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Hans Friedrich Blunck - MärchenHans Friedrich Blunck
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Da ließ der Drullekerl voll Wut seine Hofleute hintereinander rasch alle Sprüche hersagen, die sie wußten, aber zu jedem schüttelte die Ellerfrau den Kopf. Nein, die Kagelaberger fanden den dritten Reim nicht; sie rieten hin, sie rieten her, aber sie bekamen |
Im Augenblick aber, wo die beiden vor dem Tor im Mondlicht standen und ime Lünk sich lang und breit mit Entschuldigungen aufhalten wollte, tanzte die Dirn schon über die Wiesen mit ihm, und ganz leise flüsterte sie ihm ins Ohr:
Ellerbusch in'n Wind, Reddermanng Kind, Lütte Lünks Fründ, Dreemal datsülwige sünd. |
"Das ist aber ein schöner Name", wollte der Junge sagen, da kam ein Sausewind und führte ihn kopfüber und im Wirbel über Feld und Wald dahin. Mitten in sein Bettlein plumpste er und wußte nicht einmal, ob er selbst oder nur seine kleine Seele zur Nacht unterwegs gewesen war.
Bei den Tieren
Am nächsten Abend war Lütte Lünk sehr müde, er hatte Mühe, die Augen offenzuhalten und auf die Ellerfrau zu warten. Es ist doch gar nicht so leicht, eine große Verwandtschaft zu haben, dachte er seufzend, ich will diesmal besser aufpassen und nichts tun, ohne meine Braut um Rat zu fragen.
"Wo geht es heute denn hin? "flüsterte er, als die, husch, neben ihm saß.
Die Ellerfrau legte nur den Finger auf den Mund, die beiden alten Leute schliefen schon, gewiß war die Stunde nahe, wo die Mahrfrau ins Zimmer kommen durfte. Leise und eilig nahm das Mädchen deshalb Lütte .k an der Hand und versuchte, sich mit ihm durchs Fenster zu stehlen. Es wäre fast zu spät geworden! fuhr gerade jemand durchs Schlüsselloch herein. Schnell ist die Ellerfrau mit Lütte Lünk zu einem greisen Raben geflogen, der im großen Birnbaum vorm Haus saß.
"Hilf Himmel", gähnte der erschrocken und lüftete die Flügel, "gut, daß du mich weckst, es ist ja Mittsommer heut.
"Dann fahr uns nur rasch zu deinen Freunden", drängte die Ellerfrau und setzte sich dem Raben auf den Kicken, den Jungen dicht hinter sich. "Deshalb bringe ich dich nämlich heute zu den Tieren", flüsterte sie Lütte Lünk zu, "mittsommers versammeln die sich und feiern und reden in der gleichen Sprache wie die Menschen untereinander.
"Du weißt aber, daß sie nur ihresgleichen dulden", warnte der Rabe im Fliegen.
"Das laß mich nur machen, verraten wirst du mich doch nicht", sagte die Ellerfrau und blickte sich besorgt um, ob die Mahrfrau auch folgte.
"Was geht's mich an, was ihr vorhabt", knarrte der Schwarzrock und stach wie ein Pfeil durch die grüne halbhelle Mitternacht auf einen alten Holzturm zu.
Es ist aber wirklich so, daß um Neujahr wie auch im Mittsommer alle Wesen in unserer Zunge reden. Grade die Stunde hatte die Ellerfrau sich ausgesucht, um ihren Vertrauten mit der Nachbarschaft bekannt zu machen.
"Eigentlich habe ich Angst klagte Lütte Lünk noch, "was werden die Tiere sagen, wenn ich plötzlich dazwischenkomme."
"Aber Frau Holle hat verlangt, wir müßten überall gewesen sein", drängte die Ellerfrau. "Und wer soll uns beiden wohl etwas tun!" Blitzschnell zauberte sie dem Jungen eine rindige Jacke über; er sah aus wie einer aus den Eichstubben.
Was war das für eine wunderwarme Nacht rund um den alten Holzturm im Wald! Viele Pferde und Rehe und Füsse liefen durcheinander, dazu Hühner, Marder und Hasen, Sunde und Ziegenböcke, aber keiner tat heut dein andern etwas zuleide. Alle sagen freundschaftlich zusammen, hatten Essen und Trinken mitgebracht und erzählten einander von Bauer und Jäger, von Förster und Wilddieb, von Fischer und Imker. Auch die Eichelhäher, Hohltauben und Spechte huschten friedlich durch die Luft; kleine Nachtigallen und Finken schlugen, die Bienen und Wasserjungfern summten, und die Glühwürmer tanzten von Zweig zu Zweig.
Am schönsten aber war es, bei den Alten zu äsen, die sich's um den Turm selbst bequem gemacht hatten. Da war ein berühmter Schimmel, der, hieß es, weiser als die ältesten menschen war; da gab es einen greisen Hund, der schon mit dem Wilden Jäger hatte jagen dürfen, da waren Hirsche, deren Geweihkronen voller Blüten standen, da waren borstige Eber und gute Schildkröten mit ihrem Gefolge. So ehrwürdig waren alle anzusehen, leise und bescheiden nahmen die Ellerfrau und Lütte Lünk hinter ihnen Platz, um etwas von ihrer Klugheit zu erfahren und, sobald sie nur Mut hätten, sich auch vorzustellen.
Grade in dem Augenblick kam aber schon wie ein Schatten die böse Wahrfrau und huschte den Tieren von Kopf zu Kopf. Zu zeigen wagte sie sich nicht, sie ist ja überall schlecht angeschrieben; die Leute hörten nur, daß jemand ihnen etwas ins Ohr flüsterte.
"Wenn man mir eben recht berichtet hat", fragte der Älteste der Hirsche auf einmal, "soll ein Mensch in unserem Kreis sein?" Oh, wie klopfte Lütte Lünk da das Herz.
"Ach", meinte der Schimmel, "es wird der alte Schäfer sein, der gehört ja zu uns."
Hier ist aber ein anderer", witterte der Hund, "wir wollten doch eine Stunde Ruhe vor den Zweibeinigen haben.
"Wer kann das sein?"fragte der Eber drohend.
Lütte Lünk zupfte die Ellerfrau am Arm, er wäre am liebsten gleich auf und davon gegangen. Glücklicherweise stelzte just in dem Augenblick ein kleiner Wicht, der Muckerpucker, die Hände frech in den Taschen und die Ledermütze schief auf dem Kopf, mitten in den Kreis hinein. Solch ein Muckerpucker hat nicht viel Erziehung, er ist einer der Knirpse aus den großen Lastwagen, die im Gutsschuppen stehen. Grade war es ihm langweilig geworden, er wollte sich einmal umsehen.
"Guten Tag", grüßte er, ohne die Mütze abzunehmen.
"Guten Tag", antworteten die Tiere streng, "was willst du hier, Nachbar Muckerpucker?"
Nun leben diese Wichte ja fast nur noch bei den Menschen und bilden
Schwupp, hatte ihm der Rehbock den Tabak aus der Hand gefegt.
Es schien ihm nicht viel anzutun, er hob ihn gleich wieder auf und putzte die Tannennadeln aus dem Pfeifenkopf. "Das ist aber eine Behandlung", schimpfte er, "hat hier denn nicht jeder ein Recht wie der andere?
In dem Augenblick flog die kleine Mahrfrau auch an des Muckerpuckers Ohr entlang. Lütte Lünk sah deutlich, sie sprach ihm vor, was er zu antworten hatte.
"Überhaupt, wo hier Gott weiß welche ungebetenen Leute herumlaufen, könnt ihr einem Nachbarn wohl Platz anbieten", schnarrte er.
"Damit meint er mich!" Lütte Lünk trat vor und nahm all seinen Mut zusammen.
"Sososo", sagte der alte Schimmel und blickte streng herüber, "gut, daß du dich meldest. Wer bist du denn?
"Ich bin Lütte Lünk", fuhr der Junge fort und zog seine Wollmütze ab, "und ich mache mit meiner Braut Nachbarbesuche.
Es war höchste Zeit, daß er sich zu erkennen gab, die Tiere sahen mißtrauisch von ihm zu dem weisen Schimmel. Alder ehe der sich die Antwort überlegen konnte, polterte der Muckerpucker los. Was denn?" schrie er, was heißt Nachbarbesuche, wo's ein richtiger Menschenjunge ist, und dazu was für einer! Eben ist da ein Mädchen gewesen, das hat mir eine Menge von ihm erzählt.
"Er ist nämlich mein Bräutigam", flüsterte die kleine Ellerfrau jetzt und hüpfte zu Lütte Link in den Kreis der alten Herren, "und wir sollten uns überall vorstellen, sonst könnten wir nicht heiraten, sagte Frau Holle.
"Sollt ihr ja auch gar nicht", kreischte die Mahrte bitterböse dazwischen und riß den Jungen an der anderen Hand. "Das ist nämlich mein Bräutigam, und die Ellerfrau hat ihn mir gestohlen!
Lütte Lünk war wirklich sehr verlegen. "Ich will aber das Erlfräulein haben!" bat er die Leute.
Da streckte der Schimmel den Kopf vor: "Sehe ich recht", rief er entrüstet, "so ist es die böse Traumfrau, die vor mir steht. Wie wagt die sich zwischen uns?" Alle Tiere und Bäume bewegten sich zornig, als er das sagte; sie werden ja genau wie die Menschen geplagt.
Nur der Muckerpucker hatte noch nie geträumt. "Ich möchte wissen, was die Herren gegen dies Fräulein haben?"fragte er und stellte sich vor die Dunkle. Und die hüpfte ihm auch gleich auf den Nacken. "Ich möchte mal wissen —" Aber da hatte der Hirsch ihn schon aufs Geweih genommen und warf ihn und was er trug im Bogen zum Wald hinaus.
Lütte Lünk stand indes noch immer, die Mütze in der Hand, zwischen den hohen Herren. Niemand sagte etwas, sie waren alle sehr erzürnt über die Störung. Endlich nickte der Schimmel dem verzagten Ellerfräulein zu und blickte von einem zum andern.
"Ich schlage vor, wir lassen die beiden heute unter uns", meinte er. Lütte Lünk muß aber versprechen, ein guter Mensch zu werden und sein Leben lang Mitleid mit allen Tieren zu haben.
"Das will ich gewiß versprechen", antwortete der. Da ließen die Finken wieder ihr Liedlein schallen, die Leuchtkäfer schwirrten durchs Holz, die Grillen stimmten ihre Geigen, und die Tiere redeten weise von vergangenen und kommenden Zeiten, — ach, es war schade, daß Lütte Lünk von allem erst so wenig verstand und schon so bald nach Haus mußte.
Auf der Riesenheide
"Hör, Lütte Lünk", sagte die Ellerfrau; als sie ihn am andern Abend wieder besuchte, "heute wollen wir zu den Kiesen. Aber du mußt rasch machen, die Mahrfrau hat den Muckerpucker doch sitzenlassen und will durchaus dich haben. So hat's mir der Fuchs erzählt. Rasch, rasch!
"Oha", prahlte der kleine Lütte Lünk, "hier kann sie nicht herein, ich habe das Schlüsselloch fein verstopft." Und dann wollte er nach den Strümpfen greifen. Aber da war er schon angezogen und im Nu gewaschen und gekämmt; es war herrlich, gar nichts hatte er damit zu tun.
Und eine winzige Puppe hatte die Ellerfrau auch im Arm. "Wo willst du damit hin?" wollte Lütte Lünk fragen. Da packte ihn ein Wind, er kniff die Augen fest zu und hatte doch Herzklopfen vor den großen Riesen, zu denen es nun hinüberging.Als er die Augen wieder aufmachte, war er gar nicht so weit geflogen, nicht weiter als bis zum Rathausmarkt der Stadt, nahe der er wohnte. Es war nur alles ein wenig verschoben und absonderlich. Riesige Bootsbauer machten sich zu schaffen, Fischerleute und Brauknechte gingen umher und waren so lang, sie reichten fass bis an die Dächer. Und in der Mitte stand ein breiter Stuhl. "Da wird König Grindel drauf Platz nehmen, er hält heute Gericht", flüsterte die kleine Ellerfrau, "aber du brauchst gar nicht bange zu sein.
In dem Augenblick stiegen schon zwei mächtige Riesenkerle aus den Schleusen hoch und stellten sich rechts und links von des Grindels Stuhl auf. Und von fern kam ein Trompetenstoß, das galt wohl dem unheiligen Richter selbst.
Aber ehe er da war, hatte die kleine Ellerfrau einen der großen Bootsbauer an der Jacke gezogen. "Wir wollten nämlich drüben in eurem Land zu einem Gevatter", sagte sie, "kannst du uns nicht dazu verhelfen?
"Wie soll ich das anfangen?" fragte der und musterte die winzigen Wesen, die vor ihm standen.
"Nimm uns in deine Tasche, wir springen hinaus, wenn es soweit ist.
Da lachte der Bootsbauer gutmütig, schob die beiden mit Hut und Puppe kopfüber in die Jackentasche, wo sie erst in ein verbrannt riechendes Loch plumpsten — das war des ,Kiesen Tabakspfeifenkopf — und dann, als sie sich mit Mühe wieder herausgearbeitet hatten, zwischen mächtige Schiffstrossen rutschten. Das waren zwei Bindfäden, die der Unhold sich eingesteckt hatte. Endlich hatten sie es sich aber doch so eingerichtet, daß sie grade fürwitzig aus der Jackentasche herausgucken konnten. Sie wollten ja sehen, was auf dem Rathausmarkt vor sich ginge. Es wäre ihnen beinah schlecht bekommen, der böse Grindel stand nämlich neben dem Bootsbauer, rasch tauchten sie unter.
Lange mußten die beiden voller Angst in der spakigen räucherigen Pfeifentasche bleiben; endlich hörten Ellerfrau und Lütte Lünk draußen die Leute aufbrechen. Gleich steckten sie den Kopf wieder zum Rock hinaus. Sie waren, das sahen sie, schon weit vom Rathausmarkt fort, der Riese stieg zum Hafen, wobei er immer nur zwei Schritte nötig hatte, um über die Straße zu kommen. — Danach stapfte er durch viel Wasser, und schließlich tat sich eine Höhle vor ihm auf. Erst ging es einige unterirdische Gassen entlang, dann trat der Bootsbauer in eine Tür, warf die Mütze in die Ecke und setzte sich mit seiner Riesenfrau zu Tisch. Ein ungeheuer großer Grütztopf stand schon bereit.
Da vermochten die zwei in seiner Tasche nicht länger zu warten, so ein Essen könnte die ganze Nacht hindurch dauern. Sie räkelten und rangelten sich also hoch und wollten den Langen bitten, sie doch eben abzusetzen und ihnen den Weg zu weisen. Bauz, kriegten sie dabei das Übergewicht und klatschten mit den Armen in den Grützteller hinein.
Ihr könnt euch das Gelächter denken, das Mann und Weib angestimmt haben. Glücklicherweise war die Grütze nicht heiß, der Riese hatte sich wohl auf dem Rathausmarkt verspätet. Aber die Ellerfrau und Lütte Lünk waren so böse, sie liefen, so rasch sie konnten, zum Tischrand, fielen der Frau in den Schoß, purzelten zu Boden und überkugelten sich fast big zur Schwelle, solche Eile hatten sie.
Da stand nun grade ein armer Mann mit seinem Karren, der verkaufte Besen gegen Schellfische und kam aus der großen Riesenheide, Er hatte alte löcherige Hosen, und damit die Leute nicht sähen, wie ausgefranst sie waren, hatte er sie aufgekrempelt. Das war für Lütte Lünk und seine Freundin ein herrliches Versteck, rasch hatten sie sich drin eingemummelt wie vorher in der Tasche des Boorsbauers, und während die Hausfrau noch nach den beiden drolligen kleinen Wesen suchte, die der Mann mitgebracht hatte, — weg waren siel
Jetzt kamen sie ja auch endlich auf den richtigen Weg! Glaubt nämlich nicht, daß man so mir nichts, dir nichts in die Riesenheide gelangt. Nein, die liegt um einen halben Schuh über unserm Land und weit, weit fort. An kalten Abenden kann man sie erkennen, sie hebt sich wie ein Frostwald hinterm Herbst. Ich möchte auch gar nicht dorthin, es ist gut, daß wir in der Wärme bleiben dürfen. Aber Lütte Lünk und die Ellerfrau mußten ja zu den Riesen, um der guten Holle sagen zu können, daß sie bei allen Gevattern gewesen seien.
Es gab wieder vielerlei zu sehen, als die zwei mit dem Besenverkäufer in die kalte Heide gerieten. Wilde Frauen standen vor den Erdhügeln, ungeheure Steine ruhten am Weg, das waren Gesichter oder Köpfe von Hunden und Hammeln oder auch mächtige Häupter von Hünen, die träg und halb vergraben an der Straße schliefen. Am schönsten aber leuchteten
kleine Molken, die schwebten wie Gläser vor den Händen von Pflügern und Schäfern und vergingen, wenn die Männer durstig davon tranken.Endlich kamen sie auch ins Riesendorf. mußte die Ellerfrau sich erst einmal wieder nach dem Weg umhören; man will doch wissen, wo man hingerät. Als sie viele junge Hünen zusammenlaufen sah und Musik vernahm, faßte sie Lütte Lünk bei der Hand und sprang mit einem Satz aus den Hosenfransen.
Nun hatten sich jene Riesenkinder grade einen Hagemann gefangen, weil er so schön Flöte zu spielen vermag; sie plagten ihn ja arg und ließen ihn trillern und pfeifen und pfeifen und trillern, der Arme hatte keine Ruhe vor ihnen. Die Riesenkinder fühlten dabei in den Hacken, daß man eigentlich zu solchem Spiel tanzen müßte, aber sie wußten nicht, wie man das macht. Grade da standen Lütte Lünk und die Ellerfrau mitten unter ihnen. Und als die zwei den Hagemann pfeifen hörten, konnten sie es nicht lassen, rasch mußten auch sie sich anfassen und drehen. Da wurden die Hünen der beiden gewahr und schrien vor Erstaunen. Sie bildeten gleich einen großen Kreis um den Hagemann und die Tanzenden, holten sich Felsblöcke, hockten sich darauf nieder und wollten zusehen und lernen. Bald klatschten einige in die Hände vor Vergnügen und versuchten selbst, solche absonderlichen Tanzschritte zu machen. Alte Leute kamen dazu, hatten auch ihren Heidenspaß daran, und alle lachten, als die jungen Riesen den ersten Walzer hopsten.
Zwischendurch, wenn sie einmal Atem holen mußten, setzten sich Lütte Lünk und Ellerfrau auf des Hagemanns Flöte. Mon dort konnten sie am besten zuschauen, wie die Herren sich mühten, riefen dazwischen, lobten diese und tadelten jene; es wurde eine rechte Freundschaft draug.
Aber solch Hagemann ist doch listiger als zwölf Riesenkinder. Der gefangene Alte versuchte, während er spielte, alle möglichen Zaubersprüche halblaut für sich, er hatte kein Vergnügen an den plumpen Leuten und wollte sich gern in sein Land heimschwören. Die Hünen, die nicht viel von seinem Brummen verstanden und auch nur an das Tanzen dachten, hätten wohl besser achtgeben sollen, was der Hagemann da in den Bart murmelte.
So kam es denn; Grade hatten Lütte Lünk und Ellerfrau wieder etwas vorgetanzt und verschnauften einen Augenblick auf der Flöte, da fand der Alte das richtige Wunschwort, um sich heimzuzaubern.
Hui, fuhr es auf einmal wie eine Wolke um alle Leute, der Hagemann hob sich haushoch in die Luft, und sogar die Flöte, und was darauf hockte, brauste in unser Land zurück. Herrlich warm und sommerlich wurde es, und als sie sich recht besannen, saßen Lütte Lünk und die Ellerfrau wieder dicht neben dem Busch, in dem sie sich gefunden hatten.
Eigentlich war es ein großes Glück, daß alles so gekommen war, wie hätten die zwei wohl ohne den alten Hagemann zurückkehren sollen? Aber beim Gevatter waren sie ja noch nicht gewesen; sie hatten beide auch allerhand Mühe, dem Waldkerl zu entschnappen, der wußte, wen er da auf der Flöte heimgeführt hatte, und erst sein Lösegeld haben wollte. In unserm Land kann die Ellerfrau indes fliegen, — husch, war die Kleine schon eine Meile weiter. Sie brachte auch Lütte Lünk grade noch vor den ersten Sonnenstrahlen in sein Bett.
Das ist nun die vierte Nacht gewesen, die der Junge unterwegs war. Jetzt will ich erzählen, wie es ihm in der wunderlichen fünften ergangen ist.
Lütte Lünk findet seine Mutter
"Wohin reisen wir heute", fragte Lütte Lünk, als die Ellerfrau ihn am nächsten Abend wieder besuchte.
"Ach klagte sie, "wir sind noch längst nicht bei allen Gevattern rund. Und es kommt doch so sehr darauf an, daß wir überall gute Freunde haben, wenn wir mal verheiratet sind."
Lütte Lünk wußte nicht, ob das richtig war, vielleicht bilden sich Frauen zuviel auf dergleichen ein.
"Die Hauptsache bleibt, daß die schöne Holle mit uns zufrieden ist", meinte er, "danach wird sich alles andere schon finden."
"Gewiß", seufzte die Ellerfrau, und dann schlug sie vor, in der Nacht zu den Windischen zu fliegen, da waren sie ja noch gar nicht gewesen. "Mach
nur rasch, gleich wird die Mahrfrau zu dem alten Mann kommen und ihm böse Träume eingeben."Hui, flogen sie auch schon, ich weiß nicht wie flink, in ein Land, das liegt gar nicht weit, ist aber noch schöner als selbst das unsere; die Wipfel der Bäume sind breiter als Buchenkronen, die Büsche blühen immerwährend, und die Wege sind durchsichtig und dennoch fest für die Schuhe der Wanderer.
Lief ein kleiner grauer Mann neben ihnen her.
"Ach", sagte er erfreut, "sind das nicht Lütte Lünk und Ellerfrau, die sich heiraten wollen? Das ist aber gut, daß ich euch treffe, kommt nur einmal zu mir ins Haus! Ich habe nämlich eine geheimnisvolle Spindel für die Braut, da braucht ihr niemals in den Laden zu laufen und Garn zu kaufen.
Aber der Mann hatte ein böses Blinken in den Augen, und alle Bäume rauschten warnend. Da taten die zwei, als hätten sie ihn nicht verstanden, und guckten anderswohin, während sie weiterschritten. Der Graue trottete jedoch vor ihnen her, und auf einmal lag eine herrliche Hahnenfeder am Rain, die glühte und leuchtete so sehr, daß die beiden anhielten, sich bückten und sie beinahe aufgehoben hätten.
Ehe sie dazu kamen, stand glücklicherweise, niemand weiß woher, die wunderschöne Frau Holle mit einer Magd neben ihnen. So lieblich war
als sei sie eben vom Himmel niedergestiegen. "Nicht daran rühren", riet sie leise und trat mit dem Fuß auf die Feder. Dann fragte sie, wo die Kinder denn schon überall gewesen wären."Oh", erzählte die kleine Ellerfrau rasch, "wir sind nun beinah in allen Ländern gewesen, wenn wir auch nicht alle Leute zu Hause getroffen haben. Nun wollen wir noch eben zu den Windischen in den Wolken und denen einen Besuch machen.
"Wenn ihr zu den schönen Schwanfrauen wollt, seid ihr eigentlich nicht auf dem rechten Weg", mahnte Frau Holle. Sie lachte dabei ihre Magd an, und es war, als wüßten die zwei über alles Bescheid und wollten nur erfahren, ob die Kinder wohl die Wahrheit sagten. "Aber geht nur weiter, ihr kommt auch hier zu eurem Ziel!
"Gewiß, das wollen wir", antworteten Lünk und die Ellerfrau tapfer, und die schöne Holle nickte, und ihre Magd küßte den kleinen Waisenjungen und wies den beiden mit der Hand den Weg. "Aber laßt euch von niemandem ablenken", mahnte sie und geleitete sie ein Stück.
Als sie nun fleißig fürbaß schritten und einmal zum Himmel aufschauten, war der wunderseltsam groß, ein Mann ritt darüber hin, aus dessen Mantel viele Sterne in Wipfel und Molken fielen. Sehr feierlich wurde den zweien zu Sinn. "Wo sind wir nur Wer ist das", fragten sie.
"Ja, denkt nur an", sagte Frau Holles Magd, "da gibt es viele Leute, die können in die Bäume hineinsehen und wissen, wie sie sind, und andere gewahren nur das dumme Holz. So ist es auch mit dem blauen Himmel; manche vermögen nur die Sterne zu zählen, und wir drei erkennen schon, daß alles in Gottes Händen rinnt."
"Ganz recht", erklärte der kleine graue Mann und stand wieder am Weg. "Man muß nur alles finden. Blickt doch eben in die Erde, da seht ihr, wie herrlich die Goldadern leuchten. Wollt ihr nicht einmal in meine Höhle kommen? Gewiß wär's klug, wenn ihr ein paar Hände voll Gulden mitnähmt, um euch ein Haus davon zu kaufen."
Aber die gute Magd, die den beiden zur Seite schritt, winkte, und Lütte Lünk sagte: "Frau Holle hat uns geraten, nicht vom Weg abzugehen.
"Ach", krächzte der kleine graue Mann, "was versteht die davon? Die hat selbst alles, was sie sich wünscht, da kann sie anderen wohl weise Ratschläge geben. Wollt ihr nicht wenigstens ein winziges blitzblankes Wunschkorn mitnehmen? Kostet nicht viel, mao kann sich drüber einigen.
Aber die beiden sahen auf Frau Holles Magd, liefen rasch weiter und wunderten sich, wie freundlich die Fremde sie anschaute.
"Wir wollten jetzt zu den Schwanfrauen", fragten sie die Begleiterin, "sind wir auch auf dem rechten Weg?"
"Ihr seid auf dem rechten Weg", lächelte die Magd sanft und wies wieder mit der Hand voran. Gut und schön war sie, das merkten die Kinder, und wandte den Blick nicht mehr von Lütte Lünk ab. Oft strich sie ihm über das Haar, und es war lieb, wie sie es tat. Viele Vögel flogen währenddeg neugierig an den Wandernden vorüber, andere schauten aus den Bäumen nieder und lachten, und mitunter waren warme weiße Seen zur Seite der Straße; große Schmetterlinge schwebten darüber hin, und viele Nebel und Wesen spielten am Ufer auf Strand und Waldwisen.
Dann stand noch einmal der kleine Graue im Weg. "Geh weiter, wir wollen nichts von dir wissen", rief Lütte Lünk.
"Ach", seufzte der andere, "es gibt noch Sorgen genug, ihr werdet mich schon rufen. Denkt daran, daß ich komme, wann immer ihr wollt, als Fisch und Vogel, als Mann und Maus.
"Geh weg", schrie die Ellerfrau, "wenn wir bei allen Gevattern gewesen sind, brauchen wir dich nicht!
"Oho", sagte der Graue böse, "glaubt das nur nicht. Ich habe euch mehr zu schenken als alle Geister und Riesen und Unterirdischen zusammen. Aber darüber können wir ja noch reden. Grade seid ihr vor meiner Tür, wollt ihr euch nicht ausruhen? Ihr werdet müde sein."
Da stand wirklich ein herrliches Schloß hinterm Wegzaun, viele Gesichter schauten hinaus und winkten und lachten zu den beiden hinüber.
"Alle Nachbarn habt ihr besucht, nur mich noch nicht", klagte der fremde Mann wehleidig. "Und ich meine es doch gut mit euch!"
Aber die beiden folgten der wartenden Magd, holten sie ein, faßten ihre Hände und sahen sich nicht mehr um. Ja, die kleine Ellerfrau erzählte, während sie weitergingen, die ganze Geschichte mit der Mahrfrau und der Hagemutter und den Plagenächten und noch vieles, was gar nicht dazu gehörte.
Die Fremde nickte zu allem, als wüßte sie es längst.
Dann waren sie auf einmal vor einem großen See, und der Weg, den sie schritten, lief schnurstracks hinein, es war kein anderer zu gewahren. Die Ellerfrau erschrak sehr, sie hielt ratlos mitten in ihren Worten inne, als sie das sah.
"Nun sagt auch mir eure Wünsche", mahnte die Magd.
"Nachts anderes wünsche ich, als daß ich immer bei Lütte Lünk bleiben darf", antwortete die kleine Ellerfrau sehr eilig, damit der Junge ihr nicht mit einem dummen Wort zuvorkäme. Da nickte die Magd und führte die Bittende so weit, bis das Wasser ihre Füße netzte. In dem gleichen Augenblick erkannte sie erstaunt im See eine Menge Wesen, die ihr glichen, und sah, daß mitunter ein langschnäbliger Vogel mit breiten Schwingen kam und eines von ihnen abholte. Ja, als sie es grade Lütte Lünk zeigen wollte, fiel ein mächtiger Adebar steil aus der Luft auf sie nieder, hob die Ellerfrau auf und trug sie windschnell von dannen.
Der Junge erschrak entsetzlich und wollte dem Vogel nach. Aber die Magd griff rasch nach seiner Hand. "Sorg dich nicht", sagte sie, "jetzt wird deiner Freundin Wunsch erfüllt, jetzt wird sie als kleines Mädchen auf Erden geboren und wächst schön und groß heran und wartet auf dich.
Oh, damit war Lütte Lünk wohl zufrieden, das war, was er sich gewünscht hatte. "Dauert es lange, bis ich sie wiedersehe", fragte er ungeduldig. Und als die Frau, die ihn hergeleitet hatte, statt aller Antwort lächelte: "Aber wer bringt mich denn nach Haus", fiel ihm auf einmal ein, "wo soll ich denn bleiben?
Die schöne stille Fremde nahm ihn auf die Arme. "Komm", sagte sie, ich zeige dir den Weg, Frau Holle hat's so befohlen." Und dann küßte sie das Waisenkind. "Komm, in dieser Nacht bringt dich deine Mutter heim.
Da legte Lütte Lünk gleich den Kopf auf ihren Arm und fand alles richtig und gut. Er schlief schon halb und fuhr wie ein Blasewind in sein Bettchen.
Aber von der fünften Nacht hat er am andern Morgen nichts mehr gewußt, das muß wohl so sein.
Die vierte Tochter
"Da war einmal ein sehr geiziger Mann, der kannte nichts Schöneres, als Geld und Gut zu häufen. Jaun hatte er vier Töchter, von denen waren drei an Drullekerle verheiratet. Und er meinte, sie hätten es gut, denn sie wohnten in reichen Schlössern jenseits der See und hatten viele Dienstboten und viel Gesinde.
Er wollte deshalb auch seine vierte Tochter an solchen Unhold geben, der doch nicht zu den Menschen gehört, obgleich er wohl wußte, daß ein junger Zimmermann sie gern hatte und heimlich mit ihr versprochen war.
Die arme Dirn weinte, als der Vater erzählte, was er vorhatte, sie wollte ja nicht wie die Schwestern hinterm Wasser wohnen. Es half ihr indes wenig, der Geizhals war nicht zu erweichen. Aber er sagte ihr am Ende zu, daß sie niemanden zu heiraten brauche, der ihr nicht selbst gefalle; er meinte ja, sähe sie erst den Reichtum derer in der Tiefe oder in den Bergen oder über See, würde sie bald andern Sinnes werden.
Der Mann machte sich also eines Tages mit dem Mädchen auf, weil ihm das am besten schien, und besuchte zunächst die verheirateten Töchter auf der großen Zauberinsel hinterm Meer, die Utwunder heißt. Die Älteste traf er zuerst; sie hauste tief unten in einem Fluß, freute sich sehr, als Vater und Schwester kamen, zeigte ihre Kindlein und lud die Brüder ihres Mannes dazu. Aber dem Mädchen gefiel keiner von den dunklen Schwägern; es hatte ja auch, noch ehe die Reise begann, dem jungen Zimmermann versprochen, ihm treu zu bleiben, was immer geschähe.
So mußte der alte Geizhals mit seiner vierten Tochter weiterfahren. Nach einigen Tagen kamen sie zu einem Heidhügel, der tat sich gleich einem gläsernen Haus vor ihnen auf. Dort besuchten sie eine andere Schwester, die sie auch freundlich empfing, ihnen ihre Kinder zeigte und die Freunde ihres Mannes einlud. Das Mädchen sagte jedoch bei jedem, er gefiele ihm nicht, und der Suter wurde böse, aber er hatte ja sein Wort gegeben.
Schließlich kamen sie zu dem dritten Drull, der wohnte tief im Wald auf einer wunderschönen Wiese und hatte ein herrliches Haus, das über und über mit absonderlichen Schnitzwerken bedeckt war, wie die im Hagen es lieben. Auch sein Weib zeigte den Gästen die Kinder und die Brüder ihres Mannes. Aber dem armen Mädchen gefiel keiner, es verlangte nichts, als heimzukehren, um seinen Vertrauten zu sehen. Da wurde der Vater zornig, und weil er ein gutes Heiratsgeld erwartet hatte, fühlte er sich von seiner jüngsten Tochter betrogen. Er ging deshalb geradeswegs zum Drullkönig, verdang ihm sein Kind gegen einen Beutel Gold als Küchenmagd, und der dunkle Alte nahm es gern an. Seine Art ist gierig, arme mädchen in Dienst zu bekommen.
Es ist aber wider das Gewissen, Menschen bei Unirdischen, das heißt bei ihnen, die nicht zu den Irdischen gehören, zu verdingen. Als der Mann heimgekehrt war und der Verlobte ihn zur Rede stellte, wo seine Tochter geblieben sei, gab er ihm keine Antwort.
Der junge Zimmermann ahnte, daß der Vater sein Kind wie die andern Schwestern zu den Dunklen gebracht hatte. Und er ging an die See und fragte viele Leute, ob sie etwas von einem Mädchen gehört hätten, das drüben wider Willen festgehalten würde. Keiner wußte davon. Endlich traf er einen Freund, der wunderschön auf der Flöte spielen konnte, und weil er vernommen hatte, daß die Unirdischen zur Nacht dem lauschen, setzten sich die beiden drei Nächte lang an das Ufer und spielten ein Lied nach dem anderen. Wirklich kam eine junge Meerminne, die verriet, als die Freunde sie fragten, daß der Mann mit der vierten Tochter zur Insel Utwunder gefahren und daß sein Mädchen beim Drullkönig geblieben sei. Aber sie wagte nicht, dem Zimmermann den Weg zu zeigen, sie hatte Furcht, die
Unholde würden es ihr heimzahlen, wenn sie Menschen nach drüben brächte. Vielleicht wisse einer von den Fischen Bescheid, sagte sie.Da stellte der Bursch den langen Sommer über ein Netz aus und fragte alles, was er fing, und versprach freizugeben, wer ihm den Weg nach der Insel Utwunder weisen könnte. Aber die Fische sind stumm, keiner antwortete ihm. Endlich geriet ihm ein großer Stör ins Netz, der war ein König in seinem Volk und vermochte mit den Menschen zu reden. Alls der Junge dem nun die Freiheit versprach und erzählte, wie es ihm ergangen war, nahm der Stör den Zimmermann auf den Rücken und brachte ihn in drei Nächten bei vielen eifersüchtigen Nixen und plumpen Wassermännern vorüber, bis das Ufer von Utwunder nahe kam. Aber kaum, daß er den Burschen abgesetzt hatte, kriegte auch er Furcht und machte sich eilig heim.
Nun war der Zimmermann an der Seite von Utwunder gelandet, wo die Zwerge wohnen, und das war ja sein Glück. Es waren zumeist gutmütige Leute, sie luden ihn ein, ihren Hof zu besuchen, und er war viele Tage bei ihnen zu Gast. Aber als er sie bat, ihm doch gegen den Drullkönig zu helfen, ängstigten sie sich. Ach, meinten sie, er solle lieber für sie arbeiten, da könne er mehr gewinnen als bei den großen Unholden. An Lohn solle es ihm gewiß nicht fehlen.
Sie baten ihn also, zuerst ein Haus zu bauen, wie er es bei den Menschen gelernt hatte, und der Zimmermann machte sich ans Werk und richtete eine herrliche Burg für den Zwergkönig her. Dafür bekam er von dem ein winziges Schächtelchen, das reckte sich abends, wenn er müde war, zu einer Hütte, so groß, wie er sie sich wünschte.
Nun wollte der Unruhige weiterwandern, aber die Zwerge waren noch nicht zufrieden. Erst solle er ihnen ein Schiff schenken, sagten sie, so eines wie bei den Menschen.
Der Zimmermann konnte nicht anders, er mußte ihnen auch den Gefallen tun. Er ging also ans Werk und baute mit Hilfe der Kleinen eine schöne Dreimastbark. Zum Sohn bekam er ein Boot, kaum handgroß, das sich immer rasch so weit auseinanderfalten ließ, daß es seinen Eigentümer trug.
Der Gesell bedankte sich sehr; aber nun müsse er wirklich weiter, sagte er, um seine Vertraute zu suchen. Die Zwerge wünschten indes noch einen Segelwagen, solch einen, mit dem die Menschen hoch durch die Wolken fahren. Der Zimmermann tat sein Besteg, der Wind half ihm, und das Wichtevolk schmiedete die Räder. Als das Kunstwerk fertig war, schenkte der Zwergalte dem Gast zum Dank zwei winzige blaue Schwingen; wenn er die hochwürfe, werde die Nacht zum Tag, sagte er zwinkernd, man werde sie vielleicht brauchen können.
Der junge Bursch bedankte sich. Dann ließ er sich beschreiben, wie der Weg weiterführte. Die Unterirdischen wissen nämlich über alles Bescheid, was auf der Insel Utwunder vor sich geht, sie wußten auch, wo des Zimmermanns Verlobte in Dienst gehalten wurde. Und der Mann reiste mit seinem Boot viele Flüsse hinauf und hinunter, er fuhr bei den drei Schwestern vorbei und fand endlich Land und Schloß des Drullkönigs. Da mischte er sich unter das Gesinde, und sein Mädchen erkannte ihn. Und es freute sich von Herzen, denn es wünschte nichts sehnlicher, als mit dem Liebsten zu den Menschen heimzukehren.
Sobald die zwei allein waren, verabredeten sie auch, wie sie sich zur Nacht auf und davon machen könnten; über Tag, wenn die Unholde schlafen, ist des Drullkönigs Schloß ja vergittert und versperrt, es findet niemand von dannen.
Was die beiden besprachen, hat aber eine Magd gehört, die erzählte es dem Koch wieder, der Koch erzählte es den Dienern, und einer der Diener verriet dem Drullkönig, was er wußte. Als es Nacht wurde, die Tore aufgingen und die zwei sich aufmachen und, ein Bündel auf dem Rücken, von dannen schleichen wollten, stand auf einmal der furchtbare Unhold selbst vor ihnen. Und er schrie entsetzlich und verlangte vom Zimmermann, daß er mit ihm fechte; er wolle ihn wohl belehren, sagte er, daß sie nicht im Lande der Menschen, sondern in einem Reich seien, wo die Dunklen stärker als Gottes weiße Knechte seien.
Der junge Bursch aber hatte sich einen Plan gemacht für den Fall, daß sie angehalten würden. Und weil er sah, daß der König ihm an Körperkraft
dreifach über war, warf er
blitzschnell die kleinen Flügel hoch,
die ihm der Zwerg geschenkt hatte.
Da schien für eine eile der Himmel
grell und hell und hob sich wie
blauer Tag.
Darüber erschrak das nächtige Volk und drängte sich schutzsuchend im Schatten der Tore zusammen. Ehe der Dunkle es hindern konnte, war der Zimmermann mit seinem Mädchen an ihm vorüber, die beiden fuhren, so rasch es ging, im Boot des Zwergkönigs stromauf |
Dort öffnete der Bursch das Kästchen, und die beiden hatten ihre erste Hütte vorm Regen.
Sie haben auch niemandem verraten, wie sie zurückgekehrt waren. Der alte Stiefvater hat sie wohl einmal besucht, aber er hatte ja seinen Lohn davon, es war ihm einerlei, was aus den beiden wurde. Mir haben die zwei später erzählt, was alles erlebt hatten, weil ich gerade in ihrer Nähe wohne und ihr Vertrauen habe.
Der Hagemann und der Karnickelbock
Einmal blühten drei Büsche über mir, ein Holunder, eine Rose und ein Jelängerjelieber. Und als ich mich noch über sie freute, hörte ich drei Vögel rufen, einen Habicht hoch in den Wolken, eine Krähe in den Eichen und eine Rebhenne hinter der Hecke.
Und es war ein schöner warmer Sommertag, und der kleine Achim lag vor mir in seinem Wagen und spielte mit seinen Zehen.
Auf einmal kommt drüben unter den Buchen der Hagemann hoch. Nun, mir tut er nichts, all diese Waldleute sind ja, wenn man selbst herzhaft und freundlich bleibt, gegen uns Menschen gefällig und vergelten's uns gern, wenn auch wir höflich gegen sie sind. Aber ich merke, der Hagemann ist neugierig, wer da wohl im Wagen liegt, und ich muß doch den kleinen Achim bewachen, weil die Mutter noch nicht wieder da ist! Was fange ich nur an? Der dicke braune Kerl kommt näher und näher, nickt mir zu, zeigt zum Wagen und möchte gar zu gern meinen Neffen besehen.
Und auch Achim will den Hagemann kennenlernen und kräht und lacht über den Plumpen, und als der sich über ihn beugt, zieht er ihn am Bart. Er wühlt sich mit beiden Händen fest, aber der alte Mann nickt nur.
Da kommt unser großer Hund, der auf uns alle achtgibt. Der mag den braunen Fremden nicht; er meint, der gehöre nicht zu unsersgleichen, und rennt auf ihn zu. Was kriegt der Hagemann für einen Schreck! Flink sieht er sich um, wo wohl ein Mäuseloch sei, durch das er unter die Erde fahren kann, — er und seine Art vermögen sich ja blitzschnell klein und groß zu machen. Gerade beim Vorderrad des Kinderwagens wird er eines gewahr, schon wirft er sich kopfüber hinein und ist darinnen, ehe der Hund ihn zu fassen hat.Ach, und dabei ist es geschehen, daß unser lieber Achim mit unter die Erde rutschte. Als der Hagemann nämlich auf einmal so winzig wurde, guckte Achim ihm nach und — hab ich's mir nicht gedacht — plumpste, pardauz, aus dem Wagen und gerade in das Mäuseloch hinein. Vielleicht hatte er auch noch etwas von Hagemanns Bart in der Hand, dann wird man genau wie der groß oder klein.
Da sitze ich nun! Vor meinen Augen, sag ich, sind Achim und der Waldkerl durch das Mäuseloch unter den Rasen gerutscht. Was soll ich um's Himmels willen der Mutter erzählen, wenn sie wiederkommt? Ich schiebe leise den Kinderwagen beiseite und rufe nach unten: "Freund Hagemann, schick mir doch Achim zurück, es war nur ein Versehen, er wollte gar nicht zu dir. Was willst du mit dem Kind anfangen?" Aber der Alte rührt sich nicht.
Mir wird ganz bange. Ich muß etwas unternehmen und denke nach. Der Häher in der Eiche hat alles gesehen, aber statt zu helfen, lacht er mich aus Nur die kleine Grasmücke ziept und ziept und jammert, als sei ihr eigenes Kind in das Mäuseloch gefahren. Einen Rat kann sie indes auch nicht geben.
Kommt der Igel vorbei. Ich erzähle ihm die Geschichte. Ach, Stickelpickel ist eine Bangbüx, er wagt sich nicht zum Hagemann. Hoppelt der Karnickelbock vorüber. "Bannig", rufe ich ihn beim Namen, "Bannig, du kannst mir helfen.
"Nanu", murrt er, "sonst darf ich nicht mal an deinen Kohl gehen, und jetzt soll ich dir helfen?
"Ich lass heut abend die Tür zum Garten offen", bitte ich, "du mußt mich eben einmal zum Hagemann bringen."Das kann er ia!
"Faß meinen Hinterlauf", sagt Bannig. Und plötzlich bin ich ganz klein, Bannig läuft mit mir in den Knick und dann durch ein Loch kopfüber nach unten, ich weiß kaum, wie mir geschieht.
Da sitzt auch schon der Hagemann vor mir und hat Achim auf den Armen.
"Was willst du?" blafft er mich an. "Der Junge ist mir vom lieben Gott zugeworfen, den geb' ich nicht wieder her." Und er spielt und lacht mit Achim, und sieben Zwerge sitzen umher und bestaunen das Wunder.
"Er muß doch noch gewickelt werden, ehe er auf Besuch gehen kann", schreie ich dem Hagemann zu, ich möchte ihn bange machen.
Der hört indes gar nicht hin, er will mit Achim spielen; und Achim rauft ihm schon wieder ein Büschel Haare aus dem Bart, aber der Alte ist so vergnügt, er merkt es gar nicht.
Ich versuche ihn aufzumuntern. "Du", warne ich, "gib mir den Jungen her und kümmere dich um deine eigenen Sachen! Die Ameisen bauen zwischen meinen neuen Büschen."
"Na, laß sie nur", brummt der Alte, "die wollen auch leben!
"Hagemann", locke ich ihn, "ich weiß, wo das Hornissenloch ist. Willst du es nicht ausbrennen?"
"Morgen vielleicht!" Er schüttelt den Kopf, weil der kleine Achim ihm mit beiden Händen auf der Nase herumtrommelt.
"Weißt du schon, Brauner", sage ich, "daß die Zigeuner im Wald lagern und sich ein Feuer angemacht haben?"
Da bekommt der Alte aber einen Schreck, wie ich's noch nicht sah. Beinah hätte er den armen Achim fallen lassen, ich kann ihn gerade noch auffangen.
Was sagst du, die Zigeuner, die dreimal verwünschten Gesellen? Den Wald werden sie mir in Brand stecken, wenn ich nicht aufpasse!" Und er springt hoch und will nach oben fahren. Glücklicherweise kriegt ihn der Karnickelbock beim Schweif, und ich kriege Bannig beim Bein, und Achim
hält sich ganz fest an meinem Hals. Und dann sausen wir alle miteinander zum Loch hinaus und nach oben und sind gleich wieder gerade so groß wie zuvor. Der Hage |
mann aber stapft zornschnaubend zum Wald,
die Zigeuner zu suchen.
Ich kann Achim rasch noch in seinen Wagen legen, da kommt seine kleine Mutter. "Das ist schön von dir", lobt sie, "daß du so gut auf mein Kind aufgepaßt hast! |
"Nun ja", knurre ich, und Achim und ich, wir verraten kein Wort von dem, was alles geschehen ist. "Nun ja", brumme ich, aber du solltest den Jungen doch anbinden, eines Tages fällt er mir aus dem Wagen!
Die Zauberrute
Zu einer Zeit, als unser Land sehr arm war, als der Feind große Teile losgerissen hatte und seine Heere auf unsern Feldern lagerten, da machte sich auch der Verlocker, das ist der Teufel, die Trostlosigkeit der Menschen zunutze. Er kaufte sich mit falschem Geld viele Kleinode und Schmuckstücke und war besonders darauf bedacht, heimlich die Wünschelruten und Allertürschlüssel im Land in seine Hand zu bekommen.
Nun war da in einer Stadt im Süden irgendwo ein altes Gebäude, in dem lag, das wußte er, unter allerlei Gerümpel eine solche Zauberrute verborgen. Eine Greisin hatte sie besessen, ohne zu ahnen, was für einen Schatz sie im Hause hatte. Jetzt war die Arme in ihrer Kammer Hungers gestorben.
Aber der Locker wußte Bescheid und machte sich auf, das Zauberreis zu gewinnen.
Das war indes gar nicht so leicht; der Uralte, dem das Sunder einstmals gehört hatte, ging in der Stadt um und wachte über seinen Schatz; nicht Mann, nicht Frau, nur ein unschuldiges Kindlein vermochte die Rute aufzuheben, jedem anderen war der Tote über.
Und es mußte zum Christmarkt sein, sonst fand das Kind sie nicht.
Der Verlocker fuhr also durch das Tor, stieg in einem großen Gasthof ab und besah sich die Stadt, die wie alle anderen arg zu leiden hatte. Viele arme Leute gingen auf den Straßen auf und ab, versuchten, kleine Dinge, die ihnen lange lieb gewesen, zu verkaufen, oder boten Reiser und Besen oder Hampelmänner aus, nur um einige Pfennige zu bekommen. Und dem Verlocker gefiel es, denn der Hunger ein großer Sünder und treibt die Menschen ihm zu.
Nun hatte der wackere Knecht Ruprecht wie in jedem Jahr mit dem ersten Schnee allen Kindern der Stadt eine echte Rute gebracht, um sie zu
warnen das geschieht ja auch anderswo. Wenn die Beschenkten aber bis zum Weihnachtsabend fleißig und gut waren, durften sie alle .Ruten auf dem Christmarkt verbrennen, gerade bevor die Lichterbäume angesteckt wurden.Der Verlocker wußte aber von der alten Sitte der Kinder und baute seinen Plan darauf, den Schatz im dunklen Haus zu gewinnen.
Als der Weihnachtsabend gekommen war und die Kleinen schon auf die Stunde warteten, wo sie aus Besen und Ruten ihr Feuer anzünden durften, trat er wie ein graues Männchen zu den Knaben und .Mädchen, brachte braune Suchen vom Markt und fragte, ob er ihnen sonst eine Freude bereiten könne.
Die Kinder waren erst scheu vor dem Fremden. Endlich faßte sich ein kleiner Junge ein Herz. Er solle einmal einen Buckel machen, krähte er. Was geschah? Der Alte hatte, bauz, einen großen Höcker auf dem Rücken und eine fingerlange Nase dazu. Das hatten die Kinder ja nicht erwartet. Jetzt solle er seinen Hals so lang machen wie einen Laternenpfahl, wünschte jemand. Nicht zu glauben, da hatte der Fremde einen Hals, drei Ellen lang. Was immer die Schelme noch von ibm verlangten, geschah; der Locker tat wie ein Hanswurst, er zog sich lang, er zog sich kurz, und die Schar folgte ihm lachend.
Ein armer Besenbinder wurde das Treiben gewahr. Und weil Knecht Ruprecht sein Kind ganz und gar vergessen hatte, meinte er, es bekäme vielleicht bei solchem Umzug einen braunen Kuchen ab, und riet ihm, sich dazu zu drängen.
Als der ocker in seiner Verkleidung nun das ärmste der Kleinen ohne Reiser und Besen sah, da hatte er ja einen Grund, es auszuschicken. Gerade als er mit der Kinderschar an dem dunklen Haus ohne Licht vorbeikam, hielt er an, tat, als wenn es nun genug und an der Zeit sei, zum Markt umzukehren. Das kleine Mädchen aber behielt er zurück, war freundlich und fragte so recht mitleidig, warum es denn nicht Reis noch Rute bei sich habe.
Ach, antwortete das Ding, sein Vater müsse immer alles verkaufen, und Knecht Ruprecht habe seiner vergessen. Nun, dem wolle er abhelfen,
tröstete der sonderbare Fremde und zeigte dem Kind einen Schlüssel. Und dann gab er ihm ein brennendes Lichtlein in die Hand und sagte, es solle nur getrost die alte Tür aufschließen, gleich auf der Diele läg alles, was Knecht Ruprecht vergessen hätte. Da würd's auch seine Rute finden.Das Kind war erst ängstlich, dann tat es, wie ihm geheißen ward, und der Böse blieb auf der Straße und horchte und wartete in seiner Gier.
Im Haus war es aber sehr düster, das Licht warf nur einen schwachen Schein. Das kleine Mädchen hatte Mühe, die Stufen zu gewinnen, ihm war, als flüsterte und wisperte es und riet ihm von allen Wänden. Weil es indes durchaus sein Ruprechtrütlein haben wollte, um es auf dem Markt ins Feuer zu werfen, und weil die andern Kinder nicht wissen sollten, daß der gute Knecht es so ganz und gar vergessen hatte, nahm das Mädchen allen Mut zusammen. Und es suchte den Berg Gerümpel ab, den die Leute beim Tod der alten Frau zuhauf geworfen hatten, und fand zwischen Flaschen und Tüchern und Lumpen wirklich solch Ding, wie es sich's wünschte. Rasch nahm er die Rute auf und freute sich, gleich mit den andern zum Markt ziehen zu können.
Nun hatte das Kind sich mit seinem dünnen Lichtlein aber so viel gedreht und gewendet, es wußte zwischen den winkligen Türen und Treppen nicht mehr, woher es gekommen war. Weil indes in einer der Scheiben ein wenig Licht schien, ging es darauf zu, preßte das Gesicht daran und sah genau auf den Christkindelmarkt hinaus. Da hatte es Furcht, sich durch das Haus zurückzutappen, fand eine Tür und ein Schloß und — oh, wie freute es sich, die Tür sprang vor seinem Schlüssel auf, und eine Treppe führte gerade auf den Marktplatz. Schon kamen von allen Seiten die Kinder angezogen, um ihr Feuer anzuzünden; das kleine Mädchen lief hinzu und war froh, das dunkle Haus hinter sich zu haben.
Der Verlocker wartete währenddes noch immer auf der Straße. Alls niemand zurückkehrte, wurde er besorgt um den Schlüssel und um die Zauberrute. Weil aber nur ein Kind das Ding zu heben vermochte, versuchte er sich zu gedulden, schuppte sich unter der Verkleidung, rückte sich den Hut von einem Ohr aufs andere und stampfte mit den Füßen vor Kälte. End
Der Böse bekam einen rechten Schreck; er fuhr dreimal hin und her, besah sich das Haus von allen Seiten und meinte, gleich müsse die kleine Suchende zurückkehren — wer sollte solchem Boten wohl etwas antun? Alls er dabei auch zur Marktseite lief, warfen schon alle Kinder ihre Ruten zusammen. Da kam ihn die Furcht an, daß die Rute, nach der er forschte, dazwischen sei; er also hin, entdeckte das Mädchen mit dem Schlüssel, drehte sich vor Zorn, sprang in den Reiserhauf, riß alles auseinander und durcheinander und stöberte vergeblich nach dem Zauberstab. Mon Zeit zu Zeit reckte er einen der Füße hoch und klagte, heulte und jammerte. Die Kinder lachten darüber; meinten, er machte wieder seinen Spaß mit ihnen.
Daß der Böse aber seine Rute nicht fand, ist so gekommen;
Alls der arme Besenbinder nach seinem Töchterchen rief; das er verloren hatte, gewahrte auch er die vielen guten Reiser, die von den Kindern zuhauf geworfen wurden. Und es tat ihm leid um die schönen Birken, die er für seine Besen brauchen könnte. Er raffte also unauffällig mit dem Fuß einige zur Seite und schob sie sich unter den Arm. Dann sah er sein Kind, das er suchte, nahm es an der Hand und zog es rasch nach Haus, er hatte kein ganz reines Gewissen. Wenn's doch erst Abend wäre und ich die Reiser zugearbeitet hätte, dachte er. Batz, stolperte er. Da lagen vier fertige Besen vor seinen Füßen, gerade so viel, wie er hatte schaffen wollen.
Das ist ja fein, staunte der Besenbinder, hob sie auf und wußte gar nicht, woher sie kamen.
Nun kann ich dem Kind eine schöne Weihnacht bereiten und ein Lichterbäumchen besorgen, überlegte er. Ach, wären wir erst daheim! Schwupp, war er schon in seiner Kammer, und alles war nach seinem Wunsch bestellt.
Da staunten Vater und Tochter. Wenn wir es doch immer so gut hätten, dachte der Mann und sah sich in der Kammer um, — immer so gut bis zum Lebensende.
"Soll geschehen", sagte der Besen auf einmal laut und verneigte sich Und dann grüßte er und ging aus der Tür; vielleicht hatte ihn einer gerufen, der mächtiger als Mensch und Verlocker ist.
Aber das ist gewiß, die beiden Leutchen haben es gut seitdem, und sicherlich wird es ihnen weiter wohlergehen. Sie haben's auch besser verdient als der Alte, der auf der Christkindmette alle Ruten auseinanderwarf in seinem Zorn und doch die rechte nicht mehr gefunden hat.
Frau Holle und der Blinde
Einmal, an einem Weihnachtsnachmittag, kehrte ein blinder Buchbinder, den sein Hund führte, von der Arbeit heim. Ein schlimmer Wind fuhr durch alle Wipfel, und der arme Mann hatte eine weite Strecke durch einen großen Wald zu gehen.
Nun wollte der Weg an diesem Tage schier kein Ende nehmen, es wurde immer einsamer und kälter um den Blinden, er fürchtete schließlich, sein Hund habe sich verirrt.
Auf einmal legte das Tier sich nieder und sprach wie ein Mensch: "Weißt du, daß Frau Holle heute nacht durch den Wald kommt?
"Hast du mit ihr zu reden? "fragte der Blinde erstaunt
"Nein aber ich habe dich heute ein ganzes Jahr lang geführt", sagte der Hund, "jetzt hab du einmal Geduld und gib mir, daß ich eine Stunde mit den Meinen spielen kann. Sie kommen alle in den Hollenwald!
Da mußte der Mann, frierend, an einen Stamm gelehnt, warten, bis sein Führer wiederkehrte. Er murrte erst, aber es war zu begreifen, daß auch solch Tier seine Freude haben will; zwischen Weihnacht und Neujahr verstehen alle Wesen einander, und man sagt, daß sie in den Tagen, die auch die "Zwölften"heißen, mehr wissen als unsereins, dafür, daß sie ein Jahr lang stumme Diener der Menschen waren.
Als der Blinde nun schon hoffte, daß ein gut Teil der Stunde vorüber sei, kam der Hund wieder vorbei. "Du mußt noch etwas Geduld haben", mahnte er seinen Herrn, "es sind noch nicht alle da."
Der Mann mochte nichts erwidern, um dem Tier die Freude nicht zu verderben; als er dabei aber horchend den Kopf zu ihm niederbeugte, geschah ihm, wie es allen Blinden bei Frau Holles Kommen geschieht, daß er den Hund auf einmal wie einen Schatten sehen konnte. Und als er den Kopf wieder aufhob, war ihm, als stünde rundum der Tannenwald wie eine Schar begrünter Kreuze da, erblickte er auch oben in den Wipfeln den Mond, um den mit hellen Gliedern viele Nebel tanzten. Aber der Blinde sah noch mehr, er sah, wie ein ganzes Schiff mit Bäumen und Lichtern vom Himmel näher schwebte und sich auf einer weißen Waldwiese die vor ihm lag, niederließ.
Und der Mann, der viele Jahre ohne Augenlicht gewesen war, erblickte tausend Tiere, die von weit her gekommen waren, um Frau Holle zu begrüßen, er sah die Elfen mit weißen Gliedern und sogar einige Menschen, die auch die Unirdischen zu schauen vermögen. Da lief er über den Fest- platz auf das Schiff zu und schrie vor Erstaunen: "Ich habe mein Augenlicht wieder, ich kann dich erkennen, Frau Holle!
Die schöne Himmlische schritt nahe an ihm vorüber und fragte: "Bist du blind gewesen, armer Mann?"
"Ja", rief der Buchbinder, "ja, ich bin blind gewesen und kann dich jetzt erkennen!
Die edle Frau warnte ihn: "Hoffe nicht zu früh, Lieber, es ist nur in den Zwölften, daß du zu sehen vermagst."
"Ich bin aber so glücklich, daß ich sehen kann", schrie der Mann, kannst du mir nicht für immer mein Augenlicht wiedergeben?" Es war für ihn alles so herrlich rundum, voller Lichter und köstlichen Glanzes, voll schöner Menschen und Tanzender, voll Wagen und freundlicher Tiere, voll ragender Bäume und leuchtender Blumen, die mitten im Schnee aufwuchsen, — ach, den armen Mann dünkte, daß sein Leben allzeit und zu jeder Stunde reich sein würde, wie in dieser. "Oh", rief er,
hätte ich doch mein Augenlicht für immer!"Den schlimmen Alltag hatte er ganz vergessen. "Kannst du mir nicht helfen, daß es so bleibt, Frau Holle?"
"Für immer kann ich dir nicht helfen", antwortete die traurig, "aber ich kann dich wählen lassen, ob du das Jahr hindurch alles Leben und Leid der Menschen erblicken oder aber, ob du in den Zwölften zu uns kommen willst.
"Da weiß ich genau, was ich zu wünschen habe", sagte der Mann aufgeregt, ihm schien das Jahr so viel länger als die kurze Spanne der Feiertage. "Da weiß ich gewiß, was ich wähle: Gib mir das Jahr frei, Frau Holle! Ein ganzes Jahr über möchte ich offene Augen wie zu dieser Stunde haben.
Da seufzten die Tiere; sie meinten vielleicht, der Fremde hätte sich anders entscheiden müssen. Aber Frau Holle strich ihm schon über die Augen: "So werde für deine
Welt sehend und blind für uns", sagte Und das Dunkel fiel auf die Lider des Bittenden, weil er noch auf der Zauberwiese stand.Dann rief die schöne Königin den Hund des Buchbinders, der kam gehorsam und führte den Mann in seine Stadt heim. Aber als er zu den Menschen kam, erhellten sich seine Augen wirklich, so wie es ihm die gütige Frau versprochen hatte. Und als das neue Jahr begann, lebte er mit klaren Blicken, ein Genesener, unter den Seinen.
Es ist jedoch an dem, daß der Arme die Sehnsucht nach dem Frau: hollenschiff seit jener Nacht nicht mehr verlieren kann und daß er, wie alle Menschen, die lange blind waren, im Alltag Armut und Krankheit doppelt genau erkennt. Schwermütig und wortkarg ist er geblieben und vermag die Feier der Zwölften und den Zug der schönen überirdischen Frau, den er einmal gesehen hat, zu keiner Stunde zu vergessen.
Spahengeschichte
Als die Kellner im Garten alle Tische abgedeckt hatten und die letzten Leute den alten Fährhof, in dem sich tagsüber soviel Gase an den Blumen und dem weiten Wasser ergötzen, verlassen hatten, da kamen die Sperlinge noch einmal ungestört zu ihrem Recht und sammelten die Brotkrusten und Kuchenbrocken unter den Tischen. Es wurde schon dunkel, sie sputeten sich, denn sie waren müde vom langen Tag; aber ihre bese Ernte halten sie doch abends, wenn die Menschen gegangen sind, nämlich gerade bevor die Stunde der andern Welt schlägt.
Der eiligste und der hungrigste von allen Spatzen, das will ich gleich bemerken, war Krümeling.
Und Krümeling es denn auch gewesen, der, als er zwischen den Kuchenbrocken rasch einmal trinken wollte, unter den Büschen den kleinen schlafenden Jungen gewahrte, von dem ich erzählen will.
Mein Gott, dachte der Sperling erschrocken, wie werden die armen Eltern in Sorge sein! Er hatte nämlich mit anhören müssen, wie erst dem Kind sein Holzpferdchen weggeschwommen war, wie es überall danach gesucht hatte und wie dann Vater und Mutter ihren Jungen verloren hatten und ihn zu ihrer Verzweiflung nicht wiederfinden konnten.
Gleich flog Krümeling deshalb dem Schlafenden auf die Hände, um ihn zu wecken, und der schlug die Augen auf, als der Spatz an seinen Fingern pickte, und wußte zunächst gar nicht, wo er war.
"Ja", schalt der Vogel und plusterte sich gewaltig auf, "das kommt davon, wenn man seinen Eltern wegläuft; nun mußt du mit unserer Gesellschaft fürliebnehmen.
Das Kind rieb sich die Augen und wollte anfangen zu weinen.
"Laß das Heulen sein", keifte Krümeling, "sag lieber, wie wir dich nach Haus bringen sollen. Weißt du denn, wo wohnst?
Nein das wußte das Kind nicht. Es wußte nicht mehr, als
Über die Geschichte mit dem verlaufenen Jungen hat der Sperling aber seine Schlafenszeit verpaßt, es waren schon allerhand andere Leute in und um den leeren Fährgarten. Ein kleiner Klabautermann hockte draußen auf einem Segelboot, er hatte laternengroße Augen und blickte erstaunt das verirrte Kind an; zwei alte Baumstubben trieben im Wasser, pruschten vor Neugier, und drüben, unter den Brückenbögen, saß der Riese Langebart und winkte mit beiden Händen. —Aufzustehen wagte er nicht, er hatte ja seine Geldkiste unterm Sitz.
Die Vögel kümmern nicht viel um diese Art Gesichter, sind nicht so dumm wie manche Menschen, die sich davor fürchten. Auch der kleine Junge war tapfer und wunderte sich kaum über die fremdartigen Leute. Als ein dicker Stubben ihm die Hand gab, schlug er drein, und der Alte machte sich vor Erstaunen krumm und versuchte einen Bückling; ja, der Knirps nickte sogar einer schönen Frau Hollentochter zu, die grade unter der Wurzel der großen Buche aufhuschte, und lief immer noch vertrauensvoll neben Krümeling her.
"Hunger", jammerte er wieder, und "Pferdchen verloren".
Mein Gott, Hunger hatte er schon einmal gesagt, und Krümeling hatte gar nicht achtgegeben! Rasch pickte er einige süße Brocken zusammen, die satte Menschen hatten fallen lassen, und brachte sie dem Kind. Da wurden die Brocken in dessen Hand groß wie richtige Kuchen; was aus rechtem Mitleid geschenkt wird, macht immer satt.
"Zu Bett", klagte der Knirps dann wieder, er war von Herzen müde, und Krümeling flatterte von Baum zu Baum, um überall zu fragen, wo wohl ein Bettchen frei sei. Denn wo der kleine Junge zu Hause wäre, wußte niemand.
Alle Leute aber hatten Mitleid mit dem Verirrten; der große Stubben schenkte dem Kind einen Stock, um damit zu spielen, ein Klabauter kam
und hatte ein feines geschnitztes Schiffchen in der Hand, und die Hollentochter und die Rosenmutter, die ihre Zweige gerade am Geländer entlang wand, brachten ihm kleine Knospen zum Spielen. Sie meinten, er würde zuschauen und warten, bis die Blumen aufgingen.Aber das Kind war so müde, es wollte schon wieder weinen, alle Wesen gerieten in große Sorge. "Zu Bett", sagte es und wußte doch nicht zu antworten, wenn man es fragte, wo sein Bett denn sei.
"Vielleicht findet er sich bei Licht zurecht", meinte eine Elfenfrau, grub einen Span Mondlicht aus dem Wasser und leuchtete damit, wie mit einem kleinen silbernen Feuer. Aber das Feuer hüpfte nur vor dem Knirps einher, irrte durch den Garten und kam wieder dahin, wo es zu Anfang gestanden hatte. Ratlos waren die Leute, und der Junge begann wirklich zu heulen.
Er wird zu müde zum Laufen sein", sagte Krümeling endlich und versuchte, das Kind auf den Rücken zu nehmen, aber es war viel zu schwer, der Spatz konnte nicht mit ihm auffliegen.
"Bei uns steht ein Bett frei riet der Klabauter und winkte von seinem Segelboot.
Bei mir ein viel schöneres", lockte die Hollentochter eifersüchtig.
Ich werde mich rund um dich ranken", schlug die Rosenmutter vor, der kalte Wind soll nicht durchkommen. Kriech nur bei mir unter, Kind!
Aber der Junge schüttelte wieder den Kopf und wollte zu Vater und Mutter.
Grade da sah der ratlose Krümeling das verlorene Pferdchen des Kindes im Wasser schwimmen, es trieb zwischen den Stubben und losen Wurzeln. "Das wird den Weg wissen", sagte er rasch zu den Leuten und rief auch schon hinüber: "Willst du nicht eben kommen und den Jungen heimbringen?" Aber das hölzerne Pferdchen hörte nicht, so herrlich spielte es mit den Fischen im Wasser.
Da lachte die Hollentochter. "Das isi ja ein ungezogenes Ding", meinte sie. Und sie ließ sich an einem überhängenden Buchenzweig big dicht zum
Wasser nieder, hatte, schwupp, des Tieres Mähne gepackt, hob es hoch und kletterte in den Garten zurück. Da hatte sie es ja in ihrer Gewalt. Auch der kleine Junge sah das Spielzeug, — oh, wie lange hatte er es schon gesucht, müde gelaufen hatte er sich danach! Gleich setzte er sich darauf, und das Pferdchen fing an zu traben. — Jawohl, um diese Stunde war es kein dummes Holzpferd, sondern konnte herrlich traben. Und was das allerbeste war, es wußte sogar den Weg nach Haus Das kleine LichtDer Herr Krümeling aber hat sich ungeheuer wichtig gemacht, er hat seinen Schützling straßauf, straßab bis vor seine Haustür begleitet und hat mit dem Schnabel so lange an die Glocke gestoßen, bis die Leute die Tür aufmachten und ihren Jungen und sein Holzpferdchen wiederhatten. Und sie haben ihr Kind geherzt und geküßt. Aber auf Krümeling, der sich doch so viel Sorge gemacht hatte, haben sie kaum geachtet.
Nun, dachte der Spatz, der Kleine wird es mir danken, wenn ich ihm morgen begegne. Aber als der Junge am nächsten Tag wieder im Fährgarten war, hat er von all dem, was in der Nacht geschehen war, nichts mehr gewußt und hat Krümeling nur ein paar magere Brocken von seinem Brot zugeworfen. Und die Buche, aus der die Frau Hollentochter
gekommen war, hat er nicht einmal angeschaut, und eine wunderschöne Blume, die ihm die Rosenmutter in den Weg hing, um ihn zu mahnen, hat er beinahe abgebrochen. So sind die Menschen oft, sie wissen zu wenig von dem, was alles sich in der Nacht um sie müht, und haben keinen Dank dafür.Geben wir acht, daß wir's besser machen und für die Vöglein sorgen und den Blumen wohltun und daran denken, wieviel gute Geister und Engel helfend um uns sind.
Frau Holle und der verwunschene Müller
Da war einmal ein Müller in unserer Stadt, den hat Frau Holle unters Wasser verwünschen, weil er viele arme Leute mit seinem Mehlmaß betrogen hatte. Nun mußte er in seinem tiefen Haus frieren und die Dreckmühle unterm Hafen selbeigen drehen.
Um dem Wann jedoch Gelegenheit zur Buße zu geben, hat Frau Holle ihn in jeder Weihnacht einmal unter die Menschen gelassen. Er hat indes nicht anders als lästerlich über aller Leute Tun und Treiben reden können, nichts hat sein böses Herz erwärmt. So ist es an die dreißigmal geschehen, in jedem Jahr hat er nach der heiligen Nacht, verstockt wie zuvor, wieder an seine Dreckmühle gehen müssen.
Nun ist aber der Winter, von dem ich spreche, besonders hart gewesen. Das Brot war zu Ende, die Menschen haben kaum Feuer gehabt, so schwer war es, Holz aus den Wäldern zu beschaffen, und alle Schiffe im Hafen waren zwischen den Flutschollen eingefroren oder erdrückt. Selbst der arge Müller hat nur mit Mühe vermocht, nach oben zu kommen, so stark war die Eisdecke geworden.
Ein armer Klabauter, der auf einem Holzewer wohnte, hat ihn an jenem Weihnachtsabend als erster erspäht. Er hat gemeint, solch Verwunschener wisse Wetter zu machen, und hat gefragt, ob er den Menschen nicht einige
warme Tage schenken könne. Aber der Müller hat mit seiner Hand zum Rücken gewiesen, er hatte ja nur den einen Wunsch, alles Arge noch ärger zu machen. lachte auch, als er eine arme Wildente sah, die festgefroren war und ihn jammernd um Hilfe bat, und schratterte, als die großen Wasserkerle bullernd und polternd unter dem Eig entlang fuhren und in ihrer Atemnot nach dem Loch suchten, durch das der Müller hochgestiegen war.Als er sich nun durch die Stadt trieb, zufrieden, daß die Menschen erschrocken auswichen, wo er sich zeigte, ist der Verwunschene auch bei der alten Mühle auf dem Stadtwall vorbeigekommen, in der er einst gewohnt hatte. Die Mauern waren verfallen, die Flügel ohne Bespann, seine Kinder waren armes Volk geworden.
Der Wiedergänger sah sich alles an und wollte schon ingrimmig weiterlaufen, zufrieden, daß es ohne ihn nicht ging. Da trat ein kleines Mädchen, das mochte seiner Tochter Kind sein, aus der Tür. Es war dünn gekleidet, hatte nur ein buntes Tuch um die Schultern und wurde in die großen Straßen der Stadt geschickt, um Hampelmänner an die weihnachtsgeschäftigen Leute zu verkaufen.
Der Müller stapfte hinterdrein; er wollte einmal erfahren, was daraus würde. Ja, er ist selbst wie ein schlimmer Gast neben der Kleinen einhergetrottet, hat sie erschrecken wollen und kichernd gefragt, ob wirklich die Menschen für solches Zeug Geld bezahlten.
Aber das Kind hatte keine Furcht vor dem unheimlichen Greisbart; es ist gleich stehengeblieben und hat, so arg der Fremde auch aussah, ihn gebeten, ihm einen Hampelmann abzukaufen. Der Verwunschene, der geglaubt hatte, das kleine Mädchen würde schreiend davonlaufen, war erstaunt über seine Furchtlosigkeit und hat den Balg verblüfft entgegengenommen. Als er jedoch einen halben Groschen bezahlen wollte, ist er in Verlegenheit gekommen; er hatte ja nur uralte versparte Münzen in der Tasche und wußte durchaus nicht, wo er neue herholen sollte. Weil er indes gerade einen Zwergalten mit einem gestohlenen Wecken aus einem Laden laufen sah, hat er den Dieb abgefangen, hat ihm das Brot aus den
Fingern gebrochen und es dem Mädchen in den Mund gesteckt. Und das Kind hat so heißhungrig zugebissen, der alte Mann hat wohl gemerkt, daß es lange nichts mehr zu essen gehabt hatte.Da wurde der Müller begierig, was weiter aus dem Verkaufen würde; vielleicht hat er auch erfahren wollen, daß niemand besser und schlechter geworden, als er selbst zeit seines Lebens gewesen war. Er hat sich also von dem Mädchen durch die dunklen Straßen bis zum Dom führen lassen, wo die geschäftigen reichen Leute von Laden zu Laden eilten. Und er hat dem Kind vorgeredet, wie dumm es von den menschen sei, sich zum Fest lauter nutzlose Dinge zu schenken und Hampelmänner nach Haus zu schleppen. Ja, er fragte sogar, was es sich selbst zu Weihnachten wünschte, er fragte eigentlich nur, um sich an einer eitlen Antwort zu weiden. Das Mädchen aber verlangte gar nicht viel. Nur ein kleines Tannenbaumlicht hätte es gern gehabt, weil doch die andern welche besaßen, — und auch ein großes Brot zum Sattwerden.
Dem Müller, der einst viele Lichter und viel Mehl und Brot sein eigen genannt hatte, ist wunderlich ums Herz geworden. Und weil er nicht anders zu helfen vermochte, hat er für das Kind die besten Straßenwinkel zum Verkauf der Weihnachtsmänner ausgesucht. Ja, wenn die Menschen die kleine müde Stimme nicht hörten, hat er zornig den Hut von seinem eisgrauen Haar gezogen und hat mit rauhen, barschen Worten die Bitte des Mädchens wiederholt. — Kauft Hampelmänner, schöne bunte Hampelmänner — Er hat dabei immer noch gemeint, er mache sich nur einen schlimmen Spaß, wenn er betteln ging, aber es war doch das erste Erbarmen, das über ihn gekommen war.
Ich werde für das Kind ein Licht und ein Brot stehlen müssen, dachte der Müller zugleich, die Menschen taugen heute ebensowenig wie zu meiner Zeit und werden ihm nicht helfen. Aber während er sich umsah, kain schon dieser und jener und kaufte dem Mädchen etwas von seinen Sachen ab, Buhmann und Hampelmann und Knecht Ruprecht und was das Kind sonst noch gemalt und ausgeschnitten hatte. Und der alte Mann dankte den Leuten.
Nun ist während der Zeit, die der verwunschene Müller in der Straße stand, der Zwergalte, dem er das Brot abgenommen, zornsprühend zu den Seinen gelaufen und hat ihnen erzählt, was ihm geschehen war. Die haben es blitzschnell anderen zugeschrien, jemand hat es die Windischen wissen lassen, und irgendwie ist auch zu Frau Holle die Klage gekommen, der schlimme Müller, dem alle Weihnachten einen Tag Gnade gewährte, sei nur aus, um zu rauben und zu stehlen, und sie müsse ihn rasch wieder zu seiner Dreckmühle unterm Wasser heimsenden.
Da ist die Hollin, wie eine Ratsfrau gekleidet, selbst durch die Stadt gegangen, um sich anzusehen, was der Verwunschene triebe. Sie ist dabei auch an dem kleinen Mädchen vorübergekommen, das in einem Straßenwinkel kauerte und frierend sang und seine bunten Bilder verkaufte. Neben ihm aber hat der betrügerische Müller gestanden, das hat die Zauberin sehr verwundert.
Als nun solch schöngekleidete vornehme Frau kam: "Bitte", hat der Alte gesagt und den Hut von seinem grauen Kopf gezogen, "ach, Herrin, kauft dem Kind etwas ab.
"Warum soll ich ihm etwas abkaufen, hat es denn keine Mutter mehr?"
"Eine Mutter hat es wohl", antwortete der Mann, "aber es ist nichts zu beißen und zu brechen im Haus. Und das Kind kann nichts dafür.
"Können denn andere dafür?" fragte die Fremde.
Nun, Frau Holle habe den Müller verwünschen, den hätten die Leute in der Mühle nötig, murrte der Alte.
Die Ratsherrin blickte voll Mitleid auf das arme Mädchen. "Und kann sonst niemand dafür als Frau Holle?" forschte sie weiter.
"Ach", seufzte der Mann, "der schlimme Müller hatte wohl Schuld, und den hat seine Strafe getroffen. Aber das ist eine alte Sache und nicht mehr zu ändern —bitte, gute Frau, kauft der Kleinen einen Hampelmann ab, er kostet nur einen Groschen.
Als er nun seine Reue sogar vor fremden Leuten merken ließ, hat sich die schöne Holle damit zufrieden gegeben; sie fühlte zuviel Erbarmen mit
dem frierenden Kind. Und sie hai die beiden ohne ein Wort an die Hand genommen und ist mit ihnen zur Mühle auf dem Wall geschritten. Der Verwunschene hat nicht gewußt, was ihm geschah, er wollte sich der Fremden entziehen, hat es jedoch nicht fertiggebracht, einen Finger zu lösen. Da ist ihm aufgegangen, wen er angeredet hatte, und er wünschte sich in seiner Furcht gleich unters Wasser heim.
Aber die Frau hat ihn immer noch nicht freigegeben, bis sie alle drei im alten Mahlraum der Mühle waren. "Wenn du meinst, daß das Kind dich nötig hab", hat Frau Holle gesagt, "so magst du hierbleiben." Und alle Leute der Mühle sind staunend hinzugelaufen, weil im gleichen Augenblick ein großer Lichterbaum mit vielen Gaben im Mahlraum stand. Aber bis sie der fremden Frau gedankt hatten, die ihnen die Feier gerichtet, waren die Menschen
schon allein. Die schöne Holle hat in den Weihnachtstagen nicht vielDen Leuten in der Mühle ist es von da an besser gegangen; der Müller hat nicht unters Wasser heimkehren brauchen, niemand rief ihn in jener Nacht zurück. Er hat sogar noch einige Jahre arbeiten und die Mühle wieder in Gang bringen dürfen. Dann ist er eines irdischen Todes gestorben. Das kleine Mädchen aber hat schon lange nicht mehr nötig, Hampelmänner zu verkaufen. Es war bekanntgeworden, daß dem Müller vergeben war, da sind die Menschen wiedergekommen und haben Korn zum Wahlen gebracht. Und das weiß ich auch, es ist immer guter Wind in den Flügeln der Mühle gewesen, sie hat nie lange zu rasten brauchen.
Weihnacht bei den Tieren
So alt war Bauer Krohn, daß er sich auch auf sein Gehör nicht mehr verlassen konnte, das ihm doch bislang gut gedient hatte. Immer glaubte er, es kämen Schritte — er wartete ja, daß sein Sohn von drüben ihn zur Weihnachtsfeier holte, aber er wartete schon lange, man hatte es wohl vergessen. Niemand besuchte ihn in seiner gichtigen Einsamkeit.
Als der Alltenteiler da nun trübselig saß, überlegte und halblaut seine Gedanken vor hin sprach, stand auf einmal der kleine Busemann vor ihm, das ist der Knirps aus dem Stall, den man nur zu hohen Festen sieht. Kindsgroß schien er und hatte eine neue rote Mütze auf dem Kopf.
"Kommst mit, Vater Krohn?
"Wie soll ich mit dir gehen", knurrte der Alte, "meine Kinder werden mich gleich holen! "Der Zwerg murrte und war nicht mehr zu sehen.
Nach einer Weile kam Busemann wieder.
"Willst jetzt mit, Suter Krohn, das Essen bald gar!
"Schönen Dank, Busemann, aber sie zünden drüben wohl noch die Lichter an." —
Als wieder eine Stunde vergangen war, zeigte sich der Kleine zum drittenmal. "Die drüben sind schon mitten im Feiern, kommst jetzt mit mirs
Da nickte der Bauer trübsinnig; Busemann kletterte blitzschnell auf den Stuhl und zog ihm seine gestrickte Mütze über den Kopf. Was glaubt ihr? Im Augenblick, wo der Mützenrand die Brauen berührte, saß der Alte, hui, durch Wand und Tür hindurch bei den Tieren im Stall. Die Ohren sausten ein wenig, sonst war nicht viel Besonderes dabei.
Am Weihnachtsabend war Vater Krohn nie lange im Stall gewesen, er sah jetzt ein, daß man zu allen Lebzeiten noch hinzulernen muß. Wie gemütlich hatte dieser Busemann es sich doch eingerichtet! Nahe der Laterne, die über die Kuhköpfe hinflimmerte und noch die Pferde beschien, hatte er ein Laken über eine alte Haferkiste gehängt. Fein und wunderlich war das Muster, es mußte jemand an die hundert Jahre dran gewebt haben. Und eine Milchkruke stand darauf und zwei Messer und zwei Teller; Krohn rieb sich die Augen, das hatte er nicht für möglich gehalten!
War aber noch längst nicht genug! Busemann kroch wie durch ein Mauseloch fort und kehrte nach einer Weile mit einer brutzelnden Pfanne Bratkartoffeln wieder. Und als der Duft davon durch den Stall zog, ruschelte der Igel aus dem Stroh, wünschte fröhliches Fest und hielt den Hut hin, um sich etwas Abendessen zu leihen. Und die Ringelnatter, die bei den Kühen wohnt, solange man denken kann, nahte mit einem Kragen von kleinen Glocken um den Hals und mit einem Krüglein wegen der Weihnachtsmilch. Als die beiden aber den Altenteilsbauer sahen, vergaßen sie, warum sie gekommen waren; der Igel machte einen höflichen Kratzfuß, holte eine Pfeife aus der Tasche und fragte, ob einer der Herren eins mit ihm rauche. Und die Schlange hob und drehte sich. Wäre der alte Krohn nicht so taub gewesen, hätte er sicher gemerkt, daß die kleinen Glocken in ihrer Halskette wie ein Weihnachtslied klangen. Dann, als sie schon zusammenrücken wollten, schlug es draußen vom Kirchturm Mitternacht. Mit dem zwölften Schlag klirrte und polterte es,
fielen allen Tieren die Ketten ab; ja, mehr noch, sie begannen sich wie die Menschen über allerhand Dinge zu unterhalten. Mon Koben und Raupen kamen sie, stellten sich, so gut es ging, zum Tisch und erkundigten sich nach des lieben Gastes Gesundheit; die Stute sagte ihm ein altes Hausmittel gegen die Gicht, und jeder fügte einen Wunsch für Weihnachten hinzu. Aber die Tiere waren auch höflich; keines von ihnen fragte, warum der greise Bauer das Fest gerade hier im Stall feierte.So wurde es wirklich eine schöne, gemütliche Stunde; der Igel legte etwas Tabak auf das Tischtuch, er hatte genug für jedermann, und der heisere Wachhund, der drüben bei den Menschen weggejagt war und humpelnd zum Tor hereinkam, wußte eine ellenlange traurige Liebesgeschichte, der alle kopfschüttelnd zuhörten. Sogar die fünf großen Balken überm Stall fanden in dieser Stunde die Sprache und redeten ernst und weise von der Zeit, wo Bauer Krohn jung gewesen war. Sie kannten noch jede Kuh beim Namen, die er einst gehabt hatte.
Sonderbar, sann der Alte, da muß man von seinen Kindern vergessen werden, um zu erfahren, wer alles an einen denkt
Ob er sich nicht auch eine Pfeife anstecken wolle, fragte der Igel wieder und reichte den Tabaksbeutel herauf. Gewiß, sagte Krohn, er hätte wohl Lust drauf.
Während er sich noch verwunderte, wo er eigentlich hauste und wie alles möglich wär, begann eine sanfte Musik vom Stallende. Die Leute standen auf und riefen, der Ommegang, das ist der feierliche Umzug, aus dem Garten sei da. Traten auch schon mit Lichtern durch ein Tor der Erde sieben Unterirdische ein, hinter ihnen das Brunnenfräulein, danach drei dicke Apfelknechte und neun Hollerfrauen. Die Weibsen hatten Schnee an den Füßen, schüttelten sich, tanzten doch gleich wieder und trieben mit allen Tieren ihren Schabernack. Der arme Hund wurde umgeworfen, weil er zu sauertöpfig dreinschaute, und Busemann klopften sie auf die dürren Schenkel und wünschten ihm auf seine alten Tage, daß er noch etwas wüchse.
Wirklich kam der halbe Garten mit Singen und Klingen und Tanzen bei den Kleinen im Stall zu Besuch. Immer mehr Leute fanden sich ein; die Kühe warfen die Köpfe, als könnte ihre Art noch reigen lernen, und auch die Schweine grunzten und standen auf den Hinterbeinen.
Dann, auf einmal, geriet alles ins Laufen, hin und her, husch, husch, husch, und auf und davon. Die Lichter und winzigen Laternen waren wie fortgeblasen, nur die Brunnendirn, welche die Größte im Ommegang gewesen
war, hatte Mühe, durchs Tor hinauszufahren. Sogar die Tiere trappelten und trabten wieder an ihre Plätze, steckten die Köpfe ins Geschirr und taten, als wenn sie von nichts wüßten. Da ging die Tür auf, und-der junge Bauer leuchtete in den Stall."Mein Gott, wie bist du hierhergekommen, Vater?" fragte er. "Wir suchen dich überall!
Der Altenteiler wollte erst böse antworten, dann blickte er traurig in die Ecke, wo der bunte Ommegang verschwunden war. "Laß mich heute abend hier.
"Willst nicht zu uns kommen, Vater?" bat der Junge. Er sah ein feines Tischtuch über die Krippe gedeckt, wunderte sich und hatte ein schlechtes Gewissen.
Der andere winkte ihm. "Geh nur, ich habe noch was zu bereden. Da ist ein alter Freund zu Besuch", sagte er, "der wird gleich wieder da sein!"
Von der verkehrten Erlösung
Wenn ich nur ein Häuschen hätte oder etwas Land, dachte die hübsche Oedi, da bliebe ich nicht so einsam. Und dann weinte sie wieder, denn einer, den sie liebgehabt hatte, ging mit einer anderen und sah die arme Verlassene nicht mehr an.
Nun tappte gerade um die gleiche Stunde mit einem wichtigen Auftrag der Igel Stickelpickel die Straße entlang, der hörte das schöne Ding für sich hin klagen. Es tat ihm leid drum, er hat ja ein gutes Herz und kann niemand heulen sehen. Als er die Jungfer aber fragte, was ihr fehle, kriegte er kein vernünftiges Wort heraus und rief schließlich sein Weib herbei, weil er meinte, das könnte mit weinenden Mädchen umgehen. Dann lief er wieder seines Weges, er hatte es sehr eilig.
Aber da kam er bei seiner Frau schlecht an. "Willst du wohl hier
bleiben, du schlimmer Kerl", schrie sie hinterher. "Da ist ein gutes Kind in Not, und du rennst weiter, als hätte dich 'ne Prinzessin gerufen."Wer hat mich gerufen?"fragte Stickelpickel und nahm vor Schrecken die kalte Pfeife aus dem Mund. Gleich tat er, als wäre es nur, um sich ein Lied zu flöten.
Die Frau hatte aber gar nicht so dumm geraten. Dem wackeren Stickelpickel war es nämlich zugestoßen, daß gerade zuvor, als er im Schummern so fürbaß ging, eine Fremde, nämlich eine Tochter der gütigen Holle, seinen Weg gekreuzt hatte. Ja, und sowenig die Art sich sonst mit kleinen Leuten abgibt, sie hatte ihn ins Gespräch gezogen. Was war geschehen? Ach, die schöne Hollentochter hatte eine Schwester, und die Schwester hatte wohl ihrer guten Mutter nicht gefallen und war von Frau Holle, schwupp, in einen Baum gezaubert, gerad als sie auf dem Weg gewesen war, Schloß und Dienerschaft und gar einen hohen Gemahl zu finden. Zwar hielten die Leute Frau Holles Spruch für gerecht, die Verwunschene galt als ein herzkaltes und eitles Ding, aber der Tochter Hinne — so hieß Stickelpickels Freundin — tat es leid um die Schwester und um ihrer Mutter Spruch. Und weil sie selbst nichts dawider unternehmen durfte, hatte sie dem Igel heimlich ein Schlüsselchen gegeben und ihn so recht von Herzen gebeten, den Baum der verzauberten Schwester aufzuschließen und sie zu ihrem Gemahl zu bringen. Ras so ein stachliger kleiner Kerl anstellte, meinte fiele wohl nicht weiter auf.
Als Stickelpickel sich nun schon im feierlichen Bratenrock auf den Weg gemacht hatte, um die Hollentochter aus ihrem Haftbaum zu befreien, gerade da war ihm die weinende Dedi begegnet. Und als er auch ihr mitleidig hatte helfen wollen, war sein Weib gleich bei ihm geblieben, obwohl es — alles Frauenvolk ist nun einmal eifersüchtig — von seinem anderen Auftrag ganz und gar nichts zu wissen brauchte.
Der Igel hatte den Schlüssel in der Tasche, er meinte indes, daß die Hollentochter und ihre verwunschene Schwester warten könnten. Sie gingen also zu dritt ihres Weges, links der Igel, rechts die Igelin und zwischen ihnen die weinende Dedi. Und Mann und Frau gaben gute
Ratschläge und erzählten der Unglücklichen, daß es anderen Mädchen schon viel schlimmer ergangen, daß sie doch noch jung sei, und daß sie sich glücklich preisen solle, just diesen Bräutigam los zu sein, — was eben man so sagt, um arme Liebe zu trösten. Ja, Stickelpickel wußte so drollige Worte, Dedi trocknete schließlich die Tränen ab und mußte über den lustigen Nachbarn lachen.Nun waren sie unterm Reden aber auf einen sonderbaren Weg geraten, den sie noch nie gesehen hatten, und merkten es kaum; wahrscheinlich hatte der Schlüssel in Stickelpickels Tasche sie ohne ihr Wissen da hinauf geführt. Der Himmel klarte auf, die Bäume wurden höher als sonst, viele Vögel wanderten mit ihnen, riefen einander, und um die drei Leutchen war ein Flüstern und Kichern, man wagte kaum hinzuhorchen. Auch stand einmal eine wunderliche Esche mitten im Weg, die war oben verastet wie ein Gesicht und schien unten hohl gewachsen. Als Stickelpickel das sah, fiel ihm ein, daß es vielleicht dieser Baum war, den ihm die Zauberin beschrieben, und daß er hier nach einem Schlüsselloch suchen sollte, wie die Hollentochter es ihm aufgegeben hatte. Aber konnte er seiner eigenen Frau etwas wie Hexerei vorführen? Der Igel blinzelte zur Esche hinüber, nickte ihr pfiffig zu und dachte: Na warte, wenn ich zurückkehre, helfe ich dir. Oder vielleicht morgen. Auf einen Tag kommt's wohl nicht an.
Nun war es aber nicht recht, daß Stickelpickel den Weg ging, ohne die Verzauberte mitzunehmen. Es wurde nämlich immer wunderlicher und geheimnisvoller. Türme und Tore wuchsen auf, die noch keiner gesehen hatte, auch tat sich ein breiter Burggraben auf. Als sie dem näher kamen, rasselte, ohne daß jemand es befohlen hatte, eine Zugbrücke nieder. Es war wirklich, als würden sie erwartet, — oder wenigstens der Schlüssel in Stickelpickels Tasche und die Braut, die mit ihm einziehen sollte. Die Frau des Igels schlug vor Erstaunen die Hände zusammen, die arme Dedi machte große Augen und wußte kaum noch, was ihr geschah, und Vater Stickelpickel hatte viel zu tun, alle Schildwachen zu grüßen, die an den Seiten des Weges standen und das Gewehr schulterten, wo er nur mit den beiden Frauen entlang kam.
Sehr wichtig und schön fand Stickelpickel alles, was die Leute taten. Ihm war nur zumute, als wenn es nach dem Sinn der Hollentochter richtiger gewesen wäre, wenn er, statt mit Weib und Dedi, mit der in dem Baum Merbannten diesen Weg gegangen wäre. Aber vielleicht war die Verwunschene mit Recht bestraft, dachte er sich, und hübsch war es, den zwei Frauen einmal zu zeigen, wie es auf Schlössern zugeht. Sein Weib erschrak zwar noch, wenn die Trommeln sich rührten und die Pfeifen einfielen, es wurde auch ein wenig ängstlich, als sich reitende Diener vor den Zug setzten und die großen Pferde so himmelhoch vor ihnen herschritten, — oh, man wagte gar nicht, nach oben zu sehen.
Aber Dedi wußte, wie man sich zu benehmen hatte; sie bekam unter den Augen der Leute rote Backen, das stand ihr gut, sie hatte auf einmal auch ein schönes Brautkleid an und ging so zierlich, als wenn sie eine Hochzeit vorhatte. Hübsch war das, Stickelpickel nahm die Pfeife aus dem Sund und wurde ganz andächtig. Macht alles mein Zauberschlüssel, dachte er. Aber als er sich vorstellte, was die Hollentochter Hinne zu der Verwechselung sagen würde, war ihm zumute, als stünd' der Himmel voll brauner Haselstecken. Die Angst kommt von der Herrschsucht der Weiber, entschuldigte er sich, wir armen Männer müssen's dann aushalten.
Über solche Gedanken hatte man den großen Schloßhof durchquert; die reitenden Diener teilten sich, schwenkten nach beiden Seiten ein und standen wie eine Mauer. Stickelpickel aber und seine Frau und die schöne Dedi mitten zwischen ihnen sahen ein versperrtes hohes Tor vor sich und vernahmen wunderherrliche musik, die dahinter erscholl.
Wie das wohl enden wird, überlegte Stickelpickel, und weil sich die Tür nicht öffnete, wollte er sich schon die Pfeife anzünden; er meinte, kleine Leute würde man warten lassen. hörte er, wie einer der Reiter besorgt flüsterte:
Hest denn keen Slötel, Stickelkopp? Holl di nich op, Dat gelt dien Lewen, Schallst Bruut und Bregamm tosamen gewen: |
Da erschrak der Igel gewaltig, er drückte rasch die Pfeife aus, steckte sie in die Hosentasche, holte umständlich das goldene Schlüsselchen der Hollentochter hervor und — sieh da, es zog ihn von selbst zum Schloß! Weit sprangen die Tore auf; ein junger Bursch stand auf der Treppe, der war wohl der Oberste von allen. Gleich verbeugte er sich vor der schönen Dedi, brachte einen Werbespruch vor, küßte sie, die nur schämig nickte, und umarmte sie vor allen Leuten. Den armen Igel sah er kaum in seinem Glück. Der hatte ja genug mit Mutter Stickelpickel zu tun; sie schluchzte vor Freude und fragte, warum ihre Kinder nicht auch einmal so etwas erlebten. Dann führten die Diener Braut und Bräutigam und Gäste unter Musik und Hurrarufen zu einer langen Hochzeitstafel. Und der Hofpastor sagte feierlich, Dedi sei das rechte Weib, das der Himmel seinem Herrn geschickt habe. Wie lange sie gefeiert und geschmaust, was Stickelpickel und seine Frau noch zum Lohn bekommen haben und wieviel Trinksprüche die Gäste aufeinander ausbrachten, —ich weiß es nicht.
Der Igel hat nicht ganz soviel Freude am Fest gehabt wie die andern Leute; er war etwas schweigsam und mußte oft bedenken, was die Hollentochter Hinne wohl sagen würde, deren arme Schwester noch immer im Baum saß und vielleicht von fern alles mit anhören mußte. Als die Hochzeit zu Ende war und er seine Frau glücklich heimgebracht hatte, faßte Stickelpickel sich auch ein Herz — er mußte als ehrlicher Mann ja den Schlüssel zurückbringen —, ist zu der schönen Hinne gegangen und hat sich auf dem Weg mit Herzklopfen überlegt, wie er sich recht entschuldigen und alles als ein großes Glück darstellen könnte.
Als er der Frau dann aber begegnete und sah, daß sie ihm zwar freundlich winkte, aber eine Hand hinterm Rücken hielt, ist ihm aller Mut entfallen. Er hat ihr den Schlüssel vor die Füße geworfen und hat sich, hatz, umgedreht und das Weite gesucht. Die zornige Hollin ist drei Schritte hinterdrein gesprungen und hat ihn mit ihrem Haselstecken erwischen wollen. Der Igel aber hat in seiner Angst alle Borsten gesträubt, so daß die Gerte, von den Stacheln gespießt, auf ihm hängenblieb. Dann zog er — hast du was, kannst du was — aus dem Feld.
"Mach mir das Ding ab", befahl er, als er schnaufend zu seinem Weib heimkehrte.
"Mann, mit wem hast du dich geschlagen?"
"Ich hab der Hollentochter gezeigt, nach wessen Willen die Welt regiert wird", sagte Stickelpickel hochmütig. Und dann erzählte er, wie alles gekommen war.
Da hat die Frau getan, was er verlangte. Und sie war so stolz auf ihren Mann, sie hat sich vorgenommen, bis zum andern Tag nichts mehr besser zu wissen und alles zu befolgen, was ihr Herr verlangte.
Aber wie lange solche guten Vorsätze bei Frauen vorhalten, ist ja bekannt
Der Umgang der Tiere
Da war einmal ein Meister Besenbinder, der war so arm, daß er nicht einmal seine Hütte flicken konnte. Es kam deshalb ohne seinen Willen viel Spuk und Gesindel bei ihm zu Gast und versteckte sich, wenn der Wilde Jäger draußen vorüberritt und die Unholden vor sich her trieb.
Eines Abends, es war zur ersten Julnacht, als unser Besenbinder sich gerade schlafen gelegt hatte — hui! —, brauste der hohe Zug wieder einmal durch die Wolken heran, und schon kroch ein kleines Waldweibchen, so eine Hagische, in die Tür und verbarg sich im Kessel, der über dem Herd hing.
Hans Besenbinder stieg leise aus dem Bett, schlug den Deckel darüber und wartete, bis der Wilde Jäger vorüber war. Er wartete länger als nötig, er wollte wie jeder Wirt seinen Lohn für die Herberge haben.
Kam erst ein Pudel in die Tür. "Hans, hast du meine Frau nicht gesehen?
"Nein", antwortete der, "deine Frau hab ich nicht gesehen, scher dich von dannen!"
Kam ein riesenlanger dünner Hagemann in die Tür: "Hans, hast du mein Kind nicht gesehen?
"Kein Kind gesehen!
Kam eine kleine Maus in die Tür. "Hans, hat meine Mutter sich bei dir verborgen?
"Willst du hinaus", sagte der Mann, "oder soll ich den Feuerhaken holen?
"Da merkte die im Kochkessel, daß Hans Besenbinder nicht bange war und daß sie ohne Lösegeld nicht wieder von dannen könnte. Sie klopfte deshalb an und fragte, was der Meister denn nun zum Dank für das Versteck verlange.
"Nun", sagte der, und eigentlich fiel ihm im Augenblick nicht gleich etwas Rechtes ein, "ich möchte mir einmal den Ommegang ansehen." — Das ist in der Julzeit die Stunde, wo alle Tiere mit Lichtern von |
Morin nächsten Wort schon tanzten zehn kleine Flammen auf seinen Fingern, ohne ihm weh zu tun. Da half der Besenbinder voll Staunen der Hagischen aus dem Kochkessel heraus. Und sie wanderten zusammen in den Wald, und mit den Flammen auf der Hand ließ man den Fremden überall mitlaufen; kein Tier noch Wichtelmann hatte Scheu vor ihm, er konnte den herrlichsten Weg durch den beschneiten Hagen gehen. Da sah er Reh, Hirsch und Otter, er sah die kleinen Baumweibchen, die unter den Wurzeln herausschauen, er sah die Hollerfrauen und Erlköniginnen, die dicken Stubbenkerle und Moosknirpse vor ihren Türen, und ich weiß nicht, was alles.
Als er nun die sauberen Hütten erblickte, schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, daß er sich von der Hexe auch etwas hätte wünschen können, um sein Eigen zu flicken; es tat ihm leid, daß er nicht daran gedacht hatte. Aber er vergaß seine Reue bald. Die Nacht war wunderschön hell und klar geworden, alle Tiere sangen, aus den Maus- und Krötenlöchern leuchtete es hervor, und über den Wipfeln der Bäume drehten sich weiße windische Schwanfrauen in sternbestickten Kleidern.
Auf einmal, als sie so mitten im Wandern waren, sauste ein Feuerwisch quer durch den Wald. Das war der böse Bauernvogt, der zu seinem vergrabenen Schatz wollte. Er wußte ja nicht, daß ein Mensch unter dem Lichtervolk umging, und fuhr, ohne sich um die Leute zu kümmern, die halbe Reihe der Wandernden entlang und dann in das Blitzloch zwischen den drei Buchen. Dort hatte er sein Geld untergebracht.
Die Tiere murrten; sie mochten nicht, daß die Verwunschenen an solch feierlichen Tagen ihr Gold zählten, und auch der Besenbinder fand es arg. Er konnte indes ebensowenig wie die andern etwas dabei machen.
Nachdem sie den Wald nun mit Liedern und Lichtern abgeschritten hatten, gingen die Tiere nach Hause, um sich nach dem Fest auszuruhen. Als er
aber schon einschlafen wollte: Donnerwetter, dachte Hans Besenbinder, jetzt weiß ich doch, wo der Bauernvogt sein Geld vergraben hat!Er sprang also wieder zum Bett hinaus, holte sich einen Sparen und grub zwischen den drei Buchen. Es war ja inzwischen hell geworden, und am Tage stößt niemand auf solchen Schatz, da liegt er tief in der Erde. Der Mann arbeitete Stunde um Stunde vergeblich und noch bis in den Abend hinein; schon wurde es wieder dunkel und dunkler, schon stand er in einer Kule, die big über seinen Kopf reichte, aber er hatte immer noch nichts entdeckt.
Hans Besenbinder hätte jetzt aufpassen müssen. Die zweite Julnacht brach an, und die Tiere mögen nicht, daß andere mit ihrer Habgier die Andacht stören. Es raschelte und huschte bald rund um ihn, und in der Ferne begann ein Singen wie in der Nacht zuvor.
Aber zugleich geschah, was sonst noch zu dieser Zauberstunde gehörte; unter dem Besenbinder schüttelte und rüttelte auf einmal der Boden, die Erde warf sich auf, und plötzlich hob sich aus der Tiefe eine riesige Truhe bis dicht unter die Waldwurzeln; der Wann mußte einen gewaltigen Sprung machen, um nicht darunter zu geraten. Und dann tat sich die Truhe von selbst auf und war bis an den Rand mit alten Goldstücken gefüllt.
Hans Besenbinder wartete nicht lange; rasch stopfte er sich die Taschen voll und wollte sich schon nach einem Sack umschauen, um auch den voll Da sah er, wie von fern wiederum ein böser feuriger Bogen durch den Wald näher fuhr. Er bekam Furcht, ließ den Schatz Schatz sein und versteckte sich, um zu erfahren, was der schlimme Verwunschene beginnen würde.
Der saß gleich mitten auf seinem Geld, zählte und zählte blitzschnell. Auf einmal heulte er vor Wut- er merkte wohl, daß nicht alles stimmte —, klappte den Deckel der großen Truhe zu, nahm sie auf den Rücken und jagte schreiend von dannen.
Es war für den armen Besenbinder hohe Zeit heimzukehren, Er hatte in dieser Nacht kein Feuer auf den Fingern, er hatte nichts als schwere Taschen, und der Umgang der Tiere kam näher und näher. Unter allen
Bäumen schauten schon die Fräulein hervor und drohten; es schwirrte und flatterte von kleinen Mogeln, die nicht wagten, ihr Lichtlein anzustecken, solange noch einer von den Menschen unter ihnen war,Hans Besenbinder machte sich also eiliger auf den Weg, als er gekommen war; gerade noch zur rechten Zeit zog er die schützende Tür hinter sich zu.
Aber er hat doch so viel in den Taschen gehabt, daß er sich eine neue Hütte bauen konnte, und hat sogar noch einiges für die alten Tage übrigbehalten.
Zum "Ommegang" der Tiere traut er sich nicht mehr, und wenn die Zwölften nahen, schließt er Tür und Fenster zu; er meint, der Bauern vogt könnte ihm in die Schlafkammer fahren, oder aber die Tiere würden ihn fragen, wie er gewagt habe, in ihrer heiligen Stunde an den vergrabenen Schatz zu denken. Sie wissen nicht, daß jeder Mensch neben seiner guten Seele auch noch eine böse Freude am Gold im Herzen hat.
Osterfeuer
Mitten in der Stadt Hamburg liegt wie ein großer See der Unterlauf der Alster. Viele Vögel, die vorm allzu strengen Frost flüchten, besuchen ihn winters, Scharen von Möwen und Enten, wilden Gänsen und scheuen Schwänen. Die hausen dann an den grauen Eisrändern der Fährrinnen, und niemand vertreibt sie. Nicht einmal in den Hungerjahren tat man ihnen etwas an, obschon die kleinen Dampfer dicht genug bei ihnen vorüberführen.
Sie sind aber seit dem Winter zu Gast, als die Eisbrüder die Wasserkerle jagten. —
Die Vögel freuen sich heut über die offene Fläche, die sie bei uns finden, und auch die Grünen vom Grund brauchen sich nicht um Atem zu sorgen. In früheren Zeiten war das anders; da wurde die Alster in jedem Jahr eine weiße Ebene, auf der alles eben verdurstete, durch die
arme Unholde Risse brachen oder mit Müh und Not ein Loch an einer Baumwurzel oder an einer Melle offenkratzten.In einem Winter, in dem Hamburg besonders schwer unter der Kälte zu leiden hatte, sind nun —das wollte ich heute erzählen — einmal drei Eisbrüder vom Norden her auf der Alster niedergegangen. Sie waren auf der Suche nach neuen Knechten und machten es sich eines Nachts, unbekümmert um den Lärm in der Stadt, mit Fackel und Netzen bei der Lombardsbrücke bequem. Auf Wasserkerle hatten sie es abgesehen.
Die Gejagten hüteten sich aber, ihnen ohne Not ins Garn zu gehen. Zwei brachen schon in der ersten Nacht als Stiere beim Alsteedamm aus
Die Stadt litt sehr unter der Kälte, die jene Fremden brachten. Es ging schon auf den Frühling, viele Häfen des Reichs waren frei von Eis. Nirgendwo hauste der Winter so arg wie in dem versteinten Hamburg. Was half's, daß viele schöne bunte Vögel zu Gast blieben und daß die Ufer schwarz von Gaffern waren, die von weit herbeigepilgert waren, um der wilden Jagd zuzusehen. Nichts konnte die schlimmen Eisbrüder zum Aufbruch bewegen. Wer näher kam, wurde mit ein paar polternden Blöcken verscheucht; Tag und Nacht jagten die Fremden mit eisernen Garnen von der Kuhmühle bis zu den Schleusen hinauf und hinunter.
Die Stadt fror entsetzlich; alle Leitungen sprangen, die Leute schliefen in den Küchen und verbrannten Stühle und Schränke, um warmes Essen zu haben. Endlich machten einige beherzte Männer am Mühlenkamp einen Schlepper klar, heizten ihn, bis die Funken zum Schornstein hinausfuhren, schlugen ihn los und versuchten, eine offene Rinne durch die Alster zu legen. Vielleicht — dachten sie — würden die Riesen ihr Beginnen aufgeben, wenn die Wasserkerle auch ohne ihre Garnlöcher wieder freie Luft hätten?
Sie kamen aber nicht weit. Als der Schlepper brechend und stampfend in die Alster einbog, rasten zwei Eisbrüder wie auf Schlittschuhen heran, packten unterwegs alle Zacken und aufstehenden Schollen, die sie ergreifen konnten, und hatten im Augenblick das kleine Fahrzeug überschüttet und die Rinne zugehaucht. Sie hatten auch bald mit viel Gepolter hohe Eisberge rundum aufgetürmt, so daß alle Leute am Ufer meinten, von der Besatzung würde keiner lebendig davonkommen.
Die Männer auf dem Schlepper aber hatten rasch das Feuer heraus
gerissen, als sie die Eisigen sahen, und hatten sich in eine Koje verkrochen. Ganz mausestill lagen sie da und warteten, daß die Brüder sich wieder verzogen. Lange hörten sie die Unholde lärmen, endlich gegen Mitternacht wagte sich der Decksjunge als erster hervor. Die Eiskerle bliesen gerade die aufgerissene Rinne knüppeldick zu, er suchte sich ein zwischen den Blöcken rund um den Schlepper, und es gelang ihm, sich wie eine Ratte aus dem Bau zu winden und an Land zu sätzen.Die Neugierigen am Ufer hatten sich über Nacht verzogen, alle Straßen waren schwarz und leer. Der Junge wollte schon an eines der dunklen Häuser anklopfen, da hörte er einen Huf über die harten Steine näher traben. Noch meinte er, es sei einer der Eiskerle, und wollte auf und davon. Aber beim Laternenschein kam ein lediges Pferd; pechschwarz war es, das Licht gleißte ihm gespenstisch über die Flanken. Mit Zaumzeug und Sattel hielt es schnaubend vor dem Jungen an.
Der war recht verwundert über die Begegnung, dann merkte er, sie hatte ihre Bedeutung. Er versuchte, einen Fuß in den Steigbügel zu setzen, und hob sich vorsichtig in den Sattel, da trabte das Tier schon wie im Flug die Straße hinauf und die Straße hinunter.
Wohin er geritten ist, hat er später niemand erzählen können. Zuerst zogen noch ein paar späte Menschen vorbei, sagt er, dann wurde alles totenstill. Mor einem alten Haus, das bis zum Nabel in die Erde gesunken schien, warf das Tier den Jungen ab, ohne daß er zu Schaden kam; ein Klöppel schlug ans Tor, er ging scheu darauf zu.
Die Tür sprang auf, als hätte er angeklopft. Eine hohe Halle mit matten Öllampen tat sich vor dem Burschen auf, dann eine Pforte zur Seite. Endlich gelangte er in ein schön geschmücktes Gemach, in dem unter Büchern und Rüstungen ein alter Mann saß; er hatte den Kopf halb in die Schulter gezogen wie ein Schlafender. Der Junge pochte und räusperte sich höflich. Da öffnete der Greis die Augen und blickte lange und vergrämt um sich.
"Die Stadt friert?" fragte er gedehnt, als träume er alles nach, was draußen vor sich ging.
"Die Eisbrüder wollen nicht von der Alster", klagte der Zunge, er merkte jetzt erst, wie sehr die Kälte ihn schnitt, blies seine Finger an und trat von einem Fuß auf den andern.
Der Greis prüfte ihn mit schmalen Augen, ein Lächeln glitt ihm unter dem Bart entlang.
"Zündet die Osterfeuer an, davor graut ihnen!" Dann träumte er wieder in sich hinein; ein dumpfes Reiben und Klagen, fass unhörbar, erschütterte das Haus. Dem Jungen wurde unheimlich zumute, er wandte sich und schlug die Tür hinter sich zu.
In der Halle, durch die er gekommen war, hatte sich inzwischen ein breiter Brunnenrand aufgetan, Frauen standen schöpfend herum.
"Wer ist's, der da drinnen schläft?"fragte der Junge. Sie lachten, versuchten ihn zu greifen und wiesen in den Brunnen; aber der Gast riß sich los und lief fröstelnd vor die Tür. Das Pferd wartete noch, er setzte sich in den Sattel, hielt sich vorn und hinten fest und sauste wieder durch eine lange Reihe schwarzer Straßen, bis er endlich vorm Rathaus war.
Es ging zum Morgen; Lichter wie blasse Blätter wuchsen auf den Dächern, die Häuser öffneten sich, Fenster knarrten und klapperten.
Die Ratsherren der Stadt hatten in ihrer Sorge die ganze Nacht hindurch getagt, ohne daß sie bisher auf einen guten Gedanken gekommen wären. Als sie hörten, daß einer vom Schlepper vorm Tor stände, ließen sie ihn gleich vor, und als er in den Saal trat, horchten sie auf. Der Junge berichtete getreu, was er erlebt hatte, es gab ein großes Staunen und Merwundern. Zu dem Rat vom Osterfeuer schüttelten die Männer die Köpfe; weil sie aber doch alles versuchen wollten, ließen sie bis zum Frühgrauen auf beiden Seiten der Alster vier Haufen Teer und Holz aufschichten und allen Bläsern auf den Türmen auf eine bestimmte Stunde Bescheid geben.
Die Eisbrüder hatten während der Nacht noch einmal die ganze Alster nach den Wasserkerlen abgesucht. Gegen Morgen fanden die beiden an der alten Eilbek. Da berieten sie, und während einer bei dem übertürmten Schlepper hielt, mühten sich die andern, ihre Beute durch Schrecken und
Als die Eisbrüder das hörten, vermeinten sie wahrhaftig, sie hätten die Zeit übers Jagen vergessen; oer der Ostern halten ihre weißen Wämser und ihre feuerroten Bärte ja nicht stand. Sie brüllten sich entsetzt an, hoben mit einem Ruck Pflöcke und Netze ans dem Wasser, luden sie über die Schultern und fuhren wie Nebel iii den Morgen hoch,
Es ist wirklich Frühling geworden, hals nachdem die Eisbrüder die Alster verlassen hatten. In wenigen Tagen waren alle Ufer übergrünt, so rasch, als wollten sie einholen, was versäumt war. Kleine weisse Wolken flogen über den blauen Himmel, die Vögel kamen mit ihnen, und die Wasserkerle konnten sich wie früher in den Sommer sonnen; eine lange Weile sind sie den Hamburgern gute Nachbarn gewesen.
Die Stadt hat auch anerkannt, daß sie dem Jungen Dank schuldete. Er hat den Schlepper, den die Eisbrüder zertrümmern wollten, vom Rat zum
Geschenk bekommen und hat sein "eben lang emsig damit die großen Kohlenzüge von der Elbe zur Eilbek und Osterbeek, zur Goldbek und Isebek gefahren. — Die Eisbrüder aber hat der Betrug mit den Frühlingsfeuern so sehr verdrossen, sie sind nicht wiedergekehrt; nur die Wintervögel, die sie begleitet hatten, haben sich den Platz gemerkt, sie kommen heute noch zu jedem Frost fleißig als Gäste zu uns herüber.
Die letzte Garbe
Da war einmal ein junger Bauer Hans in unserem Dorf, der ließ, sosehr ihn die anderen neckten, jedes Jahr die letzte Garbe stehen, damit die guten Gewalten ihre Tiere äsen lassen oder auch, damit die kleinen Wichte Brot backen könnten nach Herzenslust.
Viele Jahre hielt er es so. Aber ihm selbst half es wenig; er blieb arm wie zuvor, kein Mädchen wollte in seine braune Kate einziehen. Ja, die Tochter des Fischers am See, die ihm wohl gewogen war und alles mit ihm hätte teilen mögen, durfte ihn nicht einmal ansehen, geschweige denn mit ihm tanzen. Der Fischer war neben dem armen Hans ein großer Herr, und seine sieben schönen Töchter, um die junge Bauern warben, wollte er nur auf sieben Höfen wissen.
Eines Tages nun, als der erste Herbstwind über die Hügel fuhr und eine hübsche Kornmuhme sich die letzte Garbe des Einsamen als Kammer gewählt hatte, kam über das Feld ein sonderbar humpelnder Mann gegangen. Frock war sein Mme; er sah von weitem aus wie einer der Knechte des Verlockers, hatte die Mütze tief in die Stirn gezogen, den Kragen hochgeschlagen und hinkte unter seinem schweren Rucksack, wie Bellhorn und Dullhorn und Kattenhorn und ihre Art es wohl einmal tun. Dieser Frock war aber ein rechtlicher Gesell; er hatte unter dem großen Sommerkönig Fro gedient und war dann doch weiter gewandert, weil es ihn langweilte, alles so leicht zu haben. Jetzt wollte er in der Nähe
der Garbe warten und hoffte, daß vielleicht des Wilden Jägers Pferd vorüberkäme, so daß er neues Handgeld nehmen könnte.Als Frock nun die Ähren besah, merkte er, daß da schon ein kleiner Gast einwohnte, und weil er ein Zauberspieler und ein Schelm war, blies er Kornmutter und Garbe in eins zusammen und bewirkte so, daß der Geist leibhaftig wurde und leibhaftig bleiben mußte.
Frock hat sich aber, während er sein Kunststück vollbrachte, selbst in die hübsche Braut aus den Ähren vergafft. Er hat darüber alle guten Vorsätze, den neuen Dienst beim Wohljäger und sogar die Zeit unter Herrn Fco vergessen und hat nur noch daran gedacht, wie er für immer mit dieser schönen Kornfrau zusammenleben könnte.
Das war nun keine leichte Sache. Die beiden mußten nämlich, wollten sie das rechte Glück finden, vorerst einmal unter die Menschen gehen; und ihresgleichen weilen in einer anderen Schicht, die nur wie ein Gleichnis der unserigen ist. Ja, wenn es ihm auf echte beständige Liebe ankam, mußte Frock sich ein verliebtes Paar unter den Irdischen suchen, dem er nachleben konnte. Aber alle guten Leute im Dorf hatten, auch wenn sie es nicht wußten, längst ein verliebtes Paar von den "Anderen" um sich; der Fremde es traurig und forschte vergeblich von Hof zu Hof.
Als er nun so gar nichts Rechtes gefunden hatte, kam er schließlich zu dem armen Bauern zurück, auf dessen Feld er der Kornmutter begegnet war, und hielt um Arbeit an. Er blieb auch zum Abend zu Gast, obschon der Mann sagte, er habe kein Geld, um jemand zum Dienst zu dingen.
Ob er denn alles mit seiner Frau zusammen bestelle? Ach, seufzte der Bauer, eine Frau habe er noch nicht. Während er mit Frock sein Abendbrot teilte, sprachen sie weiter von diesem und dem, und der Knecht erfuhr, wie es um den armen Hans stand, und hörte, daß der Fischer am See zwar sieben Töchter habe, daß er aber auch die siebente, obschon sie den Burschen gern genommen hätte, nur an große Herren geben wollte.
Frock witterte, daß er hier eine gute Gelegenheit hatte, er käme wohl sonst nimmermehr und nirgendwo zu Unterschlupf und Hochzeit. Er ging also zu seinem Bräutlein, erzählte ihm von allem, und die beiden machten
sich einen Plan. Mit sinkender Sonne suchte der Mann wie von ungefähr die Fischerhütte, hielt sich eine Meile in der Nähe und sah dem Mädchen zu, von dem der Freund gesprochen hatte. Und weil es ihm gefiel, ließ er es einschlummern, stahl die Schlafende und trug sie dem Bauern ins Haus. Als der spätabends von der Arbeit kam und seine Liebste auf der Ofenbank fand, war er so glücklich erschrocken, er wagte nicht, sie zu wecken, und blieb, die Mütze in der Hand, voller Andacht vor ihr stehen.Frock und Braut, die ihm heimlich zuschauten und vielleicht gehofft hatten, schon die Hochzeit ansagen zu hören, staunten über die Frömmigkeit des armen Jungen vor der Fischertochter. Sie sahen ihm eine Meile und überlegten, was sie wohl tun müssten, um die lange Andacht abzukürzen. Frock wollte das .Mädchen wecken, die Kornfrau aber hielt ihn zurück, sie meinte, die Dirn könnte vor Schani entspringen.
Weil sie aber auch ungeduldig war und ein Ende machen wollte, faßte sie einen anderen Plan. Sie musterte die Schlummernde, nahm ihre Tracht und Gestalt an, ging zum See hinab und zeigte sich, als sei sie die Tochter, dem geizigen Fischer. Der schalt ja sil) an, als sie kam, und fragte, wo sie so lange gesteckt habe.
"Beim Mauern Hans", sagte die )jrn. Da blieb der Vater offenen Mundes stehen, er hatte ihr doch bei Himmel und ,Solle verboten, dem armen Schlucker zu begegnen.
Sie solle zu Bett gehen, er wolle darüber nachdenken, wie er sie zu strafen Häne, drohte der Alte.
Da könne er lange nachdenken, antwortete die sonderbare Tochter, und wenn er sie wieder einmal vermisse, solle er sie nur auf dein Steinfeld oben auf dem Berg suchen, just da, wo ihres Liebsten Kate stünde.
Nun, der Fischer wollte gerade mit Reusenstangen aufs Wasser gehen und Aalnetze auslegen; als er solche Antwort erhielt, lief er, zwei Prügel in beiden Händen, einf die Tochter zu. Aber die leichte nur, huschte leichtfüßig vor ihm her und war doppelt so rasch als der Vater, Menu imitier er nach ihr schlagen zu können meinte, hieb er ins Leere und geriet darüber
Je näher er dabei dem Acker des armen Bauern kam, um so verhetzter wurde ihm zumute. Vögel saßen in allen Bäumen; sie warteten neugierig, was aus Herrn Fros Knecht und der schönen Kornmutter würde, sie wollten sich vielleicht selbst danach richten. Der Dachs und sein Weib liefen dem Zornigen schier über die Füße, so verliebt waren sie zur Unzeit, und die Hirsche röhrten ihren Ruf von den Feldern, daß ihr Altem dampfte. Vielhundert kleine Wesen jagten hin und her, und überall lachte es und lachte über den tobenden Mann.
Der Fischer kam sich zuletzt selbst dumm und töricht vor. Denn als er zur ersten Höhe gelangte, über die man zu des armen Bauern Steinkamp aufstieg, war aller Acker reich bestellt; ihm schien, er dürfe gar nicht viel einwenden gegen solchen Tochtermann. Und als die Kornfrau ihn oben auf den Hügel gelockt hatte, wo vordem doch nur eine arme Hütte und viele Felsen gelegen hatten, sah er einen großen Hof und fruchtbare Felder weithin. Das kam aber davon, daß die schöne Muhme ihm eingab, in zukünftige Zeit zu blicken; sie wollte ja nicht, daß er seiner Tochter Böses antäte, fände er sie bei Hans auf der Ofenbank.
Als der Fischer dann halb zornig ans Haus klopfte, sah er sich in einer großen Halle und wurde zu Tisch geladen. Und weil viele vornehme Gäste warteten, wagte er nicht mehr zu schelten, war vielmehr einverstanden, als er den Bauern Hans und sein Kind beieinander traf — beinahe stolz war er auf den Hof, es schien ihm der beste von allen, in die seine Töchter eingeheiratet hatten.
Was soll ich noch erzählen? Anderntags, als der Mann wieder nüchtern war, konnte er nicht Aufgebot, nicht Hochzeit absagen, er hatte Schon zu viel versprochen. Ihn dünkte es auch nicht mehr so arg mit dem Schwiegersohn. Und er hat recht behalten; denn Frock und die Kornfrau, die nach des Bauern Hochzeit unterm Hügel einzogen, haben dafür gesorgt, daß alles so wurde, wie es der Fischer bei seiner Verfolgung gesehen hatte.
Auch sie fanden ja erst das Glück, je fröhlicher die Leute auf dem .Hof und über der Erde aufwuchsen.Die Garbe läßt der Bauer immer noch im Herbst auf dem Feld. Und wenn er nicht genau weiß, wie sich alles zugetragen hat, meint er doch, es sei gut, daran festzuhalten. Glück hätt's ihm gebracht!
Die Gefangene im Kirchturm
Ihr könnt euch denken, daß Frau Holles Töchter viet Zwirn und Tuch brauchen. Je hübscher die Mädchen, desto eitler, sagt eine alte Wahrheit; sie gilt auch für manche der unirdischen Schönen. Wenn daher die wilden Schwestern übers Land brausen, kann man im Gefolge oft ein paar Schneidergesellen sehen, die mit Nadeln und Faden und mit wehenden Flattermänteln hinterdreinfahren, was der Wind hält. Einige wollen wissen, daß sie auf Ziegenböcken reiten und daß der Mme Meck für ihresgleichen daher rührt. Andere aber meinen, sie hätten von den schönen Frauen fliegende Mäntel bekommen, die sie hoch durch die Luft trügen.
Einmal waren da nun auch zwei Schneidergesellen bei Frau Holle im Dienst, von denen galt der eine als alter Flicker, der immer vergrämt und verärgert war, weil die himmlischen Fräulein ihm viel Schabernack antaten; der andere aber war ein junger, der nichts wollte, als viel Geld verdienen. Er hatte nämlich eine blutarme Dirn im Braunschweigischen lieb und wollte sich rasch sein Heiratsgut erwerben. Aber so hübsch seine Braut gewesen sein muß, so voller Eifersucht war sie auch, und das macht schwach gegen arge Gedanken und gibt die Menschen in die Gewalt des Bösen.
So hörte also einmal eine alte Zauberin von der lieblichen Magda — so hieß des Schneiders Vertraute. Und weil das schlimme Weib gerade für seinen Sohn, einen stockdummen Fliegenkerl, eine schöne Frau suchte, beschloß es, sich Macht über das Mädchen zu verschaffen und es fortzuführen. Als die junge Dirn eines Abends wieder eifersüchtig scheltend
vor ihre Tür trat, kam ein greulicher Wirbelwind die Strafe herauf, packte sie und trug sie durch die Luft von dannen. Nach einer alten verlassenen Kirche schleppte er das Mädchen und sperrte es in den Turm. )er war so hoch, daß man das Dorf unten kaum noch unterscheiden konnte; keine Treppe führte hinnieder, und kein Ruf drang von oben zu den Menschen hinab. —-Da mußte das arme Ding nun in einer kleinen kalten Kammer hausen, und niemand half ihm beim Weinen. Nur die Zauberin erschien zuweilen und brachte Brot und Speise, oder, wenn sie etwas geraubt hatte, wohl auch Silbergeschirr oder feines Linnen für die Aussteuer.
"Zu Ostern soll Hochzeit sein", sagte sie dabei und redete vom Bräutigam der nun bald kommen würde. Aber die schöne Magda weinte nur immerfort, sie dachte an ihren wirklichen Liebsten und wußte nicht ein noch aus, so traurig und verlassen fühlte sie sich. Hätte nicht zuletzt die Glocken frau, die viele Stockwerke tiefer im Gestühl hauste, einen Weg zu ihr gefunden, sie wäre wohl gestorben vor Einsamkeit und Kummer.
Aber die schöne Glockenfrau wußte nicht viel vom Hollenzug und noch weniger vom Braunschweiger Schneidergesell, um den das Mädchen härmte. Auch hatte sie Furcht vor der Hexe und konnte nicht rasch genug niederfahren, wenn die böse Alte sich anmeldete.
So kam der Tag der Hochzeit näher und näher, die arme Gefangene wurde immer trauriger, und niemand hat ihr helfen können, weil sie vor der Welt als verschollen galt.
In der Nacht zum Osterfest aber ist es geschehen, daß ein gewaltiger Frühlingssturm über das Land fuhr. )er hat den Turm so schlimm um braust, daß alles Sparrenwerk seufzte und das Mädchen zur Mitternacht aufwachte.
Um die gleiche Stunde haben nun — das sollte wohl sein — die Holle und viele Schwanfrauen gerade rund um den alten Kirchturm haltgemacht; es hat wie ein Königslager ausgesehen, soviel hohe Herren, soviel reitende Spielleute und, mehr noch, so viele flinke Jägerinnen und schöne Frauen liefen da durcheinander. —
Zwei Schneider dienten ihnen; ein junger, der vor Arbeit nicht ein noch aus wußte, und ein alter, der auch von einem zum andern Ende des Lagers hüpfte und sein Garn anbot. Er hat dabei so drollig ausgesehen, daß die Fräulein, denen der Frühling im Blut stecken mochte, ihn neckten und hänselten und mit der Arbeit hinhielten. Sie haben es schließlich so arg getrieben, das den Greisbart der Arger gepackt und er sich mit seiner Nadel gewehrt hat. Dabei hat der arme Schelm einer der Frauen, Wälde war ihr Name, in die Fingerspitzen gestochen.
Gleich hat die ein großes Geschrei erhoben; der Alte aber, der merkte, was er angerichtet hatte, bekam eine entsetzliche Furcht und lief blind auf den Kirchturm zu, um sich drin zu verstecken.
Im Augenblick nun, wo er das Mauerwerk mit beiden Hansen erreichte, hob sich vor ihm eine Luke auf. Die schöne Magda wollte eben ausschauen, was die Winde trieben. Da ist ein Fremder leibhaft an ihr vorbei ins Dunkel gesprungen, sie hat sich fürchterlich erschrocken und vermeint, der arge Osterbräutigam sei gekommen.
Aber auch dem alten Schneider ist es nicht besser ergangen. Weil die Luke gleich wieder zuschlug, hat er sie für eine Falle des Bösen ansehen müssen. Jeder der beiden hat sich also vorgenommen, lieber sein Leben zu lassen, als dem andern nachzugeben, und als die zwei nur eben um sich tasteten und den Feind spürten, sind sie in Todesängsten aufeinander losgefahren. Aber die Jungfer, die behender war, ist dem alten Schneider übergekommen und hat ihm beim Fechten Mantel und Hut abgerissen.
In Hut und Mantel stak ja die Kraft zu fliegen. Als die Dirn noch voll Zorn und Furcht lauerte, daß der Böse zum andernmal gegen sie führe, hat sie gemerkt, daß ihr Kopf, sobald sie die Arme nur ein wenig reckte; schon an das Turmdach rührte. Das war so sonderbar, sie versuchte es wieder und wieder und begriff dabei, welche Macht sie gewonnen hatte.
Da hat die Jungfer sich des Schneiders Sachen fest über den Schopf gezogen, hat sich leise bis zur Dachluke gehoben und nach draußen geschwungen.
Und sie ist wie ein Fisch im Wasser kopfüber, kopfunter durch die Luft gesprungen; herrlich war es, nach der langen Zeit im Turm die Glieder zu recken und zu schweben,
Auf einmal aber ist Magda unter vielen unbekannten Leuten gewesen, und weil sie vor dem kalten Wind den Kragen SESS angezogen und den Hut tief in die Stirn gedrückt hatte, ist es keinem Wächter eingefallen, sie anzuhalten; jeder hat gemeint, es sei der alte Schneidergeselle, der sich da umtat. Und ehe die Dirn recht verstand, was um sie im Gange war, ist Frau Holle auf sie zugekommen und mit ihr eine hübsche Tochter, die hat über ihren blutenden Finger geklagt und das Mädchen im Mantel bezichtigt, sie gestochen zu haben. Da war aber auch ein junger Schneidergesell, der sich einmengte, er hat die schöne Walde besänftigen wollen und gemeint, sein Freund hätte sie doch gewiß nicht mit Willen verletzt.
Frau Holle hat während des Streites von einem zum andern geschaut und heimlich gelacht. Warum er, Bursch, einen alten Schneider in Schutz nähme, hat sie gefragt, er solle sich lieber um seinen Schatz in Braunschweig kümmern.
Ach, hat der Junge geseufzt und hat die Mütze gezogen: wo sie gerade von seiner Braut spreche, wolle er eine Bitte vorbringen, die ihm schon lange auf der Seele läge. Er möchte nämlich gar zu gern auf Urlaub gehen, seine Vertraute sei aus der Stadt verschwunden, und niemand wisse, wo sie sei.
Die Frau Zauberin hat das Mädchen spitzbübisch angesehen, so daß dem sich das Herz im Kreise drehte vor Merwundern und Freude. "Da
nimm dir doch eine andere Liebste", riet eine Hollin dem Schneidergesellen. Wer weiß, wo deine Braut geblieben ist.Die schöne Magda hat die Lippen zusammengebissen, so hat es ihr herausfahren wollen. — Aber sie horchte noch lieber auf die Antwort.
"Ach", sagte der Bursch, er könne die seine nicht vergessen, und wenn es auch zehnmal so hübsche Frauen gäbe.
Da hat die Dirn aufgedampft, obwohl sie vor der mächtigen Holle stand. Ob er vielleicht schon eine Feinere gefunden hätte?
Sie hat sich aber gleich über ihre verräterische Stimme erschrocken; Frau Holle hat nämlich silbern zu lachen begonnen, noch ehe die andern Leute von ihrem Erstaunen zu sich gekommen waren. Und sie hat zum Ritt blasen lassen, der Zug ist aufgefahren wie ein Wirbelwind, und die schöne Braunschweigerin hat mitspringen müssen, ob sie wollte oder nicht. Es hat sie aber ein Schneidergeselle ganz fest am Arm gepackt, vielleicht, damit sie sich kein Leid täte bei dem ungewohnten Flug, vielleicht aber auch, damit sie nicht wieder auf und davon ginge. Und sie hat in ihrer Angst wirklich stillgehalten bis zum nächsten Turm und hat sich nicht mehr gewehrt, als der Schneidergeselle mit lauter Stimme Hochzeit angesagt und die gute Frau Holle höflichst um einen Rast- und Feiertag gebeten hat.
Was später aus den beiden geworden ist, habe ich nicht mehr gehört. Sie werden wohl bei den fröhlichen Frauen geblieben sein; nach Braunschweig sind sie noch nicht heimgekehrt.
Desto besser weiß ich über den Flickschneider Bescheid.
Die böse Zauberin hat sich nämlich gewaltig erstaunt, als sie zu Ostern zum Turm kam und den Alten statt der hübschen Magda als Gefangenen fand. Sie hat aber gemeint, daß die Braut sich in ihrem Trotz verwandelt hätte, und hat ein Mittel nach dem anderen versucht, um aus einem greisen Handwerker wieder eine schöne Jungfrau zu machen. Als alles nichts nützte und der Schneidergeselle Schneidergeselle blieb, hat die Zauberin schließlich eingesehen, daß die wirkliche Magda entkommen war. Und einige sagen, daß sie selbst den Graubart auf seine alten Tage genommen habe, andere aber, sie habe den Mann so lange gefangengehalten, bis er ihr alle
Kleider neu genäht hatte. Und die Schneider hätten es sich seitdem angewöhnt, mit untergeschlagenen Beinen zu sitzen, weil die Turmkammer so klein gewesen wäre.
Der reimende Bauer
Es war einmal ein armer Bauer, der fand kein Weib unter den Menschen Er machte sich zuviel Gedanken über allerhand schöne holde und unholde Wesen, die er mitunter auf der Heide sah, und hatte wohl auch zuviel Verlangen nach den Liedern, die er sie oft in der Ferne singen hörte. An langen Abenden dichtete er mancherlei, das sich zu jenen Weisen reimte.
Nun kam in der Sonntagsfrühe oft eine Hagefrau von den Wäldern und Ödlanden herüber, zwischen denen das Dorf des Bauern lag. Die hatte die Kinder der Menschen gern und lockte sie, während die Eltern in der Kirche waren, zusammen, kämmte sie, wusch sie und spielte mit ihnen. Und der Mann geriet ins Gespräch mit der Fremden und gewann sie lieb.
Die Frau wurde indes traurig, als er es ihr sagte, und riet ihm, sie nicht wieder aufzusuchen. Ach, unter den Menschen könne sie nicht bleiben, da müsse sie bald sterben, und zu ihrem Hof gehe ein schlimmer Weg, Mel böses Volk träte denen entgegen, die ihr zu folgen wagten, und wer nicht gleich auf die Sprüche der Begegnenden Bescheid zu geben wüßte, der verlöre sein Leben.
Er werde es wagen, sagte der arme Liebende.
Aber die Frau wollte es nicht dulden. Zuallerletzt, klagte sie, keime der Verlocker selbst, um eine Frage zu tun, und fehle da nur ein Kleines an der Antwort, würde des Mannes Leib zu Stein. So sei es in diesen tausend Jahren schon vielen ergangen.
Der Bauer ließ sich einmal und noch ein zweites und drittes Wal abschrecken. Schließlich aber gewann er die Frau so gern, er verschwur sich, daß er folgen wolle. Er wisse so viele Sprüche und Weisen, tröstete er
sie, das er auch vor dem Teufel keine Furcht habe. Da lieg die Hagefrau die Kindchen, mit denen sie gespielt hatte, der Mann verkaufte, was er hatte, packte seine Habseligkeiten, und die beiden begannen einen weiten Weg über die Heide. Und sie schritten ihn auch da, wo ein alter Mail das Land der Irdischen von dem der Unirdischen trennt und der Bauer mit zwei Sprüngen ins andere Feld hinübersetzen mußte.
Als sie schon viele Stunden gegangen waren, trafen sie auf einige riesige Wächter, die im Sand mit goldenen Kugeln spielten. Die traten drohend auf den Bauer zu und fragten ihn nach der Losung. Und einer sagte laut: "Wiede Weg un wiede Heid!"
"Hew keen Bang, wa mien Leewste geit! antwortete der Mann.
Da mußten die drei sich zufrieden geben, die zwei Liebenden konnten weiterwandern und kamen an cian großen Fluß, über den ein kleines Boot ohne Fährmann her und hinüber fuhr. Sie stiegen ein und waren schon fast in der Mitte des Stromes, als plötzlich ein riesiger Wasserkerl auftauchte. Der sah den Mann und fragte zornig: "Boot is lütt, un See is groot!
"Leew is grötter, Leeuw gifft Moot", bekam er zur Antwort.
Da mußte der aus der Tiefe sie weiterfahren lassen, und die Hagefrau gewann Glauben und wunderte sich über ihren Mann, der so gute Sprüche wußte.
Kam auch bald ein hoher Hügel, durch den ein dunkler Gang führte. In seiner Mitte stand ein Unterirdischer, der flüsterte dem Reimer zu: "Root uns' Gold, un deep de Eer.
Aber der Bauer schüttelte den Kopf: "Hew mien Leew un will ni meer.
Das Hageweib freute sich sehr und sprach dem Mann Mut zu, solange die Dunkelheit währte. Aber als sie jenseits des Berges heraustraten, lag drüben der Hof, auf dem die Frau wohnte, und vor ihm im Tor wartete ein anderer auf ihren Vertrauten. Und je näher sie kam, desto deutlicher sah sie, daß der riesige Verlocker selbst den Mann ansprechen wollte, und sie bangte um ihn. Aber der Bauer schritt mutig fürbaß und bak nur einmal Gott, ihm ein gutes Wort einzugeben.
Da trat der Locker zur Seite, er blickte die Frau an und sagte beschwörend:
Geit de Mann an mi vörbi, Is he Steen un dood vor di. |
Der Bauer hörte es, er sah vier große Felsen — an jeder Seite des Weges zwei —, die glichen verwunschenen Menschen, und ihre Gesichter waren traurig wie der Tod. Aber er nahm allen Mut zusammen und antwortete dem Bösen:
"Leew is sööt, du kennst eer ni, Steen is koolt, ik ga oörbi, ik ok mien Huus opbu, Gott is meer as Dood un du! |
Da mußte der Locker ihn mit einem Fluch vorüberlassen, und das Antlitz der Frau wurde fröhlich wie das eines Kindes; sie nahm den Bauer an der Hand und führte ihn als ihren liebsten Mann unterm Tor hindurch.
Das Mädchen bei der Wasserfrau
Da war einmal ein armes Mädchen, das war hungrig, hatte kein Unterkommen für den Winter und fand auch keinen Dienst, der ihm ein Dach böte. Als es nun die Landstraße auf und ab wanderte und sich zu einigen Äpfeln bückte, die über den Zaun gefallen waren, sah es einen darunter, der war viel schöner und rotbackiger als alle anderen. Und als die Dirn ihn nur anrührte, lief der Apfel vor ihr her, einen langen weiten Weg bis an das wilde Meer. Dort öffnete sich das Wasser vor der rollenden Frucht, und das Mädchen, das jung und ohne Angst war, schlüpfte mit ihr über eine goldene Brücke, immer tiefer und tiefer, bis es zum gläsernen Haus der alten Wogenfrau kam. Die wohnte mit ihren Töchtern unter der See.
Weil die Einsame aber an Land bei den Menschen keinen Dienst gefunden hatte, verbarg sie den Apfel unter der Schürze, ging in die Küche und fragte, ob man Arbeit für sie hätte.
"Gern, solange du fleißig bist", antworteten ihr die Leute, und sie nahm das Unterkommen an; es schien ihr immer noch besser, als auf der Erde ohne Heim durch die Straßen zu irren.
Das Mädchen lernte auch bald, sich in der neuen Umwelt einzurichten. Es sah die Töchter der Wogenfrau, sehr schöne und hochmütige Fräulein, die von ihrer Sutter gehätschelt und gepflegt wurden. Und es sah oft einen armen Gast, einen ertrunkenen Prinzen, den hatte die alte Königin in ihr Haus gezogen, um ihn einer ihrer Töchter zu geben. Und sicherlich hätte er längst unter den drei Hoffärtigen wählen müssen, wären sie untereinander einig gewesen, wen von ihnen der Fremde heiraten sollte. Aber bis Ostern, sagte die Mutter, sollten sie sich entschließen; sonst müßten sie losen, oder der Prinz werde doch noch von den Fischen gefressen.
Dem Mädchen gefiel das Schloß, das die Wogenkönigin besaß; es war groß und durchsichtig, sieben Türen führten in einen herrlichen Garten. Aber wenn die Fräulein draußen in den Wassern spielen gingen, mußte
der arme Prinz daheim bleiben; er konnte nur als Fisch durch die Tiefe schwimmen. Es war nämlich an dem, daß er immer noch zuviel Sehnsucht zur Welt der Menschen hatte, aus der er stammte, und wenn die alte Frau ihm zu jenen kleinen Wunden am Hals riet, wie die Wasserleute sie tragen, dann wehrte er sich und bai sie, damit zu warten.Nun machte sich die Magd, die von unserem and nach unten gekommen fleißig zu schaffen und erwies sich als so anstellig und flink, daß man ihr auftrug, die Tafel der Wassertöchter und ihrer Gäste zu bedienen. Sie hielt dabei die Augen gut offen und ließ den Prinzen merken, daß sie eine von oben sei. Aber er hatte sich wohl drein ergeben, daß er bleiben mußte bis zu der Zeit, wo er auch auf Erden gestorben wäre, — so lange hatten die in der See ja Wacht über ihn. Nur mitunter, wenn sie miteinander allein waren, lächelte er das Mädchen an. Da wurde dem das Herz warm, und es nickte ihm zu, nicht nur aus Erbarmen. Ja, wenn sie abends ihr Lager aufsuchte, mußte sie oft an den Gefangenen denken und überlegte, ob sie ihm nicht dazu verhelfen könnte, wieder zu den Menschen zu kommen. Aber ihr fiel keine und gar keine Hilfe ein, sie wußte nicht einmal den Namen des Armen, wie sollte sie da Nacht über seine Peiniger gewinnen!
Eines Tages geschah es indes, daß die junge Dirn den Prinzen schlafend in einem Stuhl antraf. Da sah sie, wie eine kleine Feder von seinem Munde aufsog, die schwebte suchend durch das Schloß und glitt durch alle Türen. Das Mädchen nahm rasch den Apfel, der es nach unten geführt hatte, fand den gläsernen Weg ans Ufer wieder und gewahrte eine alte Frau am Strand, die sprach leise mit der Feder. Und die Feder — es war die Seele des Gefangenen — flog auf und ab und mußte schließlich durch den gleichen Gang ins Schloß zurück. Die Magd aber fing sie mit der Hand und verbarg sie, und der Prinz war an jenem Tag nur mit Mühe zu wecken, er sah krank und schwach aug; noch blasser als vorher waren sein Gesicht und seine Hände.
Ein andermal, als das Mädchen zum Dienst kam, stritten sich die drei Töchter mit der Wogenfrau, wie es oft geschah; jede von ihnen wollte ja den Gefangenen zum Gemahl. Die Mutter mahnte wieder, den Zank zu
beenden und zu losen, schnitt drei Zettel und schrieb auf den einen heimlich den Namen des armen Ertrunkenen — den durfte sonst niemand im Schloß unterm See erfahren. Aber die Töchter traten auf die Zettel und lärmten weiter.Nun war, das erzählte ich, die Magd gerade über den Streit in die Stube gekommen, sie hörte den Zwist der Prinzessinnen, tat, als räumte sie auf, und hob das Los mit dem Namen des Gefangenen zwischen den Zehen auf, die bösen Frauen merkten es gar nicht. Als es Abend wurde, nahm sie ihren Apfel, ließ ihn vor sich herrollen, ging an den Strand und versuchte die kleine fliegende Seele beim Namen zu rufen, um den Prinzen zu sich zu locken. Aber obschon sie die Feder aufblies und ihr das Wort leise vorsprach, folgte ihr niemand.
Das Mädchen kehrte also wieder ins Schloß unter der See zurück, grämte sich viele Tage hindurch und fand nicht, wie sie weiter helfen sollte.
Eines Tages nun war der Gefangene, als Fisch verkleidet, ins Meer hinausgeschwommen, so wie er die Wogenfrau und ihre Töchter mitunter begleiten mußte. Aber er war so still und unfolgsam: als er mit ihnen heimkehrte, schlugen die Prinzessinnen aufgebracht die Eingangstür hinter sich zu und verletzten dabei den Fisch, der gerade wieder Mensch zu werden begann. Einige große silberne Schuppen blieben am Türschloß hängen. Die Mutter schalt arg, sie wollte gleich sehen, wo das Schloß den Prinzen gestreift hatte; aber das fremde Mädchen hatte, noch flinker als sie, rasch eine Schuppe aufgehoben und zwischen Nagel und Finger verborgen.
Als es Nacht wurde und die meisten Leute schliefen, tat die Dirn, als habe sie noch etwas anzurichten vergessen, warf ihren Apfel und schlüpfte mit Schuppe, Feder und Namen eilig den kleinen Gang entlang, den sie schon kannte. Bis zum Strand öffnete sich das Waser vor ihr; dort versteckte sie sich die Nacht über in den Weiden und wartete sehnsüchtig auf die erste Helle. Und als gerade die Sonne aufstand, blies sie die Feder hoch, rieb die kleine silberne Schuppe und ließ das Licht der Frühe darauf blinken. Und sie rief leise den Namen des Verwunschenen und einen Spruch, der dazu dient, um Fische hochzulocken.
"Kumm ut de Deepde, Fisch, wees mien, Koolt is dat Vater, warm geit de Wind, Warm ag de Sunn schallst du sien!" |
Da konnte der in der Tiefe nicht anders, er mußte als Fisch bis an den Strand kommen und fragte, was sie von ihm wolle. Flink griff sie mit
beiden Händen zu, warf ihm Feder, Namen und Schuppe an und hob ihn aus dem Wasser. Da wurde er leiblich der, welcher er vorher gewesen war. Und das Mädchen nahm ihn an der Hand und lief, so rasch es ging, in die hohen Dünen, wo die aus der Tiefe den Irdischen nichts mehr anhaben können.Weit waren sie noch nicht, da hörten sie auch schon das schlimme Geschrei der Nixen und vieler Wassermänner stromauf und stromab.
Aber keiner von ihnen vermag über Tag den Menschen an Land zu folgen. Und es hat sich ein herrlicher warmer Morgen über den beiden geöffnet, der Prinz ist gewachsen und gewachsen und wieder jung und frisch geworden, wie er vordem gewesen war. Und sie sind weit ins Land bis zu der alten Frau Königin gelaufen — das war sie, die nachts am Ufer auf ihr Kind gewartet hatte —, und was dann geschehen ist, könnt ihr euch denken, sonst will ich es euch ein andermal erzählen.
Vom unhöflichen Schuster
Es war einst ein Schustergeselle, ein geschickter Bursch, der die schönsten Schuhe zu nähen und zu klopfen wußte. Aber was half das alles? Da war nicht genug Arbeit in seiner Stadt, und als er heiraten wollte, konnte und konnte er sich nicht einmal einen Hochzeitsschmaus ersparen. Er ging deshalb trübsinnig vorm Tor spazieren, hatte wenig Leder und wenig Nägel und wußte nicht, was er mit seiner Zeit anfangen sollte. "Wenn ihr einmal Schuhe zu beschlagen habt", sagte er schließlich zu den raschelnden kleinen Unwesen im Graben unter den Farren, "wenn ihr einmal etwas zu besohlen habt, bringt es mir getrost, ich habe doch nichts zu tun.
Nun weiß ich nicht, ob es gleich so ernst gemeint war. Das Völkchen aber hat ihn beim Wort genommen. Abends, als der Schustergeselle gerade einschlafen will, knistert es vor seinem Fenster; zimperklein und fidel
lustig kommt eines nach dem andern von draußen hereingehüpft, Männchen und Weibchen, und will, daß er sie begleite, um Schuhe zu nähen. Hu, der Schuster kriegt solche Angst vor dem Spuk, er zieht die Bettdecke über den Kopf und gibt keinen aut von sich, soviel die Knirpse auch am üch zerren und zupfen.In der nächsten Nacht hat das Völkchen es leiser begonnen; die halbe Kammer stand schon voll, als der Schuster zu seinem Schrecken erwachte. Viele Stimmen piepsten, ihr Bruder Schuhmacher sei krank, und jede der kleinen Frauen habe daheim etwas zu klopfen und zu nähen und jeder der Herren etwas zu putzen und zu pechen, zu säumen und zu sohlen. Rasch solle er mitkommen, und gut verdienen würde er. Aber der Geselle bekam wieder solche Angst, er hat über eine Ausflucht nachgesonnen. Und weil es gerade der Sonnabend vor Ostern war und er Hose, Rock und Weste seinem Freund Schneider zum Bürsten und Bügeln gegeben hatte, konnte er erklären, wieso er vor der Frühe nicht aufstehen durfte. Im Hemd kann mari vor so viel Jungfern doch keine Schuhe nähen.
Das hat das kleine Volk denn auch eingesehen und ist, rischerasche und hickehacke, wieder übers Fensterbrett hinausgezogen. Aber morgen würden sie ihn mitnehmen, wie er wäre, haben sie gesagt.
Anderntags hat der Schustergeselle das Geschehene mit seiner Braut besprochen, und weil sie nun beide zum schönen Osterfest nicht einen Groschen in der Tasche, geschweige denn ihr Heiratsgut fanden, hat der Bursch allen Mut zusammengerafft und in der ersten Feiernacht selbst das Fenster aufgetan. Wenn das kleine Volk kam, wollte er ihm folgen Aber es sollte auch gut bezahlen, hat er sich vorgenommen.
Was meint ihr: gegen Mitternacht sind sie, kaum zu sehen woher, auf einmal wieder über das Fensterbrett geklommen, hübsche Elfen und Unterirdische die schwere Menge. Sogar ein dicker Hagemann ist dabei gewesen. Haben diesmal auch gleich Rock und Mantel und Hose für den Schuster mitgebracht. Und als das Zeug ihm zu klein schien und er nach seinen eigenen Sachen greifen wollte, da haben sie ihm blitzschnell alles übergestreift es paßte wie angegossen. Dann mußte er, hass du nicht gesehen,
Das war aber ein buntes Leben da draußen; wie sollte es auch anders sein! Viele Tiere warteten schon auf den Schuster; kleine Katzen wollten neue Pfötchen haben, der Pudel weisse Stiefel, die Wichte blanke Langschäfter, und die Elfen wünschten blitzenden Silberbeschlag auf den
Schuhen. Was hatte der Bursch für seltsame Kunden, und wie eilte er sich, alle zufriedenzustellen!Selbst ein schlimmer Verlocker kam vorbei und hielt ihm hochmütig seinen Huf hin, er sollte ihn mit Leder umklopfen. "Hüt dich aber, ein einziges Mal daneben zu hauen", drohte der Böse und kicherte in sich hinein — es war wohl zu merken, was er erhoffte.
Der Schuster hatte indes seine Furcht vergessen, er beschlug den Huf mit dreidoppelten Hacken. Bis er jedoch die Rechnung ausgeschrieben hatte, war der feine hohe Herr zum Tanz, Und alle Tiere und kleinen Unholden waren auch von dannen, sie mochten den letzten Kunden nicht, und noch keiner hatte dem Wann etwas zum Sohn in die Mütze gelegt.
Da kam, es wird wohl gegen Mitternacht gewesen sein, eine schöne Hollentochter des Wegs. Auf die hatte der Wald gewartet; es klang und sang und flötete und trillerte ihr aus allen Zweigen entgegen, und viele Leute drängten sich schon von weitem und wollten mit ihr tanzen. Als die Frau aber den Fremden am Rand der Wiese sah, ging sie zuerst auf ihn zu; mit einem jungen Menschgesellen hatte sie lange nicht mehr getanzt, der schien ihr besser als alle wartenden holden und unholden Herren.
Der Schuster schaute gerade noch griesgrämig in die leere Mütze, er horchte kaum auf, als die Hollin zu ihm trat.
Ob er mit seinem Geschäft nicht zufrieden sei, begann Der Mann schüttelte ärgerlich den Kopf; die Hälfte des Leders, das er bei sich hatte, war schon daraufgegangen. Er nahm denn auch kein Blatt vor den Mund und beklagte sich bitter über die Leute, die nicht bezahlt hatten.
"Wollen doch einmal sehen, ob die nicht bezahlen können", lachte die Hollentochter. Und sie faßte den Schuster am Arm und tanzte mit ihm rund um die Wiese, immer von Schatten zu Schatten, wo kein Mond noch doppeltes Licht einscheinen konnte. Und alle Herren, die auf einen Reigen mit ihr gewartet hatten, und viele kleine Jungfern folgten eifersüchtig hinterdrein. Aber als auch der böse Verlocker mit seinen mannslangen Armen durchs Dunkel griff und beinahe die Tanzenden erreichte —krickkrack, sagte es, und er saß mit dem Huf in einem Fuchseisen. Und
niemand durfte ihm helfen, ehe er nicht den Beutel gezogen und die halbe Mütze des Schustergesellen gefüllt hatte.Als der Böse nun humpelnd und schimpfend von dannen gegangen war und die Musik wieder einsetzte —auf einmal hingen viele Spinnweben im dunkeln Gras der Waldwiese. Und alle Elfen, die den Tanzenden folgten, zerrissen sich die Schuhe daran. Als sie jetzt aber zum andernmal nach dem Gesellen riefen, da besannen sie sich auch und hatten kleine silberne Geldstückchen zum Lohn bereit — hätte ich nur den großen Schlapphut mitgebracht, dachte der Bursche schon. Sogar der Pudel sprang herbei, er hatte sich beizende Wolfsmilch über die juchtenen Stiefel gegossen, und die Katze hatte die Krallen durch die Schuhe gebohrt, als der Kater kam, und ich weiß nicht, was weiter den Leuten an kostspieligen Unfällen im Nu zugestoßen war.
Jetzt hatte der Schuhmacher zu tun! Gut, daß ihm alles windschnell von der Hand ging, das gehörte wohl auch zu solcher Zauberstunde. Und lustig war es, wie sich seine Mütze füllte! Bis an den Rand war sie schon gehäuft; was noch hinzukam, rollte schier ins Gras zurück. Aber am schönsten war es doch, als der Mann der Hollentochter die herrlichsten Perlen auf Spange und Lasche nähen mußte, so reich, wie er noch nie ein Paar Schuhe besetzt hatte. Es gelang ihm so gut, das Leder gleißte und flimmerte, es mußte eine Lust sein, die Hollin über die Wiesen zu führen. Nun dürfe er noch einmal mit ihr tanzen, sagte sie fröhlich —das schien ihr der höchste Lohn —, und dann müsse er eilig heim, ehe es hell werde.
"Hm", der Geselle blickte prüfend auf seine Arbeit und überlegte, wieviel sie wohl wert sei und was er dafür verlangen könne; ein rechter Gierhahn war er geworden.
"Gleich bin ich soweit", sagte der Schuster mürrisch und holte seine Mütze. Ihm ging durch den Kopf, daß er auch drüben jemand zum Tanzen hatte und daß ein Jahr länger war als eine Osternacht. Er hielt also der Hollentochter zuerst die Mütze hin, und alle Leute fingen an zu lachen.
Die hübsche Eitelkeit hatte wohl gemeint, ein Tanz mit ihr sei der schönste Lohn auf Erden. Sie war so erbost über den unhöflichen Schuster, sie
gab ihm keinen Gulden, sie brach ihm keine Perle vom Schuh. Sie berührte ihn nur eben mit einem zornigen Wort. Da ist der arme Geselle wie ein altes Wagenrad in die Stadt zurückgepoltert, so als ginge es mit ihm geradeswegs in die Hölle hinein. Gottlob ist er nur bis in seine Kammer und mit dem letzten Satz genau unter die Bettdecke gefahren.Aber die Mütze hatte er bei aller Angst gegen die Brust gedrückt, kopfüber wie kopfunter. Und die Leute sagen, der Schuster habe die ganze Nacht nicht mehr schlafen können, so eifrig habe er die Münzen zu zählen begonnen.
Es war reichlich genug Geld für Heiratsgut und Häuschen zusammengekommen. Viele meinen allerdings, ein wenig freundlicher wäre doppelt so lohnend für den Schuster gewesen, und ein Segen der Hollentochter hätte mehr als eine Perle vom Schuh gegolten, auf die es der Geselle in seiner Gier abgesehen hatte.
Lückebeer singt eine Hollentochter
Einmal kamen hier irgendwo in der Nähe viele winzige unterirdische Wesen zusammen und berieten, wie sie wohl eine Tochter der Frau Holle zu sich einladen könnten. Denn wo die schönen Hollinnen sind, schlagen die Nachtigallen, trägt das Korn vielfältige Frucht, und die Menschen sind gut gegen Tier und Land, das weiß man ja.
Die weisen Leute berieten also lange hin und her, aber niemand wußte einen rechten Rat. Endlich versprachen sie einander: wer es fertigbrächte, eine Hollentochter für immer nahe zu halten, der solle ihres Volkes König werden.
Da machten sich nun viele flinke kleine Burschen auf, die alle König werden wollten. Aber sie kamen meist nicht weit, es ist für ihresgleichen nicht leicht, die dichten Tannenhügel und Buchenwälder zu durchqueren, die rund um unser Land liegen. Nur ein listiger Schlingel, Lückebeer war
Was er unterwegs alles erlebt hat, das will ich ein andermal erzählen. Er hat sich, wenn ihm jemand zu Leibe wollte, immer gut herauszureden verstanden — auch hatte er ja einen Riesenspieß gegen Wespen und Motten bei sich — und hat, wenn die hohen Wellen kamen, einfach die Tür hinter zugezogen; da konnte der Apfel ruhig hin und her trudeln, er hat in seiner warmen Kammer gesessen.
Endlich, als Speise und Trank schon auf die Neige gingen, hielt Lückebeer eines Tages eine Robbe an, die gerade neben ihm auftauchte, und
fragte sie, wo er wohl landen könne, um eine Frau Hollentochter zu finden und zu fangen."Wer bist du denn, und worin steckst du?"hat die Robbe gegrunzt und hat sich über den Knirps, der aus dem Apfel guckte, erstaunt.
"Hast du noch nie von mir gehört", entrüstete sich Lückebeer. "Ich bin schon beinahe König des Wichtelvolks und will nur eben eine Frau Hollentochter fangen."
Die Robbe horchte auf, und weil sie solchen sonderbaren Einsiedler noch nicht gesehen hatte, hielt sie es erst einmal für das besse, gut Freund mit ihm zu bleiben.
"Und was ist das für ein sonderbares Schiff, in dem du da fährst?
"Das ist ein Apfel, der viel besser als der schönste Fisch schmeckt.
Die Robbe hatte ein Gelüst, Apfel und Unterirdischen überzuschlucken, sie merkte aber wohl, daß sie ihn nicht durch ihr Halsloch bekäme, und bezähmte sich.
"Was willst du für dein Haus haben?" fragte sie.
Ach, meinte Lückebeer, das sei nicht verkäuflich, er müßte erst einmal an Land damit sein.
An Land wolle sie ihn gern bringen, sagte die Robbe- und was er für den Apfel haben wolle.
"Du kannst mir ja zeigen, was du mir dafür geben könntest", antwortete Lückebeer vorsichtig; er wußte nicht recht, was jemand auf weiter See ihm zum Tausch anzubieten vermöchte.
Im nächsten Augenblick war die Robbe verschwunden, kam nach einer Weile prustend und schnaubend wieder hoch und schob einen hölzernen Galionskopf vor sich her, den hatte sie von einem versunkenen Schiff abgestoßen.
Aber Lückebeer wußte nichts damit anzufangen. Nein sagte er eigensinnig, dagegen gäbe er seinen Apfel nicht her.
Die Robbe tauchte also von neuem und kam diesmal mit einem richtigen Tabaksbeutel hoch, den hatte sie in der Kajüte eines armen Ertrunkenen gefunden.
Nun hält das Wichtelvolk viel von Tabak, aber Lückebeer wußte nicht, ob das Meerwasser dem braunen Kraut gutgetan hätte, er schüttelte also wieder hochmütig den Kopf.
Da fuhr die Robbe zum drittenmal pruschend zu Grund und brachte einen blanken Ring herauf.
"Zeig den mal her", sagte der Zwerg und hob ihn mit viel Mühe in den Apfel hinein. Es war aber ein richtiger goldener Fingerreif, die Robbe wußte ja nicht, was sie daran haue
"Wenn ich den Ring behalten darf", forderte Lückebeer, "und du mich ana Ufer bringst, dann sollst du mein Haus haben.
Das war nun trotz allem keine leichte Aufgabe, dreimal rollte der Äpfel bei der Landung über Kopf, und weil der kleine Lückebeer sich den Ring schon um den Leib gelegt hatte, war es gar nicht einfach, immer wieder auf die Füße zu kommen. Aber schließlich hatten die beiden ihren Vertrag und haben ihn ehrlich ausgeführt.
Nun war der Knirps von der Robbe aber auf dem geheimnisvollen Zaubereiland Utwunder abgesetzt worden. Zwischen riesenhohen Gräsern und wehenden Strandnelken mußte Lückebeer einen Weg ins Innere suchen; sieben Tage oder auch siebzig, das weiß ich nicht genau, hat er wandern müssen, und hätte ihn nicht ab und an ein Wind aufgewirbelt und fortgetragen, er wäre niemals mit dem weiten Weg zu Ende gekommen.
Es ist auch nicht besser geworden, als er das erste Dorf erreichte. Dort wohnte nämlich eines der Riesenvölker von Utwunder, und die Riesen führten gerade Krieg untereinander. Mitten in eine Schlacht ist der Knirps geraten, einer der furchtbaren Kämpen hat ihn fast zu Tode getreten. Lückebeer, dem es an Mut nicht fehlte, wollte sich seines Lebens wehren, er stach mit seinem Spieß wild um sich. Ja, als die Spitze im Riesenschuh steckenblieb, hat er dennoch die Waffe nicht fahren lassen wollen, er hängte sich vielmehr an Spieß und Leder und hat so den ganzen Krieg miterlebt.
Dabei ist der Knirps nun auch gewahr geworden, daß der lange Kerl, der wohl kein Held war, sich für den Kampf viele kleine Zaubersprüche
in Schuh und Lederhose eingeritzt hatte, Sprüche, die nur für die Insel Utwunder gelten und die unsereins nicht kennt. Abends, wenn die Soldaten am Lagerfeuer schliefen, hat er sie gelesen und sich eingeprägt.Als der Krieg zu Ende war, ist auch der Kiese zu seinem Hof heimgekehrt, der lag an der Grenze eines andern Reichs auf Utwunder. genes andere Reich aber, das Lückebeer jetzt nach so vielen Abenteuern und Wanderungen betrat, ist gerade ein Wald der Hollentöchter gewesen, so einer, wie unser Held ihn suchte.
Das war ein herrlicher Lohn für alle Mühen! Der Kleine wußte nicht ein, nicht aus vor Freude, er nahm die Mütze in die Hand, machte, als er die ersten der Jungfern traf, einen Bückling und brachte gleich höflich seine Bitte vor, die schöne Frau möchte mit ihm heimkommen, er könne ihr auch einen King bieten und werde ihretwegen König werden.
Aber die Hollentochter lachte hell über den armen Lückebeer; auf ihr Lachen huschten die Schwerern hinzu, und alle Vögel und alle anderen Tiere keckerten mit.
Was er denn für ein Schloß zu versprechen habe und was für Freier in seinem Land seien, fragte man ihn, so wie junge Frauen wohl zu scherzen pflegen. Dann ließen sie ihn stehen und gingen zum Spiel.
Lückebeer sah ein, daß er im guten nicht weiterkam. Er überlegte sich also hin und her, wie er es mit List anstellen könnte, eine der Hollentöchter in sein Reich zu bringen. Dabei fiel ihm ein, was alles er an Zaubersprüchen des Kiesen im Kopf behalten hatte; er faßte einen Plan, zündete ein Feuer an und schmiedete und schmolz an dem Gold. Und er schrieb insgeheim in sehr winzigen Buchstaben den Namen seines Landen hinein — sieben Tage hat es gedauert — und einen Zauberspruch rundum, der mit Heimweh erfüllt.
Als nun am nächsten Abend die Hollentöchter sich wieder zum Spiel einstellten und so in der Morgenfrühe müde vor Eifer auf der Wiese einschlummerten, nahm Lückebeer den Ring, hob der schönsten der Jungfern den vierten Finger heimlich auf und schob ihr das Gold im Schlaf über.
Der Zauber tat auch bald seine Wirkung; das Mädchen wachte noch vor seinen Gespielinnen auf, rieb sich erstaunt die Augen und versuchte sich auf etwas zu besinnen, das ihm entfallen schien. Es war aber so schlaftrunken, daß es den Ring am Finger nicht spürte, es sprach nur leise den Namen des kleinen unterirdischen Königreichs vor sich her, zu dem es zu fliegen wünschte, es wußte nicht warum.
Da wurde es höchste Zeit für Lückebeer, sich kenntlich zu machen. Er kroch der Jungfer rasch übers Stirnband und wollte gerade erzählen, wie er herübergekommen sei, warum man eine Hollentochter nötig habe und daß viele Menschen und Tiere und Bäume in seiner Heimat auf sie warteten . Ehe er aber soweit war, sprang das schöne Fräulein auf, um nach jenem fernen Reich auf Reisen zu gehen — ach, der kleine Lückebeer hat viel Mühe gehabt, sich festzuhalten, wo er war.
Denn gleich darauf flog die Hollentochter schon, huit, auf und davon; bis zum Abend haben die zwei die Menschenerde und die weite Marsch erreift.
Und der Zauber im Ring hat so fleißig gewirkt, die Liebliche hat sich seit jener Zeit tatsächlich in unserem Lande niedergelassen. Es ist auch vieles besser geworden seitdem, die Vögel singen tagaus, tagein, Gräser und Bäume blühen, und Lückebeer ist König seines Reichs; weit und breit hat man ihn gepriesen und gefeiert.
Aber die Hollentochter hat ihm noch wenig Dank gewußt; Lückebeer ist wohl zu klein und kann sich nicht recht bemerkbar machen. —Vielleicht hai die schöne Frau auch viel zuviel zu tun gehabt und ich weiß nicht welch hohen Freier kennengelernt. Denn die Menschen und alle Wesen werden gut und voll Liebe, wo sie nahe ist und ihre Nachtigallen schlagen.
Die Insel Utwunder
Es war einmal eine Fischerfrau, die gebar ihren ersten Knaben, als sie draußen im Vorland arbeitete. Eine junge Fremde aus dem Wasser kam und half ihr; sie sahen beide das Kind mit Freuden an, und die Unbekannte schenkte ihm einen zierlich geschnitzten kleinen Stab, den hing ihm an einer Kette um den Hals, damit es ihn nicht verlöre.
Nach einigen Jahren, als der Knabe schon mit seinen Geschwistern am Deich spielte, suchte er Blumen und sang einen alten Reim dazu:
Moje, moje Fru Nimmernood, Wees uns lütten Kindekens good." |
Da kam eine Wunderschöne draußen vom Wasser und horchte im Rohr auf die Kleinen. Und sie kleidete sich wie eine wirkliche Menschenfrau, ging zu den Spielenden und fragte den Knaben, wer er sei. Als er seinen Namen nannte, wurde sie froh, wollte wissen, ob er den Stab noch hätte, und sagte ihm, daß er sich damit über alle Meere eine Brücke schlagen könnte, er solle ihn wohl verwahren. Dann gab sie ihm noch ein Tüchlein zum Angedenken.
Wieder nach einigen Jahren, als der Knabe schon Matrose war, wanderte er einmal nahe am Wasser stromab; er wollte nach einem Seehäfen, um Heuer zu suchen. Als er nun so für sich hinschritt, sah er am Ufer ein großes Haus, das war früher nicht gewesen. Eine Frau stand vor der er erkannte die Nimmernood und grüßte zu ihr hinüber.
Sie winkte ihn lächelnd näher und fragte, ob er ihr Tüchlein noch habe. "Ja", sagte er und wies es ihr. Er hatte es aber um den Stab gewickelt und, wie s bei den Schiffern sein muß, ein Stück Teerleinen darumgenäht, damit beides im Seegang nicht feucht würde.
Die Frau war nicht mehr so freundlich wie einst, als sie zu den Kindern gekommen war; vielleicht fürchtete sie sich auch vor Boten und Horchern
im Wasser und redete leise. Wenn er in das Tüchlein spräche, sagte sie rasch, käme er durch alle widrigen Winde hindurch, aber er dürfe es nur brauchen, wenn es wirklich arg zugehe. Dann schenkte sie ihm eine kleine Kappe, und ehe sie noch ein Wort hinzufügen konnte, winkte sie ihm, sich weiterzutrollen.Der Bursch dachte nicht mehr viel an die drei Dinge; er fand ein gutes Schiff, fuhr ein Jahr ums andere in die Ferne und verdiente Geld genug, um sich selbst einen Ewer zu kaufen.
Nun sollte er eines Tages damit über eine Bucht segeln, um Klinker einzunehmen. Und weil das Wetter schön war, meinte er, den Ewer allein nach drüben bringen zu können. Aber mitten auf dem Wasser überfiel ihn ein warmer, grauer Nebel; der Schiffer trieb mit der Ebbe weit in die See hinaus, er fand keine Boje und kein Zeichen, die ihm den Weg gewiesen hätten.
Gegen Abend kam er bei aufklärendem Gewölk zu einer großen Insel, die er nie gesehen hatte und die auf keiner Karte stand. Sie heißt Utwunder und soll irgendwo zwischen hier und der Doggerbank liegen; viele sagen, daß es Böses bedeute, wenn sie einem Irdischen sichtbar wird. Der Schiffer verlor seinen Mut nicht. Weil er jedoch nicht wußte, wo er war, legte er den Ewer fest, um an Land zu fragen.
Er mußte eine lange Weile suchen, über viele Brücken und breite Wettern hinweg. Dann sah er eine Wiese, junge Wasserkerle warfen sich Holzbälle zu. Kaum wurden die Grünen den Schiffer gewahr, da riefen sie einander zu, ihn zu fangen und als Spielzeug zu behalten. Der ,Mann bekam Furcht und lief durch dichtes Schilf zurück. Aber er irrte sich in der Richtung und kam vor eine große Bucht, wohl tausend Schritt breit. Schon waren die Wasserkerle nahe hinter ihm, er hörte sie fragen und jagen. Da fiel ihm in seiner Not der Stab ein, den ihm die Nixe vor langer Zeit einmal geschenkt hatte; rasch riß er das Beutelchen auf und hielt den Zauber vor sich. Und sieh, eine kleine schmale Brücke baute auf; er sputete sich hinüberzukommen und merkte, wie das Holz immer hinter ihm schwand und sich vor ihm verlängerte. So kam er heil an
das andere Ufer, war vorsichtig und suchte in der Dämmerung nach eines Menschen Haus. Der Schiffer war jetzt in ein Land des Windvolkeg geraten, das tollte auf der Wiese. Es waren riesengroße Jungfern und Burschen, die ihn bald entdeckten, blasend anlachten und sich lärmend vergnügten, als er im Kreuzwind um sich selber tanzen mußte und sich schließlich kaum noch auf den Beinen halten konnte.Der Mann dachte in seiner Not wieder an die Geschenke der Nixe, es war, als hätte sie gewußt, was ihn treffen würde. Als die langen Kerle ihn noch wie einen Ball hin und her bliesen, griff er heimlich nach dem
Brustbeutel und bat das Tüchlein, ihm durch die Winde hindurchzuhelfen. Und sieh, er konnte aufspringen, verbarg sich vor den Sturmkerlen und kam bald an einen großen Wasserlauf. Da nahm er den Stab und lief wieder mit seinem Brückenzauber nach drüben, verwundert, wohin er nun wohl weiter gelangen würde. |
Es wohnte aber ein Drullevolk im dritten Land, das hatte den Lärm bei den Windischen gehört, einige hatten sich auch schon in den Hinterhalt gelegt. Kaum war der Schiffer an der Uferkante, da fielen sie über ihn her und banden ihn, sosehr er sich wehrte. Dann führten sie ihn frohlockend vor ihren König.
Hager und dunkel war der, niemand außer seiner Königin wagte sich ihm nahe. Als der Gefangene die Frau aber recht anschaute, war es jene Nixische, die seiner Mutter geholfen und die ihm einst die drei Wunder geschenkt hatte.
Sie sagte ja kein Wort zu ihm. Nur als der Drullkönig seine Gelehrten fragte, was mit dem Schiffer zu geschehen habe, sah sie die furcht
baren Graubärte einen nach dem andern bittend an. Und die wagten lange keinen bösen Spruch. Endlich meinte einer, darüber müsse die Königin urteilen. |
Der Drull lachte schaurig, viele Bäume bebten davon, und die Fische in den Gräben sprangen hoch vor Schreck.
"Ihr Feiglinge, was starrt ihr der Königin auf den Mund. Sie läuft den Menschen nach und bringt ihnen Geschenke. Ich will einmal mit diesem Mann ringen, da sollt ihr erkennen, wer stärker ist, wir oder die pappelnden Erdleute, die zu den weißen Himmlischen halten.
Er hob sich dabei von seinem Sitz, gebot, einen Kreis frei zu machen, und warf den Mantel ab, so daß man die riesigen schwarzen Schultern sehen mußte. Und er hieß dem Schiffer die Fesseln lösen und schleuderte ihm sein Messer zu.
Als der Gefangene nun gehorchen mußte und auch langsam den Rock abtat, dachte er noch einmal nach, ob es keinen anderen Ausweg gäbe. Er fühlte aber die Kette auf der Brust schaukeln und sah, wie der Königin Augen starr darauf blickten. Da fiel ihm ein, daß er noch einen dritten Zauber von ihr erhalten hatte, ohne zu wissen, wozu er diente. Was soll's wohl nützen, meinte er, aber ich will ihn ausprobieren. Und obschon er keinen geringen Mut hatte, ließ ihn die List bis zuletzt nicht im Stich; er tat, als wolle er die Kette ablegen, und streifte sich dabei die Kappe über.
Im gleichen Augenblick hörte er ein Wutgeheul aus vielen Kehlen. Alle Drulle waren aufgesprungen, liefen an ihm vorbei, griffen ins Leere und suchten nach ihm. Nur die Königin lächelte und winkte ihm, fortzueilen.
Das ließ der Schiffer sich nicht zweimal sagen. Wo er nur Raum zwischen der rennenden, brüllenden Wildheit fand, glitt er hindurch, hob seine Jacke auf und flüchtete den Weg zurück, den er gekommen war. Und er gelangte mit seinem Tuch quer durch alle Winde und mit dem Stab über Flüsse und Priele hinweg und war endlich wieder da, wo er seinen Ewer gelassen hatte.
Da hißte er das Segel und fuhr auf das Wasser hinaus; überall, meinte er, sei es besser als auf der verwunschenen Insel Utwunder. Als der Morgen graute, sah er denn auch das dritte Elbfeuerschiff und hatte seinen Weg wieder.
Einige wollen nun wissen, daß die Drullkönigin ihm nachgefolgt ist, und sie vermuten, daß die wassergrünen Augen in unserm Land von jener Frau kommen, die der Schiffer heimlich zu sich genommen hat. Andere wieder sagen, es sei dumm von dem Mann gewesen, gleich heimzukehren. Er hätte nur mutig an der Insel Utwunder weiter entlang fahren sollen, die hellen und die unterirdischen und riesischen Reiche lägen auf den andern Ufern, da hätte er Wunder und Schätze im Überauß gewonnen.
Das ist jedenfalls gewiß, der Mann ist heil davongekommen. Aber nicht jeder hat ja die drei Zauber bei sich und eine vom Wasservolk als Helferin.
Das Mädchen aus Utwunder
Da war einmal ein armes Mädchen, das hatte sieben Brautwerber. Aber es war nur einem von allen gut, und gerade der hatte kein Heiratsgeld. Weil die beiden indes nicht voneinander lassen wollten, überlegten sie hin und her, wie sie wohl Glück und Habe gewinnen könnten.
"Ich werde nach Utwunder ausfahren", sagte der Bursch. Er hatte oftmals von der Insel gehört; sie liegt noch vor Hilgenö in der See nach Westen, aber nur wenige vermögen sie zu finden.
Sein Mädchen ängstigte sehr, redete ihm den Gedanken aus und nahm sich heimlich vor, lieber selbst zu reisen; sie fürchtete, ihr Vertrauter würde nie wiederkommen, wenn er erst drüben wäre. Nur eine Nacht will ich hinüber, beschloß sie, dann weiß ich vielleicht genug, um uns beiden zu helfen.
Als sie nun an diesem Abend traurig zu Bett ging und den Sandmann rief, um ihm ihren Wunsch zu klagen und auch um ihn zu bitten, ihre Lider schlafmüde zu streuen, war ihr auf einmal, als sei etwas anderes mit dem Alten in die Kammer gedrungen.
Das Mädchen sah, ein Garnknäuel lief über die Bettdecke hin und her. Neugierig nahm sie es auf, um zu erfahren, wo es herkäme. Im gleichen
Augenblick fuhr sie selbst auch schon auf einem Faden in die Ferne und über ein großes Wasser zum Zwischenreich.Die Jungfer hat sich sehr erschrocken. Und sie hatte Grund genug für ihre Furcht. Kaum nämlich war sie drüben, da sprang ihr eine Nachtmahr entgegen, die hatte der getreue Eckard gerade von schlafenden Menschen verwiesen. Die Wahrte wußte, daß die Fremde aus unserem Reich kam, sie riß ihr das Garn aus den Fingern und fuhr blitzschnell daran zurück, um die Träumenden von neuem zu plagen.
Das Mädchen hatte nun nichts in der Hand, um heimzukehren, es mußte über Nacht im anderen Land bleiben. Da wurden bald allerhand Leute auf den neuen Gast aufmerksam, und manche sahen, daß ein hübsches Gesicht eingezogen war. Schon tappten zwei riesige Nebel herzu, die meinten schon, sie könnten das Mädchen in Dienst nehmen. Sie fragten gar nicht erst, ob es auch Luft dazu hätte oder dergleichen, sie sagten gerade- heraus, sie wünschten eine Haushälterin. Ob ihnen das Fräulein nicht, wenn sie nachts auf Reisen seien, die Suppe kochen und die Betten machen würde?
Die Dirn wollte sich nicht gleich dem ersten besten verdingen, sie hatte ja auch einen Liebsten daheim, der, ach, so viel schöner war als diese plumpen grauen Gesellen. Sie schüttelte also den Kopf und gedachte weiterzugehen.
Ob das Fräulein sich's nicht big morgen überlegen wolle, baten die Risen, sie könnten ihm viel herrliches Gespinst zum Lohn geben.
Die Gefragte wurde neugierig. "Das möchte ich einmal sehen", sagte sie listig, und die beiden Grauen zeigten ihr einen ganzen Fluß voll Linnen; das ballte und rollte sich wunderschön! Die Alten schnitten sogar ein kleines Stück ab und schenkten es ihr.
asie Dirn fühlte, was sie in den Fingern hatte, war allerfeinste Leinwand, sie merkte auch, der Zipfel wuchs und wurde in ihrer Hand mehr und mehr, wie es oft bei den Geschenken derer von Utwunder ist.
Aber sie konnte sich doch nicht entschließen, gleich den ersten Dienst anzunehmen.
Als sie nun weiterging, stand am Weg ein riesiger Föhrenknecht, der
"Ich habe aber einen Liebsten", sagte das Mädchen, "und ich möchte so rasch wie möglich zu ihm heim.
Der Alte schüttelte den Kopf. Das sei gewiß irgendein junger Bursch, meinte er, der nichts zu beißen und zu brechen habe. Solch schön eingerichtetes Haus wie seines könne wohl kaum einer seinem Weibe bieten. Und er reichte der Jungfer einen Föhrenast, der wuchs in ihrer Hand, wie sie es nur wünschte, wuchs zu einer Hütte, wuchs zu einem Tisch, zu einem Stuhl, und immer, wenn er mit dem Gerät fertig war, lag er wieder als gehorsames Reis in ihren Fingern.
Der greise Föhrenknecht sah, wie sehr die andere sich darüber freute und was für Augen sie machte. Oho, lachte er, davon hätte er noch mehr! Und nicht nur hölzerne Zweiglein, soviel er wolle, sondern auch eins von Silber und sogar eins von Gold. Sie solle es sich nur überlegen, und morgen könne sie ihm Bescheid bringen, ob sie seine Hausfrau werden möchte.
Da ging die Jungfer eilig weiter, Linnen und Zweig in der Hand. Sie wollte rasch jemand finden, der ihr den Weg zu den Menschen heimwiese. Aber sie kam nur bis zu einer großen Waldlichtung, da spielte ein alter buckliger Drull mit seinen Kindern. Er spielte mit goldenen Kegeln und Kegelkugeln und warf silberne Teller durch die Luft. Kaum sah er die Dirn, da tappte er gierig auf sie zu und fragte, wie sie in dies Land geraten sei. Und er fragte sie auch, ob sie nicht als Magd bei ihm in Dienst treten wolle, und sagte, daß sie ihm gefalle.
"Das kann ich heute nicht gleich versprechen", antwortete das Mädchen schlau, "ich muß euer Reich doch erst einmal kennenlernen." Und es nahm eine goldene Kugel auf und besah sie von allen Seiten.
Die dürfe sie behalten, lockte der Drull. Und wenn sie ein Jahr bei ihm in Dienst gewesen sei, könne sie so viele Kugeln mitnehmen, wie sie nur wünsche.
Aber die Dirn merkte, was der Arge von ihr wollte, und in ihrer Angst bat sie rasch: "Da zeig mir erst einmal deine Kleinen!
Auf die Kinder war der Drull sehr stolz, obwohl es haarige Wesen mit Klumpfüßen waren. Sie schienen auch recht ungezogen zu sein; als der Vater sie rief, meinten sie, es sei Bettzeit, und liefen in alle Winde; der Alte mußte sich Mühe geben, sie einzufangen. Dabei kroch er durch einen Busch, um eines der Kleinen bei den Ohren zu kriegen, und verlor das Mädchen aus den Augen. Das floh, so rasch es vermochte, mit der geschenkten Kugel von dannen.
Über all solch Reden und Laufen war es nun beinahe Morgen geworden, nämlich die Zeit, wo die Mahrfrau, die am Knäuel zu den schlafenden Menschen gefahren war, heimkommen mußte; vor dem ersten Sonnenstrahl hat sie sich zu hüten. Auch der alte Föhrenknecht steckte schon bis zu den Schultern in seinem Baum, und die Nebelrnänner waren so müde und schwach, sie erkannten kaum noch, wer vorbeilief.
Gerade da erreichte das Mädchen wieder das Ufer und sah, wie jemand von fern über das Wasser fuhr; es sah auch das Garnknäuel und den Flügelschlag, der darüber hinflog. Und es paßte in seiner Furcht genau auf, wo der Unhold, der von der Helle schon halb geblendet war, an Land wollte. Im Augenblick, als die Mahrte auf dem Boden niederging, entriß sie ihr das Garn, wendete es und glitt selbst blitzschnell darauf heim, noch ehe der erste Morgenstrahl über die Menschheit kam.
Und auf einmal lag die Dirn wieder in ihrem Bett, rieb sich die Augen, weil schon die Sonne darüber hinfuhr, und meinte, alles geträumt zu haben. Dann aber sah sie, daß sie den Arm voll guter Dinge hatte, das herrlichste Linnen wuchs und wuchs immer noch unter ihren Händen, das
Reislein zimmerte einen wunderschönen Stuhl vor ihr Bett und einen Tisch in die leere Kammer. Und die goldene Kugel, die sie auf der Insel Utwunder aufgehoben hatte, war genau so blank wie drüben.Da sprang sie auf, denn das Linnen auf ihren Knien wurde schwerer und schwerer. Und sie kleidete sich an und eilte vor die Tür, um ihrem Liebsten Bescheid zu geben. Der tappte gerade auf dem Weg zur Arbeit am Haus entlang und war recht verdrossen, weil er immer noch nicht wußte, wie er Hütte und Acker für die Heirat kaufen sollte. Das Mädchen hat ihn aber nur eben zu warten geheißen, hat Reis, Linnen und Kugel geholt, eines nach dem anderen, hat ihm alle Dinge gezeigt, und die beiden sind einander am frühen Morgen vor allen Leuten um den Hals gefallen.
Und weil ich gerade vorüberkam, habe ich die ganze Geschichte von ihnen selbst erfahren.
Bellebart fährt zum Mond
Eines Abends, als er im Glockenstuhl der Kirche arbeitete, fand der Küster Bellebart hinter einem Balken ein altes schweinsledernen Buch. Es war fast ganz vergilbt und von Würmern zerfressen, Bellebart setzte sich aber doch neugierig vor das Schalloch des Turmes und versuchte du entziffern, was er vermochte.
Es schien von heidnischer Zauberei zu handeln, vielleicht war's gut, daß nur noch ein paar halbe Seiten lesbar waren. Den einen Spruch aber bekam der Küster nicht aus dem Kopf:
Unnen weg un haben rop, Fööt op'n Kopp, Fööt op'n Kopp, Pedd een Toorn op'n annern rop. |
Er sagte die Worte mehrmals laut auf, und siehe da, es geschah, daß der Kirchturm, in dem er saß, unter ihm zu steigen begann.
Mit jeder Wiederholung des Spruchs sank die Stadt unter dem Erstaunten tiefer; das Gebälk ächzte und zog sich, aber es wuchs höher und höher auf, stach durch den Nebel, durch die Wolken, und auf einmal war Bellebart mitten in einem weißen wallenden Busch, um den eine Menge Jungfern Fangen spielten. Ein See war am Rand seines Feldes; die Fräulein hatten wohl gebadet, grade vorm Schalloch des Turms lagen drei weiße Kleider. Der Küster, der sich noch immer sehr verwunderte, griff nach einem der Linnen, halb aus Schabernack, halb aus Neugier. Es war federleicht und wundersam zart anzufühlen. Weil er aber in dem Augenblick vergaß, den Spruch weiter aufzusagen, begann der Turm unter ihm langsam wieder zu sinken. Bellebart wollte das Gewand flink zurückgeben, da sah er, wie ein riesiger Feuerreiter über die Wolken heranfuhr, wie die Jungfern vor ihm rasch in Kleid und Flügel schlüpften, um zu flüchten,
und wie eine vergeblich nach ihren Federn suchte. Der Küster wollte dem Mädchen winken, aber der Reiter hatte das arme Ding schon gepackt und in den unendlichen Himmel hinaufgeschleudert, grade dem blassen Mann im Mond entgegen, der auf die Nacht wartete.Der Turm sank schnell. Dem Küster war aufrichtig leid, was er getan hatte. Er sah immer nur das unglückliche Fräulein vor sich und fand bei Tag und Nacht keine Ruhe.
Es ging ihm auch anderweit nicht gut seit jenem Ereignis. Durch das Buch war er mit allerhand wunderlichen Wesen in Berührung gekommen, von denen die Menschen lieber nichts wissen sollten; am Ende mußte Bellebart gar seine Entlassung aus dem kirchlichen Dienst nehmen, hatte nichts zu beißen und zu brechen und wußte nicht mehr, wovon er leben sollte.
Nun war in seiner Stadt dicht am Hafen ein langer schmaler Marktplatz. Der war in dem alten zerrissenen Buch vielfach erwähnt, ohne daß Bellebart über seine Bedeutung etwas hätte finden können. Es trieb den Küster deshalb öfter zu jenem Markt, und als er wieder einmal um Mitternacht zwischen den Brücken und zwischen den stählernen Pfeilern der Hochbahn, die von dort ihren Ausgang nahm, umherwanderte, sah er an einer Mauer viele Ratten spielen und eifrig auf und ab laufen. Bellebart merkte sich den Platz und wollte ihn wieder besuchen. Da ging der Mond auf, und im nächsten Augenblick geschah es, daß die großen eisernen Träger vertrocknet und eingeschrumpft schienen, und daß statt dessen der Hochbahnhof, der auf den Säulen stand, sich nach oben stellte und schräge gegen den Himmel richtete.
Der Küster schüttelte den Kopf vor Erstaunen, er stieg aber doch die Treppe zu der neuen Halte hinauf, um sich umzusehen. Gerade da kam mitten durch die Nacht ein Zug angebraust und stoppte auf dem Bahnhof. Bellebart öffnete neugierig eine Tür. Im Nu bekam er einen Stoß und fuhr in seinem Wagen in ungeheurer Wucht erst eine Schleife über die Stadt und dann steil ins Dunkel hinauf, der glänzenden Milchstraße entgegen.
Der Mann war erst lautlos vor Entsetzen, solch Abenteuer hatte er ja nicht gewünscht. Rasch überdachte er alle Sünden und wollte, als ihm seine Dieberei an den Jungfern einfiel, das gestohlene Federkleid wegwerfen, das er noch bei sich trug. Aber der Zug war schon weit über den Wolken, und der Gast sah, wie die Erde tiefer und tiefer sank; Flüsse und Meere waren nur noch wie silberblutende Wunden in ihrem Leib.
Dabei gewahrte Bellebart zu seinem unbändigen Erstaunen, wie in seinem Abteil rund um ihn, je höher und höher man stieg, Unterirdische aus dem Nebellosen Gestalt wurden. Sie wuchsen, rechte vorlaute Zwerggesichter, rechts und links auf ihren Bänken, fragten den Armen, wie er hereingeraten sei, was er wolle, und blickten ihn mißtrauisch und herausfordernd an.
Der Fahrgast tat zunächst, als hörte und sähe er niemanden, und starrte aus dem Fenster. Eine Steinhalde kam draußen näher, löste sich auf zu einem Wirrwarr von strömendem Licht und dampfenden Felsen; Feuer und dumpfe Schalle umwogten den Entführten. Dann gab's einen Ruck. Der Zug stoppte, Bellebart sprang mit einem ängstlichen Entschluß aus der Tür und stand einsam auf einer schwarzen Straße, die zwischen Sonne und Mond durch die blaue Höhe lief.
Nach einiger Zeit kam einer, der sich Hans Dümke nannte, mit Pferden vorbei. Der Küster hielt ihn an, klagte ihm sein Leid und fragte, wie er wohl wieder heimkehren könne. Der Fremde vermochte ihm nicht zu antworten, erbot sich indes gutwillig, sein Besteg für den Verirrten zu tun und ihm Unterkunft zu geben. Bellebart blieb also vorerst bei ihm zu Gast, aber er wartete vergeblich, daß der Zug, der ihn heraufgebracht hatte, zurückführe.
Weil nun der Mond groß und dicht unter ihm schien und der Küster schließlich alles besser traf, als er gefürchtet hatte, kamen ihm bald wieder abenteuernde Pläne. Er dachte in seiner Langeweile oft an die Jungfer mit dem Federkleid, die wohl nahe sein mochte, und hätte sie gern besucht, um, was er für ihr Eigen hielt, zurückzugeben. Ob niemand etwas von ihr wisse oder ihm hinüberhelfen könnte, fragte er Hans Dümke eines Abends
und wies zum Mond. Der Freund machte erst ein recht saures Gesicht, aber als der Küster ihm alles eindringlich vorstellte und sagte, es sei, um ein Unrecht wiedergutzumachen, lieh der barmherzige Knecht ihm schließlich einen alten Rappen, der sollte Bellebart zum Mond hinüberbringen. Aber lange ausbleiben möge er nicht, mahnte Hans Dümke, sein Herr dürfe nichts davon erfahren.Nun, der Küster bestieg mutig den breiten Pferderücken, der Helfer sagte dem Rappen etwas ins Ohr, und dann ging's, heidi, in rasendem Ritt über die weite Steinhalde. Pfeilschnell flogen sie durch Dampf und Nebel. Dann reckte sich der Leib des Tieres, setzte über einen Abgrund und stürzte in ungeheurem Sprung von der Halde zum Mondtor hinab, so daß dem Reiter der Altem verging.
Als Bellebart wieder zu sich kam, bückte sich ein bärtiger Riese über ihn, der hatte mit der einen Hand den Rappen am Halfter, mit der andern rüttelte er den Gast wach. Es war aber der baumlange Schafdieb, der am Mondeingang haust, ein bösartiger, griesgrämiger Geselle. Der Küster sah indes noch mehr; auch die Dirn, deren Kleid er bei sich trug, lugte von fern ängstlich nach dem Gestürzten — Bellebart erkannte sie gleich, er schloß traurig und doch fröhlich die Augen, so sehr freute er sich, die Gesuchte wiederzufinden.
Vorerst ging es ihm allerdings noch recht erbärmlich. Er schien ein Gefangener des Riesen bleiben zu sollen. Der gab ihm wohl zu essen und zu trinken, aber er ließ auch alles Werk, was nur zu tun war, durch sein Gesinde verrichten. Die Jungfer hatte zu putzen, zu waschen, zu nähen, zu flicken und die Höhle zu kehren; der Mann mußte bauen und brauen, Steine schleppen und durfte beileibe kein Sori mit der Gesellin wechseln. Ja, als der Küster einmal Mut faßte und trotzig sein Pferd forderte, auch fragte, mit welchem Recht er hier festgehalten würde, band der Räuber ihn ohne viel Federlesens an der Decke der Höhle fest. Das sei sein Recht, antwortete er ihm.
Drei Tage und Nächte hungerte und dürstete der Arme da oben und gab sich schon verloren. Da hörte Bellebart in einem Frühgrauen, als
Zuerst kam Bellebart auf halber Strecke an den Salzwerken vorbei, in denen sich Unholde wie schwarze Klötze um Ebbe und Flut auf Erden mühen. Danach betrat er ein Tal, das war voll heißer Brunnen, die aus dem Boden aufsprangen. Einige Höfe der Riesen standen breit und mächtig in üppigen Gärten, Früchte prangten in nie gesehenen blanken und bunten Farben der Dunkelheit, Blumen brannten wie grüne und purpurrote Feuer.
In jenem Tal verbarg der Mann über Tag. Als die Dämmerung fiel, lief er weiter ins Gebirge, fand eine Straße unter schneebedeckten Steinen und gelangte am Morgen zu neuen warmen Brunnen, die zischende Strahlen aus den Felsen stießen. Da faßte er Vertrauen; einige Hünen wiesen ihm freundlich den Weg, gaben ihm zu essen und zu trinken, und nach ich weiß nicht wieviel Wochen erreichte der Küster wirklich das Schloß des Königs der Riesen.
Nun, Bellebart stellte sich bei Hofe vor, und die Herren, die ihre Zeit mit Speerstechen ausfüllten, hatten bald ihre Kurzweil mit ihm, fragten ihn über alles aus, was es auf Erden gäbe, wie er zu ihnen gekommen sei und anderes mehr. Sie schüttelten den Kopf über die Luftbahn der Zwerge, aber sie waren zu höflich, zu sagen, daß sie nichts davon glaubten. Endlich,
als der lustige Gast wieder gehen wollte, erlaubte der König dem Küster, sich ein Geschenk zu erbitten. Der wollte erst um die Jungfer und den Rappen beim Schafdieb anhalten, wußte aber nicht recht, ob jener Unhold seines Herrschers Befehl auch folgen würde; er wohnte allzu weit vom Hof.Bellebart tat darum sehr verlegen und bat nur, ihm als Erinnerung an den hohen Besuch den abgelegten Rock des jüngsten Königssohns mitzugeben. Der war gerade so groß wie der Küster.
Der Riese war gerührt über Bellebarts Bescheidenheit .wie über seine treue Anhänglichkeit; auch die Herren lobten ihn, packten ihm einen Mantelsack voll Zehrung, schenkten ihm noch ein altes Roß und entließen ihn mit freundlichem Handschütteln vom Burgplatz.
Der Küster saß auf, winkte zurück und hieß das Tier Schritt um Schritt aus dem Tor und über die Zugbrücke tun.
Kaum war er außer Sicht der Burg, brachte er den Gaul zum Stehen, warf das alte Wams ab, band sich damit im Sattel fest und zog selbst den Prinzenrock an. Das Federkleid behielt er bei sich, alles Überflüssige vergrub er am Weg.
Ihr könnt euch denken, wie großartig Bellebart jetzt das Reich durchritt. Wo er an einem Hoftor entlang kam, liefen die Leute herbei, riefen ihn an und schüttelten ihm die Hand. Einige wunderten sich ja, daß ein Königssohn allein sein Land durchreiste. Aber wenn sie nach seinem Gefolge fragten, wischte Bellebart sich den Schweiß von der Stirn und sagte, er sei eilig geritten, und die Herren würden ihn wohl bald einholen. Oder er erzählte von einer wilden Jagd, auf der er sich verirrt hätte. Dann staunten die Leute, drückten dem Küster herzhaft die Finger und versorgten ihn mit den schönsten Leckerbissen. So kam er trotz mancher Gefahren und trotz der aufrührerischen Kerle am Salzwerk, die mit Steinen nach ihm warfen, in guter Laune wieder zum Schafdieb ans Mondtor und verlangte gleich herrisch Nachtquartier.
Was machte der Riese für Augen über den hohen Besuch, wie konnte er sich beeilen! Er sah zwar etwas heimtückisch aus in seiner Hast, man
spürte, es lag ihm nicht, Königssöhne zu bedienen. Mitunter schielte er Bellebart auch wie in böser Erinnerung von der Seite an, aber er vermochte ihn nicht zu erkennen und tummelte sich und türmte den Tisch voll Brot und Käse und Schinken. Zwei große Bierkannen stellte er dazu. Oh, er sollte sich wohl gefällig zeigen!Am Fenster stand währenddes glühenden Angesichts die gefangene Windjungfer und wagte nicht aufzuschauen, aus Furcht, sich zu verraten.
Als es nun Zeit zur Ruhe wurde, fühlte sich der Riese müde, so oft hatte er auf des Königssohns Wohl getrunken. Er bot dem Gast auch sein eigenes Bett an und nötigte ihn sehr, aber der wollte durchaus im Stall bei seinem Tier bleiben. Er lachte dabei dem Mädchen zu, seine Blicke krochen wie eine Spinne an der Decke entlang, und die Jungfer verstand ihn und nickte wie von ungefähr vor sich hin.
Der Riese sah es nicht; er hatte schon schwefliggelbe Augen vor Trunkenheit, erhob sich mühsam und richtete dem Küster ein Bett im Stall. Während er es tat, gewahrte der Gast zu seiner Freude Hans Dümkes Tier an der Raufe, wohl gesattelt und gerade so schier wie damals, als er darauf herübergesprungen war.
Als der Unhold nun schnarchte und rundum alles still wurde, kam die Jungfer wieder spindelfein am Heuboden entlang zu Bellebart. Der küßte sie rasch, er hatte ja die Nacht seines Abschieds noch nicht vergessen. Dann feilten sie beide die kupferne Kette des Rappens durch und zogen das Tier in das dämmernde Licht hinaus. Und sie setzten sich auf seinen Kücken, schnürten sich fest, wiesen zu den ersten Sternen und flüsterten dem Pferd den Namen Hans Dümkes ins Ohr. Da nahm es einen gewaltigen Anlauf, schlug dröhnend ab und sprang steil in die Luft.
Aber ob es der werdende Tag, die lange Ruhe oder die doppelte Last tat: der Sprung ging zwar hoch in den Raum, schon sah man die steinerne Halde. Dann ließ das Tier plötzlich nach, warf den Kopf zwischen die Vorderläufe und fiel stöhnend mit ungeheurem Aufprall grade vor des Kiesen Höhle zurück. Der Küster war halb betäubt vom Sturz, er streichelte den Rappen, hörte den Unhold gähnen und aufgestört poltern und wollte in
Todesangst den Ablauf noch einmal wagen. Das Mädchen hielt ihn fest umschlungen und drückte vor Grausen den Kopf an seine Schulter. Da, als der Unhold schon die Tür aufriegelte, fiel dem Burschen in höchster Not ein, daß er das Federkleid unterm Wams verborgen hatte. Er riß es blitzschnell hervor, warf es über Jungfer und Tier und ritt an, daß die Flügel sich blähten. Grade als der Riese die Flüchtlinge erkannte und aufbrüllendDer Knecht hat schöne Augen gemacht, als der Küster gleich mit einer Braut zurückkam. Er hatte seinem Herrn schon dies und das erzählen müssen, um das Fehlen des Rappens zu verbergen, und hatte ein schlechtes Gewissen. Jetzt freute er sich aber an seinem guten Werk.
Bellebart mußte auch berichten, wie alles gekommen war, die drei blieben den ganzen Tag beisammen und erzählten einander. Schließlich gab der Wiedergekehrte zum Dank für die Hilfe Hans Dünken den Rock des Königssohnes. Wie hat der sich gefreut; ganz tief in seiner Lade hat er ihn verborgen, wer weiß, wofür er ihn wohl einmal zu brauchen hofft!
Dem Küster und seinem Mädchen ist es nach einer Weile gelungen, sich wieder in einen Zug der Unterirdischen hineinzuschleichen, die beiden sind glücklich auf Erden gelandet. Der Mann hat der Jungfer auch die Geschichte mit dem gestohlenen Federkleid gebeichtet, hat für sie gesorgt, und am Ende sind sie über Tränen und Freude ein fröhliches Paar geworden.
Siebzehn Kinder haben sie gehabt, aber davon erzähle ich ein andermal.
Abenteuer im Vordämmern
Nahe bei meinem Haus stand ein hohler Baum, in den legten früher die Leute aus dem Dorf zerbrochenes Zeug, Pflüge, Stühle, Siebe, Schuhe, des Abends hinein und schrieben auf einen Zettel, was daran zu flicken und auszubessern sei. Am nächsten Morgen fanden sie ihre Sachen dann heil und ganz wieder vor; eine billige Rechnung der kleinen unterirdischen Handwerker lag dabei, die sie eines Abends mit einigen Pfennigen bezahlten.
Nun wollte eines Tages ein Bauer beim ersten Tau Kräuter für seine kranke Frau sammeln. Und weil er gerade an jenem Baum vorüberkam, sah er nach, ob seine Pflugschar, an der die Unterirdischen die Schneide hatten schärfen sollen, schon zur Stelle war. Sein Gerät fand er nicht, wohl aber lagen da allerlei andere Sachen zum Abholen bereit, darunter ein wunderbarer Besen, der hatte ein rotes und grünes Licht auf dem Querholz.
Das ging kaum mit rechten Dingen zu; der Bauer, der ein gesetzter Mann war, wollte nicht, daß die Hexen ihr Gerät zusammen mit dem ordentlicher Leute ausbessern ließen. Er nahm deshalb den Besen mit den beiden Lichtem und warf ihn in hohem Bogen in die Au.
Der Arme hat ihm aber im gleichen Augenblick kopfüber nachfolgen müssen, und als er sich recht besann, saß er nicht auf dem Besen, sondern in einem schönen Boot, das rechts und links eine bunte Laterne führte. Und das Boot glitt, obwohl er es zu stoppen versuchte, schnell und immer
schneller mit ihm den Fluß hinab, ich weiß nicht wie lange, und hielt schließlich vor einem großen Wirtshaus. Es kamen auch allerhand andere Fahrzeuge ähnlich dem verzauberten Besen hinzu, und Leute, von denen er keinen kannte, stiegen aus, banden ihre Kähne an und gingen zur Tür hinein.Der Bauer nahm sich vor, nie wieder einen Hexenbesen ins Wasser zu werfen; aber er meinte auch, es könne nichts schaden, wenn er sich einmal umsähe und ein Gläschen gegen die Schwäche in den Knien kaufte. Er trat deshalb ein und setzte sich, weil kein anderer Platz frei war, zu fremden Leuten.
Sonderbar genug deuchten sie ihn. Da prahlte einer, wie er hier gerad vor vierhundert Jahren zum erstenmal Erbswurst gegessen hätte; ihm gegenüber saß ein anderer, der fuhr immer mit der Hand hin und her über den Tisch, und man hörte, während er es tat, wie daheim auf seinem Feld die Sense durchs Korn schnitt. Am buntesten wurde es, als auf einmal der Verlocker selbst dazwischenbrauste und alle Leute aufsprangen, weil jeder ihm als erster etwas erzählen wollte.
Der Böse merkte aber gleich, daß ein Fremder unter den Gästen war; er ging geradeswegs auf den Bauern zu und fragte ihn, wie er herübergekommen sei. Da stotterte der in seiner Angst, daß sein Weib krank geworden sei, daß er nichts als einige Kräuter für sie habe suchen wollen und so weiter.
Der Verlocker grinste; er erkundigte sich, was der Frau fehle, und weil er seinen guten Tag hatte, schenkte er dem Gast eine schwarze Salbbüchse. Daraus solle er der Kranken über die Stirn streichen, sagte er. Dann gab er ein Zeichen, und gleich rannte alles Volk hinter ihm drein und drängte zur Tür hinaus.
Der Bauer wollte aber nichts weniger als mit des Teufels Leuten fahren. Er lief einige Schritte mit, tat, als habe er noch auf dem Boot zu schaffen, legte die Taue zurecht, holte das Wrickruder ein und wechselte, um die Zeit hinzuziehen, die rote und grüne Laterne miteinander aus. Im Augenblick aber, wo das geschehen war, begann das Boot zu seinem Er
staunen den Fluß wieder hinaufzulaufen, den es eben heruntergekommen war.Da hatte er also gerade das Rechte getan; der Mann, der sich schon Sorgen wegen der Rückkehr gemacht hatte, freute sich, bald auf dem Hof zu sein. — Aber die Frühdämmerung war inzwischen aufgestiegen, es ging mit dem Boot nicht mehr so rasch wie talabwärts. Schon nach kurzer Zeit gab es einen Halt, und als der Bauer aufblickte, war quer über den Fluß eine kleine Brücke geschlagen, über die fuhr ein langer Hochzeitszug von Unterirdischen. Sie waren aber vergnügt und außer Rand und Band, so daß einer von ihnen ins Wasser rutschte und nicht wieder nach oben kam. Gleich hielt der Hochzeitszug an, und die Leute begannen zu schreien: "Rohmann is doot, Rohmann is doot, nu sünd wi all in grote Noot!
Dem Bauern tat es leid um Rohmann, er warf den Rock ab, sprang tapfer in den Fluß, und es gelang ihm wirklich, den Knirps halbtot heraufzuziehen. Und weil er gerade die Dose mit Salbe in der Tasche fühlte, versuchte er sie an ihm, ehe ihn jemand daran hindern konnte. Sobald er den Kleinen damit berührte, schlug der die Lider auf.
Aber er hatte im gleichen Augenblick auch Schwanz und Pferdefuß, das kam wohl von der bösen Herkunft des Zaubermittels.
Die Unterirdischen erschraken und machten sich Sorge über Rohmanns Huf, aber schließlich war es ihnen mehr wert, daß sie ihren Freund wieder bei sich hatten. So dankten sie dem Bauern, und der Älteste, ein Knirps mit einem Bart, der ihm über beide Schultern nach hinten fiel, ließ sich die Büchse zeigen und erzählen, wie der Helfer sie erworben hatte.
Solche Art Salbe, riet er indes, solle der Nachbar bei seiner Frau lieber nicht versuchen, es könne ihr wie Rohmann ergehen. Als er dabei die Enttäuschung des Bauern sah, fügte er hinzu, er habe ein besseres Mittel. Und er schenkte ihm, wohl zum Dank für die Rettung eines der Seinen, wieder ein Schächtelchen. Die Salbe, die darin sei, werde der Kranken bestimmt helfen, erklärte er. Dann brach das kleine Volk die Brücke ab, und der Mann konnte weiterfahren.
Kaum war er eine Weile unterwegs, da wurde sein Schiff von einem Wasserkerl angehalten. Nein, sagte der, hier käme kein Mensch mehr lebendig vorüber, es sei denn, daß er ein Mittel wisse, seinen Vater Brunnemann vom Zahnweh zu heilen.Der Bauer wollte seine Arznei nicht hergeben, er wollte sie ja für seine Frau verwahren. Als indes alles Verhandeln nichts half, zeigte er die
Nun ließen die Wasserleute das Hexenschiff weiterfahren, aber der Bauer sollte die Kranke immer noch nicht erreichen. Wo nämlich der Fluß durch die großen Wiesen geht, waren viele kleine Elfen beieinander, die mit einer Hollentochter in der Vorfrühe getanzt hatten. — Ach, und die eine von ihnen weinte bitterlich; ein alter Unterirdischer hatte sie in den Fuß gebisse.. D schöne Hollentochter hielt deshalb wieder das Schiff an und fragte den Mann im Zauberboot, ob er nicht eine gute Salbe wüßte gegen den Biß eines Unterirdischen hatte sie nichts bei sich. Sie besah auch das Boot von allen Seiten und meinte, das sei ein schlimmer Hexenbesen, und der Herr solle sich schämen, damit zu fahren.
Da kriegte der Bauer Furcht; es war ja richtig, was die Hollentochter sagte. Er zog deshalb die grüne Salbenbüchse, die Vater Bunnemann ihm mitgegeben hatte, aus der Tasche und erbot sich, dem Elfenkind den Fuß zu heilen. Und er bestrich die böse Stelle, und die Schmerzen vergingen im Nu — aber im nächsten Augenblick plantschte die kleine Elfin wie eine Otter im Wasser und wollte gar nicht wieder heraus, die Salbe war wohl für ein anderes Volk bestimmt gewesen.
Der Mann bekam ein rabenschwarzes Gewissen, als er sah, was er angerichtet hatte, und freute sich nur, daß er das Mittel nicht seiner Frau gegeben hatte. Aber die Hollentochter war gar nicht böse; sie hatte sich längst eine Nixe als Nachbarin gewünscht. Und als der Bauer ihr seine Geschichte anvertraute, lachte sie, sammelte kleine rote Kräuter, verrieb sie zwischen den Fingern und füllte ihm das Töpfchen von neuem. Er bekam sogar noch ein Goldstück dazu, so zufrieden war die Schöne mit ihm.
Dann konnte er endlich heimfahren, fand seinen Hof wieder, hielt am Steg und ließ das Schiff gemach weiterreisen, ich weiß nicht wohin. Die Magd begegnete ihm; er eilte in die Kammer, in der seine arme Frau auf ihn wartete, und legte ihr die Kräuter der Hollentochter auf die Stirn. Was glaubt ihr? Gleich fühlte sich die Kranke gesund und war dazu jung und schön, wie es nur die Hollenkinder sind. Schon konnte sie laufen und springen, tanzte mit ihrem Mann über die Diele, durch den Garten, küßte ihn, und die beiden waren vergnügt wie nie.
Als sie dabei zur Straße gelangten, stand ein altes Weib an der Tür, jammerte und sagte, es habe seinen Besen verloren und könne ihn nicht wiederfinden. der Bauer ihn nicht gesehen hätte. Da kriegte der Mann ein schlechtes Gewissen, ging zum Krämer und erwarb einen neuen, er wollte sich ja nicht an fremdem Eigentum vergreifen. Aber die Hexe wurde grün vor Wut, als er ihr seinen Kauf brachte, schlug den Stiel am Hofpfosten entzwei und fuhr mit einer bösen Verwünschung von dannen.
Auf den Besen vom Krämer kam es ihr ja nicht an.
Vom Rostocker Kröger und vom falschen Silbergeld
Von einem alten Rostocker habe ich auch eine Geschichte gehört, die will ich versuchen zu erzählen.
Mein Vater hatte auf dem Altonaer Markt einmal wieder den Wintervorrat an Äpfeln und Birnen gekauft. Es waren immer gleich einige Säcke, die er den Bauern vom Altenlande jenseits der Elbe vom Kahn herab abnahm und die dann unter meiner Aufsicht heimgebracht werden mußten. Das geschah, indem Vater nach längerer Verhandlung einen der Allten, die mit ihren schottischen Karren auf der Lauer standen, auswählte, selbst noch das Aufladen der Wundersäcke mit Äpfeln überwachte und dann dem Karrenmann auftrug, wohin er die Last zu schaffen hatte. Weil diese Art aber nicht zuverlässig wie echte Fuhrleute ist, erteilte er seinem Ältesten den Rat, achtzugeben, daß Äpfel und Birnen nun wirklich in das rechte Haus kamen und sanft und kunstgerecht über den Boden ausgerollt wurden, ehe der wackere Helfer den Fuhrlohn ausgezahlt kriegte. Auch hatte ich Mutter zu bestellen, wieviel Rollgeld abgemacht sei, sie hatte ein allzu gutes Herz und viel Mitleid mit den Karrenleuten.
Meist habe ich den Auftrag gut erfüllt. Aber einmal bin ich mit meiner Fracht so spät angekommen, daß die Eltern schon in heller Sorge waren; ach, der Alte, den Vater gewählt, wußte ja zu viele und zu bunte Geschichten.
Bei jeder Straßenecke — und es ging arg bergauf —hat er angehalten, hat sein Schweißtuch gezogen und Nacken und Haar getrocknet. Und jedesmal hat mir der Mann — noch sehe ich seinen stoppeligen Bart und die hochgezogene Stirn — ein Stück jener wunderlichen Erlebnisse erzählt, die ich hier, soweit ich mich noch erinnere, wiedergeben muß.Er war Wirt in Rostock gewesen in seinen guten Tagen — das heißt, vorher war er, wie es sich für einen Rostocker gehört, auf See gegangen und hatte es sogar big zum Kapitän auf kleiner Fahrt gebracht, so sagte er wenigstens. Dann war da etwas gewesen — einerlei, er hatte sich an Land zur Ruhe gesetzt. In seiner Vaterstadt natürlich. In der Schenke aber, die er übernahm, hatte die Galionsfigur der "Dunkan Hill" gehangen, eines Schiffes, das einst an der Mecklenburger Küste gescheitert war. —Ja, und damit begann eigentlich die Geschichte, die er mir hatte erzählen wollen, und wir hatten auch erst den halben Weg hinter uns. Weil der arme Mann indes doch einmal Kapitän gewesen war und es so schwer mit der Karre hatte, schob ich nach Leibeskräften mit und rief sogar einen Schulfreund an, der vorüberschlenderte, er solle helfen. Aber der gab's schon nach einigen Schritten hochmütig auf und ging seines Weges. Das beschämte mich.
Ich will auf das Geheimnis der Galionsfigur zurückkommen. Es war mit ihr so, wie es immer wieder aus der Sehnsucht seefahrenden Volkes erzählt wird. Ach, die Frau, die da aus Holz in der Schenke hing, war nicht tot, sie war durchaus nicht ohne Leben, wie gewöhnliche Menschen es sich vorstellten. Sie atmete, wenn auch unmerklich für uns; und es gab Stunden, da konnte sie reden und sich verständlich machen. Mehr noch: der Klabautermann des Schiffes, zu dem sie einst gehört hatte, wußte um Bescheid; er war nahe und besuchte sie zuweilen, um über vergangene Tage mit ihr zu sprechen. Das war meist nach Mitternacht, wenn Peter Böge — so hieß mein Vertrauensmann — ohne Kundschaft in seiner Wirtschaft saß. Sehr vorsichtig trat dann der Alte in die Tür und war willkommen, weil ein rechter Kröger, gleichgültig zu welcher Stunde, mit erlauchten Gästen immer gern einige Betrachtungen über den Weltlauf anstellt,
Es ist hier einerlei, wie und warum die Galionsfigur der "Dunkan Hill" gerade in die Rostocker Schenke geraten war und warum der getreue Klabautermann ihr noch anhing und auf kein anderes Schiff gehen wollte. Auch das war eine lange Geschichte; während wir an der Karre standen und ich sie anhörte, schrammte uns ein Wagen, es tat mir leid um die Äpfel, die einen Unfall erlitten. Aber für alle Fälle war die Erzählung vom Untergang der "Dunkan Hill" wichtiger, und wenn ich sie hier nicht wiedergebe, so ist's nur, um bald zu berichten, wie Peter Böge nach dem Kongo fuhr. Es gehört zu meinen buntesten Jugendträumen. Lange habe ich heimlich gehofft, daß auch vor mir einmal ein solches Wasserweib Leben gewinnen und daß es mir eines Tages so ähnlich ergehen würde wie dem Rostocker. Aber ich nahm mir doch vor, alles in großer Redlichkeit zu betreiben, den Handel wie auch den Besuch der Wunderinsel.
Also in der Stunde nach Mitternacht, so erzählte mein Gewährsmann, sei der Klabauter der "Dunkan Hill" in seine Schenke gekommen. Und die Frau konnte sich, wenn der Knirps sie rief, wie lebendig und wirklich zu den beiden an den Tisch setzen. Dann haben die drei lange miteinander geredet, und schließlich haben die Fremden dem Wirt den Vorschlag gemacht, er solle einen Schoner kaufen und noch einmal ausfahren. Und die Galionsfigur solle unterm Steven hängen. Um alles andere brauche er sich nicht zu mühen, außer um die Leute und um den rechten
Ich weiß nicht mehr, was die sonderbaren Gäste meinem Freund an Gewinn versprochen haben, das ist auch einerlei. Die betrübliche Tatsache ist, daß er sein Haus, das er sich doch auf Lebenszeit erstanden hatte, nach langem Zureden verkaufte und daß er eines Tages einen schmucken kleinen Schoner sein eigen nannte. Und die Galionsfigur hing unterm Steven.
Mit vier Rostocker Leuten ist Peter Böge zu jener sagenhaften Fahrt ausgelaufen, die, wenn's nicht soviel Nüchternheit auf der Welt gäbe, längst hätte aufgezeichnet werden müssen. Gut getakelt war das Schiff, ist rasch um Skagen herumgekommen, um in Schottland noch einmal
sechs Leute an Bord zu nehmen; so hat der Klabauter es haben wollen. Dann ist der Schoner mit unbekanntem Ziel ausgesegelt.Und der Knirps hat hinter dem Rudersmann gestanden und hat eine sonderbare Fahrt durch viel Nebel und Regen befohlen, so als sei er selbst der Reeder. Eines Tages haben sie einen Hafen angelaufen, der ist auf keiner Karte verzeichnet, und doch wissen viele Schiffer um ihn. Silbern ist der Strand, sagte Peter Böge, aus Edelgestein sind die Fenster der Straßen. Was es indes dort an Schätzen gibt, hält in unserer Welt nicht lange vor, nicht länger, als die Geister nahe sind, die ihnen folgen. Ein redlicher Mann soll darum keinen Handel von dort nach hierher betreiben.
Das sah ich ein und nickte.
Wie die Insel .ß? habe später einmal gehört, daß sie Utwunder genannt wird, aber wie der Alte sie bezeichnete, kann ich nicht sagen. Sogar der Mme der Stadt ist mir entfallen, es wird ein sehr schweres Wort gewesen sein.
Nun, die Hauptsache ist, daß der Schoner auf Utwunder viel Ladung genommen hat, Silber und Münzen und Ketten und Perlen, und ich weiß nicht was alles. Und die Schotten hätten mit dem Betrug genau Bescheid gewußt, sagte Peter Böge, nur er selbst hätte damals noch geglaubt, es ginge wohl mit rechten Dingen zu. Auch seien da drüben der Klabauter und die Stevenfrau wie lebendige Wesen und respektierliche Personen jedem sichtbarlich am Kai auf und ab gelaufen; das hätte er sich durch den Kopf gehen lassen. Und es war alles wie geträumt, erklärte mir der Rostocker, und doch echt und unverfälscht. Das habe man an den schönen Mädchen gesehen, kicherte er, und ich nickte und tat, als begriffe ich.
Sie hätten auf jener Insel auch keine Papiere nötig gehabt, sagte mir Peter Böge, und einfach eingeladen, was der Schottlandmann und seine Frau verlangten. Dann seien wieder in See gestochen, hätten einen Bogen um die Schiffswege geschlagen, als wollten sie niemandem begegnen, und hätten viel Zeit gebraucht, so daß ihr Trinkwasser faulig wurde.
Es ging auf Afrika zu; die Schotten haben bald von dem großen Strom geredet, zu dem der Alte wollte; sie waren wohl schon früher einmal bei ihm an Bord gewesen.
Eines Tages sind sie wirklich in die Mündung des Kongo eingelaufen. Der Klabauter hat das Ruder in die Hand genommen, er kannte das Fahrwasser wie ein Lotse, gleichwie andere den Weg durch die Schären nach Stockholm wissen.
Was sie dort dann an Handel trieben, ist mir nicht ganz verständlich geworden. Sie haben, so scheint es, allerhand von der vergänglichen Mare, die sie in Utwunder geladen hatten, gegen Elfenbein ausgetauscht, haben sich aber immer rasch wieder aus dem Staub gemacht. Gewiß ist, daß sie an den Leuten da unten Unrecht taten — der vom Apfelkarren erzählte es mit erhobener und warnender Stimme, so daß es mir durch und durch ging. Auch haben die Matrosen viel Streit mit den Schwarzen gehabt, die Schotten sind ja ein rauhes Volk und haben ein anderes Herz als die Rostocker.
Nun, das Schiff war am Ende mit teuren Gewürzen und mit Elfenbein angefüllt, es war kein Handel mehr nötig. Die Besitzer sind deshalb wieder ausgelaufen, haben gute Fahrt gemacht und haben in London abgeladen. Und alle Leute haben ein tüchtiges Stück Geld ausgezahlt erhalten.
Als sie die Hände noch voll hatten, sind unser Rostocker und einige von den Schotten gierig nach mehr geworden. Sie haben ohne den Klabautermann noch einmal nach der Insel Utwunder ausfahren wollen.
Aber sie haben sie nicht wiedergefunden.
Vielleicht kam es davon, daß sie schuldig geworden und das Silber von Utwunder in Afrika für bare Münze verkauft hatten. Vielleicht auch weiß eben nur solch ein Klabauter den Weg dahin. Nein für unseren Freund und sein schottisches Schiffsvolk hat sich das Glück bald in Unglück gewandelt. Als sie nach langem vergeblichem Kreuzen heimführen, sind sie in die großen Herbststürme gekommen, sind im Kanal gescheitert und haben alles verloren.
Dem Mann, der mir die Apfelsäcke nach Hause brachte, war es um sein Schiff leid; er verwünschte die Schotten, die ihn zur zweiten Ausreise verlockt hatten, er verwünschte, daß er seine gute Wirtschaft in Rostock verkauft hatte.
Aber dann hatte der Alte plötzlich funkelnde Augen und redete von dem sonderbaren Hafen, wo der Strand aus Silber sei und Mädchen so schön und freundlich wären, wie man es bei uns gar nicht kennt. Und vom Elfenbein, das man eingetauscht, und von dem geheimnisvollen Klabauter — oh, ich hätte noch stundenlang lauschen können. Aber es war dunkel geworden, ich hörte auf einmal meinen Vater rufen, was denn los sei und
wo ich so lange mit der schottischen Fuhre gesteckt hätte. Da hatten wir beide, der Alte und ich, ein jämmerlich schlechtes Gewissen und schoben und schoben den Karren, bis das Rad über die Kantsteine rollte und alle Äpfel und Apfelsäcke kopfüber auf den Damm purzelten.
Das verzauberte Reich
Weitab von den Menschen zwischen Kiefern und Heidewald wohnte ein alter Siedler mit seinen drei Söhnen. Er war in jungen Jahren von der Stadt herübergekommen, hatte mit seinem Weib die Hütte aufgebaut und so viel Land umgebrochen, daß sie davon leben konnten. Viel hatte er arbeiten müssen sein Leben lang und war selten über den Rain seines Ackers hinausgeschritten. Deshalb graute ihm auch vor einem Hagen, der wie ein dunkler Molchrücken sich nach Westen hinzog. Die Leute sagten, dahinter stimmten die großen Wandkarten des Schulmeisters nicht, man könne unendlich weit wandern und käme in ein Land mit schönen Burgen und verzauberten Reichen. Andere aber meinten, hinter dem Hagen läge ein tiefes Meer, in dem jedermann elend ertrinken müsse, auch wenn er den Pfad durch den Maid gefunden und die Unholde am Weg überwunden hätte. Ihr könnt begreifen, der Alte hatte nicht viel Lust, sich dahin zu wagen.
Als seine Jungen aber aufgewachsen waren, als der Busch rund um die Hütte spärlich wurde und nicht einmal zum neuen Schafstall reichte, baten die drei den Vater, mit ihnen zum Wald zu gehen, um Holz zu hauen.
Nun hatten die Söhne in der gleichen Nacht einen wunderlichen Traum. Sie standen noch vor ihrer Rate, da sahen sie quer durch den fernen Hagen hindurch bis zum Meer. Mitten im Wasser lag eine Burg, vor der ein wunderschönes Mädchen mit seinem Hofstaat Ausschau hielt. Es war sogar, als winkte es ihnen. Da tat sich das Burgtor hinter ihm auf, die Fremde wandte sich traurig. Und die Schläfer sahen
durch das Tor hindurch einen alten König am Tisch sitzen und neben ihm einen dunklen Riesen, der das edle Fräulein rief.Sie verbargen den Traum voreinander, aber sie sprachen sehnsüchtiger davon, daß es Zeit würde, zusammen zum Wald zu gehen, um Holz für den Schafstall zu schlagen. Mittags hielt es der älteste der drei Brüder nicht mehr aus, er brach auf, den Pfad zu jener Fremden zu suchen; er fürchtete, ein anderer könnte ihm zuvorkommen.
Gegen Abend gelangte er zum Waldrand. Da stand ein riesiger Stein mit einem menschlichen Kopf und fragte jeden Vorbeigehenden nach seinem
"Holz hauen will ich", sagte der Siedlerssohn.
Da grinste der Kopf, weil er jemand bei einer Lüge überrascht hatte; er schüttelte sich, der Fels barst entzwei, und ein gelber Sandkerl machte sich auf und davon. Der arme Bursch aber spürte, wie er erstarrte, wie er selbst zu dem steinernen Gesicht wurde und rührlos am Weg stehenbleiben mußte.
Als der Bruder zum Abendbrot nicht heimkam, wußten die andern, daß er zum Wald aufgebrochen war; sie wurden scheelsüchtig oder traurig und fürchteten, daß ihm etwas zugestoßen sei. Aber sie vermochten doch nicht, miteinander über ihre Gedanken zu sprechen, jeder hoffte, daß es ihm selbst einmal gelingen würde, das Mädchen zu finden, von dem er geträumt hatte.
Anderntags bekam der zweite Bruder solche Sehnsucht nach der Fremden, er nahm die Art auf die Schultern und ging heimlich den gleichen Pfad wie der ältere. Er sah den großen Stein am Weg liegen, in dem sein Bruder gefangen war, aber der erkannte ihn und ließ ihn vorbeischreiten. Als der Bursch jedoch das Walddickicht betrat, beugte sich ein knorriges Gesicht oben aus einer Buche zu ihm nieder und fragte herrisch nach seinem Begehr.
"Holz hauen will ich", log er.
Da hob ein Drull hohnlachend die Fäuste, trat aus dem Stamm heraus und lief eiligst davon. Und der Bursche fühlte, wie ihm die Füße ein
wurzelten, wie sein Gesicht und sein Leib sich lang zogen und wie er selbst zum Baum wurde.Als auch der zweite nicht heimkehrte, verzagte Iwer, der dritte Bruder, und mußte lange nicht, was er beginnen sollte. Er war ein junger Fant, täppisch und unentschlossen, und wagte sich noch nicht allein vom Hause fort. Sein Vater fragte ihn oft, wohin die anderen Brüder gegangen
waren. Iwer wußte es nicht, er sagte
aber auch nichts von seinem Traum,
es war, als würde er alles verlieren,
wenn er ein Wort davon verriet.
Endlich konnte er die Trauer seines Vaters und die Sehnsucht nach der Unbekannten jenseits des Waldes nicht länger ertragen; er machte sich auf den Weg, um nach seinen Brüdern Ausschau zu halten und das schöne Fräulein zu sehen. Ehe er aber ging, suchte Iwer, womit er sich der Fremden gefällig erweisen könnte. Er fand nichts Rechtes |
Damit wanderte der junge Iwer klopfenden Herzens seines Weges. Er sah auch den riesigen Stein, aber sein Bruder, der ihn wohl hätte anhalten müssen, tat ihm nichts. Er sah den Baum wie ein Menschengesicht am Waldeingang, aber obschon sich jemand darin rührte, kam er glücklich vorbei. Dann lief der Bursch die ganze Nacht durch den Hagen und erreichte in der Frühe das Meer, so wie er geträumt hatte. Als er sich da nun umschaute, wie er wohl weiterkäme, saß ein Seewiweken, das ist eine kleine Meerminne, halb vergraben im Strand und lachte ihn an: "Wohin willst du?
"Holz hauen!" wollte Iwer sagen, aber es war, als lauerte die Nixe schadenfroh auf etwas, das ihn in ihre Macht gäbe. Er fragte sie deshalb lieber, wo er eigentlich sei und ob er ein paar Perlen hier irgendwo zur Nacht einkehren könnte.
Die Glasperlen wollte die Frau gleich sehen, sie erblickte auch den kleinen Ring und die Schnalle und bettelte sehr darum. Da schenkte Iwer ihr eins nach dem andern, und sie gab ihm einen Laib Brot, eine Feldflasche mit Milch und einen Beutel Tabak. Dabei lachte sie und sagte, er werde das wohl nötig haben, aber mehr dürfe sie nicht verraten. Dann wieg sie ihm einen Pfad und grub sich flugs wieder in den Sand ein, ehe er von neuem fragen konnte.
Als der Bursch nun den Scharweg weitertappte und Umschau hielt, sah er einen alten Nachen im Schilf liegen. Und weil es inzwischen Abend geworden war, rastete er und ruderte, um's einmal zu versuchen, auf See hinaus, so recht ohne zu wissen, wohin es ginge.
Es war aber ein zauberisches Fährboot, das er gefunden hatte. Kaum hatte er abgestoßen, da begann es ohne Aufhören rasch und rascher das Mondlicht zu durchfahren, neigte sich und schnitt, ohne daß es zu merken war, schnurgerade in die Tiefe hinab.
Endlich setzte es Iwer vor einem großen Burggarten ab, den liefen viele Schiffe mit Reisenden und Knechten an; es fiel gar nicht auf, daß ein Fremder gekommen war.
Der junge Bauer mengte sich unauffällig unter die Burgdiener, und weil er Hunger und Durst hatte, setzte er sich zu einigen riesigen Wassermännern, die in der Vorhalle zechten und es sich wohl sein ließen. Sie nahmen ihn gut auf, tranken und würfelten mit ihm, und einer der Socken gab dem Burschen sein altes Wams, als er verlor. Da sah Iwer beinahe den wilden Wachtkerlen gleich. Nur von seinem Gesicht wußte er wenig, und Spiegel gab es in der großen Vorhalle nicht. Er meinte aber, daß er ebenso feiste Backen wie die Knechte und Vortrinker hätte.
Als die Wasserleute nun auf die Wache verteilt wurden, lief er noch unter ihnen und bekam einen Posten an der Schloßmauer, dicht vor einem Gitter aus Mondstrahlen, das den Innenhof der Burg verschloß. Da sollte er zwei Stunden stehen.
Es wurde ihm ein wenig unheimlich dabei. Wenn Iwer zur Seite sah, schien jemand durch die Vergitterung nach ihm auszuschauen. Aber immer, wenn er sich wandte und die glitzernden Stäbe prüfte, war das Gesicht verschwunden; nur ein Seufzen blieb zu hören. Einmal, als er nahe vorbeischritt, vernahm er eine leise Bitte um etwas Brot. Dem Burschen fiel ein, daß er noch einen Laib in seiner Wandertasche hatte, die Meer- minne hatte es ihm ja mitgegeben. Er brach also ein Stück davon ab und reichte es durchs Gitter. "Hier, armer Umgänger", sagte er, "hungern sollst du nicht!
Kaum hatte er es getan, da erblaßte das Mondlicht ein wenig, und er sah eine Jungfer, die das Brot von ihm nahm und es einem sehr schönen Fräulein brachte, das hinter ihr durch den Burggarten wandelte. Da wurde dem Wächter feierlich zu Sinn. Er erkannte die Fremde aus seinem Traum, grüßte und seufzte von Herzen, um ihr zu zeigen, daß er um ihretwillen gekommen sei. Zu reden wagte er nicht recht. Aber die Königstochter schien wohl Bescheid zu wissen, nickte freundlich, und als er sein Gesicht ins Gitter zwängte, trat auch sie heran, streichelte ihn und
erzählte ihm, sie wohne schon, solange sie denken könnte, in diesem riefen Schloß. Ihr armer Vater und sie seien einst von der hellen Erde hierher verwünschen. Und nur alle Jahre einmal dürfte sie den Menschen durch ihre Träume eilen."Hast du es denn nicht gut?" fragte Iwer; ihm schienen Burg und schöne Kleider recht begehrenswert.
Ach, seufzte das Fräulein, was gäbe es darum, wieder auf der sonnigen Erde zu sein. Atm schlimmsten wäre aber, daß ein großer, schwarzer Wasserkönig um sie freien wolle. Da möchte sie lieber sterben. Während sie so sprach, verlor sich ihr Gesicht. Der Bursche mußte sich eilen, ihr ein neues Stück Brot zu brechen.
Noch als er's versuchte, hörte er andere Stimmen um einen Krumen flehen; ihm wurde unheimlich zumute, er spürte, daß er wohl etwas Verbotenes tat. Kam auch schon ein böser Ruf aus der Tiefe des Schlosses näher, alle Schatten und Gesichter flüchteten erschrocken und warnten ihn. Da ließ Iwer Wache Wache sein, warf das Wams ab und verbarg sich in den wilden Seegräsern, die weiter ab auf dem Grund wuchsen. Einen ganzen Tag blieb er in seinem Versteck.
Am Abend aber kamen Brunnenbohrer vom Schloß, die hatten zu sorgen, daß auf dem Meeresboden gute Quellen sprängen; sie fanden Iwer und herrschten ihn an, er solle hier nicht faul herumtreiben, sondern mithelfen. Hatten auch gleich genug Werk für ihn; in tiefe Schächte stiegen sie hinab, Salzlager waren da angeschlagen, Brunnen strömten mit großer Gewalt aus den Gründen auf. Aber die Wächter waren nicht zufrieden; Sonne und Mond tranken zuviel von dem Zaubermeer, in dem sie lebten, sie mußten hurtig am Werk sein und tauften und gingen mit Ruten über den tiefen Grund und klopften wieder die Schächte nach neuen Salzen und Quellen ab.
Viele Wochen blieb Iwer bei ihnen, er gewann das Vertrauen der Leute und lernte Stollen unterm Meeresboden treiben. Mitunter kam ein alter Bag und sah sich seine Arbeit an, oft war er ganz allein. Er hatte aber nicht fern von der Burg zu tun, und als der Aufseher wieder einmal
bei ihm gewesen war, packte ihn solche Sehnsucht nach der Stimme des Fräuleins, dem er sein Brot gegeben hatte, er schlug sich heimlich einen eigenen Schacht just unter die großen Burgmauern, verstopfte den Zugang, so daß niemand ihn verfolgen konnte, und kam um Mitternacht wirklich ins Freie; gerade in der Kammer der Königstochter stieg er hoch. Aber helfen konnte er nicht, auch war ihr Lager ganz von silbernen Stäben umschlossen, er hörte nur ihr Seufzen und ein feines Schluchzen. Da rief er leise hinüber: "Willst du Brot haben?"Ach ja, Brot, und noch lieber ein wenig Milch dazu, damit ich wieder Blut gewinne wie die Menschen!" Iwer reichte flink seine Feldflasche durch die Stäbe und wollte schon den Mund dazu spitzen. Da kam ein fremdes Rollen und Poltern, die grünen Augen eines Wächters näherten sich, wütend und bösartig. Der Bursch machte sich eilig von dannen und war, gerade als der Hauerbas wieder nach ihm fragte, an seinem alten Werkplatz.
Als Iwer in der nächsten Nacht, noch leiser als zuvor, den Weg zur Königstochter suchte, blieb in der Kammer alles still. Da wurde der Bursche besorgt und rief überall durch den Raum. Niemand antwortete ihm. Endlich schlüpfte jene kleine Jungfer, der er das erste Mal Brot geschenkt hatte, wie zufällig bei ihm entlang, entsetzte sich sehr, als sie Iwer sah, und fragte, ob er denn nicht in der Frühe Hochzeit halten wolle. "Davon weiß ich nichts", sagte er traurig, "aber vielleicht holt man mich noch.
Da rang die Zofe die Hände, erzählte mit fliegendem Atem, es sei einer da, der ihm gleich sähe und dem das Fräulein sich verlobt habe. Was nun zu tun bleibe? Gewiß sei da ein böser Betrug im Gang!
"Ja, was ist zu tun?" klagte Iwer und machte ein sehr trübseliges
Ob der Herr nicht Milch und Brot gebracht habe?
Das hätte er getan!
Ob er noch ein Drittes wüßte, um dem armen Fräulein weiter zu helfen?
Tabak werde wohl nicht rauchen, fragte Iwer und dachte an die drei Geschenke des Stadenweibchens.
Die Zofe glaubte, er wolle sich über sie lustig machen, und lief klagend auf und davon. Der Bursch überlegte hin und her, was da zu tun sei, nahm selbst sein Pfeifchen, stopfte von dem nutzlosen braunen Kraut hinein und zündete es an.
Da ging der Hauerbas durchs Schloß und sah ihn nicht.
Iwer glaubte, der andere sei blind geworden, und rief ihn; aber der Bao starrte nur erschrocken an ihm vorbei.
So merkte der Bursche, daß der Tabak auch seinen Zweck hatte und daß der Rauch ihn unsichtbar machte. Erstaunt ging er weiter, stapfte durch den Garten, über dem hoch oben das Wasser wie Wolken stand, und prüfte, ob wohl jemand seiner gewahr würde. Dann schritt er frech durch das große Schloßtor. Und nicht einmal die rote Leibwache des Wasserkönigs erkannte ihn. Das machte den armen Werber so vergnügt, er überlegte schon, wie er sich zu seiner Liebsten durchfragen könnte.
Im Schloßinnern war aber ein mächtiges Laufen und Rennen zu einem großen Fest. Aufträger eilten mit Braten und Tellern hin und her, die Schlote qualmten, niemand hatte Zeit für den Armen.
Erzürnt trat er in die Küche ein, um zu sehen, welchen Weg die Diener nähmen. Die Köche brutzelten und brieten, daß es eine Lust war, alle Töpfe schmorten und zischten, es war ein Lärm, daß man sein eigenes Wort kaum verstand.
Als Iwer nun so zwischen den Leuten entlang lief, stolperte jemand über seine Füße und
stieß einen großen Kübel Wasser über den Herd. Da erlosch das Feuer und qualmte gewaltig, alle Köche schlugen die Hände über dem Kopf zusammen. Unser Iwer aber hatte gelernt, er schmiß Pfannen und Platten um, daß es in der Küche wimmelte wie in einem Ameisenhaufen. Dann ging er rauchend vor die Tür, warf sie zu und tat von außen drei Riegel vor, so daß der Sumpf aus allen Spalten pfiff.Der Bursch suchte jetzt die Treppe zum großen Saal. Dabei hörte er zwei Stufen miteinander reden. "Ach", trauerte die eine, "daß die arme Königstochter jetzt doch den Wasserkerl heiraten muß!
"Und es ist schon ein Mensch so weit gewesen, daß sie Milch und Brot von ihm bekommen hat", sagte die andere.
Aber gegen den Trugspiegel des Wasserkerls kommt doch niemand an!
Was ist das für ein Spiegel? dachte Iwer und horchte aufmerksam. Was ist das für ein Spiegel?"fragte auch eine dritte Stufe.
Ach", seufzte die erste, "da meint die arme Prinzessin, daß sie den heiratet, der ihr Milch und Brot gebracht hat. Das macht, weil der Wasserkerl den Spiegel bei sich trägt, da sehen ihn alle für einen jungen Wachtmann an.
In dem Augenblick kam ein Rufen von oben, viele Diener schalten, wo der nächste Gang bleibe; von unten nahten zugleich Aufträger und schrien ratlos, in der Küche sei der Böse los und es stänke aus allen Spalten. Wie die wilde Jagd purzelten die Krieger an Iwer vorbei, um zu helfen.
Als er allein war, vernahm der Bursch, wie die Stufen sich weiter besprachen; sie glaubten wohl, daß keiner sie hörte. "Wenn man nur wüßte, wo der ist, der unserer Prinzessin Brot und Milch geschenkt hat!"
"Niemandem braucht sie zu folgen, der ihr nicht Milch und Brot bringen kann", sagte eine andere.
"Ach", stöhnten alle zusammen, "wo ist er geblieben, der zu uns kam und nicht weiß, daß er drei Geschenke mit in die Tiefe nahm?
Da war unser Iwer wieder ein Teil klüger und beeilte sich. Mit ein paar großen Sprüngen, die Pfeife im Mund, war er oben im Hochzeits saal. Und wie es unten in der Küche so schön angefangen, begannen auch
dort bald die Teller und Töpfe zu wackeln, flogen die Mundtücher durch die Luft, fielen die braunen Tunken über alle Kleider, gab es einen Wirrwarr und ein Verfolgen, ein Jammern und ¨Donnerwettern, daß alles in wilden Aufruhr geriet. Aber der Wassermann saß wie ein Spiegelbild Jwers neben der Prinzessin und kümmerte sich wenig darum. Er grölte nur mitunter, daß der Saal dröhnte und die Leute vor Furcht bebten.Der zaghafte Iwer fühlte sein Herz klopfen, er schmauchte und schmauchte, um vor den grünen Augen seines Doppelgängers unsichtbar zu bleiben. Dann aber sah er die Königstochter und nahm allen Mut zusammen; er ließ Schüsselklappen, Tellerwerfen und ging rechtwegs zur Mitte, um den Betrug aufzudecken. Mit festem Schritt trat er hinter den Wassermann.
Als der Bursch jedoch zum letztenmal aus vollem Halse sein Pfeifchen schmauchte, um seiner Unsichtbarkeit gewiß zu sein, da trübte sich vom Tabaksrauch der Spiegel des Unholds; aus dem jungen Hochzeiter, der neben der Königstochter saß, wurde mehr und mehr ein feistes, dunkles Schwammgesicht, das zornig nach allen Seiten blies.
Was gab das für einen Auflauf, und wie sehr weinte die arme Prinzessin! Siele kleine Seelen aber merkten, wo der Zauber war, liefen zu dem Unsichtbaren und begannen an seinem Brot zu nagen und an der Flasche zu knabbern. Iwer streute auch flink mit der linken Hand so viel Krumen um sich, wie er vermochte, und schüttete die Milch über den Estrich, damit alle trinken könnten. Er selbst aber schmauchte und schmauchte, und die Burg wurde lichter und höher, der Spiegel immer trüber und der Wassermann immer greulicher und schwerer, sosehr er auch wild und brüllend um sich fuchtelte. Schließlich trug ihn der Fußboden nicht mehr. Ein tiefes Loch brach unter seinem Stuhl auf, und während der Schwarzgrüne tiefer und tiefer sank, war es, als höbe sich das ganze Schloß mit allem, was darin war, federleicht zur Höhe. Einmal noch sah man das grimmige Gesicht des Betrügers und seine hochgestreckten Hände, dann blickte schon die liebe Sonne in die Fenster; Iwer konnte das Schmauchen lassen, und die Königstochter sprang auf und fiel ihm um den Hals.
Ihr könnt euch denken, wie es weitergegangen ist. Das Meer mit dem Wassermann war verschwunden, an seiner Statt war nichts als ein armseliger kleiner Teich geblieben. Hinterm großen Hagen aber ist neues Land aus dem See aufgestiegen, der alte Herrscher ist wiedergekommen und hat sein Reich übernommen, das ihm das Wasservolk geraubt hatte. Und wer die Königstochter geheiratet hat, brauche ich nicht erst zu erzählen.
Ich weiß nur, daß schon lange nicht mehr solch prächtige Hochzeit im Land gewesen ist wie damals, ich weiß, daß der Schulmeister seine Wandkarte hat verändern müssen und daß Jwers Vater und auch seine beiden Brüder aus Stein und Baum erschienen und daß alle Gäste drei Tage nicht aus den Kleidern gekommen sind.
Die drei Jungfern
Es war einmal ein armes fleißiges Mädchen, das war sehr schön, hatte aber nicht Vater, nicht Sutter, die ihm Rat geben und es schützen konnten, so daß es schließlich bei einer bösen dreiköpfigen Zauberin in Dienst geriet Die wohnte in einem Schloß auf sieben dünnen Stäben hoch in der Luft.
Eines Abends nun, als die Herrin ihr so um die Tagscheide befohlen hatte, Kräuter zu suchen, hörte die Dirn vom Wald her jemand um Hilfe rufen. Sie ging wacker darauf zu. Da traf sie zwei schwarze Störche, deren Junge waren aus dem Nest gefallen, und es wollte den beiden nicht gelingen, sie wieder hinaufzuheben. Das Mädchen breitete seine Schürze aus, tat die armen Storchenkinder hinein, kletterte die hohe Tanne big zum Nest empor und bettete sie sorgfältig in ihr Lager. Und die Alten waren so dankbar; sie versprachen, ihr übers Jahr drei Söhne zugleich zu bringen, einen prächtiger als den andern.
Sie hielten auch wirklich Wort. Als der Herbst wieder einzog, hatte die Einsame auf einmal drei Knaben, so fein und schön, daß die Unhodin,
Die Mutter hat ihre Söhne jedoch so liebgehabt, der Tod hat ihr nicht recht etwas anhaben können, sie ist nahegeblieben und hat sich mitunter aus ihrem Schlaf erhoben und den Verzauberten seufzend helfen und sie gute Worte lehren wollen.
Die Zeit verging. Die Knaben kamen in die Jahre, wo andere erwachsen sind und in die Welt hinausziehen. Aber die Raben blieben, wo sie waren; sie kannten ja nichts als das Schloß der Zauberin im Wind und den wilden Wald darunter und das arme Mütterlein, das zuweilen heimlich mit einem Kraut oder einem Sprüchlein zu ihnen ging. —
Nun wohnte in der nächsten Stadt — die war natürlich weit, weit weg — ein Bürgermeister, der hakte mehrere Töchter. Sie waren klug, hurtig und schön von Angesicht. Aber das herrlichste an ihnen war doch ihr goldenes Haar, das ihnen bis zu den Füßen reichte und um deswillen viele Freier von nah und fern kamen. Die Schwestern wiesen indes alle ab; es gab nämlich Nächte, da träumten sie wie auf einen Schlag, daß eine alte Frau zu ihnen trat und ihnen ein Schloß zeigte, in dem drei Jünglinge wohnten. Ach, und in diese Unbekannten hatten sich die Jungfrauen verliebt, da konnte niemand helfen!
Ein Jahr verging und noch eins. alls der Frühling wieder ins Land zog, hai etwas Drolliges in jener Stadt zugetragen. Ein Knecht wollte den Wasserhahn im Bürgermeistergarten andrehen. Es hatte sich
aber im Winter ein ganzes Schock kleiner Wichte in der Leitung angesiedelt; die schrien fürchterlich, als das böse Wasser kam. Ja, als man den Hahn weiter aufmachte, ging es platscheputschepatsche; noch ehe der Strahl hervorsprang, purzelte einer nach dem andern von dem kleinen Volk kopfüber aus dem Kran heraus und suchte sich gleich ein Mauseloch oder eine Asthöhle. Und die Leute lachten so sehr, daß sie gap nicht dazu kamen, sich einige von den Knirpsen einzufangen. Nur die drei flinken Töchter des Bürgermeisters hielten die Augen offen, und es machte sich so, daß jede von ihnen gerade einen der Kleinen zwischen den Fingern erwischte.Nun hieß es für die Gefangenen, sich auszulösen, und die Schwestern, die gut zusammenhielten, wünschten sich von jedem etwas für alle.
Da mußte der erste Knirps dreimal ein Paar Tanzschuhe schenken. Wenn man die anhatte, konnte man jedem Tänzer ansehen, was er wirklich dachte und wirklich war. Der nächste Kleine bot drei dunkle Federn, damit konnte man rabenschwarz durch die Welt fliegen, — aber nur über Nacht, wohlverstanden! Der dritte endlich zog drei winzige goldene Spindeln aus der Tasche. Und er zwinkerte mit den Augen: Die würden die Jungfern gewiß noch einmal gut brauchen können. Die Spindeln wollten nämlich kein Spielzeug bleiben; sie wuchsen groß oder klein, so wie man sie haben wollte.
Nun hatte ja niemand gemerkt, daß die Bürgermeistergtöchter ein Besonderes gewonnen hatten, und die Wädchen hüteten sich wohl, etwas zu verraten. Sie verteilten aber ihre Geschenke flink untereinander und konnten kaum erwarten, daß die Leute in der Stadt zu Bett gingen, sie wollten ihre Zauberdinge ausproben.
Was taten solch neugierige Dinger zuerst? Natürlich die Tanzschuhe anziehen! Aber es war ja kein Tänzer da, dem man ins Herz schauen konnte. Sie steckten sich also die Rabenfedern ins Haar, um suchen zu gehen. Das war schon etwas anderes! Flugs hüpften sie wie Vögel auf die Fensterbank, bliesen noch rasch das Licht aus und schwirrten in die weite Welt.
Gegen Mitternacht trafen sie auf ein Schloß hoch über einem dunklen Wald, das gefiel ihnen herrlich. Sie schlüpften eben einmal ins Fenster, um sich umzusehen. Da saßen drei Raben am Tisch und aßen und tranken. Und als Rabenjungfern, die sie nun einmal waren, mochten sie die Vögel gern. Sie flatterten lustig zu ihnen, nannten sich drei arme verflogene Fräulein und neckten die erstaunten Herren sehr. Ain Ende wurden sie alle fröhlich und ausgelassen, — solcherlei Volk war ja unseren weltfernen Burschen noch nicht zu Gesicht gekommen. Ja, die eitlen Jungfern wollten die Jungen durchaus tanzen lehren. Die Schuhe dazu hatten sie schon an.
Aber wer beschreibt ihr Erstaunen: Kaum hatten sie die erste Runde versucht, da konnten sie erkennen, daß die Raben verzauberte Jünglinge waren. Und als sie wieder um den Tisch tanzten, sahen sie noch deutlicher: Grade diese drei waren es, die ihnen zur Nacht erschienen waren. Als sie sich aber fröhlich-verstört untereinander zuwinkten und die dritte Runde versuchten, wurden sie auch das blasse Mütterchen aus ihrem Traum gewahr. Es hob warnend die Hand, und gleich danach kain von draußen ein fürchterliches Pfeifen und Rauschen. Da merkten die Fräulein, daß Gefahr im Annahen war, sie ließen die Raben stehen und flohen Hunig von dannen.
In der nächsten Nacht konnten sie nicht anders, als die drei sonderbaren Brüder im Mogelkleid wieder aufzusuchen. Sie flogen aufs Schloß, verabredeten sich und taten die Flugfedern ab. Dann setzten sie sich als wunderschöne Fräulein an den Tisch. Und die Raben waren so glücklich; sie aßen und tranken kaum und sahen immer nur voll Verlangen die herrlichen Jungfern an, fast schienen sie zu ahnen, daß auch sie Menschen gleich diesen waren.
Auf einmal kain das blasse Mütterlein, warnte, und die ,Mädchen griffen rasch nach den Federn. Als sie schon im Anflug waren, hielt die Alte die eine der Schwestern am Flügel fest. "Die Spindeln", bettelte sie, "vergeßt die Spindeln nicht!
"Was sollen uns die?" fragte das Fräulein,
"Ach, wenn ihr die Jungen einzuspinnen vermöchtet!" seufzte die Arme und sah zu ihren Söhnen hinüber. In dem Augenblick kam schon die Zauberin mit den drei Köpfen herangebraust.
"Was willst hier?" schrie sie die Frau an. "Flink unter die Erde! Sie schlug dabei arg nach ihr und traf das dritte Mädchen beim Ausflug an der Schwinge, so daß es eine ganze Weile brauchte, bis es die andern eingeholt hatte. Aber es brachte ja auch ein Wort des Mütterleins mit; bald berieten die Schwestern eifrig, wie sie wohl ihre Burschen einzuspinnen vermöchten. Sie weinten um die verzauberten Jünglinge und verrieten einander, daß sie alles tun wollten, was nur erdenkbar sei, um ihnen zu helfen.
Am nächsten Abend flogen sie schon im Augenblick, wo die Sonne unterging, zum Schloß ihrer Liebsten und mochten nicht tanzen noch essen. Die erste schnitt vielmehr von ihrem Haar ab, spann und spann davon und knüpfte ein lebendiges Kleid. Und die zweite und dritte machten es ihr nach, fingen ihre Raben ein und schlangen das goldene Gewirke immer stink rund um sie. Die Vögel aber haben ihr Blut und ihren Leib wachsen gespürt, die armen Mädchen mußten noch emsiger das Rad drehen, so groß und stattlich wurden die Herren. Ihr ganzes Haar haben sie schließlich drangegeben und wären doch nicht fertig geworden, hätten die Spindeln nicht selbst mitgeholfen, so flink es nur irgend ging.
Da um Mitternacht auch das Mütterchen gekommen, hat bebend und erwartend zugeschaut und gute Sprüche über die fleißigen Mädchen gemurmelt. Aber die eine Dirn, nach der die Zauberin am Abend vorher geschlagen, hatte einen Büschel Haar zuwenig, das war bald zu sehen. Da hat die Mutter von ihrem eigenen grauen dazugegeben und hat zu Gott gebetet, daß es helfen möchte wie das der Jungfer. Und die drei Burschen sind in ihren Röcken prächtig groß und schön gewachsen, allen zur Freude.
Im Augenblick aber, als die Schwestern fertig geworden waren, hat sich von fern ein furchtbares Geschrei erhoben. Die Zauberin ist näher gekommen, und die Mädchen haben Furcht gehabt, als wollte das Schloß
einstürzen. Die Burschen aber haben sich im Saal umgeblickt und haben blinkende Messer vom Tisch gerafft. Und sie haben sie zur Hand genommen, gerade als die Hexe mit drei Häuptern am Fenster war.Sie hatte vielleicht Schlimmes gewittert und schob zuerst nur einen der Drachenköpfe ins Schloß, um Umschau zu halten. Da lief der jüngste, der von seiner wirklichen Mutter das Haar bekommen hatte, voll Zorn hinzu und trennte ein Haupt vom Hals. Die Hexe zischte vor Wut und ließ ihren andern Kopf als wilden Hund in den Saal springen. Aber die Jungen schwangen die Messer und erschlugen ihn. Da fuhr die Alte mit greulichen Klauen selbst ins Schloß, um ihre Köpfe wiederzuholen. Die Rabenbrüder ließen die langen Messer spielen und trafen die Arge zum drittenmal. Und die Jungfern hinter ihnen schleiften die Drachenhäupter zur Seite und warfen sie ins große Feuer im Kamin. Da haben sie geheult und geheult, big sie zu Asche geworden waren; die Alte aber ist tot vom Schloß niedergestürzt. Und sie hat in das Grab fahren müssen, das sie einst ihrer Magd bereitet hatte.
Die Burschen haben voll Glück über die Entzauberung noch eine lange Weile in jenem Wald gelebt. Dann sind sie mit ihren jungen Frauen ins Bürgermeisteramt eingezogen; es sei so bequem, sagten sie mir, ihre Kinderchen gleich in der nächsten Tür anzumelden.
Das Kindlein findet zu den Menschen zurück
Da waren einmal junge Eheleute, die glücklich miteinander lebten; aber sie hatten keine Kinder. Mann und Frau haben jedoch viel Verlangen danach gehabt und waren traurig, sobald sie darüber sprachen.
Nun besaßen die zwei einen Wagen, mit dem sie jeden Sonntag ins Land hinausfuhren, um Kirchen und Schlösser zu besehen; der Mann war ein gelehrter Herr und schrieb Bücher über dergleichen Dinge,
Eines Tages kamen sie in einen kleinen Ort, in dem ein berühmtes Gehöft liegen sollte. Es lebten in seinen Giebeln und Schwellen aber auch viele Rotmützen, wie es oft in altem Gemäuer ist.
Als der Mann sich nun die Stätten besah, die er suchte, und die Frau währenddessen beim Wagen wartete, wurde sie auf einmal des Muckerpuckers gewahr — das ist der kleine Wicht, der unter den Achsen des Wagens wohnt. Er verschnaufte vom langen Fahren, scherzte mit den Knirpsen in den Dachluken und lehnte blasend am Trittbrett. Die Frau war so erstaunt, ihn zu sehen, daß sie ihn gleich ansprach. Und weil er höflich antwortete und sie im Lauf der Unterhaltung Vertrauen zu ihm gewann, der ihnen doch immer wacker und gut geholfen hatte, und weil sie auch wußte, daß er ihr und ihrem Mann bei allen Gesprächen zugehört hatte, kam sie auf Dinge zu reden, die sie sonst vor fremden Leuten nicht berührt hätte.
"Ach", scherzte sie, "du wärst mir ein wenig zu klein, Muckerpucker, aber wenn ich jemand fände, doppelt so groß wie du bist, so ein richtiges Menschenkind, wie froh würde ich da sein!" —
Des andern Sonntags, als sie wieder hinausfuhren und der Mann eine alte Kirche aufsuchte, sah die Frau den kleinen Wicht zum andern und redete ähnlich mit ihm. Und als sie einen dritten Sonntag unterwegs waren, geschah das gleiche:
"Ach, Muckerpucker, weis' uns doch einmal, wo ein Findelkind am Mea liegt, ich hob' es gerne auf!
Aber der Knirps antwortete wortkarg; vielleicht war er jemand, der nur mit seiner Maschine Bescheid wußte, vielleicht wollte er bedeuten, daß es eine weite Kluft von den Menschen big zu seinesgleichen ist.
Als sie am vierten Sonntag haltgemacht hatten und der Gelehrte ausgestiegen war, um Türen und Truhen zu besehen, stand der Kleine auf einmal wieder neben dem Weib. Er machte diesmal ein sehr listiges Gesicht, sie merkte gleich, daß er ihr etwas erzählen wollte. Gerade da kehrte ihr Wann zurück; er ließ fallen, daß er eine besondere Spur habe und weiterfahren wolle.
Es war aber ein verwunschenes Städtchen, in dem sie weilten, eines von denen, die allerlei Wunderlichkeiten erwarten lassen. Die Frau hätte wohl bleiben mögen, sie wußte es indes nicht zu begründen; vom Muckerpucker wagte sie nichts zu verraten, sie fürchtete vielleicht, er würde sich ihr sonst nicht wieder zeigen.
Kaum aber hatten die beiden Reisenden das Städtchen hinter sich —oder eigentlich waren sie noch am letzten Haus —, auf einmal sprang der Wagen ein Stückchen seitab, als wäre er in ein zweites Gleis gefahren oder auf eine Straße, die eine Handbreit über oder unter ihnen entlang führte. Mann und Frau sahen sich verdutzt an, es war, als hätten auch sie sich verändert. Sie konnten es kaum glauben und erstaunten über den Wagen, der doch genau derselbe wie eben war, hätte er nicht plötzlich die Größe eines Kinderspielzeuges. Und die Äpfel an der Straße schienen goldgelber und blutroter als vorher im Menschenland. Alle Höfe, die am Weg standen, waren älterlich und klein, und statt eine Heide zu überqueren, wie es die Landkarte wies, fuhren sie bald wieder in eine Ortschaft hinein, in der waren die Häuser nur sechs Schuh hoch und die Fenster daumengroß und die Hühner wie Spatzen und die Ochsen wie Ferkel mit Hörnern. Es war überhaupt alles so verwünschen und abenteuerlich, der Mann wollte schon den Wagen anhalten, er glaubte, er hätte eine falsche Brille aufgesetzt oder sei zwischen den Augenlidern verhext. Aber die Räder rollten trotz Bremsens noch rasch so weit, daß sie bis vor ein wunderschönes Burgtor kamen; Türme und Zinnen ragten dahinter auf.
Alls der Mann sich nun noch verwahren wollte, die Frau festhielt, damit sie nicht ausstiege, und vor dem Spuk Gag gegeben hätte, trat aus dem Schlosse mit festlichem Gefolge ein eisgrauer Unterirdischer; es war, als hätte er die Menschen schon erwartet. Neben ihm aber schritt die Königin, die war viel größer als er selbst. Die beiden Verfahrenen sahen gleich, es war ein Mädchen von oben; dieser Wichtelkönig hatte eine Frau aus unserer Welt, und bei allem Schreck freuten der Gelehrte und sein Weib sich doch, daß sie jemand hatten, mit dem sie ein Wort wechseln und den sie nach dem Weg fragen konnten.
Sie winkten deshalb der Königin und riefen, sie möchte ihnen doch helfen und Bescheid geben, wie sie aus diesem Spuk wieder zu den Menschen zurückkommen könnten.
Inzwischen hatten aber schon sieben Diener feierlich die Tür des Wagens geöffnet; der kleine Muckerpucker stand mitten unter ihnen, er grinste die Frau des Gelehrten an und zog höflich die Mütze. konnten nicht so unfreundlich sein, sitzenzubleiben.
Die Königin sagte auch, sie freue sich sehr über den Besuch; aber sie schien gar nicht so verwundert wie der gelehrte Herr und sein Weib. Dann winkte sie, und die Gäste mußten dem Zwergkönig und seiner Frau über drei Treppen und durch viele Gemächer in einen großen Saal folgen. Wieder war alles gedeckt, als hätte man die Fremden feierlich erwartet. Die Königin schickte sogar nach ihren Kindern, — ein kleiner Zwerg, zwei kleine Zwerge, drei, vier, fünf, sechs kleine Zwerge, alle genau wie der Vater. Aber das siebente und jüngste war schon zweimal so groß wie die Geschwister, es war ein Menschenmädchen geworden und nach der Mutter geschlagen! Blaß und hager sah es aus —solche Kindlein können da unten ja nicht leben noch sterben.
Daß diese Unterirdischen soviel Söhne und Töchter haben, dachte die Frau, und ich empfing kein einziges!
Sie begrüßte die Kleinen trotzdem freundlich, ließ sich zwanzig Herren des Gefolges vorstellen und nahm mit ihrem Mann auf sehr zierlichen Stühlen an der Tafel Platz. Diener trugen das Essen auf, winzige Schüsseln und Teller, es waren indes zusammen so viele Gerichte, daß sie schließlich doch satt wurden.
"Jetzt müssen wir aber heim", sägte der Gelehrte auf einmal und wollte höflich aufstehen. Ihm war noch immer sehr irr und wirr zumute, er glaubte, er hätte einen bösen Traum, dem er nicht entspringen konnte. Der Frau war die Gesellschaft indes recht nach ihrem Herzen; sie möchte noch dableiben, sann immer über das siebente Kindlein und fragte dies und das und wie es denn hieße.
Ja, sagte der Zwergkönig lauernd, sechs hätten rote Backen. Nur mit dem Letzten sei es schlimm bestellt. Und leise fügte er hinzu: es werde wohl sterben müssen, wenn nicht ein Wunder geschähe. Die Königin hob rasch ein Taschentuch vor die Augen, alle Leute blickten das kranke Mädchen an.
"Wenn ich es doch eine Meile mitnehmen könnte", seufzte die Frau des Gelehrten, "ich würde schon dafür sorgen, daß euer Kindlein rote Backen bekommt.
Kaum hatte sie das gesagt, da war es, als sei wieder alles längst vorbereitet und man habe nur auf ihren Wunsch gewartet. Der Zwerg hob die Tafel auf, drückte den Gästen die Hand und entließ sie mit einigen altertümlichen Worten; die Diener geleiteten sie treppab und rissen vor den Fremden die Türen auf. Und der Mann, der blitzschnell in den Wagen sprang und ihn kaum rasch genug in Gang bringen konnte, brauste davon, als könnte er damit die ganze Hexerei hinter sich lassen. So glauben's die Unvernünftigen ja allzu oft.
Aber zwischen den beiden, was meint ihr, saß wohlverwahrt und mit einem goldenen Ranzen auf dem Rücken das siebente Kind, das die Menschenfrau geboren hatte. Und je rascher die gelehrten Leute fuhren und je eiliger sie es hatten, wieder in ihre Schicht zurückzugelangen, desto fröhlicher lachte es die beiden an; es merkte vielleicht, daß es in seine Heimat
kam. Und auf einmal war der Wagen da, wo er bei der Hinfahrt über die Schwelle gesprungen isar, es gab einen Krach, daß die Federn schier barsten.Dann war alles echt und wirklich, sie waren wieder in dem Städtchen, von dem sie aufgebrochen waren; ein Schutzmann stand und winkte mit dem Notizbuch, die Leute in den Haustüren waren richtige Menschen, und der Wagen war genau der gleiche wie früher. Aber zwischen Mann und Weib saß noch immer das fremde Kind und hatte rote Backen. Und vor ihnen auf dem Kühler grinste einen Augenblick lang der Muckerpucker. Er lachte die Frau wie ein Schelm an, rückte dem Mädchen zu und war dann mit einem Satz vorn unter den Rädern verschwunden, so daß der gelehrte Herr, der glaubte, er würde ihn überfahren, vor Schreck zum zweitenmal über den Kantstein eckte.
Was soll ich noch erzählen? Nie wieder haben die beiden den Weg zu den Unterirdischen zurückgefunden. Es ist dabei geblieben, daß, wie aus dem leeren Raum heraus, sagt der Wann, auf einmal ein Findelkindchen zwischen ihnen im Wagen gesessen hat, das hatte ein Ränzel voll Goldstücken auf dem Rücken und war in Tücher gehüllt, die so fein gewirkt schienen, wie Mondlicht im Nebel schwebt. ) Mitunnter, wenn die Leute wegblicken, guckt wohl noch einmal der Muckerpucker mit halbem Gesicht vorn über den Kühler oder unter der Wagennummer hervor, um zu sehen, wie es allen geht. Aber er will sich nicht viel zeigen, er will ja nicht gefragt werden, woher das Kindlein stammt.
Dummerhans
Es war einmal ein Bursch, der wurde Dummerhans geheißen, weil er bei allem der Letzte blieb, sogar beim Heiraten. Seine beiden Brüder waren längst über Land gefahren und hatten schöne Frauen heimgebracht; Dummerhans allein kam in die Jahre und hatte immer noch nicht die Rechte gefunden. Endlich ging auch er zu seinem Vater und bat ihn um ein Pferd und etwas Geld, um auszureiten und ein Weib zu wählen.
"Wen willst du wohl heiraten?" hieß es. "Wer sollte dich nehmen?
"Ach", antwortete er, "ich weiß noch nicht, wen ich mir suche. Aber so bescheiden wie meine Brüder werde ich nicht sein, unter einer Königstochter tu ich's nicht.
"Gut", lachte der Vater, "dann versuch dein Glück!" Und er gab Dummerhansen etwas Geld auf den Weg und freute sich, daß der Junge auf dem Hof kein Unheil mehr anrichten konnte.
Dummerhans ging also schnurstracks zum König, ließ sich vor ihn führen und sagte, er wolle eine seiner Töchter heiraten, und man möge ihm zeigen, welche die Schönste sei. Er ist aber rasch wieder draußen gewesen; niemals hätte er gedacht, daß hohe Herren so grob und unhöflich sein
Nun erzählt man ja, daß denen, welchen es an Klugheit fehlt, das Glück desto leichter zukommt. Alls Dummerhans sich noch alle Glieder rieb und den Staub vom Rock klopfte, lag da ein Hufeisen gerade unter seinem Sitz, das hob er auf.
Viele Leute haben wohl schon ein Hufeisen aufgehoben, und es gelingt ihnen nichts. Dummerhans hielt es anders. Er wartete nicht mehr auf das Glück, sondern überlegte sich, daß solch Eisen an der richtigen Stelle sitzen müsse, und schlug es sich unter die Hacke. Was meint ihr? Kaum hatte
er es getan, da spürte er erst, daß er ein rechtes Zauberding gefunden hatte. Er konnte laufen wie ein feuriges Roß, hetzte gleich durch das ganze Königreich und sah sich alle Dörfer und alles Land an, über das er einst regieren wollte.
Einmal kam er dabei auch in Not hauste nämlich in einem Wildwald ein Eber, den die Jäger bisher nicht hatten erlegen können. Alls der unsern Helden so mir nichts, dir nichts durch sein Gehege rennen sah, griff er ihn an und dachte, bald mit ihm fertig zu werden. Dummerhans konnte indes laufen, —noch niemals hat jemand so rasch Reißaus genommen. Hin und her ging es, kreuz und quer. Schließlich aber verlor der Verfolgte den Weg, geriet in ein Dornendickicht und rettete sich in einen hohen Baum.
"Wo hast du nur das Laufen gelernt", fragte der Eber, er hatte doch viel Mühe gehabt, den Burschen zu stellen.
"Das ist ganz einfach, ich habe mir ein Hufeisen untergehauen", erklärte Hans und zeigte oben aus dem Gezweig seinen beschlagenen Schuh.
"Dein Hufeisen möchte ich wohl haben", sagte der Eber. Hor, ich weiß eine goldene Wiege, die werde ich dir verraten wenn du mit mir tauschen willst.
"Abgemacht", schrie der Junge, "und du tust mir nichts mehr an?
"Steig nur getrost herab, wir können Freunde werden. Dann wühlte das Tier die
Erde auf, ganz nahe dem Baum, auf dem Dummerhans saß, und grub und grub, und richtig; es kam eine riesige Truhe zum Vorschein."Gib mir jetzt das Hufeisen", verlangte der Eber.
Das tat Dummerhans denn auch, kletterte vom Baum herab, hob den Deckel der Truhe auf und fand, wie es ihm versprochen war, eine wunderschöne Wiege darin, die war über und über mit Gold beschlagen. Und weil sie ihm nun zu eigen gehörte, nahm der Bursch sie auf den Rücken und ging damit fürbaß. Das Laufen fiel ihm allerdings saurer als vorher.
Auf einmal, nahe einem großen See, rief ihn jemand an. Er war erstaunt, daß man ihn bei Namen kannte, sah alle Bäume hinauf und hinunter, blinzelte in Schilf und Rohr und vergaß auch nicht, sich umzublicken. Da stand eine schöne Frau hinter ihm, die hatte einen feuchten Saum am Kleid. "Ach, Dummerhans, die goldene Wiege könntest du mir schenken."
"Ich denke nicht daran", sagte Dummerhans, "die will doch der jüngsten Prinzessin mitbringen.
"Oh", meinte die Frau aus dem Wasser, "da mußt du dich beeilen! Gerade hat der König ausschelten lassen, die Werber von weit her sollten bis morgen zusammenkommen und sich in allen ritterlichen Künsten miteinander messen. Und wer dem andern über sei, der solle die Prinzessin haben.
"Gut, daß ich's höre", sagte Dummerhans, "da wird es hohe Zeit, daß ich dabei bin. Kannst du mir einen Rat mitgeben?
"Gern", antwortete die Nixe, "gern will ich dir einen Rat geben, lieber Hans. Und wenn du mir die goldene Wiege hier läßt, will ich dir sogar ein Büchslein aus Edelstein mit einer herrlichen Salbe schenken; wen immer du damit berührst, der muß hüpfen und tanzen."
Nun, Dummerhans sah ein, mit der Wiege wäre er wohl noch ein wenig zu früh gekommen. Er nahm also lieber die edelsteinene Büchse mit der Fliegabsalbe und eilte, so rasch er konnte, zum Königsschloß.
Da waren inzwischen schon hohe Werber um die Prinzessin eingetroffen. Am meisten Ruhm aber hatte ein Ritter aus Wallonien gewonnen, der
hatte manchen Herrn in den Sand geworfen, ritt eben wieder auf seinem Rappen vors Tor und verlangte hochfahrend, daß sich ihm ein anderer stelle."Ich bin da", meldete sich Dummerhans und ließ sich Pferd und Lanze bringen. Und er tat an die Spitze der Lanze ein wenig von der Fliegabsalbe, dann sprengte er frischen Mutes gegen den Hochmütigen. Was glaubt ihr? Kaum hatte er ihn berührt, da mußte der Ritter mit einem Hupf über ihn hinweg und schmählich zu Boden.
Nun, diesmal hatte Hans gewonnen, und alles Volk gönnte es dem Fremden, daß er vor einem solchen Tölpel hatte absitzen müssen. Aber da war weiterhin ein Herr aus Caribien, der hatte bisher die beste Musik machen können, dem kam gewiß niemand über. Man führte die beiden also einander zu, und Hans mußte dulden, daß der andere mit Händen und Füßen zugleich auf Kesseln und Trommeln paukte, einen Höllenlärm vollführte und dafür die Königstochter haben wollte. Die Leute am Hof hatten dergleichen noch nicht erlebt und meinten, das sei vielleicht die schönste Kunst, viel schöner als alles, was sie in ihrem eignen Land gehört hatten.
Dummerhans hatte aufmerksam zugesehen, wie der Fremde seine Musik machte, er schnitt sich drei noch dickere Taktstöcke, tauchte sie eben in die Fliegabsalbe und ließ sie über Kessel, Trommeln und Pauken zugleich so fürchterlich tanzen, es schwirrte, polterte und dröhnte durch das ganze Königsschloß von oben bis unten. Da mußten die Leute zugeben, daß er das Lärmen doch besser als sein Nebenbuhler verstünde, und der Musikant aus Caribien war geschlagen; Dummerhans sah sich schon nach der Braut um.
Es waren aber einige hochmütige Schwestern des Königs im Haus, die wollten die Prinzessin durchaus nicht an einen Mann aus dem Volk hergeben. Sie hatten nämlich einen Papagei, der sei, sagten sie, ein verzauberter Prinz aus Indien, dem könne der Werber in seinen Künsten gewiß nicht überkommen.
Der Junge war nicht bange, er wußte nur nicht recht, ob es noch ein guter Wettkampf sei und wie er sich jetzt erweisen sollte. Die hohe Ver
wandtschaft wünschte indes, daß er's versuchte. Im Anfang, als der Papagei zu schreien begann, brüllte er also dagegen an. Aber die Leute hatten doch ihre Bedenken, sie meinten, der andere könne mehr. Danach flog der Papagei dreimal durch den Königssaal. Auch Dummerhans tat sich ein wenig Fliegabsalbe unter die Achseln, schwang die Arme und flatterte wie ein Rabe. Aber der fremde Vogel konnte schneller mit den Flügeln schlagen, die Leute schüttelten traurig den Kopf. Wenn das ein richtiger Prinz aus Indien märe, dann sei er dem andern über, sagten sie.Da wurde Dummerhans so zornig, daß er mit Papageien um die Wette kämpfen sollte, er stampfte auf den Boden vor Grimm. Und er vergaß die Spielregeln, griff zum Büchslein mit Fliegabsalbe, betupfte alle Dinge damit, die er erreichen konnte, ließ Thronsessel und Teppiche hochgehen und Lichter und Spiegel schweben und Tische und Stühle dazu. Und er nahm einfach die Königstochter in den Arm, und als die Ritter und Diener ihm zu Leibe wollten, strich er gleich an sieben von ihnen mit seiner Salbe entlang und dann an jedem, der sich weiterhin näherte. Sogar der König bekam davon zu spüren und hüpfte wie ein Spatz; ja, der ganze Saal geriet ins Springen, solchen Zorn hatte Dummerhans auf die Leute.
Aber die Muhmen ließ er am ärgsten tanzen und zappeln, mit den Füßen über die Decke laufen oder verkehrt auf dem Stuhl sitzen und über den Kronleuchter hopsen. Und er setzte ihnen so lange zu, bis alle Menschen laut und schreiend die Wettkämpfe abschwuren und Vater und Mutter und der ganze Hof Hans die Königstochter zusprachen. Da war er endlich zufrieden, wischte jedem einzelnen sorgfältig die Fliegabsalbe wieder fort und tat sie fürsorglich in sein Näpfchen zurück; er war nun einmal ein sparsamer Bursch. Dann versöhnte er sich mit den Leuten, schüttelte jedermann die Hand und befahl, gleich nach seinem Vater und seinen Brüdern zu schicken und eine herrliche Hochzeit zu rüsten. Nur die alten Frauen und ihren Papagei setzte er auf ein Schiff nach Indien; da sollten sie warten, bis ihr Prinz sich entzaubert hätte. Und er hat auch, sosehr die Merbannten ihn baten, an dem Beschluß nichts mehr geändert, solchen Zorn hat er gehabt, daß er mit einem Papagei hatte um die Wette schreien müssen.
Silberpelz
Da war einmal ein Maulwurfkönig, der hatte ein großes Reich und mußte viel reisen. Er nahm meist nur wenige Knechte mit sich, ja, oft fuhr er ganz allein, um unauffällig nach dem Rechten zu sehen.
Das war gewiß nicht ungefährlich. Er hatte aber auch Gutes davon und hörte und schaute vielerlei, was andere nicht erfuhren. So ist es König Silberpelz zugestoßen — Silberpelz hieß der Knirps —, daß er sich eines Tages in einem Garten hochgrub, in dem, von einer fünffachen Schildwacht umstellt, gefangen eine Tochter der schönen Frau Holle wohnte. Die wilden Männer sahen den Kleinen nicht. Die Jungfer aber wurde seiner gewahr; sie sagte ihm ihr Leid an und bat flehentlich, er möge ihr einen tapferen Burschen schicken, der ihr hülfe.
Wie soll ein armer Maulwurf das wohl bewerkstelligen? Siberpelz versprach, sein Bestes zu tun; es war ein hübsches junges Ding, das da in seiner grausamen Einsamkeit lebte, und er hatte Mitleid. Wann aber ist seinesgleichen mit einem von den Menschen vertraut?
Eines Tages ist unser Freund dennoch mit ihnen zusammengeraten; dabei hat er keine guten Erfahrungen gemacht, hat indes einiges gewonnen.
Einmal nämlich, als er es sehr eilig hatte und weit, weit von seiner Hauptstadt über Land reiste, hat ihn ein junger hungriger Bursch erwischt, der war auf Kleinfang aus. Blitzschnell hat er den armen Überraschten auf den Rücken geworfen und wollte ihn schon erschlagen, da sah er, daß dieser sonderbare Maulwurf einen silberweißen Pelz hatte; er nahm ihn auf und wunderte sich.
"Halt mich nicht an", schalt der König böse, "ich hab keine Zeit!
Der Junge war sehr erstaunt, daß ein Tier in seiner Sprache zu reden vermochte; er wußte ja nicht, wen er vor sich hatte. "Halt mich nicht auf", sagte Silberpelz noch einmal, "ich helf dir auch weiter!
Nun gehörte der Bursch, der Silberpelz gegriffen hatte, einer Bande schlimmer Gesellen an, die den Wald unsicher machten; er war aber wider Willen unter ihnen und suchte seit langem nach einer Gelegenheit, ihnen zu entkommen. Wie ein Maulwurf ihm dabei helfen sollte, konnte er sich allerdings nicht vorstellen; er knotete ihn also in ein Tuch und steckte ihn in die tiefste Tasche, um zu überlegen, was er beginnen sollte.
Am Abend, als die Spießgenossen in ihrer Schenke saßen, merkte nun der Räuberhauptmann, daß sich in des jüngsten Gesellen Tasche etwas bewegte; er hielt ihn darauf an und ließ sich den Fang zeigen. Als er dabei hörte, daß dieser Maulwurf wie ein Mensch zu reden verstand, nahm er ihn dem jungen Burschen weg, rief seine Leute um den Tisch, damit das Wunder nicht entkommen könnte, setzte den armen Silberpelz in die Mitte und sprach ihn an:
"Wer bist du?" schrie er mit tiefer Stimme. "Ein Hexenknirps wahrscheinlich, den man am Spieß rösten sollte.
Der Gefangene schwieg, er war zu stolz, auf solche Anrede zu antworten, und sah sich um, ob er wohl irgendwo über den Tischrand entwischen könnte. Aber was er auch versuchte, die bösen Kerle hielten ihn fest und machten sich noch einen Spaß aus seiner Not. Nur dem Jüngsten, der ihn erbeutet hatte, tat er leid. Und das alte Weib, das die Räuber bediente, warnte die Herren, dieser Gefangene sei ihnen über, sie sollten sich vorsehen!
"Wir werden ihn auf den Jahrmarkt bringen und teuer verkaufen", schrie der Hauptmann, "aber vorher wollen wir selbst unseren Jux an ihm haben.
"Fragt ihn doch, wer er ist", mahnte der junge Bursch, "vielleicht kann er euch im guten besser dienen, als wenn ihr ihn verkauft.
"Ach, ach", spottete der Alte, "wir sind unser ja auch nur sechs und brauchen einen siebenten Spießgesellen. Vielleicht wird uns der Kleine gegen die Soldaten helfen, wenn sie uns fangen, oder er wird den Henker in die Zehe beißen, wenn wir unterm Galgen stehen?
"Frag ihn, ob er sich nicht auslösen kann", bat der jüngste Räuber; er hatte jetzt ein rechtes Grauen vor den andern und wäre am liebsten mit
seinem Fang auf und von dannen gegangen. Alls Silberpelz merkte, daß seine Feinde uneins waren, dachte er an die fünf wilden Kerle, die vorm Garten der armen Hollentochter Schildwacht hielten. Er nahm sich vor, den Schelmen die richtige Antwort zu geben."Hör", sagte er zu dem Jungen, "ich weiß nicht, wer der Grobsack ist, der da auf mich einspricht. Er könnte ja erst einmal seinen Namen nennen; ich bin nämlich der Maulwurfkönig.
Als sie ihn so reden hörten, fielen die einen in ein gräßliches Gelächter, die anderen aber verlangten, man solle solch feinen Herrn ordentlich behandeln.
"Wenn ihr mich freigebt", fuhr Silberpelz fort, "so will ich euch eine Burg verraten, in der sah ich so viele Schätze, daß keines ,Menschen Auge die Pracht aushält. Ihr müßtet nur mit den Wächtern fertig werden, da: bei kann ich euch nicht helfen.
Die Räuber wurden neugierig. Wie viele es denn seien, fragten sie.
Oh, fünf baumlange Unholde.
Ob sie auch Pistolen hätten?
Nein Pistolen hätten sie nicht, aber riesige Arme und dicke Knäste zum Schlagen. Und in fünf alten Eichen wohnten sie, nur die Kräftigsten könnten ihnen überkommen.
Das wollten sie wohl einmal versuchen, sagten die Räuber und hießen sich weiter von den Schätzen erzählen, die Silberpelz im Garten der Hollentochter gesehen hatte, von goldenen Blättern und Reisern, kupfernen Dächern, mit Edelsteinen besetzt, — was gab es da alles! Je mehr sie davon hörten, um so gieriger wurden die Ungesellen, knirschten schon mit den Zähnen, schlugen ihre Messer in den Tisch und verlangten am Ende, daß der Maulwurf sich gleich und sofort auf den Weg mache und sie führe.
"Ihr seid schön dumm", riet die Räuberalte. "Merkt ihr denn nicht, daß er alles nur erfunden hat, um euch ausreißen zu können? Glaubt ihm doch nicht, laßt euch lieber jeden Tag hundert aus seinem Volk versprechen! Da habt ihr was davon!
Aber der Räuberhauptmann hatte sich schon seinen Plan gemacht. Er hieß die Gesellen sich bis an die Zähne bewaffnen, befahl, alle Pistolen zu laden, und ließ den jüngsten und schwächsten — das war der Bursch, der den Maulwurf gefangen hatte — in der Mitte gehen und den Herrn König in seiner Tasche halten. Die Tasche nähte er zur Vorsicht so weit zu, daß nur das rote Schnäuzchen von Silberpelz herausschaute. So mußte der Kleine den Räubern den Weg weisen.
Als sie nun die ganze Nacht marschiert waren — das Reich eines Maulwurfkönigs ist ja viel größer, als unsereins denkt — und schon sieben Wälder durchwandert hatten, kamen sie wirklich über drei Zauberstufen zu einem unbekannten Hagen, den hatten sie alle noch nie gesehen. Silberpelz aber, der den Weg genau wußte, zeigte ohne viel Umstände einen Pfad, der wie ein Irrgarten kreuz und quer durch Felsen und Dornen lief. Kein Mensch hätte sich darin zurechtgefunden. Und er hörte mit seinen feinen Ohren, daß der ganze Wald sich über die fremden Eindringlinge erstaunte, daß sogar die Hollin in ihrem Garten aufwachte, und daß sich die riesigen Schildwächter vorm Tor zum Kampf rüsteten. Es waren
aber Unholde, die selbst gern unter die Menschen gegangen wären und dazu nichts brauchten, als einem Vorübergehenden das Gesicht zu rauben.Silberpelz war deshalb besorgt um den jungen Räuber, der ihn in der Tasche trug und dem er Dank schuldete. "Hör, Freund", flüsterte er ihm zu. "Rund um den Hollergarten ist noch ein großer Graben. Du mußt nun achtgeben. Sobald deine Gesellen schießen, mußt du mit aller Kraft voranrennen und die Zugbrücke gewinnen. Wenn sie sich erst geschlossen hat, gelangt ihr niemals in den Garten.
"Das ist ein guter Rat", antwortete der Hauptmann, der mißtrauisch war und immer abhorchte, was der Kleine sagte.
Gerade da sahen sie eine Lichtung vor sich, hinter der lagen wirklich ein Graben und ein Gartentor mit einer hohen Brücke. Silberne Bäume, bis in die Wolken gewachsen, schimmerten darüber. Die Räuber waren erst noch sehr vorsichtig; als sich indes nicht das geringste zeigte und nur die fünf hohlen Eichen vor der Zugbrücke aufragten, verteilten sie sich, hoben auf einen Befehl ihre Pistolen und rannten mit großem Geschrei jeder auf einen der Feinde zu, den der Hauptmann ihnen bezeichnet hatte. Der Jüngste aber nahm allen Mut zusammen und lief quer über die freie Bahn zum Gartentor.
Nun, den Räubern ists nicht gelungen. Die Pistolen, die sie abbrannten, taten den Unholden in den Eichen nichts an. Dafür wurde jeder von ihnen, als er kaum in Reichweite der Bäume war, von einem Riesenwächter umschlungen und wie eine Fliege im Spinnennetz gefressen. Nur die Köpfe sind übriggeblieben, die haben die Schlimmen sich selbst aufgetan.
Der sechste Räuber aber ist nach dem Rat von Silberpelz mit dem Kleinen in der Tasche bis über die große Zugbrücke gelangt. Kaum war er im Schloßgarten, da hat es, als er nur eben den Fuß hineingesetzt hatte, einen fürchterlichen Lärm gegeben; die Erde ist geborsten, aus dem Boden sind Soldaten aufgestanden, haben den Fremden gegrüßt und ihren Herrn genannt. Diener meldeten sich, alle Wege sind lebendig geworden, und auf einem ist ihm auch mit lustigem Gefolge ein hübsches Mädchen entgegengekommen und hat ihn als seinen Befreier geküßt.
Der Bursch hatte nicht gleich Zeit für diese Dinge, die solch junge Dirn für wichtig hält; er wollte sich erst noch um seine Gesellen kümmern. Aber von Räubern und Kiesen war schon nichts mehr zu erspähen, rein gar nichts. Da ist der Sechste im Zaubergarten geblieben und hat es schließlich auf sich genommen, ihn für immer mit dem Fräulein zu hüten.
Am besten hat die ganze Geschichte dem listigen Maulwurfkönig gefrommt Zwar hatte er erst viel Angst, weil er alles von einer Tasche aus ansehen mußte, ohne seine Beine zu gebrauchen; danach aber erwies sein Freund ihm an Gutem, was er nur erdenken konnte. Einen großen Wald und viele Felder hat er ihm geschenkt. Wenn ich mitunter eine Wiese sehe, die schwarz ist von Maulwurfhügeln, dann überlege ich, ob sie vielleicht einmal zum Reich der verwunschenen Hollentochter gehörte und dem wackeren Silberpelz zugesprochen wurde für den Dienst, den er dem jüngsten Räubergesellen geleistet hat.
Ekenborg
Da wohnte bis vor kurzem ein Gutsbesitzer Ekenborg nicht weit von uns, das war ein gelassener, kluger Herr, der sich nicht nur mit Stroh und Hafer abgab, sondern auch an anderen Dingen seine Freude hatte.
Einmal kaufte er in der Stadt das Gemälde einer schönen Frau, das wollte der Händler, von dem er es erstand, gern loswerden. Es ging nämlich ein Spuk von dem Bild aus; die Leute konnten den Blick jener Frau nicht ertragen, die in der Mitte stand und jeden Reschauer so traurig ansah, daß er sie für lebend halten mußte.
Ekenborg bekam das Bild billig, obwohl es eine gute Arbeit schien; er brachte es in sein Haus und ließ es mitten in der großen Halle, nur einen Fuß über dem Boden, aufhängen. Und er setzte sich zum Abend davor und wartete, was sich nach den Worten des Händlers an Spuk wohl begeben würde.
Als nun die Sonne untergegangen war, begann die Leinwand wirklich sich zu bewegen und leise zu rufen. Der Mann antwortete und fragte die Frau im Bild, wer sie darein verzaubert habe. Da erzählte sie ihm, was geschehen war. Der Ekenborger hörte von einem Maler, der sollte einst für das Rathaus seiner Stadt ein Gemälde anfertigen und war so träge, daß er, obschon die Zeit der Ablieferung herannahte, immer noch nichts daran getan hatte. Es war aber in jenen Tagen eine Hagefrau aus ihrem Wald ins Tor gekommen; der Maler, der mit allerhand Zaubern Bescheid wußte, hat sie unter den Menschen erkannt und, weil er dadurch Nacht über sie gewonnen hatte, in die Leinwand verwünschen. So war er seiner Arbeit quitt.
Das alles hörte Ekenborg an den Abenden, an denen er mit dem Bild sprach. Und er hatte Mitleid mit der Frau, die, übermenschlich groß, ein schönes, braunes Gesicht, sich vor ihm bewegte und zu ihm beugte.
"Wer hat dich aber aus dem Rathaus fortgeschafft?"fragte der Mann
Da erzählte die Arme, daß sie keine Ruhe gegeben habe, und daß die Wächter sich so sehr vor ihr gefürchtet und doch kein Wort von ihr verstanden hätten, big der hohe Rat das Hexenbild schließlich habe verkaufen müssen. Er sei der erste, der wieder von ihr wisse, sagte die Frau und bat Ekenborg von Herzen, sie zu erlösen. Aber wie ihm das gelingen könnte, vermochte ihm nicht zu verraten.
Viel Mühe gab er sich, er hatte Mitleid und wollte das Unrecht der Menschen an dem fremden Weib wiedergutmachen. Ein Hufeisen holte er noch am späten Abend und legte es unter den Fuß der Frau, er glaubte ja, das müsse ihr helfen. Sie vermochte auch den Schuh darauf zu setzen, aber weiter ist sie nicht gekommen. Zum Weiß- und Schwarzdorn ging der Mann in der Frühe; er hatte die beiden bösen Brüder nebeneinandergepflanzt und erfuhr vielerlei aus ihrem Zank. Er brachte sie auch dazu, über die Verzauberte zu sprechen, die im Bild wohnte, und sie stritten sich wieder, aber sie wußten nicht, wie ihr zu helfen sei.
So lief der Sommer vorbei; oft, wenn er von der Arbeit heimkam, saß der Ekenborger vor dem Gemälde und erzählte der Fremden von seinem Werk und Alltag und von seiner vergeblichen Mühe, ihr die Freiheit zu bringen. Sie war ihm dankbar dafür, sie ist mitunter sogar big vor die Leinwand geschritten. Weiter vermochte der Mann sie nicht zu rufen.
Nun suchten zum Herbst, als das Getreide reif wurde, wandernde Mäher das Gut auf und verdungen sich. Auch der Landstreicher Pusback und der riesige Drescher waren unter ihnen. Die beiden sind ja ein Freundespaar, das auf allen Höfen. bekannt ist und gern in Dienst genommen wird; der Große tut nämlich Arbeit für vier, Pusback liegt während der Zeit in der Sonne und hat Gesichte und erzählt den Leuten abends davon. Aber so gern jeder den Faulpelz zum Henker jagen möchte, der Riese verdingt sich nur, wo man auch Pusback aufnimmt. Die beiden hätten ein Geheimnis miteinander, hieß es; einige sagten, daß der Dicke dem Drescher seine Kraft leihe, solange er träume, noch andere wollten wissen, daß der Große einen Kummer hege oder nach einem Schatz auf der Suche sei. Gerade darüber schwieg Pusback sich allerdings aus soviel er sonst vorm
Einschlafen zu Schwätzen pflegte. Vielleicht gefiel ihm das Leben, so wie er es führte, am besten, und er tat nur so, als wolle er seinem Macker helfen.Nun hörte Pusback eines Tages auch von dem großen Bild, das Ekenborg gekauft hatte und mit dem er des Abends, wie das Gesinde sagte, halblaut zu reden verstünde. Die Leute lachten darüber, wieviel Geld der Mann für dies Zeug ausgab, aber Pusback erklärte, der Herr hätte wohl seine Gründe, und etwas hinge an jedem Antlitz, man müßte nur das rechte Wort dazu wissen. Er ließ sich also heimlich von dem Mädchen den großen Saal zeigen, in dein der Ekenborger seine Bilder aufgehängt hatte. Aber vor diesem Gemälde ist auch ihm die Sprache verschlagen. Er ist ganz dumm und bedrückt den Tag über hinter den Treibhäusern entlang geschlichen und hat niemandem die Sache recht zu deuten vermocht. Ja, so klug Pusback sein möchte, die Herrschaften sind ihm mitunter über; er hätte sich einen schönen Lohn verdienen können und ist über sein Glück hinweggelaufen.
Denn Ekenborg hatte sich inzwischen weiter überlegt, wie dem Weib zu helfen sei, und er hat endlich zu warten beschlossen, big Frau Holle ihr Pferd für den Umritt zaumte. Jeden Herbst ist nämlich aus dem Wald, der zum Gut gehörte, eine große Schimmelstute aufgestanden; niemand hat gewußt, woher sie kam, noch wer sie aufschirrte. Sie ist einfach mitternachts dagewesen, hat sich nicht fangen lassen und mit Schellengeläut vom Wald über das Gut nach Westen gelaufen. Aber schon gleich hinter dem Gehöft muß sie sich aufgehoben haben, jedes Jahr ist sie zwischen Garten und Dorf verschwunden.
Diesen Schimmel, so nahm der Mann sich vor, wollte er anhalten, um ihn zu fragen, ob er vielleicht die Frau im Bild ins andere Reich mitführen könne. Es war ihm mit viel Eindringlichkeit gelungen, die Verzauberte bis zu seinem Stuhl zu locken, ja, einmal, in einer Neumondsnacht, hat er die Arme bis vor das Tor zu bannen vermocht; weiter hat seine Kraft nicht gereicht, sie hat traurig in ihr Bild heimkehren müssen.
Nun hat Ekenborg sich aber nicht getraut, das Pferd allein anzuhalten,
Als nun das Hollenpferd gleichwie jedes Jahr silbergrau wie ein Nebel aus dem Wald näher gekommen und über den Hof gelaufen ist, hat der Ekenborger den Drescher gerufen, das Tier einzufangen. Der hat es mit seinen riesigen Armen an der Mähne gepackt, hat mit ihm gekämpft, und es ist wirklich nach vielem Stampfen und Steigen müde geworden. Als Ekenborg das sah, ist er flugs zum Zauberbild hinübergeeilt, hat die Frau gelockt und noch einmal alle beste Kraft zusammengenommen, um sie aus der Wand heraus auf den Flur und vom Flur die Treppe hinab bis vor das Tor zu wünschen. Und er hat sie, während er vor Erschöpfung fast atemlos war, beschworen, ihre Augen auf das Tier zu richten und auf den riesigen Drescher, der es an der Wähne festhielt.
Als sie das nun tat, hat es sich wie ein Sunder begeben: der Schritt der Frau ist auf einmal leichter geworden, der große Drescher hat einen Namen gerufen und den Schimmel beinah fahren lassen, so unbändig hat er der Fremden entgegengewartet. Und der Ekenborger Herr und Pusback aus seinem Versteck haben gesehen, wie die zwei einander gegrüßt haben; das Weib ist federleicht aufs Pferd gesprungen, und der Wann hat das trabende Tier vom Hof herabgeführt. Danach haben die Horcher die Stimmen der beiden wie die von Kindern bis fernhin jauchzen hören.
Und es ist wohl an dem gewesen, daß der Drescher sich bei den Menschen verdungen hatte, um sein Weib wiederzufinden, und daß der kluge Ekenborger zuletzt den richtigen Weg entdeckt hat, um die arme Frau im Bild zu erlösen. )er Segen ist seitdem auch nicht mehr von seiner Arbeit gewichen, das war wohl zum Dank für sein gerechtes Erbarmen. Pusback aber, der so viel Weisheit haben will wie das halbe Land zusammen und mit jedem Unirdischen Freund zu sein prahlt, hat eine gute Gelegenheit vorbeigehen lassen. Er hat äch zwar bald aufgemacht und in der Heide den
beiden Fremdem nachgeforscht. Er hat indes nichts als einen alten Löffel vor seinen Füßen gefunden, der war immer voll von großen Bohnen, die Pusback am liebsten ißt. Schade, daß er sich bei seiner Unmäßigkeit schon bis zum Winter daran übergegessen hat.
Des lieben Gottes Schmetterlinsmaler
Da war einst ein Knabe, Ilf mit Namen, der war so verlassen, daß er nicht einmal von Vater und Mutter wußte. Eine Windische, eine der schönen Wolkenfrauen, hatte ihn in der Heide geboren; es schien ihr aber, daß er mehr zu den Menschen als zu ihresgleichen gehörte, darum hat sie ihn den Leuten im Dorf zugeführt.
Nun waren die Bauern verdrossen, daß sie Ilf mit aufziehen sollten, sie mochten indes der hohen Fremden den Wunsch nicht abschlagen; vielleicht glaubte der Dorfschulze auch, es würde ihm einmal vergolten, daß er den Findling aufgenommen hatte. Als jedoch nichts Besonderes geschah, verloren die meisten die Geduld. Der Knabe wurde umhergestoßen und mußte schon früh hier helfen und da helfen und wurde doch von jedermann so unfreundlich behandelt, daß er schließlich in den Wald lief.
Am großen See zwischen den Eichen aber wohnte damals ein Wassermann, der war berühmt wegen seiner Bilder, die er von Himmel und Erde und Baum und Schilf malte. Der Knabe hatte ihm oftmals zugesehen, nun bat er den Grünen, ob er nicht bei ihm in Dienst treten könne. Er wolle gewiß alles tun, was man von ihm verlange, wenn er nur das Malen lerne wie ein Wassermann.
Nun, der Alte war gutmütig, und sein Weib sorgte für den Jungen und gab ihm zu essen, wenn sie ihn auch nicht in ihrem Haus dulden wollte. Und der Gast mühte sich sehr, aber er lernte doch nicht so viel wie ein Wassermann. Er hörte zu oft die Glocken der Menschen in seinen Ohren, die schienen ihm fast noch schöner als alle frommen und unfrommen Vilder
des Alten. Ach, und die Nächte wurden kalt, er fror, wenn er sich abends zum Schlafen legte.Nach einiger Zeit kam ein Maler aus der Stadt vorüber, der sah einen Knaben, der sich an Bildern versuchte, und war sehr erstaunt. Ihm fiel aber ein, daß er beim Farbmischen und beim Abmalen solchen Helfer brauchen könne; er hatte gerade viel zu tun. So gelangte der Junge in die große Stadt und hatte es gut bei seinem Meister. Aber die Frau des Mannes war geizig und argwöhnisch. "Siehst du nicht", flüsterte sie ihm zu, "daß dein Lehrling deine Kunst bald besser versteht als du? Ich rate dir, schicke ihn weit fort, hier wird er dir dein Brot nehmen!
Der Maler wollte erst nicht auf sie hören, dann wurde er wirklich besorgt sandte Ilf zu einem Freund und sagte ihm, dort werde er mehr lernen als bei ibm. Aber der Freund war nicht daheim, und den Knaben hungerte.
Als er nun durch den grünen Wald zurückkehrte und über eine Wiese schritt, fand der Junge einen toten Falter mitten auf dem Pfad. Der schien ihm so herrlich, daß er sich bei ihm niederlassen und ihn lange betrachten mußte. Noch nie hatte er etwas so Schönes gesehen. Vielleicht, meinte er, war es ein Schmetterling aus einem anderen Reich, oder aber eine Frau Windische war aus ihrem Kleid geschlüpft? Bald suchte Ilf wieder Kräuter und Rinden, aus denen er Farben zog — das hatte er ja beim Wassermann gelernt —, nahm Blätter von Ahorn und Akelei und bemalte sie, so daß sie dem Falter ähnlich wurden. Weil er indes noch Farben hatte, suchte er auch andere Blätter, dachte sich immer schönere Flügel aus und warf sie gegen den Wind, so daß sie hoch durch die Luft flatterten.
Nun war damals Frau Holle in der Nähe, die sah die sonderbaren Schmetterlinge, die sie nicht kannte, fing einige und merkte, daß sie nur gemalt und ohne Leben waren. Sie wollte wissen, wer die wohl geschaffen hätte, und fand den Knaben bei seinen Farbennäpfen.
"Du kannst in meinen Dienst treten", sagte sie und fragte nicht weiter. Sie meinte ja, daß es niemanden gäbe, der nicht von Herzen gern bei ihr
unterschlüpfte. "Du kannst mir Schmetterlinge malen, ein ganzes Kleid voll.Der Junge war einverstanden, er tat willig, was man ihm aufgab, und hatte gewiß auch noch keinen so schönen Dienst gehabt. Frau Holle ließ sich bald ein Gewand um das andere machen, eines immer herrlicher als das letzte, und auf allen waren Flügel gezeichnet, so lieblich, daß es war, als schritte sie durch einen Wirbel von Faltern dahin. Und Ilf war froh über das Lob und die warmen Kammern.
Nun kain eines Tages auch der liebe Gott bei des Künstlers Werkstatt vorüber und schaute ihm zu. Er merkte, daß der Maler in seinem Eifer sogar Nchtschmetterlinge mit Farben zierte, damit sie schön aussähen, und daß er viele lose Blätter über und über betupfte. Das gefiel dem Betrachter
von Herzen, er half dem Jungen,
blies die Dinge an, so daß sie
lebten und weiterschwebten, und kam
öfter vorbei.
Als der liebe Gott und der Knabe einmal wieder so recht eifrig an der Arbeit waren, Kerfen und Faltern, einem nach dem anderen, Buntheit zu geben |
"Was haben wir denn vergessen?" fragte der liebe Gott.
"Sieh doch, wie bunt meine Tiere durch die Luft flattern", verteidigte sich der Knabe.
Die schöne Holle antwortete nicht. Sie nahm immer zwei der Falter, die ähnlich geworden waren, hieß sie sich liebhaben und gab ihnen ein, daß sie aufeinander zuflogen, damit in den nächsten Jahren neue Schmetterlinge aus ihnen wüchsen.
Der Ewige Vater nickte ihr lächelnd zu, und weil es ihm schien, daß er noch nie so lieblichen Tieren Leben geschenkt hatte, sagte er zu Ilf, er könne von nun an für ibn arbeiten.
Und er hieß ihn auf Frau Holles Wiese nach Herzenslust schaffen. Ja, der Knabe, den einst niemand hatte haben wollen, durfte Schmetterlinge fliegen und Blumen blühen lassen und immer neue bunte Blätter und Flügel erfinden. Mon Zeit zu Zeit kam dann der liebe Gott vorbei, besah was er fertiggebracht hatte, freute sich daran, suchte einige Dinge aus, die ihm besonders schön schienen, und blies ihnen Leben ein.
Das dauerte, bis eines Tages die Windische vorüberging, die den Schmetterlingsmaler einst zu den Menschen gebracht hatte. Und sie erkannte Ilf, sah ihn lange an, weinte und erzählte dem Schöpfer reuevoll, wie alles gekommen war und daß sie ihr Kind gern zu sich nehmen und an ihm gutmachen möchte, was sie versäumt hatte.
Und dem lieben Gott, der alle Wesen und ihre Gedanken kennt, schien es recht, daß der Knabe wieder eine Mutter hatte. Er dachte eine Weile nach. "Ich will deinen Wunsch erfüllen", sagte er, "aber gib ihm viel zu tun, damit er nichts verlernt. Ich werde ihn eines Tages brauchen.
Seitdem haben wir keine neuen Schmetterlinge mehr. Dafür malt in den Wolken einer so herrlich, als suche er immer noch Falter und Blumen.
Liebschwestern
Einmal, es war schon sehr lange her, haben Frau Holle und der Südwind einander liebgehabt. Der unstete Geselle hat die schöne Holdin indes wieder verlassen und ist über die Wälder von dannen gefahren, gerade, als die Mutter unter Wundern wohl dreißig kleine Mädchen, groß wie Elfinnen, gebar und im Korb wiegte. Die Kindlein waren jedoch so zart und fein, daß einige bald fiechten und schwanden und die arme Frau Holle erkennen mußte, daß aus Wind und Berg kein bleibendes Leben wird. Traurig war sie um die flatternden Wesen, die so lieblich und klug und schwesterlich miteinander taten, viel Mühe gab sie sich um die Kleinen.
Alle Liebe half indes nicht, eines nach dem andern verließ sie. Aber weil die Kinder so fröhlich waren und so lustig erzählten, was sie in ihrem jungen Leben noch beginnen wollten, hatte Frau Holle Mitleid mit ihnen; sie schickte sie, wie sie da waren, noch einmal auf einen Tag in die Welt hinaus, um ein Abenteuer zu bestehen.
Da lief die eine mit einem Hasenbengel um die Wette, eine andere geriet in den traurigen Himmel der Hagestolze und wurde sehr mürrisch angesehen. Die Jüngstgeborene aber, die ,Meinige' hieß, verirrte sich zu den Menschen.
Es war so um die Mittagszeit, als unter viele, viele Blumen in einen großen Gutsgarten eintrat. Es hatte schon geläutet, und die Arbeiter waren zum Essen gegangen. Ein junger Gärtner nur hatte so emsig geschafft, er hatte die Glocke nicht gehört, hockte in einem Beet Hyazinthen und suchte die heraus, die nicht hatten wachsen wollen.
Als der Bursche nun aufschaute, stand auf einmal ein schönes Mädchen vor ihm und sah ihm aufmerksam zu. Er wurde verlegen vor solch lieblichem Ding, zog höflich den Strohhut und fragte, nur um etwas zu sagen, ob er die Blumen so recht gesetzt hätte.
"Wie heißen die denn?" forschte Meinige; dergleichen wuchs nicht in ihrer Mutter Wald. Und eh der andere geantwortet hatte, fuhr sie fort: "Duften sie auch?
Die Hyazinthen dufteten damals noch nicht. Der Gärtner schüttelte den Kopf, es tat ihm leid, daß er nein sagen mußte. "Wer bist du denn", fragte er, "daß du's nicht weißt? Gehörst du zu unserem Hof, oder bist du eine aus dem Wald?
Nun, Meinige wußte nicht, was ein Hof war, sie wies mit der Hand in den Wind, der sie hergetragen hatte. Den Kopf wandte sie nicht; sie mußte den Gärtner ansehen. Er hatte solch frisches braunes Gesicht und lachte so freundlich, am liebsten wäre sie selbst in seiner Hand gewesen, so wie die Blume, die er gerade zart und behutsam wiegte, und die doch gewiß sehr glücklich bei ihm sein mußte.
"Warum duften sie nicht? wollte Meinige hören. Bei ihrer Mutter war alles Wohlgeruch und Klingen. "Warum pflanzt du sie denn überhaupt?
"Weil sie so lieblich aussehen. Schau sie nur an!
Der Junge lachte wieder und reichte ihr eine Blüte hinüber, Aber Meinige wagte sie nicht anzunehmen. Sie mochte die Freude der Blühenden nicht stören, es mußte wunderschön sein, von diesem Burschen lieblich genannt und sorgsam getragen zu werden.
"Hast du Blumen so gern?" fragte sie näher tretend. Jetzt wollte sie nachsehen, woher das Blinken kam, das dem Jungen hinter den Augen saß. "Hast sie so gern?" verlangte sie zu wissen.
Da flog die Freude über des Gärtners Gesicht, er griff flink nach des Mädchens Hand. "Aber dich könnt' man noch lieber haben, solch feines Ding wie du bist!
Meinige hat sich sehr erschrocken; hätte man glauben sollen, daß ein Mensch so keck sein konnte? Mit einem leisen Schrei wich sie zurück. Aber sie floh nicht, einen Augenblick wollte sie noch warten.
Da klang vom Herrenhaus die Mittagsglocke zum zweitenmal, zornig über die Nachzügler. Der Gärtner horchte: "Nun komme ich gewiß zu spät", rief er, "der Bag wird schön schelten. Aber hör, Wädchen, schau
heut abend ein, da hab ich Zeit! Wirst du's auch gewiß tun?" fragte er und bettelte von Herzen."Ich weiß noch nicht! Meinige nickte verlegen, nein wagte sie nicht zu sagen.
"Du kommst doch, ja?" bat der Bursche lachend und lief in langen Sprüngen zum Haus hinüber.
Das kleine Mädchen aber schwang sich flugs in den Wind und fuhr wie ein Vogel zu Frau Holle heim. Herzklopfen hatte es von all dem Erleben und von seinem halben Mersprechen.
Bei der Mutter fanden sich auch bald die andern Schwestern ein. Alle hatten etwas Seltsames gesehen und babbelten aufgeregt von Himmel und Tiefe und von Busch und See. Aber keine hatte solch wunderliches Abenteuer wie Meinige hinter sich. Nein als die zu Ende erzählt hatte, sagten alle zwanzig mit feinen Stimmen, das müßten sie auch erfahren, und wollten zum Abend bestimmt den Gärtnerbursch kennenlernen. Dann sanken ihnen bald die Köpfe auf die Brust, so müde waren sie von dem weiten Flug.
Frau Holle aber spürte, wie die Kräfte der Zarten von der Ausfahrt verzehrt waren; sie wußte kaum, wie viele noch bis zu dem großen Garten
fliegen, geschweige denn den nächsten Morgen erleben würden. Meil sie ihr indes so bitter leid taten in ihrem Magdtum, sann sie nach, wie sie ihnen ein Glück zu erhalten vermöchte. Und sie schuf eine Blume, die sah aus wie die Hyazinthe, die der Gärtner gepflegt hatte, gab ihr vom Duft aus dem Berg, rief ihre schlafmüden Kindlein zusammen und bettete ein jedes in eine der Glocken hinein, zualleroberst aber die kleine Meinige. Dann eilte sie mit den Blüten zum Herrenhausgarten, wo der Gärtner die Tochter entdeckt hatte. Vorsichtig pflanzte sie die Blume mitten ins Beet — es war die schönste von allen. Und als der erstaunte Bursch zum Abend auf das Wundermädchen wartete, sah er die neuen Blüten und vernahm ihren Duft. Da vergaß er, was er vorhatte, beugte sich zu den Schlummernden, streichelte sie und freute sich wie ein König an seiner Königin.So sind jene Frauhollentöchter dazu gekommen, bei dem Gärtner zu bleiben, und es sind viele neue Blumen aus ihnen gewachsen. Liebschwestern wollen wir sie nennen und Frau Holle dankbar sein, daß sie ihre Schönheit und ihren Duft den Menschen schenkte.
Verwandlung der Liebenden
Zu der Zeit, als die schöne Frau Holle noch mit buntem Hofstaat und klingendem Spiel über die Erde zog, traf sie mittsommers oft den milden Herrn Fro und wollte, daß er mit ihr reiste. Aber er erwiderte ihre Liebe nicht. Als er nun merkte, daß Frau Holle darüber traurig wurde und eifersüchtig jedem etwas antat, der ihm nahe kam, ging der große Sommer: könig aus dem Land; er hoffte wohl, daß die wilde Holdin ihn vergessen würde.
Lange blieb er damals in den Gärten nach Süden zu und bepflanzte und segnete sie. Zwei Blumen gewann er besonders gern, die Nrzisse im Frühling, die zu Ostern so rein und prächtig über die Wiesen läutet, und eine
Herbstliebe, das ist die Dahlie, die hatte er um ihrer fremden bunten Farben willen gern.Die Blumen spürten bald, wie sehr der Überirdische für sie sorgte. Sie waren ohne Eifersucht, die Monate ihres Prangens und ihrer Blüte lagen fern voneinander. So wurden sie gute Freundinnen und gewannen solche Liebe zu Herrn Fro, daß sie ihn nicht mehr lassen konnten. Als er lange Zeit da unten geweilt hatte und wieder heimkehren wollte, wünschten sie sich nichts anderes, als ihm gleich irdischen Mädchen folgen zu dürfen. Und so groß war ihr Verlangen: sie wurden leibhaftig, sie konnten Herrn Fro nachgehen, Tag um Tag, Weg um -aeg.
Nun verloren Osterglocke und Herbstliebe aber den Wanderer einmal aus den Augen, als sie schon weit nach Nrden in sein Land gekommen waren. Sie wußten nicht mehr, wohin er sich gewandt hatte, irrten hin und her und fragten viele Leute, aber niemand hatte den Gütigen gesehen.
Endlich, als es Abend wurde, kam ihnen Frau Holle als eine wunderschöne Königin vom Berg herab entgegen. Die Wanderinnen kannten sie nicht, und weil sie nicht ein noch aus wußten, gingen sie die hohe Fremde um Rat an, wo Herr Fro wohl geblieben sei.
Die Holdin blieb stehen und hörte sie an. Und als der Name fiel, um den sie viel Kummer gehabt hatte, und als sie die beiden Mädchen anschaute, die ihrem verlorenen Vertrauten folgten, stieg die alte Sehnsucht wieder auf, ihr Herz schlug voll Eifersucht.
Wann sie Herrn Fro zuletzt gesehen hätten, forschte Frau Holle. Sie tat dabei, als ginge es sie wenig an, und sie wolle es nur wissen, um einen Rat zu geben. Die Mädchen spürten indes etwas Arges in ihrem Wort, blickten einander an und antworteten nicht gleich. Strenger fragte Frau Holle: "Woher kommt ihr? Wo saht ihr den großen Gütigen zuletzt?
Es ging aber solch Verlangen von ihr aus, Herr Fro, der im andern Tal mit seinen Hirschen spielte, spürte es, horchte auf und war ebenso flink wie lautlos nahebei. Da gewahrte er der Königin Unmut und erkannte die zitternden Fräulein, die ihm nachfolgten. "Liebe Holle", rief er fröhlich, "hast du meine Blumen gefunden?
"Deine Blumen?" fragte die und war glücklich, ihm zu begegnen.
"Sieh", erklärte Fro rasch, "Osterglocke entdeckte ich und werde sie in deinen Garten pflanzen, und Herbstliebe nenne ich die andere, die bunt und windbebend für dich blühen soll!"
Alls die beiden Mädchen nun Herrn Fro, den sie suchten, so nahe waren und spürten, daß er sie erkannte, war ihr Verlangen erfüllt; sie sanken gleich einem Entatmen in die Blätter und Blüten zurück, aus denen sie aufgebrochen waren.
Und Frau Holle merkte, wie sich die Wurzeln der Blumen wieder in die Erde senkten. Sie war traurig, daß der andere kein Wort für sie selbst fand; wunderschön sah sie in ihrer Betrübnis aus. Ihre langen Wimpern glänzten im Sonnenlicht, und die blauen zaubergefüllten Kränze von Vergißmeinnicht in ihren Armen zitterten, als spürten sie das Blut, das darunterhin schlug.
Dann hob sie die Hände, ohne zu Herrn Fro aufzublicken. Sanft strich sie über die rote Herbstliebe.
"Ich will sie gut in meinem Garten halten", seufzte sie. du sie findest, habe ich sie dir zur Freude gepflanzt!"
Olemann Puk
Wie Olemann Puk, so heißt der Knirps oben aus dem Eulenloch im Vierberger Doktorhaus, zu einer Frau gekommen ist, das ist eine drollige Geschichte und des Erzählens wert. Hört her!
Im Knick, just gegenüber dem Doktorgarten, wohnte einstmals ein kleines unterirdisches Fräulein, dem Olemann Puk gewogen war. Eines Tages jedoch hat ein Unhold sich das Mädchen zum Dienst einfangen wollen. Er warf seinen schwarzen Schattenmantel, gerade mit Sonnenuntergang, über das arme Ding, da hatte er es verzaubert, so daß es ein Jahr lang als Frosch oder als Schlange, aber immer in Tiergestalt, leben mußte.
Ehe der Riese seinen Fang indes aufgehoben und gesichert hatte, ist Olemann Puk, der alles von fern angesehen hatte, hinzugefahren und hat mit einem riesigen Messer den Schlimmen in die Ferse gestochen. Der hat gemeint, er habe in Wespen getreten, hat nach hinten gekeilt und Olemanns Knie getroffen; währenddes ist seine Beute aber in Gestalt einer kleinen Ringelnatter davongeschlüpft.
Der Puk hat ein lahmes Bein behalten, dafür hatte er jetzt den Dank des verzauberten Fräuleins gewonnen. Jeden hellen Tag sind die beiden umeinander gewesen; über Nacht aber ist Olemann wie früher im Doktorhaus auf Wache gegangen, und das Mädchen hat sich, in einen Wasserfrosch verwandelt, unten in der Au in einem alten Kochtopf schlafen gelegt.
Nun ist die Kleine ja ein Schelm gewesen, und weil sie in ihrer Verzauberung zu den Ihren nicht heimkehren konnte, hat sie rund um den Kochtopf viel Schabernack getrieben. Wenn die Wagen die dunkle Heer
straße zum Mondhagen fuhren, hat sie von den Bäumen als Schlange niedergelassen und Leute und Pferde erschreckt. Oder sie hat sich wie ein schönes Antlitz einem schlafenden Hagemann genähert. Wenn der aber schon die Lippen spitzte, ist sie ihm als stachlichter Igel übers Gesicht gerollt so daß der Unhold alle Winde vollschrie. Oft auch ist sie als piepende Maus oben im Doktorhof durch die Kammern geschlichen, so daß die arme Hausfrau schier verzweifelte, hat sich auf einmal zur Schlange gewandelt und hat unterm Herd gehaust und die Leute freundlich angezüngelt. Zur Nacht ist sie dann wieder in ihr Froschkleid geschlüpft und hat getreu geschlafen, solange ihr Vertrauter auf Wache ging.Schließlich hat der Doktor, um dessen Haus der Spuk geschah —Fietebum hieß er —, die Geschichte herausgekriegt. Und er hat mit seinem klugen Weib beraten und mit ihr besprochen, daß man den beiden, dem Fräulein und Olemann Puk, ein geordnetes Hauswesen verschaffen müsse, da würde der Unfug hoffentlich ein Ende nehmen.
Er ist also eines Tages um die Dämmerung mit seiner Frau in guter Absicht zur Au geschlichen, die zwei haben sich Haselhaken geschnitten und vorsichtig die Henkel des alten Kochtopfes gefaßt; dann haben sie eing, zwei, drei gezählt und ihn flink hochgehoben.
Unten im Boden ist indes ein Loch gewesen; das Froschfräulein, das sich im grünen Rock gerade zum Schlafen gelegt hatte, ist mit erschrockenem Lachen hindurchgeschlüpft und auf den Grund des Baches gegangen.
Der Doktor Fietebum hat sich den Topf besehen, er hat das Loch gefunden und heimlich ein Stück Blech hineingeklemmt. Dann hat er ihn stillschweigend wieder ins Wasser versenkt.
Natürlich hat die Schelmin am nächsten Morgen die ganze Geschichte Olemann Puk erzählt, und der ist sehr böse gewesen. Nach einigem Über legen aber hat er das Froschfräulein getröstet und gesagt, zweimal mache sein Herr solche Dummheit nicht.
Weil die Jungfer aber den Menschen zum Schabernack den hellen Tag über in Keller und Küche alles durcheinanderwarf und hier als Ratte, da als Marder pfiff, dann wieder als riesige Fliege den Schreibtisch des
Hausherrn umschwirrte, hat der an das Stück Blech im Kochtopf denken müssen. Und er ist am Abend, so eine Stunde vor Mitternacht, ganz allein zur Au hinuntergegangen, um noch einmal den alten Pott aufzuheben. Aber sei es nun, daß der Gelehrte abergläubisch war, oder daß Olemann auf der Lauer lag: als der Doktor den Kochtopf beinahe aus dem Wasser gehoben hatte, hat er sich über irgend etwas erschrocken, hat das Übergewicht bekommen und ist mit den Armen zuerst in die Au gefallen. Dabei schülpte der Topf über, und das Froschfräulein, das schon vergeblich nach dem Loch im Boden suchte, ist lachend über den Rand gehüpft.Und es hat den beiden Menschen oben im Hügelhaus weiterhin wenig Frieden gelassen, hat vielmehr anderntags vom Dach bis zum Stall hin und her seinen Spuk getrieben. Solch ein Aufruhr ist es gewesen, daß der Mann den Puk gerufen und ihn gebeten hat, seine Braut zur Ruhe zu bewegen. Der Lümmel hat aber nur gegrinst und gefragt, wer denn den Streit angefangen hätte. In allen Ecken hat es dazu gelacht, und als die Hausfrau zur Versöhnung eine Schale Milch für das kleine Fräulein hinstellte, damit es sich als ordentliche Magd in ihren Dienst bequeme, hat jemand ihr den dicken Butterlöffel in die Suppe und die Erbsen in das Mehlfaß geworfen. Aber die Milch ist unangerührt geblieben.
Da haben der Doktor Fietebum und seine Frau sich nach dem Abendessen wieder zusammengesetzt, haben die Stirn kraus gezogen und nachgedacht was nun zu tun sei. Und der Mann hat nach seinem Hut gewiesen und ein Zeichen des Überstülpens gemacht. Die Frau aber hat stillschweigend einen Kochtopfdeckel aus der Küche geholt und unter der Schürze versteckt. Dann sind sie um Mitternacht zum drittenmal zur Alu hinuntergegangen.
Olemann hat in jener Nacht nicht rund um das Haus gewacht, wie es seine Pflicht gewesen wäre, sondern hat bei seiner Liebsten im Pott gesessen und große Reden über Recht und Gerechtigkeit gehalten. Er glaubte ja nicht, daß Menschen dreimal nacheinander sich um einen Kochtopf kümmern würden.
Aber auf einmal hat das Wasser sonderbar geglückt, dann ist alles pechdüster geworden. Und als die beiden nach draußen wollten, sind sie mit dem Kopf gegen den Deckel gestoßen, und auch das Stück Blech hat immer noch im Loch gesteckt. Da sind die Gefangenen wie Quappen an der Wand entlang gefahren, haben keinen Ausschlupf entdecken können und haben sich endlich mit kläglichem Gewissen auf ihrem Sitz niedergelassen Der Topf aber hai geschwankt und geschwippt und einen langen Weg von der Au im Grund bis oben zum Haus auf der Höhe gemacht. ist er schließlich mit einem harten Schnurren auf den Herd gerückt worden.
Ihr könnt euch denken, in welche Angst die beiden geraten sind, als sie das Schurren hörten. "Hilfe, Hilfe! Hier sind Leute im Pott!" hat der Puk geschrien und laut an den Deckel geklopft. "Ja, zwei Leute im Pott! hat eine feine Stimme hinterhergerufen.
"Ist das nicht unser guter Olemann", hat der Doktor gefragt. "Frau, da kommt Besuch, hast du den Kaffee auf dem Herd?
"Und das kleine Fräulein von drüben ist wohl auch dabei", hat sein Weib gesagt, dann will ich nur gleich den Pastor holen!
Als sie vom Pastor hörten, haben Olemann und das arme Mädchen aber so kläglich durch den Kochtopf hindurch zu bitten und sich zu entschuldigen begonnen, daß sich bei Fietebum und Frau das Herz rührte. Sie haben den Deckel ein wenig angehoben, da hat es unterm Topfrand heraus geschrien und geschworen, vier kleine Hände und Pfoten haben sich nach draußen gestreckt und alle besten Dienste statt Unfug angeboten.
Die beiden Großen sind ja Schelme gewesen, sie haben immer noch getan, als wüßten sie nicht, was sie anfangen sollten und ob sie nicht doch zum Pastor müßten. Da hat Olemann in seiner Angst das heile Bein zwischen Topf und Deckel hinausgeschoben, hat dem Doktor gewinkt und heimlich und listig getan, als hätte er das Fräulein überhaupt nur um seiner Herrschaft willen zu sich gelockt. Und als die Hausfrau mit etwas Ziegenmilch näher kam- ihr wißt, damit geben sich die kleinen Wesen in unsern Dienst-, haben seine Braut und er gleich zu allem jaja gesagt, solche Furcht haben sie gehabt.
Die beiden haben keinen schlechten Tausch gemacht; ich glaube sogar, daß dem Knirps Olemann im Grunde seines Herzens die Unruhe im Bach längst zuwider gewesen war und daß ihm das Leben heut besser gefällt. Er hat seine alte Kammer oben im Stall wie vordem, und wir wissen ja, wie sehr er seine Gemächlichkeit liebt.
Die neue Gesellin wird ihm die Stube kehren. Zumeist aber hilft sie der Hausfrau, der sie alles blitzblank putzt und das Geschirr besorgt und die Sobel stäubt und über Nacht heimlich die Wäsche wäscht, — oh, es lohnt sich wohl, solchen Geist zu fangen.
Von Wietje und Gottje
Ich bin auf einmal wach —wenigstens meine ich, hellwach zu sein. Die Ofentür hat geknarrt, und mein Hund hat den Kopf gehoben. Aber er bellt nicht, obschon vor meinen Blicken ein kleiner rußiger Zwerg, so ein Schlotpucker, in der Ofentür sitzt, ein Bein überm Rand, wie in einer Kasperbude. Was will er? Er winkt, ich soll mit ihm kommen?
Ich reibe mir die Augen. Es geht genau so zu wie in der Geschichte, die mir der alte Schornsteinfeger Jespersen erzählt hat. Da lebt also wirklich ein kleiner Kerl mit seinen Kindern in meinem Ofen! Hätt's nicht geglaubt Aber man müsse höflich mit ihm sein, sagte Jespersen, und gute Nchbarschaft mit dieser Art Wichten halten. Und der in meinem Ofen hieße Sottje.
Also Sottje winkt mir, ich solle ihm folgen. Wie kann ich das um's Himmels willen anstellen? So schlank ist unsereins nicht! Ich hebe mich trotzdem neugierig aus meinem Mittagsschlaf, um mit dem Schlotpucker zu verhandeln. Dabei merke ich, daß ich nicht größer noch kleiner bin als der Knirps. Und während ich mich noch darüber wundere, fällt mir ein, warum das so ist. Heute morgen, als ich den Papierkorb umschütten wollte, um ein Gedicht zu suchen, das mir vom Tisch geflattert war —hui, sprang auf einmal ein Ding heraus, ein buntes Kerlchen, das im nächsten Augen: blick wie Glas verging und nicht mehr zu fassen war. Aber mit zwei Fingern hatte ich ein Stück von Rock und Hosenbund erwischt und hab's wohl noch in der Tasche oder habe darauf geschlafen. Da wächst einem von selbst solch ein Knirpsenrock, sagen die Leute, — ja, denkt euch, wenn man nur einen Fetzen erhaschte! Und man kann ihn immer wieder an ziehen, wenn man zum Zwergenvolk will.
Also, ich reibe mir zum andernmal die Augen, ob das alles Wirklichkeit ist. Ich bin indes nicht größer als Sottje, es wird mir auch gar nicht
schwer, mich eben zu ihm in die Ofentür zu schwingen. Dabei sehe ich, daß ich keine Strümpfe und Schuhe habe, nur von Rock und Hose hatte ich ja etwas erwischt. Man wird es im Ruß nicht merken, tröste ich mich, während ich schon Sottje in den Ofen nachsteige.Eigentlich müßte ich mich über alles wundern, was ich jetzt gewahr werde. Aber mir ist, als sei das gar nichts Neues; ich kenne, scheint mir, die kleinen Stuben, durch die man mich führt, ich sehe die Kinder und
Darüber habe ich beinah vergessen, dem guten Sottje zuzuhören. Lieber Himmel, wie böse er es gellt mir in den Ohren! Da haben sich nämlich die Wichtelleute, die stck schon seit langem unter meinem Haus ansiedelten, Zugluft verschaffen wollen und haben ihren Schornstein gerade in meinen hineingebaut. Warum sollen sie es nicht tun? Aber Sottje ist
außer sich, er fühlt sich für die Dinge verantwortlich; ich bin gerührt, daß ich so gute Knechte habe, die ihre Augen offen halten. "Ganz recht", seufze ich also, "wir müssen den Lümmeln einmal Bescheid sagen. Sie hätten ja wenigstens um Erlaubnis bitten können!" Der Schlotpucker nickt und schilt immer noch.Dabei merke ich indes auch den Grund des Ingrimms. Sottje kann die Küchendämpfe der Kleinen nicht vertragen, er hat den ganzen Tag Hunger von ihren Bratendüften. Nun, wir wollen sehen! Ich folge ihm tiefer, wie weit sind wir schon? Da, bauz, poltern wir den Unterirdischen gerade in die Küche und von da, weil wir noch den rechten Schwung haben, über die Diele in die Wohnstube hinein.
Den Wichtelalten haben wir aus seinem Mittaggschlaf geweckt, er macht ein blödes Gesicht. Und auch Frau und Kinder und allerhand Nachbarn rennen herzu, drängen sich in der Tür und horchen, — wenn ich nur heil davonkomme!
Denn der Alte scheint mich auf einmal zu erkennen. Er richtet sich auf — er hat übrigens keinen Bart, wie die Leute immer meinen — und mustert mich von oben bis unten, ohne mich zu grüßen. "Na"fragt er endlich. Und dann: "Da bist du ja, hast du mir nicht heut früh den Rock zerrissen?"
Daß ich daran nicht gedacht habe! Ich lasse mich lieber gar nicht auf seine Frage ein. "Sag mal, Nachbar", murre ich und mache ein böses Gesicht, wie es einem Hausherrn ansteht. "Hast du wirklich so mir nichts, dir nichts deinen Schlot in meinen gebaut? Das ist doch wohl nicht die Art von Untermietern?
Jetzt habe ich ihn! Ich merke deutlich, daß auch er ein schlechtes Gewissen kriegt. Aber er faßt sich gleich und beginnt zu grinsen, weil er meine rußigen Beine ohne Strümpfe entdeckt hat. "Nun seht doch mal an", er zeigt nach mir, "Mutter, hast du ein Paar Socken für den Besuch? Was sollen unsere Töchter sagen?
Was seine Töchter sagen, ist mir gleich, es sind genau solch schrumpelige Dinger wie die Alten. Nur eins der Mädchen ist hübscher und lacht mich
an, so daß ich ebenfalls ins Lachen gerate. "Und der Rock und die Hosen, die der Herr anhat, gehören ihm wohl auch?"droht der Knirps."Darf ich vielleicht fragen, was du in meinem Papierkorb zu suchen hattest?" verteidige ich mich. "Was soll ich von Nachbarn halten, die mir meine Gedichte stehlen und meinen Kamin anbohren?" Und weil ich sonst keinen Freund habe, rufe ich den Schlotpucker. "He, Sottje", lärme ich, "wie würdest du solche Nchbarschaft nennen?"
Sottje ist hier unten indes gar nicht so großmäulig wie oben in unserer Welt, ich merke, hier muß ich alles allein austragen. "Deine Gedichte kenne ich nicht", flüstert er, "aber das mit dem Essensgeruch in meiner Wohnung ist gewiß nicht, wie es sein soll.
"Hörst du's, Wietje", trumpfe ich auf —jemand hat mir Verraten, daß der Knirps unter meinem Haus Wietje heißt. Es schmeichelt dem Alten, daß ich ihn beim Namen nenne. "Hörst du's, Wietje?
"Was stört's dich eigentlich", meint er etwas gnädiger, "was stört's dich, wenn ich meinen Küchenrauch bei dir abziehen lasse? Nachbarn sollten einander beistehen!
"Aber meine Gedichte mache ich allein, da brauche ich dich nicht!"Ich sehe auf die Leute in der Tür, ob mir nicht jemand zu Hilfe kommt. Ha, da ist doch mein Freund, der schwarzstoppelige Igel Stickelpickel. "Was sagst du dazu?" frage ich und zeige mit dem Finger auf ihn.
Der will es auch mit den Unterirdischen nicht verderben. Er fängt lang und breit an zu reden. "Wenn man bedenkt —", höre ich, "und wenn man es so und so ansieht." Dann hat Stickelpickel einen guten Einfall. "Ich meine, daß ihr beiden freundlich gegeneinander sein solltet", schlägt er wie ein Richter vor und wendet sich an mich. "Laß den Kamin stehen, wie er steht, und behalte dafür Jacke und Hose.
Das ist eigentlich kein schlechter Rat, da kann ich jederzeit zu den unterirdischen auf Nachbarsbesuch gehen und — nun ja, Sottje muß sich eben an den Bratenduft gewöhnen. Auch weiß ich nicht, wie ich hier ohne Vergleich wieder aus dem Haus kommen soll. "Topp", sage ich, das ist ein vernünftiger Vorschlag.
Nun tut der alte Wietje lang und breit, als müsse er sich bedenken, sicherlich möchte er noch einiges herausholen. Stickelpickel nickt indes so ermunternd, und der Unterirdische schlägt ein. Sottje will ein Wort bemerken wir hören nur alle nicht mehr auf den Streitmacher.
"Willst du nicht etwas bleiben?"fragt Wietje. Ich habe indes für diesmal genug von der Sache. "Heut muß ich nach Haus, aber ich komme wieder!"Ich werde wirklich wiederkommen, habe ich doch jetzt Jacke und Hose, die mir zum Besuch bei den Unterirdischen verhelfen. Was werde ich alles schauen und bereden können!
"Da kann ich ja gleich mitgehen", sagt das hübsche Mädchen, und ich merke, daß es auch nur als Gast da war. Der Alte nickt; sieht sehr drollig aus, wie er auf dem Rand seines Sofas sitzt und mit den Beinen schlenkert. "Also auf gute Nchbarschaft!" Er reicht mir die Hand.
"Ja, auf gute Nchbarschaft!
Dann kriechen wir auf einer Leiter wieder durch den Kamin und Sottjes Wohnung, und das hübsche Mädchen kommt mit. Aber als wir in mein Zimmer gelangen, ist es auf einmal eine Eule, die streicht, ehe ich sie einladen kann, mit einem "Huhu" aus meinem Fenster und in die Esche vorm Haus Auch ist Sottje furchtbar böse auf mich, das tut mir leid. Und schließlich möchte ich in meine rechten Kleider kommen, mir ist es doch etwas unheimlich über den sonderbaren Weg, den ich hinter mir habe. Da merke ich, daß ich schon wieder ausgewachsen und genau der alte bin. Vor meinen Füßen liegen eine winzige Joppe und Hose, die hebe ich sorgfältig auf.
"Ja", sage ich zu Sottje, "an den Küchendampf wirst du dich gewöhnen müssen, man kann den Nachbarn nicht alles verbieten.
Er knurrt noch und wartet und will wohl sehen, wo ich Jacke und Hose verberge. Aber die werde ich verstecken, wenn er aus der Tür ist, davon wird kein Sterbensmensch erfahren.
"Schade", murre ich, "schade um das hübsche Fräulein!"
"Na", meint er, "die werden alle mal dick und alt. Besser wär's, wir Männer hielten zusammen!
"Das werden wir tun, Sottje! Besuch mich nur einmal wieder, vielleicht kann ich dir das nächste Wal helfen."
"Will sehen", sagt er kurz, hebt das Bein in den Ofen zurück und ist plötzlich fort. Mein Hund knurrt ihm nach, obschon die beiden einander doch kennen.
Die Geschichte vom Ahlbeerbusch
Der kleine Junge des Bahnwärters hatte sie
indes springen sehen. Er wollte seiner Mutter
Wenn man nur Glück hat, dachte die kleine
schwarze Ahlbeere, da sprang sie —witsch — der
Bahnwärterfrau, die sie mit all ihren Geschwistern
in den Einmachtopf werfen wollte, —
witsch — zwischen den Fingern hindurch. Flink
hüpfte sie auf den heißen Herd, was sehr weh
tat, stieß sich arg an einer Kante und hatte doch
immer noch solch Eile, daß sie — hupp — über
die Türschwelle in den Garten kam.
beim Einmachen helfen, wurde aber zur Seite geschoben, weil er immer
im Wege stand. Jetzt möchte er zeigen, daß er doch nützlich sei, tappte
durch die Küche, kletterte auf allen vieren über die Türschwelle und griff
wahrhaftig nach der schwarzen Kugelrunden. Alls er sie mit seinen schmutzigen
Fingern beinah erwischt hatte und die kleine Beere, die eben ihr Glück
gepriesen, schon entsetzlich in Angst geriet, fiel ihr gerade noch ein guter
Gedanke ein. "Paß auf", sagte sie leise, "die Glucke hat Kücken gekriegt,
lauter gelbe piepsende Kücken.
Als das der Bahnwärterjunge hörte, ließ er Ahlbeere Ahlbeere sein,
patschte sich hoch und wollte zum Hühnerhof. Aber weil er noch nicht so
weit laufen durfte, steckte er nur beide Hände in den Mund und sah voll
Verlangen zum Kakelstall mit den gelben Küchlein, fing an zu weinen
und vergaß ganz, daß er die Ahlbeere hatte holen wollen.
Der sollte das Aufschneiden jedoch nicht recht bekommen. Kaum war
sie den Jungen los, da kreiste brusebrusebrumm eine dicke Wespe gerade
über ihrem Kopf. Wie fürchterlich hat sie sich erschrocken! "Bitte, bitte,
tu mir nichts", sagte sie laut, so daß die Summende es hören mußte.
Bitte, stich mich nicht, ich will dir auch verraten, daß hinter mir in der
Küche all meine Geschwister mit Zucker eingemacht werden." Als die
Wespe das Wort Zucker vernahm —hast du nicht gesehen —, weg war sie
und zur Küchentür hinein, man hörte die Frau gleich schelten und mit der
Schürze schlagen.
Die Ahlbeere kam indes immer noch nicht zur Ruhe. Kaum war sie
den Quälgeist los, da stand ein ungeheurer Riese dicht neben ihr. Der
Riese aber war der Stiefel eines alten Bettlers, der sich nicht recht in die
Tür wagte, verlegen im Sand schurrte und so viele Löcher wie Zehen am
Fuß hatte; es war drollig, den Stiefel anzusehen. Die kleine Ahlbeere hat
denn auch alle Furcht vergessen; das schönste Loch hat sie sich ausgesucht,
hat sich lautlos hineingerollt und ganz warm und behaglich neben der
großen Zehe des Fremden eingehuschelt.
Es gibt indes keinen ungetrübten Frieden hienieden, auch nicht bei den
Ahlbeeren. So gut der Platz war, solange der Bettelmann vor der Tür
stand und um ein Stück Brot bat, so lebensgefährlich war es für die
mutige Kleine, als der Schuh wieder in Bewegung kam. Das drückte
und zwackte, das ruckte und krachte, das zwickte und schwappte, oh, der
armen schwarzen Ahlbeere wurde siedeheiß vor Angst um ihr Leben. Alls
der Bettelmann mit der bloßen Zehe gegen einen Stein stieß und den Fuß
mit einer Verwünschung hin und her schlenkerte —witsch —, quetschte
sich gerade noch rechtzeitig nach draußen und fiel, plumps, ins Gras
mein.
Das schien nun endlich ein ungefährliches Vergnügen; wohlig und sorgenlos
lag sie mitten im schönsten Sonnenschein zwischen den Halmen und
ließ sich von allen Seiten bescheinen. Immer müßte es so bleiben, dachte
die Ahlbeere und reckte und dehnte und schnupperte vorsichtig über die
Erde, ob hier wohl der Boden sei, um einen großen neuen Beerenbusch
wachsen zu lassen.
Aber was meint ihr? Ehe die Johannisbeere sich noch recht besonnen
hatte, auf einmal, hupp, hatte eine Drossel auf und im Schnabel, um
sie ihren Jungen zu bringen. Das arme Ding war außer sich vor Schreck;
keinen Laut konnte es von sich geben, gleich neben einem zappelnden Wurm
und einem Weizenkorn hing es im Vogelschnabel und flog, eng gedrückt
und gezwickt, zum Busch hinterm Bahnwärterhaus. Nicht die Augen
aufmachen konnte es vor Angst.
Die Drossel hatte sich aber wohl etwas viel zugemutet. Gerade über der
Dachrinne krümmte sich der Regenwurm noch einmal erbärmlich; der
Vogel wollte ihn fester packen, da rutschten ihm das Weizenkorn und die
schwarze Ahlbeere aus dem Schnabel und hüpften, so schnell sie nur
konnten, davon. weg waren sie! —
Nun wollen die Wunder mitunter ja nicht aufhören. hatte der gute
Pullemann Puk, der bei Bahnwärters unterm Dach wohnt — ihr wißt,
ein grauer kindsgroßer Alter mit einer roten Mütze —, da hatte Pullemann
Puk in der Dachrinne gerade Besuch von zwei Neffen, von zwei
Rullerpuckern drüben vom Bahnhof. Die Rullerpucker sind ja noch kleiner
als Pullemann Puk. Ihr habt vielleicht von ihnen gehört, hausen
unter den Eisenbahnwagen; kein Zug kann abfahren, ohne daß sie ihr
Kullerdipuck, Kullerdipuck dazu abgeben.
Was sagte ich eben? Zwei von diesen Flegeln von Kullerpuckern waren
gerade zu der Zeit, wo meine Geschichte von der Ahlbeere spielt, zu Besuch
bei ihrem Onkel gekommen; Ohm Pullemann hatte früher einmal rote
Grütze für sie gehabt, das wußten sie noch. Nun, die beiden Rullertjes
langweilten sich sehr, weil Ohm Pullemann heute keine rote Grütze hatte.
Der Graukopf wollte sie auch nicht in seiner guten Stube haben. So
schickte er sie in die Dachrinne, um Kriegen zu spielen. — Es ging etwas
gefährlich zu, Dachrinnen sind gewiß kein Platz zum Laufen und Jagen.
Aber der alte Wann war froh, daß sie sich beschäftigten.
Da fiel nun, gerade als die Rullerpucker sich wegen des Antickens
in den Haaren hatten, eine schwarze Ahlbeere mitten zwischen ihnen
nieder.
Was haben sie für Augen gemacht! Das hatten sie noch nicht gewußt,
daß bei Ohm Pullemann Puk solche Dinge vom Himmel regnen. Lange
sahen sie sich das Sunder an, einer hinter den andern gedrückt. Endlich
wagte der Ältere sacht mit der Hand daran zu stoßen. Die kleine Ahl:
beere lief höflich einen Schritt weiter. Gleich wurde der Knirps mutig und
schlug mit dein Holzschuh hinterdrein, so wie er es bei den Menschen gesehen
hatte. Schwapp, flog das arme schwarze Ding in die Luft und
trudelte, so weit es ging, die Dachrinne entlang. Jetzt hatten die beiden
es erfaßt. Die Jüngere holte den Fußball ein und schubste ihn zurück,
es gab ein fürchterliches Hin und Her über Pullemanns Wohnung;
immerzu in Purzeln und Torschießen ging es auf und ab, die Bengels
wußten sich kaum zu halten vor Vergnügen, obschon es für die Ahlbeere
keine Freude war, mit den groben Holzschuhen getreten und gestoßen zu
werden.
Als es nun dämmerig wurde, die grauen Moornebel aufwachten und
der Lärm in der Dachrinne sich wieder verschlimmerte, wurde es sogar
dem guten Ohm Pullemann zuviel. Er schob sich aus seiner Kammertür,
stand auf einmal hinter dem einen Torwächter, als der gerade die Ahlbeere
fangen wollte, und nahm den sonderbaren Fußball selbst in die Hand, um
ihn sich näher zu betrachten.
"Gaat na Huus, Jungens!"mahnte er.
"Och nee und och nee", jammerten die, und Ohm Pullemann sollte
wenigstens noch einen einzigen Spaß mit ihnen machen.
Der Alte hatte keine Lust, aber er sah ein, daß er das Gelichter nicht
anders loswürde. Und weil von unten gerade ein paar Nebelriesen träg
und strähnig die Straße heraufkrochen, langte er nach dem Rücken, wo er
sein Pusterohr hängen hatte, paßte sein Geschoß ein — es ging auf ein
Haar — und blies die Backen voll, daß es kaum zum Ansehen war.
Und dann, just als so ein Nebelgreis vorbeikam —ihr wißt, Pullemann
hat eine alte Feindschaft gegen die vom Moor —, zielte er scharf und
pruschte ab. Was glaubt ihr wohl? Die kleine schwarze Ahlbeere flog
dem Riesenkerl genau ins linke Ohr hinein und dann zum rechten wieder
hinaus und noch weit, weit fort ins Land, —Der Graue ist stehengeblieben,
hat sich verwundert mit dem Finger im Ohr getuppt, hat den Kopf
geschüttelt und sich umgeguckt. Er hat jedoch nur die beiden Rullertjes
gesehen, die vor Vergnügen kreischten und von einem Bein aufs andere
sprangen. Da hat er etwas von dummen Jungen gebrummt und hat sich
weitergeschleppt.
Aber ich wollte von der kleinen Ahlbeere erzählen. Ja, die nach jener
Fahrt aus Ohm Pullemanns Rohr geradeswegs in ein wundervolles Versteck
hineingerollt, just so eins, wie sie es sich immer gewünscht hatte. Da
hat sie im Frühling einen Busch mit Blättern getrieben, der Busch hat
nach sieben Sommern zu blühen angefangen, die Bienen summen darin,
und er duftet und gibt einen herrlichen Schatten.
Ich lag nämlich noch jüngst unter ihm und bin gar nicht mehr erstaunt,
wie er in das wilde Moor kam. Er hat mir die ganze Geschichte erzählt.
Frau Holle belohnt die Lerchen
"Zu der Zeit, als die Vögel sich auf Erden einrichteten, da sollten sich ja
auch die Lerchen eine Stätte für ihr Nest suchen. Aber die fröhlichen Tiere
hatten so viel zu singen und einander so viel zu erzählen, daß sie es schier
vergaßen.
Als es ihnen wieder einfiel und sie hörten, daß die übrigen Vögel längst
gewählt hatten, der eine hoch oben in den Wipfeln, der andere im dichten
Dornbusch, der dritte unterm Dach der Bauern, da beeilten sie sich; und
weil sie keinen Arg hatten, bauten sie ihr Nest einfach den Erdboden.
Eines Tages schlich Hans Wiesel vorbei, er besah sich die kleine Grube
und merkte sich die Stätte. Auch die Krähe flog tief über das Feld und
schwang sich bis dicht über die Erde, um auszuspähen, ob vielleicht schon
Eier im Nefs lägen. Da kriegten die Lerchen Furcht vor den argen Feinden,
beredeten miteinander, was zu tun sei, und gingen schließlich zu Herrn
Eckard; der war damals der Ratgeber aller Vögel. Der Getreue hörte
sich an, was sie an Sorgen hutten; er rieb sich die Stirn, aber ihm fiel
durchaus nichts ein. Dann machte er sich auf, ihnen einen Nistplatz suchen
zu helfen.
Um die gleiche Zeit hatten die Vögel auf Mahnen der guten Frau
Holle beschlossen, dem lieben Gott jeden Tag für seine Schöpfung Dank
abzustatten, und kamen, soweit sie nur recht singen konnten, täglich in der
Frühe auf einer großen Heide zusammen, um gemeinsam ihr Lied erschallen
zu lassen. Aber die schlimmen Räuber, Krähen, Elstern und Häher,
wußten ja auch davon, sie lauerten den armen Sängern auf und schlugen
sie auf dem Weg. Da blieben viele aus, und die anderen berieten, was man
tun sollte.
Endlich hielten sie es für das beste, daß nur einer von ihnen es übernähme,
täglich für alle den Dank zu sagen. "Ich will für euch sprechen",
krächzte der Rabe. Er sah sehr würdig aus in seinem schwarzen Rock und
wußte zwei kurze Gebete, eines für den Morgen und eines für den Abend.
Die Vögel gingen also zu Frau Holle und fragten die, was sie zu ihrem
Beschluß und zum Vorschlag des Raben meine.
Frau Holle lobte ihn zwar und seufzte doch. Wenn ihr wüßtet, wieviel
Gebete der liebe Gott täglich hören muß, dachte sie. "Ihr habt sicherlich
wohlgetan", gab sie zur Antwort. "Aber da der Schöpfer vielen von euch
eine so herrliche Stimme schenkte, wäre es doch schöner, einer von euch
sänge ihm von eurer Liebe vor! Es würde ihn mehr freuen als ein einfaches
Gebet!
Die Vögel sahen ein, daß Frau Holle recht hatte. Sie kamen deshalb
wieder zusammen, sagten dem Raben ab und beschlossen, einen Sänger zu
wählen. Weil sich aber viele dazu erboten und sich nicht einig wurden,
wer das Lied übernehmen sollte, nahmen sie sich vor, ein Wettsingen
zu veranstalten. Wer den Preis davontrüge, der solle Gott täglich für alle
danken. Gesagt, getan! Auf einer großen Waldwiese sammelten sie
sich, einer nach dem anderen begann sein Lied, und die weisesten unter den
Vögeln hörten zu, wiegten die Köpfe und hatten bei jedem etwas zu
raten und bei jedem einiges zu bemängeln. Der Tag ging zu Ende, der
Mond stieg auf; die Sänger versuchten sich die ganze Nacht, wählten
diesen und jenen, holten neue Richter und kamen doch zu keinem Entscheid.
Da war der Sprosser, der mit der Nachtigall stritt, die Amsel wetteiferte
mit der Spottdrossel, der Fink mit dem Gimpel — oh, alle guten Sänger
waren beieinander, es war gewiß nicht leicht, unter ihnen den König zu
kuren,
Nun hatte das Wettsingen schon begonnen, während die beiden Lerchen
mit dem getreuen Eckard noch immer nach einem Nistplatz suchten. Sie
hätten wohl auch gern an den Liedern der Vögel teilgenommen, hatten
aber aus lauter Sorge die Stunde versäumt. Die ganze Nacht waren sie
mit dem guten Helfer unterwegs, um zu sehen, wo sie wohl ihr Haus
bauen könnten, — so lange, bis das Frührot anbrach. Ja, als es so weit
war, daß die Sonne ihre ersten Strahlen über die Erde sandte, da mußten
die beiden Lerchen den getreuen Eckard im Stich lassen; immer am Morgen
trieb es sie, sich in die blaue Höhe aufzuschwingen, um vor allem
ihr Lied Gott zum Lob zu singen. Wie von tausend springenden Perlen
klang es unterm hellen Himmelsgewölbe und hallte von allen Wolken
wider.
Um jene Stunde ging nun auch Frau Holle zum andernmal über die
Erde, sie wollte erfahren, wer beim großen Wettsingen der Vögel den
Preis erhalten hatte. Ach, da hörte sie, daß man noch beim Zanken war,
und daß dieser über den redete und jener über diesen, und daß schon niemand
mehr maß, ob der andere gut singe, sondern nur an ihm und seiner
Meinung krittelte und mäkelte. Überhaupt war es ein fürchterliches Durcheinander,
die Vögel wären am liebsten übereinander hergefallen, so böse
waren sie und so müde des ganzen Wettgesangeg. Am Ende baten sie Frau
Holle, doch selbst zwischen ihnen zu entscheiden.
Die sah den Wirrwarr, hörte von allen Seiten nur Klagen und Schelten,
und es tat ihr leid bis ins Herz. Denn der Streit ging um den Dank
an Gott, wie konnte man da eifersüchtig und unfreundlich sein!
Als sie deshalb die Stimmen noch einmal geprüft und alle Zänker verjagt
hatte, wollte sie selbst ein Urteil finden und dachte lange nach. Dabei
vernahm sie, als schon die Stille der Erwartung über die Vögel kam, wie
aus der Höhe ein klares Morgenlied herniederscholl, schöner als alles, was
bisher zu hören gewesen war. Wer ist das doch, sann die Hollin und freute
sich, daß jemand über den Wetteifer nicht den Dank der Frühe vergaß.
Und sie hörte das Lied der Lerchen zu Ende und war beglückt. "Ich habe
nun aller Meinung vernommen", sagte die edle Frau dann, "und ich
bin erzürnt über euren Unfrieden und traurig, daß ich selbst die Wahl
treffen muß. Weil ich's euch aber versprochen habe, will ich auch entscheiden.
Hört ihr, wer über uns Gott zum Dank zu singen nicht vergaß?
Hört ihr, wen ich meine?
Da wurden auch die Vögel andächtig und lauschten dem frohen Schall
hoch oben in der Luft. Und sie lauschten, bis die Sänger müde wurden
und heimkehrten — ach, erst da fiel den Lerchen ein, daß sie ja zum
Ratstag der Freunde hatten kommen wollen, um sich einen Meister zu
wählen.
Der kleine Junge des Bahnwärters hatte sie indes springen sehen. Er wollte seiner Mutter Wenn man nur Glück hat, dachte die kleine schwarze Ahlbeere, da sprang sie —witsch — der Bahnwärterfrau, die sie mit all ihren Geschwistern in den Einmachtopf werfen wollte, — witsch — zwischen den Fingern hindurch. Flink hüpfte sie auf den heißen Herd, was sehr weh tat, stieß sich arg an einer Kante und hatte doch immer noch solch Eile, daß sie — hupp — über die Türschwelle in den Garten kam. |
Frau Holle belohnt die Lerchen
Als sie nun eilig anschwirrten, mit vielen Entschuldigungen, rief Frau Holle ihnen schon entgegen: "So geb ich euch auf, für alle Sänger jeden Morgen den Dank an Gott zu sagen, gleichwie ihr ihn heute dargebracht habt."
Die Lerchen freuten sich, aber ihnen fielen auch manche Sorgen ein. Wer gibt währenddes auf unser Nest acht?"fragten sie. "Was soll aus unseren Kindern werden, während wir hoch unterm Himmel singen?"
Frau Holle sah sich um, und alle Vögel versprachen, daß niemand den Lerchen etwas antun würde, solange die kleinen Tiere für sie sangen. Während sie aber noch einer nach dem anderen ihr Versprechen gaben, humpelte der getreue Eckard hinzu — er hatte sich in der Eile den Fuß Vertreten.
"Wenn die Vögel ihnen nichts tun, so werden schlimmere Leute kommen", sagte er und seufzte.
"Laß mich nur sorgen", begütigte Frau Holle. Und sie ging zum Lerchennest und streute ein wenig Blindheit rundum, damit niemand es sähe.
Da wünschten ja viele Vögel, daß sie es gewesen wären, die den Morgengruß gesungen hätten; aber zwei so hohen Gästen wie Frau Holle und dem getreuen Eckard wagten sie nicht zu widersprechen, lobten vielmehr, wie die Gütige entschieden hatte, und erhoben sich langsam, der eine hierhin, der andere dorthin, um zu den Ihren heimzukehren.
Der kleine Hans Wiesel kam währenddes beim Lerchennest vorüber; er wollte sehen, ob vielleicht schon Eier darin lägen, und wollte sie stehlen. Aber er fand das Nest nicht, obwohl er mit dem Bauch darüberhin glitt; die Lerchen sangen Frau Holle zum Dank, und Herr Eckard lächelte.
Mär vom Trauermantel
Da war einmal ein kühner Seefahrer in unserm Land, der hatte eine Königin liebgewonnen, in deren Diensten er fuhr. Aber die Frau hielt ihrem Gatten die Treue, die sie ihm geschworen hatte.
Eines Tages starb nun der Herrscher. Da durfte die Witwe dem starken Schiffer sagen, daß es um ihr Herz nicht anders stünde als um das seine, und sie hofften beide aufeinander nach der Trauerzeit. Der hohe Rat des Volkes beschloß jedoch, daß die Königin des Verstorbenen Bruder nähme, obwohl der bejahrt und krank war, und trug dem Seefahrer eine Reise auf, weit übers Meer.
Nun hatte die Frau dem Bruder des Toten ihr Wort noch nicht gegeben, und auch der Seefahrer wollte sich nicht fügen. Er zögerte einige Zeit, bis die Ratsleute des Landes unruhig wurden und ihn in den Kerker warfen. —Die Königin hörte davon. Sie sorgte dafür, daß der Gefangene heimlich befreit wurde, bat ihn zu fliehen und versprach, zu folgen. Aber ihr Plan wurde verraten, und wenn der Mann entkommen konnte, so hat man die Frau angehalten, als sie auf ihr Schiff steigen wollte, um ihrem Liebsten nachzueilen. Und der hohe Rat befahl ihren Tod, weil sie den Gehorsam gebrochen hatte.
Der Bruder des Königs, der milden Herzens war, vernahm es und bat für die Verurteilte, denn er hatte sie gern. Die .Herren jedoch bestanden darauf, daß das Recht erfüllt würde.
Die Königin hatte indes jenen Seefahrer so liebgehabt, daß nach dem Tode ihre Seele als Möwe dem Schiff ihres Vertrauten folgte. Und der Mann erkannte sie und wurde betrübt bis zum Sterben. Er hielt die Möwe in seiner Kammer, sprach mit ihr und hoffte, daß sie sich bald zu der verwandeln würde, die sie einst gewesen war. Aber nichts veränderte sich. Still saß der weiße Vogel auf der Stuhlkante, half dem Schiffer,
Einmal nur, als der Seefahrer von des Königs Leuten, die ihm folgten, verwundet wurde, trank die Möwe einen Tropfen von seinem Blut; von da an vermochte sie mit ihm zu reden, und es machte sie glücklich. Die beiden erzählten einander nun Tag und Nacht, wie es ihnen ergangen war, und verloren einiges von ihrem Leid. Auch rief die Möwe manche ihrer Schwestern nahe, das Schiff schien oft wie in eine weiße Molke gehüllt, so freundlich standen sich die Vögel mit den Leuten an Bord.
Aber die weiße Wolke wies zugleich den Feinden den Weg und führte sie dem Flüchtigen nach. An einem Sturmtag, als die Freunde fern waren, erjagten sie das Schiff des Seefahrers, stiegen in der Frühe an Deck und
Die Vögel blieben von da an immer beisammen. Die Schiffer auf den Kajen kannten sie bald; sie lobten die Treue der beiden und meinten, der Richtspruch über die Königin sei wohl zu hart und arg gewesen, wie wäre es sonst möglich, daß Gott den Zweien so glückvoll ein neues Zusammensein auf Erden erlaube.
Die Ratsherren, die einst das Urteil gesprochen hatten, machten sich Sorge über das Gerede und befahlen einem guten Bogenschützen, die Möwen zu erlegen; sie wollten nicht, daß die Leute die Tiere lobten und streichelten, und fürchteten sich vor der Meinung der wandelbaren Menge. Der Schütze ging also hin, spannte den Bogen, und der erste Pfeil verletzte die Möwe, in der die Königin wohnte; der zweite verfehlte sein Ziel. Der Seefahrer entkam, er vermochte sogar seiner Liebsten zu helfen und sich mit ihr unter den Bäumen des großen Wasserschlosses zu verstecken.
Nun lebten die beiden auf dem Teich und im Garten, in dem die Königin einst als Herrin sich mit ihren Mägden ergangen war. Aber sie hatten wieder viel Leid, denn die Frau siechte und konnte von dem Pfeilschuß nicht genesen. So traurig wurde der Mann im Möwenkleid, daß er Vorübergehende fragte, ob sie nicht helfen könnten; von des neuen Königs Knappen bis zu den Schmetterlingen bat er alle Fremden um Rat.
Der Knappe verstand seine Sprache nicht, wohl aber meldete er seinem Herrn, daß er die zwei Möwen wiedergesehen habe. Ob er sie verfolgen solle? Der König wollte es nicht; er war selbst krank und müde und mochte vom Leid anderer nicht mehr hören. Auch gedachte er der Königin voll Trauer, er hatte sie gern gehabt.
Einer von den Schmetterlingen, den der Seefahrer im Möwenrock an gesprochen hatte, wußte indes Kat. Er sagte, daß er von einem Knaben wisse, der sei als Maler in Frau Holles Dienst und komme zuweilen vor über. Den solle man nur fragen, er habe manchem geholfen, Tieren und
Menschen. Die drei warteten lange, schon verlor der Falter den Mut und wollte auffliegen, den Fremden zu suchen. Da huschte auf Fußspitzen ein Bursch vorbei, der erkannte die beiden Möwen und sprach sie an. "Warum verbergt ihr euch", fragte er, "wer verfolgt euch?""Niemand verfolgt uns hier", erklärte der Seefahrer im Mogelkleid. "Aber mein Genoß ist verwundet und leidet. Könntest du ihm nicht helfen?" Der junge Maler in Frau Holles Dienst sah den Möwenmann an, und es rührte ihn, wie sehr der seinen Gesell liebhatte. "Ich will deine Trauer auf zwei Flügel eines Falters malen", sagte er, "und sie meiner Herrin zeigen. Vielleicht kann die deiner Liebsten helfen." Er machte sich wirklich an sein Werk und schuf es so einfach wie schön, daß Frau Holle ihn fragte, was ihn dazu getrieben habe. Da erzählte er ihr von der armen verwundeten Möwe und bat sie, die in den bunten Flügelleib des Trauermantels schlüpfen zu lassen — ja, Trauermantel nannte er, was er da gezeichnet hatte. Frau Holle folgte seiner Bitte, und der Möwenmann schützte den Trauermantel, der keine Schmerzen mehr hatte, und sorgte, daß sich ihm kein Feind näherte.
Nun war der König inzwischen kränker als vorher geworden und ging betrübt durch seinen Garten. Dabei sah er einen Falter, den er nicht kannte, sah er den Trauermantel, der auf seinen Blumen saß und aus ihrem Kelch trank. Ihm schien aber, daß er noch nie einen so herrlichen Schmetterling erblickt hätte, und da er seine Stunden der Arbeit hinter sich hatte und nur seinen Blüten lebte, folgte er dem Tier, betrachtete seine Zeichnung und war ganz versunken in seine Pracht. Ja, obwohl es auch für ihn an der Zeit war, an den Tod zu denken, faßte ihn noch einmal eine Liebe ohnegleichen zur Schönheit dieses Schmetterlings. Er kümmerte sich nicht mehr um seine Gesetze noch um sein Land; drei Tage hindurch freute er sich an dem Falter in seinem Garten. Dabei sah er oftmals auch die Möwe, die das Tier schützte und Tag und Nacht behütete; vielleicht ahnte er, wer sich unter den Flügeln des Trauermantels verborgen hielt?
Nun ist es ja so, daß die Menschen einmal im Leben drei Wünsche und vorm Tod noch einen letzten frei haben. Wir wissen nicht, wann die
Stunde eintritt, und das ist gut; wir wissen nur, daß uns ein gütiges Schicksal noch einmal segnen will. Als der alte König in seinem Herzen fühlte, daß seine letzte Stunde nahe kam und daß er nie etwas so gern gehabt hatte wie den fremden Schmetterling in seinem Garten, da wünschte er mit leisen Worten, daß, wer den Falter Trauermantel am meisten liebhabe, ihn zukünftig begleiten möge. Er glaubte ja, daß er selbst es sei, und wartete auf die Erfüllung.Aber als er den Wunsch ausgesprochen hatte, sah er mit seinen Augen, daß die Möwe schrumpfte und daß ihre Flügel kleiner und bunt wurden, bis schließlich die eines Falters daraus wuchsen. Und der König erkannte, daß nicht er, sondern daß ein anderer die größere Liebe gehabt hatte und nun zum Schmetterling geworden war. Ihm fiel zugleich ein, was man sich von der Königin und dem Seefahrer erzählte, er begriff, daß die Lieben den erst zu Möwen und daß sie sich jetzt nach seinem Wunsch als Falter vereinigt hatten. Er lächelte, es schien ihm gerecht, was er getan hatte; es schien gerecht, wie alles geschah. Er wartete auf den Tod.
Im österlichen Garten aber flatterten zwei Trauermantel und umspielten einander.
Gericht der Tiere
Es war einmal ein Mann, der hatte eine kleine Rate am Waldrand und einen Acker dabei. Aber er hatte nicht viel Glück im Leben; er war jemand, der zuviel über die Gerechtigkeit dieser Welt nachdachte, stritt sich mit groß und gering, mit Tieren und unirdischen Wesen sogar und wollte jedes Unrecht, das getan wurde, bis zum letzten verfolgen, ohne daß er selbst das Recht seines Lebens gefunden hätte.
So kam es, daß er schließlich seine Hütte verlassen mußte, daß sein Weib von ihm ging und daß er einsam in den großen Wald floh, wo er sich von Jagd und Wurzelsuchen erhielt, ja auch die Wanderer überfiel. Er meinte, daß alles Leben schlecht sei und daß er sich an allem rächen müsse.
Und niemand ließ ihn dafür entgelten. Vor den Häschern verbarg er sich; die Unirdischen des Waldes lachten nur, wenn die Menschen sich untereinander Böses antaten, und die Tiere wagten nicht, ihn zu verfolgen. Er war noch zu stark für sie und ihnen an Kräften über.
Endlich, als sein Haar schon ergraut war, wurde auch er siech und schwach. Da glaubten sie ihre Zeit gekommen und luden ihn vor, und der Mann mußte dem folgen.
Es gibt, das wißt ihr wohl, in jedem Frühling und in jedem Herbst und in jedem Wald und Brook Gerichtstage der Tiere, an denen neun von ihnen sich versammeln, um die Klagen von groß und klein anzuhören. Das war auch in dem wilden Hagen der Fals in dem der vertriebene Mann hauste. Unter eine ästige Buche luden die Herren ihn —Hund und Hase, Specht und Rehbock, Dachs und Igel, Molch und Eidechse —, wie gewählt waren.
Nun wollte sich an jenem Tag auch Frau Holles schwarze Katze, die als neunte zu den Geschworenen gehörte, rechtzeitig in den Wald begeben. Ihre Herrin sah, daß sie sich putzte, und fragte, wohin sie wolle. Da sagte sie es ihr. Die schöne Frau Holle aber wurde begierig, solches Gericht einmal anzuhören. Und die Zauberin ließ sich den Pelz ihrer Katze geben, tat ihn um und ging selbst an deren Statt.
Als nun die Stunde gekommen war und die Gerichtsboten die Schellen geläutet hatten, wurde als erster der Fuchs aufgerufen, gegen den viele Klagen erhoben waren. Aber Reineke wußte sich gut zu verteidigen. Sein Beruf zwänge ihn zu manchen Dingen, sagte er, die ihm selbst unlieb seien. Solle er indes Weib und Kind hungern lassen? Und er fragte die Zeugen so verwirrend, daß sie unsicher wurden und die Tiere ihn wieder einmal laufen lassen mußten.
Danach kam der kranke Manu, von dem ich erzählt habe. Auf den waren die Richter besonders zornig. Er hatte ihnen Jahre hindurch viel Böses getan, und ebenso leid war es ihnen um die Menschen, die er verfolgt hatte. Sie hielten ihm deshalb alles vor, was er ihnen zugefügt hatte.
Der Mann aber, das sagte ich schon, war ein Rechthaber, der sich nicht anklagen ließ, ohne selbs zu klagen.
Und er rief mit lauter Stimme den Rehbock an: "Warst du es nicht", fragte er, "der mir mein junges Korn abweidete, so daß ich kaum genug zur neuen Einsaat erntete? Wie willst du über mich richten? Ach, so sanftmütig du tust, du hast schuld, daß ich so geworden bin!
"Und du", sagte er zum Dachs, "hast du nicht mein Feld unterwühlt, daß mein Kohl vertrocknete und gelb auf der Erde lag?
"Und du", fuhr er den Hasen an, "hast du nicht Kraut und Saat abgeäst, so daß wir hungerten und mein Weib mich verließ? Schlecht seid ihr alle, keiner hat mir je Gutes getan. Was wundert ihr euch, daß ich so mit euch umging, wie ihr mit mir? Ist es nicht das gleiche, den Nächsten mit offener Gewalt zu berauben, wie ihn so arm zu machen, daß er vor Hunger in Verzweiflung fällt?
"Jedermann hat Schlimmes und Gutes erfahren", mahnte jemand, du hast auch Gutes erfahren, Fremder, aber es ist die Art der Menschen, das zu vergessen."
Was er je Gutes erfahren habe?
"Hast du nie gesehen, wie grün die Bäume wachsen und wie fröhlich der Wind durch den Morgen braust?"
Nein der Grimmige wußte nichts davon, er hatte Tag und Nacht über sein Recht gegrübelt und geklagt.
"Hast du nie den Schall der Vögel gehört?"fragte es aue den Zweigen. Ist das nicht das Schönste, was den Menschen geschenkt ist?
Nein der Mann hatte keine Zeit gehabt, darauf zu lauschen. Er hatte an seine Vergeltung gedacht, da war sein Weib von ihm gegangen.
"Hast du niemals das Frauenspiel auf den Wiesen gesehen?" horchte die, welche im Kleid der Katze verborgen war.
"Ach", sagte der Mann, "in einer Nacht habe ich Frau Holle wohl vorbeifahren sehen, aber sie achtete meiner nicht, so elend und armselig schien ich ihr.
Als der Mensch mit dem ungeschnittenen Bart und dem verfallenen Antlitz so müde seines Lebens vor ihnen stand, als er immer noch haderte, daß Gottes Wille ungerecht sei, und nichts von dem schönen Wesen der
Frühe und Späte spürte, da wäre beinahe das Mitleid über die Tiere gekommen. Aber sie dachten auch an alles Unheil, das er verübt hatte, und sahen einander an, um zu einem Spruch zu gelangen.Nun war Frau Holle durch den Sinn gegangen, daß sie wirklich einmal an jenem wilden Gesicht vorübergefahren war, und es reute sie, daß sie des Menschen Einsamkeit nicht gelindert hatte, wie es ihr gütiger Auftrag von Gott ist. Sie warf deshalb das Kleid ab, das sie trug, und trat auf den Verlassenen zu. Und ehe jemand Einsage erheben konnte, strich sie ihm über die Stirn: "So schenke ich dir, bevor du den letzten Spruch zu erdulden hast, ein anderes Leben. Vielleicht daß du es besser zu wandeln vermagst Sie lächelte, während der Mann betäubt vor ihr niederfiel, in sein Herz hinein, um ihm Freude mitzugeben, von jener Freude, die wohl vergessen war, als er seiner Mutter Schoß verließ.
Und sieh, wo eben der kranke Mann gehadert hatte, stand ein Knabe, der verwundert um sich blickte, nichts von dem wußte, was hinter ihm lag, und nur mit Erstaunen auf die Tiere schaute, die ihm zunickten — ein Knabe, dessen Blick mit dem letzten Licht der Verwandlung noch Frau Holles Lächeln fing, das ihn fröhlich zu neuem Suchen und zu den Wegen mitleidiger Menschen heimschickte.
Feinsmütterchen
(Spiräe)
Da wohnte einmal eine reiche Ratsfrau in unserem Land, die kam in die Jahre und hatte keine Kinder. In einer großen Stadt voll kluger Menschen und schöner Straßen lebte sie und hatte viel Gut, viel Gesinde und viel Freundschaft zu eigen. Aber wie es so eines Tages brach die Furcht über sie ein, im Alter sehr einsam zu werden; sie verließ die Stadt und ritt durch viele Wälder, um Frau Holle zu finden, von der sie als Mädchen gewußt hatte. Und sie klagte der ihr Leid, daß sie so allein und ohne Kinder sei.
"Nun, ich kann dir deinen Wunsch erfüllen", sagte die schöne Königin, du sollst noch in deinen Jahren fruchtbar werden. Aber meine Bedingung ist, daß du mit dem, was ich dir schenke, bei mir bleiben mußt, es könnte dir sonst Unglück bringen unter den Menschen.
Die Ratsfrau war froh, sie versprach gern alles, und so bezog sie ein schmuckes Haus draußen im Wald bei Frau Holle. Und als sie nach der ersten Nacht vom Schlummer erwachte, fand sie zwei knospende Wildrosen neben sich auf dem Lager, die hatte die Gütige im Schlaf aus ihren Wangen geschaffen.
Die Frau war indes unzufrieden und beachtete die Blumen kaum, solche Fruchtbarkeit hatte sie ja nicht gewollt. Und sie sagte es der Zauberin. Da fand sie, als sie am folgenden Morgen erwachte, vier weiße Birkenbäume vor ihrem Lager, die waren im Schlaf aus ihren Gliedern gewachsen. Aber die Einsame verachtete solches Geschenk, glaubte sich betrogen und weinte den ganzen Tag.
Am dritten Morgen lagen endlich zwei Knäblein ihr zur Seite, die hatte die hohe Königin ihr über Nacht werden lassen. Und die Ratsfrau war überglücklich, sie vergaß Rosen und Birken, blieb bei der gütigen Freundin Holle zu Gast, wie sie s versprochen hatte, und zog mit großer Liebe ihre Söhne auf. Es waren indes keine Menschenkinder, das merkte sie bald. Sie kleideten sich am liebsten wie Waldleute, spielten nachts auf den Wiesen und gingen oft den ganzen Tag auf den Seegrund zu Socken und Wasserjungfern. Sie hatten ja kleine rote Wundmale am Hals, die erlaubten es ihnen, in der Tiefe zu weilen.
Die Mutter aber, die von den Menschen stammte, ängstigte sich über solche Zeichen, und weil sie die Kinder von Herzen liebhatte, vergaß sie eines Tages das Mersprechen, das sie Frau Holle gegeben hatte, nahm ihre Söhne und kehrte mit ihnen in die große Stadt heim, aus der sie gekommen war. Und sie schickte die beiden auf hohe Schulen und rief berühmte Ärzte: die einen, um den Knaben über die Augen zu streichen, auf daß sie den Wald vergaßen, und die anderen, damit sie ihnen an der Kehle die Kiemenmale zuheilten, die Frau Holle ihnen beiden mitgegeben hatte.
Die Jahre gingen; die Mutter wurde grau, ihre Augen waren müde, wie es der Menschen Schicksal ist. Aber die Knaben wuchsen heran, sie wurden groß und stattlich, und die Mädchen schauten ihnen nach und freuten sich an den beiden Söhnen der Ratsfrau.
Nun wurde um die Zeit davon gesprochen, daß die Leute in der Stadt zu viel lernten und rechneten und tüftelten und zu wenig vom wilden Wind auf dem Wasser und von Mittag und Mitternacht im Wald wüßten. Manche wanderten deshalb über Sonntag ins Freie. Auch die zwei Burschen hörten davon und quälten die Mutter oft, mit ihnen vor das Tor zu gehen. Aber die hielt sie sorgsam verborgen, sie fürchtete sich zu sehr vor Frau Holle.
Die Söhne ließen indes nicht ab, wieder und wieder nach dem Wald zu fragen, und eines Tages war es so weit, daß aus einer fremden Stadt Botschaft geschickt und die Frau mit ihren Kindern zu einem großen Fest eingeladen wurde. Da mußte sie sich doch aufmachen und fuhr mit ihren Söhnen eilig die Heerstraße entlang; sie hoffte wohl, big zum Abend in die andere Stadt zu gelangen.
Als sie aber kaum draußen im frühen Morgen waren, und die Lerchen aufstiegen, und die Blumen sich duftend öffneten, sprangen die Burschen schon zum Wagen hinaus, um all solche Buntheit zu begrüßen; so viel Herrlichkeit meinten sie ja noch nie gesehen zu haben. Und sie lockten die Hasen, statt sie zu jagen, und wußten gleichwie einst mit den Birken als Geschwistern zu reden.
Die Mutter entsetzte sich, sie rief ihre zwei Kinder, befahl ihnen einzusteigen, und sie fuhren wieder eilig eine Strecke Weges. Aber als sie an dem See vorüberkamen, an dem Frau Holle die Einsame beschenkt und in dem die Knaben einst gespielt hatten, da wurde der Vogelsang so hell, da würden die Farben der Blumen so leuchtend, da wich alles Wort der Menschen von den beiden Brüdern. Sie hörten nicht mehr auf das Flehen ihrer Mutter, sie schirrten die Pferde aus und fragten jeden Baum, wie es ihm ergangen sei, seitdem sie hätten in der Stadt wohnen müssen, sie kamen allen Tieren des Waldes nahe und vernahmen unter den weißen
Seerosen Stimmen, die zu ihnen auf lockten. Kaum hörten die Burschen aber die Schwestern aus der Tiefe rufen, da hatten sie alles andere vergessen, sie stürzten sich wie einst in den See, um die Schönen zu besuchen. —Die beiden Brüder sind niemals wiedergekehrt, die Male am Hals waren zu fest verschlossen, sie sind des Wassers nicht mehr Herr geworden.
Die Ratsfrau irrte noch viele Tage lang klagend am Ufer hin und her. Sie bot Fischer und gelehrte Männer auf und rief und rief zur Tiefe. Niemand antwortete indes. Und niemand vermochte die Toten zu finden.
Nacht um Nacht, Tag um Tag, viele Jahre lebte die Ratsherrin von da ab an jenem Wasser. Und sie weinte und wartete und wartete ohne Ende, aber ihre Kinder kehrten nicht zurück.
Endlich ist Frau Holle einmal des Wegs gekommen, sie wußte wohl von der Ungetreuen und fragte sie; "Hatte ich dir nicht gut geraten, bei mir zu bleiben?
Die andere nickte voll Reue, sie sah ihre Schuld ein; schon leuchtete ihr Haar wie silberner Schnee. "Ach", bat sie, "wenn ich meine Kinder auch nicht wiederhaben darf — wenn ich doch immer bei ihnen weilen könnte!
Da erfüllte die gütige Holle den Wunsch und verzauberte die Mutter in eine Blume, deren Füße nahe am Wasser stehen. Und ihre Blüte ist so weiß wie ein Frauenscheitel, sie duftet und wölbt sich und wächst und sät sich fort, den Menschen zur Freude.
Feinsmütterchen nennen wir sie und wollen der Hollin danken, daß sie Leid in solch blühende Pracht verwandelte.
Streit zwischen Elster und Amsel
Einmal gerieten Elster und Amsel in Streit miteinander, wer von ihnen wohl am besten singen könnte. Sie zankten sich laut und lang, es war weithin im Wald zu hören, und alle Tiere mahnten sie, den arin zu enden und doch wieder Frieden zu halten. Da beschlossen die beiden, dem ersten, der vorüberkäme, vorzusingen und ihn als Richter über ihre Kunst einzusetzen.
Nach einiger Zeit schlich die Katze Minnemau wie von ungefähr vorbei; sie hatte schon lange auf einem Ast gelauert und die zwei zankenden Leute belauscht, aber der Sprung war ihr zu weit gewesen.
Nun, Elster und Amsel erschraken zuerst, dann mußten sie sich bei ihrer Ehre damit einverstanden erklären, daß die Nachbarin zwischen ihnen entscheide, sie hatten es nun einmal so miteinander abgemacht. Die Elster begann also laut zu schrattern und zu krächzen, das hielt für Singen. Und Minnemau kroch näher und näher und spitzte die Ohren. Alls die Elster gerade enden wollte, sprang die Katze mit einem Satz über sie, der arme Vogel konnte ihr gerade noch mit einem lahmen Fuß aus den Krallen fahren.
Das war nun kein ehrliches Gericht gewesen, der Streit ging weiter und störte den Wald auf allen Wegen. Endlich kam wieder jemand vorbei, es war ein Mädchen, das jenseits ihres Dorfes Dienst suchen wollte. Und weil Elster und Amsel einsahen, daß ihr Schelten ein Ende haben mußte, flogen sie auf die Dirn zu und verlangten, sie solle ihnen sagen, wer von beiden das schönste Lied vermöchte.
Diesmal sang die Amsel als erste, sie sang so herrlich, daß die Horcherin Tränen in die Augen bekam. Dann wandte das Mädchen sich zum Nest der Elster, und die begann. Aber sie hat eine arme Kehle, es wurde nicht viel damit.
Während die Richterin nun zuhörte, sah sie unterm Nest der Elster einen goldenen Ring liegen, den hatte die Hehlerin einmal am Weg gefunden, hatte ihn aufgehoben und jetzt beim Zanken und Aufplustern aus
Aber die Elster hatte gesehen, wie die Dirn sich ihren Lohn sicherte. Kaum hatte sie das Urteil vernommen, schrie sie auch schon dazwischen, dieser Richtspruch gelte erst recht nicht, eine Diebin hätte ihn gefällt. Und jetzt stünde ein schlechtes Urteil gegen das andere, man müsse einen dritten Vorüberkommenden anhören, der solle für immer zwischen ihnen entscheiden.
Als die vier noch miteinander zankten, Elster und Amsel, Mädchen und Katze, kam gerade der getreue Eckard des Weges; alle Leute meinten, der sei gewiß der beste Schiedsmann, den sie finden könnten. Herr Eckard aber hatte es eilig, er wollte zu einem Bauern, um ihn vor Räubern zu warnen und zu schützen. Und weil er keine Zeit hatte, den Gesang von Amsel und Elster abzuwarten oder in Muße über das zu richten, was er gehört hatte, nahm er kurzerhand alle vier Leute mit sich auf den Hof, den er suchte Er sagte, am besten sei es überhaupt, wenn der Bauer entscheide, zu dessen Lust seien die Vögel doch geschaffen. Dann legte er sich bei dem Freund in Quartier, um ihm zu helfen, wenn Not am Mann wäre, und hieß auch die Gäste dableiben, die mit ihm gekommen waren.
Aber der Bauer, der nun Richter sein sollte, verschob den Spruch von Tag zu Tag und von Woche zu Woche. Er sagte einmal dies, einmal das, etwa, er hätte noch keine rechte Ruhe, oder ich weiß nicht was. Es war aber an dem, daß er sich nur ungern zu einem Urteil herbeiließ. Die Gäste gefielen ihm gut; die Katze fing ihm die Mäuse weg, das Mädchen hatte gleich einen Ring mitgebracht, und die Amsel, die immer noch übte, sang so wunderschön, er hatte Furcht, sie würde ihn wieder verlassen, hätte er erst zwischen den zwei Mogeln entschieden.
Endlich aber wollte Herr Eckard weiter, die Räuber hatten sich verzogen, und er hatte Besseres zu tun, als auf dem Hof zu liegen und auf sie zu warten. Dabei fiel ihm ein, warum er so viele Gäste mitgebracht hatte; er drängte und sagte dem Bauern, es würde jetzt Zeit zum Spruch.
So mußten alle vier Leute, die verfeindeten Vögel und die früheren Richter, noch einmal zusammenkommen. Und die Amsel sang, und die Elster schrie, und der Mann mußte der Wahrheit die Ehre geben und
erklären, daß der Amsel Lied weitaus am schönsten war. Da wußte man endlich Bescheid!Es machte indes gar nicht mehr so viel aus, wie der Bauer jetzt entschied. Die Amsel hatte sich nämlich daran gewöhnt, so nahe wie möglich bei den Menschen zu weilen, es war ihr einerlei, was die Tiere noch von ihrem Singen hielten. Und die Katze und das Mädchen mit dem Ring hatten sich auch eingelebt, sie sind einfach beim Bauern geblieben. Sogar die Elster, die, kaum daß sie den Spruch gehört hatte, im Zorn von dannen gefahren war, hat ihr Nest nicht weit vom Hof gebaut. Aber sie hat es von da an unten und oben fest zugeschlossen. Damit ihr von den diebischen Menschen nicht wieder ihr Eigentum gestohlen würde, sagt sie. Nur ein kleines Schlupfloch hat sie gelassen; wenn der Bauer vorübergeht, kann er grade ihren Stoß zum Loch hinauswippen sehen, so sehr verachtet sie ihn.
Die Tiere bestellen einen Briefboten
Da war einmal ein Hase, der hatte sich mit einem alten Bauern angefreundet. Er hatte versprochen, den Feldern des andern keinen Schaden zu tun, kam dafür jeden Abend in die sichere Schlafstube und verbarg sich dort über Nacht vor den wilden Tieren des Waldes.
Als der Mann nun gestorben war, stellte es heraus, daß neben Kindern und Kindeskindern auch der Hase ein Erbteil erhalten sollte. Aber als er aufgeboten wurde und mit den andern am Tisch saß, rechneten die Leute so lange hin und her, bis alles in allem nur noch drei Groschen — genau drei Groschen —für ihn übrigblieben. Und sie gaben ihm alte Geldstücke und sagten, er sei nun abgefunden und er solle sich nie wieder in ihrer Nähe sehen lassen.
Der arme Betrogene ging traurig und einsam seines Weges. Gegen Abend traf er auf der Landstraße einen Bettler, der bat ihn um eine milde Gabe; er habe keine Herberge zur Nacht, klagte er. Hab ich auch nicht,
dachte der Hase, aber ihm fiel zugleich ein: Was soll ich mit meinem Geld anfangen, ich darf ja nicht wieder zu den Menschen gehen. Er gab dem Alten also einen Groschen, das war ein Drittel seines Erbes.Nun war der Bettler aber niemand anders als der Bauer selbst, der von drüben heimgekehrt war, um zu sehen, ob man auch alles nach seinem Willen bestellt hätte. Als der erfuhr, daß man den Hasen so schmählich ausgetrieben hatte, wollte er ihm etwas Gutes antun. "Dank für den Groschen", sagte der Wiedergänger laut. Und weil er von seiner Verwandlung abzugeben vermochte, fügte er hinzu: "Zum Vergelt, Freund, schenke ich dir, daß du einmal und wann du willst eine andere Gestalt annehmen kannst.
Dem Hasen schien, daß er für den armseligen Groschen reichlich belohnt war. Er grüßte also sehr höflich und suchte seinen Weg.
Als er nun weiterhoppelte, traf er einen Freund, einen kleinen Unterirdischen, Braddel mit Namen, der hatte beim Einholen sein Geld verloren; jetzt wagte er sich nicht zu seiner Frau nach Haus. Was soll ich mit meinen Groschen anfangen, dachte der Hase und gab ihm den zweiten.
Da freute sich der Wicht und reichte ihm einen Pfennig zurück. Brauchst ihn nur rollen zu lassen, wenn du in Not bist", sagte er, "er führt dich unter allen Steinen hindurch zu mir.
"Ich werd dich winters einmal besuchen", antwortete Meister Lampe und war fröhlich, daß der Knirps so dankbar war.
Nach abermals einer Weile saß eine kleine Holunderfrau am Weg, die weinte sehr. Ach, klagte sie, als der Hase sie nach dem Grund fragte, ach, vorhin sei ein Unhold vorübergekommen, habe sie fangen wollen und ihr einen Flügel zerrissen. Nun könne sie nicht heimkehren, sie hätte nicht genug Geld bei sich, um ein wenig Wachs zum Heilen zu kaufen.
Da ging der Hase noch einmal zu den Menschen zurück, er wußte ja, wo der Krämer wohnte, und holte für einen Groschen Wachs.
Und die Kleine war so vergnügt: "Du brauchst mich nur zu rufen sagte sie, "wenn du mich nötig hast. Ich kann dir jeden Rat geben, den du willst.
Alles gute Worte, dachte der Hase, aber er wollte gar keinen Lohn haben. —
Nun hatten sich gerade um jene Zeit viele Tiere zusammengetan, um untereinander eine bessere Ordnung zu schaffen, neue Ratsleute und Richter zu wählen, die Handwerke zu verteilen und sogar eine Post einzurichten. Sie konnten sich aber nicht einigen, wer Briefbote werden sollte. Viele Leute bewarben sich schon darum, denn es war beschworen, daß solch ein
Der kleine Hase hörte von der Auslobung der Tiere. Und weil er seinen Freund, den alten Bauern, verloren hatte und nach einem neuen Brot suchte, hätte er das Amt wohl gern übernommen. Er hätte damit ja auch Ruhe vor seinen Verfolgern gehabt. So meldete er sich also. Und der
Dachs maß eine Rennbahn aus, die führte rund um einen großen Wald und dann durch einen steilen Hügel hindurch. Wer Bahn und Anhöhe am raschesten nähme, sagte er, der habe gewonnen; er meinte wohl, daß niemand außer ihm recht verstünde, den Berg zu durchwühlen.Alls der Hase nun die vielen Tiere sah, Reh, Otter, Marder, Fuchs und Fledermaus, die sich alle zum Wettlauf bereitstellten, da hätte er seinen Plan beinahe wieder aufgegeben. Glücklicherweise fiel ihm der Wunsch ein, den ihm der Bettelmann geschenkt hatte. Und weil er so herzlich gern das Amt bekommen hätte, verlangte er heimlich, daß sich seine Läufe in die eines Hirsches wandelten. Und das Wettrennen über alle Felder und Gräben dauerte einen halben Tag, und die Kraft der Verzauberung dauerte auch, bis der Hase die Bahn durchmessen hatte.
Vorm Berg aber, den er danach durchkriechen sollte, verließ den armen Lampe der Mut; er rief kläglich nach seinem Vetter und hoffte, daß ihm Sputter, das Kaninchen, ein Loch bis zur andern Seite graben würde. Als er nun von Höhle zu Höhle lief, kam zufällig ein Wichtelmann aus einem alten Fuchsbau hoch. Da fiel dem Hasen ein, daß der Knirps Braddel ihm ja einen Pfennig gegeben hatte; er holte ihn eilig aus der Tasche, warf ihn vor sich hin und kroch bald, weil Braddel just jenseits des Berges mit seiner Frau spazierenging, durch Schlüpfe und Bauten und zur andern Seite hinaus. Weit vor allen Wettbewerbern war er am Ziel.
Da kamen die Tiere sehr erstaunt zusammen; der Dachs, der bisher das große Wort geführt hatte, war recht kleinlaut geworden. Aber die Vögel verlangten, daß sich nun noch erweisen müsse, ob der neue Bote schnell in alle Nester gelange, damit er auch bei ihnen die Briese bestellen könne. Und jeder meinte, Meister Lampe werde sich nun nicht wieder melden; denn wer hat je einen seiner Art stiegen sehen?
Es waren unter den Läufern und Grabenden nicht viele, die sich jetzt noch zu bewerben wagten. Der Fuchs hoffte, durch seine Geschicklichkeit zu gewinnen, er hatte sich Gänseflügel an die Füße gebunden. Der kleine Marder erwartete den Preis, er kann blitzschnell klettern und durch die Luft von Baum zu Baum springen. Er tat auch, als sei er schon gewählt, lief
zierig vor den Leuten auf und ab und lachte hämisch, als die Fledermaus sich meldete und sogar der Hase wieder antrat und fliegen wollte.Nun bekamen die Tiere, die sich um das Amt bewarben, jeder einen großen Brief, den sollten sie in ein Elsternest mitten im Wald bringen. Wer den seinen als erster bestellte, sagten alle, der solle endgültig und gewiß Briefbote werden. Und der Dachs gab wiederum das Zeichen.
Aber als die Bewerber abliefen, schlüpfte der Hase nur bis in den nächsten Himbeerbusch, rief listig die kleine Hollerfrau, erzählte, um was es ging, und ließ sich von ihr auf die Flügel nehmen. Schon bald war er, hui, den andern Rennern weit voraus. Denn die Fledermaus, die gewiß gute Aussicht hatte, weiß sich im Wald nur schlecht zurechtzufinden und zappelte sich in einen falschen Baum; der Marder kam rasch voran, aber das Springen allein genügt nicht. Und der Fuchs hatte sich das Fliegen mit den Gänsefedern leichter vorgestellt. Die Zuschauer lachten laut, als er nur eben über den Boden hüpfte; er verkroch sich bald in seinen Bau, so beschämt war er.
Nein als erster von allen gelangte der kleine Hase zum Elsternest, und weil er das Kennen nun doppelt gewonnen hatte, wurde er feierlich zum Briefträger im Reich der Tiere ernannt. Und er hat eine Mütze bekommen, und die Leute haben beschworen, ihm nichts anzutun, solange er im
Ich weiß nicht, ob alle ihr Wort erfüllt haben. Vielleicht hat der Fuchs, der in seinen Bau gekrochen war, nichts mehr von der Abmachung gehört; die Eule war auch schon zu Bett gegangen, und der Mensch weiß überhaupt noch nicht, wie es bei den Tieren gehalten wird. Aber voreinander schämen sich die meisten doch, dem Kleinen etwas anzutun, solange er mit Briefen unterwegs ist. Ich war neulich einmal beim unterirdischen Kulenkröger, da kam er mit Mütze und großer Tasche herein. Und der Luchs und der Dachs und der alte Unhold selbst, der sich doch gern einen Braten verschafft, haben einander spitz auf das Maul gesehen, aber keiner hat ein Wort über den Hasen verloren, sie haben weiter ihre Karten ausgespielt. Der Luchs hat sogar eine Handvoll Trümpfe auf den Tisch gelegt, nicht einmal Wind hat er aufgenommen.
Feindschaft zwischen den Vögeln
Ein alter Freund von mir, Knorrjohann mit Namen, hatte ein schlimmes, zanksüchtiges Weib. Er ist deshalb eines Tages zu den Krähen gegangen und hat gebeten, sie möchten ihn für eine Weile in ihr Volk aufnehmen, er sei des Lebens bei den Menschen leid. Die Krähen haben ihn denn auch nach allerhand Beratungen zu sich gerufen, haben ihm ein Federkleid geschenkt, zwei Flügel genäht und für ein Jahr zu einem der Ihren erklärt. Knorrjohann ist aber mitunter heimlich zurückgekommen und hat mir von den Tieren erzählt. Dabei habe ich ihn auch nach dem Streit zwischen Krähen und Eulen gefragt, dessen Grund ich gern erfahren hätte.
Es war einmal ein alter Uhu, sagt Knorrjohann, der hauste den halben Winter in einer hohlen Eiche, zu der nur er den Eingang wußte. Da saß er, solange es draußen fror und schneite, in tiefem Schlaf, träumte von vergangenen Tagen und wartete auf den Frühling.
In seinem Wald wohnte nun auch ein großes Volk Krähen, unter denen war eine Uralte, die als die klügste von allen galt. Sie wurde aber immer noch weiser, so daß ihr schließlich auf Erden nichts unbekannt blieb und sie sogar vom lieben Gott mehr wußte als Menschen und Tiere zusammen.
Das Volk der Krähen war sehr stolz auf ihre Klugheit, sorgte gut für sie und versammelte sich jeden Morgen auf einer riesigen Eiche, nur um zu lauschen, was die Uralte über Nacht geträumt hatte. Und die Vögel hörten und erfuhren so viel von ihrer Ahnin, daß sie nahe daran waren, Herrscher auf Erden zu werden.
Endlich, in einem Frühling, schwante auch jener Ältermutter gleich allen Irdischen, daß ihr Ende nicht fern sei. Sie erzählte den jungen Gelehrten ihres Stammes deshalb noch einmal alles, was sie wußte vom Diesseits und Jenseits, und die weisen Herren horchten auf. Aber was nach dem
Sterben mit ihr und den Ihren würde, wußte die Krähe nicht, soviel Mühe sie sich auch gab.Sie sagte also zu den Jungen: "Ich fühle, daß ich jetzt nur noch drei Nächte zu leben habe, und will versuchen, mich so weit wie möglich zu träumen. Gestern bin ich am Ende der Erde gewesen, heute nacht will ich zum Mond in meinen Gedanken hinauf. Gebt acht, vielleicht weiß ich morgen mehr von dem, was jenseits des Lebens liegt.
Da verneigten sich die Krähengelehrten, sträubten die Federn und vertrieben alle Tiere aus der Nähe, damit niemand die Ahne beim Einschlafen störe. Und die Alte tat die Brille über die Augen und dachte sich wirklich bis auf den silbernen Mond hinauf. Aber was immer sie sah, war sonderbar kalt und blaß und riesig; sie strich hin und her, hielt nach hohlen Bäumen Ausschau und wollte einen der Schatten fragen, die unter ihr wie eines Flügels Dunkel dahinglitten.
In dem Augenblick flogen Graugänse hoch über dem irdischen Krähenwald dahin, die hatten tagsüber auf vielen Äckern geäst, waren wild und
laut vom Frühling und zogen schreiend, an die hundert zugleich, über die Wipfel.Die Uralte wachte erschrocken auf, seufzte und rief noch vor Morgengrauen alle Krähen zusammen.
"Ach, ich kam nicht weit", erzählte sie ihnen. "Auf dem Mond bin ich gewesen und habe einen Schatten gesehen, der mir Antwort hätte geben können. Da lärmten Fremde und weckten mich aus meinem Traum.
Die Krähengelehrten waren traurig. Sie verloren indes ihre Zuversicht nicht, sie hatten ja immer noch Hoffnung, etwas vom Allergeheimsten zu ergründen. Es waren aber auch nur zwei Nächte, nicht mehr, und sie wußten, daß ihr Volk niemals wieder eine so weise Uralte wie diese haben würde.
Sie machten sich also auf, vertrieben bis zum Abend alle Vögel und Tiere, setzten Posten gegen vorüberziehende Wildgänse aus und warteten auf den neuen Traum der Krähenmutter.
"Heut nacht will ich mich zu den Sternen begeben", sagte die Ahne und schloß die Augen. Da flog sie in ihren Gedanken blitzschnell zu den höchsten Höhen. Und die Sterne wurden wie Monde und Sonnen groß und dünkten lauter dampfende Gesichter. Und sie wuchsen und glommen, standen in Rauch und Nebeln und kreisten und brausten. In jener Nacht aber sprang auf Erden ein junger Westwind auf, der klopfte an alle Wälder an. Er wiegte auch den Baum der Schläferin recht nach Herzenslust.
Da erblaßte das Bild der Sterne, die Uralte wachte auf, schlug die Brille zurück und lächelte traurig. Die Krähen aber, die um ihr Wissen betrogen waren, fielen wie rasend über den singenden Wind her, so daß er auf und davon flüchten mußte, so lang und groß er war.
Alls nun der letzte Abend kam, baten die Vögel noch einmal alle Wesen im weiten Rund um Schweigen. Und die Tiere und Dinge versprachen es auch und stellten Wachen aus gegen Holden und Unholden. Der Wald, in dem die Krähen lebten, schien wie erstorben; nichts war da, was den Schlaf der Ältermütter hätte stören können,
"Heute abend will ich mich zum lieben Gott aufträumen", sagte sie zu den aufhorchenden Weisen ihres Stammes.
Da schlugen alle Leute ehrfürchtig mit den Flügeln, beschatteten den Waid schon vor der letzten Sonne und fließen keinen einzigen Laut mehr aus, so schwer es dem geschwätzigen Volk auch fiel.
Und die Krähenalte schloß die ingen und versuchte sich um lieben Gott zu denken, um sein Geheimstes auszukünden.
Nun weiß ich nicht, hat der Ewige Vater die Hoffart der Tiere vielleicht strafen wollen oder ist es der Lenz gewesen, der auch in den Bäumen des Krähenwaldes seinen Einzug hielt.
Als die Uralte wieder auf ihren Traumweg machte, kam es hohl wie aus dem Innern der Erde herauf: "Schuhu!
Die Schlummernde wurde unruhig, hundert junge Krähenkrieger wirbelten lautlos durch den Hagen und forschten nach dem Rufer. Aber sie fanden ihn nicht. Es blieb auch eine ganze Meile still, die Ältermütter hatte bereits einen weiten Weg hinter sich; längst, meinte sie, war sie über Mond und Sterne hinaus.
"Schuhu!"dröhnte es da wieder dumpf wie aus der Erde in den Wald mein.
Die Schläferin wäre um ein Haar aufgewacht, sie seufzte im raum. Das Krähenvolk schoß von der Höhe zur Tiefe und von der Tiefe zur Höhe; hätte es den ärmer gefaßt, es hätte ihn in einem Augenblick umgebracht, so furchtbar war sein Zorn.
Die Ahne glitt währenddeg auf einer ganz dünnen Brücke aus Licht, die immer schmaler und schmaler wurde. In der Ferne blinkte es wie ein gewaltiger Tisch oder wie ein Tor aus neun noch unbekannten Farben; verzweifelt mühte sie sich, dem näher zu kommen.
Im Krähenwald aber war die Luft warm und schwül; der alte Uhu in der Eichhöhle spürte halbwach, daß es einem gewirternden Frühlingstag entgegenging. Er übte die Lichter und Fänge im Dunkeln und erwog, ob er bei solchem Lenz vor den jungen Wettbewerbern nicht noch einmal bestehen könnte.
"Schuhu! "röhrte er drohend, und "schuhu, schuhu! "Fast lotrecht unter der schlafenden Krähenalten dröhnte der Ruf wie aus der Erde auf. —Und er weckte die Schlummernde aus ihrem Traum, die Urahne öffnete die Augen ein wenig und sah die Weisen mit Tafeln und Stiften bereitstehen, um ihre Worte aufzuzeichnen. Es war nichts", seufzte sie traurig und ließ die Lider wieder sinken. "Ach", sagte sie und dachte an die neun unbekannten Farben, "es macht nur bang, nach Gottes Rätseln zu fliegen." Dann ließ sie den Kopf fallen, schlief ein und verschied.
Die Krähen haben getobt und außer sich nach dem gesucht, der ihr Volk um die tiefste Weisheit betrogen hatte. Sie haben den ganzen Tag an der Eiche gehackt, um den Störenfried herauszufordern. Aber der Uhu kam nicht, er mag die hellen Stunden nicht. Er ist erst am folgenden Abend aufgebrochen und hat im Dunkeln furchtbar mit den Krähen gekämpft, sie sind ihm in der Nacht nicht übergekommen.
Dafür rächen die Schwarzröcke sich noch heutigentags, so schließt Knorrjohann die Geschichte. Wenn sie einen Uhu sehen, fallen sie über ihn her und sind ihm Todfeind unter den Vögeln; sie meinen ja, daß er ihnen die letzten Geheimnisse und damit die Herrschaft über die Erde gestohlen hat.
Aber ich glaube, sie hätten's ohnehin nicht gewonnen.
Der Kuckuck als Richter
Einmal, an einem warmen Sommerabend, trafen sich Häher und Tauber friedlich im Wald; die letzte Sonne fiel in das prachtvolle Gefieder des Häherg, so daß es über und über schillerte und glänzte. Der ärmere Nachbar sah es, er hatte gerade viel Schlimmes mit seiner Frau erlitten und neidete dem anderen seinen bunten Rock über alle Maßen. Es ist bei den Tieren nicht anders als bei den Menschen auch: wer am besten gekleidet ist, wird von den Mädchen zuerst angesehen.
"Was hast du denn, Duffer?"fragte der Häher.
Ach, sagte der Tauber, dies und das sei ibm mißraten, aber am meisten gehe ihm das Unglück mit seiner Frau zu Herzen, und ihm fehle vielleicht nichts als ein schöner neuer Rock, um ihre Gunst wiederzugewinnen. Ob der Nachbar mit ihm nicht für eine Meile tauschen wollen
Nun hatte der Häher gerade einen schlechten Jagdtag hinter sich. Er hat ja ein so herrlich buntes Gewand, das viele Vögel ihn von weitem kommen sehen und vor ihm warnen. Vielleicht, dachte er, würde mir der schlichte
Nach einer Weile aber reute den Tauber der Tausch. Alle Freunde eilten vor ihm von daunen, die kleinen Vögel erschraken, wo er kain, und die Tauben waren auch besser, als er gedacht hatte; mit solch buntem Burschen wollten sie nichts zu tun haben. Als er jedoch dem Häher sagte, jetzt möchte er sein Eigen wiederhaben, da lachte der den dummen Nachbarn aus Was der Herr eigentlich von ihm wolle Röcke tauschen? Warum denn und wieso denn?
Dem Tauber blieb nichts anderes übrig, er ging zum Kuckuck, der damals nicht nur Wahrsager, sondern auch Schiedsmann zwischen den Vögeln war, und erzählte ihm, wie sich alles zugetragen hatte. Und der Kuckuck schickte zwei Gerichtsknechte aus und ließ den Häher rufen.
Als nun der Geladene kam und der arme Tauber seine Klage wiederholte, tat der Häher wie außer sich vor Erstaunen. Und er schrie, was der Herr da vorbringe, sei, er müsse es sagen, von Anfang bis zum Ende gelogen, und er sei überhaupt der richtige Tauber und der Ankläger vielleicht ein böser Räuber, der nur danach trachte, wegen seiner Untaten ein anderes Gefieder zu erlangen.
Nun, der Tauber im Häherrock läßt es an Antwort nicht fehlen, es gibt ein mörderisches Gezänk, aber selbst der Kuckuck wird irre, wer von den beiden denn echt ist. Er seufzt also, er wolle eindringlich nachdenken, und sie sollten am nächsten Abend wiederkommen. Und dann setzt er sich hin und liest in alten Blättern und findet nichts und grübelt, aber er kann durchaus nicht herauskriegen, wer der rechte Tauber und wer der rechte Häher sein mag.
Alm anderen Nchmittag, als er schon verzagen will, kehrt seine Ziehschwester, die kleine Grasmücke, bei ihm zu Gast ein. Sie ist mit ihm aufgewachsen, — der Kuckuck hatte die anderen Geschwister damals aus dem Nest geworfen, mit dieser hatte er sich abgefunden, und die beiden sind immer noch gut Freund miteinander. Alls die Grasmücke den Kuckuck nun so tief in Gedanken und mit hängenden Flügeln antrifft: "Wag hast du, Bruder?" fragt sie ihn.
"Ach", sagt der, "ich kenne mich zwischen den Nachbarn nicht mehr aus!" Und er erzählt ihr die Geschichte vom Tauber und vom Häher und weiß immer noch nicht, wie er urteilen soll, und recht verzweifelt.
Die Grasmücke vermag auch nicht zu helfen, sie schlüpft bescheiden unter seinen einen Flügel, sie will den großen Bruder bei seiner Weisheit nicht stören. "Vielleicht fällt mir etwas ein", sagt sie und zirrt ganz leise.
Aber zum Nachdenken kommt der kleine Vogel nicht mehr. Ihm ist unter dem Flügel so schön warm und sicher, er tut eben ein wenig die Augen zu. Er merkt gar nicht, daß sich viele Neugierige einstellen, die alle
hören wollen, wie der Kuckuck Gericht hält; er ahnt nicht, wie schwer es der Bruder hat, vor all den Leuten sein würdiges Gesicht zu behalten. Je mehr der arme Schiedsmann nämlich grübelt, um so weniger weiß er sich Rat. Kein Zeuge kann ihm die Wahrheit sagen, und die Stunde, wo er sein Urteil sprechen soll, rückt näher und näher.Da geschieht es, daß auf einmal die kleine Grasmücke unter seinem Flügel aufwacht; ihr fällt ein, daß sie dem Bruder beim Nachdenken hatte helfen wollen, sie steckt eilig den Kopf aus den Federn und unter dem Fittich hervor. Im gleichen Augenblick schwebt einer im Kleid ihres schlimmsten Feindes auf den Kuckuck zu. Und danach kommt ein Täuberich, aber der hat eine Stimme, daß der armen Grasmücke das Herz friert. Und sie kriegt solche Angst vor den beiden Gästen, hie bleibt nicht unter dem sicheren Flügel des Bruders, sie schießt jäh zwischen den drei Herren steil in das nächste Dickicht. Und es geschieht, daß der Häher im Täuberrock im Augenblick, wo sie auffliegt, die Schwingen schlägt und die Fänge wie zu einem Raubgriff hebt. Dann fällt ihm ein, daß er vor Gericht steht, und er nimmt seinen Platz ein. Der Tauber im Häherrock aber hat sich über das Vöglein, das gerade vor ihm hochstieg, so sehr erschrocken, er putzt sich die Augen, das Herz klopft ihm vor Furcht.
Der Kuckuck hat beides wahrgenommen. Er ist froh, daß ihm seine kleine Schwester zum Spruch verholfen hat, setzt sich die Gerichtsbrille auf und tut wie ein ungeheuer kluger Richter, der alles längst geahnt hat. Und er hebt vor den Zuhörern ein Bündel alter Blätter hoch, schlägt sie hin und her und gibt sich, als wenn er erst jetzt das Urteil fände. "Hier steht", sagt er mit gewaltiger Stimme, "hier steht unterm heutigen Tag, daß zwei Männer zu mir kommen werden, die falsche Kleider tragen. Und während alle Leute noch überrascht horchen und der Häher gerade zu schelten beginnt, ruft er die Gerichtsknechte: "Haltet die beiden fest, rät mein Blatt, denn der Tauber ist der rechte Häher und der Häher der Tauber. Und laßt sie nicht los", fügt er hinzu, "bis sie jedem der Gerichtsknechte einen Schilling und mir das Doppelte bezahlt haben. Und dann geht und verkündigt im ganzen Wald die Klugheit des Kuckucks.
Da muß der Häher das blaue Kleid dem Tauber wieder zurückgeben; er tut es nicht gern, aber er hat doch zuviel Scheu vor der Weisheit des Richters. Dann nimmt er seine Jacke auf und fliegt schimpfend davon. Und der Täuber ruckuht vor Freude.
Es wurde noch lange über den klugen Spruch im Walde geredet, man wußte ja nicht, daß beim Kuckuck gerade seine kleine Schwester zu Gaste gewesen war und ihm das Urteil eingegeben hatte.
Der Stichling kauft des Kuckucks Nest
Das wißt ihr wohl alle, daß der Kuckuck seine Eier in fremde Nester legt. Die einen sagen, es rühre davon her, daß er eine Weile die rosenrote Brille trug — die Geschichte erzähle ich später einmal. Andere aber meinen, daß er sein Nest dem Stichling verkauft habe, und das sei so gekommen:
Einst ist mit dem Sommer wieder der gute Fro in unserm Land gewesen, der das größte Ansehen im Walde hat. Zuerst haben die Bäume und Blumen ihn zu Gast gebeten und überall umhergeleitet. Und sie haben ihm ihre Fruchtbarkeit gewiesen und sich segnen lassen. Danach haben ihm die Tiere ihre schönsten Kinder gezeigt, alle Vögel haben den sommerlichen Herrn zu ihren Nestern gerufen. Sogar der Kuckuck, dessen Brut gerade flügge war, hat diesmal ein Lob bekommen, obschon er ein leichtsinniger Tunichtgut ist.
Auf die Belobigung hat sich der Vogel nun so viel eingebildet, daß er gleich im Gefolge des milden Herrn Fro geblieben ist, als habe er jetzt mitzureden. Er hat jedermann gute Ratschläge gegeben, und wenn dein einen die Küchlein gestorben waren oder wenn sonst ein anderer vom Unglück verfolgt war, hat er zu allem auch noch ein paar mahnende Worte des Grauen zu hören gekriegt,
Mon den Vögeln ist Herr Fro dann zu den Eidechsen gegangen, und
die haben ihm ihre kleinen erdfarbenen Jungen gezeigt. Die Kammmolche und Ringelnattern sind gleichfalls mit ihren Kindern aus den Steinspalten gekrochen, und zuletzt haben sich die Fische weisen wollen. Mit dem Stichling fing's an. Aber der Stachlige, der sonst ein funker Kerl ist, hat ein unordentliches Weib gehabt. All seine Brut war ihm gerade eine Stunde vorher in das weite Wasser ausgewandert. Und er hat sie gerufen und gerufen, aber niemand ist herbeigeschwommen.Das war sehr ärgerlich für ihn; die Tiere, die den guten Herrn Fro begleiteten, haben alle verstohlen über den vergeblichen Eifer des Stichlings gelächelt. Der Kuckuck hat sogar ins Taschentuch geschneuzt, so drollig ist ihm der Arme mit seinen großen Glotzaugen vorgekommen, als er seine Kinder nicht finden konnte.
Aber der Stichling war ein unternehmender junger Bursch und wollte sich wohl helfen. Er wußte ja auch, woran es lag, daß er die Seinen nicht beisammenhielt, und als Herr Fro weiterwanderte, hat der Kleine sich gerade den Vogel mit den guten Ratschlägen herbeigerufen. Und er hat ihm gesagt, daß er ein Nest wie andere Tiere haben müsse, einerlei woher. Ob der Kuckuck ihm seines nicht verkaufen wolle.
"O nein", hat der verblüfft geantwortet, so schlimm ginge es ihm noch nicht.
Ob er ihm das Nest nicht wenigstens für eine Weile leihen könne, seine Jungen wären doch schon flügge. Der Vogel hat wieder mit dem Kopf geschüttelt und so recht von oben herab ins Fischwasser gelächelt.
Was er denn dafür haben wolle, hat der Stichling gedrängt. Da wurde der Kuckuck hellhöriger, ihm fiel ein, daß er keinen Groschen in der Tasche hatte und daß er gut einige Tage ohne Haus auskommen könnte. "Ich will dir mein Nest für einen Taler versetzen", hat er, eigentlich noch im halben Spaß, geantwortet.
"Abgemacht", hat der Stichling gesagt und hat einen Augenblick später ein blankes Geldstück aufs Ufer geschülpt. Da hat der Kuckuck sein Nest ans Wasser bringen müssen. Aber er hat's noch recht gnädig getan und alles mit vielen Ratschlägen versehen.
Das Lob des milden Herrn Fco und das Geld in der Tasche haben dem Kuckuck so gut gefallen, er ist mit der Wacholderdrossel, die einen vorzüglichen Schnaps braut, und mit den Herren Gimpel und Grünspecht, die diesmal keinen Tadel von Fro bekommen hatten, von Wirtschaft zu Wirtschaft gezogen. Und weil er sonst eine leere Tasche hatte und sich nicht lumpen lassen wollte, hat er den Pfandtaler angebrochen; er hat noch gemeint, er könne morgen leicht wieder genug einnehmen — der Kuckuck ist ja Wahrsager von Beruf, und das war schon damals kein schlechtes Geschäft.
Es ist auch wirklich ein lustiger Tag geworden, alle Leute haben seine Einladung gern angenommen, und der Graue hat geprahlt und mit den Münzen in der Tasche geklimpert.
Zum Schluß, als es schon dämmrig wurde, waren der Kuckuck und seine Freunde so vergnügt, daß sie nicht mehr ein noch aus wußten. Da haben sie sich einen schlechten Spaß erlaubt.
Der Kuckuck soll damals ja die Fähigkeit gehabt haben, Tieren und Menschen vorauszusagen, wie lange es bis zum Tode oder, was viele Leute lieber wissen wollen, wie lange es noch bis zur Hochzeit dauern würde. Aufg Jahr genau hat er's den jungen Mädchen verraten können, die ihn danach fragten, und allen Tieren auch, und er hat gut daran verdient.
Alls ihn nun an jenem Abend eine arme Magd sah und ihr Sprüchlein aufsagte:
Kuckuck, segg, wo lang schall't duurn, mutt ik op een' Leewsten luurn?", da hat der Kuckuck geantwortet, aber vor Vergnügen gleich immer weiter: geredet: "Kluklukkukukukukukukuk! Zwanzigmal hat er gerufen, obschon er es doch besser wußte. Die Betrogene ist darüber vor Gram ins Haus gelaufen, und die bezechte Gesellschaft hat Tränen gelacht. |
Danach hat ein kleines Mädchen am Wege gewartet und ihn gefragt:
Kuckuck in'n Hewen, wo lang schall ik lewen? |
Was glaubt ihr? Der alte Schelm hat sich breitbeinig hingestellt und hat zweihundertfünfzigmal "Kuckuck"gerufen, was doch gewiß nicht richtig war. Und all die bösen Trinkgenossen haben gehüpft vor Vergnügen und sich auf die Knie geschlagen vor Schadenfreude über das genasführte Mädchen. Das hat schon bei neunzig Jahren bitterlich zu weinen angefangen — und immer schlimmer, je älter es wurde. Es war indes ein so liebes kleines Ding, daß es jedermann hätte dauern müssen; nur die bösen Trinkgesellen haben kein Mitleid mit ihm gehabt.
Nun hat es sich aber zugetragen, daß der gute Herr Fro auf dem Heimweg in der Nähe vorbeikam. Er hat auch das weinende Mädchen getroffen und hat sich von ihm den Schabernack erzählen lassen. Da wurde er sehr böse und hat einen Absegen über den Kuckuck ausgesprochen. Denn wer ein Amt hat, soll es pflegen und verdient es nicht mehr, wenn er sich einen Saufscherz daraus macht.
Der Graue hat nicht gemerkt, daß ihm die Gabe des Wahrsagens genommen wurde; er hat mit der Wacholderdrossel gerade einen Hoppopp getanzt, als er mitten im Drehen den Herrn Fro bei dem kleinen weinenden Mädchen erblickte. Da würgte es ihn vor Schreck im Halse, er hat keinen "Kuckuck" lang mehr weitergetanzt, nein, er ist mit jämmerlichem Gewissen wie ein Dieb ins unterste Dickicht gezogen. Und er hat das Nest beim Stichling und den Spaß beim Grünspecht lassen müssen. In den tiefsten Wald ist er gegangen, bis der Sommer zu Ende war.
Es ist denn auch so gekommen, daß der Kuckuck sich den Pfandtaler nicht mehr hat verdienen können, der Absegen des Herrn Fro war unter den Leuten wohl bekanntgeworden. Er ist bald verarmt und heute ein rechter Habenichts. Niemand glaubt an sein "Kuckuck", und niemand zahlt ihm einen Groschen sein Wahrsagen.
Das ist die Geschichte vom Kuckuck, der nicht Haus und Hof hat und seine Kinder in jedermanns Hand lassen muß, wo seine Frau sie gerade unterbringt.
Der Stichling, das wißt ihr alle, hat das Nest seitdem gut gewahrt. Er ist ein großer Kämpfer geworden, kein Räuber wagt sich in die Nähe,
wo er seine Kleinen hegt. Und es ist schließlich ja auch nur gerecht, daß die alten Lumpe Hab und Haus verlieren und daß die Wackeren es ehrlich erwerben und zu halten wissen.
Wie der arme Dachs zu Schaden kam
Eine gewaltige Brücke bauen die Menschen über den Strom; viele fleißige Hände schaffen daran, bis spät in den Abend sprühen die Niethämmer, und die großen Bogenlampen überleuchten das Werk. Wenn dann zwischen Mitternacht und Morgenfrühe Stille eintritt, gehen die guten heimlichen Helfer an die Arbeit und prüfen nach, was die Hand der Männer gerichtet hat, und festigen und stützen, was noch kahl wie Winter: geäst in die Luft ragt, damit kein Unheil geschieht. Und wer seine übersichtige Stunde hat oder dem Kulenkröger einen Groschen bezahlt, kann einschauen, wie die Roller und Rucker, wie die winzigen Schachtmeister und Rohrleger im blassen Licht ihrer Werkkästen schaffen und tun, als sei alles Mühen der Menschen nicht genug, wenn sie's nicht genau nach- rechneten und sorgten und immer noch einen Fehler fänden.
Daß der Schelm, der Kulenkröger, sich einen Verdienst aus dem Neubau macht, ist ja nun eigentlich nicht recht. Das kleine Volk läßt's zu, weil er sie vor der Frühschicht warnt, sie wollen sich nicht gern von den Menschen überraschen lassen. Dennoch ist es ärgerlich, daß der Unhold, der seine unterirdische Schenke in der Nähe des großen Uferpfeilers gebaut und immer nur auf seinen Erwerb aus ist, sich die Neugier zunutze macht. Während sein Weib die Leute bedient, steht er am Eingang zur Brücke, den Hut tief in der Stirn, bläst auf der Blockflöte, wenn er nichts zu tun hat, oder verlangt von den Wißbegierigen ein Schaugeld. Gegen Morgen gibt er dann den kleinen Werkleuten Bescheid und kehrt in seinen unholden Krug zurück, um zu sehen, ob da vielleicht noch späte Gäste sitzen, die er hinauswerfen muß, oder ob dieser oder jener, der bei ihm vorbeikommt einen Morgentrunk braucht.
Nun gerieten einmal auch die beiden Landstreicher Pusback und Knorrjohann in die Nähe der Brücke — zwei rechte Herumtreiber sind's. Sie wandern jetzt nur in der Nacht, weil man im Land alle Faulpelze aufgegriffen und zur Arbeit geführt hat und weil sie sich so sehr davor fürchten.
Als erster kommt Pusback vorbei; sein Freund Knorrjohann hat am Kulenkrug nicht vorüber können, ohne noch einmal Einschau zu halten. Und Pusback sieht den Kulenkröger, er bezahlt seinen Groschen und betritt das gewaltige Brückenwerk. Was für Gerüste, überlegt er, nun wollen die Menschen wohl bald in den Himmel bauen! Und was ist noch alles zu sehen! Winzige Lichter schillern und sprühen — auch das kleine Volk hat von uns gelernt —, zwerggroße Wagen mit Kies und Sand fahren
Danach tappt auch Knorrjohann beim Kulenkröger vorüber und möchte die Gerüste besehen. Aber er gibt statt des Groschen einen falschen Schilling und will noch etwas heraushaben; er hofft ja, der Unhold wisse mit unserm Geld nicht so recht Bescheid.
Knorrjohann hat sich indes schlimm getäuscht! Kaum ist der Dicke die schlechte Münze gewahr geworden, da hat er Macht über den Betrüger; mit einem wütenden Griff packt er den Landstreicher beim Genick, fährt mit ihm am hohen Ufer entlang und dann in seine Kule hinab —so einen Arbeitsmann, der ihm umsonst dienen muß, hat er sich schon lange gewünscht.
Pusback wartet und wartet währenddes und begreift nicht, wo sein Freund Knorrjohann bleibt. Endlich steigt er vom Gerüst herab und will nachsehen; da erfährt er von dem kleinen Volk, was alles sich ereignet hat.
Nun, Pusback wird seinen Freund nicht im Stich lassen. Er tut fürerst, als wisse er von nichts, zieht seine Geige und siedelt sich den Weg entlang. Dabei trifft er den Kulenwirt; der hat Knorrjohann zunächst einmal in der Küche angestellt zum Kartoffelschälen und will wieder auf seinen Platz, um Groschen zu vereinnahmen. Er bläst seine Blockflöte, und als die zwei sich begegnen, Pusback und Kulenkröger, bleiben sie stehen, geben sich, als hätten sie mit Knorrjohann nichts zu tun, und fragen einander nach ihrer Musik; daran haben sie beide viel Freude.
"Wir könnten's einmal zusammen versuchen sagt schließlich der Unhold. Er ruft einen Wicht, daß er ihn beim Einsammeln vertrete, und schlürft mit dem Geiger in seinen Krug zurück und die Treppe hinab. Bald mühen sie sich gemeinsam, die Gäste horchen auf, und der Sulen- kröger muß Freibier geben, so schön ist die Musik und so sehr rührt es ihn selbst, daß er einen guten Gesellen gefunden hat.
Nun schaut Pusback sich ja auch im Kulenkrug um. Er ist freund mit diesem und jenem. Er kann den armen Knorrjohann sogar in der Küche
beim Kartoffelschälen sehen, aber er weiß nicht, wie er ihm helfen soll. Schon geht es auf die erste Frühe, da sind die guten Stunden im Krug vorbei."Was hast du denn da für einen?"fragt Pusback endlich und weiss auf den Gefangenen.
"Wenn du seinetwegen gekommen bist, dann pack deine Geige nur rasch wieder ein", knurrt der Kulenkröger, und alle Gäste lachen schadenfroh. Der Fuchs sitzt da, der Igel trinkt sein Schnäpslein, und der Ziegenbock jammert mit dem Schachtmeister, daß die Welt nicht besser werden wolle. Aber daß Knorrjohann arbeiten muß, bringt jedermann Freude; da keine Hand, die sich für ihn rührt.
Pusback zuckt die Achseln, als hätte er die unfreundlichen Worte gar nicht gehört. "Eigentlich könnten wir öfter Musik miteinander machen", sagt er obenhin. "Wie wär's, Kulenkröger, wenn ich bei dir in Dienst träte?"
Der Dicke möchte auch Pusback gern in seiner Gewalt haben, aber er mißtraut ihm. "Wo willst du denn schlafen? Ich habe keinen Platz für dich.
"Was das betrifft, so hast du doch Reineke Fuchs und den Schachtmeister hier. Die bauen dir gegen eine Flasche Kümmel eine schöne Kammer hinzu.
"Gern", sagen die beiden und stehen gleich auf, sie haben selten Geld in der Tasche und möchten sich verbessern. Lange werden sie nicht damit zu tun haben.
"Wenn du noch eine Flasche ausgibs, dann bauen sie sogar eine Kammer für zwei", rät der listige Pusback, da kanns du einen neuen Kartoffelschäler bei mir unterbringen.
Auch der Vorschlag ist nicht schlecht, er gefällt dem Kulenkröger, und die beiden Gäste machen sich gleich ans Werk. Aber der Alte ist doch mißtrauisch. "Du könntest deine Geige zum Pfand dafür geben, daß der Betrüger mir nicht ausreißt", sagt er zu Pusback und zeigt mit dem Daumen zur Küche.
Gern, wenn du mir solange die Blockflöte leihst!
Mit der Antwort hat der Dicke nicht gerechnet; er sieht ein, daß er die Geige nicht verlangen kann, macht sich wichtig und redet, wo die Kammer liegen und wie tief sie sein müsse. Auch will er wissen, wieviel Lohn Pusback fordert und noch manches mehr. Während der ganzen Zeit gehen die unholden und die willkommenen Gäste ein und aus Und die einen erzählen den anderen, wer der arme Kartoffelschäler sei. Aber die meisten meinen, es schade dem Faulpelz Knorrjohann durchaus nicht.
Nach einigen Stunden sind Fuchs uns Schachtmeister mit der neuen Stube fertig, der eine hat gegraben, der zweite hat den Lehm nach draußen getragen. Sie haben etwas wie eine Schlafkammer eingerichtet, gleich neben der Küche, nun sollen Pusback und Kulenkröger die Arbeit abnehmen,, damit die Bauleute ihren Verdienst erhalten.
Kaum sieht Pusback den Raum, fängt er mordsmäßig schelten an. "Wie, darin soll ich unterkommen? Und noch ein anderer dazu?" Und er macht einen Heidenlärm, daß ein reicher Herr wie der Kulenkröger nicht besser für seine Leute sorge. Der Wirt kriegt einen roten Kopf, das mag er vor den Gästen nicht hören. Er ruft also Knorrjohann und fragt ihn, ob er mit der Kammer zufrieden sei, und auch der fängt an zu seufzen, sei viel zu klein und muffig, und die Arbeiter an der Brücke, bei denen er gerade Dienst hätte nehmen wollen, hätten es viel luftiger.
In dem Augenblick kommt Grimbart, der Dachs, in die Tür. Er war über Nacht auf Vogelnester und Schnecken aus gewesen und weiß nichts von Knorrjohanns Gefangenschaft noch von Pusbacks Übermut. Er hat sich den Wanst gut gefüllt und will ein Schnäpslein darauf trinken, das ist alles. Als er Vetter Reineke im Kulenkrug gewahrt, ärgert er sich; die Herren mögen einander nicht.
Pusback merkt sein verdrossenes Gesicht und ruft ihn hinzu. "Sieh dir bloß einmal an, was der Fuchs eine Schlafstube nennt", schreit der Schlaue. "Und dafür will er eine Flasche Kümmel haben!"
Der Dachs prüft alles, und auch er findet die Kammer erbärmlich, ihm gefällt nur, was er sich selbst ausräumt. "Ich bin ein alter Mann und weiß mit Wohnungsbau Bescheid", sagt er mit einem Seitenblick
auf den Fuchs. "Wenn du mir eine Flasche spendest, Kulenkröger, will ich die Kammer so ausbauen, daß jeder damit zufrieden sein muß. Ich meine aber, daß Pusback und Knorrjohann mir helfen sollten, mit den andern Pfuschern und Großsprechern kann ich nichts anfangen.Der Fuchs antwortet nicht, er nimmt sich vor, dem Dachs sein Urteil heimzuzahlen; aber er hat's etwas eilig vollendet, das läßt sich nicht bestreiten.
Grimbart macht sich also mit den beiden Männern ans Merk.
"Vor allem müßte man einmal Luft schaffen", beginnt Pusback.
"Daran denken diese stinkigen Füchse nie", murrt der Dachs. "Ich will jetzt erst mal eine schöne breite Röhre hochführen. Vielleicht kann dein Freund mir von draußen helfen?
"Er geht nicht gern beim Kulenkröger vorüber", entschuldigt Pusback, warte, bis du die Röhre angelegt hast, dann schieben wir ihn hinaus.
Das leuchtet dem Dachs ein; er weiß ja nicht, daß Knorrjohann nachher wieder Kartoffeln schälen soll. Er will nur alles besser machen als Reineke, arbeitet aus Leibeskräften, und wirklich kommt bald die erste frische Luft von draußen. Dann heben sie Knorrjohann an und helfen dem armen Gefangenen mit aller Kraft durch den Gang nach oben.
"Das wäre geschafft!" sagt Grimbart und wischt sich den Schweiß ab.
"Es geht doch nichts über einen erfahrenen Werkmeister", lobt der listige Pusback. "Wie wär's, wenn ich mir jetzt einen Eimer ausbäte und die Erde durch die Röhre nach draußen zöge? Knorrjohann kann sie ja auseinanderwerfen, damit es vor der Tür sauber aussieht!
"Das ist ein guter Vorschlag", antwortet der Dachs, "du hast Verstand, das merke ich!" Und Grimbart geht selbst mit zur Tonband, läßt sich vom Kulenkröger einen Eimer geben und schickt Pusback damit los.
Der macht sich ja davon, so rasch er nur kann. Der Wirt merkt es und traut der Sache nicht recht. "Daß du mir den anderen nicht vor die Tür läßt!" warnt er Grimbart.
"J wo", lacht der treuherzig, den hab ich schon durch die Röhre geschoben."
"Was hast du getan?" fragt der Kulenkröger und versteht ihn nicht und schaut in die neue Kammer. Da findet er niemanden und sieht das Loch in der Decke. "Was hast du getan?" brüllt er den Dachs an, dreht sich um, nimmt die Flasche, die er schon bereitgestellt hat, und schlägt sie Grimbart über den Kopf, daß ihm Hören und Sehen vergeht.
"Hab ich's mir nicht gedacht", sagt der Fuchs, hopst vor Vergnügen und tritt den armen Vetter von hinten, daß er gleich ins Freie taumelt. Hab ich s mir nicht gedacht, Kulenkröger? Was mußt du dich auch mit solchem Prahlhans einlassen?" Und er will nach seinem Schnaps langen und zur Tür hinaus. Aber der Wirt ist rascher; der Fuchs muß schon einen gewaltigen Satz tun, sonst hat er die andere Flasche am Kopf. —
An der Brücke gehen Knorrjohann und Pusback vorbei. Sie lassen sich vor niemandem sehen. Auch führen sie einen armen Dachs zwischen sich, der hat ein nasses Tuch um die Stirn und klagt und jammert erbärmlich. Es tut ihnen leid um ihn, er hat es gut gemeint, und sie versprechen ihm Schnecken und junge Igel und ich weiß nicht was alles zum Lohn. Aber dann raten sie ihm auch, sich nie wieder mit Fuchs und Kulenkröger abzugeben Sie selbst würden sich zukünftig hüten, sagen sie, so wie sich alle guten Leute vor den beiden schlimmen Gesellen in acht nehmen sollten.
Ängstliche Leute
Der Zaunkönig hat, das wißt ihr wohl, mit dem Hasen einen alten Vertrag. Er warnt ihn, sobald Gefahr in der Nähe ist. Aber die Zaunkönige sind selbst ein ängstliches Völkchen. Ich habe von vielen gehört, die wagten sich all ihr Leben nicht aus dem Knick heraus, in dem sie geboren waren. Ja, wenn die jungen Hähne keine Frau fanden, dann bauten sie sich ihr Heim allein, statt daß sie suchen gingen. Sie spielten "verheiratet", putzten das Nest, kamen mit Motten oder Würmern an, als wenn da richtig Weib und Kinder warteten. Und dann fraßen sie selbst, was sie brachten, vielleicht freuten sie sich sogar, daß sie nichts abzugeben brauchten.
Einmal sah Meister Lampe wieder, wie der kleine Zaunkönig, der zu ihm gehörte, ohne eine Frau zu haben, Nestbauen spielte. Und er fand es doch recht verrückt, den ganzen Tag nichts zu tun, als mit seinen Einbildungen im Knick auf und ab zu huschen und höchstens einmal zu warnen, wenn ein fremdes Tier in die Nähe kam. Der Hase meinte also, der Knirps sei nur eine halbe Hilfe. Er ging deshalb lieber zu dem schönen blauschwarzen Birkhahn mit dein roten Feuerzeichen über den Augen und fragte den, ob sie nicht Freundschaft schließen könnten.
Der Birkhahn sah den Hasen von der Seite an, nickte hochmütig und sagte: "Meinetwegen.
Im nächsten Augenblick duckte er sich schon, blies den Hals auf, hob das Spiel zum Fächer und trommelte mit hängenden Flügeln über den Boden. Meister Lampe verstand ihn falsch; er meinte, da käme ein furchtbarer Feind, und sauste voll Entsetzen in den dürren Ginster. Aber der Birkhahn balzte nur, er wollte einer Frau zeigen, welch schönes Gefieder er hätte; die zwei ästen auch gleich darauf nebeneinander Knospen und Kätzchen ab und vergaßen den armen Hasen.
Da ging der zur Brombeerfrau und fragte die, ob sie nicht das Warnen für ihn übernehmen wollte; ach, klagte Meister Lampe, er hätte schlechte Augen und hätte ja auch so viele Feinde wie überhaupt kein Tier im Wald.
Das tat der guten Beerenmutter herzlich leid. "Komm nur tief unter meine Dornen", sagte sie, "dort wird dich niemand verfolgen."
Aber man kann nicht in einem fort unter Dornen sitzen, es war immer noch nicht das richtige. Als er sich einen Tag gelangweilt hatte, nahm der Hase wieder Abschied und hoppelte zu seinem Knick zurück. Da sah ihn der Zaunkönig. "Na", fragte er, "von der Reise zurück? Hast du jetzt große Herren zu Freunden bekommen?
Der Hase antwortete nicht und war recht mutlos.
Das tat dem kleinen Nachbarn leid, er dachte nach, wie er dem armen Lampe helfen könnte. "Weist du eine Frau für mich? Dann sind wir doch zwei zum Aufpassen." Und er freute sich über seinen guten Gedanken.
Der Rat leuchtete dem andern ein. "Ich will mich mal für ,dich umsehen", versprach er.
Nun wußte der Hase wohl von einer Zaunkönigin über drei Felder hinweg, aber es war nahe am Wald, der Fuchs hatte dort seine Jagd. Auch ging es dem Fräulein gerade wie dem Zaunkönig selbst, es wagte sich nicht aus den Büschen hervor und piepte den ganzen Knick entlang, wenn Reineke nur einmal über die Felder schnürte.
Ich muß doch mal sehen", sagte der Hase, "ob ich ihr nicht Bescheid bringen kann." Er hatte selbst heillos viel Angst vor Räubern, nicht viel weniger als der Nachbar auch, aber er war ja nun einmal der größere von beiden, und es schien ihm das beste für seine Sicherheit, wenn der Zaunkönig heiratete. —
Meister Lampe denkt sich also eine List aus er setzt einen richtigen Hut auf, den hat im letzten Herbst ein kleiner Junge beim Haselsuchen im Knick verloren. Der Hase meint, wenn er so, beinah wie ein großer Mensch, über die Felder läuft, hält es keinen Fuchs in der Nähe. Auf halbem Weg geht jedoch der Wind mit seinem Hut davon, und Lampe rennt all, was er kann, in den Knick zurück.
Wieder vergeht einige Zeit. Aber der Zaunkönig hat nun Lust zum Heiraten bekommen und fragt den Hasen jeden Tag, ob er nicht der kleinen Königin da drüben Bescheid sagen könne; er hülfe ihm doch auch für nichts und wieder nichts.
Nun liegt da ein altes Fuchsfell am Rain, das zeigt der Zaunkönig dem Nachbarn, und der kriegt Mut, er meint ja, darin würde Meister Reineke ihm nichts antun. Er hängt sich also den Pelz über und will ausziehen und der Zaunkönigin Bescheid geben. Auf halbem Weg ist ihm aber, als warte drüben am Waldrand ein anderer auf ihn, er fährt wie der Blitz aus dem Fuchsfell und auf und davon und in den sicheren Knick zurück. Der Zaunkönig sieht ihn allein heimkommen, sie sind beide sehr traurig über ihre Angst, aber sie können's nicht helfen.
Der letzte Weg von Meister Lampe hat indessen sein Gutes gehabt. Wie da nämlich mitten auf dem Feld ein leeres Fuchsfell liegt, werden
manche arme Verfolgte aufmerksam und freuen sich, und es geht das Gerücht, der böse Räuber sei tot. Einige Tiere laufen im Bogen vorbei — nahe wagen sie sich ja noch nicht und hüpfen und springen vor Vergnügen. Und weil auch viele Vögel hin und her fliegen und ausrufen, mit allen Plagen sei es nun für immer zu Ende, werden sogar der kleine Zaunkönig und drüben die Frau Zaunkönigin neugierig, sie flattern eben einmal aus ihrem Knick hervor, um nachzuschauen. Dabei bekommen sie einander zu sehen und haben sich auch gleich gern. Und der Mann möchte eineUnd das ist auch wahr gewesen; alles Volk stob auseinander, und die kleine Zaunkönigin fürchtete sich so entsetzlich, sie flog und flatterte und folgte gerade in den richtigen Knick hinein.
So ist denn doch noch alles zurechtgekommen. Die beiden Zaunkönige sind, obschon es hoch im Sommer war, miteinander sehr glücklich geworden und haben bald ein ganzes Nest Kinderchen gehabt. Und auch der Hase hatte sein Gutes davon, da waren zwei Augen mehr, die auf Fuchs und Jäger achtgaben.
König Ziegenbock zieht in den Krieg
Da irgendwo nach Norden zu gab es einmal eine Mühle, die hatte ein getreuer Jagdhund für sich und seine Freunde von seinem Herrn geerbt. Alte abgedankte Tiere sollten sich dort sammeln, so hatte der Verstorbene es im Sinn gehabt, und ohne Sorgen ihre Tage verbringen: Kater und Ziegenbock, Hahn und Ganter, Schaf und Pferd und wer so sein Leben in Hof und Feld erfüllt hatte. Und alle Nachbarn waren einverstanden; sogar der Jäger versprach, die Tiere auf der Mühle zu schonen, wenn sie nur daheim blieben und sich nicht in anderer Leute Gebiet zögen.
Gut hatten es die Alten da! Zu essen und zu trinken gab es genug. Mon Zeit zu Zeit kam auch ein Schneider vorüber, Grimbart der Dachs, der weilte in der Mühte, bis alles genäht und geflickt war. Dann wanderte er weiter.
Jahr um Jahr war es so.
Einmal zwar blieb Grimbart länger fort, als er es sonst zu tun pflegte; dieser und jener auf der alten Mühle fragte schon nach ihm. Besonders der Ziegenbock war ungeduldig. Er hatte mit seinem Freund Schafbock eine neue Kurzweil erfunden, spielte König der Tiere und wollte nun ein schönes Gewand tragen — er hatte sich genug übergespart.
Endlich, als man ihn kaum noch erwartet hatte, kam Grimbart wieder des Weges, und die Leute freuten sich. Aber einige verdroß es auch; er hatte nämlich eine junge Frau bei sich, und auf der Mühle gab es doch nur alte Hageslolze.
Man suchte trotzdem miteinander auszukommen. Auch wollte der Ziegenbock bald seinen Königsmantel fertig haben, und weil er seinen Retter Seraphim — so hieß der Schafbock — zum ,Marshall ernannt hatte, mußte Grimbart für teures Geld gleich noch einen zweiten bunten Rock nähen.
Es war viel Arbeit! Bis über Weihnachten zog sich's hin; es wurde Neujahr, und die Zeit langte immer noch nicht, obwohl die junge Frau des Schneiders nicht gern zwischen den vielen Herren blieb und lieber weitergereist wäre. Es dauerte schließlich so lange, daß Grimbart eines Tages in Eile einen tiefen Bau graben mußte; da waren Kinderchen auf dem Wege, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs.
Nun stand ja in den Gesetzen, die der alte Hund sich und seinen Freunden gegeben hatte, daß nur Hagestolze auf der Ölmühle wohnen durften. Trotzdem wollten die Leute mit dem Dachs eine Ausnahme machen; sie freuten sich, daß er da war, sie ließen ihm auch gern den guten Verdienst, den er bei seinen sechs kleinen Jungen mitten im Winter brauchen konnte. Nur Peter Ziegenbock und sein Freund Seraphim waren unzufrieden; und weil Grimbart ihre Kleider fertig und schon mit Gold verbrämt hatte, redeten sie laut, sie könnten Kindergeschrei nicht vertragen und was dergleichen mehr war.
Der Dachs hörte, was die Herren vorbrachten, und ärgerte sich. Und weil Fasselabend nahe war, das ist der Tag, wo Menschen und Tieren ein Mummenschanz erlaubt ist, überlegte er sich, wie er den beiden einen rechten Streich spielen könnte.
Nun war es so: Der alte Ziegenbock hatte viel Geld, und der Schafbock hatte keines. Und der neue König meinte, zu dem Mantel, den er nun trug, gehörte auch ein königlicher Wagen. Weil aber keiner ihn ziehen wollte, überredete er den Freund Seraphim; der fuhr seinen Herrscher jeden Morgen feierlich aus und brachte ihn abends ebenso feierlich in die Mühle heim. In der Zwischenzeit legten die zwei dann ihre Kleidung ab und suchten, wie sie es ihr Leben lang getan hatten, am Rand der Winterwege ein wenig zu rupfen und zu zupfen.
Als die beiden nun eines Tages — es war zur Fasnacht, aber sie hatten es nicht beachtet wieder zur Mühle heimkehrten, war da ein heftiges Laufen und Rennen. Was denn los sei, fragten sie. —Ja, ob man nicht wisse, ob man's wirklich nicht wisse? Nein bestimmt nicht! Nun also, daß im großen Wald, noch weiter nach Norden, eine Wahlversammlung gewesen
und daß der Ziegenbock König der Tiere geworden sei? Danach wünschten alle dem neuen Herrn Glück, und jeder beeilte sich schon, sein bestes Gewand anzulegen, um die Krönung festlich zu begehen."Sollt' man's glauben", rief Seraphim. Auch der Ziegenbock war eine Weile erstaunt, dann wandte er sich feierlich zu dem Freund: "Gewiß sollst du es glauben!" Und er schirrte den Bewährten aus dem Wagen, umarmte ihn und ernannte ihn für seine treuen Dienste zum ersten Minister des neuen Reiches.
Da war auch der Schafbock überzeugt, daß alles Wirklichkeit geworden sei, was sie so oft miteinander erwartet hatten. Er zog seinen langen Rock an, fühlte sich mehr als der alte Hund, der die Mühle verwaltete, und viel mehr als Jäger und Bauer vorm Tor, und dachte nur voller Sorgen an all die Gesetze, die sein Herr nun erlassen mußte. Er dachte sogar schon an Krieg und Kriegsgeschrei, denn er hatte vernommen, das gehörte zum königlichen Amt. — Er wünschte auch, um zu frohlocken, Grimbart den Spötter zu sehen; aber der war wohl unten bei Frau und Kindern, statt sich auf die Krönung des Königs zu rüsten.
Es wurde ein großer Tag auf der alten Mühle. Der Ziegenbock, mit dem die Tiere eigentlich nur einen Schabernack hatten treiben wollen,
Er wolle aber auch ein gnädiger König sein, sagte er und reichte
diesem und jenem seinen Vorderfuß. Und
die Herren, die ihm treu angehangen hätten,
brauchten sich um ihr Lebensende nicht
zu sorgen!
Währenddessen geriet der alte Jagdhund, der ja auf der Mühle so etwas wie Herbergsvater war, in Sorge um die beiden Freunde und fragte sich, was mit ihrem Verstand geschehen würde, wenn sie merk |
König Peter dachte ernst über die Botschaft nach. Es dauerte sehr lange, und die Tiere sahen, so schien's, ehrfürchtig zu. Nur der Schafbock begann zu schluchzen, er hatte solch entsetzliche Angst vorm Krieg.
Der Freund schämte sich seiner; er verwies ihm die Feigheit, rief das Gefolge zusammen und sagte, daß er gesonnen sei, sein Reich zu verteidigen. Und er wandte sich an das alte Pferd und den gichtigen Kater und fragte sie, ob sie den Krieg für ihn führen wollten. Aber die beiden dankten mit ernsten Worten und baten, einen Würdigeren zum Feldherrn zu wählen, weil sie mit ihren Leiden nicht mehr zu großen Schlachten taugten. Da warf der Ziegenbock den Königsmantel um die Schultern und erhob sich vor seinem Volk. "So werde ich selbst in den Kampf ziehen!" sagte er. Und er befahl dem Schafbock, seinen Kriegswagen zu rüsten, ach, dem Armen waren die Augen so verheult, er konnte nicht Rad noch Geschirr finden.
Dann verhieß der neue König den Tieren, wenn sie erst den Nebenbuhler vertrieben hätten, würde die Herrschaft aller Guten auf Erden wiederhergestellt und insbesondere mit dem Menschengeschlecht blutig abgerechnet werden.
Während der Ziegenbock nun schon über die Schlacht nachdachte und wie er den Feind umgehen und ihn von rückwärts auf die Hörner nehmen könne, kam wie von ungefähr Grimbart der Dachs vorüber. König Peter rief ihn leutselig herbei, fragte nach seinem Ergehen und wie es im Hand:
werk stünde, und vermahnte ihn dann, da alles Volk aufgeboten sei, im Heer zu dienen.Gui und gern, antwortete Grimbart, und wie hoch die Löhnung sei? — Der Ziegenbock runzelte die Stirn, aber es war nicht recht, den Krieg mit einem Zank zu beginnen. Er ernannte den Dachs also zum Hauptmann seiner Landsknechte und befahl ihm, Truppen zu werben und einzuüben.
Nichts leichter als das, sagte Grimbart,. und sechs flinke Jungens hätte er schon, der Ziegenbock solle ihm nur den rechten Vorschuß geben.
Der neue König meinte wohl noch, ein Heer müsse sich ja am Gut des Feindes schadlos halten. Dann zog er den Beutel und zahlte dem Schneider, was der für sich und seine Landsknechte forderte. Wirklich kamen bald sechs junge Dachse und reihten sich feierlich um den Königswagen, so daß ein Soldatenherz daran seine Freude haben mußte.
Und dann ging es auf Grimbarts Vorschlag wahrhaftig in den Krieg, rechtwegs von der alten Mühle aus in den Krieg! Das Heer zog über die Grenzen des Hofs — König und Minister, Pferd, Kater und was alles die Geschichte miterleben wollte — und marschierte in Feindesland,
Der erste Gegner, den man fing, war Stickelpickel, der Igel, der naar so dumm gewesen und hatte sich mit offenem Mund am Weg aufgestellt. Auch sah man mit Freude, wie der Hase ausriß, wie die kleinen Sputter, die Kaninchen, in ihre Löcher flitzten und wie die Krähen schreiend aufflogen vor dem sonderbaren Zug. Das schien ein guter Beginn; schon erwog der Ziegenbock, all seinen Tapferen Namen und Adel zu verleihen, sobald die große Schlacht gewonnen sei.
Nun war aber gerade an jenem Tage auch der Jäger mit seinem Hund unterwegs. Weil er den Hirsch nicht mehr gefunden hatte, wollte er Krähen und Mardern und allerhand Raubzeug das Lebenslicht ausblasen, und weil die Krähen nicht achtgaben und nur alles beschrien —bauz, flog das Feuer aus dem Rohr, das Schrot pfiff in den Zweigen, und die Federn stoben.
Die Dachse, Hauptmann und Landsknechte, hatten, als der Wind ihnen die Witterung von Jäger und Hund gebracht, schon vorsichtig Deckung
genommen, das steckt von alters her in ihnen. Den anderen aber fuhr bei dem ersten Schuß des Krieges der Schreck so gewaltig in die Glieder, das Pferd ging durch, der Kater stieg in die höchsten Zweige. Und der König und sein Minister sind, noch ehe sie den Jäger selbst zu Gesicht bekommen hatten, aus Wagen und Geschirr gesprungen. Sie haben nicht mehr an ihren Krieg gedacht, sondern sind, hast du nicht gesehen, vor allen anderen her und in einem einzigen Lauf wieder zur alten Mühle heimgerannt. Es zeigte sich dabei auch, daß König Peter und sein Minister noch am allerraschesten auf den Beinen waren.Daheim waren die Herren in der Zeit nach der ersten Schlacht recht schweigsam. Dann begann der Ziegenbock bei der Erinnerung zu meckern und der Schafbock zu blöken. Und der Kater prahlte schon von dem Kampf, in dem sie sich alle als ehrliche Degen geschlagen hätten, und der König rühmte die Freunde und ihre Tapferkeit.
Da hast du recht", sagte auch der Dachs. Und es täte ihm nur leid, daß Kriegsfahrten so teuer wie schön seien, man könnte sich sonst öfter ina Gefecht begeben. Dann meinte er, weil man trotz aller Kühnheit sich nicht am Gut des Feindes habe schadlos halten können und weil der Morschuß längst verbraucht sei, müsse er den Sold für sechs tapfere Landsknechte und ihren Hauptmann quittieren.
König Peter zog den Beutel, er bezahlte nach Heller und Pfennig; das rührte jedermann. Danach wollte er Grimbart den Befehl geben, einen neuen Rock und Purpurmantel zu schneidern.
Bruder Dachs war indes mit seinem Sold schon auf dem Weg zu Frau und Kindern, und ich weiß auch nicht, ob der Ziegenbock noch Geld genug bei sich gehabt hätte. Es ist nun einmal ein teurer Spaß, König zu sein, und in einer Schlacht muß man siegen, sonst hat man die Kosten zu zahlen. Selbst wenn man nur Fasselabendkönig ist!
Mon den sieben Fledermäusen
Einmal fielen sieben Fledermäuse, sechs schwarze und eine weiße, in einen alten Schuppen am Bahnhof ein und wollten sich nach Unterkunft umsehen. Und sie fragten die Kesselhule — die wohnt in dem großen Kochkessel, den unsere Eisenbahner dort hatten stehenlassen —, ob sie sich bei ihr einnisten dürften.
Die Kesselhule hatte erst keine Lust, Gäste zu nehmen, ihr schien das Quartier, das sie gefunden hatte, ohnehin erbärmlich und viel zu klein. Aber die Fledermäuse baten sehr und drängten, möge nur irgend etwas fordern, was erfüllen könnten, sie würden ihr Bestes tun.
Die Frau sah die hin und her huschenden kleinen Tiere an. "Nun", meinte sie seufzend, "wenn ihr mir beibringen kenntet, so zu fliegen, wie ihr fliegt, dann will ich euch wohl herbergen.
Das wollten sie gerne tun, erklärten die Gäste. Sie hätten's auch nicht erst lange zu lernen brauchen.
Die Fledermäuse freuen sich also über die schöne neue Wohnung, die sie gefunden haben. Aber als es zum Abend geht, verlangt die Wirtin, die Tiere sollten ihr nun auch das Fliegen beibringen. Und alle Leute laufen zusammen, und der graue Hans Dampf und der langhalsige Kolbenknecht poltern und lachen, als sie sehen, wie die neuen Gäste mit der Kesselhule zusammen von Kisten und Kasten springen und sich wundern, daß die Alte nicht gleich ihnen dabei ins Flattern gerät.
Nun, das erstemal ist es nichts geworden; die weiße Fledermaus tröstet die Kesselhule und sagt, sie wollten es am nächsten Abend auf andere Weise versuchen.
Als nun wieder die Dämmerung kommt, stellen sich auch die Lehr meister ein, raten der Frau, doch einmal auf das Dach zu klettern und, gleichwie sie es täten, da oben die Arme auszubreiten. Da zwängt die Alte sich mit vieler Mühe durch den Schornstein in die Höhe, die Fledermäuse fliegen wieder voran, die Kesselhule hebt den Kock auf und läßt sich fallen; sie meint ja noch, das Fliegen sei leicht, wenn man's nur recht wage. Sie ist aber schlimm geschunden und gestoßen auf Erden angelangt und ist in hinkender Wut heimgekrochen, Und der Kater und der Pudel und der Igel, die grade auf Jagd gingen und den Fall sahen, haben es weit in der Kunde erzählt.
Als die Fledermäuse nun heimkehrten, war die Tür verschlossen; sie haben lange und inständig bitten müssen, es doch noch einmal mit ihnen zu versuchen. Sie wüßten jetzt auch gewiß, wie sie es anfangen sollten, haben sie erklärt.
Am nächsten Abend kommen die Fledermäuse also wieder und bringen ein feines dünnes Seil mit. Und sie üben sich, alle zu gleicher Zeit mit dem Seil aufzusteigen. "Jetzt mußt du am andern Ende anfassen", sagen sie
zu ihrer Wirtin, "dann werden wir dich aufheben. Wenn du erst einmal geflogen bist, weißt du gewiß für immer Bescheid. Es ist so kinderleicht!"Diesmal waren schon allerhand Leute da, die zuschauen wollten. Der Kater war gekommen — er hoffte, einige von den Fledermäusen zu fangen —, der Pudel bellte schauerlich durch die Halle, und vier Rauchkerle möchten sich ansehen, wie die Alte das Fliegen lernte.
Die Kesselhule aber wollte vor so vielen Nachbarn zeigen, wie behende sie noch war. Als die Fledermäuse über ihr dahinhuschten, so daß der Kater sich beim Nachspringen überschlug, faßte sie wirklich das Tauende. Und weil manche Hute mithalfen und Hans Dampf sie aufhob und der Kolbenknechk nachschob, gelang es: die Kesselhule schwamm sieben Sprung weit mit den Fledermäusen durch die Luft. Es gab eine gewaltige Aufregung darüber unter allen Tieren, der Kater krallte sich an ihr Schürzenband, der Hund schnappte nach ihren Pantoffeln, der Marder und der Iltis machten einen Kopfstand, und der Igel lief unter ihrem Sitz entlang, grade als die Frau nach dem ersten Flug wieder hart zu Boden kam.
Aber alle Wesen lobten sie und sagten, sie seien stolz auf die Nachbarin. Und die Fledermäuse ließen sich gleich bescheinigen, daß sie ihren Vertrag erfüllt und ihre Unterkunft verdient hätten. "Morgen nacht geht es schon besser", trösteten sie ihre Wirtin, als die humpelnd in eine Ecke kroch.
Ja", seufzte die Kesselhule, "morgen oder in einer Woche, ich werde euch Bescheid geben." Sie fühlte sich doch recht gebrechlich und wollte sehen, wie sie den ersten Flug überstunde. Sie hat's auch bisher nicht zum zweitenmal gewagt; sie will noch warten, sagt sie, big der Kater und der Pudel und der dumme Igel den Schuppen wieder verlassen haben.
Aber die sieben Fledermäuse haben ihr Quartier gefunden, das macht ihnen niemand streitig.
Der Teufel hält Winterschlaf
Einmal hat der Igel Stickelpickel Unglück gehabt Er steht sich nicht gut mit dem Teufel —ich erzählte euch schon, warum das so ist: er hatte ihm ja einst einen Klumpen Gold abgenommen. Seitdem meidet er ihn, wie jeder Gerechte ihn meiden sollte. Aber der Böse — Bellhorn heißt er — hat einen Hof irgendwo in unserem Land, und dem kleinen Stickelpickel stößt es zu, daß er sich eines Tages, gerade als er sich einen Schlafplatz für den Winter sucht, schnaufend und polternd zwischen des andern Scheunen verirrt. — Hui, ist Bellhorn über ihm und freut sich, daß er den Igel, mit dem er doch eine lange Rechnung hat, in seine Gewalt bekam.
Stickelpickel weiß auch gleich, um was es geht. Aber er faßt sich, ist höflich, sosehr der Böse grinst, sagt, er sei aus Versehen hier, und fragt so nebenhin nach dem Weg zum nächsten Pfarramt.
Bellhorn lacht schadenfroh; er freut sich auf den Klumpen Gold, den er an den Igel verwettet hat und den er jetzt wiedergewinnen wird. Vorher aber will er sich an der Angst des armen Gefangenen weiden.
Eigentlich wundert er sich noch, daß der Kleine nichts von seinem Schreck merken läßt. Stickelpickel tut, als sei es die allereinfachste Sache der Welt, über des Teufels Hof zu laufen.
Ja, mehr als das: "Du hast es hier ganz gut", sagt er zum Bösen, recht wie ein alter Gönner, "und ich finde, man bietet seinen Freunden etwas an, wenn man es danach hat.
Entschuldige sehr", antwortet Bellhorn verblüfft, öffnet eine Tür und lädt den Gast in seine Stube. Weil aber bekannt ist, daß Stickelpickel gern einen Schluck aus der Flasche nimmt, zaubert der Arge ihm, während der andere über die Schwelle tritt, rasch eine Butte mit Schnaps vor die Füße. Der arme Gast fällt mit der Nase mitten hinein. Aber er kann ja allerhand vertragen. "Hoppla", sagt er, steht auf und schluckt und schluckt.
"Schmeckt gut, danke schön!
Das hat Bellhorn ja nicht erwartet. "Du bist doch ein Baskerl, Stickelpickel", brummt er neidisch. "Wie hältst du dich nur so fein bei Gesundheit?"
Oh, knurrt der kleine Igel, geht an des Teufels Brotschrank und findet auch noch einen Zipfel Wurst. Gut essen, trinken und gründlich schlafen, damit bleibe man jung. Er grinst ein wenig, er schläft nämlich den halben Winter, und der Böse hat es zu arg mit seinem Gewissen und ist meist ohne Schlummer.
Alm Essen und Trinken lasse er es nicht fehlen, sagt Bellhorn. "Aber wann kommt unsereins wohl zum Schlafen! Hätte ich nicht selbst die Augen aufgehabt, wärst du mir unbesehen über den Hof gelaufen."Zugleich bietet er Stickelpickel Tabak an und reißt Feuer für seine Pfeife. Der Kleine muß einige Male niesen, das kommt wohl von des Teufels starkem Knaster oder aber von dem Unfall mit dem klaren Wasser. Dazwischen nickt er höflich zu allem, was der andere an Klagen vorbringt. Gut essen, trinken und schlafen", rät er wieder. Dann sieht er sich noch einmal neugierig in der guten Stube um und tut, als möchte er mit einem Kratzfuß zu Tür hinaus.
Aber so leicht geht das nicht. man nun grade beieinander sei, beginnt Bellhorn, könne man ja über einige alte Wünsche reden. Er zum Beispiel hätte drei davon auf dem Herzen. Ob er sie aussprechen dürfe?
"Gewiss", sagt Stickelpickel, und es tut ihm leid um den Klumpen Gold, den der Böse jetzt zurückverlangen wird. Um die Sache indes hinzuhalten, fängt er nach der Art kleiner Leute zu handeln an. Zwei Wünsche täten es vielleicht auch, meint er so obenhin; ja, gern möchte er selbst eine Bitte anmelden, und was der Sorte mehr sind.
Der Böse antwortet nicht, er weidet sich an Stickelpickels Ausflüchten, und dem armen Gast wird doch heiß und kalt zumut.
Nun, wenn er keinen Wunsch tun dürfe, so sei's ihm auch recht, sagt er. Er habe ja, was er wolle, nämlich gut essen, gut trinken und gut schlafen. Und ob es nicht am besten sei, jetzt nach dem Essen ein Nickerchen zu machen?
Stickelpickel hat das Gespräch eigentlich nur hinziehen wollen. Alls der Teufel aber wieder vom ruhigen Schlafen hört, schwillt ihm der Neid so sehr, daß Tisch und Uhr in seiner Kammer zu schwelen und zu rauchen beginnen. Und er meint, daß er den Goldklumpen ja immer noch verlangen könne. "Als erstes wünsche ich mir", brüllt er, "daß wir für den Winter unsern Schlaf tauschen." Und er stößt das Fenster auf, weil das Zimmer nach seinem Jähzorn riecht.
Der kleine Stickelpickel ist traurig, er gibt viel auf seine Gesundheit. Was bleibt ihm indes anderes übrig? "Nun", sagt er, "es ist schade drum, aber wenn du durchaus willst, sollst du meinen Schlaf haben." Und er gähnt und streckt sich seufzend, da muß auch der Böse gähnen und sich strecken und merkt, daß ihm schon erfüllt wurde, was er wollte. Rasch versucht er noch, den zweiten und den dritten Wunsch wegen des Goldklumpens auszusprechen.
Aber er kommt nicht mehr dazu; Bellhorn kann sich auf nichts Rechtes besinnen und hat nur das Bedürfnis, noch einmal lang aufzuseufzen und es sich auf der Ofenbank warm und bequem zu machen. —
Erst im Frühling hat ihn die Sonne geweckt, und er hat sich unter furchtbarem Zorn an alles erinnert. Dabei ist ihm auch eingefallen, daß er noch zwei Wünsche an den Igel hatte, er ist mit einem Wutgebrüll aufgesprungen und hat gemeint, der Nachbar sei eben erst aus der Tür.
Aber der war ja schon seit Wintersanfang über alle Berge. Und er hat sich wohl gehütet, dem Bösen wieder über den Hof zu laufen. Er hat sich vielmehr gemütlich in meinem Stall eingerichtet, und ich stehe mich gut mit Stickelpickel. Wenn ich indes die Rede einmal auf seinen versteckten Schatz bringe, kriecht er rasch ins Stroh, als sei ich's selbst, dem er den großen Goldklumpen abgewettet hat, Aber so viel hab ich nie beisammen gehabt, und wenn ich's hätte, würde unsereins ja nicht so dumm wie der Teufel sein und die Wette mit Stickelpickel verlieren. Oho, das kann mir gar nicht zustoßen!
Drei Jäger wetten
Beim Kulenkröger — ja so, ihr wißt nicht, wo der Kulenkröger wohnt? Irgendwo in Stormarn liegt eine alte ausgegrabene Kieskule, unten voll Wasser, die Wände voll rissigem Sand und mancherlei wildem Gestrüpp. An ihrem Ausgang ruht ein riesengroßer Stein, halb im Wasser, halb im Lehm vergraben. Wenn man den dreimal geheimnisvoll beklopft — wie, will ich euch nicht sagen —, öffnet er sich wie eine Tür, und man kommt zum Kulenwirt hinab.
Also bei diesem Kulenkröger, bei dem sich oft mancherlei verlaufenes Volk anfindet, saßen einmal der Jäger, der Fuchs und der Uhu zusammen und redeten übers Weidwerk. Und sie lobten zu dritt die Jagd, jeder in seiner Art: der Fuchs prahlte mit seiner List, der Uhu mit dem nächtlichen Flug und der Jäger mit seinem Feuerrohr. Weil der Kulenkerl ihnen aber allerhand schwere Getränke vorsetzte, sprachen sie auch über andere Dinge, weltliche und geistliche, und schließlich schwur jeder, seinem Schutz: patron zu Ehren ein gottgefälliges Leben zu führen, falls es einmal not kate.
Der Kulenkröger, der bei ihnen saß und von ihren hohen Reden nicht viel verstand, widersprach mitunter, um nicht überhört zu werden. Und er widersprach gerade wieder, als diese Gäste sich eines gottgefälligen Lebens vermaßen.
"Das ist ja wohl nicht möglich", knurrte er. Er hatte sich nichts dabei gedacht und es nur so ebenhin gesagt. Man hätte aber einmal den Auf: ruhr sehen sollen! Das hätte ihnen noch niemand geboten, riefen die drei Herren durcheinander, und solche Anzweifelung würden sie sich auch nicht gefallen lassen. Gut, daß noch mehr Wirtshäuser am Weg stünden, schrie der Jäger und schlug auf den Tisch.
Der Kulenkröger mußte klein beigeben, er hätte es sonst mit seinen besten Gästen verdorben. Um sie aber rasch zu versöhnen, setzte er eine
wirkliche Flasche Branntwein auf den Tisch. Die sollten die Herren haben, sagte er, wenn sie sich mit einem jagdbaren Tier drei Meilen auf Wanderung begeben könnten, ohne ihm etwas anzutun.Nun, die Gäste machten große Augen bei dem Versprechen! Sie vermaßen sich auch, sogleich aufzubrechen, und als gerade der Hase vorsichtig beim Kulenwirt einschaute, um die Post vorzubringen — das ist ja sein Amt —, riefen sie ihn an, redeten höflich auf ihn ein und erzählten ihm, was vorhatten.
Der kleine Hase war mißtrauisch gegen die neue Freundschaft, das ist begreiflich. Alls aber der Kröger sich verschwur, er werde Mütze und Jacke der Herren als Pfand dabehalten, und als alle Leute ihm gut zuredeten und insbesondere der Fuchs sagte, wahrscheinlich begänne die Welt von nun an überall freundlicher gegen seinesgleichen zu werden, nahm Meister Lampe die Begleitung an.
So machten sich die Wettenden also brüderlich auf, um dem kleinen Postboten auf seiner Wanderung drei Meilen weit Gesellschaft zu leisten. Es war ein wunderschöner Tag, recht voll tiefen Friedens. Man war froh und guter Dinge, fragte einander nach Frau und Kindeskind, und der Fuchs erinnerte den Hasen schalkhaft an gefährliche Stunden. Der antwortete, und wie es oft ist, wenn hohe Herren mit einem einfachen Mann zusammenkommen, sie waren überrascht von seiner einfältigen Weisheit und seinem klaren Verstand. Hätten sie ihn früher gekannt, versicherten die drei ein über das andere Mal, sie hätten ihm und seinesgleichen niemals ein Leid angetan.
Als sie nun ein Stück gegangen waren, kam dem Fuchs der Gedanke, ob man dem Kulenkröger wohl auch trauen könne. Er hatte ja seinen Mantelsack zurücklassen müssen und hatte einen guten Zehrpfennig darin, um den er sich Sorgen machte. Er hatte sich s kaum überlegt, da befiel die andern Herren schon das gleiche Mißtrauen. Jeder von ihnen hatte seine Heimlichkeiten in Joppe und Tasche, die nicht für den Kulenkröger taugten. Weil die drei sich aber voreinander schämten, kamen sie auf diese und jene Ausflucht; der Uhu behauptete auf einmal, er habe sein
Weib rufen hören, der Fuchs wollte einer Wildente den Weg zeigen, und der Jäger mußte schnupfen. Jeder versicherte dem Hasen, er werde gleich wieder dasein, und rannte auf Seitenwegen spornstreichs zum Kulenkröger, um seinen Kock zu erleichtern.Alls nun der kleine Hase voll neuen Vertrauens zu dieser schönen Welt von den Kräutern am Wegrand äste, kam ihm ein hungriger Fuhrmann entgegen, der sollte mit seinem alten Klepper Sand holen und wußte nichts von der Wette noch von der neuen schönen Welt. Er sah aber Meister Lampe, der, statt das Weite zu suchen, höflich ein Männchen vor ihm machte.
Nunu, dachte der auf dem Bock, hier wartet wohl einer auf die Pfanne? Er hielt den Wagen an, stieg ab, als hätte er eine Bestellung aufzugeben, packte plötzlich die beiden Hasenlöffel und versteckte den zappelnden Fang eiligst unter Mantel und Leibriemen. Denn im gleichen Augenblick kamen von drei verschiedenen Seiten ein Jäger, ein Fuchs und ein Uhu des Weges.
Dem Fuhrmann wurde heiß und kalt wegen des Jagdfrevels. Er wollte sich beeilen, wurde aber angehalten und gefragt, ob er keinen Hasen gesehen hätte. "I, wie sollt' ich", sagte er so freundlich wie möglich, um bald weiterzukommen. Da begannen die drei Herren sich untereinander scheel anzuschauen, Mantelsack und Schnauzwerk zu prüfen und jeder des andern Leumund und ehrliches Sori anzuzweifeln. Und sie liegen den Fuhrmann nicht vorbei, verhörten vielmehr ihn und sein Tier noch einmal, ob sie gewiß nicht einen Jäger oder einen Fuchs oder einen Uhu beim Hasenmahl gesehen hätten.
Dem Fuhrmann kratzte währenddessen der arme Gefangene das Brust- fell so arg daß er es kaum aushalten konnte. Aber vor den Herren schüttelte er dreist sein schiefes Gesicht und sagte, er sei ein einfacher Sandfahrer, und die Jagd ginge ihn den Kuckuck an. Dann wollte er schleunigst weiter. Die drei schwangen sich aber hinten auf seinen Wagen und verlangten, er solle sie nun wenigstens zum Kulenkröger bringen. Und obwohl die Sache dem Fuhrmann unheimlich war und er vor Schmerzen kaum an sich halten konnte, muste er mit seinem schlechten Gewissen dem
Wunsch folgen. Er hörte auch den ganzen Weg, wie die Herren sich noch über den Hasen zankten, der ihm die Joppe zerkratzte, und wie sie sich gegenseitig anbliesen und einer des andern Wort in Staub und Schmutz zog.Als sie schon dicht vor der Kiesgrube waren, konnte der Fuhrmann das Scharren und Zerren auf seinem Leib nicht mehr ertragen, er mußte sich erklären und herauslügen, so elend war ihm zumut. Er blähte sich also auf, winkte die Jäger heran und wies auf den alten Gaul, den er treiben mußte. "Dann will ich's euch nur verraten", schrie er, das Pferd hat den Hasen gefressen, es wollt' wieder laufen lernen.
Der Fuhrmann meinte ja nichts anderes, als daß die drei Herren nun das arme Tier anfallen würden. Aber er irrte sich. Kaum hatten sie seine falschen Worte gehört, kümmerten sie sich nicht mehr um den Hasen, nicht um den Fuhrmann, noch um das Pferd, das den Hasen gefressen
sondern sprangen lärmend Wagen, der Jäger allen Wenn's keiner von uns frohlockte er, dann hat Kulenkerl doch den Branntwein verloren! "Und der Fuchs mit hoher Rute hinter ihm und der Uhu, der bei dem hatte, vom voran: war", der setzte drein, |
Dann waren die Gesellen auf einmal im Sand hinterm großen Stein verschwunden. Und es war alles so schnell geschehen, der Fuhrmann mußte vor Erstaunen den Altem ausblasen.
Er hätte besser achtgeben sollen. Während er sich nämlich voll Verwunderung vornüber beugte, bekam der kleine Hase unterm Leibriemen Luft und Platz. Mit einem Satz war er vom Wagen herab und in die Hecken. Und ehe der schlimme Mann sich noch recht besann, setzte sich auch sein Pferd in Trab, es wollte ja zeigen, daß es, ohne Hasen zu fressen, laufen konnte. Und es hat sich solche Mühe gegeben, der Fuhrmann ist mit Holterdiepolter und böser Not ans Haus gekommen. Als die drei Jäger noch einmal vor das Kulentor traten, um ihn zum Mittrinken einzuladen, war er längst über Stock und Stein.
Halbteil mit Reineke Moß
Einmal machten Fuchs und Fledermäuse einen Vertrag miteinander. Der Fuchs verschwor sich, den Nachbarinnen nicht mehr nachzustellen, und die Fledermäuse versprachen dafür, ihren neuen Freund Reineke durch die Lüfte zu tragen, wenn der Herr bei den Bauern über den Hühnerdraht oder zum Gänsestall einsteigen wollte.
Das ging eine ganze Weile gut. Wenn Reineke rief, taten sich eilends alle Fledermäuse zusammen, nahmen jede ein Stück Fell vom Fuchs in die Krallen, hoben ihn, hupdiwup, hoch und ließen ihn fallen, wo er es wünschte.
Nun merkten die Fledermäuse aber nach einiger Zeit, daß ihre Schar von Flug zu Flug abnahm, und daß diejenigen, die sich am eifrigsten zu schaffen machten und Reineke am Bart hochzogen, oftmals nach solcher Fahrt fehlten.
"Du hast es uns doch abgeschworen und frißt jeden Abend einige von uns", sagten sie entrüstet zum Fuchs.
"Aber nein", erwiderte der, "gefressen habe ich gewiß keine einzige. Ich bin nur an den Barthaaren etwas empfindlich, da kriege ich mitunter den Schluckauf, wenn jemand daran zieht.
Die Fledermäuse wußten, was sie auf solche Worte geben konnten, und als der Fuchs sie einmal wieder rief, ihn abzuholen und hoch durch die Luft zu führen, gingen sie darauf aus, sich an ihm zu rächen. Während sie mit Reineke gerade über einer hohlen Weide schweben, auf einmal gibt die älteste Fledermaus ein Zeichen, jedes der siebenundvierzig Tiere läßt das Stück Fell los, das es gerade in der Kralle hält, und der böse wortbrüchige Fuchs poltert kopfüber in den Baum — bis unten auf den schwarzen Grund.
Da wunderte er sich nun sehr, schleckte sich die Läufe, kratzte sich im Nacken und war arg zerschunden und blau geschlagen. Was aber das schlimmste war: Reineke merkte bald, daß er nicht allein in der hohlen Weide saß. Da hauste nämlich noch ein Uhu im Baum, dem war gar nicht recht, daß er so plötzlich Gesellschaft bekommen sollte. Er fuhr, kaum daß er den ersten Schreck überwunden hatte, wie der Leibhaftige im Dunkel gegen Reineke und kratzte und krallte und hackte und biß so furchtbar drauflos, daß der alte Sünder seines Feindes nur mit Mühe erwehren konnte.
Als nun einen Augenblick voneinander abließen, um neue Kräfte zu sammeln, sagte der Fuchs deshalb: "Freund Uhu, was das für eine Dummheit, daß zwei alte Räuber wie wir sich gegenseitig an die Kehle fahren? Ist es nicht besser, wir vertragen uns, gehen gemeinsam auf Jagd und treiben uns die Beute zu? Ich weiß zum Beispiel einen ganzen Schornstein voller Fledermäuse, das ist doch ein Leckerbissen für dich!
Als der Uhu von Fledermäusen hörte, lief ihm das Wasser im Munde zusammen. "Wie sollten wir wohl einen Schornstein voller Fledermäuse bekommen, du Lügners"fragte er.
"Einen ganzen Schlot voll, gesotten und gebraten", erwiderte der Fuchs, hilf mir aus diesem verwünschten Baum, oder sag mir, wie ich das Loch nach draußen finde.
Es war aber an dem, daß der alte Uhu genug gerauft hatte und sich freute, daß Reineke freiwillig davon wollte. Auch kriegte er Hunger, sobald von Fledermäusen die Rede war. Er suchte also, wo die Kinde der morschen Weide am dünnsten war, zeigte dem Fuchs die Stelle, und der biß und riß und zwängte sich schließlich nach draußen.
"Wo sind nun deine gebratenen Fledermäuse?" fragte der Vogel zum Baum hinaus.
Komm mit, Freund Uhu, du sollst deine Freude daran haben!
Nun wußte der Fuchs, daß die Fledermäuse, die ihn hatten stürzen lassen, im Schlot eines halbverfallenen Futterstalles am Dorfende wohn- ten. Niemand gebrauchte den alten Koben; die Hexe, zu deren Haus er gehörte, hatte Kuh und Schwein verkauft, um sich recht arm auszugeben. Sohl aber mästete sie sich dort heimlich eine Gang, das hatte Reineke er- fahren. Und die Fledermäuse hausten und piepten in Stall und Schlot, daß es eine Lust war.
Fuchs und Uhu gingen also noch abends spät bei kaltem Mondwind zu der Hexe, — die hatte ja den Schlüssel zum Stall.
"Was wollt ihr?" fragte die Alte mißtrauisch, als die beiden bösen Nachbarn an ihre Tür klopften. "Geht rasch weiter, hier ist nichts zu holen." Sie fürchtete für ihre Gang, von der niemand etwas wissen sollte.
"Wir haben einen wunderschönen Plan, Ole Witsch", redete der Fuchs sie an und blinzelte wie ein Dieb. "Wir können dir einige herrliche Braten verschalen.
"Gewiß lügst du", seufzte die Alte, "herrliche Braten würdest du selber fressen.
"Siebenundvierzig gebackene Fledermäuse", flüsterte der Fuchs, und der Uhu nickte dazu.
Da machte die Hexe nun doch die Ohren lang. Gebackene Fledermäuse waren für sie eine besondere Leckernis. Sie riegelte also ihre Tür auf,
Nun, sagte der Fuchs großmütig — er selbst hatte ja etwas Besseres im Sinn als gebratene Fledermäuse —, er habe seinem Kamerad Uhu eigentlich Halbteil vorgeschlagen. Aber seine Hälfte könne die gute Frau Witsch bekommen- so hieß die Hexe. Er habe nämlich, freimütig gesprochen, eine alte Sache mit den Fledermäusen auszutragen. Und er klagte, wie sie ihn schmählich in die Weide hätten fallen lassen.
Das hörte sich so glaubwürdig an, die Hexe wie auch der Uhu faßten Vertrauen zu dem Vorschlag und wurden schon ungeduldig darauf, den Fledermäusen an den Kragen zu gehen. Um der Gerechtigkeit willen, sagten sie. Und Reineke, das verlangten sie, solle den Befehl übernehmen.
Da tat der Fuchs, als halte er noch einmal Rat mit sich, seufzte und befahl dann dem Uhu, mit einem Strohwisch lautlos aufg Dach zu fliegen und den Schornstein von oben zu verstopfen, so daß niemand, aber auch niemand mehr hinausschlüpfen konnte. Danach ließ er sich den Stall aufschließen stellte sich unterm Schlot auf Wache und befahl der Hexe, Feuerholz auf den Herd zu schaffen.
Die machte sich gewaltig zu tun; sie wollte ja zeigen, daß sie wirklich die Hälfte der Beute verdiente, und war bald draußen beim Reisighacken, bald beim fleißigen Uhu und dann wieder bei Reineke. So eifrig wurde die Alte, daß sie gar nicht merkte, wie der Fuchs aus böser Gewohnheit die Gänseklappe ein wenig lüftete und, gerade als die Frau im Schuppen Holz in die Schürfe packte, seine rote Rute wie aus Versehen in den Stall schob. Damit kitzelte er die Gans, so daß die Arme in Todesangst mit einem schrecklichen Gackgack durch die Klappe und Tür ins Freie fuhr.
Die Hexe hatte einigen Lärm gehört, sie machte Sorgen und eilte zurück. Aber die Gänseklappe war schon wieder zugefallen, Reineke winkte ihr zu schweigen und lauerte unbeweglich unterm Schornstein. Da fragte sie nicht, um ihn nicht zu erzürnen, und schichtete ihr Holz auf dem Herd auf.
Und dann war es soweit; der Uhu hatte sein Merk getan, und der Fuchs erlaubte der Alten, das Feuer anzuzünden. Wie erschraken die
armen Fledermäuse, als sie den Rauch spürten! Sie suchten zum Schornstein hinauszufahren, aber der war verstopft, sie wollten unten hindurch, da briet und brutzelte ihnen die helle Flamme entgegen. Manche von ihnen mußten jämmerlich ersticken und fielen auf den Herd nieder.So kamen Hexe und Uhu auf ihre Rechnung. Einen Braten nach dem andern holten sie mit Zangen und Krallen aus dem Feuer und verzehrten ihn. Die beiden waren auch so vergnügt, daß alles gut gelungen war, sie spielten Hand auf Hand und fanden trotz ihrer Jahre Gefallen aneinander. Und sie sahen dem Fuchs auf die Hungerfäden am Bart, und der Uhu und Ole Witsch lobten seine Uneigennützigkeit, aber sie wunderten sich insgeheim, daß Reineke so dumm war und ihnen die Kost ließ. Ja, als er das verliebte Getue der beiden Alten gewahrte, tat der Fuchs noch ein übriges und ging höflich ein wenig Luft schöpfen, wie er sagte.
Das gefiel dem Uhu und der Hexe noch besser; wenn man selber satt ist, mag man keine hungrigen Augen sehen.
Als die beiden aber gerade beim besten Nagen, Scherzen und Nachtmahlen waren, hörten sie draußen auf einmal etwas wie Gänsegeschrei. Die Alte wurde mißtrauisch und hielt gleich den Uhu am Kragen fest. Der meinte, es sei ein verliebter Scherz, er war sich ja keines schlechten Vorhabens bewußt. Das Weib schleppte ihn aber von Herd und Mahl weg, hob die Klappe zum Verschlag, bückte sich und versuchte hineinzuschielen. Leer war der Gänsestall.
Da wurde die Hexe so bitterböse, wie noch nie in ihrem Leben. Und weil sie meinte, daß der Uhu bei dem Betrug mitgespielt hätte, zog sie ihren Holzschuh und drosch erst einmal auf den armen Vogel ein, daß die Federn flogen. Der wußte ja nicht, wie ihm geschah, aber er begriff, daß er sich seines Lebens wehren mußte. Und er hatte auch die Krallen dazu; die beiden, die eben noch gut Freund miteinander gewesen waren, fuhren über Trog und Herd, es war nicht anzusehen. Und das Feuer jagte mit ihnen und ließ den alten Stall lichterloh aufbrennen.
Als sie nun zur Tür hinaus mußten, gewahrten sie drüben in der Helle Gevatter Reineke inmitten eines weißen Federhaufens. Er war ein wenig
verlegen über all das Licht; damit hatte er nicht gerechnet. Er war so überrascht, daß er lieber mit dem Rest der Gang von dannen ging, als auf die Herrschaften zu warten.Da vertrugen sich die beiden Betrogenen. Sie hatten blanke Tränen in den Augen, die Hexe wegen der Gans und der Uhu, weil der andere mit dem besseren Braten davongekommen war. Sogar ein paar Fledermäuse, die zuletzt noch durch einen Riß im Schornstein entwischt waren, piepten mit ihnen über Reineke, der doch alles angerichtet hatte.
Die Fledermäuse haben aus der Sache viel gelernt. Sie haben seit jener Zeit solche Angst vor Feuersgefahr, daß sie nachts keine Ruhe mehr finden und über Tag schlafen. Die Menschen und Tiere aber machen gar oft mit Reineke und seiner Art Halbteil und wissen immer noch nicht, daß allezeit die Genasführten sind.
Der betrogene Fuchs
Da war einmal ein Fuchs bei einem klugen Zauberer eingeladen und ass und trank gut. Als er sich nun verabschiedete, hieß er einiges mitgehen, was ihm gerade vor die Hand kam, ohne daß der andere es gleich gewahr wurde.
Reineke freute sich über den Gewinn. Er wollte aber auch wissen, was er ergattert hatte, und erprobte dies und das. Alls erstes kam die Zipfelmütze des alten Mannes an die Reihe, die hatte die Eigenschaft, sich in einen großen Teich mit Fischen zu verwandeln, wenn man sie nur umdrehte.
Das gefiel dem Fuchs gut; er hielt viel von Fastenkost und machte häufig Gebrauch von der Mütze. Immer aber, wenn er genug gefangen hatte, Karauschen, Schleie und, ich weiß nicht, was alles, schüttete er die Mütze wieder um; kein Mensch und kein Tier begriff, wo der See geblieben war, der eben doch mitten in der Heide gelegen, noch woher der Reineke die vielen Fische hatte.
Eines Nachts kam aber ein junger Waterkerl —ich meine ein Wasser
mann — vom großen Fluß herüber. Der wollte umziehen und hatte munkeln hören, daß in der Heide ein neuer See gewachsen sei.Er fand ihn auch bald — der Fuchs hatte gerade in jener Nacht vergessen, die Mütze umzuwenden — und ging rasch auf den Grund. Anderntags, als Reineke die Angel auswarf, zog er voll Verwunderung gleich die erste Schnur ohne Wurm wieder hoch. Danach tauchte der Schwimmer unter, und ein alter Ast hing daran, kurz, sein schöner Teich war voll von
Schabernack. Da wollte der Fuchs die Mütze umdrehen, um nachzusehen, was mit ihr sei. Aber sie war schwer geworden, er vermochte sie nicht mehr aufzuheben. Und er begriff, da war jemand über Nacht gekommen, der nicht hineingehörte. Wie sollte er den Gast nun wieder loswerden? Das war eine schlimme Geschichte!
Reineke ging also zu Nachbarn, um sich Rat zu holen, aber niemand konnte ihm Bescheid geben. Er mußte schon weit laufen und kam endlich vor das Haus des Hagemanns. Das war ein listiger alter Waldkerl, aber auch ein Geizhals, der für einige Groschen hämmerte und klopfte und für die Bauern arbeitete. Er saß gerade vor der Tür und besohlte Schuhe, die die Leute ihm hingetragen hatten.
"Nun", meinte der Hagemann, als der Fuchs ihm alles erzählt hage, "ich könnte dir wohl beibringen, wie du den Wassermann wieder loswirst, aber du mußt von nun an die Hälfte aller Fische an mich abgeben.
Dem Fuchs blieb ja nichts anderes übrig, er sagte zu.
"Allso hör", riet der Hagemann, "hier kommt jeden Sonntag eine Nixe entlang, die wandert zu den Menschen zum Tanz. Lade einmal zu dir ein und geh mit ihr zum Teich. Wenn der Unhold die gewahr wird und sie fangen will, kannst du die Mütze ja rasch umdrehen.
Der Fuchs verstand, worauf der andere hinauswollte, und als sonntags das Nixenmädchen vorüberkam — es sieht aus wie ein Fräulein aus einem fremden Dorf, nur daß es einen nassen Saum am Kleid hat —, stand Reineke am Weg, lud die Jungfer höflich zu einem Spaziergang ein und wandelte mit ihr am Rand des Teiches auf und ab, so daß ihr Spiegelbild im Wasser zu sehen war.
Aber der Wasserkerl hatte es viel zu gut da unten, er kam wegen solch dummen Weibsbildes nicht hoch. Und die Nixe hatte auch nicht viel Zeit, sie wollte rechtzeitig beim Tanz sein und ging bald ihres Weges.
Am anderen Sonntag hielt der Fuchs sie wiederum an. Er hätte kleine Vögel zu Gast geladen, erzählte er, so sanft er es vermochte. Und er bäte die Nixe, sie möge doch eben einmal zuhören, der Zeisig hätte ein neues Lied erdacht. Als sie wieder zum Teich gelangten, hatte Reineke, der sonst ein Geizhals war, den alten Waldkerl zum Aufspielen bestellt. Der hatte noch den Mund voller Hagebutten, aber als der Fuchs kam, setzte er gleich die Geige unters Kinn, die Vögel schlugen dazu, und die Nixe hatte beim drittenmal das Lied behalten und stimmte mit ein. Es war wirklich schön anzuhören, viele Leute horchten.
Aber der Wassermann steckte nur ein Ohr nach oben, er hatte es gut im See und wußte, daß er kein geladener Nachbar war.
Da wollte der Fuchs ihn eifersüchtig machen. Er wußte nicht, wie er solchen Grünen wohl sonst herauflocken sollte, und bat die Nixe deshalb, mit ihm zu tanzen. Alm Teichufer ging es auf und ab, und der aus der Tiefe hob wahrhaftig den Kopf und pruschte einen ganzen Mund voll
blauer Vergißmeinnicht, Froschlöffel, und mag er gerade zwischen den Zähnen hatte, auf die beiden Tanzenden. Aber weiter brachten sie ihn nicht, er grinste und ließ sich wieder untersinken."Du bist kein rechter Tänzer sagte der Hagemann endlich, er hätte ja gar zu gern den Vertrag über die Fische in der Tasche. "Diz hifi kein rechter Tänzer, ,Reineke", sagte er. Und er gab dem Fuchs die Fiedel zum Aufspielen, obschon es nichts als ein altes Gekrächze wurde, nahm das Wasserfräulein in den Arm und tanzte mit ihm einen "Windmüller" big zum Waldrand und wieder zurück; so etwas hatte die arme Heide lange nicht gesehen. "Goos op'n Diek, Goos op'n Diek, Ganter darbi", sang er dazu und schwang die Nixe rund um den Teich, sie berührte kaum nech den Boden mit den Füßen. Die Büsche wehten zur Seite, wo sie entlang kamen; es war etwas so Schlimmes und Hexisches um den Tanz, daß sogar der Fuchs Furcht kriegte und der Wassermann bis zum Nabel aus dem See fuhr und vor Zorn und Entrüstung blökte.
"Kriedewiedewitt, meinen Schatz, den bin ich quitt", sang der Hagemann, um ihn zu ärgern, und sah, wie der Schlamm sich drehte und wie das Wasser wirbelte, — da wollte wohl einer ans Ufer und mit dem Waldkerl um das Fräulein fechten. Schon paßte der Fuchs auf, um gleich die Nachtmütze umzukehren.
Den Herren wäre die List beinahe geglückt, und sie wären den Nücker losgeworden, hätte der Hagemann etwas mehr Klugheit bewahrt. Er war jedoch mit dem Fräulein so sehr ins Tanzen geraten, daß ihm ein Funken unter den Hacken aufsprang, als sein Huf über die Kiesel schlug. Morin Feuer aber haben die aus dem Wasser ja solch grausame Angst: die Nixe hat sich, als sie nur den Funken sah, mitten im Tanz mit einem Schrei aus seinen Armen losgerissen. Und sie ist kopfüber in den kühlen See gefahren, gerade in die .Hände des dicken Wasserkerls, der noch eben um sie fechten wollte.
Nun wohnen zwei Leute in der schönen verzauberten Zipfelmütze, nun kann Reineke gar nichts mehr damit anfangen und wird die beiden wohl bis zu seinem Ende zu Gast behalten müssen. Einmal ging er noch zu dem
Zauberer, sagte ihm, er habe sich die Mütze nur eben leihen wollen, und erzählte, was ihm damit zugestoßen sei. Aber der Alte wußte nichts Besseres, als Tag und Nacht am Ufer auf und ab zu schelten. Es half auch nichts, daß Reineke dem tanzenden Hagemann den Teich mit allen Fischen zu eigen versprach, wenn er nur die Gäste loswürde. Der Wald- kerl ließ die Arbeit beim Bauern, er legte sich ins Schilf und wollte das Wasser austrinken. Die Mütze lief indes immer wieder voll. Noch manchen Unholden gab der Fuchs Bescheid, und er sah gern, nun ihm selbst der Spaß verdorben war, wie viele Leute sich vergeblich bemühten.Aber die rechte Freude hat der Bösewicht nicht daran gefunden. Er ärgert sich gar zu sehr, daß er in jener einen Nacht nicht aufgepaßt hat, und daß es zwei andere gibt, die sich an seiner schönen Diebesbeute vergnügen.
Der Teufel fängt sich selbst
Ein alter, weiser Hund hatte einmal eine Mühle geerbt und verlebte da zufrieden und glücklich seine Tage. Er war gegen jedermann hilfreich und freundlich, tat viel Gutes und sammelte auch einige Freunde um sich, die ihm seine Muße teilen halfen.
Da war zum Beispiel der Dachs, der als Schneidergeselle von Heide zu Heide zog und jedes Jahr für einige Tage bei dem Hund hauste, bis er ihm einen neuen Rock zurechtgeschnitten hatte. Der Hase, der in der Frühe die Post brachte, blieb meist gleich bis zum Frühstück, sogar Biber und Schildkröte aus dem Mühlenwehr wohnten bei ihm, und ein alter Bock hatte sich so sehr mit dem Müller angefreundet, daß man die beiden kaum noch anders als mit der Pfeife im Mund auf der Bank sitzen und über dieses und jenes beratschlagen sah.
Eines Tages kam nun auch eine Henne des Wegs; sie hatte sich von
ihrem Hof, wo sie in jedem Frühling einen Satz Eier ausbrütete, verirrt und war sehr unglücklich und einsam.Als sie das schöne Schild "Fremdenheim zur Mühle"sah, bat sie, sich einige Zeit erholen zu dürfen.
Der alte Hund nickte, nahm höflich seine Pfeife aus dem Mund, ließ sich erzählen, wie es der armen Verirrten ergangen war, und forderte sie auf, das gemeinsame Mahl zu teilen. Die Henne folgte der Einladung gern. Aber wie es leicht geschieht, sie fühlte sich ein wenig fremd bei den hagestolzen Herren, sprach zuviel von sich selbst und verdarb dadurch sich und den Gästen die Laune. Der Herbergswirt merkte es, er war indes ein gutmütiger Kerl und meinte, das würde sich schon ändern.
Die Henne hatte auch bald Grund zur Beschwer. Als das Wetter immer schöner wurde und die Herren sich noch einmal recht jugendlich fühlten, setzten sich, wie sie es zu tun pflegten, ohne Kock und Weste an den Mühlenweiher. Dem neuen Gast gefiel es schlecht, und es gehörte sich wohl auch nicht. Der warme Himmel hat aber für die Henne sein Gutes gebracht. Mitten in die gelehrten Gespräche ist ihr einmal ein sonderbares Wort eingeflossen. "Gackgack.
"Wie bitte? sagte der kleine Hase und lachte.
Die Henne wollte ärgerlich tun. "Was wünschen Sie, Herr", fragte sie gereizt. "Worüber lachen Sie? —Gackgack!" mußte sie hinzufügen. Und es ist sie noch am gleichen Nchmittag überkommen, daß sie sich draußen im Torfkorb ein Mess hat ausscharren und mit wiederholtem Gackern ein wunderschönes weißes Ei hat ankünden müssen.
Die Geschichte mit der Kakelei und ihrem Voran und Hinterher ist der Henne noch drei- oder viermal zugestoßen, meist bei der gemeinsamen Mittagstafel. Die Gäste haben die Hand vor den Mund gehalten, und der Herbergswirt hat laut über seine Reisen zu erzählen begonnen. Nur der Hase hat mit einem Knippauge die Neue so lange angegrinst — gagagagack —, bis sie den Tisch der alten Junggesellen verließ.
Wider Sitte und Notwendigkeit soll niemand streiten. Aus dem ersten Kakeln ist allmählich ein sanfteres Zureden geworden, die Henne hat eine
mütterliche Liebe zu ihren weißen Eiern bekommen, und eines Abends ist sie, statt ihre schöne Kammer aufzusuchen, die ganze .Nacht im Torfnest geblieben.Das gab nun wieder allerhand Bedenken bei den weisen Herren. Einige Gäste, die es gut mit ihr meinten, haben lächelnd untereinander beraten, wie man der Frau die Zwecklosigkeit ihrer treuen Sorge beibringen könnte. Und der alte Hund hat sie so nebenbei gefragt, wo der Herr Gemahl denn sei und wie der sich freuen würde, wenn er sie so fleißig sich üben sähe.
Die Brütende hat den Kopf abgewandt, sie wußte wohl, worauf der Nachbar hinauswollte. Aber Hennen glauben ja an Wunder, wenn sie nur auf Eiern sitzen.
Es ist denn auch ein Tag nach dem andern vergangen, eine Woche um die andere. Endlich sogar der armen Glucke das Brüten überständig erschienen, sie hat ein Ei angeblickt. Da war es faul. Sie hat deshalb das nächste aufgetan, das hat arg gerochen, aber ein Kücken war nicht dabei. Da ist sie zornig geworden, hat alles zerhackt und zertreten, und es ist nur schlimme Luft herausgefahren.
"Dor Belp de Düwel", hat sie gewünscht, so ärgerlich war sie.
Kaum hatte sie das gesagt, kam ein fürnehmer Hahnemann aus dem Busch angestelzt, — ihr könnt euch denken, wer es war, inan nennt den Namen nicht gern. Der Fremde hat aber solch prachtvolles Gewand angehabt und war so freundlich gegen die Glucke, sie hat zu allem nur ja zu sagen brauchen. Sie hat es auch nicht lassen können, sich bald mit dem neuen Bräutigam zu zeigen, und ist mit ihm in der .Mühle zu Tisch gekommen. Die Gäste haben sich besorgt angesehen, und der kleine Hase ist sofort durch das Fenster ausgerissen. Zu den anderen ist der Fremde leutselig gewesen, hat sich einen ganz alten Namen gegeben und die Herren gebeten, seine Freunde zu werden. Und als sie, wie es nun einmal üblich war, nach dem Mittagessen die Röcke auszogen und ihre Angeln im Mühlenteich auswarfen, hat auch er sein prächtiges Hahnenkleid ein wenig längs des Weges gebreitet.
Aber der Schlimme hat, ehe er den Rock niederlegte, einen bösen Wunsch hineingesprochen. Er wußte, daß, wer auch vorbeikam, Mensch oder Tier, sich das Ding am Weg anschauen und die Augen dran ausgucken mußte, so golden und edelsteinübernäht hat es ausgesehen. Immer jedoch, wenn jemand es nur eben hat anproben wollen, weil es doch herrenlos schien, war er schon dem Bösen verfallen und ist mit Feuer an allen Gliedern schnurstracks in die Tiefe hinuntergefahren. Der Kock aber hat gleich wieder dagelegen, sein Herr hat von neuem einen Spruch hineingemurmelt, und dem nächsten Besucher ist es nicht besser ergangen.
Die Glucke hat's gemerkt und bittersüß gelächelt; ihr ist der Gemahl unheimlich big ins Herz gewesen, und doch hat sie ihren Stolz vor den Leuten und das Gefallen an seinem schönen Tuch nicht bändigen können. —
Eines Nachmittags aber ist wie alljährlich Grimbart der Dachs die Straße gekommen, um sich bei seinem Vetter vom Wandern ein wenig zu erholen und ihm zum Dank einen neuen Kock zu schneidern. Auch er sieht die Hahnenjacke auf dem Weg liegen, sie ist so herrlich, daß er gleich davor stehenbleibt. Aber er ist ein Mann vom Fach. Er hebt das Zeug auf und besieht es sich von allen Seiten. Der Böse meint schon, daß er wieder jemand in seiner Falle hat. Aber der Dachs zieht das Wams nicht an, runzelt nur die Stirn. Sonderbarer Schnitt, denkt er, möcht' doch mal wissen, was für ein Kerl hineingehört.
Der Düwel ist enttäuscht, gerade den Dachs könnte er da unten brauchen und hätte ihn gern eingefangen. Er geht also wie von ungefähr bei ihm entlang.
"Ach, meine alte Jacke", sagt er leutselig, "gefällt sie Ihm, Schneidergesell?" "Das ist gewiß ein schönes Stück", knurrt Grimbart ehrlich.
"Ich bin ihrer leid", lächelt der Böse großmütig, "behalt Er sie nur, wenn Er will!
Der Dachs wendet das Ding noch einmal nach außen und innen und ärgert sich über den Protz, der solche Jacken verschenkt. Umsonst nähme er nichts, murrt er endlich, und dergleichen könnte er sich auch selbst schneidern.
"Fein!" sagt der Locker, — er möchte ja, daß der Dachs das Mama überzöge. "Fein, solchen Schneider brauche ich gerade. Da muß Er mir eine neue Jacke nähen, als Lohn kriegt Er die alte.
Im Handumdrehen hat der Böse die prächtigsten Federn und Tuche für den zweiten Rock bereit und reicht sie dem Dachs.
Sonderbar! denkt Grimbart wieder — er ist eins der mißtrauischsten Wesen, die es gibt —, warum soll ich durchaus das Zeug behalten? Auch tut es ihm leid um die herrlichen Sachen für solchen Geck. Immerhin nimmt er beides, alte Jacke und neues Tuch, über den Arm und setzt sich in der Mühle auf seinen Schneidertisch. Und er tut, als wenn er drei Stunden lang nichts als zu nähen, zu prünen und zu säumen hätte. Am Ende aber hat der Schlingel all die schönen Federn und das feine Tuch des Bösen unter den Tisch fallen lassen und hat nur den Rock aufgeputzt und das Futter gekehrt. Er denkt, solch Ding sei für diesen Fremden immer noch gut genug.
Wie es nun dämmerig wird, tut Grimbart, als habe er die neue Jacke fertig. Ob der Herr jetzt einmal anproben wolle, ruft er aus dem Fenster. Der Böse kommt nickend und lächelnd zu Schneider Dachs, er schiebt das Becken schon nach hinten für das neue Hahnenkleid. Grimbart aber legt ihm das alte Wams über, das noch den Spruch vom höllischen Feuer trägt. Und er streicht dem Fremden den Rock so recht eng an den Leib.
Nun, Bellhorn gefällt s erst herrlich, er redet von vereinbartem Lohn und denkt, jetzt werde Grimbart so eitel sein und bald das andere Wams einmal überwerfen. Auch die Glucke steht dabei und findet ihren Bräutigam schöner als je. Und alle Tiere müssen kommen und zusehen. Aber nach einer Weile wird der Rock selbst für den Bösen verwünscht heiß. Und noch etwas später beginnt er an der Jacke zu rücken und zu zerren und hüpft und kriegt Glotzaugen und wedelt mit dein Schwanz gegen die Hitze. Und, heia, jetzt tanzt er, daß die Gäste ängstlich verziehen, und, hoho, da brüllt er und schnaubt etwas von Verrat, und, huihui, da rast er mit glühenden Lichtern an den Wänden entlang, fletscht die Zähne wie Schwefelzapfen und will dem Dachs an die Kehle, Aber ehe es soweit kommt, kann er das
Die arme Glucke hat erst viel Kummer gehabt, sie hat die Flügel geschwungen und ist jammernd am Ufer auf und ab gelaufen. Aber die alten Herren, die mehr von Gut und Böse verstehen als ein einfältiges Weibsbild, haben dem Dachs Glück gewünscht. Sie haben am Abend einen großen Umtrunk gehalten vor Freude, daß sie den unheimlichen Gast wieder loswaren, und schließlich haben sie sogar die trauernde Glucke geholt und ihr gut zugeredet und einen neuen Mann versprochen. Da hat sie sich besonnen und vor Rührung mit jedermann einen Tanz über Tische und Stühle versucht.
Geschichte eines Zahnwehs
Gegen Abend bekam der große Riese Grindel noch einmal solch furchtbaren Zorn auf die Menschen, er nahm, was immer er mit den Fäusten erraffen konnte, und schleuderte es gegen die Stadt Hamburg, Feldsteine, Büsche und Hände voll Torf und Dreck und Sandheide. Und alles, was gerade in Baum und Gestrüpp saß, flog mit über die Wälle. Auch der kleine Stackel, ein Unterirdischer, der just zwischen handhohem Bärlapp und Heidekraut seinen Spaziergang gemacht hatte, sauste in gewaltigem Bogen zur Stadt hinüber.
Glücklicherweise kam Stackel ziemlich weich nieder; als er so in der Gegend der Trostbrücke die Erde erreichte, geriet ihm ein Brocken Torfmull unter den Sitz, das rettete ihn. Aber selbst für solch hornhäukigen Unterirdischen ist eine Luftfahrt nicht ohne Verdruß, und das Überkopf- fliegen kann seekrank und die Ohren brausen machen.
Stackel erholte sich trotzdem rasch von seinem Schreck. Wenn jemand mit gesundem Verstand aus einem warmen Heideloch urplötzlich in eine große Stadt gewirbelt wird, so gibt es, das könnt ihr verstehen, so viel zu sehen, daß Mund und Augen eine Weile nicht mehr zugehen wollen. All die Speicher mit den Pugen und kleinen Wölterken! All die Löcher zwischen den Ziegeln, die voll von verdutzten Wichtgesichtern waren, und all diese ungeheuren, schwerfüßigen Menschen, welche die Straße herauf und hinab trabten, —oh, Stackel aus der Heide hatte so viel zu sehen, er wurde vor lauter Staunen wieder gesund.
Ein Hund, der neben einem alten Bettelmann stand, witterte den kleinen Sandheider als erster. Er war einst von draußen gekommen, war sogar im gleichen Dorf geboren, beschnupperte den Unterirdischen und erkannte zu seiner Freude jemand, mit dem er früher gespielt hatte.
"Was treibst du hier denn?" fragte er.
"Das weiß ich eigentlich selbst nicht, aber es ist ein Glück, daß ich gleich Bekanntschaft finde", antwortete Stackel. "Und was machst du in der großen Stadt?
"Man bettelt sich sein Brot zusammen", sagte der Hund trübe und hob die Pfote zu einem Vorübergehenden auf. "Aber die Menschen werden schlecht und geizig", fügte er hinzu, als der Fremde vorbeieilte, ohne ihn zu sehen.
Der Bettelmann hatte, als der Hund den Fuß hob, auf seiner Flöte ein trauriges Lied zu spielen begonnen. Niemand hörte indes auf ihn. Der kleine Sandheider bekam deshalb rechtes Mitleid; er begriff, um was es bei seinen Freunden ging. "Hättet ihr nur eine Pfeife", meinte er, "so eine Zauberpfeife, nach der jedermann tanzen muß, da würdet ihr besser verdienen!"
"Solche Pfeifen gibt es gar nicht", antwortete der Bettler, "ich merke schon, du willst dich über uns lustig machen." Und der alte Wann zog sein Tier an den Zotten und schritt weiter, und der Hund mußte ihm folgen.
Aber der Sandheider hatte sich gar nicht lustig machen wollen; er war traurig, daß die beiden ihn mißverstanden, und hätte ihnen gern eine jener guten Zauberpfeifen besorgt, wie er sie hier oder da einmal gehört hatte.
Nun brachte der Zufall es mit sich, daß einige Straßen weiter, jenseits der Slamatjenbrücke, der Schneider Snied Snitters mit seiner unholden Wirtschafterin wohnte — ihr kennt ihn wohl, es ein alter geiziger Kerl, der, so reich er ist, doch immer an unredlichem Tuch verdienen will —, und es fügte sich, daß dieser Snied Snitters an jenem Tag gerade in Not geraten war. Er hatte für einen Nies Puk aus der Nchbarschaft einen Kock machen sollen und hatte so viel Tuch für sich oder seine Haushälterin abgeschnitten, wie er beim Menschenmaß zu tun pflegte. Darüber war das Wams nun zu klein geworden, und der Knirps, der sich doch nur alle hundert Jahr einen Rock bestellt, bedrohte ihn furchtbar und tanzte in seiner Wut von einem Fuß auf den andern.
"Du kannst mein Haus durchsuchen", verteidigte sich Snied Snitters und machte sein einfältigstes Gesicht. "Ich schwöre dir bei meinem schlimmen Zahn, ich habe kein übrig" — der Zahn blieb ihm nicht mehr lange, der Betrüger wagte schon etwas darauf.
Aber der arme Kunde war außer sich vor Zorn und nahm es wahr, daß der Schneider sich verschwor. "So gewiß du lügst, Snied Snitters", schrie er, "so gewiß soll alles vor deinem Zahn zu tanzen anfangen, wie ich hier getanzt habe."Im nächsten Augenblick war der Knirps mit rollenden Augen verschwunden.
Dem Meister wurde leichter zumut, als er den schlimmen Mahner nicht mehr vor sich sah. Er atmete auf — dabei kam ihm aber auf einmal ein kleiner Tanzlaut von den Lippen, so schön, daß sein alter Kater die Beine heben und sich dazu drehen mußte.
Snied Snitters dachte erschrocken an den bösen Wunsch des Besuchers, er konnte nicht glauben, daß der liebe Gott das Wort eines solch winzigen Unholds erfüllen würde. Aber als er gleich darauf ein wenig hustete, blies er wieder über den schlimmen Zahn, und schon fingen Tisch und Stuhl wackelnd zu tanzen an. Hilfe, dachte der Meister, schnaufte ängstlich durch die Nase und setzte sich auf den nächsten Stuhl, um nachzugrübeln.
Nun war Snied Snitters schon in ärgeren Lagen als dieser gewesen, Er verlor den Mut nicht, legte beide Zeigefinger ans Kinn und über: legte, wie er den Zauber wieder loswerden könnte. Ihm fiel indes nichts Rechtes ein, und er wollte schon seine schlimme Wirtschafterin um Rat bitten.
In dem Augenblick kam der kleine Unterirdische, der dem Hund und dem Bettler folgte, an seinem Fenster entlang; Snied Snitters winkte ihn rasch zur Tür herein, er kannte ja die meisten aus dem winzigen Volk drinnen und draußen. "Stackel", stöhnte er, hob die Arme und lächelte über den tanzenden Kater. "Stackel, willst du mir einen Zahn ziehen?
Wenn du es durchaus möchtest, kann ich dir einen Zahn ziehen", sagte der Knirps und wunderte sich über den Empfang, "aber willst du mir nicht Verraten warum?
Der Schneider schüttelte den Kopf, holte einen Gulden aus der Westentasche und rollte ihn wortlos hin und her.
"Meinetwegen", sagte Stackel zögernd. Da half Snied Snitters ihm auf den Tisch, legte eine Zange bereit, schob das Kinn auf die Kante und deutete verzweifelt auf seinen Mund.
Was wohnen doch für sonderbare Menschen in der Stadt, dachte Stackel; dann versuchte er sich mit beiden Händen und setzte an.
"Los", flehte Snied Snitters, er wollte nicht, daß noch ein anderer von der Geschichte erfuhr.
Im Augenblick aber, wo der Schneider "los" gesagt hatte, mußte Stackel sich zum Tanz drehen, und das geschah mit solcher Gewalt, daß er wahrhaftig den Zahn über die Schulter mit sich riß. Snied Snitters tat einen Schrei, dann war es vorüber, und er begann zu grinsen vor lauter Behagen, daß er den betrogenen Kunden mit seinem Wunsch übertölpelt hatte.
Nun er die Angst los war, wollte der Schneider sich das Wunder auch einmal besehen. Aber der kleine Stackel hatte seine eigene Meinung über den sonderbaren Tanzzahn; er hielt ihn mit beiden Fäusten fest, und als Snied Snitters danach greifen wollte, blies er rasch darüber hin, so daß der Schneider gleich rund um den Tisch wirbelte. Gerade solch Ding, wie mein alter Freund nötig hat, dachte Stackel zufrieden, nahm die Beute unter den Arm und kletterte, wie dieses Volk nur klettern kann, blitzschnell über den Stuhl hinab und zum Fenster hinaus.
Snied Snitters hatte indes auch begriffen, daß der verwunschene Zahn etwas Wichtiges war; er lief rasch hinterdrein und wollte dem Knirps seinen Gewinn wieder abnehmen. Aber immer, wenn er ihn beinah zu fassen hatte, blies der Kleine auf einer Zahnkante, und der Schneider und alle Leute auf der Straße warfen die Arme in die Luft und mußten sich einen Augenblick um sich selbst drehen.
Trotzdem, der Sandheider hatte nur kurze Beine, und es war noch nicht sicher, wie die Sache für ihn ausgehen würde. Aber als er mit der schweren Beute schon schier außer Altem war, sah er, um eine
Ecke rennend, den Gichtbrüchigen und seinen Hund auf sich zutappen. Flink lief er den beiden entgegen und versteckte sich in der großen buschigen Rute seines Freundes.Auch Snied Snitters kam gleich danach, er klapperte die Straße ab, jammerte und bat alle Leute, doch nach seinem Zahn zu suchen, der ihm gestohlen sei. Aber sie lachten nur über den alten Geizhals, der sogar am Gebiß sparen wollte.
Während sich unser Sandheider nun noch verschnaufte, zogen der Hund und der Bettelmann die Straße entlang, ohne etwas Rechtes einzunehmen. Sie kamen dabei auch vor ein großes Fährhaus und wollten dort vor der Tür spielen. Aber nur wenige ente achteten auf sie.
Inzwischen merkte Stackel, daß Snied Snitters ihn wohl verloren hatte. Er hob vorsichtig den Kopf auf, um zu sehen, ob sein Feind: noch in der Nähe sei. Die Luft war rein, dünkte ihn; er kroch dem Hund also aus dem Pelz heraus. "Du pfeifst schlecht", sagte der Knirps zum Bettler, "deshalb nimmst du auch nichts ein." Und er legte Snied Snitters Zahn an die Lippen und begann zu blasen.
Hui, da fuhren die Menschen in die Höh! Der dicke Pförtner, der die Spielleute gerade verjagen wollte, wirbelte gleich auf einem Bein, alle Fahrer sprangen vom Bock und hüpften um ihre Wagen, solche Musik hatte man lange nicht mehr gehabt. "Wir wollen getrost hineingehen", sagte Stackel und setzte sich dem Hund zwischen die Ohren, "man wird mehr hören wollen.
Was für eine Verwunderung gab es, als der halbblinde Hund mit dem Bettelmann und einem winzigen Wicht in den vornehmen Fährhausgarten eintrat. Die Kellner rannten gleich, wehten mit ihren Tüchern und wollten die drei hinausscheuchen. Stackel lachte und blies ein wenig, da fingen die Fräcke zu hüpfen an, und alle Leute standen von den Stühlen auf, um zu sehen, was los wäre. Auch der riesige Hausknecht hörte von der Unordnung und kam zwischen den Tischen herbei. Er hatte eine barsche Stimme, und der alte Bettelmann suchte ängstlich den Ausgang. Aber Stackel blies einen Triller,
und der dicke Mann lächelte und hob die Hacken. Und die Gäste, die noch auf den Stühlen saßen, rutschten hin und her, und die, welche den Hals gereckt hatten, um zu sehen, was es gäbe, mußten mitsingen, so herrlich klang es aus der sonderbaren Pfeife.Alls sie merkten, daß ihnen nichts geschehen konnte, fanden die drei Leute Vergnügen an der Sache. Stackel blies wunderschön, und nicht nur die menschen, auch die großen Leuchter drehten sich bald in den Gehangen. Und die Wände wackelten, und alle Gäste, die im Fährhaus zusammengekommen waren, hopsten, schalten und lachten und konnten doch nicht aufhören; sogar der Bettler trampelte, und der Hund stand auf den Hinterbeinen. Da leitete Stackel die Freunde langsam zwischen den Tischen entlang, und der hüpfende Bettelmann hielt den Hut nach der rechten Seite und einen Teller nach der anderen. Die Groschen flogen nur so hinein.
Was wurde das für ein Abend! Immer mehr Leute versammelten sich; die Eulen und Raben, die in den Bäumen vorm Fährhaus saßen, fuhren nieder, und alle Frösche, die schon eingeschlafen waren, wachten auf und quakten von neuem. Danach ging es zur Pforte hinaus! Vier Straßenjungen liefen voran und riefen Hurra, in den Häusern öffneten sich die Fenster, begannen die Jungfern mit den Dienern zu walzen und die würdigen Bürger mit den Haustöchtern; sogar die Ratten kamen aus den Kellerlöchern, rannten quiekend zur Straße, und die Boote auf dem Fluß wandten den Bugspriet, um zuzuhören.
Und doch war das alles erst ein Anfang. Als der Zug auf den alten Marktplatz geriet, wurde es so arg, der hochebrwürdige Rat, der noch bis spät in den Abend unter dem hohen Turm tagte, mußte seine Sitzung unterbrechen; die Schreiber ließen Akten, Gesetze und Bürgschaften liegen und sprangen aus den Fenstern, um dabeizusein, aus Schenken, Wirtschaften und Gesellschaftshäusern aber strömte es und drehte sich und tanzte und jubelte wie ein wahrhaftiger Fastnachtszug.
Kein Mensch weiß auch, wie groß Glück und Unglück noch geworden wären, denn Snied Snitters Zahn gewann an Kraft, je mehr man darauf blies, und der kleine Stackel, der sich schon als König von Hamburg
fühlte, dachte gar nicht daran, die Gewalt ans den Händen zu geben. Viele alte Gemäuer hoben sich aus der Tiefe, die Bäume zogen die Wurzeln aus der Erde, und vom Hafen stiegen die Wasserfrauen auf und platschten und patschten sich zum Marktplatz.Wahrhaftig, niemand weiß, was daraus geworden wäre, wenn nicht Snied Snitters und seine böse Haushälterin eine schlimme List ausgeheckt hätten. Als die beiden, die noch immer nach dem kleinen Stackel suchten, nämlich das Geschrei und Gedränge und Tanzen vom Rathausmarkt hörten, dachten sie sich, daß der verlorene Zahn wohl dabei im Spiel sei. Sie liefen nach Haus, so rasch es ging, das unholde Weib mußte ihr Vogelgefieder anziehen, das sie unten in ihrer Truhe liegen harre, und Snied Snitters wies ihr den Weg dahin, wo Hund und Bettelmann und der kleine Stackel alle Welt tanzen ließen.
Und dann ist es geschehen, daß mitten im allerschönsten Lied eine große Ohreule niederstieß und den pfeifenden .Knirps mit seinem Zahn aufhob, um ihn nach Snied Snitters Kammer zu entführen.
Es ist aber doch nicht so leicht gegangen, wie der Schneider wohl gehofft hatte. Die Alte hat den Zwerg weder in ihr Haus tragen, noch ihm den hohlen Zahn abwünschen können. Der kleine Sandheider hat nämlich, als er von seiner Todfeindin in den .Klauen hochgehoben wurde, in seiner Angst aus Leibeskräften fortgefahren zu blasen, und die im Eulengefieder hat auch ihre Kreise in der Luft ziehen müssen. Dabei hat sie bald nicht mehr gewußt, wo sie den verwünschten Knirps und seine Pfeife absetzen sollte, hat am Ende weder Haus noch Baum unterscheiden können und ist schließlich taumelig und vielgeschüttelt über das Heidmoor gekommen, von dem aus der Riese Grindel den kleinen Stackel in die Stadt geschleudert hatte. Da hat die Eule endlich den Atem verloren, hat ihre Beute fallen lassen müssen, und der Knirps ist fast genau auf der gleichen Stelle gelandet, wo einst sein Loch gelegen hatte.
Was soll ich weiter erzählen? Snied Snitters hat seinen Zahn nicht wiederbekommen, das ist gewiß; wahrscheinlich wird der kleine Stackel ihn noch bei sich haben. Mitunter, wenn die Burschen und Mädchen draußen
vorm Tor der Stadt tanzen, werden sie so unvernünftig, als blies solch Knirps und kein echter Spielmann ihnen auf. Mir ist es selbst so ergangen, als ich jung war.
Der Kulenkröger soll seefahren lernen
Einmal hat es um das Roggenfeld am Rand des großen Oholzes schlecht gestanden. Das kam davon, daß die gütige Frau, die für die Saat sorgt und den Halmen Kraft gibt, daß die Roggenmuhme beim Kulenwirt gefangengehalten wurde.
Wie das geschehen konnte? Nun, der Arge hatte ihr eines Tages einen alten Fuchsbau gezeigt und ihr gesagt, wenn sie sich klein machen und eben hineinschlüpfen wollte, würde sie erfahren, warum das Land in diesem Sommer so trocken bliebe. Die Roggenfrau, die viel Sorgen um ihre Ernte hatte, folgte dem bösen Rat. Und sie fand, daß unter ihrem Acker der dicke unholde Wirt alle Quellen in seinen Krug abgeleitet hatte. Aber dann, als er es ihr gezeigt hatte, verschloß der Saufaus die Tür, hielt die Arme als Gefangene in seiner lehmigen Tiefe und verbot ihr, je wieder zum hellen Tageslicht aufzusteigen. Nun durfte sie mit Seufzen zusehen, wie das Quellwasser zum Bierbrauen gebraucht wurde und wie all das schöne Mss, das sie für den Acker nötig hatte, unnütz vergeudet wurde. Vergeblich hob die Frau die Hände, vergeblich flehte sie des Kulenwirts Gäste an, sie zu befreien, damit sie für ihr Roggenfeld und ihre vieltausend Ähren sorgen könnte. Die Lümmel lachten, wenn das arme Weib die Bitten aussprach, und taten, als gäbe es nichts Besseres auf der Welt, als unholden Gesellen tief unten im Kulenkrug zuzuhören.
Nun vernahm auch der Fuchs, der bei dem dicken Wirt zuweilen zum Kartenspielen kam, einmal die Klage der Roggenmuhme. Und der Schelm, der selbst so vielen anderen Schabernack zufügt, hatte vielleicht Mitleid mit der schönen sanften Frau. Mehr noch ärgerte ihn, daß der junge Roggen
nicht wuchs. Seine Welpen tummelten sich schon vorm Bau, und sein Weib wollte die Kinder ausführen. Er versuchte deshalb, als er einmal wieder bei den Karten saß, vernünftig mit dem Kröger zu reden. Aber der tat, als sei er auf beiden Ohren taub.
Da war noch ein anderer Gast, dem die Sache nicht gefiel. Der kleine Igel hatte das Gespräch angehört und dachte sich sein Teil. Obwohl er den Fuchs sonst nicht ausstehen konnte, stieß er ihn diesmal an und nickte ihm zu, während er gerade eine Karte auf den Tisch warf. Ich werde dir helfen, sollte das heißen. Dann brachten die beiden ihr Spiel zu Ende und standen auf, um sich, wie sie sagten, die Füße zu vertreten. Mor der Tür aber berieten sie, wie es mit der Gefangenen und mit dem Wasser fürs Roggenfeld werden sollte, und sie verabredeten miteinander, daß sie sich wieder begegnen wollten.
Nun ist der Kulenwirt, wenn es ihm auf dem eignen Hof langweilig wurde, zuweilen beim Nachbar Sandkerl zu Besuch gekommen. Er hat dann jedesmal die arme Roggenfrau in der Hinterstube eingesperrt, hat alle Zapfen fest zugedreht und ist seines Weges gegangen. Fuchs und Igel hörten eines Tages, wie er aufbrach, sie schlichen sich in die Tür des Krugs, und weil die Luft rein schien, machten sich die beiden daran — Reineke ist ein guter Baumeister —, das Wasser aufzufangen und es den alten Sickerweg zu sen
den, den es früher unterm Acker entlang gefunden hatte. Und die Roggenfrau dankte ihnen, und die Ähren auf dem Feld hoben sich auf. Als der Kulenkröger mit schwerem Kopf von seinem Nachbar zurückkam, ließen sie rasch den Quell wieder in seine Fässer rinnen.Der Alte hatte indes Unrat gewittert, er blieb einige Tage zu Haus und gab auf seinen Kram acht. Und draußen brannte die Sonne, und der Boden war so dürr, daß er zu Rissen aufsprang und die Halme nichts mehr galten.
Die zwei Bundesgenossen erdachten sich also einen neuen Plan. Eines Tages kam der Igel Stickelpickel im dunklen Rock, tat wie ein Prediger, pflanzte sich vor dem Kulenwirt auf und begann ihm ins Gewissen zu reden, er solle eine Pilgerfahrt machen. Wirklich hatte der Alte schon lange ein kohlschwarzes Gewissen und ließ sich die Sache durch den Kopf gehen. Aber als er das Grinsen der Gäste sah, schämte er sich seiner Reue, wollte von Umkehr nichts wissen und lachte den armen Stickelpickel aus. Auch kam gerade der Sandkerl in die Tür und lud den Kröger in sein Haus. Da sperrte der Unhold die schöne gefangene Roggenfrau wieder in seine Hinterstube, zog den Schlüssel ab und polterte zu seinem Freunde nach drüben. Und keiner konnte helfen; die Tür, die der Kulenkröger zuschloß, hielt dicht.
Währenddessen wurde es draußen auf dem Felde immer ärger, Fuchs und Igel hatten wirklich Sorge um Korn und Meh und auch um ihren eignen Winter. Was sollte nur werden, wenn die Mäuse ausstarben, wenn die Bauern die Hähne schlachteten und kein warmer Kuhstall dem kleinen Stickelpickel Quartier gab? Sie überlegten also wieder hin und her, und diesmal versuchte sich der Fuchs. Er kam eines Tages wie ein Gast von weiter Reise und trat mit ernstem Gesicht vor den bösen Kulenkröger. Ach und ach, jammerte er, und dem armen Bruder des Herrn Wirt zehntausend Schritt stromab ginge es so schlecht, schier zum Sterben. Zufällig sei er vorbeigekommen, da habe ihn der Kranke gleich als Boten gedungen. Es sei ja wegen des Erbes, das der Kulenkröger zu erwarten
Nun, diesmal spitzte der Alte die Ohren und wäre wohl gern der Einladung gefolgt. Zehntausend Schritt sind indes zu viel für einen so dicken Kerl, wie es der Kulenkröger ist, und Eisenbahnen sind in seinem Reich noch nicht erfunden. Er mußte Reineke also um Rat fragen.
"Mein Freund Stickelpickel und ich sind in der Seefahrt beschlagen", meinte der Fuchs. "Wie wär's, wenn wir den Fluß hinabführen?"
Es war nicht recht, den armen Igel zu nennen, der schon das Grauen kriegt, wenn die Leute nur vom Wasser reden. Vielleicht hatte der Fuchs auch schlimmere Pläne, als ich zu denken wage.
Stickelpickel war indes ein Held, weil er mit der schönen gefangenen Frau Roggenmuhme solch Mitleid hatte; er nickte zu allem, was Reineke vorbrachte.
"Wer soll uns aber ein Schiff leihen", stöhnte der Kulenkröger, "wo es doch so eilig ist und unsereins so wenig von Seefahrt versteht?
)er Fuchs schien zu überlegen. "Ich weiß einen alten Bottich", sagte er, "so ein halbes Faß, das trägt uns zu dritt. Wir wollen deine Matrosen sein und dich zu deinem Bruder fahren, Kulenwirt; du hast uns oft genug eingeladen, wenn unsere Taschen leer waren.
)er Kröger traute dem Fuchs — das soll kein kluger .Mann tun — und freute sich über die Dankbarkeit der Gäste. Er rechnete also nach, wie lange er wohl ausbleiben würde, sperrte die arme Roggenmuhme wieder in seine Hinterstube und gab ihr für eine Woche zu essen und zu trinken. Dann zog er seinen schwarzen Rock an und ging mit viel Seufzen und Stöhnen zu Fuß zum Schiff hinab. Es dauerte sehr lange; er und seine Art sind nicht gut auf den Beinen, und es war sicherlich richtig, daß der Fuchs vorgeschlagen hatte, statt weite Wege zu machen, in einem alten Faß zu fahren.
Nun war jener Bottich, der, wie Reineke wußte, in einer Bucht des Stroms angetrieben war, nicht gerade ein bequemes Schiff. Als der Fuchs die beiden Herren hinführte, sahen sie es sich mit viel Bedenken an. "Geht ihr zuerst hinein", sagte der Igel, "ich muß obenauf bleiben!"Gegen den Rat konnte niemand etwas einwenden; sollte der arme Kulenkröger
sich vielleicht auf Borsten und Stacheln setzen? Der Alte war trotzdem mißtrauisch. "Ich will wohl einsteigen", bemerkte er, "aber Reineke soll gleich mitkommen, sonst schwimme ich am Ende allein im Faß davon. Ich verstehe nun einmal nichts von der Seefahrt, auch wenn ich allerhand darüber gelesen habe."Kann geschehen sagte Reineke und sprang ihm auf die Schulter. Und als der Kulenkröger sich mit viel Stöhnen ins Faß wälzte, setzte er auf seine Knie. Anders konnte er es nicht machen, das sonderbare Schiff war gerade so groß, daß der Unhold mit seinem Sitz drin stak, Schuhe und Waden baumelten im Fluß; es war sehr drollig anzusehen.
"Bißchen Wasser gehört zu einer Seereise", tröstete der Fuchs. "Jetzt will ich dem Igel herüberhelfen!
Aber dem Kulenkröger war nicht wohl in dem halben Faß, er rutschte mit seinem Sitz tiefer und tiefer. Und weil er mißtrauisch war, wie es die Dicken leicht an sich haben, und ihm bei der Haltung der Atem knapp wurde, griff er nach Reineckes Rute. "Das möchtest du", schrie er. "Ich kann mich hier nicht rühren, und du haust ab!
Der Fuchs hatte schon an Land setzen und den Kulenwirt seinem Schicksal überlassen wollen. Jetzt hatte der Alte ihn in der Gewalt, das verdroß ihn. "Laß mich los", verlangte Reineke, "wie soll ich unser Schiff abstoßen, wenn du mich festhältst? Du darfst den Igel hereinholen, wenn du uns mißtraust!"
Dem armen .Kulenkröger wurde indes immer elender zumut; er konnte sich weder drehen noch wenden. "Was der Igel Stickelpickel macht, ist mir einerlei", sagte er, du hast mir versprochen, mich zu meinem Bruder fahren, und du sollst es zu Ende führen." Und er packte Reinekes rote Rute mit beiden Händen. "Du kannst mit den Vorderläufen abstoßen", riet er dem Fuchs. "Wenn ich dich festhalte, brauchst du dich nicht fürchten.
Nun, Reineke mußte gute Miene zum bösen Spiel machen. "Ich will's versuchen", sagte er. Und der Igel schaute grinsend vom Land aus zu, und eine alte Ziege, die sich die Sache ansah, meckerte vor Erstaunen.
"Beeil dich doch", jammerte der Kröger. Das Wasser schülpte über den Sonnenrand unter seinen Sitz, und das Wasser war kalt. Auch war der Igel frech, höhnte, ob er den Herren nicht fein genug sei, daß sie ihn nicht mitnehmen wollten, und dergleichen mehr.
Reineke tat wirklich, als gäbe er sein Letztes her. Er kratzte und blies und machte sich gewaltig zu schaffen. "Menu du mich nicht besser festhältst", rief er, "krieg ich das Boot nicht los; spei doch in die Hände, wenn du anders keine Kraft hast!
"Wart eben", sagte der Kulenkröger; ihm wurde immer erbärmlicher zumut, "wart, ich will sehen, ob es hilft." Und er tat, so rasch es ging, nach dem Rat, spitzte die Lippen und öffnete die Hände.
Im Augenblick aber, wo Reineke spürte, daß seine Rute frei wurde, war er schon an Land. Es war auch gerade so weit, das Faß löste sich, schaukelnd und drehend strudelte es mit der Strömung von dannen. )er Dicke erschrak sehr, er schrie und winkte; aber der Fuchs stand sicher am Ufer und hielt sich den Leib vor Schadenfreude, und der Igel Stickelpickel schlug sich auf die Knie und kriegte keine Luft vor Lachen. Nur die Ziege hatte Sorgen um den fremden Mann und meckerte.
Ich weiß nicht, wie der Kulenkröger bei seinem Bruder empfangen wurde. Ich vermute beinahe, daß mitleidige Leute sich seiner noch vorher angenommen und ihm heimgeholfen haben.
Es hat aber doch bis zum Herbst gedauert, big er seinen Krug wieder erreichte. Da sah es ja trostlos aus. Alle Quellen hatten über Sommer die Felder gespeist, und die Menschen hatten sich gefreut über die gute Ernte, Die Roggenmuhme war längst frei, der Unhold wagte gar nicht zu fragen, wer das wohl verschuldet hatte. Und seine Gäste hatten geglaubt, der Nachbar sei verstorben, und hatten Küche und Keller geleert. Wie sollte er da nicht traurig werden!
Der Kulenwirt hat indes den Mut nicht verloren. Er hat seinen Krug wieder aufgetan —ich bin jüngst aus Versehen beinahe hineingeraten. Ich meine aber, gute Hute sollten lieber bei der schönen Roggenmuhme zu Gast kommen als in dem schlimmen Keller unter der Erde.
Mumme Mules Wunschtag
Irgendein Tag im Frühling ist dazu ausersehen, daß alle Bettler und Armen ihre gerechten Wünsche aussprechen dürfen. Es der Tag, an dem auch die Unterirdischen, das kleine Volk aus der Tiefe, ein gleiches Recht haben. Und man erzählte sich, daß er um den Maien liegt.
Die Wichielleute wissen natürlich besser als unsereins damit Bescheid. Da war einmal ein sehr kluger Mann unter ihnen, der hatte die Menschen und zumal den alten Landstreicher Prachermann gern und lieg dem Freund sagen, er würde am Tag der gerechten Wünsche nach oben kommen und Weib und Kinder mitbringen, damit sie sich den Irdischen gleich am blauen Himmel ergötzten.
Er hieß also, als es soweit war, seine Frau sich schön machen, ließ sie die sieben Kinder bürsten und klopfen und kleiden, zog eine weiße Hose an, schnitt einen Stecken und kroch wahrhaftig in der Frühe mit den Seinen aus dem Heidberg, um Prachermann zu treffen. Der alte Bettler aber, der ihn erwarten sollte, hat in einem Graben die Zeit verschlafen, und darüber wäre beinahe ein Unglück geschehen, ich muß es euch erzählen!
Als der Unterirdische, Summe Mule hieß er, nämlich so seines Weges geht und den Freund straßauf, straßab vergeblich sucht, bekommt er Durst. kehrt deshalb in einer Wirtschaft ein, hebt, selbst kaum zwei Schuh hoch, Frau und Kind auf die Stühle und will mit dein Wirt ein Gespräch beginnen. Der erstaunt sehr über die neuen Gäste und möchte wissen, ob es an ihnen etwas zu verdienen gibt. Er nickt höflich, zieht die Kappe und fragt, auf wen der Herr warte.
Auf seinen Freund Prachermann, sagt Summe Mule treuherzig.
Nun ist der alte Landstreicher dem Wirt aber sehr wohl bekannt; Prachermann kriegt bei ihm nichts mehr zu trinken, und Mumme Mule hat es, sobald er den Namen nennt, mit dem dicken großen ,Mann ver dorben. Der Kröger wird unfreundlich, er forscht, woher man komme, und erkundigt sich sogar, ob der Gast denn auch zahlen werde, was er bestelle.
Die Frage erzürnt den Unterirdischen, er will gerade erbost weitergehen, da fängt die Gartenmusik an. Nun haben die Wichte ja zu nichts mehr Stift, als nach unseren Geigen zu tanzen. Krumme Mule tut also einen vergnügten Schleifer, er hebt Frau und Kinder von den Stühlen und will in den Tanzsaal. Es laufen aber nur einige kleine Mädchen herbei und schreien und fassen sich an den Händen und reigen im Kreis um ihn. Die großen Leute kümmern sich gar nicht um den Fremden, nur der dicke Kröger läßt ihn nicht aus den Augen. Da wird Mumme Mule sehr ärgerlich, ihm fällt ein, daß er seinen Wunschtag hat, er zaubert dem Wirt einen doppelten Bauch und allen schreienden Kindern und allen Leuten, die ohne ihn tanzen, eine zwiefache Nase an.Als der Knirps nun weiter seines Weges stapfte, kam ihm auf der Landstraße ein gelehrter Herr entgegen, der sich auch mit den Seinen im Grünen ergehen wollte und sich über die sonderbare Begegnung sehr verwunderte. Aber er war doch ein höflicher Mann, zog den Hut und fragte den Knirps nach dein Woher und Wohin. Ja, hat Mumme Mule gesagt und hat Vertrauen zu diesem Fremden gefaßt, er gehöre eigentlich zu den Unterirdischen. Er wolle jedoch auch einmal in der Sonne spazierengehen, weil es just ein Festtag der Menschen sei. Die Frauen haben sich währenddes hochmütig angeguckt, und die Kinder haben mit kleinen Steinen nach einander geworfen. Aber der Gelehrte und Mumme Sule haben vom Leben unter und über der Erde ein ernsthaftes Gespräch begonnen. Und Mumme Mule hat beweisen wollen, wieviel schöner und gleichmäßiger und gegen Frost und böses Wetter geschützt man doch in den Höhlen der Tiefe lebe, wieviel klüger überhaupt alles unter der Erde als über der Erde sei. Als er das aber sagte, hat der andere ihm solche Reden verwiesen, er hat zornig erklärt, daß der Mensch das Höchste aller Dinge sei und eine ewige Seele habe.
"Oho", hat Mumme Mule geantwortet, "wir leben solange wir wollen, ist das nicht besser?
Oho, hat der Gelehrte geeifert, die Unterirdischen hätten eben die Sehnsucht nicht, das hätte er gehört, und seinesgleichen sei jetzt schon so weit, hoch durch die Lüfte zu fliegen.
Ach, hat Mumme gesagt, das sei etwas Uraltes und längst erfunden, der Herr brauche nur einmal über sich zu schauen; das fliege zehnmal besser und von jung an als alles Menschengezücht.
Der Gelehrte hat das Kinn erstaunt nach oben gedreht, hat jedoch nur eine alte Krähe gesehen. Mumme Mule aber hat dem hochmütigen Kopf gewünscht, daß er stehenbliebe, wo er stand. Da hat der weise Herr, den Hals in die Luft gestreckt, seines Wegs laufen müssen.
Mumme Mule hat eigentlich genug von den Menschen gehabt, aber er hatte versprochen, den armen Prachermann zu besuchen. Er ist deshalb weiter die Straße fürbaß geschritten und ist an einen Platz gekommen, da war ein Zirkus aufgeschlagen. Die Leute haben natürlich gemeint, der kleine Mumme Mule und die Seinen gehörten dazu; auch der Besitzer des Zirkus ist der fremden Gäste gewahr geworden, er hat es sich nicht entgehen lassen, solch Volk, an dem er reich werden konnte, mit oder gegen dessen Willen einzufangen. Ja, der arge Kerl ist einfach auf Mumme Mule zugetreten, hat mit festem Griff seine Hand gepackt und gesagt, sie könnten gleich einen Vertrag miteinander machen. Dem Kleinen hat es fast den Altem genommen, weil der Lange so rasch ausschritt, und die Frau und die sieben Kinder haben nicht folgen können. Solche Behandlung hat Mumme Mule nun wieder so gekränkt, er hat dem Fremden im Laufen einen Riesenbuckel angewünscht, nur um etwas zu Atem zu kommen Da ist der Mann mitten auf dem Weg erbärmlich stehengeblieben und hat sich kaum auf den Beinen halten können.
"Frau", hat Mumme Mule erklärt, die Menschen gefallen mir nicht, wir wollen nach Haus.
"Hab ich's dir nicht schon immer gesagt?"hat die geantwortet. "Gehen wir nach Haus!"
Alls der Unterirdische nun seinen Weg durch die Heide trottete und noch allzeit viele Neugierige hinterdrein liefen und doch vorsichtig auswichen, weil es jedermann schlecht bekommen war, mit dem Kleinen zu verhandeln, da ist endlich auch der alte Landstreicher, den Rock zerrissen, einen Stock in der Hand und einen Riesensack auf dem Rücken, zu ihm gestoßen.
Prachermann hatte schwer zu tragen. Ach, der Arme hatte von den verzauberten Menschen gehört, iver vor ihm die Landstraße gewandert war. Und er hatte begriffen, wie es mit seiner verschlafenen Morgenstunde ausgegangen war. Da hatte ihm das Gewissen geschlagen, und
weil auch ihm an diesem Tag allerhand Wünsche zustanden, hat er sich ein Flickentuch erbeten und alle bösen Dinge, die Mumme Sule eben den Menschen angezaubert hatte, gegen ein kleines Trinkgeld in den Sack auf seinem Rücken gewünscht. Ja, als er nun zuletzt noch den armen Zirkusherrn bettelnd und weinend auf dem Weg stehen sah, hat er vor lauter Mitleid auch dem den Buckel abgenommen, obwohl seine Last davon fast zu schwer geworden ist. |
Dann erst hat Prachermann mit viel Mühe Mumme Mule einholen können, sie haben sich herzlich begrüßt, und der Kleine konnte prahlen, was alles er ausgerichtet. Dabei hat er auch wissen wollen, was der Freund auf dem Kücken trüge. Der Bettler hat gelächelt und einen alten Schlehenstrauch am Weg gerufen. Und er hat alle Dinge, eins nach dem andern, ausgepackt und dem Holz angewünscht. So hat der arme Busch erst einen Bauch gekriegt, danach einen Kopf im Genick und an die hundertzwanzig Nasen, die haben nadelscharf im Stamm gesessen. Endlich hat Prachermann den Buckel hervorgeholt, und Krumme Mule, der erst sehr böse sein wollte, hat über den Busch lachen müssen, so krüppelkrumm hat der ausgesehen. Dann sind Summe Sule und Prachermann und Frau und Kinder in ein schönes Kartoffelfeld gegangen, haben sich noch einmal alles von Anfang bis zu Ende erzählt und haben es sich bequem gemacht und eine warme Stunde in der Sonne liegen wollen.
Daraus ist jedoch nichts geworden. Die Menschen hatten, geschwätzig wie sie sind, die Obrigkeit von den wunderlichen Begebnissen unterrichtet, und die mit Zeugen gekommen, um zu erfahren, wer den Schabernack ausgeheckt hätte. Vor dem bunten Kock aber hatte Prachermann solch entsetzliche Angst, er hat nicht mehr daran gedacht, daß er doch seinen Wunschtag hatte, ihm ist nicht eingefallen, daß ihm der tapfere Summe Sule zur Seite stand, er hat mit einem Schreckensruf den Freund an der Hand gefaßt, hat Reißaus genommen und ist in das erste beste Fuchsloch eingefahren, Mumme Sule, Weib und sieben Kinder hinterdrein.
Und ich muß sagen, ich habe Prachermann big heute nur selten wiedergesehen. Immer geht er im Bogen an mir vorüber, wenn ich ihm einmal begegne, obschon er doch weiß, daß ich ihn gern aushorchen möchte. und vom alten Mumme .Mule, der sonst immer so freundlich mit uns Wen: schen war, habe ich auch seit jenem Maitag kein Wörtlein mehr gehört. Ich will mich morgen abend einmal vor den Fuchsbau legen, vielleicht läßt er sich wieder blicken.
Die Geschichte von den goldenen Pfändern
Da ist einmal ein Mädchen, Arneke, gewesen, das ist zu dem dicken Kulenkröger geraten, der sieben Schuh unter dem Heidberg seine unheimliche Schenke hat. Und es hat ihm die Geschichte von seinen zehn unholden Brautwerbern erzählen müssen. Ehe Arneke indes damit zu Ende war, haben sie und der Schneidergeselle den Wirt selbst betrogen, und zwar — aber ich will von Anfang an beginnen.
Da wohnte also einmal eine hübsche Dirn, Arneke mit Namen, in unserm Land, die hatte nicht Vater, nicht Mutter, nur einen alten Oheim, der sie aufgenommen hatte. Und sie wäre arm und verlassen gewesen, hätte sie nicht einen wackeren Schneidergesellen gekannt, der ihr von Herzen zugetan war. Aber der Bursch hat auf Wanderschaft müssen; er war ja noch jung und sollte sich die Welt ansehen, und Arneke blieb allein.
Als nun wieder eine Zeit vergangen war, ist auch der gute Mann, bei dem das Mädchen wohnte, eines Tages sehr krank geworden; es hat nicht lange gedauert, da hat er den Tod nahen fühlen, Er hat sich aber einer Verwandten erinnert und hat, obschon die als ein böses Weib galt, Arneke zu ihr gehen heißen, weil sie sonst niemand auf der Welt hatte. Immer nach Norden hinauf, mitten durch die große braune Besenheide, müsse sie laufen, hat er ihr anbefohlen.
So hat das Mädchen denn, als die Leute den Oheim begraben hatten, mutterseelenallein aus der Stadt wandern müssen, die Menschen hatten alle genug mit ihren Sorgen zu tun. Aber damit ihr Vertrauter, wenn er heimkehrte, den Weg finden und ihr folgen könnte, hat Arneke alle Zäune und Büsche, an denen sie entlang kam, kreuzweig mit kleinen Nadeln besteckt — die weiß einer vom Schneiderhandwerk leicht zu gewahren. So hat sie halb getröstet ihren Weg gesucht.
Nun ist die Alte, zu der sie geschickt war, ja eine böse Kupplerin gewesen, die sich wohl freute, solch junges Ding bei aufzunehmen, aber
nichts als Arges mit ihm im Sinn hatte. Schlimm ist es in ihrem Haus zugegangen, vielen unholden Freiern hat das Mädchen die Tür versperren müssen und vor andern sich nur mit List retten können.Schließlich, als die Jahre der Wanderschaft vorüber waren, ist aber auch der Schneidergeselle, dem Arneke sich versprochen hatte, in die große Stadt heimgekehrt. Als der nun seine Liebste nicht traf und die Nachbarn ihm erzählten, was inzwischen geschehen war, hat er rasch, wie's bei Schneidergesellen geht, Nadel und Faden wieder in den Ranzen gepackt, hat sich zu suchen aufgemacht, und, was glaubt ihr, er hat sich richtig in der großen Besenheide zurechtgefunden, ja bis nahe zur Hütte, in der sein Mädchen wohnte. Aber die arge Hexe hat gewittert, wer da käme, und weil sie ein schlimmes Gewissen hatte, ist sie dem Bursch mit ihren bösen Wünschen entgegengefahren. Und sie hat ihn erkannt, und was eben noch als fröhlicher Handwerksmann auf dem Weg zur Hütte war, hat mit einem Male gefangen als alter Holzbock in der Küche gestanden, gerade zwischen der Hexe und Arneke und zwischen einem Kochtopf, der von selbst brodelte, und einem abscheulichen greisgrauen Kater, der gleich sein Fell an dem neuen Gerät zu reiben begann.
Zur Nacht aber, als die Drut schlief, hat der Zauber wohl ein wenig nachgelassen. -)er Holzbock hat auf seinen drei Beinen zu wandern begonnen, hat sich vor Arnekes Kammertür zu strecken vermocht und so lange leise geklopft und seinen Namen genannt, big das Mädchen ihn hörte und erkannte. Da hat es ihn mit der List, die es der Alten abgelugt, rasch wie: der zum rechten Schneidergesell verwandelt.
Ihr könnt euch denken, in welche Freude die beiden über das Wiedersehen gerieten! Gleich beschlossen sie, sich aus dem Staub zu machen. Das Mädchen hat seinen Besen gerufen und, obschon dem Burschen sehr unheimlich zumute wurde, einen schönen Schimmel daraus zurechtgestrichen. Dann hat es den Liebsten aufsteigen lassen, ist hinterdreingesprungen und hat sich mit ihm auf den Weg begeben.
Im Morgengrauen aber, als über der wehenden Heide schon die Lerchen zu singen begannen, hat mit einem Male aller Wind und alles Lied
aufgehört; die beiden merkten, daß die Hexe ihnen auf den Fersen war. Da haben dem Schimmel zwei Steine in die Steigbügel geschoben, als seien sie's selbst, und haben ihn weitertraben lassen. Arneke wünschte sich und ihren Liebsten aber flugs in zwei Wacholdersträucher, die am Weg standen.Die Alte hat sie indes erkannt, und als ein Bauer daherkam, hat sie sich sichtbar gemacht und ihm geraten, die Büsche abzuschlagen, es könnte Gold darunter sein. Rasch hat das ,Mädchen einen Spruch gewußt, die Sträucher sind Flügel geworden, und die zwei Vertrauten sind als Schmetterlinge bis zum Kiegkulenrand geflattert. War aber gleich ein böser Vogel hinter ihnen drein, Arneke hat noch eben den Wassersegen über sich und den Liebsten gewünscht. Kaum waren die beiden nun als Tau ins braune Heidekraut niedergefallen, da ist ein Feuer von Busch zu Busch
geflogen und hat alles verzehrt; das Mädchen hat sich nicht anders zu helfen gewußt, es ist mit seinem Schatz in eine Schlangenhaut geschlüpft. Gerade zur rechten Zeit haben sie noch ein Loch gefunden und sind rasch niedergeglitten; in der Tiefe hatte die Hexe ja keine Gewalt über sie.Da unten aber hat auch das Schlangenkleid nicht mehr gegolten, und das Loch ist nichts anderes gewesen als ein Schornstein des alten Unholds, des unterirdischen Kulenkrögers. Die beiden sind also, je tiefer sie fielen, desto mehr wieder zu Menschen geworden und schließlich von oben durch den Schlot geradeswegs zu dem groben Wirt hinabgerutscht und kopfüber und in ihrer richtigen Gestalt in seine böse Schenke gepurzelt.
Nun, dergleichen hatte selbst dieser schlimme Nachbar selten erlebt; er jiepte wie ein Hund vor Zorn und Angst. Aber die Gäste, die bei ihm zum Trinken saßen, ein grauer Fuchs, eine Ohreule, der Marder, der dicke Metier Poggenschluck und viele andre arge Gesellen, haben über die Purzelei und über das verdutzte Schneidergesicht und über das erschrockene Mädchen ein Kiesengelächter begonnen und vor Vergnügen mit den Krügen auf den Tisch getrommelt.
Arneke und ihr Schneidergesell haben sich auch gleich wieder gesammelt, haben sich entschuldigt und eilig davonlaufen wollen. Der riesige Kulenkröger aber war so wild vor Zorn, er ist zur Tür getreten, hat seinen Zeigefinger in das Schlüsselloch gesteckt und das Schloß rasch umgedreht — das vermochte er ja. Dann hat er sein Messer gezogen und geschworen, die beiden Eindringlinge sogleich vom Leben zum Tode zu bringen.
Wie haben sich die zwei erschrocken!
Ob sie ihm nicht erst einen neuen Rock nähen sollten, hat das Mädchen in seiner Angst gebettelt, sie seien Schneidersleute.
)er Kulenkröger sah an seinen Lumpen herab. Ja, einen neuen Rock solle der Mann ihm noch machen, hat er geknurrt, dann gäbe es keine Gnade mehr. Flugs hat der arme Schneidergesell die Nadel aus dem Ränzel geholt. Aber erst müßten sie das Tuch weben, bat das Mädchen. Gui, das Tuch sollten sie auch noch weben, brummte der Kröger ungeduldig, danach sei es aus. Und den Faden müßten sie eben spinnen,
sagte Arneke, ohne den gehe es ja nun einmal nicht. Da hat der Alte gemerkt, daß es nur auf den Aufschub hinaus sollte, er hat die grünen Ohren hochgestellt und ist mit dem großen Messer schweigend zum Schleifstein getreten. Und hätte der Fuchs nicht verlangt, der Schneider müsse ihm um's Himmels willen erst die Schrotlöcher im Pelz flicken, und hätte die Eule nicht geheult, der Bursch solle ihr vor seinem Tod noch die Halskrause federn, es wäre mit den beiden wohl bald zum Schlimmsten gekommen.Aber bei solch guten Gästen hat selbst der arge Wirt mit seiner Bosheit warten müssen. Der Schneider hat sich also an den Fuchsrock machen dürfen, und Arneke hatte Zeit für ihre Listen gewonnen. Rasch hat sie den dicken Poggenschluck, das ist ja der Gauch aus der Wassertonne, heimlich gefragt, was sie um Gottes willen tun könne, um alles wiedergutzumachen.
Nun, hat der Alte geantwortet, am besten sei, wenn sie ihnen ein paar schöne Geschichten von ihrem letzten Schatz oder dergleichen bringe, sonst wisse er keinen Rat.
Kaum hörten die Gäste von dem Vorschlag, da haben sie alle zugleich Arneke beigestanden; mit solchem Erzählen kann man die Unholde nämlich am schnellsten gewinnen. Selbst der Kulenkröger ist lüstern geworden. Gut, hat er gesagt und mit beiden Daumen über das Messer gestrichen, solange die Jungfer schöne Geschichten zum besten gäbe, wolle er den Gefangenen das Leben lassen, aber keinen Augenblick länger.
Dann müsse sie auch ein Pfand dafür haben, verlangte Arneke, daß ihr und ihrem Schatz in der Zeit nichts geschähe.
Ja, schrien alle Gäste, das müsse man gewähren.
"Wag wille du denn zum Pfand?" fragte der Kulenkröger böse; es tat ihm leid, daß er etwas zugegeben hatte.
Nun, bei großen Herren gälten große Pfänder, antwortete die Jungfer. Wenn er zum Beispiel sein Ohr oder seine Hand oder den Zeigefinger dem Schneider reichte?
Das war nun ein sonderbares Verlangen, aber an Schätzen ist sonst nicht viel in solch alter Sandkule zu holen. So mußte der Kulenkröger
nachgeben; es fiel ihm gar nicht mal schwer, die Glieder wachsen bei diesen wässerigen Gesellen nach, er konnte die beiden immer noch um sein Wort betrügen.Er schielte also zum Schneidergesellen hinüber, um zu sehen, wie weit der mit dem Fuchspelz wäre, und setzte sich zu seiner Bequemlichkeit auf zwei Stühle zugleich.
"Aks!" quiekte er, da hatte der Poggenschluck, der die Geschichten nicht abwarten konnte, ihm schon sein grünes spitzes Ohr wie einen Zwiebelhals abgedreht.
Wächst ja nach, dachte der Kulenkröger.
"Och", grunzten die Gäste.
"Nun lebte der Unterirdische nicht gerade zum besten mit seiner Frau", fuhr die Erzählerin fort, "und das kam daher, daß der Mann sich ein Volk kleiner Wichte zu Kindern wünschte, die Frau indes nichts als lauter Welpen zur Welt brachte. Nur zu den Mahlzeiten vertrugen die beiden Eheleute sich gut. Die Füchsin hielt auf volle Tafel, viel besser als die unterirdischen Frauen, und der alte Wichtelmann war so sehr auf Leckerbissen bedacht und so gefräßig, daß sein armes Weib die Kinder bei Tisch wegschicken mußte; ihr Vater hätte ihnen am Ende etwas zuleide getan, er konnte keinen neben sich essen sehen.
Nun war es schon auf den Abend gegangen, als die Muhme das Mädchen zu dem Unterirdischen in Dienst gebracht hatte, und es lag dem
armen Ding auf dem Herzen, daß es einsam und verlassen im Baum wohnen mußte. Während es aber trüben Mutes durch den dünnen Spalt nach draußen blinzelte, kamen wahrhaftig fünf kleine Füchse angelaufen, das waren die Kinder des Wichtelmannes. Sie begannen, ohne von der Horcherin zu wissen, erst rund um die Wurzeln des Baumes zu scharren und zu kratzen und zu spielen, warfen dann in lustigem Eifer rasch und allesamt ihre rotbraunen Pelze ab und sprangen als kleine Unterirdische unter den Fuchsfellen hervor. So tanzten sie, Mädchen und Jungen, durcheinander. Und sie hüpften wie närrisch von einem Bein aufs andere und sangen dazu:Heemlich in de Schummerstünn Speelt de Kinner in de Sünn, Wenn dat Füür uns' Voßfell freet, Ach, wat weer't uns' Moder leed. |
Auf einmal aber schlüpften sie alle wieder in die roten Felle hinein. Der Vater kam vom Abendessen angestapft, und die Füchse taten sehr artig, standen höflich am Weg und schauten zu, wie der Alte spazierenging, immer hin und her, er hatte ja wie meist viel zuviel gegessen und wollte etwas Luft schöpfen.
Das Mädchen aber wußte Bescheid. ,Hör', rief es leise dem Wicht zu, als er am Baum vorüberwanderte, ,wenn du mir versprichst, daß ich wieder von dannen darf, dann verrat' ich dir ein Mittel, aus deinen Kindern lauter kleine Unterirdische zu machen, so wie du einer bist.
"Wenn du das kannst, bekommst du noch ein Goldlack dazu', brummte der Zwerg aufgeregt.
"Bring mir nachher, wenn du allein bist, einen Haselhaken', verlangte das Mädchen.
Das tat der Alte auch bald, er war sehr neugierig und hätte gar zu gern gewußt, was die Gefangene plante. Aber sie verriet kein Wort.
Andern Abends kamen die fünf Welpen wieder und schlüpften noch einmal vor Arnekes Baum aus den Fellen, um, während der Vater beim
Mahl war, in der Spätsonne zu spielen. Das Mädchen aber schob den Stock durch den Spalt und holte, eing nach dem andern, sorgfältig die roten Röckchen zu herein, sobald die Kleinen sie abgelegt hatten.Als dann Vater und Mutter nahten, um die Kinder zu besehen —ob, was für einen furchtbaren Schreck kriegte die Füchsin und wie hoch hüpfte der Wichtelmann: da zappelten fünf Unterirdische, anderthalb Schuh groß, im Gras und suchten vergeblich nach ihren Pelzröcken. Der Alte aber packte die Burschen gleich am Kinnbart und die Mädchen am Schopf, jagte die Mutter fort und brachte alle Kinder selbst ins Bett, nur damit sie sich nicht wieder verwuchsen.
Am späten Abend kam der Wichtelmann zu Arneke, horchte nach allen Seiten und öffnete schließlich den Baum. ,Bist du da?' fragte er.
Ja, hier bin ich', flüsterte das Mädchen und verbarg die fünf Fuchs: felle unter der Schürze.
Wie hast du das nur fertiggebracht?' wollte er wissen. ,Werden die Kinder nun auch immer bleiben, wie sie sind?
'Das brauche ich dir nicht zu verraten', entgegnete Arneke. ,Laß mich jetzt frei und denk an das, was du mir versprochen hast.
'Den Unterirdischen reute sein Mersprechen schon. ,Ich will dich morgen freilassen und dir den Lohn bringen', sagte er heimtückisch. ,Ich muß erst sehen, ob meinen Kleinen nicht über Nacht rote Röcke wachsen.
Ich will aber gleich fort antwortete das Mädchen. ,Wenn du dein Sori nicht hältst, sorge ich dafür, daß alle fünf wieder zu roten Füchsen werden.
Da öffnete der Alte ängstlich den Baum, aber er ließ Arneke noch nicht frei. ,Sag mir erst, was ich beginnen soll, damit die Kinder bleiben, wie sie sind.
"Müßtest ein Feuerchen anmachen', kam ihm zur Antwort, ,und keinen Fuchspelz übriglassen.
Das leuchtete dem Alten ein, flink drehte er sich auf einer Hacke, bis es wirklich unser seinem Fuß zu glimmen und zu flackern begann. ,Und wo sind die Socke nun? fragte er mit bösen Blicken.
Da warf das Mädchen den ersten über den Weg. ,Greif ihn', sagte es, 'sonst hat ihn die Füchsin!'
Der Wichtelmann, der in seiner Angst nicht wußte, was er tun sollte, Arneke festhalten oder das Fell holen, zappelte und hüpfte erbärmlich, aber er mußte die Gefangene wohl auf einen Augenblick freigeben. Ehe er jedoch den ersten Rock verbrannt hatte, zog das Mädchen den zweiten unter der Schürze hervor und schleuderte ihn hoch in die Zweige. Und bis der Alte den geholt und zum Feuer geschleppt hatte, lief sie schon, so rasch sie konnte, von dannen, warf den dritten Rock in die Farne und dann den vierten und fünften in den Erlenbruch oder ich weiß nicht wohin.
Und der Wicht, der vor Wut kreischte und doch immer erst nach den Fuchspelzen haschen und zum Feuer zurückrennen mußte, konnte das Wädchen nicht mehr einholen. Es war längst am Waldrand, ehe er mit seiner Arbeit fertig war.
"Glaube nur nicht, du dummes Ding", brummte der Kulenkröger, "glaube nur nicht, daß ich darüber lache, wie du die Leute betrügst.
"Gib mir dein andres Ohr zum Pfand, dann erzähle ich weiter.
"Käks!" sagte der Kulenkröger, der Fuchs hatte ihm schon das zweite Ohr abgedreht. "Blutet es?" fragte er noch, um sich wichtig zu machen. Aber es lief nichts als ein bißchen Wasser heraus.
Dieser Unhold ist nun eines Tages zu Arnekes böser Muhme gegangen und hat ihr viel Geld versprochen, wenn er das Mädchen zur Frau bekäme.
Der Gräber hat nun wie ein Bräutigam schöntun und zeigen wollen, was alles sein eigen sei und welche Nacht er hätte. Er hat Arneke deshalb noch abends spät in Haus und Garten umhergeführt; da waren viele Seelen, die für ihn arbeiteten, die Faulen mußten karren, die Geizigen Gold schaben, und den Frömmlern hat ein alter Kirchgeschworener eine Rede ohne Ende gehalten. Die Griesgrame und Schwermütigen aber haben Nacht für Nacht in ihrem Leichenhemd fiedeln und walzen müssen, und sie haben das Mädchen so traurig angeschaut, daß ihm das Herz vor Mitleid geschlagen hat.
Denn wenn auch keines Menschen Leben ohne Fehl bleibt, so greift doch dem lieben Gott vor, wer gleich dem Totengräber über die Verblichenen Gericht halten will.
Als der Unhold nun merkte, daß dem Mädchen seine Gerechtigkeit nicht gefiel, hat er sich von der andern Seite zeigen wollen. Und er hat girrend und lüstern erboten, es zu den Hollentöchtern zu bringen.
Die hausen auf einer Wiese, zu der sonst nur Eingang findet, wen sich die Frauen selbst zur Nacht zum Tanzen holen. Lustig soll es dort zugehen, der Mann tat sich etwas darauf zugute, daß er auch roider den Willen der schönen Mägde im Walde einen geheimen Weg zu ihnen wußte.
Aber während er Arneke noch davon erzählte und sie aus der Friedhofstür führte, hat das Mädchen flink sein Kränzlein zwischen Klinke und Pfosten fallen lassen; da ist ein Spalt offen geblieben, ohne daß der böse Gräber etwas merkte. Und die armen Seelen sind eine nach der andern rasch hinterdreingeschlüpft.
So haben die Toten auch den Pfad zur Hollerwiese gefunden; er führt über drei Stufen im dichtesten Wald, und es heißt, niemand gewinnt ihn,
der nicht beim erstenmal kreuz und quer über den Spann von vier großen Ziegenpilzen und dann eilig im Kreise um ein altes Ochsenhorn läuft, big es von selbst zu blasen beginnt.Aber der Friedhofsgräber kannte ja den Pfad, er ist vorangegangen und stand mit dem Mädchen Arneke auf einmal mitten in einem herrlichen singenden Wald. Der war so lieblich, wie ihn die Menschen niemals zu sehen bekommen.
Kleine Feuer hüpften an den Wegen, tausend leuchtende Bienen flogen von Wipfel zu Wipfel, und die Vögel spielten zum Tanze auf, es mußte jedermann in den Knien trillen. Am schönsten aber waren die Hollentöchter selbst, die hier zu dritt als Königinnen herrschten und mit vielen Mägden und Wiedewitten und mit kleinen Moosfrauen gekommen waren, um ihr Reich aufzurichten.
Das Mädchen hat viel zu sehen gekriegt, es hat sich dabei auch um: geschaut und gemerkt, daß die armen Seelen gleich ihm über die Stufen gefolgt waren. Und es wäre in seiner Furcht gern heimgelaufen, aber der Mann hat seine Hand festgehalten und immer nur die Tanzenden an: gestarrt. Darüber haben die Verfolgenden sich nähern können und haben geseufzt und gestaunt. Mit einem Male hat jedoch alles Singen und Pfeifen aufgehört, hat eine rothaarige Frau Hollentochter jäh vor den beiden Gästen gestanden und gefragt, wer sie seien.
Der Mann hat sich gebrüstet, er sei der und der und habe als Nachbar ein Recht, einzutreten — rasch sprach er auch einen Zauber, gegen den die schöne Frau sich nicht wehren konnte. Er hat sich beim Aufsagen seiner Worte jedoch einmal um sich selbst drehen müssen, hat dabei alle armen Seelen warten sehen und ist vor Schreck kaum mit dem Satz zu Ende gekommen.
Die Hollentochter aber hat gemerkt, daß etwas nicht im rechten war, und hat, klug wie sie war, auch die Gäste zu bleiben geladen.
Weil sie indes kein schönes Kleid trugen, hat sie den Seelen rasch den Wuchs der Waldreben geschenkt —blitzschnell haben sich um den argen Friedhofsgräber gewunden, um Halt zu finden. Da ist dem Bösen vor
seinen eignen Leuten unheimlich zumute geworden, er hat weglaufen und sich wehren wollen; es wuchsen aber so viele Ranken um ihn hin, sie haben ihm Knie und Brust und dann auch Hals und Augen umschlungen und mit den Händen sogar noch in die Baumwipfel gegriffen, nur damit den schlimmen Gesellen nicht wieder loslassen müssten.So ist es der Hollentochter gelungen, den Prahler einzufangen, ohne ihm etwas anzutun. Er wird wohl heute noch als arme Haut dastehen, wo die Toten ihn angewurzelt haben.
Mit dem Mädchen Arneke aber hat jeder Erbarmen gehabt. Die schöne Zauberin hat es nur einmal mitleidig berührt, das hat sich wie Feuer und Wind angefühlt. Dann ist die Jungfer im Flug über die Brücke und wieder bei den Menschen gewesen.
Aber der Kulenwirt kam ihm zuvor. "Was war das für ein dummer Kerl, von dem du da schnackst", hustete er, "hat vergessen die Tür zuzuschlagen! Bei mir kommt so was nicht vor, das sag ich euch. Ihr braucht euch gar keine Hoffnung zu machen.
"Die nächste Geschichte", verlangte der Poggenschluck und schlenkerte schon mit den Beinen vor Vergnügen.
"Ein Pfand", bat Arneke.
Ja, sie muß erst ein Pfand von dir haben, Kulenkröger!"grölten alle.
Knack! sagte es, dann hielt der Dicke dem Wädchen schon seinen linken kleinen Finger hin.
Sorgsam besah Arneke sich das Pfand von allen Seiten, wog es in der Hand und tat es zu den andern Dingen in die Schürze.
"Wag ist denn Besonderes daran?"polterte der Poggenschluck. "Meinst, daß der Finger aus Gold sei?
"Ich weiß, was ich weiß", sagte Arneke geheimnisvoll.
"Einmal", erzählte sie dann, "einmal brachen drei Drullekerle, das sind schlimme Wildemänner, in einen Hof ein, in dem wohnten zwei Bauern mit ihren Frauen. Und die argen Gäste erschlugen die Männer, taten sich an wie die Toten und überlisteten die armen Weiber. Aber der dritte Drull hat ja keines abbekommen.
Nun hatte gerade zu der Zeit die böse Muhme das Mädchen auch den Unholden zu Dienst angeboten, und weil die um einen Kock verlegen waren, schickten sie nach Arneke. Und die Alte sandte sie hinüber und sagte ihr nur, sie müsse sich unterwegs im Wald vorm Hilsenbusch wahren. Wer da hineingeriete oder auf die Wurzeln träte oder die roten Beeren pflücke oder sich gar ein Zweiglein an den Hut stecke, der könne sich schlimm verbrennen. Aber das Mädchen wußte, die Warnung galt nur für die Hexe und ihr unholdes Volk; den Menschen, die guten Mutes ihres Weges gehen, tut der schöne immergrüne Busch nichts an.
Als Arneke nun so in der Heimlichkeit eines tiefen Waldbruchs wanderte wo an fauligen Erdhügeln und bösem Brandmoos wohl zu erkennen war, daß hier mancher Unhold hatte enden müssen, da hörte sie auf einmal ein hohes jämmerliches Geschrei, und als sie hinzusprang, sah sie gerade noch, daß ein wildernder Hund davonlief, der hatte einen Bau der Unterirdischen aufgegraben. Ein Wichtelkindlein saß da sichtbarlich und greinte vor Schreck; das böse Tier hatte ihm die Kappe abgerissen.
Nun, das Mädchen hob das arme Ding erbarmend auf und kam auf die Weise gleich mit einem kleinen Balg auf den Hof. Aber die Wildemänner, die sie schon erwarteten, lachten über Arneke und ihr Mitleid, und auch der Wicht wollte nicht viel von ihr wissen und verlangte immer nur heim in seinen Busch.
Auf dem Hof hatte die Dirn sich bald umgesehen; sie merkte, daß die Drulle den Bauersfrauen die Augen wie im Schlaf halb zugeschlossen hatten, so daß sie die Toten nicht vermißten und den Wechsel nicht erkannten. Der jüngste der drei Unholde aber tat spitzbübisch freundlich, redete auf Arneke ein und sagte, zum Abend wollten sie alle ein Fest feiern,
und sie müsse mit ihm tanzen. Darüber geriet das Wädchen sehr in Furcht und sann nach, wie es sich der drei Bösen entledigen könnte.Es buk deshalb gleich zum Nchmittag ein großes Brot und rieb ein wenig von den Wurzeln des Hilsenbusches ins Mehl; es hoffte ja, die Bäuerinnen würden daraufhin innewerden, wen sie bei sich hätten. Die Unholde merkten den Betrug und schalten furchtbar, weil ihnen der Bissen schon im Munde zu springenden Fröschen wurde. Aber die Verzauberten traumlächelten, so sehr schliefen sie im Wachen.
Arneke wußte jetzt, daß es nicht leicht sein würde, mit den Wildemännern fertig zu werden; sie überlegte hin und her, was zu tun sei, und hatte noch keinen Entschluß gefaßt, als die drei schon schimpfend nach dem Apfelgärten liefen —sie wollten den schlimmen Geschmack der Frösche loswerden.
Nun waren die beiden ältesten aber um der jungen Arneke willen auf den jüngsten
Bruder neidisch und hielten ihm vor, er wolle die Schönste für sich allein haben. Sie bedrohten ihn sogar und vertrugen sich schließlich nur mühsam mit ihm. Während sie so miteinander redeten, warf das Mädchen heimlich die roten Beeren der Hilsenbüsche in die Apfeläste. Und als die drei die Bäume schüttelten, fielen ihnen lauter Feuerfunken vor die Füße und versengten sie. Da mußten sie schreiend von dannen und merkten, daß sie wieder überlistet waren. Aber sie waren nur um so mehr alle drei hinter der her, die ihnen den Schabernack antat.Arneke war schier am Verzagen; sie hatte nur noch einige Zweige des Hilsenbusches und wußte kaum, wie sie der schlimmen Brüder ledig werden sollte. Da hörte sie auf einmal den kleinen Unterirdischen in ihrer Kammer wie ein Hündlein winseln. Und als die Räuber sie heimlich und einer nach dem andern fragten, wo sie wohl zum Abend zu treffen wäre, sagte sie listig zu jedem: ,Oh, er, der mich liebhat, soll nur achtgeben! Ich werde ein Zweiglein tragen, das ist hell zu sehen, und wer mein Schatz werden will, mag ein gleiches tun und mir folgen.' Dann brach sie ein Reis des Hilsenbusches in drei Teile und legte jedem ein Teil unter seinen Tisch.
Danach ging sie in ihre Kammer, in der sie den Wicht eingeschlossen hatte, gab ihm zu essen und zu trinken und fragte ihn, ob er nicht bei ihr bleiben möchte. Aber er jammerte nur und wollte, obschon es Nacht wurde, durchaus zu den Seinen zurück. Da nähte sie ihm ein Käpplein, steckte ihm den letzten Hilsenzweig darauf und sagte, der werde ihm leuchten. Und weil er nun einmal nicht zu den Holden noch Irdischen gehörte, knisterte das Holz wirklich bald lichterloh. Dann ließ sie den Knirps laufen, er eilte wie ein Irrwisch und spornstreichs zu seiner Mutter in den Wald zurück.
Kaum hat der älteste der Drullekerle aber das flammende Zweiglein gesehen, hat er schon das seine aufgehoben, so arg es ihn brannte, und ist durch dick und dünn hinterdrein gerannt, durch den Busch und über alle Wurzeln. Er glaubte ja, er sei dem Mädchen auf der Spur. Und als der nächste Wildemann das Feuerlein sah, er auch das Reis in die Hand
genommen und hinterdrein. Und der jüngste erblickte das Licht gerade, als er vom Nachtmahl aus der Tür trat — er also auf, die Braut sollte keiner vor ihm schnappen.So sind alle drei Unholde hinter dem flinken kleinen Wichtelmann und geradeswegs in den Busch gelaufen. Und es ist keiner von ihnen wiedergekommen, so elend haben sie sich unter den feindlichen Hilfen verirrt.
Das Mädchen aber hat in Gemächlichkeit die armen Bäuerinnen wecken und danach in seine Hütte heimkehren können. Niemand hat es verfolgt.
"Das läßt sich hören", brummte der Kulenkröger, ihm sind alle Wildemänner über der Erde zuwider. "Aber glaub nur nicht, daß du dich mit solchen Geschichten losreden kannst." Er hob indes gleich die Hand auf und knickte sich den linken Mittelfinger ab — der Ringfinger fehlt ja bei diesen Unholden, sie haben ihre Daumen und danach drei dicke runzelige Stöpsel mit tintenschwarzen Nagelbetten. Nur ihr Zeigefinger ist etwas größer, das kommt davon, daß sie die Türen damit öffnen und schließen.
"Einmal", begann Arneke nun, "einmal hat das Mädchen, wie es so im Wald lief, auch ein Kindsei gefunden —ihr wißt doch, wie es damit zugeht?
Nein, warf der Fuchs ein, das sei gewiß wieder eine neue Heimtücke der Menschen.
"Hört nur: Wenn die jungen Mädchen beim Freien ,ja' zu ihrem Liebsten sagen und dabei einen schlimmen Gedanken haben, dann bringen sie neben einem weißen auch ein dunkles Kindlein zur Welt. Mitunter aber, wenn s nicht arg war, trägt das helle nur so etwas wie ein Krähenei in den Händen. Das muß man rasch austreten, es wächst sonst bald ein Mahrenbalg daraus.
"Gelogen!" brüllte der Poggenschluck.
Doch, solch Kindsei gäb's bestimmt, erwiderte Arneke, und was aus dem geworden sei, das sie gefunden habe, wolle sie gleich erzählen.
Einmal nämlich habe die böse Muhme sie einem blinden Riesen weit draußen hinterm Deich zur Frau geben wollen, obschon sie wußte, daß ihr
Liebster doch nur auf Wanderschaft war und jeden Tag heimkommen konnte. Das Mädchen hat 's aber daran gemerkt: Als es mit der Alten auf einer ihrer Bettelreisen war, auf einmal wurde es aus jedem Busch und von jedem Hasen mit einem Kränzlein begrüßt. Auch die Kupplerin redete süßlich von reichen Freiern, und Arneke nahm sich vor, die Augen gui offen zu halten.Endlich kamen die beiden auf ihrem Weg zu einem breiten versumpften Moorgraben, in dem lag ein Boot mit zwei Laternen. Kaum waren sie eingestiegen, ruderte es von selbst und immer schneller und schneller, erst durch die grüne Marsch, dann durchs Wattland und weit, weit, einen halben Tag wohl, über die silberne See.
Danach erreichten sie eine große Insel; ein alter blinder Riese wartete auf die beiden, und das Weib verlangte seinen Sohn. Aber der Riese sagte der Hexe, sie solle im Herbst zurückkommen, erst müsse Hochzeit sein. Dabei hat er über die beiden hinweggelacht, als kennte er die Zauberin und ihre Schliche.
Arneke hat wieder geweint, weil sie nun ganz allein mit dem Großen auf der Jnsel bleiben mußte. Denn wenn er auch ein guter Greisbart war, sie mußte doch immer nur an ihren armen Schneidergesellen denken. Als sie aber nachgrübelte, auf welche Weise sie entschlüpfen könnte, ist ihr das Hexenei eingefallen, und sie hat's nach einem Plan damit versucht.
Ohne ein freundliches oder böses Wort hat Arneke, als sei sie zum Dienst angenommen, begonnen, die Kammer zu kehren, das Vieh zu versorgen und das Gras zu mähen. Aber sie hat dabei das Ei immer unter der Achsel getragen, und eines Tages ist es geschehen, daß die Schale sprang und handgroß ein kleines schwarzes Mahrenkind ausgekrochen ist. Es ist jedoch stumm gewesen, das war ein Glück; denn der alte Riese hatte feine Ohren, es ist ihm fast nichts entgangen, was sich auf der Insel ereignete.
Alls nun der erste Monat ihres Dienstes zu Ende lief, ist der Graukopf zu dem Mädchen gekommen und hat gesagt, daß er mit ihm zufrieden sei. Seinetwegen könnten sie jetzt heiraten.
Oh, hat es geantwortet, das ginge aber doch nicht so rasch, da müßten sie erst ein schönes Brautbett bauen,
Das hat der Kiese eingesehen, er ist an den Deich getrottet, hat alle Eidervögel, die er von weitem kommen hörte, im Fluge gegriffen und hat das Mädchen mit feinen Fingern die Daunen auszupfen lassen. Viele Wochen hat das gewährt, man kann sich vorstellen, daß solch ein Hünen
Als das Brautbett nun fertig war; ,Wie ist es mit der Hochzeit? hat der Riese wieder gefragt.
Ja, aber wenn nun Besuch käme, müsse sie doch auch ein Brautkrönlein tragen, hat die Jungfer gesagt, was sollten die Leute sonst denken.
Das hat der Alte eingesehen; er in seine Schmiede gegangen, hat
selbst mit den Fingern ein Krönlein zurechtgebogen und das Mädchen geheißen, es immer im Mitternachtslicht mit einem feinen Hammer zu klopfen. Da würde es bald leuchten, daß man das Beißen in den Augen kriegte.Aber es hat wieder viel Zeit gedauert, manche Woche lang, und das Mahrenkind ist fast so groß wie ein Mensch gewesen, als der Riese zum drittenmal kam.
Wie es denn nun mit dem Heiraten sei, hat er wissen wollen.
Ach, meinte Arneke, die Gäste solle er nur schon laden, sie wolle währenddes einen Brautschleier spinnen, der gehöre doch auch dazu, und ihre Muhme habe ihn wohl vergessen.
Das ginge rasch, hat der Riese gesagt; immer wenn die Sonne im Bodennebel schiene, solle sie ein wenig davon zusammenharken, da hätte sie bald das schönste Gespinst, das man sich denken könne.
Da hat Arneke nun wirklich Furcht bekommen, und weil das Mahrenkind inzwischen just so groß wie sie selbst gewachsen war, hat sie's versucht und es in ihren eignen Kleidern eines Tages an des Riesen Tisch gesetzt. Der Schwarzen hat es gut gefallen, sie hat zugelangt wie nur eine.
Der Alte aber hat sich über die Einsilbigkeit seines Mädchens gewundert, wo es doch sonst immer höflich und ihm zu Gefallen geantwortet hatte. ,Das kommt, weil der Brautlauf so nahe ist', hat Arneke geflüstert; sie hatte sich hinter den beiden versteckt.
Endlich ist der Tag angebrochen, auf den die Hochzeit angesetzt war, viel Angst und Sorge hat er gebracht. Die Nacht vorher aber hatte Arneke Kreide gemahlen und davon auf die Zunge genommen, hat sich auch schon des Sorgens heiser geredet und sich als die alte Möhme ausgegeben, die gekommen sei, die Braut zu schmücken. Dann hat sie dem Mahrenkind Krone und Schleier übergeworfen und hat es, wie s bei dem Volk üblich ist, unter des Riesen Händen in die Kammer schlüpfen lassen, um das Fest zu erwarten.
Der Alte hat sich ja sehr auf die Hochzeit gefreut und den Kopf in den Bierbottich gesteckt, so wohl war ihm zumute. Schließlich aber, als die
Stunde der Gäste schlug, ist ihm das andere heisere Weib lästig geworden, und er hat es los sein wollen.Als Arneke deshalb alle Kammern gerichtet hatte und es an der Zeit war, das Fährboot auszusenden, hat er ihr, die er die Muhme hielt, einen Beutel Geld gegeben und hat gezeigt, wo der wundersame Kahn versteckt lag. Sie solle nur einsteigen, hat er gedrängt, sie würde schon richtig fahren, und die Gäste seien bestellt, die würden das Boot zurückbringen.
Das hat Arneke sich nicht zweimal raten lassen. Sie hat kaum atmen können, so rasch ist sie über die See gesaust. Und es ist auch an dem gewesen, daß, als sie zum Moorgraben kam, viele unholde Gäste für die Hochzeit bereitstanden und nicht abwarten konnten, an Bord zu springen. Ja, in dem argen Gedränge sind sie nicht gewahr geworden, daß zuletzt noch eine Hexe mitlief, die ihren Lohn holen wollte, und daß Arnecke, die doch im Boot herübergereist war, selbst die Heimfahrt vergaß.
Der alte Riese hat wirklich das Mahrenmädchen geheiratet und ist nicht unzufrieden mit ihm. Es sei nur ein Unglück, meint er, daß seine Frau seit der Hochzeit die Sprache verloren habe.
Die Hexe aber ist ganz still heimgekehrt und hat kein böses Wort zu sagen gewagt, sie hat wohl gefürchtet, daß die Junge ihr über käme. Sie hat es indes nicht lassen können und das Mädchen weiterhin jedermann zugesprochen, der einen guten Hut trug und an die Tür klopfte.
"Was besiehst du dir den Finger so lange?" fragte der Poggenschluck
"Ach seufzte Arneke, "bei so hohen Herren werden die Geschenke oft zu Gold, hab ich gehört." Und sie zog die Stirn geheimnisvoll kraus, daß es den Gästen vor Erwartung heiß und kalt den Rücken entlang lief.
'Nachbar? Was führt Ihn hierher?'
Nun, Wiege Puk redete vom Wetter, von den Fledermäusen, er ärgerte sich über die Hummel, die zuhören und über Nacht alles unter der Erde erzählen könnte, und brachte endlich seinen Wunsch vor, ihm das Mädchen zu geben.
Oh, sagte die Zauberin, sie wüßte nicht, was sie lieber täte —so sehr war sie Arnekes leid geworden.
Da wurde Wietje Puk doch vorsichtig. Aber erst solle die Jungfer auf ein paar Probetage zu ihm kommen, bat er, inan müsse einander noch kennenlernen.
Auch das versprach die Alte. Es war nur gut, daß das Mädchen alles gehört hatte, es saß nämlich als Maus unter der Truhe und ärgerte den Kater.
Nun, am nächsten Morgen verlangt die Arge, Arneke solle sich schmücken, und erzählt ihr, sie hätte sie als Magd bei Wietje Puk verdungen Und sie macht das Mädchen gerade so klein, wie es dem Knirps gefallen könnte, und der wartet auch schon in der Tür und drückt ihr den Diensttaler in die Hand.
Sehr schweigsam geht es bei Wietje Puk zu. Den lieben langen Tag sitzt er, die Beine angezogen, auf seinem Stuhl, sagt kein Sori, schmaucht aus der leeren Pfeife und sieht zufrieden zu, wie das Mädchen die staubige Stube lüftet, den Fußboden blank scheuert und die Pfanne an den Herd rückt. Als sie ihm aber das Essen vorsetzt, hai sie die Kartoffeln kohlschwarz anbrennen lassen; die Kammer ist blau von der verbrutzelten Butter.
Der Alte tut, als schmecke das Essen ihm; er hat sich den langen Tag alles schön ausgedacht und meint, das Kartoffelbraten werde die Braut noch lernen.
Wenn er mit ihr zufrieden sei, dann dürfe sie morgen wohl ihren Freundinnen die neue Dienststelle weisen, fragt Arneke.
Das kann er ihr nicht abschlagen.
Anderntags nun, als Wietje Puk, der gewiß seit hundert Jahren keine Gäste mehr in seiner Kammer gehabt hat, sich gerade zum Mittagsschlaf hinlegen will, geht die Tür auf, und sieben kleine unterirdische Fräulein kommen Hand in Hand hereinspaziert. Sie sind fast außer Atem, selten sind sie so hoch geklettert, und um auch etwas von der vielen Mühe zu haben, tun sie, als wüßten sie ganz und gar nichts von allen Hoffnungen, fangen an, böse Bemerkungen über das braungeräucherte Gesicht des alten Wiege Puk zu machen, und fragen ihn höhnisch nach dem Bräutigam seiner Jungfer-— das solle solch hübscher Junge sein, noch keine zwanzig Jahre. Dann tritt das Mädchen selbst ein und bringt einen riesigen Kaffeetopf — gewiss ist da alles Ersparte von zehn Jahren draufgegangen. Und Kuchen hat die Dirn gebacken — aber Wietje Puk bekommt nur die Stücke mit den rußigen Rändern, und Zucker kriegt er auch nicht in seine Tasse, weil sonst nicht genug die Gäste da wäre. Und immer wieder erkundigen sich die Zwergfräulein nach Arnekes Bräutigam und schnattern und babbeln und zappeln und piepen und summen und jiepen und brummen und reden krumm, was Rechtes ist, und reden gerad, was Schlechtes ist — oh, der alte Wietje Puk hat noch kein einziges Wort vorgebracht, da es Dämm erzen.
Und die sieben wollen zum Tanz bei den Unterirdischen nicht zu spät kommen, laden das Mädchen Arneke dazu und raten ihm, den künftigen Gatten nur gleich knapp und streng zu halten und ihn in guter Weibsehrfurcht zu erziehen, ihm zumal auch den Bart zu verbieten. Dann sind sie auf einmal alle als kleine Kröten und Fledermäuse und Maikäfer von dannen, und nicht ein Stück Kuchen und kein Tropfen in der Kanne für den Hausherrn zurückgeblieben.
Nun, Wietje Puk will am zweiten Tag nicht gleich Lärm machen, er meint, den dritten wird er ausschlafen können.
Aber was denkt ihr wohl? Ehe er sich in der nächsten Frühe erhoben hat, ist die eifrige Braut schon da, um die Kammer zu kehren. Dabei fällt ihr ein, daß sie sich längst nicht soviel zu bücken brauchte und daß sich alles doppelt gut putzen ließe, wenn sie es eben auf den Kopf stellt. Sie sagt also ihren Spruch:
Ünnen na haben Un haben na ünnen Un allens mi to günnen Un ik as ik sta. |
Schwupp, und Arneke bleibt stehen, wo sie steht. Aber der Besen dreht sich in ihrer Hand um. Und Schrank und Fußboden und Bett, alles hat sich auf einmal von unten nach oben gekehrt und hängt kopfüber unter der Decke. Und in allen Schränken klirrt es vom Umdrehen, und der arme Wietje Puk daß sie an den auch nicht gedacht hat —, der arme Wiege Puk liegt überkopf im Bett und zappelt sich vor Schreck die Beine bloß,
Das hat das Mädchen ja nicht gewollt; es hilft ihm zurecht, so gut es geht, aber er muß doch, solange Arneke die Kammer mit Seife und Spülicht schrubbt, und das dauert den halben Tag, immer mit dem Gesicht nach unten im Bett bleiben und behält all die Zeit die Angst, daß der Zauber vielleicht aufhöre und Schränke und Truhe und alle Dinge, die gleich ihm mit Rücken und Füßen an der Decke hängen, auf einmal krachend und durcheinander nach unten fahren.
Nein, Wiege Puk hat genug von der Jungfernherrschaft in seinem Haus. Aber weil er dem Mädchen wirklich zugetan ist, nimmt er es, als wieder Ordnung geworden, an der Hand und fragt, ob das Fräulein ihn nicht ehrbar zum Mann haben wolle. Er glaubt, wenn sie erst zusammengesprochen seien, habe er zu befehlen und könne sich alles nach seinem Wunsch einrichten.
Nun, das Mädchen sagt weder ja noch nein, es tut, als wolle es sich's noch überlegen. In Wirklichkeit denkt es aber nur an seinen liebsten Schneidergesellen. Und in der Nacht lädt die Jungfer alles, was an häßlichen Unterirdischen die Straße entlang läuft, dazu viele kleine nackte Schnecken, Schlangen und alte braune Kröten zu sich. Damit klopft sie am vierten Tag morgens an die Kammertür. Gerade als Wietje Puk sich voller Erwartung auf seinem Bettrand die Strümpfe anzieht, kommt ihm ein böses Gewimmel, häßliche Zwerglippen, bucklige Stubbenkerle, Eierköpfe, Moosweiber und vielerlei Getier, in die Stube.
Ach, flüstert Arneke und hebt die Schürze bis über die Augen, sie hätte sich überlegt, was der Herr sie gestern gefragt hätte. Und sie wolle nicht nein sagen, aber er dürfe es ihr nicht übelnehmen, wenn sie einige Neffen und Nichten mitbrächte, die bei ihr unterkommen müßten.
Das ist dem alten Wiege Puk nun doch zuviel geworden. ,Hinaus! schreit er, uno der Schweiß tritt ihm auf die Stirn. ,Hinaus!' Er hat vielleicht nur das Ungezücht gemeint, aber Arneke hat es sich nicht zweimal sagen lassen, sie hat sich gleich auf den Hacken umgedreht und ist wie der Wind die Stiege hinabgelaufen. Die Anfechtung hatte sie überwunden.
Wächst ja alles wieder nach, tröstete er sich.
Der kannte es gleich und hätte es gern gehabt, weil man Gutes damit wirken kann. Er mochte es dem Mädchen indes nicht abverlangen. Der Schmuck hakte nämlich einst, auf Kranke gesetzt, alle Seuchen und auch alle Kräuter, die dagegen halfen, im Bilde schauen lassen. Seitdem der Böse ihn führte, war er aber ohne Kraft an jenen, die der Träger des Ringes liebhat.
Herr Eckard zeigte Arneke also die Wunderwirkung, und weil ihm gefiel, versprach er ihr auch, helfen zu kommen, wenn sie einmal in Not wäre. Vielleicht hoffte er, dabei den Ring als Dank zu erhalten.
Nun reisten um die Zeit zuweilen drei Brüder von der fernen Insel Utwunder zu uns, junge Burschen, die eine Hexe zur Mutter hatten. Die Frau wollte aber nicht, daß die Söhne ihrer Schlechtheit gewahr würden, und hatte ihnen deshalb gezeigt, wie sie im Dämmernebel zu Schiff über Wasser und Land zu fahren vermöchten. Da konnte sie während jener Stunden tun und lassen, was sie wollte.
Eines Abends nun, als die Feuchte schon früh aufgestiegen war, wagten sich die Brüder weiter als bisher und kamen auch zum Hüttengarten, in dem Arneke rasch kleine Melden zum Nachtmahl sammelte. Und weil solch junge Dirn in ihrer Einsamkeit noch nicht gesehen hatten, fuhren die
Die Brüder aber waren nicht schlecht wie ihre Mutter, sie freuten sich, jemand zum Spielen zu haben, taten dem Wädchen zuliebe, was es nur wünschte, und bauten ihm auch eine eigne Hütte auf der Insel, so daß es nicht in der Nähe der bösen Alten zu hausen brauchte und doch mit den Burschen, wenn es Lust hatte, zum Laufen und Jagen gehen konnte.
Es wurde schließlich so, als wären sie immer wie vier Geschwister aufgewachsen; die Jungen hatten keine Freude mehr an ihrem Schiff, fuhren nur noch aus, wenn Arneke etwas fehlte, ein neues Kleid oder ein Paar Schuh, und ließen sich im übrigen recht oft Geschichten von guten Überirdischen, von Wichten und von Wietje Puk erzählen, oder aber sie liefen mit den Graugänsen um die Wette und schlugen die dicken, plumpen Wasserkerle in die Flucht, die, kaum daß eine Menschenfrau gewahr wurden, neugierig aus allen Gräben und Kolken hochkamen.
Schließlich wurde die Sutter der drei des gefangenen Mädchens leid, sie befahl es in ihr Haus, hieß es harte Arbeit tun und gab ihm so viel auf, daß es Tag und Nacht keine Stunde zum Spiel hatte. Arneke war klug und gehorchte, aber auch die Burschen blieben in ihrer Nähe. Da versuchte die Frau, das Mädchen auf andre Weise zu verderben. Sie schlug ihre Söhne mit bösem Verlangen, so daß sie eines Tages nicht mehr wie Brüder zu Arneke waren, sondern wollten, daß sie einen von ihnen zum Liebsten wähle.
Nun hatte die Gefangene sie alle geschwisterlich gern, und, viel mehr noch, es gab ja einen unter den Menschen, dem sie die Treue versprochen hatte. Sie hoffte also von Tag zu Tag, die drei möchten ihren Sinn wieder ändern und mit ihr wie früher spielen. Arneke bat auch oft darum und weinte sogar. Aber die Eifersüchtigen wurden nur um so heftiger und schlugen einander vor ihren Augen.
Da erinnerte das Mädchen sich des Ringes Doafdi, der die Krank heiten von den Menschen nimmt; es drehte ihn am Finger, schaute hinein
und suchte nach einem Kräutlein, um die Burschen von ihrer Verliebtheit zu heilen. Aber der Ring wußte, Arneke hatte die Brüder gern, er zeigte ihr kein Kräutlein im Spiegel.Es ging also weiter, wie es war, und wurde von Tag zu Tag schlimmer mit Streik und bösen Worten. Ja, die drei schworen zuletzt, niemanden als Arneke zur Frau haben zu wollen, und bedrängten die Unglückliche, solle wählen, oder sie müsse zusehen, wie sie einander erschlugen.
Da fiel dem Mädchen in seiner großen Not ein, daß, wenn ein Fremder den Ring früge, er gewiß nicht blind bleiben würde. Und als noch einmal wunderschöner warmer Sonnenschein vor Arnekes Hütte und über See und Land kam und gewiß der Gütige nahe war, rief sie Herrn Eckard bei dem Namen, den er ihr gesagt hatte. Es dauerte auch nicht lange, da hob er sich vor ihr aus dem Beerenlaub; Arneke gab ihm den Ring, konnte ihm ihre Sorgen anvertrauen und bat ihn nur, den Burschen nichts Böses anzutun.
So bekam der den Zauberring wieder, der ihn zu aller Susen am besten trägt. Und er schaute hinein und fragte das Mädchen noch einmal, ob es gewiß sein Wille sei, was es da sagte. Er möge so handeln, daß es den drei Burschen und ihr hülfe, antwortete Arneke.
In dem Augenblick hob Herr Eckard jäh seinen Bogen hoch und schoß einen Pfeil über sich steilauf. Eine Krähe fiel, und während sie niederstürzte, fuhr es fauchend daraus in die tiefe Erde. Das Gefieder aber blieb leer liegen, rundum leuchteten drei Blutstropfen, die aus den Brustfedern gesprungen waren.
Als Arneke sich erschrocken umschaute, war Herr Eckard gegangen; die Burschen kamen vorüber und suchten ihre Mutter und sagten, sie hätten alle zugleich gehört, wie sie wie im Schmerz nach ihnen gerufen habe. Da fürchtete das Mädchen, daß die Hexe vielleicht in jener Krähe verborgen war, es wandte sich und versteckte die Flügel rasch unter einem Busch. Die Brüder fragten aber auch, wer die Lilien hätte wachsen lassen. Sie sahen nämlich, daß drei weiße Blumen aus den Blutstropfen aufgegangen waren.
'Grabt sie nur aus', riet Arneke, ,gewiß ist ein Geheimnis darunter ver- borgen.
Und es ist geschehen, daß aus den Blumen, kaum daß die Wurzeln sich über die Erde hoben, drei Jungfrauen wurden, die waren wie die Spiegel der einen, nach der die Burschen verlangt hatten. Ja, so sehr ähnelten sie Arneke, jeder der Brüder nahm eine von ihnen in den Arm und glaubte, die Rechte zu fangen.
So heilte Herr Eckard die Jünglinge auf der Insel Utwunder; das Mädchen aber zog rasch die Flügel unterm Busch hervor — niemand schaute ja nach ihm —, warf sie über und kehrte eilig heim, um weiter auf seinen wandernden Gesellen zu warten.
Schnell begann Arneke wieder, kaum hatte sie Zeit, den rechten Daumen in der Schürze aufzufangen:
Gern hat das Mädchen das getan und hat die nackten Füße recht warm mit gutem Boden bedeckt. Dabei hat eine Nixische aus dem Wasser nach ihm gerufen. ,Ach", flehte sie, ,komm eben und hilf mir, Arneke!
Warum nicht?' hat die geantwortet, hat die Strümpfe ausgezogen und ist in den Bach gestiegen. Da sah sie, daß die Haare der kleinen Wasser
Die beiden Fräulein haben dem Mädchen dafür später gut zu danken versucht, und der Anlaß war schlimm genug. Alls Arneke einige Zeit danach nämlich einmal mit dem Kahn über den Fluß ruderte, um drüben Heu die Ziegen zu holen, ist das Boot schwer und schwerer geworden. Und als sie sich umschaute, hat ein dicker Frosch dringesessen, der ist immer größer geworden und hat bald wie ein alter Wassermann ausgesehen. Das Boot ist aber nicht von der Stelle gekommen, soviel Mühe das Mädchen sich auch gab; es war, als hätte es an einer Kette gehangen. Schließlich, als das Wasser bis an den Rand ging, hat der Grüne die erschrockene Arneke blitzschnell an den Lippen und an beiden Seiten des Halses berührt, so daß sie nun nur noch wie ein Fisch atmen konnte, und ist mit ihr auf den Grund des Stromes getaucht.
Er hat da unten aber ein schönes Haus gehabt, viel tiefer als der Fluß war, hat dem armen Gast herrliche Kleider geschenkt und ein Tuch gebracht, damit man die Wunden nicht sähe. Und er hat dem Mädchen gesagt, daß es seine Frau werden müsse, weil die alte Hexe es ihm versprochen hätte.
Als Arneke das nun ganz und gar nicht wollte und nur immer weinte und ihren wirklichen Vertrauten rief, ist der Wasserkerl böse geworden; es gibt ja kein jähzornigeres Volk als seinesgleichen. Und er hat ihr zum Trotz viele Gäste zur kommenden Hochzeit geladen und geschworen, er werde keinen Menschen mehr lebend über den Fluß lassen, wenn das Mädchen ihm nicht zu eigen sein wollte.
Er hat auch gleich ein Kälbchen, das trinken wollte, herabgezogen. Und als ein Schiffer sich auf seinem Torfewer zur Stadt stakte, hat er dem an Bord wollen. Es hat ihn aber ein schwarzer Pudel angekläfft, der Grüne ist mit einem furchtbaren Schreck wieder zu Wasser gegangen und hat gemeint, er sei an den bösen Verlocker selbst geraten.
Dafür hat er in seinem Hause seine Macht um so mehr fühlen lassen; alles, was ihm an unglücklichen Wesen zu Dienst verfallen war, kleine Nixenmädchen und Milchpantscher, haben es in der Zeit nicht leicht gehabt.
Arneke aber hat ihn nie und nimmer leiden können und sich vor dem Tag der Hochzeit entsetzlich gebangt. Als sie nun selbst keinen Rat mehr wußte, ist sie eines Morgens zu der schönen Weidenfrau geflüchtet, hat die daran erinnert, daß sie ihr einmal die nackten Füße bedeckt hätte, und hat gebeten, sie doch um Gottes willen zu verbergen —sie vermochte es ja, weil sie halb im Wasser stand. Die Weidenfrau hat auch gleich einen hohlen Stamm fest um sich und den Gast geschlossen, dann haben sie lautlos gewartet, ob der Grüne sie zu Abend finden würde. Aber es haben so viele Buschweibchen von der Flucht gewußt und voll Neugier in der Nähe gelauert, daß der Wasserkerl, der bald blitzschnell flußauf und flußab suchte, sich denken konnte, wo die Verlorene war. Er hat schlimm unter der Weide zu wühlen begonnen, das arme Baumfräulein hat die Schwester lassen müssen, er hätte sie sonst beide hinabgezogen.
In der Frühe, als der Unhold schlafen ging, hat Arneke sich zum andernmal davongeschlichen. Sie sah wieder viele gute Wesen am festen Ufer, die alle gern geholfen hätten; aber das Wädchen wagte nicht an Land zu gehen, es konnte ja nur wie ein Fisch atmen. Traurig sprach es mit manchen und warnte alle Menschen, an den Fluß zu kommen. Aber niemand vermochte ihm selbst beizustehen.
Endlich traf Arneke die Nixe, der sie die Haare aus den Gräsern gelöst hatte. Die war inzwischen zu einem großen schneeweißen Mädchen gewachsen und hätte gern vieles für Arneke getan. Alls die Flüchtige ihr nun alles erzählte, schlug das Wasserfräulein vor, es wolle selbst den
Grünen zu Abend wecken, vielleicht würde er des Wechsels nicht gewahr. Und es zog Arnekes Mütze und Halstuch und ihre schönen Kleider an.Gerade aber zu der Stunde kamen die Hochzeitsschuhe, und der Unhold verfiel auf den Gedanken, sie der Braut anzupassen. Wie wurde er böse, als erda statt des Fußes nur einen Fischschwanz zu sehen kriegte! Alle Scheiben im Haus zerbrach er vor Wut, flußauf, flußab jagte er, bis er die Flüchtige entdeckt hatte. Der Nixe aber schnitt er zur Strafe die herrlichen langen Haare ab; ach, die Arme hat ein Jahr lang keinen Vertrauten mehr finden können.
Arneke geriet nun wirklich in bittere Not. Die ersten Gäste stellten sich ein; Blubber, der Moorkerl, der Riese Buhmann, der vor Bierdurst schon an allen Bottichen witterte, und viele andre. Auch eine uralte Wasserfrau, grün wie der Bräutigam, ist mit großen hölzernen Kummen und mit einem langen Iaea voll Fischen gekommen; sie sollte das Festmahl bereiten.
Da ist das Mädchen in der Stunde, als es den Wasserkerl zur Hochzeit wecken sollte, noch einmal ans Ufer geschwommen und hat in letzter Verzweiflung die gütige Frau Holle gerufen und sie zur Feier geladen. Die schien ihr jetzt die einzige, die noch helfen konnte.
Lange Zeit hat es gedauert; zuerst haben nur die kleinen Holzweiber auf sie gehorcht, kein Hang und kein Wald hat sich aufgetan. Schließlich aber, als Arneke immer weiter so recht innig bat, ist wirklich eine wunderschöne Frau wie ein letzter Hochzeitsgabe gekommen und ist, ohne Schaden zu nehmen, mit großem Gefolge in den Fluß niedergestiegen; die Flut hat sich vor ihr wie ein gläsernes Tor bis zu des Wassermanns Haus geöffnet.
Der Bräutigam, der schon zur Hochzeitstafel gerufen hatte, ist, als die vornehmen Gäste nahten, noch einmal aufgestanden, hat seinen Bauch in die Hände genommen und einen richtigen Bückling gemacht, ihm schien hohe Verwandtschaft gekommen.
Aber Arneke hat er dabei wunderlicherweise gar nicht angesehen.
Mehr noch, da hat auf einmal eine große Quabbe auf dem Brautstuhl gesessen; der Wasserkerl hat neben ihr Platz genommen, hat sein Liebchen
genannt und freundlich auf sie eingeredet. Ja, eine Höflichkeit nach der andern hat er ihr erwiesen und hat ihr vor allen Leuten den Kopf an das breite Maul gelegt. Die Gäste haben sich erst die Augen gerieben und haben verwundert nach einer schöneren Braut ausgeblickt. Dann hatten sie's schon eilig, sich an den Speisen gütlich zu tun.
Das Mädchen aber verstand, daß die gute Frau Holle den Unhold mit Blindheit geschlagen hatte, es ist übermütig geworden, hat den Gästen vorgesetzt, was sie zu haben wünschten, und dem Wasserkerl sogar seine Geige geholt, als er der Quabbe und allen Leuten ein Hochzeitslied vorspielen wollte. Aber als Frau Holle und ihre lachenden Jungfern aufstanden, ist sie heimlich mit ihnen davongeschlichen; die schöne Zauberin hat ihr die Wunden am Hals geheilt und den irdischen Atem wiedergegeben.
Dann sind sie rasch über die Besenheide heimgefahren. Als sie vor der Hütte waren, in der das Mädchen wohnen mußte, fragte die gute Frau Holle Arneke, ob sie nicht in ihrem Gefolge bleiben wolle. Die hat indes an ihren wandernden Gesellen denken missen, hat den Kopf geschüttelt und gehofft, er möge ihr so treu bleiben wie sie ihm.
"Gib mir einen Finger", sagte das Mädchen, "dann erzähle ich weiter.
Der Kulenkröger bedachte sich einen Augenblick, die Zeigefinger gab er nicht gern, weil er die Tür damit öffnet und schließt, aber er hatte ja noch einen kleinen Finger an der rechten Hand, den bekam das Wädchen.
"Warum seufzt du denn?" fragte er böse.
"Ach", antwortete Arneke listig, "deine Ohren und Finger sind so schwer, gewiß werden sie in der Schürze zu Gold und Edelsteinen." Und sie gab rasch dem Schneidergesellen alles zu tragen.
"Hat man je gehört, daß unsereins zu Gold wird", knurrte der Kulenkröger ein wenig eitel.
"Das hab ich wohl gehört", log das Wädchen, "zu Gold werden die Finger aller guten Geister und die Schweißtropfen zu klaren Edelsteinen. Man sieht's nur unter der Erde nicht und wirft achtlos weg, was Glück für immer bringt.
"Flunkerst du auch nicht, Arneke?" fragten die Gäste, und der Kulenkröger rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her. "Gewiß ist das ein Schwindel", drohte er, "und es wird dir schlecht bekommen, wenn du dich über mich lustig machst!
"Also, wo bin ich stehengeblieben?" fuhr das Mädchen rasch fort, als es den Aufruhr merkte. "Hört zu! Da ist nach dem Schneidergesellen und dem Wasserkerl und dem Kiesen und dem Unterirdischen noch allerhand buntes Volk gekommen und hat um Arnekes Hand gebeten. Selbst Vater Stickelpickel, so heißt der kleine Igel im Garten, hat oft am Weg gestanden und das Mädchen verliebt angesehen, wenn es abends ausging. Aber Hoffnung durfte er wohl bei der schlimmen Muhme nicht hegen.
Eines Tages hat Stickelpickel indes das Glück gehabt, ein Wunschkorn zu finden, so ein winziges goldenes Korn, das alles erfüllt, was man verlangt. Einer der guten Himmlischen wird es verloren haben, die wissen ja oft selbst nicht, welchen Schatz sie bei tragen.
Seitdem er das Wunschkorn entdeckt hatte, gab es für Sticke~ickel kaum noch etwas, was ihm versagt gewesen wäre. Alls allererstes hat er sich, weil seine Fran gerade auf ein paar Tage fort war, gewünscht, daß
die hübsche Arneke, nicht größer als er selbst, bei ihm bleiben und ihn bedienen müsse. Versteht ihr? Er war ein vorsichtiger Mann, der kleine Igel. Er hat nicht verlangt, daß sie ihn gern haben solle, da hätte die gute Frau Holle, das ist ja die Beschützerin aller Liebenden, die Unordnung bald gespürt, und er wäre schlecht gefahren. Er wünschte sich nur die rechte Bedienung; er dachte wohl auch, eins nach dem andern zu gewinnen.Als Arneke also an dem Abend aus der Tür trat, auf einmal verwandelte sich vor ihr die ganze Welt, und als sie noch erschrocken die winzig kleine Schürze besah, die ihr so aus dem Nichts gewachsen war, stand Vater Stickelpickel schon in der Stalltür, just so groß wie sie selbst, nickte und wußte noch nicht recht, was er nun weiter verlangen solle. Weil es aber draußen kalt war und er doch gern eine Behausung gehabt hätte, lud er das Fräulein ein: ,Laß uns nur unter die Kuh gehen, da ist es am wärmsten.
Schwupp, saßen die beiden im nächsten Augenblick im Stroh neben der Kuh, das Mädchen hat eine furchtbare Angst bekommen, und das arme Tier, das die Borsten spürte, brüllte vor Schreck und sprang auf.
Ich glaube, Wietje Puka Kammer ist gemütlicher', sagte Stickelpickel deshalb unbedacht, ,ob wir nicht lieber umziehen?' Schwupp, saßen sie auch schon in der Dachstube; es ging dem Igel mit seinem Korn ja alles nach Wunsch.
Nun, der Puk machte Augen über die Gäste. ,Bist du wieder da? schrie er die arme Arneke an, ,und dann mit solch einem Herumtreiber?
Ich kann nichts dafür', wollte das Mädchen sagen, aber den Herumtreiber' ließ Stickelpickel nicht auf sich sitzen. Gleich die Borsten hoch und den Tisch umgestoßen. Der kleine Puk warf ja in seiner Not was er zu fassen kriegte auf den Igel: Brot und Bratkartoffeln und was er sich gerade zum Abendessen zurechtgestellt hatte; an allen Stacheln blieb etwas hängen. Hätte Stickelpickel nicht mitten im Streit den Wunsch gehabt, mit Arneke friedlich im eignen Häuschen zu hocken, er hätte sehr in Verlegenheit kommen können.
Aber kaum hatte Stickelpickel daran gedacht, war Wiege Puka Kammer
wieder leer, und der Igel saß mit Arneke vor einem alten Heuschober im Abendsonnenschein. Nur die Kartoffeln und die Brotstippen steckten ihm noch auf den gesträubten Spießen. 'Du kannst mich mal sauberputzen', bat er Arneke.'Womit soll ich dich sauberputzen, lieber Stickelpickel?' fragte das Mädchen traurig, rieb sich die Augen und wußte immer noch nicht recht, was alles mit ihm geschehen war.
Nun, natürlich mit einem goldenen Kamm', sagte Stickelpickel, ,wir sind nämlich jetzt feine Leute und können haben, was wir wollen.
Im nächsten Augenblick hatte das Mädchen auch schon einen goldenen Kamm in der Hand und strich dem Igel das Borstenfell zurecht.
Just da kommt ein dicker grauer Mann vorbei, das ist der Düwel Kattenhorn. Er tut, als sähe er niemand, aber Stickelpickel kennt seinen Erzfeind, faucht leise und macht den Rücken krumm.
'Schau mal an, Freund', knurrt der Böse erstaunt, ,du hast dich ja mächtig verändert.' Er denkt, der goldene Kamm sei aus der Erbschaft, die der Kleine ihm einmal abgewonnen hat. ,Und eine schöne Hausfrau hast du auch?
'Ich habe mit dir nichts zu tun', sagt der wackere Igel, ,und meine Hausfrau ist für drei Tage über Land.'
"Na, na', besänftigt der andre, er hätte gern Stickelpickel im Fang und Arnekes Seele dazu. ,M, na, wir können uns doch mal nach einander erkundigen. Vielleicht kann man auch ein Geschäft machen?
'Schlechte Geschäfte mit dir, Kattenhorn, und schlechte Münze, womit du bezahlst.'
'Schlechte Münze? Wie meinst du das?' fragt der beleidigte Teufel.
Nun, die Leute erzählen sich, daß alles Gold, das du verschenkst, hinterher meist ein Dreck wird.
'Das ist nicht wahr', schreit der Böse. Und weil Arneke lachen muß und Stickelpickel spitzbübisch grinst, fährt er steil in die Erde und kommt gleich schwitzend mit einem roten Klumpen wieder hoch. ,Nun sag mir, was du gegen meine Münze hast!'
Stickelpickel wünscht rasch ein faules ins Gold hinein. ,Riecht schlecht schilt er und wittert nur eben mit der Nasenspitze.
'Schieres Gold!' schreit der Verlocker und hämmert mit dem roten Huf darauf. Da bricht die Schale in zwei Hälften, und der Düwel macht einen Luftsprung vor Stank und Erstaunen. Stickelpickel aber wendet sich, scharrt nach hinten und kriecht in die Tür, um sich mit Arneke das neue Haus zu besehen.
Am Abend will der Igel zu Tanz gehen. Da ist ein Hagemann gekommen und läßt die Flöte trillern; er braucht nur einmal zu blasen, und die Flöte spielt die ganze Nacht hindurch.
Aber auch Kattenhorn ist als Junker Federbusch dabei.
'Wer von uns beiden wohl am besten pfeifen kann', sagt er zu Stickelpickel, er möchte dem Alten durchaus überkommen.
Wer von uns am besten pfeifen kann, weiß ich nicht', meint der Igel hochfahrend. ,Aber mit dir soll man ja nicht wetten, was du als Einsatz bringst, ist doch alles Betrug!
Da reißt sich der Düwel das goldene Hufeisen von der Hacke. ,Bist du damit zufrieden?' schreit er und weiß, keine Hexerei kann daran rühren;
'Gewiß, damit wäre ich zufrieden!' Und Stickelpickel scharrt einen Topf in die Erde, legt den Preis vor allen Leuten hinein und wünscht heimlich den Hagemann weit fort, aber die schöne Pfeife zwischen die eignen Zähne. Und dann setzt er sich mit Kattenhorn Rücken an Rücken, wie es bei solcher Wette Brauch ist. Viele Tiere sammeln sich im Kreis, um zuzuhören, und Stickelpickel wünscht sich, daß seine Flöte von selbst blase — Umstande macht er sich ja nicht gern.
So beginnen also, der eine die erse und der andre die zweite Stimme. Und der Böse gibt sich gewaltige Mühe; er pfeift so schön, viele Unter: irdische kommen und wiegen sich dazu. Aber schließlich, so gegen Mitternacht, wird sein Spiel doch schwächer, immer öfter muß er Atem holen und das Mundstück putzen und die Finger ausrecken. Und am Ende geht ihm wahrhaftig die Luft aus, er muß sein Hufeisen liegenlassen und fährt, weil er sich sehr schämt, lautlos in die Erde.
'Na ja', knurrt Sticke~ickel, ,hab ich's nicht immer gesagt, man soll sich nicht mehr vornehmen, als man vermag.' Und er holt das goldene Hufeisen aus dem Topf und klopft des Hagemanns Pfeife ab. ,Komm', erlaubt er Arnecke, ,du kannst nach Hause gehen. Und morgen bist du rechtzeitig zum Dienst da, hörst du? Ich siehe mit Hahn und Hühnern
Nun war Stickelpickel aber vorm Einschlafen wohl doch bedenklich zumute geworden; er fürchtete vielleicht, jemand könnte Kattenhorn von seinem Zauberkorn erzählen. Wie er deshalb zu Haus unterm Heuschober ist, wünscht er sich ein Talglicht, eine Brille und ein dickes Buch über die Schwarze Kunst. Und er studiert die ganze Nacht, wie man sich vorm Düwel sichern könne.
Als in der Frühe der Böse wieder vorbeitrabt und seine Rache kühlen möchte, ist der Igel gerade mit der Arbeit fertig und zeichnet rund um die Hütte lauter kleine Mahrenfüße, die bilden einen Zauberkreis, über den auch Kattenhorn nicht hinweg kann. Aber ein winziges Loch, einen Schuh schmal, hat Stickelpickel heimlich Arneke offengelassen. Der Böse sieht das Loch wohl, doch ehe er zuspringt, bildet er sich in seiner Unersättlichkeit ein, er vermöchte vielleicht gleich zwei Leute zu fangen; er kann sich ja denken, wem die Lücke gilt.
Alls das Mädchen sich zum Dienst einstellt, läuft es erst den ganzen Kreis ab und sucht und weiß nicht, wie es hineinhüpfen soll. Stickelpickel plinkt und plinkt ihm zu, aber es merkt nichts. Da muß er's schon gröber weisen, zündet die Pfeife an und bläst den Rauch zum Loch. Aber er bleibt dabei voll Mißtrauen; es gefällt ihm nicht, daß der Düwel immer noch gierig zuschaut. Er wünscht dem Mädchen deshalb als vorsichtiger Mann kleine umgekehrte Mahrfüße unter die Schuhe, die zeichnen sich in die Erde, wohin es tritt. Und sie zeichnen sich auch just ins Loch, als Arneke hindurchschlüpft.
Der Düwel aber denkt, jetzt hat er beide in der Falle, stößt wie ein Höllenvogel hinter dem Mädchen drein und fällt, plauz, auf den Rücken, so entsetzlich hat ersch anden Mahrfüßen verbrannt. Hätte der gute Igel
nicht voll Mitleid seinen Pfeifenqualm zur Erholung nach drüben geblasen, er wäre wohl bis zum Abend liegengeblieben.Dank gewinnt Sticke~ickel nicht dafür, der Böse führt nichts als Rache im Schild. Und weil er dem Kleinen nicht anders beikommen kann, braust er als Dampf durchs Land hin und her, bis er schließlich die Frau Igelin entdeckt, die war ja zur Kindshilfe zu ihrer Schwester gefahren. Gleich verrät er, wen ihr Mann zur Bedienung hat, und weil sie's nicht glauben will, nimmt er sie huckepack, saust mit ihr heim und lädt sie gerade vor dem Mahrenkreis ab; er meint, jetzt müsse der Alte ihn öffnen.
'Das ist fein', sagt Stickelpickel, als er den Besuch sieht, fein, daß du wieder da bist, Mariechen! Na, wieviel Kinderchen sind denn gekommen?
'Willst du mich nicht erst einlassen?' fragt die Frau böse, sie will ins Haus und feststellen, ob es wahr ist, was Kattenhorn ihr zugesteckt hat.
'Geht leider nicht, Mariechen', antwortet der Igel und grinst Düwel an.
'Wieso geht das nicht?' schreit das arme Weib und trippelt außer sich vor dem Kreis auf und ab. .Oh, ich werde ja sehen, warum das nicht geht.
Da bedenkt Stickelpickel, daß es doch besser ist, aus dem Verdacht zu kommen, und weil ihm kein anderes Mittel einfällt, wünscht er rasch dem Mädchen in der Hütte seine leibliche Gestalt wieder zu. Gerade während des Kaffeekochens merkt Arneke auf einmal, daß sie alles besitzt, was sie verloren hat, und springt erstaunt vor die Tür. ,Liebe Frau', bedauert der Igel unterdessen, ,wenn ich dich nur einlassen könnte! Aber ich habe einen Streit mit dem Herrn Verlocker Kattenhorn gehabt.
'Oh', lacht Arneke fröhlich, ,deiner Frau will ich wohl helfen.' Und sie tritt mit dem linken Fuß aus dem Zauberkreis — sie ist ja jetzt wieder Mensch —, hebt Mutter Stickelpickel hoch über ihre rechte und linke Schulter und setzt sie gleich neben ihrem Mann zu Boden.
'Fein, daß deine Frau wieder da ist', sagt sie rasch zu dem Igel und nimmt die Gelegenheit wahr: ,Dann kann ich wohl nach Hause gehen?
Der Alte bedenkt sich und seufzt einmal und noch einmal. Aber es ist ja das beste, sich aus der Sache herauszuwinden; er hat Arneke auch schon
halb vergessen, nun die da ist, die rechtens zu ihm gehört. ,Gewiß kannst du jetzt nach Haus gehen, Arneke', erlaubt Vater Stickelpickel gnädig und schiebt die Pfeife in die linke Mundecke. ,Ich brauch dich nicht mehr.""Du hast ja noch den Zeigefinger", sagte Arneke und griff nach des Kulenkrögers linker Hand, da saß ein Pfand, auf das sie es schon lange abgesehen hatte. Knacks, hatte sie es ihm abgenommen und reichte es ihrem Verlobten hinüber.
"Was soll der Schneider damit?" fragte der Unhold mißtrauisch.
Du weißt doch, deine Pfänder werden mir zu schwer", seufzte Arneke, vielleicht sind sie bei Tageslicht schon halbes Gold.
Da horchten die Gäste auf. "Man könnt's ja mal prüfen", sagte der Fuchs, er wurde gierig, wo soviel von Gold die Rede war.
Gewiß, man müßte sich's im Treppenlicht besehen, riefen jetzt auch die andern Tiere.
Nur der Kulenkröger wollte nicht daran glauben. Arneke solle erst noch erzählen, was aus dem Wunschkorn geworden sei, verlangte er.
"Wart einen Augenblick", erklärte die, "vielleicht hat Stickelpickel meine Schürze heimlich voll Gold gewünscht.
Als sie das nun so sagte, winkte sie rasch ihrem Liebsten zu, und während auch der Kulenkröger neugierig mit seinen beiden Stühlen nachrückte, drängten sich alle Herren um den Schneidergesellen, der ächzend die Schürze zum Treppenlicht schleppte.
Kaum war er da, hatte er aber auch schon den Zeigefinger des Unholds ins Schloß geschoben und die Tür aufgetan. Und ehe ihn jemand halten konnte, ließ er — was gab's für einen Schreck! —ließ er die Schürze mit
den goldenen und ungoldenen Pfändern fallen; alle Gäste bückten sich danach,, um davon aufzusammeln, und jeder drückte den andern zur Seite. Nur das Mädchen und ihr Liebster kümmerten sich nicht darum und setzten leichtfüßig mit einem Husch darüber hinweg. "Sieh", rief Arneke noch, "da kommt einer, und da gehen zwei!Es war aber nur der kleine Hase, der just mit den Briefen in die Tür schlüpfte; er hoppelte dem Schneidergesellen und Arneke gerade unter den Füßen durch und wunderte sich, warum alle Leute auf dem Boden herumtappten, und begriff nicht, was sie an dem faulen Zeug, das da lag, verloren hatten.
Auch erschrak er sehr, als der Kulenkröger einmal entsetzlich aufbrüllte und voll Wut vor allen Gästen mit beiden Fäusten auf den Tisch schlug und heulend zur Tür humpelte. Wäre der Kleine nicht rasch hinter die Toonbank geschlüpft, der Alte hätte ihm noch ein Leid angetan. —
Arneke und ihr Vertrauter waren inzwischen längst auf der sicheren Landstraße, und sie haben geküßt und Tränen gelacht, weil der betrogene Kulenkröger so fürchterlich aus der Tiefe hinterdreinbullerte. Dann haben sie eilig von dannen gemacht.
Und hier endet für heute meine Geschichte von der armen klugen Arneke und ihrem Schatz, dem Schneidergesellen. (
Snied Snitters kommt zu Geld
Als der Schneidergeselle Snied Snitters überall vergebens um Arbeit gefragt hatte, geriet er eines Tages, noch hinter allen Dörfern, die er kannte, zu einem alten Geizhals ins Haus. Der sagte zwar auch, für wandernde Leute hätte er nichts übrig. Aber wenn der Schneider ihm seine Gänse hüten wolle, dann solle es ihm auf ein Butterbrot nicht ankommen.
Snied Snitters hatte Hunger, und Hunger ist eine bittere Kost. Er schlug also ein, suchte aus dem neuen Beruf das Beste zu machen, legte sich auf eine blumige Wiese und dachte nach, warum ihm wohl so gar nichts geraten wollte. Er kam dabei so sehr ins Grübeln, daß er gar nicht merkte, wie sich ein alter, grauhaariger Fuchs voll Verlangen näher und näher um die Gänse schlich. Alls der den Schneider mit seinem Stecken sah, zog er ein saures Gesicht, grüßte aber höflich, begann ein gelehrtes Gespräch und ließ fallen, es sei doch eine schlechte Zeit für alle ehrlichen Gewerbe. Die Faulen und Dummen hätten es am besten; man käme sich vor, als arbeite man nur noch, damit die Gänse in Beschaulichkeit fressen könnten.
Snied Snitters antwortete dem Versucher standhaft und sagte, daß er kein Hütejunge sei, den man fortschwätzen könne; er sei vielmehr ein erprobter Schneidergesell. Der Fuchs zog die Stirn hoch, nickte, das habe er sich gleich gedacht, und meinte, als geschulte Leute würden sie sich nur um so besser verstehen. Vielleicht besäße der Schneider sogar so viel Witz, um einen Streich mit ihm auszuführen, bei dem sie beide ihren Vorteil haben würden.
Was das denn sei, blinzelte Snied Snitters und war schon halb und halb bekehrt.
Ob er's noch nicht gehört hätte? Der Kulenkerl von drüben sollte heute nacht eine Jungfer Uhu zur Frau bekommen. Zwei goldene Eier hätte er
seinem Schwiegervater dafür versprochen, aber die Braut sei untröstlich, sie hätte einen andern haben wollen — wie es oft so sei.Ob man dein armen Ding nicht helfen könne, fragte der Schneider mitleidig und sperrte beide Ohren auf, weil er von goldenen Eiern hörte.
Ja, das sei eine heikle Sache, meinte der Fuchs und blinzelte verschmitzt in die Sonne hinein. Dazu gehöre ein gut Teil List und Herzhaftigkeit, mit einem alten Uhu sei nicht zu spaßen. Aber er wolle dem Nachbar einmal etwas verraten damit rückte der Graubart dichter an den Schneider heran. Mit dem Vertrag sei's nämlich noch nicht ganz in Ordnung. Wenn der Herr ihn begleiten und zwei Gänseeier und einen langen Nußhaken mitnehmen wolle, ließe sich aus der Sache vielleicht etwas machen. Er hätte nun einmal Gefallen an ihm gefunden, sagte der Fuchs zu Snied Snitters, und wenn Kulenkerl und Schwiegervater uneins würden, sei ihnen beiden und auch der Braut geholfen.
Der Schneider bedachte sich noch eine Weile, dann trieb er die Gänse zusammen, besah mißtrauisch Reinekes treuherziges Spitzbubengesicht und folgte ihm vorsichtig in einen großen Erlenbruch, der so dicht war, daß gewiß nur wenig Menschen sich dort jemals hindurch wagten.
Es war aber wirklich alles so, wie der Fuchs es gesagt hatte. Als sie beieinander hinterm Busch auf dem Bauch lagen und warteten, ließ sich zuerst eine alte Ente nieder. Das sei die Vermittlerin, flüsterte Reineke entrüstet und fletschte die Zähne. Danach kam der Kulenkerl mit zwei faustgroßen Goldklumpen — man sah sie im Licht gleißen —, und endlich erschien ein greiser Uhu, der seine heulende Tochter beim Kragen hatte. Ein abscheuliches Handeln und Feilschen begann, dem armen Schneider wurde von Herzen übel dabei.
Schließlich kamen die Parteien aber doch ins reine. Die Ente legte den Vertrag vor, und man vereinbarte, gegen zwei Goldeier dein Kulenkerl zum Abend die Braut zuzuführen und die Hochzeit zu rüsten. Zu seiner Sicherheit kriegte Vater Uhu schon jetzt die zwei Klumpen und setzte sich drauf, — er ist nämlich am Tag halbblind und kann erst zu Abend prüfen
und schaben, ob es echtes Gold oder nur ein einfältiger Stein ist, den er unter sich hat.Der Kulenkerl aber, der auch sicher gehen wollte, blieb auf Abstand vorm Uhu sitzen und behielt ihn im Auge, damit er nicht vor der Hochzeit mit dem Preis aus dem Felde striche.
So lagen die beiden einander also mit ihrem unedlen Handel gegenüber, die arme heulende Braut mit hängenden Flügeln mitten zwischen ihnen. Und Käufer und Verkäufer beglotzten sich schläfrig, einmal mit dem linken Auge, einmal mit dem rechten, und ließen sich die warme Nachmittagssonne auf den Pelz brennen. Die Erlen rauschten, ein Weidenweibchen schnarchte, und eine große Hummel brummte unaufhörlich um den Kulenkerl, er hatte sich für den feierlichen Tag wohl mit Fliederduft eingerieben
Als eine Weile vergangen war, stand der Fuchs leise auf, flüsterte Snied Snitters seinen Kriegsplan zu und schnürte auf einer schmalen Fährte wie von ungefähr an dem Kulenkerl entlang. Der blinzelte mit
Das gefiel dem Unhold nun durchaus nicht, er rückte verstimmt ein wenig zur Seite und wartete wohl, daß der Nachbar etwas Mull darüber scharren würde. Der setzte auch beide Hinterläufe an. Und er zielte so gut, daß der Kulenkerl zu Boden mußte, so viel Erde hatte er in Auge und Maulwerk bekommen.
Der alte Uhu, der alles gesehen hatte, gluckste vor Vergnügen, und als ihn ein Stecken am rechten Flügel rührte, meinte er, es sei ein fauler Federkiel, stellte sich aufs linke Bein und kratzte sich so recht herzhaft. Er merkte gar nicht, wie ihm ein Goldklumpen dabei unterm Bauch wegrollte und ein einfältiges Gänseei dafür unterlief. Und nach einer Weile mußte er sich wieder schütteln; sein Gegenüber spuckte noch immer abscheulich und grunzte vor Mißbehagen und Schäbigkeit. — Da langte das Schneiderlein von neuem mit dem Nußhaken aus und kitzelte den Uhu am linken Flügel. Und als der sich noch einmal gründlich scheuerte, zog Snied Snitters mit dem Stecken rasch den zweiten Goldklumpen unter ihm hervor und vertauschte ihn mit dem Gänseei. Das geschah gerade zur rechten Zeit, denn der Kulenkerl hatte sich inzwischen wieder saubergeputzt, und als er den Schuhu grinsen sah, fragte er ihn böse, ob er noch keinen kalten Bauch von dem vielen Gold hätte.
Ach, meinte der Uhu, die Goldeier wollte er schon wärmen, die seien es ja wert.
Ob sie nicht abfärbten, sie schienen ihm so grimmelgrau, rief der Kulenkerl wütend, er hatte ja ein gutes Gewissen.
Bei den Sorten kriegte Snied Snitters Furcht und beschloß, sich mit seiner Beute rasch aus dem Staube zu machen. Als er den Gänsen nahe kam, die er hatte hüten sollen, erscholl schon von weitem ein erbärmliches Geschrei, der Fuchs war unter das Federvieh geraten; gerade öffnete sich drüben im Dorf eine Tür, und der Bauer rannte mit einem riesigen
Knüppel zu Hilfe. — Da ging der kluge Schneider lieber ein Stück Weges zurück. Und weil auch im Erlenbruch zwischen Uhu und Kulenkerl ein fürchterlicher Streit ausgebrochen war, dessentwegen Snied Snitters gar nicht erst nachfragte, hielt er es für geraten, einen dritten Weg zu suchen, der hieß Vorsicht und führte in drei Bogen hinter der alten Heerstraße entlang.Aber die Geschichte ist doch ruchbar geworden. Die Leute sagen seit der Zeit, daß die Schneider, wenn sie verquer auf dem Tisch sitzen und nähen, auf goldenen Eiern brüten.
Schneiders Höllenfahrt
Nun dem reichgewordenen Snied Snitters, der den Uhu um die goldenen Eier betrog, erzählte ich gerade eben. Er hat mit seinem Geld eine heile Weile in Saus und Braus leben können, aber alles Gut erschöpft sich, und auch Snied Snitters hat eines Tages wieder zu schneidern anfangen müssen.
Es ist bei ihm indes nicht mit rechten Dingen zugegangen. Was immer ihm die Leute brachten, nichts ist ihm heilig gewesen, aus allem hat er sich erst einmal seinen Vorteil abgeschnitten, ehe er das Werk begann. Ja, wenn es heißt, daß Müller und Krämer ihr eigenes Zunfthaus in der Hölle haben, so war für Snied Snitters gewiß noch ein besonderer Schacht tief unter den andern gebaut.
Über jedermann kommt indes eines Tages die Einkehr. Als Snied Snitters älter und seine Sauf- und Diebsgesellen fromm geworden waren, ging auch er an einem Sonntag in den Wald, um über sein Leben nachzudenken.
Als er nun so seines Weges schritt, trat einer im Jägerrock zu ihm, grüßte höflich und fragte, ob Snied Snitters ihn begleiten wolle, es sei wohl an der Zeit. Der Schneider erschrak; er war ja ein kundiger Mann und sah an Bart und spitzem Hut, daß der Fremde einer von des Bösen
schlimmem Gesinde war. "Hör", sagte er deshalb, "wir wollen erst eina trinken, ich weiß einen Bierzapfen, der von morgens bis abends läuft.""Hab nicht viel Zeit", bekam er zur Antwort, "und ich denke, daß du gutwillig mit mir gehst.
"Tut mir leid", flehte Snied Snitters und zitterte wie Espenlaub, "mein Weg führt just anderswohin. Da sind zwei schöne Fräulein beim Vier: zapfen, die eine sucht einen Schatz. Was meinst du, Jäger?
"Hab keine Zeit, Freund, deine Stunde ist gekommen!
Ach, Dullhorn", bat der Schneider noch einmal und ließ merken, daß er wußte, wer der andere war, "was ist dir doch an mir gelegen? Ich bringe dir gewiß mehr arme Sünder zu, als du an meiner mageren Seele hast.
Schneider könnten sie unten gut gebrauchen, meinte der Jäger hartnäckig und winkte.
"Gib mir noch ein Jahr, Dullhorn."Und dabei fiel ihm ein, wie andere den Bösen bekehrt hatten: "Ich bring dir dann auch mit, was mir heut zuerst aus der Tür entgegenkommt.
Snied Snitters war nicht so schlecht, wie man jetzt vielleicht meint. Er hatte zu der Zeit nicht Weib, nicht Kind daheim, er dachte nur an seine böse Wirtschafterin und war heilfroh, als Dullhorn sich nach einigem Hin und Her mit dem Vorschlag einverstanden erklärte.
Um die gleiche Stunde war aber daheim in Snied Snitters Haus ein großer Streit ausgebrochen. Tute Puk, das ist der Kindgroße mit der Zipfelmütze, der hinter des Schneiders Herd wohnt, hatte sich nämlich mit dem Hofhund verbunden, um den alten Kater zu jagen, — der trank dem Kleinen jeden Abend die Milch weg. Gerade als Snied Snitters heim kam, hatten die Feinde einander gepackt und fuhren mit fürchterlichem Hohau, Wau und Miau zu dritt aus dem Hause heraus: der Kater auf dem Hunderücken und Tute Puk hoch oben auf des Katers Genick.
Snied Snitters sprang sofort zur Seite, er wollte sehen, wer zuerst über die Schwelle ginge. Weil Tute Puk und sein Feind aber grade Über gewicht hatten, bekam der Schneider alle drei Nasen zugleich; es tat ihm leid um die Freunde, er konnte jedoch nichts daran ändern,
Als nun das Jahr vorüber war — viel rascher als man es glauben sollte —, da machten sich die vier eines Tages zähneklappernd auf und gingen in den Wald, um Dullhorn aufzusuchen.
Kam auch bald eine Ratte, die setzte sich hoch, winkte und lief vor ihnen her zu einer schmalen Höhle. Da öffnete der Böse die Tür und nahm sie grinsend auf, so wie sie eintrafen: Der Hund mit höflichem Gesicht auf Snied Snitters Schulter, der Kater auf dem Hunderücken und oben drauf, die Mütze in der Hand, Tute Puk, der den Teufel feindselig ansah und vielleicht schon einen schlimmen Plan hinter den Augen hatte.
Daß der Kleine mitkam, gefiel Dullhorn nicht, er wäre den Knirps gern wieder losgeworden. Er knipste deshalb mit zwei Fingern nach ihm. Aber Tute Puk bückte sich rasch, da ging's über ihn weg. Der Dunkle wurde ärgerlich, er stieß, um den Feind zu Fall zu bringen, mit dem Daumen nach dem Kater; aber der hatte gerade noch einmal Milch getrunken, legte sie ihm über sen Arm, und der Köter, der meinte, daß es ihm gelte, schnappte nach Dullhorns Pulsader. Da fletschte der böse Knecht alle sechzig Zähne und kündete eine besondere Feier für den andern Tag an. Bis dahin sperrte er die Gesellschaft in die Viehküche — sie könnten ihm helfen, Milch und Treber zum Füttern zu kochen, sagte er, er werde die neuen Herrschaften ohnehin bei den Schweinen anstellen.
Es war aber schon eine verwünschte Hitze in Dullhorns Viehküche; Snied Snitters und Tute Puk zogen bald alles aus, was sie am Leibe hatten. Die vier mußten auch gleich mit Winde und Hebebaum einen riesigen Milchtopf vom Feuer holen, er wäre sonst übergelaufen und hätte sie verbrannt. Dann setzten sie sich traurig zusammen, besahen die schwitzenden Wände und dampfenden Kessel und überlegten, ob ein vernünftiges Wesen bei solcher Hitze die Nacht überdauern könnte.
Wie sie da nun so hocken und trübsinnen, hebt sich der Kater auf einmal lautlos. Ein Sprung, und er hat eine Maus in den Pfoten. Es bekommt ihm nicht gut. Die Maus wächst wie ein Teig, der aufgeht, und bevor der verdutzte Kater ihr den Garaus gemacht hat, steht da eine alte Frau, die
ihm zu Leibe will. Weil sie aber Snied Snitters und seine Gesellschaft sieht, lacht sie und bläst in die Flammen, daß der Schneider sich den Ziegenbart rauft, um es ein wenig kühler zu haben. Dann ist sie fort.Bald danach regt es sich in einer andern Ecke; der Hund, der darauflos will, fährt heulend zurück. Da steht nämlich Dullhorns Küchenknecht mit Löffel und roter Schürze und will wissen, was die Herrschaften hier suchen. Aber ehe sie antworten, fragt er flink, ob ein Fräulein durchgekommen sei.
Gewiß, lügt Snied Snitters rasch, damit der Kerl nicht auch noch ins Feuer bläst, und es sei ein feiner Herr dagewesen und habe sie abgeholt. Da wünscht der Knecht Himmel und Hölle in einen Topf und fährt auf seinem Löffel eifersüchtig hinterdrein.
In der Viehküche wird es währenddessen gewitterheiß und brutwarm. Die armen Gefangenen versuchen sich Luft zu machen, aber sie finden keine Tür außer den Mauselöchern. Der Schneider wird schier trübsinnig, und um wenigstens etwas zu beginnen, zieht Snied Snitters die dicke Milchhaut vom Topf ab. Daraus schneidet er — was soll ein gelernter Hand: werker Besseres tun —, daraus schneidet er einen dünnen weißen Anzug, weil er meint, darin würde ihm kühler sein. Weil er aber etwas Haut übrig hat, legt er auch Tute Puk ein Stück um und näht die Lappen zusammen. Selbst Kater und Köter kriegen noch einen weißen Hut und ein paar Flecke auf Bauch und Rücken.
Das sieht lustig und gespenstisch aus, und der Morgen ist darüber gekommen. Man hört, wie Leute in Nähe und Ferne geweckt werden; auf einmal öffnet sich auch eine Wand der Viehküche und Dullhorn ruft nach seinem Knecht. Als der nicht antwortet, springt er mitten in dan Raum, erblickt die vier weißen Gestalten und fährt erschrocken in die Mauer zurück.
Dann hat er sich wohl besonnen; er kommt als feiner Herr wieder und tut, als sei er's eben gar nicht gewesen. Und er lobt Snied Snitters mit rollenden Augen und fragt ihn, woher er das schöne Tuch habe, und ob es ihm in der Küche zu kühl sei.
Der Schneider, der ein schlechtes Gewissen hat, erfindet rasch eine Erklärung. Das habe er fürs Schweinefüttern angelegt, sagt er, die Tiere gediehen besser, wenn die Knechte sich mit Milch einrieben, es sei eine alte
Was er sich da wieder ausgedacht habe, knurrt der Dunkle wütend. Und ein Diebsschneider wisse sicher nicht mehr vom Füttern als er.
Mit Verlaub, erwidert Snied Snitters höflich und ist froh, daß er noch ein Gespräch findet, er hätte gewiß ein schlechtes Leben geführt, aber doch immer das beste Vieh weithin gehabt.
Das sei eine unverschämte Lüge, schreit der Böse, er hätte überhaupt nie Viehzeug besessen.
Mit Verlaub, sagt der Schneider — da packt Dullhorn, jähzornig wie er ist, die vier Gesellen und springt mit ihnen in einem einzigen Schwung über den Herd hinweg und durch die Wand hindurch in seinen riesigen Schweinestall. Ob er je solche Borster gesehen hätte, wie sie hier stünden, brüllt er Snied Snitters an.
Der ist noch halb betäubt von dem Flug, aber er merkt, daß es jetzt aufpassen gilt, und winkt auch dem Puk, achtzugeben. "Wenn der Herr mich einmal aufheben will", sagt er und reckt sich vergeblich, um in die hohen Koben zu schauen, — "wenn der Herr mich einmal aufheben will, werde ich gleich antworten. An den Trögen kann ich's nicht abzählen.
Da setzt Dullhorn den Schneider in seinem weißen Rock oben auf die Mauer des Schweinekobens, so daß dem Armen alle Knochen weh tun. Im gleichen Augenblick aber ist auch Tute Puk ins Trogloch und einem Schwein ins Ohr geschlüpft. "Heut ist Schlachtfest", bläst er ihm zu und hüpft zum nächsten, und die Säue und Borche fangen an, ängstlich zu quietschen und zu grunzen, und möchten um's Himmels willen zum Koben hinaus.
Ob er je solche Pracht gesehen hätte, brüllt der Dunkle inzwischen noch einmal.
Es seien gewiß schöne Säue dabei, sagt Snied Snitters, man solle sie doch wiegen, dann könne man genau vergleichen.
Dullhorn gerät außer sich. "Wie willst du Milchschneider meine Tiere überhaupt auf die Waage treiben?" heult er ihn an.
Snied Snitters bleibt immer noch sehr ruhig. Eine Waage sei gar nicht nötig, meint er, bis zu zehn Zentner habe er das Gewicht in den Armen. Wenn der Herr mir Gelegenheit geben will, kann ich's versuchen."Er hat den kleinen Tute Puk aus einem Schweinsohr winken gesehen und hat viel Mut.
Dullhorn weiß nicht mehr, ob er fluchen oder lachen soll über solch freches Flunkern; er zieht den Schneider von der Brüstung herab, reißt mit einem Ruck die Kobentür auf und will eine Sau zum Wiegen holen.
Darauf haben die armen Tiere aber gerade gewartet. Sie meinen, es ginge jetzt wirklich zum Schlachten, grunzen und quieken und sausen in ihrer Not allesamt zwischen Dullhorns Beinen hindurch und zur Koben: tür hinaus. Und Tute Puk, Kater und Köter hinterdrein.
Er hätte sich ja gleich gedacht, daß der Herr die Tiere nicht behandeln könne, sagt Snied Snitters trocken, während der andere sich den Mist von den Hosen klopft. Dann tut er, als wolle er auf dem Hof helfen und die Ausreisser zurückpfeifen.
Der Böse läßt es geschehen, er glaubt wirklich, Snied Snitters sei ihm über. Er kommt auch gar nicht viel zum Nachdenken, da ist eine Jagd und ein Lärm im Gange, als sei die Hölle los. Über den Hof saust es hin und her, kreuz und quer; der Köter hat zwei Schweine zugleich am Ohr, und Tute Puk reitet einem auf dem Nacken, daß es eine Lust ist.
Es wird noch ärger. Kaum treten Dullhorn und Snied Snitters vor die Tür, da geht die Jagd aus Dreck und Trebern gerade auf sie zu. Der Teufel drückt sich gegen die Wand. Der Schneider aber muß auf einem der Tiere reiten lernen, der Kater springt auf ein anderes, und Tute Puk braust allen voran. Während Dullhorn jedoch hofft, die Wildheit nun in den Koben zurückfahren würde, sieht Tute Puk die Höhle, durch die sie in dies Land hereingekommen sind. Er kriegt sein Tier am Ohr, daß es quietscht, duckt sich, und alle Leute legen sich platt auf die Schweins:
So ist Snied Snitters auf die Erde zurückgekehrt, und viele Menschen sind zusammengelaufen und haben die herrlichen Schweine bewundert, mit denen er heimkam. Der böse Knecht aber hat lange keine rechte Lust bezeigt, es noch einmal mit ihm aufzunehmen. Er hatte das erstemal zuviel Umstände gehabt und hat wohl auch Angst bekommen, solche Ärgerlichkeiten könnten sich unter den Menschen herumsprechen.
Die Hollentochter in der Heide
Auf einmal, ohne daß ein Wetter in der Nähe wäre, fährt ein Staubwirbel die frühlingshelle Dorfstraße entlang. Es ist der Hagemann aus dem Bauernwald; er ist sehr eilig, er hörte nämlich, daß die schöne Hollentochter heimkehrte, die ihre Burg draußen in der Heide hat.
Zu gleicher Zeit sitzt Knorrjohann, der alte Gespensterseher, vor seiner Kate. Ihm ist zumute, als ob etwas sehr Feines bevorstünde; die Sonnenluft zittert, und die Mittagskatzen laufen durch das Gras. Da tritt der kleine Rodebücks, der über Nacht hinter seinem Herd wohnt, zu ihm; der Knirps will sich für die Gastfreundschaft bedanken und sagt zu Knorrjohann, wenn er ihn Huckepack nähme, wolle er ihn den Weg zur Hollentochter führen, die auf einen neuen Liebsten warte. Oho, das läßt der Knorrjohann sich nicht entgehen!
Um die Stunde sitzt aber auch der Spielmann Hein Iwer in der Wirtschaft da kommt der Hochzeitsreiter in rotem Mantel vorbei und erzählt, es werde bald ein großes Fest um die Hollentochter geben. Und er schenkt dem Spielmann eine kleine Wurzel, mit der er über das Land der Menschen hinaus den Weg zum Schloß findet.
So eilen drei Herren denn ungefähr zur gleichen Zeit zur schönen Frau. Die ist sehr erstaunt über die vielen Freier und weiß nicht, wen sie wählen soll. Sie lädt sie wohl in ihre Burg ein, aber sie wird nur einen von ihnen nehmen und sagt endlich: wer ihr am besten die Langeweile zu vertreiben wüßte, den wolle sie zum Liebsten haben.
Nun hat Knorrjohann seine eigene Meinung von der Langenweile. geht zu Bett und schläft sich aus, wenn sie über ihn kommt; er möchte der Frau den gleichen Rat geben, rollt sich wie ein Igel zusammen und spricht beständig sieben Worte vor sich hin, von denen er träumen will.
Die Hollentochter lacht jedoch nur über den alten Knorrjohann, und der Hagemann lacht auch, zieht seine Flöte und pfeift eins drauf, er meint, das sei herrlicher als irgend etwas in der Welt.
Der Tag ist indes zu heiß zum Tanz, der Braune findet heute keinen Beifall. Da fängt Hein Iwer kleine Sonnenstrahlen ein, beugt sie zu goldenen Buchstaben, wirft sie durcheinander und will daraus wahrsagen.
Aber die schöne Hollentochter ist gegen alle drei Herren freundlich, — mehr geschieht nicht.
Wer denn am höchsten singen könne, will sie wissen.
Da richtet sich Knorrjohann als erster auf; er hat damals noch nicht die tiefe Stimme vom vielen Trinken gehabt und singt, so gut er kann, der Frau etwas vor. Der Hagemann aber ruft eine kleine Nachtigall, versteckt sie in seinem Bart und läßt sie am hellen Tag trillern, daß wohl kaum einer es besser vermag. Darüber gerät sogar Hein Iwer in Bedrängnis, gegen solches Lied weiß er so leicht nichts Schöneres zu setzen. Schließlich aber fängt er sich eine Lerche, bläst ihr die Brust mit seinem Altem voll, läßt sie aufflattern, und als sie oben im Blau über der Heide zu schmettern beginnt, sagt er zu der Hollentochter: "Ich singe am höchsten, hörst du nicht? Gib zu, daß ich gewonnen habe.
Die Frau lacht, aber sie schüttelt den Kopf, obschon zu merken ist, daß dieser Spielmann ihr gut gefällt. Die Herren müßten sich erst noch einmal bewähren, meint sie. Und wer sie am besten wiederzufinden vermöge, der werde sie wohl auch am liebsten haben, den wolle sie wählen. Da müssen die drei Brautwerber die Köpfe zusammenstecken und dürfen nicht aufschauen. Die schöne Frau aber flieht treppauf, treppab, durch Busch und Zaun. Und so sehr die Herren horchen, auf einmal hören sie ihre Schritte nicht mehr. Da erheben sie sich, und jeder hofft, daß er diesmal gewiß gewinnen werde.
Moran rennt der Hagemann; er hat der Hollentochter heimlich eine Rose angesteckt, nun läuft er mit witternder Nase durchs Haus und tappt in den Garten hinaus. Aber auf der letzten Stufe liegt seine Rose, die Frau war wohl klüger als er.
Knorrjohann stolpert ihm nach. Er klettert dreimal durch alle Gebüsche, und weil er niemand findet, bricht er in den Keller ein; er meint, daß man sich nirgends dunkler und kühler verstecken könne als dort. Er ist sehr traurig, als er auch da keinem Wesen begegnet, und labt sich, ehe er Weiter-
Hein Iwer läuft nicht gleich wie ein Blinder drauflos; er weiß zu gut, daß er all seine Klugheit zusammennehmen muß und daß die Frau es ihm nicht leicht machen wird. Als die andern zwei schon aus der Tür sind, sitzt er noch da und tut, als warte er auf eine Eingebung. In Wirklichkeit hat er ein kleines goldenes Haar der Hollentochter am Boden gesehen. Ja, kaum ist er allein, hebt er es auf, streichelt darüber hin und sagt zu ihm, wie leid es ihm sei, daß es seine Geschwister verloren habe. Ach, antwortet das Ding, wenn er es wieder zu den Seinen bringen wolle, würde es ihm sicher vergolten werden.
Da fragt der Spielmann, wo die anderen seien, und das Haar verrät ihm, der Weg wäre gar nicht weit. Er brauche nur durch das Fenster zu steigen, draußen stünde ein großer Apfelbaum, der seine Äste bis ans Haus strecke. Und das Haar will, daß der Bursch mit ihm ins dichteste Laub kriecht, da findet es all seine Geschwister.
Und Hein Iwer die schöne Hollentochter.
Die beiden haben sich noch eine Weile anhören müssen, wie der alte Knorrjohann unten im Keller um die Bierbottiche
tappte, und auch, wie der wilde Hagemann mit gräßlichen Verwünschungen alle Wege und Lauben des Gartens auf und ab tobte bis in den späten Abend.Dann sind sie allein geblieben.
Und es ist gewiß, daß Hein Iwer, der Schelm, die dritte Aufgabe gelöst und damit den Sommer gewonnen hat, nur weil er das kleine goldene Haar der Hollentochter zu seinen Schwestern brachte.
Drei Reiter und die Hollentochter
Es war einmal eine Hollentochter, die hatte eines Tages hochmütig ihr weißes Brot den Fischen vorgestreut. Das hat aber ihre strenge Mutter gesehen und hat ihr zugewünscht, ein Menschenleben lang als Bäuerin zu verbringen, damit sie lerne, was ein einfältiger Laib Brot für Mühe und Sorge macht.
Die schöne Hollentochter hat sich also, kaum daß das Wort gefallen war, als Magd bei einem Bauernvogt im Dienst befunden; dort sollte sie warten, bis jemand käme und sie nähme. Aber sie hat bei allem Kummer und bei aller Beschwer doch ihren Hochmut nicht verleugnet. Die meisten Burschen, die um die edle Fremde werben wollten, ließ sie schlimm abfahren.
Nun ist meine Geschichte schon lange her, sie spielt in der Zeit, als Feinde aus aller Welt in unserm Lande gehaust hatten und alle Wege voll abgedankter Soldaten waren, die sich als Bettler und Plünderer umhertrieben. So kamen eines Tages auch drei Reiter am Dorf vorbei, in das die Hollentochter verdungen war. Gerade als sie zum Wald lief, um Wurzeln das Abendessen zu graben, umritten die Schelme das Mädchen und verlangten, daß es einen von ihnen zum Schatz wählte, so wie es damals nach Kriegsrecht herging.
Der Hollentochter war gar nicht danach zu Sinn. Was half es, einem Reiter zu gehören, wenn sie, ohne einer Bäuerin Leben geführt zu haben,
doch nicht zu ihrer Mutter heimkehren durfte. Weil die Herren indes höflich waren und nur aufpaßten, daß sie nicht entkam, gefiel es dem Mädchen in seiner Eitelkeit, daß man ihm nachstellte.Die Räuber waren inzwischen auch gewahr geworden, daß sie einen seltsam schönen Vogel gefangen hatten. Und weil sie wußten, wie übel das ausgehen konnte, und Streit untereinander fürchteten, meinte der älteste von ihnen, daß es unter Reitern am besten sei, nicht die Jungfer wählen zu lassen, sondern ehrlich um sie zu würfeln. Gleich holte er auch schon den Würfelbecher heraus, schüttelte ihn über den Weg aus und warf unter viel Schelten dreimal eine Eins. Als die andern das sahen, lachten schallend, sie meinten, einem von ihnen müsse die Beute jetzt zufallen. Und der zweite tat einen guten Wunsch und stülpte den Becher ina Moos.
Aber er warf nur dreimal das gleiche, lauter blanke Einsen, es war wohl schon Zauberei des Fräuleins dabei.
Der dritte glaubte ja noch, er brauche gar nicht erst zu würfeln. Er war der jüngste der Reiter, hatte die beste Zucht bewahrt und fragte das schöne Mädchen freundlich, ob es ihm nicht freiwillig in seine Heimat folgen wolle, er werde ehrlich mit ihm sein und es gewiß zu seiner Ehefrau machen. Aber die beiden andern ließen sich nicht darauf ein, sie verlangten, daß auch er den Becher umstürze. Und sieh da, es gelang ihm nicht besser als den Freunden, da lagen wieder drei Einsen im grünen Moos. Mit der Heirat war es nichts, und das Mädchen huschte von dannen, ehe die Reiter sich recht besonnen hatten.
Als die drei sich nun verdutzt anblickten und vielleicht auch merkten, mit wem sie es zu tun gehabt hatten, kam da ein alter Kulenkerl des Wega, der hatte gerochen, daß etwas um die Hollentochter im Gange war. Er hatte es selbst auf sie abgesehen, war Gift und Galle, daß drei Reiter sich um mühten, polterte gleich gegen die Gesellen los und wollte ihnen zu Leibe. Der Verwunschene ist aber schlecht dabei gefahren. Denn so wenig die drei gegen die schöne Hollentochter ausrichten konnten, mit ihm wurden schnell fertig. Kaum stieß er blasend nach dem ersten, da hieb ihm schon der zweite mit der Plempe übers Maul, und als er den mit seinen riesigen
Die drei wurden des kaum noch gewahr, sie hatten genug mit sich selbst zu tun. Da kamen nämlich gerade reitende Bauern des Wega, die mit plündernden Soldaten abrechneten. Sie kamen so rasch, daß die Freunde sich nicht mehr wehren konnten; im Nu waren sie unter den Pferden, wurden gebunden und gezwungen, den Roßschweifen zu folgen. Ja, einer von ihnen mußte auch noch den schlimmen Kulenkerl auf den Rücken nehmen, damit er gleich ein Zeugnis gegen sich mit zur Richtstätte brächte.
Als die Reiter dann mit dem Erschlagenen vor den Bauernvogt geführt wurden, brauchte der für seinen Urteilsspruch nicht viel Zeit, obschon die drei bis zuletzt leugneten und behaupteten, der Tote habe sie als böser Unhold angefallen. Der Schein sprach gegen sie, niemand hat es ihnen geglaubt.
Nun war aber in jener Zeit das Land menschenarm, und es fehlten Hände, um das Korn einzubringen. Als die Schelme schon unterm Galgen standen und noch immer leugneten, sagte der Bauernvogt deshalb, es genüge ihm, wenn zwei von ihnen gerichtet würden, der dritte könne als Knecht bei ihm dienen. Sie sollten würfeln, befahl er, und wer die höchsten Augen hätte, der könne bei ihm bleiben.
Wie die drei armen Sünder sich nun umschauen, erblicken sie unter dem neugierigen Volk auch das Mädchen, um dessentwillen sie so sehr in Bedrängnis gekommen sind. Und als sie seine Anmut sehen, hat ja jeder ein heftiges Verlangen, den besten Wurf zu tun. Als erster versucht es der älteste. Was glaubt ihr? Er, der vorher drei Einsen gewonnen hat, würfelt die große Sechs. Die Bauern meinen schon, es sei Gottes Zeichen, daß dieser am unschuldigsten sei, obschon er gewiß am ruppigsten aus den Augen blickt. Sie dürfen indes den beiden anderen nicht verwehren, auch ihr Glück zu versuchen. Da wirft zu ihrem Erstaunen der zweite Reiter
drei Sechsen wie der erste, und als der jüngste daran kommt — es ist der, um den es den Leuten noch am ehesten leid tun könnte —, da geht es wie mit einem Wunder zu: die Knöchel rollen und rollen wie unter einem verhexten Hauch, bis nichts als die höchsten Zahlen oben liegen. Und der Richter und die Bauern und alle Knechte schütteln die Köpfe und besehen sich die Würfel. Aber es ist nichts Böses daran, es scheint fast wie ein Gotteszeichen.So sehr deshalb die Reiter, die unsere Schelme gefangen hatten, zum Hängen raten, der Bauernvogt sagt, ein Wort sei ein Wort, und er habe kein Recht, zwei von den Männern zu richten, wenn er dem höchsten Wurf das Leben zugesprochen habe. So wird es nichts mit dem Galgen, die drei dürfen auf Schusters Rappen ihres Weges ziehen, nur ihre Pferde und ihr Packzeug müssen sie bei den Bauern lassen.
Während sie nun traurig am letzten und größten Haus vorübertrotten, tritt da auf einmal das Mädchen, das sie hatten gefangennehmen wollen, vor die Tür und lacht über die geplünderten Landsknechte.
Die wagen nicht noch einmal, nach ihr zu greifen; es kommt ihnen vor, als sei beim Würfeln nicht alles mit rechten Dingen zugegangen und als hätten sie einen Dank abzutragen. Aber während die andern nicht gut wissen, wie sie auf das Lachen antworten sollen, wagt es der jüngste — den drückt es trotz aller Plage am schwersten, daß er das Dorf eingängig verlassen muß. Und er ruft lustig, nun hätten sie fast vergessen, daß die Jungfer doch den Besten von ihnen zum Schatz wählen wollte. Die andern beiden knurren, sie mögen nichts mehr davon hören. Aber ihr Freund fragt gleich noch einmal und fügt hinzu: wo das Fräulein ihnen zweimal ihren Zauber gewiesen habe, möge sie's auch noch ein drittes Mal tun, und sicher werde sie keinen andern als ihn wählen.
Seine Genossen denken, er werde für solche Worte am Ende doch noch den Kopf verspielen. Aber was glaubt ihr wohl, was geschieht? Auf einmal laufen zwei der Pferde, die sie haben dalassen müssen, des Wegs, traben auf die beiden älteren Gesellen zu, heben sie am Gesäß hoch und werfen sie kopfüber in die Sättel. Und dann auf und davon!
Dem dritten tut es leid, daß er sein Pferd nicht gekriegt hat, er hat schon auf der Zunge, den beiden ein böses Wort nachzurufen. Da sieht er die Hollentochter winken; er besinnt sich, hält den Mund ganz still und bedenkt nur, wie er am raschesten zu ihr über den Graben gelangen kann.
Und ich glaube nicht, daß das Bleiben ihm am schlechtesten bekommen, noch daß er mit dem Eheweib, das der Bauernvogt ihm schließlich hat zusprechen müssen, weniger zufrieden gewesen ist als mit jenen zwei rauhbackigen Gesellen, die ihn verlassen hatten. Ich weiß nur, daß die Hollentochter ihr bäuerliches Leben, wie es ihr auferlegt war, guter Dinge zu Ende gebracht hat. Und man sagt, daß der Reiter es ihr bald abgeguckt hat, wie man die Einsen und Sechsen wirft, und ihr zuletzt sogar über- gekommen ist.
Das ist gewiß auch nötig gewesen, denn es taugt nicht, daß die Frauen zu klug werden — das heißt, die klugen lassen sich's nicht merken, das erkennt unsereins ja meist erst hinterher.
Vertauschte Gäste
Fein gedeckt war der Tisch bei Peter Sott, und feine Leute wurden erwartet Ein Bote aus der Stadt hatte Bescheid gegeben, ein vornehmer Landauer werde zum Abendessen vorfahren, sehr hohe fremdländische Herrschaften seien es, die hier draußen für einen ihrer Freunde Kindertier feiern wollten. Ja, Kindelbier bei Peter Sott, der sommers im Grünen Wirtschaft hielt und berühmt wegen seiner guten Küche war.
Eilfertig jagten die Kellner hin und her, klapperten mit dem Geschirr, falteten die Wundtücher, strichen alles noch einmal glatt und standen wieder und horchten, die Ohren gespitzt, auf die Landstraße hinaus, ob der Wagen käme.
Nun war aber um die gleiche Zeit etwas weiter längs beim Kulenkröger Kindtaufe der Unterirdischen — ihr wißt, der Kulenkröger ist der
Als sie nun so kneipesuchend bei Peter Sott im Grünen entlang kamen, war es beinah, als hätte der vom Kindertier beim Kulenkröger und von den Plänen der Herren gewußt. Der Hausknecht stand schon der Straße und hielt gleich das Pferd an, alle Kellner dienerten, und der Wirt, der sich zuerst sehr an den alten
Karren und an die kleinen, fremdartig gekleideten Gäste gewöhnen mußte, kam schließlich selbst an den Schlag und glückwünschte der Mutter zum Nachwuchs. Ja, er tätschelte dem Zwergknirps eigenhändig über die Backen und hieß alle ente herzlich willkommen. Was er in Haus und Keller habe, solle den Gästen gehören, sagte er feierlich.Der Zwergkönig vom Heidberg hatte solch freundliche Aufnahme kaum erwartet. Er hatte früher keine hohe Meinung von den Irdischen gehabt, jetzt zeigten sie sich von der besseren Seite. Das eilte und dienerte und trug Suppe und Fleisch und Karpfen auf den Tisch —oh, das kleine, feiernde Volk wußte sich kaum zu lassen vor Vergnügen und vergnügtem Bewundern. Am Ende stand der Alte vom Heidberg selbst auf, strich sich dreimal durch den Eisbart und ermahnte in seiner etwas älterlichen Sprache die Freunde, nie zu vergessen, wie ihr König zum Kindelbier von den Menschlichen aufgenommen sei. Da tranken alle noch einmal, sprangen auf den Tisch und hoben ihr Glas auch dem Wirt entgegen, der sich etwas verblüfft verneigte und nach einem Trunk schickte, um dem Herrn König Bescheid zu tun — ja, König hatte er deutlich gehört.
Peter Sott war sich nämlich durchaus nicht im reinen über die Fremden. Der Landauer gefiel ihm nicht, niemals hatte er solch uraltes, gebrechliches Ding gesehen; es war, als habe es hundert Jahre im Schuppen gestanden. Und die Gäste — einmal hielt er den Kellner an und fragte ihn sanft, was das wohl eigentlich für Volk sei. Aber der zuckte die Schultern. "Vom Amerika vielleicht, oder Asien", flüsterte er. Damit mußte Peter Sott sich bescheiden. Aber er hatte wirklich noch nie solchen absonderlichen kleinen Besuch gehabt.
Es sollte ja auch bald Licht in die Geschichte kommen. Alla die Knirpse nämlich im besten Schmausen sind, rollt es wieder auf der Straße an. Ein wunderschöner, nagelneuer andauer fährt vor, noch einmal steigen sieben Herren aus, dazu Mutter mit Kind, und fragen, wo die bestellten Tische seien.
Es hatte draußen zu regnen begonnen, das bedeutet an sich für einen Wirt im Grünen keine gute Laune. Es hatte sich auch ergeben, daß die
bisherigen Gäste, so klein sie waren, mehr zu essen vermochten, als Peter Sotts Küche vermutet hatte. Jetzt trank gerad einer der Knirpse vor dem Kröger, tanzte von einem Bein aufs andere, rühmte, daß er noch nie so freigebig geladen gewesen sei, bedankte sich, und ich weiss nicht was alles.Peter Sott sah mit gefurchten Brauen dem Zwerg zu, er horchte mit vorgeschobenen Ohren auf die Unterhandlung des Oberkellners mit den neuen Gästen, er schielte linkgseits zu den beiden Landauern hinüber, zu dem alten knickerigen der Unterirdischen, der überhaupt eine Schande für sein Haus war, und zum andern, über den sein Herz lachte. Und er trat grollend, mit jedem Schritt würdiger und gefestigter, auf den Tisch des glückseligen Volkes zu, räusperte sich seine böse Laune hoch und fragte rauh, wer die Herren eigentlich seien und woher sie kämen.
Es klang aber so entsetzlich drohend, und Peter Sott, der an das ungeheure Gelächter und an die Schande in Stadt und Dorf dachte, sah so gefährlich aus: Im nächsten Augenblick hatten alle Unterirdischen die schlimme Lage erkannt und sich im Nu ihre Nebelkappen aufgesetzt.
Der Tisch war wie leergezaubert, nur der Säugling schrie, eine Weile sah man noch rätselhaft ein letztes Stück Fleisch vom Teller verschwinden, oder Peter Sotts gute Zigarre im Rauch auf und ab wippen. Dann war die andere Welt wie eingeschluckt.
Einen Herzschlag lang rieb der Kröger sich Leber und Stirn und klappte die Augenlider zu. Er hatte das Gefühl, als schwämme in ihm etwas von unten nach oben und von vorn nach hinten. Dann faßte er sich, wie ein guter Wirt allem gewachsen sein muß. Ein Wink, ein kurzer Ruf, die Teller flogen, die Tischtücher blähten sich, und das Geschirr wechselte.
Peter Sott atmete erleichtert auf. Er ordnete die Plätze, entschuldigte sich sehr feierlich bei den neuen Gästen und log ihnen etwas vor — oh — zur Nacht wollte er über alles nachdenken, jetzt galt es nichts, denn Fassung zu bewahren. Und Mut gegen das unsichtbare Drohen und Murren und Rauchen und Pruschen, das sich noch immer rund um den Tisch bewegte.
Das Schlimmste sollte indes erst kommen. Kaum hatte nämlich Peter Sott den Feiernden den Rücken gekehrt, in der Küche einem Mädchen gekündigt und alles zur höchsten Leistung angespornt, gerad trat er wieder in d Gaststube, da hörte er deutlich einen Befehl: "Sett sum de Kappen op!"
Mit dem nächsten Atemzug sind die eben eingefahrenen neuen Herren weggeblasen, sitzen die Unterirdischen wie vordem sichtbar am Tisch und grinsen und blähen sich und trinken die frisch gefüllten Gläser. Zwischen ihnen aber hebt ein verdutztes Schreien und Jammern und Zetern aus der Unsichtbarkeit an, ein Verwünschen und Hilferufen, so daß jedes Men-; schenherz sich erbarmen muß.
Peter Sott ist die Geschichte unheimlich big zum Grausen. Er tastet nach Herz und Leber und ist froh, daß er sich selbst noch leibhaftig fühlt. Einen Augenblick meint er auch, er müsse die Unterirdischen versöhnen und um Hilfe für seine Gäste bitten. Aber die Wichtgesichter sehen ihn so schadenfroh an, so frech und spitzbübisch aus ihrer gekränkten Kindelbierfreude, Peter Sott kann den Mund nicht auftun und den Fuß nicht heben.
Endlich fällt ihm irgendeine alte Geschichte ein. Der Pastor, denkt er. "Der Pastor!" stottert er vernehmlich. Er wendet sich also, setzt mit zitternden Knien ein Bein ums andere und wundert sich nur, daß sie noch sichtbarlich erscheinen. Bis zur Tür murmelt er ein Gebet, stolpert über die Schwelle und macht sich stöhnend auf: noch nie, seit er eine vornehme Wirtschaft im Grünen hat, ist Peter Sott so rasch zur Kirche gelaufen.
In der Gaststube bleibt währenddessen eine heillose Aufregung. Die Unterirdischen sind jetzt obenauf. Sie tanzen mit den Absätzen auf dem blütenweißen Tischtuch, sie haben die junge Mutter eingehakt und drehen sie, bis sie kaum Atem holen kann. Und als einer von den mutigen unsichtbaren Gästen mit Gabeln nach ihnen zu stechen beginnt, schlagen sie wie Füllen hintenaus, klettern zu Peter Sotts wunderschönen gläsernen Leuchtern hinauf, werfen Apfelschalen und Süsse nach unten in die neu aufgetragene Suppenschüssel und wissen sich kaum zu bergen vor Ausgelassenheit Ein Lied singen sie dazu, es ist gut, daß bei dem Durcheinander kein Mensch es verstanden hat.
Plötzlich aber kommt ein durchdringendes Pfeifen von dem Alten, der im obersten Leuchter sitzt. Er horcht nach der Straße und pfeift wieder. Da kribbelt und krabbelt auch schon das Ganze blitzschnell von Schapp und Schrank und Leuchter nieder. Mit ein paar Sätzen sind die Knirpse mitten auf dem Tisch, greifen in die kreischende Unsichtbarkeit und kratzen und rühren sich. Und auf einmal haben sie allen neuen Gästen die Nebelkappen wieder abgenommen und sich selbst aufgesetzt und haspeln und sputen sich zum Ausgang, drängen und drücken — und kein Unterirdischer ist mehr zu sehen. Nur die Herren aus dem feinen Landauer schreien sich an und reiben sich die Augen, und einer von ihnen will sich vor Lachen ausschütten. So etwas sei ihm noch nie zugestoßen, sagt er.
Die Unterirdischen sind nur eben vor Ankunft des heiligen Mannes ins Freie gelangt. Aber ihr Schaden und Schabernack war nicht zu Ende. Plötzlich gehen nämlich auf dem schönen Wagen der Gäste aus der Stadt die Lichter an, jemand singt und knallt mit der Peitsche. Und noch ehe der geistliche Herr wieder nach draußen stolpert, gerät das feine Gefährt in Bewegung. Ja, es war wohl so, daß die Lümmel selbst den beiden Gäulen noch Nebelmützen aufgesetzt hatten. Die Deichseln stachen leer in die Luft voraus, die Zügel knatterten, aber der Wagen lief ohne Tiere wie ein leibhaftiger Gottseibeiuns auf der Landstraße davon.
Was soll ich noch erzählen ? Mit dem alten Landauer des Kulenkerls, den die Unterirdischen zurückgelassen hatten, war nicht viel anzufangen. Als Peter Sott hineinkroch, um ihn seinen Gästen anzubieten, brach er durch und stand gleich mit den Füßen auf der Straße. Er hat den Herren schon mit vielem Winden und Verwünschen einen andern Wagen verschaffen müssen, nur damit die Geschichte nicht ruchbar würde.
Auch wir wollen sie für uns behalten, Peter Sott könnte ja sonst Schaden davon haben.
Die Hexenjacke
Da liegt eine alte Jacke am Weg, dicht vorm Hexenhaus. Kommt ein Dieb daher, versucht sich den Plunder umzutun — weg er! Nur die Jacke liegt wieder, wo sie eben gelegen hat. Kommt ein unredlicher Ratsschreiber des Wegs, besieht sich das Ding, zieht es sich über — weg ist er! Kommt der böse Verlocker selbst vorbei, ein rechter Junker Hahnenstolz, grinst, weil er weiß, was es mit dem Zeug für eine Bewandtnis hat, denkt, ihm könne nichts zustoßen, und hängt es sich über die Schulter. Hui, auch er im Hexenkeller!
Endlich schnürt ein Fuchs vom Acker herüber, sieht die Jacke liegen, umwittert sie und steckt nur eben einmal den Kopf drunter — weg ist er!
Nun haben sich schon viele Leute im Hexenhaus eingefunden, die alle das verwunschene Ding nur eben hatten anproben wollen. Da fährt als letzter Reineke unter sie. Er sieht sich verdutzt im Keller um, stellt sich unter das Licht, um zu erfahren, wen es sonst noch betroffen hat, und fängt an zu grinsen, als er den Teufel gewahr wird. "Guter Freund", sagt er, "wenn ich schon bei den Dummen bin, so bin ich doch nicht in schlechter Gesellschaft!
Der Verlocker ist ärgerlich, daß man ihn erkennt, und noch ärgerlicher, daß man über ihn lacht. Was soll er indes machen? Er hat hundert böse Sprüche hergebetet, aber noch hat ihm keiner aus dem Keller hinausgeholfen Vielleicht weiß der Fuchs einen Rat?
Gerade da kommt die Hexe selbst vorbei, stellt sich ans Fenster und zählt, ob alle Leute, die sie sich eingeholt hat, beieinander sind.
"Hör mal, junge Frau", poltert der Böse, "das sind aber schlechte Sitten, bei mir hast du dich gewiß geirrt.
"Gefangen ist gefangen", antwortet die Alte, sie hat nicht viel Mitleid mit dem Verlocker.
Der wird recht kleinlaut. "Nachbarin", sagt er, das kann doch gewiß nicht Euer Wille sein." Und er murmelt etwas von Erkenntlichkeit und dergleichen.
Der Hexe ist das heute gleichgültig. "Gefangen ist gefangen", wiederholt sie und zählt die Leute ab.
Kommt der Fuchs ans Gitter. "Schöne Jungfer", scherzt er, "was will Sie mit meinem armen Balg ?
An seinem Balg läge ihr nicht viel, sagt die Alte, aber an seinem Pelz. Und dann geht sie weiter.
Nun, die Herren im Keller schelten schlimm hinterdrein, das hilft indes gar nichts. Niemand weiß sich Rat, und die Stunden verstreichen eine um die andere. Schließlich langweilen sie sich, es kommt ja kein neuer Gast hinzu, und die Gefangenen beginnen, sich die Zeit zu vertreiben. Zuerst erzählen sie sich allerlei Lügen und unwahre Dinge, das reicht bis zum Abend. Danach spielen sie im Scherz Gericht miteinander, der Verlocker kennt ja jedermanns Sünden. Gerade haben die Herren Reineke beim Kragen, halten ihm alle Untaten vor und sprechen ihm wegen seiner schlimmen Räubereien und Diebessachen das liebe Leben ab. Da kommt die Hexe wieder vorbei. "Was ist hier denn los?"fragt sie neugierig.
"Ach", lacht der Böse, "wir haben eben den Fuchs zum Hängen verurteilt und haben keinen Strick und keinen Galgen in deinem Keller. Willst du uns nicht helfen?" Er sagt es Bauhin im Spaß, aber der Hexe wäre es nicht unlieb, wenn ein anderer den Fuchs henkte. Sie will nur das Fell haben und hat Furcht vor seinem Fang.
Zu einem Galgen könnte sie den Herren wohl verhelfen, meint sie deshalb. In ihrem Garten stände eine schöne alte Eibe, daran könnte man so viele Leute aufhängen, wie man nur wolle. Aber sie müsse erst einen Kreis von Mahrenfüßen darumhin legen, damit keiner von den Gefangenen entwische
Die Herren sind einverstanden, jeder hofft vielleicht, daß er der Alten doch ein Schnippchen schlagen wird. Sie spielen ihren bösen Scherz also weiter, nehmen den Fuchs wie einen armen Sünder in die Mitte, und als
die Hexe die Tür aufmacht und einen Strick hereinwirft, binden sie Reineke die Läufe und ziehen mit ihm in den Garten hinaus. So gern aber ein jeder über den Hexenkreis hinaus möchte, es gelingt keinem von ihnen."Nun macht rasch", sagt die Alte, "bei mir steht ein Topf auf dem Feuer, ich will das Fuchsfell gerben.
Meister Reineke lacht mit, aber die Sache wird ihm unheimlich, er weiß nicht recht, wo der Spaß aufhört und der Ernst beginnt.
Der Strick sei morsch und tauge nicht, knurrt er deshalb. Wenn er hänge, wolle er richtig hängen und nicht an einem Tau, das reißen könne.
Er solle es nur darauf ankommen lassen, rät die Hexe.
Die Leiter sei auch nichts Rechtes, schilt er weiter, man solle es ihm erst einmal vormachen, da hinaufzuklettern.
Aber die Alte grinst und hütet sich, ihm etwas vorzumachen.
Und ein letztes Vaterunser stehe ihm frei, murrt Reineke und will ein Gebetbuch haben.
Die Hexe hat indes kein Gebetbuch, sie meint, es ginge auch ohnedem.
Da legen sich nun einige Herren ins Mittel. Ein Gebet, erklären sie, sei das Recht eines jeden Verurteilten, und sie seien für den ordentlichen Hingang des armen Sünders verantwortlich. Aber von diesen Gefangenen hat wirklich niemand ein Büchlein zur Hand.
Wenn es kein Gebetbuch gäbe, sagt der Fuchs schließlich, so hätte er doch ein Recht auf die Beichte. Wüßte er nur einen würdigen Herrn, dem er beichten könne!
Die Richter erheben ein lautes Murren, keiner will schlechter als Meister Reineke sein.
Gerade da kommt der verwunschene Küster des Wegs. Er sieht nicht gleich die Versammlung im Garten, er sieht nur die Hexenjacke, nimmt sie auf, dreht sie um und schiebt einen Ärmel über —bauz, sitzt auch er im Keller und kriecht bald scheltend durch das Loch in den Garten hinaus, Und das schlimme Weib lacht aus ihren alten Zähnen, daß just dieser als letzter in ihre Jacke hat fahren müssen.
Nun könne er beichten, sagt sie zu Reineke, es träfe sich prächtig,
Gewiß habe es der Himmel so gewollt, antwortet der Fuchs scheinheilig, daß er nicht ohne Vergebung das Leben verlasse.
Nun hätte die Hexe achtgeben sollen, denn Fuchs, Küster und Teufel sind ein starkes Dreieck, das sogar ihre Kunst nicht so leicht überwinden kann. Ihr schwant nichts Gutes, sie hält sich sorgsam hinterm Zauberkreis.
Aber sie will auch ihren Spaß an den Dingen haben.
Der Fuchs hat nämlich schon begonnen, mit reuigem Gesicht dem unholden Küster etwas ins Ohr zu flüstern. Und der hört ihn an, aber er macht dabei solch spitzes Gesicht, daß manch einer lauscht und gern ebenfalls davon erfahren hätte. Reineke sieht auch immer zerknirschter aus, während er beichtet, die Hälse der Zuhörer werden lang und länger, und
der Teufel selbst neigt sich hinzu und tut, als sei es mindestens etwas von einem ungeheuren Schatz, was er da vernimmt.Und alle Leute drängen und nicken und horchen und schlagen die Hände zusammen und seufzen und ziehen die Stirnen kraus. Und am Ende kann das Hexenweib seine Neugier nicht ganz lassen, es beugt sich weit über, um etwas von dem zu erfahren, was der Fuchs verrät. Wenn sie ihn schon gefangen hat, denkt sie, will sie auch gewinnen, was er noch an Geheimnissen weiß.
Gerade darauf haben die Herren aber gewartet. Kaum hat die Frau in ihrer Gier den Kopf in den Zauberkreis gereckt, schnappt Reineke wie unversehens nach ihrem Halstuch, so daß sie noch einen Schritt nach vorn tun muß. Und im gleichen Augenblick fahren Teufel und Küster über sie her, die Hexe fällt mitten ins allerschlimmste Dreieck, kein Vaterunser kann sie mehr sprechen.
Das hat sie nun von ihrem argen Leben und von ihrer dummen Neugier. Aug ist es mit der Freude über die Gefangenen und über die Zauberjacke, schon mühen sich die Herren zugleich um ihre ausfahrende arme Seele.
Über die Beute ist es beinahe noch zum Streit gekommen; der Böse und der Küster sind einander ja noch immer widrig gesonnen. Es ist schließlich so ausgegangen, daß der Teufel sich hat zufrieden geben müssen, die Zauberjacke zu erben. Der Küster hat die Seele bekommen — er hofft, daß sie ihm einmal wird angerechnet werden —, und der Fuchs hat sich den Keller einrichten dürfen. haust er noch heute mit Kind und Kindeskindern; er und seinesgleichen haben sich seitdem dran gewöhnt, unter der Erde zu wohnen.
Der Schiffer beim Riesenbas
Der Altonaer Hafen war voll vorfrühen Lichts. Blaß hob sich der Nebel an den Schiffswänden auf, verschlafen blinzelten die Laternen aus der Dämmerung.
Viele Leute scheuen diese graue Zeit am Wasser, aber der junge Harm hatte sich mit seinem Mädchen zum Fischen hinausgewagt; die beiden plagten und mühten sich ja ohne Aufhören um ihr Heiratsgut, obschon die schöne Wieb sich in diesen Stunden oft fürchtete. Es ist auch wirklich hin böser Morgen geworden. Alls die beiden ihr Wurfnetz gerade zum erstenmal ausgelegt hatten, ist der grüne Wassermann, der dem Mädchen schon lange und oft nachgestellt hatte, hochgekommen, hat die zwei Menschen mit einem Zauberstecken an Mund und Augen gerührt —blitzschnell — und hat Wieb über Bord gerissen.
Nun ist aber gerade in dem Augenblick, als es geschah, auch der erste Vormorgenstrahl durch den Nebel gefahren. Er hat Harm gestreift, als der Wasserkerl ihn eben geschlagen hatte, und hat ihm wieder zur Besinnung geholfen. Gleich merkte der Fischer, daß sein mädchen fehlte, und schrie Raub und Mord ins Grau hinein. Es kam jedoch keine Antwort, nur hier und da war der Ruf einer Wache von den Schiffsdecks zu hören, am Kai knarrte eine Winde, oder die Heizer, die an ihre Kessel gingen, räumten und polterten.
Als der Fischer nun noch rief und zugleich blitzschnell nachdachte, wie er seiner Liebsten folgen könne, fiel ihm ein, daß es bei dem Raub seltsam zugegangen war. Der Grüne und sein Mädchen waren, während er sich noch wehrte, jäh vor seinen Augen wie weggefegt gewesen. Und weil man doch weiß, daß die aus dem Wasser sich nicht unsichtbar machen können, schien es fast, als sei ein anderer Zauber plötzlich dazwischengefahren und hätte Räuber und Geraubte zugleich verschlungen.
Während ihm das noch durch den Kopf ging und der Zornige versuchte, dem Dieb zu folgen, — ja, gerade als der Mann unter dem Ankerspill des letzten Schiffes hindurch ins Fahrwasser des Flusses trieb, ist es ihm selbst zugestoßen, daß ein ungeheures Netz ihn und sein Boot zusammenschnürte. Er wurde federleicht aufgehoben und sah über sich einen Riesenkerl, der sich über den Fang beugte.
"Da haben wir noch einen", sagte der Unhold und wieg lachend den zappelnden Fischer einem Freund am Kai.
Wirf ihn her", rief der.
Im nächsten Augenblick flog Harm wie ein Federball durch den Nebel und wurde von einem andern Kiesen aufgefangen, der, das sah man jetzt, eine Wand des Kais hochgehoben hatte. "Das ist nun der Dritte", scholl es zurück, "was sollen wir mit ihm beginnen?
"Wirf ihn zu den Fischen", rief der erste Riese, "wir wollen unsern Vag fragen." ,Kumpel pumpel flog der arme Harm in das gähnende Loch unterm Ufer, in eine Kiesenhöhle hinein und gerad auf einen ungeheuren Fischkorb. Das Tollste aber war: Da saß wahrhaftig auch der grüne Wasserkerl mitten in dem zappelnden Fang und die schöne Wieb daneben.
Der Fischer versuchte sofort, zu seinem Wädchen zugelangen. "Da hab ich dich wieder", schrie er, "und den Dieb dazu!
Aber die arme Dirn hatte ja nichts mehr von der Frühhelle abbekommen, sie sah den Mann dumpf und ohne Erinnerung an; der Stecken des Wasserkerls hatte es ihr angetan.
Da wollte Harm ingrimmig über die Fische hinüber dem Grünen zu Leibe, und der versuchte mit allen Kräften durch das krabbelnde, schwappelnde Gewimmel davonzuflüchten. Sie konnten sich aber beide nicht helfen.
Der Fischer war noch außer sich in seinem Zorn; er warf alles, was im Korb war, über die Kante, schrie auch die Riesen an, die sich jetzt mit einer Fackel über ihn beugten, und merkte doch, daß er niemandem mit seinem Lärmen half. Die Knechte schlossen geruhig das Tor, man noch einen
Augenblick die Dämmerung draußen, dann nahm einer von ihnen den Fischkorb mit der schönen Wieb, Harm und Wasserkerl auf die Schulter und schleppte ihn in seine Stadt, die tief unter den Altonaer Höhen liegt.Bald kam auch der Bag der Riesenkerle dazu. Die beiden Gehilfen wiesen ihm den Fang und deuteten lachend auf die zwei Männer, die zwischen den Fischen lagen und schon den Bag um Recht und Gerechtigkeit anschrien.
Dem Riesenalten schien es nicht gut, daß seine Leute die Fremden mitgebracht hatten, und noch weniger, daß er gleich zwischen ihnen richten sollte. Wie habt ihr sie gefangen?" fragte er seine Knechte.
"Die beiden zuerst", antwortete einer der Fischer und deutete auf den Wasserkerl und die schöne Wieb.
"Dann gehören die zusammen", entschied der Bag. "Ich will das Mädchen meiner Frau schenken, und der Bursche soll mich bedienen.
Wie fuhr Fischer Harm auf den Riesenalten los, was wußte er alles vorzubringen, um ihm zu sagen, daß der Grüne ein Räuber sei und die arme Wieb verwünschen habe, mit ihm zu gehen! Der Bag glaubte ihm nicht, er fragte statt seiner den Wasserkerl, und der tat treuherzig fromm, erzählte von seiner Braut und behauptete, daß sie gerade in acht Tagen hätten heiraten wollen. Dann bat er den hohen Herrn, ihm doch wenigstens die Hochzeit zuzulassen. Der Alte, der sich gewiß mühte, gerecht zu sein, merkte nicht, daß der Grüne der Lügner war; er sagte ihm Erfüllung seiner Bitte zu und bedrohte den armen Harm sogar, als der wie außer sich seinen Einspruch vorzubringen suchte.
Die drei Gefangenen, Jungfer Wieb, der Wasserkerl und der Fischer, bekamen nun Lager bei dem Gesinde des Kiesenbas, — es waren ungeheure Betten, man konnte darin versinken, wenn man nicht achtgab. Harm gewann sogar bald einiges Ansehen; er wußte vielerlei von den Menschen zu erzählen, zeigte, wie man oben in der Stadt dies und das anfinge, und der Alte hörte auf ihn. Nur wenn der Fischer auf die Hoch: zeit zu sprechen kam, ließ man ihn nicht ausreden und blieb unerbittlich. Die Braut gehöre dem Grünen, hieß die Antwort, Harm habe den Wund zu halten, sonst flöge er in den Aalkorb.
Da merkte der Fischer, daß unten wie oben der gerade Weg nicht immer der rechte ist, und überlegte, wie er mit List die schöne Wieb wiedergewinnen und mit ihr von dannen kommen könnte.
Nun hatte Harm nach einiger Zeit bei dem Riesenalten so viel Vertrauen, daß er frei umhergehen, ja sogar zur Nacht einmal draußen helfen durfte, während der plumpe Wasserkerl zu Haus bei den groben Küchenarbeiten der Frauen gebraucht wurde. Dort mußte auch Wieb Töpfe schrubben, Keller fegen und zugleich ihre Hochzeit zurüsten.
An einem Freitag wurde nämlich wirklich am Haus des Riesenbas mit großen alten Buchstaben angekündigt, daß "Grone Watermann" und
Jungfer Wieb übermorgen heiraten würden. Alle reichen Leute wurden gebeten, einen Kessel Bier zum Fest zu schicken und ein wenig Brot und Milch dazu. Die Fische fürs Hochzeitsmahl hatte der Riesenbas auf sich genommen.Als der arme Bräutigam die Ankündigung las, kam er in allergrößte Nor. Er besprach sich mit seinen Freunden, den Riesenfischern; aber die wußten nicht zu helfen, rieten ihm vielmehr, er solle sich nur eine Wasserfrau aus der Elbe holen, dann käme er auf andere Gedanken. Sie liehen ihm sogar einen alten Leierkasten. Vielleicht, meinte der eine lachend, würde der Grüne später die Bräute tauschen.
Harm blieb nichts anderes übrig, als solch letzter Hoffnung zu folgen. Während die Riesen fischen gingen, setzte er sich traurig auf einen Diekdalben — das sind die großen Pfähle, die im Fluß stehen — und drehte mit aller Kraft den Leierkasten der gutwilligen Knechte.
Bis Mitternacht hat der Mann sein Lied vergeblich versucht. Dann ist endlich ein altes schwermütiges Wasserfräulein aus der Tiefe heraufgekommen, hat sich oben auf den Leierkasten gesetzt und hat Harm so wehvoll und ernst angesehen, daß es ihm durch und durch ging. Ob er sein ganzes Leben lang so schön spielen wolle, hat sie ihn gefragt. Der Fischer hat nicht ja, nicht nein gesagt, er hat nur immer den Schwengel gedreht, so daß die Verzauberte nicht wieder freikam. Und er hat gedreht, bis die Riesenknechte heimkehrten und Leierkasten, Wasserfrau und auch den Fischer Harm schweigend oben auf ihren Fangkorb taten. Sie haben den Mann aber gebeten, den Bag nicht merken zu lassen, daß er sich eine von unten mitbrachte; sie wußten nicht, ob es ihm recht war.
Harm hat sich den Rat zu Herzen genommen. Er hat das sehnsüchtige Wasserweib sorgfältig in die Truhe unter seinem Bett gepackt und hat ihm versprochen, am Sonntag wieder eine wunderschöne Melodie ausfindig zu machen. Er hat dabei sehr geheimnisvoll getan und von Gefahren und von seinem armen Herzen gelogen, so daß die gutmütige Frau sich wirklich mausestill hielt und in der Truhe Stunde um Stunde big zum Sonntag abgezählt hat.
Spät am Sonnabend ist dem Riesenbas eingefallen, daß es eine Hoch: zeit zu richten galt. Er hat die Fischer seines Volkes zum Fang ausgeschickt und hat auch Harm kommen lassen. Ein reiches Stück Tuch hat er ihm gegeben, daraus solle er der Braut ein Hochzeitskleid schneidern, hat er befohlen, so eines, wie es über der Erde üblich sei.
Die Fäuste der Kiesen taugen ja nicht zum Anfertigen von Menschen: kleidern.
Auch Harm hatte in seinem Leben noch nicht geschneidert, aber er hat versprochen, alles zu tun, was in seinen Kräften stünde. Er hat das Tuch also doppelt zusammengefaltet, hat eine Naht rundhin genäht — die Löcher für Arme und Beine hat er einfach frei gelassen — und hat dann etwas wie einen Kopf mit Auglöchern obendran angeflickt. Das Gesicht, erklärte er, müsse verschleiert bleiben, so sei es ziemlich. Der Riesenbas, der nach Feierabend aufmerksam zusah, stimmte ihm zu und sagte, es sei eine gute Sitte, die junge Frau vor den neugierigen Augen der andern zu wahren. Dann hat er die arme Wieb holen lassen, und sie haben versucht, ihr den Sack überzuziehen. Er ist aber immer noch um ein Zwiefaches zu groß gewesen, und Harm hat gescherzt, man müsse sich entscheiden, ob die Braut um ein Doppeltes zu wachsen oder ob man das Kleid halb abzuschneiden
Der alte Kiesenbas hat grinsend mit dem Kopf genickt, das solle der Fischer sich nur selbst überlegen. Dann hat er seine Pfeife neu gefüllt und ist noch einmal durch den Ort getrottet, um die Leute an die Hochzeit zu erinnern.
Kaum war er um die Ecke, da hat der Fischer seine Truhe geöffnet und der Wasserfrau geraten, das Kleid anzupassen. Die ist freudig darauf ein: gegangen; es war ihr recht lang geworden, zwei Tage in der Truhe zu hocken. Sie hat auch wieder gefragt, ob der schöne Leierkasten auf ihrer Hochzeit spielen würde, und Harm hat alles als gewiß zugesagt. Dann hat der Fischer die arme Wieb, die von allem, was vorging, nichts verstand und nur immer nach einer Frage suchte, in die Truhe gesteckt und hat das Wasserfräulein in Wiebs Bett getan. Der ist so recht wohl uma Herz gewesen,
weil der Mann schon so gut für sie sorgte; weich war das grobe Stroh nach der harten Truhe.Ihr Kleid hat sie schön neben sich auf den Brautstuhl gelegt, damit es keine Falten bekäme.
Danach hat sich im Riesenhaug alles zur Nachtruhe begeben. Sogar der Wasserkerl, der durch die Türspalte lugte, hat kein Mißtrauen mehr gehabt und hat sich ein paar Stunden Schlaf gewünscht
Kurz vor Mitternacht aber hat der listige Fischer die echte Braut in der Truhe geweckt, ist zum Lager der beiden schnarchenden Riesenknechte gegangen und hat sie mit Hebebäumen angestoßen, bis sie ihn anpolterten, warum er sie beim Henker in ihrem Schlaf störe. Es seien nicht Fische genug da, hat Harm geflunkert, und der Bag hätte befohlen, es noch einmal zu versuchen.
Die Knechte haben sehr gebrummt und gesagt, daß seit drei Tagen zunehmender Mond sei und daß sie keine Lust hätten, von den ausfahrenden Fischdampfern gerammt zu werden.
Harm hat sie aber so lange gestört, bis sie sich mit bösen Verwünschungen erhoben und schlaftrunken die Netze auf die Schultern genommen haben. Wen er noch bei sich hätte, fuhren sie ihn an. Ach, hat der Fischer gesagt, die Braut müsse sich noch etwas Mondlicht holen, das gehöre zum Schmuck bei ihresgleichen. Da sind die Knechte die tiefe Dorfstraße entlang gegangen, haben Harm und Wieb sogar in den Fangkorb getan, als sie nicht rasch genug folgen konnten, und haben die heimliche Tür zum Altonaer Hafen aufgestoßen.
Wieviel Mondlicht die Frau haben müsse, und wie lange sie fischen sollten, haben die Riesen gähnend gefragt. Den Korb dreiviertel voll, hat der Listige gesagt, und beim Mondlichtsammeln müßten sie auch helfen; aber wenn es ihnen ärgerlich sei, wolle er es allein besorgen.
Was er dafür nötig hätte?
Oh, eine alte Waschbalge, zwei Besenstangen zum Umrühren und das feinste Netz, das sie hätten.
Die beiden Riesen haben dumme Gesichter gemacht, aber sie sind zu faul gewesen, noch einmal heimzukehren und nachzufragen. Sie haben wirklich den Fischer und die arme Wieb zum Mondscheinfangen in den Fluß gesetzt und sind mit den eigenen Netzen ein Stück weiter ins Fahrwasser gewatet. Sie haben aber die ganze Heiraterei verwünscht und gescholten, auf was für sonderbare Gedanken ihr Bag in seinen alten Tagen käme.
Kaum hat Harms mit Wieb in der Balge gesessen und es sich darin mit dem Netz der Riesen bequem eingerichtet, da hat er die Besenstiele genommen und hat sich davongestakt, so rasch er konnte. Er ist auch, ehe die zwei Fischer zurückkamen, aus dem Fahrwasser hinter die Schiffe gelangt und hat, als er die beiden rufen hörte, die Balge schleunigst vertäut. Und er hat Wieb in die Arme genommen und ist mit ihr das Fallreep eines großen Seglers hinaufgeklettert. Da hat er dem Wachtmann einen Hollandsgulden in die Hand gedrückt und hat ihn gebeten, um Himmels willen zu schweigen und ihn mit der Frau big zum Morgen an Bord zu verstecken.
Und es ist wirklich alles gut gegangen. Die Riesenknechte haben erst lange geflucht und gesucht, haben die Ausreißer aber nicht mehr gefunden. In der Frühe ist die Sonne gekommen und hat mit ihrem ersten goldenen Strahl Mädchen den Zauber des Wasserkerls genommen. Da hat sie ihren Fischer wiedererkannt, ist ihm um den Hals gefallen und gut und lieb wie früher mit ihm gewesen.
Was aus der Balge geworden ist? Die hat Harm gegen ein schönes neues Boot umgetauscht, soviel Holz war daran. Und das Riesennetz hat ihm ein Fischdampfer abgekauft; ihr Heiratsgut haben die zwei dafür beschaffen schaffen können.
Der betrogene Grüne und die Wasserfrau haben nichts mehr von sich verlauten lassen. Vielleicht leben sie heute noch unterirdisch bei den Riesen, vielleicht auch hat der Bag sie aus dem Haus gejagt? Mitunter höre ich um Mitternacht eine Drehorgel im Altonaer Hafen, dann denke ich mir, daß der Alte die beiden wieder in den Fluß geschickt und ihnen den Leier
mitgegeben hat. Am Ende sitzt Gröne Watermann gerade jetzt auf einem Diekdalben und muß seiner Wasserfrau statt der hübschen Wieb etwas vorspielen. Geschieht ihm recht, sag ich.
Butt Buttje
Es war eine ärgerliche Sache, aber von Butt Buttje wollte niemand etwas wissen. Er war nun einmal zu klein geblieben für die Musikanten, die in den Hamburger Straßen aufspielen; die Gassenjungen trieben ihren Schabernack, statt ernsthaft der schönen Musik zuzuhören, und die Mädchen drehten sich nicht, sondern guckten Butt Buttje in die große Posaune.
Da war der Knirps sehr traurig, saß in seiner Kammer und wußte nicht, was er anfangen sollte.
Nun müssen aber die Unterirdischen von seinem Kummer erfahren haben. Eines Tages sind drei von ihnen mit Trompete und Klarinette bei Butt erschienen und haben ihn gefragt, ob er nicht ihr vierter Wann werden wollte. Sie hätten gehört, sagten sie, bei den reichen Hamburgern sei noch viel zu verdienen, und der kleine Schmuhl, der bisher immer mit den dreien Musik gemacht hatte, sei dem großen Wasserkerl in die Hände gefallen, ach, der arme Schmuhl!
Die Unterirdischen waren nur einen Kopf geringer als Butt Buttje, er war deshalb gar nicht abgeneigt, auf den Vorschlag einzugehen. Sie sagten ihm also, daß Uhl, Puhl und Muhl hießen, und begannen gleich aus Leibeskräften vorzuspielen, so daß Butt Buttje vergnügt wurde, seine Posaune hervorholte und mit den Gästen auf seiner Stube ein so wunderschönes Konzert anhub, daß die Hausleute an Decke und Tür klopften.
Die vier ließen es sich nicht verdrießen, sie gingen frohgemut auf die Straße. Und obschon eine Schar von Gassenjungen hinter ihnen her hustete und huckepack lief, stellten sie sich an die nächste Ecke und stimmten
solch herrliches Lied an, daß sich bald alle Fenster öffneten, viel Kupferpfennige herunterrollten und wirklich die kleinen Mädchen nicht mehr in die Posaune guckten, sondern tanzen mußten, ob sie wollten oder nicht.Nun ist's aber eine ärgerliche Sache, daß zur Straßenmusik außer der Freude und dem guten Willen auch die Erlaubnis der gestrengen Polizei gehört; daran hatten die vier Freunde noch nicht gedacht. Kommt auch bald ein Riesenkerl von Schutzmann, legt die Handschuhe ins Kreuz und wartet höflich, daß die sonderbaren Musikanten ihr Lied beenden, um sie auszufragen. Die viere merken ja Unrat, sie spielen weiter und fangen immer wieder von vorn an, weil sie hoffen, daß es dem Schutzmann langweilig wird. Der Riese wandert schmunzelnd auf und ab, er sieht sich die Knirpse von oben und von den Seiten an, er stemmt die Fäuste sogar auf die Knie und bückt sich, um ihnen unter die Mütze zu lugen. Auf einmal aber, als der Herr Schutzmann gerade freundlich zu den Fenstern hinaufblickt, weil sich dahinter die Dienstboten drehen, gibt Buttje den andern ein Zeichen, die vier Freunde nehmen Posaune, Klarinette und Trompete unter den Arm und laufen, was sie können. Und die ganze Straße vergnügt sich so sehr über die ausgerissenen Musikanten, der Schutzmann ist ein guter Kerl, er lacht auch aus vollem Hals.
Das soll ihnen nicht wieder zustoßen! Die vier stecken die Köpfe zusammen, sie beraten und beraten, und endlich sieht Puhl ein wunderschönen Loch unter einem Siel, da kann kein Schutzmann hinterdrein. Sie heben also den Deckel auf, klettern eins, zwei, drei hinunter und lassen den Rost wieder drüberfallen. Nun richten sie sich auf Treppe und Ziegelsteinkante ein und fangen von neuem ihr Konzert an. Das wird so schön, daß die Leute auf der Straße stehenbleiben und sich um das Wunder versammeln müssen. Viele haben ihr Taschentuch vor den Augen, andere singen mit, und bald fällt ein Pfennig nach dem andern zwischen die Sprossen nach unten.
Aber nach einer Weile kommt der Schutzmann und will wissen, was da für ein Auflauf ist. Alls die vier aufschauen, sehen sie sein großes rotes Gesicht gerade über sich. Da bekommen sie wieder Furcht, sie nehmen
die Instrumente in den Arm, kriechen in ein dickes Rohr und laufen über Dreck und Drähte, bis Uhl einen Ausgang findet und sie mit der Dämmerung auf die Straße gelangen.Die vier Freunde haben inzwischen ganz gut verdient, und weil sie so gern Musik machen, überlegen sie hin und her, wie's weiter anfangen sollen. Dabei geraten sie an den Alsterfluß und meinen, daß der Schutzmann gewiß nicht schwimmen könne. Sie binden also ein Boot ab und lassen sich recht weit auf das Wasser hinaustreiben, big dicht unter die großen Brückenbögen, unter denen doch — aber das ahnen die vier Leute ja nicht — gerade der Riesenwirt eingezogen war, der das wilde Volk aus Mudd und Kohlenschuten bei sich zu Gast hat.
Die vier wissen nichts von Langebart — so heißt der Unhold —, sie freuen sich ihres Lebens! Es sind auch noch andere Boote auf dem Wasser, so daß ein Spiel sich zu lohnen scheint; die Freunde blasen also die Backen auf und beginnen.
Das hat ein Aufsehen auf dem Alsterfluß gegeben! Alle Leute auf Brücken und Schiffen werfen einen Groschen nach dem andern zu den Musikanten hinüber. Big zur Dunkelheit dauert das Spiel, da hängen die vier ein paar Lampen auf, alle hübschen Mädchen in Kähnen und Faltbooten klatschen in die Hände und lachen und rufen, solch drollige Knirpse hätten sie noch nie erlebt.
Auf einmal ist aber mit lautem Puckern ein großes Fahrzeug durch die Schar der Zuhörer näher und näher gekommen. Das schaute so braun und grimmig drein, den vieren schoß ein schlimmer Schreck durch die Glieder. Und weil sie mit den Rudern nicht Bescheid wußten, haben sie Posaune und Trompete schief ins Wasser gesteckt und von oben hineingeblasen, so daß ihr Boot wie ein brodelnder Raddampfer ins Dunkel auf und davon gefahren ist.
Nun ist es den vier Freunden dabei sonderbar ergangen. Sie haben nicht darauf geachtet, daß sie in ihrer blinden Eile zum bösen Langebart gerieten, der unter den Brückenbögen seinen Krug hält. Sie haben nur einen Kerl wie einen dicken Bierzapfer gesehen, der ihnen winkte, in seine
Schenke einzutreten, und weil sie sich freuten, wie gut sie der Polizei entkommen waren, haben sie zu viert ein Glas Bier bestellt und von allen Seiten zugleich die Bärte hineingesteckt. Im Augenblick aber, wo sie es antranken, hat der Bierzapfer sich verwandelt, und ein wilder Riese hat vor ihnen gestanden."Wisst ihr, wo ihr seid?" hat er gefragt.
"Nein", haben die vier geschrien, "aber tu uns nichts, liebes Ungetüm."
Der Riese hat grimmig gelacht: "Wißt ihr, wie ich heiße?
"Nein", antworteten sie wieder, und sie hätten doch nur Musik machen wollen.
Dann hab ich die Rechten", nickte der Große befriedigt, "auf Musikanten lauerte ich gerade.
Ich sagte bereits, vor dem Brückenkröger zwischen Binnen- und Butenalster hätten die vier sich in acht nehmen sollen. Viele Leute hatten schon versucht, ihn zu vertreiben, aber weil zu der Zeit noch niemand seinen Namen wußte, konnte ihm keiner etwas anhaben. Die armen Gefangenen haben auch später erzählt, daß es ein arger Aufenthalt bei Langebark gewesen sei; sie haben insgesamt nur eine winzige Kammer und blitzwenig Essen und Trinken gekriegt. Dafür haben sie jeden Tag ohne Lohn bis zum speien Abend vor seinen unholden Gästen aufspielen müssen; selten genug, daß einer der Leute einmal ein besonderes Lied haben wollte und ein paar Groschen oder eine ,Kunde hinaufgeschickt hat.
Nun waren die Musikanten aber nicht die einzigen, denen es so bös erging. Viele Vögel waren bei Langebart unter den Brückenbögen gefangen, und hundert kleine Wichte hatte er sich am Ufer ausgegraben, die mußten von früh bis spät für seine arge Wirtschaft fegen und feudeln, schrubben und schrapen, kochen und braten, und ich weiß nicht was. Ach, alle hätten gar zu gern gewußt, wie man aus diesem argen Dienst wieder von dannen käm, niemand hat indes einen Ausweg entdeckt. Weil aber einige Leute dem schlimmen Wirt sein Unrecht vorhielten, hatte er ausgelobt: wenn jemand seinen Namen erführe, wolle er allen Gästen die Rechnung erlassen und auch die Gefangenen freigeben. Er war aber so vorsichtig, jeden
Monat einen anderen Namen anzunehmen, da konnte keiner den Zauber brechen.Die vier Freunde haben bald allen Mut verloren. Wenn die braunen und grünen, die reichen und armen Gäste des Krögerg gegangen waren, haben die Musikanten mit hängenden Köpfen beisammengestanden, ihr Los beklagt und die Zähne aufeinandergeschlagen. Sie haben wohl auch hin und her beraten, wie sie davonkommen könnten, aber niemand hat geahnt, wie der Riese wohl hieße. Vielen anderen Unglücklichen war es schon ähnlich ergangen, und wenn wirklich einmal jemand dem Namen auf die Spur gekommen, war der Monat um, hat der Kröger alle Leute eingesperrt und sich einen neuen Namen gegeben, so daß die armen Gefangenen mit Raten von vorn haben anfangen müssen.
Endlich sind unsere Musikanten auf eine List verfallen. Sie hatten eine Kammer dicht am Wasser, die war nicht weit von der Lagerstätte, in der der Alte die Nacht verbrachte. Er saß ja meist halb angezogen auf einer Truhe neben seinem Bett, solche Angst hatte er um seine Schätze, und so vorsichtig war er, damit ihm niemand in der Nacht beikommen könnte.
Die vier sind trotzdem oftmals durch die eisernen Fenstergitter hereingeschlüpft und haben leise die Kisten und Kasten gerückt und durchsucht, um den Namen herauszubringen. Einmal ist der Alte dabei vorm ersten Hahnenschrei aufgewacht. Uhl und Puhl und Muhl sind gerade zur rechten Zeit durch das Gitter nach draußen gelangt. Buttje aber, der nun eben einen Kopf größer war, hat keine Zeit mehr gefunden. Da hat er sich, während der Riese sich reckte und laut hujahnte, stink hinter einem Kasten verborgen und zitternd und bebend abgewartet, was kommen würde. Er hat aber nur gesehen, wie der Alte die weiße Nachtmütze mit dem Zipfel, der ihm über die Nase hing, fluchend in die Ecke schleuderte. Dann hat Langebart die Tür aufgestoßen und ist ungewaschen und ungekämmt nach draußen gestolpert.
Die Schlafhaube hat Buttje sich eingehender besehen, er hat es auch nicht lassen können, dem Riesen einen Schabernack zu spielen und einen zinnernen
Löffel, den er gerade in der Tasche hatte, in den baumelnden Mützenzipfel zu schieben. Dann hat er sich beeilt, den Freunden zu folgen.In der nächsten Nacht sind die vier wieder bei dem Unhold in der Schlafkammer gewesen. Der hatte sich wie zuvor auf seine Geldkiste gesetzt, hat den Kopf an die Mauer gelehnt und geschnarcht, daß man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte. Auf einmal aber hat Langebart im Schlaf gebrummt und geredet; da lag ihm der kalte Mützenzipfel gerade auf der Nase.
Die Knirpse haben guten Wind bekommen; sie sind mit viel Vorsicht einer auf des andern Schulter geklettert und haben die Spitze der Schlafhaube zu fassen gekriegt. Dann haben sie einen Faden darangebunden und den Zipfel ins Schwingen gebracht, gerade so, daß er die Riesennase eben streifte und der Alte immer unruhiger träumte und wie ein Hund knurrte. Jedesmal aber, wenn er beinah wach war, haben sie das Spiel eingestellt, so daß er sich nicht erlösen konnte.
So haben die vier es bis dicht vor Mitternacht getrieben; wohl hundertmal ist der Zipfel dem Brückenkröger über die Nase gefahren. Und der Böse hat einen seiner schlimmen Tage nach dem andern durchträumt und mitunter so schrecklich gebrummt, daß die Knirpse vor Angst kaum noch den Zwirnsfäden haben schwenken können.
Auf einmal aber, als sie ihn wieder fast wach genarrt hatten, schlug die Uhr zwölfmal. Da hat der Riese wohl gemeint, daß es Monatsende sei und daß er sich einen neuen Namen geben müsse. Er hat beide Fäuste hochgehoben und entsetzlich gestöhnt:
Billwater Meer ik, Langebart beet ik, Groote verfeer ik, Lüttje de freet ik. |
Im gleichen Augenblick nun, wo er es ausgesprochen hatte, haben die Musikanten sich an den Händen gefaßt und vor dem Wildemann gehüpft und gesprungen: "Billwater weerst du, Langebart beest du.
Der ist wach geworden und hat sich erst gar nicht besinnen können. Als die vier Knirpse aber immer weiter tanzten und er merkte, daß er verraten war, hat er die Musikanten mit einer Hand zusammengerafft und hat sie — so kam es ihnen vor — durch Mudd und Mauer und Sand und Wasser wütend nach draußen geschleudert.
Die vier Freunde haben sich, das ist das Wunderbare bei meiner Geschichte, haben sich mitten in der Nacht auf dem Jungfernstieg heil und unversehrt wiedergefunden. Sogar ihre Instrumente sind bei ihnen gewesen und hatten ohne großen Schaden die Reise mitgemacht. Da haben sie sich wie Kinder über die Rettung gefreut, und obschon es eine böse, regnerische Nacht war, haben sie durch alle Gassen geblasen und sind endlich vergnügt und kreuzlustig zur alten, verlassenen Stube von Butt Buttje hinaufgetanzt.
Sie haben sich später auch mit der Polizei vertragen und haben noch lange in den Straßen von Hamburg Musik gemacht. Wie es danach geworden ist, weiß ich nicht; vielleicht sind sie bei den unterirdischen Schiffsbaumeistern oder beim Zwergalten in Harvestehude untergekommen. Wenn sie diese Geschichte einmal lesen, sollen mir nur Bescheid geben, damit ich's hinzufügen kann.
Die klugen Ratsleute
Zu Pfingsten wünschen sich alle Menschen das schönste Wetter, und in dem Jahr, von dem ich erzähle, war in der Stadt Bremen auch big zum Spätsonnabend herrlichster Sonnenschein gewesen. Aber als die Leute anderntags in den Himmel guckten und die weißen Kleider, die schon bereit lagen, anziehen wollten, regnete es zum Gotterbarmen; ein böser Wind fuhr durch alle Gassen.
Nun wohnte eine Ratsfrau dicht am Marktplatz, der war es besonders leid, daß der Tag so arg geworden; sie war erst jung getraut und hatte sich sehr auf den Pfingstweg mit ihrem Mann gefreut. Statt
dessen saß der Ratsherr brummend im Stadthaus, um rasch allerhand Arbeit, die ihm liegengeblieben war, fertigzustellen, und die arme Frau sah in übler Laune dem Regen zu und dachte nach, wer von den vielen Widersachern der wackeren Stadt ihr solch Wetter beschert haben konnte.Als sie sich's nun noch übersinnt, kommt, obschon es Pfingstmorgen ist, ein riesiger Fischhändler vorbei, der hat die Mütze tief über die Ohren gezogen, schiebt seinen Wagen vor sich her und bleibt vorm Haus der Kais frau stehen. Und er ruft, wie die Leute es damals taten:
"Aal, grone Aal, Uns Fru, kamen Se mal dal, Dat Mäken sitt in't Kellerlock Un flickt den Krinolinenrock! |
Die Frau merkt ja gleich, daß da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, sondern daß einer gekommen ist, der nichts vom heiligen Festtag weiß. Und weil sie ein entschlossenes Weib ist, steigt sie selbst die Treppe hinab und tut, als wenn sie sich die Fische ansehen wolle. Sie weiß aber mit dieser Art Volk Bescheid und nimmt wahr, daß der Händler ein alter Wasserkerl aus der Weser ist; wahrscheinlich ist es der, welcher den schlimmen Regen über die pfingstliche Stadt gebracht hat.
Als der Mann seine Fische zeigt, beginnt er auch bald zu reden, daß er die Herrin schon als Kind habe spielen sehen, wie schön sie seitdem geworden sei, wie gern er sie immer gemocht habe und dergleichen mehr. Die Ratsfrau hört ihn an, sie tut wie ein Schelm, legt den Finger auf den Mund und lädt den Wasserkerl ein, er solle sich ihren Garten anschauen.
"Ich weiß wohl", sagt sie geheimnisvoll, "Ihr seid ein hoher Fremder und nicht der, für den Ihr Euch ausgebt. Und gewiß gefallt Ihr mir auch. Aner mein Gemahl ist sehr streng, verbergt Euch rasch im Brunnen, bis er zum Tor hinausgegangen ist.
Der Wassermann, der solch freundlichen Empfang kaum erwartet hat, steigt wirklich in den Brunnen. Und siehe da, draußen in den Gassen regnet es schon weniger.
Lange dauert es nicht, da kommt ein anderer Geselle die Straße entlang.
Der fegt wie der Wind heran, klingelt am Haus der Ratsleute und
will wissen, ob nicht vorhin ein schlimmer Besuch eingelassen sei. Er ist so
neidisch, er drängt gleich an der Magd vorbei, die Ratsfrau muß selbst die
Treppe hinabkommen, weil der Zank im Tor nicht aufhört.
einem Dieb und Räuber zu
warnen. Und er fragt, ob
er die schöne Herrin nicht
in ihrem Garten besuchen
dürfe, hier draußen könne
er ihr nichts davon ver-
raten.
Es ist ein langer Geselle mit pausbackigem Gesicht, die Frau weiß nicht, woher sie ibn kennen könnte. Aber sie vermutet, daß auch er an dem Wetter Schuld habe, ist schalksfreundlich und flüstert, sie wolle wohl anhören, was er zu habe, aber er müsse noch warten, bis ihr Mann durch den Garten gegangen sei. Und sie schickt ihn in den großen Birnbaum, in dem soll er sich verstecken. Kaum
Kaum ist sie unten, macht auch der zweite Schmachter einen tiefen Bückling, tut geheimnisvoll und flüstert eifersüchtig, er habe vor
hat der Fremde ihren Wunsch befolgt, da hört der Wind zu stoßen auf und der Himmel wird heller.Die Ratsfrau hätte nun gern ihrem Mann Bescheid gegeben und ihn ermahnt, mit ihr auszugehen; sie war aber noch in Sorge, was sie mit den beiden Gesellen im Garten anfangen sollte. Schließlich ließ sie Diener und Jungfer kommen, schickte den einen aufs Rathaus, seinen Herrn eilig herbeizurufen, und sagte der Magd, sie solle einmal durch den Garten laufen, als habe sie eine Botschaft zu bestellen. Und wenn zwei Leute sie anredeten, müsse sie diesem diese und jenem jene Antwort geben.
Als die Dirn nun am Brunnen vorbeirannte, brummte ihr einer zu, wie lange es denn zum Teufel noch dauere, bis der Mann aus dem Haus wäre. Ach, erwiderte sie, genau wie ihre Herrin es sie geheißen hatte, da hätte sich ein ärgerer Besuch eingestellt, mit dem müßte man erst fertig werden.
Dann lief sie weiter. Auf dem Birnbaum hockte der Windkerl ungeduldig auf dem untersten Zweig. Er müsse noch etwas Geduld haben, flüsterte rasch, der Wassermann säße im Brunnen, und ihre arme Herrin wage sich nicht vorbei.
Kaum hat der Wind vom Wassermann erfahren, da ist er wie ein Wirbel um den Brunnen und dann kopfüber hineingefahren, um mit dem Nebenbuhler abzurechnen. Man hörte es in der Tiefe entsetzlich schlagen und plantschen,
Gerade da war auch der Ratsherr heimgekehrt, und die Frau hat ihm mit fliegenden Worten von ihrer List erzählt. Der Mann hat die Stirn kraus gezogen, dann hat er gelacht, hat nach dem Diener gerufen, und die beiden haben sich zu den Polternden, Fechtenden im Brunnen geschlichen. Dort haben sie eilig den großen eichenen Holzdeckel hinübergeschoben, haben ihn mit allen Steinen beschwert, derer sie habhaft werden konnten, und drei eiserne Klammern über die Ränder gehämmert.
Danach sind Mann und Frau, weil es inzwischen das schönste Wetter geworden war, den langen Tag im Freien gewesen und haben die beiden Betrogenen mit ihrem Zorn allein gelassen; einen Abend und die ganze Nacht hindurch hat der Deckel auf dem Brunnen gewackelt, und es hat
gestöhnt und gejammert in seiner Tiefe. Aber der Ratsherr hat gewollt, daß auch am Pfingstmontag schönes Wetter sei, kein Mitleid ist in ihm aufgekommen.Erst am dritten Tag hat der Mann die Sturmwarnung am Hafen hochziehen lassen. Dann ist er mit seinem Diener in den Garten gegangen, hat die Krampen losgehämmert und hat mit einem langen Stock die Steine, einen nach dem anderen, von dem wackeligen Brunnendeckel geschoben. Big der plötzlich mit einem Knall in die Luft geflogen ist und zwei zerrissene wilde Kerle aus der Tiefe hochgefahren sind. Und es ist ein entsetzliches Dienstagswetter über die arme Stadt gekommen. Aber die Feiertage waren doch nach der Ratsfrau und aller Frauen und Jungfrauen Wunsch gewesen; es war nichts mehr dran zu ändern.
Wie Eulenspiegel und der alte Hinkepot
die Herzogin von Plön gerettet haben
Als Eulenspiegel eines Tages so seines Weges ging, sahen ihn zwei hohe Herren von den Überirdischen und erkannten den lustigen Gesellen. Und weil der eine ihn für einen unnützen Spaßmacher, der andere für einen wackeren Burschen hielt, beschlossen sie, den Wanderer auf die Probe zu stellen, um zu erfahren, was der Schelm mit einer besonderen Gunst anfangen würde. Die beiden schenkten ihm also — das vermochten sie ja —, daß Eulenspiegel sich für den Rest des Tages bis Mitternacht sowohl alt wie jung wünschen dürfe. Und sie ließen ihn wissen, was sie ihm gegeben hatten, und wollten nun sehen, was er mit seinem Recht begänne.
Morläufig ging der Bursch aus Mölln seines Weges und kümmerte sich nicht viel um sein Geschenk; vielleicht glaubte er überhaupt, daß die hohen Herren sich nur einen Spaß mit ihm erlaubt hatten. Nach einiger Zeit aber sah er von weitem den Bettelmann Hinkepot mit seinem Hund
Kobe; das war ein sonderbares Paar, dem der Narr früher einmal einen Schabernack angetan hatte und von dem er sich nicht gern anhalten lassen wollte. Er wünschte sich also flugs, daß er als ein eisgrauer Müllermeister den beiden begegnete, und es geschah nach seinem Begehren.Nun ist bekannt, wer der alte Hinkepot war. Er hat in seinen jungen Tagen einmal der Espe einen der goldenen Tanzschuhe gestohlen und ihn selbst angezogen. Seitdem hat er keine Ruhe; immer treibt ihn der Schuh zum Tanzen, und wo er nicht tanzen kann, muß er wie ein Hinkender seinen Weg suchen. Ein kleiner verlaufener Unterirdischer, Kobe mit Namen, hatte am Ende Mitleid mit Hinkepot. Er begleitete ihn in der Gestalt eines Hündleins und warnte ihn oder bettelte für seinen Herrn.
Als Eulenspiegel aber wie ein Müllermeister vorüberging, wich der andere ihm aus, ohne ein Bettelwort.
Das erstaunte den Spaßmacher; er hatte sich gefreut über die Verwandlung, und nun half sie ihm nicht einmal. Er lief deshalb im Bogen zurück, wünschte sich, ein kostbar gekleideter Junker zu sein, und richtete es ein, daß er den beiden von neuem begegnete. Wieder gingen Hinkepot und Kobe vorüber und grüßten, aber sie baten nicht um Almosen. Da hielt Eulenspiegel den Alten an und fragte, ob er zu stolz sei, etwas von ihm zu nehmen.
Nein seufzte der Bettler, das sei es nicht. Aber sein Hund Kobe habe ihn zweimal gewarnt, es käme ihnen ein Verkleideter entgegen; da habe er es gelassen. Ob der Herr vielleicht verraten wolle, wer er in Wahrheit sei? Eulenspiegel nickte, er wünschte sich in seine wirkliche Gestalt zurück, lobte den mitleidigen Unterirdischen und begleitete die beiden eine Weile; ihm schien gut, einmal zu erfahren, wie viele der Begegnenden ehrlich oder unehrlich in ihrer Haut waren.
Manche Menschen trafen sie auf ihrem Weg, gute und freundliche und unfreundliche. Mach einiger Zeit —sie waren schon dicht vorm Schloß von Plön —kam auch eine prächtige Kutsche vorüber, in der saß ein vornehmer Herr mit zwei Begleitern, und der Hund Kobe warnte die Männer leise.
"Warum sollen wir nicht grüßen?" fragten sie ihn.
"Weil ein Betrüger darin sitzt", sagte Kode, "er will die Schloßfrau fangen.
"Wer ist es?
"Ein alter Drullkönig ist es, der hat es auf die arme Herzogin abgesehen."
Da meinte Eulenspiegel, daß sie wohl auf das Schloß gehen müßten, um zu erfahren, was die Bösen planten. Denn der Schloßherr, den sie alle gern gehabt hatten, war in einem großen Krieg gefallen, sein Bruder verschollen, es tat den dreien leid um die einsame Frau, die er hinterlassen hatte. Sie stiegen also den steilen Burgweg hinauf, Eulenspiegel, Hinkepot und der kleine Kobe, und baten am Tor um ein Stück Brot.
Als nun in die Küche gewiesen wurden, da verbeugten sie sich vor allen Leuten sehr höflich, wie es sich für Bittende geziemt. Aber der Hund Kobe sah den Koch nicht an.
"Was hast du gegen ihn?"fragte Eulenspiegel leise.
"Er ist einer der beiden, die den Drull begleiteten, und gibt sich für den neuen Küchenmeister aus.
Kann der sich vermummen, kann ich's auch, dachte Eulenspiegel, bat die Freunde, in der Küche zu bleiben, und wünschte sich in die Gestalt eines Dieners. Und weil gerade viel zu tun war und hohe Gäste eingetroffen waren, nahm man ihn eilig an und ließ ihn beim Auftragen helfen.
Es gefiel Eulenspiegel, er kam gleich den andern in den großen Rittersaal und sah dabei auch, wie der Drullkönig, dem er in der Kutsche begegnet war, schon neben der schönen Schloßfrau saß. Ja, als er es darauf anlegte, gerade die beiden zu bedienen, vernahm er, daß der Fremde sich wohl für des alten Herzogs verschollenen Bruder ausgab. Ach, der Unhold wußte so viel Abenteuerliches von seinem Leben und so viel Ehrenvolles von dem Gefallenen zu erzählen, daß der einsamen Frau die Tränen über die Wangen liefen.
Da hörte sie auf einmal, wie ihr jemand zuflüsterte:
"De echte Broder liggt al in't Graff, Riet dissem dat falsche Angesicht af! |
Als das große Wahl nun vorüber war und Eulenspiegel mit den anderen Dienern in der Küche heißhungrig ass, was übriggelassen war, blieb der Küchenmeister des Drullkönigg vor ihm stehen und sprach ihn an. Du bist auch nicht echt", sagte er. "Warum bist du hier? Am Ende suchst du gar nach des Herzogs Schatz?" Er hatte nur einen Scherz machen wollen, aber Eulenspiegel war ihm über, er tat listig, als hätte der Küchenmeister ihn ertappt, stotterte und schien fliehen zu wollen. Da wurde der andere wißbegierig, und obwohl er doch dabei war, seinem Herrn bei einem Abenteuer zu helfen, wollte er sich auch den eigenen Gewinn nicht entgehen lassen. Er hielt also den verkleideten Diener an und flüsterte, er werde ihn in den untersten Keller sperren, wenn er ihm nicht zeigte, wo das Geld verborgen sei.
Eulenspiegel tat, als füge er sich drein, und stand zitternd auf. Dabei gab er ungesehen Hinkepot und Kobe, dem Hund, einen Wink, so daß sie ihm folgen konnten. Dann führte er den Gierhals von Küchenmeister kreuz und quer über den Schloßhang, bis sie zu dritt mit ihm fertig werden konnten. Weil sie aber nicht viel Zeit hatten, banden sie ihn nur und nahmen ihm ab; was er bei sich trug — es war nichts Besonderes außer einem Fläschchen, das Eulenspiegel zu sich steckte. Dann bat der Hund Kobe einige unterirdische Nachbarn, den Gefangenen zu bewachen, es sei um der Herzogin willen. Und die Kleinen taten es gern.
Im Schloßgarten ging inzwischen das Fest weiter. Es wurde zur Feier des Heimgekehrten viel Kurzweil getrieben, auch der Bettelmann und sein Tier mußten ihre Tanzkünste zeigen. Und Eulenspiegel hielt sich in ihrer Nähe. So kamen sie bei einem Hauptmann vorüber, und der Hund Kobe blieb stehen, blinzelte den Freunden zu und bedeutete ihnen, daß dies der dritte Unhold sei, den sie im Wagen des Drullkönigg gesehen hatten. Und sie merkten sich ihn.
Nun machten sich ja noch andere Leute daran, die Gäste zu unterhalten, aber keiner konnte so sonderbar tanzen wie der Bettler Hinkepot mit seinem Zauberschuh. Wieder und wieder mußte er seine Künste und Schrullen zeigen und war allen über. Er tanzte und tanzte, bis endlich seine Stiefel
mürbe wurden und an seinem rechten Fuß ein kleiner goldner Absatz sichtbar wurde. Gleich hatte es der falsche Hauptmann bemerkt, und weil er in ihm die Kraft des Gauklers vermutete, wurde er begierig darauf, drohte Hinkepot und verlangte, daß er ihm den Schuh liehe. Er kam ja von weit her und wußte nicht, wie es damit beschaffen war. Der Alte möchte ihn wohl warnen, aber der Gast wurde nur um so heftiger, er hoffte, bei schönen Frauen zu gewinnen, wenn er auch einmal solchen Tang h besäße. So geschah es ihm, wie es allen geschieht, die dem Zauber der Espe verfallen: Kaum hatte Hinkepot dem Hauptmann seinen Wunsch erfüllt, da mußte der sich drehen und um sich wirbeln. Wild und bunt ging es zu; am Ende mußte er gar mit einem Hui zum Schloßgarten hinaus, dem Tänzer schien die Melt schier zu klein für seine Lust.Der Drull, der, als hoher Schwager verkleidet, noch immer die schöne Herzogin geleitete, sah, daß sein Hauptmann wie unter einer Hexerei davonzog, und machte sich Sorgen um seinen Gesellen, auf den er sich verlassen hatte. Unruhig wurde er und verlangte, daß Hinkepot ihn zurückholte. Aber wie sollte der es wohl anfangen? Auch war der Bettelmann heilfroh, daß er auf seine alten Tage den Tanzschuh losgeworden war, er lief auf einmal aufrecht, ohne Hinkebein, und staunte, daß er es vermochte. Da begann der Gast zu drohen; die arme Schloßfrau hatte Mühe, ihn zu beschwichtigen und ihm zu erklären, daß Hinkepot und sein Hund oft Einkehr hielten und immer Leute guten Willens gewesen seien. Der Schlimme knurrte, er witterte Unrat und sah sich nach dem anderen Helfer um.
Gerade da lief der Hund Kobe vorüber und verriet Eulenspiegel und Hinkepot, daß unterm Schloß der Wagen des Entführers schon zur Abfahrt bereitstünde. Die drei Freunde wurden sehr besorgt, und als den Dienern befohlen wurde, den Gästen wegen des heißen Tages einen Trunk zu bieten, ersah Eulenspiegel die Gelegenheit. Während der Drullkönig mit der Herzogin noch schöne Reden wechselte, schüttete er dem Unhold rasch ins Glas, was sein Küchenmeister wohl anderen zugedacht hatte; alles, was er in der Flasche hatte, gab er dem Gast in den Wein, ohne daß der sich färbte.
Dann trank der Drullkönig, und der Trank schien ihm zu munden. Bald danach aber wurde er sehr müde und setzte sich unter einen hohen Baum. Und einige lachten, sie meinten, er hätte sich übernommen; die Herzogin aber winkte den Dienern, es schien ihr unschicklich, den Schwager weiter beim Fest zu lassen.
Eulenspiegel hatte sich unter die Leute gemengt, die den Drullkönig in die Gästekammer brachten, um ihn auszukleiden. Der Schelm hatte seinen Spaß an dem Abenteuer und überlegte, wie er den Unhold aus dem Schloß bringen könnte. Als die Helfer gegangen waren, wünschte er sich rasch zu einer Jungfer der Herzogin, besorgte sich einen Frauenmantel, kam wieder und tat ihn dem schnarchenden Drullen an. Sich selbst aber wünschte er, wie der Gast auszusehen, dann trug er den Schlafenden im Abendlicht zu seinem Wagen. Und wahrhaftig wurden er und der in Weibskleidern von allerhand Volk empfangen, das wohl zum Raub bestellt war. Bald peitschte der Kutscher die Pferde, ohne Anhalten fuhren sie durch das Land, viele Reiter folgten, und der Drull im Frauenmantel schnarchte, daß die Diener unmutig den Kopf schüttelten; Eulenspiegel aber, den die Leute für ihren König ansahen, wurden hohe Ehren erwiesen.
Kurz vor Mitternacht befahl der Schelm, den Wagen anzuhalten; er tat, als müsse er Luft schöpfen und sich ein wenig die Füße vertreten. Und die Herren folgten seinem Befehl und machten es wie er. Weil Eulenspiegel aber wußte, daß seine Mermummung nur noch bis zum Ende des Tages dauerte, hielt der Schlingel die Vorsicht für den besseren Teil, verwandelte sich zum letztenmal und ging als Wandersmann seines Weges. Er beeilte sich, ihm schien es notwendig, Wagen und Reitern für immer außer Sicht
Auf dem Schloß von Plön war währenddes noch allerhand Wer wirrung, die kein Ende finden wollte. Der Küchenmeister war den unter irdischen Wächtern entschlüpft, er lief scheltend treppauf, treppab und rief nach seinen Freunden. Aber niemand konnte ihm antworten. Auch der Hauptmann kam auf seinem Tanzschuh des Weges und schrie, man würde es den Plönern gewiß nicht vergessen, sie hätten seinen Herrn in Weibskleidern
fortfahren lassen. Mehr konnte er nicht sagen, er mußte ja weiter tanzen und wußte noch nicht warum.Endlich hieß die Herzogin den Bettelmann holen und drang in ihn, was denn eigentlich geschehen sei. Da erzählte er ihr alle Begebnisse. Und weil die Frau nun doch sehr erschrak und sich vor jenem Fremden fürchtete, bat sie den Alten, mit seinem Hund für immer auf dem Schloß von Plön zu bleiben. Hinkepot nahm an, er vermochte es ja, weil er keinen Tanzschuh mehr trug. Und er hat es bis ans Ende seines Lebens gut gehabt.
Um Eulenspiegel haben er und sein Hund Kobe sich noch viel Sorge gemacht. Der Schelm ist jedoch eines Tages munter und gesund vorübergekommen, die Herzogin hat ihm sogar ein Gastmahl herrichten lassen, sie wollte ihm für seine Mühe danken, und hat ihn gefragt, ob nicht auch er bleibe. Aber Eulenspiegel hat Angst vor großen Schlössern, er läuft lieber allein durchs Land.