. Als dies geschehen war, hieß er seine nächsten Leute



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sich waffnen und reisete mit ihnen, so schnell er konnte, bis er mit großer Fürstenpracht und herrlichem Gefolge zu Rom anlangte. Hier begab er sich ohne einiges Zögern zum Kaiser und sprach so zu ihm: "Mein Gebieter, ich bin derjenige, der Euch dreimal so tapfer beigestanden ist, der aus Liebe zu Euch soviel Feinde niedergehauen hat. Dreimal war ich Ursache, daß Ihr über die verfluchten Sarazenen den Sieg davongetragen habt!" Der Kaiser, der an keinen Betrug noch Verrat dachte und seinen alten Diener und Feind, der seine Gestalt wohl zu verstellen gewußt hatte, nicht wiedererkannte, sprach gnädig zu ihm: "Ihr seid fürwahr ein tapferer Ritter l Doch habe ich Mühe zu glauben, was Ihr saget!" Da erwiderte der Seneschall: "Herr, ich habe mehr Mut, als Ihr glaubet; und um Euch zu beweisen, daß es wahr ist; was ich sage: so sehet hier die Lanzenspitze, die ich aufgefangen habe." Damit entblößte er die Stelle, wo er sich selbst die Wunde beigebracht hatte. Aber der Ritter, von dem Robert verwundet worden, war auch zugegen und fing an, nachdenklich zu werden, und als er die Lanzenspitze näher ins Auge gefaßt hatte, da mußte er lächeln; denn er sah wohl, daß es nicht die Spitze seines Speers war. Doch um nicht in Streit zu geraten, wollte er das Gegenteil jetzt nicht behaupten, sondern eine günstigere Gelegenheit abwarten.

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Und nun war es seit, daß der gnädige Gott Robert von seiner schweren Buße befreite. Dieser lag im Hundestall schwer verwundet, und da er keinen Arzt hatte, der ihm beispringen konnte, so ließ er sich seine Wunde von jener Dogge lecken, die ihn so liebhatte. Dennoch dachte er so wenig an sich, als ein armes Tier an sich denkt; er betete nur zu Gott; Mitleid mit seiner Seele zu haben. Um dieselbe Zeit lag der fromme Einsiedler, der Robert in die Beichte genommen hatte, in einer Nacht auf seinem Lager in der Zelle und schlief. Da kam im Schlaf der Engel Gottes zu ihm und forderte ihn auf, sich sogleich zu erheben und nach Rom zu pilgern. Zugleich erzählte er dem Eremiten alles, was Robert vollbracht hatte, erklärte auch, daß seine Buße vollendet und alle seine Sünde ihm vergeben sei. Darüber war der Eremit sehr fröhlich, stand am frühen Morgen auf und wanderte hin auf der Straße nach Rom.

An demselben Morgen in aller Frühe stand zu Rom auch der Seneschall auf und trat abermals vor den Kaiser, ihn seiner öffentlichen Bekanntmachung gemäß um die Hand seiner Tochter zu bitten, was ihm der Kaiser nach der Probe, die er von ihm erhalten zu haben wähnte, ohne lange Überlegung bewilligte. Als nun des Kaisers Tochter vernahm, daß



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sie dem Seneschall gegeben werden sollte, da geriet sie, die den Feind wohl erkannt hatte und seinen ganzen Betrug durchschaute, außer sich, zerriß ihre Kleider und raufte sich die Haare aus. Aber weil die Stimme ihr fehlte, so war dies alles vergebens. Sie ward gezwungen, sich wie eine Braut zu schmücken, und der Kaiser selbst führte sie an der Hand in die Kirche, in kaiserlicher Pracht; begleitet von Grafen, Rittern und Edelfrauen. Die Tochter aber war im Innersten betrübt, und niemand vermochte, ihr Gemüt zu besänftigen.

Der Kaiser mit seinem ganzen Hofstaate war in der Kirche angekommen, und die stumme Tochter sollte dem Seneschall angetraut werden. Da geschah ein großes Wunder vom Himmel, um den frommen Robert zu verherrlichen, welcher der Teufel hieß, und an den niemand mehr dachte. Denn als der Priester das Hochamt zu halten anfing und die Trauung nun eben vollziehen wollte, da riß der Jungfrau das Band ihrer Zunge, und sie hub an, also zu ihrem Vater, dem Kaiser, zu sprechen: "Vater, seid Ihr von allen Sinnen, daß Ihr glaubet, was dieser hochmütige , törichte Verräter Euch vorerzählt hat? Alles, was er sagte, ist Lüge. Vielmehr lebt hier in dieser Stadt ein heiliger und frommer Mann, dem ich und wir alle unser Leben verdanken, dessen seltene Tugenden ich schon lange kenne; aber niemand wollte meinen Zeichen glauben!" Da war der Kaiser hocherfreut über das, was er hörte und sah; es fiel ihm wie Schuppen von den Augen, daß er seinen Feind, den Seneschall, erkannte. Dieser ward grimmig und voller Scham, floh aus der Kirche, schwang sich auf sein Roß und ritt mit seiner ganzen Begleitung davon. Der Papst aber, der zugegen war, fragte die Jungfrau, wer der Mann wäre, von welchem sie gesprochen hätte. Das Mägdlein aber sprach kein Wort, sondern sie nahm den Kaiser, ihren Vater, und den Papst, jeden an einer Hand, und führte sie nach dem Garten und dem Springbrunnen, wo Robert seine Engelswaffen jedesmal genommen und abgelegt hatte. Hier zog sie die Lanzenspitze zwischen den beiden Steinen hervor, unter denen Robert sie verborgen hatte. Und der Ritter, von dem Robert verwundet worden war, hatte sie aus der Ferne begleitet; der trat jetzt auch hervor mit seinem abgebrochenen Speere; da fügten sich Schaft und Spitze aneinander, als wenn sie nie entzwei gewesen wären. Dann sagte das Mägdlein zu dem Papste: "Dreimal haben wir durch die Tapferkeit des edeln Ritters gegen die Ungläubigen den Sieg errungen, dreimal habe ich sein Pferd und seinen Harnisch gesehen, die er dreimal wieder von sich getan hat. Aber wohin sie gekommen sind, vermag ich Euch nicht zu sagen.



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Das aber weiß ich, daß der Ritter selbst, nachdem er dieses getan, jedesmal hinging, sich zu den Hunden zu legen, wo seine Stätte war." Und zu ihrem Vater sprach sie: "Er ist es, der Euch Ehre und Land gerettet hat; an Euch ist es, ihn zu belohnen. Lasset uns zu ihm gehen und die Wahrheit aus seinem Munde vernehmen!"

Da begaben sie sich alle nach dem Winkel, wo Robert bei den Hunden lag, der Kaiser und der Papst; die Tochter und alle Ritter und Frauen, und fingen an, ihm große Ehrerbietung zu erweisen. Aber Robert antwortete ihnen nicht. Da sprach endlich der Kaiser zu ihm: "Ich bitte dich, komm hieher, mein Freund, und zeige mir deinen Schenkel! Denn ich muß ihn notwendig sehen." Jetzt merkte Robert wohl, warum er dies zu ihm sagte; er stellte sich aber, als wenn er ihn nicht verstanden hätte, nahm einen Strohhalm und zerbrach ihn mit den Händen und spielte damit; auch viele andere alberne Streiche machte er, um den Kaiser und den Papst lachen und glauben zu machen, sie sprechen mit einem Narren. Dann wandte sich der Papst zu Robert und sagte zu ihm: "Ich befehle dir im Namen Gottes und der Erlösung am Kreuze, daß du mit uns sprechen sollst!" Aber Robert, der sich seiner Buße noch nicht entbunden glaubte, sprang auf wie ein Narr und gab, als wäre er selbst der Papst, dem Papste mit lächerlichen Gebärden den Segen. Dann sah er hinter sich; siehe, da erblickte er den Eremiten, der ihm die Buße aufgelegt hatte. Sobald dieser seines Beichtkindes ansichtig geworden, das er so lange gesucht hatte, so rief er ihm mit lauter Stimme zu, daß es jedermann, der dabei war, vernehmen mochte: "Höre, mein Freund, ich weiß recht gut, daß du Robert bist, den die Menschen den Teufel nennen; von Stunde an aber sollst du ein Mann Gottes heißen: denn du bist's, der dieses Land von den Sarazenen errettet hat. Diene und ehre Gott, wie du bisher getan hast; dein und mein Herr schickt mich zu dir und befiehlt dir, zu reden und nicht mehr den Narren zu spielen! Denn du hast hinlänglich gebüßt; und alle deine Sünden sind dir vergeben!"



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Als Robert dies hörte, fiel er sogleich auf seine Knie nieder, hob Augen und Hände in die Höhe auf und sprach: "König im Himmel, ich danke dir, daß du mir meine furchtbaren Sünden vergeben hast, und daß meine geringe Buße dir gefallen hat!" Als der Papst, der Kaiser und des Kaisers Tochter und alle, die dabei waren, Robert so lieblich sprechen hörten, da waren alle Herzen großer Freude voll. Robert aber nahm Abschied von ihnen und verließ Rom, um gesühnt in seine Heimat zu wandern. Noch


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hatte er jedoch die Stadt nicht lange hinter sich, da erschien ihm Gottes Engel und befahl ihm, nach Rom umzukehren, wo ihn ein großes Glück erwarte. Als er zurückgekehrt war, da führte ihm der Kaiser seine eigene Tochter, die so schön und so lieblich und deren Herz schon lange sein eigen war, entgegen und gab sie ihm zum Ehegemahl. Dieser Tag war ein Triumph- und Freudentag für ganz Rom. Keiner, der bei dem Feste zugegen war, konnte Robert ansehen, ohne zu sagen: "Diesem Manne verdanken wir alles; er hat uns von unsern Todfeinden befreit."

Nachdem die Hochzeit vierzehn Tage lang gedauert, verabschiedete sich Robert von dem Kaiser, um Vater und Mutter in der Normandie zu besuchen und seine Gemahlin ihnen zuzuführen. Der Kaiser gab ihm ein herrliches Geleite, auch köstliche Geschenke die Fülle, an Silber, Gold und Edelsteinen. So reisten Robert und seine Gemahlin, bis sie in die Normandie und zu der edeln Stadt Rouen kamen. Dort wurden sie mit großem Triumphe empfangen; das Volk war doppelt froh, den Herrn, den es an Leib und Seele verloren glaubte, an beiden herrlich wiederzufinden; denn sie waren in großer Sorge und Betrübnis, weil ihr Herzog, Roberts Vater, gestorben war. Zur Seite des Landes wohnte ein böser Ritter, welcher der Herzogin, Roberts Mutter, schon vieles Leid angetan



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hatte. Kein Baron und Ritter des Landes wagte, sich ihm zu widersetzen, so gewaltig war er. Als nun Robert dies alles erfahren, erklärte er auf der Stelle dem Ritter den Krieg, rüstete Bewaffnete aus, besiegte und fing ihn und ließ den Übeltäter hinrichten.

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Der Herzog Robert betrauerte seinen Vater und betrübte sich sehr darüber , daß er ihm seine Buße und vollendete Sinnesänderung nicht mehr beweisen konnte. Zugleich aber erfreute er sich des Umganges mit seiner geliebten Mutter und holdseligen Gemahlin und erzählte jener die Abenteuer , die er bestanden, seit er sie auf ihrem Schlosse verlassen hatte. Da kam eines Tages ein Bote von seinem Schwiegervater, dem Kaiser bei Robert an, welcher dem Herzog nach ehrerbietigem Gruße diese Meldung tat: "Herr Herzog, der Kaiser hat mich zu Euch hierher geschickt und bittet Euch, zu ihm zu kommen, daß Ihr ihm gegen den alten Verräter, den Seneschall, beistehet. Er hat sich aufs neue gegen ihn empört und drohet, Rom mit Feuer und Schwert zu verwüsten." Als Robert diese Kunde vernahm, ward er im Herzen für den Kaiser sehr besorgt, sammelte eilig soviel bewaffnete Leute, als er im Normannenlande zusammenbringen konnte, ritt mit ihnen allen nach Rom und machte den weiten Weg in kürzester Weile. Aber noch ehe er ankommen konnte, hatte der Verräter den Kaiser, der ihm entgegengerückt war, erschlagen. Robert aber brach mit Gewalt und Macht gegen Rom auf, entsetzte die belagerte Stadt und kam im Handgemenge dem Seneschall gegenüber zu stehen. "Steh mir, du falscher Verräter", schrie er ihm zu, "jetzt sollst du meinen Händen nicht entgehen, wenn du im Felde standhältst; du stachst dir einst eine Lanzenspitze in den Leib, um die Römer zu betrügen, jetzt hast du meinen Herrn, den Kaiser; erschlagen. Wehre dich deines Lebens, das du heute verlieren sollst!" Der Treulose, als er Robert den Teufel sah, erwiderte kein Wort, sondern suchte sein Heil in der Flucht; aber Robert ritt ihm nach und versetzte ihm einen Streich auf das Haupt, daß er ihm Helm und Kopf bis auf die Zähne spaltete und jener auf der Stelle tot zur Erde fiel. Dann ließ ihn Robert nach Rom bringen, damit er hier erschlagen liegen sollte und die Römer an ihm gerächt wären. Und dies geschah auch in Gegenwart alles Volkes in Rom. So beschützte Herzog Robert die Stadt gegen ihre Feinde, bis die Sarazenen abgezogen waren. Dann kehrte er mit seiner ganzen Schar nach Rouen in der Normandie zurück. Dort fand er seine Mutter und seine Gemahlin in tiefer Trauer über des Kaisers Tod, der ihnen schon zu Ohren gekommen war. Doch tröstete sie Robert ein


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weniges, als er ihnen erzählte; wie er den Kaiser an dem Seneschall gerächt und die Römer von ihren Feinden befreit habe.

Seitdem lebte Herzog Robert lang in Liebe und Ehrbarkeit mit seiner edeln Gemahlin, war gefürchtet von seinen Feinden und geliebt von seinen Freunden und Untertanen. Er ward zweiundsechzig Jahre alt und hinterließ einen schönen Sohn, mit Namen Richard, der viel herrliche Waffentaten mit dem Frankenkönige Karl verrichtete, mächtige Kriege mit den Sarazenen führte und den Christenglauben in aller Welt befestigen half.



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Die Schildbürger

Mit Bildern von Oskar Pletsch



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In dem großmächtigen Königreich Utopien, hinter Kalekutta, liegt ein Dorf oder Bauernstädtchen, Schilda genannt, von welchem mit allem Fug das alte Sprichwort gerühmt werden konnte:

Wie die Eltern geartet sind,
So sind gemeiniglich die Kind '.


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Denn auch die Schildbürger waren in ihrer Voreltern Fußtapfen getreten und darin verharrt, wenn sie nicht die Not, der kein Gesetz vorgeschrieben ist, oder die Förderung des lieben Vaterlandes nötigte, einen andern Weg zu treten.

Der erste Schildbürger war ein hochweiser und verständiger Mann, und es ist wohl zu erachten, daß er seine Kinder nicht wie die unvernünftigen Tiere herumlaufen ließ. Ohne Zweifel war er ein strenger Vater, der ihnen nichts Arges nachsah; vielmehr unterwies er sie als ein getreuer Lehrer, und sie wurden mit allen Tugenden aufs höchste geziert, ja überschüttet , so daß ihnen in der ganzen weiten Welt niemand vorzusetzen oder auch nur zu vergleichen war. Denn zu derselben Zeit waren die weisen Leute noch gar dünn gesäet und war es ein seltenes Ding, wenn einer derselben sich hervortat. Sie waren gar nicht so gewöhnlich, wie sie jetzt unter uns sind, wo ein jeder Narr für weise gehalten werden will. Deswegen verbreitete sich der Ruhm von ihrem hohen Verstand und ihrer seltenen Weisheit über alle Lande und ward Fürsten und Herren bekannt, wie sich denn ein so herrliches Licht nicht leicht verbergen läßt, sondern, wo es sich finden mag, seine Strahlen von sich wirft.

So kam es oft, daß aus ferne gelegenen Orten von Kaisern und Königen Botschaften an die Schildbürger abgefertigt wurden, um sich in zweifelhaften Sachen Rats zu erholen, der immer überflüssig bei ihnen zu finden war, da sie voll von Weisheit steckten. Auch fand man immer, daß die treuen Ratschläge, die sie gaben, nicht ohne besonderen Nutzen abgegangen . Dadurch schufen sie sich in der ganzen Welt einen großen Namen und wurden mit viel Silber, Gold, Edelstein und anderen Kleinodien begabt, weil Geistesgaben damals viel höher geschätzt wurden als dieser Zeit. Endlich kam es gar so weit, daß Fürsten und Herren, die ihrer keineswegs entbehren konnten, es viel zu weitläufig fanden, Botschaften zu



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ihnen zu schicken, sondern jeder begehrte, einen der Schildbürger in Person bei sich am Hofe und an seiner Tafel zu haben, damit er sich desselben täglich in allen Vorkommenheiten bedienen und aus seinen Reden, als aus einem unerschöpflichen Brunnen des frischesten Wassers, Weisheit schöpfen und lernen könnte.

Daher wurde täglich aus der Zahl der Schildbürger jetzt einer, bald wieder einer, beschickt und in entlegene Länder von Hause abgefordert. In kurzem kam es dahin, daß fast keiner mehr in der Heimat blieb, sondern alle von. Hause abwesend waren. Darum sahen sich die Weiber genötigt, der Männer Stelle zu vertreten und alles zu versehen, das Vieh, den Feldbau, und was sonst einem Manne zusteht; jedoch behauptet man, sie hätten dieses nicht ungerne getan. Wie es aber noch heutigentags zu gehen pflegt, daß Weiberarbeit und Weibergewinn gegen das, was Man- ner erwerben, soviel sie sich bemühen, dennoch sehr gering ist, so ging es auch zu Schilda. Darunter ist freilich nur Männerarbeit zu verstehen. Im übrigen ist die eigentümliche Arbeit der Männer und der Weiber wohl unterschieden; wie denn alle Männer nicht könnten ein einziges Kindlein, wie klein es wäre, zur Welt bringen, sie wollten es denn ausbrüten wie jener Narr den Käse voll Milben, aus welchem er Kälber aushecken zu können hoffte. So wie man im Gegenteile viel Weiber haben müßte, wenn man die feste Stadt Wien in Österreich (welche der Gott der Christenheit lange Zeit in seinen Schutz nehmen möge) oder die namhafte Stadt Straßburg mit Gewalt gewinnen wollte.

So fingen zu Schilda aus Mängel an Bebauung die Güter des Feldes an abzunehmen; denn die Fußtritte des Herrn, die den Acker allein gehörig düngen, wurden nicht darauf gespürt. Das Vieh, das sonst durch des Herren Auge fett wird, wurde mager, verwildert und unnütz; alle Werkzeuge und Geschirre wurden schadhaft, nichts verbessert und zurechtegemacht; und, was das Ärgste war, Kinder, Knechte und Mägde wurden ungehorsam und wollten nichts Rechtes mehr leisten. Sie beredeten sich selbst, weil ihre Herren und Meister nicht einheimisch seien und man doch Herren und Meister brauche, so stände es wohl ihnen selbst zu, Meister zu sein. Kurzum, während die frommen Schildbürger jedermann zu dienen begehrten, und richtig machen wollten, was irgendwo in der Welt unrichtig war, nicht um des lieben Geldes willen und aus Geiz, sondern der allgemeinen Wohlfahrt wegen, so gerieten sie dadurch in verderblichen Schaden, und es ging ihnen gerade wie dem, der zwei Leute, die sich prügeln, scheiden will; zuletzt ist er es, der alle Schläge davonträgt.



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Weil denn das Weib nicht ohne den Mann, und dieser nicht ohne jenes bestehen kann, so trat zu Schilda die ganze weibliche Gemeinde, die indessen das Regiment führen und der Männer Amt verwalten mußte, zusammen , um das gemeine Beste zu bedenken und dem drohenden Verderben zu steuern. Nach langem Geschnatter und Gerede wurden endlich die Frauen einig, daß sie ihre Männer abfordern und heimrufen wollten. Um dieses ins Werk zu richten, ließen sie einen Brief aufsetzen und durch eigene Boten nach allen Orten und Enden abschicken, wo sie wußten, daß ihre Männer sich aufhielten. Der Brief lautete folgendermaßen:

"Wir, die ganze weibliche Gemeinde zu Schilda, entbieten Euch, unsern getreuen, herzliebsten Ehemännern samt und sonders unsern Gruß und fügen Euch zu wissen: Da, Gott sei Dank, unser ganzer Stamm mit Weisheit und Verstand so hoch begabt und vor andern gesegnet ist, daß auch ferne gelegene Fürsten und Herren, solche zu hören und zu allen Geschäften zu gebrauchen, eine besondere Lust haben, auch deswegen Euch alle zu sich von Haus und Hof, von Weib und Kindern abfordern und so lange Zeit bei sich behalten, daß zu besorgen ist, sie möchten Euch irgend mit Gaben und Verheißungen ganz und gar anfesseln und verstricken: so sind wir darum in großen Sorgen. Unseren Sachen zu Hause ist dabei weder geraten noch geholfen; das Feld verdirbt, das Vieh verwildert, das Gesinde wird ungehorsam, und die Kinder; die wir armen Mütter gemeiniglich mehr lieben, als gut ist, geraten in Mutwillen, andern vielen Unwesens zu geschweigen. In Betracht dieser Ursachen können wir nicht unterlassen, Euch hiermit an Amt und Beruf zu erinnern und zur Heimkehr aufzufordern. Bedenket, wie so lange Zeit wir von Euch verlassen gewesen; denket an die Kinder, Euer Fleisch und Blut, welche nun allbereits zu fragen anfangen, wo doch ihre Väter seien. Welchen Dank meinet Ihr, werden sie Euch sagen, wenn sie nun erwachsen sind und von uns vernehmen, daß sie ohne Trost und Hilfe von Euch verlassen worden und dem Untergange preisgegeben sind? Und vermeint Ihr, der Fürsten und Herren Gunst gegen Euch werde allezeit beständig sein? Die alten Hunde, wenn sie sich mit Jagen abgearbeitet und ausgedient haben, so daß sie mit ihren stumpfen Zähnen die Hasen nicht mehr packen können pflegt der Jäger an den nächsten besten Baum aufzuhängen und belohnt so ihre getreuen Dienste. Wieviel löblicher und nützlicher wäre es daher, wenn Ihr daheim und zu Hause, Eure eigenen Händel auswartend, in guter Freiheit und Ruhe leben und Euch mit Weib und Kind, Freunden und Verwandten erfreuen wolltet. Auch könnet Ihr fremden Leuten die



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nen und doch in der Heimat bleiben. Wer Euer bedarf, der wird Euch wohl suchen und finden, oder es tut ihm nicht sonderlich not. Solches alles, liebe Männer, werdet Ihr viel besser erwägen als wir schreiben können. Deswegen hoffen wir, daß Ihr Euch unverzüglich aufmachen und heimkehren werdet, wenn Ihr nicht bald fremde Vögel in Eurem eigenen Neste sehen wollet und hören, daß sie zu Euch sprechen: ,Vor der Tür ist draußen! ' Darum seid vor Schaden gewarnt. Beschlossen und gegeben zu Schilda mit Eurem eigenen Siegel, das Eurer wartet."

Sobald den Männern dieses Schreiben eingehändigt worden und sie den Inhalt eingesehen, wurde ihr Herz gerührt, und sie fanden es höchst notwendig, sogleich heimzukehren. Sie nahmen daher von ihren Herren gnädigen Urlaub und kamen nach Hause. Hier trafen sie eine solche Verwirrung in allen Sachen, daß sie, so weise sie waren, sich nicht genug verwundern konnten, wie in der kurzen Zeit ihrer Abwesenheit so vieles sich hatte verkehren können. Aber freilich, Rom, das in so vielen Jahren mit Mühe gebauet worden ist, kann an einem Tage gebrochen und zerstört werden! Die Weiber der Schildbürger wurden über die Zurückkunft ihrer Männer sehr froh; doch empfing nicht jede ihren Mann gleich, wie sie



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denn gar verschiedener Komplexion waren. Die einen nahmen ihre Männer ganz freundlich und liebevoll auf, wie eine ehrliche Frau billig tun soll, vermöge der Tugenden, mit welchen das weibliche Geschlecht absonderlich geziert ist; andere aber fuhren die ihrigen mit rauhen und zweigespitzten Worten an und hießen sie in alles Bösen Namen willkommen; wie dies denn auch in unsern Tagen viele Weiber gegen die Natur im Brauche haben; so daß diesen Männern besser gewesen, sie wären mit dem Vieh hereingekommen und heimlich in die Ställe geschlüpft. Im übrigen waren sie allzumal fröhlich und begingen ein Freudenfest; dann aber setzten sie ihren Männern auseinander, wie notwendig es gewesen, daß sie wieder heimgekommen, und baten sie, das Versäumte hereinzubringen und fernerhin des Hauswesens und Gewerbes besser wahrzunehmen, , welches die Männer ihnen auch bei Treu und Ehren zusagten.

***
Auf dieses traten die Schildbürger zusammen, einen Rat zu fassen, was zu tun wäre, daß sie von ausländischen Herren nicht mehr wie bisher geplagt und abgefordert würden. Weil es aber spät am Tage und der Handel wichtig war, so ließen sie es für heute bei einer guten Mahlzeit bewenden , bei der sie sich mit weisen Reden, die süßer als Honig und schöner als Gold und Silber sind, aber auch mit Speise und Trank nach Notdurft als vernünftige Leute genugsam ergötzten.

Am folgenden Tage verfügten sich meine Herren, Rat zu halten, unter die Linde. Denn dort pflegten sie sich von alters her zu versammeln, solang es Sommer war. Winters über war das Rathaus der Versammlungssaal, und der Richterstuhl stand hinter dem Ofen. Als sie nun zuvörderst den großen Schaden, der ihrem Hauswesen erwachsen war, erwogen und mit dem Nutzen verglichen, der ihnen aus dem Dienste bei den fremden Herren erwuchs, so fanden sie, daß der Nutzen den Schaden bei weitem nicht ersetzen konnte. Es wurde daher eine Umfrage getan, wie doch den Sachen zu helfen wäre. Da hätte einer sollen die weisen und hochverständigen Ratschläge hören, die so gar vernünftig vorgebracht wurden! Einige meinten, man sollte sich der auswärtigen Herren gar nicht mehr annehmen; andere, man sollte sie nicht ganz abtun, sondern nur ihnen so kalte Ratschläge geben, daß sie von selbst abständen und die Schildbürger unbekümmert ließen. Zuletzt trat ein alter Schildbürger auf und brachte seine Bedenken vor, dieses Inhalts: Da doch ihrer aller hohe Weisheit und großer Verstand die einzige Ursache sei, warum sie von Hause abgefordert und da und dorthin beschickt würden, so dünke ihm,



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das beste zu sein, wenn sie sich durch Torheit und Aberwitz vor künftiger Zudringlichkeit beschirmten. Wie man sie früher ihrer Klugheit wegen in fremde Lande berufen hätte, so würde man sie jetzt ihrer Dummheit halber zu Hause lassen. Deswegen sei er der Meinung, daß sie alle einhellig, niemand ausgeschlossen, Weiber und Kinder, Junge und Alte, die abenteuerlichsten und seltsamsten Sachen anfangen sollten, die nur zu ersinnen wären; ja, was jedem Närrisches in den Sinn käme, das sollte er tun. Dazu brauche man aber gerade die Weisesten und Geschicktesten; denn es sei keine geringe Kunst; Narrenamt recht zu verwesen. Wenn nämlich einer die rechten Griffe nicht misse und es ihm so mißlinge, daß er gar zum Toren werde, der bleibe sein Leben lang ein Narr; wie der Kuckuck seinen Gesang, die Glocke ihren Klang, der Krebs seinen Gang behält.

Dieses Bedenken wurde von allen Schildbürgern mit dem höchsten Ernst erwogen, und weil der Handel gar schwer und wichtig war, noch manche Umfrage darüber getan. Am Ende beschlossen sie, daß ebenjene Meinung in allen Punkten aufs genaueste aufzusetzen und dann ins Werk zu richten sei. Hiermit ging die Gemeinde auseinander mit der Abrede, daß jeder sich besinnen sollte, bei welchem Zipfel die neue Narrenkappe anzufassen wäre. Freilich hatte gar mancher ein heimliches Bedauern, daß er, nachdem er so viele Jahre voll Weisheit gewesen, jetzt erst in seinen alten Tagen ein Narr werden sollte. Denn die Narren selbst können es am wenigsten vertragen, daß ihnen ihre Torheit, über der es ihnen selbst ekelt, durch einen Narren vorgeworfen werde.

Jedoch um des gemeinen Nutzens willen, für den jeder ja selbst sein Leben mit Lust aufopfern soll, waren sie allzumal willig, sich ihrer Weisheit zu begeben: und damit hat in unserer Geschichte die Weisheit der Schildbürger ein Ende.



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Da sie nun forthin ein anderes Regiment, anderes Wesen und Leben anzunehmen und zu bestellen entschlossen waren, so sollte zu einem recht glückhaften Anfange zuerst ein neues Rathaus auf gemeinschaftliche Kosten erbaut werden, ein solches, das auch Raum für ihre Narrheit hätte und dieselbe wohl ertragen und leiden könnte. Da sie sich nun ihrer Weisheit noch nicht ganz verziehen hatten und sie nicht mit ihrer Narrheit auf einen Stoß hervorbrechen wollten, weil dadurch leicht verraten worden wäre, daß ihre Torheit nur eine angelegte sei: so beschlossen sie, fein gemächlich zu Werke zu gehen. Doch schien ihnen der Bau eines neuen Rathauses


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immerhin das Dringlichste zu sein. Sie nahmen sich dabei ihren eigenen Pfaffen zum Exempel. Dieser war so eifrig, daß er, sooft er läuten hörte, allezeit meinte, er müßte mit seiner Postille auf die Kanzel rumpeln. Deswegen begehrte er, als er zuerst von den Schildbürgern angenommen wurde, daß sie ihm, noch ehe er predigte, eine neue Kanzel von guten, starken, eichenen Brettern, mit Eisen wohlbeschlagen, machen lassen sollten die seine gewichtigen Worte, so er jederzeit vorbringen wolle, auch recht dulden könne. Ebenso nun dachten die Schildbürger vor allen Dingen an ein geduldiges Rathaus.

Und wie nun alles verabredet war, was zu einem so wichtigen Werke notwendig erfordert wird, fand sich's, daß nichts mehr mangelte als ein Pfeifer oder Geiger, der mit seinem lieblichen Sang und Klang wie ein Orpheus oder Amphion Holz und Steine herbeigeholt hätte, um sie in feiner Ordnung zu diesem Bau aufeinanderzulegen. Da aber ein solcher nirgends zu finden war, so vereinigten sie sich, gemeinschaftlich das Werk anzugreifen, jeder dem andern zu helfen und nicht eher aufzuhören, als bis der ganze Bau aufgeführt und vollendet wäre. Offenbar waren die Schildbürger, deren Weisheit nur allmählich wie ein Licht ausgehen sollte, noch viel zu weitsichtig, da sie wußten, daß man zuvor Bauholz und andere Sachen mehr haben müsse, ehe man mit Bauen anfangen könne. Denn rechte Narren würden wohl ohne Holz, Stein und Kalk zu bauen sich unterstanden haben. Deswegen zogen sie samt und sonders einmütig miteinander ins Holz, das jenseits des Berges in einem Tale gelegen war, und fingen an nach dem Rate ihres Baumeisters das Bauholz zu fällen. Als es von den Asien gesäubert und ordentlich zugerichtet war, da wünschten



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sie nichts anderes zu haben als eine Armbrust, auf der sie es heimschießen könnten; durch solches Mittel, meinten sie, würden sie unsäglicher Mühe und Arbeit überhoben sein. So aber mußten sie die Arbeit selbst verrichten und schleppten die Bauhölzer nicht ohne viel Schnaufen und Atemholen den Berg hinauf und jenseits wieder mit vieler Mühe hinab; alle bis auf eines, das nach ihrer Ansicht das letzte war. Dieses fesselten sie gleich den andern auch an, brachten es mit Heben, Schieben und Stoßen vor und hinter sich, rechts und links den Berg hinauf und auf der andern Seite zur Hälfte hinab. Sei es nun aber, daß sie es übersehen hatten, oder daß Stricke und Seile zu schwach waren: kurz, das Holz entging ihnen und fing an, von selbst fein allgemach den Berg hinabzurollen, bis es zu den andern Hölzern kam, wo es wie ein anderer Stock stille liegen blieb. Solchem Verstande dieses groben Holzes sahen die Schildbürger bis zu Ende zu und verwunderten sich höchlich darüber. "Sind wir doch alle", sprach endlich einer unter ihnen, "rechte Narren, daß wir uns solche Mühe gegeben, bis wir die Bäume den Berg hinabgebracht, und erst dieser Klotz mußte uns lehren, daß sie von selbst besser hätten hinuntergehen können!" "Nun, dem ist Rat zu schaffen", sagte ein anderer; "wer sie hinabgetan hat, der soll sie auch wieder hinauftun! Darum, wer mit mir dran ist, spute sich! Wenn wir erst die Hölzer wieder hinaufgeschoben, so können wir sie alle miteinander wieder hinunterrollen lassen; dann haben wir mit Zusehen unsere Lust und werden für unsere Mühe ergötzt!"

Dieser Rat gefiel allen Schildbürgern über die Maßen wohl; sie schämten sich einer vor dem andern, daß er nicht selbst so witzig gewesen, und wenn sie zuvor, als sie das Holz den Berg hinabgebracht, unsägliche Mühe gehabt hatten, so hatten sie gewiß jetzt dreifache Arbeit, bis sie dasselbe wieder hinaufbrachten. Nur das eine Holz, das von selbst die Hälfte des Berges hinabgerollt war, zogen sie nicht wieder hinauf, um seiner Klugheit willen. Nachdem sie sich so überschafft hatten und alle Höher wieder oben waren, ließen sie dieselben allmählich, eins nach dem andern, den Berg hinabtaumeln, standen droben und ließen sich den Anblick wohlgefallen. Ja, sie waren ganz stolz auf die erste Probe ihrer Narrheit; zogen fröhlich heim und saßen ins Wirtshaus, wo sie kein kleines Loch in den Beutel der Stadt hineinzehrten.



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Das Bauholz war gefügt und gezimmert; Stein, Sand, Kalk herbeigeschafft; und so fingen die Schildbürger einmütig ihren Bau mit solchem Eifer an, daß, wer nur immer zusah, gestehen mußte, es sei ihr bitterer


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Ernst gewesen. In wenig Tagen hatten sie die drei Hauptmauern von Grund aus aufgeführt; denn weil sie etwas Besonderes haben wollten, so sollte das Haus dreieckig werden. Auch aller Einbau ward wohl vollendet doch ließen sie nebenzu an einer Seite ein großes Tor in der Mauer offen, um, wie sie dachten, das Heu, das der Gemeinde zuständig wäre, und dessen Erlös sie miteinander vertrinken durften, hineinzubringen . Dies Tor kam denn auch — woran sie nicht gedacht — ihrem Herrn Schultheißen wohl zustatten, sonst hätte dieser, samt Gerichts- und Ratsherrn, wenn sie in den Rat gehen wollten, über das Dach hineinsteigen müssen, was zwar ihrer Narrheit ganz angemessen, aber doch allzu unbequem und dazu halsbrechend gewesen wäre.

Hierauf machten sie sich an das Dach. Dieses wurde nach den drei Ecken des Baues dreifach abgeteilt, der Dachstuhl auf die Mauer gesetzt und so das ganze Werk, nach ihrer Meinung, bis auf den Giebel um tadelig hinausgeführt. Das Dach zu decken, verschoben sie auf den folgenden Tag und eilten dem Hause zu, wo der Wirt den Reif aufgesteckt. Am andern Morgen wurde mit der Glocke das Zeichen gegeben, vor welchem bei Strafe niemand arbeiten durfte. Da strömten alle Schildbürger zusammen, stiegen auf den Dachstuhl und fingen an, ihr Rathaus zu decken. So standen sie alle hintereinander, die einen zuoberst auf dem Dache, die andern unten, wo sie an den Latten besserten; etliche noch auf der Leiter, wieder andere auf der Erde zunächst der Leiter, und so fort bis zu dem Ziegelhaufen, der einen guten Steinwurf vom Rathause entfernt war. Auf diese Weise ging jeder Ziegel durch aller Schildbürger Hände, vom esen, der ihn aufhob, bis auf den letzten, der ihn auf seine Statt legte, daß ein Dach daraus würde. Wie man aber willige Rosse nicht übertreiben soll, so hatten sie die Anordnung gemacht, daß zu einer gewissen Stunde die Glocke geläutet würde zum Zeichen des Ausruhens . Sowie nun derjenige, der zunächst am Ziegelhaufen war, den ersten Streich der Glocke hörte, ließ er den Ziegel, den er eben aufgehoben hatte, fallen und lief dem Wirtshause zu. So geschah es, daß diejenigen, die zuletzt ans Werk gekommen waren, die esen im Wirtshause und die Obersten hinter dem Tische wurden. Dasselbe taten auch die Zimmerleute. So wie ihrer einer den ersten Glockenstreich gehört, ließ er die Axt, die er schon zum Streich aufgehoben, fallen und lief dem Trunke zu, welches alles zur Narrheit der Schildbürger vortrefflich paßte.

Endlich, nach vollendetem Werke, wollten sie in ihr Rathaus gehen, um dasselbe zu aller Narren Ehre einzuweihen, und in aller Narren



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Namen zu versuchen, wie es sich darin raten lasse. Kaum aber waren sie in Ehrbarkeit hineingetreten — siehe, da war es ganz finster, so finster, daß einer den andern kaum hören, geschweige denn sehen konnte. Darüber erschraken sie nicht wenig und konnten sich nicht genugsam verwundern , was doch die Ursache sein möchte; ob vielleicht irgendwo ein Fehler beim Bauen gemacht worden, wodurch das Licht aufgehalten würde. So gingen sie denn zu ihrem Heutor wieder hinaus, um zu sehen, wo sich der Mangel befinde. Da standen alle drei Mauern gar vollkommen da, das Dach saß ordentlich darauf, auch an Licht mangelte es draußen nicht. Sobald sie aber wieder hereinkamen, zu forschen, ob der Fehler drinnen liege, da war es wieder finster wie zuvor. Die wahre Ursache aber war, daß sie die Fenster an ihrem Rathause vergessen hatten; die konnten sie nicht finden noch erraten, sosehr sie sich auch ihre närrischen Köpfe darob zerbrachen.

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Als der festgesetzte Ratstag gekommen, stellten sich die Schildbürger zahlreich ein; denn es hatte allen gegolten, und nahmen ihre Plätze ein. Einer von ihnen hatte einen brennenden Lichtspan mitgebracht und ihn, nachdem sie sich niedergesetzt, auf seinen Hut gesteckt, damit sie in dem finstern Rathaus einander sehen könnten, auch der Schultheiß bei der Umfrage einem jeden seinen Titel und Namen zu geben imstande wäre. Hier ließen sich nun über den vorgefallenen Handel gar widersprechende Meinungen vernehmen. Die Mehrheit schien sich dahin zu neigen, daß man den ganzen Bau wieder bis auf den Boden abbrechen und aufs neue aufführen sollte: da trat einer hervor, der, wie er früher unter allen der Allerweiseste gewesen, so jetzt sich als den Allertörichtsten zeigen wollte, und sprach, er habe, solange seine Weisheit gewährt; manchmal vernommen, daß man durch Beispiel vieles klarer machen könne; solchem nach wolle auch er den Schildbürgern eine schöne Geschichte erzählen: "Meiner Großmutter Großvaters Bruderssohn", hub er darauf an""hörte eines Tages einen sagen: ,Ei, wie sind die Rebhühner so gut! ' — ,Hast du denn schon welche gegessen ', fragte meiner Großmutter Großvaters Bruderssohn, ,daß du es so gut weißeste ' — ,Nein, sagte der andere, aber es hat mir's einer vor fünfzig Jahren gesagt, dessen Großmutter Großvater sie in seiner Jugend von einem Edelmann hatte essen sehen. ' — Über diese Rede bekam meiner Großmutter Großvaters Bruderssohn ein Kindbetterin-Gelüste, daß er gern etwas Gutes essen möchte, und sagte deswegen zu seinem Weib, sie solle ihm Küchlein backen; denn Rebhühner


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könne er doch nicht haben. Sie aber, die besser wußte als er, was der Butterhafen vermöge, entschuldigte sich, sie könne ihm diesmal keine Küchlein backen, weil ihr die Butter oder das Schmalz ausgegangen. Sie bat ihn deshalb, er möchte mit den Küchlein bis auf eine andere Zeit sich gedulden. Damit hatte aber meiner Großmutter Großvaters Bruderssohn keine Küchlein gegessen und sein Gelüste nicht gebüßt. Er wollte sich mit einem so trockenen Bescheide ohne Salz und Schmalz nicht abweisen lassen und bestand darauf, die Frau sollte ihm Küchlein backen, und hätte sie nicht Butter oder Schmalz, so sollte sie es mit Wasser versuchen. Es tut's nicht ', sagte die Frau, ,sonst wäre ich selbst nicht so lang ohne Küchlein geblieben, weil ich mich das Wasser nicht hätte dauern lassen. Er aber sprach: ,Du weißest es nicht, weil du es noch nie probiert hast. Versuch es einmal, und erst, wenn es nicht geraten will, kannst du sagen, es tu' es nicht. ' Wollte die Frau Ruhe haben und zufrieden sein, so mußte sie dem Mann willfahren; sie rührte also einen Kuchenteig an, ganz dünn, als wollte sie Sträublein backen, setzte eine Pfanne Wasser über das Feuer, und nun mit dem Teig darein. Der Teig zerfloß im Wasser, und es wurde ein Brei daraus, darüber die Frau zornig, der Mann leidig ward. Denn jene sah Arbeit, Holz und Mehl verloren; meiner Großmutter Großvaters (seligen) Bruderssohn aber stand dabei, hielt den Teller hin und wollte die erstgebackenen Küchlein, so warm sie aus der Pfanne kamen, essen, ward aber betrogen. Seine Frau verwünschte das Kuchenbacken mit Wasser; er jedoch sagte langmütig: ,Laß dich's nicht gereuen, man versucht ein Ding auf soviel Weise, bis es zuletzt gelingen muß. Ist es diesmal nicht geraten, so gerät's ein andermal. Es wäre ja doch eine feine nützliche Kunst gewesen, wenn es von ungefähr geglückt wäre! ' ,Ich meine ja wohl ', sagte meiner Großmutter Großvaters Bruderssohn Frau; ,dann wollt' ich selbst alle Tage Küchlein essen!

Und nun" — so schloß der Schildbürger —"diese Geschichte auf unser Vorhaben zu beziehen: wer weiß, ob das Licht oder der Tag sich nicht in einem Sack tragen läßt, gleichwie das Wasser in einem Eimer getragen wird. Unser keiner hat es jemals versucht; darum, wenn es euch gefällt, so wollen wir dran gehen; gerät's, so haben wir's um so besser und werden als Erfinder dieser Kunst großes Lob damit erlagen l Geht es aber nicht, so ist es doch unserem Vorhaben der Narrheit halber ganz willkommen und bequem!"

Dieser Rat gefiel allen Schildbürgern dermaßen, daß sie beschlossen, demselben in aller Eile nachzuleben. Deswegen kamen sie nach Mittag,



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wo die Sonne am besten scheint, bei ihrem Eide gemahnt, alle vor das neue Rathaus, ein jeder mit einem Geschirr, in das er den Tag zu fassen gedachte, um ihn hineinzutragen. Einige brachten auch Schaufeln, Karste, Gabeln mit aus Fürsorge, daß ja nichts verabsäumt werde.

Sobald nun die Glocke eins geschlagen, da konnte man Wunder sehen, wie sie zu arbeiten anfingen. Viele hatten lange Säcke, darein ließen sie die Sonne scheinen bis auf den Boden; dann knüpften sie den Sack eilends zu und rannten damit in das Rathaus, den Tag auszuschütten. Andere

taten dasselbe mit verdeckten Gefäßen, als Hafen, Kesseln, Zubern, und was dergleichen ist. Einer lud den Tag mit einer Strohgabel in einen Korb, der andere mit einer Schaufel; etliche gruben ihn aus der Erde hervor. Eines Schildbürgers soll besonders gedacht werden, welcher den Tag in einer Mäusefalle zu fangen gedachte und ihn so, mit Lisi bezwungen, ins Haus tragen wollte. Jeder verhielt sich, wie es sein Narren- kopf ihm eingab. Und solches trieben sie den langen, lieben Tag, solang als die Sonne schien, mit solchem Eifer, daß sie vor Hitze fast erlechzten und unter der Müdigkeit fast erlagen. Sie richteten aber so wenig damit aus als vor Zeiten die Riesen, da sie Berge aufeinander türmten, um



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den Himmel zu erstürmen. Darum sprachen sie zuletzt: "Nun, es wäre doch eine feine Kunst gewesen, wenn es geraten wäre!" Und darauf zogen sie ab und hatten doch so viel gewonnen, daß sie auf gemeine Kosten zum Weine gehen und sich so wieder erquicken und erlaben durften.

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Die Schildbürger waren mitten in ihrer Arbeit, als von ungefähr ein fremder Wandersmann durch die Stadt und an ihnen vorüber reiste. Dieser stand lang stille, sah ihnen mit offenem Maule zu und vergaß, es wieder zuzumachen; ja, bald wäre er auch zu einem Schildbürger geworden, so sehr zerbrach er sich den Kopf darüber, was denn das bedeuten sollte. Abends in der Herberge, wo er des Wunders willen sich niedergelassen, um das Abenteuer zu erfahren, fragte er nach der Ursache, warum er sie denn so eifrig in der Sonne habe arbeiten sehen, ohne begreifen zu können, was sie täten. Die umstehenden Schildbürger antworteten ihm ohne Bedenken, daß sie versucht hätten, ob sie das Tageslicht in ihr neugebautes Rathaus tragen könnten.

Der fremde Geselle war ein rechter Vogel, genetzt und geschoren, wie es sein sollte, nur daß er weder Federn noch Wolle hatte. Er war nicht gesinnt, den Raub, der sich ihm hier anbot, aus den Händen zu lassen: deswegen fragte er sie ernsthaft, ob sie mit ihrer Arbeit etwas ausgerichtet hätten. Da sie mit Kopfschütteln antworteten, so sagte der Geselle: "Das macht, daß ihr die Sache nicht so angegriffen habt, wie ich euch wohl möchte geraten haben!"Dieser Tagesschimmer von Hoffnung machte die Schildbürger sehr froh, und sie verhießen ihm von seiten des ganzen Fleckens eine namhafte Belohnung, wenn er ihnen seinen Rat mitteilen wollte. Dem Wirt befahlen sie, ihm tapfer aufzutragen und vorzusetzen, so daß der gute Geselle diese Nacht ihr Gast war und redlich ohne Geld zechte; wie das billig war, da er forthin ihr Baumeister sein sollte.

Am folgenden Tag, als die liebe Sonne den Schildbürgern ihren Schein wieder gönnte, führten sie den fremden Künstler zum Rathaus und besahen es mit allem Fleiße von oben und unten, vorn und hinten, innen und außen. Da heißt sie der Geselle, der indessen mit der Schalkheit Rat gepflogen, das Dach besteigen und die Dachziegel hinwegnehmen, welches auch alsogleich geschah. "Nun habt ihr", sprach er, "den Tag in eurem Rathause; ihr mögt ihn darin lassen, solang es euch gefällig ist. Wenn er euch beschwerlich wird, so könnet ihr ihn wohl wieder hinaustagen." Aber die Schildbürger verstanden nicht, daß er damit meinte, sie sollten das Dach nicht wieder daraufdecken, sonst würde es wieder so finster werden



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wie zuvor; sondern sie ließen die Sache gut sein, saßen in dem Hause zusammen und hielten den ganzen Sommer über Rat. Der Geselle nahm die Verehrung, zählte das Geld nicht lange, sondern zog hinweg und schaute oft hinter sich, ob ihm niemand nacheile, den Raub wieder von ihm zu nehmen . Er kam auch nie wieder und noch heutigestages weiß niemand, woher er gewesen, und wohin er gekommen; nur dies sagten die Schildbürger von ihm aus, daß sie ihn am Rücken das letztemal gesehen hätten.

Nun hatten sie mit ihrem Rathause solches Glück, daß es den ganzen Sommer über, sooft sie zu Rate saßen, nie regnete. Inzwischen aber begann der liebliche Sommer sein lustiges Antlitz zu verbergen, und der leidige Winter streckte seinen rauhen Schnabel hervor. Da merkten die Schildbürger bald, daß, wie einer unter einem großen Wetterhut, wie die sind, welche junge Lappen gewöhnlich aus fremden Landen mitbringen, sich vor dem Regen sicherstellt, so auch sie sich mit dem Dache, wie einem Hute, gegen Schnee und Ungewitter schirmen müßten. Sie hatten daher nichts Eiligeres zu tun, als das Dach mit gemeinschaftlicher Handreichung wieder zu decken. Aber, siehe da, wie das Dach wieder eingedeckt war und sie ins



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Rathaus gehen wollten, da war es leider wieder ebenso dunkel darin, als es zuvor gewesen war, ehe sie von der Ersparungskunft des Wanderers die Erfindung gelernt hatten, Tag in dem Hause zu machen, ohne ihn hineinzutragen. Und jetzt erst merkten sie, daß er sie häßlich hinter das Licht geführt habe. Sie mußten aber zu der geschehenen Sache das Beste reden, setzten sich wieder mit ihren Lichtspänen auf den Hüten zusammen und hielten geschwind einen Rat darüber, der sich weit in den Tag hineinzog . Endlich kam die Umfrage auch an einen, der sich nicht den Ungeschicktesten dünkte. Dieser stand auf und sagte, er rate ebendas, was sein Vater raten werde. Nach diesem weisen Rate trat er aus der Versammlung , sich zu räuspern, wie denn die Bauern oft einen so bösen Husten haben, daß niemand um sie bleiben kann. Wie er nun in der Finsternis (denn sein Lichtspan war ihm erloschen) an der Wand hin und her krabbelte , wird er von ungefähr eines kleinen Risses in der Mauer gewahr. Auf einmal erinnert er sich mit großem Seufzen seiner ersten Weisheit, deren sich alle verziehen hatten; daher tritt er wieder hinein und spricht: "Erlaubet mir, ein Wort zu reden, liebe Nachbarn!" Als ihm dies vergönnt wurde, sprach er weiter: "Nun, ich frage euch alle darum, sind wir nicht alle doppeltgebohrte Narren? Wir haben so ängstliche und üble Zeit mit unserem Rathaus, wenden Unkosten dran und geraten noch dazu in große Verachtung. Und dennoch ist keiner von uns so gescheit gewesen, daß er gesehen hätte, daß wir in das Haus keine Fenster gemacht haben, durch die das Licht hereinfallen konnte. Das ist doch gar zu grob, zumal im Anfange unserer Torheit; da sollten wir nicht so auf einmal und mit einem Satz hineinplumpen, so daß es auch ein rechter, geborner Narr merken könnte!"

Über diese Rede erschraken und verstummten die andern alle. Sie sahen einander an und schämten sich einer vor dem andern wegen der gar zu plumpen Narrheit. Ohne die Umfrage abzuwarten, fingen sie darauf miteinander an, allerorten die Mauern des Rathauses durchzubrechen, und da war kein Schildbürger unter allen, der nicht sein eigenes Fenster hätte haben wollen. Also wurde das Rathaus vollführt bis auf den Einbau, von welchem sogleich Meldung getan werden soll.



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Nachdem also ihrem Rathause sein großes Laster abgewöhnt und es endlich sehend geworden war, fingen die Schildbürger an, auch das Eingeweide des Hauses zurechtzumachen und die Gemächer zu veschlagen. Unter anderm machten sie drei abgesonderte Stuben, eine Witz-stube,


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eine Schwitz-stube und eine Baderstube; diese mußten vor allen Dingen fertig gemacht werden, damit die Schildbürger, wenn sie über wichtige Sachen ratschlagen sollten, nicht behindert wären. Nun meinten sie, sei das ganze dreieckigte Rathaus aufs vortrefflichste fertiggemacht, und weihten es zu aller Narren Ehre feierlich ein.

Inzwischen war der Winter ganz hereingebrochen, und es war kalt geworden . Nun sollten sie an einem Ratstage Gericht halten, und der Kuhhirt hatte mit seinem Horn den Ratsherren die Losung gegeben. Da brachte denn jeder, damit das gemeine Wesen nicht beschwert würde, sein eigenes Scheit Holz mit, um die Stube zu wärmen. Aber als sie sich nach der Heizung umsahen, siehe, da fand sich's, daß sie den Ofen vergessen hatten, ja, nicht einmal Raum gelassen, wo man einen hinstellen könnte. Darüber erschraken sie abermals heftig bei sich selbst und schalten sich über ihre Torheit. Als sie nun anfingen, den Handel zu erwägen, da fielen gar mancherlei Meinungen. Einige waren der Ansicht, man sollte ihn hinter die Türe setzen. Da es aber herkömmlich war, daß der Schultheiß den Winter über hinter dem Ofen seinen Sitz haben mußte, so schien es schmählich zu sein, wenn er hinter der Türe säße. Zuletzt riet endlich einer, man sollte den Ofen vors Fenster hinaussetzen und ihn nur zur Stube hereingucken lassen. Zuzeiten dann, wenn es not täte, könnte er bei Abzahlung der Stimmen auch mitgerechnet werden; denn riete er schon nicht zur Sache, so sei er doch auch nicht dawider. Dem Schultheiß sollte man den nächsten Ort dabei einräumen. Diesem Rate ward von allen Bänken her einhelliger Beifall zugerufen. Doch sagte ein Alter unter ihnen, welcher schon länger Narr war als die andern: "Aber, lieber Freund, die Hitze, die sonst in die Stube gehört, wird zum Ofen hinausgehen! Was hilft uns dann der Ofen?" —"Dafür weiß ich ein Mittel", rief ein dritter. "Ich habe ein altes Hasengarn, das will ich der Gemeinde zum besten geben. Wir wollen es vor die Ofentüre hängen, daß es die Hitze im Ofen beschließet Dann haben wir nichts Arges zu besorgen, nicht wahr, lieber Nachbar? Dann wollen wir tüchtig sieden und braten und die Apfel in der Kachel umkehren!" Dieser Schildbürger wurde wegen seines so weisen Rates hochgepriesen und ihm mit allen seinen Nachkommen der allernächste Sitz hinter dem Ofen zunächst bei der Apfelkachel vergönnt.



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So schloß der Handel; der Ofen wurde gemacht und bei einer zweiten Ratswahl das Rathaus aufs neue mit Narren besetzt. Die neuen Ratsherrn berieten sich vornehmlich darüber, wie man einen Vorrat hinterlegen


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könnte, dessen man sich bedienen dürfte, wenn einmal eine Teuerung einfiele. Besonders aber hörten sie vom Salze, dessen Kauf ihnen wegen der obwaltenden Kriege abgeschnitten war, und an dem sie ebendarum großen Mangel litten; man riet ihnen, sie sollten es doch so weit bringen, daß sie eigenes Salz hätten, das sie in der Küche so wenig entbehren könnten als den Dünger auf dem Acker. Da faßten sie nach langer Ratschlagung den Beschluß: "Weil es doch offenbar sei, daß der Zucker, der ja dem Salz ganz ähnlich sehe, erwachse, so müsse wohl daraus folgen, daß das Salz gleichermaßen aus dem Felde hervorwachse; wie denn das Salz so gut Körnlein habe als der Weizen, und man ebensowohl sage: ein Salz
korn, als: ein Weizenkorn; darum beschließe ein wohlweiser Rat, daß man ein großes der Gemeinde zustehendes Stück Feld umbrechen solle und darauf in Gottes Namen Salz säen. Es sei kein Zweifel, daß sie dann ihr eigen Salz bekommen würden und nicht andern zu Füßen fallen dürften, um Salz zu erhalten."

Der Acker ward gepflügt und nach dem Beschlusse Ihrer Wohlweisen mit Salz besäet. Sie selbst und alle Schildbürger waren in bester Hoffnung und zweifelten nicht, Gott werde seinen Segen im überfluß zu der Arbeit geben, weil sie ja in seinem Namen gesäet hätten; auch wäre ein solcher Gewinn, als ein Erdwucher, nicht schändlich, sondern von jedermann gebilligt. In diesem Vertrauen stellten sie auch Hüter und Bannwarte auf, die, mit einem langen Vogelrohr in der Hand, die Vögel schießen



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sollten, wenn sie etwa das ausgesäete Salz wie andern Samen auffressen oder auflecken wollten.

Es währte nicht lange, so fing der Acker an, aufs allerschönste zu grünen und die frechsten Kräuter heraufzuschicken. Die Schildbürger hatten eine unsägliche Freude darüber und meinten, diesmal wäre ihnen die Sache wohl geraten. Sie gingen alle Tage hinaus, zu sehen, wie das Salz wüchse; ja, sie beredeten sich selbst, sie hörten das Salz wachsen wie jener das Gras. Und je mehr es wuchs, desto mehr wuchs in ihnen die Hoffnung, und da war keiner unter ihnen, der nicht im Geiste schon ein ganzes Simri (Scheffel) Salz gegessen hätte. Deswegen befahlen sie den Bannwarten, wenn etwa eine Kuh, ein Pferd, ein Schaf oder eine Geiß auf den Salzacker sich verirrte, so sollten sie diese Tiere auf alle Weise und ohne Schonung fortjagen. Dessenungeachtet kam das unvernünftige Vieh auf den wohl bebauten und besäeten Salzacker und fraß nicht nur die herrliche Aussaat von Salz, sondern auch das, was noch hätte wachsen sollen. Der Hüter, der dieses sah, wußte wohl, was ihm auferlegt sei. Aber er verlor den Kopf; denn er war ein Schildbürger, und anstatt das Vieh hinauszutreiben, lief er in die Stadt und meldete das Unheil dem Schultheißen und Rat. Dieser sah auch bald ein, daß dem Bannwart sein Vogelrohr gegen die vierfüßigen Tiere nichts helfen konnte; sie faßten daher, nachdem sie sich lang die Köpfe zerbrochen hatten, den weisen Beschluß: ihrer viere des edeln Rates, vor denen die Tiere sich vielleicht mehr als vor schlechten Leuten scheuen würden, sollten den Bannwart auf eine geflochtene Truhe setzen, ihm eine lange Rute in die Hand geben und ihn so auf dem Salzacker herumtragen, bis er das lose Vieh herausgetrieben hätte. Dies geschah, der Bannwart hielt seinen Umzug, als wäre er der Papst zu Rom, und die vier Ratsherren wußten mit ihren breiten Füßen so subtil einherzugehen, daß durch sie dem kostbaren Acker kein allzu großer Schaden widerfuhr.

Wirklich blühte und zeitigte das Salzkraut nicht anders, als ob es Um kraut gewesen wäre, auf das eher ein fruchtbarer Regen fällt, ehe denn es verdirbt. Wie nun ein ehrlicher Schildbürger über den herrlich grünenden Acker ging, konnte er es nicht lassen, ein weniges von dem edeln Salzkraut auszuraufen und es, bescheiden kostend, an den Mund zu führen. Nun ist es wahr, es bissen ihn die Brennesseln auf die Zunge, daß er hätte schreien mögen; aber ebendas machte ihn ausnehmend fröhlich; er rannte, als wäre er ein rechter Narr, vor Schmerz und Freuden auf und ab und schrie mit heller Stimme: "ES ist Leckerwerk, Leckerwerk ist es!"



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Darauf lief er recht eilig, damit ihm niemand das Botenbrot abgewänne; nach dem Flecken Schilda und stürmte mit der großen Glocke, damit alle Schildbürger zusammenkämen und die gute Mär vernahmen. Als sie versammelt waren, zeigte er ihnen vor Freude zitternd an, sie sollten fröhlich und guten Mutes sein; das Kraut sei schon so scharf, daß es ihn auf der Zunge gebissen habe; es sei hieraus abzunehmen, daß ein recht gutes Salz daraus werden werde.

Dadurch veranlaßte er die Schildbürger, alle miteinander auf den Acker zu gehen, den Schultheiß an der Spitze. Dieser raufte ein Krautblatt heraus , reckte die Zunge und kostete es; und ihm taten es alle nach, und alle fanden es so, wie der Bote ihnen verkündet hatte. Sie waren sehr froh, und jeder dachte sich in seinem Sinne schon als einen mächtigen Salzherren. Und als endlich die seit der Ernte gekommen war, da kamen sie herbei mit Roß und Wagen, um mit Sicheln das Salz abzuschneiden und heimzuführen. Etliche hatten gar ihre Dreschflegel gerüstet, um es gleich an Ort und Stelle auszudreschen. Als sie aber Hand anlegen und ihr gewachsenes Salz abschneiden wollten, da war es so herb und hitzig, daß es ihnen allen die Hände verbrannte. Dies hatten sie auch, von der großen Kraft des Salzkrautes unterrichtet, wohl überlegt; jedoch es nicht gewagt, sich mit Handschuhen zu versehen, weil der Sommer so gar heiß war und sie fürchteten, man möchte ihrer spotten. Nun meinten einige, man sollte es abmähen wie das Gras; andere, weil es so gar hitzig wäre, so sollte man es mit der Armbrust niederschießen wie einen tollen Hund. Das letzte gefiel ihnen am allerbesten. Weil sie aber keinen Schützen unter sich



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hatten und befürchteten, wenn sie nach einem fremden schickten, möchte ihre Kunst verraten werden, so ließen sie es bleiben. Kurzum, die Schildbürger mußten das edle Salzkraut auf dem Felde stehen lassen, bis sie einen besseren Rat fänden. Und hatten sie zuvor wenig Salz gehabt, so hatten sie jetzt noch weniger: denn was sie nicht verbraucht hatten, das hatten sie ausgesäet. Deswegen litten sie großen Mangel an Salz, zumal am Salze der Weisheit, das bei ihnen ganz dünn geworden war. Daher zerbrachen sie sich auch den Kopf darüber und sannen nach, ob etwa der Acker nicht recht gebaut worden, und hielten viele Ratssitzungen darüber, wie man es ein andermal besser machen könnte.

***
Nun weiß jedermann, daß vorzeiten die Weisheit der Schildbürger weit und breit durch alle Lande gerühmt war, so daß jedermann etwas davon zu sagen wußte. Doch war dies schon gar lange her. Aber das Gerücht von ihrer Torheit verbreitete sich in kurzer Zeit noch viel weiter, so daß bald niemand auf der ganzen Welt war, der nicht alles gewußt hätte, was sich bei ihnen zugetragen hatte.

So geschah es, daß dem Kaiser des großen Reiches Utopia, als er wegen Reichsgeschäften in diejenige Gegend seines Landes kam, in welcher der Flecken Schilda lag, vieles von den abenteuerlichen Schildbürgern erzählt wurde. Darüber wunderte sich der Kaiser um so mehr, weil er sich früher auch in wichtigen Sachen ihrer Weisheit bedient und sich Rates bei ihnen erholt hatte. Weil er nun doch in jener Gegend verziehen mußte, bis sich die Stände des Reiches, die er dorthin beschrieben, versammelt hätten, so verlangte ihn, einen persönlichen Besuch in Schilda zu machen, um mit eigenen Augen zu sehen, wie es sich mit der Torheit seiner dortigen Untertanen verhielte. Er fertigte daher einen Gesandten ab, um ihnen seine Ankunft zu verkündigen, damit sie ihre Zurüstungen treffen könnten. Dabei ließ er ihnen anzeigen, daß er sie bei allen ihren althergebrachten Privilegien und Freiheiten schirmen, auch mit weiteren begnaden wolle, unter der Bedingung, daß sie ihm auf die erste Rede, die er an sie richten werde, so antworten könnten, daß sein Gruß und ihre Antwort sich reime.

Die armen Schildbürger erschraken über diese Botschaft wie eine Katze, wenn sie sich unversehens vor dem Kürchner, oder eine Ziege, wenn sie sich vor einem Schneider findet. Obwohl sie nur Bauersleute waren, welche, wie man meint, das Recht haben, einfältig zu sein, so fürchteten sie doch, der Kaiser — der mit seinen Augen, obschon sie nicht größer sind als anderer Leute Augen, doch viel weiter sehe und mit seinen Händen länger reiche



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—möchte merken, daß ihre Narrheit nur eine angelegte sei, und sie selbst möchten nicht nur seine allerhöchste Ungnade erfahren müssen, sondern vielleicht gar gezwungen werden, wieder witzig und verständig zu sein. Denn es ist freilich nicht ein Geringes, sich selbst zum Narren zu machen und seinen Verstand mutwillig dem allgemeinen Nutzen zu entziehen. Man sollte wenigstens warten, bis man entweder von selbst ein Narr oder durch andere zu einem Narren gezimmert wird. Dann kann man sich mit gutem Gewissen einen Narren schelten lassen von jedermann, und wäre dieser auch gleich ein zehnmal größerer Narr. Die Schildbürger nun suchten in
solchem Schrecken bei ihrer alten, hinterlegten Weisheit Rat und Hilfe. Sie ordneten alles, was in Stall und Küche notwendig war, aufs fleißigste, um den Kaiser so stattlich als möglich in ihrem Dorfe zu empfangen. Unglücklicherweise aber hatten sie damals gerade keinen Schultheißen; denn der im Anfang ihrer Torheit gewählte war aus Kummer über seine aufgegebene Kunst und Weisheit zu einem rechten, völligen Narren und daher zu seinem Amte unbrauchbar geworden. Nachdem sie sich nun lange über eine neue Wahl beraten, kamen sie endlich dahin überein, weil sie ja dem Kaiser auf seine ersten Worte in Reimen antworten müßten, so sei es wohl am besten, daß derjenige Schultheiß werde, der auf den folgenden Tag den besten Reim hervorbringen könnte. Darüber wollten sie die


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Nacht schlafen. Nun zerbrachen sich die weisen Herren die ganze Nacht den Kopf; denn da war keiner von allen, der nicht gedacht hätte, Schultheiß zu werden. Aber am unruhigsten schlief derjenige Schildbürger, der bisher einer andern Gemeinde vorgestanden, das heißt: der die Schweine gehütet hatte. Er warf sich so wild hin und her; daß seine Frau endlich erwachte und ihn fragte, was ihm fehle. Der Schweinehirt aber wollte nicht aus dem Rate schwatzen, und nur mit vieler Mühe konnte ihn sein Weib bewegen, ihr zu sagen, was sich Wichtiges begeben habe. Als er ihr aber endlich anvertraut, womit die Schildbürger umgingen, da wäre des Schweinehirten Frau ebensogern Schultheißin gewesen als der Schweinehirt Schultheiß. "Kümmere dich über diesen Handel nicht, lieber Mann", sagte sie. "Was willst du mir geben, wenn ich dich einen Reim lehre, daß du Schultheiß werdest?" —"Wenn du das kannst", sprach der Schweinehirt vergnügt; "so will ich dir einen schönen, neuen Pelz kaufen." Damit war die Frau sehr zufrieden, besann sich eine kleine Weile und fing an, ihm folgenden Reim vorzusprechen:
Ihr lieben Herrn, ich tret' herein,
Mein feines Weib, die heißt Kathrein,
Ist schöner als mein schönstes Schwein
Und trinkt gern guten, kühlen Wein.


***
Diesen Reim sprach die Schildbürgerin, die sich nicht wenig auf ihre Dichtkunst zugute tat, ihrem Hauswirt neunundneunzigmal vor und er ebensooft ihr nach, bis er ihn ganz gekaut und verschluckt zu haben meinte. Aber auch die andern Schildbürger hatten nicht gerastet, vielmehr hatten alle vom eifrigen Reimen größere Köpfe gekriegt, und da war ihrer keiner, der nicht die ganze Nacht über Schultheiß gewesen wäre.

Als nun der angesetzte Tag erschien, an welchem ein weiser Rat zusammentrat, um zur Wahl eines Schultheißen zu schreiten, da hätte man wunder hören können, welch zierliche, wohlgeschlossene Reime von ihnen vorgebracht wurden. Freilich war es schade, daß die edlen Ratsherren samt und sonders in langer Ausübung ihrer verstellten Narrheit zu einem so schwachen Gedächtnisse gekommen waren, daß ihnen allemal das rechte Schlagwort des Reimes beim Hersagen ausging, so daß zum Beispiel der fünfte (denn der ersten vier vortreffliche Reime sind verlorengegangen) seinen Reim also vorbrachte:

Ich heiße Meister Hildebrand
Und lehne mein 'n Spieß an die — Mau 'r.


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Worüber denn jedesmal die andern alle lachten, jeder, bis das Reimen an ihn selber kam. Der Schweinehirt stand weit hinten und wegen seines niedrigen Standes kam die Reihe unter den letzten an ihn. Er war in tausend Ängsten; denn er fürchtete immer, es möchte ein anderer seinen Reim vorbringen und dadurch Schultheiß werden. Und so oft ein anderer nur ein einziges Wörtchen sagte, das auch in seinem Reime vorkam, so erschrak er, daß ihm das Herz hätte mögen entfallen. Da nun die Ordnung endlich auch an ihn kam, stand er auf und sprach mit kühner Stimme:

Ihr lieben Herrn, ich tret' —hieher,
Mein feines Weib, das heißt Kathrein,
Ist schöner als mein schönstes —Ferk'l
Und trinkt gern guten, kühlen —Most!


***
"Das ist einmal ein Reim!"riefen die Ratsherren von Schilda einmütig und verwundert; "das lautet wie etwas! Das möcht's heben und ausrichten!" Und bei der Umfrage fiel die Wahl einhellig auf den Schweinehirten; denn sie waren fest überzeugt, er würde dem Kaiser wohl reimweise antworten können und ihm würdige Gesellschaft leisten. So war der Schweinehirt von Schilda über Nacht Schultheiß geworden.


***
Diese Ehre und Würde tat dem Hüter der Schweine so wohl, daß er alsbald beschloß, seinen Hirtenschweiß und Staub abzuwaschen und in die Nachbarschaft ins Bad zu gehen; denn zu Schilda war kein Bad. Unterwegs begegnete ihm ein anderer, der vor Jahren mit ihm Schweine gehütet, und begrüßte ihn als alten Mithirten und Gesellen mit einem freundlichen Du. Jener aber verbat sich dieses feierlich und fügte hinzu: "Wisse, daß wir nicht mehr sind, der wir zuvor waren; wir sind jetzt unser Herr; der Schultheiß zu Schilda!" Da wünschte ihm der andere Glück zu seinem neuen Amte bei dem ungezogenen Volk der Schildbürger und ließ ihn ziehen.

Also zog unser Herr; der Schultheiß, fort und kam in das Bad. Hier stellte er sich gar weise, saß in schweren, tiefen Gedanken, zählte von Zeit zu Zeit seine Finger ab, so daß alle, die ihn zuvor kannten, sich über diese Veränderung verwunderten und ihn für melancholisch hielten. Indessen fragte er einen, der neben ihm saß, ob dies die Bank sei, auf welcher die Herren zu sitzen pflegen. "Ja!" ward ihm geantwortet. "Ei, wie fein habe ich es getroffen", dachte da der Schultheiß, "ist es doch, als habe mir's die Bank angerochen, daß ich Schultheiß zu Schilda seil" Wie er



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nun lange so sitzt und vor lauter Nachdenken tüchtig schwitzt, kommt der Bader, sieht, daß sein Kopf naß ist, und meint, er habe schon gebadet. "Guter Freund", sprach er, "Ihr habt den Kopf gewaschen, aber Ihr habt Euch noch nicht reiben und kratzen lassen! Ist dies nicht geschehen, so will ich Lauge herlangen und Euch ausreiben!" Der Schultheiß, der in tiefen Gedanken geschwitzt, antwortete: "Lieber Bader! Ich weiß wahrlich eigentlich nicht, ob ich gebadet habe, aber gerieben bin ich noch nicht! Unsereiner hat gar viel zu sinnen und zu denken, sonderlich ich, der ich trachten
soll, wie ich dem Kaiser reimweise antworte. Denn versteht mich recht: ich bin der Schultheiß von Schilda." Über dieser Rede des Schweinehirten , die doch sein bitterer Ernst war, fingen alle, die im Bade waren, zu lachen an, ließen ihn jedoch bei seinen Ehren bleiben und noch eins darauf schwitzen.

Als er wieder nach Hause kam, vergaß unsere gnädige Frau, die Schule , nicht, den verheißenen Pelz, den sie wohl verdient hatte, recht ost zu fordern, und als der Schultheiß wieder einmal wichtiger Geschäfte halber in die Nachbarstadt gehen wollte, unterließ sie nicht, ihn an den Pelz zu mahnen. Ehe noch der Schultheiß die Stadt betrat, fragte er schon



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den Torwart nach dem Hause des Kürschners; als dieser ihm solches wies, fragte er ferner, ob es auch der sei, bei welchem die Schultheißenfrauen ihre Pelze kaufen. Da merkte der Torwart erst, daß der Mann verrückt sein müsse, deswegen wies er ihn nun zu einem Kübler, einem lustigen Gesellen, bei diesem sollte er nach Schultheißenpelzen fragen. Der gute Schultheiß geht in aller Ehrbarkeit, wohin er gewiesen war, sagt dem Kübler, er sei der Schultheiß von Schilda und wolle Schultheißenpelze kaufen. Der Kübler merkt bald, woran er ist, und erwidert, es sei ihm sehr leid, seine Wohledeln nicht fördern zu können, wie er wollte; aber gestern sei Markttag gewesen, da habe er alle vorrätigen Pelze abgegeben. Damit ihm aber geholfen würde, so weiset er ihn in eine andere Vorstadt zu einem Wagner; dort werde er Pelze finden nach seinem Begehren. Nun brachte er sein Anliegen bei Wagner vor. Dieser aber; der auch ein Spottvogel war, weiset ihn zu einem Schreiner, der Schreiner zu einem Sporer, der Sporer zu einem Sattler, der Sattler zu einem Orgelmacher, der zu einem Studenten, der zu einem Buchbinder, der zu einem Druckergesellen, der zu einem Buchhändler, der Buchhändler endlich zu einem Lebküchner: dort finde er sie, wie er's nur haben wollte, zum Fressen schön.

Als nun der Schultheiß auch hier nach Pelzen fragte, da antwortete ihm der Lebküchner, er habe diesmal keine; wenn er aber eine kleine Zeit Geduld haben wolle, so werde er ihm einen feinen Pelz von Lebkuchen anmessen, anschneiden und backen; den könnte er, wenn er seinem Weibe nicht gefiele, selber essen, alle Morgen einen Mundvoll. Der Herr Schultheiß bedankte sich aufs höchste, erklärte aber, daß er nun so lange nach einem Pelz herumgelaufen sei und keine Zeit mehr habe zu warten: er müsse heim, seinem Amte wieder obzuliegen; denn er sei Schultheiß zu Schilda. Der Lebküchner, der etwas gutmütiger war als die andern, dachte, der Herr Schultheiß sei genug zum Narren gehalten, und wies ihn deswegen recht, zu einem Kürschner, wo er nun Pelze aller Gattung fand, wie er nur begehrte. Und hier kaufte er endlich einen prächtigen Pelz, dessen sich eine Schultheißin auch in der Stadt nicht hätte schämen dürfen. Als er heimkam, empfing die Frau den Pelz mit Freuden, bekleidete sich mit ihm auf der Stelle, drehte sich nach allen Seiten und ließ sich sagen, wie er ihr stehe. Der Schultheiß aber verlangte, jetzt sollte sie für seinen Dienst ihm auch Küchlein backen; er wollte eine Wurst, die er aus der Stadt mitgebracht, dazu geben und eine Maß Wein bezahlen. Da begann seine Frau, wie vorzeiten grobe, dicke Schnitten zu backen; er aber



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stieß die ersten, die aus der Pfanne kamen, voll Unmuts zurück. "Wofür hast du mich angesehen", sagte er, "meinst du nicht gar, ich sei ein Schweinehirt? Weißest du nicht, daß ich der Herr Schultheiß allhier zu Schilda bin?" Da mußte die Frau ihm Sträublein backen, die zehrten sie miteinander auf und tranken einen guten Schluck Weins dazu.

Die folgende ganze lange Nacht lag die neue Frau Schultheißin in tiefsinnigen Gedanken, auf welche Weise sie doch den neuen Pelz anlegen und in demselben ihrem Mann und seinem Amte zu Ehren vor den Schild bürgern prangen möchte. Deswegen stand sie früh auf, und weil es eben Sonntag war, fing sie mit allem Eifer an, sich zu putzen, um sich von allen Nachbarn beschauen zu lassen. In diese Gedanken war sie so verirrt, daß sie sogar das Läuten in die Predigt überhörte. Ihr Herr, der Schultheiß, stand vor ihr und mußte ihr den Spiegel halten, und wohl hundertmal fragte sie ihn, ob sie auch von vorn und von der Seite recht wie eine Frau Schultheißin aussehe; und als er dies bejaht, ging sie endlich aus dem Hause der Kirche zu. War sie nun aber zu lang vor dem Spiegel gestanden, oder hatte der Mesner zu frühe geläutet: —siehe, als sie mit ihrem neuen Pelz zur Kirche hineinrauschte, war eben die Predigt aus, so daß jedermann aufstand. Die gute Frau aber legte dieses ganz



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anders aus: sie beredete sich selbst, weil ihr Mann Schultheiß und sie Frau Schultheißen sei, zudem weil sie einen nagelneuen Pelz anhabe, so stehen die Nachbarn ihr und ihrem Kleide zu Ehren auf. Sie sprach deswegen so sittig und tugendlich, als sie es in der kurzen Zeit gelernt haben konnte, indem sie sich gar gnädig nach beiden Seiten mit Verneigung kehrte: "Liebe Nachbarn, ich bitte euch, wollet doch stillesitzen; denn ich denke wohl noch an den Tag, wo ich ebenso arm und zerlumpt zur Kirche hineingegangen bin wie ihr; darum so setzet euch doch wieder!" Bald darauf kam auch der Herr Schultheiß, welcher bis auf diesen Augenblick an seinem Barette gestriegelt hatte, in die Kirche hineingetreten; als er aber die andern Schildbürger alle die Kirche verlassen sah und nur seine Frau, die Schultheißin, noch in Erwartung der Predigt in ihrem Stuhle sitzen, nahm er sie an dem Arm und führte sie heim.

***
Endlich war der Kaiser auf dem Wege nach Schilda. Das wußten die Schildbürger und berieten sich aufs eifrigste, wie sie ihn würdig empfangen sollten. Am Ende beschlossen sie, dem Kaiser zuvorzukommen und das erste Wort an ihn zu richten. Deswegen sollte der Schultheiß ihn zuerst anreden und mit den Worten: "Seid uns willkommen!" empfangen. Dann mußte der Kaiser notwendig antworten: "Und du auch!" Und darauf hatte der Schultheiß schon einen Reim bereit: "Der Witzigste unter uns ist ein Gauch!" Mit dieser Erfindung hielten sie ihre Freiheiten und Privilegien für gesichert. Über die Frage aber, wie man dem Kaiser entgegenziehen sollte, waren die Meinungen geteilt: Einige wollten zwei Haufen haben, der eine sollte reiten, der andere zu Fuße gehen, je ein Reiter und ein Fußgänger in einem Glied. Andere vermeinten, es sollte ein jeder den einen Fuß im Stegreif haben und reiten, und mit dem andern auf dem Boden gehen; das wäre ja auch halb gegangen und halb geritten. Wieder andere meinten, man sollte dem Kaiser auf hölzernen Pferden entgegengehen; denn man pflege auch im Sprichwort zu sagen: Steckenreiten sei halb gegangen; zudem seien solche 'Pferde fertiger, hurtiger , geduldiger und bald gezäumt und gestriegelt. Dieser letzten Meinung fielen alle bei, und es wurde beschlossen, daß jeder mit seinem Rosse gefaßt sein sollte. Dies geschah von seiten aller mit großer Bereitwilligkeit ; denn da war keiner so arm, der sich nicht beim Tischler um ein weißes , schwarzes, graues, braunes, rotes, auch gesprenkeltes Pferd umgesehen hätte; dieselben tummelten sie und richteten sie meisterlich ab.

Als nun der festgesetzte Tag herbeigekommen und der Kaiser mit seinem



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Gefolge heranrückte, sprengten die Schildbürger hinaus mit ihren Steckenpferden , ihm entgegen. Wie der Schultheiß den Kaiser gewahr wurde, sprang er im Eifer von seinem Gaul auf einen Misthaufen und band sein hölzernes Roß vorsichtig an einen daneben stehenden Baum. Und weil er dazu beide Hände brauchte, nahm er den Hut zwischen die Zähne, behielt ihn auch darin, nachdem das Steckenpferd angebunden war; und murmelte zwischen den Zähnen: "Nun seid uns willkommen auf unserm Grund und Boden, fester Junker Kaiserl" Der Kaiser erkannte zwar auf den ersten Blick und auf das erste Wort, wie es mit den Schildbürgern beschaffen sei, und hatte Mühe, den Gruß zu verstehen, doch merkte er, was der Schultheiß sagen wollte, und erwiderte: "Hab Dank, mein lieber Schultheiß , und du auch -!" Aber der Schultheiß hatte seinen Hut, den er halb losgelassen, wieder fest mit den Zähnen gefaßt und konnte nicht antworten . Schnell besann sich sein Nebenmann, warf den verabredeten Reim


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in seinem Kopf herum, konnte aber über das Endwort nicht bei sich einig werden, ab es hieße Narr oder Gauch oder etwas anderes, und platzte endlich heraus mit den Worten: "Der Schultheiß ist ein Narr!"

***
Auf diese Weise wurde der Kaiser empfangen, und als er noch zu guter Letzt den Schultheiß lächelnd befragte: "Warum stehst du denn auf dem Mist?"so erwiderte dieser mit einem Funken seiner alten Weisheit: "Ach, Herr, ich armer Tropf bin nicht wert, daß mich der Erdboden vor Euch trage!" Hierauf geleiteten sie den Kaiser in die Wohnung, die für ihn zugerichtet war. Und weil der Tag noch lang war, so baten sie ihn um die Erlaubnis, ihn auf ihren Salzacker führen zu dürfen, und zeigten ihm hier ihr vortreffliches Gewächs; auch brachten sie die untertänigste Bitte vor, wenn ihnen diese Kunst geraten sollte, sie mit gnädigern Privilegium dafür auszustatten. Welches alles ihnen der Kaiser mit lachendem Munde gewährte.


***
Am andern Tage luden die Schildbürger den Kaiser zu Gaste, und dieser , dem ihre Schwänke und Possen wohlgefielen, erzeigte sich, um der Kurzweil willen, die ihn erwartete, willig dazu. Nachdem sie ihn daher in dem Dorfe herumgeführt und ihm ihre Misthaufen gezeigt, geleiteten sie ihn in ihr merkwürdiges Rathaus und hießen ihn an dem frischgedeckten Tische Platz nehmen. Das vornehmste Gericht, das aufgetischt wurde, war eine frische, kalte, saure Buttermilch; auf diese Seltenheit taten sich die Schildbürger am meisten zugute. Der Schultheiß setzte sich mit dem Kaiser zu Tische; die übrigen Bürger standen aus Ehrfurcht vor beiden um sie herum und langten von oben herab in die Schüssel. Sie hatten aber weislich zweierlei Brot in die Milch gebrockt. Vor des Kaisers Platz schwammen weiße Semmelwecken in der Sahne, vor den Bauern lagen die schwarzen Brocken in der Grundsuppe. Während sie nun aßen, der Kaiser das weiße, die Schildbürger das Haberbrot, erwischt von ungefähr ein derber Bauer einen Brocken von dem weißen Brote. Kaum hatte der Schultheiß diesen groben Verstoß gegen den Kaiser wahrgenommen, als er den Bengel auf die Hände schlug und ihn zornig anfuhr: "Flegel! Willst du des Kaisers Brot essen?" Der Schildbürger erschrak, zog den Löffel schleunig zurück und legte den gekosteten Bissen fein bescheidentlich wieder in die Schüssel. Der Kaiser, der dieses wahrgenommen, hatte des Mahles genug und schenkte den Schildbürgern die saure Milch mitsamt dem weißen Brot.


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Im übrigen blieb der Kaiser länger bei den Schildbürgern, als er sonst willens gewesen war; denn ihre Narrheit gefiel ihm über die Maßen. Als aber die Reichsgeschäfte ihn nötigten heimzukehren, erbot er sich zur Abhilfe aller Beschwerden, die sie etwa vorzubringen hätten, und wollte sich ihnen als einen recht gnädigen Herm erweisen. Da war ihre einzige Bitte, daß es ihnen vergönnt sein möge, ihrer schädlichen Weisheit fernerhin überhoben bleiben zu dürfen, dagegen in ihrer heilsamen Narrheit durch ein kaiserliches Privilegium für ewige Zeiten gesichert zu werden, so daß niemand sie hinfort darin hindern oder darüber anfechten dürfte. Diese Bitte gewährte ihnen der Kaiser willig und unter vielem Lachen, und es wurde ihnen ein förmlicher Freiheitsbrief für ihre Narrheit mit des Kaisers Unterschrift und Siegel ausgestellt und eingehändigt. Und so zog der Kaiser von dannen, nachdem er den Schildbürgern eine gute Mahlzeit; sich zu letzen, hinterlassen.

Diesen war es jetzt erst, nachdem der Kaiser fort war und sie im sichern Besitz ihrer Narrheit belassen hatte, recht wohl in ihrer Haut. Sie sprengten mit ihren Steckenpferden in das nächste Dorf, wo ihnen das kaiserliche Mahl angerichtet war. Als sie satt und trunken waren, kam sie das Verlangen an, auf eine grüne, schöne Aue hinauszuspazieren wie andere Junker, hier sich zu erlustigen und der Verdauung zu pflegen; doch vergaßen sie einige gute Flaschen Weines nicht und fuhren fort, im grünen Grase gelagert, bis in den Abend hinein zu zechen. Nun hatten sie aber alle Beinkleider von einerlei Farbe an und im Zechen die Beine durcheinander geschränkt. Wie es nun an dem war, daß sie heimgehen sollten: siehe, da war eine große Not: keiner konnte mehr seine Füße oder Beine erkennen, weil sie alle gleichgefärbt waren; saßen da, guckte einer den andern an, und fürchtete jeder, ein anderer möchte ihm seine Füße nehmen, oder er einem andern seine Beine: waren deswegen in großer Angst. Während sie einander so angafften, ritt von ungefähr ein Fremder vorüber ; den riefen sie und klagten ihm ihren Jammer mit der flehentlichen Bitte, wenn er ein Mittel wüßte, einem jeden wieder zu seinen eigenen Beinen zu verhelfen, möchte er es um des Himmels willen anwenden, sie wollten sich gewiß mit guter Bezahlung dankbar erweisen. Der Fremde sprach, das könne wohl sein, stieg ab, und nachdem er sich vom nächsten Baum einen guten Prügel gehauen, fuhr er unter die Bauern und fing an, die nächsten, die besten auf die Beine zu schlagen; und welchen es traf, der sprang schnell auf, und mit den Streichen hatte ein jeder auch seine Füße wieder; denn der Geselle hatte sie ihm gefunden. Zulegt blieb



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einer ganz allein sitzen, der sprach: "Lieber Herr, soll ich meine Beine nicht ausg haben? Wollt Ihr das Geld nicht auch an mir verdienen? Oder sind vielleicht diese Beine mein?" Der Fremde sprach: "Das wollen wir gleich sehen!" und zog ihm einen Streich darüber daß es flammte. So sprang auch dieser letzte auf, und alle waren froh, daß sie ihre Beine wiederhatten. Sie schenkten dem Reiter ein gutes Trinkgeld und nahmen sich vor, ein andermal fürsichtiger mit ihren Füßen zu sein.

***
Allmählich hieß es bei den Schildbürgern: die Gewohnheit ist eine zweite Natur. Sie trieben ihre Narrheit nicht mehr aus purer Weisheit, sondern aus rechter, erblicher, angeborener Torheit. Sie konnten nichts mehr tun, was nicht närrisch gewesen wäre; alles, was sie dachten, geschweige erst; was sie anfingen, war lauter Torheit und Narreteidung.

So waren zwei unter ihnen, die hatten einmal gehört, daß die Leute zuzeiten durch Tauschhandel viel gewonnen hätten, und dies bewog sie, auch gegeneinander ihr Heil zu versuchen. Sie wurden deswegen einig, ihre Häuser miteinander zu tauschen. Und dieses geschah beim Wein, als sie des Kaisers Letze verzechten. Denn solche Sachen pflegen gerne zu geschehen , wenn der Wein eingeschlichen und der Witz ausgewichen ist.

Als nun jeder dem andern sein Haus einräumen sollte, ließ der eine, der zuoberst im Dorfe wohnte, sein Haus abbrechen, und führte dasselbe stückweise in das Dorf hinab; der andere aber, der bisher zuunterst im Dorfe gewohnt hatte, tat dasselbe und führte das seinige dagegen hinauf. Auf diese Weise hatten sie redlich gegeneinander getauscht.

Ein andermal gingen die Schildbürger, die gar ernstlich auf den allgemeinen Nutzen bedacht waren, hinaus, eine Mauer zu besehen, die noch von einem alten Bau übriggeblieben war, ob sie nicht die Steine mit Vorteil anwenden könnten. Nun war auf der Mauer schönes, langes Gras gewachsen, das dauerte die Bauern, wenn es verloren sein sollte, deswegen hielten sie Rat, wie man es etwa benutzen könnte. Die einen waren der Meinung, man sollte es abmähen; aber niemand wollte sich dem unterziehen und auf die hohe Mauer wagen; andere meinten, wenn Schützen unter ihnen wären, so dürfte es das beste sein, wenn man es mit einem Pfeile herabschösse. Endlich trat der Schultheiß hervor und riet, man sollte das Vieh auf der Mauer weiden lassen, das würde mit dem Gras wohl fertig werden; so dürfe man es weder abmähen noch abschießen. Diesem Rate neigte sich die ganze Gemeinde zu, und zur Danksagung wurde erkannt, daß des Schultheißen Kuh die erste sein sollte, die den



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guten Rat zu genießen hätte. Darein willigte der Schultheiß mit Freuden. So schlangen sie denn der Kuh ein starkes Seil um den Hals, warfen dasselbe über die Mauer und fingen auf der andern Seite an zu
ziehen. Als nun aber der Strick zuging, wurde, wie vorauszusehen, die Kuh erwürgt und reckte die Zunge aus dem Schlunde. Als ein langer Schildbürger dies gewahr wurde, rief er ganz erfreut: "siehet, ziehet, nur noch ein wenig!" Und der Schultheiß selbst schrie: "Ziehet; sie hat das


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Gras schon gerochen! Seht, wie sie die Zunge darnach ausstreckt! Sie ist nur zu tölpisch und ungeschickt, daß sie sich nicht selbst hinaufhelfen kann! Es sollte sie einer hinaufstoßen." Aber es war vergebens; die Schildbürger konnten die Kuh nicht hinaufbringen und ließen sie daher wieder herab. Und jetzt wurden sie erst inne, daß die Kuh schon lange tot war.

***
Den Schildbürgerinnen ging es nicht anders als den Schildbürgern. Sie gebärdeten sich so närrisch, als wenn sie es von jeher gewesen wären. Eine Witwe, die nur eine einzige Henne hatte, welche ihr alle Tage ein Ei legte, hatte einst so viele Eier gesammelt, daß sie hoffen durfte, drei Groschen dafür zu lösen. Sie nahm deswegen ihr Körbchen und zog damit zu Markte. Unterwegs, da sie keine Gefährten hatte, fielen ihr allerlei Gedanken ein; und so dachte sie unter anderem an den Kram, den sie zu Markte trug; den ganzen Weg über redete sie mit sich selbst und Machte sich folgende Rechnung: "Siehe", sagte sie zu sich, "du lösest auf dem Markte drei Groschen. Was willst du damit tun? Du willst damit zwei Bruthennen kaufen, die zwei, samt denen, die du hast legen dir in soundso viel Tagen soundso viel Eier. Wenn du diese verkaufest, kannst du noch drei Hennen kaufen; dann hast du sechs Hennen. Diese legen dir in einem Monat soundso viel Eier; die verkaufst du und legst das Geld zusammen. Die alten Hennen, welche nicht mehr legen, verkaufst du auch; die jungen fahren fort, dir Eier zu legen, und brüten dir Junge aus; diese kannst du zum Teil ziehen und deine Hühnerzucht dadurch mehren, zum Teil Geld daraus lösen; endlich auch rupfen, wie man die Gänse rupft. Aus dem zusammengelegten Gelde kaufst du dir darnach etliche Gänse, die tragen dir auch Nutzen mit Eiern, mit Jungen, mit Federn. So kommst du in acht Tagen so weit, daß du eine Ziege kaufen kannst: die gibt dir Milch und junge Zicklein. Auf diese Weise hast du junge und alte Hühner, junge und alte Gänse, Eier, Federn, Milch, Zicklein, Wolle. Vielleicht läßt sich gar die Ziege auch scheren; du kannst es wenigstens versuchen, darauf kaufst du ein Mutterschwein; da hast du Nutzen über Nutzen, von jungen Spanferkeln, von Speck, Würsten und anderem. Daraus lösest du so viel, daß du eine Kuh kaufen kannst; die gibt dir Milch, Kälblein und Dünger. Was willst du aber mit dem Dünger anfangens Wahrhaftig, du mußt auch einen Acker kaufen; der gibt dir Kom genug; dann brauchst du keines mehr einzukaufen! Darnach schaffest du dir Rosse an, dingst Knechte, die versehen dir das Vieh und bauen dir den Acker. Alsdann vergrößerst du dein Haus, daß du Hausgesinde beherbergen und dein Geld


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aufheben kannst. Darnach kaufst du noch mehr Güter; denn es kann dir nicht fehlen; du hast ja den Nutzen von Hühnern, von Gänsen, von Eiern, von Geißmilch, von Wolle, von Zicklein, von Milchlamm, von Spanferkel, von Kühen — denen kannst du noch dazu die Hörner absägen und sie an den Messerschmied verkaufen; — du hast ferner den Nutzen von Kälbern, von Ackern, von Wiesen, von Hauszins und anderem. Darnach willst du einen jungen Mann nehmen, mit dem kannst du in Freuden leben und eine reiche, stolze Frau sein l Oh, wie wohl willst es du dir sein lassen und niemand ein gutes Wörtchen geben! Juchhe, juchheisa, hopsassa!" So jubelte die junge Witwe, warf dazu einen Arm in die Höhe und tat einen Sprung. Aber als sie sich so aufschwang und dazu jauchzte, da stieß sie von ungefähr mit ihrem Ann an den Eierkorb, daß dieser ganz ungestüm zu Boden fiel und die Eier alle zerbrachen. Da waren alle ihre Wünsche mitzerbrochen, nur der Junggesell nicht, den sie sich zum Manne erkoren hatte. Der konnte ja noch immer kommen. So stand sie nun auf dem Wege zum Markte und wartete sein. —

Die Schildbürger hatten eine Mühle gebaut, zu der sie auf einem hohen Berge in einer Steingrube einen Stein ausgehauen; dieser war von ihnen



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mit großer Mühe und Arbeit den Berg herabgebracht worden. Als sie ihn drunten hatten, fiel ihnen ein, wie sie vorzeiten die Bauhölzer, welche sie zu ihrem Rathause brauchten, mit so geringer Mühe den Berg hinuntergebracht, indem sie dieselben von selbst hinablaufen ließen. "Sind wir doch große Narren", riefen sie, "daß wir uns abermals so viele Mühe gegeben haben!" Und nun trugen sie auch den Mühlstein mit größester Anstrengung den Berg wieder hinauf. Wie sie ihn aber eben wieder abstoßen wollten, fiel es einem Schildbürger ein zu fragen: "Wie wollen wir aber wissen, wo er hingelaufen sei? Wer da drunten kann uns das sagen?" — "Ei", sagte der Schultheiß, welcher den Rat gegeben hatte, "diesem ist leicht zu helfen; es muß einer von uns sich in das Loch stecken und mithinablaufen." Das war gut, und alsobald ward einer ausgewählt, welcher den Kopf in das Loch stoßen und mit dem Stein hinunterrollen mußte. Nun war zuunterst an dem Berge ein Fischweiher; in diesen fiel der Stein mitsamt dem Schildbürger, und beide sanken zu Grunde, so daß die Schildbürger Mann und Stein verloren und nicht wußten, wo beide hingekommen seien. Da fiel ihr Verdacht auf den armen Gesellen, der mit und in dem Stein gelaufen war, als wäre derselbe mit dem Mühlstein davongegangen. Sie ließen daher in allen umliegenden Städten, Dörfern und Flecken offene Briefe anschlagen, wo einer kommen würde mit einem Mühlstein am Halse, den sollte man einziehen und über ihn als einen Gemeindedieb Recht ergehen lassen. Der anne Narr aber lag tief im Weiher und hatte zuviel Wasser getrunken, daher er sich nicht verteidigen und rechtfertigen konnte. —

Nicht ferne von Schilda floß ein Wasser vorüber, an dessen Gestade ein mächtiger Nußbaum Haus hielt. Von diesem hing ein großer Ast hinab bis über das Wasser, und es fehlte wenig, so hätte er es berührt. Die Schildbürger sahen solches, und weil sie einfältige, fromme Leute waren, wie man heutzutage der Bauern wenige mehr findet, so hatten sie herzliches Erbarmen mit dem guten Baum und gingen darüber zu Rate, was denn dem armen Nußbaum fehlen möge, daß er sich so schwermütig zum Wasser neige. Als darüber mancherlei Meinungen laut wurden, sagte letztlich der Schultheiß, ob sie nicht närrische Leute wären. Sie sähen doch wohl, daß der Baum an einem dürren Orte stünde und sich deshalb nach dem Wasser beuge, weil er gerne trinken möchte. Er denke auch gar nicht anders, als daß der niedrigste Ast der Schnabel des Baumes sei, den er nach dem Trunke ausstrecke. Die Schildbürger saßen ganz kurz zu Rate; sie dachten, ein Werk der Barmherzigkeit zu tun, wenn sie ihm zu trinken



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gäben; deswegen legten sie ein großes Seil oben um den Baum, stellten sich jenseits des Wassers und zogen den Baum mit Gewalt herunter, indem sie glaubten, ihn auf diese Weise tränken zu können. Als sie ihn ganz nahe bei dem Wasser hatten, befahlen sie einem ihrer Mitbürger, auf den Baum zu steigen und ihm den Schnabel vollends ins Wasser zu tunken. Indem nun der Mann hinaufsteigt und den Asi hinunterzwängt, so bricht den andern Bauern das Seil; der Baum schnellt wieder über sich, und ein harter Asi schlägt dem Bauern den Kopf ab, daß er ins Wasser fällt; der Körper aber purzelt vom Baume herab und hat keinen Kopf mehr.

Darüber erschraken die Schildbürger und hielten auf der Stelle eine Umfrage, ob er denn auch einen Kopf gehabt habe, als er auf den Baum gestiegen sei. Aber da wollte keiner etwas wissen. Endlich sagte der Schultheiß, er sei so ziemlich überzeugt, daß derselbe keinen gehabt habe. Denn er habe ihm drei- oder viermal gerufen, aber nie eine Antwort von ihm gehört. Mithin müsse er keine Ohren gehabt haben, folglich auch keinen Kopf. Doch wisse er es nicht so ganz eigentlich. Darum sei sein Rat, man sollte jemand heim zu seinem Weibe schicken und sie fragen lassen, ob ihr Mann auch heute morgen den Kopf gehabt hätte, als er aufgestanden und mit ihnen hinausgegangen sei. Die Frau erwiderte, sie wisse es nicht, nur soviel sei sie sich bewußt, daß sie ihn noch letzten Sonnabend gestriegelt; da habe er den Kopf noch gehabt. Seitdem habe sie nie so recht Achtung auf ihn gegeben. "Dort an der Wand", sagte sie, "hängt sein alter Hut; wenn der Kopf nicht darin steckt, so wird er ihn ja wohl mit sich genommen haben, oder hat er ihn anderswohin gelegt, was ich nicht wissen kann." So sahen sie unter den Hut an der Wand, aber da war nichts. Und im ganzen Flecken konnte niemand sagen, wie es dem Schildbürger mit seinem Kopf ergangen sei. —

Auf eine Zeit verbreitete sich im Lande die Sage von einem großen Kriege. Die Schildbürger wurden für ihre Hab und Güter besorgt, es möchten ihnen dieselben von den Feinden weggeführt werden; besonders angst war ihnen für eine Glocke, die auf dem Rathause hing. Auf diese, dachten sie, könnte das Kriegsvolk ein besonderes Auge haben und Büchsen daraus gießen wollen. So wurden sie denn nach langem Ratschlagen eins, dieselbe bis zu Ende des Krieges in den See zu versenken und sie, wenn der Feind abgezogen wäre, wieder herauszuziehen und aufzuhängen. Sie bestiegen also ein Schiff und fuhren mit der Glocke auf den See. Als sie aber die Glocke hineinwerfen wollten, da fiel es einem unter ihnen



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ein, wie sie den Ort denn auch wiederfinden könnten, wo sie die Glocke nusgeworfen hätten. "Da laß dir keine grauen Haare darüber wachsen", sagte der Schultheiß und schnitt mit dem Messer einen Kerf in das Schiff, an dem Ort, wo sie die Glocke in den See versenkten: "Hier; bei dem Schnitt", sprach er, "wollen wir sie wiedererkennen." So ward die Glocke hinausgeworfen und versenkt. Lange nachher, als der Krieg vorüber war, fuhren sie wieder auf den See, ihre Glocke zu holen. Den Kerfschnitt an dem Schiffe fanden sie richtig wieder, aber den Ort, wo die Glocke war; zeigte er ihnen nicht an. So mangelten sie forthin ihrer guten Glocke. —

In dieser gefährlichen Zeit hatte sich ein unschuldiger armer Krebs verirrt, und als er vermeinte, in ein Loch zu kriechen, kam er zu allem Unglücke gen Schilda ins Dorf. Als ihn hier einige Bürger gesehen hatten, daß er so viele Füße habe, daß er hinter und für sich gehen könne, und was ein ehrlicher Krebs dergleichen Tugenden mehr an sich hat, gerieten sie in großen Schrecken; denn sie hatten noch nie zuvor einen Krebs gesehen . Sie schlugen deswegen Sturm, kamen alle über das ungeheure Tier zusammen und zerquälten sich mit Nachsinnen, was es denn wohl sein möge. Niemand konnte es wissen, bis zuletzt der gelahrte Schultheiß sagte, es müsse wohl ein Schneider sein, dieweil er zwei Scheren bei sich habe. Um dies herauszubringen, legten die Schildbürger den Krebs auf ein Stück niederländisch Tuch, und wo der Krebs hin und her kroch, da schnitt ihm einer mit der Schere hintennach; denn sie dachten nichts anders, denn der Krebs als ein rechtschaffener Meisterschneider entwerfe das Muster eines neuen Kleides, welches sie dann sofort nachäffen wollten. So zerschnitten sie am Ende das Tuch ganz, daß es zu nichts mehr nütze war, und merkten endlich den Betrug. Da trat einer unter ihnen auf und sagte, daß er einen erfahrenen Sohn habe, der sei drei Tage lang auf der Wanderschaft gewesen und auf zwei Meilen Weges weit und breit gereiset, habe viel gesehen und erfahren; er zweifle nicht daran, dieser werde dergleichen Tiere mehr gesehen haben und wissen, was es sei. So wurde der Sohn in den Rat berufen. Dieser besah das Tier lang von hinten und von vorn: er wußte gar nicht, wo er es anfassen sollte, und wo es den Kopf hätte; denn weil der Krebs hinter sich kroch, so meinte er, der Kopf wäre, wo der Schwanz ist. Endlich sprach er: "Nun, habe ich doch meine Tage viel Wunders hin und her gesehen, so etwas ist mir aber noch nicht vorgekommen! Wenn ich aber sagen soll, was es für ein Tier sei, so spreche ich nach meiner Einsicht: wenn es nicht eine Taube ist oder ein Storch, so ist es gewiß ein Hirsch; denn er scheint ein Geweih zu haben.



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Aber unter diesen dreien muß es eines sein." Jetzt wußten die Schildbürger so viel wie zuvor, und als ihn einer anfassen wollte, erwischte ihn der Krebs mit der Schere dermaßen, daß dieser um Hilfe zu rufen und
zu schreien anfing: "Ein Mörder ist's, ein Mörder!" Als die andern Schildbürger dies sahen, hatten sie daran genug, setzten sich eilig auf der Stätte selbst, wo der Bauer gebissen worden, zu Gerichte und ließen folgendes Urteil über den Krebs ergehen: "Sintemal niemand wisse, was es


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für ein Geschöpf sei, es aber sich befinde, daß dasselbe sie betrogen und sich für einen Schneider ausgegeben, während es doch offenbar nur ein Leute betrügendes und schädliches Tier sei, ja, ein Mörder: so erkennen sie, daß es solle gerichtet werden als ein Betrüger und Mörder, und zwar zu mehrerer Schmach im Wasser ersäuft werden."

Demzufolge ward einem Schildbürger der gefährliche Auftrag gegeben, den Krebs zu fassen und auf ein Brett zu legen; dieser trug ihn dem Wasser zu, und die ganze Gemeinde von Schilda ging mit; da ward er in Beisein und Zusehen jedermänniglichs ins Wasser geworfen. Als der Krebs sich wieder in seinem Elemente fühlte, da zappelte er und kroch hinter sich. Die Schildbürger aber sahen dies nicht ohne großes Mitleid an. Einige buben an zu weinen und sprachen: "Schauet doch, wie tut der Tod so wehet"

Das Geschrei von einem Kriege, weswegen die Schildbürger ihre Glocke in den tiefen See versenkt hatten, war nicht so nichtig, daß sie nicht selbst in der Tat etwas davon empfunden hätten. Denn innerhalb wenigen Tagen kam ihnen der Befehl zu, eine Anzahl Knechte zur Besatzung in die Stadt zu schicken, dem sie auch nachlebten. Einer dieser abgeordneten



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Schildbürger, nicht der Geringste, begegnete, als er in die Stadt einzog, dem Kuhhirten, der eben seine Untertanen, Ochsen, Kühe und Kälber, austreiben wollte; und eine der Kühe berührte den Kriegsmann aus Schilda ein wenig mit ihrem Horn. Erzürnt und mutig zog der Schildbürger den Dolch aus seinem Gürtel, trat gegen die Kuh und sprach: "Bist du eine ehrliche und redliche Kuh, so stoße noch einmal!" Womit er diesen Feind glücklich aus dem Felde schlug.

Einige Zeit darauf taten die Städter einen Ausfall, um auf den Feind zu streifen und den Bauern Hühner und Gänse abzunehmen. Nun hatte jener Schildbürger kurz zuvor ein Panzerstück, einer Hand breit, gefunden, und weil er sich gerade eine neue Kleidung machen ließ, so befahl er dem Schneider, dieses Blech unter das Futter ins Wams zu vernähen und gerade vor das Herz zu setzen, damit er desto sicherer wäre und auch einen tüchtigen Puff aushalten könnte; denn schon früher sei ihm ein solches Glück widerfahren, daß, als er ein halbes Hufeisen gefunden und dasselbe unter den Gürtel gesteckt, er damit einen Schuß aufgefangen, welcher ihm sonst das Leben gekostet hätte. Der Schneider versprach, es ihm nach Willen zu machen; setzte lächelnd hinzu, er wolle den rechten Fleck mit dem Panzerstück schon treffen. Wie die Kleidung fertig war, lief der Schildbürger getrost unter den andern hinaus, gute Beute zu erjagen;;



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aber ehe er sich's versah, waren die Bauern über ihn hergefallen und jagten ihn. In der Angst wollte er über einen Zaun setzen, blieb aber mit den Hosen, welche hinten einen Zug hatten, an einem Zaunstecken hängen . Da stach einer der Bauern nach ihm, so daß er vollends über den Zaun hinüberflog. So lag er drüben lange in Todesangst und seiner Meinung nach schwer verwundet. Als aber die Feinde vorübergezogen waren und er nichts von einer Wunde spürte, verwunderte er sich sehr und beschaute sich seine Hosen, ob nicht wenigstens diese durch und durch gestoßen seien. Da befand sich's, daß der Schneider den rechten Fleck für das Panzerstück ausersehen und es hinten in die Hosen gesetzt und hier ins Futter vernäht hatte. "Ei, nun danke ich Gott", sprach der Kriegsknecht; "und dem klugen Manne, der mir dieses Kleid gemacht hat. Wie fein hat er gewußt, wo einem braven Schildbürger das Herz sitzen muß!"

***
Der Krieg war glücklich vorüber, aber die Stunde der Schildbürger hatte geschlagen, obgleich sie keine Glocke mehr besaßen. In ihrem Flecken gab es nämlich keine Katzen, wohl aber soviel Mäuse, daß vor denselben auch im Brotkorbe nichts sicher war. Was sie nur neben sich stellten, ward ihnen gefressen und zernagt. Darüber waren sie in großen Ängsten . Da begab es sich, daß wieder ein fremder Wandersmann durch ihr Dorf zog; der trug eine Katze auf dem Arm und kehrte bei dem Wirt ein. Der Wirt fragte ihn, was doch dieses für ein Tier sei. Er sprach, es sei ein Maushund. Nun waren die Mäuse in Schilda so einheimisch und zahm, daß sie vor den Leuten gar nicht mehr flohen und am hellen Tage ohne alle Scheu hin und her liefen. Darum ließ der Wandersmann die Katze laufen, und diese erlegte vor den Augen des Wirts nicht wenig der Mäuse. Als der Gemeinde dies durch den Wirt angekündigt wurde, fragten die Schildbürger den Mann, ob ihm der Maushund feil wäre; sie wollten ihm denselben gut bezahlen. Er antwortete, der Hund sei ihm zwar nicht feil; weil sie aber seiner so gar bedürftig wären, wollte er ihnen denselben angedeihen lassen und das um einen billigen Preis. Und so forderte er hundert Gulden dafür. Die Bauern waren froh, daß er nicht mehr verlangt hatte, und wurden mit ihm des Kaufes eins in der Art, daß sie ihm die Hälfte der Summe bar darlegen sollten, das übrige Geld sollte er nach Verfluß eines halben Jahres abholen. Der Kauf ward eingeschlagen ; der Fremde trug den Schildbürgern den Maushund in ihre Burg, in der sie ihr Getreide liegen hatten und wo es auch am meisten Mäuse gab. Der Wanderer zog eilends mit dem Gelde weg; er fürchtete


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sich, der Kauf möchte sie gereuen, und sie möchten ihm das Geld wieder abnehmen. Gehen aber sah er oft hinter sich, ob ihm nicht jemand nacheile.

Nun hatten die Bauern vergessen zu fragen, was der Maushund esse. Darum schickten sie dem Wandersmann in Eile einen nach, der ihn deshalb fragen sollte. Als nun der mit dem Gelde sah, daß ihm jemand nachlaufe , eilte er nur desto mehr. Der Bauer aber rief ihm von ferne zu: "Was isset er? Was isset er?" Jener antwortete: "Wie man's beut! Wie man's beut!" Der Bauer aber verstand: "Vieh und Leut'! Vieh und Leut l" Er kehrte in großem Unmut heim und zeigte das dem Rate, seinen gnädigen Herren, an. Diese erschraken sehr darüber und sprachen: "Wenn er keine Mäuse mehr hat, so wird er unser Vieh fressen und endlich uns selber, ob wir schon ihn mit unserem guten Gelde an uns gekauft haben!" Sie hielten deswegen Rat über die Katze und wollten sie töten. Es hatte aber keiner das Herz, sie anzugreifen. Endlich beschlossen sie einmütig, die Burg, in welcher die Katze sich befand, mit Feuer zu vertilgen; denn ein geringer Schaden wäre besser, als daß sie alle um Leib und Leben kommen sollten. Und somit zündeten sie ihr eigenes Schloß an.

Als aber die Katze das Feuer roch, sprang sie zu einem Fenster hinaus, kam davon und floh in ein anderes Haus. Das Schloß aber brannte vom Boden hinweg. Niemand war in größerer Angst als die Schildbürger, da sie des Maushundes nicht loswerden konnten. Sie hielten aufs neue Rat, kauften das Haus, in dem die Katze jetzt war, und zündeten es auch an. Aber die Katze entsprang auf ein Dach; da saß sie eine Weile und putzte sich nach ihrer Gewohnheit mit der Tatze den Kopf; die Schildbürger aber meinten, der Maushund hebe die Hand auf und schwöre, daß er solches nicht ungerächt lassen wolle. Da nahm einer einen langen Spieß, um damit nach der Katze zu stechen. Sie aber ergriff den Spieß und fing an, an demselben herabzulaufen. Darüber entsetzten sich die Bürger und die ganze Gemeinde, liefen davon und ließen das Feuer brennen. Dieses verzehrte das ganze Dorf bis auf ein einziges Haus; die Katze aber kam gleichwohl davon.



***
Die Schildbürger waren mit Weib und Kind in einen Wald geflohen. Damals verbrannte auch ihr dreieckigtes Rathaus und ihre Kanzlei, so daß von ihren Geschichten nichts Ordentliches mehr zu finden ist und ihre Taten nur vom Gerüchte aufbewahrt werden. Die armen Bürger waren in


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großer Not: Habe und Gut waren dahin; dazu fürchteten sie den Eid und die Rache des Maushundes. Sie fanden deswegen nichts Besseres, als andere Wohnungen zu suchen, wo sie vor dem Untier sicher bleiben könnten . So verließen sie ihr Vaterland mit Weib und Kind und zogen voneinander, der eine da, der andere dort hinaus, ließen sich an vielen Orten nieder und pflanzten ihre Zucht weit und breit fort. Und seit dieser Zeit gibt es Schildbürger in der ganzen Welt.


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Mit Bildern von W. Camphausen


Die vier Haimonskinder



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In den alten Geschichten finden wir beschrieben, wie Kaiser Karolus mit großer Feierlichkeit als König von Frankreich gekrönet wurde; es kamen dazu die vornehmsten Fürsten der ganzen Welt, sowohl geistliche als weltliche, die päpstliche Heiligkeit, der Patriarch von Jerusalem: alle Kardinäle, Bischöfe und andere Prälaten, dazu zwölf gekrönte Könige, einundzwanzig Herzoge, viele Grafen, tausend Ritter und fünftausend Edelleute, samt vielen Frauen und Jungfrauen hohen und niedern Standes, Adel und Unadel, auf das allerstattlichste, und waren in allerlei Farben gekleidet. Nachdem dieses Königsfest viele Tage angehalten, so entfernten sich die hohen Herrschaften nach und nach wieder in ihr Heimwesen.

Weil nun also Kaiser Karl im Brauch hatte, daß er alle Jahr auf das Fest der Pfingsten ein stattliches Bankett hielt, hat er es auch nach seiner Krönung nicht unterlassen wollen, sondern ein gleiches in der Stadt Paris aufgestellt, auf welchem allerdings, was man nur erdenken konnte und was dazu gehörig, in Fülle zu finden war. Nun befand sich zu dieser Zeit daselbst ein hochgeborner Fürst, von dem Geschlechte Bourbon, mit Namen Haimon von Dordone, der dem Könige viel treue Dienste gegen die Heiden geleistet. Dieser war sehr reich an Ländern, Schlössern und Städten, dazu ein strenger Mann, wohl erfahren im Krieg und andern ritterlichen Taten, also daß fast seinesgleichen nicht gefunden wurde. Darum wurde er nicht allein von seinen Untertanen gefürchtet, sondern auch der Kaiser und die Herren von Frankreich scheueten ihn wegen seines Ernstes und seiner Ritterlichkeit. Kaiser Karl der Große, der nun König von Frankreich war, saß mit seiner Krone in aller Majestät und Herrlichkeit zu Tische, die Königin an seiner Seite; an einem andern Tische saßen viele vornehme Fürsten und Herren, samt dem ganzen Adel und



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der Ritterschaft von Frankreich, und zwischen zweien Herren allemal eine schöne Dame, alles herrlich und fein anzusehen. Auch waren daselbst viele junge Edelleute, welche aufwarten mußten, und ein jeglicher befleißigte sich, damit an Essen und Trinken nichts mangelte. An einem der Tische befand sich Haimon von Dordone mit seinen Freunden und Rittern, desgleichen Haimerin von Bourbon und Hugo von Bourbon, welcher Haimons Schwestersohn und ein außerordentlich schöner Jüngling war; er hatte ein goldgelbes Haar und war gar wohl beredt und in allerlei fremden Sprachen erfahren. Hugo nun stand von seinem Tisch auf, ging zu dem König und sprach mit freundlichen Worten und mit gebührender Ehrerbietung: "Allergnädigster Herr und König, es ist ohne Zweifel Euer Majestät wohl bewußt, daß allhier meine lieben Vettern, Haimon von Dordone und Haimerin von Bourbon, erschienen sind, welche alle beide Eurer Majestät ritterlich und getreulich gedient haben gegen die Heiden, haben beinahe ganz Hispanien bezwungen und viel Gefahren ihres Lebens ausgestanden, welches sie Eurer Majestät gerne getan, und wofür sie noch keine Belobung empfangen haben. Deswegen begehren sie, es wolle sie Eure Majestät doch einer Gnade würdigen oder aufs wenigste mit ihren eigenen Gütern belehnen, damit sie ihre Standeswürde desto besser wahren mögen." Als König Karl diese Rede des Jünglings angehört, sprach er mit zornigem Gemüte zu Hugo von Bourbon: "Deine Forderung ist vergebens; sie hatten solches oftmals von mir begehrt, aber ich habe ihnen nichts geben wollen, wie ich ihnen auch nichts geben will, sie mögen anfangen, was sie wollen." Als der König ausgeredet hatte, sprach Hugo von Bourbon gar ernsthaft zu dem König: "Gnädigster Herr König, so Eure Majestät meine Vettern für ihre treue Dienste unbelohnt lässet, wird solches Eurer Majestät eine geringe Ehre und Gunst bei andern Herren und Fürsten zuwege bringen!" Als König Karl solche Rede vernahm, ward er im Zorn ergrimmet , ergriff sein Schwert und schlug den Hugo so, daß er zur Erde fiel und alsbald starb; und der Saal ward mit Blut erfüllet, worüber ein groß Geschrei unter den Edeln und Herren entstand, daß alle Tische über den Haufen geworfen wurden mit allem, was darauf war. Und daraus entspann sich eine große Fehde.

***
Denn als Hugo von Bourbon von König Karl so jämmerlich entleibt worden, so veränderte sich alle Freud in große Traurigkeit, sonderlich bei Graf Haimon und Haimerin, welche schwuren, sie wollten den Tod ihres Vetters rächen, und sollte kein Stein auf dem andern in ganz Frankreich bleiben,


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und man sollte davon zu sagen wissen, solang die Welt stehe. Darauf rüstete sich Haimon alsbald und brachte dreihundert auserlesene Ritter, die er in seinem Lande aufbringen konnte; desgleichen tat König Karl mit allen seinen Freunden, versammelte sein Volk in der Eil und ließ sein Fähnlein fliegen, darunter hatte er tausend Mann, wohl gerüstet und gewappnet. Noch bekam er Hilfe von Mailand; denn das war unter seiner Herrschaft; zudem hatte er etliche Flaminger, Brabanter, Deutsche und Friesen, brachte also manchen tapfern Mann zu Felde. Mit solchem Volk zog nun König Karl aus, den Haimon mit seinen Freunden und seinem Kriegsheer zu erschlagen, ihr Land zu verbrennen und zu verwüsten. Haimon aber hatte nur jene dreihundert Mann, und diese waren meistenteils große Herren, Herzoge, Grafen, Ritter und Edelleute, mit denen ritt er mit aufgestecktem Fähnlein zum Tor hinaus. Sie bliesen dermaßen ihre Trompeten, daß man vermeinte, es hätte gedonnert; dann rief er mit voller Stimme: "Bourbon, Bourbon!" Als Haimon mit seinem Volk bei König Karls Lager ankam, wo dieser sein Heer in Schlachtordnung gestellt hatte, fiel er ihn mit Gewalt an, schlug tapfer drein, daß den Rittern zu beiden Seiten ihre Speere zersprangen; und von des Königs Volk stürzten viel von den Pferden und blieben tot. Da Haimon solches merkte; rief er sein Volk an, machte ihnen Herz und sprach: "Ihr Herrn Herzoge, Grafen, Barone und Edelleute, wehret euch ritterlich, wir haben den Streit schier gewonnen; helfet mir den Tod meines Vetters Hugo rächen, ich frage nicht darnach, ob ich auch auf der Walstatt bleiben" Und Haimerin von Bourbon sagte: "Das will ich auch tun; Leib, Gut und Leben will ich wagen und aufs Spiel setzen!"

Da versammelte sich Haimons Volk wiederum und wehreten sich so ritterlich, daß die Speere samt ihren Wehren meist alle zersprangen, und schlugen König Karls Leute zur Erden, also daß man da viel Volk erschlagen sah, von Grafen und Herren, und die Pferde bei zwanzig oder dreißig auf dem Felde ledig liefen.

Die von Bourbon stritten so tapfer, als wenn Haimon ihr Vater gewesen wäre, und der Kampf währte in die Nacht hinein, bis sie nicht mehr konnten. König Karl verlor von den Seinigen tausend Mann, der Graf Haimon nur etwa dreißig. Also kostete Hugos Tod manchen Herren und Edelmann, und manches schöne Schloß war deshalb verheert und eingerissen und alles verbrannt. Da sprach König Karl mit zornigem Mut: "Ich gelobe Gott und seiner Macht, ich will sie allhie nicht länger bleiben lassen; ich will sie aus dem Lande vertreiben und sie verbannen



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samt ihren Freunden!" Und also nahm er ihnen ihre Güter. Darauf ließ er alle Obersten, Herzoge, Grafen, Barone und Ratsherren zusammenfordern und zu Rat sitzen wider Haimon und seine Freunde. Diese wurden für Räuber erklärt durch das ganze Land. Als solches ruchbar ward, mußte Haimon samt seinen Freunden und Mithelfern das Land räumen und solches in höchster Eile. Da nahm er mit sich achthundert Ritter, die allerbesten und auserlesensten Männer: die packten soviel Gut auf, als sie fortbringen konnten; denn sie wußten wohl, daß sie König Karls Macht nicht widerstreben könnten. Als nun Haimon mit den Seinigen aus dem Lande war, nahm der König alle ihre Güter und gab sie, wem er wollte. Solches verdroß Haimons Volk sehr, daß sie als vertriebene Leute sich mußten in den Wäldern aufhalten; sie fielen deswegen des Nachts heraus, raubten, plünderten und verbrannten alles, was sie außerhalb verschlossener Mauern fanden, und verschonten nichts, die Klöster so wenig als andere Häuser, schlugen Mönche und Nonnen bis gen Paris zu Tode. Haimon hatte einen Vetter bei sich, genannt Malegys, einen stolzen Ritter, wohl erfahren als Schwarzkünstler, der großen Schaden tat. Was sie von Gold und Silber erbeuteten, damit ließen sie ihre Pferde beschlagen, und der Krieg währte sieben Jahre.

***
Diese langwierige Fehde war den Franzosen verdrießlich; sie wurden daher einig und gingen zu Rate, daß sie bei dem König anhalten wollten, damit er Frieden mit Haimon und seinem Volke machte. Als sie solches beschlossen hatten, zogen sie zu König Karl, grüßten ihn mit höchster Ehrerbietung und sprachen: "Großmächtigster König! Euer Majestät wissen ohne Zweifel wohl, wie lange der Krieg gewähret, wir bitten, Euer Majestät wolle doch Frieden mit Haimon machen; denn das ganze Land wird von ihm verheert und zugrunde gerichtet." Als König Karl solche Rede von seinen Landesherren vernommen, war er ganz unwillig; jedoch bedachte er sich, ließ sich das Bitten zu Herzen gehen und bewilligte ihnen ihre Wünsche. Die Stände des Königreichs beschlossen sofort mit dem Könige, daß er an Haimon und seine Freunde einen gütigen Brief schreiben sollte, des Inhalts, daß er ihm die Übeltat, die er bisher an ihm und seinen Freunden bewiesen, verzeihen wollte, welches auch zur Stunde geschah; denn es ward ein Gesandter an Haimon, welcher zu Pierlamont lag, abgefertigt mit dem Vorschlag, Karl wolle seinen Vetter Hugo neunmal mit Gold auswägen; damit begehrte er Frieden mit ihm. Als Haimon den Inhalt des Briefes eingesehen, dünkte ihn solches, spöttisch und


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seltsam zu sein, und er sprach zu dem Gesandten mit zornigem Gemüt: "Saget eurem König, ich begehre, durchaus keinen Frieden mit ihm einzugehen, sondern will den Krieg mit ihm führen, solang es mir möglich ist; denn ich kann Hugos, meines Vetters, Tod nicht also leicht vergessen !"

Wie die Gesandten diese Antwort von Haimon erhalten, kamen sie wieder zu König Karl und meldeten ihm solches; worauf er sie alsbald wieder mit einem andern Schreiben zu Haimon abfertigte mit dem Erbieten, wenn Haimon mit ihm einen Frieden eingehen würde, so wollte er ihm seine Schwester Aja zur Gemahlin geben mit allen den Gütern, die er ihm und seinen Freunden genommen hätte, und solches los und frei, als ein Erbgut ohne einiges Lehen denn allein von Gott.

Da nun Haimon diese Meinung des Königs hörte, hieß er die Gesandten abtreten: er wolle sich mit seinen Freunden beratschlagen und ihnen gute Antwort geben. Er ließ darauf alsbald seine Verwandte rufen, nämlich Haimerin von Bourbon, Wilhelm von Orleans und alle andere Barone und Edelleute seines Landes, verkündigte ihnen, was ihm König Karl vorgeschlagen hätte, und begehrte, daß sie ihm hierin raten sollten, was ihnen gut dünkte und dem Lande nützlich wäre. Sie antworteten, wenn König Karl das alles halten wollte, was er ihm in dem Schreiben versprochen hätte, so wären sie des also zufrieden. Darauf sandte Haimon den Adelhart und Malegys, seinen Vetter, an König Karl, und ließ ihn fragen, ob er dasjenige alles halten wolle, was er ihm geschrieben hätte, nämlich, daß er ihm seine Schwester Ata zur Gemahlin geben wolle, und was sonst in dem Briefe gemeldet war. So wollte er einen Frieden mit ihm eingehen. Wie Adelhart und Malegys nun zu Paris anlangten, erschienen sie sofort vor dem König und erwiesen ihm gebührende Ehrfurcht; dann richteten sie ihren Auftrag aus, der Tod Hugos könnte nicht vergessen noch der Friede geschlossen werden, der König bewillige denn, was in dem Schreiben gemeldet sei.

Als der König Karl den Brief empfangen, ließ er denselben öffentlich vor seinen Räten lesen; sobald diese den Inhalt vernommen, waren sie dessen wohl zufrieden und begehrten, der König solle darin willfahren, wie er denn auch gerne tat: er ließ Adelhart und Malegys vor sich kommen und sprach zu ihnen, sie sollten wieder nach Hause gehen und Haimon verkündigen, er möge zu Senlis erscheinen, da wolle er mit ihm Frieden schließen; denn er begehre keinen Krieg mehr gegen ihn zu führen.

Mit diesem Bescheide zogen sie wieder nach Pierlamont und zeigten dem



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Haimon des Königs Meinung an. Da rüstete und bekleidete sich alsbald Haimon mit seinen Freunden auf das zierlichste und zogen nach Senlis. Als er nun bei dieser Stadt angelangt war, kam zu ihm König Karl mit seinen Verwandten, samt fünfhundert Rittern. "Mein Freund Haimon", sprach er, "ich habe übel daran getan, daß ich deinen Vetter Hugo er
schlagen habe; ich bitte, du wollest mir solches um Gottes und seines lieben Sohnes willen verzeihen; ich will dir ihn neunmal mit Gold auswägen , meine Schwester Aja will ich dir zur Gemahlin geben, samt allen den Gütern, die ich dir genommen, und alles, was du von den Heiden erobern wirst." Als Haimon die Verheißung angehört, ward er mit dem König einig, und sie wurden Freunde.

***
So war der Friede zwischen dem König Karl und Haimon durch die Heirat mit des Königs Schwester geschlossen,
und die Hochzeit sollte zu Senlis gehalten werden. Dort führte Haimon die Braut nach christlichem Gebrauch in die Kirche, ließ sich mit ihr einsegnen und ging neben ihr, an der einen Seite den Bischof und an der andern den Grafen Roland. Als das Mahl fertig war, daß man zu Tische sitzen sollte, begehrte Graf Haimon vom König, er möge bei ihm bleiben und dem hochzeitlichen Schmause samt andern Herren und Fürsten, so dazu berufen waren, beiwohnen. Als er aber eine abschlägige Antwort bekam und der König nicht bleiben wollte, sondern sich alsbald nach Paris


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begab, .ward Haimon ganz zornig, nahm sein Gemahl und zog nach Pierlamont; dort hielt er das Hochzeitmahl so überaus herrlich und stattlich und mit solcher Festlichkeit, daß es wohl vierzig Tage und Nächte währte. Als aber der erste Tag vorüber war und die Nacht kam, daß man zu Bette gehen sollte, gedachte Haimon an die Weigerung des Königs, ergriff sein Schwert und schwur bei demselben, er wolle seines Vetters Hugo Tod doch noch rächen und alles erschlagen, was von des Königs Geschlecht wäre. Vor solcher Rede erschrak Frau Aja gar heftig und durfte gleichwohl nichts sagen; denn er war ein ernsthafter und strenger Mann. Sie zeigte sich ganz demütig und lebte in Liebe und Einigkeit mit ihm. Haimon aber blieb darnach nicht lange zu Hause, sondern zog nach seiner Gewohnheit wieder in Krieg gegen die Heiden und wußte nicht; daß seine Gemahlin guter Hoffnung war; denn sie hatte das niemand offenbaret als nur einer Jungfrau. Wie nun die Zeit der Geburt herankam, riet ihr diese, sie sollte sich in ein Jungfrauenkloster begeben und sich darin heimlich halten, bis sie des Kindes erlöst wäre, auch vorgeben, sie wäre eine Pilgerfahrt schuldig, die wollte sie verrichten. Als sie nun im Kloster war, kam die Stunde der Geburt herbei, und Gott gab ihr einen jungen Sohn; den ließ sie stattlich taufen, und er ward Rittsart genannt. Seine Paten waren der Bischof Turpin und Graf Wilhelm: diese bestellten dem Kind heimlich eine Säugmutter und gaben ihm Schreiben mit, daß es ehrlicher Eltern eheliches Kind sei und von hohem Stande. Aber man hielt es geheim, so daß niemand nichts erfahren konnte, wem es zugehörte; denn die Mutter fürchtete sich sehr vor dem Haimon, ihrem Herrn; er war ein strenger Mann und konnte das Kind leicht nach seinem Eid, den er zuvor getan hatte, als von König Karls Geschlechte töten lassen. Mittlerweile kehrte Haimon wieder nach Haus und hatte lange gegen die Heiden gestritten mit seinem eigenen Geld.

Auf denselben Tag, als Haimon wieder zu Hause kam, war Frau Aja auch heimgekommen und hatte sich in der Kirche (nach altem Herkommen) dem Priester gezeigt, und wieder lebten sie in Liebe zusammen. Und Aja ward abermal mit einem jungen Sohne schwanger und hielt es auch gar heimlich wie zuvor und genas des Kindes wieder im Kloster, so daß es niemand erfuhr. Das Kind ward auch in der Stille erzogen und Writsart geheißen. Darnach empfing sie den dritten Sohn, und mit demselben ward eben getan wie mit dem andern, und dieser Adelhart genannt.

Wie nun dieses alles geschehen war, zog Haimon wieder in den Krieg und blieb wohl sieben ganzer Jahre aus; dies machte Frau Aja sehr



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traurig; denn ihr war Botschaft gekommen, daß ihr Gemahl tot wäre. Indem sie nun so traurig war; kam Haimon wieder zu Hause und hatte sieben große Wunden im Krieg empfangen, saß gleichwohl auf seinem Pferd mit Harnisch und Schild am Hals; denn er hatte viel Land und Leute gewonnen , dazu die Dornenkrone unsers lieben Herrn und die Nägel, damit Christus ans Kreuz geheftet war.

Sobald nun Frau Aja vernahm, daß Haimon unterwegs sei, ging sie ihm entgegen, empfing ihn ganz freundlich, umhalsete und küssete ihn und hieß ihn also willkommen sein. Auch er war von Herzen froh, stieg von seinem Pferd und ging mit ihr in seine Burg. Darauf bekam Aja den vierten Sohn, welchen sie Reinold nennen und ihn, wie die vorigen, auch heimlich auferziehen ließ.

Also hatte Haimon vier Söhne, von welchen allen er nichts wußte. Der vierte Sohn war ein schöner junger Held, groß und stark über die andern, gleichwie ein Falk über einen Sperber. Zu dieser Zeit hatte König Karl auch einen Sohn, der hieß Ludwig; dieser Reinold und Ludwig waren gleichen Alters und in einer Größe; als er aber fünfundzwanzig Jahr alt war, überwuchs Reinold den Ludwig schier um einen Fuß, und Ludwig ward nach Hause berufen.



***
Zu derselbigen Zeit nämlich wollte König Karl seinen Sohn Ludwig krönen lassen als König von Frankreich; denn er selbst war nunmehr zu seinem höchsten Alter gekommen. Er ließ deshalb durch seiner Schwester Sohn, welche Berta hieß, die zwölf Genossen von Frankreich berufen, ingleichen die Päpstliche Heiligkeit, die Patriarchen, Bischöfe, Könige, Herzoge und Grafen. Als sie nun beieinander versammelt waren, gebot er Stille, stand auf und sprach: "Ihr Herren allesamt, wie euch Gott alle miteinander hier versammelt: ihr habt den Augenschein jetzt vor euch, wie ich nunmehr zu meinem höchsten Alter gelangt bin und mir das Regiment der Krone Frankreich viel zu schwer wird, also daß ich dem Königreich nicht mehr vorstehen kann, wie ich bisher getan. Es ergeht an euch derohalben meine freundliche Bitte, ihr wollet meinen Sohn Ludwig zu einem König annehmen und denselben dafür halten und krönen; denn er ist ein schöner junger Held und kann das Königreich wohl versehen." Als die Herren des Königs Meinung vernommen, erhub sich Bischof Turpin im Namen der andern Herren allen, begehrte Urlaub zu reden und sprach: "Allergnädigster Herr König, solches kann für diesmal noch nicht geschehen; denn Euer Hof ist noch nicht vollkommen." Da fragte der König:


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"Wer mangelt denn noch allhier? Ich meinte, ich hätte die Edelgesteine vom ganzen Lande, dazu die größten Herren, sowohl geistliche als weltliche, der ganzen Christenheit!"Darauf antwortete der Bischof: "Allhier mangelt der allertapferste und kühneste Held der Welt, von hohem Geschlecht und Herkommen, welcher unbezwungen und frei ist und seine Güter von keinem Menschen zu Lehen hat denn allein von Gott."

Da sprach der König: "Das ist Haimon von Dordone, derselbe hat mir große Bedrängnis angetan in meinem Königreich mit Rauben und Brennen , er schlug alles tot, was ihm vorkam und mir zugehörig war, geistliches wie weltliches, er nahm das Gold aus den Kirchen und beschlug damit sein Pferd. Gleichwohl bekenne ich, daß ich keinen tapferern Helden weiß als ihn; hat er doch die Krone und die Nägel unsers Herrn Jesu Christi, womit er gekrönet und an das Kreuz geheftet worden, von den Heiden und Juden erobert. Ich weiß, daß er mir auch den Tod geschworen hat; wenn es aber euch ratsam dünket, daß ich ihn wieder hieher berufen lasse, so will ich nach ihm schicken!" Darauf antwortete Turpin: "Gnädigster Herr König, ich samt diesen Herren allen sehen für gut an, daß Ihr solche Krönung noch vierzig Tage wollt ausstellen und mittlerweile nach Haimon schicken, daß er allhie erscheinen möge; dafür müsset Ihr ihm gut Geleite zusagen auf St. Dionysii Leichnam, und wenn er aus Furcht nicht wollte kommen, so stellet ihm zu Geiseln oder Bürgen die einundzwanzig besten Herren Eures Königreichs." Diesen Rat fand der König gut und fragte den Bischof, wen er am besten zu Haimon schicken möchte, daß er ihm solches ausrichtete. Da hieß der Bischof die Grafen Roland, Wilhelm von Orleans, Bertram und Bernhart vor den König kommen. Die fragte der König, ob sie nach Pierlamont reisen wollten, dem Haimon anzuzeigen, daß er gen Hof käme nach Paris und seinen Sohn Ludwig zum König helfe krönen. Sie bedachten sich und willigten darein; zum Zeichen, daß sie es tun sollten, beschenkte sie der König alle vier je mit einem schönen Pferd, mit allem Zeug von Gold und köstlicher Seide, dazu schenkte er einem jeden auch einen schönen Hut, mit herrlichen Edelsteinen geziert. Wie sie nun alle aufs schönste geschmückt und zu reisen fertig waren, saßen sie auf ihre Pferde; da kam der König, hängte ihnen einen köstlichen Mantel um und gab jedem einen Ölzweig in die Hand. So ritten sie hinweg nach Pierlamont und säumten sich auf dem Wege nicht lange.

Als sie nun nahe zu der Burg kamen, stand Frau Ata von ungefähr an einem Fenster, blickte hinaus ins Feld und sah da die vier Ritter nahen



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und gewahrte bald, wer sie wären. Sie dachte bei sich selbst: "Was mögen die vier Herren hier wollen, ich fürchte, sie eilen in ihren Tod!" Alsobald rief sie dem Torhüter, gab ihm vier schöne Hutschnüre und sagte: "Gehe hin und bringe sie den vier Herren, die da geritten kommen, und gib meinem Vetter Grafen Roland die beste; sage zu ihm: ,Die hat Euch Frau Aja, Eure Base, überschickt."' Als nun diese vier Ritter vor Haimon kamen, hatte er damals bei dreihundert Ritter an seinem Hof und ungefähr hundertunddreißig Mann Fußvolk. Wohlgewaffnet fielen ihm nun die Grafen zu Fuß und bewiesen ihm Ehre, und Graf Roland sprach mit freundlichen Worten: "Gnädigster Herr Haimon, wir kommen als Gesandte von König Karl dem Großen von Frankreich, der begehrt freundlich, es wollen Euer Gnaden nach Paris kommen und seinen Sohn Ludwig zum Könige von Frankreich helfen krönen. Er will allzeit willig sein, Euch diesen Dienst zu vergelten; denn er hat die Krönung wohl gegen vierzig Tage um Euretwillen aufgeschoben."

Haimon, als er diese Botschaft empfangen, veränderte die Farbe und ward zornig, schwieg aber still und sprach kein Wort. Wie er nun keine Antwort von sich gab, redeten sie ihn zum andernmal an, er möge sich erklären, ob er Ludwig wollte helfen krönen oder nicht. Er antwortete abermal nichts. Da sahen die vier Gesandten einander traurig an. Frau Aja wurde auch sehr betrübt, nahm einen silbernen Becher voll Weines und sprach: "Lieber Vetter Roland, nehmet diesen und tut einen Trunk, ich will jetzt Euer Schenk sein." Da nahm Roland den Becher und trank, gab ihn darnach den andern dreien, daß sie auch trinken sollten. Also hieß sie Frau Aja willkommen sein. Darnach sprach sie zu ihrem Gemahl Haimon: "Gnädiger Herr, ich bitte Euch freundlich, wollet diesen vier Herren Antwort geben; denn es sind Eure eigene Verwandte und die Vornehmsten des Königreichs."

Sobald Haimon dieses von seiner Hausfrau hörte, schlug er sie ins Angesicht daß sie darniederfiel. Dies sahen die Herren mit zornigem Gemüt an und halfen der Frau auf. Als sie nun wieder zu sich selbst kam, wischte sie sich den Staub ab, trat wieder zu ihrem Gemahl Haimon, küßte ihn freundlich und sprach: "Gnädiger Herr, ich bitte Euch noch einmal, wollet diesen meinen Vettern Antwort geben."

Haimons Zorn ward etwas gelinder, und er sprach zu seiner Hausfrau: "Herzliebste Hausfrau, wenn ich ja Antwort geben soll, so mag ich wohl sagen, daß ich der unseligste Mann bin auf Erden und Ihr das unseligste Weib, so jemals geboren ist." Da fragte sie: "Warum saget Ihr das, lieber



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Herr?" — "Darum", sagte er, "daß uns Gott nicht so wohl gewollt hat, daß er uns in zwanzig Jahren, die wir beieinander gewesen sind, Leibeserben gegeben hätte, die unser Land und unsre Güter nach unserem Tode besitzen, damit dieselben nicht in unserer Feinde Hände kommen; nun weiß ich gewiß, daß Ludwig nach meinem Tode meine Güter einnehmen wird, und denselben soll ich helfen krönen? Nein, ich begehre nicht, es zu tun; denn ich bin ihm mehr Feind als dem Vater. Ich weiß, und jedermann ist es kundig, wenn sie mich hätten bekommen können, sie ließen mich nicht lange leben!" Da sprach Frau Aja: "Gnädiger Herr, wenn Ihr nun Kinder hättet, wenig oder viele, wolltet Ihr dieselben umbringen?" Darauf sprach Haimon: "Geliebte Hausfrau, ich sage Euch, wenn ich Kinder hätte, ich wollte sie nicht töten, sondern wollte mehr an ihnen tun, als ein Vater schuldig ist, seinen Kindern zu tun." Alsbald sprach Aja: "Fürwahr, gnädiger Herr, dann sind die Worte vergeblich, so Ihr geredet, als Ihr erstmals das Beilager bei mir gehalten: daß Ihr alles töten wollet, was von mir käme! Da antwortete Haimon: "Liebe Hausfrau, böse gezwungene Eide kann man wohl lassen; hätte ich Kinder, so wollte ich fröhlicher sein, als ich jetzo hint" Darauf sprach Frau Aja: "Wollt Ihr mich versichern, gnädiger Herr, daß Ihr ihnen nichts tun werdet , so möchte ich ihrer etliche finden und Euch geben!"

Als Haimon diese Worte gehört kam ihm solches fremd vor, und er sprach: "Ich will dasselbe gern tun, wenn mir Gott die Gnade verleihen wollte; aber ich kann's nicht wohl glauben, daß ich jemals Kinder mit Euch gehabt habe." Da nahm Frau Aja den Grafen bei der Hand und sagte: "Gehet mit mir, ich will sie Euch sehen lassen!" Darüber war Haimon sehr erfreut, und ehe er ging, sprach er zu den vier Rittern und hieß sie willkommen sein; gab ihnen die Hand und begehrte, sie sollten etwas verziehen, er wollte ihnen gute Antwort geben; er müßte erstlich mit seiner Hausfrau hingehen, seine Kinder zu besehen. Er nahm nun Abschied von den vier Grafen und ging mit seiner Gemahlin vor ein schön herrlich Zimmer, da die Söhne beieinander waren. Als Haimon vor das Gemach kam, blieb er ein wenig vor der Türe stehen, ehe er hinzuging; da hörte er, daß Reinold aus verzagtem Mut zu seinem Bruder sagte: "Ich sage dem Hofmeister keinen Dank, der uns allhie zu essen und zu trinken bringt; denn alle Gerichte, die er uns schafft, sind auf eines andern Herrn Tisch übriggeblieben als Brosamen; dazu gibt er uns auch keinen guten Wein; hätte ich den Speisemeister hie, ich wollte ihn so zurichten, er sollte vor meinen Füßen liegenbleiben." Da antwortete Adelhart



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seinem Bruder und sprach: "Bruder, ich bitte, laß ab von solcher Rede, wir können wohl reden untereinander, was wir wollen, aber du weißt, wie unsre Mutter uns befohlen hat, daß wir still sollten sein und nicht viel Wesens machen; denn wir wissen wohl, wer unsere Mutter ist, aber unsern Vater kennen wir nicht; und ich sage Euch, schlüget Ihr des Haimons Speisemeister: er ist so frech und mutig, er ließe Euch in aller Eile umbringen; denn er hat allezeit gewaffnet Volk bei sich; darum laßt solche Worte bleiben; denn Ihr habt unrecht." Da sprach Reinold mit zornigem Mute zu seinem Bruder: "Soll mich Haimon, der graue Hund, töten lassen, das soll ihm der Teufel danken; ich sehe ihn mit seinen gewaffneten Leuten nicht an, ich wollt' ihn mit Fäusten schlagen, daß er sollte liegenbleiben!"

Haimon hörte diese Worte und war dessen froh; er sprach zu seiner Hausfrau: "Das ist gewiß mein Sohn, da zweifle ich gar nicht, aber von den andern weiß ich nichts; will sie einmal probieren, ob sie auch so beherzt sind, als sie scheinen!" und stieß mit einem Fuß an die Tür, daß sie zersprang. Da sprang Reinold auf; ergriff den Haimon, warf ihn über eine Bank zur Erde und sprach: "Was hast du hier zu schaffen, du alter Grauert Ich sage dir; wir haben jetzt Mahlzeit gehalten; wärest du hier gewesen, so hättest du es so gut gehabt als wir."

Da kamen die andern Brüder herzugelaufen, worüber Haimon sehr erschrak und sprach: "Oh, ihr jungen Helden, schlaget mich nicht; ich bin Haimon, euer lieber Vater, und will euch auf den Abend zu Rittern schlagen!" Als das Reinold hörte, sprach er: "O Gott! seid Ihr mein Vater, so wäre es mir von Herzen leid, wenn ich Euch geschlagen hätte", und ließ ihn alsobald aufstehen. Als Haimon auf war, tat er sich höflich bedanken gegen seine Kinder und küßte erstlich den Writsart, darnach den Adelhart und Nittsart. Und als er Reinold küßte, drückte er denselben so freundlich an seine Brust und Wangen, daß dem die Nase blutete; worüber Reinold sehr ergrimmte und sprach: "So wahr mir Gott helfe, wenn Ihr mein Vater nicht wäret, ich wollte Euch dermaßen schlagen, daß Ihr müßtet liegenbleiben!" Darauf redete Haimon: "Mein Sohn, ich erfreue mich jetzt höchlich in meinem Alter, daß dir Gott die Gnade gegeben und dich so lange erhalten hat, daß du magst ein Ritter werden!" Da sprach Frau Aja: "Gnädiger Herr, was unsere Söhne zum ritterlichen Stande bedürfen, als Kleider, Wehr und Waffen, hab ' ich alles machen lassen; darum möget Ihr frei zu meinem Bruder zu Hofe reiten, denn er hat Euch Fried ' und Freiheit zugesagt und geschworen; dessen zum Zeugnis hat



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er die Besten seines Reichs zu Geiseln gesetzt und verbürgt." Aber Haimon antwortete nichts darauf, sondern befahl, man solle den Saal stattlich zurichten, er wolle seine Söhne zu Rittern schlagen.

***
Als nun der Saal zugerüstet und geziert war, kam Haimon herein und ließ eine große sammetne Decke auf die Erde breiten. Dann hieß er seine vier Söhne zu ihm kommen, nahm zuerst den Rittsart vor, kleidete ihn gar statt
lich, zog ihm zwei übergoldete Sporen an und gürtete ihm ein Schwert an seine Seite; dann hieß er ihn ins Knie sitzen, schlug ihn zum Ritter und sprach: "Stehe auf, mein Sohn Rittsart, jetzt schlug ich dich zum Ritter, des sollt und mußt du helfen rächen das Blut Christi, so er am Stamm des Kreuzes für uns vergossen hat; von nun an sollt du gegen die Heiden und Türken streiten mit allen ritterlichen Taten, wo du kannst; ich reiche dir allhie solches Schwert, das mein Vater mir gegeben hat, damit hab ' ich alles gewonnen von den Heiden und Türken; desgleichen sollt du auch tun, aber du mußt erst mit mir nach Hofe reiten." Darnach ließ er den Adelhart vor sich kommen, der hatte seine Sporen schon angezogen und brachte das Schwert in seiner Hand, welches ihm Haimon an die Seite gürtete. Dann schlug er ihn auch zum Ritter und sprach: "Gedenke an Gott, wie man den auf seine Backen schlug und ihm das so lieblich war zu ertragen um unserer Erlösung willen. sage dir, zu der Ritterschaft gehört viel; ich gebe dir weder Haus noch Burg, du mußt sie mit deiner Hand von den Heiden und Türken gewinnen, wie ich auch getan habe; aber du mußt mit mir nach hofe reiten." Darnach nahm er den Writsart und tat, wie er mit den andern zwei getan hatte. suni vierten ließ er auch Reinold vor sich kommen; der war gar stolz und hochmütig und hatte seine Sporen schon umgeschnallt: dem hing er auch das Schwert an wie den andern; aber Reinold war so lang, daß Haimon auf ein Bänklein steigen mußte, als er ihn zum Ritter schlug. Darauf


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sprach Haimon zu seinem Sohn: "Stehe auf, Reinold, als ein frommer Ritter, und sei mutig als ein Ritter; ich gebe dir allein Pierlamont, Montagne und Montfaucon, du sollt nicht unterlassen, auf die Türken zu streifen !" Jetzt brachte man vier schöne wohlverzierte Rosse; das beste gab er dem Reinold, daß er darauf nach Hofe reiten sollte; denn es war ein Gutes stärker und einen Fuß höher als die andern.

Als Reinold das Pferd ansah, deuchte es ihm schwach, er schlug es mit der Faust vor den Kopf und sprach: "Das Pferd ist viel zu gering, mich zu tragen!"

Frau Aja, seine Mutter, die das mitansah, verwunderte sich dessen und sagte: "Auf diese Weise wirst du wohl alle Pferde totschlagen, die man für dich brächte!" Darnach holte man ihm ein anderes aus der Stadt; das höher und stärker war als das vorige; das schlug er auch vor den Kopf, daß es niederfiel. Zum dritten brachte man ihm noch ein anderes, das war noch stärker und höher als die vorigen; da sprang er darauf, daß ihm Lenden und Rücken zu Stücken brachen und es bald darnach starb.

Als Haimon, sein Väter, dieses sah, erfreute er sich dessen, daß sein Sohn eine solche Kraft und Stärke hatte, und sprach: "Sohn Reinold, sei nicht traurig, sondern wohlgemut, ich weiß noch ein Pferd, heißt Beyart, hat Pferdsstärke von zehn und ist verwahrt in einem starken Turm; es darf niemand dazu gehen wegen seines Zorns, das hat ein Kamelführer gewonnen; es ist so geschwind im Laufen wie ein Pfeil vom Bogen, schwarz wie ein Rabe, hat Augen wie ein Leopard, keine Mähnen."

Als Reinold seinen Vater das Pferd so sehr preisen hörte, sprach er lachend zu ihm: "Vater, das wäre wohl ein Pferd für mich: ich wollte, es wäre mein." Da sprach Haimon: "Ziehe deine Rüstung an, das rate ich dir, und versuche, ob du es zwingen kannst; aber siehe dich wohl für, denn es ist über die Maßen böse und läßt niemand zu sich kommen: es zerbeißt Steine gleichwie andere Pferde Heu." Als Reinold das hörte, sprach er: "Soll ich mich gegen ein Pferd waffnend Das wäre mir eine große Schande"; doch folgte er seinem Vater und waffnete sich, als ob er in den Krieg oder Streit ziehen wollte, nahm einen Stock in seine Hand und ging zum Stalle hin, wo das Roß stand; und außer Vater und Mutter folgten ihm viel edle Ritter und Frauen, zu sehen, was für Wunder Reinold mit dem Rosse treiben würde.

Als er nun in den Stall kam, sah er das Tier an; alsbald schlug ihn aber das Pferd vor seinen Kopf, daß er ohnmächtig zur Erde fiel. Sobald Frau Aja dies gesehen, rief sie zu Gott und schrie: "O Gott im Himmel,



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mein Sohn Reinold ist tot!" Dagegen rief Haimon den Reinold an und sasse: "Mein Sohn Reinold, stehe auf und zwinge das Roß; ich schenke es dir, denn ich gönne es niemand besser als dir!" Da rief die Mutter wiederum: "Ach, lieber Gott, wie soll er das Roß zwingen, er ist tot!" Haimon aber sprach: "Hausfrau, schweiget still, er ist meines Geblüts ; darum zweifelt nicht, er wird wohl wieder aufstehen."

Indessen kam Reinold wieder zu sich, stand auf und nahm seinen Stock wieder zur Hand in der Absicht, das Roß damit zu zwingen; aber Beyart faßte ihn beim Hals und warf ihn vor sich in die Krippe; da wehrte sich Reinold aufs möglichste, nahm Beyart bei dem Hals und hielt sich männlich daran, schlug mit seinem Bengel gewaltig darauf und wehrte sich so tapfer, daß er ihm das Gebiß in das Maul brachte; so zäumte er das Roß, sprang in aller Eil darauf und ritt aus dem Stall; da floh ein jeder und fürchtete sich vor dem großen Roß Beyart. Als Reinold und Beyart auf den Plan kamen, gab er ihm die Sporen und ließ ihm den Zaum schießen; denn er saß so fest; als wenn er darauf gewachsen oder gemauert gewesen wäre, und sprengte ihn über zween weite Gräben, deren jeglicher über vierzig Fuß breit war. So bezwang er das Roß, bis es ganz müde worden; da ritt er es wieder in den Stall, stieg ab, putzte und wischte es. Als er es nun wohl gereinigt hatte, sprach er: "Dies Roß wollte ich jetzund um kein Geld noch Gut verkaufen!" Denn er zwang es, daß es vor ihm stand und zitterte; es neigte und beugte sich gegen ihn, wann er aufsitzen wollte, und er hatte es dermaßen gezähmt, daß ein Kind darauf sitzen konnte. Da es nun also abgerichtet war, ließ er gar köstliches Gezeug dazu machen, Sattel und Zaum und alles, was hieher gehört. Und nun machte er sich fertig, mit seinem Vater nach des Königs Hofe zu reiten.



***
So reisete Graf Haimon mit seinen vier Söhnen in voller Rüstung, als wenn sie zum Streite wollten, nach Paris, in Begleitung des Grafen Roland, Grafen Wilhelm, Grafen Bernhart und Grafen Bertram, ein jeglicher aufs allerschönste geziert. Als sie nun nahe bei Paris waren und König Karl vernahm, daß Graf Haimon mit vier Söhnen so stark gewaffnet ankomme, sandte er alsbald einen Herrn zu ihm, begehrte, er sollte sich entwaffnen und die Rüstung von sich legen, welches auch Graf Haimon auf des Königs Begehren tat. Darauf machte sich König Karl samt allem Volk auf, den Grafen Haimon mit den Seinigen freundlich zu empfangen und einzuholen, und zog ihm feierlich entgegen.

Als Ludwig, der junge König, solches gehört, sprach er zu seinem Vater:



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"Ei, Vater, wollt Ihr dem entgegen gehen und ihn empfangen, der Eurer Majestät und den Eurigen so todfeind ist und dieselbe verfolget hat; wo er konnte und mochte?" Da sprach König Karl: "Mein Sohn, ich will, man soll den Zank und Streit ruhen lassen und fortan guten Frieden halten, es hat lang genug gewähret: darum mache dich fertig, du mußt mit mir ziehen und deine Vettern helfen freundlich empfangen." Zu solchem Ende ließ König Karl seine ganze Ritterschaft ausrüsten, dazu alle Frauen und Jungfrauen, so schön als ihm möglich. Als sie nun zusammentrafen, empfing König Karl den Haimon samt den Seinigen ganz liebreich und in aller Herrlichkeit, wie sich's geziemte; denn das war das erstemal in dreißig Jahren, daß er den Haimon gewaffnet gesehen. Aber Ludwig, der junge König, nahm sich Haimons nicht an, sondern schmieg ganz still. Als Graf Roland solches gesehen, trat er zu ihm und begehrte von ihm, er sollte den Haimon samt seinen vier Söhnen auch freundlich begrüßem Ludwig jedoch antwortete ihm, er habe mit dem Haimon und seinen vier Söhnen nichts zu schaffen.

Ritter und Frauen, welche den Reinold samt seinem Roß Beyart gesehen , verwunderten sich und sprachen eines nach dem andern: "Ist dieses der Ritter Reinold, des Haimons Sohn? Er ist fürwahr der trefflichste und schönste Fürst von ganz Frankreich!" Das hörte der junge König Ludwig, er zürnte heftig über diese Rede; denn er ließ sich dünken, es wäre keiner schöner an Leib und Gliedern, keiner trefflicher in ritterlichen Taten und keiner so beredt als er. Deswegen antwortete er auf jene Rede: "Wo hat man wohl gehört, daß Haimon Kinder mit Frau Aja gehabt hat? Es können seine Söhne nicht sein, sondern er muß sie für seine Kinder angenommen und dazu erkauft haben! Ich will in kurzer Zeit erfahren, ob der Reinold mein Vetter ist oder nicht!" Darauf ging er Reinold, bot ihm die Hand und hieß ihn willkommen sein. Dieser dankte ihm höchlich; alsbald sprach König Ludwig zu Reinold: "Vetter, Ihr habt ein schön Pferd; wäre es nicht ratsam, daß Ihr mir das Pferd verehrtet? Ich wollte Euch viel dagegen geben!" Darauf antwortete Reinold: "Fürwahr , mein lieber Vetter, wenn ich es jemand gebe, so sollt Ihr der nächste sein: ich will Euch wohl gerne mit Leib und Gut dienen, wo ich kann und mag, aber das Pferd Euch geben — das kann ich jetzt nicht tun, weil kein anderes Tier mich tragen kann als dies, und ich kann mit keinem andern dasselbe ausrichten, was dies vermag." Da König Ludwig das vernahm, sprach er mit zornigem Mut: "Jetzt sehe ich, er ist von keinem geringen Geschlecht! Wenn ich aber gekrönet bin und in meiner Majestät



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sitze und die Lehen austeile, so will ich ihm auch nichts geben!" Als dies vor Reinold kam, ward er auch zornig, ging zu König Ludwig und sprach: "Ich habe vernommen, daß Eure Majestät mir keine Lehen geben will. Darnach frag ' ich gar nichts, ich bedarf es gottlob auch nicht; mein Vater hat mir so viel gelassen, daß ich von Eurer Majestät zu leben nicht benötigt bin, weiß derohalb Eurer Majestät keinen Dankt"

Nach diesem gingen sie miteinander in einen lustigen Garten, wo der König Karl gern verweilte; hier ward allerhand Kurzweil getrieben mit Musik und Turnierspiel im Beisein vieler Frauen. Als nun Zeit war, daß man Tafel halten sollte, befahl der König Ludwig, daß man den vier Haimonskindern kein Essen und Trinken vorsetzen sollte, viel weniger ihren Rossen. Da gab man Wasser, die Hände zu waschen, erstlich dem Papst, darnach den Patriarchen, sodann dem König und der Königin, und so fort allen Edeln und Rittern, die da zugegen waren, und man setzte einen jeglichen nach seinem Stand zu Tische; aber der vier Haimonskinder war



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nicht gedacht. Und ward also vortrefflich Tafel gehalten. Als Reinold sah, daß man ihnen nichts geben wollte, gedachte er, er müßte zu essen haben, es wäre dem König lieb oder leid; deswegen erhub er sich, stieß die Küchentür mit einem Fußtritt auf, daß sie in viel Stücke sprang, und lief zur Küche hinein, nahm daselbst etliche Schüsseln mit Essen und trug sie seinen Brüdern zu. Da der Koch solches sah, wollt' er dem Reinold die Schüsseln nicht verabfolgen lassen und sprach: "Laß die Schüsseln stehen, du loser Vogel, oder ich muß etwas anders vornehmen!" Darüber ergrimmte Reinold, schlug den Koch mit der Faust, daß er zur Erde fiel, und ging mit den Speisen fort zu seinen Brüdern.

Wie solches vor den König kam, daß der Koch totgeschlagen wäre, da fragte er, wer es getan hätte. Sie sprachen: "Reinold, des Haimons Sohn, hat es getan, weil ihm der Koch nicht wollte zu essen geben." Da sprach der König: "Ihm ist recht geschehen, wenn er meinem Vetter solches weigerte, da doch so mancher Fremdling hier gespeiset wird!" Von Stund an bekam Reinold alles, was sein Herz begehrte, worüber König Ludwig gar heftig erzürnt war. Nun kam der Marschall zu Reinold und sprach: "Junger Herr, Ihr habt dem Koch groß unrecht getan, daß Ihr ihn totgeschlagen; wenn er mir verwandt wäre, ich wollte seinen Tod an Euch rächen!" Da antwortete Reinold: "Ihr seid nicht kühn genug, solches zu rächen." Da ward der Marschall zornig und schlug nach Reinold, der aber erwiderte den Streich und schlug den Marschall zur Erden und stieß ihn mit dem Fuß, daß er weit in den Saal rollte und es König Karl sah. Da sagte König Ludwig zu seinem Vater: "Gnädigster Herr Vater! Wenn Ihr solchen Mutwillen an Eurem Hofe ungestraft laßt, so wird es Eurer Majestät schlechte Ehren bringen!"

Bald hernach ließ Karl gebieten, obgleich der Marschall an dem Streiche gestorben war, daß niemand so verwegen sein sollte, sich dem Reinold zu widersetzen. Als es nun wieder still geworden, ließ man alle Musiken klingen, und die Kurzweil nahm ihren Fortgang, bis es Nacht war. Da ließ König Ludwig wieder gebieten, man solle des Haimons vier Söhnen kein Bett anweisen, daß sie nicht mit Ruhe schlafen könnten. Als Reinold dies gesehen, ward er abermal zornig und sprach zu seinen Brüdern: "Was soll es gelten, wir bekommen über Nacht noch das beste Lager?" Als nun jedermann zu Bett und im ersten Schlafe war, da nahm Reinold seine Wehr in die Hand und machte einen großen Tumult unter Freunden und Verwandten, Edeln und Unedeln: welcher zuerst davonkam, war der beste; er trieb sie alle aus den Betten, daß er ihrer an dreißig ledig fand. Dann



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legte er sich samt seinen Brüdern in die besten, die er am Hofe traf, und schlief im guten Frieden bis an den hellen Tag.

Frühmorgens liefen die Vertriebenen zum König Karl und klagten ihm, wie es ihnen ergangen wäre, und wer solches getan hätte: begehrten zugleich , er solle über solche Gewalt Gericht halten und den Reinold strafen . Da schalt sie der König, daß sie alle über einen Mann klagten, und sprach: "Wie, lasset ihr euch alle vertreiben von einem einzigen? Darüber kann ich keine Strafe erkennen; denn er hat eine ritterliche Tat getan Als Reinold samt seinen Brüdern sich angezogen, gingen sie nach des Königs Hof; da begegnete ihnen der König mit den Bischöfen und Herzogen. Diese wollten nach des jungen Königs Ludwig Wohnung gehen, da gingen auch die Haimonskinder mit. Als sie nun vor Ludwigs Zimmer kamen, sprach König Karl: "Sohn, stehe auf, denn heut ist der Tag, da du zu hohen Ehren kommen wirst; ich will dir heute meine Krone von Frankreich samt allen zugehörigen Ländern übergeben und dich zum Könige krönen!"

König Ludwig dankte seinem Vater samt allen Herren, so zugegen waren , höchlich und mit Ehrerbietung, bot ihnen allen die Hände und empfing sie gar freundlich. Dann befahl der König Karl, Haimon sollte seinen vier Söhnen sagen: was sie für Ämter an seinem Hofe versehen wollten, die wollte er ihnen geben; machte also den Reinold zum Haushofmeister , Adelhart ward Schultheiß, Rittsart mußte dem König aufwarten , und Writsart den Bischöfen. Als nun der König Ludwig gänzlich zu der Krönung fertig war, führte man ihn zur Kirche, da gingen Adelhart und Writsart vor ihm her und neben ihm Reinold, hinter ihm folgte Rittsart und Haimon, der Vater. Diese Gebrüder trugen einen Thronhimmel über dem neuen Herrscher, daß es auf ihn nicht regnen konnte. Wie nun König Ludwig in die Kirche kam, führte man ihn auf das Chor, welches gar herrlich gezieret war; da stand König Karl neben seinem Sohne, die andern Herrn ein jeder nach seiner Ordnung. Haimon aber mit seinen Söhnen begab sich dahin, wo er am besten Platz fand.

So ward König Ludwig in die Kirche geführt vor St. Mariens Altar: da sang der Bischof Turpin das Amt der Messe, und der Patriarch von Jerusalem diente ihm dazu, und alles geschah mit großem Triumph und Frohlocken. Als es nun dazu kam, daß man zum Opfer gehen sollte, da opferte König Ludwig einen goldenen Byzantiner, darnach kam Reinold und opferte deren zwei. Als solches der junge König sah, meinte er, sein Opfer wäre zu ring gegen Reinolds, und opferte auch noch zwei Goldstücke.



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Da nun der Reinold merkte, daß König Ludwig noch mehr geopfert habe als er, opferte er noch drei Byzantiner. Als Haimon dieses sah, sagte er: "Zu guter Zeit und glücklicher Stunde bist du geboren; ich wollte, daß ich alle meine Güter verkauft hätte um lauter Byzantiner und hätte sie hier: du solltest sie opfern."

Auf dem Altar fehlten aber noch Öl und Kerzen. Darum winkte Ludwig seinem Vater, König Karl. Da bat der König Gott, den Allmächtigen , daß er seinem Sohn wollte zukommen lassen, was zu solchen Ehren gehöre. Alsbald kamen zwo Tauben und brachten Ölkerzen und Feuer. Als das da war, erzeigte man Ludwig große Ehre und opferte dies heilige Sakrament. Wie nun die Messe so weit gekommen war, daß man das Paternoster singen sollte, brachte man eine schöne königliche Krone; mit vielen köstlichen Edelsteinen geziert und sonderlich mit drei gelben Rubinen, die setzte man ihm auf sein Haupt; dann wünschten ihm alle Ritter und Edelleute, die zugegen waren, Glück, und solches zum Zeichen, daß sie ihm untertänig und gehorsam sein wollten als einem Könige von Frankreich. Auch war herrliche Musik von vielerlei Instrumenten zugerichtet, wie man vormals nie bei einer Krönung gehört hatte. Und als König Ludwig also gekrönt war, gürtete man ihm ein bloßes Schwert an seine Seite zum Zeichen, daß er die Gerechtigkeit erkennen, dieselbige verteidigen und das Königreich beschützen und beschirmen solle. Sobald dies geschehen, führte man ihn zum Palaste; der Papst ging an der rechten, der Patriarch an der linken Seite, darnach König Karl mit den zwölf Genossen von Frankreich, dann viel Bischöfe und Kardinäle; zuletzt kam Graf Haimon mit seinen vier Söhnen und den Edeln. Als sie nun zum Palaste gelangten, waren die Tafeln alle bereit, und sollte sich ein jeder nach seinem Stand und Herkommen setzen und Mahlzeit halten. Da nahm Reinold samt seinen Brüdern ihrer auferlegten Ämter wahr, Rittsart diente mit zwei Bischöfen an des Königs Karl Tafel, wo auch sein Vater Graf Haimon saß. Adelhart wartete im Saal gar höflich auf, Writsart diente zweien Fürsten und andern Grafen; Reinold tat auch, was ihm befohlen war: kurz, ein jeglicher war sorgfältig für sein Amt.

Als die Mahlzeit vollbracht und alles überflüssig satt war; da fing man an zu tanzen und zu springen mit schönen Frauen, und war große Freude daselbst mit Musik und Saitenspielen; ein jeglicher zeigte seine Kunst auf das allerzierlichste. Dann legte sich König Karl zur Ruhe, und König Ludwig ließ öffentlich mit Trompeten ausrufen, wer das Lehen von ihm empfangen wolle, der solle ihm folgen, und also ging er in einen schönen,



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Baumgarten, darin ein Lusthaus aufgerichtet war, ließ daselbst alle Edle vor sich kommen, einen jeden nach seinem Stand und Herkommen, und teilte Lehen und große Geschenke aus, je nachdem ein jeglicher würdig war. Nur Haimons Kindern, denen wollte er nichts geben. Als diese innewurden, daß die Lehen alle ausgeteilt waren und ihnen nichts zuteil worden, liefen sie hin und klagten es ihrem Vater. Der eilte mit zornigem Gemüte zu König Karl mit diesen Worten: "Allergnädigster Herr König! Es hat Eurer Majestät Sohn, König Ludwig, Lehen samt allen Geschenken unter die Edelleute, die am königlichen Hofe sind, ausgeteilt, ausgenommen meine Kinder; dieselben hat er nicht begabt, obwohl sie Euch und ihm allezeit und mehr Gehorsam geleistet als alle andere, und ich wüßte nicht; daß sie sich je ungebührlich gegen Seine Majestät verhalten hätten."

König Karl, als er solches von Haimon vernommen, sprach zu ihm: "Lasset Eure Kinder, meine Vettern, zu mir kommen, ich will sie durchaus nicht verworfen haben, ich will sie mit stattlichen und herrlichen Lehen belehnen wie wenige Herren an meinem Hofe!" Graf Haimon, dies hörend, lief eilends hin, rief seinen Kindern und brachte sie vor den König Karl. Als sie nun vor ihn kamen, fielen sie auf ihre Knie und grüßten ihn mit gebührender Ehrfurcht. Da hieß sie der König aufstehen, bot ihnen die Hand und sprach: "Dieweil ich vernehme, daß mein Sohn Ludwig, jetziger König von Frankreich, euch nicht begabt hat, so sollet ihr wissen , daß ich euch um eurer treuen Dienste willen, die ihr mir und meinem Sohn erwiesen, mit Ämtern belehnen will wie keinen in meinem Reich. Dich, Rittsart, setze ich zu einem Markgrafen in Spanien ein, weil du der älteste unter deinen Brüdern hifi; dies Amt sollst du mit Fleiß und Ruhe besitzen und verwalten. Dich, Adelhart mache ich zu einem Markgrafen in Polen, das Amt sollst du zu verwalten haben; und, Writsart, dir gebe ich eine Landschaft zwischen Paris und Löwen, da kannst du ehrlich hofhalten und leben. Du aber, Reinold, ich muß deiner auch eingedenk sein, ich gebe dir ganz Artois, Hennegau, Angers und Valois."

Die Brüder fielen auf ihre Knie und dankten dem Könige höchlich, ein jeder empfing seine Lehen mit Freuden; darnach gingen sie in den Baumgarten zu den andern Herren, die bei König Ludwig waren. Als dieser vernahm, daß Haimons Kinder also beehrt worden, ward er zornig und mißgönnte ihnen das. Da ging Haimon mit seinen Kindern zu König Ludwig und sprach: "Gnädiger Herr König, ich sage Eurer Majestät höchlichen Dank für die Ehre, die Ihr meinen Söhnen angetan habt; wenn



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ich's heut oder morgen mit meinem geringen Dienst wiederersetzen kann, werde ich allezeit mich willig finden lassen." Darauf antwortete König Ludwig: "Ich habe wohl vernommen, daß mein Vater, König Karl, Eure Kinder stattlich begabt hat; aber ich bin damit nicht zufrieden, denn es ist wohl der halbe Teil meines Reichs; das will ich nicht lassen, sondern will es zu gelegener Zeit wieder zu mir nehmen." Damit verließ er den Grafen Haimon und sprach: "Ich muß einmal sehen, ob meine Edelleute auch stark und mächtig genug sind, die Waffen zu führen, und will's an einem Steinwürfe probieren; ich vermesse mich, daß ich der stärkste und edelste bin im ganzen Königreich."

Da schwiegen alle Herren und Edelleute stille und antworteten ihm nichts. Darauf redete er die Worte noch einmal. Nun wurde Haimon zornig, konnte die Vermessenheit Ludwigs nicht länger dulden und sprach: "Herr Königl Seid Ihr so stark und hochgeboren, so danket Gott darum: das kann sich mit der Tat offenbaren, was darf Euer Majestät sich des viel rühmen? Ich weiß einen Jüngling von zwanzig Jahren, wenn der seine Stärke wollte gebrauchen, er würfe den Stein weiter als Ihr, und gebrauchtet Ihr Eure ganze Kraft dazu!" Da ward König Ludwig sehr zornig und sprach zu Haimon: "Du alter Grieshart! Gott strafe dich, ich sage dir fürwahr, wenn ich nicht die Gewalt Gottes scheute, ich wollte dich so zurichten, daß du es nicht leicht vergessen würdest! Laß deine Kinder herkommen und ihre Macht an diesem Stein versuchen!" Da tat König Ludwig seinen Mantel von sich, nahm den Stein und warf ihn dreißig Fuß Wegs weit im Angesicht vieler Edelleute; darnach warfen die Edelleute einer nach dem andern, und zwar die vornehmsten und stärksten von Frankreich; aber es war keiner so mächtig im Werfen als König Ludwig, der behielt den Preis über die andern alle. Als er nun sah, daß er vor andern Edelleuten Meister war, sprach er zu Haimon mit stolzen Worten: "Was saget Ihr nun, Alter? Wo ist Euer Sohn Reinold ? Warum kommt er nicht und wirft gegen mich und berechtigt Euch, solche Worte zu reden, wie Ihr vor dieser Zeit geredet habt: es wäre keiner so mächtig als Euer Sohn Reinold? Wo bleibt er? Eure eignen Worte sollen Euch jetzt schamrot machen." Als Haimon diese schimpfliche Rede hörte, sprach er: "König Ludwig! Für so stolz halte ich Eure Majestät nicht, daß sie eine Hand an mich legen dürfte; und ob solches geschehe, wurde es Euch nicht wohl bekommen!" Da anwortete ihm König Ludwig und sprach: "O Alter! Laufe nun hin und rufe deinen Sohn Reinold, daß er gegen mich werfe!"



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Solche Rede verdroß den Haimon so sehr, daß ihm die Augen über liefen; gleichwohl ging er hin und rief seinem Sohn, der im Garten war samt seinen Brüdern, wo sie sich lustig machten mit Springen und anderer Kurzweil mehr mit schönen Frauen und Jungfrauen. Als nun Reinold seinen Vater also zornig sah und ihm die Tränen über die Wangen liefen, verließ er seine Gesellschaft, wiewohl ungern, kam seinem Vater und sprach: "Allerliebster Vater! Was ist Euch widerfahren, daß Ihr so bitterlich weinet und so traurig seid ? Ich will's rächen, und sollt ' es mich mein Leben kosten!" Graf Haimon mit zornigem Gemüt antwortete seinem Sohn, was König Ludwig zu ihm gesprochen, und daß er ihn einen alten Grieshart gescholten. "Nun aber, mein Sohn, wirst du des Königs Übermut nicht rächen, so muß ich sterben; ich bitte dich, nimm den Stein und wirf mit ihm in die Wette, damit er sieht, daß andere auch etwas gelernt haben und als Männer bestehen können, damit ich nicht als Lügner erscheine!" Reinold sprach: "Vater, es geziemt sich nicht, daß ich solches tue; denn Ludwig ist nun einmal unser König; seine Reden entspringen nur aus seiner Jugend, darum seid zufrieden, ich will gar keine Gemeinschaft mit ihm halten." Als Haimon diese Worte von Reinold hörte, ward er zornig und sprach: "Mein Sohn, wenn du mich in dieser Schande stecken lässest und wirs nicht gegen König Ludwig, so muß ich sterben." Da sprach Reinold: "Ja, Vater, ich will ihn überwinden mit Werfen, wenn er gleich der Teufel wäre!" Stand alsobald auf und ging mit seinem Vater in den Garten, wo König Ludwig mit seiner Gesellschaft war; seine Brüder samt andern Edelleuten folgten ihm nach, dazu viel schöne Frauen, die wollten das Werfen mit dem Stein auch sehen. Als sie nun an den Ort kamen, wo König Ludwig den Stein geworfen , nahm Reinold denselben auf und warf ihn um einen Fuß Wegs weiter als König Ludwig. Darüber erzürnte der König heftig, weil ihn vorhin keiner hatte überwinden können. Er hieß sich den Stein bringen, warf seinen Mantel von sich, setzte die Krone vom Haupt, nahm den Stein und warf ihn noch weiter, als Reinold getan hatte. Wie Reinold sah, daß der König ihn überwunden, nahm auch er den Stein wieder und warf denselben noch viel weiter als König Ludwig, also daß er vermeinte, der König sollte ihn nicht weiter werfen können; wie auch geschah. Da nahm der König den Stein und warf ihn noch einmal mit solcher Kraft, daß ihm das Blut zu Mund und Nase auslief; aber Reinold blieb Überwinder im Werfen, und jedermann gab ihm das Lob und mußte erkennen, daß er gewonnen hatte.



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Als Haimon dieses sah, daß sein Sohn den Preis erhalten, sprang er vor Freuden auf und dankte Gott für solche Wohltat.

König Ludwig mußte nun hören, daß Reinold von allen Edlen und Frauen also gepriesen wurde; da ward er sehr zornig und sprach zum Volk: "Es ist doch ein Wunderding, daß Ihr diesen so lobet um seines Werfens halber; wer weiß, ob es Haimons Sohn ist; vielleicht ist er dazu erkauft und ist etwa ein Bauernknecht; deren findet man noch mehr, die so stark sind wie der Beste von Adel; darum ist er desto weniger lobenswürdig."

Da sprach Haimon zu Reinold: "Nun wohlan, mein Sohn! Weil du dich so ritterlich gegen König Ludwig gehalten, darum ist dir jetzt mein Roß Beyart zum Eigentum geschenket: mich nimmt groß wunder daß du deine Macht bis hierher hast können verhalten; hättest du gewollt, du hättest den Stein noch weiter geworfen!" Reinold fing an zu lachen, dankte seinem Vater für das Geschenk und war wohl zufrieden. Als nun König Ludwig diese Worte hörte, ging er von dannen und schämte sich. Da begegneten ihm Guillon, Herr von Rades, und Makarius, Foukon; diese waren alle drei Verräter und König Ludwigs nächste Räte. Sie grüßten den König und fragten ihn, wer das Spiel gewonnen hätte mit dem Steinwerfen. Aber der König schwieg still und gab ihnen keine Antwort; da sprach Makarius: "Ich sehe wohl, gnädiger Herr König, daß Reinold Euch überwunden; aber ich weiß Rat damit Euer Majestät bei Ehren bleibe und ein jeglicher Euch lobe. Ihr sollt wieder in den Garten gehen und Haimon in die Arme nehmen, daß es jedermann sieht, und sprechen (jedoch aus einem falschen Herzen): ,Haimon! Ihr möget Gott im hohen Himmel danken, daß er Euch solchen schönen und starken Sohn gegeben hat; der aller Edelleute Meister sowohl in der Schönheit als in der Stärke und Geschwindigkeit ist, wie der, welcher öffentlich über mich gesiegt hat.' Darnach sollet Ihr zu Adelhart seinem andern Sohne, sagen, daß er mit Euch in die Kammer gehe und spiele das Schachspiel; und so er sich des weigert, so saget zu ihm, er habe sich vermessen, er könne das Spiel besser als Ihr. Wenn er das nicht gestehen will, so saget zu ihm, daß wir drei es gehört haben; dann wollen wir ihn überweisen, und wenn es nötig sein wird, ihrer noch mehr zu uns nehmen, die solches auch sagen sollen. Wenn er alsdann mit Euch zu spielen einwilligt, so sagt zu ihm und bekräftigt das mit einem Eide, wer fünf Spiele nacheinander gewinne , der soll des andern Haupt gewinnen und solches mit keinem Geld oder Gut bezahlen. Sobald Ihr nun die Spiele alle gewonnen habt sollt ,



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Ihr dem Adelhart den Kopf herunterschlagen; solchergestalt kann Eure Majestät des Reinold Übermut an seinem Bruder Adelhart rächen."

Als König Ludwig diesen Rat von Makarius angehört, gefiel er ihm auch wohl; denn er ließ sich dünken, es sei keiner im ganzen Königreiche, der über ihn wäre im Schachspiel; deshalb ließ er den Adelhart zu sich kommen; Adelhart aber, als Schenk, vermeinte, der König wollte trinken, lief hin zum Keller, holte ein goldenes Trinkgeschirr voll Weins und brachte es dem König Ludwig. Aber dieser schüttelte den Kopf und sprach mit zornigem Gemüt: "Ich begehre nicht zu trinken." Da fragte Adelhart den König, was ihm wäre, ob ihm irgend jemand Leids getan hätte; das wollte er an demselbigen rächen. Da schlug der König alsbald nach dem Adelhart, daß ihm das Geschirr mit dem Wein aus der Hand fiel, und sprach: "Ich habe vermeint, ich hätte Blutsverwandte zu Freunden an meinem Hof, die mich verteidigen sollten; so hab ' ich meine größten Feinde bei mir! Es war nicht genug, daß mich Reinold mit dem Steinwurf überwunden hat, sondern du, Adelhart, hast dich vermessen, du wollest mein Meister sein im Schachspiel. Solches stehet mir nicht an zu leiden; denn ihr suchet mich zu erniedrigen!"

Als der König ausgeredet hatte, antwortete ihm Adelhart und sprach: "Herr König, das wird sich nicht so befinden: von solcher Vermessenheit weiß ich nichts; dieser Worte hab ' ich keines gesprochen; so jemand mir solches nachredet, der tut mir unrecht, und ich will mich, das Schwert in der Hand, verteidigen!" Da sprach der König wiederum: "Das hilft dir nicht, du mußt mit mir spielen, ich will es nicht also beruhen lassen!" Da nahm Makarius den Adelbert bei der Hand, und sie gingen mit dem König in ein Zimmer, darin war Guillon, der Herr von Rodes, mit sechs oder sieben Herren, die sprachen alle, daß sich der Adelhart vermessen hätte, er könnte besser Schachbrett spielen als der König. Als Adelhart dieses angehöret; sprach er ganz sanftmütig: "Wenn es denn nicht anders sein kann, so muß ich es geschehen lassen."

Da brachte man zur Stund ein schönes Spielbrett, und König Ludwig sprach zu Adelhart: "Ich will mit dir spielen, und wer fünf Spiele hintereinander gewinnt, der soll dem andern das Haupt abschlagen." Darauf sprach Adelhart: "Gnädigster Herr König, ich spiele nicht um ein so großes Kleinod; auch wäre es eine Schande, daß Eure Majestät ihr Haupt gegen das meine setzen sollte: aber um Städte und Schlösser will ich mit Euch spielen." Da schwur der König einen Eid bei seiner Krone, er wolle um nichts anders spielen als um ihre beiden Häupter. Darauf sprach



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Adelhart: "Wohl, in Gottes Namen, wenn es nicht anders sein kann, so muß ich zufrieden sein." Da gedachte Guillon bei sich selbst: "Dies wird gut werden: der Spaß wird angenehm; wäre der König tot, so wollt ' ich noch die Krone in Paris tragen."

Als sie nun zusammen spielten, ließ Adelhart dem König Ludwig den Vorzug: da gewann dieser drei Spiele nacheinander, worüber er gar vermessen ward und sagte zu dem Adelhart: "Wenn ich gleich gegen deinen Bruder im Steinwerfen verloren habe, so will ich doch dir den Kopf abschlagen !" Als Adelhart diese vermessenen Worte angehört, sprach er zu dem König: "Gnädigster Herr König, ob es Sache wäre, daß ich das Spiel gegen Eure Majestät verlöre: wollt Ihr mir nicht dasselbige mit Geld oder Gut lassen bezahlen?" Da sprach der König: "Nein, Adelhart! Ich nehme nicht all dein Geld und Gut für deinen Kopf." Da gedachte dieser in seinem Herzen, seufzete zu Gott und sprach: "Oh, du mein Gott und Herr! Ich bitte dich bei dem bittern Leiden und Sterben deines lieben Sohnes Jesu Christi, du wollest mir die Gnade geben, daß ich mit Ehren komme aus diesem Spiel." Unterdessen spielten sie immerfort: ein jeder tat sein Bestes, um zu gewinnen. Als sie nun lange gespielt hatten, da erhörete Gott, der den Gerechten niemals verlassen hat, des Adelharts Gebet und ließ zu, daß er im Spiele gewann; darüber erzürnte der König gar heftig; bald darnach gewann Adelhart das andere, das dritte, das vierte und das fünfte. Als er nun alle fünf Spiele gewonnen hatte, war er gar fröhlich, dankte Gott und sprach zum König: "Mein lieber Vetter und gnädigster Herr König! Nun ist Eurer Majestät bewußt, daß ich Euer Haupt gewonnen habe, Eurem Begehren nach; aber ich will solches nicht: jedoch bitte ich, Ihr wollet ein andermal um solch köstlich Pfand nicht mehr spielen; der Euch den Rat gegeben, den hat Euer Leben gedauert!"

Über solche Worte ergrimmete der König sehr, ergriff das Spielbrett und schlug damit den Adelhart ins Angesicht, daß das Blut lief; Adelhart war traurig, durfte sich nicht wehren und lief nach dem Stall, da das Roß Beyart stand. Da kam sein Bruder Reinold und sah, daß er blutete; fragte, wer ihn geschlagen hätte. Adelhart durfte nicht sagen, daß es der König Ludwig getan, sondern antwortete: "Niemand." Da sprach Reinold: "Mich dünkt, du lügest; du sollst mir sagen, wer es getan hat, so lieb ich dir bin." Da sprach Adelhart: "Ich habe mich gestoßen." Reinold glaubte es nicht, zog seine Wehr und bedrohte den Adelhart , daß er's ihm sagen mußte. Da begehrte er seines Leibes Gnade und



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sprach: "Bruder, sei ruhig, ich will dir alles sagen!" und nun erzählte er ihm den ganzen Verlauf der Sache. Da sprach Reinold zu dem Adelhart: "Ein solch gewonnenes teures Pfand will ich nicht dahintenlassen, insonderheit eines Königs Haupt!"

***
Reinold und Adelhart gingen nun zu ihrem Vater und klagten ihm, wie es Adelhart mit König Ludwig ergangen war. Dies erschreckte den Vater sehr, und er ward traurig. Er befahl, man solle sich rüsten und zu den Wehren greifen, auch die Pferde samt dem Roß Beyart heimlich hinwegführen, daß es bei Hof nicht kundwürde. So zog er aus der Stadt. Als nun alles fertig war, sprach Reinold: "Ich will des Königs Haupt haben, es koste, was es wolle", zog deshalb mit seinem Bruder Adelhart die Waffen an, nahm ein bloß Schwert unter den Mantel in die Hand und ging also an den Hof.

Als sie dort ankamen, stand König Ludwig da und teilte Lehen aus, und sein Vater, König Karl, war bei ihm; Reinold und Adelhart grüßten König Karl, den Ludwig aber nicht. Und jetzt ergriff Reinold den jungen König bei dem Haar, schlug ihm das Haupt ab und nahm den Kopf und warf ihn gegen die Mauer, daß das Blut dem König Karl ins Angesicht spritzte; darnach nahm er den Kopf wieder, gab ihn Adelhart und sprach: "Siehe, da hast du, was du im Schachspiel gewonnen bast!"

Da König Karl den Leichnam seines Sohnes vor seinen Augen sah, ward er ergrimmt und sprach zu seinen Räten: "Oh, ihr edlen Herren und Grafen, die ihr mich liebhabt, helfet mir den Tod meines Sohnes rächen, der so jämmerlich durch Reinold umgekommen ist!" Von Stund an bewehrten sich bei zweihundert Ritter, so gut sie konnten, und verfolgten Reinold, der sogleich mit seinem Bruder die Flucht ergriff und zu ihrem Vater eilte, welcher draußen auf dem Feld mit dreihundert Mann wohlgerüstet lag. Als Reinold bei seinem Vater ankam, rief er: "Vater, lasset uns fliehen und gebt mir Beyart; denn ich habe dem König Ludwig sein Haupt abgeschlagen und es meinem Bruder Adelhart gegeben. König Karl ist jetzt unser Feind." Da sprach Haimon: "Das will ich durchaus nicht tun; die von Bourbon haben es niemals getan, sondern allezeit ihren Feind erwartet: also will ich auch tun und den König Karl erwarten, und wenn jemand von den Meinigen flieht, den will ich zur Stunde aufhenken lassen." Da Reinold das von seinem Vater hörte, ward er gar fröhlich und wohlgemut und sprang auf sein Roß Beyart; auf welches er sich verlassen konnte; die andern Brüder saßen auf ihren Pferden ganz wohl bewaffnet:



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so zogen sie mit Freuden dem König unter die Augen. Als Reinold nun den König in eigener Person ins Gesicht bekam, ritt er stracks auf ihn zu, gab seinem Pferde Beyart die Sporen und stieß ihn mit Gewalt durch Schild und Halsband, so daß er von seinem Pferde fiel. Reinolds Brüder aber ritten unter den größten Haufen und taten großen
Schaden mit Fechten, daß Wunder davon zu schreiben wären; darnach kam Haimon, ihr Vater, der entsetzte sie mit seinem Volk, sonst wäre es ihnen übel gegangen. Da befahl König Karl seinen Leuten, daß sie den Haimon mit den Seinigen umringen und alles niederhauen sollten, was sie bekämen. Als Haimon das merkte, sprach er zu seinem Gefolge: "Oh, ihr Herren und Freunde, es ist hie kein anderes Mittel; wir müssen uns wehren , solang wir können."

Haimons Volk wehrte sich darauf so lange, bis sie fast alle erschlagen



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und ihre Pferde unter ihnen erstochen waren; aber Reinold und seine Brüder taten ihr Bestes, und zuletzt blieben der Brüder Pferde auch tot. Doch Reinold tat mit seinem Roß gar großen Schaden. Als er sah, daß seine Brüder ihrer Pferde ledig waren, hieß er sie hinter ihn auf den Beyart springen, und also rannten sie davon. Als König Karl sah, daß Reinold und seine Brüder also mit dem Roß Beyart davonkamen und ihr Vater Haimon sich noch tapfer zu Fuß wehrte, ward er traurig, fürchtete sich vor dem Reinold, er möchte sich einen Anhang machen und ihn noch mehr überfallen. Als nun der Bischof Turpin merkte, daß Haimon dastand, sich so tapfer zu Fuß wehrte und sich nicht gefangengeben wollte, rief er ihm zu und sprach: "Haimon, gib dich gefangen!" Da antwortete ihm Haimon und sprach: "Ja, Herr Bischof, in Euer Geleit und in Eure Hand will ich mich gefangengeben!"

Der Bischof ritt sogleich zum König und fragte ihn, ob er den Haimon gefangennehmen sollte. Da sprach der König: "Hätte ich ihn gefangen, ich ließ ' ihn zur Stunde aufhenken." Da nahm der Bischof den Haimon zum Gefangenen an; der König aber verbannte seine vier Söhne aus dem Land und schwur bei seiner Krone, er wollte Haimon henken und seine Schwester, Frau Aja, des Haimons Hausfrau, verbrennen lassen, weil sie solche Kinder geboren, die seinen Sohn Ludwig ums Leben gebracht hätten.

Darum befahl der König dem Erzbischof Turpin, er solle den Haimon hinrichten lassen; dieser aber sprach: "Gnädigster Herr König, das wäre eine große Schande; da ich ihn gefangennahm, hab ' ich ihm verheißen; ihn unter meinen Schutz zu nehmen; und ehe ich solches zuließe, will ich ihm lieber beifallen und ihm helfen mit meiner Macht!" Ebenso sprach der stolze Roland und andere mehr: "Herr König, es wäre nicht recht, daß man ihn hinrichten ließe, dieweil man ihm sicher Geleit zugesagt hat; zudem hat er sich auch ritterlich gewehrt, daß Wunder davon zu sagen wären." Karl aber sagte zu ihnen allen: "Ich will gleichwohl, daß er sterben soll, und Frau Aja, seine Hausfrau, will ich verbrennen lassen, es koste, was es wolle!"

Hierauf antwortete ihm Graf Roland und sprach: "Allergnädigster Herr König, das wäre die größte Schande, und ich weiß, es wird niemand von Euren Genossen und Herren solches zugeben." Der König aber fragte Roland: "Stellest du dich gegen mich, Roland?" — "Nein", sprach Roland, "aber ich sage, es wird von Euren Edelleuten nicht zugelassen werden, daß man den Haimon umbringe und Eure Schwester, Frau Aja, verbrenne;



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sie würden viel lieber alle darum sterben oder gegen Eure Majestät streiten und sich auflehnen." Als der Ritter Foukon dieses hörte, sprach er zum König: "Gnädiger Herr, allhie ist Bertram, mein Sohn, denselben hab ' ich auch sehr lieb, und ob er etwas wels täte gegen Eure Majestät, so soll ich das entgelten müssen! Darum, ob Reinold mit seinen Brüdern etwas gegen Euch gehandelt habe, was können die Eltern dafür?" Da sprach der König zu Foukon: "Sofern mir Haimon angeloben will, daß er mir seine Kinder in meine Hand liefere, will ich ihn und seine Hausfrau ledig lassen." Dieses hörte Bischof Turpig und gab Haimon den Rat, er sollte solches dem König verheißen. Da schwur Haimon und Frau Aja einen Eid bei St. Dionysii Haupt im Beisein vieler Herren von Adel, daß sie, sofern es ihnen möglich wäre, dem König ihre Kinder liefern wollten, nach seinem Gefallen mit ihnen zu handeln.

***
Reinold und seine Brüder kamen inzwischen in aller Eile zu dem Schloß Pierlamont; da erzählten sie, was sich begeben hätte, wie sie ihren Vater zu Fuß verlassen und tapfer gegen seine Feinde gestritten; über welches alle ganz traurig waren. Darum kam Haimons Bruderstochter, welche eine schöne Jungfrau war, die fragte den Reinold, was er Gutes zu Hofe vernommen hätte. Da antwortete Reinold: "Ich hab ' da nichts Gutes vernommen; denn ich hab ' Ludwig, des Königs Sohn, erschlagen!" Als die Jungfrau das hörte, erschrak sie und sprach: "Nun werden meine Vettern aus dem Land vertrieben, und ich sehe meinen Oheim nimmermehr!" Wie das Gespräch sich nun also geendet hatte, hieß man die vier Brüder zum Essen gehen; und als sie gegessen hatten, begehrten sie, daß man sie mit allem, was ihnen nötig wäre, versehen sollte und dasselbige auf ein Kamel laden mit allen Kleinodien ihres Vaters; denn sie müßten verreisen . Da befahl die Jungfrau, daß man tue, was ihre Vettern begehrten.

Sobald nun alles fertig war, ratschlagten sie, wo sie ihren Weg hinausnehmen wollten; endlich wurden sie des Mats, daß sie nach Spanien reisen wollten und den König Saforet besuchen; denn sie wußten wohl, daß sie bei ihm angenehm sein würden, weil ihr Vater vorzeiten bei jenem König sieben Jahre gewesen. Als dieser nun die vier Brüder von weitem kommen sah, kannte er sie an ihren Waffen und sprach zu den Seinigen: "Die da kommen, das sind des Haimons von Dordone Kinder, das sehe ich wohl, und so die bei mir bleiben wollten, will ich sie bei mir behalten; denn sie scheinen tapfer und männlich zu sein, und wenn sie die Art von .



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ihrem Vater haben, so dürfen sie ihrem Feind unter die Augen ziehen!" Indes ließ der König die Brücken nieder, um die Herren willkommen zu heißen, die ihm mit großer Ehrerbietung entgegengingen und ihn Grin . Und er grüsste sie wiederum und fragte, wo sie hinwollten und was sie begehrten. Da sprach Reinold: "Gnädigster König, ich und meine
Brüder begehren bei Euch Dienst und Unterhalt." Der König antwortete: "Wenn ihr wollet an unser Gesetz und an unsern Gott glauben, so will ich euch Unterhalt geben." Da sprach Reinold: "Mein Herr König, soll ich Euren Abgott glauben und von meinem wahrhaftigen Gott abfallen, der Himmel und Erde gemacht und uns erlöset hat mit seinem teuren Blut am Stamm des Kreuzes? Dafür behüte mich Gott!"

Hierauf sprach der König Saforet: "Ich schwöre bei meinem Gott Mahomet,



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ich will euch Unterhalt geben, und ihr sollt keinen Mangel haben, wenn ihr mir treulich dienen wollt! Gehet hin in das Kastell und behaltet das zu eurer Wohnung und gebet mir euren Schatz aufzubewahren! Wann es euch gefällt und ihr euch weiterbegeben wollet, so will ich ihn euch wiedergeben; wollet ihr aber euer Leben lang bei mir bleiben, so sollet Ihr alles genug haben, und ich will euch reichlich besolden!" Als Reinold dies hörte, ward er froh, gab dem König seinen Schatz zu bewahren und ritt mit seinen Brüdern auf das Kastell, auf welchem sie alle Notdurft fanden. Dasselbige war stark und schön, und sie blieben bei dem König Saforet mehrere Jahre in Hispanien und dienten ihm getreulich in drei Kriegen, die er führte. Als sie nun viel ritterliche Taten vor dem Könige getan hatten, fing der Mangel bei ihnen an, und sie wurden von dem ganzen Volk wenig geachtet. Da begehrte Reinold vom König, er sollte ihm sein Gut wiedergeben, er müßte sich rüsten mit seinen Brüdern . Darauf sagte Saforet, ja, er wollte es tun; aber es folgte nichts darauf. Als Reinold sah, daß nichts erfolgte, ward er sehr zornig und sprach zu seinen Brüdern: "Ich gelobe Gott, so uns der König unser Gut nicht wiedergibt, so will ich ihm tun, wie ich König Ludwig getan habe." Darauf sagte Adelhart: "Brüder, wenn ihr diesen König schlaget, so wüßten wir nicht; wo wir bleiben sollten." Da sprach Reinold wieder: "Was ist's, daß wir länger bleiben! Hätten wir viel Goldes, es würde hie zu Kupfer werden; man gibt uns ja nichts zum Lohne!" und rief einen Diener, genannt Wendel, und befahl ihm, er sollte zum König gehen und ihn fragen, ob er ihnen Unterhalt und Kleider geben wollte oder den Schatz, den sie ihm aufzuheben gegeben hätten: "Und Ihr sollt", sprach er; "fleißig achtgeben auf die Worte, die er antworten wird; und so er sich weigert, so sollt Ihr sagen, es würde ihn über kurz oder lang gereuen!"

Als der Diener zum Könige kam. begrüßte er denselben nach alter Gewohnheit und sprach: "Gnädigster König, meine Herren lassen Euch bitten , es wollen Eure Majestät sie mit Kleidern und anderm Unterhalt versehen oder ihnen ihren eigenen Schatz wiedergeben, den sie Euch anvertraut haben; denn sie sind dessen benötigt." Der König gab ihm harte Antwort und sprach: "Gehe aus meinen Augen und sage deinen Herren: wo sie mir viel Wesens machen, so will ich sie henken lassen!" Da sprach der Diener: "Gnädigster Herr t Das wäre nicht recht, daß Ihr sie solltet henken für die treuen Dienste, die sie Euch geleistet haben."Alsbald befahl der König, den Jüngling zu fassen und zu strafen um der Worte willen, die er geredet hatte. Da schlug man ihn tapfer, und er wurde zum Palast



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hinausgestoßen und entrann. Als er nun so übel zugerichtet zu Reinold kam, 'fragte dieser den Knaben, wer ihm wels getan hätte. Da sprach dieser: "Das hat mir des Königs Marschall auf Befehl seines Herrn getan." Reinold fragte: "Warum hat er dich geschlagene" Da antwortete der Knabe: "Weil ich dem König sagte, was Ihr mir befohlen habt! Der König sprach, ihr wäret Fremdlinge und hättet euren Vater ermordet, er gedenke euch nicht eines Hellers Wert wiederzugeben!" Als Reinold dies hörte, ward er zornig, rief seinen Brüdern Rittsart und Writsart und sprach: "Ich befehle euch, daß ihr nun das Toß Beyart aus der Stadt führet und euch heimlich waffnet, und du, Adelhart, sollst mit mir gehen; wir wollen uns auch waffnen und unser Gewehr mit uns nehmen und unsern Harnisch unter dem Mantel anlegen, dann zum König gehen und ihn selbst fragen, ob er uns das wiedergeben will, was wir ihm aufzuheben gegeben haben. So er das verweigert; so verspreche ich dir, daß ich sein Haupt nehme für unsern Schatz und das mit über Land führe!"Adelhart sprach: "Das ist ein bös Pfand, ich nähme wohl etwas Besseres!" Da entgegnete Reinold: "ES ist nicht viel wert; aber ich kühle doch meinen Mut damit!"

Darnach gingen Reinold und Adelhart miteinander nach Hof, mittlerweile Rittsart und Writsart das Roß Beyart und sich selbst auch rüsteten. Als jene zu Hofe kamen, saß der König mit allen seinen Edeln über der Tafel. Vor den Herren angekommen, fielen beide auf ihre Knie und segneten ihnen die Mahlzeit mit einem freundlichen Gruß. Der König sah sie an, aber er redete nicht mit ihnen. Wie Reinold das merkte, sprach er mit trotzigem Gemüte: "Gnädigster König, es ist ungefähr drei Jahr, daß ich und meine Brüder Eurer Majestät getreulich gedienet haben und unsern Leib und Leben für Euch dargestreckt; für welches alles wir von Eurer Majestät nicht einen einzigen Sporn an unsere Füße bekommen haben, geschweige unsere Belohnung; bitte derohalben, Ihr wollet Mitleiden mit uns haben und helfen, daß wir Unterhalt bekommen; es ist uns nicht möglich, länger so zu leben!" Aber der König schlug sein Angesicht nieder und wollte sie nicht ansehen. Als nun Reinold merkte, daß der König sich an nichts kehren wollte, liefen ihm die Augen über; er seufzete heftig und sprach abermal: "Herr König, so Ihr uns keinen Unterhalt reichen wollet, so gebet uns zum wenigsten unsern Schatz wieder, den wir Euch aufzubewahren gegeben haben, und lasset uns unsern Weg hinziehen! Zudem sollt Ihr wissen, Herr, daß ich noch nicht zufrieden bin, daß man mir meinen Knecht also jämmerlich geschlagen; und der das getan hat, denselben



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wird es noch gereuen!" Jetzt rief der König mit zornigem Mut und schwur bei Mahomet: "Es ist genug, und stündet ihr mit diesen Worten allhier bis in alle Ewigkeit: ich gebe euch nicht eines Pfennigs Wert; denn ihr seid Fremdlinge allhie!" Da fiel ein Markgraf dem König in die Rede und sprach: "Warum soll man euch etwas geben? Es ist noch nicht lang, daß du deines Vetters Sohn, welcher euer Herr und König war, totgeschlagen; darum, so gehet hin: ich gebe euch nichts!" Reinold aber ward zornig und sagte: "Ich will es gleichwohl wiederhaben, es koste, was es wolle!" zog seine Wehr und sprach: "Nun sollet Ihr mit dem Leibe zahlen!"Da bat der König um Gnade und rief: "Ich will euch Unterhalt samt eurem Schatz, den ihr geliefert, wiedergeben; verschont nur meiner." Aber Reinold sprach: "Nein, Ihr habt mir es schon verweigert , als ich Euch darum gebeten habe: es hilft nichts; dazu heißet Ihr mich und meine Brüder Fremdlinge; ich will dasselbe nun rächen, oder es muß mir an meiner Macht und Wehr mangeln!" Dann holte er aus und hieb dem König den Kopf ab, gab den seinem Bruder Adelhart und sprach: "Binde denselben an unser Pferd, denn wir müssen leider ihn für unsern Schatz annehmen!"

Alsbald ward großer Aufruhr in der Stadt Aquitania: ein jeder waffnete sich, um den Tod des Königs zu rächen. Unterdessen floh Reinold mit seinem Bruder Adelhart nach dem Rosse Beyart, und alle v er sprangen darauf. Da kam des Königs Bruder Aunt mit einem Haufen Volks und wollte den Reinold samt seinen Brüdern bestreiten; er stieß mit Gewalt auf Reinold, und dieser wieder auf ihn dergestalt, daß Riant getroffen ward, vom Pferde fiel und starb. Alsbald gab jener dem Roß Beyart die Sporen und sagte zu dem Tier: Du mußt uns heute aus der Not helfen!" Die Worte verstund Beyart, tat nicht anders, als ob es unsinnig wäre, schlug und zerriß alles, was es erreichen konnte, und brachte viel Volk um. Darnach kam noch ein heidnischer Ritter mit vielem Volk und hoffte, Reinold zu erschlagen. Der ward aber auf seinen Schild getroffen, daß ein Stück davonsprang. Unterdessen kam der Ritter neben den Adelhart hergeritten, doch dieser schlug ihm den Kopf in zwei Stücke, daß er tot von seinem Pferd fiel. Und nun begaben sich die Brüder mit ihrem Roß Beyart unter das Volk, zerschlugen alles, was da war, und kamen also durch des Feindes Heer. Als sie zuletzt an einen Ort gelangten, wo sie vor ihrem Feinde sicher waren, verband einer dem andern seine Wunden.

Indem versammelte sich das Heer wiederum und folgte dem Reinold .



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nach. Adelhart sprach: "Ich weiß nicht, Bruder, wo wir hinaus sollen, daß wir unsers Lebens gesichert sind." Desgleichen sagte Reinold auch. Da ließ sich Writsart vernehmen: "Es müßte ein wunderliches Ding sein; soll uns denn die ganze Welt zu klein sein, daß wir nirgends bleiben können?"Rittsart verwunderte sich über diese Reden und sprach: "Wenn ihr denn nicht wisset; wo wir bleiben können, so weiß ich uns einen Aufenthalt " — "Was ist das, Bruder?"fragte Reinold. Rittsart sprach: "Lasset uns ziehen nach Tarragona zu dem König Yvo; der ist dem Könige
Saforet todfeind; denn er erschlug Yvos Vater und auch seiner Brüder zween und verheerte ihm sein ganzes Land!" — "Ja", sprach Reinold, "es ist dem so; lasset uns dahin gehen; wir werden daselbst gar willkommen sein und Unterhalt bekommen, und wißt ihr, was tun? Wir wollen dem König Saforets Haupt überreichen, das wird ihm gar angenehm sein!" Dessen wurden die Brüder bald einig und ritten mit ihrem Roß Beyart nach Tarragona. Als sie nun nahe an des Königs Kastell waren, erfuhren sie, daß Yvo mit seinem ganzen Hofgesinde über der Tafel war. Da sprach Writsart: "Lieben Brüder! Nun sind wir außer Gefahr unsers Leibs, Gott sei Lob und Dankt Ihr wisset; daß wir nicht geschlafen


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haben, sind auch gar müde; lasset uns ein wenig niedersitzen und ruhen!" "Wohlan", sprach Adelhart, "lasset uns dies tun!" So legten sie ihren Harnisch unter ihre Häupter und schliefen, bis der König seine Mahlzeit geendigt hatte. —

Als die vier Ritter nun ausgeschlafen hatten, saßen sie wieder auf ihr Roß Beyart und eilten auf das Kastell zu, wo der König hofhielt, nahmen Saforets Haupt mitsamt der Krone, steckten es auf Reinolds Speer und ritten also nach dem königlichen Hof. Der König stand in eigener Person auf der Zinne und sah sie hereinkommen; er sagte zu denen, die bei ihm waren: "Stehet auf, meine Freunde, da kommen vier vornehme Leute auf einem Roß; was mögen die uns Gutes bringen wollen? Es ist das größte Roß, das ich in meinem ganzen Leben gesehen habe!" Alsbald eilte er mit seinem ganzen Adel hinunter, um zu vernehmen, wo sie herkamen, und was ihr Anliegen oder Vorhaben wäre. Als Reinold samt seinen Brüdern den König sahen, stiegen sie von ihrem Roß Beyart, fielen ihm zu Fuß und bewiesen ihm große Ehrfurcht; sie reichten ihm das Haupt Saforets dar und sprachen zu ihm: "Gnädigster Herr und König, dies ist das Haupt Eures abgesagten, größten Feindes Saforet, das wollen wir Eurer Majestät als ein geringes Geschenk verehrt haben; wo wir Euch in irgend etwas dienen können, wollen wir jederzeit dazu bereit und willig sein!"

Der König Yvo nahm das Haupt mit höchstem Dank an, hieß sie willkommen und versprach ihnen guten Unterhalt; er befahl, in aller Eile ein köstliches Mahl zuzurichten, das Reinold und seine Brüder mit ihm verzehren sollten. Als sie nun zur Tafel saßen, fragte der König, wer sie wären, und wo sie den König Saforet erschlagen hätten. Da antwortete Reinold und sprach: "Gnädiger Herr, unser Vater heißt Graf Haimon von Dordone, von dem Geschlecht Bourbon; mein ältester Bruder ist Rittsart genannt, der andere Adelhart, der dritte Writsart; ich bin der jüngste und heiße Reinold." Als der König dieses hörte, empfing er sie, als wenn sic seine Kinder gewesen, und ließ sie herrlich kleiden und wehrhaft machen. Bald darnach rüstete er sich zum Krieg. Er wollte sich nämlich an Saforets Landschaft rächen und versammelte ein groß Volk. Reinold befahl, das Roß Bei) art zu satteln, und so setzten sie sich wieder alle vier darauf und fielen mit aller Gewalt in Saforets Land ein und erschlugen jegliches, das ihnen vorkam, was männlich war. Dieser Krieg dauerte fast drei Jahre. Unterdessen ließ der König Yvo starke Festen und Kastelle bauen, das Land damit im Zwang zu halten. Alles, was sie anfingen,



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das schlug zum Glück aus, und die vier Gebrüder taten ihr möglichstes. Also dienten sie dem König Yvo vier ganzer Jahre und erhielten große Ehren, Geschenke und Kleinodien.

Wie nun der König von Frankreich vernommen, daß Reinold mit seinen Brüdern in Tarragona bei dem Könige war, so schickte er einen Gesandten zu ihm mit freundlichen Worten und dem Begehren, er möchte ihm die vier Brüder gefänglich abliefern; denn sie hätten ihm seinen Sohn Ludwig erschlagen. Sobald dieses der König vernommen, versammelte er heimlich seinen Rat und legte ihnen des Gesandten Auftrag vor: wie daß König Karl von Frankreich begehre, er solle ihm die vier Brüder gefänglich zuschicken, wenn er sein Freund bleiben wolle. "Was dünket euch aber, ihr Herrn? Scheint euch solches ratsam zu sein? Ratet mir hierin das Beste, damit ich in meiner Ehre bleibe; denn durch die vier Brüder habe ich meine Feinde überwunden!" Da sprach der Herzog von Ripemont zu dem Könige: "Gnädigster Herr König, ich habe vor dieser Zeit wohl vernommen, daß jene dem Könige von Frankreich großen Trutz und Übermut getan haben und ihm seinen Sohn Ludwig erschlagen. Damit nun Eure Majestät nicht in des Königs von Frankreich Ungnade komme, so rate ich, daß man sie ihm gefänglich zuschicke." Eben so sprach auch Herr Andell. Als ein anderer Edler; Herr Hugo von Averna, diesen Vorschlag hörte, ward er zornig und sprach: "Vermaledeit sei dieser Rat: so Euer Majestät das tut und überliefert sie dem König von Frankreich, so wird man Euch über tausend Jahr einen Verräter schelten. Es wäre nicht weislich gehandelt ; denn sie haben manchen Heiden erlegt und Euch in dem ganzen Heidenlande berühmt gemacht." Darauf sprach der König zu einem Edelmann , genannt Israel, und fragte ihn, was er dazu sage: "Gnädiger Herr und König", antwortete dieser, "es wäre Eurer Ehre zuwider, daß Ihr die vier Ritter solltet nach Frankreich schicken, daß sie ums Leben kämen. Wenn Ihr des Königs Ungnade fürchtet, lasset sie in ein ander Land ziehen, wo sie sich vor ihm nicht fürchten."

Dem Könige gefiel dieser Gedanke am besten; er hatte ein groß Mitleid mit Reinold und seinen Brüdern, daß er sie verlassen müsse, wegen der treuen Dienste, die sie ihm geleistet hatten, aber auf Begehren wollte er diesem Rat nachkommen. Darauf sprach Herr Hugo zum König: "Es ist nicht ratsam, daß man Andells und des Herzogs von Ripemont Vorschlag befolge; denn sie sind beide von einem Geschlechte, das keinem wohl rät. Dieweil nun Eure Majestät den Reinold samt seinen Brüdern so ungern verliert, und sie Euch allezeit gar getreu und hold gewesen sind, so tatet



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Ihr uns auch einen großen Gefallen, und es wäre dem Lande nützlich, wenn Ihr dem Reinold Eure Tochter Klarissa zur Gemahlin gäbet, hernach die Steinklippen in den Grund risset und ließet ihm darauf ein ansehnliches und festes Schloß aufbauen; und wenn es Gott gefiele, daß er junge Erben mit ihr bekäme, so würde er seine Sache gegen König Karl wohl selbst verantworten; denn er ist von einem so gewaltigen Herkommen , daß er dessen Gewalt nicht fürchten darf; darum mag Eure Majestät in guter Ruhe leben." Sobald König Yvo diesen Rat angehört, war er wohl zufrieden und gedachte: "Möchte es nur so weit geraten, daß Reinold und seine Brüder bei mir blieben, so wollte ich keinen König noch Fürsten fürchten." Darauf ließ er alle vier zu sich fordern.

Als sie nun vor ihn kamen, fielen sie auf die Knie nieder und erzeigten dem König alle gebührende Ehre. Reinold fragte Yvo, was sein Begehren wäre. Darauf antwortete ihm dieser: "Allhier habe ich ein Schreiben vom König Karl aus Frankreich, dessen Inhalt ist, daß ich Euch und Eure Brüder ihm ausliefern solle, damit er nach Gefallen über euch verfügen könne; aber das will ich durchaus nicht tun, ich will kein Verräter sein. So ihr wollt nach Polen oder nach Kalabrien oder anderswohin in der Welt ziehen, so will ich euch mit einem schönen Geschenke begaben und verspreche auch, euch nimmer in der Not zu lassen." Da antwortete ihm Reinold und sprach: "Allergnädigster Herr und König, gegen die Gewalt König Karls können wir allein nicht bestehen; aber Eure Majestät hat dort noch eine starke und hohe Steinklippe, die wollet mir schenken: so will ich darauf eine große Festung bauen, daß ich des Königs Karl Gewalt nicht fürchten darf." König Yvo antwortete: "Reinold, wenn ich dir die Steinklippe gebe, und du bauest eine Festung darauf: du zwingst mein ganzes Königreich, zudem auch die Landschaft Gaskognel" Da sagte Reinold: "Ach nein, gnädiger Herr und König, das begehre ich nicht zu tun; vielmehr will ich angeloben, wenn jemand Euch würde mit Krieg angreifen , so will ich Euch verteidigen, als wenn Ihr unser Vater wäret." Darauf sagte der König: "Ich will mich bedenken und beraten und dir eine gute Antwort geben."

Sogleich ließ Yvo seinen Rat zusammenfordern und trug ihnen Reinolds Begehren vor; darauf sollten sie sich entschließen und Antwort geben. Da sagte Herr Israel zuerst seine Meinung und sprach: "Ich rate; Herr König, daß Ihr ihm die Tochter samt der Steinklippe gebet unb lasset ihn darauf bauen, was er begehret, das wird Euer Majestät große Ehre bringen, und man wird Euch allenthalben desto mehr fürchten."



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Andell aber sagte: "Was ist das? Wollt Ihr denn König Karl beleidigend Wenn er solches vernähme, so fiele er mit Gewalt ins Land und nähme unsern König, Reinold und seine Brüder gefangen und ließe sie alle henken und verheerte das ganze Land; das wäre für immer eine Schande."

Diese Worte verdrossen den Herrn Andernell, er schlug den Andell in das Gesicht, daß er tot zur Erde fiel, und sagte: "Da hast du den Lohn für deinen guten Rat." Als der König das sah, sprach er: "Lasset das bleiben, meine lieben Herren; denn ich will Reinold meine Tochter geben und die Steinklippe; dafür soll er samt seinen Brüdern zu jeder seit mir beistehen, wo ich sie vonnöten haben werde, als wenn ich ihr Vater wäre." Da ließ der König den Reinold vor sich kommen und sagte: "Reinold, mein lieber Sohn, ich weiß, du bist von gräflichem Stamm; so du und deine Brüder mir wollen getreu sein, so will ich dir meine liebste Tochter zur Gemahlin geben, dazu die Steinklippe und den halben Teil meiner Güter, und magst du darauf ein Kastell bauen lassen, so stark und fest du immer willst, damit du sicher seiest vor dem König Karl in Frankreich; er kann dir darauf kein Leid tun, und läg ' er hundert Jahre davor." Dafür dankte Reinold dem König Yvo sehr höflich und ließ sich alsbald nach christlichem Gebrauch einsegnen, die Hochzeit aber ward auf eine andere Zeit gehalten. Als nun das Hochzeitmahl vorüber und alle Kurzweil vollbracht war, ließ Reinold Zimmerleute, Steinmetzen und andere Meister zusammen berufen und da ein schönes und festes Kastell bauen, von lauterm Marmorstein, gar hoch und mit vier Mauern umfangen; das nannte er Montalban. Darnach ließ er allenthalben ausrufen, wer daselbsthin wollte kommen zu wohnen, den wolle er beschützen und beschirmen und jeglichen freilassen von allen Beschwernissen. Als dies Gerücht unter das Volk kam, sammelten sich an fünfzehnhundert Mann, welche da zu wohnen begehrten. Hierauf verlangte er vom König Yvo, er sollte auch einmal dahin kommen und ihn besuchen. Als der König nun zu ihm kam, besah er das Kastell und sprach: "Sohn, du hast allhier ein schön und mächtig Stück Werks gemacht. Gott gebe dir Glück und Heil damit, wie ist sein Name?"Da antwortete Reinold: "Weil es auf einer weißen Marmorklippe steht; so habe ich es Montalban oder Weißenstein genannt."So schieden sie voneinander.



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Nun geschah es, daß König Karl mit seinem Neffen Roland und andern Rittern sich rüstete und wollte nach St. Jakob in Galicien reisen; und als sie in König Yvos Land kamen, sah Karl das schöne und gewaltige Kastell an und merkte, daß es fast unüberwindlich war. Sie fuhren eben übers Wasser in das Land, das König Yvo dem Reinold mit seiner Tochter gegeben hatte. Da fragte er, wer das Schloß erbaut hätte, und wessen es sei. Roland ging zu einem Ackersmann und sprach denselben an, wem das Kastell zugehöre. Da sagte der Mann: "Ein Graf hat es bauen lassen, um sich zu wehren gegen seine Feinde." Nun fragte Roland, wie er heiße. "Reinold", antwortete jener, "er hat auch drei herrliche Brüder , und die Stadt ist sein." Als Roland diesen Bescheid eingenommen, eilte er wieder zum König und sagte ihm, wie er vernommen, daß Reinold es gebaut hätte. Darüber ward der König zornig und gebot Roland, er sollte hingehen und Reinold sagen, daß er ihm das Kastell, die Stadt und auch seine Brüder ausliefern solle; dann werde er ihnen alle ihre Missetat verzeihen; wenn er sich dessen weigerte, so werde es ihm übel gehen. "Dann will ich", sprach er, "mit meiner ganzen Macht kommen, das Land verderben und ihn samt seinen Brüdern aufhenken lassen."

Roland merkte sich des Königs Meinung, ritt nach Montawan, grüßte Reinold samt seinen Brüdern und seinem ganzen Hausgesinde freundlich und sprach: "ES ist des Königs Wille und Meinung, und hat derselbe mich zu dem Ende hergeschickt, daß Ihr ihm das Kastell Montalban samt der Stadt überantworten und kommen sollet mit allen Euern Edelleuten, ihm zu Fuß fallen und um Verzeihung Eurer Missetat bitten: so will er euch alle zu Gnaden annehmen." Da antwortete Reinold und sprach:



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"Ich gebe nicht eine Kirsche um den König Karl, er liegt mir lieber sieben Jahre in meinem Lande." Als Roland dies hörte, sprach er: "Vetter, wieso? Wollet Ihr Euch gegen König Karl aufweckend Ihr habt seinen Sohn Ludwig erschlagen!" Da sprach Reinold: "Ich frage nichts darnach , es gehe mir darüber, wie Gott willt" Roland zog wieder zum König Karl und meldete ihm Reinolds Antwort. Als der König diese vernommen, ward er zornig und schickte dem Yvo einen scharfen Brief mit dem Inhalte, daß er sein Todfeind wäre darum, daß er seine Feinde in seinem Lande beherberge. Als aber König Karl wieder nach Frankreich kam, versammelte er viel Volks, zog dem Reinold in sein Land und belagerte Montalban. Da Reinold das sah, versammelte er auch sein Volk, um es zu entsetzen. Und König Karl blieb ein ganz Jahr im Land und verderbte es mit Brennen und Sengen, verlor aber viel Volk, so daß er zuletzt wieder abziehen mußte.

***
Jetzt hatten die Brüder wieder Frieden. Da geschah es auf eine Zeit; daß Reinold seine Brüder zu sich berief und zu Writsart sagte: "Lieber Bruder, du bist mein Trost und meine einzige Hoffnung; es ist nun sieben ganzer Jahre, daß wir unsere Mutter nicht gesehen haben, darum ist mein Herz also traurig, und wenn ich sie nicht bald sehe, so muß ich sterben." Da sprach Adelhart: "Bruder, was soll dies werden? Du weißt wohl, daß unsere Eltern haben schwören müssen, daß sie uns alle vier dem König Karl ausliefern wollen!" Da sprach Reinold: "Den Eid achte ich gering; denn es ist natürlich, daß sie die Kinder lieben. Es gehe, wie es wolle, ich muß meine Eltern sehen; auch weiß ich uns guten Rat: wir wollen hingehen in den Wald bei Bordeaux, daselbst der Pilgrime warten und sie bitten, daß sie mit uns die Kleider vertauschen; dann gehen wir als Pilger durch das Land zu unsern Eltern." Dieser Rat gefiel den Brüdern gar wohl, und sie begaben sich auf die Reise nach dem Wald.

Wie sie nun daselbst waren, kamen nach einer Weile vier Pilgrime von dem Heiligen Lande und hatten Palmzweige in ihren Händen. Als sie mit diesen zusammenkamen, hieß Reinold sie willkommen und begehrte, daß sie mit ihnen die Kleider tauschen sollten. Da die Pilger das hörten, waren sie erschrocken, verstanden Reinolds Meinung nicht, und einer aus ihnen sprach zu ihm: "Wie, Reinold, bist du nun ein Räuber worden? Wie geht dies zu, wie lang hast du dies getrieben? Gewiß, wenn ich lebendig wieder nach Frankreich komme, so will ich bei dem König über dich klagen!" Als der Pilger dies sagte, zog Reinold sein Schwert aus



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und wollte den Pilger schlagen; da fiel ein anderer dazwischen und sprach: "Gnädiger Herr, wir begehren Gnade von Euch; wir sind arme Pilgrime und kommen von Jerusalem, nehmet unsere Kleider und tut damit nach Eurem Gefallen." Da sagte Reinold: "Freund, du tust wohl daran, und wenn du das nicht getan hättest, so wäre dein Mitbruder tot." Da zogen sie ihre Kleider aus und gaben sie Reinold und seinen Brüdern; darnach ließ jener die Pilgrime ihre Straße gehen. Nachdem sie die Kleider angelegt , machten sie sich zu Fuß auf den Weg nach Pierlamont, und als sie dahin kamen, fanden sie, daß das Tor verschlossen war. Da klopften sie an; der Torhüter kam und fragte, wer da wäre, und was sie begehrten. Da antwortete Reinold: "Mein lieber Freund, lasset uns arme Pilgrime durch, wir kommen von Rom und andern Städten mehr; nun haben wir Hunger und Durst, deshalb bitten wir; Ihr wollet uns zu essen geben und uns hernach ruhen lassen um Gottes willen!" Der Torhüter sagte zu ihnen: "Und bittet Ihr noch so sehr, so darf ich Euch doch nicht einlassen ." "Warum?" fragte Reinold. "Das will ich Euch sagen", sprach jener, "weil unsere vier Söhne gefangen sein sollen, nämlich Rittsart, Writsart, Adelhart und Reinold. Aber ich sage Euch, Freund, Ihr sehet dem Reinold so gar ähnlich, und wenn Euer Bart nicht so lang wäre, so sagte ich für gewiß, Ihr wäret der stolze Reinold!" Da sprach dieser wiederum: "Freund, ich bitte Euch um Gottes willen, lasset uns ein; der liebe Gott wolle die Brüder erretten von der Hand König Karls, so er sie gefangen hat; oder, sind sie anderswo, so wolle sie Gott bewahren!"

Als Reinold diese Worte geredet, gefiel das dem Pförtner so wohl, daß er sprach: "Ich will euch einlassen zu unserer Frau, die euch ersättigen wird um unserer vier Herren willen." Da öffnete der Pförtner das Tor, und sie gingen ein und fanden ihre Mutter im Saal sitzen; sie grüßten sie nach Schuldigkeit, das dankte ihnen ihre Frau Mutter. Da sagte Reinold: "Frau, wir kommen von Rom und von St. Jakob in Galicien und von andern Städten mehr; wir haben noch niemals solchen Hunger gehabt wie jetzt, darum gebet uns etwas zu essen, auf daß Ihr des Segens unserer Pilgerfahrt auch teilhaftig werdet!" Da sagte die Frau: "Seid zufrieden und wohlgemut, ich will euch gewiß geben", setzte sie dann an eine Tafel und brachte ihnen zu essen und zu trinken genugsam. Als sie sich satt getrunken hatten, sprach Reinold: "Frau, gebet mir des Weins noch einen Trunk, so will ich König Karl, meinen Vetter, nicht mehr fürchten ." Als Adelhart das hörte, erschrak er von Herzen sehr und stieß den Reinold mit der Hand auf die Brust, daß er darniederfiel; denn er war



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ganz trunken. Als Frau Aja das von Reinold hörte und sah, wie Adelhart in um der Worte willen strafe, und sehr erschrocken war, fiel sie dem Reinold um den Hals mit großen Freuden und konnte von ihm nicht ablassen, bis sie Adelhart aufnahm. Dieses alles sah einer der Edlen an ihrem Hofe, der König Karl gar günstig war; der sprach zu der Fürstin: "Frau, ich sehe wohl, daß es Reinold, Euer Sohn, und seine Brüder sind, die den König Ludwig erschlagen haben. Nun sage ich Euch, kommt Eurem Eide nach, den Ihr geschworen, lasset sie gefangennehmen und schicket sie dem König Karl von Frankreich. So Ihr das nicht tut, so will
ich zum König reiten und ihm anzeigen, wie Ihr Eure Kinder und insonderheit Reinold, den Mörder, wider Euer Versprechen heimlich an Eurem Hofe behalten; und wenn er solches von Euch hören wird, so wird er nicht säumen, sie allhier holen zu lassen, sie vor Gericht stellen wegen des Totschlags und sie darnach mit ihrem Vater Haimon hinrichten und Euch selbst verbrennen lassen!"

Über diese Rede ward die Frau Aja voll Zorns und sprach: "Pfui, du Treuloser, willt du mein Verräter sein und hast mein Brot so lang gegessen? Und wenn mein Bruder noch tausendmal mehr über mich zürnte; und ich müßte ihm noch einen Eid schwören: so begehre ich ihm meine Kinder doch nicht zu schicken, daß er sie ums Leben bringen sollte !" Als der



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Treulose sah, daß er bei der Frau nichts ausrichtete, lief er eilends zu Haimon, redete ebenso mit ihm und stieß noch mehr andere Drohworte aus, als er zuvor gegen die Frau gebraucht. Da ward Haimon zornig, ergriff in aller Eile einen Prügel, schlug den Verräter, daß er starb, und sprach: "Nun weiß ich gewiß, du wirst dem König nichts sagen!" Dann rief er seinen Edelleuten und befahl, sie sollten sich waffnen und ihm seinen Sohn Reinold samt den Brüdern helfen fangen, auf daß er sie dem König Karl mit seinem Eid zuschicken möchte. Da zogen sie ihre Waffen an und gingen mit Haimon vor den Saal in der Meinung, er wolle sie ergreifen. Als Adelhart das inneward, seufzte er zu Gott und sprach: "Nun wolle uns der Herr und seine liebe Mutter beistehen; denn wir sind in großen Sorgen: ich sehe meinen Vater kommen mit einer Menge Volks, um uns zu fangen!" Und nun lief er zur Mutter und sagte: "Mutter, wißt Ihr uns keinen Rat zu geben, daß wir unserm Vater möchten entrinnens Reinold liegt fast tot in Ohnmacht!" Da sagte die Mutter: "Ich weiß keinen Rat, sondern traget Reinold hinein und verwahret die Tür, daß niemand zu Euch kann; denn es ist das beste Gemach im Kastell." Sie folgten ihrem Rat und trugen Reinold in das Gemach; die drei Brüder blieben mit ihrer Wehr vor der Tür stehen und verwahrten dieselbe sehr wohl; unterdessen kam Haimon mit seinem Volk heran, um die vier jungen Helden zu fangen. Da sagte Adelhart: "Ihr Herren, weichet und kommet mir nicht zu nah, oder ich wehre mich, so gut ich kann", und schlug dermaßen mit seinen Brüdern auf sie zu, daß alles tot darniederfiel, was sie nur erreichen konnten. Dieser Streit währte wohl zwei Tage lang, so daß Haimon nichts ausrichtete. Als es nun an den dritten Tag kam, ward Reinold wieder wohlauf und erwachte von seinem Schlaf. Da fand er seine Brüder gegen ihren Vater streiten, als ob sie unsinnig wären.

Jetzt nahm Reinold sein Schwert; sah, daß seine Brüder müde waren, hieß sie hinter ihn springen und sprach: "Nun soll mich Gott strafen, wo ich jemand verschonen will, und wenn es gleich mein Vater selbst wäre!" sprang mit den Worten in das Volk hinein, da es am dicksten stand, und schlug so tapfer unter sie, daß sie es alle fühlen mußten, wie stark sie auch waren.

Als Haimon dies sah, sprach er: "Ich sehe wohl, meine Kinder bleiben diesmal ungefangen; denn Reinold beweist jetzt mehr Tapferkeit als all mein Volk; er hat das beste Schwert, das zu finden ist, und was er trifft, das muß fallen; deswegen laßt uns weichen." Reinold aber folgte seinem



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Vater mit großer Gewalt durch das Heer, worüber seine Brüder sehr traurig wurden und ihm deswegen nachgingen.

Er kam auch wirklich bis zu seinem Vater nahm sein Schwert und wollte ihn erschlagen; da sprang Adelhart herbei und rief: "Bruder, was willt du tun? Willst du unsern Vater totschlagen? Das wäre uns vor Gott und der Welt eine Schande; wir dürften auch unsere Augen an keines Fürsten Hof mehr emporheben; darum bitte ich dich, laß es bleiben sonst erlangen wir unser Leben lang keinen Frieden mit König Karl, und wir können es vor Gott nimmermehr verantworten." Reinold aber sprach: "Bruder, ich sage dir für gewiß, ich will ihm seine Kinder lehren fangen!" nahm den Vater und band ihn auf sein Pferd, verschaffte sich einen Knappen und befahl ihm, er solle das Roß mit dem Gefangenen zum König Karl führen. Der Junge schlug ihm solches ab und sagte: "Warum soll ich das tun? Er ist mein rechter Herr. Wenn Ihr wollt, so tut es selber!" Als Reinold das hörte, ward er zornig und wollte den Knaben totschlagen; der bat aber um Gnade, er wolle sein Begehren gerne tun. Da sagte Reinold, er solle das Pferd mit dem gefangenen Haimon nehmen, es König Karl bringen und sprechen, das Geschenk habe ihm Reinold geschickt; er solle nun mit dem Manne handeln, wie er mit ihm handeln wollte, wenn er ihn gefangen hätte.

Der Knabe kam vor des Königs Palast: aber da war das Tor noch verschlossen; da klopfte er an, bis es der Torhüter hörte; der kam und fragte, von wannen er mit dem Gefangenen käme. Der Knabe sprach: "ES ist Graf Haimon." Als der Torhüter das hörte, sprach er zu Haimon: "Wie geht das zu, gnädiger Herr, wer ist so kühn, der Euch also hieher an unsern königlichen Hof schicken darf?" Haimon antwortete: "Das haben meine Kinder getan; eröffne das Tor und laß mich durchreiten zu dem Könige, auf daß ich ihm kann klagen, wie es mir ergangen ist!" Als er nun zum König kam, wurde er von dem Pferde abgebunden und Hand und Füße ihm aufgelöst. Da fragte ihn Karl: "Haimon, wer hat Euch das getane" Haimon aber antwortete: "Gnädigster Herr und König, das haben mir meine Kinder getan; denn als ich vernahm, daß sie wieder ins Land gekommen waren, machte ich mich samt meinem Volk auf, dieweil ich solches Euer Majestät verheißen, und wollte sie gefangennehmen und sie Euch schicken, daß sie ihren Verbrechen nach sollten gestraft werden; aber sie wollten sich nicht gefangengeben und wehrten sich so ritterlich, daß ich an fünfhundert Mann dadurch verloren."

Als der König das hörte, ward er traurig und befahl, daß sein Volk



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sich rüsten sollte, Adel und Unadel, und sollten mit ihm nach Dordone gehen; er wolle Reinold samt seinen Brüdern gefangennehmen.

Wie sie nun daselbst anlangten, stand Reinold oben auf den Zinnen, sah, daß der König das Kastell belagern wollte und allbereits seine Sturmleitern anlegte; da lief er eilends zu seiner Mutter und sprach: "Ach hört, liebe Mutter, jetzt steht es übel; denn König Karl hat uns belagert , und wofern wir unter seine Hand kommen, so müssen wir alle sterben! Was Mats wisset Ihr uns?"

Da sprach Frau Aja zu Reinold: "Ziehe deine Pilgrimskleider wieder an, so will ich dich gern zum Tor hinauslassen; also magst du davonkommen !"

Reinold folgte seiner Mutter, nahm Urlaub von seinen Brüdern und machte sich wieder auf, nach Montalban zu ziehen, wo er das Roß Beyart gelassen hatte. Aber da ward eine große Traurigkeit zwischen der Mutter und den vier Söhnen. Reinold war voll Leids, daß er seine Mutter und seine Brüder also verlassen mußte, desgleichen die Mutter und seine Brüder wiederum, und einer bat Gott für den andern.

Wie nun Reinold aus dem Kastell und aus der Hand des Königs war, weinte die Mutter bitterlich und sprach zu Adelhart: "Ach! Wie ist mir jetzt so leid, meine Söhne, daß ihr in meinem Hause belagert seidl Ich weiß keinen bessern Rat als daß ihr euch demütiget und gehet willig und barfüßig zu dem König, fallet ihm zu Fuß und bittet ihn um Schonung eures Lebens; ich glaube, er wird euch auf Fürbitte eurer Verwandten zu Gnaden annehmen!" Die drei Brüder folgten der Mutter Rat und gingen zu König Karl willig und barfuß, fielen ihm zu Fuß und baten ihn, er solle ihnen ihre Missetat, so sie wider ihn getan hätten, um Gottes willen vergeben; sie wollten ihm ihr Leben lang mit Leib und Gut dienen. Da fragte der König nach Reinold, wo sie den gelassen hätten. Sie antworteten ihm, sie wüßten nicht, wo er wäre. Da befahl er, man solle ihnen Hände und Füße binden und sie gefangenlegen, er wolle sie so lang behalten, bis er den Reinold dabei hätte: alsdann sollten sie sterben. Als Frau Aja dies hörte, fiel sie in Ohnmacht vor dem König nieder und begehrte , er solle ihre Söhne losgeben. König Karl aber sprach: "Wenn ich Reinold dabeihabe, will ich sie zu Paris an den höchsten Galgen henken lassen." Und so zog er nach Paris und hielt sie gefangen.

Sobald Reinold zu Montalban ankam, erzählte er sein Unglück, daß seine Brüder gefangen seien und der König wolle sie henken lassen; worüber alles zu Montalban traurig war. Reinold aber rüstete sich mit seinein



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Roß Beyart und ritt nach Paris. Er dachte, man würde seine Brüder herausführen, um sie zu henken; dann würde er Leib und Leben für sie eingesetzt haben. Indem kam ein Jüngling dahergelaufen, den fragte Reinold, ob er seinethalben also liefe, um ihn zu verraten; wenn es so wäre, das möchte er ihm sagen, so wolle er ihm sein Roß dazu leihen. Der Jüngling sprach: "Gnädigster Herr l Sollte ich Euch in einer bösen Absicht nachfolgen, der Ihr doch meines Vaterlandes Herr seid, und der ich Euer Hintersaß bin und empfange alle Jahre von Eurer Frau Mutter meinen Unterhalt?" Da fragte Reinold, wie sein Name wäre. Der Jüngling antwortete: "Ich bin Rigant von Napels genannt." Da sprach Reinold: "Mein Freund, wollet Ihr mir eine Botschaft ausrichten an König Karl von Frankreich? Ich will Euch gut dafür belohnen; aber Ihr müsset von ihm sicher Geleit Eures Leibs begehren, daß Ihr hingehen könnt, wohin Ihr wollet!"

Da antwortete ihm der Jüngling: "Ich will die Botschaft gern besorgen; denn ich bin doch Euer Diener; und im Fall mir jemand etwas wird sagen, so will ich ihn mit meinem Stock schlagen, daß er niederfallen soll!" Da sprach Reinold: "Du sollt dem König öffentlich sagen im Beisein des Adels, ich lasse ihn bitten, daß er meiner Brüder Leben verschone, ich will ihm auch willig und barfüßig zu Füßen fallen und ihn um Verzeihung bitten; dazu will ich ihm seinen Sohn Ludwig neunmal mit Gold bezahlen und ein goldenes Standbild machen lassen, so groß, als Ludwig gewesen ist, und will eine Kirche bauen lassen zu Ehren Marias , der Mutter unsers Herrn, und stiften, daß man alle Tag darin soll singen die sieben Worte; zudem will ich ihm mein Roß Beyart samt meinem Kastell Montalban frei und eigen geben, daß ich es als ein Lehen von ihm habe, wenn er nur mich und meine Brüder zu Gnaden annehmen will. Und wenn er mich in seinem Königreich nicht leiden mag, so will ich mit meinen Brüdern über See fahren, damit ich ihm aus den Augen komme; wo er aber mich und meine Brüder in irgend etwas gebrauchen kann, so wollen wir ihm allezeit willig sein und das dergestalt, daß an seinem Hof unsersgleichen nicht sein soll. Wenn sie dagegen der König mit Gewalt wollte hinrichten lassen, so will ich meine ganze Macht darauf verwenden und sie losmachen und alles zerschlagen, was ich daselbst finde!"

Mit diesen Aufträgen nahm der Diener seinen Abschied von Reinold und eilte auf Paris zu. Und als er dahinkam, sah er den König aus seiner Kammer treten; da schämte er sich, daß er den König sollte anreden, und



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hatte seinen Stab in der Hand; jedoch faßte er sich ein Herz und fiel vor Karl nieder auf seine Knie und bewies ihm höchste Ehrfurcht; stand dann wieder auf und sprach: "Gnädigster Herr und König, ich bringe Eurer Majestät gute Botschaft." Da sagte der König: "Gute Botschaft ist mir lieb, was bringest du für Botschaft?" "Ehe daß ich meinen Auftrag vollbringe" , sprach er, "bitte ich, Eure Majestät wollen mir sicher Geleit zusagen, damit ich ungehindert mag von einem Ort zu dem andern gehen und reisen ohne Gefahr meines Lebens. Sollte man dem Boten Leid tun, so würde manche Botschaft unausgerichtet bleiben." Als der König diese Worte von dem Diener hörte, sprach er: "ES ist wahr, ich sage dir sicher Geleit zu, daß dir kein Leid widerfahren soll."

Hierauf brachte der Diener seine Botschaft vor und sprach: "Gnädigster Herr! Es läßt Eure Majestät mit höchster Demut grüßen der allertraurigste Mann auf Erden und der beste Ritter, den die Sonne bescheint." Da fragte der König, wer das wäre. Und der Bote sprach: "Eurer Majestät Schwestersohn, Reinold, bittet Euch demütig um Gnade für ihn und seine drei Brüder; was sie Euch Mißfälliges getan haben, wollen sie wiedererstatten. Erstlich will Reinold Euern Sohn Ludwig neunmal mit Gold bezahlen; dann will er eine Kirche zu Ehren Marias, der Mutter Gottes, bauen lassen und ein Bild von Gold machen, das so groß, als Ludwig gewesen, und die Priester mit Unterhalt begaben, die alle Tage in der Kirche das Amt der heiligen Messe verrichten und die Tagzeiten singen lassen sollen; in allen Klöstern und Kirchen will er Messe singen lassen für die Seele Ludwigs; sein Roß Beyart will er Euch auch verehren, und so Ihr ihn nicht dulden wollt in seinem Königreich, so will er samt seinen Brüdern daraus weichen, oder wo er und seine Brüder Eurer Majestät dienen können, da wollen sie jederzeit geneigt sein, es zu tun; und somit bitten sie, Eure Majestät wolle ihnen hierin willfahren und sie zu Gnaden annehmen." Da sagte der König: "Was weiter?" Da sprach der Bote: "Gnädigster Herr, Reinold sagte: so Ihr nicht wollet Gnade erzeigen, so will er Eurer Majestät ins Land fallen, brennen und rauben, alle Kirchen und Klöster zerstören, und alles Gold und Silber, das er darin findet, will er nehmen und sein Volk damit bezahlen." Da fragte der König noch einmal: "Entbeut mir mein Vetter Reinold nichts weiter?" Der Bote antwortete: ''Ja, gnädigster Herr! Er sagte: Wenn Eure Majestät durchaus nicht will den Zorn fallen lassen, so wird er Euch allenthalben nachtrachten, daß er Euch in seine Hand bekomme und Euch tue, wie er dem Ludwig getan hat."



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Als der König diese Worte von dem Boten hörte, entfiel ihm der Mut; er ward traurig und sprach: "Wahrlich, diese Botschaft ist mir nicht anständig; ich hätte viel lieber etwas anderes gehöret. Aber du bist klug, daß du erst sicher Geleit begehret hast und das von mir selbst; denn wenn ich solches nicht versprochen hätte, so müßtest du jetzt gleich sterben."

Da fragte der König zum drittenmal den Boten, ob er nichts mehr ihm anzuzeigen hätte. Der antwortete: "Nein! Er lässet aber die zwölf Genossen von Frankreich grüßen und empfiehlt dem Bischof Turpin, er wolle seine Brüder in seinen Schutz nehmen, und bittet neben dem auch seine Verwandten und Freunde, daß keiner Rat noch Tat dazu geben wollte; daß man seine Brüder hinrichte. und gnädiger Herr und König, wenn sie mit Gewalt hingerichtet werden, so will er seine ganze Macht daran- strecken und sie erretten, und wenn er schon wissen sollte, daß er sein Leben dabei verlieren würde." Als König Karl dieses auch von dem Boten gehört hatte, sagte er: "Entbeut mir mein Vetter Reinold das, so will ich sehen, wer so kühn sein wird, der sich seiner anzunehmen wagte: denselben will ich in drei Tagen henken lassen." Wie der Diener diese Worte vom König hörte, ward er traurig und nahm seinen Stab, ging zu Roland , fragte den, ob er mit Reinold verwandt wäre oder nicht. Da antwortete Roland dem Diener: "Ja, ich will um keines Dings willen ihn verleugnen; denn er ist mein Vetter!" Da sagte der Jüngling: "Das ist recht, und wenn Ihr den jungen Helden verleugnet hättet, solltet Ihr von meiner Hand gestorben sein." Desgleichen fragte er auch Bischof Turpin, ob Reinold ihm verwandt wäre, das sollte er ihm sagen. Der Bischof antwortete auch: "Ja, ich will sein Freund immer bleiben." Wie der König dieses merkte, fragte er: "Wer hat diesen Boten hieher gebracht, der seine Botschaft so wohl ausrichten kann? Er ist ein verständiger Mensch, stolz und mutig, und handelt in seinem Geschäft, wie sich's gebühret!" sagte darneben: "Wann habt Ihr den Reinold zum letztenmal gesehen?" Der Diener antwortete dem König: "Herr und König, wenn ich die Wahrheit bekenne, so bin ich gestern bei ihm gewesen." Da fragte Karl: "War er dann zu Fuß oder zu Pferde" Der Jüngling sagte: "Ich habe ihn auf seinem Roß Beyart gesehen." Der König sagte zu dem Jüngling: "Willst du mir weisen, wo Reinold, dein Vetter, ist: ich will dir tausend Gulden in Gold schenken, und dich freihalten vor aller Gefahr und vor seinen Verwandten." Da sprach der Bote wieder zu Karl: "Herr und König, das wollte ich nicht tun, und wenn Eure Majestät mir noch achthundertmal mehr geben wollte. Soll ich meinen eigenen Herrn verraten? Und dies



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solltet Ihr wissen: wenn ich bei Reinold wäre, und Eure Majestät wollte ihn gefangennehmen, ich würde ihm mit Gut und Blut beistehen, und ihn aufs beste verteidigen!" Der König antwortete wieder dem Boten: "Auf
dein Wort noch viel weniger denn auf Reinolds Stolz achte ich, und wenn ich dir nicht so fest Geleit zugesagt hätte, wollte ich dich um solcher vermessenen Worte willen henken lassen."

***
Dieser Bote nun, den Reinold zu König Karl abgefertiget hatte, um Verzeihung für seine
und seiner Brüder Missetat zu erlangen, blieb länger aus, als er sollte; da ward Reinold gar zornig, vermeinte, der König hätte ihn henken lassen, und der Arger machte ihn so müde, daß ihn der Schlaf überfiel und er sich dessen nicht erwehren konnte; da ritt er gen Vordel in den Wald, stieg von seinem Pferd ab und band es an eine Staude; dann legte er sich nieder mit seinem Haupt auf den Schild und schlief ein. Mittlerweile bekam das Roß Hunger und war begierig auf das Gras, schüttelte sich so lange, bis es losward, und ging ein wenig zum Wald hinaus zu weiden.

Über das kamen an fünfundzwanzig Bauernknechte, wollten auch Fütterung haben für ihr Vieh und sahen das Roß weiden gehen; die sagten untereinander: "Siehe, ist das nicht das große Roß Beyart, auf welchem Reinold geritten, der unsern König Ludwig erschlagen hat? Lasset uns das auffangen und unserem König Karl bringen, der wird uns unsere Mühe wohl belohnen; denn ich weiß, daß wir ihm einen angenehmen Dienst tun, und wo wir das vollbringen, so werden wir alle reich genug." Darauf machten sie alsbald ein Netz von Weiden und andern Zweigen, umringten das Roß damit und brachten es dem König nach Paris. Da gab's zur Stunde ein solch Geschrei in der Stadt, daß das Roß Beyart gefangen wäre, daß jedermann zulief und wollte es sehen. Zu selbiger Zeit war der König auf seinem Schloß und Roland bei ihm; die sahen zum Fenster heraus und erblickten sehr viel Volks und vermeinten, sie



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hätten sich geschlagen; deswegen ging Karl mit seinem Vetter Roland herunter, zugleich aber kamen die Bauernknechte, brachten das Roß Beyart und verehrten es dem König. Der nahm es freundlich an und befahl, man sollte den Knechten Essen und Trinken geben und dazu ein Geschenk, dadurch sie ihr Leben lang glücklich würden; denn er schätzte das Roß so hoch, daß es mit keinem Gold zu bezahlen wäre. Darnach nahm er das Roß und schenkte es seinem Vetter Roland; dieser dankte gar höflich dafür, gedachte jedoch bei sich: "Ich wollte, daß es mein Vetter, Graf Reinold , wiederhatte, und daß die Diebe alle gehangen wären, die es ihm gestohlen haben; auch will ich dazu raten, daß es geschehen solle!"

Wie die Knechte gegessen hatten, ließ sie der König wieder zu sich kommen und fragte sie, wo sie das Pferd bekommen hätten. Da antworteten sie dem König: "Gnädigster Herr, wir haben es bei Vordel in dem Walde gefunden, da ging es im Gras weiden." Da fragte Karl, ob sie den Reinold nicht gesehen hätten. Sie sprachen, nein, sie hätten von ihm nichts gehöret.

Als nun der König das Roß dem Roland geschenkt hatte, daß er damit tun möchte, was ihm gelüste, da begehrte dieser vom König, er sollte den Knechten, die es gefangen hätten, befehlen, daß sie es wohl in der Fütterung hielten und fleißig acht darauf hätten, damit es nicht verloren würde, und wenn sie es versäumten, daß sie alle dafür sterben sollten. Der König tat nach Rolands Begehren und übergab das Roß den Knechten, daß sie es wohl halten und ihm gut Futter geben sollten: denn er wolle lieber viel Geld verlieren als das Pferd. Indem der König mit den Knechten redete, ward es an dem ganzen Hofe kund, daß dem Roland das Roß geschenkt war; da kamen die Frauen zu Roland und begehrten, er sollte das Tier reiten, auf daß sie sähen, wie geschwind es im Laufen und Springen wäre; denn sie hätten Wunder von demselben gehört. Roland sagte, er müßte erst Erlaubnis von dem König haben; kehrte deshalb um, ging zum König und fragte, ob er den Frauen zu Gefallen das Roß reiten solle; denn sie begehrten das von ihm. Da antwortete Karl: "Ich hab ' Euch das Roß freieigen gegeben, Ihr möget Eurem Gutdünken nach damit leben!" Dafür dankte Roland dem König und sagte: "Ich will das Pferd satteln und damit aus der Stadt reiten an den Ort, wo man die Pferde zu schulen pflegt, und die Frauen sehen lassen, was Beyart kann." Der König sagte: "Das tut, Roland; denn von ihnen erlangt Ihr alle Ehr' und Tugend; was Wunders, daß man ihnen etwas zu Gefallen tut!" Roland ging alsbald in den Saal, wo die Frauen beieinander waren, und



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sagte mit gebührender Ehrerbietung, er wolle am nächsten Sonntag das Roß reiten, sie sollten da an dem Ort erscheinen.

Wie inzwischen Reinold wieder erwachte, sah er nach seinem Roß Beyart; und als er das nicht gewahr wurde, sprang er auf, gebärdete sich, als wenn er sinnlos wäre, und sagte: "Oh, unglückliche Stunde, in der ich geboren bin, wie ist mir das Glück zuwider ! O Tod, warum verschonest du meiner so lang und nimmst mir nicht das Leben, da du siehest, daß kein so kläglicher Mann unter der Sonne ist, wie ich bins Ich sehe nun, daß das Sprichwort wahr ist: ein Unglück kommt nicht allein; denn meine Brüder sind gefangen, und ich habe jetzt auch mein Roß verloren; ich, der ich mich so stolz vermessen, ich wollte meine Brüder aus König Karls Hand erretten ; aber ich weiß jetzt, daß es Gottes Wille nicht ist; denn er liebt den König mehr als mich; darum kann ihm niemand schädlich sein!"

So ward sein Leid immer größer, erzog seinen Harnisch und seine Sporen ab und sprach: "Was soll mir dies nun, weil ich mein Roß Beyart verloren habe?" Indem er also stand und seine Not wehklagte, kam ein Mann aus einer Hecke, der konnte sich in eine andere Gestalt verwandeln durch die Macht der Schwarzkunst: jetzt jung, jetzt alt; bald krumm, bald wohlgestalt. Der war Malegys genannt und verließ sich auf seine Kunst, brauchte dazu Kräuter und Steine, die er allezeit bei sich in den Kleidern trug. Wenn er wollte, war er ungestalt, daß sich einer vor ihm fürchtete, hatte einen langen Bart bis auf die Brust, Augbrauen, daß sie ihm in die Augen hingen und er also durch die Haare sehen mußte, schien auch über zweihundert Jahr alt zu sein und ging an einem Stock. Derselbige kam zu Reinold, grüßte ihn und bot ihm einen guten Tag. Reinold dankte ihm und sprach: "Ich habe keinen guten Tag gehabt dieweil ich lebe oder geboren bin!" Da sagte Malegys: "Herr Reinold, Ihr müßt nicht verzweifeln, Gott wird alle Dinge zum besten kehren; denn wenn ein Mensch in höchster Not, so ist Gott am nächsten und hilft ihm aus dem Elend." Reinold antwortete: "Freund, ich glaube nicht, daß mir jemand aus meinem Elend helfen kann; denn es ist viel zu groß: ich habe erstlich meine Brüder verloren, die hat König Karl von Frankreich gefangen und will sie henken lassen. Dann vermeinte ich, dieselben mit meinem Roß Beyart zu erretten; während ich nun ein wenig geschlafen habe, ist mir das auch gestohlen worden. Nun weiß ich keinen Trost mehr, bin deshalb in einem so großen Elend, daß mir kein Mensch daraus helfen kann!" Malegys sprach: "Junger Herr, seid nicht traurig, sondern fasset ein Herz und bittet Gott um Gnade, er wird sich erbarmen und Euch aus Euren Nöten



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helfen und Eure Brüder von dem Tod erretten! Glaubt mir, ich bin meiner Lebtage so weit in fremden Ländern gewesen als ein Pilgrim zu Rom, zu St. Jakob und zu Jerusalem, aber ich hab ' Euresgleichen noch nirgends gefunden in solcher Traurigkeit." Da sprach Reinold: "Ja, Freund l Mein Leid ist unaussprechlich, ich wollte lieber tot sein denn länger in solchem Elend bleiben." Darauf sagte Malegys: "Herr; ich bin ein armer Mann; so Ihr mir etwas zu geben habt, so will ich Euer und Eurer Brüder eingedenk sein in meinem Gebet zu Gott dem Allmächtigen, daß der sie wolle
erretten aus der Hand des Königs Karl." Reinold aber erwiderte: "Ich habe Euch nichts zu geben": da fielen ihm seine Sporen ein, welche von gutem Gold gemacht waren; die gab er dem Pilgrim und sagte: "Sehet; da habt Ihr die Sporen, das ist das erste Geschenk, das mir meine Frau Mutter Aja gab, als mich mein Vater, Graf Haimon, zum Ritter schlug. Gott schenk ' ihr langes Leben! Auf die Sporen erhaltet Ihr wohl zehn Pfund!"

Malegys nahm die Sporen, dankte ihm, steckte sie in einen Sack und sprach: "Herr, ich bitte, habt Ihr einige Gabe mehr, die Ihr mir geben



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könnet; sollt Ihr des Gebets desto mehr teilhaftig werden!" Da fragte Reinold den Pilgrim: "Treibet Ihr Spott mit mir? Ich sage Euch in der Wahrheit, wär' es mir keine Schande, ich wollte Euch lehren betteln, Ihr solltet noch eine Weile daran denken!" Darauf sagte Malegys: "Fürwahr , Herr, wenn Ihr das tatet, so tatet Ihr Sünde. Wenn mich alle die geschlagen hätten, von denen ich Almosen begehrt habe, ich wäre vor hundert Jahren tot gewesen; denn ich bitte um Almosen in Kirchen und Klöstern , wo ich kann." — "Das ist wahr", sagte Reinold, "wenn Ihr nicht bittet, wer wird Euch was gebens In der Not muß man beten!" Malegys aber sprach: "Herr, jetzt saget Ihr recht, gebt mir noch etwas, so will ich Gott bitten, daß er Eure Brüder aus dem Gefängnis und Euch von Eurem Leid erretten soll." Als Reinold das hörte, gab er ihm seinen Nachtrock und sprach: "Siehe, Pilgrim, da könnet Ihr lang davon zehren ; den gebe ich Euch um Gottes und seiner lieben Mutter willen, daß Gott meine Brüder behüten wolle vor dem schmählichen Henkerstod, und daß mir auch kein Leid widerfahre und ich der Gewalt König Karls mög ' entfliehen!"

Auf diese Worte nahm Malegys den Nachtrock, schlug ihn zusammen und steckte ihn in einen Sack; dann bat er den Reinold noch einmal und sprach: "Herr, habt Ihr noch etwas zu geben, ich bitte um Gottes willen, so gebt es mir, ich will es in meinem Gebet wiedererstatten." Als Reinold dies hörte, ward er sehr zornig und sprach: "Du Unflat, spottest du meiner? Hab ' ich dir nicht genug gegeben?" zog sein Schwert aus und schlug nach ihm. Malegys aber entsprang dem Schlag, hielt ihn ab mit seinem Stab und sprach: "Schlagt Ihr mich mehr; so wird es Euch reuen; ich werde mich wehren!" —"Wolltest du dich wehren?"sprach Reinold, "ich sage dir, fürwahr, wenn deiner so viel als Bäume im Wald wären, so solltest du mir nicht entgehen!" Da fing Malegys an: "Reinold! Ich sage Euch für gewiß, Ihr wisset wenig, was ich kann, und wenn Ihr mich mehr schlaget; so werdet Ihr Wunder sehen!" Darüber wurde Reinold sehr zornig und schlug wieder nach dem Malegys; aber der wehrte den Streich abermals ab, brauchte seine Kunst und verwandelte sich in einen Jüngling von zwanzig Jahren. Darüber verwunderte sich Reinold über die Maßen und erschrak heftig. Er gedachte bei sich selbst: "Was will das werden, wie wird mir das Glück jetzt so widerwärtig; denn ein Unglück kommt mir über das andere: meine Brüder sind gefangen, mein Roß ist dahin — König Karl will mich hängen; jetzt kommt der Teufel gar und will mich zu necken anfangen!" Indem zog er sein Schwert;



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schlug wieder nach dem Malegys und vermeinte, ihn totzuschlagen; Malegys aber entwich dem Streich und rief mit heller Stimme: "Vetter Reinold! Was tut Ihr? Kennet Ihr mich nicht?" Reinold sprach: "Nein, wer seid Ihr denn?" Da sagte Malegys: "Ich bin Euer Vetter Malegys ." Als Reinold das hörte, fiel er ihm zu Fuß und sprach: "Lieber Vetter! Nächst Gott stehet all mein Vertrauen auf Euch: ich bitte, Ihr wollet mir das nicht für übel halten; ich habe Euch nicht gekannt; bitte; Ihr wollet doch meinen Brüdern behilflich sein, daß sie von ihrem Gefängnis erlöst werden mögen. Ich habe mein Roß verloren und kann ihnen nicht mehr beistehen t" Malegys erwiderte: "Höret, Vetter Reinold, was ich tun will: ich will mit meiner Kunst Euch das Roß herbeibringen. Indessen müsset Ihr tun, was ich Euch sage."

Reinold, wie er das hörte, ward sehr erfreut und sprach: "Vetter, was Ihr gebieten werdet, das will ich tun, sollt' ich darum sterben." Malegys nahm nun einen Frauenmantel, gab ihn dem Reinold, denselben über den Harnisch zu ziehen, dazu einen Hut; der voll Löcher war und ein altes Paar Hosen, die sollt' er antun. Er selbst hing auch einen Frauenmantel um, setzte einen Hut auf sein Haupt und brauchte seine Kunst. Er veränderte Reinold in die Gestalt eines Mannes von hundert Jahren, sehr krank, ungestalt von Leib, mit langem Haar. Darnach gingen sie fort; wer sie sah, der meinte, es wären die zwei ärmsten Pilgrime, die man jemals gesehen: aber wann sie unter sich allein waren und niemand bei ihnen, so waren sie in voriger Gestalt und zwei tapfere Ritter. So gingen sie bis an den Wald Bordole und errichteten nahe an demselben eine Hütte, unter welche sie sich setzten. Über eim kleine Weile sah Malegys vier Mönche reitend kommen, da sagte er zu Reinold: "Bleibet hier und wartet meiner, ich will den Mönchen entgegengehen; denn ich will beichten."

Als Reinold dies hörte; sagte er: "Vetter; macht, daß es uns möge besser gehen!" Hiermit schieden sie voneinander. Als nun Malegys zu den Geistlichen kam, grüßte er sie; die dankten ihm und sprachen: "O Gottl Pilgrim, wieviel Leute habt Ihr überlebt; bis Ihr seid so alt worden? " Er sagte: "Ich bitte Gott, daß er mich so lang leben lasse, bis ich meine Sünde gebeichtet hab '; ich bitte, Ihr Herren, es woll' einer unter euch meine Beichte hören!" Da sagte einer von ihnen: "Freund, geht hin zu einem Pfarrherrn; denn wir haben nicht Zeit, sondern müssen unsere Reise beschleunigen." Der Pilgrim aber sprach: "Herr, Ihr sehet wohl, daß ich ein armer, kranker Mann bin: soll ich denn in meinen Sünden



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sterben, so muß ich ewig verloren sein! Aber ich hoffe, Ihr werdet mir das nicht abschlagen!"Dann fing er an: "Herr, ich muß Euch klagen, wie es mir ergangen ist; ich hatte wohl in die zwanzig Pfund gesammelt, und als ich in den Wald kam, begegnete mir Reinold, nahm mir mein Geld und schlug mich schier tot; aber ich habe noch vier Byzantiner von Gold in meine Kleider versteckt, die konnte er nicht finden, die blieben bei mir, sonst wär ' ich derselben auch quitt l Nun weiß ich nicht, was ich tun soll: ich bitt' Euch aber, Herr l hört meine Beichte und sprecht mir die Absolution ." Da sagte der Mönch zu den andern auf Latein: "Ihr Herren, lasset uns die Byzantiner von dem Pilgrime nehmen, wir wollen seine Beichte hören; die sind hernach gut auf dem Weg zu verzehren!"

Der Rat gefiel den andern Mönchen auch wohl, sie riefen den Pilgrim zu sich, hörten seine Beichte und absolvierten ihn. Darnach fragte sie der Pilger, was sie Neues wüßten; ob nicht bald der Adel zusammenkommen würde. Die Klosterbruder sagten: "Ja, sie hätten gehört, daß am nächsten Sonntag zu Paris viel unter den Edelleuten sollte zu tun sein; denn Roland würde den Frauenzimmern zu Gefallen das Roß Beyart reiten, damit die Frauen sähen, was das Pferd vermöge mit Laufen und Springen ; denn sie hätten viel davon gehört, als es Reinold noch gehabt." Der Pilgrim fragte: "Soll das wahr sein, ist Beyart da?" — "Ja", sagte ein Mönch, "der König hat Roland das Roß geschenkt, und wann Roland das Pferd geritten hat, so will der König Gericht halten über Haimons Kinder und sie zu Paris an den Galgen henken!" Da sprach der Pilgrim: "Herr! Ich sage Euch, sie sind noch nicht gehangen; noch möchten sie mit dem Leben davonkommen und errettet werden!" Der Mönch aber sagte: "Sie leben noch, aber sie sind in großer Gefahr; auch will Karl noch Gericht halten über Reinold und hat uns befohlen, wir sollen ihn in den Bann tun: niemand soll ihn beherbergen noch ihm Essen und Trinken zukommen lassen; und so sich jemand unterstehen würde, solches zu tun, den sollen wir auch in den Bann tun."

Der Pilgrim, dies von den Mönchen hörend, wurde zornig und gedachte bei sich selbst: "Du hättest gute Lust und schlugest diese vier Schwarze tot!" Dann sprach er mit falschem Herzen zu ihnen: "Oh, ihr Herren, ich bitte euch um Gottes willen, fallet mit mir auf die Knie und bittet für mich, daß meine Beichte mir selig sei, daß ich vollkommene Neu und Leid über meine begangenen Sünden habe und standhaft in meiner Buße bleibe, damit ihr der guten Werke, die ich getan und noch tun werde, mit teilhaftig werdet!" Als die Mönche des Pilgrims Reden hörten, sieken



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sie aus Mitleiden auf ihre Knie und baten Gott, er wolle dem Pilger Standhaftigkeit zu seinem Vorsatz und Besserung seines Lebens geben, weil er lang in Sünden gesteckt.

Unterdessen übte Malegys seine schwarze Kunst und wurde wieder jung und stark, nahm seinen Pilgrimsstab, der wohl mit Eisen beschlagen war, und schlug einen Pfaffen, daß er zur Erde fiel. Als die andern dies sahen, wurden sie sehr bestürzt und wollten entrinnen, aber wegen der langen Kleidung konnten sie nicht fortkommen; also schlug er sie alle tot. Als Reinold dies sah, sagte er zu Malegys: "Ach, Vetter! Was habt Ihr getan? Ihr habt die Mönche alle totgeschlagen, die Euch absolvieren sollten von Euern Sünden!" Malegys antwortete: "Vetter Reinold, die Pönitenz, die sie mir auferlegt haben, war zu schwer, darum hab ' ich sie totgeschlagen." Reinold sprach wiederum zu seinem Vetter: "Sollte ich alle die getötet haben, die mir schwere Buße auferlegt, ich hätte müssen in einem Kloster über hundert Geistliche von diesem Orden erschlagen!" Da antwortete Malegys: "Vetter Reinold, lasset diese Worte bleiben und kommt mir zu Hilfe, daß wir sie ausziehen, ihre Kleider auf die Pferde binden und diese ins Kloster führen!" Reinold ward zornig, daß die Mönche tot waren, und sagte: "Vetter, ich will das nicht tun; wenn Ihr wollt, so tut es selber!"

Da Malegys sah, daß Reinold ihm nicht helfen wollte, zog er die Mönche aus, band ihre Kleider zusammen, machte sie fest auf die Pferde und ließ die Körper am Wege liegen; dann ging er nach dem Kloster, das vor Paris lag, und fragte nach dem Abt. Der Pförtner meldete ihn. Als Malegys zu dem Abt kam, neigte er sich und sagte: "Würdiger Herr t Graf Reinold läßt Euch freundlich grüßen und schickt Euch diese Pferde und Kleider, er begehrt, Ihr möchtet für ihn und seine Brüder bitten, daß sie bei König Karl zu Gnaden möchten kommen!" Der Abt fragte: "Wie kommt Ihr zu den Pferden und Kleidern ?"Malegys sprach: "Würdiger Herr! Reinold hat vier Geistliche erschlagen im Walde Bordole und zwang uns, daß wir die Rosse hieher bringen sollten!"

Sowie Malegys seine Rede vollendet hatte, sagte Reinold gar heimlich zu ihm: "Vetter, Ihr habt sie erschlagen!" Malegys stieß den Reinold an, der merkte gar bald, daß er das täte um seines Besten willen. Der Abt aber fragte den Zauberer: "Freund, hat Reinold alle vier erschlagen, das wird Gott an ihm wohl rächen; ich will das Geschenk von ihm nicht annehmen ; denn er ist im ganzen Königreich in die Acht getan, dergestalt, daß man ihm kein Essen und Trinken geben soll, vielweniger etwas verkaufen;



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und wir werden ihn auch in unserer Kirche in die Acht erklären!" Da sprach Malegys zum Abt: "Wenn Ihr denn das Geschenk nicht annehmen möget, so wollen wir wieder zu Reinold ziehen und ihm solches anzeigen. Wenn er es erfährt; so weiß ich gewiß, daß er kommt und brennt Euer Kloster auf den Grund abl" Als der Abt das von Malegys hörte, entsetzte er sich und sprach: "Freund, ich habe mich anders bedacht; ich will das Geschenk behalten, und wir wollen Reinolds und auch seiner Brüder eingedenk sein in unserm Gebet, auf daß Gott ihnen allen wolle Gnade verleihen, daß sie von ihrem schweren Gefängnis erlöset werden und einen guten Frieden mit König Karl schließen. Wir bitten zugleich, Ihr wollet uns bei Reinold kein böses Spiel machen!" Malegys anwortete: "Nun wohlan, würdiger Herr, auf Eure vorgebrachten Worte wollen wir alles hier lassen, was wir hergebracht haben t"Also schieden Reinold und Malegys von dem Abt und beide zogen nach Paris.

Sonntag morgens, als der Gottesdienst verrichtet war, ging ein jeder zu Tisch; indem kam Reinold und Malegys nach Paris vor die Brücke und sahen da eine Scheuer stehen, in der viel Stroh war; davon nahm Malegys einen großen Armvoll, trug es auf die Brücke, und sagte: "Reinold , ach, lieber Gesell! Wie kommst du auf dies Stroh? Ich weiß, daß dir das Stehen schwer ankommt; denn du bist weit gegangen, so gut als ich!" Mittlerweil kam ein Mann daher aus der Kirche, den beschwor Malegys , daß er seinem Gesellen helfen wolle, daß er auf das Stroh käme, damit er sich nicht wehe täte und ausruhete. Der gute Mann tat es gar gerne und half ihm, daß er zu sitzen kam; denn er sah ihn für den Ärmsten an, den er jemals getroffen hätte, gab ihm auch einen Pfennig; denn es dünkte ihm, daß er wohl bedürftig wäre; den gab er dem Malegys aufzubewahren.

Darnach sagte der gute Mann zu Malegys: "Freund, habt Ihr keine Herberge, so gehet mit mir!" Da antwortete ihm Malegys: "Ja, Herr, dessen weiß ich Euch Dank; wo soll ich Euch finden?" Der Mann sagte: "Allernächst unter dem Baum findet Ihr ein Wirtshaus, da gehet ein, die Wirtin wird Euch freundlich aufnehmen!" Malegys dankte dem Mann für seine Güte und sagte: "Freund, wir wollen Gott wieder für Euch bitten." Als darauf Malegys sich mit seinem Gesellen auf der Brücke setzte, hatte er auf einmal eine goldene Schüssel mit Edelgesteinen, hell wie die Sonne. In diese zauberte Malegys einen köstlichen Trank, von dem allerköstlichsten Wein und allerlei Kräutern und Spezereien, daß wer des Tranks genoß, in allen Sachen dem Malegys untertänig



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und gehorsam sein mußte. Darauf gab er dem Reinold seine goldenen Sporen wieder und sprach zu ihm: "Vetter, bindet Eure Sporen wiederum an Eure Füße." Da sagte Reinold: "Was sollen mir die Sporen an meinen Füßen, da ich meines Rosses Beyart quitt bin!" Da entgegnete Malegys: "Vetter Reinold ! Ziehet sie an und Eure Hosen darüber; ich will das Roß mit meiner Kunst Euch wieder zur Stelle bringen und werde Euch auch zweimal wieder daraufheben, aber Ihr werdet allemal wieder auf der andern Seite hinabfallen; doch das drittemal, wenn sie Euch wieder daraufhelfen, so bleibet fest daraufsitzen!"

Als Malegys den Reinold so unterrichtet hatte, wie er sich verhalten sollte, kamen die Herren von Hof mit einer großen Menge von Adel und Unadel, groß und klein, samt vielen Frauen; darnach die Ritter, einer nach dem andern, gar herrlich geziert auf ihren Pferden, auch standen da viele ehrbare Leute und besahen die Ritterschaft. Da sagte einer zu dem andern: "Saget mir doch, welcher ist der schönste und trefflichste unter den Rittern, die Ihr jetzt habt sehen über die Brücke reiten, oder der noch darüber reiten wird?" — "Das ist Roland, der den Ferragu erschlagen hat!" Da sagte eine der Frauen: "Nein, der schönste ist Olivier!" — "Ach nein", sagte eine dritte, "es ist der Herzog von Bayerland." Diese Worte hörte eine andere, die neben stand und nicht von der Gesellschaft war, die sprach: sage Euch in der Wahrheit, ich weiß noch einen andern, wenn der hier wäre! Der übertrifft die übrigen alle an Schönheit und ritterlichen Taten!" Da fragten die andern Damen, wer das wäre. Darauf antwortete jene: "Ach! Den kennet Ihr nicht, er ist Reinold genannt; der darf nicht ins Königreich kommen, und wenn er auch hieher kommen dürfte, ich sage Euch gewiß, er wäre der schönste und vortrefflichste; der heut über die Brücke geritten ist und noch reiten wird."

Dies ganze Gespräch der Frauen hörte Reinold an und mußte lachen. Das erzürnte Malegys, er stieß den Reinold und sagte: "Vetter, Ihr müßt nicht lachen." Da sagte Reinold: "Ach, Vetter, verzeihet mir, das Frauenzimmer macht mich lachen!"Als nun die Ritter alle über die Brücke waren, kam der König auch; neben dem Roland ward das Roß Beyart geführt von den Knechten, denen es bei hoher Strafe anbefohlen war, darüber zu wachen. Als König Karl nun auf die Brücke kam, sah er den Malegys und Reinold und zwischen ihnen eine schöne goldene Schüssel, da sagte er zu Roland: "Sehet, Vetter, da zwischen den zween Pilgrimen steht eine goldene Schüssel, die über die Maßen wohl gefertigt ist, eine solche ließe ich nicht für tausend Dukaten machen!" — "Das ist wahr",



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sagte Roland, "wir wollen fragen, wo sie die Schüssel her haben"; ritten also zu dem Pilgrim, und Beyart ward vor ihnen hergeführt, das Roß schnoberte den Pilgrim an und erkannte den Reinold, daß er sein Herr war, stellte sich auch gar freundlich gegen ihn. Da fragte der König den Malegys: "Freund, woher kommt Euch die schöne Schüssel, das möchte ich wissen!" Da antwortete Malegys: "Gnädiger Herr! Fürwahr, man findet überall Gutes genug. Wenn ich gewußt hätte, daß ich meine Schüssel unter diesem Volke sollte verlieren, ich würde sie nicht vorgesetzt haben ; ich hoffe, in Euer Majestät Lande wird der Arme beschützet wie der Reiche mit seinem großen Gut." Der König fragte abermal, wie er zu der Schüssel käme; denn er wolle es wissen. Da antwortete alsobald Malegys: "Gnädiger Herr, das Geld, welches ich darum gegeben habe, das ist vor eilf Jahren in Kirchen und Klöstern von mir zusammengebettelt worden; dann hab ' ich sie weihen lassen; sie heißt der Heilige Gral und ist dazu gebraucht worden an dem Grünen Donnerstag, als der Herr das Abendmahl mit seinen Jüngern genossen; der Papst zu Rom hat die Messe darüber gelesen und gab ihr die Macht, wer aus derselben ein Süpplein isset, der wird aller seiner Sünden los, und wenn er schon bis über die Ohren darin steckte wie Maria Magdalena, als sie die Füße unsers Herrn mit ihren Zähren benetzte und mit ihrem Haar trocknete." Darauf sagte der König zu Roland: "Vetter Roland, dies sind gewiß zween Engel, von Gott gesandt; denn das stumme unverständige Tier erzeigt ihnen Ehre!" Malegys verstand diese Worte, nahm einen Bengel und schlug auf das Roß Beyart, daß es aufsprang.

Da fragte der König den Pilgrim: "Warum schlaget Ihr das Roß?" Malegys antwortete: "Es kam uns zu nah, und wenn ich's nicht geschlagen hätte, es hätte meinem Gesellen Leid getan; ich bitte deshalb, wollt es ein wenig hinter sich führen; denn wir fürchten uns davor." Da ließ der König das Roß Beyart auf die Seite führen und begehrte, daß Malegys ihm selbst ein Schnittlein aus der Schüssel gebe, auf daß er seiner Sünden entledigt würde. Er bot ihm dafür einen güldenen Pfennig. Da sagte Malegys: "Das stehet nicht in meiner Macht, es sei denn, daß Ihr mir den König weiset." Der König antwortete: "Man sagt, daß ich's bin." Da sagte Malegys: "Gnädigster Herr, so bitt ' ich um Verzeihung, daß ich so ungeschickt gegen Eure Majestät geredet habe; denn ich habe Euch nicht gekannt." Der König sprach: "Mein Freund, warum sollt' ich Euch das übel deuten, ich begehre allein von Euch ein Schnittlein aus der Schüssel, ich will Euch das mit einem güldenen Pfennig vergüten." Darauf



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antwortete Malegys: "Gnädiger Herr und Königl Das darf ich nicht tun, sei denn, daß Ihr denen allen verzeihet, die Euch jemals erzürnt oder Leids getan haben. Ihr wisset wohl, daß Christus allen denen vergeben hat, die ihm den Tod angetan haben am Stamm des Kreuzes!" Der König sprach: "Freund, das ist wahr, aber Reinold hat mir so viel übels getan, daß ich's ihm nicht vergeben kann; und sonst noch ein einiger Mann, Malegys genannt welcher als Schwarzkünstler umhergeht, denselben kann ich noch viel weniger in meinem Königreich leiden; ich wollte, daß ich sie alle beide gefangen hätte, ich ließe sie henken. Nun saget mir Pilgrim: was ist das für einer, der da bei Euch isi?"Malegys antwortete: "Er ist taub, stumm und blind." Da sagte der König: "Gib mir ein Süpplein aus der Schüssel zur Vergebung meiner Sünden!" Jener sprach aber zu Karl: "Herr König, hier liegt mein armer Bruder, der in fünfzig Tagen nicht gesehen, gehört noch geredet hat; solch Unglück bekam er in einer Nacht in einem Hause, darin wir zur Herberge lagen, und vorgestern kamen wir zu einer Wahrsagerin, die sagte zu ihm, sie wüßte keinen bessern Nat, der ihm helfen könnte, denn allein, wann er an den Ort käme, wo man das Roß Beyart reiten sollte, daß er dasselbige auch reiten möchte; das sollte ihm helfen von allem seinem Elend." Da sagte der König: "Freund, da wäret Ihr zur rechten Stunde hieher gekommen; denn Beyart wird hier geritten werden: aber ich sage Euch noch einmal, gebt mir ein Süpplein aus der Schüssel, so will ich Euern Gesellen das Roß Beyart reiten lassen."

Malegys, diese Worte hörend, sprach: "Herr König, es soll geschehen. Eure Majestät weiß wohl, daß Christus zu Bethlehem geboren ist in armer Gestalt und in schlechte Leinwand gebunden ward; solches tat seine Demut; denn Gott wollte haben, daß der Mensch allen Hochmut und alle Pracht meiden und demütig sein solle." Der König antwortete: "Freund, das ist wahr"; da sagte Malegys wiederum zum König: "Gnädigster Herr ! Lasset auch die Knechte, die dahinten stehen, einen Löffelvoll nehmen, das will ich Euch zu Gefallen tun." Der König sagte: "Pilgrim, ich bin's zufrieden", und befahl gleich, daß die Knechte vor ihm nehmen sollten ; das taten sie auch, sie kamen alle zu Malegys mit gefalteten Händen und begehrten, daß er ihnen solches reichte, aber sie wußten nicht; was sie taten. Darnach kam der König selbst in großer Andacht und empfing ein Süpplein in der Meinung, daß ihm seine Sünden dadurch sollten vergeben sein.

Als dies geschehen war, ließ der König das Roß Beyart vor Paris hinaus



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an den Ort bringen, wo man es reiten sollte, und da kamen auch die Pilger mit großer Müh und Arbeit hin. Während sie nun auf dem Wege waren, sagte der König zu Roland: "Lieber Vetter, ich bitte, Ihr wollet diesen kranken Pilgrim auf Euer Roß sitzen lassen, daß er das reite, so wird er durch Gottes Hilfe gesund werden; Ihr verdient Gottes Lohn daran!" Roland sprach: "Ja, gnädiger Herr König, das will ich gerne tun", nahm zur Stunde den Pilger in seinen Ann und hob ihn auf das Roß, aber der fiel von der andern Seite wieder ab; das war Roland von Herzen leid, er half ihm wieder darauf; aber er fiel an der andern Seite wieder ab. Als Malegys dies sah, sagte er: "Ach Herr! Ihr tut große Sünde, daß Ihr den armen Mann so hart fallen lasset und mit ihm Kurzweil treibet, das Roß ist hoch, fällt er noch einmal davon, so ist er tot!" Als der König hörte, daß er so oft von dem Pferd gefallen sei, sprach er zu Roland: "Ich bitte Euch, Vetter Roland, haltet den Pilgrim doch fest; daß er nicht mehr falle; er möchte sonst sterben!" Da nahm ihn Roland auf und setzte ihn wieder auf das Roß, da blieb er darauf sitzen.

Sowie Reinold auf dem Beyart war, setzte er seine Füße in die Stegreife, damit er fest sitzen konnte, und sprach zu den Knechten, welchen das Roß befohlen war: "Ich wollte gern einmal allein reiten." Da befahl der König, man sollte den Pilgrim allein reiten lassen. Als Malegys hörte, daß sein Gesell wieder reden konnte, dankte er Gott, und fragte ihn, ob er auch sehen und hören könnte. "Ja", sagte er "ich bin von aller meiner Krankheit gesund worden!" Als der König das hörte, sagte er zu dem Bischof Turpin: "Herr Bischof, laßt uns Gott zu Lob eine Prozession mit Kreuz und Fahnen halten, daß Gott der Herr diesen elenden Menschen durch Reitung des Pferdes hat lassen gesund werden; denn es ist ein groß Wunderwerk."

Nun brauchte Malegys seine Kunst daß Reinold wieder zu seinen vorigen Kräften kam. Reinold merkte, daß man nicht besonders Achtung auf ihn gab, und stieß das Roß mit den Sporen; wie dieses merkte, daß sein Herr wieder auf ihm saß, schickte es sich zum Laufen an und sprang eine gute Strecke weit. Als das die Knechte sahen, denen das Roß befohlen war, erschraken sie sehr und fürchteten, sie müßten es mit dem Hals bezahlen . Malegys aber, der dies mitansah, stellte sich gar übel, schlug sich mit Fäusten, raufte sich die Haare aus und rief: "O gnädiger Herr und König! Mein Gesell ist auf Euer Roß gesessen, ich fürchte, er möchte den Hals brechen; denn es stellt sich so wunderlich mit ihm an!"

Wie der König sah, daß Malegys sich so übel gebärdete, befahl er in



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der Eile den zwölf Genossen, sie sollten das Roß mit dem Pilgrim einholen und ihm davon helfen. Da ritten sie alle dem Pilger nach, Roland und Ogier waren die ersten, darnach der Herzog von Bayerland mit Samson, und so fort die andern Herren; sie vermeinten alle, den Pilgrim zu erlangen, wußten aber nicht, daß es Reinold war. Reinold, dies merkend, sah sich öfter um, ob sie ihm folgten, und redete bei sich selbst: "Ach, daß ich wüßte, ob meine Verwandten mir in guter oder böser Absicht folgten; ich tue wohl besser, mich entgegenzusetzen wie gegen Fremde!" Daher zog
er sein Schwert aus und hielt das Roß so lange an, bis sie in seine Nähe kamen. Da rief er ihnen zu, und fragte: "Saget, ihr Herren, habt ihr mir den Tod geschworen, daß ihr mir so nachjaget? Das offenbaret mir alsobald."

Da erkannten sie ihn nicht und sagten: "Nein!"Endlich gingen Roland die Augen auf: "Vetter Reinold", sprach er, "wir haben nicht gedacht, daß wir Euch allhier finden sollten!" Der Bischof Turpin verwunderte sich auch und sagte: "Seid mir willkommen, lieber Reinold, wie kommt Ihr hieher?" Reinold dankte ihm und sprach: "Dies ist Gott gefällig gewesen." M kam auch Olivier, verwunderte sich und sagte: "Vetter Reinold , ich bin wohl zufrieden und danke Gott, daß ich Euch noch gesund



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findet" Letztlich kam Ogier und sprach: "Lieber Vetter, nun saget mir doch, wer ist der andere Pilgrim, der bei dem König geblieben ist?" Reinold antwortete ihm, und sagte: "Es ist mein Vetter Malegys; es ist eben der rechte, der es sollte sein; denn er treibt nur seinen Spott mit dem Könige!" Da rief Reinold die Herren zusammen und bat vor allem Roland, daß er den Malegys bei dem Könige nicht verraten sollte; darnach begehrte er von Bischof Turpin und den andern Herren, daß sie wollten seine Brüder, die noch in des Königs Hand seien, in ihren Schutz nehmen und nicht zulassen, daß sie umkamen oder nach dem Galgen geführt würden. Als Folcos Sohn dies hörte, sagte er: "Reinold, ich will dich jetzt unserm König gefangen liefern, der soll dich und deine Brüder morgen henken lassen!" Reinold rief: "Dafür behüte mich Gott!" zog sein Schwert aus und schlug ihm seinen Kopf ab; darüber lachte Roland und sagte: "Habt Dank, Vetter; Ihr habt ihm recht getan, er hat seinen rechten Lohn bekommen!"

Nach diesem nahm Reinold Urlaub von den Herren, befahl sie dem lieben Gott, stellte seine Brüder in Gottes und ihre Gewalt: "Meinen Vetter Malegys", sprach er, "befehle ich Maria, des Herrn Mutter; denn ich darf hier nicht länger bleiben!" Also schied er von ihnen und ritt nach Montalban.



***
Als die Herren von Reinold geschieden waren, ritten sie wieder zum Könige und beschlossen auf dem Weg, was sie diesem für einen Bescheid bringen wollten, wie es ihnen ergangen wäre. Als sie nun zum Könige kamen, war dieser wohl zufrieden, da er sie sah, und fragte, ob sie das Roß Beyart mitbrächten. "Nein, gnädiger Herr und König!"Indem sah er den Schildknecht, der tot auf einem Pferde dahergebracht wurde, und fragte: "Wer ist der, den ihr tot daher bringet? Ist's der kranke Pilgrim, der auf dem Roß Beyart geritten ist?" Roland sagte: "Nein, Herr König, es ist Folcos Sohn von Morlin." Da fragte der König: "Wer hat ihn getötet?" Roland sprach: "Herr König, das habe ich getan." Der König antwortete: "Lieber Vetter, das ist nicht recht." Roland sagte wieder zum König: "Gnädiger Herr und König, Euer Majestät ist das Roß Beyart wohlbekannt, und wenn es anfängt zornig zu werden, so ist's so böse, daß man's nicht bezwingen kann. Wir waren ihm so nah, daß wir meinten, wir hätten es gewiß in unsern Händen gehabt; da kam der Schildknecht und wollte allein die Ehre haben, zog sein Schwert aus und griff nach Beyart. Als Beyart das bloße Schwert sah, floh es und lief


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hinweg, als wenn es unsinnig wäre; also verloren wir es zwischen zweien Wäldern und einem Ackerland; darum erzürnete ich und schlug ihn tot." Als der König das hörte, sagte er: "Vetter Roland, Ihr habt nicht unrecht daran getan; es war gar eine Vermessenheit, daß er vor euch allen das Pferd allein fangen wollte; doch wäre es mir lieber, es wäre nicht geschehen!" Als der König ausgeredet hatte, sagte Roland zu ihm: "Herr König, ich begehre, Euer Majestät wolle die Knechte alle, denen das Roß anbefohlen ward, aufhenken lassen; denn sie sind Ursache, daß es uns entkommen Da ließ der König die Knechte zur Stund aufhenken. Darnach ging Malegys zum König und sprach: "Ach, wie ist mir geschehen, mein Gesell ist auf das Roß gesessen; ich fürchte, er wird davon gefallen sein und sterben; dieses bekümmert mich gar sehr, ich will eine Wallfahrt über See tun und für seine Seele bitten, daß Gott der Herr der wolle gnädig sein", und stellte sich gar traurig. Als der König des Malegys Elend und Jammer ansah, tröstete er ihn und sprach: "Freund, seid zufrieden, ich will Euch in ein Kloster tun, wo Ihr Euer Leben lang sollt unterhalten werden, und so ich vernehme, daß Euer Genosse tot geblieben ist, so will ich alle Tage zu Ehren der Mutter Gottes eine Messe für seine Seele lesen lassen." Malegys dankte dem König und sagte: "Ich kann nicht länger bleiben", und nahm also Urlaub vom Könige. Dann befahl Karl seinem Schaffner, er sollte dem Malegys hundert Dukaten in Gold geben; die nahm Malegys und zog also von Paris. Als nun dies sich so zugetragen hatte, ließ der König seine Edelleute und alle seine Räte zusammenkommen und sprach: "Ihr Herren, ich schwöre bei meiner Krone, ich will Gericht halten über die, welche meinen Sohn so mörderischerweise erschlagen haben!" Und alsobald ließ er des Neinolds Brüder aus dem Gefängnis bringen, und hieß ihnen ihr Angesicht bedecken und ihre Hände binden, als ob es Diebe gewesen wären, und wollte sie hinrichten lassen.

Wie nun der Bischof Turpin dies sah, erbarmete er sich über sie und sagte: "Herr König, ich bitte, wollet unsere Vettern erstlich vor Gericht und vor die Schöffen kommen lassen; denn es ist ja Euer eigen Fleisch und Blut." Da antwortete der König: "Herr Bischof, durchaus nicht; ich will, daß sie heute sterben sollen; denn sie haben mir meinen Sohn erschlagen und müssen nach ihren Werken den Lohn empfangen." Der Bischof sagte: "Herr König, dieser Herren hier ist schier keiner, der nicht mit ihnen verwandt wäre; darum zweifle ich nicht, sie werden es ungerne sehen, daß man sie henkt, und wo Ihr solches zulasset, werdet Ihr wenig



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Dank davon haben." Da fragte der König: "Herr Bischof, wollet Ihr Euch gegen mich aufwerfend" — "Nein", sagte der Bischof, "aber wir wollen nicht verwilligen, daß sie sollen gehangen werden." Der König entgegnete: "Ich will sie doch hängen lassen und gern sehen, wer mir's wehren wird." Der Bischof sprach wieder: "Ich glaube nicht; daß es die Herren werden zulassen; denn sie sind ihnen schier alle verwandt." Da rief der König den Folco von Paris zu sich und sagte: "Was ratet Ihr, soll ich meine Vettern hängen, oder soll ich sie leben lassen?"Folco sagte zu dem König: "Großmütigster König, da ist Eure Majestät selbst klug und verständig genug dazu; wenn aber Bischof Turpin sich Eurer Majestät widersetzt und Ihr sie nicht hängen laßt, so wird man sagen: der König hat es nicht tun dürfen."

Da der König dieses hörte, ergrimmte er noch mehr, schwur noch einmal bei seiner Krone, und sagte: "Nun sollen sie sterben, es koste auch, was es wolle", aber der Schwur war ihm hernach von Herzen leid. Der Bischof, diese Worte des Königs hörend, ward zornig und sprach: "Nun, wohlan, gnädiger Herr und König, es ist unser Wille und Meinung sämtlich, daß Ihr sollt den drei Gebrüdern, unsern Vettern, das Leben lassen; es sei Euer Majestät lieb oder leid!" Der König versetzte dem Bischof: "Wie, wollet Ihr Euch gegen mich auflehnen?" und schlug nach dem Bischof. Der Bischof, dies ersehend, nahm den König bei dem Hals und hätte ihn fast erwürgt, aber die andern fielen dazwischen und brachten sie wieder voneinander. Der König ward gar zornig und sagte: "Nun will ich sehen, wer diejenigen sind, die mich absetzen und auf Eurer Seite leben und sterben wollen!" Als der Bischof das hörte, sprang er auf die Seite und rief: "Oh, ihr Herren und Freunde, die mich mit Treue meinen und nicht von mir weichen wollen, stehet mir in meiner Not bei; denn in der Zeit der Not kennet man einen Freund!" Als der Bischof diese Worte geredet, trat von dem König zu ihm Graf Aymerich, Arnolds Sohn von Mailand, nach ihm Herr Arnold, ein stolzer und gewaltiger Ritter, nach diesem der Herzog von Burgund, der sagte: "Herr Bischof, wir wollen Euch helfen und beistehen mit Leib und Gut gegen alle, die Euch anfechten werden, seid darum nicht traurig!"Auf ihn folgte Richard von der Normandie, Ogier, auch ein gewaltiger Ritter, der Herzog von Balmon und seine zween Söhne, Bertram und Richard, Graf Olivier von Genua und der stolze Roland, darnach noch etliche andere mehr. Als die Herren nun an des Bischofs Seite standen, sagten sie alle mit lauter Stimme: "Seid nicht traurig, Herr Bischof, wer Euch jetzt Leid tut, der



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soll es uns tun, und sollt' es unser Leben kosten." Als der König das sah, sprach er zu Roland: "Vetter Roland, was tut Ihr? Ich meinte, wer auch von mir abgefallen, so wäret Ihr doch bei mir blieben? Ich sehe wohl, ich habe Euch vergebens so lang an meinem Hof behalten, habe Euch umsonst allen andern Herren vorgezogen und mein Vertrauen auf Euch gesetzt; Ihr lasset mich in der Not stecken; das hätte ich Euch nicht zugetraut !" Da sagte Graf Roland: "Gnädigster Herr! Ich achte dies nicht; Eure Majestät sollte sich schämen vor der ganzen Welt, daß Ihr diese drei Herren hinrichten wollet, die doch von königlichem Geblüt und Eure Verwandten sind." Da rief der König abermals den Folco von Paris und sprach: "Folco, was saget Ihr hierzu, soll ich meine Vettern losgeben oder nicht?" — "Eure Majestät ist klug und verständig genug", sprach dieser, "sehet Ihr nicht, daß Eure besten Freunde sich gegen Euch waffnen , und dem Bischof zufallend Wenn Ihr die drei Herren losgeht, so wird man sagen, Ihr habt sie nicht richten dürfen nach dem Willen Eurer Räte und habt sie also müssen laufen lassen!" — "Das ist wahr", sagte der König.

Als Ogier dies Wort von Folco hörte, ward er zornig, sprang hervor und schlug demselben ins Gesicht, daß er vor des Königs Füße fiel, als ob er tot wäre, und sprach: "Ei, du falscher Ratgeber und böser Tyrann, willst du das Blut dieser drei Herren und siehest, daß wir's nicht begehren? Du sollst des Tages Ende nicht erleben!" Dann ging er zu den drei Brüdern, lösete ihnen ihre Hände, entblößte ihnen das Gesicht und wollte sie nicht also länger gebunden sehen. Da fragte der Bischof: "Wer will nun diese drei Herren hängen? glaube, es wird niemand so kühn sein!" Der König sprach: "Herr Bischof, Ihr seid sehr trutzig gegen inicht" Der Bischof antwortete: "Herr König, ich hab ' Eurer Majestät zuvor gesagt und sag ' es noch: wenn ich mich gegen Euch sperren wollte, so wollt ' ich durch die Gunst, die ich genieße, Euch Land und Leute und die Krone abzwingen!" Als der König das hörte, ward er zornig und beklagte sich vor seinem ganzen Rat.

Der Bischof, welcher sah, daß sich der König so sehr grämte, ließ die Herren wieder binden, wie sie zuvor gebunden waren, lieferte sie in des Königs Hand und sagte: "Gnädiger Herr und König, da habt Ihr Eure Gefangene wiederum, tut nach Eurem Gefallen, aber ich rate Eurer Majestät; laßt sie los um das Entgelt, welches Reinold für sie geboten hatt" Da sagte der König: "Ach, die Allerliebsten, auf welche ich mich verlassen, weichen nun von mir, wie ist mir also geschehen?" Da sprach Roland:



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"Fürwahr, Herr König, ich tue das nicht, daß ich von Euch abwiche. Wollet Ihr gegen die Türken und Heiden streiten, so will ich Euch nicht verlassen, werd ' auch noch getreuer sein als vorhin; ich will allezeit vorn und nie der Hinterste sein und Euch allweg dienen t"

Hierauf bedachte sich der König und sagte: "Habt Ihr's gehört, Herr Bischof, heute sollen meiner Schwester Kinder sterben; denn ich will meinen Sohn rächen, ich kann solche Schmach nicht vergessen! Ach, ihr Herren, wie tut ihr so übel; ich verwundre mich, daß ihr euch wider mich also betraget Soll ich den Eid, so ich geschworen habe, nicht vollführen können, daß ich meiner Schwester Söhne töte und mich also räche an Blut meines Sohnes, den sie so jämmerlich erschlagen haben?"

Über diese Rede war er selbst ein wenig bestürzt, doch sagte er weiter: "Ich hätte wahrlich gemeint, ihr solltet mir in solchem Fall beigestanden haben!" Hierauf sprach der Bischof: "Gnädiger Herr und Königl Eure Majestät erzürne sich nicht über uns, daß der Eid, den Sie geschworen, nicht erfüllt wird; es ist schon zweimal geschehen, daß Sie einen Eid gebrochen hat, darum achten wir es nicht hoch, ob er für diesmal auch gebrochen wirdt" Da sprach der König: "Habt Ihr das getan, so ist's mir leid, da weiß ich nichts davon." Der Bischof sagte: "Ich will es Euch wohl sagen: denkt Ihr nicht mehr daran, daß Ihr im zornigen Mut bei Eurer königlichen Krone schwuret Ihr wollet Amalis von Olinde hängen lassen, weil er Eure Tochter entführt hat; und nun ist er Euer allerliebster Sohn, Ihr habt ihm Eure Tochter zum Gemahl gegeben und dazu noch Land und Leute!" Als der König dies hörte, sagte er zu dem Bischof: "Herr Bischof, ich verbiete Euch bei meiner Krone, lasset die Worte sein und streitet nicht länger gegen meine Person; denn ich sehe wohl, Ihr gewinnet mir Land und Leute abl" Da sagte Roland: "Herr König, ich rate Eurer Majestät als ein Freund, haltet die Herren alle drei noch ein wenig gefangen. Ihr werdet Euch dann etwas bedenken, so daß sich alles zum besten wenden kann!" — "Das will ich tun, Roland", sprach der König.

Darauf wurden die Brüder, welche in großer Gefahr gestanden, wieder ins Gefängnis geführt und also schied der Nat voneinander; der König ging in seine Kammer, und alle Dinge wurden für diesmal beigelegt. Als dies sich also zugetragen hatte, kam Malegys wieder gen Paris, um des Reinolds Brüder auch zu erretten; denn sie meinten alle Stund, sie müßten sterben. Er ging deshalb nach dem Palast in das Gefängnis und erwies daselbst seine Kunst, daß die Fallbrücke niederfiel und das Tor sich



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öffnete; also begab er sich zu den Gefangenen und brauchte seine Kunst abermals, daß die Schlösser des Turms zersprangen, die Tür entzweiging und er zu ihnen hineinkam. Da nahm er Adelhart Rittsart und Writsart bei der Hand und schüttelte ihnen ihre Schlösser ab, mit welchen sie geschlossen waren: aber die Brüder wußten nicht, daß es Malegys, ihr Vetter, war, sondern sie meinten, daß es des Königs Diener wäre und wollte sie heimlich umbringen. Sie waren deswegen sehr traurig und fingen an, bitterlich zu weinen. "Acht"riefen sie, "es ist nun um unser Leben getan Malegys hörte dies jämmerliche Grämen, erbarmte sich ihrer und sagte: "Liebe Herren, seid zufrieden und erschrecket nicht, es hat keine Not: ich bin Malegys, euer Vetter, ich will euch aus dem Gefängnis führen."

Wie die Brüder dieses hörten, waren sie von Herzen froh. Hierauf sagte Adelhart: "Lieber Vetter, ohne Eure Hilfe stehet unser Leben in der Hand des Herrn und König Karls: wir bitten, Ihr wollet uns helfen." Darauf nahm sie Malegys bei der Hand, führte sie aus dem Gefängnis bis an die Brücke der Stadt Paris, sagte aber dabei: "Ich hab ' übel getan, daß ich euch aus dem Gefängnis geführet habe ohne Wissen des Königs; ich will hingehen und es ihm anzeigen und Erlaubnis von ihm begehren." Da sprach Adelhart: "Vetter, ich bitte Euch, lasset uns gehen; denn ich weiß, er wird Euch keine Erlaubnis geben." Malegys aber ließ die Herren allein daselbst stehen, ging zum König bis vor sein Bett und sagte: "Herr König, Gott gebe Euch einen guten Tag, und Gott wolle Eurer Seele Geleitsmann sein, wenn sie aus diesem Jammertal scheiden wird. Ich kann nicht unterlassen, Herr König, Euch kundzutun, daß ich meine Vettern aus dem Gefängnis geholet habe und hinweggeführt bis an die Brücke vor Paris, es gehe wohl oder übel. Nun bitte ich, gnädigster Herr und König, Ihr wollet mir erlauben, daß ich sie wieder möge hinwegführen nach Montalban; daselbst werden sie Euch keinen Schaden mehr zufügen, viel weniger Eure Majestät daselbst fürchten!" Als der König dies im Schlaf hörte, antwortete er: "Nehmet Eure Vettern und tut mit ihnen, was Euch gefällt!" wußte aber selbst nicht, was er geredet hatte.

Als Malegys solche Worte von dem Könige gehört; war er wohlzufrieden, sah sich um nach des Königs Krone und nahm sie samt Karls Schwert mit sich, ließ diesen zusehen und brachte die drei Herren samt der Krone nach Montalban. Wie Reinold seine Brüder sah, sprang er vor Freuden auf und dankte seinem Vetter herzlich. Sie blieben nun samt Malegys zu Montalban beieinander. Nachdem Malegys fort von dem König war,



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schlief dieser wieder ein, und als er erwachte, wußte er nicht, ob er dieses alles gesehen und gehört hätte, oder ob es ihm in einem Traum so vorgekommen; er ging deswegen, sobald er sich gekleidet hatte, nach dem Gefängnis, um zu sehen, ob solches wahr oder ob es ein Traum gewesen wäre. Als er dahinkam, fand er das Gefängnis offen, und die Gefangenen waren heraus; da ward er sehr zornig und ging wieder nach seinem Gemach. Unterwegs kam ihm Roland entgegen und begrüßte ihn. "Herr und Königl"sprach er, "zu guter Stunde seid Ihr also früh aufgestanden!" Da sagte der König zu Roland: "Liebster Vetter Roland, gehet mit mir; ich muß Euch mein Unglück klagen, das mir diese Nacht widerfahren. Vergangene Nacht, als ich im Schlaf war, kam der Betrüger Malegys zu mir, so mir recht ist, und sagte mir, er hätte Reinolds Brüder aus dem Gefängnis genommen, und bat mich um Urlaub, daß er sie nach Montalban führen möchte, damit sie mich nicht fürchten sollten; ich meinte, er stünde vor mir, und ich gab ihm Urlaub, sie hinwegzuführen, sah auch, daß er meine königliche Krone samt dem Schwerte zu sich nahm; ich fürchte, ich werde es nimmer bekommen!" Roland antwortete dem König und sagte: "Herr König, habt Ihr Malegys Urlaub gegeben und nehmt es ihm nun für übel: was ist das?" Der König aber sprach: "Roland, treibet Ihr Euern Scherz mit mir? Das muß mich verdrießen!" So gingen sie miteinander in des Königs Kammer; Karl aber war sehr übel zufrieden wegen seiner Gefangenen, seiner geraubten Krone und seines entführten Schwertes.

***
Weil nun der König nicht wußte, wie er wieder zu seiner Krone kommen sollte, so ließ er eine neue viel schönere und kostbarere machen; auch hätte er gern wieder ein Roß gehabt, das dem Roß Beyart an Größe, Stärke und Geschwindigkeit gleich wäre. Daher wurde ihm von dem Ritter Dunay geraten, er solle seine Krone als Kleinod aussetzen und in seinem ganzen Lande ausschreiben, welcher Lust und Belieben trage, mit seinem Pferd um die Krone zu rennen, der solle sich nach Paris verfügen; da wolle der König dieselbe aussetzen, und welcher der erste mit seinem Pferd an dem Ziele wäre und die Krone erreichte, dem wolle er sie viermal mit rotem Gold abkaufen samt dem Roß, mit welchem er sie erlangte.

Dieser Rat gefiel dem König wohl; er gedachte, auf diesem Weg dürfte er das beste Pferd bekommen, das im ganzen Königreich wäre, und mit welchem Roland der Gewalt, die Reinold üben möchte widerstehen und ihn fern von Frankreich halten könnte. Er setzte daher die Krone; die er



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erst hatte machen lassen, als Kleinod aus, daneben befahl er, es solle sich ein jeder mit den besten Pferden versehen, die er bekommen könnte.

Solches erfuhr Reinold von einem guten Freunde, den erin Frankreich hatte, der kam in aller Eile zu ihm nach Montalban und sagte: "Herr Reinold, ich tue Euch zu wissen, daß der König seine Krone zum Kleinod zwischen Montalban und der Seine aufgesetzet dazu alle Ritter berufen, mit den edelsten Pferden zu Paris zu erscheinen und ihr Bestes tun mit Rennen, um die Krone zu gewinnen, in der Hoffnung, daß er auf diesem Wege das beste Pferd bekäme, um Euch damit zu bezwingen und fern vom Lande zu halten." Reinold erwiderte: "Freund, schweige davon still; wenn es meinem Vetter Malegys ratsam zu sein dünket, so will ich nach Paris reiten und das Kleinod gewinnen; denn ich weiß, er findet kein Roß, das meinem gleich ist im Laufen und Springen." Dieweil er mit diesem redete, kam Malegys dazu, und Reinold erzählte ihm, was er gehört. Da sprach Malegys: "Wo meint der König ein solch Roß finden, das dem Beyart gleichkommt mit Laufen und Springen? Das ist ihm nicht möglich; derhalben rate ich Euch, Vetter Reinold, daß Ihr dahin ziehet und nehmet Eure Brüder samt Eurem Volk mit Euch, damit Ihr desto besser verwahrt seid, und sehet, daß Ihr die Krone davonbringet: ich selber will auch mitreiten."

Da ließ Reinold das Roß Beyart satteln, rüstete sich in aller Eile, und sie zogen aus. Als sie gen Orleans kamen, fragte Malegys nach der besten Herberge; sie stiegen von ihren Pferden und gingen hinein. Als es nun Zeit war zu essen, wuschen sie ihre Hände, setzten sich zu Tisch und befahlen , daß man den Pferden ihre Gebühr auch geben sollte, saßen also und waren fröhlich; denn es war allda kein Mangel.

Als die Mahlzeit ein Ende hatte, ging ein jeglicher lustwandeln, wie es ihm wohlgefiel; aber Malegys und Reinold begaben sich in einen Garten, darin allerlei Kräuter und Blumen standen; da suchte Malegys etliche davon, die ihm nötig waren, und stieß sie zusammen in einem Mörser; den Saft nahm er und bestrich Reinolds ganzen Körper damit.

Dadurch veränderte Reinold die Farbe und sah viel jünger aus, als er war, also daß man ihn nicht erkennen konnte. Als Adelhart, des Reinolds Bruder dies sah, lachte er und sagte zu den andern Brüdern: "Sehet, Brüder! Was hat unser Vetter getan durch seine Zauberkunst!" Darauf ging Malegys in den Stall und veränderte dem Roß Beyart auch seine Farbe; es war vorhin schwarz, darnach wurde es so weiß wie Schnee, daß man es nicht erkennen konnte.



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Wie dieses die Brüder sahen, mußten sie lachen und sagten wieder zueinander: "Wenn ich nicht wüßte, daß es Beyart wäre, so könnte ich es jetzt nicht erkennen, so sehr ist es nun entstellt; und ich weiß gewiß, daß niemand unter der Sonne ist, der es erkennen kann." Als dies geschehen, fing Malegys an: "Nun lasset uns fort gen Paris reiten; denn niemand kennet jetzt Reinold, noch das Roß Beyart, wie genau man es besieht!"

Reinold, der tapfere Held, ließ sein Pferd satteln und rüstete sich samt seinen Brüdern, und sein Vetter Malegys desgleichen, doch keiner war so herrlich als Reinold. Aber die Worte, die Reinold und Malegys mit den Brüdern gewechselt hatten, hörte ein Verräter; derselbe lief eilends nach Paris, meldete alles dem König und sagte, daß Reinold sich gerüstet hätte und nach Paris reiten wolle, um die Krone zu gewinnen; denn er habe es von ihm sagen hören. Als der König dieses vernahm, entfiel ihm der Mut, und er sprach: "Freund, was sagt Ihrs Ich weiß, daß Reinold nicht hieher kommen darf, und wenn er die Stadt Paris damit gewinnen könnte!" Da antwortete der Verräter: "Herr, ich sage Euch, fürwahr, es geschieht, denn ich habe ihn samt seinen Brüdern und Malegys zu Orleans gesehen ." Als der König das hörte, ward er zornig, rief Folco von Morlin und sagte zu ihm: "Ich will dir dreißigtausend Mann geben, darüber sollt du Obrister sein und mit ihnen nach Orleans ziehen, daß du meinen Vetter Reinold bekommest und bringst ihn gefangen hieher. Wenn er sich gegen dich zur Wehr stellt, so haue ihn samt seinen Brüdern und Malegys in Stücke und bringe mir ihre Häupter, dafür will ich dir schwer Gold geben." Folco willigte ein, zog hinweg mit seinem Volk, besetzte alle Pässe und Straßen und sprach: "Nun ist Reinold samt seinen Brüdern mein Gefangener , Gott wollte es denn anders; ich will nun fleißig Achtung geben, daß er mir nicht entkomme."

Unterdessen kam Reinold auf vier Meilen Wegs nahe bei Paris auf ein schönes Feld, wo er einen guten Brunnen fand. Da verließen Reinold und Malegys das Volk, das sie bei sich hatten, und befahlen es dem Adelhart, daß er darüber gebieten solle als ihr Oberster; so ritten sie gen Paris und sprachen zu Adelhart: "Wenn man uns mit Gewalt überfallen würde, so wollen wir eine Trompete blasen: alsdann komme du uns mit dem Volk ohne langen Verzug zu Hilfe." Als sie nun zu Paris angekommen waren, sagte Malegys zu Reinold: "Wenn man Euch etwas fragen wird, so antwortet sanftmütig auf Bretagnisch und lasset Euch nicht merken, daß Ihr Französisch reden könnet."

Jetzt nahte Folco mit seiner Schar und sah Reinold herankommen. Da



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sagte Reinold zu dem Malegys: "Vetter, was sollen wir tun? Lasset uns wieder umkehren zu unserm Volk; denn sehet, da kommt Folco von Morlin." Darauf antwortete Malegys: "O Reinold, ich merke wohl, Ihr habt kein Herz mehr; reitet fort und fürchtet Euch nicht; denn niemand kennt Euch und das Roß!" Inzwischen ritt Folco tapfer auf Reinold zu und hatte ein Schwert in seiner Hand; als er bei ihm ankam, vermeinte er, das wäre ein junger Knabe, und sah, daß er nicht gewaffnet war; dessen schämte er sich, senkte sein Schwert, nahm den Reinold bei der Hand und fragte ihn: "Jüngling, wo kommst du her, und wo bist du geborene"Da antwortete Reinold ihm auf Bretagnisch mit gelinden Worten. Folco aber sprach: "Rede Französisch; denn ich verstehe dich sonst nicht. Fürwahr, Jüngling", sagte er, "ein solch groß Pferd habe ich noch niemalen gesehen ; es ist schier dem Roß Beyart gleich, das der Reinold hatte, und wenn es schwarz wäre, so spräche ich, es wäre das Roß Beyart."Und also ließ er den Reinold seine Straße reiten. Darnach kam der Ritter Dunay zu Folco, fragte ihn: "Wie, Folco, habt Ihr den Reinold nicht erschlagen? " — "Nein", sagte dieser, "es ist Reinold nicht 'gewesen, es ist ein junger Held von vierzehn oder fünfzehn Jahren er kommt aus Bretagne!" Als Dunay dies hörte, steckte er sein Schwert ein und ritt ihm in aller Eile nach; und als er zu Reinold kam, nahm er seinen saum in die Hand und fragte ihn auch, wo er geboren wäre. Reinold antwortete ihm gar demütig: "In Bretagne, in Brevie bin ich geboren." Dunay sagte: "Sprecht Französisch, ich verstehe Euch sonst nicht." Als Dunay aber hörte, daß er sonst keine Sprache reden konnte, sagte er: "Nun, so reitet hin in Gottes Namen!"

Darnach nahm Dunay Malegys Pferd bei dem Zaum und fragte ihn auch, wo der junge Held geboren wäre. Malegys antwortete auf Französisch und sagte: "In Bretagne; er ist eines Grafen Sohn, aber sein Land und Leut' hat er versetzt." Da fragte Dunay: "Wie ist er denn zu dem Pferd gekommen? Das ist ein schön, groß und geschwindes Roß, desgleichen hab ' ich niemals gesehen. Es ist fast dem Roß Beyart gleich, und wenn es von Haaren wäre, wie jenes ist, so sagte ich, es wäre Beyart selbst; denn es hat eben seinen Gang und Gestalt, nur nicht die Haare!" — "Das ist kein Wunder", sagte Malegys, "daß es groß ist, es hat niemals nichts anders gefressen als Kom und Brot, und das allein darum, weil der König hat verkündigen lassen, er wollte seine Krone zum Kleinod aussetzen auf das beste Pferd, welches am geschwindesten und am mächtigsten wäre im Turnieren und Rennen; dasselbe wollte er kaufen, der



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Meinung, daß man den Reinold bezwingen und gus dem Lande halten sollte; derhalben hat der Jüngling sein !Pferd allein mit Korn und Brot füttern lassen; denn er hofft, die Krone zu gewinnen und den Preis davonzutragen Da sprach Dunay zu Malegys: "Habt Ihr nichts von Reinold vernommene" Malegys erwiderte: "Ich glaube, er ist noch dahinten und trachtet sehr nach des Königs Unglück." Dann nahm er Urlaub von dem Ritter Dunay und ritt Reinold nach. Dunay aber ritt zu Folco von Morlin und sagte zu ihm: "Mich dünkt, daß wir vergeblich auf Reinold warten; denn ich weiß, daß er nicht nach Paris kommt, und wenn er schon die Stadt Senlis, Orleans und Amiens damit verdienen könnte!" Folco antwortete dem Ritter Dunay und sprach: "Fürwahr, Hem, das dünkt mich auch; und wenn es der Ritter Reinold erfährt, daß wir sein allhier warten, so wird er lachen, seinen Spott mit uns haben und sagen: Jetzt sehe ich, daß man mich sehr fürchtet, da sie mit solcher Gewalt auf mich warten! ' Mit diesen Worten kehrten sie wieder nach Paris zu dem König.

Als Folco vor den König kam, fragte ihn dieser, ob er Reinold bekommen hätte. Er antwortete seinem Herrn: "Nein, Herr König." Der Ritter Dunay aber sagte zu Karl: "Gnädigster Herr König, es wäre gar unweislich getan, wenn wir den stolzen Ritter Reinold daselbst sollten erwarten; denn er wird sich wohl besser besinnen, denn daß er gen Paris kommt; und ich weiß, wenn er schon Senlis, Orleans und Amiens damit gewinnen könnte, so kommt er doch nicht hieher." Der König antwortete: "Das ist wohl wahr, was Ihr saget, Herr Dunay, aber er ist von Eurer Verwandtschaft; darum habt Ihr dem Folco davon abgeraten; aber fürwahr, ich sage Euch, wenn mir der Reinold entkommt, so will ich Euch an seiner Statt henken lassen!" Darauf erwiderte Dunay: "Gnädiger Herr, nicht also, ich will Eurer Majestät einen andern Rat geben; Ihr sollet alle Tore der Stadt zusperren lassen und an jegliches Tor ungefähr drei oder vier gewaffnete Mann stellen und alle die fremden Ritter und Herren draußen lassen; und wenn nun Reinold mit einigen Pferden käme und gern herein sein wollte, so könnte man ihn alsobald ergreifen und Eurer Majestät gefangen ausliefern!"

Der König hielt den Rat für annehmlich und befahl, ihn ins Werk zu setzen; er ließ die Stadt Paris bewachen, auf daß er den Ritter Reinold möchte bekommen. Reinold und Malegys kamen. Aber niemand war da, der ihnen aufmachte. Als Malegys dies sah, steckte er sein Haupt durch ein Loch des Tors und sah einen gewaffneten Mann dasitzen; denselben



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sprach er mit guten Worten an und sagte: "Freund, warum läßt der König die Tore alle verschließen? Dessen verwundere ich mich sehr, daß alle diese Ritter und Herren hieraußen bleiben müssen. Oder meinte der König , daß er alle gute Pferde darin hat? Ach, nein! Es ist noch eines hieraußen, das ist das beste, des wird er wohl innewerden!"

Der gute Mann sagte zu ihnen: "Meine Freunde, es ist nicht darum geschehen; es ist nur um den Ritter Reinold zu tun." —"Ist's sonst anders nichts als um Reinold ?"sprach Malegys, "ich hab ' gehört; er ist noch dahinten, aber er trachtet gewaltig nach des Königs Schad ' und Unehr!" Indem nun Malegys also redete mit dem Wächter, stand da ein Verräter neben Reinold, der sagte: "Hab ' ich Reinold jemals gesehen, so ist es der, welcher auf dem großen Roß sitzt, und das Pferd ist Beyart!" Malegys, dies hörend, veränderte den Reinold noch mehr, und Beyart verstand die Worte auch, die der Verräter redete: er schlug mit seinen Füßen hinten aus und traf jenen vor die Brust; daß er zurückfiel und starb.

Hierauf sagte Malegys zu den Herren, die dabeiwaren: "Das Pferd hat den Knecht totgeschlagen." Die Herren aber sprachen: "Das Pferd hat recht getan, warum hat er gelogen? Wie sollte das Beyart sein können; denn Beyart ist kohlschwarz, und dies Roß ist weiß wie der Schnee; auch kennen wir Reinold wohl, der hat eine Gestalt von zweiundzwanzig Jahren, dieser Jüngling scheinet nicht über fünfzehn Jahre alt zu sein!" Als diese Rede ein Ende genommen, tat man das Tor auf und ließ die Reiter alle hineinziehen.

Als sie nun darin waren, fragte Malegys nach der besten Herberge; die zeigte man ihm, da stiegen sie von ihren Pferden, welche in den Stall geführt wurden, und die Ritter gingen zum Morgenessen. Wie nun die Zeit herannahte, daß man um die Krone reiten sollte, ging Malegys mit Reinold in den Stall, und Malegys machte durch seine Zauberei, daß Beyart ganz mager und unansehnlich ward.

Reinold und Malegys sattelten darauf ihre Pferde, ritten wieder zu der Stadt hinaus auf einen grünen Platz und erwarteten daselbst den König. Als nun die Mahlzeit vorbei war, ritt dieser mit seinem Adel hinaus, und es folgten ihm alle Ritter, die um das Kleinod werben wollten. Sie kamen an den Ort, wo die Krone aufgehängt war; da begab sich Reinold und Malegys mit ihren Pferden unter die andern Ritter und Herren; als die Reinold sahen, trieben sie ihren Spott mit ihm und sagten untereinander: "Dieser wird das Kleinod gewinnen, und das Roß wird ihm der König abkaufen!" und dergleichen Spottreden mehr. Darauf sprach



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Reinold mit ganz demütigen Worten: "Scherzet nicht zu sehr, Freunde! Wer weiß, was Gott mir jungen Helden auf diesen Tag noch für Glück bescheren wird? Er möchte mir vielleicht soviel Gnade erzeigen, daß ich die Krone mit meinem unansehnlichen Roß gewänne!" Dies hörte ein Bürger, welcher dabeistand, lachte dessen und sagte: "Freund, Ihr redet die Wahrheit, aber ich rate Euch, daß Ihr wieder zurück in die Stadt reitet und entlehnet einen Esel und brauchet den statt dieses Pferds; oder eine Kuh, die kann fein weit schreiten, so kommet Ihr bald zu der Krone!" Und also ward der gute Reinold mit seinem Pferd verspottet.

Indes befahl der König, man solle das Nennen anfangen, und ein jeglicher rüstete sich und verhoffte, die Krone zu gewinnen. Da sprach Malegys zu Reinold: "Nun, Vetter, tut Euer Bestes, daß Ihr das Kleinod mit Ehren erlangen möget, ich will wieder durch Paris reiten und an der andern Seite der Seine warten." Während Malegys und Reinold also zusammen redeten, waren die andern Ritter ein gut Stück Wegs voran geritten. Reinold, der dies sah, sagte zu seinem Roß: "Wie nun, Beyart, willst du so träg sein? Sollte ein anderer die Krone gewinnen? Das wäre mir und dir eine große Schande!" Beyart verstand diese Worte und fing an zu laufen, daß sich jedermann verwundern mußte, ja, so geschwind , als wäre es ein Pfeil gewesen, der von einem Bogen geschossen worden. Als die Herren, die dabeiwaren, dies ansahen, sagten sie wieder zueinander: "Wir hatten unsern Schimpf und Spott an diesem Jüngling, aber mich dünkt, er könnte die Wahrheit gesagt haben!"

Indem ward der König Beyart auch gewahr, rief dem Roland und sagte: "Vetter, sehet das Roß an, auf dem der Jüngling sitzt; das läuft so geschwind und ist so groß und stark, daß es dem Beyart fast gleich ist; wenn es schwarz und nicht weiß wäre, so würde ich sagen, es sei Beyart selbst; das will ich Euch kaufen, auf daß Ihr Reinold damit bezwinget und ihn uns fernehaltet!" Roland sagte: "Herr König, das ist wahr, wenn es schwarz wäre, es wäre Beyart selbst!" Unterdessen kam Reinold den andern Pferden weit zuvor, also daß er der erste bei der Krone war; die nahm er von dem Ziele ab, da sie aufgesetzt war, jagte durch die Seine und brachte so die Krone hinweg. Als der König sah, daß Reinold mit der Krone hinwegreite, ward er traurig, rief ihm und sagte: "Freund, hierher mit der Kronen Gebt sie mir wieder, ich will sie Euch viermal mit Gold bezahlen; will Euch das Roß, mit dem Ihr die Krone gewonnen, abkaufen und Euch dafür geben, was Ihr von mir begehret!" Als Reinold dies vom König hörte, rief er: "Herr König, dies Roß ist mein, ich



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will es auch behalten; wollet Ihr ein schön Pferd haben, so sehet, wo Ihr's bekommet: denn ich weiß, Ihr findet keines, wenn Ihr schon die ganze Welt durchsuchen ließet, das dem Beyart gleich wäre; ich sage Euch fürwahr, Herr König, habt Ihr Reinold je gesehen oder erkannt, so bin ich es selbst mit meinem Roß Beyart. Was die Krone betrifft, Herr König, die hab ' ich durch Gott und das Glück gewonnen; die will ich behalten und die Edelsteine davon nehmen und sie zu Montalban zu einem Gedächtnis meines Sieges aufbewahren; denn Kaufleute dürfen keine Kronen tragen; es ist besser, daß mein Roß sie trägt! Mich dünkt nämlich, Ihr wollet ein Roßtäuscher werden!" Hierüber wurde der König betrübt und rief: "Ei, lieber Vetter; lasset mir die Krone wieder zukommen, ich will Euch zum Rentmeister machen über alle meine Güter. Adelhart soll Marschall, Rittsart soll Speisemeister und Writsart soll mein Schultheiß sein!" Reinold aber sprach zum König: "Herr Königl Gott weiß, wenn wir Euch dienten, sollten wir für unser Wohl übel gesorgt haben; heut; als Ihr die Krone aussetztet, meintet Ihr, ein Pferd zu finden, das Beyart gleich oder über dasselbe wäre, das ist aber weit gefehlt. Es isi in der Welt kein besseres; ich bin weit herumgezogen, doch seinesgleichen ist mir nicht vorgekommen, geschweige daß Ihr eines finden solltet, so über das meine wäre; ich will es auch nicht lassen, und wenn Ihr mir soviel Gold dafür geben wolltet; als es groß und schwer ist; denn es ist die Blume von allen Pferden!"

Als Reinold mit dem König also redete, kam Malegys mit seinem Pferde gerannt, was er rennen konnte, und fragte Reinold: "Vetter, wie ist es mit der Krone, wer hat sie gewonnen, habt Ihr sie oder nicht?" Reinold sagte: "Ja, ich hab ' sie bekommen, ich danke es Gott und Euch, Vetter Malegys!" Da sprang Malegys vom Pferd und küßte Reinold samt Beyart. Als der König dieses sah, fragte er den Zauberer und fing an: "Seid Ihr es, Vetter Malegys, oder täusche ich mich? Ich bitte, wollet meinen Vetter Reinold bereden, daß er mir die Krone wiederzukommen lasse, ich will sie ihm vierfach bezahlen; dazu will ich ihm vier Monat lang Frieden geben, um nach Dordone zu reisen und seine Mutter zu besuchen; denn ich weiß, daß sie ihn liebhat und nach ihm sehr verlanget." Als Malegys dies hörte, sagte er zu dem König: "Herr König, kommet über die Seine; wir wollen Euch die Krone geben!" Der König aber wurde zornig und sprach zu den Rittern, die bei ihm waren, vornehmlich zu Roland und Olivier: "Ich bitte euch, ihr Herren, folget mir nach und trauet Malegys nicht wegen seiner Zauberkunst!" Da sagte dieser:



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"Ich rate der Herren keinem, daß sie sich auf die Seine begeben! Kommen sie darauf, so kommt keiner mit dem Leben davon: ich mache, daß sie alle ertrinken." Indem sprang Reinold auf Beyart und Malegys auf sein Pferd; so schieden sie vom König und eileten zu Reinolds Brüdern, welche ein groß Verlangen nach seiner Wiederkunft hatten wie auch nach der Krone. Reinold und seine Brüder blieben nun mit ihrem Vetter Malegys zu Montalban beieinander.


***
Eines Tages wollte Olivier in einen Wald außerhalb Paris auf die Jagd reiten und kam auf einen hohen Berg; da sah er von oben herab unten an dessen Fuß einen Mann; er zweifelte, ob es Malegys wäre oder nicht; zuletzt erkannte er ihn; denn er wußte wohl, daß sich Malegys durch seine Kunst in eine andere Gestalt verändern konnte, als er sonst hatte. Olivier verwunderte sich, wie er dahingekommen wäre, setzte sich auf sein Pferd, ritt zu ihm, ergriff ihn
bei seinem Mantel und sprach: "Stehe still, du loser Zauberer, und gib dich gefangen, ich muß dich zum König Karl führen!" Als Malegys solches sah und hörte, sprang er hinter sich, zog sein Schwert aus und stellte sich zur Wehr. Olivier aber schlug nach Malegys, daß ihm sein Schwert aus der Hand fiel. Da nun Malegys sah, daß er wehrlos war, wurde er


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zornig und sprach zu Olivier: "Ich will mich gefangengeben." Dieser nahm ihn gefangen und führte ihn nach Paris.

Wie der König den Olivier sah, empfing er ihn freundlich und fragte: "Wie? Olivier, bringet Ihr mir Malegys gefangen?" Er antwortete: "Ja, Herr König! Eure Majestät mag nun mit ihm handeln, wie Ihr beliebt." Da fing der König an: "Malegys, du falscher Dieb, weißt du wohl, daß du mir letztmals, als Rittsart hier gefangen war, fast meinen Daumen abgebissen hast?" Da antwortete ihm Malegys und sagte: "Herr König, das wird das letztemal sein, daß ich Euch schaden werde." Der König aber sprach: "Du sollst heute noch hangen." Malegys erwiderte: "Herr König, ich bitte, lasset mich leben bis morgen."—"Nein", sagte der König, "du möchtest mir entlaufen." Malegys redete wieder: "Herr König, ich will Euch dafür Bürgen stellen." Der König sprach: "Wer will denn dein Bürge sein?" Malegys sagte: "Ich versehe mich dessen zu Olivier." Da fragte Karl den Olivier: "Wollet Ihr Bürge sein für Malegys, daß er mir zwischen heut und morgen nicht entläuft?" Olivier sprach: "Ja, Herr König!" Da sagte Karl zu Malegys: "Er kann nicht allein Bürge sein; es müssen ihrer noch mehr sein!" Und nun fragte Malegys den Roland, ob er auch Bürge wollte sein. Roland sprach: "Gnädiger Herr Königl Eure Majestät darf nicht sorgen, Olivier und ich wollen uns verbürgen, daß er nicht entweichen soll." Unterdessen wurde es Essenszeit; da ließ der König zur Tafel blasen, und je zwei und zwei von den Herren und Genossen setzten sich zusammen; aber der König saß allein, und sie aßen und waren fröhlich.

Als Malegys dies sah, sagte er zum König: "Gnädiger Herr König, alle Eure Herren sind gesessen, aber ich bin vergessen worden; ich denke, ich komme und setze mich zu Eurer Majestät." Als der König diese Schimpfrede von Malegys hörte, wurde er zornig und sprach: "Du ehrloser Schelm, wie darfst du noch reden und sollst doch morgen hangen? Wenn ich an deiner Statt wäre, das Essen und das Lachen sollte mir wohl vergehen!" — "Je nun", sagte Malegys, "Herr König, ich bin heute abend noch frei; was morgen geschieht, das weiß ich nicht." Als Roland das hörte, sagte er: "Malegys, schweiget still, kommet und esset mit mir!" — "Das will ich tun", antwortete Malegys, "ich muß heute noch fröhlich sein und ein schönes Liedlein singen"; ging also und setzte sich zu Roland.

Sobald nun das erste Gericht auf die Tafel kam, fing er an zu singen; da sagte der König: "Wie, Malegys, gelüstet Euch noch zu singen, und sollt morgen hangen?" Malegys sprach: "Herr Königl Ihr habt keinen



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lustigern Menschen gesehen, als ich bin, dieweil ich noch Zeit habe, bis morgen zu leben!" Der König sagte: "Du gedenkest vielleicht, mit deinem Gesange dich vom Galgen zu erlösen; aber deine Hoffnung ist umsonst!" Dann ließ er ihn alsbald in das Gefängnis führen und ihm fünf Zentner Eisen anlegen. Als Malegys sah, daß es dem König Ernst war, sprach er: "Herr König, wo Ihr mich nicht losgebet und bestellet mir eine Herberge , so will ich Euch mit Gewalt entlaufen." Der König erwiderte: "Wenn du mir entlaufen kannst, will ich dir es freistellen." Da sagte Malegys: "Herr König, erlasset meine Bürgen der Bürgschaft; ich will versuchen, was ich kann." Der König aber sprach: "Ich begehre die Bürgschaft nicht." Als Roland das hörte, sagte er: "Herr König, mir ist es auch recht; erlasset mich und Olivier der Bürgschaft, weil Malegys in den Kerker geworfen liegen muß." Der König antwortete: "Ihr Herren, ich entlasse euch der Bürgschaft: er wird mir nicht entlaufen; ich befehle euch Gott, ich will mich zu Bette legen." Als Malegys dies hörte, sagte er: "Ich will mich losmachen, ehe es Mitternacht ist!" — ''Ei, du loser Schelm", sprach der König, "wie wolltest du das zuwege bringen? Du bist ja fest genug geschlossen, hast auch Eisen genug am Leibe; auch will ich dir das Gefängnis noch dazu verwahren lassen durch einen Diener." Aber um Mitternacht brauchte Malegys seine Kunst, daß alle Schlösser abfielen und das Tor des Gefängnisses sich öffnete; die Herren, welche Wache hielten, sanken in Schlaf; so daß er sie alle aufeinander legte und ihnen ihre Wehren nahm; dann ging er in des Königs Schlafkammer, schleppte Silbergeschirr mit sich, soviel als er tragen konnte, und ging damit nach Montalban.

Reinold lag ruhig in selbiger Nacht und schlief; er wußte nicht, was sich mit seinem Vetter Malegys zugetragen hatte. Da kam ihm im Traum vor, daß Malegys an einem Baum gehangen wäre; über diesem Traum erwachte er, zog seine Kleider an, waffnete sich und sprach: "O gütiger Gott; ich bitte dich, du wollest meinen Vetter vor einem solchen schändlichen Tode behüten!" Dann setzte er sich auf Beyart, ritt nach des Malegys Kastell und klopfte allda an. Der Pförtner fragte ihn, was er begehrte . Da sprach Reinold: "Wo ist der Herr?" Der Pförtner erwiderte: "Herr, das weiß ich nicht." Reinold wurde traurig und ritt nach Paris; als er nach Montfalcon kam, fand er, daß niemand da gehenkt war, und er freute sich dessen. Darnach schaute er sich etwas um und sah einen Mann daherkommen, beladen mit einer schweren Last; der härmte sich, als ob er augenblicklich sterben wollte.



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Reinold erschrak heftig, meinte, es wäre der Teufel selbst, und sprach: "Bist du von Gott, so sag mir's, wer du bist!" Der Fremde sprach: "Ich bin Malegys, kennet Ihr mich nicht?" Da sagte Reinold: "Jetzt kenne ich Euch wohl, Vetter! Ich bitte, saget mir, was traget Ihr so schwer?" "Das will ich Euch sagen", erwiderte Malegys und erzählte nun Reinold den ganzen Vorfall. Da fragte dieser: "Vetter; habt Ihr Oliviers Schwert auch genommene""Ja", antwortete Malegys, "hätte ich es ihm gelassen, so wäre er bei dem König in Verdacht gewesen, als ob er etwas davon gewußt hätte, daß ich entkommen wäre." Da ließ Reinold Malegys auf Beyart sitzen, und sie ritten vergnüglich nach Montalban. König Karl, der den Kerker zu bewahren befohlen hatte, auf daß Malegys nicht entkäme, ging des Morgens, als er sich angekleidet hatte, nach dem Gefängnis und wollte den Malegys in aller Früh henken lassen. Als er vor das Gefängnis kam, fand er's offen, die Genossen auf einem Haufen liegen und die Stätte leer; er wurde deshalb sehr traurig und rief mit lauter Stimme: "Roland, stehe auf, wir haben Malegys verloren." Als der König ein solch Geschrei machte, wurden die Genossen alle wachend: da fing Roland an: "O Gott; wer mag uns alle so auf einen Haufen gelegt haben?" wollte alsbald nach seinem Schwert greifen, ingleichen auch die andern Herren, da waren aber alle Waffen hinweg. Als König Karl dies hörte, ward er gar zornig über die Genossen, daß sie nicht besser Wacht gehalten hatten. Ogier aber antwortete dem König und sagte: "Herr König , wann Ihr ihn schon bei dem Galgen hättet, so entkäme er doch und nähme mit sich, was er begehrte." Da schwur Karl, er sollte ihm nicht mehr entgehen, wann er schon zu Montalban wäre, er wollte ihn henken lassen und die Schwerter der Genossen in eigner Person wiederholen.



***
Der König Karl ließ nun in seinem ganzen Lande eine große Menge Volks versammeln und zog damit nach Montalban, die Stadt zu belagern, tat auch großen Schaden mit Rauben und Brennen. Roland schickte einen Boten an Reinold und begehrte, er sollte ihm helfen, daß er sein Schwert Durendal wiederbekäme. Da entbot ihm Reinold, er wolle nicht allein ihm, sondern allen Genossen helfen, daß sie ihre Schwerter wieder erhielten: Roland sollte nur ihm wieder beistehen, daß er und seine Brüder bei dem König zu Gnaden möchten aufgenommen werden.

Roland aber zeigte den Genossen Reinolds Begehren an, welche solches alsbald bewilligten. Ogier sagte: "Möchten wir ihre Gnade bei dem Könige erlangen, ich wollte kein Gut daran sparen." Es ward aber verabredet,



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der Bischof Turpin sollte es dem Könige vortragen; so gingen sie sämtlich zu Karl, und der Bischof fing an und sprach: "Gnädiger Herr König! Ihr wisset wohl, wie Montalban so fest ist, daß die, so darinnen sind, sich nicht zu fürchten haben. Derhalb bitten wir, Eure Majestät wolle Reinold und seine Brüder zu Gnaden aufnehmen und Frieden mit ihnen machen; was hilft es Euch, daß das ganze Land mitsamt der Stadt und Burg verdorben wird? Es wäre besser, Eure Majestät nähme sie wieder an und ließe sie mit uns gegen die Heiden ziehen und die Feinde Gottes helfen vertilgen!" König Karl aber sprach mit zornigem Gemüt: "Solches soll nicht geschehen; ich will sie einmal fragen lassen, ob sie das Kastell Montalban übergeben und sich gebunden in meine Hände liefern wollen!" Da fragte der Bischof: "Herr König, wer soll der Bote sein, der das ausrichten soll?" Roland sagte darauf: "ES ist niemand so stolz oder keck allhier, der den Mut dazu hätte."

Als der König dies hörte, sagte er: "Roland, ich weiß keinen Bessern oder Bequemern dazu als eben Euch. Deshalb sollt Ihr zu Reinold gehen und ihm sagen, wo er mir das Kastell zu Montawan nicht übergeben will, und was ich sonst noch mehr von ihm begehren werde, so will ich in seinem Lande keinen Stein auf dem andern lassen, sondern alles verheeren und verderben, was ich finde!"

Roland bedachte sich bald und sagte: "Gnädiger Herr und König, ich will es gerne tun!"rüstete sich und zog nach Montalban. Als er zu Reinold kam, grüßte er ihn samt seiner Gesellschaft ganz freundlich und begann: "Vetter Reinold, ich bin hieher zu Euch geschickt vom König Karl und soll Euch anzeigen, daß Ihr ihm das Kastell Montalban übergeben sollt und mit allen denen kommen, die in Montalban sind, einen Strick um den Hals, willig und barfuß, und ihm zu Fuß fallen; so Ihr solches nicht tun wollet, so will er Euer ganzes Land verheeren und verbrennen; und wo er Euch samt Euren Brüdern kann bekommen, so will er Euch henken lassen." Reinold hörte diese Botschaft an. Als Roland ausgeredet hatte, sagte er zu ihm: "Derselbe, der mir als einem Landesherrn so darf drohen und verlangt, ich sollte ihm Land und Leut', Leib und Gut übergeben, der ist selbst des Todes würdig; aber, Freund Roland t ich begehre von Euch, daß Ihr dem König wieder sollet anzeigen: Ich erbiete mich und meine Brüder in seine Gnade und will ihm geben Land und Leute, Dörfer und Städte zu einem Eigentum, ich will ihm auch lassen das Kastell Montalban, daß er es mir als ein Lehen gebe; verspreche auch für mich und meine Brüder, ihm allenthalben zu dienen mit Leib und Blut, wo er unserer



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nötig hat, sobald er uns will zu Gnaden annehmen, daß wir mögen bei Eltern, Weib und Kind bleiben: jedoch, wenn er uns in seinem Land und Königreich nicht leiden will, so wollen wir uns in andere Länder begeben, das Kreuz mit Geduld ertragen und daselbst sieben Jahre lang bleiben. Wenn er aber diese Vorschläge nicht eingehen will, so sagt ihm frei, daß er sich hüte, wo er kann: denn ich will ihm allen Schaden tun, der mir möglich ist, und will so lang Krieg gegen ihn führen, als ich Volk aufbringen kann." Roland erwiderte: "Freund, das soll also geschehen ; ich will es dem Könige so hinterbringen und hören, was er dazu sagen wird." So ging er wieder zu Karl und machte demselben kund, was ihm Reinold aufgetragen hatte.

Nachdem der König durch Roland die Meinung Reinolds vernommen, ward er zornig, ließ überall die Wachen verstärken, auch alles wohl mit Volk versehen und brachte eine große Menge zu Roß und zu Fuß zusammen. Als aber Reinold das hörte, ließ er all sein Volk ebenfalls waffnen und die Pferde rüsten und begab sich also ins Feld.

Reinold zog mit Beyart voraus, seine Brüder folgten ihm nach, und sie erschlugen eine große Menge Volks. Reinold stieß auf einen französischen Edelmann so hart, daß er von seinem Pferde tot auf die Erde fiel. Als der König sah, daß Reinold unter seinem Volk so großen Schaden tat, rief er zu seinen Genossen: "Ihr Herren, stellet Euch zur Wehr; denn Reinold tut samt seinen Brüdern großen Schaden." Da die Franzosen das hörten, daß der König so ernstlich war, gingen wohl tausend Mann auf Reinolds Volk los; die wehrten sich aber ritterlich.

Endlich sagte der König zu Roland und Olivier und zu den Genossen: "Folget mir alle nach, so ihr euer Leben behalten wollt", und so ritt er auf Reinold und sein Volk zu. Als dieser sah, daß der König so stracks auf ihn zukam, floh er vor ihm, der König aber rief ihm und sagte: "Reinold , hierher und stich auf mich!" Reinold antwortete dem König und sprach: "Herr König, das soll unverzüglich geschehen", gab seinem Pferde die Sporen und ritt so stark auf ihn ein, daß er vom Pferde fallen mußte: er wäre wohl geblieben, wenn Roland nicht Hilfe geleistet hätte; alsbald rief Reinold seinem Volk und schrie: "O ihr Gaskogner, jetzt brauchet euch und setzet tapfer unter die Franzosen; denn wir sind jetzt Meistert" Als der König dies hörte, rief er: "Reinold, ich hoffe, du wirst daran lügen", und sprang alsbald auf Malegys: der wehrte sich tapfer, also daß ihm das Pferd unter dem Leibe totblieb; zur Stund schwang er sich wieder auf ein ander Roß und focht mit dem Schwert und fällte damit



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manchen Franzosen, dessen sich Reinold sehr erfreute. Dann zogen sie wieder ab und begaben sich nach Montalban.

Als der König sah, daß seines Volks soviel tot geblieben und Reinold ihm entronnen war, wurde er sehr betrübt und sagte zu seinen Genossen: "Nun hat mir Reinold soviel Schaden getan, daß ich es ihm nimmer vergeben kann."

Dieser Streit zwischen dem König Karl und Reinold währte wohl sieben Jahre. Die Genossen kamen immer wieder mit der Bitte vor den König, daß er ein Parlament halten sollte, um dem Krieg ein Ende zu machen. Und endlich willigte Karl darein.

Reinold aber, als er hörte, daß ein Parlament ausgeschrieben war, erschien er daselbst, kam in eigner Person vor den König, grüßte ihn und sagte: "Gnädigster Herr König, der große König des Himmels und der Erde müsse Euer Majestät Beschützer sein." Karl erwiderte: "Was grüßest du mich noch, und hast mir so großen Schaden getan?" Reinold sagte: "Herr König, den Schaden will ich wiedergutmachen und für meine Missetat begehre ich Strafe zu leiden und mich nach Vermögen zu bessern. Und so es Euer Majestät gefällig ist, so wollen wir uns ergeben mit Leib und Gut." Auf solches hieß der König sie abtreten, er wolle sich mit seinen Herren und Freunden beraten. Dies waren Griffon, Alloret und Forcier; denn die andern Genossen waren zu Montalban geblieben. Forcier



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sagte zu dem König: "Gnädiger Herr t Reinold ist nun allhier erschienen, und gedenkt Euer Majestät nicht, daß er Ludwig, unsern jungen König, erschlagen hat? Und den solltet Ihr zu Gnaden annehmen?" Als Ogier das hörte, fürchtete er sich, Forcier würde etwas mehr gegen Reinold sagen, lief eilend dazu und sprach: "Schweiget still, Forcier, lasset mich reden; Ihr solltet billig auf kein Parlament kommen!"

Da sagte der Bischof Turpin: "Das ist wahr, Ogier, sie raten dem Könige, daß er allezeit zu streiten hat, also daß Land und Untertanen verdorben werden. Ich aber, Herr König, rate, Eure Majestät wolle Reinold mit seinen Brüdern zu Gnaden aufnehmen und sich mit ihnen versöhnen ; dann mögen sie gegen die Heiden ziehen und uns das Land helfen gewinnen: denn sie sind die besten Kriegshelden, die ich im ganzen Reiche weiß." Da sprach der König: "Nein, ich will das nicht tun; soll ich mich mit dem versöhnen, der mir meinen Sohn und soviel andere, Ritter und Volk, erschlagen hat?" Als das Parlament sah, daß sie nichts erhalten konnten, schieden sie voneinander, und der König schwur, er wolle Reinold henken lassen. Da sagte Reinold: "Herr König, weil ich denn sehe, daß ich von Euch keine Gnade erlangen kann, so wisset, daß ich mit meinen Brüdern mein Äußerstes tun werde; und wenn wir Eure Person bekommen können, ob es über kurz oder lang sei, so wollen wir Euch das Haupt abschlagen ! Darum möget Ihr Euch vorsehen!" Als der König das hörte, daß Reinold noch so mutig war, sprach er: "Pfui, du loser Lecker, willst du dich mit Gewalt gegen mich auflehnen und bedrohest mich?" Reinold aber erwiderte: "Ja, Herr König, das will ich tun; warum wollet Ihr Euch mit uns nicht versöhnen?" Also schieden sie im Unfrieden voneinander.



***
Reinold ritt hierauf nach Montalban und rüstete sich zum Streit. König Karl ließ auch alles herbeibringen, was zum Sturm des Kastelle nötig war. Etlichemal aber fiel Reinold aus mit seinem Volk und tat großen Schaden. Die Herren gingen aufeinander mit solcher Kraft; daß ihnen die Speere zersprangen, die Pferde niederfielen und starben. Malegys ritt auf den König und hätte ihn beinahe erschlagen; aber er ward befreit von Roland, Olivier und Ogier. Roland tat einen Streich auf Malegys, daß der von seinem Pferde herab und in Ohnmacht fiel. Augenblicks sprang Roland von seinem Roß, band dem Malegys Hände und Füsse und führte ihn in des Königs Lager. Des Morgens stieß er auf Rittsart, daß sie alle beide von den Pferden fielen; Rittsart war jedoch,


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getrost, er sah, wie er am besten wieder auf sein Tier käme, und wehrte sich tapfer. Salomon von Bretagne ritt auf den Adelhart, der wehrte sich männlich, daß ihnen beiden ihre Speere zersprangen, und schlug den Salomon auch von seinem Pferd mit der Wehre. Forcier ersah dieses bald, schwang sich auf sein Roß und ritt auf Writsart. Der wehrte sich aber tapfer und durchstach den Forcier. Darüber zürnte der König und rief Monoy zu sich, und die Herren ritten alle in der Ordnung hinter dem König. Dieses sah Reinold und gedachte: "Was soll das werden?" Indem ritt der König wieder auf Writsart; der aber, es merkend, ging auf ihn mit solcher Stärke los, daß er vom Pferde fiel. Reinold kam auch in den Streit, rief sein Volk an und sagte: "Ihr Herren von Montalban, nun wehret euch ritterlich; denn fürwahr, wir werden den König erschlagen und obsiegen!" Karl hörte dies und rief: "Reinold, ich hoffe, du wirst gelogen haben", saß alsbald wieder zu Pferd und ging auf Reinold los. Der aber sah sich wohl vor und eilte von dannen. Indem kamen die Genossen und setzten mit Gewalt unter Reinolds Volk, so daß sie in kurzer Zeit an die dreihundert Mann erschlugen. Als Reinold das sah, rief er all sein Volk zusammen und sagte: "Ihr Herren von Montalban, folget mir nach und laßt uns fliehen; denn der König ist uns zu mächtig!"

Nun zog Reinolds Volk wieder in das Kastell, und ihr Gebieter ritt hinter ihnen und beschützte sie, aber Malegys blieb gefangen. Als Reinold auf die Burg kam, sah er seinen Freund nicht; erfragte nach ihm; da ward ihm gesagt, wie er gegen den König gefochten und alle beide von den Pferden gefallen wären: aber die Genossen hätten dem König wieder auf sein Roß geholfen, Roland hingegen den Malegys gefangen. Da ward Reinold traurig, seufzte gen Himmel und sprach: "O allmächtiger Gott, sollte ich denn meinen Vetter so jämmerlich verlieren? O widerwärtiges Schicksal, wie drehest du dich!" Inzwischen gingen ihnen die Lebensmittel aus. Adelhart, der es zuerst inneward, sagte: "Bruder, ich bitte, sei nicht hartnäckig; denn du siehest, daß wir keine Speise mehr haben; darum lasset uns das Kastell aufgeben!" Mittlerweile besuchte König Karl mit seinem Gefolge das Lager und hörte daselbst jedermann klagen, daß sie soviel Volks auf dem Platze gelassen hätten und sonderlich viel von seinen Freunden erschlagen wären. Da sprach König Karl: "Das will ich euch rächen an dem Reinold über kurz oder lang, so wahr ich König bin!" Malegys, der dies hörte, fing an und sagte: "Herr König, ich bitte, Ihr wollet Euch mit dem Reinold versöhnen; er soll Euch beistehen bei Tag und Nacht und verteidigen helfen, wo er kann und mag!"



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Da schnur der König und erwiderte: "Hätte ich ihn hie, ich wollte ihn neben dich henken lassen"; rief dem Griffon und Alloret und befahl ihnen, sie sollten an dem Berg einen Galgen aufrichten; denn er wolle Malegys noch henken lassen, ehe es zum Essen gehe. Da dieser aber hörte, daß er heute noch gehenkt werden sollte, bat er den König und sagte: "Herr König, lasset mich noch leben bis morgen, daß ich meine Sünden überlegen und dieselben bereuen kann; ich will Eurer Majestät Bürgen stellen, daß ich nicht entfliehen soll." Der König aber sprach: "Nein, Malegys, so ging es zu Paris auch, da du den Genossen ihre Schwerter mitnahmest." Malegys antwortete: "Fürwahr, Herr König, so wahr ich Malegys heiße, ich will nicht entlaufen, es sei denn, daß Eure Majestät mit mir gehe." — "Was?"sagte der König, "du falscher Bube, ich soll mit dir gehen?" — "Ja", erwiderte Malegys, "ich will Eure Majestät nach Montalban führen zu Reinold, und daselbst sollet Ihr freundlich und wohl empfangen werden, und ich bitte Euch, gnädiger Herr König, Ihr wollet Euch daselbst mit dem kühnen Helden versöhnen und ihn zu Gnaden annehmen; wo aber nicht, so wollen alle Eure Herren und Freunde von Euch weichen und dem Reinold zufallen." — "Was?"sagte der König, "willst du nun vom Frieden reden, weil du siehst, daß du hangen mußt?" Malegys sprach: "Herr König, ich will Euch meinen Vetter Roland zum Geisel setzen, daß ich Euch nicht entweichen werde!" Der König fragte Roland, ob er das tun wollte. Roland sagte: "Ja, Herr König!" Der König wußte aber nicht, was Malegys im Sinn hatte.

Ungefähr um die halbe Nacht brauchte Malegys seine Kunst daß er vom Gefängnis erledigt ward, ging vor des Königs Bett und fing an: "Herr Königl Reinold hat entboten, wir sollen nach Montalban kommen, er will das Kastell aufgeben."Der König erwachte aus dem Schlaf, sah den Malegys vor seinem Bette stehen und wußte nicht was er antworten sollte; denn Malegys hatte ihn bezaubert; jedoch sagte er: "Ich wollte, daß wir schon auf dem Wege wären." Malegys fuhr fort: "Herr König, stehet denn auf, und lasset uns gehen!" — "Nein", sagte der König, "ich muß noch schlafen"; da nahm Malegys Karl um seinen Hals und trug ihn also schlafend nach Montalban; daselbst legte er ihn in ein schönes Bett, ging zu Reinold und sagte zu ihm: "Vetter Reinold, ich bringe den König in Euer Kastell und gebe ihn Euch gefangen."

Reinold verwunderte sich sehr und sagte: "Vetter, wie geht das zu, daß Ihr den König gefangen bringet? Seid Ihr doch sein Gefangener gewesen." — "Ja", antwortete Malegys, "es ist jetzt nicht anders: er ist



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Euer Gefangener." Reinold stand auf und fand es so, wie ihm Malegys gesagt hatte.

Inmittelst ging der Zauberer zu Reinolds Brüdern und zeigte ihnen auch an, was sich mit dem König zugetragen hatte. Bald darauf erwachte dieser, blickte um sich und sah Reinold samt seinen Brüdern vor sich stehen. Da wurde er sehr traurig und sagte: "Dies hat Malegys mit Hilfe seiner Kunst getan; Gott wird ihn auch darum strafen!" Reinold fiel auf die Knie und bat den König um Gnade: der schlug sie ihm aber ab und wollte nicht. Rittsart, als er dies hörte, ward zornig und sprach: "Herr König, wo Ihr uns nicht zu Gnaden aufnehmen wollet, so müsset Ihr allhier sterben." —"Wie", sagte der König, "willst du, loser Schalk, dich gegen mich aufwerfen und Gewalt an mir üben?" Da ging Rittsart zu dem König und zog sein Schwert wider ihn aus. Reinold aber sagte sanftmütig: "Was willst du tun, Bruder, willst du den König erschlagen? Er ist unser Herr und soll es sein Lebtag bleiben!" Da sprach der König zu Reinold: "Wollt Ihr mich ziehen lassen in mein Lager?" Reinold antwortete: "Wollet Ihr Euch mit uns versöhnen und uns zu Gnaden aufnehmens" —"Nein!"sprach der König. Da antwortete Reinold: "Tut Ihr's nicht; Herr König, so müsset Ihr allhier sterben." Als Malegys hörte, daß der König so hart war, da sprach er: "Herr König, versöhnet Euch mit Eurem Vetter, das rate ich!" Der König aber erwiderte: "Ich will's aber nicht tun, und sollt ' ich gleich sterben: und verflucht mußt du sein, du loser Schelm, mit deiner teuflischen Kunst hast du mich hierhergebracht!" Malegys fuhr fort: "Herr König, bedenkt Euch wohl und machet mit Euren Vettern Frieden, oder es wird übel ablaufen." Adelhart aber sprach: "Vetter, ich sage Euch fürwahr, er muß Frieden mit uns machen, oder er kommt nicht mehr nach Frankreich."

Als nun Malegys sah, daß der König so hartnäckig war, sprach er: "Ich sehe, es ist vergebens; ich befehl ' euch Gott, nun will ich keine Hand mehr gegen die Krone von Frankreich aufheben!" Und alsobald ging er fort, wurde Eremit und blieb es wohl vier Jahre. Der König aber hub wieder an: "Reinold, lasset mich in mein Lager gehen, ich will Euch gute Antwort geben!" Reinold sagte: "Das ist uns lieb, Herr König, gehet hin, wenn's Euch gefällt. Wir haben Euch nicht gefangen!" Mit diesen Worten nahm Karl Abschied von Reinold und seinen Brüdern und kam in sein Lager.

Als die Herren den König wiedersahen, waren sie froh und empfingen ihn freundlich; denn sie waren der Meinung, Malegys hätte ihn umgebracht.



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Der König aber erzählte ihnen, wie ihn Malegys dem Reinold zu Montalban ausgeliefert, wie ihn Rittsart bald erschlagen hätte, wenn ihn Reinold nicht beschützt und ihm das Geleite gegeben. Alsbald ließ er den Herzog von Bayerland zu sich fordern und befahl ihm, er solle nach Montalban reiten und Reinold sagen, daß er käme und gebe sich in die Hand des Königs. Der Herzog tat solches und ritt nach Montalban. Reinold stand eben auf den Zinnen, sah den Herzog kommen, ging ihm entgegen und empfing ihn sehr freundlich. Der Herzog legte seine Botschaft ab, wie sie ihm der König befohlen hatte. "Das will ich nicht tun", antwortete Reinold, "will er aber uns das Leben schenken, so wollen wir in Gehorsam und Freundschaft zu ihm kommen und alles bessern, was wir gegen Seine Majestät verübt haben." Darauf sagte der Herzog: "Reinold , wenn Euch der König auf gut Geleit ließe zu sich kommen, wollet Ihr ihm die Schlüssel von dem Kastell überantworten?" Reinold erwiderte: "Ja, sofern er uns kein Leid will tun und sich mit uns versöhnen So schied der Herzog von Reinold, ritt zu dem König und zeigte ihm an, was Reinold geantwortet hatte. König Karl wurde zornig, als er dies hörte, und sprach: "Wollen sie nicht gern, so will ich sie mit Gewalt zwingen; denn ich weiß, sie haben keine Zufuhr mehr." Und nun ließ er zur Stunde das Kastell von allen Seiten bestürmen.

Als Reinold dies sah, wurde er betrübt und sprach zu Klarissa, seiner Hausfrau: "Beyart muß nun sterben; denn wir haben sonst nichts zu essen", ging also in den Stall, wollte Beyart umbringen, um das Pferd zu essen; denn sie hatten alle andern Pferde schon aufgezehrt. Rittsart aber sagte: "Bruder, lasset Beyart beim Leben und tut ihm nichts; wer weiß, was uns Gott geben wird!"

Diese Worte hörte das Roß, verstand sie wie ein Mensch und fiel auf seine Knie, als wenn es wollte um Gnade bitten. Als Reinold die Demut des Pferdes ansah, jammerte ihn desselben, und er ließ es leben. Adelhart aber sprach: "Brüder, ich hab ' einen andern Rat gefunden, daß wir uns noch eine Zeitlang erhalten können: wir wollen Beyart alle Tage, solange er das vertragen kann, zur Ader lassen und von seinem Blute leben, bis es besser wird!"

Dunay, Herzog von Bayerland, hatte erfahren, daß Reinold mit seiner Mannschaft nichts mehr zu essen hatte, indem ihre Pferde schon alle bis auf Beyart aufgezehrt waren. Er sprach daher zu seinen Genossen: "Ihr Herren, Reinold muß gewiß noch Hungers sterben; denn sie haben ihre Pferde schon alle gegessen bis auf Beyart." Roland und Turpin aber



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waren mitleidig, und dieser sagte: "Wahrlich, es ist eine Schande vor der Welt und eine Sünde vor Gott, daß wir unsere Verwandten vor Hunger vergehen lassen; wir wollen den König bitten, weil er will, daß man das Kastell bestürmen soll, er möge Roland mit seinem Volk den Vorzug lassen, alsdann soll dieser die Burg ohne des Königs Wissen mit Zufuhr versehen." Die Herren sahen den Rat für gut an, gingen zum König und begehrten, er solle Roland den Vorzug beim Sturme gönnen. Der König bewilligte es gerne, und die Herren rüsteten sich und kamen vor Montalban.

Als Reinold dies merkte, faßte er ein Herz zu streiten; denn er hatte immer noch eintausendfünfhundert Söldner bei sich: König Yvo und ein anderer Herr schickten ihm auch jeder eintausendfünfhundert Mann; gleichwohl ward er traurig und sagte zu seinen Brüdern: "Jetzt stehen wir in großer Gefahr; denn Roland, Dunay, Ogier, Olivier und der Bischof Turpin kommen und wollen uns besuchen; und wenn sie Ernst gebrauchen, können wir ihnen nicht lange widerstehen." Als sie aber alles fertig hatten und ihr Lager befestiget war, brachte ihnen der Bischof Turpin allerlei Proviant zu, also daß Reinold mit seiner Mannschaft schier wieder auf ein Jahr genug zu essen hatte; sie waren auch mehr dem Reinold als dem König zugetan. Darnach zog Turpin heim zum König und zeigte ihm an, daß sie nichts hätten ausrichten können.

Reinold und seine Mannschaft erfreuten sich, daß sie soviel Zufuhr bekommen hatten: dem Roß Beyart gab er nun so viel zu essen, daß es innerhalb vierzehn Tagen wieder so stark ward, als es jemals gewesen. Nach diesem versammelte er seine Brüder und sprach: "Lieben Brüder, was sollen wir jetzt tun? Bleiben wir länger hier, so möchte die Speise wieder aufgehen; ich rate, daß wir nach dem Kastell Ardane ziehen, da können wir uns besser erhalten als hier." Als Frau Klarissa das hörte, wurde sie betrübt und sagte: "Allerliebsten Freunde, warum wollet Ihr in solcher Gefahr von mir ziehen?" Reinold antwortete: "ES ist allein um unser Leben zu tun, darum wollen wir uns nach Ardane begeben, da möchten wir sicherer sein als hier; und zudem tun wir's darum, daß Ihr Euch desto besser erhalten könnet mit dem, was Ihr noch habt!"So nahm er Urlaub von seiner Frau und ritt mit seinen Brüdern auf Roß Beyart zu einer Wasserpforte hinaus, auf daß sie nicht verraten würden.

Als sie ein wenig von dem Kastell entfernt waren, wurde es dem König Karl zu wissen getan, daß Reinold mit seinen Brüdern auf dem Roß Beyart entweichen und sich nach Ardane begeben wollten; zur Stunde



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ließ er sein Volk waffnen und ritt ihnen nach. Alloret war am besten beritten, der war der Vorderste und sprengte in aller Eile auf Reinold zu; er stieß denselben mit seinem Speer durch den Schild, daß der Speer vorn absprang und in dem Schild steckenblieb; Reinold fehlte seiner auch nicht; rannte wieder auf ihn zu, stieß ihn mit dem Speer durch seinen Schild
und ihn selbst mit durch und durch, so daß er vom Pferde fiel. Als der König sah, daß Alloret tot war, ritt er auch auf Reinold zu und gedachte, ihm desgleichen zu tun. Aber Reinold war aufs beste beritten und nahm die Flucht nach dem Schloß Ardane; und als er nahe an demselben war, sahen sie von der Burg, daß es Reinold war, und öffneten geschwind das Tor, daß er hineinkam. Als er darin war, sah er nach dem Mundvorrat; mittlerweile schlug der König sein Lager vor Ardane auf und belagerte


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solches. Darnach sprach der König: "Roland, mich dünkt, daß Reinold und seine Brüder mich, je länger, je mehr, erzürnen und meinen, mir noch mit Beyart zu entkommen, welcher sie so oftmals aus der Gefahr errettet hat; aber ich versichere Euch, wofern ich das Roß einmal in meine Gewalt bekomme, so will ich es auf der Stelle umbringen lassen!"bekräftigte auch mit Eides Pflicht, daß er von der Burg nicht weichen wollte, er hätte sie denn in seiner Hand und Reinold samt seinen Brüdern gefangen. Reinold und seine Mannschaft aber waren auf dem Schlosse in großen Sorgen, weil sic fürchteten, sie müßten es überliefern und sich selbst gefangen- geben; denn sie konnten es gegen die Gewalt des Königs nicht wohl behaupten. Karl kam selbst so nahe an die Burg, daß er den Reinold fragte, ob er sich ergeben wollte. Der aber antwortete dem König: "Ja, ich begehre es Eurer Majestät nicht zu weigern", und sprach weiter: "Gnädigster Herr König, gedenkt, daß Ihr unser Vetter seid, und daß ich Euch gefangen gehabt und hab ' Euch freiwillig wieder losgelassen."

Bald nach diesem bekam der König Zeitung, daß seine Schwester, Frau Aja, im Lager mit noch dreien Königinnen und dreien Grafen und anderen Herren mehr angekommen wäre. Da verließ der König den Reinold und begab sich zu seiner Schwester, um zu vernehmen, was ihr Begehr wäre.

Sowie nun Frau Aja zum Könige kam, fiel sie ihm mit den andern Königinnen zu Fuß und bat ihn freundlich, daß er Reinold samt seinen Brüdern wolle zu Gnaden annehmen; denn der Krieg hätte nun in die sieben Jahre gewähret. Desgleichen taten die Genossen von Frankreich und andere Herren mehr. Als der König die Demut seiner Schwester sah, wie sie ihm zu Füßen lag, wurde er durch ihr bitterlich Weinen bewegt und sagte: "Liebe Schwester, du tust jetzt wie eine fromme Mutter: darum will ich dein demütiges Herz und freundliches Bitten ansehen: so mir Reinold sein Roß Beyart geben will, meines Gefallens damit zu leben, so will ich ihn und seine Gesellen gnädig annehmen." Als Frau Aja diese Worte von dem König, ihrem Bruder, hörte, wurde sie höchlich erfreut, lobte und dankte Gott heimlich in ihrem Herzen und sprach: "Gnädiger Herr Bruder, ich bitte, so es Eurer Majestät beliebt, so will ich zu meinen Kindern auf die Burg gehen und ihnen Eure Meinung anzeigen und sie fragen, ob sie das Schloß aufgeben und sich Eurer Majestät Gnade überlassen wollen." Der König erwiderte: "Ja, Schwester, gehet hin und verkündet ihnen, was ich Euch gesagt habe, denn es ist kein ander Mittel, mich zu versöhnen." Frau Aja war hiermit wohl zufrieden, ging in das Schloß zu ihren Kindern: die empfingen sie sehr freundlich, und sie erzählte



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ihnen des Königs Begehren. Als Reinold und seine Brüder dies durch ihre liebe Mutter vernommen, sprach Adelhart: "Bruder, ich wollte lieber tausendmal Feindschaft gegen den König haben, als daß ich das bewilligen sollte, was ich jetzt höre!" Das gleiche sagten die andern Brüder auch. Als Reinold ihre Meinung angehört, sprach er: "Lieben Brüder, können wir unsere Versöhnung durch das Roß erwerben, das lasset uns tun; so kommen wir aus der Gefahr; denn wir können des Königs Gewalt nicht widerstehen!" Damit ging er zu seiner Mutter und sagte ihr, sie wollten dem König das Roß gerne geben und noch viel mehr, wenn sich der König mit ihnen wollte versöhnen, sie zu Gnaden annehmen und alles verzeihen und vergeben, was sie gegen Seine Majestät gehandelt hätten. Frau Aja, als eine getreue Mutter, ging wieder zu Karl hin und zeigte ihm die Antwort an, die sie von ihren Kindern erhalten hatte.

***
Als nun der Friede zwischen dem König und des Haimons Kindern durch die Fürbitte ihrer Frau Mutter Aja geschlossen war, kamen sie zusammen vor der Burg Ardane, ließen das Roß Beyart vor sich herfuhren und kamen vor den König, fielen ihm zu Fuß und baten ihn um Gnade. Der König hieß sie aufstehen und empfing sie in Gnaden im Beisein aller Edelleute und des ganzen Rats, und solches geschah nicht ohne große Freude, sonderlich der Frau Aja, ihrer Mutter. Darnach nahm Reinold das Roß Beyart; gab es dem König und sagte: "Herr König, das Roß sei Eurer Majestät verehrt; tut damit, was Euch beliebet!" Der König nahm es an und vollbrachte seine Verheißung; er ließ ihm zween Mühlsteine an den Hals binden und es von der Brücke in das Wasser werfen; das Roß ging anfangs zu Grunde, kam aber bald wieder herauf und fing an zu schwimmen, sah alsbald seinen Herrn, eilte ihm nach, schlug die Steine ab, kam an das Land, lief auf Reinold zu und stellte sich so freundlich gegen ihn, als wenn es Verstand gehabt und hätte wollen sagen: "Warum tust du mir das?" Als der König das sah, sprach er: "Reinold, gib mir das Roß wiederum, es muß sterben." Reinold aber sagte: "Herr König, es ist Eurer Majestät ungeweigert", und gab es ihm; der König ließ ihm hernach an einen jeden Fuß einen Mühlstein binden und an den Hals zween und hieß es wieder in das Wasser werfen; Beyart gelangte aber wieder empor, sah seinen Herrn, schlug die Mühlsteine zu Stücken und kam bis zu Reinold.

Als Adelhart dies sah, lief er zu Beyart und liebkoste es; der König und die andern Herren verwunderten sich über des Rosses Stärke und



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begehrten von Reinold zum drittenmal seinen Tod. Da sagte Adelhart: "Verflucht mußt du sein, Bruder, so du das Roß wieder von dir gibst." Reinold aber sprach: "Bruder, schweig still, soll ich um des Rosses willen des Königs Zorn wieder erregen? Da sagte Adelhart: "Ach, Beyart, wie wird dir jetzt für deine treuen Dienste gelohnt, die du meinem Bruder und uns allen erzeiget hast!" Reinold aber gab dem König das Roß wider seiner Brüder Willen und sagte: "Herr König, so das Roß nun abermals herauskommt, fange ich es nicht wieder: denn es tut meinem Herzen zu wehe!" Da ließ der König ihm an den Hals zwei Mühlsteine binden und
an jeden Fuß zwei und ließ es wieder in das Wasser werfen und verbot dem Reinold, daß er nicht nach dem Roß umsehen sollte, sonst könnte es nicht zu Grunde gehen. Aber dennoch kam das Tier wieder über aas Wasser und streckte den Kopf heraus und sah nach seinem Herrn, als wäre es ein Mensch gewesen, der nach seinem Freund geblickt hätte, daß er ihm helfen sollte; aber es war vergebens. Zuletzt ging es zu Grunde, weil es Reinold nicht durfte ansehen.

Reinold, da er an den Jammer des Rosses gedachte, verschwur sich, sein Lebtag kein Pferd mehr zu reiten noch Sporen an seine Füße zu bringen, noch ein Schwert an seine Seite zu gürten, und gelobte Gott, er



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wollte ein Einsiedler werden. Er beschloß, sich in einen wilden Wald zu begeben: doch gedachte er, vorher nach Hause zu ziehen, seine Kinder zu sehen und zu bestimmen, wenn sie aufgewachsen, was ein jedes haben sollte.

Also nahm er Urlaub vom König und seinen Brüdern und ging nach Montalban, und seine Brüder blieben bei Karl. Als er dahinkam, ward er freundlich von seiner Hausfrau und seinen Kindern empfangen. Die Frau fragte ihn: "Wo sind Eure Brüder, Herr? Und wo habt Ihr Beyart?" Reinold antwortete: "Liebe Frau, meine Brüder sind bei dem König blieben, und Beyart ist ins Wasser geworfen und ertränkt worden." Als die gute Frau das hörte, wurde sie traurig und fiel in Ohnmacht. Reinold hub sie auf, half ihr ins Bett und küßte sie freundlich. Die Frau kam wieder zu sich selbst und weinte bitterlich; Reinold tröstete sie und sprach: "Liebe Frau, seid zufrieden, ich will es Euch erzählen, wie es uns ergangen ist. Als wir von hinnen geflohen, wurden wir ausgekundschaftet, und der König verfolgte uns bis gen Ardane, belagerte dasselbe und fragte, ob ich den Ort aufgeben wollte. Ich begehrte, er sollte mich und meine Brüder zu Gnaden annehmen. Unterdessen kam meine Mutter mit noch drei Königinnen und etlichen Herren, die fielen dem König zu Fuß und begehrten, daß er uns zu Gnaden annehmen sollte: sie brachten es auch so weit, daß ich ihm meinen Beyart gehen mußte, und er ließ ihn ins Wasser werfen und ertränken." Da antwortete die Frau: "Das ist mir leid, daß Ihr das gute Roß habt verlassen müssen; jedoch ist mir des Königs Huld noch viel lieber; denn wir können seiner Macht doch nicht länger widerstehen." Als diese Rede ein Ende hatte, ließ Reinold seine Kinder zu sich fordern und schlug seinen ältesten Sohn Aymerich zum Ritter; er machte ihn auch zum Herrn über das gange Land und gab ihm das Kastell Montalban; den andern schenkte er soviel Städte und Schlösser, daß sie sich darauf erhalten konnten, ließ seiner Frau auch genug, küßte sie alle, befahl sie dem lieben Gott und zog in der Nacht heimlich fort mit betrübtem Herzen.



***
Nachdem nun Reinold hinweg war, ließen sie ihn allenthalben suchen, fanden ihn aber nirgends. Da waren sie sehr bekümmert; und riefen Gott fleißig an, daß er ihn bewahren wollte. Als aber Reinold auf der Reise war, kam er in eine Wildnis; da begegnete ihm ein Einsiedler, der hatte in fünfzehn Jahren keinen Menschen gesehen. Denselben grüßte er; der Eremit dankte ihm und fragte, wie er hieher gekommen, wer er


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wäre, und was er begehre. Reinold antwortete ihm und sagte: "Herr, ich bin jetzt der traurigste Mensch, der jemals unter der Sonne gewesen ist; denn ich bin in zwanzig Jahren nicht fröhlich gewesen, dieweil ich den Ludwig, des Königs Sohn aus Frankreich, erschlagen habe; nun wollte ich meine Sünden gerne beichten und Buße dafür tun; denn sie reuen mich von Herzen." Der Eremit sprach zu ihm: "Freund, ich höre wohl, Ihr seid in grobe Laster gefallen und habt wider die Gebote Gottes gehandelt; das ist nicht gut. Nun wohlan, weil Euch Eure Sünden leid sind und Euch von Herzen reuen, so sollt Ihr auf Eure Knie fallen und Gott, den Allmächtigen, bitten, daß er's Euch wolle verzeihen; denn seine Barmherzigkeit erstreckt sich viel weiter als Eure Sünden." Wie Reinold also getröstet ward, war er etwas besser zufrieden und sprach: "Herr, ich will bei Euch bleiben, und was Ihr mir gebietet, will ich gerne tun." Da sagte der Eremit: "Wurzel und Kräuter soll Eure Speise sein, ohne Hemd und Schuh müßt Ihr gehen und also Armut und Elend leiden!" Reinold erwiderte: "Ja, Herr, das will ich alles gern tun, und wenn es noch mehr wäret" und blieb also drei ganzer Jahre bei dem Eremiten in der Wüste; lernte manches schöne Gebet von ihm, tat wahre Buße und kasteite seinen Leib mit Fasten, Frost und Kälte dermaßen, daß er endlich krank davon wurde.

Wie sich Reinold also übel befand, klagte er's dem Eremiten und sagte: "Herr, ich bin sehr schwach, meine Kleider werden zu Lumpen; ich leide große Kälte; ich fürchte, ich werde es nicht länger aushalten können." Der Eremit tröstete ihn und sprach: "Bruder, seid zufrieden und vertrauet auf Gott, der wird Euch nicht verlassen." Da Reinold anders keinen Trost bekam, seufzete er zu Gott und sprach: "Ach, Gott vom Himmel , sieh herab und sei mir gnädig in meiner Strafe, ich muß vor Kälte und Hunger jetzo sterben"; der Eremit schickte auch sein Gebet zu Gott, weil er ein großes Mitleiden mit Reinold hatte. Indem hörte ereine Stimme vom Himmel, die sprach, daß er seinem Mitgesellen sagen sollte, er müsse ohne Verzug in das Heilige Land ziehen und wider die Heiden streiten.

Der Einsiedler, als er dies hörte, ward froh, rief Reinold und sprach: "Freund, es ist mir von Gott durch einen Engel befohlen, daß ich Euch sagen soll, Ihr müsset ohne Verzug in das Heilige Land nach Jerusalem ziehen und unsern Mitchristen helfen, daß sie das Land unter den christlichen Glauben bringen." Da sagte Reinold: "Ach, Herr, wie sollte ich das tun, es ist über fünf Jahr, daß ich mich verschworen habe, kein Pferd



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mehr zu reiten, auch keine Wehr oder Waffen in meine Hand zu nehmen; und wenn ich den Eid brechen würde, so möchte mich Gott darum strafen." Da sprach der Eremit: "Lieber Freund, seid Gott gehorsam und tut, was mir der Engel befohlen hat, ziehet in seinem Namen!" — "So begehr ' ich", antwortete Reinold, "freundlich von Euch, Herr, Ihr wollet Gott für mich bitten, daß er mich beschützer" Darauf schied er mit weinenden Augen von ihm und begab sich auf den Weg: er kam nach Gratz, wo St. Georg begraben liegt, daselbst fand er Schiffe, da fuhr er mit bis nach Slawonien und kam fort bis an den Hafen vor Tripoli in Syrien.

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Zu Tripoli angelangt; blieb er daselbst acht Tage, und ruhete aus; mittlerweile kam Zeitung, daß die Stadt Tiberias belagert werde und Akers in großer Not stehe, und daß viel Christen daselbst tot geblieben. Da versammelten die Herren viertausend Mann, um die Stadt zu entsetzen , zu Pferd und zu Fuße: die Besten, die sie haben konnten. Als Reinold vernahm, daß die Christen auszogen, lief er zu Fuß mit, als wenn er ein Pilgrim gewesen wäre. Wie die Türken dies erfuhren, daß das Volk aus Tripoli gezogen war, die Stadt zu entsetzen, eilten sie ihnen entgegen und wollten sie wieder zurücktreiben. Die Christin aber fielen auf die Knie und riefen Gott um Hilfe an; denn ihr Haufen war gering gegen die Türken. Als sie nun nahe aneinander kamen, entsetzten sich die Christen noch mehr über der Heiden Macht und wollten fliehen. Da Reinold dies sah, rief er mit lauter Stimme: "Nicht, Ihr Herren, nicht also, stellet Euch tapfer zur Wehr und zweifelt nicht, Gott ist der beste Kriegsmann, der wird uns aus der Not helfen und den Feind schlagen." Unterdessen sah Reinold einen Pflaumenbaum, den zog er aus der Erde und wehrte sich damit. Als die Christen das sahen, schrien sie überlaut: "O heilige Maria! Was will doch dieser Pilger tun, hat weder Hosen noch Schuhe und keine Waffen und will sich hier zur Wehr stellen, lasset ihm Waffen geben, damit er sich wehren kann." Alsbald ward ihm ein Harnisch angetan; aus dem Baum machte er einen Pilgerstab und erschlug an diesem Tage viel Sarazenen. Unterdessen drangen die Ungläubigen auf die Christen ein, so daß sie sich fürchteten. Aber Reinold, der kühne Held, zog allein vorneher und schlug ihrer wohl dreißig bis vierzig tot, ehe die andern herbeikamen. Als die Tripolitaner das sahen, schöpften sie neuen Mut und riefen zu Gott, daß er den Pilger behüten wolle; griffen darauf mit Lust die Sarazenen an, trieben sie in die Flucht und zertrennten das


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ganze Heer. Wie Reinold sah, daß der Feind floh, eilte er ihnen nach und erschlug alles, was ihm unter die Hände kam. Darnach kehrte er wieder zu seinem Haufen zurück und sah, wieviel ihrer geblieben waren: da fand er nicht mehr als zwanzig Mann tot und fünfzehn verwundet; darauf führte er sie alle nach Akers.

Um dieselbe Zeit war Malegys auch viele Jahre in der Wüste gewesen. Darnach, als er hörte, daß die Sarazenen den Christen so große Drangsale antaten, fiel er auf seine Knie und schickte sein Gebet zu Gott, daß er das Christentum beschützen wolle. Da vernahm er eine Stimme vom Himmel, die ihm befahl, daß er ohne Verzug nach Akers hingehen sollte und daselbst der Christen Unfällen wehren helfen: da werde er seinen Vetter Reinold finden, der Gott getreulich diene und dem Christentum mit Gewalt beistehe. Als Malegys das hörte, erfreute er sich dessen und eilte desto mehr, bis er nach Akers kam. Mittlerzeit war der Feind in der Christenheit eingefallen und hatte sein Lager daselbst aufgeschlagen.

Als Malegys nun bis gen Akers gekommen war; fand er seinen Vetter daselbst, welcher ihn gar freundlich empfing; sie grüßten einander und bewiesen sich gegenseitig große Ehre. Als Reinolds Mitgesellen das sahen, fragten sie, was das für einer wäre. Reinold antwortete: "Ich sage euch, wäre Gott und dieser Mann nicht gewesen, ich wäre schon lange tot; denn er hat mich und meine Brüder mit seiner Kunst oftmals aus großer Gefahr errettet; er ist Malegys genannt und ist mein Vetter." Unterdessen rüsteten sich die Sarazenen zum Streit und wollten die Christen überfallen . Dessen wurden diese inne und teilten sich in drei Teile. Malegys und Reinold stellten sich in den Vorderzug und gingen also dem Feind entgegen. Damals erschlug Malegys viel Türken samt ihren Pferden. Als Reinold sah, daß sich Malegys so ritterlich hielt, schlug er mit seinem Pilgrimstab tapfer auf die Heiden und zertrennte ihre Ordnung. Wie die Christen merkten, daß Reinold und Malegys so wacker auf den Feind eim hieben, da verwunderten sie sich und fielen die Heiden so heftig an, daß die Christenschar beinahe allein auf dem Platze blieb. dem Treffen sah Malegys den Sultan, ritt mit seinem Speer auf ihn zu, tat ihm aber keinen Schaden; der Sultan stach vielmehr mit Gewalt auf den Malegys, so daß er von seinem Pferd fallen mußte. Reinold, wie er sah, daß sein Vetter unten war, überfiel den Sultan und schlug ihn mit seinem Pilgerstab , daß er vom Pferde fiel und starb; da nahm Reinold das Pferd beim Zaum und gab es dem Malegys, welcher sich sogleich wieder darauf setzte, sich unter die Feinde warf und ihnen großen Schaden tat.



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Wie Reinold und Malegys wieder nach Akers zurückgekehrt; kam ihnen Zeitung, daß die Türken die Stadt Jerusalem eingenommen hätten, worüber sich die Christen in der Stadt sehr betrübten. Diese hielten deswegen Rat mit jenen beiden Rittern, wie sie dem Feind widerstehen möchten . Da sagte Malegys und bekräftigte es mit einem Eid, er wollte dahinziehen und die Stadt wieder belagern und nicht davon abweichen, bis der Feind daraus getrieben und vertilgt wäre, oder er selbst wolle davor sterben. Dann sammelten die zwei tapfern Ritter all ihr Volk, zogen vor die Stadt Jerusalem und belagerten sie ringsum, daß nichts aus- oder einkommen konnte. Als die Türken sahen, daß sie also eingeschlossen waren, fielen sie mit ganzer Macht heraus und wollten die Christen hinwegtreiben ; aber die wurden solches gewahr, stellten sich in eine gute Ordnung und erwarteten den Feind. Malegys zog mit Reinold voran; sie fielen in der Heiden Lager und erschlugen derselben soviel, daß sich jedermann darüber verwunderte. Nach diesem kam das ganze Heer der Christen und trieb die Türken nach der Stadt, und sie blieben da bei sechs Monate liegen; mittlerweile lieferten sie manches Scharmützel, die Christen schossen täglich auf die Stadt, so daß schier kein Stein auf dem andern blieb; desgleichen schossen auch die aus der Stadt und beschädigten viel Christen.

In einem solchen Gefechte wurde der fromme und mannhafte Ritter Malegys mit einem Pfeil geschossen, daß er totblieb. Als nun unter den Christen kundbar wurde, daß Jerusalem von den Ihrigen belagert sei, kam ihnen eine Anzahl von dreißigtausend Mann von Ungarn, Armenien und Syrien zu Hilfe. Sobald dies Volk angekommen war, begab sich Reinold zur Wehr und begann zu stürmen. Er wollte den Tod seines Vetters Malegys rächen; die Feinde fielen heraus mit ganzer Gewalt, aber Reinold, der keine andere Wehr als seinen Pilgerstab hatte, erschlug deren soviel, daß wenig zurück zur Stadt kamen. Darauf gingen alle Hauptleute zu dem Sultan und sagten: "Wir wollen lieber im Streit als vor Hunger sterben, darum lasset uns ausfallen und versuchen, ob wir davonkommen mögen; lasset uns Widerstand tun, solang wir können, zu Ehren unsers Mahomets." Als der Sultan seines Volks Begehren gehört bewilligte er ihnen das und befahl ihnen, sie sollten sich dazu rüsten; darnach merkten sie sich, vor welchen Pforten Reinold lag, und taten diese nicht auf, sondern öffneten ein anderes Tor und fielen zu diesem heraus. Als die Christen, die stets in guter Ordnung waren und fleißig Wache hielten, dies innewurden, taten sie tapfern Widerstand und



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hausten dermaßen unter den Feinden, daß ihrer eine große Zahl totblieb und eine Menge sich gefangengab.

Reinold, wie er vernahm, daß der Feind an jenem Orte ausgefallen war, schickte das Volk, das er bei sich hatte, auch dahin, blieb allein mit seinem Stab vor der Pforte liegen und wollte nicht von dannen weichen. Als der Sultan sah, daß Reinold allein daselbst und das Volk nach den andern Pforten geschickt war, waffnete er sich, setzte sich zu Pferd und wollte sich hinausbegeben. Da griff Reinold das Pferd bei dem Zaum, hieß ihn stillhalten und fragte ihn, ob er ein Christ oder Türke wäre. Der Sultan schwieg und wollte nicht stillehalten, sondern stieß das Pferd mit dem Sporn, daß es sollte fortlaufen. Reinold aber schlug das Tier mit seinem Stab, daß es zur Erde fiel. Als die Sarazenen dieses sahen, riefen sie überlaut: "Unser Sultan ist tot!" Wie Reinold hörte, daß es der Sultan war, sprach er zu ihm: "Sultan, gib dich gefangen, wo nicht, so mußt du sterben." Der Sultan erwiderte: "Ja, Herr, ich begehre nicht wider Euch zu streiten, ich gebe mich gefangen!" Und befahl auch dem Volk, das er bei sich hatte, daß sie sich dem Reinold ergeben sollten. Darnach ging dieser mit dem Sultan auf die andere Seite der Stadt, wo die Christen noch heftig gegen die Türken stritten, und der Sultan befahl seinem Volk, daß sie sollten innehalten und nicht mehr streiten und Reinold die Stadt übergeben. Darauf ließ dieser seine Kriegsobersten versammeln und überlieferte ihnen den Sultan samt den andern Gefangenen; dieselbigen führten sie alle in die Stadt.

Als sie nun den Sultan in die Stadt gebracht hatten, begehrte er von den Christen, sie sollten die Gefangenen alle wieder losgeben und sein Volk nach Hause ziehen lassen, er wolle für sie gefangenbleiben und allen Schaden wiederum ersetzen. Diese Bedingung trugen die Obersten dem Reinold vor und fragten ihn, was ihn davon dünke. Reinold war ganz mitleidig und gab ihnen zur Antwort, sie sollten tun, was ihnen gut dünke; er stelle es ihnen frei. Als die Obersten diese Antwort von Reinold hörten, ließen sie alle Gefangene los und einen jeden wieder nach Hause ziehen und behielten den Sultan allein in Haft.

So war der Friede zwischen den Christen und Türken gemacht. Die Christen, welche die Stadt Jerusalem, nachdem sie ein Jahr davor gelegen, wieder in ihrer Gewalt hatten, wollten den Reinold daselbst krönen . Aber dieser weigerte sich dessen sehr und bedankte sich gar höflich. Er dachte daran, wie ihm der Eremit befohlen hatte, daß er, sobald sie die Stadt gewonnen hätten, wieder zurückkommen sollte, ging deshalb zum



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Patriarchen von Jerusalem, fiel ihm zu Fuß und begehrte Absolution für seine Sünden, dazu einen freundlichen Abschied, der ihm auch sogleich mit großer Feierlichkeit gegeben wurde. Dann nahm er Urlaub und ging zu Schiffe.

Die Patriarchen samt den andern Herren begleiteten ihn bis an das Schiff und reichten ihm große Geschenke und Kleinodien; aber Reinold wollte sie nicht annehmen, sondern sagte, er hätte versprochen, die Tage seines Lebens in Armut zu bleiben, begehrte also mehr nicht, als ihm nötig wäre, nach Marseille zu kommen. Darnach fuhr er in Gottes Namen vom Lande und war vierzig Tage und Nächte auf dem Wasser, ehe er nach Marseille kam. Als er nun daselbst war, hörte er, daß der König zu Paris einen Streit bekommen hätte zwischen Guillon und des Reinolds Sohn Aymerich, und solches aus der Ursache, weil Reinold mit dem Könige versöhnet und das Roß Beyart ertränkt wäre. Da nämlich Reinold geschworen, er wolle sein Lebtag kein Roß mehr besteigen und keine Wehr noch Waffen an seinem Leib tragen, und heimlich hinweggezogen war, betrübte sich der König damals sehr darüber, ließ deswegen Reinolds ältesten Sohn Aymerich zu sich kommen und belehnte ihn mit allen Gütern, die sein Vater vorher gehabt, wiewohl er dieselben vor dessen Abschied schon von ihm erhalten hatte; dann führte er ihn mit sich nach Frankreich, behielt ihn an seinem Hof, und zog ihn allen andern Herren vor. Das verdroß die Räte sehr; weil er noch tung und nicht über sechzehn Jahre alt war; sonderlich verdroß es die, welche Fuchsschwänzer waren und dem König Ludwig geraten hatten, daß er mit dem Adelhart um seinen Kopf spielen sollte, aus welchem Spiel so groß Elend und Jammer entstanden war. Darum versuchten sie, dem König den Aymerich verhaßt zu machen, erfanden einen lügenhaften Anschlag und sagten zu Karl, Aymerich hätte geschworen, er wollte den Schimpf und die Gewalt; welche man seinem Vater samt dessen Brüdern angetan hatte, ingleichen auch den Tod des Rosses Beyart noch rächen; daran doch Aymerich niemals gedacht hatte. Und dies war die Ursache, warum der Kampf angefangen ward.

Als Reinold dies vernahm, zog er nach Paris und kam zu dem König wie ein armer Pilgrim. Dieser aber fragte ihn, ob er nichts Neues gehöret hätte von jenseits des Meeres und von der Stadt Jerusalem. Reinold sprach: "Gnädiger Herr Königl Ich komme jetzt davon her; die Christen haben die Stadt Jerusalem erobert, dazu das ganze Land, und solches ist vornehmlich geschehen durch Hilfe zweier Männer, die früher hier gewesen sind." Der König fragte, wer sie gewesen wären. Da sagte



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er: "ES ist Malegys und Reinold gewesen, die haben den Türken solchen tapfern Widerstand getan und der Feinde so viel erschlagen, daß es unmöglich zu erzählen ist: zuletzt wurde Malegys erschossen." Da fragte ihn der König wieder, ob er nicht wüßte, wo Reinold wäre. Da antwortete er: "Gnädiger Herr und Königl Er stehet jetzt vor Eurer Majestät als ein armer Mann."

Da der König das hörte, empfing er ihn gar freundlich, und Federmann freute sich über Reinolds Wiederkunft, sonderlich die Genossen von Frankreich , und vor allen erfreute sich sein Sohn über die Maßen, aber die Verräter betrübten sich. Der König ließ Reinold zur Stunde köstlich kleiden und erzeigte ihm große Ehre.

Nach diesem ging Reinold mit seinem Sohne Aymerich lustwandeln und fragte ihn, wo Haimon, sein Vater, und seine Brüder samt seiner Mutter wären. Da antwortete der: "Vater, sie ziehen herum und suchen Euch und haben geschworen, sie begehrten nicht wiederzukommen, sie hätten Euch denn gefunden." Als Reinold das hörte, weinte er bitterlich und war betrübt, daß er seinen Vater, seine Mutter und auch seine Brüder nicht fand. Aymerich aber tröstete ihn und erzählte ihm, warum er den Kampf gegen Guillon nicht abgewiesen hatte. Da sprach Reinold wieder zu Aymerich: "Mein lieber Sohn, fürchte dich nicht; denn Gott, der die Gerechten niemals verlassen hat, der wird dich in der Not auch nicht verlassen." Also stärkte Reinold seinen Sohn und blieb so lange bei ihm, bis die Zeit herankam, daß sie kämpfen sollten. Da waffnete sich der junge Ritter Aymerich zum Streite und setzte sich zu Pferd. Indem kam Guillon auch gewaffnet daher und rannte dem Aymerich mit seinem Speer durch den Schild. Aymerich aber, als ein junger, unverzagter und herzhafter Held, setzte wieder auf ihn zu, daß sie alle beide von den Pferden fielen. Da machte sich Aymerich in aller Eile wieder auf und fiel mit seiner Wehr auf Guillon. Guillon war auch nicht faul, wehrte sich tapfer, zuletzt aber gab Gott dem Aymerich Gnade und Sieg, daß er den Guillon überwand und ihn totschlug.

Wie Reinold sah, daß Guillon tot war, fiel er auf seine Knie, lobte und pries Gott für die erlangte Siegesehre.

Darnach ließ der König den toten Körper auf den Galgen schleifen und jagte die Verräter vom Hofe fort mit ihrem ganzen Geschlecht, aber Aymerich blieb bei ihm in hohen Ehren und wurde allen Herren und Edelleuten vorgezogen: der König gab ihm Land und Leute, Städte und Schlösser zu regieren und machte ihn zum Herm darüber.



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Nachdem also Aymerich im Kampfe den Sieg erhalten und Reinold Gott um solche Wohltaten gedankt hatte, gedachte er, hinfüro sein Leben in freiwilliger Armut und Einsamkeit zu endigen, und begehrte, sein Brot im Schweiß seines Angesichts zu genießen. Er zog seine köstlichen Gewänder aus und legte gar schlechte Bauernkleider an, begab sich heimlich aus des Königs Palast und ging auf das Land zum Ackervolk, wo er unbekannt war, tat da allerhand Bauernarbeit und nährte sich von Milch und Brot, trank Wasser und war damit wohlzufrieden. Inmittelst hörte er, daß die Stadt Köln die heiligste und vortrefflichste Stadt in ganz Deutschland wäre wegen der Reliquien und der heiligen Leiber, die da ihr Blut um des christlichen Glaubens willen vergossen hätten. Dies bewog ihn, dahinzuziehen . Als der fromme und gottesfürchtige Mann nun nach Köln kam, begab er sich in das St. Peters-Kloster, allda lebte er heilig und war Tag und Nacht emsig in seinem Gebet. Gott, der Allmächtige, erhörte auch sein Flehen und gab ihm Macht, daß er die Lahmen und Krüppel konnte gerade, die Tauben hörend und die Blinden sehend machen. In dem nächsten Fürstentum wie auch dem Stift Köln selbst herrschte damals die abscheuliche Pest sehr heftig. Da kamen zu Reinold mancherlei Personen und begehrten von ihm, er sollte Gott für sie bitten, daß er die greuliche Krankheit wolle von ihnen nehmen und seinen Zorn lindern. Reinold, der fromme und heilige Mann, fiel auf Eingebung des Geistes auf seine Knie, rief Gott getreulich an und bat ihn mit großer Andacht für das Volk. Gott der Herr erhörte auch dieses sein Gebet und bewies seine Barmherzigkeit an dem Volk; er nahm die Strafe der Pestilenz von ihnen, und sie dankten, lobten und priesen Gott.



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Zu dieser Zeit war ein heiliger Mann zu Köln, ein Bischof, genannt Agilolphus, der war ein kluger und verständiger Mann, führte ein eingezogenes, reines Leben und gab andern gutes Eggel. Dieser Bischof regierte durch seine Weisheit alle Sachen, die das ganze Frankenreich angingen, und fing an, die St. Peterskirche zu bauen, ließ deswegen überall in allen umliegenden Ländern und Fürstentümern Zimmerleute, Steinmetzen und andere Arbeiter mehr aufrufen: wer Geld verdienen wolle, der solle nach Köln kommen, da würde er Arbeit genug finden. Also kam eine große Menge Volks dahin. Unter andern bot sich Reinold auch an; der wurde sofort zum Oberhaupt aller Werkleute gesetzt, dieselbigen zur Arbeit anzutreiben, begab sich auch selber mit an das Werk und tat mehr als vier oder fünf andere. Wenn die andern zum Essen gingen, so


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trug er noch soviel Steine und Kalk zu, daß sie schier einen ganzen Tag genug hatten. Er schleppte ihnen Steine herbei, daß ihrer fünf an einem genug zu tragen gehabt. Wenn andere zu Bette gingen, so blieb er auf den Steinen liegen; er ass des Tages nur ein Gerstenbrot und trank Wasser; begehrte auch für den Tag nur einen Weißpfennig zum Lohne. Der Werkmeister fragte ihn, wie er heiße, und wo er zu Hause wäre; das wollte er ihnen nicht sagen, blieb also verschwiegen und tat allein seine Arbeit. Da nannten sie ihn St. Peters Werkmann, weil er so gar fleißig in seinem Vorhaben war.

Als die Meister den Fleiß dieses heiligen Mannes sahen, warfen sie den andern Knechten ihre Trägheit vor und sagten, sie nähmen viel mehr Lohn als dieser fromme Mann und täten nicht den vierten Teil seiner Arbeit. Um solcher Ursache willen wurden die andern Handwerksleute ihm feind, mochten ihn nicht länger dulden und machten einen heimlichen Anschlag, ihn zu töten. Nun wußten sie, daß der heilige Reinold eine Gewohnheit hatte, die Kirchen zu Köln zu besuchen, und schickte da sein Gebet zu Gott in allen Kirchen und gab Almosen aus. Sie wurden daher einig, daß sie an dem Ort; wo jetzt St. Reinolds Kapelle oder Kloster steht auf ihn warten wollten und ihn umbringen; und also geschah es auch.

Dieses wurde dem heiligen Mann geoffenbart durch ein Gesicht. Er aber eilte desto mehr zu der bestellten Marter, als wenn er zu einer Hochzeit hätte gehen sollen, befahl sich Gott dem Herrn und Christo, seinem lieben Sohn, und gab sich den Mördern in ihre Hände, auf daß er ein Märtyrer würde und seine Seele in Gottes Reich käme. Als die Mörder ihn sahen, zerschlugen sie ihm sein Haupt, daß ihm das Hirn davonfloß. Darnach steckten sie Reinolds Leichnam in einen Sack, füllten denselben vollends mit Steinen an und warfen ihn in den Rhein in der Hoffnung, der Sack sollte unter dem Wasser bleiben, daß es verschwiegen bliebe. Aber Gott ließ es nicht zu, sondern gab Gnade, daß der Sack wieder emporkam und blieb auf dem Ufer liegen, obgleich der Rhein so stark ging. Da ward die Seele des heiligen Märtyrers Reinold mit großem Lobgesang von den Engeln vor Gottes Thron geführet.



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Um diese Zeit ward die Stadt Dortmund auch zum christlichen Glauben bekehrt, und die Bürger schickten Boten nach Köln zu dem Erzbischof und begehrten demütig, er wolle ihnen etwas von den Heiligtümern mitteilen, die sich in dieser frommen Stadt befänden. Der Bischof aber rief die ganze Klerisei zusammen und beriet sich mit ihnen, was er denen von


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Dortmund für einen Heiligen geben sollte, der ihnen am nützlichsten wäre. Da sie also Rat hielten, zeigte Gott ihnen an, daß der heilige Reinold ihnen am bequemsten sei.

Wie nun sein Leib mit dem Kasten auf dem Wagen stand, fing dieser an zu laufen bis nach Dortmund, ohne Pferde, ohne menschliche Hilfe, und blieb an dem Orte stehen, wo die Kirche von St. Reinold hingebauet steht, wie noch heutzutag allda zu sehen ist. Als der Bischof samt seinen Geistlichen dieses sah, folgten sie dem heiligen Manne zu Ehren mit einer Prozession und unter Lobgesängen nach und begleiteten den Kasten wohl drei Meilen Weges.

Also ist der heilige Reinold ein Beschützer der Stadt Dortmund, und man hat öffentlich gesehen, wie er dort auf der Stadtmauer gestanden und den Feind, der den Ort belagert hatte, abgetrieben; und dergleichen Wunderwerke hat Gott mehr durch ihn gewirket, wie in den Legenden zu lesen ist.